Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung [1 ed.] 9783428536290, 9783428136292

Anlass der Untersuchung ist das Pupino-Urteil des EuGH, mit welchem der EuGH das Rechtsinstitut der richtlinienkonformen

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Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung [1 ed.]
 9783428536290, 9783428136292

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Schriften zum Europäischen Recht Band 159

Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung Von Katrin Först

Duncker & Humblot · Berlin

KATRIN FÖRST

Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann

Band 159

Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung Von Katrin Först

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg hat diese Arbeit im Sommersemester 2010 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 29 Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-13629-2 (Print) ISBN 978-3-428-53629-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-83629-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Sommersemester 2010 als Dissertation angenommen. Sie befindet sich im Wesentlichen auf dem Stand November 2009. Die in der Arbeit verwendeten Artikelangaben beziehen sich, soweit nicht anders angegeben, auf die Verträge in der Fassung des Vertrages von Nizza. Die Arbeit wurde von Herrn Prof. Dr. Bernd Grzeszick LL.M. betreut, Herr Prof. Dr. Bernhard W. Wegener hat das Zweitgutachten erstellt und Herr Prof. Dr. Heinrich de Wall hat den Vorsitz der Prüfungskommission übernommen. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Joachim Hruschka, der mich gelehrt hat, zu lesen. Sein rechtsphilosophisches Seminar hat den Grundstein für mein wissenschaftliches Interesse gelegt. Ein herzliches Dankeschön geht auch an Herrn Dr. Jan C. Schuhr, der stets ein offenes Ohr für mich hatte. Den Herausgebern der Schriftenreihe danke ich für die Aufnahme meiner Dissertation in die „Schriften zum Europäischen Recht“. Ohne die vielfältige Unterstützung meiner Freunde und Kollegen wäre die Anfertigung dieser Arbeit nicht möglich gewesen. Besonders hervorzuheben sind Matthias Benedikt und Katharina Schmidt, die mit mir durch alle Hochs und Tiefs einer Promotion gegangen sind, die meine Gedankenspiele mitgespielt und bereitwillig meine Argumentationen hinterfragt haben. Vielen Dank auch an Anton Achatz für die sportlichen Diskussionen. Ein großes Dankeschön geht an meine fleißigen Korrekturleser Jens Weyd und Katharina Michael. Insgesamt möchte ich mich bei all meinen Kollegen am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Völkerrecht für die gute Zusammenarbeit und die gegenseitige Unterstützung vor allem während der „herrenlosen“ Zeit bedanken. In finanzieller Hinsicht hat mir das Promotionsstipendium aus dem Hochschulund Wissenschaftsprogramm Bayern die Arbeit an meiner Dissertation erleichtert. Die Ilse und Dr. Alexander Mayer-Stiftung hat mich mit einem großzügigen Druckkostenzuschuss unterstützt. Meinen Eltern möchte ich für ihr Vertrauen danken und dafür, dass sie während der Promotionsphase nicht allzu viele Fragen gestellt haben. Mein ganz besonderer Dank gilt schließlich meinem Freund Uwe Pöche, auf dessen beständige Unterstützung ich immer vertrauen durfte. Katrin Först

Inhaltsübersicht Einleitung und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

1. Teil Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung im EU-Vertrag

20

A. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Pupino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

B. Herleitung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus dem EU-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

C. Einwände gegen die Herleitung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus dem EU-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

2. Teil Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung – das Meinungsspektrum in der Literatur und der Rechtsprechung A. Bedeutung der Frage nach dem Geltungsgrund und dem Rang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

70

B. Die Rechtsprechung des EuGH zu Geltungsgrund und Rang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 C. Vorrangunabhängige Argumentation im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 D. Annäherung der Säulen aufgrund eines Optimierungsgebots im EU-Vertrag . . . . . . . . . 114 E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . 118 F. Parallelen von EG und EU als Argument für eine richtlinienanaloge Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 G. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Teil Der Geltungsgrund und der Rang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts – eigener Lösungsansatz 163 A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . 163 B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . 225

8

Inhaltsübersicht 4. Teil Inhalt und Umfang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

258

A. Umsetzungsverpflichtete Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 B. Bestimmung des auszulegenden nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 C. Beginn der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 D. Grenzen der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

Inhaltsverzeichnis Einleitung und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

1. Teil Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung im EU-Vertrag

20

A. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Pupino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

I. Sachverhalt und Vorlagefrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

II. Herleitung der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung in der Rechtssache Pupino durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

1. Zwingender Charakter von Rahmenbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

2. Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

3. Effektivität der (fakultativen) Zuständigkeit des Gerichtshofs für Vorabentscheidungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

III. Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

B. Herleitung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus dem EU-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

I. Pflicht zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

II. Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit in der PJZS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

1. Begriff der Loyalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

2. Loyalitätsprinzip als pflichtbegründendes Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

3. Verankerung einer Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit im EU-Vertrag . . . . . . .

33

a) Fehlen einer expliziten Norm im Unionsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

b) Loyalitätsgebot nicht nur unverbindlicher Programmsatz . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

c) Loyalitätsgebot zwischen Mitgliedstaaten und Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

4. Annahme eines allgemeinen Loyalitätsgebotes im EU-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . .

37

III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

C. Einwände gegen die Herleitung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus dem EU-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

I. Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

1. Ausschluss der unmittelbaren und mittelbaren Wirkungen eines Rahmenbeschlusses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

a) Extensive Auslegung des Ausschlusses der unmittelbaren Wirksamkeit . . .

42

10

Inhaltsverzeichnis b) Gefahr der Umgehung des Ausschlusses der unmittelbaren Wirksamkeit . .

43

c) Hypothetischer Wille der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

2. Unabhängigkeit der Pflicht zur konformen Auslegung von der unmittelbaren Wirksamkeit des zu Grunde liegenden Rechtsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

a) Unterschied zwischen unmittelbarer Wirksamkeit und konformer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

aa) Unterschiedliche Wirkungsweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

bb) Unterschiedliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

cc) Keine faktische unmittelbare Wirksamkeit durch konforme Auslegung

49

b) Vergleich mit der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung . . . . . . . . . . . .

50

c) Wortlaut des Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

d) Wille der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

II. Befürchtung von Individualschutzlücken durch eine Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

1. Die Befürchtungen der Regierungen Großbritanniens und Italiens . . . . . . . . . . . .

57

2. Hintergrund der Befürchtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

3. Entkräftung der Befürchtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

a) Nichtigkeitsklage gem. Art. 35 VI EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

b) Rechtsschutz vor nationalen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

aa) Rechtsschutz gegen Umsetzungsmaßnahmen möglich . . . . . . . . . . . . . . . .

60

bb) Rechtsschutz vor nationalen Gerichten nicht defizitär . . . . . . . . . . . . . . . .

61

(1) Begründung eines Verwerfungsmonopols für Gemeinschaftsrechtsakte durch die Foto-Frost-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

(2) Keine Übertragbarkeit der Foto-Frost-Rechtsprechung auf nicht vorlageberechtigte Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

2. Teil Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung – das Meinungsspektrum in der Literatur und der Rechtsprechung

70

A. Bedeutung der Frage nach dem Geltungsgrund und dem Rang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

I. Unterschiede zwischen der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung und der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

1. Geltungsgrund der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung und der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

a) Geltungsgrund der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung . . . . . . . . . . .

72

Inhaltsverzeichnis

11

b) Geltungsgrund der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung . . . . . . . . .

75

aa) Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

bb) Verhältnis des Völkervertragsrechts zur innerstaatlichen Rechtsordnung

77

c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

2. Umfang der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung und der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

a) Umfang der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . .

79

aa) Anwendbarkeit der lex posterior-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

bb) Völkerrecht als Auslegungsmaßstab für das Grundgesetz? . . . . . . . . . . . . (1) Völkervertragsrecht grundsätzlich kein Auslegungsmaßstab für das Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verfassungsbindung bei Erlass und Auslegung von Umsetzungsrecht im Anwendungsbereich des Sekundärrechts internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

88

cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

86

b) Umfang der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

aa) Keine Anwendung der lex posterior-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

bb) Richtlinien als Auslegungsmaßstab für das Verfassungsrecht . . . . . . . . .

99

cc) Keine Prüfung des Umsetzungsrechts am Maßstab des Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 II. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 B. Die Rechtsprechung des EuGH zu Geltungsgrund und Rang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 C. Vorrangunabhängige Argumentation im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I. Bedeutung von Vorrangüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Kohärenzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 D. Annäherung der Säulen aufgrund eines Optimierungsgebots im EU-Vertrag . . . . . . . . . 114 I. Annahme eines Optimierungsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II. Ausgleich der strukturellen Defizite in der PJZS durch die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 III. Begründungsdefizite dieses Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Rahmenbeschluss als völkerrechtlicher Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Die EU als rechtsfähige internationale Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 a) Körperschaftliche Struktur der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 aa) Eigene Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (1) Europäischer Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (2) Organe der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 bb) Fähigkeit zu eigener Willensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

12

Inhaltsverzeichnis b) Eigene Kompetenzen der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Kompetenzen nach innen gegenüber den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . 125 bb) Kompetenzen im Außenverhältnis zu Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (1) Uneindeutigkeit des Art. 24 EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Erklärung Nr. 4 zur Schlussakte des Vertrags von Amsterdam (b) Parallele von Art. 24 VI EU zu Art. 300 VII EG . . . . . . . . . . . . . . (c) Uneindeutigkeit des Art. 24 V EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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(2) Vertragsgenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Interpretationsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Nur keine deklaratorische Verankerung der Rechtsfähigkeit im EU-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Bestätigung der Rechtspersönlichkeit der EU durch die völkerrechtliche Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133 136 137 139

2. Ergebnis: Rahmenbeschlüsse als Sekundärrechtsakte der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 II. Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung aufgrund fehlenden „derogatorischen“ Vorrangs des Rahmenbeschlusses vor nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Unterschiedliche Wirkung von Rahmenbeschluss und Richtlinie . . . . . . . . . . . . . 144 2. Einordnung der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Prinzipieller Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Irrtum hinsichtlich der Annahme einer innerstaatlichen vorrangigen Geltung von Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Kein Vorrang aufgrund von Überlegungen zum Stufenbau der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 c) Fehlen einer Kollision von Richtlinien mit nationalen Rechtsnormen . . . . . 149 III. Lediglich völkervertragsrechtliche Umsetzungsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. System der PJZS als zwischenstaatliche Zusammenarbeit ohne Durchgriff in die nationalen Rechtsordnungen angelegt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Begrenzte Zuständigkeit des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Verfahrensrechtliche Indizien für eine rein vertragsrechtliche Verpflichtung . . 154 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 F. Parallelen von EG und EU als Argument für eine richtlinienanaloge Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Parallelität von EG-Vertrag und EU-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 II. Parallelität von Rahmenbeschluss und Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Gemeinsamkeiten von Rahmenbeschluss und Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Nur unwesentliche Unterschiede zwischen Rahmenbeschluss und Richtlinie . . 159 a) Unmittelbare Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 b) Verfahrens- und Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

Inhaltsverzeichnis

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III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 G. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Teil Der Geltungsgrund und der Rang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts – eigener Lösungsansatz 163 A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . 163 I. Alleiniges Abstellen auf Verortung im EU-Vertrag petitio principii . . . . . . . . . . . . . . 163 II. Dichotomie von Völkerrecht und Gemeinschaftsrecht überholt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Kein Erkenntnisgewinn aufgrund der Stellung von Rahmenbeschlüssen im EU-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Flexible Übergänge von völkerrechtlicher Zusammenarbeit zu unionsrechtlicher bzw. gemeinschaftsrechtlicher Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 III. Hintergrund der Einführung des Rahmenbeschlusses in den EU-Vertrag . . . . . . . . . 168 IV. Möglichkeit einer parallelen Interpretation von Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU und Art. 249 III EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. Übertragbarkeit von Mechanismen trotz rechtlicher Trennung der Säulen . . . . 172 a) Bedeutung der Passerelle in Art. 42 EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Erfahrungen mit der Übertragung von Rechtsfiguren aus dem EG-Vertrag auf andere Verträge oder Handlungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 V. Voraussetzung für eine parallele Auslegung von Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU und Art. 249 III EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 1. Vergleichbare Ziele von EU und EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Gemeinsames Ziel der Verwirklichung einer Europäischen Union . . . . . . . . . 177 b) Säulenübergreifendes Ziel der Verwirklichung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 c) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Zusammenhang, in den sich die Ziele einfügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Homogene Mitgliedschaftsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 aa) Gemeinsame Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 bb) EU und EG als Wertegemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 cc) Verbindung der Mitgliedstaaten durch Loyalität und gegenseitiges Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 dd) Politische Integration in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 ee) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Materielle und institutionelle Verknüpfungen von EU und EG . . . . . . . . . . . . 187 aa) Materielle Verknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 bb) Zunehmende Integration in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

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Inhaltsverzeichnis cc) Institutionelle Verknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 dd) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 c) Qualität der Zusammenarbeit auf Ebene des EU-Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 aa) Funktionale Ausrichtung von EU und EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (1) Funktionale Ausrichtung der PJZS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (2) System gegenseitiger Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 bb) Stellung des Einzelnen im EU-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (1) Einbeziehung des Bürgers in die Gestaltung der EU . . . . . . . . . . . . . . 197 (2) Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts für den Bürger . . 199 (3) Folgerungen aus der Ausrichtung auf den Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . 200 cc) Entkräftung der Einwände gegen die Geltung des Rechts der PJZS in der innerstaatlichen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 (1) Einwand des Ausschlusses der unmittelbaren Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 (2) Einwand des Umsetzungserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 (3) Einwand des Einstimmigkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (4) Einwand des Demokratiedefizits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Keine strukturelle Kongruenz erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Vermittlung demokratischer Legitimation durch Regierungsvertreter im Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Einstimmigkeit sichert parlamentarische Einflussmöglichkeiten (5) Bedeutung des fakultativen Vorabentscheidungsverfahrens . . . . . . . (a) Bedeutung über die konkret zu entscheidende Vorlagefrage hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Verbindlichkeit der Auslegungsentscheidungen des EuGH . . . (α) Verbindlichkeit der Entscheidung des EuGH für die mit dem Ausgangsrechtsstreit befassten Instanzgerichte . . . . . . (β) Verbindlichkeit der Auslegung über den Anlassfall hinaus (γ) Verbindlichkeit für Gerichte der Mitgliedstaaten, die keine Erklärung gem. Art. 35 II EU abgegeben haben . . . . . . . . . . (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205 206 206 207 208 210 210 211 211 214 217 217

d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3. Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 a) Traditionelle Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 b) Materielle Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Argumente gegen die Annahme einer Hoheitsrechtsübertragung . . . . . . bb) Argumente für die Annahme einer Hoheitsrechtsübertragung . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

220 220 221 222

c) Bedeutung des Begriffs der Hoheitsrechtsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Inhaltsverzeichnis

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B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . 225 I. Inanspruchnahme einer vorrangigen Umsetzungsverpflichtung durch das Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 II. Gewährung des Vorrangs durch die nationale Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 1. Übertragbarkeit der Solange II-Rechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse . . . . . . 227 a) Entwicklung der Solange II-Rechtsprechung für Verordnungen . . . . . . . . . . . 227 b) Übertragung der Solange II-Rechtsprechung auf Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . 228 c) Übertragbarkeit der Solange II-Rechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse . . . aa) Kein Argument gegen einen Vorrang aus Art. 34 II 2 lit. d EU . . . . . . . . bb) Keine Entscheidung der Übertragbarkeit der Solange II-Rechtsprechung durch das BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bedeutung der Integrationsdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Keine erhöhte Legitimationslast bei Umsetzungsmaßnahmen im Rahmen der PJZS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Im Wesentlichen gleich zu achtender Grundrechtsschutz auf Unionsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229 231 231 233 235 236

(1) Grundrechtsbindung der Unionsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (2) Rechtsschutz für deutsche Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 ff) Irrelevanz des Ausschlusses der unmittelbaren Wirksamkeit für die Vorrangfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Relativierung des Vorrangs durch eine Ultra-vires-Kontrolle? . . . . . . . . . . . . . . . . 243 a) „Karlsruher Totalaufsicht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 b) Pragmatische Entschärfung des Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 3. Relativierung des Vorrangs durch eine Verfassungsidentitätskontrolle? . . . . . . . 249 a) Begründung der Identitätskontrolle durch das BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 b) Zustimmung im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 c) Ablehnung im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 aa) Ewigkeitsklausel gegen Europa? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 bb) Begründungsdefizite bei der Definition des Bereichs integrationsfester Verfassungsidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 d) Reichweite des Identitätskontrollanspruchs des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 aa) Reichweite unter dem Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 bb) Keine Auswirkung auf den EU-Vertrag in der Fassung von Nizza . . . . 254 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

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Inhaltsverzeichnis 4. Teil Inhalt und Umfang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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A. Umsetzungsverpflichtete Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 B. Bestimmung des auszulegenden nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 I. Auslegungspflicht unabhängig vom Zeitpunkt des Erlasses des nationalen Rechts 259 II. Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des Verfassungsrechts . . . . . . . 259 III. Vorrang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung vor der verfassungskonformen Auslegung des nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 C. Beginn der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 I. Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ab Ablauf der Umsetzungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 II. Frustrationsverbot vor Ablauf der Umsetzungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 D. Grenzen der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 I. Zuständigkeit der innerstaatlichen Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 II. Keine Pflicht zur Auslegung contra legem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 1. Wortlaut und Zweck als äußerste Grenze der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 a) Beachtlichkeit der Wortlautgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 aa) Teleologische Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 bb) Rahmenbeschlusskonforme Analogiebildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 b) Beachtlichkeit des gesetzgeberischen Regelungszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 2. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 III. Keine Pflicht zur restriktiven Auslegung nach Maßgabe des Lissabon-Urteils . . . 272 IV. Allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

Einleitung und Problemstellung Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts. Unter einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung versteht man die Auslegung nationaler Normen in Übereinstimmung mit den Vorgaben eines Rahmenbeschlusses. Rahmenbeschlüsse sind Rechtsakte im Rahmen der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS). Sie werden vom Rat gem. Art. 34 II 2 lit. b EU zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten erlassen. Rahmenbeschlüsse sind für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU. Sie sind gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU nicht unmittelbar wirksam. Im Gegensatz zum Streit um die Herleitung und den Geltungsgrund der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung führte die Diskussion um den Einfluss von Rahmenbeschlüssen auf die nationale Rechtsordnung bisher eine Art Schattendasein. Erst in der letzten Zeit rückte die Frage nach der Auswirkung von Rahmenbeschlüssen auf die nationale Rechtsordnung in den Vordergrund des Interesses. Zwei Umstände haben dazu maßgeblich beigetragen: Zum einen stieg die Zahl der erlassenen Rahmenbeschlüsse in den letzten Jahren stetig an. Die Terroranschläge von New York, Madrid und London zeigten den Mitgliedstaaten, wie wichtig die Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität auf europäischer Ebene ist. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Justizund Strafverfolgungsbehörden erfordert aber eine gewisse Mindestharmonisierung des innerstaatlichen Rechts. Daher wurden zunehmend Rahmenbeschlüsse zur Angleichung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften erlassen. Infolgedessen werden immer mehr Bereiche des nationalen Rechts von Rahmenbeschlüssen erfasst und beeinflusst. Daher ist die Frage nach der dogmatischen Begründung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nicht mehr nur ein akademisches Problem, sondern auch von erheblichem praktischen Interesse für die nationale Rechtsanwendung. Dies zeigte sich nicht zuletzt bei der Diskussion um die Entscheidung des BVerfG zum Europäischen Haftbefehlsgesetz.1 Der zweite Grund für das gestiegene Interesse an der dogmatischen Erfassung der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung liegt in der Rechtsprechung des EuGH begründet. Dieser hatte sich zunehmend auch mit der Geltung und Aus1

BVerfGE 113, 273.

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Einleitung und Problemstellung

legung von Rahmenbeschlüssen zu befassen.2 In der Rechtssache Pupino hatte der EuGH erstmals Gelegenheit, sich zu den Auswirkungen der Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen auf das nationale Recht zu äußern. In dieser Entscheidung hat der EuGH eine Verpflichtung aller innerstaatlichen Stellen zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts aus dem EU-Vertrag hergeleitet.3 Es ist jedoch nach wie vor umstritten, ob und gegebenenfalls wie sich eine solche Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung dogmatisch herleiten lässt. Diese Frage hat sich auch nicht mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon4 erledigt. Zwar wurde durch den Vertrag von Lissabon das Rechtsinstrument des Rahmenbeschlusses abgeschafft. Die vor der Vertragsänderung erlassenen Rahmenbeschlüsse gelten jedoch gem. Art. 9 Protokoll Nr. 365 fort. Daher ist auch derzeit noch eine Vielzahl von Rahmenbeschlüssen in Kraft, deren Durchsetzung im Recht der Mitgliedstaaten die Rechtsanwender auch in Zukunft noch beschäftigen wird. Zudem ist die zentrale Frage nach den Grundlagen, Wirkungen und Grenzen einer unionsrechtskonformen Auslegung auch nach der Abschaffung der Säulenstrukur der EU weiterhin relevant, da das BVerfG im Urteil über das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon6 integrationsfeste Bereiche im Politikfeld des Strafrechts ausgemacht hat und diese Urteilspassagen nach wie vor kontrovers diskutiert werden. Im 1. Teil dieser Arbeit soll geklärt werden, aus welchen Normen des EU-Vertrags sich eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts ableiten lässt. Im 2. und 3. Teil soll untersucht werden, wo der Geltungsgrund für die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung liegt. Während im 2. Teil zunächst ein Überblick über den bisherigen Meinungsstand gegeben wird, soll im 3. Teil ein eigener Lösungsansatz entwickelt werden. Dabei wird der Frage nachzugehen sein, ob die nationalen Stellen wie bei der richtlinienkonformen Auslegung unmittelbar aus dem Europarecht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung verpflichtet werden (unabhängig von einer dahingehenden Anordnung des nationalen Rechts) oder 2 EuGH, Rs. C-123 / 08 (Wolzenburg), Slg. 2009, I-9621 ff.; EuGH, Rs. C-388 / 08 PPU (Leymann), Slg. 2008, I-8993 ff.; EuGH, Rs. C-296 / 08 PPU (Goicoechea), Slg. 2008, I-6307 ff.; EuGH, Rs. C-404 / 07 (Győrgy Katz), Slg. 2008, I-7607 ff.; EuGH, Rs. C-66 / 08 (Szymon Kozłowski), Slg. 2008, I-6041 ff.; EuGH, Rs. C-440 / 05 (Meeresverschmutzung durch Schiffe), Slg. 2007, I-9097; EuGH, Rs. C-467 / 05 (Giovanni Dell’Orto), Slg. 2007, I-5557; EuGH, Rs. C-303 / 05 (Advocaten voor de Wereld VZW), 2007; I-3633; EuGH, Rs. C-176 / 03 (Umweltschutz), Slg. 2005, I-7879; EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285. 3 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 31 ff. 4 Vertrag von Lissabon, ABl. Nr. C 306 v. 17.12.2007, 1 ff. 5 Protokoll Nr. 36 zum Vertrag von Lissabon über die Übergangsbestimmungen vom 13. Dezember 2007, ABl. C 306 v. 17.12.2007, 159. 6 BVerfG, Urteil v. 30.6.2009, 2 BvE 2 / 08, 2 BvE 5 / 08, 2 BvR 1010 / 08, 2 BvR 1022 / 08, 2 BvR 1259 / 08, 2 BvR 182 / 09.

Einleitung und Problemstellung

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ob die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung einen Unterfall der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung darstellt, die im nationalen Recht verankert ist.7 Die Untersuchung des Geltungsgrundes ist dabei nicht nur von rein theoretischem Interesse. Vielmehr wird gezeigt werden, dass sich die Frage nach dem Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung auch auf die Reichweite dieser Pflicht auswirkt.8 Denn wie gezeigt werden wird, bestimmt die nationale Rechtsordnung Umfang und Grenzen der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung, wenn der Geltungsgrund dieser Pflicht im nationalen Recht liegt. Wenn aber der Geltungsgrund im Unionsrecht liegt, so ist der EU-Vertrag für die Bestimmung des Inhalts und des Umfangs der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung maßgeblich. Die Verortung des Geltungsgrundes der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung wirkt sich nicht nur auf die Frage aus, ob eine Pflicht zur konformen Auslegung auch bei einer klaren Umsetzungsverweigerung des nationalen Gesetzgebers besteht, sondern auch bei der Frage, ob die nationalen Stellen bei der rahmenbeschlusskonformen Auslegung vollumfänglich dem Standard des nationalen Verfassungsrechts genügen müssen. Schließlich sollen im 4. Teil die Reichweite und die Grenzen der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts aufgezeigt werden.

7 8

2. Teil: A.I. 2. Teil: A.I.2.

1. Teil

Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung im EU-Vertrag Die Frage nach der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung wurde erstmals in der Entscheidung des EuGH vom 16. Juni 2005 in der Rechtssache Pupino thematisiert.1 Der EuGH leitete in seiner Entscheidung eine Verpflichtung der nationalen Gerichte zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts her.2 Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung verlange von allen innerstaatlichen Stellen, dass sie das nationale Recht im Rahmen der Auslegung so weit wie möglich nach dem Inhalt des Rahmenbeschlusses ausrichten, um das mit dem Rahmenbeschluss angestrebte Ergebnis zu erreichen.3 In der Literatur stieß diese Herleitung zum Teil auf harsche Kritik.4 Im 1. Teil dieser Arbeit soll zunächst die Entscheidung des EuGH dargestellt werden (A.). Daran anknüpfend wird untersucht, aus welchen Normen des EU-Vertrags sich eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ergibt (B.). Schließlich wird auch überprüft, ob das gefundene Ergebnis den Einwänden standhalten kann, die gegen eine Verortung der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung im EU-Vertrag vorgebracht werden (C.).

A. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Pupino I. Sachverhalt und Vorlagefrage Die Rechtssache „Pupino“ basiert auf einem Vorabentscheidungsersuchen, das ein Ermittlungsrichter des Tribunale Firenze nach Art. 35 I EU eingereicht hat. Dem Vorabentscheidungsersuchen lag folgender Sachverhalt zu Grunde: EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 34 ff. 3 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 43. 4 Vgl. Hillgruber, JZ 2005, 841 ff.; Kaiafa-Gbandi, ZIS 2006, 521 ff.; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 108 ff. 1 2

A. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Pupino

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Im Rahmen eines italienischen Strafverfahrens wurde der Kindergärtnerin Maria Pupino der Missbrauch disziplinarischer Mittel gem. Art. 571 des italienischen Codice Penale und eine erschwerte Körperverletzung gem. Art. 582, 585, 576 Codice Penale an den ihr anvertrauten Kindern vorgeworfen.5 Vor dem Tribunale Firenze wurde daher ein Ermittlungsverfahren gegen Maria Pupino eingeleitet.6 Nach italienischem Recht besteht das Strafverfahren aus zwei gesonderten Abschnitten, dem Ermittlungsverfahren und dem Hauptverfahren. Im Ermittlungsverfahren nimmt die Staatsanwaltschaft Untersuchungen vor und sammelt unter Aufsicht des Ermittlungsrichters Beweise, anhand derer sie prüft, ob das Verfahren einzustellen ist oder die Hauptverhandlung eröffnet werden soll.7 Mit der Entscheidung, das Hauptverfahren zu eröffnen, beginnt der eigentliche Strafprozess. Erst hier muss unter Beachtung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens Beweis erhoben werden.8 Damit die vorgetragenen Gesichtspunkte der Beteiligten zu einem „vollwertigen“ Beweis werden, müssen die Beweismittel, die die Staatsanwaltschaft während der Ermittlungsphase gesammelt hat, in die kontradiktorischen Erörterungen der Hauptverhandlung eingeführt werden.9 Da die misshandelten Kindergartenkinder zum Tatzeitpunkt unter fünf Jahre alt waren10, überlegte man, ob die Opfer zu ihrem Schutz nicht schon vorzeitig im Rahmen eines gesonderten Beweiserhebungsverfahrens vernommen werden könnten. Nach italienischem Recht ist ein solch besonderes Beweiserhebungsverfahren allerdings nur möglich, wenn die zu vernehmenden Personen Opfer von bestimmten, abschließend in Art. 392 Abs. 1 bis Codice di procedure penale aufgezählten Delikten mit sexuellem Bezug geworden sind. Frau Pupino widersprach dem Antrag der Staatsanwaltschaft, ein gesondertes Beweiserhebungsverfahren durchzuführen, da die ihr vorgeworfenen Delikte keinen solchen sexuellen Hintergrund aufwiesen.11 Es sei daher nach italienischem Recht weder einen Rückgriff auf das Beweissicherungsverfahren im Ermittlungsverfahren zulässig, noch könnten besondere Modalitäten der Beweiserhebung zum Schutz der jungen Opfer vorgesehen werden.12 Dennoch erwog der Ermittlungsrichter, das gesonderte Beweiserhebungsverfahren durchzuführen. Er wollte das italienische Recht unter Berücksichtigung des Rahmenbeschlusses über die Stellung des Opfers im Strafverfahren13 anwenden, da EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 12. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 12. 7 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 13. 8 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 14. 9 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 14. 10 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 12. 11 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 16. 12 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 17. 13 Rahmenbeschluss 2001 / 220 / JI des Rats vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren, ABl. Nr. L 82 v. 22.3.2001, 1. 5 6

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

die Umsetzungsfrist dieses Rahmenbeschusses bereits abgelaufen war. Der Ermittlungsrichter am Tribunale Firenze vertrat die Ansicht, dass ein nationales Gericht „ungeachtet einer unmittelbaren Wirkung der Gemeinschaftsvorschriften … sein nationales Recht im Licht des Wortlauts und des Zieles der Gemeinschaftsvorschriften auszulegen“ habe. Er äußerte Zweifel an der Vereinbarkeit der italienischen Strafverfahrensvorschriften mit den Art. 2, 3 und 8 des Rahmenbeschlusses über die Stellung des Opfers im Strafverfahren14, soweit das italienische Strafprozessrecht die Befugnis des Ermittlungsrichters, ein Beweissicherungsverfahren durchzuführen und besondere Modalitäten der Beweiserhebung anzuwenden, auf Sexualdelikte und Delikte mit sexuellem Hintergrund beschränkt seien.15 Der Ermittlungsrichter hat daher das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof ersucht, sich zur Tragweite der Art. 2, 3 und 8 des Rahmenbeschlusses zu äußern.16

II. Herleitung der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung in der Rechtssache Pupino durch den EuGH Der EuGH leitet in der Rechtssache Pupino eine Verpflichtung innerstaatlicher Stellen zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts aus dem EU-Vertrag ab.17 Dabei stützt sich der EuGH in erster Linie auf den nahezu identischen Wortlaut von Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU und Art. 249 III EG. Zudem leitet er aus dem EU-Vertrag eine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit auch auf der Ebene des Unionsrechts her. Unterstützend verweist der EuGH auf die Effektivität seiner fakultativen Zuständigkeit für Vorabentscheidungsverfahren.

1. Zwingender Charakter von Rahmenbeschlüssen Der EuGH leitet die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nationalen Rechts aus dem Wortlaut des Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU her, der sehr eng an den Wortlaut des Art. 249 III EG angelehnt ist.18 Rahmenbeschlüsse hätten zwingenden Charakter, da sie gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind und den innerstaatlichen Stellen nur die Wahl der 14 Rahmenbeschluss 2001 / 220 / JI des Rats vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren, ABl. Nr. L 82 v. 22.3.2001, 1. 15 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 18. 16 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 18. 17 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 34 ff. 18 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 33; Skouris, ZEuS 2005, 463, 475.

A. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Pupino

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Form und der Mittel der Umsetzung überlassen.19 Dieser zwingende Charakter von Rahmenbeschlüssen werde mit den gleichen Worten wie in Art. 249 III EG zum Ausdruck gebracht und habe zur Folge, dass die mitgliedstaatlichen Behörden, insbesondere die Gerichte, das nationale Recht rahmenbeschlusskonform auslegen müssen.20 Unterstützend verweist der EuGH auf den von ihm vermuteten Willen der Mitgliedstaaten, die diese Zielverbindlichkeit des Rahmenbeschlusses unabhängig von dem angestrebten Integrationsgrad des EU-Vertrags gem. Art. 1 II EU21 regeln wollten. Der EuGH sieht es nämlich als „völlig verständlich“22 an, dass die Verfasser des EU-Vertrags den Rechtsinstrumenten des Titel VI EU analoge Wirkungen wie im EG-Vertrag beigemessen hätten, um einen wirksamen Beitrag zur Verfolgung der Ziele der Union zu leisten.23 Auf Unterschiede zwischen Rahmenbeschluss und Richtlinie, insbesondere den in Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU normierten Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit von Rahmenbeschlüssen, ging der EuGH nicht ein.

2. Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit Die italienische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs machten in der Rechtssache Pupino geltend, dass im EU-Vertrag keine Verpflichtung wie die des Art. 10 EG geregelt sei. Da sich der EuGH jedoch für die Herleitung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auch immer wieder auf Art. 10 EG gestützt habe, könne eine solche Verpflichtung im EU-Vertrag nicht verankert sein.24 Diese Argumentation weist der EuGH jedoch zurück.25 Die Tatsache, dass die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung neben Art. 249 III EG oft auch auf Art. 10 EG gestützt wird, und es im EU-Vertrag an einer vergleichbaren Bestimmung fehle, ändere an der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nichts.26 Zwar gebe es im EU-Vertrag keine dem Art. 10 EG entsprechende Vorschrift, doch leitet der EuGH eine vergleichbare Loyalitätspflicht aus einer Zusammenschau verschiedener Vorschriften des EU-Vertrags ab. Zunächst zieht der EuGH Art. 1 II EU heran, wonach der Vertrag über die Europäische Union eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas darstellt.27 Des Weiteren verweist der EuGH auf Art. 1 III EU, der den Auftrag an die EU richtet, die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten kohärent und solidarisch zu ge19 20 21 22 23 24 25 26 27

EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 33. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 34. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 36. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 36. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 36. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 39. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 40. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 42. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 41.

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

stalten.28 Die Union könnte ihre Aufgaben nach Ansicht des Gerichtshofes kaum erfüllen, wenn der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nicht auch im Rahmen der PJZS gelten würde.29 Denn gerade die PJZS beruhe vollständig auf der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den Organen.30 Dabei schließt sich der EuGH den Ausführungen der Generalanwältin an, wonach die loyale Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und der EU zentraler Gegenstand des Titels VI des EU-Vertrags sei.31 Eine Pflicht zur gegenseitigen loyalen Zusammenarbeit sei nötig, damit die Union ihre Aufgaben erfüllen könne.32 Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gelte daher auch im Rahmen der PJZS.33

3. Effektivität der (fakultativen) Zuständigkeit des Gerichtshofs für Vorabentscheidungsverfahren Der Gerichtshof geht davon aus, dass der Umstand, dass seine Zuständigkeit gem. Art. 35 EU weniger weit reichend ist als seine Zuständigkeit im Rahmen des EG-Vertrags, der Herleitung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nationalen Rechts nicht entgegensteht.34 Ebenso wenig könne das unvollständige Rechtsschutzsystem im Rahmen von Titel VI EU als Argument gegen die Herleitung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus dem EU-Vertrag angeführt werden.35 Der EuGH betont die Bedeutung seiner Zuständigkeit für Vorabentscheidungsverfahren. Diese werde dadurch bestätigt, dass auch Staaten, die sich nicht gem. Art. 35 II EU der fakultativen Zuständigkeit des EuGH für Vorabentscheidungen unterworfen haben, in einem vor dem EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 35 IV EU Schriftsätze einreichen und schriftliche Erklärungen abgeben können.36 Diese Zuständigkeit würde ihrer praktischen Wirksamkeit weitestgehend beraubt, wenn sich der Einzelne vor nationalen Gerichten nicht auf Rahmenbeschlüsse berufen könnte, um eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung nationalen Rechts zu erreichen.37 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 41. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 42. 30 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 42; bestätigt in EuG, Rs. T-228 / 02 (Modjahedines du peuple d’Iran), Slg. 2006, II-4665, Rn. 123. 31 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 42; GA Kokott, Schlussantrag v. 11.11.2004, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 26. 32 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 42. 33 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 42; EuG, Rs. T-228 / 02 (Modjahedines du peuple d’Iran), Slg. 2006, II-4665, Rn. 123. 34 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 35. 35 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 35. 36 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 36. 37 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 38. 28 29

B. Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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III. Einordnung Der EuGH leitet die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU her. Tragend dafür ist der identische Wortlaut von Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU und Art. 249 III EG, der auf den zwingenden Charakter von Rahmenbeschlüssen hindeutet.38 Zudem bejahte der EuGH auch die Existenz einer im EU-Vertrag implizierten Loyalitätspflicht.39 Damit begründet er die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung parallel zur Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung.40 Sein Ergebnis untermauert der EuGH mit der Bedeutung seiner Zuständigkeit im System der PJZS. Der EuGH hat damit die Vorschrift des Art. 34 II lit. b EU im Lichte des EG-Vertrags interpretiert. Auf die Unterschiede zwischen Rahmenbeschluss und Richtlinie, insbesondere Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU, wonach Rahmenbeschlüsse nicht unmittelbar wirksam sind, ging der EuGH jedoch nicht ein.

B. Herleitung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus dem EU-Vertrag Im Folgenden ist zu untersuchen, ob der Argumentation des EuGH bei der Herleitung der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung analog zur richtlinienkonformen Auslegung gefolgt werden kann. Dabei sollen aber nicht nur die Gemeinsamkeiten von Rahmenbeschluss und Richtlinie in den Blick genommen werden, sondern auch die Unterschiede zwischen Rahmenbeschluss und Richtlinie bzw. EU-Vertrag und EG-Vertrag Berücksichtigung finden. Um die Parallelen zwischen der Herleitung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung und der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nachvollziehen zu können, soll zunächst geklärt werden, aus welchen Vorschriften des EG-Vertrags sich die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung ergibt. Anschließend soll untersucht werden, ob die Parallelen von EU-Vertrag und EG-Vertrag die Herleitung der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung in Parallele zur richtlinienkonformen Auslegung rechtfertigen, oder ob die Unterschiede zwischen Rahmenbeschluss und Richtlinie bzw. EU-Vertrag und EG-Vertrag einer solchen Parallelisierung entgegenstehen.

EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 33 f. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 41 f. 40 Bast, in: Lachmayer / Bauer, Praxiswörterbuch Europarecht, „Rahmenbeschlüsse“, 722; Haltern, Europarecht, 576; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 208 f.; Weißer, ZIS 2006, 562, 563. 38 39

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

I. Pflicht zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen Seit dem Urteil in der Rechtssache von Colson und Kamann entscheidet der EuGH in ständiger Rechtsprechung, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen, und die Pflicht der Mitgliedstaaten gem. Art. 10 EG, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, mithin auch den nationalen Gerichten, im Rahmen ihrer Zuständigkeit obliege.41 Daher müsse ein nationales Gericht, seine Auslegung unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts42 soweit wie möglich43 anhand des Wortlauts und Zwecks der Richtlinie ausrichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und so Art. 249 III EG nachzukommen.44 41 EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 26; EuGH, Rs. 222 / 84 (Johnston), Slg. 1986, 1651, Rn. 53; EuGH, Rs. 80 / 87 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, 3969, Rn. 12; EuGH, Rs. 31 / 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 39; EuGH, Rs. 125 / 99 (Strafverfahren gegen Nijman), Slg. 1989, 3533, Rn. 6; EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C-91 / 92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 26; EuGH, Rs. C-54 / 96 (Dorsch Consult), Slg. 1997, I-4961, Rn. 43; EuGH, Rs. C-76 / 97 (Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 25; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 48; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 40; EuGH, Rs. C-160 / 01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 35; EuGH, Rs. C-462 / 99 (Connect Austria), Slg. 2003, I-5197, Rn. 38; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 110 m. w. N.; EuGH, Rs. C-316 / 04 (Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie), Slg. 2005, I-9759, Rn. 77; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 41; EuGH, Rs. C-396 / 07 (Mirja Juuri), Slg. 2008, I-8883, Rn. 27. 42 EuGH, Rs. C-185 / 97 (Coote), Slg. 1998, I-5199, Rn. 18; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 49; EuGH, Rs. C-408 / 01 (Adidas Salomon), Slg. 2003, I-12537, Rn. 21; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 119; EuGH, Rs. C-350 / 03 (Schulte), Slg. 2005, I-9215, Rn. 71; EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 111; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 101. 43 EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C-91 / 92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 26; EuGH, Rs. C-54 / 96 (Dorsch Consult), Slg. 1997, I-4961, Rn. 43; EuGH, Rs. C-76 / 97 (Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 25; EuGH, Rs. 185 / 97 (Coote), Slg. 1998, I-5199, Rn. 18; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 48; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 40; EuGH, Rs. C-160 / 01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 36; EuGH, Rs. C-462 / 99 (Connect Austria), Slg. 2003, I-5197, Rn. 38; EuGH, Slg. C-408 / 01 (Adidas-Salomon), Slg. 2003, I-12537, Rn. 21; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 113, 117 ff.; EuGH, Rs. C-350 / 03 (Schulte), Slg. 2005, I-9215, Rn. 71; EuGH, Rs. C-316 / 04 (Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie), Slg. 2005, I-9759, Rn. 78; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 98. 44 EuGH, Rs. 13 / 83 (von Colson), Slg. 1984, 1891, Rn. 26; EuGH, Rs. 222 / 84 (Johnston), Slg. 1986, 1651, Rn. 53; EuGH, Rs. 80 / 87 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, 3969, Rn. 12; EuGH, Rs. 31 / 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 39; EuGH, Rs. 125 / 99 (Strafverfahren gegen Nijman), Slg. 1989, 3533, Rn. 6; EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C-91 / 92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 26; EuGH, Rs. C-118 / 94 (WWF), Slg. 1996, I-1223, Rn. 18; EuGH, Rs. C-54 / 96 (Dorsch Consult), Slg. 1997, I-4961, Rn. 43; EuGH, Rs. C-76 / 97 (Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 25; EuGH,

B. Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung wird somit normativ in der Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinie gem. Art. 249 III EG verankert, die gem. Art. 10 EG loyal zu erfüllen ist.45 Voraussetzung für eine Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse ist, dass im EU-Vertrag ebenso wie in Art. 249 III EG eine Pflicht zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen enthalten ist. Vergleicht man den Wortlaut von Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU mit dem Wortlaut des Art. 249 III EG so sieht man, dass Rahmenbeschlüsse vom Wortlaut her der Richtlinie nachgebildet sind.46 Gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU sind Rahmenbeschlüsse „für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.“

Ähnlich formuliert Art. 249 III EG für die Richtlinie, dass sie „für jeden Mitgliedstaat … hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich [ist, sie] überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.“

Aus dem zwingenden Charakter von Rahmenbeschlüssen, der wortgleich wie in Art. 249 III EG ausgedrückt wird, schließt der EuGH auf die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts.47 Fraglich ist, ob diesem Schluss gefolgt werden kann. Die Richtlinie ist ein Instrument zweistufiger Rechtssetzung.48 Jene Zweistufigkeit soll die Einpassung europäischer Vorgaben in die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten erleichtern. Die Richtlinie ist daher bevorzugtes Mittel der Rechtsangleichung.49 Auch Rahmenbeschlüsse werden zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten erlassen, Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU. Rs. C-185 / 97 (Coote), Slg. 1998, I-5199, Rn. 18; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 48; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 40; EuGH, Rs. C-160 / 01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 36; EuGH, Rs. C-462 / 99 (Connect Austria), Slg. 2003, I-5197, Rn. 38; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 113 m.w. N.; EuGH, Rs. C-316 / 04 (Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie), Slg. 2005, I-9759, Rn. 78; EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 108; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 98. 45 Nach wie vor ist nicht abschließend geklärt, ob sich die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung allein aus Art. 249 III EG oder allein aus Art. 10 EG oder aus Art. 249 III i.V. m. Art. 10 EG herleiten lässt. Für die vorliegende Arbeit wird dieser Streit nicht ergebnisrelevant werden, sodass auf eine nähere Darstellung verzichtet werden kann. Für einen Überblick über den Streitstand vgl. Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 105 ff., insbes. 108 ff. 46 Schumann, in: Lachmayer / Bauer, Praxiswörterbuch Europarecht, „Rahmenbeschluss“, 720; v. Unger, NVwZ 2005, 1266, 1267. 47 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 34. 48 Bievert, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 249 EG, Rn. 22; Götz, NJW 1992, 1849, 1852; Hilf, EuR 1993, 1, 4 f.; Ruffert, in: Calliess / Ruffert, Art. 249 EGV, Rn. 45. 49 Bievert, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 249 EG, Rn. 22; Ruffert, in: Calliess / Ruffert, Art. 249 EGV, Rn. 45.

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

In diesem Kontext bedeutet die Zielverbindlichkeit der Richtlinie bzw. des Rahmenbeschlusses, dass die Mitgliedstaaten ihre nationale Rechtsordnung den verbindlichen Vorgaben der Richtlinie bzw. des Rahmenbeschlusses anzupassen haben.50 Die Verwirklichung der vorgegebenen verbindlichen Ziele setzt die Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie bzw. des Rahmenbeschlusses in die nationale Rechtsordnung voraus.51 Die mit dem Rahmenbeschluss bzw. der Richtlinie angestrebte Rechtsangleichung wird nur dann verwirklicht, wenn die Ziele eines Rahmenbeschlusses bzw. einer Richtlinie in allen Mitgliedstaaten in das nationale Recht umgesetzt werden. Daher impliziert Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU die Pflicht zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses so, wie dies Art. 249 III EG für die Richtlinie tut.52 Die Verpflichtung zur Umsetzung erschöpft sich aber nicht in gesetzgeberischen Maßnahmen. Denn die mit einem Rahmenbeschluss oder einer Richtlinie bezweckte Rechtsangleichung in den verschiedenen Mitgliedstaaten findet nur dann statt, wenn die Zielvorgaben von Richtlinie bzw. Rahmenbeschluss nicht nur auf der Ebene der Gesetzgebung in das nationale Recht umgesetzt werden, sondern auch auf der Ebene der Rechtsanwendung bei der Auslegung des nationalen Rechts beachtet werden.53 Damit die europarechtlich vorgegebenen Ziele vollumfänglich erreicht werden können, ist es nötig, dass nicht nur das nationale Recht, das zur Umsetzung ergangen ist, sondern das gesamte nationale Recht54 richtlinien- bzw. rahmenbeschlusskonform ausgelegt wird. Nur so findet die angestrebte Rechtsangleichung hinsichtlich der zu verwirklichenden Ziele auch in der Rechtspraxis statt. Die Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen bzw. Richtlinien erstreckt sich daher nicht nur auf den Gesetzgeber, sondern auf alle innerstaatlichen Stellen, insbesondere auch auf die Gerichte.55 Indem die innerstaatlichen Stellen bei der Rechtsanwendung das mitgliedstaatliche Recht richtlinien- bzw. rahmenbeschlusskonform aus50 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 332; bzgl. Richtlinien: Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 8 f., Fn. 8; Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 55 f.; Ipsen, in: FS Ophüls, 67, 75 f. 51 Bzgl. Richtlinien: Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 8 f. Fn. 8; Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 55 f.; Roth, EWS 2005, 385, 387. 52 So auch Gas, EuR 2006, 285, 293; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 332. 53 Vgl. für die richtlinienkonforme Auslegung Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 256; Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 56; Franzen, Privatrechtsangleichung, 298; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 108. 54 EuGH, Rs. C-185 / 97 (Coote), Slg. 1998, I-5199, Rn. 18; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari u. a.), Slg. 1999, I-1103, Fn. 49 f.; EuGH, Rs. C-408 / 01 (Adidas Salomon), Slg. 2003, I-12537, Rn. 21; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 119; EuGH, Rs. C-350 / 03 (Schulte), Slg. 2005, I-9215, Rn. 71; EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 111; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 101. 55 EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 41; Brenn, ÖJZ 2005, 41, 43; Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 56; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 333; Roth, EWS 2005, 385, 385.

B. Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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legen, nehmen sie am europarechtlich geforderten Umsetzungsprozess teil und bewirken, dass das gem. Art. 249 III EG verbindliche Richtlinienziel bzw. das gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU verbindliche Rahmenbeschlussziel auch auf der Ebene der Normkonkretisierung im Einzelfall verwirklicht wird.56 Die Pflicht zur konformen Auslegung ist somit die Fortsetzung der Umsetzungsverpflichtung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU bzw. Art. 249 III EG auch auf judikativer und exekutiver Ebene, ohne die sich das mit dem Rahmenbeschluss bzw. der Richtlinie verfolgte Ziel der Rechtsangleichung nicht erreichen ließe.57 Es war daher nahe liegend, dass der EuGH die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung in der Umsetzungsverpflichtung gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU verankert sieht, so, wie er die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung aus dem nahezu wortgleichen Art. 249 III EG hergeleitet hat.

II. Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit in der PJZS Eine weitere Parallele zwischen der Herleitung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung und der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung besteht darin, dass der EuGH im Kontext der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung auch auf das Gebot zur loyalen Zusammenarbeit verweist.58 Das Gebot zur loyalen Zusammenarbeit besagt, dass die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art treffen müssen, um ihre Verpflichtungen aus dem Recht der Europäischen Union zu erfüllen.59 Bereits bei der Herleitung einer Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung hat der EuGH oft nicht nur die Umsetzungsverpflichtung aus Art. 249 III EG angeführt, sondern auch auf das Gebot zur loyalen Zusammenarbeit gem. Art. 10 EG verwiesen.60 Die mitgliedstaatliche Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinien aus Art. 249 III EG ist von den innerstaatlichen Stellen gem. Art. 10 EG loyal zu erfüllen. 56 Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 56; Frisch, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, 68 u. 71 f.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 333; Ruffert, in: Calliess / Ruffert, Art. 249 EGV, Rn. 118. 57 Bzgl. Richtlinien: Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 256; Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 56; Franzen, Privatrechtsangleichung, 298 f.; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 108; Roth, EWS 2005, 385, 387 f. 58 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 41 f. 59 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 42; bestätigt durch EuGH, Rs. C354 / 04 P (Gestoras Pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 52; EuGH, Rs. C-355 / 04 P (Segi), Slg. 2007, I-1657, Rn. 52. 60 EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 26; EuGH, Rs. C-160 / 01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 35; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 110 m. w. N.; EuGH, Rs. C-316 / 04 (Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie), Slg. 2005, I-9759, Rn. 77.

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

Die Ausführungen des EuGH in der Rechtssache „Pupino“, wonach auch im EUVertrag eine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit besteht61, stießen in der Literatur nicht nur auf Zustimmung. Zum Teil wurde kritisiert, dass die Ausführungen des EuGH zum Loyalitätsgebot für die eigentliche Frage der Herleitung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung irrelevant seien.62 Andere hingegen bezweifeln bereits von vornherein das Bestehen einer Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit in der PJZS.63 Um zu verstehen, worum sich der Streit dreht, soll zunächst geklärt werden, was unter dem Begriff der Loyalität zu verstehen ist. Danach sollen die unterschiedlichen Ansichten in der Literatur dargestellt und diskutiert werden, ob – wie vom EuGH angenommen – eine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit auch im Unionsrecht besteht. 1. Begriff der Loyalität Der EuGH spricht vom Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit.64 Danach müssen die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art treffen, um ihre Verpflichtungen nach dem Recht der Europäischen Union zu erfüllen.65 Loyalität setzt somit eine bestehende Pflichtenbindung voraus, der in bestimmter Art und Weise, nämlich loyal, nachgekommen werden muss.66 Damit geht die Pflicht zur Zusammenarbeit inhaltlich über die allgemeine völkerrechtliche Pflicht zur Einhaltung des Vertrags hinaus.67 Denn es sind nicht nur die Vertragspflichten zu erfüllen, sondern der Pflichterfüllung muss auch eine loyale Haltung gegenüber dem Objekt der Loyalität zugrunde liegen. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 42. Hillgruber, JZ 2005, 841, 843; Schroeder, EuR 2007, 349, 362; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Vertrag von Amsterdam, 266, s. u. 1. Teil: B.II.2. 63 Ansicht der italienischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs, wiedergegeben in EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 25, 26 i.V. m. 39 dazu sogleich 1. Teil: B.II.3.a); Fletcher, ELRev. 30 (2005) 863, 871, die nur eine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten erkennt, nicht jedoch eine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit der EU, dazu sogleich 1. Teil: B.II.3.c). 64 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 42; EuGH, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras Pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 52; EuGH, Rs. C-355 / 04 P (Segi), Slg. 2007, I-1657, Rn. 52. 65 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 41; bestätigt durch EuGH, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras Pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 52; EuGH, Rs. C-355 / 04 P (Segi), Slg. 2007, I-1657, Rn. 52. 66 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 17; Hieronymi, Solidarität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 38 u. 50; Lais, Das Solidaritätsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 43; Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, 188. 67 So auch Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 18; Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, 190. 61 62

B. Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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nicht nur Maßnahmen ergreifen oder unterlassen müssen, wie dies der EU-Vertrag oder Rechtsakte der Union von ihnen fordern. Sie sind darüber hinaus auch verpflichtet, die Union von sich aus bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen und von sich aus aktiv zu werden, um sich abzeichnende Integrationshindernisse frühzeitig zu bewältigen. Gerade die Erwartung gegenseitiger Loyalität ist es, welche die besondere Verbundenheit von EU und Mitgliedstaaten auszeichnet und von anderen Formen der internationalen Zusammenarbeit abgrenzt.68

2. Loyalitätsprinzip als pflichtbegründendes Element Einige Stimmen in der Literatur meinen, dass das Bestehen einer Loyalitätspflicht für die Herleitung der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung irrelevant sei.69 Die Berufung auf die Loyalitätspflicht aus Art. 1 III 2 EU zur Begründung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung sei eine petitio principii. Denn die Loyalitätspflicht wirke nicht selbst pflichtbegründend, sondern regle nur die Art und Weise der Erfüllung einer andernorts im EU-Vertrag begründeten Verpflichtung.70 Die Loyalitätspflicht könne daher allenfalls zur Bestätigung anderweitig bestehender Verpflichtungen der Mitgliedstaaten herangezogen werden.71 Eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung könne mit Verweis auf die Unionstreuepflicht jedoch nicht hergeleitet und begründet werden.72 Der Streit um die Bedeutung des Gebotes der loyalen Zusammenarbeit entstand nicht erst bei der Frage der Herleitung der rahmenbeschlusskonformen Auslegung. Hintergrund ist vielmehr, dass bereits im Gemeinschaftsrecht Uneinigkeit darüber herrscht, ob neben Art. 249 III EG noch das Loyalitätsgebot in Art. 10 EG als Begründungselement für die Herleitung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung herangezogen werden muss.73 Die Einwände gegen die Ausführungen des 68 Vgl. Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 17 f. m. w. N. zur Etymologie des Begriffs „Loyalität“ 15 ff.; Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, 190 ff. 69 Hillgruber, JZ 2005, 841, 843; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Vertrag von Amsterdam, 266; Schroeder, EuR 2007, 349, 362. 70 Hillgruber, JZ 2005, 841, 843; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Vertrag von Amsterdam, 266; a. A. Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 60; Hieronymi, Solidarität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 33, die Art. 10 EG einen eigenständigen Gehalt bei der Herleitung der Pflicht zur konformen Auslegung beimessen. 71 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 60 f., 257 f.; Hillgruber, JZ 2005, 841, 843; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 230. 72 Hillgruber, JZ 2005, 841, 843. 73 Für einen Überblick über den Streitstand vgl. Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 105 ff., insbes. 108 ff. Für die Herleitung aus Art. 249 III EG i.V. m. Art. 10 EG insbes. Frisch, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, 68; Geller-

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

EuGH bezüglich der Herleitung der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung sind somit die Fortsetzung der Diskussion um die Herleitung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Ebene des EU-Vertrags. Die Ausführungen des EuGH in der Rechtssache Pupino müssen allerdings nicht zwingend so verstanden werden, dass der EuGH die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung auch mit dem Loyalitätsgebot begründet.74 Betrachtet man den Aufbau des Urteils, kann man die Auseinandersetzung mit dem Loyalitätsgebot auch als Erwiderung auf die im Verfahren vorgebrachten Einwände der Mitgliedstaaten verstehen. Der EuGH wirft zunächst in Rn. 31 der Rechtssache Pupino die Frage nach der unionsrechtlichen Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung auf.75 Anschließend bringt er in Rn. 33 – 38 Argumente für die Begründung dieser Pflicht. Den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit leitet der EuGH jedoch erst in Rn. 42 aus dem EU-Vertrag ab, nachdem er die dahingehenden Einwände einiger Mitgliedstaaten in Rn. 39 des Urteils dargestellt hat. Die Ausführungen des EuGH zum Loyalitätsgebot scheinen in diesem Zusammenhang durch die Einwände der Regierungen Italiens und des Vereinigten Königreichs motiviert. Man kann die Ausführungen des EuGH daher auch so verstehen, dass er die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung in Rn. 33 – 38 herleitet und im Anschluss gegen die vorgebrachten Einwände verteidigt. Dies würde bedeuten, dass das Gebot zur loyalen Zusammenarbeit vom EuGH nicht als Begründungselement für die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung herangezogen wurde, sondern dass der EuGH durch die Bejahung einer solchen Loyalitätspflicht jedenfalls die diesbezüglichen Einwände der Mitgliedstaaten zurückweisen wollte. Der Streit darüber, ob das Bestehen einer Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit konstitutiv für die Bejahung der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ist, müsste aber nur dann entschieden werden, wenn der EU-Vertrag kein solches Loyalitätsgebot enthielte. Denn wenn auch auf EU-Ebene eine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit besteht, dann würden letztlich beide Meinungen zur Bejahung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung kommen – sei es, allein aufgrund der Umsetzungsverpflichtung, sei es aufgrund der Umsetzungsverpflichtung in Verbindung mit der Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit. Es ist daher zu untersuchen, ob auch der EU-Vertrag eine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit der EU enthält. mann, Beeinflussung des bundesdeutschen Rechts durch Richtlinien der EG, 105; Götz, in: FS Ress, 485, 487; Herlinghaus, Bedeutung und Reichweite der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts, 35; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 98. Für die Herleitung der richtlinienkonformen Auslegung allein aus Art. 249 III EG: Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 60 f., 257 f.; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 109 f.; Lück, Die Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip, 33; Roth, EWS 2005, 385, 385; Schroeder, EuR 2007, 349, 362. 74 A. A. wohl Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 209. 75 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 31.

B. Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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3. Verankerung einer Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit im EU-Vertrag Im Schrifttum ist umstritten, ob auch für das Unionsrecht eine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit im EU-Vertrag verankert ist. Gegen die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Pupino werden folgende Einwände vorgebracht: Zum einen fehle eine explizite Normierung des Gebotes zur loyalen Zusammenarbeit.76 Selbst wenn man aber aus Art. 1 II, III EU ein Gebot zur loyalen Zusammenarbeit herauslesen könnte, wären diese Bestimmungen zu allgemein gehalten, um rechtlich verbindlich zu sein.77 Zum anderen sei der EuGH für die Interpretation der allgemeinen Bestimmungen des EU-Vertrags nicht zuständig.78 Wenn überhaupt, so gelte ein Gebot zur loyalen Zusammenarbeit nur zwischen den mitgliedstaatlichen Behörden, nicht jedoch gegenüber den Organen der EU.79 Im Folgenden sollen diese Kritikpunkte genauer analysiert und auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüft werden. a) Fehlen einer expliziten Norm im Unionsvertrag In der Rechtssache Pupino haben die italienische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs eine unionsrechtliche Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung unter anderem deshalb abgelehnt, weil der EU-Vertrag im Gegensatz zum EG-Vertrag keine dem Art. 10 EG entsprechende Vorschrift enthalte.80 Da sich der EuGH aber in seiner Rechtsprechung zur richtlinienkonformen Auslegung auch teilweise auf Art. 10 EG gestützt habe, könne wegen des Fehlens einer entsprechenden Vorschrift im EU-Vertrag keine unionsrechtliche Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung hergeleitet werden.81 Es stellt sich damit die Frage, ob der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in einem eigenen Artikel des EU-Vertrags verankert sein muss, oder ob sich ein solcher Grundsatz nicht aus einer Zusammenschau verschiedener Bestimmungen des EU-Vertrags ableiten lässt. Betrachtet man die Normierung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit im Gemeinschaftsrecht, so zeigt sich auch dort, dass eine ausdrückliche Normierung für die Annahme des Loyalitätsgebots nicht erforderlich ist. Denn auch im Gemeinschaftsrecht ist der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nicht umfassend in Art. 10 EG normiert. Im Gemeinschaftsrecht bilden die geschriebenen Regelungen, s. u. 1. Teil: B.II.3.a). s. u. 1. Teil: B.II.3.b). 78 s. u. 1. Teil: B.II.3.b). 79 s. u. 1. Teil: B.II.3.c). 80 Ansicht der italienischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs, wiedergegeben in EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 25, 26 i.V. m. 39. 81 Ansicht der italienischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs, wiedergegeben in EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 25, 26 i.V. m. 39. 76 77

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

insbesondere Art. 10 EG, nur einen Auszug des breiten Spektrums rechtlicher Konkretisierungen ab, die auf eine ungeschriebene Loyalitäts-Norm als Geltungsgrund verweisen.82 Damit ist die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit in Art. 10 EG lediglich Ausdruck eines umfassenderen Prinzips, das dem Gemeinschaftssystem zugrunde liegt.83 Daher ist die Ansicht, die eine Loyalitätspflicht nur anerkennt, wenn diese auch explizit im EU-Vertrag formuliert ist, abzulehnen.

b) Loyalitätsgebot nicht nur unverbindlicher Programmsatz Andere nehmen zwar an, dass aus Art. 1 II, III EU eine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit herausgelesen werden könne. Es wird jedoch bezweifelt, ob sich aus derart allgemein gehaltenen Bestimmungen wie Art. 1 II, III EU so konkrete Pflichten wie die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ableiten lassen,84 zumal die Einhaltung der Pflicht zur Unionstreue nicht durch den EuGH kontrolliert werden könne.85 Weil der EuGH keine ausdrücklich normierte Kompetenz gem. Art. 46 EU für die Auslegung des Primärrechts, insbesondere von Art. 1 EU habe, sei der EuGH auch in der Rechtssache Pupino nicht zur Auslegung von Art. 1 II, III EU berufen gewesen.86 Daher hätte der EuGH in der Rechtssache Pupino auch keine Loyalitätspflicht aus Art. 1 II, III EU ableiten dürfen, um die Herleitung der unionsrechtlichen Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung zu stützen.87 Der Einwand, dass Art. 1 II, III EU zu allgemein gehalten seien, um konkrete Pflichten daraus zu entwickeln, kann jedoch wie folgt entkräftet werden: Zwar ist zuzugeben, dass Art. 1 II, III EU als Eingangsartikel des Unionsvertrags allgemein das Programm der Union darstellt. Dies schließt jedoch nicht aus, dass eine konkrete Pflicht der Mitgliedstaaten zur loyalen Erfüllung ihrer aus dem Unionsvertrag folgenden Aufgaben und zur Mitarbeit an der Integration besteht. Denn Art. 1 II, III EU und die in den folgenden Titeln des Unionsvertrags konkretisierten Vor82 Dazu ausführlich Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 36 ff.; Hieronymi, Solidarität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 33; Kahl in: Calliess / Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 11; Lück, Die Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip, 23; Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, 192; Zuleeg, in: v.d. Groeben / Schwarze, Art. 10 EGV, Rn. 1. 83 EuGH, Rs. 230 / 81 (Luxemburg / Parlament), Slg. 1983, 255, Rn. 37; EuGH, Rs. 44 / 84 (Hurd), Slg. 1986, 29, Rn. 38; EuGH, verb. Rs. 358 / 85 und 51 / 86 (Frankreich / Parlament), Slg. 1988, 4821, Rn. 34; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 36; Lück, Die Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip, 23; Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, 192; Zuleeg, in: v.d. Groeben / Schwarze, Art. 10 EGV, Rn. 1. 84 Chalmers, ELRev. 30 (2005) 773, 774. 85 Everling, EuR Beiheft 2 / 1998, 185, 192, der zwar die Frage der rechtlichen Verbindlichkeit aufwirft, sie aber im Ergebnis zu bejahen scheint, wenn er es für unerlässlich erachtet, den Grundsatz der Gemeinschaftstreue auch als Unionstreue zu verstehen (S. 194). 86 Chalmers, ELRev. 30 (2005) 773, 774; Egger, EuZW 2005, 652, 655. 87 Chalmers, ELRev. 30 (2005) 773, 774.

B. Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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schriften, denen ein Loyalitätsgedanke zugrunde liegt, sind Ausdruck des allgemeinen, dem erhöhten Integrationsprogramm der Union zugrunde liegenden Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit. So beschreibt der hier interessierende Titel VI EU das Integrationsprogramm im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen detailliert als einen Teil der neuen Stufe bei der Verwirklichung der immer engeren Union im Sinne von Art. 1 II EU und Art. 2 EU. Die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, die die Union gem. Art. 1 III 2 EU kohärent und solidarisch gestalten soll wird in Titel VI EU konkreter beschrieben. Dass die allgemeine Loyalitätspflicht der Mitgliedstaaten später noch konkretisiert wird, kann daher nicht als Argument gegen eine Loyalitätspflicht allgemeiner Art herangezogen werden. Auch der Einwand, dass der EuGH die Einhaltung einer allgemeinen Loyalitätspflicht abgeleitet aus Art. 1 II, III EU mangels Zuständigkeit nicht kontrollieren könne, ist zurückzuweisen. Selbst wenn die Einhaltung von Art. 1 EU an sich keiner Kontrolle durch den EuGH unterliegt, ist Art. 1 EU deswegen noch lange nicht unverbindlich. Man muss nämlich zwischen dem Bestehen einer Pflicht und den Sanktionsmöglichkeiten bei einer Pflichtverletzung unterscheiden.88 Der EuGH hat seine Zuständigkeit in der Rechtssache Pupino auch nicht dadurch überschritten, dass er bei der Beantwortung der Vorlagefrage eine Loyalitätspflicht aus dem Unionsvertrag, insbesondere unter Verweis auf Art. 1 III 2 EU hergeleitet hat. Zwar enthält Art. 46 EU nur eine eingeschränkte Zuständigkeitsöffnungsklausel für den EuGH, die u. a. Art. 1 EU gerade nicht auflistet. Dies bedeutet aber nur, dass ein mitgliedstaatliches Gericht im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nicht ausschließlich Fragen zur direkten Auslegung des Art. 1 EU stellen kann.89 Der EuGH ist aber gem. Art. 46 lit. b EU in Verbindung mit Art. 35 I EU zur Auslegung von Rahmenbeschlüssen berufen. Sofern Art. 1 EU bzw. allgemeine Rechtsgrundsätze wie das Loyalitätsprinzip bei der Auslegung eines Rahmenbeschlusses von Bedeutung sind, kann der EuGH auch inzident auf die primärrechtlichen Normen des Unionsvertrags Bezug nehmen.90 Daher hat der EuGH seine Kompetenz durch die Herleitung einer Loyalitätspflicht nicht überschritten. c) Loyalitätsgebot zwischen Mitgliedstaaten und Union Schließlich wird auch der Verweis auf die Überschrift und die Bestimmungen des Titels VI EU zur Begründung einer Loyalitätspflicht kritisiert.91 Die dort beschrieSo auch Schroeder, EuR 2007, 349, 362. So auch Müller-Graff, EuR Beiheft 2 / 1998, 67, 77. 90 EuGH, Rs. C-303 / 05 (Advocaten voor de Wereld VZW), Slg. 2007, I-3633, Rn. 18; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 42 f.; Knapp, DÖV 2001, 12, 14; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 564; MüllerGraff, EuR Beiheft 2 / 1998, 67, 77 f. 91 Fletcher, ELRev. 30 (2005) 863, 871. 88 89

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

bene Zusammenarbeit in Strafsachen betreffe nicht die loyale Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit der Union, sondern nur die Zusammenarbeit zwischen den mitgliedstaatlichen Polizei- und Justizbehörden.92 So betreffe Art. 29 I EU nur ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten untereinander. Art. 29 II EU konkretisiere diese Zusammenarbeit im 1. Spiegelstrich als eine Zusammenarbeit zwischen mitgliedstaatlichen Polizei-, Zoll- und anderen zuständigen Behörden unmittelbar oder mittelbar untereinander unter Einschaltung von Europol.93 In Art. 29 II, 2. Spiegelstrich EU wird wiederum nur die Zusammenarbeit mitgliedstaatlicher Behörden, genauer der Justizbehörden ins Blickfeld genommen. In Art. 30 I lit. a EU geht es ebenfalls nur um die operative Zusammenarbeit der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten94, während in Art. 30 I lit. b EU der Umgang mit sachdienlichen Informationen sowie der Informationsaustausch der Mitgliedstaaten untereinander unter Einschaltung von Europol geregelt wird. Auch hier gehe es wieder ausschließlich um die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, nicht um die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit der Union. Art. 31 I lit. a-d EU spricht ausdrücklich von der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, während Art. 31 I lit. e EU sich inhaltlich an die Mitgliedstaaten richtet. Der Rat fördert diese Zusammenarbeit gemäß Art. 30 II EU durch Europol und gemäß Art. 31 II EU durch Eurojust. „Die Zusammenarbeit“ beziehe sich hier jeweils nicht auf eine Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit Europol bzw. Eurojust, sondern auf die Zusammenarbeit, von der in Art. 30 I EU bzw. Art. 31 I EU die Rede ist, nämlich die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten untereinander.95 Dies unterscheide sich von der Gemeinschaftstreuepflicht, die nicht nur das horizontale Zusammenwirken der Mitgliedstaaten im Blick hat, sondern auch ein vertikales Loyalitätsverhältnis zwischen dem jeweiligen Mitgliedstaat und der EG begründe.96 Damit sei die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit, wie sie in Titel VI EU-Vertrag beschrieben werde nicht identisch mit der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit den Organen der Gemeinschaft.97 Indem der EuGH auf die Bestimmungen des Titel VI EU Bezug nahm, um eine mit Art. 10 EG vergleichbare Loyalitätspflicht im Unionsrecht aufzuzeigen, habe er seine Argumentation mehr geschwächt, als sie zu stützen.98 Der Einwand, dass sich aus dem Unionsvertrag allenfalls Loyalitätspflichten gegenüber den Mitgliedstaaten, nicht jedoch gegenüber der Union ergäben, vermag nicht zu überzeugen. Damit die Mitgliedstaaten die im Unionsvertrag niedergelegten Ziele verwirklichen können, sind sie auf Kooperation nicht nur ihrer eigenen zuständigen Behörden untereinander angewiesen, sondern auch auf loyale Zusammen92 93 94 95 96 97 98

Fletcher, ELRev. 30 (2005) 863, 871. Vgl. Fletcher, 30 ELRev. (2005) 863, 871. Fletcher, ELRev. 30 (2005) 863, 871 Fn. 29. Fletcher, ELRev. 30 (2005) 863, 871 Fn. 29. Fletcher, ELRev. 30 (2005) 863, 871. Fletcher, ELRev. 30 (2005) 863, 871. Fletcher, ELRev. 30 (2005) 863, 871.

B. Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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arbeit mit den Organen der Union.99 Gerade in den Bereichen, in denen es um die Umsetzung von Unionssekundärrecht geht, ist der Erfolg einer Maßnahme davon abhängig, dass sie in allen Mitgliedstaaten rechtzeitig umgesetzt wird, um zu einer Annäherung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu gelangen. Die getreue Umsetzung spiegelt daher nicht nur ein loyales Verhalten eines Mitgliedstaates zu der den Rechtsakt setzenden EU wider, sondern zeugt auch von Loyalität gegenüber den anderen umsetzungstreuen Mitgliedstaaten. Die Loyalität unter den Mitgliedstaaten ist daher gerade bei der Umsetzung von Unionssekundärrecht nicht von der Loyalität gegenüber der Union zu trennen. Deshalb vermag der Einwand, dass nur gegenüber den Mitgliedstaaten loyale Zusammenarbeit gefordert sei, nicht zu überzeugen

4. Annahme eines allgemeinen Loyalitätsgebotes im EU-Vertrag Die Ausführungen des EuGH zur Loyalitätspflicht erfahren in der Literatur aber auch Zustimmung. Zum Teil wird ohne eigene Begründung eine Loyalitätspflicht im Unionsvertrag angenommen.100 Zum Teil wird aber auch den Ausführungen des EuGH zugestimmt und das Bestehen einer Loyalitätspflicht damit begründet, dass die Ziele der Union nicht anders erreicht werden könnten.101 Die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit sei daher dem EU-Vertrag immanent, einer expliziten Regelung wie Art. 10 EG bedürfe es nicht.102 Eine Stimme im Schrifttum bejaht eine Loyalitätspflicht, die über die allgemeine in Art. 26 WVK kodifizierte völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung zur Einhaltung von Verträgen hinausgeht, weil der Integrationsgrad der Union höher sei als der einer normalen internationalen Organisation.103 Insbesondere wegen der Einführung effektiver Rechtssetzungsformen wie dem Rahmenbeschluss weise die Union in der dritten Säule einen erhöhten Integrationsgrad auf.104 Darüber hinaus bestehe mit Art. 7 EU ein Sanktionsmechanismus, der repressiv zur Verteidigung europäischer Grundwerte eingesetzt werden könne. Durch Sanktionen nach Art. 7 EU sei auch ein Teilaspekt der geschuldeten Loyalität im Hinblick auf die Grundstrukturen der Union durchsetzbar.105 Dies zeige, dass es den Mitgliedstaaten mit der Einhal99 So auch EuG, Rs. T-228 / 02 (Modjahedines du peuple d’Iran), Slg. 2006, II-4665, Rn. 123 und EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 42. Zu den Organen der EU s. u. 2. Teil: E.I.1.a)aa). 100 Bast, in: Lachmayer / Bauer, Praxiswörterbuch Europarecht, „Rahmenbeschlüsse“, 722; Herrmann, EuZW 2005, 436, 437. 101 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 42; Adam, EuZW 2005, 558, 561; Everling, EuR Beiheft 2 / 1998, 185, 194; Gas, EuR 2006, 285, 293; Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch europäische Rahmenbeschlüsse, 55. 102 Adam, EuZW 2005, 558, 561; Böse, in: Schwarze, Art. 29 EUV, Rn. 6. 103 Killmann, JBl. 2005, 566, 568. 104 Killmann, JBl. 2005, 566, 568. 105 Killmann, JBl. 2005, 566, 569.

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

tung der aus ihrer Mitgliedschaft entspringenden Verpflichtungen ernst sei.106 Daher sei eine der Gemeinschaftstreue vergleichbare Loyalitätspflicht auch auf Unionsebene anzunehmen.107 Auch im Unionsrecht, insbesondere im hier interessierenden Pfeiler der PJZS besteht eine sachliche Notwendigkeit zur Kooperation. Die Europäische Union ist in höherem Maße als die Gemeinschaft darauf angewiesen, dass die Mitgliedstaaten den rechtlichen Rahmen der GASP und PJZS mit Leben erfüllen. Dennoch ist allein mit der Feststellung eines Bedürfnisses nach Loyalität noch nicht die juristische Frage beantwortet, ob eine Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit auch im Unionsrecht normative Geltung beansprucht.108 Zwar kennt der EU-Vertrag keine ausdrücklich geregelte allgemeine Loyalitätspflicht. Eine Verpflichtung zur Loyalität kommt aber punktuell in verschiedenen Bestimmungen des EU-Vertrags zum Ausdruck:109 So kann die EU gem. Art. 1 II EU nur dann eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas darstellen, wenn die Maßnahmen, die gemäß dem EU-Vertrag erlassen werden, von den Mitgliedstaaten und den Organen auch tatsächlich beachtet werden.110 Zudem hat die Union gem. Art. 1 III 2 EU die Aufgabe, die Beziehungen zwischen ihren Völkern kohärent und solidarisch zu gestalten. Dazu ist es aber notwendig, dass die Mitgliedstaaten zur loyalen Berücksichtigung des Unionsrechts verpflichtet sind. Ein angemessener Ausgleich der Interessen der Mitgliedstaaten funktioniert nur, wenn einzelne Mitgliedstaaten nicht die europarechtlichen Vorgaben ignorieren, und sich so gegebenenfalls Vorteile gegenüber den umsetzungstreuen Staaten ermöglichen.111 Dies indiziert, dass sich auch die Mitgliedstaaten gegenüber der Union und den anderen Mitgliedstaaten loyal verhalten müssen.112 Auch die Organe der EU beziehen sich auf den „Geist der Loyalität und Solidarität“113. In weiteren Vorschriften sind Loyalitätspflichten oder loyalitätsbedürftige Situationen geregelt.114 Zu den Zielen der Union gehört es gem. Art. 2 , 4. Spiegelstrich Killmann, JBl. 2005, 566, 569. Killmann, JBl. 2005, 566, 568 f. 108 So zutreffend Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäische Union, 38. 109 So auch Böse, in: Schwarze, Art. 29 EUV, Rn. 6; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 329; Wasmeier, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 59, 63; Weißer, ZIS 2006, 562, 568. 110 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 330; Weißer, ZIS 2006, 562, 568. 111 So auch Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 330. 112 So auch Böse, in: Schwarze, Art. 29 EUV, Rn. 6; Gas, EuR 2006, 285, 293; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 39; Weißer, ZIS 2006, 562, 568. 113 Gemeinsamer Standpunkt (98 / 448 / GASP) vom 9. Juli 1998 – vom Rat aufgrund von Artikel J.2 des Vertrags über die Europäische Union festgelegt – betreffend Belarus, ABl. Nr. L 195 v. 11.7.1998, 1– 6. 106 107

B. Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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EU, den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu erhalten und weiterzuentwickeln. Dieses Ziel ist darauf ausgerichtet, gemeinsame Politiken zu formulieren und auf der Grundlage angeglichenen Rechts umzusetzen.115 Daher sind Union und Mitgliedstaaten zur Verwirklichung dieses Integrationsziels auf koordinierte, loyale Zusammenarbeit angewiesen. Gerade bei der Umsetzung von Maßnahmen tragen die Mitgliedstaaten die primäre Verantwortung bei der Implementierung in das nationale Recht, da die Rechtsakte der EU keine verordnungsgleiche Durchgriffswirkung entfalten. Nun könnte man zu der Annahme gelangen, dass im Rahmen der PJZS gerade deswegen keine Pflicht zur Loyalität bestehe, da in Titel VI EU, anders als im Rahmen der GASP in Art. 11 II UAbs. 1 EU der Begriff der Loyalität nicht einmal erwähnt wird. Doch wie oben bereits dargestellt, ist zur Herleitung einer allgemeinen Loyalitätspflicht im Unionsrecht keine explizite Erwähnung dieser Pflicht im EUVertrag notwendig.116 Denn auch in Titel VI EU kommt in einzelnen Normen eine allgemeine Loyalitätspflicht zum Ausdruck.117 Darüber hinaus gilt auch für den Unionsvertrag der allgemeine Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben, aus dem sich eine Loyalitätspflicht der Mitgliedstaaten untereinander und auch gegenüber der Union herleiten lässt.118 Ebenso wie im Gemeinschaftsrecht in Bezug auf Richtlinien sind die Mitgliedstaaten in der PJZS in Bezug auf Rahmenbeschlüsse verpflichtet, die verbindlichen Vorgaben des europäischen Rechtsaktes in das nationale Recht umzusetzen. Bei der Ausführung dieses Rechts durch die Mitgliedstaaten liegt ein wesentliches Anwendungsgebiet des Loyalitätsgebots, um so mehr, als die EU in besonderem Maße auf das Zusammenwirken der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Rahmenbeschlüssen angewiesen ist.119 Die mit dem Erlass von Rahmenbeschlüssen angestrebte Rechtsangleichung wird nur dann realisiert, wenn die Mitgliedstaaten alles tun, um die mit dem Rahmenbeschluss angestrebten Ergeb114 Art. 6 III EU verpflichtet die EU, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten. Diese Verpflichtung ist Ausdruck der allgemeinen Loyalitätspflicht, die auch im Verhältnis der Union gegenüber den Mitgliedstaaten gilt. Art. 11 II UAbs. 1 EU bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die Außen- und Sicherheitspolitik der Union im Geiste der Loyalität unterstützen (Hervorhebung durch Verf.), Art. 16 EU (Koordination der Außenpolitik), Art. 17 IV EU (verstärkte Zusammenarbeit), Art. 19 I EU (Koordination der Mitgliedstaaten in internationalen Organisationen), Art. 20 EU (intensive Zusammenarbeit der diplomatischen und konsularischen Vertretungen), Art. 23 EU (Verhalten im Rahmen der GASP), Art. 31 lit. d EU (Vermeidung von Kompetenzkonflikten zwischen den Mitgliedstaaten), Art. 34 I EU (Konsultationsund Informationspflichten), Art. 37 I EU (Vertretung gemeinsamer Standpunkte), Art. 43 lit. h EU (Ingerenzverbot für nicht an einer verstärkten Zusammenarbeit beteiligte Staaten). 115 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 52. 116 s. o. 1. Teil: B.II.3.a) a. E. 117 Insbesondere Art. 31 I lit. d EU zeigt, dass der Zusammenarbeit eine loyale Haltung zugrunde liegt. So sollen Kompetenzkonflikte vermieden werden, um das gemeinsame Vorgehen nicht zu verhindern oder zu erschweren. 118 So auch Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 39. 119 Zutreffend Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 71.

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

nisse in der nationalen Rechtsordnung zu erreichen. Dazu gehört insbesondere eine loyale Haltung gegenüber der Union sowie den anderen umsetzungstreuen Mitgliedstaaten, die sich darauf verlassen, dass auch in den anderen Mitgliedstaaten die Ziele des Rahmenbeschlusses bis zum Fristablauf verwirklicht sein werden. Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass auch dem EU-Vertrag eine Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Union zu entnehmen ist, die inhaltlich, soweit es um die Umsetzung von Rechtsakten geht, der Pflicht aus dem Gemeinschaftsrecht entspricht.120

III. Zwischenergebnis Die vorangegangenen Untersuchungen zeigen, dass sich die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung im EU-Vertrag parallel zur Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im EG-Vertrag herleiten lässt. Denn ebenso wie im Gemeinschaftsrecht in Art. 249 III EG ist im Unionsrecht in Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU eine Verpflichtung zur Umsetzung der europäischen Vorgaben in das nationale Recht enthalten. Aus dieser Verpflichtung zur Umsetzung ergibt sich die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts. Da im EU-Vertrag ebenso wie im EG-Vertrag eine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit verankert ist, ist die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ebenso wie die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung loyal zu erfüllen.

C. Einwände gegen die Herleitung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus dem EU-Vertrag Im Schrifttum wird die Herleitung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus dem EU-Vertrag kritisiert, da der EuGH in der Rechtssache Pupino vor allem die Gemeinsamkeiten von Rahmenbeschluss und Richtlinie betont hat. Die Unterschiede von Rahmenbeschluss und Richtlinie hat der EuGH hingegen nicht genauer thematisiert. Insbesondere ist der EuGH nicht darauf eingegangen, ob der Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses der Herleitung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung entgegenstehen könnte. Zudem hat der EuGH zwar anerkannt, dass seine Zuständigkeit im Rahmen der PJZS weniger weit reicht als im Gemeinschaftsrecht.121 Ob aber als Folge dieser eingeschränkten Zuständigkeit Rechtsschutzlücken für den Einzelnen auftreten können, wenn man eine Pflicht innerstaatlicher Stellen zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung annimmt, hat der EuGH ebenfalls nicht erörtert. 120 121

So auch Gas, EuR 2006, 285, 293. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 35.

C. Einwände gegen die Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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An diesen Punkten setzen die Gegner der Herleitung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU mit ihrer Kritik an. Gegen die Annahme, dass Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU mit der Umsetzungsverpflichtung auch eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung enthält, werden folgende Einwände erhoben: – Erstens stehe der Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung entgegen. – Zweitens könnten durch eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung Lücken im Individualrechtsschutz entstehen, die mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen, auf die die EU gem. Art. 6 I EU verpflichtet ist, unvereinbar wären.

I. Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit Rahmenbeschlüsse sind nicht unmittelbar wirksam gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU. Damit unterscheiden sie sich von Richtlinien. Denn Richtlinien können nach ständiger Rechtsprechung des EuGH unter bestimmten Voraussetzungen122 ausnahmsweise123 unmittelbare Wirkung im nationalen Recht entfalten.124 Unmittelbare Wirkung einer Richtlinie bedeutet, dass in einer konkreten Rechtsbeziehung die Richtlinie selbst als Rechtsgrundlage dient oder wegen einer Richtlinienvorschrift eine entgegenstehende nationale Norm nicht angewendet wird.125 Der EuGH selbst ging auf diesen deutlichen Unterschied zwischen Rahmenbeschluss und Richtlinie in der Rechtssache Pupino nicht ein, sondern betonte nur die Gemeinsamkeiten.126 Angesichts dessen bleibt die Frage zu klären, ob eine unions122 Zu den Voraussetzungen vgl. EuGH, Rs. 152 / 84 (Marshall), Slg. 1986, 723, Rn. 46; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 102 – 109, wo die unmittelbare Anwendbarkeit daran scheiterte, dass die Richtlinie Verpflichtungen für einen Einzelnen begründet hätte, vgl. Rn. 109; EuGH, Rs. C-317 / 05 (Pohl-Boskamp GmbH & Co. KG), Slg. 2006, I-10611, Rn. 41 f.; Degenhard, Voraussetzungen und Folgen der unmittelbaren Wirkung von EG-Richtlinien, Teil 1, 24 ff.; Scherzberg, Jura 1993, 225, 226; Steinbarth, Jura 2005, 607, 607. 123 Degenhard, Voraussetzungen und Folgen der unmittelbaren Wirkung von EG-Richtlinien, Teil 1, 23. 124 EuGH, Rs. 41 / 74 (van Duyn), Slg. 1974, 1337, Rn. 12; EuGH, Rs. 148 / 78 (Ratti), Slg. 1979, 1629, Rn. 19 ff.; EuGH, Rs. 8 / 81 (Becker), Slg. 1982, 53, Rn. 49; EuGH, Rs. 152 / 84 (Marshall), Slg. 1986, 723, Rn. 46; EuGH, RsC-62 / 00 (Marks & Spencer), Slg. 2002, I-6325, Rn. 25; EuGH, Rs. C-276 / 01 (Steffensen), Slg. 2003, I-3735, Rn. 38; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 102 – 109, im konkreten Fall scheiterte die unmittelbar Anwendbarkeit daran, dass die Richtlinie Verpflichtungen für einen Einzelnen begründet hätte, vgl. Rn. 109; EuGH, Rs. C-317 / 05 (Pohl-Boskamp GmbH & Co. KG), Slg. 2006, I-10611, Rn. 41 f.; vgl. zusammenfassend Jarass / Beljin, JZ 2003, 770 ff. 125 EuGH, Rs. 8 / 81 (Becker), Slg. 1982, 53, Rn. 49; Jarass / Beljin EuR 2004, 714, 717 f. 126 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 33 f.

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

rechtliche Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung schon allein deshalb nicht bestehen kann, weil Rahmenbeschlüsse gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU nicht unmittelbar wirksam sind. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, ob die Pflicht zur konformen Auslegung voraussetzt, dass der europäische Rechtsakt, der als Maßstab für die Auslegung nationaler Normen dienen soll, unmittelbar wirksam sein kann. Wäre die Möglichkeit zur unmittelbaren Wirksamkeit eine notwendige Bedingung für die Annahme einer Pflicht zur konformen Auslegung, so müsste versucht werden, eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nicht mit Verweis auf die Parallelität des Rahmenbeschlusses zur Richtlinie zu begründen. Denn die unmittelbare Wirksamkeit eines Rahmenbeschlusses ist in Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU explizit ausgeschlossen. Hängen allerdings die Möglichkeit der unmittelbaren Wirksamkeit und die Pflicht zur konformen Auslegung nicht zusammen, sondern bestehen beide Rechtsinstitute unabhängig voneinander, so würde Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU eine parallele Herleitung der rahmenbeschlusskonformen Auslegung zur richtlinienkonformen Auslegung nicht ausschließen. Es stellt sich daher die Frage: Bedeutet der Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit zugleich den Ausschluss einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung?

1. Ausschluss der unmittelbaren und mittelbaren Wirkungen eines Rahmenbeschlusses? a) Extensive Auslegung des Ausschlusses der unmittelbaren Wirksamkeit Zum Teil wird vertreten, dass Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU keine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung enthalte, da die unmittelbare Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses ausdrücklich in Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU ausgeschlossen sei.127 Der Ausdruck „unmittelbar wirksam“ sei in einem weiten Sinne zu verstehen.128 Der Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit sei so zu interpretieren, dass die Mitgliedstaaten nicht nur verhindern wollten, dass der EuGH seine Rechtsprechung zur unmittelbaren Wirksamkeit von Richtlinien auf Rahmenbeschlüsse überträgt, sondern dass mit diesem Ausschluss auch verhindert werden sollte, dass der EuGH eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung in Parallele zur richtlinienkonformen Auslegung entwickelt.129

127 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Kaiafa-Gbandi, ZIS 2006, 521, 533; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 109 ff. 128 Streinz, Europarecht, Rn. 476. 129 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 109 ff.

C. Einwände gegen die Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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b) Gefahr der Umgehung des Ausschlusses der unmittelbaren Wirksamkeit Gegen eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung spreche auch, dass der Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit im Wege einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts zu leicht umgangen werden könnte.130 Mit dem Instrument der rahmenbeschlusskonformen Auslegung werde die von Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU ausgeschlossene unmittelbare Wirkung eines Rahmenbeschlusses quasi durch die Hintertür eingeführt.131 Daher müsse auch die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung von Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU mit ausgeschlossen sein. Denn ebenso wie die unmittelbare Wirksamkeit diene die „Erfindung“132 der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung dazu, die Richtlinienziele mit anderen als den vertraglich vorgesehenen Mitteln umzusetzen.133 Gerade in Fällen, in denen eine Richtlinie nicht unmittelbar anwendbar sei, werde auf die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung verwiesen, um Konformitätslücken zu schließen.134 Damit substituiere die richtlinienkonforme Auslegung letztlich ebenso wie die unmittelbare Wirksamkeit die mangelhafte gesetzliche Umsetzung der Richtlinienziele in nationales Recht.135 Letztlich laufe eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung im Falle von nicht oder nicht rechtzeitig umgesetzten EU-Rechtsakten auf eine Verdrängung des nationalen Rechts zu Gunsten europäischer Zielvorgaben hinaus.136 Dies sei aber gerade auch ein Wesensmerkmal der unmittelbaren Wirksamkeit, welche mit Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU ausgeschlossen werden sollte.137 Soweit konforme Auslegung und unmittelbare Wirksamkeit dieselbe Wirkung zeitigen, seien daher beide Institute von Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU erfasst.138 130 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 109 ff.; Bedenken auch bei Adam, EuZW 2005, 558, 560 f. 131 Kaiafa-Gbandi, ZIS 2006, 521, 533; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 109 ff.; Adam, EuZW 2005, 558, 560 f. 132 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842. 133 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; ähnlich Scherzberg, Jura 1993, 225, 232. 134 Fletcher, ELRev. 30 (2005) 862, 875; Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Ress, DÖV 1994, 489, 493; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 110 f. 135 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Kaiafa-Gbandi, ZIS 2006, 521, 534; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 112. 136 Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 112 f. unter Verweis auf Di Fabio, NJW 1990, 947 ff. 137 Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 115. 138 Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 109; v. Unger, NVwZ 2005, 46, 48; Adam, EuZW 2005, 558, 561 erachtet eine Übertragung der Rechtsprechung zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmen-

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

Dem lasse sich nicht entgegenhalten, dass eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung im Gegensatz zur unmittelbaren Wirksamkeit bereits bestehende auslegungsfähige nationale Regelungen voraussetze.139 Die Anknüpfung an das nationale Recht sei nur vordergründig. Denn zum einen müsse auch vor oder ohne Bezug zum europäischen Rechtsakt erlassenes nationales Recht konform ausgelegt werden, zum anderen werde beim Auslegungsvorgang letztendlich doch unter unmittelbarer Berufung auf dass europäische Recht das vom Rahmenbeschluss vorgegebene Ziel unmittelbar ins nationale Recht implantiert.140 c) Hypothetischer Wille der Mitgliedstaaten Schließlich wird von den Gegnern der Herleitung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus dem EU-Vertrag auch auf einen entgegenstehenden hypothetischen Willen der Mitgliedstaaten verwiesen. Dadurch, dass die unmittelbare Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses explizit ausgeschlossen wurde, zeige sich der Wille der Mitgliedstaaten, dass dem Unionsrecht weder durch unmittelbare Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses, noch durch rahmenbeschlusskonforme Auslegung zum Durchbruch im nationalen Rechtskreis verholfen werden solle. Vielmehr könne ein Rahmenbeschluss erst nach erfolgter legislativer Umsetzung Wirkungen im nationalen Recht entfalten.141

2. Unabhängigkeit der Pflicht zur konformen Auslegung von der unmittelbaren Wirksamkeit des zu Grunde liegenden Rechtsaktes Die Auffassung, dass Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU einer Verankerung der Pflicht zur rahmenbeschusskonformen Auslegung in Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU ausschließt, ist jedoch abzulehnen.142 Denn die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Ausbeschlüsse angesichts Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU für „bedenklich“; zweifelnd auch Rudolf / Giese, ZRP 2007, 113, 115. 139 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 110. 140 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Kaiafa-Gbandi, ZIS 2006, 521, 534; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 110 ff.; Scherzberg, Jura 1993, 225, 232 hält die Kombination von konformer Interpretation des nationalen Rechts bei gleichzeitiger Verweigerung der unmittelbaren Wirkung für inkonsequent; kritisch auch Ress, DÖV 1994, 489, 493; gegen diese Ansichten Lenaerts / Corthaut, ELRev. 31 (2006) 287, 309 ff. 141 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Kaiafa-Gbandi, ZIS 2006, 521, 534; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 115. 142 So auch Egger, EuZW 2005, 652, 653; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 237; Gas, EuR 2006, 285, 293; Herrmann, EuZW 2005, 436, 437; Killmann, JBl. 2005, 566, 569; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amster-

C. Einwände gegen die Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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legung hängt nicht davon ab, dass ein Rahmenbeschluss unmittelbar wirksam sein kann:143 – Erstens sind rahmenbeschlusskonforme Auslegung und unmittelbare Wirksamkeit zwei unterschiedliche Rechtsinstitute.144 – Zweitens zeigt ein Vergleich mit der richtlinienkonformen Auslegung, dass auch die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung nicht von der unmittelbaren Wirksamkeit der Richtlinie abhängt.145 – Drittens lässt sich weder aus dem Wortlaut des Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU noch aus dem Willen der Mitgliedstaaten folgern, dass auch mittelbare Wirkungen des Rahmenbeschlusses – vermittelt über die Auslegung nationalen Rechts – ausgeschlossen wären.146

a) Unterschied zwischen unmittelbarer Wirksamkeit und konformer Auslegung Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU schließt die unmittelbare Wirksamkeit von Rahmenbeschlüssen aus. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass auch eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ausgeschlossen sei, da die Pflicht zur konformen Auslegung und die unmittelbare Wirksamkeit verschiedene Rechtsinstitute sind.147 Unmittelbare Wirksamkeit und konforme Auslegung unterscheiden damer Vertrag, 266 f.; Müller-Graff, in: Hummer, 159, 272; Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch europäische Rahmenbeschlüsse, 54; Schroeder, EuR 2007, 349, 366 f.; Skouris, ZEuS 2005, 463, 476; Streinz, JuS 2005, 1023, 1026; Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551 erwägen jedoch aufgrund des Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU die Grenzen der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung enger zu ziehen als bei der richtlinienkonformen Auslegung (dazu unten 4. Teil: D.II.). 143 So auch Adam, EuZW 2005, 558, 560; Egger, EuZW 2005, 652, 653; Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 237; Gas, EuR 2006, 285, 293; Herrmann, EuZW 2005, 436, 437; Killmann, JBl. 2005, 566, 569; König, in: Schulze / Zuleeg, Europarecht, § 2 Rn. 62; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 267; bzgl. Richtlinien Lorz, Der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung, 58; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 123; Schroeder, EuR 2007, 349, 366 f.; Streinz, JuS 2005, 1023, 1026. 144 So auch Adam, EuZW 2005, 558, 560; Egger, EuZW 2005, 652, 653; Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 237; Killmann, JBl. 2005, 566, 569; Streinz, JuS 2005, 1023, 1026. Ebenfalls in Bezug auf Richtlinien: Frisch, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, 61; Götz in: FS Ress, 485, 488 f.; Steinbarth, Jura 2005, 607, 611. 145 Gas, EuR 2006, 285, 293; Killmann, JBl. 2005, 566, 569; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 123. 146 So auch Egger, EuZW 2005, 652, 653. 147 So auch Adam, EuZW 2005, 558, 560; Egger, EuZW 2005, 652, 653; Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 237; Herrmann, EuZW 2005, 436, 437; Killmann, JBl. 2005, 566, 569; Streinz, JuS 2005, 1023, 1026; bezüglich Richtlinien: Frisch,

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

sich148 nicht nur im Hinblick auf die Art und Weise, wie der europäische Rechtsakt auf das nationale Recht einwirkt149, sondern auch bezüglich der Voraussetzungen dieser Institute150. aa) Unterschiedliche Wirkungsweisen Die Anknüpfungspunkte für die Rechtswirkungen bei der richtlinienkonformen Auslegung und der unmittelbaren Wirkung sind verschieden. Bei der richtlinienkonformen Auslegung wirkt eine Richtlinie vermittelt über eine anwendbare nationale Rechtsnorm auf das innerstaatliche Recht ein.151 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung kommt mithin nur dort zum Tragen, wo das nationale Recht selbst angewendet wird und Auslegungsspielräume belässt.152 Durch die rahmenbeschlusskonforme Auslegung fließen die Ziele des Rahmenbeschlusses ebenfalls nur über das nationale Recht in die Rechtsordnung ein. Es ist jedoch nicht möglich, Rechtsinstitute oder Mechanismen, die der nationalen Rechtsordnung komplett fremd sind, im Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, 61; Götz: in FS Ress, 485, 488; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 336 f. Steinbarth, Jura 2005, 607, 611; Wasmeier, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 59, 65. 148 Adam, EuZW 2005, 558, 560; Egger, EuZW 2005, 652, 653; Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 237; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 336; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 235 f. 149 Adam, EuZW 2005, 558, 560; Egger, EuZW 2005, 652, 653; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 237; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 336 f.; Lenaerts / Corthaut, ELRev. 31 (2006) 287, 309; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 266; Schroeder, EuR 2007, 349, 367. 150 Egger, EuZW 2005, 652, 653; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 237; Schroeder, EuR 2007, 349, 367. Zu den Voraussetzungen für die unmittelbare Wirksamkeit von Richtlinien Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 45-58; zu den Voraussetzungen des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 112-128. 151 EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 26; EuGH, Rs. 31 / 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 39; Franzen, Privatrechtsangleichung, 361; Götz, in: FS Ress, 485, 487; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 336 f.; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 266; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 235; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 54; Weißer, ZIS 2006, 562, 573. 152 EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C-334 / 92 (Wagner Miret), Slg. 1993, I-6911, Rn. 20; EuGH, Rs. C-91 / 92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 26; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 40; EuGH, Rs. C-456 / 98 (Centrosteel), Slg. 2000, I-6007, Rn. 16.; Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 78 f.; Franzen, Privatrechtsangleichung, 361; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 230; Gellermann, Beeinflussung des bundesdeutschen Rechts durch Richtlinien der EG, 111; Götz, in: FS Ress, 485, 487 u. 490; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 336; Lenaerts / Corthaut, ELRev. 31 (2006) 287, 309 f.; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 266 f.; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 54.

C. Einwände gegen die Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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Wege der rahmenbeschlusskonformen Auslegung in die Rechtsordnung zu implementieren.153 Dies ginge nur im Wege der unmittelbaren Wirksamkeit.154 Wird die Richtlinie unmittelbar angewendet, so erzeugt sie selbst die Rechtswirkungen für die Einzelnen im nationalen Recht.155 Bei der unmittelbaren Anwendung einer Richtlinie wird ein in der Richtlinie enthaltener Rechtssatz selbst konkretisiert und unmittelbar auf den Fall angewandt, oder ein Rechtssatz des nationalen Rechts wird wegen Verstoßes gegen eine Richtlinienvorschrift nicht angewandt.156 Vor- und Nachteile ergeben sich für den Einzelnen bei einer konformen Auslegung nicht wie bei der unmittelbaren Wirksamkeit aus dem gemeinschaftsrechtlichen Rechtssatz selbst, sondern aus der interpretierten nationalen Norm, die solche Rechtsfolgen infolge ihres eigenen Auslegungsspielraumes zulässt.157 Dies entspricht dem Grundsatz des Art. 249 III EG, wonach Richtlinien gegenüber Einzelnen grundsätzlich erst vermittelt über das nationale Recht Wirkungen entfalten.158 Der Unterschied zwischen einer konformen Auslegung des nationalen Rechts und der unmittelbaren Wirksamkeit eines Rechtsaktes wird auch vom EuGH betont159, indem er eine Auslegung contra legem gerade nicht verlangt.160 Der EuGH ist sich der Bedeutung des Grundsatzes der Rechtssicherheit durchaus bewusst.161 Die Feststellung, ob eine nationale Rechtsvorschrift der Auslegung zugänglich ist, oder nicht, obliegt dem vorlegenden Gericht. Denn allein dieses Gericht ist für die Lenaerts / Corthaut, ELRev. 31 (2006) 287, 310. Lenaerts / Corthaut, ELRev. 31 (2006) 287, 309 ff. 155 EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 27; EuGH, Rs. 31 / 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 40; Frisch, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, 61; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 39; Lenaerts / Corthaut, ELRev. 31 (2006) 287, 310; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 54; Weißer, ZIS 2006, 562, 573. 156 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 93. 157 EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 26 f.; Adam, EuZW 2005, 558, 560; Franzen, Privatrechtsangleichung, 361; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 234 f.; Gellermann, Beeinflussung des bundesdeutschen Rechts durch Richtlinien der EG, 111; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 39 u. 93; Jarass / Beljin, JZ 2003, 768, 776; Lenaerts / Corthaut, ELRev. 31 (2006) 287, 309 f.; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 266; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 136. 158 Götz: in FS Ress, 485, 486 f.; Steinbarth, Jura 2005, 607, 607. 159 Std. Rspr. seit EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 26 f.; EuGH, Rs. 8 / 81 (Becker), Slg. 1982, 53, Rn. 19 f. u. 25; EuGH, Rs. 31 / 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 39 f.; vgl. auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 361; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 93. 160 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 47, EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 109 u. 113; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 100; vgl. auch Wasmeier, ZEuS 2006, 23, 29. 161 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 44; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 100; Wasmeier, ZEuS 2006, 23, 29. 153 154

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

Auslegung des nationalen Rechts zuständig.162 Es entspricht der Aufgabe der innerstaatlichen Stellen, die Ziele des Rahmenbeschlusses im Wege der Auslegung des nationalen Rechts und damit über die nationale Rechtsordnung zu verwirklichen, wie dies von Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU vorgesehen ist. bb) Unterschiedliche Voraussetzungen Richtlinienkonforme Auslegung und unmittelbare Wirksamkeit unterscheiden sich aber auch in ihren Voraussetzungen.163 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung setzt voraus, dass die innerstaatliche Stelle für die Auslegung des nationalen Rechts überhaupt zuständig ist.164 Sie beginnt erst nach Ablauf der Umsetzungsfrist165 und ist nur dann von Bedeutung, wenn ohne eine richtlinienkonforme Auslegung das Richtlinienziel im Anwendungsbereich der Richtlinie166 im nationalen Recht nicht vollständig verwirklicht würde. Wichtigste Voraussetzung für die Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung ist, dass das nationale Recht einen Auslegungsspielraum enthält167, bei dessen Ausschöpfung ein richtlinienkonformes Ergebnis erzielt werden kann168. 162 EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 49 f.; EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 48; EuGH, Rs. C-467 / 05 (Giovanni Dell’Orto), Slg. 2007, I-5557, Rn. 44; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 102; Egger, EuZW 2005, 652, 655; Götz, in: FS Ress, 485, 490; Götz, NJW 1992, 1849, 1854; Wasmeier, ZEuS 2006, 23, 29. 163 Egger, EuZW 2005, 652, 653; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 237; Schroeder, EuR 2007, 349, 367; Der Rahmen dieser Arbeit lässt es nicht zu, diese Voraussetzungen detailliert darzustellen. Ausführlich zu den Voraussetzungen für die unmittelbare Wirksamkeit von Richtlinien Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 45 ff.; zu den Voraussetzungen des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 112 ff. 164 EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 26; EuGH, Rs. 222 / 84 (Johnston), Slg. 1986, 1651, Rn. 53; EuGH, Rs. 80 / 87 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, 3969, Rn. 12; EuGH, Rs. 31 / 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 39; EuGH, Rs. 125 / 99 (Strafverfahren gegen Nijman), Slg. 1989, 3533, Rn. 6; EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C-91 / 92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 26; EuGH, Rs. C-54 / 96 (Dorsch Consult), Slg. 1997, I-4961, Rn. 43; EuGH, Rs. C-76 / 97 (Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 25; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 48; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 40; EuGH, Rs. C-160 / 01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 35; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 110; EuGH, Rs. C-316 / 04 (Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie), Slg. 2005, I-9759, Rn. 77; EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 111; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 41; EuGH, Rs. C-396 / 07 (Mirja Juuri), Slg. 2008, I-8883, Rn. 27. 165 EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 115; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 119. 166 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 273 ff.; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 114. 167 EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C 334 / 92 (Wagner Miret), Slg. 1993, I-6911, Rn. 20; EuGH, Rs. C-91 / 92 (Faccini Dori), Slg. 1994,

C. Einwände gegen die Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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Im Gegensatz dazu setzt die unmittelbare Wirksamkeit der Richtlinie voraus, dass ein Umsetzungsdefizit vorliegt, die anzuwendende Richtlinienbestimmung inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt ist169 und die Richtlinie keine Verpflichtungen für den Einzelnen begründet.170 cc) Keine faktische unmittelbare Wirksamkeit durch konforme Auslegung Gegen die soeben aufgezeigten Unterschiede zwischen unmittelbarer Wirksamkeit und konformer Auslegung kann nicht eingewendet werden, dass diese Unterscheidungen künstlich seien und die richtlinienkonforme Auslegung faktisch dennoch zu einer unmittelbaren Wirkung führe.171 Denn Anknüpfungspunkt für die richtlinienkonforme Auslegung ist allein das nationale Recht, das richtlinienkonforme Ergebnisse aufgrund seines eigenen Auslegungsspielraums zulässt.172 Wie von Art. 249 III EG und auch Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU vorgesehen, obliegt es den innerstaatlich zuständigen nationalen Stellen, die geeignete Einpassung der europarechtlichen Ziele in das nationale Recht zu erreichen. Die unbedingte Verbindlichkeit der RahmenI-3325, Rn. 26; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 40; EuGH, Rs. C-456 / 98 (Centrosteel), Slg. 2000, I-6007; Rn. 16; EuGH, Rs. C-462 / 99 (Connect Austria), Slg. 2003, I-5197, Rn. 40; Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 78 f.; Franzen, Privatrechtsangleichung, 361; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 230; Gellermann, Beeinflussung des bundesdeutschen Rechts durch Richtlinien der EG, 111; Götz, in: FS Ress, 485, 487 u. 490; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 336; Lenaerts / Corthaut, ELRev. 31 (2006) 287, 309 f.; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 266 f.; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 54. 168 EuGH, Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 109 u. 113; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 100; vgl. auch Wasmeier, ZEuS 2006, 23, 29. 169 EuGH, Rs. 8 / 81 (Becker), Slg. 1982, 53, Rn. 25; EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 27; EuGH, Rs. 79 / 83 (Harz) Slg. 1984, 1921, Rn. 26 f.; EuGH, Rs. 152 / 84 (Marshall), Slg. 1986, 723, Rn. 46; EuGH, Rs. 80 / 86 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, 3969, Rn. 7; EuGH, Rs. C-334 / 92 (Wagner Miret), Slg. 1993, I-6911, Rn. 19 f.; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 48 ff.; EuGH, Rs. C-371 / 97 (Gozza), Slg. 2000, I-7881, Rn. 36 f.; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 38 ff.; EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 113; EuGH, verb. Rs. C-378 / 07 bis C-380 / 07 (Angelidaki), Slg. 2009, I-3071, Rn. 210 ff. 170 EuGH, Rs. 152 / 84 (Marshall), Slg. 1986, 723, Rn. 46; EuGH, Rs. 80 / 86 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, 3969, Rn. 9; EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 6 ff.; EuGH, Rs. C-192 / 94 (El Corte Inglés), Slg. 1996, I-1281, Rn. 20 ff.; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 108 ff.; Gas, EuR 2006, 285, 293; ausführlich Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 61 ff. 171 So aber Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 115; bezüglich Richtlinien Scherzberg, Jura 1993, 225, 232. 172 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 93; Lenaerts / Corthaut, ELRev. 31 (2006) 287, 309 ff.; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 135 f.; Steinbarth, Jura 2005, 607, 610.

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

beschlussvorgaben wird jedoch durch das Umsetzungserfordernis nicht relativiert. Ist eine Umsetzung des Rahmenbeschlusses durch den Gesetzgeber nicht erfolgt oder misslungen, kann zumindest für den von den innerstaatlichen Stellen konkret zu entscheidenden Fall durch eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung eine Umsetzung des Rahmenbeschlusszieles in das nationale Recht für diesen Einzelfall erfolgen.173 Die rahmenbeschlusskonforme Auslegung ist damit eine Form der Umsetzung von Rahmenbeschlüssen in das nationale Recht. Dies ist mit der Vorgabe des Art. 34 II 2 lit. b EU vereinbar, wonach der Rahmenbeschluss nur vermittelt über das nationale Recht Wirkungen für den Einzelnen entfalten kann. Über die grundlegenden Unterschiede zwischen konformer Auslegung und unmittelbarer Wirksamkeit kann auch nicht hinwegtäuschen, dass die rahmenbeschlusskonforme Auslegung mitunter Ergebnisse zur Folge hat, die auch bei einer von Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU ausgeschlossenen unmittelbaren Anwendung des Rahmenbeschlusses erreicht würden. Denn allein aus der Tatsache, dass ein bestimmtes Ergebnis sowohl bei einer konformen Auslegung als auch bei unmittelbarer Anwendung des Rahmenbeschlusses erreicht würde, folgt nicht zwingend, dass wegen des Ausschlusses der unmittelbaren Wirksamkeit zugleich auch die richtlinienkonforme Auslegung ausgeschlossen werden muss.174 Zwei gleiche Ergebnisse können durchaus auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden, von denen einer zulässig, der andere hingegen nicht gangbar sein kann. Es bleibt daher festzuhalten, dass ein Unterschied zwischen der rahmenbeschlusskonformen Auslegung einer nationalen Norm und der unmittelbaren Wirksamkeit eines Rahmenbeschlusses besteht. b) Vergleich mit Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung Ein Vergleich mit der richtlinienkonformen Auslegung zeigt, dass die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nicht von der unmittelbaren Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses abhängt.175 Denn auch die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung setzt nicht die unmittelbare Wirksamkeit der Richtlinie im konkreten Fall voraus.176 Vgl. auch Roth, EWS 2005, 385, 387. Anschaulich Lenaerts / Corthaut, ELRev. 31 (2006) 287, 310: „It is not because a city council decides to severely restrict the use of electric hedge trimmers in certain residential areas in light of their enourmous impact on the calm and peace of the neighbourhood, that this also means that the use of a simple pair of shares is prohibited as well, even if both can be used to obtain the same neatly trimmed hedge.“ 175 So auch Gas, EuR 2006, 285, 293; Haltern, Europarecht, Rn. 742; Killmann, JBl. 2005, 566, 569; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 236. 176 EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 27 f.; EuGH, verb. Rs. C-378 / 07 bis C-380 / 07 (Angelidaki), Slg. 2009, I-3071, Rn. 211 f.; v. Bogdandy / Bast / Arndt, ZaöRV 62 (2002) 78, 111 f.; Gas, EuR 2006, 285, 293; Herrmann, EuZW 2005, 436, 173 174

C. Einwände gegen die Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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Es ist mittlerweile anerkannt, dass auch in den Fällen, in denen einer Richtlinienbestimmung keine unmittelbare Wirksamkeit zukommt, eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts besteht.177 Dies ist nicht nur der Fall, wenn die Richtlinie aufgrund der konkreten Fallgestaltung keine unmittelbare Wirkung entfalten kann, weil sie sonst beispielsweise Verpflichtungen für den Einzelnen begründen würde178, sondern auch dann, wenn die Richtlinienbestimmung an sich schon nicht die Voraussetzungen für die unmittelbare Wirksamkeit mitbringt, beispielsweise weil sie von vornherein nicht unbedingt oder nicht hinreichend bestimmt ist179. Das zeigt, dass die unmittelbare Wirksamkeit der Richtlinie im konkreten Fall nicht Voraussetzung für die Pflicht zur konformen Auslegung ist.180 Unterstützt wird dieses Ergebnis dadurch, dass die Frage nach der unmittelbaren Wirksamkeit einer Richtlinie immer nur dann auftritt, wenn der Mitgliedstaat seiner Umsetzungsverpflichtung nicht nachgekommen ist.181 Erst dann besteht eine Diver437; Lorz, Der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung, 58; Steinbarth, Jura 2005, 607, 611; Wöhlermann, Die richtlinienkonforme Auslegung im Europäischen Arbeitsrecht, 131. 177 EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 26; EuGH, Rs. 79 / 83 (Harz), Slg. 1984, 1921, Rn. 26 f.; EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 6 ff.; EuGH, Rs. C-334 / 92 (Wagner Miret), Slg. 1993, I-6911, Rn. 19 f.; EuGH, Rs. C-192 / 94 (El Corte Inglés), Slg. 1996 I-1281, Rn. 20 ff.; EuGH, Rs. C-76 / 97 (Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 24 f.; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 48 ff.; EuGH, Rs. C-371 / 97 (Gozza), Slg. 2000, I-7881, Rn. 36 f.; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 38 ff.; EuGH, Rs. C-456 / 98 (Centrosteel), Slg. 2000, I-6007, Rn. 15 f.; EuGH, verb. Rs. C-378 / 07 bis C-380 / 07 (Angelidaki), Slg. 2009, I-3071, Rn. 211 f.; Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 79; Frisch, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, 108 f.; Gas, EuR 2006, 285, 293; Haltern, Europarecht, Rn. 742; Herlinghaus, Bedeutung und Reichweite der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts, 20; Herrmann, EuZW 2005, 436, 437; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechsprechung, 113; Jarass / Beljin, JZ 2003, 768, 776; Leonard, Die Rechtsfolgen der Nichtumsetzung von EG-Richtlinien, 117; Ress, DÖV 1994, 489, 490; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 54; Roth, EWS 2005, 385, 387. 178 EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 6 ff.; EuGH, Rs. C-192 / 94 (El Corte Inglés), Slg. 1996, I-1281, Rn. 20 ff.; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 108 ff.; Gas, EuR 2006, 285, 293. 179 EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 27; EuGH, Rs. 79 / 83 (Harz), Slg. 1984, 1921, Rn. 26 f.; EuGH, Rs. C-334 / 92 (Wagner Miret), Slg. 1993, I-6911, Rn. 19 f.; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 48 ff.; EuGH, Rs. C-371 / 97 (Gozza), Slg. 2000, I-7881, Rn. 36 f.; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 38 ff.; EuGH, verb. Rs. C-378 / 07 bis C-380 / 07 (Angelidaki), Slg. 2009, I-3071, Rn. 210 ff. 180 Frisch, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, 60 f.; Gas, EuR 2006, 285, 293; Jarass / Beljin, JZ 2003, 768, 774; Leonard, Die Rechtsfolgen der Nichtumsetzung von EG-Richtlinien, 117. 181 EuGH, Rs. 270 / 81 (Felicitas), Slg. 1982, 2771, Rn. 26; EuGH, Rs. 152 / 84 (Marshall), Slg. 1986, 723, Rn. 46; EuGH, Rs. 31 / 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 40; EuGH, Rs. C-160 / 01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 37; EuGH, Rs. C-317 / 05 (Pohl-Boskamp GmbH & Co. KG), Slg. 2006, I-10611, Rn. 41 f.; EuGH, Rs. C-462 / 99 (Connect Austria), Slg. 2003,

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

genz zwischen nationalem Recht und Richtlinienziel. Lässt sich jedoch das Richtlinienziel auch durch eine konforme Auslegung bestehender nationaler Rechtsvorschriften erreichen, besteht in der konkreten Situation keine Umsetzungspflichtverletzung, welche als Sanktion182 die unmittelbare Wirksamkeit auslösen könnte. Daher wird die Frage nach der unmittelbaren Wirksamkeit erst dann relevant, wenn Richtlinienkonformität nicht durch Auslegung des nationalen Rechts hergestellt werden kann.183 Auch dies zeigt, dass die unmittelbare Wirksamkeit nicht Voraussetzung für die Pflicht zur konformen Auslegung ist.184 Überträgt man diese Gedanken von der richtlinienkonformen Auslegung auf die rahmenbeschlusskonforme Auslegung, bedeutet das, dass eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ebenfalls unabhängig von der unmittelbaren Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses ist. Nun mag eingewendet werden, dass eine bestimmte Richtlinie zwar in einem konkreten Fall keine unmittelbare Wirksamkeit zu entfalten vermag, dass aber Richtlinien als Rechtssetzungsform abstrakt gesehen durchaus bei Vorliegen der Voraussetzungen nach der Rechtsprechung des EuGH unmittelbar wirksam sein können. Im Gegensatz dazu ist gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU die unmittelbare I-5197, Rn. 40; Degenhard, Voraussetzungen und Folgen der unmittelbaren Wirkung von EGRichtlinien, Teil 1, 28; Roth, EWS 2005, 385, 387; Schnorbus, AcP 201 (2001) 860, 864. 182 Zum Sanktionscharakter der unmittelbaren Wirksamkeit BVerfGE 75, 223, 241. 183 EuGH, Rs. 270 / 81 (Felicitas), Slg. 1982, 2771, Rn. 24 ff. (der EuGH musste in dieser Sache die Frage nach der unmittelbaren Wirksamkeit nicht mehr beantworten, da das nationale Gericht selbst von der Möglichkeit zur konformen Auslegung ausging); EuGH, Rs. 22 / 84 (Johnston), Slg. 1986, 1651, Rn. 50; EuGH, Rs. 31 / 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 40; EuGH, Rs. C-160 / 01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 37; EuGH, Rs. C-462 / 99 (Connect Austria), Slg. 2003, I-5197, Rn. 40; EuGH, Rs. C-316 / 04 (Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie), Slg. 2005, I-9759, Rn. 75 f.; Degenhard, Voraussetzungen und Folgen der unmittelbaren Wirkung von EG-Richtlinien, Teil 1, 28 f.; Frisch, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, 60 f.; Roth, EWS 2005, 385, 387. Zwar ist die Prüfungsreihenfolge durch den EuGH nicht explizit festgelegt, z. T. prüft der EuGH zuerst die unmittelbare Anwendbarkeit und verweist bei deren Verneinung auf die richtlinienkonforme Auslegung z. B. EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 109 ff.; EuGH, Rs. C-356 / 05 (Farrell), Slg. 2007, I-3067, Rn. 42; jedoch war die Prüfungsreihenfolge in diesen Fällen durch die Fragen des vorlegenden Gerichts veranlasst. In anderen Fällen verweist der EuGH das vorlegende Gericht zunächst auf die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung und nur für den Fall, dass diese für das nationale Gericht nicht möglich sein sollte, geht der EuGH auf die unmittelbare Wirksamkeit ein, so z. B. in EuGH, Rs. 31 / 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 40; EuGH, Rs. C-262 / 97 (Engelbrecht), Slg. 2000, I-7321, Rn. 39 f. (dort jedoch in Bezug auf die primärrechtliche Bestimmung des Art. 48 EGV jetzt 39 EG). Dieses Vorgehen liegt darin begründet, dass der EuGH dem nationalen Gericht für die zu treffende Entscheidung alle Mittel an die Hand geben will, um ein europarechtskonformes Urteil zu fällen. Da der EuGH die Auslegungsfähigkeit des nationalen Rechts nicht beurteilen darf, gibt er hilfsweise an, ob die Richtlinie für den Fall mangelnder Auslegungsfähigkeit des nationalen Rechts unmittelbar wirksam ist. Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 94 und 107. 184 So auch Haltern, Europarecht, Rn. 742; Jarass / Beljin, JZ 2003, 768, 774.

C. Einwände gegen die Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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Wirksamkeit von Rahmenbeschlüssen generell ausgeschlossen. Rahmenbeschlüsse können von vornherein nicht unmittelbar angewandt werden. Doch auch, wenn man Richtlinie und Rahmenbeschluss abstrakt betrachtet, ist die Fähigkeit, unmittelbar wirksam zu werden, keine Voraussetzung für die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung. Denn zum einen ist die unmittelbare Wirksamkeit etwas anderes, als die rahmenbeschlusskonforme Auslegung185 und zum anderen hat auch der EuGH die beiden Rechtsinstitute unabhängig voneinander hergeleitet. So hat der EuGH die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung aus der Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten hergeleitet186, während mit der unmittelbaren Wirksamkeit einer Richtlinie ein bestehendes Umsetzungsdefizit sanktioniert wird.187 Denn der Staat, der seiner Umsetzungsverpflichtung nicht fristgemäß nachgekommen ist, soll den Einzelnen nicht die Nichterfüllung seiner Verpflichtungen entgegenhalten können.188 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung ist Bestandteil der Umsetzungsverpflichtung. Die unmittelbare Wirksamkeit der Richtlinie setzt jedoch ein bestehendes Umsetzungsdefizit im konkreten Einzelfall voraus. Daraus folgt, dass die unmittelbare Wirksamkeit nicht Voraussetzung für die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung sein kann. Überträgt man dieses Ergebnis auf die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung, so bedeutet dies, dass eine unionsrechtliche Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nicht voraussetzt, dass Rahmenbeschlüsse unmittelbar wirksam sein können. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU steht damit der Herleitung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU nicht im Wege.

c) Vergleich mit Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung Auch der Wortlaut des Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU schließt eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts nicht aus. Denn Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU bestimmt lediglich, dass Rahmenbeschlüsse nicht unmittelbar wirksam sind. Der Begriff „unmittelbar wirksam“ wird nur in Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU verwendet. Sonst kommt dieser Begriff weder im EG-Vertrag noch im EU-Vertrag vor. Eine Legaldefinition fehlt sowohl im EU-Vertrag als auch im EG-Vertrag und auch aus den Materialien zum Amsterdamer Vertrag lässt sich keine Begriffsbestimmung entnehmen. s. o. 1. Teil: C.I.2.a). EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 15, 26; zutreffend insoweit auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 303; Herrmann, EuZW 2005, 436, 437; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 108 ff. 187 Franzen, Privatrechtsangleichung, 303; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 54. 188 EuGH, Rs. 148 / 78 (Ratti), Slg. 1979, 1629, Rn. 2; EuGH, Rs. 8 / 81 (Becker), Slg. 1982, 53, Rn. 24; EuGH, Rs. 71 / 85 (Federatie Nederlandse Vakbeweging), Slg. 1986, 3855, Rn. 14; EuGH, Rs. C-188 / 89 (Foster), Slg. 1990, I-3313, Rn. 16. 185 186

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

Der Begriff „unmittelbar wirksam“ ist aber seit langem ein terminus technicus in der Rechtsprechung des EuGH.189 Daher liegt es nahe, diesen Begriff in Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU ebenso zu verstehen, wie er der gängigen Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Wirksamkeit von Richtlinien entnommen werden kann.190 Unmittelbare Wirksamkeit bedeutet demzufolge, dass in einer konkreten Rechtsbeziehung das europarechtliche Rechtsinstrument selbst als Rechtsgrundlage dient oder eine diesem entgegenstehende nationale Norm nicht angewendet wird.191 Der EuGH versteht seit jeher den Begriff unmittelbar wirksam in einem engen Sinne und unterscheidet die unmittelbare Wirksamkeit von der konformen Auslegung.192 Diese lange bestehende terminologische Unterscheidung zwischen konformer Auslegung und unmittelbarer Wirksamkeit spricht dafür, diese Unterscheidung auch bei der Interpretation des Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU beizubehalten. Das bedeutet, dass der Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU nur als Vorkehrung gegen eine parallele Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH zur ausnahmsweisen unmittelbaren Wirksamkeit von Richtlinien zu verstehen ist.193 Daher ist Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU eng, als Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit im Sinne der Rechtsprechung des EuGH, zu verstehen. Durch die Bestimmung des Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU ist damit nur die unmittelbare Anwendung des Rahmenbeschlusses als Rechtsnorm im innerstaatlichen Bereich ausgeschlossen. Die indirekte Wirkung des Rahmenbeschlusses auf die Bürger, vermittelt durch die Auslegung des nationalen Rechts, wird hingegen durch Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU nicht ausgeschlossen.194

189 EuGH, Rs. 41 / 74 (van Duyn), Slg. 1974, 1337, Rn. 12 (bzgl. Richtlinien); EuGH, Rs. 9 / 70 (Grad), Slg. 1970, 825, Rn. 5 (bzgl. Entscheidungen). 190 Götz in: FS Rauschning, 185, 197; Schroeder, EuR 2007, 349, 366; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 99; a. A: Streinz, Europarecht, Rn. 476. 191 EuGH, Rs. 9 / 70 (Grad), Slg. 1970, 825, Rn. 5; EuGH, Rs. 41 / 74 (van Duyn), Slg. 1974, 1337, Rn. 12 ff.; EuGH, Rs. 8 / 81 (Becker), Slg. 1982, 53, Rn. 49; EuGH, Rs. C-462 / 99 (Connect Austria), Slg. 2003, I-5197, Rn. 40 (bzgl. Nichtanwendung nationaler Normen); Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 93; Jarass / Beljin, EuR 2004, 714, 717 f.; Schroeder, EuR 2007, 349, 366 f.; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 98. 192 s. o. 1. Teil: C.I.2.a). 193 So auch v. Danwitz, JZ 2007, 697, 699; Egger, EuZW 2005, 652, 653; Harings, EuR Beiheft 2 / 1998, 81, 88; Huber, in: Schroeder, Europarecht als Mehrebenensystem, 39, 41; Müller-Graff, integration 1997, 271, 279; Schroeder, EuR 2007, 349, 366. 194 So auch Egger, EuZW 2005, 652, 653; Götz in: FS Rauschning, 185, 197; Harings, EuR Beiheft 2 / 1998, 81, 88; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 337; Meyring, EuR 1999, 309, 317; Schroeder, EuR 2007, 349, 366; Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 374.

C. Einwände gegen die Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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d) Wille der Mitgliedstaaten Ein Verweis auf den Willen der Mitgliedstaaten bei Abschluss des Amsterdamer Vertrags steht der Herleitung einer unionsrechtlichen Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ebenfalls nicht im Wege. Im Vorfeld der Verhandlungen zum Vertrag von Amsterdam wurde kritisiert, dass über die Verbindlichkeit der gemeinsamen Maßnahmen, dem Vorgängerinstrument des Rahmenbeschlusses, Unsicherheit bestehe.195 Daher wurden rechtlich verbindliche, effektivere Handlungsinstrumente gefordert.196 Zum Teil wurde angeregt, Methoden einzuführen, die sich an den Gemeinschaftsmethoden des ersten Pfeilers orientieren.197 Es wurden von manchen sogar Richtlinien im dritten Pfeiler für angemessen erachtet.198 195 Europäischer Rat und Rat der Europäischen Union, Bericht des Rates v. 6. April 1995 über die Funktionsweise des Vertrages über die Europäische Union, 33, Rn. 80; Europäischer Rat und Rat der Europäischen Union, Bericht der Reflexionsgruppe v. 5. Dezember 1995, SN 520 / 1 / 95 REV 1, 16, Rn. 48; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht über die Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union v. 10. Mai 1995, 50, Rn. 121; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen der Niederlande (Europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres – Drittes Memorandum der niederländischen Regierung v. 23. Mai 1995 für die Regierungskonferenz 1996), 128; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Italiens (Position der Italienischen Regierung v. 18.3.1996 zur Regierungskonferenz über die Revision der Verträge), 112. 196 Europäischer Rat und Rat der Europäischen Union, Bericht des Rates vom 6. April 1995 über die Funktionsweise des Vertrages über die Europäische Union, 33, Rn. 80; Europäischer Rat und Rat der Europäischen Union, Bericht der Reflexionsgruppe v. 5. Dezember 1995, SN 520 / 1 / 95 REV 1, 16, Rn. 48; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht über die Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union v. 10. Mai 1995, 50, Rn. 120; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Stellungnahme v. 6. Dezember 1995 zum Bericht der Reflexionsgruppe; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen der Niederlande (Europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres Drittes Memorandum der niederländischen Regierung v. 23. Mai 1995 für die Regierungskonferenz 1996), 130; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Belgiens (Memorandum der Regierungen Belgiens, Luxemburgs und der Niederlande v. 7. März 1996 im Hinblick auf die Regierungskonferenz), 30; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Belgiens (Aufzeichnung für das Belgische Parlament über die Politik der Regierung im Hinblick auf die Regierungskonferenz im Jahr 1996), 22; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Italiens (Mitteilung der italienischen Regierung v. 23.5.1995 über die Regierungskonferenz zur Änderung des Maastrichter Vertrags), 109; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Italiens (Position der Italienischen Regierung v. 18.3.1996 zur Regierungskonferenz über die Revision der Verträge), 112; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Österreichs (Grundsatzpositionen Österreichs zur Regierungskonferenz – Dokument der Österreichischen Regierung v. 26.3.1996), 145; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Portugals (Portugal und die Regierungskonferenz zur Revision des Vertrags über die Europäische Union – Dokument des Außenministeriums v. März 1996), 155. 197 Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Belgiens (Aufzeichnung für das Belgische Parlament über die Politik der Regierung im Hinblick auf die Regierungskonferenz im Jahr 1996), 22; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II),

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

In den Verhandlungen zum Amsterdamer Vertrag fand jedoch zumindest in den öffentlich zugänglichen Dokumenten keine Diskussion darüber statt, welche Bedeutung dem Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses zukommen solle. Insbesondere gibt es keinerlei Hinweise in der Vertragsgenese, dass die Mitgliedstaaten mit der Einfügung von Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU auch eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung verhindern wollten.199 Daher kann ein „Wille der Mitgliedstaaten“ als „Herren der Verträge“ weder für noch gegen die Übertragung der Grundsätze der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse angeführt werden.

3. Zwischenergebnis Es konnte gezeigt werden, dass die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nicht davon abhängt, dass der Rahmenbeschluss unmittelbar wirksam sein kann. Damit steht Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU der Herleitung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU nicht im Wege. Dieses Ergebnis wird auch nicht durch einen Verweis auf den vermeintlichen Willen der Mitgliedstaaten erschüttert, da sich ein dahingehender Wille der Mitgliedstaaten aus den Materialien zu den Vertragsverhandlungen zum Vertrag von Amsterdam nicht nachweisen lässt.

PE 165.963, Positionen Belgiens (Memorandum der Regierungen Belgiens, Luxemburgs und der Niederlande v. 7. März 1996 im Hinblick auf die Regierungskonferenz), 30. 198 Europäischer Rat und Rat der Europäischen Union, Bericht der Reflexionsgruppe v. 5. Dezember 1995, SN 520 / 1 / 95 REV 1, 11, Rn. 30; Europäisches Parlament, Entschließung v. 17. Mai 1996 zur Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union im Hinblick auf die Regierungskonferenz 1996, PE 190.441, 4; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen der Niederlande (Europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres – Drittes Memorandum der niederländischen Regierung v. 23. Mai 1995 für die Regierungskonferenz 1996), 130; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Spaniens (Dokument „Beitrag zu einem spanischen Standpunkt auf der Regierungskonferenz von 1996“ v. 28. März 1996), 82; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Italiens (Position der Italienischen Regierung v. 18.3.1996 zur Regierungskonferenz über die Revision der Verträge), 109. 199 So auch Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 337.

C. Einwände gegen die Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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II. Befürchtung von Individualschutzlücken durch eine Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts 1. Die Befürchtungen der Regierungen Großbritanniens und Italiens Die Regierungen Großbritanniens und Italiens wandten sich in der mündlichen Verhandlung der Rechtssache Pupino vor dem EuGH gegen eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung, da sie Lücken im Individualrechtsschutz befürchteten. Sie begründeten ihre Befürchtungen damit, dass in der PJZS kein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren bestehe, welches die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe gewährleisten könne.200 Insbesondere bestehe für den Einzelnen keine Möglichkeit der Direktklage gegen einen Rahmenbeschluss.201 Und selbst im Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 35 I EU könnten Rahmenbeschlüsse nur dann überprüft werden, wenn die Mitgliedstaaten nach Art. 35 II EU die Zuständigkeit des EuGH für Vorabentscheidungsverfahren anerkannt haben. Aus Rechtsschutzgründen bestünden daher Bedenken gegen die Herleitung der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus dem EU-Vertrag.202 2. Hintergrund der Befürchtungen Hintergrund dieser skeptischen Haltung gegen eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ist die Annahme, dass eine lückenlose Rechtmäßigkeitskontrolle von Rahmenbeschlüssen durch den EuGH nicht in jedem Fall stattfinden könne. Es wird befürchtet, dass dieses Defizit auch mittelbar auf die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung durchschlägt. Ginge man nämlich davon aus, dass keine hinreichende Möglichkeit für innerstaatliche Stellen bestünde, einen Rahmenbeschluss vor dem EuGH auf seine Rechtmäßigkeit hin kontrollieren zu lassen, so könnte dies dazu führen, dass die innerstaatlichen Stellen verpflichtet wären, das nationale Recht am Maßstab eines möglicherweise rechtswidrigen Rahmenbeschlusses auszulegen. Im Hinblick auf die rechtsstaatlichen Grundsätze, denen sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten gem. Art. 6 I EU verpflichtet sind, wäre diese Situation bedenklich. 200 Einwand der Regierungen Großbritanniens und Italiens in der mündlichen Verhandlung zur Rs. C-105 / 03 (Pupino), dargestellt bei GA Kokott, Schlussantrag v. 11.11.2004, C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 35. 201 Einwand der Regierungen Großbritanniens und Italiens in der mündlichen Verhandlung zur Rs. C-105 / 03 (Pupino), dargestellt bei GA Kokott, Schlussantrag v. 11.11.2004, C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 35; kritisch auch Albors-Llorens, CMLRev. 1998, 1273, 1283; de Witte, EuR Beiheft 1 / 1999, 91, 93. 202 Einwand der Regierungen Großbritanniens und Italiens in der mündlichen Verhandlung zur Rs. C-105 / 03 (Pupino), dargestellt bei GA Kokott, Schlussantrag v. 11.11.2004, C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 35.

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

Dieses Szenario würde aber nur dann eintreten, wenn Fälle denkbar sind, in denen ein nationales Gericht weder den EuGH anrufen kann, um in einem Vorabentscheidungsverfahren die Rechtmäßigkeit des Rahmenbeschlusses überprüfen zu lassen, noch das nationale Gericht selbst die Möglichkeit hätte, den Rahmenbeschluss unberücksichtigt zu lassen, wenn es den Rahmenbeschluss für rechtswidrig hält. Im Folgenden soll untersucht werden, ob es tatsächlich zu derartigen Rechtsschutzlücken kommen könnte.

3. Entkräftung der Befürchtungen In der Rechtssache Pupino hat der EuGH die Gefahr von Rechtsschutzdefiziten apodiktisch verneint: Die Tatsache, dass die Zuständigkeiten des EuGH gem. Art. 35 EU in der PJZS weniger weit reichten als im Gemeinschaftsrecht und es kein vollständiges Rechtsschutzsystem gebe, stünden der Herleitung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nicht entgegen.203 Eine genauere Begründung für diese Behauptung gibt der EuGH nicht. Dennoch ist dem EuGH im Ergebnis zuzustimmen, da – wie im Folgenden gezeigt werden soll – durch die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung keine rechtsstaatswidrigen Lücken für den Rechtsschutz des Einzelnen entstehen. Zum einen kann ein rechtswidriger Rahmenbeschluss gem. Art. 35 VI EU im Wege der Nichtigkeitsklage von den Mitgliedstaaten oder der Kommission vor dem EuGH angegriffen werden, zum anderen bestehen für Individuen ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten vor den nationalen Gerichten.

a) Nichtigkeitsklage gem. Art. 35 VI EU Ein (grund)rechtswidriger EU-Rahmenbeschluss kann mit der Nichtigkeitsklage gem. Art. 35 VI EU angefochten werden.204 Der Kreis der Klageberechtigten für die Nichtigkeitsklage gem. Art. 35 VI EU in der PJZS ist zwar kleiner als der nach Art. 230 II – IV EG im Gemeinschaftsrecht. Eine gewisse Rechtskontrolle ist aber schon dadurch gewährleistet, dass nicht nur die Mitgliedstaaten, deren Vertreter im Rat gem. Art. 34 II 2 EU einstimmig den Rahmenbeschluss gefasst haben, klageberechtigt sind, sondern auch die Kommission. In Art. 35 VI EU ist zwar keine Individualklagebefugnis für Nichtigkeitsklagen geregelt. Der Verzicht auf eine Individualklagebefugnis in Art. 35 VI EU lässt sich aber damit erklären, dass für keines der Rechtssetzungsinstrumente des EU-Vertrags gem. Art. 34 II EU eine unmittelbare Wirkung vergleichbar mit Verordnungen oder 203 204

EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 35. Gas, EuR 2006, 285, 291.

C. Einwände gegen die Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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Entscheidungen der EG vorgesehen ist.205 Eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit, wie sie Art. 230 IV EG für die Individualklagebefugnis verlangt, ist von vornherein nicht als Wirkung irgendeines der Handlungsinstrumente des Art. 34 II EU vorgesehen.206 Für Rahmenbeschlüsse ist die unmittelbare Wirksamkeit sogar gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU ausgeschlossen. Rahmenbeschlüsse betreffen die Rechtssphäre des Einzelnen somit nicht unmittelbar. Daher besteht keine Rechtsschutzlücke für den Einzelnen in der dritten Säule durch den Verzicht auf eine Individualklagebefugnis gegen Rahmenbeschlüsse.207

b) Rechtsschutz vor nationalen Gerichten Gegenüber mittelbaren Wirkungen eines Rahmenbeschlusses kann Rechtsschutz für den Einzelnen vor den nationalen Gerichten erlangt werden. Denn gegen Maßnahmen, die aufgrund von rahmenbeschlusskonform ausgelegten nationalen Rechtsvorschriften ergehen, können die Betroffenen vor den innerstaatlichen Gerichten klagen.

205 Böse, in: Schwarze, Art. 35 EUV, Rn. 8; Burgi, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, § 7 Rn. 6; Classen, EuR Beiheft 1 / 1999, 73, 83; Classen, in: Schulze / Zuleeg, Europarecht, § 4 Rn. 40; Dörr / Mager, AöR 125 (2000) 386, 417; Geiger, Art. 35 EUV, Rn. 8; Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht, Rn. 1166; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Vertrag von Amsterdam, 268; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 564; Pechstein, EuR 1999, 1, 22; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 533; Pechstein, in: Streinz, Art. 35 EUV, Rn. 9; Pechstein, in: Hummer, Die Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, 281, 293; Pechstein, EU- / EG-Prozessrecht, Rn. 57 u. 62; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 35 EUV, Rn. 14; Wasmeier, in: v. d. Groeben / Schwarze, Art. 35 EUV, Rn. 20. 206 Dörr / Mager, AöR 125 (2000) 386, 417; Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht, Rn. 1166; Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 263 u. 268; Pechstein, in: Hummer, Die Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, 281, 293. Der EuGH hat aus Gründen des Individualrechtsschutzes seine Zuständigkeit auch auf die Rechtmäßigkeitskontrolle von gemeinsamen Standpunkten in den Verfahren nach Art. 35 VI EU und 35 I EU erstreckt, soweit sie Rechtswirkungen gegenüber Dritten erzeugen sollen, vgl. EuGH, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras Pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 54 f.; EuGH, Rs. C-355 / 04 P (Segi), Slg. 2007, I-1657, Rn. 56; dazu auch Kraus, EuRBeiheft 3 / 2008, 109, 122 f.; v. Danwitz, Rechtsschutz im Bereich polizeilicher und justizieller Zusammenarbeit der Europäischen Union, 10 ff. 207 Böse, in: Schwarze, Art. 35 EUV, Rn. 8; Dörr / Mager, AöR 125 (2000) 386, 417; Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht, Rn. 1166; Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 268 f.; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 564; Pechstein, in: Streinz, Art. 35 EUV, Rn. 9; Pechstein, in: Hummer, Die Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, 281, 293; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 35 EUV, Rn. 14.

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

aa) Rechtsschutz gegen Umsetzungsmaßnahmen möglich Wie bereits oben dargelegt208 führt die rahmenbeschlusskonforme Auslegung nicht dazu, die Regelungen des Rahmenbeschlusses direkt auf einen streitigen Sachverhalt anzuwenden.209 Voraussetzung für die rahmenbeschlusskonforme Auslegung ist vielmehr, dass bereits nationale Regelungen vorhanden sind, die einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung zugänglich sind.210 Zwar können auf diese Weise die Zielsetzungen des Rahmenbeschlusses den Einzelnen mittelbar über rahmenbeschlusskonformes oder rahmenbeschlusskonform ausgelegtes Recht treffen. Der Vollzug des nationalen Rechts obliegt aber den mitgliedstaatlichen Stellen. Gegen eine nationale Norm oder deren Vollzug durch innerstaatliche Stellen kann der Einzelne Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten erlangen.211 Diesbezüglich hat der EuGH eine ausdrückliche europarechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten postuliert, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen bzw. sie so auszulegen, dass ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unions- oder Gemeinschaftsrecht erfassten Bereichen dezentral gewährleistet ist.212 Der Einzelne kann somit Rechtsschutz gegen eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung bzw. Anwendung des nationalen Rechts vor den innerstaatlichen Gerichten erlangen.213 s. o. 1. Teil: C.I.2.a). Killmann, JBl. 2005, 566, 570. 210 EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 26; EuGH, Rs. 31 / 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 39; Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 266 f.; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 54. 211 Böse, in: Schwarze, Art. 35 EUV, Rn. 8; Dörr / Mager, AöR 125 (2000) 386, 417; Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht, Rn. 1166; Haratsch, EuR Beiheft 3 / 2008, 81, 91; Killmann, JBl. 2005, 566, 570; GA Kokott, Schlussantrag v. 11.11.2004, C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 35; Kraus, EuR Beiheft 3 / 2008, 109, 118 f.; Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 262 ff., 267; Pechstein, in: Streinz, Art. 35 EUV, Rn. 9; Zuleeg, EuR Beiheft 2 / 1998, 151, 159. 212 Zum Unionsrecht: EuGH, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579 Rn. 51, 56; EuGH, Rs. C-355 / 04 P (Segi), Slg. 2007, I-1657, Rn. 521, 56; dazu auch v. Danwitz, DVBl. 2008, 537, 544; v. Danwitz, Rechtsschutz im Bereich polizeilicher und justizieller Zusammenarbeit der Europäischen Union, 13 f.; Haratsch, EuR Beiheft 3 / 2008, 81, 91; Knapp, DÖV 2001, 12, 19; Kraus, EuR Beiheft 3 / 2008, 109, 118 f.; Wegener, EuR Beiheft 3 / 2008, 45, 48 f. Zum Gemeinschaftsrecht: EuGH, Rs. 50 / 00 (Unión de Pequeños Agricultores), Slg. 2002, I-6677, Rn. 41 f.; EuGH, Rs. C-263 / 02 P (Jégo Quéré), Slg. 2004, I-3425, Rn. 31 f. Zum Recht auf effektiven Rechtsschutz als allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrecht vgl. EuGH, Rs. C-263 / 02 P (Jégo Quéré), Slg. 2004, I-3425, Rn. 29; EuGH, Rs. C-432 / 05 (Unibet), Slg. 2007, I-2271, Rn. 37 m. w. N.; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 42 ff. m. w. N. 213 Nach deutschem Recht sind die letztinstanzlichen Gerichte gem. § 1 II EuGHG (EuGHG v. 06.08.1998, BGBl I 1998, 2035) sogar verpflichtet, Fragen zur Auslegung und Gültigkeit eines Rahmenbeschlusses dem EuGH vorzulegen. Damit ist eine Überprüfung des Rahmenbeschlusses am Maßstab der Gemeinschaftsgrundrechte gewährleistet. Eine Missachtung der 208 209

C. Einwände gegen die Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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bb) Rechtsschutz vor nationalen Gerichten nicht defizitär Die Bedenken der Regierungen Großbritanniens und Italiens bezüglich eines Rechtsschutzdefizits wären allerdings dann nicht von der Hand zu weisen, wenn erstens nationale Gerichte den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren nicht bei Zweifeln an der Gültigkeit eines Rahmenbeschlusses anrufen könnten und zweitens den nationalen Gerichten in diesem Fall auch keine eigenständige Verwerfungskompetenz zukäme. Ersteres wäre der Fall, wenn ein Mitgliedstaat die Zuständigkeit des EuGH für Vorabentscheidungsverfahren nicht anerkannt hätte.214 Die Vorabentscheidungszuständigkeit des EuGH ist nämlich gem. Art. 35 II EU davon abhängig, dass ein Mitgliedstaat eine Unterwerfungserklärung abgegeben hat. Hat ein Mitgliedstaat keine solche Unterwerfungserklärung abgegeben, so sind seine nationalen Gerichte nicht berechtigt, dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens anzurufen. Das Gericht eines solchen Mitgliedstaates könnte dann die Rechtmäßigkeit eines Rahmenbeschlusses nicht vom EuGH kontrollieren lassen. Für solche Gerichte stellt sich daher die Frage, ob sie bei fehlendem Vorlagerecht einen rechtswidrigen Rahmenbeschluss selbst verwerfen dürften. Dürfte ein nationales Gericht nämlich weder dem EuGH die Frage der Rechtmäßigkeit vorlegen noch selbst einen rechtswidrigen Rahmenbeschluss verwerfen, bestünden in der Tat Rechtsschutzlücken für den Einzelnen. Denn dann müsste ein nationales Gericht das nationale Recht am Maßstab eines rechtswidrigen Rahmenbeschlusses auslegen. Dies widerspräche aber rechtsstaatlichen Grundsätzen, denen sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Union gem. Art. 6 I EU verpflichtet sind. Es muss daher im Folgenden geklärt werden, ob ein nationales Gericht, welches mangels einer Unterwerfungserklärung seines Mitgliedstaates dem EuGH nicht vorlegen kann, einen rechtswidrigen Rahmenbeschluss unbeachtet lassen darf. Dies ist die Frage danach, ob dem EuGH in der PJZS auch gegenüber den innerstaatlichen Stellen derjenigen Mitgliedstaaten, die keine Unterwerfungserklärung abgegeben haben, ein Verwerfungsmonopol für Rahmenbeschlüsse zusteht. Bestünde kein derartiges Verwerfungsmonopol des EuGH, dann dürfte ein nationales Gericht selbst über die Ungültigkeit eines Rahmenbeschlusses entscheiden. Dadurch könnte auch in den Mitgliedstaaten, deren Gerichte wegen fehlender Unterwerfungserklärung gem. Art. 35 II EU nicht berechtigt sind, ein Vorabentscheidungsersuchen zu stellen, Rechtsschutz gegen rechtswidrige Rahmenbeschlüsse erVorlagepflicht kann als Verstoß gegen Art. 101 I 2 GG im Verfassungsbeschwerdeverfahren gerügt werden. Zu den Voraussetzungen vgl. BVerfGE 82, 159, 194 ff.; Nowak, in: Heselhaus / Nowak, HdB der Europäischen Grundrechte, § 51 Rn. 50 ff. 214 Bislang haben 17 Staaten die Zuständigkeit des EuGH gem. Art. 35 I EU anerkannt. ABl. Nr. L 70 v. 14.3.2008, 23; ABl. Nr. L 114 v. 1.5.1999, 56; ABl. Nr. C 120 v. 1.5.1999, 24; ABl. Nr. L 236 v. 23.9.2003, 980; ABl. Nr. L 327 v. 14.12.2005, 19; ABl. Nr. C 318 v. 14.12.2005, 1.

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

langt werden. Damit wäre der Rechtsschutz für die einzelnen Bürger vor den nationalen Gerichten nicht defizitär. Für Gemeinschaftsrechtsakte nimmt der EuGH seit der Foto-Frost-Entscheidung ein Verwerfungsmonopol für sich in Anspruch.215 Doch gelten die Argumente, welche die Foto-Frost-Rechtsprechung tragen, auch für das Rechtsschutzsystem in der PJZS, insbesondere gegenüber den Gerichten, die nicht vorlageberechtigt sind? Wären die Argumente vom Rechtsschutzsystem des Gemeinschaftsrechts auf das Rechtsschutzsystem im Bereich der PJZS übertragbar, bestünde ein Verwerfungsmonopol des EuGH auch für Rechtsakte der dritten Säule, d. h. auch für Rahmenbeschlüsse. Dies würde dazu führen, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte einen Rahmenbeschluss nicht für ungültig erachten könnten, ohne dass zuvor der EuGH die Ungültigkeit festgestellt hätte. Wären die tragenden Gründe der Foto-Frost-Rechtsprechung jedoch nicht auf das Rechtsschutzsystem der PJZS übertragbar, dann käme auch den nationalen Gerichten eine Verwerfungskompetenz zu. Sie könnten dann, auch wenn sie nicht dem EuGH vorlegen könnten, in einem nationalen Gerichtsverfahren Rechtsschutz gegen Maßnahmen, die auf rechtwidrigen Rahmenbeschlüssen beruhen, gewähren. Für die Beantwortung der Frage, ob die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung zu Individualschutzlücken im gerichtlichen Rechtsschutz führen könnte, ist daher vorab zu klären, ob die Grundsätze der Foto-Frost-Rechtsprechung auf die dritte Säule für die Fälle übertragen werden können, in denen ein mitgliedstaatliches Gericht den EuGH nicht um eine Vorabentscheidung über die Gültigkeit eines Rahmenbeschlusses ersuchen kann. (1) Begründung eines Verwerfungsmonopols für Gemeinschaftsrechtsakte durch die Foto-Frost-Rechtsprechung Seit der Rechtssache Foto-Frost entscheidet der EuGH in ständiger Rechtsprechung, dass nationale Gerichte unabhängig davon, ob ihre Entscheidung noch mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können oder nicht, nicht befugt sind, Handlungen der Gemeinschaftsorgane für ungültig zu erklären.216 Sie müssen die Frage der Ungültigkeit dem EuGH vorlegen.217 Somit nimmt der EuGH ein Verwerfungsmonopol für Gemeinschaftsrechtsakte für sich in Anspruch.218 EuGH, Rs. 314 / 85 (Foto-Frost), Slg. 1987, 4199, Rn. 20. EuGH, Rs. 314 / 85 (Foto-Frost), Slg. 1987, 4199, Rn. 20; bestätigt durch EuGH, Rs. C-27 / 95 (Bakers of Nailsea), Slg. 1997, I-1847, Rn. 20; EuGH, Rs. C-461 / 03 (Gaston Schul), Slg. 2005, I-10513, Rn. 20; EuGH, Rs. C-344 / 04 (IATA u. ELFAA), Slg. 2006, I-403, Rn. 27; EuGH, Rs. C-119 / 05 (Lucchini SpA), Slg. 2007, I-6199, Rn. 53. 217 EuGH, Rs. 314 / 85 (Foto-Frost), Slg. 1987, 4199, Rn. 20; bestätigt in EuGH, Rs. C-461 / 03 (Gaston Schul), Slg. 2005, I-10513, Rn. 25; EuGH, Rs. C-344 / 04 (IATA u. ELFAA), Slg. 2006, I-403, Rn. 30; EuGH, Rs. C-119 / 05 (Lucchini SpA), Slg. 2007, I-6199, Rn. 53. 215 216

C. Einwände gegen die Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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Der EuGH stützt dieses Verwerfungsmonopol auf drei Gründe: Erstens auf den Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens: Mit dem Vorabentscheidungsverfahren soll die einheitliche Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten sichergestellt werden.219 Die einheitliche Anwendung könnte aber nicht gewährleistet werden, wenn nationale Gerichte selbst das Gemeinschaftsrecht für ungültig erklären könnten. Denn Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gerichten der verschiedenen Mitgliedstaaten über die Gültigkeit von Gemeinschaftsrechtsakten wären geeignet, die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu gefährden220 und die Rechtssicherheit zu beeinträchtigen221. Damit durch das Vorabentscheidungsverfahren die Einheit der Gemeinschaftsrechtsordnung gewährleistet werden kann, müsse daher dem EuGH das Verwerfungsmonopol zustehen.222 Zweitens zwinge die notwendige Kohärenz des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsschutzsystems den EuGH dazu, ausschließlich sich selbst und nicht den nationalen Gerichten die Ungültigerklärung eines Gemeinschaftsrechtsaktes vorzubehalten.223 Mit der Nichtigkeitsklage gem. Art. 230 EG und der Normenkontrolle gem. Art. 241 EG auf der einen Seite, sowie Art. 234 EG auf der anderen Seite bestehe ein umfassendes System von Rechtsbehelfen, mit denen die Rechtmäßigkeit der Handlungen der EG-Organe kontrolliert werden kann.224 Innerhalb dieses Rechtsschutzsystems obliege letztentscheidend dem EuGH die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Organhandlungen.225 Da Art. 230 EG dem EuGH ausschließlich die Zustän218 EuGH, Rs. C-143 / 88 und C-92 / 89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest), Slg. 1991, I-415, Rn. 17, EuGH, Rs. C-6 / 99 (Greenpeace France u. a.), Slg. 2000, I-1651, Rn. 54; EuGH, Rs. C-344 / 04 (IATA u. ELFAA), Slg. 2006, I-403, Rn. 27; EuGH, Rs. C-119 / 05 (Lucchini SpA), Slg. 2007, I-6199, Rn. 53; Haratsch, EuR-Beiheft 3 / 2008, 81, 92; Šarčevič, DÖV 2007, 593, 599. 219 EuGH, Rs. 314 / 85 (Foto-Frost), Slg. 1987, 4199, Rn. 15; bestätigt in: EuGH, Rs. C-27 / 95 (Bakers of Nailsea), Slg. 1997, I-1847, Rn. 20; EuGH, Rs. C-461 / 03 (Gaston Schul), Slg. 2005, I-10513, Rn. 21; EuGH, Rs. C-344 / 04 (IATA u. ELFAA), Slg. 2006, I-403, Rn. 27. 220 EuGH, Rs. 314 / 85 (Foto-Frost), Slg. 1987, 4199, Rn. 15; EuGH, Rs. C-27 / 95 (Bakers of Nailsea), Slg. 1997, I-1847, Rn. 20; EuGH, Rs. C-461 / 03 (Gaston Schul), Slg. 2005, I-10513, Rn. 21; EuGH, Rs. C-344 / 04 (IATA u. ELFAA), Slg. 2006, I-403, Rn. 27. 221 EuGH, Rs. 314 / 85 (Foto-Frost), Slg. 1987, 4199, Rn. 15; EuGH, Rs. C-27 / 95 (Bakers of Nailsea), Slg. 1997, I-1847, Rn. 20; EuGH, Rs. C-461 / 03 (Gaston Schul), Slg. 2005, I-10513, Rn. 21; EuGH, Rs. C-344 / 04 (IATA u. ELFAA), Slg. 2006, I-403, Rn. 27. 222 EuGH, Rs. 314 / 85 (Foto-Frost), Slg. 1987, 4199, Rn. 15; EuGH, Rs. C-27 / 95 (Bakers of Nailsea), Slg. 1997, I-1847, Rn. 20; EuGH, Rs. C-461 / 03 (Gaston Schul), Slg. 2005, I-10513, Rn. 21; EuGH, Rs. C-344 / 04 (IATA u. ELFAA), Slg. 2006, I-403, Rn. 27. 223 EuGH, Rs. 314 / 85 (Foto-Frost), Slg. 1987, 4199, Rn. 16; EuGH, Rs. C-461 / 03 (Gaston Schul), Slg. 10513, I-10513, Rn. 22. 224 EuGH, Rs. 314 / 85 (Foto-Frost), Slg. 1987, 4199, Rn. 16; EuGH, Rs. C-461 / 03 (Gaston Schul), Slg. 2005, I-10513, Rn. 22; EuGH, Rs. 50 / 00 (Unión de Pequeños Agricultores), Slg. 2002, I-6677, Rn. 40. 225 EuGH, Rs. 314 / 85 (Foto-Frost), Slg. 1987, 4199, Rn. 16; EuGH, Rs. C-461 / 03 (Gaston Schul), Slg. 2005, I-10513, Rn. 22 a. E.

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

digkeit für die Nichtigerklärung der Handlung eines Gemeinschaftsorgans zuweist, verlangt die Kohärenz des Rechtsschutzsystems, dass diese Kompetenz zur Nichtigerklärung auch im Vorabentscheidungsverfahren dem EuGH vorbehalten bleibt.226 Drittens unterstützt der EuGH die Argumentation für sein Verwerfungsmonopol damit, dass er als zentrales Gemeinschaftsorgan besser in der Lage sei, die Ungültigkeit des Gemeinschaftsrechts zu beurteilen, als die jeweiligen nationalen Gerichte.227 (2) Keine Übertragbarkeit der Foto-Frost-Rechtsprechung auf nicht vorlageberechtigte Gerichte Ob ein Verwerfungsmonopol auch in der dritten Säule besteht, ist bisher noch nicht entschieden. In den Rechtssachen Gestoras Pro Amnistía228 und Segi229 sprach der EuGH nur von der Möglichkeit, nicht hingegen einer Pflicht, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen. Es ist jedoch zu bedenken, dass in diesen Verfahren nicht die Frage nach einer Vorlagepflicht gestellt wurde. Daher musste der EuGH auch nicht zu einer etwaigen Vorlageverpflichtung der mitgliedstaatlichen Gerichte Stellung beziehen. Vergleicht man jedoch Art. 35 I – III EU mit Art. 234 EG, so zeigt nicht nur der Wortlaut, sondern auch die Entstehungsgeschichte sowie die Systematik des Art. 35 I – III EU, dass eine Übertragung der Foto-Frost-Rechtsprechung auf die PJZS jedenfalls im Hinblick auf diejenigen Mitgliedstaaten, die mangels Unterwerfungserklärung nicht vorlageberechtigt sind, nicht möglich ist: Zunächst spricht der Wortlaut des Art. 35 III EU gegen die Übertragung der Foto-Frost-Rechtsprechung auf das Rechtsschutzsystem der PJZS.230 In der dritten Säule entscheiden die Mitgliedstaaten nicht nur darüber, ob sie sich dem EuGH überhaupt unterwerfen, sondern für den Fall der Unterwerfung steht es ihnen auch frei, zu bestimmen, ob jedes mitgliedstaatliche Gericht gem. Art. 35 III lit. a EU vorlageberechtigt sein soll oder ob nur die letztinstanzlichen Gerichte gem. Art. 35 III lit. b EU vorlageberechtigt sein sollen. Art. 35 III lit. a und b EU regeln aber nur die Befugnis der mitgliedstaatlichen Gerichte zur Vorlage, ohne dabei wie Art. 234 II und III EG zwischen einem im Ermessen des Gerichts stehenden VorlageEuGH, Rs. 314 / 85 (Foto-Frost), Slg. 1987, 4199, Rn. 17. Z. B. wegen der Möglichkeit des EuGH, Gemeinschaftsorgane am Verfahren vor dem EuGH zu beteiligen und Auskünfte über die in Zweifel gezogenen Rechtsakte bei den Gemeinschaftsorganen einzuholen, EuGH, Rs. 314 / 85 (Foto-Frost), Slg. 1987, 4199, Rn. 18; EuGH, Rs. C-461 / 03 (Gaston Schul), Slg. 2005, I-10513, Rn. 24. 228 EuGH, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras Pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 53. 229 EuGH, Rs. C-355 / 04 P (Segi), Slg. 2007, I-1657, Rn. 53. 230 Harings, EuR Beiheft 2 / 1998, 81, 92; Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 126; Schima, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, 184. 226 227

C. Einwände gegen die Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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rechts („vorlegen kann“) und einer Vorlagepflicht („ist … verpflichtet“) zu differenzieren.231 In der Literatur wird zum Teil davon ausgegangen, dass die bloße Normierung eines Vorlagerechts für letztinstanzliche Gerichte anstelle einer Vorlagepflicht im EU-Vertrag nur ein Redaktionsversehen sei.232 Daher sei Art. 35 III EU so zu lesen, dass im Falle der Unterwerfung die letztinstanzlichen Gerichte vorlageverpflichtet seien.233 Die Erklärung zu K.7 des Vertrags über die Europäische Union234 spricht jedoch gegen die Annahme eines Redaktionsversehens.235 Darin haben sich einige Mitgliedstaaten236 das Recht vorbehalten, bei der Abgabe einer Erklärung nach Art. 35 II EU in ihrem innerstaatlichen Recht zu bestimmen, dass ein nationales letztinstanzliches Gericht verpflichtet ist, den Gerichthof anzurufen.237 Diese Erklärung wäre gegenstandslos, wenn sich eine solche Vorlageverpflichtung bereits aus dem EU-Vertrag ergeben würde.238 Das bedeutet, dass sich eine Vorlagepflicht nicht aus dem Unionsrecht ergibt, sondern allenfalls aus dem nationalen Recht des Mitgliedstaates, der von dieser sich vorbehaltenen Möglichkeit Gebrauch macht.239 An der Erklärung K.7 zum Amsterdamer Vertrag zeigt sich gerade, dass die Mitgliedstaaten die Frage der 231 v. Danwitz, Rechtsschutz im Bereich polizeilicher und justizieller Zusammenarbeit der Europäischen Union, 8; Gaja, in: FS Lord Slynn of Hadley, Vol. 1, 143, 151; Haltern, JZ 2007, 772, 775; Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 126; GA Mengozzi, Schlussantrag v. 26.10.2006, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 116; Röben, in: Grabitz / Hilf, Art. 35 EUV, Rn. 19; Tridimas, in: Lynch / Neuwahl / Rees, Reforming the European Union, 74, 80; Vedder, EuR Beiheft 1 / 1999, 5, 12. 232 Müller-Graff, integration 1997, 271, 281. 233 Müller-Graff, integration 1997, 271, 281; so auch Thun-Hohenstein, Dr Vertrag von Amsterdam, 48, der von einer Vorlagepflicht der mitgliedstaatlichen Gerichte ausgeht, „weil nur der EuGH die betreffenden Rechtsakte für ungültig erklären kann“. Dieses Verwerfungsmonopol und die korrespondierende Vorlagepflicht wären jedoch erst noch zu begründen. 234 Erklärung zu Artikel K.7 des Vertrags über die Europäischen Union, ABl. Nr. C 340 v. 10.11.1997, 133; BGBl II, 1998, 387. 235 So zutreffend Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 163 f.; Zeder, ÖJZ 2001, 81, 83. 236 Absatz 3 der Erklärungen zu Artikel K.7 des Vertrags über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Amsterdam, ABl. Nr. C 340 v. 10.11.1997, 308. 237 Deutschland hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und dies in § 1 II EuGHGesetz v. 6.8.1998 (BGBl. I, 2035) geregelt. 238 So zutreffend Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 163 f.; Zeder, ÖJZ 2001, 81, 83. 239 Classen, EuR Beiheft 1 / 1999, 73, 86; Haltern, JZ 2007, 772, 775; Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 164; GA Mengozzi, Schlussantrag v. 26.10.2006, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 117; Pechstein, EU- / EG-Prozessrecht, Rn. 868; Pechstein, in: Streinz, Art. 35 EUV, Rn. 4; Röben, in: Grabitz / Hilf, Art. 35 EUV, Rn. 19; Soria, VA 1998, 400, 434 f.; Vedder, EuR Beiheft 1 / 1999, 5, 12; Zeder, ÖJZ 2001, 81, 83.

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

Vorlageverpflichtung diskutiert hatten und dennoch nicht in Art. 35 I EU aufgenommen haben. Deshalb kann nicht von einem Redaktionsversehen ausgegangen werden.240 Des Weiteren ist zu bedenken, dass die Regelung des Art. 35 I EU dem Modell einiger Übereinkommen folgt, die nach den Vorschriften des Maastrichter Vertrags geschlossen wurden.241 In diesen Übereinkommen ist ebenfalls keine Vorlageverpflichtung geregelt.242 Unter dem Maastrichter Vertrag wurde das Modell des opting-in als politischer Kompromiss zwischen den EuGH-freundlichen und den EuGH-skeptischen Mitgliedstaaten entwickelt.243 So enthielten bereits Art. 2 des Protokolls betreffend die Auslegung des Übereinkommens zum Schutz der finanziellen Interessen der EG durch den EuGH244, Art. 2 des Auslegungsprotokolls zum Europolübereinkommen245 und Art. 2 des Auslegungsprotokolls zum ZIS246, keine Vorlageverpflichtung247. Auch bei den Konferenzen zum Vertrag von Amsterdam 240 So auch zutreffend Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 164. 241 BT-Drs. 13 / 39339, 147; Dörr / Mager, AöR 125 (2000), 386, 408; Gaja, in: FS Lord Slynn of Hadley, Vol. 1, 143, 145; Harings, EuR Beiheft 2 / 1998, 81, 92; GA Mengozzi, Schlussantrag v. 26.102006, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras pro Amnistía), Slg. 2007, I-1657, Rn. 112; Soria, VA 1998, 400, 434 f.; Wasmeier, in: v. d. Groeben / Schwarze, Art. 35 EUV, Rn. 8; Zeder, ÖJZ 2001, 81, 83. 242 Gaja, in: FS Lord Slynn of Hadley, Vol. 1, 143, 145; Harings, EuR Beiheft 2 / 1998, 81, 92; Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 123; Soria, VA 1998, 400, 434 f. 243 GA Mengozzi, Schlussantrag v. 26.10.2006, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 112; Ligeti, Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit, 264; Zeder, ÖJZ 2001, 81, 83. 244 Protokoll aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union betreffend die Auslegung des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung , ABl. Nr. C 151 v. 20.5.1997, 2 ff.; BGBl. II, 2000, 815. 245 Protokoll aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union betreffend die Auslegung des Übereinkommens über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung, ABl. Nr. C 299 v. 9.10.1996, 2 ff.; BGBl. II 1997, 2172. 246 Protokoll aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union betreffend die Auslegung des Übereinkommens über den Einsatz der Informationstechnologie im Zollbereich durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung, ABl. Nr. C 151 v. 20.5.1997, 16 ff.; BGBl. II 2004, 398. 247 Auch das Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 Absatz 2 lit. c des Vertrags über die Europäische Union über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind, ABl. Nr. C 195 v. 25.6.1997, 2 ff.; BGBl. II 2002, 2729 und das Zweite Protokoll aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. Nr. C 221 v. 19.7.1997, 12 ff.; BGBl. II 2002, 2723, die aber erst nach der Unterzeichung des Amsterdamer Vertrages verabschiedet worden sind, folgen dem opting-in Modell, ohne eine Verpflichtung der letztinstanzlichen Gerichte zur Vorlage in Art. 12 III bzw. Art. 13 III zu enthalten.

C. Einwände gegen die Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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schien sich eine Blockadehaltung der EuGH-skeptischen Mitgliedstaaten abzuzeichnen.248 Das Vereinigte Königreich weigerte sich, eine Zuständigkeit des EuGH in der dritten Säule zu akzeptieren249, da es die Funktion des Gerichtshofs im Bereich der PJZS für sehr begrenzt hielt.250 Daher wurde als Kompromisslösung das Verfahren des opting-in gewählt und auf die Festlegung einer Vorlageverpflichtung verzichtet.251 Somit spricht schon die Entstehungsgeschichte von Art. 35 I EU gegen die Übertragung der Foto-Frost-Rechtsprechung. Auch dem System des Art. 35 EU lässt sich kein Verwerfungsmonopol des EuGH entnehmen.252 Das Rechtsbehelfssystem des Art. 35 I, II EU zeigt, dass auch nationale Gerichte zur Beantwortung von Gültigkeitsfragen berufen sein können. Denn wenn ein Mitgliedstaat keine Unterwerfungserklärung für das Vorabentscheidungsverfahren abgegeben hat, sind dessen nationale Gerichte nicht berechtigt, sich an den EuGH zu wenden.253 Müssten die nationalen Gerichte aber sehenden Auges rechtswidrige Rahmenbeschlüsse in die Auslegung mit einbeziehen, verstieße dies gegen das Rechtsstaatsprinzip, dem die Union gem. Art. 6 I EU verpflichtet ist. Deshalb muss es den nationalen Gerichten, die sich nicht an den EuGH wenden dürfen, überlassen bleiben, einen rechtswidrigen Unionsrechtsakt außer Acht zu lassen. Den Mitgliedstaaten ist es in der PJZS möglich, die Beantwortung von Gültigkeitsfragen ihren nationalen Gerichten selbst zu überlassen, indem sie sich nicht der Zuständigkeit des EuGH für Vorabentscheidungsverfahren unterwerfen.254 Unterstützend sei schließlich noch darauf hingewiesen, dass der EuGH in der Foto-Frost-Entscheidung seine ausschließliche Zuständigkeit für die Gültigkeitskontrolle unter Berufung auf ein umfassendes Rechtsbehelfssystem im Gemeinschaftsrecht hergeleitet hat.255 In der PJZS hingegen sind dem EuGH gem. Art. 46 lit. b EU i.V. m. Art. 35 EU nur Einzelkompetenzen zugewiesen. Ein ge248 Labayle, RTDE 1997, 813, 873; Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 122. 249 Classen, EuR Beiheft 1 / 1999, 73, 86; Griller / Droutsas u. a., IEF-Working Paper Nr. 20, 117; Labayle, RTDE 1997, 813, 873; Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 122. 250 Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Position des Vereinigten Königreichs (Memorandum der Regierung des Vereinigten Königreichs v. 2. März 1995, Behandlung von Fragen der europäischen Sicherheit anläßlich der Regierungskonferenz 1996, 184. 251 Gaja, in: FS Lord Slynn of Hadley, Vol. 1, 143, 145. 252 GA Mengozzi, Schlussantrag v. 26.10.2006, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras pro Amnistía), Slg. 2007, I-1479, Rn. 116; Schima, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, 184. 253 So auch Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch europäische Rahmenbeschlüsse, 103. 254 GA Mengozzi, Schlussantrag v. 26.10.2006, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 123; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 564; Schima, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, 184. 255 EuGH, Rs. 314 / 85 (Foto-Frost), Slg. 1987, 4199, Rn. 16; EuGH, Rs. C-50 / 00 P (Unión de Pequeños Agricultores), Slg. 2002, I-6677, Rn. 40.

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1. Teil: Normierung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

schlossenes Rechtsbehelfssystem wie im Gemeinschaftsrecht besteht in der PJZS derzeit noch nicht256, was auch der EuGH erkennt.257 Aus diesen Gründen besteht im Rahmen der dritten Säule kein umfassendes Verwerfungsmonopol für den EuGH. Die Foto-Frost-Rechtsprechung ist beim derzeitigen Stand des Rechtsbehelfssystems nicht unbesehen auf die dritte Säule übertragbar. Jedenfalls gegenüber den innerstaatlichen Gerichten derjenigen Mitgliedstaaten, die keine Unterwerfungserklärung gem. Art. 35 II EU abgegeben haben, kommt dem EuGH kein Verwerfungsmonopol für Unionsrechtsakte zu.258 Das bedeutet, dass ein nichtvorlageberechtigtes nationales Gericht, wenn es einen Rahmenbeschluss für ungültig erachtet, nicht gezwungen ist, den Rahmenbeschluss in die Auslegung des nationalen Rechts mit einzubeziehen. Soweit ein Mitgliedstaat seinen Gerichten keine Vorlagemöglichkeit eingeräumt hat, sind diese befugt, über die Wirksamkeit eines Rechtsaktes der EU selbst zu entscheiden und so dem Einzelnen Rechtsschutz zu gewähren.259 Damit besteht kein Rechtsschutzdefizit vor den nationalen Gerichten, welches sich bei der Annahme einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aktualisieren könnte.260

4. Zwischenergebnis Auch wenn die innerstaatlichen Stellen zu einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts verpflichtet sind, bestehen keine Rechtsschutzdefizite für die einzelnen Bürger. Denn es konnte gezeigt werden, dass gegen eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten gesucht werden kann. Rechtsstaatliche Bedenken stehen daher der Herleitung einer 256 v. Danwitz, Rechtsschutz im Bereich polizeilicher und justizieller Zusammenarbeit der Europäischen Union, 4; v. Danwitz, DVBl. 2008, 537, 542; Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 164. 257 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 35; in diese Richtung auch EuGH, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 50; GA Mengozzi, Schlussantrag v. 26.10.2006, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 123. 258 A. A. ohne Begründung Winkler, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 19, 24. 259 Böse, in Schwarze, Art. 35 EUV, Rn. 4; Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 163. 260 Für Strafverfahren und insbes. in Haftsachen hätte die lange Dauer des Vorabentscheidungsverfahrens trotz der Möglichkeit eines beschleunigten Verfahrens gem. Art. 104a VerfO problematisch sein können. In den Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates in Brüssel v. 4. / 5. November 2004, Dok. Nr. 1492 / 04 Anlage I (Haager Programm), 36 wurde dieses Problem erkannt. Der EuGH hat daraufhin in einem Reflexionspapier zur Behandlung von Vorlagefragen, die den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts betreffen v. 25.9.2006 (Rats-Dok. Nr. 13272 / 06) und in der Ergänzung zum Reflexionspapier v. 21.12. 2006 (Rats-Dok. Nr. 17013 / 06) Vorschläge für die Regelung eines Eilverfahrens entwickelt. Durch eine Änderung der VerfO sind die Regeln für ein Eilvorlageverfahren am 1.3.2008 in Kraft getreten, ABl. Nr. L 24 v. 29.01.2008, 39 ff.

C. Einwände gegen die Herleitung der Pflicht aus dem EU-Vertrag

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Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU nicht entgegen.

III. Ergebnis Die vorangegangenen Untersuchungen zeigen, dass die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung im EU-Vertrag verankert ist. Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts leitet sich aus der Verpflichtung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU ab. Einer solchen Herleitung kann weder der Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit in Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU noch die Befürchtung rechtsstaatswidriger Individualschutzlücken entgegengehalten werden.

2. Teil

Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung – das Meinungsspektrum in der Literatur und der Rechtsprechung Im vorangegangenen Punkt der Arbeit wurde herausgearbeitet, dass der EU-Vertrag eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU enthält. Damit ist aber noch nicht geklärt, ob die innerstaatlichen Stellen lediglich aufgrund innerstaatlichen Rechts oder darüber hinaus auch unmittelbar aufgrund des Unionsrechts zu einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts verpflichtet sind. Die innerstaatlichen Stellen wären nur aufgrund innerstaatlichen Rechts zu einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung verpflichtet, wenn die rahmenbeschlusskonforme Auslegung ein Unterfall der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung wäre. Die innerstaatlichen Stellen wären jedoch unmittelbar aufgrund des EU-Vertrags zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung verpflichtet, wenn Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU ebenso wie Art. 249 III EG unmittelbar in die innerstaatliche Rechtsordnung hineinwirken würde.

A. Bedeutung der Frage nach dem Geltungsgrund und dem Rang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung In den Diskussionen darum, ob die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ein Pendant zum Gebot der richtlinienkonformen Auslegung darstellt oder ob die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nur ein Unterfall des Gebots der völkerrechtskonformen Auslegung ist, gab es auch Stimmen, die den Streit um den Geltungsgrund für irrelevant hielten.1 Begründet wurde dies damit, dass sich die rahmenbeschlusskonforme Auslegung innerstaatlichen Rechts auch bei einem völkerrechtlichen Verständnis des Rahmenbeschlusses erklären lasse.2 Im Wege einer völkerrechtskonformen Auslegung könnAdam, EuZW 2005, 558, 560; Harings, EuR Beiheft 2 / 1998, 81, 88 f. Adam, EuZW 2005, 558, 560; Harings, EuR Beiheft 2 / 1998, 81, 88 f.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 334 f. 1 2

A. Bedeutung der Frage nach Rang und Geltungsgrund

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ten die gleichen Ergebnisse erzielt werden, wie bei einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung.3 Es sei daher nicht entscheidungserheblich, ob die nationalen Stellen aufgrund des Unionsrechts unmittelbar zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung verpflichtet seien (so wie sie unmittelbar aufgrund des EG-Vertrags zur richtlinienkonformen Auslegung verpflichtet sind) oder ob sich die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus dem innerstaatlichen Recht, nämlich der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung ergibt.4 Die Frage nach Geltungsgrund und Reichweite der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung kann nur dann offengelassen werden, wenn mit einer völkerrechtskonformen Auslegung die gleichen Ergebnisse erzielt werden können, wie mit der richtlinienkonformen Auslegung. Es soll daher zunächst herausgearbeitet werden, inwieweit sich das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung und das Gebot der völkerrechtskonformen Auslegung entsprechen bzw. unterscheiden. Geht die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung weiter als die Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung, dann ist die Frage nach dem Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung keineswegs irrelevant. Es muss dann entschieden werden, ob die Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung entspricht oder ob die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung lediglich im nationalen Recht als Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung verankert ist. Dazu soll zunächst das Meinungsspektrum in Literatur und Rechtsprechung dargestellt werden, bevor ein eigener Lösungsversuch unternommen wird.

I. Unterschiede zwischen der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung und der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung Im Folgenden soll geklärt werden, ob die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung, die der EuGH auf Rahmenbeschlüsse gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU übertragen hat, sich in Geltungsgrund sowie Inhalt und Umfang von der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung unterscheidet.

3 So wohl Adam, EuZW 2005, 558, 561; Harings, EuR Beiheft 2 / 1998, 81, 88 f.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 334 f. 4 Adam, EuZW 2005, 558, 560.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

1. Geltungsgrund der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung und der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung a) Geltungsgrund der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung Der EuGH entscheidet in ständiger Rechtsprechung, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen, und die Pflicht der Mitgliedstaaten gem. Art. 10 EG, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, mithin auch den nationalen Gerichten im Rahmen ihrer Zuständigkeit obliege.5 Daher müsse ein nationales Gericht seine Auslegung unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts6 soweit wie möglich7 anhand des Wortlauts und Zwecks der Richtlinie ausrichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und so Art. 249 III EG nachzukommen.8 Das 5 EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 26; EuGH, Rs. 222 / 84 (Johnston), Slg. 1986, 1651, Rn. 53; EuGH, Rs. 80 / 87 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, 3969, Rn. 12; EuGH, Rs. 31 / 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 39; EuGH, Rs. 125 / 99 (Strafverfahren gegen Nijman), Slg. 1989, 3533, Rn. 6; EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C-91 / 92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 26; EuGH, Rs. C-54 / 96 (Dorsch Consult), Slg. 1997, I-4961, Rn. 43; EuGH, Rs. C-76 / 97 (Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 25; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 48; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 40; EuGH, Rs. C-160 / 01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 35; EuGH, Rs. C-462 / 99 (Connect Austria), Slg. 2003, I-5197, Rn. 38; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 110; EuGH, Rs. C-316 / 04 (Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie), Slg. 2005, I-9759, Rn. 77; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 41; EuGH, Rs. C-396 / 07 (Mirja Juuri), Slg. 2008, I-8883, Rn. 27. 6 EuGH, Rs. C-185 / 97 (Coote), Slg. 1998, I-5199, Rn. 18; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 49; EuGH, Rs. C-408 / 01 (Adidas Salomon), Slg. 2003, I-12537, Rn. 21; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 119; EuGH, Rs. C-350 / 03 (Schulte), Slg. 2005, I-9215, Rn. 71; EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 111; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 101. 7 EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C-91 / 92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 26; EuGH, Rs. C-54 / 96 (Dorsch Consult), Slg. 1997, I-4961, Rn. 43; EuGH, Rs. C-76 / 97 (Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 25; EuGH, Rs. 185 / 97 (Coote), Slg. 1998, I-5199, Rn. 18; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 48; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 40; EuGH, Rs. C-160 / 01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 36; EuGH, Rs. C-462 / 99 (Connect Austria), Slg. 2003, I-5197, Rn. 38; EuGH, Rs. C-408 / 01 (Adidas-Salomon), Slg. 2003, I-12537, Rn. 21; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 113, 117 ff.; EuGH, Rs. C-350 / 03 (Schulte), Slg. 2005, I-9215, Rn. 71; EuGH, Rs. C-316 / 04 (Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie), Slg. 2005, I-9759, Rn. 78; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 98. 8 EuGH, Rs. 13 / 83 (von Colson), Slg. 1984, 1891, Rn. 26; EuGH, Rs. 222 / 84 (Johnston), Slg. 1986, 1651, Rn. 53; EuGH, Rs. 80 / 87 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, 3969, Rn. 12; EuGH, Rs. 31 / 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 39; EuGH, Rs. 125 / 99 (Strafverfahren gegen Nijman), Slg. 1989, 3533, Rn. 6; EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C-91 / 92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 26; EuGH, Rs. C-118 / 94 (WWF), Slg. 1996, I-1223, Rn. 18; EuGH, Rs. C-54 / 96 (Dorsch Consult), Slg. 1997, I-4961, Rn. 43; EuGH, Rs. C-76 / 97 (Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 25; EuGH, Rs. C-185 / 97 (Coote), Slg. 1998, I-5199, Rn. 18; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 48; EuGH,

A. Bedeutung der Frage nach Rang und Geltungsgrund

73

Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts sei damit dem EGVertrag immanent.9 Der Geltungsgrund für das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung liegt im Gemeinschaftsrecht.10 Denn die Fragen nach Geltung, Wirkung und Rang des Gemeinschaftsrechts im innerstaatlichen Rechtsraum werden vom Gemeinschaftsrecht selbst bestimmt.11 Das nationale Recht räumt dem Gemeinschaftsrecht die Befugnis zur autonomen Geltungs-, Wirkungs- und Ranganordnung ein.12 Das Gemeinschaftsrecht nimmt diese Befugnis in Anspruch und räumt dem Primärrecht und den EGVerordnungen Vorrang vor nationalem Recht ein.13 Damit werden Geltung, Wirkung und Rang des Gemeinschaftsrechts im innerstaatlichen Rechtskreis aus Sicht des Gemeinschaftsrechts bestimmt.14 Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 40; EuGH, Rs. C-160 / 01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 36; EuGH, Rs. C-462 / 99 (Connect Austria), Slg. 2003, I-5197, Rn. 38; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 113; EuGH, Rs. C-316 / 04 (Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie), Slg. 2005, I-9759, Rn. 78; EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 108; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 98. 9 EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 113; EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 109. 10 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 256 f.; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 231; Götz, NJW 1992, 1849, 1853; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 101; Lorz, Der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung, 58; Öhlinger, in: Schroeder, Europarecht als Mehrebenensystem, 11, 12; Schmidt, Der Einfluss europäischer Richtlinien auf das innerstaatliche Privatrecht, 89 f.; Weißer, ZIS 2006, 562, 572. 11 EuGH, Rs. 6 / 64 (Costa / ENEL), Slg. 1964, 1253, 1269 f.; Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 249; Griller, in: Schuppert / Pernice / Haltern, Europawissenschaft, 201, 215; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 35; Grundlegend Ipsen, Gemeinschaftsrecht, 255 ff.; Schmidt, Der Einfluss europäischer Richtlinien auf das innerstaatliche Privatrecht, 90; v. Unger, NVwZ 2006, 46, 48. 12 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 249; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 101; Schmidt, Der Einfluss europäischer Richtlinien auf das innerstaatliche Privatrecht, 90. 13 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 249 f.; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 35 f.; Hillgruber, in: FS Schiedermair, 91, 96 f. 14 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 35. Nach Ansicht des BVerfG ergeben sich die Geltung sowie der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts hingegen aus dem Rechtsanwendungsbefehl des Zustimmungsgesetzes zum EG-Vertrag. Damit besteht der Vorrang des Gemeinschaftsrecht kraft verfassungsrechtlicher Ermächtigung, vgl. BVerfGE 73, 339, 374 f.; BVerfGE 75, 223, 240; BVerfGE 89, 155, 190; BVerfG, Urteil v. 30.6.2009, 2 BvE 2 / 08, 2 BvE 5 / 08, 2 BvR 1010 / 08, 2 BvR 1022 / 08, 2 BvR 1259 / 08, 2 BvR 182 / 09, Rn. 226; so auch Hillgruber, in: FS Schiedermair, 91, 96 f.; zum Ganzen Streinz, Europarecht, Rn. 207 ff. Das BVerfG behält sich eine Kontrolle hinsichtlich der Kompetenzkonformität europarechtlicher Rechtsakte vor, vgl. BVerfGE 89, 155, 188; BVerfG, NJW 2000, 2015, 2016; BVerfG, Urteil v. 30.6.2009, 2 BvE 2 / 08, 2 BvE 5 / 08, 2 BvR 1010 / 08, 2 BvR 1022 / 08, 2 BvR 1259 / 08, 2 BvR 182 / 09, Rn. 240 f.; kritisch Nicolaysen / Nowak, NJW 2001, 1233, 1237. Neuerdings behält sich das BVerfG auch eine Identitätskontrolle darüber vor, ob der unantastbare Kerngehalt der Verfassung gewahrt bleibt, vgl. BVerfG, Urteil v. 30.6.2009, 2 BvE 2 / 08, 2 BvE 5 / 08, 2 BvR 1010 / 08, 2 BvR 1022 / 08, 2 BvR 1259 / 08,

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

Art. 249 III EG beinhaltet die Verbindlichkeit des Zieles der Richtlinie für die Mitgliedstaaten. Wie oben bereits herausgearbeitet15 bedeutet dies, dass der Mitgliedstaat seine Rechtsordnung den verbindlichen Zielvorgaben der Richtlinie anzupassen hat.16 Die Verwirklichung der gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Richtlinienergebnisse setzt notwendigerweise die Umsetzung in die nationale Rechtsordnung voraus, wenn die Anordnung der Verbindlichkeit der Richtlinienziele einen Sinn haben soll.17 Daher impliziert Art. 249 III EG die Pflicht der innerstaatlichen Stellen zur Umsetzung der Richtlinienziele in das nationale Recht. Die innerstaatliche Normierung der Richtlinienziele ist nicht mit der Transformation eines zwischenstaatlichen Vertrags vergleichbar. Denn die Umsetzung der Richtlinie begründet nicht die Geltung der Richtlinie im innerstaatlichen Bereich, sondern bewirkt nur, dass für die Einzelnen innerstaatlich das wirksam wird, was mit Inkrafttreten der Richtlinie bereits aufgrund des Gemeinschaftsrechts für die mitgliedstaatlichen Organe verbindlich geworden war.18 Die Umsetzungsverpflichtung aus Art. 249 III EG ist daher auch nicht auf den Gesetzgeber beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle innerstaatlichen Stellen, insbesondere auch auf die Gerichte.19 Denn der Zweck der Rechtsangleichung, der mit dem Erlass von Richtlinien durch die EG verfolgt wird, wird nur dann erreicht, wenn Richtlinien nicht nur legislativ umgesetzt werden, sondern das nationale Recht auch richtlinienkonform angewandt wird.20 Legen die Gerichte und Verwaltungsbehörden bei der Rechtsanwendung das mitgliedstaatliche Recht richtlinienkonform aus, nehmen sie am Umsetzungsprozess teil.21 Dadurch wird das Richtlinienziel auch auf der Ebene der Normkonkretisierung im Einzelfall verwirklicht.22 2 BvR 182 / 09, Rn. 240. Zu den unterschiedlichen Positionen von EuGH und BVerfG und den Folgen für die Frage des Geltungsgrundes für die rahmenbeschlusskonforme Auslegung s. u. 3. Teil: B. 15 s. o. 1. Teil: B.I. 16 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 256 f. u. 8 f. Fn. 8; Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 55 f.; Ipsen, in: FS Ophüls, 73, 75 f.; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 98. 17 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 8 f. Fn. 8; Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 55 f.; Streinz, Europarecht, Rn. 455. 18 Ipsen, in: FS Ophüls, 73, 79. 19 Brenn, ÖJZ 2005, 41, 43; Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 56; vgl. Ipsen, in: FS Ophüls, 73, 77; Roth, EWS 2005, 385, 385; Streinz, Europarecht, Rn. 455. 20 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 256 f.; Frisch, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, 68; Herlinghaus, Bedeutung und Reichweite der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts, 35. 21 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 257; ähnlich Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 56; Frisch, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, 68 u. 71 f.; Herlinghaus, Bedeutung und Reichweite der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts, 35; Ruffert, in: Calliess / Ruffert, Art. 249 EGV, Rn. 118; Streinz, Europarecht, Rn. 455. 22 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 256 f.; ähnlich Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 56; Frisch, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, 68 u. 71 f.; Ruffert, in: Calliess / Ruffert, Art. 249 EG, Rn. 118.

A. Bedeutung der Frage nach Rang und Geltungsgrund

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Grundlage des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung ist somit Art. 249 III EG in Verbindung mit Art. 10 EG, die als Gemeinschaftsprimärrecht unmittelbar im innerstaatlichen Bereich gelten und Vorrang vor dem nationalen Recht haben.23 Die unmittelbare und vorrangige Geltung des Art. 249 III EG bedeutet, dass das Gemeinschaftsrecht und nicht das nationale Recht über Umfang und Grenzen der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung bestimmt.24 Zwar werden durch das Verbot einer Auslegung contra legem die Grenzen der Auslegung auch durch das nationale Recht beeinflusst.25 Diese Grenze hat aber ihren Grund nicht etwa in einem Vorrang des nationalen Rechts, sondern in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Gemeinschaft, die dem Unionsbürger Rechtssicherheit gewähren.26 Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Der Geltungsgrund der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung liegt im Gemeinschaftsrecht. Ginge man davon aus, dass die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung folgt, so würde man annehmen müssen, dass der Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung im Unionsrecht läge. Dies setzt voraus, dass auch das Unionsrecht bzw. konkreter Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU unmittelbar und vorrangig die innerstaatlichen Stellen verpflichtet. Dann würde der EU-Vertrag selbst die Reichweite der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung bestimmen.

b) Geltungsgrund der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung Aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ergibt sich das Gebot der völkerrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts.27

23 Z. T. wird auch nur Art. 249 III EG als Grundlage des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung angesehen, vgl. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 257 f.; andere hingegen wollen nur Art. 10 EG als Grundlage für die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung ansehen, vgl. Herlinghaus, Bedeutung und Reichweite der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts, 34; Ipsen, in: FS Ophüls, 73, 78. Für die vorliegende Arbeit kann diese Diskussion aber dahinstehen. 24 v. Unger, NVwZ 2006, 46, 48. 25 v. Unger, NVwZ 2006, 46, 48. 26 v. Unger, NVwZ 2006, 46, 48; unklar insoweit Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1565, die davon ausgehen, dass das Verbot des contra-legem Judizierens im nationalen Recht wurzle. Dabei übersehen sie, dass dieser Verweis auf die nationalen Grenzen der Auslegung aus dem Unionsrecht stammt. Das Unionsrecht erlaubt somit, dass die Grenze der Auslegungsfähigkeit des nationalen Rechts eine Grenze der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung darstellt. Damit ist es das Unionsrecht, das diese Grenze bestimmt, wenn auch die nationale Rechtsordnung durch ihre Auslegungsfähigkeit diese Grenze beeinflusst. 27 Herdegen, Völkerrecht, § 22 Rn. 10; Lorz, Der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung, 58.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

aa) Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes Die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ergibt sich im Wege einer „systematischen Gesamtschau“28 aus verschiedenen Artikeln des Grundgesetzes.29 Das Grundgesetz legt die deutsche öffentliche Gewalt programmatisch auf die europäische Integration gem. Art. 23 GG und die internationale Zusammenarbeit gem. Art. 24 GG fest.30 Es eröffnet gem. Art. 24 I GG die Möglichkeit, dass die Bundesrepublik sich in Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit einfügt, erteilt gem. Art. 24 III GG den Auftrag zur friedlichen Streitbeilegung und erklärt die Friedensstörung, insbesondere den Angriffskrieg gem. Art. 26 GG für verfassungswidrig.31 Das Grundgesetz legt die deutsche Staatsgewalt programmatisch auf die internationale Zusammenarbeit fest und bindet sie darüber hinaus gem. Art. 59 II GG an das Völkervertragsrecht sowie gem. Art. 25 GG an die allgemeinen Regeln des Völkerrechts.32 Mit diesem Normenkomplex zielt das Grundgesetz auch ausweislich seiner Präambel darauf ab, dass die Bundesrepublik Deutschland sich als friedliches und gleichberechtigtes Mitglied in eine dem Frieden dienende Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft einfügen kann.33 Aus der Entscheidung des Grundgesetzes für die internationale Zusammenarbeit und Völkerrechtsoffenheit lässt sich das verfassungsrechtliche Gebot weitestmöglicher Harmonie von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht ableiten.34 Völkerrechtsverstöße, die in der fehlerhaften Anwendung oder Nichtbeachtung völkerTomuschat, in: Isensee / Kirchhof, HBdStR VII, § 172 Rn. 27. Heckötter, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des EGMR für die deutschen Gerichte, 122. 30 BVerfG, 2 BvR 2115 / 01, 2 BvR 2132 / 01, 2 BvR 348 / 03, v. 19.9.2006, Rn. 55; BVerfGE 111, 307, 318; BVerfG, 2 BvR 1526 / 04, v. 22.12.2006, Rn. 30; Herdegen, Völkerrecht, § 22 Rn. 9; Rojahn, in: v. Münch / Kunig, Art. 24 GG, Rn. 1. 31 BVerfGE 111, 307, 318; Herdegen, Völkerrecht, § 22 Rn. 9; Lorz, Der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung, 56. 32 BVerfG, 2 BvR 2115 / 01, 2 BvR 2132 / 01, 2 BvR 348 / 03, v. 19.9.2006, Rn. 55; BVerfGE 111, 307, 317 f., BVerfGE 112, 1, 25; Herdegen, Völkerrecht, § 22 Rn. 9; vgl. Mückl, Der Staat 40 (2005) 96, 127; Sternberg, Der Rang von Menschenrechtsverträgen im deutschen Recht unter besonderer Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 2 GG, 188 f. 33 Vgl. BVerfGE 63, 343, 370; BVerfGE 111, 307, 318; Herdegen, Völkerrecht, § 22 Rn. 9; Rojahn, in: v. Münch / Kunig, Art. 24 GG, Rn. 1. 34 BVerfG, 2 BvR 2115 / 01, 2 BvR 2132 / 01, 2 BvR 348 / 03, v. 19.9.2006, Rn. 55; Bleckmann, DÖV 1979, 309, 309; Bleckmann, Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge, 85, Fn. 114; Böhmert, Das Recht der ILO, 166; Frowein, in: Jacobs / Roberts, The Effect of Treaties in Domestic Law, 63, 68; Heckötter, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des EGMR für die deutschen Gerichte, 126; Lorz, Der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung, 56; Pernice, in: Dreier, Art. 25 GG, Rn. 40; Rojahn, in: v. Münch / Kunig, Art. 24 GG, Rn. 2; Rojahn, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 123, 135; Streinz, in: Sachs, Art. 25 GG, Rn. 9; Tomuschat, in: Isensee / Kirchhof, HbdStR VII, § 172 Rn. 27. 28 29

A. Bedeutung der Frage nach Rang und Geltungsgrund

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rechtlicher Normen liegen und die eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Bundesrepublik begründen können, sind aufgrund der völkerrechtsfreundlichen Ausrichtung des Grundgesetzes nach Möglichkeit zu verhindern.35 Daraus ergibt sich das Gebot der völkerrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts.36 Da sich das Gebot der völkerrechtskonformen Auslegung aus einer Zusammenschau verschiedener Normen des Grundgesetzes ergibt, bestimmt auch allein die nationale Rechtsordnung über Inhalt und Reichweite des Gebots der völkerrechtskonformen Auslegung.37 Die Grundlage der Geltung der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung liegt demnach im nationalen Recht.38

bb) Verhältnis des Völkervertragsrechts zur innerstaatlichen Rechtsordnung Das Völkerrecht kennt keine allgemeinen Regeln über die Rechtsposition des Völkerrechts im nationalen Rechtsraum.39 Allein die Tatsache, dass ein völkerrechtlicher Vertrag in Kraft getreten ist, bringt seine Bestimmungen nicht zur innerstaatlichen Geltung, selbst wenn der betreffende Staat dadurch völkerrechtswidrig han35 BVerfG, 2 BvR 2115 / 01, 2 BvR 2132 / 01, 2 BvR 348 / 03, v. 19.9.2006, Rn. 55; BVerfG, 2 BvR 1526 / 04, v. 22.12.2006, Rn. 30; BVerfGE 111, 307, 328; BVerfGE 58, 1, 34; BVerfGE 59, 63, 89; auch BVerwGE 110, 203, 212; auch KG Berlin, Urteil v. 29.10.2004, 9 W 128 / 04, Rn. 15; Lorz, Der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung, 56; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 205; Rojahn, in: v. Münch / Kunig, Art. 24 GG, Rn. 2. 36 Böhmert, Das Recht der ILO, 164; Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 550; Heckötter, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des EGMR für die deutschen Gerichte, 123; Herdegen, Völkerrecht, § 22 Rn. 10; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 100; Lorz, Der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung, 56; Rojahn, in: v. Münch / Kunig, Art. 24 GG, Rn. 2; Schumann, in: Lachmayer / Bauer, Praxiswörterbuch Europarecht, „Rahmenbeschlusskonforme Auslegung“, 721; a. A. Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 362, der die völkerrechtliche Verpflichtung zur Einhaltung und Umsetzung der völkerrechtlichen Verträge als Legitimationsgrundlage für die Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung ansieht. 37 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 100 f.; Hillgruber, JZ 2005, 841, 841; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9; Schroeder, EuR 2007, 349. 365; Wasmeier, ZEuS 2006, 23, 29. 38 Harings, EuR Beiheft 2 / 1998, 81, 89; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 100 f.; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 206; Weißer, ZIS 2006, 562, 571. 39 Bleckmann, DÖV 1979, 309, 313; Böhmert, Das Recht der ILO, 151; Jelitte, Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge, 83; Kunig, in: Graf Vitzthum, 2. Abschn., Rn. 7 (bzgl. Völkervertragsrecht); Lorz, Der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung, 8 f.; Perrin, in: Bernhardt, EPIL II, 1183, 1190; Rojahn, in: v. Münch / Kunig, Art. 25 Rn. 1 m. w. N.; Schilling, ZaöRV 48 (1988) 637, 641; Sternberg, Der Rang von Menschenrechtsverträgen im deutschen Recht unter besonderer Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 2 GG, 91.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

deln würde.40 Aus der berechtigten Erwartung der Vertragspartner, dass völkerrechtliche Verpflichtungen eingehalten werden, kann im allgemeinen Völkerrecht nicht auf deren innerstaatlichen Vorrang vor nationalen Verpflichtungen geschlossen werden.41 Das Grundgesetz öffnet sich zwar in gewisser Weise völkerrechtlichen Bindungen, es geht jedoch nicht so weit, dass das Völkervertragsrecht innerstaatlich unmittelbar, d. h. ohne Zustimmungsgesetz nach Art. 59 II GG, gelten würde.42 Dem Grundgesetz liegt damit die Vorstellung zugrunde, dass es sich bei dem Verhältnis des Völkerrechts zum nationalen Recht um zwei getrennte Rechtskreise handelt.43 Das Verhältnis dieser Rechtskreise zueinander wird aus der Sicht des nationalen Rechts nur durch das nationale Recht selbst bestimmt.44 Dies zeigen die Existenz und der Wortlaut von Art. 25 GG und Art. 59 II GG.45 Würde man den EU-Vertrag als völkerrechtlichen Vertrag einordnen, dann wäre die in Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU normierte Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung eine völkervertragsrechtliche Pflicht. Der Geltungsgrund dieser Pflicht läge dann im nationalen Recht, nämlich in der Verpflichtung der innerstaatlichen Stellen, das nationale Recht völkerrechtskonform auszulegen. Über den Inhalt sowie den Umfang dieser Pflicht würde das nationale Recht bestimmen.46 Bei einem 40 Heckötter, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des EGMR für die deutschen Gerichte, 88; Hillgruber, in: FS Schiedermair, 91, 98; Kunig, in: Graf Vitzthum, 2. Abschn., Rn. 43; Schilling, ZaöRV 48 (1988) 637, 641; BVerfGE 6, 309, 366. 41 Fiedler, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 11, 16; Schilling, ZaöRV 48 (1988) 637, 666. Abzulehnen sind die Versuche, den Übergesetzesrang damit zu begründen, dass über die gewohnheitsrechtliche Regel „pacta sunt servanda“ der Inhalt jedes völkerrechtlichen Vertrages an der von Art. 25 S. 2 GG angeordneten Ranghöhe teilhabe. Maßgebliche Regelung für die innerstaatliche Geltung des Völkervertragsrecht ist Art. 59 II GG, nicht Art. 25 GG, so auch BVerfG, 2 BvR 1526 / 04, v. 22.12.2006, Rn. 30; BVerfGE 6, 309, 363; BVerfGE 31, 145, 178; VGH BW, 13 S 2501 / 00, v. 14.2.2001, Rn. 5; Frowein, in: Jacobs / Roberts, The Effect of Treaties in Domestic Law, 63, 67; Jelitte, Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge, 102 f.; Rojahn, in: v. Münch / Kunig, Art. 25 GG, Rn. 39. 42 BVerfGE 111, 307, 318; BVerfGE 112, 1, 25; Sächsisches OVG, 4 BS 216 / 06, v. 9.3. 2007, Rn. 70; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht I / 1, 119; Frowein, in: Jacobs / Roberts, The Effect of Treaties in Domestic Law, 63, 66; Hillgruber, in: FS Schiedermair, 91, 98; Kunig, in: Graf Vitzthum, 2. Abschn., Rn. 110; Müller, NJ 2007, 252, 253; Wolf, ZUR 2007, 525, 530. 43 BVerfGE 6, 309, 366; BVerfGE 111, 307, 318; v. Bogdandy / Zacharias, NVwZ 2007, 527, 528; Böhmert, Das Recht der ILO, 152; Hillgruber, in: FS Schiedermair, 91, 91; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 359; Müller, NJ 2007, 252, 253. 44 BVerfGE 6, 309, 366; Sächsisches OVG, 4 BS 216 / 06, v. 9.3.2007, Rn. 70; vgl. Bleckmann, DÖV 1979, 309, 314; v. Bogdandy / Zacharias, NVwZ 2007, 527, 528; Böhmert, Das Recht der ILO, 154; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht I / 1, 101 ff.; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 100 f.; Öhlinger, in: Schroeder, Europarecht als Mehrebenensystem, 11, 12. 45 BVerfGE 111, 307, 318; Böhmert, Das Recht der ILO, 154; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 101; Huber, in: Schroeder, Europarecht als Mehrebenensystem, 39, 43; vgl. Rojahn, in: v. Münch / Kunig, Art. 25 GG, Rn. 1.

A. Bedeutung der Frage nach Rang und Geltungsgrund

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rein völkerrechtlichen Verständnis der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung wäre das Ergebnis der Auslegung vom nationalen Verfassungsrecht abhängig.47

c) Zwischenergebnis Der Geltungsgrund der richtlinienkonformen Auslegung liegt im Gemeinschaftsrecht, während der Geltungsgrund der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung im jeweiligen nationalen Recht der Mitgliedstaaten zu finden ist.48 Daraus ergibt sich, dass Umfang und Grenzen der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung durch das Gemeinschaftsrecht bestimmt werden, während Umfang und Grenzen der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung durch das nationale Recht festgelegt werden. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung ist somit von der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung verschieden und tritt neben diese.49 Im Folgenden soll untersucht werden, ob sich aus diesem Unterschied auch unterschiedliche Folgen für die Reichweite der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung und der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung ergeben.

2. Umfang der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung und der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung a) Umfang der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung Ist ein völkerrechtlicher Vertrag gem. Art. 59 II GG in das innerstaatliche Recht umgesetzt worden50, so gilt der Vertragsinhalt innerstaatlich im Rang eines einfachen 46 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 100 f.; Hillgruber, JZ 2005, 841, 841; Huber, in: Schroeder, Europarecht als Mehrebenensystem, 39, 43; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9; Schroeder, EuR 2007, 349, 365; Wasmeier, ZEuS 2006, 23, 29. 47 Wasmeier, ZEuS 2006, 23, 29. 48 Harings, EuR Beiheft 2 / 1998, 81, 89; in diese Richtung zutreffend auch die britische Regierung in der mündlichen Verhandlung in der Rs. Pupino, vgl. GA Kokott, Schlussantrag v. 11.11.2004, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 37; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9. 49 Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 231. 50 Im Einzelnen ist streitig, ob ein Rechtsakt nach Art. 59 II GG eine völkerrechtliche Norm in deutsches Recht transformiert (Transformationslehre) oder den innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl für diese Norm erteilt (Vollzugslehre). Zum Streitstand: Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, 300 ff.; Becker, NVwZ 2005, 289 ff.; Koenig, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 25 GG, Rn. 36 ff. (allgemein zu Rechtssätzen des Völkerrechts); Kempen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 59 GG, Rn. 88 ff.; Steinberger, ZaöRV 48 (1988), 1, 4 ff. Die beiden Ansichten kommen jedoch – auch wenn sich die Transformationslehre häufig Hilfskonstruktionen bedienen muss – zu denselben Ergebnissen, vgl. Jelitte, Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge, 81.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

Bundesgesetzes.51 Deutsche Gerichte sind gem. Art. 20 III GG an Recht und Gesetz gebunden. Die Rangzuweisung gem. Art. 59 II GG führt dazu, dass deutsche Gerichte gem. Art. 20 III GG den völkerrechtlichen Vertrag wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben.52 Die Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung besteht somit nur, wo Abwägungs- oder Auslegungsspielräume im nationalen Recht eröffnet sind.53 Zudem darf der Zuständigkeitsbereich staatlicher Organe nicht überschritten werden.54 Wäre der EU-Vertrag ein normaler völkerrechtlicher Vertrag, so würde die in Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU verankerte Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung durch das Zustimmungsgesetz zum EU-Vertrag in Deutschland im Rang eines einfachen Bundesgesetzes gelten. Aufgrund einer Rangzuweisung als einfaches Bundesrecht kann es allerdings zu Kollisionen des Umsetzungsgesetzes mit anderen Normen des nationalen Rechts kommen. Es besteht die Gefahr, dass die innerstaatliche Rechtsordnung den völkerrechtlichen Bindungen der Bundesrepublik widerspricht. Zu untersuchen ist daher, wie diese Kollisionen zu verhindern und gegebenenfalls aufzulösen sind. Bei einem Widerspruch untergesetzlicher Normen mit den Vorgaben des Völkervertragsrechts wird durch den Grundsatz lex superior derogat legi inferiori sichergestellt, dass sich das Umsetzungsgesetz als höherrangiges Bundesgesetz durchsetzt.55 Bei einem Widerspruch der völkerrechtlichen Vorgaben des Umsetzungsgesetzes mit Landesrecht gilt gem. Art. 31 GG der Satz „Bundesrecht bricht Landesrecht“, sodass sich auch hier das Umsetzungsgesetz durchzusetzen vermag.56 51 BVerfG, 2 BvR 2115 / 01, 2 BvR 2132 / 01, 2 BvR 348 / 03, v. 19.9.2006, Rn. 53; BVerfGE 111, 307, 315; Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, 317 f.; Boehmer, Der völkerrechtliche Vertrag, 67; Böhmert, Das Recht der ILO, 154; Fiedler, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 11, 16; Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, 75; Frowein, in: Jacobs / Roberts, The Effect of Treaties in Domestic Law, 63, 67; Geiger, JZ 1996, 1093, 1095; Gumnior, Die Rechtmäßigkeit des Sympathiestreiks, 87; Herdegen, Völkerrecht, § 22 Rn. 19; Hillgruber, in: FS Schiedermair, 91, 98; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 358; Jelitte, Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge, 75; Steinberger, ZaöRV 48 (1988) 1, 6; a. A. Sternberg, Der Rang von Menschenrechtsverträgen im deutschen Recht unter besonderer Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 2 GG, 94. 52 BVerfG, 2 BvR 2115 / 01, 2 BvR 2132 / 01, 2 BvR 348 / 03, v. 19.9.2006, Rn. 53; BVerfGE 111, 307, 317; BVerfG, 2 BvR 1526 / 0,4 v. 22.12.2006, Rn. 30; Böhmert, Das Recht der ILO, 163 f. 53 BVerfGE 111, 307, 316 u. 329. 54 BVerfGE 111, 307, 316. 55 Heckötter, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des EGMR für die deutschen Gerichte, 151; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 39 f. 56 Frowein, in: Jacobs / Roberts, The Effect of Treaties in Domestic Law, 63, 67; Heckötter, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des EGMR für die deutschen Gerichte, 152.

A. Bedeutung der Frage nach Rang und Geltungsgrund

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Probleme können jedoch entstehen, wenn das Umsetzungsgesetz mit einem ranggleichen anderen Bundesgesetz oder mit dem Grundgesetz kollidiert. Dann stellt sich die Frage, ob die nationalen Stellen das Umsetzungsgesetz anwenden müssen, um den völkerrechtlichen Bindungen der Bundesrepublik gerecht zu werden, oder ob sie das Umsetzungsgesetz außer Acht lassen müssen und damit einen Völkerrechtsverstoß der Bundesrepublik riskieren. Zunächst soll geklärt werden, ob die lex posterior-Regel bei einer Kollision völkerrechtlicher Vorgaben mit nationalem Recht anzuwenden ist. Danach soll untersucht werden, ob das Völkervertragsrecht auch als Auslegungsmaßstab für das Grundgesetz herangezogen werden muss. aa) Anwendbarkeit der lex posterior-Regel Das deutsche Recht kennt keine automatische Vorrangregelung für völkerrechtliche Verträge.57 Normenkollisionen zwischen völkerrechtlichen Verträgen und einfachen Bundesgesetzen sind anhand der allgemeinen Kollisionsregeln für gleichrangiges Recht zu lösen. Das bedeutet, dass nach der lex posterior-Regel eine vom Völkervertragsrecht abweichende Regelung durch ein später erlassenes Gesetz nicht von vornherein ausgeschlossen oder unwirksam ist.58 Dies kann dazu führen, dass 57 BVerfG, 2 BvR 1526 / 04 v. 22.12.2006, Rn. 30; Böhmert, Das Recht der ILO, 155; Fiedler, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 11, 16; Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, 75; Gärditz, AJIL 101 (2007) 627, 631; Geiger, JZ 1996, 1093, 1094; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 101; Hillgruber, in: FS Schiedermair, 91, 98 f.; Jelitte, Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge, 103. 58 BVerfGE 6, 309, 363 („Der Gesetzgeber hat also die Verfügungsmacht über den Rechtsbestand auch dort, wo eine vertragliche Bindung besteht, sofern sie nicht allgemeine Völkerrechtssätze zum Gegenstand hat.“); BVerfG, 2 BvR 1526 / 04, v. 22.12.2006, Rn. 30; BVerwGE 111, 200, 210; OVG Hamburg, Bf VI 31 / 91, v. 21.3.1995, Rn. 45; VGH BW, 13 S 2501 / 00, v. 14.2.2001, Rn. 5; KG Berlin, Rechtspfleger 1988, 330, 331 f.; LG Heilbronn, EuGRZ 1991, 185, 186; Bernhardt, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 147, 149; Bungert, DÖV 1994, 797, 806; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht I / 1, 121; Deiseroth, DVBl. 1998, 116, 121; Doehring, Völkerrecht, Rn. 721; Fiedler, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 11, 16 f.; Frowein, in: Jacobs / Roberts, The Effect of Treaties in Domestic Law, 63, 67; Gärditz, AJIL 101 (2007) 627, 631; Geiger, JZ 1996, 1093, 1094 f.; Hillgruber, in: FS Schiedermair, 91, 99; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 358; Lorz, Der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung, 54; Ress, in: FS Doehring, 803, 804; Schuska, Die Rechtsfolgen von Verstößen gegen Art. 6 EMRK, 34; Weber, in: Umbach / Clemens, Art. 59 II GG, Rn. 75; a. A. Bleckmann, DÖV 1979, 309, 314, der meint, dass nationale jüngere Gesetze, die ein Umsetzungsgesetz außer Kraft setzen würden, gegen den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit verstießen und daher verfassungswidrig und nichtig seien. Ebenso unter Verweis darauf, dass der Bundestag durch das Zustimmungsgesetz eine Vertrauensgrundlage schaffe und daher unter Rechtsstaatsgesichtspunkten sein „Wortbruch“ unwirksam sei Vogel, JZ 1997, 161, 165 ff.; Vogel, in: FS Schiedermair, 113, 123 f.; i. E. ebenso gegen die Möglichkeit des Gesetzgebers ein den völkervertraglichen Pflichten widerstreitendes Gesetz zu erlassen Becker, NVwZ 2005, 289, 290 f.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

Deutschland durch den Erlass eines den völkerrechtlichen Pflichten widersprechenden späteren Gesetzes einen Völkerrechtsverstoß begeht.59 Die Anwendung des lex posterior-Satzes kann zwar dadurch vermieden werden, dass man das Umsetzungsgesetz als die speziellere Regelung begreift.60 Denn ein früheres Vertragsgesetz kann einem jüngeren Gesetz dann vorgehen, wenn es die speziellere Regelung enthält.61 Um ein Spezialitätsverhältnis handelt es sich aber nur, wenn zwei Normen die gleichen Tatbestandsmerkmale aufweisen und eine Norm noch mindestens ein über diese gemeinsamen Merkmale hinausgehendes Merkmal enthält.62 Die speziellere Norm verdrängt die allgemeinere Norm dann, wenn die speziellere Norm und die allgemeinere Norm sich widersprechende Rechtsfolgen zeitigen. Damit soll erreicht werden, dass Sonderbereiche, die schon vor Erlass des kollidierenden Gesetzes eine eigene, spezielle Regelung gefunden haben, bei Erlass eines neueren allgemeineren Gesetzes nicht von diesem miterfasst und geändert werden.63 Das hängt jedoch davon ab, ob das neue Gesetz einen solchen Freiraum für eine Sonder- oder Spezialregelung offen halten will.64 Dies ist durch Auslegung zu ermitteln.65 Eine pauschale Vermutung dahingehend, dass das Umsetzungsgesetz immer lex specialis sei66, ist abzulehnen, da damit die Entscheidung des Grundgesetzes für einen Gleichrang von Umsetzungsgesetzen mit Bundesgesetzen nicht respektiert würde.67 Ist das Umsetzungsgesetz nicht die speziellere Regelung, so würde bei einer Kollision des Umsetzungsgesetzes mit einem jüngeren Bundesgesetz die Regel „lex 59 Fastenrath / Groh, in: Berliner Kommentar zum GG, Art. 59, Rn. 111; Gärditz, AJIL 101 (2007) 627, 631; Hillgruber, in: FS Schiedermair, 91, 98; Kempen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 59 GG, Rn. 93; Ress, in: FS Doehring, 803, 804. 60 BVerwGE 111, 200, 201 u. 211; Böhmert, Das Recht der ILO, 156; Bungert, DÖV 1994, 797, 806; Deiseroth, DVBl. 1998, 116, 121; Fastenrath / Groh, Berliner Kommentar zum GG, Art. 59, Rn. 111; Frowein, in: Jacobs / Roberts, The Effect of Treaties in Domestic Law, 63, 69; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 101. 61 BVerwGE 111, 200, 201; VG Karlsruhe, 10 K 891 / 03, v. 29.11.2004, Rn. 49 (verneinte im konkreten Fall das Spezialitätsverhältnis); Bleckmann, DÖV 1979, 309, 312; Böhmert, Das Recht der ILO, 155 f.; Frowein, in: Jacobs / Roberts, The Effect of Treaties in Domestic Law, 63, 69; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 36 II 4; Jelitte, Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge, 105; Rojahn, in: v. Münch / Kunig, Art. 59 GG, Rn. 37. 62 Böhmert, Das Recht der ILO, 156; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 465; Jelitte, Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge, 105; Larenz, Methodenlehre, 267; Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, 447; Uerpmann, Die EMRK und die deutsche Rechtsprechung, 87; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 39. 63 OVG Hamburg, Bf VI 31 / 91, v. 21.3.1995, Rn. 45. 64 OVG Hamburg, Bf VI 31 / 91, v. 21.3.1995, Rn. 45. 65 OVG Hamburg, Bf VI 31 / 91, v. 21.3.1995, Rn. 45. 66 Vgl. die Andeutung bei Bleckmann, DÖV 1979, 309, 312. 67 Böhmert, Das Recht der ILO, 156; Jelitte, Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge, 108.

A. Bedeutung der Frage nach Rang und Geltungsgrund

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posterior derogat legi priori“ eingreifen.68 Um die Anwendung dieser Kollisionsregel möglichst zu verhindern und Völkerrechtsverletzungen der Bundesrepublik zu vermeiden, ist das nationale Recht unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit dem Völkerrecht auszulegen.69 Hintergrund der lex posterior-Regel ist die Annahme, dass der Gesetzgeber mit einem jüngeren Gesetz das ältere Gesetz abändern wollte.70 In Bezug auf die Kollision eines jüngeren Gesetzes mit einem Umsetzungsgesetz ist aber auch im Hinblick auf die völkerrechtsfreundliche Grundhaltung des Grundgesetzes nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, sich in Widerspruch zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland setzen wollte.71 Die Annahme eines Normenkonflikts ist daher nur dann zu bejahen, wenn der Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht hat, er wolle von den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik abweichen oder die Abweichung ermöglichen.72 Dadurch wird die Anwendung des lex posterior-Grundsatzes weit68 Böhmert, Das Recht der ILO, 155; Bungert, DÖV 1994, 797, 806; Doehring, Völkerrecht, Rn. 721; Geiger, JZ 1996, 1093, 1095; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 36 II 4; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 101; Rojahn, in: v. Münch / Kunig, Art. 59 GG, Rn. 37; a. A. Bleckmann, DÖV 1979, 309, 314. 69 BVerfGE 111, 307, 324; BVerfGE 74, 358, 370; BVerfG, 2 BvR 1526 / 04 v. 22.12.2006, Rn. 30; BVerwGE 110, 203, 214; BVerwGE 111, 200, 211; VGH BW, 13 S 2501 / 00, v. 14.2.2001, Rn. 5; KG Berlin, Rechtspfleger 1988, 330, 331 f. (im konkreten Fall scheiterte eine konforme Auslegung jedoch am entgegenstehenden gesetzgeberischen Willen); Bernhardt, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 147, 149; Czerner, EuR 2007, 537, 560 f.; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht I / 1, 119; Fastenrath / Groh, Berliner Kommentar zum GG, Art. 59, Rn. 111; Fiedler, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 11, 17; Frowein, in: Jacobs / Roberts, The Effect of Treaties in Domestic Law, 63, 68; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht § 36 II 4; Jelitte, Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge, 107; Schuska, Die Rechtsfolgen von Verstößen gegen Art. 6 EMRK, 34. 70 Böhmert, Das Recht der ILO, 155; Heckötter, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des EGMR für die deutschen Gerichte, 151; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 278; Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, 449; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 40 f. 71 BVerfGE 74, 358, 370; BVerfG, 2 BvR 1526 / 04, v. 22.12.2006, Rn. 30; BVerwGE 110, 203, 214; BVerwGE 111, 200, 211; VGH BW, 13 S 2501 / 00, v. 14.2.2001, Rn. 5 f.; KG Berlin, Rechtspfleger 1988, 330, 332; LG Heilbronn, EuGRZ 1991, 185, 186 f.; Bleckmann, Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge, 86; Böhmert, Das Recht der ILO, 155; Czerner, EuR 2007, 537, 560 f.; Fastenrath / Groh, Berliner Kommentar zum GG, Art. 59, Rn. 111; Grupp / Stelkens, DVBl. 2005, 133, 134; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 100; Rojahn, in: v. Münch / Kunig, Art. 59 GG, Rn. 38 d; Rojahn, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 123, 135; Schuska, Die Rechtsfolgen von Verstößen gegen Art. 6 EMRK, 34. 72 BVerwGE 110, 203, 214; BVerwGE 111, 200, 211; OVG NRW, 16 A 5587 / 97, v. 13.12.1999, Rn. 42 ff.; VGH BW, 13 S 2501 / 00, v. 14.2.2001, Rn. 6 verneinte nach umfangreicher Prüfung, dass der Gesetzgeber einen Abweichungswillen klar bekundet habe; KG Berlin, Rechtspfleger 1988, 330, 332; LG Heilbronn, EuGRZ 1991, 185, 187; Böhmert, Das Recht der ILO, 155; Deiseroth, DVBl. 1998, 116, 121; Fiedler, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 11, 17; Jelitte, Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge, 107 f.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

gehend vermieden.73 Denn Kollisionen, die zur Anwendung des lex posterior-Grundsatzes führen würden, werden bereits im Vorfeld durch die völkerrechtskonforme Auslegung verhindert.74 Ist der inhaltliche Widerspruch jedoch klar und unvermeidlich, ist das spätere Gesetz anzuwenden. Es gilt dann die lex posterior-Regel.75 Dieses Ergebnis ist nicht nur theoretischer Natur, da sich die Gerichte bislang durchaus auf einen eindeutig einer völkerrechtlichen Verpflichtung entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers beriefen und die lex posterior-Regel in Widerspruch zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik anwendeten.76 So entschied der EGMR am 21.2.1984, dass gem. Art. 6 II lit. 3 EMRK ein Anspruch auf kostenlose Zuziehung eines Dolmetschers nicht nur im Strafverfahren, sondern auch im Bußgeldverfahren bestehe.77 Nach dem Urteil des EGMR wurde zwar das Kostenverzeichnis zum GKG78 mehrfach geändert79, jedoch sah es bis zur 73 OVG Nordrhein-Westfalen, 16 A 5587 / 97, v. 13.12.1999, Rn. 42; Böhmert, Das Recht der ILO, 155; Czerner, EuR 2007, 537, 560 f.; Grupp / Stelkens, DVBl. 2005, 133, 134; Rojahn, in: v. Münch / Kunig, Art. 59 GG, Rn. 38 d; Schuska, Die Rechtsfolgen von Verstößen gegen Art. 6 EMRK, 34; Sternberg, Der Rang von Menschenrechtsverträgen im deutschen Recht unter besonderer Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 2 GG, 70; Weber, in: Umbach / Clemens, Art. 59 II GG, Rn. 75. 74 Vgl. OVG NRW, 16 A 5587 / 97, v. 13.12.1999, Rn. 42 ff.; Böhmert, Das Recht der ILO, 155; Grupp / Stelkens, DVBl. 2005, 133 ff.; insbes. 138 ff.; Jelitte, Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge, 107; Sternberg, Der Rang von Menschenrechtsverträgen im deutschen Recht unter besonderer Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 2 GG, 70. 75 BT-Drs. 12 / 3495 v. 21.10.1992; OVG Hamburg, Bf VI 31 / 91, v. 21.3.1995, Rn. 45 f.; VG Karlsruhe, 10 K 891 / 03, v. 29.11.2004, Rn. 45; KG Berlin, Rechtspfleger 1988, 330, 332; LG Heilbronn, EuGRZ 1991, 185, 187; Böhmert, Das Recht der ILO, 158; Bungert, DÖV 1994, 797, 806; vgl. Czerner, EuR 2007, 537, 551; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht I / 1, 121; Doehring, Völkerrecht, Rn. 721; Flemisch, Umfang der Berechtigungen und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, 75; Geiger, JZ 1996, 1093, 1095; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 101; Hillgruber, in: FS Schiedermair, 91, 98; Jelitte, Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge, 107 f.; Langenfeld, in: Bröhmer, Der Grundrechtsschutz in Europa, 95, 95 f.; Meyer, JurBüro 1979, 1042, 1043; Ress, in: FS Doehring, 803, 804; Rojahn, in: v. Münch / Kunig, Art. 59 GG, Rn. 38 d; a. A. Bleckmann, DÖV 1979, 309, 314; dagegen BVerfGE 6, 309, 363. 76 Ress, in: FS Doehring, 803, 804 unter Verweis auf Ress, in: Maier, Europäischer Menschenrechtsschutz, 227, 276 ff.; Uerpmann, Die EMRK und die deutsche Rechtsprechung, 75 ff. 77 EGMR, Urt. v. 21.2.1984, Nr. 8544 / 79, Series A No. 73, Rn. 58 (Öztürk / Deutschland). 78 Gerichtskostengesetz Anlage 1 (zu § 11 Abs. 1) Kostenverzeichnis. 79 Änderungen des Kostenverzeichnisses durch § 27 Nr. 1 u. 2 DöKVAG v. 8.3.1985, BGBl. I, 535 i.V. m. Bek. v. 6.5.1985, BGBl. I, 780; durch Art. 5 Nr. 3 UÄndG v. 20.2.1986, BGBl. I, 301; durch Art. 8 Nr. 3 2. WiKG v. 15.5.1986, BGBl. I, 721; durch Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen v. 9.12.1986, BGBl. I, 2326; durch § 11 Nr. 1 Unterhaltsvollstreckungs-Übereinkommens-AusführungsG v. 25.7.1986, BGBl. I, 1156, i.V. m. Bek. v. 16.3.1987, BGBl. I, 94; durch Art. 5 I Nr. 6 b Gesetz zur Änderung d. OWiG, des StVG und anderer Gesetze v. 7.7.1986, BGBl. I, 977 i.V.m. Art. 8 § 5 a Gesetz v. 9.12.1986, BGBl. I, 2326; durch § 57 I AVAG v. 30.5.1988, BGBl. I, 662.

A. Bedeutung der Frage nach Rang und Geltungsgrund

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Änderung am 15.6.198980 keine Übernahme der Dolmetscherkosten für das Bußgeldverfahren vor. Die nationalen Gerichte urteilten deswegen vor der Gesetzesänderung vom 15.6.1989 trotz der entgegenstehenden Rechtsprechung des EGMR, dass in Deutschland kein Anspruch auf die kostenlose Hinzuziehung eines Dolmetschers in Bußgeldverfahren bestehe, da dem die Vorschrift des § 11 GKG a. F. i.V. m Nr. 1904 KostVerz zum GKG entgegenstehe.81 Demnach dürfen nur die Beträge für Dolmetscher, die in Strafverfahren herangezogen wurden, nicht in den Kostenansatz aufgenommen werden.82 Der Konventionsverstoß wurde mit dem lex posterior- und dem lex specialis-Grundsatz begründet, da das Kostenverzeichnis jünger und spezieller war als das Umsetzungsgesetz zur EMRK.83 Einer konventionskonformen Auslegung stand nach Meinung der Gerichte der klar bekundete Wille des Gesetzgebers, ausgedrückt in BT-Drs. 8 / 3691, 22, entgegen.84 Durch die Anwendung des lex posterior-Satzes kam es zu nationalen Entscheidungen, die in Widerspruch zu den völkerrechtlichen Bindungen Deutschlands an die EMRK standen. Dies zeigt, dass der lex posterior-Grundsatz trotz des Gebots der Völkerrechtsfreundlichkeit Anwendung findet.85 Auch im Bereich der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung gibt es völkervertragswidrige spätere Gesetze, die die Gefahr eines Völkerrechtsverstoßes bei ihrer Anwendung bergen.86

80 Änderung der Nr. 1904 S. 2 des Kostenverzeichnisses zum GKG durch Art. 2 I des Gesetzes zur Regelung des Geschäftswertes bei land- oder forstwirtschaftlichen Betriebsübergaben und zur Änderung sonstiger kostenrechtlicher Vorschriften v. 15.6.1989, BGBl. I, 1082, 1083. 81 LG Nürnberg-Fürth, JurBüro 1985, 429, 429; LG Frankenthal, JurBüro 1987, 569, 570; LG Frankfurt, JurBüro 1987, 570, 570; LG Heilbronn, EuGRZ 1991, 185, 185; LG Baden-Baden, JurBüro 1989, 87, 88; KG Berlin, Rechtspfleger 1988, 330, 331 f.; so auch schon bereits vor der Entscheidung des EGMR das LG Stuttgart, das sein Urteil aber auch für den Fall als richtig ansieht, wenn es der EMRK widerspräche, vgl. LG Stuttgart, Die Justiz 1982, 375, 375 (andere Gerichte hingegen gaben den Beschwerden auf Absetzung der Dolmetscherkosten nach dem Öztürk-Urteil statt: LG Düsseldorf, JurBüro 1985, 427; LG Stuttgart, JurBüro 1985, 1069 m. w. N.; LG Ansbach, JurBüro 1986, 1858, 1859; LG Wuppertal, JurBüro 1987, 402, 403. 82 LG Heilbronn, EuGRZ 1991, 185, 185; KG Berlin, Rechtspfleger 1988, 330, 331 f. 83 LG Heilbronn, EuGRZ 1991, 185, 187; KG Berlin, Rechtspfleger 1988, 330, 332; bereits 1982 auch für den Fall eines Widerspruchs mit der EMRK unter Verweis auf den lex posterior-Grundsatz LG Stuttgart, Die Justiz 1982, 375, 375; LG Frankenthal, JurBüro 1987, 569, 570. 84 LG Stuttgart, Die Justiz 1982, 375, 375, das bereits vor der Entscheidung des EGMR unabhängig davon, welche Interpretation der EMRK der Vorzug zu geben sei, das KostVerz. als jüngeres Gesetz anwendete; KG Berlin, Rechtspfleger 1988, 330, 331 f.; LG Heilbronn, EuGRZ 1991, 185, 185. 85 Jelitte, Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge, 99. 86 BFHE 175, 351, 352 f.; Vogel, JZ 1997, 161, 161 f. m. w. N.; Vogel, Klaus Vogel on Double Taxation Conventions, Vol. I, 69, Rn. 131.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

bb) Völkerrecht als Auslegungsmaßstab für das Grundgesetz? Das Gebot der völkerrechtskonformen Auslegung gilt unstreitig für das einfache Recht.87 Fraglich ist jedoch, ob das Gebot der völkerrechtskonformen Auslegung auch bei der Auslegung von Verfassungsrecht gilt. Das Grundgesetz selbst enthält keine ausdrückliche Bestimmung, wonach Normen völkerrechtlicher Verträge verbindlich zur Auslegung des Grundgesetzes heranzuziehen sind. Dies bedeutet aber nicht zwingend, dass völkerrechtliche Verträge bei der Auslegung von Grundrechten überhaupt keine Rolle spielen können.88 (1) Völkervertragsrecht grundsätzlich kein Auslegungsmaßstab für das Grundgesetz Auf den ersten Blick könnte man erwägen, aus der Völkerrechtsoffenheit des Grundgesetzes auch ein Gebot zur völkerrechtskonformen Auslegung des Verfassungsrechts abzuleiten.89 Denn das Gebot der völkerrechtskonformen Auslegung basiert darauf, dass das Grundgesetz eine völkerrechtsoffene Grundhaltung einnimmt. Daher sind Völkerrechtsverstöße durch eine völkerrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts so weit wie möglich zu verhindern. Völkerrechtsverstöße können aber nicht nur durch die Anwendung des einfachen Gesetzesrechts entstehen, sondern auch durch die Anwendung des Verfassungsrechts.90 Daher könnte man erwägen, das Gebot der völkerrechtskonformen Auslegung auch auf die Auslegung von Verfassungsrecht zu erstrecken. Eine solche Reichweite des Gebots der völkerrechtskonformen Auslegung begegnet jedoch verfassungsrechtlichen Bedenken. Wie sich aus der verfassungsmäßigen Bindung des Gesetzgebers gem. Art. 20 III GG und der Grundrechtsbindung gem. Art. 1 III GG zeigt, geht die Verfassung dem einfachen Recht vor.91 Das Grundgesetz stellt die Staatsorgane zwar mittelbar in den Dienst der Durchsetzung des Völkerrechts und vermindert dadurch das Risiko der Nichtbefolgung internationalen Rechts.92 Eine solche verfassungsunmittelbare Pflicht ist nach dem Grundgesetz allerdings nicht unbesehen für jede beliebige Bestimmung des VölkerRojahn, in: v. Münch / Kunig, Art. 59 GG, Rn. 38 e. Jelitte, Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge in nationales Recht, 216; unklar, wohl eher ablehnend VG Karlsruhe, 10 K 891 / 03, v. 29.11.2004, Rn. 40 ff. 89 Böhmert, Das Recht der ILO und sein Einfluss auf das deutsche Arbeitsrecht, 168 ff.; Fastenrath / Groh, Berliner Kommentar zum GG, Art. 59, Rn. 95; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 25, Rn. 4; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 20 GG, Rn. 254. 90 So erklärte das BVerfG ein deutsch-schweizerisches Doppelbesteuerungsabkommen wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot des GG teilweise für nichtig, BVerfGE 72, 200, 264 ff.; dazu auch Steinberger, ZaöRV 48 (1988) 1, 6 f. 91 Zum Vorrang der Verfassung vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 20 GG, Rn. 253 f. 92 BVerfGE 111, 307, 328; BVerfGE 112, 1, 25. 87 88

A. Bedeutung der Frage nach Rang und Geltungsgrund

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rechts anzunehmen, sondern nur, soweit es dem in den Art. 23 bis 26 GG sowie in den Art. 1 I, 16 II 2 GG niedergelegten Konzept des Grundgesetzes entspricht.93 Denn das Grundgesetz ordnet gerade keine Unterwerfung der deutschen Rechtsordnung unter die Völkerrechtsordnung und den unbedingten Vorrang der Befolgung des Völkerrechts vor dem Verfassungsrecht an.94 Es weist den völkervertragsrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland in der nationalen Rechtsordnung nur den Rang eines einfachen Bundesgesetzes zu und somit einen Rang unterhalb der Verfassung. Die ausdrücklichen Vorschriften des Grundgesetzes zu Einbeziehung und Rang des Völkerrechts dürfen nicht über den Grundsatz der völkerrechtskonformen Auslegung eingeebnet werden.95 Würde man das Gebot zur völkerrechtskonformen Auslegung auch auf die Auslegung des Verfassungsrechts erstrecken, würde nicht nur der gem. Art. 59 II GG angeordnete Gesetzesrang der völkerrechtlichen Verträge im deutschen Recht überspielt96, sondern auch übersehen, dass die Offenheit des Grundgesetzes für die internationale Zusammenarbeit nur eine von mehreren Grundentscheidungen des Grundgesetzes darstellt.97 Eine ergebnisorientierte Pflicht zur Heranziehung der in nationales Recht umgesetzten völkerrechtlichen Verträge zur Interpretation des Verfassungsrechts ist daher grundsätzlich98 abzulehnen.99 93 BVerfG, 2 BvR 2115 / 01, 2 BvR 2132 / 01, 2 BvR 348 / 03, v. 19.9.2006, Rn. 44; BVerfG, 2 BvR 1526 / 04, v. 22.12.2006, Rn. 32; BVerfGE 112, 1, 25; in diese Richtung auch Sternberg, Der Rang von Menschenrechtsverträgen im deutschen Recht unter besonderer Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 2 GG, 192; vgl. auch BVerfGE 6, 309, 366. 94 BVerfGE 6, 309, 362 ff.; BVerfG, 2 BvR 2115 / 01, 2 BvR 2132 / 01, 2 BvR 348 / 03, v. 19.9.2006, Rn. 59; BVerfGE 112, 1, 25 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 723; Ress, in: FS Zeidler, Bd. 2, 1774, 1786. 95 Vgl. auch BVerfGE 111, 307, 318 f.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 723; in diese Richtung auch Sternberg, Der Rang von Menschenrechtsverträgen im deutschen Recht unter besonderer Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 2 GG, 192. 96 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 723; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 232; Rojahn, in: v. Münch / Kunig, Art. 59 GG, Rn. 38 e. 97 Rojahn, in: v. Münch / Kunig, Art. 59 GG, Rn. 38 e; Sternberg, Der Rang von Menschenrechtsverträgen im deutschen Recht unter besonderer Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 2 GG, 191 ff. 98 Eine Ausnahme bildet die EMRK. Die EMRK dient als Auslegungshilfe für die Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes (BVerfGE 74, 358, 370; BVerfGE 111, 307, 315 ff., 329; BVerfGE, 120, 180, 200; BVerfGE 83, 119, 128). Diese Sonderstellung der EMRK wird mit ihrer Bedeutung für den Schutz der internationalen Menschenrechte begründet. „Das Grundgesetz weist mit Art. 1 II GG dem Kernbestand an internationalen Menschenrechten einen besonderen Schutz zu. Dieser ist in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2 GG die Grundlage für die verfassungsrechtliche Pflicht, auch bei der Anwendung der deutschen Grundrechte die Europäische Menschenrechtskonvention in ihrer konkreten Ausgestaltung als Auslegungshilfe heranzuziehen.“ (BVerfGE 111, 307, 329). Dadurch bekommt die EMRK, die als völkerrechtlicher Vertrag innerstaatlich nur im Rang eines einfachen Gesetzes gilt (BVerfGE 111, 307, 315), ein solches Gewicht, dass sie unabhängig von ihrer Stellung in der Normenhierarchie zur Auslegung des Grundgesetzes herangezogen werden muss. Es ist das Grundgesetz selbst, das mit Art. 1 II GG für diese Ausnahme streitet. Da der EU-Vertrag jedoch nicht

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

Würde man die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nur als einen Unterfall der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung ansehen, so läge der Geltungsgrund dieser Pflicht im nationalen Recht. Es bestünde dann keine unbedingte Verpflichtung, das Verfassungsrecht so zu interpretieren, dass es unabhängig von anderen verfassungsrechtlichen Wertungen ein rahmenbeschlusskonformes Ergebnis ermöglicht. (2) Verfassungsbindung bei Erlass und Auslegung von Umsetzungsrecht im Anwendungsbereich des Sekundärrechts internationaler Organisationen Im Bereich der Sekundärgesetzgebung100 internationaler Organisationen können sich innerstaatlich verfassungsrechtliche Probleme bei der Umsetzung dieser Sekundärrechtsakte ergeben. Denn einerseits bedürfen solche Sekundärrechtsakte keiner innerstaatlichen Ratifizierung durch den nationalen Gesetzgeber, da sie selbst keine völkerrechtlichen Verträge gem. Art. 59 II GG sind.101 Andererseits sind die innerstaatlichen Stellen, also auch der nationale Gesetzgeber, im innerstaatlichen Rechtskreis nicht unmittelbar an die völkerrechtlichen Sekundärrechtsakte internationaler Organisationen gebunden.102 Eine Verpflichtung zur Umsetzung eines Sekundärrechtsaktes einer internationalen Organisation besteht innerstaatlich nur aufgrund des in das nationale Recht inkorporierten bzw. transformierten Gründungsvertrags der internationalen Organisation. Die Verpflichtungen aus dem Gründungsvertrag gelten gem. Art. 59 II 1 GG innerstaatlich nur im Rang des Zustimmungsgesetzes. Sie haben damit nur einfachen Gesetzesrang.103 Damit ist der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Sekunin erster Linie zum Schutze der Menschenrechte abgeschlossen wurde, stellt er von vornherein keinen Vertrag im Sinne von Art. 1 II GG dar. Daher kann die Argumentation für die Sonderstellung der EMRK nicht auf den EU-Vertrag übertragen werden. Eine vertiefte Darstellung der Pflicht zur EMRK-konformen Auslegung ist daher für die Ergebnisse dieser Arbeit nicht relevant und kann unterbleiben (vgl. zu diesen Fragen Heckötter, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des EGMR für die deutschen Gerichte, 144 ff., insbes. 159 ff.). 99 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 101; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 206; a. A. Lorz, Der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung, 57, Fn. 189, der ohne Begründung davon ausgeht, dass im Grundsatz auch die Verfassung völkerrechtskonform auszulegen sei. 100 Zum Begriff Sekundärgesetzgebung vgl. Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen, 32 ff., insbes. 60 f. 101 Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen, 118. Zur Diskussion um die Einordnung von Rahmenbeschlüssen s. u. 2. Teil: E.I. 102 Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen, 118; König, Übertragung von Hoheitsrechten, 51; Pernice, Columbia Journal of European Law, 15 (2009) 349, 367; Talmon, in: März, An den Grenzen des Rechts, 101, 121 bzgl. Resolutionen des Sicherheitsrates. 103 s. o. 2. Teil: A.I.2.a).

A. Bedeutung der Frage nach Rang und Geltungsgrund

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därrechtsakte an die höherrangige verfassungsmäßige innerstaatliche Ordnung gebunden.104 Ein Verfassungsverdrängungseffekt, d. h. ein Vorrang des völkerrechtlichen Vertragsrechts vor verfassungsrechtlichen Regelungen kann über Art. 59 II GG nicht erzielt werden.105 So kann ein Konflikt zwischen der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Umsetzung von Sekundärrechtsakten internationaler Organisationen und der innerstaatlichen Verfassungsordnung auftreten.106 Der nationale Gesetzgeber wäre dann vorrangig gem. Art. 1 III, 20 III GG an die innerstaatliche verfassungsmäßige Ordnung gebunden.107 Er dürfte kein verfassungswidriges Umsetzungsrecht erlassen. Das bedeutet für die Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung, dass auch die innerstaatlichen Stellen das nationale Recht nur insoweit sekundärrechtsaktskonform auslegen dürfen, soweit ein solches Auslegungsergebnis verfassungsgemäß ist. Erhält man bei der Auslegung eines Gesetzes ein Auslegungsergebnis, das völkerrechtskonform wäre, aber nicht zugleich verfassungskonform, so darf das verfassungswidrige Auslegungsergebnis nicht gewählt werden. Die Reichweite der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung wird durch entgegenstehendes Verfassungsrecht begrenzt. Wäre der EU-Vertrag ein normaler völkerrechtlicher Vertrag, so würde die Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen innerstaatlich nur im Rang des Zustimmungsgesetzes gelten. Der Gesetzgeber wäre gem. Art. 1 III, 20 III GG vorrangig an das höherrangige Verfassungsrecht gebunden. Er dürfte kein verfassungswidriges Umsetzungsrecht erlassen. Ebenso dürften die rechtsanwendenden innerstaatlichen Stellen sich nicht von ihrer Bindung an Recht und Gesetz zugunsten der Völkerrechtskonformität lösen. Das bedeutet, dass eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung als Form der völkerrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts nur dann vorgenommen werden darf, wenn das Ergebnis dieser Auslegung auch zugleich verfassungskonform ist.108 cc) Zwischenergebnis Die Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts wird durch einen klar den völkerrechtlichen Bindungen entgegenstehenden gesetzgeberischen Willen begrenzt. Darüber hinaus besteht keine Pflicht zur völkerrechtskonformen 104 Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen, 118; vgl. Ress, in: FS Zeidler, Bd. 2, 1775, 1786; Talmon, in: März, An den Grenzen des Rechts, 101, 125; bzgl. völkerrechtlicher Verträge allgemein auch Bernhardt, DÖV 1977, 457, 460. 105 Ress, in: FS Zeidler, Bd. 2, 1775, 1786. 106 Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen, 118; Talmon, in: März, An den Grenzen des Rechts, 101, 125. 107 Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen, 118; ähnlich Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch europäische Rahmenbeschlüsse, 80. 108 Wasmeier, ZEuS 2006, 23, 29.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

Auslegung des Verfassungsrechts. Eine völkerrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts ist nur insoweit möglich, als das Auslegungsergebnis auch zugleich verfassungskonform ist.

b) Umfang der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung Der EuGH hat die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung parallel zur Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung hergeleitet.109 Um beurteilen zu können, ob die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung in Parallele zur richtlinienkonformen Auslegung weiter geht als die Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung, sollen nun Inhalt und Umfang der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung untersucht werden. Der Geltungsgrund für das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung liegt im Gemeinschaftsprimärrecht.110 Für Inhalt und Reichweite des Gebots zur richtlinienkonformen Auslegung ist daher auf das Gemeinschaftsrecht in der Auslegung durch den EuGH abzustellen.111 Der EuGH verlangt, dass die mitgliedstaatlichen Stellen ihre Auslegung unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts112, einschließlich des Verfassungsrechts113, soweit wie möglich114 anhand des Wortlauts und Zwecks der Richtlinie s. o. 1. Teil: A.III. s. o. 2. Teil: A.I.1. 111 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 105; v. Unger, NVwZ 2006, 46, 48. 112 EuGH, Rs. C-185 / 97 (Coote), Slg. 1998, I-5199, Rn. 18; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 49; EuGH, Rs. C-408 / 01 (Adidas Salomon), Slg. 2003, I-12537, Rn. 21; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835; Rn. 119; EuGH, Rs. C-350 / 03 (Schulte), Slg. 2005, I-9215, Rn. 71; EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 111; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 101. 113 Vgl. EuGH, Rs. 11 / 70 (Internationale Handelsgesellschaft), Slg. 1970, 1125, Rn. 3; EuGH, Rs. 44 / 79 (Liselotte Hauer), Slg. 1979, 3727, Rn. 14, wonach die Frage einer Grundrechtsverletzung nur am Maßstab der Gemeinschaftsgrundrechte geprüft werden kann; Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 263; Canaris, FS Bydlinski, 48, 80; Haratsch, EuR Beiheft 3 / 2008, 81, 85; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 125; Parga, CMLRev. 2006, 583, 588; v. Unger, NVwZ 2006, 46, 47. 114 EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C-91 / 92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 26; EuGH, Rs. C-54 / 96 (Dorsch Consult), Slg. 1997, I-4961, Rn. 43; EuGH, Rs. C-76 / 97 (Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 25; EuGH, Rs. 185 / 97 (Coote), Slg. 1998, I-5199, Rn. 18; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 48; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 40; EuGH, Rs. C-160 / 01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 36; EuGH, Rs. C-462 / 99 (Connect Austria), Slg. 2003, I-5197; Rn. 38; EuGH, Slg. C-408 / 01 (Adidas-Salomon), Slg. 2003, I-12537, Rn. 21; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 113, 117 ff.; EuGH, Rs. C-350 / 03 (Schulte), Slg. 2005, I-9215, Rn. 71; EuGH, Rs. C-316 / 04 (Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie), Slg. 2005, I-9759, Rn. 78; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 98. 109 110

A. Bedeutung der Frage nach Rang und Geltungsgrund

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ausrichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und so Art. 249 III EG nachzukommen.115 Das nationale Recht räumt dem Gemeinschaftsrecht die Befugnis zur autonomen Geltungs-, Wirkungs- und Ranganordnung ein.116 Denn die Mitgliedstaaten haben der Gemeinschaft Hoheitsrechte übertragen und damit ihre Rechtsordnung für ein Recht aus anderer Quelle geöffnet.117 Art. 23 GG ermöglicht es, den Verträgen, die Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen, und dem von solchen Einrichtungen gesetzten Recht, Geltung im innerstaatlichen Bereich sowie Anwendungsvorrang vor nationalem Recht beizumessen.118 Daher kann das Gemeinschaftsprimärrecht Geltung im innerstaatlichen Rechtskreis beanspruchen. Indem die Verpflichtung zur Umsetzung von Richtlinien gem. Art. 249 III EG als Primärrecht unmittelbar die innerstaatlichen Stellen bindet, nimmt Art. 249 III EG Geltung im innerstaatlichen Rechtskreis in Anspruch. Das Gemeinschaftsprimärrecht beansprucht aber nicht nur Geltung, sondern auch Vorrang vor dem nationalen Recht. Daher gilt die primärrechtliche Umsetzungsverpflichtung aus Art. 249 III EG innerstaatlich nicht nur im Rang einfachen Gesetzesrechts, sondern vorrangig vor nationalem Recht.119 Das bedeutet, dass die nationalen Stellen vorrangig der Umsetzungsverpflichtung aus Art. 249 III EG nachkommen müssen. Alle innerstaatlichen Stellen müssen somit im Rahmen ihrer Zuständigkeit alles ihnen Mögliche unternehmen, um den Vorgaben der Richtlinie gerecht zu werden und eine Umsetzung im Einzelfall zu erreichen. Ob die Richtlinie bereits legislativ in nationales Recht umgesetzt worden ist oder nicht spielt hierfür keine Rolle.120 115 EuGH, Rs. 13 / 83 (von Colson), Slg. 1984, 1891, Rn. 26; EuGH, Rs. 222 / 84 (Johnston), Slg. 1986, 1651, Rn. 53; EuGH, Rs. 80 / 87 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, 3969, Rn. 12; EuGH, Rs. 31 / 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 39; EuGH, Rs. 125 / 99 (Strafverfahren gegen Nijman), Slg. 1989, 3533, Rn. 6; EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C-91 / 92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 26; EuGH, Rs. C-118 / 94 (WWF), Slg. 1996, I-1223, Rn. 18; EuGH, Rs. C-54 / 96 (Dorsch Consult), Slg. 1997, I-4961, Rn. 43; EuGH, Rs. C-76 / 97 (Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 25; EuGH, Rs. C-185 / 97 (Coote), Slg. 1998, I-5199, Rn. 18; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 48; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 40; EuGH, Rs. C-160 / 01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 36; EuGH, Rs. C-462 / 99 (Connect Austria), Slg. 2003, I-5197, Rn. 38; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 113; EuGH, Rs. C-316 / 04 (Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie), Slg. 2005, I-9759, Rn. 78; EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 108; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 98. 116 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 249; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 101; Hillgruber, in: FS Schiedermair, 91, 95; Schmidt, Der Einfluss europäischer Richtlinien auf das innerstaatliche Privatrecht, 90. 117 BVerfGE 37, 271, 280; BVerfGE 58, 1, 28; BVerfGE 73, 339, 374; vgl. BVerfGE 75, 223, 240 ff.; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 101; Hillgruber, in: FS Schiedermair, 91, 99 f. 118 Hillgruber, in: FS Schiedermair, 91, 100. 119 Vgl. Ipsen, in: FS Ophüls, 73, 78.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

Begrenzt wird die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung dadurch, dass die nationalen Stellen nur verpflichtet werden, das ihnen Mögliche zu tun, um eine richtlinienkonforme Auslegung zu erreichen. Dies bedeutet zum einen, dass sie nur im Rahmen ihrer Zuständigkeit121 befugt sind, eine richtlinienkonforme Auslegung vorzunehmen und zum anderen, dass eine richtlinienkonforme Auslegung nur so weit zu erfolgen hat, als das nationale Recht Auslegungsspielräume eröffnet.122 Zu einer Auslegung contra legem sind die nationalen Stellen nicht verpflichtet.123

aa) Keine Anwendung der lex posterior-Regel Fraglich ist, ob die nationalen Stellen eine richtlinienkonforme Auslegung verweigern können, indem sie sich auf den lex posterior-Grundsatz berufen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist das nationale Recht unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens in Übereinstimmung mit den Vorgaben einer Richtlinie auszulegen.124 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung erfasst das ge120 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 124; Müller / Christensen, Juristische Methodik, Bd. 2, 149; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 108; Schmidt, Der Einfluss europäischer Richtlinien auf das innerstaatliche Privatrecht, 83. 121 EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 26; EuGH, Rs. 222 / 84 (Johnston), Slg. 1986, 1651, Rn. 53; EuGH, Rs. 80 / 87 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, 3969, Rn. 12; EuGH, Rs. 31 / 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 39; EuGH, Rs. 125 / 99 (Strafverfahren gegen Nijman), Slg. 1989, 3533, Rn. 6; EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C-91 / 92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 26; EuGH, Rs. C-54 / 96 (Dorsch Consult), Slg. 1997, I-4961, Rn. 43; EuGH, Rs. C-76 / 97 (Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 25; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 48; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 40; EuGH, Rs. C-160 / 01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 35; EuGH, Rs. C-462 / 99 (Connect Austria), Slg. 2003, I-5197; Rn. 38; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 110; EuGH, Rs. C-316 / 04 (Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie), Slg. 2005, I-9759, Rn. 77; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 41; EuGH, Rs. C-396 / 07 (Mirja Juuri), Slg. 2008, I-8883, Rn. 27. 122 EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C-334 / 92 (Wagner Miret), Slg. 1993, I-6911, Rn. 20; EuGH, Rs. C-91 / 92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 26; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 40; EuGH, Rs. C-456 / 98 (Centrosteel), Slg. 2000, I-6007, Rn. 16; Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 78 f.; Franzen, Privatrechtsangleichung, 361; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 230; Gellermann, Beeinflussung des bundesdeutschen Rechts durch Richtlinien der EG, 111; Götz, in: FS Ress, 485, 487 u. 490; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 336; Lenaerts / Corthaut, ELRev. 31 (2006) 287, 309 f.; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 266 f.; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 54. 123 EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 109 u. 113; EuGH Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 47, EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 100; vgl. auch Wasmeier, ZEuS 2006, 23, 29. 124 EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C-371 / 02 (Björnekulla), Slg. 2004, I-5791, Rn. 13.

A. Bedeutung der Frage nach Rang und Geltungsgrund

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samte nationale Recht.125 Dies bedeutet, dass die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung unabhängig davon besteht, ob es sich um vor oder nach der Richtlinie erlassene Vorschriften handelt.126 Die Gemeinschaftsverpflichtungen werden auf Grundlage der Gegenseitigkeit im Rat angenommen. Daher ist es ausgeschlossen, dass ein Mitgliedstaat nachträglich einseitige Maßnahmen ins Feld führt, um von den verbindlichen Zielvorgaben der Richtlinie abzuweichen.127 Gibt es eine Vorschrift im nationalen Recht, durch deren Anwendung man zu einem richtlinienkonformen Ergebnis kommt, so ist diese Vorschrift anzuwenden, unabhängig von kollisionsrechtlichen lex posterior- oder lex specialis-Erwägungen.128 Das bedeutet, dass die lex posterior-Regel129 auch angewendet werden muss, wenn der gesetzgeberische Regelungszweck ausdrücklich dem von der Richtlinie geforderten Ergebnis zuwiderläuft. Andernfalls würde ein richtlinienkonformes Ergebnis, das sich ohne Beachtung des gesetzgeberischen Regelungszwecks aus dem Wortlaut der auszulegenden Norm ergeben könnte, vereitelt. Hintergrund der lex posterior-Regel ist – wie oben bereits ausgeführt – die Annahme, dass der Gesetzgeber mit einem jüngeren Gesetz das ältere Gesetz abändern wollte.130 Bei der Frage des Verhältnisses von Gemeinschaftsrecht zu nationalem Recht handelt es sich jedoch um Recht aus unterschiedlichen Quellen von unterschiedlichen Normgebern. Daher geht es nicht um einen vermuteten Willen „eines“ Gesetzgebers, sondern um die Frage der Lösung einer Kollision von Normen unterschiedlichen Geltungsgrundes.131 Die Option, dass der nationale Gesetzgeber von einer nationalen Regelung, die den Vorgaben der Richtlinie entspricht, durch ein jüngeres Gesetz richtlinienwidrig abweichen kann, lässt das Gemeinschaftsrecht jedoch nicht zu, da eine unbedingte gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur Umsetzung der Richtlinienergebnisse in nationales Recht besteht.132 Selbst wenn der Gesetzgeber klar bekundet, dass er von einer richtlinienkonformen Regelung mit einem jüngeren Gesetz richtlinienwidrig ab-

Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 124. EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C-371 / 02 (Björnekulla), Slg. 2004, I-5791, Rn. 13; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 124; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 108. 127 Vgl. EuGH, Rs. 6 / 64 (Costa / ENEL), Slg. 1964, 1253, 1269. 128 EuGH, Rs. C-371 / 02 (Björnekulla), Slg. 2004, I-5791, Rn. 13 stellt dazu klar, dass eine richtlinienkonforme Auslegung „ungeachtet entgegenstehender Auslegungshinweise, die sich aus den vorbereitenden Arbeiten zu der nationalen Regelung ergeben könnten“ erfolgen muss. 129 Gleiches gilt auch für die lex specialis-Regel. 130 Böhmert, Das Recht der ILO, 155; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 278. 131 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 278. 132 Böse, GA 2006, 211, 217; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 139 ff.; Hillgruber, in: FS Schiedermair, 91, 101; vgl. Ipsen, in: FS Ophüls, 73, 76 ff.; Wöhlermann, Die richtlinienkonforme Auslegung im Europäischen Arbeitsrecht, 136 f. 125 126

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

weichen will, ist die lex posterior-Regel nicht anzuwenden. Dieses Ergebnis ist jedoch im Schrifttum nicht unumstritten.133 Zum Teil wird im Schrifttum eine Auslegung des nationalen Rechts entgegen eines bewusst richtlinienwidrigen gesetzgeberischen Regelungszwecks für unzulässig erachtet, da der gesetzgeberische Wille eine Grenze der Auslegung nach der nationalen Methodenlehre darstelle.134 Da der EuGH die richtlinienkonforme Auslegung nur „soweit wie möglich“135 verlange, überlasse er es dem nationalen Recht, die Grenzen der möglichen Auslegung zu bestimmen. Nach nationalem Recht aber sei die Grenze der möglichen Auslegung erreicht, wenn durch die Auslegung ein vom Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebrachter, der Richtlinie widersprechender Regelungszweck überspielt würde.136 Daher finde auch die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung ihre Grenze in einem bewusst der Umsetzung der Richtlinie entgegenstehenden gesetzgeberischen Willen.137 Hintergrund dieser Auffassung ist der Gedanke, dass das Primat zur Rechtsetzung dem höher legitimierten Parlament und nicht der Rechtsprechung zukomme.138 Die Gesetzesbindung des Richters gem. Art. 20 III GG gehe der Umsetzungsver133 Babusiaux, Die richtlinienkonforme Auslegung im deutschen und französischen Zivilrecht, 45; Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 269; Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 96; Franzen, Privatrechtsangleichung, 399 f.; Möllers / Möhring, JZ 2008, 919, 923 und Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 153 u. 155 sehen in einer ausdrücklichen und bewussten Umsetzungsverweigerung des Gesetzgebers ein Hindernis für die richtlinienkonforme Auslegung. 134 Babusiaux, Die richtlinienkonforme Auslegung im deutschen und französischen Zivilrecht, 45; Böhmert, Das Recht der ILO, 171. In diese Richtung auch Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 253 u. 269 f.; Killmann, JBl. 2005, 566, 573; Möllers / Möhring, JZ 2008, 919, 923. 135 EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C-91 / 92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 26; EuGH, Rs. C-54 / 96 (Dorsch Consult), Slg. 1997, I-4961, Rn. 43; EuGH, Rs. C-76 / 97 (Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 25; EuGH, Rs. 185 / 97 (Coote), Slg. 1998, I-5199, Rn. 18; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 48; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 40; EuGH, Rs. C-160 / 01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 36; EuGH, Rs. C-462 / 99 (Connect Austria), Slg. 2003, I-5197, Rn. 38; EuGH, Slg. C-408 / 01 (Adidas-Salomon), Slg. 2003, I-12537, Rn. 21; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 113, 117 ff.; EuGH, Rs. C-350 / 03 (Schulte), Slg. 2005, I-9215, Rn. 71; EuGH, Rs. C-316 / 04 (Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie), Slg. 2005, I-9759, Rn. 78; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 98. 136 Franzen, Privatrechtsangleichung, 299 f.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 258 f., 273; Möllers / Möhring, JZ 2008, 919, 923. 137 Babusiaux, Die richtlinienkonforme Auslegung im deutschen und französischen Zivilrecht, 45, obwohl sie erkennt, dass der Gesetzgeber seine Gesetzgebungsmacht z. T. an die EG verloren hat; Franzen, Privatrechtsangleichung, 399 f.; Killmann, JBl. 2005, 566, 573; Möllers / Möhring, JZ 2008, 919, 923. 138 Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 95 f.; Larenz, Methodenlehre 376; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 153, 155 u. 160; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 114.

A. Bedeutung der Frage nach Rang und Geltungsgrund

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pflichtung vor.139 Daher dürfe die Rechtsprechung einen eindeutigen parlamentarischen Willen nicht unbeachtet lassen.140 Die konkrete Regelungsabsicht des Gesetzgebers, eine nationale Norm richtlinienwidrig zu gestalten, sei daher für den Rechtsanwender im Rahmen der klassischen Auslegung zu berücksichtigen.141 Dies könne dazu führen, dass eine richtlinienkonforme Auslegung mangels Mehrdeutigkeit der Norm von vornherein nicht in Betracht komme.142 Diese Schlussfolgerung ist jedoch nicht zu Ende gedacht, da sie die gemeinschaftsrechtlichen Bindungen der innerstaatlichen Stellen nicht berücksichtigt.143 Zwar ist es richtig, dass es das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung dem nationalen Recht überlässt, die Grenze seiner Auslegbarkeit zu bestimmen. Damit ist jedoch nicht zugleich gesagt, dass das Gemeinschaftsrecht richtlinienwidrige nationale gesetzgeberische Regelungszwecke zulässt. Zur Beantwortung dieser Frage ist ein Blick auf das Gemeinschaftsrecht als Teil der im Mitgliedstaat geltenden Rechtsordnung zu werfen. Ein gesetzgeberischer Wille, der den Zielen der Richtlinie widerspricht, wäre dann unbeachtlich, wenn das Parlament sein Primat zur Setzung abstrakt-genereller Rechtssätze im Anwendungsbereich von Richtlinien zumindest teilweise verloren hätte.144 Wie im Folgenden dargelegt werden wird, muss sich der nationale Gesetzgeber europäischen Vorgaben unterwerfen und hat dadurch in der Tat die Befugnis verloren, richtlinienwidrige Zwecke zu setzen.145 Denn gemäß Art. 23 I 2 GG in Verbindung mit den jeweiligen Zustimmungsgesetzen zu den Gemeinschaftsverträgen hat der Bund Hoheitsrechte auf die EG übertragen.146 Dazu gehören auch HoheitsFranzen, Privatrechtsangleichung, 399 f.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 270. Babusiaux, Die richtlinienkonforme Auslegung im deutschen und französischen Zivilrecht, 45; Di Fabio, NJW 1990, 947, 952; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 270; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 153 u. 155. 141 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 275; Schnorbus, AcP 201 (2001) 860, 882. 142 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 275; Schnorbus, AcP 201 (2001) 860, 882. 143 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 138 ff.; angedeutet auch bei Schmidt, Der Einfluss europäischer Richtlinien auf das innerstaatliche Privatrecht, 106. 144 Vgl. Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 138; Köhne, Die richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, 99; angedeutet auch bei Schmidt, Der Einfluss europäischer Richtlinien auf das innerstaatliche Privatrecht, 106. 145 Häberle, in: FS Schiedermair, 81, 84; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 138; allgemein auch Hillgruber, in: FS Schiedermair, 91, 101; Köhne, Die richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, 99; a. A. Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 276. 146 An den folgenden Ausführungen ändert sich nichts, auch wenn der Begriff der Übertragung missverständlich ist und es sich nach überwiegender Auffassung lediglich um eine Öffnung der deutschen Staatsordnung für das Recht aus einer anderen Quelle handelt, welches über seine Auswirkungen im nationalen Rechtsraum autonom entscheidet. Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 138; Wöhlermann, Die richtlinienkonforme Auslegung im Europäischen Arbeitsrecht, 112 f. 139 140

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

rechte der Rechtssetzung.147 So kommt es auch zu einer Einschränkung der Gesetzgebungsbefugnisse des Parlaments in dem Bereich, in dem die Gemeinschaft legislativ tätig wird.148 Dies gilt nicht nur im Hinblick auf unmittelbar wirkendes Gemeinschaftsrecht, sondern für alle Rechtsakte der Gemeinschaft im Rahmen des ihnen vom Gemeinschaftsrecht zugemessenen Umfangs.149 Für Richtlinien ergibt sich dies daraus, dass Art. 249 III EG die Umsetzung der Richtlinien in das deutsche Recht verlangt und die Ziele der Richtlinie als verbindlich festschreibt.150 Gem. Art. 23 I 2 GG in Verbindung mit Art. 249 III EG ist die Legislative daher im Anwendungsbereich rechtmäßig erlassener Richtlinien nicht befugt, andere Ziele zu verfolgen, als diejenigen, welche die Richtlinie vorgibt.151 Nur in den Bereichen, in welchen eine Richtlinie Umsetzungsspielräume eröffnet, kann der nationale Gesetzgeber noch eigene Zwecke verfolgen.152 Im Bereich zwingender Richtlinienvorgaben hingegen kommt dem Gesetzgeber nach Ablauf der Umsetzungsfrist keine eigenständige Zwecksetzungsbefugnis mehr zu, da er zur Umsetzung der verbindlichen Richtlinienziele verpflichtet ist.153 Die Zielsetzungsbefugnis des nationalen Gesetzgebers ist im Anwendungsbereich von Richtlinien somit auf die EG übergegangen.154 Daher gibt es keinen Grund mehr für die Rechtsprechung, unbefugt gesetzte Regelungszwecke des Gesetzgebers zu beachten und dadurch die Erfüllung der Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinie gem. Art. 249 III EG zu vereiteln.155 Dagegen könnte man auf den ersten Blick einwenden, dass Richtlinien zur Schonung des demokratisch gewählten Gesetzgebers erlassen werden. Dadurch, dass Richtlinien umsetzungsbedürftig seien, zeige sich, dass sie gerade nicht in die nationale Rechtsordnung hineinregieren sollen, sondern dem nationalen Gesetzgeber ein Spielraum für die Umsetzung überlassen bleiben solle.156 Man könnte daraus fol147 Jarass, in: Jarass / Pieroth, Art. 23 GG, Rn. 17; Pernice, in: Dreier, Art. 23 GG, Rn. 81; Wöhlermann, Die richtlinienkonforme Auslegung im Europäischen Arbeitsrecht, 112. 148 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 138; vgl. Ipsen, in: FS Ophüls, 73, 76; Schmidt, Der Einfluss europäischer Richtlinien auf das innerstaatliche Privatrecht, 106. 149 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 138. 150 Böse, GA 2006, 211, 217; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 138; Ipsen, in: FS Ophüls, 73, 76 f.; Köhne, Die richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, 99. 151 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 138. 152 Gas, EuR 2006, 285, 288. 153 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 139; Ipsen, in: FS Ophüls, 73, 76; Köhne, Die richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, 99; angedeutet auch bei Schmidt, Der Einfluss europäischer Richtlinien auf das innerstaatliche Privatrecht, 106. 154 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 140; vgl. allgemein Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 278 ff. 155 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 140; Köhne, Die richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, 99; Kraus, EuR Beiheft 3 / 2008, 109, 114. 156 Di Fabio, NJW 1990, 947, 951.

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gern, dass Richtlinien dazu dienen, die Entscheidungsfreiheit des nationalen Gesetzgebers zu sichern. Dieser Zweck würde jedoch überspielt, wenn der Gesetzgeber nur noch die in der Richtlinie vorgegebenen Ziele zu vollziehen habe. Dem ist jedoch schon vom Ausgangspunkt her zu widersprechen. Die Rechtssetzung der Gemeinschaft durch Richtlinien hat keineswegs den Zweck, die Entscheidungsfreiheit des nationalen Gesetzgebers zu schonen. Vielmehr sollen sich die gemeinschaftsrechtlich verbindlich festgelegten Ziele durch die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht harmonischer in die mitgliedstaatliche Rechtsordnung einfügen.157 Durch den Erlass von Verordnungen wäre dies nicht gewährleistet, da dabei unabhängig vom System der nationalen Rechtsordnung eine Rechtsregel in das nationale Recht eingefügt würde. Die nationalen Rechtordnungen der Mitgliedstaaten sind jedoch zum Teil sehr unterschiedlich. Je nach Stand der nationalen Rechtsordnungen können mehr oder weniger Durchführungsvorschriften nötig sein oder Änderungen an den Schnittstellen der verschiedenen Rechtsgebiete notwendig werden, um gemeinschaftsrechtliche Vorgaben in das Rechtssystem aufzunehmen. Richtlinien sind ein schmiegsames Instrument, um eine Einpassung der gemeinschaftsrechtlichen Ziele in das nationale Recht zu ermöglichen. Richtlinien dienen somit in erster Linie der friktionsloseren Einpassung der gemeinschaftsrechtlichen Ziele in das nationale Rechtssystem. Dass der Gesetzgeber aber an die Ziele gebunden ist, die die Richtlinie vorschreibt, wird nicht durch die Wahl des Rechtsinstruments „Richtlinie“ in Frage gestellt. Es steht dem nationalen Gesetzgeber gerade nicht frei, ob er seiner Gesetzgebung richtlinienkonforme oder richtlinienwidrige Ziele zu Grunde legt. Zwar lässt Art. 249 III EG den Mitgliedstaaten die Freiheit bei der Wahl der Mittel zur Umsetzung der Richtlinie. Dies bedeutet jedoch nur, dass dem Gesetzgeber eine gewisse Freiheit bei der Frage des „wie“ der Umsetzung gewährt wird. Doch diese Freiheit lässt die unbedingte Verpflichtung der innerstaatlichen Stellen, alles im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu tun, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzungen zu gewährleisten, nicht entfallen.158 Das bedeutet, dass das „ob“ der Umsetzung gerade nicht mehr zur freien Entscheidung des nationalen Gesetzgebers steht. Das Argument, dass eine vom Gemeinschaftsrecht gewährte Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers beeinträchtigt werde, wenn eine richtlinienkonforme Auslegung auch entgegen geäußerter richtlinienwidriger Zwecke geschehen muss, ist deshalb zurückzuweisen. Im Anwendungsbereich geltender Richtlinien steht dem Gesetzgeber keine eigenständige Zielsetzungsbefugnis mehr zu (außer in den von der Richtlinie selbst eröffneten Umsetzungsspielräumen).159 Der Gesetzgeber muss die Richtlinie umsetzen. Ihm bleibt gem. Art. 249 III EG nur noch Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 269. EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson), Slg. 1984, 1891, Rn. 15; EuGH, Rs. 79 / 83 (Harz), Slg. 1984, 1921, Rn. 15. 159 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 140; Ipsen, in: FS Ophüls, 73, 76. 157 158

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

die Wahl der Form und der Mittel der Umsetzung in nationales Recht.160 Daher gibt es keinen Grund für die Rechtsprechung, unbefugt gesetzte Regelungszwecke des Gesetzgebers zu beachten und dadurch die Erfüllung der Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinie gem. Art. 249 III EG zu vereiteln.161 Setzt der Gesetzgeber entgegen Art. 249 III EG – und somit unbefugterweise – richtlinienwidrige Zwecke, so sind die nationalen Rechtsanwender durch methodologische Überlegungen nicht gehindert, diese bei der Auslegung unbeachtet zu lassen.162 Ist diese Nichtbeachtung nach nationalem Recht jedoch möglich, so ist sie aber auch gemeinschaftsrechtlich verpflichtend. Denn die innerstaatlichen Stellen sind gemeinschaftsrechtlich verpflichtet, alles Mögliche im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu unternehmen, um ein richtlinienkonformes Ergebnis zu erzielen.163 Ein unberechtigter Eingriff in legislative Befugnisse ist in einem solchen Fall nicht gegeben, da der nationale Gesetzgeber gem. Art. 249 III EG zur Umsetzung der verbindlichen Richtlinienziele verpflichtet ist und somit – wie soeben dargelegt – gerade nicht mehr die Befugnis hat, im Anwendungsbereich von Richtlinien eigene richtlinienwidrige Ziele zu verfolgen.164 Zum Teil wird eine derartige Einwirkung des Art. 249 III EG auf das deutsche Gewaltensystem abgelehnt.165 Begründet wird dies damit, dass eine Verschiebung der Zwecksetzungskompetenz vom Gesetzgeber auf die Rechtsprechung gemeinschaftsrechtlich gar nicht bewirkt werden könne.166 Denn Art. 23 I 3 GG in VerbinGeiger, Art. 249 III EG, Rn. 10; Ipsen, in: FS Ophüls, 73, 76 f. Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 140; Köhne, Die richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, 99. 162 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 139; Köhne, Die richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, 99. 163 EuGH, Rs. 13 / 83 (von Colson), Slg. 1984, 1891, Rn. 26; EuGH, Rs. 222 / 84 (Johnston), Slg. 1986, 1651, Rn. 53; EuGH, Rs. 80 / 87 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, 3969, Rn. 12; EuGH, Rs. 31 / 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rn. 39; EuGH, Rs. 125 / 99 (Strafverfahren gegen Nijman), Slg. 1989, 3533, Rn. 6; EuGH, Rs. C-106 / 89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; EuGH, Rs. C-91 / 92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 26; EuGH, Rs. C-118 / 94 (WWF), Slg. 1996, I-1223, Rn. 18; EuGH, Rs. C-54 / 96 (Dorsch Consult), Slg. 1997, I-4961, Rn. 43; EuGH, Rs. C-76 / 97 (Tögel), Slg. 1998, I-5357, Rn. 25; EuGH, Rs. C-185 / 97 (Coote), Slg. 1998, I-5199, Rn. 18; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 48; EuGH, Rs. C-365 / 98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 40; EuGH, Rs. C-160 / 01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 36; EuGH, Rs. C-462 / 99 (Connect Austria), Slg. 2003, I-5197, Rn. 38; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 113; EuGH, Rs. C-316 / 04 (Stichting Zuid-Hollandse Milieufederatie), Slg. 2005, I-9759, Rn. 78; EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 108; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 98; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 139. 164 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 140 f.; vgl. zur Verbindlichkeit gemeinschaftsrechtlicher Zwecke BVerfGE 89, 155, 182 ff. 165 Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 56 f.; Di Fabio, NJW 1990, 947, 953; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 276 f. 166 Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 57; Di Fabio, NJW 1990, 947, 953. 160 161

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dung mit Art. 79 III GG lasse eine derartige Übertragung von Hoheitsrechten der Legislative nicht zu, da damit der Vorrang des Gesetzes gegenüber der Rechtsprechung gem. Art. 20 III GG aufgegeben werde.167 Diese Ansicht verkennt jedoch, dass der gesetzgeberische Wille nicht deshalb unbeachtlich ist, weil Art. 249 III EG das Gewaltengefüge auf horizontaler Ebene zwischen Legislative und Judikative verschiebt.168 Der gesetzgeberische Wille ist vielmehr deswegen unbeachtlich, weil eine vertikale Übertragung von Hoheitsrechten – nämlich von Legislativbefugnissen – von der nationalen Ebene auf die Gemeinschaftsebene stattgefunden hat.169 Zwar kommt es in der Folge dieser Hoheitsrechtsübertragung auch zu einer Einwirkung auf das horizontale Gewaltengefüge zwischen Legislative und Judikative, dies liegt jedoch daran, dass die nationalen Gerichte auch als Gemeinschaftsgerichte fungieren.170 Die Verpflichtung der Gerichte zur Umsetzung der Richtlinien im Wege der richtlinienkonformen Auslegung ist damit nicht vom Willen des Gesetzgebers abhängig.171 Innerhalb des möglichen Wortsinns einer nationalen Norm kommt dem Willen des Gesetzgebers keine begrenzende Bedeutung für die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung zu.172 Die lex posterior-Regel kann daher keine Anwendung finden.173 bb) Richtlinien als Auslegungsmaßstab für das Verfassungsrecht Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung erfasst das gesamte nationale Recht174, einschließlich des Verfassungsrechts.175 Das bedeutet, dass auch eine richt167 Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 57; Di Fabio, NJW 1990, 947, 953; Franzen, Privatrechtsangleichung, 399 f. 168 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 141. 169 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 141 f.; vgl. Ipsen, in: FS Ophüls, 73, 76; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 279. 170 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 142. 171 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 141; ohne Begründung Herlinghaus, Bedeutung und Reichweite der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts, 50 f., der sich dann jedoch auf S. 59 widerspricht, indem er ausführt, dass bei einer bewussten Umsetzungsverweigerung der erklärte Wille des Gesetzgebers einer richtlinienkonformen Auslegung entgegenstehe. 172 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 141; Schmidt, RabelsZ 59 (1995) 569, 591. 173 So auch Hillgruber, in: FS Schiedermair, 91, 101; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 141. 174 EuGH, Rs. C-185 / 97 (Coote), Slg. 1998, I-5199, Rn. 18; EuGH, Rs. C-131 / 97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 49; EuGH, Rs. C-408 / 01 (Adidas Salomon), Slg. 2003, I-12537, Rn. 21; EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 119; EuGH, Rs. C-350 / 03 (Schulte), Slg. 2005, I-9215, Rn. 71; EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 111; EuGH, Rs. C-268 / 06 (Impact), Slg. 2008, I-2483, Rn. 101. 175 Vgl. EuGH, Rs. 11 / 70 (Internationale Handelsgesellschaft), Slg. 1970, 1125, Rn. 3; Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 263; Canaris, FS Bydlinski, 48, 80; Haratsch,

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

linienkonforme Auslegung des Verfassungsrechts zu erfolgen hat.176 Verfassungsrechtliche Belange haben hinter dem Ziel der Richtlinienkonformität zurückzutreten. Der Grund dafür liegt darin, dass das Gemeinschaftsprimärrecht als Bestandteil einer autonomen Rechtsordnung (und folglich auch die Umsetzungsverpflichtung gem. Art. 249 III EG) Vorrang auch vor dem nationalen Verfassungsrecht beansprucht.177 Daraus folgt, dass die Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie gem. Art. 249 III EG Vorrang vor anderen nationalen, auch verfassungsrechtlichen Verpflichtungen hat. Sofern das Verfassungsrecht Auslegungsspielräume eröffnet, ist eine richtlinienkonforme Auslegung des Verfassungsrechts vorzunehmen. cc) Keine Prüfung des Umsetzungsrechts am Maßstab des Verfassungsrechts Im Gegensatz zum Sekundärrecht internationaler Organisationen beanspruchen das Gemeinschaftsprimärrecht sowie Verordnungen unmittelbare Geltung nicht nur gegenüber den Mitgliedstaaten, sondern auch in der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung. Der EG sind Hoheitsrechte übertragen worden. Daher können ihre Vorschriften unmittelbar in den innerstaatlichen Bereich hineinwirken.178 Die Verpflichtung zur Umsetzung von Richtlinien gem. Art. 249 III EG trifft nicht bloß den Mitgliedstaat in seinem völkerrechtlichen Außenverhältnis. Die Umsetzungspflicht aus Art. 249 III EG bindet vielmehr unmittelbar die innerstaatlichen Stellen.179 Das Gemeinschaftsrecht macht keine Vorgaben darüber, ob die Umsetzung von Richtlinien auf der Ebene des Verfassungsrechts oder des einfachen Rechts erfolgen soll.180 Die Wahl der Form und der Mittel steht den innerstaatlichen Stellen gem. EuR Beiheft 3 / 2008, 81, 85; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 125; Parga, CMLRev. 2006, 583, 588; v. Unger, NVwZ 2006, 46, 47. 176 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 263; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 298; Parga, CMLRev. 2006, 583, 588 (bzgl. rahmenbeschlusskonformer Auslegung in Analogie zur richtlinienkonformen Auslegung). 177 Griller, in: Schuppert / Pernice / Haltern, Europawissenschaft, 201, 210; Kraus, EuR Beiheft 3 / 2008, 109, 114; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 545; Ress, in: FS Zeidler, Bd. 2, 1775, 1785 f.; Wahl, in: Schuppert / Pernice / Haltern, Europawissenschaft, 147, 166. Während der EuGH einen Vorrang des Gemeinschaftsrechts kraft Eigenständigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung annimmt (EuGH, Rs. 6 / 64 (Costa ENEL), Slg. 1964, 1251, 1269 ff.), akzeptiert das BVerfG diesen Vorrang nur kraft verfassungsrechtlicher Ermächtigung in den Grenzen des Art. 79 III GG, vgl. BVerfGE 73, 339, 374 f.; BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.6.2009, Rn. 332, 343; dem BVerfG zustimmend Hillgruber, in: FS Schiedermair, 97, 102; Hillgruber, FAZ Nr. 210 v. 10.9.2009, 8; zum Ganzen Streinz, Europarecht, Rn. 194 ff.; zu dieser Spannungslage ausführlich unten, 3. Teil: B. 178 Vgl. König, Übertragung von Hoheitsrechten, 52. 179 Siehe nur Ipsen, in: FS Ophüls, 73, 77. 180 So auch Holz, NVwZ 2007, 1153, 1154.

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Art. 249 III EG frei. Dennoch muss die Umsetzung bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist erfolgt sein. Der Gesetzgeber kann sich demnach nicht auf verfassungsrechtliche Hindernisse berufen, um eine verspätete Umsetzung gemeinschaftsrechtlich zu rechtfertigen.181 Der Gesetzgeber muss aus der Gemeinschaftsperspektive heraus unabhängig von bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken seiner Umsetzungsverpflichtung aus Art. 249 III EG nachkommen.182 Denn das Gemeinschaftsrecht stellt die Verpflichtung zur Umsetzung von Richtlinien nicht unter einen nationalen Verfassungsvorbehalt.183 Damit sind die Adressaten der Umsetzungsverpflichtung kraft Gemeinschaftsrechts (Art. 249 III EG) zur Umsetzung notfalls auch unter außer-Acht-Lassung verfassungsrechtlicher Vorgaben ermächtigt und verpflichtet.184 Richtlinien sollen der Schaffung harmonisierter Standards in der Gemeinschaft dienen. Könnten die innerstaatlichen Stellen die Umsetzung unter Verweis auf ihre nationale Rechtsordnung verweigern, würde damit ein wesentliches Ziel für den Erlass von Richtlinien verfehlt. Die einheitliche Geltung des europäischen Rechts in allen Mitgliedstaaten wäre gefährdet.185 Die Verpflichtung zur Umsetzung von Richtlinien trotz verfassungsrechtlicher Bedenken ist die Konsequenz, die aus dem Vorrang gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen vor nationalem Recht zu ziehen ist.186 Das Grundgesetz hat seinen Maßgeblichkeitsanspruch im Bereich zwingender Vorgaben des Gemeinschaftsrechts gem. Art. 23 I GG zurückgenommen.187 Der Solange-Vorbehalt des BVerfG dient als Bestätigung dieser generellen Zurücknahme des verfassungsrechtlichen Maßstabs.188 Das bedeutet, dass dem Gesetzgeber zwei Möglichkeiten bleiben: entweder er flankiert das Umsetzungsgesetz mit einer Verfassungsänderung189 oder er erlässt quasi „grundrechtsimmunes Gesetzesrecht“190.

181 Vgl. EuGH, Rs. 11 / 70 (Internationale Handelsgesellschaft), Slg. 1970, 1125, Rn. 3 (zwar ging es in dem Vorabentscheidungsverfahren um die Geltung von Verordnungen, jedoch beziehen sich die Ausführungen des EuGH in Rn. 3 auf alle Gemeinschaftshandlungen und damit auch auf Richtlinien); Ipsen, in: FS Ophüls, 73, 78. 182 EuGH, Rs. 11 / 70 (Internationale Handelsgesellschaft), Slg. 1970, 1125, Rn. 3; Everling, EuR 1990, 195, 213; Gas, EuR 2006, 285, 293; ausführlich zur Übertragung der Solange II-Rechtsprechung auf Richtlinien: Holz, NVwZ 2007, 1153 ff., insbes. 1155. 183 Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 551. 184 Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 551 f.; Nicolaysen, EuR 1989, 215, 222. 185 Tomuschat, EuR 1990, 340, 343; Haratsch, EuR Beiheft 3 / 2008, 81, 100. 186 Gas, EuR 2006, 285, 294; Kraus, EuR Beiheft 3 / 2008, 109, 114; vgl. Haratsch, EuR Beiheft 3 / 2008, 81, 100 f. 187 Haratsch, EuR Beiheft 3 / 2008, 81, 101. 188 Everling, EuR 1990, 195, 202 f.; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 554 f. Zu den Kontrollansprüchen des BVerfG nach dem LissabonUrteil vgl. 3. Teil: B.II.2. und 3. Teil: B.II.3. 189 Diese Lösung favorisiert Weidemann, NVwZ 2006, 623 ff. 190 Überschrift des Aufsatzes von Holz, NVwZ 2007, 1153.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

Die zuletzt genannte Lösung lassen zwei Kammerbeschlüsse des BVerfG aus dem Jahre 2001 bzw. 2004 zu.191 In diesen Beschlüssen wurden die Grundsätze der Solange II-Rechtsprechung auf ein Gesetz angewendet, das zwingende Richtlinienvorgaben in nationales Recht umsetzte.192 Diese Kammerrechtsprechung wurde nun vom Ersten Senat bestätigt.193 Der Senat hält fest, dass er eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die eine Richtlinie in deutsches Recht umsetzt, insoweit nicht mehr an den Grundrechten des Grundgesetzes messen wird, als das Gemeinschaftsrecht keinen Umsetzungsspielraum lässt.194 Überprüft das BVerfG Umsetzungsakte im Bereich zwingender Richtlinienvorgaben nicht mehr auf ihre Verfassungsmäßigkeit, solange ein im Wesentlichen gleich zu achtender Grundrechtsschutz auf EG-Ebene gewährleistet ist, so bedeutet dies faktisch, dass der Gesetzgeber im Bereich zwingenden Richtlinienrechts von der deutschen Grundrechtsbindung zugunsten der Gemeinschaftsrechtsbindung frei ist.195 Daher ist die an sich verfahrensrechtliche Entscheidung des BVerfG materiell so zu verstehen, dass die Grundrechtsverbürgungen des Grundgesetzes gegenüber dem Gemeinschaftsrecht nicht angewendet werden, solange ein genereller, adäquater Grundrechtsschutz durch die Gemeinschaftsorgane gewährleistet ist.196 Dies ist konsequent, da sonst der Vorrang des Gemeinschaftsrechts im Nachhinein auf der Ebene des Vollzugs ausgehebelt würde.197 Zudem trägt nach der Übertragung von Hoheitsrechten auf die EG, diese selbst die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen.198 Indem ein Mitgliedstaat der EG beigetreten ist, die den von Art. 23 I GG geforderten Standard generell wahrt, hat er auf die nationale Kontrolle 191 BVerfG, NJW 2001, 1267, 1268; BVerfG, NVwZ 2004, 1346, 1346 f.; zustimmend Masing, NJW 2006, 264, 266 f. 192 BVerfG, NJW 2001, 1267, 1268; BVerfG, NVwZ 2004, 1346, 1346 f.; Holz, NVwZ 2007, 1153, 1153. 193 BVerfGE 118, 79, 95; zustimmend Gas, EuR 2006, 285, 294; Holz, NVwZ 2007, 1153, 1153 ff. 194 BVerfGE 118, 79, 95. 195 Zur Klarstellung: Dies bedeutet nicht, dass innerstaatliche Stellen nicht befugt oder verpflichtet wären, Gemeinschaftsrechtsakte auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz hin zu überprüfen. Es bedeutet vielmehr, dass der Konzentration der Überprüfung von Rechtsakten der EG beim EuGH Rechnung getragen werden muss. Die Gültigkeitsprüfung von Rechtsakten des Gemeinschaftsrechts im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen liegt in der Zuständigkeit des EuGH. Kommt also ein deutsches Gericht in Bezug auf einen Vollzugsakt, der gemeinschaftsrechtlich determiniert ist, zu dem Ergebnis, dass ein Grundrechtsverstoß vorliegt, muss es untersuchen, inwieweit dieser durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben bedingt ist. Ist der Vollzugsakt gemeinschaftsrechtlich determiniert, muss das Gericht den EuGH anrufen. Erst wenn auch durch den EuGH der als unabdingbar vom Grundgesetz gebotene Grundrechtsstandard generell nicht mehr gewährleistet werden sollte, würde die Frage der Letztentscheidungskompetenz des BVerfG relevant. Vgl. dazu Streinz, Europarecht, Rn. 250; Buermeyer, HRRS 2005, 273, 278. 196 Everling, EuR 1990, 195, 202. 197 So auch Tomuschat, EuR 1990, 340, 344. 198 Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 553 f.

A. Bedeutung der Frage nach Rang und Geltungsgrund

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der Gemeinschaftsrechtsakte am Maßstab seines nationalen Rechts gerade verzichtet.199 Seit der Rechtsprechung des BVerfG in seiner Solange II-Entscheidung wird der latente Streit um die Letztentscheidungskompetenz zwischen BVerfG und EuGH dadurch entschäft, dass das BVerfG einen dem Grundgesetz im Wesentlichen gleich zu achtenden Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene generell gewährleistet sieht.200 Zwar beansprucht das BVerfG für sich eine Kompetenzkontrolle in dem Sinne, dass es sich vorbehält, Rechtsakte ultra vires in Deutschland für unanwendbar zu erklären.201 Allerdings steht diese Kontrolle unter dem Vorbehalt, dass auf europäischer Ebene kein Rechtsschutz erlangt werden kann.202 Damit trägt das BVerfG der Kontrollkompetenz des EuGH Rechnung. Wird schon das Umsetzungsgesetz im Bereich zwingender Richtlinienvorgaben nicht mehr am Maßstab des Grundgesetzes geprüft, so muss dies auch für die Akte der vollziehenden Gewalt gelten, wenn sie nationales Recht richtlinienkonform auslegt und anwendet. Denn die vollziehende Gewalt trägt durch die richtlinienkonforme Anwendung der nationalen Normen zur Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie im Einzelfall bei. Bestehende Rechtsvorschriften, deren Auslegungsspielraum mehr umfasst, als verfassungsrechtlich zulässig wäre, müssten damit auch in an sich verfassungswidriger Weise ausgelegt werden, wenn nur so eine richtlinienkonforme Lösung des Falles möglich ist.203 Ist eine solche Auslegung nach nationalem Recht aber möglich, so ist sie auch gemeinschaftsrechtlich verpflichtend. Denn die innerstaatlichen Stellen müssen aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht das nationale Recht so weit wie möglich im Rahmen ihrer Zuständigkeit richtlinienkonform auslegen. Nun mag eingewendet werden, dass diese Reichweite der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung keine praktische Relevanz habe. Denn ein Fall, bei dem das Verfassungsrecht nicht richtlinienkonform ausgelegt werden könnte, während ein einfaches Gesetz bei isolierter Betrachtung einer richtlinienkonformen Auslegung zugänglich wäre, sei nicht vorstellbar. Man könnte zunächst auf den Gedanken kommen, dass jede Kollision zwischen Grundgesetz und Gemeinschaftsrecht durch eine richtlinienkonforme und zugleich gemeinschaftsgrundrechtskonforme Auslegung des Grundgesetzes vermieden werden kann. Denn soweit Auslegungsspielräume bestehen, ist auch das Grundgesetz im Lichte gemeinschaftsrechtlicher VorHaratsch, EuR Beiheft 3 / 2008, 81, 101; Tomuschat, EuR 1990, 340, 345. BVerfGE 73, 339, 378; BVerfGE 102, 147, 163 f.; BVerfG, 1 BvR 2036 / 05 v. 14.5. 2007, Rn. 10. 201 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.6.2009, Rn. 240 f.; ablehnend Haratsch, EuR Beiheft 3 / 2008, 81, 99 ff. 202 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.6.2009, Rn. 240, dazu 3. Teil: B.II.1. 203 A.A. Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 384 f., der einer verfassungskonformen Auslegung nationalen Rechts den Vorrang vor einer richtlinien- oder rahmenbeschlusskonformen Auslegung einräumt, ohne jedoch die Solange-II-Rechtsprechung des BVerfG zu thematisieren. 199 200

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

gaben auszulegen.204 Da das Grundgesetz sehr offen formuliert ist, dürfte eine eindeutige Kollision von Gemeinschaftsrecht mit dem Grundgesetz kaum vorkommen. Diese Überlegungen begegnen jedoch Bedenken. Die Gemeinschaftsgrundrechte werden im Wege wertender Rechtsvergleichung aus den verschiedenen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten und den internationalen Menschenrechtsverträgen, insbesondere der EMRK gewonnen.205 Der Grundrechtsstandard von Grundgesetz und Gemeinschaftsrecht ist zwar im Wesentlichen gleich zu achten. Das heißt aber nicht, dass der Grundrechtsstandard beider Rechtsordnungen identisch wäre. Gerade bei Eingriffen in Grundrechte kann es im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterschiedlichen Gewichtungen verschiedener Interessen kommen, wenn die nationalen und die gemeinschaftsrechtlichen Wertungen über die Ausbalancierung widerstreitender Grundrechtspositionen divergieren. Darüber hinaus ist denkbar, dass Änderungen im Bestand der Gemeinschaftsgrundrechte oder des Grundgesetzes vorgenommen werden, die zu Konflikten führen könnten. So mögen zwar praktische Fälle bisher noch nicht relevant geworden sein. Es sind jedoch Fallkonstellationen nicht von vornherein ausgeschlossen, in denen das Grundgesetz nicht gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden kann. Somit kann auch nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob eine Konfliktvermeidung in allen Fällen möglich ist.206 Daher ist es denkbar, und auch im Hinblick auf mögliche zukünftige Änderungen des Grundgesetzes nicht per se ausgeschlossen, dass auch die hier dargestellte Reichweite der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung praktisch relevant werden kann. Es bleibt somit festzuhalten: In Konstellationen, in denen eine Rechtsvorschrift im Rang unter der Verfassung bei isolierter Betrachtung einer richtlinienkonformen Auslegung zugänglich ist, ist eine richtlinienkonforme Auslegung auch dann vorzunehmen, wenn diese Auslegung den verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen sprengen würde. dd) Zwischenergebnis Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung wird im Unterschied zur völkerrechtskonformen Auslegung nicht durch einen entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers begrenzt. Im Gegensatz zur völkerrechtskonformen Auslegung umfasst die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auch das Verfassungsrecht. Zudem prüft das BVerfG Umsetzungsgesetze sowie deren Vollzug im Bereich zwingender Richtlinienvorgaben nicht mehr am Maßstab des Verfassungsrechts. Die innerstaatlichen Stellen sind daher auch verpflichtet, Auslegungsspielräume zu nutzen, die bei einem rein nationalen Sachverhalt wegen einer verfassungskonformen Verengung des Auslegungsspielraums nicht bestehen würden. Dies folgt aus dem Anwen204 205 206

s. o. 2. Teil: A.I.2.b)bb). Wegener, in: Calliess / Ruffert, Art. 220 EGV, Rn. 38. Vgl. Di Fabio, NJW 1990, 947, 949.

A. Bedeutung der Frage nach Rang und Geltungsgrund

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dungsvorrang der gemeinschaftsrechtlichen Umsetzungsverpflichtung, welche nicht durch entgegenstehendes Verfassungsrecht begrenzt wird.

II. Zusammenfassung Der unterschiedliche Geltungsgrund der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung und der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung wirkt sich – wie eben gezeigt – auf Inhalt und Umfang dieser Pflichten aus. So hat die vorangegangene Untersuchung gezeigt, dass die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung weiter geht als die Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung.207 Das bedeutet, dass die Frage nach dem Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung entgegen einiger Stimmen im Schrifttum208 durchaus ergebnisrelevant ist. Denn vom Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung hängt die Bestimmung von Inhalt und Umfang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ab. Es muss daher entschieden werden, ob die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ihren Geltungsgrund im EU-Vertrag hat und dem Vorbild der richtlinienkonformen Auslegung folgt, oder ob die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nur eine Form der völkerrechtskonformen Auslegung ist, welche ihren Geltungsgrund im nationalen Recht hat. Diese Frage wird bislang kontrovers diskutiert. So nimmt ein Teil des Schrifttums lediglich eine Verpflichtung der innerstaatlichen Stellen zu einer völkerrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts in Übereinstimmung mit den Vorgaben eines Rahmenbeschlusses an. Demnach läge der Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung allein in der nationalen Rechtsordnung. Andere hingegen befürworten aufgrund der Gemeinsamkeiten von EU-Vertrag und EG-Vertrag eine Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse. Letztere verorten damit den Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung im EU-Vertrag.

207 Herrmann, EuZW 2005, 436, 437; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 101; Öhlinger, in: Schroeder, Europarecht als Mehrebenensystem, 11, 16; Zeder, ÖJZ 2001, 81, 82 Fn. 9; ähnlich Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1565. 208 Adam, EuZW 2005, 558, 560; Harings, EuR Beiheft 2 / 1998, 81, 88 f.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

B. Die Rechtsprechung des EuGH zu Geltungsgrund und Rang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts In der Rechtssache Pupino stellte sich der EuGH die Frage, ob die Verpflichtung nationaler Behörden, ihr innerstaatliches Recht richtlinienkonform auszulegen, mit den gleichen Wirkungen und Grenzen gilt, wenn es sich bei dem in Rede stehenden Rechtsakt nicht um eine Richtlinie, sondern um einen Rahmenbeschluss gem. Titel VI EU-Vertrag handelt.209 Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass der Grundsatz konformer Auslegung nicht nur auf Richtlinien, sondern auch auf Rahmenbeschlüsse anzuwenden sei.210 Das bedeute, dass ein mitgliedstaatliches Gericht, welches das nationale Recht bei dessen Anwendung auszulegen hat, seine Auslegung so weit wie möglich an Wortlaut und Zweck des Rahmenbeschlusses ausrichten muss, um das mit ihm angestrebte Ergebnis zu erreichen und so Art. 34 II 2 lit. b EU nachzukommen.211 Um eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung zu erreichen, sei dabei gegebenenfalls das gesamte nationale Recht zu berücksichtigen.212 Der EuGH sprach explizit von der „Verpflichtung des nationalen Gerichts“213 bzw. von einer Verpflichtung „für die nationalen Behörden und insbesondere auch die nationalen Gerichte zu rahmenbeschlusskonformer Auslegung des nationalen Rechts“214. Sein Ergebnis begründet der EuGH mit dem zwingenden Charakter von Rahmenbeschlüssen, der mit den gleichen Worten wie in Art. 249 III EG zum Ausdruck gebracht wird.215 Unabhängig von dem durch den Amsterdamer Vertrag angestrebten Integrationsgrad war es für den EuGH völlig verständlich, dass „die Verfasser des Vertrags über die Europäische Union es für angebracht hielten, im Rahmen von Titel VI EU den Rückgriff auf Rechtsinstrumente mit analogen Wirkungen wie im EG-Vertrag vorzusehen, um einen wirksamen Beitrag zur Verfolgung der Ziele der Union zu leisten“216. Die weniger weit reichende Zuständigkeit des EuGH in der dritten Säule stehe dem nicht entgegen.217 Schließlich hob der EuGH noch die Bedeutung seiner Zuständigkeit für Vorabentscheidungsverfahren heraus.218 Diese Zu209 210 211 212 213 214 215 216 217 218

EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 31. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 43; v. Unger, NVwZ 2006, 46, 48 f. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 43. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 47. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 44, 47. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 34. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 33 f. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 36. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 35. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 37.

B. Die Rechtsprechung des EuGH zu Rang und Geltungsgrund

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ständigkeit würde ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt, wenn die Einzelnen nicht berechtigt wären, eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Rechts vor den innerstaatlichen Gerichten zu verlangen.219 Indem der EuGH von einer unmittelbaren Verpflichtung der mitgliedstaatlichen Stellen aus dem EU-Vertrag ausgeht, gibt der EuGH zu verstehen, dass sich die Verpflichtung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU nicht nur an die Mitgliedstaaten im völkerrechtlichen Außenverhältnis richtet, sondern unmittelbar die innerstaatlichen Stellen bindet.220 Der EuGH stellt damit die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Hinblick auf die unmittelbare Bindung innerstaatlicher Stellen gleich.221 Die Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung erschöpft sich demnach nicht in der nationalrechtlich verankerten Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung.222 Denn der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung kommt in der Rechtsprechung des EuGH kraft Unionsrechts jedenfalls eine partielle Durchgriffswirkung auf die staatlichen Stellen zu – unabhängig von einem gesonderten innerstaatlichen Anwendungsbefehl.223 Zwar äußerte sich der EuGH nicht explizit zu der Frage des Vorrangs des Unionsrechts.224 Indem der EuGH jedoch davon ausgeht, dass für die Rechtsinstrumente des Titel VI EU analoge Wirkungen wie im EG-Vertrag vorgesehen sind225, schwingt unausgesprochen die Vorstellung mit, dass die innerstaatlichen Stellen auch der Umsetzungsverpflichtung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU vorrangig nachkommen müssen.226 Denn die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung geht entEuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 38. Egger, EuZW 2005, 652, 653; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 227; Herrmann, EuZW 2005, 436, 437; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 205 u. 233; Schumann, in: Lachmayer / Bauer, Praxiswörterbuch Europarecht, „Rahmenbeschlusskonforme Auslegung“, 721; Weißer, ZIS 2006, 562, 573. 221 Adam, EuZW 2005, 558, 560; Fletcher, 30 ELRev. (2005) 862, 862 f.; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 232; Herrmann, EuZW 2005, 436, 437; Skouris, ZEuS 2005, 463, 476; Öhlinger, in: Schroeder, Europarecht als Mehrebenensystem, 11, 18; v. Unger, NVwZ 2006, 46, 48 f.; Wehnert, NJW 2005, 3760, 3760. 222 Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 233 u. 235; Schumann, in: Lachmayer / Bauer, Praxiswörterbuch Europarecht, „Rahmenbeschlusskonforme Auslegung“, 721. 223 Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 235; anklingend auch bei Herrmann, EuZW 2005, 436, 437; Schumann, in: Lachmayer / Bauer, Praxiswörterbuch Europarecht, „Rahmenbeschlusskonforme Auslegung“, 721; v. Unger, NVwZ 2005, 46, 48. 224 Adam, EuZW 2005, 558, 561; Herrmann, EuZW 2005, 436, 438; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 243; Lenaerts / Corthaut, ELRev. 31 (2006) 287, 293 Fn. 48. 225 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 36. 226 Wohl auch Adam, EuZW 2005, 558, 561; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 233; Herrmann, EuZW 2005, 436, 438; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 244; auch Schroeder, EuR 2007, 349, 364 f., der aber nicht den Vorrang der Umsetzungsverpflichtung, sondern den Vorrang des Rahmenbeschlusses 219 220

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

gegenstehenden innerstaatlichen Bindungen der mitgliedstaatlichen Stellen vor, da die Umsetzungsverpflichtung aus Art. 249 III EG am Vorrang des Gemeinschaftsprimärrechts vor dem nationalen Recht teilhat.227 Dass der EuGH insbesondere keinen nationalen Verfassungsvorbehalt anerkennen wird, zeigt sich daran, dass der EuGH eine Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts verlangt, um ein rahmenbeschlusskonformes Ergebnis im nationalen Recht herzustellen. Mit einer Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse bejaht der EuGH zugleich auch den Vorrang der unionsrechtlichen Umsetzungsverpflichtung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU vor entgegenstehenden Geboten des nationalen Rechts.228

C. Vorrangunabhängige Argumentation im Schrifttum I. Bedeutung von Vorrangüberlegungen Im Schrifttum werden Überlegungen zum Rang des Unionsrechts in der nationalen Rechtsordnung zum Teil für nicht weiterführend erachtet, da für die Frage nach der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung Vorrangüberlegungen nicht relevant werden könnten. Die implizite Annahme in der Rechtsprechung des EuGH, dass die Umsetzungsverpflichtung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU Vorrang vor nationalem Recht habe, wird daher kritisiert. Für Vorrangüberlegungen sei nur dort Platz, wo es um einen Konflikt zwischen nationalem Recht und Unionsrecht gehe.229 Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung führe jedoch gerade dazu, einen solchen potentiellen Konflikt zwischen Unionsrecht und nationalem Recht durch die rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Rechts zu vermeiden.230 Gerade weil Rahmenbeschlüsse nicht unmittelbar anwendbar seien, könne es nicht zu einem Konflikt mit dem nationalen Recht kommen.231 Deswegen voraussetzt; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 117 f., die ebenfalls vom Vorrang des Rahmenbeschlusses, nicht vom Vorrang der Umsetzungsverpflichtung spricht; v. Unger, NVwZ 2006, 46, 48; a. A. Schumann, in: Lachmayer / Bauer, Praxiswörterbuch Europarecht, „Rahmenbeschlusskonforme Auslegung“, 721, der einen uneingeschränkten Vorrang des Rahmenbeschlusses (Hervorhebung durch Verfasserin) verneint. 227 Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 244. 228 So auch Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 244; in diese Richtung auch Sonnevend, in: Heun / Lipp, Europäisierung des Rechts, 171, 172 f. 229 Fletcher, ELRev. 30 (2005) 862, 876. 230 Fletcher, ELRev. 30 (2005) 862, 876. 231 Fletcher, ELRev. 30 (2005) 862, 876; ebenso in Bezug auf Richtlinien Roth, EWS 2005, 385, 386.

C. Vorrangunabhängige Argumentation im Schrifttum

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können sich auch keine Vorrangfragen stellen.232 Es müsse deshalb kein Vorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Recht bestehen, um eine unionsrechtliche Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung herzuleiten. Man brauche daher die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nicht auf Vorrangüberlegungen stützen.233 Dass im Schrifttum zum Teil auf Vorrangüberlegungen verzichtet wird, liegt daran, dass die Rangproblematik im Verhältnis von Unionsrecht und nationalem Recht auf den Fall einer „echten“ Kollision der Normen beider Rechtsordnungen begrenzt wird.234 Ein Anwendungsvorrang komme demnach nur dann zum Tragen, wenn eine mitgliedstaatliche Rechtsnorm einer Vorschrift des Unionsrechts entgegensteht, die ebenso wie die nationale Norm unmittelbar auf einen konkreten Sachverhalt anwendbar ist.235 Dieser Ansicht ist insofern zuzustimmen, dass sich die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nicht auf einen Vorrang des Rahmenbeschlusses selbst stützen lässt.236 Dies aber nicht etwa deshalb, weil Rahmenbeschlüsse nicht unmittelbar auf einen konkreten Fall anwendbar sind, sondern weil es auf einen Vorrang des Rahmenbeschlusses vor dem nationalen Recht gar nicht ankommt. Denn die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ergibt sich nicht aus dem Rahmenbeschluss selbst, sondern aus der Pflicht zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU.237 Das heißt, die Pflicht zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses ergibt sich aus dem EU-Primärrecht. Das EU-Primärrecht muss aber vom Rahmenbeschluss selbst unterschieden werden. Gleiches gilt für die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung, die dem EuGH als Vorbild für die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung diente. Auch für die Frage nach Geltung und Rang der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im nationalen Recht muss man nicht von einer vorrangigen Geltung der Richt232 Fletcher, ELRev. 30 (2005) 862, 876; ebenso in Bezug auf Richtlinien Roth, EWS 2005, 385, 386. 233 Fletcher, ELRev. 30 (2005) 862, 876; ebenso in Bezug auf Richtlinien Roth, EWS 2005, 385, 386. 234 Grundlegend für diese Theorie im Gemeinschaftsrecht war die Arbeit von Ipsen, Gemeinschaftsrecht, 1972, 262 ff., Rn. 10 / 7 ff. 235 Di Fabio, NJW 1990, 947, 952; in diese Richtung auch Fletcher, ELRev. 30 (2005) 862, 876. 236 In der Literatur wird meist nicht präzise genug zwischen der Geltung des Rahmenbeschlusses und der Geltung der Verpflichtung zur Umsetzung eines Rahmenbeschlusses unterschieden. So geht Schroeder, EuR 2007, 349, 364 von einer Geltung des Rahmenbeschlusses in der nationalen Rechtsordnung aus und untersucht daher auch den Vorrang des Rahmenbeschlusses. Schumann, in: Lachmayer / Bauer, Praxiswörterbuch Europarecht, „Rahmenbeschlusskonforme Auslegung“, 721 führt aus, dass eine Gleichsetzung der richtlinienkonformen Auslegung mit der rahmenbeschlusskonformen Auslegung zugleich die Annahme eines Vorrangs des Rahmenbeschlusses vor dem Verfassungsrecht bedeuten würde (Hervorhebung durch die Verfasserin). 237 s. o. 1. Teil: C.III.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

linie im nationalen Recht ausgehen.238 Denn die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung ergibt sich nicht aus der Stellung der Richtlinie im nationalen Recht, sondern aus dem Rang der in Art. 249 III EG verankerten Umsetzungsverpflichtung.239 Entscheidend ist daher das Verhältnis von Art. 249 III EG zum nationalen Recht.240 Der im EG-Primärrecht verankerten Umsetzungsverpflichtung aus Art. 249 III EG kommt Vorrang vor dem nationalen Recht zu.241 Dies ist der Grund, warum auch die innerstaatlichen Stellen vorrangig zur Umsetzung der Richtlinien, mithin auch zu einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts verpflichtet sind. Dass es auf einen Vorrang des Rahmenbeschlusses vor nationalem Recht nicht ankommt, bedeutet jedoch nicht, dass Überlegungen zum Vorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Recht im Zusammenhang mit dem Gebot der rahmenbeschlusskonformen Auslegung gar keine Bedeutung hätten.242 Solche Vorrangüberlegungen werden dort bedeutsam, wo es um die Frage nach dem Rang der Umsetzungspflicht aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU im nationalen Recht geht. Genau diese Frage gilt es aber zu beantworten, wenn man klären will, inwieweit die nationalen Behörden durch eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung gebunden werden. Geht die Bindung so weit, wie bei der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung oder geht die Bindung nur so weit, wie bei der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung? Dies ist bislang noch nicht hinreichend geklärt. So hängt u. a. die Frage, ob den Zielen eines Rahmenbeschlusses bei der Auslegung des nationalen Rechts der Vorrang vor entgegenstehenden Regelungszwecken des historischen Gesetzgebers einzuräumen ist davon ab, ob die Pflicht zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses innerstaatlich unmittelbar und vorrangig aufgrund des EU-Vertrags gilt. Vorrangüberlegungen können fruchtbar gemacht werden, wenn es um die Frage geht, welche Normen des nationalen Rechts rahmenbeschlusskonform ausgelegt werden müssen. Hätte die Verpflichtung zur Umsetzung eines Rahmenbeschlusses 238 Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 69; Franzen, Privatrechtsangleichung, 260; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 128; Meier, Rechtswirkungen von EGRichtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 72; dies übersieht Di Fabio, NJW 1990, 947, 952. 239 Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 69; Franzen, Privatrechtsangleichung, 260 f.; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 128; Meier, Rechtswirkungen von EGRichtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 72. 240 Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 72. 241 Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 69; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 128; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 72. 242 Ähnlich bzgl. richtlinienkonformer Auslegung Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsetzung, 108; Öhlinger, in: FS Ress, 685, 689 (unklar jedoch, ob Letzterer auf den Vorrang der Umsetzungsverpflichtung abstellt oder den Vorrang der Richtlinien aus einem Vorrang des Gemeinschaftsrechts folgert).

C. Vorrangunabhängige Argumentation im Schrifttum

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ihren Geltungsgrund im EU-Vertrag und nähme diese Pflicht Vorrang vor dem nationalen Recht in Anspruch, so fiele das gesamte auslegungsfähige nationale Recht unter die Konformauslegungspflicht, einfaches Recht ebenso wie Verfassungsrecht, früheres Recht ebenso wie späteres Recht.243 Darüber hinaus spielen Vorrangüberlegungen eine Rolle, wo eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Rechts nicht zugleich verfassungskonform wäre.244 Dieser Fall setzt voraus, dass eine einfachgesetzliche Norm einen Auslegungsspielraum bereithält, der rahmenbeschlusskonform ausgefüllt werden könnte. Jedoch wäre eine solche rahmenbeschlusskonforme Auslegung nicht zugleich verfassungsgemäß. Würde man den Auslegungsspielraum der Norm verfassungsgemäß reduzieren, dann wäre eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung nicht mehr möglich. Auch hier stellt sich die Frage, ob die innerstaatlichen Stellen vorrangig im Wege der Auslegung die Ziele des Rahmenbeschlusses verfolgen müssen oder ob sie einer verfassungskonformen Auslegung der nationalen Norm Vorrang vor der Erzielung eines rahmenbeschlusskonformen Ergebnisses einzuräumen haben.245 Diese Frage ließe sich nur dann bejahen, wenn man den Geltungsgrund der Umsetzungsverpflichtung im EU-Vertrag sähe und der EU-Vertrag den Vorrang der Umsetzungsverpflichtung vor nationalem Recht anordnen würde.246 Denn wäre der Gesetzgeber vorrangig vor gegebenenfalls entgegenstehendem Verfassungsrecht zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses verpflichtet, so müssten auch die rechtsanwendenden Stellen vorrangig eine Auslegung des nationalen Rechts verfolgen, die den Zielen des Rahmenbeschlusses Vorrang vor dem Verfassungsrecht einräumt. Auch hier spielen mittelbar der Geltungsgrund sowie der Rang der Umsetzungsverpflichtung eine Rolle. Der Konflikt aktualisiert sich zwar nicht bei der Frage, welche Norm gegenüber dem Bürger angewendet werden muss, da eine unmittelbare Anwendung des Rahmenbeschlusses gem. Art. 34 II 2 lit. b EU ausgeschlossen ist. Vorrangüberlegungen spielen aber eine Rolle bei der Entscheidung des rechtsanwendenden staatlichen Organs, für eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung oder eine verfassungskonforme Auslegung. Die Beantwortung der Frage, ob eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung in Parallele zur richtlinienkonformen Auslegung zu erfolgen hat, hängt also davon ab, ob erstens die Umsetzungsverpflichtung ihren Geltungsgrund im EU-Vertrag hat und wenn dies bejaht würde, ob zweitens die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung Vorrang vor dem nationalem Recht hat.247 So auch v. Unger, NVwZ 2006, 46, 48. Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 377. 245 Vgl. oben 2. Teil: A.I.2.b)cc). 246 Es geht somit allein um die Frage des Vorrangs der Umsetzungsverpflichtung, nicht um einen Vorrang des Rahmenbeschlusses. Dies nicht erkennend Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 377; Huber, in: Schroeder, Europarecht als Mehrebenensystem, 39, 43. 247 Dies erkennt auch v. Unger, NVwZ 2006, 46, 48. 243 244

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

Selbst wenn man ohne Vorrangüberlegungen den Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung im EU-Vertrag verorten würde, so müsste man spätestens bei der Bestimmung von Inhalt und Umfang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung zum Rang dieser Verpflichtung im nationalen Recht Stellung nehmen. Umgeht man die Frage des Vorrangs, wird sich die Frage, ob die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse übertragbar ist, nicht befriedigend lösen lassen.

II. Kohärenzgebot Zum Teil wird unter Verweis auf das Kohärenzgebot angenommen, dass trotz intergouvernementaler Struktur der PJZS eine integrationsgradunabhängige, richtlinienanaloge Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung bestehe.248 Grundannahme dieser Ansicht ist, dass der EU-Vertrag nach wie vor auf dem Prinzip der intergouvernementalen Zusammenarbeit aufbaue. Daraus folge grundsätzlich, dass die innerstaatlichen Stellen nicht aufgrund etwaiger in den innerstaatlichen Rechtskreis durchgreifender Pflichten aus dem EU-Vertrag verpflichtet seien, das nationale Recht rahmenbeschlusskonform auszulegen.249 Daher bestehe grundsätzlich nur eine nationalrechtliche Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts.250 Da jedoch der EuGH „[u]nabhängig von dem durch den Vertrag von Amsterdam angestrebten Integrationsgrad“251 die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse übertragen habe, müsse es einen anderen Weg geben, um trotz des völkerrechtlichen Charakters des EU-Vertrags die innerstaatlichen Stellen zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung unmittelbar durch das Unionsrecht zu verpflichten.252 Eine solche unmittelbare unionsrechtliche Verpflichtung der innerstaatlichen Stellen zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung lasse sich durch das im EU-Vertrag geregelte Kohärenzgebot begründen.253 Das Kohärenzgebot gem. Art. 3 I EU verpflichte die Union dazu, Maßnahmen, die ihren Ursprung in verschiedenen Säulen haben, inhaltlich aufeinander abzustimmen und widerspruchsfrei zu gestalten.254 Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts solle säulenübergreifend verwirklicht werden. So zielen sowohl die Art. 29 ff., Art. 2, 4. Spiegelstrich EU, als auch die Art. 61 ff. EG auf die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der SicherFetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 550 f. Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 550. 250 Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 550. 251 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 36. 252 Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 550 f. unter Verweis auf EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 36. 253 Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. 254 Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. 248 249

C. Vorrangunabhängige Argumentation im Schrifttum

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heit und des Rechts ab.255 Der enge sachliche Zusammenhang der verschiedenen Titel des EU- und EG-Vertrags werde auch durch Art. 42 EU deutlich, der eine erleichterte Überführung von Maßnahmen in den in Art. 29 ff. EU genannten Bereichen in den Titel VI EG vorsieht.256 Die Schaffung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sei somit an der Schnittstelle zwischen EU-Recht einerseits und EG-Recht andererseits angesiedelt.257 Und gerade hier komme der durch das Kohärenzgebot geforderten Widerspruchsfreiheit der verschiedenen Maßnahmen eine besondere Bedeutung zu.258 Diese Widerspruchsfreiheit wäre aber in Frage gestellt, wenn die EU zur Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auf die Annahme gemeinsamer Maßnahmen im zwischenstaatlichen Bereich beschränkt wäre, während sie in der EG mittels Richtlinie gesetzgeberisch tätig werden könnte.259 Mit dem Vertrag von Amsterdam sei dieser Gegensatz so aufgelöst worden, dass der Rahmenbeschluss als richtlinienähnliches Rechtsinstrument in den EU-Vertrag eingefügt wurde.260 Einerseits wurde den staatlichen Souveränitätsbestrebungen durch den Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses Rechnung getragen, andererseits wurde man dem Kohärenzgebot durch ein an die Richtlinie angeglichenes Rechtsinstrument – den Rahmenbeschluss – gerecht.261 Vor diesem Hintergrund sei es folgerichtig, Art. 34 II 2 lit. b EU so auszulegen, dass der Rahmenbeschluss grundsätzlich richtlinienanaloge Rechtswirkungen entfalte.262 Die aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU abgeleitete Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts analog zur richtlinienkonformen Auslegung sei somit nur eine Konsequenz des Kohärenzgebotes gem. Art. 3 I EU.263 Eine solche Herleitung der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ist jedoch nicht überzeugend. Es ist nicht ersichtlich, wie Unterschiede in der Wirkungsweise von Rahmenbeschluss und Richtlinie die Kohärenz zwischen erster und dritter Säule gefährden sollten.264 Das Kohärenzgebot gem. Art. 3 I EU stellt ein Gebot gegenseitiger Abstimmung zwischen den Handlungen der Europäischen Gemeinschaften und den Handlungen der EU dar.265 Das Kohärenzgebot soll sicherstellen, dass keine sich inhaltlich widersprechenden Maßnahmen in den verschiedenen Säulen ergriffen werden.266 255 256 257 258 259 260 261 262 263 264 265

Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 552. So auch Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1121, Fn. 58. Callies, in: Callies / Ruffert, Art. 3 EUV, Rn. 6.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

Bei der Frage, ob die Verpflichtung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU die innerstaatlichen Stellen unmittelbar betrifft oder der Erlass eines Rahmenbeschlusses nur dazu führt, dass die nationalen Stellen aufgrund des innerstaatlichen Rechts zu einer völkerrechtskonformen Auslegung angehalten sind, geht es jedoch nicht um inhaltliche Widersprüche zwischen den Regelungsinhalten eines Rahmenbeschlusses und einer Richtlinie. Es geht vielmehr um die Frage, welche Rechtswirkungen der Erlass eines Rahmenbeschlusses bzw. einer Richtlinie auf die innerstaatlichen Stellen hat. Ein Unterschied in der Einwirkung der Umsetzungsverpflichtung aus dem EU-Vertrag und aus dem EG-Vertrag wäre jedoch keine Frage inhaltlicher Art, sondern beträfe die Auslegung des EU-Vertrags bzw. des EG-Vertrags. Hier aber hilft das Kohärenzgebot nicht weiter. Denn gegebenenfalls im EU-Vertrag und EG-Vertrag selbst angelegte Unterschiede können nicht durch das Kohärenzgebot eingeebnet werden. Unter Verweis auf das Kohärenzgebot lässt sich somit die Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse nicht begründen.

D. Annäherung der Säulen aufgrund eines Optimierungsgebots im EU-Vertrag Im Schrifttum wird zum Teil die Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse begrüßt. Denn diese Rechtsprechung des EuGH stehe im Einklang mit einem Optimierungsgebot, das dem EU-Vertrag immanent sei.267

I. Annahme eines Optimierungsgebots Das Optimierungsgebot besage, dass die Verwirklichung der drei Verfassungsstrukturprinzipien der EU (Demokratie, Föderalismus und Rechtsstaatlichkeit)268 mit den Integrationsfortschritten Schritt halten solle und daher stetig verbessert werden müsse.269 Zur Annahme eines Optimierungsgebotes gelange man, indem man die herausragende Bedeutung der säulenübergreifenden Strukturprinzipientrias gem. Art. 6 I – III EU im Zusammenhang mit der Dynamik des europäischen Integrationsprozesses 266 Callies, in: Callies / Ruffert, Art. 3 EUV, Rn. 6; Pechstein, in: Streinz, Art. 3 EUV, Rn. 6. Ein Anwendungsbereich des Kohärenzgebotes wäre z. B. die möglicherweise angezeigte richtlinienkonforme Auslegung eines Rahmenbeschlusses, um einen Widerspruch zwischen Richtlinie und Rahmenbeschluss zu vermeiden, vgl. Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1121, Fn. 58. 267 Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 357, 373 f. 268 Zur Bedeutung dieser Prinzipien Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 354 ff. 269 Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 357.

D. Annäherung der Säulen aufgrund eines Optimierungsgebots im EU-Vertrag

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sehe. Die Mitgliedstaaten unterlägen einerseits einem entsprechenden Optimierungsgebot aus ihren nationalen Verfassungen, insbesondere den Auflagen, die für die Integrationsermächtigung bestehen. Andererseits erlege ihnen auch das regionale Völkerrecht, vor allem die EMRK, eine Pflicht zur Optimierung der Strukturprinzipien auf. Daher sei anzunehmen, dass die Mitgliedstaaten diese Optimierungspflicht implizit auch in das Primärrecht mit eingebracht haben. Dieses Optimierungsgebot richte sich an alle Organe der Gemeinschaft und Union unter Einschluss der Judikative.270 Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Föderalismus seien bisher am ehesten in der ersten Säule verwirklicht. In der dritten Säule hingegen bestünden hinsichtlich des Demokratieprinzips, der Rechtsstaatlichkeit und des Föderalismus strukturelle Defizite.271 Enthalten aber die Verträge das implizite Gebot zur Optimierung der demokratischen, rechtsstaatlichen und föderalen Prinzipien, so schließe dies den Auftrag mit ein, die zweite und dritte Säule der EU der strukturell vorbildlichen ersten Säule weitestmöglich anzunähern.272 In der EU-Architektur sei daher der Auftrag zur Säulenverschmelzung enthalten, wenn auch die Erfüllung dieses Auftrags unter den Vorbehalt einer Vertragsänderung gestellt werde.273 Solange eine solche Vertragsänderung noch aussteht sei es Aufgabe der Organe, auch des EuGH, an der Herstellung einer harmonischen EU-Architektur mitzuwirken, soweit sich diese innerhalb des Rahmens der bestehenden Verträge herstellen lässt.274

II. Ausgleich der strukturellen Defizite in der PJZS durch die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung Mit der Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse werde eine Annäherung der dritten Säule an die erste Säule gemäß des Optimierungsgebotes erreicht.275 Die Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse diene der effektiven Verwirklichung rechtsverbindlicher Vorgaben des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten.276 Mit der Annahme einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus dem EU-Vertrag werde man daher der machtbegründenden Dimension des Rechtsstaatsprinzips gerecht („Rechtsh e r r s c h a f t “277).278 270 271 272 273 274 275 276 277 278

Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 357. Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 358. Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 360. Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 361. Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 362. Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 373 f. Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 373. Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 356 (Sperrdruck im Original). Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 373.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

Darüber hinaus entspräche es nicht den föderalen, demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen der EU-Verfassung, ihre eigene Durchsetzungsfähigkeit vom nationalen Recht abhängig zu machen. Daher sei eine Verankerung des Geltungsgrundes der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung im nationalen Recht abzulehnen.279 Wenn schon die Vorabentscheidungszuständigkeit des EuGH gem. Art. 35 II EU „ausnahmsweise“280 an eine vorherige Unterwerfungserklärung der Mitgliedstaaten gebunden sei, so dürfe diese Ausnahme nicht dadurch erweitert werden, dass man auch die Erforderlichkeit von Vorabentscheidungsersuchen von einer bloß nationalrechtlich verankerten Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung abhängig mache. Zudem könne eine bloß nationalrechtlich verankerte Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung keinen Vorrang vor den anderen Auslegungsmethoden des nationalen Rechts beanspruchen.281 Der Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit stehe dem nicht entgegen, da dieser Ausschluss aufgrund des Optimierungsgebots möglichst restriktiv zu interpretieren sei. Dies gelte umso mehr, als die Kommission in der dritten Säule kein Vertragsverletzungsverfahren gegen umsetzungssäumige Mitgliedstaaten einleiten könne.282 Die Annahme einer Pflicht mitgliedstaatlicher Stellen zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung parallel zur richtlinienkonformen Auslegung sei ein Schritt zur Annäherung der dritten an die erste Säule, ohne dabei den Rahmen der Vertragsgrenzen zu überschreiten und entspreche somit dem Optimierungsgebot.283

III. Begründungsdefizite dieses Ansatzes Die Vereinbarkeit einer vorrangigen Pflicht innerstaatlicher Stellen zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung mit einem Optimierungsgebot kann nicht erklären, ob und wie der EU-Vertrag in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen einzuwirken vermag. Auch wenn dieses Ergebnis einem im EU-Vertrag verankerten Optimierungsgebot entspräche, so müsste es sich doch mit Argumenten aus Wortlaut, Ziel, System und gegebenenfalls geschichtlicher Entwicklung des EU-Vertrags begründen lassen. Bereits die Annahme, dass der EU-Vertrag eine Annäherung an das Gemeinschaftsrecht vorschreibe, die nur durch einen explizit entgegenstehenden Wortlaut begrenzt werde, ist nicht ausreichend begründet. Die Auslegung des EU-Vertrags darf sich nicht ausschließlich am Integrationsziel orientieren, sondern hat neben 279 280 281 282 283

Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 373. Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 373. Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 373. Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 374. Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 374.

D. Annäherung der Säulen aufgrund eines Optimierungsgebots im EU-Vertrag

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dem Wortlaut auch die Strukturen bzw. das System der EU zu berücksichtigen. Die Annäherung an das Gemeinschaftsrecht kann daher nicht damit begründet werden, dass dadurch dem allgemeinen Integrationsziel entsprochen werde. Vielmehr muss die Übertragung gemeinschaftlicher Grundsätze auf die PJZS sich gerade aus dem System der PJZS heraus begründen lassen. An einem solchen Begründungsaufwand fehlt es hier aber. Es wird allein die Vereinbarkeit des Ergebnisses – die Bejahung der Bindung innerstaatlicher Stellen an eine unionsrechtliche Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung – mit einem Optimierungsgebot überprüft. Wie sich aber die Verankerung des Geltungsgrundes der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung im EU-Vertrag sowie der unterstellte Vorrang dieser Pflicht vor nationalem Recht aus dem EU-Vertrag selbst positiv begründen lassen, bleibt offen. Der Verweis auf eine Optimierung des Rechtsstaatsprinzips hilft hierbei nicht weiter. Denn die Annahme der unionsrechtlichen Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung für die innerstaatlichen Stellen entspräche nur dann rechtsstaatlichen Prinzipien, wenn der Geltungsgrund dieser Pflicht tatsächlich im Unionsrecht läge. Dies ist jedoch gerade die Frage, die es zu beantworten gilt. Daher muss die Bejahung dieser Frage anderweitig begründet werden. Ergäbe sich aus Telos, Systematik und Geschichte des EU-Vertrags, dass das EU-Recht nicht in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen hineinwirken solle, so wäre es geradezu rechtsstaatswidrig, dennoch eine richtlinienanaloge Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung anzunehmen. Unter Verweis auf eine etwaige Optimierung des Rechtsstaatsprinzips kann somit die Verpflichtung innerstaatlicher Stellen zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung unmittelbar aus dem EU-Vertrag nicht begründet werden. Die Behauptung, es entspräche nicht den föderalen, demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen der EU-Architektur, die Durchsetzung des Unionsrechts vom nationalen Recht abhängig zu machen, bleibt ebenfalls ohne Begründung. Insbesondere das Regel-Ausnahme Argument, wonach nur ausnahmsweise die Begründung der Zuständigkeit des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren vom mitgliedstaatlichen Wille abhänge und daraus die Regel gefolgert wird, dass das Unionsrecht selbst unmittelbar in die mitgliedstaatliche Rechtsordnung hineinwirke, ist nicht überzeugend. Fraglich ist bereits die Annahme, dass eine Unterwerfungserklärung nur ausnahmsweise erforderlich sei. Denn in der PJZS hängt die Zuständigkeit des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren ausnahmslos von einer Unterwerfungserklärung der Mitgliedstaaten ab. Der Vertreter dieser Ansicht begreift den EU Vertrag somit als Ausnahme vom EG-Vertrag. Eine Begründung für diese Sichtweise fehlt jedoch. Insbesondere wird nicht dargelegt, warum nicht das normale Völkervertragsrecht als die Regel begriffen wird und der supranationale EG-Vertrag hingegen als die Ausnahme. Der Gleichwertigkeit der Verträge widerspricht es jedenfalls, wenn man EU-vertragliche Regelungen als Ausnahme vom EG-Vertrag begreift. Selbst wenn diese Ansicht auch im Ergebnis zutreffend sein mag, so fehlt es an einer überzeugenden Begründung für die zugrunde gelegten Annahmen.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung Es wird aber auch die Ansicht vertreten, dass die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ihren Geltungsgrund im innerstaatlichen Recht habe. Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung wird dabei als Unterfall der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung angesehen. Dafür lassen sich drei verschiedene, voneinander unabhängige Argumentationslinien ausmachen. Zum Teil wird der Rahmenbeschluss selbst als völkerrechtlicher Vertrag angesehen, sodass für die innerstaatlichen Stellen nur eine Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts bestehen könne (I.).284 Andere hingegen qualifizieren nicht den Rahmenbeschluss selbst, sondern den EU-Vertrag als einen völkerrechtlichen Vertrag.285 Demzufolge teile der Rahmenbeschluss auch den völkerrechtlichen Charakter des EU-Vertrags. Er habe daher keinen Vorrang vor nationalem Recht. Deshalb müsse auch eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung analog der Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung ausscheiden (II.). Wieder andere sehen die Pflicht zur konformen Auslegung nicht im Rahmenbeschluss selbst, sondern in der Umsetzungsverpflichtung gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU verankert.286 Da diese jedoch nur als eine völkervertragsrechtliche Verpflichtung zu qualifizieren sei, richte sich die Umsetzungsverpflichtung nur an die Mitgliedstaaten im völkerrechtlichen Außenverhältnis. Eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung bestehe daher nur im Rahmen dessen, was die nationale Rechtsordnung an völkerrechtskonformer Auslegung verlangt (III.).

I. Rahmenbeschluss als völkerrechtlicher Vertrag Zum Teil wird die Arbeit der EU als reine Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bewertet. Die EU wird charakterisiert als ein Zusammenschluss der Mitgliedstaaten ohne Völkerrechtssubjektivität.287 Die EU sei ein rein materiellrechtlicher Verbundrahmen zur Koordinierung nationaler Politiken in den Bereichen Äußeres, Sicher284 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 245; ebenso für Beschlüsse in der GASP: Pechstein, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 31, 34 f. 285 Geiger, Art. 34 EUV, Rn. 6; Hillgruber, JZ 2005, 841, 841; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 2; v. Unger, NVwZ 2006, 46, 47 rückt hier von seiner Haltung in NVwZ 2005, 1266, 1272 ab, wo er die Integration der Rahmenbeschlüsse in die supranationale Ordnung befürwortet hatte. 286 Harings, EuR Beiheft 2 / 1998, 81, 88 f.; Hillgruber, JZ 2005, 841, 841; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9. 287 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 85; Pechstein, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 32.

E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung

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heit, Inneres und Justiz.288 Daher könne die EU auch nicht das Zurechnungssubjekt für die Handlungen der Organe sein, sondern nur die Mitgliedstaaten selbst.289 Unabhängig von der Bezeichnung als Rahmenbeschluss stelle der Abschluss eines Rahmenbeschlusses nur einen völkerrechtlichen Vertrag dar.290 Die Besonderheit dieses völkerrechtlichen Vertrags liege darin, dass sein Inhalt und die Verfahrensweise bei Vertragsschluss unionsrechtlich vorgeformt seien.291 Somit verpflichten sich die Unionsvertragsstaaten292 durch den Rahmenbeschluss als völkerrechtlichen Vertrag, eine jeweils innerstaatliche Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der PJZS vorzunehmen.293 Der Rahmenbeschluss bleibe darauf beschränkt, die Unionsstaaten völkerrechtlich zu verpflichten und alle erforderlichen Vorkehrungen zu seiner innerstaatlichen Umsetzung nach Maßgabe der Transformations- bzw. Vollzugsvoraussetzungen zu treffen.294 Eine unmittelbare Bindung innerstaatlicher Stellen an die Zielvorgaben des Rahmenbeschlusse bestehe nicht.295 Da der Rahmenbeschluss als völkerrechtlicher Vertrag qualifiziert wird, müsse das innerstaatlich umgesetzte Recht lediglich völkerrechtskonform ausgelegt werden.296 Ein unmittelbarer Durchgriff der im EU-Vertrag geregelten Umsetzungsverpflichtung und mithin auch der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung auf die innerstaatlichen Stellen sei daher ausgeschlossen.297

1. Die EU als rechtsfähige internationale Organisation Die Auffassung, dass Rahmenbeschlüsse nur völkerrechtliche Verträge darstellten, die von den Mitgliedstaaten geschlossen werden, setzt voraus, dass die EU nicht selbst Zurechnungssubjekt der Rahmenbeschlüsse ist. Diese Auffassung wäre somit abzulehnen, wenn der Union selbst die Rahmenbeschlüsse als ihre Sekundärrechtsakte zugerechnet werden müssten. Voraussetzung dafür ist, dass die EU ein von den Mitgliedstaaten verschiedenes Völkerrechtssubjekt ist. Denn dann wäre die EU selbst handlungsfähig und die von ihr erlassenen Rechtsakte könnten der EU als Sekundärrechtsakte zugerechnet werden. Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 93; Streinz, ZfRV 1995, 1, 4. Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 144. 290 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 245; ebenso für Beschlüsse im Rahmen der GASP Pechstein, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 31, 34 f. 291 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 245. 292 Da die Union nicht als eigenständige Organisation angesehen wird, verfüge sie auch nicht über Mitgliedstaaten, sondern es sei treffender von Vertragsstaaten zu sprechen, Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 85. 293 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 245. 294 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 244. 295 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 244. 296 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 245. 297 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 245. 288 289

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

Es soll daher im Folgenden geklärt werden, ob die EU eine internationale Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit ist. Diese Frage ist seit der Gründung der EU umstritten298 und auch durch die nachfolgenden Vertragsänderungen nicht abschließend geklärt worden. Eine internationale Organisation ist ein dauerhafter Zusammenschluss von Völkerrechtssubjekten aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags.299 Eine internationale Organisation ist rechtsfähig, wenn sie spezifische Rechte und Pflichten durch eigene Organe wahrnehmen kann und zu eigenständiger Willensbildung fähig ist.300 Dies ist der Fall, wenn entweder im Gründungsvertrag die Völkerrechtsfähigkeit ausdrücklich geregelt ist, oder wenn die Völkerrechtssubjektivität implizit von den Vertragsbestimmungen vorausgesetzt wird.301 Die damaligen Mitgliedstaaten haben die EU durch den Vertrag von Maastricht, gegründet. Die EU ist gem. Art. 51 EU auf unbestimmte Zeit und damit dauerhaft angelegt.302 Im Gegensatz zu den Gründungsverträgen der Europäischen Gemeinschaften (Art. 211 EG, Art. 6 EGKS, Art. 184 EAG) enthält der EU-Vertrag aber keine ausdrückliche Bestimmung über die Rechtspersönlichkeit der EU. Sie lässt sich auch nicht aus der Rechtspersönlichkeit der ihr gem. Art. 1 III 1 EU zu Grunde liegenden Gemeinschaften ableiten, da die Europäischen Gemeinschaften nicht identisch mit der Europäischen Union sind.303 Denn wenn die Gemeinschaften gem. Art. 1 III 3 EU die Grundlage der Union bilden, so ist ausgeschlossen, dass die Gemeinschaften mit der Union identisch sind.304 298 So sah z. B. das BVerfG die EU nach dem Vertrag von Maastricht nicht als eigenständiges Rechtssubjekt, sondern als Bezeichnung für die gemeinsam handelnden Mitgliedstaaten an, BVerfGE 89, 155, 195. 299 Statt vieler: Fischer / Köck, Das Recht der Internationalen Organisationen, 60; Schermers / Blokker, International Institutional Law, § 33; Seidl-Hohenveldern / Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 105. 300 Statt vieler: Dörr, EuR 1995, 334, 335; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 21 f.; Ress, EuR Beiheft 2 / 1995, 27, 37; Schermers / Blokker, International Institutional Law, § 33; Seidl-Hohenveldern / Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 105. 301 IGH, Advisory Opinion, Reparations for Injuries, ICJ-Rep. 1949, 174, 178; Annacker, Rechtsakt, 200; Blokker / Heukels, in: Heukels / Blokker / Brus, The European Union after Amsterdam, 9, 28; Cremona, in: Dashwood / Maresceau, Law and Practice of EU External Relations, 34, 37; Dörr, EuR 1995, 334, 339; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 20; Koenig / Haratsch, Europarecht, Rn. 80; König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 250 f.; McGoldrick, International Relations Law of the European Union, 37; Seidl-Hohenveldern / Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 119 e; de Witte, in: Heukels / Blokker / Brus, The European Union after Amsterdam, 51, 63. 302 Annacker, Rechtsakt, 204; Dörr, EuR 1995, 334, 335 f.; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 244. 303 Annacker, Rechtsakt, 201; Koenig / Haratsch, Europarecht, Rn. 81; Hillgruber, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 15, 17 u. 20; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 84. 304 Hillgruber, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 15, 17.

E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung

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Es muss daher anhand der im Unionsvertrag vorkommenden Merkmale der EU herausgefunden werden, ob die EU eine internationale Organisation ist, der die Rechtspersönlichkeit implizit verliehen wurde. Da diese Merkmale unterschiedlich interpretiert werden, ist nach wie vor umstritten, ob die EU eine rechtsfähige internationale Organisation ist. a) Körperschaftliche Struktur der EU Als völkerrechtsfähige Organisation müsste die EU über eigene Organe verfügen, die zu eigener Willensbildung fähig sind.305 aa) Eigene Organe Unter Organen sind handlungsfähige Ausformungen eines Rechtsträgers zu verstehen, die in der Lage sind, einen eigenständigen Willen zu bilden.306 Ob die EU eigene Organe hat, ist umstritten. Als eigenes Organ kämen der Europäische Rat und die Organe der Gemeinschaft, soweit sie Aufgaben der EU wahrnehmen, in Betracht. (1) Europäischer Rat Nach wie vor ist umstritten, ob der Europäische Rat ein Organ der EU ist. Die Organqualität des Europäischen Rates wird zum Teil unter Hinweis auf die fehlende Rechtssubjektivität der EU geleugnet.307 Dies ist jedoch ein Zirkelschluss, da Voraussetzung für die Rechtssubjektivität ist, dass die EU eigene Organe besitzt.308 Zum Teil wird der Europäische Rat dahingehend beschrieben, dass es sich um eine Regierungskonferenz der Mitgliedstaaten handle.309 Hintergrund ist die Entstehungsgeschichte des Europäischen Rates. Denn der Europäische Rat ist aus informellen Gipfelkonferenzen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten hervorgegangen, die 1974 vereinbart hatten, sich künftig regelmäßig im Rahmen der sog. europäischen politischen Zusammenarbeit zu treffen.310 Durch Art. 2 EEA wurde der Europäische Rat vertraglich institutionalisiert.311 Dies zeige, dass die 305 Fischer / Köck, Das Recht der Internationalen Organisationen, 61; Schermers / Blokker, International Institutional Law, § 44. 306 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 22; Lecheler, in: Ipsen / Rengeling / Mössner / Weber, Verfassungsrecht im Wandel, 383, 392; Schermers / Blokker, International Institutional Law, § 44. 307 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 171. 308 Ress, EuR Beiheft 2 / 1995, 27, 30. 309 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 174. 310 Dann, in: v. Bogdandy / Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 335, 370; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 165. 311 Siehe dazu Nicolaysen, Europarecht I, § 6 I b; Stumpf, in: Schwarze, Art. 4 EUV, Rn. 2.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

Akte des Europäischen Rates Akte der Mitgliedstaaten wären. Demnach sei der Rat der Europäischen Union kein Organ der EU.312 In ähnliche Richtung weist die Qualifikation des Europäischen Rates als Vertragsorgan.313 Ein Vertragsorgan ist ein mit begrenzter Vertretungs- oder Entscheidungsbefugnis für die Mitgliedstaaten ausgestattetes Gremium, dessen Handeln den Mitgliedstaaten zugerechnet wird.314 Ein Vertragsorgan wirkt nicht an der Willensbildung einer selbstständigen neu geschaffenen Einheit mit, sondern handelt nur als völkerrechtlicher Vertreter der Mitgliedstaaten mit Entscheidungsbefugnis.315 Demzufolge seien alle „Akte des Europäischen Rates“ als Akte der Mitgliedstaaten anzusehen.316 Gegen diese Sichtweisen spricht jedoch die gleichberechtigte Mitgliedschaft des Kommissionspräsidenten im Europäischen Rat, der nicht zugleich ein Staats- oder Regierungschef eines Mitgliedstaates ist, sodass der Europäische Rat nicht bloß eine Regierungskonferenz sein kann.317 Aufgrund dessen ist der Europäische Rat als Impuls gebendes eigenes Organ der EU anzusehen.318 (2) Organe der EG gem. Art. 3 EU kann die EU die Organe der EG für sich verwenden.319 Die Organe der Gemeinschaft handeln als Unionsorgane, wenn sie aufgrund der Befugnisse in 312 Dann, in: v. Bogdandy / Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 335, 370; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 171; Hecker, Europäisches Strafrecht, Rn. 103; Hilf, in: Grabitz / Hilf, Art. 1 EUV, Rn. 34. 313 Hilf, in: Grabitz / Hilf, Art. 1 EUV, Rn. 34. 314 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 173. 315 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 172. 316 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 144; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 2. 317 Dashwood, CMLRev. 1998, 1019, 1031; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 22; Stumpf, in: Schwarze, Art. 4 EUV, Rn. 1 u. 6. 318 Annacker, Rechtsakt, 200; Blokker / Heukels, in: Heukels / Blokker / Brus, The European Union after Amsterdam, 9, 33; Dashwood, CMLRev. 1998, 1019, 1040; Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 45 f.; Griller, in: Schuppert / Pernice / Haltern, Europawissenschaft, 201, 216; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 22 f.; Hillgruber, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 15, 18; König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 258; Nicolaysen, Europarecht I, § 6 I b; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 389; Seidl-Hohenveldern / Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 119a. 319 Ob die Organe der EG identisch mit denen der EU sind (so Feik, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 9, 13; Ress, EuR Beiheft 2 / 1995, 36) oder ob man von einer Organleihe ausgeht (so Dörr, EuR 1995, 334, 337; König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 258; Ligeti, Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit, 59; Weißer, ZIS 2006, 562, 567) macht hier keinen Unterschied, da bei einer funktionellen Betrachtungsweise auch geliehene Organe für die EU handeln können. Maßgeblich ist allein, dass die EU durch Organe in der Lage ist, zu handeln und einen eigenen Willen zu artikulieren (so zutref-

E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung

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der GASP oder PJZS tätig werden.320 Dieser Befund wird von Art. 5 EU bestätigt, wonach die gemeinschaftlichen Organe ihre Befugnisse auch aus dem EU-Vertrag ableiten.321 Zudem erwähnt auch Art. 24 VI EU „die Organe der Union“. Es ist daher davon auszugehen, dass die EU durchaus über eigene Organe verfügt.322 Bestätigt wird dieses Ergebnis, wenn man sich das in Art. 35 VI EU verankerte Klagerecht eines jeden Mitgliedstaates gegen Sekundärrechtsakte vor Augen führt. Dies ist mit einem Modell, wonach die EU nur eine Koordinationsplattform für die Mitgliedstaaten ist, schwer zu erklären.323 Da Beschlüsse und Rahmenbeschlüsse gem. Art. 34 II 2 lit. b und c EU einstimmig zustande kommen, würde bei einer derartigen Betrachtungsweise der EU die auf Art. 35 VI EU gestützte Nichtigkeitsklage eines Mitgliedstaates gegen die anderen Mitgliedstaaten einschließlich des Klägers selbst gerichtet sein.324 Daher muss die Nichtigkeitsklage des Art. 35 VI EU gegen Organakte gerichtet sein, die der Union als einer von den Mitgliedstaaten verschiedenen Einheit zuzurechnen sind.325 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die EU über eigene handlungsfähige Organe verfügt. bb) Fähigkeit zu eigener Willensbildung Die EU müsste zu eigener Willensbildung fähig sein, um als Völkerrechtssubjekt qualifiziert zu werden. Die Tatsache, dass Beschlüsse in der EU überwiegend einstimmig erfolgen müssen, steht der Annahme einer eigenständigen Willensbildung nicht entgegen.326 Zwar erlaubt das Einstimmigkeitsprinzip es jedem Mitglied, ihm missliebige Entfend Blokker / Heukels, in: Heukels / Blokker / Brus, The European Union after Amsterdam, 9, 33; Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 46; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 24, Fn. 77; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 389; a. A. Stumpf, in: Schwarze, Art. 5 EUV, Rn. 6). 320 Annacker, Rechtsakt, 200 f.; Everling, in: LA Oppermann, 163, 181; Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 46; Ress, EuR Beiheft 2 / 1995, 27, 36; Seidl-Hohenveldern / Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 119 d. 321 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 24. 322 Annacker, Rechtsakt, 200; Dörr, EuR 1995, 334, 338; Blokker / Heukels, in: Heukels / Blokker / Brus, The European Union after Amsterdam, 9, 33; Dashwood, CMLRev. 1998, 1019, 1040; Feik, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 9, 10; Griller, in: Schuppert / Pernice / Haltern, Europawissenschaft, 201, 216 f.; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 24; Seidl-Hohenveldern / Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 119 d; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 389; de Witte, in: Heukels / Blokker / Brus, The European Union after Amsterdam, 51, 62. 323 Dörr / Mager, AöR 125 (2000) 386, 419. 324 Dörr / Mager, AöR 125 (2000) 386, 419. 325 Dörr / Mager, AöR 125 (2000) 386, 419. 326 Busse, Die völkerrechtliche Einordnung der Europäischen Union, 144; Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 47; Hillgruber, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 15, 23.

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scheidungen zu verhindern. Dies führt aber nur zu einer negativen Beeinflussung der Internationalen Organisation. Die Organisation unterliegt hingegen nicht allein dem Willen eines einzelnen Mitglieds, da immer auch die Zustimmung der anderen für konstruktive Entscheidungen nötig ist.327 Zudem sind einstimmig gefasste Beschlüsse auch nur einstimmig wieder aufhebbar. Ändert ein Mitglied seinen Willen, so ist es dennoch an den zuvor gefassten Beschluss gebunden. Damit ist eine Internationale Organisation auch zu eigener Willensbildung fähig, wenn sie nach dem Prinzip der Einstimmigkeit organisiert ist.328 Andernfalls müsste das Mehrheitsprinzip für Internationale Organisationen der Regelfall sein.329 Wären überwiegende Mehrheitsbeschlüsse eine notwendige Bedingung für die Einordnung eines Zusammenschlusses als Internationale Organisation, dann wären die Organisationen, die nach dem Prinzip der Einstimmigkeit organisiert wären, keine Völkerrechtssubjekte.330 Derartig hohe Anforderungen an die Willensbildungsfähigkeit einer internationalen Organisation werden aber im Völkerrecht nicht gestellt.331 Darüber hinaus zeigen die Flexibilitätsbestimmungen in Art. 23, 40 und 43 ff. EU, dass die Union eigenständige Interessen unabhängig von der Gesamtheit der Mitgliedstaaten verfolgen kann.332 Denn diese Vorschriften ermöglichen es den Mitgliedstaaten, sich von der Bindung an Maßnahmen im Bereich der GASP und PJZS freistellen zu lassen. Prägnant zeigt sich der Unterschied von Union und Mitgliedstaaten darin, dass Art. 23 EU die Möglichkeit einer konstruktiven Enthaltung vorsieht.333 Gem. Art. 23 I UA 1 S. 1 EU kann demnach ein Mitgliedstaat bei Stimmenthaltung eine förmliche Erklärung gem. Art. 23 I UA 1 S. 2 EU abgeben, wonach er nicht verpflichtet ist, einen Beschluss durchzuführen, jedoch die Bindung der Union akzeptiert. Dies zeigt, dass die Union eigenständig ihre Interessen verfolgen kann.334 Es bleibt somit festzuhalten, dass die EU einen eigenen Willen bilden kann, der nicht zwangsläufig dem aller ihrer Mitglieder entspricht.335

Busse, Die völkerrechtliche Einordnung der Europäischen Union, 144. Busse, Die völkerrechtliche Einordnung der Europäischen Union, 144 f. 329 Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 48; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 23. 330 Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 48. 331 Busse, Die völkerrechtliche Einordnung der Europäischen Union, 144; Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 48; Hillgruber, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 15, 23. 332 Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 47 f.; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 388; Wichard, in: Calliess / Ruffert, Art. 1 EGV, Rn. 10. 333 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 24; Hillgruber, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 15, 25; Wichard, in: Calliess / Ruffert, Art. 1 EGV, Rn 10. 334 Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 48; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 24; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 388; Wichard, in: Calliess / Ruffert, Art. 1 EGV, Rn. 10. 327 328

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b) Eigene Kompetenzen der EU Damit eine internationale Organisation rechtsfähig ist, müssen ihr im Gründungsvertrag eigene Kompetenzen zugewiesen sein, deren Ausübung die Fähigkeit zum Erwerb völkerrechtlicher Rechte und das Eingehen völkerrechtlicher Pflichten voraussetzt.336 Auch die Frage, ob die EU über eigene Kompetenzen verfügt, wird im Schrifttum nicht einheitlich beurteilt. aa) Kompetenzen nach innen gegenüber den Mitgliedstaaten Zum Teil wird die Völkerrechtsfähigkeit der EU mit der Begründung verneint, dass die EU nicht über eigene Kompetenzen verfüge.337 Die Beschlüsse der EU seien völkerrechtliche Verträge in Form von Regierungsabkommen.338 Daher handle es sich nicht um eigenständige Kompetenzwahrnehmung der EU, wenn diese Beschlüsse erlässt, sondern um Akte der Mitgliedstaaten.339 Die EU nehme keine eigenen Kompetenzen wahr, sondern die Institutionen der EU handelten für die Mitgliedstaaten selbst.340 Dies jedoch koordiniert durch die gemeinsame Plattform im Rahmen des Unionsvertrags.341 Die Zustimmung der Mitgliedstaaten im Rat sei somit nicht als Teil der internen Willensbildung im Rat als Organ der EU, sondern als Einigung der Mitgliedstaaten auf der Grundlage wechselseitiger Willenserklärungen anzusehen.342 Die Aufgabe der Union bestehe in der Koordinierung der Gemeinschaften und der Mitgliedstaaten in den Bereichen der GASP und PJZS, nicht jedoch in der eigenverantwortlichen Wahrnehmung von Aufgaben gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten.343 Gegen die Auffassung, dass die EU nur eine reine Kooperationsplattform für die Mitgliedstaaten sei, sprechen jedoch die folgenden Argumente: 335 Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 47; Hillgruber, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 15, 22; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 245; Seidl-Hohenveldern / Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 119a. 336 Annacker, Rechtsakt, 201; Blokker / Heukels, in: Heukels / Blokker / Brus, The European Union after Amsterdam, 9, 33; Dashwood, CMLRev. 1998, 1019, 1040; Lecheler, in: Ipsen / Rengeling / Mössner / Weber, Verfassungsrecht im Wandel, 383, 392. 337 Dörr, EuR 1995, 334, 340 f. (zur EU in der Fassung des Vertrags von Maastricht); Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 222, 245. 338 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 219 ff., die in der Vorauflage noch von einseitigen Selbstbindungserklärungen der Mitgliedstaaten ausgegangen sind, vgl. Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, 2. Aufl., Rn. 219 ff. 339 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 144, 216; ; Zöller, ZIS 2009, 340, 341. 340 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 144. 341 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 143. 342 So aber Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 85 f. 343 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 144; Pliakos, RTDE 1993, 187, 213.

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Erstens werden die Mitgliedstaaten und die EU im EU-Vertrag als unterschiedliche Handlungsträger erwähnt.344 Bereits im EU-Vertrag Maastrichter Fassung wurde zwischen der Union und den Mitgliedstaaten unterschieden. So verwirklichten „die Union und ihre Mitgliedstaaten“ eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gem. Art. J 1 EUV.345 Diese Formulierung wäre unverständlich, wenn die Union nur als ein Zusammenschluss der Mitgliedstaaten angesehen werden sollte.346 Durch den Amsterdamer Vertrag ist zudem Art. 11 I EU so geändert worden, dass nur noch die Union die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik verwirklicht. Die Mitgliedstaaten hingegen sind aus Art. 11 I EU gestrichen worden.347 Die Unterscheidung zwischen Mitgliedstaaten und Union ist damit aber nicht obsolet, da sie in Art. 11 II EU aufrechterhalten wird. Gem. Art. 11 II 1 EU unterstützen die Mitgliedstaaten die Außen- und Sicherheitspolitik der Union. Wenn man auf dem Standpunkt stünde, dass die Union nur eine Plattform für die Mitgliedstaaten, jedoch keine rechtsfähige internationale Organisation sei, dann wäre es überzeugender, wenn man die Union aus Art. 11 I EU gestrichen hätte, und nicht die Mitgliedstaaten.348 Die Änderungsgeschichte des Art. 11 I EU wird aufgrund dessen als ein Indiz dafür angesehen, dass die EU ein von den Mitgliedstaaten verschiedener, eigenständiger Handlungsträger ist und kein nichtorganisatorischer vertraglicher Zusammenschluss der Mitgliedstaaten zu gemeinsamem Handeln.349 Zweitens spricht auch Art. 5 EU dafür, dass die EU über eigene Kompetenzen verfügt.350 Denn gem. Art. 5 EU üben die Organe der Gemeinschaft ihre Befug344 Dörr, EuR 1995, 334, 336; Gautier, Max Planck UNYB 4 (2000) 331, 350; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 22 f.; Hillgruber, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 15, 21 f.; Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 343; Nicolaysen, Europarecht I, § 2 IV 3 a; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 390 weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten als im Rat vereinigte Vertreter der Mitgliedstaaten tagen würden, wenn der Europäische Rat nur eine Regierungskonferenz darstellen würde. Dem ist jedoch nur eingeschränkt zuzustimmen, da der Kommissionspräsident zwar Mitglied im Europäischen Rat ist, jedoch nicht auch bei den Tagungen der im Rat vereinigten Vertreter der Mitgliedstaaten beizuziehen ist. 345 Dashwood, CMLRev. 1998, 1019, 1040 meint, dass diese Aufgabe nur dann effektiv erfüllt werden könne, wenn die EU rechtsfähig ist. 346 Dörr, EuR 1995, 334, 336; vgl. Hafner, in: FS Seidl-Hohenveldern, 147, 171; Ress, EuR Beiheft 2 / 1995, 27, 28; so auch Hillgruber, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 15, 22 der diese Annahme jedoch nicht als zwingend ansieht. 347 Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 63. 348 Blokker / Heukels, in: Heukels / Blokker / Brus, The European Union after Amsterdam, 9, 33. 349 Hafner, in: FS Seidl-Hohenveldern, 147, 171; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 25; Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 343 f. 350 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 25; vgl. auch Nicolaysen, Europarecht I, § 2 IV 3 a.

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nisse einerseits nach Maßgabe des EG-Vertrags, andererseits nach Maßgabe des EU-Vertrags aus. EG-Vertrag und EU-Vertrag werden dadurch in ihrer Funktion als Handlungsermächtigungen gleichrangig nebeneinander gestellt.351 Unter Befugnis versteht man im Gemeinschaftsrecht die Möglichkeit der EG zu verbindlichem Handeln. Es ist nicht ersichtlich, dass der Begriff Befugnis in Art. 5 EU eine andere Bedeutung haben sollte.352 Bereits seit dem Vertrag von Maastricht hat die Union eigene Aufgaben, z. B. gem. Art. A Abs. 3 S. 2 EUV und eigene Ziele, z. B. Art. B EUV.353 Durch den Vertrag von Amsterdam hat die EU ihre Aufgaben nicht wieder verloren. Denn auch nach Amsterdam enthält der EU-Vertrag Kompetenzzuweisungen an die Union.354 So ist die Union dafür zuständig, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gem. Art. 11 EU zu erarbeiten und zu verwirklichen.355 Dazu stehen ihr spezifische Handlungsinstrumente gem. Art. 12 und 13 EU zur Verfügung.356 Die Mitgliedstaaten sind gem. Art. 14 III EU an Gemeinsame Aktionen der EU und an Rahmenbeschlüsse und Beschlüsse gem. Art. 34 II EU rechtlich gebunden. Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten gem. Art. 19 bzw. 20 EU zu koordiniertem Auftreten auf internationalen Konferenzen und auf diplomatischer Ebene verpflichtet. Im Hinblick auf diese Bindungen kann man davon sprechen, dass ein Zuständigkeitswechsel von den Mitgliedstaaten auf die Union stattgefunden hat.357 In diesen Bereichen nimmt die EU somit eigene Kompetenzen wahr.358 Auch Art. 2 EU setzt die eigenverantwortliche Wahrnehmung der Kompetenzen durch die EU voraus.359 Denn Art. 2 EU ordnet die Geltung des SubsidiaritätsprinHatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 25. Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 25. 353 Dörr, EuR 1995, 334, 337; Ress, EuR Beiheft 2 / 1995, 27, 28. 354 Annacker, Rechtsakt, 202; Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 46; Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 343; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 386. 355 Nicolaysen, Europarecht I, § 2 IV 3 a; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 386. 356 Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 46; Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 343; Nicolaysen, Europarecht I, § 2 IV 3 a; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 388. 357 Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 47, der betont, dass eine Ersetzung der Kompetenzen der Mitgliedstaaten gerade nicht erforderlich sei; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 387. 358 Annacker, Rechtsakt, 202; v. Bogdandy, in: Blokker / Schermers, Proliferation of International Organizations, 177, 185; Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 46; Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 343; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 246; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 387; Wichard, in: Calliess / Ruffert, Art. 1 EGV, Rn. 11. 359 Annacker, Rechtsakt, 203; Blokker / Heukels, in: Heukels / Blokker / Brus, The European Union after Amsterdam, 9, 33. 351 352

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zips für die EU an. Die Geltung des Subsidiaritätsprinzips setzt jedoch voraus, dass die EU über Kompetenzen verfügt, die gemäß diesem Grundsatz ausgeübt werden müssen.360 Andernfalls wäre vor allem der Verweis von Art. 2 EU auf Art. 5 EG, der die Art und Weise der Befugnisausübung regelt, schwer zu erklären.361 Dies alles spricht dafür, dass die EU über eigene Kompetenzen im Innenverhältnis zu den Mitgliedstaaten verfügt.362 bb) Kompetenzen im Außenverhältnis zu Drittstaaten Der Streit darum, ob die EU gegenüber den Mitgliedstaaten ein Völkerrechtssubjekt ist, wäre zugunsten der Annahme der Rechtspersönlichkeit zu entscheiden, wenn die EU jedenfalls gegenüber Drittstaaten Völkerrechtspersönlichkeit besitzt. Könnte die EU in ihrem eigenen Namen völkerrechtliche Verträge abschließen, so würde dies ihre Rechtsfähigkeit implizieren. Der EU-Vertrag äußert sich aber in dieser Hinsicht nicht eindeutig. Es ist daher auch umstritten, ob die EU Drittstaaten gegenüber als eigenständiges Völkerrechtssubjekt auftreten kann. (1) Uneindeutigkeit des Art. 24 EU Seit dem Vertrag von Amsterdam hat der Rat gemäß Art. 24 I 2 EU und Art. 38 EU die Befugnis, Übereinkünfte mit internationalen Organisationen oder Drittstaaten in den Bereichen der GASP und PJZS abzuschließen.363 Es bleibt aber in der Schwebe für wen der Rat handelt: für die EU oder die Mitgliedstaaten.364 Man könnte daher einerseits Art. 24 I 2 EU nur als verkürzte Formulierung für den Abschluss eines Bündels von Verträgen der Mitgliedstaaten selbst, vertreten durch den Rat, verstehen.365 Andererseits wäre aber auch eine weitere Lesart von Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 25. Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 25. 362 v. Bogdandy, in: Blokker / Schermers, Proliferation of International Organizations, 177, 185; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 25; Hillgruber, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 15, 26; vgl auch Nicolaysen, Europarecht I, § 2 IV 3 a. 363 Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 246; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 387. 364 Cremona, in: Dashwood / Maresceau, Law and Practice of EU External Relations, 34, 37; Dashwood, CMLRev. 1998, 1019, 1040; Gautier, Max Planck UNYB 4 (2000) 331, 351; Hafner, in: FS Seidl-Hohenveldern, 147, 170; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 64 f.; Koutrakos, EU International Relations Law, 409. 365 Cremer, in: Callies / Ruffert, Art. 24 EUV, Rn. 11; Hilf, in: Grabitz / Hilf, Art. 1 EUV, Rn. 36; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 83; Regelsberger / Kugelmann, in: Streinz, Art. 24 EUV, Rn. 2; Vedder, EuR-Beiheft 3 / 2007, 57, 75. Dieser Ansicht hat sich auch das Europäische Parlament angeschlossen, vgl. Europäisches Parlament, Bericht über die Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union (2001 / 2021(INI)) v. 21.11.2001, Ausschuss 360 361

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Art. 24 I 2 EU möglich, wonach die EU selbst völkerrechtliche Verträge abschließen kann.366 Letzteres würde die Rechtspersönlichkeit der EU implizieren.367 (a) Erklärung Nr. 4 zur Schlussakte des Vertrags von Amsterdam Zur Begründung einer bloßen Verpflichtung der Mitgliedstaaten wird oft auf die Erklärung Nr. 4 zur Schlussakte des Vertrags von Amsterdam368 verwiesen.369 In dieser Erklärung wird ausgeführt, dass Art. 24 und 38 EU sowie Übereinkünfte aufgrund dieser Artikel keine Übertragung der Zuständigkeiten von Mitgliedstaaten auf die Europäische Union bedeuten. Daraus wird im Schrifttum zum Teil auf den Willen der Mitgliedstaaten geschlossen, der EU die Rechtssubjektivität zu verweigern.370 Wenn der Rat nur als Vertreter der Mitgliedstaaten handle, so sei es keine Kompetenz der EU, völkerrechtliche Verträge abzuschließen, sondern eine Kompetenz der Mitgliedstaaten. Die Konsequenz aus dieser Auffassung wäre, die so abgeschlossenen Verträge nicht der EU, sondern den Mitgliedstaaten zuzurechnen.371 Plausibler ist es jedoch, die Erklärung Nr. 4 so zu interpretieren, dass sie eine Beschränkung der Zuständigkeit der EU auf Agenden der zweiten und dritten Säule beinhaltet.372 Damit ist die Befugnis des Rates zum Vertragsschluss mit Drittstaaten für konstitutionelle Fragen, Berichterstatter Carlos Carnero González, A5-0409 / 2001 FINAL, PE 304.279, 9. 366 Griller, EuR-Beiheft 1 / 1999, 45, 52; Hafner, in: FS Seidl-Hohenveldern, 147, 170 ff.; Nicolaysen, Europarecht I, § 2 IV 3 b; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 387; Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam, 14, Fn. 4. 367 Hafner, in: FS Seidl-Hohenveldern, 147, 170; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 65; Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 340 ff.; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 386 ff.; Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam, 14, Fn. 4. 368 4. Erklärung zu den Artikeln J.14 und K.10 des Vertrages über die Europäische Union, ABl. Nr. C 340 v. 10.11.1997, 131. 369 Hilf, in: Grabitz / Hilf, Art. 1 EUV, Rn. 36; Pechstein, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 31, 33; Pechstein, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, Diskussionsbeitrag zu Pechstein, Beschlüsse im Rahmen der GASP und deutsches Verfassungsrecht, 50; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 83; Streinz, EuZW 1998, 137, 141; Vedder, EuR-Beiheft 3 / 2007, 57, 75. 370 Hilf, in: Grabitz / Hilf, Art. 1 EUV, Rn. 36; Koenig / Haratsch, Europarecht, Rn. 80; Pechstein, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, Diskussionsbeitrag zu Pechstein, Beschlüsse im Rahmen der GASP und deutsches Verfassungsrecht, 50; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 83, Streinz, EuZW 1998, 137, 141. 371 Cremer, in: Callies / Ruffert, 2. Aufl., 2002, Art. 24 EUV, Rn. 11; Hilf, in: Grabitz / Hilf, Art. 1 EUV, Rn. 36; Koenig / Haratsch, Europarecht, Rn. 80; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 83; Pechstein, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 31, 33; Vedder, EuR-Beiheft 3 / 2007, 57, 75. 372 v. Bogdandy, in: Blokker / Schermers, Proliferation of International Organizations, 177, 185; Gautier, Max Planck UNYB 4 (2000) 331, 354; Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 53; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 27; Marquardt, in: Kronenber-

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

keine Übertragung einer neuen Kompetenz an die EU, sondern eine Verfahrensvorschrift betreffend den Abschluss und die Wirkung völkerrechtlicher Verträge auf dem Gebiet bereits bestehender Kompetenzen der EU.373 Die materiellen Kompetenzen zum Vertragsschluss ergeben sich implizit bereits aus den vor dem Vertrag von Amsterdam existierenden Sachvorschriften des EU-Vertrags über die GASP, deren „Durchführung“ Art. 24 EU dient.374 Insofern wird jede über den Anwendungsbereich der zweiten und dritten Säule hinausgehende Kompetenzübertragung in Drittlandsangelegenheiten ausgeschlossen.375 Die Erklärung Nr. 4 zur Schlussakte des Vertrags von Amsterdam bestätigt daher bloß das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Sie steht der Annahme der Völkerrechtssubjektivität der EU nicht entgegen.376 (b) Parallele von Art. 24 VI EU zu Art. 300 VII EG Zur Begründung dafür, dass die EU ein Völkerrechtssubjekt sei, wird in der Literatur auch der durch den Vertrag von Nizza neu eingefügte Art. 24 VI EU angeführt. Dieser bestimmt, dass die Übereinkünfte gem. Art. 24 EU die Organe der Union binden.377 Ähnliches bestimmt auch Art. 300 VII EG für die nach Art. 300 EG geschlossenen Abkommen. Im Hinblick auf diese Parallele wird Art. 24 EU so interpretiert, dass er die völkerrechtliche Bindung der EU als solcher unterstreiche.378 ger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 347; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 388; Wichard, in: Calliess / Ruffert, Art. 1 EGV, Rn. 12. 373 Gautier, Max Planck UNYB 4 (2000) 331, 354; Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 347; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 388; Wichard, in: Calliess / Ruffert, Art. 1 EGV, Rn. 12. 374 Blokker / Heukels, in: Heukels / Blokker / Brus, The European Union after Amsterdam, 9, 34; Gautier, Max Planck UNYB 4 (2000) 331, 352; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 27; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 388. 375 Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 53; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 27; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 388. 376 v. Bogdandy, in: Blokker / Schermers, Proliferation of International Organizations, 177, 185; Gautier, Max Planck UNYB 4 (2000) 331, 354; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 27; Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 346 f.; Wichard, in: Calliess / Ruffert, Art. 1 EGV, Rn. 12. 377 Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 387; Wichard, in: Calliess / Ruffert, Art. 1 EGV, Rn. 12. 378 Cremer, in: Calliess / Ruffert, Art. 24 EUV, Rn. 7; Gautier, Max Planck UNYB 4 (2000) 331, 352; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 66; Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 346; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 387; a. A. Vedder, EuR-Beiheft 3 / 2007, 57, 75.

E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung

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Eine an Art. 300 EG angelehnte Interpretation des Art. 24 EU, wonach das Unionsorgan Rat (Art. 5 EU) für das Völkerrechtssubjekt EU eigene Verträge abschließen könne, sei deshalb überzeugender als die Annahme, dass der Rat als Vertreter der Mitgliedstaaten handle.379 Andererseits ist aber zu bedenken, dass die Mitgliedstaaten schon bisher in der Lage waren, Verpflichtungen für die Organe der EU zu schaffen, indem sie untereinander einen Vertrag schlossen.380 Gleiches kann auch geschehen, wenn alle Mitgliedstaaten untereinander und mit Drittstaaten einen Vertrag schließen, mit dem sie zugleich Aufgaben auf die EU übertragen.381 Wenn ein völkerrechtliches Abkommen explizit Verpflichtungen für die EU-Organe enthält, bedeutet das nicht notwendigerweise, dass dieses Abkommen auch im Namen der EU geschlossen wurde.382 (c) Uneindeutigkeit des Art. 24 V EU Uneindeutig im Hinblick auf die Völkerrechtssubjektivität ist auch Art. 24 V EU: Art. 24 I S. 3 EU Amsterdamer Fassung ist durch den Vertrag von Nizza in den neu geschaffenen Art. 24 V EU überstellt worden. Allerdings wurde der Wortlaut leicht modifiziert. Nach Art. 24 V Hs. 1 EU ist ein Mitgliedstaat, dessen Vertreter im Rat erklärt, dass in seinem Land bestimmte verfassungsrechtliche Vorschriften eingehalten werden müssen, durch eine solche Übereinkunft nach Art. 24 EU nicht gebunden. Aus dem früheren Art. 24 I 3 EU Amsterdamer Fassung sind aber im Art. 24 V Hs. 2 EU zwei Wörter gestrichen und eines neu hinzugefügt worden. Früher lautete Art. 24 I 3 EU, dass die anderen Mitgliedstaaten übereinkommen können, dass die Übereinkunft für sie vorläufig gilt. Heute können die Mitgliedstaaten übereinkommen, dass die Übereinkunft dennoch vorläufig gilt. Der Wegfall der Worte „für sie“ könnte darauf hindeuten, dass als Vertragsparteien nicht die Mitgliedstaaten erfasst sind, sondern nur die Union als solche.383 Andererseits spricht gegen diese Sichtweise, dass der explizite Ausschluss einer Bindung des Mitgliedstaates gem. Art. 24 V Hs. 1 EU nur dann Sinn macht, wenn die grundsätzliche Bindung des Mitgliedstaates an die völkerrechtlichen Überein379 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 26; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 66; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 387; Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 340 ff.; Wichard, in: Calliess / Ruffert, Art. 1 EGV, Rn. 12 ff.; a. A. Hilf, in: Grabitz / Hilf, Art. 1 EUV, Rn. 34. 380 Neuwahl, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 3, 19. 381 Neuwahl, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 3, 19. 382 Neuwahl, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 3, 19. 383 Cremer, in: Calliess / Ruffert, Art. 24 EUV, Rn. 7; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 66.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

kommen angenommen wird.384 Dass diese Bindung keine unionsinterne Bindung, sondern eine völkervertragliche Bindung sein muss, wird daran deutlich, dass der ausscherende Mitgliedstaat sich wegen der Einhaltung bestimmter verfassungsrechtlicher Vorschriften nicht binden möchte. Die englische Fassung des EU-Vertrags spricht von „requirements of its own constitutional procedure“. Damit wird klar, dass mit verfassungsrechtlichen Vorschriften, die innerstaatlichen Vorschriften zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge gemeint sind.385 Dies macht für manche Vertreter im Schrifttum nur Sinn, wenn die Mitgliedstaaten als Vertragsparteien des völkerrechtlichen Vertrags zu begreifen wären.386 Andererseits spricht die französische Fassung von „les règles constitutionelles“. Dies könne auch so verstanden werden, dass nicht Verfahrensvorschriften zur Einbeziehung völkerrechtlicher Verträge angesprochen werden sollten, sondern vielmehr substantielle, sensible verfassungsrechtliche Fragen damit gemeint sind.387 Auch an Art. 24 V EU wird die Trennung zwischen EU und Mitgliedstaat deutlich. Denn Art. 24 V EU nimmt auf bestimmte verfassungsrechtliche Vorschriften der Mitgliedstaaten Rücksicht. Dadurch kommt zum Ausdruck, dass zwischen dem Verfahren eines Vertragsabschlusses der EU und dem eines Mitgliedstaates ein Unterschied besteht.388 Dies indiziert, dass Art. 24 EU den Vertragsabschluss der EU regelt und zugleich die Bindung der Mitgliedstaaten als Mitglieder der Union an diesen Vertragsinhalt ausspricht.389 Gerade wegen dieser Bindung eines Mitgliedstaates an Vertragsinhalte, die er nicht selbst als Staat abgeschlossen hat, ist die Rücksichtnahme auf seine verfassungsrechtlichen Vorschriften in Art. 24 V EU als Ausdruck der Rücksichtnahme der EU gegenüber dem Mitgliedstaat von Bedeutung.390 Damit spreche auch Art. 24 EU für eine Vertragsschlusskompetenz der EU als internationale Organisation.391 384 Cremer, in: Calliess / Ruffert, Art. 24 EUV, Rn. 8; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 68; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 83. 385 Cremer, in: Calliess / Ruffert, Art. 24 EUV, Rn. 8 weist zudem darauf hin, dass verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die europarechtliche Evolutivklausel hier nicht einschlägig sein können, da sich der Vertragsabschluss nur auf bereits bestehende Zuständigkeiten im EU-Vertrag erstreckt und somit durch den völkerrechtlichen Vertragsschluss keine Veränderung der Kompetenzstruktur eintritt. 386 Cremer, in: Calliess / Ruffert, Art. 24 EUV, Rn. 11; Gautier, Max Planck UNYB 4 (2000) 331, 353; Neuwahl, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 3, 19; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 83. 387 So auch Gautier, Max Planck UNYB 4 (2000) 331, 353 f. 388 Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 344 f. 389 Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 344 f. 390 Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 344. 391 Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 344 f.

E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung

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(2) Vertragsgenese Zum Teil wird die Rechtssubjektivität der EU unter Verweis auf einen entgegenstehenden mitgliedstaatlichen Willen verneint.392 Aus der Entstehungs- und Änderungsgeschichte des EU-Vertrags ergebe sich, dass die Mitgliedstaaten nicht bereit waren, der EU die Rechtspersönlichkeit zu verleihen.393 Daher könne diese auch nicht in die Vorschriften des EU-Vertrags hineingelesen werden.394 Zur Verneinung der Rechtssubjektivität wird zunächst auf die Entstehungsgeschichte des Amsterdamer Vertrags verwiesen.395 Im Vorfeld der Verhandlungen zum Vertrag von Amsterdam haben sowohl einige Mitgliedstaaten396, das Parla392 Hilf, in: Grabitz / Hilf, Art. 1 EUV, Rn. 35; Hillgruber, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 15, 31 ff.; Koenig / Haratsch, Europarecht, Rn. 82; König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 255; McGoldrick, International Relations Law of the European Union, 37 f.; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 65; Pechstein, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 31, 32; Streinz, EuZW 1998, 137, 140. 393 Europäisches Parlament, Bericht über den Vertrag von Amsterdam (1997 / 2237 (COS)) v. 6.11.1997, Institutioneller Ausschuss, Ko-Berichterstatter Iñigo Mendez de Vigo und Dimitris Tsatsos, A4-0347 / 1997, PE 223.314 / endg., Rn. 161; Hilf, in: Grabitz / Hilf, Art. 1 EUV, Rn. 35; Hillgruber, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 15, 31 ff.; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 69 f.; Koenig / Haratsch, Europarecht, Rn. 82; König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 255 f.; McGoldrick, International Relations Law of the European Union, 37 (für die EU in der Fassung des Vertrages von Maastricht); Neuwahl, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 3, 15 ff.; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 65; Pechstein, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 31, 32; Streinz, EuZW 1998, 137, 141; a. A. Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 52, der davon ausgeht, dass die Rechtspersönlichkeit der EU bereits seit ihrer Gründung bestehe und somit nicht durch nachträgliche Diskussionen beseitigt werden könne. 394 Koenig / Haratsch, Europarecht, Rn. 82; Hillgruber, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 15, 34; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 65. 395 Hilf, in: Grabitz / Hilf, Art. 1 EUV, Rn. 35; Hillgruber, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 15, 32 ff.; König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 255 f.; McGoldrick, International Relations Law of the European Union, 37 f.; Neuwahl, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 3, 15 ff.; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 65; Pechstein, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 31, 32. 396 Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Position Belgiens (Aufzeichnung für das Belgische Parlament über die Politik der Regierung im Hinblick auf die Regierungskonferenz im Jahr 1996), 23; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Position Spaniens (Beitrag zu einem spanischen Standpunkt auf der Regierungskonferenz von 1996 v. 28.3.1996), 89; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Position Italiens (Position der italienischen Regierung v. 18.3.1996 zur Regierungskonferenz über die Revision der Verträge), 112; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Position Österreichs (Grundsatzpositionen Österreichs zur Regierungskonferenz – Dokument der österreichischen Regierung v. 26.3.1996), 148; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Position Portugals (Portugal und die Regierungskonferenz zur Revision des Vertrags über die Europäische Union – Dokument des Außenministeriums vom März 1996), 155.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

ment397 und die Kommission398 gefordert, die Völkerrechtsfähigkeit der Union ausdrücklich im EU-Vertrag zu verankern. Die Reflexionsgruppe, die eingesetzt wurde, um die Regierungskonferenz von 1996 vorzubereiten399, berichtete, dass die Mehrheit der Mitglieder dieser Gruppe es befürworten würde, der EU internationale Rechtspersönlichkeit zu verleihen.400 Es konnte aber dahingehend keine Einigkeit erzielt werden, da andere Mitglieder der Reflexionsgruppe befürchteten, dass sich durch die explizite Verankerung der Rechtspersönlichkeit der EU im Vertrag Unklarheiten in Bezug auf die Hoheitsrechte der Mitgliedstaaten ergeben könnten.401 Der von der irischen Ratspräsidentschaft vorgelegte Vertragsentwurf402 zur Änderung des Vertrags von Maastricht sah sowohl die ausdrückliche Anerkennung der Rechtspersönlichkeit für die EU vor, als auch die explizite Einräumung von Vertragsschlusskompetenzen. In der Endfassung des Vertrags von Amsterdam ist davon aber nur die neue Vertragsschlusskompetenz in Art. 24 I 2 EU geblieben. Der systematische Kontext einer ausdrücklich bestehenden Rechtssubjektivität fehlt nun. Im Schrifttum wird daraus geschlossen, dass die Mitgliedstaaten sich nicht darauf einigen konnten, der EU Rechtsfähigkeit zu verleihen.403 Die Vorschläge einiger Mitgliedstaaten, den Organen, der Reflexionsgruppe sowie der irischen Präsidentschaft werden so verstanden, dass diese ebenfalls davon ausgingen, dass der EU in der Fassung des Maastrichter Vertrags bis dato noch keine Rechtssubjektivität zukomme.404 397 Europäisches Parlament, Entschließung zur Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union im Hinblick auf die Regierungskonferenz 1996 – Verwirklichung und Entwicklung der Union, A4-0102 / 95, ABl. Nr. C 151 v. 19.6.1995, 56 ff., Rn. 14 ii; Europäisches Parlament, Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zur Einberufung der Regierungskonferenz, Protokoll v. 13.3.1996, A4-0068 / 96, PE 216.237 / end, Rn. 18.2; bestätigt in Europäisches Parlament, Bericht über den Vertrag von Amsterdam (1997 / 2237 (COS)) v. 6.11.1997, Institutioneller Ausschuss, Ko-Berichterstatter Iñigo Mendez de Vigo und Dimitris Tsatsos, A4-0347 / 1997, PE 223.314 / endg., Rn. 144. 398 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Stellungnahme: „Stärkung der politischen Union und Vorbereitung der Erweiterung“ v. 28.2.1996, KOM / 96 / 0090end, Rn. 20. 399 Europäischer Rat, Tagung am 24. / 25. Juni 1994 in Korfu, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Abschn. IV. 400 Bericht der Reflexionsgruppe v. 5.12.1995, SN 520 / 1 / 95 REV 1 (Reflex 21), 40. 401 Bericht der Reflexionsgruppe v. 5.12.1995, SN 520 / 1 / 95 REV 1 (Reflex 21), 40. 402 Vorschlag der irischen Präsidentschaft, „The European Union Today and Tomorrow“, CONF 2500 / 96, v. 5.12.1996, Teil A, Abschn. III, Kap. 13. 403 Hilf, in: Grabitz / Hilf, Art. 1 EUV, Rn. 35; Hillgruber, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 15, 34; Koenig / Haratsch, Europarecht, Rn. 82; König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 255 f.; Neuwahl, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 3, 15 ff.; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 65; Pechstein, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 31, 32; ebenso Europäisches Parlament, Bericht über den Vertrag von Amsterdam (1997 / 2237 (COS)) v. 6.11.1997, Institutioneller Ausschuss, Ko-Berichterstatter Iñigo Mendez de Vigo und Dimitris Tsatsos, A4-0347 / 1997, PE 223.314 / endg., Rn. 161. 404 McGoldrick, International Relations Law of the European Union, 38; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 65; Pechstein, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 31, 32.

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Dem kann allerdings nicht uneingeschränkt zugestimmt werden, da nach Ansicht der irischen Präsidentschaft die ersten zwei Absätze des vorgeschlagenen Artikels, und damit auch der 1. Absatz, in dem explizit die Verankerung der Rechtspersönlichkeit der EU vorgeschlagen war, als entbehrlich angesehen wurden. Demnach stand auch zur Debatte, der EU implizit die Rechtsfähigkeit basierend auf den Vorschriften über den Abschluss völkerrechtlicher Verträge zu verleihen.405 Solche Vorschriften über den Abschluss völkerrechtlicher Verträge wurden aber in den EUVertrag aufgenommen.406 Die Debatten um die Rechtsfähigkeit der EU flammten wieder auf, als eine Verfassung für Europa erarbeitet werden sollte. In Art. I-7 Vertrag über eine Verfassung für Europa407 war vorgesehen, die Rechtspersönlichkeit der EU explizit zu verankern. Daran wurde auch im Vertrag von Lissabon festgehalten.408 Daraus wird im Schrifttum gefolgert, dass es vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gerade nicht dem Willen der Mitgliedstaaten entsprach, der EU die Völkerrechtsfähigkeit zu verleihen.409 Allerdings bleibt auch zu bedenken, dass der Vertrag über eine Verfassung für Europa aus einer Vielzahl von Gründen scheiterte und nicht allein die Frage der Rechtspersönlichkeit dazu führte, dass die Verfassung letztlich nicht von allen Mitgliedstaaten ratifiziert wurde. Gleiches gilt für die verzögerte Verabschiedung des Vertrags von Lissabon. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass sich aus der Vertragsgenese auf den ersten Blick Anhaltspunkte gegen die Einigung der Mitgliedstaaten, der Union Rechtspersönlichkeit zu verleihen, ergeben. Es wurde aber auch die Verneinung der Rechtsfähigkeit der EU nicht im Vertrag festgehalten.410 Deshalb könnte sich auf den zweiten Blick die Uneinigkeit der Mitgliedstaaten auch nur darauf beschränkt haben, die Rechtspersönlichkeit der EU nicht ausdrücklich festzulegen. Daher kann aus der Vertragsgenese nicht eindeutig darauf geschlossen werden, dass durch den Amsterdamer Vertrags eine implizite Verleihung der Rechtspersönlichkeit nicht erfolgt sei.411 Zudem ist fraglich, ob man allein mit dem historischen Willen einiger der vertragsschließenden Mitgliedstaaten die Rechtssubjektivität der EU verneinen kann.412 405 Vorschlag der Irischen Präsidentschaft, „The European Union Today and Tomorrow“, CONF 2500 / 96 CAB, v. 20. 5. 12.1996, Teil 1, Abschn. III, Kap. 13. 406 s. o. 2. Teil: E.I.1.b)bb). 407 Vertrag über eine Verfassung für Europa, ABl. Nr. C 310 v. 16.12.2004, 1 ff. 408 Vertrag von Lissabon, ABl. Nr. C 306 v. 17.12.2007, 1 ff., Rn. 55 bzw. Art. 47 der konsolidierten Fassung des Vertrags über die Europäische Union, ABl. Nr. C 115 v. 9.5.2008, 13 ff. 409 Koenig / Haratsch, Europarecht, Rn. 82; vgl. Neuwahl, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 3, 16. 410 Nicolaysen, Europarecht I, § 2 IV 3 b. 411 So auch Nicolaysen, Europarecht I, § 2 IV 3 b.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

Der Widerspruch, dass die Mitgliedstaaten sich einerseits nicht auf eine explizite Verankerung der Rechtsfähigkeit im EU-Vertrag einigen konnten, andererseits aber Vorschriften in den EU-Vertrag aufnehmen, die – wie soeben gezeigt – die Rechtsfähigkeit nach innen voraussetzen, lässt sich auf drei Arten auflösen: Erstens könnte man es als eine Auslegungsfrage auffassen, ob der mitgliedstaatliche Wille überhaupt berücksichtigt werden darf. Zweitens könnte man annehmen, dass man aus politischen Gründen die rechtlich vorausgesetzte Rechtspersönlichkeit nicht explizit in den EU-Vertrag aufnehmen wollte. Drittens kann man heute die Rechtspersönlichkeit der EU aus der nachfolgenden Staatenpraxis entnehmen. (a) Interpretationsproblem Zum Teil wird der Widerspruch zwischen mitgliedstaatlichen Willen und den Regelungen im EU-Vertrag als Interpretationsproblem angesehen.413 Nach Art. 31 I des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge414 (WVK)415 ist ein völkerrechtlicher Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. Die traveaux préparatoires sind hingegen gem. Art. 32 WVK nur als ergänzende Auslegungsmittel heranzuziehen, um entweder die gem. Art. 31 I WVK ermittelte Bedeutung einer Vorschrift zu bestätigen oder die Bedeutung zu bestimmen, wenn die Auslegung nach Art. 31 WVK nicht eindeutig ist oder zu einem sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt. Wenn der Vertragstext hinreichend klar ist, brauchen die vorbereitenden Arbeiten für die Auslegung des Vertrags nicht herangezogen werden.416 Dem subjektiven Element kommt daher bei der Auslegung von völker412 Bernhardt, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, Diskussionsbeitrag zu Pechstein, Beschlüsse im Rahmen der GASP und deutsches Verfassungsrecht, 47; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 21; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 386. 413 Blokker / Heukels, in: Heukels / Blokker / Brus, The European Union after Amsterdam, 9, 36 f.; Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 344. 414 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge v. 23.5.1969, UNTS Vol. 1155, 331; BGBl. 1985 II, 927. 415 Wenn man berücksichtigt, dass nicht alle Mitgliedstaaten der EU Partei der WVK sind, so müsste von der gewohnheitsrechtlichen Geltung der Regel ausgegangen werden, dass die traveaux préparatoires nur unterstützend zur Vertragsauslegung herangezogen werden können, wenn der Text und Ziel und Zweck des Vertrags keine eindeutige Interpretation zulassen. Dieses Vorgehen wurde schon vor der Verabschiedung der WVK durch Spruchpraxis des IGH bestätigt, vgl. IGH, Advisory Opinion, ICJ-Rep. 1950, 8 (Competence of the Gerenal Assembly for the Admission of a State to the UN); IGH, Advisory Opinion, ICJ-Rep. 1948, 63 (Admission of a State to the UN); ILC Draft Articles on the Law of Treaties, Doc. A / 6309 / Rev. 1, Report of the ILC on the work of its eighteenth session, 4 May – 19 July 1966, YBILC 1966, Vol. II, 177 ff., Rn. 18. 416 Schermers / Blokker, International Institutional Law, § 1348 m. w. N.

E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung

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rechtlichen Verträgen nur eine untergeordnete Rolle zu.417 Diese Reihenfolge der Auslegungsmethoden ist gerade für Internationale Organisationen bedeutsam, da sich Ziel und Zweck des Gründungsvertrags einer Internationalen Organisation angesichts der Teilnahme der Internationalen Organisation am Völkerrechtsverkehr in einer sich schnell ändernden Welt den geänderten Umständen dynamisch anpassen kann.418 Wenn man der Auffassung folgt, dass sich aus System und Zweck des EU-Vertrags bereits eindeutig ergibt, dass die EU zur Erfüllung der ihr zugeschriebenen Aufgaben völkerrechtlich handlungsfähig ist, dann kann auf die Entstehungsgeschichte des Amsterdamer Vertrags zur Begründung des Gegenteils nicht zurückgegriffen werden.419 Doch selbst wenn man davon ausgeht, dass der EU-Vertrag nicht eindeutig den Schluss auf die Rechtspersönlichkeit der EU zulässt, kann mit den folgenden Überlegungen die Rechtspersönlichkeit der EU bejaht werden. (b) Nur keine deklaratorische Verankerung der Rechtsfähigkeit im EU-Vertrag Man könnte die Debatten um die Rechtsfähigkeit der Union auch so verstehen, dass es schlussendlich gar nicht mehr darum ging, der Union die Rechtsfähigkeit überhaupt zu verweigern, sondern nur darum, die Rechtsfähigkeit nicht ausdrücklich in den EU-Vertrag aufzunehmen.420 Diese Entscheidung bedeutet aber nicht, dass eine implizite Anerkennung der Rechtspersönlichkeit der EU ein für allemal ausschiede.421 So geht beispielsweise die Bundesregierung in ihrem Entwurf des Zustimmungsgesetzes zum Vertrag von Amsterdam422 davon aus, dass der EU bestimmte Hoheitsrechte übertragen werden sollen, weil sie im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen Rahmenbeschlüsse erlassen 417 Gautier, Max Planck UNYB 4 (2000) 331, 335 f.; Heckötter, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des EGMR für die deutschen Gerichte, 121; zur untergeordneten Bedeutung der subjektiv historischen Auslegung vgl. Wendel, ZaöRV 68 (2008) 803, 809 f.; kritisch für das Gemeinschaftsrecht Leisner, EuR 2007, 689, 702 f. 418 Blokker / Heukels, in: Heukels / Blokker / Brus, The European Union after Amsterdam, 9, 36 f.; Schermers / Blokker, International Institutional Law, § 1347. 419 Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 52 bejaht die Rechtspersönlichkeit der EU schon unter dem Vertrag von Maastricht, sodass die Weigerung einzelner Mitgliedstaaten bei den Verhandlungen zum Vertrag von Amsterdam diese Rechtspersönlichkeit nicht wieder beseitigen kann; Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 344. 420 Blokker / Heukels, in: Heukels / Blokker / Brus, The European Union after Amsterdam, 9, 37; Marquardt, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 333, 337; Nicolaysen, Europarecht I, § 2 IV 3 b. 421 Blokker / Heukels, in: Heukels / Blokker / Brus, The European Union after Amsterdam, 9, 37; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 80; Nicolaysen, Europarecht I, § 2 IV 3 b. 422 Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Vertrag von Amsterdam, BT-Drs. 13 / 9339 v. 2.10.1997, 6.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

kann. Die Ausübung von Hoheitsrechten setzt aber voraus, dass die EU Rechtsträger dieser Hoheitsrechte sein kann. Die Bundesregierung ging somit davon aus, dass die EU rechtsfähig ist.423 Für die Nichtverankerung der Rechtspersönlichkeit der EU im EU-Vertrag scheinen vor allem politische Überlegungen der Mitgliedstaaten tragend gewesen zu sein. Einige Verhandlungsdelegationen waren der Ansicht, dass die Handlungsfähigkeit der EU bisher nicht dadurch beeinträchtigt worden sei, dass ihr die Rechtspersönlichkeit nicht explizit verliehen worden ist.424 Daher sei es besser, auch mit dem Amsterdamer Vertrag keine Änderung vorzunehmen.425 Es bestand die Befürchtung, dass durch die explizite Aufnahme der Rechtspersönlichkeit im EU-Vertrag eine Art Super-Union mit eigener Dynamik entstehen könnte.426 Durch die explizite Verankerung der Rechtspersönlichkeit der EU im Amsterdamer Vertrag wurden Unklarheiten in Bezug auf die Hoheitsrechte der Mitgliedstaaten befürchtet.427 Diese Angst spielte eine Rolle bei der Entscheidung, die Rechtsfähigkeit nicht ausdrücklich zu verankern.428 Diese Entscheidung bezüglich der EU erinnert auch an die Entstehungsgeschichte der UNO. Während der Verhandlungen über die UN-Charta kam die Angst davor auf, dass die UNO eine Art Superstaat werden könnte. Der IGH war sich dieser Angst der Gründungsmitglieder im Reparations for Injuries-Gutachten bewusst. Er spielte jedoch die Bedeutung der politischen Überlegungen herunter und ging nur darauf ein, was es rechtlich für die UN bedeute, rechtsfähig zu sein.429 Bedeutsam war für den IGH die Einschätzung, dass die Intention der Gründer, der UNO die Fähigkeit einzuräumen, auf internationaler Ebene zu agieren, ohne Rechtsfähigkeit nicht verwirklicht werden könnte.430 Der Widerstand der Mitgliedstaaten, einer In423 Die Auffassung der Bundesregierung ist zwar kein zwingender Beleg für die Rechtspersönlichkeit der EU, aber zumindest ein Indiz. So auch Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 21. 424 Vorschlag der Irischen Präsidentschaft, „The European Union Today and Tomorrow“, CONF 2500 / 96 CAB, v. 20. 5. 12.1996, Teil 1, Abschn. III, Kap. 13. 425 Vorschlag der Irischen Präsidentschaft, „The European Union Today and Tomorrow“, CONF 2500 / 96 CAB, v. 20. 5. 12.1996, Teil 1, Abschn. III, Kap. 13. 426 Neuwahl, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 3, 17. 427 Bericht der Reflexionsgruppe v. 5.12.1995, SN 520 / 1 / 95 REV 1 (Reflex 21), 40. Diese Furcht mündete beim Vertrag von Lissabon in der 24. Erklärung zur Schlussakte zur Regierungskonferenz (= Erklärung zur Rechtspersönlichkeit), ABl. Nr. C 115 v. 9.5.2008, 346. Danach ermächtigt der Umstand, dass die EU Rechtspersönlichkeit hat, die Union keinesfalls über die ihr von den Mitgliedstaaten in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten hinaus gesetzgeberisch tätig zu sein oder über diese Zuständigkeiten hinaus zu handeln. 428 Neuwahl, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 3, 17. 429 IGH, Advisory Opinion (Reparation for Injuries), ICJ-Rep. 1949, 174, 179. 430 IGH, Advisory Opinion (Reparation for Injuries), ICJ-Rep. 1949, 174, 179; Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 51; Annacker, Rechtsakt, 200.

E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung

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ternationalen Organisation ausdrücklich Rechtsfähigkeit zu verleihen, ist angesichts dessen kein ausschlaggebendes Argument gegen die Rechtsfähigkeit.431 Dies hat auch der IGH so gesehen.432 Übertragen auf die EU bedeutet dies: Wenn Bestimmungen aus dem EU-Vertrag dafür sprechen, dass die EU rechtsfähig ist, so gilt das auch, wenn aus politischen Gründen die Rechtssubjektivität nicht ausdrücklich im EU-Vertrag bestätigt wird. Diese paradoxe Situation ist auch nicht ungewöhnlich für die Geschichte der europäischen Integration. Während rechtlich bereits gewisse Mechanismen notwendig bzw. vorausgesetzt sind, wollen sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten politisch nicht ausdrücklich darauf einigen.433 Die Vertragsgenese spricht daher nicht zwingend gegen die Annahme einer implizit verliehenen Rechtsfähigkeit. Der historische Wille einiger Mitgliedstaaten steht einer systematischen und teleologischen Auslegung des EU-Vertrags, mit der die Völkerrechtsfähigkeit der EU bejaht werden kann, nicht entgegen434, zumal dann nicht, wenn die EU tatsächlich gegenüber Dritten als Rechtssubjekt auftritt und tätig wird.435 (c) Bestätigung der Rechtspersönlichkeit der EU durch die völkerrechtliche Praxis Selbst wenn man davon ausginge, dass sich aus dem EU-Vertrag nicht zwingend ergibt, dass die EU rechtsfähig ist, so würde sich die Völkerrechtssubjektivität der EU heute anhand der selbstständigen Ausübung ihrer Kompetenzen in der Praxis zeigen.436 Mit anderen Worten: Wenn die EU völkerrechtliche Verträge abschließt 431

Blokker / Heukels, in: Heukels /Blokker / Brus, The European Union after Amsterdam, 9,

31. IGH, Advisory Opinion, Reparation for Injuries, ICJ-Rep. 1949, 174, 179. Beispielsweise wurde auch der Vorrang des Gemeinschaftsrechts erst im Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, ABl. Nr. C 340 v. 10.11.1997, 105, Rn. 2 erstmals versteckt erwähnt: „… unter voller Wahrung des gemeinschaftlichen Besitzstandes und des institutionellen Gleichgewichts: dabei werden die vom Gerichtshof aufgestellten Grundsätze für dasVerhältnis zwischen einzelstaatlichem Recht und Gemeinschaftsrecht nicht berührt.“. Im Vertragstext selbst ist dieser Vorrang bis heute nicht ausdrücklich geregelt. Diese Tatsache ändert jedoch nichts an der Existenz des Vorrangs des EGRechts, vgl. auch Europäischer Rat, Gutachten des Juristischen Dienstes, v. 22.6.2007, 11197 / 07 JUR 260. Häufig stellen sich Rechtsnormen als Blankettnormen dar, die in der Sache selbst dilatorische Formelkompromisse enthalten und es letztlich der Rechtsprechung überlassen, angemessene Lösungen für offen gebliebene Fragen zu finden, dazu v. Danwitz, EuR 2008, 769, 780 f.; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 78 f. 434 Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 76; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 372, 386. 435 Bernhardt, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, Diskussionsbeitrag zu Pechstein, Beschlüsse im Rahmen der GASP und deutsches Verfassungsrecht, 47; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 75 f. 436 Busse, Die völkerrechtliche Einordnung der Europäischen Union, 381; Cremona, in: Dashwood / Maresceau, Law and Practice of EU External Relations, 34, 37; Dashwood, 432 433

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

und als Vertragspartner im völkerrechtlichen Verkehr akzeptiert wird, ist diese Staatenpraxis der noch fehlende Beweis für die Rechtspersönlichkeit der EU.437 Diese Akzeptanz der EU als Völkerrechtssubjekt scheint sich aus der Verordnung des Rates über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck438 zu ergeben.439 Indem dort im zweiten Erwägungsgrund zwischen völkerrechtlichen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten der Mitgliedstaaten einerseits und völkerrechtlichen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten der EU andererseits differenziert wird, scheint die EG die Völkerrechtssubjektivität der EU zu bestätigen.440 Im Gegensatz dazu nahmen allerdings die Erwägungsgründe der Änderungsverordnungen441 nur noch auf die internationalen Verpflichtungen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten Bezug. Die EU wird dort nicht mehr erwähnt. Daher ist nicht eindeutig erkennbar, ob die EG die EU im Rechtsverkehr tatsächlich als Völkerrechtssubjekt ansieht. Allerdings ist mittlerweile zu beobachten, dass in der Praxis „die EU“ als Völkerrechtssubjekt auftritt.442 So hat die EU beispielsweise in eigenem Namen ein bilaCMLRev. 1998, 1019, 1041; Gautier, Max Planck UNYB 4 (2000) 331, 354 ff.; Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 53; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 70; Neuwahl, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 3, 13; ebenso sah der IGH die nachfolgende Praxis als Bestätigung der Rechtspersönlichkeit der UN an, IGH, Advisory Opinion (Reparation for Injuries), ICJ-Rep. 1949, 174, 179; a. A. Hilf, in: Grabitz / Hilf, Art. 1 EUV, Rn. 37 und Pechstein / Koenig, Rn. 75, die ein Vertragsänderungsverfahren nach Art. 48 EU für erforderlich halten, was aus ihrer Sicht konsequent ist, da sie die implizite Anerkennung der Rechtspersönlichkeit der EU verneinen (Rn. 77). 437 Dashwood, CMLRev. 1998, 1019, 1040; McGoldrick, International Relations Law of the European Union, 16, 37; Gautier, Max Planck UNYB 4 (2000) 331, 354; Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 53; Griller, in: Schuppert / Pernice / Haltern, Europawissenschaft, 201, 217; Neuwahl, in: Kronenberger, The European Union and the International Legal Order: Discord or Harmony, 3, 11. 438 Verordnung (EG) Nr. 1334 / 2000 des Rates v. 22. Juni 2000 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck, ABl. Nr. L 159 v. 30.6.2000, 1-215. Der 2. Erwägungsgrund lautet: „Ein wirksames gemeinsames Ausfuhrkontrollsystem für Güter mit doppeltem Verwendungszweck ist erforderlich, um sicherzustellen, daß die internationalen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten der Mitgliedstaaten, insbesondere hinsichtlich der Nichtverbreitung, und die der Europäischen Union eingehalten werden.“ 439 So Dörr, EuR 1995, 334, 334; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 390 f. 440 So Dörr, EuR 1995, 334, 334; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 390 f. 441 VO (EG) Nr. 22432 / 2001 des Rates v. 20.11.2001 zur Änderung und Aktualisierung der Verordnung (EG) Nr. 1334 / 2000 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck, ABl. Nr. L 338 v. 20.12.2001, 1-214; VO (EG) Nr. 1167 / 2008 des Rates v. 24.10.2008 zur Änderung und Aktualisierung der Verordnung (EG) Nr. 1334 / 2000 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck, ABl. Nr. L 325 v. 3.12.2008, 1-251.

E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung

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terales Rechtshilfeabkommen mit den USA abgeschlossen.443 Auch die Abkommen über die Sicherheit und den Austausch von Verschlusssachen machen deutlich, dass die EU in der völkerrechtlichen Praxis von vielen Staaten als Vertragspartner wahrgenommen wird und in eigenem Namen völkerrechtliche Verträge schließt.444 Dass die EU hierbei als eigene Vertragspartei handelt, ergibt sich daraus, dass in den Abkommen häufig von den „beiden Parteien“445 oder „der anderen Par442 Cremer, in: Calliess / Ruffert, Art. 24 EUV, Rn. 12; Gautier, Max Planck UNYB 4 (2000) 331, 356 ff.; Griller, in: Schuppert / Pernice / Haltern, Europawissenschaft, 201, 217; Herrmann, EuZW 2005, 436, 438; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 72 f.; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 390 ff. 443 Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Rechtshilfe, ABl. Nr. L 181 v. 19.7.2003, 34 – 42. 444 Abkommen zwischen der Europäischen Weltraumorganisation und der Europäischen Union über die Sicherheit und den Austausch von Verschlusssachen, ABl. Nr. L 219 v. 14.8. 2008, 59 – 62; Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, ABl. Nr. L181 v. 10.7.2008, 58 – 61; Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Sicherheit von Verschlusssachen, ABl. Nr. L 115 v. 3.5.2007, 30 – 34; Abkommen zwischen der Republik Island und der Europäischen Union über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, ABl. Nr. L 184 v. 6.7.2006, 35 – 37; Abkommen zwischen der Republik Kroatien und der Europäischen Union über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, ABl. Nr. L 116 v. 29.04.2005, 74 – 76; Abkommen zwischen der Ukraine und der Europäischen Union über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, ABl. Nr. L 172 v. 5.7.2005, 84 – 86; Abkommen zwischen der Republik Bulgarien und der Europäischen Union über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, ABl. Nr. L 118 v. 5.5.2005, 53 – 55; Abkommen zwischen Rumänien und der Europäischen Union über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, ABl. Nr. L 118 v. 5.5.2005, 48 – 51; Abkommen zwischen der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien und der Europäischen Union über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, ABl. Nr. L 94 v. 13.4.2005, 39 – 44; Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Norwegen über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, ABl. Nr. L 362 v. 9.12.2004, 29 – 32; Abkommen zwischen Bosnien und Herzegowina und der Europäischen Union über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, ABl. Nr. L 324 v. 27.10.2004, 16 –19; Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Nordatlantikvertrags-Organisation über den Geheimschutz, ABl. Nr. L 80 v. 27.3. 2003, 36 – 38. 445 Von „ den beiden Parteien“ sprechen: Art. 17 II Abk. zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der EU über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, Art. 17 II Abk. zwischen der Republik Kroatien und der EU über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen; Art. 16 II Abk. zwischen der Ukraine und der EU über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, Art. 17 II Abk. zwischen der Republik Bulgarien und der EU über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, Art. 17 II Abk. zwischen Rumänien und der EU über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, Art. 17 II Abk. zwischen der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien und der EU über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, Art. 17 II Abk. zwischen der EU und dem Königreich Norwegen über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, Art. 17 II Abk. zwischen Bosnien und Herzegowina und der EU über die Sicherheitsverfahren für den Aus-

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

tei“446 im Gegensatz zu „den anderen Parteien“ die Rede ist. Daraus ergibt sich, dass es sich um bilaterale Abkommen zwischen der EU und dem Drittstaat handelt. Dies schließt aber aus, dass die EU nur in Vertretung ihrer Mitgliedstaaten handelt, da es sonst ein Abkommen mit mehr als zwei Vertragsparteien wäre. Darüber hinaus ist die EU unter anderem447 auch Vertragspartei eines Abkommens mit Mazedonien448 und Jugoslawien449. Auch bei diesen Abkommen hat die EU ihre Mitgliedstaaten nicht vertreten, da diese Abkommen nach ihrem jeweiligen Art. X so lange in Kraft bleiben, „bis eine der teilnehmenden Parteien der anderen Partei … ihre Absicht mitteilt, die Einstellung der genannten Tätigkeiten zu beantragen“. Da die Abkommen hier von „der anderen Partei“ nicht aber von „anderen Parteien“ sprechen, handelt es sich um bilaterale Abkommen, bei denen neben Mazedonien bzw. Jugoslawien nur die EU selbst, nicht aber die Mitgliedstaaten Parteien sind. Dafür spricht auch, dass nur die EU als Vertragspartei aufgeführt ist und sie auch nicht im Namen der Mitgliedstaaten die Abkommen ratifiziert hat, sondern in eigenem Namen. Spätestens aus dieser Praxis lässt sich heute auf die Rechtspersönlichkeit der EU schließen.450 tausch von Verschlusssachen, Präambel und Art. 16 II, III Abk. zwischen der EU und der NATO über den Geheimschutz, Art. 17 III Abk. zwischen der ESA und der EU über die Sicherheit und den Austausch von Verschlusssachen, Art. 17 II Abk. zwischen der Republik Island und der EU über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen. 446 Von „ der anderen Partei“ sprechen: Art. 20 II, IV Abk. zwischen der EU und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Sicherheit von Verschlusssachen, Art. 17 Abk. zwischen der Ukraine und der EU über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, Art. 18 Abk. zwischen der Republik Bulgarien und der EU über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, Art. 18 Abk. zwischen Rumänien und der EU über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, Art. 18 Abk. zwischen der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien und der EU über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, Art. 18 Abk. zwischen der EU und dem Königreich Norwegen über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, Art. 18 Abk. zwischen Bosnien und Herzegowina und der EU über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, Art. 17 Abk. zwischen der EU und der NATO über den Geheimschutz, Art. 17 II, 18 Abk. zwischen der ESA und der EU über die Sicherheit und den Austausch von Verschlusssachen, Art. 18 Abk. zwischen der Republik Island und der EU über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen. 447 Weitere Beispiele bei Cremer, in: Calliess / Ruffert, Art. 24 EUV, Rn. 12, Fn. 26. 448 Abkommen zwischen der Europäischen Union und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien über die Tätigkeit der Überwachungsmission der Europäischen Union (EUMM) in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, ABl. Nr. L 241 v. 11.9. 2001, 2 – 4; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 71; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 391. 449 Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Bundesrepublik Jugoslawien über die Tätigkeit der Überwachungsmission der Europäischen Union (EUMM) in der Bundesrepublik Jugoslawien, ABl. Nr. L 125 v. 5.5.2001, 2 – 4; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 71. 450 Cremer, in: Calliess / Ruffert, Art. 24 EUV, Rn. 12; Gautier, Max Planck UNYB 4 (2000) 331, 358; Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 53; Griller, in: Schuppert / Pernice / Haltern,

E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung

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2. Ergebnis: Rahmenbeschlüsse als Sekundärrechtsakte der EU Die Auffassung, dass Rahmenbeschlüsse völkerrechtliche Verträge seien, die von den Mitgliedstaaten geschlossen werden, ist abzulehnen.451 Gemäß der vorstehenden Untersuchung ist die EU eine rechtsfähige internationale Organisation.452 Die Union hat gem. Art. 29 I EU die Aufgabe, den Bürgern in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ein hohes Maß an Sicherheit zu bieten. Um eine entsprechende Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu erreichen, erlässt der Rat als Organ der Union gem. Art. 34 II 2 lit. b EU zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten Rahmenbeschlüsse. Der Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags würde einer reziproken Zustimmung jedes einzelnen Vertragsstaates im Nachgang der Paraphierung des Vertrags erfordern.453 Eine derartige einzelstaatliche Zustimmung ist jedoch keine Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit des Rahmenbeschlusses.454 Im Gegenteil, Rahmenbeschlüsse können gem. Art. 41 I EU, 205 III EG auch bei Enthaltung eines Mitgliedstaates zustande kommen.455 Daher sind Rahmenbeschlüsse keine völkerrechtlichen Verträge zwischen den Mitgliedstaaten, sondern Sekundärrechtsakte der EU.456 Diese sind nicht den Mitgliedstaaten, sondern der Union zuzurechnen. Mit dem Argument, dass Rahmenbeschlüsse völkerrechtliche Verträge seien, wird ignoriert, dass der EU-Vertrag von einer rechtlichen Autonomie der Union gegenüber ihren Mitgliedstaaten ausgeht.457 Der EU-Vertrag betrachtet die EU als potentiellen Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten.458 Die Auffassung, dass Rahmenbeschlüsse selbst als völkerrechtliche Verträge zu qualifizieren seien, ist daher abzulehnen.

Europawissenschaft, 201, 217; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, 71 f.; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 390 ff. 451 So auch Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 353, jedoch ohne Begründung. 452 Seidl-Hohenveldern / Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 119e. 453 Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen, 52; Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 67; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 92. 454 Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 67. 455 Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 66. 456 So auch Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 67 f.; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 92 f. 457 Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 379. 458 Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 379.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

II. Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung aufgrund fehlenden „derogatorischen“ Vorrangs des Rahmenbeschlusses vor nationalem Recht 1. Unterschiedliche Wirkung von Rahmenbeschluss und Richtlinie Die italienische Regierung machte im Verfahren vor dem EuGH in der Rechtssache Pupino geltend, dass der unterschiedliche Regelungskontext von Rahmenbeschluss und Richtlinie gegen eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung spreche. So sei der Rahmenbeschluss im EU-Vertrag geregelt, die Richtlinie aber im EG-Vertrag.459 Rahmenbeschluss und Richtlinie seien daher Rechtsquellen, die sich grundlegend voneinander unterschieden.460 Daher könne ein Rahmenbeschluss keine unionsrechtliche Verpflichtung für innerstaatliche Gerichte zu einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts schaffen.461 Die Schwedische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs äußern sich im gleichen Sinne wie die italienische Regierung, indem sie auf den zwischenstaatlichen Charakter der Zusammenarbeit in der PJZS verweisen.462 Auf den ersten Blick wird nicht ganz klar, in welche Richtung diese Einwände zielen sollen. Einerseits wird die unterschiedliche rechtliche Qualität von EU-Vertrag und EG-Vertrag in den Blick genommen. Dabei wird der zwischenstaatliche Charakter der Zusammenarbeit im Unionsrecht im Gegensatz zum supranationalen Gemeinschaftsrecht hervorgehoben.463 Andererseits wird daraus dann aber nicht zugleich auf eine unterschiedliche Qualität der Umsetzungsverpflichtungen aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU und Art. 249 III EG geschlossen, sondern die Unterschiede zwischen dem Rechtsinstrument „Rahmenbeschluss“ einerseits und der „Richtlinie“ andererseits betont.464 Die Kritik geht somit dahin, dass der Rahmenbeschluss andere Rechtswirkungen im nationalen Recht entfalte als die Richtlinie, insbesondere dass der Rahmenbeschluss im Gegensatz zur Richtlinie nicht am Vorrang des Gemeinschaftsrechts teilhabe.465 459 Einwand der italienischen Regierung, EuGH, Rs. C-103 / 05 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 25. 460 Einwand der italienischen Regierung, EuGH, Rs. C-103 / 05 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 25. 461 Einwand der italienischen Regierung, EuGH, Rs. C-103 / 05 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 25. 462 Einwand der schwedischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs, EuGH, Rs. C-103 / 05 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 26. 463 Einwand der schwedischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs, EuGH, Rs. C-103 / 05 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 26. 464 Einwand der italienischen Regierung, EuGH, Rs. C-103 / 05 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 25. 465 So formuliert Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 117: „systematische Erwägungen sprechen dafür, dass die Mit-

E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung

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In die gleiche Richtung argumentieren einige Vertreter in der Literatur, die es ablehnen, die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse zu übertragen.466 Dies wird mit dem unterschiedlichen normativen Charakter von Richtlinie und Rahmenbeschluss erklärt.467 Während die Richtlinie als Norm des objektiven Rechts auch in den Mitgliedstaaten gelte, sei der Rahmenbeschluss umsetzungsbedürftig.468 Diese Umsetzungsbedürftigkeit sei jedoch anders als bei der Richtlinie als Transformationsbedürftigkeit zu interpretieren, da die unmittelbare Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU ausgeschlossen sei.469 Bei seinem Erlass stehe der Rahmenbeschluss deshalb außerhalb der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung.470 Es bedürfe zunächst einer Transformation des Rahmenbeschlusses in das nationale Recht, um die innerstaatlichen Stellen an die Zielvorgaben des Rahmenbeschlusses zu binden.471 Erst wenn ein Rahmenbeschluss in das innerstaatliche Recht durch ein Umsetzungsgesetz transformiert worden sei, könne eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Rechts erfolgen.472 Denn erst dann habe der Gesetzgeber durch die Transformation seinen Willen, die Ziele des Rahmenbeschlusses im nationalen Recht zu verwirklichen auch für die innerstaatlichen Stellen verbindlich gezeigt.473

gliedstaaten den Rahmenbeschlüssen keine höherrangige Position in einer Normenhierarchie gegenüber dem gesamten nationalen Rechte haben einräumen wollen“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). 466 Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 66; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 118 f. 467 Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 66; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 118 f. 468 Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 66; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl 117 ff. 469 Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1563; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 65 ff.; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 103, 116 ff. 470 Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 66. 471 Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1563; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 65 ff.; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 244; Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, 23 f.; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 117. 472 Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, 24; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 103 u. 117 f. 473 Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 103 u. 117 f.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

2. Einordnung der Kritik Die soeben dargestellte Ansicht vergleicht die vermeintlichen Wirkungen der Richtlinie im nationalen Recht mit den Wirkungen eines Rahmenbeschlusses.474 Abgestellt wird dabei jedoch gerade nicht auf die Wirkung der primärrechtlichen Umsetzungsverpflichtung aus Art. 249 III EG bzw. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU. Ob die Anknüpfung an die Rechtsinstrumente „Rahmenbeschluss“ und „Richtlinie“ selbst nur sprachliche Ungenauigkeit ist, kann von außen nicht beurteilt werden. Nimmt man die Kritiker wörtlich, so knüpfen sie an die These an, dass es dem Rahmenbeschluss selbst an einer vorrangigen Geltung im nationalen Recht fehle, wohingegen die Richtlinie eine solche Geltung im nationalen Recht habe. Wegen dieser unterschiedlichen rechtlichen Qualität von Rahmenbeschluss und Richtlinie seien folglich die Grundsätze der richtlinienkonformen Auslegung nicht auf Rahmenbeschlüsse übertragbar.475 Damit scheint dem die Auffassung zugrunde zu liegen, dass sich die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung aus einem derogatorischen Vorrang der Richtlinien vor dem nationalen Recht herleitet. Da Richtlinien im EG-Vertrag geregelt seien, nähmen sie automatisch am Vorrang des Gemeinschaftsrechts teil.476 Im Gegensatz zum EG-Vertrag weise aber der EU-Vertrag nur einen zwischenstaatlichen Charakter auf. Daher komme dem Unionsrecht, mithin auch dem Rahmenbeschluss, keine unmittelbare und vorrangige Geltung im innerstaatlichen Rechtskreis zu.477 Ohne innerstaatliche Geltung könne der Rahmenbeschluss aber im Gegensatz zur Richtlinie auch nicht als Maßstab für die Auslegung des nationalen Rechts herangezogen werden.478 3. Prinzipieller Einwand Die soeben dargestellte Kritik an der Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse kann jedoch im Folgenden entkräftet werden.

474 Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 117. 475 Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 117 ff. 476 Klein, in: FS Everling, Bd. 1, 641, 646 f.; Lutter, JZ 1992, 593, 605; Schmidt, RabelsZ 59 (1995) 569, 584; Spetzler, RIW 1991, 579, 580; vgl. auch die Nachweise bei Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 262, Fn. 630. 477 Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 117 f. 478 Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 117 f.

E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung

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a) Irrtum hinsichtlich der Annahme einer innerstaatlichen vorrangigen Geltung von Richtlinien Der Kritik liegt nämlich ein prinzipieller Irrtum zugrunde. Denn die Vertreter dieser Auffassung leiten aus dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts zugleich den Vorrang der Richtlinie vor dem nationalen Recht ab: Da die Richtlinie Teil des Gemeinschaftsrechts ist, nehme sie auch am Vorrang des Gemeinschaftsrechts teil.479 Die Frage der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung wird damit als eine Frage des Verhältnisses der Richtlinie selbst zum nationalen Recht verstanden.480 Diese Konstruktion müsste auf die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung übertragbar sein, um eine Pflicht zur konformen Auslegung ebenso wie im Gemeinschaftsrecht zu begründen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, warum die Rechtsnatur des Rahmenbeschlusses, insbesondere die Frage seines etwaigen Vorrangs vor nationalem Recht für die Frage der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung als relevant angesehen wird. Der Irrtum dieser Ansicht besteht in einem falsch gewählten Ausgangspunkt. Denn schon der ursprünglichen Annahme dieser Ansicht, wonach die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung sich mit einem etwaigen Vorrang der Richtlinie vor nationalem Recht begründet, ist eine Absage zu erteilen.481 Aus einer vorrangigen Geltung des Gemeinschaftsrechts kann nicht zugleich auch auf eine vorrangige Geltung der Richtlinie im nationalen Recht geschlossen werden.482 Denn zum einen ordnet das Gemeinschaftsrecht die innerstaatliche Geltung explizit nur für Verordnungen in Art. 249 II EG an. Zum anderen hat auch der EuGH den grundsätzlich anerkannten Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor innerstaatlichem Recht in erster Linie anhand von Bestimmungen des Primärrechts entwickelt.483 Für Sekundärrechtsakte hat der EuGH den Vorrang bislang nur für die gem. Art. 249 II EG unmittelbar geltende Verordnung ausgesprochen.484 Ein Vor-

479 Klein, in: FS Everling, Bd. 1, 641, 646 f.; Lutter, JZ 1992, 593, 605; Schmidt, RabelsZ 59 (1995) 569, 584; Spetzler, RIW 1991, 579, 580. So jüngst Schroeder, EuR 2007, 349, 364 (der allerdings eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung aufgrund der Annäherung der PJZS an die EG befürwortet). 480 Skouris, ZEuS 2005, 463, 469; Spetzler, RIW 1991, 579, 580. 481 Babusiaux, Die richtlinienkonforme Auslegung im deutschen und französischen Zivilrecht, 15 f.; Baldus / Becker, ZEuP 1997, 884, 884 f.; grundlegend dazu Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 250 ff.; vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, 294; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsetzung, 106 ff.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 262. 482 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 250 ff.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 262; Lutter, JZ 1992, 593, 596. 483 Franzen, Privatrechtsangleichung, 255; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsetzung, 108; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 262. 484 Franzen, Privatrechtsangleichung, 255; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsetzung, 108; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 262.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

rang der Richtlinie vor nationalem Recht lässt sich somit weder aus dem EG-Vertrag, noch aus einer Rechtsfortbildung des EuGH entnehmen. Für Richtlinien besteht gem. Art. 249 III EG nur eine Verpflichtung innerstaatlicher Stellen zur Umsetzung ihrer Ziele in nationales Recht.485 Diese Umsetzungspflicht besteht aber nur im Rahmen der Zuständigkeit der innerstaatlichen Stellen gem. Art. 249 III EG.486 Dies bedeutet, dass innerstaatliche nicht gesetzgebende Stellen nur im Rahmen der Auslegungsspielräume, die das nationale Recht lässt, die Richtlinie berücksichtigen dürfen.487 Damit ist es den rechtsanwendenden Stellen grundsätzlich488 verwehrt, anstelle nationaler Normen die Richtlinie unmittelbar anzuwenden, da sie sonst ihre Zuständigkeit überschreiten würden.489 Einen Kompetenzübergriff in legislative Befugnisse verlangt Art. 249 III EG gerade nicht.490 Art. 249 III EG bestimmt somit nicht, dass die Richtlinie unmittelbare normative Wirkungen in den Mitgliedstaaten entfaltet, denn sie enthält gerade den Auftrag an die innerstaatlichen Stellen, eine bestimmte Rechtslage innerstaatlich erst herbeizuführen.491 Dieser von Art. 249 III EG angeordnete Umsetzungsauftrag zeigt, dass der Inhalt der Richtlinie im innerstaatlichen Recht selbst keine Geltung beansprucht.492 Daraus ergibt sich, dass Art. 249 III EG gerade nicht den normtheoretischen Vorrang der Richtlinie vor nationalem Recht anordnet.493 Richtlinien können innerstaatliches Recht nicht verdrängen, da sie grundsätzlich kein höherrangiges innerstaatlich geltendes Recht sind.494 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Aus485 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 251 f.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 262; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 98. 486 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 251. 487 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 251. 488 Nur soweit Richtlinien unmittelbar anwendbar sind, gelten sie innerstaatlich, vgl. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 255; Franzen, Privatrechtsangleichung, 294; Herlinghaus, Bedeutung und Reichweite der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts, 40; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 98. Da aber die richtlinienkonforme Auslegung auch gerade dort zum Tragen kommt, wo eine unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie ausscheidet, kann die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung nicht auf ihre ausnahmsweise innerstaatliche Geltung begründet werden, vgl. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 255 f.; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 98. 489 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 251. 490 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 251. 491 Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 52; Franzen, Privatrechtsangleichung, 245; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 98. 492 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 251; Franzen, Privatrechtsangleichung, 255. 493 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 251; Franzen, Privatrechtsangleichung, 255. 494 Babusiaux, Die richtlinienkonforme Auslegung im deutschen und französischen Zivilrecht, 37; vgl. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 251 f.; Franzen, Privatrechtsangleichung, 294; Herlinghaus, Bedeutung und Reichweite der richtlinienkonformen Aus-

E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung

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legung lässt sich daher auch nicht mit einem vermeintlichen Vorrang der Richtlinie vor nationalem Recht erklären. Maßgeblich ist nicht ein Vergleich der Wirkungen von Richtlinie und Rahmenbeschluss, sondern ein Vergleich der Verpflichtung zur Umsetzung gem. Art. 249 III EG mit Art. 34 II 2 lit. b EU.

b) Kein Vorrang aufgrund von Überlegungen zum Stufenbau der Rechtsordnung Ein derogatorischer Vorrang der Richtlinie lässt sich auch nicht mit dem Stufenbau der Rechtsordnung begründen, weil sich das nationale Recht und die Richtlinie nicht in einer einheitlichen Rechtsordnung zueinander verhalten.495 Denn innerhalb der Hierarchie der deutschen Rechtsordnung befinden sich die Richtlinien nicht auf einer höheren Stufe als nationales Recht, sondern sie befinden sich außerhalb der nationalen Rechtsordnung.496 Es gibt zwar auch Regeln zur Lösung von Kollisionen von Rechtsnormen unterschiedlicher Rechtsordnungen. Im Verhältnis von Richtlinien zum nationalen Recht greifen diese Regeln aber aus folgendem Grund nicht ein: Für eine Lösung der Kollision von Normen, die aus verschiedenen Rechtsordnungen stammen, ist es notwendig, dass die fremde Rechtsordnung den Vorrang ihrer Normen beansprucht und zugleich die nationale Rechtsordnung diesen Vorrang zulässt.497 Bereits ersteres ist aber, wie soeben ausgeführt wurde, nicht der Fall. Denn das Gemeinschaftsrecht nimmt den Vorrang der Richtlinie vor nationalem Recht nicht in Anspruch. Daher kann sich eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung nicht aus dem Vorrang der Richtlinie vor nationalem Recht ergeben.

c) Fehlen einer Kollision von Richtlinien mit nationalen Rechtsnormen Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung lässt sich auch deswegen nicht mit einem Vorrang „der Richtlinie“ begründen, da die Richtlinie selbst grundsätzlich nicht mit nationalem Recht kollidiert. Ein Vorrang des Gemeinschaftsrechts kommt nur dort zum Tragen, wo eine echte Kollision zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht vorliegt.498 Eine solche Kollision besteht, wenn die Rechtsfolgen einer anzuwendenden nationalen Norm den Rechtsfolgen einer auf den legung nationalen Rechts, 40; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 108; Lutter, JZ 1992, 593, 596. 495 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 247. 496 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 247 u. 254. 497 Grundlegend Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 248 f.: „zweifache Rechtsregel“. 498 Baldus / Becker, ZEuP 1997, 874, 884 f.; Köhne, Die richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, 93.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

gleichen Sachverhalt anzuwendenden Gemeinschaftsrechtsnorm widersprechen.499 Ein solcher Widerspruch kann sich in der Regel nicht aus der Richtlinie ergeben.500 Denn Richtlinien sind grundsätzlich nicht unmittelbar auf den Einzelfall anwendbar.501 Mit der Richtlinie wird lediglich ein Normsetzungsauftrag erteilt, sodass es durch die Richtlinie selbst nicht zu einer unmittelbaren Normenkollision kommt.502 Eine Normkollision kann sich allenfalls für innerstaatliche Stellen aus der Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinie gem. Art. 249 III EG mit entgegenstehenden nationalrechtlichen Verpflichtungen ergeben. Die Verpflichtung zur Umsetzung aus Art. 249 III EG ist jedoch von der Richtlinie selbst zu unterscheiden.503 Gerade diese Unterscheidung treffen die oben angeführten Kritiker nicht, wenn sie einen Vorrang des Rahmenbeschlusses als Voraussetzung für eine unionsrechtliche Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung analog der richtlinienkonformen Auslegung fordern. Sie erkennen nicht, dass nicht die Richtlinie selbst, sondern Art. 249 III EG die Erreichung der in der Richtlinie vorgegebenen Rechtslage vorschreibt.504 Damit stellt sich aber nicht die Frage, ob die Richtlinie selbst vorrangig ist, sondern die Frage, ob die Mitgliedstaaten der Verpflichtung zur Umsetzung gem. Art. 249 III EG vorrangig nachgekommen sind.505 Diese Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinie ergibt sich aber gerade aus dem Primärrecht und nicht aus der Richtlinie selbst.506 Der interpretatorische Vorrang einer richtlinienkonformen Auslegung ist daher keine Frage des Vorrangs der Richtlinie, sondern eine Frage der vorrangigen Verbindlichkeit der Verpflichtung zur Umsetzung des Richtlinienziels gem. Art. 249 III EG.507 499 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 262; Köhne, Die richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, 93. 500 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 262; Köhne, Die richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, 93. 501 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 262; Köhne, Die richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, 93. 502 Babusiaux, Die richtlinienkonforme Auslegung im deutschen und französischen Zivilrecht, 15 f.; Baldus / Becker, ZEuP 1997, 884 f.; Franzen, Privatrechtsangleichung, 255; Köhne, Die richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, 93; differenzierter Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 106 ff.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 262. 503 s. o. 2. Teil: C.I. 504 Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 98. 505 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 251 ff.; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 108 f.; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 98; in diese Richtung auch: Baldus / Becker, ZEuP 1997, 874, 885. 506 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 252, 256 f.; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 108 f.; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 98. 507 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 250 ff.; Rörig, Die Direktwirkung von Richtlinien in Privatrechtsverhältnissen, 98.

E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung

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Schon die Ausgangsüberlegung, dass die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung sich aus einem derogatorischen Vorrang der Richtlinie ableite, ist daher nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Deshalb ist mit dem Verweis darauf, dass der Rahmenbeschluss keinen derogatorischen Vorrang vor nationalem Recht habe, weder für noch gegen die Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse etwas ausgesagt. Die Kritik an der Rechtsprechung des EuGH, die dahingeht, dass Rahmenbeschlüsse im Gegensatz zu Richtlinien keinen Vorrang vor dem nationalen Recht haben, geht daher an der Sache vorbei.

III. Lediglich völkervertragsrechtliche Umsetzungsverpflichtung Zum Teil wird unter Verweis auf den völkervertragsrechtlichen Charakter des EU-Vertrags lediglich eine Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts in Übereinstimmung mit den Zielen des Rahmenbeschlusses angenommen.508 Begründet wird dies damit, dass der EU-Vertrag lediglich völkerrechtliche Pflichten der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten enthalte.509 Da die Pflicht zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses im EU-Vertrag geregelt sei, könne diese völkervertragsrechtliche Pflicht die Mitgliedstaaten nur in ihrem völkerrechtlichen Außenverhältnis binden. Die EU besitze im Gegensatz zur EG gerade keine supranationale Struktur.510 Daher könne eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung auch nicht aus dem Unionsrecht unmittelbar in die nationale Rechtsordnung einwirken.511 Zur Begründung dieser These wird sowohl mit dem System der PJZS (1.) als auch mit verfahrensrechtlichen Indizien (2.) argumentiert.

1. System der PJZS als zwischenstaatliche Zusammenarbeit ohne Durchgriff in die nationalen Rechtsordnungen angelegt Die Vertreter einer bloß nationalen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung verweisen darauf, dass das System der PJZS nicht darauf ausgerichtet sei, dass das

508 Harings, EuR Beiheft 2 / 1998, 81, 88 f.; Hillgruber, JZ 2005, 841, 841; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9. 509 Geiger, Art. 34 EUV, Rn. 6; Hillgruber, JZ 2005, 841, 841; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 2; v. Unger, NVwZ 2006, 46, 47; BVerfGE 113, 273, 301. 510 BVerfGE 113, 273, 300 f. unter Verweis auf seine Maastrichtentscheidung; Geiger, Art. 34 EUV; Rn. 1; Hillgruber, JZ 2005, 841, 841; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 2; Zöller, ZIS 2009, 340, 341. 511 Geiger, Art. 34 EUV, Rn. 1 u. 6; Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 2.

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2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

Unionsrecht in die nationale Rechtsordnung hineinwirke.512 Dies zeige sich nicht nur daran, dass keine Rechtsakte mit Durchgriffswirkung in der PJZS erlassen werden können [a)]513, sondern auch an der bloß fakultativen Ausgestaltung des Vorabentscheidungsverfahrens [b)].514 a) Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit Wie im 1. Teil dieser Arbeit dargestellt wurde, wird der Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit bereits schon gegen die Verankerung der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung in Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU angeführt.515 Doch auch hinsichtlich der Frage nach dem Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung wird die Bedeutung des Ausschlusses der unmittelbaren Wirksamkeit diskutiert. So wird gegen die unmittelbare Bindung innerstaatlicher Stellen an die Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU eingewandt, dass das EU-Recht nicht in den innerstaatlichen Rechtskreis hineinwirke.516 Diese Annahme wir damit begründet, dass im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht in der PJZS keine Rechtsakte mit unmittelbarer Durchgriffswirkung auf die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zur Verfügung stünden.517 Dies zeige dass das Recht der PJZS von seiner Struktur her nicht in den nationalen Rechtskreis hineinwirken solle.518 Hinsichtlich des vom Rahmenbeschluss vorgegebenen zu erreichenden Zieles liege damit nur eine völkerrechtliche Bindungswirkung vor.519 Angesichts der ausgeschlossenen unmittelbaren Wirksamkeit von Rahmenbeschlüssen könne daher eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus dem völkerrechtlichen EU-Vertrag die innerstaatlichen Stellen nicht unmittelbar binden.520 512 Geiger, Art. 34 EUV, Rn. 1; Hillgruber, JZ 2005, 841, 841; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 116; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 2; Weißer, ZIS 2006, 562, 574, die zwar eine Parallele zur Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung für möglich, aber nicht vorzugswürdig erachtet. 513 Geiger, Art. 34 EUV, Rn. 1; Hillgruber, JZ 2005, 841, 841; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 117; Weißer, ZIS 2006, 562, 567; Zöller, ZIS 2009, 340, 341. 514 Hillgruber, JZ 2005, 841, 841; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 116 f. 515 Zu den hierzu vorgebrachten Argumenten und den dagegen gerichteten Einwänden s. o. 1. Teil: C.I. 516 Hillgruber, JZ 2005, 841, 841 f.; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 116 f. 517 Geiger, Art. 34 EUV, Rn. 1; Hillgruber, JZ 2005, 841, 841. 518 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 116 f. 519 Geiger, Art. 34 EUV, Rn. 1; Hillgruber, JZ 2005, 841, 841. 520 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 115.

E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung

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b) Begrenzte Zuständigkeit des EuGH Für den völkerrechtlichen Charakter des EU-Vertrags wird auch die nur begrenzte Zuständigkeit des EuGH in der dritten Säule angeführt.521 Zum einen fehle es an einer Möglichkeit, die Umsetzung eines Rahmenbeschlusses in den Mitgliedstaaten gerichtlich durchzusetzen, so wie das im Gemeinschaftsrecht gem. Art. 226 EG möglich wäre.522 Zum anderen zeige sich der völkerrechtliche Charakter des EU-Vertrags insbesondere daran, dass das Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 35 I EU bloß fakultativ ausgestaltet ist.523 Eine obligatorische Gerichtsbarkeit, wie sie im supranationalen Gemeinschaftsrecht vorzufinden sei, fehle in der PJZS.524 In der Rechtssache van Gend en Loos habe der EuGH die Existenz des Vorabentscheidungsverfahrens als Beweis dafür angesehen, dass die Mitgliedstaaten davon ausgingen, dass Einzelne sich vor nationalen Gerichten auf das Gemeinschaftsrecht berufen können.525 In der PJZS ist hingegen die Zuständigkeit des EuGH für Vorabentscheidungsverfahren von einer Unterwerfungserklärung der Mitgliedstaaten gem. Art. 35 II EU abhängig. An dieser fakultativen Ausgestaltung des Vorabentscheidungsverfahrens zeige sich, dass die Einwirkung des Unionsrechts in die nationale Rechtsordnung nicht für das Recht der PJZS vorgesehen sei.526 Ebenso wenig, wie die Jurisdiktion des EuGH in der PJZS verbindlich in den nationalen Rechtskreis hineinreiche, werde das nationale Recht durch Rahmenbeschlüsse beeinflusst.527 Es bestünden daher eher Parallelen zum Völkerrecht als zum Gemeinschaftsrecht.528 Auch den Einwand, dass die praktische Wirksamkeit der Zuständigkeit des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren nicht gewährleistet sei, wenn die Einzelnen nicht berechtigt wären, sich auf Rahmenbeschlüsse zu berufen, um eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Rechts zu erreichen529, wird von den Befürwortern einer nationalen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung zu521 Hillgruber, JZ 2005, 841, 841; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9; v. Unger, NVwZ 2006, 46, 47. 522 Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9; BVerfGE 113, 273, 301. 523 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 117. 524 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842. 525 EuGH, Rs. 26 / 62 (van Gend en Loos), Slg. 1963, 3, 24; Classen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 23 GG, Rn. 52. 526 Classen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 23 GG, Rn. 52. 527 v. Unger, NVwZ 2006, 46, 47. 528 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842, der Parallelen zu Art. 36 II IGH-Statut zieht. Zeder, ÖJZ 2001, 81, 83 weist jedoch darauf hin, dass Art. 35 EU nicht an das IGH-Statut angelehnt sei, sondern das „opting-in“ Verfahren für Vorabentscheidungen aus verschiedenen Rechtsakten der 3. Säule übernommen wurde, wo es 1996 als politischer Kompromiss zwischen EuGHfreundlichen und EuGH-skeptischen Mitgliedstaaten entwickelt worden war. 529 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 38.

154

2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

rückgewiesen.530 Denn die Erforderlichkeit einer Vorlage an den EuGH könne sich nicht nur daraus ergeben, dass eine unmittelbar aus dem Unionsrecht folgende Verpflichtung staatlicher Stellen zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung bestehe. Vielmehr könne sich die Entscheidungserheblichkeit auch aus dem nationalen Recht ergeben, nämlich dann, wenn das nationale Gericht eine völkerrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts vornehmen will.531 Das Vorabentscheidungsverfahren habe deshalb auch dann seine Berechtigung, wenn es lediglich eine Option für die Mitgliedstaaten darstellt, die Völkerrechtskonformität ihrer nationalen Rechtsprechung sicherzustellen.532 Durch die Einbettung des Art. 34 II 2 lit. b EU in den EU-Vertrag als völkerrechtlichen Vertrag sei eine unmittelbar aus dem Unionsrecht folgende Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung in Parallele zur richtlinienkonformen Auslegung, die im Kontext des supranationalen Gemeinschaftsrechts stehe, ausgeschlossen.533 Es bestehe daher nur eine im nationalen Recht begründete Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Rahmenbeschlusses.534

2. Verfahrensrechtliche Indizien für eine rein vertragsrechtliche Verpflichtung Als weiteres Argument für den völkervertragsrechtlichen Charakter des EU-Vertrags werden verfahrensrechtliche Gründe angeführt. So unterstreiche nicht nur das Einstimmigkeitsprinzip in der PJZS den völkerrechtlichen Charakter des EU-Vertrags.535 Sondern auch die Stellung der Kommission in der PJZS deute auf eine rein völkerrechtliche Bindungswirkung der Bestimmungen des EU-Vertrags hin. Der intergouvernementalen Struktur des EU-Vertrags entspreche es, dass die Kommission im Gegensatz zum Gemeinschaftsrecht nicht über ein Initiativmonopol für Rechtsakte in der dritten Säule verfüge.536 Vielmehr seien neben der Kommission auch die Mitgliedstaaten initiativberechtigt.537 Dies entspreche dem völkerrechtlichen Charakter der PJZS.538 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842. Hillgruber, JZ 2005, 841, 843. 532 Hillgruber, JZ 2005, 841, 843. 533 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9. 534 Harings, EuR Beiheft 2 / 1998, 81, 88 f.; Hillgruber, JZ 2005, 841, 841; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9. 535 Hillgruber, JZ 2005, 841, 841; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9; Weißer, ZIS 2006, 562, 567; BVerfGE 113, 273, 301. 536 Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 6. 537 Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 6. 538 Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 6. 530 531

E. Annahme einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung

155

Für die völkerrechtliche Einordnung der Bindungswirkung von Pflichten aus dem EU-Vertrag spreche auch die schwache Stellung des Europäischen Parlaments.539 Das Europäische Parlament wird beim Erlass von Rechtsakten gem. Art. 34 II 2 lit. b – d EU in der PJZS nur angehört gem. Art. 39 I 1 EU. Es erfolgt damit keine hinreichende eigenständige demokratische Legitimation der Akte der EU über das Europäische Parlament.540 Da das Europäische Parlament bloß angehört werde, müsse der nationale Gesetzgeber frei über die Umsetzung entscheiden können, um der noch offenen Legitimationslast Rechnung zu tragen.541 Daher sei eine völkerrechtliche Einordnung der Pflichten aus dem EU-Vertrag mit dem Demokratiegebot besser in Einklang zu bringen. Denn in einem parlamentarischen Staatswesen sei es nicht hinnehmbar, dass der nationale Gesetzgeber durch einen exekutiven Ministerratsbeschluss zu Grundrechtseingriffen verpflichtet werden könne. Dies spreche dafür, dass die Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen nur eine völkerrechtliche Verpflichtung sei und nicht unmittelbar in die nationale Rechtsordnung hineinwirken könne.542 3. Zusammenfassung Die Vertreter einer Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung betonen die intergouvernementalen Züge der PJZS. Aufgrund der Struktur der PJZS sowie der verfahrensrechtlichen Einkleidung beim Erlass von Rechtsakten sei davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten in der PJZS eine bewusste Entscheidung für eine völkerrechtliche Zusammenarbeit getroffen haben.543 Würde man wie der EuGH davon ausgehen, dass eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung die innerstaatlichen Stellen unmittelbar kraft Unionsrechts verpflichte, so würde man eine Entwicklung vorwegnehmen, die der Zustimmung aller Mitgliedstaaten im Vertragsänderungsverfahren bedürfte.544 Aufgrund des intergouvernementalen Charakters des EU-Vertrags sei eine aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU abgeleitete Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nur auf die nationale Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung gründbar.545 BVerfGE 113, 273, 301. Koenig, EuR Beiheft 2 / 1998, 139, 141; laut BVerfGE 113, 273, 301 genüge die schwache Stellung des Europäischen Parlaments deshalb dem Demokratieprinzip, da die mitgliedstaatlichen Stellen die Umsetzung eines Rahmenbeschlusses notfalls auch verweigern könnten. Kritik daran abw. Meinung Lübbe-Wolff, BVerfGE 113, 327, 336 f. 541 BVerfGE 113, 273, 301. 542 Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9. 543 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842 ff.; BVerfGE 113, 273, 301; a. A Giegerich, ZaöRV 67 (2007), 351, 352 f., der es als nicht zutreffend erachtet, dass das Unionsrecht eine bewusst dem Völkerrecht zugeordnete Teilrechtsordnung sei, sondern dass das Unionsrecht nur bewusst nicht dem supranationalen Gemeinschaftsrecht zugeordnet worden sei. 544 Hillgruber, JZ 2005, 841, 844. 545 Hillgruber, JZ 2005, 841, 844; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9. 539 540

156

2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

Genau entgegengesetzt argumentieren hingegen die Vertreter der Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse. Sie stellen nicht so sehr die Unterschiede, sondern vielmehr die Parallelen von EU-Vertrag und EG-Vertrag bzw. Rahmenbeschluss und Richtlinie in den Vordergrund, wie im nächsten Punkt gezeigt werden wird.

F. Parallelen von EG und EU als Argument für eine richtlinienanaloge Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung Die Vertreter einer Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse betonen die Fortschritte der Integration und verweisen auf die Parallelen, die mittlerweile zwischen Unionsrecht und Gemeinschaftsrecht bestehen.546 Da sich diese Parallelen auch bei der Betrachtung des Rahmenbeschlusses als richtlinienähnliches Rechtsinstrument fortsetzen547, befürworten sie die Übertragung der Rechtsprechung zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse.548

I. Parallelität von EG-Vertrag und EU-Vertrag So wie die Gemeinschaftsverträge untereinander Parallelen aufweisen, gebe es auch zwischen EG-Vertrag und EU-Vertrag Parallelen.549 Einerseits gebe es explizite gemeinsame Bestimmungen, andererseits adaptiere der EU-Vertrag bekannte Mechanismen aus dem EG-Vertrag: So beziehe sich Art. 48 EU, der die Änderung der Gründungsverträge betrifft, sowohl auf das Gemeinschaftsrecht, als auch auf das Unionsrecht.550 Darüber hinaus gälten die gemeinsamen Bestimmungen in Titel 1 EU, insbesondere die gemeinsamen Zielbestimmungen gem. Art. 2 EU und die Bindung an die in Art. 6 I, II EU genannten Verfassungsprinzipien sowie die Schlussbestimmungen in Titel VIII EU sowohl für die Gemeinschaften, als auch für die EU.551 546 Schroeder, EuR 2007, 349, 352 ff.; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 42 ff. 547 Schroeder, EuR 2007, 349, 368 f.; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 47 ff. 548 Schroeder, EuR 2007, 349, 352 u. 368 f. 549 Schroeder, EuR 2007, 349, 354 f.; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 43 f. 550 Schroeder, EuR 2007, 349, 354; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 43. 551 Schroeder, EuR 2007, 349, 354; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 43.

F. Richtlinienanaloge Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

157

Diese Konstruktion der Verträge zeige, dass das Unionsrecht vom Gemeinschaftsrecht beeinflusst werden solle.552 So seien die gerichtlichen Kontrollmechanismen leicht modifiziert aus dem Gemeinschaftsrecht in Art. 35 EU für die PJZS übernommen worden. Der Rahmenbeschluss gem. Art. 34 II lit. b EU ähnele der Richtlinie gem. Art. 249 III EG. Zudem werde durch Verweisungen auf den EG-Vertrag in Art. 28 und 41 EU ein Teil des institutionellen Gemeinschaftsrechts ausdrücklich in den EU-Vertrag inkorporiert. Auch materiellrechtlich nehme der EU-Vertrag auf den EG-Vertrag Bezug, wie zum Beispiel Art. 2 II EU – Art. 5 EG (Subsidiaritätsprinzip), Art. 6 II EU und Art. 46 lit. d EU (allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts), Art. 7 EU – Art. 309 EG (Sanktionen gegen Mitgliedstaaten), Art. 43 f. EU – Art. 11 f. EG (verstärkte Zusammenarbeit), Art. 12 EU – Art. 301 EG (Embargomaßnahmen) und Art. 42 EU – Art. 61 ff. EG (innere Sicherheit).553 In dieses System füge es sich ein, wenn auch andere strukturelle Prinzipien des Gemeinschaftsrechts als leges generales zum EU-Vertrag betrachtet würden.554 Einer solchen Parallelisierung stehe auch Art. 47 EU nicht entgegen. Dort sei nur geregelt, dass der EU-Vertrag die Gemeinschaftsverträge unberührt lasse.555 Er verbiete hingegen nicht, gemeinschaftsrechtliche Rechtsinstitute auf das EU-Recht zu übertragen. Art. 47 EU sei mit der gemeinschaftsrechtlichen Kollisionsklausel des Art. 305 EG vergleichbar. Soweit kein offener Konflikt vorliege, könne daher dem Gemeinschaftsrecht Ergänzungsfunktion für das Unionsrecht zukommen.556 Die bereits bestehenden Parallelen zwischen EG-Vertrag und EU-Vertrag sprächen dafür, gemeinschaftsrechtliche Prinzipien auch auf den EU-Vertrag zu übertragen, sofern nicht ausdrückliche Unterschiede einer solchen Übertragung im Wege stehen.557 Zwar seien die Rechtssetzungsverfahren und Handlungsformen des Unions- und Gemeinschaftsrechts noch immer unterschiedlich ausgestaltet. Dies allein stehe einer parallelen Betrachtung jedoch nicht entgegen. Denn schließlich sei auch das Gemeinschaftsrecht des EG-Vertrags nicht völlig homogen. Dies zeige sich nicht nur an uneinheitlichen Mehrheitserfordernissen bei der Beschlussfassung im Gemeinschaftsrecht je nach Sachgebiet, sondern auch an einer unterschiedlich intensiv ausgestalteten Beteiligung des Europäischen Parlaments.558 552 Schroeder, EuR 2007, 349, 354; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 44. 553 Schroeder, EuR 2007, 349, 354; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 44. 554 Schroeder, EuR 2007, 349, 355; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 44. 555 Schroeder, EuR 2007, 349, 355; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 44. 556 Schroeder, EuR 2007, 349, 355; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 44. 557 Schroeder, EuR 2007, 349, 355. 558 Schroeder, EuR 2007, 349, 355 u. 357 f.; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 44; vgl. Wasmeier, ZEuS 2006, 23, 28.

158

2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

II. Parallelität von Rahmenbeschluss und Richtlinie 1. Gemeinsamkeiten von Rahmenbeschluss und Richtlinie Doch nicht nur EU-Vertrag und EG-Vertrag, sondern auch Rahmenbeschlüsse und Richtlinien seien von ihrer Konstruktion her einander angenähert. Vergleiche man Richtlinien und Rahmenbeschlüsse für die konkrete Frage, ob die Pflicht zur konformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse übertragbar sei, so sprächen die bestehenden Gemeinsamkeiten von Richtlinie und Rahmenbeschluss für eine Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung und die bestehenden Unterschiede sprächen nicht dagegen.559 Der Rahmenbeschluss sei ein der Richtlinie vergleichbares Handlungsinstrument in der PJZS. Seine historische Entstehung zeige die Parallelität zur Richtlinie.560 Sowohl Rahmenbeschluss als auch Richtlinie seien für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch die Form und die Mittel der Umsetzung den innerstaatlichen Stellen. Wie die Richtlinie gebe auch der Rahmenbeschluss den Mitgliedstaaten ein verbindliches Ziel vor, welches in das nationale Recht umgesetzt werden muss.561 Daher müssen die Mitgliedstaaten spätestens mit Ablauf der Umsetzungsfrist Maßnahmen ergriffen haben, um das Ziel im nationalen Recht zu verwirklichen.562 Der Umstand, dass eine Verletzung der Umsetzungsverpflichtung im Unionsrecht nicht mit einer Vertragsverletzungsklage gegen säumige Mitgliedstaaten durchgesetzt werden kann, ändere nichts daran, dass eine solche Umsetzungsverpflichtung besteht.563 Damit könne man den Rahmenbeschluss zur Familie der richtlinienähnlichen Rechtsakte zählen564, die an die Mitgliedstaaten gerichtet seien und vergleichbare Wirkungen entfalten können, wie Richtlinien.565 Die Gemeinsamkeiten von Rahmenbeschluss und Richtlinie sprächen dafür, die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auch auf Rahmenbeschlüsse zu erstrecken.566

559

Schroeder, EuR 2007, 349, 368 f.; Parallelen betont auch Wasmeier, ZEuS 2006, 23,

27 f. 560 Killmann, JBl. 2005, 566, 569; Schroeder, EuR 2007, 349, 364; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 58; Zeder, ÖJZ 2001, 81, 82. 561 Schroeder, EuR 2007, 349, 361 f.; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 51; Weißer, ZIS 2006, 562, 569. 562 Schroeder, EuR 2007, 349, 361 f.; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 51. 563 Schroeder, EuR 2007, 349, 362; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 51. 564 v. Bogdandy / Bast / Arndt, ZaöRV 62 (2002) 78, 112; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 58. 565 Schroeder, EuR 2007, 349, 368. 566 Killmann, JBl. 2005, 566, 569; Schroeder, EuR 2007, 349, 367.

F. Richtlinienanaloge Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

159

Darüber hinaus passten die funktionalen Überlegungen, mit denen die unmittelbare Wirkung gemeinschaftlicher Verpflichtungen im nationalen Rechtsraum begründet wird, auch auf das Recht der PJZS. Das Gemeinschaftsprimärrecht gelte unmittelbar in den Mitgliedstaaten. Die Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinien sei nicht von nationalen Transformationsoder Vollzugsakten abhängig.567 Denn das Gemeinschaftsrecht bedürfe einer einheitlichen Wirkung in den Mitgliedstaaten, damit die effektive Verwirklichung der Vertragsziele gelingen könne.568 Diese funktionale Überlegung gelte aber nicht nur für das Gemeinschaftsrecht, sondern auch für das Unionsrecht. Denn auch das Unionsrecht werde durch allgemeine und besondere Ziele gesteuert.569 Damit jedoch die effektive Wirkung der Rahmenbeschlüsse gewährleistet sei, dürfe die Verpflichtung zur Umsetzung der Rahmenbeschlüsse nicht allein vom Umsetzungswillen des nationalen Gesetzgebers abhängen. Die Verpflichtung aus dem Unionsrecht müsse vielmehr autonome Geltung gegenüber dem nationalen Recht besitzen.570 Da mit dem Rahmenbeschluss ebenso wie mit der Richtlinie eine Angleichung des Rechts in den Mitgliedstaaten bezweckt werde, müsse die Umsetzungsverpflichtung auch für die nationalen Behörden und Gerichte gelten.571 Sie seien deshalb dazu verpflichtet, das anzugleichende nationale Recht gegebenenfalls rahmenbeschlusskonform auszulegen.572

2. Nur unwesentliche Unterschiede zwischen Rahmenbeschluss und Richtlinie Entgegen den Befürwortern einer bloßen Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung werden die bestehenden Unterschiede zwischen Rahmenbeschluss und Richtlinie nicht als Hindernis für die Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse angesehen.

567 Schroeder, EuR 2007, 349, 363, der allerdings nicht auf die unmittelbare Geltung der primärrechtlichen Umsetzungsverpflichtung abstellt, sondern auf eine unmittelbare Geltung des gesamten Gemeinschaftsrechts, einschließlich der Richtlinien im nationalen Recht. 568 Schroeder, EuR 2007, 349, 363 unter Verweis auf EuGH, Rs. 9 / 65 (San Michele), Slg. 1967, 37, 39 und Rs. 106 / 77 (Simmenthal II), Slg. 1978, 629, Rn. 17 f. 569 Schroeder, EuR 2007, 349, 363. 570 Vgl. Schroeder, EuR 2007, 349, 363. 571 Vgl. Schroeder, EuR 2007, 349, 363, der allerdings von dem Vorrang „des Rahmenbeschlusses“ vor nationalem Recht spricht, nicht vom Vorrang der Umsetzungsverpflichtung. Dazu schon oben 2. Teil: E.II.3. 572 Zeder, ÖJZ 2001, 81, 82.

160

2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

a) Unmittelbare Wirksamkeit Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU besage zwar, dass Rahmenbeschlüsse nicht unmittelbar wirksam sind. Durch diesen Zusatz unterscheide sich die Regelung des Rahmenbeschlusses inhaltlich von Art. 249 III EG. Dieser Ausschluss wird jedoch so verstanden, dass nur der Rahmenbeschluss selbst weder unmittelbar angewendet werden könne, noch entgegenstehendes nationales Recht verdränge.573 Die Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des bestehenden nationalen Rechts bleibe davon jedoch unberührt.574 b) Verfahrens- und Formvorschriften Ein weiterer Unterschied zwischen Rahmenbeschluss und Richtlinie bestehe in unterschiedlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen. So sei eine Veröffentlichung des Rahmenbeschlusses vertraglich nicht geregelt, weil Art. 41 EU nicht auf Art. 254 EG verweise. Dennoch werden aufgrund einer Selbstbindung der Organe durch die Erklärung Nr. 9 der Regierungskonferenz zum Vertrag von Amsterdam sowie nach Art. 17 I lit. d GeschORat Rahmenbeschlüsse im Amtsblatt veröffentlicht.575 Auch eine Verpflichtung zur Begründung nach Art. 253 EG bestehe wegen Art. 41 EU für Rahmenbeschlüsse nicht, jedoch werden in der Praxis Begründungen beigefügt.576 Auch diese Unterschiede stünden der Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse nicht entgegen. Denn auch für die Herleitung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung seien die Veröffentlichungspflicht und die Begründungspflicht nicht ausschlaggebend gewesen.

III. Zusammenfassung Die Vertreter der soeben dargestellten Ansicht kommen zu dem Ergebnis, dass die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse übertragbar sei577, weil weitgehende Parallelen zwischen Unionsrecht und Gemeinschaftsrecht bestünden.578 Diese Parallelen setzten sich bei der Betrachtung des Rahmenbeschlusses als richtlinienähnliches Rechtsinstrument fort.579 Zudem gebe es bereits Vorbilder für die Übertragung von Mechanismen des Gemeinschaftsrechts auf andere Verträge.580 573 574 575 576 577 578 579

Schroeder, EuR 2007, 349, 366 f. Vgl. oben 1. Teil: C.I.2.; Schroeder, EuR 2007, 349, 362. Schroeder, EuR 2007, 349, 361. Schroeder, EuR 2007, 349, 361. Schroeder, EuR 2007, 349, 352 u. 368 f. Schroeder, EuR 2007, 349, 352 ff. Schroeder, EuR 2007, 349, 368 f.

G. Stellungnahme

161

G. Stellungnahme Der EuGH urteilte in der Rechtssache Pupino, dass der Grundsatz konformer Auslegung nicht nur auf Richtlinien, sondern auch auf Rahmenbeschlüsse anzuwenden sei.581 Diese Rechtsprechung wird jedoch – wie gesehen – nach wie vor kontrovers diskutiert. Das Meinungsspektrum hierzu ist vielfältig. Einige Lösungsansätze konnten bereits widerlegt werden.582 Es bleibt nun noch zu entscheiden, ob eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung analog der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung deswegen abzulehnen ist, weil man die Unterschiede zwischen PJZS und EG-Vertrag hervorhebt583 oder ob man eine solche Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung dadurch begründen kann, dass man die Gemeinsamkeiten von PJZS und EG-Vertrag betont.584 Ruft man sich die Unterschiede zwischen der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung und der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung ins Gedächtnis585, so kommt man zu folgendem Schluss: Eine Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse hängt davon ab, dass Art. 34 II 2 lit. b EU unmittelbar die innerstaatlichen Stellen verpflichtet und dass die Umsetzungsverpflichtung des Art. 34 II 2 lit. b EU Vorrang vor anderweitigen innerstaatlichen Verpflichtungen zukommt. Voraussetzung dafür, dass ein seiner Entstehung nach völkerrechtlicher Vertrag wie der EU-Vertrag Verpflichtungen enthält, die in die innerstaatliche Rechtsordnung hineinwirken und so die innerstaatlichen Stellen binden, ist, dass der EU Hoheitsrechte von den Mitgliedstaaten übertragen worden sind, die die EU auch in Anspruch nimmt. Es sind daher nicht allein die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von PJZS und Gemeinschaftsrecht zu analysieren, sondern darüber hinaus muss auch noch geklärt werden, ob der EU Hoheitsrechte übertragen worden sind und ob sie diese Hoheitsrechte durch den Erlass von Rahmenbeschlüssen in den Mitgliedstaaten ausübt. Bejaht man die Übertragung von Hoheitsrechten, so muss anschließend die Frage beantwortet werden, ob die Umsetzungsverpflichtung in Art. 34 II 2 lit. b EU ebenso Vorrang vor entgegenstehenden mitgliedstaatlichen Verpflichtungen der innerstaatlichen Stellen in Anspruch nimmt, wie dies Art. 249 III EG für die Umsetzungsverpflichtung bezüglich Richtlinien tut. 580 Kokott, in: Streinz, Art. 305 EGV, Rn. 10; Schmalenbach, in: Calliess / Ruffert, Art. 305 EGV, Rn. 5 m. w. N.; Schroeder, EuR 2007, 349, 354. 581 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 43; v. Unger, NVwZ 2006, 46, 48 f. 582 s. o. 2. Teil: C.I.; 2. Teil: C.II.; 2. Teil: D.III.; 2. Teil: E.I.2.; 2. Teil: E.II.3. 583 So die Vertreter der Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung, s. o. 2. Teil: E.III. 584 So die soeben dargestelltenVertreter einer Parallelisierungsargumentation, s. o. 2. Teil: F. 585 s. o. 2. Teil: A.I.

162

2. Teil: Geltungsgrund der Pflicht – das Meinungsspektrum

Dieser Vorgehensweise werden die beiden hier noch zu diskutierenden Ansätze nicht gerecht. Die Vertreter der Parallelisierungsargumentation lassen allein die Parallelen von EU-Vertrag und EG-Vertrag genügen, um die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse zu übertragen. Die vorgelagerte Frage einer Hoheitsrechtsübertragung diskutieren sie nicht. Im Gegensatz dazu erkennt Hillgruber zwar, dass die Annahme einer Hoheitsrechtsübertragung Voraussetzung für die Frage der Übertragbarkeit der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse ist.586 Allerdings werden von ihm sehr einseitig die Unterschiede von Gemeinschaftsrecht und Unionsrecht betont, ohne die Gemeinsamkeiten von EU-Vertrag und EG-Vertrag mit in die Bewertung einfließen zu lassen. Im Folgenden soll daher unter Beachtung der bestehenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede von PJZS und Gemeinschaftsrecht und auch unter Berücksichtigung der Aussagen des EuGH zur Eigenart des Gemeinschaftsrechts ein eigener Lösungsansatz erarbeitet werden. Dabei soll auch eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der beiden gegenläufigen Ansätze – völkerrechtlicher Ansatz bzw. supranationalisierter Ansatz – erfolgen.

586

Hillgruber, JZ 2005, 841, 841.

3. Teil

Der Geltungsgrund und der Rang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts – eigener Lösungsansatz A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung I. Alleiniges Abstellen auf Verortung im EU-Vertrag petitio principii Vorab ist festzuhalten, dass allein aus der Tatsache, dass der Rahmenbeschluss im EU-Vertrag geregelt ist, noch nicht zwingend folgt, dass die Verpflichtung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses nur eine völkerrechtliche Pflicht darstellt. Durch eine solche Argumentation ist nicht viel gewonnen.1 Denn will man begründen, warum es sich bei der Verpflichtung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses nur um eine völkerrechtliche Verpflichtung handle, so ist mit der Feststellung, dass der EU-Vertrag nur eine völkerrechtliche Zusammenarbeit beinhaltet, die Ausgangsbehauptung nicht begründet. Es wäre vielmehr auch zu belegen, warum der EUVertrag lediglich eine völkerrechtliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten regelt. Ob der EU-Vertrag aber wirklich nur völkerrechtliche Verpflichtungen oder aber mehr begründet, richtet sich nicht nach der Benennung als EU-Vertrag in Abgrenzung zum EG-Vertrag, sondern nach dem Inhalt des Vertrags.2 Allein durch den Verweis darauf, dass Rahmenbeschlüsse im EU-Vertrag geregelt seien, ist daher für oder gegen die Annahme einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung in Parallele zur richtlinienkonformen Auslegung nichts gewonnen.

1 2

Masing, NJW 2006, 264, 266; Schroeder, EuR 2007, 349, 351 f. Masing, NJW 2006, 264, 266.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

II. Dichotomie von Völkerrecht und Gemeinschaftsrecht überholt 1. Kein Erkenntnisgewinn aufgrund der Stellung von Rahmenbeschlüssen im EU-Vertrag Mit der Einstufung des Rahmenbeschlusses als Völkerrecht ist nicht viel an Erkenntnis verbunden.3 Diese Einordnung gewönne nur dann an Aussagekraft, wenn mit Völkerrecht das traditionelle Vertragsvölkerrecht gemeint wäre, dem das Gemeinschaftsrecht als besonderes, supranationales Recht gegenüberstünde. Diese Gegenüberstellung entspricht heute aber nicht mehr der Realität. Denn eine solche Gegenüberstellung berücksichtigt nicht die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, die das Völkerrecht bereitstellt. Nicht zuletzt durch die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft als Integrationsverband auf der Basis des klassischen völkerrechtlichen Vertragsrechts wurde die Flexibilität des Völkerrechts unter Beweis gestellt.4 Der heutige EG-Vertrag wurde ursprünglich auch als reines Völkerrecht angesehen.5 Auch beim EG-Vertrag musste erst der EuGH die besondere Konzeption des Gemeinschaftsrechts hervorheben6, bevor die Supranationalität des Gemeinschaftsrechts allgemein anerkannt wurde.7 Mit einer Sichtweise, die auf dem Entweder-Oder von Gemeinschaftsrecht und klassischem Völkerrecht beruht, lassen sich die Wirkungen eines Rahmenbeschlusses nicht mehr angemessen beschreiben. Es gibt vielmehr verschiedene Verdichtungsgrade mitgliedstaatlicher Kooperation.8 Sie beginnt beim klassischen völkerrechtlichen Einzelvertrag, umfasst die Sekundärgesetzgebung mancher Internationaler Organisationen sowie die verschieden intensiven Kooperationsformen des EU-Rechts vom Übereinkommen bis zum Rahmenbeschluss und kommt schließlich beim gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrecht in der Form von Richtlinien und Verordnungen an.9 Darüber hinaus ist die EU gem. Art. 1 II EU auf eine immer engere Union der Völker Europas angelegt. Der Entwicklung der Union wohnt damit eine gewisse Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1123. Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1123. 5 Heintsch, EuR 2001, 809, 810; Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch Europäische Rahmenbeschlüsse, 22. 6 EuGH, Rs. 6 / 64 (Costa / ENEL), Slg. 1964, 1251, 1269 ff.; EuGH, Rs. 106 / 77 (Simmenthal II), Slg. 1978, 629, Rn. 14 / 16 ff.; EuGH, Gutachten 1 / 91 (EWR-Abk.), Slg. 1991, I-6079, Rn. 21. 7 Vedder, EuR Beiheft 1 / 1999, 7, 41; Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch Europäische Rahmenbeschlüsse, 23. 8 Giegerich, ZaöRV 67 (2007), 351, 353; Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1123; vgl. auch die Übersicht über die Entwicklung der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres bei König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 235 ff. 9 Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1123. 3 4

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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Dynamik inne.10 Für die Frage der Wirkung von Rechtsakten der EU sollte daher nicht auf den Integrationsstand von 1993 oder von 1998 abgestellt werden, sondern auch die Entwicklung der letzten Jahre in den Blick genommen werden. Die rechtliche Analyse der Wirkungen eines Rahmenbeschlusses erfordert eine systematische Einordnung in die Gesamtskala, die das allgemeine Völkerrecht, das Unionsrecht und das Gemeinschaftsrecht an Integrationsdichte gegenwärtig bereithalten.11 Allein mit dem Verweis darauf, dass der Rahmenbeschluss im EU-Vertrag geregelt sei, kann man daher keine Schlüsse über die Wirkungen der Verpflichtung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses gem. Art. 34 II 2 lit. b EU aus dem EU-Vertrag ziehen.

2. Flexible Übergänge von völkerrechtlicher Zusammenarbeit zu unionsrechtlicher bzw. gemeinschaftsrechtlicher Zusammenarbeit Um die Wirkung der Pflicht zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht angemessen zu beschreiben, hilft es nicht weiter, das „supranationale“ Gemeinschaftsrecht dem „intergouvernementalen“ Recht der PJZS schematisch gegenüberzustellen. Denn im Gegensatz zu anderen völkerrechtlichen Handlungsformen ist hinsichtlich des Unionsrechts die bereits bestehende enge Verbindung der Mitgliedstaaten untereinander in der EU und der EG im Blick zu behalten.12 Die EU verknüpft ihre Mitgliedstaaten in einer Weise, die mit dem herkömmlichen Dualismus von Staatsrecht und allgemeinem Völkerrecht nicht mehr angemessen zu begreifen ist, da die Integration mittlerweile eine politische Dimension erreicht hat.13 Die juristische Analyse kommt hier mit dem Entweder-Oder von klassischem Völkerrecht und Gemeinschaftsrecht nicht mehr weiter. Das Völkerrecht kann auf neue Herausforderungen außerordentlich flexibel reagieren.14 Diese Flexibilität zeigt sich nicht nur daran, dass sich das Gemeinschaftsrecht schrittweise aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags fortentwickelt hat.15 Es ist bisher immer wieder vorgekommen, dass Gegenstände, die ursprünglich in einem völkerrechtlichen Abkommen geregelt waren, in das Unionsrecht aufgenommen und schließlich gegebenenfalls ins Gemeinschaftsrecht überführt wurden.16 Herausgegriffen seien dafür nur zwei Beispiele: Besonders deutlich zeigt sich anhand des Schengen-Besitzstandes, wie ursprünglich völkerrechtlich geregelte Materien in den EU-Vertrag und den EG-Vertrag aufgenommen wurden. Das Schengener Abkommen17 wurde zwischen der Bundes10 11 12 13 14 15 16

So auch Weißer, ZIS 2006, 562, 567. Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 353; Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1124. Dazu näher unten, 3. Teil: A.V.2.a). Vgl. Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1124. Schönberger, ZaöRV 67 (2007)1107, 1123 f. Schönberger, ZaöRV 67 (2007)1107, 1123. Vgl. zu den Materien der ZBIJ König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 235 ff.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

republik Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden abgeschlossen.18 Es ist auf den schrittweisen Abbau der Personenkontrollen an den Binnengrenzen der Vertragsparteien gerichtet. Am 19.6.1990 wurde zur Umsetzung des Schengener Abkommens das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ)19 unterzeichnet. Regelungsgegenstand des SDÜ sind Ausgleichsmaßnahmen, die infolge der Abschaffung der Binnengrenzkontrollen einen einheitlichen Raum der Sicherheit und des Rechts gewährleisten sollen. Nachdem die SchengenZusammenarbeit zunächst nur auf völkerrechtlicher Basis erfolgte, wurde sie durch das Schengen-Protokoll20 zum Amsterdamer Vertrag21 vom 2.10.1997 mit Wirkung vom 1.5.1999 in den rechtlichen Rahmen der EU einbezogen.22 Gem. Art. 2 I UA 2 S. 2 Schengen-Protokoll hat der Rat die Aufgabe, die Rechtsgrundlage für die Bestimmungen, die den Schengen-Besitzstand bilden23, festzulegen. Solange der Rat diese Maßnahmen noch nicht getroffen hatte, galten die Bestimmungen und Beschlüsse, die den Schengen-Besitzstand bildeten gem. Art. 2 I UAbs. 4 Protokoll Nr. 2 als Rechtsakte, die auf Titel VI EU gestützt sind.24 Die Aufteilung des Schengen-Besitzstandes25 auf EU-Vertrag und EG-Vertrag erfolgte durch Beschluss des Rates vom 20.5.1999.26 Dadurch wurden der Schengen17 Schengener Abkommen – Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen v. 14. Juni 1985, GMBl. 1986, 79 ff. 18 Vgl. zur Vorgeschichte der Schengener Abkommen Epiney, in: Achermann / Bieber / Epiney / Wehner, Schengen und die Folgen, 21, 22 ff. m. w. N.; König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 315 m. w. N.; Peers, EU Justice and Home Affairs Law, 44 ff. 19 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen v. 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen v. 19. Juni 1990, BGBl. II 1993, 1013 ff. 20 Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes in den Rahmen der Europäischen Union v. 2.10.1997, ABl. Nr. C 340 v. 10.11.1997, 93. 21 Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte v. 2.10.1997, ABl. Nr. C 340 v. 10.11.1997, 1 ff.; BGBl. II 1998, 386 ff. 22 Hobe, Europarecht, 279; König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 242; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 55; Rossi, in: Calliess / Ruffert, Art. 61 EGV, Rn. 13 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 962 f. Ausnahmen und Besonderheiten gelten für das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark. 23 Beschluss des Rates Nr. 1999 / 435 v. 20. Mai 1999 zur Bestimmung des Schengen-Besitzstands zwecks Festlegung der Rechtsgrundlagen für jede Bestimmung und jeden Beschluss, die diesen Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union, ABl. Nr. L 176 v. 10.7.1999, 1. 24 Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 73. 25 Beschluss des Rates Nr. 1999 / 435 v. 20. Mai 1999 zur Bestimmung des Schengen-Besitzstands zwecks Festlegung der Rechtsgrundlagen für jede Bestimmung und jeden Beschluss,

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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Besitzstand und seine Weiterentwicklung in weiten Bereichen in die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft überführt. Dies zeigt, wie ursprünglich völkerrechtlich geregelte Materien in das Unionsrecht und schließlich in das Gemeinschaftsrecht Eingang gefunden haben. Ein zweites Beispiel für die flexiblen Übergänge vom Völkerrecht zum Gemeinschaftsrecht sind die Regeln über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Sie entstammen ursprünglich der völkerrechtlichen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten. Das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ)27 wurde 1968 abgeschlossen. Dieser völkerrechtliche Vertrag wurde mit Wirkung ab dem 1. März 2002 für alle Staaten der EU mit Ausnahme Dänemarks28 durch die Brüssel-I-Verordnung (EuGVVO)29 abgelöst. Derartige Beispiele illustrieren, wie eine Sachmaterie vom Völkerrecht in das Unions- oder Gemeinschaftsrecht verschoben werden kann.30 Der Hinweis, Rechtsakte der Union seien Völkerrecht, genügt daher nicht, um Rechtswirkungen sekundärer Unionsrechtsakte im innerstaatlichen Rechtskreis zu verneinen.31

die diesen Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union, ABl. Nr. L 176 v. 10.7.1999, 1. 26 Beschluss des Rates Nr. 1999 / 436 v. 20. Mai 1999 zur Festlegung der Rechtsgrundlagen für die einzelnen Bestimmungen und Beschlüsse, die den Schengen-Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union, ABl. Nr. L 176 v. 10.7.1999, 17; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 73. 27 Übereinkommen von Brüssel von 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 27. 9.1968, ABl. Nr. L 299 v. 31.12.1972, 32 ff.; BGBl. II 1972, 774. 28 Gem. Art. 1 II EuGVVO war Dänemark vom Anwendungsbereich der EuGVVO ausgenommen. In dieser Beziehung galt somit das EuGVÜ weiter. Dänemark hat jedoch mit der EG am 19.10.2005 völkerrechtlich vereinbart (ABl. Nr. L 299 v. 16.11.2005, 62), dass die EuGVVO auch für und im Verhältnis zu Dänemark Anwendung findet. Das Abkommen ist am 1.7.2007 in Kraft getreten, ABl. Nr. L 94 v. 4.4.2007, 70. 29 Verordnung EG Nr. 44 / 2001 des Rates v. 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. L 12 v. 16.1.2001, 1 ff., ber. ABl. Nr. L 307 v. 24.11.2001, 28, in Kraft getreten am 1.3.2002, zuletzt geändert durch VO EG Nr. 1103 / 2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22.10.2008 mit Wirkung v. 4.12.2008, ABl. Nr. L 304 v. 14.11.2008, 80 ff. 30 Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1125. 31 Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1125.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

III. Hintergrund der Einführung des Rahmenbeschlusses in den EU-Vertrag Der Rahmenbeschluss ist eine spezifisch unionsrechtliche Maßnahme, die erst mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam 1999 in den EU-Vertrag eingeführt worden ist.32 Vor dem Vertrag von Amsterdam waren die Maßnahmen, die zur Verfolgung der Ziele der EG und zur Verfolgung der Ziele der EU zur Verfügung standen, sehr verschieden. Im Unionsrecht standen zur Vereinheitlichung der Politikbereiche in der dritten Säule gem. Art. K.3 EUV gemeinsame Standpunkte, gemeinsame Maßnahmen und Übereinkommen zur Verfügung.33 Allgemein wurde angenommen, dass die Übereinkommen die Mitgliedstaaten erst nach ihrer Ratifizierung binden.34 Bezüglich der gemeinsamen Standpunkte und der gemeinsamen Maßnahmen bestand von Anfang an Streit darüber, ob sie eine rechtliche Bindungswirkung entfalten.35 Art. K.3 II lit. b EUV schwieg zu den Rechtswirkungen der gemeinsamen Maßnahmen. Diese Regelungstechnik stand im Gegensatz zu der expliziten Verbindlichkeitsanordnung der Maßnahmen in Art. 249 EG.36 Im Gemeinschaftsrecht gab es mit den Handlungsformen des Art. 249 EG, insbesondere mit Verordnungen und Richtlinien, rechtsverbindliche Instrumente, um den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts effektiv zu verfolgen. Die Instrumente des Art. K.3 EUV sind nur sehr wenig in Anspruch genommen worden.37 Der Grund dafür scheinen die bestehenden Meinungsverschiedenheiten über die rechtlichen Wirkungen dieser Instrumente gewesen zu sein.38 32 Schroeder, EuR 2007, 349, 358; Streinz, in: FS Otto, 1029, 1029; Wasmeier, ZEuS 2006, 23, 27; Zeder, ÖJZ 2001, 81, 81. 33 Killmann, JBl. 2005, 566, 566; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 29 EUV, Rn. 7. 34 Killmann, JBl. 2005, 566, 566; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 29 EUV, Rn. 7. 35 Europäischer Rat und Rat der Europäischen Union, Bericht des Rates v. 6. April 1995 über die Funktionsweise des Vertrages über die Europäische Union, 33, Rn. 80; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht über die Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union v. 10. Mai 1995, 50, Rn. 121; v. Bogdandy / Bast / Arndt, ZaöRV 62 (2002) 77, 110 f.; Harings, EuR Beiheft 2 / 1998, 81, 88; Killmann, JBl. 2005, 566, 566; Ligeti, Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit, 61 f.; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 3; Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1111 f.; Wasmeier, ZEuS 2006, 23, 27; Wasmeier, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 59, 59; Zeder, ÖJZ 2001, 81, 82. 36 v. Bogdandy / Bast / Arndt, ZaöRV 62 (2002) 77, 110. 37 Europäischer Rat und Rat der Europäischen Union, Bericht des Rates v. 6. April 1995 über die Funktionsweise des Vertrages über die Europäische Union, 33, Rn. 80; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht über die Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union v. 10. Mai 1995, 50, Rn. 119; vgl. auch den Überblick über die in den Bereichen Justiz und Inneres angenommenen Texte im dortigen Anhang 15. 38 Europäischer Rat und Rat der Europäischen Union, Bericht des Rates v. 6. April 1995 über die Funktionsweise des Vertrages über die Europäische Union, 33, Rn. 80; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen der Niederlande (Europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres – Drittes Memorandum der niederländischen Regierung v. 23. Mai 1995 für die Regierungskonferenz 1996), 128.

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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Die Unsicherheit über die Rechtsverbindlichkeit gemeinsamer Maßnahmen wurde im Vorfeld der Verhandlungen zum Amsterdamer Vertrag kritisiert39 und es wurden rechtlich verbindliche, effektivere Handlungsinstrumente gefordert.40 Denn die Sicherheit des Bürgers erfordere einen rechtlichen Schutz, welcher nur durch einen festen Rechtsrahmen gewährleistet werden könne.41 Gerade in einem grundrechtssensiblen Bereich wie Titel VI EUV müsse Rechtssicherheit vorherrschen.42 39 Europäischer Rat und Rat der Europäischen Union, Bericht des Rates v. 6. April 1995 über die Funktionsweise des Vertrages über die Europäische Union, 33, Rn. 80; Europäischer Rat und Rat der Europäischen Union, Bericht der Reflexionsgruppe v. 5. Dezember 1995, SN 520 / 1 / 95 REV 1, 16, Rn. 48; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht über die Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union v. 10. Mai 1995, 50, Rn. 121; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen der Niederlande (Europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres – Drittes Memorandum der niederländischen Regierung v. 23. Mai 1995 für die Regierungskonferenz 1996), 128; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Italiens (Position der Italienischen Regierung v. 18.3.1996 zu Regierungskonferenz über die Revision der Verträge), 112. 40 Europäischer Rat und Rat der Europäischen Union, Bericht des Rates v. 6. April 1995 über die Funktionsweise des Vertrages über die Europäische Union, 33, Rn. 80; Europäischer Rat und Rat der Europäischen Union, Bericht der Reflexionsgruppe v. 5. Dezember 1995, SN 520 / 1 / 95 REV 1, 16, Rn. 48; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht über die Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union v. 10. Mai 1995, 50, Rn. 120; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Stellungnahme v. 6. Dezember 1995 zum Bericht der Reflexionsgruppe; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen der Niederlande (Europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres – Drittes Memorandum der niederländischen Regierung v. 23. Mai 1995 für die Regierungskonferenz 1996), 130; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Belgiens (Memorandum der Regierungen Belgiens, Luxemburgs und der Niederlande v. 7. März 1996 im Hinblick auf die Regierungskonferenz), 30; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Belgiens (Aufzeichnung für das Belgische Parlament über die Politik der Regierung im Hinblick auf die Regierungskonferenz im Jahr 1996), 22; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Italiens (Mitteilung der italienischen Regierung v. 23.5.1995 über die Regierungskonferenz zur Änderung des Maastrichter Vertrags), 109; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Italiens (Position der Italienischen Regierung v. 18.3.1996 zur Regierungskonferenz über die Revision der Verträge), 112; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Österreichs (Grundsatzpositionen Österreichs zur Regierungskonferenz – Dokument der Österreichischen Regierung v. 26.3.1996), 145; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Portugals (Portugal und die Regierungskonferenz zur Revision des Vertrags über die Europäische Union – Dokument des Außenministeriums v. März 1996), 155; Wasmeier, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 59, 59. 41 Europäischer Rat und Rat der Europäischen Union, Bericht der Reflexionsgruppe v. 5. Dezember 1995, SN 520 / 1 / 95 REV 1, 16, Rn. 48; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht über die Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union v. 10. Mai 1995, 50, Rn. 120. 42 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht über die Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union v. 10. Mai 1995, 50, Rn. 120; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Spaniens (Dokument „Beitrag zu einem spanischen Standpunkt auf der Regierungskonferenz von 1996“ v. 28. März 1996), 82; Weißbuch

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

Zum Teil wurden sogar Richtlinien im Bereich Justiz und Inneres für angemessen erachtet.43 Mit der gemeinsamen Maßnahme hatte man jedoch gerade keine ebenso effektive, unstreitig verbindliche Rechtsform im Unionsrecht wie im Gemeinschaftsrecht zur Hand.44 In diesem Spannungsfeld bewegt sich heute die Bestimmung des Art. 34 II 2 lit. b EU.45 Um die Unterschiede zwischen den Handlungsinstrumenten der ersten Säule und der dritten Säule, die für die Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zur Verfügung stehen, zu beseitigen, wurde eine richtlinienähnliche Rechtssetzungsform, nämlich der Rahmenbeschluss, in den EU-Vertrag eingeführt.46 Durch Verzicht auf Begriffe wie „gemeinsames Vorgehen“ und „Maßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten“ ist der Rahmenbeschluss im Vergleich zur gemeinsamen Maßnahme eindeutig als Rechtsakt der EU zu erkennen.47 Als Urheber werden in Art. 34 II 2 lit. b EU nicht die Mitgliedstaaten, sondern der Rat genannt. Durch seine Rechtsfolgenanordnung ist der Rahmenbeschluss als verbindlicher Rechtsakt zu erkennen.48 zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Finnlands (Ansätze und Ziele Finnlands im Zusammenhang mit der Regierungskonferenz 1996 – Bericht der finnischen Regierung v. 27.2.1996), 164. 43 Europäischer Rat und Rat der Europäischen Union, Bericht der Reflexionsgruppe v. 5. Dezember 1995, SN 520 / 1 / 95 REV 1, 11, Rn. 30; Europäisches Parlament, Entschließung v. 17. Mai 1996 zur Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union im Hinblick auf die Regierungskonferenz 1996, PE 190.441, 4; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen der Niederlande (Europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres – Drittes Memorandum der niederländischen Regierung v. 23. Mai 1995 für die Regierungskonferenz 1996), 130; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Spaniens (Dokument „Beitrag zu einem spanischen Standpunkt auf der Regierungskonferenz von 1996“ v. 28. März 1996), 82; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Italiens (Position der Italienischen Regierung v. 18.3.1996 zu Regierungskonferenz über die Revision der Verträge), 109. 44 Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 29 EUV, Rn. 7; Weber, EuR 2008, 88, 92; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Belgiens (Memorandum der Regierungen Belgiens, Luxemburgs und der Niederlande v. 7. März 1996 im Hinblick auf die Regierungskonferenz), 30; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Spaniens (Dokument „Beitrag zu einem spanischen Standpunkt auf der Regierungskonferenz von 1996“ v. 28. März 1996), 82; Weißbuch zur Regierungskonferenz 1996 (Bd. II), PE 165.963, Positionen Italiens (Position der Italienischen Regierung v. 18.3.1996 zu Regierungskonferenz über die Revision der Verträge), 112. 45 Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. 46 Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551; Killmann, JBl. 2005, 566, 569; Weber, EuR 2008, 88, 92; zu richtlinienförmigen Rechtsinstrumenten vgl. v. Bogdandy / Bast / Arndt, ZaöRV 62 (2002) 78, 110 f. 47 v. Bogdandy / Bast / Arndt, ZaöRV 62 (2002) 77, 110; Schroeder, EuR 2007, 349, 358, 359. 48 Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551; Killmann, JBl. 2005, 566, 569; zu richtlinienförmigen Rechtsinstrumenten vgl. v. Bogdandy / Bast / Arndt, ZaöRV 62 (2002) 78, 111.

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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Die historische Entstehung zeigt die Vorbildfunktion der Richtlinie für den Rahmenbeschluss.49 Der Rahmenbeschluss ist als ein der Richtlinie vergleichbares Handlungsinstrument in der PJZS konzipiert.50 Dies spricht dafür, bei der Frage nach den Rechtswirkungen des Rahmenbeschlusses bzw. der Umsetzungsverpflichtung auch die bereits bestehenden Regelungen zur Richtlinie und deren Umsetzungsverpflichtung als mögliche Parallelen im Blick zu behalten. Der in Art. 34 EU verwendete Begriff der „Verbindlichkeit“ deutet darauf hin, dass der Rahmenbeschluss mehr als nur ein völkerrechtlicher Akt zwischenstaatlicher Zusammenarbeit ist.51 Das gilt nicht etwa deshalb, weil völkerrechtliche Rechtsakte für die Mitgliedstaaten unverbindlich wären, sondern gerade deshalb, weil völkerrechtliche Normen verbindlich sind. Die angeordnete Verbindlichkeit der Rahmenbeschlussziele ist somit kein tautologischer Hinweis auf den Grundsatz pacta sunt servanda.52 Der ausdrückliche Hinweis auf die Verbindlichkeit der Ziele des Rahmenbeschlusses greift vielmehr die gemeinschaftsrechtliche Formulierung zur Zielverbindlichkeit der Richtlinie in Art. 249 III EG auf.53 Es spricht daher viel dafür, dass mit der expliziten Verbindlichkeitserklärung der Ziele des Rahmenbeschlusses auch der Umsetzungsverpflichtung eine effektive rechtliche Wirkung innerhalb der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten verschafft werden sollte54, ohne dass ein gesonderter nationaler Transformationsakt notwendig wird.55 Der historische Kontext der Einführung des Rahmenbeschlusses in den EU-Vertrag spricht als ein Indiz dafür, die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auch auf Rahmenbeschlüsse zu erstrecken.56

IV. Möglichkeit einer parallelen Interpretation von Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU und Art. 249 III EG In der Geschichte der europäischen Einigung ist es nicht umstürzend neu, dass Mechanismen eines Vertrags auf einen anderen Vertrag erstreckt werden. Dies soll im Folgenden erläutert werden. 49

Killmann, JBl. 2005, 566, 569; Schroeder, EuR 2007, 349, 364; Zeder, ÖJZ 2001, 81,

82. 50 Killmann, JBl. 2005, 566, 569; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 568; Schroeder, EuR 2007, 349, 364; Zeder, ÖJZ 2001, 81, 82. 51 Schroeder, EuR 2007, 349, 361; v. Unger, NVwZ 2005, 1266, 1270. 52 Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1125; Schroeder, EuR 2007, 349, 361, v. Unger, NVwZ 2005, 1266, 1270. 53 Vgl. Schroeder, EuR 2007, 349, 361. 54 Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 568; Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1125; v. Unger, NVwZ 2005, 1266, 1270. 55 Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1125. 56 Killmann, JBl. 2005, 566, 569.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

1. Übertragbarkeit von Mechanismen trotz rechtlicher Trennung der Säulen Die EU und die EGen sind rechtlich voneinander getrennt.57 Diese rechtliche Trennung spiegelt sich nicht nur in den unterschiedlichen Verträgen wider, sondern auch darin, dass der EU-Vertrag selbst an verschiedenen Stellen zwischen der EU und der EG differenziert.58 Insbesondere die Möglichkeit einer vereinfachten Vergemeinschaftung gem. Art. 42 EU sowie die Unberührtheitsklausel in Art. 47 EU zeigen, dass EU und EG rechtlich voneinander zu unterscheiden sind. Der EuGH respektierte bisher die Trennung der Säulen.59 Fraglich ist daher, ob man Grundsätze des EG-Vertrags trotz der rechtlichen Trennung der Verträge auf den EU-Vertrag übertragen kann.

a) Bedeutung der Passerelle in Art. 42 EU Zum Teil wird die Übertragung von Wirkungsweisen des Gemeinschaftsrechts auf das EU Recht abgelehnt.60 Zur Begründung wird auf die Möglichkeit einer vereinfachten Vergemeinschaftung von Materien der PJZS gem. Art. 42 EU verwiesen. An der Passerelle zeige sich die rechtliche Trennung der ersten und dritten Säule. Diese Trennung habe ihre Bedeutung gerade darin, dass die Wirkungsweisen des Gemeinschaftsrechts von den Wirkungsweisen des Unionsrechts verschieden seien.61 Daran, dass ein Vergemeinschaftungsbeschluss für die in der PJZS verbliebenen Materien noch nicht getroffen worden ist, zeige sich, dass die Materien der PJZS noch nicht dem Gemeinschaftsrecht unterstehen.62 Gemeinschaftsrechtliche Mechanismen könnten daher nicht auf die in der PJZS normierten Vorschrif57 Classen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 23 GG, Rn. 6; Everling, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 847, 875; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 30; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 412; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 29 EUV, Rn. 24. 58 Z. B. Art. 29 I EU „unbeschadet der Befugnisse der Europäischen Gemeinschaften …“, Art. 42 EU, Art. 47 EU. 59 EuGH, Rs. C-170 / 96 (Flughafentransit), Slg. 1998, I-2763, Rn. 14 ff.; EuGH, verb. Rs. C-317 / 04 u. C-318 / 04 (Fluggastdaten), Slg. 2006, I-4721, Rn. 56 ff. u. 68 f., wo der EuGH einer vertragswidrigen schleichenden Vergemeinschaftung entgegentrat; sowie EuGH, Rs. C-176 / 03 (Umweltstrafrecht), Slg. 2005, I-7879, Rn. 38 f. u. 53; zustimmend Böse, GA 2006, 211, 211 ff.; EuGH, C-440 / 05 (Verschmutzung durch Schiffe), Slg. 2007, I-9097, Rn. 52 f. u. 66 ff., wo der EuGH die Flucht aus der ersten in die dritte Säule untersagte. Dazu auch Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 368 ff.; EuGH, Rs. C-301 / 06 (Vorratsdatenspeicherung), Slg. 2009, I-593, Rn. 75 ff. 60 Götz, in: FS Rauschning, 185, 193; Reichelt, Die Rechtmäßigkeitskontrolle von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen gem. Art. 35 VI EU, 16. 61 Götz, in: FS Rauschning, 185, 193; Reichelt, Die Rechtmäßigkeitskontrolle von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen gem. Art. 35 VI EU, 16. 62 Streinz, Europarecht, Rn. 473; differenzierter Weißer, ZIS 2006, 562, 568.

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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ten übertragen werden.63 Mit einer solchen Argumentation käme man zu dem Ergebnis, dass eine Übertragung der Auslegung von Art. 249 III EG auf Art. 34 II 2 lit. b EU ausscheiden müsste. Eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung in Parallele zur richtlinienkonformen Auslegung wäre dann nicht zu befürworten. Gegen diese Betrachtungsweise ist einzuwenden, dass dabei die Trennung von EG-Vertrag und EU-Vertrag am Beispiel der Passerelle überbetont wird. Die rechtliche Trennung von EU-Vertrag und EG-Vertrag ist allein kein hinreichendes Argument gegen die Übertragung von Mechanismen der ersten Säule auf die dritte. Denn wortgleiche Bestimmungen verschiedener völkerrechtlicher Verträge können durchaus übereinstimmend ausgelegt werden, sofern Ziel und Zweck der Verträge sowie der Zusammenhang, in den sich diese Ziele einfügen, vergleichbar sind.64 Die Ansicht, wonach die Existenz des Art. 42 EU im EU-Vertrag die Übertragung der richtlinienkonformen Auslegung auf Art. 34 II 2 lit. b EU ausschließe, verkennt, dass durch die Passerelle kein Hindernis für die Übertragung von Mechanismen des Gemeinschaftsrechts auf das Unionsrecht geschaffen werden sollte, sondern dass mit der Passerelle vielmehr das Ziel einer stärkeren Integration der PJZS-Materien in das Gemeinschaftsrecht zum Ausdruck gebracht wird. Die Bedeutung der Passerelle besteht darin, dass sie ein förmliches Vertragsänderungsverfahren für die Überführung von Materien der PJZS in den EG-Vertrag entbehrlich macht.65 Dadurch ist die Vergemeinschaftung deutlich vereinfacht. Die Vorschrift unterstreicht, dass der EU-Vertrag langfristig eine Überführung der PJZS in das Gemeinschaftsrecht anstrebt.66 Das Ziel einer Annäherung der Materien der PJZS an das Gemeinschaftsrecht, die auch inhaltlich zu einer erleichterten Überführung beiträgt, kommt gerade durch die Passerelle im EU-Vertrag zum Ausdruck. Zudem ist zu berücksichtigen, dass – selbst wenn man die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse übertragen würde – immer noch Unterschiede zwischen PJZS und erster Säule bestünden, die die Regelung von Materien im EU-Vertrag und anderen Materien im EG-Vertrag rechtfertigen würden. So stünden bei einer Vergemeinschaftung dem Rat die Handlungsformen des EG-Vertrags zur Verfügung.67 Diese unterscheiden sich nicht nur in den Verfahrensbestim63 Reichelt, Die Rechtmäßigkeitskontrolle von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen gem. Art. 35 VI EU, 16 f. 64 Dazu unten 3. Teil: A.V.; EuGH, Rs. C-312 / 91 (Metalsa), Slg. 1993, I-3751, Rn. 11. 65 Jour-Schröder / Konow, EuZW 2006, 550, 550; Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch Europäische Rahmenbeschlüsse, 25. 66 So auch Brechmann, in: Calliess / Ruffert, 2. Aufl., Art. 42 EUV, Rn. 2; Dannecker, in: Streinz, Art. 42 EUV, Rn. 2; Giegerich, ZaöRV 67 (2007), 351, 361; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 42 EUV, Rn. 2. 67 Dannecker, in: Streinz, Art. 42 EUV, Rn. 9; Jour-Schröder / Konow, EuZW 2006, 550, 552.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

mungen, sondern auch in ihrer Wirkung von Maßnahmen der PJZS.68 Erinnert sei dazu nur an die Verordnung gem. Art. 249 II EG mit unmittelbarer Geltung in den Mitgliedstaaten, sowie an Richtlinien gem. Art. 249 III EG, die im Gegensatz zu Rahmenbeschlüssen ausnahmsweise unmittelbar wirksam sein können. Darüber hinaus würde sich der Rechtsschutz bei einer Vergemeinschaftung grundsätzlich nach Art. 220 ff. EG richten.69 Wenn man also annähme, dass die Grundsätze der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Art. 34 II 2 lit. b EU übertragbar wären, würde dies noch nicht zu einer Einebnung sämtlicher Unterschiede zwischen EU-Recht und EG-Recht führen. Eine Vergemeinschaftung wäre damit nicht in vertragswidriger Weise vorweggenommen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Art. 42 EU an sich der Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse nicht entgegensteht. b) Erfahrungen mit der Übertragung von Rechtsfiguren aus dem EG-Vertrag auf andere Verträge oder Handlungsformen Bei der Frage der Übertragbarkeit der Rechtsprechung des EuGH zur Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung aus dem EG-Vertrag auf Art. 34 II 2 lit. b EU sei daran erinnert, dass die Übertragung von Grundsätzen eines Vertrags auf einen anderen Vertrag dem Gemeinschaftsrecht bisher nicht fremd ist.70 Grundsätze des EG-Vertrags wurden auch auf den EAG-Vertrag und den EGKSVertrag übertragen, obwohl auch diese drei Verträge rechtlich voneinander getrennt sind, wie sich aus Art. 305 I, II EG ergibt.71 Trotz dieser rechtlichen Trennung der Verträge hat der EuGH festgestellt, dass der EG-Vertrag gem. Art. 305 I EG insoweit auf Materien anwendbar sein kann, welche unter den EGKS-Vertrag fallen, als die aufgeworfenen Fragen nicht abschließend durch den EGKS-Vertrag geregelt werden.72 Ähnlich urteilt der EuGH zum Verhältnis von EG-Vertrag und EAG-Vertrag. Der EuGH wendet Art. 305 II EG nur bei direkten Kollisionen der Verträge an.73 Sofern der EAG-Vertrag selbst keine Regelung enthält, kann das EG-Recht auch Materien Dannecker, in: Streinz, Art. 42 EUV, Rn. 9. Jour-Schröder / Konow, EuZW 2006, 550, 553. 70 EuGH, Rs. C-221 / 88 (Busseni), Slg. 1990, I-495, Rn. 16 u. 21; EuGH, Rs. C-13 / 94 (Hopkins), Slg. 1996, I-2281, Rn. 28; Schroeder, EuR 2007, 349, 353. 71 Schroeder, EuR 2007, 349, 353 f. 72 EuGH, Rs. 328 / 85 (Deutsche Babcock), Slg. 1987, 5119, Rn. 10; EuGH, Rs. C-18 / 94 (Hopkins), Slg. 1996, I-2281, Rn. 14. 73 Vgl. EuGH, verb. Rs. 188-190 / 80 (Franz. Republik u. a. / Kommission), Slg. 1982, 2545, Rn. 32; Schroeder, EuR 2007, 349, 354. 68 69

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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des EAG-Vertrags erfassen, da insoweit der EG-Vertrag keine entgegenstehende Regelung des EAG-Vertrags beeinträchtigen kann.74 Sofern EGKS oder EAG-Vertrag eine Materie nicht abschließend regeln, ist der Rückgriff auf Bestimmungen des EG-Vertrags als Generalnorm möglich.75 Damit einher geht eine gewisse Parallelisierung der Mechanismen der verschiedenen Gemeinschaftsverträge. Der EuGH interpretierte bereits früh den EAG-Vertrag sowie den mittlerweile ausgelaufenen EGKS-Vertrag im Lichte der Mechanismen des EG-Vertrags.76 Beispielsweise gelten der zunächst für das EG-Recht entwickelte Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht, die unmittelbare Anwendbarkeit sowie die Geltung der Gemeinschaftsgrundrechte für alle Gemeinschaftsverträge.77 Außerdem hat der EuGH die Rechtswirkungen von Empfehlungen in der EGKS im Lichte seiner Rechtsprechung zu Richtlinien der EG bestimmt.78 Er hat die Grundsätze zur ausnahmsweisen unmittelbaren Wirksamkeit von Richtlinien auch auf Empfehlungen nach dem EKGS-Vertrag übertragen.79 Diese Parallelisierung betreibt der EuGH nicht nur zwischen verschiedenen Verträgen, sondern auch in Bezug auf verschiedene Handlungsformen eines Vertrags. So hat der EuGH bereits verschiedene gemeinschaftsrechtliche Rechtsakte anhand von Analogien und Vergleichen systematisiert und interpretiert.80 Zu denken wäre dabei an seine Urteile zu Richtlinien81 oder Entscheidungen82, die ausnahmsweise ähnliche Wirkungen wie Verordnungen entfalten können. Parallelisierungen sind somit weder hinsichtlich der Übertragung der Mechanismen von einem Vertrag auf einen anderen Vertrag fremd, noch hinsichtlich der 74 EuGH, verb. Rs. 188-190 / 80 (Franz. Republik u. a. / Kommission), Slg. 1982, 2545, Rn. 32. 75 EuGH, Rs. C-18 / 94 (Hopkins), Slg. 1996, I-2281, Rn. 14; Kokott, in: Streinz, Art. 305 EGV, Rn. 10; Schmalenbach, in: Calliess / Ruffert, Art. 305 EGV, Rn. 5 m. w. N.; Schroeder, EuR 2007, 349, 354; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 410. 76 EuGH, Rs. C-221 / 88 (Busseni), Slg. 1990, I-495, Rn. 16 u. Rn. 21; EuGH, Rs. C-18 / 94 (Hopkins), Slg. 1996, I-2281, Rn. 28; Kokott, in: Streinz, Art. 305 EGV, Rn. 4; Schroeder, EuR 2007, 349, 353 unter Verweis auf GA Roemer, verb. Rs. 29 / 59 (Campolongo), Slg. 1960, 821, 872 ff. 77 Kokott, in: Streinz, Art. 305 EGV, Rn. 4; Schroeder, EuR 2007, 349, 353. 78 EuGH, Rs. C-221 / 88 (Busseni), Slg. 1990, I-495, Rn. 21 ff.; EuGH, Rs. C-13 / 94 (Hopkins), Slg. 1996, I-2281, Rn. 28. 79 EuGH, Rs. C-221 / 88 (Busseni), Slg. 1990, I-495, Rn. 21 ff.; EuGH, Rs. C-13 / 94 (Hopkins), Slg. 1996, I-2281, Rn. 28. 80 Schroeder, EuR 2007, 349, 368. 81 EuGH, Rs. 41 / 74 (van Duyn), Slg. 1974, 1337, Rn. 12; EuGH, Rs. 51 / 76 (Nederlandse Ondernemingen), Slg. 1977, 113, Rn. 10 / 29; EuGH, Rs. 148 / 78 (Ratti), Slg. 1979, 1629, Rn. 18; Schroeder, EuR 2007, 349, 368. 82 EuGH, Rs. 9 / 70 (Grad), Slg. 1970, 825, Rn. 5; Schroeder, EuR 2007, 349, 368.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

Übertragung von Rechtswirkungen eines Handlungsinstruments auf ein anderes Handlungsinstrument. Auch bezüglich des EU-Vertrags greift der EuGH auf seine Rechtsprechung zum Gemeinschaftsrecht zurück. Für die Frage der Erforderlichkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens verweist er auf seine gefestigte Rechtsprechung zu Art. 234 EG.83 Für die Frage der Auslegung von Begrifflichkeiten in Unionsrechtsakten verweist der EuGH auf seine Rechtsprechung zur autonomen Auslegung des Gemeinschaftsrechts.84 2. Schlussfolgerung Erste und dritte Säule sind zwar rechtlich getrennt. Allein die Tatsache, dass Rahmenbeschlüsse im EU-Vertrag, Richtlinien hingegen im EG-Vertrag geregelt sind, schließt es jedoch nicht aus, dass Mechanismen des EG-Vertrags auch auf den EUVertrag übertragen werden können.85 Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die bestehenden Gemeinsamkeiten eine parallele Auslegung der Vorschrift des Art. 34 II 2 lit. b EU und Art. 249 III EG rechtfertigen und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Säulen einer Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse nicht entgegenstehen.86

V. Voraussetzung für eine parallele Auslegung von Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU und Art. 249 III EG Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU und Art. 249 III EG ordnen die Verbindlichkeit der Ziele einer Richtlinie bzw. eines Rahmenbeschlusses an.87 Allein aus der Tatsache, dass für die Regelung des Rahmenbeschlusses die selben Formulierungen wie für die Regelung der Richtlinie verwendet wurden, folgt jedoch noch nicht zwangsläufig, dass die Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen mit dem gleichen Umfang und der gleichen Wirkung besteht, wie die Umsetzungsverpflichtung in Bezug auf Richtlinien. Denn allein die wörtliche Übereinstimmung der Bestimmungen eines Vertrags mit den Bestimmungen eines anderen Vertrags bedeutet nicht, dass beide notwen83 EuGH, Rs. C-467 / 05 (Dell’Orto), Slg. 2007, I-5557, Rn. 39; EuGH, Rs. C-404 / 07 (György Katz), Slg. 2008, I-7607, Rn. 29 ff.; EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 30. 84 EuGH, Rs. C-66 / 08 (Szymon Kozłowski), Slg. 2008, I-6041, Rn. 42 unter Verweis auf EuGH, Rs. C-195 / 06 (Österreichischer Rundfunk), Slg. 2007, I-8817, Rn. 24 m. w. N. 85 v. Bogdandy, in: v. Bogdandy / Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 13, 33. 86 So auch Everling, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 847, 875; Schroeder, EuR 2007, 349, 354; Weißer, ZIS 2006, 562, 568. 87 Dazu schon oben 1. Teil: B.I.

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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digerweise gleich auszulegen sind.88 Ein völkerrechtlicher Vertrag ist nämlich nicht nur nach seinem Wortlaut, sondern auch im Lichte seiner Ziele auszulegen.89 Eine parallele Auslegung wortgleicher oder ähnlich gefasster Bestimmungen kommt daher nur in Betracht, wenn auch Ziel und Zweck der Verträge sowie der Zusammenhang, in den sich diese Ziele einfügen, vergleichbar sind.90 Allein die wörtliche Übereinstimmung von Art. 249 III EG und Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU reicht daher nicht aus, um die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse zu übertragen. Hinzukommen muss vielmehr, dass mit Richtlinien und Rahmenbeschlüssen ähnliche Ziele verfolgt werden, die sich in einen gemeinsamen Zusammenhang einfügen. In den nächsten Punkten soll daher geklärt werden, ob EG und EU aufgrund gemeinsamer Ziele, die sich in einen gemeinsamen Zusammenhang einfügen, miteinander verbunden sind. Wenn dies bejaht werden kann, würde das eine analoge Auslegung der Verpflichtung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU und Art. 249 III EG rechtfertigen. 1. Vergleichbare Ziele von EU und EG Die Europäische Union orientiert sich wie die Europäische Gemeinschaft an Zielen, deren verbindendes Element mit dem Streben nach politischer und rechtlicher Einheit beschrieben werden kann.91

a) Gemeinsames Ziel der Verwirklichung einer Europäischen Union Betrachtet man die Erwägungsgründe der Präambel des EU-Vertrags und der Präambel des EG-Vertrags so erkennt man, dass EU und EG durch gemeinsame Ziele miteinander verknüpft sind. Die Präambel des EU-Vertrags nimmt dabei auch die Ziele der EG mit auf und ergänzt diese:

88 EuGH, Rs. 270 / 80 (Polydor), Slg. 1982, 329, Rn. 15; EuGH, Gutachten 1 / 91 (EWRAbk.), Slg. 1991, I-6079, Rn. 14; EuGH, Rs. C-163 / 90 (Legros u. a.), Slg. 1992, I-4625, Rn. 23; EuGH, Rs. C-312 / 91 (Metalsa), Slg. 1993, I-3751, Rn. 12; in diese Richtung auch Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 231. 89 EuGH, Gutachten 1 / 91 (EWR-Abk.), Slg. 1991, I-6079, Rn. 14; EuGH, Rs. C-312 / 91 (Metalsa), Slg. 1993, I-3751, Rn. 12; EuGH, Rs. C-416 / 96 (El Yassini), Slg. 1999, I-1209, Rn. 48. 90 EuGH, Rs. 270 / 80 (Polydor), Slg. 1982, 329, Rn. 15 ff.; EuGH, Rs. 17 / 81 (Pabst u. Richartz KG), Slg. 1982, 1331, Rn. 27; EuGH, Rs. C-163 / 90 (Legros u. a.), Slg. 1992, I-4625, Rn. 23; EuGH, Rs. C-312 / 91 (Metalsa), Slg. 1993, I-3751, Rn. 11; EuGH, Rs. C-416 / 96 (El Yassini), Slg. 1999, I-1209, Rn. 48; EuGH, Rs. C-63 / 99 (Gloszczuk), Slg. 2001, 6369, Rn. 48 f. 91 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 31.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

Die EG verfolgt das Ziel, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der Völker Europas zu schaffen.92 Die EU soll diesen Prozess der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas weiterführen.93 Während die EG den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Länder sichern möchte94, nimmt diesen Entschluss auch die Präambel des EU-Vertrags im 8. Erwägungsgrund auf. Mit der EG wird eine stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen ihrer Völker angestrebt.95 Mit dem EU-Vertrag soll daran angeknüpft werden, weswegen die Bedeutung der sozialen Grundrechte hervorgehoben wird.96 Auch die Stärkung und die Konvergenz der Volkswirtschaften nehmen sowohl die Präambel des EG-Vertrags im 5. Erwägungsgrund sowie die Präambel des EU-Vertrags im 7. Erwägungsgrund in den Blick. Die Bedeutung der Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Rechtsstaatlichkeit hebt der 3. Erwägungsgrund der Präambel des EU-Vertrags sowie Art. 6 I, II EU hervor. Damit nimmt die Präambel des EU-Vertrags Bezug auf die Grundfreiheiten des EG-Vertrags und die vom EuGH nach Art. 220 EG entwickelten Gemeinschaftsgrundrechte. Das Gemeinschaftsziel, durch wirtschaftliche Einigung Freiheit zu wahren97, wird so durch den EU-Vertrag auf eine breitere politische Grundlage gestellt. Während mit dem EG-Vertrag Frieden überwiegend durch wirtschaftliche Verbindungen gewahrt werden sollte98, ergänzt der 10. Erwägungsgrund der Präambel des EU-Vertrags dieses Ziel durch eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, um Frieden, Sicherheit und Fortschritt in Europa und der Welt zu fördern. Besonders hervorgehoben wird der gemeinsame Hintergrund von EG und EU jedoch durch den 1. Erwägungsgrund der Präambel des EU-Vertrags, wonach der mit der Gründung der EG eingeleitete Prozess der Integration mit der Gründung der EU auf eine neue Stufe gehoben werden soll. Damit sind sowohl EU-Vertrag als auch EG-Vertrag als Integrationsverträge zu qualifizieren, die überwiegend gemeinsame bzw. komplementäre Ziele verfolgen.99 Der Vergleich der Präambel des EG-Vertrags mit der Präambel des EU-Vertrags zeigt, dass die Union sich auch die Ziele der EG zu eigen macht, selbst wenn sie als Rechtsträger selbst nicht immer über die Befugnisse verfügt, zur Erreichung der Ziele beizutragen.100 1. Erwägungsgrund der Präambel des EG-Vertrages. 12. Erwägungsgrund der Präambel des EU-Vertrages. 94 2. Erwägungsgrund der Präambel des EG-Vertrages. 95 3. Erwägungsgrund der Präambel des EG-Vertrages. 96 4. Erwägungsgrund der Präambel des EU-Vertrages. 97 8. Erwägungsgrund der Präambel des EG-Vertrages. 98 8. Erwägungsgrund der Präambel des EG-Vertrages. 99 Vgl. Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 30 f.; Schroeder, EuR 2007, 349, 354. 100 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 31. 92 93

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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Insbesondere zwischen der dritten Säule des EU-Vertrags und Titel VI des EGVertrags bestehen konkrete Verbindungen durch das säulenübergreifende Ziel der Verwirklichung eines Raums der Freiheit der Sicherheit und des Rechts. b) Säulenübergreifendes Ziel der Verwirklichung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Das Ziel, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aufzubauen, ist auf das Gemeinschaftsrecht und das Unionsrecht aufgeteilt. Im Unionsrecht soll gem. Art. 29 I EU ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts durch ein gemeinsames Vorgehen im Rahmen der PJZS aufgebaut werden. Das Gemeinschaftsrecht strebt einen solchen Raum gem. Art. 61 EG an. Während Titel VI des EG-Vertrags den Schwerpunkt auf die Gewährleistung des freien Personenverkehrs gem. Art. 61 lit. a EG legt, liegt im Rahmen der PJZS der Schwerpunkt auf der Gewährleistung eines hohen Maßes an Sicherheit gem. Art. 29 I EU, bestätigt durch Art. 61 lit. e EG. Um einen Raum der Freiheit der Sicherheit und des Rechts zu verwirklichen, müssen die Maßnahmen zu seiner Verwirklichung aufeinander abgestimmt sein, damit Freiheit, Recht und Sicherheit in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.101 Dieses Zusammenspiel von erster und dritter Säule zeigt auch Art. 61 EG. Denn Art. 61 lit. a und e EG benennen auch Aufgaben der EU auf dem Gebiet der PJZS. Trotz der Verschiedenheit der beiden Rechtskreise – EG-Vertrag auf der einen, EU-Vertrag auf der anderen Seite – wird dadurch deutlich, dass die Aufgaben der EG in den Art. 61 ff. EG in engem Zusammenhang mit der dritten Säule des Unionsrechts stehen.102 Das Ziel der Art. 61 ff. EG ist der Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.103 Dieses Ziel wird auch mit den Art. 29 ff. EU verfolgt.104 Die Bedeutung der Zusammenarbeit in Strafsachen auf Grundlage des EU-Vertrags für die Gewährleistung des freien Personenverkehrs nach dem EG-Vertrag kommt in Art. 61 EG zum Ausdruck. Erste und dritte Säule sind so durch das gemeinsame Ziel des Aufbaus eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts miteinander verzahnt.105 Über die Gewährleistung der Freiheit im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts wird eine funktionale Anbindung der PJZS an die Gemeinschaft hergestellt, in der die Freizügigkeit als Bestandteil der Freiheit gesichert werden soll.106 Bestimmungen über die PJZS im EU-Vertrag sind keineswegs Selbstzweck, sondern Mittel zur Verwirklichung des säulenübergreifenden Ziels eines Vgl. 11. Erwägungsgrund der Präambel des EU-Vertrages. Rossi, in: Calliess / Ruffert, Art. 61 EGV, Rn. 4; Weiß, in: Streinz, Art. 61 EGV, Rn. 22. 103 Weiß, in: Streinz, Art. 61 EGV, Rn. 21. 104 Böse, in: Schwarze, Art. 29 EUV, Rn. 3; Weiß, in: Streinz, Art. 61 EGV, Rn. 21. 105 Böse, in: Schwarze, Art. 29 EUV, Rn. 3; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 70. 106 Böse, in: Schwarze, EUV / EGV, Art. 29 EUV, Rn. 3. 101 102

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem die Bürger ihre Freizügigkeit wahrnehmen können. An dieser Schnittstelle von EU-Vertrag und EG-Vertrag steht der Rahmenbeschluss in Art. 34 II 2 lit. b EU. Rahmenbeschluss und Richtlinie sind zwar Handlungsinstrumente in verschiedenen Verträgen. Der Erlass von Rahmenbeschlüssen in der PJZS und der Erlass von Richtlinien vor allem im Rahmen des Titel VI EG dienen jedoch einem gemeinsamen Ziel: Dem Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts für den Bürger. Diese Verbindung von erster und dritter Säule im Bereich der gemeinsamen Ziele kann als ein Begründungselement herangezogen werden, warum Annäherungstendenzen zwischen den Handlungsmechanismen der verschiedenen Säulen befürwortet werden können. c) Schlussfolgerung Es konnte gezeigt werden, dass die EU und die EG über gemeinsame Ziele verfügen. Insbesondere zwischen der PJZS und dem Titel VI des EG-Vertrags bestehen konkrete Verbindungen durch das säulenübergreifende Ziel der Verwirklichung eines Raums der Freiheit der Sicherheit und des Recht.107

2. Zusammenhang, in den sich die Ziele einfügen Voraussetzung für die Übertragung der Auslegung des Art. 249 III EG auf Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU ist, dass der Zusammenhang, in den sich die Ziele des EU-Vertrags einfügen und der Zusammenhang, in dem die Ziele des EG-Vertrags stehen, derselbe ist. Zwar enthalten beide Verträge das Ziel, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen. Fraglich ist aber, ob sich dieses Ziel durch Maßnahmen im Rahmen der PJZS und des Gemeinschaftsrechts auch in einen gemeinsamen Zusammenhang von EG-Vertrag und EU-Vertrag einfügt. Die einzelnen Vertragsziele der EG sind keineswegs Selbstzweck, sondern nur Mittel, um zu konkreten Fortschritten auf dem Weg zu einer immer engeren Union der Völker Europas beizutragen. Der Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts soll auf Gemeinschaftsebene durch die Politiken betreffend den freien Personenverkehr gem. Art. 61 ff. EG gewährleistet werden. Diese Politiken sind dadurch gekennzeichnet, dass sie auf EG-Ebene der rein zwischenstaatlichen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten entzogen sind. Vielmehr haben die Mitgliedstaaten ihre Souveränitätsrechte zu Gunsten der Gemeinschaft eingeschränkt, um gemeinschaftsübergreifende Ziele zu verwirklichen, die über die rein zwischenstaatlichen Partikularinteressen hinausgehen. Ein Zusammenhang der Ziele des EG-Ver107

So auch Schroeder, EuR 2007, 349, 354.

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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trags mit den Zielen eines anderen völkerrechtlichen Vertrags wäre somit zu verneinen, wenn die Ziele des völkerrechtlichen Vertrags nur durch eine zwischenstaatliche Zusammenarbeit verwirklicht werden sollen, ohne dass Souveränitätsrechte auf die mit dem Vertrag eingesetzten Organe übertragen werden.108 Es stellt sich daher die Frage, ob sich auch das Ziel des EU-Vertrags, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen, in einen Zusammenhang einfügt, der nicht mehr nur von der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit als mitgliedstaatlicher Selbstzweck geprägt ist. Eine über eine zwischenstaatliche Zusammenarbeit hinausgehende Integration in die EU kann um so eher angenommen werden, je mehr die Mitgliedstaaten nicht mehr unabhängig voneinander agieren, sondern untereinander und mit der EG und EU bereits eng verzahnt sind. Denn durch eine Verflechtung von EU, EG und den Mitgliedstaaten im Hinblick auf gemeinsame Ziele kann ein der EG angenäherter Integrationsmehrwert auch auf EU-Ebene entstehen, der einen gemeinsamen Zusammenhang, in den sich die Ziele von EU und EG einfügen, begründet. Zunächst sollen daher die Mitgliedschaftsstruktur von EU und EG verglichen werden.109 Anschließend werden die Verbindungen zwischen EU und EG analysiert.110 Schließlich soll die Qualität der Zusammenarbeit auf EU-Ebene untersucht werden. Dabei soll insbesondere herausgefunden werden, ob die Zusammenarbeit auf EU-Ebene dadurch gekennzeichnet ist, dass die Bestimmungen des EU-Vertrags sich nicht nur an die Mitgliedstaaten im völkerrechtlichen Außenverhältnis richten, sondern ob die Mitgliedstaaten Hoheitsrechte nicht nur auf die EG, sondern auch auf die EU übertragen haben.111

a) Homogene Mitgliedschaftsstruktur Ob nicht nur die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung gem. Art. 249 III EG, sondern auch die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung gem. Art. 34 II 2 lit. b EU in den innerstaatlichen Rechtskreis hineinwirkt und die innerstaatlichen Stellen unmittelbar bindet, hängt davon ab, ob die Mitgliedstaaten nicht nur auf die EG, sondern auch auf die EU Hoheitsrechte übertragen haben. Die Übertragung von Hoheitsrechten auf eine zwischenstaatliche Einrichtung kann um so eher angenommen werden, je mehr die Mitgliedstaaten bereits untereinander verbunden sind, z. B. durch gemeinsame Wertvorstellungen und politische Ziele, sodass eine gewisse gegenseitige Vertrauensbasis getragen von gegenseitiger Loyalität vorhanden ist.

108 109 110 111

Vgl. EuGH, Gutachten 1 / 91 (EWR), Slg. 1991, I-6079, Rn. 19 f. Dazu unten 3. Teil: A.V.2.a). Dazu unten 3. Teil: A.V.2.b. Dazu unten 3. Teil: A.V.2.c) ‒ e).

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

aa) Gemeinsame Mitgliedstaaten Bei der Auslegung der Bestimmung über Rahmenbeschlüsse gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU im Lichte des Art. 249 III EG geht es um die Auslegung von Vorschriften zweier Verträge, deren Mitgliedstaaten identisch sind. Ein Beitritt zur EG ist nur zugleich mit dem Beitritt zur EU möglich gem. Art. 49 I 1, II 1 EU i.V. m. Art. 1 III 1 EU. Mit der Mitgliedschaft in der EU werden zugleich die Pflichten aus dem EG-Vertrag übernommen, die ein hohes Maß an Rechtsangleichung nicht nur auf dem Binnenmarkt mit sich bringt. Die Mitgliedstaaten der EU sind somit nicht nur durch die gemeinsame Mitgliedschaft in der EU verbunden, sondern zugleich durch ihre Verbindungen aus dem Gemeinschaftsrecht. Die dort vorherrschende Integrationsdichte und Vielfalt an Rechtsangleichung führt dazu, dass die Mitgliedstaaten der EU mehr Gemeinsamkeiten haben, als die Mitgliedstaaten anderer internationaler Organisationen. Wegen dieses gemeineinsamen Hintergrundes liegt die Annahme nicht fern, dass die bereits in vielfältiger Weise miteinander verflochtenen Mitgliedstaaten sich nicht nur der Rechtsordnung des EG-Vertrags geöffnet haben, sondern auch bereit waren, der Umsetzungsverpflichtung des Art. 34 II 2 lit. b EU bindende Wirkung im innerstaatlichen Bereich zuzugestehen. bb) EU und EG als Wertegemeinschaft Die Mitgliedstaaten der Union begreifen sich heute nicht nur als Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch als eine Wertegemeinschaft.112 Aus der gemeineuropäischen Kultur und Geschichte ergeben sich Werte, die allen Europäern gemeinsam sind.113 Die Union beruht gem. Art. 6 I EU auf gemeinsamen fundamentalen Strukturprinzipien und achtet gem. Art. 6 II EU die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. Die Feststellung einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung der Grundsätze des Art. 6 I EU kann schließlich zu einer Suspendierung der Mitgliedschaftsrechte gem. Art. 7 III 1 EU führen. Nicht zuletzt durch die explizite Übernahme der Grundrechtsrechtsprechung des EuGH sowie die gemeinsamen rechtsstaatlichen Grundsätze kann nicht nur die EG, sondern auch die EU als Wertegemeinschaft bezeichnet werden.114 112 Europäischer Rat von Madrid, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, 15. / 16. Dezember 1995, SN 400 / 95 Teil B I.; Europäischer Rat und Rat der Europäischen Union, Bericht der Reflexionsgruppe v. 5. Dezember 1995, SN 520 / 1 / 95 REV 1, 11, Rn. 30; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht über die Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union v. 10. Mai 1995, Vorwort, 2; Classen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 23 GG, Rn. 8. 113 Everling, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 847, 890. Vertiefend zu den Konturen einer europäischen Kultur- und Wertegemeinschaft Joas / Mandry, in: Schuppert / Pernice / Haltern, Europawissenschaft, 541, 552 ff.

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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Diese gemeinsamen Werte und das gegenseitige kulturelle Verständnis führen zu einer im Gegensatz zu anderen internationalen Organisationen erhöhten Vertrauensbasis der Mitgliedstaaten untereinander. Dieses gegenseitige Vertrauen ist für die fortgesetzte Integration unerlässlich. Wie die fortwährende Diskussion um den Beitritt der Türkei zur Union zeigt, ist für die Mitgliedschaft in der Union ein hohes Maß an Gemeinsamkeiten mit den anderen Mitgliedstaaten wichtig. Die bestehende kulturelle Wertekonvergenz sowie das tatsächliche Bewusstsein, dass die Bürger der EG und EU eine Wertegemeinschaft bilden, sind die politisch-kulturelle Grundlage dafür, dass die europäische Integration voranschreiten kann und nicht nur von den Mitgliedstaaten, sondern auch von der Bevölkerung der Mitgliedstaaten mitgetragen wird.115 Andererseits wird die Wertegemeinschaft auch durch die zunehmende Integration und den kulturellen Austausch vertieft.116

cc) Verbindung der Mitgliedstaaten durch Loyalität und gegenseitiges Vertrauen Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind auch auf Unionsebene zu einer loyalen Zusammenarbeit verpflichtet.117 Die Zusammenarbeit in der dritten Säule ist aber nicht nur von der loyalen Haltung der Mitgliedstaaten untereinander geprägt, sondern auch von gegenseitigem Vertrauen.118 Insbesondere die folgenden Regelungen implizieren, dass die Mitgliedstaaten sich untereinander ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbringen. So setzt Art. 54 SDÜ voraus, dass ein gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweiligen Strafjustizsysteme besteht und dass jeder Mitgliedstaat die Anwendung des in den anderen Mitgliedstaaten geltenden Strafrechts akzeptiert119, auch wenn die Anwendung seines eigenen nationales Rechts zu einem anderen Ergebnis führen würde.120 Die Rahmenbeschlüsse über den Europäischen Haftbefehl121 und die Europäische Beweisanordnung122 verpflichten jeden Mitgliedstaat, Haftbefehle und Beweisan114 Everling, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 847, 891 sowie Everling in: LA Oppermann, 163, 179 spricht von Ansätzen einer Wertegemeinschaft. 115 Joas / Mandry, in: Schuppert / Pernice / Haltern, Europawissenschaft, 541, 551. 116 Vgl. Joas / Mandry, in: Schuppert / Pernice / Haltern, Europawissenschaft, 541, 551. 117 Dazu bereits oben 1. Teil: B.II.3.; umfassend Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union. 118 Zum gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten als Grundlage für die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen im Zivil- und Strafrecht vgl. Pernice, WHI-Paper 03 / 2005, 8. 119 Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung s. u. 3. Teil: A.V.2.c)aa)(2). 120 EuGH, Rs. C-187 / 01 und C-385 / 01 (Gözütok und Brügge), Slg. 2003, I-1345, Rn. 32 f.; Pernice, WHI-Paper 02 / 2005, 14. 121 Rahmenbeschluss 2002 / 584 / JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. Nr. L 190 v. 18.07. 2002, 1 ff.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

ordnungen anderer Mitgliedstaaten zu vollstrecken und die betreffende Person zu „übergeben“ bzw. Beweismittel zu erheben und zu übermitteln, ohne die Anordnung im Einzelnen überprüfen zu können. Dies geschieht grundsätzlich ohne das Erfordernis der „beiderseitigen Strafbarkeit“: Die Vollstreckung kann grundsätzlich nicht mit der Begründung versagt werden, dass die vorgeworfene Tat im Inland nicht strafbar sei, wenn es um eine der im Rahmenbeschluss ausdrücklich genannten Straftaten geht.123 Vollstrecker sind die eigenen nationalen Behörden, die ihrerseits nur in begrenztem Umfang, d. h. aus den abschließend genannten Gründen, die Pflicht bzw. das Recht haben, die Vollstreckung zu verweigern.124 Auch der Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen125 setzt gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihr Justizsystem insoweit voraus, als bei Katalogstraftaten gem. Art. 6 I dieses Rahmenbeschlusses eine Vollstreckung der Einziehungsentscheidung ohne Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit erfolgen muss.126 Die mitgliedstaatliche Zusammenarbeit auf Unionsebene ist dadurch von einem besonderen Maß an gegenseitigem Vertrauen in das Rechtssystem und das rechtsstaatliche Verhalten der anderen Staaten geprägt. Dieses Grundvertrauen ist eine Voraussetzung dafür, dass die Mitgliedstaaten bereit sind, sich im Bereich der PJZS der gemeinsam geschaffenen Rechtsordnung der Union zu öffnen, um auf dieser Basis einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen.

122 Rahmenbeschluss 2008 / 978 / JI des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen, ABl. Nr. L 350 v. 30.12.2008, 72 – 92. 123 Vgl. Art. 14 II des Rahmenbeschlusses über die Europäische Beweisanordnung, mit der Übergangsregelung des Art. 22; Art. 2 II des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl. 124 Art. 13 des Rahmenbeschluss über die europäische Beweisanordnung; Art. 3 (Pflicht zur Ablehnung) und Art. 4 (Recht zur Ablehnung) des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl. 125 Rahmenbeschluss 2006 / 783 / JI des Rates vom 6. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, ABl. Nr. L 328 v. 24.11.2006, 59 – 78. 126 Der Rahmenbeschluss 2008 / 947 / JI des Rates v. 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen, ABl. Nr. L 337 v. 16.12.2008, 102 ff. stellt es den Mitgliedstaaten gem. Art. 10 IV 1 frei, zu notifizieren, dass Art. 10 I (Verzicht auf das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit bei Katalogtaten) nicht angewendet wird. Gleiches regelt der Rahmenbeschluss 2008 / 909 / JI des Rates v. 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union, ABl. Nr. L 327 v. 5.12.2008, 27 in Art. 7 IV 1. Bislang liegen noch keine Notifikationen vor (Stand 24.8.2009).

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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dd) Politische Integration in der EU Umstritten ist, ob es in der PJZS nur um eine zwischenstaatliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten geht, oder ob darüber hinaus eine politische Integration der Mitgliedstaaten in die EU stattfinden soll. Gegen eine politische Integration der Mitgliedstaaten wird zum Teil eingewandt, dass in der PJZS vom Wortlaut her die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten untereinander dominiert. Insbesondere werde der Begriff „Politiken“ für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit nicht verwendet. Schon die Überschrift des Titel VI EU-Vertrag ist mit „Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen“ überschrieben.127 Es liege daher nahe, die PJZS als eine Form zwischenstaatlicher Zusammenarbeit auf völkerrechtlicher Ebene anzusehen, die durch die Formen des Zusammenwirkens in der PJZS nur besonders institutionalisiert sei.128 Auch die Tatsache, dass einige Mitgliedstaaten im Vorfeld der Verhandlungen zum Amsterdamer Vertrag zu verstehen gegeben haben, dass sie mit der Überführung von Fragen der ZBJI in den EG-Vertrag nicht einverstanden seien129, unterstütze die Annahme, dass der Verbleib von Materien in der PJZS gerade vor dem Hintergrund der verschiedenen Wirkungsweisen von Maßnahmen nach Titel VI EU und dem Gemeinschaftsrecht gefordert wurde.130 Es sei daher davon auszugehen, dass die PJZS auf einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten beruhe.131 Die Verbindlichkeit der Umsetzungsverpflichtung im Hinblick auf Rahmenbeschlüsse bestimme sich daher nicht nach den die EG kennzeichnenden supranationalen, sondern nach den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen.132 Daraus folge, dass die Umsetzungsverpflichtung sich nur an die Mitgliedstaaten wende, jedoch nicht auf die innerstaatlichen Stellen durchzugreifen vermöge. Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass es in der PJZS um die Verwirklichung eines gemeinsamen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geht. Die Schaffung dieses gemeinsamen Raumes ist in der Realität mit einer politischen Integration der Mitgliedstaaten verbunden.133 Nicht nur in der EG gehen die ZielsetStreinz, Europarecht, Rn. 473. Streinz, Europarecht, Rn. 473. 129 Vorschlag der irischen Präsidentschaft, „The European Union Today and Tomorrow“, CONF 2500 / 96, v. 5.12.1996, Teil A, Abschn. I, Kap. 2. 130 Reichelt, Die Rechtmäßigkeitskontrolle von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen gem. Art. 35 Abs. 6 EU, 17. 131 Reichelt, Die Rechtmäßigkeitskontrolle von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen gem. Art. 35 Abs. 6 EU, 16 f. 132 Streinz, Europarecht, Rn. 476. 133 Pernice, WHI-Paper 03 / 2005, 6; Europäischer Rat von Tampere v. 15. / 16. Oktober 1999, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, 200 / 1 / 99; Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union, Rat der Europäischen Union, Schlussfolgerungen des Vorsitzes v. 4. / 5.11.2004, 14292 / 1 / 04 Rev 1, Anlage I. 127 128

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

zungen und Aufgaben der Gemeinschaft über das Maß hinaus, dem sich Staaten sonst in internationalen Organisationen unterwerfen. Auch in der EU geht es im Rahmen der PJZS um eine politische Integration der Mitgliedstaaten.134 Die EU verfolgt staatenübergreifende Ziele, die nicht allein durch den Abschluss des EU-Vertrags verwirklicht werden, sondern sie entwickelt Zukunftsvisionen, deren Erreichung eine fortwährende Weiterentwicklung des gemeinsamen Besitzstandes erfordern.135 Die EU setzt sich wie die EG Ziele, die aus dem Streben nach politischer und rechtlicher Einheit gebildet werden.136 So ist ein Ziel der Union gem. Art. 2 4. Spiegelstrich EU die Erhaltung und Weiterentwicklung der Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Damit wird deutlich, dass die sicherheitsrelevanten Maßnahmen nicht mehr nur bloße Ausgleichsmaßnahmen für den Wegfall der Personenkontrollen an den Grenzen darstellen. Das Sicherheitskonzept der Union ist vielmehr als eigenständiges Ziel vom Binnenmarktziel unabhängig.137 Die Europäische Union verfolgt damit nicht mehr nur das Ziel, begleitend oder unterstützend zu der im Gemeinschaftsrecht verfolgten Wirtschaftsunion beizutragen. Es geht vielmehr auch in der EU mittlerweile um eine politische Integration.138 Darüber hinaus erhebt die EU auch den Anspruch, ihre Identität auf internationaler Ebene zu behaupten, insbesondere durch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, vgl. Art. 2 2. Spiegelstrich EU.139 Die EU-Bürger sind durch das rechtliche Band der Unionsbürgerschaft miteinander verknüpft, 8. Erwägungsgrund der Präambel des EU-Vertrags, Art. 17 EG.140 Die Unionsbürgerschaft dient der Identifikation der Bürger mit dem europäischen Integrationsprozess. Die EU entwickelte sich so zu einem allgemein politischen Verband.141 Eine solche politische Integration geht aber über das völkerrechtliche Nebeneinander in der Staatenwelt hinaus.142 Die Europäische Union verknüpft ihre Mitgliedstaaten in der dritten Säule in einer verdichteten Weise, sodass sie mit dem herkömmlichen Dualismus von Staatsrecht und Völkerrecht nicht mehr angemessen zu begreifen ist.143 134 Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 62; Scholz, in: Maunz / Dürig, Art. 23 GG, Rn. 28. 135 Classen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 23 GG, Rn. 9. 136 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 31. 137 Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 62. 138 So auch König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 70 u. 278; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 62; Scholz, in: Maunz / Dürig, Art. 23 GG, Rn. 28. 139 Scholz, in: Maunz / Dürig, Art. 23 GG, Rn. 28. 140 Scholz, in: Maunz / Dürig, Art. 23 GG, Rn. 28. 141 Scholz, in: Maunz / Dürig, Art. 23 GG, Rn. 28. 142 Everling, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 847, 855 f. spricht von einer „Neuen Dimension“; Killmann, JBl. 2005, 566, 567 f.; vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht über die Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union v. 10. Mai 1995, 1, Rn. 2; Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1124. 143 Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1124.

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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ee) Schlussfolgerung Die Besonderheit bei der Frage nach der Auslegung von Bestimmungen des EUVertrags im Lichte von Bestimmungen des EG-Vertrags ist, dass die Mitgliedstaaten des EU-Vertrags nicht nur mit den Mitgliedstaaten des EG-Vertrags identisch sind, sondern durch die gemeinsame Mitgliedschaft in den Verträgen auf vielfältige Weise miteinander verflochten sind. Das Maß an politischer Homogenität der Mitgliedstaaten der EU übersteigt die Summe an Gemeinsamkeiten, die die Mitgliedstaaten anderer internationaler Organisationen üblicherweise erreichen.144 Diese Verbindungen und Gemeinsamkeiten darf man nicht aus den Augen verlieren, wenn man Bestimmungen des EU-Vertrags auslegt. Eine homogene Mitgliedschaftsstruktur, gegenseitiges Vertrauen und Loyalität sowie gemeinsame Werte und politische Ziele sind eine Grundvoraussetzung dafür, dass Mitgliedstaaten bereit sind, Hoheitsrechte auf eine zwischenstaatliche Einrichtung zu übertragen, die nicht nur Regelungen technisch-administrativer Art erlässt, sondern auch politische Ziele vorgeben kann. Die säulenübergreifenden Ziele von EU und EG, der gemeinsame Integrationscharakter der Verträge und die homogene Mitgliedschaftsstruktur sprechen dafür, dass wortgleiche Bestimmungen von EU-Vertrag und EG-Vertrag auch gleich ausgelegt werden, solange keine ausdrücklichen Bestimmungen einer solchen Auslegung entgegenstehen. Wenn der EU aber der Charakter eines Integrationskörpers zukommt, dann folgt daraus, dass die Mitgliedstaaten das Recht der EU nicht mehr je partikular rezipieren können. Sonst würde das Integrationsrecht nur auf dem Papier produziert.145 Die Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse entspricht demnach der Verbundenheit der Mitgliedstaaten mehr, als die Annahme einer nur im jeweiligen nationalen Recht der Mitgliedstaaten verankerten Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung.

b) Materielle und institutionelle Verknüpfungen von EU und EG Nicht nur die Mitgliedstaaten sind über das Recht der EU und EG miteinander verflochten. Auch EU und EG weisen eine Reihe von Verbindungen auf, die darauf abzielen, in der getrennten vertraglichen Konzeption eine gewisse Einheitlichkeit sicherzustellen.146

144 Vgl. Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen, 179; Everling, LA Oppermann, 163, 184; Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1124. 145 v. Unger, NVwZ 2005, 1266, 1272. 146 Ausführlich dazu Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 31 ff.; Everling, in: LA Oppermann, 163, 183; Wichard, in: Calliess / Ruffert, Art. 1 EGV, Rn. 25.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

aa) Materielle Verknüpfung EU und EG sind nicht nur durch die gemeinsamen Ziele final miteinander verknüpft.147 Es gibt auch materielle Brückennormen, wie das Kohärenzgebot, welches die Organe zur inhaltlichen Abstimmung ihrer politischen Maßnahmen verpflichtet. Dadurch sollen die Organe zu einer in sich stimmigen Gestaltung der Einzelakte von EU und EG angehalten werden.148 Darüber hinaus gelten für EU und EG die gleichen Kompetenzausübungsschranken, nämlich das Subsidiaritäts- und das Verhältnismäßigkeitsprinzip.149 Beide Organisationen sind gem. Art. 6 I, II EU auf die Wahrung gewisser fundamentaler Strukturprinzipien sowie der Gemeinschaftsgrundrechte verpflichtet.150 Damit stehen das Recht der EU und das Recht der EG nicht völlig unverbunden nebeneinander. Vielmehr weisen die EU-Rechtsordnung und die EG-Rechtsordnung zur Wahrung gewisser Grundstrukturen und zur Vermeidung von Widersprüchen materielle Verknüpfungen auf.

bb) Zunehmende Integration in der EU Die einzelnen Vertragsziele der EG sind keineswegs Selbstzweck, sondern nur Mittel, um zu konkreten Fortschritten auf dem Weg zu einer immer engeren Union der Völker Europas beizutragen.151 Fraglich ist, ob sich auch die Ziele der EU in diesen integrationsdynamischen Zusammenhang einfügen. Gem. Art. 1 II 1. HS EU stellt der EU-Vertrag eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas dar. Das Ziel der Integration ist damit auch ein Schlüsselelement der europäischen Einigung im Rahmen des EUVertrags. Dieses Integrationsprinzip ist sowohl im EG-Vertrag als auch im EU-Vertrag zukunftsoffen gehalten.152 Der Begriff der immer engeren Union gibt das Ziel einer dynamisch fortschreitenden Verdichtung und Vertiefung der Integration vor.153 Eine immer engere Union ist auf eine zunehmende Verflechtung angelegt. Systematisch unterstreicht dies auch Art. 2 I 5. Spiegelstrich EU, wonach die EU auf die Wahrung und Weiterentwicklung des gemeinschaftlichen Besitzstandes verpflichtet wird.154 s. o. 3. Teil: A.V.1. Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 31; Wichard, in: Calliess / Ruffert, Art. 1 EGV, Rn. 26. 149 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 31. 150 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 31. 151 Vgl. EuGH, Gutachten 1 / 91, Slg. 1991, I-6079, Rn. 16 f. 152 Calliess, in: Calliess / Ruffert, Art. 1 EUV, Rn. 5. 153 Calliess, in: Calliess / Ruffert, Art. 1 EUV, Rn. 7; Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 360 f.; König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 259; Meier, Rechtswirkungen von EGRichtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 227; Pernice, in: Schuppert / Pernice / Haltern, Europawissenschaft, 743, 751; Scholz, in: Maunz / Dürig, Art. 23 GG, Rn. 28. 147 148

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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Auch die Schaffung eines säulenübergreifenden Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts dient nicht nur in der EG, sondern auch in der EU nicht allein zwischenstaatlichen Zwecken. Die Schaffung dieses Raums dient vielmehr dem allgemeinen Ziel von EU und EG, eine immer engere Union der Völker Europas zu schaffen, in deren Mittelpunkt der Einzelne steht.155 Eine integrationsfreundliche Auslegung der Bestimmungen des Art. 34 II 2 lit. b EU im Lichte des Art. 249 III EG entspricht den gemeinsamen Integrationszielen. Daraus folgt, dass die gemeinsamen Zielsetzungen von EG und EU vor dem Hintergrund der angestrebten zunehmenden Integration ein Begründungselement für die Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auch auf Rahmenbeschlüsse bilden. cc) Institutionelle Verknüpfung Der EU-Vertrag ordnet die Träger des EG-Rechts und des EU-Rechts durch organisatorische und inhaltliche Vorgaben so zu, dass eine gewisse Handlungseinheit besteht, die aus verschiedenen Rechtssubjekten gebildet wird.156 Dies kommt zunächst in Art. 1 III 1 EU zum Ausdruck, wonach die EU auf den Gemeinschaften beruht. Die Union verfügt gem. Art. 3 I EU über einen einheitlichen institutionellen Rahmen, der die Kohärenz und Kontinuität der Maßnahmen zur Erreichung der Unionsziele unter gleichzeitiger Wahrung und Weiterentwicklung des gemeinschaftlichen Besitzstandes sicherstellt. Was der EU-Vertrag unter einem einheitlichen institutionellen Rahmen versteht, zeigt Art. 5 EU. Danach sind die Gemeinschaftsorgane zugleich Handlungsträger der EU.157 Dadurch werden Abstimmungsschwierigkeiten und Informationsverluste vermieden. Die Organe der EG und der EU bilden somit organisatorisch eine Brücke zwischen den verschiedenen Säulen.158 Die tatsächliche Identität der Organe ermöglicht eine abgestimmte, zunehmend materielle Einheit von Gemeinschafts- und Unionsrecht.159 Vor allem der EuGH, dessen Zuständigkeit durch den Vertrag von Amsterdam für die dritte Säule erweitert wurde, ist ein wichtiges Bindeglied zwischen EG und EU.160 Er kann durch seine Rechtsprechung im Rahmen der Verträge sicherstellen, dass die gemeinsamen Elemente von EU und EG verstärkt werden. Der EuGH kann durch seine Rechtsprechung dazu beitragen, dass die Materien des EU-Vertrags sich immer mehr auf die 154 Blanke, in: Calliess / Ruffert, Art. 2 EUV, Rn. 15; Calliess, in: Calliess / Ruffert, Art. 1 EUV, Rn. 9; Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 361. 155 s. u. 3. Teil: A.V.2.c)bb)(2). 156 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 31. 157 Everling, in: LA Oppermann, 163, 180 f.; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 32. 158 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 32. 159 Everling, EuR Beiheft 2 / 1988, 185, 191; Everling, in: LA Oppermann, 163, 184 f.; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 567. 160 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 32.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

Materien der EG zu entwickeln, sofern die Verträge einer solchen Annäherung nicht ausdrücklich im Wege stehen. Dieser Umstand scheint auch den Mitgliedstaaten bewusst gewesen zu sein, als sie die unmittelbare Wirksamkeit von Rahmenbeschlüssen in Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU ausgeschlossen haben.161 Diese Vorkehrung gegen eine Übertragung der Rechtsprechung zur unmittelbaren Wirksamkeit von Richtlinien spricht dafür, dass es durchaus möglich ist, Mechanismen des EG-Vertrags auf den EU-Vertrag zu übertragen.162 dd) Schlussfolgerung Nicht nur die Mitgliedstaaten sind vor dem Hintergrund der europäischen Integration in vielfältiger Weise miteinander verbunden. Auch EU und EG stehen nicht unverbunden nebeneinander, sondern sind miteinander verzahnt, aufeinander bezogen und bauen aufeinander auf.163 Dieser Umstand muss auch bei der Dogmatik der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung gem. Art. 34 II 2 lit. b EU berücksichtigt werden. Sie hat an bestehende Gemeinsamkeiten von EG- und EU-Recht anzuknüpfen, ohne die Unterschiede der jeweiligen Rechtsmaterie aus dem Blick zu verlieren. Bei der qualitativen Beschreibung des Unionsrechts als „intergouvernemental“ und des Gemeinschaftsrechts als „supranational“ werden jedoch die vielfältigen Verbindungen von Unionsrecht und Gemeinschaftsrecht nicht angemessen berücksichtigt, sondern die Unterschiede der beiden Rechtsmaterien überhöht. Eine völkerrechtliche Durchdringung des Gemeinschaftsrechts ist zwar durch Art. 47 EU ausgeschlossen. Umgekehrt kann aber das Unionsrecht durchaus unter Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechts ausgelegt werden.164 Für die Frage, ob die unionsrechtliche Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ebenso wie die richtlinienkonforme Auslegung die innerstaatlichen Stellen unmittelbar bindet, bleibt noch zu untersuchen, ob der EU-Vertrag ähnlich wie der EG-Vertrag eine eigene Rechtsordnung geschaffen hat, zu deren Gunsten die Mitgliedstaaten ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben.

Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 32. Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 32. 163 So auch Everling, LA Oppermann, 163, 183; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 235; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 566 f. 164 Ähnlich Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 35, jedoch unter Verweis auf Art. 31 III lit. c WVK; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 566; Vedder, EuR Beiheft 1 / 1999, 7, 39. 161 162

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c) Qualität der Zusammenarbeit auf Ebene des EU-Vertrags Um dies beurteilen zu können, ist zunächst zu untersuchen, wie die Mitgliedstaaten die autonome Gemeinschaftsrechtsordnung schufen, um dann zu untersuchen, ob Parallelen in Bezug auf das Unionsrecht zu beobachten sind. Der EG-Vertrag165 stellt, obwohl er in der Form eines völkerrechtlichen Vertrags geschlossen wurde, die grundlegende „Verfassungsurkunde“166 einer Rechtsgemeinschaft dar.167 Die Gemeinschaftsverträge haben eine neue Rechtsordnung geschaffen, zu deren Gunsten die Mitgliedstaaten ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben und deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch deren Bürger sind.168 Die wesentlichen Merkmale der Gemeinschaftsrechtsordnung sind ihr Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten und die unmittelbare Wirkung zahlreicher für ihre Staatsangehörigen und für sie selbst geltender Bestimmungen.169 Wie oben bereits dargelegt, ist die Frage nach der Pflicht zur konformen Auslegung unabhängig davon, ob ein Rechtsakt unmittelbar wirksam sein kann.170 Daher soll hier nur geprüft werden, ob die EU Hoheitsrechte für sich in Anspruch nimmt, sodass die Rechtsordnung der EU in die innerstaatliche Rechtsordnung hineinwirken kann. Wäre dies der Fall, so würde die Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU unmittelbar innerstaatlich gelten. Ob der EU-Vertrag, insbesondere die Vorschriften über die PJZS eine solche Tragweite haben, richtet sich nach dem Geist der Vorschriften, ihrer Systematik und ihrem Wortlaut.171 aa) Funktionale Ausrichtung von EU und EG In der Rechtssache von Colson und Kamann hat der EuGH die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung hergeleitet. Dabei hat er festgestellt, dass die Mitgliedstaaten zwar gem. Art. 249 III EG in der Wahl der Form und Mittel der Umsetzung frei sind, aber die Verpflichtung, die Ziele der Richtlinie wirksam zu gewährleisten dadurch nicht in Frage gestellt wird.172 Der EuGH führt in dieser Entscheidung aus, 165 Zum Zeitpunkt der Erstattung des EuGH-Gutachtens 1 / 91 (EWR-Abk.), Slg. 1991, I-6079 noch in der Fassung des EWG-Vertrages. 166 EuGH, Gutachten 1 / 91 (EWR-Abk.), Slg. 1991, I-6079, Rn. 21. Die Wiedergabe der Diskussionen um den Verfassungsbegriff würden den Rahmen der Arbeit sprengen und sollen daher nicht vertieft werden. 167 EuGH, Gutachten 1 / 91 (EWR-Abk.), Slg. 1991, I-6079, Rn. 21. 168 EuGH, Gutachten 1 / 91 (EWR-Abk.), Slg. 1991, I-6079, Rn. 21. 169 EuGH, Gutachten 1 / 91 (EWR-Abk.), Slg. 1991, I-6079, Rn. 21. 170 s. o. 1. Teil: C.I.2. 171 Vgl. bereits EuGH, Rs. 26 / 62 (van Gend und Loos), Slg. 1963, 3, 24. 172 EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson), Slg. 1984, 1891, Rn. 15.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

dass die Verpflichtung, die Ziele der Richtlinie im nationalen Recht zu gewährleisten nicht nur an die Mitgliedstaaten gerichtet ist, sondern allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten obliegt.173 Eine Begründung dafür, warum eine Verpflichtung an die Mitgliedstaaten zugleich eine Verpflichtung staatlicher Stellen in den Mitgliedstaaten ist, gibt der EuGH jedoch nicht.174 Der EuGH hat sich jedoch in anderen Entscheidungen mit dem Durchgriff von Normen des EG-Vertrags in die nationale Rechtsordnung der Mitgliedstaaten befasst. Dabei ging es allerdings nicht in erster Linie um einen Durchgriff europarechtlicher Verpflichtungen auf staatliche Stellen, sondern um die Frage, ob Einzelne aus Normen des EG-Vertrags Rechte ableiten können, die von staatlichen Gerichten zu beachten sind.175 Es sei hier noch einmal klargestellt: Bei der Frage nach der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung geht es nicht darum, ob Bestimmungen des Rahmenbeschlusses unmittelbar auf den Einzelnen angewendet werden können. Es geht vielmehr um die Frage, ob die Pflicht zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses gem. Art. 34 II 2 lit. b EU unmittelbar die innerstaatlichen Stellen bindet. Dies ist die Frage danach, ob die EU eine Rechtsordnung darstellt, die in die Rechtsordnung der Mitgliedstaaten hineinwirkt und daher von mitgliedstaatlichen Stellen zu beachten ist. Hierbei bietet sich ein Vergleich mit der Argumentation des EuGH in der Rechtssache Costa / ENEL an. Dort hat der EuGH nämlich festgestellt, dass die EWG eine Rechtsordnung eigener Art ist, die mit ihrem In-Kraft-Treten in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden ist und daher von den nationalen Gerichten anzuwenden ist.176 Die Aufnahme der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts in das Recht der jeweiligen Mitgliedstaaten sowie Wortlaut und Geist des EWG-Vertrags haben zur Folge, dass es den Mitgliedstaaten unmöglich ist, gegen die auf Grundlage der Gegenseitigkeit angenommene Rechtsordnung nachträglich einseitige Maßnahmen ins Feld zu führen.177 Denn es würde nicht nur die Verwirklichung der Vertragsziele gefährden, sondern auch vom Gemeinschaftsrecht verbotene Diskriminierungen nach sich ziehen, wenn das Gemeinschaftsrecht je nach der nachträglichen innerstaatlichen Gesetzgebung von einem Staat zum anderen verschiedene Geltung haben könnte.178 Die Verpflichtungen des EWG-Vertrags waren unbedingte VerpflichtunEuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson), Slg. 1984, 1891, Rn. 26. Vgl. EuGH, Rs. 14 / 83 (von Colson), Slg. 1984, 1891, Rn. 26. 175 Vgl. nur EuGH, Rs. 26 / 62 (van Gend und Loos), Slg. 1963, 3 ff.; EuGH, Rs. 6 / 64 (Costa / ENEL), Slg. 1964, 1253 ff. 176 EuGH, Rs. 6 / 64 (Costa / ENEL), Slg. 1964, 1253, 1269. 177 EuGH, Rs. 6 / 64 (Costa / ENEL), Slg. 1964, 1253, 1269. 178 EuGH, Rs. 6 / 64 (Costa / ENEL), Slg. 1964, 1253, 1269; Pernice, in: Schuppert / Pernice / Haltern, Europawissenschaft, 743, 767. 173 174

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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gen, die nicht durch spätere Gesetzgebungsakte der Mitgliedstaaten in Frage gestellt werden können.179 Wo der Vertrag den Staaten das Recht zu einseitigem Vorgehen gestatten will, dort tut er es ausdrücklich.180 Die unmittelbare Geltung der Umsetzungsverpflichtung bezüglich Richtlinien im Gemeinschaftsrecht nach Art. 249 III EG begründet sich letztlich damit, dass die einheitliche Wirkung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten unbedingt erforderlich ist, um die Vertragsziele effektiv zu verwirklichen. Würde daher die Umsetzung von Richtlinien von mitgliedstaatlichen Beliebigkeiten abhängen, so wäre die Verwirklichung der Vertragsziele gefährdet.181 (1) Funktionale Ausrichtung der PJZS Diese funktionale Überlegung kann aber auch für das Unionsrecht fruchtbar gemacht werden. Denn auch die PJZS wird durch Ziele gem. Art 2 EU und Art. 29 EU gesteuert.182 Das Ziel, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu verwirklichen ist ein Ziel, das auf die grenzüberschreitende Verwirklichung angewiesen ist. Dazu soll auch der Erlass von Rahmenbeschlüssen beitragen. Denn der Rahmenbeschluss ist eine Handlungsform in der PJZS, die eine eindeutige Bindung an die Ziele der Union aufweist und auf die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gerichtet ist.183 Nur durch die Anstrengung aller Mitgliedstaaten gemäß den unionsrechtlichen Vorgaben kann dieser Raum geschaffen werden. Würden die von der EU getroffenen Maßnahmen, insbesondere Rahmenbeschlüsse, von innerstaatlichen Transformationserfordernissen abhängen, so würde ein grenzüberschreitender Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts an den unterschiedlichen Anordnungen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zersplittern. Die Umsetzung der Vorgaben eines Rahmenbeschlusses könnte dann unter Verweis auf das innerstaatliche Recht verzögert oder gar verhindert werden. Dies jedoch würde die Verwirklichung des grenzüberschreitenden Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts unmöglich machen. Es ist daher für die Erreichung des Unionszieles nötig, dass den Verpflichtungen aus dem EU-Vertrag, insbesondere der Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen, in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen nachgekommen wird.184 Da das Ziel der EU, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts für den Bürger zu schaffen, u. a. durch die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten verfolgt wird, ist es nötig, dass die AngleiEuGH, Rs. 6 / 64 (Costa / ENEL), Slg. 1964, 1253, 1270. EuGH, Rs. 6 / 64 (Costa / ENEL), Slg. 1964, 1253, 1270. 181 Schroeder, EuR 2007, 349, 363. 182 Schroeder, EuR 2007, 349, 363; Götz, in: FS Rauschning, 185, 185; Pernice, WHI-Paper 03 / 2005, 24. 183 Schroeder, EuR 2007, 349, 359. 184 Vgl. Pernice, WHI-Paper 03 / 2005, 24; Weber, EuR 2008, 88, 93. 179 180

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

chung der Rechtsvorschriften unabhängig von einer gesonderten Umsetzungsanordnung des innerstaatlichen Gesetzgebers erfolgt. Mit der funktionalen Ausrichtung der EU auf die unionsweite Erreichung bestimmter Ziele ist daher besser die Sichtweise in Einklang zu bringen, wonach die innerstaatlichen Stellen unmittelbar aufgrund von Art. 34 II 2 lit. b EU und nicht erst vermittelt durch einen nationalen Rechtsanwendungsbefehl zur Umsetzung der Ziele des Rahmenbeschlusses in das nationale Recht verpflichtet sind. Es ist daher systemgerechter, wenn die Verpflichtung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses für die Exekutive und Judikative nicht von einem vorherigen Transformationsakt des Gesetzgebers abhängt. Bestehen gesetzgeberische Umsetzungsdefizite, so müssen die innerstaatlichen Stellen das vorhandene nationale Recht rahmenbeschlusskonform auslegen, um ihrer aus Art. 34 II 2 lit. b EU folgenden Umsetzungsverpflichtung nachzukommen. (2) System gegenseitiger Anerkennung Die PJZS ist aber nicht nur funktional auf die europaweite Verwirklichung bestimmter Ziele ausgerichtet, sondern die Zusammenarbeit in der PJZS beruht zunehmend auf der gegenseitigen Anerkennung mitgliedstaatlicher Entscheidungen.185 185 Vgl. Rahmenbeschluss 2005 / 214 / JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, Abl. Nr. L 76 v. 22.3.2005, 16 ff.; Rahmenbeschluss 2002 / 584 / JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. Nr. L 190 v. 18.7.2002, 1 ff.; Rahmenbeschluss 2008 / 978 / JI des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen, ABl. Nr. L 350, v. 30.12.2008, 72 ff.; Rahmenbeschluss 2006 / 783 / JI des Rates vom 6. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, ABl. Nr. L 328 v. 24.11. 2006, 59 ff.; Rahmenbeschluss 2009 / 299 / JI des Rates vom 26. Februar 2009 zur Änderung der Rahmenbeschlüsse 2002 / 584 / JI, 2006 / 783 / JI, 2008 / 909 / JI und 2008 / 947 / JI, zur Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist, ABl. Nr. L 81 v. 27.3.2009, 24 ff. Der Rahmenbeschluss 2008 / 947 / JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen, ABl. Nr. L 337 v. 16.12.2008, 102 ff. stellt es den Mitgliedstaaten gem. Art. 10 IV 1 frei, zu notifizieren, dass Art. 10 I (Verzicht auf das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit bei Katalogtaten) nicht angewendet wird. Gleiches regelt der Rahmenbeschluss 2008 / 909 / JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union, ABl. Nr. L 327 v. 5.12.2008, 27 in Art. 7 IV 1. Bisher hat noch kein Mitgliedstaat eine derartige Erklärung abgebeben; Rat, Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, ABl. Nr. C 12 v. 13.1.2001, 10; EuGH, Rs. C-187 / 01 und C-385 / 01 (Gözütok und Brügge), Slg. 2003, I-1345,

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Insbesondere in Systemen gegenseitiger Anerkennung darf aber die Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen nicht von einer mitgliedstaatlichen Anordnung abhängen. Am Beispiel des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl186 lässt sich dies exemplarisch darstellen. Der 5. Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl lautet: „Aus dem der Union gesetzten Ziel, sich zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu entwickeln, ergibt sich die Abschaffung der Auslieferung zwischen Mitgliedstaaten und deren Ersetzung durch ein System der Übergabe zwischen Justizbehörden. Die Einführung eines neuen, vereinfachten Systems der Übergabe von Personen, die einer Straftat verdächtigt werden oder wegen einer Straftat verurteilt worden sind, für die Zwecke der strafrechtlichen Verfolgung oder der Vollstreckung strafrechtlicher Urteile ermöglicht zudem die Beseitigung der Komplexität und der Verzögerungsrisiken, die den derzeitigen Auslieferungsverfahren innewohnen. Die bislang von klassischer Kooperation geprägten Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten sind durch ein System des freien Verkehrs strafrechtlicher justizieller Entscheidungen – und zwar sowohl in der Phase vor der Urteilsverkündung als auch in der Phase danach – innerhalb des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu ersetzen.“ Wie insbesondere aus Art. 1 I, II sowie aus dem 5. und 7. Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl hervorgeht, soll das multilaterale System der Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten durch ein System der Übergabe von verdächtigen oder verurteilten Personen zwischen Justizbehörden zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung strafrechtlicher Urteile auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung ersetzt werden.187 Gerade in einem System gegenseitiger Anerkennung ist die einheitliche Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten von großer Bedeutung.188 Denn dieses System funktioniert nur, wenn es vom gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten darauf getragen ist, dass jeder andere Mitgliedstaat das Unionsrecht ebenso beachtet, wie er selbst.189 Zudem gewinnt eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts im Bereich der Auslieferung auch angesichts des Gleichheitsgrundsatzes an Bedeutung. Rn. 32 f.; Mitsilegas, in: Balzacq / Carrera, Security versus Freedom?, 279, 280; Murschetz, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 85, 86; Pernice, WHI-Paper 02 / 2005, 14; Satzger / Pohl, JICJ 4 (2006) 686, 688. 186 Rahmenbeschluss 2002 / 584 / JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. Nr. L 190 v. 18.7.2002, 1 ff. 187 EuGH, Rs. C-303 / 05 (Advocaten voor de Wereld), Slg. 2007, I-3633, Rn. 28; EuGH, Rs. C-66 / 08 (Szymon Kozłowski), Slg. 2008, I-6041, Rn. 31. 188 Zum System gegenseitiger Anerkennung: Pernice, WHI-Paper 03 / 2005. 189 Kretschmer, Jura 2005, 780, 782; Schmahl, DVBl. 2007, 1463, 1463.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

Daraus folgt, dass Tatbestandsmerkmale einer Norm des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweisen, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung des Kontextes der Vorschrift und des mit der Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss.190 Eine autonome und unionsweit einheitliche Auslegung setzt jedoch voraus, dass mitgliedstaatliche Stellen an das Recht des Rahmenbeschlusses bereits aufgrund des EU-Vertrags gebunden sind und nicht erst aufgrund eines innerstaatlich auslegbaren nationalen Rechtsanwendungsbefehls. Denn dadurch würde die Gefahr uneinheitlicher Auslegung erhöht und letztlich die Beachtung der Vorgaben eines Rahmenbeschlusses in der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung vom mitgliedstaatlichen Willen abhängig gemacht. Dies widerspräche aber den Erfordernissen, die das System der gegenseitigen Anerkennung voraussetzt. Indem die EU zur grenzüberschreitenden Kriminalitätsbekämpfung zunehmend auf die gegenseitige Anerkennung mitgliedstaatlicher Entscheidungen setzt, zeigt sich eine neue Qualität der Zusammenarbeit auf EU-Ebene. Würden dabei die Wirkungen eines Rahmenbeschlusses bzw. der Verpflichtung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses nur auf das völkerrechtliche Außenverhältnis der EU gegenüber den Mitgliedstaaten beschränkt, dann wäre der Erlass eines Rahmenbeschlusses nur eine Anweisung an den nationalen Gesetzgeber. Mit einer solch eingeschränkten Bedeutung wäre die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung letztlich reduziert auf eine Auslegung nach dem mutmaßlichen Umsetzungswillen des jeweiligen nationalen Gesetzgebers. Eine solche Betrachtungsweise wird aber den Zielen und dem System der PJZS nicht mehr gerecht, da so keine Auslegung am verbindlichen Maßstab des Unionsrechts erfolgen würde. Gerade die unionsweit einheitliche Auslegung des Sekundärrechts am Maßstab des Unionsrechts ist aber für die Verwirklichung eines funktionierenden Systems gegenseitiger Anerkennung unabdingbar. Denn mit Schaffung von Rechtsinstrumenten, die auf dem System gegenseitiger Anerkennung beruhen, haben die Mitgliedstaaten ihre nationalstaatlich geprägten Vorbehalte gegenüber den anderen Mitgliedstaaten zugunsten einer vertrauensvollen Zusammenarbeit nach Maßgabe des Unionsrechts aufgegeben. Diesem System der PJZS wird die Ansicht gerechter, wonach die Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung gerade nicht von einer vorherigen gesetzgeberischen Umsetzung des Rahmenbeschlusses abhängt, sondern die Umsetzungsverpflichtung aller innerstaatlicher Stellen unmittelbar aus Art. 34 II 2 lit. b EU folgt. Zwar lässt Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU den Mitgliedstaaten die Freiheit bei der Wahl der Mittel zur Umsetzung eines Rahmenbeschlusses. Dies bedeutet jedoch nur, dass dem Gesetzgeber eine gewisse Freiheit bei der Frage des „wie“ der Um190 So auch EuGH, Rs. C-66 / 08 (Szymon Kozłowski), Slg. 2008, I-6041, Rn. 42 ff. unter Verweis auf EuGH, Rs.C-195 / 06 (Österreichischer Rundfunk), Slg. 2007, I-8817, Rn. 24 m. w. N.

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setzung gewährt wird. Doch diese Freiheit lässt die unbedingte Verpflichtung der innerstaatlichen Stellen, alles im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu tun, um die volle Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses entsprechend ihrer Zielsetzungen zu gewährleisten, nicht entfallen.191 Das bedeutet, dass das „ob“ der Umsetzung nach der Konzeption des Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU gerade nicht mehr zur freien Entscheidung der innerstaatlichen Stellen steht.

bb) Stellung des Einzelnen im EU-Vertrag Bezüglich des EWG-Vertrags hat der EuGH schon früh festgestellt, dass dieser Vertrag mehr ist, als ein Abkommen, das nur wechselseitige Verpflichtungen zwischen den Mitgliedstaaten begründet, da das Ziel eines Gemeinsamen Marktes nicht nur für die Mitgliedstaaten verwirklicht wird, sondern das Funktionieren dieses Marktes auch die Angehörigen der Mitgliedstaaten unmittelbar betrifft.192 Damit rückte der Einzelne in das Zentrum des politischen Blickfeldes.193 Fraglich ist, ob auch der EU-Vertrag von seinem Geist her auf mehr als nur zwischenstaatliche Verpflichtungen angelegt ist. Dies wäre der Fall, wenn der EU-Vertrag nicht nur zwischenstaatliche Ziele enthält, sondern auch die Angehörigen der Mitgliedstaaten betreffen soll. Konsequente Folge davon wäre, dass sich die Einzelnen auch auf die Rechtsordnung der Union berufen könnten. Dazu gehört, dass sie sich vor nationalen Gerichten auf die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts berufen könnten. Dies impliziert dann jedoch die unmittelbar unionsrechtliche Verpflichtung aller innerstaatlichen Stellen, über eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts, die Ziele des Rahmenbeschlusses zu verwirklichen. (1) Einbeziehung des Bürgers in die Gestaltung der EU Die EU ist keine Organisation, die allein staatengerichtet ist. Vielmehr stehen auch die Bürger Europas im Blickfeld der europäischen Zusammenarbeit. Denn mit dem Integrationsprozess wird keine immer engere Union der Staaten Europas, sondern gem. Art. 1 II 2. Hs. EU eine immer engere Union der Völker Europas angestrebt. Damit sind die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, die die europäischen Völker bilden, in den Integrationsprozess mit einzubeziehen.194 Dem entspricht es, dass die Bürger auch in die Politikgestaltung der EU involviert werden.195 Heger, ZIS 2007, 221, 222; Weber, EuR 2008, 88, 93. EuGH, Rs. 26 / 62 (van Gend en Loos), Slg. 1963, 3, 24. 193 Haltern, in: v. Bogdandy / Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 279, 320. 194 Calliess, in: Calliess / Ruffert, Art. 1 EUV, Rn. 16; Kadelbach, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 539, 549. 195 Vgl. Kluth, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 73, 85. 191 192

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Die Unionsbürger können über das Europäische Parlament zum Funktionieren der EU beitragen.196 Die Einbeziehung des Bürgers in die europäische Integration unterstreicht auch die Tatsache, dass die EU gem. Art. 6 I EU dem Demokratieprinzip verpflichtet ist. Dagegen mag eingewendet werden, dass dem Europäische Parlament in der EU keine Mitentscheidungsbefugnisse verliehen sind, sondern das Europäische Parlament gem. Art. 39 I 1 EU bei der Rechtssetzung in der PJZS nur angehört wird.197 Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Bürger, repräsentiert durch die Parlamentsabgeordneten, ihre Vorstellungen zu Gehör bringen können. Damit das Parlament eine qualifizierte Stellungnahme abgeben kann, verfügt es gem. Art. 39 II, III 2 EU über Informationsrechte. Darüber hinaus kann es gem. Art. 39 III EU Anfragen und Empfehlungen an den Rat richten. Durch diese Beteiligungsrechte kann das Parlament zwar nicht unmittelbar Entscheidungen des Rates herbeiführen oder verhindern. Es kann jedoch durchaus durch sachgerechte Stellungnahmen oder Empfehlungen „politischen Input“ geben. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass eine Gestaltungs- oder Mitentscheidungsbefugnis des Europäischen Parlaments schon früher keine notwendige Bedingung dafür war, die EWG bzw. EG als besondere Rechtsordnung anzusehen. So hat der EuGH bezüglich der EWG bereits geurteilt, dass die EWG eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts darstellt.198 In der EWG war jedoch die parlamentarische Mitwirkung ebenfalls bloß auf eine Anhörung der Versammlung199 beschränkt. Maßgeblich ist somit die Tatsache, dass überhaupt ein Europäisches Parlament, besetzt mit vom Volk gewählten Vertretern, sich bei der Gestaltung der Politiken mit einbringen kann. Diese Voraussetzung ist auch im Rahmen der PJZS erfüllt. Die Einbeziehung des Bürgers in den Integrationsprozess sichert aber nicht nur die politische Beteiligung über das Europäische Parlament ab. Auch die Gebote der Transparenz und Bürgernähe gem. Art. 1 II 2. Hs. EU unterstreichen die Einbeziehung des Bürgers in den Integrationsprozess. Art. 41 I EU i.V. m. Art. 255 EG konkretisieren das in Art. 1 II EU normierte Transparenzgebot.200 Gem. Art. 41 I EU i.V. m. Art. 255 EG hat jeder Bürger der Union das Recht auf den Zugang zu Dokumenten. Damit gewährt Art. 255 EG einen grundsätzlichen individuellen Anspruch auf Zugang zu den genannten InforKluth, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 73, 85. Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9, der das bloße Anhörungsrecht als Bestätigung des völkerrechtlichen Charakters des Rahmenbeschlusses wertet. 198 EuGH, Rs. 26 / 62 (van Gend en Loos), Slg. 1963, 3, 25. 199 Gem. Art. 138 I EWG bestand die Versammlung aus Abgeordneten, die nach einem von jedem Mitgliedstaat zu bestimmenden Verfahren von den Parlamenten aus deren Mitte ernannt wurden. 200 Wegener, in: Calliess / Ruffert, Art. 255 EGV, Rn. 1. 196 197

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mationen201, der über Art. 41 I EU auch in der dritten Säule besteht. Dadurch soll es dem Einzelnen ermöglicht werden, die Entscheidungsabläufe in der EU nachzuvollziehen.202 Die Transparenz und Bürgernähe sollen darüber hinaus durch die Einrichtung eines Bürgerbeauftragten gesichert werden.203 Die Unionsbürger können sich auch in Angelegenheiten der PJZS gem. Art. 41 I EU i.V.m. Art. 195 EG an den Bürgerbeauftragten wenden und so bei Missständen in der PJZS eine Untersuchung durch den Bürgerbeauftragen veranlassen. Dadurch wird die Transparenz der Arbeit der Organe sichergestellt und der Bürger in die Kontrolle der Arbeiten auf EU-Ebene mit einbezogen.204 Durch transparente Handlungsabläufe und die Einbeziehung der Bürger in den Integrationsprozess soll die Akzeptanz des Rechts der EU durch die Bürger erhöht werden. Nur wenn auch die Bürger in den Mitgliedstaaten sich mit der EU identifizieren, kann eine immer engere Union nicht nur der Staaten, sondern auch der Völker Europas entstehen. Die Einbeziehung des Bürgers in die Politikgestaltung der EU zeigt, dass die Ziele der EU nicht allein den Mitgliedstaaten zu dienen bestimmt sind.205 Konkret bestätigt wird dies für die PJZS, indem die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts kein mitgliedstaatlicher Selbstzweck ist, sondern dieser Raum dafür geschaffen wird, damit der Bürger seine Freizügigkeit in einem sicheren Rechtsraum ausüben kann. (2) Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts für den Bürger Ein Ziel der EU ist nach dem 11. Erwägungsgrund der Präambel des EU-Vertrags, die Freizügigkeit unter gleichzeitiger Gewährleistung der Sicherheit der Unionsbürger durch den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu fördern. Mit der PJZS verfolgt die Union gem. Art. 29 I EU das Ziel, den Bürgern in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ein hohes Maß an Sicherheit zu bieten. Der EU-Vertrag nimmt in der Präambel und in Art. 29 I EU die Bürger unmittelbar in den Blick. Sowohl in der Präambel als auch in Art. 29 I EU steht die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nicht 201 Dannecker, in: Streinz, Art. 41 EUV, Rn. 10; Frenz, HdB Europarecht, Bd. 4, Rn. 4623; Wegener, in: Calliess /Ruffert, Art. 255 EGV, Rn. 6; a. A. Gellermann, in: Streinz, Art. 255 EGV, Rn. 4. 202 Dannecker, in: Streinz, Art. 41 EUV, Rn. 10. 203 Frenz, HdB Europarecht, Rn. 4727; Gaitanides, in: Heselhaus / Nowak, HdB der Europäischen Grundrechte, § 50 Rn. 9 f.; Kluth, in: Calliess / Ruffert, Art. 195 EGV, Rn. 1. 204 Frenz, HdB Europarecht, Bd. 4, Rn. 4727; Gaitanides, in: Heselhaus / Nowak, HdB der Europäischen Grundrechte, § 50 Rn. 9 f.; Kadelbach, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 539, 558. 205 So auch Pernice, in: Schuppert / Pernice / Haltern, Europawissenschaft, 743, 772.

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für sich, sondern ein solcher Raum wird gerade für den Bürger geschaffen. Denn die den Bürgern vor allem durch den EG-Vertrag gewährte Freizügigkeit wird durch Vorschriften zum Schutz der Sicherheit und des Rechts so flankiert, dass die Freizügigkeit nicht beschränkt, sondern in Freiheit ausgeübt werden kann. Die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist somit kein mitgliedstaatlicher Selbstzweck. Er dient in erster Linie den Interessen der Unionsbürger. Damit ist zugleich gesagt, dass mit dem EU-Vertrag nicht nur wechselseitige Verpflichtungen zwischen den vertragsschließenden Staaten begründet werden sollen, sondern auch unmittelbar die Stellung der Bürger beeinflusst werden soll. Bestätigt wird diese Folgerung dadurch, dass sich die Präambel des EU-Vertrags nicht nur an die Regierungen der Mitgliedstaaten, sondern auch an die Völker Europas richtet.206 Damit steht die Person des Einzelnen im Mittelpunkt des Handelns der EU.207 Auch die Rechtsangleichung durch Rahmenbeschlüsse dient letztlich dem Ziel, den Bürgern in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ein hohes Maß an Sicherheit zu bieten. Mit dem Erlass von Rahmenbeschlüssen sollen die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, dass einerseits die Freizügigkeitsrechte der Bürger in einem grenzüberschreitenden Rechtsraum gesichtert werden. Andererseits soll dabei aber auch nicht die Sicherheit dadurch gefährdet werden, dass die grenzüberschreitende Kriminalität in der EU mangels effektiver grenzüberschreitender Bekämpfung und Strafverfolgung zunehmen könnte. (3) Folgerungen aus der Ausrichtung auf den Bürger Der Einzelne ist somit nicht nur im EG-Vertrag in die Gestaltung der Politik mit einbezogen, weil ihn diese Politiken unmittelbar betreffen. Auch im EU-Vertrag hat der Einzelne eine eigenständige, von den Mitgliedstaaten unabhängige Stellung inne. Die Ziele der EU dienen nicht nur dazu, zwischenstaatliche Vorhaben zu verwirklichen. Sondern sie sollen auch die Rechte der Bürger sichern. Der Einzelne in der EU wird von den Vorschriften zur Umsetzung der Ziele der EU unmittelbar betroffen, da dadurch auch die Ausübung seiner Freizügigkeitsrechte unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung eines hohen Maßes an Sicherheit gewährleistet wird. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist somit kein staatlicher Selbstzweck, sondern er wird gerade für die Bürger, die sich grenzüberschreitend in der EU bewegen, geschaffen. Rahmenbeschlüsse sind Grundlage einer zweistufigen, europäisch formulierten Rechtssetzung für den sensiblen Bereich der PJZS. In diesem Bereich kommt es auf Verbindlichkeit und Verlässlichkeit nicht weniger an, als in der ersten Säule. Gerade hier ein „Recht zur Vertragsverletzung“208 durch die Mitgliedstaaten anzunehmen, Vgl. bereits EuGH, Rs. 26 / 62 (van Gend en Loos), Slg. 1963, 3, 24. Pache, in: Pache, Die EU – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, 9, 10. 208 So aber BVerfGE 113, 273, 301, mit kritischer Abw. Meinung Lübbe-Wolff, BVerfGE 113, 327, 336. 206 207

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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wo es in besonderer Weise um die Gewährleistung der Sicherheit und der Rechte Einzelner geht, ist höchst fragwürdig. Ein Recht zur Umsetzungsverweigerung innerstaatlicher Stellen entspricht nicht den weit reichenden Zwecken, die der EUVertrag gerade im Bereich der PJZS verfolgt.209 Könnte sich der Einzelne vor innerstaatlichen Stellen nicht auf eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Rechts berufen, so könnte er nicht darauf hinwirken, dass der von der EU angestrebte Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, der letztlich seine Freizügigkeitsrechte absichert, verwirklicht wird. Aufgrund der Bedeutung der Rechtsangleichung zur Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts für den Bürger ist die Auffassung zu befürworten, dass der Bürger auch in die Kontrolle der Umsetzung von Rahmenbeschlüssen mit einbezogen wird.210 Dies bedeutet, dass der Bürger auch dann eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Rechts fordern kann, wenn das nationale Recht noch nicht durch gesetzgeberische Tätigkeit den Zielen des Rahmenbeschlusses angeglichen wurde. Eine solche Rolle des Bürgers bei der dezentralen Durchsetzung des Rechts entspricht seiner aktiven Stellung im EU-Vertrag, wo er in die Politikgestaltung mit einbezogen wird.211 Kann sich der Einzelne jedoch vor nationalen Stellen auf die Pflicht zur Umsetzung der Ziele des Rahmenbeschlusses in das nationale Recht berufen, so impliziert dies, die unmittelbar unionsrechtliche Verpflichtung aller innerstaatlichen Stellen zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung. cc) Entkräftung der Einwände gegen die Geltung des Rechts der PJZS in der innerstaatlichen Rechtsordnung Die These, dass die Umsetzungsverpflichtung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU unmittelbar die innerstaatlichen Stellen bindet, stößt – wie oben bereits gesehen212 – nicht auf einhellige Zustimmung. Die fehlende Geltung des Unionsprimärrechts der dritten Säule wird zum einen mit dem Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses213, zum anderen mit dem Erfordernis der Umsetzung des Rahmenbeschlusses214 begründet. So auch Pernice, WHI-Paper 03 / 2005, 24. Vgl. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 38; Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 227 deuten diese so, dass grundsätzlich von der Möglichkeit einer unmittelbaren Anwendbarkeit von Rahmenbeschlüssen im Verhältnis Bürger – Staat ausgegangen werden könne. Dies erscheint allerdings zu weitgehend, zumal sich der EuGH nicht mit der Wirkung des Rahmenbeschlusses selbst im nationalen Recht, sondern mit der Wirkung der Umsetzungsverpflichtung befasste. Zur Rolle der Bürger bei der Rechtsdurchsetzung im Gemeinschaftsrecht vgl. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 19 ff. 211 s. o. 3. Teil: A.V.2.c)bb)(1). 212 s. o. 2. Teil: E. 213 s. o. 2. Teil: E.III.1.a). 214 s. o. 2. Teil: E.II.1. 209 210

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

(1) Einwand des Ausschlusses der unmittelbaren Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses Wie oben dargestellt215, sehen einige Vertreter des Schrifttums den Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit gem. Art. 34 II 2 lit. b EU als Indiz dafür, dass der EU-Vertrag von seiner Struktur her nicht darauf ausgelegt sei, in die innerstaatliche Rechtsordnung hineinzuwirken.216 Sie begreifen daher die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung lediglich als nationale Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung.217 Begründet wird dies zum einen damit, dass in der PJZS kein verordnungsgleiches Rechtsinstrument zur Verfügung stehe.218 Zudem sei die unmittelbare Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU explizit ausgeschlossen worden.219 Daraus folge, dass das EU-Recht nicht für sich in Anspruch nehme, unmittelbar in den Mitgliedstaaten zu gelten.220 (2) Einwand des Umsetzungserfordernisses Die Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse wird zum Teil aufgrund des Umsetzungserfordernisses abgelehnt.221 Der Rahmenbeschluss verpflichte die Unionsstaaten nur völkerrechtlich, alle erforderlichen Vorkehrungen zu seiner innerstaatlichen Umsetzung nach Maßgabe der jeweils verfassungsrechtlichen Transformations- bzw. Vollzugsvoraussetzungen zu treffen.222 Bei seinem Erlass stehe der Rahmenbeschluss somit außerhalb der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung.223 Es bedürfe einer Transformation der Zielvorgaben des Rahmenbeschlusses in das nationale Recht, um die innerstaatlichen Stellen an diese Zielvorgaben zu binden.224 Erst wenn ein Rahmenbeschluss in das inners. o. 2. Teil: E.III.1.a). Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 115. 217 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 245. 218 Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 207. 219 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 115. 220 Geiger, Art. 34 EUV, Rn. 1; Hillgruber, JZ 2005, 841, 841; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 2; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 116. 221 s. o. 2. Teil: E.II.1. 222 BVerfGE 113, 273, 301; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 65 ff.; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 244. 223 Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 66. 224 Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1563; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 65 ff.; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 244. 215 216

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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staatliche Recht durch ein Umsetzungsgesetz transformiert worden ist, könne eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Rechts unter Verweis auf den Umsetzungswillen des Gesetzgebers erfolgen.225 Der Einwand, dass kein Rechtsinstrument mit unmittelbarer Geltung im nationalen Recht für die Verwirklichung der Ziele in der PJZS zur Verfügung steht, zielt wohl darauf ab, dass der EuGH auch auf die unmittelbare Geltung der Verordnung einging, als er die innerstaatliche Geltung des Gemeinschaftsrechts festgestellt hat. Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass der EuGH die Verordnung gem. Art. 249 II EG nicht zur Begründung des innerstaatlichen Geltungsanspruchs des Gemeinschaftsrechts herangezogen hat, sondern nur zur Bestätigung dieses bereits anderweitig gefundenen Ergebnisses.226 Dass auf EU-Ebene kein verordnungsgleiches Rechtssetzungsinstrument vorgesehen ist, spricht somit nicht zwangsläufig dagegen, dass die Umsetzungsverpflichtung aus Art. 34 II 2 lit. b EU Geltung im innerstaatlichen Rechtskreis beansprucht. Auch der Verweis auf die Umsetzungsbedürftigkeit des Rahmenbeschlusses geht fehl. Dass der Rahmenbeschluss selbst umsetzungsbedürftig ist, streitet nicht gegen eine Übertragung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse. Denn auch die Vorgaben von Richtlinien bedürfen gem. Art. 249 III EG der Umsetzung in nationales Recht.227 Die Vertreter im Schrifttum, die auf die Verpflichtung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses verweisen, verwechseln an dieser Stelle die Pflicht zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses mit dem Rahmenbeschluss an sich.228 Die Verpflichtung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses ergibt sich nicht etwa aus dem umsetzungsbedürftigen Rahmenbeschluss. Sondern die Verpflichtung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses ergibt sich unmittelbar aus der primärrechtlichen Anordnung des Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU. Es ist nicht entscheidend, ob der Rahmenbeschluss im innerstaatlichen Recht gilt oder nicht.229 Für die Frage nach der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ist nur relevant, ob die Verpflichtung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU innerstaatlich gilt. Diese Umsetzungsverpflichtung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU steht jedoch gerade nicht unter dem Vorbehalt einer innerstaatlichen Anordnung. 225 Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 103 u. 117 f.; wohl auch Killmann, JBl. 2005, 566, 574. 226 EuGH, Rs. 6 / 64 (Costa / ENEL), Slg. 1964, 1253, 1270. 227 So zu Recht auch Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 568. 228 So stellt Adam, EuZW 2005, 558, 560 die Frage nach der innerstaatlichen Wirkung „von Rahmenbeschlüssen“; Egger, EuZW 2005, 652, 652 u. 654 differenziert ebenfalls nicht zwischen den Rechtswirkungen des Rahmenbeschlusses und den Rechtswirkungen der Umsetzungsverpflichtung. Auch Schroeder, EuR 2007, 349, 364 f., der zwar die Übertragung der Grundsätze zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse befürwortet, untersucht den Vorrang des Rahmenbeschlusses und unterscheidet damit nicht zwischen Rahmenbeschluss und primärrechtlicher Umsetzungsverpflichtung gem. Art. 34 II lit. b EU. 229 s. o. die Einwände gegen die Ansicht in 2. Teil: E.II.

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Auch die Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht ist keine Transformation, sondern nur eine Konkretisierung ihrer Zielvorgaben, an die die innerstaatlichen Stellen bereits aufgrund der Umsetzungsverpflichtung aus dem Gemeinschaftsrecht gebunden sind. Ebenso ist die Umsetzung eines Rahmenbeschlusses keine Transformation des Rahmenbeschlusses in das nationale Recht.230 Die Ergebnisse, die die EU mit der Rechtsangleichung in den Mitgliedstaaten erreichen will, sind mit dem Rahmenbeschluss verbindlich vorgegeben. Den innerstaatlichen Stellen wird nur die Wahl der Form und der Mittel überlassen. Damit wird die Frage nach dem „ob“ der Erfüllung der Umsetzungspflicht nicht in die freie Entscheidung der innerstaatlichen Stellen gestellt.231 Diese haben die zur Rechtsangleichung erforderliche Umsetzung vorzunehmen, indem sie die zwingenden Anordnungen des Rahmenbeschlusses im nationalen Recht nachzeichnen.232 Nur dort, wo der Rahmenbeschluss dem Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum zugesteht, kann der Gesetzgeber seine eigenen Ziele in die Umsetzung einfließen lassen. Es besteht damit keine Entscheidungsfreiheit der innerstaatlichen Stellen hinsichtlich des „ob“, sondern nur hinsichtlich des „wie“ der Umsetzung. Indem Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU den innerstaatlichen Stellen das „wie“ der Umsetzung überlässt, trifft er zugleich die vorgelagerte Anordnung, dass die innerstaatlichen Stellen die Ziele des Rahmenbeschlusses auch umsetzen müssen. Damit ist aber zugleich gesagt, dass die innerstaatlichen Stellen an die Umsetzungsverpflichtung gebunden sind. (3) Einwand des Einstimmigkeitsprinzips Zum Teil wird gegen die Einwirkung des Rechts der PJZS in den innerstaatlichen Rechtsraum angeführt, dass die Entscheidungen in der PJZS auf dem Einstimmigkeitsprinzip beruhen.233 Entscheidungen mit Einstimmigkeit seien jedoch typisch für völkerrechtliche Strukturen234, in denen die Mitgliedstaaten den Einfluss darüber, was in ihrer mitgliedstaatlichen Rechtssphäre geschieht, nicht aus der Hand geben wollen. Zwar dominiert bei den Entscheidungsverfahren im Rat die Einstimmigkeit als Regelfall. Allerdings bietet die Möglichkeit einer konstruktiven Enthaltung in der GASP und der PJSZ einen Ausweg aus „politischen Sackgassen“, die im Mehr230 Brechmann, in: Callies / Ruffert, 2. Aufl., Art. 34 EUV, Rn. 7; Schönberger, ZaöRV 67 (2007) 1107, 1125 f. 231 Brechmann, in: Callies / Ruffert, 2. Aufl., Art. 34 EUV, Rn. 7; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 196. 232 Brechmann, in: Callies / Ruffert, 2. Aufl., Art. 34 EUV, Rn. 7. 233 BVerfGE 113, 273, 301; Hillgruber, JZ 2005, 841, 841; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9. 234 BVerfGE 113, 273, 301; Hillgruber, JZ 2005, 841, 841; Satzger, in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9.

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heitssystem durch Überstimmen opponierender Staaten gelöst werden könnten.235 So gilt für die GASP Art. 23 I 2 EU und für die PJZS verweist Art. 41 I EU auf Art. 205 III EG. Danach steht die Stimmenthaltung dem Zustandekommen einstimmig zu fassender Beschlüsse nicht im Wege.236 Dies zeigt, dass auch im Rahmen der GASP und der PJZS keine strenge Einstimmigkeit im Sinne einer positiven Zustimmung aller Mitgliedstaaten nötig ist. Schließlich ist noch zu bemerken, dass auch eine Supranationalisierung nicht notwendig zur gänzlichen Abkehr vom Konsensprinzip in der Rechtssetzung führen würde.237 Denn auch im Gemeinschaftsrecht gibt es Bereiche, in denen der Rat nur einstimmig Rechtsvorschriften erlassen kann, z. B. nach Art. 13 I, 93, 175 II und 308 EG. Auch für Beschlüsse betreffend Art. 61 EG galt bis 1.5.2004 das Einstimmigkeitserfordernis gem. Art. 67 I EG. Erst im Protokoll zu Art. 67 des Vertrags zur Gründung der EG238 wurde der Übergang zur qualifizierten Mehrheit festgelegt. Kann der Rat jedoch eine Richtlinie nur einstimmig erlassen, so ändert sich allein dadurch nicht die Wirkungsweise der Verpflichtung zur Umsetzung in das nationale Recht. Auch bezüglich einstimmig zu erlassender Richtlinien besteht eine unmittelbare Verpflichtung innerstaatlicher Stellen zur richtlinienkonformen Auslegung. Daher kann das Einstimmigkeitserfordernis allein nicht gegen eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus dem EU-Vertrag angeführt werden. (4) Einwand des Demokratiedefizits Gegen eine innerstaatliche Geltung der Umsetzungsverpflichtung wird auch ein vermeintliches Demokratiedefizit in der dritten Säule angeführt. Da das Europäische Parlament bloß angehört werde, müsse der nationale Gesetzgeber frei über die Umsetzung entscheiden können, um der Legitimationslast Rechnung zu tragen.239 Diese schwache Stellung des Europäischen Parlaments entspreche nur deshalb dem Demokratieprinzip, weil eine völkerrechtliche Einordnung der Pflichten aus dem EU-Vertrag dazu führt, dass der innerstaatliche Gesetzgeber seine politische Gestaltungsmacht behalte und notfalls auch die Umsetzung verweigern könne.240 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 33. Suhr, in: Callies / Ruffert, Art. 34 EUV, Rn. 9. 237 Hufeld, JuS 2005, 865, 870; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 234; Schroeder, EuR 2007, 349, 357. 238 Protokoll zu Art. 67 des Vertrags zur Gründung der EG, ABl. Nr. C 325 v. 24.12.2002, 184. 239 BVerfGE 113, 273, 301; diesem Umsetzungsverweigerungsrecht des Gesetzgebers unter Subsidiaritätsgesichtspunkten zustimmend: abw. Meinung Broß, BVerfGE 113, 319, 326; Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1565. 240 Vgl. BVerfGE 113, 273, 301; Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1565; KaiafaGbandi, ZIS 2006, 521, 523. 235 236

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Der Einwand, der auf ein Demokratiedefizit verweist, kann jedoch in dreifacher Weise entkräftet werden.241 (a) Keine strukturelle Kongruenz erforderlich Erstens können an die EU nicht die gleichen demokratischen Anforderungen gestellt werden wie an einen Staat.242 Die EU ist eine internationale Organisation. In dieser Organisation sind die Mitgliedstaaten als gleichberechtigte Mitglieder der Staatenwelt vertreten. In der EU muss daher ein Ausgleich zwischen dem völkerrechtlichen Prinzip der Staatengleichheit und dem Demokratiegebot gefunden werden.243 Dieser Ausgleich wäre aber nicht möglich, wenn an die EU die gleichen demokratischen Anforderungen gestellt würden, wie an die Mitgliedstaaten nach ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Anforderungen.244 Dies erkennt auch das Grundgesetz an. Das Grundgesetz ist offen dafür, dass Deutschland sich in eine internationale und europäische Friedensordnung einfügt.245 Es erlaubt daher auf europäischer Ebene eine andere Gestaltung der politischen Willensbildung, als sie das Grundgesetz für die deutsche Verfassungsordnung bestimmt.246 (b) Vermittlung demokratischer Legitimation durch Regierungsvertreter im Rat Zweitens werden die Rechtssetzungsakte der EU hinreichend durch die Regierungsvertreter im Rat demokratisch legitimiert.247 Die Minister werden gem. Art. 64 I GG vom Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundeskanzlers, der gem. Art. 63 I GG vom Bundestag gewählt wurde, ernannt. Damit ist die demokratische Rückkoppelung an das Parlament und somit auch an das Volk gewährleistet.248 Da die Bun241 Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 241; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 34 EUV, Rn. 21; Wasmeier, ZEuS 2006, 23, 31. 242 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.6.2009, Rn. 227, 266, 272; Böse, GA 2006, 211, 217 f.; Classen, JZ 2009, 881, 882; Kluth, in: Kluth, Die Europäische Union nach dem Amsterdamer Vertrag, 73, 85 f. 243 BVerfG, 2 BvE 2 / 08, 2 BvE 5 / 08, 2 BvR 1010 / 08, 2 BvR 1022 / 08, 2 BvR 1259 / 08, 2 BvR 182 / 09 v. 30.6.2009, Rn. 227. 244 BVerfG, 2 BvE 2 / 08, 2 BvE 5 / 08, 2 BvR 1010 / 08, 2 BvR 1022 / 08, 2 BvR 1259 / 08, 2 BvR 182 / 09 v. 30.6.2009, Rn. 267; BT-Drs. 12 / 3338 v. 2.10.1992, 6. 245 BVerfG, 2 BvE 2 / 08, 2 BvE 5 / 08, 2 BvR 1010 / 08, 2 BvR 1022 / 08, 2 BvR 1259 / 08, 2 BvR 182 / 09 v. 30.6.2009, Rn. 219 ff. 246 BVerfG, 2 BvE 2 / 08, 2 BvE 5 / 08, 2 BvR 1010 / 08, 2 BvR 1022 / 08, 2 BvR 1259 / 08, 2 BvR 182 / 09 v. 30.6.2009, Rn. 219, 266, 272; Grabenwarter, in: v. Bogdandy / Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 121, 140 f.; Herzog, Demokratische Legitimation in Europa, 13; Kirsch, Demokratie und Legitimation in der Europäischen Union, 98. 247 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.6.2009, Rn. 262; zum Vertrag von Maastricht schon BVerfGE 89, 115 184; Böse, GA 2006, 211, 218; Folz, Demokratie und Integration, 49; Heger, ZIS 2007, 221, 222; Schmahl, DVBl. 2007, 1463, 1466. 248 Folz, Demokratie und Integration, 49 f.; Heger, ZIS 2007, 221, 222.

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desregierung dem Parlament verantwortlich ist, kann der Bundestag mittelbar auch Einfluss auf die europäische Politik ausüben.249 Gerade weil Rahmenbeschlüsse in der EU gem. Art. 34 II EU einstimmig ergehen, ist die Rückkoppelung der Entscheidungen im Rat mittelbar auch an das deutsche Staatsvolk gewährleistet. Denn würde ein Regierungsvertreter im Rat gegen einen Rahmenbeschluss stimmen, käme dieser nicht zustande. Hauptlegitimationsquelle ist damit nicht das Europäische Parlament, sondern dies sind die mitgliedstaatlichen Regierungsvertreter im Rat. Diese Legitimationskette ist für eine Organisation wie die EU, die aus souveränen Staaten besteht und dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gem. Art. 2 EU verpflichtet ist, ausreichend.250 (c) Einstimmigkeit sichert parlamentarische Einflussmöglichkeiten Drittens steht der relativ schwachen Beteiligung des Europäischen Parlaments die starke Beteiligungsmöglichkeit mitgliedstaatlicher Parlamente im Vorfeld des Erlasses eines Rahmenbeschlusses gegenüber.251 Denn im Rat wird über den Erlass eines Rahmenbeschlusses einstimmig beschlossen.252 Jeder Minister könnte daher durch die Verweigerung seiner Zustimmung den Erlass eines Rahmenbeschlusses verhindern. Und gerade hier setzt die starke Beteiligungsmöglichkeit der nationalen Parlamente an: Das nationale Recht kann Mechanismen bereitstellen, um die Ratsvertreter bei Verhandlungen im Rat in gewissem Umfang an parlamentarische Vorgaben zu binden.253 Dass in manchen Mitgliedstaaten eine solche Rückkoppelung der Ratsvertreter an das nationale Parlament nicht vorgesehen ist, ist kein Vorwurf, der dem Unionsrecht gemacht werden kann. Vielmehr ist diese Frage innerstaatlich lösbar.254 Gerade durch den einstimmigen Beschluss im Rat ist die Macht der nationalen Parlamente höher, als wenn ihre politischen Einflussmöglichkeiten auf den nationa249 Folz, Demokratie und Integration, 79; Heger, ZIS 2007, 221, 222; Huber, FAZ Nr. 210 v. 10.9.2009, 8; Schmahl, DVBl. 2007, 1463, 1466. 250 Vgl. BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.6.2009, Rn. 262; Heger, ZIS 2007, 221, 222; Huber, FAZ Nr. 210 v. 10.9.2009, 8; Kirsch, Demokratie und Legitimation in der Europäischen Union, 99 f. 251 Böse, Stellungnahme im Untersuchungsausschuss Europarecht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages v. 27.11.2007, 6; abw. Meinung Lübbe-Wolff, BVerfGE 113, 327, 337; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 239; Schmahl, DVBl. 2007, 1463, 1466; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 34 EUV, Rn. 21; Wasmeier, ZEuS 2006, 23, 31. 252 Heger, JZ 2006, 310, 313; abw. Meinung Lübbe-Wolff, BVerfGE 113, 327, 337; Schmahl, DVBl. 2007, 1463, 1466. 253 Folz, Demokratie und Integration, 80 ff.; Huber, FAZ Nr. 210 v. 10.9.2009, 8; abw. Meinung Lübbe-Wolff, BVerfGE 113, 327, 337; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 239; Schmahl, DVBl. 2007, 1463, 1466; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 34 EUV, Rn. 21; Wasmeier, ZEuS 2006, 23, 31. 254 Böhm, NJW 2005, 2588, 2588; abw. Meinung Lübbe-Wolff, BVerfGE 113, 327, 337; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 239; Wasmeier, ZEuS 2006, 23, 31.

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len Minister dadurch relativiert würden, dass dieser bei Mehrheitsentscheidungen überstimmt werden könnte.255 Daher sind die Möglichkeiten demokratischer Legitimation in der dritten Säule keineswegs zu gering ausgeprägt.256 Schlussendlich bleibt mit den Worten von Frau Lübbe-Wolff festzuhalten: „Wo man demokratische Legitimation in der Freiheit des Parlaments zum Verstoß gegen Unionsrecht aufsuchen zu müssen glaubt, liegt etwas im Argen.“257 Mit anderen Worten: Ein vermeintlich inakzeptables Demokratiedefizit kann nicht als systematisches Argument gegen die unmittelbare Bindung innerstaatlicher Stellen an die Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen angeführt werden. (5) Bedeutung des fakultativen Vorabentscheidungsverfahrens Gegen die Annahme, dass die Umsetzungsverpflichtung aus Art. 34 II 2 lit. b EU unmittelbar in den innerstaatlichen Rechtskreis hineinwirkt, wird zum Teil vorgebracht, dass das Unionsrecht rein staatsbezogene Verpflichtungen enthalte.258 Das bedeute, dass die Verpflichtungen aus dem EU-Vertrag die Mitgliedstaaten bis zu einer innerstaatlichen Umsetzung nur in ihrem völkerrechtlichen Außenverhältnis binden. Die Bedeutung der Verpflichtungen aus dem EU-Vertrag werde für den innerstaatlichen Bereich von der nationalen Rechtsordnung selbst festgelegt.259 Die Zielvorgaben des Rahmenbeschlusses könnten somit nicht den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im innerstaatlichen Bereich beschränken. Folglich bleibe das Unionsrecht auf die Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber angewiesen. Zur Argumentation verweisen die Vertreter dieser Auffassung auf das System der PJZS. Dieses sehe keine Einwirkung in den innerstaatlichen Bereich vor.260 Das zeige sich exemplarisch an der fakultativen Ausgestaltung des Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 35 II EU.261 Damit bleibe die Entscheidung über die Zuständigkeit des EuGH für Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 35 II EU der freien Entscheidung der Mitgliedstaaten vorbehalten.262 Das Vorabentscheidungsverfahren sei jedoch das prozessuale Gegenstück zur materiellrechtlichen unmittelbaren An255 Vgl. BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.6.2009, Rn. 293; Meier, Rechtswirkungen von EGRichtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 239; abw. Meinung LübbeWolff, BVerfGE 113, 327, 337. 256 Böse, Stellungnahme im Untersuchungsausschuss Europarecht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages v. 27.11.2007, 6; abw. Meinung Lübbe-Wolff, BVerfGE 113, 327, 337; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 34 EUV, Rn. 21. 257 Abw. Meinung Lübbe-Wolff, BVerfGE 113, 327, 336 f. 258 Classen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 23 GG, Rn. 52; Hillgruber, JZ 2005, 841, 842. 259 Classen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 23 GG, Rn. 52. 260 s. o. 2. Teil: E.III.1.b). 261 s. o. 2. Teil: E.III.1.b). 262 Classen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 23 GG, Rn. 52; Hillgruber, JZ 2005, 841, 842.

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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wendbarkeit von Gemeinschaftsrecht in der nationalen Rechtsordnung.263 Durch die Regelung eines nur fakultativen Vorabentscheidungsverfahrens sollte eine automatische Einwirkung des Unionsrechts in die nationale Rechtsordnung verhindert werden.264 Denn die Zuständigkeit des EuGH für Vorabentscheidungsverfahren hänge allein vom Willen der Mitgliedstaaten ab. Dies zeige, dass die Mitgliedstaaten die Einwirkung des Unionsrechts auf die nationale Rechtsordnung kontrollieren wollen, sei es durch die Nichtunterwerfung, sei es durch die nationale Umsetzungsgesetzgebung.265 Ebenso wenig, wie die Jurisdiktion des EuGH zwingend verbindlich in den nationalen Rechtskreis hineinreiche, werde das nationale Recht durch Rahmenbeschlüsse beeinflusst.266 Auch in der Rechtssache van Gend en Loos267 habe der EuGH die Existenz eines obligatorischen Vorabentscheidungsverfahrens als Beweis dafür angesehen, dass die Staaten davon ausgingen, dass Einzelne sich vor nationalen Gerichten auf das Gemeinschaftsrecht berufen können.268 In der PJZS hingegen sei die Zuständigkeit des EuGH für Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 35 II EU von einer Unterwerfungserklärung der Mitgliedstaaten abhängig. Dadurch komme zum Ausdruck, dass die Einwirkung des Unionsrechts in die nationale Rechtsordnung nicht für das System der PJZS vorgesehen sei.269 Die PJZS halte im Gegensatz zur EG keinen gerichtlichen Mechanismus bereit, der eine einheitliche Auslegung und Anwendung des EU-Rechts in den Mitgliedstaaten absichere.270 Daher seien die Zielvorgaben eines Rahmenbeschlusses auch nur für die Mitgliedstaaten im völkerrechtlichen Außenverhältnis verbindlich.271 Doch wird mit dieser Sichtweise die Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens in der PJZS nicht unterschätzt? Es fragt sich nämlich, ob nicht eine Bindung aller Mitgliedstaaten an die Auslegungsentscheidungen des EuGH festgestellt werden kann. 263 Classen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 23 GG, Rn. 52; vgl. auch Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl, 117. 264 Classen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 23 GG, Rn. 52. 265 Wohl auch Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl, 117; Classen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 23 GG, Rn. 52. 266 Vgl. Hillgruber, JZ 2005, 841, 842 f.; v. Unger, NVwZ 2006, 46, 47. 267 EuGH, Rs. 26 / 62 (van Gend en Loos), Slg. 1963, 3. 268 Classen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 23 GG, Rn. 52. 269 Classen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 23 GG, Rn. 52; in diese Richtung auch Hillgruber, JZ 2005, 841, 842 f. 270 So Hillgruber, JZ 2005, 841, 843, der den Sinn des Vorabentscheidungsverfahrens darin sieht, dass für die Mitgliedstaaten die Option geschaffen werden sollte, die Völkerrechtskonformität ihrer nationalen Rechtsprechung dadurch zu gewährleisten, dass sie ihre nationalen Gerichte zur Einholung von Entscheidungen des EuGH berechtigen; Killmann, JBl. 2005, 566, 570. 271 Classen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 23 GG, Rn. 52; Hillgruber, JZ 2005, 841, 842.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

Dann müsste der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren einerseits Aussagen treffen, die über den zu entscheidenden Fall hinausgehen und übertragbar sind (a). Andererseits müssten diese abstrakten Aussagen des EuGH auch am Verfahren nicht beteiligte Gerichte der Mitgliedstaaten binden (b). (a) Bedeutung über die konkret zu entscheidende Vorlagefrage hinaus Zunächst soll geklärt werden, ob den Auslegungsentscheidungen des EuGH eine über den konkreten Ausgangsrechtsfall hinausgehende Bedeutung zukommt.272 Dafür spricht zunächst die Tatsache, dass im Vorabentscheidungsverfahren selbst kein konkreter Einzelfall entschieden wird, sondern der EuGH eine abstrakte Auslegungsfrage klärt. Da die Entscheidung des EuGH abstrakt ist, kann sie auch auf andere Rechtssachen übertragen werden. Ein Auslegungsurteil des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren ist daher grundsätzlich geeignet, Präjudizwirkung zu entfalten. Darüber hinaus spricht auch das Selbstverständnis des EuGH dafür, dass einer Auslegungsentscheidung Bedeutung für andere Verfahren zukommt. Obwohl in der dritten Säule keine Verweisung auf Art. 220 EG enthalten ist, sieht sich der EuGH zur Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des EU-Vertrags berufen.273 Der EuGH interpretiert daher nicht nur die Bestimmungen des EG-Vertrags, sondern auch die Bestimmungen des EU-Vertrags autonom.274 Das bedeutet, dass Begriffe in Rechtsakten der dritten Säule in erster Linie anhand der Ziele und des Systems der PJZS ausgelegt werden müssen und die Wortbedeutung nicht in das Belieben der Mitgliedstaaten gestellt wird.275 Dies zeigt, dass der Auslegung von EU-Recht durch den EuGH eine Bedeutung einheitlich für und in allen Mitgliedstaaten zukommen soll. (b) Verbindlichkeit der Auslegungsentscheidungen des EuGH Fraglich ist, ob die Auslegung des Rechts der EU durch den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren für die mitgliedstaatlichen Gerichte verbindlich ist. Hinsichtlich der Verbindlichkeit ist zwischen den mit dem Ausgangsrechtsstreit befassten Instanzgerichten und den übrigen Gerichten der Mitgliedstaaten zu differenzieren.

272 Eine faktische erga-omnes Wirkung von Interpretationsentscheidungen bejaht Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 367. 273 EuGH, Rs. C- 354 / 04 P (Gestoras pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 53; EuGH, Rs. C-355 / 04 P (Segi), Slg. 2007, I-1657, Rn. 53; Haltern, JZ 2007, 772, 777. 274 EuGH, Rs. C-66 / 08 (Szymon Kozłowski), Slg. 2008, I-6041, Rn. 42 unter entsprechendem Verweis auf EuGH, Rs. C-195 / 06 (Österreichischer Rundfunk), Slg. 2007, I-8817, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung. 275 EuGH, Rs. C-66 / 08 (Szymon Kozłowski), Slg. 2008, I-6041, Rn. 41 ff.

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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(α) Verbindlichkeit der Entscheidung des EuGH für die mit dem Ausgangsrechtsstreit befassten Instanzgerichte Im Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 234 EG bindet ein Auslegungsurteil des EuGH die in derselben Sache im Ausgangsstreitverfahren befassten Gerichte. Ein Auslegungsurteil des EuGH bindet neben dem vorlegenden Gericht also auch die Instanzgerichte.276 Fraglich ist, ob dies auch im Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 35 I EU der Fall ist. Gem. Art. 35 I EU „entscheidet“ der EuGH über die Auslegung der Rahmenbeschlüsse. Wenn aber der EuGH entscheidet, so bedeutet dies zugleich, dass die mit der Rechtssache befassten mitgliedstaatlichen Gerichte diese Entscheidung im Nachhinein nicht wieder anzweifeln können. Denn sonst würden letztlich die nationalen Gerichte über die Auslegung entscheiden, nicht aber der EuGH. Dies aber widerspräche Art. 35 I EU. Das bedeutet: Entscheidet sich ein Gericht zur Vorlage an den EuGH, so ist dieses Gericht und die in der Folge mit dem Rechtsstreit befassten Instanzgerichte in der zu entscheidenden Rechtssache an die Auslegung durch den EuGH gebunden.277 (β) Verbindlichkeit der Auslegung über den Anlassfall hinaus Daran anschließend stellt sich die Frage, ob den Entscheidungen des EuGH auch eine über den Anlassfall hinausgehende Bindungswirkung zukommt. Dem EuGH könnte die Befugnis zur authentischen Interpretation von Rahmenbeschlüssen zukommen. Unter einer authentischen oder auch bindenden Auslegung versteht man die Befugnis eines internationalen Gerichts, die Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrags oder davon abgeleitete Rechtsakte mit bindender Wirkung auszulegen.278 Nach Art. 35 I EU ist der EuGH für die Auslegung von Rahmenbeschlüssen, Beschlüssen, Übereinkommen und der dazugehörigen Durchführungsmaßnahmen zuständig. Allein aus der Zuständigkeit des EuGH zur Beantwortung von Auslegungsfragen kann man aber nicht auf die Wirkung der Entscheidung und daher auch nicht auf die Allgemeinverbindlichkeit der Auslegung schließen.279 Für die Annahme einer Verbindlichkeit der Entscheidungen des EuGH lassen sich jedoch teleologische Argumente anführen: 276 EuGH, Rs. 29 / 68 (Deutsche Milchkontor), Slg. 1969, 165, Rn. 3; Hakenberg, EuR-Beiheft 3 / 2008, 163, 172; Knapp, DÖV 2001, 12, 14; Wegener, in: Calliess / Ruffert, Art. 234 EGV, Rn. 36. 277 Böse, in: Schwarze, EUV / EGV, Art. 35 EUV, Rn. 6; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 102. 278 Heckötter, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des EGMR für die deutschen Gerichte, 75 f. 279 Vgl. für die Urteile des EGMR Heckötter, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des EGMR für die deutschen Gerichte, 76.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

Nimmt man an, dass die Gerichte auch über den Ausgangsfall hinaus an die Auslegung von Rahmenbeschlüssen durch den EuGH gebunden wären, könnten Auslegungsfragen europaweit einheitlich beantwortet werden. Die nationale Spruchpraxis der jeweiligen mitgliedstaatlichen Gerichte würde harmonisiert. Dadurch wird gewährleistet, dass das nationale Recht in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses in allen Mitgliedstaaten gleich ausgelegt und angewendet wird. Wenn jedoch die Mitgliedstaaten in ihrer Entscheidung über die Auslegung von Rahmenbeschlüssen frei wären, könnte dies zu vielen unterschiedlichen Auslegungsergebnissen führen, die unter Umständen vor dem Hintergrund eher national geprägter Interessen ergehen. Mit der Auslegungsautonomie mitgliedstaatlicher Gerichte würde man aber dem Zweck des Erlasses von Rahmenbeschlüssen nicht gerecht.280 Rahmenbeschlüsse werden gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU gerade zur unionsweiten Rechtsangleichung erlassen. Rahmenbeschlüsse sollen zur Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beitragen und die Freizügigkeit der Bürger absichern. Würden die Bestimmungen eines Rahmenbeschlusses von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich interpretiert, so würde der angestrebte eine Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in 27 mitgliedstaatliche Räume zersplittern. Das Ziel der Rechtsangleichung würde verfehlt. Darüber hinaus ist eine unionsweit einheitliche Auslegung auch Voraussetzung dafür, dass die Mitgliedstaaten sich gegenseitig vertrauen und aufgrund dieses Vertrauens ihre Entscheidungen, wie von einigen Rahmenbeschlüssen gefordert, gegenseitig anerkennen.281 All dem wird man nur durch die Annahme verbindlicher Auslegungsentscheidungen des EuGH gerecht. Zudem spricht die besondere Sachnähe und Unabhängigkeit von nationalen Interessen dafür, dass dem EuGH die Kompetenz zur verbindlichen Auslegung von Sekundärrechtsakten zukommt. Der EuGH beantwortet eine Vorlagefrage im Vorabentscheidungsverfahren unabhängig von den konkret den Fall betreffenden nationalen Interessen. Die Frage stellt sich zwar anlässlich der Entscheidung eines Falles vor nationalen Gerichten. Der EuGH ist jedoch nicht in den nationalen Rechtsstreit involviert. Er ist gem. Art. 35 I EU allein dazu berufen, die Frage nach der Auslegung des EU-Rechts zu beantworten. Die Antwort auf Auslegungsfragen kann der EuGH unabhängig von nationalen Interessensgegensätzen geben. Er ist also unvoreingenommen und unparteiisch. Auch dies spricht dafür, dass die Entscheidungen des EuGH über die Auslegung des Rechts eher den mit einem solchen Rechtsakt verfolgten unionsrechtlichen Zielen entsprechen, als ein Auslegungsergebnis, das ein nationales Gericht favorisieren würde. 280 281

Vgl. EuGH, Rs. C-66 / 08 (Szymon Kozłowski), Slg. 2008, I-6041, Rn. 41 ff. s. o. 3. Teil: A.V.2.a)cc) und 3. Teil: A.V.2.c)aa)(2).

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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Darüber hinaus ist der EuGH besonders darauf spezialisiert, Fragen zur Auslegung des Rechts der EU zu beantworten. Insbesondere können im Vorabentscheidungsverfahren auch die Organe der EU gem. Art. 23 II Satzung EuGH Schriftsätze oder schriftliche Erklärungen im Verfahren abgeben. Er erfüllt damit die Kriterien der besonderen Sachnähe und des Sachverstandes. Dies spricht dafür, dass auch in der PJZS die autoritative Interpretation von Sekundärrechtsakten dem EuGH zukommt. Eine Orientierung nationaler Gerichte an den Auslegungsentscheidungen des EuGH würde darüber hinaus die Vorhersehbarkeit der Entscheidungen der nationalen Gerichte sichern und damit auch die Rechtssicherheit in den Mitgliedstaaten stärken. Die Rechtssicherheit ist Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips. Auf die Rechtsstaatlichkeit ist aber gem. Art. 6 I EU nicht nur die Union verpflichtet, sondern auch die Mitgliedstaaten gem. Art. 6 I 2. Hs. EU. Gerade im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist die Rechtssicherheit erforderlich, da diese konstitutives Merkmal eines Raums des Rechts ist. Aus diesen Gründen ist es sachgerechter, den Urteilen des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 35 I EU Verbindlichkeit für alle Mitgliedstaaten zuzuerkennen, selbst wenn sie die Zuständigkeit des EuGH gem. Art. 35 I EU nicht nach Art. 35 II EU anerkannt haben.282 Dagegen könnte eingewandt werden, dass das Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 35 I EU durch das Unterwerfungserfordernis gem. Art. 35 II EU zeigt, dass die Mitgliedstaaten sich die Möglichkeit vorbehalten wollten, als Herren der Verträge selbst zu entscheiden, wie die Bestimmungen des EU-Vertrags bzw. des Sekundärrechts auszulegen seien. Danach würde es – unabhängig von bereits bestehenden Auslegungsurteilen des EuGH – den Gerichten der Mitgliedstaaten, die sich nicht dem EuGH unterworfen haben, obliegen, die Vorschriften des Unionssekundärrechts auszulegen.283 Ein solches Verhalten widerspräche aber dem Willen zur Integration. Dieser Wille kommt nicht nur im vorletzten Erwägungsgrund der Präambel zum Ausdruck, der das Ziel formuliert „den Prozess der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas … weiterzuführen“. Der Integrationswille wird auch in Art. 1 II EU betont. Daher steht die Auffassung, dass die Mitgliedstaaten die Auslegung von Sekundärrechtsakten auch nach einer Entscheidung des EuGH noch selbst bestimmen können, in Widerspruch zum EU-Vertrag. Zudem spricht für eine Bindungswirkung der Auslegungsentscheidung des EuGH, dass der EuGH eine Frage, die er bereits in einem früheren Vorabentscheidungsverfahren entschieden hat, unter den in Art. 104 § 3 VerfOEuGH bezeichneten Voraussetzungen durch Beschluss entscheiden und gegebenenfalls auf das 282 Knapp, DÖV 2001, 12, 14; so auch ohne eigene Begründung Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 564. 283 In diese Richtung Killmann, JBl. 2005, 566, 570.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

frühere Urteil oder auf die betreffende frühere Rechtsprechung verweisen kann.284 Das zeigt, dass eine Auslegungsentscheidung des EuGH auch für andere Fälle gilt. Die Gerichte der Mitgliedstaaten, die sich dem EuGH unterworfen haben, sind somit an ein einmal durch den EuGH gefundenes Auslegungsergebnis gebunden. Wollen sie davon abweichen, so müssen sie versuchen, den EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren von ihrer Argumentation zu überzeugen. (γ) Verbindlichkeit für Gerichte der Mitgliedstaaten, die keine Erklärung gem. Art. 35 II EU abgegeben haben Höchst umstritten ist, ob die Bindung an ein vom EuGH gefundenes Auslegungsergebnis auch die Gerichte in den Mitgliedstaaten betrifft, die keine Unterwerfungserklärung abgegeben haben. Diese Gerichte haben mangels Vorlagerecht keine Möglichkeit, selbst eine Vorlagefrage an den EuGH zu richten. Gegen eine Ausdehnung der Vorabentscheidungswirkung auf die Gerichte der Mitgliedstaaten, die sich nicht der Zuständigkeit des EuGH gem. Art. 35 II EU unterworfen haben, wird angeführt, dass einem auf Unterwerfungserklärungen der Mitgliedstaaten aufbauendem Vorlagesystem das kohärenzstiftende Moment fehle.285 Daher sei es nur konsequent, diejenigen Staaten, die von ihrem Recht auf Nichtanerkennung Gebrauch machen, auch von den Wirkungen der Vorabentscheidung durch den EuGH auszunehmen.286 Folglich seien die Gerichte der Mitgliedstaaten, die sich nicht der Vorabentscheidungszuständigkeit des EuGH unterworfen haben, nicht an dessen Auslegungsentscheidung gebunden.287 Dies zeige, dass in der PJZS eine Rechtszersplitterung bewusst zugunsten mitgliedstaatlicher Autonomie in Kauf genommen werde. Diese Sichtweise unterschätzt jedoch das integrative Element des Art. 35 IV EU. Die Bindungswirkung einer Auslegungsentscheidung durch den EuGH könnte gerade deshalb für die Gerichte der Mitgliedstaaten verbindlich sein, die sich nicht dem Vorabentscheidungsverfahren des EuGH unterworfen haben, weil auch sie in Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH Schriftsätze und schriftliche Erklärungen einreichen können.288 Diese Beteiligungsmöglichkeit hätte gerade dann große Bedeutung, wenn die innerstaatlichen Gerichte, trotz fehlender Erklärung ihres Mitgliedstaates, an Auslegungsentscheidungen des EuGH gebunden wären. 284 Art. 104 VerfOEuGH findet auch auf Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 35 I EU Anwendung, da gem. Art. 103 § 1 VerfOEuGH in den Art. 23 SatzungEuGH bezeichneten Fällen die VerfOEuGH Anwendung findet. Zu den in Art. 23 SatzungEuGH bezeichneten Fällen gehören auch die Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 35 I EU. 285 Dörr / Mager, AöR 125 (2000) 386, 410; Schmahl, DVBl. 2007, 1463, 1469. 286 Dörr / Mager, AöR 125 (2000) 386, 410; Streinz, in: FS Otto, 1029, 1045. 287 Dörr / Mager, AöR 125 (2000) 386, 410; i. E. ebenso Schmahl, DVBl. 2007, 1463, 1469; Streinz, in: FS Otto, 1029, 1045. 288 So auch Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 367.

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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Zu klären ist deshalb, ob die Beteiligungsmöglichkeit nur deshalb besteht, um den EuGH mit genügend Interpretationsmaterial auszustatten oder ob der Beteiligungsmöglichkeit eine darüber hinausgehende integrative Bedeutung für die Mitgliedstaaten zukommt. Ginge man davon aus, dass die Beteiligungsmöglichkeit gem. Art. 35 IV EU lediglich gewährleisten soll, dass der EuGH mit einem möglichst vielfältigem Meinungsspektrum konfrontiert wird, so stünde die Beteiligungsmöglichkeit nicht mit der Frage nach der Verbindlichkeit von EuGH-Entscheidungen in einem Zusammenhang. Angesichts der Tatsache, dass der EuGH auch im Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 35 I EU i.V. m. Art. 23 I 1 Satzung EuGH i.V. m. Art. 103 § 1 VerfO EuGH i.V. m. Art. 104 § 4 1 VerfO EuGH i.V. m Art. 59 § 1 VerfO EuGH289 von einem Generalanwalt unterstützt wird, erscheint die Annahme, dass der EuGH durch die Beteiligungsmöglichkeit der Mitgliedstaaten, die sich nicht dem EuGH unterworfen haben, auch mit europakritischen Stimmen konfrontiert werden soll, unwahrscheinlich. Denn bereits dem Generalanwalt obliegt die Aufgabe, unparteiisch und unabhängig begründete Schlussanträge zu stellen. Die Beteiligungsmöglichkeit der Mitgliedstaaten, die keine Unterwerfungserklärung abgegeben haben, muss daher einen Zweck haben, der über die bloße Verschaffung von Argumenten für den EuGH hinausgeht. Sicher dient die Einbeziehung der Mitgliedstaaten, die keine Unterwerfungserklärung abgegeben haben, auch dazu, deren Argumente in den Rechtsfindungs- und Auslegungsprozess einzubeziehen. Diese Einbeziehung erfolgt aber nicht allein zu dem Zweck, dem EuGH einen erweiterten Argumentationspool zu verschaffen. Vielmehr dient die Beteiligungsmöglichkeit gerade auch der EuGH-skeptischen Mitgliedstaaten dazu, die Akzeptanz der Entscheidungen des EuGH in diesen Mitgliedstaaten zu erhöhen. Denn so werden diese Mitgliedstaaten nicht völlig aus dem Rechtsfindungsprozess ausgeschlossen. Sie haben die Gelegenheit, ihre Rechtsauffassung darzulegen und in einen Dialog mit dem EuGH zu treten. Durch die Beteiligungsmöglichkeit gem. Art. 35 VI EU wird die Autorität des EuGH auch in den Mitgliedstaaten gesteigert, die sich nicht der Zuständigkeit des EuGH für Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 35 II EU unterworfen haben. Der EuGH erhält die Gelegenheit, in seinen Urteilen die Argumente der Mitgliedstaaten aufzugreifen und gegebenenfalls zu widerlegen. Widerlegt der EuGH aufgrund besserer Argumente die Argumente dieser Mitgliedstaaten, so folgt daraus, dass die Mitgliedstaaten an ihrer Rechtsauffassung nur schwer festhalten können. Mit der Beteiligungsmöglichkeit wird somit die Grundlage dafür geschaffen, dass die Auslegungsurteile des EuGH auch in den Mitgliedstaaten akzeptiert werden, die sich nicht der Zuständigkeit des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren 289 Will der Gerichtshof ohne mündliche Verhandlung entscheiden, so ist gem. Art. 104 § 4 S. 2 / 3 VerfO EuGH dieser Beschluss erst nach Anhörung des Generalanwalts möglich und davon abhängig, dass keiner der Beteiligten einen Antrag auf Anhörung stellt.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

unterworfen haben. Damit wird gewährleistet, dass das Recht der PJZS auch in den Mitgliedstaaten, die keine Erklärung gem. Art. 35 II EU abgegeben haben, in der vom EuGH gefundenen Auslegung ausgelegt und angewendet werden muss. Dadurch wird die einheitliche Auslegung und Anwendung des Rechts der PJZS in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen sichergestellt. Dies entspricht dem Harmonisierungsanliegen und ist in der PJZS besonders bedeutsam, da die PJZS in zunehmendem Maße vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung geprägt ist.290 An diesem System nehmen aber auch die Mitgliedstaaten teil, die sich nicht dem EuGH unterworfen haben. Als Teil eines Systems, das auf gegenseitiger Anerkennung beruht, müssen aber auch diese Mitgliedstaaten sich einer unionsweit einheitlichen Auslegung des Unionssekundärrechts anschließen. Durch die Beteiligungsmöglichkeit gem. Art. 35 IV EU werden alle Mitgliedstaaten in die Begriffs- und Auslegungsfindung durch den EuGH eingebunden. Daraus folgt aber, dass diese Auslegung dann auch in allen Mitgliedstaaten Beachtung finden muss. Die innerstaatlichen Gerichte auch derjenigen Mitgliedstaaten, welche keine Unterwerfungserklärung abgegeben haben, sind somit an die im Vorabentscheidungsverfahren gefundene Auslegung durch den EuGH gebunden.291 Damit zeigt sich an der Beteiligungsmöglichkeit der Mitgliedstaaten in Art. 35 IV EU ein nicht zu unterschätzendes Integrationspotential. Fraglich ist jedoch, ob diese Bindungswirkung so weit geht, dass die Gerichte in jedem Fall einer einmal vom EuGH getroffenen Auslegungsentscheidung folgen müssen. Dies könnte dazu führen, dass die Gerichte trotz geänderter Umstände ein einmal vom EuGH gefundenes Auslegungsergebnis aufnehmen müssten. Angesichts der Tatsache, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten, die keine Unterwerfungserklärung abgegeben haben, keine eigenen weiteren Auslegungsfragen an den EuGH richten können, ist dies bedenklich. Denn diese Gerichte können auch bei zwischenzeitlich geänderten Verhältnissen, wie beispielsweise weiteren Integrationsschritten, notwendige Konkretisierungen oder Änderungen der Auslegungspraxis des EuGH nicht selbst durch eine Vorlage veranlassen. Sie haben somit nicht die Möglichkeit, durch eine erneute Vorlagefrage dem EuGH die Möglichkeit zu geben, seine Auslegungspraxis zu konkretisieren oder gar zu revidieren. Diesen Gerichten bliebe damit nur die Möglichkeit, schematisch ein vom EuGH gefundenes Auslegungsergebnis unabhängig von geänderten Umständen anzuwenden. Dies entspräche jedoch nicht dem Sinn der Bindung an Auslegungsurteile des EuGH. Daher ist es überzeugender, anzunehmen, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten, die keine Unterwerfungserklärung abgegeben haben, zwar grundsätzlich an die Auslegungsurteile des EuGH gebunden sind. Diese Bindung an die AuslegungsVgl. Pernice, WHI-Paper 03 / 2005, 8; dazu auch 3. Teil: A.V.2.c)aa)(2). Den Zusammenhang zwischen der Zuständigkeit des EuGH für Vorabentscheidungsverfahren und der Beteiligungsmöglichkeit auch der Mitgliedstaaten, die gem. Art. 35 II EU keine Unterwerfungserklärung abgegeben haben, sehen auch EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 37 sowie Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 367. 290 291

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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praxis des EuGH kann jedoch aufgrund besserer Argumente der nationalen Gerichte gelockert sein. Das bedeutet im Ergebnis, dass dem Auslegungsergebnis des EuGH aufgrund der oben bereits vorgebrachten Gründe zumindest kraft seiner Autorität Bedeutung zukommt. Möchte ein nationales Gericht eines Mitgliedstaates, der keine Unterwerfungserklärung abgegeben hat, von einer vom EuGH vertretenen Auslegung abweichen, so muss es zunächst die Argumentation des EuGH für sein gefundenes Auslegungsergebnis widerlegen und eine eigene mit zusätzlichen Argumenten gestützte überzeugendere Rechtsmeinung vorbringen. Das abweichende Gericht unterliegt damit einer verstärkten Argumentationslast.292 Dadurch wird man sowohl der Autorität des Gerichtshofs gerecht, als auch dem System der PJZS, welches eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Unionsrechts erfordert. Zudem verstärkt man die Rechtssicherheit in der Europäischen Union. (c) Zwischenergebnis Die Auslegungsentscheidungen des EuGH binden nicht nur die vorlegenden Instanzgerichte, sondern auch die übrigen Gerichte der Mitgliedstaaten, die eine Unterwerfungserklärung abgegeben haben. Diese Bindung besteht so lange, bis der EuGH in einem erneuten Vorabentscheidungsverfahren von seiner Auslegungspraxis abweicht. Auch die Gerichte der Mitgliedstaaten, die sich nicht der Zuständigkeit des EuGH unterworfen haben, sind grundsätzlich an die Entscheidungen des EuGH gebunden. Damit konnte gezeigt werden, dass die Rechtsprechung des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren in den innerstaatlichen Rechtskreis einwirkt, da die innerstaatlichen Gerichte an die Auslegungsentscheidungen des EuGH gebunden sind. Aus der Systematik des EU-Vertrags ergibt sich, dass das Recht der PJZS in den Mitgliedstaaten einheitlich ausgelegt und angewendet werden soll. Das Vorabentscheidungsverfahren verklammert das nationale und das europäische Rechtssystem und ist in besonderer Weise Ausdruck des als solchen bindenden, in die innerstaatliche Rechtsanwendung hineinreichenden Charakters der Unionsrechtsordnung.293 Dem entspricht auch die Annahme einer aus dem Unionsrecht folgenden Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung für die innerstaatlichen Stellen. dd) Zusammenfassung Die Einwände, die gegen die innerstaatliche Geltung des EU-Rechts vorgebracht wurden, konnten relativiert bzw. widerlegt werden. Es wurde gezeigt, dass der EU292 Ähnlich in Bezug auf Urteile des EGMR Heckötter, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des EGMR für die deutschen Gerichte, 82. 293 Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 565.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

Vertrag von seiner Struktur her die innerstaatliche Geltung der Umsetzungsverpflichtung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU für sich in Anspruch nimmt. Denn zum einen wird man der funktionalen Zielgerichtetheit des EU-Vertrags, welcher dynamisch auf eine unionsweite, effektive Verwirklichung der Vertragsziele ausgerichtet ist, besser gerecht, wenn man von einer innerstaatlichen Geltung der Umsetzungsverpflichtung kraft Unionsrechts ausgeht. Zum anderen entspricht nur die Annahme einer im Unionsrecht begründeten Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung den Erfordernissen eines Systems der gegenseitigen Anerkennung. Dieses System setzt die unionsweit einheitliche Auslegung und Anwendung des Sekundärrechts voraus. Die Einheitlichkeit wäre aber bei einer im mitgliedstaatlichen Recht verankerten Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung nicht gewährleistet. Darüber hinaus spricht auch die Fokussierung auf den Bürger bei der Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts dafür, dass die innerstaatlichen Stellen in der Umsetzung des Sekundärrechts nicht frei, sondern unmittelbar an die unionsrechtlichen Vorgaben gebunden sind. Denn zum einen würde eine rein von den innerstaatlichen Rechtsvorschriften abhängende völkerrechtskonforme Auslegung gegebenenfalls zu nicht zulässigen Diskriminierungen der Bürger führen. Zum anderen ist eine unionsweit einheitliche Auslegung des Unionsrechts für die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts konstitutiv. Die unmittelbare Bindung innerstaatlicher Stellen an das Unionsrecht spiegelt sich auch in den Vorschriften wider, die das Vorabentscheidungsverfahren betreffen. Denn wie soeben gezeigt werden konnte, sind die Sekundärrechtsakte von allen mitgliedstaatlichen Gerichten in der Auslegung anzuwenden, die der EuGH bereits gefunden hat. Damit hat die Zusammenarbeit auf Ebene der PJZS eine Qualität erreicht, die hinsichtlich der Rechtsangleichungstendenzen und der Bürgergerichtetheit über eine völkerrechtliche Zusammenarbeit hinausgewachsen ist. Sie nähert sich dem Gemeinschaftsrecht an. Geist und System des EU-Vertrags sind darauf ausgerichtet, dass das Unionsrecht in den Mitgliedstaaten Wirkung entfaltet. Daher ist eine innerstaatliche Geltung der Umsetzungsverpflichtung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU mit dem EU-Vertrag vereinbar.

d) Zwischenergebnis Der EU-Vertrag bindet die innerstaatlichen Stellen selbst unmittelbar an die Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen. Das bedeutet, dass die hier interessierende Vorschrift des Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU innerstaatliche Geltung beansprucht. Zu klären bleibt, ob auch das nationale Recht eine solch innerstaatliche Geltung der Umsetzungsverpflichtung zulässt. Dies hängt davon ab, ob der EU auch aus deutscher Sicht Hoheitsrechte übertragen wurden.

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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3. Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU Wie oben bereits beschrieben294, ist die Übertragung von Hoheitsrechten auf eine internationale Organisation die Voraussetzung dafür, dass deren Recht die Mitgliedstaaten nicht nur im völkerrechtlichen Außenverhältnis bindet, sondern unmittelbar in die nationale Rechtsordnung hineinwirken kann.295 Die EU kommt als Träger von Hoheitsrechten in Betracht, da sie ein Rechtssubjekt296 ist.297 Sie verfügt über eigene Organe298, die diese Hoheitsrechte ausüben könnten. Für die Untersuchung einer Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ist die Frage nach der Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU von Bedeutung. Denn würde man eine Hoheitsrechtsübertragung gem. Art. 23 I GG auf die EU annehmen, so würde die Verpflichtung, die Zielsetzungen des Rahmenbeschlusses gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU in das innerstaatliche Recht umzusetzen, alle innerstaatlichen Stellen unmittelbar binden. Es bedürfte keiner nationalen Transformationsakte, um die Regelungen des Rahmenbeschlusses für die innerstaatlichen Stellen zu verbindlichen Zielvorgaben zu machen. Damit geht die Wirkung, die aus der Zustimmung zu einem Vertrag gem. Art. 23 I GG folgt, über die Wirkung eines Zustimmungsgesetzes gem. Art. 59 II 1 GG hinaus.299 Es ist jedoch nach wie vor umstritten, ob die Mitgliedstaaten mit dem Vertrag von Amsterdam auf die EU Hoheitsrechte übertragen haben.

a) Traditionelle Argumentation Vor dem Vertrag von Amsterdam wurde davon ausgegangen, dass die Mitgliedstaaten auf die EU in der zweiten und dritten Säule keine Hoheitsrechte übertragen haben.300 Vgl. 2. Teil: A.I.2.b). König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 77; Meier, Rechtswirkungen von EGRichtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 244. 296 s. o. 2. Teil: E.I.1. 297 A. A. Klink / Proelß, DÖV 2006, 469, 473, die die Völkerrechtssubjektivität unter Verweis auf den mitgliedstaatlichen Willen verneinen und daher ein Rechtssubjekt vermissen, auf das Hoheitsrechte hätten übertragen werden können. 298 Vgl. oben 2. Teil: E.I.1.a)aa). 299 Geiger, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, Diskussionsbeitrag zu Pechstein, Beschlüsse im Rahmen der GASP und deutsches Verfassungsrecht, 49; König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 76; Randelzhofer, in: Maunz / Dürig, Art. 24 GG, Rn. 30; Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 25 weisen aber zutreffend darauf hin, dass sich die Bedeutung des Art. 23 GG und 24 GG nicht darin erschöpft. 300 Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 38 unter Verweis auf Rojahn, in: v. Münch / Kunig, 3. Aufl., 1995, Art. 23 GG, Rn. 44. 294 295

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

Aufgrund der fortbestehenden Trennung der Säulen könnte man auf den Gedanken kommen, dass sich bis heute EG und EU dadurch voneinander unterschieden, dass nur auf die EG, nicht jedoch auf die EU Hoheitsrechte übertragen wurden.301 Eine Hoheitsrechtsübertragung könnte daher auf den ersten Blick durch den Amsterdamer Vertrag nur insofern stattgefunden haben, als Materien aus der PJZS vergemeinschaftet wurden. Demnach würde die EU im Rahmen der PJZS keine Hoheitsrechte ausüben können. Während das EG-Recht nicht nur für die Mitgliedstaaten, sondern auch in den Mitgliedstaaten Wirkung entfalten kann, müsste dies demzufolge für das Recht der PJZS verneint werden.302 Bei einer solchen Argumentation wird jedoch allein an die historische Trennung von EU und EG mit den Unterschieden, die zum Zeitpunkt des Vertrags von Maastricht bestanden, angeknüpft. Eine Auseinandersetzung mit dem stetigen Kompetenzzuwachs der EU findet nicht statt. Daher kann diese Ansicht für den heutigen Stand der Integration keine überzeugende Aussage liefern. Es muss vielmehr gefragt werden, ob die tatsächlich auf die EU übertragenen Kompetenzen nicht bereits eine solche Qualität erreicht haben, dass nicht von einer bloßen Kompetenzübertragung, sondern einer Hoheitsrechtsübertragung ausgegangen werden kann. b) Materielle Argumentation Es muss daher anhand inhaltlicher Kriterien des EU-Vertrags geklärt werden, ob eine Hoheitsrechtsübertragung stattgefunden hat. Für die hier interessierende PJZS wird dies nach wie vor uneinheitlich beurteilt. Anlass für die Diskussionen ist die Frage, ob die Mitgliedstaaten auf die EU dadurch Hoheitsrechte übertragen haben, dass sie mit dem Amsterdamer Vertrag neue Handlungsinstrumente, wie den Rahmenbeschluss, auf EU-Ebene eingeführt haben.

aa) Argumente gegen die Annahme einer Hoheitsrechtsübertragung Zum Teil wird eine Hoheitsrechtsübertragung verneint.303 Dies wird damit begründet, dass die unmittelbare Wirksamkeit von Rahmenbeschlüssen gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU ausgeschlossen ist.304 Daher fehle der EU die Möglichkeit, Rechtsakte So Zöller, ZIS 2009, 340, 341. So Ligeti, Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit, 59; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 65 ff.; Zöller, ZIS 2009, 340, 341. 303 Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 65 ff.; auch Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 116, die zwar nicht explizit die Übertragung von Hoheitsrechten thematisiert, jedoch einen Souveränitätsverzicht verneint; Zöller, ZIS 2009, 340, 341. 301 302

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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mit Durchgriffswirkung zu erlassen.305 Daraus folge, dass die Mitgliedstaaten der EU nicht die Möglichkeit eröffnen wollten, supranationales Recht zu setzen, sondern lediglich intergouvernementales, für die Mitgliedstaaten nur im völkerrechtlichen Außenverhältnis verbindliches Recht.306 Den innerstaatlichen Organen sollte weiterhin die umfassende Rechtssetzungskompetenz belassen werden.307 Dieser Auffassung liegt ein Verständnis zu Grunde, das nur dann eine Übertragung von Hoheitsrechten annimmt, wenn einer zwischenstaatlichen Einrichtung ermöglicht wird, den Einzelnen oder Behörden unmittelbar durch Rechtsakte zu binden.308 Dies würde zu folgender Konsequenz führen: Da in der PJZS keine Rechtsakte mit einer unmittelbaren Durchgriffswirkung auf den Einzelnen erlassen werden können, seien keine Hoheitsrechte auf die EU übertragen worden. Deswegen sei eine innerstaatliche Geltung des Primär- und Sekundärrechts ausgeschlossen. Folglich seien die innerstaatlichen Stellen nicht an die Pflicht zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen gebunden. Eine unionsrechtliche Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung könne daher die innerstaatlichen Stellen nicht unmittelbar binden. bb) Argumente für die Annahme einer Hoheitsrechtsübertragung Andere hingegen bejahen im Hinblick auf Art. 34 II 2 lit. b EU eine Hoheitsrechtsübertragung auf die EU.309 Denn der Rat kann mit verbindlicher Wirkung Rahmenbeschlüsse annehmen. Wenn jedoch ein Rahmenbeschluss erlassen wurde, 304 Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 66 f.; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl, 117. 305 Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 67; Zöller, ZIS 2009, 340, 341. 306 Vgl. auch Hillgruber, JZ 2005, 841, 841 f.; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 67; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 116 f.; Zöller, ZIS 2009, 340, 341. 307 In diese Richtung Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 108. 308 Vgl. Hillgruber, JZ 2005, 841, 841 unter Verweis auf BVerfGE 89, 155, 176; König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, 301; Randelzhofer, in: Maunz / Dürig, Art. 24 GG, Rn. 30 f.; Zöller, ZIS 2009, 340, 341. 309 Böse, EuR-Beiheft 1 / 2005, 55, 57; Böse, in: Schwarze, Art. 29 EUV, Rn. 2 geht davon aus, dass die EU zwar keine Rechtspersönlichkeit besitze, aber den Mitgliedstaaten in unionsverfassungsrechtlicher Verbundenheit Hoheitsgewalt zur Ausübung übertragen wurde; Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 39; i. E. auch Geiger, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, Diskussionsbeitrag zu Pechstein, Beschlüsse im Rahmen der GASP und deutsches Verfassungsrecht, 49 (unter Verweis auf die Kompetenzen des EuGH in der dritten Säule); Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 68; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 571.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

so schränken die zwingenden Zielvorgaben des Rahmenbeschlusses den nationalen Entscheidungsspielraum in grundrechtsrelevanten Bereichen ein.310 Die Zielvorgaben des Rahmenbeschlusses binden die innerstaatlichen Stellen. Dies wird als ausreichend erachtet, um die Übertragung der Kompetenz auf die EU, Rahmenbeschlüsse zu erlassen, als Hoheitsrechtsübertragung zu qualifizieren.311 Konsequenz dieser Auffassung ist, dass die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung quasi partielle Durchgriffswirkung entfaltet.312 Damit ist gemeint, dass die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung kraft Unionsrechts alle innerstaatlichen Stellen im Rahmen ihrer Zuständigkeit unmittelbar bindet. cc) Zwischenergebnis Je nach dem, ob man von einem engen Verständnis der Übertragung von Hoheitsrechten ausgeht oder von einem weiteren Verständnis, kommt man zu dem Ergebnis, dass Hoheitsrechte durch Einfügung des Art. 34 II 2 lit. b EU auf die EU übertragen wurden oder nicht. Die verschiedenen Ansichten kommen in der Folge auch zu unterschiedlichen Ergebnissen im Hinblick auf die Frage, ob die innerstaatlichen Stellen trotz Umsetzungsdefiziten zu einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung aufgrund von Art. 34 II 2 lit. b EU verpflichtet sind. Es muss daher geklärt werden, ob die Einräumung von Durchgriffsrechten auf den Bürger eine notwendige Bedingung für die Annahme einer Übertragung von Hoheitsrechten darstellt. c) Bedeutung des Begriffs der Hoheitsrechtsübertragung Die Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU ist für Deutschland in Art. 23 I GG geregelt. Eine Bedeutung der Übertragung von Hoheitsrechten liegt darin, dass einer zwischenstaatlichen Einrichtung der Durchgriff in den innerstaatlichen Herrschaftsbereich ermöglicht wird. Eine Übertragung von Hoheitsrechten liegt dann vor, wenn die nationale Rechtsordnung derart geöffnet wird, dass der ausschließliche Herrschaftsanspruch der BRD im Geltungsbereich des Grundgesetzes zurückgenommen wird und die unmittelbare Geltung und Anwendung des Rechts aus anderer Quelle innerhalb des deutschen staatlichen Herrschaftsbereichs zugelassen wird.313 Daraus folgt, dass die Begründung von Kompetenzen für europäische Organe eine Übertragung von Hoheitsrechten darstellt, wenn die Organe aufgrund dieser Kompetenz unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltendes Recht setzen können.314 Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 39. Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 39; Griller, EuR Beiheft 1 / 1999, 45, 68. 312 So auch Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 235, die jedoch zumindest sprachlich nicht zwischen der primärrechtlichen Umsetzungsverpflichtung aus Art. 34 II lit. b S. 1 EU und dem Rahmenbeschluss an sich unterscheiden. 313 BVerfGE 37, 271, 280; BVerfGE 58, 1, 28; BVerfGE 73, 339, 374. 314 Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 22. 310 311

A. Geltungsgrund der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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Fraglich ist jedoch, ob sich darin die Bedeutung der Hoheitsrechtsübertragung erschöpft, mithin ob dieses Recht unmittelbar gegenüber den Bürgern gelten muss, oder ob es ausreicht, dass die innerstaatlichen Stellen direkt gebunden werden. Der Begriff der Hoheitsrechtsübertragung ist vor dem Hintergrund von Art. 23 I GG zu verstehen. Diese Verfassungsbestimmung ermöglicht die mit jeder Übertragung von Hoheitsrechten verbundene Änderung der Zuständigkeitsordnung des Grundgesetzes ohne formelle Verfassungsänderung.315 Art. 23 I GG bestimmt die materiellen Anforderungen an die Integration und trifft Verfahrensregelungen zu ihrer „Verfassungsverträglichkeit“.316 Legt man im Lichte dieser Bedeutung des Art. 23 I GG den Begriff „Übertragung von Hoheitsrechten“ aus, so kommt man zu dem Ergebnis, dass unter Hoheitsrechtsübertragung mehr zu verstehen ist, als nur die Erlaubnis für den Durchgriff auf den Einzelnen.317 Die für das Vorliegen einer Hoheitsrechtsübertragung geforderte Durchgriffswirkung ist zwar vor dem Hintergrund der in der europäischen Entwicklung zu bewältigenden Probleme zu verstehen.318 Die im Rahmen der europäischen Integration ermöglichte Schaffung europäischen Rechts, das in den Mitgliedstaaten angewendet werden soll, stellte und stellt für das Verfassungsrecht eine Herausforderung dar.319 Daraus erklärt sich, dass der Durchgriff ein zentrales Problem bei der Auslegung des früher maßgeblichen Art. 24 GG war, welcher als Anregung und Vorbild für die Regelung des Art. 23 I GG diente.320 Die verfassungsrechtliche Bewältigung des Durchgriffs ist zwar ein Folgeproblem der europäischen Integration, nicht jedoch eine konstituierende Voraussetzung für die Anwendung des Art. 23 I GG, der die europäische Integration ermöglicht.321 Die Auslegung des Begriffs „Hoheitsrechtsübertragung“ sollte sich daher nicht an historischen Erfahrungen orientieren, sondern muss die Ziele der Integrationsnormen des Art. 24 I GG, Art. 23 I GG im Blick behalten.322 Mit der Beschränkung des Begriffs der Hoheitsrechtsübertragung auf die Ermächtigung, Akte zu erlassen, die unmittelbar auf die Bürger durchgreifen, wird die Bedeutung des Art. 23 GG verkürzt.323 Vielmehr dient Art. 23 I GG auch dazu, Zuständigkeitsverschiebungen und -verkürzungen verfassungsrechtlich abzusichern.324 315 So bereits zu Art. 24 GG: BVerfGE 58, 1, 36; Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 22; zu Art. 24 GG auch Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 151. 316 Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 22. 317 BVerfGE 68, 1, 94; Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 151. 318 Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 23. 319 Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 24. 320 Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 24. 321 Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 24. 322 Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 25. 323 Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 24; zu Art. 24 GG Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 151. 324 Vgl. dazu auch BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.6.2009, Rn. 242 f., 312 ff.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

Die Teilnahme Deutschlands an der politischen Gestaltung des europäischen Einigungsprozesses führt insbesondere bei der Angleichung des Rechts der Mitgliedstaaten dazu, dass dem nationalen Gesetzgeber immer weniger eigene Gestaltungsspielräume verbleiben. Durch die verbindlichen Zielvorgaben von Rahmenbeschlüssen gem. Art. 34 II 2 lit. b EU werden die Entscheidungsmöglichkeiten des nationalen Gesetzgebers beschränkt. Denn die dem Gesetzgeber zugewiesene politische Gestaltungsfunktion bei der Rechtssetzung ist im Anwendungsbereich der PJZS auf die Union übergegangen, sofern sie ihre Kompetenzen durch den Erlass von Rahmenbeschlüssen in Anspruch nimmt. Nationale politische Handlungsmöglichkeiten werden durch den Erlass von Rahmenbeschlüssen in einer Weise determiniert, die die Entscheidungsbefugnis des Gesetzgebers auf den europarechtlich eingeräumten Spielraum begrenzt. Im Bereich zwingender Vorgaben eines Rahmenbeschlusses macht dies eine nachträgliche abweichende eigene nationale Entscheidung gar unmöglich.325 Infolge des dynamisch angelegten Integrationsprozesses werden so im Laufe der Zeit immer mehr Entscheidungen des Gesetzgebers unionsrechtlich durch Rahmenbeschlüsse vorgezeichnet. Der Rahmen herkömmlicher völkerrechtlicher Kooperation wird damit verlassen.326 Aufgrund der nachhaltigen Beschränkung nationaler Entscheidungsspielräume in grundrechtssensiblen Bereichen durch Rahmenbeschlüsse ist es überzeugender von einer Hoheitsrechtsübertragung auf die EU auszugehen.327 Diese Einschätzung wurde auch von der Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf zum Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Amsterdam328 geteilt. Bundestag329 und Bundesrat330 schlossen sich dieser Auffassung an.331

Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 26. Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 26. 327 Böse, EuR-Beiheft 1 / 2005, 55, 57; Bothe / Lohmann, ZaöRV 58 (1998) 1, 39; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 244. 328 Bei der Frage, mit welchen Mehrheiten das Zustimmungsgesetz verabschiedet werden müsse, ging die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf davon aus, dass der Amsterdamer Vertrag die Übertragung von Hoheitsrechten vorsehe. Die Bundesregierung bezog sich dabei insbesondere auf das neue Rechtsinstrument des Rahmenbeschlusses, BT-Drs. 13 / 9339 v. 2.10.1997, 6. 329 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, BT-Drs. 13 / 9913 v. 13.2.1998, 11 f. 330 Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13 / 9339 v. 3.12.1997, Anlage 2, 165 ff. 331 Zwar haben diese Meinungen weder Rechtsquellencharakter noch enthalten sie verbindliche Feststellungen, jedoch kommt der Auffassung oberster Bundesorgane durchaus Indizcharakter zu. So auch Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 21. 325 326

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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d) Ergebnis Es konnte zunächst gezeigt werden, dass die Annahme einer Übertragung von Hoheitsrechten nicht davon abhängt, dass dadurch der Durchgriff unmittelbar auf den Einzelnen ermöglicht wird. Es reicht vielmehr aus, dass durch die verbindlichen Zielvorgaben von Rahmenbeschlüssen gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU die Entscheidungsmöglichkeiten des nationalen Gesetzgebers beschränkt werden. Die dem Gesetzgeber zugewiesene politische Gestaltungsfunktion bei der Rechtssetzung ist im Anwendungsbereich der PJZS auf die Union übergegangen, sofern sie ihre Kompetenzen durch den Erlass von Rahmenbeschlüssen in Anspruch nimmt. Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass der EU Hoheitsrechte übertragen wurden. Dadurch hat sich die nationale Rechtsordnung dem Unionsrecht geöffnet. Erlässt die EU Rahmenbeschlüsse, so übt sie die ihr übertragene Hoheitsgewalt auch in den Mitgliedstaaten aus.

VI. Ergebnis Der Geltungsgrund für die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung liegt im EU-Vertrag. Die innerstaatlichen Stellen sind somit unmittelbar aufgrund des EU-Primärrechts, nämlich Art. 34 II 2 lit. b EU, zur Umsetzung der Vorgaben eines Rahmenbeschlusses, mithin auch zu einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts, verpflichtet.

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung Allein die Tatsache, dass die innerstaatlichen Stellen an die Pflicht zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU unmittelbar gebunden sind, sagt noch nichts über den Rang dieser Verpflichtung im nationalen Recht aus.

I. Inanspruchnahme einer vorrangigen Umsetzungsverpflichtung durch das Unionsrecht Implizit geht der EuGH in der Rechtssache Pupino davon aus, dass auch die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung Vorrang vor entgegenstehendem nationalem Recht genießt.332 Denn der EuGH hat in der Rechtssache Pupino geprüft, ob die Verpflichtung nationaler Behörden, ihr innerstaatliches Recht so weit wie möglich im Lichte von Wortlaut und Zweck der Richtlinien auszulegen, mit 332

So auch Öhlinger, in: Schroeder, Europarecht als Mehrebenensystem, 11, 18 f.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

den gleichen Wirkungen und Grenzen gilt, wenn es sich bei dem betreffenden Rechtsakt um einen Rahmenbeschluss handelt.333 Der EuGH hat diese Frage bejaht.334 Damit die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung von Inhalt und Umfang her der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung entspricht, reicht es aber nicht aus, dass die Pflicht zur Umsetzung im innerstaatlichen Recht unmittelbar gilt. Vielmehr muss diese Pflicht auch den gleichen Rang haben, wie die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung aus Art. 249 III EG hat Vorrang vor anderweitigen nationalen Verpflichtungen der innerstaatlichen Stellen.335 Daher gilt die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung gem. Art. 34 II 2 lit. b EU mit den gleichen Wirkungen und Grenzen wie die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung nur, wenn auch die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung Vorrang vor entgegenstehendem nationalem Recht hätte. Mit der Verpflichtung der innerstaatlichen Stellen zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung soll die einheitliche Auslegung und Anwendung des Rechts in den Mitgliedstaaten sichergestellt werden. Diesem Zweck widerspräche es, wenn entgegenstehende innerstaatliche Bindungen die Befolgung dieser Verpflichtung verhindern könnten. Aus unionsrechtlicher Sicht beansprucht daher die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung Vorrang vor entgegenstehendem nationalem Recht.

II. Gewährung des Vorrangs durch die nationale Rechtsordnung Während der EuGH einen Vorrang des Gemeinschaftsrechts kraft Eigenständigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung annimmt336, akzeptiert das BVerfG diesen Vorrang gerade nicht vorbehaltlos.337 Aus Sicht des BVerfG besteht der Vorrang des Gemeinschaftsrechts nicht aufgrund der Autonomie des Gemeinschaftsrechts, sondern aufgrund einer verfassungsrechtlichen Ermächtigung, die es erlaubt, dem aus einer anderen Quelle fließenden Recht Vorrang vor dem nationalen Recht einzuräumen.338 Das bedeutet, dass das BVerfG den Vorrang des Gemeinschaftsrechts nur so lange anerkennt, als sich Rechtsakte des Gemeinschaftsrechts im Rahmen EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 31. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 43. 335 s. o. 2. Teil: A.I.2.b)cc). 336 EuGH, Rs. 6 / 64 (Costa ENEL), Slg. 1964, 1251, 1269 ff. 337 BVerfGE 73, 339, 374 f.; jüngst BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.6.2009, Rn. 331 f. 338 BVerfGE 37, 271, 280; BVerfGE 75, 223, 242; BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.6.2009, Rn. 331 f.; Kingreen, JuS 2000, 857, 858; Masing, NJW 2006, 264, 264; Streinz, Europarecht, Rn. 225 ff.; kritisch zum Kompetenzkontrollvorbehalt des BVerfG Nicolaysen / Nowak, NJW 2001, 1233, 1237. 333 334

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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der Integrationsermächtigung des Art. 23 I 3, 79 III GG bewegen.339 Insbesondere ist der Vorrang des Gemeinschaftsrechts daher an die Bedingung eines „im Wesentlichen“ gleich zu achtenden Grundrechtsschutzes auf Gemeinschaftsebene geknüpft.340 Für die Einhaltung dieser Grenzen nimmt das BVerfG die Letztentscheidungskompetenz in Anspruch.341 Der Streit um die Frage, ob der Vorrang der Umsetzungsverpflichtung aufgrund der Eigenständigkeit des Unionsrechts342 oder aufgrund einer verfassungsrechtlichen Ermächtigung besteht, braucht für das Unionsrecht dann nicht entschieden zu werden, wenn jedenfalls auch nach der deutschen Rechtsordnung dem Vorrang der Umsetzungsverpflichtung, wie sie der EuGH implizit fordert, Rechnung getragen werden kann. Dies wäre der Fall, wenn der Konflikt zwischen BVerfG und EuGH auf Unionsebene ebenso wie auf Gemeinschaftsrechtsebene pragmatisch durch die Grundsätze der Solange II-Rechtsprechung entschärft werden könnte. Es soll daher im Folgenden untersucht werden, ob die Solange II-Rechtsprechung des BVerfG auch auf die dritte Säule übertragen werden kann.

1. Übertragbarkeit der Solange II-Rechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse Zunächst soll die Entwicklung der Solange II-Rechtsprechung aufgezeigt werden. Denn erst wenn die Bedingungen, unter denen das BVerfG seine Prüfungskompetenz zurückgenommen hat, herausgearbeitet worden sind, kann gefragt werden, ob diese Gründe auch auf die dritte Säule zutreffen und eine Übertragung der Rechtsprechung rechtfertigen. a) Entwicklung der Solange II-Rechtsprechung für Verordnungen Entwickelt wurde die Solange II-Rechtsprechung für Verordnungen. Hintergrund des Ausgangsrechtsstreits war die Ablehnung einer Genehmigung für die Einfuhr von Champignonkonserven, die vom Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft unter Hinweis auf die Bestimmungen der Verordnung EWG Nr. 2107 / 74 abgelehnt wurde.343 Verordnungen gelten gem. Art. 249 II EG in den Mitgliedstaaten unmittelbar. Sie sind von den Behörden wie deutsches Recht unmittelbar anzuwenden und zu vollziehen. Verordnungen selbst konnten verfassungsgerichtlich nicht überprüft BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.6.2009, Rn. 230. BVerfGE 73, 339, 387; BVerfGE 102, 147, 162 ff.; BVerfG, EuZW 2000, 445, 446; BVerfG, Beschluss v. 14.5.2007, 1 BvR 2036 / 05, Rn. 8; Kingreen, JuS 2000, 857, 858. 341 Vgl. nur jüngst BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.6.2009, Rn. 240. 342 EuGH, Rs. 6 /64 (Costa/ ENEL), Slg. 1964, 1251, 1269 ff.; Masing, NJW 2006, 264, 264. 343 BVerfGE 73, 339, 344. 339 340

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

werden, weil sie nicht Akte der deutschen Staatsgewalt sind.344 Die Solange IIRechtsprechung sichert daran anknüpfend, dass auch der gemeinschaftsrechtmäßige Vollzug von Verordnungen durch die deutsche Staatsgewalt nicht vom BVerfG am Maßstab des Grundgesetzes kontrolliert wird.345 In seiner Solange II-Entscheidung urteilte das BVerfG, dass es seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, welches als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte oder Behörden dient, nicht mehr ausüben wird.346 Das BVerfG wird daher Verordnungen nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen.347 Dies gilt, solange auf Gemeinschaftsebene ein wirksamer Schutz der Grundrechte gegenüber der Gemeinschaftsgewalt generell gewährleistet wird, der dem vom Grundgesetz unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist.348 Dieser Schutz der Grundrechte wird nach Ansicht des BVerfG auf Gemeinschaftsebene generell gewährleistet.349 b) Übertragung der Solange II-Rechtsprechung auf Richtlinien Fraglich war lange, ob die Rechtsprechung des BVerfG nicht nur für unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht wie die Verordnung gilt, sondern ob sich die Solange II-Rechtsprechung auch auf das zur Umsetzung von Richtlinien ergangene Recht und dessen Vollzug übertragen lässt.350 Denn Verordnungen gelten gem. Art. 249 II EG innerstaatlich unmittelbar auch ohne Umsetzungsakte der deutschen Staatsgewalt. Die Solange II-Rechtsprechung bezog sich daher vom Ausgangsfall her nur auf Gemeinschaftsrechtsakte, die nicht vom deutschen Gesetzgeber umgesetzt werden mussten. Richtlinien hingegen müssen gem. Art. 249 III EG in innerstaatliches Recht umgesetzt werden. D. h. der nationale Gesetzgeber muss die Richtlinienvorgaben verMasing, NJW 2006, 264, 265. Di Fabio, NJW 1990, 947, 947 f.; Masing, NJW 2006, 264, 265. 346 BVerfGE 73, 339, 387; bestätigt in BVerfGE 102, 147, 162 ff.; BVerfGE 118, 79, 95; BVerfG, Beschluss v. 14.5.2007, 1 BvR 2036 / 05, Rn. 8. 347 BVerfGE 73, 339, 387; bestätigt in BVerfGE 102, 147, 162 ff.; BVerfGE 118, 79, 95; BVerfG, Beschluss v. 14.5.2007, 1 BvR 2036 / 05, Rn. 8. 348 BVerfGE 73, 339, 387; BVerfGE 102, 147, 162 ff.; BVerfG, EuZW 2000, 445, 446; BVerfG, Beschluss v. 14.5.2007, 1 BvR 2036 / 05, Rn. 8. 349 BVerfGE 73, 339, 378; BVerfGE 102, 147, 163 f.; BVerfG, Beschluss v. 14.5.2007, 1 BvR 2036 / 05, Rn. 10. 350 Zum Meinungsstand Götz, NJW 1992, 1849, 1853; Rickert, Grundrechtsgeltung bei der Umsetzung europäischer Richtlinien im innerstaatlichen Bereich, 162 ff.; Tomuschat, EuR 1990, 340, 342 f.; gegen eine Übertragung der Solange II-Rechtsprechung auch auf Richtlinienrecht Weidemann, NVwZ 2006, 623 ff.; kritisch auch Di Fabio, NJW 1990, 947, 953; für eine Übertragung Everling, ZGR 1992, 376, 387 f.; Haratsch, EuR Beiheft 3 / 2008, 81, 104; Holz, NVwZ 2007, 1153 ff. 344 345

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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wirklichen, indem er entsprechende Umsetzungsnormen erlässt. Es war umstritten, ob auch gemeinschaftsrechtlich vorgezeichnete Akte des deutschen Gesetzgebers nicht mehr am Maßstab des Verfassungsrechts geprüft würden.351 Es stellt sich daher die Frage, ob ein nationales Umsetzungsgesetz und die darauf gestützten Vollzugsakte vom BVerfG am Maßstab des Grundgesetzes überprüft werden oder ob das BVerfG seine Gerichtsbarkeit auch im Hinblick auf deutsches Umsetzungsrecht nach Maßgabe der Solange II-Rechtsprechung nicht mehr ausüben werde. Diese Frage wurde im Beschluss des BVerfG über den Emissionshandel erstmals in einer Senatsentscheidung geklärt.352 Das BVerfG überträgt konsequenterweise die in der Solange II-Rechtsprechung getroffenen Aussagen auf Richtlinien des Gemeinschaftsrechts.353 Demnach wird eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die eine Richtlinie in deutsches Recht umsetzt, insoweit nicht an den Grundrechten des Grundgesetzes gemessen, als das Gemeinschaftsrecht keinen Umsetzungsspielraum lässt, sondern zwingende Vorgaben enthält.354 Maßnahmen, die ausschließlich auf Gemeinschaftsrecht beruhen, d. h. zwingende Richtlinienvorgaben umsetzen, können nur am Maßstab der Gemeinschaftsgrundrechte gemessen werden.355 Soweit jedoch ein Gestaltungsermessen der Mitgliedstaaten besteht, sind die Akte der innerstaatlichen Stellen, die diesen Gestaltungsspielraum ausfüllen, vollumfänglich an den nationalen Grundrechten zu prüfen.356 c) Übertragbarkeit der Solange II-Rechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse Wie Richtlinien dienen auch Rahmenbeschlüsse der Rechtsangleichung in den Mitgliedstaaten. Rahmenbeschlüsse enthalten verbindliche Zielvorgaben, die von den innerstaatlichen Stellen in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Insofern ähneln Rahmenbeschlüsse den Richtlinien. Es liegt daher nahe, die Grundsätze der Solange II-Rechtsprechung auch auf Rahmenbeschlüsse zu übertragen. 351 Vgl. Everling, EuR 1990, 195, 202, 212 f.; Götz, NJW 1992, 1849, 1853; Nicolaysen EuR 1989, 215, 220 ff. 352 BVerfGE 118, 79; zuvor schon BVerfG, NJW 2001, 1267, 1267 f.; BVerfG, NVwZ 2004, 1346, 1346 f.; BVerfG, Beschluss v. 14.5.2007, 1 BvR 2036 / 05, Rn. 8; BVerfG, Beschluss v. 6.12.2007, 1 BvR 2129 / 07, Rn. 12. 353 BVerfGE 118, 79, 95, BVerfG, Beschluss v. 14.5.2007, 1 BvR 2036 / 05, Rn. 8; BVerfG, Beschluss v. 6.12.2007, 1 BvR 2129 / 07, Rn. 12. 354 BVerfGE 118, 79, 95; BVerfG, Beschluss v. 14.5.2007, 1 BvR 2036 / 05, Rn. 8; BVerfG, Beschluss v. 6.12.2007, 1 BvR 2129 / 07, Rn. 12; BVerfG, NJW 2001, 1267, 1267 f.; BVerfG, NVwZ 2004, 1346, 1346 f. 355 BVerfGE 118, 79, 98; so auch Haratsch, EuR-Beiheft 3 / 2008, 81, 104; Mißling, EuR 2007, 261, 268; Nicolaysen EuR 1989, 215, 222. 356 BVerfGE 118, 79, 98; so auch Fiebelkorn / Janz, NWVBl. 2009, 338, 343; Frenz, VA 2009, 475, 481; Haratsch, EuR-Beiheft 3 / 2008, 81, 104; Kingreen, JuS 2000, 857, 864; Klein, VVDStRL 50 (1991) 56, 83; Mißling, EuR 2007, 261, 268.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

Dennoch wird die Übertragung der Solange II-Rechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse von manchen Vertretern in der Literatur abgelehnt.357 Demnach unterläge die Umsetzung selbst zwingender Vorgaben eines Rahmenbeschlusses der uneingeschränkten Kontrolle am Maßstab des nationalen Verfassungsrechts.358 Hintergrund für diese Auffassung bildet die Annahme, dass die Grundsätze der Solange IIRechtsprechung nur die supranationalen Aufgabenbereiche der EG beträfen, nicht jedoch die PJZS.359 Denn die PJZS liege vom Integrationsgrad her noch weit hinter dem Gemeinschaftsrecht zurück.360 Zudem zeige sich an Art. 34 EU, dass das Recht der dritten Säule am nationalen Verfassungsrecht gemessen werden solle.361 Denn wenn Art. 34 II 2 lit. d EU den Mitgliedstaaten Übereinkommen zur Annahme gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften empfehle, dann müsse dies aus der Natur der Sache heraus auch für Rahmenbeschlüsse gelten.362 Eine Differenzierung könne in der intergouvernementalen dritten Säule „durch kein Argument“ gerechtfertigt werden.363 Zudem könne durch den EuGH auf Ebene der PJZS keine umfassende Rechtmäßigkeits- und Grundrechtskontrolle erfolgen.364 Diese jedoch wäre Grundvoraussetzung für die Übertragung der Grundsätze der Solange II-Rechtsprechung auf die PJZS. Schließlich spreche gegen eine Übertragung der Solange II-Rechtsprechung auch, dass das Europäische Parlament beim Erlass von Rahmenbeschlüssen keine Mitentscheidungsbefugnisse besitzt. Daher sei die demokratische Legitimationslast des nationalen Gesetzgebers bei der Umsetzung von Rahmenbeschlüssen erhöht.365 Die Vorstellung einer vollständigen normativen Unfreiheit des Gesetzgebers im Bereich zwingender Rahmenbeschlussvorgaben sei jedoch mit dem Demokratieprinzip unvereinbar.366 Unterstützend wird auf die Entscheidung des BVerfG zum Europäischen Haftbefehlsgesetz367 verwiesen. Dort habe das BVerfG dem Gesetzgeber ein Recht zur Umsetzungsverweigerung zugestanden, wenn eine verfassungsgemäße Umsetzung eines Rahmenbeschlusses nicht möglich sei.368 Diese Aussage 357 Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1564; Kaiafa-Gbandi, ZIS 2006, 521, 523; Klink / Proelß, DÖV 2006, 469, 471; Mißling, EuR 2007, 261, 269 ff. 358 Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1564; Kaiafa-Gbandi, ZIS 2006, 521, 523. 359 Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1564; Klink / Proelß, DÖV 2006, 469, 471; Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, 24. 360 Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1564; Klink / Proelß, DÖV 2006, 469, 471. 361 Kaiafa-Gbandi, ZIS 2006, 521, 523. 362 Kaiafa-Gbandi, ZIS 2006, 521, 523, Fn. 24. 363 Kaiafa-Gbandi, ZIS 2006, 521, 523, Fn. 24. 364 Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1564; Kaiafa-Gbandi, ZIS 2006, 521, 523. 365 Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1564. 366 Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1564. 367 BVerfGE 113, 273. 368 Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1565.

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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wird so interpretiert, dass das BVerfG die Umsetzung von Rahmenbeschlüssen unter einen umfassenden Verfassungsvorbehalt gestellt habe.369 Folglich sei eine Übertragung der Solange II-Rechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse abzulehnen. Die Auffassung, die eine Übertragung der Solange II-Rechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse ablehnt, ist jedoch nur auf den ersten Blick überzeugend. Denn die bestehenden Unterschiede von Rahmenbeschluss und Richtlinie sprechen nicht dagegen, die Solange II-Rechtsprechung auch auf die Umsetzung von Rahmenbeschlüssen zu übertragen. aa) Kein Argument gegen einen Vorrang aus Art. 34 II 2 lit. d EU Entgegen Kaiafa-Gbandi kann Art. 34 EU kein Argument gegen den Vorrang der Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen vor entgegenstehendem nationalem Recht entnommen werden. Denn Art. 34 II EU hält verschiedene Handlungsinstrumente bereit. Wenn den Mitgliedstaaten in Art. 34 II 2 lit. d EU Übereinkommen zur Annahme gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften empfohlen werden, so betrifft dies gerade nicht die Rahmenbeschlüsse gem. Art. 34 II 2 lit. b EU. Schon der Wortlaut und Aufbau des Art. 34 II EU gebietet eine Differenzierung von Rahmenbeschluss nach lit. b und Übereinkommen nach lit. d. Zudem bezieht sich die Annahme eines Übereinkommens gemäß der „verfassungsrechtlichen Vorschriften“ in Art. 34 II 2 lit. d EU auf die Ratifikationsverfahren der Mitgliedstaaten beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge.370 Eine solche Ratifikation ist gerade nicht Voraussetzung für das Wirksamwerden eines Rahmenbeschlusses. Denn einen nationalen Verfassungsvorbehhalt kennt Art. 34 II 2 lit. b EU im Gegensatz zu lit. d EU gerade nicht.371 Daher kann aus Art. 34 II 2 lit. d EU kein Argument gegen den Vorrang der Pflicht zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU gewonnen werden. bb) Keine Entscheidung der Übertragbarkeit der Solange II-Rechtsprechung durch das BVerfG Entgegen der Auffassung der Gegner der Übertragung der Solange II-Rechtsprechung kann der Entscheidung des BVerfG zum Europäischen Haftbefehlsgesetz kein Argument gegen die Übertragbarkeit der Solange II-Rechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse entnommen werden. In der Entscheidung zum Europäischen Haftbefehlsgesetz hat das BVerfG nämlich nicht über die Frage entschieden, ob auch in europarechtlich determinierten Vorgaben eines Rahmenbeschlusses eine Prüfung durch das BVerfG am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes erfolgt. Die Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1565. Böse, in: Schwarze, Art. 34 EUV, Rn. 8; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 34 EUV, Rn. 23; Wasmeier, in: v. d. Groeben / Schwarze, Art. 34 EUV, Rn. 22. 371 Vogel, JZ 2005, 801, 805. 369 370

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

Frage, ob die Solange II-Rechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse übertragbar ist, wurde zwar aktuell, als das BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes372 zu entscheiden hatte. Denn mit dem Europäischen Haftbefehlsgesetz sollten die Vorgaben des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl373 in deutsches Recht umgesetzt werden. In der Entscheidung selbst hingegen, ließ das BVerfG die Frage des Vorrangs des Unionsrechts letztlich offen.374 Es erklärte das Europäische Haftbefehlsgesetz zwar für verfassungswidrig und nichtig.375 Die verfassungsmäßige Prüfung bezog sich aber nur auf die Ausfüllung der Umsetzungsspielräume, die der Rahmenbeschluss den Mitgliedstaaten einräumte.376 Zur Frage des Vorrangs des Unionsrechts brauchte das BVerfG somit keine Stellung zu beziehen. Auch den Ausführungen des BVerfG zur Möglichkeit einer „Umsetzungsverweigerung“377 kann kein Argument gegen die Übertragung der Solange II-Rechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse abgewonnen werden. Denn diese Ausführungen des BVerfG ergingen in einem obiter dictum.378 Sie gehören daher nicht zu den tragenden Gründen der Nichtigerklärung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes. Folglich gehören diese Ausführungen des BVerfG nicht zu den bindenden Teilen der Entscheidung.379 Zudem behauptet das BVerfG das Recht zur Umsetzungsverweigerung unmittelbar im Anschluss an seine Ausführungen zum völkerrechtlichen Charakter eines Rahmenbeschlusses.380 Dies deutet darauf hin, dass das BVerfG von einem Recht 372 Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union – Europäisches Haftbefehlsgesetz v. 21.7.2004, BGBl. I 2004, 1748. 373 Rahmenbeschluss 2002 / 584 / JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. Nr. L 190 v. 18.7. 2002, 1 ff. 374 Klink / Proelß, DÖV 2006, 469, 470; Masing, NJW 2006, 264, 265 f.; Vogel, JZ 2005, 801, 805. 375 BVerfGE 113, 273, 315. 376 BVerfGE 113, 273, 300: „Der Gesetzgeber war jedenfalls verpflichtet, die Umsetzungsspielräume, die der Rahmenbeschluss den Mitgliedstaaten belässt, in einer grundrechtsschonenden Weise auszufüllen.“ u. 306 f.; Böse, Stellungnahme im Untersuchungsausschuss Europarecht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages v. 27.11.2007, 7; Buermeyer, HRRS 2005, 271, 278; Heger, ZIS 2007, 221, 223; Klink / Proelß, DÖV 2006, 469, 470; Knopp, JR 2005, 448, 449; Masing, NJW 2006, 264, 265; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 249; Reinhardt / Düsterhaus, NVwZ 2006, 432, 432; Satzger / Pohl, JICJ 4 (2006) 686, 694. 377 BVerfGE 113, 273, 301; zur Kritik daran vgl. nur abw. Meinung Lübbe-Wolff, BVerfGE 113, 327, 336 f. 378 So auch Gas, EuR 2006, 285, 285; Heger, ZIS 2007, 221, 221. 379 BVerfGE 1, 14, 37; BVerfGE 40, 88, 93; Benda / Klein, Verfassungsprozessrecht, Rn. 1329. 380 BVerfGE 113, 273, 301.

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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zur Umsetzungsverweigerung gerade deshalb ausgeht, weil es den Rahmenbeschluss als bloß völkerrechtliches Instrument ansieht. Wie oben aber gezeigt werden konnte, ist die Zusammenarbeit in der dritten Säule über die Qualität einer bloß völkerrechtlichen Zusammenarbeit hinausgewachsen.381 Die Umsetzungsverpflichtung beansprucht innerstaatlich unmittelbare Geltung.382 Dem BVerfG kann daher bei der Annahme eines Rechts zur Umsetzungsverweigerung nicht zugestimmt werden.383 Darüber hinaus hat das BVerfG gerade die Möglichkeiten zur verfassungsmäßigen Ausgestaltung der Umsetzungsspielräume betont. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass das BVerfG an seine Solange II-Rechtsprechung anknüpfen würde.384 Unabhängig von derartigen Spekulationen kann der Entscheidung des BVerfG zum Europäischen Haftbefehlsgesetz jedenfalls keine eindeutige Aussage im Hinblick auf den Rang des Unionsrechts im deutschen Recht entnommen werden.385 Unanbhängig davon, ob man die Souveränitätsvorbehalte des BVerfG teilen mag, ist damit jedenfalls auch in der Rechtsprechung des BVerfG die Frage noch nicht beantwortet, ob beim gegenwärtigen Integrationsstand die Solange II-Rechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse übertragen werden kann. Es ist daher nach wie vor ungeklärt, ob das BVerfG seine Prüfungskompetenz auch im Hinblick auf nationales Recht zurücknimmt, welches von zwingenden Vorgaben eines Rahmenbeschlusses determiniert ist. cc) Bedeutung der Integrationsdichte Die Gegner der Übertragung der Solange II-Rechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse argumentieren damit, dass das BVerfG seine Solange II-Rechtsprechung nur für das supranationale Gemeinschaftsrecht entwickelt habe, nicht jedoch für das Unionsrecht. Dem ist zuzugeben, dass bisher nur in Fällen, die im Gemeinschaftsrecht gelagert waren, das Bundesverfassungsgericht seinen Prüfungsmaßstab eingeschränkt hat. In Fällen zum Unionsrecht musste das BVerfG diese Frage bisher noch nicht beantworten.386 Gerade deshalb stellt sich heute noch die Frage der Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse. Aus der Tatsache, dass sich die Solange IIRechtsprechung bisher nur auf das Gemeinschaftsrecht bezog kann daher nicht gefolgert werden, dass eine Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf Rahmenbeschlüsse 3. Teil: A.V.2.c)dd); so auch Vogel, JZ 2005, 801, 805. 3. Teil: A.V.2.d). 383 So auch Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch europäische Rahmenbeschlüsse, 32; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 51; Vogel, JZ 2005, 801, 805; kritisch auch Böhm, NJW 2005, 2588, 2588. 384 Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 249. 385 So auch Gas, EuR 2006, 285, 287. 386 Siehe soeben oben 3. Teil: B.II.1.c)bb). 381 382

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

ausgeschlossen sei. Denn die Frage der Übertragbarkeit stellt sich ja gerade deshalb, weil sie in Bezug auf Umsetzungsmaßnahmen, die von Rahmenbeschlüssen determiniert sind, bisher noch nicht entschieden ist. Die Frage der Übertragbarkeit damit zu verneinen, dass sie bisher noch nicht vom BVerfG beantwortet wurde, hieße, aus der Tatsache, dass es auf eine Frage bisher noch keine gesicherte Antwort gibt zu folgern, dass die Antwort „nein“ sei. Doch auch davon abgesehen überzeugt es nicht, die Übertragbarkeit der Solange II-Rechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse unter Verweis auf den unterschiedlichen Integrationsgrad von PJZS und EG abzulehnen.387 Eine solche Differenzierung bei den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstäben im Hinblick auf die Umsetzung von Richtlinien und Rahmenbeschlüssen ist bedenklich. Denn wie bei Richtlinien besteht auch in Bezug auf Rahmenbeschlüsse gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU eine unbedingte Umsetzungsverpflichtung.388 Wie oben erörtert, sind die innerstaatlichen Stellen an die Verpflichtung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses gebunden.389 Denn die Bundesrepublik Deutschland hat auf die EU Hoheitsrechte übertragen.390 Bei der Umsetzung geht es daher um die Konkretisierung von bereits für die innerstaatlichen Stellen unbedingt verbindlichen Vorgaben des Rahmenbeschlusses.391 Die Nähe zu Verordnungen ist daher größer, als dies auf den ersten Blick erscheint.392 Der Verweis darauf, dass Rahmenbeschlüsse im EU-Vertrag geregelt seien und daher nur eine intergouvernementale Zusammenarbeit geschuldet sei, ist ein Zirkelschluss.393 Die Qualität der Verpflichtungen aus dem EU-Vertrag ergibt sich nicht aus der Stellung im EU-Vertrag, sondern aus dem Inhalt des EU-Vertrags.394 Der Rahmenbeschluss dient dazu, durch Rechtsangleichung unionsweit die Voraussetzungen für einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen. Erstrebt wird die Gestaltung einer gemeinsamen und kontinuierlichen Politik. Eine solche gemeinsame Politik setzt aber Flexibilität voraus.395 Mit dem Rahmenbeschluss wird eine fortlaufende Rechtsgestaltung ermöglicht, die die Zusammenarbeit im Bereich der dritten Säule situationsgerecht voranbringen und ausbauen kann.396 387 Gas, EuR 2006, 285, 293; Masing, NJW 2006, 265 ff.; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 566; v. Unger, NVwZ 2005, 1266, 1270. 388 So auch Gas, EuR 2006, 285, 293; Heger, ZIS 2007, 221, 222; Masing als Bevollmächtigter der Bundesregierung im Verfahren vor dem BVerfG zum Europäischen Haftbefehlsgesetz, BVerfGE 113, 273, 284; Schroeder, EuR 2007, 349, 364. 389 s. o. 3. Teil: A.IV. 390 s. o. 3. Teil: A.V.3.d). 391 Masing als Bevollmächtigter der Bundesregierung im Verfahren vor dem BVerfG zum Europäischen Haftbefehlsgesetz, BVerfGE 113, 273, 284; Schroeder, EuR 2007, 349, 364 f. 392 Vgl. Holz, NVwZ 2007, 1153, 1155; Masing, NJW 2006, 264, 266. 393 Masing, NJW 2006, 264, 266; Schroeder, EuR 2007, 349, 352. 394 Masing, NJW 2006, 264, 266. 395 Masing, NJW 2006, 264, 267. 396 Masing, NJW 2006, 264, 267.

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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Die dritte Säule ist ebenso wie die erste Säule zielgesteuert. Zur Verwirklichung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist es nötig, dass die Zielvorgaben auch unionsweit einheitlich umgesetzt werden. Dies setzt eine einheitliche Wirkung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten voraus.397 Der Verwirklichung der Vertragsziele der PJZS widerspräche es, wenn die Mitgliedstaaten unter Berufung auf nationales Verfassungsrecht die Verpflichtung zur Umsetzung verbindlicher Zielvorgaben relativieren könnten. Die Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen beansprucht daher unionsrechtlich ebenso Vorrang vor dem nationalen Recht, wie die Verpflichtung zur Umsetzung von Richtlinien. So mögen zwar die Mitgliedstaaten die Macht haben, die Umsetzung zu verweigern, sie haben jedoch nicht das Recht dazu.398 Würde man die Solange II-Rechtsprechung nicht auf Rahmenbeschlüsse übertragen, so würde jede grundrechtsrelevante Umsetzung eines Rahmenbeschlusses ein oftmals langwieriges Verfassungsänderungsverfahren durchlaufen müssen.399 Dadurch entstünde eine Gefahr für die Konsistenz des Grundgesetzes, welches durch einzelfallbezogene europarechtlich determinierte Ergänzungen schrittweise zerfasert würde.400 Die Anerkennung eines Vorrangs der Umsetzungsverpflichtung vor nationalem Recht, d. h. die Rücknahme des nationalen Grundrechtsschutzes zugunsten eines europäischen Grundrechtsschutzes, ist daher die vorzugswürdigere Lösung. Art. 23 I GG erlaubt die Herausbildung einer solchen europäischen Rechtsschicht, die das nationale Recht überlagert.401 Es entspricht auch der Teilung der Verantwortungsbereiche zwischen EU und Mitgliedstaaten. Was wie ein Rahmenbeschluss politisch von der EU zu verantworten ist, bleibt rechtlich auf europarechtliche Maßstäbe verpflichtet. Was aber politisch von den Mitgliedstaaten zu verantworten ist, nämlich die Ausgestaltung der Umsetzungsspielräume, ist auch rechtlich am nationalen verfassungsrechtlichen Maßstab zu messen.402

dd) Keine erhöhte Legitimationslast bei Umsetzungsmaßnahmen im Rahmen der PJZS Auch mit der Gefahr eines Demokratiedefizits in der dritten Säule kann die Übertragbarkeit der Solange II-Rechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse nicht verneint Schroeder, EuR 2007, 349, 365. Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 573. 399 Masing, NJW 2006, 264, 267; bzgl. Richtlinienumsetzung ebenso Holz, NVwZ 2007, 1153, 1155. 400 Masing, NJW 2006, 264, 267; bzgl. Richtlinienumsetzung ebenso Holz, NVwZ 2007, 1153, 1155. 401 Masing, NJW 2006, 264, 267; bzgl. Richtlinienumsetzung ebenso Holz, NVwZ 2007, 1153, 1155. 402 So auch Masing, NJW 2006, 264, 267; bzgl. Richtlinienumsetzung Holz, NVwZ 2007, 1153, 1155. 397 398

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

werden.403 Denn einem eventuellen Demokratiedefizit wäre im Vorfeld des Erlasses eines Rahmenbeschlusses durch bessere Rücksprache der Ratsvertreter mit dem Parlament auf nationaler Ebene zu begegnen.404 Mit einem Verstoß gegen die Verpflichtung zur Umsetzung eines Rahmenbeschlusses werden die demokratischen Strukturen jedenfalls nicht verbessert405 und rechtsstaatliche Grundsätze relativiert.406 Daher kann unter Verweis auf eine vermeintlich höhere Legitimationslast des deutschen Gesetzgebers bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses ein Vorrang der Umsetzungsverpflichtung nicht verneint werden. Es ist vielmehr zu prüfen, ob die Gründe, die die Solange II-Rechtsprechung tragen, nicht auch auf Rahmenbeschlüsse in der PJZS zutreffen. ee) Im Wesentlichen gleich zu achtender Grundrechtsschutz auf Unionsebene Das BVerfG nimmt in der Solange II-Rechtsprechung seine prozessuale Zuständigkeit für die Überprüfung von unmittelbar geltendem EG-Recht zurück. Dies geschieht aber nicht deshalb, weil die Grundrechte kein geeigneter Prüfungsmaßstab wären, sondern weil die Grundrechtskontrolle mit vergleichbarer Rechtsschutzeffizienz bereits durch den EuGH vorgenommen wird.407 Damit stellt das BVerfG für die Rücknahme seiner Kontrollkompetenz in der Solange II-Rechtsprechung maßgeblich auf einen substituierenden Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene ab. Es kommt daher für die Frage der Übertragbarkeit der Grundsätze der Solange IIRechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse darauf an, ob auch auf Unionsebene ein im Wesentlichen gleich zu achtender Grundrechtsstandard gewährleistet wird.408 Auch im Lissabon-Urteil behält sich das BVerfG eine Überprüfung europäischer Rechtsakte am Maßstab der Integrationsermächtigung gem. Art. 23 I 3, 79 III GG vor, stellt diese Kontrolle aber unter den Vorbehalt, dass Rechtsschutz auf europäischer Ebene nicht zu erlangen ist.409 Auch hier zeigt sich, ähnlich wie in der Solange II-Rechtsprechung, ein Vertrauen in die Rechtskontrolle durch den EuGH. Daraus kann man folgern, dass das BVerfG seine Kontrollkompetenz so lange zurücknimmt, wie die Mindestanforderungen der Integrationsermächtigung gewahrt Siehe dazu bereits oben 3. Teil: A.V.2.c)cc)(4). Vorschläge für die Wahrnehmung politischen Einflusses durch das nationale Parlament, vgl. Huber, FAZ Nr. 210 v. 10.9.2009, 8. 405 s. o. 3. Teil: A.V.2.c)cc)(4); abw. Meinung Lübbe-Wolff, BVerfGE 113, 327, 336; Giegerich ZaöRV 67 (2007) 351, 358; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 239; Tomuschat, EuGRZ 2005, 453, 455 f. 406 Giegerich, ZaöRV 67 (2007) 351, 358. 407 Di Fabio, NJW 1990, 947, 948. 408 So auch Böse, EuR-Beiheft 1 / 2005, 55, 57. 409 BVerfG, Urteil v. 30.6.2009, 2 BvE 2 / 08, 2 BvE 5 / 08, 2 BvR 1010 / 08, 2 BvR 1022 / 08, 2 BvR 1259 / 08, 2 BvR 182 / 09, Rn. 240. 403 404

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

237

sind. Der schwelende Konflikt zwischen BVerfG und EuGH bei der Frage der Letztentscheidungskompetenz würde sich demnach pragmatisch entschärfen, wenn auch auf Unionsebene ein dem Grundgesetz im Wesentlichen gleich zu achtender Grundrechtsschutz bestünde und daher das BVerfG keinen Anlass hat, seinen Kontrollanspruch tatsächlich auszuüben. (1) Grundrechtsbindung der Unionsorgane In der Literatur wird vereinzelt ein dem Grundgesetz im Wesentlichen gleich zu achtender Grundrechtsschutz in der dritten Säule verneint.410 Diese Ansicht wird damit begründet, dass sich das Integrationsniveau der ersten und dritten Säule auch heute noch unterscheiden.411 Dem kann allerdings entgegnet werden, dass unabhängig vom Integrationsniveau jedenfalls der Standard der Gemeinschaftsgrundrechte auch in der dritten Säule gilt. Die Gemeinschaftsgrundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts hat der EuGH auf Grundlage des Art. 220 EG entwickelt.412 Eine Verweisung auf Art. 220 EG oder eine entsprechende Vorschrift fehlt zwar im Rahmen der dritten Säule. Die Grundrechtsjudikatur des EuGH ist aber in Art. 6 II EU ausdrücklich anerkannt.413 Daher gelten die Gemeinschaftsgrundrechte auch in der dritten Säule.414 Art. 6 II EU nimmt darauf explizit Bezug. Das bedeutet, dass die Unionsorgane an die Gemeinschaftsgrundrechte beim Erlass von Rahmenbeschlüssen ebenso gebunden sind, wie beim Erlass von Richtlinien.415 Sowohl das EG-Sekundärrecht als auch das EU-Sekundärrecht ist somit in Übereinstimmung mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts auszulegen.416 Die Bedeutung der GeKaiafa-Gbandi, ZIS 2006, 521, 523. Kaiafa-Gbandi, ZIS 2006, 521, 523; Mißling, EuR 2007, 261, 270. 412 Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 411. 413 Gas, EuR 2006, 285, 291; Masing, NJW 2006, 264, 266; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 411. 414 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 44; EuGH, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras Pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 51; EuGH, Rs. C-355 / 04 P (Segi), Slg. 2007, I-1657, Rn. 51; EuGH, Rs. 303 / 05 (Advocaten voor de Wereld), Slg. 2007, I-3633, Rn. 45; Egger, EuZW 2005, 652, 653; Huber, in: Schroeder, Europarecht als Mehrebenensystem, 39, 48; Knapp, DÖV 2001, 12, 18; Masing, NJW 2006, 264, 266; Merli, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 125, 126; Pernice, WHI-Paper 03 / 2005, 25; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 411. 415 EuGH, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras Pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 51; EuGH, Rs. C-355 / 04 P (Segi), Slg. 2007, I-1657, Rn. 51; EuGH, Rs. 303 / 05 (Advocaten voor de Wereld), Slg. 2007, I-3633, Rn. 45; Egger, EuZW 2005, 652, 654; Gas, EuR 2006, 285, 291; Pernice, WHI-Paper 03 / 2005, 25; Winkler, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 19, 21. 416 EuGH, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras Pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 51, EuGH, Rs. C-355 / 04 P (Segi), Slg. 2007, I-1657, Rn. 51; EuGH, Rs. 303 / 05 (Advocaten voor de Wereld), Slg. 2007, I-3633, Rn. 45; EuGH, Rs. C-404 / 07 (György Katz), Slg. 2008, I-7607, 410 411

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

meinschaftsgrundrechte betont der EuGH auch bei den Grenzen der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung.417 Damit zeigt der EuGH, dass er den gemeinschaftlichen Grundrechtsstandard auch auf Unionsebene gewährleistet.418 Der Umfang der Gemeinschaftsgrundrechte entspricht mittlerweile dem vom BVerfG geforderten im Wesentlichen gleich zu achtenden unabdingbaren Grundrechtsstandard des Grundgesetzes.419 Daraus, dass die Gemeinschaftsgrundrechte auch auf Unionsebene gelten, folgt, dass dieser Grundrechtsstandard inhaltlich auch auf Unionsebene gewahrt werden muss.420 Wenn aber bisher der Gemeinschaftsgrundrechtsstandard vom BVerfG als ausreichend erachtet wurde, so muss dies auch für die dritte Säule gelten. Dies erlaubt es dem BVerfG, seine Solange IIRechtsprechung auch auf die Kontrolle europäischer Rechtsakte der EU, insbesondere der Rahmenbeschlüsse, zu übertragen. Eine Kontrolle der Rahmenbeschlüsse am Maßstab der nationalen Grundrechte ist somit abzulehnen.421 (2) Rechtsschutz für deutsche Bürger Fraglich ist jedoch, ob der Rechtsschutz, der gegen Sekundärrechtsakte der Union in der PJZS oder gegen Umsetzungsakte bereit steht, ausreicht, um einen unionsrechtlichen Grundrechtsschutz sicherzustellen, der den Maßstäben der Solange IIRechtsprechung genügt. Die Jurisdiktionsgewalt des EuGH in Art. 35 EU ist weniger weit als die im Gemeinschaftsrecht. Fraglich ist, ob dieser Unterschied zu einer unterschiedlichen Behandlung von Rahmenbeschlüssen und Richtlinien im Hinblick auf die Frage des Vorrangs der Umsetzungsverpflichtung führt. Eine Übertragung der Solange IIRechtsprechung schiede aus, wenn in der PJZS für Bürger aus Deutschland kein effektiver Grundrechtsschutz durch den EuGH gewährleistet wäre. Art. 35 EU umfasst nicht alle Verfahrensarten, die im Gemeinschaftsrecht vorherrschen. Insbesondere fehlt ein dem Art. 226 EG äquivalentes VertragsverletRn. 48 f.; Böse, in: Schwarze, Art. 29 EUV, Rn. 11; Egger, EuZW 2005, 652, 654; Kraus, EuR-Beiheft 3 / 2008, 109, 116; Merli, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 125, 126; Winkler, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 19, 27. 417 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 44 f.; EuGH, Rs. C-404 / 07 (György Katz), Slg. 2008, I-7607, Rn. 48 f. 418 So auch Meyer, NStZ 2009, 657, 663. 419 BVerfGE 73, 339, 378; BVerfGE 102, 147, 163 f.; BVerfG, Beschluss v. 14.5.2007, 1 BvR 2036 / 05, Rn. 10; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 574. 420 Böse, in: Schwarze, Art. 29 EUV, Rn. 2, 11; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 574; Pernice, WHI-Paper 03 / 2005, 25; a. A. Mißling, EuR 2007, 261, 270 unter Verweis auf das unterschiedliche Integrationsniveau von erster und dritter Säule. 421 Böse, in: Schwarze, Art. 29 EUV, Rn. 2; Pernice, WHI-Paper 03 / 2005, 25.

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

239

zungsverfahren. Dadurch ist die Einhaltung der EU-Vertragsbestimmungen unter den Mitgliedstaaten keiner externen Kontrolle durch die Kommission eröffnet. Es ist jedoch zu bedenken, dass das Vertragsverletzungsverfahren nicht in erster Linie individualrechtsschützenden Charakter hat.422 So hat auch das BVerfG in der Solange II-Entscheidung das Vertragsverletzungsverfahren nicht erwähnt, sondern auf das für den Individualschutz bedeutsame Vorabentscheidungsverfahren sowie die Nichtigkeitsklage verwiesen.423 Das Bestehen eines Vertragsverletzungsverfahrens auf Unionsebene ist somit nicht ausschlaggebend für die Beurteilung der Frage, ob der Grundrechtsschutz des Einzelnen über das Unionsrecht gesichert werden kann. Die Rechtmäßigkeit des Rahmenbeschlusses kann durch die Nichtigkeitsklage kontrolliert werden. Verstößt ein Rahmenbeschluss gegen Unionsrecht, so kann ein Mitgliedstaat oder die Kommission Nichtigkeitsklage gem. Art. 35 VI EU erheben. Der Kreis der Klageberechtigten für die Nichtigkeitsklage gem. Art. 35 VI EU in der PJZS ist zwar kleiner als der nach Art. 230 II-IV EG im Gemeinschaftsrecht. Dennoch ist eine gewisse Rechtskontrolle schon dadurch gewährleistet, dass nicht nur die Mitgliedstaaten, deren Vertreter im Rat gem. Art. 34 II 2 EU einstimmig den Rahmenbeschluss gefasst haben, klageberechtigt sind, sondern auch die von mitgliedstaatlichen Interessen unabhängige Kommission. Fraglich ist aber, ob der Verzicht auf eine Individualklagebefugnis in Art. 35 VI EU zu Rechtsschutzlücken führen kann. Der Verzicht auf eine Individualklagebefugnis in Art. 35 VI EU lässt sich damit erklären, dass für keines der Rechtssetzungsinstrumente des EU-Vertrags gem. Art. 34 II EU eine unmittelbare Wirkung, vergleichbar mit Verordnungen oder Entscheidungen der EG, vorgesehen ist.424 Für Rahmenbeschlüsse ist die unmittelbare Wirksamkeit sogar gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU ausgeschlossen. Deshalb ist eine unmittelbare und individuelle Betroffenheit durch einen Rahmenbeschluss, wie sie Art. 230 IV EG für die Individualklagebefugnis verlangt, von vornherein nicht gegeben.425 Daher 422 Vgl. Burgi, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, § 6, Rn. 2 m. w. N. 423 BVerfGE 73, 339, 384. 424 Burgi, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, § 7, Rn. 6; Classen, EuR Beiheft 1 / 1999, 73, 83; Classen, in: Schulze / Zuleeg, Europarecht, § 4 Rn. 40; Dörr / Mager, AöR 125 (2000), 386, 417; Gas, EuR 2006, 285, 291; Geiger, Art. 35 EUV, Rn. 8; Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht, Rn. 1166; Ludwig, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Vertrag von Amsterdam, 268; Pechstein / Koenig, Die Europäische Union, Rn. 533; Pechstein, in: Streinz, Art. 35 EUV, Rn. 9; Pechstein, in: Hummer, Die Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, 281, 293; Pechstein, EU- / EG-Prozessrecht, Rn. 57 u. 562; Pechstein, EuR 1999, 1, 22; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 35 EUV, Rn. 14; Wasmeier, in: v. d. Groeben / Schwarze, Art. 35 EUV, Rn. 20. 425 Dörr / Mager, AöR 125 (2000), 386, 417; Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht, Rn. 1166; Pechstein, in: Hummer, Die Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, 281, 293. Der EuGH hat jedoch aus Gründen des Individualrechtsschutzes seine Zuständigkeit

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

besteht dadurch, dass keine Individualklagebefugnis für die Nichtigkeitsklage vorgesehen ist, keine Rechtsschutzlücke in der dritten Säule.426 Relevant für den Individualrechtsschutz ist hingegen das Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 35 I EU.427 Dieses Verfahren trägt dadurch zum Individualschutz bei, dass der EuGH einerseits über die Ungültigkeit eines rechtswidrigen Rahmenbeschlusses entscheiden kann, andererseits aber auch über eine gemeinschaftsgrundrechtskonforme Auslegung der Rechtsakte der Union wacht. Ein Verfahren vor nationalen Gerichten wird durch das Vorabentscheidungsverfahren mit dem europäischen Grundrechtsschutz durch den EuGH verzahnt. Daher wird maßgeblich durch das Vorabentscheidungsverfahren sichergestellt, dass dem Einzelnen der Schutz durch die Gemeinschaftsgrundrechte zukommt.428 Fraglich ist, ob der Rechtsschutz dadurch beeinträchtigt ist, dass das Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 35 II EU von einer vorherigen Unterwerfungserklärung des Mitgliedstaates abhängig ist. Bei der Frage, ob ein dem Grundgesetz im Wesentlichen entsprechender unionsrechtlicher Grundrechtsschutz generell gewährleistet wird, darf man nicht abstrakt auf das Unterwerfungserfordernis sehen. Vielmehr muss die konkrete Situation für die Menschen in Deutschland betrachtet werden. Die Bundesrepublik Deutschland hat gem. Art. 35 II EU eine Unterwerfungserklärung gem. Art. 35 III lit. b EU abgegeben.429 Im dazu erlassenen EuGH-Gesetz430 hat Deutschland darüber hinaus gem. § 1 II EuGH-Gesetz eine Verpflichtung für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit gem. Art. 35 VI EU sowie seine Vorabentscheidungszuständigkeit auch auf die Rechtmäßigkeitskontrolle von gemeinsamen Standpunkten erstreckt, soweit sie Rechtswirkungen gegenüber Dritten erzeugen sollen, vgl. EuGH, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras Pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 53; EuGH, Rs. C-355 / 04 P (Segi), Slg. 2007, I-1657, Rn. 53; dazu auch Kraus, EuR-Beiheft 3 / 2008, 109, 121 f.; Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 263 u. 268. 426 Dörr / Mager, AöR 125 (2000), 386, 417; Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht, Rn. 1166; Ludwig, Die Rolle des EuGH im Bereich Justiz und Inneres nach dem Amsterdamer Vertrag, 268 f.; Pechstein, in: Streinz, Art. 35 EUV, Rn. 9; Pechstein, in: Hummer, Die Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, 281, 293; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 35 EUV, Rn. 14. 427 Gas, EuR 2006, 285, 291; Haratsch, EuR-Beiheft 3 / 2008, 81, 92; Masing, NJW 2006, 264, 265; a. A. Hakenberg, EuR-Beiheft 3 / 2008, 163, 171; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 326. 428 Um wirksamen Rechtsschutz vor nationalen Gerichten in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten ggf. die erforderlichen Rechtsbehelfe schaffen, vgl. EuGH, Rs. C-263 / 02 P (Jégo Quéré), Slg. 2004, I-3425, Rn. 31 f.; EuGH, Rs. 50 / 00 (Unión de Pequeños Agricultores), Slg. 2002, II-6677, Rn. 41 f.; EuGH, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras Pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 56; EuGH, Rs. C-355 / 04 P (Segi), Slg. 2007, I-1657, Rn. 56; Haratsch, EuR-Beiheft 3 / 2008, 81, 91; Knapp, DÖV 2001, 12, 19; Szczecalla, in: Heselhaus / Nowak, HdB der Europäischen Grundrechte, § 2 II, Rn. 32; Wegener, EuR Beiheft 3 / 2008, 45, 48 f. 429 Erklärung nach Art. 35 II EU, ABl. v. 1.5.1999, Nr. L 114, 56.

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

241

letztinstanzlicher Gerichte zur Vorlage an den EuGH geregelt. Im nationalen Recht ist damit eine Rechtslage geschaffen worden, die im Hinblick auf das Vorabentscheidungsverfahren bei Fragen zur Gültigkeit oder Auslegung von Rahmenbeschlüssen der Situation für Fragen zu Richtlinien entspricht.431 Gem. § 1 I EuGHGesetz sind wie bei Art. 234 EG die unterinstanzlichen Gerichte zur Vorlage an den EuGH berechtigt, gem. Art. 1 II EuGH-Gesetz sind die letztinstanzlichen Gerichte hingegen zur Vorlage verpflichtet. Damit ist der Schutz des Einzelnen durch die Gemeinschaftsgrundrechte auf Unionsebene ebenso wie auf Gemeinschaftsebene sichergestellt.432 Selbst wenn man nicht der Ansicht folgt, dass Art. 35 EU dem EuGH die Kontrolle am Maßstab des gesamten Primärrechts zuweist, so ergibt sich die Zuständigkeit des EuGH, Rechtsakte am Maßstab der Gemeinschaftsgrundrechte zu prüfen, doch explizit aus Art. 46 lit. d i.V. m. Art. 46 lit. b i.V. m. Art. 35 EU.433 Da somit die in Art. 6 II EU anerkannte Grundrechtsjudikatur des EuGH auch im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens der dritten Säule Anwendung findet434, kann effektiver Grundrechtsschutz durch den EuGH auch in Bezug auf Rahmenbeschlüsse gewährleistet werden.435 Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass vor deutschen Gerichten über das Vorabentscheidungsverfahren ebenso europäischer Grundrechtsschutz gewährleistet werden kann, wie dies im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens für Richtlinien der Fall ist. Ein rechtsstaatswidriges Rechtsschutzdefizit besteht daher nicht.436 Damit konnte nachgewiesen werden, dass ein im Wesentlichen mit dem vom Grundgesetz geforderten Grundrechtsstandard vergleichbarer Schutz des Einzelnen 430 Gesetz betreffend die Anrufung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Artikel 35 des EU-Vertrages – EuGH-Gesetz v. 6.8.1998, BGBl. I 1998, 2035. 431 So auch Gas, EuR 2006, 285, 291; Masing als Bevollmächtigter der Bundesregierung im Verfahren vor dem BVerfG zum Europäischen Haftbefehlsgesetz, BVerfGE 113, 273, 284; Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch europäische Rahmenbeschlüsse, 132. 432 So auch Gas, EuR 2006, 285, 291; Masing, NJW 2006, 264, 265 f.; Masing als Bevollmächtigter der Bundesregierung im Verfahren vor dem BVerfG zum Europäischen Haftbefehlsgesetz, BVerfGE 113, 273, 284; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 567. 433 Cremer, in: Calliess / Ruffert, Art. 46 EUV, Rn. 8. 434 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 44; EuGH, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras Pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 51; EuGH, Rs. C-355 / 04 P (Segi), Slg. 2007, I-1657, Rn. 51; Cremer, in: Calliess / Ruffert, Art. 46 EUV, Rn. 8; Schroeder, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 1. Aufl., 373, 411. 435 So auch Masing, NJW 2006, 264, 265; Pernice, WHI-Paper 03 / 2005, 25; Szczekalla, in: Heselhaus / Nowak, HdB der Europäischen Grundrechte, § 2 II, Rn. 32. 436 Masing als Bevollmächtigter der Bundesregierung im Verfahren vor dem BVerfG zum Europäischen Haftbefehlsgesetz, BVerfGE 113, 273, 284.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

auch auf Unionsebene gewährleistet wird. Das Argument eines Rechtsschutzdefizits kann daher nicht gegen die Übertragung der Solange II-Rechtsprechung auf Rahmenbeschlüsse ins Feld geführt werden.437 ff) Irrelevanz des Ausschlusses der unmittelbaren Wirksamkeit für die Vorrangfrage Man könnte noch daran denken, dass sich der Rahmenbeschluss durch den Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit derart von einer Richtlinie unterscheidet, dass eine Übertragbarkeit der Solange II-Rechtsprechung ausscheide.438 Dann müsste aber die Annahme eines Vorrangs der Umsetzungsverpflichtung selbst vor nationalem Verfassungsrecht davon abhängen, dass eine Richtlinie ausnahmsweise unmittelbar wirksam sein kann. Der EuGH hat den Vorrang des Gemeinschaftsrechts schon früh unabhängig von einer unmittelbaren Wirkung begründet.439 Und auch für das BVerfG spielte die unmittelbare Wirksamkeit von Richtlinien für die Entwicklung der Grundsätze der Solange II-Rechtsprechung keine Rolle.440 Denn das BVerfG hat die Rücknahme des deutschen Grundrechtsschutzes unabhängig von einer unmittelbaren Wirksamkeit anerkannt. In der Rechtsprechung zu den Emissionszertifikaten hat das BVerfG ausdrücklich klargestellt, dass die Solange II-Rechtsprechung auch dann auf Richtlinien übertragbar sei, wenn diese nicht unmittelbar wirksam seien.441 Maßgeblich für die Rücknahme des nationalen Grundrechtsschutzes ist allein die Frage, ob Umsetzungsspielräume bestehen.442 Wo solche Spielräume bestehen, ist bei der Ausfüllung der Spielräume den deutschen Grundrechten Rechnung zu tragen. Wo solche Spielräume nicht bestehen, ist der Grundrechtsschutz über das europäische Recht zu suchen.443 Die unmittelbare Wirksamkeit hingegen ist keine Voraussetzung für die Rücknahme des deutschen Grundrechtsschutzes.444 Gleiches muss dann aber auch für Rahmenbeschlüsse gelten.445 Der Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit 437 So auch Masing, NJW 2006, 264, 265 f.; Masing als Bevollmächtigter der Bundesregierung im Verfahren vor dem BVerfG zum Europäischen Haftbefehlsgesetz, BVerfGE 113, 273, 284. 438 Klink / Proelß, DÖV 2006, 469, 473; Mißling, EuR 2007, 261, 269. 439 EuGH, Rs. 6 / 64 (Costa / ENEL), Slg. 1964, 1251, 1269 ff.; Szczekalla, in: Heselhaus / Nowak, HdB der Europäischen Grundrechte, § 2 II Rn. 31. 440 Gas, EuR 2006, 285, 293; Masing, NJW 2006, 264, 265; Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch europäische Rahmenbeschlüsse, 132; Schroeder, EuR 2007, 349, 364; v. Unger, NVwZ 2005, 1266, 1271; Weber, EuR 2008, 88, 94; a.A Mißling, EuR 2007, 261, 269. 441 BVerfGE 118, 79, 97; Masing, NJW 2006, 264, 265. 442 Masing, NJW 2006, 264, 265. 443 Masing, NJW 2006, 264, 265. 444 BVerfGE 118, 79, 97; Gas, EuR 2006, 285, 293; Masing, NJW 2006, 264, 265; Schroeder, EuR 2007, 349, 364; v. Unger, NVwZ 2005, 1266, 1271; Weber, EuR 2008, 88, 94.

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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von Rahmenbeschlüssen gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU steht somit einer Übertragung der Solange II-Rechtsprechung nicht im Wege. Der Vorrang des Unionsrechts in der dritten Säule besteht daher unabhängig davon, ob es unmittelbar auf konkrete Rechtsstreitigkeiten angewandt werden kann.

gg) Zwischenergebnis Es konnte gezeigt werden, dass die maßgeblichen Gründe, die das BVerfG für die Rücknahme seiner Prüfungskompetenz in der Solange II-Rechtsprechung anführte, auch in der PJZS gegeben sind. Dies spricht dafür, die Solange II-Rechtsprechung auch auf Rahmenbeschlüsse zu übertragen.446 Damit sind nationale Akte, die durch zwingende Vorgaben eines Rahmenbeschlusses determiniert sind, vom BVerfG nicht mehr am Maßstab des Grundgesetzes zu messen, sondern unterliegen der Grundrechtskontrolle des EuGH am Maßstab der Gemeinschaftsgrundrechte.447 Somit ist der Vorrang der Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU vor entgegenstehendem nationalen Recht beim gegenwärtigen Stand der Grundrechtsgewährleistungen auch dann gewährleistet, wenn man mit dem BVerfG nicht von einer autonomen Geltung des Europarechts ausginge.

2. Relativierung des Vorrangs durch eine Ultra-vires-Kontrolle? Zu klären bleibt, ob der Vorrang der Umsetzungsverpflichtung dadurch relativiert wird, dass das BVerfG für sich beansprucht, Rechtsakte der EU448 auf ihre Kompetenzmäßigkeit hin zu überprüfen.449 Im Lissabon-Urteil führt das BVerfG diese Rechtsprechung zur Ultra-vires-Kontrolle fort.450 Es behält sich vor, europäische 445 Gas, EuR 2006, 285, 293; Masing, NJW 2006, 264, 265; Schroeder, EuR 2007, 349, 364; Schroeder, in: Lagodny / Wiederin / Winkler, Probleme des Rahmenbeschlusses, 37, 54; v. Unger, NVwZ 2005, 1266, 1271. 446 So auch Böse, in: Schwarze, Art. 29 EUV, Rn. 2; Gas, EuR 2006, 285, 293; Masing, NJW 2006, 265 ff.; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 566; Pernice, WHI-Paper 03 / 2005, 25; Rudolf / Giese, ZRP 2007, 113, 115; v. Unger, NVwZ 2005, 1266, 1270. 447 So auch Böse, in: Schwarze, Art. 29 EUV, Rn. 2; Masing als Bevollmächtigter der Bundesregierung im Verfahren vor dem BVerfG zum Europäischen Haftbefehlsgesetz, BVerfGE 113, 273, 284. 448 In diesem und dem folgenden Punkt umfasst der Begriff „EU“ mit Blick auf das Lissabon-Urteil sowohl die EG als auch die EU. 449 BVerfGE 58, 1, 30 f.; BVerfGE 75, 223, 235; BVerfGE 89, 155, 188; bislang kam es noch zu keiner ultra-vires Feststellung durch das BVerfG. 450 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 240 f. Das BVerfG spricht im Lissabon-Urteil nicht mehr von „ausbrechenden Rechtsakten“ wie noch im Maastricht Urteil, sondern von „Grenzüberschreitungen bei Inanspruchnahme von Zuständigkeiten“ und „Ultra-vires-Kontrolle“ (Rn. 240).

244

3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

Rechtsakte daraufhin zu überprüfen, ob sie von der EU unter einer ersichtlichen Grenzüberschreitung bei der Inanspruchnahme ihrer Zuständigkeiten erlassen worden sind.451 Diese Ultra-vires-Kontrolle könne dazu führen, dass Gemeinschaftsoder künftig Unionsrecht in Deutschland für unanwendbar erklärt werde.452 Welche Konsequenz das Lissabon-Urteil für das künftige Verhältnis von Unionsrecht und nationalem Recht hat, hängt von der Lesart des Lissabon-Urteils ab. a) „Karlsruher Totalaufsicht“ Zum Teil weckte das Lissabon-Urteil die Befürchtung, dass das BVerfG die Entwicklung und Ausgestaltung des Rechts der Europäischen Union in Zukunft „Unter Karlsruher Totalaufsicht“453 stellen werde.454 Diese Beanspruchung eines Letztentscheidungsrechts durch das BVerfG widerspreche aber den vertraglichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Denn nach den Verträgen sei allein der EuGH für die Kontrolle des geltenden Rechts auf europäischer Ebene zuständig.455 In der Beanspruchung einer Ultra-vires-Kontrolle wird darüber hinaus auch eine Aufgabe der Zurückhaltung nach der Solange II-Rechtsprechung des BVerfG gesehen.456 Denn das BVerfG prüfe nicht mehr nur generell, ob auf europäischer Ebene ein im Wesentlichen dem Grundgesetz vergleichbarer Grundrechtsschutz gewährt werde, sondern das BVerfG sei nunmehr bereit, jeden europäischen Rechtsakt auf ersichtliche Kompetenzüberschreitungen hin zu überprüfen.457 Das bisherige „Kooperationsverhältnis“458 zwischen BVerfG und EuGH werde durch das Lissabon-Urteil aufgekündigt.459 Der bisher vom BVerfG praktizierte pragmatische Kompromiss, mit dem die Kluft zwischen dem absoluten Vorranganspruch des Gemeinschafts- und Unionsrechts einerseits und dem aus nationaler Perspektive nur in den Grenzen des Art. 23 I GG gewährten Vorrangs des Europarechts andererseits überbrückt werden konnte, sei durch das Lissabon-Urteil aufgegeben.460 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 240. BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 241. 453 Calliess, FAZ Nr. 198 v. 27.8.2009, 8. 454 Calliess, FAZ Nr. 198 v. 27.8.2009, 8; vgl. Niedobitek, GLJ 10 (2009) 1267, 1273 f. Mit einem Fragezeichen versehen bei Terhechte, Wirtschaftsdienst 2009, 428. 455 Wiedergabe der Einschätzung von Franz C. Mayer bei Falkenhain, integration 2009, 308, 312 f. 456 Lesart des fiktiven Justus Lipsius bei Mayer, WHI-Paper 07 / 09, 3; Schorkopf, GLJ 10 (2009) 1219, 1232; a. A. Thym, CMLRev. 2009, 1795, 1807. 457 Frenz, EWS 2009, 297, 299; Frenz, VA 2009, 475, 483; Lesart des fiktiven Brutalus (Machiavelus) bei Mayer, WHI-Paper 07 / 09, 7; Schorkopf, GLJ 10 (2009) 1219, 1232; Schorkopf, EuZW 2009, 718, 722. 458 BVerfGE 89, 155, 175. 459 Lesart des fiktiven Justus Lipsius bei Mayer, WHI-Paper 07 / 09, 3. 460 Lesart des fiktiven Justus Lipsius bei Mayer, WHI-Paper 07 / 09, 3. 451 452

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

245

Die Ultra-vires-Kontrolle wird auch deshalb kritisiert, weil die Bestimmung der Kompetenzgrenzen zugleich eine Auslegung der Reichweite der Verträge beinhalte.461 Die Auslegung des EG-Vertrages bzw. EU-Vertrages stehe aber dem BVerfG gerade nicht zu, da der deutsche Gesetzgeber die Auslegung von EU-Recht und EG-Recht dem EuGH zugewiesen habe.462 Ein Letztentscheidungsrecht des BVerfG sei daher systemwidrig.463 Zudem übersehe das BVerfG, dass Art. 24 III GG ein Bekenntnis zur internationalen Streitbeilegung enthalte, deren Sinn gerade in einem Letztentscheidungsrecht eines internationalen Gerichts liege.464 Deshalb dürfe das BVerfG keine Letztentscheidungskompetenz für die Beurteilung der Kompetenzmäßigkeit europäischer Rechtsakte in Anspruch nehmen.465

b) Pragmatische Entschärfung des Konflikts Eine solch ablehnende Beurteilung der Folgen des Lissabon-Urteils ist jedoch zu einseitig. Denn es darf auch nicht übersehen werden, dass sich im Lissabon-Urteil Ansätze für einen Kompromiss wie bei der Solange II-Rechtsprechung finden lassen. Das BVerfG beschränkt nämlich die für sich eingeforderte Ultra-vires-Kontrolle in dreifacher Weise: Erstens monopolisiert das BVerfG die Kompetenzkontrolle bei sich.466 Zweitens will das BVerfG seine Kontrollzuständigkeit nur wahrnehmen, wenn auf europäischer Ebene kein Rechtsschutz zu erlangen ist.467 Drittens will das BVerfG die Kompetenzkontrolle europarechtsfreundlich ausüben.468 Diese Ausführungen geben aus folgenden Gründen Anlass zu der Annahme, dass das BVerfG mit der Ultra-vires-Kontrolle behutsam und zurückhaltend verfahren wird.469 Im Lissabon-Urteil hat das BVerfG ausdrücklich klargestellt, dass die Idee einer unionsweiten Rechtsgemeinschaft auch vom grundgesetzlichen Integrationsauftrag gedeckt sei.470 Die Einheit der Gemeinschaftsrechtsordnung solle nicht dadurch geSauer, ZRP 2009, 195, 196. Classen, JZ 2009, 881, 888; Frenz, EWS 2009, 297, 302; Frenz, VA 2009, 475, 483; Sauer, ZRP 2009, 195, 196. 463 Classen, JZ 2009, 881, 888; Frenz, EWS 2009, 297, 302; Sauer, ZRP 2009, 195, 196; a. A. Hirsch, ZRP 2009, 250 f. 464 Classen, JZ 2009, 881, 888. 465 Classen, JZ 2009, 881, 888; Frenz, EWS 2009, 297, 302; Sauer, ZRP 2009, 195, 196; a. A. Hirsch, ZRP 2009, 250 f. 466 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 241 u. 337. 467 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 240. 468 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 240 f. 469 So auch Hillgruber, FAZ Nr. 210 v. 10.9.2009, 8; Thym, CMLRev. 2009, 1795, 1807. 470 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 337. 461 462

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

fährdet werden, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte unterschiedliche Anwendbarkeitsentscheidungen treffen.471 Demzufolge dürfe nicht jede nationale Stelle eigenmächtig die Umsetzung bindenden Unionsrechts verweigern472, sondern es sei ausschließlich das BVerfG für die Ultra-vires-Kontrolle zuständig.473 Das bedeutet, dass die Gefahr der Verwerfung europäischer Rechtsakte schon dadurch begrenzt wird, dass nicht jedes deutsche Gericht nach eigenem Ermessen über die Reichweite der Kompetenzen der EU entscheiden darf. Des Weiteren will das BVerfG seine Integrationsverantwortung, mithin auch die Ultra-vires-Kontrolle, nur ausüben, soweit auf europäischer Ebene kein Rechtsschutz zu erlangen ist. Damit erkennt das BVerfG an, dass in erster Linie der EuGH über die Einhaltung der primärrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen zu wachen hat.474 Der EuGH kann durch eine Nichtigkeitsklage oder im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens mit der Frage nach der Gültigkeit eines Rechtsaktes befasst werden. Die Verfahren, mit denen eine Kompetenzverletzung sanktioniert werden kann, stehen somit auf europäischer Ebene zur Verfügung.475 Damit man aber von einem Rechtsschutz auf europäischer Ebene sprechen kann, muss die Kompetenzkontrolle auch in der Praxis vom EuGH wahrgenommen werden. Dies wurde in jüngster Zeit bezweifelt.476 Bei genauerer Betrachtung gibt die Rechtsprechung des EuGH jedoch keinen Anlass dazu, dunkle Prognosen über Totalausfälle in der Rechtsprechung des EuGH aufzustellen.477 Analysiert man die Rechtsprechung des EuGH in umstrittenen Fällen, so ist es nämlich keineswegs der Fall, dass sich der EuGH über die in den Verträgen vorgesehene Kompetenzordnung hinwegsetzt. Vielmehr hat sich der EuGH bislang stets mit den Argumenten, die für die Annahme einer Zuständigkeitsüberschreitung sprachen, auseinandergesetzt.478 Der EuGH hat dabei gezeigt, dass er die Kompetenzgrenzen der EU und der EG ernst nimmt.479 Man mag zwar in manchen Fällen die Meinung des EuGH nicht teilen. Solange der EuGH seine Ergebnisse jedoch mit rechtlichen ArgumenBVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 337. BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 337; Haratsch, EuR Beiheft 3 / 2008, 81, 90; Lesart der fiktiven Optimistica bei Mayer, WHI-Paper 07 / 09, 5. 473 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 241. 474 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 240 u. 333. 475 Sauer, ZRP 2009, 195, 196. 476 Ambos, JZ 2009, 468, 468 ff.; Ambos / Rackow, ZIS 2009, 397, 401; Gerken u. a., „Mangold“ als ausbrechender Rechtsakt, 69; Herzog / Gerken, FAZ Nr. 210 v. 8.9.2008, 8; Lesart des fiktiven Brutalus (Machiavelus) bei Mayer, WHI-Paper 07 / 09, 7; Wieland, NJW 2009, 1841, 1842 ff. 477 Mayer, WHI-Paper 07 / 09, 2; Pernice, WHI-Paper 05 / 09_04, 21 f.; zur umstrittenen Vorratsdatenspeicherung vgl. Frenz, DVBl. 2009, 374, 375 und Gundel, EuR 2009, 536, 546; zum Mangold-Urteil: Temming, NJW 2008, 3404, 3405. 478 Frenz, DVBl. 2009, 374, 375; Groh, MYOPS 5 / 2009, 9 ff.; Gundel, EuR 2009, 536, 546; eingehend Lenz, WHI-Paper 01 / 09, 2 ff.; Temming, NJW 2008, 3404, 340. 479 Pernice, WHI-Paper 05 / 09_04, 21 f. 471 472

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

247

ten schlüssig begründet, überschreitet er nicht seine Kompetenzen als europäische Kontrollinstanz.480 Auf europäischer Ebene kann daher beim gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung hinreichender Rechtsschutz gegen Kompetenzverletzungen erlangt werden. Doch was bedeutet dies für die vom BVerfG beanspruchte Kontrolle der Einhaltung der Kompetenzgrenzen der EU? Wird das BVerfG nunmehr jede Entscheidung des EuGH noch einmal einer eigenständigen Kompetenzkontrolle unterziehen? Das BVerfG legt sich in dieser Hinsicht nicht ausdrücklich fest.481 Dennoch geben die Ausführungen des BVerfG Anlass, diese Frage zu verneinen. Denn das BVerfG gesteht den Organen der EU die Möglichkeit zu, das Recht der Union im Rahmen der Verträge weiterzuentwickeln.482 Explizit erkennt es an, dass eine Tendenz zur Besitzstandswahrung (acquis communautaire) und zur wirksamen Kompetenzauslegung im Sinne der implied-powers Doktrin oder der Effet-utile-Regel Teil des vom Grundgesetz gewollten Integrationsauftrags seien.483 Das Vertrauen in die Beachtung der Kompetenzgrenzen könne jedoch nicht völlig unbegrenzt sein484, sondern erfordere eine – „sei es auch nur sehr zurückgenommene und sich als exzeptionell verstehende – äußere Kontrolle“.485 Damit zeigt das BVerfG, dass es die Ultra-vires-Kontrolle als Ausnahme ansieht, die restriktiv zu handhaben ist. Zudem will das BVerfG diese Kontrolle europarechtsfreundlich ausüben.486 Es betont den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit.487 Dieser beinhaltet die Zusammenarbeit mit den Organen der EU, insbesondere dem EuGH. Das BVerfG respektiert, dass in erster Linie der EuGH zu einer Beurteilung der Einhaltung der Zuständigkeitsverteilung zwischen EG / EU und Mitgliedstaaten berufen ist. Mit der Errichtung des EuGH haben die Mitgliedstaaten eine Institution geschaffen, die europaweit über die Einhaltung der Verträge, mithin auch der Zuständigkeitsverteilungen wachen soll.488 Die Verträge sehen vor, dass das Kompetenzsystem der EU und EG autonom, d. h. aus sich heraus, zu beurteilen ist und nicht aus der Perspektive nationaler Eigenheiten.489 Dies bedeutet aber auch, dass das BVerfG nicht jeden Einzelfall selbst durchprüft und kontrolliert, ob der EuGH im Ergebnis zu einer Einschätzung gelangt ist, die das BVerfG teilt. Sondern es kann bei einer KompetenzLenz, WHI-Paper 01 / 09, 2 f.; Temming, NJW 2008, 3404, 3405. BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 240 f. 482 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 237. 483 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 237. 484 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 237. 485 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 238. 486 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 240. 487 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 240. 488 So auch Niedobitek, GLJ 10 (2009) 1267, 1273 f.; Sauer, ZRP 2009, 195, 196 f. 489 Vgl. Frenz, DVBl. 2009, 374, 375; Frenz, EWS 2009, 297, 302; Niedobitek, GLJ 10 (2009) 1267, 1274. 480 481

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

kontrolle durch das BVerfG allenfalls darum gehen, ob der EuGH selbst die Kompetenzordnung verletzt, indem seine Rechtsprechung den Boden des geltenden Rechts verlässt.490 Dies ist aber nicht schon dann der Fall, wenn man anderer Meinung sein kann, sondern erst dann, wenn es kein rechtlich vertretbares Argument für ein vom EuGH gefälltes Urteil gibt. Dabei lässt das BVerfG offen, ob es bereits bei einer einzigen, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt haltbaren EuGH-Entscheidung seine Ultra-vires-Kontrolle ausüben wird, oder ob es erst einschreiten wird, wenn sich eine Tendez feststellen lässt, dass die EU-Organe einschließlich des EuGH generell nicht mehr bereit sind, die Kompetenzordnung zu respektieren.491 Einerseits fehlt im Lissabon-Urteil eine dem Solange II-Vorbehalt entsprechende Formulierung, wonach das BVerfG seine Integrationsverantwortung erst dann ausüben wird, wenn Rechtsschutz gegen Kompetenzverletzungen auf Unionsebene generell nicht mehr gewährleistet ist.492 Andererseits verweist das BVerfG aber selbst darauf, dass es seine Grundrechtskontrolle im Vertrauen auf die entsprechende Wahrnehmung durch den EuGH zurückgestellt hat493, wodurch zugleich die Fortgeltung der Solange II-Rechtsprechung bestätigt wird.494 Es erinnert im Zusammenhang mit den Ausführungen zur Ultra-vires-Kontrolle auch daran, dass sowohl der Integrationsauftrag des Grundgesetzes, als auch das europäische Vertragsrecht mit der Idee einer unionsweiten Rechtsgemeinschaft die Beschränkung der Ausübung mitgliedstaatlicher Rechtsprechungsgewalt fordern.495 Die aus Sicht des BVerfG notwendige Kontrolle sei sehr zurückgenommen und exzeptionell zu verstehen.496 Damit zeigt das BVerfG, dass es die Ultra-vires-Kontrolle als Ausnahme ansieht und restriktiv handhaben werde. Zudem will das Bundesverfassungsgericht nicht bei jeder Kompetenzverletzung einschreiten, sondern nur bei „ersichtlichen“.497 Berücksichtigt man, dass die Unanwendbarerklärung von Unionsrecht in Deutschland mit Blick auf die einheitliche Rechtsanwendung von großer Brisanz ist und dass das BVerfG seine Kontrolle europarechtsfreundlich ausüben will, so spricht viel dafür, dass das BVerfG auch das Fehlerkalkül respektieren wird, welches durch Schaffung des EuGH als Kontrollinstanz von den Mitgliedstaaten hingenommen wurde. Vor diesem Hintergrund geben die Ausführungen des BVerfG im Lissabon-Urteil Anlass zu der Annahme, dass das BVerfG den Anwendungsvorrang des Unionsrechts grundsätzlich respektiert und von seinem Kompetenzkontrollvorbehalt erst Gebrauch So auch Frenz, EWS 2009, 297, 302; Sauer, ZRP 2009, 195, 196. Calliess, FAZ Nr. 198 v. 27.8.2009, 8. 492 Schorkopf, GLJ 10 (2009) 1219, 1232. 493 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 337. 494 Frenz, VA 2009, 475, 478 f.; Thym, CMLRev. 2009, 1795, 1807. 495 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 337. 496 Vgl. BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 238. 497 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 240, was in der Literatur zum Teil mit „offensichtlich“ gleichgesetzt wird, vgl. Hillgruber, FAZ Nr. 210 v. 10.9.2009, 8. 490 491

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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machen wird, wenn sich die Tendenz feststellen lässt, dass die Zuständigkeitsgrenzen auf europäischer Ebene nicht mehr beachtet werden.498

c) Zwischenergebnis Das BVerfG erkennt den Vorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Recht, einschließlich des Verfassungsrechts, grundsätzlich an. Es behält sich zwar eine Ultra-vires-Kontrolle vor. Dennoch ist aufgrund der Ausführungen des BVerfG im Lissabon-Urteil davon auszugehen, dass auch das BVerfG einen Konflikt zwischen dem unbedingten Geltungsanspruch des Gemeinschafts- und Unionsrechts aus europäischer Perspektive und der Annahme eines Vorrangs nur kraft verfassungsrechtlicher Ermächtigung aus nationaler Perspektive pragmatisch vermeiden will. So erkennt das BVerfG an, dass in erster Linie der EuGH zur Kompetenzkontrolle berufen ist. Es wird daher seinen Kontrollanspruch in loyaler Zusammenarbeit mit dem EuGH wahrnehmen und die für sich reklamierte Letztkontrollkompetenz so lange nicht ausüben, als die Einhaltung der Kompetenzgrenzen auf europäischer Ebene generell gewährleistet ist. Beim gegenwärtigen Stand der Integration wird die Einhaltung der Zuständigkeitsgrenzen durch den EuGH wirksam kontrolliert. Demnach ist der Vorrang der Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen auch in Deutschland gewährleistet.

3. Relativierung des Vorrangs durch eine Verfassungsidentitätskontrolle? a) Begründung der Identitätskontrolle durch das BVerfG Das BVerfG behält sich im Lissabon-Urteil aber nicht nur eine Ultra-vires-Kontrolle vor. Es beansprucht darüber hinaus auch die Prüfung, ob der „unantastbare Kerngehalt der Verfassungsidentität des Grundgesetzes nach Art. 23 I 3 GG in Verbindung mit Art. 79 III GG“ gewahrt ist.499 Denn keinem Verfassungsorgan sei die Kompetenz eingeräumt, die nach Art. 79 III GG grundlegenden Verfassungsprinzipien zu verändern.500 Die grundgesetzliche Ermächtigung zur Integration in eine europäische Union gelte nur bis zur Grenze der unverfügbaren Verfassungsidentität gem. Art. 79 III GG.501 Die von Art. 79 III GG, 20 I GG geschützte demokratische Teilhabe erfordere, dass das deutsche Volk nach wie vor über wesentliche politische Sachverhalte selbst bestimmen kann.502 Demzufolge müssten dem deutschen 498 499 500 501 502

So auch Sauer, ZRP 2009, 195, 196; A. A. Schorkopf, GLJ 10 (2009) 1219, 1232. BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 240 unter Verweis auf BVerfGE 113, 273, 296. BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 218. BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 219. Vgl. BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 274.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

Gesetzgeber grundsätzlich substantielle Handlungs- und Gestaltungsspielräume verbleiben.503 Allerdings beschränkt das BVerfG auch diese Prüfungskompetenz.504 Zum einen behält sich das BVerfG das Kontrollmonopol vor.505 Zum anderen betont das BVerfG, dass auch die Identitätskontrolle dem Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes folge und dem europarechtlichen Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nicht widerspreche.506 Denn der Lissaboner Vertrag respektiere gem. Art. 4 II 1 EUV-Lissabon die nationale Identität der Mitgliedstaaten507, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen zum Ausdruck komme.508 Damit gehen die verfassungsmäßige und die unionsrechtliche Gewährleistung der nationalen Verfassungsidentität im europäischen Rechtsraum Hand in Hand.509 b) Zustimmung im Schrifttum Diese Ausführungen des BVerfG finden im Schrifttum nur vereinzelt Zustimmung. Die Zustimmung bezieht sich darauf, dass das BVerfG die Identitätskontrolle zu Recht aus Art. 23 I 3 GG, der auf Art. 79 III GG verweist, abgeleitet habe. Denn die europäische Integration könne nach nationalem Verfassungsrecht nur so weit gehen, wie die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG, mit der die Grundsätze des Art. 1 und 20 GG für unabänderlich erklärt werden, nicht verletzt wird. Denn das Grundgesetz lasse eine völlig schrankenlose Integration gerade nicht zu. Sonst würde Art. 23 I 3 GG nicht auf Art. 79 III GG verweisen.510 Allerdings werden die in Art. 79 III GG geschützten Grundsätze auch von der EU respektiert.511 Daher sei es nicht nur legitim, auf die rechtsstaatliche Einhegung des Integrationsprozesses zu bestehen, sondern auch europarechtskonform.512 Positiv aufgenommen wird auch die Tatsache, dass das BVerfG sich zum Vorrang des Europarechts bis zu den unveräußerlichen Grundsätzen des Art. 79 III GG bekennt und damit den Vorrang vor weiten Teilen der Verfassung respektiere.513 ZuBVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 249 ff. BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 240 f. 505 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 241 u. 337. 506 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 240. 507 Die nationale Identität der Mitgliedstaaten hatte die EU auch bisher zu achten gem. Art. 6 III EU. 508 Während Art. 4 II 1 EUV-Lissabon nur von den Mitgliedstaaten spricht, spricht das BVerfG von den Strukturen souveräner Mitgliedstaaten. 509 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 240. 510 Hillgruber, FAZ Nr. 210 v. 10.9.2009, 8. 511 Hillgruber, FAZ Nr. 210 v. 10.9.2009, 8. 512 Hillgruber, FAZ Nr. 210 v. 10.9.2009, 8. 513 So der fiktive Justus Lipsius bei Mayer, WHI-Paper 07 / 09, 6. 503 504

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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dem sei zu berücksichtigen, dass die europäische Ebene nicht die Grenze des Art. 79 III GG zu bestimmen vermag. Daher könne nur das BVerfG über die Einhaltung dieser Grenze wachen.514 c) Ablehnung im Schrifttum Die vom BVerfG für sich beanspruchte Verfassungsidentitätskontrolle wird im Schrifttum jedoch auch heftig kritisiert. aa) Ewigkeitsklausel gegen Europa? Die Kritik richtet sich zunächst dagegen, dass das BVerfG die Ewigkeitsklausel des Art. 79 III GG gegen die europäische Integration in Ansatz bringt.515 Die Ewigkeitsklausel sei zuförderst dazu geschaffen, die Deutschen vor sich selbst zu schützen und vor einem Rückfall in die menschenverachtende Diktatur.516 Die Integration in Europa diene aber gerade der Völkerverständigung. Die EU ist auf Demokratie und den Schutz der Menschenrechte verpflichtet. Die Beteiligung an der Integration diene somit gerade der Vorkehrung gegen Tyrannei und Unfreiheit. Die Ewigkeitsklausel gegen Europa ins Feld zu führen wird daher abgelehnt.517 Des Weiteren wird in der Literatur daran erinnert, dass es gerade die Mitgliedschaft in den Europäischen Gemeinschaften war, die es dem besetzten Deutschland ermöglichte, seine volle Souveränität nach innen und außen wieder zu erlangen.518 Dem widerspreche es jedoch, diese durch die europäische Integration erst wiedergewonnene Souveränität nun gegen ein weiteres Zusammenwachsen ins Feld zu führen.519 514 So der fiktive Justus Lipsius bei Mayer, WHI-Paper 07 / 09, 6; Schorkopf, EuZW 2009, 718, 722. 515 Calliess, FAZ Nr. 198 v. 27.8.2009, 8; Halberstam / Möllers, GLJ 10 (2009) 1241, 1254; Leibfried / van Elderen, GLJ 10 (2009) 1297, 1303; ebenso der fiktive Justus Lipsius bei Mayer, WHI-Paper 07 / 09, 4; Schönberger, GLJ 10 (2009) 1201, 1203; Thym, CMLRev. 2009, 1795, 1797. 516 Leibfried / van Elderen, GLJ 10 (2009) 1297, 1303; der fiktive Justus Lipsius bei Mayer, WHI-Paper 07 / 09, 3; Schönberger, GLJ 10 (2009) 1201, 1208; Thym, CMLRev. 2009, 1795, 1797. 517 Halberstam / Möllers, GLJ 10 (2009) 1241, 1254; Leibfried / van Elderen, GLJ 10 (2009) 1297, 1303; ebenso der fiktive Justus Lipsius bei Mayer, WHI-Paper 07 / 09, 4. 518 Grosser, GLJ 10 (2009) 1263, 1266; Leibfried / van Elderen, GLJ 10 (2009) 1297, 1303 f. 519 Classen, JZ 2009, 881, 889; Grosser, GLJ 10 (2009) 1263, 1266; Leibfried / van Elderen, GLJ 10 (2009) 1297, 1303 f.; schon Art. 7 II des Vertrags über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten v. 26.5.1952 i.d.F. v. 23.10.1954 (BGBl. 1955 II, 306) sprach ausdrücklich von einem wiedervereinigten Deutschland, „das in die europäische Gemeinschaft integriert ist“.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

bb) Begründungsdefizite bei der Definition des Bereichs integrationsfester Verfassungsidentität Kritisiert wird auch, dass das BVerfG die an Art. 79 III GG anknüpfende Identitätskontrolle mit an anderer Stelle im Urteil aufgezählten nationalen Zuständigkeitsreservaten520 koppelt.521 Erstens sei nicht nachvollziehbar, anhand welcher Kritierien das BVerfG den integrationsfesten Kern nationaler Verfassungsidentität definiert.522 Dass diese Aufgabenfelder „seit jeher“523 als besonders sensibel für die demokratische Selbstgestaltungsfähigkeit eines Verfassungsstaates gelten, wird im Schrifttum bezweifelt.524 Die Aufzählung des BVerfG vermittle den Eindruck, dass die angeführten Gebiete nur deshalb als Kernkompetenzbereiche ausgewählt wurden, weil gerade in diesen Bereichen die Integration bisher noch nicht weit fortgeschritten sei.525 Die Theorie des BVerfG zu den Kernkompetenzfeldern des Staates sei daher ein posthoc-Argument, um ein faktisch durch die bestehende Integration vorgegebenes Ergebnis nicht noch nachträglich in Frage zu stellen.526 Das BVerfG argumentiere daher eher mit politischer Zweckmäßigkeit denn mit verfassungsrechtlichen Vorgaben.527 Zweitens habe sich das BVerfG unzulässigerweise in den politischen Prozess eingemischt.528 Das BVerfG formuliere für die Zukunft die unabänderlichen Grenzen der möglichen Hoheitsrechtsübertragung. In einer konstitutionellen Demokratie sei dies aber nicht unproblematisch, da es die politische Debatte um die Reichweite der europäischen Integration endgültig für die Zukunft beschneide.529 Die Möglichkeit des BVerfG, Verfassungsänderungen zu kassieren und sich damit über den demokratisch legitimierten politischen Prozess hinwegzusetzen, müsse eine eng zu fassende Ausnahme bleiben.530 Da Art. 79 III GG vage formuliert sei, rechtfertige weBVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 252. Calliess, FAZ Nr. 198 v. 27.8.2009, 8; Classen, JZ 2009, 881, 887; Nettesheim, FAZ Nr. 198 v. 27.8.2009, 8. 522 Editorial Comments, CMLRev. 2009, 1023, 1032; Halberstam / Möllers, GLJ 10 (2009) 1241, 1250; Nettesheim, FAZ Nr. 198 v. 27.8.2009, 8; Terhechte, EuZW 2009, 724, 730 spricht von einer Staatsaufgabenlehre, die „aus dem Boden gestampft“ wird. 523 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 252. 524 Halberstam / Möllers, GLJ 10 (2009) 1241, 1250. 525 Halberstam / Möllers, GLJ 10 (2009) 1241, 1250; Schönberger, GLJ 10 (2009) 1201, 1209. 526 Halberstam / Möllers, GLJ 10 (2009) 1241, 1250; Schönberger, GLJ 10 (2009) 1201, 1209. 527 Schönberger, GLJ 10 (2009) 1201, 1209. 528 Nettesheim, FAZ Nr. 198 v. 27.8.2009, 8; Nettesheim, NJW 2009, 2867, 2868. 529 Calliess, NJW-aktuell 30 / 2009, XIV, XIV; Classen, JZ 2009, 881, 887; Schönberger, GLJ 10 (2009) 1201, 1208. 530 Schönberger, GLJ 10 (2009) 1201, 1208. 520 521

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

253

der der Text des Grundgesetzes noch seine Entstehungsgeschichte, dass das BVerfG die Grenzen der verfassungsrechtlich möglichen Integration im Lissabon-Urteil verabsolutiere.531 Das BVerfG erkläre nicht, warum die Richter besser in der Lage seien als die Institutionen des politischen Prozesses, zu beurteilen, warum eine bestimmte Zuständigkeit so wichtig sei, dass sie nicht der EU überantwortet werden könne.532 Die Ausführungen des BVerfG zu den Kernkompetenzen des Staates seien daher nicht überzeugend.533 d) Reichweite des Identitätskontrollanspruchs des BVerfG aa) Reichweite unter dem Vertrag von Lissabon Zwar scheinen auf den ersten Blick nur zukünftige Änderungen des Vertrags von Lissabon erfasst, da das BVerfG das Zustimmungsgesetz zu diesem Vertrag gerade für mit dem GG vereinbar erklärt hat.534 Problematisch ist jedoch, dass dies zum Teil nur unter der Bedingung einer engen Auslegung bestimmter Kompetenzvorschriften geschehen ist. Das BVerfG hält das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon nicht per se für verfassungsgemäß, sondern gerade nur „nach Maßgabe der Gründe“.535 Dies bedeutet, dass die Anwendung und Auslegung des Lissaboner Vertrags nicht nur in Deutschland, sondern auch auf europäischer Ebene die vom BVerfG aufgestellten Vorgaben wahren müsste. Daher ist nicht auszuschließen, dass zukünftig auch Sekundärrechtsakte der EU, die einen der vom BVerfG benannten Bereiche des Kernbereichs staatlicher Souveränität berühren, die Identitätskontrolle auslösen könnten.536 Insbesondere könnte sich ein Konflikt zwischen Unionsrecht und Verfassungsrecht durch eine entgegen den Vorgaben des BVerfG vorgenommene extensive Auslegung des Primär- oder Sekundärrechts ergeben.537 Die Heraufbeschwörung derartiger Konflikte wird in der Literatur kritisiert: Wenn das BVerfG tatsächlich annimmt, dass durch die Anwendung des Vertrags von Lissabon die Kernkompetenzen des Staates berührt werden könnten, so hätte es auch die Konsequenz tragen müssen und das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon ohne Nettesheim, FAZ Nr. 198 v. 27.8.2009, 8; Nettesheim, NJW 2009, 2867, 2868. Nettesheim, FAZ Nr. 198 v. 27.8.2009, 8; Nettesheim, NJW 2009, 2867, 2868. 533 Classen, JZ 2009, 881, 887; Schönberger, GLJ 10 (2009) 1201, 1209 f. 534 Calliess, FAZ Nr. 198 v. 27.8.2009, 8; Terhechte, EuZW 2009, 724, 729 f. 535 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 207, 420; kritisch Classen, JZ 2009, 881, 888; Frenz, EWS 2009, 345, 348; Niedobitek, GLJ 10 (2009) 1267, 1267. 536 Calliess, FAZ Nr. 198 v. 27.8.2009, 8. 537 Frenz, EWS 2009, 297, 298; Frenz, EWS 2009, 345, 348; Gärditz / Hillgruber, JZ 2009, 877; Schorkopf, GLJ 10 (2009) 1219, 1234. Aktuell werden könnte der Kontrollvorbehalt des BVerfG bei den vor dem BVerfG anhängigen Verfahren in der Rechtssache Honeywell (Az. 2 BvR 2661 / 06) und den Verfahren zur Vorratsdatenspeicherung (Az. 2 BvR 256 / 08 sowie 2 BvE 1 / 08). 531 532

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

einen deutschen „Kernkompetenzvorbehalt“ für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklären müssen.538 bb) Keine Auswirkung auf den EU-Vertrag in der Fassung von Nizza Unabhängig von der soeben aufgezeigten Kritik539 stellt sich die Frage, ob die vom BVerfG beanspruchte Verfassungsidentitätskontrolle nur zu Spannungen mit den vertraglichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland unter dem Vertrag von Lissabon führen kann, oder ob vielmehr auch der EU-Vertrag in der Fassung des Vertrags von Nizza vom Identitätskontrollanspruch des BVerfG berührt wird. Dies wäre der Fall, wenn es unter dem EU-Vertrag in der Fassung des Vertrags von Nizza ebenfalls zu Situationen kommen könnte, in denen die von Art. 79 III GG geschützen Belange berührt würden. Dann würde die Identitätskontrolle auch beim Erlass und der Auslegung von Rahmenbeschlüssen eine Rolle spielen und gegebenenfalls die Gewährung des Vorranganspruchs der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus nationaler Perspektive relativieren. Im Bereich von Rahmenbeschlüssen wäre ein Konfliktpotential im Bereich des Straf- und Strafverfahrensrechts denkbar. Denn das BVerfG zählt zu den Materien, die die Identität nationaler Verfassungsstaatlichkeit ausmachen, auch das formelle und materielle Strafrecht.540 Die Sicherung des Rechtsfriedens in Gestalt der Strafrechtspflege sei seit jeher eine zentrale Aufgabe staatlicher Gewalt.541 Daher dürfe in diesem grundrechtsbedeutsamen Bereich eine Übertragung von Hoheitsrechten über die intergouvernementale Zusammenarbeit hinaus nur für bestimmte grenzüberschreitende Sachverhalte unter restriktiven Voraussetzungen zu einer Harmonisierung führen.542 Der Vertrag von Lissabon biete jedoch hinreichende Anhaltspunkte für eine verfassungskonforme Auslegung, sodass das Zustimmungsgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar sei.543 Diese verfassungskonforme Auslegung verlange jedoch, die vertraglichen Kompetenzgrundlagen für Straf- und Strafverfahrensnormen im Vertrag von Lissabon strikt auszulegen.544 Das bedeutet, dass das BVerfG den Vertrag von Lissabon und darauf gestützte Rechtsakte nur mit der Maßgabe für vereinbar mit Art. 79 III GG hält, dass die Kompetenzen im Bereich des Straf- und Strafverfahrensrechts restriktiv ausgeübt werden. Das BVerfG behält sich daher eine Identitätskontrolle vor, mit der es die 538 Gärditz / Hillgruber, JZ 2009, 878; Meyer, NStZ 2009, 657, 661; Schönberger, GLJ 10 (2009) 1201, 1202. 539 s. o. 3. Teil: B.II.3.c). 540 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 252 f.; kritisch Classen, JZ 2009, 881, 887. 541 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 355. 542 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 253; BVerfGE 113, 273, 298 f. 543 Vgl. BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 362. 544 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 358 ff.

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

255

Einhaltung der Grenzen der Integrationsermächtigung aus Art. 23 I 2 GG, 79 III GG überwachen kann. Fraglich ist, ob eine über die Ultra-vires-Kontrolle hinausgehende Identitätskontrolle auch für Rahmenbeschlüsse, die auf Grundlage der PJZS gem. Art. 34 II 2 lit. b EU erlassen wurden, verfassungsrechtlich notwendig ist. Dies wäre der Fall, wenn zur Vermeidung eines Eingriffs in die vom BVerfG formulierten Kernkompetenzen des Staates gem. Art. 79 III GG auch der Erlass oder die Auslegung von Rahmenbeschlüssen engen Grenzen unterliegen müssten. Auf den ersten Blick scheint auch in der PJZS eine restriktive Auslegung geboten, da auch die Rahmenbeschlüsse in der PJZS im sensiblen Bereich des Straf- und Strafverfahrensrechts ergehen. Doch dabei würde übersehen, dass das BVerfG die Grenze des Art. 79 III GG gerade deshalb im Lissabon-Urteil ins Spiel bringt, um die demokratische Rückkoppelung europäischer Entscheidungen an das deutsche Staatsvolk auch nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zu sichern. Die Ausführungen des BVerfG stehen im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Entstaatlichung durch Zuständigkeitserweiterungen der EU nach dem Vertrag von Lissabon.545 Eine restriktive Auslegung der Art. 29 ff. EU wäre somit nur dann gefordert, wenn andernfalls dem deutschen Gesetzgeber unter dem EU-Vertrag in der Fassung des Vertrags von Nizza keine hinreichende Gestaltungsbefugnis im Bereich des Straf- und Strafverfahrensrechts verbliebe. Es ist daher zu untersuchen, ob die Vorschriften, die nach dem Vertrag von Lissabon die Gefahr einer Entleerung der staatlichen Kompetenzen verursachen, auch bereits in der PJZS bestehen. Die Gefahr, dass die staatlichen Kernkompetenzen ausgehölt werden, sieht das BVerfG nach dem Vertrag von Lissabon gerade darin, dass die Zuständigkeiten der EU vertragsimmanent durch einen Ratsbeschluss erweitert werden können.546 Der Rat kann nach dem Vertrag von Lissabon gem. Art. 83 I UA 3 S. 1 AEUV die Kriminalitätsbereiche, in denen Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen erlassen werden können, erweitern. Auch im Strafverfahrensrecht können gem. Art 82 II lit. d AEUV „sonstige Aspekte“ durch Ratsbeschluss bestimmt werden, die dann unionsrechtlich geregelt werden können. Auch die Befugnisse von Eurojust können ohne Vertragsänderung erweitert werden gem. Art. 85 I, 86 AEUV. Außerdem sieht Art. 86 AEUV die Möglichkeit der Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union vor. Zudem wird der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung in Art. 82 I AEUV primärrechtlich fixiert. Damit sieht der Lissaboner Vertrag eine starke qualitative Erweiterung der Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung vor.547 Zudem gilt nach dem Vertrag von Lissabon grundsätzlich das ordentliche Gesetz545 546 547

BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 240, 351 f. BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 351 ff. Meyer, NStZ 2009, 657, 662.

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3. Teil: Geltungsgrund und Rang der Pflicht – eigener Lösungsansatz

gebungsverfahren und damit nicht mehr das Einstimmigkeitsprinzip. Damit kann eine Harmonisierung auch gegen den Willen der Bundesrepublik Deutschland im Bereich des Straf- und Strafverfahrensrechts erfolgen. Denn das „Notbremse-Verfahren“ ist nicht auf alle Regelungsgegenstände anwendbar. Gerade diese Aspekte könnten nach Ansicht des BVerfG zu einem Übergriff in die Kernkompetenzen des staatlichen Gesetzgebers führen548 und so die Identitätskontrolle auslösen. Im Umkehrschluss folgt daraus aber, dass die Identitätskontrolle im Bereich der bestehenden Zuständigkeiten unter dem EU-Vertrag in der Fassungs des Vertrags von Nizza keinen Anwendungsbereich haben wird. Denn die vom BVerfG benannten Gefahren bestehen dort gerade nicht.549 In der PJZS kann der Rat nur einstimmig Rechtsakte erlassen. Das Einstimmigkeitserfordernis kann auch nicht vertragsimmanent geändert werden. Zudem besteht keine Möglichkeit, die bestehenden Kompetenzen der EU in der PJZS ohne eine Vertragsrevision zu erweitern. Schließlich erkennt auch das BVerfG im LissabonUrteil an, dass sich die Mitgliedstaaten bislang nur in einzelnen Bereichen darauf verständigt haben, Straf- und Strafverfahrensvorschriften zu schaffen, die den Bedingungen europäischer grenzüberschreitender Sachverhalte Rechnung tragen.550 Eine Entleerung staatlicher Kompetenzen fand demnach nicht statt und konnte ohne die Möglichkeit vertragsimmanenter Zuständigkeitserweiterungen auch nicht erfolgen. Eine Annexkompetenz, wie in Art. 308 EG bzw. Art. 352 AEUV ist in der PJZS ebenfalls nicht vorgesehen. Demzufolge kann die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland und das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes auch nicht durch den Erlass von Rahmenbeschlüssen bedroht werden. Für eine Identitätskontrolle besteht daher keine Rechtfertigung.551 Daraus folgt, dass unabhängig davon, ob man die vom BVerfG aufgestellten Maßgaben im Lissabon-Urteil für gerechtfertigt hält oder nicht, ein Identitätskontrollanspruch des BVerfG nicht den Vorranganspruch der Verpflichtung zur Umsetzung eines Rahmenbeschlusses relativiert. e) Zwischenergebnis Zwar behält sich das BVerfG im Lissabon-Urteil eine Verfassungsidentitätskontrolle vor. Diese Verfassungsidentitätskontrolle kann jedoch nicht durch den Erlass oder die Auslegung von Maßnahmen im Bereich der PJZS ausgelöst werden. Der BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 351 ff. A.A. Gärditz / Hillgruber, JZ 2009, 879. 550 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 357. 551 Allenfalls wäre insoweit an die Ultra-vires-Kontrolle zu denken, die jedoch bei zurückhaltender Handhabung den Vorrang des Unionsrechts vor dem Verfassungsrecht nicht in Frage stellt; s. o. 3. Teil: B.II.2.b). 548 549

B. Vorrang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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Vorrang der Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen wird somit durch das Lissabon-Urteil des BVerfG nicht berührt.

III. Ergebnis Im 3. Teil dieser Arbeit wurde herausgearbeitet, dass der Geltungsgrund für die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung im Unionsrecht liegt. Es konnte gezeigt werden, dass die Mitgliedstaaten auch in der dritten Säule Hoheitsrechte auf die EU übertragen haben. Mit dem Erlass von Rahmenbeschlüssen üben die Unionsorgane diese Hoheitsrechte aus. Daher gilt die Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU unmittelbar im innerstaatlichen Rechtskreis. Diese Verpflichtung bindet daher die innerstaatlichen Stellen auch ohne einen zwischengeschalteten nationalen Rechtsanwendungsbefehl. Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU beansprucht Vorrang vor entgegenstehendem nationalem Recht, einschließlich des Verfassungsrechts. Selbst wenn man mit dem BVerfG davon ausginge, dass dieser Vorrang nur kraft verfassungsrechtlicher Ermächtigung bestünde, gäbe es derzeit für das BVerfG keinen Grund, seine beanspruchten Kontrollkompetenzen auszuüben. Denn zum einen sind die Grundsätze der Solange II-Rechtsprechung auf die Umsetzung von Rahmenbeschlüssen übertragbar, zum anderen ist davon auszugehen, dass das BVerfG eine Ultra-vires-Kontrolle allenfalls unter engen Voraussetzungen, behutsam und unter Beachtung des Loyalitätsgrundsatzes in Kooperation mit dem EuGH ausüben wird. Das bedeutet, dass die innerstaatlichen Stellen unmittelbar und vorrangig an die Verpflichtung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU gebunden sind. Sie müssen die Ziele des Rahmenbeschlusses in nationales Recht umsetzen und bei defizitärer gesetzlicher Umsetzung eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Rechts vornehmen. Die Rechtsprechung des EuGH zur richtlinienkonformen Auslegung ist somit auf Rahmenbeschlüsse übertragbar. Wie im folgenden Kapitel gezeigt werden soll, gilt dies auch für Inhalt und Umfang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung.

4. Teil

Inhalt und Umfang der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung In der Rechtssache Pupino stellte sich der EuGH die Frage, ob die Verpflichtung nationaler Behörden, ihr innerstaatliches Recht richtlinienkonform auszulegen, mit den gleichen Wirkungen und Grenzen gilt, wenn es sich bei dem in Rede stehenden Rechtsakt nicht um eine Richtlinie, sondern um einen Rahmenbeschluss gem. Titel VI EU-Vertrag handelt.1 Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass der Grundsatz konformer Auslegung nicht nur auf Richtlinien, sondern auch auf Rahmenbeschlüsse anzuwenden sei.2 Soweit eine innerstaatliche Stelle das nationale Recht bei dessen Anwendung auszulegen hat, muss es seine Auslegung so weit wie möglich am Wortlaut und am Zweck des Rahmenbeschlusses ausrichten, um das mit ihm angestrebte Ziel zu erreichen und so Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU nachzukommen.3 Mit dieser Aussage überträgt der EuGH auch Inhalt und Umfang der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse.4

A. Umsetzungsverpflichtete Stellen Die Verpflichtung zur Umsetzung eines Rahmenbeschlusses obliegt allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, auch den Gerichten.5 Das bedeutet, dass alle innerstaatlichen Stellen im Rahmen ihrer Zuständigkeit das nationale Recht rahmenbeschlusskonform auslegen und anwenden müssen. Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung hängt insbesondere nicht davon ab, dass ein Mitgliedstaat eine Unterwerfungserklärung für Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 35 II EU abgegeben hat. Da die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU folgt und diese VorEuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 31. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 43; v. Unger, NVwZ 2006, 46, 48 f. 3 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 43. 4 Öhlinger, in: Schroeder, Europarecht als Mehrebenensystem, 11, 18; Wehnert, NJW 2005, 3760, 3760. 5 In Bezug auf Richtlinien std. Rspr. seit EuGH, Rs. 14 / 83 (Von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rn. 26; Schumann, in: Lachmayer / Bauer, Praxiswörterbuch Europarecht, „Rahmenbeschlusskonforme Auslegung“, 721. 1 2

B. Bestimmung des auszulegenden nationalen Rechts

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schrift für alle Mitgliedstaaten gilt, sind auch die innerstaatlichen Stellen der Mitgliedstaaten, die keine Erklärung gem. Art. 35 II EU abgegeben haben, zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung verpflichtet.6

B. Bestimmung des auszulegenden nationalen Rechts Das Gebot der rahmenbeschlusskonformen Auslegung verlangt, dass die innerstaatlichen Stellen das gesamte nationale Recht berücksichtigen müssen, um zu beurteilen, inwieweit das nationale Recht so angewendet werden kann, dass kein dem Rahmenbeschluss widersprechendes Ergebnis erzielt wird.7 Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ist daher nicht auf Normen beschränkt, die zur Umsetzung eines Rahmenbeschlusses erlassen wurden.8

I. Auslegungspflicht unabhängig vom Zeitpunkt des Erlasses des nationalen Rechts Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung erfasst das gesamte nationale Recht. Daraus folgt, dass das nationale Recht unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens in Übereinstimmung mit den Vorgaben eines Rahmenbeschlusses auszulegen ist.9 Die Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung erstreckt sich somit auf jede innerstaatliche Norm, auch wenn sie nicht ausdrücklich in Umsetzung des Rahmenbeschlusses erlassen wurde10 und auch wenn sie schon vor Erlass des Rahmenbeschlusses bestanden hat.11

II. Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des Verfassungsrechts Die Umsetzungsverpflichtung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU hat Vorrang vor dem nationalen Recht, auch vor dem Verfassungsrecht.12 Denn im Gegensatz zu den 6 So zutreffend auch Herrmann, EuZW 2005, 436, 438; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 333; Lorenzmeier, ZIS 2006, 576, 580; Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch europäische Rahmenbeschlüsse, 58. 7 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 47. 8 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 346; Killmann, JBl. 2005, 566, 572. 9 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 344; Killmann, JBl. 2005, 566, 572. 10 Killmann, JBl. 2005, 566, 572; Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch europäische Rahmenbeschlüsse, 74. 11 Killmann, JBl. 2005, 566, 572; Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch europäische Rahmenbeschlüsse, 74. 12 s. o. 3. Teil: B.II.1.c).

260

4. Teil: Umfang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

Übereinkommen gem. Art. 34 II 2 lit. d EU steht die Verbindlichkeit des Rahmenbeschlusses gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU gerade nicht unter einem Verfassungsvorbehalt. Daraus folgt, dass die Pflicht zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen und damit auch die daraus folgende Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung in Bezug auf das gesamte nationale Recht, einschließlich des Verfassungsrechts, besteht.13 Es sind nicht etwa die Vorgaben des Rahmenbeschlusses am Maßstab des Verfassungsrechts auszulegen, sondern es muss gegebenenfalls das Verfassungsrecht selbst rahmenbeschlusskonform ausgelegt werden.

III. Vorrang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung vor der verfassungskonformen Auslegung des nationalen Rechts Aufgrund des Vorrangs der Umsetzungsverpflichtung vor entgegenstehendem nationalen Recht ist eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung auch dann vorzunehmen, wenn die Auslegung des einfachen Rechts nicht zugleich verfassungskonform wäre.14 Potentielle Widersprüche von Verfassungsrecht und Unionsrecht müssen so aufgelöst werden, dass ein rahmenbeschlusskonformes Ergebnis bei der Anwendung des nationalen Rechts erzielt werden kann. Das bedeutet, dass eine nationale Norm, die entweder rahmenbeschlusskonform oder verfassungskonform auslegbar ist, vorrangig in rahmenbeschlusskonformer Weise ausgelegt werden muss, sollte eine verfassungskonforme Auslegung nicht mit einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung vereinbar sein. Denn bei der Kooperation in der dritten Säule handelt es sich nicht nur um eine Zusammenarbeit klassisch völkerrechtlicher Art, die zwar völkerrechtliche Bindungen bejaht, jedoch die Letztverbindlichkeit des nationalen Verfassungsrechts nicht in Frage stellt. Im Bereich erlassener Rahmenbeschlüsse entzieht sich das unionsrechtlich determinierte nationale Recht der maßstabgebenden Kraft des Verfassungsrechts.15 Den innerstaatlichen Stellen steht nur die Wahl der Form und der Mittel der Umsetzung frei. Dies bedeutet aber zugleich, dass die Frage, „ob“ eine Umsetzung überhaupt stattfinden soll, nicht mehr von den innerstaatlichen Stellen verneint werden darf. Denn die unbedingte Verpflichtung zur Umsetzung eines Rahmenbeschlusses folgt aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU. Diese Verpflichtung bindet die 13 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 346; Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch europäische Rahmenbeschlüsse, 75; Schumann, in: Lachmayer / Bauer, Praxiswörterbuch Europarecht, „Rahmenbeschlusskonforme Auslegung“, 721. 14 So auch Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 568; a. A. Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 347. 15 So auch Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 574.

B. Bestimmung des auszulegenden nationalen Rechts

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innerstaatlichen Stellen unmittelbar.16 Das bedeutet, dass sich die innerstaatlichen Stellen nicht auf verfassungsrechtliche Hindernisse berufen können, um eine verspätete oder verweigerte Umsetzung zu rechtfertigen.17 Dies ist die Konsequenz, die aus dem Vorrang der Umsetzungsverpflichtung gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU zu ziehen ist.18 Wie oben bereits erörtert sind die Grundsätze der Solange II-Rechtsprechung auch auf den Erlass und Vollzug des nationalen Rechts im Anwendungsbereich eines Rahmenbeschlusses zu übertragen.19 Das bedeutet, dass das BVerfG Umsetzungs- und Vollzugsmaßnahmen im Bereich zwingender Rahmenbeschlussvorgaben nicht mehr am Maßstab des Grundgesetzes überprüft, solange ein auf Unionsebene im Wesentlichen dem Grundgesetz gleich zu achtender Grundrechtsstandard generell gewährleistet ist. Rechtsvorschriften, deren Auslegungsspielraum mehr umfasst, als mit dem Verfassungsrecht vereinbar wäre, sind zwar grundsätzlich verfassungskonform auszulegen. Ist allerdings durch eine verfassungskonforme Auslegung nicht zugleich ein rahmenbeschlusskonformes Ergebnis erzielbar, so ist einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung des einfachen Rechts der Vorzug vor einer verfassungskonformen Auslegung zu geben. Ein solches Vorgehen ist im Anwendungsbereich zwingender Vorgaben eines Rahmenbeschlusses erlaubt, da die unionsrechtliche Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung Vorrang auch vor dem Verfassungsrecht in Anspruch nimmt. Selbst wenn man davon ausginge, dass ein solcher Vorrang nicht absolut bestünde, wäre in konsequenter Fortführung der Solange II-Rechtsprechung des BVerfG der Vorrang des Unionsrechts vor dem Verfassungsrecht auch im nationalen Recht anzuerkennen. Demnach ist das rahmenbeschlusskonform ausgelegte Recht nicht mehr am Maßstab des Grundgesetzes, sondern am Maßstab der Gemeinschaftsgrundrechte zu prüfen. Bei Zweifeln an der Grundrechtskonformität ist von den deutschen Gerichten nicht das BVerfG, sondern der EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens anzurufen. Der EuGH kann eine umfassende Prüfung des Rahmenbeschlusses am Maßstab der Gemeinschaftsgrundrechte durchführen und dabei gegebenenfalls eine gemeinschaftsgrundrechtskonforme Auslegung eines Rahmenbeschlusses vornehmen. Die innerstaatlichen Stellen sind verpflichtet, die Vorgaben des Rahmenbeschlusses auch dann umzusetzen, wenn sie dabei von verfassungsrechtlichen Vorgaben s. o. 3. Teil: A.V.3.d). Bezüglich des Gemeinschaftsrechts vgl. EuGH, Rs. 11 / 70 (Internationale Handelsgesellschaft), Slg. 1970, 1125, Rn. 3 (zwar ging es in dem Vorabentscheidungsverfahren um die Geltung von Verordnungen, jedoch beziehen sich die Ausführungen des EuGH in Rn. 3 auf alle Gemeinschaftshandlungen und damit auch auf Richtlinien). 18 So auch Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 568. 19 s. o. 3. Teil: B.II.1.c). 16 17

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4. Teil: Umfang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

abweichen müssen. Eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung nationalen Rechts kann nicht unter Verweis auf verfassungsrechtliche Bedenken verweigert werden.20

C. Beginn der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung I. Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ab Ablauf der Umsetzungsfrist Kurz nach dem Urteil in der Rechtssache Pupino musste der EuGH zum Beginn der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung Stellung beziehen. Er entschied in der Rechtssache Adeneler, dass die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung erst mit dem Ablauf der Umsetzungsfrist besteht.21 Es spricht viel dafür, diese Entscheidung des EuGH auch auf den Beginn der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung zu übertragen.22 Denn zum einen hat der EuGH im Urteil Adeneler selbst auf Ausführungen in der Rechtssache Pupino verwiesen.23 Das bedeutet, dass er allgemeingültige Aussagen getroffen hat, die quasi „säulenunspezifisch“ sind und insoweit auch für die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung gelten. Zum anderen sind auch die Argumente, mit denen der EuGH den Beginn der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung bestimmt hat, auf die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung übertragbar. Denn nicht nur für die Umsetzung von Richtlinien, sondern auch für die Umsetzung von Rahmenbeschlüssen wird den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist eingeräumt. Erst nach Ablauf dieser Frist müssen alle Maßnahmen getroffen sein, damit europaweit die Ziele des Rahmenbeschlusses verwirklicht werden können.24 Das bedeutet, dass vor Ablauf der Umsetzungsfrist den Mitgliedstaaten Umsetzungsdefizite noch nicht zur Last gelegt werden können.25 Würde man eine Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist bejahen, so könnte die freie Wahl des Gesetzgebers, Form und Mittel der Umsetzung zu bestimmen, durch eine verfrühte rahmenbeschlusskonforme Auslegung unterlaufen werden.26 So auch Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 568. EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 124. 22 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 343; Lorenzmeier, ZIS 2006, 576, 582. 23 EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 110; Lorenzmeier, ZIS 2006, 576, 582. 24 Bzgl. Richtlinien EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 114; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 343. 25 Bzgl. Richtlinien EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 114; EuGH, Rs. C-129 / 96 (Inter-Environnement Wallonie), Slg. 1997, I-7411, Rn. 43. 20 21

D. Grenzen der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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Demzufolge besteht erst ab dem Ablauf der Umsetzungsfrist eine unionsrechtliche Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts.27

II. Frustrationsverbot vor Ablauf der Umsetzungsfrist Vor Ablauf der Umsetzungsfrist trifft die Mitgliedstaaten nur das Verbot, Maßnahmen zu treffen, die die fristgemäße Umsetzung eines Rahmenbeschlusses unmöglich machen würden.28 Dieses Frustrationsverbot betrifft aber nicht nur den zur legislativen Umsetzung berufenen Gesetzgeber, sondern alle innerstaatlichen Stellen.29 Aus dem Frustrationsverbot folgt, dass die innerstaatlichen Stellen, insbesondere die Gerichte, es ab Erlass eines Rahmenbeschlusses unterlassen müssen, durch ihre Auslegungspraxis die erfolgreiche, fristgerechte Umsetzung des Rahmenbeschlusses ernsthaft zu gefährden.30

D. Grenzen der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung besteht jedoch nicht unbeschränkt. Der EuGH überträgt aus dem Gemeinschaftsrecht auch die Grenzen der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse.31 Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung wird demnach begrenzt durch die Zuständigkeit der innerstaatlichen Stellen32, die Auslegungsfähigkeit des nationalen Rechts33 sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts34. 26 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 344; ebenso für Richtlinien bereits Götz, NJW 1992, 1849, 1854. 27 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 343 f.; bzgl. Richtlinien EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 115; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 68; Schumann, in: Lachmayer / Bauer, Praxiswörterbuch Europarecht, „Rahmenbeschlusskonforme Auslegung“, 721. 28 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 345; Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch europäische Rahmenbeschlüsse, 34; Schumann, in: Lachmayer / Bauer, Praxiswörterbuch Europarecht, „Rahmenbeschlusskonforme Auslegung“, 721; Weißer, ZIS 2006, 562, 569; bzgl. Richtlinien EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 121. 29 Bzgl. Richtlinien EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 122. 30 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 345; bzgl. Richtlinien EuGH, Rs. C-212 / 04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 123. 31 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 44 – 47; Herrmann, EuZW 2005, 436, 437; Streinz, JuS 2005, 1023, 1026; v. Unger, NVwZ 2006, 46, 47; Wehnert, NJW 2005, 3760, 3760. 32 Vgl. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 43. 33 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 47. 34 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 44.

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4. Teil: Umfang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

I. Zuständigkeit der innerstaatlichen Stellen Innerstaatliche Stellen sind nur im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts verpflichtet. Nur soweit eine Stelle für die Rechtsanwendung zuständig ist, obliegt ihr eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung und Anwendung des Rechts.35 Das Gewaltengefüge zwischen den innerstaatlichen Stellen in den Mitgliedstaaten wird durch die Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nicht berührt.

II. Keine Pflicht zur Auslegung contra legem Die Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung endet, wenn das nationale Recht nicht so ausgelegt werden kann, dass ein rahmenbeschlusskonformes Ergebnis erzielt wird.36 Der Grundsatz der konformen Auslegung darf nicht zu einer Auslegung contra legem des nationalen Rechts führen.37 Allerdings ist nicht nur eine konkrete Rechtsvorschrift des nationalen Rechts zu würdigen, sondern es muss gegebenenfalls das gesamte nationale Recht berücksichtigt werden, um zu beurteilen, inwieweit ein rahmenbeschlusskonformes Ergebnis durch Auslegung erzielt werden kann.38 Das Unionsrecht überlässt es der nationalen Rechtsordnung, die Grenzen seiner Auslegungsfähigkeit festzulegen.39 Demnach obliegt die Beurteilung, ob das nationale Recht rahmenbeschlusskonform ausgelegt werden kann, den innerstaatlichen Stellen.

1. Wortlaut und Zweck als äußerste Grenze der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung? Im nationalen Recht werden nach tradiertem Methodenverständnis die Grenzen der Auslegung durch den Wortsinn der auszulegenden Norm und den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers abgesteckt.40 Die deutsche Methodenlehre differenziert zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung. Rechtsfortbildung beginnt dort, wo der Wortlaut einer Norm entweder über- oder unterschritten wird.41 Demnach ist Gärditz / Gusy, GA 2006, 225, 234. EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 47. 37 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 47; Herrmann, EuZW 2005, 436, 438; Schroeder, EuR 2007, 349, 367. 38 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 47; Wehnert, NJW 2005, 3760, 3760. Zur Frage, welche Auslegung abstrakt möglich ist, vgl. umfassend Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 131 ff. 39 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 48. 40 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 135 m. w. N. 35 36

D. Grenzen der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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Rechtsfortbildung die positive Setzung konkret-individueller Rechtssätze, die vom Wortlaut des abstrakt-generellen Rechtssatzes nicht mehr gedeckt sind, sowie die Nichtsetzung konkret-individueller Rechtssätze, welche ein abstrakt genereller Rechtssatz getragen hätte.42 An dieser Definition wird zwar vereinzelt Kritik geübt, da die Wortlautgrenze nicht scharf zu ziehen sei43 und auch nicht klar sei, ob auf den historischen oder den geltungszeitlich veränderten Wortsinn abzustellen sei44. Dennoch ist es bei aller Unschärfe des Wortlauts möglich, im Hinblick auf einzelne Tatbestandmerkmale mit dem Wortlaut vereinbare Auslegungsergebnisse und unvereinbare Auslegungsergebnisse herauszufiltern.45 Hinsichtlich neutraler Ergebnisse sind weitere Auslegungsoperationen nötig, wobei der Wortlaut jedoch weder einer positiven, noch einer negativen Einordnung im Weg steht.46 Im Hinblick auf die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung ist mittlerweile auch die Pflicht einer systemkonformen Rechtsfortbildung anerkannt.47 Denn der EuGH hat für die richtlinienkonforme Auslegung klargestellt, dass die Pflicht zur konformen Auslegung auch eine Rechtsfortbildung umfasst, soweit das nationale Gericht zu einer solchen nach der nationalen Methodenlehre befugt ist.48 Ob die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ebenfalls die Pflicht zur Rechtsfortbildung umfasst, wird jedoch nach wie vor diskutiert. In der Literatur wird zwar überwiegend der Ansicht zugestimmt, dass die Möglichkeit eines Rechtsaktes, unmittelbar wirksam zu sein, an sich nicht mit der Pflicht zur konformen Auslegung zusammenhängt. Allerdings mehren sich die Stimmen, die auf die Gefahr hinweisen, dass der Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses durch eine überdehnte Anwendung der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung umgangen werden könnte.49 Es wird daher diskutiert, ob der Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit zumindest Auswirkungen 41 Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 441; Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 81; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 143; Larenz, Methodenlehre, 322 f. 42 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 143. 43 Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 39; Wank, ZGR 1988, 314, 317. 44 Wank, ZGR 1988, 314, 317. 45 Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 10; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 144; Jacobi, Methodenlehre der Normwirkung, 78 ff. 46 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 144; Jacobi, Methodenlehre der Normwirkung, 78. 47 Vgl. dazu ausführlich Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 134 ff.; Herrmann, EuZW 2005, 436, 437; BGHZ 150, 248, 259. 48 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-397 / 01 bis C-403 / 01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835, Rn. 116, 119; Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 81; Herresthal, EuZW 2007, 396, 397; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 134 ff.; Herrmann, EuZW 2005, 436, 437; Schürnbrand, JZ 2007, 910, 912; Thüsing, ZIP 2004, 2301, 2305. 49 Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551; v. Unger, NVwZ 2006, 46, 48.

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4. Teil: Umfang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

auf Reichweite und Grenzen der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung habe.50 Nach Auffassung einiger Vertreter im Schrifttum sei die Grenze der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung enger zu ziehen, als bei der richtlinienkonformen Auslegung.51 Sonst hätte die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung unter Umständen Ergebnisse zur Folge, die bei materieller Betrachtung einer unmittelbaren Wirkung gleichkämen.52 Dies wäre insbesondere bei einer rahmenbeschlusskonformen Rechtsfortbildung zu befürchten.53 Daher sei nur eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung erlaubt, die nicht die Ausschlusswirkung des Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU ins Leere laufen lasse.54 Eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung, die sich über den Wortlaut und Zweck einer nationalen Norm hinwegsetze, sei deshalb im Hinblick auf Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU ausgeschlossen.55 Daher seien die nationalen Stellen nicht zu einer rahmenbeschlusskonformen Rechtsfortbildung verpflichtet.56 Ob diesem Ergebnis zugestimmt werden kann, soll im Folgenden analysiert werden. a) Beachtlichkeit der Wortlautgrenze Der EuGH erwähnt die Wortlautgrenze nicht, sondern spricht nur von einem Verbot der Auslegung „contra legem“.57 Eine strenge Verpflichtung auf die Einhaltung der Wortlautgrenze der auszulegenden Norm ist damit nicht verbunden. Da die innerstaatlichen Stellen aufgrund des Unionsrechts unter voller Ausschöpfung ihres Beurteilungsspielraumes zur Erzielung eines rahmenbeschlusskonformen Rechtsanwendungsergebnisses verpflichtet sind, trifft sie grundsätzlich auch die Pflicht zu einer nach nationaler Methodenlehre zulässigen Rechtsfortbildung. Entscheidend ist nicht die Differenzierung zwischen Auslegung und Fortbildung des Rechts. Diese Differenzierung wird in den anderen EU-Staaten überwiegend nicht getroffen, vielmehr unterfällt dort auch die Rechtsfortbildung der Auslegung.58 Maßgeblich ist daher vor allem, ob die jeweilige innerstaatliche Stelle die Kompetenz zur Rechtsfortbildung und somit zur Setzung rahmenbeschlusskonformen Adam, EuZW 2005, 558, 561; Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. Adam, EuZW 2005, 558, 561; Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. 52 Adam, EuZW 2005, 558, 561; Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. 53 Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. 54 Adam, EuZW 2005, 558, 561; wohl auch Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 237, die vor einer „unbesehenen Übertragung“ der Grundsätze der richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse warnt. 55 Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. 56 Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. 57 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 47. 58 Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 81; Herresthal, EuZW 2007, 396, 397. 50 51

D. Grenzen der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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Rechts hat.59 Im deutschen Recht ist die Befugnis der Gerichte zur Rechtsfortbildung anerkannt.60 Wenn aber eine Kompetenz zur Rechtsfortbildung besteht, muss sie zur Erzielung eines rahmenbeschlusskonformen Ergebnisses auch genutzt werden. Denn die innerstaatlichen Stellen müssen alles im Rahmen ihrer Zuständigkeit Mögliche tun, um ein rahmenbeschlusskonformes Ergebnis zu erreichen.61 Wie im Gemeinschaftsrecht gilt auch im Unionsrecht die Pflicht zum methodisch Möglichen. Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ist nur die Fortsetzung der Umsetzungsverpflichtung auf Ebene der Rechtsanwendung.62 Die Umsetzung eines Rahmenbeschlusses im konkreten Fall kann jedoch nicht nur durch die Auslegung des nationalen Rechts, sondern auch durch eine nach nationalem Recht zulässige Rechtsfortbildung geschehen. Denn der Wortlautgrenze kommt im deutschen Recht keine die Tätigkeit nationaler Gerichte strikt begrenzende Funktion zu. Die Wortlautgrenze führt lediglich zu einer Verschärfung der Begründungsanforderungen für ein Ergebnis jenseits des Wortlautes.63 Aus diesen Gründen dürfen die nationalen Gerichte nicht hinter dem methodisch Möglichen zurückbleiben, wenn sie zu einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts verpflichtet sind.64 Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung umfasst demnach auch die Pflicht zur Rechtsfortbildung im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeit. Es stellt sich hierbei jedoch die Frage, ob durch eine Rechtsfortbildung nicht der Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses umgangen würde.65 Dies wäre der Fall, wenn durch die Rechtsfortbildung der Rahmenbeschluss unmittelbar auf den Einzelfall angewendet würde. Im Folgenden sollen daher die Möglichkeiten und Grenzen der zulässigen Rechtsfortbildung kurz beleuchtet werden.

Herresthal, EuZW 2007, 396, 397. BVerfGE 54, 100, 111; BVerfGE 59, 330, 334; BVerfGE 65, 182, 190; BVerfGE 66, 116, 138; BVerfGE 69, 188, 203; BVerfGE 69, 315, 371; BVerfGE 71, 354, 362; BVerfGE 88, 145, 167. 61 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 43. 62 Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 81. 63 Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 10; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 145; Larenz, Methodenlehre, 366 ff.; Meier, Rechtswirkungen von EGRichtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 75; a.A Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. 64 Bzgl. Richtlinien: Canaris, in: FS Bydlinski, 47, 81 f.; Meier, Rechtswirkungen von EGRichtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 72. Zu den einzelnen Möglichkeiten zulässiger Rechtsfortbildung vgl. Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 145 ff. 65 So Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551. 59 60

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4. Teil: Umfang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

aa) Teleologische Reduktion Die Reduktion einer Norm ist die Einschränkung einer Norm entgegen ihres Wortsinns, jedoch in Übereinstimmung mit ihrem Regelungszweck.66 Bei einer rahmenbeschlusskonformen Reduktion einer Norm würde eine vom Wortlaut der nationalen Norm her mögliche oder sogar gebotene Konkretisierung dieser Norm im Lichte von Wortlaut und Zweck des Rahmenbeschlusses unterlassen, um nicht einen rahmenbeschlusswidrigen individuell-konkreten Rechtssatz setzen zu müssen. Dabei scheint der Übergang zur unmittelbaren Wirkung fließend. Sobald der als rahmenbeschlusswidrig erachtete Rechtssatz ausdrücklich positivrechtlich normiert ist, kommt eine rahmenbeschlusskonforme Reduktion nicht mehr in Betracht. Denn eine teleologische Reduktion „auf Null“ ist gerade keine konforme Auslegung einer Norm mehr, sondern die Nichtanwendung der Norm als solcher.67 Die Nichtanwendung einer Norm unter Berufung auf den Rahmenbeschluss hieße jedoch, eine negative unmittelbare Wirkung des Rahmenbeschlusses zu bejahen.68 Dies verstieße gegen den Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit. Maßgeblich für die Möglichkeit einer teleologischen Reduktion ohne Verstoß gegen Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU ist somit der Konkretisierungsgrad der zu reduzierenden Norm. Verbleibt einer Norm auch nach einer teleologischen Reduktion noch ein eigener Anwendungsbereich, so verstößt eine teleologische Reduktion zur Erreichung eines rahmenbeschlusskonformen Ergebnisses nicht gegen den Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU. Je genereller und weiter die Norm gefasst ist, umso mehr Spielraum bietet sie für eine Reduktion.69 Daher sind Generalklauseln und Blankettbegriffe des nationalen Rechts besonders für eine rahmenbeschlusskonforme Reduktion geeignet.70 Es konnte gezeigt werden, dass auch eine teleologische Reduktion von einer unmittelbaren Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses abgegrenzt werden kann. Damit wird durch eine teleologische Reduktion einer Norm nicht zwingend zugleich gegen Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU verstoßen. Ist eine rahmenbeschlusskonforme teleologische Reduktion nationaler Rechtsnormen ohne Verstoß gegen Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU möglich, so ist sie von den nationalen Stellen auch vorzunehmen. Dies gebietet Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU, wonach die innerstaatlichen Stellen die Auslegung 66 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 145; Jacobi, Methodenlehre der Normwirkung, 254; Larenz, Methodenlehre, 391; Meier, Rechtswirkungen von EGRichtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 79. 67 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 146; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 85; Schürnbrand, JZ 2007, 910, 916. 68 Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 86. 69 Vgl. BGHZ 150, 248, 259. 70 Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 146.

D. Grenzen der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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des nationalen Rechts „soweit wie möglich“71 an Wortlaut und Zweck des Rahmenbeschlusses auszurichten haben. bb) Rahmenbeschlusskonforme Analogiebildung Schwieriger ist die Frage nach der Verpflichtung innerstaatlicher Stellen zu einer rahmenbeschlusskonformen Analogiebildung zu beantworten. Die Analogie dient der Füllung planwidriger Regelungslücken, die im Vergleich mit ähnlichen Fällen verdienen, gleich behandelt zu werden.72 Voraussetzung für eine Analogie ist eine planwidrige Regelungslücke, die dazu führt, dass ein gesetzesimmanentes Prinzip auf gleichartige Sachverhalte ungleich angewendet wird, obwohl eine solche Differenzierung bezüglich dieses Prinzips nicht durch unterschiedliche gesetzliche Wertungen gerechtfertigt ist. Fraglich ist, ob eine Lücke schon dann bejaht werden kann, wenn eine in sich nationale Regelung allein deswegen fortbildungsbedürftig ist, weil sie mit den Erfordernissen eines Rahmenbeschlusses nicht in Einklang steht.73 Allein darauf, dass die Regelung eines Sachverhalts von einem Rahmenbeschluss erfasst wird, dieser Sachverhalt jedoch von einer nationalen Regelung rahmenbeschlusswidrig nicht erfasst wird, kann eine Analogiebildung nicht gegründet werden, weil sonst der Rahmenbeschluss unmittelbar auf den nationalen Sachverhalt angewendet würde.74 Dies verstieße jedoch gegen den Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU.75 Denn ließe man eine Analogie „zum Rahmenbeschluss“ zu, dann würde in jedem Fall der Nichtumsetzung des Rahmenbeschlusses, diese Nichtumsetzung gleichzeitig sowohl zur Feststellung der Regelungslücke, als auch zur Feststellung deren Planwidrigkeit und zur Feststellung des zur Auffüllung der Lücke gesetzesimmanenten Prinzips benutzt. Der Rahmenbeschluss gehört aber gerade nicht zum nationalen Gesetzeszusammenhang, da er gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU nicht unmittelbar wirksam ist.76 Es ist somit erforderlich, dass zumindest ansatzweise eine Regelung der Materie des Rahmenbeschlusses im nationalen Recht vorzufinden ist.77 Nur dann kann sich EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 43. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 475 f.; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 146 f.; Larenz, Methodenlehre, 381; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 79; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 67. 73 Zu Richtlinien Schürnbrand, JZ 2007, 910, 913 ff. 74 So in Bezug auf Richtlinien: Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 147; Killmann, JBl. 2005, 566, 574; Meier, Rechtswirkungen von EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 79. 75 Killmann, JBl. 2005, 566, 574. 76 Killmann, JBl. 2005, 566, 574. 77 Killmann, JBl. 2005, 566, 574; bzgl Richtlinien auch: Meier, Rechtswirkungen von EGRichtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen im nationalen Recht, 79. 71 72

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4. Teil: Umfang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

aus dem nationalen Recht das Rechtsprinzip entnehmen lassen, das auf verwandte Regelungsbereiche im Wege der Analogie übertragen werden soll. Sofern der umsetzungswillige Gesetzgeber jedoch bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses unbewusst hinter dem Regelungsziel des Rahmenbeschlusses zurückgeblieben ist, kann die Berücksichtigung des Rahmenbeschlusses dazu dienen, eine Regelungslücke festzustellen, wonach der vom Gesetzgeber übersehene Sachverhalt im Hinblick auf ein im nationalen Recht vorzufindendes Rechtsprinzip des geregelten Sachverhaltes als gleichwertig zu behandeln ist.78 Die Regelungslücke wird sich dann aus dem nationalen Recht in aller Regel aus dem für die Umsetzung des Rahmenbeschlusses erlassenen unvollständigen Gesetzgebungsakt ableiten lassen.79 Unabhängig von einem Umsetzungswillen des Gesetzgebers hingegen kann der Rahmenbeschluss nicht zur Feststellung einer Regelungslücke dienen. Eine Analogiebildung scheidet insofern aus.

b) Beachtlichkeit des gesetzgeberischen Regelungszwecks Die Beachtung des gesetzgeberischen Regelungszwecks ist bei der rahmenbeschlusskonformen Auslegung dann problematisch, wenn der Gesetzgeber bewusst eine unvollständige oder unzutreffende Umsetzung eines Rahmenbeschlusses beabsichtigt hat oder der Gesetzgeber nachträglich Regelungen erlässt, die den Zielen des Rahmenbeschlusses widersprechen. Es stellt sich dann die Frage, ob sich die nationalen Stellen nach tradiertem Methodenverständnis auf einen europarechtswidrigen Willen des Gesetzgebers als Grenze der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung berufen dürfen, um die Umsetzung des Rahmenbeschlusses bzw. eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Rechts zu verweigern. In der Literatur wird der objektiv erkennbare gesetzgeberische Wille als Grenze der Auslegung angeführt. Eine Auslegung, die den erkennbaren Willen des Gesetzgebers ignoriere, sei daher nicht zulässig.80 Dieser Auffassung ist jedoch nicht zuzustimmen. Denn sie verkennt die unmittelbare Bindung des Gesetzgebers selbst an die Verpflichtung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses. Ebenso wie bei der Rechtssetzung im Anwendungsbereich zwingender Richtlinienvorgaben81 hat der deutsche Gesetzgeber auch im Bereich zwingender Rahmenbeschlussvorgaben seine Zielsetzungsfreiheit an die EU verloren. 78 Killmann, JBl. 2005, 566, 574; vgl. zu Richtlinien Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 147. 79 Killmann, JBl. 2005, 566, 574. 80 Fetzer / Groß, EuZW 2005, 550, 551; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 338; Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch europäische Rahmenbeschlüsse, 75. 81 s. o. 2. Teil: A.I.2.a)aa); Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 138; Köhne, Die richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, 99.

D. Grenzen der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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Wie im 3. Teil dieser Arbeit herausgearbeitet wurde, hat der Bund Hoheitsrechte auf die EU übertragen, indem er sie zum Erlass von Rahmenbeschlüssen ermächtigt hat.82 Damit wurden die Gesetzgebungsbefugnisse des Parlaments in dem Bereich eingeschränkt, in dem die EU durch Rahmenbeschlüsse rechtssetzend tätig wurde. Die Befugnis des Gesetzgebers, politische Ziele frei festzulegen, ist im Bereich von Rahmenbeschlüssen auf die EU übergegangen. Dies ergibt sich daraus, dass Art. 34 II 2 lit. b S.1 EU die Umsetzung des Rahmenbeschlusses in das deutsche Recht verlangt und die Ziele des Rahmenbeschlusses als verbindlich festschreibt. Die Legislative ist daher im Anwendungsbereich rechtmäßig erlassener Rahmenbeschlüsse nicht mehr befugt, andere Ziele zu verfolgen, als diejenigen, welche der Rahmenbeschluss vorgibt. Nur in den Bereichen, wo ein Rahmenbeschluss Spielräume für die Umsetzung eröffnet, kann der nationale Gesetzgeber im Rahmen dieser Spielräume noch eigene Zwecke verfolgen.83 Erlässt der Gesetzgeber dennoch Normen mit rahmenbeschlusswidrigen Zwecken, so handelt er kompetenzwidrig. Es gibt keinen Grund für die innerstaatlichen Stellen, unbefugt gesetzte Regelungszwecke des Gesetzgebers zu beachten und dadurch die Erfüllung der Verpflichtung zur Umsetzung eines Rahmenbeschlusses zu vereiteln. Auch der Verweis auf den Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses vermag dieses Ergebnis nicht zu erschüttern. Denn der Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit hat nicht den Zweck, die unbedingte Umsetzungsverpflichtung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU zu relativieren. Es soll vielmehr nur verhindert werden, dass der Rahmenbeschluss selbst unmittelbar als Rechtsgrundlage für staatliches Handeln dient.84 Kommt man aber unter Außerachtlassung des gesetzgeberischen Regelungszweckes aufgrund anderer Auslegungsmethoden zu einem rahmenbeschlusskonformen Ergebnis, so ist dieses Ergebnis nach wie vor durch das nationale Recht vermittelt. Soweit staatliches Handeln jedoch an nationales Recht anknüpft, liegt keine Umgehung des Ausschlusses der unmittelbaren Wirksamkeit vor. Dies gilt auch dann, wenn ein kompetenzwidrig erlassener gesetzgeberischer Regelungszweck bei der Auslegung nicht beachtet wird. Das bedeutet, dass der gesetzgeberische Regelungszweck im Anwendungsbereich zwingender Vorgaben eines Rahmenbeschlusses keine Grenze der Auslegung darstellt. Die rahmenbeschusskonforme Auslegung des nationalen Rechts darf daher nicht unter Verweis auf den Willen des Gesetzgebers verweigert werden.

82 83 84

s. o. 3. Teil: A.V.3. s. o. 2. Teil: A.I.2.b)aa). s. o. 1. Teil: C.I.2.a).

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4. Teil: Umfang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

2. Ergebnis Das Verbot einer Auslegung contra legem geht im Hinblick auf die rahmenbeschlusskonforme Auslegung nicht weiter als bei der richtlinienkonformen Auslegung. Auch wenn die unmittelbare Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU ausgeschlossen ist, so bedeutet dies nicht, dass die Grenzen der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts enger zu ziehen wären, als bei der richtliniekonformen Auslegung. Die Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung mit den Grenzen, wie sie auch für die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung gelten, stellt keine Umgehung des Ausschlusses der unmittelbaren Wirksamkeit von Rahmenbeschlüssen dar. Insbesondere bei der Rechtsfortbildung kann immer noch zwischen einem Ergebnis, das unmittelbar auf dem Rahmenbeschluss beruht und einem Ergebnis, das sich aus systematischen Erwägungen aus dem nationalen Recht ableiten lässt, unterschieden werden. Demnach umfasst die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung auch die Pflicht zur Rechtsfortbildung, soweit das nationale Gericht zu einer solchen nach der nationalen Methodenlehre befugt ist.85

III. Keine Pflicht zur restriktiven Auslegung nach Maßgabe des Lissabon-Urteils Im Lissabon-Urteil hielt das BVerfG das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon nur „nach Maßgabe der Gründe“ für verfassungsgemäß.86 Es fordert, die vertraglichen Kompetenzgrundlagen im Bereich von Straf- und Strafverfahrensnormen restriktiv auszulegen.87 Demzufolge könnte man zu der Auffassung gelangen, dass auch die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung im Bereich des Straf- und Strafverfahrensrechts in Deutschland restriktiv gehandhabt werden müsse. Doch wie oben bereits dargestellt, erfolgten diese Ausführungen des BVerfG vor dem spezifischen Hintergrund der Kompetenzerweiterungen nach dem Vertrag von Lissabon. Auf die Auslegung der Kompetenzen zum Erlass von Rahmenbeschlüssen in der PJZS nach dem EU-Vertrag in der Fassung des Vertrags von Nizza wirken sich diese restriktiven Vorgaben des BVerfG jedoch nicht aus.88 Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ist daher, unabhänig davon, ob man den Ausführungen des BVerfG im Lissabon-Urteil zustimmen mag Herrmann, EuZW 2005, 436, 437. BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 207, 420; Niedobitek, GLJ 10 (2009) 1267, 1267. 87 BVerfG, 2 BvE 2 / 08 v. 30.06.2009, Rn. 358 ff. 88 s. o. 3. Teil: B.II.3.d)bb). 85 86

D. Grenzen der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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oder nicht, nicht durch derzeit ausgeübte nationale Vorbehalte begrenzt. Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts ist daher auch im Bereich des Straf- und Strafverfahrensrechts nicht restriktiver zu handhaben, als die richtinienkonforme Auslegung in anderen Rechtsbereichen.

IV. Allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts Die Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung findet ihre Grenzen in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts.89 Dazu gehören insbesondere der Grundsatz der Rechtssicherheit, das Rückwirkungsverbot90 sowie der Grundsatz des fairen Verfahrens91, der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen92 sowie der Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung93. Gemäß Art. 6 II EU achtet die Union die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. Damit ist der gemeinschaftsrechtliche Besitzstand an Grundrechten gemäß Art. 6 II EU auch im Rahmen des Unionsvertrags von den Organen der EU zu beachten.94 Dies bedeutet, dass die Unionsorgane keine Rechtsakte erlassen dürfen, die gegen Gemeinschaftsgrundrechte verstoßen. Daher muss ein Rahmenbeschluss in Übereinstimmung mit den Gemeinschaftsgrundrechten ausgelegt werden.95 Daraus folgt, dass auch eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Rechts nicht zu einem Ergebnis führen darf, das mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts unvereinbar wäre.96 Denn eine solche Auslegung wäre mit dem Rahmenbeschluss selbst, der zuvor bereits im Lichte der Gemeinschaftsgrundrechte ausgelegt werden muss, unvereinbar. 89 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 44; EuGH, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras Pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 51; EuGH, Rs. C-355 / 04 P (Segi), Slg. 2007, I-1657, Rn. 51; EuGH, Rs. C-404 / 07 (György Katz), Slg. 2008, I-7607, Rn. 48 f.; Herrmann, EuZW 2005, 436, 437; Schreiber, Strafrechtsharmonisierung durch europäische Rahmenbeschlüsse, 81; Schroeder, EuR 2007, 349, 367; Wehnert, NJW 2005, 3760, 3760. 90 EuGH, Rs. C-105 / 03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 44; Herrmann, EuZW 2005, 436, 437; Schroeder, EuR 2007, 349, 367. 91 EuGH, Rs. C-404 / 07 (György Katz), Slg. 2008, I-7607, Rn. 48 f. 92 EuGH, Rs. C-303 / 05 (Advocaten voor de Wereld), Slg. 2007, I-3633, Rn. 46, 49 m. w. N. 93 EuGH, Rs. C-303 / 05 (Advocaten voor de Wereld), Slg. 2007, I-3633, Rn. 46; EuGH, Rs. C-248 / 04 (Koninklijke Coöperatie Cosun), Slg. 2006, I-10211, Rn. 72 m. w. N. 94 Egger, EuZW 2005, 652, 652. 95 EuGH, Rs. C-303 / 05 (Advocaten voor de Wereld), Slg. 2007, I-3633, Rn. 45 f.; EuGH, Rs. C-404 / 07 (György Katz), Slg. 2008, I-7607, Rn. 48 f.; Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1565; Egger, EuZW 2005, 652, 654. 96 Baddenhausen / Pietsch, DVBl. 2005, 1562, 1565; Egger, EuZW 2005, 652, 654.

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4. Teil: Umfang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

Fraglich ist, ob die Mitgliedstaaten auch die Spielräume, die ihnen ein Rahmenbeschluss einräumt, in Übereinstimmung mit den Gemeinschaftsgrundrechten auszulegen haben. Zum Teil wird davon ausgegangen, dass in dem Bereich, wo den Mitgliedstaaten ein Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung von Rahmenbeschlüssen gewährt wird, den Mitgliedstaaten die Gemeinschaftsgrundrechte nicht entgegen gehalten werden können.97 Eine solche Ansicht ist jedoch bedenklich. Denn auch bei der Frage, inwieweit der Rahmenbeschluss den mitgliedstaatlichen Stellen einen Umsetzungsspielraum einräumen kann, werden die Gemeinschaftsgrundrechte relevant. Die Unionsorgane sind beim Erlass des Rahmenbeschlusses an die Unionsgrundrechte gem. Art. 6 II EU gebunden. Sie können daher den Mitgliedstaaten einen Spielraum nur insoweit einräumen, als die Ausfüllung der Spielräume nicht zu einem Verstoß gegen die Unionsgrundrechte führen würde. Die Verankerung von Umsetzungsspielräumen im Rahmenbeschluss, deren Ausfüllung zu einem gemeinschaftsgrundrechtswidrigen Ergebnis führen würde, wäre ebenfalls ein Verstoß gegen die Gemeinschaftsgrundrechte. Daraus folgt, dass die Reichweite der Umsetzungsspielräume ebenfalls gemeinschaftsgrundrechtskonform bestimmt werden muss. Das bedeutet, dass ein Spielraum für die Mitgliedstaaten nur so weit reicht, wie dies nicht zu einem Verstoß gegen die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts führt. Daher müssen sich die Mitgliedstaaten auch bei der Ausschöpfung des ihnen zustehenden Umsetzungsspielraums im Rahmen dessen halten, was mit den Gemeinschaftsgrundrechten vereinbar ist.98 Für die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung bedeutet dies, dass das nationale Recht im Anwendungsbereich eines Rahmenbeschlusses so ausgelegt werden muss, dass ein rahmenbeschlusskonformes und damit auch gemeinschaftsgrundrechtskonformes Ergebnis erzielt werden kann. Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung findet demnach dort ihre Grenze, wo eine solche Auslegung gegen die Gemeinschaftsgrundrechte verstieße.

V. Ergebnis Inhalt und Umfang der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung entsprechen Inhalt und Umgang der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung. Insbesondere ist keine engere Grenzziehung für die Pflicht zur rahmenbeschlusskonSeidel in: Rill, Fünfzig Jahre freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat, 185, 193. Vgl. EuGH, Rs. C-354 / 04 P (Gestoras Pro Amnistía), Slg. 2007, I-1579, Rn. 51; EuGH, Rs. C-355 / 04 P (Segi), Slg. 2007, I-1657, Rn. 51; EuGH, Rs. C-303 / 05 (Advocaten voor de Wereld), Slg. 2007, I-3633, Rn. 45. 97 98

D. Grenzen der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung

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formen Auslegung im Hinblick auf den Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU und die besondere Eingriffsintensität im Strafrecht geboten.

Gesamtbetrachtung In der Rechtssache Pupino hat der EuGH zu Recht eine Verpflichtung innerstaatlicher Stellen zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung angenommen. Er hat damit im Hinblick auf die Umsetzungsverpflichtung von Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU und Art. 249 III EG eine zulässige Parallelisierung von Rahmenbeschluss und Richtlinie vorgenommen, ohne die rechtliche Trennung der ersten und dritten Säule zu missachten. Die Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung folgt aus der Pflicht zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU. Insbesondere der Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit gem. Art. 34 II 2 lit. b S. 2 EU steht dieser Annahme nicht entgegen, da die Pflicht zur konformen Auslegung nicht davon abhängt, dass der Rechtsakt, der als Maßstab der Auslegung dient, unmittelbar wirksam sein kann. Auch nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon1 besteht diese Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts, da die vor dem Vertrag von Lissabon erlassenen Rahmenbeschlüsse gem. Art. 9 Protokoll Nr. 362 fortgelten. Diese Rahmenbeschlüsse müssen daher nach wie vor in nationales Recht umgesetzt werden. Da die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung aus Art. 34 II 2 lit. b S. 1 EU folgt, gilt sie in allen Mitgliedstaaten, unabhängig davon, ob die Mitgliedstaaten eine Unterwerfungserklärung gem. Art. 35 II EU für Vorabentscheidungsverfahren abgegeben haben. Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung hat ihren Geltungsgrund im Unionsrecht. Die herkömmliche Unterscheidung zwischen intergouvernementaler dritter Säule und supranationaler erster Säule kann beim derzeitigen Stand der Zusammenarbeit in der PJZS nicht ungeprüft aufrechterhalten werden. Vielmehr zeigt sich an der Qualität der Zusammenarbeit auf Unionsebene, dass sich die Verpflichtung zur Umsetzung von Rahmenbeschlüssen und folglich auch die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung über eine rein völkerrechtliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit hinausentwickelt haben. Da die Mitgliedstaaten mit dem Amsterdamer Vertrag Hoheitsrechte der Rechtssetzung in Form der Formulierung umzusetzender Zielvorgaben auf die EU übertragen haben, gilt die Pflicht zur Umsetzung eines Rahmenbeschlusses für die innerstaatlichen Stellen unmittelbar Vertrag von Lissabon, ABl. Nr. C 306 v. 17.12.2007, 1 ff. Protokoll Nr. 36 zum Vertrag von Lissabon über die Übergangsbestimmungen vom 13. Dezember 2007, ABl. C 306 v. 17.12.2007, 159. 1 2

Gesamtbetrachtung

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kraft Art. 34 II 2 lit b S. 1 EU und unabhängig davon, ob der nationale Gesetzgeber bereits Umsetzungsakte erlassen hat. Die innerstaatlichen Stellen müssen der Verpflichtung zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung vorrangig vor anderweitigen Verpflichtungen des nationalen Rechts nachkommen. Selbst wenn man nur von einem Vorrang kraft verfassungsrechtlicher Ermächtigung ausginge, kommt der Umsetzungsverpflichtung Vorrang vor dem gesamten nationalen Recht zu, da das BVerfG seine Prüfvorbehalte restriktiv handhaben will und derzeit durch den EuGH sowohl die Gewährleistung eines hinreichenden Grundrechtsstandards als auch die Einhaltung der Kompetenzgrenzen gesichert wird. Demzufolge müssen die innerstaatlichen Stellen nicht nur einfaches Recht, sondern auch das Verfassungsrecht rahmenbeschlusskonform auslegen. Sie dürfen die rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Rechts nicht unter Verweis auf verfassungsrechtliche Hindernisse verweigern. Gegebenenfalls müssen die innerstaatlichen Gerichte den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 35 I EU, § 1 II EuGH-Gesetz zur Kontrolle eines Rahmenbeschlusses am Maßstab der Gemeinschaftsgrundrechte anrufen. Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung besteht in Umfang und Grenzen ebenso weitreichend wie die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung. Insbesondere müssen die Gerichte im Rahmen des methodisch Möglichen auch eine rahmenbeschlusskonforme Rechtsfortbildung vornehmen, sollte ein rahmenbeschlusskonformes Ergebnis anders nicht zu erreichen sein. Durch die Rechtsprechung des EuGH wird eine dynamische Fortentwicklung der Zusammenarbeit in der PJZS im Rahmen des EU-Vertrags ermöglicht. Denn die ausdrückliche Bestätigung der Konformauslegungspflicht trägt dazu bei, dass die Verwirklichung verbindlicher Zielvorgaben eines Rahmenbeschlusses nicht mehr allein von den nationalen Legislativorganen abhängt, sondern durch alle innerstaatlichen Stellen gewährleistet werden kann und muss.

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Sachwortverzeichnis Auslegung – contra legem 47, 75, 92, 264, 266, 272 – lex posterior-Grundsatz 81, 83, 84, 93 – lex specialis-Grundsatz 82 – lex superior-Grundsatz 80 Bürgerbeauftragter 199 Demokratie 251 – Demokratiedefizit 206, 208, 235 – demokratische Legitimation 155, 205, 207, 208, 255 Effektivität 22, 159 Einstimmigkeitsprinzip 204, 207 Entscheidung 175 EU – Abschluss völkerrechtlicher Verträge 141, 142 – als Kooperationsplattform 125 – als Koordinationsplattform 118 – als Wertegemeinschaft 182 – dynamische Entwicklung 165 – einheitlicher institutioneller Rahmen 122, 189 – Kompetenzen 125, 127 – Organe 121 – politische Integration 185, 186 – Stellung des Bürgers 197, 201, 218 – Völkerrechtssubjektivität 119, 121, 128, 133, 135, 138, 140 EU-Vertrag – dynamische Entwicklung 165, 167, 218 – gemeinsame Ziele mit EG 177, 178, 180 – Parallelen zum EG-Vertrag 156 – völkerrechtlicher Charakter 153, 155, 163 Europäischer Haftbefehl, Entscheidung des BVerfG 230, 232 Europäischer Rat 121, 122 Europäisches Parlament 155, 198, 205

Europarechtsfreundlichkeit 247, 248, 250 Ewigkeitsklausel 250, 251 Fehlerkalkül 248 gemeinsame Maßnahme 55, 168, 170 gemeinsamer Standpunkt 168 Gemeinschaftsrecht – autonome Geltung 73, 91 – Geltungsgrund 91 – Supranationalität 164 – unmittelbare Geltung 100 – Verhältnis zum nationalen Recht 93 – Verhältnis zum Verfassungsrecht 100, 103 – Vorrang 73, 91, 100, 102, 147, 226, 242 Gesetzesbindung des Richters 94 Grundrechtsschutz 273 – Gemeinschaftsgrundrechte 104, 237, 238 – Standard 102, 103, 228, 236, 237, 241 – Vorabentscheidungsverfahren 240, 241, 261 Hoheitsrechtsübertragung 91, 95, 99, 137, 161, 181, 219, 225, 252, 254, 257 immer engere Union 23, 164, 178, 180, 188, 197 Individualrechtsschutz 57, 60, 62, 68 Internationale Organisation – Begriff 120 – Gründungsvertrag, Auslegung 137 – Sekundärrecht 88 Kernkompetenz 255, 256 Kohärenz 23, 38, 112, 113, 188 Kommission 154, 239 Lissabon-Urteil 236, 243, 245, 248, 249, 253, 255, 256, 272

Sachwortverzeichnis loyale Zusammenarbeit 22, 25, 29, 34, 36, 40, 183, 247 Nichtigkeitsklage 58, 63, 123, 239, 246 – Individualklagebefugnis 58, 239 – Klageberechtigung 58, 239 Normenkontrollklage 63 Optimierungsgebot 114, 116 Passerelle 172, 173 Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung 130 Prinzip der gegenseitigen Anerkennung 184, 195, 196, 212, 216, 218, 255 Prinzip der Staatengleichheit 206 Rahmenbeschluss 22, 27 – als Sekundärrechtsakt 119, 143 – als völkerrechtlicher Vertrag 119 – Ausschluss der unmittelbaren Wirksamkeit 23, 41, 44, 53, 54, 56, 116, 152, 160, 202, 220, 242, 243, 265, 271 – Begründung 160 – Bindung innerstaatlicher Stellen an Umsetzungspflicht 204, 218, 225, 257 – Frustrationsverbot 263 – historische Entstehung 158, 171 – mittelbare Wirkung 46, 48, 50 – Parallelen zur Richtlinie 158 – Pflicht zur Umsetzung 28, 49, 109, 203, 204, 234, 235, 270 – Rechtsangleichung 159, 212, 234 – Transformation 145, 202, 204 – Verbindlichkeit des Zieles 23, 27, 28, 171 – Veröffentlichung 160 – Verwerfungskompetenz 61, 62, 68 – Vorrang der Umsetzungsverpflichtung 108, 227, 235, 249, 261 – zwingender Charakter 22, 25, 27, 106 rahmenbeschlusskonforme Auslegung – Begriff 17 – Pflicht zur ~ – Beginn 262 – Bindung innerstaatlicher Stellen 201, 222, 225, 258 – Geltungsgrund 70, 75, 105, 118, 152, 196, 225, 257

299

– gesetzgeberischer Regelungszweck, Bedeutung 270, 271 – Grenze allgemeiner Rechtsgrundsätze 273 – Grenze des Wortlautes 264, 266, 267 – Herleitung 20, 22, 24, 25 – Rechtsfortbildung 264, 267 – Vorrang 111, 225, 226, 257, 261 – Unterschied zur unmittelbaren Wirksamkeit 45, 47, 50, 53 – Zweck 226 Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 112, 168, 179, 180, 186, 193, 199, 200, 212, 213, 218, 235 Rechtsangleichung 28, 29, 97 Rechtssache Adeneler 262 Rechtssache Costa / ENEL 192 Rechtssache Foto-Frost 62, 67 Rechtssache Gestoras Pro Amnistía 64 Rechtssache Pupino 20, 22, 23, 57, 106, 144, 161, 225, 258, 262 Rechtssache Segi 64 Rechtssache van Gend en Loos 153, 209 Rechtssache von Colson und Kamann 26, 191 Reparations for Injuries-Gutachten 138 Richtlinie 27 – ähnliche Wirkung wie Verordnung 175 – kein derogatorischer Vorrang 149 – mittelbare Wirkung 46, 47 – Pflicht zur Umsetzung 27, 28, 53, 74, 91, 93, 97, 98, 99, 148, 150 – Rechtsangleichung 97 – Umsetzungsspielraum 96 – unmittelbare Wirkung 41, 51 – Verbindlichkeit des Zieles 27, 28, 93 – Vorrang der Umsetzungsverpflichtung 100, 110 – Zwecksetzungsbefugnis 96, 98 – zweistufige Rechtssetzung 27 – zwingende Vorgaben 229 richtlinienkonforme Auslegung – lex posterior-Grundsatz 92, 93 – lex specialis-Grundsatz 93 – Pflicht zur ~ – Beginn 262 – Geltungsgrund 73, 90 – Herleitung 23, 27, 29

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Sachwortverzeichnis

– Rechtsfortbildung 265 – Umfang und Grenzen 71, 75, 90, 95, 101 – Verfassungsrecht 100 – Vorrang 91, 150, 226 – richtlinienwidriger Gesetzgeberwille 94, 97, 99 – Unterschied zur unmittelbaren Wirkung 46, 49 Schengen-Besitzstand 165, 166 Schengener Abkommen 165 Solange II-Rechtsprechung 102, 103, 227, 228, 233, 236, 248, 257 – Übertragung auf Rahmenbeschlüsse 229, 233, 235, 238, 242, 243 – Übertragung auf Richtlinien 228, 229, 242 Solidarität 23, 38 Stufenbau der Rechtsordnung 149 Transparenzgebot 198 Übereinkommen 66, 132, 168, 231 Ultra-vires-Kontrolle 103, 244, 249, 257 Unionsbürgerschaft 186 unmittelbare Wirksamkeit, Begriff 54 Verfassungsidentität 249, 250, 252, 254 Verordnung – innerstaatliche Geltung 147 – Vorrang 147 Vertrag über eine Verfassung für Europa 135 Vertrag von Amsterdam 55, 56, 113, 126, 127, 133, 138, 160, 166, 168, 219, 220 Vertrag von Lissabon 18, 135, 250, 253, 255, 272 Vertrag von Maastricht 120, 126, 127, 134 Vertrag von Nizza 130 Vertragsverletzungsverfahren 239

Völkerrecht – Flexibilität 164, 165, 167 – Rechtskreistheorie 78 – Verhältnis zum nationalen Recht 78 völkerrechtlicher Vertrag – Auslegung 177 – Kollision des Umsetzungsgesetzes mit nationalem Recht 80, 84 – Rang im innerstaatlichen Recht 79, 80 – Umsetzung in innerstaatliches Recht 79 Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes 75, 76, 83 völkerrechtskonforme Auslegung – lex posterior-Grundsatz 81, 83, 85 – lex specialis-Grundsatz 82, 85 – Pflicht zur ~ 71 – Geltungsgrund 77 – Herleitung 75, 77 – Reichweite 71 – Umfang und Grenzen 77, 89 – Verfassungsrecht 86, 87 Vorabentscheidungsverfahren 246 – Erforderlichkeit der Vorlage 154 – fakultative Zuständigkeit des EuGH 22, 24, 57, 61, 64, 116, 117, 153, 208, 209, 213 – Grundrechtsschutz 241 – Individualrechtsschutz 240 – Modell des opting-in 66, 67 – schriftliche Erklärungen 214 – Urteilswirkungen 210, 211, 213, 214, 216, 217 – Vorlagefrage 35 – Vorlagepflicht 62, 65 – Vorlagerecht 64, 65, 67 Zuständigkeit des EuGH 241 – Zweck 63