Die Prostitution [1]

Mit einem Namen-, Länder-, Orts-, und Sachregister

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Die Prostitution [1]

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H ANDBUCH DER

GESAM TEN SEXUA LW ISSEN SCH A FT IN

EIN ZELD A RSTELLU N G EN BA N D I

HANDBUCH DER GESAMTEN SEXUALWISSENSCHAFT IN EINZELDARSTELLUNGEN HERAUSGEBER: D r. med. IWAN BLOCH

BAND I

DIE PROSTITUTION i.

BERLIN SW. 61 LOUIS MARCUS VERLAGSBUCH HAN DLUN G 1912

Die Prostitution ERSTER BAND Von

Dr. med. Iwan Bloch Spezialarzt für Sexualleiden in BerlinsCharlottenburg. Verfasser von »Das Sexualleben unserer Zeit« »Ursprung der Syphilis« etc. etc.

Mit einem Namen», Länder», Orts» und Sachregister

Erstes bis zehntes Tausend

BERLIN SW. 61 LO UIS M ARCUS V ER LA G SBU C H H A N D LU N G 1912

Alle Rechte Vorbehalten. Copyright 1912 by Louis Marcus Verlagsbuchhandlung Berlin.

Vorrede (zugleich Einleitung zum Handbuch der gesamten Sexual­ wissenschaft in Einzeldarstellungen). Der Name und Begriff einer umfassenden „ S e x u a l ­ w i s s e n s c h a f t “ ist im Jahre 1906 von mir gebildet und in die Wissenschaft eingeführt worden, wo er sich rasch Bürger­ recht erworben hat und von autoritativer Seite als der treffendste Ausdruck für eine durchaus s e l b s t ä n d i g e , weit über den bisherigen rein medizinischen Rahmen hinausgehende Sonder­ wissenschaft anerkannt worden ist. So schrieb kein Geringerer als A l b e r t E u l e n b u r g in einer Besprechung meines Buches „Das Sexualleben unserer Z eit“ in der „Deutschen L iteratur­ zeitung“ 1907: „Mancher Leser wird gewiß einigermaßen über­ rascht und vielleicht sogar etwas bestürzt aufblicken, wenn ihm in der Vorrede des Bloch’schen Werkes plötzlich das W ort „ S e x u a l w i s s e n s c h a f t “ entgegenspringt — und noch dazu gleich in voller Wehr und Rüstung, wie die zeusentsprungene Wissensgöttin selbst, schwer belastet mit den Ansprüchen eines schon zu voller Entfaltung gediehenen, enzyklopädisch aus- und durchgearbeiteten, selbständigen Forschungsgebietes — vor ihn dahintritt. Und doch werden w ir uns bei einer nicht allzu weit zurückgreifenden geschichtlichen Betrachtung eingestehen dürfen und müssen, daß dieser anfangs beanstandete Ausdruck genau das Richtige trifft und jedenfalls dem Werke, dem er als gewissermaßen programmatische Bezeichnung vorangeht, in W ahrheit den Stempel einer innerlichen und äußerlichen Existenzberechtigung aufdrückt. Warum sollten auch dem viel­ verästelten und zu immer größerer Höhe emporsteigenden Baume, dem wir unser Wissen so gern vergleichen, nicht neue Seiten-

VI triebe entstehen, neue Zweige sich ansetzen, wenn der Saft in ungeahnt mächtiger Fülle immer und immer wieder einzelnen Stellen zutließt — das heißt, wenn sich die Summe der T at­ sachen, Erfahrungen, erkennbaren Beziehungen, die ja den alleinigen In h alt unseres Wissens ausmachen, nach bestimmten Richtungen hin fü r gewisse Lebens- und Forschungsgebiete m it einem Male in früher unerhörter Massenhaftigkeit anhäuft und verdichtet?“ Aehnlich zustimmend äußert sich der geistvolle G e o r g H i r t h in einer im A pril 1907 in der „Jugend“ er­ schienenen Rezension, betitelt „Sexualwissenschaft!“ (wieder ab­ gedruckt in seinem Buche „Wege zur H eim at“, München 1909, S. 477—478), wo er die Sexualwissenschaft „die letzte und jüngste aller Wissenschaften, trotzdem die w ichtigste“ und mein Buch „den ersten, wirklich groß angelegten Versuch einer Um­ schreibung der neuen Wissenschaft“ nennt. Kurze Zeit darauf haben auch M a g n u s H i r s c h f e l d und H e r m a n n R o h ­ l e d e r der. Ausdruck „Sexualwissenschaft“ akzeptiert, der ersteic durch Herausgabe seiner vortrefflichen „Zeitschrift für Sexualwissenschaft“, die leider nur ein J a h r (1908) bestanden hat, der letztere durch Schaffung einer besonderen Rubrik „Sexualwissenschaft“ für seine K ritiken auf diesem Gebiete im „Reichsmedizinalanzeiger“ (seit 1908). Zahlreiche andere Autoren haben dann in den letzten Jahren die Berechtigung des Begriffes einer besonderen selbständigen „Sexualwissen­ schaft“ anerkannt, der heute in fast allen wissenschaftlichen medizinischen, anthropologischen und auch juristischen und theologischen Zeitschriften anzutreffen ist. Scho i wenige Monate nach dem Erscheinen der ersten systematischen Darstellung der Sexualwissenschaft, meines Werkes „Das Sexualleben unserer Zeit in seinen Beziehungen zur modernen K u ltu r“ (Berlin 1907), forderte mich der be­ kannte Psychologe W i l l y H e l l p a c h auf (vgl. seinen A rtikel „Sexualpsychologie“ im „Tag“ Nr. 168 vom 4. A p r i l 1907), ein größeres „ H a n d b u c h d e r S e x u a l w i s s e n s c h a f t “ zu schaffen, wobei er natürlich nicht an eine bloße (etwa durch Illustrationen schmackhafter gemachte) Wiederholung oder Nachahmung meines „Sexualleben“ dachte, sondern an eine w is s e n s c h a ftlic h e D u rc h d rin g u n g a lle r s e x u ­ e l l e n E i n z e l p r o b l e m e , an ihre völlige N e u b e a r b e i ­ t u n g und n e u e G r u n d l e g u n g in größeren E i n z e l d a r -

VII S t e l l u n g e n auf Grund der von mir schon 1902 in den „Beiträgen zur Aetiologie der Psychopathia sexualis“ inaugu­ rierten und in dem „Sexualleben“ weiter durch geführten a n ­ th ro p o lo g is c h - e th n o lo g is c h e n Forschungsmethode. Denn eine bloße Zusammenfassung des bisher Geleisteten kann uns nicht mehr genügen. Nunmehr handelt es sich um die exakte Begründung der Sexualwissenschaft als einer r e i n e n W i s s e n s c h a f t f ü r s i c h , es handelt sich um die kritische E i n z e l b e a r b e i t u n g der zahlreichen noch ungelösten und ungeheuer komplizierten Fragen auf diesem Gebiete. Die D o p p e l n a t u r des Geschlechtstriebes, seine biologische und kulturelle Seite, läßt uns die ganze Schwierigkeit der wissen­ schaftlichen Sexualforschung verstehen und es begreiflich er­ scheinen, daß auf der einen Seite die Mediziner und N atur­ forscher. auf der anderen die Theologen, Philosophen, Juristen und Kulturforscher die „sexuelle Frage“ von ihrem einseitigen Standpunkte aus lösen zu müssen glauben. Schon aus dieser Tatsache ergibt sich die Notwendigkeit einer Begründung der Sexualwissenschaft als einer reinen Wissenschaft für sich, d ie n i c h t , w ie b i s h e r , a l s A n h ä n g s e l i r g e n d e i n e r a n d e re n W is s e n s c h a ft a u f g e f a ß t w erd en d a r f , oder etwa, was völlig widersinnig ist, diese ganz verschiedenen Disziplinen als „Sexualw issenschaften“ (!) zusammenfaßt. Wo­ hin das führen würde, hat die rein m e d i z i n i s c h - k l i ­ n i s c h e Betrachtungsweise v o n K r a f f t - E b i n g s , des eigentlichen Begründers der modernen Sexualpathologie, seiner Vorgänger und Nachfolger gezeigt, unter denen manche schon die Wissenschaft bereichert zu haben glauben, wenn sie neue Spezialfremdwörter ohne begrifflichen Inhalt bilden, während es doch gerade hier vor allem auf die kritische Untersuchung der tatsächlichen Vorgänge ankommt. Die Sexualwissenschaft ist weder ein untergeordneter Teil der Psychiatrie und Neu­ rologie. die ja in ihren hervorragendsten Vertretern noch heute alles Sexuelle beinahe als eine quantité négligeable betrachtet, noch (wenn man z. B. an die Prostitution denkt) der Venero­ logie. Und wenn sich heute Aerzte von dem Augenblick an, wo sie sich ausschließlich mit den Problemen der Sexualwissen­ schaft beschäftigen, als „Spezialärzte für psychische und ner­ vöse Leiden“ bezeichnen, so ist das ein Rückschritt und eine bedauerliche Inkonsequenz und wenig geeignet, die für mich

VIII über jeden Zweifel erhabene Unabhängigkeit und Selbständig­ keit der Sexualwissenschaft zu fördern. Schon in der Vorrede zum „Sexualleben unserer Zeit“ habe ich die Ueberzeugung ausgesprochen, daß eine rein medizinische (geschweige denn psychiatrische) Auffassung des Geschlechtslebens, obgleich sie immer den Kern der Sexualwissenschaft bilden wird, nicht ausreicht, um den vielseitigen Beziehungen des Sexuellen zu allen Gebieten des menschlichen Lebens gerecht zu werden. Diese Beziehungen als G a n z e s machen den Inhalt der beson­ deren „Sexualwissenschaft“ aus, deren Aufgabe es ist, sowohl die physiologischen als auch die sozialen und kulturgeschicht­ lichen Beziehungen der Geschlechter zu erforschen und durch das Studium des Natur- und Kulturmenschen gewissermaßen die s e x u e l l e n E l e m e n t a r g e d a n k e n der Menschheit auf­ zufinden, die übereinstimmenden biologisch-sozialen Erschei­ nungen der Sexualität bei allen Völkern und zu allen Zeiten, den festen Grund für das Gebäude der neuen Wissenschaft. Einzig und allein diese a n t h r o p o l o g i s c h e Betrachtungs­ weise (im weitesten Sinne des Wortes) liefert uns für die Sexualwissenschaft an der Hand von Massenbeobachtungen, für die das Material nicht groß genug sein kann und immer noch neu hinzuströmt, solche wissenschaftlich verwertbaren G rund­ lagen, daß sie denselben Anspruch auf Exaktheit und Objek­ tiv ität erheben können wie die rein naturwissenschaftliche Einzelbeobachtung. Es war für mich, deir ich seit dem Jahre 1902, seit dem Erscheinen meiner zuerst b e w u ß t und s y s t e m a t i s c h die anthropologisch-ethnologische Betrachtungsweise des Sexualtriebes und der sogenannten „Psychopathia sexualis“ durchführenden „Beiträge zur Aetiologie der Psychopathia sexualis“, ununter­ brochen an der anthropologischen Grundlegung der Sexualwissen­ schaft arbeite, eine freudige Ueberraschung, vor kurzem bei keinem Geringeren als W i l h e l m v o n H u m b o l d t die ähnliche Konzeption einer u m f a s s e n d e n W i s s e n s c h a f t d e s S e x u ­ e l l e n zu finden. Im Jahre 1908 ist im siebenten Bande der von der Königlich Preußischen Akademie herausgegebenen gesammelten Schriften W i l h e l m v o n H u m b o l d t s (S. 653—655) zum ersten Male das Fragment einer „Geschichte der Abhängigkeit im Menschen­ geschlechte“ veröffentlicht worden, dessen beide ersten, auf pine

IX ältere Konzeption (aus den Jahren 1791—1795) zurückgehenden Kapitel den 9ehr interessanten Entwurf eines Systeme der Sexual­ reform darstellen. Es erfüllt uns m it Bewunderung, daß hier bereits die sexuelle Frage als ein i n t e g r i e r e n d e r B e s t a n d ­ t e i l des großen Problems der Mensthheitsentwicklung aufgefaßt wird, und mit noch größerer, daß sie mit tiefer Einsicht in den Mittelpunkt dieser Entwicklung gestellt wird. Der Freund S c h i l ­ l e r s u n d G o e t h e s , dessen das Reale und Ideale gleichmäßig umfassender Geist uns erst durch die neue Akademieausgabe seiner Werke so recht offenbart worden ist, der das Bild des geistigen Kosmos in sich trug wie sein großer Bruder A l e x a n d e r das des irdischen, wollte in einer Reihe von Einzel­ untersuchungen die sexuelle Frage bis in ihre feinsten Verzwei­ gungen verfolgen. Aus dem genannten Entwurf ersehen wir, daß er die Prostitution, die Ehe, den Gesehlechtstrieb, die sexuellen Perversionen, die körperlichen und geistigen Eigentüm­ lichkeiten der Geschlechter in einzelnen Kapiteln behandeln und aus der Betrachtung der geschichtlichen Phasen der sexuellen Abhängigkeit die Idee der sexuellen Freiheit genetisch entwickeln wollte. A u c h e r h a t t e s c h o n g a n z r i c h t i g e r k a n n t , d a ß d ie P r o s t i t u t i o n s f r a g e d a s Z e n t r a l p r o b l e m d e r S e x u a l w i s s e n s c h a f t d a r s t e l l t , d a ß m an d a h e r v o n i h r a u s g e h e n m ü s s e , um das Wesen der Sexualität und ihre so vielseitigen Beziehungen zur menschlichen K ultur zu erleuchten und zu verstehen. Daher plante er, wie wir aus einem um 1798 oder 1799 geschriebenen Briefe der K a r o l i n e v o n W o l z o g e n an K a r o l i n e v o n H u m b o l d t ersehen, zunächst eine große „ G e s c h i c h t e d e r H u r e r e i “1). Die Konzeption dieser für jene Zeit w ahrhaft bewunde­ rungswürdigen Gedanken fällt in die Jahre 1791 bis 1795, also in die Jugendzeit H u m b o l d t s , das Ende des 18. J a h r­ hunderts, das ja namentlich in Frankreich die Idee einer Ver­ besserung und Reform der menschlichen Zustände auf allen Gebieten so eifrig ventilierte. Der Entwurf seines Systems der Sexualreform kam nicht zur Ausführung, nachdem die als Bruchstücke des geplanten Werkes 1795 in Schillers Horen i) Vgl. Werke Bd. VII, S. 655, und hierzu auch G u s t a v v o n ß t r y k , Wilhelm von Humboldts Aesthetik als Versuch einer Neu­ begründung der Sozialwissenschaft, Berlin 1911, S. 16—16.

X veröffentlichten Abhandlungen über den Geschlechtsunterschied2) und über die männliche und weibliche Form3) nur geringes Ver­ ständnis gefunden hatten. So sehr wir dies bedauern müssen, um so mehr, als die Behandlung einer solchen Frage damals gewiß noch größere Vorurteilslosigkeit erforderte als heute, so dürfen wir uns nicht verhehlen, daß die Zeit für ein solches U nter­ nehmen noch nicht gekommen war. Die Kulturgeschichte so­ wohl als auch die allgemeine Naturwissenschaft bewegten sich noch ganz in aprioristischen Konstruktionen, die Völkerkunde war noch in ihren ersten allerbescheidensten Anfängen, kurz, es fehlte alles zu einer o b j e k t i v e n Grundlegung der Sexual­ wissenschaft und der auf diese gegründeten Sexualreform. Es bedurfte noch eines vollen Jahrhunderts exakter naturwissen­ schaftlicher Forschung, der Einführung ähnlicher exakter Me­ thoden in die sogenannten Geistes- und historischen Wissen­ schaften, der Anhäufung eines ungeheuren Tatsachenmaterials auf dem Gebiet der Völkerkunde und der vergleichenden Sittenund Kechtsgeschichte, um den Versuch auf einer gesicherteren Basis zu erneuern. Diese sichere Basis der Sexualwissenschaft als reiner Wissenschaft liefert allein die a n t h r o p o l o g i s c h - e t h n o ­ l o g i s c h e Betrachtungsweise, deren Ueberlegenheit über die medizinisch-klinische Methode ich zuerst 1902 und 1903 in meinen „Beiträgen“ erwiesen habe, wo ich die überall wieder­ kehrenden, dem G e n u s H o m o a l s s o lc h e m eigentümlichen Grundzüge und Grundphänomene der Vita sexualis zu ermitteln versucht habe, wo ich zuerst (wie später noch nachdrücklicher in meinem „Sexualleben“) die sogenannte E n t a r t u n g s ­ t h e o r i e widerlegte und lange v o r S ig m u n d F r e u d den Begriff der „ s e x u e l l e n A e q u i v a l e n t e “ aufgestellt und ihre ungeheure Bedeutung für das Menschen- und Kulturleben nachgewiesen habe*). In weiterer Ausführung dieser Gedanken 2) ,Ueber den Geschlechtsunterschied und dessen Einfluß auf die organische Natur.“ Neudruck in der Akademieausgabe, Berlin 1903, Bd. I, S. 311—334. 3) „Ueber die männliche und weibliche Form.“ Ebendort, Seite 335—369. *) F r e u d selbst hat schon in seiner ersten sexualspychologischen Schrift „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ (Wien 1905, S. 80) mich ausdrücklich als den Begründer der anthropologischen Theorie der Sexualwissenschaft bezeichnet. Ebenso sagt der Freudianer

XI habe ich dann 1906 in meinem „Sexualleben“ als E rster auf die innige V erknüpfung der menschlichen A r b e i t m it der Sexualität hingewiesen und im Schlußkapitel jenes W erkes nach­ drücklich betont, welche ungeheure Bedeutung gerade die A rbeit für die zukünftige E ntw icklung der modernen Liebe haben w ird*8). Dieses sind die wesentlichen G r u n d g e d a n k e n und F o r s c h u n g s p r i n z i p i e n , auf denen sich auch das von m ir unter M itw irkung hervorragender A utoren herausgegebene „ H a n d b u c h d e r g e s a m t e n S e x u a l w i s s e n s c h a f t in E i n z e l d a r s t e l l u n g e n “ in durchaus e i n h e i t l i c h e r Weise aufbauen wird. Diesem großen Handbuch liegt die Lösung der Aufgabe ob, die uns in dem natürlichen Entw ick­ lungsgänge unserer jungen W issenschaft nunmehr erw ächst: die völlige N e u b e a r b e i t u n g und a lls e itig e r­ sc h ö p fe n d e k r itis c h e D u rc h d rin g u n g u nd A u f ­ h e l l u n g der wesentlichsten Einzelfragen der Sexualwissen­ schaft auf der G rundlage der, N atur und K u ltu r gleichm äßig umfassenden, anthropologisch - ethnologischen Methode. Ein W i l h e l m S t e k e l („Nervöse Angstzuständc und ihre Behandlung“, Berlin-Wien 1908, S. 311): „ I w a n B l o c h s Forschungen haben den exakten Nachweis geliefert, daß diese Perversionen nicht das Produkt der Degeneration sind, sondern daß sie sich bei Naturvölkern finden und sogar viel häufiger als bei den angeblich raffinierten dekadenten Menschen, die, der normalen Genüsse müde, nach neuen Sensationen lechzen“. Ich muß hierauf hinweisen, weil sich neuerdings das Bestreben zeigt, F r e u d als Urheber der anthropologischen Auffassung in den Vordergrund zu schieben, während doch seine sexuelle „Psycho­ analyse“ nur eine s p e z i e l l e A n w e n d u n g und eine trotz des übertriebenen Symbolismus zweifellos bedeutsame p r a k t i s c h e V e r ­ w e r t u n g meiner anthropologischen Methode darstellt. 8) Vgl. auch meinen Vortrag: „Ist die Prostitution ein not­ wendiges Uebel?“ auf der II. Generalversammlung, des Deutschen Bundes für Mutterschutz, 16. April 1909 (Neue Generation 1909, Seite 179—190, 224—236), sowie meinen Vortrag: „Die sexuelle Frage im Altertum und ihre Bedeutung für die Gegenwart“ auf dem Inter­ nationalen Kongreß für Mutterschutz- und Sexualreform, 29. September 1911 (Neue Generation 1912, S. 21—29, 87—99). Ich lege auch hier wieder auf die Angabe der Daten (1906, 1909, 1911) Wert, weil im Anfang des Jahres 1912 ein Autor u n t e r v ö l l i g e m V e r ­ s c h w e i g e n meiner Priorität die Idee der Verknüpfung den: Sexualität mit der Arbeit als eine völlig neue, von ihm e r s t j e t z t entdeckte verkündet hat!

X II solches Werk kann nur allmählich sich gestalten, nur durch organisches Wachstum eine wirkliche Vollendung erreichen. Denn nur diejenigen können zur M itarbeit an diesem Unter­ nehmen berufen werden, die „A utoritäten“ der W i r k l i c h ­ k e i t und nicht bloß dem Titel und der Reklame nach sind, die das von ihnen zu bearbeitende Problem aus vieljähriger Be­ schäftigung und Erfahrung bis in seine kleinsten Einzelheiten kennen, und die last not least gleich mir von der absoluten Superiorität der anthropologischen Forschungsmethode überzeugt sind. Deshalb ist es mir eine besondere Freude, bereits zwei Männer für die M itarbeit an dem Handbuch gewonnen zu haben, die nicht nur durch persönliche Freundschaft mir verbunden sind, was immerhin eine nicht geringe Gewähr für ein ein­ heitliches und harmonisches Zusammenarbeiten ist, sondern die auch im wesentlichen meine Grundanschauungen über die bei der Grundlegung der Sexualwissenschaft zu befolgenden Richtlinien und Forschungsmethoden teilen. Nach Erscheinen der beiden ersten Bände dieses Handbuchs, die die P r o s t i t u t i o n , dieses Zentralproblem der ganzen Sexualwissenschaft, behandeln, wird Herr Dr. M a g n u s H i r s c h f e l d als d r i t t e n Band die „ H o m o s e x u a l i t ä t d e s M a n n e s u n d d e s W e i b e s “ in einer umfassenden Monographie kritisch bearbeiten und diese merkwürdige Erscheinung in biologischer, psychologischer, pa­ thologischer und juristischer Beziehung erschöpfend darstellen und ihre Bedeutung für K ultur und Rasse eingehend würdigen. Dr. H i r s c h f e l d ist der unbestritten erste Kenner der Homo­ sexualität, über die er während mehrerer Dezennien eine ge­ radezu gewaltige, über die ganze W elt sich erstreckende E r­ fahrung gesammelt hat. Das ihm zur Verfügung stehende Material über diese Frage hat an Umfang und Vielseitigkeit nicht seinesgleichen. Der verdiente Herausgeber des „Jah r­ buchs für sexuelle Zwischenstufen“, der Entdecker der beinahe unglaublichen, aber doch wirklich existierenden Gruppe der „Transvestiten“, der ausgezeichnete Lehrer, dessen persönlicher Belehrung so viele Aerzte des In- und Auslandes ihre Kenntnis des Wesens und der Erscheinung der Homosexualität ver­ danken, war der wissenschaftlichen W elt längst ein um­ fassendes und grundlegendes Werk über diese Frage schuldig, das zu schreiben er vor allen anderen berufen ist. Im v i e r t e n und f ü n f t e n Bande dieses Handbuchs wird Herr F e r d i -

X III nand F re ih e rr von R e i t z e n s t e i n die gesamte „ s e x u e l l e E t h n o l o g i e “ darstellen, und zwar im vierten Bande der. „ M a n n h e i d e n N a t u r - u n d K u l t u r v ö l ­ k e r n “, im fünften das „ W e ib b e i d e n N a t u r - u n d K u l t u r v ö l k e r n “. Seit Jahren hat Herr v o n R e i t z e n ­ s t e i n , der sich als Assistent am Berliner Museum für Völker­ kunde und als Leiter der Ethnol ogischen A bt eilung der Dresdner Hygiene-Ausstellung (1911) auch eine große praktische E rfah­ rung in ethnologischen Dingen erworben hat, dieses Spezial­ gebiet der Ethnologie gepflegt und in zahlreichen kleineren quellenkritischen Monographien sein großes einheitliches Ge­ samtwerk über die sexuelle Ethnologie vorbereitet, dem wir mit. um so größerer Spannung entgegensehen dürfen, als es zahl­ reiche neue unbekannte Illustrationen aus dem Gebiet der Völkerkunde enthalten wird. Das gesamte Handbuch der Sexualwissenschaft in Einzel­ darstellungen, dessen Umfang ungefähr 12 Bände betragen wird, soll nach Konzeption und Anlage die t h e o r e t i s c h e Grund­ lage für eine zukünftige S e x u a l r e f o r m darstellen, deren Endziel nur in der von mir auf Seite 644 des vorliegenden ersten Bandes gekennzeichneten Richtung gelegen sein kann, die auf eine n a t ü r l i c h e , b i o l o g i s c h e Auffassung der Sexualität geht, und auf eine Erleuchtung ihres eminenten K u l t u r w e r t e s . Denn unter den unausrottbaren, ewig wiederkehrenden V o r u r t e i l e n der Menschheit auf allen Gebieten der K ultur, des Glaubens und des Wissens ist das s e x u e l l e Vorurteil vielleicht das hartnäckigste, jener uralte Glaube an die E rb­ sünde, an das absolut Böse im Geschlechtstriebe und an die angebliche sexuelle Entartung und Korruption der jeweiligen Epoche, welcher die kindliche Einfalt und Unschuld der jedes­ mal um ein oder zwei Jahrhunderte zurück'verlegten „guten alten Zeit“ gegenübergestellt wird, die ihrerseits wieder die gleichen Jeremiaden angestimmt und das gleiche Idealreich einer noch früheren „guten alten Zeit“ als bloßes Phantasiebild aus sich erzeugt hatte. So gelangen wir auf diesem Krebsgänge schließlich zum goldenen Zeitalter und zum Paradiese, während bekanntlich die historische und die naturwissenschaftliche For­ schung auch im Sexualleben der Menschheit eine fortschreitende Entwicklung aus primitiven Anfängen und Zuständen nach­ gewiesen hat. Wo wäre denn das Menschengeschlecht heute,

XIV wenn es umgekehrt gewesen wäre, wenn am Anfänge das Ideal, am Ende aber die Entartung und abgrundtiefe Verdorbenheit ge­ wesen wäre ? Da an den Sexualtrieb nicht nur die F ort­ pflanzung des Menschen sich knüpft, sondern da auch alle geistige Entwicklung sekundär mit ihm zusammenhängt, so kann die sexuelle Korruption für die Kulturgeschichte nur ein r e l a t i v e r Begriff sein, wenn man sich vorurteilsfrei, und das heißt in diesem Falle rein l o g i s c h , den ganzen Entwick­ lungsgang der Menschheit vor Augen hält. Schon ein so klarer Kopf wie L es s i n g hat das mit Nachdruck betont, und be­ rühmte Naturforscher, wie C h r i s t i a n G o t t f r i e d E h r e n ­ b e r g und W e r n e r v o n S i e m e n s , haben die exakten Be­ weise für die z u n e h m e n d e V e r e d e l u n g u n d V e r b e s s e ­ r u n g der physischen und moralischen N atur des Menschen er­ bracht, die uns an den von E l i a s M e t s c h n i k o f f prophe­ zeiten Idealmenschen der Zukunft und an die durch fortschrei­ tende „erbliche Entlastung“ ( G e o r g H i r t h ) erreichbare Ver­ vollkommnung glauben läßt6). Es ist die herrliche, vielversprechende Aufgabe der S e x u a l ­ w i s s e n s c h a f t , diese ,Rationalisierung des menschlichen xlrtprozesses“, wie es A l f r e d G r o t j a h n in seiner soeben er­ schienenen vortrefflichen „Sozialen Pathologie“ nennt, durch ihre Forschungen vorzubereiten, an die Stelle der alten .Vor­ urteile und des alten Aberglaubens die Einsicht und rein wissen­ schaftliche Erkenntnis der sexuellen Erscheinungen zu setzen. Wer wie ich an eine stetig zunehmende Harmonisierung ¡der Menschheit glaubt, für den sind alle „Vorurteile“ nichts anderes als die dem allmählichen Untergänge geweihten Zeichen und Folgen einer Disharmonie der menschlichen Verhältnisse. Noch ist die Sexualwissenschaft in ihren ersten Anfängen, noch liegen staatliche oder private „ F o r s c h u n g s i n s t i t u t e f ü r S e x u a l w i s s e n s c h a f t “, über deren Notwendigkeit, Ein­ richtung und Aufgaben ich mich demnächst in einer besonderen Schrift zu verbreiten gedenke, in weiter Ferne, um so mehr wird es Aufgabe dieses ersten großangelegten Handbuches sein, der e h r l i c h e n , f r e i e n und u n a b h ä n g i g e n Forschung auf diesem Gebiete die Bahn freizumachen und für das gewaltige 6) Vgl. zu dieser Frage die Ausführungen in meinem „Sexual­ leben unserer Zeit.“ 7.—9. Aufl., Berlin 1909, S, 507—510.

XV Werk einer Neugestaltung und Verbesserung der sexuellen Be­ ziehungen auf Grund der veränderten Kulturverhältnisse die exakten Grundlagen zu liefern und die objektiven ^Richtlinien zu bestimmen. S e x u a l r e f o r m auf Grundlage der S e x u a l- . W i s s e n s c h a f t ! Das ist die Aufgabe der Zukunft.

Die beiden ersten von mir bearbeiteten Bände des „Hand­ buchs der gesamten Sexualwissenschaft“ behandeln das gewal­ tige Problem der P r o s t i t u t i o n , das ich 1906 als den K e r n und das Z e n t r a l p r o b l e m der sexuellen Frage bezeichnete, dessen Lösung beinahe identisch sei mit der Lösung dieser letzteren selbst Aehnlich nennt Dr. E l i s a b e t h D r e n t e l n in einer geistvollen kleinen Schrift („Die Prostitution vom Standpunkt der Lebensdynamik“, Moskau 1908) die Prostitution die „ F r a g e a l l e r F r a g e n “ in der Sexualwissenschaft. Sie ist dieses nicht bloß nach dem rein äußeren Moment ihres innigen Zusammen­ hanges mit der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten als Ha.uptherd dieser letzteren, so daß die Bekämpfung und Aus­ rottung der Prostitution viel wichtiger ist als die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und mehr bedeutet und w irkt als das beste Syphilisheilmittel, nein, sie ist es auch in innerer ethischer Beziehung als die brennendste G e w i s s e n s f r a g e der modernen Kulturmensehheit, als der P r o b i e r s t e i n für jede höhere Ethik der zukünftigen Gesellschaft. Es ist endlich die Zeit gekommen für eine n e u e und s e l b ­ s t ä n d i g e Bearbeitung der ganzen Prostitutionsfrage, für eine a u s s i c h t s v o l l e r e L ö s u n g dieses Problems als sie die veraltete Methode und Auffassung des großen P a r e n t D u c h a t e l e t bieten konnte, die noch bis auf den heutigen Tag für die meisten Forscher auf diesem Gebiete maßgebend war. Seit Erscheinen des ersten wissenschaftlichen Werkes über die Prostitution, des unsterblichen Buches von P a r e n t - D u c h â t e l e t (1836), sind erst 76 Jahre verflossen, innerhalb welcher kurzen Zeit sich aber, wie nie vorher in der Weltgeschichte, die gewaltigsten sozialen Umwälzungen vollzogen haben. Es ist das n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e Zeitalter, charakterisiert durch die gewaltige Entwicklung von Technik, Handel, Industrie und Weltverkehr, durch die rapide Ausbreitung der geistigen

XVI Bildung in allen Schichten der Bevölkerung bis zu den untersten Klassen, durch das Hervortreten der Arbeiterklasse, durch die Frauenbewegung und die mächtige Erstarkung des sozialen Be­ wußtseins und Verantwortliohkeitsgefühles. Alle diese Momente sind noch in voller Wirksamkeit, sie bereiten eine neue Zeit, eine neue Gesellschaft w , die von der heutigen so verschieden sein wird wie die für uns bereits der Vergangenheit angehörige sogenannte „Neuzeit“ sich vom M ittelalter unterscheidet. In diesem Zusammenhänge gewinnt auch die Prostitutionsfrage ein g a n z a n d e r e s A u s s e h e n als sie früher hatte, bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, vor der Zeit des Industriestaates, des Sozialismus, der allgemeinen Volksbildung und der Frauenbewe­ gung. Besonders diese letztere wird von einschneidender Bedeu­ tung für die Zukunft der Prostitution werden und die Beant­ wortung der Frage, ob sie ein „notwendiges .Uebel“ im Leben der modernen Kulturvölker sei, in negativem Sinne bestimmen. Denn erst mit der o r g a n i s i e r t e n Frauenbewegung, die es in dieser A rt niemals vorher in der Menschheitsgeschichte gegeben hat, beginnt eine neue Epoche auch für die Geschichte der Prosti­ tution, weil erst jetzt das allein wirksame und aussichtsreiche Prinzip der S e l b s t h i l f e und Selbsterlösung sich verwirk­ lichen kann, das bis dahin im Kampfe gegen die Prostitution wegen der liecht- und Machtlosigkeit der Frau völlig ge­ fehlt hat. Um a b e r d i e s e S e l b s t h i l f e a u f d ie r i c h t i g e n B a h n e n z u l e i t e n , u m d e n V e r n i c h t u n g s k am p f g e g e n d ie P r o s t i t u t i o n z u e in e m e r f o l g r e i c h e n E n d e zu f ü h r e n , b e d a r f es e in e r w ir k lic h e n E r ­ k e n n tn is des w a h re n W e se n s d e r P r o s t i t u t i o n a ls e in e s m e r k w ü r d i g e n U e b e r r e s t e s d e s p r i m i t i v e n G e s c h le c h ts le b e n s , b e d a r f es f e r n e r e in e r t i e f e in d rin g e n d e n E r f o r s c h u n g ih r e s K a u s a lz u s a m ­ m e n h a n g e s m it d er a n ti k - m i t t e l a l t e r l i c h - m o d e r ­ n en S e x u a l e t h i k , b e d a r f es e n d lic h e in e r n e u e n E t h i k im S i n n e d e r A n e r k e n n u n g d e r S e x u a l i t ä t a ls e in e r n a tü r lic h e n b io lo g is c h e n E rs c h e in u n g u n d i h r e r A n p a s s u n g an d ie m o d e r n e K u l t u r d u r c h d ie A u s p r ä g u n g d e r B e g r i f f e d e r A r b e i t , d e r V e r ­ a n tw o r tlic h k e it und d er r e la tiv e n s e x u e lle n A b ­ s tin e n z .

X V II So erwächst uns die Aufgabe, die moderne Prostitution nicht als etwas für sich Isoliertes, nicht als einen Komplex bestimmter äußerer Verhältnisse und Tatsachen zu betrachten, sondern jhr i n n e r e s W e s e n festzustellen, das wir aus ihren primitiven Wurzeln und ihrer i n n e r e n geschichtlichen Entwicklung als einen integrierenden Bestandteil der alten Sexualethik erkennen können. Auch als moderne Kulturerscheinung weist die Prosti­ tution überall auf die Vergangenheit hin. Was sich bisher Ge­ schichte der Prostitution nannte, wie z. B. das Werk von P a u l L a c r o i x (unter dem Pseudonym „ P i e r r e D u f o u r “), welches übrigens n u r das Altertum und die Geschichte der Prostitution in F r a n k r e i c h bis zum 17. Jahrhundeid umfaßt, das war nichts als eine mehr oder weniger vollständige Aneinanderreihung von mehr oder weniger verbürgten Tatsachen, also eine rein äußere Geschichte und eine rein äußere Sammlung von Beob­ achtungen. Dies h at schon der große Kriminalist A v e - L a l j e m a n t an dem Werke P a r e n t- D u c h a te le t s gerügt, von dem er sagt, daß es „die S e e le der Prostitution nicht aus ihrem historischen Lebensprozeß begriffen habe“ und nur eine äußere Analyse ihrer Einzelheiten gebe’). Ja , auf diese „Seele“ der Prostitution kommt es an. Sie offenbart sich in der Bloß­ legung der primitiven Wurzeln der Prostitution, in der Erkennt­ nis der sexuellen „Elementarged»nken“ der Menschheit, in den Beziehungen der Prostitution zum religiösen, sozialen, politischen und geistigen Leben, in ihrer Natur als Beflex der sexual- ethi­ schen Anschauungen der verschiedenen Epochen und Völker. Es ist diese „innere“ Geschichte der Prostitution, aus der allein ihr Wesen und ihr Verhältnis zur heutigen K ultur erschlossen werden kann. Sie steht daher mit Recht im Vordergründe des vorliegenden Werkes, ohne daß deshalb die Darstellung der äußeren Verhältnisse im geringsten vernachlässigt worden wäre. Im Gegenteil empfängt erst dann die äußere Geschichte der Prostitution ihre Begründung und Erklärung durch die innere. So auch dachte sich einst W i l h e l m v o n H u m b o l d t eine wahrhaft wissenschaftliche Darstellung der Prostitution, wie wir aus dem erwähnten Entwurf ersehen können, wo er -in dem noch erhaltenen Fragment der Einleitung sagt (a. a. O. Bd. V II ’) F r i e d r i c h C h r i s t i a n B e n e d i k t A v i - L a l l e m a n t , Das deutsche Gaunertum, Leipzig 1862, Bd. Ill, S. 166. It

XVIII S. 654): „Wenn aber die Weltgeschichte w ahrhaft innerlich, alsein Abriß der wirklich gewoidenen Erscheinungen des geistigen und empfindenden Menschen genommen werden soll, so müssen nicht bloß die Menschen in verschiedenen Zuständen, sondern auch die allgemeinen Zustände an verschiedenen Menschen und Völkern betrachtet werden.“ Es wäre u n m ö g l i c h , in einem nur zwei, wenn auoh umfangreiche, Bände umfassenden Werke die ganze Pnostitutionsfrage bei allen Völkern und zu allen Zeiten darzustellen, wenn man nicht in jener ständigen Verknüpfung der inneren Geschichte 4er Prostitution m it der äußeren die g e m e i n s a m e n typischen Grundzüge, d. h. das W e s e n t l i c h e hervorheben und so das sonst unübersehbare und unentwirrbare De­ tail, welches die Prostitution in ihrer Verbreitung über die ganze Erde und in ihrer Existenz in den verschiedensten und heterogen­ sten Epochen der Geschichte darbietet, zu einem übersichtlichen or­ ganischen Ganzen ordnen und gestalten könnte. Dies ist in dem vorliegenden Werke geschehen, d em e r s t e n w i r k l i c h a n ­ n ä h e rn d v o lls tä n d ig e n w is s e n s c h a ftlic h e n G e­ s a m t w e r k ü b e r d i e P r o s t i t u t i o n , das rein äußer­ lich betrachtet die Darstellung der P r o s t i t u t i o n b e i d e n N a tu rv ö lk e rn ,d e n V ö lk e rn d e s k la s s is c h e n A lte rtu m s u n d a l t e n O r i e n t s , d e n a s i a t i s c h e n K u l t u r ­ v ö l k e r n (Indien, China, Japan), d e n B y z a n t i n e r n , i s l a ­ m is c h e n u n d c h r i s t l i c h e n K u l t u r v ö l k e r n enthält. Das war bisher für die wissenschaftliche Forschung ein Chaos. Die anthropologische Methode hat sich hier geradezu glänzend bewährt und es mir ermöglicht, dieses Chaos wissenschaftlich zu durchdringen. Ich will ganz kurz die w i c h t i g s t e n n e u e n E r g e b n i s s e des vorliegenden ersten Bandes skizzieren: 1. Die erstmalige kritische N e u b e a r b e i t u n g und n e u e U m g r e n z u n g des B e g r i f f e s „Prostitution“. 2. Die Prostitution als s o z i a l e s Phänomen ist ein U e b c r l e b s e l („sur*vival“) im Sinne T y 1o rs. 3. Die Prostitution als b i o l o g i s c h e s Phänomen ist, wie ich schon 1906 in meinem „Sexualleben“ zuerst ausgesprochen habe und im vorliegenden Bande durch ein reiches Tatsachen­ material beweise, eine Form der d i o n y s i s c h e n S e l b s t o n t ä u ß e r u n g des Menschen. Daher stammt ihre o r g a n i s ch e V e r k n ü p f u n g mit den übrigen Mitteln der Selbstentäuße-

XIX rung, wie den verschiedenen Formen der r e l i g i ö s e n u n d k ü n s t l e r i s c h e n E k s t a s e , den k ü n s t l i c h e n B e r a u ­ s c h u n g s m i t t e l n (Haschisch, Opium, Betel, Tabak, Kaffee, Tee, Alkohol, Aether) und P a r f ü m s , dem B a d e - und H e x e n w e s e n . Es ist der erste und wie ich glaube überzeugende Ver­ such einer e i n h e i t l i c h e n b i o l o g i s c h e n Erklärung dieser eigentümlichen, uns bei allen Völkern der Erde begegnenden Zu­ sammenhänge. 4. Die schon früh nachweisbaren ö k o n o m i s c h e n Be­ ziehungen der Prostitution sind s e k u n d ä r e r Natur und ge­ hören ursprünglich nicht zu ihrem Wesen. 5. Die W i d e r l e g u n g der Anschauung, daß die Prosti­ tution ein unausrottbares, notwendiges Uebel sei. 6. Der Nachweis, daß f a s t d ie g e s a m t e m o d e r n e O rg a n is a tio n und D if fe re n z ie ru n g d er P r o s t i t u ­ t i o n a u s d e m k l a s s i s c h e n A l t e r t u m s t a m m t und daß auch die Stellung des mittelalterlichen und modernen Staates und der Kirche auf eine typische H e l l e n i s i e r u n g der christ­ lichen Sexualethik zurückzuführen ist, die schon im apostolischen und pa trist ischen Zeitalter sich vollzogen hat.

7. Der Nachweis, daß diese noch heute geltende antike Sexual­ ethik mit ihrem System der doppelten Moral das notwendige Produkt der öffentlichen Moral t y p i s c h e r S k l a v e n ­ s t a a t e n ist, in denen neben der Sklaverei noch die M i ß ­ a c h t u n g d e r F r a u , die M i ß a c h t u n g d e r i n d i v i ­ d u e l l e n L ie b e und die M i ß a c h t u n g d e r A r b e i t als begünstigende Momente für die Ausbildung eines weitverzweigten Prostitutionswesens in Betracht kommen. Die moderne Sexual­ ethik ist also diejenige des antiken Sklavenstaats und die staat­ liche Reglementierung ebenfalls die Beibehaltung der gleichen Maßnahmen eines solchen. ln der Darstellung habe ich auf streng wissenschaftlichen Zusammenhang und die folgerichtige Verknüpfung der einzelnen Teile und auf die logische Bündigkeit des Ganzen den größten W ert gelegt. Daher muß ich von vornherein jeden K ritiker ab­ lehnen, der nicht das Buch in zusammenhängender Weise vom ersten bis zum letzten Kapitel gelesen hat. J e d e s K a p i t e l i s t d ie V o r a u s s e t z u n g d e s ih m f o l g e n d e n . TI*

XX Auch wird man hoffentlich in diesem Buche das nicht finden, was N i e t z s c h e als ein spezifisch modernes Laster bezeichnet hat, die „Feigheit vor der Konsequenz.“ Ich habe mich stets zu den Gedanken und Schlußfolgerungen bekannt, die sich aus den Tatsachen mit absoluter Notwendigkeit ergaben und habe es als erstes Gebot der -wissenschaftlichen Ethik betrachtet, das W o l l e n aus dem als wahr erkannten W i s s e n abzuleiten. Und ich darf offen sagen, daß dieses Wissen kein sekundäres, kein aus zweiter und dritter Hand entlehntes ist, wie leider gerade so viele Schriften über die Prostitutionsfrage es darbieten, sondern daß ich das Problem von Anfang bis zu Ende selbständig durchdaoht auf der Grundlage e i g n e r Einsicht der alten Quellen und Er­ schließung zahlreicher neuer. So nur konnte eine durchweg nach den O r i g i n a l q u e l l e n bearbeitete Darstellung der primi­ tiven, antiken, mittelalterlichen (christlich-islamischen) Prostitu­ tion zustande kommen, wie sie bisher in dieser A rt noch nicht existierte. In der Benutzung des gewaltigen, so vollständig wie nur irgend möglich beigebrachten Quellenmaterials habe ich den Grundsatz befolgt, den M a x N e u b u r g e r , einer unserer ersten Denker auf dem Gebiete der medizinischen Geschichtsforschung, in seiner herrlichen Zentenarrede auf E r n s t v. F e u c h t e r s f l e b e n verkündet, daß „nicht durch philologischen Kleinkram, sondern durch Erweckung der gelehrten Forschung zum L e b e n die alten Texte Sinn und Bedeutung für das aktuelle Wirken er­ halten.“ Der Leser möge entscheiden, ob es mir gelungen ist, die zahlreichen juristischen (z. B. im ersten Kapitel), theologischen (z. B. in der ersten originalen Darstellung der christlichen Sexual­ ethik (S. 598 bis 668), medizinischen, anthropologischen und kultur­ geschichtlichen Probleme kritisch zu durchdringen und auch, worauf ich größten W ert legte, überall die Beziehungen der Prostitution zur s o z i a l e n Frage gebührend zu beleuchten. Da mit der heterosexuellen Prostitution die homosexuelle aufs innigste zusammenhängt, so durfte eine Darstellung der letzteren nicht fehlen. Auch sie ist in dieser systematischen quellenkritischen Weise bisher noch nicht bearbeitet worden. Für die sorgfältige Herstellung des N a m e n r e g i s t e r s und des gerade für ein Werk über die gesamte Prostitution absolut notwendigen L ä n d e r - und O r t s r e g i s t e r s bin ich Herrn Oberfaktor E r w i n B r ü c k e r in Berlin zu Dank ver­ pflichtet. S a c h r e g i s t e r und I n h a l t s v e r z e i c h n i s sind

XXI von mir nach dem Grundsatz bearbeitet worden, daß beide, wenn sie wirklich brauchbar sein sollen, eine a b g e k ü r z t e W i e d e r ­ h o l u n g des ganzen Inhaltes darstellen müssen. Den Fortgang der Arbeit begleiteten mit lebhaftem Interesse und wertvollen Ratschlägen und Mitteilungen meine Freunde Dr. A l f r e d G r o t j a h n und Dr. M a g n u s H i r s c h f e l d sowie ein junger vielversprechender Gelehrter, Dr. R. K. N e u ­ m a n n . Wie diesen Herren bin ich auch Herrn Professor T h e o d o r P e t e r m a n n in Dresden für die Liberalität, mit der er mir die Schätze der Bibliothek der Gehe-Stiftung zu­ gänglich machte, zu lebhaftem Dank verpflichtet. Dieser ge­ bührt auch den nachbenannten Freunden, Lesern und Kor­ respondenten, die durch Mitteilungen ünd Zusendungen mein Werk gefördert haben: Herrn Pastor E r n s t B a a r s (Vege­ sack), Herrn Reverend E r n e s t A. B e l l (Chicago), Herrn Dr. F r . B i e r h o f f (New York), Herrn Prof. A l f r e d . B l a s c h k o (Berlin), Herrn R i c h a r d B lo c h (Geldern), Herrn Dr. jur. T a g e E. B u l l (Kopenhagen), Herrn Dr. E r i c h E b s t e i n (Leipzig), Herrn Prof. P a u l E h r e n r e i c h (Berlin), Herrn Geheimrat Prof. A l b e r t E u l e n b u r g (Berlin), Herrn Dr. A. F l e x n e r (New York), Herren Dr. A l f r e d G o t e n ­ d o r f und H u g o H a y n (Dresden), Herrn Dr. G e o r g H i r t h (München), Herrn Kriminalkommissar Dr. H e i n r i c h K o p p (Berlin), Herrn Dr. L e P i l e u r (Paris), Herrn Dr. H a n s L i n d a u (Berlin), Frau R o s a M a y r e d e r (Wien), Herrn Prof. P a u l N ä c k e (Hubertusburg), Herrn Prof, t J u l i u s P a g e i (Berlin), Herrn Dr. J u l i u s P r e u ß (Berlin), Herrn Dr. R ö p c k e (Hamburg), Herrn Geheimrat Prof. W. H. R o s c h e r (Dresden), Herrn Ingenieur P a u l S c h a r f (Berlin), Herrn Apotheker H e r m a n n S c h e l e n z (Cassel), Frau K a t h a ­ r i n a S c h e v e n (Dresden), Herrn Senatspräsidenten Sc h m ö 1 d e r (Hamm), Frau M a r t h a S t e r n (Mannheim), Frau Dr. H e l e n e S t ö c k e r (Berlin), Herrn Dr. H e i n r i c h S t ü m c k e (Berlin), Herrn O c t a v e U z a n n e (Paris), Frau I n e s W e tz e 1 (Berlin), Herrn Amtsgerichtsrat Dr. E u g e n W i l h e l m ijStraßburg), Frau E v a Z e e s e (Spremberg), Herrn F e d o r v o n Z o b e 11 i t z (Berlin), Herrn Prof. Lic. L e o p o ld Z s c h a r n a c k (Berlin). Der die Neuzeit und Gegenwart behandelnde zweite Band wird Ende 1912 erscheinen. Dann möge das Gesamtwerk hinaus-

X X II gehen und Zeugnis ablegen für den ernsten Geist und das Verantwortlichkeitsgefühl in der vielverlästerten, weil gar nicht gekann­ ten „neuen Ethik“, es möge als erste Grundlage der jungen Sexual­ wissenschaft der Verbreitung w a h r e r Sittlichkeit, Gerechtig­ keit und Menschenliebe auf dem Gebiete des Sexuallebens dienen und bei vielen, vielen ernsten Männern und Frauen die Ueberzeugung festigen, daß die Prostitution kein notwendiges Uebel ist und daß die Erkenntnis ihres Wesens die Kulturmenschheit zu einer aussichtsreicheren Bekämpfung befähigen wird als dies bisher möglich war. B e r l i n - C h a r l e t t e n b u r g , den 21. Juni 1912.

Dr. Iwan Bloch.

Inhaltsübersicht Seile

V o r r e d e (zugleich Einleitung zum Handbuch der ge­ samten Sexualwissenschaft in Einzeldarstellungen) V—X X II E i n l e i t u n g ..........................

1—3

Die Prostitution ein Natur- und ein Kulturproblam (1). — Ihre primitive biologische Wurzel (1—2). — Ihre primitive soziale Wurzel (2). — Ih r antisozialer und antihygienischer Charakter (2—3). — Ih r rudim entärer Cliarakter (3). — Gliederung des Werkes (3). ERSTES BUCH.

Der Ursprung der modernen Prostitution. E rs te s K a p ite l. D er B e g r if f d er P r o s t i ­ tu tio n ......................................................................... 7—38 Große Schwierigkeit einer genauen Definition des Begriffes „Prostitution“ (7). — Beschränkung des Be­ griffs auf den Menschen (7—8). — Beobachtungen R e i n ­ h a rd F r o h n e r s und G o u l d s über angebliche „Prostitution“ bei Tieren (8—10). — Die Prostitution ein spezifisch menschliches Phänomen (10). — Die De­ finition S o 1 o n s (10). — Die römischen Definitionen bei P l a n t u s und N o n i u s M a r c e l l u s (11). — Erste Unterscheidung von freier und von Bordellprostitutiou (11—12). — Begriff des Unzuchtgewerbes in den pompejanischen W andinschriften (12). — Die Definition de« U l p i a n u s und anderer römischer Ju risten (12—13). — Zurücktreten des pekuniären Faktors in ihr (13). — Unter­ scheidung zwischen Geschlechtsverkehr gegen E ntgelt und Prostitution (14—15). — Die Prostituierte des römischen Rechts (15). — Die Formulierung des Begriffs der „heim­ lichen“ Prostitution durch M a r c e l l u s (15). — E in­ beziehung der Kupplerinnen und Bordellwirtinnen in den Prostitutionsbegriff (16). — Fehlen der männlichen Prosti­ tution im römischen Recht (16). — Strenge Scheidung der Prostituierten von den anderen Repräsentantinneai des freien Geschlechtsverkehrs (17). — Die „concubina“, „paelex“ und „amica“ (17—18). — Die Definition im römischen Recht als Grundlage aller späteren Definitionen der Prostitution (18). — Zwei Hauptmerkmale dieser

XXIV Begriffsbestimmungen (18). — Besonderheiten der christ­ lichen Anschauung in den Lehren der Kirchenväter, des kanonischen Rechtes und der Moraltheologie (18—19). — Das germanische Recht als dritte Quelle für die Begriffs­ bestimmung der Prostitution (20—22). — Betonung der K ontinuität der öffentlichen Preisgebung in den „Leges Wisigothorum“ (22—23). — Der „Status meretricius“ (23). — C harakteristik der juristischen Definitionen des 17. bis 19* Jahrhunderts (23—24). — Große Schwierigkeit einer exakten wissenschaftlichen Begriffsbestimmung der Prostitution (24). — Notwendigkeit einer kritischen Analyse ihrer einzelnen Merkmale (24—25). 1. Notwendigkeit einer strengen Unterscheidung der Prostitution von den übrigen Arten der außerehe­ lichen Befriedigung des Geschlechtsverkehrs (25—26). — 2. Die unbestimmte Vielheit der Personen, denen ein Individuum sich geschlechtlich preisgibt, ist wesent­ lich für den Begriff Prostitution (26—27). — Bedeutung des raschen und häufigen Wechsels der Liebhaber (27). — 3. Das Moment der fortgesetzten, habituellen, kon­ tinuierlichen Preisgebung ist ein wesentliches Merkmal der Prostitution (27). —■ 4. Die allgemeine Käuflich­ keit, nicht die individuelle Geldentscliädigung (oder Geschenk bzw. sonstiger Vorteil) bestimmt das Wesen der Prostitution (27—31). — Begriff der „vénalité“ (28). — Die „mulier quaestuaria“ (28 —29). — Das „m étier de débauche“ oder die „gewerbsmäßige Un­ zucht“ (29). — Ihre Definition im „Allgemeinen Land­ recht“, im Preußischen und Deutschen Strafgesetzbuch (29—30). — Neuere Kritiken (30—31). — 5. Der öffentliche oder notorische Betrieb der gewerbsmäßigen Unzucht ist ein wesentliches Merkmal der Prostitution (31—32). — Erläuterung der Worte „palam“ und „vulgo“ im römischen Recht (31). — Die „notoriété publique“ in der Direktorial Verordnung vom 7. Januar 1796 (31). — Die beständige Verbindung mit der Oeffentlichkeit ein wesentliches Merkmal (32). — 6. Die Gleichgültigkeit gegen die Person des den Geschlechtsverkehr begehrenden Individuums und das Fehlen aller individuellen seelischen Beziehungen zwi­ schen der Prostituierten und ihrem Klienten sind charakteristisch für das Wesen der vollentwickelten Prostitution (32—34). — Das „sine delectu“ der rö­ mischen Definition (32). — Gilt nur für die voll­ entwickelte Prostitution (33—34). — 7. Der „Ge­ schlechtsverkehr“ im weiteren Sinne des Wortes, nicht nur der Beischlaf, ist ein wesentliches Merkmal der Prostitution (34—36). — Der „commerce du plaisir“ (34). — Entscheidungen des Reichsgerichts (35—36). — 8. Die Angehörigkeit zum weiblichen Geschlecht ist kein wesentliches Merkmal der Prostitution (36—37). — 9. Der Begriff der vollentwickelten Prostitution setzt eine zum größeren Teile durch das Unzuchtsgewerbe erworbene, zum kleineren Teile auf angeborener An­ lage beruhende Konstanz in Typus und Lebensweise der sich prostituierenden Einzelin'dividuen voraus (37—38). — i L o m b r o s o s Lehre (37). — Neue Definition der Prostitution au f Grund dieser neun Merkmale (38). — Direkte und indirekte Prostitution (38).

XXV Z w e i t e s K a p i t e l . D ie p r i m i t i v e n W u r z e ln d e r P r o s t i t u t i o n ........................................... 39—208 Pie Prostitution als ein Ueberrest des freien Sexual­ lebens der Urmenschheit (39). — Quellen für die Be­ urteilung der primitiven Sexualverhältnisse (40). — Ansichten römischer Dichter darüber (41—42). — Moderner Forscher (42—43). — Päntogamie und M utterrecht (43 bis 44). — Das Gesetz der Entwicklung im G eschlechts­ leben (44). — Periodische Brunstzeiten beim Urmenschen (44) . — Freiheit des Geschlechtsverkehrs (44—45). — P i e B e d e u t u n g p r ä h i s t o r i s c h e r F u n d e (45 bis 51). — Primitive sexuelle Betonung der roten Farbe (45) . — Rotschminken des Gesichtes und Blondfarbung des Haares bei den Prostituierten als Ueberreste primitiver Sitten (45—46). — Die „Venus von Brassempouy“ (46). — Die „Figur mit dem G ürtel“ (47). — Die „'Venus von W illendorf“ (47—48). — Analoge Funde der Kykladen­ kultur (48—49). — Bedeutung für die Erkenntnis des primitiven Sexualgeschmacks (49). — Persistenz desselben in der modernen Prostitution (49—50). — Sexuelle Naivetät des Urmenschen (50—51). — Die Beziehung der P rostitution zur geschlechtlichen Prom iskuität (51—52). — Beweise für letztere (52—57). — N atürliche Ursachen des freien Geschlechtsverkehrs (53—54). — Beispiele (55 bis 57). — D ie B e z i e h u n g e n d e r A l t e r s k l a s s e n « r .d M ä n n e r b ü n d e z u m f r e i e n V e r k e h r u n d z u r P r o s t i t u t i o n (57-—66). — Die Verbreitung des Männerhauses (58—59). — Gruppenehe. Polyandrie, W eibertausch als Reste der Prom iskuität (59). — Die Prostitution als Ersatz der Promiskuität (60). — D ie E rs c h e in u n g s fo rm e n d e r P r o s titu tio n bei N a t u r v ö l k e r n (60—66). — Die „Armengols“ auf den Karolinen- und Palauinseln (60—61). — Die Rekrutierung der Prostitution in Melanesien (61). — Die „Männer­ m ädchen“ der Santa Cruzinseln (62). — Witwen als Prostituierte (62). — Die Prostitution bei den N atur­ völkern Afrikas (62—63). •— Die gastliche und vorehe­ liche Prostitution (63—64). — Die soziale Aechtung der Prostitution bei Naturvölkern (64—65). — Die Prosti­ tution bei deu amerikanischen Völkern (65—66). — D ie B e z ie h u n g e n der P ro s titu tio n zur R e­ l i g i o n (66—113). — Der ursprüngliche Zusammenhang zwischen religiöser und sexueller Empfindung (67). — Die religiöse Betonung des Geschlechtsaktes (67—68). — Der Befruchtungszauber (68—69). — Der Phalluskult (69). — Die Prom iskuität bei religiösen Festen (69—70). — Ueberreste der Prom iskuität: Jus primae noctis, religiöse D efloration (70). — Die Formen der religiösen Prosti­ tution (70—71). — Ihre Erklärung (71—75). — Ihre Verbreitung bei Naturvölkern (75—77). — Bei den K ultur­ völkern des alten Orients (77—84). — Im klassischen A ltertum (84—88). — In Indien (88—90). — Die in­ dischen Bajaderen (90—92). — Die religiöse Prostitution in Japan und China (93—96), — Die Ueberreste der religiösen Prostitution im m ittelalterlichen und modernen E uropa (96—100). — Zusammenliang der religiösen Prostitution mit der primitiven Sexualfreiheit (100—101). T- Die homosexuelle religiöse Prostitution (101—113). — Beziehungen zwischen Homosexualität und Religion (101

XXVI bis 103). — Die homosexuelle Kult Prostitution bei N a tu r­ völkern (103—105). — Im alten Orient (105—100). — lm K ult der Kybelc und Dea Syria. (106—107). — Im klassischen A ltertum (107—109). — Im östlichen Asien (109—110}. — Im M ittelalter (110). — Bedeutung des Traumes in der homosexuellen K ult Prostitution (110). — Zusammenhang der letzteren m it der profanen Homo­ sexualität, dem H erm aphroditism us und T ransvestitentm n (110—112). — Der religiöse U rsprung der griechischen Knabenliebe (112—113). — D i e B e z i e h u n g e n d e r P r o s t i t u t i o n zu d e n k ü n s tle ris c h e n E le ­ m e n t e n d e s L e b e n s (113—151). — Bedeutung des dionysischen Elem ents in der P ro stitu tio n (113—115). — Der B egriff der künstlerischen, epikureischen, ästhetischen P ro stitu tio n (115—116). — Beziehung von Tanz und Musik zur prim itiven E rotik und P rom iskuität (116—119). — Tänzerinnen und Sängerinnen als P ro stitu ierte (119—120). — Bei N aturvölkern (120). — Im alte n und neuen Orient (121—134). — Die ägyptischen T an zp rostituierten: Ghawasis, Almeh, Awäliin (122—121). — Die Ouled Nail (124 bis 125). — Der orientalische „B auchtanz“ als Aeußerung dionysischer Sexualfreiheit (125—132). — Verbindung der orientalischen T anzprostitution m it künstlichen Rausch­ m itte ln : Ambra, H aschisch (132—134). — Die k ünst­ lerische I n s t i t u t i o n im klassischen A ltertum (134—136). — Die Miminnen (136). — Die A echtung der Tanz- und Schauspielkunst durch das C hristentum (137—138). — Tanz- und Musikdirnen im M ittelalter (138—139). — In der Neuzeit (140—141). — Bordelle als Tanzschulen (141). — Der tänzelnde Gang der P ro stitu ierten (141). — Die homosexuelle T anzprostitution im M orgenlande: die „Chauwals“ (141—142). — Die künstlerische P rostitution in Ja p a n (142—146). — K ä m p f e r s B ericht aus dem 17. Ja h rh u n d e rt (143). — Yoshiwara. das Prostitutionsvicrtel in Tokio (143—146). — Die „blauen Häuser“ und ..Blumenboote“ in C hina (146—149). — Die Pekinger L iedersängerinnen (149—150). — Die nordchinesischen Theaterbordelle (150). — Die homosexuelle T heater­ prostitution in China, und Ja p a n (150—151). — D i e V e r ­ b in d u n g d e r P r o s t i t u t i o n m it d e n k ü n s t ­ l i c h e n R a u s c h m i t t e 1 n (151—166). — P ro stitution und Opium (152—155). — Die chinesischen Opiumbordelle (154—155). — Die Beziehungen der lesbischen Prosti­ tution in Paris zu den Opiumlokalen (155). — B etel und Kawa (155—156). — Kokainismus und P ro stitution (156). — N ikotin und P rostitu tio n (156—157). — Zigarrenläden als Bordelle (157). — Das Rauchen der heterosexuellen und homosexuellen P rostitu ierten (157—158). — Die Be­ ziehungen von Tee und Kaffee zur P ro stitu tion (158). — Alkohol u n d P ro stitu tio n (159—166). — In Ostasien (160). —■ Die indischen 'Lolibazare (160). — D is alte Aegypten als H eim at der „Animierkneipe“ (160—161). — Die an tike „taberna“ und „caupona“ (161—163). — Die orientalischen Anim ierkneipendirnen in Rom (163—165). — Die m ittel­ alterliche und m oderne W irtshausprostitution (165—166). — Aetlier und P ro stitu tio n (166). — D i e B e z i e h u n ­ g e n d e r P r o s t i t u t i o n zu d e n k ü n s tlic h e n P a r f u m s ((167—171). — W irkung der künstlichen Duftstoffc (167—168). — Ih r Gebrauch im alten O rient (168 bis 169). — In der islam ischen W elt (170). — Im Alter-

XXVII tum und in der Gegenwart (171). — D i e B c z i e h u n g e n d e r P r o s t i t u t i o n ü u m B a d e w e s e . n (171—196). — W asser und Sexualität (171—171). — Die Bade­ prostitution im klassischen A ltertum (175—178). — Im islamischen Orient (178—181). — Im M ittelalter (182 bis 188). — In der Neuzeit (189—191). — Die homosexuelle Badeprostitution (191—196). — D e r s e k u n d ä r e C h a ­ r a k t e r d e r ö k o n o m is c h e n B e z ie h u n g e n d e r P r o s t i t u t i o n (197—208). — Ehe und Prostitution (197—198). — Raubehe und Kaufehe (198—200). — Die Rolle des Geldes in der heutigen Ehe (200). — Die Stunden- und Zeitehe (200—202). — Das Weiberverleihen und die gastliche Prostitution (202—203). — Der primitive K apitalw ert des Weibes (203—201). — Die N atur des rrostituiertenhonornrs (204—205). — Geldehe und Per­ sönlichkeitsehe (205). — Die ökonomische Ausnutzung der Prostituierten bei Natur- und Kulturvölkern (205—208).

D r itte s K a p ite l. D ie O r g a n i s a t i o n d e r P ro s titu tio n im k la s s is c h e n A lte r­ tu m ......................................................................... 209—538 Die Uebereinstimmung der Organisation und Diffe­ renzierung der modernen Prostitution mit der antiken (209—210). — D ie O r g a n i s a t i o n d e r P r o s t i t u t i o n d u r c h S o l o n (211—217). — Seine Vorläufer und die sozialen Zustände Athens (211—212). — Die erste Ver­ staatlichung und Reglementierung der Prostitution (212). — Die attische Sittenpolizei (212—213). — Die Le­ galisierung der doppelten Moral (211—215). — Die Ein­ richtung der solonischen Staatsbordelle (215—216). — Die solonische Hurens teuer (217). 1. D i e s o z i a l e n V o rb e d in g u n g e n und b e g ü n s tig e n d e n F a k to re n fü r d ie E n t­ w i c k l u n g d e r a n t i k e n P r o s t i t u t i o n (218—274). — Das griechische Patriarch at und die doppelte Sexual­ moral (218—219). — Unfreier Charakter der griechischen Ehe und Frauenerzielnuig (220—223). — Die römische Ehe (223—221). — Die schwere Bestrafting des Ehebruchs im A ltertum (221—226). — Die Empfehlung des Ver­ kehrs mit Prostituierten (226—228). — Die Mißachtung der individuellen Liebe (228—229). — Die Prävalenz der sinnlichen Liebe (229—231). — Individuelle Momente in der Hetären- und Knabenliebe (231—232). — Ursprung, Entwicklung und Bedeutung der griechischen Knabenliebe (232—236). — Die Bedeutung der männlichen Prostitution im A ltertum (236). — Die Homosexualität der Frauen (236—238). — Das Sklavenwesen als Quelle der Prostitution (239—241). — Das antike Städtewesen als begünstigender F aktor der Prostitution (241—252). — Die Großstädte (242—247). — Bedeutende Provinzstädte (247—251). — Die H afenstädte (252—253). — Beziehungen der Prosti­ tution zum internationalen Verkehr (253—254). — Das antike Heereswesen und die Prostitution (254—257). — Das Söldnerweseu (254—255). — Eheverbote für Soldaten (255). — Militärkolonien und Lagerstädte (256—257). — Iler antike Soldat als Klient der Prostitution (257). — Das antike Hochschulwesen und die Prostitution (251 bis 258). — Feste, W allfahrten, Jahrm ärkte, Theater als

X XVIII begünstigende F aktoren der P ro stitu tio n (258—261). — Antikes Straßenleben und P ro stitu ierten strich (261—263). — Das großstädtische N achtleben (263). — Die Ver­ bindung der P rostitution m it dem an tik en Genußleben (263 bis 270). — Die Symposien (264—266). — Chambres séparées und mondäne R estaurants (266—267). — Die Musikschule (267—268). — Die „L aura“ des P o l y k r a t e s (268). — Antike Passagen (268). — Die „Ardeliönen“ der K aiserzeit (268—269). — Die an tik e Chronique scan­ daleuse (269). — Der Mnmmonismus und Sybaritism us der Kaiserzeit (269—270). — Das Angebot der antiken P ro stitution (270—271). — Der antike In d u stria ­ lismus (270—271). — Dus P ro letariat (271). — l'ebervölkerung und W ohnungselend (272). — Die „gefährlichen Klassen“ in den antiken G roßstädten (272—273). — Der I ’anperismus (273—271). — Die G eringschätzung der A rbeit (274). 2. G a t t u n g e n d e r P r o s t i t u i e r t e n (274 bis 313) . — Die Differenzierung und Spezialisierung der Prostitution im klassischen A ltertum (274—275). — Die Terminologie des antiken Prostitutionsw esens (275). — Allgemeine Benennungen (275—276). — Drei Spezial­ gruppen (276—277). — Bordell- und Straßendirnen (277 bis 279). — M ühlendirnen und Bäckcrm ädcheu (277 bis 278). — Kategorien d er Straßendirnen (278). — Diktcriaden (278). — Friedhofs- u n d vagierende P rosti­ tuierte (279). — Musische und bocchische Prostituierte (279—283). — Die Flötenspielerinnen (279—280). — Sängerinnen und Tänzerinnen (281). — Mimiunen und G auklerinnen (281—282). — lias an tik e K abaret (282). — Blumenmädchen. Modelle, Masseusen. Schenkdirnen (282 bis 283). — Die H etären und die Demhnonde (283 —313). — D efinition und C harakteristik der griechischen H etäre (283—284). — H etärentypen (284— 285). — U rsprung und Entw icklung des Hetärenwesens (285—286). — Die Be­ deutung der A s p a s i a (286). — Die H etärenschulen in K orinth und M egara (286—287). — Die Reisen der H etären (287—288). — Verzeichnis von 155 historischen H etären des griechischen A ltertum s (288—307). — Die H etären der Kaiserzeit und die römische Demimonde (308—310). — Die P rostitu tio n verheirateter Frauen (310-311). — L e s b i a und M e s s a l i n a (311—313). 3. T o p o g ra p h ie der a n tik e n P r o s ti­ tu tio n , a n tik e B o rd e lle , B e s te ll h ä u s e r l i n d A b s t e i g e q u a r t i e r e (313—330). — Die peri­ phere u n d die zentrale Lage der antiken Bordelle (313 bis 314) . — Bordellstraßen (314). — Orte der vagierenden P ro stitution (314). — Spezielle Topographie der P rosti­ tu tio n in Atmen und Rom (315—321). — Der „S trich “ im Kerameikos (315—316). — Die Pnyx (316). — Der H afenm arkt im Piräus (316). — Bordellstraßen in A then (316). — Die Bazarkam m ern der Agora und die sa mische „L aura“ (317). — Die extra- und intram u rane P rosti­ tution in Rom (317—318). — Der Viens Tusous (318). — Die Subura (318—319). — Die Sammelplätze der vagierenden P ro stitu tio n (319—320). — Die Bäder als Zentren d er P rostitution (321). — Das antike Bordell (321—322). — Benennungen (321—322). — E inrichtung und Treiben darin (323—328). — G asthausbordell und Thermo-

XXIX policn (328). — Das l ’alastbordell (329). — Die „cellae meretriciae“ und Einzel Wohnungen der Prostituierten (329 bis 330). 4. P e r s ö n l i c h k e i t u n d L e b e n s w e i s e d e s a n t i k e n p r o s t i t u i e r t e n .W e ib e s (330—349). — Der antike Dirnentypus (330—332). — Aeußere E r­ scheinung (332—340). — Gang (332—333). — Kleidung und Mode in ihren Beziehungen zur Prostitution (333 bis 334). — Verschönerungskünste (334—335). — Mund- und Zahnpflege (335). — Haarpflege und Bloudfärbung der Haare (335). — H aartracht (335—336). — Enthaarung (336). — Schminken und Schönheitspflästerchen (337 bis 338). — Einzelheiten des Schmucks und der Kleidung (338—339). — Décolleté und Retroussé (339—340). — Persönliche Eigenschaften und Neigungen der antiken Prostituierten (340—346). — Bildungsgrad (340). — ■Lügenhaftigkeit uud Betrug (310—341). — Witz und Dreistigkeit (341—342). — Schamlosigkeit und Neigung zu Obszönitäten (342). — Neid und Eifersucht (342 bis 343) . — Alkoholismus (343). — Frömmigkeit (343 bis 344) . — Aberglauben (344—345). — Beziehungen der Prostitution zum Zauberglauben und zur Kurpfuscherei (345). — Die antike Prostituierte in ihren Beziehungen zum Kinde (345—346). — Edle Eigenschaften (346). — Lebensschicksalc (346—349). — Früher Beginn des Dirnen­ berufs (346). — Später Beginn (346—347). — Veteraninnen der Prostitution (347—348). — Korpulenz (318). — Heirat und Freikauf (318—349). 5. D ie K l i e n t e l d e r P r o s t i t u i e r t e n (349 bis 353). — Mannigfaltigkeit des Kundenkreises (349 bis 350). — Hauptrolle der Militärs und Kaufleute (350). —• Uebersicht über die Klientel (350—352). — Die Habitués der Bordelle (352). — Abonnementsmarken und Reklame der Bordelle (352—353). — Die Türklagen bei den H etären (353). 6. D ie ö k o n o m i s c h e n B e z i e h u n g e n d e r a n tik e n P ro s titu tio n (H o n o ra r. K u p p e le i u n d .(! e 1e g e n h e i t s m a c h c r e i , K n a b e n - u n d M ä d c h e n h a n d e l, K i n d e r p r o s t i tu t i o n , Z u ­ h ä l t e r tu m ) (353—375). — Die nationalökouomische Be­ deutung der Prostitution im A ltertum (353—354). — Die Ausbeutung der Klientel (354). — Die Honorare der Prostituierten und die Methoden der Ausbeutung (354 bis 357). — Bordell- und Prostituiertenhonorare (357). — Honorare der Hetären (357—358). — Honorare der römischen Prostituierten (358—359). — Der römischen Kokotten (359). —' Andere Geschenke (359—360). — Honorarprellerei der Klienten (360—361). — Kuppelei und Gelegenheitsmacherei (361). — Die „fides lenonia“ (362). — Männliche und weibliche Bordellwirte (362). —• Die Gelegenheitsmacherin (362—363). — Die „tabernae argentariae“ (363). — Verwandte als Kuppler (363). — Der antike Knaben- und Mädchenhandel (364—365). — Seine Zentren (365—368). — Verkaufsorte der Prosti­ tuierten (368). — Die Besichtigung auf der „C atasta“ (368—369). — Die Verkaufsformen (369). — Der Dauer­ verkauf und Kaufvertrag (369—370). — Der Verkauf einer Dirne auf Zeit (370—3 il). — Antike Mietsverträge über Prostituierte (371—372). — Die indirekte ökonomische Ausnutzung der Prostitution (372—373). — Vermietung

XXX von Häusern und Zimmern (373). — Die Kinderprostitution (373). — Die Prostitution jmigfräulicher Mädchen (374). — Das antike Zuliältertum (3(4—375). 7. D ie B e z i e h u n g e n z w i s c h e n P r o s t i ­ tu tio n u n d s e x u e l l e n P e r v e r s i t ä t e n b zw . P s y c h o p a t h i a s e x u a l i s im A l t e r t u m (375 bis 387). — Die Irradiation des geschlechtlichen Momentes in alle 'Lebensverhältnisse des Altertums (375—376). — Das „Vocabularium eroticum“ der Alten (376). — Die „Figurae Veneris“ als „Erfindungen“ der Prostituierten (376—377). — Das sexuelle Baffinement im A ltertum (378 bis 379). — Das Bordell als „consistorium libidinum“ (379). — Der antike Bordelljargon (379—380). — Die sexuellen Aberrationen (380—381). — Masochismus und Sadismus (381). — Der sexuelle Fetischismus (381—382). — Die Voyeurs“ der ■ antiken Bordelle (382—383). — Die lesbische Prostitution (383—386). — Terminologie der Tribaden (386). — Die tribadischen Geheimklubs (383 bis 385). — Lesbische Prostituierte und ihre Klientel (385). — Der „Olisbos“ (385—386). — Die „Symplegmen“ und „Spintrien“ (386—387). — Die Spiegelzimmer (387). 8. D ie m ä n n l i c h e P r o s t i t u t i o n im A l t e r ­ t u m (387—427). — Riesiger Umfang der männlichen Prostitution (387—388). — Reichhaltige Terminologie (388). — Hohes Alter der männlichen Prostitution (388 bis 389). — Ih r Ursprung (389—390). — Die E n t­ wicklung des effem inierten Kinä-dentums (391—392). — Die männliche Prostitution bei den Römern (392—393). — Das Eunuchentum der späteren Kaiserzeit (393). — Die Rekrutierung der männlichen Prostitution (393—397). — D e „Kinäden“ (393—394). — Die (Lustsklaven (394 bis 396). — D e musischen V ertreter der homosexuellen Prostitution (396). — D e ¿,Galli“ (396). — Die Prosti­ tution freigeborener Knaben (396—397). — D e hetero­ sexuellen Kinäden (397). — D e Orte d er männlichen Prostitution (397—400). — Straßen- und W inkelprostitution (397—399). — D e Knabenbordelle oder „Hetäreen“ (399). — Homosexuelle Klubs (400). — D e Klientel der männlichen Prostitution (400—401). — Die römischen Kaiser als Klienten und Förderer der männlichen Prosti­ tution (401—405). — Honorare (405—406). — Alter der männlichen Prostituierten (407—408). — Kategorien und Terminologie (408—410). — Aeußere Erscheinung (410 bis 411). — H aartracht und Depilation (412—413). — Blick, Stimme, Gang (413—414). — Gebrauch von Parfüm und Schminken (413). — Kleidung (414—415), — Kinädentypen (415). — Beredsamkeit und Geschwätzigkeit (416). — Erkennungszeichen und V erständigungsmittel der männ­ lichen Prostituierten (416—418). — Spitznamen (418 bis 419). — Das männliche Mätressentum (419—420). — Männerhochzeiten (420—422). — Beziehungen zwischen der männlichen und weiblichen Prostitution (422—423). — Die heterosexuelle männliche Prostitution (423—427). — Die weibliche Klientel der männlichen Prostituierten (424 bis 426). — Die Ehemänner auf Zeit (427). 9. H y g i e n e d e r a n t i k e n P r o s t i t u t i o n (427—439). — Die Unkenntnis der Ansteckungsfähigkeit d er Geschlechtskrankheiten im Altertum (427—428). — D e Nichtexistenz der Syphilis im Altertum (428—429). — Die antike Unbefangenheit in der hygienischen Beurteilung

XX XI der Prostitution (429). — Die Rolle der Aesthetik beim Geschlechtsverkehr (429—430). — Die körperliche Unter­ suchung der Prostituierten (430—431). — Reinlichkeit und Bäder als hygienische Momente der antiken Prosti­ tution (431—432). — Wasserträger und Bäder in den Bordellen (432—433). — Die Hygiene der Genitalien (433 bis 434). — Die Mundpflege (434). — Die hygienische Bedeutung des Salbens und Einölens (434—436). — Der „aliptes“ (436). — Eine Nachricht über einen antiken Kondom (436—437). — Andere Mittel zur Verhütung der Konzeption von seiten der Prostituierten (437). — Krank­ heiten der antiken Prostituierten (437—438). — Venerische Affektionen (438—439). 10. S t a a t u n d P r o s t i t u t i o n . ( G e s e t z l i c h e M aßnahm en, S itte n p o liz e i) (439—454). — Die staatliche Auffassung der Prostitution als einer Form der Sklaverei (439—440). — Die Sittenpolizei (441). — Die Dirnensteuer (442—444). — Die nachsolonische Gesetz­ gebung über die Prostitution (444—446). — Die römische Gesetzgebung (446—454). — Die Aedilen (446—447). — Die „licentia stupri“ und die Reglementierung (447 bis 448). — Die Namensänderung der Prostituierten (448 bis 449). — Die gesetzliche Kleidertracht der Prosti­ tuierten (449—450). — Die Spezialgesetzgebung der Kaiser­ zeit (450—452). — Das Gesetz J u s t i n i a n s vom 1. Dezember 535 n. Chr. (452). — Das Magdalenenhaus der T h e o d o r a (452—453). — Die „Lex Scantinia“ gegen männliche Prostituierte (453—454). 11. D ie R o l l e d e r P r o s t i t u t i o n in d e r G e s e l l s c h a f t u n d im ö f f e n t l i c h e n L e b e n d e s A lte r tu m s (B e d e u tu n g d e r d o p p e lte n M o ra l, I n f a m ie r u n g u n d ih r e r e c h t l i c h e n F o lg e n , B e z ie h u n g e n z u r G e s e l l s c h a f t , z u r ö f f e n t l i c h e n M e in u n g , z u r L i t e r a t u r u n d K u n s t ) (454—538). — Die Bedeutung der doppelten Moral für die Prostitution (454—455). — Die Mißachtung der Arbeit im antiken Sklavenstaat (455—456). — Die soziale und rechtliche Infamierung der Prostituierten (457). — Die griechische Atimie und die römische „infamia“ und ihre zivilrechtlichen Folgen (458—459). — A e s c h i n e s über die Nichtigkeit des Prostitutionsvertrages (459 bis 460). — Die Atimie der männlichen Prostituierten (460—461). — Der Kuppler (461—462). — Die Heuchelei im Verkehr mit den Prostituierten (462—463). — Die widerspruchsvolle Auffassung der Prostitution (464 bis 465). — Die Beziehungen der Prostituierten zu den ehr­ baren Frauen (466—468). — Konflikte zwischen beiden (468—469). — Verbote der Ehen von Prostituierten mit Freigeborenen (470). — Prostituierte als Ehefrauen und Konkubinen (471). — Die Prostituierte im öffentlichen Leben (472). — Als Gegenstand der ChTonique scandaleuse (472—473). — Die Prostitution im Sprichwort (473 bis 474). — In der antiken Traumdeutung (474 bis 476). — Teilnahme der Dirnen an religiösen Festen (476 bis 478). — Statuen von Hetären (478). — Apotheose von Prostituierten (478—479). — Verhalten der Dirnen in der Oeffentlichkeit (479—480). — Ländliche Ausflüge (480 bis 481). — Die Prostitution in der L iteratur und die Literatur für die Prostituierten (481—528). — Die Prostitution in der antiken Komödie (481—487). — In den Mimen (487

X X X II bis 488). — IHe Monographien über H etären (Kataloge. Anekdotcnsaunulungen, Lobschriften, Gespräche, Briefe, Reden für und gegen H etären) (488—504). — Reden gegen männliche P rostituierte (504). — Die erotisch-porno­ graphische L ite ra tu r (505). — Ih r ursprünglicher Zu­ sammenhang m it der P rostitution (505—507). — Ihre örtlichen M ittelpunkte (507—508). — V erbreitung und Lektüre der erotischen Schriften im A ltertum (508—509). — Die erotisch-sotadische D ichtung (509—511). — E rotische und pornographische Dichtungen über die Liebeskunst (511—519). — Erotisch-pornographische Romane und Erzählungen (519—524). — Untersuchungen und A bhandlungen über den G eschlechtstrieb u n d die Liebe (524—525). — Erotisch-pornographische W and­ inschriften und priapische Epigra.phik (525—528). — Skatologische E pigraphik (528). — Die Beziehungen der antiken P rostitution zur K unst (528—530). — P orträts und Statuen von H etären (531—534). — V asenbilder (534 bis 535). — Bordellgemälde und sonstige erotische Bilder und ria stik e n (535—538).

V i e r t e s K a p i t e l . D ie s e x u e l l e F r a g e im A l t e r t u m u n d i h r e B e d e u t u n g f ü r d ie A u f fa s s u n g und B e k ä m p fu n g d er P r o s t i ­ t u t i o n ....................................................................... 539—587 Die Existenz einer sexuellen Frage im A ltertum (539 bis 540). — Ansätze zur Sexualreform (540). — Die sexuelle N aivetät und natürliche Auffassung des G eschlecht­ lichen (540—542). — Die Scheu vor der Liebesleiden­ schaft. (542—543). — Asketische Tendenzen (544). — Die sakrale Askese (544— 546). — Die Ausbildung des Dualismus von ,,Fleisch“ und „G eist“ in der grie­ chischen Philosophie und die Stigm atisierung des Sexuellen (546—550). — Die geistige Reformehe (551). — Das E in­ dringen asketischer Anschauungen in die Medizin (551 bis 552). — Der ärztliche S tre it über die Abstinenzfrage (552—554). — Heuchelei und Prüderie als Folge der Stigm atisierung des Sexuellen (554—555). — Die N uditätenschnüffelei (556—557). — Die literarische Zen­ sur (557). — Die sexuelle Heuchelei der Philosophen (558 bis 559). — Die Misogynie als F örderungsm ittel der Prostitution (559—561). — Der Glaube an die Notwendig­ keit der P rostitu tion (561—562). — Die Gegner dieser Anschauung und V ertreter des antiken Abolitionismus (562—564). — Die Eugenik als M ittelpunkt der sexuellen Frage im A ltertum (565—567). — Die Idee der^JWeibergem einschaft im platonischen „ S ta a t“ (567—-570). — Eugenik und Rassenhygiene bei späteren Philosophen und Aerzten (571—572). — Der antike M althusianism us und seine praktische B etätigung (572—573). — Aussetzung der K inder (573). — Die Abtreibung und ihre Beurteilung in der öffentlichen Meinung und im Recht (574—576). — Hebammen und P rostituierte als Verkäuferinnen der Abortivm ittel (577). — Die künstliche V erhütung der Empfängnis (577). — Die Schädigung der Rasse durch den Alkohol (578—580). — Versuche der praktischen Sexualreform (580). — Der griechische und römische

XXXIII Konkubinat (581—582). — Die Sittengesetzgebung des Kaisers A u g u s t u s (582). — Die soziale Bedeutung dos Konkubinats in der Kaiserzeit (582—583). — Seine F o rt­ dauer im M ittelalter (583—584). — Ursachen der Ergebnis­ losigkeit sexueller Reformen im Altertum (585). — Wider­ legung der Ansicht vom Untergänge der antiken W elt durch die sexuelle Korruption (586—587).

F ü n f t e s K a p i t e l . D i e P r o s t i t u t i o n in d e r c h r i s t l i c h - i s l a m i s c h e n K u l t u r w e i t b is zum A u f tr e te n d e r S y p h ilis ( P r o s t i t u ­ t i o n d e s M i t t e l a l t e r s ) . I. D a s p o l i t i s c h r e l i g i ö s e M i l i e u ............................................... 588—683 Der organische Zusammenhang der m ittelalterlichen Prostitution mit der antiken (588—589). — Die Syphilis a ls natürliche Grenzscäieide zwischen der an tik-m ittelalter­ lichen und der modernen Prostitution (589—590). — Die F ortdauer der antiken Organisation der Prostitution im byzantinischen Reich und im islamischen Orient (591— 594). — Die K ontinuität zwischen antiker und m ittel­ alterlichen Prostitution im europäischen Westen (594 bis 596). — Die Rolle der Kaufleute und M ädchenhändler (596). — Der fahrenden Prostituierten (597—598). — Das Christen­ tum als integrierender Bestandteil der Antike (598—599). — Der Zusammenhang der urchristlichen Sexualethik m it d er jüdischen Sexualethik (600). — Die jüdische Sexual­ eth ik im Zeitalter J e s u (000—602). — Die Stellung des Judentum s zur Prostitution (602—604). — Die Sexualethik J e s u und ihre Beziehungen zur jüdischen Sexualethik (604—612). — Die Anschauung J e s u über die Prostition (612—614). — Das Fehlen des Begriffes der Arbeit im Neuen Testament (614—615). — Die Hellenisierung der urchristlichen Sexualethik in der apostolischen und patristischen Zeit im Sinne der doppelten M oral, der Misogynie, der Askese und der Stigmatisierung des Geschlechtlichen und ihre Rückwirkung auf die Auffassung der Prostitution (616—647). — Die Sexualethik des P a u l u s (616—620). Die Sexualethik der ältesten P atristik und der christ­ lichen Sekten (620—630). — Prostitution und U rchristen­ tum (630—639). — Die Schilderung der Prostitution in der Offenbarung Johannis (630—632). — Prostituierte als Bekehrte und früheste Anhängerinnen des Christentums (632—634). — Prostitution und Bordell als Strafe in den christlichen Märtyrerprozessen (634—637). — Die Prosti­ tution als besondere Form der christlichen Askese (638 bis 639). — Die Begründung des Systems der m ittel­ alterlichen Sexualethik durch A u g u s t i n u s (639—647). — Ihre Beziehung zu seinem eigenen Leben (640—641). — Der zentrale Begriff der Erbsünde in der Augustinischen Sexualethik (642—644). — Die Stellung der modernen pro­ testantischen ( H a r n a c k ) und katholischen Theologie ( M a u s b a c h ) zur sexuellen Frage und ihre Beurteilung vom Standpunkt d er Sexualwissenschaft (644—645). — Die Anschauung des A u g u s t i n u s über die Prostitution und ihre Nachwirkung bis auf die Gegenwart (645—647). III

XXXIV Die sexuelle Stigmatisierung (les Weibes im M ittelalter (648—650). — Häresie, Hexenwahn und Satanskult (650 bis 655). — Der christologisclie Mimus (655—656). — Die Beziehungen des Hexenwahns und Satanismus zur Prosti­ tution (656—658). — Das dionysische Element im Hexen­ wesen (658—660). — Der religiöse Flagellantism us und seine Beziehungen zur Prostitution (661—663). — Marien­ kult imd Erauendienst in ihrem Einfluß au f die Ausbil­ dung der masochistischen Empfindungsweise (663—667). — Sadistische Kulturphänomene des M ittelalters (667—668). — Die H errschaft und die Folgen der doppelten Moral im M ittelalter (668—676). — Anerkennung und Aechtung der Prostitution (669—670). — Die Rolle der Prostitution in der Oeffentlichkeit (670—672). — Die Prostitution als eine staatliche Institution (672). — Die Infamierung der Prostitution (673—674). — Bürgerrecht und K leidertracht (674—675). — Testamente von Prostituierten (676). — Die Sexualethik des Islam (676—683). — Die Geschlechts­ sklaverei der Erau (677—678). — Die Sexualethik des Koran (678—681). — Polygamie und Inferiorität des Weibes (680). — Stellung zur Prostitution (681—683). — Asketische Ten­ denzen im Islam (683).

S e c h s te s K a p ite l. D ie P r o s t i t u t i o n d e s M i t t e l a l t e r s . II. D a s s o z i a l e M i l i e u . 684—730 Soziale Differenz zwischen Orient und Okzident (684 bis 685). — Die Großstädte des Orients (685—686). — Das Städteweseu des m ittelalterlichen Abendlandes (687 bis 689). — Die freie Prostitution im Orient und die Bordell­ prostitution im Okzident (689—690). — Die Entstehung der letzteren (690). — Die F ra u e n ta g e im M ittelalter (691 bis 694). — Iler Frauenüberschuß (691—692). — Lohnarbeiterinnen (693). — Beziehungen weiblicher Berufe zur Prostitution (693). — Die große Zahl der weiblichen D ienst­ boten (693). — Die Versorgungsanstalten für arme Frauen (693—694). — Die Beghinen (693—694). — Die große Zahl der männlichen Zölibatäre (694). — Die Gesellen (694). — Die Geistlichen (694—696). — Der Typus der K loster­ prostituierten (696). — Die Studenten und ihre Beziehungen zur Prostitution (696—701). — Pauperismus und Prole­ tariat (701—702). — Die „schädlichen Leute“ und Va­ ganten und ihre Beziehung zur Prostitution (702—705). — Die Bedeutung der Märkte und Messen (705—708). — Die Kirchweihen und übrigen Feste (708—710). •— Die Turniere (710). — Die Kaiserfahrten, Reichstage und Kon­ zile (710—711). — Die Prostitution bei W allfahrten und Pilgerzügen (711—713). — Die Kreuzzüge und übrigen Kriegszüge (714—715). — Das Badewesen (715). — Die Prostitution in H afenstädten (715—716). — Die reisenden Kaufleute als Klienten der Prostitution (716). — Die Stel­ lung des Christentums und der m ittelalterlichen Kirche zur Sklaverei (716—717). — Der m ittelalterliche Sklaven­ handel und seine Bedeutung für die Prostitution (717 bis 721). — Kuppelei und Zuhältertum (721—727). — Der Alkoholismus (727—728). — Die Tavernen und Herbergen als S tätten der Prostitution (728—729). — Die Kameretten und Garküchen (729—730).

XXXV S ie b e n te s K a p ite l. D ie P r o s t i t u t i o n d e s M i t t e l a l t e r s . III. D ie F o r m e n d e r P r o s t i ­ t u t i o n . (D ie F r a u e n h ä u s e r u n d d ie f r e i e P r o s t i t u t i o n ) ...................................................... 731—805 Der staatliche C harakter der Prostitution im abend­ ländischen M ittelalter (731—732). — T e r m i n o l o g i e d e r P r o s t i t u i e r t e n (732—737). — Deutsche Be­ nennungen (732—734). — Französische Benennungen (734 bis 735). — Anderssprachige Namen (735—736). — Die m ittelalterliche lateinische Terminologie (736—737). — D ie F r a u e n h ä u s e r (737—780). — Der Ursprung des m ittelalterlichen Frauenhauses (737—738). — Die systematische Organisation der Frauenhäuser im 14. und 15. Jahrhundert (739). — Verzeichnis deutscher Städte m it Frauenhäusern (740—745). — Französische Städte m it Frauenhäusern (745—746). — Italienische und spanische Städte (747). — Deutsche Benennungen des Frauenhauses (747—749). — Französische Namen (749). — Italienische, spanische, portugiesische, englische Namen (750). — ¡Lateinische Namen (750). — Die Topographie der Frauenhäuser (751—753). — Die Beziehung der m ittel­ alterlichen Prostitution zum städtischen Brunnen (753 bis 754). — Verbote der Frauenhäuser in der Nähe von K ir­ chen (754). — M ittelalterliche Bordellstraßen (754 bis 757). — Abzeichen und Embleme der Frauenhäuser (757 bis 758). — Laternen und bunte L atten als Kennzeichen (758). — Innere E inrichtung (758—759). — Die Ver­ staatlichung der Frauenhäuser (759). — Einnahmen aus den Frauenhäusem (760—762). — Die m ittelalterliche Hurensteuer (762—763). — Die Leitung und Verwaltung der Frauenhäuser (763). — Frauenmeister und F rauen­ richter (763—764). — Der „Roy des Ribauds“ (764 bis 765). — Der „Rey Arlot“ (765). — Frauenw irt und Frauenw irtin (765—766). — Die Frauenhausordnungen (766—770). — Die Rekrutierung der Frauenhäuser (770). — Die Zahl der Dirnen im Frauenhause (770—771). — Spitznamen (771—772). — A lter der Dirnen (772—773). — Verpflegung und Hygiene (773—774). — Beziehung zum kirchlichen Leben (774). — Schutzpatroninnen der Prostituierten (775—776). — Verpflichtung zur Arbeit (776). — Der Kundenkreis der m ittelalterlichen Prosti­ tution (776—778). — Amüsement im Frauenhause (778 bis 779). — Skandale, Schlägereien, Morde und Dieb­ stähle (779—780). — D ie f r e i e P r o s t i t u t i o n (780 bis 791). — Die „heimlichen“ Prostituierten (780—782). — Absteigequartiere (782—783). — Tanzhäuser und Sing­ spielhallen (783). — Badestuben (783—784). — Barbier­ stuben (784). — Die M ühlenprostitution (784—785). — Die m ittelalterliche Straßenprostitution (785). — Blumen­ sträuße als Erkennungszeichen (785—786). — Straßen­ skandale (786). — Die fahrenden Prostituierten (787). — Verschiedene Klassen der Prostituierten (787—788). — Mode und Prostitution (788). — Dos Hetärenwesen im Orient (788). — Das Honorar der Prostituierten (789 bis 791). — D i e h o m o s e x u e l l e P r o s t i t u t i o n (791 bis 805). — Uebereinstimmung der Erscheinungen der Homosexualität im M ittelalter m it denjenigen der GegenIII*

XXXVI w art (789—793). — Die homosexuelle Prostitution im abendländischen M ittelalter (793—795). — Die homo­ sexuelle Prostitution in Italien (795—798). — In Frankreich (798—799). — In Köln (799—800). — Die männliche Prostitution in Byzanz und im islamischen Orient (800 bis 801). — Die Süfis (801). — Die „M ochannat“ (801 bis 802). — Angebot und Nachfrage (802—803). — Der „Saki“ (803). — Die lesbische Prostitution im m ittelalter­ lichen Abend- und Morgenland (804—805).

A c h te s K a p ite l. D ie P r o s t i t u t i o n des M i t t e l a l t e r s . IV. D ie B e a u f s i c h t i g u n g u n d B e k ä m p f u n g d e r P r o s t i t u t i o n . (G es e tz g e b u n g ,S itte n p o liz e i,M a g d a le n e n h ä u s e r ) ............................................................... 806—825 Die allgemeinen Gesichtspunkte für die Beaufsichtigung und Reglementierung der Prostitution im M ittelalter (806 .bis 807). — Die allgemeinen Landesgesetze (808—809). — Die Spezialgesetze (809). — Die Spezialbehörden und Organe der Sittenpolizei (810—811). — Die Oberbehörde (811). — Die sittenpolizeiliche Beaufsichtigung der Männer (811—812). — Ehren- und Körperstrafen (812 bis 813). — Die gesetzliche K leidertracht der Prosti­ tuierten (813—815). — Die Hygiene der m ittelalterlichen Prostitution (815—818). — Die Magdalenenhäuser (818 bis 825). — Aelteste Geschichte (818). — Der Orden der „Reuerinnen“ (819—821). — Die „G ottestöchter“ (821). — Die Asyle und Besserungsanstalten (821—823). — „Bußschwestern“ und „Sack-Beginen“ (822—823). — Die Ehe mit Prostituierten (823—824). — Mißerfolge (821). — Die falschen Magdalenen (824—825).

N a m e n r e g i s t e r .........................................................

827—846

L ä n d e r - u n d O r t s r e g i s t e r ............................. 847—853 S a c h r e g i s t e r ........................................................... 854—870 D r u c k f e h l e r v e r z e i c h n i s ........................ . . 870

Einleitung. Der Gegenstand dieses Werkes, die Prostitution, ist ein Problem, dessen Kern sich auf eine sehr einfache und einleuch­ tende Formel bringen und in einem anschaulichen Bilde dar­ stellen lä ß t Wenn man in das innerste Wesen dieser kom­ plizierten Erscheinung völlig eindringen, wenn man ihre jahr­ tausendlange Dauer, die Aussichtslosigkeit der bisher üblichen Methoden ihrer Bekämpfung und die Notwendigkeit, neue zu finden, von Grund aus verstehen lernen will, dann muß man sich vergegenwärtigen, daß die Prostitution ein J a n u s k o p f ist, dessen eines Antlitz auf die N a t u r , dessen anderes auf die K u l t u r hinweist Der unleugbare innige Zusammenhang der Prostitution als einer sozialen Erscheinung mit der Kultur und der Zivilisation, der auch dem oberflächlichsten Beobachter sich aufdrängt, ver­ mag doch die Tatsache nicht aus der Welt zu schaffen, daß ihr Wesen von allen den gewaltigen Wandlungen und Fortschritten dieser selben Kultur so gut wie unberührt geblieben ist und daß dieses durch die Jahrtausende u n v e r ä n d e r t e P r i m i ­ t i v e an ihr der Kultur im Grunde wie etwas Fremdes und Feindliches gegenübersteht, jedenfalls sich ihr nicht organisch assimiliert hat. Es ist die Frage, ob diese b i o lo g is c h e Wurzel der Prostitution nicht allein ausreicht, um ihre Zähigkeit und die Fruchtlosigkeit der Bekämpfung zu erklären. Wer die Prostitution als bloßes Produkt des Mißverhältnisses zwischen Geschlechtstrieb und Heiratsmöglichkeit betrachtet, bleibt an der Oberfläche des Problems oder sieht nur eine Seite desselben. Richtiger wird man diesen biologischen Faktor in der Prostitution bezeichnen, wenn man sie als eine R e a k tio n gegen » lo c h , Prostitution.

X.

X

2 die Unterdrückung der Triebe eines freieren geschlechtlichen In­ stinktlebens der Urzeit durch die Kultur auffaßt, als letzten sichtbaren U e b e r r e s t primitiver Sexualität, nachdem die fort­ schreitende Kulturentwicklung auf dem Wege der Energieumwand­ lung den größten Teil in Form der „sexuellen Aequivalente“ (B loch) absorbiert und für ihre Zwecke verwertet hat. Auf der anderen Seite müssen wir die Tatsache, daß die Prostitution ein spezifisch m e n s c h lic h e s Phänomen darstellt und eine analoge Erscheinung bei den Tieren nicht vorkommt, dahin deuten, daß sie ein ureigenstes Produkt der Kultur, speziell der besonderen Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens und der damit zusammenhängenden geschlechtlichen Ordnung ist. Auch diese s o z i a l e Wurzel der Prostitution läßt sich sehr weit zurückverfolgen, bis in die frühesten Anfänge gesellschaftlicher Gruppenbildungen. Während aber die biologischen Ursachen der Prostitution einfacher und elementarer Natur sind und ihren primitiven Cha­ rakter bis heute bewahrt haben, sind die sozialen mit der fort­ schreitenden Differenzierung der Kultur und des Gesellschafts­ lebens ebenfalls mannigfaltiger und komplizierter geworden, woraus sich die Schwierigkeit einer wirklich wissenschaftlichen Aetiologie der Prostitution erklärt. Die begünstigenden Faktoren der Genesis der modernen Prostitution bilden einen integrierenden Bestandteil dessen, was man als s o z i a l e F r a g e bezeichnet hat. Die soziale Frage schließt die sexuelle in sich ein, d. h. die sozialen Erscheinungsformen und die soziale Regelung des Ge­ schlechtstriebes. Und die Prostitution steht so recht im M i t t e l ­ p u n k te der ganzen sexuellen Frage. Sie ist ihr Zentralproblem. Man denke nur daran, daß die Geschlechtskrankheiten sich zum größten Teile auf die Prostitution als den Hauptherd der vene­ rischen Ansteckung zurückführen lassen. Wenn also auch die Prostitution in ihrem tiefsten Wesen mit uralten primitiven biologischen Instinkten zusammenhängt, so ist sie doch in sozialer Beziehung eine durchaus d y s t e l e o ­ lo g is c h e Erscheinung des Volkslebens, ein Krankheitsprozeß der Gesellschaft von durchaus a n t i s o z i a l e m und a n t i h y g ie n is c h e m Charalrter, ein „negatives soziales Phänomen“ (S ta m m le r), kurz, ein böses Uebel, das man aber mit Un­ recht als ein notwendiges bezeichnet hat. Der tiefer ein-

3 dringenden Forschung, wie sie in dem vorliegenden Werke niedergelegt ist1), ergibt sich eine grundsätzliche Verschiedenheit der in dem Ausdrucke „notwendiges Uebel“ enthaltenen beiden Faktoren der Prostitution. Denn das „ N o tw e n d ig e “, d. h. der mit ursprünglicher, zwingender Gewalt sich geltend machende primitive Instinkt ist nicht durch Naturnotwendigkeit mit der Prostitution verknüpft und könnte auch ohne sie befriedigt werden, während das eigentliche Uebel der Prostitution, d. h. ihre böse, destruktive Seite sich bei näherem Studium als ein bloßes U e b e r b l e i b s e l der antiken K ultur erweist, das sieh mit der unsrigen in keiner Weise mehr verträgt, wie ein Fremdkörper in ih r w irkt und in dem Augenblicke verschwinden wird, wo die neue, heute erst in ihren ersten Anfängen sichtbare Kultur des modernen Menschen sich gänzlich von der antikrmittelaltcrlichen Kultur- emanzipiert haben wird. Um es kurz auszudrücken, ist bei diesem „notwendigen Uebel“ das Notwendige nicht vom Uebel und das Uebel nicht notwendig-. Das ist unser Thema und unsere These. Um sie zu beweisen, um das Wesen der modernen Prostitution, wie es sich überall in den Kulturländern der alten und neuen Welt gleichartig zeigt, genau festzustellen, gliedern wir das vorliegende Werk in d r e i Bücher, von denen jedes die Voraussetzung des folgenden ist. In Buch I wird der U r s p r u n g d e r m o d e r n e n P r o s t i t u t i o n untersucht; Buch II schildert d ie m o d e r n e P r o s t i t u t i o n in ih r e m g e g e n w ä r t i g e n Z u s t a n d e ; Buch III wird die B e k ä m p f u n g u n d A u s ­ r o t t u n g d e r P r o s t i t u t i o n behandeln. Indem wir durch­ weg die Methode der Induktion und der kritischen Analyse der oft so komplizierten ursächlichen Zusammenhänge anwenden, wird es uns möglich sein, die Prostitutionsfragc in allen ihren Einzel­ heiten so darzustellen, wie der Standpunkt der modernen Wissen­ schaft und der modernen Zivilisation es erfordert. *) Die erste Skizze enthält mein auf der zweiten Generalversamm­ lung des Deutschen Bundes für Mutterschutz in Hamburg (15. April 1909) gehaltener Vortrag: „ I s t d ie P r o s t i t u t i o n e in n o t ­ w e n d ig e s U e b e l? “ (Veröffentlicht in: Die neue Generation, 1909, Nr. 5, S. 179-190 und Nr. 6, S. 224-236.)



Erstes Buch:

Der Ursprung der modernen Prostitution.

ERSTES KAPITEL. Der Begriff der Prostitution.

Se.t dem Altertum hat man immer wieder den Versuch ge­ macht, eine exakte und klare Definition des Begriffes „Pro­ stitution“ zu geben. Schon die große Zahl dieser Versuche, die man auf mehrere Hundert schätzen kann, und die Tatsache, daß die Definitionen der Juristen, Mediziner, Soziologen und Mora­ listen zum Teil stark voneinander abweichen, beweisen, daß eine scharfe Umgrenzung des begrifflichen Inhalts der Worte „Pro­ stitution“ und „Prostituierte“ sehr schwierig ist. Ein Kenner wie E a b u t a u x war der Ansicht, daß diese Schwierigkeit eine unüberwindliche (insurmontable) sei1). Zunächst muß der Begriff der Prostitution auf das Genus homo beschränkt werden, Prostitution gibt es nur beim M e n ­ s c h e n , dem Schöpfer der Kultur und Gesellschaftsordnung. Schon die Alten hatten dies erkannt. So singt 0 v i d : Feil für bestimmten Preis jedwedem stehet die Dirne, Und mit dem Leib auf Geheiß suchet sie traurigen Lohn, Diese jedoch verflucht die Gewalt des geizigen Kupplers, Und was i h r aus euch selbst tuet, das tu t sie aus Zwang. N e h m e t e i n B e i s p i e l e u c h a n d e m V ie h , d a s k e i n e V e r n u n f t h a t! S c h i m p f l i c h i s t ’s, d a ß e in T i e r f r e u n d l i c h e r s e i a n G e m ü t. 1) M. R a b u t a u x , De la prostitution en Europe depuis l’antiquité jusqu’à la fin du XVIe siècle, Paris, 1865, S. 119.

R F o r d e r t d i e S t u t e vom H e n g s t , d i e K u h v o m S t i e f e G eschenke? M a c h e t d e r W id d e r d a s S c h a f s ic h d u rc h G e s c h e n k e g e n e ig t? E i n z i g d a s W e ib i s t f r o h d e s d e m M a n n e g e n o m m e n e n R aubes: S ie n u r v e r d i n g e t d i e N a c h t , s i e n u r v e r d i n g e t s i c h s e lb s t; U nd s ie v e r k a u f t , w as b e i d ’ e r g ö t z t , w as b e id e b e ­ g e h rte n , U n d s i e s e t z e t d e n P r e i s f e s t f ü r d i e e i g e n e L u s t 2*).

Ebenso bemerkt der M oralstatistiker A l e x a n d e r v o n O e t t i n g e n ’) gegenüber W u t t k e , der in seiner Sittenlehre die Hurerei als etwas „rein Tierisches“ bezeichnet hatte: „Ich denke, bei Tieren kann sie g ar nicht Vorkommen, ja nicht einmal gedacht werden“, was freilich nicht, wie v o n O e t t i n g e n es will, auf die „Fleischessünden“ ganz allgemein auszudehnen, ist. Prostitution als ein K ulturprodukt ist ja bei Tieren unmöglich. Theoretisch wäre es ja denkbar, daß sich auch Tiere um irgend­ eines Vorteils willen geschlechtlich preisgeben, z. B. um einen Leckerbissen zu erlangen. Zoologen und Tierärzte berichten aber nichts hierüber4*). Immerhin ist die folgende Mitteilung, die ich Herrn K reistierarzt Dr. R e i n h a r d F r ö h n e r verdanke, so interessant, daß sie zu weiteren Beobachtungen auffordert. „Eine Erscheinung, die mit der Prostitution zu vergleichen wäre, gibt cs in. W. bei den H a u s tie re n nicht. Zur Befriedigung ihres Geschlcchtstriebes in der Brunstzeit betätigen die weiblichen Tiere enorme Energie, sobald die Brunst aber vorüber ist, sind sie in der Abwehr der Begattung ebenso temperamentvoll. Daß sie um einen Vorteil nichtsomatischer Art sich hingeben, ist ausgeschlossen. Ich weiß nicht, ob Sie folgende Beobachtung bei Aeffinnen ge­ macht haben. Diese Beobachtung gehört zweifellos zum Begriff Prostitution. 2) Ovids Liebesgesänge, übers, von A l e x a n d e r B e r g , Berlin o. J. S. 43—41 (Buch I, Eleg. 10, Vers 21-32). 8) A l e x a n d e r v o n O e t t i n g e n , Die Moralstatistik in ihrer Bedeutung für eine Sozialethik. 3. Auflage, Erlangen 1882. S. 81. 4) Auch in dem grundlegenden Buche von R o b e r t M ü l l e r „S c x u a 1 b i o 1 o g i e. Vergleichend - entwicklungsgeschichtliche Stu­ dien über das Geschlechtsleben der Menschen und der höheren Tiere“, Berlin 1907, fand ich nichts darüber.

9 Wenn man in einem Affenhausc, das männliche und weibliche Affen birgt, Näschereien verteilt, so kommt manchmal ein starker männ­ licher Affe auf eine Acffin zu, die eine Nuß oder eine Süßigkeit er­ wischt hat. Ich habe nun oft beobachtet, daß dann die Aeffin dem in böser Absicht sich nähernden Männchen das Hinterteil mit ein­ ladender Gebärde hinhält, um ihn zum Koitus einzuladen, z w e i f e l ­ l o s i n d e r A b s i c h t , d a m i t d i e N u ß usw. zu r e t t e n . Ich bemerke dazu, daß auch jüngere männliche Affen so verfahren gegen­ über großen, überlegen starken ihres Geschlechts. Wo nur männliche Affen zusammenstecken, onanieren diese gegenseitig zwischen den Hinterbeinen.“

F r ö h n e r betrachtet dies als Beispiele weiblicher und männ­ licher Prostitution bei Affen, und zweifellos ist es eine geschlecht­ liche Anlockung bzw. Hingebung zur Erlangung eines äußeren Vorteils. W ir hätten also schon bei den dem Menschen am nächsten stehenden Primaten das bedeutsame Faktum zu konstatieren, daß die geschlechtlichen Beize von s c h w ä c h e r e n Individuen dazu benutzt werden, um vion den stärkeren irgendwelche Vorteile zu erlangen. Es handelt sich m. E. dabei nicht um ausgebildete Prostitution wie beim Menschen, sondern nur um jene e r s t e n A n s ä t z e dazu, die auch zwischen dem normalen, nichtprostituierteu menschlichen Weibe und Manne so häufig zu beobachten sind. Vielleicht handelt es sich um solche Ansätze auch bei dem merk­ würdigen Treiben der australischen Laubenvögel, über das zuerst G o u l d 5) nähere Mitteilungen gemacht hat. Diese Vögel bauen sich ausschließlich für die Zwecke des geschlechtlichen Verkehrs Lauben6), die sehr kunstvoll verziert werden. Hier treffen sich die Männchen und streiten miteinander um die Gunstbezeugungen der Weibchen, und hier versammeln sich die letzteren und kokettieren mit den Männchen. Die Eingänge der Laube werden nun m it einer Menge schön gefärbter oder hellglänzender Gegenstände verziert. Muscheln, Zähne, Knochen, bunte Steine, Stückchen von farbigem Kattun, blaue Schwanzfedern von Papageien, sogar dem Menschen entwendete Fingerhüte, Landmuscheln, blaue, rote, schwarze Beeren usw. werden herbeigeschleppt, in der Laube niedergelegt bzw. kunstvoll arrangiert und während der sexuellen Vergnügungen umhergeschleppt. W ahr­ scheinlich sollen durch diese bunten und glänzenden Gegenstände 6) G o u l d , Handbook to the Birds of AustraJia, London 1865. Bd. I, S. 300, 308, 444—461. *) Die Abbildung einer solchen Laube findet sich bei D a r w i n , Die Absta mmung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, deutsch von J. V. C a r u s . 3. Aufl. S tuttgart 1875. Bd. II, S. 63 (Fig. 46).

10 die Weibchen zum geschlechtlichen Verkehr angelockt werden. Sicheres läßt sich natürlich darüber nicht sagen, ebensowenig über die noch dunklen Beweggründe, die Elstern, Baben und andere Vögel veran­ lassen, glänzende Gegenstände wie Silberzeug oder Juwelen zu stehlen und zu verbergen. Auch die Aeußerung eines populären Schriftstellers’) sei hier an­ geführt : „Der Trieb der Geschlechtsliebe wohnt allen Tieren inne. Wir werden aber auch bei allen Tieren bemerken, daß die Initiative des Antrags vom Männchen ausgeht, und daß dafür eine Art Kontrakt, welcher beide Teile bindet, geschlossen wird, indem das Männchen sich für diesen Genuß zum Schutze des Weibchens verpflichtet, ja demselben auch Nahrung zuträgt.“

Im großen und ganzen bleibt der- Satz zu Recht bestehen, daß die Prostitution ein spezifisch menschliches Phänomen darstellt, dessen genaue begriffliche Bestimmung ihr Wesen mög­ lichst klar und vollständig zum Ausdrucke bringen muß. Der erste Organisator der Prostitution, So Io n (ca. G30—560 v. Chr.), kaufte nach dem Bericht des P h i l e m o n bei A t h e ­ n a e u s 8) Weiber und stellte sie aus, „ g e m e in s a m a l l e n u n d z u i h r e m D i e n s t b e f r e it g e g e n E r l e g u n g e in e s O b o lu s “ (ungefähr 13 Pfg. nach heutigem Gelde). Diese älteste Definition der Prostitution hebt bereits ihre wichtigsten Merkmale hervor: die Preisgabe an z a h l r e i c h e , h ä u f i g w e c h s e l n d e I n d i v i d u e n („gemeinsam allen“), die v ö l l i g e G l e i c h g ü l t i g k e i t g e g e n d ie P e r s o n d e s d ie H i n g a b e b e g e h r e n d e n M a n n e s („zu ihrem Dienst bereit“) und die Preisgebung gegen E n t g e l t („einen Obolus“). Auch das W ort „ P r o s t i t u i e r t e “, das man gewöhnlich den Römern zuschreibt, findet sich in dieser Zusammensetzung schon in dem erwähntein Bericht über die erste Bordellorganisation des Solon, in welchem die Dirnen als #T ztpooräoa« oix^pidtutv d. i. die vor dem Bordell feilstehenden („p r o s t a s a i“), bezeichnet werden ( A t h e n a e u s lib. X III, cap. 25, p. 569d). Das lateinische Wort „prostare“, öffentlich feilstehen, sich prostituieren, ist hier­ nach gebildet, ebenso das Substantivum „prostibulum“ = feile Dirne, Prostituierte. ’) Geheimnisse der Prostitution. Enthüllungen aus dem Leben der Bohème galante aller Länder. Von Dr. d’Henri, Leipzig 1871, S. 5. •) A t h e n a e i Deipnosophistae e reoognitione A u g u s t i M e in e k e , Leipzig 1859. Vol. III, p. 26 (Buch XIII, p. 569e).

11 Lieferte somit die solonische Gesetzgebung die erste und wertvollste G r u n d l a g e für die genaue Definition des Begriffes der Prostitution und der Prostituierten, so finden wir doch bei den Körnern für diesen Zweck ein sehr viel reicheres Material. Denn die eigentliche Lohndime, die griechische zcdeutend hervor. Nach S c h ü r t z88586*) ist in dieser Beziehung der Unterschied zwischen den verkommenen Prostituierten europäischer Herkunft in den Küstenstädten Algeriens und den Tänzerinnen der Uled Nail überraschend groß. Diese einheimischen Almehs Algeriens sind eben „ä la fois artistes et courtisanes“. Vor der Eroberung Algiers durch die Franzosen spielten sie eine große Rolle bei den vom Dey veranstalteten Iloffesten, wo ihren Tänzen die Haremsdamen aus ver­ gitterten Logen zusahen288). Auch als Sängerinnen produzieren sich vielfach die maurischen Prostituierten Algiers88’). In K o r d o f a n ist es hauptsächlich eine Klasse von hübschen Tänzerinnen, die das Monopol der Prostitution halten 888), in T u n i s spielen die Almeh eine große Rolle, sind aber ausschließlich für die Mohammedaner reserviert, in deren Kaffeehäusern und Harems sie auftreten, die Europäer müssen sich meistens an die j ü d i s c h e n Tänzerinnen halten889) und bis zur Zeit von F u t t e h A l i K h a n waren auch im mohammedanischen P e r s i e n Tanzmädchen' und Sänge­ rinnen die Hanplvcrtreterinnen der Prostitution und finden sich heute noch in allen Provinzen890). ]>io Hauptdarbietung aller orientalischen Tanzdimen ist ein eigen­ tümlicher Tanz, der sogenannte „ o r i e n t a l i s c h e T a n z “ oder „B a u c h t a n z“ (Danse du ventre). Dieser Tanz wird im allgemeinen als eine Nachahmung der Bewegungen beim Coitus aufgefaßt, als „getanzte Wollust“, als eine Verherrlichung des „Triumphes der Liebes­ raserei“ und der Fruchtbarkeit bis zur äußersten Ekstase und Selbst884) A m é d é e V i g n o l a , Toutes les femmes, Paris o. J., Bd. II, S. 136. Ueber die Ouled Nail vgl. auch G u s t a v E i n b e c k , Im Café der Freude. Ein algerisches Erlebnis. In : B. Z. am Mittag, Nr. 299, vom 22. Dezember 1910, ferner die ausgezeichnete Schilderung des Prinzen J. L u b o m i r s k i , La côte barbaresque et le Sahara, Paris, 1880, S. 157—158, 255—257 und 266—271 und C h a v a n n e s Schilde­ rung eines Tanzes der Ule Nail in Biskra, dem „Paris der Wüste“, bei S c h w e i g e r - L e r c h e n f e l d a. a. O. S. 502—503. 886) S c h u r t z , Altersklassen und Männerbünde, S. 197. 888) E. A. D u c h e s n e , De la prostitution dans la ville d’Alger, Paris 1853, S. 91—94. 88’) Ebendort, S. 79. 888) S a n g e r a. a. O. S. 390. 889) A. G r a h a m und H. S. A s h b c e , Travels in Tunisia, London 1887, S. 111 und J. L u b o m i r s k i a. a. O. S. 68 -69. — In N u b i e n üben berberinischc oder nigritische Gawasi die Prostitution aus. Ihre Tänze sind sehr obszön. Vgl. R. H a r t m a n n , Die Nilländer, Leipzig, 1884, S. 50—51. 89°) S a n g e r a. a. O. S. 417. — Nach J. B l e i b t r e u („Persien“, Freiburg i. Br., 1894, S. 71) sind cs häufig jüdische Tänzerinnen, nach K le m m a, a. O. . VII, 127, wenden sich die schönsten Mädchen in Persien diesem Gewerbe zu.

126 cntäußerung, die sich alslmld den Zuschauern m itteilt, womit der l>eabsichtigte Zweck erreicht wird. Die Berichte zuverlässiger euro­ päischer Beobachter wie D i e t c r i c i291), D u c h e s n e292), U r b a n293), W e h r l i 294) u. a.. stimmen nicht ganz überein über die wesentlichen Merkmale des Bauchtanzes. Nach D i e t c r i c i ist dabei der eigentlich tanzende Teil der Mittelleib, in dem die Tänzerinnen eine ungewöhn­ liche Gelenkigkeit entwickeln, während die Beine in Ruhe bleiben, nach D u c h e s n e sind auch die Beine an dem Tanze beteiligt, nur die oberen Partien des Körpers verharren in vollständiger Ruhe, nach U r b a n bewegt sich an der Tänzerin alles m it einer leidenschaftlichen, zitterigen und anstrengenden Koketterie, nur die Füße nicht oder doch sehr wenig. Sie steh t oft m inutenlang auf einem Fleck, die Bewegungen ihres Leibes, ihrer Brust, ihrer Halsmuskeln, ihres Kopfes sind bald von einer anmutigen, bald von einer geradezu rasenden, konvulsivischen Lebendigkeit. Nach W e h r l i und S t o l l ist cs wesentlich der Unter­ leib, der die Bewegungen ohne stärkere Beteiligung der Beine ausführt. Die begleitende Musik, au f einer primitiven Handtrommel, der Rohr­ pfeife und altägyptischen Geige h at nach U r b a n einen sehr monotonen, abstumpfenden und einschläfernden Charakter, ebenso der begleitende Gesang. Tanz und Musik gehen allm ählich in ein schnelleres Tempo über, so daß auch die Bauchlicwegungen immer schneller und auf­ regender werden. K le m m (a. «i, O. VII, 127) spricht von „kreis­ förmigen Tanzbewegungen der nur mit einem Schilfgürtel bekleideten a b e s s y n i s c h c n Tanzmädchcn, und (! h a v a n n e (bei S c h w e i ­ g e r - L e r c h e n f « 1) Ebendort, S. 37—45. 372) Schon M a r c o P o l o (1269) erw ähnt das Betelkauen. 373) H i e r o n y m i C a r d a n i de su b tilitate Libri X X I, Basel 1552, Lib. V III, S. 275: Non verebor inter plantarum miracula reponere, quod Theophrastus in quarto récitât de fructibus, herbam ab Indô allatam , qua m anducata coitum septuagies ( !) ille in die expellere posset. Auch nach C 1 u s i u s soll Betelkauen die Potenz stärken, daher sollen nach Mandelslo „die Weiber, wenn sie m it ihren Männern schertzen

biudung mit der A r c k a i i u l i gekaut wird, so ist die Wirkung eine komplizierte und der s|»ozicllc Anteil dos Beleb schwer zu eruioren, jedenfalls hat sein Genuß nach längerer Zeit eine angenehme Auf­ heiterung und einen Rausch zur Folge, wie das auch bei dem aus Piper metysticum bereiteten K a w a getränk der Südseeinseln der Fall ist. Uebrigens sind auch alle Malaien und Westinelanesicr Betelkauer. Bei den Kawagelagen der „Arii“ auf den Gesellschaftsinseln sind alle Ausschweifungen der Betrunkenheit beobachtet worden.374*) Was für Süd- und Ostasien und die Süds je Opium, Betel und Kawa, das sind für Südamerika die Blätter der K o k a , die als täg­ liches, unentbehrliches Genußmittel verwendet werden. Sie enthalten das Alkaloid Kokain. Die Koka steht bei den Südamerikanern als Aphrodi8iacum in Ansehen, M a r v a n d bestätigt diesen Einfluß auf die Geschlechtssphäre, M o r e n o zweifelt daran.37'*) Sicher ist nach den Untersuchungen von M a n t e g a z z a und F r e u d die das Nerven­ system anregende Wirkung des Kokagenusscs,378) es tr itt ein Gefühl von Wohlbehagen und Glückseligkeit, verbunden mit größerer Lei­ stungsfähigkeit ein, das in einen leichten Kauschzustand übergehen kann. Der Kokaingenuß h at auch in Nordamerika Eingang gefunden. Mit der Prostitution ist z. B. in Chicago der Kokainhandel ver­ bunden. Bei den Dirnen, die 5 bis 10 Jahre aushalten können, hat das Kokain das Opium verdrängt. Seine Wirkungen sind bei habi­ tuellem Genüsse furchtbar. Es treten wilde Halluzinationen auf und schließlich völlige körperliche und geistige Zerrüttung. Man schätzt die Zahl der Kokainverbraucher in Chicago auf 7000. Doch gehören nicht allein die Prostituierten dazu, die bei Tagesgrauen am „West­ damm“ umherschlottern, auch Boten und Zeitungsjungen und viele Klienten der Prostitution.377) Auch für den gleichfalls aus Amerika stammenden, heute über die ganze Erde378) verbreiteten Genuß des anregenden und nach längerer wollen, dieses B e t e 1 e zuvor kewen, und meynen, daß es die Natur zum Werke melir anreitzen und stärken soll“. Deshalb bietet wohl auch die indische Hetäre dem ankommenden Besucher zuerst Betel an. Zitiert nach R i c h a r d S c h m i d t , Liebe und Ehe in Indien, S. 48—49 und S. 548. 374) U n g e r , a. a. 0., S. G5---68; R a t z e l , Völkerkunde I, 211 bis 242. 875) V o g l , Artikel „Coca“ in A . E u l e n b u r g s Realencyclopädic der gesamten Heilkunde, Wien u. Leipzig 1895. Bd. V, S. 12. ««) Ebendort, S. 11, 12.. 377) Das Laster von Chicago. In: B. Z. am Mittag, No. 83 vom 10. April 1907. S78) Vgl. die Nachweisungen über die ubiquitäre Verbreitung des Tabakgenusses im ersten Bande von Ratzels „Völkerkunde“. Die enorme Leidenschaft des islamitischen Orients für den Tabak hat H e r m a n n V a m b i r y („Sittenbilder aus dem Morgenlande“, Berlin 187G, S. 87 bis 104) sehr lebendig geschildert.

.1/ Zeit einen angenehmen Rausch hervorrufenden T a b a k s lassen sich Beziehungen zur Prostitution nachweisen. So ist es bei den algerischen Prostituierten üblich, daß sie ihre Klientel durch das Anbieten von Tabak, Zigaretten und Kaffee anlocken, die sic dann in ihrer Wohnung für den Gast zubereiten,8’9) und in allen romanischen Ländern sind vielfach gerade die Z i g a r r e n l ä d e n und ï a b a g i e n Stätten heim­ licher Prostitution oder gar verkappte Bordelle380), wo in den Hinter­ zimmern Dirnen zur Verfügung der Kunden stehen. Nach Mitteilung eines Korrespondenten existieren z. B. in vielen belgischen Städten (Brüssel, Ostende, Antwerpen) solche Lokale; ebenso sind in Buenos Aires manche Zigarettenläden heimliche Bordelle, und viele jugend­ liche Zigarettenverkäuferinnen auf der Straße Prostituierte.3Sl) Vor mehreren Dezennien sollen auch in der Schweiz die Verkäuferinnen in manchen Zigarrenläden sich in den Hinterzimmern prostituiert haben, ebenso in London um 1840,38S) wie denn auch in einem dem IL K. B r o w n e zugeschriebenen erotischen Album von 12 Prosti­ tuiertentypen unter No. 7 „The Tobacconist“, das Tabaksmädchen, figuriert383). Auch die Z i g a r e t t e n a r b e i t e r i n n e n , z. B. die ,',C i g a r e r a s “ in Spanien, stellen ein großes Kontingent zur Pro­ stitution. Es kann ferner gar kein Zweifel darüber bestehen, daß der Genuß des Tabaks auch b e i d e n P r o s t i t u i e r t e n selbst ein beliebtes Anregungs- und Betäubungsmittel ist; jedenfalls ist das Zigaretten­ rauchen unter ihnen seit viel längerer Zeit verbreitet als unter der übrigen Frauenwelt, und heute wohl ein ganz allgemeines Genußmittel der Prostituierten. Im Verkehr m it der männlichen Prostitution bildet das Anbieten von Zigaretten das häufigste Anknüpfungsmittel. Auch für einen Homosexuellen, der Nichtraucher ist, gehören daher Zigaretten zu den notwendigen Requisiten, mit denen sich die meisten, ehe sie „auf den Strich“ gehen, reichlich versehen. Bei den weiblichen und mehr noch bei den männlichen Prostituierten bildet sich m it der Zeit ein wahrer Zigarettenhunger aus. Es gibt Dirnen, die bis zu 50 Zigaretten täglich rauchen. Z i g a r r e n rauchen ist dagegen in Prostituierten­ kreisen sehr selten, auch bei männlichen Prostituierten. Nur eine einzige Klasse weiblicher Prostituierten raucht Zigarren (und es ist 8’9) H e c t o r F r a n c e , Sous le burnous. Moeurs algériennes. Paris 1880. S. 218—210. 880) P a r e n t - D u c h a t e l e t , Die Sittenverderbnis des weiblichen Geschlechts in Paris, Leipzig 1837, Bd. I, S. 230. 881) T r e f f i e s , Buenos Aires bei Nacht. Schattenbilder aus der südamerikanischen Metropole. Buenos Aires 1904, S. 26. 382) T iy a n , Prostitution in London. London 1839, S. 174. 883) q’hc Pretty Girls of London, their little love affairs, playful doings etc. By J. R. A d a m Esq. Depicted in twelve spirited litho­ graphie drawings, by Q u i z, from Designs by one of themselves, London o. J. Zitiert nach P i s a n u s K r a x i ( H e n r y S p e n c e r A s h b e e ) , Centuria librorum abscor.ditorum, London 1879, S. 399.

158 für diese direkt typisch) — das sind die l e s b i s c h e n Prostituierten, welche ein Verhältnis m it einer weiblichen Prostituierten haben, in Berlin nennt man sie „Onkels“. In Ostasien hat der T e e , im mohammedanischen Orient der K a f f e e besonders auffällige Beziehungen zur Prostitution. Die „Ilikitetschayas“ oder japanischen Teehäuser sind gewissermaßen die Antichaxnbres der Bordelle, sie liegen am Eingänge der Bordellviertel und dienen der Vermittlung von Rendez-vous mit den Prostituierten. Man bringt dem eintretenden Gast grünen Tee oder Sake (Reiswein) und fragt ihn, ob er einem bestimmten Hause seinen Besuch abstatten oder ob er sich erst eine Gefährtin wählen wolle, wobei man ihm oft Photographiealbums der betreffenden Bordelle zur Auswahl eines Mädchens vorlegt. Er kann dann entweder zu dem Bordell gehen oder auch die Djoro ins Teehaus kommen lassen, wo für diesen Zweck Zimmer zur Verfügung stehen. 1869 gab es im Yoshiwara von Tokio 159 Bordelle und 400 Teehäuser, 1900 nur noch 101 Teehäuser neben 177 Bordellen. Die Teehäuser in Tokio haben also an Zahl bedeutend abgenommen.384) Auch in China sind die Teehäuser Sammelplätze der Prostitution. Das Leben und Treiben in einem solchen Teehause führt uns M a x D a u t h e n d e y 385) plastisch vor Augen (vgl. oben S. 149). In Berlin besteht ein Teehaus als Sammelpunkt für männliche Prostituierte, ähnlich in Paris das Ceylon-Teehaus in der Nähe des Grand Hotel. Neuerdings sind die „five o’clock teas“ nicht selten Treff­ punkte der eleganten Prostitution. Von den orientalischen K a f f e e ­ h ä u s e r n als Treffpunkten der Prostitution ist schon öfter die Rede gewesen. Die mohammedanischen Prostituierten beginnen ihr Tagewerk meist damit, daß sie die verschiedenen Kaffeehäuser aufsuchen und dort ihre erotischen Tänze und Lieder zum besten geben, um die Be­ gierden der Haschisch- und Tabakraucher zu erregen386*38). 384) T r e s m i n - T r é m o l i è r e s , Yoshiwara, die Liebesstadt der Japaner. Deutsch von B r u n o S k l a r e k , S. 50—56; d e B e c k e r , The nightless city, S. 28—41. (S. 38—41 findet sich ein Namens­ verzeichnis sämtlicher Teehäuser von Yoshiwara aus dem Jahre 1899). — Nach gütiger Mitteilung des Herrn Dr. med. R ö p c k e in Hamburg gibt es kein noch so kleines Dorf in Japan, wo sich nicht ein oder mehrere Teehäuser befinden, die nichts anderes als Bordelle sind. 388) M a x D a u t h e n d e y , Die geflügelte Erde, S. 280—281. s86) La prostitution en Algérie e t Tunisie. In: P a r e n t - D u c h a t e l e t e t U r b a i n R i c a r d , La prostitution contemporaine à Paris, en Province et en Algérie, Paris 1902, S. 341. — L i p p e r t erklärt um 1850 die hamburgischen Prostituierten für leidenschaftliche Kaffeetrinkerinnen. (H. L i p p e r t , Die Prostitution in Hamburg, H. 1848, S. 81). Auch heute noch ist namentlich Nachts das Kaffeebedürfnis der Prostituierten sehr stark. Bezeichnend dafür ist, daß wiederholt von Prostituierten angegeben wurde, daß sie sich hauptsächlich einen Zu­ hälter deshalb hielten, weil sie dann unbeanstandet Kaffeehäuser be­ suchen könnten, da nach 10 Uhr fast sämtliche Berliner Kaffeehäuser

159 Wir werden später bei der Schilderung des gegenwärtigen Zustandes der Prostitution die enorme Bedeutung der a l k o h o l i s c h e n Ge­ tränke und des A l k o h o l i s m u s für die ganze Prostitutionsfrage eingehend zu würdigen haben. Hier wollen wir nur einige Tatsachen dafür anführen, daß der Alkohol als das wichtigste aller bisher ge­ nannten Berauschungsmittel anzusehen ist und überall für die Zwecke der Prostitution und ihrer Klientel in dieser Beziehung ausgenutzt wird. Man kann sagen, daß ohne den Alkohol die Prostitution ganz, bedeutend eingeschränkt sein würde und daß sie ihre charakteristischen Züge verlieren würde. Es ist kein Kampf gegen die Prostitution ohne einen Kampf gegen den Alkohol denkbar. So sehr übertrifft er alle anderen Erregungs- und Berauschungsmittel hinsichtlich der Be­ günstigung der Prostitution und der Nachfrage nach ihr.386a) Die alko­ holischen Getränke, allen voran der Wein, spielen bei der Prostitution eine ähnliche Bolle, wie bei den dionysischen Festen der asiatischen Völker, deren Zentrum nach N i e t z s c h e S8’) in einer „überschwäng­ lich geschlechtlichen Zuchtlosigkeit lag, deren Wellen über jedes Familientum und dessen ehrwürdige Satzungen hinwegfluteten“. Gerade „die wildesten Bestien der N atur werden hier entfesselt, bis zu jener abscheulichen Mischung von Wollust und Grausamkeit, die mir immer als der eigentliche „Ilexentrank“ erschienen ist. . . . Das Individuum mit allen seinen Grenzen und Maßen ging hier in der Selbstvergessenheit der dionysischen Zustände unter“. Das ist auch der t i e f i n n e r e Grund des Zusammenhanges zwischen Alkohol und Prosti­ tution, den die griechische Kunst symbolisch dargestellt hat, indem cs oft H e t ä r e n und F r e u d e n m ä d c h e n sind, die den trunkenen Zug des Weingottes, des Dionysos, begleiten, was der Inder ebenso bedeutsam dadurch ausdrückt, daß er das Wort „moha“ ( B e t ä u b u n g ) *8 Damen ohne Herrenbegleitung keinen Z utritt gestatten. In Berlin könnte vielleicht ein Drittel der Kaffeehäuser ohne die Prostituicrtenkundschaft gar nicht existieren. Viele werden überhaupt nur- von Prostituierten und „Freiern“ aufgesucht. In einem Gedichte „Zu­ friedenheit“ von C a r l H e im (bei H a n s O s t w a l d , „Lieder aus dem Rinnstein“, Leipzig 1904, Bd. II, S. 137) bestellt der Zuhälter für die Dirne Mokka und für sich Schnaps. 88«a) „Und wie der Alkoholismus zur Prostitution, so führt die Prostitution wieder zum Alkoholismus. Die beiden Spießgesellen liefern sich ihre Opfer gegenseitig.“ A d o l f C l u s s , Die Alkoholfrage vom physiologischen, sozialen und wirtschaftlichen Standpunkt, Berlin 190G, Zit. nach C. K. S c h n e i d e r , a. a. 0., S. 110. „Der Alkohol ist ein H auptträger der Prostitution.“ A u g u s t F o r e l , Die sexuelle Frage, München 1909, S. 347. „Die Prostitution und m it ihr der Alkoholismus, sie bleiben wie die unentbehrlichen Abflußstätten menschlicher Leidenschaften.“ 0. R o s e n t h a l , Alkoholismus und Prostitution, Berlin 1905, S. G. 887) F. N i e t z s c h e a. a. O., S. 27 u. 37.

IGO zugleich als ein Synonymon für „rati“ und „surata“ ( L i e b e s l u s t ) gebraucht.388) Für die Verbindung der Prostitution mit dem Alkoholismus geben wir an dieser Stelle nur einige Daten. In J a p a n und C h i n a ist heute der „ S a k e “ oder R e i s w e i n (chinesisch auch „ S a ras h u “) ein Lieblingsgetränk in den Bordellen und Blumenbooten389), in I n d i e n890) wurden die Zechgelage ausschließlich mit Freudenmädchen abgehalten, wobei die letzteren zutrinken und mittrinken mußten, und zwar Rum, Branntwein, verschiedene Liköre, während heule der Palm­ wein überwiegt. Zur Feier des Liebesfestes gehörte unbedingt ein Rauschtrank. Ja, ein kleiner „Schwips“ erhöhte den Reiz der Schönen in den Augen der indischen Kenner um ein Bedeutendes, worauf die folgende Stelle im dritten Akte von „Malavikagnimitra“ hinweist: Ich hab’ es oft gehört, Nipunikä, Es sei der Rausch der Frauen schönste Zier. Ob dieses Wort der Leute wahr mag sein? N ipunikä:

So lange war es ein Gerede nur; Doch nun ist’s wahr! Eine eigentümliche Einrichtung im modernen Indien sind die sogenannten „ I L o l l - B a z a r e “. Diis sind für das eingeborene und europäische Militär bestimmte B o r d e l l w i r t s c h a f t e n " 1), in denen alkoholische Getränke und Prostituierte den Soldaten zu Gebote stellen. Dieso Loll-Bazar-Frauen begleiten die Truppen selbst auf langen und beschwerlichen Märschen, oft zu zweien auf einem Pferde sitzend395). Ueber die enge Verbindung des Alkoholismus mit der Prostitution in A e g y p t e n haben wir schon oben (S. 121) berichtet. Es gab dort außer Traubenweinen auch Palm- und aus anderen Früchten be­ reitete Kunstweine. Bier („Süthor“) wurde aus Gerste und Bitterstoffen hergestellt und war ein allgemeines Volksgetränk. Wie bildliche Dar­ stellungen beweisen, scheinen auch Frauen in großem Umfange dem 858) R i c h a r d S c h m i d t , Liebe und Ehe in Indien, S. 43. 859) ï r e s m i u - T r é m o l i è r e s , S. 48; K n o c h e n h a u c r a. a. O. S. 437. — In einem japanischen Hetärenlied (m itgeteilt nach L. d e R o s n y bei H a n s O s t w a l d , Lieder aus dem Rinnstein, Bd. II, Leipzig und Berlin 1904, S. 149) heißt cs: „Wein, Wein, mit ihm nur liait man aus dies Jammerleben.“ — In China sind es besonders die mit verschiedenartigem Schmuck hübsch aufgeputzten, mit seidenen Pantöffelchen beschuhten „Sing-Song-Mädchen“, die in chinesischer Gesellschaft heißen Reiswein trinken, Opium rauchen und sich nach 1lerzenslust amüsieren. Vgl. E u g e n W o l f , Meine Wanderungen im Innern Chinas, S tu ttg art 1901, S. 90, sowie S ä n g e r a. a. O. S. 434. 89°) R i c h a r d S c h m i d t , Beiträge zur indischen Erotik. Leip­ zig 1902, S. 190 und „Liebe und Ehe in Indien“, S. 46. 391) C h a r l e s L e v e r , Soldatenlebcn in Indien, Grimma und Leipzig 1851, Bd. II, S. 213. ” 5) Ebendort Bl. Il, S. 21.

161 Alkoholgenusse gehuldigt zu haben. Bei den. opulenten Gastinählcrn zeigteil Tänzerinnen ihre Künste393). Aegypten ist wahrscheinlich die U r h e i m a t der von hier nach Vorderasien und dem Occident (Griechenland, Korn, Westeuropa) gelangten „ A n i m i e r k n e i p e “, d. h. eines Wein- oder Bierrestaurants, in welchem die Männer von käuflichen K e l l n e r i n n e n durch alle Künste der Prostitution zum Alkoholgenuß aufgefordert, „animiert" werden. Die Methode dieser ägyptischen Kellnerinnen ( „ h n m t“) ist oben (S. 121) beschrieben worden. Ein von J o s e p h L a u t h zuerst m itgeteilter altägyptischcr Brief (Sitzungsberichte der Kgl. Bayr. Akademie der Wissenschaften zu München, 1869, S. 530) schildert uns eine solche Animierkneipe des Nillandes recht anschaulich. Der „Schreiber“’ A m e n e m a n schreibt an seinen Schüler P e n t a u r : „Es ist mir gesagt worden, du ver­ nachlässigest das Studium, sehnest dich nach Lustbarkeiten und gehst von Kneipe zu Kneipe . . . Dein Ruf ist notorisch; es liegt der Greuel des Weines auf deinem Gesichte . . . Du sitzest im Saale, es umgibt dich die Nymphe, du erhebst dich und treibst Narreteien (folgt eine aus Anstandsgründen unübersetzbare S telle); du sitzest vor dem Mädchen, du bist gesalbt m it Oele, es ist ein Kranz von Stechrauten an deinem Halse, du trommelst an deinem Bauche, du strauchelst, du fällst auf deinen Bauch, du bist beschmiert mit Unrat.“ (Zitiert nach G e o r g B. G r u b e r , Geschichtliches über den Alkoholismus, München 1910, S. 4—5.) Das griechische „ K a p e l e i o n “ (Karrp.ttov) und die römische „t a b e r n a“ oder „c a u p o n a “ oder „p o p i n a “ oder „g a n e u m“, d. li. Wein- und W irtshäuser und Kneipen m it „Damenbedienung“, waren fast ausschließlich Stätten der Prostitution394) wie die gewöhnlichen Bordelle, in denen übrigens auch Alkoholgenuß an der Tagesordnung war. Denn die Prostituierten kannten sehr wohl den W ert des Alkohols für ihre Zwecke, und zahlreiche griechische und lateinische Sprichwörter395), von denen nur das bekannte „sine Cerf-e et Libero friget Venus“ (bei T e r e n z , Eunuch. 732) hier erwähnt sei, heben die sexuell stimulieren­ den und zugleich berauschenden Eigenschaften des Alkohols hervor. Schon P l a u t u s 396) schildert in der neunten Szene des zweiten Aktes 893) Vgl. P. F. K u p k a , Wiener Papyri, Skizzen aus Jung- und Altägypten, Dresden 1894, S. 187—188. Vgl. auch F r a n z W o e n i g , Am Nil. Bilder aus der Kulturgeschichte des alten Aegypten, Leipzig (Reclam), Bd. I, S. 90 (Darstellung von trunkenen Frauen auf einem Wandgemälde zu El-Kal. Eine verlangt 18 Becher m it Wein!). 394) Deshalb galt nach I s o k r a t e s (Areopagiticus, Kap. 18) schon der bloße Besuch einer Schenke für unanständig und unsittlich. Ebenso A t h e n a e u s , Buch X III, Kap. 21. 395) Vgl. ihre Zusammenstellung bei I w a n B l o c h , Der Ursprung der Syphilis, Teil II, Jena 1911, S. 6361 396) T i t u s M a c c i u s P l a u t u s Lustspiele. Deutsch von W. B i n d e r , S tuttgart 1867, Bd. X[, S. 70—71. B l o c h , Pnw ii(u tio n .

I.

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162 seine» „Poenulus“ sehr drastisch das Interieur und das Treiben in einer Bordellkneipe niedrigster Sorte: So w ahr die G ötter hold mir sei’n, ich zög' es vor, Mein Leben lang in Steinbruch oder Mühle mich Zu plagen, Hand und Fuß m it K ettenlast beschwert, Als hier bei diesem Hurenwirt in Dienst zu stehn. Was das für eine Bande ist, wie da die Welt Total verdorben w ird! Bei aller G ötter Treu’, Gesindel kannst du da von allen Sorten seh’n, Als stiegest du zum Acheron: Zu Roß, zu Fuß, E ntlaufne, Freigelass’ne, Diebe, Geprügelte, Leibeigne, Kettensklaven; wenn er etwas nur Zu geben hat, der Mensch mag sonst sein, wie er will, Man nimmt Jedweden auf. Daher im ganzen Haus Nur dunkles W inkelwerk: Da wird geschmaust, gezecht, N icht anders, als beim Garkoch; hier auch siehest du Die tönernen Episteln m it der Signatur397) Und wohl verpicht, darauf m it L ettern ellenlang Die Namen stehn: so haben wir von W eingcschirrn Ein ganzes Korps daheim. In der „A sinaria“ (Akt. III, Sc. 3) sagt Leonida zur Hure i’hilenion: „Dann wünscht ich eine N acht bei dir nebst einem Füßchen Wein“, und den Alkoholismus der Dirnen selbst schildert P I a u t u s im „Pseudolus“ (I, 2). Nach F r i e d l ä n d e r 398) waren auch in der Kaiserzeit die W irts­ häuser sehr häufig Orte der Prostitution. Wiederholt wird von den juristischen Schriftstellern hervorgehoben, daß die weibliche Bedienung der Kneipen sowohl in den Städten, als auch an den Landstraßen aus feilen Dirnen zu bestehen pflegte, und die W irtschaft häufig nur ein Deckmantel für ein Bordell war (U 1 p i a n , Dig. III, 2, 4, § 2: utputa si c a u p o fuit et mancipia ta lia habuit m inistrantia et o c c a s i o n e m i n i s t e r i i q u a e s t u m f a c i e n t i a ; Dig. X X III, 2, 43 § 9: Si qua c a u p o n a m exeroens i n e a c o r p o r a q u a e s t u a r i a h a b e a t , u t m u lta e a s s o le n t su b p r a e te x tu in s tr u m e n ti c a u ­ p o n i i p r o s t i t u t a s m u l i e r e s h a b e r e , dicendum, hanc quoque lenae appellatione contineri). Nach einem Erlaß des Kaisers A l e x a n ­ d e r S e v e r u s durfte eine Sklavin, die unter der Bedingung verkauft worden war, daß sie nicht prostituiert werden sollte, auch nicht in 397) Das sind die W e i n f ä s s e r und W e i n k r ü g e aus Ton, die insofern m it Briefen verglichen werden, als sie wie diese versiegelt waren und Aufschriften zur Bezeichnung der Sorte und des Jahrgangs batten. Dieser Brauch stam m t vielleicht aus dem alten Aegypten. Vgl. W o e n i g a. a. 0. I, 89. 398) L. F r i e d l ä n d e r , Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in der Zeit vom August bis zum Ausgang der Antoninc, 6. Aufl., Leipzig 1389, Bd. II, S. 44.

163 ein Wirtshaus verkauft werden, wo die Verwendung zur Aufwartung nur ein Vorwand war, um das Gesetz zu umgehen (Cod. IV, 56, 3: Eam, quae ita veniit, ne corpore quaestum faceret, nee in cauponu sub specie ministrandi prostitui, ne fraus legi dictae fiat, oportet). Mit dieser allgemeinen Verbreitung der Prostitution in den Weinkneipen hing auch die gesetzliche Bestimmung zusammen, daß mit dem weiblichen Personal der Taberncn ein Ehebruch nicht begangen werden könne. Hiervon nahm erst C o n s t a n t i n im Jahre 326 n. Chr. die Wirtin selbst aus, aber nur in dem Fallo, daß sie die Gäste nicht selber bediente. Freilich geschah das oft genug, da eine solche Schenkwirtin („copa“, „ambubaja“) meist eine syrische bzw. orientalische Prostituierte war. Diese Animierkneipendirnen strömten in Scharen nach Kom (J u v c n a 1 III, 62—66) und in die römischen Provinzen, wo sie oft in den an den Landstraßen gelegenen Kneipen die Wanderer anlockten. Eine sehr lebendige und reizvolle Schilderung des Treibens einer solchen Animierkucipendirne und des Interieurs einer derartigen ländlichen Schenke ist uns in dem dem Dichter V i r g i l zugeschriebenen Gedichte „Copa“ erhalten. Wir teilen es mit309), da man sieh hiernach eine sehr deutliche Vorstellung davon machen kann, wie es im Altertum in solchen Animier­ kneipen zuging: Syriens Bajadere, geschmückt mit dem griechischen Kopfputz, Und bei Geklapper den Leib hurtig zu drehen geschickt, Tanzt wollüstig im Rausch vor der allwärts kündbaren Schenke, Während sie hoch an den Arm schüttelt die Rohre400) mit Lärm. Was kann's helfen, erm attet im Staube des Sommers vorbeiziehn ? Wie viel besser zum Trunk ruht auf dem Pfühle mau aus! Hier gibt’s Fässer und Krüg’, hier Becher und Rosen und Pfeifen, Saiten und Laubengeflccht, kühl von beschattendem Rohr. Auch, die so voll Anmut herplaudert aus Mänalus' Grotte, Eine nach ländlicher A rt klingende Hirtensehalmei. Krätzer auch hier, erst kurz aus verpichetem Kruge gegossen; Hier auch plätschert ein Bach laut mit Gemurmel vorbei. Hier gibts Kränze, gewunden aus safrangelben Violen, Und in der Waude Ge wind purpurne Rosen gesteckt; Am jungfräulichen Bache gepflückete Lilien, die in Körbchen von Reisiggeflecht und Achelöis gebracht; Hier auch Käscheu, die reif im binsenen Napfe geworden; Pflaumen, so hell wie Wachs, Kinder des reifenden Herbsts. Auch Kastanieunüss’ und lieblich gerötete Aepfel; Ceres’ Geschenk, ganz rein; Amor und Bromius hier. Blutige Maulbeern auch und an schmiegsamer Ranke die Traube, Hier auf Binsengeröhr grünlich die Gurke gestreckt. Hier der Bewacher der Hütte, mit weidener Hippe bewaffnet, Doch nicht schrecklich zu schämt ob ungeheurem Speer. 3" ) P u b l i u s Vi r g i l i t i « M a r o ’ s Werke. Deutsch von W. B i n d e r , Stuttgart 1856, ltd. I, S. 113—114 („Die Bajadere“). •r°») Bohre = Rohrklapper, Kastagnette. 11

164 Fremdling, allhier kehr’ ein! Schon schwitzt dein erm attetes Eslein, Schon’ esl Ist Vesta ja doch selber dem Tiere so hold. Je tz t durchschwirren Cicaden mit häufigem Summen das Buschwerk, Während die Eidechs sich birget im kühlen Vcrschlupf. Bist du vernünftig, so trink aus dem Sonimerpokal dir ein Bäuschgen; Oder beliebt ein Kelch dir von geschliffenem Glas? Auf! Und dehne die Glieder zur Ituh’ in dem Schatten des Weinlaubs, Und um’s nickende Haupt schlinge von Rosen den Kranz. Nippe den wonnigen Kuß vom Munde des reizenden Mägdleins; Fort mit des Greisentums finster gerunzelter Stirn! W as? undankbarer A sche bew ahrst du die duftenden Kränze? Etwa zum Grabsteinschmuck w illst du dieselben gepflückt? Wein und Würfel herbeil Fahr’ hin, wer um morgen sich kümmert! Lispelt der Tod doch ins Ohr: „Lebet, ich komme gewiß!“ Dieses mit allein Reiz farbiger Stimmungsmalerei ausgelührto Gemälde eines epikuräischen Genußlcbens, wie es ähnlich nur ein H o r a z schaffen konnte401), führt uns alle künstlerischen Elemente der Pro­ stitu tio n gleichsam in ih rer V ereinigung vor u n d zeigt uns als Endziel den R a u s c h und das Vergessen der Alltäglichkeit und des dem Menschen drohenden Schicksals. Solche Bacchanalien feierte der Kaiser N e r o in den Animier­ kneipen, so oft e r au f dein Tiber nach O stia hinab oder a n dem Busen von Bajae vorüberfuhr. Es mußten ihn dann die vor den hier errichteten Schenken stehenden Frauen zur L andung cinladen (S u e t o n , Nero 27, und T a c i t u s Annal. X III, 25). Der Alkohol sollte ihm hier wohl jene wollüstige Umnebelung vermitteln, die auch J u v e n a 1 (VI, 300— 301: Quid eniin Venus ebria cu rat?) erwähnt. Daß schon damals ganz wie heute betrunkene Männer direkt von der Kneipe ins Bordell zogen, zeigt folgende interessante Notiz in den „Attischen N ächten“ des A u l u s G c l l i u s 402): „Als ich das 8. Buch von des A t e j u s C a p i t o „Notizensamm­ lung“ las, welches die Ueberschrift führt „Von den öffentlichen G ut­ achten“, fiel mir besonders ein Beschluß der Tribunen auf, der das volle Gepräge altbiederer, strenger Gorcchtigkcitsliebo an sich trägt. Die Sache verh ält sich so : A u l u s I l o s t i l i u s M a n c i n n s war curuli8cher Aedü. Dieser ließ die öffentliche Buhlerin M a n i l i a be­ langen und ihr vor dem Volke deshalb einen öffentlichen Termin an­ setzen. weil sie es gewagt halte, aus ihrem Stockwerke bei Nacht einen Stein nach ihm zu werfen, wovon er die durch den Steinwurf erhaltene Wunde öffentlich vorzeigte. M a n i l i a erhob Einspruch bei 40*) Auch H o r a z schildert (E pistolac I, 14, Vers 21—26) das In ­ terieur einer Animierkneipe, den Tanz der Dirne und den lüsternen Wunsch des männlichen Besuchers, sich an solchem Orte einen tüchtigen Weinrausch anzutrinken. — Ucber die große Zahl dieser Bordcllkncipen klagt M a r l, i n ! (V II, 61.) 402) Die attischen Nächte des A u l u s G c l l i u s , übersetzt von F r i t z W e i ß , Leipzig, 1875, Bd. I, S. 253 (Buch IV, Kap. 14).

165 den Volkszunftineistern. Vor ihnen sagte sie ans, daß es ihr aber wohl nicht zum Nutzen gowesen sein würde, hätte sie ihn in seinem Zu­ stande aufgenommen; nun habe sic aber, als er mit Gewalt einzu­ dringen versuchte, sich nicht anders zu helfen gewußt, als ihn mit Steinen zu vertreiben. Die Tribunen gaben, als sie den wahren Sach­ verhalt erfahren hatten, die bestimmte Erklärung ab, daß der Aedil mit vollem Hechte von einem solchen verrufenen Orte sei verjagt worden, wohin noch dazu mit bekränztem Haupte sich zu begeben, ganz unschicklich gewesen sei. Deshalb widersetzten sie sich der Ab­ sicht der Aedilen, vor dem Volke klagbar gegen das Weib zu werden." Wie sehr noch unter den letzten römischen Kaisern das Animier­ kneipenwesen blühte, zeigt die Mitteilung des Kirchenhistorikers E v a g r i u s (Histor. ecclesiast II, 39), daß man förmliche Razzias in den Wirtshäusern veranstaltete, um die Zahl der dort befindlichen Pro­ stituierten festzustellen. Möchte nicht sein Dichter Plorus, Nicht die Schenken all’ durchwandern. sagt der Kaiser H a d r i a n in einigen an den Dichter P l o r u s ge­ richteten Versen mit durchsichtiger Anspielung auf diese Zustände403). Im M i t t e l a l t e r lassen sich bis zur vollen Durchführung des Bor­ dellsystems dieselben Verhältnisse nachweisen. Aus der Ordonnanz L u d ­ w i g s IX. von i'rankreich vom Ja h re 1256 ersehen wir, daß die Tavernen auch damals keinen besseren Ruf hatten, als die Bordelle und ih r Besuch für ebenso anrüchig galt. Um so mehr war dies der Fall, als der genannte König gegen die eigentlichen Bordelle sehr scharfe Gesetze erlassen h a tte und die Prostitution sich je tz t hauptsächlich auf die Tavernen konzentrierte. Aus G u i 11 o t s „D it des Rues de Paris“ (ca. 1270 n. Chr.) erfahren wir, daß damals fast jede Kneipe ein Bordell war. Sehr berüchtigt als Prostitutionslokal war z. B. die Taverne du Char doré in der rue Charoui (heutigen rue de Per­ pignan)404). In den noch älteren, aus dem Jah re 1243 stammenden Statuten der S tadt Avignon werden ebenfalls die Tavernen zusammen m it den Spielliäusern und Bordellen als Orte der Prostitution genannt405). In der S tadt Besançon wird unter dem 22. September 1476 dem K neipwirt J e h a n G a u t h i e r verboten, öffentliche Dirnen und W ürfelspieler bei sich aufzunehmen406). Es is t bezeichnend daß in diesen alten Dokumenten öfter auch W i n z e r als K uppler genannt 403) S p a r t i a n u s „Hadrianus“, Kap. 16, In : Die Kaisergeschichte, übersetzt von C. A u g u s t C l o ß , Stuttgart, 1857, S. 35. 404) Vgl. P a u l L a c r o i x , Histoire de la prostitution, Brüssel 1861, Bd. IV, S. 35—36, 60, 76. 406) L. L e P i l e u r , l a prostitution du X H Ie au XV IIe siècle. Documents tirés des archives d ’Avignon, du Com tat Venaissin, de la Principauté d’Orange et de la ville libre impériale de Besançon. Paris 1908, S. 1 (No. 1). 40°) Ebendort S. 74 (Nr. 16!).

166 werden407*409), einmal sogar als „admodiateurs de l’hôtel des belles filles“400). Aber auch die m ittelalterlichen Bordelle selbst waren „nicht allein Tempel der Venus, sondern auch des Bacchus“403), in manchen Frauenhäusern, wie z. B. in dem zu Altenburg, gab es sogar eigene Weinstuben, ein Beweis dafür, daß m it dem Bordell Weinschank ver­ bunden war410). Ebenso war in den Badbordellen, worüber wir weiter unten sprechen, Weinverkauf gang und gäbe411). Die Beziehungen des Alkoholismus zur m o d e r n e n Prostitution, die, wie erwähnt, ganz natürliche sind und. aus dem Wesen der Sache hervorgehen, .werden wir später noch eingehend zu würdigen haben und wir werden ihnen überhaupt im Verlauf unserer Darstellung noch häufig begegnen. •> Es mag am Schlüsse dieser Aufzählung der m it der Prostitution in so inniger Verbindung stehenden Berauschungsmittel noch erwähnt werden, daß in Afrika der P a l m w e i n , in Zentral- und Südamerika der P u 1 q u e und die T s c h i t s c h a (Maisbier) eine ähnliche Rolle spielen. Endlich sei noch des neuesten Rauschmittels gedacht, des A e t h e r s . S c h w a e b l é412) macht nähere Angaben über die Pariser Aetheromanen, woraus hervorgeht, daß die Wirkung des Aethers eine ganz ähnliche ist, wie. die des Alkohols, daß sie aber von einer noch größeren sexuellen Erregung begleitet sein soll. Ein Aetherlokal in Neuilly, am Eingang des Bois de Boulogne, dient nach S c h w a e b l é ausschließlich der homosexuellen Prostitution. Nach d ’ E s t o c413) befand sich vor mehreren Jahren in der Rue de Rivoli das Etablisse­ ment einer Kupplerin „Doktorin Kala“ alias „Madame Paul“, in dem Haschisch- und Opiumraucherinnen, sowie dem Aethergenuß ergebene Mondänen ihren ¡Lüsten fröhnten und dabei von Voyeurs durch Guck­ löcher beobachtet wurden. Auch in Deutschland scheinen Frauen der Demimonde Aether zu nehmen. So wurde z. B. bei dem kürzlich in Trier verhandelten Mordprozeß B r e u e r festgestellt, daß eine Kokotte bei ihrer Vernehmung sich noch in einem Aetherrausche befand und auch zugab, gewohnheitsmäßig Aether zu trinken414). 407) Ebendort S. 97 (Nr. 255), S. 98 (Nr. 258). 4°°) Ebendort S. 76 (Nr. 179). 409) G. L a m m e r t , Zur Geschichte des bürgerlichen Lebens und der öffentlichen Gesundheitspflege, sowie insbesondere der Sanitäts­ anstalten in Süddeutschland, Regensburg 1880, S. 74. 41°) M. I. M e i ß n e r , Zur Geschichte des Frauenhauses in Alten­ burg. In : Neues Archiv für sächsische Geschichte und Altertums­ kunde, herausg. von H u b e r t E r m i s c h , Bd. II, Dresden 1881, S. 75. *u) Vgl. z. B. die Urkunde aus Avignon vom 25. Oktober 1513 bei L e P i 1 e u r a. a. 0. S. 35 (Nr. 32). 412) M a r t i a l d*E s t o c , Paris-Eros, Paris 1903, S. 151—158. 41S) M a c h a l d 'E s t o c , Paris-Eros, Paris, 1903, S. 151—158. 414) Vgl. den Prozeßbericht im Berliner Lokal-Anzeiger vom 15. Oktober 1910.

167 Wie die künstlichen Rauschmittcl haben auch die künst­ lichen P a r f ü m e von jeher enge Beziehungen zur Prostitution, was mit der großen Bedeutung der Geruchsempfindung für die Sexualität zusammenhängt. Die sexuell erregenden Parfüme ver­ mögen jene „tiefe Lust“ hervorzurufen, in welcher nach H e i n r i c h S t e f f e n s „die Unergründlichkeit der zeugenden K raft und die ganze Gewalt des Geschlechts sich verliert.“ Auch sie erzeugen eine A rt von S i n n e n r a u s c h , auch sie fascinieren und entrücken in eine andere Welt, und zwar ganz u r p l ö t z ­ l i c h , viel rascher als ein Narkotikum dies zu tun vermag. So erklärt es sich, daß gerade die Prostituierten sich von altersher in raffinierter Weise der Parfüme zu Verführungszwecken be­ dient haben und zwar mit Vorliebe der s c h a r f e n und daher rasch wirkenden Duftstoffe wie Ambra, Moschus, Zibeth usw. Meistens handelt es sich dabei um eine Nachahmung und Ver­ stärkung der natürlichen Sexualausdünstung und der natürlichen sexuellen Duftstoffe115), bisweilen auch wohl um das Bestreben, eine unangenehme Ausdünstung zu verdecken. Jedenfalls steht es fest, daß auch den Parfümen ein wesentlicher Anteil bei der Erzeugung jenes sexuellen Rauschzustandes gebührt, den wir oben als so unzertrennlich von der Prostitution bezeichnet haben. Die wahre Heimat der Parfüme ist der O r i e n t , besonders in Indien, bei den alten Juden und in den mohammedanischen Ländern finden wir nach H a v e l o c k E l l i s eine „allgemeine Neigung zu wahren Riechekstasen“, während die europäische Menschheit stets viel weniger empfänglicher für die Wirkung sexueller Geruchsreize gewesen ist. So ist es denn höchst wahrscheinlich die o r i e n ­ t a l i s c h e P r o s t i t u t i o n , von welcher die Sitte des P arfü­ mierens sowohl nach dem Osten (China, Japan) als auch nach dem Westen verbreitet worden ist. Auf die für Wohlgerüche so empfänglichen Orientalen — man denke an Mohammed! — w irkt das Parfüm vielleicht ebenso berauschend116) wie ein echtes Bc«5) vgi mein „Sexualleben unserer Zeit“, S. 17—19, H a v e l o c k E l l i s , Die Gattenwahl beim Menschen, Würzburg, 1906, S. 54 ff. 116) Die eigentümliche Wirkung gewisser Parfüme besteht, wie J o h n D a v e n p o r t („Aphrodisiacs and Anti-aphrodisiacs“, London 1869, S. 107) ganz richtig bemerkt, darin, daß sie nicht bloß sexuell erregen, sondern auch eine augenblickliche Störung der logischen Geistestätigkeit verbunden mit einer starken Gefühlserschütterung herbeiführen. Beides wird als eine Art von Verzückung und Kausch,

168 rauscliungswittel. Es ist nach M o h a m m e d ein Ilauptmittel, um die Unio mystica, die Vereinigung der Seele mit dem gött­ lichen Wesen zu erreichen417), deshalb wurde cs wohl zuerst in Form der Räucherung bei den religiösen Zeremonien (Weihrauch) gebraucht und wurde — wahrscheinlich durch Vermittlung der religiösen Prostitution417«) — später für die weltlichen Zwecke verwendet, als man das Auftreten einer sexuellen Erregung und Ekstase dabei beobachtet hatte. In A e g y p t e n , wo die Kosmetik frühzeitig sich zu einer förm­ lichen Wissenschaft entwickelte418), war ein wichtiger Teil von ihr die Parfümierkunst, die sich auf alle Teile des Körpers, speziell auf die weiblichen Genitalien erstreckte, wofür im Papyrus Ebers (Ab­ schnitt 45) Rezepte gegeben werden. In der altägyptischen Erzählung „Die keusche Tbubui“ bringt man vor dem Koitus „Wohlgerüche wie zu einem königlichen Feste“419). Auf der „Stele der Opfer“ im Museum zu Leyden werden über hundert ägyptische Tarfümarten aufgezählt, welche hohe Zahl auf ihre vielseitige und raffinierte Verwendung schließen läßt. Von den Aegyptern übernahmen die J u d e n den Gebrauch der Wohlgerüche. Die Bibel enthält interessante Stellen über ihre Benutzung zu Zwecken der Verführung (Judith, Das Hohelied). In besonders raffinierter Weise wurden, nach dem Bericht des Esther­ buches (2, 12) die Beischläferinnen des Terserkönigs parfümiert: „Und wenn die Reihe herankam an jegliches Mädchen, zu kommen vor den König Achaschwerosch — nachdem ihr bewilligt worden, nach dem Brauch der Frauen, zwölf Monate, denn somit waren um die Tage ihrer Salbungen, sechs Monate mit Myrrhen-Oel, und sechs Monate als eine plötzliche Versetzung in eine andere Sphäre empfunden. Es tr itt ein Moment der Faszination ein, den viele Prostituierte geschickt auszunützen verstehen. Nach den Versuchen des Chemikers B c r t h e l o t (vgl. Voss. Ztg. Nr. 351 vom 30. Ju li 1901) ist gerade das Lieblingsparfüra der Prostituierten, der Moschus, tausendmal leichter wahrnehmbar als andere Duftstoffe. 417) Vgl. El Ktab des lois secrètes de l'amour, traduction de P a u l d e R é g l a , S. 176—177. 417a ) Daß in Babylon, dem Ausgangspunkt der religiösen Prostitution für die westliche Kulturwelt, b e i j e d e m C o i t u s W e i h r a u c h a n g e z ü n d e t w u r d e , bezeugt H e r o d o t (Buch I, Kap. 198). 418) v o n O e f e l e , Vorhippokratische Medizin Westasiens, Aegyp­ tens und de.- mediterranen Vorarier. I n : P u s c h m a n n s Handbuch der Geschichte der Medizin, herausgegeben von N e u b u r g e r u. P a g e i , Jena 1901, Bd. I, S. 86. 419) Blühende Gärten des Ostens, S. 14 (nach G. M a s p é r o , Les contes populaires de l’Egypte ancienne, Paris 1882).

169 m it Balsam und m it W ohlgerücbcu der Frauen — und so kam das Mädchen zum König.“ Zur Zeit des J e s a j a sollen nach der Mit­ teilung des Rabbi J i z c h a k (erstes oder zweites nachchristliches Jahrhundert) die P r o s t i t u i e r t e n das folgende Dirnenraffinem ent zuerst allgemein angewendet haben, das im Talmud sehr häufig er­ w ähnt w ird: „Sie nahmen Myrrhe und Balsam und legten sie in ihre Schuhe zwischen Ferse und Sandale; wenn sie eine Anzahl Jünglinge beisammen stehen sahen, traten sie darauf und spritzten auf sie, u n d d e r G e r u c h d e s P a r f ü m s d r a n g in s ie e in u n d e r ­ w e c k t e i h r e n b ö s e n T r i e b . “ P r c u s s 420), der diese Stelle m itteilt, m eint, daß dieser Modus, sehr wohl denkbar sei, da die Freudenmädchen gewöhnlich auf den Fußspitzen trippelten. In späteren Berichten ist von Parfüm schachteln (Eierschale usw.) die llede, die die Prostituierten m it sich führten. Die so subtil ausgebildete i n d i s c h e Liebeskunst räum t n a ­ türlich ebenfalls den Parfüms eine hervorragende Stelle ein421), unter den 64 Künsten der Hetären, die K s e m e n d r a in seinem „K aläviläsa“ aufzählt, ist die „Kunst, sich zu salben“ n ich t die geringste. Sie ist für die spezielle Neigung der Besucher zu W ohlgerüchen be­ rechnet, unter denen Kampher, Kardamomen, Sandei, Narden, Moschus und Jasm in die Hauptrolle spielen. In der hindostanischen E r­ zählung „Die unerbittliche K urtisane" läßt die Hetäre den Fürsten ante coitum Rosenöl riechen422), bei den modernen indischen P ro sti­ tuierten scheint Ambra besonders beliebt zu sein. In der Schilderung eines Bordells aus einem modernen hindostanischen Roman423) heißt es: „Als der Abend kam, h ä tte st du in unserem Lusthaus W ein von Kulari sehen können, ro t wie Rubine aus Badakchan, K ristallgläser glänzend wie die Sonne; Rosen und Hyazinthen aufeinander gehäuft, wohlriechende Kräuter, parfüm ierte Kissen und m it Blumen überstreute Lager überall; eine ganze Rosenernte war da; in Veilchen schleiften unsere Gewänder, und überall waren Sträuße seltener Blumen. Ambra rauchte in den Schalen, und hohe Leuchter stra h lte n ihr Licht. Die Klänge der la u te , das Murmeln des Springbrunnens, die Läufe der Theorbe m achten eine berauschende Musik. Es gab geschnittene Mandeln, entkörnte Pistazien und herrliche Zwischengerichte, Gold­ fasanen und fette Hühner. Und die Lust war wohlbereitet m it Aphrodisiaken und Reizmitteln aus Räucherwerk und Aloe. Auf einer Estrade tanzten Tänzerinnen aus Kaschmir zum Flötenspiel kabulischer Virtuosen.“ 42°) J. P r e u s s , Prostitution und sexuelle Perversitäten nach Bibel und Talmud a. a. 0. S. 11. 421) Das Kama Sutram, übers, von R i c h a r d S c h m i d t , Berlin 1907, S. 60—61; Beiträge zur indischen E rotik S. 833—838 (Auf­ zählung der einzelnen Parfüms). 422) Blühende Gärten des Ostens, S. 100. «») Ebendort S. 113.

170 Kein Wunder, daß ein derartiges Ensemble von Alkoholgeuub, Tanz und W ohlgerüchen dann einen tollen Kausch m it nachfolgender sexueller Orgie hervorruft. Wie erwähnt, ist der i s l a m i t i s c h e Orient noch heule ein Hauptverbreitungsgebiet der Parfüme, unter denen der M o s c h u s die erste Stelle einnimmt, um so mehr, als der Prophet selbst ihn wegen seines intensiven, durchdringenden Geruches empfahl4-’4). O m e r H a l e b y preist den Moschus als den am heftigsten, zum Coitus reizenden Parfüm, m it dem nach der Tradition der Prophet sich und seine Frauen parfüm iert liabe. Der beste Moschus ist der von Chorassan, dann kommt der von Indien und China. In Ver­ bindung m it Myrrhe und W eihrauch soll seine Wirkung als Aphrodisiacum noch stärker sein424*426). Neben dem Moschus spielt der Geruch der Hennablütc (Lawsonia inermis) eine bedeutende Kolle in der W elt des Islam. Es ist das dieselbe Pflanze, die im Orient zum Färben der Nägel benutzt wird. W ahrscheinlich war sie schon bei den alten Aegyptern für die ge­ nannten Zwecke im Gebrauch. S o n n i n i426) schrieb vor 100 Jahren über den eigentümlichen Geruch der H enna: „Diese Blüte verbreitet den lieblichsten Geruch, die W eiber tragen sie gern, schmücken ihre Zimmer damit, tragen sie im Bade, halten sie in der Hand, parfümieren ihren Busen damit. Sie können es nicht ruhig ertragen, daß Christinnen und Jüdinnen das gleiche Privileg m it ihnen teilen. Es ist sehr bemerkens­ wert, daß der Geruch der Henna, wenn er aus der Nähe eingesogen wird, fast vollständig in einen sehr deutlichen Spermageruch übergeht. Wenn die Blüten zwischen den Fingern zusammengedrückt werden, wird der Geruch noch stärker und ist in der Tat der allein wahrnehmbare. Es ist nich t überraschend, daß eine so kostbare Blüte den orientalischen Gedichten vielen Stoff für reizvolle Einzelheiten und Liebcsvergleicho geliefert h at.“ Moschus und Henna sind die spezifischen Parfüme der orien­ talischen Prostituierten, die sie noch heute fast ausschließlich benutzen. Der Moschus behauptet aber auch unter den in O s t a s i e n und E u r o p a von den Prostituierten gebrauchten Parfüms die erste Stelle. P i e s s e h at nach H a v e l o c k E l l i s (a. a. 0. S. 121) konstatiert, daß m oschushaltige Parfüms am meisten abgesetzt werden und fast in allen beliebten Modeparfüms enthalten sind. Es hängt das vielleicht dam it zusammen, daß er von allen Wohlgerüchen am meisten die p r i m i t i v e n Instinkte befriedigt, weil e r die scliärfste Potenzierung natürlicher Scxualgerüche darstellt. Deshalb wird er auch gerade von den Pro­ stituierten bevorzugt. 424) El Ktab usw. S. 215. — Parfüm händler werden schon um das Ja h r 190 der Hedschra erwähnt. ( S t e r n a. a. O. I, 68.) 426) Ebendort S. 216—217. 42C) S o n n i n i, Voyage dans la Haute e t Basse Egypte, 1799, Bd. I, S. 29S. Zit. nach H a v e l o c k E l l i s , Die Gatlenwahl, S. 127- 128.

171 Ira A l t e r t u m e waren die Parfüme und wohlriechenden Salben ebenfalls ein beliebtes Anlockungsmittel der Prostituierten, und die I’arfüiuvcrkäufcr und Verkauferiuucn standen in ähnlicher Beziehung zur Prostitution, wie die Schenkwirte, ihre Läden dienten vielfach zu­ gleien der Ausübung des L'nzuchtgewerbes. Deshalb waren die P ar­ fümeure und Parfümeusen ebenso verachtet wie die Bordellwirte. Die Namen „unguentarius“ und „ungüentaría“ waren gleichbedeutend piit Kuppler und Dirne. H ö r a z (Satir. II, 3, 228) stellt sie z. B. auf eine Stufe mit dem Bordellgesindel der Tuscischen Gasse. Unter dem Einflüsse der christlichen Askese ging im Mittelalter der Gebrauch der Parfüme stark zurück, um mit der Renaissance eine neue gewaltige Steigerung zu erfahren, die bis zum- 18. Jahrhundert anhielt427). Seitdem läßt sich wohl eine Abnahme feststellen, aber gerade die Prostituierten bedienen sich noch überall ganz allgemein der Parfüme, wobei sie, wie erwähnt, die moschushaltigen, wie z. B. Peau d’Espagne vorziehen, dessen scharfer, pikanter und erregender Duft die tolle Melodie eines Fandango in die Ohren ruft. L a u r e n t128) macht insofern einen Unterschied, als nach seiner Erfahrung die gemeinen Dirnen mit Vorliebe Moschus, die HalbwelHerinnen feinere Parfüme oder solche, die „kompliziert sind wie ihre Laster", benutzen, z. B. Corylopsis, Maiglöckchen oder Reseda duft. In Frankreich sind die „parfümeusos“, die Inhaberinnen von Parfümläden, häufig Prostituierte, die sich im oder außerhalb des Ladens preisgeben,429) ganz wie das im alten Rom der Fall war. Waa die h o m o s e x u e l l e Prostitution betrifft, so haben sich von altersher die e f f e m i n i e r t e n m ännlichen Prostituierten der Parfüme in sehr reichlichem Maße zu Zwecken der Anlockung bedient. Es ist bemerkenswert, daß man die echten Kinäden von den hetero­ sexuellen m ännlichen Prostituierten dadurch unterscheiden kann, daß jene sich fast stets wie ihre weiblichen Kolleginnen parfümieren, während diese das für gewöhnlich n icht zu tun pflegen.

Sehr bezeichnend für das Wesen der Prostitution als Ueberrcst eines freieren, ungebundenen Sexuallebens ist ihr seit langer Zeit bestehender Zusammenhang mit B ä d e r n und B a d e w e se n . Eine uralte Vorstellung der Menschheit bringt das Wasser in enge Beziehung zu dem Zeugungsakte, ja läßt ursprünglich alles aus --- -- --- -J 427) J a c o b B u r c k h a r d t , Die Cultur der Renaissance in Italien, 8. Aufl., Leipzig, 1901, Bd. II, S. 91. — ln Frankreich bedeutete vor allem die Zeit der Regentschaft eine wahre Parfümorgie. Die be­ rühm te K urtisane M a n o n P o i s s y soll dem nachmals so bedeutenden Parfümfabrikanten V i o l e t ein sehr beliebtes Rezept für Wohlgerüche mitgeteilt haben. Unter dem Direktorium wurden parfümierte Bäder Mode. Vgl. Encyclopédie amoureuse, Paris o. J. (ca. 1902), S. 223. 428) E. L a u r e n t , Die krankhalte Liebe, Leipzig, 1895, S. 133—134. 42fl) G. M a c é , Gibier de Saint-Lazare, Paris 1888, S. 251. — Ch. V i r m a i t r e , Paris-Impur. Paris 1900, S. 292.

172 dem Wasser liervorgchen, wie das ägyptische, indische, per­ sische, griechische Mythen bezeugen’“'). Die spezifisch erotisch­ sexuelle Natur des Wassers kommt aber vor allem dadurch zum Ausdrucke, daß die Göttin der Liebe selbst, die V e n u s oder A p h r o d i t e aus ihm entsprungen ist, weshalb sie die „ A n a d y o m e n e “ oder „ S c h a u m g e b o r e n e “ genannt wird (H c s i o d , Théogonie Vers 188ff.43r>a). Auch die zahlreichen Wasser und Flußgottheiten tragen vielfach einen sexuellen Charakter, wie z. B. die N y m p h e n oder N a j a d e n ( H e s io d , Theogon. 346 ff.), die Töchter des Okcanos, des Urtypus des Flüssigen, die N e r e i d e n ( H e s io d , Theog. 240ff.), der in ausschweifenden Kulten verehrte Flußgott A d o n is ( N o n n u s , Dionysiaca III, 109). Die Nymphen sind in der griechischen Mythologie ein unerschöpfliches Thema für erotische Kombinationen aller Art, ihre sexuellen Abenteuer mit Göttern und Sterblichen sind in großer Zahl überliefert*43031). Nach ihnen ist auch ein Teil des weiblichen Genitale benannt: die kleinen Schamlippen. Bei den Alten wurde sogar die Klitoris selbst als bezeichnet432). Die Nymphen riefen ferner bei den Menschen einen rauschartigen Zustand von Verzückung hervor ( P l a t o , Phaedrus p. 241 e; P a u s a n i a s IV, 27, 2). Hieraus ist später der Ausdruck „Nymphomanie“ für den unersättlichen Geschlechtstrieb des Weibes hervorgegangen, der ja meist pathologischer N atur ist. Endlich aber ist es bezeichnend, daß die P r o s t i t u i e r t e n später sehr häufig als „ N y m p h e n“ bezeichnet werden, nament­ lich in der französischen Literatur433). Auch bei den Indern wurde 43°) Vgl. die Belege bei J. B. F r i e d r e i c h , Die Symbolik und Mythologie der Natur, Würzburg 1859 S. 1—2. 430a) Zu dem Beinamen der Venus als „Schaumgeborene" bemerkt L u d w ig A u g u s t K r a u s (Kritisch-etymologisches medizinisches Lexikon 3. Aufl. Göttingen 1844 S. 105): „Ein auf gute Beobachtung gegründete? Mythus! wie vielfältig erinnert nicht das dadurch be­ zeichnete physisch und moralisch an Schaum u. dgl." *:i) Beispiele bei P r e l l e r , Artikel „Nymphac“ in A. P a u 1y ’s Real-Encyclopädic der klassischen Altertumswissenschaft, Stuttgart 1848 Bd. V S. 790. 432) S o r a n o s bei O r i b a s i u s (A usgabe von B u s s e m a k e r und D a r e m b e r g , Paris 1858 Bd. III S. 381). — Auch der alt­ deutsche Ausdruck „Muschel“ für das weibliche Genitale ist ety­ mologisch nach dieser Richtung nicht ohne Interesse. 4S3) Vgl. z. B. „Les nymphes du Palais-Royal usw. Paris 1813 ; „Les Nymphes de Plombières o. O. u. J. (ca. 1830). — Weitere Zitate

73 der heilige Gangesfluß als eine Wassernymphe mit Lotosblumen, dem Bild der zeugenden N aturkraft, dargestellt434). Die germani­ schen Wasser feen, die Nixen und Undinen, zeigen ebenfalls deut­ liche erotische Gelüste. H. E h r 1i c h435) vermutet wohl nicht mit Unrecht, daß die Gütterlehre manchem weltlichen erotischen Abenteuer als Schleier gedient hat, wie vielleicht auch im Mittelalter manche Rhein-Nixe oder Seenymphe bei nüchterner Prüfung in eine Aebtissin, Nonne oder Edelfräulein zu entzaubern gewesen wäre. Sämtliche mittelalterliche Darstellungen des Planeten Venus haben Bäder, meist Wannenbäder mit darin sitzenden und kosenden Männern und Frauen als Symbolen zügellosen Liebeslebens436). Mau kann die Frage, worauf die sexuelle Bedeutung des Bades und seine frühzeitigen Beziehungen zur Prostitution zurück­ zuführen sind, nicht eindeutig beantworten. Der Verfasser des „Eros“ meint, daß das „Neugeborenwerden“ des Menschen nach einem Bade sich auch oft auf die sexuelle Sphäre beziehe, und daß die Sinnlichkeit des Menschen diese aphrodisische Wirkung der Bäder schon früh so zu potenzieren wußte, daß man sie als mächtigste Mittel zur Anfeuerung der niederen Triebe in An­ wendung zog43’)- Auch H a v e l o c k E l l i s 433) ist der Ansicht, daß der Kultus des Bades so recht eigentlich ein K ultus des Fleisches war, und verweist bezüglich des Mechanismus der Tonisierung und sexuellen Stimulierung durch das Bad auf die Untersuchungen von W o o d s H u t c h i n s o n , führt auch als Beweis für den Zusammenhang zwischen häufigem Baden und sexueller Ausschweifung die Zustände bei den Naturvölkern der Südsee an, bei denen beides eng miteinander verknüpft ist. Nach meiner Ansicht hat vielleicht auch das Umspültwerden der männlichen Geschlechtsteile von dem Wasser bzw. sein Eindringen in die weiblichen Genitalien Vorstellungen mehr materieller, bei L o u is de L a n d e s ( A u g u s te S e h c l e r ) , Glossaire érotique de la langue française, Brüssel 18G1, S. 261 „Nymphe, fille publique“ ; vgl. auch A l f r e d D e lv a u , Dictionnaire de la langue verte, Paris 1867, S. 376. «34) F r i e d r e i c h a. a. O. S. 21. 'r a n k r e i c h dagegen liaben die Kreuzzüge einen großen Einfluß au f die Entwickelung der Bade­ prostitution gehabt. Es scheint, daß die Prostitution in die Bäder sehr früh durch fahrendes Gesindel Zugang fand, welches in den Badestuben für die niederen Dienste beschäftigt wurde. So h a tte bald alles „was sich m itt wasser erneret“ einen schlechten Ruf468*). M a r t i n sagt darüber: „W ir finden die Bader in Gemeinscliaft m it zumeist fahrendem Ge­ sindel. Einen hohen Grad von S ittlichkeit konnte man bei diesen Leuten nicht erwarten. Kein Wunder, wenn manche Bäder bis ins 15. Jahrhundert Frauenhäuser, wenn auch wohl selten öffentliche, darstellten, mancherorts bis in neuere Zeiten. Die eigene Badestube, welche nach F e l i x F a b e r s B ericht die gemeinen Frauen zu Ulm in der Nähe des Münsters hatten, dürfte wohl ein offenes Frauenhaus gewesen sein. Auch fanden sie U nterkunft in den Bädern.“ Bei dem Konzil in Konstanz nahmen viele Prostituierte Herberge in den Badestuben. Diesen Zusammenhang erläutert auch die E r­ klärung eines Sohnes gegenüber seinem V ater in der „W iletzkinder Vasnacht“. Ich wil wem ein frauenw irt Und ain padkneht, der le st (zur Ader) und schilt, So mag ich paidersait gewin haben. Das Gleiche besagt die 1486 erlassene V orschrift für die Bres­ lauer Bader, keinen Dirnen A ufenthalt zu gewähren. Letztere re ­ krutierten sich übrigens auch aus dem weiblichen Badepersonal selbst, während das männliche die Kuppler spielte. R î b e r î n“ (Badereiberin)468) war gleichbedeutend m it Hure. Schon im 13. Jahrhundert erwähnt N e i t h a r t ihr Treiben : 467) A l f r e d Tagen, Je n a 1906, germanischen, die 468) C itat aus bei M a r t i n a. a. 468) Auch der M a r t i n a. a. 0 .

M a r t i n , Deutsches Badewesen in vergangenen S. 4. (Die W asserbäder in Deutschland sollen Dampfbäder slavischen Ursprungs sein.) einem alten Codex der Züricher Stadtbibliothek O., S. 84. Ausdruck „Zwagerin“ wird dafür gebraucht. Vgl. S. 179.

183 Von dem vruestück süln wir gan san dan hinne zuo dem bade; lade wir die finen vröulin dar, z’war, die uns riben, unt vertriben unser wile. H e r r a n d v o n W i l d o n i e läßt bei dem Kaiser im Bad solher wîbelîn ein teil, diu man dä vindet ringe veil verweilen.470) M a r t i n te ilt zahlreiche Verbote aus dem 14. Jahrhundert gegen das gem einschaftliche Baden von Männern und Frauen m it, sowie gegen das Uebernaohten von Fremden in den Badestuben, ohne daß die W ahrheit der hundert Jäh er später verfaßten Verse Der bader und sin gesind Gern huoren und buoben sind dadurch stark erschüttert worden wäre. U l r i c h v o n H u t t e n sagt 1521 von den Domherren: „so lygen sye gemeynlich am rücken, vnd haben ire kurtzweyl im bad, vnd brassend stets, sitzen da vnder den schönen metzen, offt die gantz nacht“.471) Noch im 17. Ja h r­ hundert hielten die Bader Metzen und Baddirnen, welche nach den W orten de3 steirischen Arztes G u a r i n o n i u s die Badenden „reiben, zwagen und zur Ueppigkeit anreizen tuhn. So sei das Päperle-Bad zu N. in Böhmen durch ganz Oesterreich verschrien gewesen.472) Auch in F r a n k r e i c h lassen sich innige Beziehungen der Bade­ stuben, „ é t u v e s “, zur Prostitution nachweisen. In dieser Beziehung bie­ ten die neuerdings von L e P i l e u r veröffentlichten archivalischen Doku­ mente über die m ittelalterliche Prostitution in einigen französischen Städten (Avignon, Carpentras, Cavaillon, Besançon, Orange usw.) ein großes Interesse dar, insofern hier sehr oft die „étuvistes“, die Bader als Bordellhalter bzw. Kuppler erscheinen. So ist es bezeichnend, daß man im November 1391 in der S tadt Cavaillon die Aufsicht über die Bäder einem Individuum anvertraute, das als Stammgast der Animierkneipen und der Dirnen ein genauer Kenner der ProstitutionsVerhältnisse war und so die nächtlichen Visiten am besten erledigen konnte.473*47) In einem anderen Erlaß ans Avignon vom Jahre 1441 47°) A. M a r t i n a. a. O. S. 84—86. 471) Ebendort, S. 87—90. — Abbildungen derartiger gemeinsamer Bäder finden sich zahlreich in dem Werke von M a r t i n . Vgl. auch zwei bezeichnende Bilder ans dem Lübecker Kalender von 1519 bei G e r n e t , M itteilungen aus der älteren Medizinalgeschichte Hamburgs. Hamburg 1869. S. 64 u. 66. )p) A t h e n . VI, 240d; IX, 409e; XI, 460e. 749) A th e n . X, 431c. 741a) A t h e n . III, 100 e. ’« ) A t h e n . X III, 587f; 563a. 742) A t h e n . X III, 567 c. 743) P a u l y IV, 1784. 744) Artikel „ P h i l e m o n “ bei P a u ly V, 1467. 788a )

486 dichter, vor allem eines f l a u t u s und T e r e n z erhalten, so die plautinischen Stücke „ R ü d e n s “ (nach ( D i p h i l u s ) , „ A s i n a r i a “ (nach dem „ O n a g o s “ des D i p h i l u s ) , die „ B a c c h i d e s “ (nach P h i l e m o n ) , die „ M o s t e l l a r i a (wahrscheinlich nach P h i l e ­ rn o n ), der „ P o e n u l u s “ (nach M e n a n d e r ) , der „ T r u c u l e n t u s “ (nach einer attischen Komödie), und von T e r e n z die „ A n ­ d r i a “ (nach der „ A n d r i a “ und „ P e r i n t h i a “ des M e n a n d e r ) , der „ E u n u c h u s “ (nach M e n a n d e r s „ E u n u c h u s “ und „ K o ­ l a x “), die „ A d e l p h i “ (nach dem gleichnamigen Stücke des M e ­ n a n d e r und den „S y n a p o t h n c s k o n t e s“ des D i p h i 1u s), die „ H e c y r a “ (nach M e n a n d e r ) . Diese den Griechen nachgebildeten Komödien hießen „ f a b u l a e p a l l i a t a e “, weil sie fremden, griechischen In h alt hatten, während die „ f a b u l a e t o g a t a e “ spezifisch römische Verhältnisse behan­ delten. Der Zeitgenosse des P 1 a u t u s , der berühmte C n. N a e v i u s , schrieb beiderlei A rten von Komödien, von denen naturgemäß haupt­ sächlich die erstere für uns in B etracht kom m t: wie der „K o l a x “ (nach M e n a n d e r), die „ C o r o l l a r i a “ (nach den „ B l u m e n m ä d c h e n “, Stephanopolides, des E u b u 1 o s), „T a r e n t i 11 a“ (nach den „ T a r a n t i n o i “ des A l e x i s ) . Hetärenkomödien nach M ustern der m ittleren und neuen Komödie verfaßten ferner S t a t i u s C a e c i l i u s 745), T r a b e a 746), A t i l i u s 747), A q u i 1 i u s748), L i c i n i u s I m b r e x 748), L u s c i u s L a v i n i u s 750), S c x t u s T u r p i l i u s7S1). Aber auch die „fabula togata“ war n ich t frei von Sujets, die sich auf die Prostitution bezogen. Das zeigen T itel wie die ,,P s a 11 r i a s i v e E e r e n t i n a t i s“ des T i t i n i u s 758), die „ O o n c i l i a t r i x “ des Q u i n c t i u s A t t a 7M), die „T h a i s“ des A f r a n i u s754), des „römischer. M e n a n d e r “. Auch die m ä n n l i c h e P r o s t i t u t i o n wurde, wenn wir von den einzelnen Anspielungen und Invectiven in den verschiedenen Stücken (z. B. des A r i s t o p h a n e s ) absehen, als Sujet für die Komödio benutzt, so in den „A n d r o g y n o i“ des E u p o 1 i s7M), im 745) Vgl. die T itel der größtenteils nach M e n a n d e r verfaßten Stücke bei W. S. T e u f f e i , Geschichte der römischen Literatur, 3. Aufl., Leipzig 1875, S. 175 u. Comic. Lat. fragra. S. 29—G9. 74«) Comicor. Latinor. Fragm. cd. R i b b e c k, S. 26. 7 4 7 ) Ebendort S. 27. 74?) Ebendort s. 27—28. 7 4 9 ) Ebendort s. 29. 7 5 0 ) Ebendort s. 71—72. 7 5 1 ) Ebendort s. 73—9G. 7 5 2 ) E bendort s. 125—126. 7 5 3 ) Ebendort s. 137. 7 5 4 ) Ebendort s. 176. W ) B o d e, a. a . 0. 11,

487 „ 0 r e s t a u t o k l e i d e s“ des T i m o k l e s M6)i im „ P a i d e r a s t e s‘‘ des A u t i p h a n . e s ’8’), iu den „ P a i d e r a s t a i “ des D ip h i l o s ’58). In den m it der Komödie nahe verwandten A rten der mim isch­ dram atischen Darstellungen, den M i m e n und A t e l l a n e n , die durch ihren Realismus und ihre Obscönitäten verrufen waren, nahm gleichfalls die Vorführung des Dirnen- und Kupplerwesens einen breiten Raum ein. Kupplerinnen, Hetären, Flötenspielerinnen, m änn­ liche Prostituierte waren beliebte mimische Typen, die von den von Land zu Land ziehenden berufsmäßigen Mimen au f der Messe und bei ländlichen Festen dargestellt wurden, und in den W erken der mimischen D ichter und Schriftsteller eine 'weitere Ausführung fanden’89). So schrieb schon der älteste Mimograph, S o p h r o n aus Syrakus, einen obscönen Mimus „ P a i d i k a “ (Der Liebling)’60). Durch die W iederauffindung der Mimiamben des H e r o n d a s haben wir ein deutliches Bild von der A rt dieser Mimoi gewonnen, in denen m eist eine Person besonders hervortritt, neben der die anderen Rollen zurücktreten. Verhältnisse der antiken Prostitution werden im ersten und zweiten Mimiambus des H e r o n d a s behandelt, der „ G e le g e n h e its m a c h e rin o d e r K u p p l e r i n“, und dem „ P o r n o b o s k o s “ (Frauenw irt), ln dem ersten wird die Ver­ suchung einer anständigen Bürgersfrau Metriche durch die Gelegen­ heitsm acherin Gyllis geschildert. Mit „derben W orten“ wird schließ­ lich die Kupplerin heimgeschickt. Der zweite Mimus is t offenbar das Gegenstück zum ersten. C r u s i u s g ibt folgende treffende Analyse des Stückes: „Auf der Insel Kos ist Mißernte und Hungersnot gewesen. Ein unternehm ender Rheder, Thaies, h a t just zur rechten Zeit Getreide eingeführt und sich dam it den Dank d er Bürger und ein tüchtiges Stück Geld verdient. Der Freude über diesen Erfolg m acht er in seiner Weise L u ft; nach einem wüsten Gelage zieht er bei Fackel­ schein mit seinen Kumpanen vor das Haus eines Bordellwirtes, sprengt die Tür und sucht eine von den Dirnen gewaltsam zu entführSn. Dos sind die Voraussetzungen, unter denen das kleine Mono­ dram a beginnt. Vor dem Geschworenengericht zu Kos steh t der Zunftgenosse der Gyllis, B attaros; er erhebt Klage wider Thaies auf Hausfriedensbruch und Mißhandlung. Der lospolternde, niedrig­ pfiffige, m it seinem schmutzigen, aber unentbehrlichen Gewerbe geradezu renommierende Banause m acht in der großen Paradeuniform der Gerichtsrede, an der auch n ich t ein Stück fehlt, einen ebenso wunderlichen wie ergötzlichen Eindruck. Gerade die Art, wie sich ’5«) A t h e n . X III, 567 e. ’&’) A t h e n . V III, 303f. ’58) A t h e n . X, 423e, f. 759) Vgl. O t t o C r u s i u s , Die Mimiamben des H e r o n d a s , Göttingen 1893, S. XXX. ™>) B o d e , a. a, O. II, 94. A t h e n . VII, 324 f.

488 innerhalb der gegebenen festen Grenzen seine bei aller Gemeinheit amüsante und lebensvolle Persönlichkeit in jedem Satze geltend macht, zeugt von sicherer M eisterschaft der Charakterschilderung . . . Es ist das große Prinzip der Gerechtigkeit, der Gleichheit vor dem Gesetz, m it dem B attaros anhebt, und auf das er m it einer Hartnäckigkeit, die kaum von dem Klage führenden Shylock überboten wird, immer wieder zurückkommt.. Er weiß seine elende kleine Sache zu „ver­ größern“ wie der raffinierteste attisch e Advokat . . . Ein Glanz­ punkt ist die Stelle, wo B attaros seine Myrtale auftreten lä ß t; sic spielt die Schüchterne, aber er spricht ihr zu im Tone väterlicher Erm ahnung; man meint die Szene vor sich zu sehen. Unm ittelbar darauf gelingt dem Dichter ein zweiter Meisterzug. Battaros h a t sich Thaies gegenüber in ein wildes Pathos hineingeredet: aber plötzlich schlagen seine Drohungen um in das Anerbieten, das Geschäft doch m it ein paar Groschen friedlich abzumachen. Alles in allem ist B attaros wohl die originellste Gestalt, die I I e r o n d a s gelungen is t161).“ Die mimischen Dichtungen des T h e o k r i t behandeln u.. a. auch die Männerliebe (Idyll V; X II; XXIX), aber nicht die eigentliche Prostitution. Diese war aber von altersher m it dem r ö m i s c h e n Mimus (elng verknüpft. V a l e r i u s M a x i m u s (II, 10, 8) bezeichnet das A uftreten nackter Dirnen bei der mimischen Darstellung am Elorafeste als eine alte scherzhafte Sitte. Der spätere römische Mimus nahm auch die ausgelassene Volksposse, die A t e l l a n e n , in sich auf, die durch ihre Schamlosigkeit verrufen waren. Am Ende der Bepublik galten L a b e r i u s und P u b l i l i u s S y r u s als die l>edeutendsten M imendichter162). Auch hier finden wir bei der Palliata und Atellane die Prostitution als Sujet verwendet, so in dem „ C o l a x “, der „ H e t a e r a “, „ E p h e b u s “, „ T u s c a “ des L a b e r i u s 163). b) D i e M o n o g r a p h i e n ü b e r H e t ä r e n ( K a t a l o g e , A n e k d o te n s a m m lu n g e n , L o b s c h r if te n , G e s p rä c h e , B r i e f e , R e d e n ) . — N icht nur in den dram atischen Dar­ stellungen der Komödie und des Mimus bekundete «eich das große Interesse des Altertums für alles, was m it der Prostitution, m it dem Kuppler- und Hetärenwesen zusammenhing, sondern dieses Interesse erzeugte eine eigentümliche L iteraturgattung, die M o n o g r a p h i e n ü b e r d i e H e t ä r e n , a l s d e r e n e r s t e G a ttu n g d ie K a ta lo g e b e r ü h m te r F r e u d e n m ä d c h e n zu nennen sind. Diese sind die Vorbilder der modernen englischen, französischen und italienischen „M ädchenlisten“, Hetärenadreß­ bücher und Bordellverzeichnisse, kurz Schriften, die mehr der Reklame angehörtec. als der Literatur. 161) O. C r u s i u s , a. a. 0. S. V III—X. 162) T e u f f e i , a. a. 0. S. 9. 16S) Comicorum Latinor. Eragin. ed. R i b b e c k 242, 250.

p.

240, 244, • ' '!!■!;;

489 Dies3 Schriften über Hetären sind ein spezifisches Produkt der Diadochenzeit und wurden nach H e 1 b i g764765) hauptsächlich von den späteren Peripatetikern verfaßt. Von diesen Hetärenkatalogen sind folgende bekannt: 1. A p o l l o d o r o s , U e b e r d i e a t h e n i s c h e n F r e u d e n ­ m ä d c h e n , —spl t& v ’A 9 fp r( (nv e t a t p i 3 i), „das m it Weinen gemischte Lachen“, die andere hieß „das Sardellchen“ (t3 5«rfp3iov). 2. A m m o n io s , U e b e r d i e a t h e n i s c h e n H e tä r e n '® 6). — Näheres über diese Schrift ist nicht bekannt. Ihr Verfasser war vielleicht der peripatetische Philosoph (1. Jahrh. n. Ohr.). 3. A n t i p h a n e s , U e b e r d i e a t h e n i s c h e n F r e u d e n ­ m ä d c h e n 767) — Der Verfasser dieser Schrift ist nicht identisch' mit dem Komödiendichter gleichen Namens, sondern gehört einer späteren Zeit an. In seiner Schrift erwähnt er u. a. die Hetären N i k o s t r a t i s (oben S. 301), H o i a oder A n t i c y r a , (die diesen Beinamen nach seiner Mitteilung deshalb bekam, weil ihr Liebhaber der Arzt N i k o s t r a t o s ihr weiter nichts hinterließ als eine große Menge des hauptsächlich aus der phocensischen Stadt Anticyra kommen­ den Hclleborus (Nießwurz), eines bei den Alten sehr beliebten Purgier­ mittels) und die N a n n i o n (s. oben S. 300). 4. A r i s t o p h a n e s a u s B y z a n z , U e b e r d ie a t h e ­ n is c h e n F r e u d e n m ä d c h e n 766). Dieser berühmte alexandrinische Grammatiker war ein Zeitgenosse des K a l l i m a c h o ß , M a c h o n und E r a t o s t h e n e s . Er bekleidete als Vorgänger des A r i s t a r c h unter P t o l e m a e u s E p i p h a n e s das angesehene 764) Vgl. W. H e l b ig , Untersuchungen über die cam panische Wandmalerei, Leipzig 1873, S. 198. 765) A t h e n . XIII, 537 a, 583 d, 586 a—b, 591c; H a r p o k r a t i o n s. v. Naivviov und «PayoiTpari). 766) A t h e n . XIII, 567 a. 7fi7) A t h e n . XIII, 567a, 586b, f, H a r p o k r a t . s. v. ’Avrfx'.pp« und Novyiov. 766) A th e n . XIII, 567a, 583d ; A e l i a n . Var. histor. XII, 5.

490 Amt eines Bibliothekers in Alexandria um 202 v. Chr. und starb 185 v. Chr. Nach C h r i s t 769) hingen sein scheinbar historisches Buch über die Hetären, sowie seine Schriften über die Masken und sprichwörtlichen Ausdrücke mit seinen Studien über die attische Komödie zusammen. Vielleicht aber stammt sein Interesse für die Freudenmädchen auch daher, daß er ein alexandrinisches Blumen­ mädchen liebte770), und daß er von seinem Lehrer M a c h o n , der eine ähnliche Schrift verfaßte, die Anregung dazu empfing. Seine im Altertum sehr berühmte Schrift enthielt die Bio­ graphien von 135 attischen Hetären, u. a. auch die der L a i s , und scheint das Vorbild der späteren Hetärenmonographien gewesen zu sein. Wenigstens nennt A t h e n a e u s (583d) den A r i s t o ­ p h a n e s Unter den Schriftstellern dieser Art an erster Stelle und be­ richtet, daß A p o l l o d o r o s und G o r g i a s die noch bei A r i s t o ­ p h a n e s fehlenden Hetärenbiographien in ihren Schriften hinzu­ gefügt hätten. 5. G o r g i a s , ü b e r d i e H e t ä r e n o d e r d i e a t h e n i s c h e n F r e u d e n m ä d c h e n 771). — Ein athenischer Schriftsteller, viel­ leicht identisch m it dem jüngeren athenischen Lehrer der Bered­ samkeit, der den Sohn des C i c e r o unterrichtete (C ic . ad. Div. IG, 21; P 1 u t. Cic. 24) und dann also dem ersten vorchristlichen Ja h r­ hundert angehörig. Er ergänzte die Hetärenkataloge des A r i s t o ­ p h a n e s u n d A p o l l o d o r o s und fügte u. a. die Biographien der Hetären m it den Beinamen P a r o i n o s , L a m p y r i s und E u p h r o s y n e hinzu, ebenso die der L e r n e , m it dem nom de guerre „ P a r o r a r n a “, über deren geringe Honorare er eine Mitteilung macht (s. oben S. 302). 6. K a l l i s t r a t o s , U e b e r d i e H e t ä r e n 772). — Er lebte um die Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts, war ein Schüler des A r i s t o p h a n e s von Byzanz, von dem er wohl auch tins Interesse für diesen Gegenstand hatte. Außerdem mag ihn auch seine Neigung für mondänes Leben*77’) darauf geführt haben. U. a. schrieb er in seiner Hetärenschrift auch über die P h r y n e und er­ zählte darin die Anekdote über die thebanischen Mauern (s. oben S. 304). Den Inhalt und die Anlage dieser Handbücher über die Hetären können wir nach den verschiedenen Mitteilungen des A t h e n a e u s so ziemlich rekonstruieren. Sie waren alle nach demselben Schema 769) W. C h r i s t , Griechische Literaturgeschichte, S. 451. 77°) Hierbei soll er als Konkurrenten einen — Elephanten gehabt haben, der eine eigentümliche Leidenschaft für die Hetäre bekundete ( P 1 i n. Nat. hist. VIIT, 5, 13; P i n t , de sollertia anim. 18 p. 972 d; A e 1 i a n. hist. anim. I, 38). »») A t h e n . X III. 567 a ; 583 d; 59G f. ” ’) A t h e n . X III, 691 d. ’” ) Er warf dem berühmten A r i s t a r c h u s vor, daß er sich zu wenig clgant kleide ( A th e n . I, 21c).

491 abgefaßt, das wohl A r i s t o p h a n e s von Byzanz, der Schöpfer die­ ser Gattung von Schriften, zuerst aufgestellt hat. Ein solches Hetären­ handbuch gab ein Verzeichnis der berühmtesten Hetären der Vor­ zeit und vielleicht auch der Gegenwart nebst ihren Biographien, Lebens­ gewohnheiten, Wohnungsangaben, Honorarverhältnissen, körperlichen und sexuellen Eigentümlichkeiten und anderen Mitteilungen von anekdotischem Charakter. Es waren p r a k t i s c h e H a n d b ü c h e r für den Verkehr m it den Hetären, wie es sehr deutlich aus einer Stelle bei A t h e n a c u s (X III, 567a) hervorgeht, wo es heißt: „Du aber, Sophist, treibst dich nicht m it Freunden, sondern m it Freun­ dinnen (Hetären) in den Kneipen herum, hast nicht wenige verkuppelte Mädchen bei dir u n d t r ä g s t i m m e r d i e B ü c h e r d e s A r i s t o ­ p h a n e s , A p o l l o d o r o s , A m m o n io s , A n t i p h a n e s und a u c h n o c h d e s A th e n e r s G o rg ia s m it d i r h e ru m , d ie a lle v o n d e n a t h e n i s c h e n F r e u d e n m ä d c h e n h a n d e ln .“ Hieraus ersehen wir, daß solche Bücher gerade in den Kreisen dor Lebewelt sehr verbreitet waren und genau dieselben Dienste leisten mußten wie heutzutage die Schriften ähnlichen Genres, wie z. B. „The pretty women of Paris“ (Paris 1883), ein Verzeichnis der Pariser höheren und niederen Hetären in alphabetischer Reihenfolge und mit genau den gleichen Mitteilungen über die Eigentümlichkeiten der Persönlichkeit und der Lebensschicksale jeder einzelnen, wie wir sie schon in den antiken Hetärenkatalogen finden. Es ist wahrscheinlich, daß die Komödiendichtcr, die ja in ihren Stücken auch vielfach katalog­ artige Verzeichnisse von wirklich existierenden Freudenmädchen bringen (wie T i m o k l e s im „Orestautokleides“, M en a n d e r im „Kolax“, P h i l e t ä r o s in der „Kynegis“, A n a x a n d r i d e s in der „Gerontomania“, T h e o p h i l o s im „Philaulos“, A n a x i 1a s in der „Neottis“, A n t i p h a n e s in der „Halieumene“), und so reiches anekdotisches Material aus dem Leben der berühmten Hetären dar­ bieten, auch dem Verfasser der zeitlich wohl etwas späteren Handbücher als Quelle gedient haben. Dafür spricht auch die Tatsache, daß die antiken wissenschaftlichen Untersuchungen über die Komödie, wie z. B. diejenige des Alexandriners H e r o d i k o s ( K«o|nj)8&6,uiv« be­ titelt), Abschnitte über die in den Komödien vorkommenden historischen Hetären, z. B. die beiden P h r y n e n und die S i n o p e, enthielten (A t h e n. X III, 691 c, 586 a). Nahe verwandt m it den Handbüchern über die Hetären sind die sie betreffenden A n e k d o t e n s a m m l u n g e n , nach dem be­ kanntesten Werke dieser Art, den ypefet des M a c h o n , auch „ C h r i e n “ genannt (d. h. Sentenzen, Aussprüche). Sie enthielten ein reiches, vorzugsweise anekdotisches Material über die Dirnen und Hetären und scheinen sich großer Beliebtheit erfreut zu haben. Auch hier gab es verschiedene Sammlungen, zum Teil in poetischer Form, aus der Feder angesehener Schriftsteller und Gelehrter, wie denn überhaupt diese anekdotische Schriftstellerei den Ruf eines solchen Gelehrter, in keiner Weise beeinträchtigte. Erwähnt werden folgende Schriften:

492 1. M a c h o n , A n e k d o t e n , - /p s ta i” 4). — M a c h o n aus Sikyon lebte und starb zu Alexandria, wo er die von ihm gedichteten Komödien aufführen ließ und der Lehrer des Grammatikers A r i s t o p h a n e s v o n B y z a n z war. Er schrieb ein anekdotisches Werk „ G h r i e n “ in jambischen Trimetern. „Clirien“ bedeutet wörtlich eigentlich „Brauchbare Dinge“, worunter meist Anekdoten aus der chronique scandaleuse der Diadochenhöfe zu verstehen sind” 5), zum größten Teil solche über die berühmten Freudenmädchen. Aus den erhaltenen Exccrpten bei A t h e n a e u s ersehen wir, daß darunter Anekdoten über die L e ä n a , iL a m ia , M a n ia , G n a t h a e n a , G n a t h a e n i o n , G l y k e r i o n , N ik o , K a l l i s t i o n , H i p p e und P h r y n e sich befanden. 2. A r i s t o d e m o s , S c h e r z h a f t e D e n k w ü r d i g k e i t e n , y e Xo i a dzop.vrjjji.ovi6 |i a t a” 6). — Ein Anekdotenschriftsteller der l’tolemäerzeit, der besonders in dem z w e i t e n Teile des erwähnten Werkes die witzigen und schlagfertigen Einfälle der Parasiten und Freudenmädchen gesammelt hatte. Erhalten ist daraus u. a. ein Witzwort der G n a t h a e n a . 3. K l e a r c h o s aus S o l i , E r o t i s c h e S c h rifte n , ( Ep Io n xd )’” ). — Der berühmte peripatetische Philosoph, Schüler des A r i s t o t e l e s , u. a. auch Verfasser von Biographien und Sprich­ wörtersammlungen, schrieb ein großes Werk „Erotika“ in mindestens zwei Büchern, in denen er erotische Kennzeichen über alle möglichen historischen Persönlichkeiten gesammelt und m it eigenen Zusätzen und Bemerkungen über die Natur der Liebe versehen hatte. U. a. fanden sich dariu Nachrichten über das lletärendenkmal in Sardes, über die Hetären A s p a s i a , L y d e , G l y c e r a . Vielleicht enthielt auch die von A t h e n a e u s (XIV, G49 c) er­ wähnte Schrift des jüngeren H e r a c l i d e s P o n t i c u s : „ G e ­ s c h w ä tz , l e i c h t f e r t i g e u n d p o s s e n h a fte D in g e “ ( Xi 3 •/ a t , - u p p t y x I, iese Anschauung wird z. B. ganz allgemein in dem berühmten Gesetzbuche K ö n i g A l f o n s d e s W e i s e n von Kastilien, den „Siete Partidas“ vom Jahre 1260 ausgesprochen (Pars. VI, titul. VII, lex 5), wo nur den an der Prostituierung der Tochter mitschuldigen Eltern dieses Enterbungsrecht entzogen wird298). Jedoch zeigt das kulturgeschicht­ lich äußerst interessante Testament der C l a u d i a F a b r i , einer Dirne im Bordell zu Beaucaire, aus dem Jahre 1492, daß wenigstens die Testierfähigkeit der Prostituierten nicht überall gesetzlich be­ stritten wurde. In- diesem von einem Notar in Gegenwart von acht Zeugen vollkommen rechtsgültig aufgenommenen Testament, ordnet die genannte C l a u d i a F a b r i , „filia publica et postabularia“, ein christliches Begräbnis an, setzt hierfür und für die alljährliche Seelen­ messe bestimmte Summen aus, und vermacht weitere Legate den Armen, einer befreundeten Insassin desselben Bordells („amore Dei et pro serviciis sibi impensis“), ihrem Bruder, ihrem in einer anderen Stadt wohnenden Gatten und last not least ihrem Liebhaber („suum fidelem amicum“). Dieses Testament ist im B o r d e l l s e l b s t (actum in domo postabulari Bellicadri) aufgenommen worden, woraus hervorgeht, daß die Infamierung des Ortes keinerlei Einfluß auf diesen Rechts­ akt hatte299).

Weniger deutlich, als beim Christentum erscheint der Ein­ fluß des religiösen Milieus auf die Prostitution und die Gestaltung der Sexualethik beim I s l a m , diesem zweiten mächtigen K ultur­ faktor der mittelalterlichen und modernen W elt. Doch wollen wir kurz die wichtigsten und wesentlichsten. Momente hervor­ heben. " ’) So lautet eine Verordnung von Avignon schon aus dem Jahre 1243. „Item statuimus quod Judei vel meretrices non audeant tangere manu panem vel fructus qui exponunter venales: quod si fecerint, tune emere illud quod tetigerint teneantur.“ Mitgeteilt bei L. Le P i l e u r , La prostitution du XHIe au XVIIe siècle. Documents tirés des Archives d’Avignon etc. Paris 1908, S. 2. — Mit Recht weist Le P i l e u r darauf hin, daß es sich hierbei nicht etwa um die Vorstellung einer Kontagiosität handle, sondern nur um ein Gefühl der Verachtung und des Abscheus. »98) Vgl. J. M. G u a r d i a , De la prostitution en Espagne bei P a r e n t - D u c h a t e l e t a. a. O., 3e édition, Paris 1857, Bd. II, S. 771. 2" ) Vgl. den wörtlichen Abdruck dieses merkwürdigen Dokuments bei L e P i l e u r a. a. O., S. 139—141. ... •

677 Es ist sehr interessant, daß wir beim Islam dieselbe Beob­ achtung machen wie beim Christentum, daß es nämlich die Auf­ nahme gewisser Anschauungen und Sitten des a n t i k e n Lebens ist, welche die Umgestaltung u r s p r ü n g l i c h edlerer sexual­ ethischer Anschauungen im Sinne einer M i ß a c h t u n g d e r F r a u , an der asketische Einflüsse nicht unbeteiligt waren, wenn auch niemals in so hohem Grade wie beim Christentum, und da­ mit im Sinne einer F ö r d e r u n g d e r P r o s t i t u t i o n zur Folge hatte. Es ist dies um so bemerkenswerter, als ja die Ge­ sta lt des Propheten M o h a m m e d , einer die Sexualität voll und ganz b e j a h e n d e n und von einer glühenden Sinnlichkeit erfüllten. Persönlichkeit, doch himmelweit verschieden ist von derjenigen des zwar a s e x u e l l e n , aber die Sexualität durch­ aus nicht verneinenden jüdischen Gründers des Christentums, dessen unbefangene und natürliche Wertung des Geschlechtlichen wir oben (S. 604—614) kennen gelernt haben. Im Islam wie im Christentum sind es eben weniger die Persönlichkeiten der Stifter als die gleichzeitigen und späteren K u l t u r e i n f l ü s s e , die die spezifische Sexualethik beider Religionen gestaltet haben, wenn auch der Einfluß M o h a m m e d s für gewisse Institutionen, wie z. B. die Haremswirtschaft vorbildlich gewesen ist, und wenn auch seine im K o r a n niedergelegte Sittenlehre und religiöse W elt­ anschauung in ähnlicher Weise tzur Rechtfertigung gewisser sexualethischer Anschauungen des Islam gedient hat, wie dies m it dem Neuen Testament geschehen ist. Die Bedeutung des Islam bezüglich der Ausbildung einer bestimmten Sexualethik und ihres "Einflusses auf die Prostitution beruht eben darauf, d a ß e r d e n A r a b e r n j e n e c h r i s t l i c h ­ a n tik e n E le m e n te d es L e b e n s un d d e r L e b e n s a u f ­ f a s s u n g z u f ü h r t e 800), die ihnen vorher nicht bekannt ge­ wesen waren und die als Ganzes betrachtet eine F ö r d e r u n g der Unfreiheit der Frau, der M i s o g y n i e und der P r o s t i t u ­ t i o n bedeuteten. Alle Kenner und Erforscher der arabischen Kulturgeschichte und des Islam stimmen darin überein, daß die Stellung der Frau v o r Mohammed eine 9ehr hohe und freie war und die Prostitution daher keineswegs den Umfang hatte und haben konnte, den sie später annahm. Ich verweise in dieser wo) Daß der Koran wesentlich Reflex des Christentums ist, zeigt M a r t i n H a r t m a n n , Der islamische Orient, Leipzig 1909, Rd. II, S. 63—64. • •I :

678 Beziehung auf die. Ausführungen von J u l i u s B r a u n 301), 'A lf r e d von K r e i n e r 802), J o s e p h H e ll 303), F e r d i n a n d v o n K e i t z e n s t e i n 301) u. a. über die relative Unabhängigkeit und Freiheit der Frau, die die geringe Entwickelung einer eigent­ lichen Prostitution erklärt80S). • . Wie schon erwähnt, wird bereits im K o ra n die entgegen­ gesetzte Entwickelung ängebahnt, die dann im Laufe der Zeit zü einer völligen G e s c h l e c h t s s k l a v e r e i des Weibes führte, die ganz ähnliche Zustände zeitigte, wie wir sie bei den Griechen sahen und der die Ausbildung und Förderung einer umfangreichen Prostitution parallel ging. . : Die S e x u a l e t h i k des Koran spiegelt ganz Anschauung und N aturell des Propheten wieder. M u li a m m e d war eine durchaus sinnliche Natur, der Prototyp eines Polygamisten, dessen Leidenschaft, seinen Harem zu vermehren, m it zunehmendem A lter immer großer wurdö, und dessen sexuelles Yariationsbedürfnis geradezu erstaunlich war, wofür er sich am Anfang der 66. Sure in naiver Weise selbst Indem nität erteilt: „O Prophet! Warum willst du dir das verbieten, was G ott dir erlaubt hat, dich deinen Weibern gefällig zu bezeigen300)?“*30 M1) J u l i u s B r a u n , Gemälde der mohammedanischen Weit, Leipzig 1870, S. 61. ä®2) A l f r e d v o n K r e m e r , Kulturgeschichte des Orient* unter den Chalifen. Wien 1877, Bd. II, S. 95—103. so») J o s e p h H e l l , Die K ultur der Araber, Leipzig 190!*. S. 68. 30‘) F e r d i n a n d v o n R e i t z e n s t e i n , Liebe und Ehe ¡in alten Orient, S tu ttg art 1909, S. 46. so») Diese vorislamische Prostitution scheint bei den Arabern wesentlich T e m p e l p r o s t i t u t i o n gewesen zu sein. In einer alten Inschrift wird die Weihung von 15 weiblichen Personen zu sol­ chem Zwecke erw ähnt; auch der Zusammenschluß der Dirnen zu G i l d e n und Z ü n f t e n scheint schon damals bestanden zu haben. Vgl. M a r t i n H a r t m a n n , Der islamische Orient, 11, 206—207, 144, 145. Auch der arabische Schriftsteller M a s u d i erwähnt die Existenz von Prostituierten (Baghäyä) in der älteren Zeit vor M u h a m m e d und ihren Wohnsitz in bestimmten Straßen, Vgl. TI« Book of the Thousand and a Night, translated by R i c h a r d F. B u r ­ t o n , Benaies 1885, Vol. V III, p. 115. Diese ganze Sure verdankt einer der ja auch für die späteren Harems so charakteristischen Eifersuchtsszenen ihre Entstehung. M u h a m m e d h atte nämlich an einem Tage bei der koptischen Sklavin M a r i a geschlafen, an welchem er bei einer seiner Ehegattinnen, der H a f s a , hätte schlafen müssen. Näheres bei S. F. G. W a h l , Der Koran oder Das Gesetz der Moslemen durch Muhammed den Sohn Abdallahs, Halle 1828, S. 604—610; vgl. auch die Koranausgabe von M a x H e n n i n g , Leipzig (Reclam), S. 554.

679 Die Weiberliebe des 11 i i h a m m e d h at einen a u s s c h l i e ß l i c h s i n n l i c h e n Charakter, es fehlt ihr jede höhere Auffassung u n d Schätzung Weiblichen Wesens. Der bloße äußere Reiz der Frauen lind die geschlechtliche Befriedigung m it ihnen erscheinen ihm als das einzig W esentliche und ihr Genuß als eine göttliche Lebensnot­ wendigkeit. E r betrachtet das Weib als den . bloßen „Acker“ des M annes: ' „G eht zu eurem Acker hin, wie ihr wollt“ (Sure 2), d. h. es ist dem Muhammedaner erlaubt, „den weiblichen Acker, gleich dem Saatacker“, wie und auf welche Weise es sei, zu bestellen; d. h. den Beischlaf in jeder beliebigen Richtung, Lage oder Stellung aus­ zuüben, a parte anteriori sive a posteriori30’). . • So hoch stehen ihm die Freuden des Geschlechtsverkehrs, daß er sie allein in den Zeiten der Fasten g e sta tte t: „E rlaubt soll euch sein, in der N acht der Fasten euch zu euren Weibern zu halten: sie sind euch ein Trost, und ihr seid es ihnen8®8)“, und daß dem echten Anhänger des Islam ein Weib nicht genügt, und er entweder m e h r e r e Ehefrauen nehmen soll oder außer der einen Frau noch bei Sklavinnen sich geschlechtliche Befriedigung verschaffen darf. Denn d i e s e i s t d i e H a u p t s a c h e . Deshalb darf der Gläubige auch von einem Weibe, das sie ihm nicht mehr gewährt, zu einem anderen übergehen, bei dem er sie findet: „K önnt ihr gewiß sein,, daß ihr gegen die Waisen nicht ungerecht handelt, so nehm et nach eurem Gutbefinden zwei, drei oder vier W eiber; so ilir aber über­ zeugt seid, daß ihr durch solche mehrfache Ehe nicht rech t handelt, so heiratet nur eine Frau oder lebet m it den Sklavinnen, die euer Eigentum geworden sind309). Du kannst auch, welche du willst von ihnen (deinen Weibern, ob sie schon die Reihe trifft, dir bei­ zuliegen). nach Gefallen hintausetzen, und eine andere zu dir nehmen,, nach welcher du eben Verlangen trägst, selbst eine solche, welche 3U’) W a h 1 a. a. O., S. 34, Anm. — Dieser Stelle verdanken die zahlreichen arabischen Schriften über die „W issenschaft des Coitus“ ihre Anregung, die eine weitere Ausführung dieses religiösen Gebotes enthalten und daher auch von diesem Standpunkt beurteilt werden’ müssen. Eine Zusammenstellung solcher- Schriften gibt R i c h a r d F. B u r t o n im 10. Bande seiner Ucbersetzung der Tausend und Eine' Nacht, Benares 1885, S. 199—200; ferner H e r m a n n K r o n e r , Ein Beitrag zur Geschichte der Medizin des 12. Jahrhunderts an der Hand zweier medizinischer Abhandlungen des Maimonides (über den Beischlaf), Oberdorf-Bopfingen 1906, S. 6—7. — Am bekanntesten sind der „Duftende Garten“ des N e f z a w i (deutsche Ausgabe, Leipzig 1905), die „Geheimen Gesetze der Liebe“ des O m e r H a l e b y (franz. Ausgabe, Paris 1893), „The old man young again“ (Paris 1898), und „The book of exposition in the Science of perfect coition“ (New York 1900). 3°8) Sure 2, in der Ausgabe von W a h l , S. 29. 309) Sure 4, in der Ausgabe von W a h l , S. 61.

680 du zuvor verstoßen hast. Das soll dir kein Verbrechen sein310).“ Da­ her wird unter Umständen der W e i b e r t a u s c h g estattet811), wenn­ gleich er für gewöhnlich auf Sklavinnen beschränkt war318). Auch im J e n s e i t s , im Paradiese, stehen sich (im Gegensätze zu den oben m itgeteilten jüdischen und christlichen Vorstellungen) Mann und Weib durchaus als g e s c h l e c h t l i c h e Wesen gegenüber, die sogar hier erst die höchste und eigentliche W ollust ohne Schmerzen und ohne die Folgen der Defloration und des Gebarens genießen. Es sind die P a r a d i e s j u n g f r a u e n , die „ H u r i s “, die hier den rechtschaffenen Männern zur ewigen Lust dienen, ohne jemals ihre Jungfrauschaft zu verlieren: „Auf erhöhten Buheplätzen gestreckte Lagergenossinnen haben wir fürwahr in besonderer Art geschaffen, und sie zu stets unbefleckten Jungfrauen gemacht, m it immer gleich bleibenden Reizen318). Die Gottesfürchtigen werden sich am sichern O rte befinden, in Gärten und bei süßen Wasserquellen. Gekleidet werden sie sein in feine Seide und Atlas, einander gegenüber sitzend. M it schönen hindeäugigen Jungfrauen wollen Wir sie vermählen. Nicht vergeblich sollen sie daselbst allerlei Arten vortrefflicher Früchte verlangen811).“ Diese ausschließliche Beurteilung und Schätzung des Weibes als eines bloßen L u s t O b j e k t e s schloß eine höhere, individuelle Wer­ tung aus, und wies ihm von vornherein eine i n f e r i o r e Stellung gegenüber dem Manne an, die z. B. auch im Erbrechte zum Ausdruck kommt, da der männliche Erbe so viel haben soll wie zwei weibliche (Sure 4). Trotz seiner N atur als Lustspenderin, ist das Weib dem Moslem eine Quelle der Unreinheit, nach deren Berührung der Gläubige sich genau so waschen soll wie nach dem Verlassen des A btritts815*) ; auch der Muhammedaner kennt die Beziehungen des Weibes zum Satan und zur Hölle318). Die Unfreiheit u n d Geschlechtssklaverei des islamischen Weibes kommt im Koran durch die einseitige Bestrafung des E h e b r u c h s nur bei ihm zum Ausdruck817), ferner durch die schon hier erlassenen strengen V orschriften über ihre Absonderung von der Männerwelt. Vor allem enthält sohon der Koran die folgende denkwürdige Stelle über die V e r s c h l e i e r u n g der F rau en : „E r­ mahne auch die gläubigen Weiber zur Keuschheit, sowohl in Absicht auf ihre Augen, als was die Ehre ihres Geschlechts318) b etrifft; er­ 31°) 311) 318) 818) 811) 81S) - st«) Seite 86. 817) 3i8)

Sure 33, Ausgabe von W a h l , S. 404. Sure 4, Ausgabe von W a h l , S. 67. Sure 33, Ausgabe von W a h l , S. 405. Sure 56 bei W a h l , S. 572. Sure 44 bei W a h l , S. 508—509. Vgl. auch S. 312. Sure 5, Ausgabe von W a h l , S. 86. Vgl. die Sprüchwörter bei B u r t o n , Arabian Nights, Bd. X, Sure 4, bei W a h l , S. 66; vgl. B r a u n a. a. O., S. 60. W örtlich „ihrer Schamteile“.

68» mahne sie, daß sie ihre Zier (d. h. den nackten Leib), das äußerlich. Sichtbare (d. h. Kopf, Gesicht, Hände, Füße) ausgenommen, nicht sehen lassen. Bis über den Busensaum ihres Gewandes sollen sie ihren Sohleier werfen, und was zu ihrer weiblichen Zier gehört, sonst keinem zeigen, als ihren Ehemännern, ihren Vätern, ihren Schwieger­ vätern, ihren Söhnen, den Söhnen ihrer E hegatten (Stiefsjähnen), ihren Brüdern, den Söhnen ihrer Brüder, den Söhnen ihrer Schwestern, ihren Frauensleuten (Mitweibern und übrigen F rauen des Harems, Ammen, Hebammen), ihren Sklavinnen und den männlichen Hilfs­ beflissenen, die nicht zum männlichen Dienstgefolge gehören (also Aerzten und anderen Leibeshilfe leistenden männlichen Personen) und Kindern, die den Unterschied des Geschlechts noch nich t kennep. Sie sollen auch ihre Füße nicht hoch in die Höhe heben/ dam it sich das, was sie von ihrer Zier verbergen, verrate118).“ Mit Recht betont B r a u n ’” ), daß wir hier den Anfang jener Haremsgefahgenschaft sehen, die auf die weibliche H älfte aller islamischen Staaten (und auf die männliche m it) so tief entsittlichend gewirkt und die Stellung des Weibes in ähnlicher Weise erniedrigt hat, wie das im alten Griechenland der F all war. Demgegenüber konnten die im Koran ausgesprochenen V e r b o t e d e r P r o s t i t u t i o n MI) und die I n f a m i e r u n g d e r D i r n e n 882) wenig nützen, da schließlich auch die arabische Männerwelt wie einst die griechische bei den Prostituierten, den allein „öffentlichen“ Frauen, diejenige Anregung suchten, die ihnen die versklavten Haremsweiber nicht gewähren konnten. Denn in der Folgezeit spitzte sich dieser Gegensatz immer mehr zu, hauptsächlich infolge des Einflusses der theologischen Lehren, die in gewissem Sinne an diejenigen der christlichen Kirchenväter erinnern. „Das zweifelhafte Verdienst,“ sagt einer der besten Kenner *81 S18) Sure 24, Ausgabe von W a h l , S. 312—314. 88°) J. B r a u n a. a. O., S. 61. 881) „Wollen eure Sklavinnen einen züchtigen W andel führen, so zwingt sie durchaus zum hurerischen Leben nicht, und wenn euch auch dadurch ein Vorteil für diese W elt Zuwachse.“ Sure 24, Aus­ gabe von W a h l , S. 314. Vgl. auch Sure 17, S. 329. 888) „ Ih r könnt euch nach dem Ertrage eurer Glücksgüter Weiber nehmen, die ih r wollet, nur müssen sie ehrbar und züchtig, keine Huren sein.“ Sure 4, S. 67. „Der Huretr soll entweder eine Hure zur Frau nehmen oder eine Götzendienerin, und die Hure soll keine« anderen zum Mann bekommen als entweder einen Hurer oder einen Götzendiener. Die Rechtgläubigen aber dürfen sich auf diese A rt nicht vermählen, Denjenigen, welche unbescholtene Weiber der Hurerei beschuldigen, und diese Anklage nicht m it vier Augenzeugen beweisen können, denen gebt achtzig Streiche mit der Peitsche und glaubt ihnen nie wieder.“ Sure 24, S. 308. — Auch heute noch gilt „H urensohn“ als ärgster Schimpfname bei den Arabern. Vgl. H a m m e r - P u r g s t a l l , Literaturgeschichte der Araber, Wien 1851, Abt. I, Bd. II, S. 536.

682 der islamischen Kultur, „zuerst die hohe Stellung des Weibes an­ gegriffen und herabgedrückt z u . haben, gebührt in erster Reihe den griesgrämigen und fanatischen Theologen des Islams. N icht etwa, daß sie für weibliche Reize unempfänglich gewesen wären •— sie hatten iltren. Harem gew öhnl ich reich besetzt — aber außerhalb des­ selben gaben sie sich gerne den Anschein einer gründlichen Ver­ achtung. für irdische Genüsse und einer frommen E ntrüstung über die Sündhaftigkeit der Welt, die Leichtfertigkeit des schönen Ge­ schlechts. Deshalb hat schon einer der ältesten Traditionisten mit offenbarer Vorliebe mehrere Ucberlieferungen von Propheten ge­ sammelt, welche dahin lauten, daß die Weiber größtenteils in die Hölle kommen. Der fromme Herr vergaß offenbar hierbei, daß Mo­ hammed selbst das Paradies mit Hurys von unvergänglicher Schön­ heit, Jugend und Jungfräulichkeit bevölkert***).“ Diese M i s o g y n i e mußte die Geschlechtssklaverei der Frauen ungemein begünstigen; die noch, heute im nichteuropäischeu Orient ein C harakteristikum des sozialen Lebens ist3*4), ffhd dam it auf der einen Seite das Eunuchen­ wesen zur Bewachung der Haremsfrauen*25), auf der anderen die P r o s t i t u t i o n fördern. Die volle Ausbildung der Haremswirtse-haft und die Entwicklung eines ausgebreiteten Hetärenwesens vollzog sich in dem Zeiträume vom Ende der Omajjadenherrschaft bis auf Harun Rashvd, also wesentlich im 8. nachchristlichen Jahrhundert. Zweifellos wurde die Prostitution auch durch die von den Schiiten aus der vorislamischen Epoche übernommene „ M o t a “ oder Z e i t ­ e h e begünstigt386), der der Prophet im Koran eine A rt von religiöser Sanktion erteilt h a tte : „W enn ein Mann und ein Weib m iteinander eins sind, soll ihr Zusammensein drei N ächte dauern. Falls sie es dann gerne fortsetzen wollen, steht es ihnen frei, weim sie es aber anders vorziehen, können sie auch ihre Beziehungen abbrechen381).“2 S2S) A l f r e d v. K r e m e r , Kulturgeschichte des Orients, II. 104. »*) Vgl. z. B. die bezeichnenden Aeußerungeu über den Zu­ stand in Marokko bei R u d o l f Z a b e l , Im muhammedanischen Abendlandc. Tagebuch einer Reise durch Marokko, Altcnburg 1905, S. 294 und 297. — G u s t a v F l ü g e l (Die Geschichte der Araber bis auf den Sturz der Chalifen von Bagdad, Dresden 1838, Bd. 2, S. 6) urteilt über die die Frauen betreffenden Aussprüche und Bestimmungen des K oran: „So nahm er dem Oriente das eine der sichern Mittel höherer Bildung, den Umgang mit gesitteten Frauen, und entzog zu­ gleich diesen die schuldige Achtung, indem er ihre Menschen- und Gesellschaftsrechte unterdrückte.“ S2!i) Die Omajjaden-C’halifen führten die Eunuchen als Huremswache in Nachahmung der Byzantiner und Perser ein. Der Handel m it Eunuchen lag ganz in den Händen byzantinischer Sklavenhändler. Vgl. v. K r e m e r a. a. O., II, 108. *26) Vgl. oben S. 202. *27) Zitiert nach v. R e i t z e n s t e i n , Liebe und Ehe . im Orient, S. 45.

683 Ma’m u n erklärte mittelst einer Proklamation diese Ehe auf Frist für legal, mußte diese Verordnung jedoch wieder zucückziehen329), bis die Schiiten sie unter religiösem Deckmantel wieder einführten, und sie bald unter einem „scheußlichen Mißbrauch geistlicher Würde“ i n d ir e k t e B e z ie h u n g zu r P r o s t i t u t i o n s e tz te n , d a s ie a u c h d e n B e s u c h e i n e s B o r d e l l s f ü r e i n e s o l c h e g o ttg e fä llig e Z e ite h e e rk lä rte n und d e m e n t­ s p r e c h e n d i h r e P r i e s t e r , d ie M u l l a h s , v o r d ie B o r ­ d e l l e p o s t i e r t e n , um für wenige Kupferstücke diese „Zeit­ ehe“ mit Dirnen einzusegnen339).

A udi a s k e t i s c h e Tendenzen haben dem Islam nicht gefehlt. Sic traten namentlich im „S u f i s m u s“ hervor. Bei den Sufis läß t sich derselbe Rückschlag ins Geschlechtliche beobachten wie bei den christlichen Asketen, nur daß hier die Beziehungen zur Homosexualität überwiegen, Und so der Sufismus wesentlich für die homosexuelle Prostitution in Betracht kommt” 0). ' »M) v. K r e m e r & a. O., II, 107. ..... ; 3M) J u l i u s B r a u n a. a. 0., S. 270. S3°) Vgl. A l f r e d v o n K r e m e r , Geschichte der herrschenden Ideen des Islams, Leipzig 1868, S. 256.

SECHSTES KAPITEL. Die Prostitution des Mittelalters. II. Das soziale Milieu. Wenn nach den Darlegungen im vorigen Kapitel nicht daran zu zweifeln ist, daß das religiöse Element für die Ausbildung der mittelalterlichen Sexualethik und damit für die individuelle und staatliche Auffassung und Gestaltung der Prostitution von bestimmendem Einfluß gewesen ist, weil überhaupt damals die Herrschaft des Glaubens und der Kirche sowohl im Orient als auch im Okzident gleichbedeutend war mit der vernunftgemäßen Entwickelung des Lebens, so erwuchs doch dieses in einem be­ stimmten s o z i a l e n M i l i e u , das im Osten und im Westen eigentümliche Verschiedenheiten und Uebereinstimmungen auf­ weist. die auch verschiedene Entstehungsbedingungen und Er­ scheinungsformen der mittelalterlichen Prostitution zeitigten und ihre durchgängigen Beziehungen zur sogenannten „sozialen Frage“, d. h. zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben (im weitesten Umfange des Wortes) zutage treten lassen. Da ist zunächst eine a u f f ä l l i g e D d f f e r e n z zwischen Orient und Okzident hervorzuheben. Sie betrifft die Form der Wirtschaft und des Städtewesens. Während die typische G e ld w i r t s o h a f t des römischen Reiches auch im b y z a n t i n i s c h e n Reiche Weiterbestand und von dort bald auf die a r a b i s c h e K u l t u r s p h ä r e überging, haben wir in W e s t e u r o p a bis zum 13. Jahrhundert, also während des größten Teiles des Mittelalters, eine vorwiegende N a t u r a l w i r t s c h a f t , die durch die ländliche Arbeit, den Großgrundbesitz und das Lehns­ wesen charakterisiert ist1) Erst mit den Kreuzzügen beginnt x) Vgl. T h e o d o r L i n d n e r , Geschiohtsphilosophie. Das Wesen der geschichtlichen Entwicklung. Einleitung zu einer Weltgeschichte «eit der Völkerwanderung. 2. Aufl., Stuttgart und Berlin 1904, S. 127 ff.

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auch hier die Entwickelung einer kapitalistischen W irtschaft, und zwar ziemlich unvermittelt, in Gestalt einer volkswirtschaft­ lichen Revolution, die der Nationalökonom G u s t a v S c h m o l l e r wenigstens bezüglich Deutschlands für größer halten möchte als jede spätere**), und deren Einzelheiten Historiker wie L a m p ­ r e c h t ’) und E m i l M i c h a e l 4) in großen Zügen geschildert haben. Da das S t ä d t e w e s e n der Entwickelung der Geldwirt­ schaft parallel geht, so zeigt sich entsprechend dem Fehlen bzw. der späten Ausbildung des Kapitalismus im Westen ein fast völliger: M a n g e l a n e i g e n t l i c h e n G r o ß s t ä d t e n im christlichen Europa, während gerade der Orient und der islamische Westen (Spanien) z a h l r e i c h e G r o ß s t ä d t e mit allen ihren typischen Eigentümlichkeiten aufweisen. Das ist der fundamentale Unter­ schied zwischen Morgen- und Abendland. E r ist auch für die Entwickelung der Prostitution von größter Bedeutung. Was zunächst den griechischen und islamischen Orient betrifft, so erweisen folgende Daten die Prävalenz der Groß- und Millionen­ städte: ‘ " E in w o h n e rz a h le n b y z a n tin is c h e r u n d a r a b is c h e r S t ä d t e im M i t t e l a l t e r . K o n s t a n t i n o p e l , mindestens 1 Million5), T r a p e z u n t , mehrere Hunderttausend«), s) G u s t a v S c h m o l l e r , Straßburgs Blüte und die volks­ wirtschaftliche Revolution im 13. Jahrhundert. In: Quellen • und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte, Heft 6, Straßburg. 1875, S. 16. 9) K a r l L a m p r e c h t , Deutsche Geschichte, Berlin 1893, Bd. III, S. 23—50. *) E m i l M i c h a e l , Geschichte des deutschen Volkes seit dem 13. Jahrhundert bis zum Ausgang des Mittelalters. 2. Aufl., Freiburg i. Br. 1897, Bd. I, S. 129—144. «) Vgl. die Angaben bei E d w a r d G ib b o n , History of the Declino and Fall of the Roman Empire, London 1837 p. 226 (wonach Konstantinopel sogar dreimal so viele Häuser hatte als das kaiser­ liche Rom). E u s t a t h i u s spricht von mehr als 60 000 Lateinern, die um 1180 in Konstantinopel wohnten. Vgl. G. L. F. T a f e l , Komnenen und Normannen, Ülm 1852, S. 98. Ueber das riesige Verkehrsleben der Millionenstadt vgl. W i l h e l m H e y d t , Ge­ schichte des Levantehandels im Mittelalter, Stuttgart 1879, Bd. I, Seite 243. •) Trapezunt hatte unter der Herrschaft der Komnenen von 1204 bis aum 15. Jahrhundert mehrere Hunderttausend Einwohner, es war

686 T h e s s a l o n i c h , mindestens Hunderttausend*7), B a g d a d , mehr als eine Million8), K a i r o , mehr als eine Million9), M e k k a , etwa 300 00010), D a m a s k u s , etwa 2000001112), „• B a s s o r a , etwa 200 000*s), K u f a , etwa 200 00013*), S a m a r k a n d , etwa 150000«), S e v i l l a , 400000«), C o r d o b a , mindestens 400 00016), Demgegenüber kann man, was das christliche Abendland betriffc, von Großstädten beinahe gar nicht und von einem Städtewesen in einigen Ländern, z. B. in Deutschland, erst vom 11. Jahrhundert au reden, wenn auch schon das karolingische Reich in Italien und süd­ lich der Loire manche Städte zählte, d i e d i r e k t 'a n d i e a n t i k e n a n s c h l i e ß e n , und dasselbe für die rheinischen Grenz­ städte Köln, Mainz, Straßburg gilt, welch letzteres schon 800 n. Chr. ein Mittelpunkt des damaligen Welthandels, die Pforte zum inneren Asien, eine Stadt mit zahlreichen Theatern, Zirkus, Promenaden, Tempeln, Kapellen und Klöstern und einer Fülle von schönen Frauen, sowie einem ganz außerordentlichen Fremdenverkehr aus allen Ländern der Welt. Vgl. J a c o b P h . F a l l m e r a y e r , Geschichte des Kaisertums von Trapezunt, München 1827, S. 307—319; W i l ­ h e l m H e y d t a. a. O., II, 95. 7) Ein Haupt handeisplatz des griechischen Orients mit einer berühmten Messe. Vgl. T a f e l a. a. O., S. 241; H e y d t a. a. O., I, 61; A.. E 11 i s s e n , Analekten zur mittel- und neugriechischen Literatur, Leipzig 1869, Bd. IV, S. 97. 8) A l f r e d v. K r e m e r , Kulturgeschichte des Orients, II, 22; vgl. seine prachtvolle Schilderung dieser H auptstadt des islamischen Reiches ebendort, II, 47—94 („Die Stadt des Heils“). 9) v. K r e m e r a. a. O., II, 22. lu) v. K r e m e r a. a. O., II, 22 und 485. n ) Ebendort I, 125; vgl. auch H e l l , Kultur der Araber, S. 69, der ihre Einwohnerzahl schon für das Ja h r 710 auf 120 000 bereohnet. 12) H e l l a. a. O., S. 68; eine „See- und Handelsstadt ersten Ranges“, K r e m e r a. a. O., II, 275. H e l l a. a. O., S. 68, berühmte Handelsstadt. « ) H e r m a n n V a m b ö r y , Geschichte Bocharas oder Transoxaniens von den frühesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Stuttgart 1872. Bd. I, S. 226—227. Bedeutende Industriestadt (Papierfabrikation!) und wichtigster Stapelplatz des inneren Asiens; vgl. auch v. K r e m e r a. a. O„ II, 207. » ) H e l l a. a. 0., 112. 16) H e l l a. a. O., 110. — Große Fabrikstadt, in der zur Zeit der höchsten Blüte 130 000 Menschen mit Seidenweberei beschäftigt waren.

687 als „civitas populosa“ bezeichnet wird. Dagegen fehlte es im eigent­ lichen Deutschland noch gegen 900 vollständig an Städten, während in Italien. Belgien, Frankreich und England um diese Zeit ein lebendiges städtisches Leben sich zu entwickeln begann. Erst am Ende des 12. und im 13. Jahrhundert beginnt auch in Deutschland die Städtebildung, die im 14. Jahrhundert fortdanert und im 15. so ziemlich beendet ist*1*17). Man hat bis vor kurzem die Bevölkerungszahl der m ittelalter­ lichen Städte bedeutend überschätzt. Erst die neueren Forschungen auf nationalökonomischer Basis (nach den Steuerlisten) haben den Satz G u s t a v F r e y t a g s18) erhärtet, daß die größte Stadt Deutsch­ lands im 14. Jahrhundert schwerlich mehr als 40—50 000 Einwohner zählte, und haben ergeben, daß die angesehensten und reichsten Städte ohne Wasserverkehr sich zwischen 5000 und 25 000 bewegten, daß selbst viele relativ bedeutende 5000 Seelen nicht überschritten, und die Mehrzahl aller Städte zwischen 1000 und 5000 Seelen schwankte19). Im einzelnen ergeben sich die folgenden durchschnittlichen Be­ völkerungszahlen im 15. Jahrhundert, wobei wir außer den. schon erwähnten Autoren noch die- wichtigen Forschungen von K a r l B ü c h e r 20), von H e i n r i c h B o o s 21), J. J a s t r o w 22) u. a. zu­ grunde legen: E in w o h n e rz a h le n e u ro p ä is c h e r im M i t t e l a l t e r .

S tä d te

S t r a ß b u r g , 20—30 000, M a i n z , 5—6000«), i;) Vgl. G u s t a v S c hm o l l e r , Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, 4.—6. Aufl., Leipzig 1901, Bd. I, S. 264. — Von 280 deutschen Städten fallen 12 vors Jah r 1000, 4. ins 11. Ja h r­ hundert, 13. ins 12., 119 ins 13., 100 ins 14. und 32 ins 15. J a h r ­ hundert ( S c h m o l l e r ) . 1S) G u s t a v F r e y t a g , Bilder aus der deutschen Vergangen­ heit. Bd. II, Abt. 1, Leipzig 1899, S. 143. 19) K a r l T h e o d o r v. I n a m a - S t e r n e g g , Deutsche W irt­ schaftsgeschichte, Leipzig 1899, Bd. III, 1, S. 22—26; S c h m o l l e r a. a. O., S. 266. *0) K a r l B ü c h e r , Die Bevölkerung von Frankfurt am Main im XIV. und XV. Jahrhundert. Sozialstatistische Studien, Tübingen 1886 (besonders Bd. I, S. 9—28). 21) H e i n r i c h B o o s , Geschichte der rheinischen Städtekultur, Bd. III, S. 40—43. 22) J. J a s t r o w , Die Volkszahl deutscher Städte zu Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit, Berlin 1886. « ) Mainz hatte in früheren Jahrhunderten eine größere Be­ völkerungszahl. Der arabische Kosmograph Q a z w l n l teilt die An­ gabe eines arabischen Reisenden aus dem 10. oder 11. Jahrhundert mit, der Mainz eine „sehr große“ Stadt nennt. Vgl. G e o r g J a c o b ,

688 F r a n k f u r t , 7—15000. N ü r n b e r g , 20 000«), B a s e l , 10—15 000, Z ü r i c h , 10 000, W i e n , 50 000«), A u g s b u r g , 18 000, U lm , 20 000, N ö r d l i n g e n , 5—6000«), H e i d e l b e r g , 520027), L ü b e o k , 30 000, K ö l n , 30000, R o s t o c k , 14000, H a m b u r g , 18 000, D r e s d e n , 5000, U e b e r l i n g e n , 4000, W i n t e r t h u r , 2200«), M e i ß e n , 2000, W e r n i g e r o d e , 2500«), K i e l , 2—3000,*20 Ein arabischer Berichterstatter aus dem 10. oder 11. Jahrhundert über Fulda, Schleswig, Soest, Paderborn und andere deutsche Städte, Berlin 1890, S. 13. Noch im 12. Jahrhundert wird Mainz als das Haupt des Reiches, die goldene, die größte Stadt bezeichnet, um dann schon im 14. Jahrhundert von Straßburg und später von Frank­ furt überflügelt zu werden. L a m p r e o h t a. a. O., IV, 219. « ) Die einzig zuverlässige Volkszählung aus dem späteren Mittelalter ist die von Nürnberg um Weihnachten 1449. Sie ergab eine seßhafte Bevölkerung von 20165 (nach K a r l H e g e l s Rechnung 20 219) Köpfen. Vgl. B ü c h e r a. a. O., I, 9. « ) Nach M e r i a n , Topographia Austriaca, p. 22, hatte Wien 1483 ca. 50 000 Einwohner. S c h r a n k s Angabe (a. a- O., I, 91), daß zwischen 1450 und 1460 in Wien unter 60 000 e r w a c h s e n e n Personen ungefähr 7000 Studenten gewesen seien, dürfte übertrieben sein. Immerhin war Wien für die damaligen Verhältnisse eine .sehr große Stadt. M) F r i e d r i c h D ö r n e r , Die Steuern Nördlingens zu Aus­ gang dos Mittelalters, Nürnberg 1905, S. 100. « ) Im Jahre 1439. w) J o h . C o n r a d T r o l l , Geschichte der Stadt W interthur nach Urkunden bearbeitet, W interthur 1848, Bd. VII, S. 3 (Einwohner­ zahl 1406: 2200, und 1468: 2200). « ) W i l l i V a r g e s , Zur Verfassungsgeschichte der Stadt Wernigerode im Mittelalter. Zeitschrift für Kulturgeschichte. N. F. herausgegeben von G e o r g S t e i n h a u s e n , Weimar 1896, Bd. III, S. 163. (Im 13. Jahrhundert: 1000—1500; im 14.: 1500—2000; im Jahre 1466: 2500 Einwohner.)

689 '

1

V e n e d ig , 190 000»»), F l o r e n z , 90000»1), M a i l a n d , 200000(7), P a r i s , 200000 ( 7), B r ü g g e , 50 000, G e n t , 50 000, L e y d e n , 5000, L o n d o n , 35 000»»).

Wenn wir nun auf Grund dieser Statistiken den griechisch­ arabischen Orient mit dem christlichen Abendland vergleichen, so ist jener durch seine M i l l i o n e n - u n d R i e s e n s t ä d t e ausgezeichnet, in diesem h e r r s c h e n a b e r d u r c h a u s d ie m i t t l e r e n u n d k l e i n e n S t ä d t e v o r und geben der abend­ ländischen K ultur das Gepräge. Westeuropa hat keine einzige Stadt wie K o n s t a n t i n p p e l oder B a g d a d , Zentren eines m o n d a i n e n H i g h - l i f e , das dem ganzen Okzident durchaus fehlte und fremd blieb, Riesenstädte, wo „die scheinbar uner­ schöpflichen Quellen des Reichtums ihre goldenen Fluten aus­ gossen, wo ein maßloser Luxus entstand, ein wahnsinniges Ge­ nußleben, ein Menschengetriebe, wie wir es nur im alten Rom oder in den modernen Riesenstädten London und Paris unter ähn­ lichen Verhältnissen sich entwickeln sehen“»»). In allen diesen Zentren einer raffinierten antik-orientalischen K ultur und eines verfeinerten Lebensgenusses, der in allen Einzelheiten noch einen antiken Charakter an sich trägt, zeigt auch die Prostitution jene außerordentliche Differenzierung und jene Gegensätze, wie w ir sie schon im Altertum kennen gelernt haben. Nur in Byzanz und nur im islamischen Orient blühte das für die Antike so so charakteristische freie Hetärenwesen weiter, während es in Westeuropa vollkommen fehlte und erst zur Zeit der Renaissance wieder Eingang fand. So ergibt sich der folgende Unterschied zwischen Morgen- und Abendland. Dort herrscht die f r e i e Prostitution vor, in der veredelten Form des H e t ä r e n - u n d »») Im Jahre 1422, vgl. J. B u r c k h a r d t , Die Kultur der Re­ naissance in Italien, 8. Aufl., herausgegeben von L u d w ig G e i g e r , Leipzig 1901, Bd. I, S. 74. S1) Ebendort I, 81. »») Im Jahre 1377, vgl. S c h m o 11 e r a. a. O., I, 266, wo auch angegeben ist, daß R o g e r s fünf anderen englischen Städten um diese Zeit 5000—11000 Einwohner zusohreibt.. »») A l f r e d v o n K r e m e r , Kulturgeschichte des Orients, II, 194. B lo c h , Prostitution. I.

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S ä n g e r i n n e n w e s e n s , hier unstreitig die mehr oder weniger u n f r e i e Prostitution in Gestalt des B o r d e l l w e s e n s . Das europäische Mittelalter ist die B l ü t e z e i t d e r B o r d e l l e . Weder vorher noch nachher sind diese absolut und relativ so zahlreich gewesen wie damals. Wer daran zweifelt, sei auf folgende Tatsache hingewiesen, die den stringenten Beweis für diese Behauptung liefert. Wäre es heute denkbar, wenigstens in Deutschland und in den germanischen Ländern, daß kleine Städte von 500—2000 Einwohnern eine g e w e r b s m ä ß i g e Prostitution oder gar ein B o r d e l l hätten ? Dieses aber war im M ittelalter der Fall. H i e r h a t t e n f a s t a l l e k l e i n e n S tä d te ih r F ra u e n h a u s m it m e h re re n B e w o h n e ­ r i n n e n , wie wir aus dem weiter unten mitgeteilten Verzeichnis einer großen Zahl von Städten mit Bordellen ersehen werden. Mit Recht fragt schon D u l a u r e M) nach Mitteilung der Tatsache, daß eine Stadt von kaum 300—400 Einwohnern Bordelle auf­ wies: „ B i e t e n u n s e r e S i t t e n s o l c h e B e i s p i e l e ? “ Man wird nicht fehlgehen, wenn man in e r s t e r Linie dafür die tiefeUeberzeugung verantwortlich macht, d ie b e i n a h e w ie e in D o g m a die ganze mittelalterliche Sexualethik beherrscht, die Ueberzeugung nämlich von der „ N o t w e n d i g k e i t “ der Prosti­ tution als eines Schutzes gegen schlimmere Uebel, namentlich gegen Ehebruch und Verführung anständiger Mädchen. In z w e i t e r Linie kommt aber auch wohl, namentlich im Norden, der ziemlich unvermittelt und plötzlich eintretende Vorgang der S t ä d t e b i l d u n g in Betracht, der rapide Uebergang von der Natural- zur Geldwirtschaft. Diese zahlreichen neuen Städte übten auf die vielen f a h r e n d e n Weiber eine große Anziehungs­ k raft aus, wegen der hier vorhandenen größeren Nachfrage und wegen des ihnen dort gebotenen größeren Gewinnes und Schutzes. Offenbai’ fand zu den meisten damaligen Städten ein so mächtiger Andrang von seiten dieser fahrenden Prosti­ tuierten statt, daß die Obrigkeiten, eben weil diese Städte noch in ih re n A n fä n g e n waren, sich zur Sicherung und Befestigung der Ordnung genötigt sahen, sogleich die Prostitution zu l o k a l i s i e r e n und für ihre Vertreterinnen die gewöhnlich an der Peripherie oder gar vor den Toren ge­ legenen Frauenhäuser einzurichten. So lassen sich in Deutschland M) J. A. D u l a u r e a. a. O., S. 119.

691 die Anfänge der Frauenhäuser vielfach auch schon bis zum 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Daneben gab es natürlich auch eine freie Prostitution, aber sie wurde möglichst zurückgedrängt. Bis - zur Renaissance gab es kein eigentliches Hetärentum, und ebensowenig ein Genußleben wie im Orient. Höchstens in einigen italienischen Städten (Venedig, Florenz, Rom), in Wien35) und namentlich in Paris kann man von einem solchen reden. Zu diesen allgemeinen Voraussetzungen der mittelalterlichen Prostitution gesellen sich nun die besonderen Verhältnisse des A n g e b o t e s und der N a c h f r a g e , d. h. die speziellen s o ­ z i a l e n Bedingungen. Unter diesen kommt zunächst die Z u ­ s a m m e n s e t z u n g der mittelalterlichen Bevölkerung in Be­ tracht, die einige zweifellos die Prostitution und die Nachfrage nach ihr begünstigende Momente aufweist, auf die zuerst K a r l B ü c h e r in zwei grundlegenden Untersuchungen36) aufmerksam gemacht hat. Vor allem war in den mittelalterlichen Städten d e r F ra u e n ü b e r s c h u ß noch b e d e u te n d g r ö ß e r a ls h e u t e , weil das männliche Geschlecht von seiner Geburt an viel größeren Gefahren ausgesetzt war als das weibliche (größere Sterblichkeit, größere Unmäßigkeit in jeder A rt von Genuß, größere Lebensbedrohung durch die fortwährenden Fehden, Bürger­ zwiste und gefahrvollen Handelsreisen, Zwang zum Zölibat bei Geistlichen und Handwerksgesellen). Nach einer zuverlässigen Zählung der Nürnberger Bevölkerung Ende 1449 kamen unter der bürgerlichen Bevölkerung auf 1000 e r ­ w a c h s e n e Personen männlichen Geschlechts nicht weniger als 1168 erwachsene Personen weiblichen Geschlechts. Aber auch unter den dienenden Klassen (Knechten, Handwerksgesellen und Mägden) über­ wog das weibliche Geschlecht. Faßt man beide Kategorien zusammen, so k a m e n g a r a u f 1000 m ä n n l i c h e P e r s o n e n 1207 w e ib 85) Dies erhellt wenigstens aus der anschaulichen Schilderung des E n e a S i l v i o de’ P i c c o l o m i n i , nach welcher es nicht nur eine große Zahl von Prostituierten, sondern auch eine umfangreiche D e m im o n d e in Wien gab, und vor allem, was eben für das High­ life cüaraKteristisch ist, a u c h d ie B ü r g e r f r a u e n s i c h a n d i e s e m m o n d a i n e n L e b e n b e t e i l i g t e n . Vgl. die Wieder­ gabe der interessanten Schilderung bei C. M e i n e r s , Historische Vergleichung der Sitten nsw. des Mittelalters mit denen unseres Jahr­ hunderts, Hannover 1793, Bd. I, S. 257—260. 36) K a r 1 B ü c h e r, Die Frauenfrage im Mittelalter, Tübingen 1882 ; d e r s e l b e , Die Bevölkerung von Frankfurt am Main im XIV. und XV. Jahrhundert. Tübingen 1886, Erster Band. 44

692 l i e h e . Aehnlich war um 1454 das Verhältnis in Basel. In den beiden Kirchspielen St. Alban und St. Leonhard kamen damals auf 10 0 0 männ­ liche Personen über 14 Jahre 12 4 6 weibliche Personen der gleichen Altersstufen. In Frankfurt a. M. ergab eine die größere Hälfte der erwachsenen Bevölkerung umfassende Zählung im Jahre 1385 1 10 0 Frauen auf 10 0 0 Männer, was eine Minimalziffer darstellt, da höchstwahrscheinlich der Frauenüberschuß unter der g a n z e n er­ wachsenen Bevölkerung noch weit beträchtlicher gewesen ist37).

Schon diese bloße Tatsache eines gewaltigen Frauenüber­ schusses38) erklärt die Existenz einer „F r a u e n f r a g e“ im Mittelalter und zwar einer noch b r e n n e n d e r e n als sie heute ist. „Wie unbedeutend, wie winzig müssen uns neben dem Massen­ elend unter den Frauen des Mittelalters die Schmerzen erscheinen, denen die modernen Bestrebungen auf diesem Felde Heilung bringen wollen.“ (B ü c h e r.) Denn nicht bloß die gewaltige Ueberzahl der Frauen schuf ihr soziales Elend, sondern vor allem war dieses die Folge jener im vorigen Kapitel zur Genüge gekenn­ zeichneten f a l s c h e n und w id e rs in n ig e n S e x u a l­ e t h i k u n d d o p p e l t e n M o r a l , unter deren Herrschaft eine „sittliche Erniedrigung und Entwürdigung des Weibes stattfand, wie sie brutaler kaum gedacht werden kann39)“. E rst Renaissance und Reformation haben die Anfänge einer neuen Wertung des Weibes herbeigeführt, haben den Kampf gegen diese verderbliche doppelte Mjoral b e g o n n e n , ohne daß er bis zum heutigen Tage siegreich durchgeführt wäre. Aber heute wissen wir, daß das klar erkannte Ziel: eine unbefangene Auffassung der Sexualität rein vom biologischen und vom sozialen Standpunkte, dereinst erreicht werden wird, und zwar mit s e l b s t t ä t i g e r H i l f e des weiblichen Geschlechts, mit dessen fortschreitender S e l b s t ­ e r l ö s u n g , mit dessen bewunderungswürdigem Kampfe um Frei­ heit, volles Menschentum und Durchsetzung der Persönlichkeit auch die „doppelte Moral“ allmählich verschwinden wird. 37) B ü c h e r , Die Frauenfrage im Mittelalter S. 4—5. Dieses Miß­ verhältnis war schon früheren Autoren aufgefallen, aber doch zu sehr überschätzt worden, indem man 7 Frauen auf 1 Mann seit den Kreuz­ zügen annahm! Vgl. K u r t S p r e n g e l , Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneykunde. 3. Aufl. Halle, 1823. Bd. II. S. 622. S8) Nach K. Th. v o n I n a m a -S t e r n eg g (Deutsche Wirtschafts­ geschichte, Leipzig 1899, Bd. III, 1, S. 28—29) berechnet sich die Sexualproportion in Nürnberg (1449) auf 100:121, in Basel (1454) 100:108, in Rostock (1594) 100:120, in Köln 100:105. 39) K a r l B ü c h e r , a. a. O. S. 54.

693 Bei dem großen Frauenüberschuß im M ittelalter und der daraus sich ergebenden Ueberzahl der unverheirateten Frauen, mußte sich die weibliche Konkurrenz auf vielen Gebieten fühlbar machen und von seiten der bedrängten Männer Gegenmaßregeln hervorrufen, wie z. B. die prinzipielle Ausschließung der Frauen wenigstens vom zünftigen Gewerbebetrieb. Diese Tendenz, die Frauenarbeit zurückzudrängen, konnte erst im 17. Jahrhundert völlig durchdringen. Bis dahin zwang die eiserne Notwendigkeit der ganzen Lebensverhältnisse auch die Frauen zu einer eifrigen Anteilnahme an der Arbeit in Gewerbe und Industrie. Freilich überwogen hier die L o h n a r b e i t e r i n n e n durchaus, während der selbständige Gewerbebetrieb durch Frauen zwar vorkam, aber doch mehr zu den Ausnahmen gehörte. Besonders zahl­ reich war das weibliche Arbeitspersonal in der T e x t i l i n d u s t r i e . Ferner waren die Frauen als Schneiderinnen, Näherinnen, Wäscherinnen, Korbmacherinnen, Kerzenmacherinnen, Besenmacherinnen, Eier-, Obst­ und Käsehändlerinnen usw. beschäftigt. Die Weiberlöhne waren wegen des großen Zudranges von Arbeiterinnen s e h r n i e d r i g 40). Die Not trieb Frauen auch zu Berufen, die durch ihre ganze Art schon B e ­ z i e h u n g e n z u r P r o s t i t u t i o n aufwiesen. Dahin gehören die B a d e m ä g d e , die w e i b l i c h e n B a r b i e r e , die w e i b l i c h e n A n g e s t e l l t e n d e r W e i n s c h e n k e n 41). Sehr bemerkenswert im Hinblick auf die auch heute noch zu beobachtenden ätiologischen Beziehungen zur Prostitution war die große Zahl der w e i b l i c h e n D i e n s t b o t e n im Mittelalter. Nach B ü c h e r war der Prozentsatz der Knechte und Mägde Nürnbergs im Jahre 1449 ein ziemlich hoher (18,6 o/o), aber die Knechte, worunter auch Gesellen und Lehrlinge zu verstehen sind, machen verhältnismäßig den kleinsten Teil unter der dienenden Bevölkerung aus (7,8 o/o); d ie Z a h l d e r w e ib lic h e n D ie n s tb o te n i s t w e it g rö ß e r (9,9 o/o). auf 100 Knechte kommen 128 Mägde, oder auf 13 Personen der bürgerlichen Bevölkerung 1 Knecht, dagegen schon auf 10 Personen 1 Magd. Zum Vergleich zieht B ü c h e r die Volkszählung von 1875 heran, nach der die Zahl der männlichen und weiblichen Dienstboten in Frankfurt nur 11,37 o/o der Gesamtbevölkerung ausmachte42). Schließlich weisen auch die zahlreichen V e r s o r g u n g s a n s t a l t e n für ärmere alleinstehende Frauen, die „Gotteshäuser“ und B e g i n e n a n s t a l t e n , (auch „Seelhäuser“, „Maidehäuser“, „Con­ vente“, „Regelhäuser“, „Einungen“, „Sammlungen“ usw. genannt), auf den großen Frauennotstand des Mittelalters hin. Sie wurden fast alle zwischen 1250 und 1350 gestiftet und nahmen einen beträchtlichen Teil der weiblichen Bevölkerung auf, so in Frankfurt bei 9000 Ein­ wohnern allein 6 o/o der erwachsenen Frauen. Im 15. Jahrhundert e n t ­ a r t e t e dieses Beghinenwesen in arger Weise, s o d a ß d i e s e 40) Vgl. B ü c h e r a. a O., S. 12, 16—17. 41) Ebendort S. 17. ‘2) K a r l B ü c h e r , Die Bevölkerung von Frankfurt am Main im XIV. und XV. Jahrhundert, Bd. I, S. 47.

694 S c h w e s te r n e in n i c h t u n b e t r ä c h t l i c h e s K o n tin g e n t z u r P r o s t i t u t i o n s t e l l t e n u n d in o f f i z i e l l e n Akten­ stücken mit den öffentlichen Dirnen in eine Linie gestellt wurden43).

Aber nicht nur die Zahl der unverheirateten Frauen, sondern auch die der m ä n n l i c h e n Z ö l i b a t ä r e war im Mittelalter relativ größer als heute und mußte bei der sehr strengen Be­ strafung des außerehelichen Geschlechtsverkehrs mit ehrbaren Frauen die Nachfrage nach der Prostitution ungemein steigern. Es kommen hier wesentlich drei Kategorien in Betracht: die G e s e l l e n , die G e i s t l i c h e n und, in geringerem Maße, die S t u d e n t e n . Auch war unter den Männern der anderen Be­ völkerungsklassen im Mittelalter der „Heiratstrieb“ entschieden geringer als heute, wofür hauptsächlich ökonomische Gründe ver­ antwortlich zu machen sind, und wenn ihm Folge gegeben werden konnte, so war doch das Heiratsalter ein sehr hohes und ein vorhergehendes langes Zölibat die Regel44). Da im Mittelalter die gewerbliche Bevölkerung bei der Ver­ ehelichung an den Nachweis gebunden war, daß der Mann einen eigenen Nahrungsstand habe, so durfte der Geselle im allgemeinen nicht heiraten. Es bildete sich infolge der Schließung vieler Zünfte, der Beschränkung der Betriebsstätten und Verkaufsbänke im 14. und 15. Jahrhundert ein eigener Gesellenstand, der keine Aussicht auf Selbständigkeit und Familiengründung hatte. Wenn trotzdem Gesellen­ heiraten nicht selten waren, so waren sie keinesfalls so häufig wie etwa heute die Ehen der Fabrikarbeiter45*). Während diese Kategorie von Zölibatären hauptsächlich in den beiden letzten Jahrhunderten des Mittelalters die Nachfrage nach der Prostitution beeinflußt und erhöht hat, hat die große Menge der ehelosen G e i s t l i c h e n schon seit dem 11. Jahrhundert einen wesentlichen Bestandteil der Klientel der Prostitution gebildet, jeden­ falls einen so deutlich nachweisbaren, daß, wie schon erwähnt, A v 6 L a l l e m a n t daraus auch eine innere Beziehung zwischen Klerus und Prostitution ableiten wollte, was nicht angängig ist. Das strenge Zölibatgesetz G r e g o r s VII. vom Jahre 1074 richtete sich nicht bloß gegen die Priesterehe, sondern wohl ebenso gegen die gerade um jene Zeit arg eingerissene geschlechtliche Unzucht der Geistlichen44). Aber das erstrebte Ziel wurde nicht erreicht, viel­ 4S) B ü c h e r , Frauenfrage im Mittelalter, S. 24—26, 31—32. 44) Vgl. B o o s a. a. 0., Bd. III, S. 44; S c h m o 11 e r a. a 0., Bd. I, S. 174. 45) B ü c h e r , Frauenfrage im Mittelalter, S. 7—8. 46) Vgl. A l b e r t D r e s d n e r , Kultur- und Sittengeschichte der italienischen Geistlichkeit im 10. und 11. Jahrhundert, Breslau 1890, S. 319-327.

695 mehr seit der allgemeinen Einführung des geistlichen Zölibats im 12. Jahrhundert die Zahl der ehelosen Männer in den Städten in einem höchst ungesunden Maße vermehrt und so die Nachfrage nach der Prostitution ganz bedeutend gesteigert. Einige Zahlen mögen diese unverhältnismäßige Zunahme der geistlichen Zölibatäre in den Städten erläutern. Die Stadt Mainz zählte um 1450 ca. 5750 Köpfe, nämlich 4680 Bürger, 520 Beisassen, 50 Juden und 500 G e i s t ­ l i c h e4’) ! Nach der Statistik von B ü c h e r*48) zählte Frankfurt a. M. im 14. und 15. Jahrhundert bei einer Bevölkerung von e tw a . 9000 Einwohnern durchschnittlich 85—100 Welt- und 80—100 Ordens­ geistliche, dazu 20—35 ritterliche Ordensleute und 15—20 Höfe fremder Klöster und Stifte. Das ist im Verhältnis zur Bevölkerungsziffer ebenfalls noch ein sehr großer Prozentsatz. Und es ist kein Zufall, wenn auch in Frankfurt der Rat anno 1463 Pfaffen, Pfaffenmädchen, Huren, Bubenknechte, Beginen in einem Atem aufzälilt4950). Ebenso­ wenig ist es zufällig, daß wir in den Bürgertestamenten des 15. Ja h r­ hundert bei Legaten an Geistliche die konditionellen Beiwörter: „wolgeleunt“, „frum“, „erberlich“ finden80). Schon im 12. Jahrhundert sagt die Verfasserin des „Hortus deliciarum“, die fromme Aebtissin H e r r a d von Sankt Odilien, von dem Treiben der Geistlichkeit: „In wüsten Zusammenkünften von Klerikern und Laien werden die Gottes­ häuser durch Fressen und Saufen, Poesenreißen, unsaubere Späße, offenes Spiel, durch Waffengeklirr, ( d u r c h d i e A n w e s e n h e i t n o t o r i s c h e r D i r n e n , durch weltliche Eitelkeiten und Un­ ordnungen aller Art entweiht81).“ D ie T a t s a c h e , d a ß s i c h in d e n m e i s t e n m i t t e l a l t e r l i c h e n F r a u e n h a u s o r d n u n g e n d a s V e r b o t f i n d e t , P r i e s t e r u n d „ g e iw e ih te “ P e r s o n e n im B o r d e l l z u e m p f a n g e n u n d z u z u l a s s e j n , b e w e i s t d i e H ä u f i g k e i t s o l c h e r V o r k o m m n i s s e 51»). Wo die klösterliche Disziplin das Ausgehen und den Verkehr der Mönche erschwerte und den Bordellbesuch unmöglich machte, da fanden um­ gekehrt die Prostitutierten Mittel und Gelegenheit, sich ins Kloster 41) B o o s a. a. O., III, 42. 48) B ü c h e r , Die Bevölkerung in Frankfurt am Main usw., I, 511. 49) B o o s a. a. O., III, 47. 50) Vgl. die Beispiele in Wiener Testamenten bei S c h r a n k a. a. O., I, 88. 51) Zit. nach J o h a n n e s S c h e r r , Deutsche Kultur- und Sitten­ geschichte, S. 159. 61a) Z. B. erließ der Rat von Nördlingen eine neue Ordnung für das Frauenhaus, „weilen besonders die Pfaffen dasselbe stark besuchten“. G. L a m m e r t , Zur Geschichte des bürgerlichen Lebens usw. in Süddeutschland, Regensburg 1880, S. 85. — Derselbe Autor hat das Material über die Unzucht des mittelalterlichen Klerus seit der Zeit des B o n i f a c i u s (740 n. Chr.) zusammengestellt (a. a. O., S. 51-64).

696 einzuschleichen und sich diese zahlungsfähige Klientel zu erhalten. Das hat z. B. in S p a n i e n zu einer eigenen Gattung von Prosti­ tuierten geführt, der „ K lo s t e r l a u f e r in “ oder „ T r o t a - C o n v e n t o s“, die wohl zuerst von dem Dichter J u a n R u i z , dem Erzpriester von Hita, um 1340 erwähnt wird, hier im Sinne einer Kupplerin68). Auch in dem berühmten spanischen Prostitutionsdrama „La Celestina“ des F e r n a n d o d e R o j a s aus dem Jahre 1492 ist von der „Trota-Conventos“ als allgemein bekanntem Typus die Rede68). Das Tun und Treiben dieser spanischen Klosterdirnen wird in einem sehr seltenen Gedichte aus dem Ende des 15. Jahrhunderts (betitelt „Carajicomedia“, und gedruckt zu Valencia 1520, französische Aus­ gabe in 150 Exemplaren) geschildert, und u. a. eine junge Dime F o n o e s c a erwähnt, die gegen zehn Uhr abends sich zu einem Kloster zu begeben pflegt, um den Prior zu besuchen, sowie die Orgie einer anderen Prostituierten mit sieben Mönchen in der Zelle eines anderen Klosters6*). Als dritte, allerdings auf die Universitätsstädte beschränkte Kategorie von Zölibatären, sind die S t u d e n t e n zu nennen, die an den Hochschulen Italiens, Frankreichs, Deutschlands, Englands und Spaniens die Hauptklientel der Prostitution darstellten. Daher waren Städte wie Bologna, Florenz, Padua, Pavía, Siena, Rheims, Orléans, Paris, Montpellier, Heidelberg, Leipzig, Köln, Erfurt, Wien, Prag, Oxford, Salamanca u. a. gleichzeitig voll von Dirnen. Allerdings war die Frequenz der südländischen Universitäten größer als die der deutschen. Immerhin wiesen auch einzelne von diesen eine recht hohe Durchschnittsfrequenz an Studierenden auf, wie Leipzig, Erfurt, Wittenberg und Köln, die zwischen 400 und 700 schwankt86), so 68) Vgl. G e o r g T i c k n o r , Geschichte der schönen Literatur in Spanien. Deutsch von N. H. J u l i u s , Leipzig 1852, Bd. I, S. 68. 6S) L a C é 1 e s t i n e. Tragi-Comédie de Calixte et Mélibée. Par F e r n a n d o d e R o j a s (1492). Traduite de l’espagnol et annotée par A. G e r m o n d d e L a v i g n e , Paris 1873, S. 48 (Akt 2) : „E t ce qui m’afflige le plus dans tout cela, c’est que vous soyez la victime de cette t r o t t e u s e d e c o u v e n t s.“ **) Chronique scandaleuse des cités de la Castille à la fin du du quinzième siècle. A Valence 1520 (Neudruck ca. 1868), S. 17, 24—25. 68) F r a n z E u l e n b u r g (Die Frequenz der deutschen Uni­ versitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Leipzig 1904, S. 53) gibt folgende Durchschnittsfrequenzen der Universitäten von 1386 bis 1540: 9. Frankfurt 154 504 5. Ingolstadt 296 Leipzig 222 10. Marburg 140 427 6. Rostock Erfurt Wittenberg 420 7. Heidelberg 219 11. Freiburg 137 390 8. Tübingen 161 12. Greifswald 84 Köln Daß Prag im Jahre 1350 über 30000 Studenten gezählt habe, wie H. H a e s e r (Lehrbuch der Geschichte der Medizin, 3. Auf!.,

697 daß z. B. nach W u s t m a n n die Studenten in Leipzig, deren Durch­ schnittszahl er für das 16. Jahrhundert auf 600—700 taxiert, den s e c h s t e n Teil der Bevölkerung ausmachten56). Größer noch war die Frequenz einiger ausländischer Universitäten, so der namentlich auch von Deutschen und Nordländern vielbesuchten Hochschulen zu Bologna und Paris57). Man kann sie unbedenklich auf m e h r e r e T a u s e n d schätzen. Unter den Studenten waren hauptsächlich die Kleriker und die „Schreiber“, d. h. die Juristen, als Schürzenjäger verrufen. „Schöne Weiber und Rebensaft ist aller Schreiber ein Buelschaft“, lautet ein Denkspruch aus dieser Zeit58). Am meisten berüchtigt durch das Sauf- und Hurenleben der Studenten waren. Paris, Padua, Salamanca, Köln, Leipzig und Wien. Schon im An­ fang des 13. Jahrhunderts erzählt J a c q u e s d e V i t r y von P a r i s , daß die Dirnen sich in den nahe den Schulgebäuden gelegenen Straßen umhertrieben und die Studenten anlockten. Oft fände man tatsächlich in demselben Hause oben eine Schule und unten ein Bordell. Im ersten Stock hielten die Professoren ihre Vor­ lesungen, im Parterre übten die Prostituierten ihr schimpf­ liches Gewerbe aus, oben erschalle der Lärm gelehrter Disputation, unten ertöne widriges Dirnengezänk59). Auch auf den italienischen Universitäten wurde „die Lust des Weines und der Liebe recht eifrig gepflegt“, aber der italienische Student versank nicht leicht in die rohe Völlerei, die an den deutschen Universitäten herrschte, ihn lockte Venus mehr als Bacchus, der Wein diente nur zur E r­ höhung und Würze der Liebesfreuden60). In dem berüchtigten „Hermaphroditus“ des A n t o n i o B e c c a d e l l i , genannt P a n o r m i t a (1393—1471), der mit E n e a S i l v i o zusammen in Siena*68 Jen a 1875, Bd. I, S. 658) mitteilt, ist natürlich ausgeschlossen. Ebenso unwahrscheinlich sind die 7000 Studenten in Wien bei S c h r a n k a. a. O., I, 91. ®6) Vgl. W i l h e l m B r u c h m ü l l e r , Der Leipziger Student 1409—1909, Leipzig 1909, S. 10. ” ) Vgl. G e o r g S t e i n h a u s e n , Geschichte der deutschen Kultur, Leipzig und Wien 1904, S. 456, 470—472. 68) Ebendort S. 460—461. ®9) Vgl. P. P a n s i e r , L’oeuvre des repenties à Avignon du X IID au XVIIIe siècle, Paris-Avignon 1910, S. 9—10. — Das Universitätsviertel in Paris beherbergte damals nicht nur zahlreiche Bordelle, sondern es soll sogar kein Haus von Dirnen frei gewesen sein. Es ging schon im 12. Jahrhundert von den Pariser Studenten das Wort, daß sie lieber die Schönheiten der Dirnen als die Schön­ heiten C i o e r o s betrachteten. Vgl. P. L. J a c o b ( P a u l L a c r o i x ) , Les rues honteuses au moyen âge. In : Curiosités de l’histoire du vieux Paris, Paris 1858, S. 144—145. 60) G e o r g V o i g t , Enea Silvio de’ Piccolomini, als Papst Pius der Zweite, und sein Zeitalter, Berlin 1866, Bd. I, S. 13.

698 studierte, und der gleich diesem seine Studienesrlebnisse in lasziven .Gedichten niederlegte61), finden wir eine sehr drastische Schilderung des Treibens der Studenten in den Bordellen der italienischen Universitätsstädte, namentlich S i e n a s , z. B. die Schilderung des nächtlichen Besuchs einer ganzen Schar von Studenten bei der Nichina, eine flandrischen Dirne im Sieneser Bordell (Lib. II, epigr. 30), der Schönheiten eines florentinischen Frauenhauses (II, epigr. 37) und der Eigentümlichkeiten der Studentendirne Ursa (Lib. I, epigr. 5, 8, 9; II, 7, 9, 10) u. a. m.6*). Auch P a d u a hatte in dieser Be­ ziehung einen bösen Ruf, während es in B o l o g n a sittsamer zuging63). Dagegen hatte S a l a m a n c a zahlreiche Studentendirnen, die nur den Hochschülem ihre Dienste widmeten, wie es in der erwähnten alten „Carajicomedia“ hervorgehoben wird. Oft waren es ältere, „er­ fahrene“ Prostituierte, wie die M a r i b i a n c a , die bereits in vielen spanischer. Bordellen ihr Gewerbe ausgeübt hatte, bis sie schließ­ lich nach Salamanca kam, um dort die Studenten zu „unterrichte»“, oder die beiden V i r a j a n a , Mutter und Tochter, und die P e d r o s a und B e a t r i z i c a , deren Bekanntschaft jeder nach Salamanca kommende Student machen mußte, da niemals jemand an dieser Universität zum Lizentiaten oder Doktor promovieren konnte, „ohne daß sie ihn zuvor geprüft und für fähig befunden hätte64)“. Von den Studenten in W ie n sagt E n e a S i l v i o : „Sie sind der Wollust, dem Essen und Trinken ergeben65)“. Ebenso machten sich in K ö ln die Studenten viel mit Straßen- und Bordelldirnen zu schaffen, aber wenig m it Studien und Büchern. Die Prostituierten wurden zwar zeitweilig aus den verdächtigen Häusern und Herbergen in der Nähe der studentischen „Bursen“ (Internate, Alumnate) vertrieben, kehrten aber immer wieder dahin zurück66). Im Jahre 1486 ordnete der Rat auf die Klagen der Vorsteher der Bursen in der Schneider­ straße, Unter Sechzehnhäusem und auf der Marzellenstraße an, daß die sich in der Nähe dieser Häuser aufhaltenden Dirnen ausgewiesen und im Falle eines Widerstandes durch die Gewaltrichter auf den Berlich (das Frauenhaus) geführt werden sollten, wie das früher 61) Vgl. V o i g t a. a. O., Bd. I, S. 11—13. 6i) A n t o n i i P a n o r m i t a e Hermaphroditus ed. C. F r. F o r b e r g , Koburg 1824. — Auch E n e a S i l v i o verfaßte ähnliche laszive Schilderungen, die aber nur handschriftlich verbreitet und niemals gedruckt wurden. Vgl. V o i g t a. a. O., I, 13. 63) K a r l D i e t r i c h H ü l l m a n n , Städtewesen des Mittel­ alters, Bonn 1829, Bd. IV, S. 20-21. 64) Chronique scandaleuse des cités de La Castille, S, 22—23, 26—27, 29. 66) S c h r a n k a. a. 0., I, 96. 66) L e o n a r d E n n e n , Geschichte der Stadt Köln, meist aus den Quellen des Kölner Stadtarchivs, Köln und Neuß 1875, Bd. IV, S. 45.

699 mehrfach geschehen sei67). Auch von seiten der Universitätsbehörden wurden Maßregeln gegen den Verkehr der Studenten mit den Prosti­ tuierten ergriffen. Nach den Universitätsstatuten von 1392 war allen Magistern und Scholaren das „nächtliche Umherschweifen“, die „Unzucht“, der häufige Besuch von Schenken und „anderen ver­ botenen Orten“ bei Strafe untersagt. Auch hatte der Regens einer Burse darauf zu achten, daß keiner seiner Scholaren sich zur Nacht­ zeit aus der Burse entferne, im Sommer nicht nach zehn, im Herbst und W inter nicht nach neun Uhr ohne Erlaubnis seines Magisters ausgehe. Unter Umständen wurden nächtlich schwärmende Studenten nicht zu den Prüfungen zugelassen68). Die Details, welche H e r m a n n v o n W e i n s b e r g über seine Erlebnisse während seiner Studienzeit gibt, gewähren eine anschauliche Vorstellung von den Ausschweifungen der Kölner Studenten in Venere et Baccho69). Für L e i p z i g gibt uns der sittengeschichtlich höchst interessante „Libellus formularis universitatis Lipczensis“ aus dem Jah re 1495 Aufschluß über die viel­ fachen Beziehungen der Studenten zur Prostitution70), die ständige Verbote des nächtlichen Herumtreibens (mandata de non vagando nocturno tempore), der nächtlichen Raufereien und des Umgangs mit Dirnen nötig machten, zumal da gerade in Leipzig viele Studenten außerhalb der Bursen wohnten und sich so einer strengeren Aufsicht entzogen71). So konnten häufig solche Exzesse, wie der im Jahre 1472, wo Studenten im Bordell m it anderen Besuchern ins Hand­ gemenge gerieten und von ihren Waffen Gebrauch machten, Vor­ kommen72*7). Mit offenbarer Beziehung auf ihre studentische Klientel nannte man die 1409, zur Zeit der Gründung der Universität, vor dem Halleschen Tore gelegenen Leipziger Frauenhäuser auch spott­ weise das fünfte Kollegium78). In den sogenannten „Quaestiones quodlibeticae“, d. h. den studentischen Disputationen, die an mehreren deutschen Universitäten 67) J a c o b K e m p , Die Wohlfahrtspflege des Kölner Rates in dem Jahrhundert nach der großen Zunftrevolution, Bonn 1904, Seite 37. 68) F r a n z J o s e p h v o n B i a n c o , Die alte Universität Köln usw., Köln 1855, Bd. I, S. 96, 128, 134. 69) E n n e n a. a. 0., IV, 45. 70) Abgedruckt bei F r i e d r i c h Z a r n c k e , Die deutschen Universitäten im Mittelalter, Erster Beitrag. Leipzig 1857, S. 155 bis 208. 71) B r u c h m ü l l e r , Der Leipziger Student, S. 22. ’«) v o n P o s e r n - K l e t t , Frauenhäuser und freie Frauen in Sachsen. In : Archiv für die Sächsische Geschichte, Leipzig • 1873, Bd. XII, S. 73. 7S) G. L a m m e r t , Zur Geschichte des bürgerlichen Lebens und der öffentlichen G esundheitspflege usw. in Süddeutschland. Regens­ burg 1880, S. 82.

700 und auch in Paria angestellt wurden, wurden auch leichtere Themata in scherzhafter Weise behandelt, und unter diesen auch die Be­ ziehungen der Prostituierten zu ihren Klienten. So wurde in den neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts in Heidelberg unter dem Vor­ sitze des J o h a n n e s H i.lt von dem Magister J a c o b H a r t l i e b die folgende quodlibetische Scherzrede gehalten: „D e f i d e m e r e t r i c u m in s u o s a m a t o r e s . Quaestio minus principalis urbanitatis et facetiae causa in fine quodlibeti Heidelbergensis determinata a magistro Jacobo Hartlieb Landonensi.“ (Erste Ausgabe, Ulm ca. 1500’*).) Sic ist eine W a r n u n g vor den Bänken und Listen der Dirnen in Form einer akademischen Disputation, mit vielen Stellen aus römischen Dichtern, besonders 0 v i d und V i r g i l , sowie mit Zitaten aus dem römischen und kanonischen Recht belegt und mit allerhand deutschen Redensarten und Uebersetzungen durchzogen, und vor allem wichtig dadurch, d a ß s i e d i e i n n i g e n B e z i e h u n g e n z w i s c h e n S t u d e n t u m u n d P r o s t i t u t i o n in d e r A u s ­ b i l d u n g e i n e s g e m e i n s a m e n J a r g o n s z e i g t , den, wie schon erwähnt, A v 6 - L a l 1 e m a n t irrtümlich als Produkt eines g e i s t l i c h e n Milieus auffaßt75), während er dem a k a d e m i s c h e n Milieu seinen Ursprung verdankt, dem allerdings damals mehr Kleriker als Laien angehörten. Wie wir in den einer späteren Zeit angehörigen Vokabularien der Studentensprache, z. B. in dem 1781 erschienenen „Studenten-Lexikon“ des C h r i s t i a n W i l h e l m K i n d ­ l e b e n (Neudruck von A d o l f W e i g e l , Leipzig 1899), einen eigentümlichen Bordelljargon rein s t u d e n t i s c h e n Ursprungs ent­ wickelt sehen, so müssen wir auch das entsprechende Wörter­ verzeichnis des J a k o b H a r t l i e b beurteilen, wenn auch natur­ gemäß die Beziehungen der Dirnen zu den Geistlichen darin besonders hervortreten und gegeißelt werden. Die Schrift ist eben gleichzeitig eine antiklerikale Satire. Natürlich sind auch viele Ausdrücke aus der Dirnen- und Gaunersprache einfach übernommen worden. Regelmäßige Orgien der Studenten in den Bordellen fanden bei der Ankunft neuer, ihr Studium erst beginnenden Kommilitonen, der sogen. „Pennäle“ und „Beanen“ statt, wobei letztere verpflichtet waren, u ) F r i e d r i c h Z a r n c k e , Aufsätze und Reden zur Kulturund Zeitgeschichte, Leipzig 1898, S. 13. („Ueber die Quaestiones quodlibeticae,“ S. 9—14). — Vgl. auch H u g o H a y n , Bibliotheca erotica et curiosa Monacensis, Berlin 1889, S. 77—78, wo die Schrift irrtümlich dem berühmten Humanisten J a c o b W i m p h e l i n g zugeschrieben wird. — Verzeichnis späterer Ausgaben ebendort, es f e h l t eine (in meinem Besitze befindliche) von 1581 o. 0 .; N e u ­ d r u c k bei Z a r n c k e , Die deutschen Universitäten, Leipzig 1857, S. 67—87. 75) Vgl. A v ö - L a l l e m a n t , Das deutsche Gaunertum, Leipzig 1862, Bd. IV, S. 71—72.

701 die ganzen Kosten der Saufereien, Schmausereien und der Gelage mit den Huren zu tragen’6). Endlich lieferten die Studenten im Mittelalter ein großes Kon­ tingent der zur Prostitution in engster Beziehung stehenden sogen. „ F a h r e n d e n L e u t e “ oder „ V a g a n t e n “, worauf wir weiter unten zurückkommen.

Aus den bisherigen Darlegungen können wir den Schluß ziehen, daß die Zahl der unverheirateten erwachsenen Männer und Frauen im Mittelalter e in e b e d e u t e n d g r ö ß e r e war als heute. B o o s” ) schätzt sie bei einer Bevölkerung von 10000 Seelen auf nicht weniger als 2000. Diese Zahl fällt um so mehr ins Gewicht, als gerade aus dieser Kategorie der Ehelosen viele einen harten Kampf ums bloße Dasein führen mußten und schließ­ lich der Verarmung anheimfielen. P a u p e r i s m u s und P r o l e ­ t a r i a t waren auch im Mittelalter ein günstiger Nährboden für die Prostitution. In Frankfurt a. M. waren nach den Steuerlisten des Jahres 1410 schon 14 o/o der Steuerpflichtigen völlig besitzlos, in Hamburg gab es im Jahre 1451 bei ca. 18 000 Einwohnern 16 o/o, 1487 aber bei 16 000 Einwohnern sogar 20 o/o Arme, also ein volles Fünftel, in Augsburg nannten 1520 3000 Leute nichts oder nur wenig ihr eigen, was 12 bis 15 o/o der damaligen Einwohnerzahl ausmacht’8).

Das eigentliche großstädtische „Proletariat“, wie wir es heute kennen, existierte wohl nur in den Biesenstädten des Orients, in Konstantinopel, Bagdad, Kairo und anderen Städten79). Ein bezeichnendes mittelalterliches Dokument über die Be­ ziehungen zwischen Prostitution und Pauperismus teilt L a m m e r t 80) mit: „Den zweyen Jungfrauen ist ihr rechts vatterliches Erbe durch die urthel genommen worden ohne alle vrsach, damit wären sie wohl verheurath worden vnnd damit zu ehren gekommen: Aber also haben sie nichts mehr, vnnd die ein© muß gen Regenspurg, die ander gen Nürnberg in die gemainen Frauenhäuser.“ Der Erkenntnis dieses Zu­ sammenhanges entsprang die mittelalterliche Einrichtung der sogen. „ J u n g f e r n - S t e u e r n “ oder des „ J u n g f e r n a l m o s e n s “, d. h. ’6) Vgl. L. E n n e n , Zur Sittengeschichte der Kölner Universität. In: Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte. Herausgegeben von J. H. M ü l l e r , N. F., Hannover 1873, Bd. II, S. 756—762. ” ) B o o s a a. O., III, 136. ’8) Vgl. B e r n h a r d H e i l , Die deutschen Städte und Bürger im Mittelalter, Leipzig 1903, S. 89; B ü c h e r , Bevölkerung von Frank­ furt I, 27. ’*) Vgl. v. K r e m e r

a a. O., II, 55, 188, 267.

80) G. L a m m e r t a. a 0., S. 75.

702 einer Aussteuerstiftung für arme Jungfrauen, wie sie u. a. aus Nürn­ berg (1427), Landsberg (1437) und Straubing (1466) bekannt sind. Für Landsberg machte Herzog E r n s t eine Stiftung, wodurch er die Unkosten der Aussteuer von vier Mädchen auf die Stadt ver­ wies, weil „oft ains frommen armen Mannes Tochter in Unlauter­ keit falle vnd ir jungfräuliche Gron Verliese, darurnb, daß Vater vnd Mutter so arm sind81)-“

Der Pauperismus tritt hinsichtlich der Begünstigung und Zusammensetzung der mittelalterlichen Prostitution sicher be­ deutend zurück hinter dem damals in allen Ländern in auffälliger Weise verbreiteten Unwesen der sogenannten „ s c h ä d l i c h e n L e u t e “82*8), d. h. aller jener Individuen, die, wie sich der Stadtschredber von Augsburg, N i k o l a u s H a g e n , anno 1362 recht treffend ausdrückt, „vil verzerent und nicht gewinnent, sind alle dieb und diebsgesellen“88), also aller Personen ohne nach­ weisbare Existenzmittel, deren Unterhalt durch Bettelei, allerlei schlechte Künste, ¿Diebstahl und andere kriminelle Akte und last not least Prostitution ermöglicht wurde. Das „Achtbuch“ der Stadt Augsburg aus dem 14. Jahrhundert liefert uns in seinen verschiedenen Listen dieser „schädlichen Leute“ ein anschauliches Bild von der Beschaffenheit und Zusammensetzung dieser Klasse, das uns den innigen organischen Zusammenhang zwischen Ver­ brechertum und Prostitution gleichsam ad oculos demonstriert, der ja in dieser m i t t e l a l t e r l i c h e n Form — man denke an die damals erfolgte Bildung der Gauner- und Dirnensprache — nach den grundlegenden Untersuchungen A v e - L a l l e r n a n t s bis auf den heutigen Tag fortexistiert. Alle hierher gehörigen, mehr oder weniger kriminellen Existenzen haben d i r e k t e o d e r i n d i r e k t e B e z i e h u n g e n z u r P r o s t i t u t i o n . Als solche schädlichen Leute nennt das Augsburger Achtbuch: Diebe und Diebshehler, Säckelschneider, Räuber („Abreißer“, „Abbrecher“, „Pfadhuche“), verschiedene Arten von Falschspielern („Scholdrer“, 81) Ebendort S. 97. 82) Aehnlich heißen sie französisch „ m e s c h a n s g e n s “ in dem mittelalterlichen Tavernenlied des D a d o u v i l l e bei F r a n ­ c i s q u e - M i c h e l et E d o u a r d F o u r n i e r , Histoire des Hôtel­ leries, Cabarets etc., Paris 1859, Bd. I, S. 208. 8S) Vgl. die anonyme Abhandlung „Verbrechen und Verbrecher zu Augsburg in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts“. In: Zeit­ schrift des Histor. Vereins für Schwaben und Neuburg, Augsburg 1877, Bd. IV, Heft 2, S. 205.

703 „Vierkarter“, „Fünfler“, „Kopper‘“), Bettler, Landstreicher (Semner“ und „Giler“), Bauernfänger („burenverratter“) und andere Betrüger, Spekulanten auf die religiöse Leichtgläubigkeit, wie Wahrsager, Teufelsbeschwörer, fingierte Priester und Mönche, angebliche Pilgrime, Zuhälter, Kuppler, Kupplerinnen, Bade­ knechte, Reiberinnen84) u. a. m.88). Im mittelalterlichen London machten sie den größten Teil der sogenannten „ N a c h t l ä u f e r “ (night-walkers) aus, d ie i h r e H a u p t q u a r t i e r e in h e i m ­ l i c h e n B o r d e l l e n h a t t e n , so daß schon E d u a r d I., um dem Unwesen des mit der Prostitution eng verschwisterten Ver­ brechertums zu steuern, am Ende des 13. Jahrhunderts eine sehr scharfe Aufsicht über diese Dirnen und ihren kriminellen Anhang einführte, und 1282 ein eigenes Gefängnis in der Straße Cornhill für alle diese Nachtläufer errichten ließ88). Die Zahl dieser antisozialen Bevölkerungselemente in den mittelalterlichen Städten war in Anbetracht der relativ geringen Einwohnerzahlen eine recht hohe. So zählte Augsburg bei einer Bevölkerungsziffer von 18030 durchschnittlich jährlich m e h r e r e H u n d e r t e solcher schädlichen Leute*87)- Dies erklärt sich be­ sonders aus der b e s t ä n d i g e n F l u k t u a t i o n gerade dieses Elementes, seinem ununterbrochenem Zu- und Abströmen. So fallen die „schädlichen“ Leute zum größten Teil mit den sog. „ F a h r e n d e n “ oder den V a g a n t e n zusammen. Ihre unge­ heure Z u n a h m e ist ein charakteristisches Merkmal des Mittel­ alters, da sie direkt mit dem mittelalterlichen Strafsystem des A e c h t e n s und der V e r b a n n u n g zusammenhängt. „Die Wirkung dieses Systems mußte für sich allein schon immer von neuem gewaltige Massen in Bewegung setzen, und gefährliche Menschen noch gefährlicher machen. War auch bei Acht und Ver­ bannung das Wort viel schlimmer als die Sache, mochte es auch vielen ohne große Schwierigkeiten gelingen, bald wieder in die Heimat zurückkehren zu dürfen, wurde auch bei vielen anderen die Rück­ kehr wenigstens stillschweigend geduldet, so w u r d e n d o c h a l l e f ü r d e n A u g e n b l i c k in d e n g r o ß e n S t r u d e l g e w o r f e n , d e n s c h l i m m s t e n V e r f ü h r u n g e n a u s g e s e t z t . Für Un­ vermögende, die so aus ihrem Berufe und aus dem Kreise ihrer Be­ kannten herausgerissen, und vielleicht noch obendrein gebrandmarkt w) Es sind das die mittelalterlichen „Masseusen“. 85) Vgl. „Verbrechen und Verbrecher zu Augsburg“, S. 189—228. 88) H e n r y B. W h e a 11 e y , The Story of London, London 1904, S. 43—44. s-) Verbrechen, und Verbrecher zu Augsburg, S. 207.

704 oder durch sonstige Verstümmelung gekennzeichnet wurden, war die Schwierigkeit, sich wieder aus dem Strudel herauszuarbeiten, selbst bei dem besten Willen — und der war ja oft nicht da — kaum zu überwinden. Die Not erzeugte neue Vergehen und neue Verbrechen, d a m i t w u r d e w ie d e r u m O r t s v e r ä n d e r u n g n o t w e n d i g , u n d so im K r e i s e w e i t e r . Unstreitig war es bequem, einen Uebeltäter sich dadurch vom Halse zu schaffen, daß man ihn ein­ fach fort jagte; es kostete für den Augenblick wenig Geld und noch weniger Nachdenken. Allein es war eine höchst kurzsichtige Politik, die sich, wie alle engherzige Selbstsucht, am Ende selbst bestrafte. E s w u r d e so e i n e z a h l r e i c h e , h e i m a t l o s e , a n k e i n e n B e ru f, k e in e b e s tim m te B e s c h ä f tig u n g g e b u n d e n e B e v ö l k e r u n g h e r a n g e z ü c h t e t , die ruhelos von Ort zu Ort getrieben, je nach Sinnesart und Gelegenheit sich den vielen großen und kleinen Räubern, die die Landstraßen unsicher machten, anschloß oder als Bettler und Landstreicher herumvagabundierte und das haupt­ sächlichste Material für die Verbrecherklassen der Städte, und vor­ zugsweise der größeren Städte, lieferte88).“

So wurde im M ittelalter die Schar der Vaganten v o n N e i g u n g u n d B e r u f (Spielleute, Pilger, fahrende Schüler, Zigeuner, fahrende Frauen) durch diese ursprünglich seßhaften Individuen, die man als k ü n s t l i c h g e z ü c h t e t e Vaganten bezeichnen kann, ganz unverhältnismäßig vergrößert, lobgleich auch jene Kategorie von Vaganten bei dem gewissen Epochen des Mittelalters eigentümlichen Wandertriebe (Pilger, religiöse Schwärmer, Geißler) sicher damals ebenfalls bedeutend zahlreicher war als zu anderen Zeiten, wozu im Orient schon früh die W all­ fahrten nach Mekka eine Parallele liefern. Diese Seltsame Wander­ lust war nicht bloß (wie heute) mehr auf das männliche Ge­ schlecht beschränkt, sondern ergriff auch Frauen und Mädchen in gleicher Weise. So heißt es in den Steuerlisten oft von den Frauen: „Ist enweg“, „Ist davon gelauffen“, „Niemand weiß, wohin sie gekommen“89). Dieser seltsame psychische Zustand des Mittelalters, dieser unwiderstehliche Drang in die Ferne muß bei der Bewertung der sozialen Bedingungen der damaligen Prostitution voll berücksichtigt werden. Es ist hier nicht der Ort, die höchst interessante und eigenartige Z u s a m m e n s e t z u n g der fahrenden Leute genauer zu unter­ suchen. Wir betrachten sie nur in ihren Beziehungen zur Prostitution deren w e s e n t l i c h e G r u n d l a g e sie bilden, und für die sie das u n e r s c h ö p f l i c h e R e s e r v o i r darstellen, was sich in 88) Verbrechen und Verbrecher zu Augsburg, S. 209—210. 89) B ü c h e r , Erauenfrage im Mittelalter, S. 41.

705 der Tatsache ausspricht, daß fast ausschließlich O r t s f r e m d e in den einzelnen Städten das Prostitutionsgewerbe ausüben. Andererseits stellt auch der männliche Teil dieser Fahrenden überall ein be­ deutendes Kontingent entweder zur K l i e n t e l oder zur Kategorie der A u s b e u t e r der Prostitution. Sie teilten mit den Prostituierten das Brandmal der sozialen Aechtung, der Ehrlosigkeit und Schande. Es waren P a r i a s der Gesellschaft, aber von verschiedenartigster Herkunft, eine bunte Zusammen würfelung aller möglichen Elemente: Bettler, Spielleute, Possenreißer, Gaukler, Sänger, Tänzerinnen, Leierund Harfenmädchen, Zigeuner, Juden” ), Aussätzige, Abenteurer, fahrende Schüler, Lehrer und Kleriker, Söldner, fremde Gesellen und Dienstboten, die seit der Merowinger- und Karolingerzeit als Fahrende. Vaganten, Vagati, Vagerer, Begharden, Lolharden, Mendikanten. Alchbrüder, Heiltumsführer, Stirnstoßer, Stationierer, Abenteurer-, elende, d. h. fremde Schüler, Partierer, Spanfelder, Stromer, Figanten usw.9091*) Europa durchzogen und in Masse überall dort erschienen, wo ein großer Zusammenfluß von Menschen stattfand, also auf Messen und Jahrmärkten, Kirchweihen und anderen öffentlichen und privaten Festen, Turnieren, Reichstagen, Konzilen, Wallfahrten, Kreuzzügen und anderen Heereszügen, Badefahrten und bei anderen Gelegenheiten großer Menschenansammlungen. Im frühen Mittelalter war die Bedeutung der M ä r k t e und M e s s e n eine sehr große, da sie im Abendlande geradezu die noch fehlenden Städte ersetzten, ähnlich wie es schon seit alter Zeit im 90) Die Herkunft des jüdischen Elementes im mittelalterlichen Vagantentum hat F r . C h r. B. A v ä - L a l l e m a n t (Das deutsche Gaunertum, Leipzig 1858, Bd. I, S. 17) zutreffend erklärt: „Denkt man an die u n g e h e u e r e U n t e r d r ü c k u n g und V e r­ f o l g u n g der Juden, namentlich im Mittelalter, wo der Priester G o t t s c h a i c k und der G r a f v o n L e i n i n g e n zur Zeit des Eremiten P e t e r wahre Kreuzzüge wider die Juden auf deutschem Grund und Boden unternahmen, so begreift man, daß das materielle und sittliche Elend der Juden gleich groß werden und in den scheu zusammengedrängten mutlosen Gruppen den bittersten heimlichen Haß gegen die Unterdrücker erwecken mußte. Vgl. auch T h e o d o r M ey e r - M e r i a n , „Der große Sterbent mit seinen Judenverfolgungen“ (Basel im 14. Jahrhundert, Basel 1856, S. 149—211). 91) Diese Namen nach dem Notatenbuch des D i t t m a r v o n M e c k e b a c h (ca. 1360), nach dem Wörterverzeichnis des Züricher Ratsherrn G e r o l d E d l i b a c h von 1488, nach Kapitel 63 „Von Bettlern“ von S e b a s t i a n B r a n t s „Narrenschiff“ (1494) und nach dem „ L i b e r v a g a t o r u m “ (Erstausgabe zwischen 1494 und 1499). Vgl. A v ö - L a l l e m a n t a. a. 0 ., Bd. I, S. 11, 1225—206; Bd. IV, S. 54—63. — Vgl. auch O. J. R i b t o n , A history of Vagrants and Vagrancy and Beggars and Begging, London 1887; T h e o d o r H a m p e , Die fahrenden Leute in der deutschen Vergangenheit, Leipzig 1902. Bloch, Prostitution. I,

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706 Orient Markt- und Messeplätze gibt, wo einmal im Ja h r sich Tau­ sende versammeln, ohne daß eine Stadt entsteht92). Meist fanden diese M ärkte in der Nähe der Kirchen und Klöster sta tt, und zwar meist in Verbindung m it M ä r t y r e r f e s t e n , was in Aegypten schon im 4. Jah rh u n d ert n. Chr. nachweisbar ist. Hier kam auch schon die P r o s t i t u t i o n in allen möglichen Formen auf ihre Rechnung. „Viele Christen,“ meint der streng asketische Mönch S c h e n u t e , „Männer sowohl wie Frauen, kommen nur darum zu den M ärtyrer­ festen, um Unzucht zu treiben, sich in irgendeinem Grabmal oder sonst einem geeigneten Versteck zusammenzufinden.“ Nach dem Feste ström te alles, r wie der heil. C h r y s o s t o m o s sagt, in die Animierkneipen u n d Bordelle. Das fahrende Volk war reichlich ver­ treten, Tänzerinnen und Tänzer belustigten die ganze N acht hindurch die Menge98). Auch später blieb allerorts das Abhalten von J a h r­ märkten m it der Feier der wichtigeren M ärtyrerfeste verbunden. Am Namenstage dieser Heiligen fanden W allfahrtsgänge zu ihren wunder­ tätigen Bildern sta tt. Die Anhäufung großer Menschenmassen in oft ganz kleinen Orten oder g ar in der Nähe völlig isoliert liegender Klöster und Kirchen war, zumal auf mehrere Tage, nur möglich, wenn es an Lebensmitteln n icht gebrach. Daher fanden sich zuerst bei solchen Gelegenheiten Verkäufer von Viktualien ein, ihnen folgten andere Kaufleute und schließlich das für Schaustücke und L ust­ barkeiten unentbehrliche fahrende Volk. Jahrm ärkte größeren Stiles hießen „Messen“, weil sie nach beendigtem Gottesdienst (Ecclesia m i s s » e s t!) eröffnet wurden94). Sie sind für Deutschland schon im 9. Jah rh u n d ert nachweisbar, z. B. 829 in Worms95). Die Anfänge der L e i p z i g e r M e s s e lassen sich bis zum Jah re 1170 zurück­ verfolgen, im Ja h re 1268 ist sie bereits zu dem weltberühmten J a h r­ m arkt geworden, der seine höchste Entwicklung im 15. Jahrhundert erreichte und sie bis zum letzten Viertel des 19. Jahrhunderts bei­ behalten h a t96*). Die F r a n k f u r t e r M e s s e wird zuerst 1240 er­ wähnt, ihre Blüteperiode fä llt in das IC. Jahrhundert, sie war eine „W eltverkehrsanstalt von universeller Bedeutung für einen großen 92) S c h m o 11 e r a. a. O., I, 264. 9S) Vgl. E r n s t L u c i u s , Die Anfänge des Heiligenkults in der christlichen Kirche, herausgegeben von G u s t a v A n r i c h . Tübingen 1904, S. 321—323. 919) C. M e i n e r s , Historische Vergleichung der Sitten usw. des M ittelalter m it denen unseres Jahrhunderts, Hannover 1793, Bd. I, S. 261, Anm. z. 113) Seit Anfang des 14. Jahrhunderts. 1355 ein Frauenhaus im Latron erwähnt. Um 1403 gab es mehrere privilegierte Frauenhäuser. L a m m e r t S. 89. 114) M e y e r - A h r e n s a. a. O., S. 54. 115) L a m m e r t , S. 92. 116) Frauenhänser existierten in Soest schon im 14. Jahrhundert. Vgl. L u d w . F r i e d r . v o n S c h m i t z , Denkwürdigkeiten ans Soest’s Vorzeit, Leipzig 1873, S. 228. “ ’) M e y e r - A h r e n s , S. 54; S c h e i b l e s „K loster“ VI, 472. 116) Frauenhäuser im 14. und 15. Jahrhundert. Vgl. T h e o d o r H a r s t e r , Das Strafrecht der freien R eichsstadt Speier, S. 191— 192. 119) Besichtigung der zahlreichen öffentlichen Häuser 1469, vgl. J . B r ü c k e r , Straßburger Zunft- und Polizeiverordnungen, S. 458. 19°) Schon in der Ordnung von 1410 heißt es: „Die B ettelherm sollen eine Rechtfertigung in y e d e m Frawenhauss halten“, „welche in ein a n d e r offen frowen huss hie oder anderswo gehen.“ C a r l J ä g e r , Ulms Verfassungis-, bürgerliches und kommerzielles Leben im M ittelalter. S tu ttg art und Heilbronn 1831, S. 546. 191) In dem fränkischen Städtchen Volkach wurde um 1440 ein Frauenhans errichtet. L a m m e r t a. a. O., S. 93.

745 r o d e 122*), W i e n 122), W i n t e r t h u r 124), W i t t e n b e r g 125*), W ü r z b u r g128), Z ü r i c h 127), Z w i c k a u128). F ra n z ö s is c h e

S tä d te

m it F r a u e n h ä u s e r n .

In der Aufzählung der französischen Städte m it Frauenhäusern folgen wir im wesentlichen den au f archivalischem M aterial beruhen­ den Werken von R a b u t a u x und L e P i l e u r : A b b e v i 11 e129), A 1a n s o n122), A n g e r s , A p t130), A r l e s131), A v i g n o n 132*), B a g n o le t, B e a u c a i r e 138), B e s a n ç o n 134), B é t h i s y 135*) , B l o i s , B o r d e a u x '18), C a r p e n t r a s 187), C a I22) W i l l y V a r g e s a. a. O., S. 225. 12S) Die erste urkundliche Erwähnung eines Frauenhauses in Wien findet sich in dem Freiheitsbrief, den Herzog A l b r e c h t III. von Oesterreich im Ja h re 1384 dem Hause der Büßerinnen zu St. Jerom ine erteilte. S c h r a n k a. a. O. I, 59. 124) Beschluß des Rats, ein Frauenhaus in W interthur zu er­ richten anno 1468. Vgl. J. C. T r o l l , Geschichte der Stadt W inter­ thur, W. 1844, Bd. IV, S. 66 ff. 125) v. P o s e r n - K 1 e 11 a. a. O., S. 82. 128) Bereits in einer Urkunde von 1277 wird ein Frauenhaus „Zum E sel“ Eigentum der S tadt Würzburg. L a m m e r t , S. 94. 12‘) Erste Erwähnung von Frauenhäusem um 1310. Schon 1314 wurde ein Frauenhaus aufgehoben. H. Z e l l e r - W e r d m ü l l e r , Die Zürcher Stadtbücher des XIV. und XV. Jahrhunderts, Leipzig 1899, Bd. I, S. 3—4; M e y e r - A h r e n s a. a. 0., S. 54. 128) Das Frauenhaus, welches schon im Zwickauer S tadtrecht von 1348 erwähnt wird, befand sich zwischen der Bader- und Komgasse neben des Henkers Hause an der Stadtmauer, v. P o s e r n K l e t t a. a. O., S. 73. 129) 1478, R a b u t a u x a. a. O., S. 26; ebendort S. 53. is°) 1421 kommen Reparaturen am „bordel“ in den S tadt­ rechnungen von Apt vor. L e P i l e u r a. a. O., S. 6. 1S1) Anweisung eines bestimmten Quartiers für die Prosti­ tution, 1489. L e P i l e u r , S. 139. 132) Schon 1243 werden die „domus meretricum“ in Avignon er­ wähnt. L e P i l e u r , S. 1. 183) Erwähnung eines Frauenhauses in Beaucaire 1414. R a b u ­ t a u x , S. 99. 184) 1398 wird der Stadt Besançon Miete bezahlt „par la maistresse du bourdel pour la maison où l’on tient ledit bourdel“. L e P i 1 e u r , S. 59. 186) 1376, bei R a b u t a u x , S. 105. l38) J . J e a n n e l , Die Prostitution in den großen Städten im neunzehnten Jahrh u n d ert und die Vernichtung der venerischen Krank­ heiten, Erlangen 1869, S. 95. 187) Erwähnung des Frauenhauses zu Carpentras 1370. Le P i l e u r , S. 3.

746 v a i l l o n 138), C h a r t r e s 138*), G e n f lw), I s s o u d i n 141), L y o n 142143), M a l a u c è n e14S), M a r s e i 11 e144), M o n t p e l l i e r144), N a r­ b o n n e 146), N e v e r s 146), N î m e s 147), N i o r t 147»), P a r i s 148*), B o î ­ t i e r s148), P r o v i n s150*), R h o d e z131), L a R o c lie - d e G l u n 152*), R o u e n 148), S a in t - S a tu r n in -d u P o r t 144), S a 1 o n154), S i s t e r o n 146*), T a r a s c o n147*), T r o y e s138), T o u i 148), T o u l o u s e 160), T o u r s 161), V a l r c a s 162), V e r n c u i l 1*’) , V i 1le f r a n o h e 164). 138) „hospitium pro filiabus publicis et vagabundis“, 1477, bei L e P i l e u r , S. 20. 13°) 1461 und 1462. R a b u t a u x , S. 72. 14°) 15. Jahrhundert. M e y e r - A h r e n s a. a. 0., S. 54. 141) R a b u t a u x , S. 45. 142) 1475 wurden zwei Frauenhäuser in Lyon errichtet. R a b u ­ t a u x , S. 99. 143) Errichtung eines Frauenhauses 1473. L e P i l e u r , S. 19. 144) Bereits in einer Ratsurkunde aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wird eines Frauenhauses (in luponari seu inerotricali domo) zu Marseille gedacht. Vgl. H. .M 'ir e u r , La Prosti­ tution ä Marseille, S. 23 und 365. 144) R a b u t a u x , S. 94. 146) Ebendort S. 53. 147) „aliqua vilis meretrix prostibuli.“ Verordnung vom 29. J u li 1350 bei L e P i l e u r , S. 135. 147a ) Schon zu Anfang des 12. Jahrhunderts. Vgl. D u l a u r e a. a. O., S. 118. 148) Schon im 11. Jahrh u n d ert gab es Frauenhäuser in Paris. R a b u t a u x , S. 38. 148) Ebendort S. 72. 14°) Ebendort S. 52. 141) Urkunde von 1307, aus der die Existenz eines Frauenhauses in Rhodez gefolgert werden kann. Ebendort S. 97. 142) Ebendort S. 53. 143) Schon in der zweiten H älfte des 12. Jahrhunderts befand sich zu Rouen ein Frauenhaus. Ebendort S. 100. 144) Ebendort S. 99. 144) Verlegung eines Frauenhauses 1467. L e P i l e u r , S. 138. 14°) Errichtung eines Frauenliauses in Sisteron 1394. R a b u ­ t a u x , S. 98. 147) Erwähnung von „lupanaria“ 1441. L e P i l e u r , S. 137. 148) R a b u t a u x , S. 45. 148) 1430. A rtikel „Hure“ in Krünitz’ E n c y c l o p ä d i e , Teil XXVI, S. 654. 16°) Das Frauenhaus in Toulouse existierte schon am Ende des 12. Jahrhunderts, es wurde bereits 1201 verlegt. R a b u t a u x , S. 90—91. 161) R a b u t a u x , S. 71.

747 Von i t a l i e n i s c h e n Städten m it Frauenhäusem seien ge­ n a n n t: K o n i185), A o s t a , B e r g a m o , B o l o g n a , F a e n z a , F lo r e n z , L u c c a , M a ila n d , M a n tu a , N e a p e l, P a d u a , P a l e r m o , P a r m a , V e n e d i g ; von s p a n i s c h e n : A l h a m a , A lm e ria , A lm u n e c a r, B a z a , C a d ix , G ra n a d a , L o ja , M a l a g a , M a r b e l l a , R o n d a , S e v i l l a 162*5166) und V a 1 e n c i a 16’).

Diese Uebersicht-, die ja nur einen Teil der europäischen Städte mit offiziellen Frauenhäusern verzeichnet, zeigt uns, daß solche nicht nur in größeren, sondern auch in k l e i n e n L a n d ­ s t ä d t e n vorhanden waren und sich überall der Duldung und Legitimierung von 9eiten der Behörden erfreuten. Auch die r e i c h e T e r m i n o l o g i e der m ittelalterlichen Frauenhäuser läßt ihre Popularität und unbefangene Beurteilung erkennen. Unter den d e u t s c h e n Namen war „ F ra u e n h a u s“ ( f r o w e n h u s , f r o w c n h ü s c h c n ) der am häufigsten gebrauchte Ausdruck für das m ittelalterliche Bordell168), ferner „ h u r h u s “, h u o r c n h u s 169), „ g e m e i n e s H a u s “, „ o f f e n e s o d e r o f f e n ­ 162) E rrichtung eines Frauenhauses in Valreas 1486. L e P i l e i i r , S. 32. ,6S) Schon 1283 erwähnt. R a b u t a u x , S. 105. 16‘) D u l a u r e a. a. 0., S. 119. 165) U nter Benedikt IX. wurde 1033 neben der Kirche St. Nikolaus ein Bordell errichtet. R a b u t a u x , S. 54; für die folgenden Städte vgl. die zitierten Werke von C u t r e r a , d i G i a c o m o , L o r e n z i , M o l m e n t i und R a b u t a u x . 166) Verzeichnis der genannten Städte bei G u a r d i a a. a. O., S. 774—775. i6 traduite par S i l v e s t r e d e S a c y , Paris 1810, S. 297—299. 367) R a b u t a u x S. 71.

785 geteilt: in die Straßen-, Bäder- und M ü h l e n p r o s t i t u t i o n . ’88) Endlich iat noch dor seit alter Zeit in Hamburg, Paris and anderen. Städten nachweisbaren Prostitution in K e l l e r n und ähnlichen unter­ irdischen Gelassen, den sogen. „G l a p i e r s “, zu gedenken, die meist nur am Tage und zu bestimmten Stunden den Aufenthalt der Dirnen bildeten und beim Einbruch der Nacht geräumt werden mußten, um den Verbrechen in diesen Schlupfwinkeln vorzubeugen.’89) Aus den zahlreichen Quellenangaben können wir auch auf die Existenz einer umfangreichen S t r a ß e n p r o s t i t u t i o n im Mittelalter schließen. So werden in einer Nürnberger Verordnung von 1437 „die heimlichen Frauen und Töchter, d i e in d e r S t a d t a u f - u n d n i e d e r g a n t und nit in offenen Fraiuenhäuser sint“ ausdrücklich namhaft gemacht,’70) anderswo heißen sie „ d ie d a a u f d e m G r a ­ b e n g e h e n “’71) oder die „ E c k e n s t e h e r i n n e n “.’7’) In einer der Satiren des F r a n c i s c u s P h i l e l f u s (lß. Jahrhundert) wird das ausschweifende Treiben der Prostituierten in den Straßen von Genua geschildert.’7’) Verordnungen von Nîmes aus den Jahren 1350 und 1353 untersagen den Prostituierten, zu zweien durch die Straßen der Stadt zu gehen.’78) Im „Mudrarakshasa“ werden die Freuden­ mädchen als die schönste Zierde der Straßen dargestellt. Diese in­ dischen Dirnen durchzegen in coohenilleroten Kleidern, duftende Kränze in den Händen, von Wohlgerüchen umwallt und orientalisch geschmückt die Gassen, liebevolle Blicke und Worte nicht sparend. Bei ein­ brechender Nacht entwickelte sich ein besonders reges Treiben der Kupplerinnen, Lebemänner und Kyprispriesterinnen auf den Straßen.’75) Auch im Abendlande scheinen B l u m e n s t r ä u ß e von den Dirnen als beliebtes Anlockungsmittel und Erkennungszeichen verwendet worden zu sein’78). Nachts pflegten zahlreiche freie Frauen die Straßen un-38 388) „Van Tziring der Horen. Welcke Froue, de berüchtigt ist, dat lutbar is, Strafen, Staven und M o le n “ usw. S c h ö n f e l d f a. a. O., S. 100, 103—104. ’89) R a b u t a u x , S. 47—48. ” °) L a m m e r t , S. 76. ’71) K o t e l m a n n a. a. O., S. 122. ’7’) S. d i G ia c o m o (deutsche Ausgabe), S. 54. ’” ) Vgl. die betreffenden Verse bei D u l a u r e a. a. O. (deutsche Ausgabe), S. 128. ” *) P. P a n s i e r a. a. O., S. 149. S7S) D a n d i n s Da/jakumäracaritam, S. 51, 52, 55. ’78) S c h e i b l e s „Kloster“, VI, 467, 469. — Ebendort S. 19 wird eine bezeichnende Stelle aus dem Tagebuch des F r i t z S c h i c k e r über den Reichstag zu Konstanz 1507 mitgeteilt: „Ich ging eines Tags ins Freie und wandelte am See hin und her. Da begegnete mir des Herzogs Georg Schreiber, der nahm mich bei der Hand und sagte: Willst du mit mir gehen? Fragte ich: Wohin? Antwortete er: Wir kommen hin, wo h ü b s o h e M ä d c h e n sind. Wußte ich nicht, was ich antworten sollte und ging mit. Kamen wir in ein Wirtshaus, B lo c h , Prostitution. 1.

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786 sicher zu machen. Ein Augsburger Ratsdekret des 15. Jahrhunderts gebietet, um dem nächtlichen Unfug und Geschrei der freien Töchter auf der Straße zu steuern, daß dieselben in Zukunft von Geprgi bis Michaelis um 9, und von Michaeli bis Georgi um 7 Uhr zu Hause sein sollten. Dabei steht aber noch der charakteristische Zusatz: „usgenommen, so herrschaft hie ist, oder so eine einem zu hus gan wöllt, das mögen sie wol thun“. (Verbrechen in Augsburg, S. 188.) Auch die m ittelalterlichen Predigten geißeln das Treiben der Dirnen, die „an der gazzen unt a n der strazze spilent“317), und von denen B e r t h o l d von R e g e n s b u r g sagt: „Daz sint alle die ir magetuom (Jungfernschaft) veile tragent ze unö und ze unstaete und sich an pflanzent (schmücken.) sö m it varwen, sö (wie) m it schappeln (Kopfputz von Blumen), gön tanzen, daz man sehe, daz sie veile si, als der ein ros (Roß) verkoufen welle, der stözet (steckt) im ein zil (Augenziel, Zeichen) üf, ein Loup (Laub) oder etewaz und stricket (bindet) im den zagel (Schwanz) üf; sö sihet man daz ez veile ist»»).“ Klagen über Straßenunfug von Prostituierten sind häufig. 1458 wurden „Hedwig die Schlesierin“ und „Grete die Fränkin“ aus Leip­ zig verwiesen, weil sie „sich untereinander gezweit und mancherlei Aufläufe gemacht". Und 1459 heißt es: „Klein-Aennchen und Käthe von Widenhajn, freie *Frauen, haben eine ehrbar fromme Fraue an­ gegriffen und wollten sie zu sich ziehen und haben ihr doch gross Unrecht getan." ( W u s t m a n n a. a. O., S. 473—474.) Am häufig­ sten kamen natürlich diese Zänkereien und Prügeleien zwischen Frauenhausdirnen und freien Prostituierten vor, so in Frankfurt, Nürn­ berg, Hamburg, Augsburg, Moeskirch ( S c h ö n f e l d t . S . 102, L a m m e r t , S. 79, 82, 8G). .. . ' ■••••• da sassen vielerlei D i r n e n , wohl angethan, und hatten B l u m e n i n d e n H ä n d e n , und sahen uns lächelnd an. Wir aber ließen uns Wein geben, und ich verfiel in tiefe Gedanken. Da kamen die Musikanten des Bischoffe von Augsburg un d spielten ganz lustig auf zum Tanze. Also bald wurden die Dirnen ergriffen und fingen an zu tanzen. Die jungen Gesellen riefen mir zu, auch m it zu tanzen, aber ich sprach: dessen bin ich nicht kundig. D a s e t z t e s i c h z u m i r e i n e D i r n e , r e i c h t e m i r e i n e B l u m e und sagte, wenn du den Tantz nicht liebst, was liebst du denn? Sprach ich: eine Jung­ frau. Sagte sie: eine allein? Das ist nicht recht. Die andern wollen auch nicht verachtet seyn. Und hier bist du in der Fremde, sie weiss es ja nicht. Kömmst du heim, ist alles wieder gut. Da merkte ich wohl, w a s s i e w o l l t e , und bestellte noch mehr Wein, .als wollte ich bleiben, ging aber und kam nicht wieder. Waren dergleichen Dirnen gar viele m it auf den Reichstag gezogen." . 377) W. W a c k e r n a g e l , Altdeutsche Predigten und Gebete, Basel 1876, S. 42. . . »») B e r t h o l d ed. P f e i f f e r , II, 187—188, bei K o t e l m a n n a. a. 0., 139.

787 Das Verhältnis der f a h r e n d e n Dirnen zu den o r t s ­ a n s ä s s i g e n kann, wenigstens für die nördlichen Länder Europas, dahin charakterisiert werden, daß ursprünglich die fahrenden, landund ortsfremden Prostituierten ihr Gewerbe von Stadt zu Stadt oder besser von Dorf zu Dorf ziehend ausübten und erst später Frauenhäuser errichtet wurden, die eich dann auch aus Dirnen im Lande rekrutierten. In der jüngeren Edda kommen diese umherreisenden feilen Dirnen vor, sie rekrutierten sich meist aus Sklavinnen und Freigelassenen. Das hohe Alter dieser Form der Prostitution be­ zeugen die altgermanischen Namen: altnordisch: „ s h o e k j a “, „ p ü t a “, „ f ö r u k o n a “, l e t t l a e t i s k o n a " , „ s k y n d i k o n a “ ; norwegisch: „ p o r t k o n a “ ; altschwedisch: „ l ä n i a “ ; westgotisch: „ h ö r t u t a “, „1 ö p a k o n a “8” ). Im späteren Mittelalter spielten dann diese Fahrenden immer noch eine bedeutende Holle neben den ortsansässigen Prostituierten und bildeten natürlich bei gewissen Gelegenheiten (Festen, Reichs­ tagen, Messen usw.) die Mehrzahl (vgl. oben S. 705—714). Im islamischen Orient war die fahrende Prostituierte gleichfalls ein weitverbreiteter Typus. Sollen doch sogar die ägyptischen „ G h a s i j e“ oder „ G h o w ä s i“ schon im frühen Mittelalter aus Arabien eingewandert sein880). Wenn auch das eigentliche Hetärenwesen dem europäischen Mittelalter gefehlt hat und in seiner vollen Ausbildung nur im Orient zu finden ist, so gab es doch auch im Abendlande v e r s c h i e d e n e K l a s s e n von Prostituierten. Unter den Insassinnen der Frauen­ häuser und den heimlichen Dirnen finden wir das Bestreben, mög­ lichst die elegante Dame hervorzukehren und alle möglichen Schönheitsküns^e anzuwenden, um dadurch die Männer anzulocken881). Dies wird besonders in den französischen Fabliaux und in den Sittenpredigten geschildert ( K o t e i m a n n , 'S. 122). Von den freien Frauen zu Leipzig berichtet D a v i d P e i f e r , daß sie, wie zum Kauf ausgestellt und geputzt, fast den ganzen Tag an der Tür saßen und die Vorbeigehenden m it schmeichelnden Worten anlockten (W u s t m a n n a. a. 0., S. 473). In T h o m a s M u r n e r s „Gäuchmatt“ (Basel 1519, abgedruckt in S c h e i b l e s „Kloster“, VIII. 937) werden die Dirnenkünste folgendermaßen zusammengefaßt: S79) K a r l W e i n h o l d , Altnordisches Leben, Berlin 1856, Seite 259. M0) J o h a n n L u d w i g B u r c k h a r d t , Arabische Sprüchwörter, deutsch von H. G. K i r m s s , Weimar 1834, S. 22. — Sie nennen sich unter sich „ B a r a m e k e “ oder „ B a r m a k i “ und be­ haupten, von den Barmekiden, den Veziers H a r u n e r R a s h i d s , abzustammen. 881) Die Blütezeit der Dirnenkosmetik fällt allerdings in die Zeit der italienischen Renaissance, in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts, weshalb wir sie dort im Zusammenhang betrachten. 50*

788 Ettlichen lockendt sy mit pfiffen, Dem andren guckendt sy m it griffen,

Dem drytten mit eym facillet, Den andren sy gelodket het Mit wyssen schuhen, wyssen beynen, Dem m it lachen, dem m it weynen, Dem m it ringlin, krentzen, meyen. Auch im M ittelalter scheint trotz der bestimmten Kleidervorschriften für Prostituierte die M o d e doch von ihnen stark beeinflußt worden zu sein. Darauf deutet ein Wort des Grafen E b e r h a r d v o n W ü r t t e m b e r g , das G e y l e r m it­ teilt: „Zwueschen edlen wybren und huoren, do ist kein underscheid d’ kleyderhalb, hört ich einest von groff Eberharte von Wuertemberg. Entweder unszer frawe (sprach er) habend es gelert von den huoren, od’ aber die huore habe es gelert vo unszeren frawe. den sye gond! (gehen) gleich.“ ( K o t e l m a n n , S. 122.) Diesen angeseheneren Prosti­ tuierten stehen die niedrigeren Kategorien gegenüber, zu denen außer den Keller- und Mühlendirnen in manohen Städten auch die W ä s c h e r i n n e n gehörten, die in Paris schon im 13. Jahrhundert eine übelberüchtigte Straße („où il a maintes lavendières“, wie G u i l l o t in seinem „Dit des rues de Paris“ sagt) bewohnten3®2). Das eigentliche H e t ä r e n w e s e n treffen wir im M ittelalter nur im Orient. In Byzanz, in Bagdad, in den indischen Städten waren schöne und geistreiche, künstlerisch gebildete Hetären der Ruhm des Landes, eine pikante Sängerin galt mehr als eine ehrbare Frau, eine hervorragende Kurtisane in einer Stadt war ein Gegenstand des Neides für andere Städte. Die Hetäre Devadatta, in der auch für das Hetärenleben instruktiven indischen Erzählung „Muladeva“ wird vom Könige selber eine herrliche Perle der Stadt genannt ; „Schmuck der Stadt“ heißt die Hetäre in S u b a n d h u s berühmtem Roman „Väsavadattä“. Ein Schmuck jedes Gastmahls war die ara­ bische Sängerin. „Bei Gastmählem und Festgelagen saßen die Gäste gekleidet in grelle, rote, gelbe oder grüne Festgewänder auf Ruhe­ betten m it Myrten, Jasm in und anderen duftenden Kräutern Und Blumen bestreut, in silbernen und goldenen Gefäßen brannte M o s c h u s , A m b r a oder A l o e h o l z und versetzte durch den D uft die Gäste in gehobene Stimmung, während die W e i n p o k a l e aus kostbarem Metalle oder gezogenem Glase die Runde machten und die S ä n g e r i n n e n ihre schönsten Weisen vortrugen.“ Bezeichnender­ weise waren diese Sängerinnen im Anfang noch byzantinische Hetären, die in griechischer Sprache sangen, erst später entstand eine echt arabische Schule des Gesanges in Mekka383). 383) P a u l L a c r o i x , Les rues honteuses au moyen-âge, a. a. 0., S. 125. ass) Vgl. v. K r e m e r a. a. O., Bd. I, S. 27, II, 107—111 ; D a n d i n s Daçakumaracaritam ed. J. J. M e y e r , S. 61—53¡ R i c h a r d S c h m i d t , Liebe und Ehe in Indien, Berlin 1904, S. 545—546.

789 Die große Zahl der Klienten der Prostitution, der „h u r e n ­ t r é e k er" und „ k u t z e n s t r i c h e r “ (G e y le r von K ey s e rs b erg), die auf der Straße „den huoren nach lieffen“ oder die Frauenhäuser und Dirnenwohnungen aufsuchten, „Huren winckel suchten“ (G e y le r bei K o te lm a n n , S. 122, 133), wurde noch vermehrt durch die von den Dirnen selbst an­ gelockten und verführten Männer, die, vorher mit schönen Worten betört, oft nach Zahlung des im allgemeinen geringen H o n o r a r s recht barsch und kurz behandelt wurden. In einer mittelaiberlichen Predigt wird von einer Dirne M a r i a gesagt: „Die selbe was ockert (eben) ein gemeine wip allen den - 7 von oben: „Nikostrate“ sta tt „Nikrostrate“. 7 von oben: „meretriciae“ s ta tt „meritriciae“. „ 329 » „ 351 8 von unten: „Schiffsrheder“ sta tt „Shiffsrheder“. » „ 386 » 16 von unten: „E pitheta“ sta tt „Ephiteta“. „ 422 >9 18 von oben: „in jeder Beziehung“ sta tt „in dieser BeZiehung“. „ 454 »> 22 von oben: „Leben der Alten“ s ta tt „Leben der Prostitution“. „ 474 » 10 von oben: „lacrimis“ sta tt „lacrimes“. „ 485 » 17 von oben: „Menander“ sta tt „Menanders“. 13 von oben: „Sexualmoral“ s ta tt „Sexualreform“. „ 540 „ 774 6 von oben: »