Die Politik der Geselligkeit: Freimaurerlogen in der deutschen Bürgergesellschaft 1840-1918 9783666359118, 352535911X, 9783525359112

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Die Politik der Geselligkeit: Freimaurerlogen in der deutschen Bürgergesellschaft 1840-1918
 9783666359118, 352535911X, 9783525359112

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Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 141

V&R

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka Hans-Peter Ullmann, Hans-Ulrich Wehler

Band 141

Stefan-Ludwig Hoffmann Die Politik der Geselligkeit

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Die Politik der Geselligkeit Freimaurerlogen in der deutschen Bürgergesellschaft

1840-1918

von

Stefan-Ludwig Hoffmann

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Umschlagabbildung:

Aufnahme eines Novizen. Stahlstich von Henry Winkles, 1849 (Foto: AKG Berlin)

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Die Deutsche Bibliothek -

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CIP-Einheitsaufnahme

Hoffmann, Stefan-Ludwig: Die Politik der Geselligkeit. Freimaurerlogen in der deutschen Bürgergesellschaft 1840-1918 / von Stefan-Ludwig H o f f m a n n . Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 2000 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 141) Zugl.: Bielefeld, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-525-35911-X Gedruckt mit Unterstützung der Fazit-Stiftung, Frankfurt/Main; der Volkswagen Stiftung, Hannover und der Stiftung zur Förderung der Masonischen Forschung an Hochschulen und Universitäten, Köln. © 2000, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. - Printed in Germany. http://www.vandenhoeck-ruprecht.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Z u s t i m m u n g des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlag: Jürgen Kochinke, Holle. Satz: Text & Form, Pohle. Druck und Bindung: G u i d e - D r u c k G m b H , Tübingen. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.

Inhalt

Vorwort

9

Einleitung

11

I.

Freimaurerei und bürgerliche Gesellschaft seit dem 18. Jahrhundert

29

1.

Von der Freiheit im Geheimen zum Geheimnis der Freiheit: Aufklärung und Freimaurerei

29

2.

Die Gesellschaft der Bürger: Vom Vormärz bis zur Reichsgründung 2.1 Zeit des Zweifeins 2.2 Die Geselligkeit der Bürger 2.3 Ausmaß und Grenzen religiöser Toleranz 2.4 Revolution ohne Reform 2.5 Staat im Staate? Kirche in der Kirche? 2.6 Laboratorium der Bürgerlichkeit

46 50 54 70 78 95 115

Bürgerwelten, Bürgerpolitik: Von der Reichsgründung bis zum Weltkrieg 3.1 Konservatorium der Bürgerlichkeit? 3.2 Die Politik der Unpolitischen 3.3 Fortschritt oder Barbarei? Katholiken und Freimaurer 3.4 Fremde Brüder: Juden und Freimaurer

128 131 152 164 176

II.

Der bessere Mensch: Innenansichten der Logenkultur

203

1.

Die Kunst der Geselligkeit

203

2.

Das Band der Brüderlichkeit

213

2.1 Riten der Männlichkeit 2.2 Im intimen Land der Freundschaft 2.3 Väter und Söhne

217 224 232

3.

5

3.

2.4 Brüder und Schwestern 2.5 Der Blick von Außen

237 247

Das Mysterium der Bildung 3.1 Die Religion der Menschheit 3.2 Das »kranke Zeitalter«

255 256 266

III. Die Freunde der Menschheit und ihre Feinde: Die Freimaurer zwischen Nationalismus und moralischem Universalismus 1.

2.

Individuum, Nation, Menschheit: Zur Begriffsgeschichte idealer Einheiten Das Vaterland der Menschheit 2.1 Feindliche Brüder: Der Krieg von 1870/71 2.2 Eine »moralische Internationale«? Deutsch-französische Annäherungen 2.3 »Volkstum« und »Menschentum« vor 1914

283

283 295 297 302 310

Ausblick und Resümee: Krieg der Weltbürger

325

Abkürzungsverzeichnis

347

Anhang

349

Quellen- und Literaturverzeichnis

375

Register

415

6

Verzeichnis der Tabellen

Tab. 1.1: Tab. 1.2: Tab. 1.3: Tab. 1.4: Tab. 2.1: Tab. 2.2: Tab. 2.3: Tab. 2.4: Tab. 2.5: Tab. 3.1: Tab. 3.2: Tab. 3.3: Tab. 4.1: Tab. 4.2: Tab. 4.3: Tab. 5.1: Tab. 5.2: Tab. 5.3: Tab. 5.4: Tab. 5.5:

Mitgliederzahl der deutschen Großlogen 1840-1920 Mitgliederbewegung der deutschen Großlogen 1871-1914 .. Mitgliederzahl der größeren deutschen Freimaurerlogen 1862 und 1882 Freimaurer in den preußischen Ministerien im Jahr 1852 Sozialstruktur der Breslauer und Leipziger Logen im Jahr 1840 Sozialstruktur der Breslauer und Leipziger Logen im Jahr 1876 Sozialstruktur der Breslauer und Leipziger Logen im Jahr 1906 Sozialstruktur der Breslauer und Leipziger Logen im 19. Jahrhundert Sozialstruktur Breslauer Vereine 1875/76 Sozialstruktur der Vorstände der Breslauer und Leipziger Logen im Jahr 1840 Sozialstruktur der Vorstände der Breslauer und Leipziger Logen im Jahr 1876 Sozialstruktur der Vorstände der Breslauer und Leipziger Logen im Jahr 1906 Sozialstruktur der Breslauer und Leipziger Hochgradlogen im Jahr 1840 Sozialstruktur der Breslauer und Leipziger Hochgradlogen im Jahr 1876 Sozialstruktur der Breslauer und Leipziger Hochgradlogen im Jahr 1906 Mitgliedschaft der Leipziger Loge »Apollo« nach Konfession Mitgliedschaft der Leipziger Loge »Apollo« nach Bildungsweg und Verwandtschaft Jüdische Mitgliedschaft der Leipziger Loge »Apollo« Neuaufgenommene Mitglieder der Leipziger Loge »Balduin« nach Konfession 1836-1876 Mitglieder der Logen und der jüdischen Gemeinde in Breslau 1876 und 1906

350 353 136 100 354 356 357 359 360 361 362 363 365 366 367 368 369 370 72 371 7

Tab. 6.1: Tab. 6.2: Tab. 6.3:

Durchschnittsalter der Breslauer und Leipziger Freimaurer 1840-1906 Eintrittsalter der Breslauer und Leipziger Freimaurer 1840-1906 Altersstruktur der Breslauer und Leipziger Freimaurer 1840-1906

371 372 373

Verzeichnis der Abbildungen Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8:

8

Haus der Loge »Minerva« in Leipzig, erbaut 1905 Tempel im Ersten Grad der Loge »Minerva« Gebräuche bei der Aufnahme eines Novizen. Stahlstich von Henry Winkles, 1849 Gebräuche bei der Aufnahme eines Novizen. Stahlstich von Henry Winkles, 1849 Aufnahme eines Novizen. Stahlstich von Henry Winkles, 1849 Lovis Corinth, »Die Logenbrüder«, 1898/99 Das Leipziger Völkerschlachtdenkmal, erbaut 1898 bis 1913 Mitglieder der Feldloge »Zum aufgehenden Licht an der Somme« in St. Quentin

216 216 219 220 221 280 318 329

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Juli 1999 von der Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie der Universität Bielefeld als Dissertation angenommen und ist für den Druck überarbeitet worden. Ohne die stetige Förderung und fordernde Neugier von Hans-Ulrich Wehler hätte ich sie wohl nicht geschrieben. Reinhart Koselleck hat das Thema angeregt und die Fragestellung beeinflußt, wie die folgenden Seiten unschwer zu erkennen geben werden. Für die Dissertation konnte ich an meine M.A.-Thesis an der Johns Hopkins University in Baltimore zu den amerikanischen Freimaurerlogen anknüpfen. Insbesondere die Gespräche mit JoAnne Brown und Vernon Lidtke haben mir seinerzeit sehr geholfen. Ute Daniel (Braunschweig), Ute Frevert (Bielefeld), Wolfgang Hard twig (Berlin), Karin Hausen und Ulrike Weckel (Berlin), Lucian Hölscher (Bochum), Josef Mooser und Philipp Sarasin (Basel), Herfried Münkler (Berlin), James Retallack (Toronto) und Bernd Weisbrod (Göttingen) gaben mir die Gelegenheit, meine Thesen in ihren Kolloquien zu diskutieren. Kommentare zu einzelnen Fragen der Dissertation erhielt ich von David Blackbourn (Cambridge, Mass.) und Philip Nord (Princeton). Hinweise für die Überarbeitung des gesamten Manuskripts verdanke ich Heinz-Gerhard Haupt als Zweitgutachter der Dissertation sowie den Herausgebern der »Kritischen Studien«. Cornelius Torp hat die Druckfahnen sorgfältig Korrektur gelesen. Promotionsstipendien verliehen mir die Volkswagen-Stiftung und die FazitStiftung. Beide übernahmen auch den Großteil der Druckkosten, an denen sich darüber hinaus die Stiftung zur Förderung der Masonischen Forschung beteiligte. Den Abschluß des Manuskripts unterstützte großzügig Jürgen Stockmeier (Bielefeld). Für drei Monate war ich Gast des Zentrums für Höhere Studien an der Universität Leipzig und für sechs Monate zur Zeit der Uberarbeitung am Zentrum für Vergleichende Geschichte Europas an der Freien Universität Berlin. Die deutschen Großlogen erlaubten mir als einem Außenstehenden freundlicherweise den Einblick in ihre Aktenbestände. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der von mir benutzten Archive und Bibliotheken von Berlin bis Moskau halfen uneigennützig bei den Recherchen. Zu einem intellektuellen und geselligen Vergnügen wurde die Arbeit an der Dissertation durch meine Familie und meine Freunde, vor allem Marina Dafova, Svenja Goltermann, Marline Otte, Rebecca Jo Plant, Christian Geulen, Manfred Hettling, Michael Jeismann und Till van Rahden. Ihnen allen sei herzlich gedankt. Bochum, im August 2000

Stefan-Ludwig Hoffmann 9

Einleitung »Bowling alone« - unter diesem Titel hat der amerikanische Politikwissenschafler Robert Putnam 1995 eine Untersuchung veröffentlicht, die ein seiner Meinung nach alarmierendes Ergebnis enthielt. Obwohl mehr Amerikaner zum Kegeln gehen als je zuvor, hat der Anteil derjenigen erheblich abgenommen, die es im Verein tun. Auch die Mitgliedschaft in so unterschiedlichen Vereinigungen wie den Boy Scouts, dem Roten Kreuz oder den Freimaurerlogen sank dramatisch in den letzten dreißigjahren, ebenso die Teilhabe der Bürger an den Angelegenheiten ihres lokalen Gemeinwesens. N u r nationale Organisationen wie die »Amerikanische Vereinigung der Rentner«, die allein der Interessenvertretung dienen und kein gemeinsames geselliges Leben besitzen, scheinen nach wie vor zu florieren. 1 Was ist daran bedrohlich, könnte man fragen, wenn die Amerikaner sich heute nicht wie früher zur Geselligkeit zusammenfinden, wenn sie alleine kegeln oder fernsehen und ihre Interessen von Organisationen vertreten lassen, mit denen sie nur brieflich im Kontakt stehen? In Gefahr ist, so Putnam im Rückgriff auf die politische Theorie Tocquevilles, nichts weniger als die Grundlage der amerikanischen Bürgergesellschaft und Demokratie. 2 Denn die Bürgergesellschaft gründe nicht in der Folgebereitschaft der Individuen gegenüber dem Staat oder der kühlen Verfolgung ihrer Eigeninteressen, die wiederum ökonomischen Zwängen unterliegen, sondern in der Tugend der Bürger.3 Ohne Bürgertugend keine Bürgergesellschaft 1 Vgl. Putnam, Bowling Alone; ders., Disappearance. 2 Schon in seiner klassischen Studie über das Demokratiegefälle zwischen N o r d - und Süditalien hatte Putnam zu zeigen versucht, daß demokratische Institutionen auf der historischen Tradition ziviler Tugenden und Praktiken beruhen, die z.B. in Vereinen erworben werden. Putnam, Democracy, bes. S. 89ff.; ähnlich bereits: Almond u. Verba. 3 Vgl. z.B. Walzer, Zivile Gesellschaft, bes. S. 78fF. im Anschluß an Tocqueville zur »art of association«; außerdem: Gutman (Hg.). Als ideengeschichtlicher Überblick: Tester; Seligman, Civil Society. Eine andere Begriffsverwendung in der Tradition Hegels findet sich prägnant bei J. Kocka. Die »bürgerliche Gesellschaft« sei »ein Modell wirtschaftlicher, sozialer und politischer Ordnung, die in Überwindung des Absolutismus, geburtsständischer Privilegien und klerikaler Gängelung das Prinzip rechtlich geregelter individueller Freiheit für alle realisiert, das Zusammenleben der Menschen nach Maßgabe der Vernunft gewährleistet, die Ökonomie auf der Grundlage rechtlicher geregelter Konkurrenz marktförmig organisiert, die Lebenschancen nach Maßgabe von Leistung und Verdienst verteilt, die staatliche Macht im Sinne des liberalen Rechtsund Verfassungsstaats einerseits begrenzt und andererseits über Öffentlichkeit, Wahlen und Repräsentativorgane an den Willen mündiger Bürger zurückbindet und den Bereich von Kunst, Wissenschaft und Religion nicht nur im Sinne der [...] bürgerlichen Kultur strukturiert, sondern diesem Bereich zugleich ein hohes Maß von Selbstbestimmung (Autonomie) gewährt.« Kocka, Muster, S. 23.

11

- so lautet die Grundregel dieser politischen Theorie. U n d die Tugend der Bürger entfaltet sich allein in ihrer Wechselwirkung, in der Geselligkeit. »Nur durch die gegenseitige Wirkung der Menschen aufeinander«, schrieb Tocqueville 1840, »erneuern sich die Gefühle und die Gedanken, weitet sich das Herz und entfaltet sich der Geist der Menschen.« Diese Wechselwirkung, die in der ständischen Gesellschaft festen Regeln unterlag, muß in der Bürgergesellschaft künstlich hervorgerufen werden. »Und das allein können die Vereinigungen tun.«4 Die »Versittlichung« der Menschen steht mithin in einem inneren Zusammenhang mit der »Zivilität« der von ihnen gebildeten Gesellschaft. »Unter den Gesetzen, denen die menschlichen Gesellschaften unterstehen«, so weiter Tocqueville, »gibt es eines, das genauer und klarer erscheint als alle andern. Damit die Menschen gesittet bleiben oder es werden, muß sich unter ihnen die Kunst der Vereinigung in dem Grade entwickeln und vervollkommnen, wie die gesellschaftlichen Bedingungen sich ausgleichen.« 5 Das bedeutet umgekehrt auch, und diese Sorge teilen Putnam und Tocqueville: In dem Maße, wie sich das verbindende Band der Individuen, das ihre Tugend garantiert, lockert, erodieren die politischen Fundamente der Bürgergesellschaft. Je weniger sich die Bürger in der »Kunst der Geselligkeit« üben, desto mehr verschwindet in der Gesellschaft das Moment ihrer »Zivilität«.6 Wie eine demokratische Gesellschaft aussieht, die sich ihrer politischen Grundlagen nicht mehr in der Geselligkeit ihrer Bürger versichert, hat Tocqueville mit einem apokalyptischen Bild beschrieben: »Ich erblicke eine Menge einander ähnlicher und gleichgestellter Menschen, die sich rastlos im Kreise drehen, um sich kleine und gewöhnliche Vergnügen zu verschaffen, die ihr Gemüt ausfüllen. Jeder steht in seiner Vereinzelung dem Schicksal aller anderen fremd gegenüber: seine Kinder und seine persönlichen Freunde verkörpern für ihn das Menschengeschlecht; was die übrigen Mitbürger angeht, so steht er neben ihnen, aber er sieht sie nicht; er berührt sie, und er fühlt sie nicht; er ist nur in sich und für sich allein vorhanden. [...] Uber diesen erhebt sich eine gewaltige, bevormundende Macht, die allein dafür sorgt, ihre Genüsse zu sichern und ihr Schicksal zu überwachen. Sie ist unumschränkt, ins einzelne gehend, regelmäßig, vorsorglich und mild. Sie wäre der väterlichen Gewalt 4 Tocqueville, S. 164. D e r zweite Teil v o n »Demokratie in Amerika« dient Tocqueville in erster Linie zur E n t w i c k l u n g einer allgemeinen T h e o r i e der bürgerlichen Gesellschaft u n d f ü h r t die konkreten Verhältnisse in den Vereinigten Staaten oft n u r zur Illustration an. 5 Ebd., S. 166f. 6 Z u m Begriff der »Bürgertugend« vgl. Münkler, Subsidiarität; ders., Zivilgesellschaft; ders., Politische T u g e n d ; ders., Idee der T u g e n d . Klassisch z u m republikanischen Tugendbegriff: Pocock, Machiavellian M o m e n t ; ders., Machiavellian M o m e n t Revisited; ders., Bürgergesellschaft; ferner: Nolte, G e m e i n d e b ü r g e r t u m . Als einen der wenigen Versuche, die Problemstellung des f r ü h n e u zeitlichen »klassischen Republikanismus« auch f ü r die politische T h e o r i e nach 1850 zu diskutieren: Münkler (Hg.), Bürgerreligion.

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gleich, wenn sie wie diese das Ziel verfolgte, die Menschen auf das reife Alter vorzubereiten; statt dessen aber sucht sie bloß, sie unwiderruflich im Zustand der Kindheit festzuhalten«.7 Putnam mag dieses Szenario vor Augen gehabt haben, als er die Vereinzelung der Amerikaner selbst beim Kegeln als alarmierend empfand. Die unpolitische Geselligkeit besitzt, so könnte das Argument Tocquevilles zugespitzt werden, in der Bürgergesellschaft eine politische Dimension. Die »neue politische Wissenschaft«, die Tocqueville als »Grundwissenschaft der bürgerlichen Gesellschaft« begründen wollte, sollte sich vornehmlich mit der »Kunst der Vereinigung« - der Geselligkeit - beschäftigen. Von ihrem Fortschritt hänge der Fortschritt aller anderen Wissenschaften ab.8 In den Debatten über die deutsche Demokratie seit 1989/90 spielten die Thesen Tocquevilles freilich aus vielfältigen Gründen keine Rolle und das, obwohl »Zivilgesellschaft« das Modewort dieser Debatten war. Bereits der Sprachgebrauch deutet auf einige dieser Gründe hin: Daß in den deutschen Debatten von »Zivilgesellschaft«, aber nicht von »bürgerlicher Gesellschaft« oder zumindest von »Bürgergesellschaft« gesprochen wird, soll die vermeintliche Neuheit der politischen Vision herausstellen. Der Neologismus »Zivilgesellschaft« suggeriert, der englische Begriff der »civil society« und seine historische Tradition besitze im Deutschen kein Äquivalent. Von den pejorativen historischen Konnotationen befreit, die dem Bürgerbegriff im Deutschen scheinbar noch immer anhaften, kann die wechselvolle Geschichte dieser politischen Vision, können ihre Brüche und Ambivalenzen leichter »entsorgt« werden. Die »Zivilgesellschaft« besitzt, könnte man meinen, in Deutschland keine Vergangenheit, sondern nur eine Zukunft. Ahnlich pejorative Konnotationen wie der Bürgerbegriff besitzt im deutschen Sprachgebrauch des 20. Jahrhunderts der Begriff der Tugend. War »Tugend« im Deutschen wie im Französischen zunächst mit der Aufklärung verbunden, erfuhr der Begriff seit dem späten 19. Jahrhundert von Rechts, und noch verstärkt, aber unter umgekehrten politischen Vorzeichen, nach 1945 eine dramatische Entwertung. Die Rede von den »Sekundärtugenden«, die vermeintlich am Aufstieg des Nationalsozialismus ihren Anteil gehabt hätten, trug dazu bei, in den Worten Herfried Münklers, die Zweitrangigkeit der Tugend begrifflich festzuschreiben: »Tugend ist sekundär«.9 Die Berufung auf den inneren Zusammenhang von Bürgermoral und Bürgergesellschaft, den heute z.B. die amerikanischen Kommunitaristen vertreten, wirkt deshalb auf die deutschen Denker der Zivilgesellschaft als konservativ und wenig zeitgemäß.10 Die Idee, daß es neben dem Markt und der Verfassung noch einer dritten Grundsäule der Bürgergesellschaft bedarf - der Moralität der Bürger, die jene 7 8 9 10

Tocqueville, S. 463. Ebd., S. 166. Vgl. Hennis, Tocqueville, bes. S. 396fF. Münkler, Zivilgesellschaft, S. 8. Z.B. Walzer, Zivile Gesellschaft; Honneth.

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in ihrer Wechselwirkung, in der »Kunst der Geselligkeit« gewinnen - erscheint den deutschen Denkern der Zivilgesellschaft von Jürgen Habermas bis Ulrich Beck als zweifelhaft. 11 So fremd den deutschen Theoretikern der Zivilgesellschaft heute der Z u sammenhang von Bürgermoral und Bürgergesellschaft ist, so vertraut war er ihren »Praktikern« im »langen 19. Jahrhundert«. 1 2 Das ist die erste Grundannahme, welche die vorliegende Arbeit leitet. Kaum eine andere Gesellschaft außer der amerikanischen war im 19. Jahrhundert so »gesellig« wie die deutsche. Die Zeitgenossen sprachen von einer regelrechten »Vereinswut«, zuerst im U b e r gang von der ständischen Gesellschaft zur Bürgergesellschaft v o m Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Revolution von 1848/49, schließlich noch verstärkt zur Zeit der Entfaltung der Bürgergesellschaft von den sechziger Jahren bis z u m Ersten Weltkrieg. 13 In der zweckfreien Geselligkeit der Bürger sollte ihre »Zivilität«, im zeitgenössischen Sprachgebrauch: ihre »Humanität«, »Sittlichkeit« u n d »Bildung« gehoben werden. Bürgermoral und Bürgergesellschaft, »Tugendübung« und »bürgerlicher Verein« gehörten zusammen. 1 4 Der Anspruch, den die in den Vereinen versammelten Bürger formulierten, war ein politischmoralischer: Die »Zivilisierung« des Selbst in der Wechselwirkung mit anderen sollte Bürgersinn und, darüber hinweggreifend, Weltbürgersinn erzeugen. Daß die Teilhabe an der geselligen Kultur einer Stadt im bürgerlichen Verein an bestimmte Kriterien gebunden war, wie Bildung, Selbständigkeit und Männlichkeit, verweist auf die politische Zweischneidigkeit der Bürgerlichkeit. Die Bürger des 19. Jahrhunderts proklamierten ein Wertesystem, das f ü r alle Menschen gültig sein sollte u n d identifizierten dennoch diese Werte zuerst mit jenen, die ihren sozialen und moralischen Anforderungen schon genügten. 15 Der deutsche Bürgerbegriff, der sowohl politisch-rechtlich den »citoyen« als auch sozial-moralisch den »bourgeois« umfaßt, zeigt diese Zweischneidig-

11 Vgl. die Kritik bei Münkler, Zivilgesellschaft. 12 Der Begriff »Praktiker der Bürgergesellschaft« nach Hull, Sexuality, S. 2. Im folgenden wird der Begriff »bürgerliche Gesellschaft« für die sich wandelnde Zielvision, der Begriff»Bürgergesellschaft« fur ihre lokal und politisch-sozial begrenzte historische Konkretisierung im 19. Jahrhundert verwendet. 13 Z u m Vereinswesen vgl. die Literatur in Teil I, Kap. 2. 14 Klassisch: C.T. v. Welcker, Bürgertugend und Bürgersinn, in: ders. u. C. Rotteck (Hg.), Das Staatslexikon. Encyklopädie der sämtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, 1. Suppl. Bd., Altona 1846, S. 748-758, hier S. 750. 15 Dieses grundlegende Spannungsverhältnis wurde in der Debatte über die »Bürgerlichkeit« der deutschen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts angesprochen. Vgl. Blackbourn, Discreet Charm, bes. S. 206-237; ders., Kommentar; ders., German Bourgeoisie; Eley, Deutsche Geschichte; Gall, Liberalismus; ders.,»... ich wünschte ...«; Kocka, Muster; ders., Middle Class; Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 1, bes. S. 812-834; Sheehan, Wie bürgerlich; Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, bes. S. 763-771; ders., Wie »bürgerlich«; ders., Deutsches Bildungsbürgertum; ders., Zielutopie. Vgl. allg. den Forschungsüberblick bei Gall (Hg.), Bürgertum und bürgerlich-liberale Bewegung, u. Sperber, Bürger.

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keit an. Es ist diese Spannung zwischen universalen Ansprüchen und sozialmoralischer Exklusivität, so die zweite Grundannahme dieser Arbeit, die zur Vision einer engen Verknüpfung von Bürgertugend und Bürgergesellschaft im 19. Jahrhundert gehört hat - ungeachtet aller romantisierenden Ideen über eine solche Verknüpfung, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sich im Wunschbild einer »klassenlosen Bürgergesellschaft« (Lother Gall) bündelten und die heute bei Putnam und anderen mitschwingen. 16 Die »Kunst der Geselligkeit« sollte nicht n u r bessere Bürger und Menschen hervorbringen, sie stand auch n u r solchen offen, von denen geglaubt wurde, daß sie es zumindest teilweise schon waren. Von diesem moralischen Uberlegenheitsgefühl leiteten die Bürger einen Führungsanspruch in der lokalen Gesellschaft, in der Nation u n d in einem übertragenen Sinne für die ganze Menschheit ab. Auch in dieser H i n sicht war die Geselligkeit politisch. Die Frage lautet, welche Resultate dieser Glaube an die eigene Zivilität in den verschiedenen politischen und sozialen Konflikten des 19. Jahrhunderts zeitigte. Es zeigt sich, daß der Z u s a m m e n h a n g von Geselligkeit u n d Demokratisierung nicht so eindeutig war, wie Tocqueville und andere liberale Denker glaubten. Z u den wichtigsten Aktivitäten bürgerlicher Assoziationen gehörte der Ausschluß und der Wunsch nach politischmoralischer »Erziehung« jener, die nicht als »zivilisiert« galten, wie neuere vergleichende Studien zeigen. 17 Die dritte Grundannahme der vorliegenden Arbeit lautet, daß sich die Spann u n g zwischen universalem Anspruch und sozial-moralischer Exklusivität im Laufe des 19. Jahrhunderts in d e m Maße verschärfte, wie sich die Bürgergesellschaft entfaltete, wie sich Bürgerlichkeit (»Zivilität«) als kulturelles Muster verallgemeinerte. In dieser Verallgemeinerung sahen die Bürger am Ende des Jahrhunderts eine Bedrohung: Der enge Z u s a m m e n h a n g von Bürgergesellschaft und Bürgermoral, die Tugend selbst schien in Gefahr und mit ihr die politischmoralische Vision der bürgerlichen Gesellschaft. Der Wunsch nach »Versittlichung« des einzelnen, der lokalen Bürgergesellschaft, der Nation, schließlich der Menschheit insgesamt hat immer das »Andere«, das diese politische Vision bedroht, mit hervorgebracht. 18 Paradoxerweise ist es dieses »Andere«, das den Wunsch nach vollkommener »Zivilisierung« antreibt und zugleich verhindert, daß sich dieser Wunsch j e erfüllt. Das Andere soll einbezogen, »zivilisiert« werden, im »allgemein Menschlichen« aufgehen, und doch läßt sich die eigene überlegene Zivilität n u r behaupten, solange es ihr Gegenteil gibt - im eigenen Selbst, in der lokalen Bürgergesellschaft, der Nation, der Menschheit.

16 Vgl. z.B. die Kritik an P u t n a m bei Tarrow; Schudson u.a.; Skocpol, Tocqueville; Graf u.a. 17 Harrison, Unsociable F r e n c h m e n , S. 51; dies., Bourgeois Citizen; allg. Nord, Introduction; Trentmann. 18 Vgl .Alexander.

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Das Vorbild u n d zugleich eine der ältesten F o r m e n geselliger Vereinigungen w a r e n die Freimaurerlogen. Die Logen w a r e n eine der Vision der bürgerlichen Gesellschaft eigentümliche Geselligkeitsform, gleichsam ein Modell der Bürgergesellschaft: »Ihrem Wesen nach ist die Freimaurerei eben so alt wie die bürgerliche Gesellschaft«, heißt es schon 1779 in Lessings »Freimaurergesprächen«. »Beide k o n n t e n nicht anders als miteinander entstehen - w e n n nicht gar die bürgerliche Gesellschaft n u r ein Sprößling der Freimaurerei ist.«19 Als Institution haben die Logen mit d a f ü r gesorgt, daß Ideen u n d Praktiken des 18. J a h r h u n d e r t s m i t zeitgebundenen Veränderungen sozial wirkungsvoll bis ins f r ü h e 20. J a h r h u n d e r t überdauert haben. A m Beispiel der Logen läßt sich folglich der Z u s a m m e n h a n g v o n Bürgermoral u n d Bürgergesellschaft im diachron e n Längsschnitt d u r c h das 19. J a h r h u n d e r t analysieren. D i e Geschichte der europäischen Freimaurerlogen im 19. J a h r h u n d e r t ist weitgehend ein unbekanntes Gebiet. 20 Z u w e i l e n erregt es sogar Verwunderung, daß es sie ü b e r h a u p t in j e n e r Zeit n o c h gegeben hat. Schließlich lag ihr »historischer Ort« im Zeitalter der Aufklärung als besonderer Teil der entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit, als eine n e u e F o r m der Geselligkeit, in der sich bürgerliche u n d adlige Eliten einen gemeinsamen K o m m u n i k a t i o n s r a u m im Vorfeld von 1789 schufen. Das Ziel der Logen war es, jenseits der ständischen, konfessionellen u n d politischen Beschränkungen, sowohl der alten politischen O r d n u n g als auch der sich herausbildenden Bürgergesellschaft, eine F o r m der Geselligkeit zu ermöglichen, in der die »Parität des bloß Menschlichen« (Jürgen Habermas) die partikularen Interessen des einzelnen ü b e r w i n d e t u n d ihn zur Bildung im Sinne von Selbstbildung der eigenen Individualität anhält. 21 D i e bürgerliche Gesellschaft könne, »ganz ihrer Absicht entgegen«, wie Lessing meinte, die M e n s c h e n nicht vereinigen, »ohne sie zu trennen, o h n e Klüfte zwischen ihnen zu befestigen, o h n e Scheidemauern d u r c h sie hinzuziehen«, so daß sich nicht »bloße M e n s c h e n gegen bloße Menschen«, sondern i m m e r »solche M e n s c h e n gegen solche Menschen« zueinander verhielten. Dagegen sei es das Ziel der Freimaurerei, »jene Trennungen, w o d u r c h die M e n s c h e n einander so f r e m d w e r d e n , so e n g als möglich wieder zusammenzuziehen«. 2 2 M i t dieser Zielvision n a h m Lessing A r g u m e n t e Tocquevilles v o r w e g u n d verwies auf die politischen Implikationen der aufgeklärten Geselligkeit. M e h r als j e d e andere Soziabilitätsform des 18. J a h r h u n d e r t s haben die Freimaurerlogen aufgeklärte Ideen in Rituale u n d soziale Praktiken umgegossen, welche die »Zivilisierung« der Logenbrüder bezweckten. In diesem übertragenen Sinne 19 Lessing, S. 47f. 20 Z u r Geschichte der deutschen Freimaurerlogen im 19. J a h r h u n d e r t liegt k a u m wissenschaftliche Literatur vor. Vgl. allein die hervorragende Studie von Katz, Jews. N u r m i t Vorsicht zu benutzen, ist die freimaurerische Literatur, vgl. allg. Wolfstieg, Bibliographie. 21 Habermas, Strukturwandel, S. 97. 22 Lessing, S. 24ff.

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wurde in ihnen, wie Margaret Jacob formuliert, »die Aufklärung gelebt«, waren sie »bürgerlich [zivil] und deshalb politisch«, indem sie als Mikrokosmen der entstehenden Bürgergesellschaft dienten. 23 Auch wenn es verfehlt wäre zu glauben, die Freimaurer seien die geheimen Drahtzieher des Tugend-Terrors der Französischen Revolution gewesen (tatsächlich gehörten sie zu seinen ersten Opfern), besaß die vorpolitische, moralische Semantik und soziale Praxis der Logen doch eine politische Spitze. Gerade hieran knüpfte das Interesse an den Logen in den bekannten Studien von Koselleck und Habermas an.24 Die theoretischen Prämissen, die beide Studien formuliert haben, und der zeitliche Bogen vom 18. ins 20. Jahrhundert, den sie implizit spannen, machen es reizvoll, nach dem Schicksal aufgeklärter Geselligkeitsformen und der langen Dauer ihrer politisch-moralischen Semantik im 19. Jahrhundert zu fragen. Diesem Anspruch liegt kein lineares Geschichtsdenken zugrunde. Im Gegenteil, gerade die Forschungen zu Aufklärung und Französischer Revolution haben sich gegen die »Chimäre des Ursprungs« (Michel Foucault) gewandt und das Augenmerk auf die Diskontinuität, Kontingenz und Historizität der politischen und gesellschaftlichen Umbrüche vor und nach 1789 gelenkt.25 In diesem Sinne soll die umfangreiche neuere Literatur zur Soziabilitätsgeschichte der Aufklärung- die eines jener Gebiete darstellt, auf denen sich in der historischen Forschung die »kulturelle Wende« frühzeitig abzeichnete - hier für eine politische Kulturgeschichte bürgerlicher Geselligkeit im 19. Jahrhundert aufgegriffen werden, wobei gerade nicht die neuen Formen der Assoziationsbildung (Verein, Partei), sondern als politisch-moralischer Überhang des 18. Jahrhunderts die sehr viel älteren Freimaurerlogen im Zentrum stehen. 26 Damit wird ein neues historisches Interesse an scheinbar unzeitgemäßen kulturellen Phänomenen aufgegriffen, das sich gegen ein allzu lineares, modernisierungstheoretisches Geschichtsbild richtet. Z u denken ist für das 19. Jahrhundert etwa an die Kulturgeschichte des Duells, der Höfe und des Hoftheaters, der religiösen Erweckungsbewegungen und Marienerscheinungen, überhaupt an die Geschichte von Ideen, Vorstellungen und kulturellen Praktiken, in denen sich auf zunächst irritierende Art und Weise frühneuzeitliche und moderne Elemente überlagern. 27 23 Jacob, Living; dies., E n l i g h t e n m e n t Redefined, S. 495. Die umfangreiche Literatur zu A u f klärung u n d Freimaurerei wird im nachfolgenden Kapitel diskutiert. 24 Vgl. Koselleck, Kritik; Habermas, Strukturwandel. Die Kritik von Schwartz, wird d e m anregenden Potential, das Kosellecks Studie auch nach vierzigJahren noch besitzt, nicht gerecht. Vgl. dagegen kritisch und w e i t e r f ü h r e n d zu Koselleck u n d Habermas: La Vopa, Public; ferner: Goodman, Public Sphere; Brewer; Calhoun (Hg.), Habermas; Cohen u.Arato, bes. Kap. 5: T h e Historicist Critique: Carl Schmitt, Reinhart Koselleck, and J ü r g e n H a b e r m a s . 25 Foucault, Nietzsche, S. 73. Vgl. z.B. Chartier, C h i m e r a ; Baker. 26 Vgl. als Überblick: La Vopa, Public; Goodman, Public Sphere; Schräder, Soziabilitätsgeschichte. 27 Vgl. z.B. Frevert, E h r e n m ä n n e r ; Daniel; Blackbourn, Marpingen.

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D e r Gang der U n t e r s u c h u n g erfolgt in drei Schritten, die unterschiedliche, sich wechselseitig ergänzende Zugänge zur Geschichte der Logen eröffnen. Eine Gesamtdarstellung der Freimaurerlogen im 19. Jahrhundert, zumal im europäischen Vergleich, ist ein Desiderat, kann aber nicht das Ziel dieser Arbeit sein. Vielmehr dienen die Logen n u r als Fallbeispiel zur kritischen U b e r p r ü f u n g der vorn erwähnten Fragen u n d G r u n d a n n a h m e n . Erstens gilt es die wechselnde Bedeutung der Freimaurerlogen innerhalb zweier lokaler Bürgergesellschaften im diachronen Längsschnitt durch das »lange 19. Jahrhundert« herauszuarbeiten. Zweitens werden der Sprachgebrauch und die kulturellen Praktiken im Innern der Logen untersucht, die eine »Verbesserung des Selbst« zur Bürgertugend bewirken sollten. Schließlich wird, drittens, die Wendung der moralischen Semantik ins Nationale am Beispiel der Logenreden analysiert, wobei das Hauptaugenmerk auf die Zeit v o m deutsch-französischen Krieg von 1870/71 bis z u m Ersten Weltkrieg fällt. Ein Ausblick auf die wechselvolle Geschichte der Freimaurerei im »neuen Dreißigjährigen Krieg« ( R a y m o n d A r o n ) seit 1914 u n d ein Resümee der Ergebnisse beschließen die Untersuchung. Im ersten Schritt geht es u m die Frage, welche sich wandelnde Bedeutung die Logen f ü r die soziale Konkretisierung der deutschen Bürgergesellschaften zwischen Vormärz und Erstem Weltkrieg besaßen, auch in der Abgrenzung von (oder Annäherung an) Staat, Monarchie und Kirche. Fast alle Studien z u m Z u s a m m e n h a n g von Individualisierung und Assoziationsbildung konzentrieren sich auf die Entstehungsphase deutscher Bürgergesellschaften in der sogenannten Sattelzeit (1750-1850). 28 Es wird als gegeben angenommen, daß für den späteren Zeitraum dem Verein weniger Bedeutung zukam, obgleich sich das Assoziationswesen seit den sechziger und siebziger Jahren explosionsartig ausweitete und im Kaiserreich alle Bereiche der deutschen Gesellschaft durchdrang. 29 U m Konstanz und Wandel bürgerlicher Geselligkeit zu erfassen, wird das zeitliche Schwergewicht der U n t e r s u c h u n g deshalb hier auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts gelegt, zumal die Sozialgeschichte der Logen für diesen Zeitraum noch nicht einmal in groben Z ü g e n bekannt ist. Z u d e m

28 Vgl. z.B. die grundlegenden Studien des Frankfurter Bürgertumsprojekts, die zwar teilweise bis 1914 verlängert w u r d e n , die aber das Vereinswesen f ü r die Zeit nach 1860 n u r selten e m p i risch oder argumentativ einbeziehen. D e r G r u n d h i e r f ü r ist die Ausgangsthese des Projekts, es habe zwischen traditionaler u n d m o d e r n e r Gesellschaft die Zwischenphase einer »klassenlosen Bürgergesellschaft« in der ersten Hälfte des 19. J a h r h u n d e r t s gegeben. Das Vereinswesen wird als wichtigster sozialer Konstituierungsort einer solchen egalitären Gesellschaft angesehen. Die Logen sprengen diese T h e s e in m e h r f a c h e r Hinsicht, z u m einen rein formal dadurch, daß sie ein P r o d u k t der traditionalen Gesellschaft des Ancien Regime (und nicht der »klassenlosen Bürgergesellschaft«) sind, z u m anderen, daß ihre, sozialgeschichtlich gesehen, bedeutendste Zeit wie bei vielen anderen bürgerlichen Vereinen auch in die 1860er u n d 1870er Jahre fällt. Vgl. z u s a m m e n fassend Gall (Hg.), Übergang; sowie die Diskussion der entsprechenden Literatur in Teil I, Kap. 2. 29 Vgl. Tenfelde, Entfaltung; f ü r die europäischen Bürgergesellschaften seit d e n 1860er J a h r e n allg. Nord, Introduction, in: ders. (Hg), Civil Society.

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scheint gerade für die zweite Jahrhunderthälfte der Vergleich der deutschen Freimaurerei mit den französischen und amerikanischen Logen besonders aufschlußreich zu sein, gelten doch z.B. die französischen Freimaurer als politische Vorkämpfer und soziale Stützpfeiler der Dritten Republik, die amerikanischen Logen ganz allgemein als kulturelles Vorbild jener zahllosen Vereinigungen und geheimen Gesellschaften, die das Rückgrat der amerikanischen Bürgergesellschaft nach dem Bürgerkrieg formten. 30 Zu fragen ist, wem die Teilhabe an dieser Form der geselligen Kultur einer Stadt möglich und wer davon ausgeschlossen war - und zwar aufgrund welcher sozialen, geschlechtsspezifischen, konfessionellen und ethnischen (»rassischen«) Kriterien. Es geht mithin um die Grenzen, welche der politisch-moralische Anspruch der Logen zog und ihre semantischen Begründungen. Sozialgeschichtlich wird zum einen bestimmt, welche Berufe und Altersgruppen, Konfessionen und Parteiorientierungen sich zwischen 1840 und 1914 in den Logen finden und welche Veränderungen es in der Zusammensetzung gab. Z u m anderen ermöglichen die überlieferten abgelehnten Aufnahmeanträge und die z.T. langwierigen Verhandlungen einzelner Fälle auch umgekehrt die Beantwortung der Frage, wer als nicht »respektabel« galt - und mit welcher Begründung. Der sozialgeschichtliche Befund wird daher bezogen auf das Selbstverständnis und die Sprache der Distinktion. Mehr noch als die sozialen und geschlechtsspezifischen Grenzen (die letzteren werden im zweiten Teil ausführlich behandelt) widersprachen die konfessionellen ganz offensichtlich der menschheitlichen Semantik der Freimaurerei. Einem neueren Forschungstrend folgend, fragt auch diese Arbeit nach der grundlegenden Bedeutung konfessioneller Spannungen für die deutsche Bürgergesellschaft des 19. Jahrhunderts. 3 ' Von besonderer Bedeutung für das Selbstverständnis der Logen war der Konflikt mit dem Katholizismus, der zwar im Kulturkampf seinen Höhepunkt hatte, sich aber durch das gesamte 19. Jahrhundert bis in den Weltkrieg hineinzog. Sodann spaltete die Frage nach dem Ein- und Ausschluß von Juden die Logen seit den frühen vierziger Jahren des Jahrhunderts in eine liberale (z.B. in großen Handelsstädten wie Leipzig, Hamburg oder Frankfurt) und eine konservative Richtung (v.a. in Preußen, mit Zentren in Berlin und Breslau). U m einen Vergleich dieser beiden Richtungen zu ermöglichen, konzentriert sich die Untersuchung auf die Freimaurerlogen in Leipzig und Breslau.32 Die Er30 Vgl. Nord, Republicanism; ders., Republican M o m e n t , bes. Kap. 1: Freemasonry; Halpem\ Eine vergleichende Studie des deutschen u n d französischen Logenwesens im 19. J a h r h u n d e r t ist ein Forschungsdesiderat. Vgl. Schräder, Elitenproduktion. F ü r die U S A : Dumenil·, Carnes, Secret Ritual; Fels, Square; Clawson; Rosenzweig, 31 Vgl. z.B. Sperber, Catholicism; Anderson, Piety; Mergel, Klasse; Hölscher, Entzweiung; Smith, Nationalism; Herzog, Intimacy; Gross, Anti-Catholicism; Healy, Jesuit; van Rahden, J u d e n . 32 Die Geschichte des B ü r g e r t u m s in Breslau u n d Leipzig wird erst seit k u r z e m genauer u n tersucht. Vgl. zu Breslau jetzt grundlegend van Rahden, J u d e n ; ders., Mingling; Heuling, H o c h b u r g ,

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gebnisse werden außerdem auf regionaler (Preußen und Sachsen) und nationaler Ebene (Deutschland, Frankreich und die Vereinigten Staaten) verglichen. In einem zweiten Schritt wechselt die Perspektive von außen nach innen. Im Mittelpunkt stehen der Sprachgebrauch und die kulturellen Praktiken, die in den Logen die Utopie des »besseren Menschen« verwirklichen helfen sollten.33 Die Loge wollte eine »Erziehungsanstalt zur Humanität für Männer« sein, eine Schule der Bürgertugend. 34 Eine solche Erziehung schien auch im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der Öffentlichkeit, nur in exklusiven sozialen Räumen möglich, die im Falle der Logen sogar noch das Geheimnis schützte. Solche sozialen Räume waren aus der Bürgergesellschaft und ihrem politischen Alltag herausgelöst. Es wäre freilich verfehlt, den Rückzug in solche »moralischen Innenräume« als einen unpolitischen Eskapismus anzusehen. Vielmehr sollten die Bürger in ihnen lernen, sich selbst zu regieren, sich zu vervollkommnen, um wieder in die Gesellschaft hineinwirken zu können. Zuerst soll dieser politisch-ideelle Kern der »Kunst der Geselligkeit« am Beispiel der Freimaurer herausgearbeitet und historisiert werden. Eine Interpretation der komplizierten Regeln und Rituale der Logen, die ein »Band der Brüderlichkeit« knüpfen sollten, liefert das nachfolgende Kapitel. Das Interesse gilt nicht nur dem Innenleben der Logen oder allgemein der »geselligen Kultur«, die auch in der Vereinsforschung seit kurzem (zuweilen im Anschluß an das von französischen Historikern entwickelte Konzept der »sociabilite«) in das Blickfeld genommen wird, 35 sondern auch den konkreten »Praktiken des Selbst«. Die Rituale machten die politisch-moralischen Ordnungsideen der Logen körperlich erfahrbar; sie sollten die Tugend des einzelnen fördern, ihn »zivilisieren«, bis sie zu einer, in den Worten Simmeis, »von Innen her wirkenden Verfassung« wurde. 36

sowie, allerdings über die lokale bürgerliche Geselligkeit u n d Politik hinweggreifend u n d das B ü r g e r t u m , einschließlich seiner sozio-ökonomischen Bedingungen, als politische H a n d l u n g s einheit beschreibend: ders., Bürgerlichkeit. Eine Reihe neuerer Studien z u m Leipziger B ü r g e r t u m steht kurz vor der Veröffentlichung, z.B. von R. Beachy (Chicago) über städtische Eliten in Leipzig 1680-1830, v o n T . Maentel (Frankfurt a.M.) z u m selben T h e m a f ü r die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, von P. Björnsson (Rochester) ü b e r Liberalismus u n d Männlichkeit a m Beispiel Leipzigs 1848-1871, v o n P . J o h n s o n (Cambridge, Mass.) z u m Leipziger B ü r g e r t u m im Kaiserreich u n d von M . M e n n i n g e r (Cambridge, Mass.) z u m Leipziger M ä z e n a t e n t u m , 1848-1914. Vgl. ferner d e n u m f a s s e n d e n Forschungsüberblick zur sächsischen Geschichte von Retallack, Society. 33 Vgl. hierzu im Anschluß an die Ritualtheorien V. T u r n e r s : Carries, Secret Ritual; ders., Middle-Class M e n . 34 Bluntschli, Freimaurer, S. 753. 35 Vg\.Agulhon, Cercle; ders., Penitents; Francois u. Reichardt, Sociabilite; Rekhardt, u. die Beiträge in Francois (Hg.), Sociabilite; ferner Tacke, D e n k m a l , die d e n nationalen D e n k m a l k u l t als soziale Distinktionspraxis bürgerlicher Eliten begreift, sowie die Beiträge zu »Geselligkeit als Kultur« in: Hein u. Schulz (Hg.), Bürgerkultur; u. Linke. 3 6 Simmel, Soziologie, S. 653. Z u anderen kulturellen Praktiken der »Zivilisierung« u n d »Einschreibung« in d e n Körper, wie u m g e k e h r t der »Verkörperung« u n d »Repräsentation«: vgl. z.B. Goltermann, Körper; dies., Doppelgänger; McMillan; Sarasin, Subjekte.

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Der Kult der Brüderlichkeit war ein ausgesprochener Männlichkeitskult. Inwiefern ist, so die Frage in diesem Kapitel, die Idee der Zivilisierung des Selbst, der Bürgergesellschaft, schließlich der Menschheit geschlechtsspezifisch präfiguriert? Damit zusammen hängt die Frage, welche im dritten Kapitel behandelt werden soll: Gehört zur Idee der Bürgertugend auch eine spezifische Form der Religiosität, eine Bürgerreligion, die sich wiederum von einer »weiblichen Religiosität« unterscheidet? Wie sieht die bürgerliche Religiosität, die für die Logen typisch ist, aus? Worin lag ihre Anziehungskraft auch im letzten Drittel des Jahrhunderts, ungeachtet der Tendenz zur Verwissenschaftlichung und Entkirchlichung? Warum wurde die Krise der Bürgergesellschaft vor 1914 von dem in den Logen versammelten gehobenen Bürgertum als eine moralische wahrgenommen? Zeugt diese moralische Kulturkritik von einem »Defizit an Bürgerlichkeit« oder von einem Festhalten an einem bürgerlichen Führungsund Reformanspruch in der Gesellschaft des Kaiserreichs? Der dritte Teil untersucht die politisch-moralische Semantik der Logen, vor allem der in ihnen gehaltenen Reden. Die Bildung des Selbst, der Bürgergesellschaft und Nation, schließlich der Menschheit formte im 19. Jahrhundert einen unvermeidlichen Dreiklang nicht nur in den deutschen Logenreden. Tocqueville hatte 1840 auf die Frage, »weshalb die amerikanischen Schriftsteller und Redner oft schwülstig sind«, geantwortet: »In den demokratischen Gesellschaften ist die Aufmerksamkeit jedes Bürgers in der Regel auf einen sehr kleinen Gegenstand gerichtet, nämlich auf sich selbst. Falls er die Augen höher hebt, so erblickt er nur das gewaltige Bild der Gesellschaft oder die noch größere Gestalt der Menschheit. Er hat nur ganz persönliche und sehr klare Gedanken oder sehr allgemeine und höchst unbestimmte Ideen; der Raum dazwischen ist leer.«37 Tocqueville beschreibt hier, wie die Idee der Zivilisierung des Selbst im Erwartungshorizont der Nation und der Menschheit formuliert wurde. In einem ersten Kapitel soll dieser Zusammenhang am Beispiel der Logen skizziert werden, bevor im nachfolgenden Kapitel genauer gezeigt wird, welche politischen Effekte dieses menschheitliche Selbstverständnis der Logen im Zeitalter nationaler Staaten und Kriege zeitigte. Ein Vergleich der deutschen und französischen Freimaurerei zwischen dem deutsch-französischen Krieg und dem Ersten Weltkrieg steht dabei im Mittelpunkt. Am Beispiel der Vermischung von nationalen und menschheitlichen Ansprüchen zeigt sich eine ähnliche Ambivalenz, wie sie die Verknüpfung von Bürgertugend und Bürgergesellschaft enthält. Die Utopie idealer Einheit, des Selbst, der Bürgergesellschaft oder Nation, schließlich der Menschheit, produzierte immer zugleich das »Andere«, was diese Homogenität scheinbar bedrohte, um sich davon wiederum abgrenzen zu können. 38 37 Tocqueville, S. 114. 38 Vgl. z.B.Bhabha, Introduction; ders., D i s s e m i N a t i o n ; sowie die Kritik bei Kramer, allg.Bronjen u.a.

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Insofern erscheint es weniger als ein Bruch mit der aufklärerisch-liberalen Tradition, sondern als Ausdruck dieser Ambivalenz, wenn in den deutschen wie in den französischen Freimaurerlogen auch nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs der eigenen Nation eine universalistische Sendung zugedacht wurde. Wiederum bilden die Logen innerhalb des politischen Diskurses der Bürgergesellschaft keine Ausnahme, wie im Ausblick gezeigt werden soll. Eine solche menschheitliche und moralische Begründung des Krieges im Namen der deutschen wie auch umgekehrt der französischen Nation und die damit verbundene Verschärfung nationaler Feindschaft führte letztlich dazu, daß der Glaube an die Idee der Zivilisierung wie auch der Begriff »Humanität« nach dem Weltkrieg in beiden Ländern auf Dauer desavouiert schienen.39 Freimaurerei und Bürgergesellschaft standen seit dem 18. Jahrhundert in einem inneren Zusammenhang. Das zeigen die Schwierigkeiten, welche die Logen in Österreich-Ungarn und Rußland im 19. Jahrhundert hatten; das zeigt das Verbot der Logen 1918 in Rußland, dann 1925 in Italien, zehn Jahre später in Deutschland. Daß die Logen im Nationalsozialismus und in den vom »Dritten Reich« besetzten Staaten verfolgt wurden, hat einen international einmaligen, in sich geschlossenen Quellenbestand entstehen lassen. Er befindet sich heute im wesentlichen im Geheimen Staatsarchiv Berlin-Dahlem, in einer Außenstelle der Universitätsbibliothek Poznan auf Schloß Ci^zen und im Zentralen Staatsarchiv in Moskau. 40 Die Uberlieferungsgeschichte dieser Akten kann selbst als Teil einer politischen Kulturgeschichte der deutschen Freimaurerlogen begriffen werden. »Bürgerlich«, »liberal« und »jüdisch« wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts, vor allem jedoch seit dem Ersten Weltkrieg zu Stereotypen, die sich in einem verzerrten Bild der Freimaurerei verdichteten, das in der Zwischenkriegszeit die politische Imagination nicht nur völkischer Kreise beherrschte. Folglich beschlagnahmten die Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1935 die lokalen Logenarchive. Die umfangreichen Akten, die jede Loge seit ihrer Gründung, in einigen Fällen seit dem 18. Jahrhundert geführt hatten, wurden im GestapoArchiv in Berlin-Wilmersdorf zentral zusammengefaßt. Nach 1935 enstand eine eigene Abteilung im Reichssicherheitshauptamt, welche die Personalakten der Logen auswertete und eine Reihe von pseudowissenschaftlichen Studien anfertigte, die den Nachweis einer jüdisch-freimaurerischen Weltverschwö-

39 Vgl.Jeismann, Vaterland. 40 Vgl. Freimaurerische Bestände der Universitätsbibliothek Posen, Hildesheim 1990; G. Aly u. S. Heim, Das Zentrale Staatsarchiv in Moskau (»Sonderarchiv«). Rekonstruktion und Bestandsverzeichnis verschollen geglaubten Schriftguts aus der NS-Zeit, Düsseldorf 1992; R. Endler u. E. Schwarze, Die Freimaurerbestände im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, 2 Bde., Frankfurt 1994-1996.

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r u n g erbringen sollten. 41 Während der Bombardierung Berlins erfolgte die Auslagerung des Aktenbestandes in zwei schlesische Schlösser, w o ihn später die Rote Armee übernahm. Die Pamphlet- u n d Zeitschriftenliteratur verblieb bei der Universitätsbibliothek Poznan, die Logenakten wurden nach Moskau überführt - auch Stalin hatte an die idee fixe einer jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung geglaubt. N a c h Stalins Tod kam ein Teil der Aktenbestände in die D D R , wo sie nicht öffentlich zugänglich waren, ein anderer Teil blieb in Moskau. Erst seit wenigen Jahren stehen sie der Forschung zur Verfügung. Diese Arbeit stützt sich im wesentlichen auf drei Quellengruppen: Da sind erstens staatliche Akten zur Aufsicht über die Logen, vor allem im Preußischen und Sächsischen Innenministerium. Seit dem späten 18. Jahrhundert wurde die Freimaurerei in Preußen u n d Sachsen - anders als z.B. in Bayern oder Österreich-Ungarn - v o m Staat geduldet, aber überwacht. Wie gespannt die Beziehungen zwischen Staat, Monarchie und Kirche auf der einen und den Logen auf der anderen Seite war, läßt sich aus diesen Akten erschließen. H i n z u treten zweitens die umfangreichen Logenakten, wobei nur Quellen der Leipziger und Breslauer Logen, z.T. auch ihrer Berliner und Dresdener Großlogen, systematisch erschlossen werden konnten. Sie umfassen Statute und Gesetze, Protokolle der Versammlungen, unveröffentlichte Reden sowie die Korrespondenz. Für die Sozialgeschichte der Logen beider Städte wurden neben den Mitgliederlisten vor allem das umfangreiche biographische Material ausgewertet: Personalakten, Aufnahmegesuche, Fragebögen, Lebensläufe, Bürgschaften und kurze Ansprachen. Z u nennen ist drittens die umfangreiche logeninterne Pamphlet- und Zeitschriftenliteratur. Die wichtigsten deutschsprachigen Logenzeitschriften wurden erstmals f ü r den Zeitraum von 1840 bis 1918 ausgewertet.42 Für die Begriffsgeschichte erwiesen sich die zahllosen Reden als besonders ergiebig, die - anders als etwa in den englischsprachigen Logen - fest zu einer Logenversammlung gehörten und die sich handschriftlich in den Protokollbüchern oder zumeist im Wortlaut in den freimaurerischen Zeitschriften wiederfanden. Z u d e m wurde die von staatlicher Seite oder von den Logen gesammelte antifreimaurerische Literatur, insbesondere der katholischen Ö f f e n t lichkeit, f ü r den genannten Zeitraum durchgesehen. 4 3 Die hervorragende Quellenlage erlaubt auch eine Pluralität der methodischen Zugriffe, die für die Fragestellung dieser Arbeit notwendig erscheint. Eine Geschichte der Idee und sozialen Praxis eines von den Zeitgenossen angen o m m e n e n Zusammenhangs von Bürgergesellschaft und Bürgertugend am Beispiel der Freimaurerlogen ist aufgrund der Fragestellung zwischen den hi-

41 terhin 42 43

Vgl. jetzt auf der Grundlage der Berliner u n d M o s k a u e r Aktenbestände: Melzer; sowie weiNeuberger. Vgl. die Bibliographie: Hänset-Hohenhausen; sowie die Übersicht im Anhang. Vgl. Wolfstieg, Bibliographie.

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storischen Methoden angesiedelt, auch wenn sie auf sozial- und begriffsgeschichtliche Zugriffe nicht verzichtet. In der herkömmlichen Trennung von Begriffs- und Gesellschafts-, Kultur- oder Politikgeschichte setzt sich ein entpolitisiertes Verständnis von »Kultur« fort, das den Zugang zum politisch-moralischen Selbstverständnis der »Praktiker der Bürgergesellschaft« im 19. Jahrhundert verstellt. Dabei werden genau jene Fragen als »vorpolitisch« definiert, die für die klassische politische Theorie eminent politisch gewesen sind.44 U m die politische Idee von »sozial-moralischen« Grundlagen der Bürgergesellschaft zu historisieren, bedarf es mithin eines anderen Zugangs, der vermeintlich »vorpolitische« Begriffe, kulturelle Praktiken und soziale Grenzziehungen auf ihren politischen Gehalt hin untersucht. 45 Einen solchen Zugang wählt diese Arbeit. Auch wenn sich für eine solche Fragestellung und Herangehensweise der Begriff der »politischen Kulturgeschichte« anbietet, konstituiert diese keine neue historische Subdisziplin mit im sozialwissenschaftlichen Sinne trennscharfen Begriffen und Modellen. 46 Vielmehr kennzeichnet diese Herangehensweise, daß sie zunächst die Produktion von Wissen etwa über das »Soziale« oder das »Moralische« selbst in den Blick nimmt und sie konsequent historisiert. Welche sozialen und diskursiven Praktiken haben, so könnte man diese Herangehensweise zuspitzen, Zuschreibungen wie etwa »sozial« und »moralisch«, »national« und »kosmopolitisch«, »öffentlich« und »privat«, »männlich« und weiblich« überhaupt erst zu Objekten des Wissens und der Politik gemacht? Wie werden Begriffe individueller und kollektiver Identität imaginiert und tradiert?47 Welche Veränderungen erfahren diese Zuschreibungen in zeitlich oder räumlich wechselnden sozialen und politischen Ordnungen - Ordnungen, die sie selber mit hervorgebracht haben? Gewiß, solche Fragen sind nicht völlig neu. Reinhart Koselleck und John Pocock haben eigene Zugänge zu einer historischen Semantik und zu Fragestellungen entwickelt, die diese Arbeit aufnimmt. 48 Sowohl die Begriffsgeschichte als auch die Geschichte politischer Sprachen ist allerdings dafür kritisiert worden, daß sie sich auf kanonische Texte und Autoren konzentriert und die Alltagssprache und den politisch-sozialen Kontext von Sprachhandlungen nicht angemessen untersucht. 49 Diese Kritik soll hier am konkreten Beispiel des diachronen Wandels der politisch-moralischen Semantik der Freimaurer und 44 Münkler, Einleitung, S. 8. 45 Vgl. z.B. Hunt, Introduction; dies., Macht; Lipp, Politische Kultur; Eley, Is All the World a Text?; ähnlich bereits Langewiesche, Politische Geschichte, S. 20ff., auch mit dem Hinweis auf die aristotelische Tradition eines solchen weiten Politikbegriffs, der die sozial-moralischen Grundlagen politischen Handelns einbezieht. 46 VgLJelavich, Method, S. 75. 47 Anderson, Imagined Communities; Wahrman; Assmann, Arbeit. 48 Vgl. Koselleck, Zukunft; Pocock, Politics; zusammenfassend Richter; Reconstructing; sowie die Beiträge von Koselleck und Pocock in: Lehmann u. Richter. 49 Vgl. hierzu Reichardt, Einleitung; Steinmetz, Sagbare; Wahrman.

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ihrer sozialen Praxis berücksichtigt werden. Vor allem die von Foucault beeinflußte Diskursanalyse hat einen anderen Umgang mit Texten vorgeschlagen.50 Begriffsgeschichte und Diskursanalyse schließen sich aber nicht notwendig aus; sie können sich wechselseitig ergänzen. Ein Diskurs ist um grundlegende Begriffe zentriert; nur die präzise Bestimmung des historischen Sprachgebrauchs - der Bedeutungsschichten einzelner Wörter, Begriffe und Redefiguren, ihrer Eigenlogik - ermöglicht eine kritische Lesart der Texte, etwa der Logenreden. Umgekehrt können Begriffe nur analysiert werden, wenn sie in einem sprachlichen Kontext, einem spezifischen Diskurs verortet werden, dessen Anfang und Ende benennbar ist. Sodann gehört nicht nur die Historisierung von Begriffen individueller und kollektiver Identität wie »Klasse« oder »Nation«, sondern auch eine Kulturgeschichte jener Praktiken und Institutionen, an die solche Identitäten gebunden waren, zu den Fragestellungen einer politischen Kulturgeschichte. 51 Die Individuen sind nicht einfach nur Wachs, in den sich politische oder moralische Diskurse einprägen. Vielmehr erfolgt die Aneignung von Identitätsentwürfen in einer Fülle von individuellen und sozialen Praktiken, deren Ergebnisse den hochgehaltenen Begriffen widerprechen konnten. Über die »Politik der Geselligkeit« sagen die Rituale der Freimaurer oft mehr aus als ihre Reden. Der Bedeutungswandel von Begriffen muß folglich zurückgebunden werden an die Praktiken der Aneignung. N u r so scheint auch die Frage nach der Formung menschlichen Subjektivität, der Theoretiker der bürgerlichen Gesellschaft von Tocqueville bis Weber wie ihre Kritiker eine überragende politische Bedeutung zumaßen, historisierbar. Nicht nur Foucault hat im Anschluß an Nietzsche eine solche »Geschichte der Formen moralischer Subjektivierung und der dazu bestimmten Selbstpraktiken« gefordert. 52 In jedem Fall geht es darum zu zeigen, daß Identitäten nicht dauerhaft, einheitlich und kohärent sind, sondern abhängig von Praktiken der Aneignung, deren »Mikrophysik« herausgearbeitet werden muß, um die Geschichte politischer Macht zu schreiben. 53 Schließlich kann als ein weiteres Moment eines kulturhistorischen Zugriffs auf den Bereich des Politischen die Geschichte von Grenzziehungen angesehen werden. »Man könnte die Geschichte von Grenzen schreiben«, heißt es bei Foucault, »jene obskuren Gesten, die, sobald sie ausgeführt, notwendigerweise 50 Vgl. z.B. Goldstein. 51 Kulturgeschichte, in der prägnanten F o r m u l i e r u n g v o n D. G o o d m a n , »focuses o n social and discursive practices and institutions: b o t h the g r o u n d o n w h i c h particular discursive actions take place and those actions themselves. Ideas are not of a different order f r o m the practices and institutions that constitute t h e m , and those practices and institutions are not w i t h o u t meaning. T h e j o b of the cultural historian is to understand the ways in w h i c h h u m a n beings have shaped and been shaped by the social and discursive practices and institutions that constitute their lives and actions.« Goodman, Republic, S. 2. 52 Foucault, Sexualität, Bd. 2, S. 41; ders., Subjekt; ders., Genealogie; ders., Nietzsche. 53 Chartier, Repräsentation., S. 343f.

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schon vergessen sind mit denen eine Kultur etwas zurückweist, was f ü r sie außerhalb liegt; und während ihrer ganzen Geschichte sagt diese geschaffene Leere, dieser freie Raum, durch den sie sich isoliert, ganz genau soviel über sie aus wie über ihre Werte«.54 Gemeint sind j e n e Grenzen, welche oft als »vorpolitische« angesehen werden: Grenzen des Selbst, zwischen den Geschlechtern, allgemein zwischen dem Eigenen und d e m Fremden; 5 5 aber auch traditionell als politisch geltende Grenzziehungen zwischen Klassen, Konfessionen oder Nationen gewinnen in dem M o m e n t an Interesse, w o sie nicht als objektiv vorhanden in die Geschichte zurückgelesen, sondern ihre Gesten, Räume, M e chanismen, ihre Fremd- und Selbstbeschreibungen in den Blick g e n o m m e n werden. Z u d e m gilt es, die Metapher der Grenze beim Wort zu n e h m e n und zu fragen, wie soziale Räume entstehen, welche kulturellen und symbolischen Praktiken (im Falle der Logen z.B. das Geheimnis) ein Innen und ein Außen definieren, sei es sozialer oder konfessioneller, nationaler oder geschlechtlicher Art. Es war die politische Utopie der Logen, u m die Ausgangsfrage in Erinnerung zu rufen, solche Grenzen zu überschreiten, einen sozialen R a u m zu bilden, in dem die Gleichheit des »bloß Menschlichen« einen aufgeklärten Universalism u s ermöglicht. D e r Wunsch, diese Grenzen zu überschreiten, eine »Verbrüderung der Menschheit« herbeizuführen, hat aber sein Gegenteil immer mit hervorgebracht: das Bemühen, sich abgrenzen zu können, der Wunsch nach sozial-moralischer Exklusivität, das Verlangen, darüber zu entscheiden, wer Mensch und Bürger ist und wer nicht. 56 Wer heute an die politischen Modelle des »langen 19. Jahrhunderts« anknüpfen möchte, an die f ü r dieses Jahrhundert typische Ü b e r h ö h u n g des Selbst, der Bürgergesellschaft u n d der Menschheit, entledigt sich seiner politischen Aporien nicht allein mit dem Verzicht auf den Begriff der Nation. 5 7 Auf binären Unterscheidungen von »zivilisiert« und »barbarisch«, »aufgeklärt« und »rückständig«, »männlich« und »weiblich«, allgemein von universal und partikular gründete nicht nur die politisch-moralische Semantik und kulturelle Praxis des in den Logen versammelten gehobenen Bürgertums. 58 Eine politische Kulturgeschichte, die ambivalente Identitäten in den Blick n i m m t - als Kulturgeschichte der Politik ebenso wie als Politikgeschichte

54 Foucault, W a h n s i n n , S. 9; vgl. allg. Lamont u. Fournier. 55 Vgl. z.B. Geulen, Volk; Young; Cooper u. Stoler. 56 Scott, Universalism, dies., Paradoxes. 57 Das gilt z.B. für Habermas, Konstellation; ders., Bestialität u n d H u m a n i t ä t ; aber auch f ü r Putnam, Democracy, dessen T h e s e eines zivilisatorischen Vorsprungs der norditalienischen Städte a u f g r u n d der zivilgesellschaftlichen Tradition ihrer Bürger ungewollt rassistische Stereoytpen über d e n Süden des Landes popularisierte. 58 »Just as there is n o developed religion that does not divide the world into the saved and the d a m n e d , there is n o civil discourse that does not conceptualize the world into those w h o deserve inclusion and those w h o do not.« Alexander, S. 291.

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der Kultur - m u ß vielmehr die falsche Alternative von Universalismus oder Partikularismus hinter sich lassen und den freien Raum dazwischen vermes-

59 Moyn, S. 308; Laclau\ Walzer, Universalismus.

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I. Freimaurerei und bürgerliche Gesellschaft seit dem 18. Jahrhundert »Die Gesellschaft schreitet von der Roheit zur Ordnung empor. Die Barbarei ist die Ära des Faktums, und so muß die Ära der Ordnung das Reich der Fiktionen sein, - denn es gibt keine Macht, die fähig wäre, die Ordnung der Körper einzig auf körperlichen Zwang zu gründen. Dazu braucht es fiktiver Kräfte.« Paul Valery1

1. Von der Freiheit im Geheimen zum Geheimnis der Freiheit: Aufklärung und Freimaurerei Die begriffliche T r e n n u n g von Staat u n d bürgerlicher Gesellschaft ist eine Erf i n d u n g des 17. u n d 18. J a h r h u n d e r t s . Bezeichnete bis dahin societas civilis in der aristotelischen Tradition die G e m e i n s c h a f t der freien u n d gleichen Bürger, die in einer v o n i h n e n selbst getragenen politischen Regierungsform vereinigt sind, sorgt die E n t s t e h u n g des m o d e r n e n Staates u n d später die Konzentration der politischen M a c h t in der H a n d des absolutistischen Herrschers u n d seiner Bürokratie f ü r eine Aufspaltung des Begriffs. Bürgerliche Gesellschaft ist nicht m e h r gleichbedeutend mit der politischen H e r r s c h a f t s f o r m , Staat u n d bürgerliche Gesellschaft treten auseinander. Die »zivile Gesellschaft« wird zu e i n e m v o m Staat unabhängigen u n d - scheinbar - politikfernen R a u m . 2 Zugleich w e i tet sich die B e d e u t u n g dieser »Zivilsphäre«. Sie ist nicht schlichtweg die »Bourgeoisgesellschaft«, der R a u m der Ö k o n o m i e , den sich das aufstrebende Bürgert u m geschaffen habe, wie Hegel u n d nach i h m M a r x oder Riehl es im 19. J a h r h u n d e r t f ü r die deutsche Begriffsverwendung von »bürgerlicher Gesellschaft« folgenreich behauptet haben. Vielmehr gehörte es im 18. J a h r h u n d e r t z u m Kriterium v o n »Gesellschaft«, daß sie »das Freisein v o n allen d e m M e n schen als bürgerliche ( = politische) wie als Privatperson a n h a f t e n d e n Beschränkungen (Geburt, Stand, Beruf, Geschäft)« fordert. 3 Die Gesellschaft u m 1 Vorwort zu Montesquieus >PerserbriefenJcw Withinprofanlieber Brüden nicht ein 397 Interessanterweise stieg der Anteil des Wirtschaftsbürgertums in den Breslauer Logen zwischen 1876 (43,6%) und 1906 (50,1%), obgleich sich sein Anteil am städtischen Bürgertum im gleichen Zeitraum von 75% auf 56% verringerte.Vgl. die Zahlen bei Heuling, Bürgerlichkeit. 398 Bleich, Die Bedingungen der Aufnahme in den Freimaurerbund, in: Bausteine, Jg. 2, 1882, S. 58-65, hier S. 64. 399 Horneffer, Freimaurerleben, S. 142. 400 O. Posner, Goethe als Freimaurer, in: SL, Jg. 31, 1911, S. 23.

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leerer Schall« sein dürfe. Er befürchte, sein Beruf als Lehrer mache ihn »zum Bruder 2. Ordnung«. 401 Angestellte und Lehrer standen mithin in den Logen auf der untersten Stufe sozialer Respektabilität. Den Unterschichten, die 1876 und 1906 mehr als die Hälfte der männlichen Erwerbstätigen Breslaus stellten, blieben sie - von vereinzelten Ausnahmen wie etwa Musikern, niederen Postund Eisenbahnbeamten, Kirchenangestellten sowie jüngeren, noch unselbständigen Handwerkern abgesehen - weiterhin verschlossen. Die folgenreichste Veränderung in der sozialen Zusammensetzung der Logen seit den sechziger Jahren bestand darin, daß der Adel und die höheren Beamten, die Offiziere und Rittergutsbesitzer, mit einem Wort: die »alten Herrschaftseliten«, sich weiter zurückzogen. Allerdings zeigen sich auch hier Unterschiede zwischen den Städten. In den drei konservativen Breslauer Logen machte sich ihr Rückgang dramatischer bemerkbar (1840: 7,4%, 1876: 3,6%, 1906: 1,2%) als in den liberalen Leipziger Logen, wo sie schon im Vormärz kaum vertreten waren. Die preußischen Logen verloren mithin ihre Bedeutung als soziale Orte der Vermischung von staatlichen und städtischen Eliten. Hierin ist vielleicht am ehesten noch eine soziale Ursache für das Gefühl des Niedergangs unter preußischen Freimaurern zu sehen. »Man beklagt es, daß die sogenannten oberen Zehntausend den Logen nicht mehr zugehören. Das liegt daran, daß in den Kreisen der oberen Beamten, Offiziere, Agrarier usw. ein starrer konservativer Geist herrscht, während die Richtung der Freimaurerei eigentlich liberal ist. Seinen Kern bildet bei uns das gute deutsche gebildete Bürgertum. In den Kreisen der oberen Zehntausend sind in den Kasinos und sonstigen Vereinen Gesellschaften entstanden, die lediglich gesellschaftlichen Zwecken dienen«. 402 Ein Blick auf die geselligen Verkehrskreise Breslaus bestätigt dieses Bild. Traditionell versammelte sich der schlesische Adel in der »Zwingergesellschaft«, die einer Kasino-Gesellschaft nicht unähnlich war. Ihr politischer Konservativismus, die soziale Exklusivität und die Tatsache, daß Juden der Eintritt verwehrt blieb, machte sie zum Treffpunkt der staatsnahen Eliten. Ein Vergleich der Mitgliedschaft der »Zwingergesellschaft« und der Breslauer Logen im Jahr 1876 zeigt, daß letzteren mehr Wirtschaftsbürger, aber nur halb so viele höhere Beamte und Offiziere angehörten (vgl. Tabelle 2.5). Zwar kam es auch zur Doppelmitgliedschaft, doch stellten die Logenbrüder nur eine Minderheit in der Zwingergesellschaft. 403 Diese unterschieden sich auch deshalb vom Gros 401 Z S t A Moskau, Fond 1412-1, Nr. 5059 (Zepter): Aufnahmegesuche II, N r . 1, Bd. 47, 1910-1913, Aufnahmegesuch E. Werner, 14.10.1913, Bl. 181. 402 [O.P.] N e u m a n n , Weshalb ist das Logenwesen zurückgegangen?, in: Der Herold, Jg. 19, 1908, Nr. 34, S. 1-3, h i e r S . 1. 403 1840:14,3%, 1876: 16%, 1906:14,2%. 1906 führte von den 111 Freimaurern in der Zwingergesellschaft nur einer den Adelstitel. Verzeichnis der Kaufmännische Zwinger- u. RessourcenGesellschaft 1846, 1875, 1906.

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der Mitglieder, weil sie fast ausschließlich »Bürgerliche« (gehobene Kaufleute, Fabrikbesitzer, Arzte oder Rechtsanwälte) waren. Für die adlig-konservative, staatsnahe Elite Breslaus scheinen um 1900 die Kontakte in der Zwingergesellschaft oder auch die Korpsbeziehungen wertvoller geworden zu sein als das Logenpatent. Die städtische Elite Breslaus versammelte sich nicht in der Zwingergesellschaft, sondern im Bezirks- und im Humboldtverein, den liberalen Unterstützungsvereinen der Stadt. Im Jahr 1876 stellen kleine und große Kaufleute ungefähr zwei Drittel der Mitgliedschaft dieser Vereine, während höhere Beamte kaum, Bildungsbürger nur in geringer Zahl vertreten sind. Bildete die Zwingergesellschaft eine adlig-staatsnahe, konservative und waren die Bezirksund Humboldtvereine eine kaufmännisch-städtische, liberale Geselligkeitsform, lagen die Logen sozial und politisch zwischen diesen beiden Extremen. Mit dem über das gesamte Jahrhundert im Krebsgang voranschreitenden Rückzug des Adels aus den preußischen Logen beschäftigten sich schon zeitgenössische Statistiken. Zählten etwa 1809/10 von insgesamt 4.413 Mitgliedern der Großloge »Zu den drei Weltkugeln« 831 zum Adel (18,8%), so waren es 1894/95 von nunmehr 13.572 Mitgliedern nur noch 192 (l^/o). 404 Eine Erhebung von 49 Logen aus dem Jahre 1831 verzeichnet 4.658 Mitglieder, davon 374 (8%) adlige Logenbrüder. Dieselben Logen zählten 1890 bei 7.714 Mitgliedern nur noch 154 (2%) Adlige.405 In der Breslauer Loge »Friedrich zum goldenen Zepter« beispielsweise waren es 1831 von 286 Mitgliedern 28 (9,8%), 1890 aber von 340 nur noch 6 (1,8%). Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Statistik der drei preußischen Großlogen aus dem Jahr 1900. Unter 13.356 ermittelbaren Mitgliedern gab es seinerzeit nur 229 Adlige (1,7%) sowie 210 Offiziere, von denen wiederum nur 80 zum Adel gehörten. Das Gros der Offiziere war noch unter Wilhelm I. eingetreten und bekleidete höhere Ränge, die Zahl der Leutnants war unverhältnismäßig gering. Für die neue, wilhelminische Offiziersgeneration besaßen die Logen offensichtlich nur noch eine geringe Anziehungskraft. 406 Bis zur Bedeutungslosigkeit sank auch die Teilnahme von evangelischen Geistlichen an den Logen. Sie waren überwiegend in den fünfziger Jahren ausgetreten. Die protestantische Kirche sah in der Freimaurerei weiterhin eine Schein-Religiosität, die außerhalb und in Konkurrenz zur Kirche wirken wolle.407 Schon allein daraus erklärt sich, warum sich beispielsweise 1906 in den 404 A.W. Sellin, Die Mitglieder der Logen nach Berufsarten, in: Bundesblatt, Jg. 10, 1896, S. 16-23. 405 R. Taute, Der Geburts-Adel in den deutschen Logen, in: Asträa,Jg. 10, 1891, S. 114-118. 406 Gemoll, Die Teilnahme des Adels und der Offiziere in den 3 preussischen Grosslogen, in: SL, Jg. 20, 1900, S. 68. Z u einem ähnlichen Ergebnis kommt für Wiesbaden: Weichet, S. 323. 407 Vgl. z.B. Die letzten Ziele der Freimaurerei, in: Sächsisches Kirchen- u. Schulblatt, 1884, S. 430-434; Freimaurerthum und Christenthum, in: ebd., 1885, S. 125-129; sowie allg. GStA Berlin, Logen, 5.2. L 17 (Apollo), Nr. 454: Schriftwechsel über die im Sächs. Kirchen- und Schulblatt enthaltenen Angriffe 1884-1886.

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Tochterlogen von »Zu den drei Weltkugeln« unter ca. 15.000 Mitgliedern nur ungefähr zehn bis zwanzig Geistliche finden lassen.408 Ähnlich bedeutungslos war ihr Anteil an den Breslauer und Leipziger Logen (1876:0,6%, 1906:0,4%). Ihre soziale Exklusivität, die »eine Gemeinschaft nach Besitz trennt«, ihre dogmenfreie Berufung auf ein »vages Menschentum« und ihre »selbstgenügsame Paraphrase« christlicher Religiosität rückte die Freimaurerei in den Augen vieler Geistlicher ins Zwielicht.409 Der Einfluß der Freimaurerei in Kirche und Staat nahm mithin ab. Ihre Stützen besaß sie eindeutig im gehobenen Bürgertum der Städte. Trotzdem gab es Unterschiede nach Logensystemen. In den liberalen Logen Breslaus war der Anteil von selbständigen Kaufleuten - der Kerngruppe des Liberalismus im Kaiserreich410 - 1 9 0 6 ungefähr doppelt so hoch wie in den konservativen. Auch im Vergleich mit Leipzig blieb die Zahl der selbständigen Kaufleute 1876 und 1906 in den konservativen Breslauer Logen zurück. Folgt man einer Statistik von 1880/81, läßt sich dieser Befund verallgemeinern: In den liberalen Großlogen von Hamburg (55,5%), Frankfurt (57%) und Bayreuth (49,7%) war der Anteil von Kaufleuten und Unternehmern sehr viel höher als in den konservativen preußischen Großlogen »Zu den drei Weltkugeln« (36,6%), der »Landesloge« (36,4%) und »Royal York« (38,6%). Die Großloge von Sachsen (zu der die Leipziger Logen »Balduin« und »Minerva« nicht gehörten) nahm nicht nur politisch, sondern auch sozial eine Zwischenstellung ein (43,6%). Fragt man nach der Beteiligung von Staatsbeamten und Militärs, kehrt sich diese Reihenfolge um: An der Spitze liegen hier »Zu den drei Weltkugeln« (16%), die »Landesloge« (11,4%) und »Royal York« (11,3%); mit großem Abstand folgen die Großlogen von Sachsen (5,5%), Hamburg (5,2%), Bayreuth (4,1%) und Frankfurt (3,2%).411 Zwei Befunde gilt es festzuhalten: Zwar gab es einen Rückzug von höheren Beamten und Offizieren aus den Logen. Betroffen waren davon aber vor allem die preußischen Großlogen, in denen die staatsnahen Berufsgruppen traditionell Bedeutung und Einfluß besaßen. Die ideelle Staatsnähe dieser Großlogen blieb im Vergleich zu den liberaleren Logensystemen dennoch erhalten. Je nach politischem Lager wurde der partielle Rückzug der alten Herrschaftseliten aus den preußischen Logen bejubelt oder beklagt. Konservative Freimaurer sahen hierin zuweilen ein Zeichen des Niedergangs, die Liberalen dagegen feierten die Stärke des Bürgertums. »Nicht der Adel der Geburt«, sondern der »Adel der Gesinnung«, nicht der »Edelmann«, sondern der »gentle408 A.W. Sellin, Evangelische Geistliche im Freimaurerbunde, in: Der Herold, Jg. 17, 1906, Nr. 17, S. lf.; Vgl. auch R. Brandt, Pfarrer und Freimaurer, in: HL, Jg. 43, 1909/10, S. 327-333. 409 Zeitschrift für die evangelische Geistlichkeit Thüringens, 1883, Nr. 7, zit. n. FZ, Jg. 37, 1883, S. 406. 410 So die zentrale These von Heuling, Bürgerlichkeit. 411 FZ, Jg. 35, 1881, S. 174.

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man« eigne sich z u m Logenbruder. 412 Die Freimaurerei habe »bei diesem Wechsel in der Zusammensetzung wohl kaum etwas verloren. Je mehr sie die pflichttreue Erfüllung ihrer Aufgaben anstrebt, j e m e h r sie b e m ü h t ist, auch den Schein träumerischen Nichtsthuns in vornehmer Exklusivität zu vermeiden [...] desto weniger wird der Geburtsadel geneigt sein, unserm Bunde beizutreten.«413 In einem Vortrag des Nationalliberalen Wilhelm Körber in der Breslauer Zepter-Loge im Jahr 1877 heißt es über die »culturhistorische Aufgabe der Freimaurerei der Gegenwart«: »Im Gegensatz zu j e n e m goldenen Zeitalter der Maurerei, w o namentlich die Männer der Wissenschaft dieselbe hegten u n d pflegten, bestehe jetzt das Gros der Β [rüder] getreu dem Geiste des Zeitalters, aus den M ä n n e r n des Erwerbs, der Arbeit, welche mit den Waffen der Technik die Welt umgestaltet habe«, und hier sei es die größte Aufgabe der Maurerei, »die unter diesen leicht platzgreifende, allzumaterialistische Zeitströmung zu bekämpfen u n d das Ideal des reinen M e n s c h e n t h u m s zu hüten und zu bewahren.«414 Hier klingt ein T h e m a an, das die Logenreden bis 1914 beschäftigte u n d das mit dem sozialen U m b r u c h zusammenhing 4 1 5 Alexis Schmidt, einer der einflußreichsten konservativen Freimaurer, hatte dafür den Kammerton angegeben: »Die Freimaurerei erfüllt an dem jetzigen Geschlecht recht eigentlich ihre Mission als eine durch Tugend, Treue, Freundschaft und Ehre hervorleuchtende Gesellschaft innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft.« »Im vorigen J a h r h u n dert noch wesentlich eine Domaine der herrschenden, aristokratischen und feinstgebildeten Klassen« sei die Freimaurerei im 19. Jahrhundert in das Bürgertum eingedrungen u n d erfülle dort eine »heilige Mission«. »Denn alle Fortschritte der Cultur und der Civilisation sowie des öffentlichen Lebens, auf welche unsere Zeit mit Recht stolz ist, f ü h r e n auch schwere sittliche u n d gesellschaftliche Uebelstände mit sich: Vermehrung des Eigennutzes, Steigerung der Erwerbs-Concurrenz, Wissens-Hochmuth, Vernachlässigung der idealen G ü ter, Z u n a h m e der socialen Ungleichheit, Auflehnung der abhängigeren Volksklassen, U e b e r h e b u n g des Individualismus, gesellschaftliche Gewohnheitslügen, Verachtung der Autoritäten, Unglauben und Materialismus«. N u r in und mit den Logen ließe sich, so Schmidt weiter, dieser Verfall aufhalten: »Hier in diesen Räumen wird allein den idealen Gütern der Menschheit gehuldigt, hier wird der menschlichen N a t u r tiefster innerster G r u n d erschlossen«. 416 412 Roegglen, Das demokratische und aristokratische Prinzip der Freimaurerei, in: MittVdF, Jg. 1897/98, S. 32-40, hier S. 38. 413 Ebd., S. 118. 414 ZStA Moskau, Fond 1412-1, Nr. 4601: Acta betreffend den Schriftwechsel mit der Delegierten Alt-Schottischen-Loge Friedrich zum goldenen Zepter im Orient Breslau 1877-1891; Jahresbericht 1877/78, Bl. 23. 415 Vgl. Teil II, Kap. 3. 416 A. Schmidt, Die heutige Stellung der Freimaurerei im öffentlichen Leben, in: Z C , Jg. 9, 1880, S. 301-316, hier S 302ff, S. 309ff.

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Von der vergleichsweise homogenen Zusammensetzung der Logen zeugt ein weiterer Befund. Das Sozialprofil der Leipziger und Breslauer Logenvorstände war nur unwesentlich exklusiver als das der einfachen Mitgliedschaft, wobei das Bildungsbürgertum und die höhere Beamtenschaft 1876 anders als 1906 noch stark überrepräsentiert waren (vgl. Tabelle 3.2-3.3). Im Jahr 1906 besetzten Wirtschaftsbürger die Hälfte aller Beamtenstellen in den Logen - eine signifikante Änderung zum Vormärz, wo Bildungsbürger häufig die Logenangelegenheiten allein regelten. Ein ähnlicher Trend läßt sich für die Schlüsselposition des Logenvorstehers (»Meister vom Stuhl«) feststellen. Waren 1840 und 1876 die meisten Breslauer und Leipziger Stuhlmeister Professoren, Ärzte oder Rechtsanwälte, sind 1906 auch Bankdirektoren, Fabrikbesitzer und Kaufleute darunter. 417 Dagegen blieb die Position des Redners bis 1906 weitgehend eine Domäne des Bildungsbürgertums. In allen drei Stichjahren gab es in den Leipziger und Breslauer Logen keine jüdischen Vorstandsmitglieder; eine Ausnahme bildeten nach 1900 allein die beiden Breslauer Reformlogen »Hermann« und »Settegast«. Die Grenzen innerhalb der Logen waren mithin kaum sozialer, sondern konfessioneller Natur. Das zeigt auch ein Blick auf die Zusammensetzung der Hochgradlogen (vgl. Tabelle 4.2-4.3), die sich traditionell einen aristokratischen Anstrich gaben. Ungeachtet ihres gegenüber den nur dreistufigen Johannislogen exklusiven Anspruchs unterschied sich die soziale Zusammensetzung nur unwesentlich. Einzig in der Leipziger Hochgradloge »Pallas Athene«, die zur Minerva-Loge gehörte, war wiederum das Bildungsbürgertum einschließlich der höheren Beamtenschaft überrepräsentiert. Es stellte zwei Drittel der Hochgrade-Freimaurer, obgleich es nur einen Anteil von ca. 20% an der gesamten Mitgliedschaft der Minerva-Loge besaß. Aufgrund der geringen Fallzahl sollte dieses Ergebnis jedoch nicht überbewertet werden. Gegen Ende des Jahrhunderts näherten sich die Hochgradlogen in ihrer sozialen Zusammensetzung den einfachen Logen weiter an. Die adlige Titel und Rituale evozierenden Hochgrade waren schon lange eine Domäne des gebildeten und besitzenden Bürgertums geworden. N u r jüdischen Freimaurern blieb der Zugang auch zu diesen inneren Logenzirkeln weiterhin verwehrt. Die soziale Homogenität der Logen unterstreicht auch, daß das Durchschnittsalter der Leipziger und Breslauer Freimaurer bei fünfzig Jahren lag (vgl. 417 Eine Statistik der Berufe der deutschen Logenvorsteher aus dem Jahr 1866 weist einen noch höheren Anteil von Bildungsbürgertum (50,8%) und höherer Beamtenschaft (19,3%) gegenüber dem Wirtschaftsbürgertum (20,9%) und dem Kleinbürgertum (8,7%) auf, wobei es sich bei letzterem ausschließlich um mittlere Beamte und Lehrer handelte. 1887 haben sich diese Zahlen etwas angenähert. Das Bildungsbürgertum ist zwar noch immer überrepräsentiert, hat aber abgenommen (40,8%), die höhere Beamtenschaft (20,8%), das Wirtschaftsbürgertum (26,6%) und das (gebildete) Kleinbürgertum (12%) haben dazugewonnen. 1866 standen nur zwei, 1887 kein einziger selbständiger Handwerksmeister an der Spitze einer Loge. Vgl. Bh., Jg. 9, 1866, S. 327; Jg. 30, 1887, S. 230.

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Tabelle 6.1-6.3.). Dagegen stellten die unter dreißigjährigen eine verschwindende Minderheit dar (1876: 3,1%, 1906: 1,9%). Die überwiegende Mehrheit der Logenbrüder war zwischen dreißig und sechzig Jahre alt und gehörte damit zur einkommenstärksten Altersgruppe im Bürgertum (1876: 81,0%, 1906: 74,9%). Viele Brüder waren noch älter und lebten als Rentiers von ihrem Vermögen (1876: 15,8%, 1906: 23,2%). Die Logenmitgliedschaft konnte sich mithin nur leisten, wer sich im gehobenen Bürgertum der Stadt durchgesetzt hatte. Schon bei der Aufnahme waren die Brüder im Durchschnitt vergleichsweise alt: die zwischen 1872 und 1876 in die Leipziger und Breslauer Logen aufgenommenen sechsunddreißig, die zwischen 1902 und 1906 achtunddreißig Jahre.418 Die Mehrzahl der Freimaurer war schon zum Zeitpunkt der Aufnahme verheiratet, viele hatten das Gymnasium und die Universität besucht oder sich selbständig gemacht, alle hatten sich im Berufsleben etabliert.429 Wodurch wurde diese Homogenität erreicht? Aus den Aufnahmeverfahren der Logen gehen die Auswahlkriterien deutlich hervor. Außer der Bildung galt die Selbständigkeit als Grundvoraussetzung der Logenmitgliedschaft. »Selbständigkeit« bezog sich zum einen auf die »bürgerliche« Stellung der Logenbrüder. Sie mußten wirtschaftlich unabhängig sein und über das entsprechende Einkommen verfügen. »Wer seine Gesinnung und den Muth sie auszuprechen verkaufen muss um Geld und Brod, der ist nicht reif für den Bund, nicht einmal befähigt, sein eigenes Leben nach freier Erkenntniss zu bilden, geschweige denn zur Emporhebung des menschlichen Geschlechtes etwas beizutragen.«420 Dieses Kriterium scheint im Laufe der Zeit größere Bedeutung gewonnen zu haben. 1890 klagte ein Bruder, daß sich selbst viele Gebildete die hohen Logengebühren nicht mehr leisten könnten. Noch nicht einmal zwei Prozent der 418 Z u ähnlichen Ergebnissen kommen zeitgenössische Statistiken. Das Durchschnittsalter von 2.437 (Gesamt: 2.543) neuen Mitgliedern aller deutschen Logen im Jahr 1882 lag bei 36,5 Jahren. Die genauen Zahlen lauten: unter 21:2,21-30:588,31-40:1.183,41-50: 515,51-60:123, über 60: 25. R. Taute, Ein weiterer Beitrag zur Statistik, in: Bh„ Jg. 25, 1882, S. 12-15, hier S. 14. Ganz ähnlich auch eine Erhebung von 1.253 Mitgliedern der Logen Schleswig-Holsteins zur Zeit ihrer Aufnahme: unter 20: 1, 20-29: 299, 30-39: 626, 40-49: 259, 50-59: 61, über 60: 7. Das Lebensalter aller 1.271 Freimaurer Schleswig-Holsteins verteilt sich wie folgt: 25-30: 54, 31^40: 390, 41-50: 461, 51-60: 254, 61-70: 95, über 71: 17. Holly-Marne, Die Logen Schleswig-Holsteins, in: Mecklenburgisches Logenblatt, Jg. 14, 1886, S. 108, S. 118. 419 Von den 23 1906/07 neuaufgenommenen Mitglieder der Breslauer Zepter-Loge waren 17 (81%) verheiratet, ebenfalls 17 hatten das Gymnasium oder ein Lehrerseminar besucht. Zwischen 1910 und 1914 hatten von 51 neuen Logenbrüdern 25 (49%) das Gymnasium besucht, 39 (76,5%) waren verheiratet. ZStA Moskau, Fond 1412-1, Nr. 5126 (Zepter): Aufnahmegesuche II, Nr. 1, Bd. 44,1906-1907; dass., Bd. 47, 1910-1913; dass., Bd. 48, 1912-1914. Ungefähr ein Drittel aller Logenbrüder der »Apollo« hatte zwischen 1840 und 1906 das Gymnasium besucht, die Zahl blieb erstaunlich konstant. Dagegen haben immer weniger Freimaurer die Universität besucht (1840: 35,1%, 1876: 18,4%, 1906: 13,6%). Dieser Befund paßt zur Zunahme des Wirtschaftsbürgertums in den Logen seit den 1860er Jahren. Insgesamt dürften die Zahlen allerdings höher liegen, da nicht in allen Personalakten der Bildungsweg vermerkt ist. Vgl. Tabelle 5.2. 420 Büchle, Die FrMrei im Lichte der Zeit, in: Bh„ Jg. 14, 1873, S. 9-12, hier S. 9.

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Einkommensteuerpflichtigen in Preussen hätten das für die Logenaufwendungen nötige Einkommen von mehr als dreitausend Mark; die Beiträge von einhundert Mark und mehr im Jahr seien kaum noch aufzubringen. 421 Ein anderer Freimaurer meinte 1892 angesichts der hohen finanziellen Forderungen der Loge, die weit über denen anderer Vereine lagen, zu beobachten, daß sie zu einer Vereinigung der oberen Zehntausend (nicht im »aristokratischen«, sondern im »plutokratischen« Sinne) werde: »Die geradezu enormen Aufnahmeund Beförderungs-Gebühren, welche sich im billigsten Falle zusammen immer über M . 100 erheben und in einzelnen Logen bis zu M. 300 und 400 anwachsen, verhindern an sich den Beitritt manch tüchtigen Mitgliedes; nicht minder die Logenbeiträge selbst, welche wir von M. 10-40 anschlagen und die durchschnittlich wohl M. 20 auf den Kopf betragen werden. Damit aber ist es noch lange nicht gethan. Es kommen die freiwilligen Leistungen, Armenbeiträge usw. und es kommt vor allem die Teilnahme an den geselligen Vereinigungen hinzu, welche für gar viele kaum mehr zu erschwingen ist.«422 Die Gebühren schwankten von Loge zu Loge; bis zu dreihundert Mark und mehr für die Aufnahme und bis zu fünfzig Mark und mehr an Jahresbeiträgen waren keine Seltenheit. Rechnet man noch zusätzliche Kosten etwa für Wohltätigkeit, Bankette und Feste hinzu, konnten sich die Aufwendungen für die Loge gleich im Aufnahmejahr auf bis zu fünfhundert Mark hochschrauben, ungefähr die Hälfte des Jahreseinkommens eines Facharbeiters um 1900. Im Freimaurerbund sammelte sich das finanzstarke Bürgertum und auch wenn dieser, wie im Jahr 1906 sehr genau beobachtet wurde, »nicht exklusiv für die oberen Zehntausend allein bestimmt ist, so geht er doch noch lange nicht über die Hundertausend herauf«. 423 Selbständigkeit bezog sich aber zum anderen auch auf die »geistig-sittliche« und »männliche« Freiheit der Logenbrüder. 424 Weder die »Willkür eines Anderen« noch die eigenen Vorurteile und Leidenschaften durften den Freimaurer in seinem Handeln bestimmen. 425 Wegen des behaupteten Mangels an Selbständigkeit blieben Frauen auch im Kaiserreich aus den Logen ausgeschlossen, 421 G. v. Hoeselin, Aufnahme, Beförderung und Leben in der Loge - eine Geldfrage!, in: Bh., Jg. 33, 1890, S. 2—7. Ein Lehrer an einer höheren Töchterschule bei Leipzig beklagte sich 1879 über die steigenden Logenbeiträge (sie hatten sich gegenüber dem Vorjahr, in dem er aufgenommen worden war, verdoppelt), wenige Jahre später schied er freiwillig aus. GStA Berlin, Logen, 5.2. L 17 (Apollo), N r . 151: Personalakte E. Beyer. 422 G. Maier, Das preussische Einkommenssteuer-Gesetz und die Freimaurerei, in: Bh., Jg. 35, 1892, S. 9-11, hier S. 9. In Breslau betrugen u m 1900 allein die Aufnahmegebühr 136,50 M. Vgl. Z S t A Moskau, Fond 1412-1, Nr. 5126 (Zepter): Aufnahmegesuche II, N r . 1, Bd. 44, 19061907. Vgl. auch Art. »Beiträge«, in: Allgemeines Handbuch (1900/01), Bd. 1, S. 81. 423 W. Unseld, Bruderliebe, in: Bh., Jg. 49, 1906, S. 27. 424 R. Fischer, Der freie M a n n von gutem Rufe, in: F Z , Jg. 40, 1886, S. 2-6, hier S. 4. 425 O . Marbach, Fragestücke für Freimaurer-Lehrlinge, in: R., Jg. 1, 1874, S. 69-71, hier S. 69.

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obgleich es im Zuge der modernen Frauenbewegung nicht an Bemühungen fehlte, diese Mauer niederzureißen. Im exklusiven und intimen Umgang von Männern lag ein Reiz der Logengeselligkeit. 426 Die Freimaurer sollten ein »männliches«, selbständiges Urteilsvermögen besitzen, daher auch das hohe Aufnahmealter. Eine »sittliche« Lebensführung wurde verlangt und peinlich genau geprüft; ein Ehebruch führte zum Ausschluß; eine Scheidung zu Rechtfertigungen gegenüber der Loge.427 Die umständlichen Prozeduren im Vorfeld einer Logenaufnahme wirkten als sozial-moralischer Filter, »man bewegt sich in dreimal gesiebter Gesellschaft«, wie auch die Öffentlichkeit wahrnahm und wahrnehmen sollte.428 Wie konnte man Freimaurer werden? Ein einfacher Antrag wie in anderen Vereinen genügte, wie schon erwähnt, nicht. Ein Logenbruder mußte den Aspiranten ansprechen, in Vorschlag bringen und - das war entscheidend - für ihn persönlich bürgen. Voraussetzung war in der Regel, daß beide sich über mehrere Jahre kannten, beruflich, familiär oder freundschaftlich verbunden waren. Sollten alle oben genannten Voraussetzungen gegeben sein, zeigte über mehrere Wochen die schwarze Tafel in der Loge den Namen des Aspiranten an. In dieser Zeit konnte Einspruch gegen die Aufnahme erhoben werden, bevor in der geheimen Ballotage die Logenbrüder ihre Entscheidung fällten. Zuweilen entbrannten, wie im Falle Carl Reclams, regelrechte »Wahlkämpfe« um die Aufnahme. 429 Eine negative Ballotage bedeutete, daß man sich auch in keiner 426 Vgl. Τ . II, Kap. 2. 427 Als sich in Breslau 1871 das G e r ü c h t verbreitete, der M a j o r von Schlichting, Mitglied der Zepter-Loge, habe »absichtlichen E h e b r u c h getrieben, u m von seiner Gattin nach einer 15jährigen namenlos unglücklichen Ehe im Interesse seiner geschädigten Kinder getrennt zu werden«, beantragten einige Logenbrüder dessen Ausschluß. Seine F r e u n d e in der Loge stellten sich in d e m angestrengten Ehrenratsverfahren auf die Seite Schlichtings. Schließlich w ü r d e j e n e r d u r c h eine solche »entehrende Strafe der Verzweiflung nahe gebracht«, auch sei die »Rettung des I n d i v i d u u m s d u r c h Bruderliebe« Ziel der Logen, selbst w e n n die B r ü d e r »das Vergehen des Br. v. Schlichting niemals entschuldigen oder gar gutheißen könnten«. Gleichwohl votierte die M e h r h e i t f ü r d e n sofortigen Ausschluß, der wenig später von der Berliner Großloge m i t d e m K o m m e n t a r bestätigt w u r d e , die Ehre u n d der gute R u f der Loge ständen über d e m M i t g e f ü h l für einen verirrten Bruder. ZStA Moskau, F o n d 1412-1, N r . 4954 (Zepter): Schriftwechsel m i t d e m B u n d e s - D i r e k t o r i u m , 1871-1884, Bl. 4 - 8 . Ein anderes Beispiel: Ein praktischer Arzt aus Leipzig übersandte der Loge »Apollo« 1898 eine detaillierte B e g r ü n d u n g , w a r u m er die Scheidung von seiner E h e f r a u eingereicht hatte m i t der (in diesem Fall, wie sich zeigen wird) u n b e g r ü n d e t e n B e f ü r c h t u n g , daraus k ö n n t e n K o n s e q u e n z e n f ü r seine Logenmitgliedschaft erwachsen. G S t A Berlin, Logen, 5.2. L 17 (Apollo), N r . 190: Personalakte G.A. Knothe. 428 Die Freimaurer in Berlin, in: National-Zeitung, 25.12.1904, Beil. Von 645 A u f n a h m e g e suchen zwischen 1864 u n d 1891 berücksichtigte beispielsweise die Loge »Minerva« 76 (11,8%) nicht. D a ein A u f n a h m e g e s u c h n u r auf Vorschlag u n d mit der Bürgschaft eines Logenmitglieds eingereicht w e r d e n konnte, kam es bereits im Vorfeld zu einer sozialen Auslese. M i t anderen W o r t e n , die abgelehnten A u f n a h m e s u c h e n d e n erfüllten eigentlich die formalen Kriterien zur Logenmitgliedschaft. Vgl. Carus, Bausteine, S. 24. 429 Gegen die A u f n a h m e eines ehemaligen Rittergutsbesitzers in die Breslauer Zepter-Loge etwa erhob sich 1912 Widerspruch, da diesem f r ü h e r angeblich die Loge »nicht feudal genug«

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anderen deutschen Loge mehr zur Wahl stellen konnte; die Ablehnung war endgültig. Oft gab man Aufnahmewilligen deshalb schon im Vorfeld den Rat, das Gesuch zurückzuziehen oder zumindest noch einige Jahre zu warten. Die Gründe für die Ablehnung konnten rein privater oder geschäftlicher, aber auch politischer, sozialer oder - wovon noch ausführlich die Rede sein wird - konfessioneller Natur sein. Die Logen stützten sich auf ein dichtes Informationsnetz, um genaue Auskunft über einen Aspiranten zu erlangen. In Leipzig war sich der Meister vom Stuhl Willem Smitt im Jahr 1881 nicht zu schade, im investigativen Eifer selbst nach Crimmitschau zu fahren, um gemeinsam mit lokalen Honoratioren zu beraten, ob dem Aufnahmegesuch eines Schuldirektors in die Loge »Apollo« stattgegeben werden könne. Vor Ort äußerte man Zweifel an der Ehre und dem Charakter des Aspiranten; das Gesuch wurde abgewiesen.430 Uber die einheimischen Aufnahmesuchenden wußte man oft mehr als genug, über die auswärtigen berichteten auf Anfrage die jeweiligen Logen. Vor 1914 ging man sogar dazu über, private »Auskunfteien« zu beauftragen. Kurz, in den meisten Fällen hatten die Brüder ein sehr genaues Bild von dem Aspiranten, noch bevor er die Logenschwelle überschritten hatte. Welche Motive bewegten die Aufnahmesuchenden? In der Öffentlichkeit bestand kein Zweifel, daß - wie schon im Vormärz - die Hoffnung auf berufliche und geschäftliche Vorteile ein unausgesprochenes Aufnahmemotiv bildete.431 So vermutete etwa das »Pädagogische Wochenblatt« im Jahr 1892, der auffallende Zuwachs von Lehrern in den schlesischen Logen sei dem Umstand geschuldet, »daß der evangelische Provinzial-Schulrat ein eifriger Freimaurer ist, daß mehrere Freimaurer zu Direktoren befördert worden sind, und daß die beiden Direktoren, denen die Leitung des pädagogischen Seminars übertragen worden ist, ebenfalls der Loge angehören«.432 Zumal auf Geschäftsreisen im Ausland bot das Logenpatent vielfältige Vorteile; es schuf Vertrauen in die Respektabilität und Ehre des Geschäftspartners: je höher die Logengrade, desto

gewesen sei und sie nun »sein Rettungsanker werden solle, nach dem er gesellschaftlich unweigerlich gelitten« habe, wie ein Logenbruder einwendete. Der Rittergutsbesitzer hatte sich zwischenzeitlich verschuldet, mußte sein Gut aufgegeben und war nun als Generalagent einer Lebensversicherung nach Breslau gezogen. Das Aufnahmegesuch löste, wie viele andere auch, einen regen Briefwechsel aus, bei der beide Parteien die jeweils andere zu widerlegen suchten. So behauptete der vormalige Rittergutsbesitzer, daß er schon früher der Loge beigetreten wäre, wenn ihm nicht sein Schwiegervater, der Freimaurer war, seinerzeit bedeutet hätte, zuerst seine finanziellen Verhältnisse zu klären. ZStA Moskau, Fond 1412-1, Nr. 5127 (Zepter): Aufnahmegesuche II, Nr. 1, Bd. 48, 1912-1914, Schriftwechsel betr. das Aufnahmegesuch von E. Müller, Breslau, 6.10.1912, Bl. 7-18. 430 GStA Berlin, Logen, 5.2. L 17 (Apollo), Nr. 87: Zurückgewiesene Aufnahmeanträge, 1873-1884, Nr. 24. 432 Vereinzelt findet sich sogar in den Logen Kritik am Nepotismus. Vgl. z.B. Beobachtungen und Gedanken eines alten Freimaurers, in: SL, Jg. 26, 1906, S. 23f.

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mehr. Als freilich ein Leipziger Weingroßhändler kurzfristig um die Beförderung zum Logenmeister bat, mit der Begründung, er stehe vor einer Geschäftsreise nach Amerika und dort seien nur Meister zu den bedeutenderen Logenversammlungen zugelassen, war das manchem Bruder etwas zu geschäftig; die Beförderung erfolgte erst nach seiner Rückkehr.433 Ein Breslauer Apotheker beschwerte sich 1884 darüber, daß seine Exklusion aus der Loge nach einem Ehrenratsverfahren sein »geschäftliches Renomee - speziell im Kreise der ehemaligen Brüder - untergrabe, ich wie ein Paria ausgestoßen bin«. Sein Ausschluß sei »bis aufs tz in den anderen hiesigen Logen besprochen [worden], von w o er auch seinen Weg in öffentliche Locale fand«.434 Solche Beispiele ließen sich für die verschiedenen Berufsgruppen beliebig vermehren; katholische und antisemitische Gegner der Logen haben sie begierig aufgegriffen. 435 U n d doch scheint die symbolische Bedeutung der Logenzugehörigkeit den konkreten beruflichen Vorteil übertroffen zu haben. Das Logenabzeichen am Revers verlieh seinem Träger zusätzliches soziales Prestige, oder, wenn man so will, »symbolisches Kapital« (Pierre Bourdieu), das in der Öffentlichkeit eingelöst werden konnte. Der Distinktionsgewinn, der sich an die Logenmitgliedschaft knüpfte, kann kaum überschätzt werden. Vor allem soziale Aufsteiger suchten ihn zu nutzen. »Der Selfmademan ist in deutschen Logen eine auffal-

434 Zit. n. SL, Jg. 12, 1892, S. 182f. 433 GStA Berlin, Logen, 5.2. L 17 (Apollo), N r . 177: Personalakte W . Heffter. Ein anderes Beispiel für diese Z u r ü c k h a l t u n g : Die offenkundige Verquickung v o n Geschäft u n d Loge, etwa d u r c h Geschäftsanzeigen von Logenbrüdern in einer freimaurerischen Zeitschrift, w u r d e 1897 v o m deutschen Großlogentag mißbilligt. Kneisner, S. 227. 434 GStA Berlin, Logen, 5.2. Β 141 (Vereinigte), N r . 38: Protokoll über A u f n a h m e u n d Ausscheiden von Logenmitgliedern, 1844—1884; Brief v o n E. Stoermer an die »Vereinigte Loge«, Breslau, 25.4.1884. 435 Z.B.: »Wir k ö n n e n [...] nicht unterlassen auf ein interessantes F a c t u m a u f m e r k s a m zu machen. Die M e h r z a h l der j ü d i s c h e n Weinreisenden - w o z u auch seit einigen J a h r e n sich d e u t sche J u d e n als Vertreter kleinerer C h a m p a g n e r - u n d C o g n a c - H ä u s e r gesellt haben - sind Logenbrüder. Natürlich nicht der >Humanität< oder sonstiger guter Zwecke, die die Maurerei zur Devise hat, s o n d e r n lediglich des gemeinsten materiellen Vortheils wegen. B r u d e r Itzig oder C o h n aus M a i n z ist im Besitze sämtlicher deutscher Logen-Kalender, i.e. Mitglieder-Verzeichnisse. W ä h rend der Eisenbahn- u n d Wagenfahrt bieten sie i h m nicht n u r eine ganz a n g e n e h m e Leetüre, s o n d e r n er orientiert sich schon vor d e m Eintreffen in der betreffenden Stadt vollständig. Weiß er doch, daß die preußischen Logen speciell n u r Leute in geordneten Verhältnissen a u f n e h m e n - u n d so ein Logenbruder ist d a n n f ü r 100 bis 500 Flaschen W e i n >schon gutBrüder< nicht gern u n d >die< >Onkels< lieber extra als intra m u r o s sieht, d.h. machen Sie gefälligst die T h ü r e v o n außen zu. Die J u d e n ließen sich noch bis vor wenigen J a h r e n stets in F r a n k f u r t a. M . in die Loge a u f n e h m e n . Die Certificate dieser Loge hatten dafür aber in Logenkreisen einen ähnlichen W e r t h wie die D o c t o r D i p l o m e aus Philadelphia.« A. Kulik, D e r j ü d i s c h e Commis myaguer, in: Schlesische Volkszeitung, N r . 248, 26.10.1879.

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lend häufige Erscheinung,« heißt es rückblickend in der Autobiographie eines Freimaurers. 436 U n d in der Tat läßt sich der Mitgliederzuwachs der Logen seit den sechziger Jahren in Zusammenhang bringen mit einer Vielzahl individueller Aufstiegsgeschichten ins gehobene Bürgertum einer Stadt.437 Sie entsprachen dem bürgerlichen Selbstverständnis in der Betonung der vita activa, der Bildung und Arbeit an sich selbst. Der in Breslau bekannte Photograph Heinrich Götz erwähnte 1907 in seinem Aufnahmegesuch, daß er zuerst über die Freimaurerei von seinem ehemaligen Chef gehört habe, der Logenbruder gewesen sei. Jetzt, wo er sich mit einem eigenen gutgehenden Geschäft etabliert habe, wolle er sich den »lange gehegten Wunsch« erfüllen, selbst Freimaurer zu werden. In einem Bürgschaftsschreiben wird er wörtlich als »seif made man« beschrieben, der sich eigenständig Besitz und Bildung angeeignet habe und auch mehrfach durch öffentliche Vorträge weiten Bürgerkreisen bekannt geworden sei.438 Seiner Aufnahme stand daher nichts im Wege. Es scheint, als wenn die Logenmitgliedschaft einem solchen »Selfmademan« die Sicherheit gab, es endgültig »geschafft« zu haben. Prominente Leipziger Freimaurer wie der Klavierfabrikant Julius Blüthner, der Zoologe Alfred Brehm oder auch der Architekt Clemens Thieme hatten sich aus bescheidenen Verhältnissen ganz nach oben gearbeitet. Beispielhaft ist die Biographie Thiemes.439 1861 geboren und aus unterbürgerlichen Verhältnissen kommend (der Vater war Gefängnisaufseher), begann er 1875 nach Abschluß der Volksschule eine Lehre im Bauhandwerk; abends nach der Arbeit besuchte er die neugegründete Städtische Gewerbeschule in Leipzig. 1877 wechselte Thieme für vier Jahre zur Königlichen Baugewerkeschule, nach deren Absolvierung er als Bautechniker tätig war. Schließlich machte er sich 1891 nach Abschluß des Studiums am Polytechnikum Dresden als Architekt und geprüfter Baumeister selbständig. Nach dem erfolgreichen beruflichen Aufstieg suchte Clemens Thieme nach neuen Aufgaben. Er wurde Mitglied der Loge »Apollo« und des 1868 gegründeten »Vereins für die Geschichte Leipzigs«, bei dessen Zusammenkünften er mit der unerfüllten Idee eines Denkmals zur Erinnerung an die Leipziger Völkerschlacht in Berührung kam. Bei einem Klubabend der Apollo-Loge 1894 begeisterte der Dreiunddreißigjährige seine Logenbrüder für den Denkmal436 Horneffer, Freimaurerleben, S. 75. 437 Das galt auch als Motiv für Aufnahmesuchende, die neu in einer Stadt waren und keinen Zugang zu den Verkehrskreisen des lokalen Bürgertum hatten. Ein Leipziger Zahnarzt, der sich erst seit kurzem dort niedergelassen hatte, begründete 1904 sein Aufnahmegesuch offen mit dem Wunsch, »Fühlung zu nehmen mit der hiesigen Bürgerschaft«. GStA Berlin, Logen, 5.2. L 17 (Apollo), Nr. 199: Personalakte O. Lincke; Aufnahmegesuch 1904. 438 ZStA Moskau, Fond 1412-1, Nr. 5126 (Zepter): Aufnahmegesuche II, Nr. 1, Bd. 44, 1906-1907, Bürgschaftsschreiben für H . Götz von G. Thuns, Breslau, 1.2.1907 u. 18.2.1907, Bl. 123, Bl. 128f. 439 Vgl., auch als Beispiel für die bürgerliche Heroisierung einer solchen vita activa: Clemens Thieme - zum siebzigsten Geburtstag.

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bau.440 Hierin entdeckte er seinen Lebenssinn, dem er schlechterdings alles unterordnete, sogar die Gründung einer eigenen Familie. Dem Freundeskreis gab er das schließlich gehaltene Ehrenwort, erst zu heiraten, wenn das Denkmal eingeweiht worden sei. In einer kritischen Phase streckte er aus seinem Privatvermögen eine hohe Summe vor, um den Bau zu vollenden. Und obwohl ihm sein Engagement erhebliche Reputation brachte - Thieme wurde 1906 Kammerrat, 1911 für die Freikonservativen Mitglied des Stadtverordnetenkollegiums und schließlich 1913 Geheimer Hofrat sowie Ehrenbürger der Stadt Leipzig - , sollte darin nicht der alleinige Zweck seiner Bemühungen gesehen werden. Vielmehr folgte Thieme eben jenem spezifischen Bildungsideal, nach dem er sein eigenes Leben gestaltete und das er übertrug auf die moralische Bildung der Nation durch den Bau eines Denkmals.441 Neben Bildung und Selbständigkeit trat korrespondierend die Wohltätigkeit. Sie erfolgte weiterhin in der Regel diskret und ohne öffentlichen Aplomb. Allein das Bewußtsein, wohltätig in der Kommune zu wirken, reichte den Logenbrüdern. Ohnehin war ihr bürgerliches Engagement in der städtischen Gesellschaft bekannt. Die Leipziger Loge »Balduin« gründete 1816 die erste deutsche »Sonntagsschule« für Unterschichten, an der nicht nur Freimaurer unterrichteten, sondern die sie auch weitgehend selbst finanzierten. Zuweilen unterhielten die Logen eigene Wohltätigkeitsvereine, die dann nicht nur in der Kommune, sondern auch für die Familien von verstorbenen oder verarmten Logenbrüdern wirkten. 442 In vielen Fällen vermachten Brüder ihr Vermögen der Loge für wohltätige Zwecke, um, wie es ein Breslauer Freimaurer 1895 fomulierte, eine soziale und moralische Verbesserung auch für die »Armen und Unwissenden, für die Unmündigen, Schwachen, Kranken und Gefallenen« zu sichern.443 In Leipzig etwa gab es seit 1900 einen Verein »Bruderhilfe«, der ein »Heim für gebrechliche Kinder« errichtet hatte.444 Die einzelnen Großlogen unterhielten darüber hinaus sehr vermögende Stiftungen, die für das Gemeinwohl wirkten. Spezifisch bürgerlich war auch ein weiteres Aufnahmemotiv. In der modernen Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft sehnten sich die Logenbrüder nach einem sozialen Raum, der als eine Art leuchtende moralische Gegenwelt fungierte. Außer dem Beruf und der Familie sollte es noch eine andere Sphäre geben, die es den bürgerlichen Männern erlaubte, sich selbst zu bilden und zu vervollkommnen. Vieles spricht dafür, diesen Wunsch ernst zu nehmen und ihn nicht nur als Camouflage der »wirklichen«, auf den beruflichen Vorteil be440 [R. B a c h m a n n ] , M ä n n e r der Tat, in: F Z , Jg. 17, 1913, S. 330-331. 441 Koselleck, Bildung, S. 21. 442 Vgl. z.B. Statistische Übersicht, in: Bh., Jg. 58, 1910, S. 367. 443 G. Schauer, Ansprache, geh. a m 20. J a n u a r 1895 in d e n R ä u m e n der Loge H e r m a n n zur Beständigkeit in Breslau, [Breslau 1895]. 444 Kneisner, S. 17. Vgl. auch Brettmann, Wohltätigkeit.

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dachten Motive zum Eintritt in eine Loge anzusehen. Berufliche wie »ideelle« Sphäre waren überdies vielfältig verflochten. So begründete etwa der Abteilungsleiter einer Breslauer Bank 1907 seinen Aufnahmewunsch, »um so Gelegenheit zu erhalten, in den freien Stunden, die mir mein stark aufs Materielle gerichteter Beruf läßt, auch an dem Streben nach höheren Zielen teilnehmen zu können«. N o c h im selben Jahr trat auch der Bankdirektor der Zepter-Loge bei und versicherte, lediglich der Wunsch »mit gleichgesinnten Männern für die Veredlung des eignen Ichs und der Menschheit zu wirken und in solchem Kreise edle Freundschaft und Geselligkeit zu pflegen, sind die Triebfedern meines Verlangens«. 445 Die besondere Intimität der Logen, ihre geheimen Rituale, Insignien und phantasievollen Titel eröffneten dem einzelnen einen abgeschlossenen »idealen« Raum innerhalb der Gesellschaft. Eine solche Exklusivität und Intimität kann auch im weitausgreifenden Vereinswesen des Kaiserreichs als Spezifik der Logengeselligkeit angesehen werden. »Als Feind der bei uns leider üblich gewordenen Formen der Geselligkeit«, meinte 1910 Richard Greupner, einer der führenden Nationalliberalen Schlesiens in seinem Aufnahmegesuch, »habe ich im jahrelangen Verkehr mit Logenbrüdern gefunden, dass die wahre Geselligkeit und die grossen Menschheitsideale nirgends so rein vertreten werden«. 446 Unmittelbar nach dem Aufnahmeritual versprach 1902 ein Leipziger Meister vom Stuhl dem neuen Bruder: »Sie werden im Verkehr mit den Br[üder]n finden, dass es sehr wertvoll ist, aus dem Einerlei des Gesellschaftslebens der Grossstadt auf ein neutrales Gebiet zu gelangen, auf dem die Geselligkeit eine gewisse Veredelung erfährt.«447 »Die Loge ist der Ort, wohin sich diejenigen flüchten, denen das tägliche nervenaufreibende und auf den Lebenserwerb hinauslaufenden Hasten und Treiben zu arg wird und den Wunsch nach Ruhe aufkommen lässt,« meinte ein Hamburger Freimaurer wenige Jahre später.448 Die Loge versprach bürgerlichen Männern Schutz vor einer Gesellschaft, die größtenteils von ihnen selber hervorgebracht worden war. D e m Materialismus, dem »Gewinnstreben und der »Vergnügungssucht, dem erbitterten Streit der Konfessionen und der Ungleichheit der Stände« schien »ein schleichender Bürgerkrieg zu erwachsen, der die ganze Kultur der Gegenwart zu vernichten droht«. 449 Es war also genau jenes Krisengefühl, um die The445 Z S t A Moskau, Fond 1412-1, Nr. 5126 (Zepter): Aufnahmegesuche II, Nr. 1, Bd. 44, 1906-1907, Aufnahmegesuch A. Burghardt, Breslau 8.12.1906, Bl. 56; Aufnahmegesuch O . Grossmann, 10.2.1907, Bl. 133. 446 Z S t A Moskau, Fond 1412-1, N r . 5059 (Zepter): Aufnahmegesuche II, N r . 1, Bd. 47, 1910-1913, Aufnahmegesuch R. Greupner, Breslau, 23.6.1912, Bl. 159. 447 Arnold, Ansprache an einen Suchenden, in: Latomia N F , Jg. 25, 1902, S. 33f., hier S. 34. 448 A.F.O. Heise, Was bezwecken und erhoffen wir mit unserem Eintritt in den Maurerbund, in: H L , Jg. 39, 1905/06, S. 35-39, hier S. 37. 449 Hertzberg, Die Stellung der Freimaurerei in der Gegenwart und ihre Gegner, in: Latomia N F , Jg. 16, 1893, S. 122-125, hier S. 123.

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se vom Anfang wieder in Erinnerung zu rufen, dem die Logen im gehobenen Bürgertum bis 1914 ihre Popularität verdankten. Daß die Logen in der modernen Welt sich scheinbar wie ein Fossil einer besseren Zeit der Bürgerlichkeit ausnahmen, machte sie in den Augen vieler Bürger attraktiv. Das inflationäre Reden von der Krise der deutschen Gesellschaft u m 1900 in und außerhalb der Logen zeugt davon, wie sehr diese Gesellschaft noch als eine »bürgerliche« begriffen wurde, als eine Gesellschaft, die bürgerlichen Maßstäben genügen sollte. Das in den Logen versammelte Bürgertum trug noch immer das Gefühl in sich, der »allgemeine Stand« zu sein, die Nation, die Menschheit selbst zu repräsentieren, auch wenn dieser Anspruch zunehmend von verschiedenen Seiten bestritten wurde.

3.2 Die Politik der Unpolitischen »Die bürgerliche Gesellschaft ist der Inbegriff der Verhältnisse gegenseitiger Abhängigkeit, welche mit der natürlichen Ungleichheit der Menschen, mit der Verteilung von Besitz und Bildung gegeben sind und durch den Verkehr in einem unendlichen Werden sich täglich neu gestalten. [...] Die bürgerliche Gesellschaft eines reichen Volkes ist immer eine Aristokratie, auch unter demokratischer Staatsverfassung. Oder, u m ein sehr verhasstes, aber wahres Wort trokken auszusprechen - die Klassenherrschaft, richtiger: die Klassenordnung ergibt sich ebenso notwendig aus der Natur der Gesellschaft wie der Gegensatz von Regierenden und Regierten aus der Natur des Staates.«450 N u r wenige Freimaurer hätten mit diesen Worten Heinrich von Treitschkes die Gesellschaft des Kaiserreichs beschrieben, auch wenn sie deren implizite Botschaft teilten: Die Gesellschaft wie der Staat benötigen eine Elite aus Besitz und Bildung, das Bürgertum, die für O r d n u n g und Fortschritt sorgt. Nicht aber in der neuen Sprache von Klassen, Konflikten und sozialen Antagonismen, sondern mit der älteren politisch-moralischen Semantik von Bildung, Sittlichkeit und sozialer Harmonie, die jetzt zunehmend national gewendet wurde, versuchten die Logen, der Verschärfung und Politisierung sozialer Ungleichheit zu begegnen. 451 Die Sozialdemokratie galt dementsprechend nie als ein normaler politischer Gegner, sondern schlichtweg als moralische Verirrung oder »Degeneration«, der Sozialismus als traurige Gegenutopie zum freimaurerischen Gesellschaftsideal. Die Begriffe Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die sowohl Sozialdemokraten wie Freimaurer für sich beanspruchten, erzeugten, abgelöst von

450 v. Treitschke, Sozialismus, S. 129, S. 137. 451 Vgl. Sheehan, City; Langewiesche, B i l d u n g s b ü r g e r t u m ; ders., Liberalismus, S. 200-211; Blackbourn, Discreet C h a r m ; ähnlich f ü r den österreichischen LiberalismusJudson-, allg. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 1, S. 817-824.

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ihrem sittlichen Gehalt, »Zerrbilder, wie sie noch jedes revolutionäre Phänomen uns vorgeführt hat«, meinte 1878 Alexis Schmidt als ein Wortführer der konservativen Freimaurer. Die Logen seien jene sozialen Räume, worin diese Begriffe »eine Uebungsstätte auf festem und gediegenem sittlichen Grunde finden, und darum Vorbilder einer zukünftigen, verbesserten und vollkommenen Gesellschaft«. 452 Der Aufstieg der Sozialdemokratie und ihre »verzerrende« Aneignung bürgerlicher Leitideen gab den Freimaurern immer wieder Anlaß zur Selbstkritik. Die Freisetzung des Individuums, das Streben nach Gewinn und Genuß, der Materialismus der Zeit habe die Sozialdemokratie mit hervorgebracht. »Unsere Verbindung entnimmt ihre Mitglieder den wohlhabenden Klassen der Gesellschaft, aber eben diese Klassen zeigen nur vereinzelt jene Energie, Rührigkeit und Eintracht, welche nöthig ist, um das Gemeinwohl gegen zerstörende Elemente sicher zu stellen. Unser Bürgerthum erkennt vielfach noch gar nicht, oder sieht mit verschränkten Armen zu, wie die Ordnung des Staates und der Gesellschaft erschüttert wird. Unter solchen Umständen können wir uns nicht wundern, wenn in den Logen auch nur ein mattherziger Humanismus sich äussert.« 453 Der vermehrte Reichtum mache, wie der Apollo-Logenbruder Anton Eckstein 1906 meinte, das gehobene Bürgertum rücksichtslos egoistisch, dekadent, »zu protzenhaft, es fehlt das Taktgefühl bei der Ausgabe - das noblesse oblige - es fehlt der Geschmack und die künstlerische Auffassung und alles wird entgegengenommen, was die Göttin Mode in den verrücktesten Phantasien nur erdenken kann.- Grade wie bei den Socialdemocraten ein Renommieren und Haschen nach Effekt«. 454 Eine Regeneration der Gesellschaft könne nur erreicht werden, indem das Bürgertum, gleichviel ob liberal oder konservativ, den wachsenden Einfluß der Sozialdemokratie nicht nur politisch zurückdränge. Es gelte auch innerhalb des Bürgertums solcher moralischer Dekadenz entgegenzutreten, auch und gerade in den Logen. 455 Seit der Jahrhundertwende finden sich auch vereinzelte Stimmen, die eine soziale Öffnung nach unten befürworteten oder zumindest eine »gerechtere Behandlung der Arbeiter« durch die Logenbrüder und die »Herstellung allgemein-menschlicher Beziehungen der Arbeitgeber zu den Arbeitnehmern« anstrebten. 456 Gegen die Verwandlung der Logen in »Kasinos für das >bessere Bür-

452 A. Schmidt, Die Freimaurerei und der Socialismus, in: ZC, Jg. 7,1878, S. 229-234, hier S. 330f. 453 Der Kampf gegen die Sozialdemokratie, in: Latomia N F , Jg. 1,1878, S. 98-100, hier S. 98. 454 A. Eckstein, Wie soll der Frmr die jetzige Zeit beurteilen?, in: FZ,Jg. 60,1906, S. 113-117. 455 Vgl. hierzu ausführlich Τ. II, Kap. 3. 456 C. Bachmann, Das Verhältnis des Freimaurers im profanen Leben gegenüber seinen Untergebenen, seinen Arbeitern, in: Latomia N F , Jg. 19, 1896, S. 9-28, hier S. 10. Vgl. auch K. Liebermann, Die Königliche Kunst vermag den Gegensatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu überbrücken, in: FZ, Jg. 63, 1909, S. 123-127.

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gertum«< sprach sich etwa 1907 der Leipziger Bankdirektor Diedrich Bischoff aus. Vielmehr müsse an dem überständischen Anspruch der Logen festgehalten und Arbeitern die Aufnahme ermöglicht werden. Freilich, »nur wer unbefangen fühlt und denkt und wer das Ganze - den Menschheitsbau - über den Teil, über die Partei, über die Klasse stellt, ist der Logenmitgliedschaft wirklich würdig. Angehörige der sozialistischen Partei z.B. wären da keine geeigneten Mitkämpfer für unseren grossen Freiheits- und Brudergedanken.«457 Eine soziale Öffnung der Freimaurerei hat es freilich im Kaiserreich nicht gegeben. Weder Sozialdemokraten noch Arbeiter finden sich vor 1918 in den Logen. Die Distanz nach unten erschien den Brüdern als selbstverständlich, ironischerweise, weil sie sich weigerten, in den Kategorien der Klassengesellschaft zu denken. Soziale Harmonie und das grundsätzliche Beharren darauf, daß individuelle Bildung und Leistung den Weg für die moralische Verbesserung der Gesellschaft weisen, bildeten die Fixpunkte im Selbstverständnis der Freimaurer. Sie ließen Konflikte zwischen den Klassen primär als Folge eines grassierenden »Materialismus« erscheinen. Die Logen sahen sich angesiedelt jenseits von oben und unten, rechts und links. Die zunehmende Trennung der Gesellschaft in verfeindete politische Lager wurde folgerichtig als ein Phämonen ihrer moralischen Krise wahrgenommen. Wie verhielt es sich aber mit den politischen Grenzziehungen innerhalb der Logen? Die Jahrzehnte bis zum Ersten Weltkrieg lassen sich allgemein beschreiben als permanenter Konflikt um das politische Selbstverständnis des liberalen und nationalen Bürgertums. Das betraf auch die Logen. Die Trennung in humanitär-liberale und christlich-konservative Freimaurerlogen, die es schon seit dem Vormärz gab, verschärfte sich nach 1871. Sie war aber nur in der Tendenz deckungsgleich mit der parteipolitische Spaltung des Bürgertums in Liberalismus und Konservativismus. Die »Christlich-Konservativen« in den Logen gehörten parteipolitisch, grob gesprochen, eher den rechten Nationalliberalen und den gemäßigten (Frei-)Konservativen an. Mit dem Konservativismus der ostelbischen Junker, der katholischen und protestantischen Orthodoxie oder populistischen Antisemiten wie Stoecker ließen sich die politisch-moralischen Grundideen der Freimaurerei nur schwerlich vereinen. Umgekehrt galt, daß die »Humanitär-Liberalen« in den Logen keineswegs umstandslos parteipolitisch bei den Linksliberalen verortet werden können. Im deutschen Südwesten mag das oft der Fall gewesen sein. In Sachsen aber, wo die »humanitär-liberalen« Logen traditionell vorherrschend waren, tendierte das Bürgertum überwiegend zu den Nationalliberalen und Konservativen, was

457 D. BischofF, Sollen wir Angehörige des Arbeiterstandes in unsere Logen a u f n e h m e n ? , in: Bh., Jg. 50, 1907, S. 387-389, hier S. 387. Vgl. auch ders., Freimaurerei; ders., Freimaurerei u n d Sociahsmus, in: Bh., Jg. 55, 1912, S. 290-293.

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nicht ohne Folgen für das Selbstverständnis der »humanitär-liberalen« Freimaurerei blieb.458 Wie schon in den Dekaden bis 1870/71 läßt sich auch für die Zeit danach erkennen, daß die Logengeselligkeit innerhalb des Bürgertums gezielt parteiübergreifend sein sollte. Der Glaube an die Macht der Vernunft und Bildung, an die Verbesserung des einzelnen Menschen und damit der Bürgergesellschaft, der Nation und der Menschheit schlechthin (unter dem Vorzeichen der moralischen Logenelite), an Leistung statt Geburtsrechte, Fortschritt statt »Reaktion«, an den nationalen Rechts- und Verfassungsstaat, an den Markt, die Monarchie und Gott, auch wenn man den Materialismus, den Byzantinismus und den Klerikalismus beklagte, an das »Prinzip der freien Bewegung innerhalb des vernünftigen Maßes« einte die Logenbrüder. 459 Nicht unbedingt parteipolitisch, aber ideengeschichtlich war dieses Selbstverständnis »liberal«, jenseits von rechts und links, der Utopie einer »bürgerlichen Gesellschaft« verpflichtet. Das politisch-moralische Selbstverständnis der Logen, das im Kern ein gemäßigter Liberalismus war, findet sich exemplarisch in einer Rede Oswald Marbachs von 1873: »Wir Freimaurer haben uns dem geistigen Lichte zugewandt; also wo eine Partei streitet für das Licht wider die Finsterniss, da gehören wir hin! Wir Freimaurer halten es mit dem Leben gegen den Tod; Leben aber ist Bewegung, Fortschritt; also wo eine Partei der Bewegung und des Fortschritts ist, da gehören wir hin! Wir Freimaurer haben dem Hasse abgesagt und hegen die Liebe zur Menschheit; also wo eine Partei das Panier der Menschenliebe aufpflanzt, da gehören wir hin!« Nicht als Freimaurer, sondern als Staatsbürger solle jeder einzelne sich an der Politik beteiligen. In der Loge gelte hingegen »dem Streben nach sittlicher Vervollkommnung des Einzelnen« alle Aufmerksamkeit, »denn aus dieser einzig und allein geht doch schließlich jeder wahre Fortschritt der Menschheit hervor, welcher durch allen Parteihader und Kampf mehr aufgehalten als gefördert wird«. Die Freimaurer wollten »nicht durch Gewalt selig machen, sondern durch Freiheit, d.h. wir wollen es dahin bringen, dass immer mehr Menschen sich selbst beherrschen lernen«.460 Dahinter stand ein Gesellschaftsideal, das an der Vision der »bürgerlichen Gesellschaft« festhielt, als sich diese anders und konkret schon verwirklicht hatte. Eine Rede in der Loge »Apollo« aus dem Jahr 1905 beschreibt diese Utopie noch einmal in hellen Farben: »Durch das Außerachtlassen alles Trennenden, wie es im Staatsleben doch zum Teil noch schroff hervortritt, wird durch 458 Vgl. allg. Pohl; Lässig u. Pohl; Retallack, Liberals; d m . , Red Specter; ders., Antisocialism; sowie zusammenfassend: ders., Society. 459 F. Kreyssig, Loge u n d Tagespolitik, in: MittVdF, 1879/80, S. 3 9 - 4 5 , hier S. 43. Vgl. auch C . Georgi, Die B e d e u t u n g der Freimaurerei f ü r die Entwicklung des preussischen Staates in Vergangenheit u n d Gegenwart. Rede, geh. in B o n n a m 27.1.1906, in: Z C , J g . 34,1907, S. 89-102, hier S. 90, S. 95: Liberalismus u n d Freimaurerei seien »eng verschwistert, ihr P r o g r a m m war, genau g e n o m m e n , das gleiche. Die eine war Gedanke, die andere Tat.« 460 Marbach, Freimaurerei, S. 275f., 280f.

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die Fr[ei]m[aure]r die Möglichkeit geschaffen, treue Freundschaft mit der inneren Verpflichtung zu gegenseitigem Beistand unter solchen Personen zu stiften, die sonst im profanen Leben in weiter Entfernung hätten bleiben müssen. Insofern wirkt der Fr[ei]m[aure]rbund beständig verkettend, webt das vielmaschige Netz des staatlichen Organismus immer dichter, wodurch sich die Kraft der Gesellung, wie sie der Staat bedarf, eines steten Wachstums erfreut.« Schließlich greife die Logengeselligkeit, »die Innigkeit des Bandes menschlicher Gesellung«, auch über den R a h m e n des Staates hinaus und führe zur »Verkettung auch der entferntesten Staaten«, mit einem Wort, zur Weltbürgergesellschaft. 461 Wiederum gilt: Der scheinbare Anachronismus einer Gesellschaftsutopie, die in der Vergesellschaftung ein über die sozialen, konfessionellen u n d politischen Trennungen zwischen Menschen hinweggreifendes M o m e n t sah, konnte sich im Erwartungshorizont der Zeit als genuin »modern« verstehen. Vor 1914 konnte es noch so scheinen, als ob die Welt unaufhaltsam »zivilisiert« werde, als ob sich ungeachtet aller inneren und äußeren Konflikte eine Gesellschaft herausbildete, deren moralische Elite überall die Weltbürger in den Logen stellten. Wie sich noch zeigen wird, besaß dieses überpolitische Selbstverständnis eminent politische Folgen. Zunächst gilt es jedoch festzuhalten, daß die Logen sich auch im Kaiserreich innerhalb des Bürgertums bemühten, die verschiedenen parteipolitischen Gruppierungen zu einen. U n t e r den Wahlmännern für die preußischen Landtagswahlen im Wahlkreis Breslau, die zugleich einer Loge der Stadt angehörten, finden sich beispielsweise 18763 Konservative, 26 Nationalliberale und 7 Linksliberale, 1882 sind es 22 Konservative, 6 Nationalliberale und 22 Linksliberale. Bei den Landtagswahlen von 1903,1908 und 1913 bleibt der Anteil der Konservativen konstant (1903: 14, 1908 u n d 1913: 16); der der Linksliberalen nähert sich nach unten an (1903:24,1908:23,1913:17). 4 6 2 M e h r noch als die fast paritätische Verteilung in Konservative und Liberale überrascht die geringe Zahl von Freimaurern unter den Wahlmännern (selbst w e n n man in Rechnung stellt, daß es weder im Z e n t r u m noch in der Sozialdemokratie überhaupt möglich schien, Freimaurer aufzustellen), zumal sie an der städtischen Politik stark beteiligt waren. 21,4% aller Stadtverordneten Breslaus gehörten 1876 einer Freimaurerloge an; 1906 sind es immerhin noch 18%. M e h r als die Hälfte von ihnen k o m m t aus der Zepter-Loge, was noch einmal ihre herausgehobene Stellung innerhalb des Breslauer Logenlebens zeigt. 1876 waren die Freimaurer unter den Stadtverordneten überwiegend nationalliberal, 1906 zu 461 J.K. T e u p s e r , W a r u m wird die Frmrei niemals den Staatsinteressen zuwiderhandeln oder sie gefährden können?, in: FZ, Jg. 59, 1905, S. 268-271, hier S. 271. 462 Die Grundlage f ü r diese Angaben ist ein Vergleich der Mitgliederverzeichnisse der Breslauer Logen v o n 1876 u n d der E r h e b u n g der W a h l m ä n n e r f ü r die preußischen Land tagswahlen im Wahlkreis Breslau v o n Heuling, Bürgerlichkeit.

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einem Drittel konservativ, zu zwei Dritteln liberal - eine für die Logen im Kaiserreich vielleicht typische parteipolitische Verteilung. Ebenfalls hoch lag der Anteil an Logenbrüdern unter den Leipziger Stadtverordneten: 1876 betrug er genau ein Drittel, 1906 16,9%. Unter den 57 Mitgliedern des »Harmonie-Komitees« fanden sich darüber hinaus mindestens zwölf Freimaurer (21,1%). Das Komitee übernahm die Aufstellung der Kandidaten der ersten Abteilung für die Stadtverordnetenwahlen, in ihm versammelte sich die lokale Honoratiorenelite Leipzigs vor 1914.463 Zwar meinte der nationalliberale Politiker Richard Greupner 1910 in seinem Aufnahmegesuch: »Die der freimaurerischen Idee zu Grunde liegende Weltanschauung verträgt sich durchaus mit meiner politischen Uberzeugung« - mehreren Brüdern der Zepter-Loge sei er bereits aus seiner »parteiamtlichen Tätigkeit« bekannt geworden. 464 Auf nationaler Ebene traten die Logen aber parteipolitisch kaum in Erscheinung. Typisch war etwa, daß Prinz Heinrich zu Schönaich-Carolath (Präsident des Reichstags, Führer der Berliner Nationalliberalen und in den neunziger Jahren Großmeister von »Royal York«) in einer Ansprache auf einer Festloge die in Berlin als Abgeordnete versammelten Freimaurer dazu aufforderte, im politischen Streit immer den Bruder zu achten und der Öffentlichkeit ein Beispiel zu geben, wie Freimaurer trotz politischer Differenzen miteinander umgehen. 465 Der neue »politische Massenmarkt« (Hans Rosenberg) entsprach nicht unbedingt dem Politikverständnis des gehobenen Bürgertums in den Logen, die zwar in den Kommunen politisch stark waren, aber kaum Veranlassung sahen, die Stützen ihrer lokalen Macht (z.B. die Logen) für die nationale Politik einzusetzen. Die Verankerung in der städtischen Politik und Kultur gehört bekanntlich zum Wesen bürgerlicher Assoziationen. Es handelt sich mithin nicht einfach um eine Politikferne des Bürgertums im Kaiserreich, sondern um ein spezifisches Verständnis von Politik, das ihnen innerhalb der Kommunen, gestützt auf ihre exklusiven geselligen Zirkel, durchaus die Macht sicherte und mit dem sie, zumal seit den siebziger und achtziger Jahren, in der vermeintlich über dem politischen Alltag stehenden Sprache des Nationalen auch in der Gesellschaft allgemein eine Führungsrolle beanspruchen wollten.466 463 Leipziger Tageblatt, 30.10.1910. Die Z a h l könnte n o c h h ö h e r gelegen haben, da einige N a m e n nicht eindeutig zurechenbar waren. Z u d e m m u ß t e n die Logenverzeichnisse von 1906 zu G r u n d e gelegt werden, später eingetretene Logenbrüder sind folglich nicht erfaßt. Vgl. z u m »Harmonie-Komitee«: Schäfer. 4 6 4 Z S t A Moskau, F o n d 1412-1, N r . 5059 (Zepter): A u f n a h m e g e s u c h e II, N r . 1, Bd. 4 7 , 1 9 1 0 1913, A u f n a h m e g e s u c h R. G r e u p n e r , Breslau, 23.6.1912, Bl. 159. 465 Ansprache des liberalen Grossmeisters Prinz H e i n r i c h zu Schönaich-Carolath, in: FZ, Jg. 49, 1895, S. 92-94. 466 Vgl. z.B. f ü r F r a n k f u r t Palmowski; f ü r Breslau: van Rahden, Kap. V; sowie den Uberblick bei Gall u. Langewiesche (Hg.), Liberalismus, insbes. die Beiträge zu Breslau u n d Leipzig von Heuling, H o c h b u r g , u. Pohl.

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Daß eine so exklusive und gut vernetzte Geselligkeitsform des deutschen Bürgertums kaum ins politische Tagesgeschehen eingriff irritierte den Logen freundlich gesonnene Teile der Öffentlichkeit, während es ihren politischen Gegnern - dem Zentrum, den Sozialdemokraten, den Antisemiten - kaum glaubhaft erschien. So bedauerte Heinrich von Puttkamer 1908 in den konservativen »Berliner Neuesten Nachrichten« angesichts der Erfolge der Sozialdemokratie bei den letzten Reichtstagswahlen, daß sich die Logen nicht am politischen Leben direkt beteiligten. »Die deutschen Logen sind nach ihren Grundsätzen ebenso weit entfernt von ultramontanen wie von sozialdemokratischen Bestrebungen; sie gehören unbedingt zu den staatserhaltenden Parteien und könnten bei ihrer großen Verbreitung und guten Organisation bei den politischen Wahlen segensreichen Einfluß üben!«467 Den offenen Schritt in die Parteipolitik sind die deutschen Logen, anders als ihre französischen, aber ganz ähnlich wie ihre englischen oder amerikanischen Brüder im Jahrhundert bis 1914 nicht gegangen. Mit einer Verbitterung, die an das berühmte politische Testament eines anderen liberalen Bürgers, Theodor Mommsens, erinnert, verabschiedete sich 1879 Bluntschli von seinen wiederholten Versuchen, den Freimaurerbund ähnlich wie den Protestantenverein zu einer schlagkräftigen, national agierenden politischen Organisation umzuformen. »Ich hatte, wenn gleich nie zuversichtlich, gehofft, dem Bund, dessen Organisation vortrefflich ist, und der eine Fülle von Ideen in seinen Symbolen veranschaulicht, wirksam zu machen zur Stärkung der moralischen Kräfte in der Nation, die idealen Güter im Gegensatz zum blossen Materialismus auch in den Mittelclassen zu Ehren zu bringen, für geistige Freiheit ohne Zügellosigkeit und Roheit besser zu arbeiten und auch Humanität gegenüber den unteren Classen zu üben. Meine Illusion ist zerstört. Das Instrument ist unbrauchbar.«468 Bluntschlis Ziel, nach 1871 eine »Nationalloge« zu schaffen, welche das deutsche Logenwesen vereinheitlichen und im politischen Alltag gegen die »Feinde der Menschheit« führen sollte, scheiterte aber nicht nur am mangelnden Engagement der Mehrheit der Logenbrüder. 469 Sie erwies sich als illusorisch angesichts des föderalen und politisch unterschiedliche bürgerliche Kreise anziehenden Grundzugs der deutschen Freimaurerei. Die Trennung in eine national-konservative und eine humanitär-liberale Richtung vertiefte sich seit der Reichsgründung, vor allem seit den späten siebziger Jahren mit dem Aufkommen des politischen Antisemitismus. Sie verlief wenn auch nicht mehr 467 H . v. Puttkamer, Freimaurer, in: Berliner N e u e s t e N a c h r i c h t e n , 30.1.1908, Beil.; ähnlich argumentierte der liberale Freimaurer F. v. Pritzbuer, Die staatsbürgerlichen Pflichten des Freimaurers, in: D e r H e r o l d , Jg. 23, 1912, N r . 10, S. 117-123. 468 Bluntschli, Denkwürdiges, Bd. 3, S. 441. 469 Vgl. G. S c h a u e r h a m m e r j o h a n n Caspar Bluntschli als M e n s c h u n d Maurer, in: R., Jg. 35, 1908, S. 17-24, hier S. 24.

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ganz so eindeutig, weiterhin zwischen preußischen und nichtpreußischen Freimaurern. Die Verhandlungen zwischen den verschiedenen Großlogen nach 1871 entbehrten mit ihren diplomatischen Gesten und Rankünen nicht einer grotesken Selbstüberschätzung; sie interessieren hier nur am Rande und sollen nur in groben Zügen skizziert werden. Grundsätzlich warfen die Kriege von 1866 und 1870/71 die Frage auf, ob sich die deutschen Großlogen eine einheitliche Verfassung geben oder an ihrer föderalen Struktur festhalten sollen. Zunächst schienen die preußischen Großlogen nicht abgeneigt, sich der liberalen Konkurrenz mit staatlicher Hilfe zu entledigen. Nach 1866 mußte sich die Großloge von Hannover auf direktes Betreiben des preußischen Königs hin auflösen, ihre Logen schlossen sich »Royal York« an, die Logen Schleswig-Holsteins der »Großen Landesloge«. Nach 1871 folgte man freilich dem Vorbild des neuen Bundesstaats und hielt an der föderalen Struktur des deutschen Logenwesens fest. Die Großlogen von Hamburg, Frankfurt, Darmstadt, Bayreuth und Sachsen konnten ihre Eigenständigkeit behalten. Einzig die Loge »Zur aufgehenden Morgenröte«, die unter der Konstitution der »Grand Lodge of England« stand, wurde aufgefordert, sich einer deutschen Großloge (in diesem Falle Frankfurt) anzuschließen. 470 Seit 1868 existierte ein regelmäßiges Treffen der Spitzen der deutschen Großlogen, der »Großmeistertag«, der, unmittelbar nach der Reichsgründung angeregt, nach langwierigen Verhandlungen 1872 in einen »Großlogenbund« umgewandelt wurde. In einer Denkschrift hat Bluntschli vergeblich gefordert, aus dem lockeren Bund eine zentral geleitete »Reichsgroßloge« zu bilden. Z u mehr als jährlichen Treffen auf »Großlogentagen«, die zumindest eine grobe Vereinheitlichung der Politik der Logen zu erreichen suchten, waren die einzelnen Großlogen nicht zu bewegen. Eine solche föderale Struktur konnte zwar die Konflikte im Logenalltag verringern, grundsätzlich entsprach sie aber nicht den liberalen Hoffnungen der sechziger Jahre auf eine einheitliche und politisch schlagkräftige Freimaurerei. Auch die Hoffnung, daß der liberale Kronprinz Friedrich III. eine Reform der preußischen Freimaurerei gegen den Willen des Vaters erreichen könne, erfüllte sich nicht. 1874 legte Friedrich sogar sein Amt als Ordensmeister der »Großen Landesloge« nieder, behielt aber das Amt des stellvertretenden Protektors aller preußischen Logen. Er zog damit die Konsequenz aus dem Widerstand der Logenbeamten gegen seine Versuche einer Historisierung der Gründungsmythen der »Landesloge« und ihrer Re470 Da die Rechtslage unklar sei, komme es »alsdann nur noch darauf an, ob die Intention Sr. Majestät des Königs, die große Loge von Hannover und deren Tochterlogen mit einer der drei privilegierte Preußischen großen Logen zu vereinigen, ohne königliche Verordnung erreicht werden kann.« GStA Berlin, Bestand Justizministerium, 2.5.1, Nr. 6992: Freimaurerei. Allgemeines, 1861-1876, Votum des Justiz-Ministers, Seiner Exzellenz dem Königlichen Staats-Minister und Ministers des Innern Herrn Grafen zu Eulenburg vorzulegen, Berlin, 6.5.1867. Vgl. auch als liberale Kritik: [Merzdorf], Freimaurer-Logen.

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form.471 Solange aber die Berliner Großlogen unter dem Einfluß des »Heldenkaisers« Wilhelm I. und dessen Entourage standen, saß die christlich-konservative Richtung politisch am längeren Hebel, auch wenn die Mehrheit der Logenbrüder liberal gewesen sein mag. Es schien freilich nur eine Frage der Zeit, bis unter Friedrich III. die Liberalen auch in den Großlogen die Uberhand gewinnen würden. Der Tod Friedrichs III. im Jahr 1888, nur wenige Monate nach dem des Vaters, beendete diese Hoffnungen plötzlich und folgenreich. Friedrich III. hatte vergeblich versucht, seinen Sohn für die Freimaurerei zu begeistern.472 Wilhelm II. zeigte keine Neigung für die Freimaurerei, weder für ihre christlich-konservative Richtung, auf die sich Wilhelm I. gestützt, noch für ihre liberal-humanitäre, »englische« Richtung, die der Vater, Friedrich III., verkörpert hatte. Wilhelm II. brach bewußt mit der traditionellen Bevorzugung der Logen durch die Hohenzollern, sicher auch, um sich der Ideenwelt des Vaters zu entledigen. Erst auf Drängen der Konservativen in den Berliner Großlogen erklärte sich der Kaiser bereit, seinen Vetter, Prinz Friedrich Leopold von Preußen, der 1888 in Berlin Freimaurer geworden war, im Jahr 1894 zum neuen Protektor der preußischen Freimaurerei zu berufen. Aus seiner Abneigung gegenüber der Freimaurerei hat Wilhelm II. dennoch kein Hehl gemacht. Zum Beispiel veranlaßte der Kaiser im Jahr 1911, alle freimaurerischen Bezüge bei der Neuinszenierung der »Zauberflöte« an der Berliner Staatsoper zu strei471 Bei e i n e m Besuch der Breslauer Logen erläuterte der Kronprinz seine Motive: A u f einer Reise nach Schweden hatte der schwedische König, Protektor der Logen seines Landes, i h m Z u gang zu d e n Freimaurerakten verschafft, auf die sich das »schwedische System« der »Große Landesloge« berief. »Was habe ich dort gefunden? N i c h t s N e u e s , nichts, was u n s nicht schon bekannt wäre.« D e r Kronprinz hatte nach H i n w e i s e n gesucht, welche die phantastische G r ü n d l u n g s l e g e n de des »schwedischen Systems« belegt hätten. G e f u n d e n hatte er j e d o c h nichts, was über das E n d e des 18. J a h r h u n d e r t s hinaus reichte. D e r Kronprinz forderte die Breslauer Logenbrüder auf, d u r c h kritische historische F o r s c h u n g e n die Mystifikationen der »Großen Landesloge« zu entschleiern, d e n n »im G r o ß e n u n d Ganzen betrachte Ich eben die Freimaurerei als das Edelste u n d Erhabenste neben der Religion«. GStA Berlin, Logen, 5.2. Β 141 (Vereinigte), N r . 284: E m p f ä n g e b e i m P r o tektor anläßlich seiner Anwesenheit im Breslauer Schloß, 1870-1879; Protokoll über einen E m p fang einer D e p u t a t i o n der drei Breslauer Logen d u r c h den Kronprinzen im Königlichen Schloß zu Breslau, 10.9.1875. D e r d u r c h den Widerstand einer Fraktion konservativen Beamten e r z w u n g e n e Rücktritt des liberalen Kronprinzen v o m A m t des O r d e n m e i s t e r s der »Großen Landesloge« hat in d e n preußischen Logen sein E i n d r u c k nicht verfehlt. D e r Kronprinz selber meinte 1886 in Straßb u r g bei seinem letzten Besuch einer Loge: »Mit großer G e n u g t u u n g sehe ich, daß gegenwärtig meine A n r e g u n g e n U n t e r s t ü t z u n g u n d N a c h e i f e r u n g fanden, u n d stieß ich auch anfänglich auf großen Widerspruch, so sehe ich d o c h heute bereits, daß der Geist, d e n ich anstrebte u n d stets anstreben werde, j e m e h r u n d m e h r in d e n Logen R a u m gewinnt.« Fluhrer, S. 15. 472 Bezeichnend ist eine nach d e m T o d v o n Friedrich III. zirkulierende Anekdote, w o r a n der Eintritt Wilhelms II. in die Loge gescheitert sei. »Sein Vater, damals natürlich n o c h Kronprinz, n a h m den j u n g e n Prinzen Wilhelm mit zu d e m Großmeister der G r o ß e n Landesloge, u m i h n m i t diesem bekannt zu machen. Die beiden H e r r e n besprachen zunächst u n t e r vier Augen die F o r m a litäten, u n t e r d e n e n die A u f n a h m e vor sich gehen sollte [...] W ä h r e n d d e s s e n w u r d e d e m allein gelassenen Prinzen die Zeit zu lang, u n d er ging m i t d e n unwilligen W o r t e n : >Ein H o h e n z o l l e r n wartet nicht!< seines Weges.« Horneffer, Freimaurerleben, S. 38.

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chen.473 Die herausgehobene Stellung, welche den Logen im preußischen Staat und auch im Kaiserreich bis 1888 zukam, ging nicht zufällig ungefähr zeitgleich mit dem Ende des politischen Bündnisses von Obrigkeitsstaat und gemäßigt liberalem Bürgertum verloren. Der Tod der beiden Protektoren der preußischen Freimaurerei im Jahr 1888 war auch in anderer Hinsicht eine Wende. Die öffentlich sichtbare Distanz Wilhelms II. war Ausdruck wie Katalysator eines neu erwachten Vorbehalts gegen die Freimaurerei von konservativ-monarchischer und, seit den achtziger Jahren, von antisemitischer Seite. Sie stürzte, wie auch die »Vossische Zeitung« beobachtete, die konservativen preußischen Logen vorübergehend in eine Krise.474 Nicht zufällig erschien 1888 im »Dreikaiserjahr« ein Artikel in der »Antisemitischen Correspondenz« Theodor Fritschs über »Freimaurerei und Judentum« in dem es heißt: »Weder sittliche noch Nützlichkeits-Gründe sprechen für die Existenz-Berechtigung der Freimaurerei. Was von Logenmoral an die Oeffentlichkeit dringt, ist nicht gerade erbaulich, und ein Interesse daran, daß die Freimaurer-Cliquen in der Staats- und Gemeinde-Verwaltung mit ihren Brüdern möglichst alle Stellen besetzen, haben doch nur die Freimaurer selbst«. Antiliberalismus und Antisemitismus verdichteten sich im Zerrbild der Logen. »Das Schlimmste aber bleibt doch der Einfluß«, heißt es weiter, »den der Jude auf das Logenwesen gewonnen hat. Der Umstand, daß die sogenannte >große Landesloge< keine Juden aufnimmt, ändert daran wenig. Den Juden anderer Logen darf als Gästen der Zutritt nicht versagt werden, und so gehen sie auch in der als antisemitisch verschrieenen Landesloge aus und ein und benutzen dieselbe als Auskunfts-Bureau für geschäftliche und politische Spionage.« Gefordert wird ein Verbot der Logen, um die von der Verfassung festgeschriebene Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetz zu garantieren.475 Den absurden Vorwurf die Loge sei eine »Filiale« der Alliance Israelite, erhob außer der »Antisemitischen Correspondenz« auch die konservative »KreuzZeitung«. Mehr noch, es sei offenkundig, »daß das internationale Freimaurerthum eine der Hochburgen des gleichfalls internationalen Judenthums ist, und dass unter der Maske der Humanität in den Logen lediglich die Geschäfte der letzteren besorgt werden«.476 Das antisemitische Schlagwort »Juden und Freimaurer« erreichte nicht nur in Österreich-Ungarn ein Maß an Popularität, daß jeder, der zugunsten des Judentums das Wort ergriff, selbst entweder als Jude

473 Vgl. J. Minor, Freimaurer in Sicht, in: Deutsche Rundschau, Bd. 150, 1912, S. 43-54; Kaiser Wilhelm II. und die Freimaurer!, in: FZ, Jg. 67, 1913, S. 100. 474 Eine Krisis in der Freimaurerei, abgedr. in: FZ, Jg. 42, 1888, S. 241-243. 475 Freimaurerei und Judentum, in: Antisemitische Correspondenz, Jg. 3,1888, Nr. 32, S. 1 3, hierS. 3. Vgl. auch z.B.: Das Judentum in den deutschen Freimaurer-Logen, in: Hammer, 1912, Nr. 233, S. 123-125. 476 Zit. n. Latomia NF, Jg. 11, 1888, S. 118.

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oder als Freimaurer galt.477 Selbst die Abwehr des Antisemitismus in den Logen blieb diesem Schlagwort verhaftet, da sie zumeist eine Distanzierung vom Judentum einschloß. Eine beißende Kritik von konservativer Seite erfuhr die Freimaurerei 1882 vom Herausgeber der »Allgemeinen Konservativen Monatsschrift«, Dietrich von Oertzen. 478 Sie schließt an die Kritiken von Hengstenberg und Bauer aus den Dekaden nach 1848 an; jüdisch-freimaurerische Komplott-Theorien wie sie von katholischen und antisemitischen Publizisten vertreten wurden, finden sich hier freilich nicht, Eckerts Schriften werden als wertlos abgekanzelt. Oertzen, einer der wichtigsten konservativen Publizisten Sachsens, richtete seinen Hauptvorbehalt gegen den »ebenso thörichten, wie lächerlichen Anspruch« der Logen, »ein moralisches Institut zu sein«. Sie sollten sich statt dessen zu einem internationalen Klub mit rein geselligen Zwecken umbilden. Schließlich sei der Freimaurerbund seinem Ziel, ein »idealer Menschheitsbund« zu werden, nicht näher gekommen, »vielmehr hat sich derselbe, während er seinem ursprünglichen Sinn nach eminent demokratisch sein sollte, zu einem meist freilich mehr geld- als geburtsaristokratischen Klub entwickelt, dem nichts erwünschter war, als der Beitritt der Großen und Mächtigen dieser Erde, der mit den demokratischen Ideen nur spielte, so lange sie nicht bedrohlich für den Geldsack wurden«. Uberhaupt sei »die Loge das Lieblingskind des dritten Standes«, »Liberalismus und Logentum ziemlich gleichbedeutend«, »die >liberalen< Volksvertreter fechten in den Parlamenten für die Lieblingsideen der Loge«: die Zivilehe, die Trennung von Schule und Religion, der Kulturkampf des Staates gegen die Kirche. Die Loge stelle »sich neben und über die Kirche und behauptet etwas Allgemeineres und darum Höheres insofern zu sein, als sie nur die natürliche Religion betont, welche allen Menschen gemeinsam sei, sonst aber den Leuten ihre Meinungen belasse«. Daher entwickele die freimaurerische Religiosität, wie sie sich etwa in Bluntschlis »Freimaurergesprächen« darstelle, »in platter und trivialer Sprache« eine Weltanschauung, die alle Religion ausschliesse und eben deshalb so anziehend auf den »dritten Stand« wirke: »Die Freimaurerei ist eben eine bequeme Religion, aber mehr bequem als Religion«.479 Aufsehen erregte auch die Kritik des »Deutschen Adelsblatts«, der Zeitschrift der »Deutschen Adelsgenossenschaft«, die im Jahr 1896 erklärte: »Daß die Freimaurerei, als solche und im Princip, unser Feind, d.h. der Feind einer auf dem Autoritätsprincip historisch erwachsenen christlich-monarchischen Gesellschafts-Hierarchie ist, und zwar einer unserer gefährlichsten Feinde.« Die

477 45, zit. 478 479

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So H. Graf Coudenhove-Kalergi, Das Wesen des Antisemitismus (1901), Wien 1929, S. n. Levenson, S. 29; vgl. allg. Kate, Jews. ν. Oertzen. Ebd., S. 12, S. 27, S. 40, S. 74, S. 78f., S. 85.

Kritik richtete sich im Kern gegen die konservativen Logenbrüder, denen politische Blindheit vorgeworfen wurde, seien doch »Demokratisierung und Republikanisierung der Völker, Ablösung des christlich-monarchischen Staats durch ein auf den Naturalismus basirtes, internationales >Maurerreich< der >Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit« die letzten Ziele der Freimaurerei. 480 Es entbehrt nicht der Ironie, daß die Freimaurer für Antisemiten, Katholiken und Konservative im gleichen Maße zu politischen Verschwörern stilisiert wurden, wie sie Linksliberale wie Bluntschli aufgrund ihrer politischen Trägheit zur Verzweiflung brachten. Michael Georg Conrad, naturalistischer Schriftsteller und Publizist, begeistert linksliberal und antiklerikal, meinte 1882 über das deutsche Logenwesen: »Die Gummi-Elasticum-Moral und die Denkfeigheit drohen die Sittlichkeit unseres Bundes zu einem äußeren linguistischen Anstand, zum wesenlosen Schattenspiel spiessbürgerlich-romantischer Rhetorik herabzuwürdigen und alle ethischen Maasstäbe zu verrücken. U m sich ein Urtheil über das Wesen und Streben eines Mannes zu bilden, forscht man nicht mehr nach dem Kern seines Erkennens und Empfindens, seines Wollens und Könnens, sondern man begnügt sich [...] zu fragen: hat er die guthmütigen Miniatur-Tugenden, die in unsern niedlichen Rahmen passen, spielt er eine sociale Rolle, die unserer Eitelkeit schmeichelt, bereitet er uns keine Verlegenheit durch seine freie Rede, kurz, ist er die vollendete Mittelmässigkeit des geistigen, moralischen und socialen Conventialismus?« U n d an anderer Stelle heißt es knapp: »Die Loge ist kein Laboratorium der neuen Ideen, sondern ein Conservatorium der alten.«481 Conrad war zwar Begründer einer deutschen Loge in Neapel, dem deutschen Logenwesen stand er jedoch skeptisch bis ablehnend gegenüber. Es ist eben die Saturiertheit des in den Logen versammelten Bürgertums, in der Kritiker wie Conrad bei allen Erfolgen Zeichen für Dekadenz und baldigen Niedergang zu sehen glaubten. N u r durch die Teilnahme der Logen am »kirchlichen und staatlichen Fortschritt«, am »auf der ganzen Linie entbrannten Culturcampfe« könne die Freimaurerei ihre Modernität beweisen.482 Solche linksliberalen Intellektuellen stellten in den Logen eine Minorität dar, publizistisch waren sie aber wirksam. Im italienischen »Literaten« und politisierenden Freimaurer Settembrini hat Thomas Mann diesen IntellektuellenTypus karikiert (tatsächlich war der Literaturprofessor und Freimaurer Luigi Settembrini in Neapel Conrads Universitätslehrer). Vor allem linksliberale 480 Streifzüge durch das Reich der Freimaurerei, in: Deutsches Adelsblatt, Jg. 14, 1896, S. 666-670, S. 685-688, S. 703-710, S. 724-729, hier S. 667, S. 686. Vgl. auch die Kritik des »Konkurrenzblattes«: Das Freimaurerthum, ein AngrifFsobjekt des »Deutschen Adelsblattes, in: Adels- und Salonblatt, Jg. 4, 1896, S. 589f.; ferner: Die Angriffe auf die Freimaurerei, in: Vossische Zeitung, 1896, Nr. 370. 481 Conrad, Flammen, S. 8, S. 224. Z u Conrad vgl. auchJelavkh, Munich, S. 26ff. 482 Conrad, »Mehr Licht!«, S. 30f. Vgl. auch ders., Reissbrett; ders., Freimaurer.

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Freimaurer wie Conrad, Findel oder Bluntschli forderten eine Politisierung der Logen, u m einen Weg aus der Krise des liberalen Selbstverständnisses zu finden. Mehr noch als die Feindschaft gegen die Sozialdemokratie bot der Kulturkampf gegen die katholische Kirche den Freimaurern die Gelegenheit, für die Nation, für die »Sache der Menschheit« Partei zu ergreifen. 483 Fragt man, was ungeachtet aller politischen Differenzen das einigende Band der Logenbrüder im Kaiserreich bildete, m u ß ein erbitterter Antikatholizismus an erster Stelle genannt werden. 484 Wie überhaupt die Religion für das politisch-moralische Selbstverständnis der Logen wie für die deutsche Bürgergesellschaft seit den sechziger Jahren zur Schlüsselfrage wurde. Die aggressive Sprache der liberalen Kulturkämpfer in den Logen zeigt, wie eng die Idee vom Fortschritt der Menschheit verbunden war mit Verfallsängsten und Gewaltphantasien.

3.3 Fortschritt oder Barbarei? Katholiken und Freimaurer Die Politisierung des Katholizismus seit der Mitte des 19. Jahrhunderts fand auch ihren Niederschlag in einer strikten Gegnerschaft zur Freimaurerei. U m gekehrt war der unpolitische Anspruch der Logen begleitet von einer Stilisierung der katholischen Kirche, insbesondere aber des Jesuitenordens, als geheime Gegenmacht des Fortschritts. Katholische und liberale Politiker und Gelehrte, wie von Ketteier und Stolz auf der einen, Venedey oder Bluntschli auf der anderen Seite, lieferten sich seit den sechziger Jahren scharfe publizistische Gefechte. Eine Zuspitzung erfuhr diese Gegnerschaft in dem Konflikt zwischen dem neuen Nationalstaat und der katholischen Kirche nach 1871.485 Seither betrachteten sich beide Seiten, die Logen wie die katholische Kirche, als letzte, metaphysische Feinde. Die deutschen Freimaurer, die laut ihren Satzungen jeden Streit über Politik und Religion aus ihren Räumen verbannen sollten, erwiesen sich als erbitterte Kulturkämpfer. Sie standen den französischen oder italienischen Logenbrüdern in ihrem Antikatholizismus in nichts nach, auch wenn sie sich im Gegensatz zu jenen nicht atheistisch, sondern überwiegend kulturprotestantisch begriffen. 486 Wie in Frankreich und Italien überrascht auch 483 V e r h a n d l u n g e n der Großloge, Berlin 24.6.1872, in: Mitt. aus d e m B u n d e der Grossen National-Mutterloge der Freimaurer in d e n Preussischen Staaten, gen. Z u den drei Weltkugeln im O r i e n t Berlin, Jg. 3, 1872, S. 239ff., hier S. 242. 484 Vgl. f ü r Frankreich: Cubitt, Jesuit M y t h ; ders., Catholics·, f ü r das Kaiserreich argumentiert ähnlich: Blackbourn, Marpingen, S. 250. 485 Vgl. Anderson, Windthorst, bes. Kap. 7: Die zwei N a t i o n e n ; Blackbourn, Progress; ders., M a r p i n g e n ; ders., Volksfrömmigkeit; Sperber, Catholicism, S. 207-252; Mergel, Klasse, bes. S. 253ff.; sowie Altgeld, S. 195-211; Smith, Nationalism; Gross, Kulturkampf; ders., Anti-Catholicism; Healy, Jesuit; dies., Religion. 486 Vgl. z u m Begriff: Hübinger, Kulturprotestantismus. Z u m Antikatholizismus der Logen in Frankreich u n d Italien vgl. Cubitt, Jesuit M y t h ; ders., Catholics; Lyttelton.

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hier die Schärfe der Sprache, die weit über das Machtkalkül Bismarcks hinausschoß. Es ist die aufgeklärt-liberale, protestantisch gefärbte Sprache des moralischen Universalismus, bei der sich die ältere Metaphorik von Licht und Finsternis mischte mit der neuen Sprache des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, die den Konflikt zwischen Staat und Kirche existentialisierte.487 Freimaurer wie Bluntschli sahen freilich schon vor der Reichsgründung im Katholizismus ihren existentiellen Feind. Für Bluntschli, seit 1861 als Nachfolger Robert von Mohls Professor in Heidelberg und seit 1864 Meister vom Stuhl der dortigen Loge, zeugten die päpstlichen Enzyklikas gegen die Freimaurerei von dem »nächtlichen Dunkel der Unduldsamkeit« davon, »wie weit man noch in Rom zurückgeblieben ist hinter den sittlichen Fortschritten der Menschheit«.488 Bluntschlis Haß auf den Katholizismus speiste sich aus dem Fortschrittsglauben und Krisengefühl der liberalen Freimaurer gleichermaßen. Im Jahr 1869 warnte er vor einer Selbstgefälligkeit und Zuversicht im Bürgertum, die »auf unterhöhltem Boden« stehe. Zwar sei der Freimaurerbund machtvoll als »der einzige freie Verband gebildeter Männer, welcher sich über die ganze Erde hin erstreckt.« Die »gebildeten Bürgerkreise« fühlten sich aber sicherer, als sie seien. »Sie vertrauen der Bildung, der Wahrheit, dem Geiste des Jahrhunderts, aber sie unterschätzen die feindlichen Mächte. Jene finstere Autorität findet sich in den höchsten Kreisen der Höfe und in den Tiefen der unwissenden grossen Menge, vorzüglich in der ländlichen Bevölkerung einen höchst gefährlichen und grossen Anklang. Sie bereitet sich mit schlauer Berechnung der menschlichen Schwächen und Leidenschaften und mit dem Eifer des religiösen Fanatismus zum bevorstehenden Weltkampfe vor.« Gelänge es »jener gewaltigen Macht«, die Herrschaft wiederzuerlangen, würden nicht nur die Freimaurerei, sondern »die höchsten Güter der Menschheit einer momentanen Zerstörung verfallen und eine entsetzliche Barbarei hereinbrechen. Hundertmal lieber sterben, als das ertragen.«489 Die Ultramontanen seien »Verbrecher an der Menschheit«, wie er in einer Logenrede 1873 erneut behauptete, denen die Freimaurer als Sachwalter der Humanität entgegentreten sollten.490 Für Bluntschli lautete die Frage manichäisch einfach: »Soll der Fortschritt, den die Menschheit seit Jahrhunderten gemacht hat, erhalten bleiben? Will die Menschheit ihren Fortschritt bewahren, so muss sie sich der fürchterlichen Macht erwehren, welche diesen Fortschritt mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln zu untergraben unternimmt. Und der Maurerei wohnt von selbst die Aufgabe inne, auf geistigem Wege diesen 487 Blackboum, Marpingen, S. 250; Langewiesche, Liberalismus, S. 180ff. 488 J . C . Bluntschli, R u n d s c h r e i b e n der Loge R u p r e c h t zu d e n f ü n f Rosen in Heidelberg, 14.10.1865, in: ders., Denkwürdiges, S. 122-129, hier S. 124f. 489 J . C . Bluntschli, Ein dreifaches Feuer. Bei E i n w e i h u n g des n e u e n Logenhauses in Karlsruhe ausgebracht, in: Bh., Jg. 12, 1869, S. 345f., hier S. 346. 490 Z u r E r i n n e r u n g an das 100jährige Stiftungsfest, S. 10.

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Kampf im Dienste der Menschheit aufzunehmen; sie würde verworfen, wenn sie diese Aufgabe nicht erfüllt.«491 Die Loge sollte als moralische Elite an der Spitze des Kulturkampfes marschieren für Fortschritt, Humanität und Glaubensfreiheit. Sie sei zwar nicht die einzige Macht, die diese Ideen ausspreche, aber »die einzige Weltorganisation, welche diese Ideen institutionsgemäss vertritt«.492 In den Jesuiten, von denen es vor ihrem Verbot 1872 kaum zweihundert im Kaiserreich gab, sah Bluntschli wie auch eine breite liberale Öffentlichkeit die finsteren Gegenspieler der Freimaurer. »Der Bund, welcher an dem künftigen Tempel veredelter Menschlichkeit arbeitet, kann nicht die Arme verschränken und ruhig einschlafen, wenn er weiss, dass der Boden unterminirt wird, und die Ordensleute der Finsternis Anstalten treffen, um seinen Bau in die Luft zu sprengen, und den Fortschritt der Menschheit zu ihrem Verfalle umzuwandeln.« 493 Von einer ähnlichen Vermischung von Fortschrittsglauben und Niedergangsängsten zeugt eine Logenrede des Historikers Wilhelm Oncken im selben Jahr. Die Verallgemeinerung der menschheitlichen Ideen der Logen in der Gesellschaft sei unübersehbar, ja, die »moderne Menschheit eine einzige grosse Colonie des Fr[ei]m[aure]r-Ordens geworden«. Die moderne Bildung befinde sich aber im Kriegszustand gegen die »finsteren Mächte«, die Logen seien der »vorgeschobene Posten«, eine »Armee«, die eines eigenen Moltkes bedürfe. Hierin liege ihre neue Aufgabe. Die Logenversammlung nahm die Rede begeistert auf, Bluntschli sei der richtige General für diese letzte Schlacht.494 Wie tief sich auch in feinsinnigere Köpfe die Rhetorik des Krieges gegen die »Feinde der Menschheit« einschliff, zeigen zwei weitere Zitate. Bei Emil Rittershaus, dem bekanntesten freimaurerischen Dichter der zweiten Jahrhunderthälfte, heißt es: »Das Nachtgespenst des Mittelalters, Bald mit Tonsur, bald glatzenfrei, Hier in Talaren, dort in Kutten! Frisch au£ du deutsche Maurerei, Ergreif das Schwert des Ritters Hutten.« 495

Und der Meister vom Stuhl der Loge »Apollo« faßte die Gefühle der Logenbrüder drastisch zusammen: »Wir sind nicht der Meinungjener, die da sagen, der 491 Ebd. 492 Ebd., S. 6. 493 Brief Bluntschlis an die Loge Modestia cum Libertate in Zürich, in: Bh., Jg. 16, 1873, S. 23. 494 Rede des Br Prof. Oncken über den Aufruf des Br Ficke in Freiburg, geh. in der Fesdoge der Loge »Ludwig zur Treue« in Glessen, in: FZ, Jg. 27, 1873, S. 113-116. Vgl. zuvor: A. Ficke, Aufruf an die deutschen Freimaurerlogen, in: ebd., S. 33f. Bluntschli lehnte dankend ab. Vgl. ders., Die Loge Ruprecht zu den fünf Rosen an Br Aug. Ficke im Or. Freiburg im Breisgau, in: ebd., S. 161 f. 495 Bh., Jg. 16, 1873, S. 65. Vgl. ferner Rittershaus.

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jesuitische Ultramontanismus sei auch eine kirchliche Partei oder Secte, die respektirt werden müsse, deren Anhänger eben so zu dulden seien, ja vielleicht gar von uns aufgenommen werden könnten, wie Jeder, der eine ehrliche Uberzeugung habe. Wir halten vielmehr diesen jesuitischen Ultramontanismus für einen offenkundigen Verschwörer gegen jeden staatlichen, religiösen und gesellschaftlichen Fortschritt, für den notorischen Feind der gesamten modernen Cultur.«496 In den frühen siebziger Jahren finden sich noch vereinzelt Reden gemäßigt konservativer Freimauer, die sich gegen eine solche Zuspitzung der Feindschaft gegen den Katholizismus wenden. Oswald Marbach etwa hatte in seiner bereits erwähnten Rede von 1873 an dem metapolitischen Anspruch der Logen festgehalten und das voraussehbare Dilemma benannt, das entreten würde, sobald die Logen im Namen der Menschheit Partei ergreifen. Schließlich »behauptet jede der streitenden Parteien unter den Menschen, dass sie, und zwar sie allein, für Licht, Leben, Liebe und in Summa für wahre Freiheit kämpfe« - auch die katholische.497 Je mehr sich der Konflikt mit dem politischen Katholizismus verschärfte, desto mehr erschien Marbachs Position freilich als jene »GummiElasticum-Moral« und »Denkfeigheit«, die in den Augen von Linksliberalen wie Michael Georg Conrad drohte, »die Sittlichkeit unseres Bundes zu einem äußeren linguistischen Anstand, zum wesenlosen Schattenspiel spiessbürgerlich-romantischer Rhetorik herabzuwürdigen«. 498 Die Logen sollten den Schritt zur offenen Politik gehen. Daher die letztlich gescheiterten Bemühungen von linksliberalen Freimaurern wie Bluntschli und Conrad, eine einheitliche deutsche Großloge zu gründen. Darüber hinaus schien die Aufklärung des »rückständigen« Volkes ein vordringliches Ziel zu sein. Viele Logen unterstützten etwa die »Gesellschaft zur Verbreitung von Volksbildung« oder den »Dresdener Erziehungsverein«. Vereinzelte Überlegungen, sich auch sozial nach unten zu öffnen, kommentierten katholische Publizisten spöttisch: »Daß die Maurerei, so ganz aus der Bourgeoisie sich rekrutierend, bei dem Unternehmen ein klägliches Fiasko erleiden müßte«, schien ihnen unzweifelhaft. 499 Es mag überraschen, daß die liberalen Freimaurer, die lange Zeit selbst als »Staat im Staate«, als Verschwörer gegen die staatliche Ordnung galten, die Argumente katholischer Publizisten umkehrten und sie gegen den »Ultramontanismus«, insbesondere den Jesuitenorden, wandten. Ketteier hatte das schon 1871 erkannt, als er dem »maurerischen Liberalismus« vorwarf, er umarme den 496 W. Smitt, Wir u n d die U l t r a m o n t a n e n , in: Bh., Jg. 16, 1873, S. 309-312, hier S. 310. 497 Marbach, Freimaurerei, S. 275. Ähnlich auch A. Schmidt, Freimaurer u n d U l t r a m o n t a n e . Rede am Stiftungsfest des Johannis-Loge zu d e n drei goldenen Schlüsseln, in: Z C , Jg. 1,1872, S. 73-78. 498 Conrad, F l a m m e n , S. 8. Vgl. auch dessen Kritik an Marbach, ebd., S. 14ff. 499 Kissling, Kap. 29: D e r Anteil der deutschen Freimaurerei am Kulturkampfe, S. 259-272, hier S. 269f.

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staatlichen Absolutismus, den er zuvor bekämpft habe, nun da die Staatsgewalt dem Liberalismus diene. Dieser Liberalismus, der sich auf die »Theorien der Loge« stütze, sei eine Karikatur christlicher Religiosität. »Was man in alter Zeit für die Sätze der göttlichen Offenbarung beanspruchte, das nimmt dieser moderne Liberalismus mit unausprechlicher Naivetät [!] für sich in Anspruch. Seine Sätze über Staat, über Ehe, über Schule, über confessionsloses Christenthum nimmt er als unfehlbare Sätze an und will er verwirklichen durch Zwang, durch Staatsgesetze, durch einen Generalstab, angeblich durch einen Moltke geleitet.«500 Katholischen Politikern fiel es nicht schwer, die staatliche Protektion der Loge auf der einen und die liberale Politik der Trennung von Staat und Kirche auf der anderen Seite gegeneinander auszuspielen. Schon kurz vor der Reichsgründung hatte in einer Petition an das Preußische Herrenhaus ein Professor Michaelis aus Braunsberg gefordert: »Es möge dem hohen Hause gefallen, einen Akt der Gesetzgebung zu provociren, wodurch der Schein der Identifizierung des Staats mit der Loge, oder doch eine Protektion der Loge durch die Staatsautorität direkt desavouirt wird.« 501 1876 richtete der Berliner Verein der Zentrumspartei eine - ebenso erfolglose - Petition an das Abgeordnetenhaus, die angesichts des 1872 erfolgten Verbots des Jesuitenordens (das erst 1917wieder aufgehoben wurde) eine »Beseitigung der widergesetzlichen Privilegien und die Stellung der Freimaurervereine unter das allgemeine Recht« aufgrund ihrer »Heimlichkeit«, ihres »confessionellen Charakters« und ihrer »politischen Tendenz« forderte. 502 In der bayrischen Kammer argumentierte ein Zentrumsabgeordneter zwei Jahre später ganz ähnlich. Während die »volks- und staatsgefährlichen Freimaurerlogen unbewacht« seien, stünden die katholischen Vereine unter strenger polizeilicher Aufsicht. Auch die Versicherung des Innenministers von Pfeufer, die Freimaurerei beteilige sich nicht an der Politik, »wie überhaupt die im Königreiche bestehenden Logen nie etwas Nachtheiliges an sich haben wahrnehmen lassen«, konnte einen anderen Zentrumsabgeordneten nicht davon abhalten, auf die offensichtliche Ungleichbehandlung von Logen und katholischen Vereinen hinzuweisen, obwohl nur letztere wirklich unpolitisch seien. Dagegen sei er der »festen und unerschütterlichen Ueberzeugung, dass das Freimaurerthum ein eminent politischer Verein ist und zwar ein solch' politischer Verein, dass seit einem ganzen Jahrhundert die grosse Politik fast ausschliesslich gerade er gemacht hat (Heiterkeit links)«. Die Frei500 Erwiderung des Freiherrn von Ketteier an Professor Bluntschli, in: Freiheit und Kirchenregiment , S. 23-33, hier S. 28f., S. 30f. 501 G S t A Berlin, Bestand Justizministerium, 2.5.1, N r . 6992: Freimaurerei. Allgemeines, 1861-1876, Dritter Bericht der Petitions-Kommission; Petition des Professor Dr. Michaelis zu Braunsberg, die gesetzliche Stellung der Loge in unserem Staate betreffend, Preuß. Herrenhaus, Sitzungsperiode 1869-1870, N r . 87, Berlin, 4.2.1870. 502 Die Freimaurer vor dem Gesetz, in: Periodische Blätter zur wissenschaftlichen Besprechung der grossen religiösen Fragen der Gegenwart, J g . 5, 1876, S. 230-239.

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maurerei habe die allgemeine Säkularisation der Menschheit zum Ziel; auch die deutsche Reichspolitik sei »ein wesentliches Stück Logenpolitik (Stürmische Heiterkeit)«.503 Nichts beweist den von den Katholiken behaupteten Wandel im Verhältnis zwischen Staat und Loge mehr als der Umstand, daß alle parlamentarischen Anträge gegen die Logen nach 1871 nur Heiterkeit auslösten. Noch 1853 hatte die Petition Eckerts mit ihren kruden antifreimaurerischen Komplott-Theorien in der sächsischen Kammer zu Diskussionen und staatlichen Sanktionen gegen die Logen geführt. Zieht man darüber hinaus in Betracht, daß es im deutschen Südwesten eine offensichtliche Affinität zwischen Loge, Liberalismus und Altkatholizismus - den drei »bürgerlichen Todfeinden« des politischen Katholizismus - unzweifelhaft gegeben hat, erscheint die Schärfe des Konflikts nicht mehr ganz so überraschend. In Düsseldorf gehörten 1871 zwölf Prozent der Mitglieder des liberalen Wahlkomitees ebenso der Loge an wie drei der sechs Vorstandsmitglieder des Liberalen Vereins. Der Stuhlmeister der Loge Franz Lützeler stand lange Jahre der altkatholischen Gemeinde Düsseldorfs vor.504 In Köln zählten einige Altkatholiken ebenfalls zur Loge.505 Die Altkatholiken begegneten den Logen aus verständlichen Gründen mit Sympathie, schließlich waren auch sie gegen »Marpingerei, Hexenwahn und Paganismus«, sahen sie im Freimaurerbund ein »freiheitliches Gegengewicht« zum Jesuitenorden.506 Und doch: Daß die Logen für die katholische Kirche seit den sechziger Jahren zu einem »letzten« Feind werden konnten, läßt sich nicht nur mit dem politischen Konflikt des Kulturkampfs erklären. Vielmehr zeigen die vielen päpstlichen Enzykliken gegen die Freimaurerei seit dem 18. Jahrhundert, daß sie für die katholische Kirche eine Art politische Chiffre für die moderne Welt darstellte. Im menschheitlichen Anspruch der Logen sahen Jesuiten wie Michael Georg Pachtler oder Hermann Gruber einen »Götze [n] der Humanität«. Der »wirkliche Centraiherd der modernen Ideen« sei die Loge, »sie steht hinter dem Liberalismus, sie hat ihn erzeugt, großgezogen und organisirt; sie führt ihn gegen die Kirche und den christlichen Staat in den Kampf«.507 In der Zeitschrift »Der Kulturkämpfer« veröffentlichte 1880 der antisemitische Publizist Otto Glagau eine scharfe Polemik gegen die Logen, gegen ihre »süße Herzlichkeit« und »Aufklärerei«, die mit »innerer Nothwendigkeit zum 503 Stenographischer Bericht über die V e r h a n d l u n g e n der bayrischen K a m m e r der Abgeordneten, N r . 37, M ü n c h e n , d e n 25.1.1878. 504 Schloßmacher, S. 77ff. 505 Mergel, Klasse, S. 297. 506 Die päpstliche Encyklika gegen die Freimaurerei, in: D e u t s c h e r M e r k u r . O r g a n f ü r katholische R e f o r m b e w e g u n g , Jg. 15, 1884, S. 138-140; W e r sind die Freimaurer, in: ebd., S. 146-148; U r s p r u n g der Freimaurer-Encyklika Leos XIII., in: ebd., S. 156f.; Altkatholiken u n d Freimaurer, in: ebd., Jg. 28, 1897, S. 9 - 1 0 . 507 Pachtler, Götze, S. iv; Gerber, »Giftige Kern«.

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humanistischen >KulturkampfFreiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit verwirklichen zu wollen, die Herrschaft der Bourgeoisie und die Ohnmacht des Staates an.« In Deutschland sei die Loge eine »sociale Macht«, sie vertrete die Interessen von »Bourgeoisie« und Liberalismus. »Wen sie trägt, der ist geboren; wen sie verfolgt, der ist verloren. Daher ist auch der Andrang zur Loge ein so großer, und daher ist sie in der Lage sorglich auszuwählen und häufig zurückzuweisen. Wer Carriere machen, etwas vor sich bringen, gut fortkommen will, sucht Freimaurer zu werden.« Folglich sei der Einfluß der Logen auf den einzelnen wie auf die Gesellschaft nicht versittlichend, sondern »gemeingefährlich«.509 Liberalismus und Bourgeoisie, politisch-moralische und soziale Korruption überschnitten sich in der Sichtweise vieler Katholiken in der Figur des säkularen Freimaurers. Die Loge habe sich, wie das katholischen »Kirchenlexikon« von 1886 behauptete, keineswegs zur Aufgabe gestellt, »ihre Mitglieder aus den verschiedensten christlichen Confessionen mit den Banden bürgerlicher und geselliger Eintracht und socialer Tugend zu umschlingen und einen humanen und geselligen Verkehr im äußern Leben zu begründen, sondern stellt sich als >Kirche der Kirchen< über die letzteren und sehnt den Zeitpunkt herbei, in welchem alle Confessionen in sich selbst zerfallen, damit aus der Asche die Vernunftreligion als Surrogat des positiven Christenthums wie ein Phönix sich erhebe.« Durch den »humanistischen Geist« der Loge, der entgegengesetze Lehren zwar duldet, aber nur so lange man sie als »Meinungen« und nicht als geoffenbarte unfehlbare Wahrheit ansieht, sei die Freimaurerei bis in die Gegenwart der Träger des Indifferentismus. 510 Z u dieser theologischen Gegnerschaft traten Legenden über den »Teufelskult« der Freimaurer im Volksglauben.511 Gemeinsam schufen sie ein Weltbild, das ebenso manichäisch war wie das der aufgeklärten Logenbrüder. Für viele Katholiken repräsentierten die Logen das Bündnis von liberalem Bürgertum und preußischem Staat. Seit den sechziger Jahren verloren liberale Kandidaten, die sich im katholischen Rheinland oder Westfalen zur Wahl stellten, alle Chan508 [O. Glagau], Von der Königlichen Kunst, in: Der Kulturkämpfer, Jg. 1,1880/81, H. 19, S. 1-9, hier S. 5, S. 8. Z u Glagau vgl. auch Putzer, Antisemitism, S. 84f. 509 [O. Glagau], Politik und Loge, in: Der Kulturkämpfer, Jg. 1, 1880/81, H . 20, S. 1-10, hier S. 10. 510 Raich, S. 1984, S. 1982. Vgl. auch Beuren; sowie: J. Pfeneberger, Die Freimauer, in: Theologisch-praktische Quartalsschrift, Jg. 64, 1911, S. 90-97, hier S. 93. 511 Vgl. hierzu Teil II, Kap. 2.

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cen, sobald ihre Logenmitgliedschaft öffentlich bekannt gemacht wurde.512 Im Jahr 1872 fand der Aufruhr in Essen nach dem Verbot des Jesuitenordens seinen Höhepunkt im Angriff auf das Wohnhaus eines prominenten Logenbruders und Kaufmanns. Als die Polizei erschien, rief die Menge: »Auf zur Loge!«513 Wie schon in den fünfziger Jahren erhoben katholische Publizisten gegen die Logen den Vorwurf der Protektion etwa vor Gericht.514 Katholische Zeitungen, etwa das »Bamberger Volksblatt«, veröffentlichten in den siebziger Jahren zur Abschreckung regelmäßig und oft kommentarlos die Mitgliederverzeichnisse der lokalen Logen; umgekehrt hatten »ultramontane« Katholiken keinen Zugang zur Logengeselligkeit. Die wenigen Katholiken, die sich etwa in den Breslauer und Leipziger Logen finden, waren oft selbst »antiultramontan«.515 Katholischen Freimauern wurde die Absolution verweigert; nur wer auf dem Sterbebett widerrief und glaubhaft Reue zeigte, durfte kirchlich begraben werden.516 Selbst die Ehefrauen von Freimaurern waren von der Exkommunikati-

512 Solche Fälle e r w ä h n t z.B. Sperber, Catholicism, S. 163, S. 165, S. 190. N o c h 1908 galt es als Sensation, daß bei den Stadtverordnetenwahlen in Köln, bei d e n e n die Liberalen unterlagen, ein protestantischer Freimaurer als Kandidat des Z e n t r u m s gewählt w e r d e n konnte. D e r Erzbischof m u ß t e sich selbst für d e n Kandidaten einsetzen, u m Zweifel der katholischen Wählerschaft zu zerstreuen. Z e n t r u m u n d Freimaurer, in: Berliner N e u e s t e N a c h r i c h t e n , 23.5.1908; Das Z e n t r u m bekehrt?, in: ArS, Jg. 5, 1908, S. 190-192. 513 Ebd., S. 218, S. 230. 514 Intimes aus der Freimaurerei, in: Die Wahrheit, Jg. 42,1908, S. 161-172, S. 201-219, hier S. 162f. 515 In Breslau gab es k a u m Katholiken in d e n Logen, ungeachtet ihres h o h e n Anteils an der Gesamtbevölkerung. Vieles deutet d a r a u f h i n , daß i m m e r weniger Katholiken A u f n a h m e in eine Loge fanden. Von 1862 bis 1873 stand m i t Gustav W a x m a n n noch ein freisinniger Katholik u n d Arzt an der Spitze der Zepter-Loge. 1906/07 war u n t e r d e n n e u a u f g e n o m m e n e n Mitgliedern n u r einer katholisch, 21 dagegen evangelisch (davon einer v o m Katholizismus übergetreten), bei ein e m lagen keine Angaben vor. Z w i s c h e n 1910 u n d 1914 w a r e n alle 51 n e u e n Logenbrüder Protestanten. Z S t A Moskau, F o n d 1412-1, N r . 5126 (Zepter): A u f n a h m e g e s u c h e II, N r . 1, Bd. 44, 1906-1907; dass., Bd. 47, 1910-1913; dass. Bd. 48, 1912-1914. In der Leipziger Loge »Balduin« w u r d e n zwischen 1866 u n d 1875 9 (4,3%) katholische, 48 (22,6%) j ü d i s c h e u n d 154 (72,6%) evangelische Freimaurer a u f g e n o m m e n . Ahnlich war die Z u s a m m e n s e t z u n g des G e s a m t m i t gliedschaft der Loge »Apollo« im J a h r 1876: 4,3% katholisch, 27% j ü d i s c h u n d 68,7% protestantisch. D e r katholische Anteil blieb bis 1906 ungefähr konstant (3,6%), der j ü d i s c h e n a h m ab (6%), der protestantische stark zu (89,2%). Vgl. Tabelle 5.1; sowie Matrikel der Loge Balduin, S. 54. 516 A. Arndt, Die kirchlichen Vorschriften über B e h a n d l u n g der Freimauer, in: Theologischpraktische Quartalsschrift 1900, S. 26-33. Vgl. z.B. d e n Bericht ü b e r einen solchen Vorfall: »An das Krankenlager des Br. J o s e p h Finke in Berlin (Katholik) w u r d e a m 14. Mai d. J. ein Geistlicher seiner C o n f e s s i o n gerufen, u m i h m vor seinem H e i m g a n g e d e n letzten T r o s t u n d die Sakramente der Kirche zu spenden. Ein Kaplan der Michaeliskirche erschien darauf gegen Abend u n d bat, ihn mit d e m Kranken allein zu lassen. Alsdann hat er [...] d e n Sterbenden zu ü b e r r e d e n gesucht, der Freimaurerei abzuschwören, u n d als Br. Finke das entschieden ablehnte, verliess er das Sterbezimmer, o h n e das Sakrament zu spenden, ebenso verliess die graue Schwester d e n Sterbenden. Die Letztere kam aber am Sonntag d e n 15. wieder u n d suchte v o n N e u e m auf ein Abschwören der Freimaurerei hinzuwirken, i n d e m sie der Frau Finke das >frevelhafte Beginnen< ihres Sterbenden Gatten vorhielt u n d erklärte, dass n u r der T e u f e l - das sei in diesem Fall die Freimaurerei - Schuld

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on bedroht, sollten sie an Logenfesten teilgenommen haben. Glaubt man den Selbstzeugnissen von Freimaurern, gehörte einiger Mut dazu, in einer katholischen Kleinstadt die Loge zu besuchen. Phantasien über den Teufelskult der Freimaurerei im katholischen Volksglauben wie das Stigma durch Papst und Kirche führten etwa dazu, »daß nur ein vollständig Unabhängiger, ein in gesicherter Lebensstellung sich Befindender« in Münster daran denken konnte, der Loge beizutreten, wie der Meister vom Stuhl der dortigen Loge 1897 meinte und mit diesen Worten das Aufnahmegesuch eines Lehrers an einer katholischen Knabenschule ablehnte.517 Kaum ein Vorwurf schien zu bizarr, um ihn nicht gegen den jeweiligen Gegner zu wenden. 518 Sex & Crime war auch hier das Erfolgsmuster für fesselnde Geschichten. Berühmtheit erreichten die »Enthüllungen« Gabriel Jogand-Pages, der sich Leo Taxil nannte. 519 Taxil war bis Anfang der achtziger Jahre Wortführer der französischen »Antiklerikalen-Liga«. Bekannt waren seine Enthüllungsromane, etwa über die »Liebschaften Papst Pius' IX.«, die er frei erfand und zum Amusement antiklerikaler Kreise schrieb. 1881 gehörte Taxil kurzzeitig einer Loge an; seine Entlassung und seine Lust am Schwindel (oder sein »Fanatismus für Aufklärung«, wie Theodor Lessing mutmaßte) haben ihn eine überraschende Kehre vollziehen lassen.520 Nachdem 1884 Papst Leo XIII. in seiner Enzyklika »Humanum genus« wie seine Vorgänger die Freimaurer als »Synagoge des Satans« verteufelt hatte, schwor Taxil dem Antiklerikalismus ab und begann, antifreimaurerische Schriften zu veröffentlichen. Wie zuvor schon in seinen antiklerikalen Romanen, ließ er seiner Phantasie freien Lauf - und traf damit ähnlich zielsicher den Geschmack der anderen Seite. Sein Buch über die »Drei-Punkte-Brüder« wurde innerhalb weniger Jahre zu einem internationalen Bestseller; weitere »Enthüllungen« über die Logenrituale folgten, die zumeist sexuelle Ausschweifungen, Teufelskult und politische Komplott-Theorien mischten. 521 1897, ein Jahr nachdem Taxil auf einem internationalen Antifreimaurerkongreß in Trient von den anwesenden Bischöfen gefeiert worden war, löste er einen Skandal aus,

daran sei, wenn ihr Gatte nicht gesunde, oder aber, wenn die Krankheit schon zu weit vorgeschritten sei, nicht eines ruhigen, seligen Todes sterben könne!« Die letzten Worte des Kranken sollen »Ich sterbe als Freimaurer!« gewesen sein. SL, Jg. 10, 1890, S. 124. 517 H. Knobel, Ultramontanismus und Freimaurerei, in: BstF, Jg. 16,1907, S. 41-46, S. 5 5 59, hier S. 44. 518 Das »Bayrische Vaterland« ging so weit, den preußischen Logen politische Morde an katholischen Staatsbeamten zu unterstellen, Bismarcks gegen die Katholiken gerichtete Politik ließ sich nur erklären, indem er selbst zum Freimaurer erklärt wurde. Freimaurerisches aus Preußen, in: Das Bayrische Vaterland, 2.8.1871. 519 Vgl. zum folgenden: Hieronimus\ Weber, Satan. 520 T. Lessing, Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen, München 1919, S. 111. 521 Taxil. In kurzer Zeit verkauften sich mehr als 100.000 Exemplare.

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indem er sich dazu bekannte, daß seine »Enthüllungen« über die Logen nur die katholische Kirche täuschen und lächerlich machen sollten.522 Die Hysterie, die Taxils »Enthüllungen« in Deutschland, Frankreich, Italien oder Belgien auslösten, läßt sich nicht nur vor dem Hintergrund des politischen Konflikts zwischen Staat und Kirche begreifen. Taxils Schauergeschichten kamen einer Zeit entgegen, die sich wieder auf der Suche nach außerweltlichen Erfahrungen jenseits der entzauberten modernen Welt befand. Der moderne Okkultismus und Wunderglaube auf der einen wie der Bildungs- und Fortschrittsglauben auf der anderen Seite prägten das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts.523 Mit seinen Schriften traf Taxil zuerst die Bedürfnisse der Antiklerikalen, dann die der Klerikalen. Taxil popularisierte mithin den Konflikt zwischen Liberalismus und politischem Katholizismus und griff dabei viele Vorstellungen auf, die in der katholischen Bevölkerung schon lange über die »teuflischen« Logen sowie im kulturprotestantischen und säkularen Bürgertum der Logen über die »finsteren« Katholiken kursierten. Taxil bediente und verstärkte als Grenzgänger zwischen liberalem und katholischem Lager die Vorurteile auf beiden Seiten. N u r so läßt sich sein großer Erfolg und der einer kaum zu überschauenden populären antifreimaurerischen und antikatholischen Pamphletliteratur zwischen den siebziger Jahren und dem Ersten Weltkrieg erklären. Im Grunde wiederholten die Liberalen gegen den Jesuitenorden jene Vorwürfe, die von katholischer Seite den Freimauern gemacht wurden. Jener sei eine »unsittliche«, »vaterlandslose« Gesellschaft von Verschwörern. Für die Logenbrüder blieben im Kaiserreich die »Ultramontanen« die Feinde von allem, woran sie glaubten: Selbständigkeit und Sittlichkeit, Bildung und Fortschritt.524 Für linksliberale wie gemäßigt konservative Freimaurer gleichermaßen galt die »schwarze Gefahr« als Menetekel des eigenen Krisengefühls. In einem imaginären Dialog mit seinen Zweifeln am Menschheitsbegriff formulierte ein Leipziger Freimaurer 1879: »Und dann zeigt Dir Jener, der einst vielleicht treu zum Wahren, Guten und Schönen gehalten, die fanatisirten Massen, welche als blinde Werkzeuge ehrgeiziger Priester die Macht der Religion nur gegen die Freunde unseres Vaterlandes und der Kultur dieses Jahrhunderts ins Felde zu führen haben, damit wieder, wie vor Jahrhunderten, die Welt in allen ihren Lebensre522 Vgl. auch Bräunlich; Findel, Klerisei; Gerber, Palladismus-Roman; Gibt es in der F r e i m a u rerei einen Satancult?, in: HPB1, Bd. 118, 1897, S. 680-698; Freimaurerei u n d C u l t u r k a m p f , in: HPB1, Bd. 119, 1897, S. 100-120. Julius Bachem hat später in seinen E r i n n e r u n g e n f ü r sich in Anspruch g e n o m m e n , »die verwegenste Mystifikation des 19. J a h r h u n d e r t s in i h r e m entscheidend e n Stadium« z u m Scheitern gebracht zu haben. Bachem war v o n Charles Hacks, einem Mitarbeiter Taxils u n d Schwager Bachems, v o n d e m Schwindel in Kenntnis gesetzt w o r d e n . Reminiszenzen an d e n »Taxiischwindei«, in: Bh„ Jg. 56, 1913, S. 278-279, S. 308f. 523 Vgl. Linse·, Blackbourn, Marpingen; Kselman. 524 Vgl. z.B. O . Hesse, D e r K u l t u r k a m p f i m Lichte der Freimaurerei, in: Latomia N F , Jg. 12, 1889, S. 113-117; H . A r m e r , Die Aufgaben der deutschen Freimaurerei in der Gegenwart, in: Monatsblätter der Freimaurerloge » H e r m a n n zur Beständigkeit«, Jg. 1, 1911, S. 97-101.

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gungen der römischen Priesterschaar unterthänig sei. Er zeigt Dir die Schaaren, welche von ihren Führern begeistert werden zum Kampfe gegen alles Bestehende, zum Vernichtungskriege gegen Alles, was uns heilig ist und was sich als die kräftigste Stütze der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung erwiesen; und als er Dir diese rohen, blutgierigen und jene unheimlichen, schwarzen Massen gezeigt, da fragt er höhnisch wohl, >glaubst Du noch an die Menschheit?«^25 Nicht viel anders heißt es ein Vierteljahrhundert später in einem Festvortrag zum Kaisergeburtstag der Breslauer Zepter-Loge, daß »unter der glitzernden Oberfläche unseres nationalen Lebens Unter- und Gegenströmungen entstanden sind, die ernste Gefahren für unser Volk und Vaterland bedeuten«. Die schlimmste der Gefahren, sei »die schwarze Gefahr, welche mit den Jesuiten neu in unser Vaterland Einzug hält«.526 »Eroberung und Beherrschung der Welt« schien das letzte Ziel des »Jesuitismus« der »Dunkelmänner« und »Rückschrittler« zu sein, eine »Weltherrschaft«, welche die individuelle Tugend der Bürger, ihre »Sittlichkeit« mit Gewalt untergräbt - ein Vorwurf, der wie eine satirische Umkehrung katholischer Verschwörungsphantasien wirkt.527 Die katholische Kirche war in den Augen liberaler Freimaurer der »schlimmste Kulturfeind«, der die deutsche Nation, ja, die Menschheit zurück in die Barbarei führen wolle. »Die Gelüste der römischen Kirche gehen auf nichts Geringeres hinaus als darauf, die Kulturarbeit aller großen Kulturträger seit der Renaissance, die Erfolge der englischen, französischen und deutschen Aufklärung, die Erfolge der wissenschaftlichen Forschung zu einem großen Umsonst zu machen.«528 Die Öffentlichkeit nahm diese Feindschaft durchaus wahr und führte die andauernde Popularität der Logen im nationalen und liberale Bürgertum des Kaiserreichs darauf zurück.529 Ahnlich verhielt es sich mit den französischen Freimaurern. In beiden Ländern bildete der Antikatholizismus ein wichtiges Ferment im Selbstverständis der Logen. In Deutschland wie in Frankreich erlebte die Sprache der Konspiration von Aufklärung und Gegenaufklärung mit ihrer manichäischen Struktur vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg eine überraschende Renaissance. Jeweils ging es darum, den Universalitätsanspruch der anderen Seite, der katholischen Kirche wie des fortschrittsgläubigen liberalen Bürgertums, zu diskreditieren, indem die partikula525 Pache, Der Glaube an die Menschheit, in: Latomia NF, Jg. 2, 1879, S. 165-167, hier 5. 165. 526 ZStA Moskau, Fond 1412-1, Nr. 4980 (Zepter): Jahresberichte, Vortrag Br. Leschhorn über die »Stärkung des deutschen Volkstums«, 27.1.1905. 527 O. Kuntzemüller, Christentum und Freimaurerei, in: Wartburgstimmen, Jg. 1, 1903, H. 6, S. 546-558, hier S. 553. 528 C. Notter, Der freimaurerische Humanitätsgedanke, in: Die Leuchte, Jg. 1, 1910, S. 2-6, S. 13-17, hierS. 15. 529 Antiklerikale Reserven, in: Vossische Zeitung, 20.5.1906; Der Kampf gegen die Freimaurer, in: National-Zeitung, 2.6.1911, Beil.; Papsttum und Humanitätsgedanke, in: ebd., 8.9.1911.

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ren Interessen dieses Anspruchs »enthüllt« und auf die Machinationen geheimer Mächte - hier der Freimaurer, dort der Jesuiten - zurückgeführt wurden. Mit Geoffrey Cubitt läßt sich behaupten, daß der freimaurerische Glaube an eine katholische Unterwanderung und die katholische Obsession einer freimaurerischen Verschwörung in die politische Kultur Frankreichs wie Deutschlands eine Politik des Verdachts einführte, welche die konfessionellen, sozialen und politischen Grenzziehungen innerhalb der Bürgergesellschaften beider Länder dramatisierte und dauerhaft vertiefte.530 Die Kulturkämpfe des in den deutschen Logen versammelten liberalen Bürgertums nach 1871 gegen Katholiken, Sozialdemokraten und andere »Feinde« der neuen Ordnung hatten, auf lange Sicht gesehen, gegenläufige Folgen. Der politische Katholizismus und die organisierte Arbeiterschaft gingen aus dem Konflikt gestärkt hervor. In keinem anderen europäischen Staat war ihr politischer Einfluß bis 1914 größer. Er wuchs in gleichem Maße wie die Zweifel am aufgeklärt-liberalen Anspruch, die sozialen, konfessionellen und politischen Gegensätze in einer moralischen Vision der »bürgerlichen Gesellschaft« zu überbrücken. Spätestens seit dem Kulturkampf gehörte die Perhorreszierung der Freimaurer zum »Kitt« des durchaus heterogenen katholischen Milieus, zumal sie sich seit den späten siebziger Jahren verstärkt mit einem weiteren populären Feindbild verband: den Juden. 531 Für den politischen Katholizismus des Kaiserreichs gewann das Stereotyp »Freimaurer und Juden« eine herausragende Bedeutung. 532 In den achtziger Jahren gerieten die Logen daher zusätzlich durch den wachsenden Antisemitismus unter Druck. Kaum zufällig zusammen mit dem politischen Liberalismus befanden sich die Logen in den neunziger Jahren in einer Glaubwürdigkeitskrise. Anders als der politische Katholizismus und die Sozialdemokratie trat mit dem Antisemitismus freilich ein Gegner au£ der auch im eigenen Lager auf Sympathien traf.

530 Vgl. Cubitt, Jesuit M y t h , S. 314; ders., Catholics; allg. ders., Conspiracy; ähnlich a r g u m e n tiert f ü r die liberale Obsession einer jesuitischen U n t e r w a n d e r u n g : Healy, Jesuit; dies., Religion. 531 »Die Freimaurerlogen waren v o n j e h e r , seit i h r e m Bestehen, das R e f u g i u m der J u d e n . Besonders ist es das R e f o r m j u d e n t h u m , das sich in die Freimaurerei hineindrängt u n d sich da eine f ü h r e n d e Stellung e r r u n g e n hat. An der Spitze der Freimaurerei aller Länder stehen fast ausnahmslos J u d e n , die Revolutionen der N e u z e i t , seit Bestehen der Freimaurerei sind fast ausnahmslos von J u d e n inscenirt u n d gelenkt worden.« Die Freimaurerei - eine G e f a h r f ü r Staat u n d Kirche, in: Das Bayerische Vaterland, 13.3.1903. 532 Vgl. v. Bieberstein, S. 126ff.; pointiert: Blaschke, Katholizismus; ders., M e h r D u n k e l , damit der T h e s e v o n Kate, Jews widersprechend, solche K o m p l o t t - M y t h e n seien vor 1914 im Kaiserreich k a u m verbreitet gewesen. Z u m katholischen Antisemitismus differenzierend: Smith, Religion; ders., Learned.

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3.4 Fremde Brüder: Juden und Freimaurer Die Frage, ob J u d e n an der »Verbrüderung der Menschheit« teilhaben sollten, spaltete, wie vorn ausgeführt, die Freimaurerei seit den vierziger Jahren in eine »humanitär-liberale« und eine »christlich-konservative« Richtung. Die U n t e r schiede verloren sich aber zunächst in den sechziger und frühen siebziger Jahren. Während auf der Ebene der Großlogen eine Annäherung schwierig und letztlich erfolglos blieb, glichen sich die städtischen Logen - etwa in Leipzig und Breslau - immer m e h r an, gleichviel ob es die soziale oder die konfessionelle Zusammensetzung betraf Das gemäßigt liberale, gehobene Bürgertum, überwiegend protestantisch, aber seit kurzem darunter auch eine jüdische Minorität, sammelte sich in den städtischen Logen. Viele deutsche J u d e n n a h m e n als »besuchende Brüder« an der Logengeselligkeit der preußischen Städte teil. So häuften sich in der Leipziger Loge »Apollo« in den sechziger u n d siebziger Jahren Aufnahmegesuche von Juden, die in preußischen Städten lebten. In den meisten Fällen hatten sie sich an die lokale Loge gewandt, die sie auf den U m weg über Leipzig hinwies. D e m bereits erwähnten Aufnahmegesuch des jüdischen Kaufmanns und Breslauer Stadtverordneten Hirsch Joachimsohn lagen z u m Beispiel E m p f e h lungsschreiben von zwei Geschäftspartnern sowie des konservativen Oberst Freiherr von Falkenhausen und des liberalen Justizrats Horst bei; sie alle waren N i c h t j u d e n u n d bekannte Freimaurer Breslaus. Geradezu überschwenglich heißt es über Joachimsohn bei Horst: »Jede Loge kann sich G l ü c k w ü n s c h e n diesen allgemein anerkannten E h r e n m a n n zu ihren Mitgliedern zu zählen, nur mit Freuden wäre er hier längst rezipiert, w e n n es nicht in allen Systemen welche in Preußen privilegiert sind, leider Grundsatz wäre keine J u d e n aufzunehmen.« 533 Ü b e r den U m w e g Leipzig fand Joachimsohn schließlich als »besuchender Bruder« doch Zugang zum Breslauer Logenwesen. Solche Beispiele ließen sich beliebig vermehren; auffällig ist, daß viele jüdische Freimaurer auch in der jüdischen Gemeinde ihrer Städte aktiv waren. 534 Anders als f ü r die wenigen katholischen Freimaurer bedeutete die Logenmitgliedschaft f ü r viele deutsche J u d e n nicht notwendig eine E n t f r e m d u n g von ihrer Religionsgemeinschaft. 535 In den Logen Leipzigs, Hamburgs und - wie zu vermuten ist - auch

533 GStA Berlin, Logen, 5.2. L 17 (Apollo), Nr. 185: Personalakte H. Joachimsohn. 534 Zur Apollo-Loge gehörte z.B. seit 1862 der Prediger der Jüdischen Gemeinde zu Cöthen Falk Cohn; seit 1869 der Vorsteher der Jüdischen Gemeinde Berlins, der bekannte Arzt Julius Blumenthal; seit 1874 der Vorsteher der jüdischen Gemeinde und Stadtverordnete in Dessau, der Kaufmann Salomon Königsberg, sowie ebenfalls in Dessau der Zahnarzt Georg Hirschfeld, Vorstandsmitglied des jüdischen Wohltätigkeitsvereins »Chebrah« (»Gesellschaft der Barmherzigen Brüder«), Ebd., Nr. 152, Nr. 156, Nr. 191, Nr. 180. 535 Dieser Befund stützt die These von van Rahden, Milieu; u. dm., Juden.

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Frankfurts waren Mitte der siebziger Jahre fast ein Drittel der Mitglieder j ü d i schen Glaubens. 536 »Ein Institut, ausgebreitet fast durch die gesamte civilisirte Welt, das die höchsten Principien der Humanität als seinen Inhalt und Zweck bekennt, u n d vor Allem als seine Tendenz die Verbrüderung aller Menschen ohne Berücksichtigung in Stand, Nationalität u n d Religion, ohne diese M o m e n t e irgendwie angreifen und bekämpfen zu wollen, anruft«, besitze von vornherein die Teilnahme einer ausgegrenzten Religionsgemeinschaft wie des Judentums, schrieb Ludwig Philippson 1871, auch w e n n er die exklusive Tendenz der Logen kritisierte. 537 Die Freimaurerei als Arbeit an der Bildung u n d Humanität sei »die Mutter der bürgerlichen Gesellschaft, insofern sie eben die verborgene und nie versiegende Quelle aller Cultur ist«, meinte Jakob Auerbach 1877 anläßlich des hundertjährigen Jubiläums von »Ernst u n d Falk«. »Sie will den Menschen z u m Menschen machen, den Widerspruch in ihm ausgleichen, den Einklang zwischen ihm u n d allen den gleichberechtigten, gleichbedürftigen und gleichstrebenden Wesen neben ihm herstellen und so das Glückjedes Einzelnen in seiner Eigentümlichkeit u n d das Wohl der Gesammtheit in ihrer unterschiedslosen und unbedingten Allgemeinheit befördern.« 538 Nicht die beste äußere Verfassung der bürgerlichen Gesellschaft könne verhindern, daß sie Schranken sozialer, konfessioneller oder nationaler Art aufrichtet, die diesem Bedürfnis der Individuen nach Vereinigung zuwiderlaufen. Die Loge sei jener Raum der »Humanisierung des Menschen« jenseits solcher Schranken. J u d e n t u m und Freimaurerei schlossen sich in dieser Sichtweise nicht aus. Im Gegenteil, schreibt ein jüdischer Freimaurer im Jahr darauf: »Das J u d e n t h u m ist M[aure]rei; die Grundsätze beider sind dieselben. Wir können das nach unserer M e i n u n g mit demselben Rechte sagen, mit welchem christliche Br[üde]r es vom Christenthum behaupten. Ja, jüdische M[aure]r überkommt in der Loge oft das Gefühl, als seien sie in der Synagoge u n d umgekehrt in der Synagoge die Erinnerung an die Loge, - und in diesen Berührungspunkten liegt der Triumph für beides: für J u d e n t h u m und M[aure]rei. Sie sind nicht blos äusserlich, in der Anlehnung an den Salomonischen Tempel, in biblischen Ausdrücken, mancherlei Symbolen, Formeln und Formen zu finden, - auch innerlich.« U n d weiter heißt es: »Die J u d e n haben ihre humanitären Vereine, aber mit solchen die nur für ihre Glaubensgenossen sind, ist's nicht abgetan. Wir brauchen gemeinsame Bildungsstätten. J u d e u n d Christ sollen nicht jeder für sich Humanität üben und darum müssen sie sich vor allen Dingen gesellschaftlich näher rücken; die Gleichgestimmten und die Gleichgesinnten m ü s -

536 Vgl. die Zahlen im vorangegangenen Kapitel. 537 [L. Philippson], Wieder einmal die Freimaurerei, in: AZJ, Jg. 35, 1871, S. 817-821, S. 835-838, hier S. 818. Vgl. auch: Das Freimaurertum, in: AZJ, Jg. 53, 1889, S. 561f. 538 Q.] Auerbach, Festrede, in: Bh., Jg. 20, 1877, S. 387f., S. 394-399, hier S. 396.

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sen einen edlen geselligen Verkehr pflegen. Hierzu öffnen die Logen ihre Pforten.«539 Nicht ganz so sahen es freilich die nichtjüdischen Anhänger der Emanzipation in den Logen. Sie meinten zwar, um ein typisches Zitat um 1860 herauszugreifen: »Je mehr Juden in den Orden treten wollen und zur Aufnahme würdig befunden werden, je besser ist es.« Aber im gleichen Atemzug galt das als Beweis dafür, »dass auch sie als Menschen den Christen gleich sind, und dass sie ungeachtet ihrer confessionellen Ansichten doch christlichen Sinn und Wandel haben können«.540 Denn blieben sie Juden wäre es ihnen »fast unmöglich, sich einem Christen in herzinniger Freundschaft anzuschließen«. 54 ' Solche Stimmen, die eine kulturelle Konversion der Juden zum Christentum verlangten, haben unter liberalen Freimaurern nie gefehlt. Sie häufen sich aber seit der Mitte der siebziger Jahre. Mehr noch, innerhalb weniger Jahre wandelte sich ein Teil der Logen zu Innenräumen jener übergreifenden »antisemitischen Gesellschaftsstimmung« (Friedrich Naumann), auch wenn die Judenfeindschaft in den Logen selten »rassisch«, sondern überwiegend religiös begründet wurde und damit an überkommene Vorurteilsstrukturen anknüpfte. 542 Dennoch waren die semantischen Ubergänge hier fließend, ebenso die zwischen »christlichen« Gegnern und Parteigängern des Antisemitismus. So argumentierte ein liberaler Freimaurer 1875, den Juden müsse die Aufnahme in die Loge gewährt werden, so daß »sie aufhören >Juden< (im schlechtem Sinne des Wort's) zu sein, um >Menschen< zu werden«.543 Die Angst davor, Juden aufzu-

539 Das J u d e n t h u m u n d die Freimaurerei, in: Latomia N F , Jg. 1, 1878, S. 109f., hier S. 110. Z u m »Orientalismus« der Logen vgl. auch Teil II, Kap. 2. 540 F Z , Jg. 2, 1859, S. 262. H e r v o r h e b g . nicht im Original. 541 S. Jablonsky, Z u r Abwehr, in: Bh., Jg. 8, 1865, S. 167. Vgl. z.B. [Α.] S c h i f f m a n n , Die Aufgabe der Loge. Festrede v o m 3.3.1860, in: Z C , Jg. 32, 1903, S. 6 - 1 7 , hier S. 15: »Wir w e r d e n a n e r k e n n e n m ü s s e n , ein Jude, wie Lessing ihn in seinem N a t h a n gedichtet, ist nicht unmöglich. Aber w i r w e r d e n ebenso a n e r k e n n e n müssen, ein solcher J u d e wäre eine U n m ö g l i c h k e i t gewesen o h n e das Christentum.« Sowie: [C.A.F.] W i d m a n n , Brief an einen J u d e n u n d Freimaurer, in: Z C , Jg. 1, 1872, S. 189-209, S. 205f.: »Ich w u r d e m i t F r e u d e n einen J u d e n z u m Freimaurer weihen, w e n n er die T h ü r e z u m Eingang zu f i n d e n vermag, d.h. w e n n er mit innerer A n e r k e n n u n g des Geistes unseres Obermeisters seine H a n d auf das Evangelium J o h a n n i s legen könnte, u n d d u r c h diese einzige symbolische H a n d l u n g bezeugte, dass er die Vereinigung des alten Gesetzes m i t d e m n e u e n in seinem I n n e r n vollzogen habe u n d d e n Geist anerkenne [...] dessen fortschreitender Sieg allein auch E u c h v o m D r u c k erlöst u n d zu freien M e n s c h e n macht.« Aber d i e j u d e n »verlangen die A u f n a h m e als J u d e n u n d m u t h e n u n s d a r u m zu, die Verpflichtung auf das Evangelium J o h a n n i s auszumerzen, damit sie als J u d e n auch zu uns k o m m e n können«. 542 Rürup u. Nipperdey, Antisemitismus, S. 140; allg. Berding, Antisemitismus; zur U n t e r s c h e i d u n g v o n christlichen u n d anti-christlichen Antisemitismus grundlegend: Tal, Liberais; ders., Christians, bes. Kap. 5. 543 A. Pietscher, Die Judenfrage, in: FZ, Jg. 29,1875, S. 65-68, hier S. 68. Ein anderer liberaler Freimaurer meinte, die Loge gebe »dem J u d e n erst ein Menschheitszertifikat, das i h m n o c h nicht überall in voller Gleichberechtigung ausgefolgt wird. Folgt es überall aus, u n d die Loge hat f ü r ihn alsJuden k a u m n o c h einen Wert. Ja, ich behaupte, es wäre nicht n u r die Judenfrage, nein auch alles,

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nehmen sei zwar nicht unberechtigt. Schließlich besäßen sie eine »Chuzpe«, die zugleich »Schärfe des Verstandes und rührige Tatkraft« einschließe. Mehr noch, »der Jude, wie ihn die Gegner sich denken ist das Conterfei des echten Yankee, in dem großen Daseinskampfe ein sehr beachtenswerther Conkurrent«. Es sei aber an der Zeit, wie im Staatsleben so auch in der Loge diese »Furcht« zu überwinden. »Und wie im Staat, so wird auch für die Logen die Emanzipation der Juden in gewisser Beziehung eine Emanzipation von den Juden sein.« In dieser, an ein bekanntes Diktum von Marx erinnernden Formel läßt sich auch die liberale Sichtweise der »Judenfrage« fassen. »Wir haben die Juden emancipirt«, heißt es selbstgefällig an anderer Stelle, um Verständnis für die jüdischen Freimaurer werbend, »es ist aber schwer von ihnen zu verlangen, dass sie in der verhältnismässig kurzen Frist, die seitdem verstrichen, sich vollständig von ihren Religions- und Stammeseigenthümlichkeiten emancipirt haben sollen«. U n d weiter, paradoxerweise gegen den Antisemitismus gewandt: »Zugegeben, dass von jeher eine Kluft zwischen abendländischem und semitischem Wesen bestanden hat, ist daraus die trostlose Folgerung zu ziehen, dass die Aufgabe einer Verschmelzung beider niemals gelöst werden könne? Das hiesse den Fortschritt leugnen. [...] In der Mehrzahl unserer Logen sitzen und arbeiten Nicht-Juden und Juden einträchtig neben und mit einander. Warum sollte Gleiches nicht im profanen Leben möglich sein? Gewiss sollen auch die Juden tolerant werden und die ihnen gegenüber einst begangene Unbill, weil sie endlich durch Verleihung gleicher Menschenund Bürgerrechte gesühnt wurde, vergessen lernen. Dann darf man ihnen aber auch keine neue zufügen. Auch wir wollen auf deutschem Boden keine Doppel-Nationalität, suchen wir doch die nationalen und regionalen Schranken sogar bis über die Grenze des Vaterlandes hinaus niederzuwerfen; aber dieser Wunsch hat nur in dem Fall seine Berechtigung, wenn der Jude von allen seinen Mitbürgern nur in letzter, nicht in erster Eigenschaft angesehen wird und hierdurch sich gewöhnt, auch seinerseits stets diese in erster Linie hervorzukehren.«544 N u r vereinzelt finden sich offen antisemitische Stimmen in den Logen. In einem aufsehenerregenden Artikel über die »Gründe für die Abneigung gegen die Juden« ist 1876 die Rede von der »Herrschaft der kosmopolitischen Phrase, die den Menschheitsbund« zersetze und ihn mit »unpassenden, sich unter einander abstossenden Elementen angefüllt« habe, nur um einer jüdischen Minorität Zugang zu verschaffen. »Wenn aber die Loge eine kulturfördernde Einrichtung sein soll, dann ist ganz und gar nicht gleichgültig, aus welchen

was drum und dran hängt, aus der Welt, w e n n die Menschheit das allgemeine Klassifzieren in dieser Hinsicht aufgäbe und nur die einzelne Person ansähe.« Moltmann, Die Judenfrage in der Freimaurerei, in: H Z C N F , Jg. 32, 1898/99, S. 24-28, hier S. 27. 544 C. v. Gagern, Zur Judenfrage, in: Bh„ Jg. 23, 1880, S. 65f., S. 75f., hier S. 75f.

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Elementen die Br[üder]schaft besteht, denn wirklich etwas schaffen können n u r die gleichartigen Element, nicht Professoren z u s a m m e n mit Gevatter Schneider u n d Handschuhmacher, nicht Christen zusammen mit J u d e n gewöhnlichen Schlages. Der durch eine ganz andere Erziehung und noch m e h r der ethnisch von uns verschiedene M a n n hat eine von der unseren ganz abweichende Denkweise u n d eine ganz verschiedene Moral.« Angesichts der jüdischen Geschichte und Tradition u n d in der »von den J u d e n streng festgehaltene [n] Exklusivität« sei es »ganz undenkbar, dass so geartete Naturen die Humanität, wie wir sie verstehen, wahrhaft in sich a u f n e h m e n können«. 545 Solche und ähnliche Äußerungen fanden umgehend ihre Widerlegung, oft von Seiten jüdischer Freimaurer. Alphonse Levy, ein Dresdener Freimaurer, Generalsekretär des »Centraivereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens« und als solcher Herausgeber der Zeitschrift »Im deutschen Reich«, sah sich genötigt auf die glückliche Ehe mit seiner protestantischen Frau hinzuweisen, u m die Ansicht, J u d e n und Christen könnten nicht innig verbunden sein, zu widerlegen. 546 Für die antisemitische Seite bewiesen solche Argumente nichtviel. M a n verwahrte sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus, ja, e m p fand diesen als Beleidigung für einen Freimaurer. Schließlich besaßen viele von ihnen, wie der Katholik und Bürgerschullehrer Claude Denervaud, Logenbruder der Leipziger »Apollo«, behauptete, »Freunde u n d gute Bekannte unter Israel«. Populistischer Antisemitismus war es trotzdem, wie Fritz Auerbach ihm entgegenhielt, w e n n Denervaud meinte, daß die J u d e n selber am Antisemitismus schuld seien: »Und wenn der Antisemitismus weiter u m sich greift, w e n n ein H a u c h der allgemeinen Auflehnung gegen die von der modernen Bildung errungenen Güter der Toleranz u n d Gleichberechtigung aller Rassen durch alle Lande weht, so ist es an der Zeit zu fragen, ob denn nicht tiefliegende Gründe, nicht verborgene Geschwüre an dem Gesellschaftskörper die Erscheinung veranlassen.« Diese angeblich so »tiefliegenden Gründe« lagen für Denervaud auf der Hand: Die mangelnde »Assimilation des Juden« führe z u m Antisemitismus. »Ist er in Wahrheit in unserem Volke Blut von unsrem Blute und Fleisch von unserem Fleische geworden? Lebt er nicht wie vor 2000Jahren sein Leben für sich, hat er nicht genau noch Sitten u n d Gebräuche der Väter im öffentlichen wie privaten Leben? U n d vor Allem den H a n g z u m Schachern, die Anbetung des M a m m o n s , den sich spreizenden H o c h m u t h des Reichthums, die Sucht, überall sich vorzudrängen und zur möglichsten Geltung zu bringen? Ist er nicht überall, im Theater, in den Conzerten, auf den Bällen, auf den Spazier-

545 Die Gründe der Abneigung gegen die Juden, in: F Z J g . 30, 1876, S. 137-140, S. 145-149, hier S. 149. 546 A. Levy, in: FZ,Jg. 30, 1876, S. 198; vgl. auch M.G. Conrad, in: FZ, Jg. 30, 1876, S. 181183.

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gängen am auffallendsten gekleidet und vorlaut?« 547 Von diesem Sammelsuriu m antisemitischer Stereotype führte Denervauds Argumentationsgang zur Kernaussage, nur ein Christ könne ein »edler kosmopolitischer Mensch« sein, ein gläubiger Jude nicht. 548 In diesem Punkt trafen sich »christliche« Gegner wie Befürworter einer Aufnahme von Juden. Es war die vermeintlich mangelnde Universalität, seine Exklusivität, die dem J u d e n t u m in einer politischen U m k e h r u n g vorgeworfen wurde. So etwa, u m ein Beispiel herauszugreifen, w e n n der Nationalliberale Wilhelm Körber, der noch 1848 für die Aufnahme von J u d e n eingetreten war, in einem Vortrag in der Zepter-Loge meinte: »So lange also die J u d e n in ihrer egoistischen Anschauung verharren, müssen ihnen die Pforten unseres Tempels verschlossen bleiben«; oder w e n n ein anderer liberaler Freimaurer, der württembergische Generalmajor August von Reinhardt, 1893 forderte, die J u den m ü ß t e n eine »Verzichtleistung auf eine Sonderstellung in Gesetz und Sitte« erbringen, denn »den J u d e n z u m Genossen unserer Kultur zu machen, heisst ihm den Weg z u m christlichen Gedanken eröffnen, heisst, ihn z u m Genossen des gemeinsamen Kulturfortschritts gewinnen« - und mit diesen Worten ausdrücklichjüdische Freimaurer gegen die Antisemiten in den Logen verteidigen wollte. 549 Ein Antisemit könne unmöglich Freimaurer, Weltbürger, »Humanist« sein - darin war sich der überwiegende Teil der deutschen Freimaurer einig. 550 U n d dennoch schien ihnen ebenfalls unzweifelhaft, es gehöre »zum Weltbürgerthum der M[aure]rei, dass bei allen ihren Bekennern nothwendig eine gewisse, weitgehende Uebereinstimmung, eine - Gemeinsamkeit, ja - Gleichheit der Lebensanschauungen auch auf religiösem Gebiete sich herausbilden muss.« U n d weiter: »Der gebildete, unbefangene Jude, der sich wirklich aus innerstem Drang der Fr[ei]m[aure]rei zuwendet und deren Lehren sich zu eigen macht, hört auf, Jude, konfessioneller J u d e zu sein. [...] Einen besseren und bessergemeinten Rath kann man einem J u d e n nicht geben, als den, dass er sich bemühe, alles specifisch Jüdische abzulegen.« 551

547 [C.] Denervaud, Eine neue Loge zu Keulen, in: F Z , Jg. 23, 1889, S. 174f.,.S. 180-183; F. Auerbach, Z u r Abwehr!, in: Bh., Jg. 32, 1889, S. 201f. 548 [C.] Denervaud, Eingesandt, in: F Z , Jg. 23, 1889, S. 263f. 549 Z S t A Moskau, F o n d 1412-1, N r . 4601: Acta betreffend d e n Schriftwechsel mit der D e l e gierten Alt-Schottischen-Loge Friedrich z u m goldenen Z e p t e r im O r i e n t Breslau 1877-91, Vortrag v o n W i l h e l m Körber ü b e r » J u d e n t h u m u n d Maurerei«, 4.6.1877; v. Reinhardt, S. 51, S. 58. 550 Selbst sehr konservative Freimaurer behaupteten, »ein antisemitischer Freimaurer sei eine contradictio in adjecto«. O . Hieber, Z u r Abwehr. Eine B e l e u c h t u n g der Schrift des Professors D r . Settegast: D i e deutsche Freimaurerei, ihr Wesen, ihre Ziele u n d Z u k u n f t in Hinblick auf den maurerische N o t h s t a n d in Preussen, Berlin 1892, zit. n. Bundesblatt, Jg. 6, 1892, S. 455. 551 [F. Lang], G e d a n k e n ü b e r Freimaurerei, C h r i s t e n t h u m u n d J u d e n t h u m . V o n e i n e m s ü d deutschen Logenbeamten, in: Bh., Jg. 23, 1880, S. 380-383, hier S. 383; vgl. auch A. R u b e n , E n t g e g n u n g auf die G e d a n k e n über Freimaurerei, C h r i s t e n t h u m u n d J u d e n t h u m , in: ebd., S. 394-397; G. Maier, O f f e n e r Brief an einen süddeutschen Logenbeamten, in: ebd., S. 401-406.

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Einen noch schärferen Ton schlug Findel, früher einer der linksliberalen Vorkämpfer der Judenemanzipation, an. Die »bedrohliche Massenproduktion j ü discher Freimaurer« müsse aufhören, meinte er 1893. »Das Z e u g z u m Freimaurer ist unter den J u d e n d ü n n , sehr d ü n n gesäet; denn w e n n der jüdische Charakter durch Jahrhunderte hindurch verdorben ist, so gehören selbstredend auch Jahrhunderte dazu, ihn wieder zu verbessern und zu humanisieren.«552 Die Idee einer »Verbesserung« der Juden, ihrer »Humanisierung« enthielt implizit die mögliche antisemitische Botschaft, ihnen fehle es nicht n u r an Bildung, an einer »Zivilisierung des Selbst«, sondern überhaupt an Humanität. Handelte es sich hierbei u m ein weiteres Zeichen jener »Abwendung des Bildungsbürgertums von der Aufklärung«, die Georg Bollenbeck und andere f ü r die achtziger Jahre diagnostiziert haben? 553 U m einen Abschied von der universalistischen Semantik der Bürgerlichkeit, der sich gegen ihren letzten kulturellen Träger, das jüdische Bürgertum richtete, wie George Mosse v e r m u tet? Begriffe wie »Humanität«, »Bildung«, »Volk« oder »Sittlichkeit« erhielten u m die Jahrhundertwende eine neue, kulturkritische Bedeutung, die noch im einzelnen verfolgt werden soll.554 Gleichwohl, und d a r a u f k o m m t es an, handelt es sich u m eine Umdeutung dieser Begriffe, die von ihrem älteren Bedeutungsgehalt zehrte, und nicht u m eine eindeutige Absage.555 Die Ambivalenz dieser Begriffe entfaltete sich auf neuartige Weise, eine Ambivalenz, welche die Semantik und kulturelle Praxis der Bürgerlichkeit im gesamten 19. Jahrhundert durchzieht. Die liberale Idee religiöser Toleranz zielte auf eine Verschmelzung der Unterschiede zwischen J u d e n und Christen ins (protestantisch gefärbte) allgemein Menschliche. Die Schwierigkeiten mit der A n e r k e n n u n g von Gleichheit und Differenz in der Menschheits-Semantik der Logen, ihr Streben nach Inklusion und ihr Verlangen nach Exklusion, blieb politisch virulent. Nationalismus u n d Antisemitismus lösten in den achtziger Jahren den älteren moralischen Universalismus der Logen nicht schlichtweg ab. Vielmehr war die universalistische Semantik immer auch gebunden an den Nationsdiskurs, besaß Bedeutungsstreifen der Differenz, die, zumal in Konfliktsituationen, politisch, sozial oder moralisch gewendet werden konnten. Die oftmals beschriebene Nationalisierung des Selbstverständnisses bürgerlicher Mittelschichten vor 1914 erscheint insofern nicht als eine Absage an ihre humanistischen, moralischen Ideale oder als ein »Defizit an Bürgerlichkeit«, sondern

552 Findel, J u d e n , S. 21f. Seit 1894 gab Findel, der sich innerhalb des deutschen Logenwesens z u n e h m e n d isolierte, eine eigene Zeitschrift u.d.T. »Signale f ü r die deutsche Maurerwelt« heraus, die antisemitische Artikel v o n i h m enthielt, z.B.: D e r Gedanke der Allgemeinheit, in: ebd., 1902, N r . 5, S. 3 9 - 4 0 . 553 Vgl. Bollenbeck, A b w e n d u n g ; ders., Bildung; ähnlich: Salecker, bes. S. 202-239; sowie die weiter v o r n zitierte Literatur zur vermeintlichen »Degeneration« der Bürgerlichkeit vor 1914. 554 Vgl. Teil II, Kap. 3; Teil III, Kap. 2. 555 Vgl. hierzu auch Groppe, S. 61-70.

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verweist auf die grundlegende Ambivalenz jenes moralischen Wertesystems, dessen klassische institutionelle Verkörperung die Logen waren. 556 Der Zweifel an ihrem politisch-moralischen Selbstverständnis, den die Logen sowohl nach innen als auch in der Öffentlichkeit seit den achtziger Jahren ausstrahlten, gründete in dieser Ambivalenz. Es war nicht etwa Resultat ökonomischer und sozialer Verwerfungen, wie früher oft das Argument lautete. Im Gegenteil, die Logen stiegen vor 1914 in einem Maße zu Refugien des etablierten besitzenden und gebildeten Bürgertums auf, daß diese Exklusivität von der Öffentlichkeit kritisch gegen den über Stand und Konfession, über der Politik stehenden moralischen Anspruch der Freimaurerei gewendet wurde, damit und das ist entscheidend - neue Glaubwürdigkeitskrisen ihres menschheitlichen Selbstverständnisses auslösend. Hinzu trat das von Max Weber und anderen Liberalen in den neunziger Jahren beschworene Gefühl, Epigonen der Vätergeneration zu sein, die mit der Nationalstaatsgründung ihre Ziele verwirklicht hatte. Das Ubermaß an bürgerlicher Sekurität und, wie die »Allgemeine Zeitung des Judentums« 1893 meinte, an »politischer Langeweile«, dem Ennui einer Generation, die mit dem Gefühl lebte, daß die großen nationalen Ereignisse hinter ihr lagen, hat den Antisemitismus mit populär gemacht.557 Es ist das gleiche Krisengefühl, das viele der neuen bürgerlichen Reformbewegungen antrieb.558 Im gebildeten und besitzenden Bürgertum vor allem gewann die »antisemitische Gesellschaftsstimmung« in dem Maße an Boden, wie die erhoffte politisch-moralische Reform und innere Einigung der Nation, die der äußeren folgen sollte, in weite Ferne rückte. Die Ambivalenz der Bürgerlichkeit, die im Reden über Materialismus, Gewinnsucht, Klassenhaß, mangelnde Religiosität und Patriotismus zum Ausdruck kam, wurde gegen die Juden gewendet. »Bei uns in Deutschland versteht man schlechthin unter einem >Juden< einen Menschen, ganz gleich ob christlichen oder mosaischen Bekenntnisses, dessen ganzes Trachten auf materiellen Gewinn, auf Nutzen und Profit berechnet ist«.559 Die Juden symbolisierten für das deutsche Bürgertum die Schattenseiten der eigenen Erfolgsgeschichte, das Zerrbild des »Bourgeois«.560 Das Judentum galt selbst jenen als Symbol von Egoismus, Materialismus und Exklusivität, die weiterhin für die Gleichstellung der Juden eintraten. 556 Ahnlich argumentieren Blackbourn, Discreet Charm, S. 216f.; Langewiesche, Bildungsbürgertum; sowie für den österreichischen Liberalismus: Judson. 557 Warum blüht der Antisemitismus in Sachsen, in: AZJ, Jg. 57, 1893, S. 244-247, hier S. 246. 558 Vgl. als Überblick Kerbs u. Reulecke. 559 A. Lachmund, Der Antisemitismus und die Freimaurerei, in: Bh., Jg. 36, 1893, S. 260263, S. 269-271, S. 278-280, hier S. 262. 560 Aschheim, J e w Withinchristlichen< und >humanitärenJuden< deren Deutschtum in Frage gestellt werden kann.«564 Das Krisengefühl im bürgerlichen Selbstverständnis der achtziger Jahre schlug sich in der sozialen Praxis vor allem der preußischen Logen darin nieder, daß Juden entweder nicht mehr als »permanent besuchende Brüder« zugelassen oder ihnen - im Falle der Royal York-Logen - in der geheimen Ballotage die Aufnahme verwehrt wurde. 565 Obgleich »Royal York« als einzige preußische Großloge das christliche Glaubensbekenntnis als Bedingung der Aufnahme abgeschafft hatte, öffneten sich ihre Berliner und Breslauer Tochterlogen nur wenigen Juden, wie ein Vergleich mit den Mitgliederlisten der jüdischen Gemeinden beider Städte ergibt. Unter den 499 Mitgliedern der Berliner Logen von »Royal York«, wohlgemerkt der liberalsten preußischen Großloge, befanden sich 1892 nur noch zwölf Juden. Von diesen wurden neun in den Jahren 1872 bis 1876, einer 1882 aufgenommen; zwei sind 1887 und 1888 affiliiert

Nomen« erschien 1912 ein Artikel eines Mitglieds der »Großen Landesloge« zur Rechtfertigung des Ausschlusses von Juden, in dem er den humanitären Logen vorwarf, die Freimaurerei »zu dem sehr billigen Ideal der Toleranz des Liberalismus, einer weichlichen Kompromißwirtschaft« zu erniedrigen. Hinter dem politischen Gegensatz zwischen konservativen und liberalen Logen verberge sich ein Gegensatz zwischen christlicher und jüdischer Religion, ein Gegensatz der »Gedanken- und Gefühlswelt«, den weder die Taufe noch der Brüderlichkeitskult der Logen überbrücken könnten. Athenos [d.i. P. Koethner], Freimaurerei und Judenthum, in: Die N o m e n . Monatsschrift für deutsche Wiedergeburt und ario-germanische Kultur, Jg. 1,1912, Nr. 4, S. 13-16, hier S. 14; ders., Orthodoxe und humanitäre Logen. Eine Antwort an Herrn Alfred Cohn, in: ebd., Jg. 2, 1913, Nr. 9, S. 1-4. Ferner: A. Frege, Die Judenfrage in der deutschen Freimaurerei, in: Der Volkserzieher, Jg. 18, 1914, S. 14. 564 H. Lissauer, In Sachen der Erörterungen zur Einigkeitsfrage im »Herold«, in: BstF, Jg. 16, 1907, S. 5-9, hier S. 6; vgl. auch ders., Veruneinigungsbestrebungen, in: BstF, Jg. 15,1906, S. 185190. 565 Von solchen Fällen berichten z.B.: Die Angriffe gegen die Freimaurerei, in: Latomia N F , Jg. 11, 1888, S. 117-119; Die Gr. L.-L. und die »besuchenden Brr«, in: Bh., Jg. 33, 1890, S. 182f.; Antisemitismus in den preussischen Logen, in: Latomia N F , Jg. 16, 1893, S. 46f., hier S. 47: »Es wurde in der Loge zu S. kurz vor der Kugelung über den Aufzunehmenden debattirt; und zwar belehrte der Logen-Redner die Brr. dahin, dass, da nur Lobenswerthes über den Betreffenden bekannt, derselbe auch während des gewährten Besuchsjahres bei allen Brn einen vorteilhaften Eindruck gemacht habe, seiner Aufnahme nichts im Wege stände, denn seine Eigenschaft als Jude dürfte auch bei preussischen Logen kein Hinderniss für die Aufnahme sein. Da erhob sich der Br 1. Aufseher und gab eine entgegengesetzte Belehrung. Er erklärte und betonte scharf: es könne Jeder auch in der Loge nach seinem Gefühl stimmen. Die Folge war, dass der betr. Br abgewiesen wurde, und dass der Br. Redner sein Amt - nicht niederlegte.«

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worden (sie waren also bereits Freimaurer anderer Städte). Von 1888 bis 1892 scheiterten Juden ausnahmslos in der geheimen Ballotage über ihre Aufnahme.566 Diese Ausgrenzungspraxis versuchte der Großmeister von »Royal York«, Hermann Settegast, ein Berliner Professor der Zoologie, durch ein verändertes Aufnahmeverfahren zu unterlaufen. Genügten bislang drei schwarze Kugeln, um automatisch einen Kandidaten abzulehnen, mußten nunmehr diese schwarzen Kugeln vor der Loge gerechtfertigt werden, wobei der Verweis auf die Konfession des Aufnahmesuchenden als nicht zulässig galt. Auch die innere Struktur der Logen wollte Settegast ändern. Die sogenannten christlichen Hochgrade, die aufgrund ihrer das christliche Kreuzrittertum evozierenden Rituale den Juden nach wie vor versperrt blieben, sollten endgültig abgeschafft werden. 567 Settegast berief sich bei seiner Ablehnung des Antisemitismus paradoxerweise auf die Züchtungslehre. Die Wandelbarkeit der Rassen sah er durch seine eigenen landwirtschaftlichen Schriften und die Darwins bestätigt. Alle Rassen seien gleich entwicklungsfähig, auch die »jüdische«. Kant und Darwin waren für den Nationalliberalen und Naturwissenschaftler die Leitfiguren.568 Als Settegast keine Mehrheit für seine Reformvorschläge fand, gründete er 1892 eine neue Großloge »Kaiser Friedrich zur Bundestreue« - Friedrich III. hatte zu Lebzeiten auf liberale Reformen in den Logen gedrängt. Vor dem Preußischen Oberverwaltungsgericht erwirkte Settegast 1893 die Aufhebung des Edikts von 1798 und beseitigte damit auch die rechtlichen Privilegien der konservativen preußischen Großlogen. Von nun an fielen die Logen unter das Vereinsrecht, konnte jede Vereinigung »zur Förderung des Wohls und der Glückseligkeit der menschlichen Gesellschaft« den Namen »Freimaurerloge« führen. 569 Sie bedurfte dazu nicht mehr der Genehmigung der Berliner Großlogen. In der Folgezeit entstanden in einer Reihe von preußischen Städten, vor allem jedoch in Berlin und Breslau, neue sogenannte »Settegast-Logen«, die in der Mehrzahl aus jüdischen Freimaurern bestanden. Sie wurden von den etablierten preußischen Großlogen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft. 570 566 J. Levy, Freimaurerei und Antisemitismus, in: BstF, Jg. 3, 1894, S. 17f.; sowie [Α.] Lachmund, Der Antisemitismus und die Freimaurerei, in: Bh., Jg. 36, 1893, S. 260-263, S. 269-271, S. 278-280, hier S. 278. 567 Vgl. H. Settegast, Das christliche Prinzip in der Freimaurerei, in: Mitt. aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus, Jg. 3, 1893, S. 359f. 568 Oehlke-, ders., Hermann Settegast, in: Schlesisches Lebensbilder, Bd. 2, 1926, S. 242-246; J. Levy, Hermann Settegast, in: BstF, Jg. 4, 1895, S. 97-104. Vgl. auch Settegast, Grundlagen. In welchen Aporien sich eine naturwissenschaftliche Widerlegung des Antisemitismus bewegt, zeigt am Beispiel von Virchow und Boas: Geulen, Volk. 569 Der Sieg liberaler Freimaurerei in Preußen, in: Mitt. aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus, Jg. 3, 1893, S. 351f. Vgl. allg. Alexander-Katz; Brägger. 570 Vgl. GStA Berlin, Bestand Ministerium des Innern, Rep. 77, Tit. 1053, Nr. 3, Beiakten 3, Verhandlungen über die Zulassung von Freimaurerlogen des Hamburger Systems in Preussen als

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Die politische Sprengkraft der »Judenfrage« für die Logengeselligkeit der achtziger und neunziger Jahre läßt sich im lokalen Kontext verdeutlichen. Breslau und Leipzig eignen sich auch hier zum Vergleich. Von kaum zu überschätzender Bedeutung für die politische Kultur beider Städte ist ihre unterschiedliche konfessionelle Verteilung. Die Gesamtbevölkerung Breslaus bestand zu etwa zwei Dritteln aus Protestanten, zu einem Drittel aus Katholiken und nur zu 5% aus Juden. Etwas mehr als die Hälfte der Breslauer Juden gehörte zum gehobenen Bürgertum. Sie bildeten etwa ein Viertel der gehobenen bürgerlichen Schichten der Stadt, während die Protestanten knapp die Hälfte, die Katholiken nur ungefähr 15% zählten.571 Von den Katholiken gehörten etwa zwei Drittel zur Unterschicht. Leipzig besaß, gemessen an der Bevölkerungszahl, eine verschwindend geringe Zahl von Katholiken, im gesamten Jahrhundert vor 1914 weniger als 5%. Die konfessionelle Struktur Leipzigs war mithin anders als die Breslaus - vergleichsweise homogen protestantisch und begünstigte damit eine Polarisierung in ein bürgerliches und ein sozialdemokratisches Lager. Diejüdische Gemeinde Breslaus gehörte im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu den drei größten Deutschlands. Der jüdische Bevölkerungsanteil ging zwar von 1850 bis 1910 von 7,1% (7.355) auf 3,9% (20.212) zurück. Die Breslauer jüdische Gemeinde war dennoch wesentlich größer als die in Leipzig. 1855 gab es in Leipzig kaum mehr als einhundert Gemeindemitglieder. Auch wenn ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung langsam wuchs - von 1,1% (1.739) im Jahr 1871 auf 1,6% (9.434) 1910 - blieb er vergleichsweise gering.572 Ein weiterer Unterschied bestand darin, daß es in Leipzig mehr als 50%, in Breslau hingegen nur 10% osteuropäische Juden gab. In beiden Städten entstand in den achtziger und neunziger Jahren vorübergehend eine antisemitische Bewegung.573 Nicht aber in Leipzig, sondern in Kleinstädten wie Bautzen, Meißen oder Pirna, wo kaum Juden lebten, errangen die Antisemiten in Sachsen 1893 ihre größten Wahlerfolge.574 Sowohl in den Leipziger als auch in den Breslauer Logen fanden Tochterloge der Großen Logen von Hamburg, insbes. die Verwaltungsstreitsache des Geheimen Regierungsrats Dr. Settegast gegen den Berliner Polizeipräsidenten, 1891-1894; StA Breslau, Regierung Breslau, Allg. Abteilung, Polizeiakten, Nr. 352. Vgl. auch die linksliberale bzw. die konservative Sichtweise bei Marteaw,bzw. Runkel, Bd. 3, S. 308ff.; sowie die Darstellung bei Kate, Jews, S. 164ff. 571 Zahlen nach van Rahden, Juden; Heuling, Bürgerlichkeit. 572 Zahlen nach van Rahden, Juden; Plowinski, S. 15; Richarz, S. 20. 573 »Es giebt gewisse Plätze in Deutschland, die seit uralter Zeit die Heimstätten eines unvertilgbaren Judenhasses gewesen sind, in denen während des letzten Jahrzehnts dieser ganz besonders erloschen schien und es sich jetzt zeigt, das er nur unter der Oberfläche geschlummert. Es sind dies ganz besonders Breslau und Leipzig.« AZJ, 8.2.1881; als Beispiel, wie Juden aus der »besseren« Gesellschaft Leipzigs ausgegrenzt wurden: Ist Leipzig Klein-Paris oder Groß-Krähwinkel, in: Israelitische Wochenschrift für die religiösen und socialen Interessen des Judentums, 19.9.1889. 574 Levy, S. 94.

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sich kaum offene Anhänger der antisemitischen Parteien. Es ist jener »respektable« Antisemitismus, ein diffuses, kaum ausgesprochenes Ressentiment, typisch für das nationale und liberale Bürgertum nicht nur seit den achtziger Jahren, das sich auch in den Logen beobachten läßt. In Breslau findet sich seit den vierziger Jahren die für preußische Städte typische Auffächerung des Logenwesens in eine konservative, gemäßigt konservative und liberale Loge.575 Im »schwarzen« Breslau einte alle drei Logen ein starker Antikatholizismus. Nicht zufällig erbaute die »Vereinigte Loge« im Jahr 1870 ihr eindrucksvolles Logenhaus im üppigen Stil der Neorenaissance nahe der Dominsel - traditionell der katholische Teil der Stadt.576 Ebenfalls gewollt symbolisch war der Grundriß der Villa mit exotischem Garten in Form eines Kreuzes. Die »Vereinigte Loge« gehörte zur christlich-konservativen »Landesloge«; sie hat zu keinem Zeitpunkt Juden aufgenommen, auch nicht als »besuchende Brüder«. Als im Jahr 1879 die »Landesloge« über eine Gesetzesänderung zur Aufnahme von Juden abstimmen ließ, votierten 83 der anwesenden Logenbrüder der »Vereinigten« gegen und nur einer für die Änderung. 577 Einen gemäßigteren Kurs verfolgte die Zepter-Loge; sie hat in den siebziger Jahren einige wenige »besuchende Brüder« jüdischen Glaubens zugelassen. 1873 stimmte auch diese Loge mehrheitlich gegen die Einführung der regulären Aufnahme von Juden bei der Großloge »Zu den drei Weltkugeln«.578 Eine häufige Befürchtung lautete, daß sich die »höheren Gesellschaftskreise«, insbesondere in kleineren Städten, aus den Logen zurückzögen, sobald Juden Zugang gewährt würde. Die einzige Loge, die Juden seit 1872 aufnahm, war die Loge »Horus«, die zur gemäßigt liberalen Großloge »Royal York« gehörte. Sie initiierte zwischen 1871 und 1876 acht jüdische Freimaurer, ebensoviele wie insgesamt in den darauffolgenden zwanzigjahren. 579 Es handelt sich durchgängig um ungewöhnlich wohlhabende und »respektable« Mitglieder der jüdi-

575 Vgl. z.B. f ü r Königsberg Schüler-Springorum, S. 77. D o r t g r ü n d e t e sich allerdings erst 1863 eine liberale »Royal York«-Loge, die zwar sozial exklusiv war, sich aber konfessionell gegenüber J u d e n öffnete (Meister v o m Stuhl war der Oberbürgermeister, zu den Mitgliedern gehörte z.B. Lovis C o r i n t h ) . 576 Α. Zablocka-Kos, Die Architektur der Neorenaissance in Breslau, in: Renaissance der Renaissance. Ein bürgerlicher Kunststil im 19. Jh., M ü n c h e n 1995, S. 143-160, hier S. 149f. 577 GStA Berlin, Logen, 5.2. Β 130 (Provinzialloge), N r . 9: B e s t i m m u n g e n über die N i c h t a u f n a h m e v o n J u d e n , 1815-1879, Schreiben der Provinzialloge an die G r o ß e Landesloge der Freim a u r e r von Deutschland, Breslau, 25.5.1879. 578 81 der anwesenden Logenmeister haben gegen, 25 f ü r die A u f n a h m e von J u d e n gestimmt. Die Gesamtzahl aller Logenmeister betrug 247. Z S t A Moskau, F o n d 1412-1, N r . 4954 (Zepter): Schriftwechsel mit d e m B u n d e s - D i r e k t o r i u m , Bl. 22. 579 Die »Horus«-Loge zählte in den 1870er J a h r e n : 10, in d e n 1880er Jahren: 3, in d e n 1890er Jahren: 9, zwischen 1899 u n d 1906: 1 neues jüdisches Mitglied.

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sehen Gemeinde Breslaus wie etwa die Brüder Henry und Louis Schaps, die zu den reichsten Kaufleuten der Stadt zählten. 580 Jüdische Aufnahmesuchende konnten mithin nicht wie ihre »christlichen« Logenbrüder im Zweifelsfall auch aus dem Mittelstand kommen, sondern mußten als Großbürger hervorstechen. Gegen die Aufnahme von Juden wurden jetzt wieder Stereotype vorgebracht, die schon im Vormärz im Breslauer Bürgertum geläufig waren und die Gustav Freytag in seinem Bestseller »Soll und Haben« popularisiert hatte. Wie ein konservativer Logenbruder erläuterte, geschah die Aufnahme in die Horus-Loge »in grosser Vorsicht«, denn »in Breslau liegen in dieser Beziehung die Verhältnisse sehr eigenthümlich. Wir bekommen hier nämlich aus erster Hand durch Zuzug aus Polen und Russland jenes eigenthümliche polnisch jüdische Element, mit welchem der Deutsche sich nicht so leicht befreundet. Mit der ungewöhnlichen Anstrengung dieses Elements, sich emporzubringen, ist dann verknüpft, dass sich Personen an die Logen als Suchende wenden, welche dahin noch nicht gehören. Wenn also die Logen des Weltkugeln-Systems in Schlesien sich vor der Hand abwehrend gegen die Aufnahme von Juden verhalten und dies auch z.B. die Zepterloge in der Mehrzahl ihrer Brjuder] thut, so geschieht dies mehr aus Nützlichkeitsgründen, als aus einem dogmatischen Festhalten des christlichen Glaubenselements in der Loge; denn so ungebildet sind die Br[üder] nicht, um nicht die Maurerei als Menschheits-Sache und die nicht als confessionelle Glaubenssache begreifen zu können. Kurzum: Eines schickt sich nicht für Alle und wenn z.B. im Westen Deutschlands und selbst in Berlin ohne Nachtheil Juden zugelassen werden können, so hat dies in Breslau immerhin sein Bedenken.« 581 Wie in den anderen Logen Breslaus fanden Juden seit dem Ende der siebziger Jahre kaum noch Zugang zur liberalen Horus-Loge - weder als »besuchende« noch als reguläre Brüder. Folglich führte die Aufhebung des Edikts von 1798 und die Gründung von Settegasts Reform-Großloge »Kaiser Friedrich zur Bundestreue« auch in Breslau 1893 zur Konstituierung einer neuen Loge »Hermann zur Beständigkeit«; fünf Jahre später folgte eine zweite Loge »Settegast zur deutschen Treue«. 582 Beide besaßen einen sehr hohen Anteil an jüdischen Mitgliedern. 583 Wie der 580 Henry Schaps besaß im Jahr 1876 28.800 M, Louis Schaps 32.400 Μ an Nettoeinkommen. Zahlen nach van Rahden, Juden. 581 Notizen zum Breslauer Logenleben, in: Bh., Jg. 17, 1874, S. 58f. 582 Vgl. Regierung Breslau, Allg. Abt., Polizeiakten, Nr. 352; Aktenmäßige Darstellung der Vorgänge gelegentlich der Einsetzung der Loge Hermann zur Beständigkeit im Or. Breslau, in: Bh., Jg. 40, 1897, S. 41-48; Zur Breslauer Frage, in: ebd., S. 57-75. 583 Die Namensgebung hat viel zur Ablehnung dieser neuen Logen beigetragen. Schließlich galt Hermann Settegast in den konservativen Logen als eine Art Häretiker. Vgl. A. Oehlke, In eigener Sache, in: BstF, Jg. 11, 1902, S. 49-53. Vgl. auch H. Lissauer, Bericht über die Feier der Lichteinbringung in die Johannisloge »Hermann zur Beständigkeit« im O r Breslau am 14. Jan. 1894, in: BstF, Jg. 3,1894, S. 28-37; Die Feier der Lichteinbringung in der Joh.-Loge Settegast zur deutschen Treue, Or. Breslau am 11. Oktober 1908, in: BstF, Jg. 17, 1908, S. 171-184.

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Vorsitzende einer dieser beiden Logen, der Chefredakteur der »Breslauer Zeitung« Alfred Oehlke, einer der führenden Linksliberalen der Stadt, hervorhob, war es aber das Ziel der Hermann-Loge, die Freimaurerei als »Menschheitsbund« frei von den »Fesseln des Konfessionalismus« zu verstehen. 584 Diese humanitär-liberalen Logen hielten bewußt am Ideal einer überkonfessionellen Geselligkeit fest. Bei den nichtjüdischen Mitgliedern handelte es sich entweder um linksliberale Freimaurer wie den Schulrektor Heinrich Maaß, der in den achtziger Jahren als Redner der Fortschrittspartei den Antisemitismus bekämpft hatte. Nachdem Maaß vor seiner Versetzung nach Breslau über viele Jahre einer Hamburger Loge angehört hatte und sich danach keiner der konservativen Logen der Stadt anschließen mochte, wurde er schließlich der erste Redner der Hermann-Loge. 5 8 5 Andere Bewerber waren von den etablierten Logen abgelehnt worden wie der Rechtsanwalt Oskar Poppe. Sein Vater war ein bekanntes Mitglied der »Vereinigten Loge«. Aufgrund eines Rechtsstreits zwischen Vater und Sohn wurde letzterer von der »Vereinigten Loge« nicht aufgenommen. 5 8 6 Die neue Loge bot dem Sohn die Chance, auch gegen den Willen des Vaters Freimaurer zu werden. Inder schwierigen Frage der Anerkennung dieser beiden neuen Logen durch den deutschen Großlogenbund, die damit endete, daß die Hermann-Loge formal der Frankfurter, die Settegast-Loge der Hamburger Großloge unterstellt wurde, insinuierten die konservativen Logen Breslaus, den jüdischen Brüdern fehle es an Respektabilität. Ein Schiedsgericht des Großlogenbundes sah sich genötigt, die Mitglieder einzeln zu prüfen und ihre bürgerliche Respektabilität zu bestätigen. 587 Die konservativen Freimaurer Breslaus boykottierten dennoch den Verkehr mit diesen beiden neuen Logen. Daß es ihnen schwer fiel, gegen die Mitglieder »belastendes Material« zusammenzutragen, zeigt ein Blick auf die soziale Zusammensetzung der beiden Logen: Spätestens im Jahr 1906 war sie exklusiver als die der konservativen Logen (vgl. Tabelle 2.3). Alle Breslauer Logen rekrutierten ihre Mitglieder 584 A. Oehlke, Christenthum, Humanität und Freimaurerei, in: BstF, Jg. 9, 1900, S. 51-57, hier S. 55. Oehlke hatte schon in seiner Berliner Studentenzeit Anfang der achtziger Jahre den Antisemitismus bekämpft. Als Führer der liberalen, freien wissenschaftlichen Vereinigung duellierte er sich mit Mitgliedern des antisemitischen Vereins der Studenten; einer seiner Gegner starb. Oehlke hatte deswegen eine mehrjährige Festungshaft in Glatz zu verbüßen. Vgl. Der Herold, Jg. 23, 1912, S. 508. 585 Trauerfeier der Johannisloge Hermann zur Beständigkeit Or. Breslau, in: BstF, Jg. 6, 1897, S. 99-101. 586 GStA Berlin, Logen, 5.2. Β 141 (Vereinigte), N r . 304: Nichtanerkennung der in Breslau installierten Bundesloge »Hermann zur Beständigkeit« des Ekklekt. Freimaurerbundes in Frankfurt sowie Stellung zu den Settegast-Logen 1894—1897, Briefentwurf von Fiedler an die Provinzialloge von Schlesien, 27.8.1894. 587 Vgl. Schiedsspruch betr. die Neukonstituierung der Loge Hermann zur Beständigkeit, in: H Z C N F , J g . 32, 1899, S. 111-120. Z S t A Moskau, Fond 1412-1, N r . 4690: General-Acten, Schiedsspruch durch den deutschen Großlogentag, 29.5.1898.

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überwiegend aus dem gehobenen Bürgertum. Der Anteil des alten und neuen Mittelstandes - der niedrigsten Stufe sozialer Respektabilität - lag in den drei christlich-konservativen Logen mit ca. 20% aber doppelt so hoch wie in den beiden neuen humanitär-liberalen Logen (7,3% bzw. 10,5%), umgekehrt der Anteil der finanzstarken Kaufleute, Unternehmer und freien Berufe in letzteren sehr viel höher.588 Jüdische Freimaurer wie der Kaufhausbesitzer Artur Barasch, der Stadtverordnete und Rechtsanwalt Paul Honigmann oder der Fabrikbesitzer Hermann Neustadt, der in mehreren jüdischen Wohltätigkeitsvereinen aktiv war, zählten zweifellos zur städtischen Elite. Viele, wenn auch nicht alle gehörten der jüdischen Gemeinde und dem »Centraiverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens« an und beteiligten sich am jüdischen Vereinswesen (vgl. Tabelle 5.5). Die Loge »Hermann zur Beständigkeit« machte diese soziale Exklusivität auch dadurch sichtbar, daß sie 1913 in »bester Lage« am Museumsplatz ein repräsentatives, modernes Logenhaus errichtete - neben dem Gebäude der »Vaterländischen Gesellschaft« der bedeutendste Bau eines Vereinshauses in Breslau vor 1914. Die Fassade war monumental dem Stil griechischer Tempel nachempfunden. Zwei allegorische Figurengruppen, rechts die Freundschaft, links die Wohltätigkeit, und die Inschrift »Humanitati« machten den Zweck des Gebäudes weithin sichtbar.589 Die Mitgliedschaft der humanitär-liberalen Logen war zudem jünger als die der »christlichen« Freimaurerlogen Breslaus (vgl. Tabelle 6.1). Das Durchschnittsalter lag hier 1906 bei 45, das der »christlichen« Logen bei 52 Jahren. Das Alter der jüdischen Mitglieder der einzigen »christlichen« Loge Breslaus, die Juden aufgenommen hatte, der gemäßigt liberalen Horus-Loge, war mit 57 Jahren noch höher. Die Mehrzahl von ihnen gehörte seit den siebziger oder frühen neunziger Jahren der Horus-Loge an. Nach 1900 traten dagegen kaum noch Juden in diese Loge ein. Sie gingen statt dessen in die neuen Logen »Hermann« und »Settegast«. Kurzum, die humanitär-liberalen Logen übertrafen die übrigen Logen der Stadt an sozialer Exklusivität, aber auch an bürgerlicher, ostentativer Moralität, Wohltätigkeit und Patriotismus - ungeachtet der Tatsache, daß die »christlichen« Brüder sie bis 1914 sozial schnitten. In Leipzig gab es ebenso wie in Breslau und anderen deutschen Großstädten bis in die neunziger Jahre drei Logen, deren unterschiedliche politische und soziale Schattierung schon behandelt wurde. Anders als in den humanitär-liberalen Logen Hamburgs oder Frankfurts war die Teilhabe von Juden an der Logengeselligkeit Leipzigs stark rückläufig. In Hamburg stieg ihr Anteil von 1871 (21,3%) bis 1890 (31%), bevor er um 1900 (31,1%) stagnierte und 1910 (24,8%) auffallend fiel, womöglich im Zusammenhang mit der Verbreitung des »B'nai 588 Vgl. ähnlich auch für die Frankfurter Logen im Jahr 1916: Hopp, S. 133. 589 Vgl. Logenhaus in Breslau, Museumsplatz, in: Ostdeutsche Bau-Zeitung, 1913, Nr. 7/8; Breslau, in: Bh., Jg. 56, 1913, S. 55.

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B'rith«-Ordens. 590 War im Jahr 1876 noch fast ein Drittel aller Brüder der Leipziger Apollo-Loge jüdischen Glaubens, sind es dreißig Jahre später nur noch 6%. Der Grund für diesen starken Rückgang muß nicht unbedingt der Antisemitismus gewesen sein. Von den 63 jüdischen Freimaurern der »Apollo« im Jahr 1876 lebten nur 14 in Leipzig, zwei im Ausland und 47 in Preußen. Sie waren mithin »besuchende Brüder« preußischer Logen. Mit der Aufhebung des Edikts von 1798 konnten humanitär-liberale Logen überall in Preußen gegründet werden. Viele jüdische Freimaurer schlossen sich daraufhin einer lokalen humanitär-liberalen Loge an. Der Umweg über Leipzig war nicht mehr nötig. Einige jüdische Brüder der »Apollo« beteiligten sich auch an den Reformlogen Settegasts in Berlin. Von allen deutschen Großlogen nicht anerkannt, verbot auch die Apollo-Loge weitgehend erfolglos zunächst den Besuch solcher Reformlogen. Die gespannte Atmosphäre des Antisemitismus-Streits hat auch die lokale Logengeselligkeit vergiftet. Ein katholischer Freimaurer trat 1891 aus der Apol10-Loge mit der Begründung aus, er könne es mit seinen Ansichten nicht vereinen, »daß die Freimaurerei Semiten zu Mitgliedern zählt, weil nicht etwa die religiöse, sondern die sittlich-moralische Anschauung derselben, wie sie der Talmud lehrt, der Freimaurerei widerspricht«.591 Im Jahr 1894 hielt der Schuldirektor und spätere Meister vom Stuhl Franz Kießling einen Vortrag »Zur Judenfrage«, in dem er sich zwar für das »Humanitätsprincip«, also die Aufnahme von Juden, aber gegen die Versuche, »die deutsche Maurerwelt zu Gunsten des Judenthums zu terrorisieren«, aussprach. Statt dessen liege die Lösung der »Judenfrage« in den Händen der jüdischen Logenbrüder, die ihre eigenen Vorurteile ablegen sollten. Freilich, die Juden hätten »Jahrhunderte lang in Abgeschlossenheit im Ghetto und dabei unter schmählichem Drucke gelebt, was verderblich auf ihren Charakter einwirken musste. Und da genügen Jahrzehnte nicht, um eine gründliche Umwandlung des Charakters eines solchen Volkes und eine völlige Assimilation desselben mit dem deutschen Volke herbeizuführen.« Nach dem Ende des Vortrages verlas ein jüdischer Freimaurer, der Kaufmann Joseph Danziger, einen Artikel über den Antisemitismus aus der »Allgemeinen Zeitung des Judentums« und suchte die Betonung des christlichen Grundzugs der Freimaurer durch Kießling zu widerlegen. Der Meister vom Stuhl, Willem Smitt, wies zum Ende den Vorwurf des Antisemitismus zurück und bezeichnete den Vortrag als einen völlig objektiven.592 Danziger hat darauf-

590 Held, S. 69ff. 591 GStA Berlin, Logen, 5.2. L 17 (Apollo), Personalakten, Nr. 170: J. Göbel. 592 GStA Berlin, Logen, 5.2. L 23 (Ma?onia), Nr. 20: Protokolle 1893/94, Vortrag von Kießling »Über die Judenfrage«, 7.10.1893. Vgl. ders., Z u r Judenfrage, in: FZ, Jg. 48, 1894, S. 3-6, S. 11-14, hier S. 6, S. 13. Vgl. auch die scharfe Replik gegen einen solchen »mit freimaurerischen Phrasen verbrämten Antisemitismus« von F. Auerbach, Z u r sogenannten Judenfrage, in: Bh., Jg. 37, 1894, S. 25f.

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hin sowohl Smitt als auch Kießling über Jahre »in auffälliger und deshalb beleidigender Weise den Gruß versagt und sich abgewandt, sobald sie in Begriff waren, ihn zu grüßen«. Schließlich leitete das Beamtenkollegium ein Ehrenratsverfahren gegen Danziger ein, und erst nachdem ihm versichert worden war, »daß von den Juden der Vergangenheit die Rede«, seine Person hingegen nicht gemeint gewesen sei, lenkte Danziger ein.593 Die Politisierung in den neunziger Jahren verlief parallel zu einer »Demokratisierung der Freimaurerei«, die schon die Zeitgenossen beobachteten. 594 N e ben die etablierten Logen trat eine Vielzahl von Neugründungen. Hatte es bis in die neunziger Jahre in Leipzig und Breslau jeweils drei Freimaurerlogen gegeben, kamen bis 1914 fünf bzw. zwei neue hinzu. Die Motive hierfür waren vielfältig. Sie konnten politischer Natur sein etwa wie im Falle der Logen »Hermann« und »Settegast« oder auch der Leipziger Loge »Phönix«. Letztere wurde 1892 von einer Gruppe liberaler Logenbrüder der »Minerva« gegründet, zu der etwa der Verleger Anton Philipp Reclam und der Kaufmann Henry Settegast, Sohn des bekannten Reformers, gehörten. Vordergründig ging es um die Wiedereinführung christlicher Hochgrade in die Minerva-Loge, um die sich seit 1888 der konservative Stuhlmeister Julius Victor Carus, Professor der Zoologie an der Leipziger Universität und der erste Übersetzer Darwins, mit Hilfe der preußischen Weltkugel-Großloge bemühte. Die Rückkehr zu den »mittelalterlichen« Hochgraden, von denen sich die »Minerva« in den siebziger Jahren getrennt hatte, galt vielen Brüdern als ein Zeichen für eine erneute konservative Wendung der Minerva-Loge, auch etwa im Hinblick auf die »Judenfrage«. Als ihre Proteste gegen einen solchen, wie die Liberalen es sahen, Rückschritt zu einer aristokratischen, »christlichen« Freimaurerei ihre Wirkung verfehlten, traten sie aus und gründeten gegen den erbitterten Widerstand der »Minerva« die neue Loge »Phönix«.595 Die Aufhebung des Edikts von 1798 durch den Rechtsstreit Settegasts führte nicht nur dazu, daß in Breslau Tochterlogen der liberalen Hamburger und Frankfurter Großlogen entstanden. Umgekehrt bemühten sich die konservativen preußischen Großlogen nun noch stärker darum, in außerpreußischen Städten eigene Logen zu konstituieren. In Leipzig bildeten sich z.B. nach 1900 die Logen »Stern zur Treue« und »Goethe«; die eine Schloß sich der »Großen

593 GStA Berlin, Logen, 5.2. L 17 (Apollo), N r . 130: Ehrenratsverfahren; Beamtenkollegium gegen J o s e p h Danziger wegen u n m a u r e r . Verhaltens, 1897. 594 Marteau, S. 132. 595 Vgl. Widerlegung des Berichts über die G r ü n d u n g der Loge »Phönix« im O r . Leipzig, 1894; A n t w o r t der St. Johannisloge P h ö n i x in Leipzig an die Loge Minerva zu d e n drei Palmen auf ihre Widerlegung des Berichts über die G r ü n d u n g der Loge, Leipzig 1894; sowie allg. GStA Berlin, Logen, 5.2. L 26, Freimaurerloge »Phönix«, Leipzig, N r . 28: K. Petzold, Geschichte der F r e i m a u rer-Loge P h ö n i x 1892-1917, (MS) Leipzig 1922.

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Landesloge«, die andere der Weltkugel-Großloge an. Beide Logen nahmen keine Juden auf.596 Die Demokratisierung und der Aufschwung des Logenwesens brachte eine ungewollte Konkurrenz mit sich. »Der exklusive Charakter des deutschen Freimaurerbundes, der seine Mitglieder nicht wie in anderen Ländern auch aus dem Gewerbe und Kleinbürgerstand, sondern vorzugsweise aus dem bemittelten Bürgerstand und den höheren Kreise zu rekrutieren suchte«, wie auch die hohen Logengebühren führten dazu, daß sich seit den frühen neunziger Jahren eine explosionsartige Vermehrung von logenähnlichen geheimen Gesellschaften beobachten läßt.597 Viele von ihnen kamen aus den Vereinigten Staaten. Z u denken ist außer an die bereits erwähnten »B'nai B'rith«-Logen auch an die schon Anfang der siebziger Jahre nach Deutschland kommenden »Odd-Fellows«, »Guttempler« und »Druiden« . Sie alle waren Imitationen der Freimaurerlogen, betrachteten sich freilich nicht als solche. In fast jeder deutschen Großstadt besaßen sie bald eigene Logen, auch in Breslau und Leipzig. Die Aufhebung des Edikts von 1798 führte darüber hinaus dazu, daß sich eine Vielzahl von irregulären Freimaurerlogen bildete, da die Großlogen das vom Staat garantierte alleinige Recht zur Logengründung verloren hatten. In den meisten Fällen handelte es sich ebenfalls um Nachahmungen der Freimaurerlogen, die sich nach wenigen Jahren entweder auflösten oder - oft nach langwierigen Verhandlungen - den anerkannten Großlogen anschlossen. In ihnen sammelten sich wie in den anderen neuen geheimen Gesellschaften in erster Linie kleinere Geschäftsinhaber und der neue Mittelstand, die keinen Zugang zu den regulären Logen fanden, unter ihnen viele Juden. Zuweilen wirkten diese »Winkellogen« wie eine Parodie auf das Logenwesen, etwa wenn der Berliner Kaufmann Nathan Perls 1895 als »Großmeister« einen »Unabhängigen Freimaurer-Orden (U.F.O.)« gründete und in einer Wohnung Unter den Linden eine Logenversammlung abhielt, auf der er einen vornehm gekleideten älteren Herren als englischen Großmeister vorstellte, der aufgrund der Reise leider kein Wort mit den Brüdern wechseln könne; später stellte sich heraus, daß Perls seinen Schwiegervater verkleidet hatte, um die Logenbrüder zu beeindrucken. 598 Als Perls im Jahre 1911 in Breslau einem Geschäftspartner seine phantasievollen Logengeschichten erzählte (zum Beispiel habe er mit Kaiser Wilhelm I., dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm und dem englischen König Eduard gemeinsam in der Loge gearbeitet) traf man sich vor Gericht wieder; der Geschäftspartner war Mitglied der regulären Settegast-Loge und

596 Vgl. z.B. GStA Berlin, Logen, 5.2. L 28, Freimaurerloge »Stern zur Treue«, Leipzig, N r . 67: Protokolle m i t Beilage 1902-1903, Vortrag v o n F r a n k R o d u s s e n ü b e r die »Judenfrage«, 6.9.1902. 597 S c h a u e r h a m m e r , Die Winkellogen, in: R., Jg. 33, 1906, S. 49-55, hier S. 51. 598 Kneisner, S. 245f.

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verstand keinen Spaß.599 Ein Grund dürfte gewesen sein, daß die Settegast-Loge aus einer Breslauer Tochterloge des U.F.O. hervorgegangen war und als ehemalige »Winkelloge« nur mit großem Aufwand die Anerkennung der Großlogen gefunden hatte.600 Auch die Leipziger Logen »Vesta zum heiligen Feuer« (1906) und »Zur grünenden Eiche« (1911) enstanden aus »Winkellogen«. Letztere war eine Tochterloge der Leipziger »Symbolischen Großloge des Schottischen Ritus in Deutschland«, die ihre Gründung einem anderen Hochstapler, Theodor Reuß, verdankte, der 1890 schon auf die Idee gekommen war, den Illuminaten-Orden zu reaktivieren.601 Nachdem die etablierten Leipziger Logen erfolgreich durchgesetzt hatten, daß einige nicht »respektable« Mitglieder diese Logen wieder verließen, konnten beide fortan unter der Großloge von Sachsen als reguläre Freimauerlogen arbeiten.602 Die Respektabilität der etablierten Logen erreichten diese beiden Neulinge freilich nicht. Mehr als zwei Drittel ihrer Mitgliedschaft kam aus dem Kleinbürgertum (Vgl. Tabelle 2.3). Während es in den übrigen Leipziger Logen kaum noch Handwerksmeister gab, lag ihr Anteil hier bei ca. 20%. Das symbolische Kapital der traditionsreichen Logen ließ sich nicht in wenigen Jahre akkumulieren. Die Erfahrung, als Mitglied einer irregulären Logen nicht am allgemeinen Logenleben teilhaben zu können, hat die Attraktivität dieser »wilden« Gründungen auf Dauer beeinträchtigt.603 Eine Ausnahme bildete der »Freimaurerbund zur aufgehenden Sonne«, der 1906 in Nürnberg von dem Monisten Karl Heinrich Löberich bewußt als eine Art Gegenloge, insbesondere zur benachbarten linksliberalen Bayreuther Großloge »Zur Sonne«, ins Leben gerufen wurde. 604 In dem Gründungsaufruf steht die Kritik an der Religiosität der regu-

599 Vgl. Logen u n d Winkellogen, in: Breslauer Zeitung, 6.4.1913; Feindliche Brüder, in: Schlesische Zeitung, 6.4.1913. 600 Vgl. G S t A Berlin, Logen, 5.2. Β 143, Freimaurerloge »Settegast zur deutschen Treue«, Breslau, N r . 1: Allg. Schriftwechsel u n d Mitgliederverzeichnisse 1898-99; Latomia N F , Jg. 21, 1898, S. 46. 601 R e u ß ähnelte freilich weniger d e m Aufklärer A d a m Weishaupt als d e m Hochstapler C a gliostro. W ä h r e n d eines Aufenthalts in L o n d o n war er in eine irreguläre Hochgradloge a u f g e n o m m e n w o r d e n . Seither reüssierte er in Deutschland als I m p o r t e u r v o n zweifelhaften G r a d - u n d Logensystemen, in vielen Fällen auf Kosten der angeworbenen Mitglieder. Vgl. Eberhardt, S. 89ff., S. 106ff.; Kneisner, S. 245ff.; GStA Berlin, Logen, 5.2. L 17 (Apollo), N r . 98: A u f n a h m e von M i t gliedern der »Symbol. Großloge v o m Schott. Ritus in Deutschland«, 1911-1912. 602 Vgl. Krause. 603 Ein Mitglied einer konservativen Freimaurerloge aus Posen n a h m seinen Berliner G e schäftspartner, der ebenfalls bekundete, Freimaurer zu sein, zur L o g e n v e r s a m m l u n g mit. Als j e n e r sein Zertifikat vorzeigte, stellte sich heraus, daß er jüdischer Konfession u n d Mitglied einer Berliner Winkelloge war - daß es sich u m eine Winkelloge gehandelt hatte, war i h m nicht b e w u ß t gewesen. SL, Jg. 2, 1882, S. 18f. 604 D e n Anstoß gab ein Aufsatz in einer monistischen Zeitschrift: Hein. Vgl. auch allg. Eberhardt, S. 118ff.; Mart.

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lären Logen im Mittelpunkt, aufgeklärte Juden konnten ohne weiteres aufgenommen werden. N u r auf wissenschaftlicher, monistischer Grundlage, heißt es, ließe sich der Kampf gegen die »schwarze Macht der Finsternis und Reaktion«, die Jesuiten, führen. Die Gebühren sollten drastisch gesenkt, die freie Aussprache und die Freidenkerei anstelle der religiös gefärbten Rituale treten. Der neue Freimaurerbund war entschieden linksliberal.605 Die personelle und ideelle Nähe zum ebenfalls 1906 gegründeten Monistenbund (z.B. war der bekannte Chemiker Wilhelm Ostwald Mitglied beider Organisationen) ließ im Laufe der Jahre etwas nach. In Zeitschriften warb man mit Anzeigen um »religiös liberale oder freidenkende Herren bürgerlichen Standes, insbesondere Lehrer, Geistliche, Beamte, Kaufleute«, denen die »Aufnahme in einer politisch streng neutralen Internationalen Verbindung« offeriert wurde. Mit Erfolg, denn obgleich der neue Freimaurerbund nie vor den regulären Logen Anerkennung fand, verbreitete er sich rasch im ganzen deutschen Sprachraum und dürfte vor 1914 ungefähr fünfzig Logen (auch in Leipzig und Breslau) mit mehr als tausend Mitgliedern gezählt haben.606 Verbindungen zur freidenkerischen Reformbewegung der Jahrhundertwende, insbesondere zum »Monisten-Bund« und zur »Gesellschaft für ethische Kultur«, gab es aber auch in anderen Großlogen und Logen, keineswegs nur am linksliberalen Rand. Ernst Horneffer, einer der bekanntesten freimaurerischen Publizisten, der dem »Tat«-Kreis um Eugen Diederich (auch er ein Freimaurer) nahestand, war z.B. seit 1909 der bedeutendste Vortragsredner der Münchner freigeistigen Bewegung.607 Freilich, die Konkurrenz zur ethischen Bewegung der Jahrhundertwende überwog, zumal viele von ihnen, etwa die »Gesellschaft für ethische Kultur«, sich als zeitgemäße Erben der Freimaurerlogen ansahen.608 Eine ernsthafte Konkurrenz erwuchs den liberal-humanitären Logen mit der Gründung von Logen des Ordens »B'nai B'rith« (»Söhne des Bundes«) im Jahr 1882, der in den Folgejahren einen raschen Mitgliederzuwachs erlebte.609 Der Orden hatte sich ursprünglich 1843 in N e w York als eine exklusive Form der Geselligkeit für jüdische Einwanderer konstituiert. Die Schaffung von »B'nai B'rith«-Logen in Deutschland erfolgte als eine direkte Reaktion auf den Antisemitismus der konservativen Berliner Logen. U m 1900 galt es unter preußischen Freimaurern als offenes Geheimnis, »daß heute zweifellos der größte Teil 605 Vgl. z.B. R e f o r m m a u r e r u n d Reichstagswahl, in: Die Sonnenstrahlen. B u n d e s - O r g a n des F r e i m a u e r b u n d e s zur aufgehenden Sonne, Jg. 5, 1911/12, S. 172-177, hier S. 177. 606 Lennhoff u. Posner, S. 529. 607 Simon-Ritz, Bewegung, S. 221; allg. ders., Weltanschauung. 608 Die Gegenwart, 1892, N r . 39, S. 196, zit. n. Latomia N F , Jg. 15, 1892, S. 184; Die n e u e n Rivalen der Freimaurerei, in: Latomia N F , Jg. 13,1890, S. 204-207; Die Stellung der Freimaurerei zur den ethischen Bewegungen der Gegenwart, in: Latomia N F , Jg. 17, 1894, S. 121-124. 609 Vgl. Maretzki\[Goldschmidt]·, Hopp, S. 132. Mitgliederentwicklung der B'nai B'rith Logen: 1882:1.200,1897:3.200,1912: 8.600. Z u m Vergleich die Zahlen der Freimaurerlogen in Tab. 1.1.

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der Mitglieder des Bnei Brith, und mögen sie nach Lebensführung, Bildung und Stellung noch so berufen sein, in unsere Kette zu treten, und mögen sie noch so sehr danach streben, dieses Ziel niemals erreichen könnten.«610 In Städten wie Hamburg, Breslau oder Frankfurt bildeten die »B'nai B'rith«Logen zunächst aber eine Konkurrenz zu den humanitär-liberalen Logen. Vieles deutet daraufhin, daß es deshalb in den Städten mit liberalen Logen von den jüdischen Freimaurern Versuche gab, die Gründung von »B'nai B'rith«-Logen zu verhindern. In Hamburg wurde im Jahr 1887, in Frankfurt 1888 und in Königsberg sogar erst 1910 eine solche Loge gegründet.611 In Breslau und Leipzig gab es außer der »Lessing-Loge« (1885) und der »Leipzig-Loge« (1900) bis zum Ende des Kaiserreichs keine weiteren »B'nai B'rith«-Logen. Nicht nur in Hamburg gehörten viele Freimaurer zum gehobenen jüdischen Bürgertum der Stadt. Diese Kreise blieben dem »B'nai B'rith«-Orden deshalb lange Zeit verschlossen. Statt dessen zog dieser vornehmlich das jüdische Kleinbürgertum an.612 In Braunschweig, wo führende Mitglieder der jüdischen Gemeinde seit den sechziger Jahren zur Freimaurerloge gehörten, sprachen diese sich noch 1902 gegen die Gründung einer »B'nai B'rith«-Loge aus, weil »die Schaffung einer konfessionellen Loge [...] für die bürgerliche Stellung der Juden nicht zuträglich schien«.613 Als im Jahr 1898 der jüdische Kaufmann Heinrich Urbach neuer Meister vom Stuhl der Breslauer Hermann-Loge werden sollte, regte sich Protest bei der Frankfurter Großloge, da Urbach Mitglied der jüdischen »Lessing-Loge« sei. Daraufhin mußte Urbach zusammen mit sieben weiteren Mitgliedern von »B'nai B'rith« aus der Loge »Hermann zur Beständigkeit« austreten. Ausgerechnet auf Antrag der humanitär-liberalen Großloge von Hamburg untersagte der deutsche Großlogentag im Jahr 1887 eine gleichzeitige Mitgliedschaft in einer »B'nai B'rith«-Loge, eine Bestimmung, die erst im Jahr 1906 gelockert wurde. Seither war es den einzelnen Großlogen überlassen, ob sie Mitglieder von »B'nai B'rith« zuließen. Da die Breslauer Hermann-Loge der Frankfurter Großloge unterstand und diese Doppelmitgliedschaften nicht mehr ausschloß, konnte Urbach wieder aufgenommen werden. 614 Zu Doppelmitgliedschaften dürfte es dennoch nur in wenigen Fällen gekommen sein.615 Eine neue Generation des jüdischen Bürgertums schloß sich

610 Kann ein Freimaurer zugleich Mitglied des O r d e n s Bnei Brith sein?, in: Bh., Jg. 46,1903, S. 33-36, hier S. 34. 611 Vgl. Held, S. 104ff.; Schüler-Springorum, S. 43ff. 612 Maretzki, S. 44. 613 Zit. n. Schmuhl, S. 693. 614 R. Daniel, Die Großloge des Eklektischen F r e i m a u r e r b u n d e s , in: Monatsblätter der Freimaurerloge » H e r m a n n zur Beständigkeit«, Jg. 4, 1914, S. 111-131, hier S. 129; sowie ausführlich Maretzki, S. 115-127. 615 Held, S. 108.

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nach 1900 anscheinend zunehmend jenen jüdischen Logen an, obgleich sie dieselben allgemein-menschlichen Ziele wie die Freimaurerei verfolgten, im Ritual und in der Geheimhaltungspraxis diese sogar kopierten. Der einzige Unterschied läßt sich zugespitzt so formulieren: Während die etablierten Logen einen überkonfessionellen Anspruch erhoben, den sie selten einlösten, verfolgten diejüdischen Logen offen einen menschheitlichen Universalismus, der konfessionell, also partikular zurückgebunden war, indem ausschließlich Juden aufgenommen wurden. Der Rückzug auf eine jüdische Identität in exklusiven Logen kann als Versuch interpretiert werden, die Aporie von menschheitlichem Versprechen und rigider Assimilationsforderung zu durchbrechen. Gleichwohl war ein anderer Teil des jüdischen Bürgertums weiterhin prominent am allgemeinen Logenleben beteiligt. Es ist daher zweifellos eine Vereinfachung zu glauben jüdische Freimaurer hätten an dem vorn genannten U m deutungsprozeß in der Semantik und kulturellen Praxis der Bürgerlichkeit keinen Anteil gehabt. Zu den Paradoxien des Wechselspiels von Aneignung und Distinktion gehört, daß Ausgegrenzte und Ausgrenzende Teil eines Diskurses sind, sich deutsche Juden um 1900 genau aufjene bürgerlichen Werte beriefen, wie Kultur und Bildung, Volk und Humanität, die zugleich gegen sie gewendet wurden. 616 Diejüdischen Freimaurer waren nicht die letzten, weltfremden Anhänger der Aufklärung vor 1914. Ein Breslauer Freimaurer wie Hermann Elias, der Vater des Soziologen, war nicht weniger bürgerlich, monarchistisch und national eingestellt als sein »christlicher« Logenbruder, auch wenn dieser ihn nicht als Freimaurer anerkennen mochte. 617 N u r die Antisemiten zogen hier scharfe Grenzen. Die Ambivalenz von Universalismus und Partikularismus in der bürgerlichen Kultur stellte diejüdischen Bürger vor eine in die Semantik eingelassene Aporie, oder, in der Sprache der Soziologie, vor eine klassische »double-bind« Situation. Je mehr sich diejüdischen Bürger universalistische Werte zu eigen machten, desto mehr konnten diese partikular gefüllt und gegen sie gewendet werden, indem behauptet wurde, die Juden besäßen keine eigene Kultur - sie seien eben Kosmopoliten. Umgekehrt galt: Je mehr sich diejüdischen Bürger auf ihre Partikularität, etwa in eigene explizit »jüdische« Logen, zurückzogen, desto mehr wurde ihnen das zum Vorwurf gemacht - ihnen fehle der Sinn für allgemein-menschliche Werte.618 Die Entfaltung der Bürgergesellschaft im Laufe des 19. Jahrhunderts machte ihre Grenzen sichtbarer und brachte neue hervor, in Deutschland nicht anders als etwa in Frankreich. Ein Blick auf beide Länder zeigt, daß im Horizont der

616 Vgl. hierzu Mosse, Volkish Idea; Volkov, Bildung; La Vopa, Jews. 617 Elias, Über sich selbst, S. 12ff. Hermann Elias war seit 1902 Mitglied der Loge »Hermann zur Beständigkeit«. 618 La Vopa, Jews, S. 694; allg. Moyn, Jewry.

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Zeit die politisch-moralische Utopie der »bürgerlichen Gesellschaft«, ihre historische Konkretisierung in der Bürgergesellschaft des 19. Jahrhunderts und der Aufschwung eines Denkens in Kategorien von »Nation« und »Rasse« sich keineswegs wechselseitig ausschlossen. Der Nationalismus und Antisemitismus der deutschen Gesellschaft, insbesondere der besitzenden und gebildeten Schichten des Kaiserreichs widerspricht mithin nicht ihrer »Bürgerlichkeit«, im Gegenteil.619 Die liberalen Ideen von »bürgerlicher Gesellschaft« und »Bürgerlichkeit«, »Nation« und »Menschheit« beruhten auf der Konstruktion eines »Außen«, »Fremden«.620 Der Fremde aber ist »uns so nah«, wie Simmel gezeigt hat, »insofern wir Gleichheiten nationaler oder sozialer, berufsmäßiger oder allgemein-menschlicher Art zwischen ihm und uns fühlen; er ist uns fern, insofern diese Gleichheiten über ihn und uns hinausreichen und uns beide nur verbinden, weil sie überhaupt sehr viele verbinden.« Daraus folge die Spannung, daß »das Bewußtsein, nur das überhaupt Allgemeine gemein zu haben, doch gerade das, was nicht gemeinsam ist, zu besonderer Betonung bringt.«621 Das »Fremde«, wie immer es auch geschichtlich gefüllt wurde, war Teil des eigenen Selbstentwurfs; es hat die liberalen protestantischen Bürger daran erinnert, was ungeachtet ihrer menschheitlichen Semantik die eigene Partikularität ausmachte, neue Glaubwürdigkeitskrisen auslösend. Die Forderung auch von liberalen Freimaurern, alles »Jüdische« im »allgemein Menschlichen« aufgehen zu lassen, kann mithin als ein Versuch interpretiert werden, die eigene Partikularität und Kontingenz zu überdecken, die eigenen Werte und Normen als moralisch überlegene, überzeitliche, allgemein Menschliche auszugeben. N u r so ließ sich der Anspruch, eine moralische Elite zu bilden, rechtfertigen, nur so ließen sich auch die eigenen Zweifel und Ängste nach außen verlagern. Den Vorwurf der Exklusivität und des Materialismus, eines rücksichtlosen Gewinnstrebens, das die moralischen Grundlagen der Bürgergesellschaft zerstöre, projizierte das gehobene Bürgertum der Logen auf die jüdische Minderheit. 622 Das Schlagwort der »Verjudung« bezeichnete die kulturellen Ängste, die mit der eigenen Erfolgsgeschichte verbunden schienen. 619 Vgl. hierzu v.a. Blackbourn, Discreet C h a r m ; Hey, D e u t s c h e Geschichte; sowie zuletzt ders., Society, bes. S. 131 f. W e d e r die Anhänger noch die Gegner der Sonderwegsthese haben d e n Antisemitismus im deutschen B ü r g e r t u m systematisch in ihre Ü b e r l e g u n g e n miteinbezogen. Vgl. die Kritik bei Volkov, Nationalismus; u. van Rahden, Ideologie; allg. Pecora. 620 Alexander, S. 291. 621 Simmel, Soziologie, S. 764-771, hier S. 769. »Denn das F r e m d e ist das Eigene, Vertraute u n d H e i m l i c h e im A n d e r e n u n d als das Andere u n d d a r u m - wir erinnern hier an eine Erkenntnis Freuds - das U n h e i m l i c h e . [...] Von dieser U n h e i m l i c h k e i t u n d F r e m d h e i t k o m m t der M e n s c h nicht einmal d u r c h die H u m a n i t ä t s k o n z e p t i o n los.« Plessner, Macht, S. 283. Vgl. aus der Fülle der Literatur: Baumann, Strangers; ders., M o d e r n e ; sowie Balke. 622 Aschheim, >JewWithinbesserKapitalismus< geistig >adäquat< war [und der] seinen Sieg in der >Seele< des Menschen bedeutete«. 5 Welches »Menschentum« künftig im Gehäuse der kapitalistischen Lebensordnungen w o h n e n könnte, hatte Weber am Schluß der »Protestantischen Ethik« leidenschaftlich beschrieben: Es sind jene »letzten Menschen«, die auch Nietzsche heraufkommen sah, die »Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz«. 6 Wie Nietzsche stellt sich auch Weber mit Blick auf die modernen Lebensordnungen das Problem, »was wir dieser Maschinerie entgegenzusetzen haben, u m einen Rest des Menschentums frei zu halten von dieser Parzellierung der Seele, von dieser Alleinherrschaft bürokratischer Lebensideale«. 7

»Staatslexion«, »alle Weisheit f ü r eine gerechte u n d glückliche B e s t i m m u n g u n d E r h a l t u n g der bürgerlichen G e m e i n w e s e n , der bürgerlichen Verhältnisse u n d Rechte ist umsonst, o h n e Bürgertugend, o h n e das, was ihre beiden Hauptbestandteile sind: Bürgersinn u n d B ü r g e r m u t h . Sie bild e n die gesunde Lebenskraft der bürgerlichen Vereine. Diese erkranken u n d ersterben o h n e sie.« C . T . v. Welcker, Bürgertugend u n d Bürgersinn, in: ders. u. C. Rotteck (Hg.), Das Staatslexikon. Encyklopädie der sämtlichen Staatswissenschaften f ü r alle Stände, 1. Suppl. Bd., Altona 1846, S. 748-758, hier S. 748. Vgl. hierzu Lipp, Politische Kultur, S. 79ff. 4 Ahnlich auch Harrison, Unsociable F r e n c h m e n ; dies., Bourgeois Citizen. 5 Weber, Antikritiken, S. 303 u. S. 55, A n m . 5. Z u m Folgenden: Hennis, Webers Fragestellung; ders., Webers Wissenschaft; Peukert, Webers Diagnose; Gordon, Soul of the Citizen; Hecht. 6 Weber, Religionssoziologie, Bd. 1, S. 204. 7 Weber, Soziologie, S. 413. Z u den Spuren Nietzsches im W e r k Webers u n d Simmeis: Lichtblau, S. 77-177.

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Anders als Nietzsche kam Weber bei der Frage nach der F o r m u n g des »Menschentums« in der Moderne auch auf die geselligen Vereinigungen zu sprechen. Direkt an Tocqueville anknüpfend, sah Weber nicht in der Ausbreitung, Verflechtung und Zusammensetzung von Assoziationen wie den Logen, sondern in der »Frage nach der Beeinflussung des menschlichen Gesamthabitus durch die verschiedenen Inhalte der Vereinstätigkeit« den Schlüssel z u m politischen Verständnis der Geselligkeit. 8 »Wie wirkt die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Verband nach innen?« fragt Weber, »auf die Persönlichkeit als solche?« »Welches spezifische Ideal von >Männlichkeit< [wird], bewußt oder absichtsvoll oder auch unbewußt [...] gepflegt?« »Welche Art von Beziehung besteht zwischen einem Verein [...] und irgend etwas, was man, im weitesten Sinne des Wortes Weltanschauung n e n n e n kann?« 9 Mit anderen Worten: Welchen Menschentypus bringt die moderne, auf freie Assoziationen beruhende Demokratie hervor? Weber stellte damit jene klassisch aristotelische Frage nach dem Einfluß einer politischen Herrschaftsform auf die »Seele« ihrer Bürger neu, die f ü r liberale Denker wie Alexis de Tocqueville oder J o h n Stuart Mill im 19. Jahrhundert zentral war. 10 Georg Simmel geht noch einen Schritt weiter. Zwar wirft er ähnliche Fragen wie Weber auf, auch teilt er dessen resignativen Ton mit Blick auf die »letzten Menschen« des späten 19. Jahrhunderts und sieht die moralische Bildung des Selbst in der modernen Kultur als bedroht an. Simmel verabschiedet sich aber nicht nur v o m Fortschrittsoptimismus und Evolutionismus der zeitgenössischen Gesellschaftslehren und ihren großflächigen Begriffen von Staat u n d Gesellschaft; er löst den abstrakten Gegensatz von Individuum und Gesellschaft in konkret zu untersuchende Formen der Vergesellschaftung auf Dadurch ist es ihm möglich, die Mechanismen der Geselligkeit zu beschreiben, denen auch die konkreten Praktiken der Logen folgten. Das Grundproblem jeder möglichen Form von Vergesellschaftung besteht für Simmel darin, daß die Individuen sich in der Wechselwirkung mit anderen überhaupt erst zu Individuen bilden: »Wir alle sind Fragmente, nicht nur des allgemeinen M e n schen, sondern auch unser selbst. [...] Das Fragmentarische aber ergänzt der Blick des Andern zu dem, was wir niemals rein u n d ganz sind.«11 In seinem »Exkurs über den Fremden« hat Simmel dieses erkenntnistheoretische Apriori seiner Soziologie an einem Grenzfall ausgeführt. D e n n der Fremde bezeichnet, soziologisch gesehen, eben jene Ambivalenz von N ä h e u n d Distanz, die der Vergesellschaftungprinzipiell zugrunde liegt.12 Die Individuen, so Simmel, sind 8 Zit. n. Weber, Lebensbild, S. 428; ähnlich auch Weber, Geschäftsbericht, S. 58. Zu Weber und Tocqueville: Hecht, S. 199-250. 9 Weber, Geschäftsbericht, S. 55. 10 Vgl. die Hinweise bei Hennis, Fragestellung; sowie Hecht, S. 199f.; allg. Kahan. 11 Simmel, Soziologie, S. 49f. 12 Ebd., S. 764-771.

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nicht nur Produkte der Gesellschaft, sondern auch deren Produzenten, sie sind Teil des Gesellschaftlichen und stehen ihm doch selbständig gegenüber, sie vergesellschaften sich und bleiben sich doch notwendig fremd. Hieraus erklärt sich auch Simmeis Theorie der Geselligkeit als einer spezifisch modernen »Spielform der Vergesellschaftung«.13 Geselligkeit ist, hier folgt Simmel der klassischen Begriffsbestimmung der Aufklärung, zweckfrei und ganz auf den Austausch der Individuen konzentriert. Dadurch verschaffen solche Vergesellschaftungen das Gefühl, »daß man eben vergesellschaftet ist, daß die Einsamkeit des Individuums in ein Zusammen, eine Vereinigung mit anderen aufgehoben ist.«14 Die Geselligkeit gründet in einem anthropologisch verstandenen Bedürfnis der Individuen nach Wechselwirkung mit anderen, das dem freien Austausch wie der Bildung gleichermaßen dienen soll. Wie kann diese Form der Wechselwirkung erreicht werden? Simmel unterscheidet eine »obere und untere Geselligkeitsschwelle«: Einerseits hat das Individuum alle äußeren Fesseln abgetan und tritt nur »als Mensch« in die Geselligkeitsform ein; andererseits aber macht dieses Gebilde vor dem ganz und gar Subjektiven und rein Innerlichen der Persönlichkeit halt. Ganz ähnlich hatte 1799 Schleiermacher in seiner »Theorie des geselligen Betragens« gefordert: »Ich soll meine Individualität, meinen Charakter mitbringen, und ich soll den Charakter der Gesellschaft annehmen; beides soll in demselben Moment geschehen, soll eins und in einer Handlungsweise vereinigt sein.«15 Eine solche Wechselwirkung schien Schleiermacher wie ein Jahrhundert später auch Simmel nur unter Gleichen möglich. Zu den Spielregeln der Geselligkeit gehört die Fiktion der Gleichheit, »sie ist das Spiel, in dem man >so tutgemütlichen< Geselligkeit nach der Arbeit« - sie alle bildeten, wie ein anderer Logenbruder 1867 meinte, dagegen keine »edle Geselligkeit«, die vielen Gebildeten fehlen würde. N u r in den Logen werde die ideale Wechselwirkung zwischen Geselligkeit und Humanität erreicht. »Jedes Mitglied kann und soll, so viel an ihm ist, mitwirken für's Ganze. [...] Der Betheiligte fühlt sich dann selber als ein vollgültiges, vollberechtigtes Glied des Ganzen, sieht sich in Dem, was ihn zum Menschen macht, anerkannt und findet sich, wenn auch das Bewußtsein nicht allaugenblicklich klar ist, inmitten eines Menschenvereins, der ihm nicht mehr und nicht weniger als die Menschheit selbst repräsentirt.« 36 Die Loge galt als ein Vorgriff auf die Zukunft, auf ein »Reich der Vernunft«, dessen Bürger die Freimaurer schon jetzt seien und dessen Sprache sie sprechen. »Erst, wenn die Menschheit sich zu der geistigen Höhe erhoben hat, daß keine Leidenschaft und kein Vorurteil sie mehr trennt, wenn sie so reif ist, daß Staat und Kirche ihre hohen Zwecke an ihr erreicht haben, und dann die Zeit kommt, wo die Menschen in Liebe und Eintracht zu einer friedlichen und glücklichen Herde sich vereinigen, erst dann bedarf es der Vermittlung der Maurerei nicht mehr [...] denn die Menschheit ist dann, was sie werden soll.«37 Daß es sich bei der Vision der geeinten Menschheit in einer Welt ohne soziale, konfessionelle und politische Grenzen um eine politisch-moralische Utopie handelte, blieb den Freimaurern schmerzlich bewußt. Sie meinten freilich, daß nur vor einem solchen Erwartungshorizont eine partielle Verbesserung der Menschheit, zunächst aber in erster Linie der »Bürger des Vernunftreiches«, der Logenbrüder selbst, erreichbar sei.38 Nachdem im ersten Teil die Bedeutung der Logen für die Bürgergesellschaften des 19. Jahrhunderts und die sozial-moralischen Grenzen, die sie nach außen zogen, herausgearbeitet worden sind, sollen nun im zweiten Teil zunächst die kulturellen Praktiken, an die sich die Utopie der Logengeselligkeit knüpfte, 34 Des Maurers Geselligkeit, oder welches ist die Hauptaufgabe des Maurers für unsere Gegenwart?, in: Latomia, Jg. 4, 1844, Nr. 8, S. 179-205, hier S. 203. 35 Breuer, Ueber das uns umfangende Geheimniss, in: Latomia, Jg. 4,1844, Nr. 8, S. 265-273, hier S. 265. 36 J.G. Rönnefahrt, Festrede zur Feier des Johannistags, 24. Juni 1867, in der Loge »zur goldenen Krone« i.Or. Stendal, in: Asträa,Jg. 29, 1868/69, S. 112-132, hier S. 125f. 37 Agte, Das maurerische Geheimniß, in: Asträa, Jg. 17, 1853/54, S. 137-152, hier S. 149. 38 Maurer, Licht und Welt, in: Latomia, Jg. 3, 1843, S. 70-88, S. 171-193, hier S. 180.

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genauer untersucht werden. Der Blick wendet sich folglich von außen nach innen, um die im sozialen Raum der Logen wirkenden Mechanismen zu beobachten.39 Die »Formen moralischen Subjektivierung und der dazu bestimmten Selbstpraktiken« wie auch die »Praktiken des Sozialen« lassen sich in ihrer wechselseitigen Durchdringung am Beispiel der Logengeselligkeit verfolgen.40 Die Bildung des Selbst in der Gesellschaft der Logenbrüder erfolgte nach bestimmten Regeln und Ritualen, die ein »Band der Brüderlichkeit« knüpfen sollten. Die Freimaurerei sei eine »kultische Vergesellschaftung«, die »auf dem Grundsatze der Brüderlichkeit aufgebaut ist und den ganzen Menschen, nicht aber nur einzelne berufliche, fachliche oder sonstige Interessen gewisser Gruppen umfaßt,« wie ein Freimaurer 1910 beispielhaft beschreibt.41 Der Geheimkult der Logen ermöglichte eine besondere Form der Geselligkeit, die emotionale Erfahrungen und Beziehungen unter Männern erlebbar machte. An diese eigene Gefühlswelt der Brüderlichkeit knüpften sich die hochfliegenden ethischen Grundsätze der Freimaurerei, wie sie auch die Anziehungskraft der Logen bis 1914 verbürgte. In einem zweiten Schritt soll das zivilreligiöse Credo der Logen, das sich an die Utopie der Verbesserung des Selbst - der »Zivilisierung« - knüpfte, untersucht werden. War die Freimaurerei eine neue, auf Tugend, Vernunft und Bildung gegründete Form der Religiosität, die im Geheimkult sich verwirklichte? Verlor diese neue Religiosität im Zuge der »Verwissenschaftlichung« an Bedeutung, oder läßt sie sich als eine sakralisierende Umdeutung älterer Leitbegriffe wie »Bildung« oder »Humanität« beschreiben? Wenn ja, zeugt diese Bildungsreligiosität, um eine zentrale Frage des vorhergehenden Kapitels wiederaufzunehmen, von einer »Abwendung des Bildungsbürgertums von der Aufklärung« seit dem späten 19. Jahrhundert, von einem Rückzug ins Unpolitische, oder vielmehr vom Willen, die Gesellschaft nach »bürgerlichen« politisch-moralischen Imperativen zu reformieren?

3 9 F ü r einen solchen Perspektivenwechsel plädiert auch Frevert, Männergeschichte, S. 40. 4 0 Foucault, Sexualität, Bd. 2, S. 41. 41 D i e Idee der Humanität und die Freimaurer, in: Die Grenzboten, 1910, N r . 20, S. 2 9 7 - 3 0 2 , hier S. 298.

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2. Das Band der Brüderlichkeit Die Vision der »Zivilisierung« des Selbst in der Gemeinschaft der Brüder bedurfte eines sozialen Raums in der Bürgergesellschaft, der zwar von ihr getrennt war, aber in sie hineinwirken konnte. Es scheint ein Spezifikum der Bürgerlichkeit des 19. Jahrhunderts gewesen zu sein, solche Orte innerhalb der Gesellschaft zu schaffen, eine zweite, außeralltägliche Welt, in der man sich bewegen konnte, um Vergnügen und Geselligkeit, aber auch Bildung zu genießen. In diesen sozialen Räumen erfuhr sich die Gesellschaft als Gesellschaft, wurden zivile Werte und Tugenden eingeübt und öffentlich gezeigt. Ein Blick auf die Museen, Theater und Salons, die (Tier-)Parks und Promenaden, Feste, Bade- und Kurorte bestätigt diese Beobachtung. 42 Strukturell ähneln sich alle diese Räume des Gesellschaftlichen; die Loge ist nur ein frühes und in seiner Intimität und Exklusivität zugespitztes Modell gewesen. Die wichtigste Zuspitzung bestand darin, daß sie nur Männern offen standen. Sie dienten, wie andere bürgerliche Vereine im 19. Jahrhundert als Erfahrungsräume männlicher Identität.43 Vor einer dichten Beschreibung der Regeln und Rituale, die den Innenraum der Loge beherrschten, soll zuerst ihr Ort, die Loge selber in den Blick genommen werden, die als Bühne für die spielerische Aneignung von Tugend in der Geselligkeit der Brüder diente. Hatten die Logen sich im 18. Jahrhundert noch zumeist in den Gesellschaftsräumen von Wirtshäusern versammelt, entstanden seit der Wende zum 19. Jahrhundert, vor allem in der Aufschwungsphase der Freimaurerei seit den sechziger Jahren repräsentative Logenhäuser in den besten Lagen der Städte. Kaum eine angesehene Loge besaß vor 1914 nicht ihre eigene Villa. Die hohen Gebühren sowie die Tatsache, daß viele Architekten und Baumeister selber »Brüder« waren, ermöglichten den Logen, ein sichtbares Zeichen ihrer »geselligen Macht« und Bürgerlichkeit im Stadtbild zu errichten. Die architektonischen Formen und Dekorationen der Logengebäude variierten zwar, ihre Grundzüge waren aber - dem Zweck entsprechend - ähnlich. Ein Beispiel soll das veranschaulichen. Die Loge »Minerva zu den drei Palmen«, die exklusivste Loge Leipzigs, hatte sich 1816 im Stadtkern in der Nähe der Thomaskirche ein imposantes Haus gebaut, das im Laufe der Jahrzehnte immer mehr erweitert wurde. 44 Umgeben war das Logenhaus von einem Garten mit exotischen Pflanzen und einer hohen Mauer, welche die Trennung von 42 Vgl. z.B. Blackbourn, Places; Mackaman\ Scobey; Tacke, D e n k m a l ; Heuling u. Nolte (Hg.), Feste; Haupt (Hg.), O r t e . 43 Vincent-Bujault, S. 217. 44 Z e s t e r m a n n , Ein G a n g d u r c h die R ä u m e der Loge Minerva zu d e n 3 Palmen in Leipzig, in: F Z , Jg. 20, 1866, S. 45-55.

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der Außenwelt, die das Geheimnis erforderte, zementierte. Die beiden Sphinxe, die links und rechts liegend das Eingangstor »bewachten«, sollten an die Pflicht zur Verschwiegenheit erinnern. Die Loge »bedarf des Schweigens der Pyramide«, meinte der Leipziger Freimaurer und Naturforscher Alfred Brehm, die Eindrücke von einer Ägypten-Reise auf die Freimaurerei beziehend. »Auch in ihr Schweigen und Geheimniß, obwohl um sie herum das Lärmen und Treiben des Tages schallt«.45 Skulpturen der Göttin Minerva, die der Loge den Namen gab, und von Johannes dem Täufer, dem Schutzpatron der Freimaurerei, machten die Bestimmung des Ortes ebenso deutlich wie der Spruch über der Tür, die ins Innere führte: »Erkenne Dich selbst«. Die Loge besaß eine Reihe von Geschäfts- und Gesellschaftsräumen, ein Archiv und eine Bibliothek mit Leseraum, auch einen Bankettsaal mit Weinkeller, der von einem Kastellan und eigenem Personal (den »dienenden Brüdern«) versorgt wurde. Der zentrale Treppenaufgang führte zu den »heiligen Hallen«, dem Logentempel. Der Saal war an Logenabenden kunstvoll illuminiert, auch tagsüber blieben die Fenster mit schwarzen oder blauen (die Farbe der »englischen« Freimaurerei) Stoffbahnen verhangen; oft wechselte die Dekoration vor den Fenstern und Wänden je nach Ritual. Die Loge war auch im Wortsinne eine gesellige Schattenwelt: Das gedämpfte Kerzen-, später auch das Gaslicht warf Schatten, die Teil der Inszenierung waren. Mit der Einführung der Elektrizität gegen Ende des Jahrhunderts drohte dieses Spiel der Schatten verlorenzugehen. 46 Ein Erbteil der Aufklärung war der »Orientalismus« in der Dekoration und den Symbolen der Logen. Im Osten des länglichen Vierecks des Logenraums saß erhöht, oft eine strahlende Sonne im Rücken, der Meister vom Stuhl; den Ort der Loge selber nannte man »Orient«. Daß sich viele jüdische Freimaurer beim Eintritt in die Loge an eine Synagoge erinnert fühlen konnten, lag an den talmudischen und alttestamentarischen Gründungslegenden, an denen sich die Phantasie der Freimaurer des 18. Jahrhunderts entzündet hatte und an denen ironischerweise besonders konservative Freimaurer bis ins frühe 20. Jahrhundert festgehalten haben, die oft keine Juden in ihre Logen aufnehmen wollten. Fast alle geheimen Losungsworte der freimaurerischen Grade sind hebräisch; wie die Juden zählen die Freimaurer nicht nach Christi Geburt, sondern nach der Erschaffung der Welt. König Salomon gilt als Gründervater der Freimaurerei, an seinem Tempel bauen die Logen. Wie in der Synagoge behalten die Freimaurer in der Loge die Hüte auf, mehr noch, die Ornamentik, etwa die Deckenbemalung mit einem Sternenzelt, von Synagoge und Loge ähnelt sich.47 45 A. Brehm, Ein maurerisches Bild aus Aegypten, in: FZ, Jg. 12,1858, S. 369-372, hier S. 371. 46 P. Bröcker, Zur Ausdruckskultur der Freimaurerei, in: Der Kunstwart, 27.7.1914, S. 142146, hier S. 145. 47 Es kann daher kaum überraschen, daß viele jüdische Freimaurer sich nicht nur vom überkonfessionellen Anspruch der Logen angezogen fühlten, sondern eine besondere geschichtliche

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In den Logen mischten sich auf überraschende Weise die verschiedensten Stile. Ionische Säulen, ägyptische Ornamente (z.B. der Tierkreis) an den Wänden und am Gebälk, über der Tür das Bild einer geflügelten Kugel als Zeichen, daß die Logenbrüder »Kinder ihrer Zeit« seien, geometrische Figuren, allegorische Gemälde an den Wänden und ein blauer Sternenhimmel an der Decke auf kaum einen Stil und Effekt wurde im Innern des Tempels verzichtet, um deutlich zu machen, daß es sich um einen besonderen Ort handelte, einen Raum, in dem das Wissen und die Kunst der ganzen Menschheit anwesend waren. Der Eklektizismus der symbolischen Formen, ihre Vieldeutigkeit und Unbestimmtheit waren gewollt, sahen sich die Freimaurer doch als »Freunde der Menschheit« und Weltbürger, die Raum und Zeit überbrücken, indem sie auf die Antike wie auf die Kunst ferner Kontinente zurückgriffcn, um sich zu bilden, um aus allen Zeiten und Orten das vermeintlich Beste aufzunehmen. 48 Wie bei anderen Logen auch, konnte die alte Villa der »Minerva« den Mitgliederzuwachs der sechziger und siebziger Jahren (an manchen Abenden waren bis zu vierhundert Brüder anwesend) nicht mehr fassen. Zwischen 1884 und 1886 errichtete die Loge auf dem alten Grundstück ein neues Gebäude, das wiederum wenige Jahre später den Ansprüchen nicht mehr genügte. 49 Die Neugestaltung des Leipziger Stadtzentrums im Zuge des Abrisses der Pleißenburg bot die Gelegenheit, direkt gegenüber dem Neuen Rathaus und, wie in der Einweihungsrede kulturkämpferisch hervorgehoben wurde, in Sichtweite zur bedeutendsten katholischen Kirche der Stadt, ein repäsentatives Logenhaus zu errichten. 50 Beide, Rathaus und Logenhaus, wurden 1905 eingeweiht und im ähnlichen Baustil ausgeführt. Die Innenausstattung des Logenhauses von 1886 wie von 1905 orientierte sich an der alten Villa. Der dreihundert Quadratmeter große Saal für die Rituale war vollständig einer ägyptischen Tempelhalle nachgebildet und mit allegorischen Bildern überladen. Der Zusammenhang von Ästhetik und Moral, der dem Bildungsbegriff vorausliegt und der ebenso typisch für die Bürgerlichkeit des 19. Jahrhunderts ist, wie er heute unverständlich erscheint, tritt hier deut-

Beziehung zwischen Judentum und Freimaurerei suchten, die mit »christlichen« Gründungslegenden konkurrierte. Vgl. z.B. die Schrift des Oberrabiners im Herzogtum Limburg, Landsberg; allg. Henne am Rhyn. 48 Dieser Eklektizismus zeigte sich auch in den Logennamen, die oft nach griechischen Philosophen (z.B. »Archimedes«, »Pythagoras«) und Göttern (»Apollo«, »Minerva«, »Asträa«), ägyptischen Mythologien (»Memphis«, »Horus«), freimaurerischen Symbolen (»Kelle«, »Kette«, »Zirkel«) und Tugenden (»Eintracht«, »Harmonie«), deutschen Heroen der Bildung (»Immanuel«, »Lessing«, »Goethe«) und der Geschichte (»Friedrich«, »Blücher«) gebildet wurden. [P.] M[ensdorf], Logennamen, in: Latomia NF, Jg. 35, 1912, S. 385-391; Erlenmeyer. 49 Carus, Bausteine, S. 20f.; Das Neue Haus der Loge Minerva; [Linge]·, Illustrirte Zeitung, Jg. 127, 1906, Nr. 3297, S. 388. 50 [W.] Rünger, Die Ungleichheit der Menschen, Triebkraft der höheren Kultur, in: [Linge], S. 31-38, hier S. 31.

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Abb. ί: Haus der Loge »Minerva« in Leipzig, erbaut 1905. (Freimaurermuseum Bayreuth)

Abb. 2: Tempel im Ersten Grad der Loge »Minerva«. (Freimaurermuseum Bayreuth)

lieh hervor. So befanden sich in der Mitte des Logentempels drei freistehende Säulen, die »drei großen Lichter« der Freimaurerei: »Schönheit«, »Weisheit« und »Stärke«. Sie sollten den Logenbruder an seine Aufgaben erinnern: Selbstverbesserung, Selbstbeherrschung und Selbsterkenntnis. Erst die Rituale - die Praktiken des Selbst - füllten freilich diese symbolisch überladene Kulisse mit Leben, erst in ihnen entfaltet sich der Zusammenhang von Ästhetik und Moral, die »Kunst der Geselligkeit« in vollem Umfang.

2.1 Riten der

Männlichkeit

Das Aufnahmeritual bildete seit dem 18. Jahrhundert das Zentrum des Freimaurerkults. Es wurde phantasievoll als Schwellenerlebnis inszeniert.51 Nachdem der künftige Logenbruder (»der Suchende«) den komplizierten, zeitaufwendigen Prozeß der formellen Zulassung zur Loge überstanden hatte, fand er sich zusammen mit seinem Vertrauten, der Logenmitglied war und die Bürgschaft übernommen hatte, am frühen Abend im Logenhaus ein. D e n Ritualen, die bis zu drei Stunden beanspruchten, schloß sich oft noch ein Festbankett mit weiteren Reden oder Musik an, so daß der Logenbesuch selten vor Mitternacht beendet war.52 Am Eingang überprüft ein »Aufseher« oder ein »dienender Bru51 Die verschiedenen Rituale der Logen zirkulierten in großformatigen (oft lagen sie aufgeschlagen während der Rituale vor dem Meister vom Stuhl) handschriftlichen Kopien oder Druckschriften und sind in den im Anhang genannten öffentlichen Bibliotheken zugänglich. Vgl. nur als Beispiel: Ritual für die Trauerloge. Nach der Berichtigung vom 7ten October, [hg. v. der Grossen National Mutterloge »Zu den drei Weltkugeln«, Berlin 1857], 52 Vgl. z.B. die Beschreibung des Logenlebens in Berlin, Hamburg und Leipzig des deutschamerikanischen Freimaurers und Buchhändlers Eduard Roehr, Reisebilder, in: FZ, Jg. 22,1868, S. 238-240, S. 276-278, S. 282-284. Die moderne Technik erleichterte später den reibungslosen Ablauf eines Logenabends - das 1886 neugebaute Logenhaus der »Minerva« besaß nicht nur eine Klimaanlage für die traditionell fensterlosen Ritualräume, sondern auch elektrische Telegraphen in den verschiedenen Räumen, die es dem Meister vom Stuhl ermöglichten, die Musiker und Diener während des Logenabends unauffällig zu koordinieren. Eine frühe satirische Beschreibung von Logenkonzerten und -banketten sandte Richard Wagner 1838 an die »Neue Zeitschrift für Musik«, nach einem Besuch einer Magdeburger Loge: »Die Leute verbergen aber die eigentlichen gefährlichen Zwecke ihrer Zusammenkünfte dem Auge des Uneingeweihten mit solchem Geschick, daß man sie bewundern muß. Ist diese List nicht fein? Man ladet demnach gutartige Menschen, wie mich, zum Konzert ein. Ich trete in einen erleuchteten Saal, alles ist nach der Norm der Konzerte eingerichtet; man spielt Symphonien, Konzerte, Overtüren, singt Arien und Duette, und erhält einen so in gutem Glauben, man sei in einem ehrlichen Konzert. Aber einem politischen Blicke kann die Gleichgültigkeit, die Langeweile, die Unruhe des Auditoriums nicht entgehen, man sieht deutlich, das Ganze ist nur Maske, die Späherblicke zu trügen; - je näher das Konzert seinem Ende ist, desto sehnsüchtiger richten sich die Blicke der Verschworenen nach einer großen verschlossenen Tür. Was soll das? Man hört während der Adagios der Symphonien nebenan Teller klappern usw. Die Unruhe nimmt überhand; zum Glück macht jetzt das Orchester einen tüchtigen Skandal; es scheint angestellt zu sein; das Scharren mit den Füßen, das Husten und Niessen der Verschworenen zu übertäuben, um diese geheimen Signale dadurch unserer Aufmerksamkeit

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der« die Berechtigung zum Eintritt in die Loge. Auswärtige Freimaurer müssen ihr Patent vorzeigen und sich durch bestimmte Zeichen zu erkennen geben. Auf jedes Detail wird geachtet, auch in der Kleidung. So muß der Kandidat wie seine künftigen Brüder mit schwarzem Frack und Zylinder erscheinen. Zuweilen ist es auch bis zur Jahrhundertmitte vorgekommen, daß Logenbrüder mit »in allen Regenbogenfarben strahlenden Hausmützen« und Oberröcken bekleidet erschienen, sehr zum Leidwesen überzeugter Freimaurer. 53 Der Zylinderhut darf in der Loge zunächst nicht abgenommen werden, die Gleichheit der Brüder sinnfällig machend: Keiner muß vor dem anderen (und sei er ein Fürst) den H u t ziehen.54 Beim Eintritt in die Loge läßt der Aufnahmesuchende alle Insignien seines bürgerlichen Daseins zurück. Geld, Schmuck und Waffen werden symbolisch abgelegt zum Zeichen, daß er Reichtum, Ehre und Macht in der Loge nicht sucht, daß er bereit ist, die Schwelle zum widerspruchsfreien Raum der Moral und Bildung nur als Mensch zu überschreiten. Bis auf Hemd und Hose entkleidet wird er zur inneren Besinnung und Einkehr in eine fensterlose, schwarz ausgekleidete Kammer, oft in den Kellerräumen der Loge, geführt, die er sich zuweilen mit einem menschlichen Skelett teilen muß. Der »leise Schauer, den die Absonderung in das kahle Gemach verursachte«, verunsichert den Kandidaten und entrückt ihn von der »Welt des Gewohnten«. Statt dessen »fühlt man sich einer unbekannten, undurchsichtigen Welt ausgeliefert,« wie Ernst Horneffer seine Gefühle in der »schwarzen Kammer« beschrieb. 55 Ein anderer Freimaurer behauptete, die schwarze Kammer habe ihn in einen Zustand der Hypnose und Verwirrung versetzt.56

zu entziehen. Das Konzert ist zu Ende, - alles bricht auf, ehrsame Leute, wie ich, nehmen den Hut, - da öffnet man jene verdächtige Tür, verräterische Düfte quellen hervor, - die Verschworenen rotten sich zusammen, - man strömt in den Saal, - man weist mich höflich von dannen - die Heuchelei wird mir klar,- N u n leugne einer, daß hier nicht etwas Gefährliches versteckt sei! Ich für meinen Teil bewundere den Langmut der Polizei.« Zit. n. C.F. Glasenapp, Das Leben Richard Wagners, Leipzig 1905, Bd. 1, S. 224. In seiner Bayreuther Zeit soll Wagner erwogen haben, wie sein Schwiegervater Franz Liszt der Loge beizutreten. Ein bekannter Freimaurer, sein Freund Friedrich Feustel, Bankier, Mitglied des Zollparlaments und der bayrischen Abgeordnetenkammer, seit 1874 zudem Mitglied des Reichstags, soll ihm von dem Schritt abgeraten haben: Wagners Beziehung zu Ludwig II. hätte darunter leiden können. Richard Wagner und die Loge »Eleusis zur Verschwiegenheit« in Bayreuth, in: Bayreuther Bundesblatt, Jg. 6, 1905-06, S. 29-30. 53 Ueber das Aeußre der Brüder beim Erscheinen in der Loge, in: FZ, Jg. 4, 1850, S. 245. 54 Gegen Ende des Jahrhunderts plädierten einzelne Logenbrüder erfolglos gegen den - wie es nun hieß: »unhygienischen« - Brauch der »filzigen Gleichheitszeichen«. Der H u t sei in »einem gedeckten [gemeint ist von Logenbrüdern besuchten], schlecht ventilierten, feierlich dumpfen Räume nichts weiter als ein lästige, unschönes und ungesundes Bekleidungsstück«. M.G. Conrad, Positive Reform-Studien III: Der symbolische Hut, in: FZ, Jg. 24, 1883, S. 137f. 55 Horneffer, Freimaurerleben, S. 20f. 56 Daiber, S. 24.

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Von der Einsamkeit, dem Schweigen-Können und Geduld-Üben des Individuums geht die Reise schließlich zur Gemeinschaft der Brüder. Nach einiger Zeit wird der Kandidat, die Augen verbunden, in den eigentlichen Logenraum geführt, in manchen Logen freilich auf Umwegen durch das gesamte Gebäude. Der Mensch ist »aus krummem Holz gemacht«, woran der Neuling erinnert wurde, indem er als Zeichen seiner Unvollkommenheit die Aufnahmezeremonie behindert von einem niedergetretenen Filzschuh am linken Fuß absolvieren mußte. 57 Weitere Prüfungen kamen hinzu. Schwellenerlebnis und eine gezielte Schocktherapie sollen noch einmal die Ausgrenzung der Außenwelt im Bewußtsein der Mitglieder verankern und das Vertrauen in die neue Gemeinschaft festigen.

Abb. 3: Gebräuche bei der Aufnahme eines Novizen. Stahlstich von Henry Winkles, 1849. (Foto: AKG Berlin)

57 Vgl. A. Schmidt, Wesen, Zweck, Lehr- und Uebungsweise der Freimaurerei. Allgemeine Instruction im Lehrlings-Grade, in: ZC, Jg. 9, 1880, S. 25-40, hier S. 36.

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Abb. 4: Gebräuche bei der Aufnahme eines Novizen. Stahlstich von Henry Winkles, 1849. (Foto: AKG Berlin) Der Kandidat absolviert, gestützt von seinem Freund u n d Bürgen, eine allegorische Reise von der Jugend ins Erwachsenenalter; er sieht sich verschiedenen Prüfungen ausgesetzt, die j e nach Logensystem und -grad variieren. 58 Bei der Aufnahme in den dritten Grad wird der künftige Meister in einen Sarg gelegt oder über einen solchen, gestützt von den Brüdern, mehrmals hinweggeführt. In die Rituale waren zuweilen geschickt überraschende M o m e n t e eingebaut, etwa w e n n der Liegende von dem Meister v o m Stuhl scheinbar mühelos e m porgehoben wurde, wobei nicht das Hebelgesetz, sondern die Magie des Wortes den Effekt verursacht haben soll.59 Geburt u n d Tod, Licht und Dunkelheit sind in der Ikonographie der Logen immer präsent. Das überkommene Selbst des Kandidaten - dessen Unzuläng-

58 Allein in Sachsen arbeitete in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts zwar der überwiegende Teil der Logen nach dem Schröderschen, die Logen in Chemnitz und Freiberg aber nach dem Feßlerschen, die Loge Minerva und eine Loge in Bautzen nach ihrem eigenen Ritualsystem. In den Grundzügen gab es aber in allen deutschen Logenritualen Ähnlichkeiten, die hier betont und herausgearbeitet werden sollen. 59 Vgl. als detaillierte Beschreibung der Rituale: Die Loge zu N., in: R.,Jg. 5. 1876, S. 69-72, S. 86f„ hier S. 87.

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lichkeit und fehlende Männlichkeit zu Beginn der Rituale aufgezeigt werden stirbt einen symbolischen Tod in der Gemeinschaft der Brüder, die zugleich seine Wiedergeburt ermöglicht: Dem Neuling wird die Binde von den Augen gerissen, der Blick gewöhnt sich nur mühsam an die hellerleuchteten Logenräume, in denen die künftigen Brüder ihn, mit gezücktem Degen (oder mit der Spitze eines Zirkels) auf das Herz gerichtet, bedrohen, wobei die Lichtstrahlen von den Logenbrüdern auszugehen scheinen.

Abb. 5: Aufnahme eines Novizen. Stahlstich von Henry Winkles, 1849. (Foto: AKG Berlin)

Endlich wird der moralisch »Neugeborene« mit Gesang in die »Bruderkette« eingereiht, indem die Logenbrüder einen Kreis bilden und sich auf Brusthöhe in die Hände greifen.60 Der neue Bruder gelobt, nach Selbstveredlung, Selbstbeherrschung und Selbsterkenntnis zu streben sowie über das in der »Gemeinschaft der Gleichen« erlebte und erlernte (etwa die Paßwörter und Erkennungszeichen) künftig zu schweigen. In manchen Logen wurde dieser Schwur da60 Die Geburts-Metapher z.B. bei Peiper, Die Aufnahme-Zeremonie des I. Grades, ein Bild der moralischen Geburt und des geistigen Wachstums der Menschen, in: ArS, Jg. 3,1906, S. 252260, S. 254, S. 257f.

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durch bekräftigt, daß der Novize in einer Schale sein Blut mit dem der Brüder mischte. 61 Die Worte: »Geschlossen ist der Bund des Lebens« und eine kurze Ansprache des Meisters vom Stuhl, die zumeist um moralische Fragen kreiste, beendete die Zeremonie. 62 Selbst diese Ansprache diente in erster Linie dazu, hochgestimmte Gefühle zu evozieren. Es sollten »im Geiste des Hörers mittels Ideenassociation verwandte Vorstellungsreihen anklingen, welche hohen sittlichen Idealen entsprechen, die dem Fühlen des Fr[ei]m[aure]rs eine gewisse Erhebung, einen höheren Aufschwung verleihen«.63 Die Rituale wiederholten sich nicht nur bei neuen Aufnahmen, sondern auch, in abgewandelter Form, bei der Beförderung auf die nächsthöhere Erkenntnisstufe. 64 Je mehr Grade ein Logensystem besaß, desto öfter kam der einzelne in den Genuß solcher Zeremonien. 65 In den Grundzügen ähnelten sie sich; die Zeremonien müssen deshalb hier nicht in ihren Varianten beschrieben werden. Freisetzung und Beherrschung von Emotionen bildeten den Kern des für alle Beteiligten unterhaltsamen Spiels, in dessem Zentrum der neue »Bruder«, sein Selbst stand. Viele Freimaurer zählten die Aufnahmezeremonie zu den eindrucksvollsten Momenten ihres Lebens; mancher meinte sogar, daß sein »Inneres wohl noch nie so tief erschüttert wurde«.66 In der Loge wird der einzelne »aufStunden in ein abstraktes ideales Leben versetzt«.67 Die Konflike des Alltags werden, wie bei anderen Ubergangsriten auch, symbolisch überwölbt und ge61 A. Schmidt, Wesen, Zweck, Lehr- und Uebungsweise der Freimaurerei. Allgemeine Instruction im Lehrlings-Grade, in: Z C , Jg. 9, 1880, S. 25-40, hier S. 39f. 62 Solche Ansprachen wie auch die Funktion des Logenredners waren im 19. Jahrhundert eine deutsche Besonderheit. Während etwa in den englischsprachigen und französischen Logen das Schwergewicht auf die Rituale und auf das anschließende Bankett gelegt wurde, gehörte zu einer deutschen Logenarbeit immer eine Rede, zumeist über die freimaurerische Tugendlehre. 63 A. Feld, Ueber die Bedeutung des freimaurerschen Rituals und seine Wirkung auf Geist und Gemüt des Maurers, in: BstF,Jg. 11, 1902, S. 65-71, hier S. 66. 64 Vgl. die eindrückliche Beschreibung des zweiten Grads bei A. Schmidt, Die freimaurerische Ethik, insbesondere Social-Ethik, nach Anleitung des Gesellengrades, in: Z C , Jg. 9, 1880, S. 128-142. 65 Von den 42.211 deutschen Freimauern waren im Jahr 1881 65,3% Meister, 17,2% Gesellen und 17,5% Lehrlinge, d.h. die überwiegende Mehrheit hatte schon mindestens drei Zeremonien hinter sich. Statistik der Freimaurerei in Deutschland, in: SL,Jg. 1,1881, S. 9-10, hier S. 10. Viele von ihnen gehörten zudem den bis zu 33 Hochgraden an, die aufjeder Stufe ebenfalls elaborierte Aufahmerituale besaßen. Die Breslauer Zepterloge wehrte sich daher im Jahr 1890 entschieden gegen die Verringerung der Zahl der Grade - und damit der Aufnahmerituale - mit dem Argument, »dass dabei auf den Einzelnen, der in den Mittelpunkt der ganzen Handlung gestellt wird, um den sich alles dreht, eine durch nichts zu ersetzende Einwirkung erzielt und erreicht wird; dass der Aufzunehmende und zu Befördernde nicht Zuschauer, sondern - so zu sagen - Hauptakteur ist, der die Eindrücke solcher persönlichen, individuellen Inanspruchnahme nie vergessen kann.« ZStA Moskau, Fond 1412-1, Nr. 5040: Allg. Angelegenheiten des Del. Inneren Orients zu Breslau, 1890-1910, Denkschrift Ueber die Unannehmbarkeit des geplanten »letzten Grades«, Breslau 1890. 66 W. Schäfer, Warum ich Frmrer wurde, in: DL, Jg. 24, 1894/95, S. 2070. 67 Marteau, S. 77f.

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löst. Ein jüdischer Freimaurer der Loge »Apollo« beschrieb 1896 diese Entrükkung aus der Alltagswelt eindrücklich: »Als die Binde von meinen Augen fiel und ich zum ersten mal das maurerische Licht erblickte, glaubte ich mich in eine andere Welt versetzt. Hinausgetragen aus dem Getriebe der Menschheit schien es mir, als wäre ich plötzlich hellsehend geworden und alles, was ich bis dahin erlebt, erschien mir so kleinlich, dass ich mir in diesem Augenblicke meine ganze Vergangenheit, die abgeschlossen vor mir lag, vorkam, wie ein von einem mit einigen Talenten begabten Laien errichtetes Gebäude, welches, oberflächlich betrachtet, einen nicht unüblen Eindruck macht. Beim Eintreten in dasselbe bemerkt man aber, dass Offnungen für die Fenster beim Bau vergessen waren; dass man im Dunkeln tappen muss. U n d als ich die Steine untersuchte, aus welchen das Gebäude ausgeführt, ergaben sie sich zum grossen Teil als zusammengesetzt aus einem ganz unbrauchbaren Material«. Selbstsucht, Eigennutz und ein übertriebener Geltungsdrang hätten sein früheres Selbst beherrscht. Jetzt aber, nach der Aufnahme in die Loge, »trat ein eigentümliches Gefühl der Sicherheit bei mir ein; ich merkte, dass ich nunmehr in eine Gemeinschaft von Männern aufgenommen war, von Brüdern, von hochherzigen Naturen, die mir alle das Streben zu haben schienen, das Beste zu wollen und das Höchste zu erreichen. Ich war ein anderer Mensch geworden. Ja! War ich es denn wirklich schon? Mein Innerstes sagte mir, dass ich es eigentlich noch nicht wäre, dass ich aber auf dem besten Wege sei, es zu werden.«68 Die Logenrituale und ihre überspannte Symbolik - etwa die Besiegelung der Brüderlichkeit und der Opferbereitschaft für die neue Gemeinschaft mit dem eigenen Blut - gingen, wie Alexis Schmidt 1880 zugab, weit über das »Alltägliche und Gewöhnliche, über das, was in der bürgerlichen Gesellschaft als normal gilt« hinaus und forderte »nichts Kleines von dem Gebildeten unsere Tage«.69 Es war die Außeralltäglichkeit, die der freimaurerische Ubergangsritus erzeugte, welche die Logen in den Augen ihrer Mitglieder anziehend machte. Das freimaurerische Ritual bot den männlichen Bürgern eine Art Drama der Selbsterkundung, in dem Ängste, Hoffnungen und Wünsche artikuliert werden konnten, für die außerhalb der Loge kein Raum zu sein schien. Das Geheimnis ermöglichte das Sich-Offnen für diese Gefühlswelt und schützte sie zugleich vor der Außenwelt. Vor dem Eintritt in die Loge unterzeichneten die neuen Logenbrüder der »Apollo« einen Fragebogen, auf dem sie erinnert wurden, daß »Schwatzhaftigkeit« den Mann schände. »Sie sind deshalb gewiß auch fest entschlossen«, wird weiter gefragt, »über Gegenstände der Freimaurerei und der Loge gegen Jedermann, ohne Unterschied des Geschlechts, stets das

68 GStA Berlin, Logen, 5.2. L 17 (Apollo), Nr. 197: Personalakte M. Lehmann, Gesellenarbeit, 12.1.1896. 69 A. Schmidt, Die heutige Stellung der Freimaurerei im öffentlichen Leben, in: Z C , Jg. 9, 1880, S. 301-316, hier S. 305.

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strengste Stillschweigen zu beobachten?«70 In dem Fragebogen der Breslauer Zepter-Loge verpflichtet sich der Neuling ebenfalls, über die Geheimnisse der Loge zu schweigen, andernfalls unterwerfe er sich »der völligen Exclusion, und will auch, daß man mich als einen Verräter und unwürdigen Menschen, der sein Wort nicht hält, bezeichnen soll und als solchen allen Freimaurer-Logen in der ganzen Welt öffentlich bekannt mache«.71 Das Geheimnis knüpfte spielerisch das Band der Brüderlichkeit, indem es die Grenzen eines Raums der Intimität markierte. Vertrauen und die Fähigkeit des Schweigen-Könnens sind, wie schon Simmel erkannt hat, der Kitt, der die geheime Gesellschaft zusammenhält. Die spielerische Erziehung zur Verschwiegenheit ist daher ein Schwerpunkt der Rituale. Es kann kaum überraschen, daß an der Arkanpraxis auch gegen den Reformwillen von linksliberalen Logenbrüdern in den sechziger Jahren festgehalten wurde.72 Das Geheimnis übernahm zwar nicht mehr die politische Schutzfunktion, die es im 18. Jahrhundert erfüllt hatte. Es blieb trotzdem eine Grundbedingung der Logengeselligkeit, ihrer Intimität und Exklusivität.

2.2 Im intimen Land der Freundschaft Was war das wahre Geheimnis der Freimaurerei? Die Rituale und Symbole der Logen unterlagen zwar formal der Geheimhaltung. Sie wurden jedoch seit dem 18. Jahrhundert wiederholt der Öffentlichkeit in einer populären Enthüllungsliteratur bekannt gemacht. Im Selbstverständnis der Freimaurer bildeten diese symbolischen Formen freilich nicht den Inhalt des Geheimnisses. Das eigentliche Mysterium der Freimaurerei sei das emotionale Erlebnis des Rituals, die Verbrüderung von Männern, die »Befreundung des Feindlichen«, wie August Horneffer meinte. »Wer enträtselt uns«, heißt es bei ihm 1913, »den Zauber dieses Erlebnisses? In der Stille überfällt oder beschleicht es uns; still und verschwiegen macht es uns. Wenn in Menschen, die bisher einander fremd waren, die sich sogar als natürliche Gegner und Rivalen fühlten, auf einmal der Entschluß reift, ihre Hände freundschaftlich ineinander zu legen, wenn in der Stunde dieses Entschlusses auch die Disharmonien in der eigenen Seele sich zu lösen und die Welt ein neues, sinn- und freudvolleres Angesicht zu gewinnen scheint, dann fühlt der Mensch, daß sich etwas Unaussprechbares begibt, daß er in den Besitz eines Geheimnisses gelangt ist, das sich durch Wort und Schrift 70 GStA Berlin, Logen, 5.2. L 17 (Apollo), Nr. 83: Verpflichtungserklärungen 1832-1846. 71 ZStA Moskau, Fond 1412-1, Nr. 5125 (Zepter): Verpflichtungs-Buch, 1853-1878. 72 »Nein! löst den holden Zauber nimmer!/ Ihr streifet sonst den Blüthenstaub/Von Psyche's Schwingen. Nein! auf immer/ Seid gegen solch Verlangen taub!/ Nein! das Geheimniß laßt uns wahren!/Verschwiegenheit sei unser Ruhm!/ Sie schützt, wie in frühern J a h r e n / So fort und fort dies Heiligthum!« C.E. Putsche, Das Geheimnis, in: Asträa, Jg. 25, 1864, S. 287-290, hier S. 290.

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nicht bekannt machen läßt. N u r einen Weg gibt es, dies Geheimnis mitzuteilen, den Weg der Gebärde, des künstlerischen oder kultischen Spiels.«73 Das Erlebnis der Männerfreundschaft w u r d e als ein »heiliger Schauer« u n d »süßes Geheimnis« beschrieben. Es war »nicht mitteilbar«, sondern »nur erlebbar« (der inflationäre Gebrauch des Erlebnis-Begriffs setzte freilich erst nach der Jahrhundertwende ein) und erschien so manchem als »das Zugmittel, das mich zur Loge hinzieht«. 74 Solche Rituale und Symbole solle man »nicht verstandesmäßig ergründen wollen, sondern man m u ß sie innerlich erleben; dann wirken sie wie ein Märchen aus der Kinderzeit und haben ihren Wert für die Bildung der Persönlichkeit«, meinte 1912 August Wolfstieg. 75 D u r c h den geselligen U m g a n g mit den Brüdern in der Loge, durch das Erlebnis der Rituale sollten emotionale Bedürfnisse geweckt und befriedigt werden, f ü r die außerhalb der Loge kein R a u m zu sein schien. So empfand der Breslauer Schriftsteller Paul Barsch u m 1900 das Ritual als »einen sinnreichen Kultus, der mit seiner romantischen Poesie zu denfreien Seelenfreier M ä n n e r spricht, verborgene Gefühlssaiten zu tönender Schwingung bringt, die d e m bloßen Worte, sei es auch noch so eindringlich, so edel und poetisch, unzugänglich sind.« D e n n »bei u n serem Ritual im Tempel werden wir, Brüder unter Brüdern, edle u n d beglükkende Mysterien des Gefühls feiern«. 76 Die Räume, Rituale und Regeln der Logen waren dazu da, eine emotionale G r u n d s t i m m u n g zu erzeugen, die d e m einzelnen ein Gefühl der Vereinigung mit der Gemeinschaft der Brüder gab. »Nicht in jeder Tempelarbeit wird das f ü r jeden Bruder der Fall sein«, heißt es an anderer Stelle. »Aber w e n n einmal in einer Feierstunde der elektrische Funke durch die Kette springt, und Meister oder Redner das zündende Wort finden für das innerste Erlebnis eines Bruders, dann rauscht es in seiner Seele auf dann entsteht eine warme Glut und neues Leben«. 77 Nicht nur wer die Logenrituale in der Öffentlichkeit beschreibt, sondern vor allem wer »die Art und Weise, in welcher sich etwa die Begeisterung oder R ü h r u n g eines Bruders in der Loge geäussert hat«, öffentlich verspottet und damit sich und anderen eine vorbehaltlose Intimität verschließt, verletzte die Ver-

73 Horneffer, B u n d , S. 3, S. 11. »Kein N i c h t f r e i m a u r e r kann sich«, wie sein Bruder, Ernst H o r n e f f e r , sich erinnerte, »von d e m Z a u b e r einen Begriff machen, den die Heimlichkeit ausübt, w e n n sie wie ein goldenes N e t z einen H a u f e n von M ä n n e r n u m s p a n n t , die mitten im tätigen Leben stehen u n d den verschiedenen B e r u f e n angehören.« Horneffer, Freimaurerleben, S. 30. 74 L. Schmidt, Freundschaft, in: H L , Jg. 45, 1911-1912, S. 130-132, hier S. 131; ähnlich z.B. Schwabe, Freimaurerische Lebensauffassung, S. 358: »Wie dies Erlebnis im I n n e r n der individuell verschiedenen M e n s c h e n sich abspielt, wie es zustande k o m m t , das wird als G e h e i m n i s e m p f u n den, zumal es unmöglich der eine d e m a n d e r n übermitteln kann.« 75 A. Wolfstieg, Die B e d e u t u n g des Meisters f ü r die Loge, in: ArS, Jg. 9,1912, S. 194-197, hier S. 194f. 76 P. Barsch, M e i n Lehrlingsjahr in der Loge Settegast z.d.T., O r . Breslau, in: H L , Jg. 40, 1906-07, S. 197-201, hier S. 198. 77 Pösche, S. 9.

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schwiegenheitspflicht der Freimaurer. »Wie wir unsere innersten Gefühle nicht jedem preisgeben, so bringt es das Wesen unserer K[öniglichen] Kfunst] mit sich, diese Br[uder]sprache nur in unserem Kreise anzuwenden, sie als Geheimnis zu hüten, nicht weil wir etwas Geheimes zu verbergen gezwungen sind, sondern weil wir sonst etwas verlieren würden, was uns allen lieb und teuer ist: die Herzenssprache, die nur uns verständlich ist und deutlicher und mehr spricht als Worte. [...] Wir müssen uns verstehen ohne viel Reden. Freunde müssen ihre Gefühle fühlen können.«78 Diesen emotionalen Beziehungen unter Männern fehlte es entsprechend an einer eigenständigen Semantik. Sie oszillierte seit dem späten 18. Jahrhundert zwischen Liebe und Freundschaft. 79 Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war die semantische Trennlinie zwischen Liebe und Freundschaft noch nicht fest gezogen. Der Begriff »Liebe« umschloß ganz selbstverständlich die Gefühle, welche die Logenbrüder zusammenführten. In einem Logengedicht aus dem Jahr 1845 heißt es: »Ich liebe dich Was kann man Schöneres sagen? Ist Liebe nicht des Erdenlebens Glück? Ich fühl' Dein Herz an meinem Busen schlagen, U n d doppelt schlägt das meine dir zurück. Ich liebe dich! Du liebest mich! Ich traue deinen Worten U n d biete meine Brust dir freudig dar! Wir sind ja Brüder, Söhne von dem Orden, Dem Liebe Satzung ist und bleibt und war Du liebest mich! Wir lieben uns und alle unsre Brüder Mit gleichem Drang, so innig, warm und rein, U n d schliessen fest, als treue Ordensglieder, U n s in die grosse Bruderkette ein. Wir lieben uns! Wer fühlte da nicht sich innig tief durchdrungen, Wenn über uns der Geist der Liebe weht U n d Hand in Hand, und Brust an Brust geschlungen Ein Bruder dicht am andern Bruder steht! So lieben wir.«80

Die Liebe zum Logenbruder wird freilich »versittlicht« dadurch, daß sie einem höheren Ziel, der Verbrüderung der Menschheit, dient. Ein Jahr später formulierte der Redner der Minerva-Loge diesen Zusammenhang noch deutlicher: 78 O. Marbach, Die Heimsuchung der Freimaurer in Sachsen, in: ders., Arbeiten, S. 51-67, hier S. 57, S. 59. 79 Vgl. allg. Aymard; Vincent-Buffault; Tenbruck. 80 Bruderliebe, in: Latomia, Jg. 6, 1845, S. 272f.

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»Bringe zu des Tempels Hallen Mit Dir echten Brudersinn, Lass des Lebens Schranken fallen, Gieb Dich ganz dem Bruder hin. Führ' auf der Begeisterung Schwingen Deine Brüder mit empor, Lass das Wort zum Herzen dringen, Oder leih' ein offen Ohr!«81

Welchen Zweck sollte eine solche emotionale Öffnung aber haben? »Klopfenden Herzens erwartet der Bruder die frohe Minute, Welche zum Tempel ihn ruft in den ersehnten Kreis. Ist es das Klopfen, das, ohne zu stillen, dem Mahle ihn zudrängt? Welches den süsslichen Kuss tändelnder Frauen verheisst? Welches verspricht die Gesellschaft eiteler läppischer Gecken, Oder den perlenden Wein, oder das rauschende Spiel? Nein! es erglüht der Busen des Mannes vom edleren Feuer! Weiss er es doch, dass der Mann hier mit den Männern verkehrt, Dass er im Bunde der innigen Freundschaft höheren Zwecken, Göttlichen selbst, sich ergiebt; dass er im schönen Verein Nur Interessen des ganzen Menschengeschlechts erzielet, Dass er sich männlich erhebt, männlich, mit Männern im Bund.«82

Eine solche »Bruderliebe«, enge emotionale Beziehung zwischen Männern, war keine vage Idee der Logenredner, sondern stand, wie vorn gezeigt, im Zentrum des Freimaurerkults. Die »Bruderliebe war, wie ein Freimaurer 1867 formulierte, kein Traum, sondern »die reine Praxis des Freimaurerthums«. Sie hätte, heißt es weiter, nichts »von dem schwärmerischen oder sentimentalen Wesen der sogenannt platonischen Liebe«, aber auch nichts »von der Lascivität und Gemeinheit der Geschlechtslust, die sich so vielfach hinter dem Ausdruck >Liebe< versteckt. Da ist auch nicht dieses so Allgemeine und darum meist so Unverständliche und Unthunliche, was der Aufforderung zur >Menschenliebe< so wenig Gehör verschafft. Da ist vielmehr ein männliches, klares und freundliches Bemühen, an jedem Mitgenossen die möglichste Vollkommenheit der Existenz zu bewerkstelligen, gleichwie in der Familie der Bruder dem Bruder zur Seite steht«.83 In der Vervollkommung des einzelnen durch die Liebe der »Brüder«, so die politisch-moralische Vision der Logen, werden nicht nur individuelle Schwächen, sondern auch die Fehlentwicklungen der Gesellschaft, ja, der Menschheit, schrittweise behoben.

81 Hochmuth, S. 7. 82 Ebd. 83 J . G . Rönnefahrt, Festrede zur Feier des Johannistags, 24. J u n i 1867, in der Loge »zur golden e n Krone« i.Or. Stendal, in: Asträa, Jg. 29, 1868/69, S. 112-132, hier S. 129.

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Der Zusammenhang von »Bruderliebe« und der Liebe zur Menschheit blieb auch erhalten, als sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts der Begriff der Freundschaft für die emotionale Beziehungen zwischen Männern in der Loge durchzusetzen begann. »Wenn wir uns schon durch das intime Land der Freundschaft durch Austausch und Berichtigung unserer Ideen, durch das Retten eines Freundes aus Verlegenheiten [...] vervollkommnen, wenn wir dadurch dem moralischen Standpunkte, den wir uns stellten, näher rücken, um wie viel muß dies nicht der Fall sein durch das gemeinschaftliche Streben mit einem Gleichgesinnten nach dem hohen Ideale der Wahrheit und Tugend, die uns unser Bund vorschreibt?«84 Liebe, wird freilich jetzt behauptet, sei tendenziell in der Ehe, Freundschaft außerhalb von ihr etwa in der Loge zu finden. Das bedeutete keineswegs eine Aufwertung der Liebe zwischen den Geschlechtern, zwischen Ehepartnern. Im Gegenteil: Das Ideal der Männerfreundschaft in der Loge erschien »edler und vollkommener als selbst die Liebe, welche letztere ganz ohne Sinnlichkeit ein Unding ist.« Zweck der Vereinigung von zwei Freunden sei die »gemeinsame Veredlung und Vervollkommnung; eine solche Vereinigung aber kann nie aus der Schwäche der menschlichen Natur entstehen; wir haben vielmehr alle Ursache, die wahre Freundschaft als eine Vollkommenheit derselben aufzufassen und ihr sogar den Vorzug vor der Liebe einzuräumen.« 85 Wurde die Liebe zwischen den Geschlechtern als naturhaft und damit unvollkommen angesehen, schien die Freundschaft unter Männer als Weg zur geistigen und sittlichen Vervollkommung des einzelnen wie der Menschheit. Die Liebe zwischen den Geschlechtern galt als »aufwallend«, »schwärmerisch«, »unbewußt« und nur »auf Äußerlichkeiten beruhend«, die Freundschaft zwischen Männern hingegen als »ernst«, »wohlbedacht«, »sittlich« und auf »inneren Werten« aufgebaut. Solche Freundschaften zeigen, »daß das Band sich um Männer geschlungen hatte, die, im Ernst des Lebens stehend, ihre gleichen sittlichen Grundsätze kennen und schätzen lernten und so sich aneinander emporrankten bis zu immer grösserer Vollkommenheit.« 86 Je häufiger Freundschaft und Liebe als Gegensätze begriffen wurden, desto überlegener schien die Freundschaft. »Ist die Liebe der Sommer mit seinen herrlichen Blumen und Blüthen, so ist die Freundschaft der Herbst des Lebens mit seinen köstlichen, duftenden Früchten, die gereifte Liebe, die weiss, was sie will, der ernste Mann gegenüber dem glühenden, strahlenden Jüngling. Solche ernste Freundschaft

84 GStA, Logen, 5.2. L 2 3 (Magonia), Nr.35: Protokollbuch der vorgetragenen Reden, 1851— 1853; Nr. 36: Reden u. Vorträge, 1852-1854, E. Meissner, Ueber die Freundschaft, vorgetragen am 27.3.1851, Bl. 37-41. 85 ZStA Moskau, Fond 1412-1, Nr. 4971 (Zepter): Jahresbericht 1871, Vortrag von Br. Hirt über Freundschaft und Liebe, 17.10.1871. 86 R. Fischer, Die maurerische Freundschaft, in: SL, Jg. 10, 1890, S. 127-130.

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will die Maurerei erzeugen, zu ihr erziehen.«87 Die Unsicherheit darüber, wo die Grenze zwischen Liebe und Freundschaft verläuft, kennzeichnete die semantische Lage um 1900. Auch wenn »eine innere Gemeinschaft zwischen einzelnen, die nicht auf sexueller Grundlage verbunden und nicht verwandt sind«, im allgemeinen eher Freundschaft als Liebe genannt werde, meinten einige Freimaurer, der Begriff »Liebe« eigne sich zur Beschreibung der Gefühle zwischen Logenbrüdern: »Nennen wir das Kind nur beim rechten Namen. Zur Liebe will uns die Loge nicht nur vereinigen, nein bilden, zur Liebe im höchsten Sinne.«88 »Die Freundschaft ist das edelste Gefühl, dessen das Menschenherz fähig ist, nicht die Liebe«, heißt es zwar 1904 in einer Dresdner Logenrede, allerdings mit dem Zusatz: »Die echte Liebe ist selber Freundschaft.« 89 Diese »moralische Freundschaft« sah man aber keineswegs im Gegensatz zur Leidenschaft, solange sie nicht sexueller, im damaligen Sprachgebrauch: »geschlechtlicher« Natur sei. Ein Breslauer Freimaurer definierte 1900 die Freundschaft unter Logenbrüdern als »ein unauflösliches Band, welches sie miteinander für das ganze Leben verbindet und welches stärker ist als der Verstand.«90 Die »Bruderliebe«, wie die Freundschaft in den Logen oft genannt wurde, schloß körperliche Berührung zwischen Männern ausdrücklich ein. So wenig wie der weibliche Körper unter Frauen im 19. Jahrhundert tabuisiert war, so wenig war es - einem verbreiteten Klischee zum Trotz - der Körper unter Männern. 91 Die Formen der Berührung waren vielfältig, z.T. ritualisiert in den freimaurerischen Zeremonien und Umgangsformen. Handschlag und Treueschwur, Bruderkuß und der gezogene Degen auf der entblößten Brust des Initiaten vermittelten und bekräftigten sinnlich die neue Gemeinschaft. 92 Welche Bedeutung dem männlichen Körper in diesen Ritualen zugeschrieben wurde, läßt sich auch daran ablesen, daß nicht nur soziale und moralische, sondern auch körperliche Mängel die Aufnahme unmöglich machten, etwa Blindheit, Taubheit, Stummheit, ferner Gelähmtheit, die Geisteskrankheiten sowie, ausdrücklich hervorgehoben, die »Entmannung«. 93 Selbst ein »äusserlich etwas abstossend scheinender Mann, der jedoch ein Herz für alles Gute und Schöne hat, und bei näherer Bekanntschaft ebenso gemüthlich ist als sonst Jemand«, könne nicht in die Loge aufgenommen werden. »Es sind nicht immer Grundsätze und allgemeine Normen das Entscheidende bei Aufnahmen, son-

87 Latomia NF, Jg. 25, 1902, S. 49-51. 88 H . Seedorf, Liebe, in: Asträa, Jg. 28, 1909, S. 202-216, hier S. 212. 89 J.H. Papsdorf, Über die Freundschaft, in: DL, Jg. 35, 1904/05, S. 35-42, hier S. 36. 90 GStA Berlin, Logen, 5.2. Β 139 (Horus), Nr. 7: Sammlung von Logenreden 1884-1918, Rede für den II. Grad, vorgetragen von M. Cohn, 17.10.1900. 91 Smith-Rosenberg; allg. Foucault, Freundschaft. 92 Von der Sinnlichkeit in der Maurerei, in: Asträa, Jg. 10, 1842, S. 154-160. 93 [F.] Meissner, Ueber die hohe Bedeutung der Bürgschaft und der Ballotage im Freimaurerbunde, in: Bundesblatt, Jg. 18, 1860, S. 35^14, hier S. 38f.

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dern gar oft ein alle (oder doch viele) Br[üde]r durchziehendes Gefühl der Abneignung.«94 Diese emotionale Einschätzung wurde teils durch das äußere Auftreten des künftigen Bruders bestimmt, teils dadurch, ob er erkennbar einen »offenen Sinn für Freundschaft« habe, sich mithin der Gefühlswelt der Loge öffnen würde. 95 N u r diese Offenheit garantierte umgekehrt die Freundschaft der anderen Logenbrüder. »Gleichsam wie eine Morgengabe bringen wir unseren jüngeren Brüdern bei der Aufnahme diese Freundschaft entgegen.«96 Selbst ein so bekannter Verleger wie Eugen Diederichs hatte 1897/98 Schwierigkeiten, in die Loge »Balduin« aufgenommen zu werden, da über ihn Gerüchte kursierten, er sei ein »Sonderling«, der sich vielleicht nicht in die spezifische Atmosphäre der Logengeselligkeit einfügen könne. 97 In der Loge herrschte ein bestimmter ziviler Ton, der einerseits nicht zu förmlich, aber andererseits nicht zu gewöhnlich und vertraut sein sollte. Im Jahr 1872 wurde in der Breslauer Zepter-Loge der Generalmajor Reinhold Weber zum Meister vom Stuhl gewählt. Sehr bald stellte sich heraus, daß es Weber nicht gelang, den spezifischen Ton der Loge anzuschlagen. In der Loge verhielt er sich steif und unsicher, außerhalb von ihr verkehrte er kaum mit den Brüdern, seine Ehefrau hielt er von gemeinsamen Ausflügen fern - all das wurde mißbilligend in den Annalen der Loge festgehalten. Auch seine militärischen Vorstellungen von Disziplin stießen aufAblehnung. »Als einmal bei einer Tafelloge nach seinem zur Ordnung rufenden Hammerschlag die Br[üde]r zu gemächlich aufstanden, befahl er, daß sie sich wieder niederzusetzen und beim neuen Hammerschlage wie ein Mann zu erheben hätten.« Daraufhin ließ der Besuch der Logenabende merklich nach; wenige Jahre später wurde Weber nicht mehr wiedergewählt. An seine Stelle trat 1878 der Rechtsanwalt und Notar Martin August Ludwig Löwe, der aus anderen Gründen ebenfalls Schwierigkeiten hatte, sich in der Loge Anerkennung zu verschaffen. Trat der Generalmajor mit zu viel Schneid in der Loge auf fehlte es dem Rechtsanwalt an Würde. »Zum Teil lag das an seiner wenig imponierenden äußeren Erscheinung. Ein ihn oft plagendes Gichtleiden ließ ihn in seinen Bewegungen zuweilen unbeholfen erscheinen, was bei den Logenarbeiten mitunter störend wirkte. [...] Wie wenig Wert er auf Äußerlichkeiten legte, zeigte sich u.a. darin, daß er selbst zu Aufnahmen und

94 Bh.,Jg. 1, 1858, S. 128. 95 Redepenning, Der Maurerbund ist ein Bund edler Freundschaft unter Männern, in: Asträa, Jg. 16, 1851/52, S. 56-65, hier S. 58f.; ähnlich A.W. Müller, Festrede am Tage Johannis des Täufers, den 24. Juni 1862, geh. in der Loge Charlotte zu den 3 Nelken im Or. Meiningen, in: Asträa, Jg. 24, 1863, S. 11-30, hier S. 22. 96 Beudel, Ueber mauererische Freundschaft, in: Bundesblatt, Jg. 16, 1902, S. 438-443, hier S. 441. 97 GStA Berlin 5.2. L 18 (Balduin), Nr. 85: Prüfungsauschuß, 1895-1931; Verhandlungen über den Aufnahmeantrag von E. Diederichs vom 4.12.1897.

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Beförderungen in einem niedrigen schwarzen Filzhut und im dunklen Gesellschaftsrock erschien. Seine Absicht, dadurch die unmodernen Zylinderhüte aus der Loge zu verbannen, schlug aber fehl und ins Gegenteil um. Ein Teil der Br[üde]r kam nämlich bald auch in Hüten aller Art und sogar in hellen Anzügen zu den Arbeiten. Die Feierlichkeit wurde dadurch stark beeinträchtigt, was vielseitig schweren Unwillen erregte.«98 Auch Löwe blieb nicht lange in seinem Amt. Körperlich und geistig imposant, selbständig und streng im Urteil, aber »gesellig« und freundlich im Wesen - so stellten sich die Brüder einen idealen Freimaurer vor, mit solchen Männern wollten sie intimen Umgang. Eine solche gleichgeschlechtliche Intimität war für viele bürgerliche Männer im 19. Jahrhundert ein selbstverständlicher Teil ihrer Identität, ja, ein Ausweis ihrer Respektabilität und Ehre, die in das Geschäfts- und Berufsleben wie in die Familie zurückwirkte. Für Beziehungen unter Männern galt ähnliches wie für Liebe und Freundschaft unter Frauen: Im 19. Jahrhundert existierte eine andere emotionale Landschaft, die Intimität innerhalb der Geschlechter nicht tabuisierte." Für die vermeintlich prüde, repressive und zerstörerische bürgerliche Sexualmoral lag zwischen bekennender Heterosexualität und kompromißloser Homosexualität ein weites Spektrum der Leidenschaften. Eine schrittweise Änderung trat hier erst in den achtziger Jahren ein, als drei Prozesse sich wechselseitig überlagerten und verstärkten: die Verwissenschaftlichung von Sexualität, die Stilisierung von abweichendem sexuellen Verhalten als Metapher für sozialen und politischen Niedergang und die Herausbildung einer spezifischen homosexuellen Identität. Die Bedrohungsängste, die von der »Entdeckung« der Homosexualität ausgingen, veränderten nachhaltig auch die Formen emotionaler Beziehungen unter Männern. 100 Angesichts des Skandals um Oscar Wilde wurden Befürchtungen laut, daß nun alle Formen männlicher Kamaraderie wie eben auch die Logen - unter die »Herrschaft des Verdachts« fallen würden: »Der Klatsch der Gasse darf diese Räume nicht entweihen.«101 Galt bislang die Idee der Männerfreundschaft als geistig-moralische und somit als höchste Form der Liebe, höher als die Liebe zwischen den Geschlechtern, erweckte die Geselligkeit und Intimität unter Männern zunehmend den Verdacht der Öffentlichkeit. U m so drastischer urteilten die Logen über den »unglücklichen Dichter«, ein »Dekadent, krank in der Sexualzentrale«, der die »gesunde Erotik« und »polare Spannung zwischen den Geschlechtern« störe. »Solche Leute vergiften uns die gesunde Lust am Weibe.«102 98 [Goedecke], S. 104, S. 113. 99 Vgl. Smith-Rosenberg·, Sedgwick·, Carries, Secret Ritual. 100 Vgl. z.B. Tosh, Masculinity, S. 187ff.; ders., Fatherhood; ders., M a n ' s Place; Fout; sowie allg. Foucault, Sexualität, Bd. 1. 101 Beudel, U e b e r mauererische Freundschaft, in: Bundesblatt, Jg. 16,1902, S. 438-443, hier S. 441. 102 K.E. Bangert, Mannhaftigkeit u n d Idealismus, in: Z C , Jg. 38, 1909, S. 229-237, hier S. 233.

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Seit den achtziger Jahren versuchten die Freimaurer, ihre spezifische Form männlicher Freundschaft - die zuvor kaum der Definition bedurft hatte - abzugrenzen von »bedenklichen Neigungen«, wie es nun heißt.103 In den neuen Formen der gleichgeschlechtlichen Gemeinschaftsbildung wie der Wandervogelbewegung wurden andere Geschlechter- und Körperbilder propagiert.104 Die Antibürgerlichkeit vieler Reform- und Fluchtbewegungen seit der Jahrhundertwende speiste sich gerade auch aus der Ablehnung einer in ihren Augen abgeschmackten »Kultur der Männlichkeit« der Vätergeneration, etwa der »sentimentalen Humanitätsduselei« der Logen. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg heißt es in einer Logenrede fast schon verzweifelt gegen die »modernen Erotiker«, daß es nicht nur einen »Jünglingseros« gebe - dem etwa die Wandervogelbewegung anhänge sondern auch einen »Manneseros«, den die Logen repräsentierten und dem die »solide, rüstige, klare Beharrlichkeit« des »bürgerlichen Typus« entspreche. »Diese Bürgerlichkeit«, heißt es resignierend, »ist einem großen Teile unserer Jugend leider abhanden gekommen. Sie zieht den Zigeunertypus dem Bürgertypus vor.«105

2.3 Väter und Söhne

Es ist oft daraufhingewiesen worden, daß Männlichkeit nur relational begriffen werden kann.106 Neben der Familie und der Berufswelt ist die Geselligkeit die dritte wichtige Sphäre für die kulturelle Verhandlung und subjektive Bildung von Männlichkeit. Für die Logen und die Geschichte männlicher Vergesellschaftung insgesamt ist in dieser Hinsicht das Problem der Verwandtschaft besonders interessant. Und das in zweierlei Hinsicht: zum einen, das klang schon an, die Beziehung von Vätern und Söhnen; zum anderen das Verhältnis von Ehe und männlicher Freundschaft, oder, wie die Logenbrüder es nannten, das Verhältnis zu ihren »Schwestern«, den Ehefrauen. Der Bezug auf die Familie ist metaphorisch in den Logen immer präsent. Eine neugegründete Loge war die Tochter einer älteren Mutterloge, die Logen103 G. Kreyenburg, Die Freundschaft, eine echt maurerische T u g e n d , in: F Z , Jg. 38,1884, S. 129-131, hier S. 130. 104 Vgl. allg. Nitschke u.a.; Kerbs u. Reulecke. 105 A. H o r n e f f e r , Liebe in verschiedener Gestalt, in: U T , Jg. 5,1920, S. 89-93. Es handelt sich u m eine Besprechung von H . Blüher, Die Rolle der Erotik in der m ä n n l i c h e n Gesellschaft, 2 Bde., Jena 1917, der die »Eigentümlichkeit aller M ä n n e r b ü n d l e r , u n t e r d e m M e n s c h l i c h e n in erster Linie, j a ausschließlich, das M ä n n l i c h e zu verstehen« (Bd. 2, S. 139) u n d auch die homoerotische Seite der Logengeselligkeit hervorgehoben hatte. D a m i t verstärkte er die Angst vor offener H o m o sexualität in d e n Logen. Vgl. z.B. W . M u n k e l t , Erotik, Freimaurerei u n d J u g e n d b e w e g u n g , in: D e r Herold, Jg. 32, 1921, S. 275-277. 106 Z.B. Tosh, Masculinity, bes. 184ff.; ders., Fatherhood; ders., M a n ' s Place; Kühne, M ä n n e r geschichte, S. l l f . ; allg. Davidoff u. Hall-, Habermas, Frauen.

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mitglieder »Brüder«, ihre Frauen »Schwestern«. »Wir wollen einander sein, was sich Brüder sind, in der innigsten Verbindung mit einander leben, welche Männer gegenseitig eingehen können«, heißt es in einer Logenrede 1848. Und weiter: »Der Freimaurerbund soll das trauliche Verhältniß, das die Familie zwischen leiblichen Brüdern unterhält, übertragen auf einen umfassenden Männerkreis, er soll die Mutter sein, die mir der Brüder mehr giebt, als das Vaterhaus.«107 Die Frage drängt sich auf, warum die Logen so ausgiebigen Gebrauch von der Metaphorik der Verwandtschaft machten? Eine These ließe sich so formulieren: Für jene Männer um die dreißig, die in die Loge eintraten, vermittelte der Brüderlichkeitskult eine besondere Intimität unter Männern, die sie im alltäglichen Leben vermissten. Sie hatten sich im Beruf etabliert, zumeist von männlich-jugendlichen Geselligkeitsformen der Studenten oder Turner zurückgezogen und waren frisch verheiratet. Oft übernahmen sie nun auch öffentliche Amter. Jenseits ihrer gesicherten Existenz in Beruf, Familie und Gemeinde sollte es noch eine dritte Sphäre geben, die Männlichkeit und Bürgerlichkeit spielerisch verknüpfte. Für Söhne von Freimaurern besaß das Aufnahmeritual in die Loge aber eine noch weitergehende Bedeutung: Es war eine Art Ubergangsritus von der häuslich-familialen Sphäre von Frauen und Kindern zur Männerwelt des Vereins, der öffentlichen Sphäre.108 Das Uberschreiten dieser Schwelle markierte die Aufnahme in die väterliche Welt der Loge. Das erlaubte Aufnahmealter lag beim vollenendeten fünfundzwanzigsten, für Söhne von Freimaurern beim vollendeten zwanzigsten Lebensjahr. Die Aufnahmezeremonien mit ihrem düsteren Kolorit scheinen eine Art ritualisierte Generationsfolge ermöglicht zu haben. So war es im 19. Jahrhundert üblich, daß über mehrere Generationen hinweg die Väter ihre Söhne in die Loge einführten und zwar in zunehmendem Maße: Zählten 1840 nur 4 (3,6%) Söhne von Freimaurern zur Loge »Apollo«, waren es 1876 28 (12%) und 1906 46 (18,4%) (vgl. Tabelle 5.2.). Zuweilen übernahm die Loge die Patenschaft bei der Geburt des Sohnes eines Freimaurers. Es gab nicht nur in Leipzig einige regelrechte Freimaurer-Dynastien, wie die vorn genannten Familien Meissner und Clarus, wo die Söhne und Schwiegersöhne über mehrere Generationen seit dem frühen 19. Jahrhundert rekrutiert wurden. 109 Selbst ein den Logen skeptisch gegenüber stehender Freimaurer wie Goethe hatte im Jahr 1815 die Aufnahme seines Sohnes veranlaßt und beaufsichtigt.110 107 Brüderlichkeit, in: F Z , Jg. 2 , 1 8 4 8 , S. 305-309, hier S. 305. 108 So die These von Carries, Secret Ritual, im Rückgriff auf Turner. 109 Vgl. z.B. auch f ü r die N ü r n b e r g e r Kaufmannsfamilie Merkel: Habermas, Frauen, S. 153. 110 Das Gedicht »Symbolum« soll v o n G o e t h e zur A u f n a h m e seines Sohnes gedichtet w o r d e n sein: »Des M a u r e r s Wandeln/ Es gleicht d e m L e b e n / U n d sein Bestreben/ Es gleicht d e m H a n deln/ D e r M e n s c h auf Erden.« Es w u r d e im 19. J a h r h u n d e r t zu e i n e m der beliebtesten F r e i m a u rerlieder. Vgl. H . D ü n t z e r , Goethes Logengedichte der J a h r e 1815 u n d 1816, in: Grenzboten,

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Der durchschnittliche Besuch der Logen wurde weit übertroffen, sobald die A u f n a h m e eines Freimaurer-Sohnes anstand. Tränen seien den zahlreich versammelten Logenbrüdern der »Apollo« in die Augen getreten, als im Jahr 1861 vor Ernst Anschütz, aus Anlaß des fünfzigsten Jubiläums seines Eintritts in die Loge, seine vier Söhne und seine beiden Schwiegersöhne, die H ä n d e zur m a u rerischen Kette ineineinander geschlungen, traten u n d sein ältester Sohn ihm versicherte, daß auch sie der Freimaurerei in Liebe und Treue ergeben seien. 111 Daß es dem Breslauer jüdischen Fabrikbesitzer Louis Kaliski im Jahr 1910 gelungen war, auch noch den letzten seiner sechs Söhne z u m Eintritt in die Loge »Hermann zur Beständigkeit« zu bewegen, erfüllte gleichfalls nicht n u r ihn mit Rührung. 1 1 2 Vor 1914 gab es wenige deutsche Freimaurer, die nicht einen nahen oder entfernten männlichen Verwandten in einer Loge besaßen oder einmal besessen hatten. Es scheint, als w e n n in der Loge das emotionale Band zwischen Vater und Sohn neu geknüpft wurde, unmittelbar zwischen tatsächlichen männlichen Verwandten, aber auch metaphorisch zwischen den älteren und neuen Logenbrüdern. »Die Loge ist des Maurers Vaterhaus«, heißt es in einer Ansprache aus dem Jahr 1856, »die wahre Heimath des edlen Menschenthums«. »Du bist uns geistig gleichsam wieder geboren. Wie die Blicke Deiner Mutter auf Dir, dem Säugling mit unendlicher Liebe verweilten, so ist auch hier die zur Freundschaft veredelte Liebe Deiner maurerischen Brüder Dein Wiegengeschenk bei Deinem Eintritt in die Loge. U n d wie im Vaterhause durch Beispiel u n d U n t e r richt, so auch in der Loge durch Symbol u n d Arbeit erzogen, sollst D u , wie dort f ü r den engen Kreis Deiner Eltern und Geschwister - so hier für die Familie der Menschheit thätig sein. Bist D u solches f ü r die Deinen n u r durch das Wirken im bürgerlichen Berufe im Stande - so liegt Dein Beruf im Maurerthum in der Arbeit am Wohle der Menschheit.«1'3 Welche emotionale Bedeutung f ü r den Vater die A u f n a h m e des Sohnes in die Loge haben konnte, zeigt etwa die folgenden Ansprache unmittelbar nach einer Aufnahme: »So ist gekommen denn die Zeit Daß Du zum Maurer bist geweiht, Mein theurer, guter Sohn! Mir heute bist im Bruderorden Ein Bruder Du mir nun geworden;Lang' wünscht' ich das mir schon [...] 1885, Nr. 38, S. 27-28; F. Scholz, Goethe und die Freimaurerei, in: Westermann's Monatshefte, 1901, S. 632-644, hier S. 641. 111 E. Anschütz, Maurerische Erinnerungen, in: FZ, Jg. 15, 1861, S. 172. 112 Breslau, in: Bh„ Jg. 53, 1910, S. 6. 113 Horstmann, Ansprache an einen neuaufgenommenen Bruder. Am 18. April 1856 im Orient Ludwig zur Treue in Gießen, in: Asträa, Jg. 19, 1857, S. 264-267, hier S. 265, S. 267.

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So komm, ο! komm an Vaters Brust! Mein Herz schlägt Dir in süßer Lust, Mein heißgeliebter Sohn! Vereint laß maurerisch uns wandeln; Vereint laß maurerisch uns handeln!

Schön ist der Treue Lohn! Liegst Du im Arm als Bruder mir Und wird der Brüder Glückwunsch hier Mir innigst drob geweiht: So feiere ich im Bruderbunde Des Maurerlebens schönste Stunde!«114 Das vertrauliche »Du« mit dem sich die Freimaurer anredeten, der Brudername und Bruderkuß, den sie sich gaben, waren Zeichen eines männlichen Z u s a m mengehörigkeitsgefühls, einer emotionalen Bindung, die von tatsächlichen Verwandtschaftsnetzen gestützt u n d ergänzt wurde. Das stereotype Bild v o m emotional distanzierten, autoritären Vater des 19. Jahrhunderts ändert sich daher, sobald der Blick von der Familie zu solchen Geselligkeitsformen wie den Logen gewendet wird. Enge emotionale Beziehungen zwischen Vätern u n d Söhnen bildeten im 19. Jahrhundert keineswegs die Ausnahme. Ihr O r t war aber zunehmend nicht die Familie, sondern der Männerbund. 1 1 5 Die Ansprachen von älteren Logenmitgliedern an die gewählten neuen Brüder, wie die Aufnahmerituale selbst, zeigen, wie die bewußte oder auch unbewußte Verinnerlichung von Werten u n d N o r m e n , die emotionale Färbung von bestimmten Begriffen von einer männlichen Generation auf die nächste übertragen werden sollte. »Ihr Söhn', in euch der Vater l e b t / D e m Vater Jugendleben gebt«, dichtete Marbach im Jahr 1864, als die beiden Söhne des Leipziger Apothekers Täschner in die Loge »Balduin« aufgenommen wurden. 1 1 6 Wiederu m gilt: Die Erziehung der Söhne zu »Brüdern« besaß f ü r die Väter auch eine politische Seite. Die Freimaurer waren überzeugt, »daß man sich erst selbst regieren lernt, ehe man es versucht, in die größeren Verhältnisse des Lebens einzugreifen, daß man erst in den nächsten, kleineren Kreisen zeigt, man sei zur Teilnahme an der Leitung der Dinge geeignet, ehe m a n die Welt mit regieren helfen will.«117 Die Loge sollte, wie Bluntschli 1858 bemerkt hatte, eine »Erzie-

114 Ein Maurer-Vater an seinen zum Maurer geweihten Sohn, in: FZ, Jg. 9, 1855, S. 199f., hier S. 200. 115 Wie unterschiedliche soziale Räume wie die Familie, die Arbeitswelt und der Verein bei der Herausbildung männlicher Identität ineinandergriffen, ist eine offene Frage, die hier nicht beantwortet werden kann. Vgl. die Hinweise bei Davidoff u. Hall·, Kaplan; Trepp·, Budde-, Habermas, Frauen; Tosh, Man's Place. 116 Das fünzigjährige Maurer-Jubiläum des Bruders H.A. Täschner in Leipzig, in: Bh., Jg. 7, 1864, S. 356f., hier S. 356; ähnlich: Fischer, Ansprache an vier Meistersöhne, bei ihrer Aufnahme in die Loge Apollo, in: FZ, Jg. 2, 1848, S. 142f. 117 Erziehung. Ein Wort aus der Loge Apollo, in: FZ, Jg. 1, 1847, S. 82-86, hier S. 82.

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hungsanstalt zur Humanität für Männer« sein.118 Inbesondere junge Männer sollten lernen, sich selbst zu beherrschen, zu erkennen und zu bessern, um ihren Aufgaben außerhalb der Loge in der Bürgergesellschaft gewachsen zu sein. Die Gefühle, die junge Männer bewegten, wenn ihnen am Ende der Aufnahmerituale die Augenbinde abgenommen wurde und der Vater, dessen Freunde, zu denen vielleicht auch die früheren Lehrer und der jetzige Chef gehört haben mögen, den gezückten Degen im gleißenden Licht auf ihn richteten, dürften um das mindeste zu sagen - gemischt gewesen sein.119 In dem Angebot des Vaters, ihn nun Bruder nennen zu dürfen, steckte auch eine »Tyrannei der Tugend«, die versteckte Drohung, nicht zu versagen, w o die »Spiele des Kindes, die Torheiten des Knaben, die Träume des Jünglings« hinter ihm liegen, sich in dem Kreis der Tugend, der Männlichkeit und Bürgerlichkeit zu beweisen. 120 Oft vergaß der Vater nicht, den Sohn daran zu erinnern, daß er die Aufnahme allein ihm verdanke. »Dein Verdienst dabei ist also Null und jede Ueberschätzung in dieser Richtung wäre lächerlich!«121 Viele Söhne von Freimaurern suchten sich diesem Druck zu entziehen. Manche traten nach dem Tod des Vaters aus der Loge aus, andere erst dann ein.122 Der Wunsch, daß die Söhne wie 118 Bluntschli, Freimaurer, S. 753. 119 In Kleinstädten m u ß dieser D r u c k noch größer gewesen sein. So w u r d e z.B. der e i n u n d zwanzigjährige Leutnant M a r t i n Back im April 1851 vor seiner T e i l n a h m e am Schleswig-Holstein Feldzug in die Altenburger Loge a u f g e n o m m e n . Die Bürgschaft hatte sein Vater ü b e r n o m m e n , der auch die Ansprache hielt u n d d e n N e u l i n g d a r a u f h i n w i e s , daß sich i m Logenraum nicht n u r sein B r u d e r Johannes, sondern auch sein O b e r s t u n d K o m m a n d e u r , ferner der Vater zweier seiner F r e u n d e , der Konsistorialrat, der ihn auf die Konfirmation vorbereitet hatte, sowie m e h r e r e seiner Gymnasiallehrer u n d ein weitere Leutnant aus seinem C o n t i n g e n t befanden. K. Back, Ansprache an seinen Sohn, in: Bruderblätter f ü r Freimaurer, Jg. 15,1851, S. 41-44, hier S. 42. 120 »Wir sind D e i n e Brüder n u r dann, w e n n D u unser B r u d e r bist.« So der O b e r h o f p r e d i g e r u n d Generalsuperintendent in O l d e n b u r g , E.G.A. Bockel, in e i n e m Vortrag gehalten, nach der vollzogenen A u f n a h m e seines j ü n g s t e n Sohnes, in: Archiv f ü r Freimaurerei, Jg. 2, 1842/44, Η . 1, S. 45-52, hier S. 50; aus der Fülle der Beispiele: »Von heute tritt zwischen uns ein n e u Verhältniss ein/ D u stehst mir nicht als S o h n allein zu Seite, D u sollst von n u n an m i r auch B r u d e r sein/ U n d sollst Dich, was n o c h m e h r e t D e i n e F r e u d e / A n T a u s e n d e v o n solchen B r ü d e r n r e i h ' n , - / D r u m m u s s t D u jederzeit d a r ü b e r w a c h e n / D i c h solch' Vertrauen i m m e r w e r t h zu machen.« D e r M e n s c h zählt n u r die t r ü b e n Tage i m m e r , Des Glückes Sonntage zählt er nicht. Vortrag, geh. v o m Meister v o m Stuhl der Loge Apollo bei Gelegenheit der A u f n a h m e seines Sohnes, in: Latomia, Jg. 10,1847, S. 244-253, hier S. 252f; ähnlich auch G. Maier, Ansprache eines Vaters an einen Lufton, in: Bh., Jg. 34, 1891, S. 347-349. 121 Ansprache eines Vaters an seinen Sohn nach seiner A u f n a h m e in d e n M [ a u r e r ] B u n d in die [Loge] zu d e n drei C e d e r n im O r . Stuttgart, in: Asträa, Jg. 15, 1850, S. 152-155, hier S. 153. 122 D e r Göttinger Student L u d w i g Lesser, dessen Vater, ein j ü d i s c h e r K a u f m a n n , angesehenes Mitglied der Loge »Apollo« war, bat 1912, unmittelbar nach d e m T o d des Vaters, u m Entlass u n g aus der Loge. A u f W u n s c h des Vaters war er in die Loge eingetreten, dieser hatte bislang auch die G e b ü h r e n f ü r ihn bezahlt. D e m S o h n sei nicht gelungen, »irgendwelche näheren Beziehungen z u m F r e i m a u r e r t u m zu gewinnen«, er sei wohl, wie er selbstkritisch schreibt, »zu real u n d materiell veranlagt, u m in die T i e f e n maurerischen Wesens einzudringen«. GStA Berlin, Logen, 5.2. L 17 (Apollo), N r . 198, Personalakte L. Lesser. D e r Leipziger Freimaurer u n d Arzt Albrecht Clarus

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selbstverständlich den Vätern in die Loge folgten, war freilich so groß, daß der Anteil von Söhnen in den Logen nie hoch genug schien. D i e Erklärung hierfür wurde einmal mehr in der moralischen Krise der Gesellschaft, aber auch in der Familie, im übermäßigen Einfluß der Mutter, gesucht. 123

2.4 Brüder und Schwestern Die Rituale der Logen können interpretiert werden als ein Versuch, die weibliche Erziehung, welche die jungen Männer in der Familie erhielten, durch die Bildung zur Männlichkeit in der Gemeinschaft der Logenbrüder zu ersetzen. Vermutlich zeitigte die weibliche Erziehung in der Familie unter deutschen und, wie neuere Studien gezeigt haben, auch unter englischen, amerikanischen und französischen Männern einen ausgesprochenen Männlichkeitskult, der die vermeintlichen Gefahren einer »Feminisierung« des Selbst beheben wollte.124 Daß, wie sich ein Freimaurer erinnerte, die heranwachsenden Söhne, die den abwesenden Vater vermißten, »leicht einen Bund mit der Mutter« bildeten, der sich gegen die Loge richtete, paßt zu dieser Hypothese. 125 Das Aufnahmeritual, Tod und Wiedergeburt des jungen Mannes in der Loge, löste symbolisch das Band mit der Mutter und knüpfte ein neues, emotionales mit der Welt des Vaters. Eine Erklärung, warum Frauen aus den Logen auch zu einem Zeitpunkt ausgeschlossen blieben, als eine gemischte Geselligkeit der Geschlechter im Bürgertum nicht mehr ungewöhnlich war, könnte hier gesucht werden. Weder

trat erst 1878, ein Jahr nach dem Tod seines Vaters, der Minerva-Loge bei und erfüllte damit postum dessen langjährigen Wunsch. GStA Berlin, Logen, 5.2. L 24 (Minerva), Nr. 191: Rückblick auf die Zugehörigkeit der Ärztefamilie Clarus in Leipzig zur Loge »Minerva z. d. 3 Palmen«, 1808-1918, von Albrecht Clarus (1918). 123 Z.B. W. Unseld, Die Lufton, in: Bh. J g . 38, 1895, S. 329f.; Pösche, S. 12. Klagen über den moralischen Zustand der Jugend finden sich nicht nur am Ende des 19. Jahrhunderts. So heißt es etwa in der Ansprache eines Vaters an seinen Sohn im Jahr 1849: »Die an Körper und Geist so frühreife, als frühwelke Jugend unserer Zeit drängt nicht nur an öffentlichen Orten, sondern auch bei den ernsten Beratungen vo Männern sich hervor - sie affectirt auch größere Leidenschaften, ja sie brüstet sich selbst mit männlichen Untugenden und wahrlich es kann keinen mitleidswertheren, keinen empörenderen Anblick geben, als dieses Männerspielen von Jungen, die kaum der Schule entlaufen, bereits zur socialen Frage herabgesunken« und denen »die verworfensten Leidenschaften mit Fracturschrift bereits in die bleichen Gesichter geschrieben stehen. [...] Mein Sohn! Warum sollte ich dir's verhehlen, daß die Sorge, die Angst, der verzweiflungsvolle Gedanke, auch du könntest zu einer so mitleidenswerten, so kläglichen Jammergestalt herabsinken, Mitursache war, dich einem Bunde zuzuführen, dessen höchste Aufgabe das Streben nach sittlicher Vollkommenheit, nach Wahrheit und Tugend ist.« Ansprache eines Vaters an seinen Sohn nach seiner Aufnahme in den M[aurer] Bund in die [Loge] zu den drei Cedern im Or. Stuttgart, in: Asträa, Jg. 15, 1850, S. 152-155, hier S. 154f. 124 Rotundo·, Carnes u. Griffen (Hg.), Manhood; Tosh, Fatherhood; ders., Man's Place; Nye. 125 Pösche, S. 12.

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im deutschen noch im französischen oder englischen Sprachraum hat es vor 1914 Frauen in regulären Logen gegeben. 126 Wiederum ist es aber die Frage nach der Tugend des Bürgers, welche die »Kunst der Geselligkeit« hervorbringen sollte, die zum Verständnis der sozialen Praxis der Logen führt. Zur Grundvoraussetzung der Bildung von politischer Tugend und Bürgerlichkeit gehörte seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert eine abstrakte Vorstellung von Individualität, die, sobald sie inhaltlich gefüllt wurde, auf männlichen Tugenden beruhte. Diese definierten sich in der Differenz zu weiblichen Eigenschaften. U m alle Menschen als Brüder zu vereinen, meinten die Freimaurer von den Trennungen der Bürgergesellschaft in Klassen, Konfessionen oder Nationen absehen zu müssen, um nur den »reinen Menschen« zu bilden. Es ist vorn gezeigt worden, wie vielfältig dieser universale Anspruch geschichtlich exklusiv gefüllt werden konnte, um Juden oder Katholiken, Kleinbürger oder Arbeiter auszugrenzen. Konnten diese sich aber immer auch partiell erfolgreich auf die Universalität bürgerlicher Werte wie Bildung, H u manität oder Individualität berufen, war dieser Weg den Frauen versperrt. Oder die Berufung auf universale Werte hat sie, wie Joan Scott am Beispiel des französischen Feminismus seit 1789 gezeigt hat, in eine paradoxe Situation manövriert. Frauen, die ihre Partizipation an der »Verbrüderung der Menschheit« einforderten, taten dies eben als Frauen. Sie erklärten die Differenz der Geschlechter für irrelevant und bestätigten sie doch ungewollt, indem sie als Frauen sprachen, Rechte für Frauen einforderten und weibliche Tugenden beschworen. 127 Die Logen verkörperten in dieser Hinsicht nur exemplarisch die grundlegende Ambivalenz bürgerlicher Werte und Praktiken seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert: die Gleichsetzung von Männlichkeit und politischer Bürgerlichkeit. 128 Konnten die Frauen bei der unpolitischen Geselligkeit im eigenen Salon im Mittelpunkt stehen, war die Geselligkeit der Logen, ähnlich wie die der Turn- oder Gesangsvereine, auf die Bildung von Männlichkeit, von tugendhaften Bürgern gerichtet und besaß damit eine politische Seite. 129 In den Logen galt es, männliche Leidenschaften zur Verbesserung des Selbst nutzbar zu machen. Vor diesem »Anblicke der Unvollkommenheiten, mit denen wir zu ringen haben, und vor den Störungen der Welt, mit denen wir Männer den Kampf aufnehmen müssen, weil wir uns der Pflichten der Weltbürger nicht entziehen

126 Allerdings bildete sich 1893 in Frankreich die Großloge »Droit humaine«, die von ehemaligen Freimaurern gegründet worden war und ausdrücklich Frauen (als erste die bekannte Feministin und Freidenkerin Maria Deraismes) aufnahm. Sie wurde vom »Grand Orient de France« nicht anerkannt. Vgl. Lennhoff u. Posner, S. 384f. 127 Vgl. Scott, Universalism, S. 3; dies., Paradoxes; Hull, Sexuality;Jacob, Living, bes. Kap. 5: Freemasonry, Women, and the Paradox o f the Enlightenment; allg. Derrida. 128 Vgl. hierzu u.a. Frevert, Bürgerliche Meisterdenker; dies., »Mann und Weib«; Rosenhaß. 129 Vgl. Goltermann, Körper, S. 126-150; McMillan; Langewiesche, Sängerbewegung, S. 273.

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können u n d dürfen«, müßten die Frauen ferngehalten werden. 130 Die menschheitlichen, weltbürgerlichen Ideale der Freimaurerei fehlten dagegen den Frauen. »Ihre Kreise sind enger gezogen, ihre Gedanken, Empfindungen, H a n d l u n gen sind, u n d wären sie noch so umfassend, immer n u r auf Einzelnes, auf einzelne Theile und Gruppen der Gesellschaft, nicht auf das große Ganze gerichtet«.131 »Das Wort >seid umschlungen Millionen!< hätte eine Frau niemals gefunden.« 132 Es ist ihr vermeintlicher Mangel an »Weltbürgersinn«, an einem Gefühl f ü r den moralischen Universalismus, der - n u r scheinbar paradox - die Frauen von der »Verbrüderung der Menschheit« in der Loge ausschließt. D e r Wahlspruch »Alle Menschen sind Brüder« war mithin wörtlich zu nehmen. Das Ziel des Freimaurerbundes sei, heißt es 1853, »in Gemeinschaft mit gleichgesinnten Brüdern das Urbild der Menschheit und demgemäß der wahren Männlichkeit« auszubilden. 133 Der Kult der Brüderlichkeit war ein Kult der Differenz. Da die Mütter in der Kindheit und Jugend in erster Linie die Erziehung der Söhne übernahmen, sollte die Ehefrau eines Freimaurers dennoch auf ihre Art ebenfalls einen Sinn f ü r Freiheit und Tugend besitzen. 134 Die Ehefrau sollte Verständnis für die »arbeitende Geselligkeit« des Mannes entwickeln, sie unterstützen, ohne doch wirklich an ihr teilzuhaben. »Wie freudig harrt sie der Stunde, w o er von der Arbeit [gemeint ist die »Arbeit an sich selbst« in der Loge, d. V f ] zurückgekehrt, ist doch jedesmal eine Stufe m e h r zur individuellen Vollkommenheit erklommen. Ihre Gefühle idealisieren sich, indem sie sich über das gewöhnliche Niveau des Verhältnisses der Frau z u m M a n n e erhoben,« schrieb die Ehefrau eines Freimaurers 1876 u n d entsprach damit dem Wunschbild der Logenbrüder. 135 In einer typischen freimaurerischen Erzählung wird die ideale Ehefrau ganz in diesem Sinne gezeichnet. In ihr stickt eine »Frau Doktor Rein« die geheimen Zeichen auf die Logentasche ihres Mannes. Eine Freundin, die Frau eines Oberamtmanns, beobachtet sie dabei und warnt aufgrund von Gerüchten vor der geheimen Gesellschaft. In der Loge werden die M ä n n e r »>bei der A u f n a h m e

130 Schwesternfest in der Loge Balduin zur Linde am 31. October 1876, in: R., Jg. 3,1876, S. 93-99, hier S. 94. 131 Ueber den Einfluss der Freimaurerei auf die Frauen, in: HuR, Jg. 7, 1846, S. 41—49, hier S. 46. 132 L. Grimm, Ist die Ausschließung der Frauen vom Freimaurerbunde noch gerechtfertigt?, in: Der Zirkel, Jg. 33, 1902, S. 33-37, S. 52-58, hier S. 53. 133 Des Maurers Verhalten im Umgange mit dem weiblichen Geschlecht. Vortrag, geh. in der Loge z. gold. Apfel zu Dresden, in: FZ, Jg. 7, 1853, S. 305-310, hier S. 306. Hervorhbg. nicht im

Ong. 134 GStA, Logen, 5.2. L 24 (Minerva), Nr. 473: Sammlung von Vorträgen der Loge »Minerva«, 1859: Der Mr. bei der Wahl seiner Lebensgefährtin. Vortrag des Br. J.G. Findel, Bl. 66-71, hier Bl. 70. 135 Rosa Barach, Die Frau als Schwester Frmr in und ausser dem Hause, in: Der Zirkel, Jg. 6, 1876, S. 29f„ hier S. 29.

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in Särge gelegt, aus denen tausend Dolchspitzen empor ragen, die dann plötzlich wie mit einem Zauberschlage verschwinden; dann müssen sie über Abgründe wandern, die mit schwachen Brettern bedeckt sind, welche von goldenen Nägeln starren u n d über die sie doch gefahrlos schreiten. Bei ihren Gastmahlen stehen ringsum Skelette; sie trinken aus den Schädeln verlorener Brüder. D e n n du musst wissen, an den Wänden hängt jedes Maurers Bild, darüber ein Dolch. Sowie n u r einer der Brüder Etwas aus d e m O r d e n verräth, so fällt das Bild und, und sofort stirbt der Verräther. Wenn die Maurer arbeiten, so stehen in den Vorhöfen geisterhafte Gestalten Wacht, in langen Mänteln mit feurigen Augen und N i e m a n d darf der grausigen Werkstätte nahen!< >Ach, das fürchterliche Geheimniss, Frieda!< rief die Amtmännin, >mir graut vor den Maurern, ja mir graut schon vor dem Bilde mit dem magischen Zeichen, an denen D u da stickst. D u scheinst Deinen M a n n in seinem dunklen H a n g zu bestärken, statt ihn aus den Netzen der Zauberer zu befreien.< Lächelnd hatte die junge Frau ihrer älteren Freundin zugehört. Dann erwiderte sie sanft und überzeugend: >Meine Liebe! Könntest D u im Ernst den A m m e n m ä r c h e n glauben, die D u da aussprachst? Gewiss Nein! Dich verdriesst n u r das Geheimniss der Freimaurer. Könntest D u ihre Arbeit sehen und verstehen, so w ü r d e sich Dein Urtheil mit einem Schlage ändern.« Sodann erklärt die junge Frau ihrer Freundin die ungefähre Bedeutung der freimaurerischen Symbole, am Ende heimlich und vergnügt beobachtet von ihrem Ehemann, dem Doktor. 136 Zumeist waren es aber ins Weibliche gewendete Deutungen männlicher Tugenden, die von den Ehefrauen gefordert wurden wie Sittlichkeit, Ehre und Liebe, die f ü r Frauen eine andere Bedeutung haben sollten als für Männer. Die Emanzipation der Frau galt als »Entweiblichung«, mithin als Verlust »des Kostbarsten, was sie besaß«, ihrer weiblichen Tugenden. 137 Fehlte es den Ehefrauen an solchen Tugenden, konnte das für einen Aufnahmesuchenden die Ablehn u n g von, für den Logenbruder den Ausschluß aus der Loge bedeuten. Julius Louis Hauser, ein Leipziger Bankier, Protestant und Sohn eines Freimaurers besaß scheinbar die besten Voraussetzungen, als man ihn 1880 für die Aufnahme in die Loge »Apollo« vorschlug. In der Ballotage fielen freilich schwarze Kugeln. Da diese n u r zusammen mit einer späteren schriftlichen Begründung Anerkennung fanden, reichte ein Logenbruder den moralischen Steckbrief über Hauser später nach. »Der Vorwurf, den ich ihm mache, und den ihm mit mir die ganze Stadt Leipzig macht, ist der, daß er die Frau geschied. Catarius geheiratet hat, eine Frau, deren skandalöses Vorleben noch heute in Aller Ge136 K. Weiss, Die Logentasche, in: Latomia N F , Jg. 9,1886, S. 92-94. G a n z ähnlich bereits das Lustspiel des Freimaurers v. Kotzebue, w o die künftige Ehefrau eines Freimaurers ihn bedrängt, die Geheimnisse der Loge zu verraten, u m i h m am E n d e das Jawort zu geben, eben weil er standhaft geblieben ist, damit seinen männlichen Charakter beweisend. Vgl. v. Kotzebue. Eine ironische U m k e h r u n g dieser geläufigen Geschlechterbilder findet sich bei v. Sternberg. 137 Μ . H e r m a n n y , Die Loge u n d die Frau, in: ArS, Jg. 11, 1914, S. 153-159, hier S. 157.

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dächtnis ist, eine Frau, die bei einem gerichtlichen Termin, von ihrem ersten Manne den Vorwurf entgegennehmen mußte: Sie habe ihn angesteckt, und den dadurch entkräftigen wollte, daß sie ihm zurückgab, er habe sie angesteckt, eine Frau von der gesagt werden kann, sie habe sich ganze Nächte mit anderen herumgetrieben.«138 Die Frauen galten von Natur aus entweder als »gut« oder »verworfen«. Ein solches Verständnis der Frauen als überzeitlich, natürlich wesensgleich tugendhaft (oder rettungslos »verworfen«) enthob sie der Aufgabe, sich zu bilden, und die Logenbrüder, sie zu »verbessern«. »Das ewig Weibliche zieht uns hinan,« aus Goethes Faust, war eine Art Leitmotiv der Logenreden über die »Frauenfrage« im 19. Jahrhundert. 139 Es ist ein bekannte Tatsache, meinte ein Freimaurer 1846, »daß das Frauenthum, wie das Papstthum, fertig, abgeschlossen, unabänderlich, also auch (im besten Sinne natürlich!) unverbesserlich sei«.140 Verbesserung des Selbst und der Gesellschaft war dagegen die Bestimmung des Freimaurers. »Vor dem Richterstuhl unseres eigenen Selbst« wollten die Freimaurer sich Rechenschaft ablegen über ihren individuellen Bildungsprozeß, ihrem Weg zur Tugend.141 »Unsere Aufgabe ist es, uns selbst zu beherrschen und wir können und werden das nur, wenn wir einen Trieb in uns durch den andern zu bekämpfen bemüht sind, bis zuletzt die Macht der Triebe zum Bösen in uns sich abschwächt und wir dadurch zu einer Erhebung unserer selbst, zu einem Fortschritt der Bildung gelangt sind.«142 Wie der Krieg zwi138 Zudem habe Hauser seine Frau nur aufgrund ihres Geldes geheiratet. GStA, Logen, 5.2. L 17 (Apollo), Nr. 87: Zurückgewiesene Aufnahmeanträge, 1873-1884, Schreiben von E. Pick, Leipzig, 4.3.1880. Ein Leipziger Zigarrenfabrikant konnte sich die Ablehnung seines Aufnahmegesuchs in die Loge »Apollo« zunächst nicht erklären. »Ich wurde durch diese Nachricht niedergeschmettert, ja ich verlor das Vertrauen zu mir selbst, konnte mir keinen Vorwurf machen, warum mir dieses Unglück widerfahren mußte. Ich konnte wohl mit Recht sagen, daß ich mir nie im Leben eine unehrenhafte Handlung zu schulden hatte kommen lassen, suchte daher der Sache auf den Grund zu kommen und erfuhr, daß meine Verwerfung blos wegen meiner Familie geschehen sei. Allerdings sind meine Verhältnisse zwischen meinen Eltern und Geschwistern keine günstigen. Meine Mutter ließ sich Sachen zu schulden kommen, worüber sie eine gerechte Strafe erleiden mußte. Meine beiden Brüder heiratheten Frauen, die nicht in jeder Hinsicht ehrenhaft dastanden, dessenungeachtet behielt ich beide Brüder in meinem Geschäft, suchte sie zu guten Menschen zu machen, was mir Gott sei dank, auch gelungen ist.« Die Tatsache, daß die Mutter im Zuchthaus gesessen hatte, die Schwester einen »leichtfertigen Lebenswandel« geführt habe und seine Brüder »sittenlose Frauenzimmer« geheiratet hatten, wog schwerer als die individuelle bürgerliche Lebensführung des Fabrikanten. Ebd., Nr. 85 u. 86: Zurückgewiesene Aufnahmeanträge 1862-1872; Brief von F.A.M. Ritter an die Loge »Apollo«, Leipzig, 19.8.1869. 139 Vgl. z.B. die Rede des Dresdener Schauspielers Rumpelt, gen. Walther, Das ewig Weibliche zieht uns hinan. Vortrag, geh. in der Loge am 22.1.1877, in: DL, Jg. 6,1876-1877, S. 403^107. 140 Ueber den Einfluss der Freimaurerei auf die Frauen, in: HuR, Jg. 7, 1846, S. 41-49, hier S. 42. 141 Was heißt Bildung? und in wiefern ist die Maurerei Förderer derselben?, in: Asträa, Jg. 18, 1855-1856, S. 234-262, hier S. 246. 142 Ebd., S. 254. Die Logenbrüder sahen sich als »Ritter vom Geiste«, wie der Titel eines in den fünfziger Jahren vielgelesenen Romans Karl Gutzkows (9 Bde., Leipzig 1850-52) lautete, die

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sehen Nationen war auch der Krieg mit dem eigenen Selbst Männersache: »Sich selbst bekriegen, ist der schwerste Krieg/ Sich selbst besiegen, ist der schönste Sieg.«143 »Ohne Kampf ums Dasein ist Glück, wenigstens für den Mann, nicht denkbar,« heißt es 1913 in einer Leipziger Logenrede.144 Während die Männer sich üben sollten, ihr »eignes Ich zu bekämpfen«, sollten die Frauen bleiben wie sie angeblich immer gewesen waren.145 Für die Frauen bleibe, auch wenn ihre rechtliche und berufliche Emanzipation zu begrüßen sei, die Familie, der »Mutterberuf« ihr Beitrag zur Vervollkommnung der Menschheit. 146 Entsprach die Logengeselligkeit in dieser Hinsicht der geläufigen Polarisierung der Geschlechtscharaktere im 19. Jahrhundert, kehrte sie diese in anderer um. 147 Nicht die Frauen waren leidenschaftlich und unvollkommen, sondern die Männer. Frauen seien Freimaurer von Geburt, Männer müßten es erst werden.148 Nur im Refugium der Loge könnten die männlichen Bürger sich aus den Zwängen der Gesellschaft herauslösen und sich zu ganzen Menschen bilden, am »rauhen Stein« ihres Selbst arbeiten. Als Rückzugsraum in der modernen Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft, in der sich auch das Verhältnis innerhalb wie zwischen den Geschlechtern veränderte, verloren die Logen auch gegen Ende des 19. Jahrhunderts deshalb nicht an Popularität. Im gleichen Maß verfestigten sich die Geschlechterstereotypen, die Trennung in öffentliche und private, männliche und weibliche soziale Räume und moralische Tugenwie die Titelhelden einem B u n d angehörten, der sich im Kreuzzug f ü r Bildung u n d Fortschritt der M e n s c h h e i t b e f a n d e n - der Bezug auf die Logen ist, wie etwa auch im Falle der Turmgesellschaft in »Wilhelm Meisters Lehrjahre«, gewollt, bei G u t z k o w allerdings nicht o h n e Ironie. 143 C . T a u n e r , Die Stellung der Frau zur Freimaurerei. Vortrag i m Schwesternbund der Loge zur Einigkeit im O r . F r a n k f u r t a.M., in: Bh., Jg. 49, 1906, S. 345-348, hier S. 347. 144 L e h m a n n , Welche f r m r i s c h e n Aufgaben hat die Schw[ester] zu erfüllen? Ansprache z u m Schwestern-Feste der Loge Balduin zur Linde, in: R., Jg. 40, 1913, S. 61-67, hier S. 65. 145 A. M a h n , Wie soll sich unsere Geselligkeit v o n der im profanen Leben unterscheiden?, in: F Z , Jg. 66, 1912, S. 49-53, hier S. 53. 146 »So bleibt es m e h r d e n F r a u e n ü b e r l a s s e n / D a h e i m die T u g e n d e n , die unser B u n d / Sucht in der ganzen M e n s c h h e i t zu b e l e b e n / Z u ü b e n u n d in ihrer Kinder H e r z e n / D e n Sinn d a f ü r recht mächtig zu beleben./Was so der M a n n nach Aussen sucht zu w i r k e n / Das m ü h e t sich das W e i b im engern K r e i s e / I m Schoosse der Familie zu vollführen.« Weiter heißt es, die Frauen gehörten nicht in die Loge: »Sie d ü r f t e n leicht unser Wirken h e m m e n . - / In aller M a u r e r H e r z e n soll das Feuer/ D e r Bruderliebe hell u n d w ä r m e n d l o d e r n / U n d die Erkenntniss unsrer selbst gebeut, Z u sorgen, dass die Bruderliebe nicht/ D u r c h Schwesternliebe ü b e r w u n d e n werde./ Die Schwestern haben längst d e n Sieg der Liebe/ Gefeiert u n d beherrschen uns're H e r z e n / Sie m ö g e n dies auch fort u n d fort im H a u s / In d e m Familienkreise geltend machen./ Wir f ü h l e n uns beglückt d u r c h Ihre L i e b e / doch darf sie nicht die Kraft u n d Stärke l ä h m e n / Die aus des M a n n e s W i r k e n sprechen soll.« Ü b e r die Wirksamkeit der Freimaurer. Vortrag in einer Schwesternversammlung, in: Latomia, Jg. 11, 1848, N r . 21, S. 94-102, hier S. 98fF. 147 Hausen. Eine Historisierung der Geschlechterverhältnisse verdeutlicht, in w e l c h e m M a ß e es sich bei dieser Polarisierung u m zeitgenössische Stereotype handelt. Vgl. z.B. Trepp, M ä n n l i c h keit; dies., M ä n n e r w e l t e n ; Habermas, Frauen. F ü r England zusammenfassend: Vkkery. 148 So z.B. G. Salomon, W a r u m bleibt d e n Frauen das H e i l i g t h u m der Maurerei verschlossen, in: ders., S t i m m e n aus O s t e n , S. 56-60.

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den, die um 1900 rigider gezogen wurde als noch ein Jahrhundert zuvor. »Die moderne Frauenbewegung, besonders die sozialistische, geht vielfach von der Voraussetzung aus, Mann und Frau wären, auf das Innenleben hin angesehen, Wesen völlig gleicher Art«, heißt es 1912 auf einem Schwesternfest in Hamburg. »Aber diese Voraussetzung ist falsch; ist eine Verkennung des wirklichen Tatbestandes. Das weiss ein jeder, der nur etwas von Seelenkunde versteht. Mann und Frau sind einander nicht gleich, auch nicht ähnlich, sondern sind geradezu Gegensätze; nur weil sie das sind, können sie im Zusammenleben und durch das Zusammenleben in der Ehe einander ergänzen, zu einer Einheit werden. Was am Mann imponiert, ist die Kraft des Körpers, die Schärfe des Verstandes. Was an der Frau anzieht, ist die Feinheit und Zartheit der Gestalt, die Tiefe des Gemüts, die Reinheit des Herzens.«149 Der Widerpruch, daß der Brüderlichkeitskult der Logen die Aufhebung aller Standes-, Konfessions- und Nationsgrenzen proklamierte, zugleich den Geschlechterunterschied jedoch scharf betonte, ist manchem Logenbruder nicht verborgen geblieben.150 Im Zuge der Reformbewegung der sechziger Jahre drängten einzelne linksliberale Freimaurer auf die Zulassung von Frauen. Seit den neunziger Jahren - parallel zum Anwachsen der deutschen Frauenbewegung - gab es immer mehr Frauen, die ihre Beteiligung an der »Verbrüderung der Menschheit« einforderten. 151 Rosa Feist, die Frau eines Berliner Freimaurers, meinte im Jahr 1913: »Wenn wir aber von einem Kreis verlangen dürfen, daß er sich einer höheren Gerechtigkeitsidee zuliebe freiwillig veralteter Machtvorteile begibt, dann ist es von dem Bund, der ausschließlich auf Liebe zur Menschheit beruht, der aus ihr seine ganze Existenzberechtigung schöpft. Er muß, wenn er sein will, was er scheint, nicht nur eines der beiden Geschlechter, sondern die ganze Menschheit umfassen. Jeder Mann und jede Frau, die es zu ihm drängt, jede Persönlichkeit, die mit Leib und Seele sich in den Dienst der Menschheit stellen will, muß Raum in seinem Haus finden und seinen Platz erhalten als Berechtigter, nicht bloß als Geduldeter.«152 Geduldet war die Teilhabe von Frauen an der Logengeselligkeit als »Schwestern«, d.h. als Ehefrauen, unverheiratete Töchter oder als Witwen von Freimaurern. N u r über ihre Männer konnten sie Zugang zur Loge erhalten und das nur zu besonderen Anlässen, den sogenannten Schwesternfesten. Sie wurden

149 Hintze, Vortrag, geh. auf dem Schwesternfest der Vereinigte 5 Logen in Hamburg, Die Frau als unbewusste Trägerin des frmr. Gedankens, in: HL, Jg. 46, 1912-1913, S. 149-154, hier S. 153. 150 Die Frauen in die Loge. Eine Stimme aus der Loge Apollo, in: FZ, Jg. 1,1847, S. 121-125. 151 F. Maier, Maurerthum und Frauenemancipation, in: Bh., Jg. 13, 1970, S. 173f., S. 179— 181. 152 R. Feist, Frauengedanken über die Nichtaufnahme ihres Geschlechts in die Loge, in: Die Leuchte, Jg. 4,1913, S. 25-29; dies., Zeitgemäße Betrachtungen einer Frau, in: ebd., Jg. 10,1919, S. 77-79.

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seit den sechziger Jahren populär, gegen den Widerstand konservativer Freimaurer, die befürchteten, daß die Anwesenheit von Frauen der Logengeselligkeit ihre besondere Form männlicher Intimität n e h m e n könnte. Die »Kunst der Geselligkeit« der Logen und die konviviale Geselligkeit mit den Frauen sollten scharf unterschieden bleiben. Daß es nicht einfach war, hier klar zu trennen, zeigt ein Zirkular der Weltkugel-Großloge Mitte der fünfziger Jahre. Gegen eine gemischte Geselligkeit forderte es die Logen auf, nichts zu u n t e r n e h m e n , »was eine E i n f ü h r u n g der Schwestern in die Loge oder eine maurerische Arbeit mit den Schwestern genannt werden« könne, andernfalls sei die W ü r d e der Freimaurerei in Gefahr. Aus »weisen und leicht begreiflichen Gründen« müsse klar sein, daß die Loge »dem weiblichen Geschlechte den Zutritt zu unseren Versammlungen nicht gestatte, und daß, wie wir Alle unzweifelhaft erkennen und fühlen, die Weiber in einem ernsten Männer-Bund gewiß nicht gehören:- so müssen wir uns billig w u n dern, wie ein ächter Bruder diesen Zutritt d e m weiblichen Geschlechte gewähren oder verschaffen nur wollen kann. Die Gemüthlichkeit m u ß hier, wie süß sie erscheinen mag, dem ernsten Ordensgeiste gegenüber aufhören, oder wir werden zu Verrätern an diesem Geiste.«153 Je m e h r Schwesternfeste seither stattfanden, desto schärfer wurde die Kritik; sie konnte sich dennoch nicht durchsetzen. 154 Wie sah ein solches Schwesternfest aus? Einmal im Jahr versammelten sich die »Brüder« zusammen mit ihren Frauen im Logenhaus. Das heißt, man zeigte das Innere des Logentempels (nicht allerdings die sogenannten Arbeitsräume, w o die Rituale stattfanden), führte eine speziell entwickelte Zeremonie vor (die nur ein matter Abglanz der tatsächlichen Rituale darstellte) und hielt eine Rede, die zumeist den Ausschluß von Frauen und den Geheimkult der Logen rechtfertigen sollte. M a n führte den Frauen also vor, daß man ein Geheimnis besaß u n d diese Geheimhaltung keinesfalls die Ehe und die häusliche Sphäre gefährde. Im Gegenteil, die Schwesternfeste, an denen nicht nur die Ehefrauen, sondern auch die unverheirateten Töchter von Freimaurern teilnahmen, bildeten eine Art Heiratsmarkt. Eheschließungen und -jubiläen boten oft Gelegenheit zu Festbanketten mit den »Schwestern«. N e b e n der Logengeselligkeit gab es eine ungezwungene, konviviale Geselligkeit beider Geschlechter wie in »gewöhnlichen« bürgerlichen Vereinen auch, die Konzerte, Theateraufführungen,

153 ZStA Moskau, Fond 1412-1, Nr. 4950 (Zepter): Zirkulare u. Korrespondenz der Großloge zu den drei Weltkugeln 1850-1856, Rundschreiben des Bundes-Direktoriums an sämtliche Tochterlogen, 23.2.1856, Bl. 204f. 154 A.W. Sellin, Frauen in der Loge, in: Der Herold, Jg. 17, 1906, Nr. 39, S. 1-3, hier S. 3. »Was richtet nicht allein die eifrige Förderung von Schwesternfesten für Unheil an? Wenn die Logen erst zum Tummelplatz von Heirathskandidaten gemacht werden, dann muss das Band der Brüderlichkeit einen starken Riss bekommen, um so mehr, da es genug Brr giebt, die sich ganz und gar nicht taktvoll benehmen können.« Latomia N F , Jg. 9, 1886, S. 135.

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Bälle im Logenhaus, aber auch Ausflüge umfaßte. 155 Sie diente nicht den hochfliegenden moralischen Zielen der Rituale, sondern dem Amusement. Solche Schwesternfeste fanden allerdings nur ein- oder zweimal im Jahr statt. Die übrige Zeit blieben die Männer unter sich. Die Frage, warum den Ehefrauen die Teilhabe an der Logengeselligkeit verwehrt war, stand »immer wie ein Gespenst zwischen den Ehegatten. [...] Wenn nun die Frau fühlt, dass ihr Gatte in der Loge Eindrücke erhält, die ihn tief berühren, so muss sie eine grosse undurchdringliche Scheidewand sehen, wenn der Gatte sie nicht an seinen freimaurerischen Geheimnissen teilnehmen lässt, und zwar um so empfindlicher, je mehr Wert der Gatte auf den in so geheimnisvoller Weise erhaltenen Gewinn legt.«156 »Keiner ist ein würdiger Maurer, der nicht Geheimnisse verschweigen kann, besonders auch gegen Frauen«, variiert ein Freimaurer 1906 eine Grundregel der Logen.157 Der häufige Logenbesuch scheint in dieser Hinsicht nicht immer ein solcher Garant des Eheglücks gewesen sein, wie es die Freimaurerliteratur sich gerne ausmalte.158 Einem englischen Reisenden schien 1889, daß die »deutschen Gatten«, vor allem im »besseren Mittelstand«, »mehr freie Zeit in der Gesellschaft der Männer, ohne ihre Frauen, zubringen als wir«.159 Die Loge nahm den »Brüdern« einen großen Teil ihrer Zeit außerhalb des Berufs. Die Konflikte, die das etwa bei den heranwachsenden Söhnen auslöste, wurden schon angesprochen. N u r wenige Freimaurer erklärten, wie der Kaufmann Adolph Täschner - der Sohn des bereits erwähnten bekannten Leipziger Freimaurers - ihren Austritt aus der Loge, weil sie die Pflichten gegenüber dem Beruf und der Freimaurerei so in Anspruch nahmen, daß, wie es in Täschners Austrittsgesuch offen ausgesprochen wird, kaum noch Zeit für die Familie blieb.160 Manche Aufnahmegesuche

155 Ein Schwesternfest einer Berliner Loge i m J a h r 1903 f ü h r t e nach Birkenwerder, w o gegen 9 U h r d e n Abend eine Festtafel m i t M u s i k eröffnete, gefolgt von einer Theatervorstellung, K o n zert u n d T a n z bevor m a n gegen 5 U h r morgens wieder nach Berlin aufbrach. F ü r die Frauen war »Gesellschaftstoilette« für die M ä n n e r Frack u n d weiße Binde vorgeschrieben. Eine andere Loge veranstaltete das Schwesternfest in F o r m eines Kostümfestes, welches das Leben u n d T r e i b e n der Großstadt darstellen sollte. H i e r war der Ballanzug ausgeschlossen, die Gäste m u ß t e als »Berliner Typen« gekleidet erscheinen. K.W. Kunis, Die Pflege der Geselligkeit in den Logen, in: R., Jg. 31, 1904, S. 89-96, hier S. 93. Vgl. allg. auch Sobania. 156 P. Köthner, W a r u m gehört die Frau nicht in die Loge, in: Z C , Jg. 37, 1909, S. 183-195, hier S. 188. 157 Peiper, Die A u f n a h m e - Z e r e m o n i e des I. Grades, ein Bild der moralischen G e b u r t u n d des geistigen W a c h s t u m s der M e n s c h e n , in: ArS, Jg. 3, 1906, S. 252-260, hier S. 257. 158 Vgl. z.B. [K. Pilz], Die Maurerbraut. Eine E r z ä h l u n g aus d e m Leben, in: F Z , Jg. 15, 1861, Beilagen. 159 S. W h i t m a n , Das kaiserliche Deutschland. Eine kritische Studie v o n Thatsachen u n d Charakteren, Berlin 1889, S. 181, zit. n. Frevert, »Mann u n d Weib«, S. 243f. 160 G S t A Berlin, Logen, 5.2. L 18 (Balduin), N r . 25: Allg. Schriftwechsel, 1874-1775; Brief von A. Täschner, 7.10.1874.

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wurden im letzten Moment zurückgezogen, weil die Ehefrau sich dagegen gesperrt hatte.161 In anderen Fällen mußten die örtlichen Honoratioren, die ebenfalls »Brüder« waren, im günstigsten Fall der Pfarrer, die Ehefrau vom Sinn der Logengeselligkeit überzeugen. 162 In vielen Fällen, so ein beliebtes Klischee, hätten die Brüder gegenüber ihren Frauen die gesellschaftlichen Vorteile einer Aufnahme in die Loge hervorheben und ihre vermeintlich wahren Motive, die Bildung des Selbst in der Gemeinschaft von Männern, herunterspielen müssen, weil die Frauen in den menschheitlichen Zielen der Loge nur eine »sentimentale Schwärmerei« gesehen, ihre praktischen Vorteile aber sehr wohl zu schätzen gewußt hätten.163 Die Gedichte und Toasts, mit denen die Frauen auf die Ansprachen der Logenbrüder bei den Schwesternfesten antworteten, enthielten nicht selten eine satirische Kritik an der Männergeselligkeit. »Wenn Abend's vom Thurme tönt sechsmal die Glocke, Da kommt es mir vor, als wenn Maurerwind weht; Behend greift der Bruder nach Hut und nach Stocke Verbirgt in der Tasche ein blaues Paquet; Dazu steckt er immer den Schlüssel vom Hause, (Denn selten vor Mitternacht kommt er vom Schmause) [...] U n d fragt man die Brüder daheim in dem Zimmer, Wo ist Euer Werk denn?- so wissen sie schlau Heraus sich zu reden, da heißt es dann immer: »Ja seh'n kann man's nicht, s'ist ein geistiger BauVolksgenossenam deutschen Wesen die Welt genesen< solle. Als die Vorgeschichte dieses Imperialismus vor der Reichsgründung, o d e r die Vorgeschichte der N a c h - B i s m a r c k s c h e n politischen Gesinnung.« E. Rosenzweig, Franz Rosenzweig. Briefe, Berlin 1985, S. 43f.

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zem Herzen an dem nationalen Aufschwung unseres Volkes Antheil nehmen und alle die Tugenden und Vorzüge entwickeln helfen, deren es fähig ist, aber wir dürfen nie vergessen, dass die Völker Brüder sind in der Familie der Menschheit.« 48 Bluntschli formulierte damit ein gemeineuropäisches Credo der Freimaurerei vor 1870, einer Verbindung von nationalen Sehnsüchten und menschheitlichen Ansprüchen, dem die Zukunft zu gehören schien. Welche Metamorphosen durchlief dieser moralische Universalismus (oder auch »Kosmopolitismus«), für den Bluntschli nur ein Beispiel ist, als liberales Erbteil der Aufklärung angesichts zweier historischer Prozesse, die das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts prägten: zum einen die Teilung der europäischen Gesellschaften in Nationalstaaten, zum anderen ihre wechselseitige Verflechtung, die über die Grenzen der Nationalstaaten hinweggriff? Als These, die dem folgenden zugrunde liegt, läßt sich formulieren: In dem Maße wie sich die Nationen wirtschaftlich und gesellschaftlich anglichen, brachten die älteren kosmopolitischen Denkfiguren einer Verbrüderung der Menschheit neue Mechanismen der politischen Ein- und Ausgrenzung hervor. Das Versprechen menschheitlicher Gleichheit sollte nun nur noch gelten für die Angehörigen der jeweils eigenen Nation. Mehr noch: Der Zwang zur Unterscheidung, auf dem die nationale Selbstdefinition beruhte, wurde ins Totale gesteigert, sobald sich eine politische Handlungseinheit im Namen der Menschheit legitimierte.49 Die Doktrin »alle Menschen sind Brüder« verwandelte sich »allzu leicht in das Dogma >nur meine Brüder sind Menschen, alle anderen sind Tiere««.50 Die Sprache der Brüderlichkeit war, wie Derrida diese These variiert, entwaffnend, aber nicht entwaffnet. 51 Der elitäre Anspruch auf Allgemeinheit, auf überlegene Humanität ließ sich jedoch nicht nur nach außen wenden. Er besaß gleichsam eine Innenseite. Indem eine Gruppe der Gesellschaft, das in den Logen versammelte gehobene Bürgertum, die Semantik des moralischen Universalismus für sich reklamierte, setzte sie sich selbst allgemein, erhob Anspruch auf eine höhere Moralität. Wer sich der Forderung dieser »höheren Moral« entzog, galt als »der Feind seines Vaterlandes, ja als ein Feind der Menschheit«, wie es in der Logenrede Foersters von 1838 heißt.52 Ahnlich hat Bluntschli dreißig Jahre später die Jesuiten als »Feinde des Menschheitsfortschritts« tituliert.53

48 K. Bluntschli, Ein dreifaches Feuer. Bei E i n w e i h u n g des n e u e n Logenhauses in Karlsruhe ausgebracht, in: Bh., Jg. 12, 1869, S. 345f. 49 Vgl. Koselleck, Gegenbegriffe; eine andere Sichtweise bei Habermas, Kants Idee. 50 Shell, S. 177. 51 Derrida, S. 238. Z u d e n politischen Implikationen der M e t a p h o r i k der »Brüderlichkeit« vgl. auch Münkler, Politische Bilder, S. 3 5 - 4 9 . 52 Foerster, S. 14. 53 K. Bluntschli, Ein dreifaches Feuer. Bei E i n w e i h u n g des n e u e n Logenhauses in Karlsruhe ausgebracht, in: Bh., Jg. 12, 1869, S. 345f., hier S. 346.

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Es zeigt sich, daß die menschheitliche Rhetorik der Freimaurerei über die tatsächlichen politisch-sozialen Grenzziehungen nicht nur hinwegtäuschte, sondern diese noch ungewollt verschärfen konnte. Am Beispiel der Logen läßt sich mithin die Politisierung allgemein-menschlicher Moralvorstellungen und die gleichzeitige Moralisierung von Politik (der Nation und der zwischenstaatlichen Machtpolitik) zwischen den sechziger Jahren und dem Ersten Weltkrieg verfolgen. Im Mittelpunkt steht im folgenden nicht nur die politisch-moralische Semantik der Logen, sondern auch ihre schwierige Beziehungsgeschichte nach außen, zu ihren »Brüdern« jenseits der Grenzen. Im wesentlichen gilt das Interesse den Beziehungen zwischen der deutschen und der französischen Freimaurerei seit dem Krieg von 1870/71. Die Freimaurerei galt als eine Institution, die international, mehr noch: übernational verfaßt war. Je mehr aber die Internationalisierung der nationalen Gesellschaften voranschritt, desto mehr wurde deutlich, daß damit nicht jener moralische Fortschritt einherging, den sich die Logenbrüder erhofften.

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2. Das Vaterland der Menschheit Eine »moralische Internationale« waren die Logen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vornehmlich dem Selbstverständnis nach. Das Ausmaß an Kontakten über Staatsgrenzen hinweg blieb, auch aufgrund polizeilicher Kontrollen, gering.54 Das änderte sich schrittweise in den sechziger Jahren. Die Korrespondenz unter den Großlogen, der Austausch von Repräsentanten, der individuelle Besuch von Logen anderer Länder etwa auf Geschäftsreisen trugen zur Internationalisierung der Freimaurerei bei. Je näher sich freilich die Logen der verschiedenen Nationen im Laufe des Jahrhunderts kamen, desto sichtbarer wurden ihre Differenzen, nicht nur im Selbstverständnis, sondern auch in der sozialen Praxis. Seither ist es innerhalb der Logenwelt hierüber zu immer neuen Konflikten gekommen. So warfen die amerikanischen Freimaurer ihren deutschen Brüdern in den sechziger Jahren vor, daß die Ausschließung von Juden gegen die universalen Prinzipien der Freimaurerei verstoße und unmoralisch sei, ohne freilich wahrzunehmen, daß gerade die Hamburger Logenbrüder, gegen die solche Vorwürfe erhoben wurden, entschiedene Befürworter der Judenemanzipation innerhalb der deutschen Freimaurerei waren. 55 Die Vorwürfe richteten sich wohl deshalb gegen die Hamburger Großloge, weil sie mit ähnlichen Argumenten in den fünfziger Jahren die Nichtanerkennung von afrikanisch-amerikanischen Freimaurern in den Vereinigten Staaten angeprangert hatte. Sie ging freilich nicht so weit wie der französische »Grand Orient«, der aus diesem Grund 1858 alle Kontakte mit den amerikanischen Logen abbrach. Wie der liberale Teil der deutschen Logenbrüder waren auch die französischen Freimaurer »begeisterte Anhänger der Emanzipation der Schwarzen«.56 Die Morallehre der amerikanischen und deutschen Logen wiederum besaß eine protestantisch-religiöse Färbung, was sie in Widerspruch zur kämpferisch laizistischen Freimaurerei Frankreichs brachte und diese scharf ablehnen ließ.57 Zudem stand die Ausschließung von Juden aufgrund der Konfession im Ge54 Die preußischen Großlogen etwa haben alle Versuche einer engeren Verbindung ihrer Logen mit französischen Großlogen zu verhindern gesucht. Vgl. GStA Berlin, Logen, 5.1.4 (Zu den drei Weltkugeln), Nr. 7585: Acta betr. den Schriftwechsel mit dem Grand Orient de France in Paris 1849-1902. Dort findet sich z.B. eine Anfrage der Breslauer Zepter-Loge aus dem Jahr 1850, sie wünsche mit einer Pariser Loge in ein »maurerisches Kartell« einzutreten. Sie erhielt umgehend einen abschlägigen Bescheid der Großloge, die sich auch in den fünfziger Jahren nicht an freimaurerischen Kongressen in Paris beteiligen wollte. Enger waren die Beziehungen zwischen dem Grand Orient de France und den Logen Süd- und Südwestdeutschlands, die erst mit dem Kriegsausbruch unterbrochen wurden. 55 Vgl. Documents Respecting the Controversy. 56 Nord, Republicanism, S. 223. 57 Vgl. Dumenil; Fels, Square.

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gensatz zum Selbstverständnis der französischen Logen, worauf sie ihre preußischen Brüder auch in pathetischen Aufrufen hinwiesen. 58 Die Beispiele zeigen, wie sich zwischen dem Selbstverständnis der Logen als »moralischer Internationale« und der tatsächlichen Einigkeit und Brüderlichkeit der Freimaurer der verschiedenen Nationen in dem Maße ein Graben öffnete, je näher ihre Gesellschaften de facto zusammenrückten. Die Frage: Wie die freimaurerischen Prinzipien in den Logen jenseits der Grenze verwirklicht wurden und welche moralischen Vorhaltungen und nationalen Abgrenzungen daraus folgten, tauchte als Problem erst mit der Internationalisierung auf. Kurz, die Internationalisierung der europäischen Gesellschaften legte den Blick frei auf den partikularen Charakter der universalistischen Ansprüche der Logen verschiedener Nationalstaaten. Der faktische Universalismus der zunehmenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verflechtung hat den Zwang zur nationalen Abgrenzung zugespitzt und den normativen Universalismus, der sich an den Menschheitsbegriff knüpfte, politisch unter Druck gesetzt.59 In dem Maße, wie »die >Menschheit< als ein einziges Beziehungsgeflecht nicht mehr nur eine utopische Idee, sondern eine wirkliche Bedingung für jedes Individuum ist«, werden Stereotypen über »die Anderen« vervielfältigt und festgeschrieben. 60 »Erst die kommunikative Verdichtung in der Weltgesellschaft zwingt dazu, semantische Grenzen zu ziehen, zwischen >uns< und den >anderen< zu unterscheiden.« 61 Am Beispiel der politisch-moralischen Semantik der Logen zeigt sich, wie ein menschheitlicher Universalismus im 19. Jahrhundert politische Konflikte nicht verhinderte, sondern zuweilen sogar verschärfte. Eine Schlüsselrolle spielte hier der deutschfranzösische Krieg von 1870/71. Das, was es an vielfältigen informellen Kontakten und an ideeller Nähe der Logen beider Länder trotz allem gegeben hatte, wurde in kurzer Zeit obsolet oder in das Gegenteil verkehrt.

58 Vgl. z.B. »Adresse des loges frangaise de l'est aux magons Allemands« (1869), in der in M e t z versammelte französische Freimaurer die A u f n a h m e v o n J u d e n in die preußischen Logen forderten. GStA Berlin, Logen, 5.1.4 ( Z u d e n drei Weltkugeln), N r . 7585: Acta betr. d e n Schriftwechsel mit d e m G r a n d O r i e n t de France in Paris, 1849-1902, Bl. 209; n o c h schärfer f o r m u l i e r t ist der B e s c h l u ß d e s G r a n d O r i e n t de France, Paris 25.10.1869: »Les Magons sous l'Obedience d u G r a n d O r i e n t de France, representes par leurs mandataires legaux au C o n v e n t de 5869, affirment que l'humanite et la Magonnerie sont outragees lorsque la couleur, la race ou la religion suffit p o u r interdire ä u n profane son entree dans la amille magonnique. D a n s la m e m e seance, l'assemblee a invite le Grand Maitre de l ' O r d r e ä poster cette declaration ä la connaissance de toutes les Prussiances magonniqucs etrangers, ensemble, la resolutionprise d'ores et dejä par le Grand O r i e n t de France de r o m p r e toute alliance avec toute Prussiance m a g o n n i q u e qui n'y adhererait pas.«, ebd., Bl. 207. 59 60 Young, 61

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Vgl. Assmann, Identität, S. 31. Balibar, A m b i g u o u s Universality, S. 56; ders., Paradoxes; ders., Racism; Mehta\ähnlich Colonial Desire. Richter, N a t i o n , S. 253; allg. Stichweh.

auch:

2.1 Feindliche Brüder: Der Krieg von 1870/71 Die Dualität der nationalen Selbstdefinition steigerten deutsche wie französische Freimaurer 1870/71 ins Totale, indem sie die nationale Sache zum Wohl der Menschheit überhaupt hochschraubten. 62 Für die deutschen Logenbrüder stand fest, daß der Krieg gegen Frankreich »im Kern die Sicherung der abendländischen Civilisation, der Triumph der Gerechtigkeit, der Bildung und H u manität ist.«63 U n t e r umgekehrten Vorzeichen findet sich eine ähnliche Argumentation auf französischer Seite. Von Ballons wurden im September 1870 Flugblätter über den preußischen Linien abgeworfen, die sich an die Freimaurer wandten mit der Botschaft, an den Fortschritt zu denken und, nachdem die Zivilisation über die Barbarei gesiegt hätte, sich den Franzosen als Brüder anzuschließen. 64 Zehn Pariser Logen richteten ebenfalls im September ein Manifest an die internationale Logenwelt. Darin erklärten sie die Protektoren der deutschen Freimaurerei, den preußischen König und den Kronprinzen, zu »Ungeheuern in Menschengestalt« und forderten den sofortigen Ausschluß beider aus der Freimaurerei entsprechend ihren moralischen Grundsätzen. 65 Tatsächlich trafen sich wenig später mehr als 1500 Pariser Freimaurer, u m über Wilhelm und seinen Sohn ein Ehrengericht abzuhalten. Solche und ähnliche Manifeste wurden auch von Logen anderer Länder, etwa Belgiens oder der Schweiz, versandt. Die Schweizer Großloge »Alpina« verabschiedete noch im September 1870 ein Manifest, das die »höhere Bedeutung Frankreichs und Deutschlands, der romanischen und germanischen Race in der menschlichen Gesellschaft« herausstellte. Der Krieg schien folglich als Anachronismus in der modernen Zeit, der sich nur aus den »alten Bollwerken des Militarismus« in Deutschland erklären lasse - eine Ansicht, der liberale deutsche Freimaurer wie Findel scharf entgegneten, die deutsche Nation sei das wahre »Bollwerk des Völkerfriedens, der Civilisation und Humanität«, ein »Aeropag der unverfälschten Sittlichkeit«. Z u d e m verwahrte sich Findel gegen den Gebrauch des Rassebegriffs im Z u sammenhang mit der Freimaurerei. 66

62 Vgl. allg. hierzu Koselleck, Gegenbegriffe; Jeismanti, Stereotypen; ders., Vaterland; Richter, Nation. 63 [J.G. Findel], Das deutsche M a u r e r t h u m i m Jahre 1870, in: Bh., Jg. 14, 1871, S. 41f., hier S. 41. 64 Headings, S. 55. 65 Vgl. GStA Berlin, Logen, 5.1.4 ( Z u d e n drei Weltkugeln), N r . 7585; Acta betr. d e n Schriftwechsel m i t d e m G r a n d O r i e n t de France in Paris, 1849-1902, M a n i f e s t e des Loges, Paris 16.9.1870, Bl. 210; sowie Chevallier, Magonnerie allemande. 66 Die schweizerische Grossloge >Alpina< gebildet aus d e n Abgeordneten sämmtlicher Freimaurerlogen der Schweiz, versammelt am 3.9.1870 zu Lausanne, hat einstimmig folgendes M a n i fest beschlossen, in: Bh., Jg. 13, 1870, S. 305-307; sowie [J.G. Findel], Protest, in: ebd., S. 307f.; Abwehr, in: ebd., S. 323-326; R u n d s c h r e i b e n der Grossloge zur S o n n e im O r . von Bayreuth, in: ebd., S. 369-372.

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Im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 suchte jede Seite die andere »zivilisatorisch« herabzusetzen. Die französischen Logenbrüder sahen in der deutschen Kriegsführung die moralisch verwerflichen Folgen von Militarism u s und Obrigkeitstaat, von Rückständigkeit und Barbarei. D e n Vorwurf der Barbarei gab die deutsche Seite an die Franzosen zurück. Der Rückschritt hinter ein gemeineuropäisches Zivilitätsbewußtsein trat f ü r die deutschen Freimaurer zutage im Einsatz von schwarzafrikanischen Soldaten und einer »unzivilisierten« Kriegsführung auf französischer Seite. »Die vielen Beispiele von Lastern u n d U n t h a t e n in der französischen Armee, die Zusammensetzung derselben mit halbwilden, barbarischen H o r d e n eines fremden Welttheils, das Schiessen auf Parlamentaire, der Angriff auf Verwundete und Wehrlose, die Einäscherung offener Städte, die Schandthat von Laon, der Ueberfall auf Ablis, die E r m o r d u n g deutscher Soldaten von wegelagernden Franctireurs und Bauern, die brutale Austreibung der Deutschen aus Frankreich und andere Brüche des Kriegs- u n d Völkerrechts geben Zeugniss von dem tiefen sittlichen Verfall eines Volkes, das seit Jahrhunderten von einer Weltherrschaft träumt, der sich alle Völker Europas unterzuordnen hätten.« 67 Der Universalismus der französischen Nation habe im Krieg von 1870/71 einen moralischen Bankrott erlebt. »Die Zähigkeit, mit welcher das Volk und seine Führer an der Idee der geistigen, politischen u n d wehrfähigen Ueberlegenheit Frankreichs über die deutschen Völker hangen, [...] bezeugen die Verblendung einer ganzen Nation, die es für ihre natürliche Bestimmung hält, die Civilisation unter die europäischen Völker zu verbreiten u n d die Geschicke derselben nach ihren Begriffen von Freiheit, die sie nicht kennt, von Intelligenz und Cultur, die sie nicht hat, und von Völkerglück, das ihr fehlt, zu leiten.«68 »Kultur« u n d »Zivilisation« sind aber selten so wie hier Gegenbegriffe, wie die von N o r b e r t Elias und anderen vertretene These behauptet. 69 Beide Begriffe zielen auf ein gemeineuropäisches Selbstbewußtsein und rassistisches Uberlegenheitsgefühl, ein Denken in Kategorien moralischer Entwicklung u n d Zivilisierung. 70 Das neue und nicht nur viele deutsche und französische Freimaurer Verwirrende des Krieges von 1870/71 war, daß sich erstmals zwei »zivilisierte« Nationen u n d ihre Logen in einem Krieg gegenüberstanden, eine Möglichkeit, die das Entwicklungsdenken mit seinem Vertrauen in einen schrittweisen m o ralischen Fortschritt nicht f ü r möglich gehalten hatte. Die Sehnsucht nach einer Verbrüderung über die nationalen Grenzen hinweg blieb dennoch lebendig. Sie schlug sich nieder in Kriegsgeschichten, die 67 Leman, Welche Stellung n i m m t die Freimaurerei zu d e m Kriege überhaupt u n d insbesondere zu d e n großen Weltereignissen der Gegenwart ein?, in: Bh.,Jg. 14,1871, S. 38-41, hier S. 39. 68 Ebd., S. 40. 69 Elias, Studien. 70 Fisch, S. 681. Vgl. auch die Belege z u m Krieg v o n 1870/71, ebd., S. 751; sowie Pick, bes. Kap. 9: T h e Wake of 1870.

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von der Brüderlichkeit der Feinde sprachen. Ein Freimaurer schilderte die folgende Szene: Ein deutscher Hauptmann schenkt auf dem Schlachtfeld einem französischen Leutnant, der sich durch das freimaurerische Not- und Hilfszeichen zu erkennen gegeben hat, das Leben, wird aber dann von einer feindlichen Kugel ins Herz getroffen. Der Franzose erhält einen Kopfschuß und stürzt an der Seite seines Retters nieder, dessen Hand er sterbend mit den Worten ergreift: »Hab Dank, mein Bruder!«71 In der tödlichen Verwundbarkeit sind Freund und Feind einander gleich, sind sie nur noch Brüder. Die Außeralltäglichkeit des Krieges schafft eine neue Brüderlichkeit. Solche sentimentalen Verbrüderungsbilder befeuerten die freimaurerische Poesie. In dem Gedicht des jüdischen Freimaurers Elias Ulimann heißt es: »Er hat ihn gut getroffen, der muth'ge August Krohn; >Für Dich bleibt nichts zu hoffen, Du stirbst, Franzosensohn !< Hinsinkt aufbrachen Acker der Andre kampfesmatt, Was hilft's ihm, daß er wacker U n d brav gefochten hat?«

Der getroffene französische Soldat bittet den Feind, von ihm abzulassen, doch der versteht seine Worte nicht. Ungeachtet der nationalen und sprachlichen Barrieren gab es jedoch ein geheimes Band, daß die Gegner verknüpfte: »Er stemmt sich a u f - gen Morgen Das Antlitz zugewandt, U n d unterm Rock verborgen Nach Etwas tappt die Hand. Allmächt'ger Gott, ruft laut Der, Umarmt ihn entsetzt, Das blaue Band erschaut er Vom Blute roth benetzt; [...] U n d die sich nie im Leben, Als Feinde nur gekannt, Als Maurer jetzt sich geben Im Tod die Bruderhand!« 72

71 T. Löwe, Aus eigener Werkstatt, Stuttgart 1881, S. 33, zit. n. W. Thamhayn, Die Grundsätze der Freimaurerei im Lichte der maurerischen Dichtung, in: MittVdF J g . 56, 1918/19, S. 68-122, hier S. 79. 72 E. Ulimann, Z u mir, ihr S.... d.. W.... (Auf einem Schlachtfelde), in: AsträaJg. 30,1870, S. 302-304, hier S. 302, S. 303, S. 304.

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Der Wunsch nach einer solchen Verbrüderung ungeachtet der Schrecken des Krieges zeigte sich nicht nur in solchen Gedichten. Anfang Juni 1871, nach Beendigung des Krieges, fand bei Vesoul, wo sich die abziehenden deutschen und die aus der Gefangenschaft heimkehrenden französischen Truppen kreuzten, eine gemeinsame »Feldloge« statt, die von deutschen und französischen Offizieren und der lokalen Loge - insgesamt ungefähr dreihundert Freimaurer - besucht wurde. Solche Feldlogen gab es auch schon zuvor, noch während des Krieges. In Vesoul wurden die deutschen Freimaurer gruppenweise unter die französischen Offiziere und Zivilisten verteilt. Gemeinsam bildeten sie einen Kreis und schlossen die »Bruderkette«. Der Anblick, der sich den an diesem Tag Neuaufgenommenen bei der Abnahme ihre Augenbinde bot, muß mithin wie eine Art Tableau vivant für die zuvor gehörten menschheitlichen Ziele der Freimaurerei gewirkt haben.73 Solche Verbrüderungen blieben allerdings die Ausnahme. In der Regel begegneten sich die deutschen und französischen Logen 1870/71 mit einer moralischen Erbitterung, die nur aus dem vorangegangenen Gefühl einer gemeineuropäischen zivilisatorischen Überlegenheit erklärlich scheint. Jetzt überbot man sich gegenseitig mit Aufrufen und Proklamationen, die den jeweiligen Gegner moralisch desavouieren sollten. Der »Grand Orient de France« hat zwar im Februar 1871 eine Beteiligung an dem Manifest der Pariser Logen abgestritten, es jedoch nicht ausdrücklich mißbilligt. Hierauf brachen die deutschen Großlogen im Mai 1871 jeden offiziellen Verkehr mit den französischen Großlogen ab, nur mehr eine symbolische Geste, denn der »Grand Orient« hatte schon mit dem Kriegsausbruch eine ähnliche Erklärung verabschiedet, Kontakte hatte es kaum noch gegeben. Die deutschen Großlogen gestatteten zwar weiterhin den Besuch französischer Freimaurer in deutschen Logen.74 Anders als in den napoleonischen Kriegen aber haben etwa französische Kriegsgefangene kaum Gebrauch von dieser Möglichkeit gemacht.75 Auch die Versuche seit Beginn des Krieges, die humanitäre Hilfe gemeinsam zu koordinieren, scheiterten.76 Jede Seite beteiligte sich freiwillig am Krieg mit der Einrichtung und

73 Eine Feld-Loge. Von einem Teilnehmer, in: Bundesblatt, Jg. 15, 1901, S. 515-517. 74 Vgl. GStA Berlin, Logen, 5.1.4 (Zu den drei Weltkugeln), Nr. 7585: Acta betr. den Schriftwechsel mit dem Grand Orient de France in Paris, 1849-1902, Verhandlungen des Großmeistervereins, 24.11.1870, Bl. 262f.; u. Protokoll des Großlogentages, 16.5.1871, ebd., Bl. 324. 75 So beklagte sich 1870 die Zepter-Loge: »von den vielen französischen Offizieren, welche in Breslau in Gefangenschaft lebten und unter denen manche dem Maurerbund angehören, ist, nur einen Fall in der ersten Zeit abgerechnet, niemals der Versuch gemacht worden, Zutritt bei den Logenarbeiten zu erlangen«. »Im Jahre 1807, nach der Belagerung und Einnahme unserer Stadt und auch 1813, nach der Schlacht an der Katzbach, nahmen französische Offiziere hingegen öfter Theil an den Logenarbeiten.« ZStAMoskau, Fond 1412-1, Nr. 4970 (Zepter): Jahresbericht 1870, Bl. 5. 76 Vgl. z.B. den Aufruf des Großmeisters Babaud-Laribiere, Rundschreiben des Grossorients von Frankreich, Paris d. 8. Aug. 1870, in: FZ, Jg. 24, 1870, S. 273.

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Finanzierung von Lazaretten, oft in den Logenhäusern selber, wodurch die Geselligkeit stark beeinträchtigt wurde. 77 An manchen Orten kam das Logenleben zeitweilig völlig zum Erliegen, nicht zuletzt deshalb, weil Freimaurer auf beiden Seiten zum Militär einberufen waren. In welche Begründungszwänge die deutschen Freimaurer durch die Leugnung ihres menschheitlichen Anspruchs von selten der französischsprachigen Logen gerieten, zeigt etwa eine Rede des Historikers Wilhelm Oncken »auf die Brüder im Erdenrund«. »Wir haben ja nichts für uns gewollt«, klagte Oncken, »als das Menschenrecht für uns zu leben, unsere eigenen Herren zu sein im eigenen Hause, nicht mehr das Aschenbrödel zu sein auf der Rennbahn der grossen Völker«. Als die Deutschen aber »um die höchsten Güter der Menschheit« stritten, hätten sich die »Brüder in der Fremde« - auch die neutralen Logen Belgiens und der Schweiz - gegen sie gestellt. Und er resümiert: »Die weltbürgerliche Bruderliebe unseres Bundes war zum erstenmal auf eine grosse Probe gestellt und diese Probe ist nicht bestanden worden.« 78 Die Gründe hierfür lagen für die deutschen Logenbrüder in einem übersteigerten französischen »Nationalhaß«, der sich gegen das »Vaterland der Menschheit«, eben die deutsche Nation, gerichtet habe.79 »Nationalhaß« galt den deutschen Freimaurern mithin weiter als verwerflich. Er sei ein »Gift«, meinte der Leipziger Herausgeber der »Freimaurer-Zeitung«, Carl Pilz, besonders für die Freimaurer, die »wir uns Freunde der Menschheit nennen«. Und weiter heißt es: »Unser herrlicher Traum von der Weltverbrüderung wird ja so lange noch unerreicht bleiben, so lange Nationalhass die Völker entzweit, so lange man aus selbstsüchtigen Gründen die Flamme dieses Hasses künstlich zu nähren und zu erhalten sucht, so lange die despotischen Machthaber den Nationalhass als Waffe benutzen für ihre Eroberungskriege, so lange die Völker nicht die Mündigkeit über Krieg und Frieden sich selbst zu bestimmen haben.«80 Der »Traum des Weltbürgertums« war also keineswegs ausgeträumt. Er wird vielmehr an den neugegründeten deutschen Nationalstaat geknüpft, der die liberalen Werte von Bildung, Humanität und Sittlichkeit - auch gegen den Feind, gegen »das Babel am Seinestrand« - zur Verwirklichung bringen soll.81 Die Feindbilder konnten zwischen außen und innen konvergieren und sich wechselseitig verschärfen, eben weil der Feind in menschheitlich-moralischen Kategorien begriffen wurde. 82 Für liberale deutsche Freimaurer lag auf der Hand, daß der »sittliche Verfall« der französischen Nation seine Wurzeln im 77 Vgl. z.B. die Ubersicht: Die deutschen Freimaurer und die deutschen Logen während des Nationalkrieges, in: Bh„ Jg. 13, 1870, S. 275f„ S. 287f„ S. 303, S. 317f„ S. 326f„ S. 335, S. 342f. 78 Bh., Jg. 14, 1871, S. 199f., hier S. 200. 79 C. Pilz, Ueber den Nationalhass, in: FZ, Jg. 25, 1871, S. 263-266, hier S. 263. 80 Ebd., S. 266. 81 Ebd., S. 263. 82 Vgl .Jeimann, Feind; sowie Teil I, Kap. 3.

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Katholizismus und den Lehren des »alten kindischen Greises« in Rom hatte. »Die von uns besiegte, überwundene und niedergeworfene Nation ist von einem ganz andern Geiste beherrscht, der derselben nur auf künstliche Weise bis vor dem Ausbruche des grossen Krieges zu einer äusserlich glänzenden Stellung unter den übrigen Nationen verholfen hat, es ist kein Geist des Lichtes und der Wahrheit, sondern ein Geist des blossen Scheins und der Lüge. [...] Lüge, Leichtgläubigkeit, Aberglaube, Scheinheiligkeit und keine Grenzen kennender Leichtsinn, der bis zur grössten Unmoralität gestiegen, haben eine mit schönen Anlagen ausgestattete Nation in den Abgrund des Verderbens gebracht.«83 Hier wurden schon die rhetorischen Klingen geschliffen für den bald darauf einsetzenden Kulturkampf gegen die katholische Kirche im neuen deutschen Nationalstaat, insbesondere in den preußischen Provinzen, wobei zweifellos die liberalen Freimaurer in Baden in den sechziger Jahren eine Vorläuferrolle spielten. Sowohl im Innern als auch nach außen hatte die Berufung der Logen auf eine überlegene Moral die politischen Konflikte seit 1870 bis zu einem äußersten Punkt verschärft, wo derjeweilige Gegner nur noch als »Feind der Menschheit« wahrgenommen wurde. Nicht das Abrücken der Berufung auf die »Menschheit« oder die »Zivilisation« zugunsten von »Volk« und »Kultur«, sondern das Festhalten an einer menschheitlichen Semantik und Zivilisierungsidee im deutsch-französischen Krieg und im Kulturkampf hatte zur Eskalation dieser Konflikte beigetragen.

2.2 Eine »moralische Internationale«? Deutsch-französische

Annäherungen

Der französische Nationsbegriff wurde seit 1870/71 nicht nur durch die scharfe Abgrenzung gegen den deutschen Feind definiert, sondern auch, etwa bei Ernest Renan, in ethnischen Kategorien. 84 Ahnlich war es in Deutschland. Gleichwohl sahen deutsche und französische Freimaurer auch nach 1871 ihre jeweils eigene Nation als »Vaterland der Menschheit«. 85 Wenn es etwa 1889 in 83 [J.G. Findel], D e r erste allgemeine G r u n d s a t z der FrMrei, in: Bh., Jg. 17, 1874, S. 22-25, hier S. 22. 84 Haupt, Nationalismus, S. 48; ähnlich: Pick, S. 88ff.; zu »Rasse« u n d »Nation« bei Renan u n d zur Ambivalenz des »universalistischen« französischen Nationalismus vgl. ausführlich Todorov. Ein Vergleich des deutschen u n d französischen Nationalismus der Zeit zwischen 1870/71 u n d 1914 steht n o c h aus. Es ist zu v e r m u t e n , daß eine ähnliche V e r m i s c h u n g universalistischer u n d national-ethnischer Motive z u m i n d e s t im liberalen bzw. republikanischen Diskurs beider N a t i o n e n überwiegt, w o r ü b e r auch die unterschiedliche Fassung des Staatsbürgerrechts nicht hinwegtäuschen sollte. Vgl. Brubaker, Staats-Bürger; dagegen aber auch z u m französischen Nationalismus z.B.: Tombs\ Singer. 85 F ü r die französischen Logen zeigt das: Headings, Kap. VII: Nationalism and Internationalism. N i c h t zufällig entstand diese Dissertation bei Carleton Hayes, e i n e m f r ü h e n Historiker des europäischen Nationalismus.

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einer französischen Logenrede heißt, »es war Frankreichs Aufgabe, für die Welt die Idee des Menschheitsfortschritts zu entwickeln« und daß »Frankreich zu lieben, ihm zu dienen, und, falls nötig, dafür zu sterben« bedeute, »die Menschheit zu lieben, ihr zu dienen und für sie zu sterben«, wird hier formuliert, was umgekehrt genauso die deutschen Logenbrüder für ihre Nation beanspruchten.86 »Der Menschheit wird durch dich zu Theil/ Dereinst der wahren Freiheit Heil!«, dichtete Oswald Marbach für eine Festfeier der Leipziger Loge »Balduin« im Jahr 1880, bezogen auf die deutsche Nation. 87 Das Bewußtsein, »nicht bloss Deutsche, sondern auch Weltbürger zu sein«, erfüllte ein Jahr später den Deputierten Meister der Königsberger Loge »Zu den drei Kronen« mit Stolz.88 Mensch, Bürger, Weltbürger - wie konzentrische Kreise beschrieben diese drei Begriffe die politisch-moralische Identität der deutschen und französischen Freimaurer. Das bedeutete auch, daßjede Seite der anderen einen überspannten Nationalismus vorwarf, der für Weltbürger wie die Freimaurer unwürdig sei. Diejenige Nation sei hingegen die gebildetste, »welche neben der entschiedensten Ausprägung ihres eigenen Charakters und der höchsten Entwickelung ihrer eigenen Kräfte am meisten Elemente fremder Nationen in sich aufgenommen und derart in sich verarbeitet habe, dass diese fremden Elemente selbsteigenes und eigenthümliches Element dieser Nation werden.«89 In dieser Lage sei aber allein die deutsche Nation. Ein anderer Freimaurer meinte analog: »Im Grossen und Ganzen hat die deutsche Nation, wie es die vergleichende Geschichte nachweist, sich stets human vor allen anderen gezeigt. Frei von jener systematischen Grausamkeit, welcher sich z.B. die Spanier in Amerika gegen die Eingeborenen, zu Haus vorher gegen die Mauren und >KetzerHekubaLiebe gegen Gewalt< gepredigt haben, im nächsten Augenblick zur Gewalt aufrufen, - zur letzten Gewalt, die dann den Zustand der Vernichtung aller Gewaltsamkeit bringen würde.« Max Weber' »Niemand kann ein Weltbürger sein, wie er ein Staatsbürger ist.« Hannah Arendt2

Der Erste Weltkrieg wurde von deutschen wie französischen Freimaurern zunächst nicht als Bruch mit ihrem menschheitlichen Selbstverständnis angesehen, sondern als dessen Bestätigung. Das änderte sich erst im Laufe des Krieges, als der Zivilisationsbruch, den dieser Krieg darstellte, auf französischer, aber noch dramatischer auf deutscher Seite auch den Glauben an die Idee der Zivilisierung in Frage stellte. Die für das 19. Jahrhundert typische Verknüpfung von nationaler und menschheitlicher Semantik verlor radikal an Glaubwürdigkeit. Die Absage an dieses Selbstverständnis, die sich in den Logen selber beobachten läßt, verdichtete sich in den verschiedenen politischen Lagern der Zwischenkriegszeit im negativen Symbol der Freimaurerei. Es ist diese Parallelbewegung einer Zuspitzung der Ambivalenz und einer schleichenden Umwertung im politisch-moralischen Selbstverständnis der Freimaurerlogen auf der einen und ihre zunehmende Perhorreszierung in der Öffentlichkeit auf der anderen Seite, die vor einem abschließenden Resümee der Arbeit noch behandelt werden soll. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs suchten deutsche und französische Freimaurer, wie schon 1870/71, dem nationalen Krieg eine menschheitli1 Politik als Beruf (1917/18), in: Weber, Politische Schriften, S. 505-560, hier S. 553. 2 Arendt, Jaspers, S. 99.

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che Sendung zu geben. Wiederum brachen der »Grand Orient« u n d die deutschen Großlogen sofort alle Kontakte ab, wurde die deutsche Loge »Goethe« in Paris verboten. Wie 1870/71 sahen auch 1914 die französischen Freimaurer ihre menschheitliche Mission in einem Sieg ihrer Nation. Für sie war es erneut ein Krieg der Zivilisation gegen die Barbarei, wobei der deutsche Feind zunehm e n d nicht n u r aufgrund seiner politischen Herrschaftsordnung, sondern seiner »Rasse« als Feind der Menschheit galt. Der deutsche Feind w u r d e ethnisiert, der Gegensatz von französischer Zivilisation und deutscher Kulturbarbarei zur idee fixe des französischen Nationalismus. 3 Eine solche Verknüpfung von menschheitlicher und nationaler Semantik war im Weltkrieg aber kein Spezifikum des französischen Nationalismus. Sie findet sich ebenso auf deutscher Seite - und zwar nicht nur in den Logen, wo eine solche Verknüpfung nahe lag. So konnte H e r m a n n C o h e n 1914 behaupten, »Deutschland ist u n d bleibt in der Kontinuität des 18. Jahrhunderts und seiner weltbürgerlichen Humanität«, woraus er eine deutsche F ü h r u n g »im ethischen Sinne der Weltgeschichte« ableitete. 4 Leopold von Wiese meinte ein Jahr darauf daß gerade die deutsche Nation weltbürgerlich sei, wogegen die Kriegsgegner Völkerhaß predigten. Der Nationalismus besitze aber nur sittlichen Wert, w e n n er auf etwas hinweise, was höher stehe als er selbst: die Idee der Menschheit. Die »große Zukunftsaufgabe des deutschen Menschen« werde es sein, »Nationalismus und Kosmopolitismus zu versöhnen«. 5 Johannes Plenge, der Erfinder des Schlagworts von den »Ideen von 1914«, schrieb noch 1916, daß jene Ideen »die Lebensziele der Menschheit« bestimmen würden. 6 Schließlich glaubte auch Friedrich Meinecke, der Weltkrieg werde die Deutschen endgültig zu einem »Weltvolke« erheben, das anders als England nicht im egoistischen »Volkstum« aufgehe, sondern dieses mit dem »Menschentum« vereinige. 7 Im gleichen Sinne hieß es im September 1914 in einer Logenrede, daß dem deutschen Volk die Mission übertragen sei, die Welt dem Ziele der Humanität entgegenzuführen. »Erst dann, wenn die Welt wiedergeboren ist in deutschem Geiste, wird der große Tag anbrechen, an dem sich die Völker der Erde zu

3 Jeismann, Vaterland, S. 349. 4 H . C o h e n , Ü b e r das Eigentümliche des deutschen Geistes, Berlin 1914, S. 43, S. 45. Vgl. hierzu auch Sieg-, sowie allg. Lübbe, S. 173-238. 5 L. v. Wiese, G e d a n k e n ü b e r Menschlichkeit, M ü n c h e n 1915, S. 92, S. 120. 6 J. Plenge, 1789-1914. Die symbolischen Jahre, Berlin 1916, S. 20. 7 Meinecke, E r h e b u n g e n , S. 34; ders., Vorwort zur 3. Aufl. v o n »Weltbürgertum u n d N a t i o nalstaat«, M ü n c h e n 1915. Vgl. auch Meineke, Meinecke, bes. S. 205ff.; ders., >Krieg der Geisten. W e n n Meinecke sich 1916 von allen Versuchen, ein »feststehendes deutsches Wesen zu definieren, m i t dessen siegreicher D u r c h s e t z u n g die Welt endgültig von allen zivilisatorischen Ü b e l n zu befreien sei«, abgrenzt, wie dort behauptet wird (vgl. ebd. 115), ist das eine Position, die er selbst erst im Laufe des Weltkriegs g e w o n n e n hat. Diese A b s c h w ä c h u n g des Glaubens an eine deutsche Zivilisierungsmission im Laufe des Krieges findet sich auch bei anderen liberalen Intellektuellen, etwa bei M a x W e b e r oder G e o r g Simmel.

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Weltbürgertum und ewigem Frieden brüderlich die Hand reichen.«8 Der Weltkrieg erschien als eine moralische Wiedergeburt, eine Erlösung aus der Krise der Vorkriegszeit, denn das deutsche Volk habe »seine alten sittlichen Anschauungen wiedergefunden und begriffen, daß es der Menschheit eine sittliche Kultur zu bringen« habe.9 »Kultur« und »Zivilisation« waren noch zu Beginn des Krieges keine Gegenbegriffe. So schrieb der linksliberale Freimaurer Ludwig Müffelmann nach Kriegsausbruch, das deutsche Volk sei »berufen zur Wahrung der Zivilisation, zur Verteidigung aller großen Errungenschaften ethischer und moralischer Art, zum Vorkämpfer der größten Güter der Menschheit, der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Freiheit.« Denn »die Gerechtigkeit unserer Sache ist uns als dem Träger des zivilisatorischen Gedankens verbürgt«.10 Zumindest in den ersten beiden Kriegsjahren sahen die Logenbrüder ihre Begriffe von Tugend und Bildung, Kultur und Zivilisation, Menschheit und Brüderlichkeit bestärkt. Müffelmann etwa meinte: »Was in diesen Tagen sich in uns verkörpert hat, was ist es anderes, als der Geist der zur Tat gewordenen Brüderlichkeit. Heute gibt es keine Schranken mehr, die uns voneinander trennen. In Not und Tod sind wir alle gleich, Menschen, die miteinander stehen für hohe Ideale, Brüder, die von einer Gesinnung sich getragen fühlen!«11 Alles das, was die Nation vor 1914 gespalten hatte, schien nun, der freimaurerischen Utopie einer Welt ohne soziale, konfessionelle oder politische Grenzen entsprechend, zumindest im Innern der Nation schon überwunden. 12 Forderungen, gegenüber den Juden jetzt auch die letzten Schranken fallen zu lassen, wurden erhoben und partiell auch eingelöst.13 Manches deutet daraufhin, daß viele Restriktionen gegenüber jüdischen Freimaurern bis zum Jahr 1916 aufgehoben waren, als die »Judenzählung« im deutschen Militär einen Stimmungsumschlag anzeigte.14 In Breslau, wo sich konservative und liberale Logen - letztere mit einem hohen jüdischen Anteil - unversöhnlich gegenübergestanden hatten, fanden seit dem Kriegsausbruch wechselseitige Logenbesuche statt. In

8 O . Bethe, W e l t b ü r g e r t u m u n d Nationalitätsprinzip, in: ArS, Jg. 11, 1914, S. 345-355, hier S. 354. 9 O . Jänisch, Die geistige A u f r e c h n u n g des Krieges, in: H L , Jg. 48,1914/15, S. 203-210, hier S. 208; ähnlich Bischoff, Kriegsgedanken, S. 32. Welch ein publizistisches Stahlgewitter der Weltkrieg auch in den Logen auslöste, zeigt sich z.B. daran, daß Bischoff, einer der bekanntesten Leipziger Freimaurer, in kurzer Folge drei weitere Kriegsschriften, veröffentlichte: Bischoff,, Wie kam's; ders., D e u t s c h e Gesinnung; ders., Geist v o n 1914. 10 L. M ü f f e l m a n n , Wir u n d die Zeit, in: BstF, Jg. 23, 1914, S. 117-121, hier S. 118f. 11 Ebd., S. 119. 12 Vgl. z.B. H . Armer, D e r Krieg u n d die Freimaurerei. Rede, geh. in der Loge » H e r m a n n zur Beständigkeit«, Breslau, 8.10.1914, in: Bh., Jg. 57, 1914, S. 362-365, hier S. 365; ähnlich E. H o r n e f f e r , D e r Krieg u n d die Freimaurerei, in: Z M i t t V d F , Jg. 2, 1914, S. 300-302, hier S. 302. 13 Vgl. z.B. die Rede des Leipziger Freimaurers H . Welcker, Die Aufgaben der deutschen Freimaurerei nach d e m Kriege, in: FZ, Jg. 70, 1916, S. 57-59, S. 64-68, hier hier S. 66. 14 Vgl. Angress.

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der konservativen Zepter-Loge entschieden sich im November 1914 mehr als zwei Drittel der Mitglieder für den geselligen Umgang mit den »jüdischen« Logen, eine Praxis, von der erst 1918 unter dem Eindruck der Niederlage wieder Abstand genommen wurde. 15 1914 aber konnte der jüdische Freimaurer Alphonse Levy seine Gefühle nach Kriegsausbruch noch wie folgt beschreiben: »Umringt von Tücke, Lug und List, Gefährdet von vielen Seiten, Stehen brüderlich einigjude und Christ Fürs Vaterland mannhaft zu streiten.«16

»Vor der Majestät des Massengrabes verblaßt der Wertunterschied der Einzelnen; Ströme von Heldenblut kitteten Vorurteile zusammen, die früher einander widerstrebten«, schrieb Levy an anderer Stelle. Gegen die, wie er meinte, französische Erfindung eines »deutschen Militarismus«, der vom französischen Chauvinismus ablenken solle, berief sich Levy auf die weltbürgerliche Tradition der Deutschen mit einem Zitat des emigrierten 48ers Johannes Scherr aus dem Jahr 1857, das zugleich die Kontinuität des menschheitlichen Selbstverständnisses der deutschen Nation evozierte: »Die Deutschen sind die menschlichsten Menschen, und was humane Freiheit ist, nur wir wissen und schätzen es.«17 Sogar an der Front sahen eingezogene Freimaurer, die sich in den konfiszierten Gebäuden der lokalen französischen Logen in »Feldlogen« trafen, ihre humanitären Grundanschauungen bestätigt. So meinte der Linksliberale Wilhelm Ohr, Meister vom Stuhl einer dieser Feldlogen in St. Quentin, daß die universalen Werte der Freimaurerei sich durch den Krieg nicht ändern, sondern im Gegenteil »unendlich vertieft und verklärt werden«. Das freimaurerische Ideal der Bruderliebe schließe den Haß nicht aus; es sei ein »Haß der Liebe«, welcher letztlich im Interesse des Feindes liege. Nach dem Krieg müsse »eine neue Menschheit aufgebaut werden«, und es werde auch im Interesse der Feinde des deutschen Volkes sein, daß diese besiegt und überwunden würden, denn »der deutsche Gedanke, der Gedanke einer Weltführung durch die sittliche Idee, er bringt zur Herrschaft, was in allen Zeiten unter dem Namen der Humanität die Besten aller Nationen miteinander verbunden hat.«18 Deutschland müsse eine »seelische Höherführung der Völker« übernehmen, behauptete auch der Oberstabsarzt und Meister vom Stuhl einer Feldloge in 15 Seit 1918 feierten die drei konservativen Logen den Kaisergeburtstag wieder unter sich. ZStA Moskau, Fond 1412-1, Nr. 4983 (Zepter): Annalen 1886-1927; 12.11.1914 u. 27.1.1918. 16 Zit. n. W. Thamhayn, Die Grundsätze der Freimaurerei im Lichte der maurerischen Dichtung, in: MittVdF, Jg. 56, 1918/19, S. 68-122, hier S. 79. 17 A. Levy, Was kann der Weltkrieg der Maurerei bringen? in: FZ J g . 69,1915, S. 90-92, S. 9 7 100, hierS. 91.

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Abb. 8: Mitglieder der Feldloge » Z u m aufgehenden Licht an der Somme« in St. Q u e n t i n . (Freimaurermuseum Bayreuth)

Kowno im April 1916. Der Krieg sei ein neuer Reformationskrieg, in dem wiederum Nacht und Licht, »aus aller Welt herbeigeschleppte Horden« und aufgeklärtes Menschentum um den Sieg kämpften. 19 Nichts schien den deutschen Freimaurern absurder als der gegen sie gerichtete Vorwurf des Barbarentums. In einem Feldpostbrief zeigte sich ein jüdischer Freimaurer und Arzt, Mitglied der Breslauer Hermanns-Loge, davon überzeugt, daß seine Arbeit in einem Feldlazarett an der Ostfront den Kriegsgegnern zeigen werde, wie der »deutsche Barbar seinem todwunden Kriegsgefangenen beisteht« und das Licht der Aufklärung zu der Melodie von »Deutschland, Deutschland über alles!« auch in ihre Herzen trage.20 18 W . O h r , D e r humanitäre Gedanke u n d der Krieg, in: ders., Feldlogenarbeit, S. 17-20, hier S. 20. Vgl. auch ders., Geist. Z u r Biographie: E. H o r n e f f e r , Wilhelm O h r (Gefallen am 23. Juli 1916). Gedächstnisrede, geh. am 24.9.1916 in F r a n k f u r t a. M., in: U T , Jg. 1, 1916, S. 481-500. Die von O h r im M ä r z 1915 gegründete Loge » Z u m aufgehenden Licht an der Somme« in St. Q u e n t i n war die erste deutsche Feldloge im Weltkrieg. Insgesamt hat es bis 1918 f ü n f z e h n Feldlogen gegeben. Vgl. die Aufstellung b. Steffens, S. 321 f. 19 Baudler, Rede zur E i n w e i h u n g der Feldloge >Deutsche W a c h t an der Memel< am 1. April 1916 in Kowno, in: Kriegs-Mitteilungen des Vereins »Hilfe in Not«, N r . 9, N o v . 1916, S. 8 - 1 1 , hier S. 9. 20 E. Löwisohn, Feldpostbrief, 20.5.1915, in: Monatsblätter der Freimaurerloge » H e r m a n n zur Beständigkeit«, Jg. 5, 1915, S. 55-58, hier S. 57.

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»Deutschland soll den Krieg gewollt, preußischer Militarismus ihn seit langem herbeigewünscht haben. Deutsches Hunnen- und Barbarentum soll wieder einmal andere Völker mit Mord und Brand überzogen haben, um in brutalem Egoismus auf Raub und Eroberungen ausgehen zu können. Darum müsse die gesamte übrige Menschheit aufstehen gegen diese Räubernation, um sie auszurotten und von der Erde zu vertilgen, damit alle übrigen Völker endlich in Ruhe und Frieden leben und Werke der Kultur schaffen könnten!« 21 Eine solche Sichtweise der Kriegsgegner, gerade auch ihrer Freimaurerlogen, mußte in den Augen vieler deutscher Logenbrüder, die von der deutschen Zivilisierungsaufgabe der Menschheit überzeugt waren, wie blanker Hohn wirken. Während die deutschen Freimaurer, wie Hjalmar Schacht, der spätere Reichsbankpräsident, glaubte, »niemals irgend welchen überspannt nationalistischen Empfindungen in ihrer Mitte Raum gegeben« hätten, folgten die Entente-Mächte im Weltkrieg niederen, chauvinistischen oder geschäftlichen Interessen. 22 Eine »Verbrüderung mit denen, die sich erniedrigt haben, an der Seite von Wilden, Halbwilden und Verbrechern zu kämpfen«, konnten sich viele deutsche Freimaurer nicht mehr vorstellen. 23 Von einem gemeineuropäischen Zivilisationsbewußtsein, das sich schon 1870/71 als brüchig erwiesen hatte, nahm man endgültig Abschied. J e länger der Krieg andauerte und j e mehr sich die politische Isolierung Deutschlands in der Welt verfestigte, desto öfter wurden Zweifel laut am menschheitlichen Selbstverständnis. Viele Freimaurer, zumal aus konservativen Logen, formulierten schon kurz nach Kriegsausbruch scharfe Absagen gegen jeden »internationalen Mischmasch« in den Logen. 24 Der Gegensatz zwischen Krieg und dem Menschheitsideal klang nun »wie ein grausamer Hohn«, 25 ja, es schien fraglich, ob denn noch irgendetwas bestehe, das allen Menschen gemeinsam sei. 26 Es sei begreiflich, heißt es in einer Logenrede aus dem Jahr 1915, daß »manches feinbesaitete Gemüt irre geworden ist an der Menschheit«. »Völker, die berufen waren, Träger der Kultur zu sein, die Ideale der Menschheit zu pflegen und zu verwirklichen, befehden sich bis zur Vernichtung und sprechen allen Bestrebungen um eine Höherentwicklung der Menschheit Hohn.« 27 Beklagt wurde die moralische Heuchelei der Kriegsgegner, insbesondere Englands, das im Krieg nur ein Geschäft auf Kosten 21 C. Pistorius, Der Krieg und seine Einwirkung auf die Freimaurerei, in: FZ, Jg. 69, 1915, S. 3 3 - 3 6 , S. 4 1 - 4 6 , S. 48-54, S. 113-119, hier S. 43. 22 H. Schacht, Kriegsabende, in: ArS, Jg. 11, 1914, Beil. 1-3, S. 1. 23 [R.] M[öckel], Vorsichtige Zurückhaltung, in: R„ Jg. 42, 1915, S. 25-28, hier S. 26. 24 C. Pistorius, Der Krieg und seine Einwirkung auf die Freimaurerei, in: F Z , J g . 69, 1915, S. 33-36, S. 41-46, S. 48-54, S. 113-119, hier S. 54. 25 O.P. Neumann, Freimaurerei und Krieg, in: Nord und Süd, Okt. 1915, S. 81-83, hier S. 83. 26 J . Haarhaus, Die Fortwirkung der geistigen Kräfte, in: R., Jg. 42, 1915, S. 13-18. 27 O. Jänisch, Die geistige Aufrechnung des Krieges, in: HL, Jg. 48, 1914-1915, S. 203-210, hier S. 203f.

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anderer sehe. Dagegen sei in Deutschland die moralische Verknüpfung von Individuum, Nation und Menschheit im Krieg neu geschaffen worden. Wie oft hätte man vor 1914 gehört: »Mit den Grundsätzen der Moral kommt man nicht voran; zuerst kommt das eigene Ich. Heute hat unser Volk seine alten sittlichen Anschauungen wiedergefunden und begriffen, dass es der Menschheit eine sittliche Kultur zu bringen hat. Das aber bedeutet nichts anderes, als die Erneuerung des Glaubens an das Menschentum, zunächst in der Begrenzung des Glaubens an das eigene Volk.«28 »Nation« und »Menscheit« treten im Verlauf des Krieges begrifflich immer weiter auseinander, ebenso »Kultur« und »Zivilisation«. Auch der Fortschritts- und Entwicklungsglaube, der so typisch für die Logen vor 1914 war, wurde in Zweifel gezogen oder nur auf die moralische Höherentwicklung des deutschen Volkes begrenzt. 29 Das menschheitliche Selbstverständnis der deutschen Logen insgesamt stand zur Disposition, zumal mit der sich abzeichnenden Niederlage und dem moralischen Verdikt der Siegermächte. Davon zeugen insbesondere die zahlreichen Logenreden des Jahres 1917, in dem die europäische Freimaurerei ihr zweihundertjähriges Bestehen feierte. In einem Traumbild beschrieb ein Bruder der Apollo-Loge in diesem Jahr seine Selbstzweifel: »Es wankt der Grund, auf dem die Säulen stehen, die hoher Brudersinn zum Tempelbau ersann. Frostschaurig-eisigharte Stürme wehen und schlagen Blütenpracht und zarte Frucht in Bann Der Traum, den unsere Besten träumten, stirbt unter Lorbeer und Zypressen. Es sollte einstmals eine Herde werden die ganze Menschheit auf dem Erdenball, und gegen Krieg und gegen Kriegbeschwerden sollt' ew'ger Friede sein der Seneschall. Millionen frischer Hügel klagen die Menschheit an nach kampfdurchtobten Tagen. [...] Wie eine Kette sollt' umspannen das ganze Erdenreich einst unser Bund; doch Sehnsuchtstraum und Sehnsuchtsbild zerrannen, und Schiff und Woge schlang des Strudels Schlund.«30

Fast schon verzweifelt heißt es bei einem anderen Leipziger Freimaurer, dem Kulturhistoriker Ernst Schultze, im gleichen Jahr: »Der Menschheitsgedanke ist unvertilgbar, - nur eine Nation könnte auf ihn verzichten, die sich selbst zur Barbarei zu verdammen bereit ist. Wie könnten vollends die Deutschen, das 28 Ebd., S. 208. 29 Vgl. z.B. J. Schmarje, Dürfen wir noch an die fortschreitende sittliche Entwicklung der Menschheit glauben?, in: Z C , Jg. 55, 1915, S. 545-553. 30 R. Bachmann, Traum, in: FZ, Jg. 71,1917, S. 1.

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Volk der Dichter u n d Denker, die wir unseren Stolz seit m e h r als hundert Jahren in die geistige Beherrschung der Dinge setzen, vergessen, daß sich die Wurzeln unseres Geistes auch in fremdes Erdreich hinabsenken?« Gleichwohl schienen die hochfliegenden politisch-moralischen Zielen der ersten Kriegsjahre n u n in einem anderen Licht. »Von der sittlichen Erneuerung, die der Krieg mit sich f ü h r e n müßte, ist bei uns und bei unseren Feinden so viel geredet worden, daß diese trügerische H o f f n u n g noch hier und da dem Friedensideal entgegengehalten wird.« Der Krieg aber habe im Gegenteil »eine sittliche Entartung im Gefolge [...], die sich erfahrungsgemäß noch viele Jahre nach Friedensschluß auch in der bürgerlichen Bevölkerung geltend macht«, ein Ausmaß an moralischer Verrohung u n d Brutalisierung, das n u r im Festhalten am menschheitlichen Selbstverständnis der Logen einhegbar sei.31 Die menschheitliche und moralische Begründung des Krieges im N a m e n der deutschen wie auch umgekehrt der französischen Nation und die damit verbundene Verschärfung nationaler Feindschaft führten letztlich dazu, daß j e n e universalistischen Begriffe wie »Humanität« und »Zivilisation« nach dem Weltkrieg in beiden Ländern auf Dauer entwertet schienen. 32 Das galt besonders für Deutschland, w o der Glaube an ein gemeineuropäisches Zivilitätsbewußtsein, an das »Wertesystem des politischen H u m a n i s m u s westlicher Prägung«, nicht n u r durch die »Brutalisierung« der Bürgergesellschaft im Kriegsverlauf, sondern auch durch die Kriegspropaganda der Entente und den Vertrag von Versailles desavouiert wurde. 3 3 Während die westliche Kriegspropaganda - nicht zuletzt auch die Sozialwissenschaften mit ihrer »wissenschaftlichen« Dämonisierung des Feindes 34 - die Deutschen z u n e h m e n d als »Irrläufer der Modernisierung« und als »enemies of mankind« (Josiah Royce) stilisierte, setzte sich in Deutschland die M e i n u n g durch, die Deutschen unterschieden sich tatsächlich grundlegend von den Demokratien des Westens, ihnen seien Begriffe wie »Menschheit« oder »Zivilisation«, die Ideen des Liberalismus und Universalismus fremd, sie seien schon immer einem n u r partikularen »völkischen« Selbstentwurf gefolgt. In dieser ideologischen Verarbeitung des Weltkriegs, die an die nationalen Stereotypen des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 anknüpfen konnte, hat die Antithese von »Kultur« u n d »Zivilisati-

31 E. Schultze, M e n s c h h e i t s g e d a n k e - t r o t z Weltkrieg!, in: U T J g . 2,1917, S. 481-491, S. 490, S. 487; gegen S t i m m e n auch in der Freimaurerei z.B. von J. Bode, Die deutsche Freimaurerei u n d der vaterländische Gedanke, in: U T , Jg. 2,1917, S. 4 7 3 ^ 8 0 , S. 480: »Die M e n s c h h e i t lieben - d i e M e n s c h e n lieben - das ist eine unsinnige Forderung«. 32 Z u m V e r s c h w i n d e n der »Zivilisation« als Kristallisationspunkt nationaler Identität in Frankreich als Folge der Ethnisierung des Feindes im Weltkrieg, vgl. J e i s m a n n , Vaterland, S. 3 3 9 373. Wie der traditionelle Glauben an Frankreich als das »Vaterland der Menschheit« v o n f r a n z ö sischen Intellektuellen später auf die S o w j e t u n i o n übertragen w u r d e , zeigtJudt. 33 Plessner, N a t i o n , S. 40. Z u r z u n e h m e n d e n Akzeptanz von Gewalt in der deutschen Gesellschaft seit d e m Weltkrieg: Weisbrod\ Bessel; für Breslau: van Rahden, J u d e n , S. 333-336. 34 Vgl.Jons; ähnlich schon: Geyer.

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on« ihren Ursprung und gewann die These vom deutschen Sonderweg neue Überzeugungskraft. Sie wurden von Siegern wie Besiegten unter umgekehrten Vorzeichen zur politischen Legitimation des Krieges und seiner Ergebnisse bemüht. Die deutschen Freimaurerlogen gerieten so in eine paradoxe Situation. Während sich die Freimaurer im Laufe des Weltkriegs von ihrem menschheitlichen Selbstverständnis lösten, wurden sie in der deutschen Öffentlichkeit zum Symbol dieses Selbstverständnisses und scharf angegriffen als geheimer Brückenkopf des Feindes im eigenen Land.35 Der übernationale Anspruch der Logen wurde gegen sie gewendet, der Mythos einer internationalen freimaurerischen Konspiration zur Erklärung der militärischen Niederlagen beschworen. Vor allem seit dem Kriegseintritt Italiens 1915 rückte die Freimaurerei in das Interesse der deutschen Öffentlichkeit. 36 Die italienischen Logen, die eine Trennung von Freimaurerei und Politik schon vor 1914 für unzeitgemäß hielten, drängten seit August 1914 mit nationalem Pathos in der italienischen Öffentlichkeit auf eine Beteiligung am Krieg gegen Deutschland und Österreich-Ungarn. Zuerst wurde der Weltkrieg nur den Logen der gegen das Deutsche Reich kriegführenden Nationen angelastet, während die deutsche Freimaurerei ausgenommen blieb.37 Das änderte sich im Verlauf des Krieges, als der Mythos der jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung, an der auch deutsche Freimaurer beteiligt seien, nicht nur im katholischen und völkischen Milieu an Popularität gewann.38 Eine kaum zu überschätzende Bedeutung besaß hierfür der ältere katholische Antisemitismus mit seiner Fixierung auf die Logen. Wie schon 1848/49 oder im Kulturkampf wurden die Freimaurer und Juden als verdeckte Agenten der zivilen Gesellschaft angesehen, die Staat und Kirche abschaffen wollten, um ihre Weltherrschaft zu errichten. Ein Aufsatz in den »Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland« lenkte im Jahr 1915 die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Freimaurerei und verdächtigte sie, zusammen mit dem Judentum und dem internationalen Finanzkapital die Niederlage des Deutschen Reiches herbeizuführen. »Die Loge ist die eigentliche und tiefste Ursache des entsetzlichen Blutbads«, heißt es dort, »sie ist die Anstifterin des furchtbarsten Weltbrands, den die Menschheit je gesehen. Die Loge hat den Völkerkrieg entfacht, weil sie

35 Diese Konstellation verschärfte sich in der Weimarer Republik, als viele Freimaurer in das bürgerliche konservativ-völkische Lager übergingen u n d zugleich die Freimaurerei f ü r dieses Lager, d a n n aber vor allem f ü r die Nationalsozialisten z u m negativen Symbol von Liberalismus u n d J u d e n t u m wird. Vgl. Melzer, Neuberger; Fenner u. Schmitt-Sasse. 36 Vgl. die hervorragende Q u e l l e n s a m m l u n g : Schwabe, Freimaurerei. 37 O . Hesse, Die Freimaurerei u n d der Weltkrieg, in: Die G r e n z b o t e n , 1915, H . 37, S. 3 3 4 341; H . 38, S. 359-367; M . Rennert, Die Freimaurer in Italien, in: Kriegshefte der Süddeutschen Monatshefte, J u n i 1915, S. 459-470; Jünger, allg. die Belege bei Schwabe, Freimaurerei. 38 Vgl. Melzer; v. Bieberstein·, Neuberger; Pfahl-Traughber.

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die Stunde für gekommen hielt, ihr Doppelspiel zu verwirklichen und das neue, von Thronen und Altären befreite Zeitalter heraufzuführen.« 39 Konservative und antisemitische Blätter haben solche Mythen weiter popularisiert. 40 Die Niederlage von 1918 und der Zusammenbruch der alten politischen Ordnung machten sie für verschiedenste politische Kreise glaubwürdig. Wilhelm 11. kolportierte nach dem Krieg in seinen Memoiren, eine »internationale Großorientloge« habe den Weltkrieg vom Zaun gebrochen, um die Monarchien der Hohenzollern und Habsburger zu vernichten. 41 Hatte in den neunziger Jahren der bekannte konservative Publizist Dietrich von Oertzen noch die j ü disch-freimaurerischen Weltverschwörungs-Phantasmen der Katholiken belächelt, gaben die Logen in den politischen Debatten nun immer häufiger auch außerhalb des katholischen Milieus den Hauptfeind ab.42 Aufsehen erregte es zum Beispiel, als Fürst Otto zu Salm-Holstmar am 9. Juli 1918 in einer Rede im Preußischen Herrenhaus diesen Mythos evozierte. Salm-Holstmar sah im Weltkrieg den metaphysischen Kampfeiner westlichen »jüdisch-demokratischen« und einer »deutsch-aristokratischen Weltanschauung«.43 Es liege »in der Natur der jüdischen Rasse, die über die ganze Welt verbreitet ist«, heißt es weiter, »daß ihr - natürlich von Ausnahmen abgesehen der Sinn für Heimat und Vaterland [...] mehr abgeht, und sie dafür mehr Sinn für das Weltbürgertum und das Internationale hat.« Für das »Streben nach Weltherrschaft« hätten die »weitblickenden Juden« in der Freimaurerei, »in der sie heute eine führende Rolle spielen«, ein brauchbares Werkzeug gefunden. »Wie weit die Ziele des internationalen Freimaurerordens mit den Zielen des internationalen Judentums zusammenfallen«, das ließe sich nicht mit Sicherheit

39 Freimaurerei u n d Weltkrieg, in: HPB1, Bd. 156, 1915, S. 65-71, S. 65. 40 Das internationale J u d e n t u m in der Freimaurerei nach maurerischer Quelle, in: HPB1, Bd. 160, 1917, S. 553-556; Die Freimaurer im Weltkriege, in: Auf Vorposten, Bd. 4, 1916/17, Η . 11/ 12, S. 261-271; Bd. 5,1917/18, Η . 1, S. 309-326, H . 2/3, S. 361-366, H . 4/5, S. 392-406. » S e i t d e m grossen U m s t u r z v o n 1789 hat die internationale Freimaurerei u n t e r der falschen Flagge Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit die Demokratisierung der Welt angestrebt, u m die M e n s c h h e i t u n t e r das J o c h der kapitalistischen W i r t s c h a f t s o r d n u n g zu zwängen. Hierbei hat sie kräftige U n t e r s t ü t z u n g bei d e m liberalen J u d e n t u m e , das in der Alliance Israelite Universelle u n d i m J u d e n o r d e n Bnei Briß wirkt, u n d in d e n sozialdemokratischen Parteien.« Ebd., S. 365. Als sich der G r o ß a d m i ral v o n Tirpitz i m Februar 1918 gegenüber d e m Centraiverein deutscher Bürger j ü d i s c h e n Glaubens bedauernd ü b e r den Antisemitismus in der Vaterlandspartei aussprach, galt allein seine Logenmitgliedschaft, o h n e daß T i r p i t z als F r e i m a u r e r hervorgetreten wäre, als Beleg f ü r »jüdisch-freimaurerische Neigungen«, die in der Vaterlandspartei nichts zu suchen hätten. Tirpitz u n d die J u d e n , in: Auf Vorposten, Bd. 5, 1917/18, S. 589-592. 41 Wilhelm II., Ereignisse u n d Gestalten aus d e n J a h r e n 1878-1918, Leipzig 1922, S. 219f. 42 Vgl. z.B. Brauweiler, Brüder; ders., Die Freimaurerei u n d der Weltkrieg, in: H o c h l a n d , Jg. 13, 1916, S. 513-533; ders.Freimaurerei; Gruber; Heise. 43 Fürst zu S a l m - H o r s t m a r , Rede auf der 34. Sitzung, 9.7.1918, in: Stenographische Berichte über die V e r h a n d l u n g e n des Preußischen H e r r e n h a u s e s in der Session 1916/18, Berlin 1918, S. 1042-1045, hier S. 1042.

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feststellen. Gewiß sei aber, daß die »jüdisch-freimaurerische Internationale« eine universale »Herrschaft des Großkapitals« und der Demokratie unter angloamerikanischem Diktat anstrebe.44 Daß der Oberbürgermeister von Mühlhausen und Meister vom Stuhl der dortigen Loge, Hermann Adolf Trenckmann, dem Fürsten empört entgegnete, seine Ausführungen seien haltlos und ähnelten denen in »Jesuiten-Blättern«, zumal es eine scharfe Trennung von deutscher und romanischer Freimaurerei gebe,45 half ebensowenig wie der Hinweis der Zeitschrift des »Centraivereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens«, etwa zwei Drittel der deutschen Freimaurerlogen nähmen überhaupt keine Juden mehr auf 4 6 Das völkische Lager hatte Juden und Freimaurer als politische Sündenböcke des Weltkrieges »entdeckt«. Waren die Freimaurerlogen nicht mit dem Anspruch einer »moralischen Internationale« aufgetreten? Hatte sich das menschheitliche Selbstverständnis der Logen im Krieg nicht als Irrlehre erwiesen? »Von dem Kindheitswahne der allgemeinen Menschheits-Verbrüderung< sollten uns doch die Erlebnisse des Weltkriegs gründlich kuriert haben!«, meinte der Antisemit Theodor Fritsch, die Schuldzuweisungen Salm-Holstmars gegen die Logen unterstützend. »Die Anderen wollen sich ja nicht mit uns verbrüdern; sie nennen uns einen Auswurf der Menschheit und trachten uns zu vernichten - auszurotten. Sollen wir ihnen nun immer noch nachlaufen? Die Andern denken nur an sich und haben ihre nationale Selbstsucht heilig gesprochen (sacro egoismo). Lernen wir daraus!«47 Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Osterreich-Ungarn und im konservativ-nationalistischen Milieu Rußlands oder Frankreichs kursierten j ü disch-freimaurerische Verschwörungsmythen. Es gab kaum eine andere Zeit, die mehr an die Machinationen geheimer Mächte geglaubt hat. Der österreichische Nationalratsabgeordnete Friedrich Wichtl landete 1919 einen Bestseller mit seinem Buch über die »Weltmaurerei, Weltrevolution, Weltrepublik«, das zum Muster fast aller antifreimaurerischen Pamphlete der zwanziger und dreißiger Jahre wurde. 48 Jüdisch-freimaurerische Verschwörungsmythen fanden weitere Verbreitung durch intellektuelle Desperados wie Gregor Schwartz-Bostunitsch, einen russischen Emigranten. Schwartz-Bostunitsch popularisierte als Vortragsreisender seine politisch-pornographischen Zwangs-

44 Ebd., S. 1044. 45 Ebd., S. 1061. Vgl. auch: Deutsch-aristokratische undjüdisch-demokratischeWeltanschauung, in: AufVorposten, Bd. 6,1918/19, S. 46-52; Die Meute, in: ebd., S. 53-67; ferner: S. Kekule v. Stradonitz, Die Frmrei im Preuss. Herrenhause, in: Der Herold, Jg. 29, 1918, S. 91-94. 46 P. Mockiles, Juden und Freimaurer, in: Im deutschen Reich. Zeitschrift des Centraivereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, Jg. 24, 1918, S. 464-466. 47 [T. Fritsch], Freimaurerei und Judentum, in: Der Hammer, Jg. 17, 1918, S. 327-329, hier S. 329. 48 Wichtl; vgl. hierzu Neuberger, S. 40ff.

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Vorstellungen in Deutschland, die er in der russischen Revolutions- und Bürgerkriegszeit gewonnen hatte.49 Aus Rußland kamen auch die »Protokolle der Weisen von Zion«. Ludwig Müller von Hausen, der die erste Übersetzung der »Protokolle« ins Deutsche anfertigte, reicherte sie mit antifreimaurerischen Wahnvorstellungen an.50 Der Deutsch-Balte Alfred Rosenberg lernte die »Protokolle« wahrscheinlich vor seiner Emigration aus Rußland im Jahr 1918 dort schon kennen. Auch er übersetzte die »Protokolle« sowie einen anderen »Klassiker« des jüdisch-freimaurerischen Verschwörungsmythos, den der Franzose Gougenot de Mousseaux verfaßt hatte.51 In seiner Monatsschrift »Der Weltkampf« beschwor Rosenberg die jüdisch-freimaurerische Gefahr, die er insbesondere in der Person des Außenministers und Freimaurers Gustav Stresemann symbolisiert sah. Rosenberg vor allem war es, der dafür sorgte, daß die Gegnerschaft zur Freimaurerei in zeitlich wechselndem Ausmaß fester Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie blieb. Ubertroffen wurde Rosenberg in seinen Haßtiraden gegen die Logen allein von Erich Ludendorff »Das Geheimnis der Freimaurerei ist überall der Jude«, heißt es 1927 in dem populärsten Pamphlet des Generals über die »Vernichtung der Freimaurerei durch Enthüllung ihrer Geheimnisse«.52 Die Freimaurer seien »künstliche« Juden, das Streben nach einem »Menschheitsbund«, nach »Humanität« und »menschlicher Glückseligkeit« sei gleichbedeutend mit der »Verjudung« der Völker und der Errichtung einer jüdischen Weltherrschaft. Die Konstruktion des »Bourgeois« verbindet sich seit dem Ersten Weltkrieg mit antisemitischen Stereotypen und verdichtet sich in einem grotesk verzerrten Bild der Freimaurerei. Carl Schmitt wußte, wovon er sprach, als er behauptete: »dieses Bild vom Bourgeois ist ebenso wichtig wie die Geschichte der Bourgeoisie selbst«.53 »Bürgerlich«, »kosmopolitisch« und »jüdisch« wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Synonymen, die sich wie in einem Brennglas im Stereotyp »Freimaurer« bündelten - und zwar über die extremen ideologischen Lager hinweg. »Ein gemeinsamer Gegner kann«, so Schmitt, »eine merkwürdige Ubereinstimmung bewirken; so trifft die Bekämpfung der Freimaurerei durch den Fascismus zusammen mit dem Haß von Bolschewisten gegen die Freimaurerei, die als der >perfideste Betrug der Arbeiterklasse

49 Vgl. Schwartz-Bostunitsch\ sowie zur Biographie Ganelin u. Hagemeister. 50 Beek. Vgl. hierzu Cohn·, Sammons. 51 Rosenberg, Protokolle; Gougenot de Mousseaux-, außerdem: Rosenberg, Verbrechen. Vgl. hierzu detailliert: Neuberger, Kap. III; Reinalter, Rosenberg. 52 Ludendotff, Vernichtung. Vgl. auch das antifreimaurerische P a m p h l e t seiner Ehefrau, M a t hilde Ludendotff, Frevel. 53 Schmitt, Parlamentarismus, S. 87. Bekanntlich hat Schmitt selbst an diesen Mythologien gestrickt; vgl. seine jüdisch-freimaurerischen U n t e r w a n d e r u n g s ä n g s t e in ders., Leviathan, S. 92ff.; hierzu auch Gross, Carl Schmitt. 54 Schmitt, Parlamentarismus, S. 88. Trotzki schrieb 1923 in der »Iswestja« ü b e r die F r e i m a u -

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durch eine radikalisierte Bourgeoisie* [so Trotzki auf dem 4. Weltkongreß der dritten Internationale, 1922] bezeichnet wird.«54 In der Nachkriegszeit hatten die Logen aber nicht nur bei Konserativen und Antisemiten, später bei Nationalsozialisten und Kommunisten, sondern auch bei Linksliberalen, dem Zentrum und den Sozialdemokraten, mithin den Parteien der Republik, eine schlechte Presse. Für alle politischen Lager repräsentierten die Logen nun die als verlogen wahrgenommene Bürgerlichkeit der Zeit vor 1914. »Aus dem Zentrum stagnierender Bürgerlichkeit steigt auch heute noch das deutsche Freimaurertum hervor«, heißt es in einem Artikel in der linksliberalen »Hilfe« von Arno Voigt, der heftige Reaktionen der Logenbrüder auslöste.55 Die Freimaurerei sei zwar »ganz gewiß eine harmlose Sache und keine Bauchaufschlitzgesellschaft, wie der beschränkte Dr. Wichtl kolportiert«; die soziale Exklusivität der Logen und ihre überzogenen moralischen Ansprüche wurden dennoch scharf kritisiert. Sie zeugten von einer »Seelenverfettung« des deutschen Bürgertums, von einem »sehnsüchtigen Hängen an den alten Formen unter denen sich ihre bürgerliche Solidität gestaltet hat«. Die Menschheitsmoral der Logen sei unglaubwürdig, »das Kommerzielle mit seinen Domänen ist der Boden, aus dem der Freimaurer in das Ethos wächst«. Allein, »man wird nun einmal noch nicht Ethiker, wenn man seinen Utilitarismus für einige Stunden in der Garderobe abgibt.«56 Der Haß auf das Bürgertum, der Vorwurf seiner »geistigen Verräterei« (Walther Rathenau) vor 1914, gehörte zur Signatur der Zwischenkriegszeit. 57 N u r dem Anschein nach kam er von außen. Die Antibürgerlichkeit war oft eine rerei: »Sie ist die kapitalistische Feindin des Kommunismus; sie ist so rückständig wie die Kirche, der Katholizismus. Sie stumpft die Schärfe des Klassenkampfes durch Mystizismus, Sentimentalität und moralischen Formelkram ab. Mit glühendem Eisen müßte sie mit ihrer Gefolgschaft ausgerottet werden, denn sie schwächt die Lehren des Kommunismus durch ihre bürgerlichen Journalisten [...] Besser eine kommunistische Gemeinschaft von nur 50.000 tatkräftigen Männern ohne einen Freimaurer, als Hunderttausende, unter den sich ein Freimaurer befindet.« Zit. n. Lennhoff u. Posner, S. 204f. Angesichts der Kampagnen in der Sowjetunion vor Stalins Tod gegen »Zionismus« und »Kosmopolitismus« ist zu vermuten, daß die Freimaurerakten - die von der SS aus ganz Europa zusammengetragen worden waren - wiederum als Beweismittel für Verschwörungstheorien dienen sollten. An die Stelle des weltumspannenden »Rassenkampfes« rückte die ideefixe eines Endkampfes zwischen sowjetischer, nationaler Arbeiterklasse und jüdisch-freimaurerischer Weltbourgeoisie. So wurden etwa im Prager Schauprozeß gegen Rudolf Slänsky - der als angeblicher Führer einer internationalen zionistischen Verschwörung 1952 hingerichtet wurde dem zu Verurteilenden die bekannte Verkettung von Stereotypen in den Mund gelegt: das Verschwörungszentrum zum Sturz der neuen Ordnung sei »bürgerlich«, »kosmopolitisch«, »jüdisch« unterwandert; es handle sich, mit einem Wort, um »Freimaurer«. Prozesse gegen die Leitung des staatsfeindlichen Verschwörerzentrums mit Rudolf Slänsky an der Spitze, Prag 1953, S. 85f. 55 A. Voigt, Freimaurer, in: Die Hilfe, 1922, Nr. 16, S. 254-256, hier S. 254; sowie die Replik v. E. Kronenberg u. E. HornefFer, in: ebd., Nr. 17, S. 264-266. 56 Ebd., 255. 57 W. Rathenau, Der Kaiser, Berlin 1919, S. 11. 58 Füret, Illusion, S. 7-51, hier S. 29; Breuer, Anatomie, S. 25; ders., Nationalismus.

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Sache der Bürger selbst.58 Wie schon im 19. Jahrhundert fand dieser Haß in den Logen ein schlüssiges Symbol. Kaum eine andere bürgerliche Institution repräsentierte sichtbarer die Lücke, die zwischen den hochfliegenden moralischen Ansprüchen der Bürgerlichkeit und ihrer sozialen Exklusivität klaffte, dem Wunsch, gleich zu sein, und dem Streben sich abzuheben. In zwei erfolgreichen Romanen der Zwischenkriegszeit, Heinrich Manns »Untertan« und Thomas Manns »Zauberberg«, werden nicht zufällig die Logen prominent piaziert, wobei die beiden Brüder, ihren politischen Neigungen folgend, ein sehr unterschiedliches Bild der Freimaurerei vor 1914 zeichnen. 59 Beide Romane traten mit dem Anspruch auf, eine »Seelengeschichte« des Bürgertums vor 1914 zu schreiben: eine »Geschichte der öffentlichen Seele unter Wilhelm II.«, wie der Untertitel des »Untertan« zunächst lautete, und eine Geschichte der beherrschenden Ideen des 19. Jahrhunderts, des Kollektivismus und der »ideologischen Bürgerlichkeit«, die Thomas Mann im Zauberberg mit den Figuren des Jesuiten Naphta und des Freimaurers Settembrini im Ringen um die Seele des jugendlichen Helden Hans Castorp auftreten läßt. Ein Blick auf beide Romane zeigt, wie die Freimaurerei vor und noch verstärkt seit dem Weltkrieg zum Symbol der vermeintlich überlebten Bürgerlichkeit des 19. Jahrhunderts wurde. Schon die räumliche Lage der Freimaurerloge im Städtchen Netzig des »Untertans« ist Programm. Sie befindet sich als bürgerliches Gegengewicht gegenüber dem Regierungsgebäude in der Kaiser-Wilhelm-Straße, wo die Karikatur auf das preußische Junkertum, der Regierungspräsident von Wulckow, herrscht. Gegen das Bündnis der alten Herrschaftseliten mit dem neuen U n tertanentypus, dem Fabrikanten Heßling, vermag sie sich nicht durchzusetzen. Zur Loge gehört das gemäßigt liberale Wirtschafts- und Bildungsbürgertum der Stadt; sie ist mit dem Freisinnigen Wahlverein identisch, dessen Mentor, der alte Buck, die 48er Generation verkörpert. Kurz vor seinem Tod beschwört Buck gegenüber seinem Sohn noch einmal - vergeblich - den liberalen »Geist der Menschheit« gegen den Untertanengeist. 60 Die bürgerlichen »Untertanen« wie Diederich Heßling begegnen der Loge mit offener Feindseligkeit als einer zwar überlebten, aber weiterhin gefährlichen Institution. Sie gehen nicht in die Loge, sondern in den Kriegerverein. »Man wird sich die Herrschaften merken müssen, die den freimaurerischen U n f u g noch mit machen. Seine Majestät mißbilligt ihn entschieden«, meinte der Staatsanwalt Jadassohn in Anspielung auf die Abneigung Wilhelms II. gegen die Logen. »Das Unerhörteste«, fährt Jadassohn fort, »ist doch, daß Herr Landgerichtsrat Fritzsche sich in dieser Judengesellschaft zeigt: ein königlicher Landgerichtsrat Arm in Arm mit dem Wucherer Cohn«. Die Logenbrüder be59 Vgl. Nunes. 60 Mann, Untertan, S. 348.

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kämen vor Gericht immer recht, ergänzte Diederich Heßling: »Sie halten zusammen und schmieden Ränke«. Der Pastor, der offensichtlich die Schauergeschichten Taxils gelesen hatte, »murmelte sogar etwas von Orgien, die sie in dem Haus dort feiern sollten und bei denen schon unausprechliche Dinge vorgekommen waren. Aber Jadassohn lächelte bedeutsam: >Nun, glücklicherweise sieht ihnen Herr von Wulckow gerade in die Fenster hineinDa lacht einem doch das Herz, wenn man das Gewehr so eines braven Burschen blinken sieht,< rief Diederich aus. >Damit halten wir die Bande im SchachpazifistischetugendhafteMitte< war immer und bleibt der Träger deutscher Geistigkeit, Menschlichkeit und Anti-Politik« - anders haben die Logenredner im Weltkrieg auch nicht argumentiert. 65 D e n n o c h w u r d e die Freimaurerei auch für T h o m a s M a n n z u m Symbol von Aufklärung, politischer Bürgerlichkeit und moralischer Heuchelei. Im Zauberberg läßt er H a n s Castorp eine Bildungsgeschichte durchlaufen, während der ihn der Freimaurer Settembrini und der Jesuit Naphta begleiten. In den ironischen Worten Naphtas über seinen Gegenspieler Settembrini fällt Thomas M a n n ein scharfes politisches Urteil über die Logen. Bei der Freimaurerei handle es sich, gab Naphta Castorp zu verstehen, »um etwas recht Altmodisches und Rückständiges: u m bürgerliche Aufklärung«. Die Freimaurerei sei im Laufe des 19. Jahrhunderts vom Mystizismus gereinigt worden. »Sie ist aus solchen Verirrungen z u m N u t z e n , zur Vernunft und z u m Fortschritt, z u m Kampf gegen Fürsten und Pfaffen, kurzum zu gesellschaftlicher Beglückung zurückgekehrt; man unterhält sich dort jetzt wieder über Natur, Tugend, Mäßigung und Vaterland. Ich n e h m e an: auch über das Geschäft. Mit einem Wort, es ist die bourgeoise Misere in Klubgestalt.« Genußvoll weist Naphta seinen jugendlichen Freund auf den offensichtlichen Widerspruch zwischen dem moralischen Anspruch der Logen und ihrer sozialen Exklusivität hin. Es sei Settembrini nicht leicht gewesen, »zum Bauplatz des Menschheitstempels zugelassen zu werden, denn er ist ja arm wie eine Kirchenmaus, und dort wird nicht nur höhere Bildung, humanistische Bildung, ich bitte sehr, verlangt, sondern man m u ß auch der bemittelten Klasse angehören, u m die nicht geringen Aufnahmegebühren u n d Jahresbeiträge erschwingen zu können. Bildung und Besitz, - da haben Sie den Bourgeois! Da haben Sie die Grundfesten der liberalen Weltrepublik!« 66 Ungeachtet aller Ironie warnt Naphta haßerfüllt vor der »politischen Ideologie der Bürgerlichkeit«, der »Satansherrschaft des Geschäfts« und der »hochnäsigen Vernunftmoraliste-

65 Ebd., S. 23. »Deutschtum« und »Bürgerlichkeit« waren für Thomas Mann identische Begriffe. »Bürgerlichkeit größten Stils, Weltbürgerlichkeit, Weltmitte, Weltgewissen, Weltbesonnenheit, welche sich nicht hinreißen läßt und die Idee der Humanität, der Menschlichkeit des Menschen und seiner Bildung nach rechts und links gegen alle Extremismen kritisch behauptet«. Mann, Lübeck, S. 397. Vgl. auch allg. Tenfelde, Stadt, S. 326. 66 Mann, Zauberberg, S. 699f. Vgl. auch R.H. Grützmacher, Thomas Mann und das Freimaurertum, in: Geisteskultur J g . 36,1927, S. 360-365; F. Ballin, Thomas Mann und die Freimaurerei, in: Eklektisches Bundesblatt, Jg. 6,1930, Nr. 7-8, S. 238-242, sowie die Antwort von T . Mann an F. Ballin, ebd., S. 242. Vgl. ferner Nunes.

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rei« der Freimaurer. U m ihre tugendhaften Ziele zu erreichen, schreckten sie auch vor dem letzten Mittel, der Gewalt gegen die »Feinde der Menschheit« nicht zurück, die »pädagogische Schutzmannschaft der Zivilisation« sei dann so weit, »daß sie blank zieht«.67 Allein, »das heroische Lebensalter ihrer Ideale ist längst vorüber, diese Ideale sind tot, sie liegen heute zum mindesten in den letzten Zügen, und die Füße derer, die ihnen den Garaus machen werden, stehen schon vor der Tür.« Und weiter, das eigene politische Credo verkündend: »Nicht Befreiung und Entfaltung des Ich sind das Geheimnis und das Gebot der Zeit. Was sie braucht, wonach sie verlangt, was sie schaffen wird, das ist der Terror.«68 Zwischen diesen beiden Extremen, der Tugendideologie Settembrinis und dem Kollektiv-Terror Naphtas sucht Castorp als alter ego Thomas Manns vergeblich einen Mittelweg. Beide Leitideen des 19. Jahrhunderts, die bürgerlichaufgeklärte Humanität des Liberalismus und der theokratische, dogmengläubige Konservativismus, die er in der Gegenüberstellung des Freimaurers und des Jesuiten symbolisch verdichtete, waren an dessen Ende in eine tiefe Krise geraten, »die beiden den Rekurs auf totalitäre Ansprüche, terroristische Methoden nahelegt und sie in die technische Massenvernichtung treibt«.69 Zuletzt zieht Castorp in den Weltkrieg, jenes »Weltfest des Todes«, wie auch Settembrini, der »humanitär, aber zugleich und eben damit, halb ausgesprochen« kriegerisch war.70 Hatte Thomas Mann in seinen politischen Schriften im Weltkrieg eine Neigung für die Position Naphtas zu erkennen gegeben und sich dann in den zwanziger Jahren öffentlich zunehmend jenem »Vernunft-Republikanismus« angenähert, den Settembrini im »Zauberberg« repräsentiert, erkannte er sich doch am ehesten in Hans Castorp wieder, der einen Weg jenseits der Politik sucht. Kein Zweifel, diese Sehnsucht besaß auch die Mehrheit der Logenbrüder nach 1918, selbst wenn ein Teil von ihnen politisch die Anschauungen Naphtas teilte und ein anderer, kleinerer Teil jene Settembrinis. Es wäre freilich verfehlt, die Kritik an der Bürgerlichkeit vor 1914, die Heinrich und Thomas Mann in ihren Romanen formulierten, beim Wort zu nehmen. Die Logen waren vor 1914 keinesfalls überlebte Institutionen einer vergangenen Bürgerlichkeit, die 1848 ihren Höhepunkt überschritten hatte, wie Heinrich Mann suggerierte. Der Vorwurf des Unpolitischen, der selbstgenügsamen Bürgerlichkeit der Logen reicht bis in das frühe 19. Jahrhundert zurück. Wie die Logen auch im gesamten Jahrhundert unter umgekehrten politischen Vorzeichen als geheime »gesellige Macht« des Liberalismus, als »bourgeoise Misere in Klubgestalt« und »Schutzmannschaft« der Tugend und Zivilisierung

67 68 69 70

Mann, Zauberberg, S. 546, S. 955. Ebd., S. 547. Peukert, Alltag, S. 61. Vgl. auch ders., Diagnose. Mann, Zauberberg, S. 981, S. 973.

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nicht nur bei Thomas Manns perhorresziert wurden. Behauptete Heinrich Mann am Beispiel der Logen ein Zuwenig an politischer Bürgerlichkeit vor 1914, kehrte der Bruder diese These um und überzeichnete im Freimaurer Settembrini satirisch die Gefahren einer Engführung von Politik und Bürgerlichkeit. Beide Sichtweisen erlebten im Weltkrieg eine extreme Zuspitzung, die das Bild der Logen wie der Bürgerlichkeit des 19. Jahrhunderts insgesamt in der deutschen Öffentlichkeit langfristig verzerrt hat. Das heißt nicht, die beiden Romane hätten die symptomatische Bedeutung der Freimaurerei überschätzt. Im Gegenteil, die politische Zweischneidigkeit der Bürgerlichkeit tritt gerade am Beispiel der Logen offen zutage. Der universale, menschheitliche Anspruch, mit dem die Freimaurerei seit dem 18. Jahrhundert auftrat, war von Anbeginn an verbunden mit einer elitären, auf Distinktion zielenden sozialen Praxis. Diese konnte im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Verschärfung j e n e r Trennungen der Gesellschaft beitragen, die sie dem Selbstverständnis nach überwinden wollte. Das Geheimnis der Logen, das durch die Gesellschaft eine neue, unsichtbare Trennmauer zog, die nach innen egalitär, nach außen elitär wirkte, konnte wie eine ungewollte Parodie auf diese Ansprüche wirken. Der Traum von der künftigen Uberwindung aller gesellschaftlichen Trennmauern durch die Bildung des Selbst, der »klassenlosen Bürgergesellschaft« und schließlich einer »Verbrüderung der Menschheit« hat konkurrierenden politischen Utopien darin nicht unähnlich - in der Konfrontation mit den wachsenden Differenzierungen der modernen Gesellschaft den Blick auf die eigenen Grenzen verstellt, die immer neu und anders gezogen wurden. Der Universalismus, der sich an Begriffe wie »Mensch«, »Bürger« oder »Weltbürger« knüpfte, war immer spezifisch sozial oder konfessionell, politisch oder geschlechtlich gebrochen. J e allgemeiner Bürgerlichkeit als moralische Ordnung formuliert wurde, desto schärfer traten im Laufe des Jahrhunderts die Grenzen dieses Modells hervor. J e stärker bürgerliche Werte und Praktiken in die deutsche Gesellschaft diffundierten, desto mehr wurde dieses politischmoralische Modell angegriffen und in Frage gestellt. Diese Kritik an den Grenzen der Bürgerlichkeit heftete sich schon frühzeitig an die »Tugendideologie« der Freimaurerei - in Deutschland nicht anders als in Frankreich. Daß die Kritik von Gegnern der aufgeklärt-liberalen Bürgerlichkeit - und seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch von Gegnern der Bürgergesellschaft in der Freimaurerei ein schlüssiges Symbol fand, zeigt aber umgekehrt auch an, wie eng die Logen mit beidem verflochten waren. Das, was Tocqueville die »Kunst des Geselligkeit« nannte, die Wechselwirkung der Bürger zur Bildung ihrer Tugend in künstlichen sozialen Räumen und mit spezifischen kulturellen Praktiken, hat die deutsche wie die französische, italienische oder amerikanische Bürgergesellschaft im 19. Jahrhundert mit hervorgebracht und das politische Gemeinwesen gestaltet. In allen diesen Ländern erlebten bürgerliche Assoziationen wie die Freimaurerlogen in den sechziger und siebziger Jahren, und

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dann noch einmal um die Jahrhundertwende einen Aufschwung. Es ist keine Übertreibung, wenn Bluntschli 1858 meinte, nur die Staaten der »civilisirten Welt« ließen die Freimaurerlogen zu ihrem Nutzen gewähren. 71 Das Verbot der Logen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - zuerst 1918 in Rußland, dann 1925 in Italien, zehn Jahre später in Deutschland, schließlich nach 1940 im Vichy-Frankreich - spricht eine eindeutige Sprache.72 »In Wahrheit gibt es keine politische >Gesellschaft< oder >AssoziationGemeinschaft«< - mit dieser Formel hat Carl Schmitt in seinem »Begriff des Politischen« die Absage totaler Herrschaft im Namen der Rasse oder unter umgekehrten politischen Vorzeichen, der Klasse, an die »Politik der Geselligkeit« formuliert. 73 Den Kern dieses Selbstverständnisses, jene »Mottenkiste klassizistisch-bourgeoiser Tugendideologie«, wie Thomas Mann Naphta über die Freimaurerei abschätzig sagen läßt, bildete der Entwurf sozialer und moralischer Ordnung vom Individuum her.74 Es war die aufgeklärt-liberale Utopie einer Bildung des Selbst zur Tugend in der Geselligkeit, welche die moralischen Grundlagen für die bürgerliche Gesellschaft, die Nation, ja, die Menschheit schaffen sollte. Die Vision der »Zivilisierung« des Selbst bedurfte eines sozialen Raums in der Bürgergesellschaft, der zwar von ihr getrennt war, aber in sie hineinwirken konnte. Daraus resultierte die neue Bedeutung, die das Geheimnis im Zeitalter der Öffentlichkeit gewann. Es scheint ein Spezifikum der Bürgerlichkeit des 19. Jahrhunderts gewesen zu sein, solche Orte innerhalb der Gesellschaft geschaffen zu haben, eine zweite, außeralltägliche Welt, in der man sich bewegen konnte, um Geselligkeit, freien Austausch und Bildung zu genießen. In diesen sozialen Räumen erfuhren sich die Bürger als Gesellschaft, wurden zivile Werte und Tugenden eingeübt und zur Schau gestellt. In den Logen wandelten sich die Bürger von Besitz und Bildung, die im Alltag den Regeln von Kapital und Markt, Leistung und Konkurrenz folgten, in »bessere Menschen«, lernten sie, »sich selbst zu regieren«. Die Rituale mit ihrem emotionalen Brüderlichkeitskult ermöglichten die Freisetzung von Ängsten, Sehnsüchten und Hoffnungen wie auch ihre »Zivilisierung«, ihre Beherrschung, die vom eigenen Selbst, nicht vom Staat oder der Kirche geleistet werden sollte. Die Suche nach einer neuen »bürgerlichen« Religiosität vollzog sich nicht nur fern von den Kirchen, sondern auch vom Staat, eben im zivilen Raum der Gesellschaften und Vereine, ungeachtet aller Klischees über die Staatsfrömmigkeit des deutschen Bürgertums vor 1914. Die Zivilreligion der Logen, die »Religion der Menschheit«, stand nicht, wie die Freimaurer glaubten, über den Konfessionen, sondern war im Kern prote71 72 73 74

Bluntschli, Freimaurer, S. 755. Vgl. z.B. f ü r Frankreich: Rossignol. Schmitt, Begriff, S. 45. Mann, Zauberberg, S. 692.

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stantisch. Diese grundlegende Ambivalenz im Selbstverständnis der Logen hat sich in den Diskussionen über die Aufnahme von Juden, dem Antikatholizismus der Freimaurer und ihrer Perhorreszierung von seiten der Kirchen, sowohl der katholischen als auch der konservativ-protestantischen, gezeigt. Zugleich hat diese Zivilreligion zumindest partiell auch konfessionelle Grenzen überwölben können, wie das Beispiel der Juden, insbesondere für die sechziger und siebziger Jahre zeigt. Der sakralisierende Brüderlichkeitskult und das zivilreligiöse Credo der Logen können als Gegenentwurf zu einer kirchlich gebundenen Frömmigkeit begriffen werden, die vor allem Frauen angezogen hat. In den Logen vermischte sich mithin eine bürgerliche Tugendreligion mit einer sentimentalen Männlichkeit, die sich gegen einen vermeintlich »femininen«, fortschrittsfeindlichen Katholizismus richtete. Darüber hinaus enthielt ihr zivilreligiöses Credo das Versprechen, Lösungen für die Krise der Bürgergesellschaft insgesamt bereitzuhalten, welche die ethischen Werte und politisch-gesellschaftlichen Reformziele des nationalen und liberalen Bürgertums zu bedrohen schien. Wenn die bürgerliche Gesellschaft im Selbstverständnis der Freimaurer auf der »Zivilität« ihrer Bürger beruhte, kann es kaum überraschen, daß sie die gesellschaftlichen Konflikte am Ausgang des 19. Jahrhunderts als moralische Krise wahrnahmen und ihr wichtigstes Ziel in der Hebung der »Sittlichkeit« sahen, einmal der Logenbrüder selber, aber auch der in ihren Augen unmoralischen »Massen« außerhalb der Logen. Indem die Grundlagen der Gesellschaft auf der Tugend und Bildung ihrer Bürger gebaut wurden, standen diese notwendig nicht auf festem, sondern beweglichem, veränderlichem - und das heißt letztlich auch: krisenhaftem - Grund. Die Sprache der Tugend und Geselligkeit gründete in einer Vision der bürgerlichen Gesellschaft, deren Fragilität nicht nur mit den Friktionen des Macht- und Klassenstaats, sondern auch gemessen an ihren moralischen Ansprüchen immer sichtbarer wurde. Der Glaube an den Fortschritt, an die Macht der Bildung enthielt auch eine »Tyrannei der Tugend«, den Zwang zur permanenten Verbesserung seiner Selbst und der Gesellschaft, der die »Ungebildeten« gleichermaßen erziehen und auf Distanz halten wollte. Die politisch-moralischen Werte der Logen sollten ihre Exklusivität behalten und dennoch regulative Idee für die Gesellschaft überhaupt sein. Der Verlust der politisch-moralischen Führungsrolle des liberalen Bürgertums in der deutschen Gesellschaft am Ende des Jahrhunderts bedeutete keinesfalls einen Niedergang der Bürgergesellschaft, wie die Freimaurer und viele spätere Historiker glaubten. Die zunehmende Partizipation von Sozialdemokraten und Frauen, Juden und Katholiken machte aus der deutschen Gesellschaft erst eine »bürgerliche« im politischen, nicht im sozial-moralischen Sinne. Die soziale wie die politische Fragmentierung und damit die Desintegration der Gesellschaftsvision der »klassenlosen Bürgergesellschaft« war ein Resultat der Demokratisierung, nicht ihr Gegenteil. Tocquevilles These vom Zusam344

menhang von Assoziation und Demokratie, an die heute Putnam und andere anknüpfen wollen, muß folglich historisch relativiert werden. Wie bürgerliche Assoziationen selbst verfaßt waren, welche politisch-moralischen Ansprüche sie formulierten und welche mitunter gegenläufigen Resultate diese Ansprüche zeitigten, muß in Blick genommen werden. 75 Die Nation schien seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Erfüllung dieses Anspruchs einer moralischen Verknüpfung von Individuum, Bürgergesellschaft und Menschheit zu gewährleisten - ein Glaube, den wiederum nicht nur die deutschen Logen teilten. In der Sprache des Nationalen suchten deutsche wie französische Freimaurer ihren Führungsanspruch in der Gesellschaft neu zu legitimieren, gerade auch gegenüber ihren innenpolitischen Gegnern, etwa dem politischen Katholizismus. Die Vision einer Zivilisierung der Menschheit sollte sich in der jeweils eigenen Nation zuerst verwirklichen. Je näher sich die nationalen Gesellschaften seit der Jahrhundertmitte wirtschaftlich und kulturell kamen, desto sichtbarer wurden jedoch die politischen Konflikte innerhalb der »moralischen Internationale« der Freimaurerei. Der Krieg von 1870/71, als sich deutsche und französische Freimaurer wechselseitig einen Verrat am menschheitlichen Selbstverständnis vorwarfen, hat diese gemeineuropäische Zivilisierungsidee nur kurzzeitig erschüttert. Die Logen der europäischen Bürgergesellschaften sahen bis 1914 in ihrer Nation das »Vaterland der Menschheit«. Daran scheiterten auch alle Bemühungen, sich zu einer wirksamen »moralischen Internationale« der Freimaurerei zu vereinen. Die dreistufige Idee einer Bildung des Selbst, damit von Bürgertugend und Patriotismus, schließlich von Weltbürgertum prägte dennoch das Selbstverständnis der deutschen und französischen Freimaurer. Erst im Laufe des Weltkriegs hat dieses Selbstverständnis in den Logen, aber in einem noch viel dramatischeren Maße in der deutschen Gesellschaft seine Legitimität verloren. Dieser Legitimitätsverlust gründete auch in der Ambivalenz des politischmoralischen Anspruchs der Logen. Wer von der eigenen Gesellschaft als »zivile«, der eigenen Nation als »kosmopolitische« redet, sich als Weltbürger sieht, der eine überlegene »Zivilität« schon besitzt, die für alle Menschen Geltung haben muß, sollte diese Ambivalenz nicht aus den Augen verlieren.76

75 Nord, Introduction; ähnlich die Kritik an P u t n a m bei Harrison, Unsociable F r e n c h m e n , S. 52f. 76 D e r Begriff »kosmopolitische Nation« bei Giddens; eine »Weltbürgerpartei«, eine Art übernationaler Honoratiorenverein, m ö c h t e U . Beck gründen. Vgl. ders., Weltbürger; sowie allg. ders., Globalisierung, ders. (Hg.), Weltgesellschaft. Die politischen Visionen der »zweiten Moderne« scheinen sich k a u m v o n d e n e n der ersten, z u m i n d e s t in d e m J a h r h u n d e r t vor 1914, zu unterscheiden.

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Abkürzungsverzeichnis AfS AHR ArS AZJ Bh. CEH DL Fs. FZ GG GGr GStA GWU HL HPB1 HT HuR HZ HZC Jb. JMH LBIYB MS Mitt. MittVdF ML R.

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Anhang

j u i E s a f )

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