Die rechtlichen Vorgaben für die Sozialversicherungsträger bei der Bestimmung des Rechtsstatus ihrer Bediensteten: Rechtsgutachten erstellt im Auftrag der Gewerkschaft für Sozialversicherung [1 ed.] 9783428499625, 9783428099627

Die öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsträger nehmen vielfältige Hoheitsaufgaben wahr. Die Ausübung derartiger Au

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Die rechtlichen Vorgaben für die Sozialversicherungsträger bei der Bestimmung des Rechtsstatus ihrer Bediensteten: Rechtsgutachten erstellt im Auftrag der Gewerkschaft für Sozialversicherung [1 ed.]
 9783428499625, 9783428099627

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Beiträge zum Beamtenrecht Band 7

Die rechtlichen Vorgaben für die Sozialversicherungsträger bei der Bestimmung des Rechtsstatus ihrer Bediensteten Von

Helmut Lecheler Lothar Determann

Duncker & Humblot · Berlin

HELMUT LECHELER / LOTHAR DETERMANN

Die rechtlichen Vorgaben für die Sozialversicherungsträger bei der Bestimmung des Rechtsstatus ihrer Bediensteten

Beiträge zum Beamtenrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. Detlef Merten und Prof. Dr. Helmut Lecheler

Band 7

Die rechtlichen Vorgaben für die Sozialversicherungsträger bei der Bestimmung des Rechtsstatus ihrer Bediensteten Rechtsgutachten erstellt im Auftrag der Gewerkschaft für Sozialversicherung

Von Prof. Dr. Helmut Lecheler Priv.-Doz. Dr. Lothar Determann Freie Universität Berlin

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lecheler, Helmut: Die rechtlichen Vorgaben für die Sozialversicherungsträger bei der Bestimmung des Rechtsstatus ihrer Bediensteten : Rechtsgutachten erstellt im Auftrag der Gewerkschaften für Sozialversicherung / von Helmut Lecheler ; Lothar Determann. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Beiträge zum Beamtenrecht ; Bd. 7) ISBN 3-428-09962-1

Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0940-676X ISBN 3-428-09962-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier

entsprechend ISO 9706 θ

Inhaltsverzeichnis

Fragestellung und Gang der Untersuchung

Α. Aufgaben und Befugnisse der öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsträger

g

}q

I. Leistungsgewährung, insbesondere gegenüber Versicherten

10

1. Leistungen der verschiedenen Sozialversicherungsträger

10

a) Arbeitslosenversicherung (SGB III)

10

b) Krankenversicherung (SGB V)

10

c) Rentenversicherung (SGB VI)

11

d) Unfallversicherung (SGB VII)

11

e) Pflegeversicherung (SGB XI)

12

2. Externe Leistungsabteilungen und interne Abteilungen

12

a) Externe Leistungsabteilungen

12

b) Interne Abteilungen

13

II. Anbahnung des Versicherungsverhältnisses

14

III. Erhebung von Zwangsbeiträgen zur Finanzierung der Versicherungsleistungen und anderer Leistungen

14

1. Arbeitsförderung

14

2. Gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung

15

3. Gesetzliche Rentenversicherung

15

4. Gesetzliche Unfallversicherung

16

5. Abwicklung der Beitragszahlung durch die gesetzlichen Krankenkassen ...

16

6. Prüfung des Beitragserhebungswesens durch die Sozialversicherungsträger

17

IV. Verwaltungsvollstreckung, Verhängung von Bußgeldern

17

6

Inhaltsverzeichnis V. Personalgewalt über die Bediensteten der Sozialversicherungsträger VI. Buchhaltung und Vermögensverwaltung VII. Beauftragung von Dritten (Leistungserbringern) VIII. Beratung, Betriebsprüfung und Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften durch Unfallversicherungsträger

18 18 19

19

1. Förderung der Sicherheit durch Forschung, Schulung und Beratung

19

2. Unfallverhütungsvorschriften

20

3. Überwachung und Anordnungen zur Gewährleistung der Sicherheit am Arbeitsplatz

21

IX. Arbeitsförderungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit

B. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger zur Beschäftigung von Beamten I. Öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse 1. Weite Sicht: Die gesamte öffentliche Verwaltung übt hoheitsrechtliche Befugnisse aus a) Sichtweise der höchstrichterlichen Rechtsprechung b) Fiskalverwaltung und untergeordnete Tätigkeiten

21

23 23 24 26 26 30

aa) Fiskalverwaltung

30

bb) Untergeordnete Hilfstätigkeiten

30

c) Einordnung der Tätigkeiten der Sozialversicherungsträger

31

aa) Generalisierende, organisationsbezogene Betrachtungsweisen

31

bb) Fiskalische und untergeordnete Tätigkeiten nach dem generalisierenden, organisationsbezogenen Verständnis von Art. 33 IV GG ....

32

cc) Differenzierende Betrachtung des konkreten Dienstpostens

33

(1) Beauftragung Dritter zur Leistungserbringung

33

(2) Vermögensverwaltung

35

(3) Werbung neuer Mitglieder durch die gesetzlichen Krankenkassen

35

(4) Beschaffungstätigkeiten

35

d) Zwischenergebnis

36

Inhaltsverzeichnis 2. Enge Sicht: Hoheitsrechtlich ist nur Eingriffsverwaltung a) Obrigkeitliches Handeln durch Verwaltungsakt

36 37

aa) Organisationsbezogene Sicht

39

bb) Betrachtung des konkreten Dienstpostens

40

b) Grundrechtsbezogene Sicht

41

aa) Eingriffe bei Entscheidungen über grundrechtlich garantierte Ansprüche

42

bb) Erteilung von Erlaubnissen und Zulassungen durch die Träger der gesetzlichen Sozialversicherung

48

cc) Zwischenergebnis

50

dd) Typische Bereiche der Eingriffsverwaltung durch die Sozialversicherungsträger bei grundrechtsbezogener Betrachtungsweise

51

(1) Beitragspflicht, Vollstreckung, Bußgelder

51

(2) Prüfungsrechte

51

(3) Leistungserbringung gegenüber Beitragszahlern

52

(4) Beziehung der Sozialversicherungsträger zu dritten Leistungserbringern

53

(5) Arbeitserlaubnisse und -berechtigungen für Ausländer

54

(6) Arbeitsvermittlung durch die Bundesanstalt für Arbeit und durch Dritte

55

(7) Leistungen an Personen, die keine Beiträge geleistet haben ....

55

(8) Datenverarbeitung

55

(9) Gesetzgebung durch die Sozialversicherungsträger

56

(10) Personalverwaltung

56

(11) Geldanlage, Vermögensverwaltung durch Finanzabteilung

57

(12) Werben von Mitgliedern bei gesetzlichen Krankenkassen

57

(13) Beratung und Forschung durch Unfallversicherungsträger

57

3. Zwischenbilanz: Vergleich der Ergebnisse nach weitem und engem Verständnis des Ait. 33IV GG

57

4. Bewertung der engen und der weiten Verständnisse des Funktionsvorbehalts

59

a) Betrachtung des einzelnen Dienstpostens oder der Verwaltungseinheit insgesamt

60

b) Begriff,»hoheitsrechtlicher Befugnisse"

62

III. „In der Regel"

64

1. Solidarität

64

2. Flexible Personalstruktur in Hinblick auf Schwankungen des Arbeitsanfalls

66

8

Inhaltsverzeichnis 3. Unattraktivität des Beamtenstatus für Stellenbewerber in manchen Bereichen

67

4. Oberste Leitungsfunktionen

67

5. Wettbewerb

68

6. Zusammenfassung

69

C. Vorgaben der einfachen Gesetze

70

I. Rechtspflicht zur Beschäftigung von Beamten nach den allgemeinen Beamtengesetzen

70

II. Rechtspflicht zur Beschäftigung von Beamten nach spezialgesetzlichen Vorschriften im Bereich der Sozialversicherung

71

1. Arbeitsförderung

71

2. Kranken-, Pflege-und Unfallversicherung

71

3. Rentenversicherung

72

III. Rechtspflicht zur Beschäftigung von Dienstordnungsangestellten

72

1. Mittelbare Vorgaben des Art. 33 IV GG für die Beschäftigung von Dienstordnungsangestellten

72

2. Vorgaben des § 144 SGB VII für die Beschäftigung von Dienstordnungsangestellten

74

D. Zusammenfassung der Ergebnisse

76

Literaturverzeichnis

79

Stichwortverzeichnis

83

Fragestellung und Gang der Untersuchung Die vorliegende Untersuchung soll klären, welche rechtlichen Grenzen für die Sozialversicherungsträger bei der Bestimmung des Rechtsstatus ihrer Bediensteten bestehen. Vorgaben macht insofern insbesondere Art. 33 IV GG, der dementsprechend im Mittelpunkt der Untersuchung steht. Da diese Bestimmung an die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse anknüpft, sind zunächst Aufgaben und Befugnisse und damit die tatsächlichen Tätigkeiten der öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsträger näher zu erfassen (unten Α.). Daran anknüpfend können die verfassungsrechtlichen Vorgaben auf diese Sachverhalte angewendet werden (unten B.). Anschließend ist auf die Vorgaben einzugehen, die der einfachen Gesetzeslage zu entnehmen sind (unten C.).

Α. Aufgaben und Befugnisse der öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsträger I. Leistungsgewährung, insbesondere gegenüber Versicherten 1. Leistungen der verschiedenen Sozialversicherungsträger

a) Arbeitslosenversicherung

(SGB III)

Gemäß § 116 ff. SGB ΠΙ gewährt die Bundesanstalt für Arbeit an Versicherte unter bestimmten Voraussetzungen Arbeitslosengeld. Inbesondere ist hierfür die Erfüllung der Anwartschaftszeit im Sinne von § 117 I Nr. 3 im Verbindung mit § 123 SGB ΠΙ Voraussetzung1. Weiterhin wird u. a. Unterhaltsgeld für Arbeitnehmer bei Teilnahme an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung, Übergangsgeld für Behinderte bei Teilnahme an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung, Kurzarbeitergeld, Insolvenzgeld und Arbeitslosenhilfe gewährt. Die §§ 153 ff. SGB ΠΙ stellen hierfür gesetzliche Voraussetzungen und andere Regelungen auf. Darüber hinaus wird die Bundesanstalt für Arbeit in § 115 SGB ΠΙ ermächtigt, durch Anordnung die Einzelheiten über Voraussetzungen, Art, Umfang und Ausführung der Leistungen zu bestimmen. Die Leistungen werden auf Antrag der Versicherten erbracht, § 19 S. 1 SGB IV. b) Krankenversicherung

(SGB V)

Nach § 1 S. 1 SGB V hat die gesetzliche Krankenversicherung als Solidargemeinschaft die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Hierzu erhalten die Versicherten Leistungen insbesondere zur Behandlung einer Krankheit (§ 11 I 1 Nr. 4 iVm §§ 27 ff. SGB V), zur Verhütung von Krankheiten sowie zur Empfängnisverhütung, bei Sterilisation und bei Schwangerschaftsabbruch (§ 11 I 1 Nr. 2 iVm §§ 20 ff. SGB V) sowie zur Früherkennung von Krankheiten (§ 11 I 1 Nr. 3 iVm §§ 25 f. SGB V). Die Leistungserbringung erfolgt gemäß § 2 Π 1 SGB V in der Regel in Form von Sach- und Dienstleistungen durch Dritte (Ärzte, Krankenhäuser etc.). Diese werden deshalb im 4. Kapitel des SGB V als Leistungserbringer bezeichnet2. Die Leistungserbringer sind selbst nicht Bedienstete der Krankenkassen ι Vgl. schon BVerfGE 72,9,18 zur Rechtslage nach dem AFG. Die Überschrift des 4. Kapitels lautet: Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern". 2

I. Leistungsgewährung, insbesondere gegenüber Versicherten

11

und auch organisatorisch nicht in die Sozialversicherungsverwaltung eingebunden. Sie sind selbständig tätig und werden nach § 2 Π 2 SGB V von den gesetzlichen Krankenkassen unter Vertrag genommen und bezahlt. Ausnahmsweise leisten die Krankenversicherungsträger auch unmittelbar Zahlungen an die Versicherten, ζ. B. gemäß § 44 ff. SGB V Krankengeld. Gemäß § 111 2 iVm §§ 58 f. SGB V zahlen die gesetzlichen Krankenkassen Sterbegeld an Hinterbliebene. Hinzu kommen die Zahlungen von Verletztengeld im Auftrag der Unfallversicherungsträger.

c) Rentenversicherung

(SGB VI)

Die Versicherungsanstalten erbringen insbesondere Rentenzahlungen gemäß §§ 33 ff. SGB V I und Rehabilitationsleistungen (medizinische Leistungen, ζ. B. Kuren etc.) gemäß §§ 15 ff. SGB VI. Während die Rentenleistungen unmittelbar an die Versicherten erfolgen, werden die Rehabilitationsleistungen den Versicherten nur zum Teil unmittelbar durch Eigenbetriebe erbracht. Zum Teil erfolgt die Behandlung in wirtschaftlich selbständigen Heilstätten mit denen wiederum der Rentenversicherungsträger abrechnet. Dabei sind beispielsweise Pflegesätze auszuhandeln sowie Planung und Kontrolle stationärer Rehabilitationsbehandlungen zu gewährleisten, wozu auch externe Gutachtenaufträge vergeben werden.

d) Unfallversicherung

(SGB VII)

Aufgabe der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung ist es in erster Linie, mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sowie - in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen - arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten, für eine wirksame Erste Hilfe zu sorgen und nach Eintritt von Arbeitsunfällen oder Berufsunfähigkeit die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit des Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen und ihn oder seine Hinterbliebenen durch Geldleistungen zu entschädigen (§ 1 SGB VII). Die prophylaktischen Aufgaben bedingen im Benehmen mit dem Gewerbeaufsichtsbehörden gezielte Überwachung und Beratung, einschließlich der Schulung von betrieblichen Sicherheitskräften (§§ 14 ff. SGB VII). Im Versicherungsfall gewähren die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung den Versicherten nach §§ 26 ff. SGB V I I Heilbehandlung und medizinische, berufsfordernde, soziale und ergänzende Rehabilitationsmaßnahmen zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, sowie Pflege und Betriebs- und Haushaltshilfe. Weiterhin leisten sie Geldzahlungen3, u. a. in Form von Verletztengeld gemäß §§ 45 ff. 3 Radek, Die Selbstverwaltung in der gesetzlichen Unfallversicherung - Erfolge und aktuelle Probleme, NZS 1994,6,9.

12

Α. Aufgaben und Befugnisse der öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsträger

SGB VII und in Form von Renten wegen voller oder teilweiser Erwerbsunfähigkeit im Sinne von §§ 56 ff. SGB ΥΠ.

e) Pflegeversicherung

(SGB XI)

Die Pflegeversicherung hat nach § 1IV SGB XI die Aufgabe, Pflegebedürftigen Hilfe zu leisten, die wegen der Schwere der Pflegebedürftigkeit auf solidarische Hilfe angewiesen sind. Hierzu werden nach § 28 SGB X I Sach- und Geldleistungen erbracht. Unter anderem kann häusliche Pflege durch Bedienstete der Pflegekassen oder aber durch Dritte erfolgen, die von der Pflegekasse beauftragt werden, § 36 I 3 SGB XI. Nach § 37 SGB X I können die Pflegebedürftigen auch beantragen, anstatt der häuslichen Pflege ein Pflegegeld ausgezahlt zu bekommen. § 38 SGB X I sieht auch Kombinationen von Geld- und Sachleistungen vor.

2. Externe Leistungsabteilungen und interne Abteilungen

Die vorstehend unter 1. beschriebenen Aufgaben und Befugnisse der Sozialversicherungsträger werden verwaltungsorganisatorisch in sogenannten externen Leistungsabteilungen und internen Abteilungen wahrgenommen. Weil im Schrifttum vereinzelt die Tätigkeit externer und interner Abteilungen in Hinblick auf Art. 33 IV GG generell unterschiedlich beurteilt wird 4, soll im folgenden ein Blick auf entsprechende organisatorische Besonderheiten und Tätigkeitsfelder geworfen werden.

a) Externe Leistungsabteilungen In den sogenannten „externen Leistungsabteilungen" werden Leistungen nach außen für die Versicherten erbracht, Anträge auf Leistungsgewährung per Verwaltungsakt bewilligt oder abgelehnt, vgl. ζ. B. § 117 SGB VI, und Verwaltungsakte zurückgenommen oder widerrufen sowie bereits gewährte Leistungen per Verwaltungsakt zurückgefordert, vgl. §§ 45 ff., 50 m SGB X. Zu den in diesen Abteilungen wahrzunehmenden Aufgaben gehören insbesondere die Betreuung der Versicherten, Auskunft und Beratung über Beiträge und Leistungen; Bearbeitung von Anträgen auf Versicherungsleistungen; Erlaß von Bewilligungs-, Ablehnungs-, Entziehungs- und Rückforderungsbescheiden; Versicherungskontenführung; Beitragseinzug und -Überwachung; Erlaß von Feststellungsbescheiden, u. a. über Versicherungsverläufe.

4

Siehe dazu sogleich B.

I. Leistungsgewährung, insbesondere gegenüber Versicherten

13

Den Versicherten und ihren Arbeitgebern gegenüber handeln die Sozialversicherungsträger in der Regel in der Form einseitig verfügender Bescheide. § 53 Π SGB X ist Ausdruck dieser Vorrangstellung des Verwaltungsakts5. Insbesondere ergehen feststellende Verfügungen, ζ. B. Rentenfeststellungsbescheide, Bescheide über die Anrechnung von Versicherungszeiten, Entscheidungen über die Versicherungspflicht 6, Feststellungen über die Höhe eines einem Versicherten auszuzahlenden Betrags7, Klarstellung des Umfangs einer bereits erfolgten pauschalen Bewilligung8. Oft kommt den Entscheidungen Drittwirkung zu, ζ. B. betrifft die Feststellung der Versicherungspflicht neben dem Versicherten auch seinen Arbeitgeber9. Die vorgenannten Entscheidungen gegenüber den Versicherten und ihren Arbeitgebern werden beispielsweise bei den Landesrentenversicherungsanstalten in der Regel von Sachbearbeitern (Besoldungsgruppe A 9 = Vergütungsgruppe Vb aufwärts), Sachgebietsleitern und Dezernenten gefällt. Vorbereitende Tätigkeiten werden von Bearbeitern ausgeführt, die Aufgaben wie Sachaufklärung, Antragsaufnahme und das Absetzen von Arbeitsaufträgen für Bescheiderteilungen vornehmen. Die als Bearbeiter bezeichneten Mitarbeiter fällen in der Regel selbst keine Entscheidungen in der Sache, bereiten die Entscheidungen allerdings vor und bestimmen deren Inhalt damit maßgeblich.

b) Interne Abteilungen Die Sozialversicherungsträger beschäftigen eine Vielzahl von Personen, die mit den Versicherten und ihren Arbeitgebern sowie sonstigen Entscheidungsadressaten nicht unmittelbar persönlich oder schriftlich in Kontakt treten10. Sie wirken zum Teil aufgabenspezifisch unmittelbar an der Vorbereitung des Wirkens im Außenverhältnis mit. Zum Teil gewährleisten sie aber nur mittelbar die grundsätzlichen Voraussetzungen der Aufgabenerfüllung durch die externen Leistungsabteilungen. Im Rahmen der inneren Verwaltung fallen neben aufgabenspezifischen Tätigkeiten - ζ. B. interne Bearbeitung von Versicherungsfällen in der Rechtsabteilung, Prüfungen durch interne Gutachter, Beratung durch Stabsabteilungen, Koordinierung durch Vorgesetzte - auch Tätigkeiten an, wie sie in jedem Großunternehmen, jeder Behörde und jeder anderen Institution anfallen, ζ. B. volkswirtschaftliche Abteilung, Personalverwaltung, Aus- und Weiterbildung, Buchhaltung, Telefonzentrale, Wachdienst, Gebäude-, EDV- und Materialverwaltung, Schreibdienste, Hausdruk5 Rüfner in: Wannagat, SGB, § 31 SGB X Rn. 7. 6 Rüfner in: Wannagat, SGB, § 31 SGB X Rn. 47. 7 Vgl. BSGE 57,211,212. 8 Vgl. BSGE 55,53,54 f. 9 Rüfner in: Wannagat, SGB, § 31 SGB X Rn. 48. 10 Auch die Beschäftigten der internenen Abteilungen können allerdings in Kontakt mit der Öffentlichkeit treten, ζ. B. die Personalverwaltung bei Einstellungsgesprächen und die Materialverwaltung beim Einkauf.

14

Α. Aufgaben und Befugnisse der öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsträger

kerei, Bibliothek, Boten- und Fahrdienst11. Auch die Rechtsabteilung nimmt neben aufgabenspezifischen, unmittelbar zur Vorbereitung von externen Entscheidungen dienenden Tätigkeiten auch allgemeine Rechtsberatungsaufgaben wahr, die nur mittelbar dem eigentlichen Sozialversicherungsauftrag dienen, ζ. B. Bearbeitung arbeitsrechtlicher Fragestellungen in bezug auf die Dienstverhältnisse der Sozialversicherungsträger oder die Bearbeitung von Rechtsproblemen, die im Zusammenhang mit einem Mietverhältnis über Büroräume eines Sozialversicherungsträgers auftreten.

II. Anbahnung des Versicherungsverhältnisses Für die Arbeitslosen-, Renten- und Unfallversicherungsverhältnisse ergibt sich in der Regel zwingend aufgrund gesetzlicher Zuständigkeitsvorschriften, mit welchem Versicherungsträger die Versicherungsverhältnisse Zustandekommen, vgl. ζ. B. §§ 125 ff. SGB VI, §§ 121 ff. SGB VII. Dagegen besteht im Bereich der Krankenversicherung in den Grenzen der §§ 173 ff. SGB Vein Wahlrecht der Versicherten, mit welcher Krankenkasse das Zwangsversicherungsverhältnis zustandekommt, ζ. B. mit einer Ersatzkasse oder der Ortskrankenkasse am Wohnort12. Die gewählte Krankenkasse kann gemäß § 175 I 2 SGB V die Mitgliedschaft nicht ablehnen. Sie kann aber durch Marketing- und Vertriebsmaßnahmen versuchen, Zahl und Zusammensetzung der bei ihr Versicherten zu beeinflussen. Deshalb beschäftigen die gesetzlichen Krankenkassen eine Vielzahl von Außendienstmitarbeitern und -beauftragten und verfolgen unterschiedliche Wettbewerbsstrategien, die sich auch an den Maßnahmen der privaten Konkurrenz orientieren 13.

ΠΙ· Erhebung von Zwangsbeiträgen zur Finanzierung der Versicherungsleistungen und anderer Leistungen 1. Arbeitsförderung

Die Leistungen und die sonstigen Aufgaben der Bundesanstalt im Rahmen der Arbeitsförderung werden nach § 340 SGB ΠΙ durch Beiträge der Versicherungspflichtigen, der Arbeitgeber und Dritter (Beitrag zur Arbeitsförderung), Umlagen, Mittel des Bundes und sonstige Einnahmenfinanziert. Nach §§ 342, 345 SGB ΙΠ 11 Vgl. Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Anlageband 5, S. 117 ff., 164 ff., 468 ff., 701 ff.; Maunz in: MDHS, Art. 33 Rn. 35 f.; Benndorf, Zur Bestimmung der „hoheitsrechtlichen Befugnisse gem. Art. 33 Abs. 4 GG, DVB1.1981,23, 28. 12 Bis zum 1. Januar 1996 konnten nur bestimmte Personenkreise die Angestellten in einem gewissen Rahmen zwischen den gesetzlichen Krankenkassen wählen, vgl. Schermer, Entgeltabrechnung, Sozialversicherung, 1998, S. 147. 13 Vgl. ζ. B. Die Bilanz des AOK-Bundesverbands von 1995, S. 9.

III. Erhebung von Zwangsbeiträgen zur Finanzierung der Versicherungsleistungen

15

ergibt sich die gesetzliche Pflicht zur Beitragszahlung unmittelbar durch die Zahlung von beitragspflichtigem Entgelt vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer. Die Höhe der Beiträge ergibt sich aus gesetzlichen Regelungen, vgl. §§ 341 ff. SGB ΙΠ. Nach § 346 I 1 SGB III werden die Beiträge von den Arbeitgebern und den versicherungspflichtigen Arbeitnehmern je zur Hälfte getragen.

2. Gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung

In § 5 I SGB V, § 20 SGB X I ist der Kreis der Kranken- und Pflegeversicherungspflichtigen bezeichnet, u. a. Arbeiter, Angestellte und Auszubildende14. Die Beitragslast wird von Arbeitgebern und Versicherten nach §§ 223, 249 I SGB V, § 58 SGB X I grundsätzlich je zur Hälfte getragen15. Die genaue Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung wird einkommenabhängig von den gesetzlichen Krankenkassen per Satzung festgesetzt, §§ 194, 220, 241 ff. SGB V 1 6 . Die Höhe der Beiträge zur Pflegeversicherung wird dagegen per Gesetz bestimmt, § 55 SGB XI. Unter bestimmten Bedingungen können Personen der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 9 SGB V auch freiwillig beitreten. Sie werden damit gemäß § 20 ΠΙ SGB X I zugleich Pflichtmitglied in der gesetzlichen Pflegeversicherung. Der Arbeitgeber muß in diesem Fall einen Zuschuß zu ihren Krankenversicherungsbeitrag leisten, vgl. § 2571 SGB V 1 7 .

3. Gesetzliche Rentenversicherung

Der Kreis der Rentenversicherungspflichtigen ist in § 1 ff. SGB V I aufgeführt. Wie in bezug auf die gesetzliche Krankenversicherung ist in § 7 SGB V I die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung vorgesehen, die an bestimmte Voraussetzungen geknüpft ist. In § 157 ff. SGB VI ist die Berechnung und Erhebung der Zwangsbeiträge zur Finanzierung der Renten und anderer Leistungen der Rentenversicherung näher geregelt, wobei sich die Höhe der Beiträge aus gesetzlichen Regelungen ergibt. Nach § 168 I Nr. 1 SGB VI tragen Arbeitgeber und Versicherte die Beitragslast grundsätzlich je zur Hälfte.

14

Hierzu im Detail: Schermer, Entgeltabrechnung, Sozialversicherung, 1998, S. 15 ff. 15 Schermer, Entgeltabrechnung, Sozialversicherung, 1998, S. 202. Vgl. Erlenkämper/Fichte, S. 292 ff. 17 Schermer, Entgeltabrechnung, Sozialversicherung, 1998, S. 209.

16

Α. Aufgaben und Befugnisse der öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsträger 4. Gesetzliche Unfallversicherung

In § 2 SGB V I I ist der Kreis der Versicherungspflichtigen bestimmt. § 6 SGB VII nennt die Voraussetzungen einer freiwilligen Versicherung. Per Satzung können gemäß § 3 SGB VII die Unfallversicherungsträger weitere Personengruppen der Versicherungspflicht unterwerfen. Von dieser Möglichkeit hat eine Reihe von Berufsgenossenschaften Gebrauch gemacht18. Beitragspflichtig sind nach § 150 SGB VE grundsätzlich die Arbeitgeber, die Versicherte beschäftigen. Die Höhe der Zwangsbeiträge wird von den Trägern der Unfallversicherung nach gesetzlichen Bestimmungen im Wege der Umlage nach dem im vorangegangenen Kalenderjahr angefallenen Finanzierungsbedarf festgesetzt, vgl. § 152 ff. SGB VII iVm § 21 SGB IV. Entsprechendes gilt für das Insolvenzgeld iSv §§ 358 ff. SGB ΙΠ: Dieses wird zwar von der Arbeitsverwaltung ausgezahlt, aber von den Trägern der Unfallversicherung im Umlageverfahren aufgebracht, § 359 I SGB ΙΠ. Die Beiträge setzen die Träger der Unfallversicherung gegenüber den Unternehmern bescheidmäßig fest und ziehen sie ein.

5. Abwicklung der Beitragszahlung durch die gesetzlichen Krankenkassen

Die Beitragszahlung ist nach § 28 e ff. SGB IV für alle Sozialversicherungsbeiträge - außer für Unfallversicherungsbeiträge 19 - dergestalt konzipiert, daß der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag seiner Arbeitnehmer von deren Löhnen und Gehältern abzieht und über die Krankenkassen als Einzugsstellen an die Sozialversicherungsträger überweisen muß 20 . Dazu hat der Arbeitgeber nach § 28 a SGB IV Beginn, Ende und bestimmte, enumerativ aufgeführte Änderungen der Arbeitsverhältnisse zu melden. Die Krankenkassen als Einzugsstellen sind nach § 28 h Π 1 SGB IV ermächtigt, per Verwaltungsakt mit Wirkung für den Versicherten und den Arbeitgeber über das Bestehen der Versicherungspflicht und über die Beitragshöhe zu entscheiden21. Die Beitragsbescheide enthalten Zahlungsbefehle der Sozialversicherungsträger gegenüber den Adressaten, in der Regel den Arbeitgebern 22.

is Hauck, SGB Kommentar (Loseblatt, Stand 1.9. 1998), § 3 SGB VII Rn. 19. 19 Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung werden von den Trägern der Unfallversicherung berechnet, festgesetzt und erforderlichenfalls beigetrieben, vgl. §§ 28 d SGB IV, 152 ff. SGB VII und unmittelbar vorstehend im Text unter 4. 20 Vgl. Schermer, Entgeltabrechnung, Sozialversicherung, 1998, S. 200 ff., 204. 21 Rüfner in: Wannagat, SGB, § 31 SGB X Rn. 48. 22 Vgl. Rüfner in: Wannagat, SGB, § 31 SGB X Rn. 44.

IV. Verwaltungsvollstreckung, Verhängung von Bußgeldern

17

6. Prüfung des Beitragserhebungswesens durch die Sozialversicherungsträger

Nach § 28 ρ SGB IV neuer Fassung (n. F.) sind die Träger der Rentenversicherung ermächtigt, bei den Arbeitgebern zu prüfen, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten im Zusammenhang mit der Abführung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags an die Krankenkassen erfüllen. Nach der bis zum 1. Januar 1996 geltenden alten Fassung des § 28 ρ SGB IV (a. F.) waren hierzu noch die Krankenkassen zuständig23. Die Krankenkassen sind nach § 28 ρ IV SGB IV n. F. weiterhin berechtigt, an den Prüfungen teilzunehmen, und sie sind auf ihr Verlangen von den Prüfern der Rentenversicherungsträger anzuhören. Die Richtigkeit der Beitragszahlung und der Meldung der Versicherungspflichtigen muß nach § 28 ρ I 2 SGB IV n. F. von den Trägern der Rentenversicherung mindestens alle 4 Jahre überprüft werden. Nach § 28 ρ V I SGB IV n. F. können die Prüfungen auch auf ausgelagerte Rechenzentren der Arbeitgeber, ihre Steuerberater und vergleichbare Einrichtungen erstreckt werden. Im Rahmen dieser Prüfungen erlassen - anstelle der sonst als Einzugstellen zuständigen gesetzlichen Krankenkassen - die Träger der Rentenversicherung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und zur Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung gegenüber den Arbeitgebern 24. Nach § 28 q SGB IV überprüfen die Träger der Rentenversicherung und die Bundesanstalt für Arbeit mindestens alle vier Jahre die Tätigkeit der Einzugsstellen, also die Durchführung der Sozialbeitragserhebung und der damit verbundenen Tätigkeiten durch die gesetzlichen Krankenkassen. Die Krankenkassen und die Bundesanstalt für Arbeit überprüfen wiederum die Betriebs-prüfung der Rentenversicherungsträger bei den Arbeitgebern, ebenfalls alle vier Jahre.

IV. Verwaltungsvollstreckung, Verhängung von Bußgeldern Die vorstehend erwähnten Pflichten zur Entrichtung von Zwangsbeiträgen werden von Sozialversicherungsträgern ggf. auch im Wege der Verwaltungsvollstrekkung gegenüber den Beitragspflichtigen zwangsweise durchgesetzt, vgl. § 66 SGB X. Außerdem werden die Träger der Arbeitsförderung sowie die Unfallversicherungsträger als Ordnungsbehörden tätig und verhängen selbständig Bußgelder, §§ 404 f. SGB m, §§ 209 f. SGB VE, wobei sie von den übrigen Sozialversicherungsträgern unterstützt werden, §§ 306 SGB V, 321 SGB VI.

23 Geändert durch Art. 1 des 3. SGBÄndG vom 30. 6. 1995, BGBl. I S. 890; vgl. Hauck, SGB Kommentar (Loseblatt, Stand 1. 9.1998), § 28p SGB IV Rn. 3. 24 Hauck, SGB Kommentar (Loseblatt, Stand 1.9.1998), § 28p SGB IV Rn. 19. 2 Lecheler/Determann

18

Α. Aufgaben und Befugnisse der öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsträger

V· Personalgewalt über die Bediensteten der Sozialversicherungsträger Die Personalstelle der Sozialversicherungsträger erfüllt interne Aufgaben, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der eigentlichen Versicherungstätigkeit stehen. Dabei fallen auch Vorgänge an, wie sie in jedem Unternehmen, jeder Behörde und jeder anderen Institution üblich sind. Allerdings besteht gegenüber Personalstellen der Privatwirtschaft insofern eine Besonderheit, als bei der Bundesanstalt für Arbeit, der Bundesknappschaft und den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung auch Beamte tätig sind. Insofern üben die Personalstellen der Sozialversicherungsträger beamtenspezifische Funktionen aus wie ζ. B. Ernennung, Beförderung, Besoldung, Gewährung von Beihilfen und Versorgung sowie Verhängung von Disziplinarmaßnahmen, vgl. § 400 SGB m, § 143 m 1 Alt. 2 SGB V I 2 5 .

VI. Buchhaltung und Vermögensverwaltung Nach §§ 80 I 1 SGB IV sind die Mittel der Versicherungsträger so anzulegen, daß ein Verlust ausgeschlossen erscheint, ein angemessener Ertrag erzielt wird und eine ausreichende Liquidität gewährleistet ist. Die Sozialversicherungsträger haben nach §§ 82 f. SGB IV Rücklagen zu bilden, die nur in bestimmten Geldanlageformen gehalten werden dürfen. § 85 SGB IV sieht die Möglichkeit einer Genehmigung anderer Anlageformen durch die Aufsichtsbehörden vor. Darüber hinaus existieren spezielle Vorschriften über die Geldanlage einzelner Versicherungsträger, ζ. B. § 293 SGB V I für die Rentenversicherung. Die Sozialversicherungsträger haben Abteilungen eingerichtet, welche die materielle Grundlage für die Erfüllung ihrer Aufgaben durch Kontrolle und Verwaltung der ein- und ausgehenden Geldmittel sichern. Die Beschäftigten sind für die Finanzierung der Versicherungsleistungen sowie die Anlage und Verwaltung der Betriebsmittel, des Rücklage- und des Verwaltungsvermögens verantwortlich, und sie übernehmen die Haushaltskontrolle und Haushaltsplanung. Derartige Abteilungen finden sich praktisch auch in jedem privatwirtschaftlich organisierten Versicherungsunternehmen und größeren Wirtschaftsunternehmen in anderen Branchen, weil diese mit vergleichbaren Problemstellungen konfrontiert sind: Gewährleistung effizienten Finanzmanagements und Wirtschaftlichkeit durch sparsame Haushaltsführung.

25 Bei den Rentenversicherungsträgern soll die Ernennung selbst durch den Bundespräsidenten und den Bundesminister für Arbeit erfolgen, vgl. § 143 II SGB VI; bei den Aibeitsämtern erfolgt sie durch die Vorstände, § 400 III SGB III.

Vin. Beratung, Betriebsprüfung und Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften

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ΥΠ. Beauftragung von Dritten (Leistungserbringern) Insbesondere die Kranken- und Pflegeversicherungsträger, lassen ihre Leistungen gegenüber den Versicherten auch durch Dritte erbringen, nämlich durch Ärzte, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, vgl. §§ 69 ff. SGB V, §§ 71 ff. SGB XI. Das gleiche gilt eingeschränkt auch für die Renten- und Unfallversicherungsträger im Zusammenhang mit Rehabilitationsmaßnahmen, vgl. § 15 Π 1 Alt. 2 SGB VI, §§ 26 ff., 34 SGB VII. Die Sozialversicherungsträger schließen hierzu Rahmenverträge mit den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenhausvereinigungen, vgl. ζ. B. § 115 SGB V, § 34 m SGB VII in denen u. a. die allgemeinen Konditionen für ärztliche Behandlungen festgelegt werden26. Der Inhalt der Verträge wird zwischen Sozialversicherungsträgern und Leistungserbringern - Auftraggebern und Auftragnehmern - ausgehandelt. Wenn aber keine Einigung zu erzielen ist, setzt eine Schiedsstelle den Vertragsinhalt fest, § 115 m 1 SGB V, § 34 V 1 SGB V E 2 7 .

V m . Beratung, Betriebsprüfung und Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften durch Unfallversicherungsträger 1. Förderung der Sicherheit durch Forschung, Schulung und Beratung

Die Berufsgenossenschaften haben auf den Gebieten Prävention und Rehabilitation seit Bestehen große Erfolge erzielt 28. Sie arbeiten seit Jahrzehnten an der Entwicklung neuer Technologien unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse der Sicherheitstechnik und Arbeitsmedizin mit. Sie beraten Hersteller, Lieferanten, Unternehmer und Versicherte. Die Berufsgenossenschaften haben zentrale Dokumentationssysteme aufgebaut, mit deren Hilfe gesundheitliche Gefährdungen frühzeitig erkannt und bekämpft werden können. Diese Dokumentationssysteme liefern wertvolles Basismaterial für epidemiologische Fragestellungen. Das von der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie entwickelte Programm zur Bekämpfung der Gefährdung durch Arbeitsstoffe beispielsweise wurde im Zuständigkeitsbereich aller gewerblichen Berufsgenossenschaften entsprechend umgesetzt. Es hat mehr Klarheit in der Altstoffproblematik und mehr Sicherheit an den Arbeitsplätzen bewirkt. Auch wurden Institutionen ins Leben gerufen, die sich speziell mit Krebsrisiken befassen, u. a. für Asbestgefährdungen 29. In eigenen Schulungsstätten werden jähr26 Vgl. Schlichter-Wicker, Die dreiseitigen Verträge nach § 115 SGB V, 1994, S. 28 ff. 27 Vgl. Hauck, SGB Kommentar (Loseblatt, Stand 1.9.1998), § 115 SGB V. 28 Radek, Die Selbstverwaltung in der gesetzlichen Unfallversicherung - Erfolge und aktuelle Probleme, NZS 1994,6,7 weist besonders auf die positiven Entwicklungen in den letzten 30 Jahren hin. 2*

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Α. Aufgaben und Befugnisse der öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsträger

lieh mehr als 300.000 Sicherheitsbeauftragte, Sicherheitsfachkräfte, Unternehmer, Führungskräfte, Betriebsräte und andere spezielle Personengruppen mit den Problemen der Verhütung von Unfällen, Berufskrankheiten und berufsbedingten Erkrankungen vertraut gemacht. Für Präventionsmaßnahmen wurden 1997 von den gewerblichen Berufsgenossenschaften über 1,1 Milliarde D M ausgegeben, während 1960 33,7 Millionen eingesetzt wurden30. Die Sicherheit am Arbeitsplatz hat sich in der Zeit seit den sechziger Jahren beachtlich verbessert31. Die gewerblichen Berufsgenossenschaften stellen fest, daß die Zahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle pro 1000 Vollarbeiter von rund 133 im Jahr 1967 auf rund 40 im Jahr 1997 gesunken ist; die Zahl der tödlichen Unfälle ist im gleichen Zeitraum von insgesamt 4557 im Jahr 1960 auf insgesamt 1739 im Jahr 1997 zurückgegangen32. Insbesondere was die Entwicklung der Wegeunfälle betrifft, ist zudem folgendes zu berücksichtigen: Einerseits sind trotz steigenden Verkehrsaufkommens eindeutig relativ weniger Unfälle zu verzeichnen; andererseits ist die Anerkennungsquote inzwischen höher und die Liste der anerkennungsfähigen Krankheiten ausgeweitet worden.

2. UnfaUverhütungsvorschriften

Nach § 15 SGB V I I erlassen die Unfallversicherungsträger als autonomes Recht Unfallverhütungsvorschriften, u. a. über Einrichtungen, Anordnungen und Maßnahmen, welche die Unternehmer zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zu treffen haben; über das Verhalten der Versicherten zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren; über vom Unternehmer zu veranlassende arbeitsmedizinische Untersuchungen und sonstige arbeitsmedizinische Maßnahmen; über Voraussetzungen, welche die mit den entsprechenden Untersuchungen beauftragten Ärzte zu erfüllen haben; über die Sicherstellung einer wirksamen Ersten Hilfe durch den Unternehmer; und über die Zahl der zu bestellenden Sicherheitsbeauftragten.

29 Radek, Die Selbstverwaltung in der gesetzlichen Unfallversicherung - Erfolge und aktuelle Probleme, NZS 1994,6, 8. 30

Geschäfts- und Rechnungsergebnisse der gewerblichen Berufsgenossenschaften 1997, Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Sankt Augustin, S. 6,50. 31 Radek, Die Selbstverwaltung in der gesetzlichen Unfallversicherung - Erfolge und aktuelle Probleme, NZS 1994,6,9. 32 Geschäfts- und Rechnungsergebnisse der gewerblichen Berufsgenossenschaften 1997, Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Sankt Augustin, S. 6.

IX. Arbeitsförderungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit

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3. Überwachung und Anordnungen zur Gewährleistung der Sicherheit am Arbeitsplatz

Nach § 1711 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger die Einhaltung dieser Vorschriften zu überwachen. Nach der ähnlich der landespolizeigesetzlichen Generalklausel (z. B. § 17 ASOG Berlin) formulierten Ermächtigungsgrundlage des § 1712 SGB VII sind die Unfallversicherungsträger befugt, im Einzelfall anzuordnen, welche Maßnahmen Unternehmer und Versicherte zur Abwehr von Gefahren zu treffen haben. Zur Durchsetzung derartiger Anordnungen sind die Aufsichtspersonen der Unfallversicherungsträger in § 19 SGB VII u. a. ermächtigt, Betriebsstätten zu betreten und zu prüfen, vom Unternehmer Auskünfte zu verlangen, Unterlagen einzusehen, Proben zu nehmen sowie Unfälle und Krankheiten zu untersuchen. Die Aufsichtspersonen sind nach § 19 Π SGB VII berechtigt, bei Gefahr im Verzug sofort vollziehbare Anordnungen zur Abwendung von arbeitsbedingten Gefahren für Leben und Gesundheit der Versicherten zu treffen.

IX. Arbeitsförderungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit Neben der Gewährung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe ist eine der Haupttätigkeiten der Bundesanstalt für Arbeit die Arbeitsvermittlung33. So trägt das dritte Buch des Sozialgesetzbuchs den Titel »Arbeitsförderung" und charakterisiert in § 1 I SGB m die Aufgaben der Arbeitsförderung unter Betonung dieses Tätigkeitsfelds: ,,Durch die Leistungen der Arbeitsförderung soll vor allem der Ausgleich am Arbeitsmarkt unterstützt werden, indem Ausbildung- und Arbeitsuchende über Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes und der Berufe beraten, offene Stellen zügig besetzt und die Möglichkeiten von benachteiligten Ausbildung- und Arbeitsuchenden für eine Erwerbstätigkeit verbessert und dadurch Zeiten der Arbeitslosigkeit sowie des Bezuges von Arbeitslosengeld, Teilarbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe vermieden oder verkürzt werden."

Auch das BVerfG hebt die besondere Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Arbeitsvermittlung im Rahmen der staatlichen Daseinsvorsorge hervor 34. Die Bundesanstalt für Arbeit und die Arbeitsämter erbringen insoweit nicht nur eigene Leistungen, sondern sie kontrollieren auch die private Betätigung in diesem Bereich. Nach § 291 ff. SGB ΠΙ benötigen private Arbeits- und Ausbildungsvermittler Erlaubnisse, die nach § 294 SGB ΠΙ ggf. vom Landesarbeitsamt erteilt werden. Nach § 288a SGB ΙΠ haben die Arbeitsämter privaten Berufsberatern die Ausübung die33 So schon Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977,265,267. 34 BVerfGE 21,245,252 ff.

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Α. Aufgaben und Befugnisse der öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsträger

ser Tätigkeit ganz oder teilweise zu untersagen, sofern dies zum Schutz der Ratsuchenden erforderlich ist. Im Rahmen der Arbeitsförderung erbringen die Bundesanstalt für Arbeit und die Arbeitsämter auch Leistungen an Personen, die keine Beiträge gezahlt haben, ζ. B. im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Sinne von §§ 260 ff. SGB V, aber auch im Rahmen der Förderung von Einrichtung der beruflichen Aus- und Weiterbildung oder zur beruflichen Eingliederung Behinderter, §§ 248 ff. SGB ΙΠ. Zudem kontrollieren die Arbeitsämter die Berufsausübung von Ausländern durch Erteilung bzw. Versagung von Arbeitserlaubnissen und -berechtigungen gemäß §§ 284 ff. SGB ΠΙ. Zur Überwachung der Einhaltung der entsprechenden Vorschriften sind die Arbeitsämter nach §§ 304 ff. SGB ΠΙ berechtigt, Betriebe zu betreten, zu untersuchen sowie Einsicht in Unterlagen zu verlangen. Dadurch sollen Schwarzarbeit, Leistungsmißbrauch und illegale Beschäftigungsverhältnisse bekämpft werden.

Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger zur Beschäftigung von Beamten Art. 33 I V G G bestimmt: „Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen."

I . Öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis Als öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis wird allgemein nur das Beamtenverhältnis angesehen35, nicht aber das Arbeits- oder Anstellungsverhältnis im öffentlichen Dienst 3 6 oder das Anstellungsverhältnis der Dienstordnungsangestellten 37 . Letzteres, dem Beamtenverhältnis in seiner einfachgesetzlichen Ausgestaltung weitgehend angenäherte Dienstverhältnis 38 , wurde als „Verlegenheitslö35 BVerfGE 9, 268, 282; VGH Kassel, NVwZ-RR 1989, 563; BAG, Urt. v. 11. 8. 1998, Az. 9 AZR 155/97; Lerche, Verbeamtung als Verfassungsauftrag?, 1972, S. 13 ff. m. w. Nachw.; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, 3. Auflage, 1995, Art. 33 Rn. 39; Maunz in: MDHS, Art. 33 Rn. 32 ff.; Battis in: Sachs, Art. 33 Rn. 45 ff.; Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt des Grundgesetzes, 1986, S. 17; Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977,265, 266. 36 Battis in: Sachs, Art. 33 Rn. 45 ff.; Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt des Grundgesetzes, 1986, S. 17; Lerche, Verbeamtung als Verfassungsauftrag?, 1972, S. 13 ff. m. w. Nachw.; Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse44? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977, 265, 266; Kunig in: v. Münch/Kunig, GG, 3. Auflage, 1995, Art. 33 Rn. 39. 37 Ule, Beamten-, Richter- und Soldatenrecht; Recht der Dienstordnungsangestellten, in: Sozialrechtsprechung, Verantwortung für den sozialen Rechtsstaat, Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Bundessozialgerichts, Köln/Berlin/Bonn/München, 1979, Band 2, 581, 597 ff.; vgl. auch ders., Rechtsgutachten im Auftrage des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften e.V., Heidelberg, 1976, S. 49; Lerche, Verbeamtung als Verfassungsauftrag?, 1972, S. 16 f.; Brill, Der Dienstordnungs-Angestellte in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, RiA 1985,62; vgl. auch BSGE 43,1 ff; Battis in: Bundesbeamtengesetz, § 4 Rn. 3. 38 Platz, Das Dienstordnungsrecht der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Historisches Kuriosum oder Chance individuellen Dienstrechts?, ZTR 1992,10; Siebeck, Dienstordnung und Beamtenrecht, 1987, S. 38 ff.

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

sung" 39 entwickelt. Einerseits wurde eine Vielzahl von Aufgaben etwa der Berufsgenossenschaften zutreffend als Beamtenaufgaben angesehen; andererseits konnten für diese Aufgaben aufgrund institutioneller Vorgaben keine Beamten eingesetzt werden: die Berufsgenossenschaften hatten und haben in der Regel nicht die Dienstherrnfähigkeit 40 . Obgleich das Dienstordnungsrecht teilweise den Zielen des Funktionsvorbehalts des Art. 33 I V GG nahekommen und auch aus rechtspolitischer Sicht erstrebenswert erscheinen mag 4 1 , vermag es dennoch die Vorgabe des Grundgesetzes nicht zu erfüllen. Insbesondere fehlt ihm die funktionsorientierte Sicherheit des hergebrachten Beamtenrechts, seine gesteigerte Pflichtenbindung und verfassungsrechtliche Fixierung 42 . Deshalb wurde auch in Bezug auf die Dienstordnungsangestellten das Bestehen eines Verfassungsauftrags zur Verbeamtung festgestellt 43 .

I I . Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse Die in der Lehre vertretenen Auslegungen des Begriffs „hoheitsrechtlich" werden in weite, enge und vermittelnde Sichtweisen eingeteilt 44 , wobei eine Reihe 39 Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977,265,270. 40 Seewald, Vorstand und Geschäftsführung in Personalentscheidungen der Berufsgenossenschaften, NZS 1993, 200, 202; Platz, Das Dienstordnungsrecht der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Historisches Kuriosum oder Chance individuellen Dienstrechts?, ZTR 1992,10; Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977,265,270. Allerdings sieht § 1441 2 SGB VII ausdrücklich vor, daß auch Unfallversicherungsträgern im Rahmen von § 121 Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG) die Dienstheimfähigkeit zuerkannt werden kann. Dies ist auch in bezug auf die Landwirtschaftlichen Sozialversicherungsträger in Bayern geschehen, die insoweit eine Ausnahme bilden. 41

So insbesondere Siebeck, Dienstordnung und Beamtenrecht, 1987, S. 36 ff. Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977,265,270. 42

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Lerche, Verbeamtung als Verfassungsauftrag, 1973, S. 53 f. Vgl. hierzu Leisner, Der Beamte als Leistungsträger, in: ders., Beamtentum, Schriften zum Beamtenrecht und zur Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1968-1991, Berlin, 1995, S. 201 ff.; Benndorf, Zur Bestimmung der hoheitsrechtlichen Befugnisse gem. Art. 33 Abs. 4 GG, DVB1. 1981, 23 ff.; Thieme, Empfiehlt es sich, das Beamtenrecht unter Berücksichtigung der Wandlungen von Staat und Gesellschaft neu zu ordnen?, Gutachten für den 48. Deutschen Juristentag (Bd. 1), S. D12 f.; Lerche, Verbeamtung als Verfassungsauftrag?, 1973, 21 ff.; Dörr, Die Abgrenzung von Beamten- und Angestelltenfunktionen im öffentlichen Dienst, ZTR 1991, 182, 183 ff., 226 ff.; Leitges, Die Entwicklung des Hoheitsbegriffs in Art. 33 Abs. 4 des Grundgesetzes, 1998, S. 26 ff.; Maunz in: MDHS, Art. 33 Rn. 33; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 33 Rn. 12; Jarass/Pieroth, Art. 33 Rn. 12; Lecheler, Die Beam44

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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von Unterschieden im Detail bestehen. Es werden insbesondere zwei Fragenkreise weit oder eng beurteilt: - Zum einen kann der Begriff der hoheitsrechtlichen Befugnisse selbst eng oder weit verstanden werden. - Zum anderen kann generalisierend organisationsbezogen gefragt werden, ob ein bestimmter Verwaltungsträger oder ein Verwaltungsbereich insgesamt hoheitsrechtlich tätig ist und damit seine Bediensteten dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG unterfallen 45. Unter Zugrundelegung dieses Ansatzes ist zu prüfen, ob die Sozialversicherungsträger insgesamt überwiegend hoheitsrechtlich tätig sind oder nicht. Als Ergebnis kommt nur eine Einordnung der Sozialversicherungsträger als solche unter den Funktionsvorbehalt in Betracht. Es kann aber auch differenzierend funktionsbezogen gefragt werden, ob bei einer bestimmten, von einem Verwaltungsträger wahrgenommenen Aufgabe, auf einem konkreten Dienstposten hoheitsrechtliche Befugnisse ausgeübt werden46. Danach ist zu prüfen, welche einzelnen, von den Bediensteten der Sozialversicherungsträger ausgeübten Tätigkeiten als hoheitsrechtlich zu qualifizieren sind47. Dabei könnte sich ζ. B. ergeben, daß nur die im Zusammenhang mit der Beitragserhebung und der Leistungsgewährung stehenden Tätigkeiten dem Funktionsvorbehalt unterstehen, die Verwaltung des Beitragsvermögens aber nicht. Die maßgeblichen grundsätzlichen Erwägungen zum Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG wurden bereits an anderer Stelle ausführlich dargelegt48, allerdings bisher nicht speziell die Situation der Sozialversicherungsträger vertieft untersucht. Wie zu zeigen sein wird, besteht jedoch auch diesbezüglich kein Anlaß, von bereits erarbeiteten Grundsatzpositionen abzuweichen. Im Sinne einer möglichst umfassenden gutachterlichen Klärung der vorgegebenen Fragestellung erscheint es jetenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt, 1986, S. 22 ff.; ders., Die Verfassungsplicht der Dienstherrn zum Einsatz von Beamten bei der Erfüllung staatlicher Daueraufgaben, 1989, S. 5 ff.; Leisner in: ders., Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat, 1997, S. 121 f.; vgl. auch Battis in: Sachs, Art. 33 Rn. 55; Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfiinktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977, 265, 267 ff.; Schuppen in: AK, Art. 33 Rn. 26 ff. 45 So ζ. B. Leisner, Der Beamte als Leistungsträger, in: ders., Beamtentum, Schriften zum Beamtenrecht und zur Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1968-1991, Berlin, 1995, S. 215 ff.; Peine, Der Funktionsvorbehalt des Berufsbeamtentums, DV (17) 1984, 415, 437 ff.; Maunz in: MDHS, Art. 33 Rn. 32 ff. 46 So Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt, 1986, S. 10, 22 ff.; dahingehend auch Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 49; Battis in: Sachs, Art. 33 Rn. 57; Lübbe-Wolff in: Dreier, Art. 33 Rn. 59; Kohl, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998,601,608. 47 48

Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt, 1986, S. 10.

Siehe ζ. B. Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt, 1986; ders., Die Verfassungsplicht der Dienstherrn zum Einsatz von Beamten bei der Erfüllung staatlicher Daueraufgaben, 1989; ders. in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts § 72 Rn. 26 ff., jeweils m. w. Nachw.

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

doch sinnvoll, nach den verschiedenen in der Literatur vertretenen Ansätzen die Tätigkeit der Sozialversicherungsträger auf ihre Qualifikation als Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse zu überprüfen. Dabei lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Ergebnissen aufzeigen (dazu unten 3.). Hieran anschließend kann die Grundsatzdiskussion noch einmal aufgenommen und mit Argumenten aus dem Bereich der speziellen Situation der Sozialversicherungsträger fortgeführt werden (dazu unten 4.). Im folgenden soll demgemäß die Tätigkeit der Sozialversicherungsträger zunächst unter einem weiten (dazu unten 1.) und sodann unter einem engen Verständnis (dazu unten 2.) des Begriffs „hoheitsrechtliche Befugnisse" untersucht werden. Im Zuge der Erörterung dieser Sichtweisen wird jeweils im einzelnen dargestellt, inwieweit sich Unterschiede dadurch ergeben, daß die Tätigkeit der Versicherungsträger entweder generalisierend organisationsbezogen oder differenzierend funktionsbezogen betrachtet werden kann. Außerdem werden Abweichungen aufgezeigt, die sich durch vermittelnde Ansichten zu einzelnen Detailfragen ergeben.

1. Weite Sicht: Die gesamte öffentliche Verwaltung übt hoheitsrechtliche Befugnisse aus

Nach in der Lehre überwiegend vertretener Auffassung fallen unter den Bereich der Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse im Sinne von Art. 33 IV GG sämtliche im Bereich der öffentlich-rechtlichen Eingriffs- und Leistungsverwaltung wahlgenommenen Funktionen, die nicht fiskalisches Handeln oder mechanisches Vorbereiten sind49. a) Sichtweise der höchstrichterlichen

Rechtsprechung

Aus dem Bereich der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind, soweit ersichtlich, nur sehr wenige Entscheidungen zur genauen Reichweite des Funktionsvorbehalts des Art. 33 IV GG ergangen50. Das dürfte u. a. darauf zurückzuführen sein, Maunz in: MDHS, Art. 33 Rn. 36 f.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 33 Rn. 12; Jarass/ Pieroth, Art 33 Rn. 9; Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt, 1986, S. 22 ff.; Leisner, Der Beamte als Leistungsträger, in: ders., Beamtentum, Schriften zum Beamtenrecht und zur Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1968-1991, Berlin, 1995, S. 201 ff.; vgl. auch Battis in: Sachs, Art. 33 Rn. 55; Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977,265,267 ff.; in diese Richtung tendiert auch Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 49, wenngleich er eine - nicht näher erläuterte - Sachgerechtigkeitsprüfung im Einzelfall in Betracht zieht. 5° Zu diesem Ergebnis kommt auch die aktuelle und umfassende Untersuchung von Leitges, Die Entwicklung des Hoheitsbegriffs in Art. 33 Abs. 4 des Grundgesetzes, 1998, S. 38 ff.; vgl. aber ζ. B. BVerwGE 49, 137, 141 ff. und kürzlich BAG, Urt. v. 11. 8. 1998, Az. 9AZR

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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daß die allgemeine Verletzung des Art. 33 IV GG durch den insgesamt unzureichenden Einsatz von Beamten in der öffentlichen Verwaltung51 mangels Klagebefugnis im Sinne von § 42 Π VwGO und Beschwerdebefugnis im Sinne von Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 90 ff. BVerfGG nicht von einem einzelnen Kläger gerügt werden kann. Selbst wenn man entgegen der h. M. annehmen wollte, daß Art. 33 IV GG subjektive Rechte gewährt, müßte sich der einzelne Angestellte, der einen Anspruch auf seine eigene Verbeamtung vor Gericht geltend macht, ggf. entgegenhalten lassen, daß unabhängig von der aktuellen Gesamtsituation gerade seine Stelle auch einem Angestellten übertragen werden darf, weil Art. 33 IV GG Ausnahmen zuläßt und die Verbeamtung nur für den Regelfall verlangt52. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte dementsprechend, soweit ersichtlich, bisher nicht abschließend zu der Frage Stellung zu nehmen, welche Aufgaben im einzelnen dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG unterfallen. Es betonte aber bereits in frühen Entscheidungen die große staatsrechtliche Bedeutung des Art. 33 IV GG, setzte den Begriff „hoheitsrechtlich" mit dem allgemein gebräuchlichen Begriff „hoheitlich" gleich53 und führte aus: „Würde die ständige Ausübung hoheitlicher Befugnisse in größerem Umfang auf Nichtbeamte übertragen, so wäre dies mit dem Grundgesetz nicht vereinbar" 54. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) sieht „die nichthoheitliche Tätigkeit des Staates ( . . . ) im Gegensatz zu der sowohl die Eingriffsverwaltung als auch die sogenannte Daseinsvorsorge umfassenden hoheitlichen Tätigkeit"55. Es entschied zu der speziellen Konstellation eines Lehrbeauftragten an einer Universität: „Für einen Lehrauftrag konnte ... von der Begründung eines Beamtenverhältnisses abgesehen werden, weil es sich dabei zwar noch um die Ausübung hoheitlicher Befugnisse (Erteilung von Übungsscheinen), aber nicht mehr um eine Übertragung solcher Befugnisse als ,ständige Aufgabe* handelt. Zudem ließe sich bei einem Lehrauftrag - wegen seines regelmäßigen Charakters als Behelf - das Vorliegen eines Ausnahmefalles bejahen, der ein Abweichen von dem Grundsatz des Art. 33 Abs. 4 GG gestatten würde' 456. Das in diesen Entscheidungen zum Ausdruck kommende umfassende Verständnis von hoheitlichem Handeln wird als Beleg dafür gewertet, daß das BVerwG den gesamten Bereich der öffentlichen Eingriffs- und Leistungsverwaltung als Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse im Sinne von Art. 33 IV GG ansieht57. 155/97; aus dem Bereich der Instanzerichte siehe in letzter Zeit ζ. B. VGH Kassel, NVwZRR 1989,563 und LAG Hannover, NVwZ-RR 1995,584 ff. Siehe Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt des GG, 1986, S. 40 ff. « Diese Argumentationsweise klingt ζ. B. bei BVerwGE 49, 137, 141 f. und bei VGH Kassel, NVwZ-RR 1989,563 jeweils an. « Battis in: Sachs, Art. 33 Rn. 55. « BVerfGE 9,268,284 (1959). 55 BVerwGE 34,123,126. 56 BVerwGE 49, 137,141 f.

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

Auch der Bundesgerichtshof (BGH) faßt den Begriff der hoheitlichen Staatstätigkeit weit. Er hielt beispielsweise vor kurzem erneut ausdrücklich fest, daß die Rentenversicherungsträger immer schon dann hoheitlich handeln, wenn eine konkrete Diensthandlung das Sozialversicherungsverhältnis betrifft 58. Im konkreten Fall, in dem es um die Auskunft des Versicherungsträgers in einem familiengerichtlichen Verfahren (Ehescheidung, Unterhaltsfragen) ging, führte der BGH zur Begründung der Qualifizierung der Auskunfterteilung als hoheitliche Tätigkeit aus: ,»Denn die Auskunft betrifft das dem öffentlichen Recht angehörende Sozialversicherungsverhältnis zwischen dem Träger der Rentenversicherung und dem Versicherten. Auch wenn der Versicherungsträger mit seiner Auskunft nicht unmittelbar regelnd in das Versicherungsverhältnis eingreift und ihr deshalb als solcher nicht der Charakter eines Verwaltungsakts oder Bescheids zukommt, ist sie doch das Ergebnis einer Tätigkeit, bei der rentenrechtlich bedeutsame Umstände nach den einschlägigen Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ermittelt und bewertet werden. Der Sache nach unterscheidet sich dies nicht von der Prüfung einer Rentenberechtigung im Versicherungsfall. Danach kann nicht zweifelhaft sein, daß der zuständige Mitarbeiter der Beklagten hoheitlich handelt ( . . . )." Auch der BGH geht demnach davon aus, daß der gesamte Tätigkeitsbereich der Sozialversicherungsträger gegenüber den Versicherten als hoheitlich zu qualifizieren ist, unabhängig davon, ob im Einzelfall per Bescheid oder im Wege »schlichten Verwaltungshandelns4 agiert wird, und ob etwas gewährt oder etwas genommen wird. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) ordnet jedenfalls diejenigen Bereiche staatlichen Handelns dem Funktionsvorbehalt im Sinne von Art. 33 Abs. 4 GG zu, die „von der Möglichkeit zu staatlichem Eingriff und Zwang, von Unter- und Überordnung geprägt" sind59. Ob darüber hinaus auch andere Bereiche dem Funktionsvorbehalt unterfallen, hatte das Gericht, soweit ersichtlich, bisher nicht zu entscheiden. Die Bezugnahme auf BGH-Rechtsprechung in Ausführungen des BAG zu Art. 33 Abs. 4 G G 6 0 weist allerdings darauf hin, daß das BAG das weite Verständnis des BGH von hoheitsrechtlichen Befugnissen teilt. Jedenfalls ordnet das BAG im Ergebnis auch Tätigkeiten der Sozialversicherungsträger grundsätzlich dem Bereich der Wahrnehmung hoheitsrechtlicher Befugnisse zu 61 . Außerdem bezieht das 57 Vgl. ζ. B. Battis in: Sachs, Art. 33 Rn. 55; Leitges, Die Entwicklung des Hoheitsbegriffs in Art. 33 Abs. 4 des Grundgesetzes, 1998, S. 39 f. 58 BGH, Urt. v. 9. 10. 1997, NJW 1998,138. 59 BAG, Urt. v. 11. 8. 1998, Az. 9AZR 155/97, Urteilsumdruck S. 4. 60 Siehe etwa BAG, Urt. v. 11. 8.1998, Az. 9AZR 155/97, Urteilsumdruck S. 4. Siehe BAG, Urt. v. 6.1100.1985 -4AZR107/84, in: Hueck/Nipperdey/Dietz, Nachschlagewerk des BAG, Arbeitsrechtliche Praxis (AP), zu § 611 Nr. 61 (Bl. 874 Rücks.). Allerdings meint das Gericht - insoweit unzutreffend - die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse bei den Sozialversicherungsträgern dürfte im Einklang mit Art. 33 IV GG auch Dienstordnungsangestellten übertragen werden, da der Gesetzgeber keine materielle Änderung an den Besonderheiten des Dienstrechts der Sozialversicherungsträger vorgenommen habe; zutreffend krit. die Anmerkung von Brackmann aaO (Bl. 876). Siehe auch unten C.III. 1.

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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Gericht ausdrücklich auch interne Tätigkeiten in den Funktionsvorbehalt ein: „Der Funktionsvorbehalt betrifft nicht nur Leitungsstellen oder sog. Außenbeamte, die über Unterschriftsbefugnis verfügen oder in sonstiger [W]eise unmittelbar nach außen wirken. ( . . . ) . Vorgesetzte und Außenbeamte sind in einer arbeitsteilig und hierarchisch organisierten Verwaltung auf die Vorarbeiten von Sachbearbeitern angewiesen"62. Das von der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertretene weite Verständnis des Begriffs der hoheitsrechtlichen Befugnisse in Art. 33 IV GG steht in Einklang mit der Behandlung der Hoheitsgewalt in anderen Bereichen des Grundgesetzes. Beispielsweise bestimmt Art. 1 ΠΙ GG, daß die staatliche Hoheitsgewalt an Grundrechte gebunden ist. Von der Grundrechtsbindung wird herkömmlich allenfalls die fiskalische und erwerbswirtschaftliche Tätigkeit des Staates ausgenommen63. So entschied der Bundesgerichtshof, daß Art. 1 ΠΙ GG die öffentliche Verwaltung auch dort an Grundrechte bindet, wo sie sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben privatrechtlicher Formen bedient64. Nach seiner Sicht dient selbst die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden „lebenswichtigen Bedürfnissen der Gemeinschaft, gehört daher zur Daseinsvorsorge und ist deshalb öffentliche Verwaltung und nicht privatwirtschaftliche Tätigkeit"65. »Alles was funktionell zur Daseins Vorsorge gehört, ist nach den Grundsätzen des öffentlichen und nicht des privaten Rechts zu beurteilen"66. Auch im Zusammenhang mit der Staatshaftung iSv Art. 34 GG wird das Tatbestandsmerkmal „in Ausübung eines öffentlichen Amtes" weit verstanden67. Dabei werden auch nichtbeamtete Bedienstete haftungsrechtlich den Beamten gleichgestellt, weil die Verletzung der Vorgaben des Art. 33 IV GG dem Bürger nicht auch noch im Zusammenhang mit sekundärrechtlichen Schadensersatzansprüchen dadurch zum zusätzlichen Schaden gereichen soll, daß eine Haftung nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG mangels Handlung eines Beamten im statusrechtlichen Sinne ausscheidet. Diese haftungsrechtliche Gleichsetzung von statusrechtlichen Angestellten mit statusrechtlichen Beamten in großem Umfang wird gerade dadurch gefördert, daß die Vorgabe des Art. 33IV GG nicht hinreichend umgesetzt ist. Wenn Art. 33 IV GG umgesetzt wäre, würden in der Regel alle Bediensteten, die hoheitsrechtliche Befugnisse ausüben, verbeamtet sein. Die Einhaltung dieses Verfassungsauftrags würde der bezeichnenden Entwicklung und Auseinanderentwicklung von verschiedenen „Beamtenbegriffen" 68 entgegenwirken. « BAG, Urt. v. 11. 8.1998, Az. 9AZR 155/97, Urteilsumdruck S. 4. 63 Vgl. BGHZ 36,91,95 ff.; a.A. aber ζ. B. Höfling in: Sachs, Art. 1 Rn. 95, der auch den fiskalisch und erwerbswirtschaftlich handelnden Staat als verpflichtet ansieht. « BGHZ 52, 325, 327 ff. « BGHZ 52, 325, 328 f. 66 BGHZ 52, 325, 329 unter Berufung auf Forsthoff, Verwaltungsrecht I, 9. Auflage, S. 382. 67 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Auflage, 1991, S. 12 ff.

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

b) Fiskalverwaltung

und untergeordnete

Tätigkeiten

Allgemein werden untergeordnete, mechanische Vorbereitungshandlungen sowie fiskalisches Handeln vom Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG ausgenommen, weil sie nicht am hoheitsrechtlichen Sondercharakter der betreffenden Aufgaben teilhaben69.

aa) Fiskalverwaltung Als fiskalisches Handeln werden insbesondere Beschaffungsvorgänge und Erwerbstätigkeiten angesehen, bei denen der Staat wie ein Privater am Geschäftsleben teilnimmt, indem er ζ. B. Büromaterialien für eine Behörde ankauft, Grundeigentum für den Straßenbau erwirbt oder durch einen kommunalen Bauhof Amtsgebäude errichten oder Gewinne erwirtschaften läßt 70 .

bb) Untergeordnete Hilfstätigkeiten Als mechanische Vorbereitungshandlung werden Unterstützungstätigkeiten angesehen, die innerhalb und außerhalb der staatlichen Verwaltung in der gleichen Weise erbracht und deshalb nicht am hoheitsrechtlichen Charakter der vorbereiteten bzw. unterstützten Tätigkeit teilnehmen, ζ. B. Sekretariatsarbeit, Materialverwaltung und Gebäudepflege durch Hausmeister und Reinigungspersonal, aber auch die Tätigkeit des Krankenhaus- und Pflegepersonals in versicherungseigenen Einrichtungen. Die Qualifizierung als „untergeordnet" soll selbstverständlich kein Werturteil über diese Tätigkeiten ausdrücken, sondern ihre Stellung zu der nach der gesetzlichen Zweckbestimmung der Verwaltungen im Vordergrund stehenden Ausübung hoheitlicher Befugnisse kennzeichnen: Der Hoheitstätigkeit und den sie Ausübenden sind die Hilfstätigkeiten bzw. die sie Ausübenden insofern untergeordnet, als die Hilfstätigkeit nicht Selbstzweck ist, sondern nur als Voraussetzung Vgl. Ossenbiihl, aaO, S. 13 f. 69

Vgl. Maunz in: MDHS, Art. 33 Rn. 36 f.; Leisner, Der Beamte als Leistungsträger, in: ders., Beamtentum, Schriften zum Beamtenrecht und zur Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1968-1991, Berlin, 1995, S. 213 f.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, 9. Aufl. 1999, Art. 33 Rn. 12; Jarass/Pieroth, Art 33 Rn. 9; Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt, 1986, S. 22 ff.; Leisner in: ders., Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat, 1997, S. 121 f.; vgl. auch Battis in: Sachs, Art. 33 Rn. 55; Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977,265,267 ff. 70 Vgl. z. B. VGH Kassel, NVwZ-RR 1989, 563 f.; speziell in Bezug auf die Tätigkeiten der Bundesanstalt für Arbeit siehe Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977,265,271.

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben willen erbracht werden muß. Die mit Hilfstätigkeiten Betrauten fällen dabei aber keine für die Hoheitsverwaltung selbst unmittelbar relevanten Entscheidungen. Soweit sich ihre Tätigkeit ausnahmsweise unmittelbar auf die konkrete Ausübung der Hoheitsgewalt auswirkt - ζ. B. die Tätigkeit des Pflege- und Krankenhauspersonals in versicherungseigenen Einrichtungen - wird die Art und Weise ihrer Ausführung so weitgehend durch Vorgesetzte bestimmt, daß der Bedienstete selbst keinen bestimmenden Einfluß auf die zu fällenden, hoheitlichen Entscheidungen ausüben kann. Dies trifft auf die Bearbeitertätigkeit in den externen Leistungsabteilungen der Sozialversicherungsträger in der Regel nicht zu, weil die Bearbeiter Entscheidungsvorlagen erstellen, die häufig übernommen werden. Ihre Tätigkeit kann demnach nicht als untergeordnet angesehen werden.

c) Einordnung der Tätigkeiten

der Sozialversicherungsträger

aa) Generalisierende, organisationsbezogene Betrachtungsweisen Nach der eben beschriebenen, weiten Sichtweise ist die Tätigkeit der Sozialversicherungsträger in Hinblick auf Art. 33 IV GG danach zu bewerten, ob sie als öffentlich-rechtliche Verwaltung zu qualifizieren sind. Hierfür ist wiederum nach der weitesten Sichtweise allein das öffentliche Interesse an der Erfüllung der Aufgabe maßgeblich, da das öffentliche Interesse erst die Wahrnehmung gesellschaftlicher Aufgaben durch den Staat rechtfertigt 71. Danach können auch Tätigkeiten staatseigener Verwaltungsträger in Privatrechtsform dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG unterfallen. In bezug auf gemischtwirtschaftliche Unternehmen (private Rechtsform, private und staatliche Anteilsinhaber) ließe sich darauf abstellen, ob öffentliche Aufgaben wahrgenommen werden72. Eine vermittelnde Ansicht stellt dagegen darauf ab, ob die Aufgaben in öffentlich-rechtlicher Rechtsform erfüllt werden und klammert die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben in der Form des Verwaltungsprivatrechts vom Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG aus73. Dieser Meinungsstreit ist aber im Rahmen der vorliegenden Untersuchung irrelevant, denn die Träger der Sozialversicherung sind nach §§ 29 ff. SGB IV öffentlichrechtliche Körperschaften:

71

Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt des Grundgesetzes, 1986, S. 11 ff.; vgl. auch Ronellenfitsch in: Isensee/Kirchhof, HdStR III § 84 Rn. 3: auch öffentliche Unternehmen müssen öffentliche Aufgaben erfüllen, da dem Staat reine Erwerbswirtschaft von Verfassungs wegen nicht gestattet ist. 7

* Vgl. BVerfG, JZ 1990, 335. Vgl. dazu - ablehnend: Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt des Grundgesetzes, 1986, S. 11 ff. 73

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

- Träger der Arbeitsförderung (Arbeitslosenversicherung etc.) ist nach § 367 SGB III die Bundesanstalt für Arbeit, eine rechtsfähige, bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts. - Träger der Rentenversicherung sind nach §§ 127, 132, 136 SGB VI u. a. die Landesversicherungsanstalten, die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und die Bundesknappschaft, die gemäß §§ 145, 143 SGB VI als landes- bzw. bundesunmittelbare Körperschaften eingerichtet sind. - Im Bereich der Krankenversicherung sind verschiedene Arten von Krankenkassen tätig, die gemäß § 4 Π SGB V, §§ 143 ff. SGB V als rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert sind. - Bei den Krankenkassen sind als Träger der gesetzlichen Pflegeversicherung Pflegekassen einzurichten, die ebenfalls als rechtsfähige, öffentlich-rechtliche Körperschaften zu organisieren sind, § 46 I I 1 SGB XI. - Träger der Unfallversicherung sind u. a. Bund, Länder, gewerbliche und landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften, die Eisenbahn-Unfallkasse, die Unfallkasse von Post und Telekom sowie Gemeindeunfallversicherungsverbände, §§ 114 ff. SGB VII, also ebenfalls öffentlich-rechtliche Körperschaften. Diese Körperschaften nehmen Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge in öffentlich-rechtlicher Rechtsform wahr. Sie sind demgemäß sowohl nach dem weiten Verständnis als auch nach denjenigen vermittelnden Sichtweisen, die Verwaltungstätigkeit in privatrechtlichen Formen vom Hoheitsbegriff ausklammern, dem Bereich der öffentlich-rechtlichen Verwaltung und damit Art. 33IV GG zuzuordnen. Etwas anderes gilt für privatrechtlich organisierte, in privater Trägerschaft geführte Betriebsrentenkassen, Alters- und Berufs-unfähigkeitsvorsorgeangebote privater Dienstleistungsunternehmen, ζ. B. privater Banken sowie Angebote privater Krankenversicherungen. Diese privatwirtschaftlich organisierten und von privaten Anteilseignern gehaltenen Unternehmen gehören nicht der öffentlichen Verwaltung an und unterfallen somit auch nach den eben beschriebenen weiten und vermittelnden Sichtweisen von Art. 33IV GG nicht seinem Funktionsvorbehalt.

bb) Fiskalische und untergeordnete Tätigkeiten nach dem generalisierenden, organisationsbezogenen Verständnis von Art. 33IV GG Nach der generalisierenden, organisationsbezogenen Betrachtungsweise genügt für die Qualifizierung der Tätigkeit der Bediensteten der Sozialversicherungsträger als hoheitlich die Tatsache, daß die Sozialversicherungsträger insgesamt öffentliche Aufgaben in öffentlich-rechtlicher Rechtsform erfüllen und nicht etwa rein fiskalische oder erwerbswirtschaftliche Zwecke verfolgen. Sofern einzelne Abteilungen erwerbswirtschaftliche Ziele verfolgen sollte, wäre dies unschädlich, weil sie als Annex zur hoheitlichen Tätigkeit vom Funktionsvorbehalt miterfaßt werden.

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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Untergeordnete Hilfstätigkeiten (Schreib- und Fahrdienst etc.) fallen allerdings auch nach dieser Sichtweise aus dem Funktionsvorbehalt heraus.

cc) Differenzierende Betrachtung des konkreten Dienstpostens Eine differenzierende Betrachtung der konkreten Dienstposten muß zusätzlich fragen, ob nicht einzelne Tätigkeitsfelder der Sozialversicherungsträger als fiskalisch anzusehen sind, auch wenn die Sozialversicherungsträger insgesamt nicht erwerbswirtschaftlich oder allein zur Beschaffung von Mitteln als Voraussetzung der Erfüllung von Staatsaufgaben dienen. (1) Beauftragung Dritter zur Leistungserbringung Die Sozialversicherungsträger schließen Verträge mit unabhängigen Dritten, damit diese den Versicherten Leistungen erbringen. So werden Verträge u. a. mit Ärzten, Krankenhäusern, Pflege- und Rehabilitationseinrichtungen, aber auch mit Schulungs-, Aus- und Weiterbildungsinstituten geschlossen, deren Inhalt innerhalb eines gesetzlich vorgegebenen Rahmens ausgehandelt wird. Das gilt beispielsweise auch für die Rahmenverträge zwischen Krankenkassen bzw. Unfallversicherungsträgern und Kassenärztlichen Vereinigungen sowie Krankenhausvereinigungen, obgleich § 115 ΙΠ SGB V und § 34 V SGB VII die Möglichkeit der Festsetzung des Vertragsinhalts durch eine Schiedsstelle vorsehen74. Ob die Schiedsstelle Hoheitsgewalt ausübt, kann im Rahmen der vorliegenden Untersuchung dahinstehen. Die Sozialversicherungsträger sind jedenfalls dem Schiedsspruch ebenso unterworfen wie die anderen Beteiligten. Die einem etwaigen Schiedsspruch vorangehenden Verhandlungen finden im Rahmen eines Gleichordnungsverhältnisses statt, so daß der Vertrag privatrechtlicher Natur ist 75 . Fraglich ist, ob die Beauftragung der Leistungserbringer der Sache nach einen Beschaffungsvorgang darstellt. Auf den ersten Blick könnte man argumentieren, der Sozialversicherungsträger beschaffe sich auf dem privatwirtschaftlichen Dienstleistungsmarkt die Mittel, die er zur Erbringung seiner gesetzlichen Aufgaben benötigt. Dabei schließe er ebenso privatrechtliche Verträge ab wie beim Einkauf von Sachmitteln, z. B. von Büromaterial oder von Grundstücken zur Errichtung eines Verwaltungsgebäudes. Derartige Beschaffungsvorgänge in privatrechtlichen Formen fallen nach allgemeiner Ansicht als Fiskalverwaltung aus dem Bereich des Funktionsvorbehalts des Art. 33IV GG heraus76. Bereits ein Blick auf die Prüfungsrechte der Sozialversicherungsträger gegenüber den Krankenhäusern und Ärzten, vgl. z. B. § 113 SGB V, widerlegt jedoch die 74 Schlichter-Wicker, Die dreiseitigen Verträge nach § 115 SGB V, 1994, S. 341 ff. 75 Schlichter-Wicker, Die dreiseitigen Verträge nach § 115 SGB V, 1994, S. 315 ff. 76 Vgl. z. B. VGH Kassel, NVwZ-RR 1989,563. 3 Lecheler/Detennann

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

Annahme einer Vergleichbarkeit. Außerdem ist ein wesentlicher Unterschied zu fiskalischen Beschaffungsvorgängen, daß sich die Sozialversicherungsträger nicht Material und Dienstleistungen besorgen, um mit diesen anschließend selbst Verwaltungsaufgaben zu erfüllen. Die Beauftragung und Instruierung der Leistungserbringer erfolgt, damit diese anschließend die eigentliche öffentliche Verwaltungstätigkeit - sozusagen als verlängerter Arm der Verwaltung - ausführen. Auch kaufen die Sozialversicherungsträger nicht etwa Produkte und Leistungen unter den gleichen Bedingungen wie Private an einem freien Markt ein. Sie sind nur deshalb zwischen Leistungsbedürftigem und Leistungserbringer eingeschaltet, weil die Versicherten kraft Gesetzes gezwungen sind, sich bei den öffentlich-rechtlichen Trägern der Sozialversicherung zu versichern. Die Möglichkeit privater Vertragsverhältnisse zwischen Patient und Arzt wird dadurch für weite Teile der Bevölkerung faktisch ausgeschlossen. Somit kann die Beauftragung der Leistungserbringer nicht als fiskalische Hilfstätigkeit angesehen werden, sondern als Bestandteil der öffentlichen Verwaltung. Demgemäß üben die mit der Begründung und Abwicklung der Beziehungen zwischen den Sozialversicherungsträgern und den Leistungserbringern befaßten Bediensteten der Sozialversicherungsträger hoheitsrechtliche Befugnisse aus. Eine differenzierende funktionsbezogene Betrachtung des individuellen Dienstpostens ergibt damit, daß insoweit Beamte beschäftigt werden müssen. Danach fällt auch ein Großteil der Dienstposten gerade der gesetzlichen Krankenversicherungen unter den Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG. Dies erscheint auch im Ergebnis deshalb besonders gerechtfertigt, weil die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Beautragung der Leistungserbringer funktional an die Stelle der Leistungserbringung durch die Sozialversicherungsträger selbst tritt. Aufgrund der gesetzlichen und vertraglichen Ausgestaltung der Leistungserbringung wird die zentrale, zweckbestimmende Aufgabe der Krankenkassen, über die Leistungsgewährung an die Versicherten zu entscheiden, von den Beschäftigten der gesetzlichen Kassen wahrgenommen, die insoweit nach dem weiten Verständnis von Art. 33 IV GG Hoheitsrechte ausüben. Die Entscheidungen über die Leistungsgewährung werden im Vorfeld der Verhandlungen mit den Leistungserbringern - vertreten u. a. durch die Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhausvereinigungen - getroffen. Die Entscheidung über eine Leistungsgewährung im Einzelfall fällt aber letztlich anhand von Leistungskatalogen der behandelnde Arzt, der nicht der öffentlichen Verwaltung angehört. Lehnt er eine Behandlung ab, weil er dafür kein Honorar verlangen kann, bleibt dem Versicherten die Möglichkeit, eine zivilrechtliche Leistungsklage gegen den Arzt zu erheben oder - praktisch die Regel - sich an einen anderen Arzt zu wenden. Zu einer individuellen Entscheidung der gesetzlichen Krankenkasse kommt es dabei in der Regel nicht mehr. Wenn der behandelnde Arzt eine Behandlung durchführt, deren Abrechenbarkeit streitig ist, so muß er sich mit der Kassenärztlichen Vereinigung auseinandersetzen, die den von der gesetzlichen Krankenversicherung bereitgestellten Pauschalbetrag an die Leistungserbringer aufteilt. Auch in dieser Konstellation kommt es

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nicht zu einer Einzelfallentscheidung seitens eines Bediensteten der gesetzlichen Krankenkasse. Nach alledem kommt bei den gesetzlichen Krankenkassen der im Einzelfall leistungsbewilligende bzw. -versagende Sachbearbeiter praktisch nicht vor. Die hoheitliche Entscheidung über Art und Umfang der Leistungserbringung wird pauschaliert gefällt, in Vertragsbestimmungen und Leistungskataloge gefaßt und anschließend durch Dritte umgesetzt. Dadurch tritt deren Beauftragung und Instruierung seitens der Bediensteten der gesetzlichen Krankenkassen funktional an die Stelle einer alternativ denkbaren Leistungserbringung durch versicherungseigene Einrichtungen und muß deshalb dem Funktionsvorbehalt unterfallen. (2) Vermögensverwaltung Die Geldanlage durch die Sozialversicherungsträger erfolgt am privatwirtschaftlichen Kapitalmarkt, in privatwirtschaftlichen Formen und mit dem Zwischenziel möglichst gewinnbringenden Kapitaleinsatzes. § 80 I SGB IV verlangt ausdrücklich, daß ein „angemessener Ertrag" erzielt wird. Die Finanzabteilungen der Sozialversicherungsträger verfolgen also erwerbswirtschaftliche Ziele. Bei einer differenzierenden Betrachtung des konkreten Dienstpostens fallen die damit verbundenen Tätigkeiten nicht unter den Funktionsvorbehalt des Art. 33IV GG. (3) Werbung neuer Mitglieder

durch die gesetzlichen Krankenkassen

Im Zusammenhang mit der Werbung neuer Mitglieder nehmen die Bediensteten der gesetzlichen Krankenkassen nicht unmittelbar Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge wahr, sondern fügen sich in die Gegebenheiten und Notwendigkeiten des gesetzgeberisch gewollten Wettbewerbs zwischen den verschiedenen gesetzlichen Krankenversicherungsträgern. Die Tätigkeit des Außendienstes und der Versicherungsanträge entgegennehmenden Stellen unterscheidet sich nicht von derjenigen privatwirtschaftlicher Unternehmen. Wenngleich die Sozialversicherungsträger insgesamt betrachtet nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind, dient gerade das Werben neuer Mitglieder auch der Erschließung zusätzlicher Einnahmen als Zwischenziel und trägt daher den Charakter erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit. Bei einer differenzierenden Betrachtung des konkreten Dienstpostens fallen die damit verbundenen Tätigkeiten nicht unter den Funktionsvorbehalt des Art. 33IV GG. (4) Beschaffungstätigkeiten Bei einer differenzierenden Betrachtung des konkreten Dienstpostens fallen auch sonstige Beschaffungstätigkeiten, ζ. B. Grunderwerb, Gebäudeverwaltung, Ankauf von Büro- und sonstigem Material, Verwaltung versicherungseigener Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen nicht unter den Funktionsvorbehalt des Art. 33IV GG.

3*

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

d) Zwischenergebnis Unter Zugrundelegung eines weiten Verständnisses des Begriffs der Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse und einer generalisierenden, organisationsbezogenen Betrachtungsweise, fallen alle Tätigkeiten der Sozialversicherungsträger unter den Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG. Die Sozialversicherungsträger nehmen nämlich öffentliche Aufgaben in öffentlich-rechtlicher Rechtsform wahr und verfolgen - insgesamt betrachtet - keine erwerbswirtschaftlichen oder fiskalischen Ziele. Hiernach fallen nur untergeordnete, mechanische Tätigkeiten aus dem Funktionsvorbehalt des Art. 33IV GG heraus. Wenn man statt der generalisierenden, organisationsbezogenen Betrachtungsweise differenzierend auf die konkrete Tätigkeit abstellt, die auf einem individuellen Dienstposten ausgeübt werden soll, fallen neben den untergeordneten mechanischen Hilfstätigkeiten insbesondere drei Bereiche aus dem Funktionsvorbehalt des Art. 33IV GG heraus: - der Bereich Vermögensverwaltung, - der Bereich Mitgliederwerbung der Krankenkassen und - sonstige fiskalische Hilfstätigkeiten.

2. Enge Sicht: Hoheitsrechtlich ist nur Eingriffsverwaltung

Die Vertreter einer restriktiven Auslegung des Art. 33 IV GG wollen nur den Bereich der Eingriffsverwaltung als Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse im Sinne des Art. 33 IV GG ansehen77. Als Eingriffsverwaltung sehen sie Verwaltungstätigkeiten an, bei denen der Staat mit „einseitigem Zwang gebietend oder entscheidend" und „obrigkeitlich" dem Bürger gegenübertritt78. Dabei wird der Begriff Eingriffsverwaltung dem Begriff der Leistungsverwaltung gegenübergestellt79. Fraglich ist, wie die Tätigkeit der Sozialversicherungsträger im Hinblick auf diese Differenzierung einzuordnen ist. Hierzu bedarf es zunächst einer näheren Abgrenzung zwischen den Bereichen Eingriffs- und Leistungsverwaltung. Vielfach wird betont, daß eine solche Abgrenzung dem Wesen der Hoheitsgewalt im heutigen Subventions- und Lenkungsstaat nicht gerecht wird und sich eine scharfe 77

Stern, Berufsbeamtentum - gestern, heute, morgen. Art. 33 Grundgesetz und sein verfassungsrechtlicher Kontext, in: Festschrift f. Ule, 1977, S. 193,205; Schuppert, AK I, Art. 33 IV, V Rn. 25,37. 78 Kohl, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998,601,608; Hill, Das hoheitliche Moment im Verwaltungsrecht der Gegenwart, DVB1. 1989, 321, 323 ff.; Thieme, Der Aufgabenbereich der Angestellten im öffentlichen Dienst, 1962, S. 27; vgl. aber ders., Verhandlungen des 48. Deutschen Juristentages (Bd. I. Gutachten), S. D12 f. So ζ. B. Kohl, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998,601,608.

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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Trennlinie nicht nach sachlichen, objektiven Kriterien ziehen läßt80. Die Befürworter einer derartigen Abgrenzung schlagen insoweit folgende abstrakte Formel vor: Die „Eingriffsverwaltung überkommener Art, bei der der Staat mit Befehl und Zwang tätig wird", falle unter den Funktionsvorbehalt81. Es wird aber in der Regel nicht weiter ausgeführt und begründet, unter welchen Voraussetzungen eine Staatstätigkeit als „Eingriffsverwaltung überkommener Art" anzusehen sein soll82. Vertreter vermittelnder, aber tendenziell enger Betrachtungsweisen präzisieren diese Klassifizierung auf Verwaltungstätigkeiten, bei denen „die zugrundeliegenden Rechtsverhältnisse einseitig durch Inanspruchnahme besonderer, nur dem Staat zustehender Herrschaftsmittel geregelt und geordnet werden"83. Neuerdings wird ergänzend vorgeschlagen, auf die Grundrechtswesentlichkeit staatlicher Verwaltungstätigkeit abzustellen84. Um die Tätigkeiten der Sozialversicherungsträger im einzelnen anhand des engen Verständnisses von Art. 33IV GG auf ihre Qualität als Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse zu untersuchen, muß eine Präzisierung der Kriterien zur Abgrenzung von Leistungs- und Eingriffsverwaltung versucht werden. Hierzu wird zunächst auf das Merkmal des einseitigen, obrigkeitlichen Handelns mit Befehl und Zwang abgestellt (a). Anschließend wird eine Abgrenzung danach versucht, ob die Tätigkeit der Sozialversicherungsträger Grundrechtseingriffe bewirkt und aufgrund dessen nach den abstrakten Obersätzen der Vertreter eines engen Verständnisses von Art. 33 IV GG geprüft, welche Tätigkeiten als Eingriffsverwaltung zu qualifizieren und dem Funktionsvorbehalt zu unterstellen sind (b).

a) Obrigkeitliches

Handeln durch Verwaltungsakt

Hauptmerkmal der „überkommenen Eingriffsverwaltung" soll nach Ansicht der Vertreter eines restriktiven Verständnisses von Art. 33 IV GG sein, daß der Staat 80 Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 48; Bachof, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, VVdStRL (30) 1972,193,227 f.; Wolff/ Bachof, Verwaltungsrecht 1,10. Aufl. 1994, § 23 Rn. 39; Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977,265,270. ei Kohl, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998, 601, 608; Schuppert, AK I, Art. 33IV, V Rn. 25,37; Dörr, ZTR 1991,182,187. 82 Anders etwa die umfassende Untersuchung von Leitges, Die Entwicklung des Hoheitsbegriffs in Art. 33 Abs. 4 des Grundgesetzes, 1998, der sich aber nicht vertieft mit den einzelnen Verwaltungstätigkeiten, insbesondere nicht mit der Tätigkeit der Sozialversicherungsträgern auseinandersetzt. 83 Leitges, Die Entwicklung des Hoheitsbegriffs in Art. 33 Abs. 4 des Grundgesetzes, 1998, S. 43 ff. 84 So Lübbe-Wolff in: Dreier, Art. 33 Rn. 59; Leitges, Die Entwicklung des Hoheitsbegriffs in Art. 33 Abs. 4 des Grundgesetzes, 1998, S. 48 f.

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

einseitig entscheidend, obrigkeitlich, mit Befehlen und Zwang auftritt 85. Dies ist nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen der Fall, wenn ein Subordinationsverhältnis gegeben ist, wie es auch im Zusammenhang mit § 40 VwGO zur Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs verlangt wird 86 . Die Sozialversicherungsträger treten den Versicherten und ihren Arbeitgebern gegenüber in der Regel einseitig entscheidend auf. Sie erlassen Bescheide, die sie ggf. auch im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchsetzen können, ζ. B. Beitragszahlungs-, Nachzahlungs- sowie Leistungsrückerstattungsbefehle, Rentenfeststellungsbescheide, Bescheide über die Anrechnung von Versicherungszeiten, Entscheidungen über die Versicherungspflicht 87, Feststellungen über die Höhe eines einem Versicherten auszuzahlenden Betrags88, Klarstellung des Umfangs einer bereits erfolgten pauschalen Bewilligung89. Die Unfallversicherungsträger erlassen Anordnungen gegenüber Unternehmern zur Gewährleistung der Sicherheit am Arbeitsplatz, die Arbeitsämter können private Berufsberatung einseitig untersagen. Außerdem sind die Träger der Arbeitsförderung und die Träger der Unfallversicherung ermächtigt, Bußgelder zu verhängen. Sie werden dabei von den übrigen Sozialversicherungsträgern unterstützt. Oft kommt den Entscheidungen der Sozialversicherungsträger auch Drittwirkung zu, ζ. B. betrifft die Feststellung der Versicherungspflicht neben dem Versicherten auch seinen Arbeitgeber 90. In allen diesen Bescheiden werden Rechtsfolgen durch Verwaltungsakte gemäß § 31 S. 1 SGB X, § 35 S. 1 VwGO gesetzt, die nach der gesetzlichen Legaldefinition „hoheitliche Maßnahmen" darstellen91. Die Bescheide der Sozialversicherungsträger enthalten entweder Handlungs- oder Duldungsbefehle oder aber einseitige Feststellungen der Rechtslage, vielfach beides. Der jeweilige Regelungsinhalt wird nach Ablauf der Widerspruchsfrist bestandskräftig und unanfechtbar. Dadurch kann er unabhängig von seiner Rechtmäßigkeit staatlicherseits durchgesetzt werden. Mit der einseitigen Regelungsbefugnis geht also immer auch ein Befehls- und Zwangscharakter einher. Diese Handlungsform unterscheidet sich grundlegend von denjenigen im Privatrechtsverhältnis oder im verwaltungsrechtlichen Gleichordnungsverhältnis iSv §§ 53 ff. SGB X, §§ 54 ff. VwVfG Versicherter und privater Versicherer stehen 85 Vgl. Peine, Der Funktionsvorbehalt des Berufsbeamtentums, DV (17) 1984, 415, 424; Schuppert, AK I, Art. 33 IV, V Rn. 37; Dörr, ZTR 1991,182, 185 ff.; Burmeister, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998, 617, 618 ff.; Kohl, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998,601,608. 86 Kopp, VwGO, 9., Aufl., 1992 § 40 Rn. 11. 87 Rüfner in: Wannagat, SGB, § 31 SGB X Rn. 47. 88 Vgl. BSGE 57, 211,212. 89 Vgl. BSGE 55, 53,54 f. 90 Rüfner in: Wannagat, SGB, § 31 SGB X Rn. 48. 91 Vgl. Leitges, Die Entwicklung des Hoheitsbegriffs in Art. 33 Abs. 4 des Grundgesetzes, 1998, S. 58 ff.

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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einander im staatsrechtlichen Sinne gleichberechtigt gegenüber. Die Erklärung des privaten Versicherungsunternehmens, ein bestimmter Anspruch des Versicherten bestehe nicht, stellt rechtlich gesehen eine unverbindliche Einschätzung der Rechtslage dar. Wenn sich der Versicherte hierzu nicht äußert, entgeht ihm nicht automatisch der Versicherungsschutz. Gegen einen einseitig verfügenden Bescheid eines gesetzlichen Sozialversicherungsträgers des Inhalts, ein bestimmter Anspruch des Versicherten bestehe nicht oder nur in einer bestimmten Höhe, oder es seien Beiträge nachzuentrichten, muß der Versicherte dagegen Widerspruch einlegen, um seine Rechte zu sichern. Die Bewilligung und Versagung einer Leistungsgewährung durch den gesetzlichen Sozialversicherungsträger enthält eine verbindliche Feststellung der Rechtslage, deren Durchsetzung der Versicherte nach Eintreten der Bestandskraft dulden muß, auch wenn er möglicherweise nach den gesetzlichen Vorschriften eine andere oder eine wertvollere Leistung hätte beanspruchen können. Somit enthält die Verfügung des gesetzlichen Sozialversicherungsträgers stets auch direkt oder indirekt einen einseitigen Duldungsbefehl. Verfügungen hinsichtlich der Beitragspflicht oder einer Rückzahlungspflicht enthalten zudem Befehle, die den Versicherten zu einem bestimmten Tun verpflichten. Umgekehrt stellt die Erklärung des Versicherten gegenüber einem gesetzlichen Sozialversicherungsträger, ein Anspruch bestehe, wiederum nur eine unverbindliche Meinungsäußerung dar 92 . Der Versicherte befindet sich also dem öffentlichrechtlichen Sozialversicherungsträger gegenüber in einem Subordinationsverhältnis, innerhalb dessen der Sozialversicherungsträger obrigkeitlich durch einseitige Verfügungen mit Befehls- und Zwangscharakter verbindlich Recht setzen kann. Wenn man also Leistungs- und Eingriffsverwaltung nach den Merkmalen „einseitig entscheidend" und „obrigkeitlich" abgrenzen würde, fielen nahezu alle Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung und insbesondere die Tätigkeit der Sozialversicherungsträger in den Bereich der Eingriffsverwaltung 93.

aa) Organisationsbezogene Sicht Bei einer generalisierenden organisationsbezogenen Betrachtungsweise sind die Sozialversicherungsträger demgemäß insgesamt dem Bereich des Art. 33 IV GG zuzuordnen. Insoweit ergeben sich kaum Unterschiede zu den Konsequenzen der unter 1. erörterten weiten Sichtweise. 92

Wenn die Äußerung nach Erlaß eines Bescheids erfolgt, kann in ihr ggf. ein Widerspruch zu sehen sein, der aber als solcher ebenfalls nicht einseitig verbindlich ist, sondern nur ein Überprüfungsverfahren einleitet. 93 So i. Erg. auch Leisner, Der Beamte als Leistungsträger, in: ders., Beamtentum, Schriften zum Beamtenrecht und zur Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1968-1991, Berlin, 1995, S. 216 f.; Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977, 265, 270.

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

bb) Betrachtung des konkreten Dienstpostens Bei einer differenzierenden Betrachtung des konkreten Dienstpostens würden diejenigen Tätigkeiten aus dem Funktionsvorbehalt herausfallen, bei denen keine Verwaltungsakte erlassen werden, also u. a. die Bereiche Vermögensverwaltung, Mitgliederwerbung der Krankenkassen sowie Begründung und Abwicklung der Beziehungen der Sozialversicherungsträger zu dritten Leistungserbringern. Weil die Verwaltung der Beziehung der gesetzlichen Krankenkassen zu den Leistungserbringern mangels Einsatz obrigkeitlicher Handlungsformen als nichthoheitlich anzusehen wäre, fiele ein großer Teil der Dienstposten bei den gesetzlichen Krankenkassen aus dem Funktionsvorbehalt des Art. 33IV GG heraus. Allerdings werden auch von Bediensteten der Krankenkassen Verwaltungsakte erlassen, ζ. B. im Rahmen der Bewilligung von Krankengeld gemäß § 44 ff. SGB V, bei der Bewilligung von Sterbegeld gemäß § 11 I 2 SGB V, bei Entscheidungen über die Versicherungspflicht und die Beitragshöhe gemäß § 253 SGB V in Verbindung mit § 28h I I 1 SGB IV sowie gemäß § 124 V SGB V bei der Zulassung von den in § 1241 SGB V erwähnten Leistungserbringern (physikalische Therapie, Sprachtherapie etc.). Innerhalb der Zulassungsausschüsse im Sinne von § 96 SGB V beteiligen sich Bedienstete der Krankenkassen des weiteren an dem Erlaß von Verwaltungsakten, vgl. § 9 6 I V 1 SGB V. Diese Tätigkeiten fallen also auch bei einer differenzierenden Betrachtung des konkreten Dienstpostens unter den Funktionsvorbehalt des Art. 33IV GG. Fraglich ist, wie die Konstellationen zu bewerten sind, in denen die Sozialversicherungsträger beratend tätig werden, ζ. B. im Rahmen der Arbeitsvermittlung und Beratung durch die Bundesanstalt für Arbeit sowie im Rahmen von Beratungsmaßnahmen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger. Man könnte zwar die der Beratung bzw. Vermittlung vorausgehende Entscheidung für oder gegen ein Tätigwerden als Verwaltungsakt ansehen, ζ. B. als einen feststellenden Verwaltungsakt des Inhalts, daß ein entsprechender Anspruch auf Beratung bzw. Vermittlung bestehe. Allerdings würde eine derartige Konstruktion verkennen, daß der Feststellung eines solchen Anspruchs keine eigenständige rechtliche Bedeutung zukommt und der Schwerpunkt der Tätigkeit nicht auf einer Regelung liegt. Dies gilt auch für die Tätigkeit derjenigen Bediensteten, die unmittelbar Sachleistungen gegenüber den Versicherten erbringen, ζ. B. Angestellte der Pflegekassen gemäß § 361 3 SGB X I und Beschäftigte in Rehabilitationseinrichtungen und Krankenhäusern der anderen Sozialversicherungsträger. Demnach sind beratende und sonstige Tätigkeiten der Sozialversicherungsträger, die ohne Erlaß von Verwaltungsakten erfolgen, nicht als obrigkeitliche Maßnahmen anzusehen und unter der vorstehenden Prämisse auch nicht dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG zuzuordnen.

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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b) Grundrechtsbezogene Sicht Obgleich die Merkmale „obrigkeitlich"94, „einseitig entscheidend" und „Befehl und Zwang"95 für die Abgrenzung zwischen Eingriffs- und Leistungsverwaltung als entscheidend bezeichnet werden, verstehen einige Vertreter einer restriktiven Auslegung des Art. 33 IV GG den Begriff der Eingriffsverwaltung offenbar enger, ohne dies jedoch im Detail näher zu begründen und auszuführen. Es finden sich Aussagen wie „Unstreitig fällt unter die Ausübung hoheitlicher Aufgaben die Eingriffsverwaltung, also die Bereiche, in denen der Staat (bzw. die mittelbare Staatsverwaltung) mit Befehl und Zwang tätig wird. Es bedarf keiner näheren Begründung, daß dies beim Rentenversicherungsträger für die ,klassische4 Sachbearbeiter- und Bearbeitertätigkeit ebensowenig gilt wie für Schreib- und Registraturdienst und für die Arbeit der in den Verwaltungsabteilungen Beschäftigten, die überwiegend fiskalisch tätig werden"96.

Diese Aussage wirft die Frage auf, wie Eingriffs- und Leistungsverwaltung im einzelnen abzugrenzen sind, wenn das „obrigkeitliche" und „einseitig entscheidende" Auftreten des Staates allein noch nicht die Qualifikation der Staatstätigkeit als Eingriffsverwaltung herbeizuführen vermag. Sowohl von der Begriffswahl her als auch der Sache nach liegt es nahe, darauf abzustellen, ob dem Bürger etwas gegeben wird (Leistungsverwaltung) oder etwas genommen wird (Eingriffsverwaltung). Fraglich ist, wie die Konstellation zu behandeln ist, daß dem Bürger etwas zurückgegeben wird, das ihm bereits gehört bzw. eine Leistung versagt wird, auf die er durch Gegenleistung, ζ. B. durch Kaufpreis-, Gebühren- oder Beitragszahlung, einen Anspruch erworben hat. Vergleichsweise einfach läßt sich das plastische Beispiel einer polizeilichen Sicherstellung beim Abschleppen eines falsch geparkten PKW einordnen: Wenn dem Bürger sein Wagen zurückgegeben wird, handelt es sich insofern nicht um Leistungsverwaltung, obwohl ihm dabei - isoliert betrachtet - etwas gegeben wird. Unabhängig von etwaigen Zahlungspflichten (rechtmäßig oder rechtswidrig abgeschleppt?) wird ein Vorgang abgewickelt, der insgesamt dem Bereich der Eingriffsverwaltung zuzuordnen ist, weil dem Bürger seitens der Staatsverwaltung in erster Linie etwas genommen wird, nämlich die Verfügungsgewalt über sein Kraftfahrzeug. Ebenso einfach läßt sich der Fall einordnen, daß der Staat Leistungen erbringt, für die keinerlei Gegenleistungen erbracht wurden. Beispielsweise werden Sozialhilfeleistungen und Leistungen im Rahmen von Arbeitsbeschaffüngsmaßnahmen

* Vgl. - ablehnend - Battis in: Sachs, Art. 33 Rn. 56. « Burmeister, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998, 617, 619; vgl. auch Kohl, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998,601,608. 96 Burmeister, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998, 617, 619; vgl. auch Kohl, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998,601,608.

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

auch an Personen erbracht, die selbst nie Zahlungen an den Staat erbracht haben. Wenn die zuständige Behörde eine entsprechende Zahlung oder Sachleistung bewilligt, wird dem Leistungsempfanger eindeutig nur etwas gegeben, nichts genommen. Wenn die Leistung nicht bewilligt wird, ζ. B. ein Antrag ermessensfehlerfrei abgelehnt wird, wird dem Antragsteller ebenfalls nichts genommen, sondern sein gesetzlicher Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung erfüllt 97. Zwischen diesen beiden Konstellationen liegt zum einen der Fall, daß der Staat einem Bürger, der zuvor Gegenleistungen in Form von Geldleistungen an den Staat erbracht und dadurch verfassungsrechtlich gewährleistete Ansprüche erworben hat, Leistungen erbringt oder versagt (aa). Zum anderen liegt zwischen dem „Geben" und ,»Nehmen" die Erteilung von Erlaubnissen und Befreiungen von gesetzlichen Verboten (bb). Beide Konstellationen kommen in der Praxis der Sozialversicherungsträger regelmäßig vor 98 .

aa) Eingriffe bei Entscheidungen über grundrechtlich garantierte Ansprüche Das Unterlassen einer Leistungsgewähr kann nur dann einen Grundrechtseingriff bedeuten, wenn dadurch eine grundrechtlich geschützte Rechtsposition beeinträchtigt wird. Die Ablehnung einer Geldzahlung oder einer sonstigen Leistungserbringung durch einen Sozialversicherungsträger beeinträchtigt dann eine grundrechtlich geschützte Rechtsposition des Bürgers, wenn der Anspruch auf diese Leistung zu seinem Eigentum im Sinne von Art. 141 GG gehört. Das BVerfG formuliert folgendermaßen: „Voraussetzung für einen Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen ist eine Vermögenswerte Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist; diese genießt den Schutz der Eigentumsgarantie dann, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruht und zudem der Sicherung seiner Existenz dient"99.

In bezug auf Abgaben des Bürgers und staatlichen Leistungen muß genau untersucht werden, ob tatsächlich eine Gegenleistungsbeziehung aufgrund privater Eigenleistungen gegeben ist, die den zahlenden Bürger grundrechtlich geschützte Rechtspositionen und Ansprüche gegen den Staat erwerben läßt, deren Versagung einen Grundrechtseingriff darstellen kann. Steuerzahlungen werden definitionsgemäß zur Finanzierung des Gemeinwesens erbracht, ohne daß sie eine Gegenleistung für irgend eine Art von staatlichen Leistungen darstellten100. Das BVerfG definiert Steuern als 97 Anders liegt der Fall jedoch, wenn einem Antragsteller Zahlungen zur Sicherung des Exisentzminimums versagt werden, auf die er einen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch hat, dazu sogleich. 98 Siehe oben A. 99

BVerfGE 72,9,18 f.; 69,272, 300.

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„einmalige oder laufende Geldleistungen, die nicht Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einkünften allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft" 101.

Die Auferlegung der Steuerpflicht selbst stellt einen Grundrechtseingriff dar. Das private Vermögen wird beeinträchtigt und damit Art. 21 GG 1 0 2 . Da der Steuerzahler durch seine Zahlungen nach den Steuergesetzen aber keinen Leistungsanspruch erwirbt, erwirbt er keine Vermögenswerte Rechtsposition. Somit stellt auch die gesetzwidrige Versagung steuerfinanzierter Leistungen keine Beeinträchtigung seines Vermögensbestands dar. Im Rahmen der Ermessensausübung kann zwar gegen das Grundrecht auf Gleichbehandlung gemäß Art. 3 I GG verstoßen werden. Die Verletzung des Gleichbehandlungsgebots ist jedoch in bezug auf das eingangs postulierte Begriffspaar vom „Geben" und „Nehmen" nicht zwingend dem „Nehmen" zuzuordnen. Es kann ebenso beim „Geben" zu Ungleichbehandlungen kommen. Auch im Bereich der Grundrechtsdogmatik werden Verstöße gegen Art. 31 GG angesichts der strukturellen Unterschiede von Freiheits- und Gleichheitsrechten herkömmlich nicht als „Eingriffe" bezeichnet103. Die Verwaltung steuerfinanzierter Leistungen ist deshalb grundsätzlich dem Bereich der Leistungsverwaltung und nicht der Eingriffsverwaltung zuzuordnen. Einen Sonderfall stellt die Sicherung des Existenzminimums durch die Ableitung verfassungsrechtlicher Ansprüche ohne Rücksicht auf Eigenleistungen zum Erwerb einer Rechtsposition dar. Er soll erörtert werden, nachdem der Regelfall des Sozialversicherungsrechts behandelt wird, nämlich der, daß der Versicherte Eigenleistungen in Form von Beiträgen erbringt: Durch die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen erwirbt der Bürger unmittelbar Rechte gegen die Sozialversicherungsträger. Er erwirbt einen Anspruch auf Versicherungsschutz durch die gesetzliche Kranken-, Pflege-, Arbeitslosenund Unfallversicherung und eine Anwartschaft auf eine Rente. Der synallagmatische Charakter dieser Leistungsbeziehung wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß vergleichbare Leistungsbeziehungen auch durch privatrechtliche Verträge begründet werden können, nämlich durch Abschluß privater Altersvorsorgeverträge und privater Versicherungsverträge, und daß der Versicherungsloo Siekmann in: Sachs, vor Art. 104a GG Rn. 44. ιοί BVerfGE 72, 330,433; 65,325,344; 49, 343, 353 ff. 102 Vgl. BVerfGE 89,48, 61; 75, 108, 154; a.A.: P. Kirchhof, Besteuerung und Eigentum, VVDStRL (39) 1981,213, 226 ff., ders., Finanzierung des Leistungsstaates. Die verfassungsrechtlichen Grenzen staatlicher Abgabenhoheit, Jura 1983, 505, 509: zugleich Eingriff in Art. 14 GG; so nun auch BVerfG, NJW 1995, 2615, 2617 zur speziellen Konstellation der Vermögenssteuer 103 Osterloh in: Sachs, Art. 3 Rn. 43; vgl. auch Gubelt in: v. Münch/Kunig, Art. 3 Rn. 1 ff., 24.

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schütz durch private und öffentlich-rechtliche Versicherer für den Versicherten die gleiche Funktion hat. Unabhängig von der Rechtsform des Versicherers erwirbt der Bürger durch seine Einzahlungen Ansprüche auf Sicherung seiner Existenz im Notfall. Wenn ihm die Leistung im bestimmungsgemäßen Notfall (Unfall, Krankheit, Ruhestand) gesetzwidrig versagt wird, dann wird dem Bürger etwas genommen, nämlich der von ihm bereits bezahlte Versicherungsschutz. Die Einzahlung in die Fonds der Sozialversicherungsträger erfüllt heute Funktionen wie vor Einrichtung der Sozialversicherungssysteme unter anderem das Anhäufen privaten Vermögens zur Altersvorsorge ζ. B. durch Ansparen von Geld oder Erwerb von Grundstücken. Die Ansprüche gegen die Sozialversicherungsträger sind also an die Stelle von Privateigentum getreten und übernehmen für den einzelnen dessen Funktionen104. Dementsprechend werden die Ansprüche gegen Sozialversicherungsträger konsequenterweise nach allgemeiner Meinung als Eigentum der Versicherten im Sinne von Art. 14 I GG angesehen, und zwar unabhängig davon, ob die Eigenleistungen vom Arbeitgeber für den Versicherten oder von dem Versicherten selbst erbracht wurden 105. Auch die Tatsache, daß das Äquivalenzprinzip im gesetzlichen Sozialversicherungssystem nicht durchgängig eingehalten wird, steht der Qualifizierung der Ansprüche der Versicherten als Eigentum im Sinne von Art. 14 I GG nicht entgegen, weil jedenfalls eine synallagmatische Abhängigkeit zwischen der Eigenleistung und dem Leistungsanspruch besteht106. Daraus ergibt sich zunächst die Konsequenz, daß der Gesetzgeber die Begrenzungen des Art. 14 I GG beachten muß, wenn er durch Änderungen der gesetzlichen Grundlagen den Inhalt und Wert der durch Beitragszahlung gebildeten Eigentumspositionen der Versicherten neu bestimmt107. Insbesondere durch Änderungen des Rechts der Rentenversicherung kann in Eigentumspositionen eingegriffen werden, welche die Versicherten über viele Jahre hinweg durch Eigenleistungen erworben hatten. Beiträge zur Kranken- und Unfallversicherung werden dagegen als 104 Auf das Kriterium der Funktionsübernahme stellt insbesondere BVerfGE 89, 1 ff. ab (Besitzrecht des Wohnungsmieters ist Eigentum). 103 Stober, Eigentumsschutz im Sozialrecht, SGb 1989, 53 ff. (zu allen Bereichen der Sozialversicherung einschließlich Kranken- und Unfallversicherung); auch die Kommentarliteratur bezieht sich ohne Ausgrenzung einzelner Versicherungsformen auf „sozialversicherungsrechtliche Positionen" im allgemeinen, so ζ. B. Bryde in: v. Münch/Kunig, Art. 141 GG Rn. 26 f.; Wendt in: Sachs, Art. 14 Rn. 34; Papier in: MDHS, Art. 14 Rn. 130, 136 ff.; zu einzelnen Bereichen, insbesondere Renten: v. Brünneck, Eigentumsschutz der Renten - Eine Bilanz nach zehn Jahren, JZ 1990,992 ff.; BVerfGE 72,9,18 ff. (Anspruch auf Arbeitslosengeld ist Eigentum iSv Art. 14 I GG); 69, 272, 298 (Anspruch auf Rehabititationsleistungen im Ermessen des Versicherungsträgers nicht von Art. 141 GG geschützt), 304 (Anspruch auf Rente ist Eigentum iSv Art. 14 GG); 58, 81, 109 (Rente); 53, 257, 289 (Rente); vgl. auch BSGE 50,149,150 (Rehablititationsleistungen). 106 Vgl. Stober, Eigentumsschutz im Sozialrecht, SGb 1989, 53 ff.; BVerfGE 72, 9,18 ff.; 69,272,298; 58,81,109; 53,257,289. io? BVerfGE 72,9,18 ff.; 69,272, 298; 58, 81,109; 53,257, 289.

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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Gegenleistung für den Versicherungsschutz in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum - bis zur nächsten Beitragszahlung - erbracht. Als Gegenleistung erwirbt der Versicherte das Recht während des Versicherungszeitraums, in dem er Beiträge leistet, Versicherungsschutz zu genießen. Wenn der Gesetzgeber die gesetzlichen Leistungspflichten der Krankenversicherung und damit die Ansprüche der Versicherten ändert, bedeutet das nur, daß der Versicherte ab der Änderung durch seine Eigenleistung keine so wertvolle Vermögensposition mehr erwirbt. In vorhandene Eigentumspositionen würde jedoch nur durch rückwirkende Gesetze eingegriffen. Gesetze, die erst für die Zukunft gelten, nehmen dem Versicherten nichts, beeinträchtigen seinen Eigentumsbestand nicht. Sie stellen nur schwererwiegende Eingriffe in das durch Art. 2 I GG geschützte Vermögen dar, weil für die gleiche Abgabenleistung ein geringerwertiger Gegenleistungsausgleich erfolgt. Dem Eigentumsschutz der Kranken- und Unfallversicherten kommt angesichts dessen im Verhältnis zum Gesetzgeber nur geringe Bedeutung zu. Das erklärt, daß es insoweit anders als in bezug auf das Rentenrecht - noch nicht zu Gerichtsentscheidungen kam, wenngleich das BVerfG die Schutzfähigkeit der krankenversicherungsrechtlichen Positionen als Eigentum indirekt anerkannt hat 108 . Dennoch ist festzuhalten, daß alle vermögensrechtlichen Positionen, welche die Versicherten bei den Sozialversicherungsträgern erwerben, Eigentumsschutz genießen. Hinsichtlich der Tätigkeit der Sozialversicherungsträger ergibt sich hieraus, daß die gesetzwidrige Versagung von Leistungen gegenüber Beitragszahlern einen verfassungswidrigen Grundrechtseingriff in Art. 14 I GG bedeutet. Es ist aber fraglich, ob allein deshalb die Tätigkeit der Sozialversicherungsträger insgesamt als Eingriffsverwaltung qualifiziert werden kann. Der gesetzwidrige Grundrechtseingriff ist gerade nicht das bestimmungsgemäße Verwaltungshandeln und kann in allen Verwaltungsbereichen vorkommen, ζ. B. dadurch, daß auch anläßlich von Entscheidungen über steuerfinanzierte Leistungen in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen wird. Allerdings besteht in Hinblick auf Entscheidungen über grundrechtlich gewährleistete Ansprüche die Besonderheit, daß es insofern - anders als im Bereich der Verwaltung steuerfinanzierter Leistungen - nicht nur anläßlich einer Verwaltungsentscheidung zu Grundrechtseingriffen kommen kann, sondern die eigentliche Sachentscheidung selbst in grundrechtlich geschützte Positionen eingreift, wenn sie gesetzwidrig ist. Dies ist, wie bereits dargelegt, im Bereich der steuerfinanzierten Leistungsverwaltung nicht der Fall, weil die gesetzwidrige Ablehnung von Leistungsanträgen keine grundrechtlich garantierten Vermögenspositionen beeinträchtigt, sondern allenfalls gegen Art. 3 I GG verstößt. Dieser Unterschied spricht dafür, die Tätigkeit der Sozialversicherungsträger der Eingriffsverwaltung zuzuord-

108 Vgl. BVerfGE 69, 272, 302, 305 f.; in dieser Entscheidung lehnte das BVerfG nur den Schutz von solchen krankenversicherungsrechtlichen Positionen ab, die nicht aufgrund von Eigenleistungen erworben wurden; vgl. auch Stober, Eigentumsschutz im Sozialrecht, SGb 1989,53,54.

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

nen und in Hinblick auf Art. 33 IV GG von der Verwaltung steuerfinanzierter Leistungen abzugrenzen. Weitere Argumente für eine solche Zuordnung würden sich ergeben, wenn auch die gesetzmäßige Ablehnung von Anträgen der Sozialversicherten auf Leistungsgewährung einen Grundrechtseingriff der Sozialversicherungsträger darstellte. Dagegen spricht jedoch, daß der sachliche Schutzbereich des Art. 141 GG erst durch die Inhaltsbestimmungen der einfachen Gesetze definiert wird 109 . Das Grundgesetz schützt nicht das Recht auf Eigentum, sondern nur das Recht am Eigentum110. Wie weit das Recht am Eigentum jeweils geht, ergibt sich aus den einfachen Parlamentsgesetzen111. Soweit sich aus dem SGB ergibt, daß ein bestimmter Leistungsanspruch nicht besteht, stellt die damit in Einklang stehende Ablehnung eines entsprechenden Leistungsantrags nicht etwa einen gesetzlich gerechtfertigten Eingriff dar: Es kommt erst gar nicht zu einem Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 I GG, weil die Eigentumsgarantie bzgl. der Rechtspositionen der Sozialversicherten nicht weiter reicht als es das SGB vorsieht 112. Demnach stellt die gesetzmäßige Versagung von Leistungen durch die Sozialversicherungsträger keinen Eingriff in die Grundrechte der Versicherten dar. Dennoch ergibt sich, daß die gesetzgemäße Versagung und Bewilligung von grundrechtlich garantierten Leistungen auch kein reines „Geben", keine Vermögensmehrung darstellt, weil der Anspruch auf die betreffende Leistung bereits vor der Bewilligungsentscheidung des Sozialversicherungsträgers garantierter Bestandteil des Eigentums des betroffenen Versicherten war. Die Verwaltung von Leistungen durch die Sozialversicherungsträger stellt sich also bei grundrechtsbezogener Sicht grundlegend anders dar als die Verwaltung steuerfinanzierter Leistungen. Sie steht aus mehreren Gründen der Eingriffsverwaltung durch einseitiges „Nehmen" seitens des Staates besonders nahe: Der konkrete Inhalt und Wert der durch Beitragszahlung an den Sozialversicherungsträger gebildeten Vermögensposition wird nicht nur vom Gesetzgeber im Sozialgesetzbuch bestimmt, sondern maßgeblich von den zur Gesetzesauslegung und -anwendung berufenen Verwaltungsträgern und Gerichten. Der Gesetzgeber bestimmt im Rahmen seiner Grundrechtsbindung aus Art. 14 GG Inhalt und Schranken des Eigentums in abstrakt-generellen Normen. Die bei den Sozialversicherungsträgern tätigen Bediensteten leiten aus diesen Normen konkret-individuelle Regelungen über die Gewährung oder Versagung von Sozialleistungen ab. Dabei präzisieren sie verbindlich Inhalt und Schranken des Eigentums. 109 BVerfGE 58, 300 ff.; Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, 1983, S. 13 ff.; Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, 1985, S. 33 ff. no Leisner, Eigentum, in: ders. Eigentum - Schriften zu Eigentumsgrundrecht und Wirtschaftsverfassung, 1970-1996, S. 81, 83. m Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, 1985, S. 33 ff. 112 Vgl. Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, 1983, S. 13 ff.; Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, 1985, S. 33 ff.

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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Wie die zahlreichen, in Instanzzügen unterschiedlichen Einzelentscheidungen eindrucksvoll belegen, bestehen im Sozialrecht - wie in allen anderen Rechtsbereichen - Auslegungsspielräume. Im Einzelfall kann der konkrete Inhalt einer sozialversicherungsrechtlichen Eigentumsposition - in juristisch vertretbarer und mit der Gesetzesbindung der Verwaltung im Sinne von Art. 20 ΠΙ GG vereinbarer Weise durch einen Sachbearbeiter unterschiedlich bestimmt werden. Dies kann je nach Gesetzesauslegung zur Versagung oder Bewilligung einer Leistung führen. Für den Versicherten und seine Eigentumsposition wirkt es sich jedoch im Ergebnis gleich aus, ob ihm eine Leistung versagt wird, weil der Gesetzgeber das SGB oder der Sozialversicherungsträger und die Sozialgerichte die Auslegung des SGB ändern. Auf beiden Wegen können Wert und Inhalt seiner Eigentumsposition gemindert werden. Außerdem hat es der Sozialversicherungsträger in der Hand, wann und wie eine Leistung gewährt wird. Auch dabei nimmt er erheblichen Einfluß auf den tatsächlichen Wert des Versicherungsschutzes für den einzelnen Versicherten. Wenn diesem eine Leistung erst nach vielen Jahren gewährt wird, weil der Sozialversicherungsträger abschlägig entscheidet, können durch eine Gerichtsentscheidung letztlich gesetzmäßige Zustände hergestellt und ein Eingriff im Ergebnis vermieden werden. Dennoch hat es der Sozialversicherungsträger in der Hand, die Eigentumslage des Versicherten in der Zwischenzeit erheblich zu verschlechtern. Deshalb sind „einseitig regelnde staatliche Entscheidungstätigkeiten, die die Gewährung grundrechtswesentlicher Leistungen betreffen ( . . . ) als eingriffsträchtig und damit als Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse im Sinne des Art. 33 IV GG" einzuordnen 113. Es ist festzuhalten: Auch wenn man die gesetzmäßige Ablehnung einer Leistungsbewilligung nicht im engen Sinne als Grundrechtseingriff in die Eigentumsposition eines Versicherten ansehen kann - weil bereits die Gesetze den Inhalt dieser Position dahingehend festlegen, daß der Anspruch nicht besteht - steht nach alledem die Verwaltung grundrechtlich geschützten Privateigentums in Hinblick auf den Sinn und Zweck des Art. 33 IV GG dem Bereich der Eingriffsverwaltung wesentlich näher als der Verwaltung steuerfinanzierter Leistungen. Es ergeben sich deshalb aus grundrechtsbezogener Sicht keine Argumente dafür, die Verwaltung des Versicherteneigentums durch die Sozialversicherungsträger der allgemeinen Leistungsverwaltung zuzuordnen. Die Träger der Sozialversicherung gewähren dem Versicherten in der Regel nur, was er sich durch Eigenleistungen erworben hat - durch Eigenleistungen, die der großen Mehrheit der Pflichtversicherten zudem zwangsweise abverlangt werden. Dabei kann sich auch die gesetzmäßige Ablehnung der Gewährung von Versicherungsleistungen seitens der Sozialversicherungsträger dem Versicherten gegenüber im Eigebnis wie ein Grundrechtseingriff des Gesetzgebers in bereits gebildete Vermögenspositionen auswirken. Deshalb ist »3 Lübbe-Wolff in: Dreier, Art. 33 Rn. 59; vgl. auch Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 48.

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

die Tätigkeit der bei den Sozialversicherungsträgern beschäftigten Bediensteten, die über die Auszahlung von Renten, Unfallrenten sowie über die Gewährung von Rehabilitations-, Pflege- und Krankenbehandlungen sowie über Präventivmaßnahmen entscheiden, dem Bereich der Eingriffsverwaltung zuzuordnen und deshalb als Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse im Sinne von Art. 33 IV GG anzusehen. Bisher offengelassen wurde die Konstellation, daß die Sozialversicherungsträger Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums an Personen leisten, die keine Beiträge entrichtet haben und damit keine durch Art. 14 I GG als Eigentum geschützten Rechtspositionen erworben haben. Das Grundgesetz weist in Art. 1 I GG (,J)ie Würde des Menschen zu schützen ... ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt") und Art. 201 GG (Sozialstaatsprinzip) jedem Menschen einen Anspruch auf das zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz erforderliche Minimum sozialen Schutzes zu. Soweit die Bediensteten der Sozialversicherungsträger über die Gewährung derartig verfassungsrechtlich verbürgter Ansprüche entscheiden, ist ihre Tätigkeit ebenso „eingriffsträchtig" im Sinne der vorstehenden Ausführungen wie im Bereich der Verwaltung durch Art. 14 I GG geschützter Rechtspositionen. Deshalb ist die Tätigkeit der Sozialversicherungsträger auch in diesem Bereich der Eingriffsverwaltung zuzuordnen und damit als Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse zu qualifizieren 114. Welche Ansprüche im einzelnen das Existenzminimum sichern kann im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht abschließend untersucht werden. Diese Frage ist in Hinblick auf Art. 33 IV GG von untergeordneter Bedeutung, da sich die Tätigkeit der Sozialversicherungsträger hauptsächlich auf die Leistungsgewährung an versicherte Beitragszahler konzentriert.

bb) Erteilung von Erlaubnissen und Zulassungen durch die Träger der gesetzlichen Sozialversicherung Wenn Träger der gesetzlichen Sozialversicherung Zulassungen und Erlaubnisse erteilen, ζ. B. die gesetzliche Krankenkasse eine Zulassung an einen Logopäden oder die Bundesanstalt für Arbeit eine Arbeitsberechtigung an einen Ausländer, dann gewährt der Staat zwar rein äußerlich betrachtet eine Begünstigung. Damit steht jedoch noch nicht die Einordnung als Leistungsverwaltung im Sinne des engen Verständnisses von Art. 33IV GG fest: Zumindest das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt stellt sich der Sache nach nur als eine verwaltungstechnische Alternative oder Ergänzung zu der Ermächtigung der Behörden zu nachträglichen Verboten einer an sich ohne besondere Zulassungsentscheidung erlaubten Tätigkeit dar. Zur Abwehr von Gefahren kann der Gesetzgeber einmal vorgeben, daß ein Beruf ausgeübt werden darf, die Verwali " So auch Lübbe-Wolff in: Dreier, Art. 33 Rn. 59.

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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tung aber die Berufsausübung beim Auftreten von Gefahren im Wege eines Unterlassungsbefehls verbieten darf, vgl. z. B. §§ 1, 35 Gewerbeordnung (allgemeine Gewerbefreiheit). Er kann aber auch vorgeben, daß ein bestimmter Beruf erst ausgeübt werden darf, wenn im Rahmen eines Erlaubnisverfahrens sichergestellt wurde, daß bestimmte Gefahren nicht zu erwarten sind, vgl. z. B. § 30 Gewerbeordnung (Konzessionspflicht für den Betrieb eines Privatkrankenhauses). Falls nachträglich dennoch Gefahren auftreten, darf die Verwaltung die Berufsausübung nur verbieten, wenn zuvor die Erlaubnis zurückgenommen oder widerrufen wird, was an strenge Voraussetzungen geknüpft ist. Wenn sich der Gesetzgeber für das letztgenannte Gefahrenabwehrkonzept entscheidet, hat der Berufsausübende anfänglich zusätzlichen Verwaltungsaufwand zu betreiben (Einholung der Erlaubnis) und kann seine Tätigkeit nicht sofort spontan aufnehmen. Er genießt aber dafür anschließend zusätzlichen Bestandsschutz durch die Erlaubnis, die ihn vor Berufsverboten sichert. In beiden Fällen - generell erlaubte Berufstätigkeit unter Verbietungsvorbehalt einerseits und Berufstätigkeit unter Erlaubnisvorbehalt andererseits - ist die Berufsausübung grundsätzlich sozial erwünscht, erlaubt und von Art. 12 I GG geschützt. Der Gesetzgeber darf in Hinblick auf Art. 121 GG in der Regel einen Erlaubnisvorbehalt als Berufszulassungsvoraussetzung nur in Gestalt eines gebundenen Erlaubnistatbestands einführen, d. h. mit der Vorgabe des präventiven Verbots muß dem Berufsausübungswilligen ein gesetzlicher Anspruch auf die Erlaubniserteilung für den Fall eingeräumt werden, daß er die gesetzlichen Erlaubnisvoraussetzungen erfüllt 115. Deshalb wird die Versagung einer gebundenen Erlaubnis grundrechtsdogmatisch dem originären Verbot einer Berufstätigkeit gleichgestellt, und beides als Grundrechtseingriff behandelt116. Wenn gebundene Erlaubnisse erteilt werden, gewählt der Staat also keine Leistung im Sinne einer Vermögensmehrung oder Erweiterung der privaten Freiheitsphäre, der Staat „gibt" dem Bürger nichts zusätzliches, sondern er stellt vielmehr nur den Normalfall her, nachdem die unter ein präventives Verbot gestellte Freiheitsbetätigung grundsätzlich erlaubt ist. Allerdings ist grundrechtsdogmatisch das vorstehend beschriebene präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt vom repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt zu unterscheiden117. Beim repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt (ζ. B. Verbot der Naßauskiesung durch § 7 Wasserhaushaltsgesetz118, Verbot der Sondernutzung öffentlicher Straßen nach § 11 Berliner Straßen- und Wegegesetz) oder ohne Bens Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 9. Auflage, 1993, S. 62 ff. nò Ehlers in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Auflage, 1995 § 1 Rn. 33 f.; Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 9. Auflage, 1993, S. 62 ff.; vgl. auch BVerfGE 20, 150, 155; Frotscher, Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Auflage, 1994, S. 120 ff. in Ehlers in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Auflage, 1995 § 1 Rn. 33 ff. "β BVerfGE 58, 300 ff. 4 Lecheler/Determann

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

freiungsvorbehalt (ζ. B. strafrechtliche Verbote) wird private Freiheitsbetätigung grundsätzlich verboten. Das entsprechende Verbotsgesetz stellt einen Grundrechtseingriff dar, die nachfolgende Durchsetzung des Verbots durch die Verwaltung aber grundsätzlich nicht mehr, weil bereits das Verbotsgesetz die private Betätigung generell für unzulässig erklärt, vom Bereich des generell Erlaubten ausnimmt, und von der allgemeinen Freiheitssphäre des Bürgers ausschließt. Deshalb kann auch die gesetzwidrige Versagung einer Befreiung von einem repressiven Verbot nicht mehr in das gesetzlich bereits abschließend beschränkte Grundrecht eingreifen 119. Sie kann zwar ggf. einen Verstoß gegen einfachgesetzliche Vorschriften (ζ. B. § 39 SGB I, § 40 VwVfG) oder gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 31 GG darstellen, etwa wenn sich die Verwaltung durch ständige Verwaltungspraxis selbst gebunden hat. Damit geht jedoch kein Grundrechtseingriff im eigentlichen Sinne einher. Der Bereich der Befreiungserteilung nach Ermessen ist deshalb bei grundrechtsbezogener Sicht als Leistungsverwaltung und nicht als Eingriffsverwaltung anzusehen.

cc) Zwischenergebnis Wenn man zur Abgrenzung von hoheitsrechtlicher Eingriffsverwaltung und nichthoheitlicher Leistungsverwaltung darauf abstellt, ob die Bediensteten der Sozialversicherungsträger Grundrechtseingriffe und diesen gleichzuachtende Eingriffe in private Freiheit und Vermögenspositionen vornehmen, so ist sowohl die Beitragserhebung, Verwaltungsvollstreckung und Verhängung von Bußgeldern gegenüber Pflichtversicherten und ihren Arbeitgebern als auch die Entscheidung über die Leistungsgewährung gegenüber den versicherten Beitragszahlern als Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse anzusehen. Das gleiche gilt für die Erteilung gebundener Erlaubnisse und Zulassungen. Die Erteilung von Erlaubnissen und Zulassungen nach Ermessen sowie die Gewährung von Leistungen an Personen, die nicht durch Beitragszahlung grundrechtlich geschützte Ansprüche auf Versicherungsschutz erworben haben oder einen Anspruch auf Sicherung ihres Existenzminimums geltend machen, ist dagegen nach einem engen Verständnis von Art. 33 IV GG als Leistungsverwaltung und damit als nichthoheitliche Tätigkeit anzusehen. Unter Zugrundelegung einer generalisierenden organisationsbezogenen Sichtweise ergibt diese Abgrenzung von Eingriffs- und Leistungsverwaltung eine Zuordnung der Sozialversicherungsträger insgesamt zu Art. 33 IV GG, weil die als Eingriffsverwaltung qualifizierten Tätigkeiten den Hauptzweck der gesetzlichen Versicherung ausmachen und diese Tätigkeiten auch quantitativ deutlich im Vordergrund stehen120. Insoweit ergeben sich also keine Unterschiede zu den Ergeb-

ne Vgl. BVerfGE 58, 300 ff. 120 So auch Isensee in: Βenda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Auflage 1994, S. 1552 ff.; Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrecht-

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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nissen, die nach dem weiten Verständnis des Begriffs der hoheitsrechtlichen Tätigkeit erzielt wurden. Wenn man differenzierend den konkreten Dienstposten betrachtet, könnten allerdings einzelne Tätigkeitsbereiche aus dem Funktionsvorbehalt herausfallen, weil sie keine Grundrechtseingriffe mitsichbringen. Demgemäß sollen nachfolgend einige, wichtige Dienstaufgaben auf ihre Grundrechtsrelevanz untersucht werden.

dd) Typische Bereiche der Eingriffsverwaltung durch die Sozialversicherungsträger bei grundrechtsbezogener Betrachtungsweise Im Rahmen der vorstehend angestellten Überlegungen waren bereits einige wesentliche Haupttätigkeiten der Sozialversicherungsträger als Eingriffsverwaltung qualifiziert worden. Dennoch sollen der besseren Übersichtlichkeit halber im Zuge der nachfolgenden Auflistung weitere wichtige Bereiche auf ihre Grundrechtsrelevanz geprüft werden. (1) Beitragspflicht,

Vollstreckung,

Bußgelder

Die Beitragserbringung erfolgt in allen Bereichen der gesetzlichen Sozialversicherung in der Regel - von der gesetzlich vorgesehenen Konstellation der freiwilligen Versicherung abgesehen - aufgrund gesetzlichen Zwangs, zumal die Beitragsbescheide auch von Sozialversicherungsträgern selbst vollstreckt werden können, vgl. § 66 SGB X. Ferner werden die Träger der Arbeitsförderung sowie die Unfallversicherungsträger als Ordnungsbehörden tätig und verhängen selbständig Bußgelder, §§ 404 f. SGB ΙΠ, §§ 209 f. SGB VII, wobei sie von den übrigen Sozialversicherungsträgern unterstützt werden, § 306 SGB V, § 321 SGB VI. Durch die Beitrags- und Bußgeldbescheide sowie im Rahmen der Vollstreckung wird in die in Art. 2 I GG grundrechtlich geschützte Dispositionsfreiheit des einzelnen über sein Vermögen eingegriffen. Demgemäß ist die Heranziehung zu Beiträgen, die Verhängung von Bußgeldern und die Vollstreckung dem Bereich der Eingriffsverwaltung zugeordnet und als Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse im Sinne von Art. 33IV GG qualifiziert. (2) Prüfungsrechte Die Betriebsprüfungen der Arbeitsämter nach §§ 304 ff. SGB ΠΙ sowie die der Unfallversicherungsträger nach § 17 SGB VÏÏ und der Erlaß von - ggf. sofort vollziehbaren - Anordnungen gegenüber privaten Arbeitsberatern nach § 188a SGB

liehe Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977,265,267.

A*

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

ΠΙ sowie gegenüber den Versicherten und Unternehmern nach § 19 SGB VII erfolgen unter Eingriffen in die Grundrechte aus Art. 13 GG (Schutz der Wohnung und für die Öffentlichkeit gesperrten Betriebsstätten), Art. 12 I GG (Berufsausübungsfreiheit), Art. 2 I GG (allgemeine Handlungsfreiheit im wirtschaftlichen Bereich) und in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 I GG. Diese Tätigkeit stellt demnach auch unter Zugrundelegung einer engen Betrachtungsweise eine Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse im Sinne von Art. 33 IV GG dar. Diese Zuordnung verdeutlicht besonders ein Vergleich des Wortlauts des § 1912 SGB VII mit den landespolizeigesetzlichen Generalklauseln (ζ. B. § 17 ASOG). Diese Vorschriften ermächtigen zu Befehls- und Zwangsmaßnahmen zur polizeilichen Gefahrenabwehr, die als Inbegriff staatlicher Eingriffsverwaltung anzusehen ist. Das gleiche gilt für die Betriebsprüfungsrechte der anderen Sozialversicherungsträger nach §§ 107, 28q SGB IV, die damit die Entrichtung der Beiträge der Unternehmer überwachen und durchsetzen können121. Dabei wird in den grundrechtlichen Schutz der für den Öffentlichkeitsverkehr nicht bestimmten Betriebsräume nach Art. 13 GG sowie in die allgemeine wirtschaftliche Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 I GG eingegriffen. Außerdem geht es für die betroffenen Unternehmen um hohe Beträge und oft um die wirtschaftliche Existenz122. (3) Leistungserbringung gegenüber Beitragszahlern Wie bereits dargestellt, stellen die Ansprüche der beitragszahlenden Versicherten gegenüber den Versicherern Eigentum im Sinne von Art. 14 I GG dar 123 . Soweit den Beitragszahlern ζ. B. Renten und andere Gelder ausgezahlt werden, verwalten die Sozialversicherungsträger das Eigentum der Versicherten, das diese wiederum aufgrund gesetzlicher Zwangsvorschriften durch Beitragszahlung bei den Sozialversicherungsträgern bilden mußten. Insoweit werden in den „externen Leistungsabteilungen" der Sozialversicherungsträger demgemäß auch nach einem restriktiven Verständnis von Art. 33IV GG hoheitsrechtliche Befugnisse ausgeübt, die dem Funktionsvorbehalt unterfallen. Das gleiche gilt auch für die Tätigkeit derjenigen Bediensteten, die unmittelbar Sachleistungen gegenüber den Versicherten erbringen, ζ. B. Angestellte der Pflegekassen gemäß § 36 I 3 SGB X I und Beschäftigte in Rehabilitationseinrichtungen und Krankenhäusern der anderen Sozialversicherungsträger. Auch deren Tätigkeit 121 So auch Kohl, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998,601,608. 122 Siehe nur Burmeister, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998, 617, 619 f. Er weist beispielsweise darauf hin, daß bei der LVA Ndb.-Opf. im Jahr 1997 5.611 Betriebe (mit Beitragszahlern) mit insgesamt 253.150 Beschäftigungsverhältnissen geprüft wurden, wobei es zu Nachforderungen in Höhe von fast 39 Millionen DM kam. 123 Papier in: MDHS, Art. 14 Rn. 130, 136 ff.; BVerfGE 72, 9, 18; 69, 272, 298; 58, 81, 109; 53,257, 289.

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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konkretisiert unmittelbar Wert und Inhalt der von den Versicherten erworbenen grundrechtlich geschützten Rechtspositionen. Zudem können in diesem Zusammenhang Eingriffe in die körperliche Integrität erfolgen, die nach Art. 2 Π GG als Grundrechtseingriffe zu qualifizieren sein können. Insoweit ergibt sich ein anderes Ergebnis als bei formaler Betrachtung der obrigkeitlichen Handlungsform, die von einigen Vertretern einer restriktiven Auslegung des Art. 33 IV GG in den Vordergrund gestellt wird. Unabhängig von der konkreten Organisationsstruktur des Sozialversicherungsträgers sind auch diejenigen vorbereitenden und unterstützenden Beiträge zum Verwaltungsvorgang der Grundrechtseingriffsverwaltung zuzuordnen, die sich unmittelbar auf die jeweilige Entscheidung auswirken. Wenn also der Entscheidungsprozeß hinsichtlich eines bestimmten Antrags auf eine bestimmte Versicherungsleistung arbeitsteilig organisiert und in Antragsaufnahme, Sachverhaltsermittlung, sachliche Bewertung durch einen ärztlichen Dienst, rechtliche Bewertung durch die Rechtsabteilung, Entscheidungsvorschlag durch den Sachbearbeiter und Entscheidung durch den Vorgesetzten aufgegliedert ist, so stellt der Entscheidungsvorgang insgesamt eine grundrechtsrelevante und damit hoheitsrechtliche Maßnahme dar. Damit unterfallen alle beteiligten Dienstfunktionen dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG. Das gleiche gilt in den Fällen, in denen die Leistungserbringung selbst ausgelagert ist, ζ. B. Rehabilitationsbehandlungen in externen Heilstätten erbracht werden. Die Entscheidungen, die bezüglich der Leistungserbringung von den Bediensteten des Sozialversicherungsträgers getroffen werden, ζ. B. ob ein Anspruch des Versicherten besteht und welche Kurmaßnahmen gerechtfertigt sind, unterfallen demnach dem Funktionsvorbehalt. (4) Beziehung der Sozialversicherungsträger zu dritten Leistungserbringern Stellt man im Rahmen der Differenzierung zwischen Eingriffs- und Leistungsverwaltung auf die Grundrechtsrelevanz der konkreten Tätigkeit der Bediensteten ab, ist nicht zu verkennen, daß alle Entscheidungen der Sozialversicherungsträger gegenüber den Leistungserbringern (Ärzten, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen) auch mittelbar die Qualität der Versicherungsleistungen und damit Inhalt und Wert der von den Sozialversicherungsträgern verwalteten Eigentumspositionen der Versicherten konkretisieren. Von daher wird auch ein möglicher Eingriffscharakter dieser Tätigkeit deutlich. Die allgemeine Grundrechtsdogmatik stellt mittelbar grundrechtsrelevante Staatstätigkeit dann unmittelbaren Grundrechtseingriffen gleich, wenn die Auswirkungen für den betroffenen Grundrechtsträger nach Intensität oder Intention einem unmittelbaren Eingriff gleichkommen124. Für den Versicherten kann sich die Aufforderung des Krankenversicherungsträgers an die Leistungserbringer zu Sparmaßnahmen im Ergebnis ebenso auswirken wie die Kür124 Vgl. ζ. B. BVerwGE 14,172,178 f.

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

zung oder Nichtgewährung von Rentenzahlungen, die unmittelbar im Verhältnis von Sozialversicherungsträger und -versicherten erfolgt. Deshalb üben die Bediensteten der Sozialversicherungsträger bei grundrechtsbezogener Sichtweise auch Hoheitsrechte gegenüber den Versicherten aus soweit sie den Leistungsumfang der Leistungserbringer festlegen. (5) Arbeitserlaubnisse

und -berechtigungen für Ausländer

Nach §§ 285 f. SGB m kann bzw. muß die Bundesanstalt für Arbeit durch Erteilung einer Arbeitserlaubnis bzw. -berechtigung im Einzelfall das gesetzliche Beschäftigungsverbot des § 284 SGB ΠΙ für Ausländer aus Nicht-EU-Mitgliedstaaten aufheben. Da Art. 121 GG nur Deutsche im Sinne von Art. 116 GG schützt, bedeutet die Versagung einer Arbeitserlaubnis oder -berechtigung keinen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 GG. Die Berufsfreiheit arbeitswilliger Ausländer ist nach der Rspr. des BVerfG allerdings in Art. 2 I GG geschützt125. § 286 SGB ΠΙ stellt diese Freiheit unter ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Da bei Vorliegen der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen dem Ausländer die Arbeitsberechtigung erteilt werden muß, bedeutete eine Versagung einen Grundrechtseingriff. Die Verwaltung der Arbeitsberechtigungen durch die Bundesanstalt für Arbeit ist deshalb dem Bereich der Eingriffsverwaltung zuzuordnen. Arbeitswillige Ausländer, die keinen Anspruch nach § 286 SGB ΙΠ haben, können nach § 285 SGB ΠΙ vom Beschäftigungsverbot befreit werden. Das Gesetz räumt ihnen insoweit aber nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung ein. Das Freiheitsrecht auf Arbeit wird bereits abschließend durch das Gesetz entzogen. Die Versagung einer Arbeitserlaubnis stellt deshalb grundsätzlich auch dann keinen Eingriff in Art. 2 1 GG dar, wenn sie gesetzwidrig erfolgte. Die Erteilung von Arbeitserlaubnissen nach Ermessen ist also dem Bereich der Leistungsverwaltung zuzuordnen. Diese Differenzierung würde allerdings auch bei Betrachtung des individuellen Dienstpostens nur dann im Ergebnis einen Unterschied ergeben, wenn unterschiedliche Sachbearbeiter zur Erteilung von Arbeitsberechtigungen und -erlaubnissen eingesetzt würden, was sich aus praktischen, verwaltungsorganisatorischen Gründen verbieten dürfte. Entsprechendes gilt ζ. B. für die Erteilung von Kassenzulassungen durch die gesetzlichen Krankenkassen sowie die Erteilung von Erlaubnissen an private Arbeitsvermittler durch die Bundesanstalt für Arbeit, die zum Teil nach Ermessen ergehen, zum Teil gebundene Entscheidungen darstellen.

»25 BVerfGE 78,179,196 f.; 35, 382, 399; Tettinger in: Sachs, Art. 12 Rn. 19; a.A. Scholz in: MDHS, Art. 12 Rn. 96.

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

(6) Arbeitsvermittlung

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durch die Bundesanstalt für Arbeit und durch Dritte

Soweit die Bundesanstalt für Arbeit gemäß §§ 29 ff. SGB m Beratung und Arbeitsvermittlung leistet, greift sie nicht in Grundrechte ein. Dieser Bereich ist deshalb bei einem engen Verständnis von Art. 33 IV GG nicht als Ausübung hoheitlicher Rechte anzusehen, wenngleich das BVerfG die große faktische Relevanz der staatlichen Arbeitsvermittlung für die private Grundrechtsausübung betont126. Nach § 288a SGB ΠΙ ist die Bundesanstalt für Arbeit jedoch ermächtigt, im Wege des Verwaltungsbefehls Privaten die Ausübung des Berufs eines Berufsberaters zu untersagen. Derartige Untersagungsverfügungen stellen einseitige Eingriffe in Art. 121 GG dar und sind deshalb als Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse anzusehen. Entsprechend verhält es sich mit der Befugnis der Erteilung von Erlaubnissen nach den §§ 291 ff. SGB Π Ι 1 2 7 , wonach die Berufstätigkeit der privaten Arbeitsvermittler größtenteils unter ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (vgl. § 2931 SGB ΠΙ) gestellt ist. Soweit ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt vorgesehen ist (vgl. § 292 Π 2 SGB ΠΙ), wäre jedoch wiederum nichthoheitliche Leistungsverwaltung gegeben. (7) Leistungen an Personen, die keine Beiträge geleistet haben Soweit die Sozialversicherungsträger Leistungen an Personen bewilligen, die nicht durch Beitragszahlung eigentumsrechtlich geschützte Rechtspositionen erworben haben oder Ansprüche auf Sicherung des Existenzminimums geltend machen, üben sie bei grundrechtsbezogener Sicht Leistungsverwaltung aus, die nicht unter den Funktionsvorbehalt fällt, ζ. B. im Rahmen von Arbeitsbeschaffüngsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit. (8) Datenverarbeitung Nach der Rspr. des BVerfG schützt ein aus Art. 11 iVm Art. 21 GG abgeleitetes Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung das Recht des Bürgers über Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen128. In dieses Grundrecht greift jeder persönlichen Lebenssachverhalten geltende Akt staatlicher Informations- und Datenerhebung und -Verarbeitung ein 129 . Die Angabe persönli126 BVerfGE 21, 245, 252 ff.; denkbar wäre allenfalls eine Qualifzierung als Eingriff in Teilhaberechte, vgl. Tettinger in: Sachs, Art. 12 Rn. 11 ff.; diese grundrechtsdogmatische Konstruktion änderte jedoch in Hinblick auf das enge Verständnis von Art. 33 IV GG wohl nichts an einer Einordnung der Tätigkeit als Leistungsverwaltung. 127 Vgl. BVerfGE 21,245,249 ff. 128 BVerfGE 65, 1, 41 ff.; 67, 100, 142 f.; 78, 77, 84 f.; vgl. auch Murswiek in: Sachs, Art. 2 Rn. 72 ff. 129 Kloepfer in: Gutachten für den Deutschen Juristentag 1998, D 47 ff; Murswiek in: Sachs, Art. 2 Rn. 88.

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

eher Daten gegenüber den Sozialversicherungsträgern erfolgt aufgrund gesetzlicher Bestimmungen zwangsweise. Dabei handelt es sich demnach um Grundrechts-eingriffe, so daß der Bereich der Datenverarbeitung innerhalb der Sozialversicherungsträger als Eingriffsverwaltung zu qualifizieren ist. (9) Gesetzgebung durch die Sozialversicherungsträger Der Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften, die Festsetzung der Beitragshöhe durch die gesetzlichen Krankenversicherungsträger, die Festsetzung der Umlage durch die gesetzlichen Unfallversicherungsträger und die Konkretisierung der Voraussetzungen und Durchführung der Leistungsgewährung durch die Bundesanstalt für Arbeit greifen unmittelbar in die vermögensrechtlichen Grundrechtspositionen der Versicherten und Arbeitgeber ein, indem die Grundlage für vollstreckbare Zahlungsbefehle geschaffen wird. Die Ausübung dieser Befugnisse unterfällt demgemäß dem Funktionsvorbehalt des Art. 33IV GG. (10) Personalverwaltung Auch die Personalverwaltung geht mit Eingriffen in Grundrechtspositionen einher, insbesondere Art. 12 und 2 I GG. Davon unabhängig wird jedenfalls die Entscheidung über die Personalangelegenheiten der bei den Sozialversicherungsträgern beschäftigten Beamten allgemein als Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse iSv Art. 33 IV GG angesehen130. Es entspricht auch den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 V GG, daß insoweit allein die vorgesetzten Dienstbehörden entscheidungsbefugt sind 131 . Insoweit hat das BVerfG bereits 1959 entschieden, daß ,4m heutigen Verwaltungsstaat jedenfalls die Entscheidung über Einstellung, Beförderung, Versetzung und sonstige personelle Angelegenheiten der Beamten erhebliches politisches Gewicht hat. Denn die Zuverlässigkeit und Unparteilichkeit des öffentlichen Dienstes hängt nach wie vor in erster Linie von den Berufsbeamten ab. In der Regel sollen hoheitsrechtliche Aufgaben von Beamten erfüllt werden (Art. 33 Abs. 4 GG, §§2 BRRG, § 4 BBG, § 5 BremBG)". „Unter der Autorität des Volkes kann der Beamte »sozusagen als Staat* Befehle geben, kann das Handeln des Staates realisieren und verfügt dadurch über eine Machtstellung, die mit dem ungeheuren Aufgabenzuwachs des modernen Staats ein großes Ausmaß angenommen hat ( . . . ). Personelle Maßnahmen haben häufig weitreichende Folgen und staatspolitische Bedeutung. Die Berufung eines wenig befähigten Beamten kann die Arbeit eines ganzen Verwaltungszweiges auf Jahre hinaus beeinträchtigen, ganz zu schweigen von den Gefahren, die dem Staatswesen durch die Berufung illoyaler oder ungetreuer Beamter entstehen können. Die Personalhoheit über die Beamten ist darum ein wesentlicher Teil der Regierungsgewalt ( . . . ) " 1 3 2 . 130 Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt, 1986, S. 27. 131 Vgl. BVerfGE 9, 268 (Leitsatz). 132 BVerfGE 9, 268, 282 f.

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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Demgemäß unterfällt die Tätigkeit der Personalstellen derjenigen Sozialversicherungsträger, denen der Gesetzgeber Dienstherrnfahigkeit eingeräumt hat (vgl. z. B. § 143 I SGB VI, §§ 148, 149 SGB VII), jedenfalls insoweit dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG als die Personalangelegenheiten der Beamten betreut werden. Bei grundrechtsbezogener Sichtweise, werden darüber hinaus auch bei der Personalverwaltung von Angestellten hoheitsrechtliche Befugnisse ausgeübt. (11) Geldanlage, Vermögensverwaltung

durch Finanzabteilung

Die Geldanlage durch die Sozialversicherungsträger betrifft den Wert der verwalteten Eigentumspositionen mittelbar. Sie ist jedoch generell auf bestmögliche Bewahrung des Vermögens ausgerichtet und deshalb nach Intention und Intensität unmittelbaren Grundrechtseingriffen nicht gleichzustellen. Diese Tätigkeit kann anhand des Kriteriums der Grundrechtsrelevanz weder der Eingriffs- noch der Leistungsverwaltung zugeordnet werden. (12) Werben von Mitgliedern

bei gesetzlichen Krankenkassen

Dieser Bereich ist nicht grundrechtsrelevant und von daher weder der Eingriffsnoch der Leistungsverwaltung zuzuordnen. ( 13) Beratung und Forschung durch Unfallversicherungsträger Der Bereich der Forschung ist nicht grundrechtsrelevant und von daher weder der Eingriffs- noch der Leistungsverwaltung zuzuordnen. Entsprechendes gilt für eine reine Beratungstätigkeit. Allerdings kann die Schwelle zum Grundrechtseingriff im Einzelfall dann überschritten werden, wenn mit der ,3eratung" bereits eine konkrete oder versteckte Androhung von Zwangsmaßnahmen für den Fall, daß dem Rat nicht gefolgt wird, verbunden ist.

3. Zwischenbilanz: Vergleich der Ergebnisse nach weitem und engem Verständnis des A r t 3 3 I V GG

Bei generalisierend organisationsbezogener Betrachtungsweise ergeben sich keine unterschiedlichen Ergebnisse durch Zugrundelegung der üblichen Obersätze der weiten oder engen Verständnisses des Funktionsvorbehalts. Unabhängig davon ob man - die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch die öffentliche Verwaltung insgesamt, oder - nur die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch die öffentliche Verwaltung in öffentlich-rechtlicher Rechtsform, oder

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

- nur die obrigkeitliche, einseitig mit Befehl und Zwang agierende Staatstätigkeit, oder - nur die grundrechtsrelevante Staatstätigkeit als hoheitlich im Sinne von Art. 33 IV GG ansehen will, sind die Sozialversicherungsträger insgesamt dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG unterworfen. Ausgenommen sind nur untergeordnete, mechanische Hilfstätigkeiten. Bei differenzierender Betrachtung des konkreten Dienstpostens ergeben sich allerdings unter Zugrundelegung weiter oder enger Verständnisse vom Begriff der Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse Unterschiede, wenngleich nur einige wenige: Einheitlich fallen unter den Funktionsvorbehalt bei weiter wie bei enger Auslegung die Bereiche Beitragsfestsetzung, -erhebung und -Vollstreckung, Verhängung von Bußgeldern, Feststellung der Versicherungspflicht, Betriebsprüfungen, Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften und Verbotsanordnungen der Träger der Arbeitsförderung gegenüber privaten Vermittlern und Beratern. Auch die Entscheidungen der Sozialversicherungsträger über die Leistungsgewährung an versicherte Beitragszahler ist als hoheitlich anzusehen, weil sie einseitig und obrigkeitlich erfolgt und mit Grundrechtseingriffen und eingriffsgleichen Beeinträchtigungen verbunden ist. Die Zuordnung dieser Tätigkeit zum Bereich der hoheitlichen Eingriffsverwaltung wird zwar im Ergebnis von einigen Literaturstimmen abgelehnt, ist jedoch logische Konsequenz der auch von diesen Stimmen propagierten Differenzierungskriterien hinsichtlich Eingriffs- und Leistungsverwaltung sowie einer grundrechtsbezogenen Betrachtungsweise. Einheitlich vom Funktionsvorbehalt ausgenommen sind bei weiter wie bei enger Auslegung des Hoheitsbegriffs die Bereiche Vermögensverwaltung in den Finanzabteilungen der Sozialversicherungsträger und Mitgliederwerbung durch Ersatzkassen. Die Vermittlung und Beratung durch die Träger der Arbeitsförderung sowie die Beratung und Unterstützung der gesetzlichen Unfallversicherungsträger zur Gewährleistung der Sicherheit am Arbeitsplatz ist nur bei einem weiten Verständnis der hoheitlichen Tätigkeit als Bereich öffentlicher Daseinsvorsorge dem Funktionsvorbehalt zuzuordnen. Die Erteilung von Arbeitserlaubnissen und -berechtigungen durch die Träger der Arbeitsförderung, die Kassenzulassungsentscheidungen der gesetzlichen Krankenkassen und die Leistungsgewährung gegenüber Personen, die keine Beiträge entrichtet haben, ist bei einem weiten Verständnis dem Funktionsvorbehalt zuzuordnen. Das gleiche ergibt sich unter Zugrundelegung eines engen Verständnisses, wenn man die obrigkeitliche, einseitig entscheidende Staatstätigkeit als hoheitliche Eingriffsverwaltung qualifiziert. Etwas anderes ergibt jedoch eine grundrechtsbezogene Sicht. Danach ist nur die Leistungsgewährung gegenüber Beitragszahlern und zur Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums sowie

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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die Erteilung gebundener Erlaubnisse dem Bereich der hoheitlichen Eingriffsverwaltung zuzuordnen, nicht aber die Erteilung von Erlaubnissen nach Ermessen und die Leistung über das Existenzminimum hinaus an Personen, die keine Beiträge erbracht haben, ζ. B. im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Die Begründung und Abwicklung der Beziehungen zwischen den Trägern der Sozialversicherung und den selbständigen Leistungserbringern sowie die Gewährung von Sachleistungen ist unter Zugrundelegung eines weiten Verständnisses sowie bei Abstellen auf die Grundrechtsrelevanz dem Funktionsvorbehalt unterstellt, nicht aber, wenn man im Rahmen eines engen Verständnisses obrigkeitliche Handlungsformen verlangt. Nach alledem ergeben sich Unterschiede nur, wenn man differenzierend auf den konkreten Dienstposten abstellt, und dann auch nur im wesentlichen hinsichtlich folgender Bereiche: - Begründung und Abwicklung der Beziehungen zu den Leistungserbringern, - Erbringung von Sachleistungen durch die Beschäftigten der Sozialversicherungsträger selbst, - Bewilligung von Leistungen an Personen, die keine Beiträge geleistet haben, - Erteilung von Erlaubnissen und Zulassungen durch die Sozialversicherungsträger und - Beratung und Vermittlung durch die Sozialversicherungsträger. Hinsichtlich der praktischen Relevanz der daraus resultierenden unterschiedlichen Einordnung bestimmter Tätigkeiten ist zu berücksichtigen, daß vielfach aus praktischen und verwaltungsorganisatorischen Gesichtspunkten grundrechtsrelevante und grundrechtsirrelevante Tätigkeiten von ein- und demselben Dienstposten aus versehen werden müssen, etwa die Bewilligung bestimmter, einheitlicher Leistungen an Beitragszahler und Nichtzahler sowie die Erteilung von gebundenen bzw. ermessengemäßen Zulassungen und Erlaubnissen. Von tatsächlicher Bedeutung erscheint danach nur die unterschiedliche Einordnung der Erbringung von Sachleistungen, der Begründung und Abwicklung der Beziehungen zu den Leistungserbringern sowie der Beratungs- und Vermittlungstätigkeit.

4. Bewertung der engen und der weiten Verständnisse des Funktionsvorbehalts

Wie bereits ausgeführt, wird der Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG insbesondere in zweierlei Hinsicht eng oder weit verstanden. Zur Erinnerung nochmals: - Zum einen kann die Betrachtungsweise - „eng" - den einzelnen Dienstposten, seine spezielle Funktion im Verwaltungsaufbau und die mit dem individuellen Dienstposten verbundenen hoheitsrechtlichen Befugnisse in den Blickpunkt stel-

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

len; oder aber es wird - „weit" - generalisierend auf die Befugnisse und Tätigkeiten der Körperschaft oder der sonstigen Verwaltungseinheit insgesamt abgestellt, die den jeweiligen Dienstposten eingerichtet hat. - Zum anderen kann der Begriff der hoheitsrechtlichen Befugnisse im Sinne des Art. 33IV GG eng oder weit ausgelegt werden. Nachfolgend sollen einige grundsätzliche Erwägungen zu diesen Positionen erfolgen.

a) Betrachtung des einzelnen Dienstpostens oder der Verwaltungseinheit insgesamt Der Wortlaut des Art. 33 IV GG spricht dafür, auf die im Rahmen eines einzelnen Dienstpostens wahrgenommenen Befugnisse abzustellen und nicht auf die von einer Verwaltungseinheit insgesamt wahrgenommenen Befugnisse 133. Das Grundgesetz bestimmt nämlich, welche Befugnisse Beamten zu übertragen sind und nicht, welche Verwaltungseinheiten Beamte zu beschäftigen haben. Wenn letzteres gewollt gewesen wäre, hätte man Art. 33 IV GG etwa wie folgt formulieren können: Bei Verwaltungsträgern, die hoheitsrechtliche Befugnisse ausüben, sind in der Regel Beamte zu beschäftigen. Auch der Sinn und Zweck des Art. 33 IV GG spricht dafür, auf die von dem Inhaber eines konkreten Dienstpostens ausgeübten Hoheitsrechte abzustellen. Es geht darum, daß staatspolitisch wichtige und insbesondere grundrechtsrelevante Befugnisse Aufgaben Berufsbeamten übertragen werden. In Hinblick auf diese Zweckbestimmung erscheint es in bezug auf Art. 33 IV GG irrelevant, ob aus staatsorganisatorischen Gesichtspunkten bei ein- und demselben Verwaltungsträger sowohl Abteilungen eingerichtet sind, in denen Aufgaben unter Inanspruchnahme hoheitsrechtlicher Befugnisse bewältigt werden, als auch Abteilungen, in denen das nicht der Fall ist. Den Zielen des Funktionsvorbehalts ist es nicht abträglich, wenn von einem Sozialversicherungsträger in der Rechtsform einer öffentlichrechtlichen Körperschaft sowohl hoheitsrechtliche Tätigkeiten von Beamten als auch fiskalische Tätigkeiten durch Nichtbeamte ausgeübt werden. Allerdings hat die differenzierende Betrachtung in bezug auf die arbeitsteilige Bearbeitung von Verwaltungsvorgängen den rechtlichen Charakter deren Abschlußentscheidung zu berücksichtigen. Der Beitrag, der von einem bestimmten Dienstposten geleistet wird, ist auf seinen inneren Zusammenhang mit der Sachentscheidung hin zu bewerten 134. Untergeordnete, ζ. B. der Erstellung einer Verfüi33 Lecheler in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts III § 72 Rn. 26 ff.; ders. Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt, 1986, S. 10; Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 49; Lübbe-Wolff in: Dreier, Art. 33 Rn. 59; Battis in: Sachs, Art. 33 Rn. 57; a.A. ζ. B. Leisner, Der Beamte als Leistungsträger, in: ders., Beamtentum, Schriften zum Beamtenrecht und zur Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1968-1991, Berlin, 1995, S. 215 ff.

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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gung vorausgehende Bearbeitertätigkeiten fallen deshalb unter den Funktionsvorbehalt, wenn sie eine unter Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse getroffene Sachentscheidung beeinflussen 135. Das Berufsbeamtentum ist kein Dienstverhältnis für das „upper management". Art. 33 IV GG klassifiziert es als das Regeldienstverhältnis zur optimalen Erfüllung der Staatsaufgaben, nicht nur zu ihrer Überwachung oder Leitung an der Spitze. Umgekehrt wird aber gerade an der Spitze des hierarchischen Beamtenverwaltungsapparats die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse so gebündelt, daß der Angestellte dort im besonderen Maße ein Fremdkörper ist 136 . Demgemäß müssen Beamte nicht nur dort eingesetzt werden, wo „nach außen" gehandelt wird. Die Entscheidungsvorbereitung steht vielmehr mit der außenwirksamen Abschlußentscheidung in einem unlösbaren Zusammenhang. Es kommt also darauf an, ob der Bedienstete in einen verwaltungsmäßigen oder technischen Willensbildungsprozeß eingegliedert wird, der zu einer Entscheidung führt, die unter Inanspruchnahme hoheitsrechtlicher Befugnisse gefällt, verfügt oder durchgesetzt wird. Dabei ist der zulässige, nicht der notwendige Einsatz obrigkeitlicher Mittel entscheidend, weil dem Verzicht auf die Inanspruchnahme hoheitsrechtlicher Befugnisse in Hinblick auf Sinn und Zweck des Art. 33 IV GG die gleiche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, wie die Inanspruchnahme selbst137. Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) kürzlich ausgeführt: „Der Funktionsvorbehalt betrifft nicht nur Leitungsstellen oder sog. Außenbeamte, die über Unterschriftsbefugnis verfügen oder in sonstiger [W]eise unmittelbar nach außen wirken. Art 33 Abs. 4 GG soll Gewähr dafür bieten, daß die hoheitsrechtlichen Aufgaben jederzeit, vor allem auch in Krisenzeiten, loyal, zuverlässig und qualifiziert erledigt werden. Diese Kontinuität der hoheitlichen Aufgaben wird indessen nur sichergestellt, wenn die Bediensteten, die in die Aufgabenerledigung eingebunden sind und an den obrigkeitlichen Verfügungen mitwirken, dem für Beamte geltenden Dienstrecht, insbesondere dem Streikverbot, unterliegen. Vorgesetzte und Außenbeamte sind in einer arbeitsteilig und hierarchisch organisierten Verwaltung auf die Vorarbeiten von Sachbearbeitern angewiesen."138 Auch dem Bürger gegenüber stellt sich die in privatrechtlichen Formen gefaßte Entscheidung eines mit Befehls- und Zwangsgewalt ausgestatteten Bediensteten der öffentlichen Verwaltung grundlegend anders dar, als eine entsprechende Ent134 Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt, 1986, S. 22 ff.; anders: Peine, Der Funktionsvorbehalt des Berufsbeamtentums, DV (17) 1984, 415, 419 ff.; Maunz in: MDHS, Art. 33 Rn. 32 ff. 135 Leisner, Der Beamte als Leistungsträger, in: ders., Beamtentum, Schriften zum Beamtenrecht und zur Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1968-1991, Berlin, 1995, S. 214. Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt, 1986, S. 10 f. 137 Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt, 1986, S. 24 f. 138 BAG, Urt. v. 11. 8. 1998, Az. 9AZR 155/97, Urteilsumdruck S. 4.

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

Scheidung eines anderen Bürgers, eines privatwirtschaftlichen Unternehmens oder eines Bediensteten der öffentlichen Verwaltung, der in einem Gleichordnungsverhältnis auftritt. Besonders plastisch läßt sich dies am Beispiel einer ,3itte" eines Polizeibeamten verdeutlichen, ζ. B. einen Pkw zu entfernen, weil sich der Bürger unabhängig von der fehlenden Verwaltungsaktsqualität einer schlichten Bitte eines Polizisten der einseitigen Durchsetzungmöglichkeiten der Staatsgewalt bewußt ist und sich in Hinblick darauf verhält. Nichts anderes gilt für das in bürgerlich-rechtliche Formen gefaßte Kaufangebot einer enteignungsberechtigten Verwaltung, ζ. B. eines Straßenbauamts. Anders verhält es sich jedoch ζ. B. mit dem Kaufangebot des Bediensteten einer öffentlichen Materialverwaltung, der auf privatrechtliche Handlungsformen beschränkt ist. Die ,3itte" eines betriebsprüfungsberechtigten öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsträgers um Auskünfte, um Überlassung von Unterlagen oder um Nachzahlung von Beiträgen sowie eine ,3eratung" der Unfallversicherungsträger in bezug auf Sicherheitsmaßnahmen wiederum hat faktisch und rechtlich eine andere Bedeutung als eine entsprechende Bitte oder Beratung eines privatwirtschaftlichen Versicherungsunternehmens. Nach alledem sind auch Bereiche der schlichten und internen Verwaltungstätigkeit dem Funktionsvorbehalt des Art. 33IV GG zuzuordnen, welche die Wahrnehmung hoheitsrechtlicher Befugnisse vorbereiten oder ersetzen. Demgemäß ist in bezug auf eine konkrete, einem bestimmten Posten zugeordnete Diensttätigkeit maßgeblich, ob sie einen Beitrag zu Verwaltungsvorgängen leistet, die als solche hoheitlicher oder aber fiskalischer Rechtsnatur sind. Dabei fallen aus dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG nur untergeordnete Beiträge heraus, die zwar im Sinne einer undifferenzierten Kausalbetrachtung Voraussetzung für die Durchführung der hoheitlichen Verwaltungstätigkeit sind, aber an dem spezifisch hoheitlichen Charakter nicht teilnehmen, also ζ. B. bloße Schreibarbeiten, Büroorganisation und Postdienst139.

b) Begriff

„ hoheitsrechtlicher

Befugnisse "

Für ein Abstellen auf grundrechtliche Wertungen und für das weite Verständnis des Begriffs der hoheitsrechtlichen Befugnisse sprechen vor allem die Verpflichtung der Verfassungsinterpretation an den Wortlaut und der Grundsatz der Einheit des Grundgesetzes140. Dem Staat ist ein Gewaltmonopol zugewiesen, das ihn berechtigt, einseitig gegenüber dem gewaltunterworfenen Bürger Recht zu setzen141. Um einen Machtmißbrauch der staatlichen Funktionsträger zu vermeiden, ist u. a. H? Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt, 1986, S. 26 ff. 1 40 Vgl. Leisner, Der Beamte als Leistungsträger, in: ders., Beamtentum, Schriften zum Beamtenrecht und zur Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1968-1991, Berlin, 1995, S. 211 ff. wi Leisner, Der Beamte als Leistungsträger, in: ders., Beamtentum, Schriften zum Beamtenrecht und zur Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1968-1991, Berlin, 1995, S. 223.

II. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse

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eine Bindung der Hoheitsgewalt an das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG und an die Grundrechte der Art. 2 bis 19 GG vorgesehen und in ihren Grundsätzen gemäß Art. 79 ΠΙ GG auch gegenüber Verfassungsänderungen abgesichert. Um die Funktionstüchtigkeit dieses Systems zu sichern wurde in Art. 33 GG das Berufsbeamtentum als Institution verfassungsrechtlich garantiert 142. Es sind keine Gründe für die Annahme ersichtlich, der Grundgesetzgeber habe gerade der Formulierung des Art. 33 IV GG ein abweichendes Verständnis von Hoheitsgewalt zugrundegelegt, während in bezug auf Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtsbindung ohne weiteres die gesamte öffentliche Gewalt als verpflichtet angesehen wird. Die Differenzierung zwischen Eingriffs- und Leistungsverwaltung allein anhand der Betrachtung einseitiger Handlungsformen wirkt unter Zugrundelegung der heute herrschenden Grundrechtsdogmatik beliebig143. Wie bereits unter 2. dargestellt wurde, kommt die gesamte staatliche Verwaltung nicht ohne Zwang und Befehlsgewalt aus 144 . Staatliche Leistungen sind durch Steuern und Zwangsbeiträge finanziert 145. Je mehr sich die politische Steuerung auf Subventionierung erwünschten Verhaltens statt Verbot unerwünschten Verhaltens verlegt, kommt die Leistungsversagung in ihrer Wirkungsweise auf den Bürger dem klassischen Grundrechtseingriff näher. Zudem wird der einzelne in zunehmendem Maße durch Steuerpflichten belastet, um die staatliche Leistungsgewährung zu ermöglichen. Es liegt von daher nicht nahe, den Wandel des Ansatzes staatlicher Steuerungstätigkeit zu ignorieren und weite Bereiche der Staatstätigkeit aus dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG zu entlassen, dessen Sinn und Zweck es ist, die Übertragung der wesentlichen Bereiche staatlicher Hoheitsverwaltung an das Berufsbeamtentum zu sichern 146. Nach alledem ist in bezug auf Art. 33IV GG maßgeblich, ob die auf einem konkreten Dienstposten wahrgenommenen Tätigkeiten der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben dient oder grundrechtsrelevant ist. In bezug auf die Tätigkeiten, die bei den Sozialversicherungsträgern ausgeübt werden, ist zumeist beides zugleich zu bejahen. Die eben unter 3. ermittelten vier Grenzbereiche - Begründung und Abwicklung der Beziehungen zu den Leistungserbringern, Erbringung von Sachleistungen durch die Beschäftigten der Sozialversicherungsträger selbst, Bewilligung von Leistungen an Personen, die keine Beiträge geleistet haben und Erteilung von

142 BVerfGE 9,268,282 ff. 143 Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 48; Lübbe-Wolff in: Dreier, Art. 33 Rn. 59; vgl. auch Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht 1,10. Aufl. 1994 § 23 Rn. 39. 144 Vgl. Burmeister, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998, 617,620; Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt, 1986, S. 49. 145 Isensee in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Auflage 1994, S. 1552 ff.; Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977,265,26 7 ff. 146 So auch Burmeister, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998,617,620.

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Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

Erlaubnissen und Zulassungen durch die Sozialversicherungsträger - sind somit im Ergebnis dem Funktionsvorbehalt des Art. 33IV GG unterstellt.

ΙΠ. „In der Regel" Art. 33 IV GG sieht nicht vor, daß die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse immer Berufsbeamten übertragen wird, sondern nur, daß dies „in der Regel" erfolgt. Der Einsatz von Nichtbeamten zur Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse muß jedoch die Ausnahme bleiben147. Das Regel-Ausnahmeverhältnis ist gewahrt, solange im Bereich jeder einzelnen Hoheitsverwaltung mehrheitlich Beamte eingesetzt bleiben und der Einsatz von Nichtbeamten nur bei Vorliegen eines besonderen sachlichen Grunds erfolgt 148. Fraglich ist, welche Art von Umständen als sachliche Gründe für den Einsatz von Nichtbeamten anzuerkennen sind.

1. Solidarität

In bezug auf die Rentenversicherung wird angeführt, die Beschäftigten der Rentenversicherungsträger sollten sich nicht als Beamte der „Solidargemeinschaft" der Rentenversicherten entziehen149: „Die Beschäftigten, aber auch die Selbstverwaltungen der Rentenversicherungsträger, müssen daher in Zukunft durchaus davon ausgehen und sich daran gewöhnen, daß die Vertrauenskrise der Rentenversicherung auch sie immer wieder vor die Frage stellt: Wie haltet ihr es denn selbst mit der solidarischen Rentenversicherung? Dies wird die Rentenversicherungsträger zunehmend in einen Begründungszwang bringen, wenn es um die Rechtfertigung ihrer Beamten geht" 150 .

Fraglich ist, ob diese politische Forderung mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 V GG in Einklang steht151. Danach soll der Beamte die staatliche Hoheitsgewalt neutral und unparteiisch ausüben.

w? BVerfGE 9,268, 284. we Maunz in MDHS, Art. 33 Rn. 42; Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamtenund Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977, 265, 269; Burmeister, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998,617,620 f. 1 49 Vgl. (ablehnend dazu): Burmeister, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998,617,621. 150 Kohl, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998,601,602. 151 Vgl. hierzu Lecheler, Die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, AöR (103) 1978, 349 ff.

III.„In der Regel

65

Dies wird unter anderem durch seine Sonderstellung in Hinblick auf eine Reihe von gesetzlichen Besonderheiten sichergestellt, u. a. auch das Alimentationsprinzip, das seiner Verpflichtung zu lebenslanger Treue gegenübersteht152. Dies schafft einen Status, der es ermöglicht, den Bedingungen staatlicher Aufgabenerfüllung in besonderem Maße gerecht zu werden - unbedingt stetig, unparteiisch, sachlich, ausschließlich auf die rechtlichen Vorgaben ausgerichtet153. So werden in der Rechtslehre die besonderen Vorteile des Berufsbeamtentums wie folgt beschrieben: „Gerade die gesteigerte Bindung wie die größere amtliche, berufliche, materielle und psychologische Sicherheit, Unabhängigkeit sind geeignet, den Beamten vor allem von zwei Einflüssen weitergehend freizustellen, die ihn aus dieser Sachbczogenheit abdrängen könnten: von individuellem und gruppenegoistischem Druck der Betroffenen, aber auch aus dem politischen Raum und aus der Verwaltung selbst: darüber hinaus vor allem von der Notwendigkeit, sein eigenes Interesse in der Konkurrenz der Belange äußerstenfalls gewaltsam durchzusetzen - durch Leistungsverweigerung der daseinsnotwendigen Leistungen gegenüber dem Bürger" im Arbeitskampf 154.

Auch BVerfG und BVerwG stellen in st. Rspr. die Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Staatsorganisation in den Vordergrund: „Das Grundgesetz hat das Berufsbeamtentum in Art. 33 Abs. 4 und 5 GG als Institution anerkannt. Leitmotiv hierbei war die Sorge um eine ordnungsgemäße Erfüllung der Staatsaufgaben. Das Berufsbeamtentum sollte, gegründet auf Sachwissen, fachliche Leistung und loyale Pflichterfüllung, eine stabile Verwaltung sichern und damit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften bilden" 155 .

Der Einsatz von Beamten bei der Verwaltung der gesetzlichen Sozialversicherung sichert besonders effektiv eine neutrale und unparteiische Handhabung der damit verbundenen hoheitsrechtlichen Befugnisse, weil der Beamte diesbezüglich unmittelbar keine eigenen finanziellen Interessen in Hinblick auf die Versicherungsleistungen und -beiträge verfolgt und damit nicht Interessenskonflikten ausgesetzt zu werden droht 156 . Dies gilt übrigens auch in bezug auf die sogleich unter C.m. näher zu behandelnden Dienstordnungsangestellten. Eine besonders „solidarisch" gehandhabte Verwaltung der staatlichen Hoheitsgewalt und der grundrechtlich geschützten Ansprüche der Beitragszahler durch individuell betroffene und in152 Vgl. Lecheler/Determann, Verfassungswidrigkeit einer Beitragspflicht zur Beamtenversorgung; ZBR 1998, 1 ff.; Battis, Berufsbeamtentum und Leistungsprinzip, ZBR 1996, 193,194. 153 Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977,265,269. 154 Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977,265,269. 155 BVerwGE 47, 330, 334; BVerfGE 11,203,216 f.; 7,155,162 f.

156 So auch Burmeister, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998,617,621. 5 Lecheler/Determann

66

Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

teressierte Bedienstete entspricht gerade nicht dem in Art. 33 GG vorgegebenen Ideal der Staatsorganisation. Sie kann nur im Zuge genereller Angriffe auf die Institution des Berufsbeamtentums und die geltende Fassung des Art. 33 GG vorgetragen werden 157, läßt sich aber nicht mit den Vorgaben des Grundgesetzes so wie es zur Zeit gilt vereinbaren. Deshalb kann die Forderung nach „Solidarität" der bei den Trägern der gesetzlichen Sozialversicherung Éediensteten nicht als sachlicher Grund für den Einsatz von Nicht-Beamten angesehen werden 158.

2. Flexible Personalstruktur in Hinblick auf Schwankungen des Arbeitsanfalls

In bezug auf die Tätigkeit der Bundesanstalt für Arbeit wurde in der Vergangenheit angeführt, es sei erforderlich, je nach Lage am Arbeitsmarkt und je nach aktueller Anforderungen an die Arbeitsvermittlung kurzfristig eingestellte Arbeitnehmer in größerem oder geringerem Umfang einzusetzen159. Wirtschaftlichkeit ausgerechnet durch eine „hire andfire"-Personalpolitik zu garantieren, war dem öffentlichen Dienst allerdings von jeher fremd und ist offensichtlich nicht das Ziel des vermehrten Einsatzes von Arbeitnehmern bei den Sozialversicherungsträgern. Zum einen setzen die geltenden Tarifverträge derartigen Ansätzen enge Grenzen. Zum anderen widerspricht es auch dem Sinn und Zweck des Funktionsvorbehalts des Art. 33 IV GG, eine so folgenschwere Aufgabe wie die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse kurzfristig angelernten Arbeitnehmern zu übertragen, die mit baldiger Entlassung zu rechnen haben160. Die nur theoretisch gegebene Mögi " So bezieht sich Kohl, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998, 601 zur Begründung seiner These nicht in erster Linie auf den Ausnahmevorbehalt des Art. 33 IV GG (dazu erst auf S. 609 f.). Er stellt vornehmlich die - allein mit einer Bezugnahme auf einen Bericht in der Zeitschrift „Der Spiegel" belegte - Behauptung auf: „Dazu kommt, daß gerade der Beamtenstand schon lange seine gesellschaftliche Akzeptanz verloren hat. Dies um so mehr, da die Beamtenschaft vermeintlich oder tatsächlich ungeschoren von den gesellschaftlichen Änderungsprozessen ihre tradierten 'hergebrachten Grundsätze' wie Unkündbarkeit und Alimentation zum Teil mit grotesken, der Öffentlichkeit nicht vermittelbaren Argumenten pflegt." (aaO, S. 603, Hervorhebung im Original). Dieser Sichtweise ist entgegenzuhalten, daß es sich bei den „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums" nicht um groteske Argumente, sondern um geltendes Verfassungsrecht handelt und die vermeintlich der Öffentlichkeit nicht vermittelbaren Privilegien längst von den Tarifverträgen der im öffenüichen Dienst beschäftigten Angestellten teils übernommen wurden, teils übertroffen werden, vgl. Merten, Alimentationsprinzip und Beamtengesetzgebung - Versorgungsbericht und Gesetzesentwurf zur Begrenzung der Bezügefortzahlung bei Krankheit im Lichte des Beamtenverfassungsrechts, ZBR 1996, 353 ff.; Lecheler/Determann, Verfassungswidrigkeit einer Beitragspflicht zur Beamtenversorgung, ZBR 1998,1 ff.; Lecheler, Reform oder Deform? Zu den,.Februar-Reformen" des öffentlichen Dienstrechts, ZBR 1997,206 ff.; ders., Die Zukunft des Berufsbeamtentums, ZBR 1996,1 ff. Burmeister, Braucht die Rentenversicherung Beamte?, DtRV 1998,617,621. 159 So Kohl, Stichwort „Personalprobleme der Bundesanstalt für Arbeit", in: Bierfelder, Handwörterbuch des öffentlichen Dienstes - Das Personalwesen, 1976, Sp. 1277 ff., 1279.

III.„In der Regel"

67

lichkeit der Kündigung von Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst vermag demnach ebenfalls nicht eine ausnahmsweise Übertragung von hoheitsrechtlichen Befugnissen an Nichtbeamte zu rechtfertigen.

3. Unattraktivität des Beamtenstatus für Stellenbewerber in manchen Bereichen

Ferner stellt ein tatsächlicher Grund für die Verletzung der Vorgaben des Art. 33 IV GG die Tatsache dar, daß manche Beamtenstellen nicht hinreichend mit qualifiziertem Personal zu besetzen sind, weil für bestimmte, von der Privatwirtschaft besonders umworbene Berufsgruppen von dem gesetzlich vorgegebenen Beamtenstatus nicht angezogen werden 161. Diese Misere ist aber nicht durch verfassungswidrige, schleichende Abschaffung des Beamtenstatus entgegen Art. 33 IV, V GG zu bewältigen, sondern durch Reformierung des Beamtenrechts und einer Wiederaufwertung des Beamtenstatus zu einer für qualifizierte Berufsanfänger attraktiven Alternative zur Privatwirtschaft. Leider geht die Entwicklung des einfachgesetzlichen Beamtenrechts seit Jahren eindeutig in die entgegengesetzte Richtung und zwar ohne Rücksicht auf Verfassungsverstöße 162.

4. Oberste Leitungsfünktionen

Zumindest seit dem Minderheitsvotum in der Studienkommission zur Reform des öffentlichen Dienstrechts von 1973 163 wird nahezu gebetsmühlenhaft die Behauptung wiederholt, auf den obersten Führungsebenen würden im öffentlichen Dienst „spezifische Führungseigenschaften" gebraucht; die betreffenden Führungskräfte müßten sich in „höherem Maße" durch Initiative, Motivationsvermögen, Durchsetzungsenergie, Anpassungsfähigkeit und Risikobereitschaft auszeichnen 164 . Deswegen seien Sonderregeln geboten. Die allgemeinen Regelungen des Beamtenrechts seien nicht dazu geeignet, diesen Anforderungen zu entsprechen165. 160 Vgl. auch schon Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunküonen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977,265,271 f. 161 Vgl. schon Siebeck, Dienstordung und Beamtenrecht, 1987 S. 136 ff.; Lecheler, Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt, 1986, S. 41 ff. Siehe Lecheler/Determann, Verfassungswidrigkeit einer Beitragspflicht zur Beamtenversorgung, Anmerkung zum Entwurf eines Versorgungsreformgesetzes 1998, ZBR 1998, 1 ff.; Lecheler, Reform oder Deformation? Zu den „Februar-Reformen" des öffentlichen Dienstrechts, ZBR 1997,206 ff.; ders. Die Zukunft des Berufsbeamtentums, ZBR 1996,1 ff. ι « Vgl. Bericht 1973, Rn. 523 (S. 240). 164 Vgl. dazu etwa auch Nachweise bei H. Günther, ZBR 1996,68. 165 So schuf der Bundesgesetzgeber vor kurzem die Möglichkeit, Leitungsfunktionen auf Zeit zu übertragen, dazu Lecheler, ZBR 1998,331 ff. 5*

68

Β. Verfassungsrechtliche Pflicht der Sozialversicherungsträger

Daß sich die Anforderungen an Führungskräfte in der öffentlichen Verwaltung grundlegend verändert haben, ist unbestritten. Das gilt auch für den Bereich der Sozialversicherung. Anderes gilt aber für die Frage nach den Konsequenzen, die als Reaktion auf diese Veränderungen angemessen sind. Die Bundesregierungen hat die Übertragung von Führungspositionen auf Zeit unter anderem deswegen zu Recht abgelehnt, weil sie die Unabhängigkeit des Beamten gefährde, so daß dieses Modell nur gegen ihren ausdrücklichen Widerstand vom Bundesrat durchgesetzt werden konnte. Die ablehnende Position der Bundesregierung war und ist berechtigt: Soll die gesamte Beamtenschaft ihren öffentlichen Dienst uneigennützig und unabhängig von parteipolitischen Anfechtungen erfüllen können, so gilt es diese Unabhängigkeit auf allen Ebenen institutionell abzusichern. Das gilt - wie stets im öffentlichen Dienst - vor allem für die Verwaltungsspitze. Auch ist zu berücksichtigen, daß Grundrechtseingriffe auf der Sachbearbeiterebene von der Spitze der Verwaltung aus inhaltlich geprägt werden. Deshalb verbietet sich eine unterschiedliche rechtliche Behandlung von Führungs- und Ausführungspersonal 166.

5. Wettbewerb

Auch die Tatsache, daß sich die gesetzlichen Krankenkassen im Wettbewerb befinden, rechtfertigt nicht eine generelle Ausnahme aller ihrer Bediensteten vom Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG. Man mag die wirtschafts- und rechtspolitische Auffassung vertreten, daß sich Staatstätigkeit in öffentlich-rechtlichen Formen und wirtschaftlicher Wettbewerb nicht vertragen. Als systemwidrig im Zusammenhang mit Wettbewerb stellt sich aber insoweit weniger der Beamtenstatus der Krankenkassenbediensteten dar, sondern allenfalls ihre Betrauung mit der Ausübung von Hoheitsgewalt (innerhalb eines Wettbewerbsverhältnisses) sowie das öffentlich-rechtliche Zwangssystem an sich. Wenn man - wie offenbar der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform - diese wirtschafts- und rechtspolitischen Weichenstellungen als unproblematisch ansieht, besteht erst recht kein Anlaß gerade eine Ausnahme hinsichtlich der Vorgaben des Art. 33 IV GG anzunehmen167. Wie bereits dargestellt wurde (oben B.n.l.c und d.cc.3.) hat die Einführung wettbewerblicher Elemente in das Zwangsversicherungssystem dazu geführt, daß die gesetzlichen Krankenkassen auch Ziele mit wettbewerblichem, erwerbswirtSo auch ausdrücklich BAG, Urt. v. 11. 8. 1998, Az. 9AZR155/97, S. 4 des Urteilsumdrucks. 167 Angesichts dessen wirft die durch das Gesundheitsreformgesetz erfolgte Schließung des Dienstordnungsrechts für Neueinstellungen ab dem 1. Januar 1993 erhebliche verfassungswidrige Bedenken auf (siehe sogleich unter C.m.l.): Durch die Schließung des Dienstordnungsrechts entfernt sich der Ist-Zustand (Übertragung von Beamtenaufgaben an Tarifangestellte statt bisher an Dienstordnungsangestellte in beamtenähnlichem, wenngleich privatrechtlichem Dienstverhältnis) noch weiter vom verfassungsmäßigen Soll-Zustand (Übertragung von Beamtenaufgaben an Beamte gemäß Art. 33IV GG).

III. „In der Regel·

69

schaftlichem Charakter verfolgen müssen wie etwa die Werbung neuer Mitglieder. Diejenigen Bediensteten, die mit entsprechenden wettbewerblichen Aufgaben betraut sind, üben in der Tat keine hoheitsrechtlichen Befugnisse aus und werden somit vom Funktionsvorbehalt nicht erfaßt. Das läßt bei differenzierter Betrachtungsweise aber gerade keinerlei Schlüsse auf diejenigen Bediensteten zu, die weiterhin mit wettbewerbsfremden Aufgaben und Befugnissen betraut sind (Einzug der Zwangsbeiträge etc.). Schließlich ist auch die Tatsache zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber trotz der Eröffnung des Wettbewerbs den Rechtsstatus der Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts aufrechterhalten und damit die Aufgaben auch dieser Sozialversicherungsträger weiterhin grundsätzlich dem öffentlichen Recht zugeordnet hat.

6. Zusammenfassung

Es sind im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung keine Sachzwänge ersichtlich, die eine besonders extensive Handhabung des Ausnahmevorbehalts des Art. 33 IV GG („in der Regel") zu rechtfertigen imstande wären. Die Beschäftigung von Angestellten kann deshalb nur durch außergewöhnliche Umstände im konkreten Einzelfall zulässig werden.

C. Vorgaben der einfachen Gesetze I. Rechtspflicht zur Beschäftigung von Beamten nach den allgemeinen Beamtengesetzen Die Beamtengesetze von Bund und Ländern sehen angesichts der verfassungsunmittelbaren Mindestanforderung hinsichtlich der Beschäftigung von Beamten in der Regel umgekehrt nur noch Höchstgrenzen für den Einsatz von Beamten vor. So bestimmt beispielsweise § 4 Bundesbeamtengesetz (BBG): „Die Berufung in das Beamtenverhältnis ist nur zulässig zur Wahrnehmung 1. hoheitsrechtlicher Aufgaben oder 2. solcher Aufgaben, die aus Gründen der Sicherung des Staates oder des öffentlichen Lebens nicht ausschließlich Personen übertragen werden dürfen, die in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis stehen."

§ 2 Π Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG) ist praktisch wortgleich formuliert, so daß für die Beamtengesetzgebung der Bundesländer die gleichen Vorgaben gelten. So wiederholt ζ. B. § 6 Π LBG Berlin die Vorgaben, die auch aus § 2 Π BRRG folgen und nach § 4 BBG für Bundesbeamte gelten. Allerdings stellt § 6 I LBG Berlin beispielsweise zusätzlich konkretisierend fest, daß die Lehrtätigkeit an öffentlichen Schulen und die Lehr- oder Forschungstätigkeit an öffentlichen Hochschulen zur Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse gehört. Während Art. 33 IV GG unbegrenzt auch die Betrauung von Beamten mit nichthoheitsrechtlichen Befugnissen erlaubt, ergeben sich aus den einfachgesetzlichen Vorschriften insoweit Grenzen. In höchstrichterlicher Rechtsprechung ist anerkannt, daß diese Grenzen verfassungsrechtlich nicht geboten sind, und daß es „keinen Rechtsgrundsatz des Inhalts gibt, daß einem Beamten ausschließlich hoheitliche Aufgaben übertragen werden dürften" 168. Das Grundgesetz verbietet aber umgekehrt dem einfachen Gesetzgeber nicht, derartige Begrenzungen einzuführen, wie es u. a. in §§ 4 BBG, 2 Π BRRG, 6 Π LBG Berlin geschehen ist. Allerdings stehen § 4 BBG und die entsprechenden landesgesetzlichen und spezialgesetzlichen Vorschriften in der Regel nicht der Beschäftigung von Beamten in Verwaltungseinheiten entgegen, die insgesamt hoheitsrechtliche Befugnisse ausüben. Derartige Verwaltungseinheiten bedürfen nämlich als Teil des hoheitsrechtlich verwalteten öffentlichen Lebens einer besonderen Sicherung, die ausweislich §§ 4 Nr. 2 BBG, 2 Π BRRG, 6 Π LBG Berlin durch Beamte zu gewährleisten ist 168 BVerwG, DÖV 1970,493; so auch Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 50.

II. Rechtspflicht nach spezialgesetzlichen Vorschriften der Sozialversicherung

71

und nicht durch Beschäftigte in einem privatrechtlichen Arbeits- oder Dienstverhältnis. Deshalb können beispielsweise auch in der Finanz- und Vermögensabteilung sowie in anderen Stabsabteilungen eines Sozialversicherungsträgers im Einklang mit § 4 BBG bzw. der jeweils einschlägigen, entsprechenden landesgesetzlichen Vorschrift Beamte beschäftigt werden, wenngleich dies nach Art. 33 IV GG nicht zwingend geboten ist.

II· Rechtspflicht zur Beschäftigung von Beamten nach spezialgesetzlichen Vorschriften im Bereich der Sozialversicherung 1. Arbeitsförderung

Nach § 399 SGB ΠΙ besteht das Personal der Bundesanstalt für Arbeit aus Arbeitnehmern und Beamten. Abgesehen von der Vorgabe, daß Präsident und Vizepräsident zu Beamten auf Zeit zu ernennen sind, wird nicht näher spezifiziert, welche Aufgaben Beamten zu übertragen sind und in welchem Verhältnis Beamte und Angestellte einzustellen sind. Insoweit gelten die unter B. ermittelten Vorgaben des Art. 33IV GG.

2. Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung

Den gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen sowie den Trägern der Unfallversicherung ist in der Regel die Dienstherrnfähigkeit nicht eingeräumt, wenngleich § 144 Satz 2 SGB VII von Unfallversicherungsträgern mit Dienstherrnfähigkeit und der fortgeltende § 349 RVO von der Möglichkeit der Beschäfigung von Beamten bei den Krankenkassen ausgeht. Auch diese Versicherungsträger beschäftigen jedoch derzeit - von wenigen Ausnahmen abgesehen - keine Beamten169. Dies stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die unter B. ermittelten Vorgaben des Art. 33IV GG dar. Da Art. 33IV GG in der Normhierarchie der deutschen Rechtsordnung über den einfachgesetzlichen Regelungen des Sozialversicherungsorganisationsrechts steht, läßt sich die Übertragung von hoheitsrechtlichen Befugnissen an Nichtbeamte auch weder durch Regelungen wie § 144 SGB VII noch durch die Nichtzuerkennung der Dienstherrnfähigkeit rechtfertigen.

169 Seewald, Vorstand und Geschäftsführung in Personalentscheidungen der Berufsgenossenschaften, NZS 1993, 200, 202; Platz, Das Dienstordnungsrecht der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Historisches Kuriosum oder Chance individuellen Dienstrechts?, ZTR 1992,10; Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt fur Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977,265,270.

72

C. Vorgaben der einfachen Gesetze 3. Rentenversicherung

Nach § 143 Π 1 SGB V I sind die Geschäftsführer der Rentenversicherungsanstalten, ihre Stellvertreter und die Mitglieder der Geschäftsführungen zu Beamten zu ernennen. Darüber hinaus wird nicht näher spezifiziert, welche Aufgaben Beamten zu übertragen sind und in welchem Verhältnis Beamte und Angestellte einzustellen sind. § 9 Π des Gesetzes über die Errichtung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA-ErrG) bestimmt entsprechend den Vorschriften der allgemeinen Beamtengesetze, daß Beamte nur in dem Umfang eingesetzt werden sollen, wie es zur Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse erforderlich ist. Insoweit gelten die unter B. ermittelten Vorgaben des Art. 33IV GG.

ΙΠ. Rechtspflicht zur Beschäftigung von Dienstordnungsangestellten Dienstordnungsangestellte sind nicht Beamte im Sinne von Art. 33IV GG 1 7 0 , so daß sich aus dieser Verfassungsbestimmung nicht unmittelbar eine Rechtspflicht zur Beschäftigung von Dienstordnungsangestellten ergibt. Allerdings ist das einfachgesetzlich eingeführte Anstellungsverhältnis der Dienstordnungsangestellten dem Beamtenverhältnis in seiner rechtlichen Ausgestaltung weitgehend angenähert 171 . Deshalb liegt es nahe, im Rahmen der Erörterung der einfachgesetzlichen Vorschriften über das Dienstordnungsrecht zunächst der Frage nachzugehen, ob sich aus Art. 33IV GG mittelbare Vorgaben für die Beschäftigung von Dienstordnungsangestellten ableiten lassen (1.). Anschließend werden die einfachgesetzlichen Rechtspflichten zur Beschäftigung von Dienstordnungsangestellten behandelt (2.).

1. Mittelbare Vorgaben des A r t 3 3 I V GG für die Beschäftigung von Dienstordnungsangestellten

Verfassungsrechtlich unbedenklich zulässig ist zunächst die Beibehaltung des Dienstordnungsrechts neben dem Beamtenrecht, soweit die Übertragung hoheitsrechtlicher Befugnisse gemäß Art. 33IV GG an Beamte erfolgt 172. Unter B. wurde allerdings dargelegt, daß eine Vielzahl von Bediensteten bei den öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsträgern im Beamtenverhältnis beschäftigt werden müssen - insoweit stellt das Dienstordnungsverhältnis keine verfassungsrechtlich zulässige Alternative dar 173 . Als privatrechtliches Arbeitsverhältnis genügt es den verfas170 Siehe oben B.I. 171 Vgl. Siebeck, Dienstordnung und Beamtenrecht, 1987, S. 38 ff. 172 Vgl. in diesem Sinne auch schon BVerwGE 49, 137, 141 f., auf öffentlich-rechtliche Lehrauftragsverhältnisse bezogen. 173 Das Bundesarbeitsgericht hat sich in seinem Urteil vom 26.500.1966- 2AZR 399/65 (in: Hueck/Nipperdey/Dietz, Nachschlagewerk des BAG, Arbeitsrechtliche Praxis (AP) zu

III. Rechtspflicht zur Beschäftigung von Dienstordnungsangestellten

73

sungsrechtlichen Vorgaben nicht. Aus Art. 33 IV GG folgt deshalb für den Regelfall die Pflicht zur Verbeamtung all derjenigen Dienstordnungsangestellten, denen hoheitsrechtliche Befugnisse zur Ausübung übertragen sind 174 . Fraglich ist aber, ob Art. 33 IV GG über seine unmittelbaren Vorgaben hinaus auch in besonderem Maße einer Ersetzung von Dienstordnungsangestellten durch Tarifangestellte entgegensteht. Denkbar wäre auch, daß sich der Funktionsvorbehalt insoweit als indifferent erweist und beide Beschäftigungsformen - Dienstordnungsangestelltenverhältnis und Tarifangestelltenverhältnis - als gleichermaßen verfassungswidrig qualifiziert. Wie bereits erwähnt, wurde das Dienstordnungsrecht historisch gerade deswegen entwickelt, weil eine Vielzahl von Aufgaben etwa der Berufsgenossenschaften zutreffend als Beamtenaufgaben angesehen wurden, aber für diese Aufgaben aufgrund institutioneller Vorgaben keine Beamten eingesetzt werden konnten. Die Berufsgenossenschaften hatten und haben in der Regel keine Dienstherrnfähigkeit 175. Durch die behelfsweise Beschäftigung von Dienstordnungsangestellten sollte ein den verfassungsrechtlichen Vorgaben im Rahmen des politisch Machbaren möglichst nahekommender Zustand erreicht werden. Es wurde also ein möglichst „verfassungsnaher" Zustand angestrebt und erreicht. Demgegenüber kann der Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG angesichts seiner teleologischen Bestimmung nicht blind sein: seine Vorgaben werden durch die Beschäftigung von Dienstordnungsangestellten zwar nicht vollständig erreicht - so daß ein Verfassungsverstoß vorliegt. Allerdings werden sie weit besser erreicht, als wenn Tarifangestellte statt Beamte beschäftigt würden. Demgemäß kann aus Art. 33IV GG mittelbar ein Verbot abgeleitet werden, das „verfassungsnähere" Dienstordnungsrecht durch das „verfassungsfernere" Tarifrecht zu ersetzen. Diese Folgerung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG, das verfassungswidrige Rechtsakte dann nicht als nichtig erklärt, wenn sonst ein noch „verfassungsfernerer" Zustand eintre§ 611 Nr. 23 (Blatt 3) sogar auf den Standpunkt gestellt, die Sozialversicherungsträger genügten durch den Erlaß von DOen und durch die Ernennung von DO-Angestellten dem Verfassungsauftrag des Art. 33 Abs. 4 GG. Damit wird klargestellt, daß auch das BAG - zurecht davon ausgeht, daß die Personalstruktur der Versicherungsträger Art. 33 Abs. 4 GG entsprechen müsse. Dies muß auch bei der Ausweitung der insoweit mißverständlichen Entscheidung des BAG vom 6. 11. 1985 (AP), zu § 611 Nr. 61 (Bl. 874 Rucks.) berücksichtigt werden, wenn es dort heißt, Art. 33 Abs. 4 GG habe keine materielle Änderungen an den Besonderheiten des Dienstrechts der Sozialversicherungsträger vorgenommen. Die Kritik von Backmann (aaO, Bl. 876), das BAG habe die umfassende Literatur und Rechtsprechung zu dieser Frage weitgehend ignoriert, ist freilich berechtigt (vgl. umfassend zum ganzen Lerche, Verbeamtung als Verfassungsauftrag? (Fn 174)). 174 So schon Lerche, Verbeamtung als Verfassungsauftrag?, 1973, S. 53 f. 175 Seewald, Vorstand und Geschäftsführung in Personalentscheidungen der Berufsgenossenschaften, NZS 1993, 200, 202; Platz, Das Dienstordnungsrecht der gewerblichen Berufsgenossenschaften - Historisches Kuriosum oder Chance individuellen Dienstrechts?, ZTR 1992,10; Loschelder, Die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit - „hoheitsrechtliche Befugnisse"? Zur verfassungskonformen Abgrenzung von Beamten- und Arbeitnehmerfunktionen in der daseinsvorsorgenden Verwaltung, ZBR 1977,265, 270.

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C. Vorgaben der einfachen Gesetze

ten müßte als bei übergangsweiser, behelfsmäßiger Beibehaltung einer - allerdings ihrerseits verfassungswidrigen - geltenden Rechtslage176. Das Verhältnis von Art. 33 IV GG zum einfachgesetzlichen Dienstordnungsrecht kann dementsprechend mit drei Feststellungen zusammengefaßt werden: - Art. 33 IV GG gebietet in der Regel eine Verbeamtung derjenigen Dienstordnungsangestellten, denen die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse übertragen ist. - Sonstige Bedienstete können im Einklang mit Art. 33 IV GG in einem Dienstordnungsangestelltenverhältnis beschäftigt werden. - Art. 33 IV GG steht einer Verdrängung des Dienstordnungsrechts durch das Tarifrecht entgegen, soweit hoheitsrechtliche Tätigkeiten betroffen sind. Entgegen den vorstehend zusammengefaßten Vorgaben des Art. 33 IV GG wurde im Bereich der Krankenversicherung das auch dort zuvor verbreitete 177 Dienstordnungsrecht durch das Gesundheitsstrukturgesetz mit Wirkung vom 1. Januar 1993 abgeschafft 178. SGB V und SGB X I sehen auch nicht mehr die Begründung neuer Dienstordnungsverhältnisse vor, so daß die Kranken- und Pflegekassen derzeit nur noch Tarifangestellte einstellen. Dadurch ist in diesen Bereichen ein besonders schwerwiegender Verstoß gegen die Vorgaben des Art. 33IV GG gegeben.

2. Vorgaben des δ 144 SGB V I I für die Beschäftigung von Dienstordnungsangestellten

Nach § 144 SGB V I I hat die Vertreterversammlung der Unfallversicherungsträger die Ein- und Anstellungsbedingungen und die Rechtsverhältnisse der Angestellten unter Berücksichtigung des Grundsatzes der funktionsgerechten Stellenbewertung durch eine Dienstordnung angemessen zu regeln, soweit nicht die Angestellten nach Tarifvertrag oder außertariflich angestellt werden. Daraus folgt zum einen die gesetzliche Vorgabe, daß es bei den Unfallversicherungsträgern Dienstordnungsangestellte und sonstige Angestellte geben soll. Da das Dienstordnungsrecht herkömmlich dem Beamtenrecht angeglichen ist, liegt es nahe, den Hinweis des Gesetzgebers auf den Auftrag einer angemessenen Regelung und auf den Grundsatz der funktionsgerechten Stellenbewertung dahingehend zu verstehen, daß Dienstordnungsangestellte überall dort einzusetzen sind, wo nach den unter B. dargestellten Grundsätzen des Art. 33 IV GG an sich Beamte zu beschäftigen wären. Insoweit wird auf die diesbezüglich ermittelten Ergebnisse verwiesen. Nach § 144 SGB VII müssen also alle an sich Beamten vorbehaltenen Tätigkeiten (zu176 Vgl. v. Pestalozzi Verfassungsprozeßrecht, § 20 Rn. 122 ff. 177

Siebeck, Dienstordnung und Beamtenrecht, 1987, S. 53 ff. Vgl. Radek, Die Selbstverwaltung in der gesetzlichen Unfallversicherung - Erfolge und aktuelle Probleme, NZS 1994, 6, 12; Balzer, Änderung der Selbstverwaltungsrechte und des Dienstrechts der ges. Krankenkassen durch das GSG, NZS 1994,1 ff. 178

III. Rechtspflicht zur Beschäftigung von Dienstordnungsangestellten

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mindest) an Dienstordnungsangestellte übertragen werden, wenn sie mangels Dienstherrnfähigkeit nicht an Beamte übertragen werden können. Wenngleich § 144 SGB VE nicht verfassungsgemäß ist - es ist mit Art. 33 IV GG nicht vereinbar, Angestellte (auch Dienstordnungsangestellte) mit der Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse zu betrauen - kommt eine verfassungsgerichtliche Nichtigkeitserklärung aus den vorstehenden Überlegungen (oben ΙΠ.1.) dennoch nicht in Betracht. Die Vorgabe des § 144 SGB VII kommt denen des Art. 33 IV GG nämlich weit näher als eine unbegrenzte Möglichkeit zur Beschäftigung von Tarifangestellten. Soweit in der Literatur 179 die Auffassung vertreten wird, eine Dienstordnung sei für die Zukunft bei denjenigen Trägern entbehrlich, „die sich dazu entschließen, fortan nur noch nach Tarifrecht oder außertariflich anzustellen", also „für einzelne Aufgaben innerhalb der Verwaltung, die bisher von Dienstordnungsangestellten wahrgenommen werden, keine Dienstordnungsangestelltenverhältnisse mehr zu begünden", ist dies verfassungswidrig. Schon der Text des § 144 SGB VII deckt dieses Ergebnis nicht, vor allem läßt eine derartige Interpretation die Geltungskraft des Art. 33 Abs. 4 GG völlig zu Unrecht und ohne jede Begründung außer Betracht.

179 Vgl. Erstkommentierung des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes (UVEG), hrsg. von HVBG, BAGUV, BLB, Oktober 1996, Anmerkung zu Satz 1 des § 144.

D. Zusammenfassung der Ergebnisse I. Unabhängig davon, ob man den Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG generalisierend organisationsbezogen oder differenzierend auf den konkreten Dienstposten bezogen versteht, und unabhängig von der Zugrundelegung eines weiten oder engen Verständnisses vom Begriff der Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist von Verfassungs wegen ein großer Teil der von den Trägern der gesetzlichen Sozialversicherung wahrgenommenen Aufgaben Beamten zu übertragen, u. a. die Bereiche - Beitragsfestsetzung, - Beitragserhebung, - Prüfung von Betrieben auf ordnungsgemäße Beitragsabführung, Einhaltung von Unfallverhütungsvorschriften und Legalität der Arbeitsverhältnisse, - Durchsetzung von Beitragsforderungen im Wege der Verwaltungsvollstreckung, - Verhängung von Bußgeldern, - Entscheidung über Zulassung von Leistungserbringern zur Abrechnung mit Kranken- und Pflegekassen, - Erteilung von Arbeitserlaubnis und -berechtigung sowie Zulassung privater Arbeitsvermittler und -berater durch die Träger der Arbeitsförderung, - Verbotsverfügungen der Träger der Arbeitsvermittlung und Beratung gegenüber privaten Vermittlern und Beratern, - Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften durch die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Π. Allgemeine Einigkeit herrscht auch darüber, daß untergeordnete, mechanische Hilfstätigkeiten nicht an Beamte übertragen werden müssen. Im Bereich der Sozialversicherungsträger fallen hierunter u. a. Hilfstätigkeiten von Krankenhausund Pflegepersonal, Schreib- und Fahrdienste, Gebäudepflege etc. Nicht untergeordnete Tätigkeiten in internen Abteilungen, die in die Erfüllung der unter I. aufgeführten, hoheitlichen Tätigkeiten eingebunden sind, u. a. Tätigkeiten in der Rechtsabteilung, die Tätigkeit behandelnder Ärzte und ärztliche Gutachterdienste, unterfallen jedoch dem Funktionsvorbehalt. Das gleiche gilt für alle internen Sachbearbeiter- und Bearbeiteltätigkeiten, weil diese Tätigkeiten Voraussetzung und prägender Bestandteil aller Maßnahmen der Sozialversicherungsträger gegenüber den Versicherten, Unternehmern und sonstigen Bürgern sind.

D. Zusammenfassung der Ergebnisse

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ΙΠ. Einer generalisierend organisationsbezogenen Sichtweise würde die Einordnung der unter I. aufgeführten, wesentlichen Aufgaben der Sozialversicherungsträger als hoheitliche Tätigkeit, insbesondere die Begründung des Versicherungsverhältnis aufgrund staatlichen Zwangs genügen, alle von den Bediensteten der Sozialversicherungsträger ausgeübten Tätigkeiten - mit Ausnahme untergeordneter, mechanischer Hilfstätigkeiten - dem Funktionsvorbehalt zu unterwerfen. Diese generalisierende Sichtweise ist jedoch nach dem Wortlaut des Art. 33 IV sowie seinem Sinn und Zweck gemäß abzulehnen. Es ist vielmehr differenzierend jeder einzelne Dienstposten darauf zu überprüfen, ob er unter Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse versehen wird. IV. Unter den Vertretern einer differenzierenden Betrachtungsweise herrscht weitgehend Einigkeit, daß nachfiskalischen und erwerbswirtschaftlichen Grundsätzen wahrgenommene Aufgaben nicht an Beamte übertragen werden müssen, von Verfassung wegen allerdings an Beamte übertragen werden dürfen. Im Bereich der Sozialversicherungsträger fallen u. a. folgende Bereiche aus dem Funktionsvorbehalt heraus: - Verwaltung des Beitragsvermögens in Finanzabteilungen, und - Werbung neuer Mitglieder durch die gesetzlichen Krankenkassen. V. Wenig überzeugend ist die von einer Mindermeinung vertrenene Ausnahme folgender Tätigkeiten aus dem Bereich des Art. 33IV GG: - Entscheidung über Bewilligung und Versagung von gesetzlichen Leistungen, - Gestaltung und Koordinierung der von den Sozialversicherungsträgern unmittelbar erbrachten Sachleistungen (Kranken-, Pflege- und Rehabilitationsleistungen in versicherungseigenen Einrichtung), - Gewährleistung der Leistungserbringung durch Dritte (Krankenhäuser, Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen, Ärzte), - Arbeitsvermittlung und -beratung sowie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durch die Träger der Arbeitsförderung, - Beratung und Entwicklung von Unfallverhütungskonzepten durch die Unfallversicherungsträger. Diese Tätigkeiten sind als Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse im Sinne von Art. 33 IV GG anzusehen, weil sie materiell Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge erfüllen und nur deshalb durch die öffentliche Verwaltung wahrgenommen werden. Zudem werden sie von Körperschaften des öffentlichen Rechts erbracht und berühren Grundrechte, insbesondere die als Eigentum im Sinne von Art. 141 GG geschützten Rechtspositionen der Versicherten. Wenngleich speziell diese Fragen bisher nicht durch höchstrichterliche Rechtsprechung eindeutig geklärt sind, sprechen die bisherigen Stellungnahmen von BVerfG, BVerwG, BGH und BAG für die auch hier vertretene weite Sicht von

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D. Zusammenfassung der Ergebnisse

Art. 33 IV GG und damit eine Einbeziehung aller vorgennanten Tätigkeiten der Sozialversicherungsträger in den Funktionsvorbehalt. Nicht nachvollziehbar ist insbesondere die im Schrifttum vereinzelt vertretene Herausnahme der Entscheidung über Bewilligung und Versagung von gesetzlichen Leistungen aus dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG. Diese Entscheidungen sind grundrechtsrelevant. Sie ergehen einseitig und obrigkeitlich in Form von Verwaltungsakten. Sie fallen daher nach allen Abgrenzungskriterien, die für ein enges Verständnis von Art. 33 IV GG vorgebracht werden, unter den Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG. VI. Durch die Beschäftigung von Dienstordnungsangestellten wird die Vorgabe des Art. 33 IV GG nicht erfüllt. Auch bei den gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen sowie bei den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung sind die unter I. und V. spezifizierten Aufgabenbereiche Beamten zu übertragen. Solange dies jedoch aufgrund der einfachgesetzliche Vorgaben des Sozialgesetzbuchs nicht erfolgen kann, sind nach § 144 Satz 1 SGB VII die unter I. und V. abgelisteten Tätigkeiten an Dienstordnungsangestellte zu übertragen. Dadurch wird ein Zustand erreicht, der dem von Art. 33 IV GG näherkommt als es durch die Beschäftigung von Tarifangestellten gewährleistet werden kann. Die Schließung des Dienstordnungsrechts im Bereich der Krankenversicherungsträger verschärfte dementsprechend den schon zuvor gegebenen Verfassungsverstoß durch Nichtbeschäftigung von Beamten.

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Bundesanstalt für Arbeit 10, 14, 21 f., 32, 54 f., 71 Bundesarbeitsgericht 28 f., 61 Bundesgerichtshof 28 Bundesverfassungsgericht 27,65 Bundesverwaltungsgericht 27,65 Bußgeld 17,50 f. Datenverarbeitung 13 f., 52,55 f. Dienstherrnfähigkeit 23 f., 71 Dienstordnungsangestellte 23 f., 65,72 ff. Disziplinarmaßnahmen 18 Dreiseitige Verträge 18, 33 f., 53 f. Eigentum 42 ff. einfache Gesetze 70 ff. Eingriffsverwaltung 36 ff., 41 f., 63 Erlaubnisse 48 ff., 54 Ernennung 18 Ersatzkasse 14 Existenzminimum 43,48,50,55 externe und interne Abteilungen 12 ff. Fiskalverwaltung 30, 33 ff. Flexibilität 66 f. freiwillige Versicherung 15 f. Funktionsvorbehalt 23 ff. - Ausnahmen 64 ff. gebundene Erlaubnisse 48 ff. Gefahrenabwehr 21,52 Gesamtsozialversicherungsbeitrag 16 Gewaltmonopol 62 f. Gleichbehandlung 43 Grundrechte 29, 37,41 ff. höchstrichterliche Rechtsprechung 26 ff. - Bundesarbeitsgericht 28 f. - Bundesgerichtshof 28 - Bundesverfassungsgericht 27

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- Bundesverwaltungsgericht 27 hoheitsrechtlich 27 - s.a. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse hoheitsrechtliche Befugnisse 24 ff. - s.a. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse in der Regel 64 ff. informationelle Selbstbestimmung 52,55 f. Insolvenzgeld 16 interne und externe Abteilungen 12 ff. Kassenärztliche Vereinigung 18, 33 körperliche Integrität 53 Krankenhauspersonal 30,52 Krankenhausvereinigung 18, 33 Krankenkassen 15, 32,71 Landesbeamtengesetze 70 f. Leistungen 10 ff. Leistungserbringer 10 ff., 19., 33 f., 53 f. Leistungsfunktionen 67 Leistungsverwaltung 36 ff., 41 f., 63 Materialverwaltung 13, 30 Meldepflichten 17 Neutralität 64 f. Ordnungsbehörden 17,51 Personalverwaltung 13,18,56 f. Pflegekassen 12, 32,71 Pflegepersonal 30,52 Prävention 19 präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt 48 ff. Prüfungsrechte 17, 21 f., 33,51 f.

Rahmenverträge 18 Rechtsabteilung 13 f. Rechtsprechung 26 ff., 61,65 Regel-Ausnahmeverhältnis 64 ff. Rehabilitationsmaßnahmen 11 Rentenversicherungsträger 11,15, 32,72 repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt 48 ff. Sachbearbeiter 13,29,61 Satzung 15,20,56 Schreibdienste 13, 30, 33,62 Sicherheit am Arbeitsplatz 20 Sicherheitsbeauftragte 20 Solidarität 64 f. Stabsabteilung 13,71 Steuern 42 ff. Tarifangestellte 23 f., 66 f. Tarifverträge 66 Unabhängigkeit 68 Unfallverhütung 19 ff. Unfallverhütungsvorschriften 20 Unfallversicherung 11 f., 16, 32,71 ff. Unparteilichkeit 64 f. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt 48 Vermögensverwaltung 18, 35,57,71 Vertrieb 14,35,57 Verwaltungsakt 12 f., 16 f., 21, 38 f. Verwaltungsvollstreckung 17, 38,50 f. Wettbewerb 68 f. Zulassungen 48 ff., 54 Zwang 37 f., 61 Zwangsbeiträge 14 ff.