Die mythische Bedeutung des meeres in Ägypten, Ugarit und Israel

Table of contents :
Einführung: Die religiöse Bedeutung des Meeres für den Menschen in Vergangenheit und Gegenwart
Erster Teil: Die mythische Bedeutung des Meeres im Alten Ägypten
1. Die Eigenart der altägyptischen Religion
2. Die mythische Bedeutung des Meeres in der Religion des alten Ägyptens
a) Die Aufgabe der Quellenauswahl
b) Die mythische Bedeutung des Meeres nach dem 17. Kapitel des ägyptischen Totenbuches
c) Die Stellung des Nun nach dem Denkmal memphitischer Theologie
d) Die kosmische Erstreckung des Nun
e) Nun und Nil
f) Die Bezeichnungen für das offene Meer
g) Eschatologische Vorstellungen vom Meer
h) Ägyptische Vorstellungen vom Meer als einer lebensfeindlichen Macht
Zweiter Teil: Die mythische Bedeutung des Meeres in den Texten von Ras Schamra — Ugarit
1. Die Textfunde von Ras Schamra und ihre Bedeutung
a) Lage und Bedeutung von Ras Schamra im Altertum
b) Die Textfunde von Ras Schamra und ihre Veröffentlichungen
c) Die Bedeutung der Textfunde für die Religionsgeschichte des vorderen Orients
2. Der ugaritische Mythos vom Kampf zwischen Baal und Jam
a) Die Texte
b) Text 129: Jams Ernennung zum König der Erde
c) Text 137: Die Botschaft Jam’s an die Götterversammlung
d) Text 68: Der Angriff Baal’s auf Jam
e) Text 67:I:1—3; 28—30 und ‘nt: III: 33—44. Baal und Anat als Bezwinger des Leviathan
Dritter Teü: Fremde Einflüsse auf die mythische Schilderung des Meeres in ägyptischen Texten des Neuen Reiches und der Spätzeit
1. Das Meer in dem Märchen von den beiden Brüdern
2. Das Meer in der Fabel vom Meer und der Schwalbe
3. Das Meer in dem Astarte Papyrus
Vierter Teil: Die Betrachtung des Meeres innerhalb der israelitischen Religion Vorüberlegung
A. Spuren altertümlicher Vorstellungen über Wassergottheiten in den israelitischen Geschichtserzählungen
1. Der Gott vom Brunnen lahaj ro’i, Gen 16 7-14
2. Der Jakobskampf am Jabbok, Gen 32 23-33
3. Die Heilung des Syrers Naaman, II Reg 51-19
B. Meer und Fluß in den Geschichtsbüchern
1. Das Wasser in der Jahwistischen Paradieserzählung
2. Die Herkunft der Tradition von den vier Paradiesesströmen, Gen 2 10-14
3. Das Chaos in dem Schöpfungsbericht der Priesterschrift
4. Die Fluterzählung des Jahwisten und in der Priesterschrift
a) Verlauf der Flut
b) Die Frage nach dem Ursprung der israelitischen Fluterzählung
5. Der Zug der Israeliten durch das Schilfmeer
6. Israels Zug durch den Jordan
C. Anspielungen auf einen Drachenkampf Jahwes in der prophetischen und poetischen Literatur des Alten Testaments
D. Urmeermythen und Schöpfungsglaube
Nachtrag
Verzeichnis der Abkürzungen
Literaturverzeichnis
Register

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OTTO KAISER D I E MYTHISCHE BEDEUTUNG DES M E E R E S I N ÄGYPTEN, UGARIT UND ISRAEL

FILIUS PARENTI BUS PI ETATE

OTTO KAISER

D I E MYTHISCHE B E D E U T U N G DES MEERES IN ÄGYPTEN, UGARIT U N D ISRAEL

Z W E I T E Ü B E R A R B E I T E T E U N D UM E I N E N V E R M E H R T E AUFLAGE

NACHTRAG

1962

VERLAG

ALFRED

TÖPELMANN

·

BERLIN

BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR DIE ALTTESTAMENTLICHE WISSENSCHAFT HERAUSGEGEBEN VON GEORG

FOHRER



© 1962 by Alfred Töpelmann, Berlin W 30, Genthiner Straße 13 Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten Printed in Germany Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W30 Archiv-Nr. 3833623

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Hochwürdigen EvangelischTheologischen Fakultät der Universität Tübingen als InauguralDissertation angenommen. Referent war Prof. D. ARTUR WEISER und Korreferent Prof. D. K A R L ELLIGER. Die mündliche Prüfung fand unter dem Dekanat von Prof. D. ADOLF KÖBERLE am 2. Juli 1956 statt. Die Anregung zu der Arbeit, die ich hier in einer mehrfach überarbeiteten Gestalt vorlege, erhielt ich in einem ägyptologischen Seminar von Prof. Dr. HELLMUT BRUNNER im Sommersemester 1 9 5 4 . Meine Beschäftigung mit dem Stoff geht weit bis in die Studentenzeit zurück, in der meine Aufmerksamkeit durch meine Tübinger alttestamentlichen Lehrer Prof. D. ELLIGER und Prof. D. WÜRTHWEIN auf ihn gelenkt wurde. Ich erhebe mit dieser Schrift nicht den Anspruch, dem Ägyptologen oder dem Semitisten auf seinem Gebiete etwas Neues vorzutragen. Es geht mir vielmehr um den Vergleich des alttestamentlichen Materials mit den seit Gunkels Schrift über Schöpfung und Chaos in Urzeit und Endzeit bekannt gewordenen religiösen Vorstellungen seiner Umwelt. Zurückhaltung in allen strittigen Fragen erachtete ich daher als geboten. Mein Dank gilt allen denen, die mich während meiner Studienund Assistentenjahre wissenschaftlich und persönlich gefördert haben, besonders meinem Lehrer, Herrn Prof. D. WEISER, sowie den Herren Professoren Dr. HELLMUT BRUNNER und Dr. OTTO RÖSSLER, die besonderen Anteil an dem Fortgang der vorliegenden Arbeit genommen haben. Einen öffentlichen Dank schulde ich der Studienstiftung des Deutschen Volkes, die mir unter ihrem einstmal gen Tübinger Vertrauensdozenten, Herrn Prof. Dr. W . WEISCHEDEL, während der Hälfte meiner Studentenzeit die Möglichkeit zu ungestörter Arbeit bot. Herrn Prof. D. Dr. JOHANNES HEMPEL bin ich für die Aufnahme der Schrift in die Beihefte zur ZAW und wertvolle Hinweise zur Vorbereitung der Drucklegung ebenso dankbar verpflichtet wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die den Druck der Arbeit ermöglichte. Meinem Freund, Herrn stud, theol. K.-D. MARXMEIER aus Bünde, danke ich für treue Hilfe beim Lesen der Korrekturen. Tübingen, im Sommer 1958.

Otto Kaiser

Vorwort zur zweiten Auflage Der zweiten Auflage liegt ein photomechanischer Nachdruck der ersten zugrunde. Der Text wurde durchgesehen und, wo es mir nötig schien, verbessert. Kleinere Zusätze und Literaturhinweise, die nicht in die Darstellung eingearbeitet werden konnten, sind in einem Nachtrag enthalten, auf den jeweils durch einen auf den Rand gesetzten Stern verwiesen wird. Um den Benutzern der ersten Auflage die Orientierung zu erleichtern, weise ich darauf hin, daß die Seiten 49, 57—59, 75—76, 107—112 und 145 neu gefaßt worden sind. Dank dem Entgegenkommen des Verlages konnten dieser Auflage ein Literaturverzeichnis und ein Register beigegeben werden. Eine thematische Ausweitung der Untersuchung auf die mesopotamischen Traditionen mußte ich mir auch diesmal versagen, da sie nur im Rahmen einer völligen Neubearbeitung des Buches sinnvoll wäre. Mein Dank gilt dem Verlag, der mich zu dieser Neuauflage ermutigt hat. Er gilt ebenso den Herren Rezensenten, von denen ich gern zu lernen bereit war. Für Literaturhinweise habe ich den Herren EISSFELDT in Halle, OTTEN in Marburg, RUDOLPH in Münster und WÜRTHWEIN in Marburg zu danken. Bei der Beschaffung der Literatur und der Herstellung der Register hat mich meine wissenschaftliche Hilfskraft, Herr stud, theol. VOLKMAR FRITZ aus Essen, unermüdlich unterstützt. Auch Herrn stud. phil. DIETRICH FISCHER aus Marburg habe ich für seine Hilfe zu danken. Marburg, im Spätsommer 1961

Otto

Kaiser

Inhaltsverzeichnis Seite

Einführung: Die religiöse Bedeutung des Meeres für den Menschen in Vergangenheit und Gegenwart

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Erster Teil: Die mythische Bedeutung des Meeres im Alten Ägypten 1. Die Eigenart der altägyptischen Religion 2. Die mythische Bedeutung des Meeres in der Religion des alten Ägyptens a) Die Aufgabe der Quellenauswahl b) Die mythische Bedeutung des Meeres nach dem 17. Kapitel des ägyptischen Totenbuches c) Die Stellung des Nun nach dem Denkmal memphitischer Theologie . . d) Die kosmische Erstreckung des Nun e) Nun und Nil f) Die Bezeichnungen für das offene Meer g) Eschatologische Vorstellungen vom Meer h) Ägyptische Vorstellungen vom Meer als einer lebensfeindlichen Macht. .

4 9 10 18 19 27 82 36 36

Zweiter Teil: Die mythische Bedeutung des Meeres in den Texten von Ras Schamra — Ugarit 1. Die Textfunde von Ras Schamra und ihre Bedeutung a) Lage und Bedeutung von Ras Schamra im Altertum b) Die Textfunde von Ras Schamra und ihre Veröffentlichungen c) Die Bedeutung der Textfunde für die Religionsgeschichte des vorderen Orients 2. Der ugaritische Mythos vom Kampf zwischen Baal und Jam a) Die Texte b) Text 129: Jams Ernennung zum König der Erde Exkurs: Wohnsitz und Wesen des Gottes El Erläuterungen zu Text 129 c) Text 137: Die Botschaft Jam's an die Götterversammlung Erläuterungen d) Text 68: Der Angriff Baal's auf Jam Erläuterungen e) Text 67:1:1—3; 28—30 und "nt:III:33—44. Baal und Anat als Bezwinger des Leviathan

40 41 42 44 44 47 66 69 62 69 71 74

Dritter Teil: Fremde Einflüsse auf die mythische Schilderung des Meeres in ägyptischen Texten des Neuen Reiches und der Spätzeit 1. Das Meer in dem Märchen von den beiden Brüdern

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2. Das Meer in der Fabel vom Meer und der Schwalbe

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3. Das Meer in dem Astarte Papyrus

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Vili

Inhaltsverzeichnis

Vierter Teil: Die Betrachtung des Meeres innerhalb der israelitischen Religion Vorüberlegung

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A. Spuren altertümlicher Vorstellungen über Wassergottheiten in den israelitischen Geschichtserzählungen 1. Der Gott vom Brunnen lahaj ro'i, Gen 16 7-14

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2. Der Jakobskampf am Jabbok, Gen 32 23-38

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3. Die Heilung des Syrers Naaman, I I Reg 61-19

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B. Meer und Fluß in den Geschichtsbüchern 1. Das Wasser in der jahwistischen Paradieserzählung

101

2. Die Herkunft der Tradition von den vier Paradiesesströmen, Gen 2 ίο-i* . 107 3. Das Chaos in dem Schöpfungsbericht der Priesterschrift

112

4. Die Fluterzählung des Jahwisten und in der Priesterschrift a) Verlauf der Flut

120

b) Die Frage nach dem Ursprung der israelitischen Fluterzählung . . . 122 6. Der Zug der Israeliten durch das Schilfmeer

130

6. Israels Zug durch den Jordan

136

C. Anspielungen auf einen Drachenkampf Jahwes in der prophetischen und poetischen Literatur des Alten Testaments 140 D. Urmeermythen und Schöpfungsglaube Nachtrag Verzeichnis der Abkürzungen

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Literaturverzeichnis Register

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Einführung Die religiöse Bedeutung des Meere« für den Menschen in Vergangenheit und Gegenwart In der Stunde der geistigen Heimatlosigkeit, in der die von den Vätern überkommenen ehrwürdigen Traditionen den in einer veränderten Welt lebenden Söhnen das Schicksal nicht mehr verpflichtend zu deuten vermögen, sucht der Geist eine Antwort auf die ihn bedrängende Frage nach dem Woher und Wohin des menschlichen Lebens. Er blickt dabei auf den in den Jahrtausenden zurückgelegten Weg der Menschheit. Sie steigt aus dem langen Dunkel des geschichtslosen Daseins auf, in dem es kaum das Bewußtsein eines Unterschiedes von Mensch und Welt gegeben zu haben scheint1. Rund 5000 Jahre lebt sie in dem Licht geschichtlicher Uberlieferung, begreift sie ihren eigenen Weg als das Kommen aus einer Vergangenheit und als den Gang in eine Zukunft2. Die Fülle der Erscheinungen drängt sich dem Betrachter in drei Grundhaltungen zusammen, mit denen der Mensch die ihm in seinem Dasein selbst gestellte Aufgabe deutend zu bewältigen suchte und von denen er auch heute die eine oder die andere bewußt als die Möglichkeit seines eigensten Daseins ergreifen muß, will er nicht zielund steuerlos dem Abgrund der Geschichte zutreiben, den er nicht mehr als Natur begreifen kann, sondern nur als sein eigenes Werk. Die älteste Weise des Menschseins, die uns in der Geschichte begegnet8, nennen wir die mythische: Der Mensch tritt seiner Umwelt mit staunender Ehrfurcht gegenüber. In dem Wechsel der kreisenden Jahreszeiten offenbart sich das Walten von Mächten, die sein Leben und das Leben der Gemeinschaft zutiefst bestimmen. In ihrer Verehrung wie in ihrer Bannung, je nachdem, ob ihm ihr Walten freundlich oder feindlich begegnet, weiß er sein Leben geborgen. Von ihnen erhofft er sich bisweilen selbst noch im Tode das Heil. So glaubt der Ägypter, daß er unter bestimmten Bedingungen in seinem unvergänglichen Wesen mit der Sonne in ewiger Fahrt wiederkehren kann. — Die Einbettung des Menschen in seine Welt erscheint uns aus der Ferne umfassend zu sein. Und doch öffnet sich bereits eine Kluft 1 Vgl. J E A N G E B S E R , Ursprung und Gegenwart, 1. Band: Die Fundamente der aperspektivischen Welt, Stuttgart 1949, S. 100 ff. 1 K A R L J A S P E R S , Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, München 1 9 6 2 ' , S. 4 9 . ' Die Magie ist im strengen Sinne ein vor- und außergeschichtliches Phänomen.

Κ a i a er, Die mythijchc Bedeutung de« Meeres

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Einführung

zwischen dem Menschen und der um ihn aufgehenden Welt: Er muß die bedrohliche Vielfalt der Erscheinungen und Dinge benennen und in einen bekannten und so heilen Zusammenhang bringen. Er deutet seine Welt. Und da er sie selbst immer nur entsprechend dem Horizont seiner eigenen Erfahrung auslegen kann, muß ihn die Erweiterung seines geschichtlichen Horizontes auf die Dauer der Fragwürdigkeit der von ihm gegebenen Deutungen, der Fragwürdigkeit seiner Götter, innewerden lassen. Bei dieser Einsicht bleibt ihm die Wahl, eine neue Auslegung der erweiterten Welt von dieser selbst her zu versuchen, auf die Offenbarung neuer Götter zu warten oder entschlossen zurückzutreten in einer Haltung, wie sie GOETHE in seinem »Prometheus« gefeiert hat — in dem gleichnamigen Drama freilich stark mit der Welt der Götter ausgewogen —, bewußt sich selbst als den Herren seiner Welt erfahrend. FRIEDRICH NIETZSCHE, dem mit der Welt der Götter zugleich die Welt Gottes versank, erkannte als erster, welche Aufgabe der Mensch in dieser Entschlossenheit, sich selbst das einzige Maß zu sein, auf sich nimmt und welchen Gefahren er dabei ausgesetzt ist. Inzwischen hat sich der Eindruck von der außerordentlichen Gefährlichkeit dieses Weges des Menschen, den NIETZSCHE mit dem eines Schiffers vergleichen kann, der sein Boot vom Lande abstieß und nicht nur die Brücke abbrach, sondern auch das Land selbst hinter sich ließ und nun vor der Unendlichkeit des Ozeans, die seine Freiheit ist, erschauert4, verstärkt und einen fast öffentlichen Charakter angenommen. Zwischen diesen Wegen des mythisch-träumenden Menschen und des entschlossen von jeder metaphysischen Bindung befreiten liegt der dritte dessen, der weiß, daß in einer jeden Selbstsetzung bereits ein Selbstgesetztsein vorgegeben ist 5 , daß der Mensch immer schon unter einem Anspruch steht. In dem Gesetz seines Lebens erkennt er den Willen Gottes, der ihm zum Gericht oder zur Gnade wird. Unter der universalen Verheißung des Lebens tritt er der Welt in Freiheit gegenüber: »Denn ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn« (Rm 8 88'.).

Die Frage, welcher der aufgerufenen Zeugen aus der Wahrheit ist, läßt sich nicht in einer wissenschaftlichen Untersuchung, sondern nur im Vollzug des Lebens selbst beantworten. Diese kann lediglich * Die Fröhliche Wissenschaft, Stück 124 u. 126. 5 Vgl. F. SCHLEIERMACHER, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche (Glaubenslehre) § 4f.

Einführung

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versuchen, für die von dem Einzelnen zu treffende Entscheidung die geschichtliche Welt zu erhellen. Sie tut das in dem vorliegenden Falle, indem sie ein Stück menschlicher Weltbeziehung, das Verständnis des Meeres, in zwei kosmischen Religionen, in der ägyptischen und der ugaritischen, und schließlich in der auf den Ruf des verheißenden und fordernden Gottes hörenden israelitischen untersucht. Die Rückkehr des Menschen zu jener alten Welt der kosmischen Feier ist uns jedenfalls verschlossen, solange wir die Natur im kritischen Hinblick in unseren Dienst zwingen. Offen bleibt die Frage, ob von diesem Tode der Götter auch der Gott betroffen ist, den der biblische Glaube bezeugt, oder ob er nicht wesensmäßig von ihnen unterschieden werden muß.

I. Die mythische Bedeutung des Meeres im alten Ägypten ι. Die Eigenart dec altägyptischen Religion Es wurde bereits in dem vorhergehenden Kapitel darauf hingewiesen, daß der Mensch jener frühen Kulturen in allem, was ihm begegnete, das Wirken von Mächten zu erkennen glaubte. Halten wir uns die Vielfalt menschlicher Erfahrungen vor Augen, so wird uns die Fülle der Gottheiten nicht in Erstaunen setzen, die uns in den Zeugnissen der alten Religionen und in ganz besonders ausgeprägter Weise in der altägyptischen entgegentritt, für die es nur schwer gelingen will, eine einsichtige Ordnung zu finden. Die Übersicht wird dem modernen Leser altägyptischer Texte durch die Verschmelzungen der Gottheiten miteinander und verwandtschaftliche Verbindungen, die zunächst durchaus unmotiviert erscheinen, erschwert. ADOLF ERMAN hat seinem Befremden überzeugenden Ausdruck gegeben: »Es erschwert die Würdigung der ägyptischen Religion, daß sie wenigstens in ihrer offiziellen Gestalt alle die Torheiten aus ihren Anfängen mit sich schleppt; für dieses Barbarentum sichzu erwärmen, kann man von niemandemverlangen 6 «. Aber selbst, wenn der Betrachter von den Vorstellungen jener Religion absieht, die für unser gegenwärtiges sittliches Bewußtsein unerträglich erscheinen, bleibt der Eindruck einer außerordentlichen Widersprüchlichkeit: Hier erscheint Atum als der Schöpfer der bestehenden Weltordnung, dort Ptah. Der Himmel wird hier als eine Frau dargestellt, die sich von dem Luftgott Schu gestützt auf ihren Händen und Füßen haltend über die Erde beugt, dort als eine Kuh betrachtet, auf deren Rücken der Sonnengott Re reitet, und an anderer Stelle als ein himmlisches Gewässer aufgefaßt, auf dessen Wellen die Barke des Sonnengottes dahingleitet. So viel Licht die Durchdringung der komplizierten kultgeschichtlichen Entwicklung des Landes gebracht hat, und so viel auf diesem Gebiet noch zu tun übrig bleibt, hat es sich doch herausgestellt, daß diese Methode allein nicht ausreicht, um diese Vielfalt und diesen auf• Die Religion der Ägypter. Ihr Werden und ihr Vergehen in den Jahrtausenden, Berlin u. Leipzig 1934, S. 1.

Die Eigenart der altägyptischen Religion

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fallenden Mangel an Konsequenz und Systematik verständlich zu machen7. Schon BRUGSCH erkannte, daß in der altägyptischen Religion so etwas wie eine einheitliche Weltseele den Kosmos durchwaltet : »Die schaffende und erhaltende Kraft dieser Weltseele löste sich in eine Reihe von Emanationen höherer und niederer Grade auf, welche als Götter bezeichnet wurden und den eigentlichen Inhalt der Mythologie in sich faßten. Aus der Wurzel und dem Stamme einer reinen Gottesidee entsprossen bildeten sie die Äste und Zweige eines mythologischen Baumes, dessen Blätterwerk, eine formelreiche mythische Sprache, sie in üppiger, fast undurchdringlicher Fülle verhüllte8«. Aber zugleich ist er davon überzeugt, daß den Priestern jene Namen als »Symbole des einen ewigen Gottes je nach den Einwirkungen seiner Allmacht auf die Welt und ihre Bewohner« erschienen sind®. In ähnlicher Weise meinte auch ERMAN, man könnte in diesen uns fremden Überlieferungen Bildungen vergleichbar den Dogmen anderer Religionen sehen, die »für die Ägypter der höher entwickelten Zeit« für »ihr eigentliches religiöses Leben« wenig bedeuteten und gleichsam nur »den Hintergrund «für ihre eigentliche Frömmigkeit abgaben10. Mag diese Vorstellung von den gebildeten ägyptischen Priestern für manche Vertreter dieses Standes in der Spätzeit der ägyptischen Religion zutreffen, so ist sie doch in keiner Weise geeignet, nun gerade die Vielzahl der Götter einleuchtend erscheinen zu lassen. Denn da die Zeugnisse für sie von Jahrtausenden bewahrt worden sind, kann sie schlechterdings nicht als Ausdruck einer pädagogischen Mystifikation verstanden werden. Man wird sich den ägyptischen Priester kaum nach der Art eines nicht ganz aufrichtigen rationalistischen Geistlichen des vergangenen Jahrhunderts vorstellen dürfen. H E N R I FRANKFORT hat durch eine gründliche Untersuchung des mythischen Denkens den Schlüssel für die Deutung dieser Vielzahl und dieser offensichtlichen Widersprüche gefunden. Es ging dem Menschen des frühen Denkens in besonderer Weise um die Erfassung und Deutung des Einmaligen und Individuellen, die ihn mit der Art unseres Denkens, dem die Tendenz innewohnt, das Besondere auf ein allgemeingültiges Gesetz zurückzuführen, nicht hätte zufrieden sein lassen11. Im Gegensatz zu dem modernen wissenschaftlichen Denken, I Vgl. H. BONNET, Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte, Berlin 1962, S. 230ff. 8 Religion und Mythologie der alten Ägypter, Leipzig 1886, S. 99.

• a. a. O.

S. 92.

"

ERMAN a . a . O . S . 1.

A. W I L S O N , THORKILD JACOBSEN, The Intellectual Adventure of Ancient Man, Chicago 1946, zitiert nach der deutschen Ausgabe: Frühlicht des Geistes. Stuttgart o. J . ( 1 9 6 4 ) , S. 2 3 . II

H E N R I FRANKFORT, JOHN

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Die mythische Bedeutung des Meeres im alten Ägypten

welches die Vielfalt der Erscheinungen auf ein möglichst einfaches Gesetz zurückführen will, suchte jener Mensch nach willensmäßigen Zusammenhängen. Aus diesem Bemühen entstanden die Mythen : »The ancients did not attempt to solve the ultimate problems confronting man by a single and coherent theory; thus has been the method of approach since the time of the Greeks. Ancient thoughtmythopoic, .mythmaking' thought-admitted side by side certain limited insights which were held to be simultaneous valid, each in its own proper context, each corresponding to a definite avenue of approach«12. Die mythische Aussage umschreibt also immer nur einen bestimmten Aspekt eines Wirklichen. So wahr diesem Wirklichen in seiner Begegnung sehr verschiedene Aspekte innewohnen können, können auch für den mythisch Denkenden ganz verschiedene Aussagen nebeneinander stehen. FRANKFORT nennt diese Eigenart des mythischen Denkens die »multiplicity of approaches«18. Die Verschiedenheit der Aussage wurzelt in der verschiedenen Fragestellung. Wird in den ägyptischen Texten der Himmel das eine Mal als die Himmelskuh dargestellt, auf deren Rücken Re reitet, das andere Mal als eine Frau, die sich über die Erde beugt, so will der Ägypter im ersten Falle eine Antwort auf die Frage erteilen: »Wie kam die Sonne an den Himmel ?« und im zweiten auf die andere : »Wie kam Schu, der Gott der Luft, in seine Lage zwischen Himmel und Erde, zwischen Nut und Geb ?« — Diese Deutungsversuche sind immer nur partiell gültig. Sie gaben dem ägyptischen Menschen »das befriedigende Gefühl, die erdachten und bekannten Fakten aufeinander abgestimmt zu haben, womit ja letzten Endes die Aufgabe der Erklärung erfüllt wurde«14. Es lassen sich trotz der Vielfalt der auf diese Weise möglichen Vorstellungen zwei Grundgesetze für die altägyptische Religion herausstellen: Nach dem ersten gibt es viele Götter, und nach dem zweiten sind diese Götter der Welt immanent 1 6 . Zwei Bildungen innerhalb der langen Geschichte der altägyptischen Religion haben diese Gesetzlichkeit ihrer Frömmigkeit nicht beachtet. Die erste ist die PtahTheologie, wie sie uns auf dem sogenannten .Denkmal memphitischer Theologie' erhalten ist. Hier geht die .Abstraktion' so weit, daß die mit Ptah identifizierten Götter ihre Eigenständigkeit überhaupt zu verlieren scheinen16. Die zweite ist die Sonnenreligion des Ketzerkönigs Echnaton, in der zu Ehren des Aton die anderen Götter, H. F R A N K F O R T , Ancient Egyptian Religion, 2nd. ed., New York 1949, S. 4 . Ebenda " F R A N K F O R T , Frühlicht, S. 27. » Derselbe, Religion S. 26. u Im Gegensatz zu F R A N K F O R T vermag ich in dem Ptah des Denkmals memphitischer Theologie keine eigentlich transzendente Gottheit zu erkennen. Für den Gedanken einer wirklichen Transzendenz sind die Aussagen des Schabakosteines U

M

Die Eigenart der altägyptischen Religion

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schaffende wie geschaffene, auf die Seite gedrängt werden. Beiden Theologien war ein bestimmender Einfluß auf den Gang der ägyptischen Religion versagt. Und doch hat BRUGSCH etwas sehr Richtiges gesehen, wenn er hinter den mannigfaltigen Gestalten ägyptischen Glaubens so etwas wie eine einheitliche göttliche Weltseele und Urkraft zu erkennen meinte. Nur muß von dem dieser Beobachtung zugrunde liegenden Phänomen die Bezeichnung als .Monotheismus' durchaus ferngehalten werden, da wir eben nie einem einzigen und zugleich ausschließlichen Gott innerhalb der Bezeugungen altägyptischer Frömmigkeit begegnen, wenn wir von der kurzen und folgenlosen Spanne der alleinigen Atonverehrung absehen. WILSON bezeichnet die bei aller beobachteten Vielfalt hervortretende letzte Einheit der Natur aller Götter als »Monophysitismus« oder »Konsubstantialität«17. Überraschend ist vielleicht auch der Zag, daß sich diese gleiche Natur Göttern und Menschen, ja dem ganzen Kosmos mitteilt. So gilt nach W I L S O N bis in die Zeit der XVIII. Dynastie der Satz: »Es gibt zwar viele Götter und Menschen, aber letzten Endes sind alle gleicher Natur«1*.

Diese Konsubstantialität zwischen Göttern und Menschen findet einen überzeugenden Ausdruck in dem Papyrus Bremner-Rhind (Brit. Mus. 10188), 27, lb—3a:»Nachdem ich (Re) als einziger Gott entstanden war, gab es drei Götter neben mir: Als ich auf diesem Lande entstanden war, jauchzten Schu und Tefnut im Nun, in dem sie sich befanden. Sie brachten mir mein Auge mit sich, nachdem ich meine Glieder vereinigt hatte. Ich weinte über sie, und so e n t s t a n d e n die Menschen aus den T r ä n e n , die aus meinem Auge kamen 1 9 .« Auf die Auslegung der einzelnen Züge des Textes kann an dieser Stelle verzichtet werden. Ein Teil derselben wird an viel zu konkret. Wenn hier die kosmischen Mächte als »Erscheinungsformen des einen großen Schöpfergottes Ptah« erklart werden ( K U R T S E T H E , Dramatische Texte zu altägyptischen Mysterienspielen, UGAÄ X , Leipzig 1928, S. 78), so ist deutlich, daß der Gott selbst einb kosmische und damit immanente Größe ist. Fflr die Richtigkeit dieser immanenten Auffassung des Gottes scheint mir auch der Berliner Ptah Hymnus, Hierat. Pap. Berlin 3048,herausgegeben von W . W O L F , ÄZ 6 4 , wiedergegeben in der Übersetzung von HERMANN K E E S , Der Götterglaube im alten Ägypten, Leipzig 1 9 4 1 , S. 292, zu sprechen, in dem es heißt: »Du hast keinen Vater, der dich erzeugt hat, . . . Du tratest auf das Land (als Herrscher), als es gestaltlos (überschwemmt) dalag . . .« Entsprechend den anderen altägyptischen kosmogonischen Vorstellungen wird auch hier die Existenz des Urwassers vorausgesetzt. u Ebenda. J . A. W I L S O N in: Frühlicht, S. 74f. Nach RAYMOND O. F A U L K N E R , The Papyrus Bremner-Rhind, B. Ae. III, Bruxelles 1933 unter Heranziehung seiner Übersetzung JEA X X I I I , London 1937, S. 172. Die gleiche Vorstellung über den Ursprung der Menschen findet sich auch in dem 'Buch von der Himmelskuh'; vgl. CHARLES M A Y S T R E , Le livre de la vache du 17

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Die mythische Bedeutung des Meeres im alten Ägypten

späterem Ort zu besprechen sein. Hier kommt es lediglich darauf an, die Wesenszüge altägyptischer Religion so deutlich herauszuarbeiten, wie es zur Untersuchung der folgenden Einzelfrage notwendig ist. Hinter dieser Erscheinung der Konsubstantialität verbirgt sich eine merkwürdig gebrochene Auffassung der alten Ägypter von dem Wesen ihrer Götter. Sie wurden zu einem großen Teile als eine unsinnliche Kraft verstanden, ohne dabei ihre personale Gestaltung zu verlieren20. Sie sind entsprechend persönlich und überpersönlich zugleich zu denken. »Wo man die Gottheit als Person nach menschlichem Bilde begreift, bleibt doch immer ein Rest, der eben durch den unsinnlichen Kraftbegriff ausgefüllt wird; und wo man unter der Erfahrung des letzteren steht, regt sich ohne weiteres der Drang, sich jene Gotteskraft sichtbar und zugänglich zu machen. Denn der Mensch verlangt nach Anschauung. Er kann sich kein Wirken denken, hinter dem nicht ein Wirkender stünde«21. Wie tief jedoch die personale Auffassung der Götter reichte, zeigt sich darin, daß bei den so reichlich vollzogenen Identifikationen der Götter die Grenze des Geschlechtes eingehalten worden ist22. Das Denkmal der memphitischen Theologie nimmt auch hier mit seiner Identifikation von Ptah und Naunet eine Sonderstellung ein. Den Schlüssel für das Verständnis der Identifikationen der Götter, wie sie uns etwa in der Formel »Amon-Re« oder »Ptah-Nun« begegnen, bietet der Gedanke der Einwohnung. Bei der Identifikation verlieren die so vereinigten Götter ihre Eigenständigkeit nicht. Sie können weiterhin innerhalb der Mythologie als verschiedene Gestalten und Kräfte behandelt werden. Die Formel »Amon-Re« besagt also nicht, daß Amon mit Re gleichzusetzen ist oder daß die beiden Götter zu einem einzigen neuen Gott verschmolzen sind, sondern sie stellt fest, daß Re in Amon ist28. So wie die Gottheit dem Gottesbild einwohnt, kann sie sich auch einer anderen göttlichen Kraft verbinden. Die Bestimmung des Menschen erfüllt sich für den alten Ägypter darin, daß er sich der einmal von den Göttern geschaffenen kosmischen Ordnung, die für ihn zugleich die gesellschaftliche begründet, einfügt. Der Schlüsselbegriff für diese Ordnung ist der der Maat. Sie ciel dans les tombeaux de la vallée des rois, BIFAO XL, Le Caire 1941, S. 63. Eine Anspielung auf den Ursprung der Menschen aus dem Leibe Gottes enthält auch Z. 182 der Lehre für Merikarê; vgl. Λ . V O L T E N , Zwei politische Schriften, A Ae, Kopenhagen 1945, S. 76. 20 Vgl. zum Folgenden H. B O N N E T , Zum Verständnis des Synkretismus, ÀZ 7 6 (1939), S. 40—62. »i a. a. O. S. 46 f. w Ebenda S. 47. » Ebenda S. 45.

Die mythische Bedeutung des Meeres in der Religion des alten Ägyptens

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schließt unsere Vorstellungen von Gerechtigkeit, Wahrheit und Ordnung zusammen und entspricht in gewisser Weise dem platonischen Begriff des Guten24. Über dieser Ordnung wachen die Götter. So heißt es in der Lehre für Merikarê Ζ. 123—127. »Geschlecht nach Geschlecht geht dahin unter den Menschen. Gott, der den Wandel kennt, hat sich verborgen. Es gibt niemand, der den Schlag des Herrn der Hand abzuwenden vermag; er ist einer, der angreift, ohne daß es die Augen sehen. Ehre du Gott auf seinem Wege, (Gott) der aus (Edel-) Steinen gemacht und aus Erz gebildet ist. Ein Kanal kann durch Schlamm verstopft werden, aber es ist kein Fluß, der sich verbergen läßt. Das heißt (nur), daß er den Damm, mit dem er verborgen war, zerreißt« 25 .

Der Mensch lebte aus der einmal gegebenen Deutung der Welt. Für ihn war das Heute in dem göttlichen Einst begründet, das selbst wiederum nicht fern, sondern immer neu in der kultischen Begehung gegenwärtig war2®. Die Frage: »Warum tun wir das?« wird dem Lebenden jeweils mit dem Hinweis auf den göttlichen Anfang aller Dinge beantwortet: »Wir tun das so, weil es der Gott — oder der Urvater — in der Urzeit so tat und befahl«". Die mythische Bedeutung des Meeres in der Religion des alten Ägyptens a) Die Aufgabe der

Quellenauswahl

Wenn die gegenwärtige kosmische Ordnung in der Schöpfung ihre dauernde Begründung gefunden hat, müssen sich zureichende Aussagen über die dem Meere innerhalb dieses göttlichen Kosmos zukommenden Funktionen in den Berichten über die Entstehung der gegenwärtigen Weltordnung finden. Überraschenderweise sind uns jedoch keine epischen oder dramatischen Texte überliefert, die ein primäres Interesse an der Schöpfung bekunden. Es gibt zwar priesterliche Texte, wie etwa das bereits erwähnte Denkmal memphitischer Theologie, die einer oder u Zu dem Begriff der Maat vgl. FRANKFORT, Religion S. 63f. C. J . BLBBKBR, Die Geburt eines Gottes, Leiden 1956, S. 81. — Zu der platonischen Idee dea Guten vgl. MAX POHLENZ, Gestalten aus Hellas, München o. J . (1960), S. 403.

»

VOLTEN a . a . O. S. 6 9 .

* Zu dem sich hier ausdrückenden Zeitbewußtsein vgl. H. BRUNNER, Zum Zeitbegriff der Ägypter, Studium generale VIII (1966), S. 686 f. " S. MOWINCKEL, Religion und Kultus, Güttingen 1953, S. 94. FRANKFORT, Kingship and the Gods, Chicago o. J . (1948), S. 23: »Ritual is conmraed with the present in which it is performed. Though the retention of these ancient ceremonies . . . became to some extent a re-enactment of the original event participating in its virtue and reaffirming its purpose«; vgl. ferner THOMAS MANN, Freud und die Zukunft. Adel des Geistes, Stockholm o. J . (1966), S. 616f.

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mehrerer Götter Bedeutung unter besonderer Berücksichtigung ihrer Schöpfertätigkeit besprechen; doch geht es ihnen nicht darum, über die Weltwerdung an sich zu unterrichten, sondern darum, dem jeweils im Mittelpunkt stehenden Gotte oder der zu würdigenden Gruppe eine gebührende Stellung unter den übrigen zu sichern, was eben nicht anders erreicht werden konnte, als daß man die Verhältnisse vor und nach der Schöpfung und ihre Rolle bei dieser Gelegenheit darstellte. Die Notwendigkeit zu einer geschlossenen Erzählung bestand nicht, weil der Hörer oder Leser jene Anspielungen sofort verstand und richtig einordnete, weil sein mythisches Bewußtsein noch ungebrochen war28. Für diesen Mangel an zusammenhängenden Darstellungen entschädigen uns eine reiche Fülle von Anspielungen auf die ersten Ereignisse, die sich in fast allen religiösen Texten finden. Wir beschränken uns, um die Untersuchung in einem dem Gesamtziel entsprechenden Rahmen zu halten, vornehmlich auf die Interpretation von Texten und ziehen bildliche Darstellungen nur zur Ergänzung zu Rate. Da die wesentlichen religiösen Anschauungen der Grundhaltung der altägyptischen Frömmigkeit entsprechend von der Pyramidenbis hin zur Spätzeit die gleichen gewesen sind, können die Texte für unseren Zweck im Großen und Ganzen ohne Berücksichtigung ihrer Entstehungszeit herangezogen werden29. b) Die mythische Bedeutung des Meeres nach dem 17. Kapitel des ägyptischen Totenbuches Seit der Zeit der XVIII. Dynastie sind die Mumien häufig mit einer Papyrusrolle als Beigabe versehen, die in der Literaturgeschichte als das ägyptische Totenbuch bezeichnet wird. Dieses Buch besaß für den Entschlafenen eine umfassende Bedeutung: »Wer dieses Buch auf Erden kennt, und wem es auf den Sarg geschrieben wird, den sollen die Bewohner der Unterwelt im Glanz sehen, wenn er zu ihnen gelangt. Er soll hinausgehen am Tage in allen Gestalten, die er wünscht; und er soll in sein Haus (wieder) eintreten, ohne daß er abgewehrt wird«*0.

In diesem Buch sammelte sich das religiöse Gut des alten Ägyptens in einer Form, die seinen Benutzern eine umfassende Sicherung für M

Vgl. JOACHIM SPIEGEL, Die Erzählung vom Streite des Horus und Seth als Literaturwerk, LAS 9, Glückstadt 1937, S. 12. » Vgl. FRANKFORT, Religion S. 50 und S. 131. 30 Totenbuch Kap. 72 bei G Ü N T H E R R O E D E R , Urkunden zur Religion des alten Ägyptens, Jena 1916, S. 263. In dem Satz »Und wem es auf den Sarg geschrieben wird . . scheint noch der Ursprung dieses Passus aus einem Sargtexte hindurch. Zum Totenbuch vgl. B O N N E T , Reallexikon S. 824f.

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das unbekannte und darum gefürchtete Totenland zu verschaffen schien. — Die Texte dieses Buches führen uns zeitlich in die Nähe der faßbaren Ursprünge des israelitischen Glaubens. Wir lesen im 17. Kapitel des Totenbuches in der Fassung des Neuen Reiches81: »Ich bin Atum, als ich im Urgewässer allein war; Ich bin Re bei seinem Erglänzen. Als er begann zu beherrschen, was er geschaffen hatte. Glossen: Was bedeutet es ? Dieser Re, als er begann zu beherrschen, was er geschaffen hatte, das bedeutet: Re begann als König dessen, was er geschaffen hatte, zu erglänzen, als die Erhobenen des S c h u n noch nicht entstanden waren. E r war auf dem Hügel dessen, der sich in Hermopolis befindet". Da wurden ihm gegeben die Kinder der 'Schwachen' 14 auf dem Hügel dessen, der sich in Hermopolis befindet. Abschnitt 2 : Ich bin der groBe Gott, der von selber entstand. Glossen: Was bedeutet das? Der große Gott, der von selber entstand, das ist das Wasser; das ist das Urgewässer, der Vater der Götter. Nach anderer Meinung: Das ist Re.«

Unter Absehen von allem mythologischen Beiwerk beschränken wir uns auf die Interpretation derjenigen Züge, die unserer eigentlichen Fragestellung dienen. Zunächst befand sich der Urgott Atum im Urgewässer, das den Namen Nun trägt. Der Zeit der Schöpfung geht also eine andere voraus, in der sich der Gott in einem Urstoff befindet. Die Konsonantengruppe ΟΌΤ5. die man gewöhnlich im Anschluß an die koptische und griechische Aussprache mit Nun wiedergibt85, bezeichnet nach den beigefügten Deutezeichen ein Ungeschiedenes von Himmel t und Wasser Das Wort gibt uns damit eine deutliche Erklärung des Chaos-Begriffes bei den alten Ägyptern. »Wie etwa der Reisende von seinem Schiff aus nur Himmel und Wasser erkennt«, so dachten sich die alten Ägypter »den feuchten Urstoff als unermeßlichen Himmel und Wasser«8®. Doch ist nach SETHE diese Schreibung mit dem • l Übersetzung von HERMANN GRAPOW, Urkunden des ägyptischen Altertums V, 1, Religiöse Urkunden, Leipzig 1916, S. 2—4. a Bezeichnung des Himmels. 33 Kultort des Thot. M Nach GRAPOW a. a. O. S. 3, Nr. 4 ist bds.t der Name einer Göttin, deren Kinder ab Feinde des Sonnengottes galten. M Vgl. ERMAN-GRAPOW, Wörterbuch der Ägyptischen Sprache, Leipzig und Berlin 1926ff., Bd. 2, S. 214. *

BRUGSCH a. a. O. S. 56ff.

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Zeichen des Himmels keineswegs alt. In den Pyramidentexten fehlt sie vollständig. Dort ist der Name nur einmal mit dem Zeichen für den Gegenhimmel i ^ a d versehen, der innerhalb der hermopolitanischen Theologie die weibliche Ergänzung des Nun, die Naunet, kennzeichnete87. Daß dieser Urstoff selbst nicht allein materiell, sondern auch personal gedacht wurde, geht aus dem beigefügten, einen männlichen Gott bezeichnenden Determinativ ¿) hervor. Der Gott Nun wird in der Glosse zum Abschnitt 2 als der »Vater der Götter« it ntr.w bezeichnet. Nach BRUGSCH findet sich diese Benennung in Tausenden von Inschriften wieder88. Anderwärts begegnet die Bezeichnung »der Alte«8·. Wenn die vom Ägypter gern spielerisch gebrauchte Verbindung des Gottesnamens Nun mit dem Verb nnj zu Recht besteht, deutet er auf ein in träger Bewegungslosigkeit ruhendes Element hin40. Trotz der Benennung des Nun als »Vater der Götter« darf man ihn nicht als das eigentlich schöpferische Prinzip der Welt betrachten. Unser Text hebt ausdrücklich hervor, daß die Schöpfung durch Atum und durch Re erfolgte. Re ist der »König seiner Schöpfung«. Dem Nun kommt eine andere Eigenschaft zu : Er ist von selbst entstanden, er ist hpr ds.f. Aber auch Atum ist von selbst entstanden. Wir haben es hier bereits mit einer verhältnismäßig späten Reflexionsstufe zu tun. Ursprünglich galt allein Atum als der Selbstentstandene. Über die Herkunft des Nun dachte man zunächst nicht weiter nach : Er war da, und Atum war da. War Atum von selbst entstanden, so mußte konsequenterweise auch Nun von selbst entstanden sein. Wir sehen darin einen Widerspruch : Ist Nun der Vater der Götter, so kann Atum als sein »Sohn« nicht von selbst entstanden sein. Ist aber Atum von selbst entstanden und nimmt die weitere Schöpfung von ihm ihren Ausgang, so ist Nun nicht der Vater der Götter! Man wird also annehmen müssen, daß die Bezeichnung eines Gottes als »Vater« nicht notwendig mit dem Gedanken der Zeugung verbunden wurde. Es gilt hier, sich dessen zu erinnern, was eingangs über die »multiplicity of approaches« gesagt wurde41. Betrachtet man das Urmeer als den Stoff, der aller Welt vorgegeben war, so kann man es den Vater der Götter nennen. Denkt man an die faktische Welt Ordnung, so trägt " XXII, M

" Berlin « «

KURT SETHE, AKaegyptische Vorstellungen vom Lauf der Sonne, SAB 1928, S. 260.

a. a. Vgl. 1929, Vgl. Vgl.

O. S. 108. SETHE, Amun und die acht Urgötter von Hermopolis, ABA 1929, 4, § 146. Papyrus Bremner-Rhind 26, 22. oben S. 6.

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der Sonnengott den Ehrennamen des »Selbstentstandenen«. In seinem Lichte artikuliert sich die Welt. SETHE hatte darauf hingewiesen, daß der Nun ursprünglich überhaupt keine göttliche Person war. Bei dem Aufgang des Sonnengottes aus dem Nun sei ursprünglich vielleicht nur an das räumliche Verhältnis der beiden zueinander gedacht gewesen42. Für diese Annahme spricht der Umstand, daß das Wort Nun auch ohne das Determinativ zur Bezeichnung eines Gottes gebraucht werden konnte und dann wohl ganz einfach das Urgewässer bezeichnete48. Die bildlichen Darstellungen zeigen den Gott gewöhnlich als Menschen, doch wird er gelegentlich auch mit einem Frosch-, Schlangen- oder Ochsenkopf abgebildet44. Wenden wir uns zu dem Widerspruch in der Titulatur der Götter unseres Textes zurück, so können wir die für alle Erzähler kosmogonischer Ereignisse gleichbleibende Schwierigkeit feststellen, daß sie bei der Darstellung des Werdenden aus dem Ursprung für diesen selbst immer schon auf aus einer gewordenen Welt abgeleitete Begriffe angewiesen sind. »Keine Kosmogonie — kein Mythologem vom Ursprung der Welt, ob es sich nun um Schöpfung oder Entstehung, um »freie« oder »kanonische« Erzählung handelt — kann sich unabhängig machen von der bereits bestehenden, den Erzähler selbst umfassenden Welt und von ihrer Denkbarkeit, insofern diese Welt nicht nur sinnfällig, sondern auch begreiflich ist, einem denkenden Wesen aufgehen kann. Diese Welt spiegelt sich unaustilgbar im Wortschatz der Sprachen. Deshalb kann auch ein Mythologem vom Ursprung der Welt nur im sprachlichen Stoff dieser Welt gestaltet werden, in Worten, die sich bereits auf die »fertige« Welt beziehen, ihren Gehalt dieser Welt entnehmen. Und das Mythologem kann nur so vorgetragen werden, wie sich der Vorgang der Weltentstehung im Bewußtsein eines denkenden Wesens abspielt. Daraus folgen die Paradoxien jeder Kosmogonie«. Und weiter kennzeichnet KERÉNYI diese Schwierigkeit: »Obwohl jede Erzählung vom Ursprung der Welt zum Ausgangspunkt das Noch-nicht-Sein dieser Welt hat, muß sie von diesem Noch-nicht-Sein so sprechen, als wäre etwas Noch-nicht-Seiendes schon da. Das Nichts wird geschildert, und dadurch ist schon etwas da, beispielshalber . . . das Wasser«46. Wir werden uns die hier aufgezeigten Grenzen überall dort vergegenwärtigen müssen, wo wir kosmogonischen Texten begegnen. Zu diesem sprachlichen Widerspruch 11

Vgl. SETHE, Amun, § 7 8 . « Vgl. Wörterbuch a. a. O. 44 Vgl. die Abbildungen bei BRUGSCH a. a. O . S . 109 und bei S . A. MERCER, The Religion of Ancient Egypt, London 1949, S. 261. 48 Κ . K E R É N Y I , Töchter der Sonne. Betrachtungen über griechische Gottheiten, Zürich 1944, S. 39 ff.

*

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tritt aber noch ein logischer, der eng mit ihm verbunden ist. Die Kosmogonien der Alten sind in dem uns bekannten Raum des Alten Orients immer zugleich auch Theogonien. Insofern jede Kosmogonie die Entstehung der allen folgenden Gesetzten vorausgehenden Setzung selbst schildern will, verwickelt sie sich, wie HÖNIGSWALD gezeigt hat4®, in einen Selbstwiderspruch, in dem sie die alles bestimmende Setzung selbst entstehen läßt. Sie bleibt dabei, da es ein Entstehen nur innerhalb des Naturablaufes gibt, in demselben gefangen und kann daher letztlich die Frage, wie es zu diesem Ablauf kommt, nicht beantworten. Wo sie eine Antwort gibt, zeigt sie in Wirklichkeit nur die Naturordnung selbst auf. Daher können ihre Götter auch nichts anderes sein als Ausdruck der erfahrenen Naturordnung, jedoch nie die letzte Ermöglichung dieser Ordnung, die selbst nicht kausiert sein darf, soll sie wirklich letzte Ermöglichung der Ordnung sein. Daß die eigentlich schöpferische Gestaltung der Welt in der Tat dem Sonnengott und nicht der göttlichen Ursubstanz zugeschrieben wurde, wird noch deutlicher, wenn wir einerseits einige Pyramidentexte und andererseits den Papyrus Bremner-Rhind befragen. So heißt es im Pyramidentext 1587: »Heil dir, Atum, heil dir, Selbstentstandener« und im Text 1248, in dem die Schöpfung auf eine für uns anstößige Weise, die den Alten gerade das Wunderbare hervorhob, erzählt wird: »Es war Atum, der entstand als einer, der sich Freude bereitete in Heliopolis. Er legte seinen Phallus in seine Faust. Er verschaffte sich Lust. Geboren wurde ein Geschwisterpaar, Schu und Tefnut.«

Deutlicher erfahren wir in dem Text 1652, wie wir uns die Entstehung des Gottes zu denken haben: »Atum-Chepre, du warst hoch a b Hiigel. Du erschienst als Benben im Benbenhaus in Heliopolis. Du spiest aus als Schu. Du spucktest aus als Tefnut« 47 .

Hier wird der Sonnengott deutlich mit dem Urhügelgedanken in Verbindung gebracht. Als Ort eines derartigen Urhügels wurde der Benbenstein in Heliopolis angesehen. Im Papyrus Bremner-Rhind 26, 21b—27, l a wird die Schöpfung ausführlicher erzählt: »So sprach der Allherr, als er entstanden war: Ich bin es, der entstand als Chepre. Als ich entstanden war, entstanden die Entstandenen. Es entstanden alle Entstandenen " Vgl. R. HÖNIGSWALD, Erkenntnistheoretisches zur Schöpfungsgeschichte der Genesis. Sammlung gemeinverständlicher Vortrage und Schriften aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgeschichte 161, Tübingen 1932, S. 7 ff. 47 K. SETHE, Die altaegyptischen Pyramidentexte nach den Papierabdrücken und Photographien des Berliner Museums, Band II, Leipzig 1910; vgl. dazu die Übersetzung von H. KEES, Ägypten, Religionsgeschichtliches Lesebuch herausgegeben von A. BERTHOLET, Heft 10, Tübingen 1928«, S. 1.

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(erst), nachdem ich entstanden war. Viel waren die Entstandenen, die aus meinem Munde kamen, ehe der Himmel entstanden war, ehe die Erde entstanden war, ehe die Kinder der Erde, das Gewürm, auf dieser Welt entstanden war. Ich schuf sie im Nun als die Müden. Nicht fand ich einen Ort, auf dem ich stehen konnte«4*.

Der Text fährt dann fort, die Zeugung der beiden Gottheiten Schu und Tefnut nach der Weise des Pyramidentextes 1248 zu schildern und schließlich die Entstehung der Menschen49. Gleich zu Beginn nennt sich der Allherr Chepre. Das gleiche Epitheton begegnete uns im Pyramidentext 1652. Es bezeichnet den Sonnengott in seiner Erscheinungsform als jugendliche Morgensonne: Im Lichte der morgendlichen Sonne artikuliert sich diese Welt. Unter der Voraussetzung, daß der Tageslauf in seiner Ordnung eine Wiederholung des Geschehens am ersten Morgen der Welt ist, ergibt sich dieser Gedanke innerhalb des mythischen Weltbildes mit Folgerichtigkeit. So entstehen die unsere Welt beherrschenden und gestaltenden Götter erst nach dem ersten Aufgang der Morgensonne. — Zusammen mit Schu und Tefnut gehört Atum in die fisä.t ntr.w, die Götterneunheit von Heliopolis, zu der ferner der Erdgott Geb, die Himmelsgöttin Nut, sowie die zum Osiriskreise gehörenden Gottheiten Osiris, Isis, Seth und Nephthys zählen. Ehe wir ein endgültiges Urteil darüber abgeben, ob dem Urozean Nun in der Tat kein selbstschöpferischer Akzent zukam, müssen wir seine Stellung innerhalb der beiden bedeutenden theologischen Systeme von Hermopolis und Memphis untersuchen. Als Zeugen für die hermopolitanische Auffassung befragen wir den Eingang zu der zwölften Stunde des 'Buches von dem, was in der Unterwelt ist', des Am Duat 50 . Dieses Buch erscheint zunächst im Laufe der XIII. Dynastie auf den Mauern der königlichen Grüfte, um dann immer wieder kopiert zu werden. In späterer Zeit haben sich besonders die Priester des Amun seiner bedient. In seiner vorliegenden Gestalt spiegelt es die Vorstellungen der thebanischen Theologie 61 , durch die jedoch die älteren hermopolitanischen Vorstellungen deutlich erkennbar sind. Ich gebe den Text in der Übersetzung von SETHE wieder : •Dieser Gott tritt ein (htp) in diesen Kaum (krr.t) das Ende der vereinigenden Finsternis, und es wird dieser große Gott wiedergeboren in der Gestalt des Käfergottes 48 Nach BAe III, unter Heranziehung von JEA XIII, S. 172. Die Auffassung des »M« in »im.in* = koptisches m not. acc. verdanke ich Herrn Prof. H. B R U N N E R , Tübingen. » Vgl. oben S. 7. 50 Vgl. H. GRAPOW im »Handbuch der Orientalistik«, I, 2. Artikel »Jenseitsführer«, Leiden 1962, S. 61 ff. 81 Vgl. GUSTAVE JÉQUIER, Le livre de ce qu'il y dans l'Hadès. Bibliothèque de l'École des Hautes Études 97, Paris 1894, S. 16.

*

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Hpri bei diesem Räume (fcrr.t). Nun und Naunet, Hhw und Hh.t befinden sich bei diesem Baume (¡crr-t). um diesen großen Gott wiedergeboren werden zu lassen, wenn er aus der D'.t hervorkommt und sich niederläßt in der m '»¿.{-Barke und erscheint zwischen den Schenkeln der Nut«M.

*

Man muß sich zunächst vergegenwärtigen, daß es sich bei diesem Am-Duat-Buch um eine Beschreibung der nächtlichen Fahrt der Sonne durch die Unterwelt handelt, die jede Nacht erfolgt. Deshalb wird zu erwarten sein, daß eine Überschneidung der Vorstellungen von der ersten Reise der Sonne mit denen, die sich aus der immerwährenden Wiederholung ergeben, vorliegt. Der Sonnengott läuft in der Mesektet-Barke schlafend in die letzte Grotte, die er auf seiner nächtlichen Fahrt durchmißt, ein. Sie trägt den seltsamen Namen 'Ende der vereinigenden Finsternis'. Einen Stollen dieses Namens hat die Sonne bei ihrem Eintritt in die Unterwelt im Westen wie bei ihrem Aufgang im Osten zu durchfahren63. Die Neugeburt des Gottes in der Gestalt des Skarabäus steht bevor. Nach der Lehre von Hermopolis wurde die Sonne durch acht Urgötter, die man in vier Paaren zusammenfaßte, geschaffen. Dabei galt jeweils das vorhergehende Paar als Eltern des folgenden. Es sind dies die acht Götter Nun und Naunet, Huh und Hauhet, Kuk und Kauket sowie Amun und Amaunet. In dem vorliegenden Text sind ausdrücklich nur die ersten beiden Paare, also Nun und Naunet und Huh-Hauhet, genannt. Doch findet sich eine Anspielung auf das dritte Paar Kuk und Kauket indem Namen der Höhle 'das Ende der vereinigenden Finsternis'. Der Ägypter konnte aus dem Wort 'Finsternis', kkw, den Namen des Gottes Kuk heraushören. So fehlen lediglich Amun und Amaunet. Ob diese für den Frommen in der unterirdischen Szene als solcher mitgegeben waren, oder ob wir bei dieser Annahme in unserer Interpretation zu weit gehen, mag dahingestellt bleiben. Der Ägypter verband jedenfalls den Namen des Gottes Amun mit dem Verb imn = verbergen54. Die Bedeutung des Nun ist auch hier zunächst einmal materialiter die gleiche wie in den zuvor besprochenen Texten. Er stellt das Urwasser dar. Zu ihm tritt als weibliche Ergänzung Naunet, der Gegenhimmel. Es handelt sich bei ihr »um einen Himmel, der sich unter der Erde wie ein Gegenbild des uns sichtbaren Himmels . . . ebenso über den Nun ausspannte wie dieser oberirdische Himmel Nut über der Erde Geb«55. — Das Götterpaar Huh und Hauhet repräsentiert die grenzenlose Gestaltlosigkeit, Kuk und Kauket die Finsternis. Das ** SETHE, »

Altaegyptische Vorstellungen vom Laufe der Sonne,

S.

264.

SETHS, a . a . O. S . 2 6 1 .

SETHE, Amun § 179. SETHE, Altaegyptische Vorstellungen, S. 260. Zu der Vorstellung von dem sich noch jetzt in der Tiefe erstreckenden Urgewässer vgl. unten S. 24. M

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letzte Paar, Amun und Amaunet, hat man später als ein verborgenes und nur in seinem Wirken offenbares Element mit der Luft gleich gesetzt 5 ·. Der christliche Theologe begegnet diesen Urgöttern in veränderter Gestalt in den gnostischen Systemen auf ägyptischem Boden wieder57. Wenn man berücksichtigt, daß schon das erste Götterpaar zeugend vorgestellt wird, kommt man zu dem Urteil VANDIERS: »Dans cette système apparaît Noun, non plus comme une masse liquide inerte, mais comme un élément actif et créateur«58. Aber es ist auch hier nur die dem Wasser innewohnende potentielle Fruchtbarkeit charakterisiert. Denn der eigentliche Weltlauf beginnt innerhalb der hermopolitanischen Theologie ebenfalls erst mit der Zeugung der Sonne durch die vier Schöpferpaare. Die grundlegende Bedeutung des Nun ist jedenfalls bewahrt. Es handelt sich bei den zugefügten nächsten fünf Gottheiten letztlich um Eigenschaftsbestimmungen des wäßrigen Urstoffes. Er lag in ewigem und grenzenlosem Dunkel69. Erst mit dem letzten Paare kommt Bewegung in das träge Reich. S E T H E zeigt die Erfahrung auf, aus der diese Vorstellung erwachsen ist: »Das Element in der Natur, durch das Bewegung in die in Trägheit verharrende Materie kommen konnte, kann in der Tat für den naiven Menschen nur die Luft sein. Bald ruhig, so daß sich kein Blättchen rührt, bald in wildem Sturme bewegt, ist sie in sich selbst das Beispiel einer anscheinend automatischen Veränderung, die dabei die stärksten Wirkungen auf die Umwelt auszuüben imstande ist. Sie ist daher das geeignete Medium der Schöpfung. Zunächst ruhig und unbewegt über dem träge daliegenden Urwasser Nun schwebend, unsichtbar wie ein Nichts, konnte sie in einem gegebenen Zeitpunkt anscheinend von selbst in Bewegung geraten, den Nun in seinen Tiefen aufwühlen, so daß der dort ruhende Schlamm sich zum festen Lande zusammenballte und zuerst als 'hoher Hügel' oder als 'die Flammeninsel' bei Hermopolis aus den Fluten emportauchte«eo. Wir sahen bereits oben, daß die Sonne mit ihrem Morgenlicht als der Anfang der Welt betrachtet wurde. Innerhalb der hermopolitanischen Kosmogonie galt der Sonnengott als der Sohn von Amun und Amaunet. — Befragte man die Welt daraufhin, wie es in ihr zu einer ersten Bewegung kam, lautetete die Antwort : Das war die Wirkung des Amun, die Wirkung " Vgl. BONNET, Reallexikon S. 32f. Vgl. die Angaben über die gnostische Achtheit des Valentin bei B. GEYER, Die patristische und scholastische Philosophie, Ueberweg Band II, Tübingen 1961 u , M JAQUES VANDIER, La Religion Égyptienne, Paris 1949, S. 36. S. 36ff. 47

SETHE, Amun, § 161 ; vgl. dazu H . O. LANGE U. O. NEUGEBAUER, Papyros

Carlsberg No. 1. Ein hieratisch-demotischer kosmologischer Text, KDVS I, 2, Kopenhagen 1940, D II, 20—31, S. 26 f. « Amun § 161. Kaiser, Die mythiacbe Bedeutung dee Meere«

2

*

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der bewegten Luft. Stellte man aber die Frage anders : Wer bewirkte Leben und Fruchtbarkeit in dieser hellen Welt?, so lautete sie: Das ist das Werk der Sonne, als sie an ihrem ersten Morgen über dem Nun aufging. c) Die Stellung des Nun nach dem Denkmal memphitischer Theologie Wenn wir uns der Untersuchung der Rolle des Nun innerhalb der memphitischen Theologie zuwenden, halten wir uns primär an ihren Niederschlag in dem 'Denkmal', dem Schabakostein". Es heißt dort in den Zeilen 48, 49a—52 a: »Die GOtter, die in Ptah Gestalt haben: Ptah, der auf dem großen Throne . . . Ptah Nun, — der Vater, der den Atum (erzengte); Ptah Naunet, — die Mutter, die den Atum gebar; Ptah der Große, —der ist das Herz und der ist die Zunge der Götterneunheit«0».

Allem Anfang wird hier der memphitische Urgott Ptah vorausgestellt. Ptah selbst soll in den Eltern des Atum, Nun und Naunet, wirksam gewesen sein, so daß eigentlich die Geburt des Schöpfergottes und damit der bestehenden Weltordnung sein ausschließliches Werk ist. Sieht man jedoch von der Gestalt dieses Urgottes ab, so hat sich an der Vorstellung, wie es zu der Schöpfung der Welt aus dem Nun kam, gar nichts geändert. Man erkennt, wie auf die memphitische Theologie einerseits heliopolitanische Gedanken — der Schöpfergott ist Atum —, andererseits auch hermopolitanische Vorstellungen — der Schöpfergott wird von Nun und Naunet gezeugt — eingewirkt haben. Eigentlich neu ist hier lediglich die Ausweitung des Urgottes, der sogar den Chaosgöttern einwohnt, wobei die Grenze des Geschlechtes übersprungen wird: Ptah wird mit einer Göttin, der Naunet, identifiziert. So wie in Zeile 55 dem Ptah die ganze heliopolitanische Götterneunheit als »Zähne und Lippen« eingegliedert werden, wobei sogar die Vorstellung von der Zeugung des Schu und der Tefnut durch einen Akt der Selbstbefriedigung beibehalten wurde, ist ihm in dem oben wiedergegebenen Abschnitt auch das Urgötterpaar Nun und Naunet inkorporiert, ohne daß sich an deren Eigenschaften etwas geändert hätte. Die Göttergestalten sind gleichsam im Nun vorgebildet worden. Aus ihm hat Ptah die bestehende Welt herausgehoben: »Was dein Mund erzeugte«, so heißt es in dem den Anschauungen des 'Denkmals' Zur Frage nach Abfassungszeit und Zweck dieses Textes vgl. HERMANN Die Götterlehre von Memphis, ABA 1939, Nr. 23, Berlin 1940, S. 6 ff. * u Übersetzung von J U N K E R , ebenda S . 1 7 . Text bei S E T H E , Dramatische Texte I , n

JUNKER,

S. 46.

Die mythische Bedeutung des Meeres io der Religion des alten Ägyptens

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nahestehenden Hymnus Berlin 3048 D 20f., »was deine Hände schufen, du hast es herausgenommen aus dem Nun«·2. Ehe wir, den Sonnengott auf seiner Reise begleitend, die Ausmaße des Nun erkunden, soll noch einmal das Verhältnis zwischen dem Nun als dem Repräsentanten der Welt vor der Schöpfung und dem Sonnengott als dem der geschaffenen Ordnung an Hand einer Stelle aus dem Buch von der Himmelskuh, wie es sich in den Grabkammern Sethos I. und Ramses III. findet, dargestellt werden. Kurz den Zusammenhang: Der alternde Sonnengott Re ist seiner irdischen Herrschaft über die aufsässigen Menschen müde geworden und ruft daher eine Versammlung der Götter ein, um sich von ihnen über die zu treffenden Maßnamen beraten zu lassen. Das Sonnenauge HathorSachmet erhält den Auftrag, die Menschen zu bestrafen. Sie führt ihn aber so gründlich aus, daß Re selbst eingreifen muß, um die Menschen zu retten, indem er die Erde mit blutfarbenem Gerstenbier bedecken läßt, ein Zug, der einerseits an die Sintflutsagen und andererseits an die Exodus 7 von Mose erzählte Wundergeschichte erinnert. — Unter den Geladenen befindet sich auch Nun, dem von Re die Ehre der ersten Befragung zuteil wird. Re spricht ihn als »Nun, du ältester Gott, in dem ich entstanden bin« an und wird von diesem als »Mein Sohn Re, Gott, der größer ist als sein Schöpfer und mächtiger als die, die ihn geschaffen haben« t i t u l i e r t D i e s e kurzen Anreden verdeutlichen das für den Ägypter verbindliche Glaubensgut über das Verhältnis zwischen Vorzeit und aus der Urzeit erwachsener Gegenwart: Die bestehenden Ordnungen sind mittels der Sonnenkraft, mittels des Sonnengottes, ohne ein aktives Zutun des Urwassers beziehungsweise seines Gottes Nun entstanden. Nun ist nur in dem Sinne Re's Schöpfer, als er diesem zeitlich vorangeht und ihn, den man sich wohl wie zunächst die anderen Götter nach der Entstehung des Re im Nun in 'Müdigkeit' vorstellen muß, schützend umgibt. Der Gedanke, daß mehrere Gottheiten bei seiner 'Geburt' mitwirkten, kehrt auch hier wieder und findet sich in unmittelbarer Nähe seiner Prädikation als der Selbstentstandene, die seine überragende Stellung sichert.

d) Die kosmische Erstreckung des Nun Als Ausgangspunkt für die Untersuchung der altägyptischen Vorstellungen über Lage und Ausdehnung des Nun wählen wir die berühmte Darstellung der zwölften Stunde der nächtlichen Fahrt " Übersetzung von W. WOLF, ÄZ 64, S. 23. « Vgl. MAYSTRB a. a. O. S. 63. Ü b e r s e t z u n g v o n H . RANKE, AOT*, S. 3 f f . ; vgl. WILSON in PRITCHARD, A N E T * 1966, S. 11.

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des Sonnengottes durch die Unterwelt, wie sie sich zuerst auf dem Sarkophag Sethos I. findet ; vgl. Abb. · 4 . In einem rechteckigen Feld, das oben, unten, sowie an seinem rechten Rand von einem Sand symbolisierenden Streifen eingeschlossen ist, befinden sich, den Raum ausfüllend, Wasserlinien. Aus der Tiefe des Wassers taucht der Gott Nun auf, dessen Arme den Sonnengott, der in der für die Tagesfahrt bestimmten MeandjetBarke· 8 Platz nimmt, in die Höhe heben. »Es gehen hervor diese beiden Arme aus dem Wasser und heben diesen Gott empor«. »Es läßt sich dieser Gott in der Meandjet-Barke nieder«; Die Morgenbarke befindet sich an der Fußseite eines ausgesparten weißen Raumes, der auf der rechten Seite mit einem Stollen in dem Sandstreifen mündet. — Die Funktion des oberen und unteren Streifens erhellt aus dem Vergleich mit den vorhergehenden Darstellungen: Sie dürften das Ufergebirge des unterirdischen Flusses vorstellen, auf dem der Sonnengott seine Fahrt durch die Duat fortsetzt, wenn er dem Auge des Menschen am westlichen Horizont entschwindet. Hier hat der Rand nur noch dann diese Bedeutung inne, wenn man bei der Betrachtung des Bildes im Auge behält, daß wir uns am Ausgang der Duat befinden. Betrachtet man das Bild dagegen als eine Darstellung des Sonnenaufganges, so verliert der obere und untere Rand seine Funktion und tritt sie an den rechten Streifen ab: Der Stollen stellt entsprechend den Ausgang der Sonne aus der Unterwelt dar, von der nur noch das Grenzgebirge sichtbar ist. Den Aufstieg aus dieser Unterwelt charakterisiert der am rechten Rand leicht unterhalb der Stollenmündung befindliche Sonnendiskus. — Bis hierher besteht bei der Interpretation des Kunstwerkes in großen Zügen eine einheitliche Meinung. Es handelt sich, wie es nach seiner Stellung innerhalb der Gesamtkomposition nicht anders zu erwarten ist, um eine Darstellung des Sonnenaufganges. Sowie sich jedoch das Interesse den beiden Göttinnen zur Rechten und zur Linken des Käfergottes, Nephthys und Isis, und der von oben in den Bildraum hineinragenden Himmelsgöttin Nut zuwendet, weichen die Auslegungen von einander ab. SETHE sieht, entsprechend der zu der Himmelsgöttin gehörenden Beischrift: »Dies ist Nut. Sie empfängt den Re« in den ausgestreckten Armen der Göttin die Gebärde des GreifensM. Ihr Stand innerhalb der Gesamtkomposition verdeutliche zudem, daß sie auf dem östlichen Ende der Duat stehe. M

Vgl. die ausführliche Beschreibung des Sarkophages bei £ . A . W A L L I S B U D G E , An Account of the Sarcophagus of Seti I. King of Egypt, B. C. 1370, Sir Soan's Museum, London 1908. Wiedergabe nach Brugsch, a. a. O. 216. u Zu den Vorstellungen von den beiden Sonnenbarken vgl. S B T H B , Altaegypt. Vorstellungen S. 277 und H. Ksxs, Totenglaube u. Jenseitsvorstellungen der alten Ägypter, Berlin 19662, S. 64f. ** Altaegyptische Vorstellungen S. β ff.

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So sei die ganze Komposition als eine Darstellung des Sonnenaufganges zu verstehen. HEINRICH SCHÄFER, gegen dessen Auffassung sich SETHES Arbeit richtet, hat vor und nach dieser Deutung durch SETHE eine andere vertreten· 7 . Die Handhaltung der Nut zeige eindeutig, daß sie den Sonnendiskus nicht zu sich empor hebe, sondern gleichsam von oben in Empfang nähme. Sie stehe hier als Göttin des Westens, als Totengöttin, was durch ihre Zusammenstellung mit Osiris noch unterstrichen werde. Die emporgereckten Arme des Osiris seien ihrerseits bereit, die Sonnenscheibe in Empfang zu nehmen. So schildere das Bild in eindrücklicher Weise den gesamten Lauf der Sonne. Wenden wir uns noch einmal dem Bilde selbst zu, ehe wir für die eine oder die andere Partei Stellung beziehen: Es kann zunächst so erscheinen, als würde die Sonne durch die beiden in der Barke befindlichen Göttinnen an die Himmelsgöttin Nut weitergegeben. Dann wäre die Deutung SCHÄFERS in der Tat unausweichlich. Aber sie wird m. E. durch die beigegebene Inschrift erschwert: »Dieser Gott l ä ß t sich in der Meandjet-Barke nieder«. Die beiden zum Osiriskreise gehörenden Göttinnen fungieren als Pflegerinnen der aufgehenden Sonne. Sie nehmen die Gottheit in der Barke in Empfang, damit sie ihre Tagesreise antreten kann. Die Richtung des Bootes von links nach rechts ist im Verhältnis zu dem Aufgang aus der unterirdischen Duat wiedergegeben. Es kann jetzt bei gleicher Fahrtrichtung am Himmel emporsteigen und dort seine Fahrt bis zu seinem Eingang in den »schönen Westen«, das Totenreich, fortsetzen. Für die Künstler ergab sich offensichtlich eine Schwierigkeit, die in der verschlungenen Mythologie der aufgehenden Sonne ihre Ursache hatte: Einerseits wurde diese in der letzten Höhle der Unterwelt auf die oben S. 15f. geschilderte Art geboren. Andererseits galt sie als die selbstentstandene. Und schließlich wurde sie jeden Morgen neu zwischen den Schenkeln der Nut geboren. In dem letzten der aus dem Am-Duat-Buch mitgeteilten Sätze fanden wir die erste und die letzte Vorstellung miteinander verbunden: »Um diesen großen Gott wiedergeboren werden zu lassen, wenn er aus der D'.t hervorkommt und sich niederläßt in der m'nd.t-Barke und erscheint zwischen den Schenkeln der Nut«. Entsprechend steht Nut auf alten Darstellungen mit ihren Füßen im Osten und stützt sich mit ihren Armen im Westen68. Bei dem ausgesparten weißen Raum, der unten durch die Barke und oben durch den Himmel begrenzt ist, handelt es sich wohl kaum um eine Darstellung der vom Wasser umgebenen Erde 69 , sondern um den « Weltgeb&ude der alten Ägypter, Berlin u. Leipzig 1928, S. 108; derselbe: Altägyptische Bilder der auf- und untergehenden Sonne, ÄZ 71 (1935), S. 20ff. M Vgl. ERMAN, Religion, Abb. 3. ·· Gegen S E T H E a. a. O. S . 266.

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Raum zwischen Himmel und Wassern. Die Himmelsgöttin steht ihrerseits auf dem Haupt des Osiris, der mit der Beischrift: »Das ist Osiris. Er umgibt die D'.H versehen ist. Nun ist zu fragen, ob Osiris hier den Aufgang der Sonne aus der Unterwelt oder ihren Eintritt in diese am Abend repräsentiert. L A N G E und N E U G E B A U E R haben in ihrem Kommentar zum Papyrus Carlsberg I auf eine Stelle aufmerksam gemacht, die zum Verständnis dieses Bildes entscheidend beitragen dürfte. Der (gesperrt gedruckte) Grundtext findet sich zuerst in dem Deckengemälde des Kenotaphes Sethos I. in Abydos: [»Er (der Sonnengott) ist u m f a n g e n von] den Armen seines V a t e r s Osiris. Er ist umfangen in der Hand seines Vaters Osiris, das tut er nämlich, es ist das Wasser, aus dem er emporsteigt. E r i s t herrlich, wenn er sich u n t e r ihm zeigt. Er lebt, er ist schön bei seinem Aufgang, den er aus ihm macht, nämlich (aus dem) Wasser« 70 .

In diesem Text kommt ein weiterer mythologischer Aspekt des Sonnenaufganges zum Vorschein: Die Sonne geht aus Osiris auf! Wir fanden schon in der Gegenwart der beiden Göttinnen Isis und Nephthys einen Hinweis auf den Osiriskreis. Von hieraus legt sich das folgende Verständnis des Bildes nahe : Es schildert in umfassender Weise den Aufgang der Sonne aus der Tiefe. Die in der Schrift uns zugewandte Partie stellt den Ausgang aus der Duat und das Auftauchen aus dem Nun sowie das Einsteigen in die Morgenbarke dar. Die beiden Göttinnen Isis und Nephthys nehmen den Sonnenkäfer in Empfang. Jetzt muß sich der Betrachter das Bild in der Mitte geknickt vorstellen. Der Gedanke von der Fahrt des Re am Himmel leitet mit der oberen geraden, den Himmel symbolisierenden Linie zu dem anderen mythischen Aspekt über, dem von der Geburt der Sonne zwischen den Schenkeln der Nut. »Die Rückseite«, als solche durch die umgekehrte Haltung von Schrift und Gestalten gekennzeichnet, stellt diese Geburt aus der Nut dar, kann sie aber wegen der Gesamtkomposition, um allzu große Widersprüche zu vermeiden, nur noch als ein 'Empfangen' des Sonnengottes durch die Himmelsgöttin darstellen. Die Abbildung der Geburt zwischen den Schenkeln hätte die einheitliche Komposition zerstört. Durch das Stehen der Göttin auf dem Haupt des Osiris, der seine Hände merkwürdig abgeflacht und nicht in dem Gestus des Empfangens emporstreckt, wird der weitere mythologische Aspekt des Ursprunges 70 L A N G E und N E U G E B A U E R a. a. O. S . 2 2 , Abschnitt C 4 3 — 4 4 . Es handelt sich bei dem Papyrus um einen demotischen Kommentar zu einem hieratischen Text, der zunächst ins Demotische übersetzt wurde. — Den m. E. mit den hier untersuchten Vorstellungen vom Nun konkurrierenden über Osiris kann innerhalb der vorliegenden Arbeit nicht nachgegangen werden. — Vgl. zu der zitierten Stelle aus dem Pap. Carlsberg I P L U T A R C H de Isid. 32 a und 33 a.

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der Sonne angedeutet: Sie wird, erscheint sie am östlichen Himmel, aus den Armen des Osiris entlassen. Nach der vorhergehenden Interpretation des Bildes ergeben sich mühelos die Konsequenzen für unsere Fragestellung nach der kosmischen Erstreckung der Urgewässer: Der Nun befindet sich unterhalb der Duat. Er umspült die Welt des Tages und wogt oberhalb der Himmel71. Die gesamte bestehende Weltordnung ist von ihm umgeben. Die Richtigkeit dieser aus der Darstellung gezogenen Schlüsse bestätigt wiederum der Papyrus Carlsberg I, dessen Abschnitt D II, 20—31 im Folgenden nur nach seinem hieratischen Grundtext zitiert wird: »Die ferne Gegend des Himmels ist in dichter Finsternis. Nicht kennt man ihre Grenzen gegen Süd, Nord, West, Ost. Diese sind im Urwasser befestigt wie Ermattete. Nicht erhebt sich da die Seele 7 '. Nicht ist ihr Land gegen Süd, Nord, West, Ost bekannt Göttern und Geistern. Dort sind keine Lichtstrahlen. (Es) erstreckt sich unter jedem Ort«.

Der Kommentar der beiden Herausgeber, soweit er für uns von Bedeutung ist, lautet: »Das Thema dieses Kapitels ist die Schilderung des äußersten Randes des Himmels, wo ewige Finsternis herrscht, tiefer als die Finsternis der Unterwelt. Diese äußersten Enden der Welt ruhen im chaotischen Urwasser, unzugänglich selbst Göttern und Geistern. Es ist vielleicht wichtig zu bemerken, daß ausdrücklich besagt wird, daß sich die Sonne nicht aus diesem Urwasser erhebt. Es wird also ein Unterschied gemacht zwischen den Wassern, aus denen die Sonne aufgeht . . . und den alles umgrenzenden, aber ewig unzugänglichen in ewiger Finsternis liegenden Urwassern. Offenbar gehört alles, was den Lauf der Sonne betrifft, ihre Bahn am Tage über der Erde, ihr nächtlicher Weg in der Unterwelt, zu einem näheren, vertrauteren Bereich der Welt, weit innerhalb der unerreichbaren Himmelsgrenzen«7S. Man darf deshalb die Göttin Nut, an deren Leib die Sonne ihre Bahn zieht, nicht mit dem Himmel überhaupt identifizieren. Der durch diese Göttin »repräsentierte Weg (der Sonne) ist nur wie eine Brücke über den Himmel gespannt, weit davon entfernt, mit dem ganzen Himmel äquivalent zu sein oder an seine Grenzen heranzureichen«74. Der alte Ägypter kannte also eine Vorstellung von dem Urwasser, die in diesem Aspekt an die Rolle der Tiamat innerhalb der babylo71

Zu den Wassern oberhalb des Himmels vgl. den folgenden Absatz sowie die Seite 32 dieser Arbeit; ferner M. Stracmans, Nout et Kronos, Ar. Or, Prag 1952, S. 410—416. 71 Mit dieser 'Seele' ist nach dem demot. Kommentar der Sonnengott gemeint. '» a. a, O. S. 28. »« Ebenda.

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nischen Kosmogonie erinnert, eine Vorstellung, die über die Bibel weit in das Abendland hineingewirkt hat. — Nur kennt der Ägypter eine Tiefe, die nicht einmal mehr den Göttern und Geistern bekannt und zugänglich ist. Sie ist nichts als das schlechthin Dunkle und Unheimliche, das Lebensfeindliche. Es ist wichtig, diesen äußersten Asuekt des ägyptischen Weltbildes zu sehen, wenn er uns sonst auch kaum in dieser Deutlichkeit wiederbegegnen wird. Der Ägypter scheute sich, den dunklen Bereichen und Ereignissen dieser Welt durch schriftliche Fixierung Wirkungsmächtigkeit einzuräumen78. Wenn in den folgenden Texten dem Nun jener finstere und bedrohliche Aspekt fehlt, muß man sich vergegenwärtigen, daß für den Ägypter eben jedes Wasser zunächst ein Teil des Nun i s t n , ferner den Berliner-Ptah-Hymnus (C. 15—20), der Ptah in seiner Eigenschaft als Ptah-Nun besingt78a. Aber gerade an diesen Texten wird uns die eigentliche Erfahrung des Ägypters deutlich werden, die er mit dem Wasser verband und die seine Vorstellungen von dem Nun wesentlich von den mythischen Anschauungen unterscheiden, wie sie uns innerhalb der babylonischen Texte begegnen. Auf dem besprochenen Bilde vom Sarkophag Sethos I. wurde gezeigt, wie der Nun die Sonnenbarke emporhebt. Die Sonne taucht für den Ägypter an jedem Morgen erneut aus dem Urmeer auf. So heißt es im Pap. Carlsberg I, V 1,19: •Er (der Sonnengott) ist ein Falke, der aus dem Urwasser (Nun) kommt«77.

Ausführlicher finden wir diesen Aufgang der Sonne aus dem Nun in dem Kapitel 15 A II des Totenbuches des Neuen Reiches beschrieben : »Gehe auf, gehe auf, der aus dem Nun emporsteigt, indem du dich (wieder) verjüngst an deiner Stelle von gestern, du göttlicher Knabe, der von selbst entsteht, den meine Hand nicht (beschreiben?) kannl Du kommst in deinem Glänze, nachdem du den Himmel erleuchtet hast wie ein echter Malachit«71.

Die Überschrift verdeutlicht, sofern es einer solchen Verdeutlichung überhaupt noch bedarf, worum es sich in diesem Text handelt : 71 Vgl. H. BRUNNER, Die Grenzen von Baum und Zeit bei den Ägyptern, A. f. O. XVII (1956), S. 14. 74

77

"

Vgl. SCHAFER, Weltgebäude, S. 123, Nr. 6.

»Es erwacht der große Nun, der die Opferspeisen macht (der Nil), grün an frischen Pflanzen, — im Frieden. Erwache friedlich. Du erwachst im Frieden. Es erwacht, der den Bittersee (hm wr) und den Ozean {w'4 wr) ng'— gemacht hat (Das Wort ng' ist ungedeutet der, aus dessen LeibesausfluB die Flut entstand. Erwache friedlich. Du erwachst in Frieden« (WOLF, ÄZ 64, S. 20f.). a. a. O. S. 19. ROBDER a . a . O. S . 3 0 2 .

*

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»NN betet Re an, wenn er am östlichen Horizont des Himmels aufgeht«. LANGE und NEUGEBAUER sind der Ansicht, daß das Mythologem von dem Aufgang der Sonne aus dem Nun der Erfahrung des Ägypters entstammte, die er am Strande des Roten Meeres stehend machte: Dort bot sich ihm immer wieder das Bild der aus den Fluten aufsteigenden Sonne79. Aus dieser Vorstellung vom Auftauchen der Sonne aus dem Wasser geht deutlich hervor, daß man sich die Erde vom Nun umgeben dachte. Die Vorstellung von der Sonnen b a r ke zeigt, daß sich der Ägypter auch jenen Himmelsstreifen, über den der Sonnengott seine tägliche Bahn zieht, als ein Gewässer vorstellte. Zweifellos hat die blaue Farbe des Himmels, an dem die Gestirne wie die Nilkähne dahinziehen, zu der Entstehung der Vorstellung von dem himmlischen Wasser beigetragen 80 . Daß es sich auch bei diesem Gewässer unbeschadet seiner Identifizierung mit der Nut um den Nun handelt, erhellt aus dem 66. Kapitel des Totenbuches. Dort bekennt der Tote in einer uns rührenden Weise von sich: »Ich bin der fliegende Horus, ich schwebe am Scheitel des Re vorn in seiner Barke, die auf dem Nun fährt« 81 .

Am Abend steigt der Sonnengott in die Mesektet-Barke um. Der folgende Text betrachtet die Rückkehr vom Himmel zur Unterwelt als die Übergabe des Sonnengottes von »seiner Mutter Nut« an »seinen Vater Nun«: »Anbetung des Re durch NN; er sagt: Heil dir, der du herrlich bist, Atum, Harachte 1 . . . Der Feuersee ruht in Frieden. Der Feind liegt da mit gefesselten Armen, das Schwert hat seine Wirbel zerschnitten. Re hat schönen Segelwind; die MesektetBarke vernichtet den, der sie ángreift. Süden, Norden ziehen dich; Westen und Osten beten dich an, Urgott, der von selbst entstand! Isis undNephthys beten dich an, sie lassen dich in jener Barke erscheinen, indem sie ihre Arme schützend um dich legen. Die Geister des Ostens dienen dir, die Geister des Westens jubeln dir zu, wenn du die Götter beherrschst. Du empfängst Freude in deiner Kapelle, denn der Feind ist dem Feuer überwiesen; dein Herz ist froh, denn deine Mutter Nut hat dich deinem Vater Nun überwiesen*84.

Der in unserem Text genannte Feind ist die böse Schlange Apophis, wohl die Verkörperung der Dämonen der Finsternis, die, am Ost- und Westhimmel beheimatet 83 , es weder auf dieser Erde Tag '» a. a. O. S. 21. 80

Vgl. KEES, T o t e n g l a u b e S. 64.

81

ROEDER

82

Totenbuch des Nacht (Brit. Mus. Pap. 10471, 21, 1—35) bei

a. a

O.

S. 2 6 1 . ROEDER

a. a. O.

S. 2f. 83

Vgl. K E E S , Totenglaube S . 60. 197. B. W. S T R I C K E R hat, MVEOL 10, Leiden 1953, S. 7 Apophis als den Ozean mit seinen Wolken, Stürmen und Unwettern deuten wollen. Diese Identifizierung ist jedoch nicht ausreichend belegt. Die Bezeichnung

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werden lassen will noch den Toten das Licht gönnt, welches ihnen der Sonnengott für eine kurze Stunde bringt. So bedroht der Feind der Sonne die gesamte heile Welt, in dem er sie dem chaotischen Dunkel zurückgeben will. Re wird bei seinem Untergang seinem Vater Nun überwiesen. Er kehrt in den Nun zurück, aus dem er morgens aufgetaucht war. Freilich geht die Sonne nicht in dem Nun schlechthin unter, sondern in dem zum Nun gehörenden Fluß, der das Totenreich durchzieht, einem unterirdischen Nil84. e) Nun und Nil Bei der bisherigen Untersuchung der mythischen Vorstellung der alten Ägypter über das Urmeer Nun blieben wir im wesentlichen im Rahmen der allgemeinen kosmologischen Spekulation, wie sie, wenn wir von den spezifisch ägyptischen Vorstellungen über den Lauf der Sonne absehen, der überall möglichen Welterfahrung des frühen Menschen, der an den Rand des Kontinents gelangt, folgend den frühen Weltbildern allgemein eigentümlich zu sein scheint8S. des westlichen Untieres als shp nun, als 'Säufer des Nun', in dem Kairener AmonHymnus aus der Zeit Amenophis II., deutsch bei ERMAN, Die Literatur der Aegypter, Leipzig 1923, S. 353. Text bei E. GRÉBAUT, Hymne à Amon-Ra des Papyrus Égyptiens du Musée de Boulaq, Paris 1874, S. 10, scheint mir diese Deutung auszuschließen: Der 'Fresser' (ERMAN) bzw. 'Säufer' des Nun kann nur sehr gezwungen mit dem Ozean selbst identifiziert werden. — Später ist Seth mit Apophis gleichgesetzt worden ; vgl. G. SEIPPEL, Typhon, Diss. Greifswald 1939, S. 6 ; STRICKER, MVEOL 1 1 , 1 9 5 6 , S. 1 3 ; D. MÜLLER, Bib. Or. X V I I , 1 9 6 0 , S. 38, A n m . 14. 84 Man wird auf eine saubere Harmonisierung der Aussagen über den Nun und den 'Totenfluß' verzichten müssen. ω Die tiefenpsychologische Deutung dieses Mythus von dem Ursprung der Welt aus dem Wasser erklärt uns: »Aus dem Wasser geboren sein, heißt ursprünglich: aus dem Mutterleib geboren sein ...«. C. G. JUNG, Symbole der Wandlung, Zürich 1962*, S. 381. Der Religionswissenschaftler kann sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden geben, so sehr diese innerhalb der psychologischen Disziplin ihre Berechtigung haben mag. Dieser kommt es wesentlich auf die den verschiedenen Menschen gemeinsamen seelischen Abläufe an, während es der vergleichenden Religionswissenschaft gerade auf die Erfassung des Einmaligen und Besonderen einer Religion ankommt; vgl. H. FRANKFORT, The Problem of Similarity in Ancient Near Eastern Religions, Oxford 1951, S. 21. Zudem scheint die angegebene tiefenpsychologische Deutung für die ägyptische Vorstellung von dem Aufgang der Erde aus dem Wasser nicht zuzutreffen, sahen wir doch, daß der weibliche Aspekt in der Gestalt der Naunet erst sekundär in den ganzen Kreis einbezogen worden ist.

*

28

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Auffallend war bei der bisherigen Untersuchung, daß der Nun innerhalb der geordneten Welt keine negative Rolle zu spielen scheint. Am Ende der Untersuchung über seine Bedeutung für die Entstehung dieser Weltordnung kamen wir zu dem Ergebnis, daß nach dem Zeugnis der hermopolitanisch-thebanischen Theologie ihm eine potentielle Fruchtbarkeit innewohnt. Doch zeigte uns der Papyrus Carlsberg I, daß sich hinter diesen Kräften der Urwelt als der Ansammlung des ungelichteten und ungegliederten Urstoffes ein grauenhaftes Element verbirgt, das soweit an den Rand des eigentlichen Kosmos zurückgedrängt ist, daß es in der geordneten Welt keine Bedeutung besitzt. Es bleibt aber nicht allein deren Begrenzung, sondern auch deren Bedrohung. Daß weder Götter noch Geister bis zu diesem äußersten Bereich vorzustoßen vermögen, unterstreicht seine Unheimlichkeit. Das 175. Kapitel des Totenbuches86 zeigt, daß die Vorstellung von den die Welt bedrohenden Wassern jedenfalls schon in der Herakleopolitenzeit bekannt war. In ihr kommt die Erfahrung des alten Ägypters von der letzten Ungesichertheit der Welt des Menschen, die für ihn immer zugleich die der Götter war, zum Ausdruck87. Es bleibt der Erfahrungsgrund für die positive Bewertung des Nun innerhalb der geordneten Welt aufzuzeigen. Nach ägyptischer Auffassung bildete der Nun nicht nur die Grenze der geordneten Welt, sondern er besaß zu der bewohnten Erde, zu dem Lande Ägypten selbst, einen Zugang. Er war der eigentliche Spender des Nils. Eine allerdings erst späte Komposition, ein Formular für die Einbalsamierung des Toten, bezeugt diesen Glauben: •O Osiris NN, der Nil, der Große der Götter, kommt zu dir, um deine Opfer mit kühlem Wasser zu erfüllen. Er gibt dir das Wasser, das aus Elephantine kommt; den Nil, der aus den beiden Bergen kommt ; den Nun, der aus der Höhle kommt ; den Strudel, der aus der kühlen Flut kommt. Du trinkst von ihnen und sättigst dich von ihnen. Dein Leib fttllt sich mit dem frischen Wasser, dein Sarg ist mit der Flut erfüllt, deine Kehle ist überschwemmt — du bist N u n , der Älteste, der Vater der Götter«™.

Es geht diesem Text darum, den mit Osiris identifizierten Toten mit dem für ihn nach ägyptischer Vorstellung auch im anderen Leben notwendigen Wasser zu versorgen. Eine Binse in der Linken des Toten sollte den Nil symbolisieren und damit vergegenwärtigen. Während man dem Toten die Binse in die Hand legte, waren die eben angeführten Worte zu sprechen. Deutlich werden in diesem Text Nun und Nil gleichgesetzt. In Elephantine sollen die Wasser des Nun hervorbrechen. Man muß sich hier wie überall bei der Auslegung eines Mythos vor Rationalismen hüten: Es war dem Ägypter nicht verborgen, daß das Wasser des Nils weither kam. Der Machtbereich e« Vgl. u n t e n S. 35. W

MARIETTE.

87

Vgl. H. BRUNNER A. f. Ο. X V I I S. 14f.

Pap. de Boulq. Nr. 3, pl. VI, 7,18—20 bei

ROBDER

a. a. O. S. 302.

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der Pharaonen erstreckte sich seit der Zeit des Mittleren Reiches bis nach Nubien hinauf. — Es mag sein, daß in sehr frühen Zeiten der Nilkatarakt bei Elephantine dem Ägypter real als Ursprung des Nil erschien, was er ja für einen begrenzten geographischen Horizont sein konnte89. In der eigentlich geschichtlichen Zeit dürften die geheimnisvollen Strudel des Kataraktes für ihn nicht 'mehr' als die Repräsentation seines Glaubens an den Ursprung des Nils aus des Urmeeres segnenden Wassern gewesen sein. Ein anderer Zugang sollte sich in Medinet Habu befinden. Dort sollte die Urschlange Kneph in einer Grabeshöhle ruhen, die mit dem Nun in Verbindung stand 90 . Die gleiche Vorstellung von der Speisung des Nils durch den Nun finden wir in der berühmten Hungersnotstele, einem Erlaß Ptolemäus V. Epiphanes, der sich den Anschein gibt, aus der Zeit des Königs Djoser zu stammen91. In diesem identifiziert sich der Gott Chnum mit dem Nun. Er sagt Zeile 19: »Ich bin der Herr, der Schöpfer, ich bin der, der sich selber erschuf, der sehr große Nun«. Der sagenhafte Weise Imhotep weiht den Pharao in die Geheimnisse des Nils ein: »II y a une ville au milieu de l'eau: le Nil l'entoure; son nom est Ëléphantine. C'est le commencement du commencement, c'est le nom du commencement, (situé) contre Ouaouat. Surélévation terrestre, tertre céleste, c'est le siège de Rê quand il décide de lancer la vie auprès de chaqun; 'douceur de vivre' est le nom de sa demeure ; "les deux gouffres' est le nom de l'eau : ce sont les deux mamelles qui dispensent toutes choses ; c'est la Maison du Lit ; le Nil sa rejeunit en lui à son temps, . . . il offre la croe; il coite en bondissant comme un garçon qui féconde une femme, il recommence à être un jeune homme dont le coeur est vif« (ZI. β—8)M.

Im Traum gibt der Gott Chnum, der sich als der 'sehr große Nun' vorstellt, dem Pharao die Verheißung, aus der die ganze Bedeutung des Nils für das Leben der Ägypter hervorgeht : »Je ferai monter pour toi le Nil; il n'y aura plus d'années où l'inondation manquera pour aucun terrain: les fleures pousseront, ployant sous le pollen. Ernoutet présidant à tout; tout sera procuré par millions. Je ferai que tes gens soient comblés, et qu'ils emplissent leurs mains avec toi; la disette finira, qui amène le manque dans leurs greniers. Les Égyptiens viendront, empressés; les terres resplendiront, car excellent sera flot; et leur coeur sera gai plus qu'auparavant«**.

Wie sich der Mensch im Schlaf erquickt, so quillt jährlich der erneuerte und verjüngte Nun-Nil aus der Tiefe hervor94. Er speist ·» Vgl. W. F. ALBRIGHT, The Mouth of the Rivers, AJSL XXXV (1919), S. 174f. *° Nach KEKS, Götterglaube, S. 349. 81 Vgl. P. BARGUET, La Stèle de la famine à Séhel, IFAOC, BiE, T. XXIV, Le Caire 1953, S. 36. ·» Ebenda S. 18. *· Ebenda S. 28. M Zu den verschiedenen antiken Vorstellungen über die Ursachen der Nilttberschwemmung vgl. Β. H . STRICKER, De overstroming van de Nijl, MVEOL 11, Leiden 1966.

*

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das Land wie die Mutterbrüste das Neugeborene. Ohne die ausreichende Nilüberschwemmung sahen sich die Menschen vor eine Hungersnot gestellt. Wir begegnen entsprechend immer wieder Hymnen, die des Nils lebenspendende Macht preisen. So heißt es in der von MASPERO veröffentlichten Hymne auf den Nil aus der Zeit der X V I I I . Dynastie: »Preis dir, o Nil, der herauskommt aus der Erde und herbeikommt, um Ägypten zu ernähren. Mit verborgenem Wesen, eine Dunkelheit am Tage . . . Der die Fluren bewässert; den Re erschaffen hat, um alles Vieh zu ernähren. Der die Wüste tränkt, die fern vom Wasser ist; sein Tau ist es, der vom Himmel fällt . . .«M.

In einem aus späterer Zeit überlieferten Hymnus an den Sonnengott, der hier wie in dem vorhergehenden Liede für die Nilüberschwemmung verantwortlich gemacht wird, heißt es: »Du leitest den Nil an den Ort, den du willst. Und beginnt sein Anfang zu schwellen ( ?), so ist das ganze Land ein Meer (Nun) und kein Acker hat eine zugängliche Stelle«**.

HERODOT beschreibt in seinem II. Buch Kap. XCVII die Nilüberschwemmung wie folgt: »Jedesmal, wenn der Nil das Land überschwemmt, scheinen allein die Städte hervorzuragen, am ehesten den Inseln des Ägäischen Meeres vergleichbar. Denn das Übrige Ägyptens wird ein Meer, allein die Städte ragen heraus. Sie streben diesen, so oft dieses erfolgt, nicht mehr auf den Flußarmen zu, sondern mitten über das Feld«*7.

Bei einer solchen Gewalt des Überschwemmungswassers kann es nicht wundernehmen, daß die Menschen mit Freude und Furcht zugleich dem Kommen der segnenden Fluten entgegen sehen: Führt der Strom zu wenig Wasser, so daß die entlegeneren Felder trocken bleiben, droht eine Hungersnot; führt er zu reichlich Wasser, wird er die Felder und die frischbestellten Äcker, selbst die Häuser fortspülen98. Einer solchen gewaltigen Nilüberschwemmung mag die Vorstellung von den unheimlichen Chaoswassern entsprungen sein, die jenseits der bekannten Welt lauern. Das überwiegende Gefühl, mit dem der Ägypter die Überschwemmung erwartete, war das der Freude. Sie findet im Pyramidentext 581 ihren treffenden Ausdruck: »Es zittern, die den Nil sehen, wenn er strömt ! Die Felder lachen und die Ufer sind überflutet. Bei ERMAN, Literatur S. 193. ** ERMAN, Gebete eines ungerecht Verfolgten und andere Ostraka, ÄZ 88, S. 23 f. w Herodots zweites Buch mit sachlichen Erläuterungen ed. A. WIEDEMANN, Leipzig 1890 (Text). ·* Vgl. ERMAN-RANKE, Aegypten und aegyptisches Leben im Altertum, Tübingen 1923, S. 16; ferner Pyr. 290/93 (292 d) bei KEES, Totenglaube S. 101. M

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Die Opfer des Gottes steigen herab, das Gesicht der Menschen wird hell und das Herz der Götter jauchzt«**.

Seit alters weiß man auch, daß diesen Segen der Nun spendet. So heißt es in dem Berliner-Ptah-Hymnus E. 9—13: »Hei, laßt uns ihn preisen I der den Nil aus seiner Höhle holt und die Nahrung grünen laßt, der sorgt für den, der aus ihm kommt, in seiner Eigenschaft als 'Nun der Aite'«100.

Es ist nicht schwer, auf Grund dieser Zeugen den Ursprung für die Vorstellung von dem Auftauchen der Erde aus dem Urmeer Nun aufzuzeigen: Sie war der alljährlichen Nilüberschwemmung abgelauscht. Ein Text aus der Zeit Osorkon II. gibt dies ausdrücklich zu: »Nun schwoll (empor) in das ganze Land; er bestieg die beiden Ufer ( ?), so wie das erstemal (d. h. so wie im Anfang der Welt). Dieses Land war an seine Macht ausgeliefert wie (an) das Meer. Es gab keinen Damm der Menschen, der (in der Lage war), um sein Wüten abzuwehren. Alle waren wie Sumpfvögel ( ?) wegen seines Wütens . . . alle Tempel von Theben glichen den Sümpfen (des Deltas)«101.

Die alljährliche Überschwemmung, die im 3. Jahr Osorkons besonders katastrophale Ausmaße annahm, glich nach ägyptischem Glauben der urzeitlichen Überschwemmung der ganzen Erde durch den Nun. Im Hintergrund dieser Übertragung des gegenwärtigen Geschehens auf das urzeitliche steht der Glaube, daß alle kosmischen Abläufe ihren Grund in dem typischen Geschehen der Urzeit haben102. Die Überschwemmungswasser bedeckten, soweit das Auge reichte, das fruchtbare Ackerland. Die Landschaft glich, wie es in dem Gebet eines ungerecht Verfolgten an den Sonnengott hieß, einem Meer. Dann aber begannen die Wasser langsam zu sinken. Der Sonnengott Re, der zunächst einsam über den Wassern schwebte, fand den Platz, um sein Werk zu beginnen, den Urhügel. Dort erweckte seine Kraft das grünende Leben, das freilich ohne die segnenden Wasser des NunNil nicht entstehen konnte. Am Morgen, wenn das Licht der Sonne auf die in der Nacht unheimlich dahinziehenden Wasser fiel, begann der Tag der Welti Wenn man dann vom Westufer über das breite Wasser blickte, sah man über den 'Lichtbergen' den Sonnengott emporsteigen. Erklomm man aber selbst diese Berge und zog immer weiter, so stand man wieder vor einem unermeßlichen Meer, aus dem sich morgens der feurige Sonnenball erhob. Es war also ganz einsichtig: Die Sonne stieg aus den Wassern empor, die Welt war von den * 100

ERMAN.

Literatur

S . 36-

WOLF, Ä Z 64, S. 32.

101 Bei DE BUCK, De egyptische voorstellingen betreffende den oerheuvel. Dissertation, Leiden 1922, S. 16 f. 10 * Vgl. auch DB BUCK a. a. O. S. 20.

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Wassern umgeben. In der Nacht waren die Wasser an den Städten des Nilufers vorübergezogen, in der Nacht schlugen die Wellen im ewigen Gleichmaß gegen die Gestade des Meeres. So mußte das Wasser selbst älter als der Sonnengott und älter als diese ganze herrliche Welt sein, die in seinem Glänze aufging. Aber es gab ohne das Wasser kein Leben. Darum pries sich der Ägypter glücklich, daß er seinen Nil und in ihm den Segen des Nun besaß. Wie sehr erschien ihm eine Menschheit bedauernswert, die außerhalb des Landes Ägypten wie das Wild der Berge ohne einen Nil leben mußte! Aber die Götter waren gnädig: Sie hatten für die 'andere Menschheit' einen Nil an den Himmel gesetzt: »Hei, laßt uns ihn preisen«, fordert der Berliner-Ptah-Hymnus seine Gläubigen auf, »der den Nun zum Himmel sich erheben läßt«108. Am großartigsten ist dieser himmlische Nil in dem Aton-Hymnus Amenophis IV. beschrieben, der zugleich den Stolz des Ägypters auf seinen irdischen Nil spiegelt : »Du hast den Nil (auch) an den Himmel gesetzt, daß er zu ihnen herabsteige und Wellen schlage auf den Bergen wie ein Meer (w'4 vor), um ihre Äcker in ihren Ortschaften zu benetzen. Wie vortrefflich sind deine Gedanken gemacht, du Herr der Ewigkeit! Der Nil am Himmel, den übergibst du den Fremdvölkern und allem Wild der Wüste, das auf den FüBen geht, und der (rechte) Nil, der kommt aus der Unterwelt (d'.t) für Ägypten«10*.

f) Bezeichnungen für das offene Meer Wir schlossen den letzten Abschnitt mit der Feststellung, daß der Nun seine mythologische Bedeutung der Erfahrung des Ägypters bei der Nilüberschwemmung verdankte, nach deren Analogie er sich die Schöpfung und das Chaos vorstellte. Wir sahen zuvor, daß der Nun selbst die Erde von allen Seiten umgibt. Das offene Meer, für den Ägypter das Mittelmeer und das Rote Meer, trägt demgegenüber rein sachliche Bezeichnungen : Man nannte es entweder das »große Grüne«, w'jl wr, oder das »große Schwarze», km wr106. Unter dem letztgenannten verstand man in besonderer Weise die östlich des Delta gelegenen Bitterseen. Als Beleg dafür sei eine Stelle aus der Lehre für König Merikarê angeführt : Z. 98—100. Der König kommt dort auf die Abwehrmaßnahmen gegen die das 1β

* Vgl. W O L F , ÄZ 64, S. 31 f., E 14—18. Das von W O L F mit 'sich erheben' wiedergegebene Verb inhp hat eigentlich die Bedeutung 'aufwachen lassen*. Wörtlich heißt der Vers: »der den Nun des Himmels aufwachen läßt«. 144 E R M A N , Literatur S. 360. N. D B G. D A V I B S , The Rock Tombs of El Amarna, Part VI, ASE XVIII, London 1908, pl. XXVII, Sp. 9f. >« Vgl. Wörterbuch I, S. 269 und V, S. 126.

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Deltagebiet immer wieder gefährdenden Barbaren zu sprechen und berichtet : «Ein Deich ist ausgegraben worden bis zum ?, nnd seine Seite ist unter Wasser gesetzt bis zum großen Schwarzen; siehe, er bildet die Abwehr der Barbaren«. Unter dem großen Schwarzen ist dem Kontext entsprechend einer der Bitterseen zu verstehen 1 *.

Doch konnte der Nun auch, wie nach den kosmischen Vorstellungen der Ägypter zu erwarten, das Meer bezeichnen. Für das Rote Meer hat BRUGSCH die Bezeichnung als 'Nun der östlichen' nachgewiesen107. Der Beleg stammt von den Wänden des Horusheiligtums in Edfu aus ptolemäischer Zeit108. Aufschlußreich ist die Feststellung, daß wir die Bezeichnung w'd wr auch dort finden, wo wir sie dem eindeutig mythologischen Zusammenhang nach nicht erwarten. So lesen wir Pyr. Text 802: »Du durchfährst den gewundenen See im Norden des Himmels als Stern, der das große Grüne unten am Leib der Nut qùert, und die Dat lenkt deine Hände zum Orte, wo Osiris wohnt«1®·.

Ferner Pyr. Text 1505a: »Dieser Pepi ist dein Same Osiris-Sothis, in diesem deinem Namen als Horus, der sich im großen Grünen als Horus an der Spitze der Verklärten befindet«110.

Unter den Verklärten verstand der Ägypter die Toten in der Gestalt der während der ganzen Nacht sichtbaren und so offensichtlich unsterblichen Zirkumpolarsterne m . Unter dem großen Grünen am Leibe der Nut ist nach Pyr. Text 802 das Wasser am Leibe der Nut zu verstehen, das wir im 66, Kapitel des Totenbuches mit dem Nun gleichgesetzt fanden112. Ob man aus diesem Befund den Schluß ziehen darf, daß die Identifikation des himmlischen Ozeans erst im Laufe fortschreitender Spekulation erfolgt ist oder nicht, mag dahingestellt bleiben. Deutlich wird jedenfalls, daß sich die profane Betrachtung des Meeres, wenn man innerhalb der mythischen Welt von einer solchen reden darf, auch auf die himmlischen Gewässer übertragen kann. m· VOLTEN a. a. O. S. 61—63.

Vgl.: Ein geographisches Unicum, ÄZ 3, S. 26. W* W. SPIEGELBERG, Namen für das Rote Meer, ÄZ 66, S. 37. 10i Nach KEES. Totenglaube S. 88. Vgl. auch S. 146, Pyr. 628/29. 110 Eine gewisse Schwierigkeit bietet dem Übersetzer das m rn.t, das sich wohl auf die Sothis bezieht. lu Vgl. dazu Pyr. Text 878: »Du sehr großer unter jenen unvergänglichen Sternen, du gehst nicht unter ewiglich«. KBES, Handbuch der Orientalistik I, 2, S. 33. Zur Duat-Vorstellung vgl. SETHE, Übersetzung und Kommentar zu den Pyramidentexten, Bd. I, Glückstadt 1936, S. 41 ff. Vgl. oben S. 26. K a l l e r , Die mythische Bedeutung de« Meere»

3

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Für eine Mythologisierung des w'd wr findet sich nur ein ganz vereinzeltes Zeugnis auf der Westwand des Nebeneingangs zum Grabdenkmal des Königs Sá hu-re in Abusir. Dort erscheint w'i wr in einem Zuge von Göttern und Genien aus Unterägypten118. Der große Grüne ist ganz mit feinen Wellenlinien bedeckt. Er trägt Perücke und Götterbart, sonst ist er bis auf einen schmalen, über der Scham zur Schleife gebundenen Gürtel, über den ein fetter Bauch herabhängt, unbekleidet. Auf seinen Armen, an denen drei Anch-Zeichen hängen, trägt er ein Opferbrot, in der Hand hält er das w 's-Zepter. Über ihm steht: »Er gibt Leben, der große Grüne«. Vor ihm schreiten die Gottheiten Nordland und Knospung, ihm folgen Opfergaben, Getreide und Freude. — Da das Wasser des Meeres mit seinen hohen Salzgehalten nicht als Fruchtbarkeitsspender gelten kann, muß man annehmen, daß hier w'd wr ein Binnengewässer symbolisieren oder den Grundwasserspiegel selbst bezeichnen soll. Man könnte auch eine lediglich geographische Motivierung für die Einreihung des Meeres unter die Götter und Genien vermuten. Wie der Ägypter dem offenen Meere begegnete, sollen einige Sätze aus dem Märchen von dem Schiffbrüchigen verdeutlichen. Dieser erzählt sein Schicksal, soweit es das Meer verursacht hat, völlig sachlich. Er war eines Tages zu einem Bergwerk des Königs gegangen und »zum Meer herabgezogen«, wo er ein Schiff bestieg. Bei der Fahrt auf der See wurde er von einem Unwetter überrascht. Kein zürnender Meeresgott tauchte aus den Fluten auf. Die Erzählung setzt nüchtern fort: »Als der Sturm losgebrochen war, waren wir auf dem Meere«. Das Schiff sank, der Reisende wurde gerettet ; denn : »Ich wurde von einer Welle des Meeres (w'd wr) an eine Insel geworfen«. Am anderen Morgen erwachte er von dem donnernden Geräusch, wie er meinte, der Brandung. Doch er sah sich getäuscht: Eine riesige Schlange, hf'w, vergoldet und mit Lapislazuliaugenbrauen wie ein Götterbild anzusehen, kam heran. Bäume und Erde erbebten vor ihr, während der Schiffbrüchige sie bäuchlings empfing114. LANCZOWSKI hat neuerdings darauf hingewiesen, daß im Hintergrund dieser märchenhaften Erzählung ähnliche Vorstellungen stehen, wie sie aus dem berühmten 175. Kapitel des Totenbuches bekannt sind116.

113 L. BORCHARDT, Das Grabdenkmal des Königs Sá hu-Re, Bd. II, Die Wandbilder, Leipzig 1913, Bl. 30, dam Textband S. 46f. u4 Nach E R M A N , Literatur S. 66 ff. Text bei BLACKMAN, Middle Egyptian Stories I. Β Ae II. Bruxelles 1932. 115 G. LANCZKOWSKI, Die Geschichte des Schiffbrüchigen, Versuch einer religionsgeschichtlichen Interpretation, ZDMG 103, N. F. 28, 1963, S. 363 u. 368. Zu der Vorstellung von dem Urgott in Schlangengestalt vgl. S E T H E , Amun § 124.

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g) Eschatologische Vorstellungen vom Meer •Im 175. Kapitel des Totenbuches beklagt sich Osiris über sein Schicksal in der Unterwelt. Während die anderen Götter einen Platz im Schiff der Millionen gefunden haben, soll er in der Nacht der Tiefe bleiben. Atum tröstet den Klagenden: »Du wirst länger als Millionen von Millionen Jahren sein, eine Zeit von Millionen. Ich aber werde wieder als Urozean (Nun) erscheinen, als Wasserflut wie in ihrem Anfangszustand. Ich bin das, was übrig bleibt, zusammen mit Osiris, nachdem ich mich wieder in eine Schlange (A/'tu) verwandelt habe, die kein Mensch kennt, die kein Gott sieht«"·.

Hier begegnen wir wieder der Vorstellung von einem Gott im Nun, im Meer. Dieses erschien in dem Märchen von dem Schiffbrüchigen gerade infolge der Einführung der Götterschlange besonders weltlich. Hier, in dem Totenbucht ext, ist es derUrgott Nun selbst, die schlangenförmige Urgestalt des Schöpfergottes. Das Kapitel stammt nach K E E S aus der Herakleopolitenzeit117, in der die Ägypter die Auflösung der am festesten verankerten Vorstellungen ihrer staatlichen Ordnung erlebten118. Das Wanken des in seinem Wesen kosmisch verstandenen Staatsgefüges mußte dem Ägypter als eine Krisis des Kosmos selbst erscheinen und ihn vor die Frage stellen, wie es mit der Beständigkeit dieser Weltordnung überhaupt bestellt ist. In der Erfahrung der Krisis seines Kosmos wird ihm die Gewißheit, daß auch die äußere Ordnung dieser Welt vergänglich ist. Wie die Welt aus den Wassern entstanden ist, so wird sie einmal wieder in diese Wasser zurückkehren. Überdauern wird allein der Schöpfergott, überdauern werden mit ihm die seligen Toten. Diese Hoffnung ist ein Zeichen der Kraft des ägyptischen Glaubens an den göttlichen Weltgrund mitten im Untergang. — Der Satz: »Ich bin das, was übrig bleibt, zusammen mit Osiris« ist aber nicht dahingehend auszulegen, daß der schlangengestaltige Urgott mit dem Urwasser eine Einheit bildet. Uber den Verbleib des Wassers wird hier so wenig reflektiert wie in den kosmogonischen Texten über den letzten Ursprung des Schöpfergottes: So wie er einst von selbst in den Wassern entstand, wird er als der Letzte und Ewige in den Wassern bleiben. Mit diesen Aussagen sind die Grenzen eines anschaulichen Denkens erreicht. Mit anderen Worten : Für die Eschatologie gelten die gleichen Grenzen der Aussage wie für die Protologie118a. U · KEKS, Lesebuch S. 27 f. BUDGE, The Book oí Dead. The Papyrus oí Ani in the British Museum, London 1896, S. 187. " » Götterglaube, S. 216. 1 1 8 Derselbe, Totenglaube, S. 206. 160ff. u e a Zum prophetischen Charakter dieses Textes vgl. (1968), S. 36.

G . LANCZKOWSKI, Z A W 7 0

3*

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Im Hintergrund dieses Textes steht die umfassende Frage nach dem Sinn des menschlichen Daseins und der ganzen Schöpfung. Aber es gilt hier, was JASPERS über das Denken der Gerechtigkeit bei den alten Ägyptern und Babyloniern gesagt hat : Die Sinnfrage wird noch nicht ausdrücklich gestellt. »Es ist, als ob die Antwort vor der Frage da wäre«119. Man fragt noch nach den Umständen des Lebens, nicht nach dem Leben selbst, obwohl die Antwort wie die Frage den tieferen Horizont der Sinnfrage einschließen. Man wird es als einen Hinweis darauf werten müssen,, daß sich der Mensch noch nicht seiner selbst im deutlichen Unterschied zu seiner Welt bewußt war. h) Ägyptische Vorstellungen von dem Meer als einer lebensfeindlichen Macht An zwei Stellen innerhalb der altägyptischeh Literatur wird deutlich, daß es neben der bisher besprochenen Auffassung von dem Meer als dem aus dem Nun entquillenden »großen Grünen« noch eine andere gegeben zu haben scheint, in der das Meer als eine bedrohliche und in die geordnete Welt hineinragende Macht verstanden wurde. Es handelt sich hier um Z. 131 aus der Lehre für Merikarê sowie um den Spruch 11,13 des Papyrus Hearst, die POSENER einer eingehenden Untersuchung unterzogen hat 120 . Die erstgenannte Stelle handelt von den Wohltaten des Schöpfergottes für die Menschen: »(Denn) wohl besorgt sind die Menschen, das Vieh Gottes. E r hat Himmel und Erde um ihretwillen erschaffen. Er hat für sie den beseitigt. E r hat die Luft erschaffen, damit ihre Nasen leben konnten. Seine Ebenbilder sind sie, aus seinem Leibe hervorgegangen. E r geht auf am Himmel um ihretwillen. E r hat die Pflanzen für sie erschaffen«1'1.

Unter den Wohltaten des Gottes für die Menschen erscheint die Beseitigung des snk tt mw, des »Gierigen des Wassers«122. Schon SCHARFF und mit ihm VOLTEN nahmen an, daß es sich bei dem ihn η mw um ein der babylonischen Tiamat vergleichbares Urwesen handelt 128 . Da es sich, wie der Text unmittelbar zeigt, um ein Geschehen der Schöpfungszeit handelt, liegt diese Auffassung in der Tat nicht fern. Daß die Schaffung von Himmel und Erde vor der Beseitigung des Untieres erwähnt wird, berechtigt nicht zu dem · Vom. Ursprung und Ziel der Geschichte, München 1962·, S. 73. La légende égyptienne de la mer insatiable, AIPHOS X I I I (1963), Brüssel 1966 S. 469 ff. 111 Nach V O L T E N a. a. O. S. 73. Er übersetzt snk η mw mit 'Krokodil des Wassers.' 111 Die Gruppe snk ist hier als ikn zu lesen; vgl. P O S S N E R a. a. O . I M VGL A. S C H A R F F , Der hist. Abschnitt der Lehre für Merikarê, SAM, München u

1936,

S. 60, N r . 6.

VOLTEN a. a. O.

S. 76.

POSBNBR a . a. O.

S. 472.

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Schluß, daß dieses Tier auch erst nach Himmel und Erde geschaffen wurde, da offensichtlich bei der Erwähnung der einzelnen Taten des Sonnengottes für seine Menschen, »das Vieh Gottes«, keine genetische Reihenfolge eingehalten wird. Man kann freilich auch nicht beweisen, daß das Tier in der Tat vor der Schöpfung der Welt besiegt wurde. Aus der Kürze der Anspielung muß man schließen, daß den Lesern dieser Schrift die Vorstellung bekannt war 124 . Daß sich der Sonnengott bei diesem Akt der Hilfe des Seth bediente, wie es sich in späterer Zeit nachweisen läßt, kann hier nicht belegt werden. — Das Ergebnis ist also recht mager: Die Ägypter kannten bereits in der Herakleopolitenzeit eine Mythe von dem Sieg des Sonnengottes über ein Wasseruntier, dessen Näheres uns dunkel bleibt. Es kann vor oder nach der Entstehung der Welt Ordnung besiegt worden sein. Man wird bei der Untersuchung dieser Frage berücksichtigen müssen, daß der größte Teil der auf uns gekommenen Dokumente altägyptischer Kultur aus Oberägypten und also aus einem Lande ohne eigentliche Erfahrung des offenen Meeres stammt. Mithin muß die Möglichkeit, daß im Deltagebiet, dessen Zeugnisse uns aus klimatischen Gründen nicht erhalten sind, diese andere mythische Auffassung des Meeres beheimatet war, offen gelassen werden. Damit würde deutlich, daß die Mythenbildung von den geographischen Bedingungen abhängig ist, welche ein Volk vorfindet, ein Problem, das weiter unten ausführlich zu besprechen sein wird125. Nicht so einfach liegt der Sachverhalt bei dem Spruch 11, 13 des Papyrus Hearst: »So wie Seth das Meer besprochen hat, so bespricht Seth auch dich, du Krankheit der Asiaten«126. Das Meer heißt hier w'd wr, das 'große Grüne'. Die Parallelität von 'Meer' und 'Krankheit' in den beiden Gliedern zeigt, daß nach einer Überlieferung das mit der Krankheit der Asiaten verglichene lebensfeindliche Meer 114 V. RAD mußte in seinem Aufsatz 'Das theologische Problem des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens', BZAW 66 (1936), S. 145 auf Grund der von ihm benutzten Übersetzung, AOT' S. 35f., die ihn » mw nicht wiedergibt, in den Schöpfungsaussagen dieses Textes wie in denen des Amonhymnus »jener verstandesklaren, unmythischen Denkweise, die man von den Chaosdrachenkampfreminiszenzen nicht weit genug abrücken kann« begegnen. Die inzwischen ermöglichte Übersetzung des snk η mw bzw. skn η mw zeigt, daß man den uns rational anmutenden Stil der Weisheitsliteratur nicht in dieser Art von einem mythischen Denken absetzen kann. Diese teilt vielmehr die selbstverständlichen Denkvoraussetzungen ihrer Zeit, und d. h. sie bleibt innerhalb eines mythischen Weltverstehens. Der Monophysitismus der Lehre des Merikarê zeigt allein schon, daß wir es hier mit einem mythischen Denken zu tun haben. Zu der hinter der Weisheit stehenden Voraussetzung vgl. jetzt v. RAD, Theologie des Alten Testaments I, München 1957, S. 419.

Vgl. S. 90 f. GARDINER J E A

XIX

S. 9 8 .

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durch einen Spruch des Seth zurückgedämmt worden ist. Der Papyrus stammt aus den Anfängen der XVIII. Dynastie. Texte aus der XIX. Dynastie ähnlichen Gehaltes zeigen deutliche Spuren einer Beeinflussung durch asiatische Mythen, wie sie uns aus den ugaritischen Textfunden bekannt geworden sind. Angesichts dieses Befundes erhebt sich die Frage, ob der Spruch des Papyrus Hearst Zeuge einer genuin ägyptischen Meereskampfmythe ist oder ob er bereits asiatische und vielleicht gar speziell ugaritische Einflüsse widerspiegelt. POSENER rechnet damit, daß lediglich die Bezeichnung des östlichen Mittel meeres als 'großes Meer Syriens' den Anstoß zu der assoziativen Verbindung des Meeresbezwingers Seth mit der aus Asien gekommenen Krankheit geführt hat127, und hält die anklingende Kampfmythe für wirklich ägyptisch. Demgegenüber ist zu erwägen, daß die Beziehungen zwischen Ägypten und Ugarit sich bis in das Mittlere Reich zurückverfolgen lassen. In der Nähe des Dagontempels in Ugarit fand sich ein Halsband mit der Namenskartusche des Sesostris I. (1971—1930)128. Am Eingang des Baaltempels wurden die Reste zweier Sphingen gefunden, die nach Ausweis ihrer Kartuschen von dem Pharao Amenemhet III. (1840—1792) gestiftet waren. Offensichtlich handelt es sich bei ihnen um Weihgaben des Königs an den Baal von Ras Schamra129. Im Neuen Reich errichtete der königliche Schreiber und Aufseher über das Schatzhaus Marni oder Maimi eine Stele, die dem Seth Çafon geweiht war. A. MORET schreibt sie auf Grund der Hieroglyphentypen der Zeit der XIX. Dynastie zu180. Läßt sich so die enge Beziehung nicht nur zu Ugarit, sondern auch zu seinem Hauptgotte, dem Baal Çafon, soweit zurückverfolgen, und finden wir andererseits keine Bezeugung für Seth als den Bekämpfer des Meeres, die in die Zeit vor diese Kulturberührung zurückweist, bleibt die Wahrscheinlichkeit groß, daß Ägypten das Mythologem von dem Kampf des Seth-Baal gegen das Meer aus der ihm bekannten ugaritischen Mythologie übernommen hat. Jene Mythe, auf die Merikarê Ζ. 131 anspielte, mag dabei den Kristallisationspunkt gebildet haben. Daß sie freilich sicher nicht den einzigen Anknüpfungspunkt für die Übernahme der ausländischen Vorstellungen bot, wird die Untersuchung der einschlägigen Texte aus dem Neuen Reiche zeigen, die wir jedoch aus den eben genannten Gründen hinter die Auslegung der einschlägigen ugaritischen Texte zurückstellen. 1,7

129

a. a. O. S. 469. Vgl. C. F. A. S C H A E F F E R , Ugaritica I, Paris 1939, S. 20. J. F R I E D R I C H , Ras Schamra. Ein Uberblick über Funde und Forschungen,

A O 33, L e i p z i g 1933, S. 8.

SCHAEFFER a. a. O. S. 21 u n d pl. I I I .

Les fouilles de Minet-el Beida et de Ras Shamra, Deuxième campagne. Syria XII (1931), S. 10. 130

SCHAEFFER,

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Zunächst sei lediglich festgestellt, daß sich seit der XVIII. Dynastie für das Meer die Bezeichnung ym durchgesetzt hat. Sie ist auf das hebräische D"· zu beziehen181. Sie begegnet zum ersten Male als Bezeichnung für einen See in der Gebel Barkai Stele Thutmosis III., wo nach GARDINER die Lesart REISNERS in Z . 1 6 entsprechend abzuändern ist132. Die Übernahme dieses Namens für das Meer bedeutet nicht unbedingt, daß mit ihm auch die mythischen Vorstellungen seiner eigentlichen Heimat in den ägyptischen Bereich eindrangen188. Das zeigen die zahlreichen Stellen, an denen Jam nicht anders als zuvor der w'd wr erwähnt wird. Doch erleichterte zweifellos der Name die Übernahme jener Vorstellungen, wenn dazu aus anderen Gründen eine Veranlassung vorgelegen haben sollte. Wörterbuch I. S. 78. Ancient Egyptian Onomastica, London 1947, Vol. I, S. 162 und R B I S N B R , ÄZ 69. S. 30. Vgl. POSBNER a. a. O. S. 467: »Le fait (der Übernahme der neuen Bezeichnung) est d'ordre linguistique, sans relation avec le contenue du texte (des Astartepapyrus, in dem Jam als Gottheit zusammen mit Seth und Astarte erscheint, was zu Vermutungen fiber den Ursprung der Tradition aus Ugarit Veranlassung gibt)«, siehe unten S. 81fl. m

181

II. Die mythische Bedeutung des Meeres in den Texten von Ras Schamra-Ugarit ι. Die Textfunde von Ras Schamra und ihre Bedeutung a) L a g e und B e d e u t u n g des F u n d o r t e s im A l t e r t u m Etwa 15 km nördlich von Lattaquié, dem Laodizea der Alten, findet sich auf dem Gebiet des syrischen Alaouitenstaates 800 m südöstlich von Minet el-Bei