Die Papyri als Zeugen antiker Kultur [Reprint 2021 ed.] 9783112588185, 9783112588178

132 79 3MB

German Pages 68 [69] Year 1950

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die Papyri als Zeugen antiker Kultur [Reprint 2021 ed.]
 9783112588185, 9783112588178

Citation preview

DIE

PAPYRI

ALS Z E U G E N A N T I K E R K U L T U R

herausgegeben vom Generaldirektor der ehemals Staatlichen Museen zu Berlin

l

9

4

9

AKADEMIE- VERLAG

BERLIN

DIE

PAPYRI

ALS Z E U G E N A N T I K E R K U L T U R

herausgegeben vom Generaldirektor der ehemals Staatlichen Museen zu Berlin

l

9

4

9

AKADEMIE -VERLAG

BERLIN

Copyright 1949 by Akademie-Verlag GmbH., Berlin Alle Rechte vorbehalten

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH., Berlin N W 7, Schiffbauerdamm 19 Lizenz-Nr. 156 • 3602/48-3200/48 Gedruckt von Oswald Schmidt GmbH., Leipzig M 1 1 8 Bestell- und Verlagsnummer: 5021

VORWORT Der Neudruck des bewährten Führers durch die Berliner Papyrusausstellung aus dem Jahre 193 8 kann leider aus zeitbedingten Umständen nicht das ganze Werk umfassen, sondern nur die ersten neun Kapitel. Mit Ausnahme des Anfanges und des Schlusses von Kapitel 3, das gewisse Korrekturen notwendig erscheinen ließ, stimmt der Wortlaut mit dem des Druckes von 1938 überein. Erweitert wurde der Literaturhinweis, und neu hinzu kam der Versuch, eine kurze Geschichte der Papyrussammlung bis 1939 zu geben. Der Bildanhang erhielt durch Erläuterungen und Ubersetzungen ebenfalls ein neues Gesicht. Besonderer Dank gebiihrt den hilfreichen Mitarbeitern, den Herren Dr. Hansen und stud. phil. W . Fietz unä vor allem Herrn Dr. Thassilo von Schefler für die Bereicherung durch die Übertragung in deutsche Versform des Timotheosfragments „die Perser". Die Ausstellung, einst in der Hauptsache von Dr. h. c. Hugo Ibscher eingerichtet, wurde ursprünglich für den Internationalen Historikerkongreß 1908 veranstaltet. Begleitet wurde diese dann später dauernd gezeigte und vergrößerte Ausstellung von einer durch den Kustos der Sammlung, Wilhelm Schubart, verfaß:en detaillierten „Einführung in die Ausstellung". Als im November 1918 die Ausstellung neu eröffnet wurde, schrieb W . Schubart eine weitere Einführungsschrift unter dem umfassenderen Titel „Das alte Ägypten und seine Papyrus", im Vorwort schon das erweiterte Ziel andeutend: „darüber hinaus sucht diese kleine Schrift in knapper Fassung jedem Leser das Wichtigste von den Papyrus und ihrer Bedeutung für Ägyptens Kulturgeschichte mitzuteilen". Die geistige Form dieser Darstellung entspricht dem Grundgedanken, den Heinrich Schäfer, der damalige Direktor der 1*

4

Vorwort

Ägyptischen Abteilung in seiner Studie „ S i n n und A u f g a b e n des Berliner Ägyptischen M u s e u m s " postulierte: eine zusammenhängende Darstellung, unter Verzicht auf die R e i h e n f o l g e der Gegenstände der Ausstellung und die Merkwürdigkeit ihres Bestandes, und ein abrundendes Gesamtbild des kulturellen Hintergrundes, den die Ausstellung ja sichtbar an Beispielen repräsentiert, zu geben. Die aus einer fundamentalen Erfahrung erwachsene Forderung, durch eine umfassende Einführung dem Besucher die Voraussetzung zu schaffen, an Hand gut mit Beschriftungsbeilagen erläuterter Ausstellungsobjekte einen vertiefenden Eindruck zu bieten, ist in der Schrift von W . Schubart vorbildlich gelöst. Im Einverständnis mit W . Schubart wurde dann gleichsam als erste Amtshandlung 1938 von Heinz Kortenbeutel ein neuer Führer der Ausstellung, die sich gegenüber der v o n 1908 und 19x8 beträchtlich infolge hervorragender Funde und E r w e r b u n gen vermehrt hatte, beigegeben. E r behielt als Kernstück die kulturgeschichtliche Studie bei und gab zugleich in der Form eines Kataloges eine genaue Ubersicht mit eingehenden Erläuterungen und Textproben im Anschluß an die zusammenhängende Darstellung. Eine Nummernliste vervollständigte diesen Führer. Der Titel dieser Einführung in die Papyrusausstellung zeigte den Gedanken, daß die Papyri eine besondere kulturelle Bedeutung f ü r 'die Gewinnung eines modernen Bildes der Antike hätten, noch stärker und schärfer betont als in der Schrift von 1 9 1 8 . E r lautete nunmehr: „ D i e Papyri als Zeugen antiker Kultur". Die bis zum Jahre 1939 im Neuen Museum gezeigte Ausstellung hat 1945 eine schwere Katastrophe erlitten. Die jetzt gezeigte A u s stellung muß daher auf die einmaligen Objekte, d. h. auf die Originale v o n einst verzichten. A b e r wenn auch eine noch so gute R e p r o d u k t i o n niemals den ehrwürdigen Zauber eines O r i ginals erreichen kann, so kann dennoch das mit den Mitteln der

Vorwort

5

modernen T e c h n i k entstandene Faksimile manchmal bessere R e sultate für die wissenschaftliche Erschließung gewähren. Darüber hinaus aber wird hier nun ein neuer W e g beschritten: infolge ihrer leichten Ersetzbarkeit und bequemen Handhabung ist eine solche Faksimileausstellung außerordentlich beweglich. Sie kann tatsächlich dorthin wandern, w o h i n immer man sie dirigieren will, um für den kulturellen geistigen Wissensstand, für den echt musealen Gedanken in neuer Form zu werben, den sie ausschnitthaft und im Querschnitt demonstriert. Eine Ausstellung mit Originalen, und zumal derart anfälligen und zerbrechlichen, ist ohne Z w e i f e l besonders in Zeiten unzulänglicher Sicherung a u f Transporten und bei oft nur improvisierter Unterbringungsmöglichkeit gefährdeter, und man soll sie nach Möglichkeit keiner unnötigen durch Transport bedingten Erschütterung aussetzen. Die Einmaligkeit der nicht einmal durch K o p i e n ersetzbaren O b j e k t e im Falle eines unvorhergesehenen Verlustes verbietet geradezu die Verschickung in kleinere Städte; Eine solche Faksimileausstellung entspricht aber auch dem m o dernen W u n s c h , weiteste Bevölkerungsschichten selbst an sehr entlegenen O r t e n einer praktischen kulturellen Bildung teilhaft werden zu lassen, und kulturelle Errungenschaften, die zumeist j a bisher nur Privileg der großen Städte waren und sein können, in mittelbarer Form, als Abbild, auch ihnen zugänglich zu machen. N o t macht erfinderisch. U n d w o lebendiger Geist am W e r k e ist, am W e b s t u h l des Wissens und der Kultur zu wirken, da wird er aus einer U n t u g e n d des Schicksals die T u g e n d erstehen lassen. Rolf Ibscher

DIE HISTORISCHE ENTWICKLUNG DER BERLINER PAPYRUSSAMMLUNG Die Berliner Papyrussammlung begann erst in der Mitte der achtziger Jahre des vorigenJahrhunderts ihre Rolle zu spielen, als Adolf Erman die Leitung des Ägyptischen Museums übernommen hatte und die Handschriften aus den ägyptischen Gräbern und anderen Fundplätzen — die Papyrus und verwandte antike Schriftträger wie Leder, Pergament, Holz, Kno'chen und die Ostraka — infolge ihres stark sich vermehrenden Bestandes die Absonderung und Sonderbetreuung durch Spezialpersonal erforderlich machten. Die ersten Erwerbungen für Berlin erfolgten auf die Initiative von Alexander von Humboldt. Es handelte sich dabei um eine Gruppe von Papyri, die Heinrich de Minutoli im Auftrage der Preußischen Akademie aus Ägypten brachte (1823), und um Papyri aus der Sammlung von Guiseppe Passalacqua (1837). Ihre anfängliche Unterbringung geschah noch in Schloß Monbijou. Vermehrt wurde dieser älteste Besitz dann durch einen weiteren Ankauf aus der Sammlung von Bernardo Drovetti (1837). Im Jahre 1850 wird aus allen diesen Ankäufen eine Kollektion ägyptischer Papyri ausführlich besprochen in dem von Heinrich Brugsch verfaßten Katalog durch die Schausammlung des Ä g y p tischen Museums, das nunmehr im neu erbauten Neuen Museum seine dauernde Heimat bis zur Katastrophe im Mai 1945 gefunden hatte. Von einer wirklichen Ausstellung im späteren Sinne kann man aber hierbei noch nicht sprechen, vielmehr spielten die Papyri im Rahmen der übrigen ägyptischen Denkmäler und Altertümer durchaus eine mehr dekorative Rolle.

Die historische Entwicklung der Berliner Papyrussammlung

y

Auch im R a h m e n der Altertumsforschung ihrer Zeit w u r d e n sie nur gelegentlich einer Bearbeitung unterzogen. Die R i c h t u n g der Forschung war eben mehr auf eine gewisse klassische Linie festgelegt, u n d die Spezialbeschäftigung mit diesen Originaldokumenten verlangte eine ganz neue Schulung v o n den wissenschaftlichen Bearbeitern. Die Stunde w a r hierfür noch nicht gekommen. Für die Kenntnis der ägyptischen Sprache, zumal der demotischen u n d koptischen, waren die Forschungen n o c h im Anfangs Stadium begriffen. 1853 vermehrte sich der Berliner Papyrusbestand durch die E r w e r b u n g einer R e i h e v o n Papyri aus dem Gräberfeld v o n Sakkara bei Memphis — ein Verdienst v o n Heinrich Brugsch, und 1857 gelang es Richard Lepsius, der als erster wissenschaftlicher Direktor des Ägyptischen Museums Passalacqua ablöste, aus der Sammlung v o n Johann d'Anastasy einige Papyri, darunter zwei bedeutsame Zauberpapyri für'Berlin zu sichern, die aus dem alten Theben stammten. D u r c h den großen die altertumskundlich interessierte W e l t in lebhafte B e w e g u n g u n d E r r e g u n g bringenden Fund im Fayumgebiet gelangte 1877/78 über Kairo u n d durch Vermittlung des deutschen Konsuls H . Travers nach langen Jahren der U n t e r brechung v o n A n k ä u f e n ein großes Kontingent v o n Papyri w i e der nach Berlin, Während allerdings die Hauptmasse sich auf Paris, London u n d vornehmlich auf W i e n verteilte, das hierdurch den Grundstock zu seiner reichen unter dem N a m e n Erzherzog •Rainer bekannten PapyrussammluAg legte (1884). Die erste Bearbeitung der neuen E r w e r b u n g erfolgte durch Ludwig Stern, der, noch eingesetzt durch R . Lepsius, sich der Sammlung der Papyri verdienstvoll annahm, die n u n sichtbar v o m Ägyptischen Museum sich abzuheben begann. 1884 erstand mit der Leitung des Ägyptischen Museums durch A. E ' m a n auch eine neue Ära f ü r die Papyrussammlung. N o c h allerdings erfolgte die Abgrenzung nicht so stark wie später zwischen Ägyptischer Abteilung, deren Schwergewicht auf den

8 Die historische Entwicklung der Berliner Papyrussammlung 'archäologischen Altertümern lag, und der Handschriftensammlung, die alles Dokumentenmaterial des Mittelmeerraumes v o n den ägyptischen Texten bis zu den koptischen, den griechischen, lateinischen, den nubischen, persischen und aramäischen vereinigte. A b e r die wissenschaftlichen Hilfsarbeiter A d o l f Ermans gaben der Handschriftensammlung einen richtungbestimmenden Charakter: der Arabist L u d w i g Abel, der gerade in W i e n das durch J . Karabacek eingeführte Verfahren des Präparierens der Papyri gelernt hatte, und Fritz' Krebs, der sich bald der griechischen Papyri und überhaupt als Assistent Ermans der Sichtung des gesamten Sammlungsbestandes annahm; dazu trat Ulrich W ticken, dessen Lehrer Theodor Mommsen selbst, in Erkenntnis der Bedeutung der Originaldokumente antiken Schrifttums, ihn an die Papyri herangeführt hatte. Die besondere N o t e der B e r liner Papyrussammlung lag darin begründet, daß hier in Berlin zuerst, bald nach dem Auftreten H u g o Ibschers als Schüler L . Abels die konservatorische und restauratorische Arbeit in grundlegend neuartiger Weise in engstem Zusammenwirken mit der wissenschaftlichen Forschung eine Form gewann, die nirgendwo sonst, nicht in Wien, Paris oder in London, eine solche ideale Arbeitsgemeinschaft zuwege brachte. Befruchtend aber hat die wechselseitige Arbeitsteilung in K o n servierung und wissenschaftliche Forschung, die wiederum sich aufteilte in Edieren von Texten und Lehren, auf die gesamte internationale Papyrologie eingewirkt. Die Papyrologie nahm v o n Berlin aus ihren Ausgangspunkt in die Alte und N e u e Welt. N a c h dem frühen T o d e v o n Fritz Krebs wurde Wilhelm Schubart Kustos der Sammlung. Innerhalb der bald nach 1900 sich machtvoll entfaltenden Königlichen Museen zu Berlin wurde das Ägyptische Museum eine Abteilung neben vielen neuen, und in ihrem Gefolge als gesonderter Teil formte sich die Papyrussammlung ebenfalls nach 1900 mit ihrem sich beständig erweiternden Bestände aus.

Die historische Entwicklung der Berliner Papyrussammlung

9

Mit dem Jahre 1899 begann eine neue Phase für die Deutsche Papyrologie, indem Ulrich Wilcken auf einen eignen Appell in Dresden 1897 auf dem Philologenkongreß deutsche Ausgrabungen in Ägypten forderte und zusammen mit Heinrich Schäfer, dem Direktorialassistenten von Adolf Erman, im Auftrage der Berliner Museen selbst die erste Grabung in Herakleopolis unternahm. Fiel die Ausbeute auch einem Brande im Hamburger Hafen bedauerlicherweise zum Opfer, so wurde doch mit dieser Grabungsexpedition ein fruchtbares Jahrzehnt systematischer wissenschaftlicher Ausgrabungen eingeleitet, das hervorragende Erfolge auf Grund weiterer solcher Unternehmen im Gefolge hatte. Eine Papyruskommission wurde ins Leben gerufen, um durch Planmäßigkeit die Ausbeute gleichmäßig auf die übrigen schnell in ganz Deutschland erstehenden Sammlungen und Papyrusinstitute zu verteilen. Manne;: wie Otto Rubensohn, Paul Viereck, Friedrich Zucker sind für immer mit diesen bedeutenden Grabungen verknüpft, die neben mancher glanzvollen Einzelerwerbung die Berlinet Papyrussammlung durch die Funde zur zweitbesten nach der Londoner Sammlung beim British Museum machten. Für die Ägyptische Abteilung galt mit Recht die Feststellung Adolf Ermans in seinen Erinnerungen „Mein Werden und mein Wirken":—„fast alle Deutschen, die später in der Ä g y p tologie etwas geleistet haben, sind dabei tätig gewesen —", und dieses Wort darf auch auf die Papyrussammlung angewendet werden. Die vielfältige Mitarbeit von später führenden Gelehrten des Auslandes, unter denen als Beispiel für viele andere Dr. Alan H.Gardiner und Gregor Zereteli genannt werden mögen, fügt sich dem Kreis von Deutschen Papyrologen ein, die der „Berliner Schule" angehörten. Die wissenschaftliche Arbeit fand in den großen Publikationen ihren Niederschlag. Das „Archiv für Papyrusforschung", durch Ulrich Wilcken begründet, wurde „ein Sammelbecken für die Mitteilung papyrologischer Arbeitsergebnisse in der'Alten und

1 0 Die historische Entwicklung der Berliner Papyrussammlung Neuen Welt (Preisendanz). Ulrich Wilamowitz-Möllendoiff inaugurierte das große Werk der „Berliner Klassikertexte", das die bedeutendsten literarischen Urkunden umfaßte, während die „Ägyptischen Urkunden" im Verein mit den griechischen U r kunden eine Gesamtpublikation der Berliner Papyri zum Ziel hatten, mit Ausnahme der ptolemäischen Urkunden, die sich U . Wilcken vorbehielt. Der Krieg 1914—1918 beendete jäh die durch die Grabungen so reiche Ausbeute für die Berliner Sammlung infolge des Verbotes nach 1918, wieder Ausgrabungen zu machen. Das Deutsche Papyruskartell, das den „Ankauf papyrologischer Dokumente aus Ägypten ohne ausgräberische Tätigkeit" zum Ziele hatte, wurde ein Opfer der Inflationszeit. Ein großer Anteil am bedeutendsten Fund der Nachkriegszeit — den Manichäischen Papyruskodizes, deren Erwerbung dem bewährten Scharfblick des Koptologen Carl Schmid verdankt wurde, die zur Hälfte auch von London erworben wurden, beschloß die große Zeit der Funde und Erwerbungen zu Beginn der dreißiger Jahre. Die große Katastrophe der Berliner Museen vom Jahre 1945 hat die Sammlung in ihrem Bestand, wie ihn die Schausammlung zeigte und wie die gefüllten Archivschränke den Wissenschaftlern der ganzen Welt bekannt waren und zur gemeinnützigen Verfügung standen, mit Ausnahme unbearbeiteter Bestände zunichte gemacht. Was geblieben ist, das ist die Erinnerung und ein Bestand an Reproduktionen, der nyir einen Bruchteil des kostbaren einmaligen Besitzes von einst repräsentiert. Kleinmachnow, im Sommer 1949

Rolf Ibscher

i. D I E PAPYRI ALS GESCHICHTSQUELLEN Des alten Ägyptens Kultur und Geschichte sind uns nur zu einem geringen Teile durch Darstellungen antiker Schriftsteller bekannt geworden. Mehr als aus den Schilderungen Herodots, Strabons, Plutarchs und anderer lernen wir aus den Denkmälern, die der Boden des Landes bis auf die Gegenwart bewahrt hat, und was jene Griechen erzählt haben, wird vielfach erst durch die Altertumsfunde anschaulich; allerdings dienen auch umgekehrt die griechischen Werke dem Verständnis der Funde. Zu den Denkmälern des Altertums gehören aber nicht allein die gewaltigen Bauten der Ägypter, ihre Pyramiden, Felsengräber und Tempel, nicht nur die unzähligen Erzeugnisse des Handwerks und der Kunst vom schlichtesten Hausrat bis zum feinsten Bildwerke und Gemälde, sondern ebensosehr die schriftlichen Aufzeichnungen. Unter ihnen scheiden wir von den Inschriften auf Stein oder Metall und von den Aufschriften auf Gegenständen diejenigen, deren Unterlage die leichteren und vergänglicheren Stoffe bilden, nämlich die Papyri, mit allem, was sich ihnen anschließt, vom Leder bis zur beschriebenen Tonscherbe. Hat auch mehr als einmal nur der Zufall bestimmt, ob ein Inhalt in Stein gegraben oder auf ein Papyrusblatt geschrieben wurde, so waltet doch im allgemeinen ein unverkennbarer Unterschied: was man dem Steine anvertraute, sollte öffentlich und für die Ewigkeit sein, während der Papyrus den Schriftstücken vergänglichen Wertes und häufigen Gebrauches, den Urkunden und Briefen des Tages und den W e r ken der Literatur zu dienen hatte. So haben denn die alten Ägypter auf Papyrusblätter die amtlichen Listen und Rechnungen, die Verfügungen der Behörden, die Verhandlungen der Gerichte niedergeschrieben, Dinge, die auch inschriftlich verewigt werden konnten, wenn sie aus den Amtsstuben des Königs oder der Tem-

Die Papyri als Geschichtsquellen pel in endgültiger Form an die Öffentlichkeit treten sollten; besonders aber sind es die Zeugnisse des Einzellebens, denen wir hier begegnen, Verträge über Kauf, Miete und Darlehn, über Ehe und Erbschaft, Beschwerden aller Art, Quittungen über Privatzahlungen und Steuern, kurze Aufzeichnungen über die, mannigfaltigen. Geschäfte, die jedes Kulturleben hervorbringt, dazu die Fülle der Privatbriefe mit ihrem Zeugnis von Leid und Freude der Menschen, endlich die Bücher aller Art von der Dichtung und Wissenschaft bis zum Handbuche des Schülers und zur Sammlung von Zaubersprüchen. Sie alle sind Quellen-erster Hand, das heißt Blätter, die wir, abgesehen von äußerer Beschädigung,so vor uns sehen wie der letzte Benutzer im Altertum, und die meisten, zumal die Urkunden und Briefe,sind auch innerlichQuellen erster Hand, ungefärbte Niederschriften für einen augenblicklichen Zweck, ohnejeden Gedanken an eine Wirkung auf Leserkreise oder gar auf die Nachwelt. Es bedarf, keines Wortes, daß diese Zeugnisse, die bereits zu vielen Tausenden aufgedeckt worden sind, für die Erkenntnis ägyptischer Geschichte und Kultur einen geradezu unschätzbaren Wert besitzen. Denn durch sie erzählen uns jene längs't vergangenen Menschen über Jahrtausende hinweg, wie sie lebten und was sie dachten, sofern wir nur ihre Sprache verstehen. Die Papyri aus Ägypten erstrecken sich über eine Zeit von mehr als 4000 Jahren, vom Beginne des 3. Jahrtausends v. Chr. bis tief ins Mittelalter hinein, und spiegeln im Inhalte, in der Schrift und in der Sprache die wechselnden Schicksale des Landes unter seinen einheimischen Pharaonen, assyrischen und persischen Fremdherren, unter griechischen Königen, im Machtbereiche der römischen Weltherrschaft und des arabischen Kalifats. Die reiche Ernte, die hier einzubringen ist, kommt vielen Wissenschaften zugute. Der Geschichtsforschung im engeren Sinne schafft sie die Kenntnis wichtiger Ereignisse im Leben des Volkes und Staates sowie einen Einblick in die staatliche Verwaltung, der Rechtswissenschaft einen fast unübersehbaren Stoff an

Die Papyri als Geschichtsquellen

13

Rechtsordnungen u n d Einzelfällen aus altägyptischem wie aus griechischem, römischem und arabischem Rechte. Die Religionsgeschichte hat noch längst nicht erschöpft, was die Papyri für altägyptische Religion, später ihre Verschmelzung mit griechischem Glauben, endlich für das werdende u n d wachsende Christentum bieten; Literaturwerke jeder Art, Schulübungen und alle schriftlichen Aufzeichnungen, sofern sie Stilformen v o n der feinsten Feilung bis zur Sprache des Alltags enthalten, öffnen uns einen weiten Blick in die Geschichte der Geistesbildung und geben der Sprachforschung einen so umfangreichen u n d vielseitigen Stoff, wie er ihr nicht leicht anderswo zu Gebote steht. Die W i r t schaftsgeschichte nicht nur Ägyptens, sondern des Altertums überhaupt hat man geradezu erst auf der Grundlage der Papyri aufbauen können, da n u r hier die Masse der Einzelzeugnisse v o r liegt, deren sie bedarf, um zur Erkenntnis der Grundzüge zu gelangen. U n d endlich mündet alles in den breiten Strom der Kulturgeschichte, denn es gibt kein Zeugnis, das nicht f ü r Sitte, Lebensweise und Denkart etwas lehrte. Daß gerade Ägypten viele Tausende solcher Schriftstücke bew a h r t hat, ist kein Zufall; auch andrer O r t e n haben die fylenschen Urkunden, Bücher u n d Briefe geschrieben und gelesen, aber nirgends sind Land und Klima der Erhaltung dieser leicht zerstörbaren Blätter so günstig gewesen wie im Niltale. Hier, w o die W ü s t e den anbaufähigen Boden v o n Osten und Westen einengt, w u r d e n viele Ortschaften am R a n d e auf W ü s t e n g rund angelegt, um das kostbare Fruchtland dem Ackerbau nicht zu entziehen, und blieben nur so lange bewohnbar, als fleißige Arbeit die v o m Strome ausgehenden Kanäle im Stande erhielt; ließ der Mensch nach, so drang die W ü s t e vor. Beim Abzüge der Bewohner blieben mit anderm Hausrat auch alte Bücher, U r k u n d e n und Briefe zurück; der Wüstensand deckte sie rasch zu u n d hütete sie vor der gefährlichen Feuchtigkeit bis auf den Ausgräber der Neuzeit. So w u r d e n verfallene, verlassene Ortschaften Fundorte der Papyri. Nicht minder aber die Schutthügel, die einst die alten

Die Papyri als Geschichtsquellen Bewohner neben ihren Wohnstätten auftürmten, um sich aller entbehrlichen Gegenstände zu entledigen. Diese sog. Korne steigen bisweilen mehr als 20 m hoch aii. Auch die Sitte der Alten, dem Toten allerlei Gaben ins Grab zu legen, hat uns nicht wenig Papyri gerettet; namentlich das ägyptische Totenbuch (vgl. auch S. 17), dessen derToteimJenseitsbedurfte, verdankt den Gräbern seine Erhaltung in vielen stattlichen Papyrusrollen. Endlich hat man der sog. Papyruskartonage zahlreiche Blätter abgewonnen, einer Pappe aus veralteten Briefen, Urkunden und Büchern, die in den letzten Jahrhunderten vor Christi Geburt zu Särgen in den Umrissen der menschlichen Gestalt gepreßt wurde und bei der Auflösung dem heutigen Gelehrten ihre Bestandteile wiedergibt. Die Papyrusfunde pflegen da am ergiebigsten zu sein, w o neben der Trockenheit der Luft eine plötzliche Unterbrechung der Kultur mitgewirkt hat, während Stätten, die zu allen Zeiten bewohnt geblieben sind, nur selten etwas liefern. Nachdem schon seit dem Ende des 18. Jahrhunderts einzelne zufällige Funde große und wertvolle Papyri zutage gefördert hatten, begannen in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die Gelehrten, Papyrusgrabungen zu veranstalten. Zugleich gingen die heutigen Ägypter darauf aus, dem Schutte der alten Ortschaften und den Komen die salzige Sebbacherde abzugewinnen, die der ägyptischen Landwirtschaft einen wertvollen Dünger gewährt. Was sie dabei fanden, wanderte zu den Antikenhändlern. Beide, die Sebbachgräber wie die wissenschaftlich geleiteten Grabungen der Forscher, haben Tausende von Papyri aufgedeckt und die europäischen Sammlungen um kostbare Schätze bereichert. Neben England und Italien, Frankreich und Amerika dürfen auch Österreich, vor allem Wien, und Deutschland sich sehen lassen; zumal das Berliner Museum bes.ß eine Papyrussammlung, die zu den größten gehörte und viele Tausende umfaßte. Nächst Berlin verdienen die Sammlungen in Bremen, Frankfurt a. M., Freiburg i. B., Gießen, Halle, Hamburg, Heidelberg, Jena, Leipzig, München und Würzburg genannt zu werden.

2. S C H R E I B M A T E R I A L U N D B U C H W E S E N

Das alte Ägypten, besaß im Papyrushlatte einen vorzüglichen Schriftträger, den w i r mindestens bis zum Beginn des 3. Jahrtausends v . C h r . hinauf v e r f o l g e t können. V o n Ä g y p t e n aus ist der Papyrus in den Bereich der griechischen Kultur eingedrungen und hat, namentlich seit Alexander dem Großen, die ganze M i t telmeerwelt erobert, durch die römische Kaiserzeit hindurch sich tief ins Mittelalter hinein behauptet und ist erst seit dem 9. J a h r hundert etwa durch das v o n den Arabern eingeführte Papier verdrängt worden. Zuerst wahrscheinlich nur v o n den Tempeln hergestellt und gebraucht, wurde er später in ägyptischem Fabriken f ü r den Bedarf der ganzen Kalturwelt angefertigt undnach Kleinasien w i e nach Griechenland, nach R o m wie nach Spanien ausgeführt. In der Fabrik schnitt der Arbeiter die Stengel der grasartigen Papyruspflanze in Streifen, legte j e zwei Schichten rechtwinklig aufeinander, preßte sie und gewann damit ein Blatt, dessen beide Lagen v e r m ö g e des natürlichen Klebstoffes der Pflanze fest hafteten. Die noch verbleibenden Unebenheiten w u r d e n mit M u scheln oder Beinstäben geglättet. Die Farbe des Papyrusblattes w a r hellgelb oder ein mattes Graugrün; w e n n die erhaltenen Stücke dunkler, bis zum Tiefbraun, aussehen, so rührt das z. T . v o n Alter und Feuchtigkeit her, z.T. auch v o n Farbmitteln, deren sich die Alten bedient haben. A n Güte und Feinheit waren die Papyrusblätter sehr verschieden, wie denn auch heute noch viele Ubergänge v o n den zartesten'hieratischen Papyri bis zur groben W a r e byzantinisch-arabischer Zeit sich verfolgen lassen. Schon in der Fabrik w u r d e n die einzelnen Blätter zu Papierballen zusammengeklebt und die Klebungen so sorgfältig ausgeführt, daß sie dem Schreibrohre kein Hindernis boten. Aus

i6

Schreibmaterial und Buchwesen

diesen Ballen schnitt man sich nach Bedarf lange Streifen für u m fängliche Schriftstücke, namentlich f ü r Literaturwerke; wir n e n nen sie Rollen nach der Art der H a n d h a b u n g ; dagegen f ü r alle kürzeren Aufzeichnungen, Verträge, Berichte, Quittungen u n d Briefe kleinere Blätter, wie man sie gerade haben wollte. Seit alters bediente man sich wie anderwärts so auch in Ä g y p ten der Tierhaut; j e d o c h blieb ihre Verbreitung gerade hier weit hinter dem Papyrusblatte zurück. Z u allgemeiner Bedeutung gelangte sie eist, als man in Pergamon wesentliche Verbesserungen daran v o r n a h m ; äls Pergament durchdrang sie rasch den Kreis der griechisch-römischen Kultur, blieb aber noch jahrhundertelang auf zweiter Stelle hinter dem herrschenden Papyrus. Uberall und zu allen Zeiten benützte man die, Holztafel, die man gern weiß überstrich, um der Schrift einen hellen Grund zu geben; namentlich der Schule war sie unentbehrlich. Vertiefte man ihre Fläche, so daß nur ein R a n d stehenblieb, u n d goß die Vertiefung mit Wachs aus, so ergab sich die Wachstafel, in die man die Schrift mit dem Metallgriffel einritzte. Mehrere Wachstafeln zusammengefügt w u r d e n das Notizbuch und das Schülerheft des Altertums. Ägypten gibt uns nur einen schwachen Begriff davon, wie tausendfach die Wachstafeln im Gebrauche waren, denn das Papyrusland bedurfte ihrer am wenigsten. Bleitafeln f ü r Zaubersprüche und Bronzetafeln f ü r römische Militärurkunden waren ebenfalls in Ägypten seltener als andersw o . U m so mehr pflegte man, zumal in Oberägypten, bei A u f zeichnungen geringen Umfanges das immer kostbare Papyrusblatt durch die wertlose Tonscherbe, das Ostrakbn, zu ersetzen, deren viele Tausende schon ans Licht getreten sind. Außerdem schrieb man auf Kalksteinsplitter, Bruchstücke anderer Steine, Knochen und konnte im Notfalle jeden Gegenstand brauchen; eine Grenze gab es hier nicht. Das Papier endlich, das die Araber in die Mittelmeerwelt eingeführt haben, scheint nach chinesischem Vorbilde im 8. Jahrhundert n. Chr. zuerst in Samarkand aus Leinen u n d Hanf hergestellt w o r d e n zu sein.

Schreibmaterial und Buchwesen

17

Der ägyptische Schreiber (Tafel 1) st rag in seinem Schreibzeuge, der sog. Palette, dünne Binsen bei sich, deren gekapptes Ende feine oder breite Striche zog, j e nachdem man die Binse drehte. Mit ihr sind die hieratischen, demotischen, aramäischen und noch die ältesten griechischen Texte geschrieben. Etwa im 3. Jahrhundert v. Chr. scheint dann die Rohrfeder, der Kalamos, aufgekommen zu sein, der sich in Europa bis weit ins Mittelalter, im Orient bis auf die Gegenwart behauptet hat. Den Farbstoff für seine Tinte, eigentlich Tusche, bewahrte der Schreiber in einem Beutel und verrieb ihn in einem Napfe. Später pflegte er ein Tintenfaß an dem zylindrischen Behälter des Kalamos zu befestigen und dies Schreibgerät in den Gürtel zu stecken. Die zähe schwarze Rußtinte hat, wie die erhaltenen Papyri lehren, vielfach in völliger Deutlichkeit die Jahrtausende überdauert. Neben derschwarzen verwendete man gern rote Tinte für Uberschriften und zur Hervorhebung. Träger literarischer Texte war im alten Ägypten selbstverständlich die Papyrusrolle (Tafel 4 und 8); die Schrift wurde in Kolumnen verschiedener Breite daraufgesetzt. Diese Buchrollen erreichen zuweilen eine sehr beträchtliche Länge, zumal Prunkrollen wie der berühmte Papyrus Ebers in Leipzig. Mit dem Papyrus haben die Griechen auch die Rolle als Buchform übernommen, so daß wir uns das griechische und weiterhin das lateinische Buch bis tief in die römische Kaiserzeit als Rolle vorzustellen haben. Der Buchschreiber beschrieb nicht die einzelnen Blätter, sondern erhielt die fertige Rolle zur Füllung. Buchstabe wurde neben Buchstaben gesetzt, ohne Trennung der Wörter, daher bedurfte der Leser mancher Hilfe: Interpunktion und Akzente gehören hierher. Buchhändler, die Werke herausgaben, beschäftigten ohne Zweifel zahlreiche berufsmäßige Buchschreiher, die wohl meistens liach Vorlagen, seltener nach Diktat?' arbeiteten. Jedes Exemplar mußte vom Korrektor durchgesehen werden, und viele Papyri lassen seine Hand noch erkennen. Den Buchtitel setzte man ans Ende der Rolle, weil er hier innen am sichersten vor Beschädi2

Ib^cher, Papyri

i8

Schreibmaterial und Buchwesen

gung war. Aus der geschlossenen, öfters durch ein vorgeklebtes Pergamentblatt geschützten Rolle (P. 10677) hing ein Streifen mit dem Titel heraus, der es namentlich in der Bücherei erst ermöglichte, ein Buch unter der Menge der Rollen zu finden. Nach demVorbilde der zusammengefügten Wachs tafeln begann man, wie es scheint, schon vor Christi Geburt, Pergamentblätter und Papyrusblätter ineinander zu legen, so daß ein Heft entstand. Hieraus entwickelte sich eine neue Buchform, der Kodex; im wesentlichen ist es die noch heute übliche Gestalt des Buches. Der Titel, durch den festen Einband gedeckt, rückte an den Anfang, und die Zählung der Seiten machte es möglich, eine Stelle nachzuschlagen, was bei der Rolle schwierig blieb, auch ,wenn man ihre Kolumnen bezifferte. Gerade in den letzten Jahren haben wichtige Funde bewiesen, was man vorher bereits vermutet hatte, daß nämlich der Papyruskodex schon früh von den Christen bevorzugt worden ist, zunächst als billiges Buch neben der teuren Rolle. Der christliche Kodex hat allmählich auch aus der weltlichen Literatur die Rolle verdrängt, bis sie im 4. Jahrh. n. Chr. als'Buchform so gut wie verschwindet. Das anschaulichste Beispiel illustrierter Buchrollen bieten die Totenbücher der Ägypter; sie geben uns am ehesten eine Vorstellung von den illustrierten Büchern der Griechen. Auch an reinen Bilderbüchern hat es nicht gefehlt, und die erhaltenen bunten "Webe- und Strickmuster mögen Vorlagebüchern angehört haben, die nur Bilder mit Beischriften enthielten.

3. A U S Ä G Y P T E N S G E S C H I C H T E

Spuren des Menschen im Niltal reichen bis in die ältere Steinzeit hinein, und aus derjüngeren Steinzeit sind uns hier Siedlungen und Friedhöfe von Ackerbauern und Jägern mit verschiedenartigen Geräteformen bekannt. Diese vorgeschichtlichen Kulturen finden sich meist vereinzelt, aber die letzte von ihnen, die N e gädekultur, scheint weit im Lande verbreitet gewesen zu sein. Die geschichtlich faßbare Zeit Ägyptens setzt im Anschluß daran um das Jahr 3000 v. Chr. ein. In Gerätformen, in Bild- und Baukunst ist damals das aus der Folgezeit uns wohlbekannte Ä g y p tertum in seiner frühesten Entwicklungsstufe unverkennbar erschienen. Politisch wurde Ägypten in der gleichen Zeit zu einem Königreiche geeint durch den Sieg Oberägyptens über das Deltaland Unterägypten. Die gleichzeitige Erfindung der Schrift hier und in Mesopotamien, ebenfalls um 3000 v. Chr., vertieft den Eindruck, daß die Menschheit damals eine epochemachende "Wendung durchlebt hat, die manche revolutionäre Erschütterung mit sich gebracht haben mag. Gerade die Erfindung der Schrift berechtigt uns, diese Epoche als den Beginn der geschichtlichen Zeit zu bezeichnen. Denn von nun an erst haben wir inschriftliche Zeugnisse, deren zunächst spärliche Zahl allmählich immer mehr anwächst, und auch für den Ägypter des Altertums hat hiermit die schriftliche Tradition und damit die festgelegte Kenntnis seiner Vergangenheit begonnen; das wissen wir aus alten Königslisten und aus dem griechisch geschriebenen Geschichtswerk des ägyptischen Priesters Manetho, der um 250 v. Chr. gelebt hat. Mit dem Beginn politischer und kultureller Einheit hängt auch zusammen die Jahresrechnung, und wir wissen, daß, vielleicht nach längerer Vorbereitung, wohl 2*

20

Aus Ägyptens Geschichte

zwischen 3000 und 2800 v. Chr. das 3öjtägige Sonnenjahr in Ä g y p t e n eingeführt w o r d e n ist. Manetho berechnet die Geschichte Ägyptens bis auf Alexander den Großen nach Königsdynastien und nennt, übereinstimmend mit anderen Zeugnissen, den K ö n i g Menes als Begründer des Reiches und der ersten Dynastie. Diese Berechnung hat sich nach den Denkmälern für uns bewährt, aber auch die absoluten Daten haben wir inzwischen so weit feststellen können, daß sie fürs dritte Jahrtausend zwar in Einzelheiten ri$ch unsicher sind, v o n 2000 ab dagegen im ganzen festliegen. Die ersten beiden Dynastien, etwa 3000—2800 v . Chr., bilden die ägyptische Frühzeit, in der der Staat und alles Neugewachsene sich verfestigt hat. Die folgende, vier bis f ü n f Jahrhunderte dauernde Zeit bezeichnen wir als das Alte Reich. Seine Könige beherrschten von Memphis aus mit unbeschränkter Macht einen wohlgeordneten Beamtenstaat und hinterließen in den Pyramiden ewige Denkmäler ihrer göttergleichen Stellung und der hohen Kultur, die auch sonst aus den Kunstwerken der Zeit hervorleuchtet. A b e r diese Blüte ging in Jahrhunderten voll Wirren nieder. Erst der 11. Dynastie gelang es, Ägyptens Kräfte wieder zusammenzufassen und v o n neuem den Einheitsstaat aufzurichten. Das Mittlere Reich, die Zeit der 11. und 12. Dynastie, etwa v o n 2100 bis 1800 v . Chr., zeigt ein verändertes Gesicht: ein grundsässiger mächtiger Adel hatunter, ja fast neben dem Könige Platz gewonnen und den Beamtenstaat in einen Lehnsverband verwandelt. Kunst und Literatur erreichten damals vielleicht die schönste Reife, die Ä g y p t e n zeitigen konnte. Neue Unruhen erschütterten dann den Bau des Reiches, und Fremdherrscher, die sog. Hyksos, geboten lange Zeit über das Niltal. Als Ä g y p t e n wieder gefestigt aus dem Dunkel dieser w e n i g bekannten Jahrhunderte emportaucht, ist es ein Militärstaat', der im Gegensatze zu der Selbstgenügsamkeit der früheren Stufen auf Eroberung ausgeht. Das Neue Reich, das mit der 18. Dynastie, etwa 1850 v. Chr., beginnt, dringt erobernd nach Osten vor und begründet

Aus Ägyptens Geschichte

21

das erste Weltreich des Altertums. Theben wird die Hauptstadt der Welt, und an seinen Tempelwänden verewigen siegreiche Könige ihre Triumphe. Hand in Hand mit der politischen Ausdehnung greift auch Ägyptens Kultur über seine Grenzen hinaus und gewinnt lebhafte Beziehung zu dem kretisch-mykenischen Kreise, der die Länder um das Agäische Meer umfaßt. Im Innern drängt sich um Amenophis IV. eine lebhafte religiöse Bewegung und eine Kunstblüte eigenster Art zusammen. Aber in Kleinasien erwächst ein Gegner im Hethiterreiche und bricht die ägyptische Herrschaft über Vorderasien. Auch die Ruhmredigkeit der späteren Könige des Neuen Reichs, der Ramessiden, kann nicht verschleiern, daß sie Schritt um Schritt zurückgedrängt werden.1 Der Niedergang des Neuen Reichs, etwa um I I O O v. Chr., bedeutet Ägyptens Rücktritt von der großen Weltbühne. Während Amonspriester, libysche und äthiopische Fürsten die Doppelkrone von Ober- und Unterägypten an sich reißen, steigen andere Mächte zur Weltherrschaft empor, und endlich wird auch Ägypten eine Beute der kriegerischen Assyrer. Aber noch einmal rafft es sich unter einem einheimischen Könige auf: Psammetich I. befreit es, und die saitischen Herrscher der 26. Dynastie scheinen nach außen die Selbständigkeit, nach innen die Herstellung der alten Blüte zu erreichen. Aber es ist doch mehr ein Schein. Dem Perserreiche erliegt Ägypten 525 v. Chr., und damit endet trotz manchen vorübergehenden Erhebungen seine selbständige Geschichte; von nun an geht es aus den Händen einer Fremdmacht in die der anderen über-. Seine Größe und die Macht seiner Pharaonen sind dahin. Als Alexander der Große das persischeReich stürzt, eroberteer auch Ägypten 332 v. Chr. Nach seinem frühen Tode 323 v. Chr. wußte sich der makedonische General Ptolemaios aus dem zerfallenden Weltreiche das politisch und wirtschaftlich wertvolle Niltal zu sichern; er und seine Nachkommen, die Ptolemäer, haben es 30-Jahre lang als Könige beherrscht. War auch unter ihnen Ägypten ein eigener Staat, so blieben diese Pharaonen doch

22

Aus Ägyptens Geschichte

Fremde, und Makedonen und Griechen, die das Land durchdrangen, setzten den Einheimischen den Fuß auf den Nacken. Dafür eröffneten sie ihnen allerdings den Anschluß an die damalige griechische Weltkultur. Die Macht der Ptolemäer erlag dem unüberwindlichen Rom, das nach dem Haniiibaiischen Kriege (218—201 v. Chr.) nach Osten überzugreifen begann. Zuletzt war Ägypten nur ein Spielball der römischen Machthaber, die um das Erbe der sterbenden römischen Republik rangen. Uber Antonius und die ihm verbündete Kleopatra, die letzte Königin des Ptolemäerhauses, gewann 31 v. Chr. Oktavian bei Aktion den entscheidenden Sieg; als Kaiser Augustus beherrschte er im Rahmen des Weltreiches auch die Provinz Ägypten. Sie war ihm und seinen Nachfolgern besonders kostbar als die Kornkammer Roms, und mehr als einmal brachte in den Streitigkeiten um den Thron der Besitz Ägyptens die Entscheidung. Aber mehr als eine dienende Stellung vermochte das Land nicht zu erringen; der römische Statthalter mit seinen Legionen war sein Herr, und die griechische Weltkultur durchdrang es immer tiefer. Jedoch seit dem 2. Jahrh. n. Chr. zog eine neue geistige Macht, das Christentum, die Ägypter an sich und gewährte ihrem Volkstum eine Stütze gegenüber dem griechischen Wesen. Im übrigen mußte Ägypten alle Zuckungen des seit dem 3. Jahrh. n. Chr. langsam zusammenbrechenden römischen Weltreiches mit erleiden. Während der Kämpfe des persischen Sassanidenreiches gegen Ostrom drang unter der Regierung des K ö nigs Chosrau II. (590—628) der persische Feldherr Farruchän, der den Ehrentitel Schahrvaräz („Eber des Reiches") führte, in schnellen, siegreichen Zügen durch Syrien über Jerusalem, das im Juni 614 in seine Hände fiel, bis nach Ägypten vor. Zehn Jahre hielten die Perser das Land besetzt (bis etwa 629): neben einigen Andeutungen in ein paar griechischen Papyri weisen darauf die zahlreichen Papyri hin, die seit etwa 1878 bei Grabungen im Fajjum auftauchten. Erst das siegreiche Vordringen der Heere des Kaisers Heraklius vertrieb die Perser; jedochwährte die griechische

Aus Ägyptens Geschichte

23

Herrschaft nur ganz kurze Zeit: 641 wurde Ägypten von den überall siegreich vordringenden Arabern erobert und damit eine Provinz des großen Kalifenreiches. Mit der islamischen Religion setzte sich auch die arabische Sprache im Lande durch und wurde vorherrschend.

4. S T A A T S V E R W A L T U N G Z u allen Zeiten ist der K ö n i g unumschränkter Herr; rechtlich stehen die Pharaonen der Frühzeit, desAlten, Mittleren und Neuen Reichs zu ihren Untertanen genau so wie später die Perserkönige, die Ptolemäer, die römischen Kaiser und endlich die Kalifen. Das bedeutet aber keineswegs, daß ihre Macht immer gleich gewesen sei, vielmehr erlitt sie bald durch die Schwäche derHerrscher, innere Wirren oder Kriege, bald auch durch das Emporkommen eines Beamtenadels beträchtliche Einbuße; die Pyramidenerbauer und die großen Könige des Neuen Reichs gebieten mit derselben Machtfülle wie die ersten Ptolemäer und die römischen Cäsaren (P. I i 5 4 7 . 6890), während im Mittleren Reiche örtliche Grundherren neben ihnen emporkamen, deren gleichen wir 2 1 / 2 Jahrtausende später zur Zeit der byzantinischen Kaiser wiederfinden. V o n Beginn an erscheint Ä g y p t e n als reiner Staat; keine Spur v o n Geschlechtsverbänden ist mehr erkennbar. Sie müssen schon damals längst durch die örtliche Gliederung in Gaue beseitigt w o r den sein, der wir allein noch begegnen. N u r der Gau hat Eigenart in Religion und Sitte, nur der Wohnsitz bindet die Menschen aneinander. Demgemäß ist auch die Verwaltung auf den örtlichen Teilen des Staates aufgebaut, in der Kaiserzeit nicht anders als im AltenReiche.DieseÜbereinstimmung erlaubt uns,nach der genaueren Kenntnis, die wir aus griechisch-römischer Zeit besitzen, ein Bild v o n Altägypten zu zeichnen. U n d das Wenige, was wir sonst wissen, bestä. igt nur, daß immer die Verwaltung v o n einem sorgfältig abgestuften und geordneten Beamtenkörper geführt wurde, der zwar seine Macht aus der Hand des Königs empfing, in W i r k lichkeit aber eine weitreichende Gewalt ausübte. Damit hängt auch die seit alters für Ä g y p t e n bezeichnende amtliche Vielschreiberei zusammen; der Schreiber ist Ägyptens eigentlicherRegent immer geblieben (P. 6865). Eine wesentliche Änderung brachte erst die

Staatsverwaltung

25

Kaiserzeit mit der sog. Liturgie, dem Staatsamt ohne Entschädig u n g ; aber indem es hierdurch den wohlhabenden Einwohnern aufgebürdet wurde, büßte die Verwaltung ihre Zuverlässigkeit ein und trug zu dem allgemeinen Niedergange bei. Die Ausgaben des Staates, d. h. des Königs für seinen H o f , seine Bauten, seine Beamten und sein Heer (P. 6890) lasteten auf dem V o l k e ; es mußte sie teils in Gestalt Von Steuern abtragen, die in älterer Zeit durchweg in natura, später außer im Ertrage der Felder auch in Geld entrichtet wurden, teils durch seine Arbeit ableisten; nicht nur die Riesenbauten der Pyramiden und der thebanischen Tempel beruhen darauf, sondern auch Jahr für Jahr der regelmäßige Unterhalt der Dämme und Kanäle, v o n dem des Landes Ertrag abhing. A u c h hier dürfen wir v o n den zahlreichen Zeugnissen dergriechisch-römischenZeitauffrühereJahrtaus ende zurückschließen. Solange Ägypten unter Fremdherrschaft stand, warjedesmal das Herrenvolk v o n diesenLasten ganz oder teilweise frei; zumal die Griechen u n d R ö m e r genossen unter Ptolemäern und Kaisern eine bevorzugte Stellung. V o m altägyptischen Rechtswesen wissen wir noch nicht viel, denn die Zahl der Rechtsurkunden ist nicht groß, und in ihrer Vereinzelung bringen sie w e n i g Sicherheit (P. 9010); aber die Wissenschaft beginnt, dieses Gebiet zu durchforschen und verspricht wichtige Ergebnisse. Kräftige Spuren altägyptischen Rechts reichen noch in die griechisch-römische Zeit hinüber, und das ägyptische Urkundenwesen, das wir aus demotischen Texten besser kennen, hat sogar die Griechen beeinflußt. Endlich sind ägyptische Rechtsanschauungen zusammen mit griechischen v o n dem übermächtigen römischen Rechte aufgesogen worden, das gerade damals den Rechtsbegriffen aller Völker des Weltreichs den Antrieb zu neuer freierer Gestaltung entnahm. W i e das geschah, tritt un in Gesetzesrollen, in Urkunden und Prozeßverhandlungen dieser Zeit anschaulich entgegen. So haben gerade diese Blätter aus Ä g y p t e n einen außerordentlichen W e r t für die Kenntnis des römischen Rechts erlangt.

5. W I R T S C H A F T L I C H E Z U S T Ä N D E Ägypten war und ist ein Land des Ackerbaues. Sein fruchtbarer Boden gibt aber die berühmten Ernten nur her, wenn der Mensch seine ganze Kraft daransetzt, den Segen der jährlichen Nilüberschwemmung überall hinzuführen und das tausendmaschige Netz der Kanäle in Ordnung, die Dämme im Stande zu halten. W o die Überschwemmung unmittelbar nicht hingelangt, muß man das Wasser durch Hebewerke hinaufbefördern, vor Jahrtausenden nicht anders als heute. Den Hauptertrag der Felder bildet der Weizen, daneben Durra; aber auch Wein wurde gebaut, die Papyruspflanze gepflegt und besonders der Dattelpalme ihre Frucht abgewonnen. Weitaus der größte Teil des ägyptischen Volkes hat immer sein Leben in der harten Feldarbeit verbracht, nicht zu eigenem Gewinn, sondern im Dienste anderer. Das Land gehörte dem Könige und den Göttern: in manchen Zeiten, zumal -eit dem Ende des Neuen Reichs, mochten die großen Tempelgüter überwiegen. Der Bauer diente zwar persönlich frei aber doch an die Scholle gebunden-dem Könige oder dem Tempel, im Mittleren Reiche und zuletzt in byzantinischer Zeit auch dem grundbesitzenden Adel. Erst unter den Ptolemäern und noch mehr unter den römischen Kaisern entwickelt sich Privateigentum an Grund und Boden. Auch auf diesem Gebiete verdanken wir fast alles Wissen den Urkunden der griechisch-römischen Zeit und können den älteren Zuständen nur tastend nahe kommen. Dagegen tritt uns der Betrieb der Landwirtschaft in den Reliefs und Malereien altägyptischer Gräber so anschaulich entgegen, daß ein Kundiger, der auch die fast unveränderte Arbeitsweise der Gegenwart berücksichtigt, das lebendigste Bild zeichnen könnte. Neben dem Ackerbau und der damit verbundenen Viehzucht blühten die Gewerbe. Schon in früherer Zeit gaben die Stein-

Wirtschaftliche Zustände

27

brüche Ägyptens und der Sinaihalbinsel die Steine für Bauten und plastische Werke her. Die Funde von allerlei Hausgerät und •die Bilder in den Gräbern bezeugen, was das Handwerk leisten konnte. Besonders die Weberei scheint Tausende beschäftigt zu haben, in griechisch-römischer Zeit daneben die Glasindustrie und die Papyrusherstellung, die ja die ganze Kulturwelt zu versorgen hatte. Damals betrieb der Staat manche Gewerbe als Monopol, bald als Betriebs- bald als Verkaufsmonopol, und zwar gerade solche, die es mit der Massenware allgemeinen Verbrauchs und mit der Ausfuhr zu tun hatten. Vorher scheinen die Tempel Monopole besessen zu haben. Auf dem Ertrage des Ackerbaues und des Gewerbes beruhte der Handel. Schon die Handels fahrten unter den einheimischen Pharaonen haben sicher nicht nur fremde Waren und Merkwürdigkeiten aus Arabien und Ostafrika heimgebracht, sondern auch ägyptische Waren dorthin ausgeführt. Später wurde ägyptischer Weizen der Mittelmeerwelt unentbehrlich, und ganze Flotten versorgten die Kaiserstadt R o m . Zugleich nahm der Durchgangshandel mit den Waren des fernen Ostens, aus Indien, ja aus China, seinen W e g über Ägypten, teils auf den Karawanenstraßen, die in Syrien mündeten, teils zu Schiffe durchs Rote Meer, seitdem Kaiser Augustus die Seeweg gesichert hatte. Im Lande selbst bewegte sich zu allen Zeiten der Verkehr auf der großen Naturstraße, dem Nile; das Boot erscheint nicht nur in unzähligen Darstellungen menschlichen Lebens, sondern gehört auch in die Schicksale des Toten, ja in die Reisen der Götter und in die Mythologie. Die Dämme dem großen Strome und den Kanälen entlang dienten dem Fußgänger und Reiter als Straße; der Esel war das Reittier und Lasttier, während das Kamel, dem alten Ägypten, wie es scheint, zwar durch die Beduinen Arabiens bekannt wurde, aber erst in den letzten Jahrhunderten v. Chr. Aufnahmt fand. Daß die Ptolemäer und die Kaiser eine Staatspost betrieben, läßt Rückschlüsse auf ältere Zeit nicht zu.

28

"Wirtschaftliche Zustände

Erst sehr spät hat in Ägypten das Geld Eingang gefunden, denn die Wertmessung nach Ringen darf man keineswegs dem Gebrauche der Münze gleichsetzen. Dann bevorzugte man die Kupfermünzen, die noch lange die griechische Gold- und Silberprägung der Ptolemäer beeinflußt haben. Erst im Verbände des römischen Reichs entwickelten sich die Ansätze des Bankwesens zu einer Höhe, die fast dem heutigen Uberweisungsverkehre verglichen werden darf. Steuern wie Miete zahlte man durch Gutschrift auf Konto. Daß der Geldverkehr über den Münzbestand hinauswuchs, lehrt nicht nur das Girowesen, sondern auch der hohe Zinssatz, den die Urkunden bezeugen. Das sinkend® römische.Reich riß auch Ägypten in einen Geldsturz hinein, der kaum irgendwo seinesgleichen gehabt hat, es sei denn in der Inflation, die den älteren unter uns als erlebtes Beispiel einen Begriif geben kann.

6. L E B E N S W E I S E

Das Leben der Ägypter, ihre Arbeit u n d ihre Erholung, stellen uns zahllose Bilder, namentlich aus den Gräbern, noch heute anschaulich v o r Augen. Erst später treten ergänzend U r k u n d e n u n d Briefe hinzu, alles in allem eine solche Fülle einzelner Züge, daß kaum ein Volk des Altertums uns menschlich so nahe gerückt wird. W ä h r e n d wir die Pyramiden u n d andere gewaltige Grabbauten sowie die riesigen T r ü m m e r der thebanischen Tempel noch vor uns sehen, sind die Königsstädte, die sich daran schlössen, verschwunden, weil das Wohnhaus nicht f ü r die Ewigkeit, sondern aus leichten Ziegeln errichtet wurde, w o h l nicht u n ähnlich der Art, wie man heute in ägyptischen Städten u n d D ö r f e r n baut. Griechische Bauweise hat sich unter Ptolemäern u n d R ö m e r n n u r teilweise durchsetzen können, am meisten in der neuen Hauptstadt Alexaijdreia; dagegen beharrte bis in späteste Zeit der Tempelbau beim altägyptischen Stile. A u c h die Lebensmittel blieben im wesentlichen unverändert, da sie dem Ertrage des Bodens entsprachen: neben dem Brote waren es Feld- u n d Baumfrüchte, aber auch Fleischkost; als Getränk stand das beliebte ägyptische Gerstenbier obenan. Kleidung u n d Haartracht schildern die altägyptischen D a r stellungen mit einer Genauigkeit, der die Papyri der griechischrömischen Zeit trotz ihrer häufigen Erwähnungen solcher Dinge nichts Gleiches an die Seite stellen, so daß wir vom Alten Reiche bis auf die Zeit der saltischen Könige verfolgen können, wie die Tracht der Männer u n d Weiber sich wandelt, wie der König, der Priester, der Soldat sich kleidet, wie man sich frisiert u n d schminkt. Später hat dann griechische M o d e einen nicht u n w e sentlichen Einfluß gewonnen.

30

Lebensweise

Immer w a r in den Ä g y p t e r n die Freude an Geselligkeit und Festen lebendig, sei es nun, daß ein Familienfest oder ein Götterfest den Anlaß bot. Haben w i r aus alter Zeit die bildlichen D a r stellungen der Gastereien, so bringen die griechischen Papyri zur Ergänzung die Einladungskarten. W e n n die griechischen und römischen Schriftsteller recht haben, muß es bei ägyptischen Festen rauschend, j a w i l d leidenschaftlich zugegangen sein. Trotz aller Gesittung, trotz allem Anstand in der äußeren Haltung mag doch die N e i g u n g zur Gewalttat, v o n der so viele griechische T e x t e zeugen, ein eingewurzeltes 1 Merkmal gewesen sein. Daß die Beamten ihre Gewalt nur zu leicht mißbrauchten, lesen w i r ebenso in den Beschwerden der griechisch-römischen Z e i t wie in den Klagen des Bauern aus dem Mittleren R e i c h e (P. 3023). Im Bilde der Gesellschaft fehlte der Sklave nicht; aber er besaß w o h l nie die Bedeutung wie bei anderen Völkern des Altertums, w e i l die Arbeiten f ü r Bauten und Äcker des Königs ebenso w i e f ü r die gewerblichen Betriebe v o n der Masse des persönlich freien Volkes geleistet w u r d e n ; der Sklave w a r hier v o r w i e g e n d Diener des Hauses (P. 13065). D i e Stellung der Frau hat, soweit w i r sehen können, beträchtliche Wandlungen durchgemacht. Im alten Ä g y p t e n genoß die Frau eine erhebliche Bewegungsfreiheit, verkehrte im Kreise der Männer und scheint auch rechtlich ziemlich selbständig gewesen zu sein; dafür sprechen die bildlichen Darstellungen, manche Z ü g e der Literatur und wenigstens in der Spätzeit demotische Eheverträge. Die Griechen trugen dann ihre Anschauungen v o n den rechtlichen Schranken und der gesellschaftlichen Z u r ü c k haltung der Frau ins Land, j e d o c h ohne sie hier voll durchsetzen zu können. Auch der Frauenvormund, der nunmehr in R e c h t s geschäften neben der Frau auftrat, hob die freiere Auffassung der Ä g y p t e r nicht auf (P. 1 3 joo). Kein Merkmal hat sich im Lebep des ägyptischen Volkes s o stark aufgeprägt wie seine Sorge um Bestattung und Grab, undl

Lebensweise

31

dieser Z u g tritt gleichmäßig in den ältesten Zeugnissen wie in den spätesten zutage. Wie die religiöse Literatur zum großen Teile dem Toten gilt (P. 8351), so auch die Bauten von den Pyramiden an bis zu den Gartengräbern der Alexandriner. Die Ausstattung der Mumien, ihre Einbalsamierung und der Totenkult beschäftigten ein Heer von Priestern und Handwerkern.

7. R E L I G I O N Gemäß der Bedeutung des Gaus haften auch die Götter am örtlichen Bezirk. Aber neben den Gaugöttern, die in ihrem B e reiche Schützer u n d Herren aller Lebensgebiete sind, stehen andere, deren Macht zwar nicht örtlich, aber auf bestimmte W i r kungen beschränkt ist. Z u allgemeiner Verehrung in ganz Ä g y p ten dringen v o r allem der Sonnengott R e u n d später, im Z u s a m menhange mit dem Aufstiege Thebens, der thebanische A m o n vor. Die Göttersysteme, die in der Spätzeit den staunenden Griechen vorgetragen wurden, sind verhältnismäßig j u n g u n d beruhen auf einer Verschmelzung veschiedener voneinander u n abhängiger Mythologien. Aus ältester Zeit rührt schon dar Glaube her, tlaß der Gott in einem heiligen Tiere W o h n u n g mache; die Kunst stellt ihn als Menschen mit Tierkopf dar. Aber erst spät, gerade in griechisch-römischer Zeit, drängt sich der Tierkult in den Vordergrund. N e b e n den großen Göttern spielt im täglichen Leben eine vielleicht noch wichtigere Rolle die Schar der niederen Dämonen. Vornehmlich aber beherrschen die Totengötter den Vorstellungskreis des Ägypters, an ihrer Spitze Osiris mit seinem Gefolge v o n Göttern und M y t h e n . Die ägyptische Götterwelt stand so mächtig im Volksleben, ihr Gottesdienst wirkte so tief u n d weit, daß er die Griechen, seit Alexander dem Großen das Herrenvolk, in seine Fesseln schlug; in der beliebten Gleichung griechischer Götter mit ägyptischen ü b e r w o g weitaus das ägyptische W e s e n . Die göttliche Verehrung des Königs war den Ägyptern geläufig, so daß sie im hellenistischen Herrs'cherkult u n d später im Kaiserkult, die anderen Ursprungs waren, n u r die Fortsetzung alter Gewohnheit sahen. D e n Griechen erschienen die Ägypter als das frömmste aller Völker. Fällt auch Frömmigkeit nicht zusammen mit Gottesdienst

Religion

33

so d u r c h d r a n g d o c h hier eine religiöse S t i m m u n g w i r k l i c h das ganze L e b e n . A u s der griechischen Z e i t z e u g e n namentlich die B r i e f e d a v o n ; n u r d a r f m a n nicht religiöse Innerlichkeit e r w a r ten, sondern m u ß sich klarmachen, daß die zahlreichen f r o m m e n B e t ä t i g u n g e n , O p f e r , Stiftungen, W a l l f a h r t e n , G e b e t e u n d Ä u ß e rungen f r o m m e r G e s i n n u n g beim Durchschnitte der M e n s c h e n an der O b e r f l ä c h e haften. U n t e r dieser V o r a u s s e t z u n g aber bleibt der stark religiöse Einschlag im ägyptischen L e b e n u n v e r k e n n bar. A u f niederster S t u f e äußert er sich im Zauberwesen,

das in

Ä g y p t e n eine seiner sichersten Heimstätten f a n d u n d d u r c h allen W a n d e l der G ö t t e r u n d des Glaubens sich behauptete. In hellenistischer Z e i t n a h m e n gerade die religiös höheren M e n s c h e n den W e g a u f die Mysteriendienste, u n d im Anschlüsse an geheimnisv o l l e B r ä u c h e bildeten sich G e m e i n d e n , die zumal im N a m e n der Isis u n d des H e r m e s eine geläuterte A u f f a s s u n g v o n G o t t u n d v o m Inhalte des Menschenlebens suchten. S o g a r das

Christentum

w a r eine Z e i t l a n g in Gefahr, in solchem M y s t e r i e n g l a u b e n a u f z u g e h e n . A b e r es w u ß t e sich d a v o n z u lösen u n d , zumal n a c h d e m es die s c h w e r e n äußeren V e r f o l g u n g e n überstanden hatte (P. 13430), die M a s s e des ägyptischen V o l k e s z u sich h i n ü b e r z u ziehen, n i c h t z u m w e n i g s t e n , w e i l es-lange Z e i t mit der griechischen O b e r s c h i c h t a u f g e s p a n n t e m Fuße stand. Gerade im inneren Ä g y p t e n t r u g es ein entschieden völkisches G e p r ä g e , im G e g e n satze z u der D u r c h d r i n g u n g griechischer u n d christlicher G e d a n k e n , die in Alexandreia ihre Stätte f a n d . S o stehen a u c h unter den P a p y r u s f u n d e n a u f der einen Seite die Z e u g e n griechischer T h e o l o g i e (P. 5010. 10677), a u f der andern die k o p t i s c h e n S c h r i f t stücke ägyptischer Sprache (P. 1 1 9 6 6 . 15996). U n t e r den K o p ten, den ägyptischen Christen, e n t w i c k e l t e sich am frühesten u n d stärksten das M ö n c h t u m z u einem H a u p t m e r k m a l e ihres C h r i stentums. Z u allen Z e i t e n besaß in Ä g y p t e n die Priesterschaft eine b e d e u tende Stellung, u m so stärker, j e mehr die K ö n i g s m a c h t sank. D i e g e w a l t i g e n T e m p e l b a u t e n im alten T h e b e n g e w ä h r e n n o c h heute 3

Ibscher, Papyri

34

Religion

den wirksamsten Eindruck davon. Neben den eigentlichen Priestern, den „Gottesdienern", standen im ägyptischen Altertum Laienpriester, die wechselnd den heiligen Dienst versahen. Wie die Tempelverwaltung bei der Größe des Tempelbesitzes und der Menge der Priesterschaft sich ausdehnte und gleich dem Staate mit unendlichem Schreibwerk arbeitete (P. 1 0 0 1 2 . 10016), so forderte auch der Gottesdienst ein entwickeltes Ritual heiliger Handlungen.

8. B I L D U N G Daß Altägyptens Literatur zum großen Teile religiösen Inhalts ist, wird nun nicht mehr wundernehmen. Auf früheste Zeit gehen die sog. Pyrami^entexte zurück, die sich durch die Jahrtausende fortpflanzen; sie behandeln das Leben des Königs im Jenseits. Um 2000 v. Chr. tritt an ihre Stelle das bürgerliche Totenbuch, das dem gewöhnlichen Menschen gilt und daher vielfach erhalten ist. Dazu kommen Ritualbücher. Auch religiöse Hymnen hat Ägypten erzeugt, deren einige sich den Psalmen Israels an die Seite stellen dürfen. Daneben aber werden auch weltliche Dichtungen, namentlich volkstümliche Märchenerzählungen, hohen Alters sein; sie liegen freilich erst in verhältnismäßig späten A u f zeichnungen vor (P. 3033). Ihre eigentliche Blüte erlebte Ä g y p tens Literatur, wie es scheint,- im Mittleren Reiche; poetische E r zählungen, wie die Abenteuer des Sinuhe in Palästina (P. 3022), die halb rhetorische Dichtung vom beredten Bauern (P. 3023), die Gedankendichtung vom Gespräch des Lebensmüden mit seiner Seele zeugen davon. Nicht minder die Reste wissenschaftlicher Werke, denen man freilich die auch weiterhin viel verbreiteten medizinischen Papyrusrollen (P. 3038) nur mit Bedenken einreihen mag, da hier neben Erfahrungskenntnissen der wildeste Zauberspuk sich entfaltet. In der Geschichtsschreibung scheint der Ägypter über nüchterne Königslisten kaum hinausgelangt zu sein, obgleich die amtlichen Tagebücher wertvolle Quellen waren. Dagegen muß die Astronomie geblüht und auch eine Literatur erzeugt haben, von der wir freilich nur wenig in Händen halten. Von dem Reichtum der ägyptischen Li' eratuf läßt uns die mangelhafte und zufällige Überlieferung nur hier und dort etwas sehen, so daß wir Zeugnisse frühester und spätester Zeit zusammenrücken müssen, um einigermaßen ein Bild zu gewinnen. 3*

Bildung

36

Jedenfalls hat n e b e n der W e i t e r g a b e der alten religiösen F o r m e l n auch die Literatur der M y t h e n u n d die v o l k s t ü m l i c h e E r z ä h l u n g n o c h f o r t g e l e b t , als bereits die griechische B i l d u n g e i n g e d r u n g e n w a r u n d alle höher strebenden Kreise der Ä g y p t e r an sich g e z o g e n hatte. D i e G r i e c h e n b r a c h t e n ihre Literatur mit, u n d eine Fülle v o n griechischen literarischen T e x t e n ist unter den P a p y r i g e f u n d e n w o r d e n , nicht n u r längst bekannte W e r k e w i e H o m e r (P. 1 1 5 1 6 ) , Piaton, D e m o s t h e n e s u s w . , s o n d e r n auch vieles N e u e , D i c h t u n g e n der S a p p h o (P. 9722), des A l k a i o s (P. 9810), der K o r i n n a (P. 13284), des T i m o t h e ö s v o n M i l e t (P. 9875), neue Stücke v o n Sophokles (P. 9908) u n d Euripides (P. 13 217) u n d v o r allem die Lustspiele M e n a n d e r s , u m n u r einige der berühmtesten z u n e n nen. In A l e x a n d r e i a w u r d e n der P t o l e m ä e r h o f u n d die g r o ß e B i b l i o t h e k f ü r D i c h t u n g u n d W i s s e n s c h a f t ein M i t t e l p u n k t , der die V e r b i n d u n g mit dem gesamten Hellenentum unterhielt, aber auch selbst D i c h t u n g e n w i e die des Kallimachos, u n d w i s s e n schaftliche W e r k e , namentlich medizinische, mathematische u n d Erläuterungsschriften z u den Klassikern (P. 9782) erzeugte. In der Kaiserzeit reihte sich eine griechische Volksliteratur an, u n d mit dem Christentume z o g auch die Heilige Schrift nebst anderen W e r k e n christlichen Inhalts ins L a n d (P. 5010). .

W i e diese griechische Literatur a u f ägyptischem B o d e n etwas

Fremdes bleibt, so auch das griechische T h e a t e r u n d die g r i e c h i sche M u s i k (P. 6870). E b e n s o w e n i g d ü r f e n w i r i f g e n d e i n e B r ü c k e v o m altägyptischen Schulunterrichte, nung

der

Schrift

und

des

der die s c h w i e r i g e

schönen Stils

zum Ziele

Erlernahm

(P. 3043), z u der Schule der griechischen Z e i t z u schlagen suchen ( P . I i 529). N i c h t minder selbständig hält sich die bildende Kunst der Ä g y p ter, die B a u k u n s t w i e die Bildhauerei u n d die Malerei, solange sie überhaupt besteht. Ihre Leistungen, b e w u n d e r n s w e r t nicht n u r in der B e w ä l t i g u n g der M a s s e n u n d der B e h a n d l u n g des härtesten Steins, sondern auch in der A u s d r u c k s f ä h i g k e i t u n d der

Bildung

37

Reinheit des Stils, heben sich etwa im AltenReiche, dann im Mittleren Reiche, in den Tagen Amenophis' IV., endlich unter den Königen aus Sa'is ganz besonders sichtlich über den fast immer tüchtigen Durchschnitt hinaus. N o c h zur Zeit der Ptolemäer führt man große ägyptische Tempel auf und bedeckt ihre Wände im alten Stile mit Reliefs oder Malereien, während rings umher griechische Bauweise sich in den neuen Großstädten ausbreitet und griechische Maler die Mumienporträts der Wohlhabenden anfertigen.

9. S C H R I F T U N D

SPRACHE

T r o t z d e m Z u f a l l der Funde gewähren, die P a p y r i auch in Sprache u n d Schrift ein B i l d der B e v ö l k e r u n g Ä g y p t e n s . D i e Sprache des im g a n z e n einheitlichen V o l k e s durchlebte z w a r im L a u f e der Jahrtausende die natürlichen W a n d l u n g e n der E n t w i c k l u n g , n a h m aber f r e m d e E i n w i r k u n g n u r beschränkt auf; erst das Griechische v e r m o c h t e sie zurückzudrängen, erst das Arabische sie v ö l l i g z u beseitigen. Z u r Z e i t der ältesten D e n k m ä l e r , e t w a 3300 v . C h r . , hatte die ägyptische Schrift den Ü b e r g a n g v o n der B i l d e r s c h r i f t zur L a u t schrift längst v o l l z o g e n . W ä h r e n d die ursprüngliche Bilderschrift d u r c h B i l d e r o d e r S y m b o l e einen Inhalt, also n o c h nicht W o r t e o d e r Sätze, ausdrückt u n d die sprachliche Fassung dem Leser überläßt, erscheinen damals die ägyptischen Hieroglyphen

bereits

als e n t w i c k e l t e Lautschrift, die j e d e S p r a c h f o r m w i e d e r z u g e b e n v e r m a g . D i e g r u n d l e g e n d e E n t d e c k u n g , daß die Sprache sich mit einer beschränkten Z a h l v o n Lauten umschreiben lasse, m u ß viel älter sein. J e d o c h hat die ägyptische Schrift eine R e i h e v o n W o r t zeichen, d. h. v o n B i l d e r n mit w i r k l i c h e r B i l d b e d e u t u n g , n e b e n der Buchstabenschrift b e w a h r t , außerdem sich des Deutbildes b e dient, u m die BegrifFsgattung z u bezeichnen, der das lautlich g e schriebene W o r t angehört, u n d diese G r u n d z ü g e behauptet, s o lange man ägyptisch schrieb. D i e Schriftzeichen selbst w u r d e n s c h o n in sehr früher Z e i t durch den häufigen G e b r a u c h zumal a u f Papyrus abgeschliffen zu einer G e s c h ä f t s - u n d B u c h s c h r i f t , die w i r Hieratisch nennen. Sie w i r d immer geläufiger u n d f l ü c h tiger und bildet sich

chließlich z u m Demotischen aus, d e m man

die H e r k u n f t v o n den H i e r o g l y p h e n nicht mehr ansieht. ( V g l . die ausgestellten Schrifttafeln.) D i e H i e r o g l y p h e n aber w e r d e n bis in späteste Z e i t f ü r monumentale Inschriften u n d f ü r gewisse

Schrift und Sprache

39

religiöse Texte, namentlich das Totenbüch, weiter angewendet, s o daß sie neben dem Hieratischen und Demotis chen fortbestehen. Erst um 200 n. Chr. etwa, als die griechische Kultur Ägypten beherrschte, führte man an Stelle der schwierigen demotischen Schrift das griechische Alphabet mit einigen Zusatzzeichen ein. Diese koptische Schrift gibt also die spätägyptische Sprache wieder, wesentlich gefördert durch das eindringende Christentum; demotische und hieroglyphische Schrift gingen aber noch eine Zeitlang sneben ihr her. Die Ansiedler semitischer Herkunft auf ägyptischem Boden hielten z. T . an ihrer Sprache und Schrift fest. Besonders deutlich sehen wir es an der jüdischen Siedlung auf der Insel Elefantine im 5.Jahrh. v . C h r . Sie bedient sich der atamäischen Schrift und Sprache, wie die dort ausgegrabenen, namentlich religionsgeschichtlich hochwichtigen Papyri dartun. Das Aramäische, dem Hebräischen verwandt, war damals die Verkehrssprache Vorderasiens. Vereinzelte hebräische Papyri stammen aus jüdischen Kreisen weit späterer Zeit. Die große Mehrzahl der sehr stattlichen jüdischen Einwohnerschaft Ägyptens, zumal Alexandreias, hat sich der griechischen Kultur und Sprache eingefügt, ist doch aus ihrem Kreise die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die Septuaginta, hervorgegangen. W o h l nicht mehr als Zufall ist der Fund eines späten syrischen Schriftstückes,. Dagegen spiegelt sich in der nicht unbeträchtlichen Menge der sog. Pehlevi-Hmdschriften, die persische Sprache in spätaramäischer Schrift wiedergeben, die kurze Zeit der Sassanidenherrschaft über Ägypten, 619—629 n. Chr. Endlich hat die arabische Eroberung 641 n. Chr. zwar nicht mit einem Schlage, aber allmählich und gründlich dem Arabischen in Sprache und Schrift zum Siege verholfen, wenn auch das Koptische noch jahrhundertelang fortdauerte. Unter den Ptolemäern trugen die Regierung und die starke griechische Einwanderung das Griechische ins Niltal. Griechisch wurde Sprache des Staates und blieb es auch unter der römischen Herrschaft bis zur arabischen Eroberung; es beherrschte in

40

Schrift und Sprache

weitem Umfange den Verkehr, weil es die Sprache der Kulturwelt war, und zwar in der abgeschliffenen Gestalt, die sich durch den allgemeinen Gebrauch in der östlichen Mittelmeerwelt herausbildet. In den griechischen Papyri tritt uns diese sog. Gemeinsprache (Koine) und daneben das volkstümliche, unliterarische Griechisch entgegen; ihre Entwicklung können wir durch Jahrhunderte an einer Fülle von Schriftstücken verfolgen. In der Sfchrift sondern wir die Schönschrift der Bücher von der Geschäftsschrift der.Urkunden und Briefe; auch hier liegt der ständige Fortgang so klar vor unseren Augen wie sonst nirgends. Die Buchschrift setzt Buchstaben unverbunden neben Buchstaben, während die Kursive des täglichen Lebens die Zeichen bequem zu formen und zu verbinden strebt. Auch eine Kurzschrift hat sich früh ausgebildet (P. 1 1 8 4 1 ) . Die römischen Kaisertasteten die Herrschaft des Griechischen im Osten des Reiches nicht an;nur im Bereiche des Heeres und in gewissen Rechtsgeschäften römischer Bürger mußte Latein angewendet werden. Daher sind lateinische Schriftstücke aus Ägypten selten, aber um so kostbarer, weil es fast ganz an lateinischen Handschriften der ersten Kaiserzeit aus anderen Ländern fehlt. Um den Ägyptern einige Kenntnis des Lateinischen zu verschaffen, verfaßte man Gesprächsmuster, worin das Latein mit griechischen Buchstaben geschrieben würde und die griechische Sprache zwischen ihm und dem Koptischen vermittelte (P. 10582). Andere Bestandteile der Bevölkerung, fremde Splitter unter den Millionen der echten Ägypter, haben ihre Spur nur durch ganz vereinzelte Schriftstücke oder nur durch Erwähnungen und durch Personennamen, namentlich in den Papyri der griechischen Zeit, auf uns gebracht: so die anscheinend seit Alexander dem Großen, vielleicht auch schon vorher ziemlich zahlreich angesiedelten Perser, sodann Galater und Thraker, die als Soldaten der Ptolemäer Landgüter erhielten, und Kleinasiaten wie Myser, Phryger, Lykier, Kilikier, Bithyner; vom Oberlaufe des Nils Nubier und Blemyer; dagegen sind die Söhne nördlicher und

Schrift und Sprache

41

westlicher Völker, abgesehen von. Ägyptens westlichen Nachbarn, den Libyern, ganz selten. Auch die Zahl der Italiker blieb gering. Besonders merkwürdig sind neben den Spuren indischer Besucher und indischer Sprache, die sogar auf dem Theater vorgeführt wurde, die Zeugnisse für Germanen im Niltale; ein Fetzen der gotischen Bibelübersetzung erinnert an die germanischen Truppen, die den byzantinischen Kaisern das Reich stützten. Germanische, im besonderen gotische Personennamen tauchen vereinzelt auf, und auf einem Ostrakon aus Syene lesen wir den Namen der semnonischen Sibylle Baluburg, das heißt Walburg, die aus dem Herzen Deutschlands irgendwie an Ägyptens Südgrenze verschlagen worden ist.

BÜCHER i.

Papyrus-Forschung

Gtanville, S. R. K., The Legacy of Egypt. O x f o r d 1942/3. Mineis, C. und Wikken, Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde; Histologischer Teil (Darstellung und ausgewählte Texte) von Wilcken; Juristischer Teil (Darstellung und ausgewählte Texte) von Mitteis. 4 Bde. Leipzig 1912. Peremans, IV. en J. Vergote, Papyrologisch Handboek. Löwen 1942. Preisendanz, K., Papyrusfunde, Papyrusforschung. Leipzig 1933 Schubart, W., E i n f ü h r u n g in die Papyruskuntle Berlin 1918.

2. Ägypten unter den Pharaonen Breasied.J.H., Geschichte Ägyptens. Deutsch von H . R a n k e . Phaidon-Verlag *S3ö Ertnatt, Ad., Ägypten und ägyptisches Leben im Altertum. Neubearbeitet von H . Ranke Tübingen 1922. Erman. Ad., Die Religion der Ägypter. Berlin und Leipzig 1934. Erman, Ad., Die Literatur der Ägypter. Leipzig 1923. Erman, Ad. und F r Krebs, Aus den Papyrus der Königlichen Museen. Berlin 1899Erman, Ad., Ägyptische Grammatik'. 1928. Erman, Ad., Die Hieroglyphen* (Sammlung Göschen ) Berlin 1917 Erman. Ad., Die Welt am Nil. Berlin 1936 Evers, H. G., Staat aus dem Stein. München 1929. Gardiner, A. H„ Egyptian Grammar. O x f o r d 1927 . Junker, H„ Die Völker des antiken Orients: Die Ägypter. Freiburg 1933. Kees, H., Ägypten. Religionsgeschichtliches Lesebuch. Tübingen 1928. Meyer Ed., Geschichte des Altertums*. Bd. I Stuttgart und Berlin 1921. Möller, G., Hieratische Paläographie. 3 Bde. u. 1 Ergänzungsheft. Leipzig 1 9 0 9 - 1912; 1936. Ranke, H, Ägyptische Texte. (Altorientalische Texte und Bilder, herausgegeben von H . Greßmann I, 8off.) Roeder, G. Urkunden zur ägyptischen Religion. Jena 1916. Scharff.