Die Luftverkehrspolitik der Europäischen Union [1 ed.] 9783428483716, 9783428083718

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Die Luftverkehrspolitik der Europäischen Union [1 ed.]
 9783428483716, 9783428083718

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JUTTA MARIA BAUMANN

Die Luftverkehrspolitik der Europäischen Union

Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann, Hans v. Mangoldt Wernhard Möschel, Wolfgang Graf Vitzthum sämtlich in Tübingen

Band 34

Die Luftverkehrspolitik der Europäischen Union

Von

Dr. Jutta Maria Baumann

Duncker & Humblot • Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Baumann, Jutta Maria::

Die Luftverkehrspolitik der Europäischen Union I von Jutta Maria Baumann. - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht ; Bd. 34) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-08371-7 NE:GT

D21 Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: W. März, Tübingen Druck: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7654 ISBN 3-428-08371-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der EberhardKarls-Universität Tübingen im Sommersemester 1993 als Dissertation angenommen. Für die Druckfassung wurde die Literatur bis Juli 1994 berücksichtigt. Die Rechtsgrundlagen des EWGV wurden durch die Vorschriften des EGV ersetzt, soweit sich aus diesen nichts anderes ergab. Nach Inkrafttreten des Maastricht-Vertrages wurde die Bezeichnung "Europäische Gemeinschaft" weitgehend durch die Bezeichnung "Europäische Union" ersetzt. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Oppermann, der mich in der Bearbeitung des Themas stets unterstützt und die Arbeit betreut hat. Herrn Prof. Dr. Wemhard Möschel danke ich für die Erstattung des Zweitgutachtens. Diesen Herren und den übrigen Herausgebern der Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht danke ich zudem für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Reihe. Für hilfreiche Hinweise und vielfältige Unterstützung bin ich insbesondere meinen ehemaligen Kollegen Herrn Mare Beise und Herrn Prof. Dr. Claus Dieter Classen sowie Herrn Paul Weipert zu herzlichem Dank verpflichtet. Tübingen, im August 1994

Jutta Maria Baumann

Inhaltsverzeichnis 1. Teil TatsäehUdle und redltlidle Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

17

Einleitung

17

A. Der Luftverkehr- ,.Stiefkind" der allgemeinen Verkehrspolitik

17

B. Luftverkehrspolitik in einem wachsenden Europa

........... ....

20

C. Ziele der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

1 . Kapitel

Die Bedeutung des Luftverkehrs bei der Errichtung des gemeinsamen Marktes A. Besonderheiten des Luftverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 24

I. Allgemeine Besonderheiten

24

II. Technische Besonderheiten

25

III. Ökonomische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

IV. Besonderheiten des europäischen Raumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

B. Der Luftverkehr als wirtschaftlicher Faktor des europäischen Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

C. Der Luftverkehr als integrativer Faktor des Binnenmarktes . . . . . . . . .

28

D. Schienenverkehr als Konkurrenz zum Luftverkehr . . . . . . . . . . . . . . .

29

2 . Kapitel

Rechtlicher Rahmen des EGV für eine gemeinsame LuftverkehrspoHtik A. Primäres Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31 31

10

Inhaltsverzeichnis

I. Die Verkehrsvorschriften der Art. 74-84 EGV

31

II. Wettbewerbsregeln, Art. 85 ff. EGV ... .. .

32

III. Staatliche Beihilfen, Art. 92 EGV . . . . . . . .

33

IV. Niederlassungsrecht, Art. 52 ff. EGV . . . . . . . . .. .

36

V. Dienstleistungsfreiheit, Art. 59 ff. EGV

38

B. Sekundäres Gemeinschaftsrecht . . . . . . .

40

I. Regelungsinstrumente des EGV allgemein

40

II. Befugnisse der einzelnen Organe ..

41

I. Befugnisse des Rats . . . . .

41

2. Befugnisse der Kommission

42 43

3. Befugnisse des Parlaments . 4. Befugnisse des Gerichthofs . . .

44

. . . . . . . . . . ... . .

5. Befugnisse von Wirtschafts- und Sozialausschuß .

45

6. Befugnisse des Paritätischen Ausschusses

45

. . ...

3 . Kapitel

46

Luftverkehrspolitische Außenbeziehungen der EU

47

A. Außenkompetenzen der Europäischen Union B. Luftverkehr der Gemeinschaft und internationale Luftverkehrsordnung

. .

50

C. Internationale Organisationen mit regelungspolitischer Bedeutung für den Luftverkehr in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

I. Die International Civil Aviation Organization II. Die European Civil Aviation Conference -

ICAO

51

ECAC

52

III. Eurocontrol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

IV. Die International Air Transport Association -

55

IATA

D. Kollisionsprobleme

I. Kollisionsprobleme zwischen der Europäischen Union und ICAO und ECAC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kollisionsprobleme zwischen der Europäischen Union und der lATA

57 57 62

Inhaltsverzeichnis

11

E. Verhältnis der Europäischen Union zu Drittstaaten . . . . . . . . . . .

63

I. Verhältnis der Europäischen Union zu den USA . . . . . . . . . . . .

64

II. Verhältnis der Europäischen Union zur European Free Trade Organization- EFTA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

F. Die Auswirkungen der europäischen Luftverkehrspolitik auf bilaterale Luftverkehrsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

G. Exkurs: Luftverkehr als Dienstleistung im GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

4 . Kapitel

Das Konzept zur Entwicklung einer gemeinsamen Luftverkehrspolitik

72

A. Anpassungsmaßnahmen . . . .

73

B. Harmonisierungsmaßnahmen .

74

C. Integrationsmaßnahmen im engeren Sinne . . .

76

5 . Kapitel

Die Marktpositionen der Europäischen Fluggesellschaften

76

A. Verflechtungen der Europäischen Luftverkehrsgesellschaften . . .

76

B. Praxis der Luftverkehrsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

2. Teil

Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

85

6. Kapitel

Die integrative Funktion des Gerichtshofes im Luftverkehrsbereich

85

A. Urteile des EuGH .

85

I. "Seeleute-Fall" . . .

86

II. Der Fall der Belgisehen Staatsbahnen .. . .

87

III. "Gemeinsame Verkehrspolitik" .. . .. . . .

87

Inhaltsverzeichnis

12

1. Vorgeschichte des Rechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

2. Inhalt des Rechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

a) Fehlen einer gemeinsamen Verkehrspolitik . . . . . . . . . . . . . . . .

89

b) Untätigkeit bezüglich der Verabschiedung der Vorschläge der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

IV. "Au Ble Vert" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

V. "Nouvelles Frontieres" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

VI. "Vlaamse Reisebureaus" I ,,Reisevermittler-Rabatte" . . . . . . . . . . . . . .

94

VII. "Woodpulp" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

VIII. "Ahmed Saeed" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

B. Anhängige Rechtssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100

I. RS 352188 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100

II. RS 298189 ("Gibraltar I")

... .......... ........ ... .....

10 I

III. RS C-336190 ("Gibraltar II")

102

IV. RS C-128191 ("Gibraltar III")

102

V. RS C-327191

103

VI. RS C-58192 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103

VII. RS C-364192 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103

VIII. RS C 397 192 ("Gibraltar IV") . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104

IX. RS C-74193

104

X. RS C-75193

104

XI. RS C-168193 ("Gibraltar V") . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104

C. Auswirkungen der Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105

7. Kapitel Stand der europäischen Regelungen

A. Das Erste Memorandum der Kommission vom 4. Juli 1979 I 30. August 1979 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105 105

Inhaltsverzeichnis

13

B. Das Zweite Memorandum der Kommission vom 15. März 1984

107

C. Das Weißbuch der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109

D. Die Einheitliche Europäische Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

llO

E. Das "Dezemberpaket" von 1987 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

lll

I. Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln des EGV . . . . . . . . . . . . . . . .

ll3

II. Ausnahmen von der Anwendung des Wettbewerbsrechts . . . . . . . . . . .

116

III. Tarife

116

IV. Marktzugang und Kapazitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

ll7

V. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

117

F. Die Maßnahmen von 1988/89 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

118

I. Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

118

II. Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

119

III. Exkurs: Kollision von eigenem und fremdem Wettbewerbsrecht . . . . . .

ll9

IV. Die Kommissionsvorschläge für die "Weiterentwicklung" der Zivilluftfahrt im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120

G. Das zweite Maßnahmenpaket, November 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . .

121

I. Beurteilung des ersten Paketes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

121

II. Das zweite Paket . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

121

l. Liberalisierung des Tarifsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

122

2. Marktzugang und Kapazitätsaufteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123

a) Marktzugang

. .. . . . . .. .. . .. . . . . . . . .. . .. . . . . . . . .

123

b) Kapazitätsaufteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

3. Wettbewerbsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

126

H. Sonstige Regelungen 1990/91 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

127

I. Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . .

127

II. Nur-Luftfrachtdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

127

III. Entschädigung bei Nichtbeförderung

. .. . . .. . . ... . . . . . . . . . ..

128

14

Inhaltsverzeichnis 1. Nichtbeförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

129

2. Entschädigungssummen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

129

3. Verfahren bei Überbuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

130

4. Verhinderung wettbewerbswidriger Praktiken . . . . . . . . . . . . . . . .

131

Das dritte Maßnahmenpaket, Juni 1992 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

131

I. Die Beurteilung des zweiten Pakets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

131

II. Die Maßnahmen des Pakets im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132

1. Anwendung der Wettbewerbsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132

2. Tarife

I.

. .. . . .. . . . . . . .. .. .. . . .. . . .. .. . . . . . . . . .. .

133

3. Zugang zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs und Kapazitätsaufteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135

4. Betriebsgenehmigungen für Luftverkehrsunternehmen . . . . . . . . . . .

137

5. Abschaffung von Gepäckkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

139

6. Harmonisierung der technischen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . .

140

7. Slot-Vergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

141

a) Slots als Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

142

b) Neuregelung der Slotvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143

aa) Das europäische Modell S. 144 - bb) Das Modell in den USA S. 146 - cc) Das Modell der Teilregulierung S. 147 dd) Das Modell der Preisregulierung S. 147 - ee) Regelung der Europäischen Union S. 147 - ff) Stellungnahme S. 148

3. Teil

Zur Zukunft der EU-Luftverkehrspolitik: Defizite und Aussichten

149

8. Kapitel

Regelungsdefizite A. Beziehungen zu Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149 150

I. Beziehungen zu den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

150

II. Beziehungen zu den EFfA-Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

151

III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

152

B. Computerized Reservation Systems -CRS . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

152

Inhaltsverzeichnis

15

I. Regelungen auf EU-Ebene ... . ....... . .

152

II. Tatsächliche Lage .

154

III. Stellungnahme ...

155

C. Sicherheitsvorschriften und technische Normen

156

I. Befähigungszeugnisse . . . .

156

II. Flug- und Flugdienstzeiten .

157

III. Umweltschutz, insbesondere Lärmschutz . . .

157

D. Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159

I. Privatisierung der europäischen Flugsicherung

159

1. Derzeitige Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159

2. Optionen für eine neugestaltete Flugsicherungs"Behörde"

162

a) Intergovernmental Organization . . .

162

b) Private Flugsicherungsagentur ....

162

c) Privatrechtlich organisierte Flugsicherungsagentur mit staatlicher Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . .. . . . .

164

3. Stellungnahme . . . . . . . . . . .

165

II. Privatisierung von Flughäfen . . . .

166

III. Privatisierung der nationalen Luftfahrtunternehmen

167

E. Beziehungen zwischen Flughäfen und Benutzern . . . . . . . . . . . .

167

F. Tarife

169 9 . Kapitel Ausblick und Zukunft Das Idealbild der europäischen Luftverkehrsordnung

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . Anlagen

170 173 176

I. Die "Freiheiten der Luft" . .

176

2. Formen der Tarifgenehmigung . . . . . . . . . . . .

177

Literaturverzeichnis

178

1. Teil

Tatsächliche und rechtliche Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik Einleitung A. Der Luftverkehr - "Stiefkind" der allgemeinen Verkehrspolitik Der Verkehr war lange Zeit ein vernachlässigter und deutlich unterbewerteter Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts 1• Obwohl die Verkehrspolitik, das heißt die bewußte Gestaltung und Beeinflussung des Verkehrs durch Öffentliche oder Private zur Erreichung gesamtwirtschaftlicher Ziele2 , neben Handel und Landwirtschaft von Art. 3 EGV als vorrangiges Ziel bezeichnet wird, signalisierten die Mitgliedstaaten wenig Bereitschaft und Interesse, den Verkehr im Rahmen der Union zu regeln 3 • Während sowohl Landwirtschafts- als auch Handelspolitik sich seit Gründung der Gemeinschaft kontinuierlich weiterentwickelt haben,4 war eine Politik auf dem Verkehrssektor, der gleichzeitig "Gegenstand und Instrument der Integration"5 dar1 Dagtoglou (Liber amicorum Pierre Pescatore, 1987, S. 115 ff. [115]) schreibt von einer "grey area" des Gemeinschaftsrechts; Hallstein (Der unvollendete Bundesstaat, S. 176; Die Europäische Gemeinschaft, S. 273) spricht von "Biedermeieridylle"; Basedow (Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten, S. 157) redet vom "Schattendasein" der Verkehrspolitik; Erdmenger schließlich (in: von der Groeben/von Boeckh/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Vorb. zu Art. 74-84 Rn. 2) bezeichnete die Verkehrspolitik als das "Aschenputtel" der europäischen Arbeit. Dazu auch Brandt, Untätigkeit in der Europäischen Verkehrspolitik, TranspR 1986, S. 89 ff. (91); Weinstock, Reflexions sur Ia politique commune des transports. Du legalisme au pragmatisme, RMC 1980, S. 571 ff. (571). 2 Definition von Rössger/Hünermann, Einführung in die Luftverkehrspolitik, S. 37; dazu auch Guldimann, Luftverkehrspolitik, ZLW 1993, S. 369 ff. 3 Rodrfguez-Sahagun, EI proceso liberalizador del transpofte aereo en Ia C.E.E., Cuademos Europeos de Deusto 1990, S. 39 ff. (41). 4 Erdmenger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Vorb. zu Art. 74-84 Rn. 1; Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 279. 5 Zit. Frohnmeyer, in: Grabitz, Komm. z. EWGV, vor Art. 74 Rn. I; Basedow/ Dolfen, in: Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, KapitelL, Rn. 2.

2 Baumann

18

1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

stellt, bis vor kurzem nur ansatzweise zu erkennen6 • Die Vernachlässigung der Verkehrspolitik ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, daß der Verkehr mehr als 7% des Bruttosozialprodukts der Gemeinschaft ausmacht'. Im Verkehrssektor hätte damit die Entwicklung des Freien Marktes bedeutende wirtschaftliche Auswirkungen8 • Obwohl aus dieser Zahl die Notwendigkeit der Formulierung einer gemeinsamen Verkehrspolitik folgt, brachte erstmals der Beitritt Großbritanniens im Jahre 1973 neue Impulse9• 1975 betonte der Europäische Gerichtshof in dem Urteil in der RS 13 I 83 10, daß im Verkehrsbereich rasche Fortschritte erzielt werden müßten 11 • Durch die stetige Erweiterung der Gemein6 Zu den Ursachen der Vernachlässigung dieses Politikbereichs Brandt, Untätigkeit in der Europäischen Verkehrspolitik, TranspR 1986, S. 89 ff. (91); Basedow, Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten, S. 160 ff.; ders., Verkehrsrecht und Verkehrspolitik als europäische Aufgabe, S. 18. 7 Weißbuch der Kommisssion (Katalognummer CB-43-85-894-DE-C), 1985, S. 28, Rn. 108; Basedow/Dolfen (in: Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, Kapitel L, Rn. 3) sprechen von 6,5% des Bruttosozialprodukts. 8 Lenz, Die Verkehrspolitik der Europäischen Gemeinschaften im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofes, EuR 1988, S. 158 ff. (158); Oppermann, Europarecht, Rn. 1300; dazu auch Krämer, Tagungsbericht, 33. Frankfurter Symposium Passage ,.Europa 1993- Perspektiven für den Luftverkehr", Frankfurt 9.-10. Februar 1993, ZLW 1993, S. 194 ff. (195). 9 Knieps, Deregulierung im Luftverkehr, S. 61 ; Basedow, Verkehrsrecht und Verkehrspolitik als europäische Aufgabe, S. 18; ders., Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten, S. 160; ders., Der europäische Verkehrsmarkt als Rechtsproblem, TranspR 1989, S. 402 ff. (403); Erdmenger, EG unterwegs - Wege zu einer gemeinsamen Verkehrspolitik, S. 93; Dagtoglou, Buchbesprechung ,Ludwig Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht', ZaöRV 1982, S. 853 ff. (855); McGowan/Trengove, European Aviation. A Common Market?, S. 59. Seit Mitte der achtziger Jahre hat Großbritannien mit einigen anderen Mitgliedern Vereinbarungen getroffen, in der liberalere Tendenzen bezüglich Tarifen, Marktzugangsbeschränkungen und Kapazitätsbegrenzungen sichtbar waren. Insbesondere das sog. ,.double approval system" (vgl. Kapitel 7) wurde in einem Vertrag zwischen Großbritannien und Luxemburg im Jahre 1985 festgeschrieben. 10 Sog. Untätigkeitsurteil ausführlich dazu im 6. Kapitel der Arbeit. 11 Dazu auch Basedow, Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten, S. 173 ff.; ders., Verkehrsrecht und Verkehrspolitik als europäische Aufgabe, S. 19 ff.; ders., Der europäische Verkehrsmarkt als Rechtsproblem, TranspR 1989, S. 402 ff. (404); Erdmenger, Die EG-Verkehrspolitik vor Gericht - Das EuGH-Urteil Rs. 13/83 vom 22.5.1985 und seine Folgen, EuR 1985, S. 275 ff. (278); ders., Verkehrspolitik, in: Jahrbuch der Europäischen Integration, S. 199 ff. (199); Urteilsanmerkung Schermers/Slot, SEW 1985, S. 786 ff.; Urteilsanmerkung Jacque, RTDE 1985, S. 757 ff. (766); Brandt, Untätigkeit in der Europäischen Verkehrspoltik, TranspR 1986, S. 89 ff.; Grabitz, Das politische Ermessen des Rates, Integration 8 (1985), S. 103 ff. (107); Sundberg, Inter-governmental relations in air transport between EEC and non-EEC countries- General aspects, S. 159 ff. (167).

Einleitung

19

schaft hat auch auf den Verkehrsmärkten eine entscheidende Veränderung stattgefunden. Während der Warenverkehr bis 1973 zwischen den kontinentalen Gründungsstaaten auf Straße, Schiene und Binnengewässern befördert wurde, konkurrieren nunmehr Seeschiffahrt und Luftfahrt mit diesen Beförderungsmitteln 12• Ähnlich wie bei der Landwirtschaftspolitik wurden für den Verkehrsbereich im EGV Sonderregelungen aufgestellt, die jedoch ohne nähere Ausgestaltung blieben (Art. 74-84 EGV). Luftverkehr und Seeschiffahrt sind aus diesem Normengefüge durch Art. 84 Abs. 2 EGV ausgegliedert, 13 der für diese Tatbestände die Rechtsfolge einer weitgehenden Entscheidungsbefugnis des Ministerrates enthält 14• Bei der Verabschiedung von Vorschriften zur Regelung des Luftverkehrs (und der Seeschiffahrt) muß dieser jedoch die allgemein übliche Vorgehensweise einhalten 15 • Innerhalb der Verkehrspolitik nimmt die Regelung der Zivilluftfahrt eine besondere Stellung ein. Lange war umstritten, ob auch die Zivilluftfahrt in den Integrationsprozeß einbezogen werden sollte 16. Der Europäische Gerichtshof hat diese Frage in seiner Entscheidung in der RS 167173 geklärt17 • Aus der Gesamtsystematik des Vertrages und der Stellung des Art. 84 Abs. 2 EGV ergebe sich keinesfalls, daß auf Seeschiffahrt und Luftfahrt die allgemeinen Regeln des EGV keine Anwendung fänden. Im Gegenteil unterlägen auch diese den allgemeinen Vorschriften, "solange der Rat nichts Gegenteiliges bestimme". Der Europäische Gerichtshof unterstrich damit die Kompe12 Basedow I Dolfen, in: Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, Kapitel L, Rn. 4. 13 Dies als Komprorniß, weil die Vertragspartner sich bei Vertragsschluß nicht auf eine einheitliche Vorgehensweise einigen konnten, vgl. Weinstock, Reflexions sur Ia politique commune des transports. Du legalisme au pragmatisme, RMC 1980, S. 571 ff. (584); Basedow, Der europäische Verkehrsmarkt als Rechtsproblem, TranspR 1989, s. 402 ff. (402). 14 Erdmenger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 84 Rn. 1 m.w.N.; Folliot, Le Transport Aerien International, S. 219 f. 15 Stabenow, The International Factors in Air Transport under the Treaty Establishing the European Economic Community, JALC 33 (1967), S. 117 ff. (129). 16 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Ein Buropa ohne Grenzen für den Luftverkehr und die Luftverkehrsindustrie, Stichwort Buropa 2/89 (CC-AD-89002-DE-C), S. 1; Naveau, L'arriere-plan international de l'application du Traite CEE au Iransport aerien europeen, ETL 1986, S. 508 ff. (509); Reimer, Vision or Fiction? An Intra-European Air Transport Market, ZLW 1986, S. 183 ff. (192); van Bogaert, Elements de Droit Aerien, S. 197 f. 17 RS 167/73, Kommission der Europäischen Gemeinschaften ./. Französische Republik, EuGHE 1974, S. 359 ff.; abgedruckt auch in: EuR 1974, S. 363 ff. und in: ZLW 1974, S. 52 ff. Dazu auch Lenz, Die Verkehrspolitik der Europäischen Gemeinschaften im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofes, EuR 1988, S. I 58 ff. (160).

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

tenz der Europäischen Gemeinschaft, den Luftverkehr anstelle der Mitgliedstaaten als Angelegenheit zu regeln. Ein ehrgeiziges Datum in der Geschichte der Gemeinschaft war der 31. Dezember 1992. Auch auf dem Luftverkehrssektor wurde mit Blick auf den Einheitlichen Binnenmarkt 1993 aufgrund der Zielsetzung des Art. 8a Abs. I EWGV (nun Art. 7a Abs. 1 EGV) ein einheitliches Gesamtkonzept angestrebt18.

B. Luftverkehrspolitik in einem wachsenden Europa Traditionell sind den europäischen Luftverkehrsunternehmen von ihren nationalen Regierungen starke Vorgaben gemacht worden, weil die Linienfluguntemehmen fast regelmäßig ganz oder zumindest teilweise (meist mehrheitlich) im Eigentum der Registrierstaaten lagen bzw. noch liegen 19. Grund für diese "Verstaatlichung" der Luftfahrtunternehmen waren stets die Wahrung von Transportautarkie und das Bedürfnis der Sicherung gesellschaftlicher Wohlfahrt, die sich die Staaten durch staatliche Luftverkehrsunternehmen versprachen20. Deshalb ist verständlich, daß die staatliche Praxis eher zum Schutz und damit zu starker Regulierung tendiert, als zu gänzlich liberaler, d.h. marktoffener Politik21 . Zu einem einheitlichen Binnenmarkt kann Europa jedoch nur gelangen, wenn auch bisher stark regulierte, national abgeschottete Bereiche in das Gesamtsystem integriert werden22. Nach der Vorstellung der Union soll auch der Verkehrssektor von marktwirtschaftliehen 18 Vgl. Oppennann, Europarecht, Rn. 1362 f. Vgl. die Statistiken der International Foundation of Airline Passengers Associations (1988), abgedruckt in: Button/Swann, European Community Airlines - Oeregulation and its Problems, JCMS 27 (1989), Nr. 4, S. 259 ff. (266), zit. nach Loewenstein, European Air Law, S. 51 Fn. 19. 20 Klaassen, Der Beitrag des öffentlichen Verkehrs zur gesellschaftlichen Wohlfahrt, S. 154 ff. (156); Witte, Sozialpolitische Rahmenbedingungen und lmplikationen für ein Verkehrssystem der Zukunft, S. 247 ff. (258). Haanappel (Deregulation of Air Transport in North America and Western Europe, S. 89 ff. [91]) vermutet dahinter auch Gedanken der nationalen Verteidigungmöglichkeit oder pure Prestigegründe. 21 Erdmenger, EG unterwegs Wege zur Gemeinsamen Verkehrspolitik, S. 23, Naveau, Le droit de Ia CEE va-t-il influencer le droit aerien international?, AnnASL 1988, S. 161 ff. (169); Haanappel, The extemal aviation relations of the European Community and of EEC member States into the twenty-first century, AL 1989, S. 69 ff. (70). 22 Meyer, Möglichkeiten einer marktwirtschaftliehen Ordnung des Verkehrs, S. 19 ff. (27); Weinstock, Reflexions sur Ia politique commune des transports. Du legalisme au pragmatisme, RMC 1980, S. 571 ff. (587); Wassenbergh, EEC Cabotage after 1992!?, AL 1988, S. 282 ff. (284); Vincent, La politique commune du transport aerien, ETL 1986, S. 518 ff. (520). 19

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Vorstellungen geprägt bzw. nach dessen Prinzipien ausgerichtet sein. Nur so können die Voraussetzungen für arbeitsteiliges Wirtschaften und die Mobilität von Gütern und Personen ausreichend gegeben23 bzw. der größte ökonomische Nutzen gewährleistet sein24 • Die tiefgehenden Umstrukturierungen der US-amerikanischen Luftverkehrspolitik in den späten 70er und zu Beginn der 80er Jahre sind auch an der Gemeinschaft nicht spurlos vorbeigezogen. Durch die neue amerikanische Politik des "offenen Himmels"25 wurde auch im europäischen Raum der Blick geöffnet für staatlich nicht protegierte, unabhängige Fluggesellschaften, die sich am wettbewerbsorientierten Markt behaupten müssen. Im Hinblick auf die Vertiefung der Europäischen Integration hat sich die Gemeinschaft zu einem Gravitationszentrum entwickelt. Fast alle EFI'A-Staaten (European Free Trade Association)26 haben sich inzwischen für einen HGBeitritt ausgesprochen, z.T. wurden schon Mitgliedsanträge gestellt. Im Frühjahr 1992 haben EG und EFI'A den Vertrag zur Gründung des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) geschlossen27, der zeitgleich mit dem Gemeinsamen Binnenmarkt am 1. Januar 1993 in Kraft getreten ist und innerhalb eines 19 Staaten umfassenden Europäischen Wirtschaftsraumes auf der Grundlage des einschlägigen Gemeinschaftsrechts den freien Waren-, DienstleistungsKapital- und Personenverkehr verwirklichen sole8• Damit werden EG und EFI'A die weltweit größte homogene Wirtschaftszone geschaffen haben29• Grundsätzlich regelt der Vertrag über den EWR die Verpflichtung der Vertragspartner zur Verwirklichung der vier Grundfreiheiten des EG-Vertrages. Eine neue völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit entsteht jedoch nicht. Weder soll gemeinsam Politik gemacht noch ein gemeinsames Budget aufgestellt werden. 23 Erdmenger, in: von der Groeben!Thiesing!Ehlermann, Komm. z. EWGV, Vorb. zu Art. 74-84 Rn. 4. 24 McKay, Die verkehrspolitische Konzeption der EG Orientierungen und Konfliktpotentiale, S. 7 ff. (19). 2j Dazu vgl. Kapitel 3. 26 Der EFTA gehörten bis zum 31.12.1994 die folgenden sechs Staaten an: Finnland, Island, Norwegen, Österreich, Schweden und die Schweiz. Am 1.3.1991 hat Liechtenstein die EFTA-Mitgliedschaft beantragt. Schweden, Österreich und Finnland sind seit 1.1.1995 Mitglied der Europäischen Union. 27 Assoziationsabkommen gern. Art. 238 EGV. 28 Burtscher, EFTA und EG: Rechtliche Probleme eines Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR), S. 1. 29 Mit einem Anteil von 45% des Welthandels vgl. Krenzler, Der Europäische Wirtschaftsraum als Teil einer gesamteuropäischen Architektur, Integration 15 (1992), s. 61 ff. ( 61).

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

Der Verkehr als integrativer Faktor des Binnenmarktes und damit auch des EWR wird damit auch in den EFfA-Staaten einer Wandlung unterfallen30•

C. Ziele der Untersuchung Angesichts des rapiden Wachstums des Luftverkehrs31 ist die Notwendigkeit der Abstimmung beziehungsweise der Vereinheitlichung der nationalen Luftverkehrspolitiken auf EU-Ebene unumgänglich. Es verwundert deshalb nicht, daß die Gemeinschaft dem Verkehrskapitel in der vergangenen Zeit mehr Beachtung geschenkt und eine Reihe von einschneidenden Maßnahmen erlassen hat, die ständige Fortschritte im Integrationsprozeß erkennen lassen. In der vorliegenden Arbeit32 sollen konkret die Bereiche, in denen die Gemeinschaft Luftverkehrspolitik betreiben kann, und die möglichen regelungsspezifischen Instrumente und Mittel untersucht werden. Insbesondere werden aber auch Bereiche aufgezeigt, in denen gemeinschaftsweite Regelungen noch fehlen. Teilweise liegen dem Rat Vorschläge der Kommission vor, teilweise handelt es sich um Materien, bei denen die Kommission noch keinen Handlungsbedarf sieht. Hilfe bei dieser Untersuchung bieten insbesondere der EGV selbst und internationale Verträge wie beispielweise das Abkommen von Chicago33 • 3° Kalshoven-van Tijen, Recent Developments in EEC aviation Iaw: "the second phase", AL 1990, S. 122 ff. (135); Krämer, Tagungsbericht ,The Second Phase of Air Transport Liberalization in the European Community, Leiden, 22 June 1990', ZLW 1990, s. 378 ff. (378).

31 Die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt erwartet auf der Basis von 1986 eine Verdoppelung des Flugverkehrs bis zum kommenden Jahrtausend; vgl. Ussler, Kooperationen und Fusionen im Luftverkehr, LH-Jahrbuch '90, S. 38 ff. (40). 32 Die vorliegende Arbeit behandelt ausschließlich den Linienluftverkehr; auf Luftfracht- und Charterverkehr wird nicht eingegangen. Zur Definition des Linienluftverkehrs z.B. Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 1981, S. 327 -332; Thomann, Die staatlich gebundene Aktiengesellschaft, S. 6 f.; Diederich, Verkehrsbetriebslehre, S. 157 ff. Zum grundsätzlichen Problem der unterschiedlichen Behandlung von Linie und Charter Guldimann, The Distinction Between Schedu1ed and NonScheduled Air Services, AnnASL 1979, S. 135 ff. Desgleichen wird auf die Sonderform Regionalverkehr nur am Rande eingegangen, dazu vgl. Commission des Communautes Europeennes, La Desserte Aerienne Interregionale en Europe. Documentation interne de Ia politique regionale dans Ia Communaute. Revue du rapport 1ere phase, No. 6, Paris, Novembre 1978, bzw.: Chancen des interregionalen Luftverkehrs in Nordwesteuropa? (Konferenz für Raumordnung in Nordwesteuropa, 10. Studientagung Lüttich, 29.9.1981), Dortmund 1984 (Schriftenreihe Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen; Landesentwicklung, Bd. 1.032). 33 ICAO Doc. 7300/6; UNTS 295 (in Kraft getreten am 4.4.1947, Mitgliedstaaten inzwischen über 160).

Einleitung

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Gerade auch die Vielzahl der bilateralen Abkommen der EU-Mitgliedstaaten ist nicht mehr vereinbar mit den Bestrebungen der Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes34• Primär werden durch die mehr als 600 Abkommen Kapazitäts- und Marktzugangsrechte geregelt, was insbesondere dem vom EGV vorgegebenen Prinzip der Nichtdiskriminierung zuwiderläuft. Bis jetzt hat die Gemeinschaft jedoch nur eine einzige Vorschrift bezüglich ihrer auswärtigen Beziehungen auf dem Luftverkehrssektor erlassen. Die Entscheidung 80/50 bestimmt, daß die Meinung der Kornmission bei Angelegenheiten im Luftverkehrssektor einzuholen ise5• Die Vorschrift will den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission gewährleisten und eventuelle Aktionen der Mitgliedstaaten in den betreffenden internationalen Organisationen koordinieren. Nach dem Urteil ,,Ahmed Saeed"36 wurden die Mitgliedstaaten durch einen Brief der Kommission aufgefordert, ihre bilateralen Abkommen mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang zu bringen. Die Designierungsklausel37 mit spezieller Zuweisung der Streckenrechte zugunsten einer bestimmten Auggesellschaft sollte ersetzt werden durch eine allgemeine "Gemeinschaftsklausel"38 • Inwiefern die Staaten dieser Empfehlung gefolgt sind bzw. noch folgen werden, ist noch nicht absehbar. Zumindest würde eine solche Klausel in vollem Einklang zu Art. 234 Abs. 2 EGV stehen. Andererseits ist bei den bilateralen Abkommen stets auch der Nicht-EU-Vertragspartner zu berücksichtigen. Seinem Interesse kann es zuwiderlaufen, wenn er eine allgemeine EU-Designierungsklausel einräumt. Es ist durchaus legitim, wenn der Nicht-EU-Staat sich genau aussuchen will, welcher Auggesellschaft bzw. welchem Staat er Landerechte einräumen will. Zugleich werden von Nicht-EU-Mitgliedstaaten immer häufiger Befürchtungen geäußert, durch die Verwirklichung des Einheitlichen Marktes würde der Markt zwar liberalisiert, Marktoffenheit bestünde jedoch einzig für die europäischen Carrier9 • 34 Loewenstein, European Air Law, S. 90 f.; Tegelberg-Aberson, Freedom in European air transport: the best of both worlds?, AL 1987, S. 282 ff. (282); McGowan/ Trengove, European Aviation. A Common Market?, S. 80.

3s Entscheidung des Rates vom 20.12.1979 zur Einführung eines Konsultationsverfahrens betreffend die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern auf dem Gebiet des Luftverkehrs sowie die diesbezüglichen Aktionen in den internationalen Organisationen (80/50/EWG), ABI. EG Nr. L 18 vom 24.1.1980, s. 24 ff. 36 Vgl. Kapitel 6 der Arbeit. 37 Die Designierungsklausel sieht vor, daß jeder der beiden Vertragsstaaten das Recht hat, gegenüber dem Partner dasjenige Luftverkehrsunternehmen zu bezeichnen (designieren), das die eingeräumten Verkehrsrechte ausüben soll. 38 Fundstelle des Briefes bei Loewenstein, European Air Law, S. 91 Fn. 199, 39 Lipman, The impact of Europe's internal market on the airlines, S. 65 ff. (68 f.).

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

I. Kapitel

Die Bedeutung des Luftverkehrs bei der Errichtung des gemeinsamen Marktes A. Besonderheiten des Luftverkehrs Der kommerziellen Luftfahrt werden in Praxis und Literatur Besonderheiten zugeordnet, die diese Verkehrsart von anderen unterscheidet. Die Besonderheiten beziehen sich auf das Produkt selbst, auf wirtschaftliche Faktoren wie Produktions- und Angebotsbedingungen, auf die Struktur der Nachfrage etc. I. Allgemeine Besonderheiten

Zwei spezifische Merkmale verschafften dem Luftverkehr seine heutige wichtige Stellung. In relativ kurzer Zeit können hohe Geschwindigkeiten erreicht und weite Entfernungen überbrückt werden. Kein Transportmittel hat bisher geschafft, dem Luftverkehr den Rang abzulaufen, obwohl Straße und Schiene - insbesondere seit kurzem die europäischen Hochgeschwindigkeitszüge - zu starken Konkurrenten geworden sind 1• Das Fluggastaufkommen steigt von Jahr zu Jahr, und selbst Reisende, die bisher auf das Flugzeug verzichteten, lernen dessen Vorzüge schätzen2 • Die besondere "Verkehrswertigkeit"3 des Luftverkehrs im Vergleich zu anderen Verkehrsarten zeigt sich jedoch nicht nur beim Leistungsangebot (Entfernung großer Strecken in einer relativ geringen Zeitt Sie basiert auch auf Faktoren wie Massenleistungsfähigkeit, Fähigkeit zur Netzbildung, Berechenbarkeit, Häufigkeit der Verkehrsbedienung, Sicherheit und Bequemlichkeif. Schließlich stellen die Kosten des Produkts einen wichtigen Faktor seiner Verkehrswertigkeit dar. Die1 Kurz, Regulierung und Innovation im Luftverkehr, S. 9; "Infratest: ICE jagt dem Flugzeug Passagiere ab", in: SZ vom 14.2.1992, S. 20. 2 Seit Mitte der sechziger Jahre stieg die Nachfrage durch Privatreisende im Vergleich zu den Geschäftsreisenden überproportional an. Vgl. Muscati, Die Verkehrsgebiete der Lufthansa, LH-Jahrbuch ' 86, S. 106 ff. (109). 3 Unter "Verkehrswertigkeit" versteht man den Grad der Vollkommenheit des Verkehrsmittels, vgl. Berendt, Die Entwicklung der Marktstruktur im internationalen Luftverkehr, S. 148.

4 Voigt/Zachcial/Solzbacher, Determinanten der Nachfrage nach Verkehrsleistungen, Teil I: Personenverkehr, S. 60 ff.; Oettle, Zukunftsaspekte der westeuropäischen Luftverkehrswirtschaft, S. 525 ff. (534). 5 Voigt, Verkehr, Bd. I, S. 71 ff.; Berendt, Die Entwicklung der Marktstruktur im internationalen Luftverkehr, S. 147 ff.

1. Kap.: Die Bedeutung des Luftverkehrs im gemeinsamen Markt

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se haben im Rahmen der einzelnen Verkehrswertigkeiten insofern eine Sonderstellung, als sie in einer Abhängigkeit zu allen anderen Verkehrswertigkeiten stehen6• D. Technische Besonderheiten Für den Luftverkehr besteht die Schwierigkeit, daß eine zeitliche und intensitätsmäßige Anpassung bei veränderter Marktsituation aufgrund der technischen Gegebenheiten nicht möglich ise. Die Geschwindigkeit der Luftfahrzeuge kann bei erhöhter Nachfrage nicht einfach gesteigert werden, so daß im Regelfall die Erhöhung des Angebots bei erhöhter Nachfrage nicht problemlos möglich ist. 01. Ökonomische Besonderheiten Die Luftverkehrsleistung ist weder auf Vorrat produzierbar noch speicherbar'!, deshalb muß die Transportkapazität von der Luftverkehrsgesellschaft auf die Saisonspitze ausgerichtet sein9 • Dies führt über das Jahr zu sehr unterschiedlichen durchschnittlichen Auslastungsgraden 10 zwischen 40% und 90%ll, je nach (saisonbedingter) Nachfrage. Erstellung und Konsum der Flugreise fallen zusammen, so daß ein nichtverkaufter Sitzplatz ein verlorener ist. Die Erreichung eines kostendeckenden durchschnittlichen Sitzladefaktors wird daher zum entscheidenden Kriterium eines wirtschaftlichen Strekkenergebnisses 12• Die Bilanz eines Luftverkehrsunternehmens wird stets geprägt von einem hohen FixkostenanteiL Dieser ist hauptsächlich auf die hohe Anlageintensität zurückzuführen. Um die Wartungs- und Ersatzteillagerkosten zu senken, haben die Luftverkehrsunternehmen inzwischen auf fast allen europäischen Flughäfen gemeinsame "Werkzeugpools" eingerichtet13 • 6

Berendt, Die Entwicklung der Marktstruktur im internationalen Luftverkehr,

s. 179.

Diederich, Yerkehrsbetriebs1ehre, S. 145 ff. Diederich, Yerkehrsbetriebslehre, S. 145. 9 Rössger/Hünermann, Einführung in die Luftverkehrspolitik, S. 15.

7

8

Pompl, Luftverkehr, S. 2. Thomann, Die staatlich gebundene Aktiengesellschaft, S. 10. 12 Pompl, Luftverkehr, S. 32. 13 Möllers, Yerkehrsflughäfen, S. 161.

10 11

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

Negativ auf die Erträge wirken sich schließlich schwer zu kalkulierende Posten wie Treibstoffpreise 14, Gebühren 15 und Personalaufwand 16 aus.

IV. Besonderheiten des europäischen Raumes Anders als beispielsweise in den Vereinigten Staaten sind in Europa Schienen- und Straßenverkehr aufgrund des gut ausgebauten Infrastrukturnetzes starke Konkurrenten der Luftverkehrswirtschaft 17 • Der Markt besteht nicht aus weit auseinanderliegenden Ballungszentren mit erhöhter Bevölkerungs- und Industriedichte, sondern vielmehr aus einer Vielzahl einheitlicher geschlossener nationaler Märkte 18• Für den Verbraucher ist es durchaus ökonomisch, mit langsameren Verkehrsmitteln als dem Flugzeug zu reisen 19 • Zu den europäischen Marktstrukturen gehört auch, daß durch die durchschnittlich wesentlich kürzere Streckenlänge als in den USA die Produktkosten um ein Vielfaches teurer sind20 • Zusätzlich findet man in Europa die "institutionelle Besonderheit" vor, daß die Luftverkehrsgesellschaften fast ausschließlich zumindest mehrheitlich in staatlicher Hand sind. Es ist unwahrscheinlich, daß ein Gesetzgeber in Bereichen, in denen er selbst betroffen ist, Maßnahmen verabschiedet, deren positive Auswirkungen unsicher sind. So läßt sich auch das Zaudern des Ministerrates der Gemeinschaft über viele Jahre hinweg erklären21 • 14 Aufgrund seiner technisch-physikalischen Bedingungen ist der Luftverkehr zwangsläufig der energie-verbrauchsintensivste Verkehrsträger und deshalb auch von Energiepreisschwankungen stark abhängig - vgl. Seidenfus, Energiewirtschaftlicher Strukturwandel und die Zukunft des Verkehrs, S. 13. 15 Lande-, Abfertigungs- und Flugsicherungsgebühren. 16 Ruhnau, Zur Lage und Entwicklung (der Lufthansa), LH-Jahrbuch '90, S. 136. 17 Ausführlich Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, s. 57 f. 18 Wilken, Luftverkehrsprognosen: Problematik, Vergleich, Ergebnisse, LH-Jahrbuch '90, S. 150 ff. (155). Haanappel (Deregu1ation of Air Transport in North America and Western Europe, S. 89 ff. [111]; ders. , Air Transport Deregulation in Jurisdictions other than the United States, AnnASL 1988, S. 79 ff. [102]) zeigt ausführlich die Unterschiede zwischen Europa und Nordamerika auf; ebenfalls Erdmenger, EG unterwegs- Wege zur Gemeinsamen Verkehrspolitik, S. 15 ff. 19 von Bissing, Verkehrspolitik, S. 9. 20 Meier, Wettbewerb und Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs aus der Sicht der Lufthansa, S. 55 ff. (60). 21 Im sog. "Untätigkeitsurteil" des EuGH vom 22.5.1985 in der RS 13 I 83, Europäisches Parlament ./. Rat der Europäischen Gemeinschaften, EuGHE 1985, S. 1513 ff., wird die Verpflichtung des Rates festgeha1ten, einen Ordnungsrahmen für die Verkehrspolitik allgemein aufzustellen und innerhalb einer angemessenen Zeitspanne

l. Kap.: Die Bedeutung des Luftverkehrs im gemeinsamen Markt

27

Als Handicap wurden von den Fluggesellschaften stets die Rahmenbedingungen im europäischen Flugverkehr empfunden. Nachtflugverbote, Sperräume, nicht zuletzt höhere Wegekosten, verursacht durch hohe Flugsicherungs-, Lande- und Abfluggebühren, erschweren den Luftverkehrsunternehmen ein gewinnorientiertes Wirtschaften22 •

B. Der Luftverkehr als wirtschaftlicher Faktor des europäischen Binnenmarktes Der Verkehrsmarkt ist als wirtschaftlicher Faktor des gemeinsamen Marktes nicht zu unterschätzen. Der gesamte Verkehr3 macht mehr als 7% des Bruttosozialprodukts der Gemeinschaft aus24 • Das Bruttosozialprodukt im Verkehrsbereich übertrifft damit jenes im landwirtschaftlichen Bereich um 2% 25• Dabei spiegelt diese Zahl allein die Leistung der Transportunternehmen wider, die wirtschaftlichen Folgewirkungen sind dagegen noch nicht darin enthalten. "Verkehrsleistungen sind kein Selbstzweck, sondern unabdingbare Komplementärleistungen für nahezu alle anderen Güter und Dienstleistungen, deren Erstellung bzw. Konsum ohne ein funktionierendes Verkehrsnetz gar nicht denkbar wären"26 • Folgewirkungen der raschen Ortsveränderung von Personen und Gütern sind häufig ökonomisch nicht meßbar7 • Die tatsächliche Bedeutung des Verkehrs als "Schrittmacher für andere Industriezweige"28 und damit als Beitrag zu einem funktionierenden Markt29 ist deshalb um ein über die Vorschläge der Kommission im Verkehrsbereich zu entscheiden. Das Urteil bezog sich zwar nicht ausdrücklich auf den Luftverkehr, schloß diesen jedoch auch nicht aus. 22 Muscati, Die Verkehrsgebiete der Lufthansa, LH-Jahrbuch '86, S. 106 ff. (110); Hofton, Die Effizienz von Luftverkehrsgesellschaften, LH-Jahrbuch '86, S. 60 ff. (65). 23 Luftverkehr inclusive. 24 Weißbuch der Kommission (Katalognummer CB-43-85-894-DE-C), Luxemburg 1985, S. 28 Rn. 108. 2~ Erdmenger, in: Groebenlvon Boeckh/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Vorb. zu den Art. 74-84 Rn. 2. 26 van Suntum, Verkehrspolitik, S. 2. 27 Hilfsgrößen zur Charakterisierung der Bedeutung können sein: Beschäftigtenzahl, Umsatz, Wertschöpfung, verkaufte Verkehrsleistung etc.; vgl. Voigt, Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Verkehrssystems, S. II ff. 28 Schulte-Hillen, Luft- und Raumfahrtpolitik, S. 10, zit. nach Pompl, Luftverkehr, s. 41. 29 Muscati, Die Verkehrsgebiete der Lufthansa, LH-Jahrbuch '86, S. 106 ff. (107); Ihde, Die Entwicklung des EG-Verkehrsmarktes, S. 145.

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

Vielfaches höher einzuschätzen als jede Zahl des Bruttosozialprodukts aufzeigen kann30•

C. Der Luftverkehr als integrativer Faktor des Binnenmarktes Ein funktionierendes Luftverkehrssystem unterstützt das Funktionieren des Außen- und Binnenhandels31 ebenso wie es die freie Mobilität von Arbeitnehmern32 sichert. Regulierende staatliche Kräfte wollen auf den Luftverkehr als "tragende Säule"33 der Volkswirtschaft Einfluß nehmen34, um ein umfassendes Verkehrsangebot für die Bevölkerung sicherzustellen35 . Speziell der Luftverkehr ist überall dort interessant, wo Güter und Personen schnell transportiert werden. Der Luftverkehr ermöglicht damit ein höheres Niveau der Versorgung mit Gütern bzw. unterstützt die Mobilität von Arbeitskräften. Er ist Grunderfordernis arbeitsteiliger lndustriegesellschaften36. Die einzelnen Volkswirtschaften sind auch in Europa eng miteinander verflochten. Aus Kosten- und Wettbewerbsgesichtspunkten ist deshalb ein leistungsfähiges Verkehrssystem unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren der (arbeitsteiligen) europäischen Wirtschaft37. Folgende Eckwerte wurden für das gemeinschaftsrechtliche verkehrspolitische Programm festgeschrieben: - Beseitigung der Diskriminierung; Liberalisierung des grenzüberschreitenden Verkehrs und Schaffung einer Wettbewerbswirtschaft in der Union (Genehmigungspflicht, Kontingente, Tarife);

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Vgl. Pompl, Luftverkehr, S. 40 f.

von Bissing, Verkehrspolitik, S. 8 f. Zu den Auswirkungen des Luftverkehrs auf die öffentliche Wohlfahrt Klaassen, Der Beitrag des öffentlichen Verkehrs zur gesellschaftlichen Wohlfahrt, S. 154 ff. 33 Zit. von Bissing, Verkehrspolitik, S. 1. 34 Pompl, Luftverkehr, S. 39; Austermann, Die Unternehmenspolitik der nordwesteuropäischen Fluggesellschaften, S. 18 f. 35 Laschet, Die Liberalisierung der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen im internationalen Luftverkehr, S. 301 ff. (301); Voigt, Verkehr, Bd. I, 2. Hälfte, s. 580 ff. 36 O'Connor, Economic Regulation of the World's Airlines, S. 101. 37 Pompl, Luftverkehr, S. 42; Berendt, Die Entwicklung der Marktstruktur im internationalen Luftverkehr, S. 42 ff. 31

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l. Kap.: Die Bedeutung des Luftverkehrs im gemeinsamen Markt

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- Angleichung der Wettbewerbsbedingungen (sicherheitstechnische Vorschriften, Steuern/ Abgaben unter Einschluß der Wegekostenanlastung, Soziales, Beihilfen/ Subventionen, Harmonisierung staatlicher Eingriffe); - Ordnung des Verkehrsmarktes (subjektive Zugangsbeschränkungen, Wettbewerbsregeln); - Gemeinsame Infrastrukturpolitik (bezogen auf alle Verkehrsträger sowie die See- und Flughäfen)38 .

D. Schienenverkehr als Konkurrenz zum Luftverkehr Im Vergleich zu anderen Verkehrs- bzw. Transportarten besitzt der Luftverkehr aufgrund seiner Verkehrswertigkeit keine hohe Massenleistungsfähigkeit39. Im Gütertransport wird er lediglich zum Transport hochwertiger bzw. schnell verderblicher Waren eingesetzt40, im Personenverkehr erreicht er Bedeutung, wenn große Strecken zurückgelegt werden müssen41 • Während vor wenigen Jahrzehnten noch der Luftverkehr als aufstrebender Konkurrent zum Schienenverkehr diskutiert wurde42 , sind heute bezeichnenderweise die Hochgeschwindigkeitszüge Konkurrenten des europäischen Luftverkehrs43. Besonders auf Kurzstrecken bis zu 300 km stellen sie eine interessante Alternative für den Verbraucher dar44• Dabei ist für diesen nicht nur der Kostengesichtspunkt interessant. Eine immer größere Rolle spielen auch Pünktlichkeitserwägungen bzw. die häufig schlechte Anbindung von Flughäfen in das Fernverkehrsnetz der Bahn bzw. den öffentlichen Personennahverkehr4s. Selbst in Ländern wie den USA, wo der Schienenverkehr verglichen mit dem Luftverkehr nur eine untergeordnete Rolle spielt, erleben auf 38 Zit. Basedow/Dolfen, in: Dauses, Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Kap. L, Rn. 21 mit ausführlichen Nachweisen. 39 Pompl, Luftverkehr, S. 39. 40 Oettle, Zukunftsaspekte der westeuropäischen Luftverkehrswirtschaft, S. 525 ff. (537). 41 In dem Fall wird die Zeitersparnis ökonomisch höher bewertet als die mögliche Kostendifferenz des Flugs zu einer Land- oder Schiffsreise. 42 von Bissing, Verkehrspolitik, S. 176 f.; Porger, Kurzstreckenluftverkehr in Europa, S. 79 ff. (80); Hoffmann, Schnellfahrstrecken im Schienenverkehr, S. 83 ff. (84). 43 Nüßer/Haupt, Wettbewerb im Luftverkehr: Widerstreit von Interessen-Oeregulierung-Konkurrenzbeziehungen zum Landverkehr, S. 23 ff. (32 ff.). 44 Haanappel, Deregulation of Air Transport in North America and Western Europe, S. 89 ff. (111); "Infratest: ICE jagt dem Flugzeug Passagiere ab", SZ vom 14.2.1992, s. 20. 4s ,,Flughäfen vermissen Donner Konzept", SZ vom 16. /17.11.1991 , S. 34.

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

Kurzstrecken die Bahnen durch ihre Hochgeschwindigkeitszüge46 eine ungeahnte Renaissance. Durch Überfüllung der Lufträume und Engpunkte insbesondere bei Start- und Landephasen der Flugzeuge, kann der vorgegebene Flugplan kaum eingehalten werden. Die Hoffnung der Schienenverkehrsbetreiber, daß ein Großteil der Reisenden billigere, komfortable Zugreisen unpünktlichen Flügen mit "Warteschleife" vorziehen, scheint nicht ganz unberechtigt47. Nicht zuletzt spielen auch volkswirtschaftliche Erwägungen eine Rolle. Aus energiewirtschaftliehen Gründen kann die Wiederbelebung des Zugverkehrs zu einer sinnvollen Aufgabenteilung der Verkehrsträger beitragen4s. In zunehmendem Maße werden die zwei ganz unterschiedlichen Verkehrsträger Luftfahrt und Schiene heute nicht mehr nur als Konkurrenten, sondern auch als sinnvolle Ergänzung des jeweiligen anderen Verkehrsträgers gesehen49. So läßt sich eine gemeinsame Erklärung von Lufthansa und Deutscher Bundesbahn aus dem Jahre 1989 verstehen, die betont, daß die beiden Verkehrsträger sich in der Zukunft noch stärker als bisher gegenseitig ergänzen und zusammenarbeiten müssen50• Diese Zielsetzung könnte zu einer Entlastung des Straßenverkehrsaufkommens beitragen. Ob allerdings ein wesentlicher Beitrag zur Lösung des immer stärker werdenden Verkehrsproblems geleistet würde, ist tatsächlich fraglich51 •

46 Wettbewerbsfähig sind vor allem die mehr als 200 Stundenkilometer schnellen "Metroliner" und "Express-Metroliner", die beispielsweise die Strecke von Washington, D.C. nach New York in ungefähr zweieinhalb Stunden bewältigen. - Klesse, "Metroliner- Konkurrenz zum Jet", Die Zeit vom 12.9.1991, S. 91.

47 Nach der Sicherheit ist die Pünktlichkeit eines Fluges ein entscheidendes Kriterium für Flugpassagiere - vgl. Romberg, Pünktlichkeit und Flugplanung, LH-Jahrbuch '91, s. 52 ff. (53). 48 Hoffmann, Schnellfahrstrecken im Schienenverkehr, S. 83 ff. (117). 49 So schon Eversmeyer, Der europäische Personenluftverkehr und seine Knotenpunkte, S. 100 ff. (109).

30 Mahling, In der Luft wäre noch viel mehr Platz, EG-Magazin 1991, S. 37 f. (37); Nüßer I Haupt, Wettbewerb im Luftverkehr: Widerstreit von Interessen- DereguIierung-Konkurrenzbeziehungen zum Landverkehr, S. 23 ff. (40). 51 So jedoch Joerss, Die deutsche Verkehrspolitik in Erwartung des Binnenmarktes, TranspR 1990, S. 1 ff. (4).

2. Kap.: Rechtlicher Rahmen für eine gemeinsame Luftverkehrspolitik

31

2 . Kapitel

Rechtlicher Rahmen des EGV für eine gemeinsame Luftverkehrspolitik A. Primäres Gemeinschaftsrecht Die Tätigkeit der Gemeinschaft zur Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion umfaßt nach Art. 3 lit. f EGV auch die Einführung einer gemeinsamen Politik des Verkehrs.

I. Die Verkehrsvorschriften der Art. 74-84 EGV Unter dem Titel "Verkehr" (Art. 74 ff. EGV) wird in Art. 84 Abs. 2 EGV für Seeschiffahrt und Luftfahrt die weitgehende Entscheidungsbefugnis des Ministerrats festgelegt. Im Gegensatz dazu steht Art. 84 Abs. I EGV, der den sachlichen Geltungsbereich der Art. 74-83 EGV bestimmt. Die allgemeinen Vorschriften des Verkehrstitels sollen danach auf den Binnenverkehr beschränkt sein. Die Ausgrenzung der Seeschiffahrt aus dem Verkehrstitel läßt sich mit den seinerzeitigen Bedürfnissen der sechs Gründerstaaten der Gemeinschaft erklären. Auf dem damaligen Gemeinschaftsgebiet spielten verständlicherweise die Binnenverkehrsarten, also Schienen- und Straßenverkehr und Binnenschiffahrt, eine bedeutendere Rolle als Seeschiff- und Luftfahrt. Letztere hatten vielmehr grenzüberschreitende, internationale Bedeutung, weshalb sich die Gründerstaaten der Europäischen Gemeinschaft eine spätere Entscheidungsmöglichkeit offenhalten wollten 1• Den Vorgaben des EGV folgend, stellten die Organe der Europäischen Gemeinschaft in den ersten Jahren nur Regelungen für den Binnenverkehr auf. Überdies bereiteten die Art. 74 ff. EGV den Mitgliedstaaten Schwierigkeiten, da darin keine klaren Direktiven für die Verkehrspolitik vorgegeben waren. Speziell für den Luftverkehr statuiert Art. 84 Abs. 2 EGV zwar die Pflicht zu handeln, die Vorschrift erteilt dem Rat jedoch keinerlei Vorgaben, ob und inwieweit bzw. nach welchen Verfahren konkrete Vorschriften zu erlassen sind. Insbesondere läßt die Vorschrift auch den Zeitrahmen für die Aufstellung einer gemeinsamen Verkehrspolitik offen. So läßt sich die lange Untätigkeit des Rates in diesem Bereich erklären.

1 Basedow, Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten, S. 160; Erdmenger, Die Anwendung des EWG-Vertrages auf Seeschiffahrt und Luftfahrt, S. 7 ff.

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

Für die Schaffung einer neuen Rechtsordnung auf dem Gebiet des Luftverkehrs kann aber nicht nur Art. 84 Abs. 2 EGV entscheidend sein. Diese Vorschrift ist zwar die zentrale Norm, die auch direkt auf den Luftverkehr bezug nimmt. Bei der Herstellung eines einheitlichen Marktes auf dem Gebiet des Luftverkehrs müssen jedoch auch andere zentrale Zielsetzungen des EGV beachtet werden. Dabei spielt die in Art. 3 lit. g EGV geforderte Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt, eine zentrale Rolle. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 52 ff. EGV, für den Luftverkehr insbesondere wichtig Art. 54-57 EGV), die Dienstleistungsfreiheit und das Wettbewerbsrecht mit den Beihilferegelungen (Art. 85 ff. EGV, insbesondere Art. 85-87 und Art. 90-92 EGV) stellen zentrale Freiheiten dar, die eine von unverfälschtem Wettbewerb gekennzeichnete Marktordnung gewährleisten2•

ß. Wettbewerbsregeln, Art. 85 ff. EGV Die direkte Anwendung der Wettbewerbsregeln auf den Luftverkehr hat der Europäische Gerichtshof in einem Urteil am 30. April 19863 festgestellt. Die Frage der Anwendbarkeit stellte sich insoweit, als Art. 84 Abs. 2 EGV grundsätzlich dem Rat die Entscheidungskompetenz zuweist, geeignete Regeln für die Luftfahrt zu erlassen. Der Gerichtshof kam jedoch zum Ergebnis, daß Art. 84 EGV nur den Anwendungsbereich der Art. 74 ff. EGV regeln wollte, die anderen (allgemeinen) Regeln des EGV jedoch auf den Luftverkehr voll Anwendung finden sollten. Damit bekräftigte der EuGH die in der RS 1671734 begonnene und 19785 und 19836 fortgesetzte Rechtsprechung7 •

2 Zur Anwendung der allgemeinen Regeln des EGV auf die Luftfahrt umfassend Estienne-Henrotte, L'application des regles generales du Traite de Rome au transport aerien S. 39-88; Wägenbaur, Wettbewerbsregeln, Diskriminierungsverbote und Angleichung der Wettbewerbsbedingungen im Verkehr, S. 85 ff. 3 Urteil des Gerichtshofes vom 30.4.1986, in den verbundenen RS 209-213/84, Ministere public ./. Lucas Asjes u.a., Andrew Gray u.a., Andrew Gray u.a., Jacques Maillot u.a. und Uo Ludwig u.a., EuGHE 1986, S. 1425 ff.; dazu ausführlich Kapitel 6 der Arbeit. 4 Urteil des Gerichtshofes vom 4.4.1974, RS 167173, Kommission der Europäischen Gemeinschaften ./. Französische Republik, EuGHE 1974, S. 359 ff. 5 Urteil des Gerichtshofes vom 12.10.1978, RS 156177, Kommission der Europäischen Gemeinschaften./. Königreich Belgien, EuGHE 1978, S. 1881 ff. 6 Urteil des Gerichtshofes vom 25.1.1983, RS 126/82, D.J. Smit Transport B.V. ./. Commissie Grensoverschrijdend Beroepsgoederenvervoer, EuGHE 1983, S. 73 ff. 7 Verstrynge, Competition Policy in the Air Transport Sector, S. 63 ff. (64).

2. Kap.: Rechtlicher Rahmen für eine gemeinsame Luftverkehrspolitik

33

Die Entscheidung des Gerichtshofs machte den Erlaß sekundärer Vorschriften zur Regelung von Verfahrensfragen etc. notwendig. Dies galt umso mehr, weil die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 178 auf den Luftverkehr durch die VO Nr. 141 9 ausgeschlossen war10• Inzwischen - auch im Hinblick auf die Vollendung des Gemeinsamen Binnenmarktes - hat sich der Rat dieses Problems angenommen und in seinem "ersten Maßnahmenpaket" Durchführungsregeln zum Wettbewerbsrecht auf dem Luftverkehrssektor erlassen 11 • Nach der Entscheidung des Gerichtshofs steht nunmehr fest, daß die Kommission ihre Befugnisse nach Art. 89 EGV ausüben und den Verstoß von Tarifabsprachen gegen Art. 85 und 86 feststellen kann 12 • Insbesondere hat die Kommission das Urteil des EuGH wiederum zum Anlaß genommen, den Rat aufzufordern, Durchführungsvorschriften nach Art. 87 und Art. 84 Abs. 2 EGV zu erlassen. 111. Staatliche Beihilfen, Art. 92 EGV Die Vorschriften über staatliche Beihilfen (Art. 92-94 EGV) als Teil des Wettbewerbskapitels verdeutlichen die Zielrichtung des Vertrages. Die Vertragspartner beabsichtigen die wirtschaftliche Integration der Staaten. Dabei soll der Wettbewerb von staatlicher Einflußnahme möglichst wenig berührt, 8 VO Nr. 17 des Rates, Erste Durchführungsverordnung zu den Art. 85 und 86 des Vertrages, vom 6.2.1962, ABI. EG vom 21.2.1962, S. 204 ff.; dazu Gleiss/Hirsch, Komm. z. EWG-Kartellrecht, Anm. zu VO Nr. 17, S. 405 ff. 9 VO Nr. 141 des Rates vom 26.11.1962, ABI. EG Nr. 124 vom 28.11.1962, s. 2751 ff. 10 Stabenow, The International Factors in Air Transport Under the Treaty Establishing the European Economic Community, JALC 33 (1967 /68), S. 117 ff. (123); Estienne-Henrotte, L'application des regles generales du Traite de Rome au transport aerien, S. 66; Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 186 ff.; Dagtoglou, Air Transport after the Nouvelles Frontieres Judgement, S. 115 ff. (115); Jannott, Die Reichweite der Dienstleistungsfreiheit im Güterkraftverkehr der EG, S. 108 f.; Argyris, The EEC Rules of Competition and the Air Transport Sector, CMLRev 1989, S. 5 ff. (6); Wägenbaur, Wettbewerbsregeln, Diskriminierungsverbote und Angleichung der Wettbewerbsbedingungen im Verkehr, S. 85 ff. (87). 11 Dagtoglou, Air Transport after the Nouvelles Frontieres Judgement, S. 115 ff. (121); zu den Durchführungsverordnungen vgl. Kapitel 7 der Arbeit. Zu dem Problem der Differenzen bzw. widerstreitenden Interessen von Verkehrs- und Wettbewerbspolitik vgl. Verstrynge, Competition Policy in the Air Transport Sector, S. 63 ff. (70 ff. , insb. 72 f.). 12 Sedemund/Montag, Liberalisierung des Luftverkehrs durch europäisches Wettbewerbsrecht.?, NJW 1986, S. 2146 ff. (2149); Argyris, The EEC Rules of Competition and the Air Transport Sector, CMLRev 1989, S. 5 ff. (8 f.).

3 Baumann

34

1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

d.h. verfälscht werden 13 • Diese Konzeption zeigt die Bedeutung der Beihilfevorschriften. Art. 92 Abs. 1 EGV spricht von ,,Beihilfen gleich welcher Art". Rechtsprechung14 und Literatur15 haben versucht, den Beihilfebegriff einzugrenzen. Nach allgemein herrschender Meinung ist er zweideutig, umfaßt sowohl Subventionen, d.h. positive Geld- und Sachleistungen, die den Unternehmen gewährt werden, als auch alle Formen der Verminderung der Belastung der Unternehmen, soweit sie in Art und Wirkung Subventionen gleichstehen, also beispielsweise Steuer- und Abgabenbefreiung, Befreiung von parafiskalischen Aufgaben etc. Grundsätzlich ist Art. 90 Abs. 2 EGV für öffentliche Unternehmen zu beachten, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind. Unter die Vorschrift fallen damit die typischen Dienstleistungsunternehmen wie die Massenbeförderung von Personen und Waren, also Eisenbahn, Kommunikationsdienste der Post, und Telekommunikation, außerdem Unternehmen der Strom-, Gas- und Wasserversorgung. Nach allgemein herrschender Meinung erbringen auch Luftverkehrsunternehmen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen lnteresse 16. Ihnen wurden hoheitliche Befugnisse übertragen, ein Akt der "Betrauung" liegt vor 17 • Grundsätzlich haben die Luftverkehrsunternehmen damit die unternehmensbezogenen Vorschriften des EGV zu beachten. Die Vertragspartner der Gemeinschaft waren sich jedoch einig, daß die uneingeschränkte Anwendung sämtlicher Vor13 Wägenbaur, Wettbewerbsregeln, Diskriminierungsverbote und Angleichung der Wettbewerbsbedingungen im Verkehr, S. 85 ff. (89).

14 Urteil des Gerichtshofes vom 23.2.1961, RS 30/59, De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg ./. Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, EuGHE 1961, S. 1 ff. (Def. S. 5 f.); Urteil des Gerichtshofes vom 10.12.1969, verb. RS 6 und 11/69, Kommission der Europäischen Gemeinschaften ./. Französische Republik, EuGHE 1969, S. 523 ff. (541); Urteil des Gerichtshofes vom 2.7.1974, RS 173173, Italienische Republik ./. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, EuGHE 1974, S. 709 ff. (719 f.); Urteil des Gerichtshofes vom 27.3.1980, RS 61179, Amministrazione delle Finanze dello Stato ./. Denkavit italiana Srl, EuGHE 1980, S. 1205 ff. (1228). 15 Statt vieler Wenig, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 92 Rn. 4-7; v. Wallenberg, in: Grabitz, Komm. z. EWGV, Art. 92 Rn. 3-10; Quigley, The Notion of a State Aid in the EEC, ELRev 1988, S. 242 ff.

(243).

16 Gleiss/Hirsch, Komm. z. EWG-Kartellrecht, Art. 90 Rn. 2; Hochbaum, in: von der Groeben!Thiesing!Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 90 Rn. 47; Salzmann, IATA, Airline Rate-Fixing and the EEC Competition Rules, ELRev 1977, S. 409 ff. (423 f.); Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 205. 17 Hochbaum, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 90 Rn. 49.

2. Kap.: Rechtlicher Rahmen für eine gemeinsame Luftverkehrspolitik

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schriften des EGV auf Unternehmen, die eng mit der öffentlichen Hand verbunden sind, nicht ratsam wäre. Auf eine Ausnahmeregelung können sich diese Unternehmen deshalb berufen, sofern durch die Beachtung der Vorschriften eine Verhinderung der übertragenen Aufgabe vorliegt und eine Beeinträchtigung der Entwicklung des Handelsverkehrs in einem Ausmaß geben ist, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft18 • Diese Möglichkeit dient der Konfliktlösung zweier im Grunde widerstreitender Interessen. Die öffentlichen Unternehmen sollen einerseits die ihnen übertragenen Aufgaben erfüllen, andererseits jedoch möglichst die Vertragsvorschriften des EGV beachten. Die Frage der unmittelbaren Anwendung des Art. 90 Abs. 2 EGV auf Linienflugunternehmen war lange Zeit umstritten. Während im Schrifttum teilweise die Meinung vertreten wurde, daß die Linienflugunternehmen aufgrund Art. 92 Abs. 2 EGV global von den Wettbewerbsregeln des EGV freigestellt waren 19, vertrat die Kommission stets die Position, daß die Luftfahrtunternehmen im Gegensatz zu anderen Transportunternehmen dem EGV in vollem Umfang unterliegen, damit auch die Wettbewerbsregeln auf sie anwendbar sind20• Diese Ansicht hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil in der RS 10171 grundsätzlich bestätigt21 • Sollten Art. 92 Abs. 2 und 3 EGV sowie Art. 90 Abs. 2 EGV für die Regelungen der Besonderheit nicht ausreichen, könnte der Rat gemäß Art. 84 Abs. 2 die Bestimmung des Art. 77 EGV für anwendbar erklären22 •

18 Die Vorschrift ist eng auszulegen, vgl. Hochbaum, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 90 Rn. 54; Pemice, in: Grabitz, Komm. z. EWGV, Art. 90 Rn. 51; Generalanwalt Roemer in seinen Schlußanträgen zur RS 82171, Urteil des Gerichtshofes vom 21.3.1972, Staatsanwaltschaft von Italien ./. Societ~ agricola industria Iatte (SAIL) - " Milchzentralen", EuGHE 1972, S. 119 ff. (146); Urteil des Gerichtshofes vom 27.3.1974, RS 127/73, Belgisehe Radio en Televisie und Societe Beige des Auteurs, Compositeurs et Editeurs ./. SV SABAM und NV Fonior- "BRT-11", EuGHE 1974, S. 313 ff. (318, Entscheidungsgründe 19/ 22); Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 207. 19 Nachweise bei Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 209 Fn. 333. 20 Dazu Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 209 Fn. 334. 21 Urteil des Gerichtshofes vom 14.7.1971, RS 10171, Staatsanwaltschaft von Luxemburg ./. Madeleine Muller, Witwe J.P. Hein und andere - "Hafen von Mertert", EuGHE 1971, S. 723 ff. (730, Entscheidungsgründe 13116). 22 Erdmenger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 84 Rn. 69 m.w.N. Notwendig ist jedoch die Betätigung der Kommission gern. Art. 90 Abs. 3 EWGV; vgl. Slot, The Application of Articles 3 (f), 5 and 85 to 94 EEC, ELRev 1987, S. 179 ff. (189).

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

Die Kommission hat inzwischen genaue Regelungen für den Beihilfebereich aufgestellt, die auch für den Luftverkehr von Bedeutung sind. Ihrer Ansicht nach sind die Beihilfen auf dem Luftverkehrssektor nicht anders zu behandeln als Beihilfen auf jedem anderen Gebiet, denn die Situation der Linienfluggesellschaften bzw. der Luftfahrtindustrie ist keinesfalls prekärer als die von anderen Untemehmen23 • Staatliche Beihilfen begünstigen stets nationale Interessen und tangieren deshalb unweigerlich Gemeinschaftsinteressen. Bisher mußte im Luftverkehr auf die allgemeinen Beihilferegelungen der Kommission zurückgegriffen werden. Es ist jedoch notwendig, daß die Kommission sich über nationale Regierungen, die den Luftverkehr immer noch als besonderen Bereich sehen, hinwegsetzt und daß sie spezielle Regelungen nur für diesen Bereich erläßt24• Schwierigkeiten könnten sich jedoch ergeben, wenn sich die Carrier, um die wegfallenden Subventionen auszugleichen, zu Großgesellschaften zusammenschließen. Erste Ansätze dazu sind erkennbar5 • Hier hat die Kommission unter Umständen nach wettbewerbsrechtlichen Vorschriften einzugreifen26 • IV. Niederlassungsrecht, Art. 52 ff. EGV Die Niederlassungsregeln des EGV sehen vor, daß Angehörige anderer EU-Staaten bezüglich des Rechts auf Niederlassung wie eigene Staatsangehörige behandelt werden müssen27 • Das Recht der freien Niederlassung umfaßt jede unabhängige Erwerbstätigkeit, die von einer dort eingerichteten Niederlassung ausgehe8 • Für den Luftfahrtsektor heißt dies, jeder Mitgliedstaat darf in jedem anderen EU-Mitgliedstaat selbständige Niederlassungen oder Tochtergesellschaften gründen. Damit hätten die Luftfahrtgesellschaften gleiche Rechte und Pflichten wie die nationalen "Plag-Carriers". 23

24

Winter, EC supervision of state aids in the air transport sector, S. 81 ff. (94). Winter, ebd., S. 98.

Vgl. Kapitel 5 der Arbeit. Dazu Rule, Deregulation of US airlines and the continuing roJe of the antitrust laws, S. 99 ff. 27 Grundsatz der "lnländerbehandlung", Stabenow, The International Factors in Air Transport Under the Treaty Establishing the European Economic Community, JALC 33 (1967), S. 117 ff. (121); Balfour, Freedom to Provide Air Transport Services, ELRev 1988, S. 30 ff. (33); ausführlich Everling, Das Niederlassungsrecht in der Europäischen Gemeinschaft, OB 1990, S. 1853 ff. 28 Oppermann, Europarecht, Rn. 1482; Bleckmann, Europarecht, Rn. 1095; Randelzhofer, in: Grabitz, Komm. z. EWGV, Art. 52 Rn. 2; Troberg, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 52 Rn. 3 ff.; Bleckmann, Die Personenverkehrsfreiheit im Recht der EG, DVBI. 1986, S. 69 ff. (69). 25 26

2. Kap.: Rechtlicher Rahmen für eine gemeinsame Luftverkehrspolitik

37

Die unmittelbare Anwendbarkeit der Regeln über die Niederlassungsfreiheit wurde nie direkt bestritten. Eine dem Art. 61 Abs. 1 EGV vergleichbare Vorschrift fehlt im Niederlassungsrecht29• Auch der Gerichtshof bestätigte durch das sogenannte "Seeleute-Urteil"30 und den Fall ,,Reyners"31 die unmittelbare Anwendbarkeit auf den Luftverkehr. Im Fall des niederländischen Rechtsanwaltes Reyners hat der Gerichtshof festgehalten, daß in den Fällen, in denen der von Art. 52, 54-57 EGV vorgesehene Erlaß von Regeln bis zum Ende der Übergangszeit nicht geschehen ist, Art. 52 EGV direkt Anwendung finden muß32 • Diese grundsätzliche Aussage gilt auch für die Zivilluftfahrt. Aufgrund der besonderen Verhältnisse der Luftfahrt ist eine modifizierte Anwendung der Niederlassungsregeln jedoch ratsam33• Insbesondere spielte dies eine Rolle für Linienunternehmen, die im Niederlassungsstaat Anträge auf Eintragung ihrer Luftfahrzeuge in die nationale Luftfahrzeugrolle, auf Erteilung von Linienkonzessionen oder auf Erlaubnis zur Durchführung von Charterflugbetrieb stellen34• Art. 52 EGV kann in solchen Fällen nicht das Recht zur Führung der Flagge des Niederlassungsstaats geben. Nach Weber ist das Recht auf Inländerbehandlung gegeben35 bei der Eintragung von Luftfahrzeugen (Recht zum Führen der Flagge des Niederlassungsstaates unter bestimmten Voraussetzungen), bei der Erteilung von Linienkonzessionen ausschließlich für innerstaatliche Strecken innerhalb des Niederlassungsstaates und bei der Erteilung der Betriebserlaubnis für Unternehmen, die Gelegenheitsverkehr durchführen wollen, sowohl in bezug auf innerstaatlichen Verkehr wie auch internationalen Verkehr.

29 Stabenow, Die Freizügigkeit im Verkehrswesen in der EWG, EA 1961, S. 485 ff. (485). 30 Urteil des Gerichtshofes vom 4.4.1974, RS 167/73, Kommission der Europäischen Gemeinschaften ./. Französische Republik, EuGHE 1974, S. 359 ff. ; dazu Kapitel 6 dieser Arbeit. 31 Urteil des Gerichtshofes vom 21.6.1974, RS 2/74, Jean Reyners ./. Belgiseher Staat, EuGHE 1974, S. 631 ff. 32 Ausführlich Estienne-Henrotte, L'application des regles generales du Traite de Rome au transport aerien, S. 64 f.; ebenfalls Troberg, in: von der Groeben/Thiesing/ Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 54 Rn. 6; Randelzhofer, in: Grabitz, Komm. z. EWGV, Art. 54 Rn. 7. 33 Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 167 ff.; ders. The Application of European Community Law to Air Transport, AnnASL 1977, S. 233 ff. (247); Rehm, Europäische Gemeinschaften und Luftfahrt - Zum Stand der Diskussion, S. 187 ff.; Allot, The Common Market and the Regulation of Air Transport, The Aeronautical Joumal79 (1975), S. 310 ff. (314). 34 Zu den einzelnen Meinungen ausführlich Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 170 ff. 35 Weber, ebd., S. 181.

38

I. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

Diese drei Lösungen sind mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Problematisch ist jedoch die Erteilung von Linienkonzessionen nicht nur innerhalb des Mitgliedstaates, sondern auch im Verkehr mit einem Drittstaat Gemäß Art. 234 EGV muß beachtet werden, daß nur Flugunternehmen designiert werden, die tatsächlich in inländischem Eigentum stehen. Bisher ist das Niederlassungsrecht für den Flugverkehr noch von äußerst geringer Bedeutung, da die nationalen Rechtsordnungen mit ihrer Ermessenspraxis dem jeweiligen nationalen "Fiag-Carrier" im Zweifel vorrangig Flugrechte einräumten. Zur Verbesserung des Niederlassungsrechts bedarf es deshalb dringend sekundären Gemeinschaftsrechts36, das entweder nach Art. 57 Abs. 2 EGV (Erleichterung der Aufnahme und Ausübung einer selbständigen Tätigkeit) oder nach Art. 84 Abs. 237 zu erlassen ist. V. Dienstleistungsfreiheit, Art. 59 tT. EGV Häufig werden Dienstleistungsfreiheit und Niederlassungsfreiheit in einem Atemzug genannt. Eine Abgrenzung der beiden Bereiche ist aufgrund des annähernd gleichen Wortlautes tatsächlich schwierig, heute jedoch nicht mehr strittig. Nach Art. 60 EGV sind Dienstleistungen im Sinne des EGV Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen. Unter den freien Warenverkehr fallen dabei Leistungen von beweglichen körperlichen Gegenständen, oder in der Terminologie des BGB: Sachen. Die Dienstleistungsfreiheit bezieht sich dagegen auf unkörperliche Gegenstände. Von der Freizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit unterscheidet sich die Dienstleistungsfreiheit dadurch, daß bei den ersten beiden Freiheiten eine feste Niederlassung oder ein Wohnsitz im anderen Staat begründet wird, während bei der Dienstleistungsfreiheit entweder der Leistende oder der Leistungsempfänger sich über die Grenze begibt und sich dort nur für die Dauer der Leistung aufhäJe8 •

Dazu Kapitel 8 dieser Arbeit. Erdmenger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 84 Rn. 24. 38 Definition nach Bleckmann, Die Ausnahmen der Dienstleistungsfreiheit nach dem EWG-Vertrag, EuR 1987, S. 28 ff. (28 f.); ähnlich Erdmenger, Die EG-Verkehrspolitik vor Gericht. Das EuGH-Urteil Rs. 13/83 vom 22.5.1985 und seine Folgen, EuR 1985, S. 375 ff. (379). 36

37

2. Kap.: Rechtlicher Rahmen für eine gemeinsame Luftverkehrspolitik

39

Im Laufe der Jahre setzte ein Umdenken innerhalb der Gemeinschaft ein. Die Dienstleistungen werden heute nicht mehr in Abhängigkeit vom Niederlassungsrecht, sie werden vielmehr - parallel zum Warenverkehr - als Produkt gesehen39 • Im Bereich des Verkehrs geht es im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit grundsätzlich darum, Verkehrs- und Transportunternehmern den gleichberechtigten Zugang zu anderen Märkten zu ermöglichen, in denen sie keine Niederlassung haben40 • Aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung des grenzüberschreitenden Transportverkehrs war von den Vertragspartnern vorgesehen, daß dieser Bereich gemäß Art. 61 Abs. 1 EGV nicht dem allgemeinen Dienstleistungskapitel der Art. 59 ff. EGV unterfallen sollte. 41 Der Europäische Gerichtshof hat deshalb in seiner Entscheidung in der RS 13 I 83 Art. 59 und Art. 60 EGV auf den Verkehr nicht unmittelbar angewandt42 • In diesem sogenannten "Untätigkeitsurteil"43 sprach der Europäische Gerichtshof auch von der Verpflichtung des Rates, auf dem Gebiet des Verkehrs die Dieostleistungsfreiheit einzuführen. Der Umfang der Verpflichtung war allerdings streitig44 • Der Gerichtshof entschied in der RS 4/8845 , daß durch die Untätigkeit des Rates "innerhalb angemessener Frist" die Dienstleistungsfreiheit auf dem Verkehrssektor zu verwirklichen, nicht auf die unmittelbare Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit geschlossen werden kann46 •

39 Troberg, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Vorb. zu den Art. 59-66 Rn. 17. 40 Randelzhofer, in: Grabitz, Komm. z. EWGV, Art. 59 Rn. 3; Jannott, Die Reichweite der Dienstleistungsfreiheit im Güterkraftverkehr der EG, S. 54; Erdmenger, Der gemeinsame Verkehrsmarkt nimmt Gestalt an, ZVerkWiss 1987, S. 5 ff. (5). 41 Ausführlich Völker, Passive Dienstleistungsfreiheit im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 186 ff. 42 Urteil des Gerichtshofes vom 22.5.1985, RS 13/83, Europäisches Parlament und Kommission der Europäischen Gemeinschaften ./. Rat der Europäischen Gemeinschaften und Königreich der Niederlande, EuGHE 1985, S. 1513 ff. 43 Ausführlich vgl. Kapitel 6 der Arbeit. 44 Bleckmann (Die Ausnahmen der Dienstleistungsfreiheit nach dem EWG-Vertrag, EuR 1987, S. 28 ff. [35]) spricht von der "grundsätzlich vollen Anwendbarkeit der Freiheiten im Bereich des Verkehrs"; Lenz dagegen (Die Verkehrspolitik der Europäischen Gemeinschaften im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, EuR 1988, S. 158 ff. [162]) bezweifelt, ob sich Marktbürger direkt auf die Geltung der Dienstleistungsregeln im Verkehrsbereich berufen können, wenn der Rat nach Ablauf der "angemessenen Frist" nicht tätig wurde. 4s Urteil des Gerichtshofes vom 13.7.1989, RS 4/88, Lambregts Transportbedrijf ./. Belgiseher Staat, EuGHE 1989, S. 2583 ff. 46 Entscheidungsgrund 14.

40

1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

Im Gegensatz zu dieser aktiven Dienstleistungsfreiheit ist die passive Dienstleistungsfreiheit47 unproblematisch, da es für den Leistungsempfänger in der Regel ein leichtes ist, in einem anderen als seinem Heimatstaat Verkehrsleistungen in Anspruch zu nehmen. Die Beschränkungen im Verkehrssektor treffen in der Regel nur den Leistungserbringer. Wie auch im Bereich des Niederlassungsrechts hat der Rat zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit im Luftverkehrssektor geeignete (sekundäre) Rechtsvorschriften zu erlassen. Mit seinen nunmehr drei Maßnahmenpaketen in den Jahren 1987, 1991 und 1992 hat er entscheidende Pfeiler zur Verwirklichung dieses Rechts gesetzt48 •

B. Sekundäres Gemeinschaftsrecht I. Regelungsinstrumente des EGV allgemein Die Organe der Europäischen Union besitzen keine generelle Befugnis zum Erlaß aller zur Verwirklichung der Vertragsziele erforderlichen Maßnahmen. Lediglich in den im Vertrag ausdrücklich vorgesehenen Fällen können sie tätig werden49 • Dieses Prinzip kommt in Art. 189 EGV zum Ausdruck, der in seinem Abs. 1 für die maßgeblichen Organe der Europäischen Union, Rat und Kommission, bestimmt, daß sie "zur Erfüllung ihrer Aufgaben und nach Maßgabe des Vertrages" Rechtsakte erlassen. Für den Rat definiert Art. 145 EGV, für die Kommission Art. 155 EGV die Aufgaben. Diese Rechtsakte der Organe stellen das sogenannte sekundäre Gemeinschaftsrecht dar, während der Vertrag, ebenso wie die allgemeinen Rechtsgrundsätze einschließlich der Grundrechte als "primäres Gemeinschaftsrecht" bezeichnet werden50• Das sekundäre Recht geht damit dem primären nach und ist im Falle des Widerspruchs zum Primärrecht ungültig (vgl. Art. 177 EGV) bzw. vernichtbar (vgl. Art. 173 EGV) oderunanwendbar (vgl. 184 EGV). Der EGV bestimmt in Art. 189, daß Rat und Kommission zur Erfüllung ihrer Aufgaben und nach Maßgabe des Vertrages, Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen erlassen, sowie Empfehlungen aussprechen oder Stellungnahmen abgeben. 47 Zu dem Begriff Völker, Passive Dienstleistungsfreiheit im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 53 ff. 48

Vgl. Kapitel 7.

Grabitz, in: Grabitz, Komm. z. EWGV, Art. 189 Rn. 16; Daig/Schmidt, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 189 Rn. 18; Krück, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 164 Rn. 41. 50 Daig/Schmidt, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 189 Rn. 21. 49

2. Kap.: Rechtlicher Rahmen für eine gemeinsame Luftverkehrspolitik

41

ll. Befugnisse der einzelnen Organe l. Befugnisse des Rats

Für die Luftverkehrspolitik hat der EGV insoweit präzise Vorgaben gemacht, als er in Art. 84 Abs. 2 die Kompetenz zu Handlungen auf dem Luftfahrtsektor allein dem Rat zuweist. Dieser muß mit Hilfe der ihm zustehenden Regelungsinstrumente die von den primärrechtlichen Vorschriften des EGV geforderten sekundären Rechtsakte erlassen und der Kommission in den von ihm angenommenen Rechtsakten die Befugnisse zur Durchführung der Vorschriften übertragen. Art. 84 Abs. 2 EGV räumt dem Rat ein sehr weites Ermessen ein (" ... ob, inwieweit und nach welchen Verfahren geeignete Vorschriften ... zu erlassen sind"). Grundsätzlich braucht also kein anderes Organ an seinen Entscheidungen beteiligt zu werden. Allerdings war dem Rat der Zeitrahmen für die Aufstellung von Grundsätzen einer Gemeinsamen Luftverkehrspolitik nicht zuletzt aufgrund des unmittelbaren Zusammenhanges mit den anderen Politikbereichen der Gemeinschaft nicht gänzlich freigestellt. Die grundsätzlich ausgesprochene Verpflichtung des Rates zum Erlaß einer gemeinsamen Verkehrspolitik sollte auf diesen Handlungsdruck erzeugen51 • Neben der Einführung des ehemaligen Art. 8a EWGV (inzwischen Art. 7a EGV) wurden durch die EEA auch andere Verkehrsvorschriften geändert. So sollen Entscheidungen des Rates nunmehr nicht nur einstimmig ergehen müssen - eine qualifizierte Mehrheit soll ausreichend sein (Art. 84 Abs. 2 EGV). Weiterhin finden Art. 75 Abs. l und 3 EGV auch Anwendung auf Seeschiffahrt und Luftfahrts2.

Im Hinblick auf andere Bereiche des EGV, die in engem Zusammenhang mit dem Luftverkehr stehen - wie beispielsweise das Niederlassungsrecht, die Wettbewerbsregeln oder die Dienstleistungsfreiheit etc. -, hat der Rat trotz des Bezugs zu der Regelungsmaterie ,,Luftverkehr" nicht die ausschließliche Kompetenz, sondern die ihm vertraglich zugewiesenen Kompetenzen. Für den Luftverkehr gelten damit die in anderen Bereichen des EGV festgeschriebenen Regeln53 •

51 So im sog . .,Untätigkeitsurteil", s. Kapitel 6; dazu Zuleeg, Verkehrspolitische Außenbeziehungen der EG, S. 59 ff. (61). 52 Oppermann, Europarecht, Rn. 1348. 53 Stabenow, Die Luftfahrt im Rahmen der europäischen Wirtschaftsintegration, ZLW 1967, S. 199 ff. (211).

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

2. Befugnisse der Kommission

Die Befugnisse der Kommission im Ralunen der Luftverkehrspolitik ergeben sich aus der Auslegung des Art. 84 Abs. 2 EGV und sind beschränkt auf Initiativrechte, beschränkte Rechtsetzungsbefugnisse und umfassende Überwachungs- und Kontrollbefugnisse, zu denen auch die Klagebefugnisse vor dem Europäischen Gerichtshof gehören54• Die der Kommission eingeräumten Initiativrechte eröffnen ihr zwar die Möglichkeit, dem Rat Vorschläge zu unterbreiten, dieser muß jedoch weder darüber diskutieren noch darüber entscheiden55• Auf dem Verkehrssektor hat die Kommission keine Rechtsetzungsbefugnisse, Art. 84 Abs. 2 EGV weist diese allein dem Rat zu. Indirekt kann die Kommission jedoch durch Rechtsakte, die sie in anderen Bereichen erläßt, die für den Luftverkehr von grundsätzlicher Bedeutung sein können, Einfluß nehmen56• Die Kommission kann im Luftverkehrsbereich Regelungen nur erlassen, wenn ihr der Rat in den von ihm angenommenen Rechtsakten die Befugnisse zur Durchführung der Vorschriften übertragen hat. Beispielsweise ist dies in den Verordnungen Nr. 3975/87 und Nr. 3976/8757 vorgesehen. Die Kommission hat aufgrund dieser Kompetenzzuweisungen mehrere Durchführungsverordnungen zum Wettbewerbsrecht erlassen. Im Jahre 1991 hat die Kommission in zwei Fällen über Kartell- bzw. Monopolfragen entschieden58• Gegenstand der Entscheidungen waren verschiedene IATA-Entschließungen59• Die IATA stellte einen Antrag auf Negativattest Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 265. Zu dem Meinungsstreit, ob der Kommission tatsächlich ein Initiativrecht zugestanden werden muß, Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, s. 265 f. 56 Kompetenzzuweisungen finden sich beispielsweise bei den Bestimmungen über den freien Warenverkehr, bei der Verkehrspolitik (Binnenverkehr) oder bei den Vorschriften zum Wettbewerbsrecht 57 Dazu jeweils s.u., Kapitel 7 der Arbeit. 58 Entscheidung der Kommission vom 30.7.1991 in einem Verfahren nach Art. 85 EWG-Vertrag in der Sache IV /32.659 - IATA Passenger Agency Programme (91/ 480/EWG), ABI. EG Nr. L 258 vom 16.9.1991, S. 18 ff. ; Entscheidung der Kommission vom 30.7.1991 in einem Verfahren nach Art. 85 EWG-Vertrag in der Sache IV I 32.792 - IATA Cargo Agency Programme, ABI. EG Nr. L 258 vom 16.9.1991, S. 29 ff. 59 Erste Entscheidung der Kommission: Entschließung 814 (IATA Sales Agency Distribution Rules); Entschließung 814d (Travel Agency Commissioner); Entschließung 814e (Conduct of Review by Travel Agent Commissioner). -Zweite Entscheidung der Kommission: Entschließung 805 (IATA Cargo Agency Distribution System 54 55

2. Kap.: Rechtlicher Rahmen für eine gemeinsame Luftverkehrspolitik

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für diese Vereinbarungen. Die Kommission kam zu dem Schluß, daß die Vereinbarungen zwischen den IATA-Gesellschaften sämtlich unter das Verbot des Art. 85 Abs. 1 EGV fielen. Den Antrag auf Negativattest konnte die Kommission deshalb nicht positiv bescheiden. Möglich war ihrer Ansicht nach jedoch die Anwendung der Ausnahmebestimmungen von Art. 85 Abs. 3 EGV60 • Gemäß Art. 90 Abs. 3 EGV ist die Kommission ebenfalls sogar direkt befugt, Richtlinien oder Entscheidungen über die Anwendung der Bestimmungen über die öffentlichen Unternehmen, Art. 90 Abs. 1 und 2 EGV, zu erlassen. Eine Abstimmung mit dem Rat wäre allerdings unumgänglich61 • Zusätzlich hat die Kommission als "Hüterin" des Vertrages Überwachungs- und Kontrollbefugnisse (Art. 155 EGV)62 • 3. Befugnisse des Parlaments

Das Parlament hat keinerlei Mitwirkungsbefugnisse bei der Aufstellung einer gemeinsamen Luftverkehrspolitik, was sich dem Wortlaut nach schon aus Art. 84 Abs. 2 EGV ergibt. Das erste direkt gewählte Parlament beschloß im Jahre 1981 eine verfassungsrechtliche lnitiative63 , die schließlich als Ergebnis 1984 den "Entwurf eines Vertrages zur Gründung einer europäischen Union"64 hatte. Diese Initiative trug wesentlich zum Erlaß der Einheitlichen Europäischen Akte bei, durch die das Europäische Parlament weiterreichende Befugnisse erhielt als bisher. Es wurde einbezogen in die Europäische Politische Zusammenarbeit65 , zusätzlich erhält das EP weitergehende Befugnisse beim Abschluß von Assoziationsabkommen und Beitrittsverträgen (Art. 137 EGV66) und im Rahmen des Verfahrens der Zusammenarbeit (Art. 149 EGV). Rules - Europa); Entschließung 805 d (Agency Commissioner); Entschließung 805 e (Conduct of Review by Agency Commissioner). 60

Genauer vgl. Kapitel 7.

Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 267. Genauer Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 268 f.; Ebke, Enforcement Techniques Within the European Communities: Flying Close to 61

62

the Sun With Waxen Wings, JALC 1985, S. 685 ff. (694 ff.). 63

Entschließung vom 9.7.1981, ABI. 1981 Nr. C 234 vom 14.9.1981, S. 48 ff.

64

ABI. 1984 Nr. C 77, S. 33 ff.

Art. 30 Abs. 4 EEA. 66 Dazu Bieber, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 137 Rn. 34 ff. 65

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

Die Rechte des Europäischen Parlaments sind aber nach wie vor recht gering. Bei dem Erlaß von Regeln im Hinblick auf eine gemeinsame Luftverkehrspolitik kommt wie bei der Kommission Art. 84 Abs. 2 EGV zum Tragen, der auf Art. 75 Abs. l und 3 EGV verweist. Das EP muß danach lediglich "angehört" werden. Grundsätzlich strebt das EP deshalb zusätzlich zu den ihm vom Rat eingeräumten Rechten67 eine umfassende Beteiligung an dessen Entscheidungen im Wege einer Verfassungsänderung an68 • Insbesondere will das EP als einziges direkt legitimiertes Organ an der Gemeinschaftsgesetzgebung teilhaben69 • 4. Befugnisse des Gerichthofs

Der Gerichtshof hat auf dem Gebiet der Luftverkehrspolitik die Befugnisse wie in jedem anderen ihm ausdrücklich im EGV zugewiesenen oder auf dessen Grundlage zugewiesenen Bereich70• Nach Art. 164 EGV stellt er die Einhaltung des Gemeinschaftsrechtes bei der Auslegung und Anwendung des EGV sicher. Er agiert damit als "Verfassungsorgan'm. Im Bereich der Luftfahrt hat der EuGH eine Vorreiterrolle übernommen. Er hat entscheidende Wegweiser erteilt für die Einführung einer gemeinsamen Verkehrspolitik72 • Insbesondere durch zwei Urteile jüngeren Datums (,,Asjes" und ,,Ahrned Saeed") hat der EuGH wesentliche Kernaussagen zum Inhalt der gemeinsamen Luftverkehrspolitik gemacht und der Kommission Instrumente an die Hand gegeben, auch auf dem Gebiet des Luftverkehrs die Wettbewerbsregeln durchzusetzen. Bezüglich des Luftverkehrssektors hat der EuGH die allgemeinen Rechtsprechungsbefugnisse (Art. 169-182 EGV)73• Hervorzuheben ist jedoch das Vorabentscheidungsverfahren gern. Art. 177 EGV, durch das nicht nur die Rechtseinheit innerhalb der Gemeinschaft gewahrt wird, sondern zugleich auch der Rechtsschutz des einzelnen gesichert wird74• Individuen oder bei67 Aufgelistet bei Bieber, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 140 Rn. 21 ff. 68 Bieber, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Vorb. zu den Art. 137-144 Rn. 4, 9. 69 Bieber, ebd., Art. 140 Rn. 21. 7° Krück, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 164 Rn. I. 71 Krück, ebd., Art. 164 Rn. I. 72 Dazu vgl. Kapitel 6. 73 Aufgeführt bei Krück, ebd., Vorb. zu den Art. 164-188 Rn. 5. 74 Krück, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 177

2. Kap.: Rechtlicher Rahmen für eine gemeinsame Luftverkehrspolitik

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spielsweise auch Luftverkehrsgesellschaften können sich auf das Vertragsrecht berufen (z.B. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit) oder Handlungen der Organe beanstanden, die ihrer Meinung nach mit dem Vertrag unvereinbar sind. 5. Befugnisse von Wirtschafts- und Sozialausschuß

Die Befugnisse des Wirtschafts- und Sozialausschusses (WSA) der Europäischen Gemeinschaft bestehen aussschließlich aus Konsultations- und Beratungsrechten75 (Art. 193 ff. EGV). Auf dem Luftverkehrssektor spielt der WSA eine untergeordnete Rolle. Zwar besteht eine Fachgruppe "Verkehr und Kommunikationsmittel", die in Fragen der Verkehrspolitik die Entscheidungen des Ausschusses vorbereitet, die ausschließlich beratende Natur der Tätigkeit des WSA verhindert ihm jedoch eine große Einflußnahme bzw. Mitwirkung bei der Rechtsetzung durch die zuständigen Organe. Im Rahmen der Maßnahmen im Hinblick auf eine europäische Luftverkehrspolitik hat der Rat jedoch die Stellungnahme des WSA eingeholt (Art. 84 Abs. 2, 75 Abs. 1 EGV)76 • 6. Befugnisse des Paritätischen Ausschusses

Durch einen Beschluß der Kommission im Jahre 1990 wurde ein paritätischer Ausschuß für die Zivilluftfahrt eingesetzt77 • Gemäß Art. 1 des Beschlusses hat dieser die Kommission bei der Planung und Durchführung der gemeinschaftlichen Politik zu unterstützen. Die Aufgaben dieses Paritätischen Ausschusses sind rein beratender Natur. Gemäß Art. 4 des Kommissionsbeschlusses besteht der Ausschuß aus 54 Mitgliedern, die alle Angehörige von Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind. Die Sitze verteilen sich hälftig auf Vertreter von Arbeitnehmerverbänden und auf Vertreter der Auggesellschaften und Vereinigungen von Aughäfen. Durch die Besetzung ist damit eine "optimale", weil alle Interessen berücksichtigende Beratung der Kommission gewährleistet. Rn. 9; dazu insbesondere Tomuschat, Die gerichtliche Vorabentscheidung nach den Verträgen über die Europäischen Gemeinschaften. 75 Zu den Beratungsrechten Schwaiger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlennann, Komm. zum EWGV, Art. 193 Rn. 3 ff. 76 Beispielweise zum Memorandum Nr. 2, vgl. Gemeinsame Luftverkehrspolitik, Zivilluftfahrt Memorandum Nr. 2. Fortschritte auf dem Wege zu einer Gemeinschaftlichen Luftverkehrspolitik, Bericht der Fachgruppe Verkehr und Kommunikationsmittel, Brüssel, Oktober 1985 (WSA-85-010-DE). 77 Beschluß der Kommission vom 30.7.1990 zur Einsetzung eines Paritätischen Ausschusses für die Zivilluftfahrt (90/449/EWG), ABI. EG Nr. L 230 vom 24.8.1990, s. 22.

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

3. Kapitel

Luftverkehrspolitische Außenbeziehungen der EU Von einem einheitlichen Luftverkehrsmarkt der Europäischen Union kann bisher keine Rede sein, vielmehr existieren zwölf Märkte mit teilweise recht unterschiedlichen geographischen und wirtschaftlichen Vorbedingungen. Jeder dieser Märkte ist zwar eingebunden in ein internationales Regelungsgefüge, untersteht jedoch primär dem Regime nationaler Gesetzgebung 1• Die Gemeinschaft hat sich lange Zeit schwer getan, diesen so unterschiedlichen Märkten durch eine einheitliche Luftverkehrspolitik gerecht zu werden. Angesichts der zunehmend protektionistischen Haltung der Mitgliedstaaten wäre ein schnelles Handeln erforderlich gewesen. Die luftverkehrspolitischen Handlungsbefugnisse und -Verpflichtungen der Organe der Europäischen Union stehen heute außer Frage. Die formalen Vorgaben des EG-Vertrages sind mit Art. 84 Abs. 2 zwar äußerst dürftig, inhaltliche Impulse für eine gemeinsame Verkehrspolitik ergeben sich jedoch auch aus den allgemeinen Regeln des Vertrages2 • Der EuGH hat eine Pflicht zum Tätigwerden auf dem Gebiet der Verkehrspolitik bestätige. Die gemeinsame Verkehrspolitik gehört zu den Tätigkeiten der Gemeinschaft, die Art. 3 lit. f EGV zum Zwecke der Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und der schrittweisen Annäherung der Wirtschaftspolitik vorschreibt. Neben den Art. 75 und 84 Abs. 2, nach denen der Rat mit qualifizierter Mehrheit Maßnahmen zur Vereinheitlichung der Verkehrsrechte treffen kann, kommt als Rechtsgrundlage für Einzelmaßnahmen die subsidiäre Generalermächtigung des Art. 235 EGV in Betracht. Auf die allgemeinen Handlungsbefugnisse des EGV kann zurückgegriffen werden, falls nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung die verkehrsspezifischen Kompetenznormen nicht ausreichen, um eine von Art. 3 lit. f EGV umfaßte Vereinheitlichung auf Gemeinschaftsebene durchzusetzen 4 • Schließlich bleibt der Gemeinschaft die Möglichkeit, gemäß Art. 100 ff. EGV Richtlinien zur Angleichung von Rechtsvorschriften zu erlassen.

1 2

Basedow, Der Transportvertrag, S. 182 ff. Naveau, L'effet du droit europeen sur Je transport aerien, AnnASL 1986, S. 131

ff. (137). 3 Urteil des Gerichtshofes vom 22.5.1985, RS 13 I 83, Europäisches Parlament und Kommission der Europäischen Gemeinschaften ./. Rat der Europäischen Gemeinschaften und Königreich der Niederlande, EuGHE 1985, S. 1513 ff. 4 Basedow/Dolfen, in: Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, Kapitel L, Rn. 22.

3. Kap.: Luftverkehrspolitische Außenbeziehungen der EU

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A. Außenkompetenzen der Europäischen Union In Literatur und Praxis wird diskutiert, ob die Gemeinschaftskompetenz im Bereich des Luftverkehrs auch eine Gemeinschaftsaußenkompetenz beinhaltet. Diese Frage ist unterschiedlich zu beantworten, je nachdem, ob die Rechtsetzung der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs von dem Titel über die gemeinsame Verkehrspolitik oder von dem Titel über die gemeinsame Handelspolitik gedeckt wird, ob also Art. 74 ff. EGV oder Art. 110 ff. EGV zur Anwendung kommen. Die Frage, ob Art. 113 EGV auch die Luftverkehrspolitik als Bereich der Wirtschaftstätigkeit umfaßt, ist nicht nur von Bedeutung für die externe Zuständigkeit der Gemeinschaft, sondern auch bei etwaigen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft5. Hinter diesen Meinungsverschiedenheiten steht der Streit um Kompetenzverteilungen auf dem Luftverkehrssektor. Die Kommisssion wünscht eine Kompetenzerweiterung zu ihren Gunsten, um zu vereinfachten Entscheidungen zu gelangen. Denn immer noch tendiert der Rat, in dem die Mitgliedstaaten die stärkste Einflußmöglichkeit besitzen, zu Einstimmigkeit6, um nationale Interessen eines Mitglieds ausreichend zu berücksichtigen7 • Seit der Uruguay-Runde des GATT vertritt die Kommission die Auffassung, daß sich die gemeinsame Handelspolitik auch auf die wirtschaftlichen Aspekte von Dienstleistungen erstreckt8 und Art. 113 EGV auch für den Luftverkehr eine Gemeinschaftsaußenkompetenz eröffnet9 • Damit wäre den s Bourgeois, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlennann, Komm. z. EWGV, Art. 113 Rn. 7; Close, Community Law and Civil Aviation. Some comments of the overview and the two Community Reports to the 13th FIDE Conference, S. 139 ff. (142); vg1 auch hierzu Schubert, Les effets de Ia delegation de competences en matiere de services de Ia circulation aerienne sur Ia souverainete nationale, RFDAS 1993, s. 289 ff. 6 Luxemburger Kornprorniß, vgl. ausführlich Louis, Die Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaften, S. 34 f. 7 Dazu Meier, Die Gestaltung der Luftverkehrsbeziehungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Drittstaaten - eine gemeinschaftliche Aufgabe?, ZLW 1993, S. 3 ff. (8 ff.). 8 So auch Fischer, Der Umfang der Befugnis der Europäischen Gemeinschaft zum Abschluß von Handels- und Assoziierungsabkommen, S. 1 ff. (11). 9 Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über ein Konsultations- und Genehmigungsverfahren für Abkommen über die Handelsbeziehungen im Luftverkehr zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern vom 23.2.1990, KOM(90) 17 endg. (Dok. DE 11 07); Erdmenger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlennann, Komm. z. EWGV, Vorb. zu den Art. 74-84 Rn. 24; Close, Extemal Relations in the Air Transport Sector: Air Transport Policy or the Common Commercial Policy, CMLRev 1990,

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

Mitgliedstaaten zugunsten der EG jegliche Regelungskompetenz genommen 10• Dies gälte auch für bilaterale Abkommen 11 • Solche könnten die Mitgliedstaaten nurmehr schließen, wenn sie von der Union ausdrücklich dazu ermächtigt würden 12• Dadurch wären nicht nur zukünftige bilaterale Abkommen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen, auch Abkommen der Vergangenheit wären betroffen13. Nach Meinung der Kommission sollten die Mitgliedstaaten daher das - ihnen bisher zustehende - Recht der fünften Freiheit14 nicht mehr ausüben dürfen 15 • Die Kommission vertritt ihre Auffassung trotz des schon 1971 ergangenen AETR-Urteils des EuGW 6 , in dem der Gerichtshof bekräftigte, daß AußenS. 107 ff. (107); so auch van der Esch, Main lssues of Community Law Goveming Access to Air Transport and Member States Control of Fares, S. 31 ff. (37 ff.). 10 Bei der Kompetenz zur Regelung der gemeinsamen Handelspolitik handelt es sich um eine ausschließliche Kompetenz; vgl. Vedder, in: Grabitz, Komm. z. EWGV, Art. 113 Rn. 3 mit weiteren Angaben; Zuleeg, Verkehrspolitische Außenbeziehungen der Europäischen Gemeinschaft, S. 59 ff. (65); Fischer, Der Umfang der Befugnis der Europäischen Gemeinschaft zum Abschluß von Handels- und Assoziierungsabkommen, S. 1 ff. (14). 11 Loewenstein, European Air Law, S. 159 ff. 12 Urteil des Gerichtshofs vom 15.12.1976, RS 41/76, Suzanne Donckerwolcke verehelichte Criel und Henri Schou ./. Procureur de Ia Republique beim Tribunal de grande instance Lilie und Directeur general des douanes et droits indirects, Paris, EuGHE 1976, S. 1921 ff. (1937, Entscheidungsgründe 31137); Urteil des Gerichtshofes vom 18.2.1986, RS 174/84, Bulk Oil (Zug) AG ./. Sun International Limited und Sun Oil Trading Company, EuGHE 1986, S. 559 ff. (593, Entscheidungsgrund 58); Beutler!Bieber/Pipkorn/Streil, Die Europäische Gemeinschaft, 16.4.2.2., S. 532; Vedder, in: Grabitz, Komm. z. EWGV, Art. 113 Rn. 3; Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über ein Konsultations- und Genehmigungsverfahren für Abkommen über die Handelsbeziehungen im Luftverkehr zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern vom 23.2.1990, KOM(90) 17 endg., (Dok. DE 11 07), Art. 5. 13 Slot, Civil Aviation in the Community, S. 5 ff. (25). 14 Genauer: den Abschluß von bilateralen Abkommen über dieses Recht. Die "Freiheiten der Luft" vgl. Anlage 1 der Arbeit. 15 Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über ein Konsultations- und Genehmigungsverfahren für Abkommen über die Handelsbeziehungen im Luftverkehr zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern vom 23.2.1990, KOM(90) 17 endg., (Dok. DE 11 07), Art. 1 ff.; Close, Externat Relations in the Air Transport Sector: Air Transport Policy or the Common Commercial Policy, CMLRev 1990, S. 107 ff. (108); dazu auch Platt, The Creation of a Community Cabotage Area in the European Community and its Implications for the US Bilateral Aviation System, ASL 1992, S. 183 ff. 16 Urteil des Gerichtshofes vom 31.3.1971, RS 22/70, Kommission der Europäischen Gemeinschaften./. Rat der Europäischen Gemeinschaften, EuGHE 1971, S. 263 ff.; dazu Groux, Convergences et conflits, dans l'interpretation du traite CEE, entre Ia pratique suivie par Ies Etats membres et Ia jurisprudence de Ia Cour de justice des

3. Kap.: Luftverkehrspolitische Außenbeziehungen der EU

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und Innenbeziehungen "Hand in Hand" gehen, 17 daß der EG für die Bereiche stillschweigend Außenzuständigkeiten zuerkannt werden, für die Innenkompetenzen bestehen 18 • Dies gilt selbst dann, wenn die Innenkompetenz noch nicht wahrgenommen wurde 19 • Der Gerichtshof bejaht Außenkompetenzen der Gemeinschaft für den Verkehrsbereich, sofern diese dem Modell der "konkurrierenden Zuständigkeit" nachempfunden sind20• Daß der Rat seine Befugnis nach Art. 75 ff. EGV bzw. Art. 84 Abs. 2 EGV (für den Luftverkehr) lange Zeit nicht ausgeübt hatte, kann nicht argumentativ genutzt werden, um die Anwendung von Art. 113 EGV zu bejahen. Im Gegenteil: Die Systematik des EGV läßt nicht den Schluß auf eine Anwendung von Art. 113 EGV zu21 . Art. 3 EGV als Ausführungsvorschrift zu den allgemeinen Zielbestimmungen des Art. 2 EGV22 zählt als Tätigkeitsbereiche sowohl die Einführung einer gemeinsamen Handelspolitik23 als auch die Einführung einer gemeinsamen Verkehrspolitik24 auf. Dies zeigt, daß von den Vertragsparteien nicht gewollt war, die allgemeine Verkehrspolitik trotz etwaiger Verflechtung mit der Handelspolitik als Teil derselben anzusehen. Regelungen über den Verkehr werden deshalb nach überwiegender Meinung nicht auf Art. 113 EGV gestütze5• Communautes europeennes, S. 275 ff. (279 f.); Guillaume, Tagungsbericht ,L'Europe du transport aerien', RFDA 1987, S. 488. 17 Bleckmann, Die Kompetenz der EG zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge, EuR 1977, S. 109 ff.; Haanappel, The future relations between institutions and international organizations working in the field of civil aviation, AL 1990, S. 317 ff. (319). 18 Oppermann, Europarecht, Rn. 1608, 1623, 1645 ff.; Sasse, Zur auswärtigen Gewalt der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, EuR 1971, S. 208 ff. (227 f.). 19 van der Esch, Main Issues of Community Law Governing Access to Air Transport and Member States Control of Fares, S. 31 ff. (36); Bleckmann, Europarecht, Rn. 920. 20 Ausführlich Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 249 ff.; Bleckmann, Europarecht, Rn. 922. 21 Erdmenger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Vorb. zu den Art. 74-84 Rn. 2 ff. 22 Grabitz, in: Grabitz, Komm. z. EWGV, Art. 3 Rn. I. 23 Art. 3 lit. b EGV. 24 Art. 3 lit. f EGV. 25 Urteil des Gerichtshofes vom 31.3.1971 , RS 22170, Kommission der Europäischen Gemeinschaften./. Rat der Europäischen Gemeinschaften, EuGHE 1971, S. 263 ff. (274); Haanappel, The external aviation relations of the European Community and of EEC member States into the twenty-first century, AL 1989, S. 69 ff. (84); Vedder, in: Grabitz, Komm. z. EWGV, Art. 113 Rn. 36; kritisch auch Erdmenger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Vorb. zu den Art. 74 - 84 Rn. 27; anderer Ansicht jedoch Weissenberg, Die Kompetenz der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum Abschluß von Handels- und Kooperationsabkommen gern. Art. 113 EWG-Vertrag, S. 54 ff.; Loewenstein, European Air Law, S. 116.

4 Baumann

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

Die durchaus denkbare Situation eines Konkurrenzverhältnisses zwischen Art. 74 ff. EGV und Art. 113 EGV ist ebenfalls abzulehnen. Eine allgemeine Verweisung wie beispielsweise für die Landwirtschaft in Art. 38 Abs. 2 EGV auf die Anwendung der Vorschriften für die Errichtung des Gemeinsamen Marktes26 findet sich in den Art. 74 ff. EGV nicht27 • Damit liegt die Kompetenz zum Erlaß von Regelungen für den Luftverkehrsbereich beim Rat.

B. Luftverkehr der Gemeinschaft und internationale Luftverkehrsordnung Im Luftverkehr fehlen multilaterale Marktordnungen bislang vollständig28 • In der sogenannten Transportvereinbarung von Chicago vom 7. Dezember 194429 wurden für den Luftverkehr zwar kommerzielle Augrechte vorgeschrieben, freilich ist diese nie in Kraft getreten30• Auch bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft konnten sich die Vertragsparteien nicht einigen. Dem Willen zur Integration der Dienstleistungsmärkte und der Schaffung eines einheitlichen homogenen Luftverkehrsmarkts standen stark nationalistische und merkantilistische Tendenzen gegenüber. So sind die (Kompromiß-)Vorschriften des EGV erklärbar. Damit läßt sich zugleich auch die heutige Luftverkehrsordnung in Form eines kaum durchschaubaren Geflechts von bilateralen Luftverkehrsabkommen31 zur Regelung von Markt-

Gilsdorf/Priebe, in: Grabitz, Komm. z. EWGV, Art. 38 Rn. 32. Erdmenger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Vorb. zu den Art. 74-84 Rn. 13 f. 28 Basedow, Verkehrsrecht und Verkehrspolitik als europäische Aufgabe, S. 1 ff. 26

27

(6).

UNTS 171, 388. Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, S. 360; Dempsey, The Rote of the International Civil A viation Organ.ization on Deregulation, Discrirn.ination and Dispute Resolution, JALC 52 (1986/ 1987), S. 529 ff. (529). 31 Allgemein zum Bilateralismus im Weltluftverkehr vgl. Lissitzyn, Bilateral Agreements on Air Transport, JALC 30 (1964), S. 248 ff.; Gertler, Bilateral Air Transport Agreements: Non-Bermuda Reflections, JALC 42 (1976), S. 779 ff.; ders., Obsolescence of Bilateral Air Transport Agreements: A Problem and a Challenge, AnnASL 1988, S. 39 ff.; ders., Self-Enforcement of Bilateral Air Transport Agreements, AnnASL 1989, S. 113 ff. (114); Merckx, New trends in the international bilateral regulation of air transport, ETL 1982, S. 107 ff.; Cheng, Beyond Bermuda, S. 81 ff.; I..awenfeld, Beyond the Bermuda Agreement, S. 101 ff.; Guldimann, Bilateral Agreements as Regulatory Instruments in International Commercial A viation, S. 113 ff.; Wassenbergh, Bilateralism ad Absurdum in International Air Transportation, s. 127 ff. 29

30

3. Kap.: Luftverkehrspolitische Außenbeziehungen der EU

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zugangsrechten, Kapazitätsrechten und ähnlichem nachvollziehen32 • Bilaterale Abkommen waren lange Zeit die einzige Möglichkeit der Staaten, für ihre nationalen Luftfahrtgesellschaften Vorteile und zugleich für die nationale Bevölkerung ein ausreichendes Flugangebot zu sichern33 • Wettbewerb zwischen den einzelnen Fluggesellschaften war nur in regulierter Form - soweit von den Nationalstaaten zugelassen - möglich. Es verwundert nicht, daß die Gemeinschaft die Umstrukturierung der Luftverkehrswirtschaft wünscht. Heute sehen die Verantwortlichen deutlich, daß ein homogener Markt nur durch andere funktionierende Märkte, insbesondere auch durch funktionierende Verkehrsmärkte gewährleistet werden kann 34• Zumindest auf europäischem Gebiet soll daher der Verpflichtung aus Art. 75 EGV nachgekommen werden, daß die Dienstleistungsfreiheit für den grenzüberschreitenden Verkehr innerhalb der Gemeinschaft gewährleistet und Transportunternehmen aus anderen Mitgliedsländern das Kabotage-Recht zugestanden wird35•

C. Internationale Organisationen mit regelungspolitischer Bedeutung für den Luftverkehr in Europa I. Die International Civil Aviation Organization- ICAO Noch vor Ende des Zweiten Weltkrieges luden die Vereinigten Staaten von Amerika zu einer Konferenz nach Chicago ein, um einheitliche Regelungen für den Weltluftverkehr aufzustellen. Der Entschluß zur Einberufung der Versammlung basierte auf den Erfahrungen, die die Amerikaner seit der "Luftverkehrsreife" der Nordatlantikroute gesammelt hatten 36 . Als Ergebnis der Konferenz wurde das ,,Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt", das sogenannte Chicagoer Abkommen37 verabschiedet. Ausgehend vom Ein32 Im Durchschnitt ist jeder Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft an 60-70 bilateralen Luftverkehrsabkommen beteiligt; nähere Zahlenangaben z.B. bei Meier, Die Gestaltung der Luftverkehrsbeziehungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Drittstaaten - eine gemeinschaftliche Aufgabe?, ZLW 1993, S. 3 ff. (5). 33 Ausführlich, Loewenstein, European Air Law, S. 38 ff. 34 Pompl, Luftverkehr, S. 39 ff. 35 Dazu vgl. Kapitel 7 der Arbeit. 36 Schleicher/Reymann/Abraham, Das Recht der Luftfahrt, S. 14. 37 Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Abkommen vom 7.12.1944 über die Internationale Zivilluftfahrt und die Annahme der Vereinbarung über den Durchflug im Internationalen Fluglinienverkehr vom 7.4.1956, BGBI. II S. 411. Ausführlich van Bogaert, Elements de Droit Aerien, S. 49 ff.

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

flugs- und Überflugsrecht regelte es annähernd alle Fragen des öffentlichen Luftverkehrsrechts. Durch das Abkommen wurde die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) geschaffen, die ihren Sitz in Montreal hat. Mit inzwischen 150 Mitgliedern38 ist die ICAO die weltweit bedeutendste Organisation der Luftfahrt39. Als Sonderorganisation der Vereinten Nationen40 hat sie die Aufgabe, die Zusammenarbeit der Staaten auf allen Bereichen der Zivilluftfahrt mit internationaler Bedeutung zu fördern. Ihr obliegt die gesamte organisatorische Regelung der Internationalen Luftfahrt41 • Sie beruft beispielsweise Luftverkehrskonferenzen ein, in denen betriebstechnische Fragen abgestimmt werden. Ihr sind viele ergänzende Verträge bzw. Protokolle zum Chicagoer Abkommen, dem Abkommen von Montreal oder beispielsweise auch dem Warschauer Haftungsabkommen zu verdanken42 •

D. Die European Civil Aviation Conference- ECAC Im Jahre 1954 fand unter der Schirmherrschaft des Europarats und der ICAO eine Konferenz in Straßburg statt, die als Ergebnis eine neue Institution hervorbrachte: die European Civil Aviation Conference (ECAC). Vom 23. November bis 16. Dezember 1955 trafen sich Vertreter 19 europäischer Staaten zur ersten Sitzung der neugegründeten Internationalen Organisation43 und beschlossen deren Satzung44, in der die Aufgaben der Konferenz festgelegt wurden45 •

38 Zahlenangabe bei Dempsey, The RoJe of the International Civil Aviation Organization on Deregulation, Discrimination and Dispute Resolution, JALC 52 (1986/87), s. 529 ff. (532). 39 Cheng, in: Encyclopedia of Public International Law, Vol. XI: Law of the Sea - Air and Space, S. 6; FitzGerald, ICAO Now and in the Coming Decades, S. 47 ff.

40 Faller, in: Woijrum, Handbuch Vereinte Nationen, Nr. 39 ICAO, Rn. 1 m.w.N. 41 Zu den Aufgaben im einzelnen und den Organen der Organisation Naveau, Droit du transpoft aerien international, s. 27-34. 42 Rajski, l.C.A.O. and the Development of Air Law, S. 59 ff. 43 Zum Begriff der Internationalen Organisation vgl. Seidl-Hohenveldem, Das Recht der Internationalen Organisationen, § 1, S. 1 ff. 44 Verabschiedet als "Entschließung Nr. I" ICAO Doc. 7676-ECAC/1 ; dazu auch Naveau, International Air Transport in a Changing World, S. 68 f. 45 Vgl. Art. 3 der "Entschließung Nr. 1"; ausführlich Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 33.

3. Kap.: Luftverkehrspolitische Außenbeziehungen der EU

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Inzwischen setzt sich die ECAC aus 23 Mitgliedem46 zusammen und ihre Aufgaben reichen von "bloßen Beratertätigkeiten" bis hin zu "quasi-gesetzgeberischem Handeln"47 • Ihre Arbeitsthemen bestimmt die ECAC selbständig, ebenso die Art und die Dauer ihrer Zusammenkünfte. Gegenüber der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) hat die ECAC deshalb eine Sonderstellung. Obwohl nicht vollkommen unabhängig, ist die ECAC doch nicht Teil der ICAO und dieser auch nicht untergeordnet48 • Trotzdem haben die beiden Organisationen stets eng zusammengearbeitet49 • Obwohl die ECAC nach dem Wortlaut ihrer Satzung nur beratende Funktion hat und ihre Empfehlungen nicht bindend sind50, ist das Gewicht ihrer Entscheidungen stetig gewachsen. De facto ist die Organisationsgewalt von den Mitgliedstaaten auf die Organe der Konferenz übergegangen51 • Nachdem sich die Arbeitsthemen der ECAC zunächst auf die Liberalisierung des Luftverkehrs allgemein beschränkten, wandte sie sich bald den Problemen des Charterverkehrs auf der Nordatlantik-Route zu. Erleichterungen sowohl im europäischen Raum als auch auf der Nordatlantikroute sind Verdienst der ECAC52 •

46 Neben den 15 EU-Ländern gehören ihr Island, Jugoslawien, Malta, Monaco, Norwegen, die Schweiz, die Türkei und Zypern an. 47 Zit. Sundberg, Inter-Governmental Relations between EEC and Non-EEC Countries, S. 159 ff. (162); dazu auch Weber, Les elements de Ia cooperation dans le cadre de Ia commission europeenne de l'aviation civile (CEAC), RFDA 1977, S. 388 ff. (403 ff.). 48 Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 33. 49 Naveau, International Air Transport in aChanging World, S. 68. so Naveau, International Air Transport in a Changing World, S. 68; Reimer, Vision or Fiction? An Intra-European Air Transport Market, ZLW 1986, S. 183 ff. (185). s• Weber, Les elements de Ia cooperation dans le cadre de Ia Corninission europeenne de 1'aviation civile (CEAC), RFDA 1977, S. 388 ff. (390). 52 Wichtig ist insbesondere das "Memorandum of Understanding" von 1982/87 ECAC- USA; vgl. Reifarth, Das Memorandum of Understanding zwischen den USA und ECAC Staaten über Tarife im Nordatlantikverkehr, ZLW 1983, S. 97 ff.; ders., Historische Entwicklung und aktueller Stand wirtschaftlicher Regelungen in bilateralen Luftverkehrsabkommen, TranspR 1985, S. 375 ff. (382); Guldimann, Changing relations between the European Community and international civil aviation organizations, S. 177 ff. (178); Folliot, Une etape vers un modele europeen de Ia concurrence dans l'aviation commerciale, RFDA 1987, S. 89 ff. (95 ff.); Naveau, International Air Transport in a Changing World, S. 72 f.; Dempsey, The RoJe of the International Civil Aviation Organization on Deregulation, Discrimination and Dispute Resolution, JALC 52 (1986/87), S. 529 ff. (542).

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

111. Eurocontrol

Die Europäische Organisation für Flugsicherung (Eurocontrol), wurde 1960 von sechs westeuropäischen Staaten53 mit der Aufgabe gegründef\ die Flugsicherung im oberen Luftraum55 zu übernehmen. Daneben befaßte sich Eurocontrol mit der Harmonisierung nationaler Verkehrsvorschriften56. Im Laufe der Zeit verlor die Organisation an Bedeutung57 . Dies lag insbesondere an Differenzen um die Aufteilung der Kompetenzen zwischen Eurocontrol und den Mitgliedstaaten58 . Der obere Luftraum wurde von Eurocontrol kontrolliert, während für den unteren die Nationalstaaten zuständig blieben. Schwierigkeiten ergaben sich deshalb insbesondere bei der Besoldung der Kontrollkräfte, so daß ab 1974175 Frankreich, die Niederlande und Großbritannien die Kontrolle über den oberen Luftraum im Namen von Eurocontrol wieder selbst ausübten59. Lediglich die Aufgabe der Erhebung der Flugsicherungsgebühren, die Eurocontrol direkt von den Luftfahrtunternehmen der Mitgliedstaaten und den anderen Teilnehmerstaaten einfordert, der Betrieb zentraler Datenbanken, das Flow Management, Fluglotsenschulungen sowie Forschungs- und Entwicklungsaufgaben blieben der Organisation erhalten60• Dennoch hat Eurocontrol als "Keimzelle für europäische Flugsicherungsstruktur"61 eine Wiederbelebung verdient und ist angesichts des wachsenden Luftverkehrsaufkommens allgemein wie auch des bevorstehenden europäischen 53 Dies waren die Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien, Frankreich und die Benelux-Staaten. 54 European Organization for the Safety of Air Navigation (Eurocontrol); s. die International Convention on Cooperation for the Safety of Air Navigation (Eurocontrol) vom 13.12.1960, ICAO Doc. 7870 EUM IV, S. 426; BGBI. 1962 II S. 2273, in Kraft getreten am I. März 1963. 55 Höhe 25.000 Fuß; über Großbritannien 20.000 Fuß; vgl. Du Perron, Eurocontrol, Liability and Jurisdiction, S. 135 ff. ( 138). 56 Zu den Aufgaben im einzelnen Majid, The New Face of Eurocontrol - Scaling Down of the Integration Dream, S. 87 ff. (90 ff.); ebenfalls van Bogaert, Elements de Droit Aerien, S. 176 ff. 57 Genauer Meier, Der Luftverkehr braucht eine bessere Infrastruktur, LH-Jahrbuch ' 91, S. 38 ff. (39); Bentzien, Der Europäische Luftverkehr und der EWG-Vertrag, ZLW 1981, S. 258 ff. (274). 58 Dazu Meier, Der Luftverkehr braucht eine bessere Infrastruktur, LH-Jahrbuch '91, s. 38 ff. (39).

59 Vgl. Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 37 Fn.

90.

60 Bothe/Hohmann/Schmidt, Möglichkeiten der Reform einer europäischen Flugsicherung?, ZLW 1990, S. 40 ff. (45). 61 Zit. Hillebrand, Ein Himmel über Europa, LH-Jahrbuch '92, S. 60 ff. (67).

3. Kap.: Luftverkehrspolitische Außenbeziehungen der EU

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Binnenmarktes die geeignete Koordinationsstelle für die Abstimmung einer gemeinsamen Luftverkehrssicherungspolitik in Europa62 . IV. Die International Air Transport Association -

lATA

Auf internationaler Ebene existieren neben staatlichen Luftverkehrszusammenschlüssen auch private Zusammenschlüsse der Linienfluggesellschaften. Von größter Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die International Air Transport Association (lATA), der momentan 171 Linienfluggesellschaften als aktive und 35 als assoziierte Mitglieder angehören 63 • Assoziierte Mitglieder kommen, obwohl nicht stimmberechtigt, bei reduzierten Beiträgen in den Genuß der Vorteile der IATA-Mitgliedschaft64 • Die IATA ist als Interessenverband der Auggesellschaften tätig (trade association) und schafft die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit der Auggesellschaften miteinander bzw. koordiniert deren Tätigkeit durch Förderung von Informationsaustausch und Durchführung statistischer Erhebungen65 . Sie kooperiert mit der International Civil Aviation Organization (ICAO) und anderen Internationalen Organisationen66 • Weit entscheidender ist jedoch ihr zweites Aufgabenfeld. Als einer der größten Zusammenschlüsse von Linienfluggesellschaften organisiert die lATA Verkehrskonferenzen (Traffic Conferences)67. Diese sind in Verfahrenskonferenzen (Procedures Conferences) und in Tarifkoordinierungskonferenzen (Tariff Coordinating Conferences)68 unter 62 Becher, Die Luftfahrt und die Europäische Gemeinschaft, ZLW 1980, S. 189 ff. (206); Guldimann, Changing relations between the European Community and international civil aviation organizations, S. 177 ff. (179, 182); Majid, The New Face of Eurocontrol - Scaling Down of the Integration Dream, Legal issues of European integration 1988/1, S. 87 ff. (96). Dazu genauer unten Kapitel 7. 63 Stand: 31.5.1992. Auflistung der Mitglieder bei Giemulla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, B I 2.8 - Anhang; ebenfalls: LH-Jahrbuch '92, S. 293. 64 Außer der lATA bestehen noch die ACCA - The Air Charter Carriers Association (seit 1961), die AEA- The Association of European Airlines (seit 1973) und die ERA - The European Regional Airlines Organization (seit 1983). Zusätzlich vertritt die IFAPA - The International Foundation of Airline Passengers Associations - die Interessen der Fluggäste. Alle genannten Organisationen pflegen Beziehungen zu der Europäischen Gemeinschaft. 65 Im einzelnen van Bogaert, Elements de Droit Aerien, S. 141 ff. 66 So die Zielsetzung in Artikel III der Satzung. 67 Dempsey, Aerial Dogfights over Europe: The Liberalization of EEC Air Transport, JALC 53 (1987/88), S. 615 ff. (623); Brancker, IATA and What lt Does, S. 37 ff.; Naveau, International Air Transport in a Changing World, S. 61 ff.; Crans/ Biesheuvel, Europees recht en luchtvervoer, SEW 1988, S. 300 ff. (305 f.). 68 Zum System der Preistindung vgl. Dirlewanger, Die Preisdifferenzierung im

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

gliedert. Die lATA koordiniert also sowohl die Aufstellung der Konditionen der Fracht- und Passagierbeförderung als auch die Tarife für die Beförderungsleistungen69. Es besteht dabei jedoch durchaus die Möglichkeit regional beschränkter Abkommen (sub agreements) oder limitierter Abkommen (limited agreements), für die leichter ein Konsens erreicht werden kann70• Durch die multilateralen IATA-Vertriebskonferenzen sollen nicht nur für die Linienfluggesellschaften, sondern auch für die Verbraucher und Regierungen der Registrierstaalen Vorteile erlangt werden. Die Fluggesellschaften haben die Gewißheit, daß die von ihnen angebotenen Flüge in ein Gesamttarifgefüge eingebettet sind und nicht isoliert bilateral ausgehandelt neben anderen bilateral ausgehandelten Tarifen stehen. Sie brauchen nicht zu befürchten, daß die angebotenen Flüge kurzfristig von anderen Fluggesellschaften preislich unterboten werden können. Zugleich sind die von der lATA organisierten Tarifkonferenzen zeitsparender und damit kostengünstiger für die Luftverkehrsunternehmen als eine Vielzahl bilateral ausgehandelter Abkommen. Die staatlichen Luftfahrtbehörden sehen ihre Aufgabe der Preistindung von den IATA-Tarifkonferenzen hinreichend gelöst. Die Delegation der Tariftindungsaufgabe ist zulässig, nicht zuletzt auch deshalb, weil die ausgehandelten Tarife bisher stets der Genehmigung der für die Fluggesellschaften zuständigen Regierungen bedürfen71 • Ein Vorteil für den Verbraucher besteht sicher darin, zum selben Preis ein großes Angebot von Routenmöglichkeiten zu haben. Die Flugreise kann kurzfristiger und flexibler gestaltet werden. Ein hohes Angebot gleicher Flugleistungen zwingt die konkurrierenden Luftverkehrsunternehmen zwangsläufig auf anderen Ebenen als in der Preisgestaltung Wettbewerb zu betreiben. Zumindest durch Unterschiede im Serviceangebot können sich für den Verbraucher interessante Alternativen bieten. Seit Beginn der siebziger Jahre wird die kartellartige Stellung der IATA in bezug auf Tarif- und Konditionenkoordination verstärkt kritisiert72 • Die Abinternationalen Luftverkehr, insbesondere S. 47 ff.; Hübenthal, Kritische Beurteilung des Tarifgefüges für den planmäßigen internationalen Personenluftverkehr unter besonderer Berücksichtigung der Marktstruktur, S. 103 ff.; Witte/Voigt/ Laschet, Die Preisbildung im Luftverkehr, S. 117 ff. 69 Naveau, L'Europe et le transpoft aerien, S. 50 ff. 70 Vgl. IATA, Traftic Conferences, Art. III, Abs. 11-15. 71 Die Verweigerung einer Tarifabsprache stellt allerdings die Ausnahme dar; vgl. Chuang, The International Air Transport Association, S. 72. 72 Haanappel, International Air Transport Association: Quo Vadis?, S. 67 ff. Der mangelnde Wettbewerb als für den Verbraucher nachteiliger Faktor wird zunehmend

3. Kap.: Luftverkehrspolitische Außenbeziehungen der EU

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stimmung von Tarifen wird weltweit von den politischen Entscheidungsträgem eher als Wettbewerbshemmnis denn als Schutzinstrument für Luftverkehrsunternehmen oder gar Verbraucher gesehen13 . Unter dem Einfluß der OS-amerikanischen "deregulation policy" finden sich auch die europäischen Linienflugunternehmen zunehmend bereit, Wettbewerb zu betreiben. Auch die IATA wurde von der OS-amerikanischen "sunset-legislation"74 beeinflußt. In begrenztem Umfang unterstützt auch sie die Liberalisierungspolitik der einzelnen Mitglieder75 • Die amerikanische Liberalisierungspolitik fand vor allem die Zustimmung der Kommission, die als "Hüterin der Verträge"76 über jeglichen Verstoß gegen die Verträge wacht und die von jeher die Kartellbestimmungen des EGVertrages auch auf die Luftfahrt anwenden wollte.

D. Kollisionsprobleme I. Kollisionsprobleme zwischen der Europäischen Union und ICAO und ECAC Zunehmend ist die Gemeinschaft unmittelbar an der Regelung des grenzüberschreitenden Luftverkehrs beteiligt. Es bedarf daher Kooperationsabkommen zwischen der EG und insbesondere der ICAO. Grundsätzlich ist das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und der ICAO bzw. der ECAC unproblematisch. Die Mitgliedstaaten der EG sind sämtlich Mitglieder der ICAO und der ECAC, die EG selbst unterhält durch die Kommission zu beiden Organisationen Beziehungen gemäß Art. 229 EGV77 • kritisiert; vgl. Krafft, Verbraucherverbände als Vertreter von Verbraucherinteressen im Personenverkehr?, S. 187 ff. (192 f.). 73 Rödig, LH-Jahrbuch '90, S. 48 ff. (51); Banowsky, Cutting Drag and Increasing Lift: How Weil Will a More Competitive EEC Air Transport Industry Fly?, The International Lawyer 1990, S. 179 ff. (183). 74 Zum Begriff Thoms, The Deregulated Skies United States "Sunset" Legislation and International Air Travel, Netherlands International Law Review 1984, S. 398 ff.; Pascher, Die U.S.-amerikanische Deregulation Policy im Luftverkehrs- und Bankenbereich, S. 156 ff. 75 Dempsey, Aerial Dogfights over Europe: The Liberalization of EEC Air Transport, JALC 53 (1987/88), S. 615 ff. (622); Banowsky, Cutting Drag and Increasing Lift: How Weil Will a More Competitive EEC Air Transport Industry Fly?, The International Lawyer 1990, S. 179 ff. (184). 76 Oppermann, Europarecht, Rn. 290; Noi!l, Die Organe der Europäischen Gemeinschaft, S. 11. 77 Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 239; vgl. auch

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

In ihrem ersten Memorandum betont die Europäische Gemeinschaft die Notwendigkeit des Ausbaus von Konsultationen zwischen EG und Nichtmitgliedsländern bzw. Internationalen Organisationen78 • Mit der ECAC besteht eine Kooperationsvereinbarung seit einem Briefwechsel zu Beginn des Jahres 198079• Ähnlich der Befugnisse, die die EU-Kommission im Rahmen der CEM~0 innehat, darf sie einen Vertreter in die entsprechenden ECAC-Sitzungen entsenden81 • Da alle EU-Mitgliedstaaten auch Mitglieder der ECAC sind, wird dadurch einerseits Doppelarbeit verhindert,82 andererseits wird das Arbeitsprogramm der ECAC weitgehend von den EU-Mitgliedstaaten bzw. der EU-Kommission dominiert83• Konflikte zwischen etwaigen ECAC-Entscheidungen und Rechtsakten der Gemeinschaft sind deshalb weitgehend ausgeschlossen. Schon Ende 1979 hatten Vertreter von EG und ICAO Gespräche geführt, um Vereinbarungen über beiderseitige Zusammenarbeit zu treffen. Im November 1988 wurde in einem Briefwechsel zwischen dem Kommissionspräsidenten und der ICA084 der Kommission das Recht zugestanden, als Beobachterin an den Sitzungen der ICAO-Gremien teilzunehmen, sofern die Interessen der Gemeinschaft durch die Tätigkeit berührt werden 85 • Damit wurde der Gemeinschaft eine Art der Zusammenarbeit gewährt, wie sie beiMeier, Die Gestaltung der Luftverkehrsbeziehungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Drittstaaten- eine gemeinschaftliche Aufgabe?, ZLW 1993, s. 3 ff. 78 KOM(79) 311 endg., Rn. 89, 90- ausführlich dazu s.u. Kapitel 7. 79 ECAC, Co-ordinating Committee, Forty-ninth Meeting, (Paris, 18 April 1980), ECAC Doc. CC/49-SD (18/4/80), zit. nach Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 241 Fn. 479. 80 Europäische Verkehrsministerkonferenz, genauer hierzu Erdmenger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Vorb. zu den Art. 74-84 Rn. 38. 81 Becher, Die Luftfahrt und die Europäische Gemeinschaft, ZLW 1980, S. 189 ff. (207); Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 241. 82 Die ECAC hat das "Zweite Maßnahmenpaket" der EG - dazu s.u. 7. Kapitel letztendlich maßgeblich mit vorbereitet. 13 Erdmenger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Vorb. zu den Art. 74-84 Rn. 41; Guldimann, Changing relations between the European Community and international civil aviation organizations, S. 177 ff. (183). 84 Erdmenger, ebd., Vorb. zu den Art. 74-84 Rn. 43. 85 Haanappel, The external aviation relations of the European Economic Community and of the EEC member States into the twenty-first century, AL 1989, S. 69 ff. (142); Loewenstein, European Air Law, S. 144 f.; Weber, External Aspects of EEC Air Transport Liberalization, AL 1990, S. 277 ff. (284). Zu den Möglichkeiten der Partizipation der EG in NGOs vgl. Haanappel, The future relations between institutions and international organizations working in the field of civil aviation, AL 1990, s. 317 ff. (321-323).

3. Kap.: Luftverkehrspolitische Außenbeziehungen der EU

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spielsweise schon seit Jahren mit der IMC086 oder der ECE87 besteht. Den sogenannten .,Observer-Status" kennt das Abkommen von Chicago nicht88 • Eine Vollmitgliedschaft der Union ist nach Art. 92 und 93 der Convention von Chicago ausgeschlossen, weil die Gemeinschaft weder Mitglied der Vereinten Nationen ist noch sich selbst als "Staat" bezeichnet89 . Zugleich hätte die EU einen Stimmenverlust hinzunehmen: elf in der Versammlung und vier bis sechs im Rat90• Da nach dem Chicagoer System (Art. 48(b) und Art. 52) "one state-one vote" gilt, wäre die Gemeinschaft den übrigen Staaten gleichgestellt, also beispielsweise den USA. Probleme könnten jedoch im Verhältnis ICAO-EU insbesondere in den Bereichen auftreten, in denen im Rahmen der ICAO Materien geregelt werden, die die Kompetenzbereiche der EU berühren. Dazu gehören beispielsweise das Feld der Besteuerung von grenzüberschreitendem internationalen Verkehr91 , wo die Gemeinschaft lange Zeit zur Vermeidung von Konflikten auf die Mehrwertsteuer verzichtet hatte, oder das im Chicagoer Abkommen festgeschriebene Diskriminierungsverbot92 sowie der Staatszugehörigkeitsgrundsatz93, die durch Aktionen der EU unterlaufen werden könnten94. Noch immer umstritten ist insbesondere auch die Frage, wie die bilateralen Abkommen der Mitgliedstaaten mit Drittstaaten oder untereinander zu beurteilen sind, die typischerweise Klauseln über den Austausch von Verkehrsrechten95, Inter-Governmental Maritime Organisation. Econornic Comrnission for Europe, Unterorgan der Vereinten Nationen, das sich insbesondere mit den Binnenverkehrsarten in Europa befaßt, vgl. Frohnmeyer, in: Grabitz, Komm. z. EWGV, vor Art. 74 Rn. 40; Erdmenger, in: von der Groebenl Thiesing/Ehlennann, Komm. z. EWGV, Vorb. zu den Art. 74-84 Rn. 37. 88 Loewenstein, European Air Law, S. 149. 89 Haanappel, The external aviation relations of the European Economic Community and of the EEC member States into the twenty-first century, AL 1989, S. 69 ff. 86 87

(142).

90 Der Rat setzt sich aus den Vertretern von 33 Mitgliedstaaten zusammen, die von der Versammlung, in der alle 160 Mitgliedstaaten vertreten sind, gewählt werden, vgl. Art. 50 (a) und 54-55 der Convention von Chicago. 91 Dazu Abeyratne, Taxation in the Field of International Air Transport, AL 1991 , s. 106 ff. (108 ff.). 92 Als allgemeine Zielbestimmung enthält Art. 44 (g) des Abkommens von Chicago den Grundsatz der Nichtdiskrirninierung, dazu Naveau, L'Europe et Je transport aerien, S. 39. 93 Art. 17 ff. des Abkommens, vgl. Naveau, L'Europe et Je transport aerien, S. 39. 94 Dazu genauer Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 226 ff. (279 ff.); Guldimann, Changing relations between the European Community and international civil aviation organizations, S. 177 ff. (183). 95 Regelung, welche Überflug- und technischen Lande- und Verkehrsrechte gegenseitig eingeräumt werden.

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

Bezeichnungsklauseln96 , Eigentümerklauseln97 , Zollklauseln98 , Klauseln über die Anerkennung von Befähigungszeugnissen, Kapazitätsklauseln99, Tarifklauseln100 und Pool-Klauseln 101 enthalten 102. Diese Abkommen haben auch innerhalb der EU lange Zeit den Wettbewerb nahezu ausgeschaltet. Seit Anfang der 80er Jahre zeichnen sich jedoch auch in bilateralen Abkommen Liberalisierungstendenzen ab. Zugunsten der Verbraucher ist dies sehr zu begrüßen. Zusätzliche Schwierigkeiten im Verhältnis EU-ICAO bereitet die Schaffung des einheitlichen Binnenmarktes insgesamt. Nicht-EU-Mitgliedstaaten fühlen sich zunehmend aus dem Markt gedrängt. Die Fluggesellschaften von Nicht-EU-Staaten befürchten eine Marktabschottung. In ferner Zukunft scheint diese im einheitlichen Binnenmarkt tatsächlich nicht ganz ausgeschlossen. Als Nicht-EU-Staaten könnten sie von einem eventuellen EU-Kabotagerecht gänzlich ausgeschlossen bleiben. Für außereuropäische Staaten bzw. ihre nationalen Luftfahrtunternehmen ist insbesondere interessant, ob und unter welchen Bedingungen ihnen Flugrechte innerhalb der EU erteilt werden. In diesem Zusammenhang spielt Art. 59 Abs. 2 EGV eine wichtige Rolle, der dem Rat das Recht erteilt, mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission denjenigen Angehörigen von Drittländern das Dienstleistungsrecht zu verleihen, die in der EU ansässig sind. 96 Den Vertragsstaaten gegenseitig eingeräumte Rechte, selbst die Fluggesellschaften zu bestimmen, die die Flugrouten wahrnehmen sollen (was problematischerweise letztlich dazu führt, daß das nationale, meist staatliche Luftfahrtunternehmen die Streckenrechte wahrnimmt und eine starke staatliche Kontrolle des Marktzugangs auf allen internationalen Routen vorliegt). 97 Diese Klausel bestimmt, daß ein Vertragsstaat die Bezeichnung eines Unternehmens durch den anderen Vertragsstaat ablehnen darf, sofern dieser über das Unternehmen keine effektive Kontrolle ausüben kann, insbesondere also dann, wenn es sich nicht um ein nationales Flugunternehmen handelt. Der Vertragspartner soll nicht plötzlich einem Luftverkehrsunternehmen eines Drittstaates gegenüberstehen, dem er gar keine Verkehrsrechte einräumen wollte. 98 Das Recht jedes Vertragspartners, zoll- und abgabenfrei Luftfahrzeuge, Treibstoffe, Öle und Ersatzteile sowie Bordausriistung und -vorräte im Rahmen des Luftlinienverkehrs ein- und auszuführen. 99 Rahmenvereinbarung über die Grundsätze, nach denen die Beförderungskapazität der von beiden Vertragspartnern bestimmten Unternehmen bestimmt werden soll. 100 Rahmenvereinbarung, wie die Tarife auf den vereinbarten Linien bestimmt werden sollen. 101 Die Klausel sieht vor, daß die beiden Flugunternehmen auf bestimmten Strecken einen Pool bilden, d.h. zusammenarbeiten werden. 102 Ausführlich mit Beispielen zu den einzelnen Klauseln Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 288 ff. ; ebenfalls Luebker, The 1992 European Unification: Effects in the Air Transport Industry, JALC 56 (1990/91), S. 589 ff. (603).

3. Kap.: Luftverkehrspolitische Außenbeziehungen der EU

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Daß diese Ängste nicht ganz unbegründet sind, zeigt die derzeitige Situation in Europa. IATA-Statistiken belegen, daß beispielsweise im Jahre 1986/ 87 die passagierstärksten Linien Paris- London und London- Amsterdam (auf denen mehrere Linienflugunternehmen tätig waren) zahlenmäßig den nationalen Linien Paris- Nizza, Paris- Marseilles, Mailand- Rom, ParisToulouse (die lediglich von den nationalen Aircarriers bedient werden) kaum überlegen waren. Ebenfalls ist die Flugpassagierzahl auf der Strecke Barcelona- Madrid höher als auf der drittgrößten europäischen Linie London- Dublin 103 . Die Sorge der ausländischen Flugdiensterbringer vor der Kontinuität nationaler Abschottung, bisher innerhalb der Staaten, zukünftig innerhalb der EU, scheint also durchaus berechtigt. Zugleich besteht die Befürchtung, daß im Bereich der Flugrechte das bisher bilaterale System zwischen den Staaten der Linienfluggesellschaften durch ein multilaterales EUSystem mit regulatorischen Einschlägen ersetzt würde. Als problematisch könnte sich auch die Bindung der Gemeinschaft an die von den EU-Mitgliedstaaten mit Drittstaaten geschlossenen bilateralen Abkommen erweisen. In Verträgen mit unbeschränktem Bezeichnungsrecht wäre dies weniger schwierig als in Fällen, in denen die Flugdienste nur von einem bestimmten Flugunternehmen erbracht werden dürften. Im ersten Fall müßte eine EU-Behörde geschaffen werden, die speziell die Verteilung der Streckenrechte zur Aufgabe hätte 104. Im zweiten Fall wäre dies der im ursprünglichen bilateralen Abkommen bezeichnete Flugdiensterbringer, der von einer speziell hierfür geschaffenen EU-Behörde anerkannnt werden müßte. Die bestehende Situation bereitet auch insofern Schwierigkeiten, als die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft in Internationalen Organisationen umfassende Regelungskompetenz innehaben, während ihnen im Europäischen Rahmen, d.h. im Binnenbereich, diese Kompetenzen von der EU teilweise genommen wurden. Diese Diskrepanz würde durch die Integration der Gemeinschaft in die jeweilige Internationale Organisation 105 gelöst. Möglich wäre dies insbesondere in Form eines gemischten Abkommens, das in den Fällen gewählt wird, in denen der EU nicht die volle Regelungskompetenz zusteht106.

103 Unveröffentlichte IATA-Statistik; vgl. Haanappel, The external aviation relations of the European Economic Community and of EEC member States into the twenty-first century, AL 1989, S. 69 ff. (136).

Haanappel, ebd., S. 133. Zum Begriff der internationalen Organisation Grabitz, Die Stellung der Gemeinschaft und ihrer Organe in internationalen Organisationen, S. 47 ff. (47). 106 Tomuschat, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. zum EWGV, Art. 210 Rn. 33, Art. 228 Rn. 9-10, 24; Loewenstein, European Air Law, S. 145. 104

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

Sowohl für die Regelungsmaterien der ICAO als auch der ECAC besäße die Gemeinschaft volle Regelungskompetenz, hat diese jedoch bisher noch nicht vollständig ausgeschöpft 107 • Einer "Vollmitgliedschaft" der EU in diesen Internationalen Organisationen stünde der EGV nicht im Wege 108• Problematisch ist jedoch, daß beispielsweise das Abkommen von Chicago lediglich Mitglieder der Vereinten Nationen, d.h. "Staaten" als Mitglieder zuläße 09 . Eine Vollmitgliedschaft der EU käme nur in Frage nach Änderung des Abkommens mit Zweidrittelmehrheie 10• II. Kollisionsprobleme zwischen der Europäischen Union und der lATA In den siebziger Jahren begann sich die Situation in der Luftfahrt angesichts von weltweiter Wirtschaftsrezession, von Energiekrise und damit einhergehend steigender Treibstoffpreise zu wandeln. Der Charterflugverkehr nahm allgemein zu, die Linienfluggesellschaften erhöhten ihre Kapazität durch Einsatz der neuen Großraumflugzeuge Boeing 747 und DC-10. Das somit entstandene Überangebot führte zu verstärkter Konkurrenz. Immer stärker wurden Kapazitätsregelungen in internationalen Abkommen und die Bedeutung der Tarifkonferenzen der lATA hinterfragt 111 • Die USA versuchten im Rahmen der "open sky policy" 112 der IATA nach und nach ihre Funktion als Preisbildungsmechanismus zu nehmen 113 • Loewenstein, ebd., S. 146 rn.w.N. Zur Typologie der Beziehungen zwischen internationalen Organisationen vgl. Grabitz, Die Stellung der Gerneinschaft und ihrer Organe in internationalen Organisationen, S. 47 ff. (53 ff.); ebenfalls Zieger, Die Stellung der Gerneinschaft und ihrer Organe in Internationalen Organisationen, S. 103 ff. (110 ff.). 109 Zieger, ebd., S. 109. 110 Vgl. Art. 94 (a) des Abkommens. 111 Meinecke, Die Tarife der International Air Transport Association in kartellrechtlicher Sicht, S. 14; Reifarth, Historische Entwicklung und aktueller Stand wirtschaftlicher Regelungen in bilateralen Luftverkehrsabkornrnen, TranspR 1985, S. 375 ff. (381); Dresner/Tretheway, The Changing Role of IATA: Prospects for the Future, AnnASL 1988, S. 3 ff. (22); Banowsky, Cutting Drag and Increasing Lift: How Weil Will a More Cornpetitive EEC Air Transport Industry Fly?, The International Lawyer 1990, S. 179 ff. (183). Keine mißbräuchliche Ausnutzung ihrer marktbeherrschenden Stellung durch die IATA sieht Weber, Wettbewerb der Luftfahrtunternehmen und Europäisches Gerneinschaftsrecht, ZLW 1981, S. 146 ff. (155). 112 Hempel, Deregulierung: Auswirkungen und deren Interpretation, in: LH-Jahrbuch ' 86, S. 82 ff. (83); Achtnich, Flughafen-Bodenverkehrsdienste in der Bundesrepublik Deutschland und Open-Sky-Luftverkehrspolitik der USA, S. 1 ff. (1). 113 Merckx, New trends in international bilateral regulation of air transport, ETL 107

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3. Kap.: Luftverkehrspolitische Außenbeziehungen der EU

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Auch in Europa stellt sich das Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und der IATA zunehmend als schwierig heraus 114• Insbesondere die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes 115 und die Regelungen des Rates auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts 116 sind für die IATA als Organisation der Tarifgestaltung nicht ohne Auswirkungen, zeigen sie doch die Unvereinbarkeit der bisherigen IATA-Praktiken zur Tarifgestaltung mit dem EGV 117 • Daher sind Anpassungen des IATA-Tariffindungssystems unerläßlich 118• An die Stelle der bisher im Rahmen der IATA (oder bilateral) ausgehandelten Tarife wird der Preis treten, der sich nach marktwirtschaftliehen Kriterien, d.h. nach dem Preis-/ Leistungsverhältnis herauskristallisieren wird.

E. Verhältnis der Europäischen Union zu Drittstaaten Veränderungen des Luftverkehrsmarktes können nicht nur Änderungen sein, die einzig die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft betreffen. Auch die nordamerikanischen und asiatischen Länder bzw. deren Fluggesellschaften werden durch die Luftverkehrspolitik bzw. die damit verbundenen Liberalisierungsbestrebungen der Europäischen Gemeinschaft tangiert119• Der Europäische Gerichtshof hat deutlich geäußert, daß die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages auch extraterritoriale Wirkung entfalten können 120• Im Rahmen des GATI werden internationale Verflechtungen und Prinzipien wie Nicht-Diskriminierung und Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit diskutiert. Die Nichtdiskriminierung kann dabei nicht auf Staaten der Europäischen Union beschränkt sein.

1982, S. 107 ff. (114); Wolf, Die Grundregeln des Wettbewerbs im Luftverkehr, S. 9 ff. (15). 114

Dazu auch Loewenstein, European Air Law, S. 150 ff.

Insbesondere Urteil des Gerichtshofes vom 30.4.1986 in den verbundenen RS 209-213/84, Ministere public ./. Lucas Asjes u.a., Andrew Gray u.a., Andrew Gray u.a., Jacques MaiHot u.a. und Uo Ludwig u.a., EuGHE 1986, S. 1425 ff.; vgl. Kapitel 6 der Arbeit. 116 Ausführlich hierzu Kapitel 7 der Arbeit. 115

Loewenstein, European Air Law, S. 151. Zu den einzelnen Bemühungen Lipman, The impact of Europe's internal market on the airlines, S. 65 ff. (78 f.); Naveau, Le droit de Ia CEE va-t-il influencer Je droit aerien international?, AnnASL 1988, S. 161 ff. (167). 119 Haanappel, Changes in Bilateral Air Transport Agreements Between EEC Member States and Countries Outside Europe, S. 135 ff. 120 Dazu Kapitel 6 der Arbeit- ,.Woodpulp" und ,.Ahmed Saeed". 117

118

64

1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

I. Verhältnis der Europäischen Union zu den USA Als exportorientierte Gemeinschaft ist die EU neuerdings Gegenstand heftiger Diskussionen in den USA 121 . Insbesondere die subventionierte Agrarwirtschaft oder die Beihilfen im Rahmen des Airbus-Projekts verstärkten die Diskussion und weckten bei den Amerikanern die Furcht, von der wachsenden "Supergemeinschaft" wirtschaftlich überrundet zu werden 122• Parallel zu diesen wirtschaftlichen Ängsten der Amerikaner findet man Bestrebungen, angesichts der Umwandlungen in den osteuropäischen Staaten eine Annäherung an Europa, auch an die Europäische Union, zu suchen 123 • Schon im Jahre 1989 hat James Baker in einer Rede, die er in Berlin gehalten hatte, auf die Notwendigkeit der Aufnahme von ,,Beziehungen" zwischen der EG und den USA hingewiesen 124. Die amerikanische Politik des "offenen Himmels" ("open sky") wurde von den Europäern mit Interesse verfolgt. Zunächst in Europa heftiger Kritik ausgesetzt, gab sie letztendlich den Anstoß für die Maßnahmen auf europäischer Ebene. Auch im europäischen Raum werden nun staatlich nicht protegierte, unabhängige Fluggesellschaften, die sich am wettbewerbsorientierten Markt zu behaupten hatten, favorisiert 125 • Angesichts der wachsenden Konkurrenzsituation mußte die Gemeinschaft von ihrer strengen regulierenden Politik ablassen126. Trotzdem sind im internationalen Bereich längst nicht die Ergebnisse erzielt worden wie auf US-Gebiet127 • Es war unumstritten, daß die EU ein liberaleres System mit wettbewerbsrechtlichen Elementen schaffen mußte 128• Durch die bisherigen Maßnahmen 121 Denman, The United States and a Uniting Europe: The Relationship After 1992,

s. 207 ff.

(207).

122 Janning, A New Transatlantic Deal: European-American relations in the 1990s,

s. 216 ff. (219).

123 Niles, What do the United States expect from the European Community?, S. 212 ff. (214); Ely, Problems and issues in EC-US relations: an American point of view, s. 77 ff. (79). 124 The EC and the US should "in treaty or some other form" achieve "a significantly strengthened set of institutional and consultative link". Zit. nach Denman, The United States and a Uniting Europe: The Relationship After 1992, S. 207 ff. (208). 125 Rödig, lATA - Bedeutungswandel durch veränderte Marktbedingungen, LHJahrbuch '90, S. 48 ff. (51). 126 Hammarskjöld, Deregulation Idealism, Ideology or Power Politics? Focus Europe, AnnASL 1987, S. 65 ff. (69 f.). 127 Hawk, United States Regulation of Air Transport, S. 255 ff. (271). 128 Hammarskjöld, Deregulation - ldealism, Ideology or Power Politics? Focus Europe, AnnASL 1987, S. 65 ff. (73).

3. Kap.: Luftverkehrspolitische Außenbeziehungen der EU

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läßt sich die Zielsetzung eines offenen Systems erkennen, einige bedeutende Regelungen stehen jedoch noch aus 129• Insbesondere die protektionistische Haltung der nationalen Staaten, in deren Eigentum die Fluggesellschaften meist ausschließlich liegen, gibt den amerikanischen Befürchtungen Raum, die Liberalisierungsbestrebungen in Europa würden zu langsam vorangetrieben und hätten nicht das gewünschte Ausmaß. Die Europäer im Gegenzug werfen den Amerikanern vor, ihre "open sky policy" gelte nur für die eigenen Fluggesellschaften, die Europäer seien in Amerika eher mit einem "geschlossenen Himmel" konfrontiert130• Die Amerikaner scheinen in der Tat bestrebt, die Stagnation der heimischen Flugdienste durch eine expansive Politik im europäischen Markt auszugleichen, um ihre Überkapazitäten abzubauen. Dort wird ihnen unfaire Preispolitik vorgeworfen, sei dies durch Ausnutzung ihrer Reservierungsmonopole, sei dies durch unkontrollierte Ausdehnung ihrer Flugdienste. Die Europäischen Fluggesellschaften sind sich ihrer Schwierigkeiten durchaus bewußt und suchen deshalb sowohl auf europäischem Terrain als auch außerhalb des Binnenmarktes Fusionspartner, um den "amerikanischen Gefahren" zu trotzen 131 • Primär liegt ihnen die Beseitigung der Unausgewogenheit in den bilateralen Luftverkehrsabkommen am Herzen, die die Chancengleichheit auf der Nordatlantik-Route verhindere. Die europäischen Gesellschaften sollten in gleichem Maße Zugang zum amerikanischen Markt haben wie die amerikanischen ,,Megacarriers" "Delta Airlines"132, ,,American Airlines" und "United Airlines" zum europäischen 133• Ansonsten könnte keine gerechte Wettbewerbssituation aufgebaut werden. Speziell für die Lufthansa stellt sich die bilateral ausgehandelte Situation 134 als besonders krass heraus. Danach dürfen die Amerikaner Vgl. Kapitel 8 der Arbeit. So Lufthansa-,.Chef' Weber bei seinem ersten Besuch in Washington, vgl. ,.Die Lufthansa hofft auf mehr Gleichberechtigung in Amerika. Unausgewogenheit der bilateralen Verkehrsabkommen soll beseitigt werden", in: FAZ vom 22.1.1992, S. 13. 131 Durch die Fusion mit den französischen Carriers Air Inter und UTA wuchs Air France zu Europas größtem Luftfahrtkonzern. Die drei kleinen Fluggesellschaften SAS, Swissair und Austrian Airlines schlossen sich zur Europäischen Qualitätsallianz zusammen. Die Fusionsverhandlungen zwischen British Airways und KLM sind jedoch zu Beginn des Jahres 1992 gescheitert; vgl. Loppow, "Kranich auf Brautschau. Die Renommierlinie ist ins Trudeln geraten - jetzt soll ein starker Partner helfen", in: Die Zeit Nr. 11 vom 6.3.1992, S. 32. 132 Nach dem Aufkauf der Pan-Am-Routen ist die Gesellschaft "Delta Airlines" der größte Konkurrent für die europäischen Fluggesellschaften auf dem europäischen Markt geworden. 133 Für die Situation der Lufthansa vgl. "Lufthansa sucht Partner im US-Markt", in: SZ vom 23.1.1992, S. 26. 134 Das Abkommen vom 7.7.1955 über den Luftverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, Gesetz vom 4.4.1956 129

130

5 Baumann

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

alle deutschen Flughäfen anfliegen, es wurde ihnen sogar das Recht der fünften Freiheit zugestanden 135, d.h. sie dürfen auf ihren deutschen Zielflughäfen Passagiere zur Weiterbeförderung in Drittländer aufnehmen 136 • Die Lufthansa hat in den USA dagegen nur zehn sogenannte .,Gateways" (Anlaufpunkte) und ist deshalb umso mehr auf Zubringer für die Weiterflüge angewiesen. Problematisch an der deutschen Argumentation ist jedoch, daß von seiten der Lufthansa nicht die Erweiterung des Zugangs zu neuen .,Gateways" gefordert wird, sondern vielmehr die Einschränkung der Rechte der amerikanischen Fluggesellschaften auf deutschem Gebiet verhandelt werden soll. Dagegen wehren sich die amerikanischen Carrier, die vor allem in den neuen Bundesländern Märkte finden, in denen sie stark expandieren können. Ob sich daher an der bestehenden Situation in Kürze etwas ändern wird, scheint fraglich. Überkapazitäten auf dem deutschen Markt würden jedoch voraussichtlich vergleichbar der Situation auf den Nordatlantikrouten zu ruinösen Preiskriegen führen. Zur Zeit sind die von europäischen Carriers bedienten Langstreckenmärkte zumindest noch teilreguliert, Frequenzen sind bilateral ausgehandelt und die Tarife unterliegen zumindest noch der Genehmigung des Ausgangslandes des Fluges. Parallel zur Liberalisierung des Binnenluftverkehrs in Europa soll auch der internationale Luftverkehr voll liberalisiert werden. Die Ängste der Europäer vergrößern sich mit zunehmender Liberalisierung des Weltluftverkehrs137. Die Ausgangsbedingungen der amerikanischen Megacarrier scheinen günstiger. Deshalb wächst die Forderung in Europa, zunächst den Binnenmarkt vollständig zu verwirklichen, bevor den internationalen Luftverkehrsgesellschaften Zugeständnisse gemacht werden. Im Hinblick auf die Auswirkungen der .,open sky"-Politik auf den USamerikanischen Markt war die EG schon früh geneigt, sich von Extremen femzuhalten. Ob sie jedoch den geeigneten Mittelweg gefunden hat, wird erst die Zukunft zeigen.

(BGBI II S. 403) wurde zwar zwischenzeitlich ergänzt, unterschiedet sich jedoch kaum von seinem ursprünglichen Konzept. m Freiheiten der Luft vgl. Anlage I der Arbeit. 136 In mehr als 50% aller Flüge wird dieses Recht der fünften Freiheit genutzt, vgl. SZ-Gespräch mit Lufthansa-Chef Jürgen Weber, ,.Mehr Qualität, Innovationen und weltweite Allianzen", in: SZ Nr. 263 vom 14.11.91, S. 32. 137 Braure, Perspectives nouvelles pour !es lignes aeriennes europeennes, ETL 1989, s. 441 ff. (443).

3. Kap.: Luftverkehrspolitische Außenbeziehungen der EU

67

U. Verhältnis der Europäischen Union zur European Free Trade Organization - EFTA Zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Freihandelszone EFfA bestehen schon seit jeher enge Verbindungen, was sich allein schon durch die geographische Nähe, aber auch durch politische Interessen erklären läßt 138• Insbesondere auch Dänemark als einerseits EU-Mitglied, andererseits kulturell eng mit den nordischen Staaten verbundenes Land trat häufig als Initiator politischer Aktionen in Erscheinung 139• Im Luftverkehrsbereich spielte vor allem eine Rolle, daß Dänemark zusammen mit Norwegen und Schweden Anteile an der europäischen Luftverkehrsgesellschaft SAS hält. Der Vertrag zur Gründung eines Europäischen Wirtschaftsraumes wurde am 22. Oktober 1992140 vereinbart. Der Vertrag soll die Annäherung der beiden Wirtschaftsräume in vielerlei Hinsicht dokumentieren bzw. für die Zukunft weiter garantieren 141 • Verständlicherweise gilt dies nicht nur für die klassischen Bereiche wie Waren- und Dienstleistungsbereich, Kapitalverkehr und Personenverkehr, sondern gleichermaßen für Bereiche, die eng mit diesen verknüpft sind, also auch beispielsweise für den Luftverkehrsmarkt De facto werden damit die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft auf das Gebiet von insgesamt 19 Staaten erstreckt (extraterritoriale Kompetenzerweiterung der EG, nicht aber der EFfA). Wettbewerbsrechtliche Probleme werden dabei überwiegend durch den Vertrag zugunsten einer Entscheidungskompetenz der Kommission gelöst werden 142• Im Luftverkehrsbereich hat die Kommission der Europäischen Union überdies schon im Jahre 1990 ein Memorandum über die Eröffnung von Verhandlungen zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelszone 143 veröffentlicht, verbunden mit einer Empfehlung für eine Entscheidung des Rates 144 • Das Europäische Parlament legte am 12. Juni 138 Ewig, The Development of Relations Between the European Community and EFfA in the Perspective of Post-1992, S. 185 ff. ( 185). 139 Wallace, EG und EFfA: Mehr als nur gute Nachbarn?, Integration 11 (1988), S. 150 ff. (152); Schmid, Der europäische Luftverkehr auf dem Weg in den Binnenmarkt, EuZW 1991, S. 19 ff. (20). 140 EWR-Vertrag. Erste Fassung vom 24.10.1991; Neufassung (mit Revision des institutionellen Teils) vom 14.2.1992. 141 Ewig, The Development of Relations Between the European Community and EFfA in the Perspective of Post-1992, S. 185 ff. (186 ff.). 142 Vgl. Kuznicki, Tagungsbericht ,European Air Law Association, 1992 Annual Conference: Recent Developments in EC Air Transport Law and Policy (Rome, 6. November 1992)', ZLW 1993, S. 73 ff. 143 Ausführlich Loewenstein, European Air Law, S. 99. 144 Empfehlung für eine Entscheidung des Rates über die Ermächtigung der Korn-

68

l. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

desselben Jahres eine Entschließung zur Aufnahme von Verhandlungen zwischen der Gemeinschaft und den EFTA-Staaten über Liniendienste in der Passagierluftfahrt vor145 • Die Notwendigkeit, parallel zur Verwirklichung des Binnenmarktes im Zivilluftfahrtbereich die bestehenden Luftfahrtabkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und dritten Ländern schrittweise durch von der Gemeinschaft geschlossene Abkommen zu ersetzen, wurde insbesondere angesichts der engen Verflechtung von EG und EFfA 146 unterstrichen. Zuvor hatten schon alle EFTA-Staaten darum gebeten, Verhandlungen auf der Grundlage des Maßnahmenpaketes vom 14. Dezember 1987 147 aufzunehmen 148 • Sie betonten, daß die skandinavischen Länder, darunter auch Finnland, keine Schwierigkeiten haben würden bei der Verwirklichung der von der EG vorgegebenen Regeln. 149 Problematisch ist allerdings die Verteilung der Flugrechte innerhalb der Gemeinschaft. Die neu ausgehandelten Rechte müßten theoretisch allen EUFluggesellschaften anteilmäßig zustehen. Dies würde jedoch dem Recht des Vertragspartners (Nicht-EU-Staates) zuwiderlaufen, frei über sein Hoheitsgebiet zu verfügen. Er muß sich aussuchen dürfen, welchem Staat bzw. welcher Fluggesellschaft er Start- und Landerechte erteilt150• Zugleich besteht bei den Nicht-EU-Mitgliedern die Befürchtung, sie würden vom europäischen Luftverkehrsmarkt verdrängt, nachdem der Vertrag von Maastricht in Kraft getreten ise 51 • Im liberalisierten Markt der EU wäre eine Art "most favoured carrier clause" 152, d.h. jedem FlugdiensterbringeT jene Zugeständnisse zu machen, die zuvor einem anderen gemacht wurden, wünschenswert. mission zu Verhandlungen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den EFTA-Ländern über planmäßige Passagierflugverkehrsdienste, KOM (90)18 endg., vorgelegt am 14.2.1990 (Dok. DE II 07). 14s Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12.6.1990, ABI. EG Nr. C 175 vom 16.7.1990, S. 54 ff. 146 Ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft (Scandinavian Airlines System SAS) ist außer in Dänemark gleichzeitig in zwei EFTA-Staaten (Norwegen und Schweden) niedergelassen; dazu Sundström/Stahle, Regulation of Civil Aviation in Scandinavia, S. 285 ff. (294). 147 Vgl. Kapitel 7 der Arbeit. 141 Sundström I Stahle, Regulation of Civil Aviation in Scandinavia, S. 285 ff. (286); "EG-Luftfahrt-Abkommen mit Oslo und Stockholm", in: SZ vom 9.10.1991, S. 32. 149 Sundström/Stahle, ebd., S. 285 ff. (301); Guldimann, Changing relations between the European Community and international civil aviation organizations, S. 177 ff. (179); Johansson, The Future of EFTA-EC Relations, S. 193 ff. (195); Wisdorf, "Nur die Efta-Staaten sind fit genug", in: Handelsblatt Nr. 64 v. 31.3.1992, S. 2. tso Dazu auch Haanappel, Changes in bilateral air transpoft agreements between EEC Member States and countries outside Europe, S. 135 ff. (142 f.). tst S~rensen, The Air Transport Policy of the EEC, ETL 1989, S. 411 ff. (418). 1s2 Lipman, The impact of Europe's internal market on the airlines, S. 65 ff. (68).

3. Kap.: Luftverkehrspolitische Außenbeziehungen der EU

69

F. Die Auswirkungen der europäischen Luftverkehrspolitik auf bilaterale Luftverkehrsabkommen Angesichts des gemeinsamen Binnenmarktes und insbesondere angesichts der jüngst ergangenen Urteile des EuGH ,,Nouvelles Frontieres" und ,,Ahmed Saeed"153 ist an die Neu- bzw. Umgestaltung der bilateral von den Mitgliedstaaten ausgehandelten Abkommen zu denken. Die Kommission plädierte von Anfang an dafür, daß die Mitgliedstaaten künftig die Verhandlungen im Bereich des Luftverkehrs auf die Gemeinschaft delegieren sollten 154• Dies begründete sie nicht nur damit, daß sie als "übergeordnete Instanz" eine stärkere Verhandlungsposition als die einzelnen Mitgliedstaaten innehabe. Vielmehr hielt sie die bisherigen bilateralen Abkommen schon für nicht für EG-rechtskonform und hat gegenüber den Mitgliedstaaten mehrfach die Forderung erhoben, sie möchten die Luftverkehrsabkommen ändern beziehungsweise anpassen. Insbesondere die bilaterale Festlegung der Kapazitätsanteile ist nach ihrer Auffassung nicht mehr vereinbar mit den Grundsätzen des Binnenmarktes und verstößt gegen Art. 5 und 85 EGV. Die Beschränkungen in solchen Vereinbarungen sind deshalb schrittweise abzubauenm. Ähnliches gilt für die Tarifvereinbarungen, Marktzugangsbeschränkungen etc. Tendenziell werden innerhalb der Gemeinschaft die nationalen bilateralen Abkommen schrittweise durch EU-Abkommen ersetzt werden 156• Die Konsequenz für Drittstaaten ist jedoch noch nicht absehbar. Diese hätten grundsätzlich nur noch mit der Gemeinschaft zu verhandeln, d.h. langwierige Vertragsaushandlungen mit zwölf Staaten entfielen. Andererseits ist fraglich, ob die EU bereit ist, dieselben Zugeständnisse zu machen wie zwölf Einzelstaaten. Insbesondere Tariffindungsklauseln wären ausgeschlossen, weil sie mit dem EG-Wettbewerbsrecht nicht in Einklang stehen. Unabhängig davon, wie die Gemeinschaft die Vertragsverhandlungen mit Drittstaaten betreibt, ist langfristig jedenfalls mit einer Änderung der inhaltlichen Ausgestaltung der bilateralen Verträge zu rechnen1S7. Dazu in Kapitel 6 der Arbeit. Haanappel, The external aviation relations of the EEC and of EEC Member States into the twenty-first century, AL 1989, S. 69 ff. (70). m Vgl. VO Nr. 2343/90 des Rates vom 24.7.1990, abgelöst durch die VO Nr. 2408/92 des Rates vom 23.7.1992 - dazu Kapitel 7 der Arbeit; vgl. auch Schmid, in: Giemulla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, Einf. Rn. 50; Gherson, Practical implications of "1992" for the re-negotiation of bilateral air services agreements within the European Community, S. 145 ff. (147). 156 Loewenstein, European Air Law, S. 159. 157 Schmid, Der europäische Luftverkehr auf dem Weg in den Binnenmarkt, EuZW 153

154

70

l. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

G. Exkurs: Luftverkehr als Dienstleistung im GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) In den achtziger Jahren intensivierte sich die Diskussion um die Einbeziehung der Dienstleistungen in das GATT. Dienstleistungen, d.h. Bankwesen, Telekommunikation, Handel mit Versicherungen, Rechtsanwaltswesen, Reiseagenturen, Seeschiffahrt und schließlich Luftfahrt waren vom GATI als multilateralem Vertragswerk zur Regelung des grenzüberschreitenden Handels nicht erfaßt. Dieser Entwicklung mit der wahrscheinlichen Konsequenz der Liberalisierung des Dienstleistungsgewerbes wollten sich die Entwicklungsländer lange Zeit entziehen. Nach zähen Verhandlungen, insbesondere der USA mit den Schwellen- und Entwicklungsländern, wurde mit der Ministererklärung von Punta del Este, Uruguay, 158 die achte große Verhandlungsrunde des GATT eröffnet159• Diese Runde bezog auf Initiative der USA 160 erstmals neue und umstrittene Themen wie Dienstleistungen, den Schutz geistiger Eigentumsrechte und handelsbezogene Aspekte internationaler Investitionen in die Verhandlungen ein. Die Entwicklungsländer konnten sich gegen die Einbeziehung dieser Materien kaum wehren, zumal ihnen im Vorfeld deutlich gemacht wurde, daß die Industrieländer zu Zugeständnissen auf dem Agrarsektor nur bereit waren, wenn die Entwicklungsländern ihrerseits zu Konzessionen in anderen Bereichen - beispielsweise bei der Gewährung ausreichenden Schutzes geistigen Eigentums - bereit sind 161 • Die Entwicklungsländer behaupteten sich mit ihrer Forderung der strikten Trennung der Dienstleistungen von den übrigen Materien des GATT. So wurde in der Uruguay-Runde in zwei Gruppen getrennt verhandelt: in der Group of Negotiations on Services (über den Handel mit Dienstleistungen) und in der traditionellen Group of Negotiations on Goods (über den Handel mit Waren). Die Verhandlungspartner waren sich einig, daß so neben dem traditio1991, S. 19 ff. (20); Haanappel, Deregulation of Air Transport in North America and Western Europe, S. 89 ff. (114). 1s8 GATI Doc./1369 (Ministerial Meeting, September 1986), abgedruckt in GATI, Activities 1986, Genf 1987, S. 15 ff. 1s9 Dazu Witt, Die Uruguay-Runde. Auf dem Weg zu einem verbesserten Welthandelssystem?, EA 1988, S. 41 ff.; ausführlich hierzu Oppermann/Molsberger (Hrsg.), A New GATI for the Nineties and Europe '92. 160 nicht nur um dem GATI zu neuer Bedeutung zu verhelfen. Entscheidend war vielmehr, daß der Senat bewogen werden mußte, ein Verhandlungsmandat zu erteilen. Dieser war dazu am ehesten bereit, wenn zu erwarten war, daß die Interessen der heimischen Industrie berücksichtigt werden bzw. diesen zum Durchbruch verholfen wird. 161 Windfuhr, Dritte Welt unter den Rädern des GATI, in: GAlT-briefing 1/90, s. 3 ff. (3).

3. Kap.: Luftverkehrspolitische Außenbeziehungen der EU

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nellen GATT eine Art ,,Nebenvertrag" entstehen würde, ein "assoziiertes Dienstleistungs-GATT". Im Rahmen dieses GATS (General Agreement on Trade in Services) kommen sämtliche GATT-Prinzipien zur Anwendung, also beispielsweise die Prinzipien der Inländerbehandlung (Art. III GATI) und der Meistbegünstigungsklausel (Art. I GATI). Auch im Luftverkehrsbereich müßten sich die Staaten und damit die nationalen FlugdiensterbringeT auf diese Rechte berufen können 162. Den ausländischen Luftverkehrsunternehmen müßten also die seihen Rechte eingeräumt werden wie den heimischen, was Strecken, Kapazität, Marktzugang und Verkehrs- oder Tarifgestaltung betriffe63. Nachdem die Amerikaner zu Beginn der GATT-Verhandlungen in der Uruguay-Runde stets die Forderung vertreten hatten, alle Dienstleistungsbereiche, also auch der Luftverkehr164, sollten im GATT diskutiert werden, änderte sich aufgrund des Drucks der heimischen Luftverkehrsindustrie rasch ihre Haltung 165 . Bisher waren auf dem Gebiet des Luftverkehrs die amerikanischen Flugdiensterbringer weit bessergestellt als die der anderen Staaten 166. Sie wollten daher den Luftverkehr weiterhin bilateral geregelt sehen und übten auf die Verhandlungspartner im GATT, die teilweise schon mit der Einbeziehung einverstanden gewesen waren 167, Druck dahingehend aus, das bila162 Haanappel, The future relations between EEC institutions and international organizations working in the field of civil aviation, AL 1990, S. 317 ff. (318); Kalshoven-van Tijen, Recent Developments in EEC aviation law: "the second phase", AL 1990, S. 122 ff. (137). Die Rechte aus dem GATI-Vertrag können jedoch nicht von Individuen geltend gemacht werden, vgl. Petersmann, Application of GATI by the Court of Justice of the European Communities, CMLRev 1983, S. 397 ff. (424). 163 Vgl. Wassenbergh, Opening the skies The EEC and third countries. EEC external civil aviation competence and GATS, AL 1990, S. 307 ff. (310); Mifsud, New proposals for new directions: 1992 and the GATI approach to trade in services, AL 1988, S. 154 ff. (155). 164 Zur Diskussion der Dienstleistungen im Luftverkehrssektor Baccelli, Le droit au transport aerien comme liberte fondamentale de Ia personne, AnnASL 1989, S. 3 ff. (9 ff.); Kurz, Regulierung und Innovation im Luftverkehr, S. 3. 165 Barbin, Le GATI et le transport aerien, RFDAS 1990, S. 33 ff. (37); Falke, Veränderte amerikaDisehe Einstellungen zur EG. Der Binnenmarkt und die GAlTVerhandlungen, EA 1991, S. 190 ff. (197); dazu auch Creedy, Should air transport be in or out GATI?, lnteravia Aerospace Review 45 (September 1990), S. 716 ff.; zur OS-amerikanischen Position vgl. Platt, The Creation of a Community Cabotage Area in the European Community and its Implications for the US Bilateral Aviation System, ASL 1992, S. 183 ff. (193 ff.).

166 Mifsud, New proposals for new directions: 1992 and the GATI approach to trade in air transport services, AL 1988, S. 154 ff. (160). 167 Der EG-Ministerrat erteilte der Kommission ein weitreichendes Verhandlungsmandat, das alle Dienstleistungsbereiche umfaßte, vgl. Wassenbergh, The application of international trade principles to air transport, AL 1987, S. 84 ff. (85); Luyten,

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

terale Regelungssystem (doch) beizubehalten. Damit war der Weg geebnet für die Beibehaltung des bisherigen Systems mit allen überkommenen anachronistischen Regulierungstheorien. Die Chance, den Luftverkehr in einem multilateralen Freihandelssystem 168 nationalstaatliehen Interessen, d.h. dem "primitiven Tauschhandel" 169 zu entziehen und dadurch den internationalen Liberalisierungsprozeß in Gang zu bringen, war vertan worden. 4. Kapitel

Das Konzept zur Entwicklung einer gemeinsamen Luftverkehrspolitik Der Verkehr, insbesondere der Luftverkehr, ist wie kein anderer Wirtschaftszweig darauf angelegt, grenzüberschreitend eingesetzt zu werden. Die Ordnung des Luftverkehrs kann deshalb gezwungenermaßen nicht dem nationalen Gesetzgeber überlassen bleiben. Schon frühzeitig versuchten die einzelnen Staaten, den grenzüberschreitenden Luftverkehr international durch multilaterale Verträge zu regeln. Trotz ihrer grundsätzlichen Regelungsbereitschaft nahmen die Nationalstaaten jedoch keinen Abstand von nationalistischen Bestrebungen nach dem größtmöglichen Verkehrsangebot Auch heute noch charakterisiert diese Haltung die verkehrspolitische Einstellung der allermeisten Staaten 1• Der grundlegende Dissens über Freiheie und Dirigismus3 in der Verkehrswirtschaft hat die gemeinsame Verkehrspolitik über Jahre gelähmt. Staatliche Regulierungsmaßnahmen wurden vor allem mit Hilfe folgender Instrumente vorgenommen4 : A View from a Fortress that never was, S. 275 ff. (279); Falke, Veränderte amerikanische Einstellungen zur EG. Der Binnenmarkt und die GATT-Verhandlungen, EA 1991, S. 190 ff. (197). 168 Die einzelnen Vorschläge zur Umgestaltung des derzeitigen Systems von Jackson, Wassenbergh und Kasper umfassend dargestellt bei Mifsud, New proposals for new directions: 1992 and the GATT approach to trade in air transport services, AL 1988, S. 154 ff. (insb. 166 ff.). 169 Zit. Wassenbergh, The ,.right to fly" and the ,.right to carry traffic by air" in international air transportation, after 40 years, S. 215 ff. (228). 1 Basedow, Verkehrsrecht und Verkehrspolitik als europäische Aufgabe, in: ders., Europäische Verkehrspolitik, S. I ff. (8). 2 Vier Grundfreiheiten hat der EGV vorgegeben. 3 Zu den Regulierungsinstrumenten Baldwin, Regulating the Airlines Administrative Justice and Agency Discretion, 1985. 4 Aberle, Die ökonomischen Grundlagen der europäischen Verkehrspolitik, S. 29 ff. (38 f.).

4. Kap.: Das Konzept einer gemeinsamen Luftverkehrspolitik

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Festsetzung und Abstimmung der Preise der konkurrierenden Verkehrsunternehmens Begrenzung des Marktzutritts durch Konzessionierung und Festsetzung von Kontingenten beim Angebot staatliche Überwachung der Preis- und Kapazitätspolitik staatliche Auflagenerteilung6 direkte Beeinflussung der Investitions-, Preis- und sonstigen Marktpolitik Beeinflussung der relativen Wettbewerbsfähigkeiten über die staatliche Infrastrukturpolitik. Erst in den letzten Jahren wurde auf Gemeinschaftsebene über das Konzept einer gemeinsamen Luftverkehrspolitik Konsens erzielt. Leitgedanken der europäischen Luftverkehrspolitik bestimmten die Aufstellung eines möglichst liberalen Ordnungsrahrnens, um den Wettbewerb zu erhöhen und die Dienstleistungsfreiheit auch auf dem Gebiet des Verkehrs zu realisieren7 • Die Entwicklung einer gemeinsamen Luftverkehrspolitk sollte sich auf drei verschiedenen Stufen vollziehen.

A. Anpassungsmaßnahmen Primär sind Anpassungsmaßnahmen erforderlich, um zwei gänzlich verschiedene Rechtssysteme in Einklang zu bringen: das internationale Luftrecht mit multinationalen völkerrechtlichen Abkommen und den von den Staaten geschlossenen bilateralen Verträgen mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht8. Auch die nationalen Regelungen müssen in diese Überlegungen einfließen. Dabei müssen Strukturbesonderheiten des Luftverkehrs angemessen berücksichtigt werden9. Schon zu Beginn der 70er Jahre stellte die EG Überlegungen bezüglich ihrer Mitwirkung oder doch zumindest Repräsentanz in Internationalen Orgas Gwilliam, The Transport Infrastructure Policy of the EEC, S. 477 ff. (492). Gwilliam, ebd., S. 477 ff. (495 f.). 7 Beraterkreis der Landesregierung zu EG-Fragen, Baden-Württemberg im Europäischen Binnenmarkt 1992. Bericht erstellt im Auftrag der Landesregierung von BadenWürttemberg, S. 55 Rn. 208; Wägenbaur, Wettbewerbsregeln, Diskriminierungsverbote und Angleichung der Wettbewerbsbedingungen im Verkehr, S. 85 ff. (99); Heynen, Ordnungs- und strukturpolitische Gestaltungselemente zur Erstellung eines neuen luftverkehrspolitischen Konzepts unter besonderer Berücksichtigung des Luftverkehrs in Europa und Nordamerika, S. 144 ff. 8 Naveau, Vorwort in Estienne-Henrotte, L'application des regles generales du traite, S. XV. 6

9

So Weber, Die Zivilluftfahrt im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 355 ff.

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

nisationen von luftverkehrspolitischer Bedeutung an 10• Sowohl im Rahmen der ICAO als auch in der ECAC hat sie den Status einer Beobachterin. Sie hat also das Recht, an Sitzungen, die auch von Bedeutung für die Europäische Gemeinschaft sind, teilzunehmen bzw. wird über diese unterrichtet. Schwierigkeiten bereitet jedoch nicht die Mitgliedschaft der EU-Mitgliedstaaten in Internationalen (Luftrechts-)Organisationen, sondern vielmehr die bilateralen Abkommen der Mitgliedstaaten, die geltendem Gemeinschaftsrecht, was Kapazitätsrechte, Flottenzugangsrechte, Poolverträge, Abkommen über Vertriebswege etc. betrifft 11 , widersprechen. Jede Vereinbarung müßte nach Inhalt und Regelungsgegenstand im Verhältnis zum EGV untersucht werden. Schwierigkeiten könnten sich insbesondere auch im Hinblick auf die IATA-Tarif-Resolutionen ergeben.

B. Harmonisierungsmaßnahmen Erforderlich sind weiter Harmonisierungsmaßnahmen, um durch die Angleichung von innerstaatlichen Vorschriften eine Vereinfachung des europäischen Luftverkehrssystems durch größere Einheitlichkeit zu erzielen 12 • Dabei könnte an bereits bestehende Vorschläge angeknüpft werden. Seit Gründung der Europäischen Gemeinschaft wird über die Notwendigkeit, den Sinn oder Unsinn, das Ausmaß von Harmonisierungsmaßnahmen etc. kontrovers diskutiert13• Die Rechtsangleichung ist primär zum Abbau von Hindernissen im Gemeinsamen Markt erforderlich 14• Dabei bereiten jedoch die unterschiedlichen Traditionen und Wertvorstellungen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen und die unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten erhebliche Schwierigkeiten und fordern einen langwierigen Anpassungsprozeß15 • 10 11

Dazu s.o. Kapitel 3 der Arbeit. Becher, Die Luftfahrt und die Europäische Gemeinschaft, ZLW 1980, S. 189 ff.

(202 f.). 12 Vignes, The Harmonization of National Legislation and the EEC, ELRev 1990, S. 358 ff. (360); van den Oosterkamp, Deregulering en de Europeses Gemeenschap; de Aanwijzingen inzake toetsing van regelgeving op Europees niveau, SEW 1988, s. 229 ff. (239). 13 Ausführlich Müller-Graf!, Die Rechtsangleichung zur Verwirklichung des Binnenmarkts, EuR 1989, S. 107 ff. (110 ff.).

Eiden, in: Bleckmann, Europarecht, Rn. 1507. Bruha, Rechtsangleichung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, ZaöRV 1986, S. 1 ff. (3); Everling, Zur Funktion der Rechtsangleichung in der Europäischen Gemeinschaft, S. 227 ff. (235); Basedow, Der europäische Verkehrsmarkt als Rechtsproblem, TranspR 1989, S. 402 ff. (406 f.). 14

1~

4. Kap.: Das Konzept einer gemeinsamen Luftverkehrspolitik

75

Die Rechtsangleichung erfolgt in der Regel nach Art. I 00 Abs. I EGV, wonach der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission Richtlinien für die Angleichung 16 derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten erläßt, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der durch die Einheitliche Europäische Akte neu geschaffene Art. I OOa EGV, der die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben, unter erleichterten verfahrensmäßigen Bedingungen vorsieht. In der Praxis verdrängt der Art. IOOa EGV den Art. 100, nachdem er alle Rechtsaktstypen (nicht nur die Richtlinie) als Harmonisierungsinstrumente zuläßt, Einstimmigkeit hierbei nur noch in ganz bestimmten Fällen verlangt und den Mitgliedstaaten unter gewissen Bedingungen die Möglichkeit erteilt, von den im Angleichungsakt festgelegten gemeinschaftlichen Standards abzuweichen 17• Die Praxis des Gemeinschaftsrechts im Verkehrsbereich zeigt, daß die Rechtsform der Verordnung beim Erlaß von Rechtsvorschriften überwiegt. Handelt es sich jedoch um reine "Harmonisierungsmaßnahmen", so wird die Form der Richtlinie gewählt 18, die den Nationalstaaten eine gewisse Autonomie und einen eigenen Spielraum bei der Umsetzung beläßt (Art. 189 Abs. 3 EGV). In Frage kommt ebenfalls die durch Art. 155 UAbs. 4 EGV eröffnete Möglichkeit, daß der Rat sich auf den Erlaß einer Rahmenregelung beschränkt und die Kommission mit der Aufgabe betraut, Durchführungsbestimmungen zu erlassen. Beispiele solcher Harmonisierungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Luftverkehrs sind die Richtlinie des Rates zur gegenseitigen Akzeptanz der Befähigungszeugnisse für die Ausübung von Tätigkeiten in der Zivilluftfahrt19 oder die Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der technischen Vorschriften und Verfahren für die Zivilluftfahrzeuge20•

16 Wird nach allgemein herrschender Meinung gleichgesetzt mit "Koordinierung" und "Harmonisierung" von Rechtsvorschriften, vgl. Eiden, in: Bleckmann, Europarecht, Rn. 1510 m.w.N. 17 Dauses, Die rechtliche Dimension des Binnenmarktes, EuZW 1990, S. 8 ff. (9). 18 Zum Problem der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien vgl. Louis, Die Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft, S. 134 ff. 19 Noch nicht erlassen, Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates KOM(89) 472 endg., ABI. EG Nr. C 10 vom 16.1.1990, S. 12 ff., dazu Kapitel 8. 20 Noch nicht erlassen, Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates KOM(89) 442 endg., ABI. EG Nr. C 270 vom 26.10.1990, S. 3 ff., vgl. Kapitel 8.

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

C. Integrationsmaßnahmen im engeren Sinne Integrationsmaßnahmen im engeren Sinne müßten als dritte Maßnahme folgen, um über Anpassung und Harmonisierung hinaus die Einführung und Entwicklung einer gemeinsamen Politik zu erreichen. Diese soll sowohl nach innen, im Rahmen der Gemeinschaft, als auch nach außen gegenüber Drittstaaten angewendet werden und letztlich auf den schrittweisen Abbau der Schranken zwischen den nationalen Luftverkehrsmärkten der Mitgliedstaaten abzielen. Obwohl in vielen Bereichen noch keine ausreichenden Harmonisierungsregeln erlassen wurden, ist seit 1987 mit den ersten Maßnahmenpaketen das integrative Recht in Angriff genommen worden21 • Der Erlaß integrativer Gemeinschaftsregeln würde durch vorherige Harmonisierungsmaßnahmen erleichtert, es ist jedoch nicht zwingend, daß Vereinheitlichungen im technischen Bereich o.ä. der eigentlichen EG-Rechtsetzung im engeren Sinne vorausgehen. 5. Kapitel

Die Marktpositionen der Europäischen Fluggesellschaften A. Verflechtungen der Europäischen Luftverkehrsgesellschaften Schon bevor der Gedanke des Gemeinsamen Binnenmarktes überhaupt existent wurde, hatten die europäischen Fluggesellschaften ihre Allianzen gebildet 1• Dabei wurden sie in der Vergangenheit von der Kommission wenig kritisiert2 • Auch die nationalen Kartellbehörden waren recht großzügig zugunsten ihrer nationalen Carrier, ging es doch häufig um deren wirtschaftliche Stellung und langfristig um deren Existenzsicherung.

Dazu Kapitel 7 der Arbeit. Die Verflechtungen der Luftverkehrsgesellschaften weltweit (Stand: Nov. 1990) sind umfassend dargestellt bei Schmid, in: Giemulla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, Einf. S. 62 ff., bzw. bei Pilling, Airline Alliances Revel in Open Skies, interavia 46 (Oct. 1991), S. 46 f. (47). S.a. Vellas, Cooperation internationale et stratt~gies des compagnies aeriennes dans une conjoncture de crise, RFDAS 1993, s. 15 ff. 2 Dutheil de Ia Rochere, Le contröle communautaire des restructurations d'entreprises comme instrument d'une politique de l'aviation civile, RFDAS 1993, S. 389 ff. 21

1

5. Kap.: Die Marktpositionen der europäischen Fluggesellschaften

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Kooperationen schlagen sich nieder in Joint Ventures3, Streckenbedienungsvereinbarungen, Marketing-Allianzen, selbst tatsächliche Verschmelzungen4 sind nicht mehr außergewöhnlich5• Hinter letzteren verbirgt sich die einzige Möglichkeit, starken Konkurrenzsituationen "doch noch" Stand zu halten. Prinzipiell dienen Kooperationen jedoch der Kostensenkung des Luftverkehrsbetriebes6. Entweder befinden sich solche strategischen Allianzen am Rande der Legalität oder schon im Bereich des Kartellverbots7 • Die Idee der Vollendung des Binnenmarktes mit der beabsichtigten Herstellung eines freien und wettbewerbsorientierten Markts, wurde zwar von allen Mitgliedstaaten betont. Trotzdem bestand die Gefahr, daß die Idee durch die meist mehrheitlich in staatlichem Eigentum stehenden nationalen Fluggesellschaften vereitelt würde. Schon im Vorfeld des Gemeinsamen Binnenmarktes versuchten die Luftverkehrsgesellschaften nämlich, Kooperationspartner zu finden 8 • Die Kommission äußerte jedoch vielfach die Befürchtung, daß gerade die Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen und die Sicherung deren Überlebens durch die Existenz von Großcarriern wie in den USA vereitelt wird9 • Statt einer wettbewerbsorientierten Marktstruktur wäre ein oligopolistischer Markt, geschaffen durch Fusionen und Zusammenschlüsse, in Buropa vorherrschend 10•

3 Sog. Gemeinschaftsunternehmen mit oder ohne eigener Rechtspersönlichkeit, vgl. Drauz, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlennann, Komm. zum EWGV, Art. 85 Rn. 62. 4 Zum Begriff der vollen Fusion vgl. Schröter, in: von der Groeben/Thiesingl Ehlennann, Komm. z. EWGV, Art. 85 Rn. 167. 5 Lipman, The impact of Europe's internal market on the airlines, S. 65 ff. (66). 6 Genauer Videla Escalada, Considerations on the legal regulation of air transport in the near future, AL 1990, S. 140 ff. (142 ff.). 7 Klaue, Strategische Allianzen zwischen Wettbewerbern, 88 1991, S. 1573 ff. (1577). 8 Fast täglich finden sich Pressemitteilungen über geplante Kooperationen, Marktanteilsübernahmen o.ä. Im einzelnen auch Sclunid, in Giemulla/Sclunid, Europäisches Luftverkehrsrecht, Einf. Rn. 92; Dutheil de la Rochere, Le contröle communautaire des restructurations d'entreprises comme instrument d'une politique de l'aviation civile, RFDAS 1993, S. 389 ff. 9 Dazu Dempsey, Airline Deregulation and Laissez-Faire Mythology: Economic Theory in Turbulence, JALC 56 (1990/91), S. 305 ff. (392). Eine Tabelle über "Major Air Carrier Mergers" findet sich bei Goetz/Dempsey, Airline Deregulation Ten Years After: Something Foul in the Air, JALC 54 (1988/89), S. 927 ff. (939). 10 Zu dem "Phänomen" der Unternehmenskonzentration vgl. Berendt, Die Entwicklung der Marktstruktur im internationalen Luftverkehr, S. 66 ff.

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

Seit einiger Zeit beurteilt die Kommission deshalb die ,,Zusammenarbeit" und "Kooperationen" der europäischen Fluggesellschaften wesentlich kritischer. Sie will diese zwar nicht gänzlich untersagen, man kann ihr jedoch eine gewisse Sensibilität in diesem Bereich nicht mehr absprechen 11 • So läßt sich ihre zunehmende Bereitschaft erklären, Kartellkontrolle 12 durchzuführen13. Der Vize-Präsident der Kommission, Sir Leon Brittan, betonte häufig, daß bestimmte, jeweils absehbare Fusionen nicht mit dem geplanten gemeinsamen Binnenmarkt vereinbar seien 14• Am 21. Dezember 1989 wurde mit Beschluß des Rates zur europäischen Fusionskontrolle die Verordnung Nr. 4064/89 15 verabschiedet. Dadurch soll die Aufgabe der Zwölf sichergestellt werden, ein System zu errichten, das den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Verfalschungen schützt. Eine besondere Regelung war notwendig, da die Art. 85 und Art. 86 EGV, obwohl auf bestimmte Zusammenschlüsse anwendbar, nicht ausreichten, Zusammenschlüsse zu erfassen, die sich als unvereinbar mit dem vom Vertrag geforderten System des unverfälschten Wettbewerbs erweisen konnten. Die Verordnung wurde deshalb auf Art. 235 (nicht Art. 87) EGV gestützt, der die Gemeinschaft in die Lage versetzt, die Vertragsziele auch dort zu verwirklichen, wo der Vertrag die hierfür erforderlichen Ermächtigungen der Organe zum Handeln nicht an anderer Stelle enthält oder wo sie nicht ausreichen 16• Die Verordnung überträgt der Kommission die Aufgabe, alle Entscheidungen über die Vereinbarkeil oder Unvereinbarkeit der Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung mit dem Gemeinsamen Markt 11 Pilling, Airlines have a new fair play policeman, interavia 46 (March 1991), S. 11 ff. (11); Briggs, The English summer of 1990- further progress towards deregu1ation of the aviation and travel industry, AL 1991, S. 50 ff. (50). 12 Als Teilaspekt der Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft, vgl. Caspari, Die Kartellpolitik der EG-Komrnission, S. 61 ff. (61); dazu Jones!van der Woude, European Law Review, Competition Law Checklist 1990, S. 57 ff. 13 Raybould/ Firth, Law of Monopolies, S. 366 ff. 14 Von niederländischer Seite wird Sir Leon Brittan jedoch vorgeworfen, daß seine Fusionskontrolle bei Zusammenschlüssen, an denen Britsh Airways beteiligt war, wesentlich "liberaler" war als in anderen Fällen. Vgl. Kalshoven-van Tijen, EEC Comrnission as the European Version of the CAB, AL 1990, S. 257 ff. (264). 15 Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21.12.1989 über die Kontrolle von Untemehmenszusammenschlüssen, ABI. EG Nr. L 395 vom 30.12.1989, S. 1 ff., berichtigt durch ABI. EG Nr. L 257 vom 21.9.1990, S. 14; dazu Kartte, Chancen und Risiken für den Wettbewerb im EG-Binnenmarkt, S. 251 ff. (260); Balfour, Airline mergers and acquisitions: what controls does EEC law provide, AL 1990, S. 237 ff. (240). 16 Schwartz, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 235 Rn. 6.

5. Kap.: Die Marktpositionen der europäischen Fluggesellschaften

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zu treffen. Damit wurde ein einheitliches Instrument gemeinschaftsweiter Fusionskontrolle geschaffen. Zusammenschlüsse, die die Kriterien der Verordnung erfüllen, sind der nationalen Fusionskontrolle entzogen 17 • Anfangs recht zögerlich, schreitet die Kommission heute bei ihr bekannten Fusionen im Rahmen der ihr durch die Fusions-Kontroll-Verordnung erteilten Kompetenzen rascher ein 18•

B. Praxis der Luftverkehrsgesellschaften Aus Gründen der Konkurrenzfähigkeit scheinen Kooperationen und Gemeinschaftsuntemehmen aus Sicht der Luftverkehrsunternehmen unerläßlich. Schließlich entscheidet der Preis des Produktes vorrangig über dessen Behauptung auf dem Markt. Aufgrund der hohen Fixkosten fühlten sich die europäischen Unternehmen frühzeitig gezwungen, durch Rationalisierungsmaßnahmen ihre Kosten zu dämmen. Dies geschah durch Abstimmung der Flottenpolitik, durch Bildung gemeinsamer Ersatzteillager19 sowie durch Kooperation bei der Wartung der Flugzeuge. Die Hannonisierung der Flottenpolitik beinhaltet primär die Standardisierung des Fluggerätes. Sie erspart den Herstellern Aufwand aufgrund geringerer unterschiedlicher technischer Spezifikationen und den Luftverkehrsunternehmen aufgrund weniger aufwendiger und umfangreicher Ersatzteilbevorratung. Erfreuliche Begleiterscheinung dieser technischen Hannonisierung ist die Möglichkeit der Angleichung der Ausbildung des Bedienungspersonals. Diese technischen Absprachen werden jedoch inzwischen längst ausgeweitet und beinhalten nunmehr Kapitalbeteiligungen an "nationalen" Carriern, die vor Jahren nicht denkbar gewesen wären. Auch der in den Vereinigten Staaten andauernde Preiskrieg zwischen den OS-Fluggesellschaften, die inzwischen Flugtickets zu "Schleuderpreisen"20 anbieten, trägt zu dieser Ent17 Riesenkßmpff, Perspektiven und Probleme der europäischen Fusionskontrolle, S. 491 ff. (506); zum Problem des Ausschlusses nationalen Kartellrechts Markert, Nationales Kartellrecht im Europäischen Binnenmarkt, S. 14 ff. (21 f.). 18 Beispiele finden sich bei Schmid, in: Giemulla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, Einf. Rn. 94 f. Zu Kriterien für das Einschreiten der Kommission vgl. Balfour, Airline mergers and acquisitions: what controls does EEC law provide, AL 1990, S. 237 ff. (246 ff.); Dutheil de la Rochere, Le contröle communautaire des restructurations d' entreprises comme instrument d'une politique de l'aviation civile, RFDAS 1993, S. 389 ff. 19 Sog. Werkzeug-"Pools". 20 Nachdem das Unternehmen Amercan Airlines zu Beginn der Reisesaison 1992

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

wicklung bei. Nach Ansicht von Fachleuten, wird die Niedrigpreispolitik in Amerika zu einem zusätzlichen Tarifverlust zu Lasten der US-amerikanischen Carrier von 500 Mio. US-$ führen 21 • Fusionen blieben in Europa zunächst auf nationale Staaten begrenzt. Zusammenschlüsse fanden statt in Frankreich (von Air France, Air Inter und UTA 22 ) und in Großbritannien (Britsh Airways erwarb die Gesellschaft British Caledonianf3 • Die große Befürchtung der Existenz europäischer Mega-Carrier blieb bisher noch aus. Trotzdem finden sich täglich neue Meldungen in der Tagespresse über geplante Kooperationen von europäischen Luftverkehrsunternehmen oder Übernahmen von Streckenrechten, um sich auf neuen Märkten zu etablieren. I. Die Strategie der deutschen Lufthansa sah zunächst noch so aus, daß sie auf dem europäischen Markt aus eigenen Kräften zu einem Mega-Carrier wachsen könne. Zwar hat sie Ende 1991 mit Japan Airlines ein neues Joint Venture geschlossen24 zu einer gegenseitigen Kapitalbeteiligung kam es jedoch nicht. Ebenfalls hat sie beipielsweise zu Beginn des Jahres 1992 mit Moskau über mögliche Kooperationen gesprochen25 , ernsthaft ist an eine enge Zusammenarbeit momentan angesichts der politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten in den GUS-Staaten jedoch nicht zu denken. Fragen über die Neustrukturierung der Aeroflot sind noch offen 26 • Allein in Rußland gibt es momentan Pläne für die Gründung von 35 Luftverkehrsgesellschaften. Die Übernahme der Interflug durch die Lufthansa scheiterte, da das Bundeskartellamt frühzeitig signalisierte, daß es einer Übernahme nicht zustimmen werde27.

Ebenfalls im März 1992 hat die Lufthansa durch die Option zur Beteiligung an Aero Lloyd28 einen entscheidenden Konkurrenten im innerdeutschen Flugtickets bis zu 50% unter dem üblichen Flugtarif anbot, erhoben mehrere Carrier Klage wegen Wettbewerbsschädigung. 21 "Tarifkrieg unter den US-Fluggesellschaften", in: SZ vom 19.6.1992, S. 28. 22 Joneslvan der Woude, European Law Review, Competition Law Checklist 1990, S. 61; Hilll Fricke, "Für uns ist ganz Europa und nicht nur Frankreich der Inlandsmarkt", in: Handelsblatt vom 3. I 4.4.1992, S. 25. 23 Auf nationale Unternehmenszusammenschlüsse ist die Fusionskontroll-VO aus dem Jahre 1989 nicht anwendbar. Vgl. Balfour, Airline mergers and acquisitions: what controls does EEC law provide, AL 1990, S. 237 ff. (242). 24 "Die Lufthansa und die JAL rücken enger zusammen",in: FAZ vom 19.11.1991, S. 18; "Lufthansa und Japan Air fliegen Arm in Arm", in: SZ 19./20.11.1991, S. 37. 25 "Flugveteran Demluft soll wieder auferstehen", in: SZ vom 7.2.1992, S. 29. 26 "Aus der Aeroflot sollen selbständige Fluggesellschaften werden", in: FAZ vom 7.1.1992, S. 12. 27 Schmid, in: Giemulla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, Einf. Rn. 96.

5. Kap.: Die Marktpositionen der europäischen Fluggesellschaften

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Flugverkehr, nämlich die British Airways, aus dem Rennen geworfen29• Dieser vermeintliche Schachzug wurde jedoch einen Tag später schon wieder entwertet, als die British Airways mit der großen Nachricht aufwarteten, die Regionalfluglinie Delta Air, Friedrichshafen I Bodensee, aufgekauft zu haben30. Damit steht der Lufthansa auf deutschem Boden erstmals ein leistungsstarker Konkurrent gegenüber, der mit Konkurrenzgesellschaften wie German Wings oder Aero Lloyd nicht vergleichbar ist, die als Neuling auf dem Markt bzw. reinem Frachtunternehmen eine schwierigere Position innehatten. British Airways dagegen sind eines der kapitalkräftigen Unternehmen in Europa, ein Unternehmen, das im Gegensatz zu den anderen Fluggesellschaften in den letzten Jahren sogar Gewinn aufwies. Dazu kommt, daß es in Europa größenmäßig auf Platz eins liegt. Damit steht die straffe Sparprogramme verordnende Lufthansa einem Unternehmen gegenüber, das selbst den Golfkrieg besser als andere überstanden hat. Inzwischen ist es ausländischen Fluggesellschaften möglich, in einem anderen EG-Staat Luftverkehrsdienste zu erbringen31 • Deshalb war der Erwerb der Flottenrechte der Delta Air ein wichtiger Schachzug für BA, die mithin schon ein wichtiges Standbein auf dem deutschen Markt haben. Kapitalverflechtungen dieser Art hatten die europäischen Unternehmen bisher nicht versucht, diese Vorgehensweise war jedoch eine Möglichkeit, sich auf dem europäischen Markt wichtige Anteile zu sichern. II. Im Süden Europas liebäugelte die zusammen mit ihren Auslandsanteilen immerhin viertgrößte32 europäische Linienfluggesellschaft Jberia hauptsächlich mit der Übernahme bzw. der Beteiligung an lateinamerikanischen Fluggesellschaften33• An den argentischen Gesellschaften Aerolineas Argentinas und Austral, an der chilenischen Ladeco und an der Venezuelanischen

28 Aero Lloyd führte seinerzeit noch den "Beamten-Shuttle" von Köln I Bonn nach Berlin-Schönefeld durch. Andere innerdeutsche Verkehrsdienste waren jedoch bereits eingestellt. 29 Die Lufthansa hat ihr Optionsrecht jedoch nicht ausgeübt (31.12.1992). 30 "British Airways kauft Delta Air", in: SZ vom 21./22.3.1992, S. 35; "Deutsche British Airways kurz vor dem Start", in: FAZ vom 21.3.1992, S. 15; "Konkurrenz für die Lufthansa", in: Südwest Presse vom 21.3.1992; "Effektvoller Gegenzug", in: FAZ vom 23.3.1992, S. 15; "Ein ernstzunehmender Wettbewerber für die Deutsche Lufthansa", in: FAZ vom 24.3.1992, S. 20. 31 Zumindest die fünfte und die siebte Freiheit steht Flugdiensterbringem seit dem 1.1.1993 offen; vgl. Kapitel 7 der Arbeit. 32 Jedoch besteht ein großer Abstand zu den größten Gesellschaften British Airways, Air France und Lufthansa. 33 "lberia kauft und will selbständig bleiben", in: FAZ vom 13.2.1992, S. 19.

6 Baumann

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

Viaso ist lberia inzwischen beteiligt34 • Über Anteilsübernahmen von Dominicana (Dominikanische Republik) und um-Chile wurde verhandelt. Auch für die kurz vor der Privatisierung stehende Lloyd Boliviano (Bolivien) und Avianca (Kolumbien) hatte die Gesellschaft schon frühzeitig ihr Interesse bekundet. Schließlich scheinen auch Beteiliungen an der portugiesischen TAP nicht unwahrscheinlich.

Einige der lateinamerikanischen Städte, so auch Mexiko-City, fliegt Jberia inzwischen auch für Alitalia an. Dafür werden von dieser für Jberia Fluggäste nach Bangkok transportiert. Jeweils ein gewisses Kontingent von Sitzplätzen wird für die andere Gesellschaft in den Linienmaschinen freigehalten, eine Möglichkeit, kostengünstig Flüge anzubieten und diese selbst zu vermarkten, ohne für die technische Bereitstellung aufkommen zu müssen. Zusätzlich braucht das Unternehmen für ein unter Umständen nur halb besetztes Flugzeug keine hohen Start- und Landegebühren zu bezahlen. III. Nachdem 1992 bekannt wurde, daß die belgisehe Fluggesellschaft Sabena in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, erwarb die französische Fluggesellschaft Air France an dieser neuen Gesellschaft 37,58% der Anteile35. Schon 1990 waren Pläne zur Gründung eines Gemeinschaftunternehmens mit British Airways, der belgiseben Sabena und der niederländischen Gesellschaft KLM gescheitert36. Zusätzlich erwarb Air France im Zuge des kürzlich unterzeichneten Kooperationsvertrages mit der Ceskoslovenske Aerolines (CSA) auch einen vierzigprozentigen Anteil an dieser Gesellschaft. Schon seit längerem arbeitet die Air France eng mit der Lufthansa zusammen. So hatten die beiden Gesellschaften im Jahre 1989 die Gesellschaft Euroher/in gegründet, an der Lufthansa 49% der Anteile und Air France 51% der Anteile hielten. IV. Im Oktober 1991 haben Gespräche zwischen British Airways und KLM über eine Fusionierung stattgefunden37. Schon ein Jahr zuvor hatten die beiden Gesellschaften einen Plan entwickelt, um die notleidende belgisehe Gesellschaft Sabena zu übernehmen. Aufgrund deren schlechter finanzieller Situation scheiterte das Unterfangen jedoch. Der Ausgang der Fusionsgesprä34 "lberia kauft dritte Südamerikanische Gesellschaft", in: FAZ vom 12.8.1991, S. 12. 35 Dutheil de la Rochere, Le contröle communautaire des restructurations d'entreprises comme instrument d'une politique de l'aviation civile, RFDAS 1993, 389 ff. (392); "Die Air France geht auf Einkaufstour", in: SZ vom 18.3.1992, S. 34; "Die belgisehe Sabena kommt Air France näher", in: FAZ vom 31.3.1992, S. 19; "Sabena clears burdie in Air France deal", in: Financial Times vom 28./29.3.1992, S. 12. 36 Jones/van der Woude, European Law Review, Competition Law Checklist 1990, s. 60. 37 "BA und KLM gemeinsam im Cockpit", in: SZ vom 19./20.10.1991 , S. 35.

5. Kap.: Die Marktpositionen der europäischen Fluggesellschaften

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ehe zwischen den beiden Gesellschaften war zunächst unsicher, weil unklar war, wie eine etwaige Fusionsprüfung durch die Kommission ausgehen würde. Letztendlich scheiterte die Fusion jedoch, weil sich die beiden Fluggesellschaften nicht einigen konnten. V. Die zwischen Swissair, Austrian Airlines und SAS geschlossene Europäische Qualitätsallianz (European Quality Alliance) stellt rechtlich zwar keine Fusion dar, außerhalb der Heimatmärkte treten die Gesellschaften jedoch vennehrt als eine einzige Gesellschaft auf. Die Erfahrungen seit der Zusammenarbeit sind ausgesprochen gut. So ist das Flugvolumen zwischen der Schweiz und Skandinavien in nur einem Jahr um ungefähr 45.000 Passagiere gestiegen. Nach Ansicht der Chefs der Fluggesellschaften wird die Zusammenarbeit weiter gesteigert. Intern müssen jedoch zunächst die vor allem bei der SAS vorliegenden Kostenprobleme38 - insbesondere die hohen Lohnkosten - gelöst werden. VI. Auch europäische Staaten, die (noch) keine Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft sind, suchen weltweit Partner. Beispielsweise gab Ende 1991 die relativ kleine ungarische Fluglinie Malev bekannt, daß sie in das transkontinentale Geschäft einsteigen wolle und deshalb weltweit Partner suche. Als Anteilshalter an der Malev, die inzwischen in eine AG umgewandelt wurde, sollen je eine Gesellschaft Westeuropas, aus Fernost und aus den Vereinigten Staaten für insgesamt 30% des Kapitals gewonnen werden. Ob sich das Wunschdenken der Manager der ungarischen Fluglinie jedoch bewahrheiten wird, bleibt abzuwarten. VII. Selbst kleine Fluggesellschaften waren in Europa auf Partnersuche. So hatte die Lauda Air schon Ende 1991 angekündigt, bis Ende 1992 wolle sie mit einem finanzstarken Partner der Europäischen Gemeinschaft aufwarten39. Lauda kündigte Verhandlungsgespräche mit British Airways, Lufthansa und KLM an. Über etwaige Kooperationen ist jedoch noch nichts bekannt geworden. VIII. Verschiedene der neuentstandenen Republiken Osteuropas streben die Neugründung nationaler Fluggesellschaften an, um von anderen Staaten, insbesondere Rußland, unabhängig zu sein. Ob sie angesichts des häufig technisch veralteten Geräts, das sie aus den früheren Staatsbetrieben übernommen haben, den weltweit geforderten Liberalisierungstendenzen gerecht werden können, bleibt fraglich.

38 Dazu "Die SAS flog einen Rekordverlust ein", in: SZ vom 07./08.03.1992, S. 35; "SAS rechnet mit 'geringfügigem' Gewinn", in: FAZ vom 13.03.1992, S. 22. 39 "Lauda Air steuert jetzt auf Partnerschafts-Kurs", in: SZ vom 15.11.1991 , S. 36.

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1. Teil: Grundlagen der EU-Luftverkehrspolitik

IX. Die Liberalisierung im europäischen Luftverkehr hat den Wettbewerb verschärft. Niedrigere Erträge und neues Kostendenken der Flugpassagiere hat zudem zu finanziellen Engpässen der Fluggesellschaften geführt. Der scharfe Wettbewerb zeigt sich insbesondere auch bei den Nordatlantikflügen. Europäische Carrier bilden daher zunehmend Allianzen unterschiedlicher In- . tensität mit nordamerikanischen Fluggesellschaften. Die Allianzen reichen von Kooperationen über Vereinbarungen des "Code-Sharing" bis hin zu Kapitalbeteiligungen. Es wird sich zeigen, ob der Kunde letztlich von den Allianzen profitiert. Die verschiedenen Versuche der einzelnen Fluggesellschaften zeigen, wie diese sich auf den gemeinsamen Binnenmarkt vorbereiteten. Die Ängste, nicht leistungsstark genug zu sein, überwiegen. So läßt sich die Tendenz zum Zusammenschluß erklären, der im extremsten Fall zu europäischen MegaCarriern führen kann und die Pläne des gemeinsamen Binnenmarktes schon im Vorfeld konterkariert. Ein anderer Weg, den die europäischen Unternehmen zu gehen bereit sind, ist nach dem Beispiel der British Airways der Aufkauf von nationalen Unternehmen mit ihren Flottenrechten. Dadurch sichern sich die europäischen Carrier wichtige nationale Märkte40• Inzwischen ist auch in Brüssel mehr Verständnis für die Ängste der europäischen Airlines bzw. die unterschiedlichen Dimensionen der europäischen Luftverkehrsunternehmen und der amerikanischen Mega-Carrier zu spüren. Globales Denken fließt in die Überlegungen der Wettbewerbshüter in der europäischen Hauptstadt ein. "Kannibalismus wie in den USA müsse unbedingt verhindert werden", äußerte sich in einem Interview der Vorstandsvorsitzende der Air France, Attali41 • In der Tat muß dieses ,,Fressen der Kleinen" durch die Großen verhindert werden. Allianzen und Partnerschaften scheinen der einzige Ausweg für die Fluggesellschaften aus diesem Dilemma. Nach eindeutigen Prognosen wird die absolute Zahl der Fluggesellschaften in Europa zurückgehen. Es werden etwa sieben große Fluggesellschaften vorausgesagt, die im Gemeinsamen Binnenmarkt noch dominierender als bisher sein werden: British Airways, Air France, Lufthansa sowie lberia, Alitalia, KLM und SAS'2 •

Wassenbergh, 1990191, the airline industry in distress?, AL 1991, S. 83 ff. (87). Zu der Situation in den Vereinigten Staaten vgl. Hardaway/Dempsey, Airlines, Airports and Antitrust A Proposed Strategy for Enhanced Competition, JALC 58 (1992/93), s. 455 ff. (461 ff.). 42 Schmid, Der europäische Luftverkehr auf dem Weg in den Binnenmarkt, EuZW 1991, s. 19 ff. (24). 40 41

2. Teil

Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik 6 . Kapitel

Die integrative Funktion des Gerichtshofes im Luftverkehrsbereich A. Urteile des EuGH Der Rat der Europäischen Gemeinschaft zögerte lange Zeit, die Rechtsvereinheitlichung auf dem Luftverkehrssektor voranzutreiben und die dafür notwendigen Rechtsvorschriften zu erlassen. Im Gegensatz dazu steht der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft1, dessen Rolle als Impulsgeber für die Formulierung einer gemeinsamen Luftverkehrspolitik lange Zeit unterschätzt wurde3• Seit den siebziger Jahren hat er sich mehr als zehn Mal mit Fragen beschäftigt, die entweder in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Luftverkehr standen oder aber zumindest auch für diesen Bereich Auswirkungen zeigen sollten. Der Gerichtshof war so von Anfang an maßgeblich an der Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der Luftfahrt beteiligt. Schon früh offenbarte sich, daß die EG-Verträge in vieler Hinsicht der Auslegung bedurften. Auf dem noch recht neuen Terrain des Luftverkehrs hat der EuGH nicht nur grundsätzliche Fragen wie die Anwendbarkeit der allgemeinen Regeln des EGV auf die Luftfahrt oder der (Außen-)Kompetenzen auf diesem Sektor geklärt, sondern auch ganz spezifische Fragen zum Wettbewerbs- oder Kartellrecht, zu den Beihilferegelungen oder zur Dienstleistungsfreiheil beantwortet. Dabei wurden nicht nur offene Fragen zu den Verträgen der Europäischen Gemeinschaft diskutiert, sondern auch das sekundäre Recht der Europäischen Gemeinschaft auf seine Vereinbarkeil mit Im folgenden: EuGH. Schwarze (The Role of the European Court of Justice [ECJ] in the Interpretation of Uniform Law Among Member States of the European Communities [EC], S. 25) spricht von .,integrative pioneering" des Europäischen Gerichtshofes. 3 Haanappel, The extemal aviation relations of the European Community and of EEC member States into the twenty-first century, AL 1989, S. 69 ff. (71). 1

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

dem Primärrecht geprüft. Letztendlich geht von den Entscheidungen des EuGH auch ein weitergehender Effekt als nur die Entscheidung eines konkreten Sachverhalts aus: die entscheidenden Fragen werden in anderen Bereichen von den Rechtsetzungsorganen der Europäischen Gemeinschaft berücksichtigt. So wirkt der EuGH mit seinen Entscheidungen häufig als Impulsgeber für noch nicht absehbare andere Materien4 • Auch in Situationen, in denen der politische Wille zu weiterer Integration zu erlahmen schien, hat der EuGH seine Funktion als Entscheidungsinstanz stets neu erfüllt und wesentlich zur Fortentwicklung der Rechtsgemeinschaft beigetragen5• I. "Seeleute-Fall"

Im Jahre 1974 hatte der EuGH in der RS 167173 entschieden6, daß die Vorschriften des Verkehrstitels die Grundsatzbestimmungen zur Verwirklichung der in Artikel 2 und 3 EGV beschriebenen Vertragsziele nicht verdrängten, sondern diese ausführten und sie durch gemeinsame Aktionen ausfüllten7. Sofern allgemeine Bestimmungen des Vertrages die Verwirklichung der Vertragsziele förderten, seien sie anzuwenden. Damit wurden die langjährigen Zweifel bezüglich der Anwendbarkeit der allgemeinen Vertragsregeln8 auf Seeschiffahrt und Luftfahrt beseitigt9.

4 Schwane (The RoJe of the European Court of Justice [ECJ] in the Interpretation of Uniform Law Among Member States of the European Communities [EC], S. 34) spricht vom "Radiation effect". 5 Everling, Der Gerichtshof als Entscheidungsinstanz, S. 137 ff. (158). 6 Urteil des Gerichtshofes vom 4.4.1974, RS 167/73, Kommission der Europäischen Gemeinschaften ./. Französische Republik, EuGHE 1974, S. 359 ff. 7 Entscheidungsgründe 24/26.

8 Im konkreten Fall ging es um die Anwendbarkeit von Art. 48-51 EGV auf französische Arbeiter, tätig in der Seeschiffahrt. 9 Lenz, Die Verkehrspolitik der Europäischen Gemeinschaften im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofes, EuR 1988, S. 158 ff. (160); ders., The decisions of the European Court of Justice on the applicability of the mies of the Treaty of Rome to air transport, S. 33 ff. (35); Guillaume, Observations sur l'arret de Ia Cour de Justice des Communautes Europeennes du 4 avril 1974 et son application au transport aerien, RFDA 1976, S. 534 ff. (534); Mulder, Bewegingsvrijheid van het commerciele luchtvervoer in de Europese Gemeenschappen, SEW 1980, S. 672 ff. (677 f.); Bentzien, Der Europäische Luftverkehr und der EWG-Vertrag, ZLW 1981, S. 258 ff. (259 ff.); Guillaume, La Communaute economique europeenne et Je transport aerien, Annales de Droit Aerien et Spatial 1988, S. 65 ff. (71).

6. Kap.: Die integrative Funktion des Gerichtshofes

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II. Der Fall der Belgisehen Staatsbahnen Fortentwickelt wurde die "Seeleute-Entscheidung" im Jahre 1978 10• Beim Streit um staatliche Beihilfen, die den belgiseben Staatsbahnen gewährt wurden, sprach sich der Gerichtshof für die Anwendung der (allgemeinen Regeln der) Art. 92 bis 94 EGV aus und bestätigte damit sein Urteil von 1974 auch für den allgemeinen Verkehrssektor. Dies ist umso beachtlicher, als für den Binnenverkehrsbereich mit Art. 77 EGV schon eine spezielle Vorschrift vorlag, die die Zulässigkeit staatlicher Beihilfen zum Gegenstand hatte. In seinem Urteil brachte der EuGH jedoch zum Ausdruck, daß Art. 77 EGV nur ganz spezielle Beihilfetypen umfaßt11 , im übrigen jedoch die allgemeinen Beihilferegeln Anwendung finden 12• Ill. "Gemeinsame Verkehrspolitik" Im Mai 1985 entschied der EuGH nach Klage von Parlament und Kommission gemäß Art. 175 EGV über die Verpflichtung des Rates zum Erlaß gemeinsamer Regeln auf dem Verkehrssektor zur Herstellung der Dienstleistungsfreiheit 13 • 1. Vorgeschichte des Rechtsstreits

Schon Ende der sechziger Jahre hatte das Europäische Parlament eine Entschließung über den Stand der Verwirklichung des Gemeinsamen Binnenmarktes vorgelegt 1\ in der es forderte, daß "unverzüglich eine gemeinsame Verkehrspolitik festgelegt und verwirklicht wird, die als wesentlicher Bestandteil des Gemeinsamen Marktes zu betrachten ist" 15• Nachdem der Rat 10 Urteil des Gerichtshofes vom 12.10.1978, RS 156/77, Kommission der Europäischen Gemeinschaften./. Königreich Belgien, EuGHE 1978, S. 1881 ff. 11 Dazu Erdmenger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 77 Rn. 4 ff. 12 Entscheidungsgründe 9113. 13 Urteil des Gerichtshofes vom 22.5.1985, RS 13 I 83, Europäisches Parlament und Kommission der Europäischen Gemeinschaften ./. Rat der Europäischen Gemeinschaften und Königreich der Niederlande, EuGHE 1985, S. 1513 ff.; dazu Brandt, Die europäische Verkehrspolitik vor dem Ministerrat - eine Gesetzgebungsübersicht, TranspR 1989, S. 245 ff. (247); Dagtoglou, Air Transport, S. 131 ff. (140 ff.). 14 Entschließung über den Stand der Verwirklichung der gemeinsamen Verkehrspolitik, ABI. EG 1968 Nr. C 10, vom 14.2.1968, S. 8 f. 15 Zit. ABI. EG 1968 Nr. C 10, vom 14.2.1968, S. 8.

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

untätig blieb, nahm das Parlament im Jahre 1970 eine weitere Entschließung16 an, in der es wiederum auf den Mißstand der Verzögerung bei der Verwirklichung der gemeinsamen Verkehrspolitik hinwies und vom Rat die Aufstellung eines genauen Arbeitsprogramms mit Zeitrahmen verlangte. Auch diese Entschließung schien den Rat nicht sonderlich zu tangieren, ebensowenig wie die drei folgenden 17 • Schließlich kam es zur Entschließung des Europäischen Parlaments über eine Untätigkeitsklage 18 . Zugleich wurde der Rat schriftlich über die Absicht des Parlaments unterrichtet, Klage gemäß Art. 175 EGV zu erheben. Der Rat wurde aufgefordert, verschiedene Harmonisierungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Verkehrs zu treffen 19. Nachdem der Rat hierauf lediglich durch ein Schreiben seines Präsidenten reagierte, in dem dieser zwar grundsätzlich die Bedenken des EP teilte, jedoch auch auf bereits erlassene Rechtsakte hinwies, erhob der Präsident des Europäischen Parlamentes Klage vor dem EuGH gemäß Art. 175 EGV. Er war der Ansicht, daß das Schreiben des Ratspräsidenten nicht als Stellungnahme im Sinne einer deutlichen Begründung der gerügten Untätigkeit20 gemäß Art. 175 Abs. 2 EGV gewertet werden konnte21 .

16 Entschließung über den Stand der Verwirklichung der gemeinsamen Verkehrspolitik, ABI. EG 1970 Nr. C 40, vom 3.4.1970, S. 27. 17 Entschließung über die Grundsätze der gemeinsamen Verkehrspolitik mit der Stellungnahme des Europäischen Parlamentes zur Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat über die weitere Entwicklung der gemeinsamen Verkehrspolitik, ABI. EG 1974 Nr. C 127 vom 18.10.1974, S. 24 ff.; Entschließung zu Stand und Entwicklung der gemeinsamen Verkehrspolitik, ABI. EG 1979 Nr. C 39 vom 12.02.1979, S. 16; Entschließung zur gemeinsamen Verkehrspolitik, ABI. EG 1982 Nr. C 87 vom 5.4.1982, S. 42 f. 18 Entschließung über eine Untätigkeitsklage gegen den Rat der EG auf dem Gebiet der Verkehrspolitik, ABI. EG 1982 Nr. C 267 vom 11.10.1982, S. 62 ff. Zur Möglichkeit der Untätigkeitsklage gegen Rat und Kommission vgl. beispielsweise Schweifzer/Hummer, Europarecht, S. 144 f. 19 Schreiben des Präsidenten des EP vom 16.9.1982 an den Ratspräsidenten, abgedruckt in ABI. EG 1982 Nr. C 267 vom 11.10.1982, S. 63 ff. 20 Def. Krück in: von der Groeben/Thiesing I Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 175 Rn. 24. 21 Ausführlich Giemulla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, C 2 Rn. 8 ff.

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2. Inhalt des Rechtsstreits

Das Parlament besitzt entgegen der Ansicht des Rates22 nach klarem Wortlaut des Art. 175 EGV die Aktivlegitimation zu einer Untätigkeitsklage23, da es unzweifelhaft ein "anderes Organ" ist, dem Kontrollbefugnisse zugestanden werden sollen24 • Durch den Rechtsstreit wurde die Position des Parlamentes gestärkt, an dessen Recht zur Klagebefugnis früher gezweifelt wurde2s. Die Klage nach Art. 175 EGV war möglich, da nicht nur das Fehlen eines ganz bestimmten Rechtsaktes, sondern auch das Fehlen einer weniger deutlich umschriebenen Tätigkeit eines Organs der Europäischen Gemeinschaft von den übrigen Organen beanstandet werden kann26• Die Verpflichtung des Rates war insbesondere in den Fällen gegeben, in denen ihm der EGV einen hinreichend bestimmten Gesetzgebungsauftrag erteilte und die Frist zur Erfüllung dieses Auftrags festlegte27 • Auch der strittige Rechtsbereich unterlag damit der Überprüfungsmöglichkeit durch den EuGH28• a) Fehlen einer gemeinsamen Verkehrspolitik

Zwar wird dem Rat bei der Aufstellung einer gemeinsamen Verkehrspolitik ein weiter Ermessensspielraum zugestanden. Andererseits finden sich im 22 Urteil des Gerichtshofes vom 22.5.1985, RS 13/83, Europäisches Parlament und Kommission der Europäischen Gemeinschaften ./. Rat der Europäischen Gemeinschaften und Königreich der Niederlande, EuGHE 1985, S. 1556 ff. (1565). 23 In Fortführung der Rechtsprechung des EuGH in seinen Urteilen vom 29.10.1980, RS 138/79, SA Roquette Freres ./. Rat der Europäischen Gemeinschaften (.Jsoglucose"), EuGHE 1980, S. 3333 ff.; und RS 139179, Maizena GmbH ./. Rat der Europäischen Gemeinschaften, EuGHE 1980, S. 3393 ff.; Medina Ortega, Le Parlement face au Conseil, S. 63 ff. (64); Jacque/Bieber/Constantinesco/Nickel, Le Parlement Europeen, S. 245. 24 Krück, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 175 Rn. 6; Wohlfahrt, in: Grabitz, Komm. z. EWGV, Art. 175 Rn. 6; so auch Generalanwalt Lenz in seinen Schlußanträgen, EuGHE 1985, S. 1519. 25 Dazu Jacque, Urteilsanmerkung, RTDE 1985, S. 761 ff. 26 Krück, in: von der Groeben/Thiesing I Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 175 Rn. 12. 27 Brandt, Untätigkeit in der Europäischen Verkehrspolitik. Anmerkungen zum Untätigkeitsurteil des Europäischen Gerichtshofes vom 22. Mai 1985, TranspR 1986, s. 89 ff. (92). 28 Urteil des Gerichtshofes vom 22.5.1985, RS 13/83, Europäisches Parlament und Kommission der Europäischen Gemeinschaften ./. Rat der Europäischen Gemeinschaften und Königreich der Niederlande, EuGHE 1985, S. 1556 ff. (1592 f.).

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

EGV deutliche Ermessensreduzierungen. Zum einen wird das Ermessen aufgrundder zeitlichen Vorgaben, zum anderen durch die grundsätzlich im EGV vorgegebenen Zielsetzungen eingeschränkt, mit denen die gemeinsame Verkehrspolitik in Einklang stehen muß. Insbesondere muß der Verkehrssektor als Gesamtheit berücksichtigt werden29 • Der Rat stritt Versäumnisse im Verkehrsbereich zwar nicht grundsätzlich ab, rechtfertigte sich jedoch mit der Berufung auf den ihm zustehenden Ermessensspielraum30 sowie auf objektive Schwierigkeiten in verschiedenen Bereichen31 • Objektive Schwierigkeiten waren jedoch unbeachtlich, da der Gerichtshof nur die objektive Nichterfüllung der vertraglichen Pflicht, nicht jedoch etwaige zugrundeliegende Hinderungsgründe festzustellen hatte32 •

b) Untätigkeit bezüglich der Verabschiedung der Vorschläge der Kommission Das Parlament machte weiterhin geltend, daß der Rat es unterlassen habe, über 14 konkrete, ihm von der Kommission zur Verabschiedung unterbreitete Vorschläge, zu denen das Parlament jeweils selbst schon Stellung genommen hatte, zu entscheiden. Dabei wäre er nach Meinung des Parlaments aufgrund Art. 74 und 75 EGV grundsätzlich verpflichtet gewesen, binnen angemessener Frist über die ihm vorgelegten Vorschläge zu entscheiden. Soweit jedoch die auf Art. 75 Abs. I Buchstabe a und b EGV beruhenden Vorschläge zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit im Verkehrsbereich beitragen sollten, gab sich die Verpflichtung des Rates bereits aus dem ersten Klagebegehren, nämlich der Feststellung, daß der Rat untätig geblieben war. Soweit nicht, gehörten sie zumindest zu der Kategorie der Begleitmaßnahmen, die zusätzlich zu den gebotenen Liberalisierungsmaßnahmen ergriffen werden konnten und deren Erlaß im Ermessen des Rates stand33 • Damit wurde die Klage insoweit vom EuGH abgewiesen. Giemulla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, C 2 Rn. 38. Urteil des Gerichtshofes vom 22.5.1985, RS 13/83, Europäisches Parlament und Kommission der Europäischen Gemeinschaften ./. Rat der Europäischen Gemeinschaften und Königreich der Niederlande, EuGHE 1985, S. 1556 ff. (1576 f.); dazu Lenz, Die Verkehrspolitk der Europäischen Gemeinschaften im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofes, EuR 1988, S. 158 ff. (161). 31 Schwierigkeiten geographischer, wirtschaftlicher und sozialer Art. 32 Urteil des Gerichtshofes vom 22.5.1985, RS 13/83, Entscheidungsgrund 49; Krück, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 175 Rn. 31. 33 Urteil des Gerichtshofes vom 22.5.1985, RS 13/83, Entscheidungsgrund 78. 29

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6. Kap.: Die integrative Funktion des Gerichtshofes

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Konsequenz des Urteils war, daß die ,,Entscheidungsfreudigkeit" des Rates letztlich erheblich in Gang gesetzt wurde. Der Rat war gemäß Art. 176 EGV verpflichtet, "die sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen"34. IV. "Au Ble Vert"

Ein wettbewerbsrechtlich interessantes Urteil wurde vom EuGH im Januar 1985 verabschiedet35 • Obwohl der Streitfall direkt keinen Bezug zum Luftverkehr aufwies, sind doch die Aussagen der Entscheidung für diesen von nicht zu vernachlässigender Bedeutung36• Im Fall "Au Ble Vert" (auch "Ledere" genannt) ging es um das Problem der Vereinbarkeit eines nationalen (französischen) Preisbindungssystems für Bücher mit der gemeinschaftsrechtlich angestrebten Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes gegen Verfälschungen schütze7 • Anders als beispielsweise im Fall INNO I ATAB38 wurden vom Gerichtshof nur Art. 5 Abs. 2 EGV i.V.m. Art. 3f EWGV (heute Art. 3g EGV) und 85 EGV (nicht Art. 86 EGV) als zentrale Normen zur Prüfung herangezogen39• Der Gerichtshof hat hier der Handelsbeeinträchtigung infolge einzelstaatlicher gesetzlicher Preisbindungspflichten (auf dem Büchermarkt) hinsichtlich der Import-/Reimport-Bestimmungen Grenzen gesetzt und erneut die Spannung zwischen der angestrebten Ordnung eines unverfälschten Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt und wettbewerbsbeschränkender einzelstaatlicher Intervention auch außerhalb des Beihilfeverbots als Rechtsfrage behandelt40 • I.e. vgl. Kapitel 7 und 8. Urteil des Gerichthofes vom 10.1.1985, RS 229/83, Association des Centres distributeurs Edouard Ledere u.a . ./. Sill'! "Au ble vert" u.a., EuGHE 1985, S. I ff.; dazu Kuyper, Case 229/83, Association des Centres Edouard Leclerc, Paris and Thouars Distribution & Autres S.A., Sainte Verge v. "Au Ble Vert" S.a.r.l., Thouars et al. Preliminary ruling of 10 January 1985 requested by the Court of Appeal (Cour d' Appel) Poitiers, CMLRev 1985, S. 787 ff. 36 Merck.x, Air fare fixing and the EEC competition rules, ETL 1986, S. 57 ff. (61 ). 37 Entscheidungsgründe 10 ff.; Everling, Zur Wettbewerbskonzeption inderneueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, WuW 1990, S. 995 ff. (1005); Gavalda, Anmerkung zum Urteil, RTDE 1985, S. 180 ff. 38 Urteil des Gerichtshofes vom 16.11.1977, RS 13/77, GB-INNO-BM ./. Vereniging van der Kleinhandelaars in Tabak (ATAB) - "Tabakwaren", EuGHE 1977, S. 2115 ff. 34

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39 Ausführlich zu dem Rechtsstreit Müller-Graff, Wettbewerbsbeschränkung durch Gesetz: Preisbindungspflicht bei Büchern. Zum Leclerc-Urteil des EuGH vom 10.1.1985, EuR 1985, S. 293 ff. 40 Müller-Graff, ebd., S. 307; Bauer, Wettbewerbsbeschränkungen durch Staaten?, s. 78.

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

Für den Luftverkehr fragt sich, inwieweit Preisbildungsverfahren der nationalen Verkehrsrechte mit den Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft vereinbar sind. Dieses Preisbildungsverfahren kommt grundsätzlich in einem Zweitaktverfahren zustande. Der hoheitlichen Tarifgenehmigung geht eine private Tarifinitiative voraus41 • Konkret ergibt sich für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Tarifbildungsverfahren, daß staatliche Genehmigungen für nicht abgestimmte Tarifanträge einzelner Unternehmen unbedenklich sind. Soweit aber Unternehmen im Vorfeld ihre Tarife miteinander absprechen, verletzt auch der die Tarifanträge genehmigende Staat Art. 5 Abs. 2, 85 EGV42 • V. "Nouvelles Frontieres" In der RS 209-213/8443 mußte sich der Gerichtshof 1986 mit dem Verhältnis der in den Mitgliedstaaten üblichen Vorschriften über die Genehmigung von Augtarifen im Linienverkehr zu den Wettbewerbsvorschriften des EGV befassen44 • Dieses Problem war schon 1981 Gegenstand einer Klage von Lord Bethell, Mitglied des EP und des House of Lords, gegen die Kommission45 • Der Gerichtshof hatte damals jedoch nicht entschieden, sondern die Klage als unzulässig abgewiesen46 • Konkret warf Lord Bethell der Kommission vor, auf dem Gebiet der von den Luftfahrtgesellschaften vorgenommenen Festsetzungen der Luftverkehrstarife für Passagiere im Linienluftverkehr untätig zu sein. Obwohl diese die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des EGV in erheblichem Maße beeinträchtigten, ginge die Kommission gegen die BeeinVgl. Basedow, Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten, S. 193. Ausführlich s.u. "Nouvelles Frontieres". 43 Urteil des Gerichtshofes vom 30.4.1986, in den verbundenen RS 209-213/84, Ministere public ./. Lucas Asjes u.a., Andrew Gray u.a., Andrew Gray u.a., Jacques MaiHot u.a. und Uo Ludwig u.a., EuGHE 1986, S. 1425 ff.; dazu Dutheil de Ia Rochere, Application des regles de concurrence du traite C.E.E. a Ia fixation des tarifs de transpoft aerien, RTDE 1986, s. 519 ff.; Kerber, Anmerkung zum Urteil V. 30.4.1986 des EuGH, RIW 1986, S. 633 ff. 44 Wolf, Die Grundregeln des Wettbewerbs im Luftverkehr, S. 9 ff. (9); Guillaume, L'arret de la Cour de Justice des Communautes Europeennes du 30 avril 1986 sur !es transports aeriens et ses suites, RFDA 1987, S. 13 ff.; Rycken, Willem, European antitrust aspects of maritime and air transport, ETL 1988, S. 3 ff. (5 ff.); Merckx, Air fare fixing and the EEC competition rules, ETL 1986, S. 57 ff. (59 f.). 45 Ausführlich Naveau, International Air Transport in aChanging World, S. 189 f. 46 Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 10.6.1982, RS 246/81, Niebolas William, Lord Bethell ./. Kommission der Europäischen Gmeinschaften ("Wettbewerb - Luftverkehr"), EuGHE 1982, S. 2277 ff. 41

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trächtigungen nicht vor. Bezeichnenderweise traten fast alle europäischen Linienluftfahrtgesellschaften47 als Streithelferinnen der Kommission auf. Die Klage, gestützt auf Art. 175, hilfsweise auf Art. 173 EGV brachte jedoch keine Entscheidung in der strittigen Rechtsfrage. Sie wurde als unzulässig abgewiesen, weil der Kläger nicht nachweisen konnte, daß die Kommission an ihn einen Akt gerichtet hatte, der ihm gegenüber bestimmte Rechtswirkungen erzeugt hätte und als solcher hätte aufgehoben werden können. Auch fehlte eine Erklärung, daß es die Kommission - nach ordnungsgemäßer Aufforderung gemäß Art. 175 Abs. 2 EGV - unterlassen hätte, dem Kläger gegenüber einen Akt zu erlassen, auf den er nach den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts einen Anspruch gehabt hätte48• Im "Nouvelles Frontieres"-Urteil49 nahm der EuGH zu dem Problem Stellung, welches ihm von dem Tribunal de police, Paris, im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 177 EGV vorgelegt wurde. Der Vorlage lagen Strafverfahren gegen Verantwortliche von Reisebüros und Fluggesellschaften zugrunde, die beim Verkauf von Flugtickets Tarife angewandt hatten, die dem für die Zivilluftfahrt zuständigen Minister nicht zur Genehmigung vorgelegt worden waren bzw. von den von ihm genehmigten Tarifen abwichen. Damit lag ein Verstoß des Code de l'aviation civile50 vor, der mit Haft- bzw. Geldstrafe geahndet werden konnte. Das Tribunal des police Paris bezweifelte die Vereinbarkeit der Regelungen des Code de l'aviation civile mit dem EGV, inbesondere mit Art. 85 Abs. 1 EGV, da eine Absprache zwischen den Fluggesellschaften herbeigeführt würde. Der Anwendung von Art. 85 EGV stünde Art. 84 Abs. 2 nicht entgegen, da letztere dem Rat nur die Gestaltung einer einschlägigen gemeinsamen Politik überlasse, das fragliche Gebiet im übrigen aber nicht dem EGV entziehe. Der EuGH hat für Recht befunden, daß es "den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nach Art. 5 EGV in Verbindung mit Art. 3 Buchstabe g EGV (damals Art. 3 Buchstabe f EGV) und 85, insbesondere Absatz 1 EGV widerspricht, Flugtarife zu genehmigen und damit ihre Wirkungen zu verstär47 AER LINGUS (Dublin), AIR FRANCE (Paris), ALITALIA (Rom), BRJTISH AIRWAYS (Hounslow), BRITISH CALEDONIAN (Crawley), KLM (Amstelveen), LUFTHANSA (Köln), OLYMPIC AIRWAYS (Athen), SABENA (Brussel) und SAS (Stockholm). 48 Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 10.6.1982, RS 246/81, Niebolas William, Lord Bethell ./. Kommission der Europäischen Gmeinschaften ("Wettbewerb -Luftverkehr"), EuGHE 1982, S. 2277 ff. (2290 f., Entscheidungsgrund 13). 49 Urteil des Gerichtshofes vom 30.4.1986, in den verbundenen RS 209-213/84, Ministere public ./. Lucas Asjes u.a., Andrew Gray u.a., Andrew Gray u.a., Jacques Maillot u.a. und Uo Ludwig u.a., EuGHE 1986, S. 1425 ff. 50 Gesetzbuch für den Zivilen Luftverkehr.

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ken, wenn in Ermangelung einer vom Rat nach Art. 87 EGV erlassenen Regelung in den Formen und Verfahren der Artikel 88 und 89 Absatz 2 EGV festgestellt wurde, daß diese Tarife das Ergebnis von Vereinbarungen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen oder abgestimmten Verhaltensweisen sind, die Art. 85 EGV zuwiderlaufen"51 • Der Gerichtshof bekräftigte also sein Urteil in der RS 167 I 73 ("Seeleute") und betonte von neuem, daß die allgemeinen Regeln des EGV, damit auch die Art. 85 ff. EGV, in vollem Umfange auf den Linienluftverkehr anzuwenden sind52 • Der Druck auf den Rat, Regeln im Hinblick auf einen gemeinsame Luftverkehrspolitik zu erlassen, hatte sich damit erneut erhöht53 • VI. uVlaamse Reisebureaus" I "Reisevermittler-Rabatte" Nach dem "Nouvelles-Frontieres"-Urteil war die EuGH-Entscheidung in der RS 311 I 8554 fast schon absehbar. Die RS betraf Unklarheiten bezüglich der Vereinbarkeil einer nationalen Vorschrift mit Art. 85 EGV. Die Frage war von dem Gericht für Handelssachen (Rechtbank van Koophandel) in Brüssel vorgelegt worden. Strittig war der Pflichtenkatalog, den das belgisehe Handelsrecht für Reisevermittler kennt55 • Durch die Rechtsvorschrift verpflichtete der Belgisehe Staat die Reisevermittler, die von den Reiseveranstaltern vorgegeben Reisepreise und -tarife einzuhalten, und untersagte diesen Reisevermittlern, die für den Kauf eingenommenen Provisionen mit den Kun51 Zu den Modalitäten der Anwendung der Wettbewerbsregeln Gaillard/ Pingel, La liberalisation des Iransports aeriens dans Ia Communaute economique europeenne, RFDAS 1990, S. 9 ff. (14 f.). 52 Urteil, Entscheidungsgrund 32; van Bakelen, "Nouvelles Frontieres". European Court of Justice Decision 30 April 1986. Itching for I.A.T.A.'s Scalp or a leap-frog backwards?, ETL 1986, S. 498 ff. (505); Guillaume, L'arret de Ia Cour de Justice des Communautes Europeennes du 30 avril 1986 sur les Iransports aeriens et ses suites, RFDA 1987, S. 13 ff. (15 ff.). 53 Kuyper, Legal Problems of a Community Air Transport Policy; with Special Reference to Air Transport, Legal lssues of European Integration 1985/2, S. 69 ff. (80 f.); Naveau, International Air Transport in a Changing World, S. 192 f.; Lenz, The decisions of the European Court of Justice on the applicability of the rules of the Treaty of Rome to air transport, S. 33 ff. (39). 54 Urteil des Gerichtshofes vom 1.10.1987, RS 311/85, VZW Vereniging van Vlaamse Reisbureaus ./. VZW Sociale Dienst van de Plaatselijke en Gewestelijke Overheidsdiensten, EuGHE 1987, S. 3801 ff.; dazu Marenko/Koch, L'article 85 du traite CEE et les contrats d'agence. Anmerkung zum Urteil des Gerichtshofs vom I. Oktober 1987 .,VIaamse Reisbureaus", CDE 1987, S. 603 ff. 55 Konkret handelte es sich um Art. 22 Abs. 1b und Abs. 3e und f der Königlichen Verordnung vom 30.6.1966 (Belgisch Staatsblad vom 27.7.1966).

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den zu teilen oder diesen Preisnachlässe zu gewähren. Verstöße gegen die Rechtsvorschrift sah er als Handlungen des unlauteren Wettbewerbs an. Im Gegensatz zu dem Urteil ,,Nouvelles Frontieres" faßte sich der Gerichtshof recht kurz. In seiner Entscheidung kam er zu dem Ergebnis, daß der gesetzliche Pflichtenkatalog, der den Reisevermittlern auferlegt wurde, durchaus den Zweck hat, den Wettbewerb zwischen den Vermittlern einzuschränken56. Auch seien die Vereinbarungen geeignet, den grenzüberschreitenden Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen57. Die Rechtsvorschrift des Belgisehen Staates sah der EuGH als unvereinbar mit der Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 5 EGV in Verbindung mit den Art. 3 Buchstabe g (damals Buchstabe f EWGV) und 85 EGV an, da die betreffende nationale Vorschrift bewirkte, die Auswirkungen gegen Art. 85 EGV verstoßender Kartellabsprachen zu verstärken 58. Im Gegensatz zum Fall ,,Leclerc" sprach der Gerichtshof damit einen Verstoß gegen den "effet utile" aus, wenn ein Mitgliedstaat verbotene Kartellabsprachen vorschreibt oder deren Auswirkungen durch Erstrecken auf Dritte verstärkt59. Diese Rechtsprechung hat insofern weitreichende Wirkung, als sie Zwangskartelle oder staatliche Sanktionen von Wettbewerbsverträgen als unwirksam deklariert. Die Rechtsprechung zeigte damit eine marktwirtschaftliche, am Wettbewerb orientierte Tendenz60 • Vß. "Woodpulp"

Wiederum um die Vereinbarkeit mit Art. 85 EGV ging der Streit in den verbundenen Rechtssachen61 89/85, 104/85, 114/85, 116-117/85 und 125 - 129/8562 . Im Gegensatz zu den vorangegangenen Entscheidungen hatte 56

Urteil, Entscheidungsgrund 17; dazu Loewenstein, Air Law, S. 60 f.

57 Urteil, Entscheidungsgrund 18. 58 Urteil, Entscheidungsgrund 24; dazu auch Bauer, Wettbewerbsbeschränkungen

durch Staaten?, S. 98 f.; Everling, Ulrich, Zur Wettbewerbskonzeption in der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, WuW 1990, s. 995 ff. (1005). 59 Everling, Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs über Wettbewerbsfragen, S. 35 ff. (50). 60 Everling, ebd., S. 53. 61 Der Gerichtshof kann jederzeit durch (Prozeß-)Beschluß Rechtssachen gleichen Streitgegenstands oder im Zusammenhang stehende Rechtssachen "zum Zwecke des schriftlichen oder mündlichen Verfahrens oder einer gemeinsamen Entscheidung" verbinden (Art. 43 VerfO GH); vgl. Klinke, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Rn. 140 Fn. 117. 62 Urteil des Gerichtshofes vom 27.9.1988, verbundene RS 89, 104, 114, 116, 117 und 125-129/85, A. Abiström Osakeyhtiö u.a. ./. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, EuGHE 1988, S. 5193 ff.

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

der EuGH in diesen Rechtssachen wesentlich "weitreichender" zu entscheiden. Es stand die extraterritoriale Gültigkeit von staatlichen Hoheitsakten, konkret von der Entscheidung der Kommission 85/202/EWG63 , zur Debatte64.

Eine Reihe von Zellstoffherstellem, die sämtlich ihren Sitz außerhalb der Gemeinschaft hatten, erhoben Klage gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV auf Aufhebung der Entscheidung. In ihrer Entscheidung hatte die Kommission festgestellt, daß die späteren Kläger, eine Reihe von Zellstoffherstellern und zwei ihrer Verbände, mehrere Verstöße gegen Art. 85 EGV begangen hatten und setzte deshalb Geldbußen gegen sie fest. Die Kommission warf ihnen vor, Abstimmungen über die den in der Gemeinschaft ansässigen Kunden vierteljährlich angekündigten Preise und die diesen gegenüber tatsächlich praktizierten Verkaufspreise vorgenommen zu haben65• Problematisch war insbesondere, daß sämtliche Kläger ihren Sitz außerhalb von EG-Mitgliedstaaten, nämlich in den USA, in der Schweiz und in Finnland hatten. Die Kommission mußte deshalb rechtfertigen, weshalb die Zuständigkeit der Gemeinschaft zur Anwendung des Art. 85 EGV auf die beanstandeten Abstimmungen gegeben sein sollte66 • Die Zuständigkeit ergab sich, weil die Unternehmen entweder Geschäfte über in der Gemeinschaft ansässige Unternehmen machten oder in der Gemeinschaft ansässige Vertragspartner beim Warenverkauf hatten. Die Mehrzahl der Verkäufe hatte damit einen direkten Bezug zur Gemeinschaft. Die Kläger hatten die fehlende Zuständigkeit der Kommission für die beanstandeten Fälle gerügt. Wenn die Kommission den räumlichen Geltungsbereich des Art. 85 EGV also tatsächlich falsch beurteilt hätte, läge die Völkerrechtswidrigkeit der Entscheidung nahe. Art. 85 EGV verbietet alle Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen zwischen Unternehmen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und eine Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken.

Entscheidung der Kommission vom 19.12.1984, ABI. 1985 Nr. L 85, S. I ff. Weber, The EEC air transport market and its impact on the airline industry, S. 49 ff. (53); dazu auch Kerry, Extraterritorial Application of Competition Law, s. 125 ff. (139 ff.). 65 Art. I Abs. I und 2 der Entscheidung. 66 Dazu Giemulla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, C 4a Rn. 3; Loewenstein, European Air Law, S. 121. 63

64

6. Kap.: Die integrative Funktion des Gerichtshofes

97

Die Kommission führte aus, daß in der Gemeinschaft ansässige Zellstoffverarbeiter unabänderbar mit Herstellern außerhalb der EG, insbesondere mit skandinavischen Herstellern oder Herstellern aus Nordamerika verhandeln mußten. Da alle ausländischen Hersteller im europäischen Markt miteinander konkurrierten, war durch eine Preisabsprache untereinander auch der europäische Wettbewerb beeinträchtigt. Auch die Empfehlungen der zwei klagenden Verbände in denen sich Zellstoffhersteller zusammengeschlossen haben, konnten nicht anders bewertet werden. Der räumliche Geltungsbereich des Art. 85 EGV wurde von der Kommission folglich nicht falsch beurteilt. Ihre Maßnahmen sind von dem im Völkerrecht geltenden sog. "Territorialitätsprinzip"67 gedeckt68 • Auch im Bereich des Luftverkehrs dürfte diese Entscheidung bei Verstößen von Nicht-EG-Carriem gegen Art. 85 EGV von Bedeutung sein, sofern sich wettbewerbsrelevante Absprachen negativ auf den Binnenmarkt auswirken. VID. "Ahmed Saeed" Dem Streit in der RS 66/8669 lagen Unstimmigkeiten über die Auslegung der Art. 5, 85, 86, 88, 89 und 90 EGV zugrunde70• Der Bundesgerichtshof hatte mit Beschluß vom 30. Januar 1986 dem EuGH wettbewerbsrechtliche Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, um beurteilen zu können, ob bestimmte Praktiken bei der Festsetzung von Tarifen für den Fluglinienverkehr mit den genannten EG-Vorschriften vereinbar sind. Grundlage des Rechtsstreits war der Verkauf von Weichwährungstickets in der Bundesrepublik Deutschland, der von der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs als unlauteres Verhalten im Wettbewerb beanstandet wurde. Zwei in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Reisebüros hatten in anderen Ländern Flugtickets für dort beginnende Flüge erworben, die nach Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 1166 ff. Lenz, The decisions of the European Court of Justice on the applicability of the rules of the Treaty of Rome to air transport, S. 33 ff. (44); Loewenstein, European Air Law, S. 121. 69 Urteil der Gerichtshofes vom 11.4.1989, RS 66/86, Firma Ahmed Saeed Flugreisen und Silver Line Reisebüro GmbH ./. Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V., EuGHE 1989, S. 803 ff.; Häbel, Mitteilung der Rechtsprechung: Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 11.4.1989 (RS 66/ 86) "Wettbewerb-Flugtarife", ZLW 1989, S. 124 ff.; Anmerkung zum Urteil von Mölls, ZLW 1989, S. 133 ff. 70 Ausführlich Adenauer-Frowein, EWG-Vertrag und Luftverkehr: Neueste Rechtsprechung, ZLW 1986, S. 193 ff.; Stanbrook, Anmerkungen zum Urteil, CMLRev 1989, S. 535 ff.; Gaillard/Pingel, La liberalisation des transports aeriens dans Ia Communaute economique europeenne, RFDAS 1990, S. 9 ff. (22 ff.). 67 68

7 Baumann

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

der Zwischenlandung in der Bundesrepublik Deutschland in einen Drittstaat weitergingen. Damit konnten sie deutschen Kunden, die bei der Zwischenlandung zustiegen, Tickets für Linienflüge verkaufen, die die gemäß § 21 LuftVG genehmigten Tarife für die jeweilige Strecke um bis zu 60% unterschritten. Konkret stellte der BGH drei Vorlagefragen: - Ob bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen über Linienflugtarife, an denen mindestens ein Luftfahrtunternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat beteiligt ist, wegen Verstoßes gegen Art. 85 Abs. 1 EGV nichtig sind, auch wenn weder die Behörde des Mitgliedstaates (Art. 88 EGV) noch die Kommission (Art. 89 Abs. 2 EGV) ihre Unvereinbarkeit mit Art. 85 EGV festgestellt hat. - Ob in der Erhebung ausschließlich solcher Tarife für Linienflüge die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung im Sinne des Art. 86 EGV liegt. - Ob die Genehmigung solcher Tarife durch die Genehmigungsbehörde eines Mitgliedstaates mit Art. 5 Abs. 2 und Art. 90 Abs. 1 EGV unvereinbar und nichtig ist, auch wenn die Kommission die Genehmigung nicht beanstandet hat (Art. 90 Abs. 3 EGV). Während des schriftlichen Verfahrens in dieser Rechtssache hatte der EuGH die RS 209-213/84 (,,Asjes"f 1 entschieden. Im Dezember 1987 hatte daraufhin der Rat eine Reihe von Rechtsakten erlassen, die unter anderem die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf die Luftfahrt betrafen. Diese Vorschriften legte der Europäische Gerichtshof aufgrund ihrer Bedeutung bei der Entscheidung über die Vorlagefragen des BGH zugrunde. Der EuGH legte ausführlich dar, wann und unter welchen Bedingungen bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen über Fluglinientarife nach Art. 85 Abs. 2 EGV nichtig sind72 bzw. wann die Anwendung von Fluglinientarifen, die sich aus bilateralen oder multilateralen Vereinbarungen ergeben, eine mißbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung darstellen73 . Hinsichtlich der strittigen Tarife führte der EuGH aus, daß die nationalen Behörden gemäß Art. 5 und 90 EGV dem Verbot unterliegen, Tarifverein71 In dem Rechtsstreit spielte Art. 86 EGV jedoch keine Rolle; vgl. Kuyper, Anmerkungen zum Urteil, CMLRev 1986, S. 661 ff. 72 Urteil der Gerichtshofes vom 11.4.1989, RS 66/86, Firma Ahmed Saeed Flugreisen und Silver Line Reisebüro GmbH ./. Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V., EuGHE 1989, S. 803 ff. (854, Leitsatz I). 73 Urteil der Gerichtshofes vom 11.4.1989, RS 66/86, Firma Ahmed Saeed Flugreisen und Silver Line Reisebüro GmbH ./. Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V., EuGHE 1989, S. 803 ff. (854, Leitsatz 2).

6. Kap.: Die integrative Funktion des Gerichtshofes

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barungen zu fördern, die gegen Art. 85 Abs. 1 oder gegebenenfalls gegen Art. 86 EGV verstoßen74 • Die Vorschriften standen demzufolge auch der Genehmigung von sich aus solchen Vereinbarungen ergebenden Tarifen durch die nationalen Behörden entgegen. Hinsichtlich der Unanwendbarkeit der vom Bundesminister für Verkehr genehmigten Tarife ist nach den Ausführungen des EuGH zwischen gemeinschaftsinternen Flügen oder Flügen, bei denen ein Nicht-EG-Staat beteiligt ist, zu differenzieren. Bei Flügen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einem Nicht-EG-Staat kommt es darauf an, ob die deutschen Kartellbehörden oder -gerichte nach Art. 88 EGV oder die Kommission nach Art. 89 EGV die Unvereinbarkeit der (bilateralen und multilateralen) Tarifvereinbarungen mit Art. 85 festgestellt haben75 • Bei den Tarifen für Flüge zwischen der Bundesrepublik und anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ist wesentlich, daß kein Antrag auf eine Einzelfreistellung nach Art. 5 EWG-VO Nr. 3975 I 87 des Rates76 gestellt worden ist bzw. daß nicht bestimmte Umstände vorliegen, die trotz Antragstellung die Nichtigkeit der Tarifvereinbarung zur Folge haben77 • Sowohl für den Verkehr mit Drittländern als auch für den internen EG-Verkehr78 ist die Anwendung von Fluglinientarifen unwirksam, wenn dadurch eine beherrschende Ste1lung auf dem fraglichen Markt mißbräuchlich ausgenutzt wird79• Eingeschränkt werden könnte die Wirkung der Wettbewerbsregeln der Art. 85 und 86 EGV nach Art. 90 Abs, 2 EGV nur dann, wenn aufgrund bestimmter, im einzelnen festzustellender Umstände die Genehmigung von Fluglinientarifen zur Erfü1lung einer im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe unabweisbar notwendig wäre80• Ist dies nicht der Fall, würde auch die Genehmigung des Bundesministers für Verkehr an deren Unwirksamkeit nichts ändern 81 •

74 Urteil S. 854, Leitsatz 3; dazu Kulka, Das Verhältnis von Art. 85 und 86 EWGVertrag, S. 343 ff. (349). 75 BGH, Urt. v. 30.11.1989 - I ZR 170/83 (Frankfurt), EuZW 1990, S. 451 ff. (452); Urteil der Gerichtshofes vom 11.4.1989, RS 66/86, Firma Ahmed Saeed Flugreisen und Silver Line Reisebüro GmbH ./. Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V., EuGHE 1989, S. 803 ff. (Entscheidungsgründe 5, 20). 76 Dazu vgl. Kapitel 7 dieser Arbeit. 77 BGH, Urt. v. 30.11.1989 - I ZR 170/83 (Frankfurt), EuZW 1990, S. 451 ff. (452); Urteil der Gerichtshofes vom 11.4.1989, RS 66/86, Firma Ahmed Saeed Flugreisen und Silver Line Reisebüro GmbH ./. Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V., EuGHE 1989, S. 803 ff. (Entscheidungsgründe 24-26).

78 79

80

81

EuGH-Urteil, EuGH-Urteil, EuGH-Urteil, EuGH-Urteil,

Entscheidungsgründe 30-33. Entscheidungsgründe 34 ff., 39 ff., 42 ff. Entscheidungsgründe 54 ff. Entscheidungsgründe 48 ff.

100

2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

Die Entscheidung in der vorliegenden Rechtssache stellte eine bedeutende Weiterentwicklung dar und brachte Klarstellung im Bereich des Wettbewerbsrechts82.

B. Anhängige Rechtssachen I. RS 352/88 Im Streit in der RS 352/8883 hatte die Kommission der Europäischen Gemeinschaft gemäß Art. 169 EGV Klage auf Feststellung erhoben, daß die Italienische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus der Entscheidung 87 I 602 des Rates vom 14. Dezember 1987 über die Aufteilung der Kapazitäten für die Personenbeförderung zwischen Mitgliedstaaten und über den Zugang von Luftfahrtunternehmen zu Strecken des Fluglinienverkehrs zwischen Mitgliedstaaten84 verstoßen hat. Sie soll insbesondere Artikel 8 dieser Entscheidung verletzt haben, indem sie der irischen Luftfahrtgesellschaft Aer Lingus nicht die Bedienung eines Fluglinienverkehrs der fünften Freiheit DublinManchester- Mailand gestattete85. Damit wurden erstmals auch Probleme, die durch das neu geschaffene sekundäre EG-Recht auf dem Luftverkehrssektor auftauchten, vor dem EuGH diskutiert. Die genannte Entscheidung räumt in Art. 6 Abs. 1 den Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft die Befugnis ein, Flugliniendienste der dritten und vierten Freiheit zwischen Flughäfen der Kategorie 1 und Regionalflughäfen der Gemeinschaft einzurichten. Abs. 2 der Vorschrift nimmt jedoch bestimmte Flughäfen und Flughafensysteme, die nicht mit ausreichenden Einrichtungen und Sicherheitssystemen für einen derartigen Verkehr ausgestattet sind, davon aus. Nach Art. 7 der Entscheidung ist es Luftfahrtunternehmen gestattet, den Linienflug der dritten und vierten Freiheit zu verbinden. 82 Loewenstein, European Air Law, S. 63 f.; Bauer, Wettbewerbsbeschränkungen durch Staaten?, S. 103; Weber, Effect on EEC Air Transport Policy on International Cooperation, ETL 1989, S. 448 ff. (451); Vandersanden, L'application des regles de concurrence aux transports aeriens, ETL 1989, S. 419 ff.

83 Klage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen die Italienische Regierung, RS 352/88, eingereicht am 9.12.1988, Quelle: ABI. EG Nr. C 19 vom 25.1.1989, S. 4 ff.; dazu Jacob, Zaak 352/88 R Commissie v. Ierland, SEW 1989, s. 734 f. 84 8s

ABI. EG Nr. L 374 vom 31.12.1987, S. 19 ff.

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, der Gestattung der Bedienung eines Fluglinienverkehrs durch die Italienischen Behörden zugunsten der Gesellschaft Aer Lingus wurde vom Präsidenten des Gerichtshofes am 3.2.1989 zurückgewiesen. Vgl. TCDA/Beschluß vom 3.2.89- Rechtssache 352/88 R.

6. Kap.: Die integrative Funktion des Gerichtshofes

101

Schließlich räumt die Entscheidung in Art. 8 Abs. 1 "den Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft unbeschadet der Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2" die Befugnis ein, einen Fluglinienverkehr der fünften Freiheit zu bedienen. Bei der vorliegenden Streitigkeit geht es grundsätzlich um die Auslegung des Art. 8, der auf die Ausnahme des Art. 6 Abs. 2 verweist. Nach dieser Vorschrift ist der Flughafen in Milano-Linate/Malpensa von etwaigen Liniendiensten der dritten und vierten Freiheit ausdrücklich ausgeschlossen. Die italienischen Behörden gestatteten jedoch Aer Lingus, ihre Flugdienste Dublin- Manchester und Dublin- Milano, gemäß Art. 7 der Entscheidung ohne Verkehrsrechte zu verbinden. Die Italienische Regierung trug vor, aufgrund der Formulierung des Art. 8 Abs. 1 würden die für bestimmte Flughäfen oder Flughafensysteme bezüglich der Einrichtung von Flugdiensten der dritten und vierten Freiheit vorgesehenen Ausnahmen auch für die Einrichtung von Flugdiensten der fünften Freiheit gelten. Dagegen machte die Kommission geltend, daß die Formulierung nur ausschließen sollte, daß Verkehrsrechte der fünften Freiheit zur Umgehung der für die Begründung von Rechten der dritten und vierten Freiheit vorgesehenen Ausnahmen benutzt werden. Die Genehmigung könnte also nur versagt werden, wenn sie die gleichen Folgen für die in Art. 6 Abs. 2 ausgenommenen Flughäfen habe wie die Erteilung der dritten und vierten Freiheit.

II. RS 298/89 ("Gibraltar I") Der RS 298/8986 liegt ein Streit bezüglich der RL 89/463/ EWG87 zugrunde. Die Regierung Gibraltars beantragte in dem Rechtsstreit, die betreffende Richtlinie insoweit für nichtig zu erklären, als die Vorschrift Gibraltar betrifft. Insbesondere Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie sei rechtswidrig, da er gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor entgegenstehendem innerstaatlichen Recht verstoße: Bilaterale Vereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten sollten die generelle Anwendung des Gemeinschaftsrechts in der gesamten Gemeinschaft grundsätzlich nicht einschränken. So seien bilaterale Verhandlungen über die Hoheitsgewalt eines Territoriums, an 86 Klage der Regierung Gibraltars gegen den Rat der Europäischen Gemeinschaften, RS 298/89, eingereicht am 28.9.1989, Quelle: ABI. EG Nr. C 288 vom 16.11.1989, s. 7 ff. 87 Richtlinie des Rates vom 18.7.1989 zur Änderung der RL 83/416/EWG über die Zulassung des interregionalen Linienluftverkehrs zur Beförderung von Personen, Post und Fracht zwischen den Mitgliedstaaten, ABI. EG Nr. L 226 vom 3.8.1989, s. 14 ff.

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

dem beide Vertragsstaaten interessiert seien, von der Frage der Anwendung des Gemeinschaftsrechts in diesem Territorium vollständig losgelöst. Grundsätzlich sei Gibraltar jedoch von der Anwendung keiner Richtlinie oder Verordnung ausgeschlossen. Die Nichtanwendung der Richtlinie 89/463/ EWG verletze den Grundsatz des Vertrauensschutzes, den Grundsatz der Nichtdiskriminierung und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.88 Insbesondere würde auch gegen Art. 2 und 3 EGV verstoßen. Anstau die harmonische Entwicklung des Wirtschaftlebens, eine ausgewogene Wirtschaftsausweitung und engere Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern, vereitele die Rechtsvorschrift die Erreichung dieser Ziele. Die strittige Vorschrift lasse im übrigen Wettbewerbsverzerrungen bestehen, anstau sie zu beseitigen.

Iß. RS C-336/90 ("Gibraltar II") In der RS C-336/90 hatte die Gibraltar-Development-Corporation Klage erhoben gegen die die Richtlinie 89/463/ EWG ersetzende Verordnung Nr. 2343/9089, die in Art. 1 Abs. 3 dieselbe (strittige) Klausel enthält wie Art. 2 Abs. 2 der RL. Die Begründung der Klage blieb deshalb die gleiche wie im Streit um die RL.

IV. RS C-128/91 ("Gibraltar ill") Am 8. Mai 1991 hatten die Regierung Gibraltar und die Gibraltar-Development-Corporation beim Gerichtshof Klage gegen den Rat eingereicht90• Dem Streit liegt die Verordnung Nr. 294/91 91 , d.h. konkret deren Art. 1 Abs. 3 zugrunde, durch den die Anwendung der Verordnung Nr. 294/91 auf den Flugplatz Gibraltar bis zur Anwendung einer bestimmten, von den Außenministern des Königreichs Spanien und des Vereinigten Königreichs getroffenen Regelung ausgesetzt sei. Gerügt wird die Verletzung der im EGV festgelegten Anhörungspflicht von Wirtschafts- und Sozialausschuß und von Europäischem Parlament gemäß Art. 75 Abs. 1 EGV. Zusätzlich zur Verletzung dieser Verfahrensvorschrift werden Verstöße gegen die schon in der RS 298/89 genannten Grundsätze bemängelt. 88 Obwohl die Richtlinie durch die VO Nr. 2343/90- vgl. in Kapitel 7 der Arbeit - aufgehoben wurde, hat Gibraltar die Klage bisher nicht zutückgenommen. Grund dafür ist wohl, daß auch die neue Verordnung die strittige Klausel noch enthält. 89 ABI. EG Nr. L 217 vom 11.8.1990, dazu s.u. Kapitel 7. 90 Klage der Regierung von Gibraltar und der Gibraltar Development Corporation gegen den Rat der Europäischen Gemeinschaften, Quelle: ABI. EG Nr. C 165 vom 25.6.1991, s. 13 ff. 91 ABI. EG Nr. L 36 vom 8.2.1991 , S. I ff., dazu vgl. Kapitel 7 der Arbeit.

6. Kap.: Die integrative Funktion des Gerichtshofes

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V. RS C-327191 In der RS C-327 191 hatte die Französische Republik Klage gegen die Kommission erhoben92 • Frankreich beantragte, daß das von der Kommission am 23. September 1991 unterzeichnete Abkommen mit der Regierung der Vereinigten Staaten über die Anwendung der Wettbewerbsgesetze für nichtig erklärt wird. Die Klage wird damit begründet, daß die Kommission nicht befugt sei, internationale Abkommen zu schließen. Außerdem fehle eine Begründung, was die Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit zur Folge habe. VI. RS C-58 I 92 Im Streit in der RS C-58 I 92 hatte die Fluggesellschaft Olympic Airways SA gegen die Kommission Klage erhoben93 • Die Klägerin beanstandet, daß durch die Verordnung (EWG) 234219094 Art. 190 EGV verletzt worden sei. Die Kommission habe gleiche Sachverhalte unterschiedlich behandelt. So habe sie einen Tarif der British Airways mit der Verordnung vereinbar gehalten, einen Tarif der Olympic Airways auf der gleichen Strecke zum selben Preis (nur in entgegengesetzter Richtung jedoch nicht95 •

Vll. RS C-364 I 92 Bei der RS C-364192 handelt es sich um ein Vorabentscheidungsverfahren, vorgelegt durch den Cour de Cassation, Brüssel96• Dem Vorabentscheidungsersuchen lag ein Rechtsstreit der SAT Fluggesellschaft mbH gegen Eurocontrol zugrunde. Der Cour de Cassation stellt folgende Frage: "Stellt die Europäische Organisation zur Sicherung der Luftfahrt, die durch das in Brüssel am 13. Dezember 1960 unterzeichnete und durch das Brüsseler Protokoll vom 12. Februar 1981 geänderte Übereinkommen geschaffen worden ist, ein Unternehmen im Sinne der Artikel 86 und 90 des Vertrages von Rom vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dar?"

ABI. EG Nr. C 28 vom 5.2.1992, S. 4. ABI. EG Nr. C 86 vom 7.4.1992, S. 8. 94 ABI. EG Nr. L 217 vom 11.8.1990, S. 1 ff. 9~ Durch Anordnung des Präsidenten des Gerichtshofs wurde die Klage inzwischen aus dem Register gestrichen, weil die Klägerin die Klage am 23.3.1992 zurückgenommen hatte. 96 ABI. EG Nr. C 273 vom 22.10.1992, S. 68. 92

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

Vffi. RS C 397/92 ("Gibraltar IV") Auch in dem Rechtstreit in der RS C 397 /9297 , den die Regierung von Gibraltar und die Gibraltar Development Corporation gegen den Rat der Europäischen Gemeinschaft anstrebten, ging es um die Nichtigerklärung einer Verordnung98 • Wiederum beanstanden die Kläger den Verstoß gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts gegenüber entgegenstehenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften.

IX. RS C-74/93 Am 17. März 1993 hat die Kommission Klage gegen den Rat erhoben99 • Sie beantragte, den Beschluß 92/609/EWG des Rates vom 7. Dezember 1992 über den Abschluß der Abkommen in Form von Briefwechseln zwischen der Gemeinschaft und der Republik Ungarn zur Änderung von Abkommen über den Transitverkehr und zur Ersetzung der Briefwechsel über die Landverkehrswege, unterzeichnet in Brüssel am 16. Dezember 1991 100, für nichtig zu erklären. Die Kommission hält Art. 113 EGV für die richtige Ermächtigungsgrundlage, weil es sich von Zielsetzung und Inhalt her um ein Handelsabkommen handle. Der Rat hat das Abkommen dagegen auf Art. 75 EGV gestützt.

X. RS C-75/93 Mit der gleichen Begründung hat die Kommission Klage erhoben in der RS 75/93 101 • Es handelt sich dabei um Briefwechsel zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Tschechien bzw. der Slowakischen Föderativen Republik.

XI. RS C-168/93 ("Gibraltar V") Schließlich haben am 19. April 1993 die Regierung Gibraltar und die Gibraltar Development Corporation gegen den Rat Klage erhoben und die Nichtigerklärung der VO Nr. 95/93 (EWG) 102 des Rates verlangt. Die Begrün-

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ABI. EG Nr. C I vom 5.1.1993, S. 7 - eingereicht am 17.11.1992.

VO (EWG) des Rates Nr. 2408/92, ABI. EG Nr. L 240 vom 24.8.1992, S. 8 ff. ABI. EG Nr. C 112 vom 22.4.1993, S. 8. 100 ABI. EG Nr. L 407 vom 31.12.1992, S. 47. 101 ABI. EG Nr. C 112 vom 22.4.1993, S. 8. 102 ABI. EG Nr. L 14 vom 22.1.1993, S. 1.

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7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

105

dung ist wiederum dieselbe wie in den vorangegangenen Rechtstreitigkeiten, die von Gibraltar eingeleitet wurden.

C. Auswirkungen der Urteile Der EuGH wurde vielfach als ,,Motor der europäischen Luftverkehrspolitik"103 bezeichnet. Diese Umschreibung ist durchaus berechtigt. Stets waren BuGH-Urteile entscheidende Impulsgeber für etwaige Gesetzgebungen des Rates. Wichtige Erkenntnisse für das Recht der Luftfahrt ergeben sich aus den Urteilen ,.Nouvelles Frontieres" und ,,Ahmed Saeed", in denen namentlich Fragen zum Wettbewerbs- und Kartellrecht beantwortet werden. Die Europäische Gemeinschaft hat danach die Diskriminierungen im grenzüberschreitenden Luftverkehr zu beseitigen. Insbesondere sind Vorbehalte im Kabotagebereich aufzuheben, um anderen EG-Fluggesellschaften unbeschränkt Zugang zum innergemeinschaftlichen (nationalen) Verkehr zu gewähren. Die derzeitigen Preisbildungsmechanismen auf dem Gebiet des Luftverkehrs bedürfen einer Änderung. Staatliche Genehmigungen von Tarifanträgen, denen offensichtlich eine vorherige Absprache der nationalen Luftfahrtunternehmen vorausgegangen ist, verstoßen gegen die Wettbewerbsvorschriften des EGV und sind deshalb nicht zulässig. 7. Kapitel

Stand der europäischen Regelungen A. Das Erste Memorandum der Kommission vom 4. Juli 1979/30. August 1979 In ihrem ersten Memorandum vom 4. Juli 19791 analysiert die Kommission die Marktstruktur des europäischen Luftverkehrs und erörtert lang-, mittel- und kurzfristige Ziele für eine gemeinschaftliche Luftverkehrspolitik. Damit verbunden war das Bestreben, die Diskussion insbesondere zwischen Rat und Kommission über die Schaffung einer gemeinschaftlichen europäischen Luftverkehrspolitik anzufachen.

Beispielsweise bei Loewenstein, European Air Law, S. 64. KOM(79) 311 endg.

103 1

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

Die Kommission zeigt dabei eine Reihe erfolgversprechender Maßnahmen auf. Vier Zielsetzungen scheinen ihr von vorrangiger Bedeutung: - ein von nationalen Hemmnissen freies Gesamtstreckennetz mit Verkehrsdiensten, die zugunsten der Verbraucher zu möglichst niedrigen Preisen angeboten werden sollten, - die finanzielle Ausgewogenheit der Fluggesellschaften, - die Wahrung der Interessen der Luftfahrtbediensteten, und - die Schaffung besserer Lebensbedingungen für die breite Öffentlichkeie. Die Kommission schlägt verschiedene Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele vor. Ihre Argumentation stützt sie auf von ihr durchgeführte empirische Untersuchungen und die Analyse der Lage des Luftverkehrs. Vor allem die Diskussion bezüglich der Änderung der Tarifstruktur im Luftverkehrswesen3 , der Errichtung von interregionalen Luftfahrtdiensten4 und die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften auf den Verkehrssektor sind Kernpunkte des Memorandums. Aus Sicht der Kommission sollten dabei die allgemeinen Ziele des Art. 2 EGV auch auf die Luftfahrt - als wirtschaftlicher Sektor - Anwendung finden. Die Vereinheitlichung der in Art. 3 EGV festgehaltenen Politikbereiche sei notwendige Voraussetzung zur Erreichung der in Art. 2 EGV festgelegten Ziele. Einleitend schreibt die Kommission, daß sie " . .. überzeugt (sei), daß der vorliegende Beitrag zu größeren und realistischeren Beiträgen seitens der Gemeinschaft im Hinblick auf ein besseres, für den Fluggast wesentlich vorteilhafteres Flugwesen in Europa führen wird, wobei die ökonomischen Belange der Fluggesellschaften streng berücksichtigt und ein Auseinanderbrechen des weltweiten Systems vermieden werden (sollte)"6 • Die Verwirklichung dieser Ziele ist der Kommission nur teilweise gelungen. Zwar wurde ein Kommissionsvorschlag für eine "Entscheidung des Rates zur Einführung eines Beratungsverfahrens für ein Vorgehen auf internationaler Ebene im Bereich des Luftverkehrs"7 , die "nationale Alleingänge" der Mitgliedstaaten im luftverkehrspolitischen Bereich verhindern sollte, erlassen. Weitreichende Reformierungen auf europäischer Ebene wurden vom Rat jedoch nicht angestrebt. Andererseits ist die "spärliche" Umsetzung der KOM(79) 311 KOM(79) 311 4 KOM(79) 311 5 KOM(79) 311 6 Zit. KOM(79) 2

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endg., S. 2. endg., S. 21, Rn. 56 ff. endg., S. 22 f., Rn. 61 ff. endg., S. 24, Rn. 68 ff. 311 endg., S. 4, Rn. 9.

ABI. EG 1980 Nr. L 18 vom 24.1.1980, S. 24.

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

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Vorschläge der Kommission nicht sehr verwunderlich, denn das erste Memorandum beinhaltet zwar Zielsetzungen, gibt jedoch keine bzw. nur äußerst vage Vorgaben. Ein sofortiges Aufgreifen der "Kommissionsideen" konnte nicht ernsthaft erwartet werden, weil sie selbst von der "Erörterung lang-, mittel- und kurzfristiger Ziele sprach"8 • Sie schien also selbst nicht davon auszugehen, daß das Memorandum in Kürze tiefgreifende Fortschritte auf dem Gebiet der Luftverkehrspolitik nach sich ziehen würde.

B. Das Zweite Memorandum der Kommission vom 15. März 1984 Die weiteren Entwicklungen der Luftverkehrspolitik der Europäischen Gemeinschaft waren sowohl durch die weltweite Rezession als auch die amerikanischen Deregulierungsbestrebungen auf dem Luftverkehrssektor beeinflußt. Mit der Rezession gingen sinkende Passagierzahlen einher, so daß auch die Europäische Gemeinschaft bestrebt war, wirksame Gegenmaßnahmen zu treffen9 • Zugleich bewirkte die amerikanische Deregulierungspolitik immense Kostensenkungen zugunsten der Passagiere, was für den europäischen Luftverkehrsmarkt nicht ohne Folgen bleiben sollte 10• Reaktion auf diese Ereignisse und auf die wachsende Kritik der Verbraucher an dem in Europa geltenden System war das zweite Memorandum der Kommission vom 15. März 198411 , das als Fortentwicklung und Ergänzung des ersten von 1979 veröffentlicht wurde 12 und insbesondere der Zielsetzung gerecht werden wollte, die Schaffung eines Gemeinschaftsmarktes der Luftfahrt zu fördern und einen Beitrag zum Ausbau des Binnenmarktes im weitesten Sinne zu leisten13• Im Mittelpunkt des Memorandums steht nach eigener Aussage der Kommission die Beziehung zwischen Wettbewerbspolitik (insbesondere die Anwendung der Wettbewerbsartikel des Vertrages) und Luftfahrtpolitik14• KOM(79) 311 endg., S. 1, Rn. 1. Williams, Interna! Market and Common Market - the Single European Act vs. the Treaty of Rome, S. 17. 10 Gaillard/ Pingel, La liberalisation des transports aeriens dans Ia Communaute economique europeenne, RFDAS 1990, S. 9 ff. (10). Der amerikanische Luftverkehr wurde durch das "Airline Deregulation Act" vom 24.10.1978 (92 Stat. 1705 [1978]) dereguliert. 11 KOM(84) 72 endg. 8

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12 Naveau, International Air Transport in a Changing World, S. 187 f.; Folliot, Les voies et moyens de l'evo1ution reg1ementaire du transport aerien en Europe, RFDA 1986, s. 24 ff. (26). 13 KOM(84) 72 endg., S. I, Punkt i. 14 KOM(84) 72 endg., S. II, Punkt iv. und v.

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

Auch dieses zweite Memorandum war jedoch weit davon entfernt, ein gänzlich liberalisiertes Luftverkehrswesen zu fordern. Zwar wird ein flexibleres und Wettbewerbsorientierteres System als bisher angestrebt, Deregulierungsbestrebungen amerikanischen Stils sind jedoch nur ansatzweise zu erkennen. Immerhin werden jedoch entscheidende Prinzipien für die Aufstellung einer gemeinsamen Luftverkehrspolitik erklärt und (teilweise) präzise Vorschläge zur Verwirklichung derselben gemacht 15. Grundsätzlich will die Kommission das bilaterale System 16 beibehalten 17. Die Mitgliedstaaten sollen also auch weiterhin die Möglichkeit haben, bilateral Vereinbarungen und Abmachungen über den Luftverkehr zu treffen 18 • Flexibilität wird jedoch im Hinblick auf wettbewerbsschädigende bzw. -verhindernde Elemente verlangt. Wettbewerbsfeindliche Praktiken wie z.B. die Doppelgenehmigung von Tarifen, Kapazitätskontrolle, Kontrolle über Marktzutrittsrechte19 etc. werden herausgestellt und es werden mehrere Vorschläge zur künftigen Luftverkehrsgestaltung gemacht20, um die Effizienz der Fluggesellschaften zu erhöhen21 . Von ganz erheblicher Bedeutung ist der Vorschlag der Kommission, den Luftverkehrsgesellschaften die Möglichkeit zu erteilen, selbständig Tarifpolitik zu betreiben, um damit die Preise nach wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten der jeweiligen Marktsituation anzupassen. Ihre Forderung, zugunsten der Verbraucher ein transparenteres Tarifsystem einzuführen22, könnte dadurch erfüllt werden23 . Die Kommission sah also bereits 1984 die Wettbewerbspolitik als einen der entscheidenden Punkte an. Obwohl sie dazu insbesondere in den Anhängen zum Memorandum präzise Vorschläge gemacht hat, blieb der Rat untätig. Diese Haltung war schon zum Zeit15 Kalshoven-van Tijen, Recent Developments in EEC aviation law: "the second phase", AL 1990, S. 122 ff. (127 f.). 16 Zum Problem des Bilateralismus im Luftverkehr der EG Tegelberg-Aberson, Freedom in European air transport: the best of both worlds?, AL 1987, S. 282 ff. (282); Mulder, Bewegingsvrijheid van het commerciele luchtvervoer in de Europese Gemeenschappen, SEW 1980, S. 672 ff. (674). 17 Meier, Wettbewerb und Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs aus der Sicht der Lufthansa, S. 55 ff. (63). 18 KOM(84) 72 endg., S. I; Videla Escalada, Considerations on the legal regulation of air transport in the near future, AL 1990, S. 140 ff. (141). 19 KOM(84) 72 endg., S. 28 ff., Rn. 45 ff. 20 Dazu Commentaire Megret, Le Droit de Ia CEE 3 - Libre Circulation - Transports, Rn. 135. 21 KOM(84) 72 endg., S. II. 22 KOM(84) 72 endg., S. 27, Rn. 44, Unterpunkt b). 23 Dazu Quintana Carlo, La Aplicacion de las Reglas de Ia Competencia del Tratado de Roma a Ia Fijacion de Tarifas en los Transportes Aeros, Revista de Instituciones Europeas 1988, S. I 05 ff. (116).

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

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punkt des Erlasses des Memorandums nicht nachvollziehbar. Angesichts des Handlungsbedarfs (wachsende Kritik der Verbraucher an dem in Europa bestehenden System, Auswirkung der Rezession auf die Finanzen der Fluggesellschaften und Deregulierung in der Luftfahrt in den Vereinigten Staaten) fand die "Gleichgültigkeit" des Rates weder Unterstützung bei Verbraucher noch bei großen Teilen der Flugdienstanbieter.

C. Das Weißbuch der Kommission Auf ihren Tagungen vom 3. -4. Dezember 1982 in Kopenhagen und vom 25.-26. Juni 1984 in Fontainebleau verdeutlichten die Regierungschefs der Mitgliedstaaten, daß sie eine Stärkung des Binnenmarktes wünschten24• Die Kommission griff diesen Wunsch auf und legte dem Europäischen Rat am 28./29. Juni 1985 in Mailand25 ein Weißbuch über die Vollendung des Binnenmarktes vor6 . Die Kommission definiert ihre Aufgabe selbst als "Vorgabe von Programm und Zeitplan für das vom Europäischen Rat zu schaffende komplette Bild eines einheitlichen Binnenmarktes'm. In mehrere Abschnitte untergliedert, enthält das Weißbuch daher ca. 300 verschiedene Harmonisierungsvorschläge in verschiedensten Politikbereichen28 • Auch zur Verkehrspolitik nimmt die Kommission in ihrem Weißbuch Stellung29• Sie zeigt dabei nicht nur erforderliche Harmonisierungsmaßnahmen auf, 30 sondern macht zugleich deutlich, was eine Untätigkeit des Europäischen Rates speziell auf dem Verkehrssektor für Folgen nach sich zöge31 • Die Kommission würde sich dann vorbehalten, die Mitgliedstaaten zu ermächtigen, selbst Maßnahmen zu ergreifen, die mit Art. 89 EGV in Einklang stünden32• 24 Bull. EG 1211982, S. 9; 6/1984, S. 7 -12; dazu De Ruyt, L' Acte Unique Europeen, S. 50, 150. 25 Dazu Schmuck/Wessels, Die Mailänder Tagung des Europäischen Rates Weder Fehlschlag noch Durchbruch zur Europäischen Union, Integration 8 (1985), s. 95 ff. 26 Veröffentlicht durch das Amt für amtliche Veröffentlichungen der EG, Luxemburg (Katalog-Nr. CB-43-85-894-DE-C), 1985. 27 Weißbuch, S. 4, Rn. 1-3. 28 Dazu Williams, The Single European Act vs. the Treaty of Rome, S. 18. 29 Weißbuch, S. 28, Rn. 108-112. 30 Zobel, Liberalisierung in der Verkehrspolitik in Richtung 1992 Fluch oder Segen, S. 3. 31 Genauer Lenz, Die Verkehrspolitik der Europäischen Gemeinschaften im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofes, EuR 1988, S. 158 ff. (158 f.). 32 Weißbuch, S. 29, Rn. 111.

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

D. Die Einheitliche Europäische Akte Nicht als Reaktion auf das Weißbuch der Kommission, aber unter Berücksichtigung von dessen Anregungen und Forderungen33 , wurde am 28. Februar 1986 die Einheitliche Europäische Akte (EEA)34 verabschiedee5 . In einem langwierigen Prozeß wurden in verschiedenen Konferenzen36 die künftigen Zielsetzungen der Europäischen Gemeinschaft erörtert, insbesondere mußte die Süderweiterung vorbereitet werden. Im Dezember 1985 standen erste Ergebnisse fest. Die Änderung der Verträge und die Einführung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) als Instrument des Fortschritts auf dem Weg zu einer Europäischen Union sollte in einem einheitlichen Akt geschehen37. Eine der zentralen Zielsetzungen der EEA ist die Verwirklichung des Binnenmarktes bis 199238. Um diesen zu erreichen, spricht der neu eingeführte Art. 8 Buchstabe a EWGV (heute Art. 7 Buchstabe a EGV) erstmals von den notwendigen "Maßnahmen"39 . Die EEA sieht neue Mechanismen bei Entscheidungen vor. Für den Luftverkehr heißt dies konkret, daß die Einstimmigkeitsregel des Art. 84 Abs. 2 EGV wegfallt. Stattdessen reicht bei Abstimmungen die qualifizierte Mehrheit, also die Zustimmung von acht Staaten bei Entscheidungen. Weiterhin will die EEA Art. 75 Abs. I EGV auf den Luftverkehr angewendet wissen. Eine gemeinsame Verkehrspolitik muß mit qualifizierter Mehrheit auf der Grundlage von Kommissionsvorschlägen aufgestellt werden40. Erreicht werden soll also eine gemeinsame Politik auf Gemeinschaftsebene durch die Angleichung und Koordination der einzelstaalichen Politiken41 , also dem teil33 Scharrer, Die Einheitliche Europäische Akte: Der Binnenmarkt, Integration 9 (1986), S. I 08 ff. (I 09). 34 ABI. EG 1987 Nr. L 169 vom 29.6.1987, S. I ff.; BGBI. 1986 li S. 1102; kritisch Pescatore, Die "Einheitliche Europäische Akte". Eine ernste Gefahr für den Gemeinsamen Markt, EuR 1986, S. 153 ff. (168 f.). 35 Dazu Grabitz, Die einheitliche Europäische Akte: Rechtliche Bewertung, Integration 9 (1986), S. 95 ff.; Noel, Perspektiven und Probleme der Europäischen Gemeinschaft, Integration 10 (1987), S. 47 ff. 36 Genauer Glaesner, Die Einheitliche Europäische Akte, EuR 1986, S. 119 ff.; Pipkorn, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 8a Rn. 3 ff. 37 Glaesner, Die Einheitliche Europäische Akte, EuR 1986, S. 119 ff. (121). 38 Dazu Zobel, Liberalisierung in der Verkehrspolitik in Richtung 1992 Fluch oder Segen, S. 3. 39 Wassenbergh, EEC-Cabotage after 1992!?, AL 1988, S. 282 ff (282). 40 Ausführlich hierzu Guillaume, La Communaute Economique Europeenne et Je transport aerien, AnnASL 1988, S. 65 ff. (75 f.). 41 Wassenbergh, EEC-Cabotage after 1992!?, AL 1988, S. 282 ff. (283).

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

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weisen Verzicht auf nationales Recht zugunsten der Gemeinschaft42 • An einen einheitlichen europäischen Luftraum ohne jegliche nationale Hoheitsrechte wird dabei jedoch nicht gedacht. Dies spräche gegen die Interessen sämtlicher EG-Mitgliedsländer43 • Entscheidend ist, daß die EEA die bisherigen Strukturen im Luftverkehrswesen, das geprägt war von nationaler "Herrschaft" und Bilateralismus, umgestalten wollte, um der Verwirklichung der Ziele der Verträge den Weg zu ebnen.

E. Das "Dezemberpaket" von 1987 Am 14. Dezember 1987 hat der Rat nach langen Verhandlungen ein erstes Maßnahmenpaket erlassen und wurde damit insbesondere den Forderungen der Niederlande und Großbritanniens nach Liberalisierung des Luftverkehrs gerecht44 • Dieses Maßnahmenpaket hatte schon zuvor im Juni desselben Jahres mit nahezu gleichem Wortlaut zur Disposition gestanden. Die Verabschiedung scheiterte jedoch an dem Veto Spaniens45 • Endlich, im Dezember, stand die "europäische Idee" wieder im Vordergrund46 • Im Dezemberpaket gibt der Rat konkrete Schritte für die Liberalisierung des Luftverkehrs innerhalb der Gemeinschaft zwischen den Mitgliedstaaten vor. Das Paket besteht aus vier Rechtsakten47 : zwei Verordnungen bezüglich der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf die Linienluftfahrt48 und bezüg42 Mifsud, New proposals for new directions: 1992 and the GATI approach to trade in air Iransport services, AL 1988, S. 154 ff. (155 f.). 43 Wassenbergh, EEC-Cabotage after I 992!?, AL I 988, S. 282 ff. (284). 44 Tegelberg-Aberson, Freedom in European air transport: the best of both worlds?, AL I987, S. 282 ff. (287); Doorten, Oe luchtvaart in de EG na I992, ESB I988, S. I 160 ff. (I 163). 45 Spanien wollte für Gibraltar - ebenso wie für andere kleinere spanische Flughäfen - bestimmte Ausnahmen gewährt wissen. Vgl. Mifsud, New proposals for new directions: I992 and the GATI approach to Irade in air Iransport services, AL I 988, S. 154 ff. (156); Tegelberg-Aberson, Freedom in European air transport: the best of both worlds?, AL 1987, S. 282 ff. (295). 46 So S;rensen, Air Deregulation Means Lower Fares, More Competition, I 988, May Europe, S. 36, zit. nach Williams, The Single European Act vs. the Treaty of Rome, S. 3 ff. (20). 47 Ausführlich Weber, The EEC air transport market and its impact on the airline industry, S. 49 ff. (57 f.); Banowsky, Cutting Drag and lncreasing Lift: How Weil Will a More Competitive EEC Air Transport lndustry Fly?, The International Lawyer 1990, s. 179 ff. (187 ff.). 48 Verordnung (EWG) Nr. 3975/87 des Rates vom 14.12.1987 über die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtuntemehmen, ABI. EG Nr. L 374 V. 31.12.1987, S. I.

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

lieh der damit verbundenen Gruppenfreistellungen49, eine Richtlinie über Tarife im FluglinienverkettrO und eine Entscheidung zu Kapazitätsaufteilung und Marktzugang von Luftfahrtuntemehmen51 • Mit diesen Vorschriften wurden zwar teilweise die Vorschläge des Zweiten Memorandums aufgegriffen, allerdings in einer "verwässerten Form"52 beziehungsweise "außerordentlich mäßig"53 • Im Vergleich zu der amerikanischen Deregulierungspolitik scheinen die europäischen Liberalisierungsbestrebungen tatsächlich dürftig. Aber die von den Amerikanern vorgelegte Geschwindigkeit der Deregulierungspolitik war für die Europäer keine nachahmenswerte Vorgehensweise für das Erreichen eines liberaleren Luftverkehrsmarktes54• Nicht nur verschiedene Vorstellungen der Zwölf verlangten ein langsameres Vorgehen, auch die negativen Erfahrungen der Amerikaner der siebziger und achtziger Jahre55 provozierten eine andere Handelsstrategie. Ein dem in Amerika vorherrschender vergleichbarer Enthusiasmus war in Europa nicht erkennbar. Für die Europäer standen vielmehr Bankrotte und Zusammenschlüsse von Fluggesellschaften als zu befürchtende Konsequenz einer Totalliberalisierung im Raum56• Auch 49 Verordnung (EWG) Nr. 3976/87 des Rates vom 14.12.1987 zur Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Luftverkehr, ABI. EG Nr. L 374 v. 31.12.1987. s. 9. 50 Richtlinie des Rates vom 14.12.1987 über Tarife im Fluglinienverkehr zwischen Mitgliedstaaten (87/601/EWG), ABI. EG Nr. L 374 v. 31.12.1987, S. 12, inzwischen geändert durch die VO (EWG) Nr. 2342/90 des Rates, ABI. L 217 vom 11.8.1990, s. 1 ff. 51 Entscheidung des Rates vom 14.12.1987 über die Aufteilung der Kapazitäten für die Personenbeförderung zwischen Luftfahrtunternehmen im Fluglinienverkehr zwischen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und über den Zugang von Luftfahrtunternehmen zu Strecken des Fluglinienverkehrs zwischen Mitgliedstaaten (87/602/ EWG), ABI. EG Nr. L 374 v. 31.12.1987, S. 19, inzwischen aufgehoben durch die VO (EWG) Nr. 2343/90 des Rates, ABI. L 217 vom 11.8.1990, S. 8 ff.; dazu Vincent, Position de Ia Commission CEE. La politique commune du transport aerien, ETL 1986, s. 518 ff. (519). 52 Zit. HaJJnappel, A Decade of Deregulation, Address before the Aviation & Space Law Section of the Ass'n of American Law Schools, Miami, Fla., Jan. 9, 1988, S. 11. 53 Kalshoven-van Tijen, Recent Developments in EEC aviation law: .,the second phase", AL 1990, S. 122 ff. (129). 54 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Ein Europa ohne Grenzen für den Luftverkehr und die Luftverkehrsindustrie, Stichwort Europa, Januar I Februar 1989, s. 5. 55 Ausführlich Dempsey, Deregulation's First Decade, J. of Commerce, Dec. 18, 1987, S. 8A; Rehm, Die Behandlung der Luftfahrt in der Europäischen Gemeinschaft, ZLW 1985, S. 201 ff. (203). 56 Kalshoven-van Tijen, Recent Developments in EEC aviation law: .,the second phase", AL 1990, S. 122 ff. (133).

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

113

etwaige Einbußen im Sicherheitsbereich57 wollten die Europäer verhindern 58 • Nicht zuletzt sollte eine lediglich schrittweise Liberalisierung auch der Luftverkehrsindustrie genügend Zeit zur Anpassung lassen59.

I. Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln des EGV Die Wettbewerbsregeln, Art. 85 ff. 60, sollen die Errichtung von wettbewerbsbeschränkenden Kartellen, Konzernen und Trusts verhindern. Entgegen der langjährigen Ansicht der Mehrheit der Mitgliedstaaten61 sind sie auch auf den Verkehrssektor anwendbar62 • Dies besagt der eigene Verkehrstitel des EGV63 nicht ausdrücklich. Art. 74 EGV verpflichtet die Mitgliedstaaten lediglich generell, die Ziele des EGV im Rahmen einer gemeinsamen Verkehrspolitik zu verfolgen. Zwei Fragen standen deshalb lange Zeit im Vordergrund. Regelten die Art. 74-84 EGV die Verkehrspolitik abschließend? Sofern dies nicht der Fall war und andere allgemeine Regelungen Anwendung fanden, nahm dann Art. 84 II EGV den Luftverkehr und die Seeschifffahrt ausdrücklich von der Anwendung aus? In seinem Urteil vom 4. April 197464 bezog der Europäische Gerichtshof zu diesen Fragen ausdrücklich Position. Die allgemeinen Regeln des EGV sind auch auf den Verkehrssektor anwendbar65 , auch auf Seeschiffahrt und Luftfahrt66 , für diese beiden Verkehrssektoren jedoch mit der Besonderheit, ~7 Wie in den USA vgl. Dempsey, Airline Deregulation and Laissez-Faire Mythodology: Economic Theory in Turbulence, JALC 56 (1990/91), S. 305 ff. (396 f.); Luebker, The 1992 European Unification: Effects in the Air Transport lndustry, JALC 56 (1990/91), s. 589 ff. (622 f.). ~ 8 Ausführlich Dempsey, Aerial Dogfights over Europe, JALC 53 (1987 I 88), s. 615 ff. (684). ~9 Kark, Die Liberalisierung der europäischen Zivilluftfahrt und das Wettbewerbsrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 135 ff. 60 Ebenfalls auch des EGKSV (Art. 65-67) und des EAGV (Art. 52 Abs. I, 2a). 61 S. die französische Argumentation in "Nouvelles Fronti~res", Minist~re public ./. Lucas Asjes u.a., RS 209-213/84, EuGHE 1986, S. 1425 ff. (1464 Rn. 33/34). 62 Dies war schon frühzeitig Meinung der Kommission; vgl. Memorandum No. 1, Rn. 10, 11, 68 - KOM(79) 311 endg. v. 6.7.1979; dazu auch Quintana Carlo, La Aplicacion de las Reglas de Ia Competencia del Tratado de Roma a Ia Fijacion de Tarifas en los Transportes Aeros, Revista de Instituciones Europeas 1988, S. 105 ff., s.a. Kapitel 2 der Arbeit. 63 Titel IV, Art. 74-84 EGV. 64 RS 167173, Kommission ./. Französische Republik, EuGHE 1974, S. 359 ff. 6~ Ebd., Rn. 24 ff. 66 Ebd., Rn. 29, 33; ausführlich hierzu Geys, Die Anwendung der Art. 85, 86

8 Baumann

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

daß für sie lediglich der Titel IV des EGV nicht gilt, sofern nicht der Rat etwas Gegenteiliges bestimmt67 • Der Rat hat sich mit Erlaß der Anwendungsverordnungen VO (EWG) Nr. 3975/8768 und VO (EWG) Nr. 3976/8769 deutlich zur Anerkennung der Wettbewerbsvorschriften auf die Luftfahrt bekannt. Er verdeutlicht die Pflicht der Mitgliedstaaten, auch auf dem Luftverkehrssektor Wettbewerbskonformität zu wahren und konkurrierende Luftverkehrsgesellschaften aus anderen Mitgliedsländern zuzulassen. Der Erlaß der VO (EWG) Nr. 3975/87 war notwendig, da die schon 1962 vom Rat erlassene Verordnung Nr. 141 70 die Anwendung der Verordnung Nr. 1771 (Erste Durchführungsverordnung zu den Art. 85 und 86 EGV) auf den Luftfahrtbereich ausdrücklich ausschloß. Gefordert wurde deshalb eine ergänzende Vorschrift der Verordnung Nr. 17 für den Luftverkehr in einem Rechtstreit vor dem EuGH in den Jahren 1981/8272 • Denn der Kommission standen keine Mittel zur Verfügung, im Bereich des Luftverkehrs Verstöße gegen Art. 85 bzw. Art. 86 EGV festzustellen beziehungsweise zu ahnden. Dieser Mangel wurde durch den Erlaß der VO (EWG) Nr. 3975/87 behoben73 • Allerdings gewährt diese Verordnung - anders als VO Nr. 17 - schon in Art. 2 Freistellungen für technische Vereinbarungen. Art. 3 der Verordnung bestimmt ausdrücklich die Möglichkeit der Kommission, von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden von dazu Berechtigten, Verfahren zur Abstellung von Zuwiderhandlungen einzuleiten. Dabei hat die Kommission Rechte, die ihr sonst kaum gewährt werden. Sie kann jegliche Art von Nachprüfungen vornehmen (Art. 11 I VO) und sogar Geldbußen festsetzen (Art. 12 VO). EWG-Vertrag innerhalb des Regimes des Art. 88 EWG-Vertrag auf die Tarife und Konditionen im internationalen Linienflugverkehr, S. 22 ff. 67 Ausführlich hierzu Verstrynge, Competition Policy in the Air Transport Sector, s. 63 ff. (64 f.). 68 VO (EWG) Nr. 3975/87 des Rates vom 14.12.1987 über die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtuntemehmen, ABI. EG Nr. L 374 vom 31.12.1987, S. 1 ff., geändert durch die VO (EWG) Nr. 1284/91 des Rates vom 14.5.1991, ABI. EG Nr. L 122 vom 17.5.1991, S. 2. 69 VO (EWG) Nr. 3976/87 des Rates vom 14.12.1987 zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Luftverkehr, ABI. EG Nr. L 374 vom 31.12.1987, S. 9 ff., geändert durch die VO (EWG) Nr. 2344/90 des Rates vom 24.7.1990, ABI. EG Nr. L 217 vom 11.8.1990, S. 15 f. 70 ABI. EG Nr. 124 vom 28.11.1962, S. 2751/62. 71 ABI. EG Nr. 13 vom 21.2.1962, S. 204/62. 72 Urteil des Gerichtshofes vom 10.6.1982, RS 246/81, Nicholas William, Lord Bethell ./. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, EuGHE 1982, S. 2277 ff. (2289). 73 Weber, The EEC air transport market and its impact on the airline industry, S. 49 ff. (55); Caspari, Die Kartellpolitik der EG-Kommission, S. 61 ff. (64).

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

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Der Anwendungsbereich der VO (EWG) Nr. 3975/87 umfaßt jedoch nach ihrem Art. 1 Abs. 2 nur den Luftverkehr zwischen Flughäfen der Gemeinschafe4. Für Flüge zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern besteht folglich keine Anwendungsverordnung75 • Inwieweit in diesen Fällen Regelungsbedarf besteht, wird sich noch zeigen76• Allerdings ist der Anwendungsbereich der Art. 85, 86 EGV weiter als der der VO (EWG) Nr. 3975/87. Er schließt die Verkehrsbeziehungen zwischen Gemeinschaft und Drittstaaten ein. Das Wettbewerbsrecht des EGV ist nach den Regeln der Art. 88, 89 EGV durchzusetzen. Die Tätigkeit der Kommission im Bereich des Wettbewerbsrechts hat sich in der letzten Zeit intensiviert. Im Feld des Luftverkehrs entschied sie unlängst in zwei Verfahren nach Art. 85 EGV über Auslegungsschwierigkeiten verschiedener IATA-Entschließungen (IATA Passenger Agency Programme und IATA Cargo Agency Programme)77 • Zu Beginn des Jahres 1992 entschied sie in einem Verfahren nach Art. 85 und 86 EGV gestützt auf die Verordnung (EWG) Nr. 3975/87 über die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtunternehmen über eine von British Midland gegen Aer Lingus eingelegte Beschwerde78• Die Fallpraxis wird sich zweifellos in den kommenden Jahren vergrößem79 • 74 Allgemein zur Verordnung vgl. Dolfen, Der Verkehr im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 28 ff.; Basedow, Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten, S. 164; Rycken, European antitrust aspects of maritime and air transport, ETL 1988, S. 3 ff. (16 f.); Argyris, The EEC rules of competition and the air transport sector, CMLRev 1989, S. 5 ff. (11); Dempsey, Aerial dogfights over Europe, JALC 53 (1987 I 88), S. 615 ff. (616). 1s EuGH, Urteil vom 11.4.1989, RS 66/89, Ahmed Saeed und Silverline Reisebüro./. gegen Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V., EuGHE 1989, S. 803 ff. (842, Erwägung Nr. 11). 76 Caspari, Die Kartellpolitik der EG-Kommission, S. 61 ff. (65). Regelungsbedarf sehen dagegen Dolfen, Der Verkehr im europäischen Wettbewerbsrecht, S. 18 f. ; Basedow, Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten, S. 164 f.; ders., National Authorities in European Airline Competition Law, in: ECLR 1988, S. 342 ff. (343 f.); ders. Entwicklungslinien des internationalen Kartellrechts, NJW 1989, S. 627 ff. (634 f.). 77 Entscheidung der Kommission vom 30.7.1991 in einem Verfahren nach Art. 85 EGV in der Sache IV /32.659 - IATA Passenger Agency Programme (91/480/ EWG), ABI. EG Nr. L 258 vom 16.9.1991, S. 18 ff.; und Entscheidung der Kommission nach Art. 85 EGV in der Sache IV /32.792 - IATA Cargo Programme (91/ 481/EWG), ABI. EG Nr. L 258 vom 16.9.1991, S. 29 ff.; Jones/van der Woude, European Law Review, Competition Law Checklist 1990, S. 57; zu dem grundsätzlichen Problem der IATA agency-Programme vgl. Cooper, IATA Airline-Agency Relationship, S. 27 ff. 78 Entscheidung der Kommission vom 26.2.1992 in einem Verfahren nach Art. 85 und 86 EGV in der Sache IV /33 544 - British Midland/ Aer Lingus (921213/ EWG), ABI. EG Nr. L 96 vom 10.4.1992, S. 34 ff.

II6

2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

II. Ausnahmen von der Anwendung des Wettbewerbsrechts Als Ausnahme des Wettbewerbsrechts sind die Gruppenfreistellungsverordnungen zu nennen. Diese werden regelmäßig dann erlassen, wenn die Kommission der Überzeugung ist, daß die Absprachen grundsätzlich unter Art. 85 EGV fallen, regelmäßig jedoch Art. 85 Abs. 3 EGV erfüllen und deshalb ohne Notifizierung vom Verbot des Art. 85 Abs. I freigestellt werden80. Für den Luftverkehr hat die Kommission in der letzten Zeit verschiedene Gruppenfreistellungen erlassen, die die technische und kommerzielle Zusammenarbeit im Luftverkehr regeln 81 . Die Anwendung der Anti Trust Regeln wurden immer mehr zum Vorbild der nationalen Gesetzgeber der Mitgliedstaaten. Positiv wird vor allem das Verbotsprinzip für Kartelle, verbunden mit flexiblen Freistellungsmöglichkeiten geschätzt (sog. soft harmonization). Damit zeigen sich einmal mehr deutlich die positiven Auswirkungen der Rechtsharmonisierung im Rahmen der EG. Ill. Tarife Durch die Tarifrichtlinie des Rates (87 /60 I/ EWG) wird ein vollkommen neues Tarifzonensystem eingeführt. Erstmals wird auf dem Gebiet der Europäischen Gemeinschaft die Möglichkeit eröffnet, Flüge zu Sonderpreisen anzubieten. Durch die Richtlinie wird ein Zonenschema eingeführt, innerhalb dessen die Fluggesellschaften frei agieren können. Grundlage ist ein Bezugstarif (Referenztarif), an dem sich zwei Flexibilitätszonen (Rabattzonen) orientieren. Der Bezugstarif liegt bei 100% des normalen Economy Tarifs, die einfache Rabattzone bei 90-65% dieses Bezugstarifs, die Superrabattzone bei 65-45% dieses Tarifs (Art. 5 Abs. I der Richtlinie). Durch die Richtlinie sind damit Mindestanforderungen der Tarifliberalisierung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft festgelegt. Unabhängig von diesen Mindestanforderungen gestattet Art. 5 Abs. 3 1. Unterabsatz der Richtlinie zusätzlich, daß die betroffenen Staaten bilateral Tarife 79 Einzelne wichtige Konstellationen finden sich bei Caspari, Die Kartellpolitik der EG-Kommission, S. 61 ff. (65 f.). 80 Caspari, Die Kartellpolitik der EG-Kommission, S. 61 ff. (68); Rogge, Verkehr, s. 615 ff. (642). 81 VO (EWG) Nr. 2671188 bzw. VO (EWG) Nr. 84/91 über die gemeinsame Planung und Koordinierung der Beförderungskapazität, die Aufteilung der Einnahmen, gegenseitige Konsultationen über Tarife oder die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen; VO (EWG) Nr. 2672/88 bzw. VO (EWG) Nr. 83/91 über den gemeinsamen Betrieb computergesteuerter Buchungssysteme; VO (EWG) Nr. 2673/88 bzw. VO (EWG) Nr. 82/9I über die Erbringung von Versorgungsleistungen auf Flughäfen.

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

117

aushandeln können, die unter bestimmten Umständen sogar bis zu 10% unter dem Superrabatt-Tarif liegen. IV. Marktzugang und Kapazitäten Durch die Entscheidung des Rates (87 /602/EWG) wird vom Rat ein vollkommen neues System der Aufteilung der Marktanteile und Kapazitäten geschaffen. Die existierenden bilateralen Abkommen sahen vor, daß die Kapazitäten zwischen den beteiligten Staaten im Verhältnis 50:50 aufgeteilt werden. Die Entscheidung des Rates beinhaltet die Möglichkeit, daß eine Fluglinie einseitig ihre Kapzitätsanteile im Verhältnis 55:45 erhöhen darf, ohne daß der Staat intervenieren kann. Außerdem gibt die Entscheidung den Mitgliedstaaten das Recht, mehrere Linienfluggesellschaften für die Bedienung von bestimmten bilateralen Strekken zu benennen. Schließlich dürfen die Fluggesellschaften in begrenztem Rahmen das Recht der fünften Freiheit82 ausüben. Voraussetzung ist jedoch, daß die geplante Flugverbindung als Erweiterung eines Flugdienstes von oder als Vorstufe für einen Flugdienst nach dem Registrierstaal des Flugunternehmens betrieben werden soll. Die Flugverbindung muß mindestens einen Regionalflugplatz einschließen und der Flugdienst darf nicht mehr als 30% der Jahreskapazität der Gesellschaft auf der betreffenden Strecke ausmachen.

V. Stellungnahme Der Rat ging bei dem Erlaß der ersten Vorschriften äußerst behutsam vor. Wettbewerbserleichternde Maßnahmen sind ansatzweise enthalten, eine Änderung der bestehenden Marktstruktur ist jedoch nicht erkennbar. Insbesondere im Bereich der Tarifgestaltung hat das erste Maßnahmenpaket wenig bewirkt und nicht zu den erwarteten Verbilligungen zugunsten des Verbrauchers geführt. Die Einführung von Rabatt- oder Superrabattzonen verlief schleppend. Diese Zonen erfaßten nur einen geringen Anteil aller Rabatt- oder Superrabatt-Tarife83. Die Rechte der fünften Freiheit sind nur in beschränktem Ausmaß genutzt worden, was letztendlich auch auf die Haltung der hinter den Fluggesellschaften stehenden Regierungen zurückzuführen ist. Diese handhaben die Regelung zur Gewährung der Rechte der fünften Freiheit eher re82

Vgl. Anlage I der Arbeit.

83 Schmid, in: Giemulla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, Einf. Rn. 37, s. 25.

118

2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

striktiv, um die Flugrechte bei den nationalen Fluggesellschaften im Rahmen der dritten und vierten Freiheit zu belassen. Durch die neuen Möglichkeiten zur Kapazitätsaufteilung und durch die Einführung des Rechtes des Mehrfachbenennung ist jedoch eine marktöffnende Wirkung zu erwarten84•

F. Die Maßnahmen von 1988/89 I. Wettbewerbsrecht Im Bereich des Luftverkehrs zeigten Rat und Kommission in den Jahren

1988 I 89 wenig Aktivität. Von Bedeutung sind jedoch die oben erwähnten drei Verordnungen der Kommission vom 26. Juli 1988, die sich mit wett-

bewerbsrechtlichen Fragen beschäftigen, gestützt auf die ihr durch VO (EWG) Nr. 3976/87 des Rates eingeräumten Kompetenzen im Rahmen des Art. 85 Abs. 3 EGV. So sind entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofes, nach der Tarifabsprachen zwischen Linienflugunternehmen grundsätzlich unzulässige Kartelle darstellen8S, bestimmte Absprachen zwischen Luftverkehrsunternehmen zulässig, sofern sie nur keine Vereinbarungen über Entgelte der Agenturen und sonstige Bestandteile der erörterten Tarife enthalten86• Nach Meinung der Kommission darf bei zulässigen Gruppenfreistellungen der Wettbewerb nicht eliminiert werden, die Vereinbarungen sollen in technischem und wirtschaftlichem Fortschritt zum Ausdruck kommen, auch müssen die Verbraucher an dem Nutzen gerecht beteiligt werden 87 • Die Gruppenfreistellungsverordnung hat also ein zweifaches Ziel: Den Luftfahrtunternehmen sollen Formen der Zusammenarbeit ermöglicht werden, die zu einer Verbesserung der Flugdienste zugunsten der Luftverkehrsbenutzer beitragen, jedoch zugleich den Preis- und Qualitätswettbewerb und den Marktzugang neuer Verkehrsanbieter gewährleisten.

84 So auch Wenglorz, Die Deregulierung des Linienluftverkehrs im Europäischen Binnenmarkt, S. 81.

85

EuGH, ZLW 1989, S. 124 ff. (127).

Ausführlich hierzu Ebke/Wenglorz, Die zweite Stufe der Liberalisierung des Linienluftverkehrs in der EG: OpenSkies in Europa?, RIW 1990, S. 468 ff. (474 f.). 86

87 Vgl. Argyris, The EEC Rules of Competition and the Air Transport Sector, CMLRev 1989, S. 5 ff. (22 ff.); Redaktion EuZW, Gruppenfreistellungsverordnungen für den Luftverkehr, EuZW 1991, S. 165; allgemein zur Freistellungsmöglichkeit nach Art. 85 Abs. 3 EGV Berendt, Die Entwicklung der Marktstruktur im internationalen Luftverkehr, S. 173 ff.

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

119

ß. Fusionskontrolle Eine erste Fusionskontrollverordnung im Luftverkehrsbereich wurde vom Rat am 21. Dezember 1989 durch Beschluß in Kraft gesetzt88 . Kritiker betonen jedoch die Gefahr, daß zwar eine Art europäische Kartellbehörde geschaffen wurde, diese jedoch nach rein nationalen Gesichtspunkten und politischen Erwägungen entscheidet89. Diese Kritik ist jedoch unbegründet. Die Zurückhaltung der Kommission in den letzten Jahren wird sich angesichts der gravierenden Veränderungen im Luftverkehrsbereich nicht fortführen lassen. Zugleich hat sie durch ihr Einschreiten bei den letzten größeren Gesellschaftszusammenschlüssen90 deutlich signalisiert, daß sie in Zukunft Zusammenschlüsse nicht mehr stillschweigend hinnehmen wird. Ob die Fusionskontrollverordnung angesichts der darin festgesetzten hohen Schwellenwerte91 und der tatsächlichen Jahresumsätze der beteiligten Fluggesellschaften92 sonderlich wirksam sein wird, ist jedoch äußerst fraglich.

Iß. Exkurs: Kollision von eigenem und fremdem Wettbewerbsrecht Die internationale Diskussion über die Schaffung der Disziplin des Wirtschaftskollisionsrechts hat ihren Ursprung in Fällen, in denen eigenes und fremdes Wettbewerbsrecht kollidieren. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes knüpft in diesem Zusammenhang zunehmend an das "Auswirkungsprinzip" an, das wir aus dem deutschen Wirtschaftsrecht kennen93• Er 88 Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21.12.1989 über die Kontrolle von Untemehmenszusammenschlüssen, ABI EG Nr. L 395 vom 30.12.1989, S. 1 ff., berichtigt in ABI. EG Nr. L 257 vom 21.9.1990, S. 14 ff. 89 Von niederländischer Seite wird der Europäischen Fusionskontrollbehörde vorgeworfen, im Fall der Fusion von KLM und Transavia anders entschieden zu haben als bei der Übernahme von British Caledonian durch British Airways oder der Übernahme von UTA und Air Inter durch die Air France. Vgl. Kalshoven-van Tijen, EEC Commission as the European Version of the CAB, AL 1990, S. 257 ff. (264). 90 Dazu ausführlich s.o. Kapitel 5. 91 Die Schwelle liegt bei 5 Mrd. ECU (d.h. rund 10 Mrd. DM). 92 Die Jahresumsätze der europäischen Fluggesellschaften unterschreiten fast alle die Vorgabe von 5 Mrd. ECU. British Airways als größte europäische Fluggesellschaft hatten 1989 beispielsweise einen Jahresumsatz von 7,97 Mrd. US-$; vgl. Schmid in: Giemulla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, Einf. S. 66 Fn. 7. 93 Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 154 ff.; Meng, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Vorb. zu den Art. 85-89 Rn. 31 ff.; Lowe, Extraterritorial Jurisdiction. The British Practice, RabelsZ 52 (1988), S. 157 ff. (l59ff.).

120

2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

wendet damit die Wettbewerbsvorschriften des EGV im allgemeinen auf Unternehmen mit Sitz in Drittstaaten (außerhalb der Gemeinschaft) an94 • Allerdings hatte in diesen Fällen jeweils eine der Vertragsparteien ihren Sitz in einem Mitgliedsland der Europäischen Gemeinschaft95• Im Luftverkehr hat eine solche Ausdehnung auf Drittstaaten jedoch aufgeund der ausdrücklichen Beschränkung der Verordnung auf innergemeinschaftliche Flughäfen (Art. I Abs. 2) nicht stattfinden können. Die Kornmission hat vorgeschlagen, die Verordnung dahingehend zu ändern, daß ihr Anwendungsbereich nicht nur auf innergemeinschaftliche Flüge begrenzt ist96• Der Rat hat jedoch aufgrund politischer Erwägungen hiervon bisher abgesehen. IV. Die Kommissionsvorschläge für die "Weiterentwicklung" der Zivilluftfahrt im Gemeinschaftsrecht Im September 1989 lagen dem Rat die Vorschläge der Kommission zur zweiten Liberalisierungsphase der Europäischen Gemeinschaft vo~7 • Die Kommission bekräftigt den Gedanken vom einheitlichen Binnenmarkt. So finden sich Erwägungen, die tendenziell auf die Umgestaltung des bisher vorherrschenden bilateralen Systems deuten. Im Bereich der Flugpreise sollen noch weitergehende Liberalisierungen stattfinden, ebenfalls vorgesehen ist dies für den Bereich der Kapazitätsaufteilung, bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln und bei der Zulassung von Luftfahrtunternehmen und Liniendiensten98. Die Kommission hat vor allem Verbesserungen für den Verbraucher im Auge. Ihm soll zukünftig ein noch höheres Angebot von (Flug-) Dienstleistungen, die den heutigen Sicherheitsanforderungen genügen, offe94 Z.B. EuGH vom 25.11.1971 - RS 22/71, Beguelin ./. G.L. Import-Export, EuGHE 1971, S. 949 ff. (959 f., Erwägungen Nr. 10-12); EuGH vom 14.7.1972RS 48/69, ICI ./. Kommission, "Teerfarben"-Entscheidung, EuGHE 1972, S. 619 ff. (664, Erwägungen Nr. 126-130); EuGH vom 6.3.1974- verb. RS 6 und 7/73, Commercial Solvents ./. Kommisssion, EuGHE 1974, S. 223 ff. (254, Erwägung Nr. 33); lmmenga, Grenzen nationaler Wettbewerbspolitik, S. 81 ff. (85). 95 EuGH vom 25. November 1971 - RS 22/71, Beguelin ./. G.L. Import-Export, EuGHE 1971, S. 949 ff. (959 f., Erwägungen Nr. 10 -12). 96 ABI. EG Nr. C 248 v. 29.9.1989, S. 7. 97 KOM(89) 373 endg. und KOM(89) 417 endg. v. 8.9.1989. 98 Vgl. dazu Giemulla, in: Giernu/lai Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht (Stand September 1991), Einf. Rn. 33-36; Ebke/Wenglorz, Die zweite Stufe der Liberalisierung des Linienluftverkehrs in der EG: Open Skies in Europa?, RIW 1990, S. 468 ff. (475 f.); Argyris, EEC competition law rules and their impact on air transport services ancillary thereto, S. 73 ff. (76 f.).

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

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riert werden. Ihre Vorschläge stützt die Kommission teilweise auf die Erfahrungen des ersten Maßnahmenpaketes99 • Die Vorschläge der Kommission wurden teilweise ganz, teilweise in modifizierter Form vom Rat übernommen und in dem sogenannten "zweiten Maßnahmenpaket" verabschiedet.

G. Das zweite Maßnahmenpaket, November 1990 I. Beurteilung des ersten Paketes Am 27. Februar 1990 nahm der Ausschuß für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments (EP) Stellung zu den Vorschlägen der Kommission für ein zweites Maßnahmenpaket und gab eine Beurteilung des ersten Paketes ab 100• Das vom Rat erlassene Maßnahmenpaket 1987 habe wenig bewirkt. Die nationalen Luftfahrtbehörden und Linienfluggesellschaften haben laut EP kaum reagiert. Das zweite Maßnahmenbündel müsse daher weitergehen und insbesondere wettbewerbserleichternde Elemente aufweisen 101 • Gefordert wird die Verabschiedung eines Bündels flankierender Maßnahmen, überstürzt werden dürfe jedoch nichts. Nach Aussage des Berichterstatters Visser war der 1. Januar 1993 nicht das geeignete Datum zur Rinnenmarktvollendung im Luftverkehrsbereich102•

II. Das zweite Paket Die Regelungen des zweiten Maßnahmenpaketes sind am 1. November 1990 in Kraft getreten. Die Liberalisierungstendenzen wurden fortgesetzt 103• Es wurden insbesondere Regelungen über Erleichterungen bei der Tarifgestaltung, beim Marktzugang, bei der Kapazitätsaufteilung und der Mehrfach-Oesignierung erlassen. Nicht alle Vorschläge der Kommission vom Juni 1989

99 Über die Erfahrungen der ersten Stufe der Liberalisierungsmaßnahmen berichtet die EG-Kommission in einem "Report on the first year (1988) of implementation of the aviation policy approved in December 1987", KOM(89) 476 endg. vom 2.10. 1989. 100 Sog. Visser-Bericht (Berichterstatter: Ben Visser), DOC-DE/RR/83827-PE 136.055/ endg. 101 Visser-Bericht, PE 136.055/ endg., S. 30. 102 Ebd. 103 I.e. vgl. Crans, EC Aviation Scene, ASL 1993, S. 217 ff.; auch Jäckel, Der Prozeß der Deregulierung des EG-Luftverkehrs, ZVerkWiss 1993, S. 163 ff.

122

2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

stießen beim Rat jedoch auf Zustimmung 104• So hielt er beispielsweise den Erlaß der von der Kommission geforderten Regelungen zur Entschädigung bei Nichtbeförderung und der gerechten Aufteilung bzw. Neuvergabe von Flugrechten (Slot-Vergabe) innerhalb der Europäischen Gemeinschaft nicht für notwendig. Auch die Beziehungen zwischen Flughäfen und Benutzern (Konsultationen bei der Zeitnischeneinteilung) oder eine Bestimmung über die gegenseitige Anerkennung von Befähigungszeugnissen für die Ausübung von Tätigkeiten in der Zivilluftfahrt bzw. über eine einheitliche Regelung von Flugdienstzeiten der verschiedenen Flugunternehmen wurden vom Rat nicht geregelt. Dabei wären Regelungen in diesen Bereichen - auch und gerade aufgrund von Sicherheitserwägungen - angesichts des extrem steigenden Flugverkehrsaufkommens 105 in der Europäischen Gemeinschaft und der Welt unbedingt nötig gewesen. 1. Liberalisierung des Tarifsystems

Die dem Rat von der Kommission vorgelegten Vorschläge tendierten zu einer völligen Umgestaltung des Tarifsystems. Zwar sollte das Genehmigungsverfahren durch die nationalen Behörden nicht einfach wegfallen. Das bisherige System der Referenztarife und Flexibilitätszonen sollte jedoch durch ein System der doppelten Ablehnung ("double disapproval system") ersetzt werden. Den Fluggesellschaften würde dadurch die größtmögliche Freiheit, selbständig Tarife festzusetzen und miteinander in Wettbewerb zu treten, gewährt. Der Tarif würde automatisch in Kraft treten, wenn er nicht von den Behörden beider Staaten (Start- und Landestaat) abgelehnt wurde. Sogenannte "kaufmännische Preise" sollten allerdings von den nationalen Behörden nicht genehmigt werden dürfen. Darunter versteht man Tarife, die nicht in angemessenem Verhältnis zu den langfristig voll zugewiesenen einschlägigen Kosten des antragstellenden Luftverkehrsunternehmens stehen. Diesen Vorstellungen war der Rat positiv gesonnen. Nach heftigen Interventionen der Branche und des Europäischen Parlaments 106 entschied er sich jedoch für eine Mischform der Tarifregelung in seiner VO (EWG) Nr. 2342 I 90107 • Das von der Kommission geforderte System der doppelten Ablehnung 104 Dazu Adenauer-Frowein, Aktuelle luftrechtliche Probleme in der Europäischen Gemeinschaft, ZLW 1991, S. 237 ff. (238). 105 Die Branche geht von einer Verdreifachung des Flugverkehraufkommens bis zum Jahr 2000 aus. Vgl. Schmid, in: Giemulla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, Einf. Rn. 39, Abb. 2 und 3, S. 27 f. 106 Visser-Bericht, PE 136.055/ endg., S. 38 f. 107 VO (EWG) Nr. 2342/90 des Rates v. 24.7.1990, ABI. EG Nr. L 217 v. 11.8.1990, s. 1 ff.

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

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(double disapproval system) gilt danach nur für Flüge, deren Tarife über 105% des Bezugstarifs liegen 108• Bezugs- oder Referenztarif ist dabei der niedrigste völlig flexible Economy-Tarif109• Automatisch genehmigt werden die Flüge mit Tarifen innerhalb sogenannter Flexibilitätszonen, die sich an dem Referenztarif orientieren 110• Bei Tarifen, die von den Flexibilitätszonen abweichen, wurde das System der doppelten Genehmigung festgelegt (double approval) 111 • Das liberale System des "double disapproval" soll jedoch für den gesamten Tarifbereich bis zum 1. Januar 1993 verbindlich eingeführt werden 112• Für die Fluggesellschaften bedeutet dies eine deutlich vergrößerte Entscheidungsfreiheit bezüglich der Tarifgestaltung 113 • Dies kommt dem Verbraucher zugute, für den primär entscheidend ist, zu welchem Preis bzw. mit welchem Rabatt ihm die Gesellschaft einen Flug anbieten kann 114• Die Tarifverordnung sollte nach Ansicht der Kornmission auch auf Linienverkehr mit Nicht-EG-Staaten erweitert werden. Dies bedeutete, daß eventuell geschlossene bilaterale Abkommen hinfällig würden bzw. von den Mitgliedstaaten angeglichen werden müßten. Dieser Ansicht ist der Rat jedoch (bisher) nicht gefolgt. 2. Marktzugang und Kapazitätsaufteilung

a) Marktzugang

Die von der Kommission vorgelegten Vorschläge forderten die Ausweitung der Rechte der fünften Freiheit. Die Fluggesellschaften sollten diese auf Flughäfen aller Kategorien ausüben können. Ebenfalls sollte der Anteil der Kapazitäten im Rahmen der fünften Freiheit angehoben werden 115 • Die Heimatstaaten mußten nach Meinung der Kommission verpflichtet werden, mehArt. 4 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 2342/90. Vgl. Art. 2 c) RL 87/601/EWG des Rates (Tarifrichtlinie) v. 14.12.1987, ABI. EG Nr. L 374 v. 31.12.1987, S. 12 ff. 110 Art. 4 Abs. 3 VO (EWG) Nr. 2342/90. 111 Art. 4 Abs. 5 VO (EWG) Nr. 2342/90. 112 Art. 12 VO (EWG) Nr. 2342/90. 113 Krämer, Tarife im europäischen Linienflugverkehr, EuZW 1991, S. 15 ff. (19); Briggs, The English summer of 1990- further progress towards deregulation of the aviation and travel industry, AL 1991, S. 50 ff. (53 f.). 108 109

114 Dazu ausführlich Wenglon!Wittmann, Tarife im EG-Linienluftverkehr, ZVerkWiss 1991, S. 144 ff. (153 f.). m Loewenstein, European Air Law, S. 84; Briggs, The English summer of 1990further progress towards deregulation of the aviation and travel industry, AL 1991, S. 50 ff. (54).

124

2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

rere nationale Fluggesellschaften im Linienflugverkehr zuzulassen. Die Möglichkeiten der Staaten, nationalen Linienflugunternehmen trotz Vorliegen der von der sog. Marktzugangsentscheidung 116 verlangten Voraussetzungen den Zugang zum Markt zu verweigern, könnte eine Inländerdiskriminierung darstellen und soll nach Meinung der Kommission durch die Verordnung beseitigt werden 117. Der Rat hat in seiner Verordnung Nr. 2343/90 vom 24. Juli 1990118 die Vorschläge der Kommission weitgehend übernommen. Er entscheidet sich grundsätzlich gegen bilaterale Aushandlungen von Kapazitätsanteilen, da diese mit dem Binnenmarkt nicht vereinbar seien und deshalb bis zum Jahre 1993 schrittweise abgebaut werden müßten 119• Den Marktzugang als eines der fundamentalen Rechte des Binnenmarktes120 hat der Rat inzwischen im Rahmen der dritten und vierten Freiheit121 vollständig liberalisiert122• Entscheidende Neuerungen bestehen jedoch in der Ausweitung der fünften Freiheit, die in vollem Umfang gewährleistet werden soll, ebenso wie das Kabotagerecht der achten Freiheit123• Der Rat entsprach damit der Forderung der Kommission, den Verkehr zwischen Verkehrsflughäfen der Europäischen Gemeinschaft im Rahmen der fünften Freiheit von 30% auf 50% der Saison-Kapazität des Vorjahres auszuweiten124. Die Schwellen für eine Mehrfachdesignierung 125 werden auf bestimmten Strecken abgesenkt. Eine Mehrfachbenennung war bisher nur möglich auf Strecken, auf denen im Vorjahr mehr als 180.000 Passagiere beför116 Entscheidung 87/602/EWG des Rates vom 14.12.1987, ABI. EG Nr. L 374 vom 31.12.1987, S. 19 ff.

117 Ebke/Wenglorz, Die Zweite Stufe der Liberalisierung des Linienluftverkehrs in der EG: OpenSkies in Europa?, RIW 1990, S. 468 ff. (476). 118

ABI. EG Nr. L 217 vom 11.8.1990, S. 8 ff.

119

Präambel der Verordnung.

120 Zum Instrument der Marktzugangsregulierung, die für potentielle Newcomer institutionelle Markteintrittsbarrieren errichtet und zu anderen Regulierungsinstrumenten vgl. Kruse, Ordnungstheoretische Grundlagen der Deregulierung, S. 9 ff. (11). 121

Zu den Freiheiten der Luft vgl. Anlage 1 der Arbeit.

122

Mit Ausnahme des Territoriums einiger griechischer Inseln.

123 Erdmenger, Die gemeinsame Binnenverkehrspolitik der EG nach dem Gerichtshofurteil vom 22. Mai 1985, S. 83 ff. (94); Mendes de Leon, Euro-cabotage: a Iever for liberalization of international civil aviation, S. 191 ff. (195); Rogge, Verkehr, s. 615 ff. (641).

124

Art. 8 der VO.

125 Der Staat darf mehrere Linienfluggesellschaften für die Bedienung bilateraler

Strecken benennen, sofern es auf der betreffenden Strecke ein entsprechend hohes Passagieraufkommen gibt.

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

125

dert wurden. Seit dem I. Januar 1991 gilt die Zahl von 140.000 Passagieren (beziehungsweise mehr als 800 - bisher 1000 - durchgeführte Hin- und Rückflüge), seit dem I. Januar 1992 gilt gar die Zahl von 100.000 Passagieren (beziehungsweise 600 Hin- und Rückflüge). b) Kapazitätsaufteilung

Die Kommission unterbreitete dem Rat den Vorschlag, die Grenzen für selbständige Kapazitätserhöhungen der Linienflugunternehmen heraufzusetzen. Der Rat entsprach dem Vorschlag umfassend in seiner VO (EWG) Nr. 2343/90. Die Verordnung sieht eine stufenweise Erweiterung des zulässigen Sitzplatzangebots vor. Seit I. November 1990 ist die Schwelle für staatliche Eingriffsbefugnisse im Vergleich zu der seit 1. Oktober 1989 geltenden 60:40-Regelung, d.h. der Aufteilung der Kapazitäten zwischen zwei Staaten bzw. der in ihnen zugelassenen Flugunternehmen im Verhältnis sechs Zehntel zu vier Zehnteln, um 7,5 Prozentpunkte gegenüber der Lage in der vorherigen Flugplanperiode126 (also 67,5:32,5) erhöht 127 • Ab 1992 soll die staatliche Eingriffsschwelle auf 75:25 gesenkt werden 128 • Diese Maßnahme ist nach Einschätzung der Kommission geeignet, den Wettbewerb anzufachen und ihm neue Impulse zu geben. Allerdings kann die Kommission in diese relativ flexible Regelung eingreifen, wenn die Erhöhung des Angebots eines Linienluftverkehrsunternehmens zur Schädigung eines anderen Flugunternehmens geführt haben sollte129• 3. Wettbewerbsregeln

Im Hinblick auf die Wettbewerbsregeln sahen die Vorschläge der Kommission die Änderung der VO (EWG) Nr. 3975/87 und der VO (EWG) Nr. 3976/87 vor130• Die Wettbewerbsregeln sollten sowohl auf den Verkehr mit Drittländern, als auch auf den innerstaatlichen Verkehr angewandt werden 131 • Als Reaktion auf das Urteil in der Rechtssache 66/86 (Ahmed Saeed) 132 126 Die Flugplanperiode dauert im Sommer vom 1.4.-31.10. und im Winter vom 1.11.- 31.3. 127 Art. II Abs. 1 der VO. 128 Ebd.

Art. 12 Abs. 1 der VO. KOM(89) 417 endg. vom 8.9.1989, Anlagen 1-111. 131 Zur extraterritorialen Anwendung von EG- Vorschriften vgl. S~rensen, The Air Transport Policy of the EEC, E1L 1989, S. 411 ff. (415 ff.). 129

°

13

126

2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

schlug die Kommission die Abstimmung von Europäischem Wettbewerbsrecht und nationalem Recht vor. Nicht zuletzt forderte sie die Änderung des Anwendungsbereiches der VO (EWG) Nr. 3976/87, die die Freistellungen im Rahmen des Art. 85 Abs. 3 EGV regelt. Zwischen nationalen und innergemeinschaftlichen Flügen sollte keine Unterscheidung mehr gemacht werden. Der Rat blieb jedoch hinter den Vorschlägen der Kommission zurück. Er erließ die VO (EWG) Nr. 2344/90, die die VO (EWG) Nr. 3976/87 zur Anwendung von Art. 85 Abs. 2 EGV auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen änderte 133 • Die Verordnung erweiterte den Geltungsbereich der ursprünglichen Verordnung (Einbeziehung der Konsultationen über Frachtraten, die damit auch freistellbar nach Art. 85 Abs. 3 EGV sein sollten - Art. 2 Abs. 2 der VO) und verlängerte den vorgegebenen Zeitrahmen für die mögliche Überprüfung der Verordnung (Art. 8 der VO) ohne Einschränkung. 4. Stellungnahme

Das zweite Maßnahmenpaket des Rates hat einen entscheidenden Schritt in Richtung eines "offenen Himmels" über Europa bewirkt. Obwohl der Rat nicht alle Vorschläge der Kommission übernommen hat, hat er Vorschriften erlassen, die zu einer schrittweisen Verringerung des bilateralen Systems und damit zu einem wettbewerbsorientierten Luftverkehrsmarkt führen werden. Entscheidende Fortschritte werden insbesondere beim Marktzugang erzielt. Zugunsten des Verbrauchers liegen auch Verbesserungen bei der Tarifgestaltung vor. Insbesondere das System der doppelten Ablehnung bewirkt eine flexiblere Tarifgestaltung. Allerdings ist zu hoffen, daß noch eine größere Absenkung der Grenzwerte der Flexibilitätszonen erfolgt. Das Recht der fünften Freiheit muß voll eingeführt werden, um tatsächlich einen wettbewerbsorientierten EU-Luftverkehrsmarkt zu schaffen, von dem auch der Verbraucher profitieren wird.

132 Urteil des Gerichtshofes in der RS 66 I 86, Ahmed Saeed Flugreisen und Silver LineReisebüro GmbH ./. Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. vom 11.4.1989, EuGHE 1989, S. 803 ff. 133 VO (EWG) des Rates vom 24.7.1990, ABI. EG Nr. L 217 vom 11.8.1990,

s. 15.

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

127

H. Sonstige Regelungen 1990/91 I. Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen Der Beschluß der Kommisssion (90 /449/ EWG) 134 beschäftigt sich mit sozialen Aspekten der Luftverkehrswirtschaft. Die Organe der Europäischen Gemeinschaft hatten verschiedentlich betont, daß die Sozialpartner an den wirtschafts- und sozialpolitischen Aufgaben der Gemeinschaft zu beteiligen seien. Speziell die Kommission will mit einem "sozialpolitischen Aktionsprogramm" den Dialog und das Zusammenwirken der Sozialpartner in konzertierten Aktionen ausbauen. Damit trägt sie der ihr in Art. 118b EGV übertragenen Aufgabe Rechnung. Durch diese Vorschrift des Primärrechts ist das Bestreben nach Zusammenarbeit von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften fest normiert. 135 . Mit dem Beschluß 90/449/ EWG wird ein paritätischer Ausschuß für die Zivilluftfahrt eingesetzt 136, welcher auf Aufforderung der Kommission einberufen wird 137 • Er berät über Fragen, die ihm die Kommission zur Stellungnahme vorgelegt hat. Dabei handelt es sich insbesondere um Angelegenheiten, die geeignet sind, die wirtschaftliche und wettbewerbliehe Stellung der gemeinschaftlichen Zivilluftfahrt sowohl innerhalb der Gemeinschaft als auch in einem größeren internationalen Rahmen zu festigen oder die Lebens- oder Arbeitsbedingungen in der Zivilluftfahrt gemäß den einschlägigen Artikeln des Vertrages zu verbessern 138•

II. Nur-Luftfrachtdienste Zu begrüßen war die Verabschiedung eines Vorschlags der Kommission über den Betrieb von Nur-Frachtdiensten, die beim Aufbau des Binnenmarktes eine nicht unerhebliche Rolle spielen 139• Der Rat trug dem Vorschlag der Kommission in der VO (EWG) Nr. 294/91 Rechnung 140• 134 Beschluß der Kommission vom 30.7.1990 zur Einsetzung eines paritätischen Ausschusses für die Zivilluftfahrt (90 /449/ EWG), ABI. EG Nr. L 230 vom 24.8.1990, s. 22 ff. 135 Pipkorn, in: von der Groeben/Thiesing!Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 118b Rn. 7. 136 Zu den Befugnissen dieses Ausschusses vgl. oben Kapitel 2 der Arbeit. 137 Art. 10 des Beschlusses. 138 Art. 2 Abs. 2 des Beschlusses. 139 Die Liberalisierung von Luftfrachtdiensten in Verbindung mit Passagierdiensten wird von der VO (EWG) Nr. 2343/90, ABI. EG Nr. L 217 vom 11.8.1990, S. 8 ff. vorgesehen.

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

Insbesondere die Entwicklung von Wirtschaft und Handel in Randgebieten der Gemeinschaft ist stark von gut funktionierenden Frachtdiensten abhängig. Umso wichtiger war der Erlaß dieser Verordnung, die den Marktzugang von Luftfrachtunternehmen 141 und die Luftfrachtraten zwischen Mitgliedstaaten 142 liberalisiert. Eines der Ziele der Verordnung ist, die Marktchancen für Luftfrachtdienste zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern 143 • Der Rat hält die Ausarbeitung von Vorschriften bezüglich der Gewährung von Betriebsgenehmigungen 144 notwendig. Die Luftfahrtunternehmen werden zur Mitteilung aller Standardfrachtraten verpflichtet, was zu einer größeren Markttransparenz führtl45. Ill. Entschädigung bei Nichtbeförderung

Lange diskutiert wurde die Notwendigkeit der Entschädigung von Flugpassagieren bei Überbuchungen im Luftlinienverkehr146• Im Februar 1991 hat der Rat eine Verordnung erlassen, die diesen Mangel einer Entschädigungsregelung behebt und Mindestregelungen für Entschädigungsleistungen vorsieht 147 • Damit werden Fluggäste vor willkürlicher und unterschiedlicher Behandlung geschützt. Die Haftung für Schäden, die sich im Zusammenhang mit einer Luftbeförderung ergeben, richtete sich bislang grundsätzlich entweder nach dem jeweiligen nationalen Luftfahrtgesetz (bei nationalen Beförderun140 Verordnung (EWG) Nr. 294/91 des Rates vom 4.2.1991 über den Betrieb von Luftfrachtdiensten zwischen Mitgliedstaaten, ABI. EG Nr. L 36 vom 8.2.1991, S. 1 ff.; ausführlich Crans/Biesheuvel, EC Aviation Scene, AL 1991, S. 178 ff. (183 f.). 141 Vgl. Art. 4 VO (EWG) Nr. 294/91. 142 Vgl. Art. 9 VO (EWG) Nr. 294/91; Frachtraten sind gemäß der Definition in Art. 2 der VO die in der jeweiligen Landeswährung zu entrichtenden Entgelte für die Beförderung von Fracht und Bedingungen, unter denen diese Frachtraten gelten, einschließlich des Entgelts und der Bedingungen, die Agenturen und anderen Hilfsgewerbetreibenden geboten werden. 143 Vgl. Präambel der VO (EWG) Nr. 294/91. 144 Vgl. Kapitel 8 der Arbeit. 145 Art. 2 der VO definiert die Standardfrachtraten als die Entgelte, die das Luftfahrtuntemehmen im Regelfall für die Frachtbeförderung in Rechnung stellen würde, und die Bedingungen, unter denen diese Entgelte ungeachtet etwaiger Sonderrabatte gelten. 146 Becher, Die Luftfahrt und die Europäische Gemeinschaft, ZLW 1980, S. 189 ff. (205 f.); Guerreri, Overbooking, Overselling and Denial of Boarding, AnnASL 1989, S. 191 ff; Rogge, Verkehr, S. 615 ff. (643). 147 Verordnung (EWG) Nr. 295/91 des Rates vom 4.2.1991 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr, ABI. EG Nr. L 36 vom 8.2.1991, S. 5 ff.

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

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gen) oder nach dem sogenannten Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (bei internationalen Beförderungen) 148 • Die Festlegung gemeinsamer Mindestnormen für Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung soll nach Ansicht des Rates im Rahmen eines sich verstärkenden Wettbewerbs zusätzlich ermöglichen, daß die Qualität des Leistungsangebots der Luftfahrtunternehmen beibehalten wird. Entscheidend ist, daß die Entschädigungsleistung unabhängig ist von der Nationalität des Nichtbeförderten, des Flugzieles oder des Flaggenstaates des Luftfahrtunternehrnens 149• Allerdings ist der Geltungsbereich der Verordnung auf Linienflüge begrenzt150• 1. Nichtbeförderung

Die Entschädigungsleistung wird bei Nichtbeförderung gewährt. Diese Ausdrucksweise ist insofern mißverständlich, als Ansprüche gegen die Fluggesellschaft nicht nur vom Nichtbeförderten, sondern auch von demjenigen geltend gemacht werden können, der verspätet an seinem Reiseziel ankommt. Den typischen Fall der Nichtbeförderung wegen technischer Schäden oder aufgrund Naturgewalten will die Verordnung gerade nicht regeln, sondern nur den Fall, daß die Sitzplatzkapazität durch Überbuchungen überschritten wurde. 2. Entschädigungssummen

Die den Passagieren von den Fluggesellschaften zu gewährenden Entschädigungsleistungen hängen nur von der Länge des beabsichtigten Fluges ab 151 • Bei Flügen unter 3.500 km beträgt die Entschädigung 150 ECU 152, bei Flügen über 3.500 km 300 ECU 153 • Dieser Betrag kann auf bis zu 50% reduziert 148 Giemulla, Überbuchungen bei Luftbeförderungen, EuZW 1991, S. 367 ff. (368). Zu den Entschädigungsansprüchen bei Verspätung und Nichtbeförderung im Luftverkehr nach dem Warschauer Abkommen umfassend Schmid, Verspätung und Nichtbeförderung im Luftverkehr, TranspR 1985, S. 369 ff. 149 Crans I Biesheuvel, EC Aviation scene, AL 1991, S. 178 ff. (185). •so Nach einer Meldung der FAZ vom 28.12.1990 erwägt die Kommission einen Vorschlag, der entsprechende Auflagen auch für den Charterflugverkehr zum Ziel haben soll; vgl. Schmid, Die Entschädigung von Fluggästen bei Nichtbeförderung wegen Überbuchung, TranspR 1991, S. 128 ff. (129 Fn. 14). •s• Im Gegensatz dazu wollte die Kommission die Entschädigungsleistung von der Dauer der Verspätung und von der Länge des beabsichtigten Fluges abhängig machen. 1s2 I ECU = 1,9085 DM (Stand 31.7.1994). ISJ Art. 4 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 295/91.

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

werden, sofern das Luftfahrtunternehmen einen Flug bis zum Endziel anbietet, der bei einem Flug bis zu 3.500 km höchstens zwei Stunden später als die geplante Ankunftszeit des ursprünglich gebuchten Fluges endet bzw. höchstens vier Stunden später bei einem Flug über 3.500 km Distanz 154• Für Fluggäste, die kostenlos oder zu einem Niedrigtarif fliegen, hat das Unternehmen keine Ausgleichszahlungen zu leisten 155 • 3. Verfahren bei Überbuchungen

Die Luftfahrtunternehmen werden durch die Verordnung verpflichtet, Regelungen festzulegen, nach denen sie im Falle überbuchter Flüge bei der Beförderung von Fluggästen verfahren 156• Vorgesehen ist, daß zunächst Freiwillige ermittelt werden sollen, die bereit sind, auf die Beförderung zu verzichten157. Die Entschädigung dieser Personen ist in das Ermessen der Luftfahrtunternehmen gestellt. Mindestens jedoch muß diesen Personen die Entschädigung angeboten werden, die sie bei unfreiwilliger Nichtbeförderung erhalten hätten. Dem nichtbeförderten Fluggast stehen drei Wahlmöglichkeiten zur Verfügung. Er kann die vollständige Erstattung des Flugpreises, die schnellstmögliche Beförderung zum Endziel oder eine spätere Beförderung an einem ihm günstig gelegenen Tennin verlangen 158 • Die Interessen derjenigen Passagiere, die vorrangig zu befördern sind, wie beispielsweise Personen mit eingeschränkter Bewegungsfähigkeit oder alleinreisende Kinder, sind von den Fluggesellschaften zu berücksichtigen 159• Auch sind die Interessen von nichtbeförderten Flugpassagieren eines vorangegangenen Fluges, die einen Anschlußflug erreichen müssen, vorrangig zu berücksichtigen. Nach der Verordnung sollen die Flugunternehmen die weiteren Einzelheiten selbst regeln. Die Kommission wollte die Luftverkehrsunternehmen durch die Drohung von Entschädigungszahlungen zu vorsichtigerem Buchungsverhalten anhalten. Angesichts der niedrigen Entschädigungssummen ist zweifelhaft, ob dieses Ziel tatsächlich erreicht wird. Das Risiko, geringe Entschädigungen bei einer Art. 4 Abs. 3 VO (EWG) Nr. 295 I 91. Art. 7 VO (EWG) Nr. 295/91. 156 Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 295/91. Diese Regelungen müssen im Vorfeld den Reiseagenturen bekanntgegeben und vom Verbraucher eingesehen werden können. Vgl. Giemulla, Überbuchungen bei Luftbeförderungen, EuZW 1991, S. 367 ff. (369). 157 Art. 3 Abs. 3 VO (EWG) Nr. 295/91. 158 Art. 4 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 295/91. 159 Art. 3 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 295/91. 154 155

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

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Überbuchung zahlen zu müssen, zahlt sich gegenüber Ausfallen aufgrund nicht voll besetzter Maschinen immer noch aus. Im Durchschnitt werden in der Praxis Überbuchungen von bis zu 20% vorgenommen, weil die Wahrscheinlichkeit stets groß ist, daß ein Teil der Passagiere nicht zum Abflug erscheint. Zwanzig leere Plätze bedeuten jedoch sowohl bei Kurz- als auch bei Langstreckenflügen einen höheren Ausfall als der Entschädigungsbetrag, der 20 "überbuchten" Auggästen zu zahlen ist 160. 4. Verhinderung wettbewerbswidriger Praktiken

Am 14. Mai 1991 hat der Rat durch die VO Nr. 1284/91 161 die VO Nr. 3975 I 87 162 geändert. Der neu eingefügte Art. 4a schreibt das Recht der Kommission fest, einstweilige Maßnahmen zur Verhinderung wettbewerbswidriger Praktiken der Staaten bzw. ihrer Luftfahrtunternehmen zu verhindern. Unter der Voraussetzung, daß die existenzielle Gefahrdung eines Luftfahrtunternehmens unmittelbar bevorsteht, kann die Kommission einstweilige Maßnahmen treffen, die gewährleisten, daß diese Praktiken überhaupt nicht beziehungsweise nicht mehr angewandt werden. Weiterhin kann sie alle zweckdienlichen Weisungen zur Verhinderung derartiger Praktiken erteilen.

J, Das dritte Maßnahmenpaket, Juni 1992 I. Die Beurteilung des zweiten Pakets Im Vorfeld des Erlasses von neuen Regelungen wurden sowohl die Errungenschaften als auch die Defizite des zweiten Maßnahmenbündels diskutiert163. Bereits im Juni 1991 hatte die Kommission dem Rat daher umfassende Vorschläge für ein drittes Maßnahmenbündel vorgelege 64 • Schwerpunkte 160 Genaue Zahlenbeispiele bei Sclunid, in: Giemulla/Sclunid, Europäisches Luftverkehrsrecht, B I 1.13, Anm. S. 11, bzw. Schmid, Fluggastentschädigung bei Überbuchung, TranspR 1991, S. 128 ff. (131). 161 VO (EWG) des Rates vom 14.5.1991 zur Änderung der VO (EWG) Nr. 3975/ 87 über die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtunternehmen, ABI. EG Nr. L 122 vom 17.5.1991, S. 2. 162 VO (EWG) des Rates vom 14.12.1987 zur Änderung der VO (EWG) Nr. 3975/ 87 über die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtunternehmen, ABI. EG Nr. L 374 vom 31.12.1987, S. l. 163 Vgl. Ricketts/Balfour, Aircraft Use, Registration and Leasing in the EC, ASL 1993, s. 25 ff. (25). 164 KOM(91) 275 endg. vom 25.7.1991, ABI. EG Nr. C 258 vom 4.10.1991,

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

waren dabei Vorschläge zur Einführung europaeinheitlicher Betriebsgenehmigungen, zur europaweiten Anerkennung von Befähigungszeugnissen, zur Anpassung der Arbeitsbedingungen der Bediensteten, die Verwirklichung des Kabotagerechts 165 (achte Freiheit des Luftverkehrs 166), nicht zuletzt im Tarifwesen die Einführung des Systems der doppelten Ablehnung. Der Rat hatte Schwierigkeiten, das von der Kommission vorgelegte Maßnahmenbündel in der geforderten Form zu verabschieden, weil die Bestrebungen der Nationalstaaten längst nicht einhellig auf die Verwirklichung eines wettbewerbsgeprägten Marktes auf dem Luftverkehrssektor ausgerichtet waren. Das dritte Maßnahmenbündel sollte jedoch nach Ansicht der Kommission ergehen, um die Liberalisierung des Luftverkehrs weitgehend abzuschließen 167 • Auf seiner Tagung am 24. März 1992 stimmte der Rat der Verkehrsminister den Vorschlägen der Kommission grundsätzlich zu, eine endgültige Entscheidung fand jedoch erst am 22. Juni 1992 statt.

ll. Die Maßnahmen des Pakets im einzelnen 1. Anwendung der Wettbewerbsvorschriften

Die mit dem zweiten Maßnahmenpaket erlassenen Regelungen zum Wettbewerbsrecht, die VO (EWG) Nr. 3975/87 und die VO (EWG) Nr. 3976/87 stellten sich zwar als hilfreich für die Vollendung des gemeinsamen Binnenmarktes heraus, erfaßten jedoch längst nicht alle Problembereiche. Im Mai 1990 hatte die Kommission daher Vorschläge zur Änderung der Wettbewerbsordnung vorgelege 68 • Während der Beratungen zum zweiten Maßnahmenpaket hatte der Ministerrat bemängelt, daß die Kommission keine S. 1 ff.; vgl auch Böckstiegel, Rahmenbedingungen für einen zukünftigen Luftverkehr auf dem Marktplatz EG, ZLW 1993, S. 117 ff. (118 f.). 165 Definition vgl. Art. 7 Chicagoer Abkommen; zum Kabotagerecht allgemein Lewis, Air Cabotage: Historical and Modern-Day Perspectives, JALC 45 (1979/80), s. 1059 ff. 166 Vgl. auch Anlage 1 der Arbeit. 167 Jestaedt/Hohenstatt, Das Dritte Maßnahmenbündel zur Liberalisierung des LuftverRehrs, EuZW 1992, S. 115 ff. (116); vgl. auch Krämer, Tagungsbericht ,International Chamber of Commerce (ICC) and Institute of Air and Space Law, University of Cologne, International Colloquium on the New Legal Framework for Aviation in the European Community, Paris, 17 June 1993', ZLW 1993, S. 442 f. 168 Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3975/87 über die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtunternehmen, KOM(90) 167 endg., vorgelegt von der Kommission am 23.5.1990 (90/C 155/05), ABI. EG Nr. C 155 vom 26.6.1990, S. 7 ff.

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

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einstweiligen Anordnungen gegen solche Fluggesellschaften erlassen kann, die mit unlauteren Praktiken den Wettbewerb umgehen wollten. Der Forderung der Kommission nach Einführung eines besonderen Kontrollverfahrens wurde vom Rat inzwischen durch die VO (EWG) Nr. 1284/91 169 entsprochen. Im 3. Maßnahmenpaket wurden weitere Änderungsvorschläge der Kommission vom Juli 1991 zur Änderung der VO (EWG) Nr. 3975/87 170 und der VO (EWG) 3976/87 171 berücksichtige 72 • Bei vermuteten Verstößen gegen die Art. 85 und 86 EGV im Luftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaates wurde ihr ein Untersuchungsrecht eingeräumt. Es wurde weiterhin die Möglichkeit geschaffen, Vereinbarungen gemäß Art. 85 Abs. 3 EGV zu bewilligen und Zuwiderhandlungen im Verkehr eines Mitgliedstaates abzustellen bzw. mit Geldbußen zu ahnden. 2. Tarife

Durch die Verordnung Nr. 2409/92 173 wurde eine entscheidende Änderung der Tarifstruktur bewirkt. Sie komplettiert die ersten beiden Schritte zur Liberalisierung der Flugpreise 174 durch weitere Flexibilitätsmöglichkeiten zugunsten der Fluggesellschaften. 169 Verordnung (EWG) Nr. 1284/91 des Rates vom 14.5.1991 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3975/87 über die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtunternehmen, ABI. EG Nr. L 122 vom 17.5.1991, S. 2 ff. 170 Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3975/87 zur Festlegung des Verfahrens für die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtunternehmen, KOM(91) 272 endg. - (91/C 225/06); ABI. EG Nr. C 225 vom 30.8.1991, S. 9. 171 Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3976/87 zur Anwendung von Artikel 85 Abs. 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Luftverkehr, KOM(91) 272 endg. - (91/C 225/07); ABI. EG Nr. C 225 vom 30.8.1991, s. 10 f. 172 Verordnung (EWG) Nr. 2410/92 des Rates vom 23.7.1992 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3975/87 über die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtunternehmen, ABI. EG Nr. L 240 vom 24.8.1992, S. 18; Verordnung (EWG) Nr. 2411/92 des Rates vom 23.7.1992 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3976 zur Anwendung von Artikel 85 Abs. 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Luftverkehr, ABI. EG Nr. L 240 vom 24.8.1992, S. 19 f. 173 Verordnung (EWG) Nr. 2409/92 des Rates vom 23.7.1992 über Flugpreise und Luftfrachtraten, ABI. EG Nr. L 240 vom 24.8.1992, S. 15 ff. 174 Richtlinien 87/601/EWG, ABI. EG Nr. L 374 vom 31.12.1987, S. 12 ff. und Verordnung (EWG) Nr. 2342/90, ABI. EG Nr. L 217 vom 11.8.1990, S. I ff.

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

Dabei erließ der Rat weiterreichende Regelungen als im Vorschlag der Kommission 175 vorgesehen. Diese hatte verlangt, daß für sämtliche Flugpreise in der Gemeinschaft ab 1993 das System der doppelten Ablehnung (double disapproval) gelten sollte. Ein beantragter Flugtarif hätte also genehmigt werden müssen, wenn ihn nicht beide betroffenen Staaten ablehnten. Dabei sollte die Höhe der Flugpreise durch das freie Spiel der Marktkräfte bestimmt werden176. Neue Tarife hätten nicht abgelehnt werden dürfen, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zu den Kosten des Unternehmens standen (Art. 3 der VO). Aus Art. 6 Abs. 4 des Verordnungsentwurfs ergab sich, daß die gesammelten Erfahrungen für eine eventuelle Gesamtfreigabe aller Flugtarife ausschlaggebend sein sollten. Mit Ausnahme von Flugtarifen auf Strecken, auf denen der Wettbewerb eingeschränkt ist (Art. 7 des Verordnungsentwurfs), sollten die von den Flugunternehmen vorgeschlagenen Preise automatisch genehmigt werden. Unklar blieb jedoch, was die Kommission unter dem Begriff automatische Genehmigung verstanden wissen wollte. Es könnte sich dabei um die Ausnahme von dem Erfordernis einer Genehmigung, um eine Genehmigung ohne vorherige Prüfung oder die Fiktion einer Genehmigung handeln. Die VO Nr. 2409/92 bestimmt nunmehr in Art. 5 Abs. I, daß die EUFlugdiensterbringer die Preise für die Flüge selbst festlegen können. Sofern es sich um rationale, wirtschaftlich nachvollziehbare Preisfestsetzungen 177 handelt, werden diese von den Regierungen auch automatisch genehmigt. Die Notwendigkeit einer weiteren Flexibilisierung der Tariffestsetzung von Seiten der Fluggesellschaften war angesichts der wachsenden Konkurrenz auf dem Luftverkehrssektor und des damit verbundenen wachsenden Luftverkehrsaufkonunens auf dem nationalen und internationalen Luftverkehrsmarkt unverzichtbar. Den Interessen der Fluggesellschaften wurde durch die Verabschiedung der Verordnung ausreichend Rechnung getragen. Eine Fluggesellschaft kann praktisch nicht mehr diskriminiert werden. Bei Bedenken gegen Tarife kann jeder betroffene Mitgliedstaat den Heimatstaat des Luftverkehrsunternehmens anrufen, der dann versucht, einen Konsens mit dem Heimatcarrier zu erzielen. Sofern kein Konsens erzielt wird, kann die Kommission zur Vermittlung einer Entscheidung angerufen werden. 175 Vorschlag für eine Verordnung des Rates über Flugpreise und Luftfrachtraten, KOM(91) 275 endg., von der Kommission am 25.7.1991 vorgelegt (91/C 258/04), ABI. EG Nr. C 258, vom 1.10.1991, S. 15 ff.

176 Kritisch zu diesem freien Kräftespiel Dempsey, Airline Deregulation and Laissez-Faire Mythology: Economic Theory in Turbulence, JALC 56 (1990/91), s. 305 ff. (388 f.). 177 Ausschlaggebend ist, ob das Luftverkehrsunternehmen noch kostendeckend arbeitet.

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

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3. Zugang zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs und Kapazitätsaufteilung

Die VO (EWG) Nr. 2343/90 des Rates vom 24. Juli 1990 hatte zum Ziel, den Marktzugang für Luftverkehrsunternehmen der Gemeinschaft und die Aufteilung der Sitzplatzkapazitäten im Linienflugverkehr zu erleichtern. Für das dritte Maßnahmenbündel legte die Kommission einen Vorschlag vor, der die Streckenzugangsrechte der Luftverkehrsunternehmen noch erheblich verbessern sollte 178 • Diesem Vorschlag entsprach der Rat in seinem dritten Maßnahmenbündel179. Der Rat führt darin aus, daß alle eine Betriebsgenehmigung eines europäischen Mitgliedstaates innehabenden Luftverkehrsunternehmen gleiche Zugangsmöglichkeiten zu einer innergemeinschaftlichen Streckenerlaubnis haben sollen, nationale Flugverkehrsunternehmen also nicht vorrangig berücksichtigt werden dürfen. Einzige Ausnahme sollen Strecken bilden, die zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Flugverkehrsanbindung nationaler Entwicklungsräume erforderlich sind. Im gemeinsamen Binnenmarkt steht den Fluggesellschaften nunmehr das Recht zu, Passagiere in einem anderen als dem Heimatstaat aufzunehmen und in ein drittes Land zu transportieren (fünfte Freiheit) und das Recht, Fluggäste, Fracht und Post innerhalb eines anderen Vertragsstaates zwischen den dort vorhandenen Flughäfen zu befördern, d.h. das sogenannte "Kabotagerecht" bzw. die achte Freiheit der Luft180. Insbesondere das Kabotagerecht kann jedoch grundsätzlich nur verwirklicht werden, wenn auch Lockerungen bzw. Liberalisierungen in anderen Bereichen stattfinden. Die gerechte Umbzw. Neuverteilung der Start- und Landerechte (slots) ist dafür erst Voraussetzung. Die Kommission verlangte daher auch in ihrem Verordnungsvorschlag, daß die Gewährung von Kabotagerechten sofort und ohne die Einräumung einer Übergangszeit erfolgte. Auch dann hätten die nationalen Flugunternehmen noch genügend Vorteile, die es den Neulingen schwierig genug machten, eine ertragreiche Position einzunehmen. Dieses Vorgehen barg jedoch nach Ansicht des Rates die Gefahr, daß die ohnehin schon mit Slotpro178 Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über den Zugang von Luftverkehrsunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Luftverkehrs, KOM(91) 275 endg., vorgelegt von der Kommission am 25.7.1991 (91/C 248/03), ABI. EG Nr. C 258 vom 4.10.1991, S. 10 ff. 179 Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 des Rates vom 23.7.1992 über den Zugang von Luftverkehrsunternehmen zu Strecken des innergemeinschaftlichen Luftverkehrs, ABI. EG Nr. L 240 vom 24.8.1992, S. 8 ff. in der Fassung der Berichtigung im ABI. EG Nr. L 15 vom 23.1.1993, S. 33. 180 Das deutsche LuftVG behält das Kabotagerecht bisher grundsätzlich deutschen Luftverkehrsunternehmen vor. Vgl. Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, S. 359, 363 ff.; zu den Freiheiten der Luft vgl. Anlage 1.

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

blemen kämpfenden Flughäfen noch ein größeres Flugaufkommen bewältigen müßten. Der Konkurrenzkampf zwischen den Fluggesellschaften um Startund Landerechte auf "attraktiven" Flughäfen würde steigen 181 • Der Verkehrsministerrat hat deshalb schon im Vorfeld dafür plädiert, Übergangsmaßnahmen zu erlassen, damit kleine und mittlere Unternehmen nicht vom Markt gedrängt werden 182• Das Kabotagerecht gilt daher erst ab 1. April 1997. Bis zu diesem Zeitpunkt wird den Carriern das Recht der sogenannten Anschlußkabotage eingeräumt. Die Flüge müssen dabei jeweils im Heimatstaat des Carriers begonnen haben und wieder dort enden. British Airways dürften also die Flugstrecke Frankfurt I Main- Stuttgart nur bedienen, wenn z.B. der Flug nach Frankfurt in London begonnen hätte. Bereits seit 1. Januar 1993 haben die Carrier jedoch das Recht, Flugdienste im Rahmen der fünften und siebten Freiheit 183 zu erbringen. British Airways könnte also z.B. Flugdienste von Frankfurt/Main nach Rom erbringen, ohne den Flug in Großbritannien begonnen zu haben. Freier Zugang zu allen europäischen Strecken bietet vielen europäischen Luftverkehrsunternehmen die Möglichkeit der Expansion. Obwohl die "Routenfreigabe" ein wichtiger Beitrag zur Herstellung des Binnenmarktes darstellt, besteht gerade dadurch für kleine Gesellschaften die Gefahr der Verdrängung vom Markt. Finanziell starke Unternehmen drängen in fremde Märkte und bedienen lukrative Flugstrecken. Nur wenn Strecken betroffen sind, die zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Flugverkehrsanbindung nationaler Entwicklungsräume erforderlich sind, soll eine Ausnahme des freien Streckenzugangs gegeben sein. Die Schaffung dieser Ausnahme läßt vermuten, daß sie gerade auch zum Schutz kleinerer Fluggesellschaften eingefügt wurde. Andererseits dürfte gerade eine solche Einschränkung nicht unbedingt geeignet sein, kleineren Fluggesellschaften ein "Überleben" zu ermöglichen. Die Strecken, die auch für diese Gesellschaften lukrativ sind, werden schwerlich als Strecken zu identifizieren sein, die einer angemessenen Flugverkehrsanbindung nationaler Entwicklungsräume zu dienen geeignet sind. Diese Ausnahmebestimmung ist unklar, sie fordert daher eine Auslegung

181 Zu den Schwierigkeiten der plötzlichen Liberalisierung des Marktzugangs Dempsey, Airline Deregulation and Laissez-Faire Mythology: Economic Theory in Turbulence, JALC 56 (1990/91), S. 305 ff. (386 f.). 182 Bericht des Generalsekretariats des Rates vom 16.12.1991 (SN 291/91 [AER]); vgl. Schmid, in: Giemulla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, Einf. Rn. 87; "Der Graumarkt hat die Deregulierung schon vorweggenommen", FAZ vom 17.2. 1992, s. 17. 183 Vgl. Anlage I der Arbeit.

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

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durch den EuGH heraus 184• Auf eine solche Ausnahmebestimmung ganz zu verzichten war jedoch nicht ratsam, da zumindest nicht ausgeschlossen ist, daß gerade die Bedienung von "Randstrecken" für kleinere Gesellschaften interessant ist. Als Folge der Kabotagefreiheit werden daher Megacarrier wie in den Vereinigten Staaten befürchtet 185 • Diese Angst ist nicht ganz unberechtigt, allerdings ist dies viel eher ein generelles Problem der Liberalisierung und kein spezielles Phänomen der Kabotagefreiheit Die Kabotagefreiheit selbst findet insbesondere in Mitteleuropa ihre Grenze an den Kapazitätsengpässen, die schon heute das größte Problem für die Flughäfen darstellen. Eine sinnvolle Einbeziehung der Flughäfen in die Diskussion ist deshalb unumgänglich, um zu gewährleisten, daß nicht die Liberalisierung auf Kosten der Sicherheit bei Start und Landung verwirklicht wird. 4. Betriebsgenehmigungen für Luftverkehrsunternehmen

In seinen Verordnungen (EWG) Nr. 2343/90 (für kombinierten Personenund Frachtverkehr) und Nr. 294/91 (für Nur-Frachtdienste) hatte der Rat ursprünglich beschlossen, daß Regelungen über die Betriebsgenehmigung für Luftverkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes bis zum 1. Juli 1992 zu schaffen seien. Seit dem 1. Januar 1993 gelten aufgrund der VO Nr. 2407/92 186 Vorschriften, die die Voraussetzungen für die Erteilung einer Betriebsgenehmigung an Luftverkehrsgesellschaften regeln. Letztlich wurde eine europaeinheitliche Betriebserlaubnis geschaffen 187 • Jeder Mitgliedstaat der Europäischen 184 Vergleichbar mit der Rechtsprechung zu dem Begriff "Schutz der Gesundheit ... von Menschen" - Art. 36 EWGV; vgl. dazu Müller-Graf!, in: von der Groeben/ Thiesing/Ehlermann, Komm. z. EWGV, Art. 36 Rn. 50-52. 185 Fünfzehn zu Beginn des Jahres 1986 existierende Fluggesellschaften hatten sich in den USA bis Ende 1987 zu sechs Mega-Carriern zusammengeschlossen. Im Jahre 1989 bewältigten acht Mega-Carrier 94% des nationalen Passagieraufkommens. Vgl. Dempsey, America's Grand Experiment in Airline Deregulation: Good Intentions Producing Bad Results, JALC 1989/90, S. 21 ff. (23 f.). 186 Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 des Rates vom 23.7.1992 über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftverkehrsunternehmen, ABI. EG Nr. L 240 vom 24.8.1992, s. 1 ff. 187 Das Problem der EG-einheitlichen Registrierung von Luftfahrzeugen in einem EG-Register wird in diesem Zusammenhang nicht behandelt. Dazu vgl. Schwenk, Internationale Zusammenarbeit im Luftverkehr der Europäischen Gemeinschaft und die Staatszugehörigkeit von Luftfahrzeugen, ZLW 1988, S. 4 ff. (insb. 10 ff.); vgl. auch Kumicki, Tagungsbericht ,European Air Law Association, 1992 Annual Confe-

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

Gemeinschaft ist verpflichtet, einem Luftverkehrsunternehmen der Gemeinschaft, dessen eingetragener Hauptgeschäftssitz sich in diesem Land befindet, eine Betriebserlaubnis zu erteilen, wenn bestimmte finanzielle und sicherheitstechnische Anforderungen vorliegen. Strittig war dabei im Vorfeld die Definition des "Luftverkehrsunternehmens der Gemeinschaft" (Gemeinschaftscarrier)188, denn nach Ansicht der Kommission sollte grundsätzlich jeder Gemeinschaftscarrier freien Zugang zu allen Strecken der Gemeinschaft haben. Die Betriebserlaubnis soll aber nur erteilt werden, wenn das Unternehmen mehrheitlich EU-Angehörigen gehört. Die tatsächliche Kontrolle muß von EU-Angehörigen erfolgen, d.h. der Vorstand und der Aufsichtsrat müssen mehrheitlich von EU-Angehörigen besetzt sein. Die Verordnung sieht die Möglichkeit vor, daß die EU bi- oder multilateral andere Vereinbarungen mit Drittstaaten trifft 189. Wichtigste Voraussetzung für die Erteilung einer Betriebsgenehmigung ist jedoch die wirtschaftliche Stabilität und Betriebssicherheit des Luftverkehrsunternehmens. Dazu gehört insbesondere, daß das Unternehmen über ein Anfangsnettokapital von mindestens 100.000 ECU 190 verfügt. Es muß versichern, daß es ihm möglich ist, die vertraglich festgelegten normalen Kosten für die ersten drei Betriebsmonate und die Aufwendungen für die folgenden 24 Monate aufzubringen, und daß seine Schulden und Leasingverbindlichkeiten am Ende des ersten Betriebsjahres höchstens doppelt so hoch wie sein Eigenkapital sein werden. Im Hinblick auf die Betriebssicherheit muß das Unternehmen ein gültiges Air Operator Certificate (Luftverkehrsbetreiberschein) vorweisen, das grundsätzlich nur ausgestellt wird, wenn die zuständige Behörde überzeugt davon ist, daß das Unternehmen den sicheren Betrieb gewährleisten kann. Wenn die aufgezeigten Voraussetzungen vorliegen, wird die Betriebsgenehmigung erteilt. Wird der Antrag abgelehnt, kann bei der Kommission eine Überprüfung beantragt werden. Die Kommission erhält damit also entscheidende Kontroll- und Überwachungskompetenzen. Sie kann jederzeit Auskünfte einholen und wird über bestimmte Vorgänge unterrichtet. Wenn die in der Verordnung genannten Voraussetzungen nicht mehr vorliegen, muß dem Luftverkehrsunternehmen die Betriebserlaubnis wieder entzogen werden. rence: Recent Developments in EC Air Transport Law and Policy (Rome, 6. November 1992)', ZLW 1993, S. 73 ff. (73 f.). 188 Jestaedt I Hohenstatt, Das Dritte Maßnahmenbündel zur Liberalisierung des Luftverkehrs, EuZW 1992, S. 115 ff. (116). 189 Vgl. Art. 4 Abs. 4 des VOEntwurfs. 190 I ECU = 1,9085 DM (Stand 31.7.1994).

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

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Sinnvollerweise muß bei der Erteilung einer Betriebsgenehmigung für ein Unternehmen überlegt werden, wie die Zulassung eines neuen Unternehmens generell auf die wirtschaftliche Situation der Konkurrenten oder auf den Markt insgesamt wirken wird. Außerdem muß sichergestellt werden, daß auch tatsächlich die Finanzkraft des neuen Unternehmens gewährleistet ist. Dieses Problem hat der Rat gesehen. Er verlangt daher ein Anfangskapital von 100.000 ECU. Allerdings ist zweifelhaft, ob ein Unternehmen mit Anfangskapital von lediglich 100.000 ECU überhaupt Überlebenschancen auf dem Markt haben wird. Die Verbraucher haben keine Vorteile durch Gesellschaften, die schnell in Konkurs fallen. Daher muß man über das von der Kommission geforderte Startkapital hinausgehen. Zwar dürfte das geforderte Kapital keinesfalls so hoch sein, daß damit praktisch kein neues Unternehmen die Möglichkeit hätte, sich auf dem Markt zu etablieren. Angesichts des - derzeit durchaus nicht unwahrscheinlichen - Risikos eines Bankrottes sowohl von alten Fluggesellschaften als auch von Neulingen auf dem Markt, kann das Anfangsnettokapital von 100.000 ECU jedoch nicht als ausreichend angesehen werden. 5. Abschaffung von Gepäckkontrollen

Die bisherigen Vorschriften zur Regelung von Gepäckkontrollen bei innergemeinschaftlichen Flügen machten nach Vollendung des gemeinsamen Binnenmarktes am I. Januar 1993 aus zollrechtliehen Gründen keinen Sinn mehr. Daher hat der Rat auf Vorschlag der Kommission eine Verordnung zur Abschaffung von Gepäckkontrollen auf innergemeinschaftlichen Flügen erlassen, die am I. Januar 1993 in Kraft getreten ist 191 • Den Flug- und Seehäfen kommt in Europa insofern eine Sonderstellung zu, als sie Binnen- und Außengrenze sein können. Die Abschaffung der Grenzkontrollen bei innergemeinschaftlichen Flügen beinhaltet dabei lediglich die Abschaffung von Zollkontrollen, die üblichen Sicherheitskontrollen sollen beibehalten werden. Von der Verordnung ausdrücklich ausgenommen sind Flüge, die in einem Nicht-EG-Land begonnen werden, Flüge, bei denen in einem Nicht-EG-Staat zwischengelandet wird, und schließlich Flüge, die in einem solchen Land enden.

191 Verordnung (EWG) Nr. 3925/91 des Rates vom 19.12.1991 über die Abschaffung von Kontrollen und Förmlichkeiten für Handgepäck oder aufgegebenes Gepäck auf einem innergemeinschaftlichen Flug sowie auf einer innergemeinschaftlichen Seereise mitgeführtes Gepäck, ABI. EG Nr. L 374 vom 31.12.1991, S. 4 ff.

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

In einem Punkt folgte der Rat dem Vorschlag der Kommission 192 jedoch nicht. Die Kommission wollte die in der Praxis als einheitliche Flüge behandelten Flugreisen 193, die sich aus Teilstrecken zusammensetzen, nicht als einheitlichen Flug akzeptieren 194 • Ein einheitlicher Flug sollte ihrer Meinung nach nur vorliegen, wenn alle angeflogenen Flughäfen (Start-, Lande- und Zwischenlandeflughafen) in einem EU-Mitgliedstaat liegen. So wäre eine Gepäckkontrolle bei einem Flug Paris- Frankfurt obligatorisch, wenn das Flugzeug, aus Algier kommend, in Paris zwischenlandete, um dann weiter nach Frankfurt zu fliegen. Käme das Flugzeug dagegen aus Madrid, würde die Gepäckkontrolle entfallen. Diesen Vorschlag lehnte der Rat ab. Tatsächlich wäre eine solche Regelung auch wenig praktikabel. Der Flugpassagier hätte kein Verständnis dafür, daß er sich auf einem Direktflug keiner Zollkontrolle unterziehen muß, wohingegen beim Zusteigen im Rahmen einer Zwischenlandung eine Kontrolle nötig würde. Die Verordnung sieht deshalb bei solchen Flügen eine einheitliche Kontrolle am Ankunftflughafen der Reise vor. 6. Harmonisierung der technischen Vorschriften

Schließlich spielt die Harmonisierung technischer Vorschriften für Zivilluftfahrzeuge auf europäischer Ebene eine wichtige Rolle. Sie soll einen sicheren und damit auch geordneten Luftfahrtbetrieb gewährleisten. Sicherheit stellt eine Grundvoraussetzung im europäischen Luftverkehr dar. Auch nach dem Abkommen von Chicago obliegt es den Mitgliedstaaten, Vorschriften für den sicheren Betrieb von Zivilluftfahrzeugen auszuarbeiten, zu erlassen und durchzuführen. Ihre Vorschläge in diesem Bereich hat die Kommission im Jahre 1990 vorgelege 95• Der Rat hat daraufbin am 16. Dezember 1991 die VO Nr. 3922/91 196 erlassen. Der Erlaß dieser Verordnung war angesichts der 192 Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über die Abschaffung von Kontrollen und Förmlichkeiten für Handgepäck oder aufgegebenes Gepäck auf einem innergemeinschaftlichen Flug sowie auf einer innergemeinschaftlichen Seereise mitgeführtes Gepäck, KOM(90) 370 endg. - SYN 289, vorgelegt von der Kommission am 3.8.1990 (90/C 212/09), ABI. EG C 212 vom 25.8.1990, S. 8 ff. 193 Sogenannte flugplantechnische Flüge. 194 Schmid, EG-Binnenmarkt: Der Kommissions-Vorschlag zur Abschaffung von Gepäckkontrollen auf innergemeinschaftlichen Flug- und Seereisen, TranspR 1991, s. 90 f. (90). 195 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der technischen Vorschriften und Verfahren für Zivilluftfahrzeuge, KOM(90) 442 endg., vorgelegt von der Kommission am 12.10.1990, ABI. EG Nr. C 270 vom 26.10.1990, S. 3 ff. 196 Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 des Rates vom 16.12.1991 zur Harmonisierung der technischen Vorschriften und der Verwaltungsverfahren in der Zivilluftfahrt, ABI. EG Nr. L 373 vom 31.12.1991, S. 4 ff.

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

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Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes notwendig. Die unterschiedlichen Sicherheitsvorschriften haben bislang den Handelsverkehr mit Luftfahrzeugen oder Luftfahrterzeugnissen beschränkt197 • Das Sicherheitsniveau muß deshalb angeglichen werden, um etwaige Handelsverzerrungen abzubauen oder zu vermeiden 198• Verschiedene europäische Luftfahrtbehörden haben die Joint A viation Authorities (JAA) gegründet, die der Europäischen Zivilluftfahrtkonferenz angegliedert ist, um Vereinbarungen über die Zusammenarbeit bei der Ausarbeitung und Durchführung gemeinsamer Lufttüchtigkeitsvorschriften (Joint Aviation Requirements - JARs) auf allen Gebieten zu treffen, die mit der Sicherheit und dem Betrieb von Luftfahrzeugen zusammenhängen 199• An weiteren Regelwerken wird momentan im Rahmen der ECAC als Dachorganisation gearbeitet. Nach wie vor gibt es jedoch noch ganz unterschiedliche rechtliche Grundlagen bei den kooperierenden Staaten. Die Kommission schlägt in ihrem Entwurf vor, daß ihr selbst die Befugnis übertragen wird, die von der JAA ausgearbeiteten neuen Vorschriften und Verfahren einzuführen oder bestehende Vorschriften und Verfahren zu ändern. Dem ist der Rat jedoch nicht in dem Maß ihrer Vorstellungen gefolgt. Die Einführung von Mindestnormen im Sicherheitsbereich des Luftverkehrs hat auch für die Verfechter des "offenen Himmels" in Europa Priorität. Die Kommission selbst ist geeignetes Organ, als Sicherheitsbehörde strenge Vorschriften zur Wartung und zur Instandhaltung des Fluggerätes zu erlassen. Dabei muß sichergestellt werden, daß sie über einen ausreichenden Mitarbeiterstab verfügt, um die Kontrollmöglichkeiten effektiv wahrnehmen zu können. 7. Slot-Vergabe

Um einen erfolgreichen Start bzw. eine Landung durchzuführen, ist für die Flugunternehmen notwendig, daß ihnen für die Flugoperation ein ausreichender Zeitrahmen (sog. slot) erteilt wird, währenddessen sie die Flugoperation 197 Lueckel, Rahmenbedingungen im EG-Luftverkehr, LH-Jahrbuch '90, S. 142 ff. (148). 198 Der Bundesrat hat sich in seiner 626. Sitzung am 1.3.1991 mit dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der technischen Vorschriften und Verfahren für Zivilluftfahrzeuge befaßt, dazu Redaktion EuZW, Technische Vorschriften für Zivilluftfahrzeuge, EuZW 1991, S. 425 f. 199 Lueckel, Rahmenbedingungen im EG-Luftverkehr, LH-Jahrbuch '90, S. 142 ff. (148); ausführlich zur Joint Aviation Authorities vgl. Arrigani, Joint Aviation Authorities, Development of an International Standard for Safety Regulation: The First Steps are being taken by the JAA, ASL 1992, S. 130 ff.

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

vornehmen dürfen200• Slots stellen eine Kapazitätskontingentierung auf den sonst überlasteten Flughäfen dar01 • Für die Flugunternehmen ist eine ausreichende und flugplangünstige Erteilung von Slots damit absolut (über-) lebensnotwendig. Nicht der Umstand jedoch, daß zu wenig Zeitnischen vorhanden sind, beunruhigt die Beteiligten. Start- und Landezeiten sind noch immer in ausreichendem Maße vorhanden. Die "Slotproblematik" hängt vielmehr mit der Präferenz der Fluggäste (insbesondere der Geschäftsreisenden) für bestimmte Abflug- bzw. Ankunftszeiten zusammen. Weil jede Fluggesellschaft um die Gunst dieser recht einträglichen Personengruppe kämpft, möchte verständlicherweise jeder Fluggastbeförderer für sich bestimmte Slots erteilt wissen202• In erster Linie erklärt das den "Mangel". Dieser kann nicht ohne weiteres behoben, vielmehr nur "verwaltet" werden203 • a) Slots als Eigentum

Nach marktwirtschaftliehen Kriterien stellen die erteilten Slots für die Fluggesellschaften einen nicht unerheblichen Wettbewerbsfaktoi04 dar und sind wirtschaftlich, d.h. materiell zu bewerten205• In zunehmendem Maße werden deshalb etwaige erworbene Schutzrechte, wie Eigentumsrechte an den einmal erteilten Slots (sog. "Grandfather rights"), diskutiert201i. Diese Sichtweise wird von den "alten" Fluggesellschaften stark propagiert. Sie haben verständlicherweise ein Interesse daran, einmal erworbene (günstige) Slots auch in nachfolgenden Flugplanperioden wieder zu erhalten, um dem einmal gewonnenen Kundenstamm Kontinuität im Flugplan zu bieten. 200 Für einen Flug sind praktisch vier Slots erforderlich: einer, um mit dem Flugzeug im späteren Startflughafen zu landen, einer für den anschließenden Start, einer für die Landung im Zielflughafen und einer für das Verlassen dieses Flughafens. 201 Die Diskussion, ob mit Hilfe von Slots auch eine Kapazitätskontingentierung in überlasteten Lufträumen geschaffen werden soll, wird hier außer acht gelassen. 202 In der Bundesrepublik Deutschland erfolgt die Verteilung durch den Flugplankoordinator, eine private Einrichtung, die im Auftrag des Bundesministers für Verkehr handelt. 203 Giemulla/Wenzler, Zur Verfassungsmäßigkeit der Organisationsform des Flugplankoordinators der Bundesrepublik Deutschland, DVBI. 1989, S. 283 ff. (283); Borrmann, Zur Allokation von Start- und Landerechten - Eine Kritik an den Regulierungsvorschlägen der EG-Kommission, WuW 1991 , S. 678 ff. (679); ausführlich zur Slotproblematik vgl. Wendlik, Politik und Elemente der Slotvergabe, ZVerkWiss 1993, S. 260 ff. 204 Naveau (International Air Transport in a Changing World, S. 87) spricht von "Traffic Rights" als "the commercial stock of airlines". 205 Kaiser, Die Neuregelung der Slotvergabe, TranspR 1991, S. 266 ff. (267). 206 Gaebel, Slots als Eigentum, TranspR 1990, S. 407 ff. (409); Kurz, Regulierung und Innovation im Luftverkehr, S. 17.

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

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Bisher stellen diese historisch erworbenen "Grandfather"-Rechte sowohl auf europäischer als auch auf bundesdeutscher Ebene den vorrangigen Vergabefaktor bei erneuter Vergabe eines Slots dar. Im Interesse der Öffentlichkeit muß bei der Vergabe jedoch ebenfalls der freie Wettbewerb berücksichtigt werden. Es dürfen keine indirekten Zulassungssperren für Marktneulinge geschaffen werden. Auch muß das allgemeine Interesse an der Optimierung der internationalen Verkehrsflußsteuerung und die Aufrechterhaltung der notwendigen Planungsflexibilität beachtet werden 207 • b) Neuregelung der Slotvergabe

Um nicht nur den Interessen der "alteingesessenen" Fluggesellschaften Rechnung zu tragen, sondern vielmehr auch den neuen Fluggesellschaften Marktchancen offenzuhalten/08 wurde daher zunehmend über die gerechte Neuverteilung von Slots nachgedachr209 • Die Kommission hatte mit der VO (EWG) Nr. 2671/88210 bzw. mit der diese ersetzenden VO (EWG) Nr. 84/ 91 211 schon erste Vorgaben gemacht. Die Verordnung galt übergangsweise bis zum 31. Dezember 1992. Eine endgültige Regelung wurde inzwischen durch die Verordnung Nr. 95/93 erlassen212 • Vor der Verabschiedung wurden mehrere Modelle213 zur Slotverteilung diskutiert.

Gaebel, ebd., S. 407 ff. (413); Knieps, Deregulierung im Luftverkehr, S. 19. Zum Problem des Marktzugangs vgl. Naveau, International Air Transport in a Changing World, S. 95 ff. 209 Dazu ausführlich Kaiser, Die Neuregelung der Slotvergabe, TranspR 1991, S. 266 ff. (269); Rogge, Verkehr, S. 615 ff. (643). 210 VO (EWG) Nr. 2671/88 der Kommission vom 26.7.1988, ABI. EG Nr. L 239 vom 30.8.1988, S. 9 ff. 211 VO (EWG) Nr. 84/91 der Kommission vom 5.12.1990 zur Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen zur gemeinsamen Planung und Koordinierung der Kapazität, der Aufteilung der Einnahmen, der Tarifkonsultationen im Fluglinienverkehr sowie der Zuwendung von Zeitnischen auf Flughäfen, ABI. EG Nr. L 10 vom 15.1.1991, s. 14 ff. 207

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212 Verordnung Nr. 95/93 des Rates vom 18.1.1993 über die gemeinsame Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft, ABI. EG Nr. L 14 vom 22.1.1993, S. I ff.; dazu auch Crans/Loozen, EC Aviation Scene, AL 1991, S. 178 ff. (179). 213 Dazu Shifrin, Aviation Week and Space Technology vom 4.3.1991, S. 34.

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

aa) Das europäische Modell Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft hatte ihre Vorstellungen zur Neuverteilung in einem Verordnungsentwurf vorgelegt, der auf der von Art. 84 Abs. 2 EGV erteilten Kompetenz zur Rechtsetzung beruht214 • Dieser Entwurf entsprach im wesentlichen auch den Vorstellungen der Bundesregierung215. Das Modell sah eine volle Regulierung vor, bei der Marktkräfte letztendlich kaum Auswirkungen zeigen konnten216 • Die Bewertung der "Grandfather"-Rechte, die Neuerteilung von Slots insbesondere für Marktneulinge und die Umverteilung von (nicht genutzten) Slots sind bei diesem Modell entscheidende Punkte. Dabei hatte sich die Kommission für ein recht differenziertes Modell entschieden217 • Formell kann jeweils der Mitgliedstaat selbst entscheiden, welchen (überlasteten) Aughafen er für koordiniert erklärt218 • Ein unparteiischer, nichtdiskriminierender Flugplankoordinato~ 19 kann dann eingesetzt werden 220• Regelmäßig sollen jedoch Kapazitätsanalysen durchgeführt221 , zusätzlich sollte ein flugplanausschuß zur beratenden Unterstützung des Augplankoordinators eingesetzt werden222 • 214 Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft, KOM(90) 576 endg., von der Kommission vorgelegt am 18.12.1990 (91/C 43/04), ABI. EG Nr. C 43 vom 19.2.1991, S. 3 ff. Dazu auch Tschentscher/Koenig, Rechtsqualität, Vergabe und Übertragbarkeit sogenannter "Siots" nach dem deutschen Luftverkehrsrecht, NVwZ 1991, S. 219 ff. (223 f.); Redaktion EuZW, Zeitnischen auf Flughäfen, EuZW 1991, s. 488. 215 Vgl. 10. Änderungsgesetz zum LuftVG, BR-Drs. 391/90 vom 1.6.1990. 216 Borrmann, Zur Allokation von Start- und Landerechten Eine Kritik an den Regulierungsvorschlägen der EG-Kommission, WuW 1991, S. 678 ff. (683); vgl. auch Kuznicki, Tagungsbericht , European Air Law Association, 1992 Annual Conference: Recent Developments in EC Air Transport Law and Policy (Rome, 6. November 1992)', ZLW 1993, S. 73 ff. (75 f.). 217 Ausführlich Crans/Loozen, EC Aviation Scene, AL 1991, S. 178 ff. (180 f.). 218 Art. 4 Abs. 1, 3 KOM(90) 576 endg. 219 Problematisch ist hierbei, daß diese in allen europäischen Staaten zwar "unparteiisch" sind, es sich letztlich jedoch ausnahmslos um freigestellte Mitarbeiter der nationalen Luftverkehrsunternehmen handelt. Der Flugplankoordinator der Bundesrepublik Deutschland ist zwar der Bundesanstalt für Flugsicherung unterstellt, empfangt sein Gehalt jedoch weiterhin von der Lufthansa. Vgl. Giemulla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, Einf. Teil VII Fn. 22; dies., Who owns the Time?, ASL 1992, S. 9 ff. 220 Vgl. Art. 5 Abs. 2 KOM(90) 576 endg. 221 Art. 4 Abs. 4, Art. 7 KOM(90) 576 endg. 222 Art. 6 KOM(90) 576 endg.

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

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Materiell-rechtlich waren folgende drei Teile entscheidend: - Im "allgemeinen Koordinierungsverfahren" erfolgt die Slotvergabe nach den oben angesprochenen Prioritätsrechten ("Grandfather"-Rechten)223 • - Zusätzlich wird ein Slotpool mit einer Mindestanzahl von freigewordenen, unbenutzten oder wenig genutzten Slots224 eingerichtet, aus dem diejenigen Antragsteller bedient werden, deren Interessen nicht berücksichtigt wurden22S. Mindestens 50% dieser Slots sollen Neulingen zugute kommen226 • - In besonderen Fällen von Kapazitätsengpässen können diese Umverteilungsregeln auch zugunsten von Fluggesellschaften angewandt werden, denen grundsätzlich schon Slots erteilt worden sind227 • Fraglich ist, ob dieser Slotpool den Neubewerbern tatsächlich ausreichend Möglichkeiten bietet, sich in das Marktgeschehen zu integrieren und sich dort behaupten zu können. Grundsätzlich besteht die berechtigte Befürchtung, daß eher die "schlechten" Slots über den Pool vergeben würden. Vorgesehen ist, daß Fluggesellschaften, die mehr als acht Slots pro Tag an dem entscheidenden Flughafen halten, einen Teil davon in den Pool abgeben müssen228 • Es ist nicht zu erwarten, daß diese Gesellschaften die wirtschaftlich nicht oder kaum einträglichen Slots behalten werden. Ein weiteres in der Praxis auftretendes Problem stellt die Änderung der Flugroute dar. Müssen die Slots, die von einer Fluggesellschaft gehalten werden, zurückgegeben werden, wenn das Luftverkehrsunternehmen statt nach Berlin plötzlich nach Leipzig fliegen will, weil dies einträglicher scheint? Nach dem Kommissionsvorschlag soll eine Änderung des Zielortes und Verwenden des Slots für diesen "neuen" Flug durch die Flugunternehmen in Zukunft nicht mehr möglich sein229• Vielmehr sollen die Slots einer Gesellschaft zufallen, die gerade an den aufgebeneo Zielort einen Flug einrichten will. Insbesondere bei Charterflugverkehr, also bei Luftverkehrsleistungen, die dem momentanen Bedarf angepaßt sind, ist eine solche Regelung jedoch untragbar. Umschichtungen sind im Charterflugverkehr häufig notwendig und 223 224

den. 225 226

den.

Art. 8 KOM(90) 576 endg. Slots, die zu weniger als 65% über eine Periode von zwei Monaten genutzt wurArt. 9 KOM(90) 576 endg. Jedoch höchstens zwei pro Fluggesellschaft in einem Zeitraum von vier Stun-

Art. 10 KOM(90) 576 endg. Bedenken gegen diese Abgabe der Slots, die als "Wert" der Fluggesellschaft auch dem Art. 14 GG unterfallen, äußert Gaebel, Slots als Eigentum, TranspR 1990, s. 407 ff. 229 Art. 10 KOM(90) 576 endg. 227 228

10 Baumann

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

sollten jederzeit erfolgen können. Die Kommission ist aufgefordert, für diesen Bereich eine neue Lösung vorzulegen. bb) Das Modell in den USA Das in den USA mittlerweile fest etablierte Modell des freien Slothandels230, das die Grundsätze freier Marktwirtschaft verkörpert231 , unterscheidet sich deutlich von dem Modell, das die Kommission vorgeschlagen hat. Seit dem 1. April 1986 haben Luftverkehrsunternehmer und "commuters"232 das Recht, mit den Slots zu handeln233" die ihnen am Stichtag 16. Dezember 1985 eingeräumt waren. Sie können diese frei "veräußern", obwohl weder der "Veräußerer" noch der "Erwerber" Eigentum im Rechtssinn erlange34. Damit waren jedoch automatisch neue Fluggesellschaften benachteiligt, die sich bei Aufnahme von Flugdiensten erst in das System "einkaufen" mußten235 • Ob dieses System damit als Alternative für die Europäische Gemeinschaft in Betracht kommt, ist äußerst fraglich. Die Bevorzugung der Altfluggesellschaften könnte als unzulässige Beihilfe zugunsten von bestimmten Fluggesellschaften im Sinne des Art. 92 Abs. 1 EGV bewertet werden. Durch die Erlaubnis, mit ihren Slots zu handeln, würden automatisch ihre Aktiva vergrößert, da ihre Slots einen Marktgegenwert erzielten. Problematisch ist, ob diese Rechte an Slots, die nur ein Hoheitsträger erteilen kann, überhaupt als eigentumsähnliche Rechte an die Fluggesellschaften weitergegeben werden können236. Gleichzeitig erhebt sich die Frage, ob an einem endgültigen Verteilungsverfahren nicht auch die Flughäfen bzw. die Flugsicherungszentralen beteiligt werden müßten. Sie könnten nämlich das Recht besitzen, "ihr eigenes Produkt nach Marktgesichtspunkten zu verwerten"237. Sie sind schließlich diejenigen, die für den ungestörten Ablauf der 230 "Allokation der Landerechte durch den Markt", vgl. Knieps, Deregulierung im Luftverkehr, S. 22.

231 Tschentscher/ Koenig, Rechtsqualität, Vergabe und Übertragbarkeit sog. "slots" nach dem deutschen Luftverkehrsrecht, NVwZ 1991, S. 219 ff. (225); Hardaway, The FAA "Buy-Sell" Slot Rule: Airline Deregulation at the Crossroads, JALC 52 (1986/ 87), S. I ff. Betreiber von Zubringerdiensten. "Buy and Seil". 234 Hardaway, The FAA "Buy-Sell" Slot Rule: Airline Deregulation at the Crossroads, JALC 52 (1986/87), S. I ff. (1, 4 f.). 235 Eine Korrektur war jedoch über einen Slotpool vorgesehen. 236 Dazu ausführlich Gaebel, Slots als Eigentum, TranspR 1990, S. 407 ff. 237 Zit. Kaiser, Die Neuregelung der Slot-Vergabe, TranspR 1991, S. 266 ff. (269). 232 233

7. Kap.: Stand der europäischen Regelungen

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Flüge verantwortlich sind. Praktisch erhielten die Flughäfen bzw. die Flugsicherungszentralen jedoch in dem Fall Gebühren, die nach Marktgesichtspunkten festgelegt würden. Dies stellte eine unzulässige Überdehnung des Gebührenbegriffes dar. Eine Beteiligung von Flughäfen und Flugsicherungsdiensten ist daher nicht praktikabel. cc) Das Modell der Teilregulierung Möglich wäre jedoch die Einführung des Modells der Teilregulierung, bei dem der Handel mit den Slots durch eine Vermietung von mittelfristiger Dauer ersetzt würde. Die Slots wären dadurch nicht dauerhaft an eine Fluggesellschaft gebunden. Allerdings wären wiederum die großen Fluggesellschaften bevorzugt, wenn - wie vorgesehen -die Verteilung mittels Versteigerung erfolgte. Den finanzstärksten Unternehmen wäre es im Zweifel am ehesten möglich, hohe Gebote abzugeben, so daß sie den Zuschlag erhielten23s. dd) Das Modell der Preisregulierung Es kommt ebenfalls ein preisreguliertes Modell in Frage. Dabei werden die Preise für Slots an die Preise der Flugtickets gebunden, so daß eine Regulierung letztendlich über den Kunden erfolgt. Zu Verkehrszeiten mit Spitzenaufkommen müßte ein Zuschlag für Abflug und Ankunft erhoben werden239. Dieses Modell wäre also auch in der Europäischen Gerneinschaft wegen seines selbstregulierenden Effekts geeignet, Kapazitätsspitzen abzubauen240. ee) Regelung der Europäischen Union Der Rat der EU hat arn 18. Januar 1993 die VO über gerneinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen der Gerneinschaft erlassen. Er hat sich für das Modell der Kornmission entschieden und ist mit Erlaß der Verordnung ihren Forderungen und Vorschlägen in diesem Bereich komplett nachgekornmen241 •

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Kaiser, Die Neuregelung der Slot-Vergabe, TranspR 1991, S. 266 ff. (269).

Möglich wäre dies bei innerdeutschen Liniendiensten über die Genehmigungspflicht der Augtarife nach § 21 Abs. 1 S. 2 LuftVG, für den innerdeutschen gewerblichen Gelegenheitsverkehr nach § 22 LuftVG und für internationale Flüge über bilaterale Abkommen. 24° Kaiser, Die Neuregelung der Slot-Vergabe, TranspR 1991, S. 266 ff. (270). 241 S.o. unter b)aa). 239

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2. Teil: Bisheriger Entwicklungsstand der EU-Luftverkehrspolitik

ff) Stellungnahme Unbestritten ist, daß sich die luftverkehrstechnische Infrastruktur wandeln muß, da die zukünftigen Entwicklungen im Luftverkehrswesen entscheidend vom Funktionieren dieses Systems abhängt. Dabei ist die Verteilung der Kapazitäten ein besonders wichtiger Faktor. Die Verordnung des Rates in der erlassenen Form ist zu begrüßen. Sie berücksichtigt in ausreichender Weise alle Probleme, die bei der Vergabe von Slots auftauchen können. Zugleich bietet sie Regelungen für Flugunternehmen, die bisher bestimmte Slots gehalten haben durch die Zulassung der "Großvater-Rechte" und trägt den Neulingen auf dem Markt durch Regelungen Rechnung, die sie bei der Vergabe von Zeitnischen berücksichtigen. Ob allerdings den neuen Fluggesellschaften tatsächlich die gleichen Möglichkeiten offenstehen, muß die Zukunft erst unter Beweis stellen. Es ist aber eher zu erwarten, daß insbesondere neue Marktaobieter in der äußerst angespannten Situation der europäischen Flughäfen, was Start- und Landezeiten betrifft, nur in geringem Maße an der Verteilung der Slots beteiligt werden. Die bereits etablierten Luftverkehrsunternehmen werden die von ihnen gehaltenen Slots in jedem Fall weiter nutzen. Unter diesen Umständen wird es kaum zu einem wettbewerbsorientierten Markt kommen können. Schwierig wird sich in der Praxis auch die von der Kommission dargelegte Möglichkeit der Flughäfen realisieren lassen, nicht benutzte Slots "einzuziehen" und neu zu vergeben. Unklar ist, welche Slots eingezogen werden, d.h. welche Fluggesellschaften wieviele Zeitnischen abgeben müssen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß angesichts der weiten Regelung gerade die nationalen Carrier bevorzugt würden.

3. Teil

Zur Zukunft der EU-Luftverkehrspolitik: Defizite und Aussichten 8. Kapitel

Regelungsdefizite Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft hatte umfassende Vorschläge für ein drittes Maßnahmenpaket vorgelegt, das bis zur Vollendung des Binnenmarktes ergehen sollte 1• Leider hat der Rat nicht alle Vorschläge der Kommission berücksichtigt. Bereits im Regelungsumfang bleibt das dritte Maßnahmenpaket weit hinter den Vorstellungen der Kommission zurück. Aber auch in den Bereichen, in denen der Rat Verordnungen erließ, berücksichtigte er die Vorschläge der Kommission nur unzureichend. Das vordergründige Ziel der Kommissionsvorschläge für den Erlaß eines dritten Maßnahmenpakets war die Liberalisierung des Luftverkehrs im engeren Sinne. Schutz vor wettbewerbsfeindlichem Verhalten, Angleichung der Wettbewerbsbedingungen (vorrangig in Verbindung mit der gerechten Neuverteilung der Slots), allgemeine Luftverkehrspolitik, Harmonisierung der luftverkehrstechnischen Rahmenbedingungen (Sicherheits- und Arbeitszeitbestimmungen und Konsumentenschutz, Umweltschutz, Lärrnschutz) waren Bereiche, für die die Kommission in Zusammenhang mit der Liberalisierung und Harmonisierung einen Regelungs- und Handlungsbedarf sah. Auch im Feld der externen Luftverkehrspolitik verlangte die Kommission die klare Aussage des Rates, ihr ein Handlungsmandat (für die Mitgliedstaaten) zu erteilen. Das Paket des Rates deckt nur in Ansätzen die Vorschläge der Kommission ab. Zwar schafft er Rahmenbedingungen, wichtige unterstützende Maßnahmen für die Liberalisierung, d.h. eine wettbewerbsgeprägte Ausgestaltung des Luftverkehrs schafft er jedoch nicht. So ist z.B. die Schaffung einer vereinheitlichten Flugsicherung gar nicht, die Regelung der Neuverteilung von Slots nur mit Verspätung verabschiedet worden. Die praktischen Vorausset1 Die einzelnen Verordnungsvorschläge vgl. KOM(91) 275 endg. vom 25.7.1991, ABI. EG Nr. C 258 vom 4.10.1991 , S. 1 ff.

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3. Teil: Zur Zukunft der EU-Luftverkehrspolitik

zungen zur Umsetzung der theoretischen Vorgaben des Paketes werden nicht geschaffen, so daß die angestrebten Ziele nur im Ansatz erreicht werden können.

A. Beziehungen zu Drittstaaten Die Luftverkehrsbeziehungen der EU zu Drittländern sind noch nicht ausreichend geregelt. Das könnte sich ändern, wenn der Luftverkehr als Dienstleistung eine Regelungsmaterie des GATI darstellte2• Schwierigkeiten ergeben sich zunächst insoweit, als die nationalstaatliehen Interessen häufig in einem Gegensatz zu den europäischen Vorstellungen stehen, weil die Mitglieder ihre Interessen nicht genügend zurückstellen3 . Zwölf verschiedene Vorstellungen sind zu berücksichtigen, selbst die Interessen von Nicht-EGMitgliedern, die an EU-Fluggesellschaften beteiligt sind, fallen ins Gewicht4 • I. Beziehungen zu den USA Die Beziehungen zu den USA werden bisher von den Mitgliedstaaten selbst geregelt. Die USA haben daher im Vergleich zu den europäischen Staaten noch eine wesentlich günstigere Position inne, was Landerechte u.ä. betrifft. Dieses Problem wird man nur lösen können, wenn die Kommission ermächtigt wird, Verhandlungen mit den USA aufzunehmen. Schwierigkeiten bereitet dann jedoch die (Um- oder Neu-)Verteilung der eingeräumten Flugrechte auf amerikanischem Boden. Insbesondere Staaten, deren Fluggesellschaften bisherige Landerechte und die damit verbundenen Slots halten, werden zukünftig kaum auf diese Rechte verzichten wollen5 .

Dazu Exkurs, Kapitel 3 der Arbeit. Vgl. Kapitel 3 der Arbeit. 4 Die Fluggesellschaft SAS steht zu 30% in dänischem (Staats-)Eigentum, die anderen Anteile sind in schwedischem bzw. norwegischem Eigentum, so daß auch diese Staaten gehört werden müssen. Genauso müssen die Interessen der Schweiz (Swissair) und Österreichs (Air Austria) bei der Diskussion über die Umgestaltung des Flugwesens in Europa Berücksichtigung finden. s Es wird bezweifelt, daß bisher gehaltene Rechte umverteilt werden. Deshalb läßt sich auch der große Aktivismus der einzelnen Staaten erklären, in der jetzigen Situation die Flugrechte in den USA bilateral neu auszuhandeln; vgl. Dawkins, "US and France in last-ditch effort to solve air row", in: Financial Times vom 28./29.3.1992, S. 3; "Kampf um den Transatlantik-Verkehr. Verhandlungen über ein neues bilaterales Verkehrsabkommen", FAZ Nr. 58 vom 9.3.1992, S. 19. 2

3

8. Kap.: Regelungsdefizite

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Problematisch ist vor allem die Berechtigung und Befähigung der Kommission zur Übernahme der Aushandlung von Flugrechten bzw. zur Vornahme der Neu- und Umverteilung. Sie hätte dann ähnliche Aufgaben wahrzunehmen wie der frühere U.S. Civil Aviation Board (CABt Deshalb wird die Verhandlungskompetenz der Kommission in der Literatur bezweifele. Sie selbst sieht ebenfalls Schwierigkeiten in der "Übernahme" der Verantwortung für die rund 60 bilateralen Abkommen jedes Mitgliedstaates8 • Auch müßte ihr sehr begrenzter Mitarbeiterstab aufgestockt werden, um diese Aufgaben umfassend wahrnehmen zu können. Außerdem bleibt fraglich, ob durch die verschiedene Stimmgewichtung (bisher stellen die fünf großen Mitgliedstaaten jeweils zwei der insgesamt 17 Mitglieder der Kommission9) die gleichmäßige und gerechte Verteilung zukünftiger Luftverkehrsrechte gewährleistet wäre. Nicht zuletzt ist zu fragen, ob in einem deregulierten, wettbewerbsorientierten Markt, in dem Freihandelsprinzipien für die Verteilung von Start- und Landerechten (Slots), damit also auch für den Marktzugang eine entscheidende Rolle spielen, die Aushandlung bilateraler Abkommen durch die Kommission mit dritten Staaten nicht sogar gänzlich überflüssig wäre. Sollten sich die Staaten tatsächlich bereitfinden, den Luftverkehr in ein allgemeines Dienstleistungsabkommen zu integrieren, müßten die bilateralen Abkommen, die mit den Freihandelsprinzipien nicht vereinbar sind, abgeschafft werden. ß. Beziehungen zu den EFTA-Staaten Die Beziehungen zur EFrA sind im Vergleich zu denen mit den USA wesentlich unproblematischer. Durch die Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraumes haben EG und EFrA sich grundsätzlich bereit erklärt, ihre sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse einander anzugleichen. Die EFrA

6 Vor der Deregulierung wurde der Luftverkehr in den USA vom CAB und der FAA (Federal Aviation Administration) reguliert. Alles, was in irgendeiner Weise mit Marktzugang, Flottenrechten o.ä. zu tun hatte, wurde von dem CAB geregelt. Nach der Verabschiedung des Airline Deregulation Act im Jahre 1978 wurden die Aufgaben des CAB auf das Department of Transportation, das Department of State and das Department of Justice übertragen. Der Vergleich der Kommission mit dem CAB ist angebracht, weil die Situation in der Europäischen Gemeinschaft momentan noch mit der Situation in den USA vor der "großen Deregulierung" zu vergleichen ist. Vgl. Goetz!Dempsey, Airline Deregulation Ten Years After: Samething Foul in the Air, JALC 54 (1988 I 89), S. 927 ff. (929 ff.). 7 Kalshoven-van Tijen, The EEC Commission as the European version of the CAB?, AL 1990, S. 257 ff. (270). 8 Kalshoven-van Tijen, ebd., S. 257 ff. (261). 9

Vgl. Art. 10 Fusionsvertrag, ABI. EG Nr. L 152 vom 13.7.1967, S. 2 ff.

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3. Teil: Zur Zukunft der EU-Luftverkehrspolitik

übernimmt dabei auch auf dem Luftverkehrssektor schrittweise die Regelungen der Europäischen Gemeinschaft. Konkret bedeutet dies, daß nicht nur in der EG, sondern in ganz Buropa die streng regulierte Ordnung des Linienluftverkehrs ähnlich wie in den USA umgestaltet werden wird. Der EWR bietet die Chance, bestehende Strukturen zugunsten des freien Wettbewerbs aufzubrechen.

III. Stellungnahme In einem liberalisierten Luftverkehrsmarkt ist die Aushandlung von bilateralen Luftverkehrsabkommen zur Regelung der Vergabe von Streckenrechten nicht notwendig. Eine solche Vorgehensweise scheint bei gleichzeitiger Liberalisierung des Tarifsystems überholt. Andererseits ist entscheidend, daß der Luftverkehr sich auf fremdem Territorium anderer Staaten abspielt. Deren Kompetenzen gänzlich zu untergraben, würde gegen die geltende Völkerrechtsordnung verstoßen. Allein um die Interessen von Drittstaaten zu wahren, muß eine Koordination erfolgen. Diese Aufgabe könnte zwar jeder von den EU-Mitgliedstaaten dazu bestimmten "Behörde" oder Organisation übertragen werden, es ist aber sinnvoll, der Kommission das Recht zur Aushandlung von Streckenrechten zu übertragen, zumal diese bereits über einen gewissen Mitarbeiterstab verfügt.

B. Computerized Reservation Systems -

CRS

I. Regelungen auf EU-Ebene Im Hinblick auf die computergesteuerten Buchungssysteme (CRS) wurden schon zwei Regelungen auf EU-Ebene erlassen, die VO (EWG) Nr. 2299/ 89 10 und die VO (EWG) Nr. 2672/88 11 • Letztere ist inzwischen aufgehoben durch die VO (EWG) Nr. 83/91 12• An der grundsätzlichen Zielsetzung hat 10 Verordnung (EWG) Nr. 2299/89 des Rates vom 24.7.1989 über einen Verhaltenskodex im Zusammenhang mit computergesteuerten Buchungssystemen, ABI. EG Nr. L 220 vom 29.7.1989, S. 1 ff. 11 Verordnung (EWG) Nr. 2672/88 der Kommission vom 26.7.1988 zur Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen über computergesteuerte Buchungssysteme für den Luftverkehr, ABI. EG Nr. L vom 30.8.1988, s. 13 ff. 12 Verordnung (EWG) Nr. 83/91 der Kommission vom 5.12.1990 zur Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrags auf Vereinbarungen für den Luftverkehr, ABI. EG

8. Kap.: Regelungsdefizite

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sich jedoch nichts geändert. Die Verordnung soll die Gleichbehandlung aller an dem Buchungssystem beteiligten Flugunternehmen gewährleisten. Die betreibenden Unternehmen sollen die günstige Position, die sie aufgrund der Betreiberstellung innehaben, nicht ausnutzen dürfen. Insbesondere die Neutralität der Anzeige und der gleiche Zugang zum System soll gewahrt werden. Abonnenten (Reisebüros) sollen nicht an ein bestimmtes System gebunden werden 13 • Der Markt computergesteuerter Buchungssysteme ist durch Besonderheiten gekennzeichnet. Nur wenige Unternehmen können allein die für ein solches System erforderlichen Investitionen vornehmen und damit mit schon vorhandenen Systemen konkurrieren 14 . Deshalb ist erforderlich, die Zusammenarbeit in diesem Bereich zu fördern. Die computergesteuerten Buchungssysteme haben den Reisemarkt verändert. Leistungsanbieter, Reisevermittler und Verbraucher haben jederzeit Zugriff auf aktuelle Daten. Trotzdem sieht die Praxis in vielen Systemen so aus, daß auf der ersten Seite Flüge der großen Linienfluggesellschaften aufgelistet sind, und erst auf den folgenden die Flugzeiten der neuen oder kleinen Gesellschaften auftauchen. Mitarbeiter von Reisebüros greifen daher oft genug ausschließlich auf die erste Seite des Systems zu und lassen die weiteren Seiten unberücksichtigt. Damit bleibt dem Kunden häufig die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Gesellschaften verwehrt und die Marktantrittschancen von kleinen Luftverkehrsunternehmen werden gleichzeitig verringert15. Diesem "Mißstand" will die VO (EWG) Nr. 83 I 91 entgegentreten. Sie knüpft an die VO (EWG) Nr. 2672188 16 in der Zielsetzung und an die VO (EWG) Nr. 2299 I 89 17 im Wortlaut an. Entscheidende Unterschiede liegen Nr. L 10 vom 15.1.1991, S. 9 ff.; ausführlich Crans/Biesheuvel, EC Aviation Scene, AL 1991, S. 133 ff. (136 f.). 13 Lueckel, Rahmenbedingungen im EG-Luftverkehr, LH-Jahrbuch '90, S. 142 ff. (145); Albers/Mulder, Op de scheidslijn van protectie en liberalisering, SEW 1989, S. 575 ff. (577); Rogge, Verkehr, S. 615 ff. (642). 14 Vgl. Präambel der VO (EWG) Nr. 83/91 der Kommission; ebenso Eser, Marketing in the Airline Industry, AnnASL 1989, S. 35 ff. (42). 15 Magdalinat, Systemes inforrnatises de reservations (SIR) et Ia reglementation de Ia CEE, ETL 1989, S. 454 ff. (455, 475). 16 VO (EWG) Nr. 2672/88 der Kommission vom 26.7.1988 zur Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen über computergesteuerte Buchungssysteme für den Luftverkehr, ABI. EG Nr. L 239 vom 30.8.1988, S. 13, dazu Banowsky, Cutting Drag and Increasing Lift: How Weil Will a More Competitive EEC Air Transport Industry Fly?, The International Lawyer 1990, s. 179 ff. (191 f.). 17 Verordnung (EWG) Nr. 2299/89 des Rates vom 24.7.1989 über einen Verhal-

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3. Teil: Zur Zukunft der EU-Luftverkehrspolitik

jedoch im Umfang der geregelten Materie. Die neue Verordnung regelt das Verhalten der Beteiligten nur eingeschränkt - beachtet werden nur wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte, während die VO (EWG) Nr. 2299 I 89 jedes Verhalten der Beteiligten erfaßt. Der Regelungsbereich der beiden Verordnungen unterscheidet sich. Die neue Verordnung regelt auch Charterflüge, während sich die VO (EWG) Nr. 2299 I 89 nur auf den Linienverkehr bezieht. Schließlich gibt es Unterschiede in den Befugnissen, die der Kommission zugesprochen werden. Im Gegensatz zu der VO (EWG) Nr. 83191 weist die VO (EWG) Nr. 2299189 der Kommission umfassende Regelungsbefugnisse zu 18 • Entscheidende Neuerungen der Verordnung sind Regelungen bezüglich des Zugangs zum System, der Eingabe von Informationen, der Bereitstellung von Informationen durch den Systemverkäufer, der Beziehungen zwischen Systemverkäufern und abonnierenden Benutzern und bezüglich der Beziehungen zwischen den Mutterunternehmen und sonstigen teilnehmenden Luftfahrtunternehmen einerseits und den Abonnenten andererseits 19. Hinter allen Änderungen steht die Verstärkung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung bzw. der Gleichbehandlung. Der gleichberechtigte Zugang aller Benutzer zu allen Leistungen muß gewährleistet sein, genauso wie beispielsweise kein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Systemverkäufern und Benutzern entstehen darf. Die Informationsvorteile durch die CRS sind groß. Neben den Preisen aller Konkurrenten verfügt der Betreiber über vollständige Tranparenz aller Marktanteile und der verkauften Tickets in den jeweiligen Beförderungsklassen. Gegenüber seinen Konkurrenten hat er also einen wichtigen Informationsvorsprung20.

ll. Tatsächliche Lage Die Situation in der Gemeinschaft läßt sich als harte Konkurrenzsituation insbesondere dreier Systeme beschreiben. Die europäischen Reservierungssysteme Amadeus und Galileo sowie das Reservierungssystem von American Airlines: Sabre, kämpfen um die Vorrangstellung im Reiseverkehrsgewerbe21 . tenskodex im Zusammenhang mit computergesteuerten Buchungssystemen, ABI. EG Nr. L 220 vom 29.7.1989, S. 1 ff. 18 So auch Mölls, Anmerkung zu der Verordnung Nr. 83/91, in: Giemulla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, B I 2.6., S. 10. 19 Ausführlich dargestellt bei Mölls, Anmerkung zu der Verordnung Nr. 83/91, in: Giemulla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, B I 2.6., S. 11 f. 20 Stoetzer, Regulierung oder Liberalisierung des Luftverkehrs in Europa. Eine industrieökonomische Analyse, S. 203. 21 Magdalenat, Systemes informatises de reservations (SIR) et Ia reglementation de Ia CEE, ETL 1989, S. 454 ff. (459).

8. Kap.: Regelungsdefizite

155

Die beiden europäischen Systeme konkurrieren direkt miteinander und sind entsprechend ihrer Gründungsgesellschaften auch in deren Haggenstaaten stark vertreten22• Ausgehend vom amerikanischen Markt, wo zwei computergesteuerte Buchungssysteme, Apollo und Sabre, annähernd den gesamten Markt beherrschen23, fanden die Systeme auch in Europa schnell Verbreitung. Nicht zuletzt durch die Initiativen der Amerikaner, die ihre Systeme auf dem europäischen Markt "heimisch" machen wollten, entschlossen sich die Europäer, eigene Systeme einzuführen24 • Weil sich die europäischen Auggesellschaften jedoch nicht auf ein System einigen konnten, haben sie nun überdies jeweils mit einem europäischen Konkurrenten zu kämpfen25 •

III. Stellungnahme Ungewiß ist, wie der Konkurrenzkampf der verschiedenen Systeme ausgeht. Hinter dem Kommissionsentwurf stehen zwei Gedanken. Für einen Marktneuling soll der freie Zugang zu den CRS tatsächliche Marktchancen bieten, wenn sein Leistungsangebot dem Kunden optisch in gleicher Weise wie das Leistungsangebot des Konkurrenten präsentiert wird. Für den Kunden selbst ist mehr Transparenz und Zugänglichkeil der Systeme ebenfalls von Vorteil 26 • Wenn die Reiseagenturen freien Zugang zu den Systemen haben, ist auch für den Kunden gewährleistet, daß er aus einer breiten Palette von Angeboten auswählen kann. Deshalb muß die EU den freien Zugang gewährleisten.

22 Amadeus dominiert in der Bundesrepublik Deutschland, in Frankreich, Luxemburg, Skandinavien, Spanien und im ehemaligen Jugoslawien (Gtiindergesellschaften waren im Juni 1987 Air France, Iberia, Lufthansa und SAS), während Galileo in Großbritannien, Irland, Belgien, den Niederlanden, Italien, Österreich, Griechenland und der Schweiz stärker vertreten ist (Galileo geht auf eine Initiative der Association of European Airlines - AEA - zutiick, Gtiindungsmitglieder waren die British Airways, KLM, Swissair und Covia, eine Tochter von United Airlines); vgl. Claasen, Die weltweiten Computer-Vertriebssysteme, LH-Jahrbuch '91, S. 80 ff. (82, 84, 86). 23 Stoetzer, Regulierung oder Liberalisierung des Luftverkehrs in Europa. Eine industrieökonornische Analyse, S. 203; Pompl, Luftverkehr, S. 217. 24 Hammarskjöld, Deregulation Idealism, Ideology or Power Politics? FocusEurope, AnnASL 1987, S. 65 ff. (71). 25 Folliot, La necessaire adaptation du systeme juridique de Ia Convention de Chicago, RFDAS 1988, S. 124 ff. (138). 26 Crans I Biesheuvel, Europees recht en luchtvervoer, SEW 1988, S. 300 ff. (313); Kurz, Regulierung und Innovation im Luftverkehr, S. 19.

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3. Teil: Zur Zukunft der EU-Luftverkehrspolitik

C. Sicherheitsvorschriften und technische Normen I. Befähigungszeugnisse

Eine Regelung über die Anerkennung der Befähigungszeugnisse für die Ausübung von Tätigkeiten in der Zivilluftfahrt hat der Rat noch nicht getroffen. Die mangelnde Entschlußfreudigkeit in diesem Bereich hat insbesondere auch die Entwicklung auf anderen Gebieten verzögert. Die Mobilität des Flugpersonals ist eingeengt, sofern nicht europaweit die Angleichung der national stark differierenden Vorschriften bezüglich der Berufsbilder erfolgt27 • Aufbauend auf den Memoranden Nr. 1 und Nr. 2 hat die Kommission deshalb schon Ende des Jahres 1989 einen Vorschlag gemacht, unter welchen Voraussetzungen die Befähigungszeugnisse gegenseitig akzeptiert werden können28 • In diesem legt sie detailliert dar, daß ein vollendeter Binnenmarkt von der freien ungehinderten Beweglichkeit der Menschen innerhalb der Gemeinschaft abhängig ist. Die Mobilität von Arbeitnehmern auf dem Luftverkehrssektor steht wie auf jedem anderen Sektor in Zusammenhang mit der Anerkennung ihrer erlernten Fähigkeiten in den anderen Mitgliedstaaten. Wenn die Anforderungen an etwaige Befähigungszeugnisse in den Mitgliedstaaten starke Unterschiede aufweisen, ist es einem Arbeitnehmer kaum möglich, seinen Beruf in einem anderen als seinem Heimatstaat auszuüben. Die Flexibilität von Unternehmern wird deshalb beeinflußt von der Mobilität bzw. Immobilität der Arbeitnehmer. In dem Richtlinienentwurf gibt die Kommission deshalb genau vor, daß Befähigungszeugnisse, die von einem EU-Mitgliedstaat erteilt wurden, von den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen sind29• Zugleich stellt sie einen Rahmen auf, wie diese Anerkennung stattzufinden hat. Sollte der Rat in Kürze diese Richtlinie erlassen, so wird die Mobilität der Arbeitnehmer steigen. Diese sind nicht mehr zwingend auf ihre Heimatstaaten bzw. auf das nationale Flugunternehmen angewiesen. Die Mobilität der Arbeitskräfte auf dem Luftverkehrssektor wird größer sein als die der Arbeitnehmer anderer Bereiche, da diese Berufsgruppe schon von jeher ihre räumliche Mobilität unter Beweis stellen mußte. Insbesondere ist auch das Personal mit Kundenkontakt in der Regel mehrsprachig geschult, so daß bereits vor27 Lueckel, Rahmenbedingungen im EG-Luftverkehr, LH-Jahrbuch ' 90, S. 142 ff. (144); Rogge, Verkehr, S. 615 ff. (643). 28 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur gegenseitigen Akzeptierung der Befähigungzeugnisse für die Ausübung von Tätigkeiten in der Zivilluftfahrt, KOM(89) 472 endg., vorgelegt von der Kommission am 4.12.1989 (90/C 10/08), ABI. EG Nr. C 10 vom 16.1.1990, S. 12 ff. 29 Art. 3 des Richtlinienentwurfs.

8. Kap.: Regelungsdefizite

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handene Kenntnisse anderer europäischer Sprachen die Mobilität der Arbeitnehmer noch zusätzlich fördert. Eine Angleichung von Lohnniveau und sozialem Engagement des Arbeitgebers zugunsten der Arbeitnehmer ist angesichts des bevorstehenden steigenden Konkurrenzdrucks zu erwarten. ß. Flug- und Flugdienstzeiten

Die Verabschiedung einer Verordnung zu Augzeit, Augdienstzeit und Ruhezeiten von Besatzungsmitgliedern steht noch aus30• Ein Verordnungsvorschlag will die maximale Augzeit jedes Besatzungsmitgliedes auf acht Stunden pro Tag und 720 Stunden pro Kalenderjahr beschränken, was verständlicherweise unterschiedliche Reaktionen bei den Betroffenen hervorgerufen hat. Die Arbeitnehmer und ihre Verbände begrüßen den Vorschlag. Schließlich ist nicht einzusehen, weshalb Arbeitnehmer, nur weil sie verschiedene Fluggesellschaften als Arbeitgeber haben, auf den gleichen Strecken unterschiedliche Arbeitsleistungen erbringen müssen. Die Arbeitgeber befürchten dagegen insbesondere auf Langstreckenflügen höhere Kosten, weil sie zusätzliches Personal einsetzen müssen. Zu den Lohnkosten kämen zusätzliche Kosten für Übernachtungen und ein Ertragsverlust hinzu, weil den zusätzlichen Besatzungsmitgliedern im Augzeug Plätze reserviert werden müßten etc. Die Angleichung der Flug- und Flugdienstzeiten könnte einen Beitrag zur Angleichung der Lebensverhältnisse im Europäischen Binnenmarkt leisten. Die Unternehmen drohen damit, daß sie ihre durch die Angleichung der Arbeitszeit erhöhten Kosten für Personal an die Verbraucher weitergeben müssen. Ob diese Reaktion von den Verordnungsgebern gewünscht ist, ist allerdings stark zu bezweifeln. Dies ist wohl bisher auch der Grund dafür, daß es zu keiner weiteren Diskussion in dieser Angelegenheit gekommen ist. ßl. Umweltschutz, insbesondere Lärmschutz

Wie auf anderen Gebieten spielt auf EU-Ebene auch im Bereich des Luftverkehrs der Umweltschutz, insbesondere der Lärmschutz, eine immer wichtigere Rolle31 • 30 Ein Diskussionspapier über einen Vorschlag der Verordnung in englischer Sprache ist abgedruckt bei Giemulla/Sclvnid, Europäisches Luftverkehrsrecht, E II 3.1.; dazu Lueckel, Rahmenbedingungen im EG-Luftverkehr, LH-Jahrbuch '90, S. 142 ff. (144). 31 Lueckel, Rahmenbedingungen im EG-Luftverkehr, LH-Jahrbuch '90, S. 142 ff. (147); zum Fluglärm-Problem allgemein Hochgürte/, Das Recht des Umweltschutzes in der Zivilluftfahrt, S. 5 ff.; Joerss, Die deutsche Verkehrspolitik in Erwartung des Binnenmarktes, TranspR 1990, S. 1 ff. (2).

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3. Teil: Zur Zukunft der EU-Luftverkehrspolitik

Vorschriften zur Begrenzung des Fluglärms von Unterschallflugzeugen wurden vom Rat durch die Richtlinien 80 I 51 I EWG und 83 I 206 I EWG32 und 89 I 629 I EWG33 erlassen34. Die Kommission legte dem Rat vor kurzem einen Vorschlag zur Erweiterung der Einschränkungen auf Flugzeuge des Kapitels 2 vo~5 • Die Mitgliedstaaten sollen sich verpflichten, den Betrieb von Unterschallflugzeugen, die nicht den Nonnen des Kapitels 2 des Annex 16 zum ICAOAbkommen entsprechen36, zu verbieten. Bei diesem Annex 16 handelt es sich um ein Standardmeßverfahren zur Lärmzertifizierung von Flugzeugen. Der Annex 16 wurde zu einer Zeit aufgestellt, als bei der Konstruktion von Langund Mittelstreckenflugzeugen erstmals stark lärmgedämpfte Mantelstromtriebwerke eingesetzt wurden37 • Bei einem Mantelstromtriebwerk geht nur ein kleiner Teil der angesaugten Luft direkt durch das Triebwerk. Rund 90% werden dagegen in einem ,,Mantel" um das Triebwerk herumgeleitet und verwirbeln mit der heißen Triebwerksluft, so daß weit weniger Lärm als bei den Triebwerken älterer Bauart entsteht. Dadurch konnten die Triebwerkemissionen um bis zu 50% gesenkt werden. Die EU-Mitgliedstaaten sollen Flugzeuge, die diesem Standardmeßverfahren nicht Stand halten, d.h. dessen Nonnen nicht entsprechen, ab dem 1. April 2002 verbieten (Art. 2 Abs. 2 des Verordnungsentwurfs). Schon ab 1. April 1995 soll der Betrieb von Flugzeugen, die über 25 Jahre alt sind und den Meßwerten nicht entsprechen, untersagt werden (Art. 2 Abs. l ). Nur bei technischer oder wirtschaftlicher Unmöglichkeit für die Fluggesellschaften was beispielsweise für Fluggesellschaften von ärmeren Staaten in Betracht kommt - können Ausnahmen gewährt werden, so daß es diesen Gesellschaften weiter möglich wäre, für eine Übergangszeit Flughäfen im EU-Territorium anzufliegen (Art. 4 Abs. 2). 32 Richtlinie des Rates vom 20.12.1979 zur Verringerung der Schallemissionen von Unterschalluftfahrzeugen (80/51/EWG), ABI. EG Nr. L 18 vom 24.1.1980, S. 26 ff., geändert durch die Richtlinie des Rates vom 21.4.1983 (83/206/EWG), ABI. EG Nr. L 117 vom 4.5.1983, S. 15 ff. 33 Richtlinie des Rates vom 4.12.1989 zur Begrenzung der Schallemission von zivilen Unterschallstrahlflugzeugen (89/629/EWG), ABI. EG Nr. L 363 vom 13.12. 1989, s. 27 ff. 34 Dazu Palme, Nationale Umweltpolitik in der EG, S. 66 f. 35 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Einschränkung des Betriebs von Flugzeugen des Kapitels 2, KOM(90) 445 endg., vorgelegt von der Kommission am 16.4.1990, ABI. EG Nr. C 111 vom 26.4.1991, S. 5 ff. 36 Zur Entstehungsgeschichte und zum Inhalt vgl. Hochgürtel, Das Recht des Umweltschutzes in der Zivilluftfahrt, S. 24 ff. 37 Die Boeing 747 war eines der ersten Flugzeuge dieser neuen "schallgedämpften" Generation.

8. Kap.: Regelungsdefizite

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Mit ihrem Vorschlag vertieft die Kommission das Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaften für den Umweltschutz38 und weist ausdrücklich auf das Lärmproblem im Flugverkehr hin. Ob allerdings der von ihr festgelegte Zeitrahmen realistisch ist, ist äußerst fraglich.

D. Privatisierung I. Privatisierung der europäischen Flugsicherung 1. Derzeitige Situation

Ein entscheidendes Thema in den Diskussionen über die Umgestaltung des europäischen Luftverkehrswesens ist die Neustrukturierung der Europäischen Flugsicherung39• Verfechter der Politik des "offenen Himmels" ("open sky") beklagen schon lange die derzeitige Situation des Luftverkehrshimmels über Europa. Zum Ausbau der Infrastruktur40 oder zu einer Reform der europäischen Flugsicherung kam es bisher nicht. Dabei hätte die von der europäischen Flugsicherungsbehörde Eurocontrol berechnete durchschnittliche Zuwachsrate um 2,4% jährlich zwischen 1986 und 199041 dies dringend gefordert42. Nach jahrelanger Untätigkeit müssen die Folgen des Zuwachses wie Verspätungen, Warteschleifen etc. bekämpft bzw. beseitigt werden. Bereits ABI. EG Nr. C 328 vom 7.12.1987, S. I ff. Die Umstrukturierung wurde schon frühzeitig als Problem gesehen, vgl. Becher, Die Luftfahrt und die Europäische Gemeinschaft, ZLW 1980, S. 189 ff. (206). 40 Zur Situation in Baden-Württemberg vgl. Beraterkreis der Landesregierung zu EG-Fragen, Baden-Württemberg im Europäischen Binnenmarkt 1992. Bericht erstellt im Auftrag der Landesregierung von Baden-Württemberg, S. 54, Rn. 197. 41 Zahlenangabe bei Meier, Der Luftverkehr braucht eine bessere Infrastruktur, LHJahrbuch '91, S. 38 ff. (39); ebenfalls in: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Stichwort Europa 2/89 (Januar I Februar 1989): Ein Europa ohne Grenzen für den Luftverkehr und die Luftfahrtindustrie, S. 3; ähnliche Schätzungen bei Ried/, Grundsätze und aktuelle Fragen der Luft- und Raumfahrtpolitik der Bundesregierung, s. 9. 42 Schwenk, Rechtsgrundlagen für Kapazitätsregelungen des Luftverkehrs im Luftraum und an Flugplätzen, ZLW 1988, S. 302 ff. (309 f.). -Die ICAO veröffentlichte jüngst einen Bericht über neue .,training institutions" für die Mitglieder des Flugsicherungsdienstes; vgl. Grafton, Private College Provides Valuable Pool of Controllers, ICAO Journal 46 (September 1991), S. 13 ff.; Richardson, Managing Europe's Air Traffic System, ebd., S. 16 ff. ; Jube, The European ATC Challenge, ebd., S. 20 ff. ; Federal Aviation Administration (United States), Air Traffic Management. Concept Of The Future, ebd., S. 23 ff.; und Cole, Comparing Radar Output Systems, ebd., S. 28 ff. 38 39

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3. Teil: Zur Zukunft der EU-Luftverkehrspolitik

im Jahre 1989 kamen rund 26% aller Kurz- und Mittelstreckenflüge um durchschnittlich eine Stunde verspätet ans Ziel43 • Dringend gefordert ist deshalb eine Umstrukturierung der Flugsicherung44, die momentan von der Europäischen Organisation für Flugsicherung45 bzw. den nationalen Flugsicherungsbehörden wahrgenommen wird. Eurocontrol hat diese Wiederbelebung verdient und scheint die geeignete Koordinationsstelle für die Abstimmung einer gemeinsamen Luftsicherungspolitik,46 die dann allerdings zusätzliche Aufgaben wie zentrale Beschaffung von Geräten, Betrieb von Flugsicherungszentralen, Einführung und Durchsetzung von einheitlichen Standards und Neuordnung des Luftraums erfüllen sollte47 • Bisher gliedert sich das europäische Flugsicherungssystem in 22 unterschiedliche Systeme, die von 45 Zentralen betrieben werden,48, sieben davon entfallen bisher auf die (alte) Bundesrepublik49 • In Deutschland sieht die Situation folgendermaßen aus: Während von Karlsruhe und München für den oberen Flugraum die Sicherung bis zu 14.000 Meter übernommen wird, fühlen sich die Fluglotsen in Berlin, Bremen, Düsseldorf, Frankfurt a.M. und München für die unteren Flugrouten bis 7.500 Meter verantwortlich. Von Maastricht aus werden Teile aus Belgien und Norddeutschland gesichert. Die Abstimmung der Flugsicherungsdienste untereinander findet per Funk oder Telephon statt, es existieren keine zentralen Datennetze50. Auf dem Weg von einer Kontrollregion in die andere müssen die Flugzeuge von System zu System weitergeleitet werden, wobei sowohl die vorgeschriebenen Flughöhen als auch die Sendefrequenzenzen der Radargeräte differieren. Dies führt daher immer wieder zu sogenannten "Bottle-Necks". Die Flugraumüberwachung

Hoffmann, "Der Flug in der Warteschleife", in: SZ vom 4.7.1991, S. 47. Ausführlich Schwenk/Schwenk, Flugsicherung in Europa, ZLW 1993, S. 121 ff.; Meyer, Was erwartet der Luftverkehr vom neuen Bundestag?, S. 97 ff. (104). 45 Zur Organisation ausführlich in Kapitel 3 der Arbeit; i.e. vgl. auch Schwenk/ Schwenk, ebd., S. 125. 46 So auch das Europäische Parlament in seiner Entschließung zur Überwachung des Flugverkehrs vom 8.5.1979, Nr. 26, ABI. EG 1979 Nr. C 140 vom 5.6.1979, S. 20 ff.; Majid, The New Face of Eurocontrol - Scaling Down of the Integration Dream, Legal issues of European integration 1988/1, S. 87 ff. (96). 47 Planungsbüro Luftraumnutzer, Die Krise der europäischen Flugsicherung: Die Kosten und ihre Lösung, August 1989, S. 51. 43

44

48

o. Verf., Der Luftverkehr braucht eine bessere Infrastruktur, LH-Jahrbuch '91,

s. 38 ff. (40).

Stand 1991. Anders ist die Organisation in den USA, wo ein einziges Air-Traffic-Control System mit 22 Zentren den gesamten Flugraum überwacht. Vgl. Meier, a.a.O. 49

50

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in Europa ist daher nur so effektiv wie das schwächste Sicherungssystem51 • So wird beispielsweise der Flugverkehr von München trotz moderner Startbahnen beeinträchtigt durch einen Engpaß im Luftraum Erlangen I Dinkelsbühl, der verhindert, daß die Flugzeuge unproblematisch in den Überflugverkehr eingegliedert werden. In Frankfurt startende Flugzeuge in Richtung Südwesteuropa haben Engpässe der französischen Flugsicherung in Südfrankreich zu überwinden und erreichen den Zielflughafen häufig mit Verspätung. Griechenland besitzt noch immer keine vollständige Radarabdeckung, was sich insbesondere für Flüge in das östliche Mittelmeergebiet, die noch immer um Jugoslawien herumgeleitet werden müssen, als nachteilig erweist. Problematisch ist zwar vorrangig der Sicherheitsaspekt, aber auch die Kostengesichtspunkte einer solchen zersplitterten Luftraumüberwachung werden mittlerweile als großes Problem empfunden52 • In Anbetracht des wachsenden Luftverkehrs53 und der technisch veralteten Überwachungssysteme54 bedarf es dringend einer Effizienzsteigerung und Effektivitätserhöhung. Zwar hatte die Kommission dem Rat im Jahre 1988 ihre Vorschläge zur Reform der Flugsicherung vorgelegt55, diese fanden in seinem "zweiten Maßnahmenpaket" jedoch keine Beachtung. Dies ist besonders beklagenswert, weil von der Reform der Flugraumüberwachung letztlich das Funktionieren eines wettbewerbsgeprägten Binnenmarktes abhängig sein wird. 56 • Die Vielzahl der inkompatiblen Systeme führt zu einer ineffektiven und überteuerten Leistungsbereitstellung57 • 51 Bothe/Hohmann/Schmidt, Rechtliche Möglichkeiten und drängende Notwendigkeit einer EG-Initiative zur Refonn der europäischen Flugsicherung, RIW 1990, s. 199 ff. (199). 52 Bothe/Hohmann/Schmidt, ebd. 53 Bis zur Jahrtausendwende um das Doppelte; vgl. Bothe/Hohmann/Schmidt, Möglichkeiten der Reform einer europäischen Flugsicherung?, ZLW 1990, S. 40 ff.

(41).

54 Ralph Riedle (Vorsitzender des Verbandes Deutscher Flugleiter in Bremen) sieht dies noch als größeres Problem als den "überfüllten Himmel", vgl. "Die zivile Flugsicherung stößt an ihre Grenzen", in: FAZ vom 26.7.1991, S. 10. 55 Vorschlag der Kommission für eine Entscheidung über die Konsultierung und Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Flugverkehrsdienste und der Verkehrsflugregelung vom 16.1.1989, Dok. KOM (88) 577 endg. 56 So auch Schmid, in: Giemulla/Schmid, Europäisches Luftverkehrsrecht, Einf. Teil D XIII Rn. 128; ebenfalls Hojfmann, "Der Flug in der Warteschleife. Noch fehlen die technischen Voraussetzungen für ein einheitliches europäisches Kontrollsystem", in: SZ vom 4.7.1991, S. 47. 51 Jäckel, Der Prozeß der Deregulierung des EG-Luftverkehrs, ZVerkWiss 1994, S. 163 ff. (181); Schwenk/Schwenk, Flugsicherung in Europa, ZLW 1993, S. 121 ff. (134). 11 Baumann

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3. Teil: Zur Zukunft der EU-Luftverkehrspolitik 2. Optionen für eine neugestaltete F1ugsicherungs,,Behörde"

Im Jahre 1989 wurde vom Planungsbüro Luftraumnutzer-einer Organisation deutscher Fluggesellschaften und aller deutschen Flughäfen - ein Gutachten zur Neugestaltung einer Flugsicherungsbehörde erstellt58 • Danach sind drei "Behörden"-Formen denkbar: eine staatliche Organisation - intergovernmental organization59 -, eine private Organisation mit staatlicher Beteiligung und eine von jeglicher staatlicher Einflußnahme losgelöste private Flugsicherungsagentur. Bei allen drei Gestaltungsmöglichkeiten wäre eine Beteiligung der Gemeinschaft möglich. a) lntergovernmental Organization Eine staatliche Organisation ist geeignet, Flugsicherungsdienste zu übernehmen. Mögliche Optionen für eine solche Behörde sind sowohl eine rein von den nationalen Regierungen gebildete Organisation als auch eine der Kommission nachgeordnete Behörde. Eine der Kommission nachgeordnete Behörde hätte jedoch den Nachteil, daß die Mitwirkung von Nicht-EG-Mitgliedsländern ausgeschlossen wäre. Würde die Behörde als Intergovernmental Organization tätig, hätten die Staaten auf sie ihre Hoheitsrechte für diesen Bereich zu übertragen, und sie könnte selbständig agieren, ohne von Weisungen der Nationalstaaten abhängig zu sein60• Ob allerdings die gegenüber den derzeitigen Flugsicherungsbehörden vorgebrachten Kritikpunkte wie mangelnde Flexibilität bei der Beschaffung technischen Geräts61 , unzureichende Personalbesoldung62 etc. ausgeschlossen werden könnten, scheint zumindest bei ersterem fraglich. b) Private Flugsicherungsagentur Als weitere Organisationsform käme eine rein private Flugsicherungsagentur ohne jegliche staatliche Beteiligung in Frage. Derzeit wird eine solche 58 Planungsbüro Luftraurnnutzer, Die Krise der europäischen Flugsicherung: Die Kosten und ihre Lösung, August 1989 (Büro Wilmer, Cutler & Pickering), Koordinator der Studie: D.G. Lange. 59 Zu diesem Begriff Seidl-Hohenveldem, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 103 ff. 60 Seidl-Hohenveldem, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 107. 61 Rasche Investitionsentscheidungen sind aufgrund der staatlichen Haushaltspläne kaum möglich, vgl. FAZ vom 26.7.1991, S. 10. 62 Vgl. "Private Flugsicherung", in: FAZ vom 13.11.1991, S. 4.

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Organisationsform von deutscher Seite begrüßt,63 um die raschere Modernisierung der Radaranlagen zu gewährleisten und insbesondere die Zahl der Auglotsen wieder zu erhöhen64 • In Deutschland sind wenig Berufsanranger motiviert, diesen Beruf zu ergreifen, da die Bezahlung nach dem Bundesbesoldungsgesetz erfolgt, was eine den hohen Anforderungen gerecht werdende Vergütung ausschließt. Ein Gesetz zur Privatisierung der Augsicherung wurde vom Bundespräsidenten erst nach der Schaffung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Privatisierung gegengezeichnet. In Deutschland trat die Augsicherungsreform im Januar 1993 in Kraft. An die Stelle der staatlichen Flugsicherungsbehörde ist die Deutsche Augsicherung GmbH getreten, deren Anteile ausschließlich vom Bund gehalten werden. Von ihren Kunden, den Luftverkehrsunternehmen, verlangt die Augsicherung GmbH kostendeckende Gebühren. Es ist bereits jetzt absehbar, daß diese in Zukunft höher sein werden als bisher. Die bisher vom Bundesbesoldungsgesetz abhängige Bezahlung der Bediensteten muß geändert werden. Bezahlt werden muß zukünftig die Leistung, die jeder einzelne Beschäftigte erbringt. Die Leistung eines Fluglotsen in Frankfurt, der größerem StreB ausgesetzt ist als beispielsweise ein Kollege in Bremen, muß entsprechend vergütet werden. Weiterhin soll die Fluglotsenausbildung gestrafft werden. Die Umgestaltung der Flugsicherung in Deutschland hat heftige Diskussionen hervorgerufen. Wenn also schon in den einzelnen EU-Mitgliedsländern die Privatisierung der Augsicherung solch erhebliche Probleme bereitet, ist nicht verwunderlich, daß man innerhalb der Europäischen Gemeinschaft noch nicht auf einen einheitlichen Nenner gekommen ist. Die (Um-)Gestaltung der europäischen Flugsicherung in eine privatrechtliehe Agentur könnte sowohl in Form der Aktiengesellschaft oder der Gesellschaft mit beschränkter Haftung stattfinden, unabhängig davon, welches nationale Gesellschaftsrecht zugrunde gelegt würde65• Möglich wäre gar die Gründung einer Aktiengesellschaft, die nicht an die Rechtsformen irgendeines Mitgliedslandes gebunden wäre. Als Beispiel wird häufig die Eurochemie (European Company for the chemical processing of irradiatiated fuels) ange-

63 Das Bundeskabinett hat am 17.5.1989 einer Umwandlung der Bundesanstalt für Flugsicherung in eine privatrechtliche Organisation vor anderen Lösungen den Vorrang gegeben. Vgl. Joerss, Deutsche Verkehrspolitik in Erwartung des Binnenmarktes, TranspR 1990, S. 1 ff. (3); Graumann, Flugsicherung - Polizei oder Unternehmen?, ZLW 1990, S. 247 ff. (254); Kaiser, Two recent German cases of privatisation: air traffic control and the space agency, AL 1991, S. 125 ff.

.,Private Flugsicherung" in: FAZ vom 13.11.1991. S. 4. Bothe/Hohmann/Schmidt, Reform der europäischen Flugsicherung, ZLW 1990, 40 ff. (51).

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3. Teil: Zur Zukunft der EU-Luftverkehrspolitik

führt, die als "semi-public international undertaking sui generis'