Die Logik der Entrechtung: Sicherheits- und Nutzendiskurse im österreichischen Migrationsregime 9783737002264, 9783847102267, 9783847002260

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Die Logik der Entrechtung: Sicherheits- und Nutzendiskurse im österreichischen Migrationsregime
 9783737002264, 9783847102267, 9783847002260

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Migrations- und Integrationsforschung Multidisziplinäre Perspektiven

Band 6

Herausgegeben von Heinz Fassmann, Richard Potz und Hildegard Weiss

Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed. Advisory Board: Christine Langenfeld (Göttingen), Andreas Pott (Osnabrück), Ludger Pries (Bochum)

Kenneth Horvath

Die Logik der Entrechtung Sicherheits- und Nutzendiskurse im österreichischen Migrationsregime

Mit 25 Abbildungen

V& R unipress Vienna University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0226-7 ISBN 978-3-8470-0226-0 (E-Book) Veröffentlichungen der Vienna University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Rektorats der Universität Wien. Ó 2014, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Ó Kenneth Horvath Druck und Bindung: a Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Migrationsregime zwischen Sicherheits- und Nutzenlogik . . . . 1.2 Forschungsfragen und Aufbau des Buchs . . . . . . . . . . . . .

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Teil I Theoretischer Hintergrund und Forschungsstrategie 2 Freiheit, Sicherheit, Bevölkerung: Steuerung und Kontrolle von Migration im liberalen Nationalstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Migrationspolitik als sozialwissenschaftlicher Gegenstand: zum Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Zwischen Wiederentdeckung der Gastarbeit und Sekuritisierung von Migration . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Vom Problem der Migration zur Problematisierung der Migrationspolitik – vielfältige Perspektiven auf einen komplexen Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Sekuritisierung von Migration: der Ansatz der Copenhagen School . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Migrations- und Grenzregime: Politik zwischen Diskurs und Ungleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Der Staat als soziales Verhältnis: Jessops strategisch-relationale Staatstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Der Staat als Bühne und Akteur – staatstheoretische Konzeptionen in der Migrationsforschung . . . . . . . . . 2.2.2 Der Staat und der umkämpfte Gesamtzusammenhang . . . 2.2.3 Allgemeiner Wille, Diskurs und politische Rationalität . . . 2.2.4 Vom Problem zum Regime . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6

Inhalt

2.3 Regierung der Freiheit – Regierung durch die Freiheit: die politische Steuerung liberaler Nationalstaaten . . . . . . . . . . 2.3.1 Weder Repräsentation noch Repression? Die Kunst, liberal zu regieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Ökonomisierung (von Migration) . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Kehrseite der Freiheit? Sekuritisierung (von Migration) . . 2.4 Recht und Diskurs: die politische Regulation von Migration . . . 2.4.1 Rechtmäßige Regulation? Migration zwischen staatsbürgerschaftlichen und instrumentellen Rechten . . . 2.4.2 Ethnisierung und Rassismus: die diskursive Strukturierung der Migrationspolitik . . . . . . . . . . . . 2.5 Vom Nachkriegskonsens zur Neuen Weltordnung, vom embedded liberalism zum Neoliberalismus . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Die Nachkriegsordnung: Stabilität trotz Krisenhaftigkeit . 2.5.2 Die Krise des Fordismus und die neoliberale Restrukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Nachkriegsarrangement und Restrukturierung in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Methodologische Fragen und empirische Umsetzung . . . . . . . . . 3.1 Was heißt Diskurs und worauf zielt seine Analyse? . . . . . . . . 3.1.1 Diskurs als Regeln von Aussageformationen . . . . . . . . 3.1.2 Der politische Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Zum Forschungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Zur Auswahl des empirischen Materials . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Zur Auswertungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Quantitative Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Interpretative Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Kontextualisierung 1: politische, ökonomische und soziale Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 Kontextualisierung 2: Gesetze und Maßnahmen . . . . . .

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Teil II Gastarbeit als Problem und Lösung Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4 Vom Randthema zu High Politics? Phasen der Politisierung von Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die Politisierung von Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Der Ausbau des Migrationsregimes . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

5 Das Gastarbeitsregime – Migration als Wirtschaftspolitik? . . 5.1 Der stumme Zwang des Ökonomischen: Gastarbeit als wirtschaftspolitisches Nicht-Problem . . . . . . . . . . . 5.1.1 Kein Problem? Das parlamentarische Schweigen zur Gastarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Ökonomisierung von Migration . . . . . . . . . . . 5.1.3 Identität und Ethnisierung von Migration in der Nachkriegsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.4 Exkurs: Sicherheit in Zeiten des Kalten Kriegs . . . 5.2 Ein Kind seiner Zeit: Gastarbeit als fordistische Problem-Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Kontingente, Bewilligungen, Abkommen: das komplexe Instrumentarium der Gastarbeit . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Das bestehende Instrumentarium … . . . . . . . . 5.3.2 …und neue Technologien . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Differenzielle Entrechtung als »capability« . . . . .

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6 Das Inlandarbeiterschutzgesetz 1925: Arbeitsmarktregulation zwischen Deutschtum und Wirtschaftskrise . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Ausnahmesituation oder strukturelle Notwendigkeit? . . . . . . 6.2 Inlandarbeiterschutz und soziale Frage: Arbeitsmarkt im Klassenkampf ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Heimatrechtliche Regulation: Steuerung der Arbeitsmigration vor dem Inlandarbeiterschutzgesetz . . . 6.2.2 Der Kampf um die Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Die nationale Frage – oder die Furcht vor der Slowakisierung . . 6.3.1 Vom Großreich der Kleinräume zur Nation . . . . . . . . . 6.3.2 Die Nationalisierung von Arbeitsmarkt und Migrationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Inlandarbeiterschutz: ein permanenter Ausnahmezustand . . . . 6.5 Ende oder Erbe? Vom Inlandarbeiterschutzgesetz zur Gastarbeit 6.5.1 Entwicklung der Gesetzgebung nach 1925 . . . . . . . . . . 6.5.2 Gründe für die juristischen Adaptionen nach 1945 . . . . . 7 Inlandarbeiterschutz 2.0: das Ausländerbeschäftigungsgesetz 1975 7.1 Zum Inhalt des Ausländerbeschäftigungsgesetzes 1975 . . . . 7.1.1 Ethnisierung und Sekuritisierung in der Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Nach der Gastarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Ein geteilter Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

7.2.2 Diskursive Verschiebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Rechtliche Weiterentwicklungen 1975 – 1988 . . . . . . . .

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8 Die Nicht-Gastarbeiter. »Volksdeutsche« Nachkriegsflüchtlinge . . . 8.1 Displaced Persons und »volksdeutsche« »Heimatvertriebene« in Österreich nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Der lange Weg zur Gleichstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Kein Präzedenzfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil III Eine neue Gastarbeit für eine neue Zeit? Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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9 Nach 1989: Sekuritisierung von Migration . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Der Bruch im Diskurs: Politisierung und Sekuritisierung in der parlamentarischen Auseinandersetzung nach 1989 . . . . . . . . 9.1.1 Inszenierung einer Flüchtlingskrise: 1989 als Bruch im Migrationsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.2 Ausnahmezustand: Migration als Gefahr für kulturelle Identität, soziale Sicherheit und öffentliche Ordnung . . . . 9.2 Zeichen der Zeit: gesellschaftliche Transformationsprozesse als Grundlage der Sekuritisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Erklärungsansätze: Migration, Parteien, Institutionen . . . 9.2.2 Das strategisch-relationale Setting der 1990er-Jahre und der politisch-ökonomische Kontext der Sekuritisierung . . 9.3 Deportability und Civic Integrationism: die sekuritisierte Weiterentwicklung des österreichischen Migrationsregimes . . . 9.3.1 Vom Scheinasylland zum Deportationsregime . . . . . . . 9.3.2 Integration: neue Identitätspolitik . . . . . . . . . . . . . .

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11 Saisonarbeit: Zirkuläre Migration als neues Paradigma? . . . . . . . 11.1 Der Trend zu Temporary Migrant Worker Programmes . . . . .

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10 Arbeitsmigration und ihre Regulation nach 1989 . . . . . . . . 10.1 Zwei Rationalitäten? Kontinuierliche Ökonomisierung . . . 10.2 Quantitative Begrenzung: Höchstzahlen als neue Form der rechtlichen Regulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Wer ist wie viel Ausländer? Qualitative Regulation durch Quoten und Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

11.2 Tabubruch? Die Einführung eines Saisonarbeiterstatus in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Pro-Migrations-anti-MigrantInnen-Parteien . . . . . . . . . . 11.4 Die unendliche Saison: Vom Erntehelfer zum Stammsaisonnier 11.5 Neue Gastarbeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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12 Die Rot-Weiß-Rot-Karte: Von der Reservearmee zum Humankapital . 12.1 Anwerbung zwischen Humankapitallogik und Unternehmerorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Die Rot-Weiß-Rot-Karte als konsensuelle Maßnahme . . . . . . 12.3 Die Rot-Weiß-Rot-Karte als sekuritisiertes Steuerungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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13 Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1 Zusammenfassung: die Logik der Entrechtung . . . . . . . . . . 13.2 Ausblick: am Weg zu Europäisierung und Verrechtlichung? . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorbemerkung

Die vorliegende Arbeit ist eine überarbeitete Fassung meiner 2012 an der Universität Wien abgeschlossenen Dissertation. Im Lauf der Jahre, die in dieses Projekt geflossen sind, habe ich von vielen Seiten Unterstützung, Kritik und Anregungen bekommen. Zunächst gilt mein Dank meiner Betreuerin Hildegard Weiss, die mich über die Zeit auf vielfältige Arten unterstützt hat und immer mit konstruktiver Kritik und hilfreichen Anregungen zur Stelle war. Sylvia Kritzinger hat als stets engagierte und unterstützende Chefin nicht nur optimale organisatorische Rahmenbedingungen für meine Forschungen geschaffen – die offene Atmosphäre und intensiven Diskussionen mit KollegInnen am Fakultätszentrum für Methoden der Sozialwissenschaften haben darüber hinaus wesentlich zur Entwicklung meiner Ideen beigetragen. Als diese Arbeit noch nicht einmal als Idee bestand, habe ich als Scholar am Institut für Höhere Studien in Wien die Möglichkeit zur Ideen- und sozialwissenschaftlichen Selbstfindung gehabt. Für intensive, kritische wie motivierende Diskussionen danke ich meinem damaligen Betreuer Lorenz Lassnigg und meinen MitscholarInnen. Mona Singer hat in ihren Seminaren am Institut für Philosophie der Universität Wien immer wieder aufgezeigt, wie wichtig es ist, einen politisch und wissenschaftstheoretisch reflektierten Blickwinkel auf das Problem der Migrationspolitik zu suchen. Die kleine Wiener Gruppe der »Kritischen MigrationsforscherInnen« [KriMi] hat über die Jahre einen um nichts weniger anregenden Rahmen zur Diskussion grundlegender Probleme aktueller Migrationsforschung wie auch unserer eigenen Projekte geboten. Für ihre Motivation sowie ihre vielfältige inhaltliche und organisatorische Unterstützung danke ich Julia Dahlvik und Christoph Reinprecht von der Forschungsplattform Migrations- und Integrationsforschung der Universität Wien. Ruth Vachek von V& R unipress hat den gesamten Weg zur Publikation in Buchform kompetent und hilfsbereit begleitet – und nicht zuletzt mit zahlreichen sprachlichen Anregungen geholfen, den Text lesbarer zu machen. Tom Horvath hat mir in einer entscheidenden Situation mit seinem ökonomischen Fachwissen und bei der Erfüllung außergewöhnlicher Datenanfragen

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Vorbemerkung

geholfen. Meine Eltern sind mir in all den Jahr(zehnt)en auf unzählige Arten zur Seite gestanden. Juliane Zeiser, schließlich, hat als konstanter intellektueller Bezugspunkt und als meine kritischste Kritikerin die Entwicklung dieser Arbeit von den ersten Schritten an mitgeprägt.

1

Einleitung

1.1

Migrationsregime zwischen Sicherheits- und Nutzenlogik

Fast vierhundert Personen starben, als am 3. Oktober 2013 ein Flüchtlingsboot vor der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa kenterte. Diese Toten reihen sich ein in eine lange Liste von geschätzt 20.000 Menschen, die seit 1993 beim Versuch umkamen, die Barrieren des militarisierten Grenzschutzes der Europäischen Union zu überwinden. Nur wenige Stunden waren seit dem Unglück vergangen, da wurden die ersten Stimmen laut, die eine Wende in der europäischen Migrationspolitik forderten. Die Quintessenz der dominanten Argumentation lautete, dass Europa nicht nur aus humanitären Gründen Wege der legalen Migration schaffen müsse, sondern vor allem, um das Potenzial jener zu nutzen, die über wichtige Qualifikationen verfügen. Flüchtlingsströme sollten, in anderen Worten, rechtlich ausgestaltet und so rational steuerbar gemacht werden. Wer dann noch trotz mangelnder Qualifikation den Weg nach Europa antritt, müsse sich, in den Worten des prominenten Migrationsexperten Klaus Bade, »damit abfinden, dass er in der Regel zurückgebracht wird, denn er hätte sich ja legal melden können, auch, wenn das unter Umständen vielleicht sogar jahrelange Wartezeiten impliziert, um z. B. Sprachkenntnisse zu erwerben. Denn Warten ist immer besser als ertrinken« (Deutschlandradio Kultur 2013). Diese Argumente für eine migrationspolitische Wende sind symptomatisch für eine seit Mitte der 2000er-Jahre zu beobachtende Entwicklung: Nachdem Migration jahrzehntelang in Medien und Politik hauptsächlich als Bedrohung diskutiert worden war, werden seit Mitte der 2000er-Jahre Stimmen laut, die den Nutzen und die Notwendigkeit der Zuwanderung betonen. Getragen von einer Allianz aus Unternehmerverbänden, sozialwissenschaftlichen ExpertInnen und supranationalen Organisationen wie der IOM scheint sich eine rationale Migrationspolitik durchzusetzen, die Migration positiv zum maximalen Nutzen aller Beteiligten zu gestalten verspricht – statt sie als mit irrationalen Ängsten verknüpftes Sicherheitsthema zu verhandeln. Auch die österreichische Migrationspolitik – Gegenstand dieser Arbeit – folgt

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Einleitung

diesem Muster. Die 2012 eingeführte Rot-Weiß-Rot-Karte, so getauft in Anlehnung an die US-amerikanische Green-Card und die Blue-Card der EU, steht beispielhaft für das Streben, sich im globalen Wettstreit um die »besten Köpfe« nicht abhängen zu lassen. Das wichtigste Instrument in diesem Wettstreit ist die positive rechtliche Diskriminierung: Wer etwas leistet, soll rechtlich belohnt werden, umgekehrt sollen rechtliche Privilegien als Anreiz für, der Vorstellung nach, leistungs- und integrationswillige Fachkräfte dienen. Ganz in diesem Sinn wurde im Frühjahr 2013 auch das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz novelliert: Eine beschleunigte Einbürgerung nach sechs Jahren Aufenthalt wird von einem überdurchschnittlichen und stabilen Erwerbseinkommen und einem Engagement in Freiwilligenorganisationen abhängig gemacht. Beschlossen wurde die Novelle des Staatsbürgerschaftsgesetzes vom österreichischen Ministerrat am 30. April 2013. In unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Nähe benannte am 1. Mai eine Gruppe von Flüchtlingen symbolisch den zentral gelegenen Sigmund-Freud-Park in Refugee-Protest-Park um – ein kleines Element eines Protestes, der davor unter anderem wochenlange Hungerstreiks umfasst hatte. Im Zentrum dieses Protests stand (und steht) die Forderung, überhaupt geregelt an eine Erwerbstätigkeit kommen und sich als engagierte Gesellschaftsmitglieder betätigen zu können. Die ständig von Abschiebung bedrohten und weitgehend entrechteten Flüchtlinge auf der einen und die vom neuen österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetz wie auch von ProponentInnen einer nutzengesteuerten Zuwanderung imaginierte Gruppe von erfolgreichen, wohlintegrierten und nützlichen Neo-EuropäerInnen auf der anderen Seite markieren zwei Extreme des derzeitigen migrationsrechtlichen Spektrums. Sie werden durch eine unüberschaubare Sammlung an Gesetzen und Regelungen auseinanderdividiert. Das dabei wirksame juristische Regelwerk zeichnet neben seiner Unübersichtlichkeit vor allem aus, dass es zum größten Teil nach 1989 geschrieben wurde – begleitet von langwierigen und widersprüchlichen Aushandlungsprozessen. In diesen migrationspolitischen Aushandlungsprozessen spielen zwei Argumentationslogiken eine herausragende Rolle, die in aktuellen Diskussionsbeiträgen vorwiegend als gegensätzliche politische Standpunkte inszeniert werden: eine utilitaristische Nutzenlogik, die mit dem »rationalen« Schwenk der letzten Jahre und mit Maßnahmen wie der Rot-Weiß-Rot-Karte in Verbindung gebracht wird, und eine restriktive Sicherheitslogik, die Migration als existenzielle Bedrohung für den Wohlfahrtsstaat, die öffentliche Ordnung und nationale Identitäten inszeniert und die unter anderem die Anti-Asyl-Politik seit den späten 1980er-Jahren geprägt hat. Schon ein oberflächlicher Blick hinter die rhetorischen Kulissen zeigt, dass das tatsächliche Verhältnis zwischen diesen beiden migrationspolitischen Logiken unklar und umstritten ist. In zahlreichen Diagnosen werden sie als un-

Migrationsregime zwischen Sicherheits- und Nutzenlogik

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vereinbare und konkurrierende Politikansätze konzipiert, die entgegengesetzte Pole des migrationspolitischen Raums markieren. Andere Analysen streichen dagegen die funktionalen Entsprechungen zwischen der Sekuritisierung und der Ökonomisierung von Migration heraus, bieten aber keine zufriedenstellende Erklärung dafür, wie dieses funktionale Zusammenspiel angesichts der offensichtlichen Widersprüche in den jeweiligen Problementwürfen zustande kommen kann. Am Beispiel der Entwicklung des österreichischen Migrationsregimes seit dem Zweiten Weltkrieg geht die vorliegende Arbeit dem spannungsreichen Wechselspiel dieser beiden migrationspolitischen Logiken nach. Der analytische Fokus liegt dabei auf der Ebene des politischen Diskurses: In den Blick rücken die Formen, in denen Migration als ein Problem definiert wird, und die Logiken, nach denen der Gegenstand Migration verhandelt wird. Sekuritisierung und Ökonomisierung werden als zwei Arten der politischen Problemdefinition gefasst, die einer liberalen politischen Rationalität entsprechen. Als zentraler theoretischer Bezugspunkt dieser diskurstheoretischen Konzeption dient Foucaults Analytik der liberalen »Kunst zu regieren« (Foucault 2006a/ 2006b; Bröckling et al. 2000; Krasmann/Volkmer 2007). Der diskurstheoretische Ansatz rückt den konstruierten und gewordenen Charakter von Regelungen und Problemdefinitionen in den Blick, die, einmal etabliert, natürlich und selbstverständlich wirken. Die konkreten historischen Formen der Problematisierung von Migration hängen dabei auch davon ab, wer wann zu wem aus welcher Position und mit welchen Interessen spricht, und damit vom politisch-ökonomischen Kontext und gesamtgesellschaftlichen Kräfteverhältnissen. Um dieser politisch-ökonomischen Einbettung (migrations-)politischer Entwicklungen gerecht zu werden, werden im Folgenden die diskursiven Entwicklungen aus einer regimetheoretischen Perspektive analysiert (Transit Migration 2007; Hess/Kasparek 2010), die den umkämpften, in breitere gesellschaftliche Machtstrukturen, Ungleichheitsverhältnisse und Transformationsprozesse eingebetteten Charakter der Politikgestaltung akzentuiert (Jessop 2002/2008). Auf dieser theoretischen Grundlage lässt sich das Verhältnis von Sicherheitsund Nutzenlogik als spannungs- und folgenreiches Anstachelungsverhältnis charakterisieren, das in den Grundzügen des liberalen Nationalstaats angelegt und daher in dessen Rahmen nur schwer zu überwinden ist. Das Wechselspiel dieser beiden Logiken erweist sich dabei als durchaus produktiv, weil es, um bei der Foucault’schen Terminologie zu bleiben, die Durchsetzung neuer politischer Technologien ermöglicht. Im Kern geht es dabei um die Durchsetzung von Kriterien und Kategorien, die ausgefeilte Formen der rechtlichen Differenzierung zwischen MigrantInnen erlauben. Solche »rechtmäßigen« Instrumente spielen eine entscheidende Rolle in der politischen Regulation der Arbeitsmi-

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Einleitung

gration im liberalen Nationalstaat. Über diese Möglichkeiten zur rechtlichen Differenzierung und Kategorisierung von Bevölkerungsgruppen verfügen Nationalstaaten aber nicht von jeher und selbstverständlich: Bis Mitte der 1920erJahre war etwa in Österreich nicht einmal die basale rechtliche Unterscheidung zwischen nationaler und ausländischer Arbeitskraft etabliert. Der historisch-vergleichende Blickwinkel dieser Arbeit soll unter anderem erlauben, diese Prozesse der Entwicklung und Durchsetzung von politischen Instrumenten und rechtlichen Regelungen nachzuzeichnen. Darüber hinaus ermöglicht der Vergleich von Epochen (zugespitzt der Nachkriegsjahrzehnte bis 1989 mit den Entwicklungen der 1990er- und 2000er-Jahre), die Entwicklung des migrationspolitischen Diskurses in ihrer Einbettung in politisch-ökonomische Konfigurationen und Transformationsprozesse zu untersuchen. Der breite historische Blickwinkel geht mit einer Fokussierung auf einen einzelnen nationalen Kontext einher. Das in dieser Arbeit besprochene österreichische Migrationsregime hat in der internationalen Forschung zu Migrationspolitik bisher relativ wenig Beachtung gefunden1. Die spezielle Kombination an für die Migrationspolitik relevanten Faktoren und Prozessen macht es aber gerade für den in ganz Westeuropa zu konstatierenden migrationspolitischen Bruch nach 1989 zu einem aufschlussreichen Beispiel. Zu diesen analytisch relevanten Kontextfaktoren zählen die geopolitische Positionierung an der Grenze zwischen den beiden Blöcken des Kalten Kriegs, das komplexe Zusammenspiel von Flüchtlings- und Arbeitsmigration über den gesamten untersuchten Zeitraum und die große Bedeutung rechtsextremer politischer Kräfte speziell ab Mitte der 1980er-Jahre. Das Ziel dieser Arbeit ist nicht, eine Geschichte des österreichischen Migrationsregimes zu schreiben. Sie nimmt aber die Diskussion mit bestehenden Befunden zu migrationspolitischen Entwicklungen in Österreich auf.2 Auf der theoretischen Grundlage dieser Arbeit ergeben sich dabei im Vergleich zu etablierten Deutungen einige Verschiebungen. So liegt der analytische Fokus weniger auf den verschiedenen Akteuren der Migrationspolitik als auf der Ebene des Diskurses in seiner Einbettung in politisch-ökonomische Konjunkturen und damit auf überindividuellen Strukturen und Aussagesystemen.3 Gleichzeitig 1 In der sozialwissenschaftlichen Diskussion über Migrationspolitik werden einige nationale Migrationsregime bevorzugt diskutiert – dazu zählen für den europäischen Kontext neben dem deutschen und dem französischen auch das niederländische, schwedische, britische, italienische und das Schweizer Regime (exemplarisch: Castles/Kosack 1973; Hammar 1985; Thränhardt/Hunger 2003; Menz 2009). 2 Zu den zentralen Bezugspunkten meiner Darstellung zählen die Arbeiten zur österreichischen Migrationspolitk von Matuschek (1985), Wimmer (1986a), Sari (1988), Prader (1992a), Gächter (1992), Parnreiter (1994), Fassmann/Münz (1995), Heiss/Rathkolb (1995), Volf (1995), Bauböck (1996), Sensenig-Dabbous (1998), Perchinig (2010) und Kraler (2011). 3 Arbeiten zu migrationspolitischen Diskursen sind für Österreich bisher kaum zu finden, als

Forschungsfragen und Aufbau des Buchs

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ergeben sich andere thematische Schwerpunkte: Aspekte und Episoden, die in der bisherigen Auseinandersetzung relativ wenig beachtet wurden, rücken in den Brennpunkt: Beispiele sind die Durchsetzung des Inlandarbeiterschutzgesetzes 1925 und der zu Beginn der 1990er-Jahre eingeführte Saisonarbeiterstatus. Vor allem aber ist der analytische Blickwinkel selbst mit einer spezifischen Form der Problematisierung verknüpft: Statt etwa die facettenreichen migrationspolitischen Prozesse der 1990er-Jahre primär als Suche nach einer kohärenten und effektiven Migrationspolitik zu fassen (Kraler 2011, 30 – 33), werden dieselben Entwicklungen in dieser Arbeit vorwiegend als Prozess der differenziellen Entrechtung thematisiert. Mit den präsentierten Befunden will die vorliegende Arbeit zum Verständnis aktueller migrationspolitischer Entwicklungen beitragen. Die Notwendigkeit, diskursive Zusammenhänge und Mechanismen im migrationspolitischen Feld zu entschlüsseln, besteht nicht nur für SozialwissenschaftlerInnen, sondern letztlich für all jene, die sich in migrationspolitischen Fragen aktiv engagieren und dazu tragfähige Strategien entwickeln wollen. Die Motivation zu dieser Arbeit nährt sich aber speziell aus der Beobachtung, dass SozialwissenschaftlerInnen zunehmend direkt in die Gestaltung von Migrationspolitik einbezogen werden, in Österreich wie international. Diese Entwicklung erfordert eine Auseinandersetzung mit den Mechanismen des migrationspolitischen Felds wie auch mit den inhärenten Widersprüchen und Grenzen »liberaler« Migrationsregime (Hollifield 2003; 2007; Joppke 2007; Adamson et al. 2011).

1.2

Forschungsfragen und Aufbau des Buchs

Der historische Blickwinkel dieser Arbeit legt nahe, in der Argumentation dem Zeitverlauf zu folgen. Um der analytischen Ausrichtung meines Forschungsinteresses gerecht zu werden, habe ich mich aber gegen einen streng chronologischen Aufbau entschieden. Die Logik der Darstellung folgt grob den forschungsleitenden Fragen. Die zentrale Forschungsfrage meiner Studie lautet: Welche Rolle haben die Sekuritisierung und die Ökonomisierung von Migration bei der Entwicklung neuer Formen der politischen Regulation der Arbeitsmigration in Österreich gespielt? Aus dieser leitenden Forschungsfrage ergeben sich drei Subfragen: 1) Wie haben sich die Formen der Problematisierung von Migration im österreichischen Parlament seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelt?

Bezugspunkte dienen etwa die Beiträge von Zuser (1996) und Mayer (2009), siehe auch Wodak/van Dijk (2000).

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Einleitung

2) Wie sind die wechselnden Formen der Problematisierung mit allgemeinen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen verbunden? 3) Wie haben diese Entwicklungen die Durchsetzung neuer Instrumente zur Regulation der Arbeitsmigration geprägt? Frage 1 markiert den Kern der empirischen Arbeit. Sie ist aufgrund des Fehlens diskursanalytischer Vorarbeiten deskriptiv und explorativ ausgerichtet. Die Fragen 2 und 3 dienen der kontextualisierenden Diskussion. Frage 2 lenkt den Blick darauf, wie migrationspolitische Entwicklungen in allgemeine politische und ökonomische Prozesse eingebettet sind. Sie folgt aus der Annahme, dass die Formen der Problematisierung strukturellen Tendenzen liberaler Nationalstaaten entsprechen. Frage 3 dient dazu, die Produktivität des Wechselspiels von Sekuritisierung und Ökonomisierung von Migration speziell für die Weiterentwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen zu untersuchen. Im ersten Teil der Arbeit stelle ich die theoretischen Grundlagen und Konzepte, auf denen diese Forschungsfragen, die leitenden Annahmen und die Forschungsstrategie meiner Arbeit beruhen, vor. Eine kurze Diskussion ausgewählter sozialwissenschaftlicher Standpunkte zu aktuellen migrationspolitischen Entwicklungen führt zur Frage, in welchem Verhältnis diese Entwicklungen zu grundlegenden Tendenzen des liberalen Nationalstaats stehen. Mein Verständnis des liberalen Staats beruht auf Jessops strategisch-relationalem Ansatz, der es erlaubt, den Staat als Verdichtung gesamtgesellschaftlicher Kräfteverhältnisse bzw. als soziales Verhältnis zu fassen. Als solches ist der Staat »Ergebnis, Feld und Instrument der Aushandlung und Durchsetzung des allgemeinen Willens«4, von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, in denen diskursiven Ordnungen bzw. politischen Rationalitäten eine herausragende Bedeutung zukommt. Als heuristischer Leitbegriff für die empirische Analyse wird der Begriff der Problematisierung vorgeschlagen: Sekuritisierung und Ökonomisierung werden als spezifische Formen definiert, Migration als politisches Problem zu fassen. Als solche sind sie an bestimmte politische Rationalitäten gekoppelt und führen zu diesen entsprechenden Lösungsansätzen. Aufbauend auf Foucaults Konzeption einer spezifisch liberalen Regierungskunst werden Ökonomisierung und Sekuritisierung als zwei grundlegende Elemente einer liberalen politischen Rationalität charakterisiert. Die auf ihrer Grundlage entwickelten Steuerungsinstrumente arbeiten, den Grundsätzen einer liberalen Regierung folgend, hauptsächlich über die Gestaltung rechtlicher Rahmenbedingungen. Eine »liberale« Regulation der Arbeitsmigration zeichnet sich dabei durch die 4 Die anschließende empirische Analyse konzentriert sich auf die Ebene des Parlaments als privilegierten Ort der Verhandlung dieses »allgemeinen Willens«.

Forschungsfragen und Aufbau des Buchs

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instrumentelle Nutzung fundamentaler Rechte aus. Die Entwicklung und Durchsetzung neuer Formen solcher differenzieller Entrechtungen ist, dem Verständnis vom Staat als Verdichtung sozialer Kräfteverhältnisse entsprechend, vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Transformationsprozesse zu analysieren. Die empirische Fundierung der historischen Analyse war mit einigen methodischen Herausforderungen konfrontiert. Einerseits sollten Verschiebungen in den Problematisierungen von Migration systematisch nachgezeichnet werden, andererseits war interpretative Tiefenschärfe zu wahren. Um dieser doppelten Forderung gerecht zu werden, schlage ich in Kapitel 3 eine konkrete Implementierung einer an Foucaults Diskursbegriff orientierten Analyse politischer Wissensordnungen vor, die quantitative und interpretative Komponenten verbindet. Angewandt wurden die vorgeschlagenen Verfahren auf ein Korpus, das rund dreitausend Einzeldokumenten aus dem österreichischen Parlament umfasst und damit – dem Anspruch nach – alle explizit migrationspolitischen Anfragen und Debatten aus dem Zeitraum von Mai 1945 bis Juni 2012. Der zweite und dritte Teil der Arbeit sind der empirischen Analyse der Entwicklung des österreichischen Migrationsregimes gewidmet. Teil 2 fokussiert auf die Phase vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion. Die in diese Zeit fallende Gastarbeit gilt als Paradebeispiel einer rein ökonomisch orientierten Migrationspolitik. Allerdings war das Gastarbeitsregime voraussetzungsreich – die Frage, wo die Instrumente herkamen, mit denen es gearbeitet hat, führt zu einem historischen Exkurs in das Jahr 1925, in dem das sogenannte »Inlandarbeiterschutzgesetz« beschlossen wurde. Das damals eigentlich einer Sicherheitslogik folgende und als Ausnahmemaßnahme etablierte Instrumentarium erwies sich als für eine ökonomisierte Migrationspolitik tragfähig, und zwar bis weit in die 1970er-Jahre; es entsprach, in anderen Worten, dem wirtschaftlichen und politischen Nachkriegsarrangement. Erst fünfzig Jahre nach seiner Einführung wurde das Inlandarbeiterschutzgesetz vom (sehr ähnlich gearteten) »Ausländerbeschäftigungsgesetz« abgelöst. Die Gastarbeit ist demnach alles andere als eine migrationspolitische Nullstunde, und sie baut in mehreren Hinsichten auf einer Sekuritisierung von Migration auf. Die mit ihr verbundene dauerhafte Entrechtung ist auch nicht alternativlos, wie die am Ende des zweiten Teils präsentierte Gleichstellungsgeschichte der »volksdeutschen« Nachkriegsflüchtlinge zeigt. Ab Mitte der 1980er-Jahre kam es zu markanten migrationspolitischen Verschiebungen. Der dritte Teil der Arbeit beginnt mit einer Darstellung der massiven Politisierung von Migration in dieser Zeit, die in der Literatur überwiegend als Phase der Sekuritisierung charakterisiert wird (Waever et al. 1993; Huysmans 2006; Guild 2009). Spätestens mit Ende des Kalten Kriegs setzten sich auch in Österreich auf parlamentarischer Ebene Thematisierungen durch, in denen

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Einleitung

Migration als Problem und Gefahr diskutiert wurde. Im Hintergrund dieser Entwicklungen stand eine fundamentale Krise der Nachkriegsordnung, die mit strukturellen Verschiebungen am Arbeitsmarkt wie auch im politischen Feld verbunden war. Neoliberalismus, Postfordismus und Globalisierung sind Schlagworte, die für diese Transformationsprozesse stehen. Migrationspolitisch war es die Zeit einer restriktiven Abschottungspolitik, der Etablierung eines »Deportationsregimes« (de Genova/Peutz 2010), eines »aggressive civic integrationism« (Triadafilopoulos 2011; Hess/Moser 2009) – und der Etablierung neuer Formen der organisierten Anwerbung und Beschäftigung migrantischer Arbeitskräfte. Die bereits erwähnte Rot-Weiß-Rot-Karte markiert in diesem Zusammenhang den vorläufigen Endpunkt einer Entwicklung, die zwei Jahrzehnte davor mit einer bis heute folgenreichen, aber in der öffentlichen Debatte deutlich weniger beachteten Änderung begonnen hatte: der Einführung eines Saisonarbeiter-Status 1992. Beide Formen der Anwerbung migrantischer Arbeitskräfte – temporäre Migrationsprogramme für niedrig entlohnte und Punktesysteme für hoch qualifizierte Tätigkeiten – sind zentrale Bestandteile der Diagnosen zur »Wiederentdeckung« der Gastarbeit. Ihre Entwicklung und Durchsetzung basierte auf einem den neuen politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen angepassten, der Struktur nach aber ähnlichen Wechselspiel zwischen Sicherheits- und Nutzenlogik, wie es schon für das Gastarbeitsregime der Nachkriegsjahrzehnte zu diagnostizieren war. In der historischen Analyse zeigen sich demnach wichtige Parallelen in der grundlegenden Form der Problematisierung der Arbeitsmigration in verschiedenen Epochen, gleichzeitig sind relevante periodenspezifische Unterschiede erkennbar. Die Art von migrationspolitischem Problem, das sich stellt, die Form, in der es verhandelt und bearbeitet wird, sowie die Lösungen, die adäquat und legitim erscheinen, variieren in Abhängigkeit von gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen. Im historischen Wechselspiel der Formen, Migration zu problematisieren, wurden neue Wege zur Regulation der Arbeitsmigration gefunden und so das migrationspolitische Instrumentarium adaptiert und erweitert. In spezifischen historischen Zusammenhängen entwickelte migrationspolitische Instrumente blieben über diese Kontexte hinaus wirksam und konnten unter veränderten Bedingungen neue Wirkungen entfalten.

Teil I Theoretischer Hintergrund und Forschungsstrategie

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Freiheit, Sicherheit, Bevölkerung: Steuerung und Kontrolle von Migration im liberalen Nationalstaat

Im ersten Teil der Arbeit stelle ich die theoretischen Grundlagen meines Forschungsprojekts dar und verorte mein Erkenntnisinteresse im Feld der sozialwissenschaftlichen Debatten zu aktuellen migrationspolitischen Entwicklungen. Ziel der folgenden Kapitel ist erstens, meine leitende Annahme zu begründen, dass sowohl die Ökonomisierung als auch die Sekuritisierung von Migration strukturelle Tendenzen des liberalen Nationalstaats sind. Zweitens wird angestrebt, die ontologischen und epistemologischen Grundlagen der Arbeit darzustellen, die auch der methodologischen Vorgehensweise zugrunde liegen. Kapitel 2.1 ist aktuellen Debatten und theoretischen Ansätzen im Feld der Forschung zu Migrationsregimen und Migrationspolitik gewidmet. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurde »Migration« in praktisch allen westeuropäischen Staaten zu einem der zentralen Themen medialer und politischer Auseinandersetzungen (Hammar 2007; Messina 2007; Castles/Miller 2009). Parallel zu diesem Politisierungsprozess sind migrationspolitische Problemstellungen auch in den Fokus sozialwissenschaftlicher Auseinandersetzungen gerückt.5 Die Komplexität des Gegenstands »Migrationspolitik« und die

5 Erste umfassende geschichtswissenschaftliche Darstellungen migrationspolitischer Entwicklungen für den deutschsprachigen Raum wurden in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren erstellt (Herbert 2001). Eine der frühesten dezidiert sozialwissenschaftlichen Analysen westeuropäischer Migrationsregime hat ein ForscherInnenteam rund um Hammar (1985) vorgelegt. Diese Studie geht in ihrer vergleichenden Darstellung und Analyse der Einwanderungspolitik von Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz, Großbritannien und Schweden über eine rein historische Darstellung der Entwicklung von gesetzlichen Regelungen hinaus und diskutiert Fragen nach wirtschaftlichen und ideologischen Grundlagen der Migrationspolitik sowie den Auswirkungen spezifischer nationaler Regelungen und migrationspolitischen Trends. Auch für Österreich wurden erste sozialwissenschaftliche Analysen und Darstellungen migrationspolitischer Entwicklungen ab Mitte der 1980er-Jahre veröffentlicht (Matuschek 1985; Wimmer 1986a; Prader 1992b; Bauböck 1996). Ab Mitte der 1990er-Jahre nahm die Zahl der Forschungsanstrengungen, die sich explizit dem Gegenstand Migrationspolitik widmen, stark zu; die Arbeiten wurden dabei zusehends

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Freiheit, Sicherheit, Bevölkerung

Vielfalt der analytischen Zugänge hat diese sozialwissenschaftlichen Diskussionen von Anfang an geprägt (siehe etwa Hammar 1985; Cornelius et al. 1994) und führt auch heute noch zu widersprüchlichen Diagnosen. Meine Argumentation setzt bei einer dieser ungeklärten Fragen an: In welchem Verhältnis stehen aktuelle nutzenorientierte Pro-Migrations-Initiativen zu restriktiven Politikmodellen, wie sie seit Mitte der 1980er-Jahre durchgesetzt wurden? Die Antwort auf diese Frage hängt wesentlich vom gewählten analytischen Blickwinkel ab – in den Kapiteln 2.1.2 bis 2.1.4 grenze ich die regimetheoretische Perspektive meiner Arbeit gegen alternative theoretische Rahmen ab. In Kapitel 2.2 bespreche ich, was in dieser Arbeit unter »Staat« verstanden wird, um, darauf aufbauend, die Prinzipien herauszuarbeiten, nach denen in liberal-kapitalistischen Nationalstaaten Migration regiert wird. Einer spezifisch soziologisch orientierten staatstheoretischen Fundierung dient dabei Jessops strategisch-relationaler Ansatz. Die Eigenheiten liberaler Regierung diskutiere ich ausgehend von den späten, »staatstheoretischen« Arbeiten Michel Foucaults. Der Fokus dieser Darstellung liegt auf der Verortung von Nutzen- und Sicherheitslogik im strukturellen Gefüge liberaler Nationalstaaten. In Kapitel 2.2.4 wird der unscheinbare Begriff der Problematisierung als leitende Heuristik für die empirischen Analysen dieser Arbeit präsentiert. Die Bedeutung und die konkreten Formen der Problematisierung von Migration verändern sich in Wechselwirkung mit politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen. Nach der Diskussion allgemeiner (»zeitloser«) struktureller Tendenzen liberaler Migrationspolitik bespreche ich daher Aspekte der konkreten historischen Rahmenbedingungen migrationspolitischer Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Drei Transformationsprozesse sind dabei von herausragender Bedeutung: geopolitisch die Entwicklung vom Kalten Krieg zur unipolaren Weltordnung, sozioökonomisch jene vom Fordismus der Nachkriegsordnung zu postfordistischen Produktionsverhältnissen und politisch die Weiterentwicklung des Embedded Liberalism zu einer im weiten Sinn neoliberalen politischen Rationalität. Anschließend an die allgemeine Diskussion dieser Prozesse – die sich stark an Jessops Diagnose von der Ablösung des Keynesian Welfare National State (KWNS) durch ein Schumpeterian Workfare Postnational Regime (SWPR) orientiert – skizziere ich die konkrete Form, die diese Entwicklungen im Österreich der Jahrzehnte seit dem Zweiten Weltkrieg angenommen haben. In Kapitel 3 bespreche ich schließlich die forschungsstrategischen Entscheidungen und methodischen Grundlagen meiner Arbeit wie auch ihre Implikationen für die Aussagekraft meiner Ergebnisse.

analytischer und waren in vielen Fällen vergleichend angelegt (siehe dazu z. B. die Sammelbände von Althaler/Hohenwarter 1992; Cornelius et al. 1994; Miles/Thränhardt 1995).

Migrationspolitik als sozialwissenschaftlicher Gegenstand

2.1

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Migrationspolitik als sozialwissenschaftlicher Gegenstand: zum Stand der Forschung

Im Fokus der vorliegenden Arbeit steht das Zusammenspiel zwischen zwei zentralen Logiken aktueller Migrationspolitik: der Sekuritisierung und der Ökonomisierung von Migration. Schon ein oberflächlicher Streifzug durch aktuelle sozialwissenschaftliche Diagnosen zeigt, dass die Frage, wie deren Verhältnis zueinander zu denken ist, komplex und, vor allem, ungeklärt ist. Im folgenden Abschnitt identifiziere ich, ausgehend von Diskussionen rund um die Wiederauferstehung (Castles 2006) bzw. die Wiederentdeckung der Gastarbeit (Menz 2009), drei Arten, deren Verhältnis zueinander zu bestimmen: als Widerspruchs-, Entsprechungs- oder Anstachelungsverhältnis. Dieses dritte Verständnis entspricht dem theoretischen Ansatzpunkt meiner Arbeit – wie dieses im breiten Feld der Forschung zu migrationspolitischen Entwicklungen zu verorten ist, wird in den anschließenden Abschnitten besprochen.

2.1.1 Zwischen Wiederentdeckung der Gastarbeit und Sekuritisierung von Migration Nach Jahrzehnten restriktiver Anti-Migrationspolitik werden im migrationspolitischen Diskurs in Österreich wie auch in anderen westeuropäischen Staaten Stimmen laut, die auf die Notwendigkeit und den Nutzen von Zuwanderung hinweisen. Die Sorge um die Tragfähigkeit von Pensions- und Sozialsystemen und die Abhängigkeit ganzer Wirtschaftszweige von der Beschäftigung migrantischer Arbeitskräfte werden dabei ebenso ins Feld geführt wie das Bild vom »globalen Wettstreit um die besten Köpfe«. Um sowohl den Bedarf an »hoch qualifizierten« Arbeitskräften als auch jenen an ArbeiterInnen für niedrig entlohnte Tätigkeiten zu decken, werden humankapitalorientierte Punktesysteme mit maßgeschneiderten Programmen zur temporären Arbeitsmigration, etwa für die Landwirtschaft, kombiniert (Castles 2006; Gabriel/Pellerin 2008; Menz/ Caviedes 2010b; Guild/Mantu 2011). Das neue Schlagwort Migrationsmanagement verspricht eine rationale Politik der aktiven Gestaltung von Migrationsprozessen mit maximalem Gewinn für alle Beteiligten (Gosh 2000; Martin et al. 2006). Dieser aktuelle nutzenorientierte, pragmatische Zugang steht scheinbar in scharfem Kontrast zu den migrationspolitischen Entwicklungen der 1990er-Jahre, die von Abschottung und Restriktion bis hin zur Militarisierung der Grenzen geprägt waren (Bigo 2002; Ceyhan/Tsoukala 2002; Guild 2009; van Munster 2009). Diese Periode, die weitreichende Reorganisationen westlicher Migrationsregime brachte, wird überwiegend als Phase der Sekuritisierung

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Freiheit, Sicherheit, Bevölkerung

von Migration charakterisiert: Über Jahrzehnte war Migration hauptsächlich als vielfältiges Sicherheitsrisiko diskutiert worden, als Gefahr für Bildungssysteme, Arbeitsplätze und soziale Sicherungssysteme, für die öffentliche Ordnung wie auch für kulturelle Identitäten (Huysmans 2006). Auf den ersten Blick scheint also eine (wirtschaftspolitische, utilitaristische) migrationspolitische Logik eine andere (restriktive, sicherheitsorientierte) abzulösen. In diesem Sinn diagnostizieren Menz/Caviedes (2010a, 3) eine Rekonzeptualisierung der Migrationspolitik »as a national human resources strategy as opposed to a largely defensive security-driven domain«. Und Kolb (2010, 84) macht sogar einen Sieg von ethnischer Neutralität und Gleichheit über das nationale Prinzip aus. In sozialwissenschaftlichen Diagnosen eines solchen Ablösungsprozesses werden die Gegensätze zwischen den beiden Politikzugängen betont. In diesem Zusammenhang argumentiert Buonfino (2004), dass wir es mit zwei »distinkten« und »antagonistischen« politischen Rationalitäten zu tun haben, die von unterschiedlichen sozialen AkteurInnen getragen werden6 und einander widersprechende Implikationen haben. Eine solche Diagnose eines scharfen Gegensatzes zwischen Ökonomisierung und Sekuritisierung entspricht vorherrschenden Konzeptualisierungen der Migrationspolitik, die deren AkteurInnen auf der Achse Pro- versus Anti-Migrations-Standpunkte anordnen (siehe etwa idealtypisch bei Hix/Noury 2007)7, und schließt damit sowohl an mediale und politische Diskurse als auch an gängige sozialwissenschaftliche Konzeptionen an. Die Annahme, dass Sekuritisierung und Ökonomisierung im Raum politischer Akteure und Positionen Gegensätze markieren, ist aber nicht unumstritten. Immerhin gehen Prozesse wie die Etablierung eines »Deportationsregimes« (de Genova/Peutz 2010) oder die Durchsetzung eines »aggressive civic integrationism« (Triadafilopoulos 2011) mehr oder weniger ungehindert weiter. Offensichtlich können Sekuritisierung und Ökonomisierung von Migration koexistieren – auch in den Standpunkten und Programmen einzelner politischer AkteurInnen. Vor allem aber sind sie funktional verwoben. So argumentiert Menz (2009, 257), dass die nach wie vor wirksame restriktive Politik der 1990er6 Die Ökonomisierung von Migration »has been introduced by business/governmental organisations that recognize the urgent need to rejuvenate national economies in stagnation« (Buonfino 2004, 37), die Sekuritisierung von Migration gehe demgegenüber aus einem Wechselspiel aus öffentlicher Meinung, Massenmedien und BerufspolitikerInnen hervor. 7 Diese Art der Dimensionalisierung des migrationspolitischen Raumes ist weit verbreitet; sie entspricht etwa der Hauptachse, entlang derer Aigner (2008) die österreichischen Parteien und ihre WählerInnen anordnet und die Wengeler (2003) in seiner Analyse migrationspolitischer Standpunkte in den Mittelpunkt rückt; auch Guiraudon und Joppke (2001a) argumentieren: »The distinction between ›stemming‹ and ›soliciting‹ is fundamental«.

Migrationspolitik als sozialwissenschaftlicher Gegenstand

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Jahre die notwendige Vorbedingung für ein »effizientes« Migrationsmanagement ist, und Huysmans (2006, 49) führt aus: »Despite the obvious difference between repressive and permissive migration policy, both policy positions share a desire to control population dynamics for the purpose of optimizing a society’s ›well-being‹«. In ihrem Streben nach Kontrolle und Steuerung und dazu nötiger Bewertung und Kategorisierung entsprechen Ökonomisierung und Sekuritisierung von Migration einander. Vor allem aber stützt die aus restriktiven Maßnahmen resultierende Prekarisierung migrantischer Arbeitskräfte deren Nutzung als flexible und billige Arbeitskraftreserve (Transit Migration 2007). Statt eines Ablösungs- oder Widerspruchsverhältnisses haben wir es, aus diesem Blickwinkel, mit einer Relation der Entsprechung zu tun. Auch die Betonung der funktionalen Entsprechung von Sekuritisierung und Ökonomisierung führt aber zu analytischen Problemen. Wie sind auf dieser Basis die Gleichzeitigkeit und das Zusammenspiel von sekuritisierenden und ökonomisierenden migrationspolitischen Ansätzen zu erklären, ohne funktionalistisch oder teleologisch zu argumentieren? MigrantInnen werden schließlich nicht einfach zu einem Sicherheitsproblem stilisiert, um sie danach besser entrechten und ausbeuten zu können (Gächter 1992, 65; Sciortino 2000). Im Lauf der folgenden Kapitel wird das Verhältnis zwischen Sekuritisierung und Ökonomisierung von Migration auf eine Art gefasst, die sowohl die Widersprüche als auch die funktionale Entsprechung zwischen ihnen zu berücksichtigen versucht und sich grob als ein im liberalen Nationalstaat strukturell angelegtes »Anstachelungsverhältnis« fassen lässt, als »agonistisches« eher denn als »antagonistisches« Verhältnis (Foucault 1982, 221 – 222). Ich argumentiere, dass erst dieses Wechselspiel die (konflikt- und krisenhafte) Anpassung des migrationspolitischen Instrumentariums an sich verändernde politisch-ökonomische Rahmenbedingungen ermöglicht. Diese spezifische Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Sicherheits- und Nutzenlogik in der Migrationspolitik ergibt sich aus einem analytischen Blickwinkel, der sich als regimetheoretisch versteht. Der Charakterisierung dieses Ansatzes im Vergleich zu anderen analytischen Zugängen sind die folgenden Abschnitte gewidmet.

2.1.2 Vom Problem der Migration zur Problematisierung der Migrationspolitik – vielfältige Perspektiven auf einen komplexen Gegenstand Dass sich aus den sozialwissenschaftlichen Einschätzungen zum Verhältnis von Nutzen- und Sicherheitslogik kein einheitliches Bild ergibt, ist zunächst nicht überraschend. Auch in anderen Fragen gehen die Migrationspolitik betreffende sozialwissenschaftliche Diagnosen zum Teil diametral auseinander. Beispielhaft zeigt sich das an der Frage nach der Rolle der Nationalstaaten in der politischen

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Freiheit, Sicherheit, Bevölkerung

Steuerung von Migration: Diagnosen eines weitgehenden Bedeutungsverlusts im Vergleich zu supranationalen und außerstaatlichen Regulationsinstanzen (in diese Richtung argumentiert etwa Guild 2011) stehen Analysen wie jene von Menz (2009) entgegen, der bilanziert: »Whoever stated that the state is ›retreating‹ has obviously never studied migration policy« (Menz 2009, 257). Ähnlich stark unterscheiden sich auch die Antworten beispielsweise auf die Frage, ob – speziell in der erweiterten EU – nationale Migrationsregime konvergieren oder nicht (Geddes 2003; Messina 2007; Geddes/Boswell 2011; Buckel 2013). Zu einem Teil sind die divergierenden Diagnosen zur Migrationspolitik im Forschungsgegenstand selbst angelegt: Migrations- und Integrationspolitik formen eine »messy reality« (Freeman 2007), die sich einer systematischen Typologisierung von vornherein entzieht.8 Castles (2007a) argumentiert in seiner Diskussion der »factors that make and unmake migration policies«, dass Migrationspolitik so komplex und von so vielen Kräften beeinflusst ist, dass Staaten notwendigerweise zu widersprüchlichen Maßnahmen und Kompromissen neigen. Die Spannung zwischen deklarierten und tatsächlichen Politikzielen verschärft die Schwierigkeit der sozialwissenschaftlichen Einschätzung migrationspolitischer Entwicklungen zusätzlich. Dazu kommt das komplexe Wechselverhältnis von »migration-« und »non-migration policies« (Thränhardt 2003, 28 – 31). All diesen Faktoren und Aspekten vorgelagert sieht Castles (2007a) den der Migrationspolitik immanenten Widerspruch, transnationale Phänomene national steuern zu wollen. Aus einer ähnlichen Grundeinschätzung schließt Sciortino (2000), dass Migrationspolitik – entgegen üblichen Vorstellungen und im Gegensatz zu anderen Politikbereichen wie der Wirtschaftspolitik – als »unstable and unable« zu charakterisieren ist. Die Abweichungen in den Befunden spiegeln allerdings nicht nur die Komplexität des Gegenstands wider, sondern sind auch das Ergebnis unterschiedlicher analytischer Ansätze. Welche Art von Ordnung in die migrationspolitische Komplexität gebracht und welche Art von Problem darin gesehen wird, ist auch eine Frage des theoretischen Rahmens, der die Begriffe vorgibt, in denen Phänomene gefasst werden, und die Ebenen (Akteure, Parteien, Parteiprogramme, Diskurse …) festlegt, auf die der Fokus gelegt wird. Sciortino (2000) und Meyers (2000) argumentieren in diesem Zusammenhang, dass die Forschung zu Migrationspolitik9 das gesamte Spektrum an politikwissenschaftlichen Theorien abbildet – und daher zwangsläufig zu divergierenden Antworten kommt. 8 Freeman bevorzugt es daher, eher von »Syndromen« als von klar abgrenzbaren nationalen Typen oder Perioden zu sprechen. 9 Die sozialwissenschaftliche Analyse von Migrationsprozessen hat sich über die Jahre in zwei relativ unabhängige Stränge geteilt, einen, der sich auf migrationspolitische Entwicklungen

Migrationspolitik als sozialwissenschaftlicher Gegenstand

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In einer der dominanten politikwissenschaftlichen Formen der Problemdefinition werden die andernorts als »Sekuritisierung« beschriebenen Restriktionstendenzen der vergangenen Jahrzehnte als unmittelbare Folge eines Kontrollverlusts des Nationalstaats gefasst (Boswell 2007, 594). Dieser auch als Souveränitätsverlust (Messina 2007) diskutierte Verlust an Steuerungsmacht bildete schon im Sammelband von Cornelius et al. (1994, 3) den Ausgangspunkt der Debatte: »[W]e argue that the gap between the goals of national immigration policy (laws, regulations, executive actions, etc.) and the actual results of policies in this area (policy outcomes) is wide and growing wider in all major industrialized democracies.« Auch Guiraudon und Joppke (2001b) fragen schon im Titel ihres Sammelbands nach den Formen der Kontrolle einer »new migration world«. Und Messina (2007) organisiert seine Darstellung der »Politics« und der »Logics« westeuropäischer Migrationspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg – in der er sich inhaltlich dem Erstarken rechtspopulistischer Parteien ebenso widmet wie der steigenden Bedeutung der EU in migrationspolitischen Belangen – vollständig um das Souveränitätsproblem (wobei er die These vom Kontrollverlust anzweifelt).10 konzentriert, und einen, der vor allem auf das Verhalten und die Lebenslage von MigrantInnen fokussiert (Guiraudon/Joppke 2001a, 1 – 2). Disziplinär war der erste Forschungsstrang lange Jahre beinahe ausschließlich politikwissenschaftlich geprägt (vgl. Sciortino 2000; Meyers 2000; Guild 2009, 1 – 28). Die disziplinäre Prägung machte sich in spezifischen Arten, Migrationspolitik zu problematisieren, wie auch in der Wahl von Konzepten und Methoden bemerkbar : »Reflecting the traditional division of labor among the social sciences, theorists of international migration have tended to ignore or minimize the role of states in shaping their object of study, while theorists of migration policy have tended to approach their subject in a domestic perspective, ignoring the dynamics of the global environment in relation to which regulation of exit and entry occurs, especially its demographic aspect« (Zolberg 2000, 89). Die ursprüngliche disziplinäre Trennung wird zunehmend überwunden – vermehrt wird die strukturierende Rolle, die politische Arrangements für Migrationspraktiken spielen, anerkannt, wie auch umgekehrt wiederholt eine soziologische Fundierung der Analyse migrationspolitischer Verhältnisse gefordert wurde (Sciortino 2000; Castles 2007b). 10 Die Erklärungen, die für diesen Kontrollverlust gegeben werden, unterscheiden sich wieder je nach konzeptuellem Ansatz. Joppke (1999) spricht beispielsweise von einer selbst auferlegten Souveränitätsbeschränkung, die sich aus dem institutionell verankerten Bekenntnis zu demokratischen und persönlichen Grundrechten ergibt. Auf dieser Grundlage würden Höchst- und Verfassungsgerichte restriktive Kontrollbestrebungen, die mit Eingriffen in die Rechte von MigrantInnen einhergehen, verhindern oder untergraben. Andere AutorInnen sehen eine durch Pfadabhängigkeiten begründete Aushöhlung souveräner Migrationskontrollen (Schierup et al. 2006). Diese können etwa als Folge von Kolonialpolitik und den durch diese etablierten Bindungen und Rechtsordnungen auftreten, oder in Form von Folgemigrationen, die einmal etablierte Migrationsnetzwerke nach sich ziehen – ein Beispiel wäre die Etablierung neuer ethnischer Minderheiten als Folge der Gastarbeiterpolitik der Nachkriegsjahrzehnte (Castles et al. 1984). GlobalisierungstheoretikerInnen, unter ihnen z. B. Sassen (1996/2008), sehen im vermeintlichen Kontrollverlust eine Folge der Unmöglichkeit, einer eng vernetzten globalisierten Weltordnung mit nationalen Steuerungsinstrumenten zu begegnen: »The reality is that borders are beyond control and little can be done to really cut

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Freiheit, Sicherheit, Bevölkerung

Von Deutungsschema des Kontrollverlusts ausgehend, erscheint die Ökonomisierung von Migration vorwiegend als ein Indiz für Versuche zur Rückeroberung der Steuerungskompetenz und zur Etablierung rationaler Gestaltungsmechanismen in Form eines »vernünftigen« Migrationsmanagements (Gosh 2000; Martin et al. 2006). Weiterhin wirksame sicherheitspolitische Bestrebungen werden in diesen Argumentationen als notwendiger Bestandteil eines umfassenden Policy-Ansatzes konzipiert, zum Teil als Tribut an migrationsskeptische Bevölkerungen, zum Teil aufgrund behaupteter geo- und identitätspolitischer Gefährdungen. In diesen Analysen zeigt sich ein Problemverständnis, das selbst an den etablierten politischen Diskurs anschließen kann. Umgekehrt ist diese Art der sozialwissenschaftlichen Problemdefinition derzeit nicht zuletzt deshalb wirkmächtig, weil Migrationsforschung zunehmend direkt in die Politikgestaltung einbezogen wird (Castles 2007b, 351). Ein notwendiger Aspekt dieses Forschungs-Politik-Nexus ist, dass Problematisierungsformen und Begrifflichkeiten im wissenschaftlichen und im politischen Feld einander entsprechen. Wie schon Hathaway (1994, 49) argumentiert, setzen solche Formen, das Problem zu definieren, vorherrschende migrationspolitische Logiken wie auch deren Legitimität voraus. Andere Arten, das Problem der Spannung zwischen Sicherheits- und Nutzenlogik zu fassen, zeichnen sich durch eine stärker theoretisierende Perspektive und, damit verbunden, eine größere argumentative Distanz zum Feld der Migrationspolitik aus. So spricht etwa Hollifield (2003; 2007) von einem »liberalen Paradox«, das die Migrationspolitik notwendig präge: Politisch tendierten liberale Staaten zur Schließung, wirtschaftlich zur Öffnung. Daraus folgt, dass sich aus den Strukturen des liberalen Nationalstaats migrationspolitische Tendenzen ergeben, die mit den Postulaten des Liberalismus nur schwer vereinbar scheinen.11 In diesem Sinn meint auch Joppke (2007, 268): »[R]ecent trends warrant a Foucauldian reading of liberalism which emphasises its power and disciplining aspects.« Für mein Forschungsinteresse ist die Entscheidung zentral, ob der liberale Nationalstaat mitsamt der ihn strukturierenden Logiken als Referenzrahmen vorausgesetzt (Wimmer/Glick-Schiller 2003) oder selbst zum Gegenstand gemacht wird. Migrationspolitik zum Gegenstand zu machen, impliziert eine exdown on immigration« (Bhagwati 2003, 98). Alle genannten Erklärungsansätze sehen das Souveränitätsproblem als relativ rezentes Phänomen. 11 Das führt zur aktuell im Feld der Migrationsforschung intensiv diskutierten Frage, ob und wie restriktive, freiheitsbeschränkende migrationspolitische Tendenzen mit den grundlegenden Prinzipien moderner Nationalstaaten zu vereinbaren sind. Adamson et al. (2011, 843) fragen in diesem Zusammenhang: »What are the contemporary ›limits of the liberal state‹ with respect to immigration, citizenship and the rights of ethnic and religious minorities in contemporary Europe?«. Der Schwerpunkt dieser Debatten liegt auf normativen und identitätspolitischen Fragen.

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plizite Theoretisierung des liberalen Staates. Im Lauf der vergangenen Jahrzehnte wurden unterschiedliche gesellschaftstheoretische Ausgangspunkte zu einer solchen kritischen Analyse nationalstaatlicher Ordnungen vorgeschlagen. So stützt sich etwa Zolberg (1991) in seinen Arbeiten auf die politisch-ökonomischen Theorien von Polanyi (2001 [1944]); auch regulationstheoretische Analysezugänge (etwa Overbeek 1995) oder Arbeiten, die dem »Varieties-ofCapitalism«-Ansatz folgen (z. B. Menz/Caviedes 2010b), schlagen eine Brücke zwischen Erforschung migrationspolitischer Dynamiken und allgemeinen gesellschafts- und staatstheoretischen Überlegungen. Solche Formen der Theoretisierung drücken sich in auf den ersten Blick marginalen Verschiebungen der Problemdefinition aus. Anstatt etwa aktuelle Entwicklungen als Kontrollverlust zu diskutieren, werden diese als Ausdruck der Transformation von staatlichen Steuerungsformen und -programmen in den Blick genommen (Menz 2010, 183 – 184). Aus einer solchen Perspektive lässt sich dann beispielsweise die verstärkte Privatisierung (und damit auch De-Nationalisierung) migrationspolitischer Kontrollen (Guiraudon 2001) als Konsequenz neoliberaler Reformen deuten. Dieses Bestreben, migrationspolitische Prinzipien nicht als Prämisse, sondern als Explanandum zu setzen, liegt auch der vorliegenden Arbeit zugrunde. Als hauptsächliche Bezugspunkte meiner Analyse dienen Jessops strategischrelationale Staatstheorie (Kapitel 2.2) und Foucaults Analytik liberaler Regierungskunst (Kapitel 2.3 und 2.4). Damit soll einerseits die diskursive Konstitution migrationspolitischer Prozesse akzentuiert werden. Andererseits sollen die jeweils wirkmächtigen migrationspolitischen Rationalitäten in ihrer Einbettung in soziale Ungleichheits- und Herrschaftsverhältnisse in den Blick rücken. Das erste Anliegen teilen auch die VertreterInnen der »Copenhagen School«, auf deren Arbeiten die Diagnose der Sekuritisierung von Migration ursprünglich zurückgeht. Dieser Ansatz wird im Folgeabschnitt besprochen. Aus soziologischer Perspektive zeigen sich dabei einige Desiderata, deren kritische Diskussion als Ausgangspunkt zur Darstellung des von mir vertretenen Theorierahmens dient.

2.1.3 Sekuritisierung von Migration: der Ansatz der Copenhagen School Eine Form der Thematisierung migrationspolitischer Entwicklungen, die sich in entscheidenden Aspekten von den beschriebenen Beiträgen zur Debatte um den behaupteten Kontrollverlust des Nationalstaates unterscheidet, hat sich im disziplinären Kontext der sogenannten Security Studies entwickelt – und zwar in Abgrenzung zu (neo-)realistischen Ansätzen, wie sie in diesem Forschungsfeld lange Zeit vorherrschend gewesen waren (C.A.S.E. Collective 2006). Mit dem Ende des Kalten Krieges stellten sich dem Feld der Sicherheitsforschung die

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miteinander verwobenen Fragen nach der eigenen Existenzberechtigung und nach einer möglichen Neuausrichtung in Zeiten einer grundlegend neuen globalen Sicherheits- und Geopolitik. Die Bedrohungs- und Sicherheitsszenarien, mit denen die internationale Staatengemeinschaft sich konfrontiert sah, hatten sich verschoben – vom drohenden Atomkrieg zwischen zwei Machtblöcken zu deutlich diffuseren Phänomenen wie internationalem Terrorismus, lokalen kriegerischen Auseinandersetzungen und organisierter Kriminalität. Im Feld der Sicherheitsforschung resultierte daraus eine doppelte Orientierungsdebatte: eine bezüglich der sich verändernden Bedrohungsszenarien und eine zu den grundlegenden epistemologischen und ontologischen Annahmen ihrer sozialwissenschaftlichen Untersuchung (Buzan/Hansen 2009; Huysmans 2006, 16 – 19). In diesen Debatten spielten die Arbeiten der »Copenhagen School of Security Studies« (Waever et al. 1993; Buzan et al. 1998) eine prominente Rolle. Diese unterschieden sich in ihren gegenstands- und wissenschaftstheoretischen Grundlagen wie auch in ihrer politischen Ausrichtung von bis dahin dominanten Ansätzen und ermöglichten damit neuartige Fragestellungen und Formen der Problematisierung (C.A.S.E. Collective 2006). Das zentrale Konzept dieser Arbeiten ist das der »Securitization« (»Sekuritisierung«): Beeinflusst von Peirces pragmatischer Philosophie, Austins Konzept des Sprechakts und poststrukturalistischen Erkenntnistheorien wird Sicherheit als Ergebnis eines politisch-begrifflichen Konstruktionsprozesses gefasst (Williams 2003; Taureck 2006). Eine Bedrohung ist, diesem Verständnis zufolge, nicht einfach objektiv in der sozialen Welt gegeben, sondern wird als Ergebnis eines performativen Sprechaktes zu einer solchen gemacht. Um zum Gegenstand sicherheitspolitischer Maßnahmen werden zu können, muss die Bedrohung dabei als existenziell entworfen werden und damit einen Ausnahmezustand legitimieren, der Maßnahmen notwendig und berechtigt erscheinen lässt, die unter normalen Umständen gesellschaftlich nicht akzeptabel wären (Buzan et al. 1998, 21 – 26). Mit dem Konzept der Securitization ist eine Verschiebung der Art verbunden, Migrationspolitik sozialwissenschaftlich zu thematisieren, weil die diskursive Konstitution migrationspolitischer Entwicklungen betont wird. Die »Probleme«, auf die Politik reagiert, werden nicht mehr einfach als gegeben, sondern als konstruiert konzipiert; der politische Akt der Problematisierung wird selbst problematisiert. Vor diesem analytischen Hintergrund entdeckte die Copenhagen School bald Migration als eines der zentralen neuen sicherheitspolitischen »Probleme« (vgl. etwa Huysmans 2006; Guild 2009; van Munster 2009) und gewann mit dieser These auch rasch Einfluss im Feld der Migrationsforschung. Ein Grund für die breite Rezeption des Securitization-Ansatzes in der Migrationsforschung liegt wohl darin, dass dieser die Brücke zwischen Sicherheits- und Identitätspolitik

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schlägt. Der Hinweis auf die existenzielle Bedrohung impliziert eine identitätspolitische Komponente von Sicherheitsdiskursen. Mit dem Sicherheits-Sprechakt wird implizit ein bestimmtes Objekt als existenziell gefährdet dargestellt – in der Regel ist dies der Nationalstaat bzw. die nationale Bevölkerung. Die Nation wird damit einerseits vorausgesetzt, andererseits be- und verstärken sicherheitspolitische Sprechakte durch diese Art der Identifizierung Deutungsmuster, die um den Nationalstaat als Referenzobjekt organisiert sind. Studien im Anschluss an die verschiedenen Theorien der Securitization fragen entsprechend nicht nur danach, wie Migration versicherheitlicht wurde und wird, sondern auch danach, wie das häufig implizit bleibende Referenzobjekt gefasst und gegen das Außen abgegrenzt wird, von dem die Gefährdung ausgeht (Huysmans 2006; Williams 2003, 515 – 521). Ungeachtet ihrer breiten Rezeption wurde über die Jahre von verschiedenen Seiten Kritik an den Diagnosen und den theoretischen Grundlagen des Securitization-Ansatzes formuliert. Kritisch wird z. B. der Fokus auf als existenzbedrohend inszenierte Ausnahmezustände gesehen. Der zentrale Stellenwert der »Ausnahme« im Theoriegebäude der Copenhagen School ist Ausdruck des an Carl Schmitt angelehnten Verständnisses staatlicher Politik (Williams 2003, 515 – 521). Aus dieser Politikkonzeption folgen erstens ein enger Staatsbegriff und eine empirische und konzeptuelle Konzentration auf politische Eliten (C.A.S.E. Collective 2006, 464 – 467). Zweitens werden andere Formen der Sekuritisierung, die eher auf die politische Steuerung »alltäglicher«, risikobehafteter Prozesse als auf Ausnahmezustände abzielen, ausgeblendet (C.A.S.E. Collective 2006, 467 – 469). Gerade in migrationspolitischen Zusammenhängen ist damit der Blick auf dominante Formen der diskursiven und institutionellen Sekuritisierung verstellt (Huysmans/Buonfino 2008; Neal 2009). Ein zweites Problem ergibt sich aus dem konstruktivistischen Fokus auf Sprechakte. Die Copenhagen School sensibilisiert für den diskursiven Spielraum politischer Problematisierungsweisen, verliert allerdings die den Sprechakten zugrunde liegenden sozialen Verhältnisse und ihre strukturierenden Effekte aus dem Blick (Huysmans 2006). Weder ist klar, nach welchen Regeln der politische Prozess abläuft, noch ist die Diagnose mit theoretischen Begriffen verbunden, die es erlauben würden, breitere außerpolitische Prozesse zu berücksichtigen. Aus einer soziologischen Perspektive bleiben damit zentrale Desiderata. Die Konzepte der Copenhagen School wurden aber über die Jahre in unterschiedliche Richtungen weiterentwickelt – für eine soziologische Analyse sind dabei vor allem die Arbeiten von Didier Bigo und Jef Huysmans relevant. Bigo (2001/ 2002) führt die zunehmende Versicherheitlichung der Migrationsthematik auf die strategischen Entscheidungen und Handlungen von Sicherheitsakteuren zurück: Professionell mit Sicherheit befasste Institutionen und Personen speziell aus den nationalen und supra-nationalen Sicherheitsapparaten hätten er-

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folgreich die Themenherrschaft über die Migrationspolitik erkämpft und sich selbst als die thematisch Kompetenten etablieren können. Dieser Kampf um die thematische und strategische Führung in Migrationsfragen sei, so Bigo, gerade aufgrund der gesellschaftlichen Umbrüche seit den 1980er-Jahren notwendig geworden; das Ende des Kalten Krieges und die sich schon davor verändernde Sicherheitslage haben die Sicherheitsapparate nach neuen Betätigungsfeldern Ausschau halten lassen. Bigo verankert sein Konzept von Securitization damit in einem Modell sozialer und institutioneller Praktiken, das politische und administrative Abläufe vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher Transformationsprozesse fokussiert. In eine andere Richtung entwickelt Huysmans (2006) das Konzept der Securitization weiter. Ebenso wie Bigo schließt er an die späten Arbeiten von Michel Foucault an, speziell an dessen Überlegungen zu Regierungsformen und Herrschaft im modernen Staat. Auf dieser Grundlage nimmt er einige bedeutende Verschiebungen der Problemstellung vor. Erstens betont er, dass der Staat nicht unhinterfragt als gefährdetes Referenzobjekt gesetzt werden kann, wie dies in den Arbeiten der Copenhagen School implizit geschieht, sondern selbst Gegenstand der Analyse sein muss. Zweitens definiert er den Staat dabei als Ensemble von Regierungsrationalitäten und -praktiken; damit ist sein Staatsbegriff weniger eng und berücksichtigt auch das Wirken nicht als staatlich deklarierter Akteure (Gewerkschaften, NGOs, Unternehmerverbände etc., siehe etwa Menz 2009). Politik wird dabei als ein Handlungsfeld unter anderen gesehen – relativ autonom, aber eingebettet in ein komplexes gesamtgesellschaftliches Gefüge, das Handlungen ermöglicht und beschränkt. Drittens weist er auf die Notwendigkeit hin, über eine Analyse diskursiver Ordnungen hinauszugehen und auch die Logiken und Wirkungen »politischer Technologien« zu berücksichtigen. Mit den Arbeiten zur Securitization ist eine Verschiebung der Art verbunden, Migrationspolitik sozialwissenschaftlich zu thematisieren. Diese neue Thematisierungsform konzentriert sich auf die diskursive Konstitution migrationspolitischer Entwicklungen und damit auf die Art der Problematisierung als performativer Handlung. Die vorliegende Arbeit teilt mit ihnen den Fokus auf die Prozesse, durch die Migration auf spezifische Arten als Problem konstituiert wird. Der theoretische Rahmen ähnelt dabei jenen von Bigo und Huysmans. Ein Unterschied besteht allerdings in der analytischen Ausrichtung: Mir geht es nicht darum, das abgegrenzte Phänomen der Sekuritisierung der Migrationspolitik zu erklären. Vielmehr ist mein Ziel zu untersuchen, wie die Sekuritisierung der Migrationspolitik im Wechselspiel mit anderen Problematisierungsformen zur Strukturierung migrationspolitischer Instrumente beiträgt. Der Blickwinkel, aus dem der Gegenstand »Migrationspolitik« im Folgenden analysiert wird, ist ein regimetheoretischer. Bigo und Huysmans öffnen mit ihren Zugängen die Perspektive in eine solche regimetheoretische Richtung. Der

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Begriff des Regimes soll erlauben, die staatliche Steuerung von sozialen Phänomenen als prozesshaftes, komplexes und in sich widersprüchliches Gefüge von Praktiken, Institutionen und Diskursen zu fassen – und erweist sich damit speziell für eine soziologisch orientierte Untersuchung politischer Prozesse als fruchtbar.

2.1.4 Migrations- und Grenzregime: Politik zwischen Diskurs und Ungleichheit Ebenso wie die Theorie der Securitization hat der Regimebegriff seine Wurzeln im Forschungsfeld der Internationalen Beziehungen. Auch er wurde in Abgrenzung zu dominanten neo-realistischen Ansätzen entwickelt. Keohane/Nye (2001 [1977], 17) definieren internationale Regime als »networks of rules, norms, and procedures that regularize behavior and control its effects«. Der Begriff des Regimes soll helfen, die Beziehungen zwischen politisch-ökonomischen Entwicklungen und Mustern institutionalisierter internationaler Kooperationen zu erfassen und zu verstehen. Er zeigt damit konzeptuelle Parallelen zu zwei aktuellen Forschungszugängen: einerseits zu Studien, die mit dem Begriff der Governance arbeiten, andererseits zu poststrukturalistisch orientierten Analysen, die etwa an Foucaults Konzept der Gouvernementalität anschließen (Hess/Karakayali 2007, 47 – 48). Der Regimebegriff verweist auf das Zusammenspiel von verschiedenen Regelungsebenen und -formen (EU bis regional, juristisch bis diskursiv). Zu den Komponenten eines Regimes zählen: »the institutional arrangements, rules and understandings that guide and shape state policy ; problem definitions employed by states and citizens; and the range of claims recognized as legitimate« (Jenson 1997, 631). Ein Migrationsregime ist demnach mehr als die Summe der gesetzlichen Regelungen, die Einreise, Aufenthalt und Niederlassung in einem Nationalstaat regeln, es verweist direkt auf (i) die strukturierende Bedeutung von Normen und Vorstellungen, (ii) die Rolle über die Zeit geronnener institutioneller Arrangements und (iii) die Praktiken und Interessen involvierter Akteure: First, it brings to attention the effects of norms in contexts, rather than operating a simple review of juridical rules. […] It is rather a mix of implicit conceptual frames, generations of turf wars among bureaucracies and waves after waves of ›quick fix‹ to emergencies, triggered by changing political constellations of actors. (Sciortino 2004, 32 – 33)

Migrationsregime sind also bedeutsam, weil sie soziale Verhältnisse strukturieren. Ihre tatsächlichen Effekte entsprechen aber nicht unbedingt den inten-

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dierten: »The notion of a migration regime allows room for gaps, ambiguities and outright strains: the life of a regime is the result of continuous repair work through practices« (Sciortino 2004, 33). Tatsächlich kann gerade die Spannung aus postulierten Zielen und realen sozialen Praktiken »produktiv« sein (etwa wenn Einwanderungsverbote dazu beitragen, einen Pool an flexiblen und billigen Arbeitskräften zu schaffen). Deshalb kann auch argumentiert werden, dass der Versuch, Migrationspolitik an ihren eigenen Zielen zu messen, den Blick auf tatsächliche politische Verhältnisse und Mechanismen verstellt; was andernorts als Kontrollverlust diskutiert wird, wird zum Charakteristikum des Regimes bzw. der Regulationsweise. Gerade aufgrund des augenfälligen Auseinanderfallens von migrationspolitischen Zielen und Effekten, »gewinnt der Begriff des Migrationsregimes zunehmend an Bedeutung, da er offensichtlich dem Bedürfnis entgegenkommt, dem von den Sozialwissenschaften konstatierten Verlust (national)staatlicher Souveränität begrifflich Geltung zu verschaffen« (Tsianos 2010, 22). So öffnet etwa Castles (2007a) die Diskussion in die Richtung einer regimetheoretischen Diskussion, wenn er das komplexe Wechselverhältnis unterschiedlicher Prozesse und Faktoren betont und dabei auf die Rolle von »non-migration policies« hinweist. Aus regimetheoretischen Überlegungen ergeben sich Implikationen für die Art, gesellschaftliche Phänomene sozialwissenschaftlich zu problematisieren. Ähnlich wie in den Studien zu Securitization ist die Frage zentral, wie ein Umstand/Objekt politisch zum Problem gemacht wird und welche Normen, Wahrnehmungs- und Deutungsmuster dabei ins Spiel kommen. Diese Entwicklungen werden aber deutlich stärker an soziale Praktiken und Institutionen rückgebunden, beides Einsatzstellen für die Berücksichtigung ungleicher Machtverhältnisse. Schließlich sind Regime nicht statisch, sie sind in spezifischen Kontexten entstanden und erfordern daher auch die forschungsstrategische Berücksichtigung historischer Entwicklungen. Der Regimebegriff erlaubt damit, staatliches und politisches Handeln als vielschichtiges und widersprüchliches Ergebnis sozialer Kämpfe und Auseinandersetzungen zu fassen: Die »Regularisierung«12 sozialer Verhältnisse wird vielmehr als Resultat sozialer Auseinandersetzungen begriffen, die in immer wieder zu erneuernden (oder umzuwerfenden) institutionellen Kompromissen münden. […] Was den Regimebegriff so bedeutsam macht, ist, dass er es erlaubt, Regulationen als Effekte, als Verdichtungen von

12 Der Begriff der Regularisierung spiegelt die Parallelen zu Überlegungen der Regulationstheorie wider (Hübner 1989; Demirovic et al. 1992; Lipietz 1992). Regulation wird gefasst als »Gewirr von autonomen Prozessen«, das »ein kohärentes, gesellschaftliches Produkt darstellt, in dem sich alle privaten Arbeitsverausgabungen (mit Kapitaleinsatz) verwerten können« (Lipietz 1985, 119).

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sozialen Handlungen zu verstehen und sie nicht funktionalistisch vorauszusetzen. (Tsianos 2010, 23)13

Staats- und gesellschaftstheoretisch entspricht diese Konzeption sowohl dem strategisch-relationalen Ansatz von Jessop als auch gouvernementalitätstheoretischen Studien im Anschluss an Foucault – und damit den beiden zentralen theoretischen Bezugspunkten der hier vertretenen Perspektive auf den liberalen Staat. Auch Diagnosen zur Transformation von Staatlichkeit und der Veränderung von Vergesellschaftungsformen in Zeiten von Neoliberalismus und Postfordismus spielen eine zentrale Rolle, vor allem in Arbeiten zu aktuellen Entwicklungen europäischer Migrations- und Grenzregime (Transit Migration 2007), inklusive der mit ihnen verbundenen Verlagerung und Diffusion von Kontroll- und Steuerungspraktiken (Hess/Kasparek 2010; de Genova 2010). Der Fokus der »Migrations- und Grenzregimeforschung« liegt auf dem Wechselspiel von Praktiken der Migration und der Migrationskontrolle (Transit Migration 2007; Hess/Kasparek 2010). Die entsprechend hauptsächlich anthropologisch und soziologisch ausgerichtete empirische Forschung wird traditionellen, vorwiegend inhaltsanalytisch vorgehenden Forschungsdesigns entgegengesetzt (Hess/Kasparek 2010). Der Skepsis gegenüber inhaltsanalytischen Arbeiten zum Trotz sind Analysen diskursiver Entwicklungen in regimetheoretischen Kontexten von zentraler Bedeutung, wie schon an der zentralen Rolle, die Normen und Werte in der Definition des Regimebegriffs spielen, zu erkennen ist. Problematisierungsweisen, Diskurse, etablierte Kategorisierungen und politische Zielsetzungen strukturieren Migrationsregime. Die Ziele, die Migrationspolitik formuliert, sind aussagekräftig – sie lassen Rückschlüsse auf leitende Logiken/politische Rationalitäten wie auch auf das diskursive Kräfteverhältnis zu. Vor allem aber bilden sie die Basis, auf der neue politische Technologien entwickelt und durchgesetzt werden und tragen damit zur (Re-) Produktion ungleicher sozialer Verhältnisse bei: Migration governance should be examined in terms of programs, discourses, experts, technologies and interventions which do not simply respond to something already there, but instead operate as an active and constitutive force that shapes the social world in particular ways with particular political consequences. (Walters 2008, 43)

Ein regimetheoretischer Blickwinkel, der diesem Forschungsprogramm folgt, setzt ein spezifisches Verständnis davon voraus, was unter »Staat« und »Politik« zu verstehen ist. In den folgenden Abschnitten beschreibe ich daher die 13 Tsianos hat dabei vor allem die Kämpfe der Migration vor Augen, d. h. die Spannung zwischen Autonomie der Migration und Regulationsbestrebungen des Staates. Zu berücksichtigen sind natürlich auch »innerstaatliche« Konflikte um die Ausgestaltung des Migrationsregimes zwischen unterschiedlichen Akteuren (etwa Unternehmensverbände, Gewerkschaften und NGOs).

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staatstheoretischen Prämissen meiner Arbeit. Als primärer Bezugspunkt dient dabei Jessops strategisch-relationaler Ansatz.

2.2

Der Staat als soziales Verhältnis: Jessops strategisch-relationale Staatstheorie

»The first and most difficult task confronting analysts of the state is to define it. For the state is a complex phenomenon and no single theory or theoretical perspective can fully capture and explain its complexities.« (Jessop 2008, 1) – Was ist der Staat und wie ist er aus einer soziologischen Perspektive zu konzeptualisieren? Ist er ein Instrument, ein eigeninteressiertes Subjekt oder ein neutrales Feld der Interessensaushandlung? Im Folgenden werden im Feld der Migrationsforschung relevante Leitvorstellungen des Staates behandelt. Ziel ist nicht eine umfassende Darstellung unterschiedlicher Konzeptionen des (modernen) Staates, sondern eine Verortung des Staatsverständnisses, wie es dieser Arbeit zugrunde liegt, im Verhältnis zu anderen Ansätzen der Analyse migrationspolitischer Prozesse. Wie man den Staat konzeptualisiert, ob man ihn etwa in seinen Formen und Funktionen als historisch kontingent und selbst sozial umstritten oder als gegeben sieht, hat Implikationen für die Analyse migrationspolitischer Entwicklungen wie auch, vor allem, für die Art von (Forschungs-) Fragen, die gestellt werden (können).

2.2.1 Der Staat als Bühne und Akteur – staatstheoretische Konzeptionen in der Migrationsforschung Staatstheoretische Fragen werden in der Migrationsforschung sehr selten explizit diskutiert (Wagner 2010), einem Argument von Sciortino folgend lassen aber schon die divergierenden bis konträren Diagnosen in grundlegenden Fragen auf unterschiedliche Konzeptionen von Staat und Politik schließen: »[S]uch wide differences in analysis of the very same cases are hardly a matter of fragmentary evidence or poor methodology. They raise again the issue of the adequacy of the conceptual framework« (Sciortino 2000, 220). Es lassen sich zumindest sechs verschiedene Leitvorstellungen des liberalen Staats in migrationspolitischen Untersuchen unterscheiden, in denen er jeweils primär als Bühne, als Subjekt, als Klub, als Institution, als Instrument oder als Verhältnis gefasst wird. Diese Leitvorstellungen sind Idealtypen; sie sind nicht disjunkt und überlappen sich in realen Analysen. Sich primär am Bild des Staates als Bühne zu orientieren, heißt nicht, dass die Effekte getroffener Entscheidungen nicht un-

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tersucht werden könnten; dennoch variieren Erkenntnisinteressen, methodische Vorgehensweisen, theoretische Grundlagen und politische Implikationen mit der Leitvorstellung. Pluralistische Konzeptionen des Staates spielen in der Analyse der Migrationspolitik eine zentrale Rolle. Der Staat wird dabei als Bühne für vielfältige Aushandlungsprozesse zwischen Gruppen mit unterschiedlichen Interessen gesehen; politische Maßnahmen spiegeln damit letztlich unterschiedliche Kräfteverhältnisse zwischen sozialen Gruppen wider. Beispielhaft für dieses Verständnis können die für spätere Debatten prägenden Arbeiten von Freeman genannt werden (vor allem Freeman 1995). Freeman betont, in auffälligem Kontrast zu anderen Darstellungen, dass westliche Staaten im Großen und Ganzen eine expansive und offene Einwanderungspolitik betreiben – offener und expansiver als man aufgrund in der Öffentlichkeit vorherrschender Meinungen eigentlich erwarten würde. Den Grund dafür sieht er in einer ungleichen Verteilung von Kosten und Nutzen: Die Nutzen offener Einwanderungsregelungen lägen bei einer relativ kleinen Gruppe gesellschaftlich gut organisierter Kräfte, die über die Möglichkeit verfügen, migrationspolitische Entscheidungen direkt zu beeinflussen, während die gesellschaftlichen Kosten diffus und von einer großen, aber unorganisierten Mehrheit zu tragen seien. Zudem sei die öffentliche Diskussion zu Migration systematisch beschränkt, weil bestimmte Formen der Thematisierung verpönt seien, weshalb das Spektrum repräsentierter Standpunkte zwangsläufig unvollständig sei. Die eindeutige Bestimmbarkeit entsprechender Gruppen und ihrer spezifischen Interessen werden in einem solchen Verständnis vorausgesetzt. Wie Wahrnehmungs- und Deutungsweisen entstehen, sich verändern und wirken, die diskursiven Prozesse, die dabei eine Rolle spielen, und nicht unmittelbar in individuelle und gruppenspezifische »Interessen« übersetzbare Phänomene rücken aus dem Blick. Für die Forschung zu Migrationspolitik spielen pluralistische Ansätze vor allem in Diskussionen zum Problem der Repräsentation migrationspolitischer Standpunkte und der Kongruenz von WählerInnen und politischen RepräsentantInnen eine Rolle. In anderen Konzeptionen tritt der Staat primär als Subjekt auf. Das gilt vor allem für den sogenannten (Neo-)Realismus, dem lange Zeit dominanten Paradigma im politikwissenschaftlichen Subfeld der Internationalen Beziehungen. Meyers (2000, 1263) charakterisiert diesen Ansatz anhand von vier Grundannahmen: First, states are the principal or most important actors and represent the key unit of analysis. Second, the state is viewed as a unitary actor, which faces the outside world as an integrated unit. Third, the state is essentially a rational actor. And fourth, national security issues are the most important ones on the international agenda.

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Im Gegensatz zu pluralistischen Ansätzen ist es der Staat selbst, der handelt, und zwar stets strategisch und machtorientiert. Im Mittelpunkt stehen jetzt nicht innerstaatliche Interessenskonflikte, sondern zwischenstaatliche Konstellationen. Für migrationspolitische Fragen ist dieser Blickwinkel vor allem im Bereich der Flüchtlingspolitik im und nach dem Kalten Krieg relevant (Meyers 2000; Sciortino 2000; Waever et al. 1993; Huysmans 2006). Wie pluralistische Ansätze identifizierbare Interessen für (Gruppen von) Individuen voraussetzen, impliziert die Vorstellung vom Staat als Subjekt ein einheitliches Gesamtinteresse. Gerade in migrationspolitischen Belangen ist die Vorstellung eines solchen immer schon gegebenen Gesamtinteresses angesichts der großen Bedeutung von identitätspolitischen Prozessen und innerstaatlichen Aushandlungsprozessen zweifelhaft. Eine Kombination von pluralistischen und neorealistischen Konzeptionen findet sich in Diskussionsbeiträgen zu aktuellen Entwicklungen im Bereich staatsbürgerschaftlicher Rechte, in denen der Staat als Verein gefasst wird (Straubhaar 2003; Kolb 2010). In diesem Fall entscheidet der »Klub« der Staatsbürger, der als integrierte Gemeinschaft gefasst wird, über Zugehörigkeitskriterien. Der Klub wird aber gleichzeitig als von seinen Mitgliedern unabhängige Einheit gefasst. In diesen Konzeptionen sind die vom Staats-Klub getroffenen Entscheidungen und Handlungen per se als legitim vorausgesetzt. Der Prozess der Legitimisierung wird nicht problematisiert oder untersucht. Interne Machtverhältnisse und die historische Kontingenz von Regelungen und Institutionen sind somit kaum von Interesse. In diesem Sinn können diese Ansätze als ahistorisch bezeichnet werden. Sowohl die Ziele als auch die Instrumente zur Steuerung von Migration werden als immer schon gegeben gedacht. Im Gegensatz zu den Leitvorstellungen vom Staat als Bühne, als Subjekt und als Klub spielen in Ansätzen, die auf den Staat als Institution fokussieren, historische Entwicklungen eine zentrale Rolle: »Political choices made by earlier generations create institutions, which shape both policies and ideas for later generations« (Meyers 2000, 1261). In migrationspolitischen Zusammenhängen sind dabei etwa Arbeiten wichtig, die Pfadabhängigkeiten und/oder die strukturierende Wirkung von z. B. wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen untersuchen (Hansen 2002; Schierup et al. 2006). Joppke (1999) argumentiert, dass liberale Nationalstaaten selbst auferlegten migrationspolitischen Beschränkungen unterliegen, die sich aus ihrem institutionellen Gefüge ergeben; politisch unabhängige Gerichtshöfe hätten weitergehende Entrechtungen von MigrantInnen auch entgegen tagespolitischer Opportunitäten verhindert. Und Brubaker (1992) betont die Bedeutung institutionalisierter Vorstellungen nationaler Zugehörigkeit und der mit ihnen verbundenen Gestaltung staatsbürgerschaftlicher Rechte und Kriterien.

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Eine fünfte Leitvorstellung fasst den Staat primär als Instrument. In der Literatur wird diese Sichtweise häufig mit einer verkürzt als »marxistisch« bezeichneten Argumentationsfigur verbunden, in der die instrumentelle Rolle staatlicher Diskriminierung für die Ausbeutung migrantischer Arbeitskraft hervorgehoben wird (Nikolinakos 1973; Castles/Kosack 1973)14. Im Gegensatz zu Vorstellungen vom Staat als Bühne oder Subjekt rückt hier, stärker noch als im institutionellen Ansatz, der Blick auf die Effekte staatlichen Handelns und damit darauf, wie staatliche Arrangements zur Reproduktion sozialer Ungleichheiten beitragen. Allerdings bleibt, sofern funktionalistische oder teleologische Argumentationen vermieden werden sollen, die Frage nach den Ursachen für gegebene staatliche Verhältnisse unbeantwortet. Wo kommen die migrationspolitischen Instrumente her, welche Prozesse haben sie hervorgebracht? In Sciortinos Worten (2000, 22): »Has the person who hires an undocumented immigrant really also lobbied in favour of a weak enforcement of border controls? » Für die vorliegende Arbeit ist eine sechste Konzeption zentral: der Staat als soziales Verhältnis. Dieses Verständnis vom Staat ist abstrakter als die zuvor genannten, hat aber wichtige Implikationen, die vor allem für eine soziologisch orientierte Untersuchung staatlicher Prozesse heuristische und analytische Vorteile bringen. Von der Vorstellung vom Staat als Bühne, Subjekt oder Klub unterscheidet dieser Ansatz ein historischer Blickwinkel, vom institutionellen Ansatz der Fokus auf die Verwobenheit mit gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen und vom instrumentellen Verständnis das Ziel einer strukturell und handlungstheoretisch fundierten Analyse der Prozesse, die den Staat strukturieren – der Staat wird dabei erstens als gesellschaftlich eingebettet, aber relativ autonom gefasst, zweitens als in sich differenziert. Den Staat als Verhältnis zu fassen, bedeutet, ihn historisch als das Ergebnis sozialen Handelns in den Blick zu nehmen und ihn gleichzeitig strukturell als Ermöglichungs- und Begrenzungszusammenhang aktueller Handlungen zu verstehen. Im Feld der Forschung zu migrationspolitischen Entwicklungen vertreten etwa Karakayali und Tsianos (2007) und sowie Hess und Kasparek (2010) eine solche Sichtweise. Sie ist, zusammenfassend, durch eine (i) historisch und (ii) strukturell informierte Analyse von Prozessen charakterisiert, die (iii) in ihrer Einbettung in globale Ungleichheitsverhältnisse (iv) kritisch analysiert werden (Zolberg 1989). Der Staat wird so vom Referenzobjekt zum Forschungsgegenstand, der auf der Basis etablierter politischer Rationalitäten und Technologien den gesellschaft14 Die Gleichsetzung dieser Konzeption mit einer »marxistischen« unterschlägt die Breite und Gegensätze in marxistischen staatstheoretischen Ansätzen, die von wenig ausgearbeiteten und eher propagandistischen Texten bis zu elaborierten Theorien wie jener von Poulantzas (2002) reichen (Jessop 1990).

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lichen Gesamtzusammenhang strukturiert und das Ergebnis der akkumulierten strategischen Handlungen sozialer AkteurInnen ist: The state is not a transcendental category that signifies a sovereign political community that privileges the protection of its citizens and territorial integrity in a world of states. It is a product of a multitude of practices articulating different rationalities of government that have the state as its domain and principle of application. (Huysmans 2006, 36)

Im Folgenden bespreche ich die Grundzüge des strategisch-relationalen Ansatzes von Bob Jessop. Ich konzentriere mich dabei auf jene Aspekte, die für die Rahmung meines Forschungsinteresses relevant sind, und streiche in der Darstellung die Implikationen für die Analyse migrationspolitischer Entwicklungen heraus.

2.2.2 Der Staat und der umkämpfte Gesamtzusammenhang Die elliptische und abstrakte Definition vom Staat als sozialem Verhältnis geht auf Poulantzas (2002) zurück und legt zunächst vor allem fest, was nicht unter dem Begriff des Staates gefasst werden soll: Er ist nicht essenzialistisch, sondern relational zu fassen, er ist weder als ein Subjekt zu sehen, das eigenständig auf seinen Machterhalt abzielend handelt, noch als ein Instrument, das der Sicherung der gesellschaftlichen Herrschaft/Ordnung dient, noch als neutrales Feld der Interessensaushandlung. Im Umkehrschluss aus dieser negativen Bestimmung ergeben sich die Eigenheiten einer strategisch-relationalen Perspektive auf den Staat: Den Staat als soziales Verhältnis zu fassen, bedeutet, ihn als Handlungsfeld zu konzeptualisieren, und ihn damit nicht nur in relationalen, sondern auch in strategischen Termini zu sehen. Als soziales Feld ist der Staat ein Ort strategischen Handelns15. Es ist genau diese Kopplung von Struktur- und Handlungsperspektive, die Jessops strategisch-relationales Staatskonzept für soziologische Analysen interessant macht. 15 Eine solche strategisch-relationale Definition des Staates ist kompatibel mit verschiedenen Ansätzen einer »relationalen« Sozialtheorie. Schon Marx hat von den gesellschaftlichen Verhältnissen gesprochen, die Menschen in der Produktion ihres gesellschaftlichen Lebens unabhängig von ihrem Willen und Wissen eingehen und die ihre Handlungsmöglichkeiten strukturieren. So betont Marx im 18. Brumaire: »Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden.« Auch Bourdieu koppelt soziales Handeln und soziale Relationen in seinen Konzepten des Habitus und, vor allem, des sozialen Feldes. Schließlich verbindet Foucaults Definition der Macht als »der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt« (Foucault 1983, 94) strategisches Handeln und soziale Verhältnisse.

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Der Staat ist also zunächst ein strukturiertes Feld sozialen Handelns, in dem bestimmte soziale Akteure gesellschaftlich tätig sind. Als eigenständiges Handlungsfeld ist er autonom und Ort eigener Handlungslogiken und, in Bourdieus Worten, einer eigenen illusio. Was zeichnet nun das Handlungsfeld Staat aus? Welche gesellschaftlichen Teilbereiche umfasst es und wie lässt es sich von anderen abgrenzen? Jessop folgend kann der Staat zunächst abstrakt über seine gesellschaftliche Funktion charakterisiert werden: »[T]he core of the state apparatus can be defined as a distinct ensemble of institutions and organizations whose socially accepted function is to define and enforce collectively binding decisions on a given population in the name of their ›common interest‹ or ›general will‹« (Jessop 2008, 9). Die Formulierung und Durchsetzung des »allgemeinen Willens« im Handlungsfeld Staat impliziert auch die Definition von »allgemeinen« gesellschaftlichen Problemen und Lösungen. Aufbauend auf dieser ersten Definition des Staates über seine gesellschaftliche Funktion der Definition und Bearbeitung gesamtgesellschaftlicher Probleme kann ein institutioneller Kern des modernen Staates definiert werden, dessen Funktion darin besteht, diesen »allgemeinen Willen« festzustellen und die resultierenden Umsetzungsmaßnahmen durchzuführen und zu verwalten. Dieser Kern umfasst Parlamente, Regierungen, Ministerien, Gerichte, Exekutive und Verwaltungseinrichtungen; er entspricht damit grob dem Alltagsverständnis von »Staat«. Allerdings kann sich eine sozialwissenschaftliche Definition des Staates aus zumindest zwei Gründen nicht auf die Benennung dieses Kerns beschränken. Erstens gibt es, in Max Webers Worten, keine festgelegte Liste an originär staatlichen Aufgabenbereichen: Es gibt fast keine Aufgabe, die nicht ein politischer Verband hier und da in die Hand genommen hätte, andererseits auch keine, von der man sagen könnte, daß sie jederzeit, vollends: daß sie immer ausschließlich denjenigen Verbänden, die man als politische, heute: als Staaten, bezeichnet oder welche geschichtlich die Vorfahren des modernen Staates waren, eigen gewesen wäre. (Weber 2009, 3)

Worin der institutionelle Kern des Staates besteht, welche Aufgaben durch ihn und welche durch andere gesellschaftliche Akteure vollzogen werden, ist variabel, daher lässt sich der Staat nicht taxonomisch über seine Tätigkeiten definieren. Die dem Alltagsverständnis entsprechende Rede vom Staat als geschlossenem Handlungsfeld ist daher erstens insofern ungenau, als die Grenzen und innere Struktur staatlicher Handlungsfelder historischen Veränderungen unterliegen. Gleichzeitig ist er, zweitens, als Artikulation mehrerer Handlungsfelder zu verstehen. Alle gesellschaftlichen Teilbereiche, Institutionen und Organisationen, die sich der Definition »gesamtgesellschaftlicher« Interessen, der Identifizierung allgemeiner Probleme und Wege ihrer Bearbeitung oder dem Erhalt

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der staatlichen Gemeinschaft als Ganzer widmen, erfüllen staatliche Aufgaben (Althusser 2010). Neben administrativen und juridischen Handlungsfeldern ist das politische Feld von herausragender Bedeutung, aber auch Medien, Sozialwissenschaften oder das Schulsystem erfüllen in diesem Sinn »staatliche« Aufgaben. Sie stehen in einer ambivalenten Beziehung zum institutionellen Kern des Staates, weil sie die Bedingung seiner Möglichkeit und gleichzeitig ohne ihn in ihrer modernen Form nicht denkbar sind, ihm gegenüber aber stets über eine gewisse Autonomie verfügen. Staat und Gesellschaft sind daher keine streng trennbaren Entitäten: »States never achieve full closure or complete separation from society« (Jessop 2008, 10). Im Gegenteil, die Trennung zwischen Gesellschaft und Staat muss hergestellt werden und unterliegt Veränderungen. Weil der Staat Ort der Verhandlung und Gestaltung des gesellschaftlichen Ganzen ist, ist er nicht bloß gesellschaftlich geprägt, sondern umstritten, sowohl was seine innere Gestaltung anbelangt als auch was seine Abgrenzung zur »Gesellschaft« betrifft16. Als strukturelles Gefüge begrenzt er Handlungsmöglichkeiten und eröffnet Handlungsspielräume. Er ist in die Reproduktion gesellschaftlicher (Ungleichheits-)Verhältnisse eingebunden und wird deshalb zwangsläufig zum Ziel strategischer Handlungen gesellschaftlicher Akteure.17 Den Staat als soziales Verhältnis zu fassen, bedeutet, diesen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und ihrer institutionell vermittelten Übersetzung in die Gestaltung staatlicher Strukturen besondere Beachtung zu schenken: »[S]tate power is a social relation between political forces mediated through the instrumentality of juridico-political institutions, state capacities, and political organizations« (Jessop 2008, 56). Der Staat ist dabei strategisch selektiv – be-

16 »For the state is the site of a paradox. On the one hand, it is just one institutional ensemble among others within a social formation; on the other, it is peculiarly charged with overall responsibility for maintaining the cohesion of the social formation of which it is a part.« (Jessop 2008, 79) 17 In migrationspolitischen Zusammenhängen ist das Feld potenziell involvierter AkteurInnen, die versuchen, das politische Setting zu ihren Gunsten zu verschieben, breit: von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften bis zu Menschenrechtsorganisationen und MigrantInnen selbst. Die Effekte der jeweiligen strategischen Handlungen entsprechen dabei nicht zwangsläufig den Intentionen ihrer TrägerInnen. Die strategische Selektivität des Staates wird speziell augenfällig, wenn MigrantInnen politisch aktiv werden. Diese stellen zwar potenziell eine fundamentale Herausforderung für gegebene nationalstaatliche Ordnungen dar, gleichzeitig müssen sie ihre Forderungen an gegebene Verhältnisse anschlussfähig machen. Bojadzijev (2008, 228 – 229) beschreibt die resultierenden Prozesse der Rekuperation, »in denen subversive Praxis für die Modernisierung der bestehenden Verhältnisse funktionalisiert wird und schließlich nur als affirmierendes Moment erhalten bleibt«. In den Entwicklungen des österreichischen Migrationsregimes ab Mitte der 1980erJahre werden die Ambivalenzen solcher Prozesse an mehreren Beispielen nachvollziehbar, die Karriere des Integrationsbegriffs ist eines davon.

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stimmte Handlungsmöglichkeiten sind einfacher durchzusetzen und anschlussfähiger als andere. Der Staat ist aber nicht nur das Ziel strategischer Handlungen gesellschaftlicher AkteurInnen, umgekehrt sind auch die Handlungsmöglichkeiten »des Staates« (staatlicher Akteure) immer durch allgemeine gesellschaftliche Verhältnisse strukturiert (begrenzt und ermöglicht): »[T]he state is seen as an emergent, partial, and unstable system that is interdependent with other systems in a complex social order« (Jessop 2008, 78). Jessop fasst die komplexe Strukturierung des Staates und seiner strategischen Selektivität in eine biologische Metaphorik: Die Determination der Staatsverhältnisse durch außerstaatliche gesellschaftliche Verhältnisse folgt einer quasi-ökologischen Logik, die in einem Spiel von Variation, Selektion und Bewahrung bestimmte strategische Handlungen wahrscheinlicher macht als andere (Jessop 2008, 26 – 27). Der Staat ist daher in Bezug auf andere gesellschaftliche Teilsysteme »operationally autonomous but substantively interdependent« (Jessop 2008, 26). Veränderungen in der Form von Staatlichkeit strukturieren gesellschaftliche Transformationsprozesse; umgekehrt üben gesellschaftliche Transformationen Veränderungsdruck auf den Staat aus. Der Staat ist in diesem Sinne »der Ort der Verdichtung […], weil in seiner widersprüchlichen Struktur eine Vielfalt verschiedener Beziehungen und Praxen sich zu einem definitiven Regelsystem verdichten« (Hall 1989, 77).18 Ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Einbettung ist gerade für eine soziologische Analyse zu beachten, dass staatliche Handlungsfelder relativ autonom sind. Ökonomische Interessen und Entwicklungen ziehen nicht automatisch entsprechende Änderungen in staatlichen Abläufen nach sich. Diese Diagnose von der relativen Autonomie gilt auch für staatliche Teilbereiche: Obwohl sie aufeinander bezogen sind, sind die verschiedenen staatlichen Tätigkeitsfelder nicht perfekt aufeinander abgestimmt. Teile der Administration, das System der Sozialpartnerschaft, Gerichte etc. sind jeweils für sich relativ autonome staatliche Subeinheiten. Für die folgenden Analysen hat ein solches strategisch-relationales Staatsverständnis mehrere zentrale Implikationen. Erstens erlaubt die Definition eines Kerns staatlichen Handelns, das politische Feld als eigenes Handlungsfeld und in diesem das Parlament als zentrale Institution der Verhandlung des »allgemeinen Willens« zu bestimmen. Zweitens folgt aus der Diagnose, dass in der Regulation des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs verschiedene Handlungsfelder involviert sind, dass nicht die gesamte Regulation über den Kern des Staates 18 In Summe können damit drei Arten der strategischen Durchdringung des Staates identifiziert werden: Der Staat ist das Ergebnis strategischen Handelns, er ist das Feld strategischer Handlungen, und er ist die Quelle strategischen Handelns. Er ist, in anderen Worten »Effekt, Instrument und Feld politischer Strategien« (Lemke 2007, 56).

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funktioniert. Das gilt auch für migrationspolitische Prozesse. Gesetze und administrative Abläufe sind ebenso wie parlamentarische Diskurse wichtige, aber nicht die einzigen regulierend wirksamen Instanzen; sie wirken, beispielsweise, immer im Wechselspiel mit medialen und öffentlichen Diskursen. Entsprechend ist die Aussagekraft der empirisch auf einen Teilbereich staatlicher Regulation basierenden Befunde begrenzt; für die Einschätzung der Grenzen und die analytische Fundierung sind entsprechend Kontextinformationen notwendig. Drittens impliziert die Diagnose von der Veränderbarkeit des staatlichen Kerns, dass in der Analyse längerer Zeiträume auf Veränderungen in der Form von Staatlichkeit zu achten ist (im konkreten Fall etwa auf die Verschiebung vom Modell sozialpartnerschaftlicher Konkordanz zu expertengestütztem Management). Viertens bedeutet die Fokussierung auf den strategischen Charakter staatlichen Handelns, dass der Staat als strukturiertes Feld und die in ihm Tätigen als interessiert handelnde AkteurInnen konzipiert werden – PolitikerInnen und VerwaltungsbeamtInnen verfolgen ebenso Ziele wie VertreterInnen von Interessensorganisationen. Sie handeln dabei immer in einer historisch spezifischen gesellschaftlichen Umwelt, die Anpassungen erfordert und Möglichkeiten eröffnet, etwa zur Durchsetzung bestimmter Maßnahmen oder zur Äußerung von Standpunkten. Was legitim ist, hängt von Kräfteverhältnissen und historischen Umständen ab; daraus folgt fünftens, dass auch die Instrumente zur Steuerung von Migration, verstanden als spezifische Spielregeln, in ihrem historischen Kontext zu sehen sind. Sechstens impliziert die Annahme der relativen Autonomie staatlichen Handelns, dass gesellschaftliche Interessensverhältnisse in migrationspolitischen Fragen nicht eins zu eins in der Gesetzgebung gespiegelt werden. Vielmehr ist ein Übersetzungsprozess notwendig, das Problem muss als politisches, allgemein gesellschaftliches gefasst und verhandelbar gemacht werden. Wenn das politische Feld autonom ist, muss ein Prozess der politischen Problematisierung von Migrationsphänomenen erfolgen. Dieser ist wesentlich diskursiv (Jessop 2008, 7). Auch für die vorliegende Arbeit mit ihrem Fokus auf der Entwicklung der politischen Rationalitäten der Migrationspolitik ist die diskursive Ebene zentral. Im folgenden Abschnitt wird daher das dieser Arbeit zugrunde liegende Verständnis von Diskurs und politischer Rationalität thematisiert.

2.2.3 Allgemeiner Wille, Diskurs und politische Rationalität Staat meint also das Konglomerat jener Institutionen und Felder, die das gesellschaftliche Ganze herstellen und führen. Eine der zentralen Herausforderungen dieser staatlichen Führungsaufgabe besteht dabei darin, gesellschaftliche Probleme zu identifizieren und passende Antworten zu geben, und zwar

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unter Wahrung des »Gesamtinteresses«. Die Identifikation und Verhandlung von Problemen und das Formulieren von Lösungen unterliegen der strategischen Selektivität des Staates: Um in den Zuständigkeitsbereich des Staates zu fallen, müssen partikulare Probleme und Lösungen zu gesamtgesellschaftlichen verallgemeinert werden. In einer gesellschaftlichen Ordnung, die ungleich strukturiert und von Machtverhältnissen durchzogen ist, ist diese Definition eines »allgemeinen Willens« und kollektiver Probleme stets Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen: Whatever the political rhetoric of »common interest« or »general will« might suggest, these are always »illusory« insofar as any attempt to define them occurs on a strategically selective terrain and involves the differential articulation and aggregation of interests, opinions, and values. (Jessop 2008, 11)

Die Herstellung eines entsprechenden Konsenses ist ein zentrales Element liberaler Regierungskunst. Eine spezielle Stellung kommt dabei dem politischen Feld zu, in dem es, in Bourdieus Worten, »um die legitime Durchsetzung der Sicht- und Teilungsprinzipien der sozialen Welt geht« (Bourdieu 2001, 54 – 55). Die Legitimität verschiedener Sprecherpositionen muss dabei als ebenso umkämpft gedacht werden wie die inhaltlichen Positionen, die von diesen aus eingebracht und vertreten werden. Vor allem aber ist diese Tätigkeit notwendig bedeutungskonstituiert, oder, in Jessops Worten: semiotisch (Jessop 2004). Die Begriffe, Konzepte und Kriterien, in denen gesellschaftliche Probleme gefasst und denkbare Lösungen formuliert werden, werden in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen verhandelt (u. a. in den Medien und den Sozialwissenschaften). Unterschiedliche Problementwürfe gehen mit unterschiedlichen Kategorisierungen, Kriterien und Begrifflichkeiten, mit unterschiedlichen Norm- und Wissensordnungen einher. Vom Staat getragene Regulationsprozesse bauen demnach auf einem Fundus sozialen Wissens und sozialer Bedeutungen auf – und entfalten ihre Wirkung durch diesen hindurch. Sie entstehen und wirken auf der Grundlage spezifischer diskursiver Ordnungen (oder Diskursformationen), die es erst erlauben, ein Problem in bestimmten Begriffen zu fassen. Der Begriff des Diskurses wird aktuell in sozialwissenschaftlichen Zusammenhängen inflationär und sehr unterschiedlich gebraucht. Das hat zum Teil damit zu tun, dass er aus verschiedenen Sprachräumen und Theorieansätzen in die Sozialwissenschaft gekommen ist. Während im deutschsprachigen Raum Diskurs häufig mit Debatte konfundiert wird, bedeutet der discours im Französischen ursprünglich eine gelehrte (mündliche) Rede. Das englische discourse heißt so viel wie (Alltags-)Gespräch (siehe dazu etwa Keller 2001, 128 – 129). In dieser Arbeit wird Diskurs im Foucault’schen Sinn als überindividuelles System von Formationsregeln für Aussagen verstanden, das den Raum des ge-

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sellschaftlich Sagbaren aufspannt und strukturiert. Ein Diskurs ist demnach, ganz abstrakt, ein Regelsystem oder auch eine »generative Grammatik« (Bublitz et al. 1999a, 13)19. Die Regeln für neue Aussagen ergeben sich dabei aus den Regelmäßigkeiten bestehender Diskurse: Das Aussagensystem ist für die einzelne Aussage ein Ermöglichungszusammenhang, umgekehrt reproduziert der Strom der Aussagen die Regelhaftigkeit des Diskurses. […] Diskurse haben zudem etwas Unberechenbares, da sie Aussagen hervorbringen können, die das Aussagensystem verändern, das heißt die das Regelsystem nachhaltig in Bewegung bringen können, so dass man von einem Bruch und sogar einer neuen diskursiven Formation sprechen kann. (Diaz-Bone 2006, 14)

Um zum Gegenstand menschlichen Wissens zu werden, muss ein Sachverhalt oder auch ein »Ding« erst diskursiv konstituiert bzw. als Wissenselement hervorgebracht werden. Das heißt nicht, dass es keine außer-diskursive Welt gibt, sehr wohl aber, dass wir keinen außer-diskursiven Zugang zu ihr haben: »Eine Welt jenseits gesellschaftlich gegebener Wissens-Ordnungen ist uns nicht zugänglich« (Hirseland/Schneider 2001, 394) und »Konzepte werden erst im Sprachsystem gebildet« (Glasze 2007, 3). Bedeutung kann dementsprechend immer nur im Spiel des Diskurses entstehen. Diskursive Formationsregeln sind stets kontingent und in ihrem Wechselspiel mit Machtverhältnissen zu sehen; sie sind historisch und gesellschaftlich verankert: »Diese Regeln sind keine ahistorischen, grammatikalischen oder logischen Regeln, sondern jeweils historisch spezifische und sozialhistorische« (Diaz-Bone/Krell 2009a, 20). Diskursive Ordnungen entwickeln sich in einer gegenseitigen Konstitutionsbeziehung mit gesellschaftlichen Verhältnissen. Damit verändern sich auch die Regeln, nach denen das Wahre vom Falschen, das Vernünftige vom Unvernünftigen und das Normale vom Nicht-Normalen zu trennen ist – in Diskursen werden Abweichendes und Norm definiert, und diese Definitionen unterliegen historischen Entwicklungen (Bublitz et al. 1999a, 12 – 13). Foucault macht sein Diskurskonzept in seinen späten staatstheoretischen Untersuchungen direkt für die Analyse politischer Prozesse fruchtbar. Im Zentrum stehen dabei drei Begriffe: (i) politische Rationalitäten, (ii) politische Technologien und (iii) Formen der Problematisierung. Foucault versteht unter einer politischen Rationalität eine spezifische »Denkweise«, die mit »Regierungsweisen« verflochten ist (Schindler 2007, 6), eine Mentalität oder auch ein Schema. »›Rational‹ meint in diesem Sinn nur die Übereinstimmung von Regeln, Verfahren, Denkformen etc. mit einer Gesamtheit von Bedingungen, unter 19 Oder, wie in der Literatur mehrfach in Anlehnung an Bourdieus Definition des Habitus definiert wird: Der Diskurs ist eine strukturierte und strukturierende Struktur (dazu etwa Diaz-Bone 2006, 72 – 75).

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denen es zu einem gegebenen Zeitpunkt möglich ist, bestimmte Probleme zu behandeln« (Lemke 1997, 146). Eine politische Rationalität verbindet politisches Programm und Wissensformen: Dies geschieht durch die Erarbeitung von Begriffen und Konzepten, die Spezifizierung von Gegenständen und Grenzen, durch die Bereitstellung von Argumenten und Begründungen etc. Eine politische Rationalität erlaubt also, ein Problem zu stellen und bietet bestimmte Lösungs- und Bearbeitungsstrategien für dieses Problem an. (Lemke 1997, 147)

In anderen Worten ergeben sich auf der Grundlage einer bestimmten politischen Rationalität charakteristische »Problematisierungen« sozialer Phänomene und spezifische »Möglichkeitsfelder« im »politisch-epistemologischen Raum« (Lemke et al. 2000, 20). Politische Rationalitäten ermöglichen die Entwicklung und die Anwendung spezifischer politischer Technologien. Dean (2010, 269) definiert politische Technologien als »[t]he diverse and heterogenous means, mechanisms and instruments through which governing is accomplished«. Der Begriff der politischen Technologie markiert damit einen spezifischen Blickwinkel, von dem aus die mit der Regierung eines Staates verbundenen praktischen Elemente sozialwissenschaftlich analysiert werden können. Diese umfassen administrative Verfahren, statistische Erhebungsformen, Institutionen ebenso wie Rechtsformen. Für die vorliegende Arbeit sind speziell die in der Regulation der Arbeitsmigration wirksamen gesetzlichen Rahmenbedingungen relevant.

2.2.4 Vom Problem zum Regime Der (unscheinbare) Begriff der Problematisierung dient als heuristischer Startpunkt für die empirischen Analysen dieser Arbeit. Darin folge ich Dean (2010, 38), der der Identifikation und Untersuchung von konkreten Problematisierungen für seine »analytics of government« einen zentralen Stellenwert beimisst, »the moments and situations in which government becomes a problem« dienen ihm als Ausgangspunkte der Analyse von Regierungspraktiken. Gerade für die Analyse von staatlichen Diskursen und Praktiken öffnet der Begriff der Problematisierung ein breites Feld an Fragestellungen – Foucault führt ihn nicht umsonst in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu seinen staatstheoretischen Überlegungen, die er rund um den Begriff der Gouvernementalität entwickelt, ein. Problematisierungen folgen einer bestimmten politischen Rationalität und sind mit der Entwicklung und dem Einsatz politischer Technologien verbunden. Ihre empirische Analyse muss daher über eine reine Beschreibung diskursiver Ordnungen hinausgehen.

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Foucault verwendet den Begriff der Problematisierung im zweiten Band von »Sexualität und Wahrheit«, um das Leitmotiv seiner Forschungsarbeiten zu charakterisieren: Ich meine jetzt besser zu überschauen, wie ich – etwas blindlings und bald diesem, bald jenem Bruchstück nachgehend – in dieses Unternehmen einer Geschichte der Wahrheit hineingeraten bin: nicht die Verhaltensweisen zu analysieren und nicht die Ideen, nicht die Gesellschaften und nicht ihre ›Ideologien‹ sondern die Problematisierungen, in denen das Sein sich gibt als eines, das gedacht werden kann und muß, sowie die Praktiken, von denen aus sie sich bilden. Die archäologische Dimension der Analyse bezieht sich auf die Formen der Problematisierung selbst; ihre genealogische Dimension bezieht sich auf die Formierung der Problematisierungen ausgehend von den Praktiken und deren Veränderungen. (Foucault 1989, 19)

Die Heuristik der Problematisierung setzt direkt am Schnittpunkt von Machtverhältnissen, gesellschaftlichen Praktiken und Denkformen an, indem sie Diskursordnungen eine Autonomie attestiert, ohne deren Bezug auf reale soziale Gegebenheiten zu leugnen. »Die Problematisierung ist eine ›Antwort‹ auf eine konkrete Situation, die durchaus real ist« (Foucault 1996, 179), aber eben nur eine neben anderen möglichen Antworten (Lemke 1997, 342). Der Begriff der Problematisierung erlaubt damit, den erkenntnistheoretischen Gegenstand einer sozialwissenschaftlichen Analyse von Denkformen und Diskursen im Auge zu behalten: reale Verhältnisse, die aber erstens nur diskursiv gefasst werden können und zweitens zwangsläufig diskursiv strukturiert sind (Demirovic 1992; Jessop 2004). Im Begriff der Problematisierung bleibt die Unterscheidung zwischen Diskurs und Verhältnissen ebenso erhalten wie ihre gegenseitige Durchdringung.20 Der Fokus auf »Probleme, die durchaus real sind«, ist erstens mit einer erkenntnistheoretischen Festlegung verbunden. Veränderung passiert nicht aus dem Denken heraus: »Damit Denkformen ihre Vertrautheit verlieren und ›problematisch‹ werden, ist also eine Veränderung des historischen und sozialen Feldes erforderlich, von dem das Denken ein Teil ist« (Lemke 1997, 342). Aber erst die diskursive Konstitution macht das Problem fass- und bearbeitbar. Der Begriff der Problematisierung erinnert damit an die Marx’sche Formel von den »kurz: ideologischen Formen«, in denen sich die Menschen der widersprüchlichen Verhältnisse, die sie in der Produktion ihres alltäglichen Lebens eingehen, 20 Damit macht Foucault ein schwieriges Spannungsverhältnis, das seine Arbeiten durchzieht, direkt produktiv. Sein erkenntnistheoretisch »nominalistisches« Beharren auf die Autonomie und Beliebigkeit der Wahrheitsspiele, das seinen Arbeiten wiederholt den Vorwurf des Relativismus eingebracht hat, und die damit einhergehende Ausblendung normativer Fragen scheinen mit seiner gesellschaftskritischen Analyse bestehender, realer Macht- und Herrschaftsverhältnisse ebenso unvereinbar wie mit seinem aktiven politischen Engagement (Lemke 1997, 11 – 37).

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bewusst werden. Zweitens geht damit eine methodologische, forschungsstrategische Entscheidung einher, solche Problematisierungssituationen zu fokussieren. Die Art der Problematisierung ist aufschlussreich, denn: »Problematizations are made on the basis of particular regimes of practices of government, with particular techniques, language, grids of analysis and evaluation, forms of knowledge and expertise« (Dean 2010, 38). Ziel der Analyse von Problematisierungen ist es daher, die spezifischen Bedingungen, die eine bestimmte Form der Problematisierung möglich machen bzw. eine andere unwahrscheinlich werden lassen, zu identifizieren. Damit sind sowohl dominante politische Rationalitäten gemeint als auch die Praktiken, Institutionen und Routinen, die für eine bestimme Art, ein Problem zu fassen, vorausgesetzt und in seiner Bearbeitung investiert werden. Gleichzeitig haben Problematisierungen Machtwirkungen, sie sind gesellschaftlich folgenreich, sind also nicht nur Folge von Machtverhältnissen, sondern gleichzeitig konstituierend in diese eingeschrieben. Sie sind die prägende Bedingungen für die Entwicklung »politischer Technologien« (Lemke 1997, 347). Auf ihrer Grundlage können bestimmte Problemlösungen gedacht und legitimiert werden. Was kennzeichnet nun die Problematisierung sozialer Verhältnisse, und speziell die Problematisierung von Migrationsverhältnissen, in liberalen Nationalstaaten? Aufbauend auf den staatstheoretischen Arbeiten von Foucault gehe ich davon aus, dass in liberalen Nationalstaaten zwei unabhängige strukturelle Tendenzen von zentraler Bedeutung sind: die Ökonomisierung und die Sekuritisierung von Migration. Die beiden Problematisierungsweisen stehen in einer produktiven Spannung. In ihrer Wechselwirkung haben sie die Entwicklung der zentralen politischen Technologien zur Regulation der Arbeitsmigration erlaubt. Mein Verständnis der Foucault’schen Analytik der liberalen Regierungskunst orientiert sich an den Arbeiten von Lemke (1997/2007/2008) und anderen TheoretikerInnen, die Foucaults Arbeiten in ihrem Verhältnis zur französischen historischen Epistemologie wie auch zur soziologischen Theoriebildung von Marx über Weber bis Elias verorten und die seine Konzepte für empirische sozialwissenschaftliche Arbeiten fruchtbar machen wollen (Bröckling et al. 2000; Diaz-Bone 2006; Krasmann/Opitz 2007; Dean 2010), auch und vor allem im Bereich der Analyse staatlicher Verhältnisse (Jessop 2007/2010).

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Regierung der Freiheit – Regierung durch die Freiheit: die politische Steuerung liberaler Nationalstaaten

Meine Analyse migrationspolitischer Entwicklungen in Österreich geht von der Annahme aus, dass die wesentlichen Problemstellungen, Tendenzen und Spannungen der politischen Regulation von Migration sich aus der Logik der liberalen Regierung kapitalistischer Nationalstaaten ergeben. Im Anschluss an die allgemein-abstrakten Überlegungen zu Begriff und Konzeption des Staates stellt sich daher konkreter die Frage nach den spezifischen Merkmalen der politischen Steuerung moderner kapitalistischer Staaten. Das Verständnis liberaler Regierungskunst, das meiner Arbeit zugrunde liegt, ist an Foucaults Theoretisierung der Gouvernementalität als eigener Macht- und Herrschaftsform, die eng an die Entstehung moderner Nationalstaaten gekoppelt ist, orientiert. Foucault greift das Problem des Staates erst in seinen späten Arbeiten Ende der 1970er-Jahre explizit auf. Seine Konzeption staatlicher Herrschaft weist dabei in vielen Hinsichten Parallelen zur Poulantzas Verständnis vom Staat als gesellschaftlichem Verhältnis auf, auf dem auch Jessops strategisch-relationaler Analyseansatz basiert. Dieser plädiert entsprechend dafür, Aspekte der Foucault’schen Theoriebildung für die Analyse staatlicher Politik fruchtbar zu machen (Jessop 2007/2010). Im Folgenden widme ich mich zunächst Foucaults Analyse des Liberalismus. Diese konzentriert sich auf die programmatischen Prinzipien bzw. die grundlegenden politischen Rationalitäten liberaler Regierungskunst, darauf »wie sie sich darstellt, wie sie sich reflektiert, wie sie sich zugleich umsetzt und sich selbst analysiert; kurz, was ihr gegenwärtiges Programm ist« (Foucault 2006a, 115 – 116). Utilitaristische Nutzenorientierung und Sicherheit als zentraler Zweck und Modus des Regierens sind wesentliche Merkmale einer solchen liberalen politischen Programmatik. Das Programm liberaler Regierungskunst darf nicht mit seiner Umsetzung verwechselt werden. Es dient als »ein Instrument der Realitätskritik« (Foucault 2006a, 438), in dem es »die reflektierte Weise, wie man am besten regiert, und zugleich auch das Nachdenken über die bestmögliche Regierungsweise« (Foucault 2006a, 14) zum Ausdruck bringt. In der konkret implementierten Praxis des Regierens kommen auch gesellschaftliche Gegenkräfte ins Spiel, entsprechend kommt es zur Artikulation mit anderen Erwägungen und Deutungsweisen.

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2.3.1 Weder Repräsentation noch Repression? Die Kunst, liberal zu regieren Im Zentrum einer liberalen politischen Rationalität steht der Begriff der Freiheit. Foucault (2006a, 82 – 85) zufolge löste spätestens mit Adam Smiths »Wealth of Nations« (1776) die Vorstellung, dass das freie Spiel der Konkurrenz zu dauerhafter allgemeiner Bereicherung führe, die merkantilistische Idee eines ewigen gesellschaftlichen Nullsummenspiels ab. Das politische Projekt des Liberalismus organisierte sich in der Folge um die Anerkennung des Prinzips, dass es eine Begrenzung der Regierung geben muss (Foucault 2006a, 40). Liberale Regierungskunst kann also zunächst über das scheinbar selbstwidersprüchliche Regierungsziel, möglichst wenig zu regieren, charakterisiert werden: »Das ganze Problem der kritischen gouvernementalen Vernunft wird sich um die Frage drehen, wie man es anstellt, nicht zu viel zu regieren« (Foucault 2006a, 29). Dieser programmatischen Vorstellung entsprechen reale Gesellschaftsverhältnisse – ökonomisch freie Markt- und kapitalistische Produktionsverhältnisse, politisch die Verhältnisse einer repräsentativen Demokratie21. Kapitalistische Produktionsverhältnisse funktionieren auf der Grundlage liberaler politischer Verhältnisse, gleichzeitig bildete die Durchsetzung eben dieser Produktionsverhältnisse historisch den Boden, auf dem liberale Regierungskonzepte denkbar und formulierbar wurden. Erst der Glaube an den wohlfahrtssteigernden Effekt des Wettstreits zwischen freien Individuen erlaubte es, »Freiheit« zu einer Regierungsmaxime zu machen. Für Foucault ergeben sich daraus zwei zusammenhängende Forschungsrichtungen: einerseits die Frage danach, wie diese freien Individuen über Technologien des Selbst hergestellt werden, andererseits die Frage nach der Führung dieser Selbstführungen, nach ihrer Regierung (Lemke 1997). Foucault bezeichnet die resultierende Macht- und Herrschaftsform als »Gouvernementalität« (Dean 2010; Lemke 2008) und argumentiert, dass diese Regierungsform weder als neutraler Rechtsstaat, der nur juridisch über Gesetze den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang verwaltet, noch als repressiver Unterdrückungszusammenhang, der sich negativ gegen die Freiheiten der ihm Untergebenen stellt, adäquat zu charakterisieren ist. Macht und Herrschaft entfalten sich in liberalen Gesellschaftsverhältnissen nicht negativ über Unterwerfung, sondern primär über die »Anleitung zur Selbststeuerung« (Saar 2007, 36 – 37), sind also wesentlich produktiv und arbeiten, wenn man so will, »positiv«. Foucault argumentiert, dass diese neue Form der Regierung historisch aus der Verbindung von politischen Formen der demokratischen Entscheidungsfindung und »pastoralen« Techniken der »Führung der Seelen« (Foucault 2006b) 21 Eine Regierungsform also, in der das (Wahl-)Volk gleichzeitig Souverän und Gegenstand der Regierung ist.

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hervorgegangen sei, dass also die »Genealogie des Staates gleichzeitig eine Geschichte des Subjekts« sei (Lemke 2008, 36). Eine so verstandene liberale Regierung muss über Eingriffe in die Rahmenbedingungen individuelles Verhalten so regulieren, dass es im Ganzen positive Effekte hat und negative Folgen verhindert werden. In diesem Zusammenhang führt Foucault den ebenso missverständlichen wie aktuell weit verbreiteten Begriff der Bio-Politik ein (Lemke 2008). Mit Bio-Politik bezeichnet er Steuerungsformen, die auf kollektive Prozesse zielen und hauptsächlich über die Kontrolle von Wahrscheinlichkeiten und Raten (von Geburten und Sterbefällen, aber auch von Wanderungsbewegungen, Krankheiten etc.) arbeiten. Regulierende Eingriffe können dabei sehr unterschiedlich aussehen, sie haben aber im Rahmen liberaler Politik nur in Ausnahmefällen die Form direkter Anordnungen oder Untersagungen, reguliert wird über die Gestaltung der Rahmenbedingungen (Bröckling et al. 2000). Eine so verstandene Regierungsform bedeutet keineswegs das Ende von disziplinierenden Eingriffen in das Leben von Individuen, von Exklusion oder Ungleichheit, im Gegenteil. Es ist genau die Undurchsichtigkeit liberaler Regierungsformen, die deren sozialwissenschaftliche Untersuchung notwendig macht: Damit ist nicht gesagt, dass diese Machtformen harmlose Varianten »guter Macht« wären; die biopolitische Verwaltung des Lebens kann sogar aus einer bestimmten diagnostischen Perspektive als umso verhängnisvoller erscheinen, da sie ungleich umfassender und durchdringender ist, im Zuge der »Gouvernementalisierung« des Staates und der Gesellschaft alle Bereiche des Sozialen erfasst und sich vor allem auf dem Umweg des Schutzes und der Förderung des Lebens das Recht zu töten erwirkt. (Saar 2007, 37)

Gerade aus dem Umstand, dass sich eine liberale Regierung neutral geben kann, ergeben sich spezielle Komplikationen in der Analyse ihrer Macht-, Herrschaftsund Ungleichheitseffekte. Lemke (2008) argumentiert, dass Regierungstätigkeit als Vermittlungsinstanz zwischen sozialen Machtverhältnissen (auf der »Mikroebene«) und gesamtgesellschaftlichen Herrschaftszuständen (auf der »Makroebene«) zu konzipieren sei. Liberale Regierungskunst entfaltet sich im Raum zwischen »lokalen« strategischen Spielen und historisch geronnenen Herrschaftszuständen. Damit schließt sich der Kreis zu Jessops strategisch-relationaler Staatstheorie, in der der Staat als Verdichtung sozialer Verhältnisse ebenfalls die Funktion erfüllt, Machtbeziehungen zu systematisieren und zu stabilisieren. »[S]trategische Selektivität und relative Autonomie« (Lemke 2008, 59) charakterisieren staatliche Regierungspraktiken. Deren Analyse ist erforderlich, »weil sich häufig mit ihrer Hilfe die Herrschaftszustände errichten und aufrechterhalten« (Foucault 1993, 26).

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Im liberalen Regierungskonzept ist Regierung kein Selbstzweck, sie kommt aus der Gesellschaft und dient ausschließlich der Sicherung der gesellschaftlichen Ordnung. Foucault antwortet auf die Frage, warum man eigentlich überhaupt regieren muss: im Namen der Gesellschaft – die Gesellschaft ist »Bedingung und Endzweck« der Regierungstätigkeit (Foucault 2006a, 437). In anderen Worten: Weil eine freie Gesellschaft eine Instanz erfordert, die mit der Feststellung des Kollektivinteresses und der Sicherheit des Gesamten betraut ist, während sie selbst weiter nach dem Prinzip der Verfolgung partikularer Interessen funktioniert. Dieses kollektive Ganze ist historisch stets ein abgegrenztes gewesen, und zwar aus gutem Grund. Liberale Regierung braucht ein Konzept und einen Begriff von Bevölkerung – und zwar von ihrer Bevölkerung, sie setzt damit historisch eine doppelte Spaltung voraus: einerseits zwischen Staat (bzw. einer Regierungsinstanz) und Gesellschaft (bzw. Gegenstand und Grundlage der Regierung), andererseits zwischen der eigenen und anderen Bevölkerungen (Dean 2007). In diesem doppelten Spannungsverhältnis von Staat und Gesellschaft sowie von Innen und Außen erweist sich die »Regierung« von Migration für liberale Regierungen als herausfordernder und widersprüchlicher Gegenstand. Zentral ist dabei das widersprüchliche Gefüge zweier struktureller Tendenzen liberaler Nationalstaaten: der Ökonomisierung und der Sekuritisierung von Migration. Sie sind Ausdruck der wesentlichen Modi liberaler Regierungstätigkeit.

2.3.2 Ökonomisierung (von Migration) Die programmatische Beschränkung der liberalen Regierungstätigkeit ist nicht von außen durchgesetzt22. Vielmehr zeigt sich eine spezifische Form der inneren Begrenzung der Regierungslogik aus sich selbst heraus. Ausgehend von der Vorstellung, dass liberales Regieren die »umsichtige Einflussnahme auf Rahmenbedingungen von Prozessen, die nach ihrer eigenen Logik effizient und wohlfahrtsoptimal ablaufen« (Saar 2007, 35) bedeutet, stellt sich dabei weniger die Frage nach der Legitimität von Regierungshandlungen, als eher jene nach ihrer Angemessenheit und Nützlichkeit. Nicht der Missbrauch, sondern das Übermaß an Eingriffen und die Missachtung der nach ihrer eigenen Logik ablaufenden Wohlfahrtsmaximierungsprozesse stellen den zentralen Ansatzpunkt 22 Obwohl sie natürlich institutionell abgesichert ist: Moderne Staatlichkeit umfasst auch »die Organisation der Transaktionsverfahren, die geeignet sind, die Begrenzung der Regierungspraktiken zu bestimmen: Verfassung, Parlament; Meinung, Presse; Kommissionen, Erhebungen« (Foucault 2006a, 41).

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für eine liberale Kritik der Regierung dar (Foucault 2006a, 35). Die Notwendigkeit zur Selbstbeschränkung ergibt sich dabei aus der Überzeugung, dass es keinen privilegierten gesellschaftlichen Ort der Erkenntnis geben kann, von dem aus die unendlich feinen Abläufe des freien Wettbewerbs überblickt werden können. Der Staat kann nicht alles wissen. Immer werden ihm Informationen fehlen, die nur die freien MarktteilnehmerInnen in ihrer Summe in ihre freien Entscheidungen einbeziehen können. Diese Vorstellung vom Markt als »Ort der Veridiktion« ist an die Entwicklung neuer Formen der Wissensproduktion gebunden. Konkret ist es das neue Feld der Politischen Ökonomie, ohne das die Selbstbeschränkung des Regierungshandelns nicht denkbar wäre: »Die Möglichkeit der Begrenzung und die Frage nach der Wahrheit, diese beiden Dinge werden in die gouvernementale Vernunft über den Umweg der politischen Ökonomie eingeführt« (Foucault 2006a, 35). Der Überzeugung entsprechend, dass die Regierung die Eigengesetzlichkeiten ihres Gegenstands zu respektieren hat (Dean 2007, 93), werden Gesellschaft und Markt als eigenständige Wissensgebiete konstituiert: Betrachtete man hingegen die Sicherung der Gesellschaft als den Zweck von Regierung, so hieß das, von etwas auszugehen, das der Regierung äußerlich war und eine eigene Geschichte und Dynamik besaß, die jeder mit dem Anspruch, es zu regieren, kennen und respektieren musste. Die bürgerliche Gesellschaft wurde also zur selbständigen Einheit, die sich über quasi-natürliche, allerdings relativ undurchschaubare, wirtschaftliche, bevölkerungspolitische und gesellschaftliche Prozesse konstituierte. Diese Prozesse wiederum hingen von der »natürlichen Freiheit« des Individuums ab, seine eigenen Interessen zu verfolgen und seine eigenen Lebensbedingungen zu verbessern. (Dean 2007, 79)

Mit den zentralen Konzepten des Marktes und der freien Konkurrenz übernimmt die liberale Regierungsprogrammatik den Begriff des Interesses als Leitvorstellung aus der Politischen Ökonomie. Dieser ist für die Logik liberaler Politik wesentlich, und zwar in doppelter Form. Erstens steht er im Zentrum des liberalen Menschenbilds; freie Individuen werden als immer schon nutzenmaximierend und interessegeleitet handelnd vorausgesetzt. Gleichzeitig ist die Förderung eines solchen Handelns eines der zentralen Ziele, der homo oeconomicus ist Voraussetzung und angestrebtes Ergebnis der Regierungstätigkeit. Zweitens bildet er in Form des gesellschaftlichen Gesamtinteresses das entscheidende Kriterium zur Bewertung von Regierungshandlungen. Ziel ist die Optimierung des Gesamtnutzens, liberale Regierungskunst und Utilitarismus sind untrennbar verwoben23. Der Begriff des Interesses ist »die allgemeine Kategorie, die den Tausch und die Nützlichkeit abdeckt«, denn »das Interesse ist 23 Foucault meint, es gehe eher um »kollektive Nützlichkeit« als um den kollektiven Willen (Foucault 2006a, 71).

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das Prinzip des Tauschs und Kriterium der Nützlichkeit« (Foucault 2006a, 73). Die zentrale Herausforderung, die sich ergibt, besteht im komplexen Spiel zwischen individuellen und kollektiven Interessen. Was ist unter der Ökonomisierung sozialer Phänomene nun zu verstehen? Ausgehend vom bisher Gesagten ist unter dem Begriff der Ökonomisierung zu verstehen, dass entweder auf der Basis eines spezifischen Menschen- und Gesellschaftsbild politische Entscheidungen einer utilitaristischen Logik folgend getroffen werden oder (und häufig damit zusammenhängend) in gesellschaftlichen Teilbereichen Marktverhältnisse hergestellt werden (Bröckling et al. 2000). Eine zentrale Rolle spielen in solchen Prozessen erstens Institutionen, die in die Aushandlung des »kollektiven Interesses« involviert sind, etwa sozialpartnerschaftliche Einrichtungen, und zweitens Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, die das scheinbar neutrale Wissen über gesellschaftliche Abläufe bereitstellen. Für den Bereich der Migrationspolitik scheint die Ökonomisierung sozialer Verhältnisse zunächst ein Mehr an Freiheit und eine Entwertung askriptiver Merkmale zu implizieren. In diesem Sinn argumentiert Hollifield (2003/2007), dass der liberale Nationalstaat ökonomisch zur Öffnung tendiere; auch Buonfino (2004) setzt die Ökonomisierung von Migration mit Öffnung und Liberalisierung gleich; und Kolb (2010) sieht ökonomisierte Migrationsprogramme als Gegenkraft zu ethnischen Deutungsmustern. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass die Ökonomisierung von Migration immer auch eine Kommodifizierung bedeutet: MigrantInnen sind als Ware Arbeitskraft frei, nicht als anerkannter Teil der zu regierenden Bevölkerung. Zweitens bleibt die auf ökonomisierter Grundlage zugestandene Freiheit stets prekär, weil sie das Ergebnis einer utilitaristischen Nutzenkalkulation ist. Die Ökonomisierung von Migration macht diese zu einer Variablen in der Abstimmung von demographischer und wirtschaftlicher Entwicklung; wenn die entsprechenden Kalkulationen negativ ausfallen, sind Einschnitte argumentationslogisch nicht nur möglich, sondern auch notwendig. Drittens führt, paradoxerweise, gerade die in der Marktlogik implizierte Gleichheit im freien Wettbewerb dazu, dass institutionalisierte Formen der Ungleichheit nicht in den Blick rücken, weil sie im Rahmen einer Marktlogik nicht thematisierbar sind. Viertens bleibt – und das ist für die vorliegende Arbeit von zentraler Bedeutung – die Frage ausgeblendet, woher liberale Regierungen die Mittel nehmen, Migration zu verwalten. Die Instrumente der utilitaristischen Migrationssteuerung werden stets als gegeben akzeptiert. Dieses vierte Problem wird im weiteren Argumentationsverlauf eine zentrale Rolle spielen und immer wieder zur Frage zurückführen, wie die Ökonomisierung von Migration mit einer zweiten strukturellen Tendenz liberaler Migrationspolitik zu vereinbaren ist: ihrer Sekuritisierung.

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2.3.3 Kehrseite der Freiheit? Sekuritisierung (von Migration) Wenn die Essenz des Liberalismus darin besteht, Regierungshandeln maximal zu beschränken, um Freiheit herzustellen und zu verwalten, welche Maßnahmen kann eine liberale Regierung dann überhaupt setzen und wie kann sie diese begründen? Die Antwort liegt wieder in der Gefahr des Übermaßes, aber diesmal nicht der Regierung, sondern des Gebrauchs der Freiheit. Die soziale Ordnung muss vor den negativen Folgen ihrer eigenen Dynamik und Funktionsweise geschützt werden, »das kollektive Interesse« ist »gegen die individuellen Interessen zu schützen« (Foucault 2006a, 100). In der Herstellung dieser kollektiven Sicherheit liegt die stärkste denkbare Begründung, der Hauptzweck wie auch der Inhalt liberaler Regierungskunst. Wesentlich ist, dass es für zu treffende Sicherheitsmaßnahmen keine Begründung außer der Sicherung der Verhältnisse gibt. Die Maßnahmen werden getroffen, weil sie in diesem Sinn nützlich sind, nicht aufgrund irgendeines universalen Prinzips. Es herrscht also eine Form von verkehrtem liberalen Utilitarismus: Nicht aus Prinzip, sondern zur Sicherung der Verhältnisse wird Freiheit eingeschränkt. Sicherheitsmaßnahmen »must be made consistent with the laws of the economy and population« (Dean 2010, 138). Die Regierung muss die von ihr identifizierten wirtschaftlichen Eigengesetzlichkeiten respektieren und durch diese hindurch wirken, gleichzeitig muss sie Bedrohungen ebendieser Abläufe identifizieren und so die Ordnung sichern (Krasmann/Opitz 2007, 134). Freiheit und Sicherheit stehen im liberalen Denken in einem komplexen Wechselverhältnis (Polanyi 2001 [1944]; Huysmans 2006; van Munster 2009; Dean 2010). In aktuellen Diskussionen wird der Trade-off zwischen ihnen betont. Sicherheitsmaßnahmen wie Videoüberwachung oder Eingriffsrechte der Polizei in die Privatsphäre werden als Einschränkung der Freiheit gesehen, mehr Sicherheit ist in diesem Verständnis nur bei einem gleichzeitigen Verlust an Freiheit zu haben. Umgekehrt wird ein überschießendes Maß an Freiheit als Gefahr für die existenzielle Sicherheit einzelner Individuen wie auch, in der Folge, für die Gesellschaftsordnung als Ganze gesehen. Die Sicherung der Freiheit wird aber auch als das Ziel von Sicherheitsmaßnahmen propagiert – nicht nur in Propagandaformeln wie jener vom »War on Terror«, sondern auch, wenn es etwa darum geht, Eigentumsrechte zu schützen. Sicherheit wird hier zur Bedingung für Freiheit. In anderen Problementwürfen gilt Freiheit als Bedingung für gesellschaftliche Sicherheit (diesmal verstanden im Sinn der Sicherung des allgemeinen Wohlstands). Ein Mehr an Freiheit erfordert und ermöglicht diesem Verständnis zufolge gleichzeitig ein Mehr an Sicherheit, statt eines Konkurrenz- stehen die beiden Konzepte jetzt in einem Aufstachelungsverhältnis. Im klassischen Liberalismus, wie er im 18. und 19. Jahrhundert entworfen

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wurde, ist das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit tendenziell noch ein äußerliches: Zu viel Freiheit ist schädlich für die Gesellschaft, Einschränkungen der Freiheit und flankierende Maßnahmen sind daher nötig. Im neoliberalen Denken des 20. Jahrhunderts wird das Verhältnis zu einem immanenten: Der Markt selbst ist es, der gesichert werden muss. In beiden Fällen ist Sicherheit das Argument für die Anwendung von Herrschaftstechniken, die eigentlich aus einer anderen Zeit stammen (Dean 2010, 137 – 140; 201; 226 – 227): »[W]here the exercise of liberty might undermine the security of property or of the state, liberalism remains continuous with police in recommending detailed regulation of particular populations« (Dean 2010, 138). Die zentrale Wissensform, auf der liberale Sicherheitspolitik basiert, ist die Risikokalkulation. Sie soll erlauben, aufbauend auf objektiv zu konstatierenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Eigengesetzlichkeiten die Wahrscheinlichkeit von Gefahren einzuschätzen24. Insofern es dabei darum geht, Risiken direkt auf individueller Ebene zu begegnen, sind liberale Gesellschaften Versicherungsgesellschaften. Daneben ist auf überindividuelle Bedrohungen für die Gesamtordnung zu reagieren. In komplexen politischen Maßnahmen wie etwa wohlfahrtsstaatlichen Programmen spielen beide Formen von Sicherheitsmaßnahmen zusammen. Beides muss ständig gegen das eigentliche Ziel – die Herstellung freier Marktverhältnisse – abgewogen werden: Die Politik des Welfare, die von Roosevelt zum Beispiel von 1932 an umgesetzt wurde, war eine Form, in einer gefährlichen Situation der Arbeitslosigkeit, mehr Freiheit zu garantieren und herzustellen: Freiheit der Arbeit, Freiheit des Konsums, politische Freiheit usw. Zu welchem Preis? Eben zu dem Preis einer ganzen Reihe von Interventionen. […] Man garantiert die demokratischen Freiheiten in diesem Fall nur durch einen ökonomischen Interventionismus, der als eine Bedrohung der Freiheiten angeprangert wird. (Foucault 2006a, 103 – 104)

Sicherheit ist dabei nicht nur eine Frage der Legitimierung politischer Maßnahmen. Als politische Rationalität ist sie institutionell verankert und struk24 Foucault (2006b, 24 – 26) veranschaulicht den grundlegenden Wandel, den diese Sicherheitslogik impliziert, mit dem Unterschied in den politischen Reaktionen auf Lepra, Pest und Pocken. Während auf die Lepra mit einer Strategie des radikalen Ausschlusses reagiert wurde, wurde der Pest mit einer disziplinären Strategie begegnet: Orte wurden kartographiert und systematisch unterteilt, Personen fixen Orten zugeteilt und einer systematischen Erfassung und Kontrolle unterworfen. Die Antwort auf die Pocken war eine fundamental andere. Erstens wurde die Krankheit nicht einfach ausgeschlossen oder kontrolliert; in Form von Immunisierungsimpfungen wurde sie vielmehr direkt und gezielt initiiert, aber unter bewusster Kontrolle der Risiken. Eine solche Strategie setzt einen grundlegenden Wechsel der Denkformen voraus. Zweitens traten die Konzepte des Risikos und der Wahrscheinlichkeit ins Zentrum der Gegenstrategien: Aufgrund individueller Merkmale konnten Erkrankungsraten und aus diesen die jeweilige Erkrankungswahrscheinlichkeit errechnet werden, diese bildeten die Grundlage für gezielte Gegenmaßnahmen.

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turiert gesellschaftliche Einrichtungen und Abläufe. Foucault spricht in diesem Zusammenhang von »Dispositiven der Sicherheit«: institutionellen Arrangements von Diskursen und Praktiken, die es erlauben, soziale Phänomene einer Sicherheitslogik entsprechend zu regieren. Welche gesellschaftlichen Problembereiche sicherheitspolitisch durchdrungen sind, ist historisch variabel (Dean 2010, 206 – 212; Lemke 2008, 51 – 53); kein soziales Phänomen ist von sich aus »riskant«, es muss durch aktive Handlungen zu einer »domain of insecurity« (Huysmans 2006) gemacht werden. Im Lauf der Zeit haben sich in diesem Zusammenhang staatliche Teilbereiche ausdifferenziert, die professionell mit der Konstruktion, Abschätzung und Abwehr von Sicherheitsrisiken betraut sind. Die Art der Risiken – Kriminalität, Krankheit, Armut, identitätspolitische Bedrohungen, etc. – kann dabei variieren. Die diversen Formen institutionell verfestigter und rhetorisch legitimierter Sicherheitspraktiken erfüllen für die Aufrechterhaltung des staatlichen Zusammenhangs eine zwar implizite, aber wesentliche identitätspolitische Aufgabe. Sicherheit ist konstitutiv für politische »Gemeinschaften« (van Munster 2009, 7 – 11), weil jede Sicherheitsmaßnahme ein zu sicherndes Referenzobjekt voraussetzt. Diese Dimension von Sicherheitspolitik wird speziell in theoretischen Ansätzen betont, die an Carl Schmitts Theoretisierung des Ausnahmezustands ansetzen. Für Schmitt steht im Zentrum der Sicherheitspolitik die Frage, wer berechtigt ist, über den Ausnahmezustand zu entscheiden (Waever et al. 1993; Buzan et al. 1998). In der Entscheidung über die Ausnahme liegt der Beweis der Souveränität. Diese Entscheidung ist immer auch eine Entscheidung über »Feind« und »Freund«. Der entscheidungsbefugte Souverän erklärt seine Untertanen als bedroht (und deklariert damit seinen Herrschaftsanspruch über sie) und definiert dabei zwangsläufig das Außen, den Feind, der die Gefahr verkörpert (Williams 2003). Im Vergleich zur Schmitt’schen Konzeption betont Foucault die Alltäglichkeit liberaler Sicherheitsmaßnahmen gegen Gefahren, die sich direkt aus dem Funktionieren der Freiheit ergeben. Entsprechend spielen der Ausnahmezustand und die durch diesen ermöglichten und notwendig gemachten Notstandsmaßnahmen in seinen Überlegungen eine vergleichsweise kleine Rolle. In der engen Verbindung von Sicherheits- und Identitätspolitik wird eine entscheidende Grundlage für die Sekuritisierung von Migration gesehen: »Migration is seen as a political problem because it enters into the political arena in a way that contests the premises of polity and state« (Bigo 2002, 71). Migration ist definitionsgemäß ein transnationales Phänomen und steht damit notwendig quer zu nationalen Identitätsordnungen. MigrantInnen sind identitätspolitisch zwangsläufig als »die anderen« markiert; damit können sie als Bevölkerungsgruppe zu einem Sicherheitsproblem für die nationale Gesellschaft stilisiert werden, obwohl sie, etwa als Arbeitskräfte, in die zu sichernde Gesellschaft

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eingebunden sind. Bigo (2002, 65) argumentiert: »Securitization of the immigrant as a risk is based on our conception of the state as a body or a container for the polity«, und fährt fort, diese Sekuritisierung direkt mit den Handlungslogiken der institutionell hervorgebrachten AkteurInnen – in diesem Fall: PolitikerInnen und security professionals – zu verknüpfen: »It is anchored in the fears of politicians about losing their symbolic control over the territorial boundaries. It is structured by the habitus of the security professionals and their new interests not only in the foreigner but in the ›immigrant‹.« Auch Buonfino (2004) sieht die Sekuritisierung von Migration institutionell in der Form des liberal-demokratischen Nationalstaats verankert, genauer in einer identitätspolitischen Dynamik zwischen Politik, Medien und Öffentlichkeit, die in liberalen Nationalstaaten zur sekuritisierenden Politisierung von Migration führt, »aimed at the preservation of existing power structures and socio-political boundaries« (Buonfino 2004, 23). Gerade die Unwirksamkeit von Einwänden und Gegenbefunden, die versuchen, die Diagnose vom Sicherheitsrisiko Migration zu widerlegen, zeigt Bigo (1998/2002) zufolge, dass die Sekuritisierung von Migration strukturell bedingt ist: »Bien que les ambiguit¦s du discours de s¦curit¦ aient ¦t¦ souvent largement d¦montr¦es, le discours de s¦curisation continue« (Bigo 1998, 2). Huysmans (2006) identifiziert drei Formen, in denen Migration in liberalen Nationalstaaten zu einem Sicherheitsthema gemacht wird: als Gefahr (i) für die öffentliche Ordnung, (ii) für soziale Sicherungssysteme und (iii) für kulturelle Identitäten. Für alle drei Formen wurde für die vergangenen zwei Jahrzehnte ein umfassender Prozess der Sekuritisierung von Migration diagnostiziert, der seine Grundlage in komplexen gesellschaftlichen Transformationsprozessen hat (Guild 2009; van Munster 2009; Triadafilopoulos 2011). Dabei sind sowohl innerstaatliche als auch internationale Entwicklungen im Spiel. Die TheoretikerInnen der Copenhagen School konzentrieren sich in ihren Analysen auf die Verschiebungen im internationalen Sicherheitsgefüge nach dem Ende des Kalten Krieges, das dazu geführt habe, dass Sicherheitsverbände und -expertInnen neue Bedrohungsszenarien in den Fokus gerückt hätten (Waever et al. 1993; Buzan et al. 1998). Gleichzeitig führen u. a. der Abbau sozialstaatlicher Sicherungssysteme und hohe Arbeitslosenzahlen zu einer allgemein höheren Unsicherheit, die für die strategische Sekuritisierung von Migration einen fruchtbaren Boden bereiten: Western societies are witnessing many existential and conceptual anxieties and fears about their identity, security, and well-being. As Martin Heisler asserts, migration is at the focal point of the interrelated dynamics of identity, borders, and orders. By its transnational character, its dynamic, and its impact on people and institutions at all levels, migration is perceived as posing a serious challenge to the long-standing paradigms of certainty and order. (Ceyhan/Tsoukala 2002, 21)

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Migration wurde dabei zu einer Art leerem Signifikant, der sich mit vielfältigen Risiken und Gefährdungen verbinden lässt: »[Immigration] is not a legal status that is under discussion but a social image, concerning […] the ›social distribution of the bad‹« (Bigo 2002, 71). Migration kann im Bereich internationaler Entwicklungen als Schnittstelle zwischen den neuen Risiken des Terrorismus, internationaler Kriminalität und globalisierungsbedingten Unsicherheiten inszeniert werden; innerstaatlich lässt sich Migration aufgrund der realen Ethnisierung sozialer Ungleichheiten mit vielfältigen Gefährdungen verknüpfen, die seit Jahrhunderten Thema liberaler Sicherheitspolitik waren, ohne mit Migration verknüpft gewesen zu sein: Unruhen in Vorstädten und inner cities, Armut und Bildungsprobleme sind Beispiele. Die »gefährlichen Individuen« früherer Zeiten sind heute MigrantInnen: »It is not that the space of the inside and the outside is changing, or that international security is extending inside through a ›societal‹ sector ; it is that they are now intertwined by the convergence toward the same figure of risk and of unease management, the immigrant.« (Bigo 2002, 77) Die Sekuritisierung von Migration ist strukturell verankert, ihre Formen und relative Bedeutung verändern sich aber über die Zeit; es hat Phasen ohne merkbare Sekuritisierung von Migration gegeben, in anderen Fällen war eine De-Sekuritisierung zu beobachten, wie Boswell (2007) am Beispiel der Verknüpfung von Terrorismus und Migration nach dem 11. September 2001 in der EU illustriert. Buonfino (2004) argumentiert, dass eine ökonomisierende Problematisierung ein möglicher Gegendiskurs zur Verknüpfung von Migration und Sicherheit sei. Die in dieser Arbeit präsentierten Befunde legen eine weniger antagonistische Konzipierung der Beziehung zwischen den beiden Problematisierungsformen nahe.

2.4

Recht und Diskurs: die politische Regulation von Migration

Die Analyse der Entwicklung des österreichischen Migrationsregimes in der vorliegenden Arbeit geht von der Annahme aus, dass Sekuritisierung und Ökonomisierung wesentliche Elemente einer liberalen politischen Rationalität sind. Sie sind im liberalen Nationalstaat strukturell angelegte Formen der Problematisierung, die institutionell verankert sind. Mit welchen Mitteln arbeitet nun eine Regierung, die einer solchen Rationalität folgt? Wie reguliert sie das Spiel der wirtschaftlichen und demographischen Kräfte? In Foucaults Worten: »Wie kann dieses Phänomen der ›Population‹ mit seinen spezifischen Wirkungen und Problemen in einem System Berücksichtigung finden, das auf die Respektierung des Rechtssubjekts und der Entscheidungsfreiheit bedacht ist?«

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(Foucault 2006a, 435). In welchen Formen und mit welchen Mitteln können speziell Migrationsverhältnisse reguliert werden? Dabei werden im Folgenden weniger Instrumente der puren »Staatsgewalt« behandelt. Das Monopol legitimer physischer Gewaltausübung, über das Max Weber den Staat definiert (Weber 1972, 514), ist natürlich auch heute noch relevant. Gerade im Feld der Migrationspolitik kommt dieser negativ-repressiven Seite der Staatsgewalt große Bedeutung zu (de Genova 2010). Die Grenze, wer wofür mit der »nackten Gewalt« direkter physischer Eingriffe konfrontiert ist (Freiheitsentzug, polizeiliche Freiheitsbeschränkung etc.), hat sich gerade in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch in Richtung einer Zunahme staatlicher Gewaltakte verschoben (Transit Migration 2007; Peutz/de Genova 2010; Walters 2010). Diese Form der repressiven Staatsgewalt wird aber vor allem im Fall der Arbeitsmigration durch andere Formen der politischen Regulation eingeschränkt und ergänzt. Für die analytischen Ziele dieser Arbeit ist die juridisch-rechtsstaatliche Gestaltung von Rahmenbedingungen, gestützt auf Formen der diskursiven Regulation, von mindestens ebenso großer Bedeutung. ArbeitsmigrantInnen sind in diesem Sinn eben nicht »moderne Sklaven« (Prader 1992b), sie sind als freie MarktteilnehmerInnen konstituiert. Die rechtliche Steuerung betreffend unterscheide ich im Folgenden zwei Formen, in denen Recht im liberalen Nationalstaat auftritt: zum einen als souveränitätsbegründende Grundrechte, die das Verhältnis zwischen StaatsbürgerInnen und Staat definieren; zum anderen als instrumentelle Rechtsordnungen, die als politische Technologien der Sicherung und Regelung alltäglichen sozialen Handelns dienen. Migration lässt sich vor diesem Hintergrund als soziales Phänomen fassen, das über die instrumentelle Nutzung souveränitätsbegründender Rechte reguliert wird. Diskursive Entwicklungen sind für meine Argumentation auf zwei Arten relevant. Erstens sind Problematisierungen, auf deren Basis politische Technologien entwickelt und eingesetzt werden, selbst diskursive Phänomene. In diesen Problematisierungsprozessen spielen zweitens etablierte Differenzierungen und damit verbundene Begrifflichkeiten, Kategorisierungen und schematisierte Zuschreibungen eine wichtige Rolle – diese können als »terminologische Technologien« gefasst werden, insofern sie in der politischen Steuerung von Migrationsverhältnissen funktional eingebettet sind.

2.4.1 Rechtmäßige Regulation? Migration zwischen staatsbürgerschaftlichen und instrumentellen Rechten Wenn liberale Regierungskunst darin besteht, die in der Bevölkerung selbst gefundenen Gesetzmäßigkeiten zu respektieren, diese aber gleichzeitig so auf-

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einander abzustimmen, dass der kollektive Nutzen maximiert wird, dann muss sie zunächst allgemein verbindliche Regeln herstellen, die es erlauben, den kollektiven Gesamtzusammenhang zu sichern. Diese zu verallgemeinernden Regeln ergeben sich im liberalen Staat allerdings nur aus dem, was in seiner Bevölkerung als »normal« gilt. Ein wichtiger Teil liberaler Regierungskunst besteht also darin, diese Normalität festzustellen und zu verallgemeinern – anders formuliert: als Norm zu setzen und durchzusetzen. Gesellschaftliche Normen können dabei über Recht und Gesetz kodifiziert werden (Foucault 2006b, 88). Recht stützt sich auf gesellschaftlich gültige Normen und wirkt umgekehrt selbst normalisierend. Wesentlich ist, that it derives not from a general view of the cosmos, of being or of human nature, but from the characteristics or attributes of the things, activities, facts or populations to which it is applied […]. The kind of law which is compatible with normalizing practices is one in which laws are produced with reference to the particular society it claims to regulate and not to a set of universal principles (Dean 2010, 142).

Über die rechtliche Kodifizierung von Normen strukturiert liberale Regierung die Rahmenbedingungen, unter denen freie Subjekte handeln. Auch die Gestaltung von administrativen Abläufen oder die Standardisierung von Prozessen sind Formen der Normalisierung. Juristische (und administrative) Formen der Regulation können damit in zweckgerichtete Regierungsprogramme integriert werden, die über die Veränderung von Rahmenbedingungen auf die gesamtgesellschaftliche Verteilung von Raten und Risiken einwirken. Recht und administrative Abläufe können in diesem Sinn als politische Technologien gefasst werden, die es einer liberalen politischen Regierung erlauben, gesellschaftliche Verhältnisse zu regulieren (Foucault 2006b, 23). Recht ist in diesem Fall ein Mittel zur Regulierung des gesellschaftlichen Zusammenhangs, mit dem sich »Dinge konkret ordnen« (Gehring 2007, 167) lassen sollen; weniger ewiges Recht als »Taktiken als Gesetze oder allenfalls Gesetze als Taktiken« (Foucault 2006b, 150). Der von Foucault diagnostizierte Normalisierungscharakter gibt dem Recht im liberalen Nationalstaat einen zirkulären Charakter : Die Prinzipien zur Steuerung der Bevölkerung können nur aus dieser selbst kommen. Das führt zu einem zweiten Modus des Rechts, der sich im Gegensatz zu den beschriebenen Formen der juridisch kodifizierten Regulation einer utilitaristischen Relativierung sperrt. Der liberale Regierungszusammenhang integriert die Bevölkerung nicht nur als zu steuernde Masse, sondern auch als Rechtssubjekte, die mit staatsbürgerschaftlichen Grundrechten ausgestattet sind, die sie vor staatlicher Willkür schützen. Die Durchsetzung dieser souveränitätsbegründenden Rechte markiert den wesentlichen Bruch zwischen feudaler Untertanenherrschaft und liberaler Regierung (Gehring 2007, 166).

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Solche souveränitätsbegründenden Grundrechte beschränken die staatliche Willkür und kodifizieren damit eine wesentliche Maxime einer liberalen politischen Rationalität. Repräsentative Demokratie und moderner Rechtsstaat sind die Antworten, die historisch auf die Herausforderung gefunden wurden, eine politische Form der Regierung zu definieren, die ihren Zweck nicht in sich selbst, sondern nur in einer ihr äußerlichen Gesellschaft findet und die der Maxime der Minimierung der Eingriffe zur Maximierung des kollektiven Nutzens folgt25. In diesen Grundrechten wird das Verhältnis zwischen BürgerInnen und Staat ausbuchstabiert. Marshall (1950/1992) zufolge hat sich dabei der Umfang staatsbürgerschaftlicher Rechte seit dem 18. Jahrhundert stetig erweitert und umfasst heute bürgerliche, politische und soziale Rechte. Marshall ordnet die Durchsetzung jedes dieser Bereiche einem Jahrhundert zu: Im 18. Jahrhundert wurden grundlegende bürgerliche Rechte wie das Recht auf freien Vertragsabschluss, Arbeitsmarktfreiheit, das Recht auf ungestörten Aufenthalt und auf Bewegungsfreiheit durchgesetzt. Im 19. Jahrhundert kamen politische Rechte (Wahlrecht, Versammlungsrecht etc.) auf breiter Basis dazu – wobei die Verallgemeinerung dieser Rechte auf große Bevölkerungsteile erst mit der Zeit erfolgte. Im 20. Jahrhundert wurden schließlich mit der Etablierung moderner Wohlfahrtsstaaten soziale Ansprüche rechtlich kodifiziert. Staatsbürgerschaftsrechte spiegeln damit wider, wie zu einem gegebenen Zeitpunkt das Verhältnis zwischen BürgerInnen und Staat gefasst wird, sie definieren einerseits Pflichten, andererseits aber vor allem Rechte und Ansprüche. 25 »Wenn die Gouvernementalität sich selbst begrenzen soll, wie kann diese Selbstbegrenzung rechtlich formuliert werden, ohne dass die Regierung gelähmt wird und ohne dass jener Ort der Wahrheit – und genau hier liegt das Problem – erstickt wird, für den der Markt das bevorzugte Beispiel darstellte und den man in dieser Hinsicht respektieren mußte?« (Foucault 2006a, 63 – 64). Die Durchsetzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse und die Etablierung demokratischer Nationalstaaten waren mit komplexen gesellschaftlichen Transformationsprozessen verbunden (siehe etwa Held 1996, 70 – 120), entsprechend kann kein einfacher Kausalzusammenhang zwischen ihnen unterstellt werden. Im Gegenteil, die Geschichte ist reich an Beispielen, die belegen, dass liberale Marktverhältnisse mit anderen als demokratischen politischen Verhältnissen kompatibel sind; »liberalism has no necessary affinity with law« (Dean 2010, 14). Allerdings haben sie sich historisch als einander funktional angemessen erwiesen; die Idee allgemeiner Menschenrechte und die utilitaristisch begründete Selbstbeschränkung des modernen Rechtsstaats postulieren beide individuelle Freiheiten als Rechtsanspruch gegenüber herrschenden Gewalten. Für die Beschränkung willkürlicher Staatsgewalt kann aus menschenrechtlicher Perspektive ebenso wie von der programmatischen Einsicht in die Nutzlosigkeit staatlicher Interventionen aus argumentiert werden. »Das System der Menschenrechte und das System der Unabhängigkeit der Regierten sind zwei Systeme, von denen ich nicht behaupte, dass sie sich nicht durchdringen, die jedoch einen verschiedenen geschichtlichen Ursprung haben und die eine Heterogenität aufweisen, eine Diskrepanz, die ich für wesentlich halte […]. Zwei Wege, um die Regelung der öffentlichen Macht rechtlich zu konstituieren, zwei Auffassungen des Gesetzes, zwei Konzeptionen der Freiheit.« (Foucault 2006a, 69)

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Migrationsverhältnisse stellen nun insofern einen politischen Spezialfall dar, als sie sich zwischen den Polen instrumenteller und souveränitätsbegründender Rechte nicht ohne Weiteres einordnen lassen. Migration fordert etablierte Vorstellungen und Ordnungen politischer Zugehörigkeit heraus – wie sich eindrucksvoll in aktuellen Debatten im Feld der Citizenship Studies26 zeigt, in denen u. a. die grund- und menschenrechtlichen Implikationen der komplexen Migrationsbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg diskutiert werden. In diesen Debatten werden vorwiegend normative Herausforderungen debattiert, im Fokus stehen die Fragen, wie aktuell real bestehende Citizenship-Konstellationen adäquat begrifflich zu fassen sind und entlang welcher Linien aktuelle Citizenship-Konzepte weiterentwickelt werden können. Dazu wurde eine Fülle an Vorschlägen gemacht: multi-layered (Yuval-Davis 1999), nested (Faist 2001), postnational (Soysal 1994) oder transnational (Bauböck 1994) Citizenship sind Beispiele. Hammar (1994) hat schon in den frühen 1990er-Jahren das Konzept der Denizenship vorgeschlagen, um die bürgerschaftsrechtlichen Folgen der Arbeitsmigration nach dem Zweiten Weltkrieg zu erfassen. Gemeinsam ist diesen Problementwürfen, dass sie erstens überwiegend den liberalen Nationalstaat voraussetzen und sich damit in der Tradition liberaler politischer Philosophie bewegen (Jenson 2007). Zweitens diskutieren sie vorwiegend die Grenzen nationalstaatlicher Citizenship-Konzepte. Ein wesentlicher Aspekt, der in der Regulation von Migrationsverhältnissen eine zentrale Rolle spielt, gerät damit aus dem Blick: Als Form, in der der Zugang zu bürgerlichen, politischen und sozialen Rechten geregelt wird, können Citizenship-Rechte als Instrumente der politischen Steuerung/Regierung gesehen werden. Der Nutzen migrantischer Arbeitskraft liegt auch in ihrer Entrechtung begründet, oder, wie Parnreiter (1992, 70) aus weltsystemtheoretischer Perspektive formuliert: Zweck der Arbeitsmigration war es, »den Zentren wirtschaftlicher Entwicklung entsprechend deren jeweiligen Bedürfnissen die benötigten Arbeitskräfte in ausreichendem Umfang und, mindestens ebenso wichtig, größtmöglicher Rechtlosigkeit zur Verfügung zu stellen«. Dabei geht es vorwiegend um staatsbürgerschaftliche Rechte: Einschränkungen der Bewegungs- und Vertragsfreiheit, Beschränkungen im Zugang zu sozialen Rechten und Begrenzungen der politischen Partizipationsmöglichkeiten. Die Regulation von Arbeitsmigration markiert damit einen Spezialfall der juridisch-administrativen Regulation, der durch die instrumentelle Aberkennung von zu einem gegebenen Zeitpunkt als Grundrechte etablierten Ansprüchen gekennzeichnet ist. Von einer Ökonomi26 Der englische Begriff der Citizenship hat ein etwas anderes Bedeutungsfeld als der deutsche der Staatsbürgerschaft – er wird für ein breites Spektrum an Phänomenen genutzt, die sich mit verschiedenen Formen der politischen Teilhabe und Partizipation beschäftigen – und wird daher in dieser Arbeit zusätzlich zum deutschen Begriff verwendet.

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sierung von Migration ausgehende Programme der Arbeitsmigration nutzen die Entrechtung migrantischer Arbeitskraft auf utilitaristischer Grundlage. Wie im empirischen Teil der Arbeit anhand der Entwicklung des österreichischen Migrationsregimes gezeigt werden soll, ist das keine selbstverständliche Fähigkeit liberaler Nationalstaaten: Die differenzielle Entrechtung migrantischer Arbeitskräfte ist vielmehr als historische Errungenschaft zu verstehen. Die Etablierung der entsprechenden Differenzierungen und Entrechtungen basiert auf einem komplexen Wechselspiel von Sekuritisierung und Ökonomisierung.

2.4.2 Ethnisierung und Rassismus: die diskursive Strukturierung der Migrationspolitik Die rechtliche Steuerung von Migration basiert unter anderem auf etablierten Vorstellungen von Zugehörigkeit und Kriterien und Kategorien, entlang derer ein System differenzieller Entrechtung organisiert werden kann. Form und Funktion des liberalen Nationalstaats sind strukturell mit Formen der In- und Exklusion verbunden. Der Form nach setzt er dabei zunächst die Abgrenzung der nationalen Gemeinschaft voraus: Indeed, a key statal task is to aid the organization of spatio-temporal fixes that facilitate the deferral and displacement of contradictions, crisis-tendencies, and conflicts to the benefit of those included in the »general interest« at the expense of those who are more or less excluded from it. (Jessop 2008, 11)

Dabei geht es nicht nur um eine Abgrenzung der Nation nach außen, sondern auch um innere Differenzierungen. Ein System von Ein- und Ausschlüssen dient auch der Minimierung »interner« Gefahren und erfüllt daher eine gouvernementale Aufgabe, weil es die Produktivität des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs stabilisieren und fördern soll. Die Herausforderung lautet in Foucaults Worten: »Durch welches System des Ausschlusses kann die Gesellschaft zu funktionieren beginnen, wen muss sie ausschließen, welche Trennlinien muss sie ziehen, welches System von Negation und Verwerfung braucht sie?« (Foucault 2002, 656). Die Frage nach der rechtlichen Differenzierung zwischen Teilen der Bevölkerung führt zum Problem des Rassismus. Foucault definiert Rassismus als »Möglichkeit, eine Zäsur einzuführen zwischen dem, was leben soll, und dem, was sterben muss« (Foucault 2001, 301). Das martialische Sprachbild deckt dabei alle Formen der Einschränkung von Lebenschancen durch den Entzug von Rechten und von Formen der sozialen Absicherung ab. Rassismus (i) ergibt sich

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demnach aus dem Inneren der liberalen Ordnung27 und (ii) ist funktional an die Optimierung des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs gebunden. Er richtet sich an das Innere der Gesellschaft, impliziert aber auch deren Abgrenzung nach außen. Mit letzterer beschäftigt sich Foucault in seiner unvollendet gebliebenen Theoretisierung des Rassismus nicht – Stoler (1995) argumentiert, dass die Foucault’sche Theoretisierung des Rassismus einer entsprechenden Erweiterung um postkoloniale Theoriebildung bedürfe. Diesem Verständnis folgend ist Rassismus eine strukturell in Ungleichheitsverhältnissen verankerte und an politische Technologien des Ausschlusses gekoppelte diskursive Ordnung, die Kriterien und Kategorien des Ausschlusses bereitstellt. Rassismus ist damit nicht primär ein psychologisches Phänomen und bezeichnet auch nicht vorwiegend spezifische Verhaltensformen, sondern eine überindividuelle Wissensordnung (Miles 1982/1989; Goldberg 1990), ein »systÀme perceptif et significatif« (Guillaumin 1995), das die Einteilung der Bevölkerung in disjunkte Gruppen erlaubt. Rassismus ist in diesem Verständnis auch nicht zwingend an biologistische Vorstellungen gekoppelt, im Gegenteil: In den letzten Jahrzehnten wurde vermehrt ein kulturalistischer Rassismus oder auch ein »Rassismus ohne Rassen« diagnostiziert (Balibar/Wallerstein 1990). Auf der Grundlage einer so gefassten Rassismustheorie können liberale Migrationsregime auf die in ihnen wirksamen Ausschlussmechanismen hin untersucht werden. Wesentlich ist, dass es dabei nicht um nackten Ausschluss, sondern um die produktive Nutzung von Grenzziehungen geht. Lemke (2008, 111) spitzt das Problem des Rassismus dementsprechend auf die Formel »Rechtssubjekt oder Biomasse?« zu. Es geht nicht um totalen Ausschluss, sondern um differenziellen Einschluss unter Vorenthaltung bestimmter Rechte. Damit kann Rassismus innerhalb eines utilitaristischen Gesamtprogrammes funktionieren – nicht in Form einer absoluten Abschottung, sondern: als pro-

27 Und zwar geschieht das einerseits aufgrund der oben erwähnten notwendigen Unterscheidung von innen und außen bei gleichzeitig postulierten universalen Rechten – Rassismus ergibt sich demnach aus dem Widerspruch zwischen universalen und partikularen Elementen der liberal-kapitalistischen Weltordnung (Balibar/Wallerstein 1990). Andererseits ist er aber auch an die innere Rolle liberaler Regierungstätigkeit gekoppelt. Die »biologische Modernitätsschwelle« einer Gesellschaft liegt Foucault zufolge dort, wo es in ihren politischen Strategien um die Existenz der »Gattung« selbst geht (Foucault 1983, 138). Ziel liberaler Gouvernementalität ist die Förderung der in der Bevölkerung angelegten Potenziale; die regierten Individuen sind damit nicht bloß Rechtssubjekte, sondern »Lebewesen«. In Umkehrung des Prinzips der feudalen Ordnung, in der der Souverän leben ließ und sterben machen konnte, heißt das Prinzip liberaler Regierung, »leben zu machen und sterben zu lassen«. Foucault argumentiert, dass damit auch die Identifizierung von »internen« Gefahren und die Bewahrung vor Degeneration verbunden sei. Dabei geht es nicht um Rassenzucht in einem wörtlichen Sinn, sondern primär um Verhaltensweisen und ungleich über Bevölkerungsgruppen verteilte Risiken und Gefährdungen.

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duktives Element in der diskursiven Regulation sozialer Verhältnisse bzw. als Ressource eines begrifflichen und diskursiven politischen Instrumentariums. In diesem Sinn werden in der vorliegenden Arbeit die »historischen Konjunkturen« und wechselnden Formen des »Rassismus« (Demirovic/Bojadzijev 2002) im liberalen Nationalstaat relevant. Im Zentrum stehen dabei Formen der Ethnisierung sozialer Verhältnisse in Abhängigkeit vom Prozess der österreichischen »Nationwerdung«. In Anlehnung an Anderson (1993) wird Nation dabei als »vorgestellte Gemeinschaft« definiert. »Nation« scheint damit zunächst ein Spezialfall der von Weber definierten »ethnischen Gemeinschaften« zu sein28. Allerdings sind Nationen durch eine spezifische Spannung zwischen staatsbürgerschaftlichen (»civic«) und ethnischen (»ethnic«) Identitätsvorstellungen geprägt29. Brubaker (1992) hat ausgehend von dieser Unterscheidung das französische und das deutsche Staatsbürgerschaftsregime einander gegenübergestellt. Die unterschiedlichen Nationsvorstellungen setzen sich, Brubaker zufolge, in den jeweiligen Regelungen des Zugangs zu Staatsbürgerschaftsrechten fort, wie etwa am Vorherrschen des ius soli in Frankreich im Gegensatz zur Orientierung am ius sanguinis in Deutschland, bemerkbar sei. Die strikte Trennung von civic und ethnic nationalism ist allerdings problematisch. Sie unterstellt, dass es eine neutrale, nicht auf differenzieller Exklusion basierende Form nationaler Zugehörigkeit geben könne. Silverman (1992, 19 – 32) argumentiert, dass auch die französische Nationswerdung von ethnisch-rassischen Vorstellungen geprägt war. Kulturelle Identitätsvorstellungen und bürgerlichdemokratische Zugehörigkeit sind eher als zwei aufeinander bezogene Elemente zu denken, die beide für die Konstitution einer Nation notwendig sind (Brubaker 1999). Balibar (1988) zufolge können die ethnic und die civic Komponente nationaler Zugehörigkeit als bestimmende Gegensätze gefasst werden, die zwar in einer Spannung zueinander stehen, einander aber gleichzeitig erst ermöglichen. Der (ethnisch-kulturell kodierte) Partikularismus ist konstitutiv für den Uni28 »Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderungen einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, derart, dass dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht Sippen darstellen, ›ethnische‹ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinsamkeit objektiv vorliegt oder nicht.« (Weber 1972, 237) 29 Die beiden Komponenten dieses Spannungsverhältnisses scheinen sich in zwei unterschiedliche Konzeptionen von Nation übersetzen zu lassen. Auf der einen Seite stehe, diesem Verständnis zufolge, das französische Modell einer civic nation, die ohne Betonung eines kulturellen Erbes auskomme und allein auf die Einbindung in gesellschaftliche Bezüge und das Bekenntnis zur gemeinsamen Nation baue. Als paradigmatische Formulierung dieses Verständnisses gilt Renans Vortrag »Qu’est ce-qu’une nation?« aus dem Jahr 1882. Dem gegenüber stehe das deutsche Modell einer ethnic nation, die von Herder idealtypisch zum Ausdruck gebrachte Vorstellung einer Kulturnation.

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versalismus der Nation. Unter der Voraussetzung, dass Menschen als frei und gleich angenommen werden, die Herstellung eines politischen Zusammenhangs aber auf ein nach außen abgegrenztes Kollektiv mit dazugehörigem allgemeinen Interesse abzielt, ist ein Zugehörigkeitskriterium notwendig, das festlegt, welche Einzelinteressen zu berücksichtigen sind und welche nicht. Die Suche nach geeigneten Kriterien hat sich dabei historisch als schwierig erwiesen. Hobsbawm argumentiert, dass in den seltensten Fällen ein eindeutiges Kriterium vorzufinden war, im Gegenteil: Einheit wurde im Zuge von Staatswerdungen erst hergestellt (Hobsbawm 1991). Sprache und Religion funktionieren dabei bis heute als wichtigste ethnische Marker. National kodierte Formen der Abgrenzung und Ausschließung sind in der Migrationspolitik von herausragender Bedeutung. In dieser Arbeit werden nichtsdestotrotz eher die Begriffe Ethnisierung und Rassismus als jener des Nationalismus genutzt. Erstens, um der historischen Variabilität diskursiver Regulationsformen gerecht zu werden und auch neue Formen der Ethnisierung (»the West against the Rest« und die gestiegene Bedeutung des Islam als leitendes Feindbild sind Beispiele) berücksichtigen zu können, die sich nicht unmittelbar in einer Veränderung nationaler Zugehörigkeitsvorstellungen niederschlagen. Zweitens sind in aktuellen migrationspolitischen Entwicklungen neue Kriterien und Kategorien der differenziellen Entrechtung zu beobachten, die zumindest oberflächlich eher meritokratischer als ethnisch-nationaler Art sind. Einmal etabliert prägen im weitesten Sinn rassistische/ethnisierte Klassifikationen die Problematisierung sozialer Phänomene. Wechselnde Formen der Ethnisierung sind damit neben Sekuritisierung und Ökonomisierung ein drittes wesentliches Element liberaler politischer Rationalitäten. Sofern sie in der Strukturierung politischer Maßnahmen wirksam werden, verändern sie das strategisch-relationale Gefüge und erhöhen oder vermindern die staatliche und gesellschaftliche Anschlussfähigkeit verschiedener Problementwürfe.

2.5

Vom Nachkriegskonsens zur Neuen Weltordnung, vom embedded liberalism zum Neoliberalismus

Aus den dargestellten Prinzipien einer liberalen politischen Rationalität ergibt sich die These, dass Sekuritisierung und Ökonomisierung strukturell in liberalen Nationalstaaten angelegte und daher sehr wahrscheinliche Formen der politischen Problematisierung von Migration sind. Die strategisch-relationale Analyseperspektive legt gleichzeitig die Vermutung nahe, dass die konkreten Formen der Problematisierung vom wirtschaftlichen, politischen und sozialen

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Kontext abhängen. Sowohl für die Analyse der historischen Schwerpunktsetzungen und des Wechselspiels zwischen den beiden zentralen Problematisierungsweisen als auch für die Frage nach den Maßnahmen, die auf ihrer Grundlage durchgesetzt werden, müssen daher die konkreten politisch-ökonomischen Gegebenheiten berücksichtigt werden. Im letzten Abschnitt des Theorieteils diskutiere ich wichtige Elemente der strukturellen Rahmenbedingungen und der gesellschaftlichen Transformationsprozesse, auf deren Basis bestimmte Arten, Migration zu problematisieren, dominant wurden und in konkreten politischen Maßnahmen Niederschlag fanden. Die skizzierte liberale »Rationalität« hat programmatischen Charakter und ist nicht mit realen politischen Ordnungen zu verwechseln. Sie stellt ein Schema zur Reflexion und Kritik von Regierungstätigkeit und politischen Verhältnissen zur Verfügung, aber nur eines unter anderen. Konkrete politisch-ökonomische Verhältnisse entsprechen den liberalen Grundprinzipien immer nur zu einem gewissen Grad. Aus dem Zusammenspiel mit anderen Rationalitäten ergeben sich verschiedene Spielarten einer liberalen Rationalität. Eine unter bestimmten historischen Umständen politisch erfolgreiche Art, ein Problem zu fassen, kann dabei unter veränderten Rahmenbedingungen an Legitimität oder Plausibilität verlieren. Abgesehen davon, dass sie stets nur ein politisches Deutungsmuster neben anderen ist, muss sie sich in gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen bewähren. Die wesentlichen Aspekte der politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen migrationspolitischer Entwicklungen werden im Folgenden in drei Schritten dargestellt. Zunächst wird das spezifische Nachkriegsarrangement, das in praktisch allen industrialisierten Staaten zu finden war, aus regulationstheoretischer Sicht als fordistischer Kompromiss im gesellschaftlichen Kräfteverhältnis beschrieben. Keynes’sche Wirtschaftspolitik, ein Ausbau von sozialen Rechten, niedrige Arbeitslosigkeit und ein um fixe Wechselkurse organisiertes Weltwirtschaftssystem sind zentrale Aspekte dieses Arrangements. Ab Mitte der 1970er-Jahre wurden die Krisenelemente dieses Systems offensichtlich; als Antwort auf die resultierende Herausforderung setzten sich neoliberale Ansätze durch, die zu weitreichenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Restrukturierungen führten. Diesen neoliberalen Krisenbewältigungsstrategien ist Abschnitt 2.5.2 gewidmet. Im dritten Unterabschnitt diskutiere ich relevante Eigenheiten der Form, in der sich diese globalen Entwicklungen in Österreich konkretisierten. Die in diesem Kapitel genannten Aspekte werden im empirischen Teil der Arbeit speziell bei der kontextualisierenden Diskussion der Befunde eine Rolle spielen.

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2.5.1 Die Nachkriegsordnung: Stabilität trotz Krisenhaftigkeit Die Charakterisierung der politisch-ökonomischen Ordnung in dieser Arbeit orientiert sich an den Analysen der Regulationstheorie, die vor allem mit der Charakterisierung des »Fordismus«, seiner Krise und des Übergangs in postfordistische Ordnungen breite Bekanntheit erlangt haben (Hübner 1989; Demirovic et al. 1992; Jessop 2002). Die Regulationstheorie stellt einen Versuch dar, die verschiedenen Formen, in denen sich in immanent krisenhaften, kapitalistischen Gesellschaften mehr oder weniger stabile politische und wirtschaftliche Konstellationen ergeben, begrifflich und analytisch zu fassen (Lipietz 1985/ 1992). Die zentralen Analyseelemente sind dabei die Konzepte (i) des Akkumulationsregimes und (ii) der Regulationsweise. Ersteres zielt auf die Ebene der Wirtschaftsstruktur und umfasst Produktionsformen ebenso wie Finanzierungs- und Investitionsstrategien; zentral ist dabei die Unterscheidung zwischen extensiven Strategien der Massenfertigung und intensiven, tendenziell kapitalintensiven Strategien der Qualitätsfertigung. Ob und wie lange sich ein Akkumulationsregime halten kann, hängt u. a. von der dominanten Regulationsweise ab: der politischen Form der Organisierung und Verwaltung des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs. Diese umfasst Lebensstile, Werte und Normen ebenso wie staatliche Institutionen (für einen kritischen Überblick siehe Hübner 1989). Einflussreich in der soziologischen Theoriebildung wurde der Regulationsansatz mit seiner Analyse der in den meisten kapitalistischen Staaten anzutreffenden fordistischen Nachkriegsordnung (Jessop 2002, 56 – 58). Die gesellschaftliche Ordnung des Fordismus kombinierte tayloristisch organisierte industrielle Massenfertigung mit einer politischen Regulation, die auf die Stabilisierung der Nachfrage und die identitätspolitische Integration der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Gesamtzusammenhang abzielte. Wirtschaftspolitisch waren dabei die von Keynes formulierten Prinzipien prägend; oberste Prämisse war die Reduktion von Arbeitslosigkeit und Armut, um über die Stabilisierung der Nachfrage Überproduktionskrisen zu begegnen. Niedrige Arbeitslosenzahlen sollten dabei durch stabiles Wachstum gesichert werden, dazu kam die Verkürzung der Lebensarbeitszeit über die Ausdehnung von Pensionsund Ausbildungszeiten und die Reduktion der Wochenarbeitszeit. Politisch setzte die fordistische Nachkriegsordnung damit die massive Ausdehnung der von Marshall (1950/1992) beschriebenen sozialen Staatsbürgerschaftsrechte voraus. Die staatlich gesicherte Nachfrage erlaubte wiederum industrielle Massenfertigung, weil Unternehmen mit einem stabilen Markt rechnen konnten. International wurde dieses politisch-ökonomische Arrangement durch ein im Abkommen von Bretton Woods festgelegtes Währungssystem, das fixe Wechselkurse vorsah, und diesem entsprechende Handelsabkommen gestützt.

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Diese Weltwirtschaftsordnung gab nationalen Regierungen den Spielraum zum Ausgleich der eigenen Zahlungsbilanz über staatlich kontrollierte Ab- und Aufwertungen. Ruggie (1982) bezeichnete die resultierende politische Ordnung in Anlehnung an Polanyi (2001 [1944]) als »embedded liberalism«. Er streicht damit hervor, dass an grundlegenden Prinzipien einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung trotz wohlfahrtsstaatlicher Interventionen festgehalten wurde. In diesem Sinn kann auch die auf den ersten Blick von sozialpolitischen Erwägungen geprägte politische Rationalität des Nachkriegsarrangements als »liberal« charakterisiert werden. Pate stand dafür die Politik des New Deal, den Foucault (2006b) als eine spezifische Form einer Sicherheitsmaßnahme im Rahmen des Liberalismus interpretiert. Diese Nachkriegsordnung war das Ergebnis gesellschaftlicher Kämpfe. Die politische Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten und die Erweiterung sozialer Rechte war auch ein Versuch, den sozialen Frieden zu sichern: »To ensure domestic peace and tranquility, some sort of class compromise between capital and labor had to be constructed« (Harvey 2005, 10). Obwohl dem Anschein nach alle sozialen Kräfte profitierten, blieb dieser Konsens stets umkämpft. Vor allem ergaben sich aber charakteristische Krisenerscheinungen, die ab Mitte der 1970er-Jahre zu fundamentalen Restrukturierungen der gesellschaftlichen Verhältnisse führten.

2.5.2 Die Krise des Fordismus und die neoliberale Restrukturierung Aus regulationstheoretischer Sicht war die üblicherweise als »Ölkrise« bezeichnete Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre weniger ein exogen verursachtes Ereignis als das Ergebnis einer endogenen strukturellen Krisenhaftigkeit der fordistischen Nachkriegsordnung. Die unmittelbare Krise hatte »various general economic, political, and sociocultural causes« ebenso wie »more specific, conjunctural factors that affected the timing, forms, and incidence of the crisis in particular cases« (Jessop 2002, 80 – 81). Im Kern handelte es sich um eine Stagflationskrise: Während die sozial- und währungspolitischen Entwicklungen weiterhin als Preistreiber wirkten, ebbte die Wachstumsdynamik ab, was zu sinkenden Profitraten führte. Das wiederum bedeutete für Unternehmen weniger Spielraum zur Investition in neue Produktionstechnologien. Als mit dem Ölpreisschock die Nachfrage zurückging, kamen Elemente einer Überproduktionskrise hinzu (Hirsch 1996). Auch das System der relativ fixierten Wechselkurse kam in die Krise und wurde schließlich aufgegeben. Nach Aufkündigung des Abkommens von Bretton Woods erlaubten die nun frei schwankenden Wechselkurse ganz neue Formen der internationalen Kapitalinvestitionen, ein wesentlicher Treiber der wirtschaftlichen Globalisierung.

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Die Krise verlangte fundamentale Antworten. Nachdem die Probleme allgemein als strukturell verankert erkannt worden waren, stellte sich die Frage nach weitreichenden gesellschaftlichen Restrukturierungen, aber auch nach den politischen Prinzipien der Regierungstätigkeit: Die Krise des Kapitalismus war auch eine Krise des klassischen Liberalismus (Foucault 2006a, 106). Zur Wirtschaftskrise gesellte sich die politische Frage nach den Prinzipien, die der Lösungsfindung zugrunde liegen sollten. Für Unternehmen und Wirtschaftsverbände bestand das politische Problem vor allem in der Verhandlungsmacht der ArbeiterInnenklasse, die u. a. auf der nach wie vor vergleichsweise niedrigen Arbeitslosigkeit in zahlreichen Industriestaaten beruhte, aber auch als Folge neuer Formen von Beteiligungskämpfen gestärkt schien. Harvey (2005, 12 – 13) argumentiert, dass in dieser Situation unterschiedliche Entwicklungen denkbar waren, auch eine Radikalisierung gesellschaftlicher Beteiligung und die Ausdehnung sozialer Rechte. Historisch durchgesetzt hat sich eine andere Lösungsstrategie, die Harvey als neoliberal charakterisiert. Dass sich der Neoliberalismus durchsetzen konnte, hat auch damit zu tun, dass die neoliberale Doktrin über Jahrzehnte ausgearbeitet worden war (Harvey 2005). Der Neoliberalismus war zunächst eine Denkschule, die in Zirkeln, die AkademikerInnen, Wirtschaftstreibende und PolitikerInnen zusammenbrachten, entwickelt wurde. Foucault (2006a) analysiert zwei Spielarten einer solchen neoliberalen Programmatik, die sich in zentralen Aspekten ähneln: den deutschen Ordoliberalismus und die US-amerikanische Version der Chicago School. Wichtige wirtschaftstheoretische Grundlagen lieferten zwei Denker, deren gesellschaftsprogrammatische Überlegungen bis heute einflussreich geblieben sind: Friedrich von Hayek und Milton Friedman. Der durchschlagende Erfolg neoliberaler Theoretiker ab Mitte der 1970er-Jahre war das Ergebnis von Lobbying und geplanter Interventionen wirtschaftsliberaler Eliten (Miller 2010) – also des bewussten Versuchs, »to realign social forces around alternative accumulation strategies, state projects, and hegemonic visions« (Jessop 2002, 81). Spätestens mit den Regierungen von Thatcher in Großbritannien und Reagan in den USA wurde das neoliberale Programm international zur bestimmenden politischen Rationalität. Der Neoliberalismus entwickelt den klassischen Liberalismus in einigen Aspekten weiter. Oberstes Ziel der Wirtschaftspolitik hat makroökonomische Stabilität als Voraussetzung für ein effektives Funktionieren der Märkte zu sein. An die Stelle der Keynes’schen Ziele Vollbeschäftigung und Armutsbeseitigung treten daher eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, Austeritätspolitik und eine Priorisierung von Währungsstabilisierung und Wirtschaftswachstum30(MacLeavy 2010, 134 – 136). Politisch waren damit ein verschärfter Utili30 Nachdem wachsende Staatschulden und hohe Inflation zu den wesentlichen Krisensym-

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tarismus und eine Abkehr von der Generalisierung sozialer Rechte verbunden. Der Wettbewerb wurde zum Leitmotiv ; nur eine dem Modell des Wettbewerbs folgende Gesellschaft sei langfristig überlebensfähig. Im Gegensatz zum klassischen Liberalismus wird aber nicht davon ausgegangen, dass Markt und Wettbewerb Naturzustände seien31; vielmehr seien die Rahmenbedingungen für den Wettbewerb erst herzustellen – das zu tun ist im neoliberalen Denken primäre Aufgabe des Staates. Die staatliche Absicherung der Marktverhältnisse begründet die Notwendigkeit des Rechtsstaats. Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit sind aber nicht nur im Wirtschaftsbereich zentral. Auch die Sozialpolitik und der Staat im Allgemeinen sollten nach dem Konkurrenzprinzip funktionieren. Sozialpolitisch wurde das Prinzip der Selbstverantwortung statt der Abhängigkeit vom Staat proklamiert. Die Implikationen für den Gesamtzusammenhang des Staates fasst Foucault (2006a, 169) folgendermaßen zusammen: Da es sich herausstellt, dass der Staat auf jeden Fall wesentliche Mängel hat, und nichts beweist, dass die Marktwirtschaft solche Mängel aufweist, können wir von der Marktwirtschaft fordern, dass sie an sich nicht das Prinzip der Begrenzung des Staats sein soll, sondern das Prinzip der inneren Regelung seiner ganzen Existenz und seines ganzen Handelns […]. Es geht nicht einfach darum, der Wirtschaft Freiheit einzuräumen. Es geht darum, zu erkennen, bis wohin sich die politische und soziale Informationsgewalt der Marktwirtschaft erstrecken kann.

Die Freiheit des Marktes wird damit zum gesamtgesellschaftlichen Organisations- und Regulationsprinzip erklärt. Grob diesen neoliberalen Leitlinien folgend wurden über die vergangenen Jahrzehnte fundamentale Restrukturierungen vorgenommen, ein Prozess, der von einer breiten politischen Basis getragen wurde: »Since the 1970s and 1980s, the worldwide ascendancy of market-based modes of governance has seen neoliberal policies adopted by parties at either hand of the political spectrum« (MacLeavy 2010, 133). Kernpunkte dieser Restrukturierungen sind die Privatisierung von staatlichen Betrieben und die Deregulierung und »Flexibilisierung« von Arbeitsverhältnissen. An die Stelle staatlicher »Welfare« traten sogenannte »Workfare«-Programme, die den Bezug sozialer Leistungen erstens einschränkten und zweitens zunehmend an Bedingungen koppelten (Harvey 2005; MacLeavy 2010). Diese Umstrukturierungen blieben nicht ohne Folge. War der Fordismus durch allgemeinen Wohlfahrtsanstieg und »Dekommodifizierung« (Esping-Andersen 1990) breiter Bevölkerungsschichten geprägt gewesen, brachten die neoliberal inspirierten Reformen ptomen des Fordismus zählten, konnte der Neoliberalismus in dieser Hinsicht an dominante Problematisierungen anschließen. 31 »Was man also zu erreichen sucht, ist nicht eine Gesellschaft, die dem Wareneffekt unterliegt, sondern eine Gesellschaft, die der Dynamik des Wettbewerbs untersteht. Keine Gesellschaft von Supermärkten, sondern eine Unternehmensgesellschaft.« (Foucault 2006a, 208)

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der letzten Jahrzehnte ein Steigen der Arbeitslosigkeit und, in vielen Arbeitsmarktbereichen, unterschiedliche Formen der Prekarisierung. Parallel dazu stiegen Profitraten und in den meisten westlichen Staaten sanken die Lohnquoten (exemplarisch für Österreich: Marterbauer/Walterskirchen 2003). Inter- und supranationale Organisationen wie die WTO, der IWF und die Weltbank spielten eine wichtige Rolle in diesem Prozess, der auf internationaler Ebene durch eine Liberalisierung des Welthandels und Strukturanpassungsprogramme (an die Vergabe von Mitteln gebundene, den neoliberalen Prinzipien entsprechende Maßnahmen) zu Buche schlug. Als Katalysator für diese Entwicklung wirkte das Ende der Sowjetunion Ende der 1980er-Jahre, das nicht nur die geopolitischen, sondern auch die innenpolitischen Kräfteverhältnisse in zahlreichen Ländern veränderte (Harvey 2005). Cerny (1997) charakterisiert die resultierende Staatsform als Wettbewerbsstaat. Auf der Ebene politischer Aushandlungsprozesse war dessen Durchsetzung mit einer Verschiebung hin zu technokratischen, expertengestützten und informellen Aushandlungsprozessen verbunden. Neue Formen der Steuerung – propagiert unter dem Label der »Governance« und des »New Public Management« – wurden etabliert (Jessop 2008, 198 – 224). Diese sind geprägt durch die zunehmende Involvierung von »non-state actors« und die Ausgliederung vormals staatlicher Aufgaben an Private (MacLeavy 2010, 139). Crouch (2004) diagnostiziert parallel dazu eine weitgehende Aushöhlung repräsentativer Demokratien, geprägt durch eine Kommerzialisierung politischer Kampagnen und die sich daraus ergebende Banalisierung politischer Inhalte. Die neuen politischen Verhältnisse bezeichnet er als »postdemokratisch«. In Summe wurden auf der Ebene der politischen Regulationsweise in den vergangenen Jahrzehnten massive Reorganisationen durchgesetzt. Diese stehen in enger Wechselwirkung mit Veränderungen auf der Ebene der Wirtschaftsstruktur. Die Akkumulationsstrategien in westlichen Staaten verschoben sich im Bereich der industriellen Fertigung weg von der Massenfertigung, in Übereinstimmung mit dem Ende der politischen Fokussierung auf Nachfragestabilisierung. Das Ende des internationalen Währungssystems und die teilweise erzwungene Durchsetzung von Freihandelsbestimmungen erleichterten internationale Kapitalflüsse sowohl im Produktions- als auch im Bankensektor. Innerbetriebliche wie internationale Produktionszusammenhänge veränderten sich vor diesem Hintergrund wesentlich. Verstärkend auf diese Tendenzen wirkte die breite Verfügbarkeit neuer Kommunikations-, Informations- und Transporttechnologien, die als wesentliche Faktoren in aktuellen Globalisierungstendenzen gelten. In industrialisierten Staaten kam es zusätzlich zu einer sektoralen Verschiebung hin zu Dienstleistungen und »Wissensarbeit«. Über die Jahre wurden unterschiedliche Konzepte zur Charakterisierung der neu entstandenen gesellschaftlichen Ordnung vorgeschlagen, die jeweils ein-

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zelne Elemente der breiten Transformationen betonen: von der »Informationsgesellschaft« über die »Wissensgesellschaft« hin zur »Risikogesellschaft«. Anknüpfend an die bisherigen Ausführungen folge ich Jessop, der sich für einen mehrdimensionalen Ansatz entscheidet und die beschriebenen Umwälzungen als eine Entwicklung vom »Keynesian Welfare National State« (KWNS) zum »Schumpeterian Workfare Postnational Regime« (SWPR) beschreibt und damit mehrere wesentliche Aspekte der gesellschaftlichen Transformation berücksichtigt (Jessop 2002). Die vier wesentlichen Dimensionen, entlang derer Jessop die Transformation der Staatlichkeit analysiert, sind (i) die Wirtschaftspolitik, (ii) die Sozialpolitik, (iii) die hauptsächliche Ebene politischer Regulierung sowie (iv) die dominante Form der Aushandlung des kollektiven Interesses. In der erstgenannten wirtschaftspolitischen Dimension diagnostiziert er die Ablösung einer Keynes’schen Nachfrageorientierung durch eine Politik, die sich ideologisch auf das Motiv der Innovation stützt und real auf eine angebotsseitige Wirtschaftspolitik hinausläuft. Auf der zweiten, sozialpolitischen Dimension haben sich die beschriebenen Workfare-Programme, die durch Betonung der Eigenverantwortung und an Bedingungen gekoppelte Differenzierung von Sozialleistungen geprägt sind, durchgesetzt. Mit Blick auf die hauptsächliche Regulationsebene trägt Jessops Diagnose der gesunkenen direkten und autonomen Gestaltungsfähigkeit nationaler Staaten Rechnung; nationale Regulationsformen sind nach wie vor wichtig, aber zunehmend durch internationale Arrangements determiniert. Der vierte Aspekt der dominanten Regulationsform schließlich hat sich Jessop zufolge in Richtung komplexer Governance-Ansätze entwickelt, die die Ausgliederung vormals staatlicher Aufgaben ebenso umfassen wie die Durchsetzung von Multi-Level-Modellen der Regierung sozialer Verhältnisse.

2.5.3 Nachkriegsarrangement und Restrukturierung in Österreich RegulationstheoretikerInnen erkennen den Nationalstaat als wesentliche, wenn auch gerade heute bei Weitem nicht einzige relevante gesellschaftliche Steuerungsinstanz an, thematisieren aber vorwiegend über den einzelnen nationalstaatlichen Rahmen hinausgehende Tendenzen. Die Stärke des Ansatzes liegt dabei darin, dass er Entwicklungen zu theoretisieren erlaubt, die sich in sehr unterschiedlichen nationalen institutionellen Konstellationen zeigen. Andere Ansätze – vor allem Analysen der »Varieties of Capitalism« (Hall/Soskice 2001; Menz 2009) und Analysen unterschiedlicher »Welfare Regimes« (Esping-Andersen 1990; Sciortino 2003) – fokussieren demgegenüber stärker Unterschiede zwischen Nationalstaaten und damit eher eine Typologisierung unterschiedlicher liberaler politisch-ökonomischer Ordnungen als eine Periodisierung, wie

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sie regulationstheoretische Analysen nahelegen. Aus der Fragestellung der Arbeit ergibt sich, dass der Fokus auf dem Vergleich unterschiedlicher Epochen liegt, daher scheint die hauptsächliche Ausrichtung an regulationstheoretischen Konzeptionen adäquat. Allerdings sollen im Folgenden auch eher einer typologisierenden Logik entsprechende Eigenheiten des Einzelfalls Österreich genannt werden, erstens weil diese für die spätere Analyse relevant sind. Zweitens soll so der Anschluss an andere, eher typologisierende Fragestellungen verfolgende Arbeiten erleichtert werden (etwa Menz 2009; Menz/Caviedes 2010b). Esping-Andersen (1990) hat in seiner einflussreichen Analyse unterschiedlicher Wohlfahrtsregimes entlang der drei Grundprobleme der Dekommodifizierung, der Beschäftigung und der sozialen Stratifizierung drei Typen von Wohlfahrtsstaaten unterschieden: den liberalen, den universalistischen (»skandinavischen«) und den konservativen oder korporatistischen Wohlfahrtsstaat. Österreich ist, gemeinsam mit z. B. Deutschland, ein Beispiel für letzteren. Korporatistische bzw. konservative Wohlfahrtsstaaten sind dadurch gekennzeichnet, dass sie auf die Beibehaltung von Statusunterschieden abzielen. Sie erlauben zwar eine weitergehende Dekommodifizierung als liberale Wohlfahrtsstaaten, sind aber gleichzeitig durch stärker ausgeprägte soziale Stratifikation gekennzeichnet als universalistische Wohlfahrtsregime. Die Institutionen von Kirche und Familien spielen in konservativen Wohlfahrtsregimes ideologisch und praktisch eine große Rolle. Starke nationale Zugehörigkeitsmuster werden entsprechend mit einer um die Familie zentrierten Rolle der Frau und das Alleinernährermodell mit versicherungsmäßig organisiertem Sozialsystem kombiniert. Dem entspricht die Einordnung als Coordinated Market Economy (im Gegensatz zur Liberal Market Economy) im »Varieties of Capitalism«-Ansatz32. Ein wichtiges Charakteristikum der Entwicklung in Österreich ist die große Rolle, die der Sozialpartnerschaft in der »Formierung und Organisierung gesellschaftlicher Interessen wie auch in den Beziehungen zwischen Interessensorganisationen und Staat« zukam und noch immer zukommt (Talûs 1997, 432). Dieser Umstand entspricht beiden eben genannten Kategorisierungen als korporatistischer Wohlfahrtsstaat und koordinierte Marktwirtschaft. Unternehmerverbände (Traxler/Zeiner 1997) und Arbeitnehmerorganisationen (Karlhofer 1997) wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in einen institutionell stark verankerten gemeinsamen Bezugsrahmen integriert. Das Ziel bestand in der Sicherung des »sozialen Friedens«, der Austrokorporatismus basiert demnach 32 Hall/Soskice (2001) zufolge wurden in westlichen Staaten unterschiedliche Lösungen für die zentralen Koordinationsprobleme von Unternehmen in kapitalistischen Wirtschaftsordnungen gefunden; diese Lösungen lassen sich auf einem Spektrum anordnen, das von liberaler Marktkoordination zu stark staatlich organisierter Koordination reicht.

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auf der oben beschriebenen Nachkriegsordnung – und bekam mit der Krise des Fordismus auch seine ersten Risse (Talûs 1997, 448 – 449). Wesentlich für ein Verständnis der im Folgenden beschriebenen migrationspolitischen Entwicklungen ist, dass es in den sozialpartnerschaftlichen Gremien und Institutionen nicht einfach um die Verhandlung zwischen partikularen Interessen und Kompromissfindung ging, sondern zentral auch um die Abstimmung und konzertierte Intervention in gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Abläufe. Die zentrale Rolle der Sozialpartner und damit auch des ÖGB für das politische System Österreichs nach 1945 spiegelt sich in der Parteienlandschaft wider. Im Vergleich zur Zwischenkriegszeit kam der SPÖ in den Nachkriegsjahrzehnten eine prägende Rolle zu. Obwohl das sogenannte »Linzer Programm« mit seinem Bekenntnis zum Systemwechsel formal noch bis in die 1970er-Jahre gültig war, blieb die politische Rationalität der SPÖ nach dem Weltkrieg im Rahmen des liberalen Bezugssystems, die liberal-kapitalistische Grundordnung wurde nicht infrage gestellt. Keynesianisch wurde innerhalb der Systemlogik nach spezifischen Sicherheitstechnologien verlangt: Nachfragestimulierung und soziale Sicherheit durch sozialstaatliche Absicherung sind Eckpfeiler dieser politischen Ausrichtung. Die SPÖ war in diesem Sinn Teil der österreichischen Spielart einer Konkordanzdemokratie. Die damit verbundene ideologische Annäherung zwischen den ideologischen Blöcken drückt sich darin aus, dass die vormalige »Lagermentalität« und politische Dreiteilung der Zwischenkriegsjahre in der Zweiten Republik zusehends an Bedeutung verlor. Speziell ab den 1980er-Jahren war eine starke ideologisch-programmatische Konvergenz zumindest zwischen den beiden Großparteien zu diagnostizieren (Horner 1997). Ab Anfang der 1980er-Jahre begann sich die österreichische Parteienlandschaft grundlegend zu verändern, wichtige Marker dafür sind die Reorganisation der FPÖ zur populistischen Partei mit elektoraler Massenbasis und die erfolgreiche Etablierung der Grünen. Im Hintergrund standen Prozesse, die in ähnlicher Form in anderen westlichen Staaten zu beobachten waren: Der Stellenwert neuer sozialer Bewegungen, sinkende Wahlbeteiligung und nachlassendes Vertrauen in etablierte politische Akteure gehören zu den zentralen Kennzeichen dieser Prozesse (Gottweis 1997; Crouch 2004). Das Österreich der Nachkriegsjahrzehnte lässt sich auf dieser Grundlage als liberal charakterisieren – es entspricht dem Muster des Embedded Liberalism. Auch die international zu beobachtenden Krisen- und Restrukturierungsprozesse sind für Österreich feststellbar. Die 1980er- und 1990er-Jahre sahen eine breite Privatisierungsoffensive, die Arbeitslosigkeit stieg an, die Entwicklung der Inflationswerte entsprach mehr und mehr der monetaristischen Ausrichtung der Währungs- und Wirtschaftspolitik. Prekarisierung und das Sinken der Lohnquote sind Indikatoren für diese Entwicklung (Scharinger et al. 1995;

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Marterbauer/Walterskirchen 2003). Diese Entwicklungen sind nicht abgeschlossen und bleiben widersprüchlich, nach wie vor gibt es starke sozialpartnerschaftliche Elemente, eine hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad, eine breite Abdeckung von Lohnverhältnissen durch Kollektivverträge – die Härte des gesellschaftlichen Umbaus in Österreich ist mit Staaten wie Großbritannien nicht vergleichbar. Wie diese Entwicklungen die Formen der Problematisierung von Migration im österreichischen Parlament beeinflusst haben und wie die jeweils dominanten Problematisierungsweisen in ihrem Wechselspiel den Prozess der Lösungsfindung geprägt haben, ist Thema des empirischen Teils der vorliegenden Arbeit. Die methodologischen Probleme, die sich in dieser Analyse gestellt haben, und die gewählte empirische Vorgehensweise werden im folgenden Kapitel dargestellt.

3

Methodologische Fragen und empirische Umsetzung

Thema der vorliegenden Arbeit sind die unterschiedlichen und widersprüchlichen Formen, in denen Migration als Gegenstand politischer Debatten im Lauf der Jahrzehnte im österreichischen Parlament abgegrenzt und konstruiert wurde, sowie die Konsequenzen, die bestimmte Problematisierungsformen für die Entwicklung und Durchsetzung neuer migrationspolitischer Steuerungsinstrumente gehabt haben. Das Ziel besteht darin, die Logiken bzw. Rationalitäten33, nach denen Migration zu bestimmten Zeitpunkten als Problem gefasst wurde, zu entschlüsseln. Diese Befunde werden in zwei Richtungen kontextualisiert: mit Blick auf das Geflecht an gesellschaftlichen Faktoren, die bestimmte Formen der Problematisierung erleichtert oder ermöglicht haben, und im Hinblick auf die Wirkungen spezifischer Problematisierungsweisen für die Entwicklung neuer politischer Steuerungsinstrumente. Die Arbeit reiht sich damit in Forschungsanstrengungen ein, die auf eine Analytik der Regierung (Dean 2010) bzw. eine Kritik der politischen Vernunft (Lemke 1997) zielen. Dieses Forschungsinteresse rückt meine Arbeit methodologisch in eine diskursanalytische Richtung. Neben den allgemeinen methodologischen Herausforderungen, die sich aus den drei die Empirie leitenden Fragen der Arbeit ergeben, stellt sich damit das zusätzliche Problem, meine Arbeit im diffusen Feld sozialwissenschaftlicher Diskursanalysen zu verorten. Das ist notwendig, weil Diskursanalyse heute als Bezeichnung für sehr unterschiedliche und methodisch oft nur unzufriedenstellend explizierte empirische Vorgehensweisen verwendet wird. Entgegen dem sich daraus ergebenden Eindruck methodischer Beliebigkeit argumentiere ich, dass diskurstheoretische Arbeiten anspruchsvolle Forschungsdesigns erfordern, die eine Reflexion auf die Entstehungsbedingungen der analysierten Daten, kontrollierte Kontextualisierung und, vor allem, eine Kombination von quantitativen und interpretativen Auswertungsstrategien erlauben müssen. Das hier ausgearbeitete Forschungsdesign ist ori-

33 Die beiden Begriffe werden im Folgenden synonym gebraucht.

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Methodologische Fragen und empirische Umsetzung

ginär, baut aber auf bestehenden Vorschlägen zur Methodologisierung der Diskursanalyse (speziell Diaz-Bone 2006/2007; Glasze 2007) auf. In Kapitel 3.1 widme ich mich in zwei Schritten Fragen, die mit der diskurstheoretischen Verortung verbunden sind. Die Darstellung greift Punkte aus dem theoretischen Teil der Arbeit auf und wiederholt zentrale Punkte, diskutiert sie aber aus einer methodologischen Perspektive. Im ersten Unterabschnitt definiere ich, was in dieser Arbeit unter Diskurs verstanden wird. Auf dieser Grundlage ergibt sich, abstrakt, die Identifikation von Tiefenstrukturen überindividueller Wissensordnungen als übergeordnetes Ziel einer Diskursanalyse. Diese Festlegung hat methodologische Implikationen, die in den Folgekapiteln besprochen werden. Im Abschnitt 3.1.2 charakterisiere ich den politischen Diskurs als eigenständiges diskursives Feld. Anschließend diskutiere ich die zentralen forschungsstrategischen Entscheidungen, die im Lauf der empirischen Arbeit zu treffen waren. Auf Darstellungen zum gewählten Untersuchungsdesign, zur Fallauswahl, zu den Implikationen, die aus der Festlegung auf das politische Feld folgen, sowie zur Auswahl des empirischen Materials folgen Bemerkungen zur Aufbereitung, Auswertung und kontextualisierenden Diskussion der generierten Daten. Die Darstellung der methodischen Vorgehensweise soll auch erlauben, Lücken und Grenzen der Arbeit abzuschätzen.

3.1

Was heißt Diskurs und worauf zielt seine Analyse?

3.1.1 Diskurs als Regeln von Aussageformationen Der empirische Kern und analytische Ausgangspunkt der Arbeit liegt auf der Ebene des politischen Diskurses. Der Begriff Diskurs ist, in den Worten von Wengeler (2003), »polysem«: Er wird viel und auf sehr unterschiedliche Weisen verwendet (Link 1999, 148), über die Jahre wurde Diskursanalyse vor allem in den Sozialwissenschaften zu einem beliebten, aber unklaren Marker für unterschiedliche, methodologisch häufig unzureichend ausgearbeitete Analysen gesellschaftlicher Sinnkonstruktion und sozialer Aushandlungsprozesse. Sowohl im Feld der Forschung zu Migrationspolitik (z. B. Silverman 1992; Zuser 1996; Wodak/van Dijk 2000; Wengeler 2003; Buonfino 2004; Huysmans 2006; Thränhardt 2007; Mayer/Spang 2009; Hess/Kasparek 2010) als auch in Arbeiten, die auf die soziologische Analyse liberaler Regierungstätigkeit abzielen (etwa Lemke 1997; Dean 2010), ist der Diskursbegriff weit verbreitet. Die Klärung, welches Verständnis von Diskurs und Diskursanalyse meinem Forschungsvorhaben zugrunde liegt, ist gerade wegen dieser aktuellen Beliebtheit und weiten Verbreitung des Diskursbegriffes notwendig.

Was heißt Diskurs und worauf zielt seine Analyse?

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Die vorliegende Arbeit orientiert sich im weiten Feld der Diskursanalyse theoretisch und methodologisch am strukturalistischen Zugang von Rainer Diaz-Bone (Diaz-Bone 2006/2007). Anregungen zur methodischen Umsetzung wurden zudem aus dem wissenssoziologischen Ansatz von Reiner Keller (Keller 2001/2005; Knoblauch 2001), aus Arbeiten aus dem Umkreis der Kritischen Diskursanalyse (Jäger 2004; Jäger/Jäger 2007; Link 1999) und aus an der Diskurstheorie von Laclau und Mouffe orientierten Arbeiten (Glasze 2007) gewonnen. Diesen Ansätzen ist gemein, dass sie sich in der Entwicklung ihres Diskursbegriff zentral (wenn auch nicht unkritisch und ausschließlich) auf Michel Foucault beziehen, vor allem aber ihr methodologisches Vorgehen systematisieren und offenlegen. Ausgangspunkt des strukturalistischen Diskursbegriffs ist die Sprachtheorie von de Saussure (Diaz-Bone 2006; Glasze 2007). Bedeutung ergibt sich in diesem Verständnis aus den Differenzen und Relationen zwischen sprachlichen Zeichen. Sprache wird als Differenzsystem definiert, das die Regeln vorgibt, nach denen Äußerungen Bedeutung vermitteln können. Bedeutung ist also weder durch eine äußere Realität vorgegeben, noch entsteht sie aus den Intentionen und Entwürfen von Individuen. Letztere können sich über erstere nur austauschen, insofern ihnen ein schon gegebenes System sprachlicher Zeichen und Konzepte zur Verfügung steht. Während de Saussure darauf abzielte, Sprache als strukturiertes System zu fassen, verschiebt Foucault (ausgehend von der Tradition der historischen Epistemologie von Bachelard und Canguilhem) den Fokus auf die Ordnung des Wissens. Wie Sprachen sind auch Wissensordnungen durch historisch entstandene und veränderliche Regelhaftigkeiten strukturiert. In der Archäologie des Wissens definiert Foucault Diskurse entsprechend als »Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören« (Foucault 1981, 156). Aussagen fassen Wissen zusammen, bringen Aspekte in Beziehung zueinander und blenden andere aus. Diskurse sind, diesem Verständnis entsprechend, »kollektiv geteilte Wissensordnungen« und konstituieren damit eine »überindividuelle Wirklichkeit« (Bührmann et al. 2007, 2, Hervorhebung KH). Durch das Zusammenspiel von Aussagen wird der Diskurs zum Regelsystem (hier ist de Saussures Konzept der langue zu erkennen), er steckt, in anderen Worten, den Raum des Sagbaren ab, er definiert die Regeln, nach denen Aussagen getätigt werden können, die gesellschaftlich als wohlgeformt, vernünftig und plausibel wahrgenommen werden. Diese Regeln der Formierung neuer Aussagen ergeben sich aus den Regelmäßigkeiten vorangegangener und aktuell wirkmächtiger Aussagengeflechte bzw. diskursiver Formationen (vgl. etwa Bublitz et al. 1999b, 11). Der Diskurs ist damit, in Anlehnung an Bourdieu, eine strukturierende und strukturierte überindividuelle Praxis. Die Charakterisierung als Praxis bedeutet in diesem Zusammenhang, dass ein Diskurs nicht ein Theoriegebäude ist, sondern ein in

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Methodologische Fragen und empirische Umsetzung

dieser Form nicht geplantes Ergebnis aus dem Zusammenspiel der Äußerungen gesellschaftlicher Akteure, das unabhängig von deren Willen zustande kommt. Einmal etabliert ist er neuen Äußerungen vorgelagert und strukturiert diese vorbewusst. Das Aussagensystem ist für die einzelne Aussage ein Ermöglichungszusammenhang, umgekehrt reproduziert der Strom der Aussagen die Regelhaftigkeit des Diskurses […] Diskurse haben zudem etwas Unberechenbares, da sie Aussagen hervorbringen können, die das Aussagensystem verändern, das heißt die das Regelsystem nachhaltig in Bewegung bringen können, so dass man von einem Bruch und sogar einer neuen diskursiven Formation sprechen kann. (Diaz-Bone 2006, 14)

Einer diesem Verständnis folgenden Diskursanalyse geht es nicht darum, die Intentionen, den gemeinten Sinn oder das subjektive Erleben involvierter Akteure zu untersuchen. Diskursanalyse heißt zwangsläufig auch mehr als Diskurskommentierung im Sinn einer kritischen Darstellung von unterschiedlichen Standpunkten in einer öffentlichen Debatte. Ziel einer Diskursanalyse ist es, die Tiefenstruktur eines Diskurses, auch Episteme oder generative Grammatik genannt (Diaz-Bone 2006; Bublitz et al. 1999b), zu identifizieren: »[T]o analyse discourses is equivalent to identifying and analysing systems of statements as bearers of their rules of formation i. e. the rules that made the statements possible and that simultaneously already reside in the (system of preceding) statements« (Diaz-Bone et al. 2007, 6). Allgemein ist das Ziel einer sozialwissenschaftlichen34 Diskursanalyse dementsprechend, (i) aus dem Geflecht von im Diskurs konstituierten Gegenständen, Begriffen, Sprecherpositionen und Strategien (Foucault 1981) die Strukturen zu destillieren, die bestimmte Aussagen ermöglichen und andere unwahrscheinlich werden lassen, und (ii) diese diskursive Formation auf ihre Einbettung in gesellschaftliche Verhältnisse hin zu analysieren. So gefasste Diskurse werden weder als logisch geordnetes System von Propositionen noch als grammatikalisch strukturiertes Sprachsystem gefasst. Sie sind weder ahistorisch noch allgemein, sondern historisch und spezifisch (Diaz-Bone/Krell 2009b, 20). Sozialwissenschaftlich interessant und relevant ist eine diskurstheoretische 34 Diskurse sind keine rein sprachlichen Phänomene und stehen daher auch einer sozialwissenschaftlichen Analyseperspektive offen: »Foucault conceived discourse as social structure and discursive practice as social practice« (Diaz-Bone et al. 2007). Eine sozialwissenschaftliche Diskursanalyse kann unterschiedliche Erkenntnisinteressen verfolgen (für einen Überblick siehe Keller et al. 2001). Diskurse können etwa auf ihre strukturierenden Effekte hin analysiert werden, speziell insofern sie die Praxis in sozialen Feldern organisieren (vgl. etwa Bourdieus Begriff der illusio), oder sie können in ihrer Einbettung in Macht- und Herrschaftsverhältnisse in den Blick genommen werden, um das regulatorische Wechselspiel von Diskursen, Institutionen und sozialen Praktiken zu entschlüsseln.

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Analyse, weil sie den Blick für die Kontingenz und Wirksamkeit von sozialen Wissensordnungen öffnet und gleichzeitig erlaubt, die Prozesse und Verhältnisse, die gesellschaftliche Wissensordnungen prägen, mitzudenken. Diese abstrakte Zielsetzung diskursanalytischer Arbeiten gilt es im Folgenden meinem Forschungsinteresse entsprechend zu konkretisieren. Aufbauend auf dem bisher Gesagten lassen sich dabei drei zentrale Erfordernisse an methodisch kontrollierte Analysen diskursiver Ordnungen formulieren. Erstens müssen die Entstehungskontexte und Produktionsbedingungen des analysierten Materials reflektiert werden, andernfalls würde der postulierten Veränderbarkeit diskursiver Ordnungen nicht entsprochen. Zweitens besteht eine zentrale methodische Herausforderung für eine sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, in der Diskurse nicht an sich das analytische Ziel sind, in der systematischen Kontextualisierung. Drittens lässt sich aus der Charakterisierung von Diskursen als Regeln und Regelmäßigkeiten und den spezifischen Beziehungen, die zwischen den beiden konzipiert werden, ableiten, dass Diskursanalysen quantitative und interpretative Analyseschritte zu kombinieren haben.

3.1.2 Der politische Diskurs Die politische Regulation von Migration ist ein komplexes Phänomen, in dem verschiedene soziale Felder (Medien, Politik, Sozialwissenschaft u. a.), ideologische Vorstellungsgehalte, administrative Abläufe etc. zusammenwirken. Gerade angesichts der Wechselbezüge zwischen sozialen Feldern stellt sich daher die Frage, inwiefern von einem abgrenzbaren Diskursfeld (Jäger 2004) »Politik« ausgegangen werden kann. In der Definition des politischen Diskurses orientiere ich mich an Bourdieus Definition des politischen Feldes, der die spezifische Herausforderung, Funktion und Tätigkeit dieses Feldes in der Verhandlung des gesamtgesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs sieht – im politischen Feld wird um gesamtgesellschaftlich gültige Unterscheidungs und Problemdefinitionskriterien gekämpft (Bourdieu 2001). Dieses Verständnis entspricht Jessops Definition des modernen Staats als Ensemble jener Institutionen, die mit der Feststellung und Durchsetzung des allgemeinen Willens betraut sind. Die spezifische Herausforderung besteht dabei darin, disparate und teilweise widersprüchliche Prozesse aus anderen staatlichen Teilfeldern aufzugreifen und in zumindest dem Schein nach konsistenten Maßnahmen zu vereinen. Es ist diese Funktion, die einen Diskurs zu einem politischen Diskurs macht, weniger sein Thema oder Inhalt (van Dijk 2000a, 46). Im Gegensatz zum Feld der Sozialwissenschaften, in denen es ebenfalls um die Grundkategorien zur Beschreibung und Bearbeitung des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs geht, bleibt die Politik aber notwendig an die »öffent-

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Methodologische Fragen und empirische Umsetzung

liche Meinung« gekoppelt, was nicht zuletzt daran liegt, dass PolitikerInnen sich Wahlen stellen müssen. Das macht den politischen Diskurs auch gesamtgesellschaftlich aussagekräftig: »[W]e may assume that the discourses of such assemblies also reflect the dominant discourses, the consensual formulations, the legitimate forms of text and talk« (van Dijk 2000b, 18). Spezifisch am politischen Diskurs ist demnach, dass er zentral damit betraut ist, gesamtgesellschaftliche Probleme zu identifizieren sowie legitime und rationale Lösungen dafür zu finden. Was dabei als legitim und rational gilt, ist nicht fix vorgegeben, sondern gesellschaftlich umstritten, unterliegt entsprechend Änderungen über die Zeit und wird von verschiedenen AkteurInnen und je nach gesellschaftlichem Teilfeld unterschiedlich bewertet. Daher ist es sinnvoll, von unterschiedlichen politischen Rationalitäten zu sprechen. Eine politische Rationalität ist eine spezifische »Denkweise«, die mit »Regierungsweisen« verflochten ist (Schindler 2007, 6). Eine politische Rationalität verbindet politisches Programm und Argumentationslogik/Wissensformen: Dies geschieht durch die Erarbeitung von Begriffen und Konzepten, [die] Spezifizierung von Gegenständen und Grenzen, durch die Bereitstellung von Argumenten und Begründungen etc. Eine politische Rationalität erlaubt also, ein Problem zu stellen und bietet bestimmte Lösungs- und Bearbeitungsstrategien für dieses Problem an. (Lemke 1997, 147)

In anderen Worten: Auf der Grundlage einer bestimmten politischen Rationalität ergeben sich charakteristische »Problematisierungen« sozialer Phänomene und spezifische »Möglichkeitsfelder« im »politisch-epistemologischen Raum« (Lemke et al. 2000, 20) oder auch die »Bedingungen, unter denen es zu einem gegebenen Zeitpunkt möglich ist, bestimmte Probleme zu behandeln« (Lemke 1997, 147). Eine Problematisierung ist mit Entscheidungen verbunden, sie ist immer nur eine unter mehreren möglichen Formen, ein Problem zu definieren. Das Problem muss dabei als Gegenstand in bestimmten Begriffen gefasst werden, es kommen ordnende Kategorien und organisierende Rationalitäten ins Spiel, die sich auch auf die Äußerungsmodalitäten auswirken. Jede Problematisierung erfolgt von einer bestimmten gesellschaftlichen und diskursiven Position aus. Wie die Entwicklung dieser Problematisierungsformen und der ihnen zugrunde liegenden Rationalitäten empirisch erfolgen kann, ist Gegenstand der folgenden Unterkapitel.

Zum Forschungsdesign

3.2

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Zum Forschungsdesign

Das Forschungsdesign, das dieser Arbeit zugrunde liegt, kann als diachrone Fallstudie charakterisiert werden, die explorativ-rekonstruktive mit theoriegeleiteten Analyseschritten verbindet und den analytischen Fokus auf die Makro-/ Mesoebene35 überindividueller diskursiver Formationen legt (Diaz-Bone 2007; Diaz-Bone et al. 2007). Alternative Forschungsdesigns, die an das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit anschließen, wären ein klassisch komparatives Design, ein synchroner Vergleich mehrerer Diskursfelder (also etwa des Wechselspiels zwischen Medien, Politik und Wissenschaft) und der Vergleich unterschiedlicher Regulationsebenen. Ein klassisch komparatives Forschungsdesign würde etwa erlauben, zu untersuchen, ob Unterschiede zwischen Migrationsregimen auch mit divergierenden politischen Rationalitäten verbunden sind oder wie allgemeine gesellschaftliche Transformationsprozesse in unterschiedlichen Kontexten Gestalt annehmen. Menz (2009) orientiert sich für eine Analyse dieser Art am Varieties-of-Capitalism-Ansatz. Der Vergleich mehrerer Diskursfelder würde erlauben, das Zusammenspiel von gesellschaftlichen Teilsystemen zu analysieren, wie es etwa Buonfino in ihrer Analyse von Medien, Öffentlichkeit und politischem Feld tut (Buonfino 2004). Und die Untersuchung unterschiedlicher Regulationsebenen (lokal, national, supranational; privat versus staatlich) könnte einen Beitrag zur Debatte um die Transformation von Staatlichkeit leisten. Was sich jeweils verschiebt, ist die hauptsächliche Vergleichsdimension – und damit auch die Art von Forschungsfrage, die beantwortet werden kann. In der vorliegenden Arbeit ist dies die Zeitachse. Drei wichtige Festlegungen erfordern damit methodische Reflexion: (1.) die Untersuchung eines Einzelfalles, der (2.) aus einer historischen Perspektive dargestellt wird, wobei (3.) die Darstellung neben deskriptiven auch analytische Ziele verfolgt. Diese führen zur Frage, ob ein kausaler Erklärungsanspruch erhoben wird und welcher Art dieser gegebenenfalls ist. Ziel der Arbeit ist es, Kontinuitäten und Veränderungen auf der Ebene der politischen Rationalitäten zu erfassen und zu charakterisieren, um daran anschließend ihre Bedeutung für die Entwicklung neuer migrationspolitischer Instrumente zu diskutieren. Die Beschränkung auf die Entwicklung in Österreich ergibt sich damit nicht zwangsläufig aus dem Erkenntnisinteresse dieser Arbeit; sie ist damit eine methodische Entscheidung. Ich gehe davon aus, dass die beschriebenen Entwicklungen sich aus grundlegenden Prozessen ergeben, 35 »Diskursanalysen, die an Foucault orientiert sind, siedeln die diskursive Praxis als erklärendes Prinzip nicht auf der Mikroebene an, d. h., als wirkmächtig gelten Diskurse nicht als Praktiken von Individuen, sondern als kollektive und historische Formationen auf der Mesooder Makroebene der Gesellschaft.« (Diaz-Bone/Krell 2009b, 21)

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Methodologische Fragen und empirische Umsetzung

die Migrationspolitik im liberalen Nationalstaat strukturieren. Österreich dient, in anderen Worten, als Beispiel für Zusammenhänge, von denen angenommen wird, dass sie grosso modo auch für andere westeuropäische Staaten gelten. Die Arbeit liefert in diesem Sinn auf einen Einzelfall gestützte Thesen für weiterführende komparative Forschungsprojekte. Die Konzentration auf einen Einzelfall mit all ihren Nachteilen in puncto Verallgemeinerbarkeit ermöglicht es, eine historische Perspektive einzunehmen. Diaz-Bone et al. (2007) diagnostizieren in diskurstheoretischen Arbeiten einen Hang zu solchen historisch angelegten Untersuchungen. Dieser ergibt sich aus der forschungspolitischen Zielsetzung, Kontingenz offenzulegen, indem die historische Genese aktueller Zustände dargestellt und analysiert wird. Es geht diesen diachronen Vergleichen vor allem darum, Brüche und Kontinuitäten aufzuzeigen: Wie entwickelt sich das terminologische Feld, welche Objekte werden konstituiert, welche thematischen Wahlen werden getroffen – wann, von wem und warum? Die diachrone Forschungsperspektive erlaubt also, die im Feld der Migrationsforschung allgegenwärtigen Diagnosen eines fundamentalen Wandels zu konkretisieren. Entscheidend ist dabei die Wahl des Untersuchungszeitraums. Die vorliegende Arbeit blickt auf einen relativ langen Zeitraum von mehr als sechs Jahrzehnten. Im Lauf der Analyse ergab sich die Notwendigkeit, partiell Entwicklungen der 1920er-Jahre einzubeziehen. Damit reicht die Untersuchung deutlich über den Zeitrahmen hinaus, der bei Diskussionen von migrationspolitischen Entwicklungen in der Regel abgesteckt wird. Ausschlaggebend dafür, einen langen Zeitraum zu untersuchen, war das Bestreben, die aktuelle Konstellation mit der früherer Perioden vergleichen zu können. Damit soll u. a. ermöglicht werden, singuläre Ereignisse und außergewöhnliche Konstellationen von allgemeinen, strukturell verankerten zu unterscheiden. Die historische Forschungsperspektive lässt keine gangbare Alternative zum Fokus auf die nationalstaatliche Ebene zu, da für alle anderen Analyseebenen keine über die Zeit vergleichbaren Daten generiert werden können. Das führt zur Frage, ob die Untersuchungsebene »Nationalstaat« angemessen ist. Wie im ersten Teil der Arbeit ausgeführt, herrscht im Feld der Migrationsforschung die Ansicht vor, dass sich die Rolle der Nationalstaaten in der Regulation von Migrationsbewegungen in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten fundamental verändert hat. Teil dieser Entwicklungen war die zunehmende Relevanz privater Akteure (Guiraudon 2001) wie lokaler und supranationaler Institutionen (Overbeek 1995). Allerdings macht das den Nationalstaat als Ebene der Regulation noch nicht obsolet. Messina (2007, 239 – 243) argumentiert, dass die Restrukturierung der migrationspolitischen Kompetenzen selbst von nationalstaatlichen Akteuren gesteuert wird und insofern Ausdruck der Transformation

Zum Forschungsdesign

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nationaler Regierungsformen ist. In eine ähnliche Richtung argumentiert Menz (2009, 257): Whoever claimed that the state is ›retreating‹ has obviously never studied migration policy. Control over access, in the sense of both territory and entitlement, remain central state functions, even true of the radically redesigned neoliberalized twenty-first century competition state.

Wenn auch gerade im Kontext der Europäischen Union die Rolle von supranationalen Institutionen offensichtlich ist, geschieht die Definition migrationspolitischer Ziele wie auch die Entwicklung der wesentlichen Steuerungsinstrumente nach wie vor hauptsächlich auf nationalstaatlicher oder zwischenstaatlicher Ebene36. Die Arbeit kann nicht den Anspruch erheben, die Ursachen und Effekte der beobachteten Verschiebungen in den politischen Problematisierungen von Migration umfassend und erschöpfend darzustellen. Nichtsdestotrotz will sie zur Analyse eines komplexen kausalen Gefüges beitragen, indem sie Zusammenhänge zwischen diskursiven und sozialen Formationen kontextualisierend behandelt. Den drei leitenden Fragen entsprechend werden zwei Arten der Kontextualisierung vorgenommen: Erstens mit Blick auf allgemeine gesellschaftliche Transformationsprozesse, die den diskursiven Verschiebungen mutmaßlich zugrunde liegen (Frage 2). Dazu dienen einerseits ausgewählte Strukturdaten (zu Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit etc.) und andererseits bestehende empirische Analysen zu politischen und ökonomischen Entwicklungen seit dem Zweiten Weltkrieg (u. a. Demirovic et al. 1992; Hirsch 1996; Cerny 1997; Jessop 2002; Menz 2009). Auf diesem Weg soll plausibel gemacht werden, dass Sekuritisierung und Ökonomisierung von Migration strukturelle Tendenzen liberaler Nationalstaaten sind. Zweitens werden neben den diskursiven Verschiebungen auch die wichtigsten Neuerungen auf der Ebene migrationspolitischer Instrumente dargestellt (Frage 3). Diese erlauben Rückschlüsse auf die Effekte diskursiver Entwicklungen und damit auf die Relevanz des Wechselspiels von Sekuritisierung und Ökonomisierung von Migration. Die Darstellung expliziter gesetzlicher und administrativer Regelungen muss aufgrund ihrer hohen Komplexität unvollständig bleiben. Ziel der Arbeit ist aber auch nicht, die Geschichte der österreichischen Migrationsregularien vollständig nachzuzeichnen. Vielmehr soll anhand der Durchsetzung und Etablierung einzelner Regelungen illustriert werden, wie in historischen Kontexten erfol36 Die EU gibt Richtlinien vor, die aber erstens zwischen den nationalen Regierungen ausgehandelt werden und zweitens in der Regel in nationale Gesetzgebung übersetzt werden müssen. Das ist ein komplexer Prozess, für den die Übergangsbestimmungen im Zuge der EU-Osterweiterung ein gutes Beispiel sind. Insgesamt ist die Relevanz der EU in migrationspolitischen Fragen umstritten (Messina 2007, 237).

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Methodologische Fragen und empirische Umsetzung

gende diskursive Verschiebungen Einschnitte und Veränderungen der gesetzlichen und politischen Steuerung von Migration möglich gemacht haben.

3.3

Zur Auswahl des empirischen Materials

Welche einer empirischen Erforschung zugänglichen Materialien erlauben nun, die diskursiven Entwicklungen in einem gesellschaftlichen Teilfeld wie der Politik analytisch zu rekonstruieren? Welche Auswahlverfahren sind mit den beschriebenen Zielsetzungen kompatibel und gleichzeitig praktisch umsetzbar? Die Beantwortung dieser Fragen war mit vier zentralen Problemen konfrontiert. Aus der Fragestellung ergibt sich das Problem der Vergleichbarkeit über die Zeit. Aus den diskurstheoretischen Prämissen ergeben sich drei weitere Kriterien: Erstens die Anforderung, die Analyse von Regelmäßigkeiten mit der Entschlüsselung von Tiefenstrukturen zu verbinden; zweitens die Herausforderung, systematische Ausblendungen und Verzerrungen zu vermeiden, die daraus resultieren können, dass die eigenen Wahrnehmungs- und Deutungsschemata die Materialauswahl strukturieren. Heute selbstverständliche diskursive Gegenstände und Begriffssysteme können nicht einfach für frühere diskursive Ordnungen unterstellt werden. Das empirische Material soll, in Diaz-Bones Worten, seine Widerständigkeit entfalten können (Diaz-Bone 2006). Um drittens Kohärenz und Vergleichbarkeit sicherzustellen, muss systematisch selektiert und der Kern der empirischen Analysen auf Material gestützt werden, dessen gesellschaftliche Genese weitestgehend bekannt oder einschätzbar ist. Das Ziel, Vergleichbarkeit über einen relativ langen Zeitraum hinweg zu gewährleisten, schloss Interviews als Erhebungsform aus. Zwar gibt es mittlerweile eine umfangreiche Literatur zu oral history als Forschungsstrategie, allerdings mussten der Forschungsfrage entsprechend weitere Aspekte berücksichtigt werden. Zunächst gibt es nur sehr wenige mögliche GesprächspartnerInnen, die das Kriterium erfüllen, am Prozess der Problematisierung im politischen Feld beteiligt gewesen zu sein. Zweitens wäre es kaum möglich gewesen, in mündlichen Nachbesprechungen die tatsächlichen Problematisierungen vergangener Zeiten zu rekonstruieren – die rückblickende Erzählung kann als Problematisierung der Vergangenheit konzipiert werden, im besten Fall erhält man eine Problematisierung vergangener Problematisierungen. Drittens blieb das Problem, dem Anspruch gerecht zu werden, den Diskurs möglichst vollständig abzubilden. Aus diesen Gründen wurde auf schriftliches Datenmaterial zurückgegriffen. Im politischen Feld gibt es eine Reihe von institutionalisierten Formen, laufende Auseinandersetzungen zu dokumentieren und zu archivieren. Die Produktionsbedingungen dieses Materials sind über die Jahrzehnte stabil geblieben. Erst

Zur Auswahl des empirischen Materials

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mit dem vermehrten Einsatz von EDV-Systemen haben sich die über Jahrzehnte eingespielten Abläufe der parlamentarischen Textproduktion, Dokumentation und Archivierung verändert. Für die Jahre ab 1996 ist die Menge an elektronisch verfügbarem Material aus dem österreichischen Parlament unüberschaubar groß. Für die Jahre davor sind Protokolle zu den Plenarsitzungen des Nationalrats in gescannter Form verfügbar. Auch Gesetzblätter – in denen jede Gesetzesänderung veröffentlicht wird – sind digital verfügbar. Anfragen, Anfragebeantwortungen, Beilagen zu Parlamentsdebatten usw. sind für die Jahre bis 1996 nur in gedruckter Form archiviert. Wenn auch Material für spätere Zeiträume leichter zugänglich ist, haben sich die Produktionspraktiken nicht grundlegend verändert. Zwar ist ab den 1980er-Jahren ein markanter Anstieg der Zahl der parlamentarischen Anfragen zu beobachten, der zum Teil wohl auf die technologischen Erleichterungen in der Textproduktion zurückzuführen ist. Auch ist schwer einzuschätzen, ob und in welcher Art die potenzielle Erhöhung der öffentlichen Sichtbarkeit durch die Präsenz im Internet die Formen der schriftlichen parlamentarischen Auseinandersetzungen verändert hat. Im Großen und Ganzen hat sich an den Eigenheiten der einzelnen Textsorten nichtsdestotrotz wenig geändert. Nach wie vor zerfällt die parlamentarische Auseinandersetzung in zwei Teile: einen öffentlichen und einen mehr oder weniger von der Öffentlichkeit abgeschirmten. Zu den konkreten Aushandlungsprozessen in Ausschüssen, Sozialpartnerverhandlungen, Ministerräten und informellen Treffen gibt es keine bis kaum eine öffentlich zugängliche Dokumentation. Die hauptsächlichen Formen, in denen Problementwürfe und Positionen nachvollzogen werden können, sind Redebeiträge zu Plenarsitzungen und Anfragen an Regierungsmitglieder (die überwiegend von der Opposition kommen); beide »are delivered for the record, and are strictly normalized« (van Dijk 2000b, 13). Dazu kommen die Beilagen zu Gesetzesentwürfen, in denen in unterschiedlicher Offenheit, Klarheit und Ausführlichkeit die Gründe für einzelne Maßnahmen und deren erwartete Folgen dargestellt werden. Aus den im Theorieteil und in Kapitel 3.1.2 dargelegten theoretischen Überlegungen ergeben sich einige Eigenheiten der parlamentarischen Auseinandersetzung. Parlamentarische Debatten sind ein sehr spezifisches Genre, geprägt durch rhetorische Formen, rituelle Bekundungen und spezifische Umgangsformen (Zwischenrufe, Ordnungsrufe etc.) (van Dijk 2000b). Die öffentlich geäußerten Meinungen sind nicht zwingend ein Ausdruck der tatsächlichen Prioritätensetzung in der täglichen Arbeit. Themen können tabuisiert sein, Parteien können aus wahltaktischen Gründen um die Vorherrschaft in bestimmten Themenbereichen kämpfen, obwohl ihre eigentlichen Handlungsprioritäten in anderen Bereichen liegen, andere Äußerungen kommen fast rituell zustande, ohne dass sie Ausdruck einer tatsächlichen Programmatik sind. Nichtsdestotrotz

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Methodologische Fragen und empirische Umsetzung

spiegeln sich in den Formen und Konjunkturen der Thematisierung breitere diskursive Entwicklungen. Dabei kann unterstellt werden, dass das politische Feld im Vergleich zu anderen Feldern durch eine spezifische Reaktivität zu gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozessen gekennzeichnet ist. In einzelnen Anfragen und Redebeiträgen kommen sowohl tagesaktuelle Geschehnisse als auch grundlegende politische Programme zum Ausdruck. Die Struktur des politischen Feldes bewirkt dabei ein spezifisches Wechselspiel der von den ParlamentarierInnen perzipierten öffentlichen Meinung, geo- und staatspolitischen Rahmenbedingungen, den eigenen Gesellschafts- und Politikentwürfen und den Ansprüchen der jeweiligen Klientel. Tagespolitik wird also aufgegriffen, zum Teil in Form sehr spezifischer Thematisierungen von Einzelfällen, aber nicht unabhängig von grundlegenden politischen Programmatiken. Gerade für die Entschlüsselung dominanter Problematisierungsweisen scheint öffentlich zugängliches parlamentarisches Material daher gut geeignet. Grenzen der Aussagekraft, die sich aus den Eigenheiten des Materials ergeben, werden an den entsprechenden Stellen der Analyse besprochen. Nach der prinzipiellen Festlegung auf schriftlich vorliegendes Material war zu entscheiden, nach welchen Kriterien aus dem umfangreich verfügbaren Material gewählt werden sollte. Dabei mussten zwei analytische Ziele berücksichtigt werden. Einerseits sollte das Material erlauben, die Formen der Problematisierung über die Zeit hinweg so vollständig wie möglich zu charakterisieren. Das sprach für die Erstellung eines umfassenden Korpus und eine quantitative Auswertungsstrategie. Andererseits ging es darum, die politischen Rationalitäten zu entschlüsseln, die den beobachteten Regelmäßigkeiten zugrunde liegen. Das sprach dafür, sich auf ausgewählte aussagekräftige Teilbereiche zu beschränken und sich diesen interpretativ zu nähern. Gefragt war also eine zweistufige Auswahlstrategie, die zunächst die Erstellung eines umfangreichen Korpus zur quantitativen Analyse und in einem zweiten Schritt die Auswahl von Schlüsselstellen zur interpretativen Analyse erlauben sollte. Der erste Auswahlschritt – die Erstellung eines auch quantitativ auswertbaren Korpus – wird in den Folgeabsätzen ausführlich besprochen, die Auswahl an Texten für interpretative Analysen wird im Kapitel zur qualitativen Auswertung thematisiert. Die Korpuserstellung folgte der Strategie, mithilfe einer Liste an themenbezogenen Schlagwörtern relevante Materialien zu identifizieren. So wurde im Vorhinein festgelegt, dass keine Dokumente ohne expliziten Bezug auf migrationspolitische Problemstellungen in das Korpus kamen. Die Alternative wäre gewesen, Material ohne thematische Einschränkung auszuwählen, entweder in Form einer Vollerhebung bestimmter parlamentarischer Dokumente oder in Form einer Stichprobe. Der offensichtliche Vorteil dieser alternativen Strategie wäre gewesen, dass erstens keine a priori-Definition des Gegenstands »Migration« notwendig gewesen wäre, die zwangsläufig dem Problemverständnis der

Zur Auswahl des empirischen Materials

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Forschenden folgt, und dass zweitens auch die Thematisierung von Migrationsphänomenen in anderen Politikkontexten nachvollzogen hätte werden können – also etwa anhand von Bezugnahmen in wirtschaftspolitischen oder sicherheitspolitischen Debatten. Allerdings ist diese zweite Strategie praktisch kaum umsetzbar. Für eine Vollerhebung hätten zigtausende Seiten an Textmaterial digitalisiert werden müssen. Für eine Stichprobe hätte das Problem bestanden, dass Thematisierungen von Migration und Flucht vor den 1980erJahren über große Zeitspannen Seltenheitswert haben. Damit hätten, um überhaupt zu auswertbarem themenrelevanten Material zu kommen, sehr große Stichproben genommen werden müssen. Auch diese Strategie war also nicht praktikabel. Als einzige praktisch umsetzbare Strategie wurde auf den Ansatz gesetzt, mittels Schlagwortsuche direkt themenbezogene Dokumente zu identifizieren. Dem Problem der Verzerrung durch ein vorab vorhandenes Problemverständnis wurde versucht zu begegnen, indem eine umfassende Liste an Schlagwörtern eingesetzt wurde, die aus einer Vorablektüre von Debatten und Anfragen entwickelt wurde. In einer ersten Sondierungsphase wurden also relevante Schlagwörter gesammelt. Eine Einschränkung auf eine bestimmte Form der Migration (etwa Flucht oder Arbeitsmigration) sollte nicht vorab getroffen werden, weil erstens anzunehmen ist, dass die heute etablierte Differenzierung nicht zu jedem Zeitpunkt in derselben Form vorhanden und wirkmächtig war, und zweitens der Blick auf die Wechselwirkung von politischen Rationalitäten impliziert, dass Problematisierungen in einem Teilbereich die Regulation in einem anderen beeinflussen können. Auf dieser Grundlage wurde (i) in den Indizes des Parlamentsarchivs (die neben Debatten auch Anfragen und andere Materialien erfassen) und (ii) in den Tagesordnungen aller Parlamentsdebatten nach folgenden Schlagwortgruppen gesucht (wobei verschiedene Flexionsformen etc. berücksichtigt wurden): – Einwanderung, Zuwanderung, Migration, Immigration, Ausländer, Fremde – Heimatvertriebene, Volksdeutsche, Displaced Persons – Flucht, Flüchtlinge, Asyl, Bundesbetreuung – Gastarbeit, Fremdarbeit, Saisonnier, Saisonarbeit, Arbeitsmigration, Grenzgänger, Schlüsselarbeitskräfte, Ausländerbeschäftigung – Zweite Generation, Integration, Eingliederung, Einbürgerung, Staatsbürger (schaft), Sprache – Schengen, Drittstaaten – Schlepper(ei), Illegale, Illegalität – Fremdenpolizei, Fremdenrecht – Grenzen, Visum, Sichtvermerk – Aufenthalt, Niederlassung, Einreise – Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Fremdenfeindlichkeit

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Methodologische Fragen und empirische Umsetzung

Zu beachten ist, dass die Liste der Schlagwörter, nach denen die Indices der stenographischen Protokolle organisiert sind, über die Zeit relativ stabil bleibt (womit auch aktuelle Diskussionen in der Regel in das Raster vorhandener Schlagwörter eingepasst werden müssen), von Legislaturperiode zu Legislaturperiode aber geringfügige Änderungen vorkommen. In einigen Fällen wurde entschieden, trotz prinzipieller Übereinstimmung mit der Definition Dokumente nicht zu berücksichtigen; das betrifft vor allem Diskussionen zur Südtirol-Problematik und zu in Österreich offiziell als Minderheiten anerkannten Bevölkerungsgruppen. Damit soll nicht impliziert werden, dass diese Themen nicht von analytischem oder politischem Interesse seien, im Gegenteil. Allerdings hätten sie den Fokus der Arbeit deutlich verschoben. Andere Themen wurden nur teilweise berücksichtigt, und zwar an den Stellen, an denen ein expliziter Migrationsbezug von den AkteurInnen selbst hergestellt wurde. Das war bei Debatten zu Schengen der Fall, aber auch bei solchen zu den Schlagworten »Staatsbürger« (nicht berücksichtigt wurden etwa Anfragen zum Wohlergehen österreichischer Staatsbürger im Ausland) oder »Grenzen« (nicht inkludiert wurden Materialien, die sich etwa mit dem exakten Verlauf territorialer Grenzen beschäftigen). Wie schon erwähnt ist zu beachten, dass ab der 20. Legislaturperiode (1996 – 1999) alle Materialien online elektronisch verfügbar sind (mit geringfügigen Einschränkungen). Das bedeutete für die Auswahl der Materialien einen bedeutenden Bruch – es wurde aber auf möglichst weitgehende Konsistenz geachtet, indem auch für die Zeit nach 1996 nicht direkt in Dokumenten, sondern nur in den Indices und in den Tagesordnungen der stenographischen Protokolle gesucht wurde. Gesetzgebungsperiode

V. (1945 – 1949)

6

XIX. (1994 – 1996)

83

VI. (1949 – 1953) 35 XX. (1996 – 1999) 383 VII. (1953 – 1956) 39 XXI. (1999 – 2002) 221 VIII. (1956 – 1959) 7 XXII. (2002 – 2006) 274 IX. (1959 – 1962) 21 XXIII. (2006 – 2008) 280 X. (1962 – 1966) 0 XXIV. (2008 – 2013) 515 XI. (1966 – 1970) 15 Art Anfrage 1.000 XII. (1970 – 1971) 4 Debattenbeitrag 1.419 XIII. (1971 – 1975) 38 Partei SPÖ 448 XIV. (1975 – 1979) 11 ÖVP 383 XV. (1979 – 1983) 20 FPÖ 853 XVI. (1983 – 1986) 16 Grüne 460 XVII. (1986 – 1990) 126 LIF 82 XVIII. (1990 – 1994) 325 KPÖ 10 Tabelle 3.1: Überblick über das empirische Korpus nach Gesetzgebungsperiode, Art und Partei (Anmerkungen zur Aufgliederung nach Partei: FPÖ mit BZÖ zusammengefasst; Beiträge von Regierungsmitgliedern nicht berücksichtigt)

Zur Auswertungsstrategie

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Alle Materialien wurden, sofern sie nicht digitalisiert vorlagen, gescannt, semiautomatisiert textinterpretiert und als einfache Textdokumente abgespeichert. Insgesamt wurden so weit über 3.000 Dokumente gesammelt. Für die Auswertungen wurden nur Debattenbeiträge und Anfragen (2.419 Dokumente) berücksichtigt. Tabelle 3.1 gibt einen Überblick über das so kompilierte Korpus. Die restlichen Dokumente dienten der kontextualisierenden Diskussion. Für diese wurde darüber hinaus auf über das Rechtsinformationssystem des Innenministeriums verfügbare Gesetzestexte und Bundesgesetzblätter zurückgegriffen (die auch erlauben, Gesetze in ihrer Entwicklung über die Zeit zu verfolgen).

3.4

Zur Auswertungsstrategie

3.4.1 Quantitative Auswertung Die quantitative Auswertung der ausgewählten Texte orientierte sich an lexikometrischen Methodologisierungen diskurstheoretischer Überlegungen (Glasze 2007; Scholz 2010). Die Lexikometrie ist ein Teilbereich der Korpuslinguistik. Diese analysiert große Textsammlungen unter Nutzung statistischer Verfahren, um sprachliche Muster zu identifizieren. Mit der Durchsetzung neuer Technologien haben solche korpusbasierten Verfahren an Bedeutung gewonnen, einerseits, weil sie mit modernen Computersystemen deutlich schneller und kostengünstiger durchzuführen sind, andererseits, weil die Nachfrage nach leistungsstarken Textsuchfunktionen gestiegen ist.37 Der erste Schritt für die quantitative Komponente meiner Auswertungen bestand in der Erstellung und Aufbereitung des Korpus (Scholz 2010; Blätte 2011). Das Korpus sollte im Hinblick auf die Produktionsbedingungen und die sprachlichen Eigenheiten der Texte möglichst homogen sein, um synchrone und diachrone Vergleiche zu ermöglichen. Daher wurden nur zwei Arten von Dokumenten aufgenommen: Anfragen und Debattenbeiträge. Als Analyseeinheit (Krippendorff 2004, 98 – 102) wurde der einzelne Beitrag gewählt, also eine einzelne Anfrage oder ein einzelner Beitrag zu einer parlamentarischen Debatte. Zu jedem Korpuselement wurden eine Reihe von Kontextinformationen erfasst: Gesetzgebungsperiode, Jahr und Monat, Parteizugehörigkeit (bzw. Regierungsmitglied ja/nein), Thema der Debatte/der Anfrage und Art des Elements (also Anfrage oder Debatte). 37 Auf korpuslinguistischen Methoden basierende Verfahren des Textmining bilden die Grundlage für lernende Wörterbücher in Textverarbeitungsprogrammen ebenso wie für Internet-Suchmaschinen.

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Methodologische Fragen und empirische Umsetzung

Das Korpus wurde anschließend vorbereitenden Aufarbeitungsschritten unterzogen. Zunächst wurden alle Dokumente als einfache Textdateien gespeichert. Diese Version des Korpus wurde für die interpretativen Analysen genutzt. In der Folge wurden drei verschiedene Versionen des Korpus für quantitative Analysen erstellt: Zunächst die vollständigen Texte, allerdings ohne Satz- und Sonderzeichen. Zweitens eine Version ohne sogenannte »Stopwords«, das sind häufige, aber nicht bedeutungstragende Wörter wie »und«, »oder«, »ein« etc. Listen mit Stopwords sind frei verfügbar, allerdings wurden dem Forschungsinteresse entsprechend Anpassungen vorgenommen, einige üblicherweise eliminierte Wörter wurden beibehalten: »wir«, »unser« »andere« und ähnliche identitätspolitisch potenziell aussagekräftige Wörter. Und drittens wurde eine lemmatisierte Version erstellt, in der die einzelnen Wörter auf ihre Grundformen reduziert wurden. Mit Ausnahme der Lemmatisierung wurden alle Aufbereitungsschritte mit eigens in Python programmierten Algorithmen durchgeführt. Für die Lemmatisierung wurde Tree-Tagger (Schmid 1995), eine frei verfügbare Spezialsoftware, genutzt, für die Erfahrungswerte und entsprechende Zahlen zur Zuordnungsqualität vorliegen. Die aufbereiteten Textdokumente wurden für die statistische Auswertung in das Statistikprogramm R eingespielt. Die Datenaufbereitung in R folgte den von Lebart et al. (1998, 21 – 24) empfohlenen Schritten der Segmentation und der Identifikation der lemmatisierten Dokumente: Zunächst wurden die einzelnen Textdokumente vektorisiert, alle durch Leer- oder Sonderzeichen begrenzten Zeichenstränge wurden als Wort interpretiert und zu Elementen des jeweiligen Vektors. Die Vektoren wurden in R als Liste gespeichert. Die Reihenfolge der Wörter innerhalb der Einzelbeiträge blieb dabei erhalten. In einem zweiten Schritt wurde eine Liste der Lexeme des Gesamtkorpus erstellt und für jedes Listenelement die Häufigkeit pro Einzelbeitrag eruiert. Darauf aufbauend wurde eine Document-Term-Matrix (DTM), auch lexikalische Tabelle genannt, erstellt (Lebart et al. 1998, 35); die Einzelbeiträge stehen dabei in den Zeilen, in den Spalten stehen die Kontextvariablen und die einzelnen Lemmata. In diese Matrix wurden nur Lexeme, die zumindest zwei Mal im Gesamtkorpus vorkamen, aufgenommen. So ergibt sich eine Matrix mit 2.419 Zeilen und 16.471 Spalten. Statistisch handelt es sich dabei um Häufigkeitsdaten (count data). Der Forschungsfrage entsprechend kam in der quantitativen Auswertung der Daten eine Verbindung von induktiven und deduktiven Verfahren zum Einsatz, die einander stützen. Die induktive Komponente sollte dem Ziel gerecht werden, zu verschiedenen Zeitpunkten präsente bzw. dominante Problematisierungsweisen zu identifizieren. Dazu wurden korpusbasierte Verfahren eingesetzt. Die deduktiven Verfahren dienten demgegenüber der theoretisch vorinformierten Suche nach bestimmten Problematisierungsformen. Ausgangspunkt war die Operationalisierung der interessierenden Konzepte (Speziell Ökonomisierung

Zur Auswertungsstrategie

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und Sekuritisierung) über Schlagworte und Begriffsfelder. Die Auswahl und Validisierung der Schlagwörter konnte auf den induktiven Auswertungsschritten sowie ergänzenden interpretativen Analysen aufbauen. Umgekehrt erleichterten die theoretischen Vorannahmen die auf das Forschungsinteresse fokussierte Interpretation der induktiven Auswertungen. Die Grundlagen zur induktiven statistischen Auswertung wurden der lexikometrischen Literatur entnommen (Teubert 2005; Glasze 2007; Scholz 2010; Blätte 2011). Im Gegensatz zu codebasierten Verfahren – wie etwa der Inhaltsanalyse – setzen diese direkt auf der Ebene des verschriftlichten natürlichsprachlichen Textes an. Die zentralen Instrumente, die dabei zum Einsatz kommen, sind die Analyse von Frequenzen, Konkordanzen und Kookkurrenzen. Dazu wird das Gesamtkorpus partitioniert, also in Teilkorpora unterteilt, die dann systematisch untereinander oder mit dem Gesamtkorpus verglichen werden können. Diese Vorgehensweise soll erlauben, die dem Korpus eigenen Regeln der Aussageformation unvoreingenommen zu entschlüsseln. »Die Analysen von Charakteristika eines Teilkorpus sind also induktiv, d. h. sie kommen ohne im voraus definierte Suchanfragen aus und bieten damit die Chance, auf Strukturen zu stoßen, an die nicht schon vor der Untersuchung gedacht wurde« (Glasze 2007, 41). Die Begrifflichkeiten entsprechen jenen der Inhaltsanalyse (Krippendorff 2004), setzen aber, wie gesagt, nicht auf der Ebene der Codes, sondern direkt auf der Ebene des Texts an. Relative Frequenzen sind als Häufigkeit eines Lexems relativ zur Gesamtgröße eines Korpus definiert. Konkordanzen – auch »Key words in context« (KWIC) – sind Listen der Fundstellen eines Lexems mit seiner unmittelbaren Umgebung, meist zwischen drei und acht Wörtern vor und nach dem interessierenden Begriff (Scholz 2010). Sie dienen der semantischen Validierung von Schlüsselbegriffen – so kann etwa untersucht werden, wie oft der Begriff »Sicherheit« in einer Form gebraucht wird, die als Indikator für eine sekuritisierende Problematisierung dienen kann, und wie oft auf andere Arten (etwa in der Verbindung »mit Sicherheit«). Kookkurrenzen bezeichnen das gemeinsame Auftreten von Begriffen. Als analytische Maßzahl wurden außerdem sogenannte Spezifitäten berechnet, die der Identifikation von charakteristischen Begriffen für eine Teilpartition des Korpus dienen. Die Spezifität ist ein wahrscheinlichkeitstheoretisches Maß und als negative Zehnerpotenz der Wahrscheinlichkeit von k Ereignissen in einer Teilpartition der Größe n definiert. Dabei wird von einer hypergeometrischen Wahrscheinlichkeitsverteilung ausgegangen. Die hypergeometrische Verteilung hat drei Parameter : die Größe der Teilpartition (n), die Anzahl der als Treffer zu wertenden Ereignisse einer dichotomen Zufallsvariable (M) und die Anzahl der Gesamtereignisse (N). Die interessierende Zufallsvariable ist die Anzahl der Treffer. Modelliert wird ein Ereignisraum ohne Zurücklegen. Kon-

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Methodologische Fragen und empirische Umsetzung

kret bedeutet das: Um die Spezifität eines Begriffs für eine gegebene Partition zu berechnen, wird zunächst die Frequenz dieses Begriffs (M) als Anteil der Gesamtgröße des Korpus (N) berechnet. Auf dieser Grundlage wird gefragt, wie wahrscheinlich bei einer gegebenen Größe der Teilpartition die beobachtete Frequenz des untersuchten Begriffs ist. Je größer die Abweichung von der relativen Häufigkeit im Gesamtkorpus, desto kleiner die Wahrscheinlichkeit. Um aus diesen Wahrscheinlichkeiten die Spezifität zu berechnen, werden sie zur Basis 10 logarithmiert, kleine Werte führen zu hohen absoluten Werten mit negativem Vorzeichen (da Wahrscheinlichkeiten nie größer als eins sind, ist der Logarithmus nie größer als Null). Durch Multiplikation mit (-1) ergibt sich der Wert der Spezifität – je höher dieser Wert, desto charakteristischer ist ein Begriff für die untersuchte Teilpartition, wobei auch ein unterproportional häufiges Auftreten als Charakteristik gewertet werden kann. Die Kontrolle, in welche Richtung die Charakteristik geht, geschieht am einfachsten über den direkten Vergleich der relativen Häufigkeiten in Partition und Gesamtkorpus. Wenn als Teilungskriterium für die Erstellung einer Partition das Auftreten eines Begriffs gewählt wird, liefert die Spezifität ein probabilistisches Korrelationsmaß für den Zusammenhang zwischen Begriffen und dient damit gleichzeitig als Maß zur Quantifizierung von Kookkurrenzen. Begriff Spezifität Faktor Über-/Unterrepräsentation rot 104,41 17,02 guatemala 47,72 40,46 lernunterlage 47,34 26,11 integrationsfonds 35,52 21,90 höchstqualifiziert 11,13 40,46 deutschkenntnis 10,97 9,66 integration 10,60 2,69 staatsbürgerschaft 1,67 1,38 Tabelle 3.2: Beispieltabelle: Auswahl an für das Jahr 2011 spezifischen Begriffen im Korpus, Spezifität und Vergleich der relativen Häufigkeit des Auftretens, lemmatisierte Version des Korpus ohne Stopwords, berücksichtigt sind Lemmata mit einer Gesamthäufigkeit größer 2, insgesamt 16.461 Lemmata

Tabelle 3.2 liefert ein Beispiel für die Zusammenstellung an Kennziffern, wie sie später in der Arbeit zu finden sein wird. Gesucht wurde nach Begriffen, die für die migrationspolitische Auseinandersetzung im Jahr 2011 im Vergleich zu anderen Jahren charakteristisch sind. In die Tabelle wurde eine Auswahl aufgenommen. »Rot« ist für das Jahr 2011 der charakteristische Begriff schlechthin. Das liegt, wie eine Kontrolle der Konkordanzen bestätigt, an der in diesem Jahr diskutierten und eingeführten Rot-Weiß-Rot-Karte. Der Wert von 104,41 kann als ausgesprochen hoher Spezifitätswert gelten. Er resultiert aus einem 17-fachen Überauftreten in der Partition mit den Dokumenten aus dem Jahr 2011. Der Begriff mit der

Zur Auswertungsstrategie

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nächsthöheren Spezifität ist »guatemala«, die Spezifität beträgt auch in diesem Fall sehr hohe 47,72. Wie ein Blick auf die relativen Häufigkeiten in den Folgespalten zeigt, ist dieser Wert das Ergebnis einer ungewöhnlichen Häufung von Bezugnahmen auf Guatemala, die mit der Diskussion über die Auslieferung des früheren guatemaltekischen Polizeioffiziellen Javier Figueroa einhergingen. Ähnlich hohe Spezifitätswerte haben andere thematisch verbundene Begriffe, die nicht in die Beispieltabelle aufgenommen wurden. Ein Vergleich der Spezifität für »guatemala« mit jener für »lernunterlage« illustriert den Vorteil eines probabilistischen Maßes: Obwohl das Verhältnis der relativen Frequenzen zeigt, dass Bezugnahmen auf »Lernunterlagen« weniger überrepräsentiert sind als jene auf Guatemala, ist der Spezifitätswert fast ident. Bei einem insgesamt häufigeren Begriff (eine Gesamtfrequenz von 0,71 im Vergleich zu 0,34) werden Abweichungen stärker bewertet, weil davon auszugehen ist, dass sie eher eine systematische Abweichung darstellen als die zufällige Häufung insgesamt sehr seltener Begriffe. Besonders markant ist das am Vergleich der Lexeme »deutschkenntnisse« und »integration« zu sehen, die ebenfalls sehr ähnliche Spezifitätswerte haben, obwohl das Verhältnis der Frequenzen im Fall der Deutschkenntnisse über 9, im Fall der Integration dagegen weniger als 3 beträgt. Die induktive, korpusbasierte Auswertung erlaubt die explorative Suche nach Mustern in den Dokumenten. Da die Arbeit aber auf bereits existierenden Analysen der dominanten Problematisierungsweisen von Migration aufbauen kann (Wengeler 2003; Buonfino 2004; Huysmans 2006; Aigner 2008; Mayer/ Spang 2009) wurde daneben dezidiert nach theoretisch definierten Konstrukten gesucht, allen voran nach Formen der Ökonomisierung und der Sekuritisierung von Migration. Diese zweite Komponente der quantitativen Auswertung entspricht in ihrer methodischen Konzeption der von Krippendorff beschriebenen »problem-driven analysis« mit vorab definierten »analytical constructs« (Krippendorff 2004, 340; 342 – 355). Die methodische Herausforderung besteht dabei in der validen Operationalisierung dieser analytischen Konstrukte. Für die vorliegende Arbeit wurde ein Wörterbuch-Ansatz gewählt, also die Suche nach Begriffen, die als Indikatoren für die interessierenden »Syndrome« dienen können. Die Identifikation von Schlüsselbegriffen und indikativen Begriffsfeldern erfolgte in einem zyklischen Verfahren. Gestützt auf die korpusbasierten und die interpretativen Auswertungen wurden nach und nach aussagekräftige Begriffe gewählt. Nicht immer ließen sich dabei Begriffe finden, die für den gesamten untersuchten Zeitraum als Indikatoren dienen konnten. Indikator wirtschaft arbeitskraft arbeitnehmer

f(Gesamtkorpus) 3,13 5,82 6,38

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Methodologische Fragen und empirische Umsetzung

Fortsetzung Indikator f(Gesamtkorpus) unternehmen 4,05 fachkraft 0,44 bedarf 1,59 industrie 0,57 landwirtschaft 0,71 Tabelle 3.3: Schlüsselbegriffe für Ökonomisierung, f(Gesamtkorpus): mit dem Faktor 10.000 multiplizierte absolute Häufigkeit des Lexems

Als Indikatoren für die Ökonomisierung von Migration wurden die in Tabelle 3.3 gelisteten Lexeme gewählt, in der zweiten Spalte ist die mit dem Faktor 10.000 multiplizierte Frequenz im Gesamtkorpus angeführt. Im Vergleich zu den Indikatoren für Sekuritisierung fällt auf, dass Bezeichnungen für Akteursgruppen eine prominente Rolle spielen. Das liegt daran, dass in ökonomisierenden Problementwürfen Personen(gruppen) einerseits als (Produktions-)Faktoren im Wirtschaftsprozess auftreten (hier als Fachkräfte oder Arbeitskräfte), andererseits auch als Kräfte in der Definition des kollektiven Gesamtinteresses (hier: Unternehmer und Arbeitnehmer). Die Validität der Termini als Indikatoren wurde mittels Konkordanzlisten und anhand zufällig gewählter Kontrollstellen geprüft. Industrie und Landwirtschaft sind Marker für zwei wichtige Wirtschaftsbereiche, die in den Dokumenten relativ einfach zu identifizieren sind. Andere Bereiche sind schwerer über Indikatoren zu erfassen, das betrifft vor allem die Tourismusbranche, die häufig nur indirekt angesprochen wird, etwa über die saisonale Nachfrage nach Arbeitskräften in bestimmten Regionen – aus diesem Grund konnte für andere Branchen kein valider Indikatorbegriff identifiziert werden. Dimension Ordnung

Indikator f(Gesamtkorpus) illegal 13,84 kriminalität 4,23 einbruch 0,58 gewalt 1,14 drogendealer 0,67 scheinehe 0,71 schlepper 2,05 terror 0,38 Sozialsystem sozialstaat 0,61 arbeitslosigkeit 2,33 schwarzarbeit 1,37 Kultur islam 0,50 kulturell 0,97 deutschkenntnisse 0,10 integration 10,42 Tabelle 3.4: Schlüsselbegriffe für Sekuritisierung, f(Gesamtkorpus): mit dem Faktor 10.000 multiplizierte absolute Häufigkeit des Lexems

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Zur Auswertungsstrategie

In Tabelle 3.4 sind Indikatorbegriffe für versicherheitlichende Problematisierungen aufgelistet. Im Gegensatz zur Ökonomisierung konnte hier auf der Grundlage existierender Studien (vor allem Huysmans 2006) vorab eine Dimensionalisierung in die drei Bereiche öffentliche Ordnung, Sozialsystem und Kultur vorgenommen werden. Für den ersten Bereich sind »illegal« und »kriminalität« stabil valide Indikatoren, die anderen aufgelisteten Lexeme treten konzentriert in kürzeren Zeiträumen auf. Als Indikatoren für die Problematisierung von Migration als Bedrohung für das bestehende Sozialsystem wurden Bezugnahmen auf Arbeitslosigkeit und Schwarzarbeit herangezogen. Für den Bereich der kulturellen Gefahren musste mangels klar als sekuritisierend erkennbarer Termini auf Bezugnahmen auf scheinbar neutrale Aspekte zurückgegriffen werden, die im Kontext der Diskussion bedrohter kultureller Identitäten eine prominente Rolle spielen. An erster Stelle sind dies Referenzen auf Integrationsprobleme. Zusätzlich zu den Indikatoren für Ökonomisierung und Sekuritisierung wurden in der Analyse gezielt die Konjunkturen anderer für die Analyse relevanter Begriffe analysiert. Dabei lassen sich grob drei thematische Bereiche unterscheiden: (i) Thematisierung von Recht, Gleichheit und Gerechtigkeit, (ii) verschiedene »Figuren der Migration« (z. B. »Gastarbeiter«, »Illegaler« oder »Flüchtling«) und (iii) Indikatoren für relevante Leitunterscheidungen. Bei der Interpretation der diese Begriffe nutzenden Analysen ist zu beachten, dass es sich mit der Zuordnung der Begriffe zu den einzelnen Kategorien weniger um eine eindeutige semantische Festlegung handelt als um einen spezifischen Blickwinkel. Referenzen auf »Sprache« sind nicht unbedingt Grenzziehungen (Unterscheidungen), sie können aber als solche in den Blick genommen werden. In jedem Einzelfall wurden die üblichen Schritte zur Validitätsüberprüfung unternommen (Konkordanzlisten, Überprüfen anhand einer Zufallsauswahl an Textstellen). Art Gerechtigkeit

Figuren

Unterscheidungen

Indikator

f(Gesamtkorpus)

menschenrecht rechtsstellung gleichstellung

4,40 0,68 1,38

ausländer gastarbeiter flüchtling asylwerber volksdeutsch

21,42 3,68 18,74 21,27 5,85

europäisch inländisch

11,08 2,11

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Methodologische Fragen und empirische Umsetzung

Fortsetzung Art

Indikator f(Gesamtkorpus) 14,26 ausländisch österreichisch 36,34 sprache 4,17 qualifikation 1,08 Tabelle 3.5: Andere analytische Schlüsselbegriffe, f(Gesamtkorpus): mit dem Faktor 10.000 multiplizierte absolute Häufigkeit des Lexems

Die Schlüsselbegriffe für Sekuritisierung, Ökonomisierung, leitende Differenzierungen und die Frage rechtlicher Gleichstellung werden in dieser Arbeit vorwiegend zur graphischen Charakterisierung von Migrationsfiguren und Epochen genutzt. Abbildung 3.1 illustriert die Darstellungsform am Beispiel von Beiträgen, die sich vor 1989 der Figur der »Flüchtlinge« widmen. Bei der Interpretation der Graphik ist die Art der Partitionierung des Korpus zu beachten. Im Fall der Charakterisierung von Migrationsfiguren wurden alle Dokumente des Korpus in die Teilpartition aufgenommen, die zumindest einmal den analysierten Begriff oder eines seiner Synonyme enthalten. In anderen Fällen wurde nach Kontextvariablen partitioniert – konkret vor allem nach Jahreszahlen. Die Art der Positionierung geht aus der Bezeichnung der Abbildung hervor. Die hellgrauen Balken geben die mit dem Faktor 10.000 multiplizierten relativen Häufigkeiten des jeweiligen Schlüsselbegriffs im Gesamtkorpus wider ; die dunkelgrauen repräsentieren die relativen Häufigkeiten für das Teilkorpus. »Österreichisch«, »Integration« und »Illegalität« sind die drei im Gesamtkorpus am häufigsten anzutreffenden Indikatorbegriffe (zu beachten sind die unterschiedlichen Skalen der vier Teilgraphiken). Auf der Basis dieser Darstellung kann geschlussfolgert werden, dass Flüchtlingsprobleme vor 1989 überproportional unter dem Blickwinkel der Gleichstellung diskutiert wurden. Auch ökonomische Thematisierungen spielen eine Rolle, scheinbar ging es dabei um die Beschäftigung von Arbeitskräften in Landwirtschaft und Industrie. Sekuritisierende Darstellungen spielen demgegenüber keine prominente Rolle.

3.4.2 Interpretative Auswertung Um nicht nur ein oberflächliches Bild der Entwicklungen migrationspolitischer Debatten zu geben, sondern auch die zugrunde liegende politische Rationalität entschlüsseln zu können, wurden zusätzlich zu den quantitativen interpretative Analysen vorgenommen. Das erste zentrale Problem bestand dabei in der Auswahl geeigneter Textstellen. Um mit den Dokumenten des Korpus vertraut zu werden, wurde zunächst ein großer Teil von ihnen intensiv gelesen und grob thematisch codiert –

Zur Auswertungsstrategie

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Abbildung 3.1: Beispielgraphik: Schlüsselbegriffe für zentrale Problemdimensionen: Flüchtlinge vor 1989

die Codes entsprachen mit geringen Abweichungen den Schlüsselwörtern und Themenbereichen der quantitativen Analyse und sollten das gezielte Suchen nach geeigneten Textstellen zu späteren Zeitpunkten erlauben. Für einige Jahre und Themen liegen nur vereinzelte Texte vor, diese konnten dementsprechend vollständig in diese Intensivlektüre einbezogen werden. Für die Zeit ab Mitte der 1980er-Jahre war aufgrund der Menge an Dokumenten an eine vollständige Berücksichtigung nicht mehr zu denken. Nach drei Kriterien wurden für diesen Zeitraum Dokumente für interpretative Analysen ausgewählt. Erstens in direkter Verbindung mit den quantitativen Analysen: einzelne Dokumente waren

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Methodologische Fragen und empirische Umsetzung

wegen der auffälligen Häufung oder außergewöhnlichen Kombinationen von Begriffen analytisch interessant. Zweitens wurde ein Schwerpunkt auf relevant erscheinende Zeitpunkte gelegt, vor allem rund um entscheidende Novellierungen. Drittens wurden die Äußerungen einzelner Akteure, etwa bestimmter RepräsentantInnen der FPÖ, im Zeitverlauf verfolgt, sofern sich in vorangegangenen Analysen theoretisch relevante Auffälligkeiten (markante Brüche oder widersprüchlich scheinende Problematisierungen) gezeigt hatten. Die codierten Texte wurden im Hinblick auf drei Aspekte analysiert: organisierende Topoi, Figuren der Migration und ihre Charakterisierung in den Texten und leitende Differenzierungen/Kategorisierungen. Die Analyse von Topoi folgte dem von Wengeler (2003) vorgeschlagenen Topos-Begriff und den daraus folgenden methodischen Festlegungen. Unter einem Topos wird demnach eine wiederkehrende Argumentationsweise verstanden. Ein Topos liefert allgemein anerkannte argumentative Schlussregeln. Im Gegensatz zu formallogischen Verfahren sind diese aber rhetorischer Natur, sie erlauben demnach Plausibilitätsschlüsse, denen »Notwendigkeit grundsätzlich nicht zugeschrieben werden kann« (Wengeler 2003, 177). Ihrer Struktur nach entsprechen Topoi wissenschaftlich-formallogischen Schlüssen, sie bestehen also aus Prämissen, Schlussregeln und Konklusion – wobei in konkreten Äußerungen meist zumindest eine dieser drei Komponenten implizit bleibt (Wengeler 2003, 180 – 181). Topoi sind im Vergleich zu formallogischen Schlüssen aber immer ergebnisoffen und lassen interpretativen Spielraum. So verstanden markieren Topoi mögliche, aber nicht zwingende Formen der Problematisierung. Sie spielen gerade im politischen Diskurs eine große Rolle, weil dieser mit der Identifikation von Problemen und der Formulierung sich scheinbar logisch ergebender Antworten arbeitet; Topoi sind »Denkfiguren des Herangehens an eine politische Fragestellung« (Wengeler 2003, 279). Jessop (2004) zufolge kann die Bedeutung solcher Denkfiguren aus der Komplexität öffentlichen Redens und der sich im Umkehrschluss ergebenden Notwendigkeit einer Komplexitätsreduktion begründet werden. In einem gegebenen semantischen Raum sind bestimmte toposgestützte Schlüsse anschlussfähiger als andere. Wengeler unterscheidet weiter zwischen allgemeinen und spezifischen Topoi. Allgemeine Topoi sind thematisch unbestimmte allgemeine Schlussregeln wie der Schluss vom Einzelfall auf das Allgemeine. Spezifische Topoi sind thematisch bestimmte Verdichtungen anerkannter Problematisierungsweisen konkreter Phänomene bzw. Wissensgebiete. Wengeler selbst konzentriert sich in seiner eigenen empirischen Analyse schließlich auf die induktive Charakterisierung der im medialen Migrationsdiskurs der BRD zwischen 1960 und 1985 auftretenden spezifischen Topoi. In der vorliegenden Arbeit liegt der Fokus demgegenüber auf der Identifizierung eher allgemeiner Argumentationsformen in

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ihrer Anwendung auf migrationsbezogene Phänomene: an erster Stelle die Problematisierung nach einer Nutzen- und nach einer Sicherheitslogik. Der Nutzentopos zeichnet sich dabei durch folgende Schlussregel aus: Weil eine Entscheidung/Handlung für ein gegebenes Referenzobjekt nützlich ist, soll sie getroffen/ausgeführt werden. Er entspricht der von Foucault (2006a) eingehend beschriebenen utilitaristischen Rationalität, wie sie sich mit dem Aufkommen der Politischen Ökonomie und liberaler Regierungsvorstellungen historisch durchgesetzt hat. Idealtypische Beispiele für diese Argumentationsfigur sind Forderungen nach Einwanderung, weil bestimmte Arbeitskräfte gebraucht werden. Utilitaristische Denkformen können aber auch retrospektiv sein – das folgende Zitat ist ein Beispiel: Es ist eine einmalige Groteske, daß man in Österreich zu einer Zeit, als jede Hand für den Wiederaufbau des Landes gebraucht wurde, hunderttausende Hände von Amts wegen zum Feiern zwang. Was Österreich dadurch an wirtschaftlichem Potential für die Zukunft entgangen ist, kann nicht annähernd geschätzt werden.38

Die topische Struktur ist mit einem typischen Vokabular verbunden: in diesem Fall die Begrifflichkeit von Wirtschaft, Potenzial, Zukunft und Schätzung. Wesentlich ist dabei, dass der Topos einen »semantischen Raum« aufspannt, der durch Gegenstandpunkte, die nach derselben Logik argumentieren, nicht infrage gestellt wird. Mit dem ersten Zitat teilt das folgende die Verortung der Migrationsfrage im argumentativen Raum der Kosten-Nutzen-Rechnung, auch wenn in diesem Fall ein »Anti-Migrations-Standpunkt« bezogen wird: Wir haben schon vor zwei Jahren zum Ausdruck gebracht, daß der Gewinn für die Wirtschaft unter Umständen nur sehr kurzfristig sein wird und daß mit der Beschäftigung von Gastarbeitern natürlich auch vielseitige Verpflichtungen und Belastungen verbunden sind, die man sehr genau feststellen und kalkulieren sollte.39

Der Sicherheitstopos erlaubt Schlüsse nach dem Schema: Weil eine Situation eine (existenzielle) Bedrohung für ein gegebenes Referenzobjekt darstellt, müssen bestimmte Entscheidungen getroffen bzw. Handlungen gesetzt werden, die unter normalen Umständen als nicht legitim oder möglich gegolten hätten. Seine argumentative Struktur wurde u. a. von Waever et al. (1993), Buzan et al. (1998), Buonfino (2004) und Huysmans (2006) herausgearbeitet. Die Bedeutung der diskursiven Konstruktion einer Ausnahmesituation ist umstritten (Huysmans/Buonfino 2008; Neal 2009), in jedem Fall findet sich aber die Gefahr für ein Referenzobjekt als Argument für eine Handlung, die unter anderen Umständen 38 Abg. Stüber (VdU), zitiert von Abg. Machunze (ÖVP), VI. Gesetzgebungsperiode, 46. Sitzung, Debatte zur Notstandshilfe für Volksdeutsche, Jänner 1951. 39 Abg. Melter (FPÖ), XIII. Gesetzgebungsperiode, 140. Sitzung, Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz, März 1975.

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Methodologische Fragen und empirische Umsetzung

nicht denkbar (gewesen) wäre. Nicht immer wird die zu setzende Handlung explizit identifiziert, der Sicherheitstopos ist aber trotzdem präsent, wenn zumindest ein diffuser Handlungsbedarf behauptet wird. Im folgenden Zitat erfolgt die Inszenierung von Migration als Gefahr für die soziale Sicherheit explizit. Das Referenzobjekt ist die inländische Bevölkerung (in diesem Fall die inländischen Arbeitskräfte; allerdings werden diese in keinem Interessenskonflikt mit anderen innerösterreichischen Gruppen verortet). Das Zitat zeigt, wie im politischen Feld problemorientierte Argumentationsweisen mit strategischen und taktischen politischen Spielen kombiniert sind. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß vor wenigen Tagen die Gewerkschaft selbst davon gesprochen hat, daß wir der Gefahr ausgesetzt sind, Lohnkürzungen zu erleiden, daß es durch eine verfehlte Ausländerpolitik ein Lohndumping gibt, daß Herr Verzetnitsch selbst angeregt hat, gegen das Lohnraubrittertum zu Felde zu ziehen, den Verdrängungswettbewerb von Ausländern und Inländern zu beseitigen.40

In anderen Fällen sind die implizierten Maßnahmen klarer. Im folgenden Zitat ist die Implikation, dass polizeiliche Kompetenzen nicht eingeschränkt werden dürfen: Ich glaube, Sie sollten in Ihrem heißen Bemühen, die Schwarzafrikaner vor der Verfolgung der Exekutive zu schützen, wirklich aufpassen. Sie sollten sich wirklich davor in acht [sic] nehmen, daß Sie da nicht einer sehr gefährlichen Kriminalität Vorschub leisten. Denn das sind nicht Haschischdealer, sondern Dealer mit einem sehr gefährlichen Stoff, der den Jugendlichen und auch anderen Menschen zur Gefahr wird!41

Wie schon im Fall der Ökonomisierung ist es möglich, innerhalb eines sekuritisierten semantischen Raums Gegenstandpunkte zu formulieren, die nach derselben Logik funktionieren und daher den Sicherheitsdiskurs nicht infrage stellen. Ein Beispiel liefert eine SPÖ-Abgeordnete in ihrer Auseinandersetzung mit der FPÖ Mitte der 1990er-Jahre: »Die jährlich 11.000 in Österreich geborenen Gastarbeiterkinder stellen doch auch für Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Freiheitlichen, keine ernstzunehmende Gefahr dar.«42 Selbst aus diesen relativ einfachen Beispielen ist ersichtlich, dass die Identifizierung von Topoi mit einer interpretativen Offenheit zu kämpfen hat; dass ein Topos und nicht ein anderer eine Aussage strukturiert, muss entsprechend plausibilisiert werden. Weder die Sekuritisierung noch die Ökonomisierung von Migration funk40 Abg. Haider (FPÖ), XX. Gesetzgebungsperiode, 30. Sitzung, Debatte zu Arbeitsmarkt und Ausländerpolitik, Juni 1996. 41 Abg. Partik-Pabl¦ (FPÖ), XX. Gesetzgebungsperiode, 168. Sitzung, Debatte zu rassistischem Vorfall bei Polizei, Mai 1999. 42 Abg. Parfuss (SPÖ), XIX. Gesetzgebungsperiode, 35. Sitzung, Debatte zum Aufenthaltsgesetz, April 1995.

Zur Auswertungsstrategie

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tioniert in einem diskursiven Vakuum, beide setzen voraus, dass bestimmte Differenzierungen und Kategorisierungen etabliert sind. Allem voran geht es dabei um die Abgrenzung des Kollektivs, dessen allgemeiner Wille zu bestimmen ist bzw. das als gefährdetes Referenzobjekt auftreten kann. Die Art der Abgrenzung verändert sich dabei über die Zeit. Aber auch andere Kriterien und Kategorien spielen eine Rolle: Sprachkenntnisse und berufliche Qualifikation sind Beispiele für Kategorisierungen, die im Lauf der Zeit als rechtlich relevante etabliert wurden. Einmal etabliert, können sie der Verfeinerung von Problematisierungen dienen. Neben der Identifikation leitender Topoi zielte die interpretative Analyse darauf ab, diese strukturierenden Differenzierungen und Kategorien zu entziffern. Schließlich wurde als dritte Komponente der interpretativen Analysen gefragt, ob in der politischen Auseinandersetzung idealtypische Figuren der Migration entworfen wurden und, wenn ja, wie diese charakterisiert sind. Dabei sind mutmaßlich sowohl Differenzierungen als auch Problementwürfe im Spiel, die sich zu Charakterisierungen verdichten, die durch kennzeichnende Ausblendungen und Betonungen geprägt sind: Wir identifizieren in den jeweiligen migrationspolitischen Konstellationen die dazu korrelierenden Figuren, an denen man gleichsam die Fluchtpunkte, aber auch die Verknappungen des Migrationsdiskurses ablesen kann. Derlei Figuren repräsentieren also weniger soziale Gruppen, als dass sie Migrationsverhältnisse begriffspolitisch reflektieren. (Karakayali/Tsianos 2005, 40)

Solche Figuren der Migration sind z. B.: Volksdeutsche, Gastarbeiter, Ausländer, Flüchtlinge, Asylwerber, Fachkräfte und Schlepper. Die Kombination von quantitativer und interpretativer Auswertung soll erlauben, Problematisierungen von Migration im Zeitverlauf herauszuarbeiten. Dabei sollen sowohl Regelmäßigkeiten als auch Regeln identifiziert werden. Darin besteht in dieser Arbeit aber kein Ziel an sich – wesentlich für die Beantwortung der Frage nach dem Wechselspiel von Problematisierungen und der Entwicklung neuer Instrumente ist die systematische Kontextualisierung der empirischen Befunde auf Textebene. Diese erfolgt auf zwei Arten: zunächst mit Blick auf die gesellschaftlichen Kontexte, in denen sich bestimmte Problematisierungsweisen durchsetzen, zweitens im Hinblick auf die Entwicklung neuer migrationspolitischer Instrumente.

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Methodologische Fragen und empirische Umsetzung

3.4.3 Kontextualisierung 1: politische, ökonomische und soziale Rahmenbedingungen Die erste Form der Kontextualisierung zielt auf Ursachen bzw. genauer die Einbettung von Problematisierungen in gesellschaftlichen Verhältnissen und Transformationsprozessen. Für meine Analyse geht es dabei vor allem um den oben besprochenen Übergang von einer fordistisch-keynesianistischen zu einer postfordistisch-neoliberalen Ordnung. Diese Kontextualisierung erfolgt erstens literaturgestützt, wobei Texte zur Veränderung von Staatlichkeit, zu neuen wirtschaftlichen und geopolitischen Rahmenbedingungen, zur österreichischen Wirtschaftsgeschichte und Nationsbildung sowie zur Entwicklung von (österreichischen) Migrationsbewegungen herangezogen werden (Jessop 2002; Hirsch 1996; Parnreiter 1994; Demirovic et al. 1992; Foucault 2006b/2006a; Cerny 1997; Menz 2009; Menz/Caviedes 2010b). Zweitens werden in den entsprechenden Kapiteln der Arbeit unterschiedliche Strukturdaten herangezogen, speziell zur Entwicklung der österreichischen Wirtschaft und zu Migrationsbewegungen. Theoretisch könnte diese Analyse in zukünftigen Forschungsarbeiten durch statistische Verfahren gestützt werden, etwa indem diskursive Entwicklungen mit Konjunkturdaten, Wahlergebnissen usw. korreliert werden. In eine stärker interpretative Richtung wäre eine stärkere Berücksichtigung der Motive der handelnden Akteure und der strukturellen Beschränkungen, denen sie unterliegen, denkbar. Ein Weg dazu wären Gespräche mit involvierten AkteurInnen. Auch das bleibt zukünftigen Arbeiten vorbehalten. In dieser Arbeit kann ich nur eine plausible Rahmung und Diskussion des kausalen Gefüges entwickeln, eine weitergehende Analyse würde über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen.

3.4.4 Kontextualisierung 2: Gesetze und Maßnahmen Ziel der Analyse des parlamentarischen Korpus ist es, Formen der Problematisierung zu identifizieren. Problematisierungen erlauben und erfordern die Entwicklung von politischen Antworten, konkret etwa in Form von Gesetzesänderungen oder anderen juridisch-administrativen Maßnahmen. Die getroffenen Maßnahmen sind von vierfachem analytischem Interesse. Erstens sind sie eine der Formen, in denen politische Problementwürfe soziale Folgen entwickeln: Sie strukturieren z. B. Migrationsverhältnisse neu, beschränken oder erweitern soziale und politische Rechte usw. Zweitens erlauben die getroffenen Maßnahmen Rückschlüsse auf die ihnen zugrunde liegenden Problematisierungen. Sie stellen damit eine wichtige Ergänzung und ein Korrektiv zu den direkten öffentlichen Äußerungen in den parlamentarischen Auseinandersetzungen dar : Nicht immer entsprechen die getroffenen Maßnahmen auch den

Zur Auswertungsstrategie

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öffentlich vorgetragenen Problematisierungen, gerade das Feld der Migrationspolitik ist von hidden agendas durchzogen (Castles 2007a). Drittens erlauben konkrete Maßnahmen das Wechselspiel von verschiedenen Problematisierungsformen zu entschlüsseln, die unverbunden nebeneinander zu stehen scheinen. Im konkreten Fall erlauben sie Einblicke in die Produktivität des Wechselspiels von Sekuritisierung und Ökonomisierung. Viertens schließlich markieren diese Maßnahmen die tatsächlichen Entwicklungsschritte des österreichischen Migrationsregimes, unabhängig von Konjunkturen der politischen Auseinandersetzung. Die Darstellung von migrationspolitischen Maßnahmen wird daher in der folgenden Analyse relativ viel Platz einnehmen. Sie ist einerseits auf veröffentlichte politische Materialien gestützt: Bundesgesetzblätter, in denen jede Gesetzesänderung zu verlautbaren ist, parlamentarische Berichte zu vorgeschlagenen Maßnahmen und soweit zugänglich Verordnungen und Erlässe einzelner Ministerien. Zusätzlich wird Sekundärliteratur genutzt. Die politische Steuerung von Migration erfolgt häufig auf der Öffentlichkeit kaum zugänglichen Wegen. Ihre Analyse ist daher auf Experteneinschätzungen angewiesen, die mit den konkreten Abläufen vertraut sind. Die Geschichte der österreichischen Migrationspolitik ist voll von solchen versteckten Pfaden und Ereignissen, die bisher nur spärlich aufgearbeitet wurden. Die Darstellung von migrationspolitischen Maßnahmen hat auch eine Validisierungsfunktion – diese sind, Bigo (2001/2002) und Huysmans (2006) zufolge, eine andere Form, in der politische Rationalitäten sich äußern; wenn tatsächlich eine Ökonomisierung oder eine Sekuritisierung von Migration erfolgt, dann ist zu erwarten, dass sich das auf Gesetzesebene zeigt. Daher liefert die zweite Form der Kontextualisierung eine Grundlage für einen Test via »independently available evidence« (Krippendorff 2004, 313) bzw. eine Konsolidierung der Befunde über Kriteriumsvalidität.

Teil II Gastarbeit als Problem und Lösung

Überblick

Der empirische Teil der vorliegenden Arbeit ist in zwei Blöcke gegliedert. Im ersten widme ich mich den Jahrzehnten zwischen Ende des Zweiten Weltkriegs und 1989, der zweite Block diskutiert die Entwicklungen der 1990er- und 2000erJahre. In beiden werden wesentliche Punkte der Weiterentwicklung der politischen Instrumente zur Steuerung der Arbeitsmigration im Hinblick darauf diskutiert, wie ihre Durchsetzung vom Wechselspiel aus Sekuritisierung und Ökonomisierung von Migration geprägt wurde: im ersten Block das politische Instrumentarium des Gastarbeitsregimes, im zweiten unter anderem die wesentlichen Neuerungen des Saisonarbeiterstatus und der Rot-Weiß-Rot-Karte. Der erste Block beginnt mit einem Überblick über die Entwicklung der Intensität, in der Migration im Lauf der Jahrzehnte politisch problematisiert wurde. Auf dieser kursorischen Darstellung basiert die Zweiteilung der anschließenden Analysen: Es lassen sich deutlich zwei Phasen der politischen Auseinandersetzung mit Migration ausmachen, die sich auch in der Weiterentwicklung des Migrationsregimes spiegeln. Die restlichen Kapitel des ersten Blocks sind dem Gastarbeitsregime gewidmet. In Kapitel 5 wird zunächst die Entwicklung auf diskursiver Ebene dargestellt – eine Entwicklung, die durch das Fehlen großer Problematisierungspunkte gekennzeichnet ist. Der landläufigen Darstellung entsprechend spielen ökonomische Diskussionen von Migration eine wesentliche Rolle. Das Gastarbeitsregime basierte diskursiv darüber hinaus auf einer stark verankerten Unterscheidung zwischen in- und ausländischer Arbeitskraft. In Kapitel 5.1.3 stelle ich verschiedene Aspekte dieser nationalen Grenzziehung dar. Nach 1945 lässt sich eine Phase der nationalen Identitätsfindung ausmachen, die zur Zeit der Gastarbeit abgeschlossen und wirkmächtig ist, wie am Ende des Abschnitts am beispielhaften Vergleich der Figuren der österreichischen GrenzgängerInnen und jener der GastarbeiterInnen verdeutlicht wird. In einer ersten kontextualisierenden Darstellung wird in Kapitel 5.2 diskutiert, wie die spezifischen Formen der Problematisierung von Migration an den politisch-ökonomischen Kontext der Nachkriegsjahrzehnte gekoppelt sind und

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Überblick

sich entsprechend als strukturell verankert interpretieren lassen. In diesem Kontext konnte die Gastarbeit zu einer Variablen in einer volkswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Kalkulation werden. Die politischen (juridischen und administrativen) Instrumente, die dazu nötig waren, werden im darauf folgenden Kapitel beschrieben. Sie waren in wesentlichen Punkten bereits etabliert; auch deshalb konnte die Gastarbeit ohne große politische Debatte in Gang gesetzt werden. Die Frage, wo diese Technologien herkamen, führt zu einem Exkurs in die Zwischenkriegsjahre, konkret zum sekuritisierten Kontext der 1920er-Jahre, in dem mit dem Inlandarbeiterschutzgesetz die wesentlichen Bausteine des Gastarbeitsregimes etabliert wurden. Die ökonomisierte Migrationspolitik der Gastarbeit setzt demnach eine Sekuritisierung von Migration voraus. Das politische Instrumentarium der Gastarbeit blieb fünf Jahrzehnte in wesentlichen Aspekten in Kraft. Erst 1975 wurde mit dem Ausländerbeschäftigungsgesetz eine Neukodifizierung vorgenommen. In Kapitel 7 argumentiere ich, dass diese aber keinen wesentlichen Bruch markierte, wenn auch auf der Grundlage neuer Sicherheitsbedenken einige Anpassungen durchgesetzt wurden. Über die Jahrzehnte erwies sich die Gastarbeit als erfolgreiches Mittel zur Bewältigung von Krisenelementen der politisch-ökonomischen Nachkriegsordnung; im Endeffekt war sie wesentlich für die Durchsetzung eines segmentierten Arbeitsmarkts. Dass eine solche Entwicklung nicht unausweichlich ist, ist Thema der diesen Block abschließenden Darstellung einer außergewöhnlichen Episode in der Entwicklung des österreichischen Migrationsregimes: der Geschichte der erfolgreichen Gleichstellung der »volksdeutschen« Nachkriegsflüchtlinge. Wie in Kapitel 8 argumentiert wird, konnte diese Gleichstellung nur auf der Grundlage eines De-Sekuritisierungsprozesses erfolgen.

4

Vom Randthema zu High Politics? Phasen der Politisierung von Migration

Im Folgenden wird ein erster grober Überblick über die Konjunkturen der Auseinandersetzung mit migrationspolitischen Themen im österreichischen Parlament nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben. Neben einigen Phasen der moderaten Thematisierung, beispielsweise in den 1950er-Jahren, zeigt sich ab Mitte der 1980er-Jahre ein markanter Anstieg der migrationspolitischen Auseinandersetzung. Dieser Befund entspricht der allgemein akzeptierten These von der in den 1980er-Jahren einsetzenden Politisierung von Migration in westlichen Nationalstaaten43. Dieser Politisierungsprozess ist vor dem Hintergrund grundlegender gesellschaftlicher Transformationsprozesse zu verstehen – als Ursachen werden in der Literatur u. a. die Dynamisierung der Migration, Verschiebungen in politischen Systemen und wirtschaftliche Restrukturierungen genannt. Auch diese Entwicklungen werden anschließend skizzenhaft dargestellt, eingehend behandle ich sie im zweiten empirischen Block. Die Intensität der Auseinandersetzung spiegelt sich auch in der Zahl und Art der getroffenen migrationspolitischen Maßnahmen. Vor dem Hintergrund der Politisierung von Migration wurde das österreichische Migrationsregime erweitert und umstrukturiert und damit ein neues Instrumentarium zur Regulation von Arbeitsmigration etabliert. Die Punkte, an denen fundamentale gesetzliche Neuerungen vorgenommen wurden, werden im zweiten Teil dieses Kapitels im Überblick diskutiert. Die Darstellung dient einer ersten Orientierung und bleibt daher an dieser Stelle oberflächlich, einzelne Maßnahmen – und vor allem die Formen der Problematisierung, auf deren Grundlage sie gesetzt wurden – werden in den Folgekapiteln detailliert behandelt. Diese Parallelentwicklung von Problematisierung und Ausbau des Migrationsregimes entspricht der Annahme, dass die Durchsetzung wesentlicher Neuerungen immer auch einen symbolischen Kampf um Klassifikationskriterien und Deutungsschemata erfordert. Soll eine Neuerung durchgesetzt werden, 43 Mit Politisierung ist hier der (soziale) Prozess gemeint, durch den ein Phänomen zum Gegenstand der Auseinandersetzung im politischen Feld gemacht wird.

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Vom Randthema zu High Politics?

muss der Status quo als problematisch erscheinen bzw. inszeniert werden. Dass ein soziales Phänomen nicht auf die Bühne der parlamentarischen Auseinandersetzung getragen wird, legt umgekehrt den Schluss nahe, dass es als »unproblematisch« wahrgenommen wird44. Wie die Formen der Problematisierung die Durchsetzung von politischen Maßnahmen strukturiert haben, ist Thema der an das folgende anschließenden Kapitel.

4.1

Die Politisierung von Migration

Daran, dass Migration im Lauf der vergangenen Jahrzehnte zu einem der zentralen Themen politischer Auseinandersetzungen geworden ist, kann kaum ein Zweifel bestehen (Buonfino 2004; Hammar 2007; Messina 2007). Castles/Miller (2009, 12; 207) sehen diese Politisierung von Migration als globales Phänomen, das eine jahrzehntelange Zurückhaltung abgelöst habe, die auch mit der speziellen politischen und gesellschaftlichen Situation nach dem Zweiten Weltkrieg zusammengehangen habe. In den Worten von Hammar (2007, 102): »Political parties had for years refrained from intervening in immigration issues, leaving even fundamental policy decisions to civil servants, juries, and experts in the field.« Die Entwicklung in Österreich folgt ganz diesem allgemeinen Trend und lässt sich an Ausmaß und Art der parlamentarischen Auseinandersetzung mit migrationsbezogenen Themen ablesen. Abbildung 4.1 gibt dazu einen ersten Eindruck. Während in den 1950er- und 1960er-Jahren ganze Jahre ohne einen einzigen migrationspolitischen Beitrag in der öffentlichen parlamentarischen Auseinandersetzung vergingen, stieg die Zahl der Beiträge über die letzten drei Jahrzehnte von 4 (1980) auf 80 (1990) und 238 (2009). In den vier Jahrzehnten zwischen Zweitem Weltkrieg und den 1980er-Jahren zeigen sich in den frühen 1950er-Jahren und zwischen Mitte der 1960er- und Mitte der 1970er-Jahre Phasen der erhöhten Auseinandersetzung. In der 5. (1945 – 49), 10. (1962 – 66), 12. (1970 – 71) und 14. (1975 – 79) Legislaturperiode fand keine einzige explizit migrationspolitische Debatte im österreichischen Nationalrat statt. Der Bruch ab Mitte der 1980er-Jahre ist offensichtlich. Ab ungefähr 2007 ist eine Tendenz zu einem erneuten Anstieg erkennbar. Eindrucksvoll zeigt sich die Intensivierung der Auseinandersetzung nicht nur in der Zahl, sondern auch der Länge migrationsbezogener Debatten im österreichischen Parlament. Mit Ausnahme der kurzen Legislaturperioden 19 (1995 – 44 Zu beachten ist, dass fehlende Repräsentation im parlamentarischen Diskurs nicht zwingend bedeutet, dass ein soziales Phänomen gesamtgesellschaftlich nicht als Problem wahrgenommen oder diskutiert wird. Der Fokus auf parlamentarisches Material und explizite gesetzliche Regelungen hat hier Implikationen für die Aussagekraft der präsentierten Befunde.

Die Politisierung von Migration

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Abbildung 4.1: Anfragen und Debattenbeiträge zu migrationspolitischen Themen im österreichischen Parlament, 1945 bis Juni 2011; absolute Anzahl der Dokumente im Korpus

1996) und 23 (2006 – 2008) fanden ab 1990 in keiner Gesetzgebungsperiode weniger als 13 migrationsbezogene Debatten statt. In den Jahren der Gastarbeit, 1962 bis 1975 (der 10. bis 13. Legislaturperiode), standen migrationspolitische Agenden demgegenüber ganze acht Mal auf der Tagesordnung des Nationalrats. Die mittlere Anzahl der Beiträge pro Debatte stieg von zwischen einem (8. Gesetzgebungsperiode (GP), 1956 – 1959) und sechs (11. und 15. GP) auf bis zu 17,7 in der Zeit der SPÖ-ÖVP-Regierung unter Alfred Gusenbauer. Die Boxplots in Abbildung 4.2 veranschaulichen die Veränderung: Das erste Quartil der Zahl der Redebeiträge pro Debatte liegt für die Jahre nach 1989 stets auf oder über dem Niveau des dritten Quartils für die Jahre davor. In der sozialwissenschaftlichen Literatur werden unterschiedliche Gründe für die zunehmende Politisierung von migrationsbezogenen Themen genannt. An erster Stelle stehen Erklärungsansätze, die den Politisierungsprozess als einfache Folge von Migrationsbewegungen darstellen, und zwar einerseits als Spätfolge der Arbeitsmigration nach dem Zweiten Weltkrieg, andererseits als Reaktion auf den jüngeren Anstieg der Migrationszahlen in den globalen Norden und Westen (exemplarisch für diesen Ansatz Messina 2007, 1 – 2). Messina spricht in diesem Zusammenhang von einem »nativist backlash«. Speziell in

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Vom Randthema zu High Politics?

Abbildung 4.2: Verteilung der Anzahl der Redebeiträge pro migrationspolitischer Debatte nach Legislaturperiode, in den nicht angeführten Gesetzgebungsperioden (5., 10., 12., 14.) fanden keine relevanten Debatten statt.

medialen und feuilletonistischen Diskussionen findet dieser Erklärungsansatz große Resonanz. Unterstellt wird dabei, dass hohe Einwanderungszahlen notwendig Gegenreaktionen hervorrufen. Wie in den Folgekapiteln vertreten wird, greift diese Deutung zu kurz und kann für sich genommen den markanten Bruch der späten 1980er-Jahre nicht erklären. Die Annahme einer solchen quasi-automatischen Reaktion auf Migration naturalisiert gesellschaftliche Verhältnisse: Migrationspolitik erscheint in diesem Zusammenhang als bloße und unvermeidliche Reaktion auf Probleme, die von außen kommen. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist diese Sichtweise unbefriedigend, weil sie die vergleichsweise triviale empirische Korrelation von Ressentiments gegen Migran-

Die Politisierung von Migration

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tInnen und dazugehörigen Migrations-Bewegungen überbetont, analytisch und politisch herausfordernde Aspekte dagegen ausblendet:45 Welche sozialen Mechanismen und Faktoren führen dazu, dass bestimmte Gruppen als »anders« konstruiert werden (können)? Wie hängen diese mit bestehenden Ungleichheitsordnungen zusammen? Und mit Blick auf die Migrationspolitik: Unter welchen Bedingungen werden in der öffentlichen Diskussion vorhandene Ressentiments aufgegriffen und im politischen Feld investiert – und unter welchen nicht? Dass eine Beschränkung auf Migrationszahlen die Konjunkturen der politischen Problematisierung von Migration nicht erklärt, verdeutlicht ein Blick auf die Einwanderungsdynamiken. Abbildung 4.3 zeigt die Zahl der in Österreich aufhältigen Personen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft in absoluten Zahlen sowie, im unteren Teil der Abbildung, die jeweiligen jährlichen Veränderungsraten. Zwar ist parallel zum Politisierungsprozess der 1990er-Jahre auch ein Anstieg der ausländischen Wohnbevölkerung zu erkennen, allerdings sind auch davor Phasen mit vergleichbar markanten Anstiegen zu verzeichnen, die zu keiner entsprechenden politischen Problematisierung geführt haben. So ließen sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg hunderttausende Nachkriegsflüchtlinge dauerhaft in Österreich nieder. Auch der Zustrom von Ungarnflüchtlingen (1956) ging mehr oder weniger spurlos am österreichischen Parlament vorbei, nur ein einziges Mal wird Jahre später die Ungarnhilfe zum Gegenstand einer Anfrage46. Keine dieser Nachkriegsmigrationen hatte Langzeitfolgen im parlamentarischen Diskurs. Die in relativen Zahlen hohen Zuwachsraten der ausländischen Wohnbevölkerung in den 1960er- und 1970erJahren wurden in dieser Zeit ebenso wenig thematisiert. Eng verflochten mit den Diagnosen eines nativist backlash sind Analysen, die den Parteien der Neuen Rechten, für die Migration das zentrale propagandistische Betätigungsfeld ist, eine zentrale Rolle für den Prozess der Politisierung von Migration zuschreiben. So argumentiert etwa van Spanje (2010), dass es einen von rechtsextremen Parteien ausgehenden Ansteckungseffekt gäbe, der etablierte Parteien dazu zwinge, mit restriktiven Positionen um das Themenfeld Migration zu kämpfen. Der Aufstieg rechtsextremer Parteien halte in Migrationsfragen das gesamte Parteiensystem auf Trab. Andere AutorInnen drehen das Kausalverhältnis tendenziell um und versuchen, den Erfolg rechtsextremer Parteien mit bestehenden Ressentiments zu erklären (Rydgren 2005; Fekete 2006). Offensichtlich liegt hier keine eindeutig gerichtete Kausalbeziehung vor, unumstritten ist aber die tiefe Verflechtung von dem Aufstieg der Neuen Rechten 45 Oder wie Hammar (2007, 100) es ausdrückt: »This is, in short, an historic sequence. It must not be taken for a cause-effect-relation.« 46 Anfrage 165/J (FPÖ), IX. Gesetzgebungsperiode, November 1960.

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Vom Randthema zu High Politics?

Abbildung 4.3: Ausländische Wohnbevölkerung in Österreich, absolut (oben, in 1.000) und Veränderungsraten (unten). Der Ausreißer 1956 markiert die Zuwanderung von Ungarnflüchtlingen, die zu einer Verdoppelung der Zahl der ausländischen Wohnbevölkerung führte.

und der Politisierung von Migration. Das gilt auch und speziell für Österreich. In der parlamentarischen Auseinandersetzung mit Migrationsfragen war die FPÖ über die vergangenen Jahrzehnte ein zentraler Akteur. Tabelle 4.1 zeigt die Zahl der migrationspolitischen Beiträge nach Partei: Die FPÖ ist mit 853 Dokumenten die mit Abstand am stärksten im Korpus vertretene Partei, gefolgt von den Grünen mit 460 Beiträgen. SPÖ und ÖVP folgen dahinter mit 448 bzw. 383 Beiträgen (wobei zu beachten ist, dass Beiträge von Regierungsmitgliedern nicht berücksichtigt sind). Die FPÖ wird entsprechend in den anschließenden Analysen zur Problematisierung von Migration und der darauf aufbauenden Etablierung neuer Regulationsinstrumentarien eine bedeutende Rolle spielen, al-

Die Politisierung von Migration

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lerdings eine in wichtigen Hinsichten andere als die Bezeichnung als »antiimmigration party« (van Spanje 2010) suggeriert, ein sprachlich kleiner, aber analytisch bedeutender Unterschied zur Charakterisierung als »anti-immigrant party« (Castles/Miller 2009, 291 – 295, Messina 2007). SPÖ ÖVP FPÖ Grüne LIF KPÖ Anfragen 134 105 495 227 35 3 Debattenbeiträge 314 278 358 233 47 7 Gesamt 448 383 853 460 82 10 Tabelle 4.1: Migrationsbezogene Anfragen und Redebeiträge (Anzahl der Dokumente im Korpus) nach Partei, 1945 – 2011, BZÖ mit FPÖ zusammengefasst

Die Zahlen in Tabelle 4.1 legen tatsächlich die Vermutung nahe, dass der Anstieg der migrationspolitischen Beiträge (auch) auf Veränderungen in der Parteienlandschaft zurückzuführen ist. Speziell der in Abbildung 4.1 illustrierte Anstieg der migrationsbezogenen Anfragen spiegelt Veränderungen in der politischen Landschaft Österreichs wider. Anfragen sind an Regierungsmitglieder gerichtet und dementsprechend eher ein Instrument der Oppositionsparteien. Ihre Zahl reflektiert damit hauptsächlich die Tätigkeit von Nicht-Regierungsparteien. Mit dem Obmannwechsel am Parteitag von Innsbruck 1984 begann die FPÖ eine neue Rolle zu spielen, sie entwickelte sich rasch und nachhaltig zum Paradebeispiel einer populistisch ausgerichteten rechtsextremen Partei – und veränderte ihre parlamentarischen Strategien und Taktiken entsprechend. Auch die Grünen sind ab 1986 im Parlament vertreten. Insgesamt erhöht sich damit die Oppositionstätigkeit im österreichischen Parlament: Beide Parteien waren nicht in das System der sozialpartnerschaftlich gestützten Konkordanzdemokratie eingebunden und konnten Einwanderungsfragen in die politische Öffentlichkeit tragen, ohne große Irritationen im eigenen Lager auszulösen. Das Thema wurde zum Vehikel symbolischer Politik und weltanschaulicher Profilierung im Parteienwettbewerb. (Bauböck/Perchinig 2003)

Die Politisierung von Migration ist damit Teil eines allgemeinen Veränderungsprozesses im politischen System – Migration war nur eines von mehreren Themen, die aus dem »apolitischen Bereich« auf die Bühne der parlamentarischen Diskussion wechselten (Dachs et al. 1997, 215 – 368, 545 – 700). Wird diese allgemeine Veränderung der Parteienlandschaft berücksichtigt, relativiert sich der diagnostizierte Politisierungsprozess zwar, ist aber nichtsdestotrotz auch quantitativ noch erkennbar. Prozentuell war der Anteil der migrationsbezogenen Anfragen in der 9. Legislaturperiode (1959 – 62) mit 4,4 Prozent aller Anfragen am höchsten, in den darauffolgenden Jahren bis 1990 lag er stets unter einem Prozent. Ab 1990 stieg er dann aber auch relativ betrachtet kontinuierlich auf schließlich rund 3 Prozent an, mit einem deutlichen Einbruch um die

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Vom Randthema zu High Politics?

Jahrtausendwende (Abbildung 4.4). Dieser Einbruch in der 21. und 22. Legislaturperiode (1999 – 2002, 2002 – 2006) hängt mit dem Regierungseintritt der FPÖ zusammen. Während ihrer Regierungsbeteiligung stellten BZÖ und FPÖ zusammen insgesamt 26 migrationsbezogene Anfragen (die Grünen stellten im selben Zeitraum 41), in der nur zwei Jahre langen 23. Legislaturperiode (2006 – 2008) stellte die in die Opposition zurückgekehrte FPÖ alleine 119, in jener vor ihrem Regierungseintritt (20. Gesetzgebungsperiode, 1996 – 1999) kam sie auf 66.

Abbildung 4.4: Anteil migrationsbezogener Anfragen an Gesamtzahl der Anfragen pro Legislaturperiode, eigene Berechnung

Neben Veränderungen in der Parteienlandschaft und den Migrationsdynamiken berücksichtigt die kontextualisierende Diskussion der empirischen Befunde in dieser Arbeit Faktoren, die mit der Transformation des politisch-ökonomischen Kontexts zusammenhängen. Die Politisierung von Migration wird als Teil eines umfassenden gesellschaftlichen Wandels beschrieben, in dem Parteien eine zentrale Rolle spielen – im Fokus stehen aber weniger Unterschiede zwischen einzelnen Parteien als die Verschiebungen des Gesamtdiskurses. Ansatzpunkte für eine solche Diskussion liefern bestehende Diagnosen aus dem Bereich der Security Studies der Copenhagen School (Waever et al. 1993; Buzan et al. 1998) und, vor allem, regimetheoretische Arbeiten (Hess/Karakayali 2007; Hess/Kasparek 2010). Für den speziellen Fall der Arbeitsmigration spielen Veränderungen im ökonomischen Kontext eine zentrale Rolle. Einen ersten Überblick über die Entwicklung zentraler Wirtschaftsindikatoren gibt Abbildung 4.5 – in späteren Kapiteln werden phasenspezifische Entwicklungen berücksichtigt. An

Die Politisierung von Migration

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dieser Stelle sei vor allem auf den Bruch in der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen hingewiesen, der zeitlich mit dem Muster der Politisierung von Migration übereinstimmt. Mit den politisch-ökonomischen Verschiebungen änderten sich sowohl die Herausforderungen, die Migrationspolitik zu bewältigen hatte, als auch das Spektrum an als legitim geltenden Lösungen und die Wege ihrer Aushandlung.

Abbildung 4.5: Entwicklung zentraler Wirtschaftsindikatoren 1948 – 2011, Quellen: WiFo, Statistik Austria

Parallel zur Politisierung von Migration wurde auch der migrationspolitische Regulationsapparat ausgebaut. Das folgende Kapitel gibt einen ersten Überblick über wesentliche gesetzliche Grundlagen und ihre Entwicklung. Für die Diskussion der Formen der Problematisierung spielen die Änderungen der rechtlichen und administrativen Grundlagen des Migrationsregimes eine doppelte

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Vom Randthema zu High Politics?

Rolle. Erstens dienen sie als Kriterium zur Identifikation relevanter Punkte in der parlamentarischen Auseinandersetzung: Es ist davon auszugehen, dass wesentliche Änderungen eine vorausgehende Problematisierung erfordern. Diese Punkte sind mutmaßlich von analytischem Interesse. Zweitens erlaubt die Diskussion konkreter Maßnahmen, das spannungsreiche, aber produktive Wechselspiel von Sekuritisierung und Ökonomisierung von Migration nachzuzeichnen.

4.2

Der Ausbau des Migrationsregimes

Obwohl der Schwerpunkt der Arbeit auf der Regulation der Arbeitsmigration liegt, werden nicht nur Maßnahmen, die explizit den Arbeitsmarktzugang von MigrantInnen steuern, eine Rolle spielen. Die politische Regulation von Arbeitsmigration erfolgt auch über Aufenthaltsrechte, soziale und politische Rechte, das Sozialversicherungssystem usw. Sofern sie nicht explizite regulatorische Funktionen erfüllen, sind Asyl-, Aufenthalts-, Staatsbürgerschafts- und Fremdenpolizeigesetze in ihrer Wechselwirkung und als Kontext, in dem Maßnahmen zur Regulation der Arbeitsmigration ihre Wirkung entfalten, von Belang. »Indirect migration policies« (Hammar 1985; Castles 2007a) wie etwa Wohnungspolitik oder Charakteristika des Sozialsystems sollen hingegen nicht besprochen werden. Vor allem die Veränderungen der migrationspolitischen Gesetzgebung ab den 1980er-Jahren sind höchst komplex. Allein in den Jahren 1991 bis 1992 wurden vier neue Gesetze geschaffen (das Bundesbetreuungsgesetz, das Asylgesetz, das Aufenthaltsgesetz und das Fremdengesetz), die zum Teil alte Bestimmungen übernahmen und zum anderen Teil neue einführten. Das Fremdengesetz (der Nachfolger des davor gültigen Fremdenpolizeigesetzes) und das Aufenthaltsgesetz wurden 1997 zum umfassenden Fremdengesetz 1997 zusammengefasst, nur um 2005 wieder in ein Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) und ein Fremdenpolizeigesetz getrennt zu werden. Mit praktisch jeder Novelle wurde das System an unterschiedlichen Bewilligungen weiter ausdifferenziert. Das Ausmaß der Erweiterung lässt sich schon allein am Umfang der migrationsrelevanten Gesetzesmaterie bemessen. Hatte das Fremdenpolizeigesetz 1954 20 Paragraphen, die zwei Seiten des Bundesgesetzblattes 75/1954 einnahmen, hat das aktuelle Fremdenpolizeigesetz 127 Paragraphen. Das Bundesgesetzblatt, in dem es verlautbart wurde (100/2005), hat 118 Seiten, die allein der Verlautbarung des Fremdenrechtspakets 2005 gewidmet sind. All diese Änderungen sind im Detail schon deswegen kaum nachzuvollziehen, weil in wesentlichen Fragen im Gesetz nur das formale Prozedere definiert ist, die konkrete Umsetzung aber auf

Der Ausbau des Migrationsregimes

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dem Verordnungsweg erfolgt. Das gilt etwa für die Festsetzung von Einreise- und Niederlassungsquoten. Bis zum Ende der 1980er-Jahre war die Steuerung der Arbeitsmigration in Österreich demgegenüber von einem hohen Maß an Kontinuität geprägt. 1925 wurde mit dem Inlandarbeiterschutzgesetz zum ersten Mal ein eigens mit Arbeitsmigration befasstes Gesetz verabschiedet (Pelz 1994). Dort wurde erstmals die befristete Beschäftigungsbewilligung, wie sie in ihrer Grundform bis heute existiert, definiert. Diese wird an das beschäftigende Unternehmen ausgestellt und ist nur für dieses gültig. Darüber hinaus wurde auch die Einbeziehung paritätischer Kommissionen in das Zulassungsverfahren gesetzlich festgehalten. Obwohl es ursprünglich als vorübergehende Maßnahme gedacht war, wurde das Inlandarbeiterschutzgesetz erst 1941 durch die ursprünglich 1933 erlassene und 1939 inhaltlich an die Kriegssituation angepasste (Sensenig-Dabbous 1998, 420) »Deutsche Reichsverordnung über ausländische Arbeitnehmer« abgelöst. Diese entsprach in wesentlichen Punkten dem Inlandarbeiterschutzgesetz und brachte daher keine wesentliche Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen.47 Die Reichsverordnung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ins österreichische Rechtssystem übernommen und bildete bis 1976 den gesetzlichen Rahmen zur Beschäftigung von MigrantInnen in Österreich (Gächter/Recherchegruppe 2004).48 Die 1925 beschlossenen Regelungen erwiesen sich damit, abgesehen von kleineren Änderungen, als langlebig. Sie wurden in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht nach dem Zweiten Weltkrieg durch mehrere Rechtsbereiche flankiert. Das Fremdenpolizeigesetz, das 1954 die Ausländerpolizeiverordnung aus der NS-Zeit ablöste, regelte den Aufenthalt und Maßnahmen zu seiner Beendigung. Im Unterschied zur NS-Regelung war der Aufenthalt unter dem Fremdenpolizeigesetz 1954 prinzipiell nicht bewilligungspflichtig. Eine solche verpflichtende Aufenthaltserlaubnis wurde erst Anfang der 1990er-Jahre wieder eingeführt. Das Fremdenpolizeigesetz regelte darüber hinaus das Schubwesen, für das auf ju47 Die deutsche Verordnung definierte ein doppeltes Zulassungsverfahren. Neben der Beschäftigungsbewilligung für das Unternehmen war auch eine Arbeitserlaubnis für die/den MigrantIn notwendig. Zweitens wurde die sozialpartnerschaftliche Mitbestimmung im Zulassungsverfahren gestrichen. Drittens kannte die Reichsverordnung bereits den Befreiungsschein, der migrantischen Arbeitskräften größere Freiheit am Arbeitsmarkt ermöglichte. 48 Mit zwei vielsagenden Adaptionen: Die beiden Instrumente der Arbeitserlaubnis und des Befreiungsscheins, die im Vergleich zur Beschäftigungsbewilligung eine Besserstellung der Arbeitskraft bedeuteten, wurden wieder gestrichen, während das sozialpartnerschaftliche Mitspracherecht wiederhergestellt wurde (Sensenig-Dabbous 1998, 423 – 428). Der Befreiungsschein – der nach mehreren Jahren Beschäftigung eine weitgehende Arbeitsmarktfreiheit brachte – wurde 1959 wieder eingeführt, davor war er 1951 einer großen Zahl »volksdeutscher Heimatvertriebener« zuerkannt worden. Diese Entwicklungen werden in den Folgekapiteln aufgegriffen.

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Vom Randthema zu High Politics?

ristische Erfahrung bis zurück in die Habsburger Monarchie rekurriert werden konnte. Visa-Angelegenheiten waren im Paßgesetz geregelt. Das Staatsbürgerschaftsgesetz wurde in wesentlichen Punkten nach dem Zweiten Weltkrieg geändert, so wurden vor allem die für die Einbürgerung fälligen Gebühren deutlich erhöht; auch die Einbürgerungsfristen und -anforderungen waren von Beginn der Zweiten Republik an restriktiv gesetzt. Zusätzlich entstand nach und nach ein Politikbereich »Asyl«, der zunächst mit der Ratifikation der Genfer Flüchtlingskonvention (1953) und schließlich mit dem ersten Asylgesetz (1968), das die Betreuung von Flüchtlingen und das Anerkennungsverfahren regelte, in gesetzliche Formen gegossen wurde. Dazu kamen verstreute Regelungen wie das Betriebsratsverbot für ausländische Beschäftigte, das nach dem Zweiten Weltkrieg beibehalten wurde, oder die Aberkennung des Anspruchs auf Notstandsund Arbeitslosenhilfe für zahlreiche MigrantInnen. 1975 wurde die deutsche Reichsverordnung durch das Ausländerbeschäftigungsgesetz ersetzt. Es kodifizierte im Großen und Ganzen den Status quo: »An der grundsätzlichen Situation für ArbeitsmigrantInnen änderte sich mit diesem Gesetz, damals im internationalen Vergleich eines der restriktivsten, nichts« (Parnreiter 1994, 171). Das Ausländerbeschäftigungsgesetz selbst wurde mehr als ein Jahrzehnt unverändert beibehalten. Diese gesetzgeberische Ereignislosigkeit steht in scharfem Kontrast zu den Folgejahren: Zwischen 1988 und 1998 wurde allein das Ausländerbeschäftigungsgesetz zwanzig Mal geändert (Gächter/Recherchegruppe 2004, 49). Vor dem Hintergrund der skizzierten Politisierung wurde das österreichische Migrationsregime damit ab Mitte der 1980er-Jahre deutlich ausdifferenziert und erweitert. Diese Änderungen speisten sich aus zwei Quellen: einerseits aus Vorstößen der jeweiligen Regierungen, andererseits aus Interventionen des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), der ab Mitte der 1980er-Jahre immer wieder Gesetzespassagen als verfassungswidrig einstufte und aufhob. Den Anfang machte dabei die durch ein VfGH-Urteil notwendig gewordene Neuregelung des Schubwesens im Fremdenpolizeigesetz. Bauböck/Perchinig (2003) argumentieren, dass diese Änderung aus zwei Gründen richtungsweisend für die Folgejahre gewesen ist: Zum ersten Mal sei die Frage nach der Aufenthaltssicherheit langjähriger ArbeitsmigrantInnen juristisch relevant geworden, und ebenfalls erstmals sei die Zuständigkeit für Migrationsfragen vom Sozialins Innenministerium gewechselt. Insgesamt folgt die Entwicklung in Österreich damit einem internationalen Trend, der in der Literatur als »quest for control« (Castles/Miller 2009, 181) charakterisiert wird (siehe etwa Transit Migration 2007; Waever et al. 1993; Cornelius et al. 1994; Guiraudon/Joppke 2001b; Huysmans 2006; Hollifield 2007; van Munster 2009). Für die Regulation der Arbeitsmigration bedeuteten diese Entwicklungen vor allem eine Erweiterung der Steuerungsinstrumente. 1990 wurden erstmals Bundeshöchstzahlen festgesetzt, zeitgleich wurde die

Der Ausbau des Migrationsregimes

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Arbeitserlaubnis als dritte Form der Zulassung zum Arbeitsmarkt neben Beschäftigungsbewilligung und Befreiungsschein (nach deren Abschaffung nach dem Zweiten Weltkrieg) wieder eingeführt. 1992 wurde der Saisonnier-Status erstmals kodifiziert – dieser wurde in den Folgejahren mehrfach ausgebaut und ist heute ein wesentliches Element der Arbeitsmarktregulation. Über verschiedene aufenthalts- und arbeitsmarktrechtliche Instrumente wurde in den Folgejahren vor allem die Zuteilung von MigrantInnen in die verschiedenen Bewilligungsformen verfeinert. Wichtigstes Beispiel dafür sind die beiden »EUErweiterungs-Anpassungsgesetze«, in denen die Übergangsregelungen festgelegt sind. Schließlich wurde 2011, als vorläufiger Schlusspunkt, mit der RotWeiß-Rot-Karte das quotenbasierte durch ein punktebasiertes Zulassungssystem ergänzt. In derselben Novelle wurde der Status des Stammsaisonniers definiert, auch das ein symbolisch höchst relevanter vorläufiger Höhepunkt einer jahrzehntelangen Entwicklung.49 In der Folge wird das Interesse vor allem dem Höchstzahlensystem, dem Saisonnier-Status und der Rot-Weiß-Rot-Karte als Meilensteinen in der Entwicklung des österreichischen Migrationsmanagements gelten – und der Frage, ob und in welchen Hinsichten sie als Ergebnis des Wechselspiels zweier scheinbar antagonistischer Politiklogiken gesehen werden können.

49 Nicht alle diese Änderungen betreffen ausschließlich oder vor allem das Ausländerbeschäftigungsgesetz. Sie sind trotzdem Teil des Apparats zur Regulation der Beschäftigung migrantischer Arbeitskraft. So wurde der Saisonnier-Status mit dem Aufenthaltsgesetz 1992 geschaffen. Auch die Einführung von Quoten (ebenfalls im Aufenthaltsgesetz 1992 erstmals definiert) hat massive arbeitsmarktpolitische Bedeutung, unter anderem, weil diese Quoten auch nach qualitativen Kriterien (Sprachkenntnisse, Qualifikation) differenziert werden konnten.

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Das Gastarbeitsregime – Migration als Wirtschaftspolitik?

Die verbleibenden Kapitel des ersten empirischen Teils der Arbeit beschäftigen sich mit der politischen Problematisierung und Regulation der Arbeitsmigration in den Nachkriegsjahrzehnten. Im Zentrum steht dabei das Gastarbeitsregime. In Kapitel 5.1 wird zunächst die politische Rationalität der Gastarbeitsepoche skizziert. Abgesehen von der wirtschaftspolitischen Ausrichtung fällt dabei auf, dass die Gastarbeit kaum Thema der parlamentarischen Auseinandersetzung war. Zum Teil ist das parlamentarische Schweigen Ausdruck der spezifischen Form der staatlichen Aushandlung des gesellschaftlichen Gesamtinteresses im fordistisch-korporatistischen Staat, wie in Kapitel 5.2 diskutiert wird. Teil dieses Nachkriegsarrangements war eine hohe Bedeutung nationaler Grenzziehungen; diese sind eine wichtige diskursive Voraussetzung für das Funktionieren des Gastarbeitsregimes, wie in Kapitel 5.1.3 näher besprochen wird. Die fehlende Problematisierung ist aber auch ein Hinweis darauf, dass die Gastarbeit in gewisser Hinsicht »unproblematisch« war : Die Instrumente zu ihrer Umsetzung, die in Kapitel 5.3 dargestellt werden, waren großteils etabliert und entsprachen den vorhandenen Problementwürfen wie auch den realen migrationspolitischen Herausforderungen im Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegsjahrzehnte. Erstmals durchgesetzt wurden diese Instrumente Jahrzehnte davor in einem ganz anderen politischen und wirtschaftlichen Kontext, der in Kapitel 6 besprochen wird. Das Inlandarbeiterschutzgesetz 1925 war Ausdruck einer vielschichtigen Sekuritisierung von Migration, auf deren Basis u. a. erstmals rechtlich zwischen in- und ausländischen ArbeitnehmerInnen differenziert wurde. In diesem sekuritisierten Kontext wurden die wesentlichen Elemente zur Steuerung der Arbeitsmigration für die Folgejahrzehnte etabliert. Erst am Ende der expliziten Gastarbeiterrekrutierung (1975) kam es mit der Verabschiedung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes zu (bescheidenen) Neuerungen im österreichischen Migrationsregime. Auch diese markieren allerdings keinen tiefgehenden Bruch. So lässt sich mit Blick auf die Instrumente zur Steuerung der Arbeitsmigration eine kontinuierliche Entwicklung von den

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Das Gastarbeitsregime

1920er-Jahren über die Zeit des NS-Regimes bis zu den 1990er-Jahren nachzeichnen. Nach dieser historischen Einbettung der politischen Rationalität und Technologien des Gastarbeitsregimes wird am Ende des ersten empirischen Teils der Arbeit ein scheinbar ganz anders gelagertes migrationspolitisches Phänomen aus den unmittelbaren Nachkriegsjahren behandelt – die Integration der sogenannten »volksdeutschen Heimatvertriebenen«. Die Geschichte der »Volksdeutschen« bietet einen interessanten Kontrastfall zu praktisch allen anderen migrationspolitischen Entwicklungen in Österreich. Wie in Kapitel 8 argumentiert wird, basierte die erfolgreiche Gleichstellung auf einer schrittweisen »Ent-Sekuritisierung«, die vor dem Hintergrund dominanter Ethnisierungsmuster möglich war. Trotz relevanter Parallelen und hoher politischer Sichtbarkeit wurden die »Volksdeutschen« so nie zu einem Präzedenzfall für andere Migrationsphänomene.

5.1

Der stumme Zwang des Ökonomischen: Gastarbeit als wirtschaftspolitisches Nicht-Problem

5.1.1 Kein Problem? Das parlamentarische Schweigen zur Gastarbeit Die Rekrutierung migrantischer Arbeitskräfte nach dem Zweiten Weltkrieg in praktisch allen westeuropäischen Staaten gilt gemeinhin als Punkt der migrationspolitischen Weichenstellung, von dem aus aktuelle politische Entwicklungen zu verstehen sind (Messina 2007; Castles/Miller 2009). Umso überraschender scheint das ausgedehnte Schweigen zur Frage der GastarbeiterInnenbeschäftigung im österreichischen Parlament, das in der sozialwissenschaftlichen Debatte als Symptom der österreichischen Konkordanzdemokratie und in diesem Sinn als versäumte Chance zu einer aktiv gestaltenden Migrationspolitik gedeutet wird (Wimmer 1986b; Sensenig-Dabbous 1998; Bauböck/Perchinig 2003). Wie schon in Kapitel 4.1 dargestellt, war die parlamentarische Auseinandersetzung mit Migrationspolitik in den Nachkriegsjahrzehnten tatsächlich alles andere als intensiv. Unter den migrationspolitischen Themen spielte die Gastarbeit zusätzlich eine untergeordnete Rolle. Von den insgesamt 165 schriftlichen migrationspolitischen Anfragen und Debattenbeiträgen für die Zeit von 1945 bis 1975 haben 18 einen direkten Bezug auf die Frage der Gastarbeit, sechs weitere beschäftigen sich vorwiegend mit dem Problem der Ausländerbeschäftigung; dazu kommen vereinzelte mündliche Anfragen. Abbildung 5.1 zeigt die Häufigkeit der Nennungen von »Gastarbeitern« im Korpus über die Zeit und ver-

Der stumme Zwang des Ökonomischen

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gleicht diese mit der Anzahl an Nennungen von »Volksdeutschen« – als epochenspezifisches Migrationsphänomen – und »Flüchtlingen« – als Beispiel eines Begriffs, der über den gesamten Zeitraum geläufig war, wenn er auch Bedeutungsverschiebungen unterlag. Auffällig ist dabei, dass die Mehrzahl der Thematisierungen der Gastarbeit in die Zeit zwischen Mitte der 1980er- und Ende der 1990er-Jahre fällt. Über den gesamten Zeitraum ist die Zahl der Bezugnahmen auf die Flüchtlingsthematik deutlich höher, mit Ausnahme der frühen 1970er-Jahre und speziell des Jahres 1975, in dem das Ausländerbeschäftigungsgesetz diskutiert und beschlossen wurde.

Abbildung 5.1: Absolute Häufigkeit der Nennungen verschiedener Migrationsfiguren in schriftlichen Anfragen und Debattenbeiträgen im österreichischen Parlament, 1945 bis Juni 2011

In Anfragen wird das Thema der »Ausländerbeschäftigung« annähernd im Zehn-Jahres-Rhythmus aufgebracht. Ende der 1940er-Jahre ist die Frage der Beschäftigung von Flüchtlingen (wie auch von inländischen Arbeitslosen) in der Landwirtschaft der Nachkriegsjahre Thema zweier Anfragen der ÖVP50. Kurz darauf thematisiert die ÖVP die Folgen eines Erlasses, mit dem die reichsdeutsche Verordnung zur Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer adaptiert

50 Anfragen 218/J und 221/J (ÖVP), V. Gesetzgebungsperiode, Juni 1948.

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Das Gastarbeitsregime

wurde, speziell für die Gruppe der »volksdeutschen« Heimatvertriebenen51 (siehe dazu Kapitel 8). Danach wird die Frage der »Fremdarbeiterbeschäftigung« erst 1961 wieder aufgegriffen, und damit nachdem der ÖGB bereits in Sachen Kontingentvereinbarungen aktiv geworden war, in drei mündlichen und einer schriftlichen Anfrage52. Auch diese kommen von der ÖVP, die eine neue gesetzliche Grundlage »ähnlich dem in der Schweiz beschrittenen Weg« (Anfrage 27/M) für die Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften fordert. Erst für 1971, am Höhepunkt der Gastarbeiterrekrutierung, ist wieder eine dezente parlamentarische Beschäftigung mit dem Thema zu verzeichnen – diesmal ist es die FPÖ, die ein interministerielles Komitee fordert, das Vorschläge zur Vereinfachung der Ausländerbeschäftigung erarbeiten solle53. Die Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz – der Höhepunkt der parlamentarischen Beschäftigung mit der Thematik Gastarbeit, wie auch aus Abbildung 4.1 ersichtlich – zeigt auch bei näherer Betrachtung nicht die Zeichen einer sonderlich ausgeprägten Polarisierung. Die gesamte Diskussion ist überschattet von einem zweiten Thema, einem von der SPÖ eingebrachten Initiativantrag zum Verbot der Kündigung älterer ArbeitnehmerInnen bei Rationalisierungsmaßnahmen. Einzelne Beiträge (der erste und der letzte von insgesamt vier Reden der ÖVP) widmen sich ausschließlich diesem Thema und nehmen den Antrag als Anlass für eine allgemeine Polemik gegen den SPÖ-Sozialminister. Auch dieser räumt in seinem Debattenbeitrag diesen Polemiken mehr Raum ein als dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (»Und nun zu einer Angelegenheit, die ein persönlicher Vorwurf mir gegenüber war. Ich glaube, daß ich das menschliche Recht habe, mich dagegen zur Wehr zu setzen.«54). Zwei Mal fordert der ÖVP-Abgeordnete Walter Schwimmer in Zwischenrufen, doch die hinfällige Diskussion über das Ausländerbeschäftigungsgesetz sein zu lassen, zunächst während der Rede des SPÖ-Abgeordneten Treichl: »Abg. Dr. Schwimmer : Reden wir von etwas anderem!«; dann bei jener von Edgar Schranz (ebenfalls SPÖ): »Abg. Doktor Schwimmer : Da brauche ich nicht dazubleiben, da gehe ich in den Klub. – Der Abgeordnete verläßt den Saal.« In einem »Klima völliger Einigkeit« (Sari 1988, 60) wird das Ausländerbeschäftigungsgesetz schließlich einstimmig beschlossen. Das parlamentarische Schweigen zur Gastarbeit hat wiederholt für Diskussionen gesorgt. Als Mitte der 1980er-Jahre die sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit Migrationsphänomenen auch in Österreich an Bedeutung gewann (Lichtenberger 1984; Matuschek 1985; Wimmer 1986a), stand die zentrale Rolle 51 Anfrage 170/J, VI. Gesetzgebungsperiode, November 1950. 52 Anfrage 218/J (ÖVP), IX. Gesetzgebungsperiode, Juni 1961 sowie 27/M (Oktober 1961), 166/ M (Dezember 1961) und 424/M (Juli 1962). 53 Anfrage 660/J (FPÖ), XII. Gesetzgebungsperiode, Juni 1971. 54 Dieses und die Folgezitate: Debatte zum AuslBG, XIII. GP, 140. Sitzung, März 1975.

Der stumme Zwang des Ökonomischen

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der Sozialpartner im Mittelpunkt des Interesses – und der Kritik. SensenigDabbous argumentiert, dass das Parlament Rechte an die demokratisch nicht legitimierten Sozialpartner abgetreten habe und so »für Ausländerpolitik ab Anfang der 1960er nicht mehr zuständig« gewesen sei (Sensenig-Dabbous 1998, 470). Auch Matuschek (1985, 180) attestiert dem Staat in dieser Konstellation mangelnde Handlungsfähigkeit. Nach 1975 habe die Politik, so der Tenor, auf die Verwaltung des Bestandes statt auf aktive Einwanderungs- und Integrationspolitik gesetzt (Bauböck/Perchinig 2003; Wimmer 1986b, 17). Die Diagnose, die Politik habe bei einem wichtigen Thema den Sozialpartnern die Macht überlassen, scheint nachvollziehbar, wenn etwa der zuständige Minister für soziale Verwaltung in seiner Antwort auf die Anfrage eines VPAbgeordneten meint: Es ist mir bekannt, daß hier vor allem von den Unternehmerorganisationen eine baldige Regelung erstrebt wird. Ich habe allerdings auch gehört, daß bereits zwischen Bundeshandelskammer und Gewerkschaftsbund Verhandlungen über eine Kontingentierung für das nächste Jahr stattfinden. Ich mußte auch in der Zeitung lesen, daß die Kontingentierung für das nächste Jahr das Primäre sei.55

Im Folgenden argumentiere ich, dass es zu kurz greift, das Schweigen zur Gastarbeit als Indiz für fehlende politische Steuerung zu deuten. Das Ausbleiben einer intensiven Problematisierung ist nicht einfach ein Versäumnis, sondern an sich von analytischem Interesse – auch die Nicht-Thematisierung der Gastarbeit ist erklärungsbedürftig. Immerhin war die Arbeitsmigration der 1960er- und 1970er-Jahre an komplexe Regulationsvorgänge und eine Fülle von Instrumenten gebunden, von mehreren Gesetzen über administrative Abläufe bis zu zwischenstaatlichen Abkommen. Auch eine utilitaristische Migrationspolitik setzt politische und administrative Instrumente wie auch hegemoniale Deutungs- und Klassifikationsschemata voraus und ist daher weniger selbstverständlich als es den Anschein haben mag. Die fehlende Problematisierung ist in diesem Zusammenhang ein Indiz für die Entsprechung von vorherrschenden Problementwürfen und vorhandenen politischen und administrativen Instrumenten. Diese konnten scheinbar als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Auch die für utilitaristische Nutzenkalkulationen, wie sie der Gastarbeiteranwerbung zugrunde lagen, notwendige Bestimmung des kollektiven Interesses schien unproblematisch und nicht weiter zu thematisieren. Die Form der Aushandlung dieses gesellschaftlichen Gesamtinteresses entsprach der Form des fordistisch-keynesianischen Konkordanzstaates. Die zentrale Rolle der Sozialpartner ist in diesem Sinn nicht ein 55 Minister für soziale Verwaltung Proksch in Beantwortung der mündlichen Anfrage 27/M, IX. Gesetzgebungsperiode, 75. Sitzung, Oktober 1961.

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Das Gastarbeitsregime

Symptom der Schwäche des Staates, sondern der spezifischen Staatsform der Nachkriegsjahrzehnte. In diesem Rahmen konnte die Gastarbeiterpolitik als scheinbar reine Wirtschaftspolitik ihrer utilitaristischen Logik folgend funktionieren – so die in dieser Arbeit vertretene These.

5.1.2 Ökonomisierung von Migration Die Ökonomisierung von Migration während der Zeit der Gastarbeiterprogramme, wie sie im oft zitierten Ausspruch von Max Frisch56 diagnostiziert wird, ist augenfällig. Für alle migrationspolitischen Beiträge der ersten drei Nachkriegsjahrzehnte – also inklusive der nicht der Ausländerbeschäftigung gewidmeten – ergibt sich das in Abbildung 5.2 gezeichnete Bild. Die Abbildung gibt die relative Häufigkeit zentraler Schlüsselbegriffe zu Ökonomisierung und Sekuritisierung von Migration wieder, die unteren beiden Grafiken zeigen die Werte für Leitunterscheidungen sowie für Indikatoren eines Gerechtigkeitstopos. Während alle Indikatorbegriffe zur Sekuritisierung mit Ausnahme von Referenzen auf »Arbeitslosigkeit« und auf »Terror« stark unterdurchschnittliche Häufigkeiten zeigen, sind Indikatoren zur Ökonomisierung überrepräsentiert (mit Ausnahme von Bezugnahmen auf »Unternehmen« und »Fachkräfte«). Migration wird also in den dreißig Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg überdurchschnittlich in Zusammenhang mit der Wirtschaft diskutiert, speziell der Industrie und der Landwirtschaft. Im Vergleich zu den Folgejahrzehnten scheinen darüber hinaus Fragen der Gleichstellung relevant zu sein, ein erster Hinweis auf den Stellenwert der Debatten zur »Volksdeutschen«-Problematik. Diese allgemein feststellbare Ökonomisierung von Migration schlägt sich verschärft in der parlamentarischen Auseinandersetzung mit dem konkreten Thema der Gastarbeit nieder. Das lässt sich am charakteristischen Vokabular der Beiträge zur Frage der Gastarbeit ebenso wie anhand der dominanten Argumentationslogik zeigen. In Tabelle 5.1 ist eine Auswahl an Begriffen aufgelistet, die für die parlamentarischen Beiträge zum Thema für die Jahre bis zum offiziellen Ende der aktiven Gastarbeiterpolitik (1975) spezifisch sind, die also im Teilkorpus mit einer Häufigkeit auftreten, die auf der Basis der Häufigkeiten im Gesamtkorpus als sehr unwahrscheinlich einzustufen ist. Je höher der Wert, desto unwahrscheinlicher das Ausmaß der Abweichung.

56 »Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen«, zitiert nach Mayer 2009, 39.

Der stumme Zwang des Ökonomischen

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Abbildung 5.2: Schlüsselbegriffe für zentrale Problemdimensionen: 1945 – 1975

Begriff Spezifität Faktor Über-/Unterrepräsentation arbeitnehmer 76,68 10,44 arbeitskraft 68,95 10,34 inländisch 66,25 19,25 beschäftigung 54,74 11,42 unterkunft 41,73 13,70 ausländisch 36,08 4,40 beschäftigungsgenehmigung 30,02 38,29 wirtschaft 27,15 8,35 Tabelle 5.1: Für Beiträge zu »Gastarbeit« spezifische Begriffe, Spezifität und Vergleich der relativen Häufigkeit des Auftretens, lemmatisierte Version des Korpus ohne Stopwords, berücksichtigt sind Lemmata mit einer Gesamthäufigkeit größer 2, insgesamt 16.461 Lemmata

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Das Gastarbeitsregime

In Summe sind die Beiträge zur Frage der Gastarbeit von einem eindeutig arbeitsmarkt- und wirtschaftsbezogenen Vokabular geprägt. GastarbeiterInnen werden in ihrer Funktion als Arbeitskraft thematisiert, das ganze Problem wird als ein wirtschaftliches verhandelt. Begriffe wie »Wirtschaft« oder »Beschäftigung« kommen im Teilkorpus rund zehnmal häufiger vor als im Gesamtkorpus und sind damit noch einmal stärker überrepräsentiert als es für die Nachkriegsjahrzehnte ohnehin der Fall ist. Andere begriffliche Felder fehlen gänzlich – mit Ausnahme der Wohnproblematik, die in der Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz eine große Rolle spielte. Überraschend und analytisch relevant ist die Bedeutung des Begriffspaars »inländisch« und »ausländisch«, zweier Begriffe also, die man in Migrationsdebatten für allgegenwärtig halten könnte. »Inländisch« kommt in den Beiträgen zu Gastarbeit beinahe zwanzigmal häufiger vor als bei Gleichverteilung; die Spezifität ist vergleichbar hoch wie die von »Arbeitskraft« und »Arbeitnehmer«. Auch die triviale Markierung als »ausländisch« ist viermal häufiger als im Gesamtkorpus zu finden. Die überdurchschnittliche Betonung der identitätspolitischen Einteilung in In- und AusländerInnen verweist auf eine der wesentlichen diskursiven Voraussetzungen des Gastarbeitsregimes. Erst auf der Grundlage einer entsprechend stark verankerten nationalen Abgrenzung kann sinnvoll ein »gesellschaftliches« Gesamtinteresse bestimmt werden. (Weitere Aspekte dieser Grenzziehung werden im Folgeabschnitt besprochen.) Anfrage 218/J (ÖVP), IX. GP, Juni 1961 Seit Jahren hat die österreichische Wirtschaft unter einem akuten Arbeitskräftemangel schon zu leiden. Besonders während der Saison sind die Betriebe vielfach nicht in der Lage, die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen. Oft können Lieferverpflichtungen nicht rechtzeitig erfüllt oder Aufträge überhaupt nicht übernommen werden. Daraus ergeben sich Gefahren für den Ruf und Zweifel an der Leistungsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft auf den Weltmärkten. Der Mangel an Arbeitskräften hindert vor allem auch daran, alle Möglichkeiten für eine Vergrößerung des Volkseinkommens auszuschöpfen, die Nachteile müssen von der gesamten österreichischen Bevölkerung getragen werden.

Der stumme Zwang des Ökonomischen

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Ist dem Herrn Minister bekannt, daß diese Anfrage 27/M (ÖVP), Fragestunde, IX. GP, Regelung äußerst dringlich ist, weil eine 75. Sitzung, Oktober 1961 Erhöhung des Sozialproduktes ohne Fremdarbeitereinsatz in befriedigendem Ausmaß nicht möglich ist und daher die Sache äußerst drängt? Abgeordneter Hofstetter (SPÖ), Debatte Die Sicherung der Arbeitsplätze des zum AuslBG, XIII. GP, 140. Sitzung, inländischen Arbeitnehmers, aber auch entsprechender Schutz für die Ausländer im März 1975 Zusammenhang mit einer Beschäftigung in Österreich; eine Erfüllung der berechtigten Wünsche der Wirtschaft nach Arbeitskräften und Erleichterung der Beschäftigungsgenehmigung unter Wahrung der allgemeinen öffentlichen und gesamtwirtschaftlichen Interessen. Tabelle 5.2: Nutzentopos und Ökonomisierung von Migration in den Nachkriegsjahrzehnten

Dieses diskursive Setting spiegelt sich auch im Stellenwert des Nutzentopos in Beiträgen zur Frage der Gastarbeit – Tabelle 5.2 gibt Beispiele. Argumentationen, in denen die Anwerbung von GastarbeiterInnen gefordert wird, folgen auch im österreichischen Parlament einer liberalen utilitaristischen Logik. Die Rolle der Politik besteht nicht in der direkten Intervention, sie hat nur in die Rahmenbedingungen des freien Marktes einzugreifen. Das einwandfreie Funktionieren der Märkte – vor allem die Abstimmung von Güter-, Arbeits- und Finanzmärkten – sei nicht mehr gewährleistet, daher sei ein Eingriff notwendig, um negative Konsequenzen wie Inflation und langsames Wachstum zu verhindern. Eingegriffen soll nur im Hinblick auf das Angebot an Arbeitskräften werden, alles andere bleibt dem freien Handeln der wirtschaftlichen AkteurInnen überlassen. Ziel ist die Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und damit die Wahrung des gesellschaftlichen Gesamtinteresses. Zwar wird eine spezifische Form eines wirtschaftsbezogenen Sicherheitsproblems gezeichnet, entsprechend besteht Handlungsbedarf, sollen negative Konsequenzen vermieden werden. Migration wird allerdings nicht als Teil der Bedrohung, sondern als Teil der Lösung präsentiert. Die fast ausschließlich wirtschaftliche Problematisierung der Gastarbeit war über den Rahmen der Politik hinaus wirksam und spiegelt sich auch in der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema. Diese ist paradigmatisch an zwei Monatsberichten des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WiFo 1962; 1963) abzulesen, in denen Ausländerbeschäftigung aufgrund ihres potenziellen Nutzens begrüßt wird. Als Vorteile der Ausländerbeschäftigung werden dabei der Export der Arbeitslosigkeit und ihre inflationshemmende Wirkung genannt. Utilitaristisch wird dabei argumentiert, dass zur Nutzenmaximierung gewisse Entrechtungen notwendig seien, konkret

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Das Gastarbeitsregime

die strikte Befristung von Beschäftigungsbewilligungen. Im Sinne einer »möglichst viele Seiten des Problems der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte« (WiFo 1962, 232) berücksichtigenden Politik diskutiert das WiFo die Problematik in mehreren Schritten: Interessenstandpunkte (der österreichischen Sozialpartner), Ausländerbeschäftigung und Vollbeschäftigung, Wirkungen auf den Geldwert, Bedeutung für die Zahlungsbilanz und das Wirtschaftswachstum, Einfluss auf die Einkommensverteilung und schließlich Auswirkungen auf das Herkunftsland (primär auf den Arbeitsmarkt bezogen). Selbst in Beiträgen, die für die kulturellen und sozialen Aspekte der Arbeitsmigration sensibilisieren wollen, trägt die Terminologie die Spuren ökonomischer Problematisierungen. Der Sammelband von Wimmer (1986a) ist schon im Titel auf ausländische Arbeitskräfte fokussiert, am Umschlag ist u. a. vom »Arbeitskräfteimport« nach Österreich die Rede. Als ausländische Arbeitskräfte rücken dabei nur türkische und jugoslawische Staatsbürger in den Blick, andere dem Regime von Fremdenpolizeigesetz und Ausländerbeschäftigungsgesetz unterstehende Personen werden nicht berücksichtigt, während »jugoslawische und türkische Staatsbürger« nur als Arbeitskräfte gefasst werden (und damit die auch numerisch bedeutsame Gruppe von Flüchtlingen aus den beiden Staaten stillschweigend dem Heer der GastarbeiterInnen zugerechnet wird). In der zugrunde liegenden Argumentationslogik unterscheidet sich diese Form der Problematisierung nicht von aktuellen Vorstößen für die Anwerbung von Arbeitskräften im Rahmen eines Migrationsmanagements. Nicht umsonst ist dabei von einer »Wiederentdeckung« der Gastarbeit (Castles 2006; Menz 2009) die Rede. Zwischen Gastarbeit und Migrationsmanagement zeigen sich aber auch bedeutende Brüche und Unterschiede, die im zweiten empirischen Teil der Arbeit besprochen werden. Die Gastarbeit ist Teil einer keynesianischen Ausprägung liberaler Politik (die ja trotz aller Unterschiede in konkreten Lösungsansätzen mit klassisch liberalen Positionen den Markt als Leitvorstellung teilt und politische Interventionen mit der Sicherung des Gesamtsystems begründet). Diese Politik ist an ein fordistisches Akkumulationsregime gekoppelt. Die Nutzenkalkulationen zur Gastarbeit haben wichtige diskursive Voraussetzungen, die in Tabelle 5.2 am deutlichsten im letztgelisteten Zitat des SPÖAbgeordneten Hofstetter hervortreten. Auffällig ist, dass als erstes Ziel des neuen Gesetzes die Sicherung der Arbeitsplätze inländischer ArbeitnehmerInnen genannt wird und dieses Ziel den Wünschen der Wirtschaft vorgelagert ist – darin spiegelt sich die sozialdemokratische Fundierung der Gastarbeiterprogramme. In diesem Problementwurf sind inländische ArbeitnehmerInnen und Unternehmensverbände in ihrem politischen Subjektstatus anerkannte Gruppen, die zwischen sich das gesamtwirtschaftliche Interesse aushandeln. In der Interessenskalkulation treten MigrantInnen als Variable in der so abgesteckten Nutzenkalkulation auf und damit als Objekte, nicht als politische Subjekte.

Der stumme Zwang des Ökonomischen

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Dieser Objektstatus und die Leitdifferenz von in- und ausländisch sind in den utilitaristischen Argumentationen vorausgesetzt, daher auch die analytische Relevanz des überdurchschnittlichen Auftretens der Leitunterscheidung inländisch versus ausländisch in Beiträgen zur Gastarbeit. Die Stärke dieser Leitunterscheidung ist ein zweites wesentliches Merkmal des diskursiven Kontexts der Gastarbeit und Thema des folgenden Abschnitts.

5.1.3 Identität und Ethnisierung von Migration in der Nachkriegsordnung Die Nachkriegszeit war von einer diffizilen Suche nach einer österreichischen Nationalidentität geprägt (Langer 1999), ein Unterfangen, das auch mit Blick auf die finanzielle Situation des NS-Nachfolgestaates relevant war, ging es doch bei der Aufrechterhaltung des Opfer-Mythos auch um erhebliche Summen an Reparationszahlungen und Kriegsfolgeleistungen (Frölich-Steffen 2003, 54 – 66). In diesem Kontext ist die Betonung des Nationalen auf diskursiver wie praktischer Ebene naheliegend. Wie sehr das auch in migrationspolitischen Debatten tatsächlich der Fall war, lässt Abbildung 5.3 vermuten. Die drei ähnlich universalen und zeitlosen Begriffe »österreichisch«, »inländisch« und »ausländisch« zeigen sehr unterschiedliche Häufungstendenzen. Dabei fällt in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg auffallend häufig der Marker »österreichisch«, wie auch aus Abbildung 5.2 weiter oben hervorgeht. In absoluten Zahlen tritt dieser pro Jahr ähnlich häufig auf wie in der Zeit nach 1989, relativ ergibt das eine stark überdurchschnittliche Häufigkeit. Die Charakterisierung als »inländisch« wird demgegenüber über den gesamten untersuchten Zeitraum kaum eingesetzt, mit der wichtigen Ausnahme der Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz (erkennbar als Ausreißer der Kurve im Jahr 1975). Von den drei Begriffen folgt »ausländisch« am ehesten dem allgemeinen Muster der Thematisierungsintensität – auffällig ist hier die Häufung der Nennungen in den 1990er-Jahren mit einem merkbaren Rückgang in der ersten Hälfte der 2000er-Jahre. Das Muster der überdurchschnittlichen Thematisierung gilt nur für die Adjektivform »österreichisch«, nicht aber für die »verdinglichte« Variante in Nominalform: Die Nutzung von »Österreich« folgt in den Nachkriegsjahren relativ genau dem Muster des dazugehörigen Adjektivs, in den Jahren nach 1989 tritt letzteres im Vergleich aber deutlich in den Hintergrund. Sobald »Österreich« als diskursiver Gegenstand konstituiert war, trat die charakterisierende Abgrenzungsarbeit, wie sie über die Nutzung des Adjektivs geschieht, in den Hintergrund. Der Prozess der nationalen Identitätsbildung zeigt sich auch am für die Phase spezifischen Vokabular (Tabelle 5.3). So sind etwa in den zehn Jahren nach dem

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Das Gastarbeitsregime

Abbildung 5.3: Absolute Häufigkeit der Nennungen von »österreichisch« im Vergleich zu »inländisch« und »ausländisch« in migrationspolitischen Anfragen und Debattenbeiträgen im österreichischen Parlament, 1945 bis Juni 2011

Zweiten Weltkrieg die Lemmata »Volk« und »deutsch« ähnlich stark überrepräsentiert wie »österreichisch«. Der Begriff des Volkes wurde fünfmal häufiger benutzt als bei Gleichverteilung, »deutsch« und »österreichisch« gut dreimal häufiger. Ein ähnliches Muster zeigt sich für ganz allgemeine mit der Nationsbildung verbundene Begriffe wie »Staatsbürgerschaft« (über zehnmal so häufig), »Staatsbürger« (mehr als sechsmal so oft) und »Republik« (beinahe dreimal häufiger). Von der Spezifität her sind die genannten Begriffe mit epochenspezifischen Themen wie den »Heimatvertriebenen« vergleichbar. Problematik Aushandlung Identität

Epochenspezifische Themen

Spezifität Faktor Über-/ Unterrepräsentation volk 18,85 5,43 österreichisch 160,40 2,96 deutsch 41,56 2,93 staatsangehörigkeit 8,16 3,31 staatsbürger 36,58 3,17 republik 26,19 2,90 staatsbürgerschaft 33,08 2,54 heimatlos 41,51 21,38 Begriff

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Der stumme Zwang des Ökonomischen

Fortsetzung Problematik

Migrationsbezogen allgemein Nicht migrationsbezogen allgemein

heimatvertrieben vertrieben flüchtling

Spezifität Faktor Über-/ Unterrepräsentation 134,79 16,38 97,87 9,21 45,73 2,34

zuwanderung asylwerber gleichstellung

24,53 23,99 133,21

Begriff

0,00 0,00 14,00

heimat 11,95 2,26 arbeiter 96,45 11,05 Tabelle 5.3: Für Beiträge aus den Jahren 1945 bis 1955 spezifische Begriffe, Spezifität und Vergleich der relativen Häufigkeit des Auftretens, lemmatisierte Version des Korpus ohne Stopwords, berücksichtigt sind Lemmata mit einer Gesamthäufigkeit größer 2, insgesamt 16.461 Lemmata

Die aus Tabelle 5.3 ersichtliche hohe Spezifität für den Begriff »Arbeiter« in den Beiträgen der Nachkriegsjahre verweist auf ein in der österreichischen Nachkriegsordnung eng mit der »nationalen Frage« verwobenes Problem: die drängende soziale Frage vor dem Hintergrund einer sich radikalisierenden ArbeiterInnenschaft. Das Ziel der Nachkriegseliten war in diesem Zusammenhang simpel: Österreich von Arbeitskämpfen freizuhalten (Scharinger et al. 1995). Die klassenkämpferisch geprägten Jahre vor dem Faschismus gingen nach und nach in eine Ordnung über, in der vor allem die Rollen von Sozialdemokratie und ÖGB neu geschrieben wurden. Sie waren prägende Akteure und direkt in die Entwicklung der Nachkriegsordnung eingebunden. Damit ging auch eine stärkere Verpflichtung auf das vermeintliche gesamtwirtschaftliche Interesse einher, das keynesianisch in den Zielen des Wirtschaftswachstums und der Inflationsbekämpfung gefasst wurde. Die Neu-Konstituierung als wirtschaftspolitisch keynesianisch ausgerichtete Konkordanzdemokratie ist für ein Verständnis der migrationspolitischen Entwicklungen zentral. Diese wohlfahrtsstaatliche Konstellation stand in enger Wechselwirkung zur neudefinierten nationalen Identität. Das sozialpartnerschaftliche Arrangement implizierte einen nationalen Schulterschluss im Rahmen kapitalistischer Produktionsverhältnisse. Die Neudefinition der österreichischen Identität basierte auf der Gleichzeitigkeit von Sozialpartnerschaft und der Einbindung in die globale kapitalistische Ordnung (Parnreiter 1994): »Sozialpartnerschaft und Westorientierung wurden so in den Anfangsjahren der Zweiten Republik zu zwei wesentlichen Pfeilern des österreichischen Nationalbewusstseins« (Frölich-Steffen 2003, 55). Für das Thema der vorliegenden Arbeit ist diese gekoppelte Entwicklung von Wohlfahrtsstaat und Nationalbewusstsein relevant, weil die neu entstandenen

142

Das Gastarbeitsregime

sozialen Rechte nur auf Basis des nationalen Schulterschlusses gewährt wurden. Die neuen staatsbürgerschaftlichen Rechte bilden daher auch die Grundlage für neue Zugehörigkeitspolitiken. Umgekehrt wurde die Durchsetzung nationaler Abgrenzungskriterien zur Grundlage für die diskursive Verobjektivierung und rechtliche Diskriminierung der GastarbeiterInnen. Mit den gewachsenen Ansprüchen und Rechten stiegen auch die rein theoretischen Möglichkeiten der differenziellen Entrechtung, die diskursive Betonung des Nationalen erleichterte diese. Exemplarisch zeigt sich die Verschränkung von nationaler Zugehörigkeit und sozialen Rechten in der Nachkriegszeit im Vergleich zweier Gruppen, die sich in ihren Lebens- und Arbeitsverhältnissen sehr ähnlich waren: österreichische GrenzgängerInnen ins benachbarte Ausland und in Österreich erwerbstätige GastarbeiterInnen. Die beiden Phänomene waren auch funktional gekoppelt, weil die Abwanderung von österreichischen Arbeitskräften die vermeintliche Arbeitskräfteknappheit verschärfte, beide waren Ausdruck der oben beschriebenen fordistischen Formation (Matuschek 1985; Parnreiter 1994). Die Frage der österreichischen GrenzgängerInnen war rund um die Phase der GastarbeiterInnenrekrutierung ein akutes Thema der Tagespolitik, dem viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde (Mayer 2009, 40 – 41). Die Situation von GrenzgängerInnen war in den Jahren der Gastarbeit häufiges Thema parlamentarischer Anfragen. In diesen wurden vorwiegend aus den grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen entstehende steuerliche Benachteiligungen von GrenzgängerInnen thematisiert. GrenzgängerInnen werden, in anderen Worten, als politisch und sozial anspruchsberechtigte StaatsbürgerInnen gefasst. Problematisierungsbedarf ergibt sich aus nicht zu rechtfertigenden Benachteiligungen, in den Worten der SPÖ geht es um »die Beseitigung bestehenden Unrechtes«57. Exemplarische Problematisierungen sind in Tabelle 5.4 angeführt. Anfrage 1159/J (SPÖ), XI. GP, März 1969 Viele österreichische Arbeitnehmer haben durch die Tatsache, daß sie in Österreich keinen entsprechenden Arbeitsplatz finden können, obwohl ihr ständiger Wohnsitz innerhalb der Staatsgrenzen liegt, die erheblichen Unannehmlichkeiten und Nachteile von Grenzgängern in Kauf zu nehmen.

57 Anfrage 1159/J (SPÖ), XI. Gesetzgebungsperiode, März 1969.

Der stumme Zwang des Ökonomischen

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Seitens der betroffenen Grenzgänger wird nun Anfrage 1281/J (FPÖ), XI. GP, Mai 1969 mit Recht darüber Klage geführt, daß von dieser Maßnahme der Behörden alle Grenzgänger betroffen sind. Eine derartige Maßnahme gegenüber dem fleißigen Personenkreis, der in der Regel auch zeitgerecht und sehr fühlbar Steuern bezahlt, ist sicher nicht gerechtfertigt. […] Die Grenzkontrollen führen zu einer erheblichen Verzögerung in der Abfertigung und verursachen eine Verlängerung des Arbeitsweges, welche nicht zumutbar ist. Anfrage 1754/J (ÖVP), XIII. GP, Juni Der Oberösterreichische Grenzgängerrechtsschutzverband hat in seiner 1974 unlängst stattgefundenen Jahreshauptversammlung eine Reihe von Wünschen hinsichtlich der steuerlichen Gleichstellung der Grenzpendler mit den inländischen Arbeitnehmern festgestellt. In einer Resolution wurden diese Wünsche der Presse, aber auch den dort anwesenden Mandataren überreicht. Anfrage 660/J (FPÖ), XII. GP, Juni 1971 Daß die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte im Laufe des letzten Jahrzehnts zu einem Faktor geworden ist, der sich aus unserer Volkswirtschaft nicht mehr wegdenken lässt, steht ebenso außer Zweifel wie die Tatsache, daß die diesbezüglichen gesetzlichen und administrativen Vorkehrungen in keiner Weise den gegebenen Erfordernissen entsprechen. […] Eine befriedigende Regelung, durch welche die Heranziehung ausländischer Arbeitskräfte erleichtert und auch in verwaltungstechnischer Hinsicht vereinfacht wird, bedarf daher der Mitwirkung aller betroffenen Ministerien. Abg. Melter (FPÖ), Debatte zum Der Umstand, daß die AuslBG, XIII. GP, 140. Sitzung, März Beschäftigungsbewilligung nur für die Dauer 1975 eines Jahres ausgestellt wird, wird von uns begrüßt, weil damit doch eine ziemlich schnelle Anpassung an den jährlichen Bedarf an ausländischen Arbeitskräften möglich ist […]. Wir begrüßen es auch, daß die Bewilligungen nur für bestimmte Arbeitsplätze in einem bestimmten Betrieb ausgestellt werden. Das ist deshalb sehr wesentlich, weil ja gerade die große Fluktuation für die Wirtschaft und damit für das Volkseinkommen eine besondere Belastung dargestellt hat. Tabelle 5.4: Ethnisierung von Migration: GrenzgängerInnen vs. GastarbeiterInnen, oben: Beispielzitate zur Problematisierung der Situation von GrenzgängerInnen, unten: Vergleichszitate zu GastarbeiterInnen

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Das Gastarbeitsregime

GrenzgängerInnen werden durchgängig als TrägerInnen natürlicher Rechte, deren Verwirklichung durch Unbedachtheit oder Schikane blockiert ist, präsentiert. Ihr »Fleiß« lässt die widrigen Regelungen nur noch ungerechter erscheinen. Dabei kann es durchaus um geringe monetäre Beträge gehen, mögliche steuerliche Nachteile werden auch nicht mit gleichzeitig höheren Einkommen im benachbarten Ausland gegengerechnet. GrenzgängerInnen sind politische Subjekte und als solche mit ihren Forderungen ernst zu nehmen.

Abbildung 5.4: Schlüsselbegriffe für zentrale Problemdimensionen: Grenzgänger bis 1980

Diese Thematisierungen sind nicht zuletzt deshalb analytisch relevant, weil die Abwanderung in den Grenzgebieten als massives Problem wahrgenommen wurde (Parnreiter 1992, 77 – 78). Auch dafür finden sich in den Jahren vor und

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während der Gastarbeit Belege in der parlamentarischen Auseinandersetzung58. Die Beseitigung steuerlicher Nachteile wäre aus utilitaristischer Sicht daher nicht zu rechtfertigen. Tatsächlich war die Frage, wie universale Bürgerrechte gegen ökonomische Nutzenkalkulationen abzuwägen seien, umstritten. Die Wirtschaftskammer hatte immerhin lange Jahre die Beschränkung des Ausreiserechts gefordert. Eine solche Maßnahme hätte sich an Vorläufern orientieren können; lange war auch im Gebiet des heutigen Österreich vor allem die Ausreise gesetzlich reguliert; so benötigten ab 1832 AuswanderInnen einen sogenannten »Emigrationskonsens«, erst mit dem Staatsgrundgesetz von 1867 wurde die grenzüberschreitende Auswanderung freigestellt (Fassmann/Münz 1995, 14). Auch die Gegenseitigkeitsabkommen in Sozialversicherungsfragen war Gegenstand der Verhandlungen zwischen ÖGB und Wirtschaftskammer, und keineswegs von Anfang an selbstverständlicher Anspruch. Die Wirtschaftskammer hatte diesen nur zögernd und gegen Zugeständnisse in Fragen der Ausländerbeschäftigung zugestimmt, weil sie die Beschäftigung im Ausland nicht noch attraktiver machen wollte (Mayer 2009, 40 – 41). Die Logik utilitaristisch motivierter Entrechtung von StaatsbürgerInnen war in der Nachkriegsordnung aber nicht tragfähig. Durchgesetzt hat sich historisch die Vorstellung, dass es hier um als absolut zu verstehende, universale Rechte geht. Diese sind zu schützen und Benachteiligungen auszuschalten, so komplex (und historisch zufällig) die konkreten steuerrechtlichen Angelegenheiten auch sein mögen. Auch die den Problementwürfen der Wirtschaftskammer nicht abgeneigte ÖVP konnte sich der Sichtweise von SPÖ und FPÖ anschließen – zumindest nachdem die Gastarbeit als Problemlösung etabliert worden war. Zusammenfassend charakterisiert Abbildung 5.4 die migrationspolitische Figur des österreichischen Grenzgängers zur Zeit der Gastarbeit: Er ist österreichisch, ein Arbeitnehmer, vor allem aber Träger unveräußerlicher Rechte. Eine Charakterisierung der resultierenden Figur des Gastarbeiters in den Jahren bis 1980 (Abbildung 5.5) ergibt ein ganz anderes Bild. GastarbeiterInnen sind ebenso »Arbeitskräfte« wie »Arbeitnehmer«, die viel eher in ihrer Rolle für die Wirtschaft thematisiert werden. Die Frage der Gleichstellung spielt keine Rolle, im Gegenzug zeigen sich erste Spuren einer Integrationsproblematik. Entsprechend anders ist auch die Art, »GastarbeiterInnen« in Problementwürfe der Zeit einzubinden (siehe auch untere Zitate in Tabelle 5.4). Statt als politische Subjekte treten diese als Objekte und Variablen in Kalkulationen auf, statt von Fleiß und Leistung ist von positiven Effekten und von Prozessen die Rede; Verfahren und Administration werden als unzureichend charakterisiert, aber in einem anderen Sinn als im Fall der GrenzgängerInnen. Es geht nicht um Gerechtigkeit, sondern um bürokratischen Ballast, der freies Markthandeln un58 Etwa Anfragen 543/J und 544/J (beide ÖVP), XIII. Gesetzgebungsperiode, Juni 1972.

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Das Gastarbeitsregime

Abbildung 5.5: Schlüsselbegriffe für zentrale Problemdimensionen: Gastarbeiter bis 1980

nötig blockiert. Die Verhältnisse sind nicht falsch, sondern nutzlos. Rechte werden nicht als unveräußerliche Ansprüche, sondern als instrumentelle Schrauben im gesamtwirtschaftlichen Getriebe gehandelt.

5.1.4 Exkurs: Sicherheit in Zeiten des Kalten Kriegs Die Charakterisierung des diskursiven Kontexts der Nachkriegsjahrzehnte, wie in Abbildung 5.2 dargestellt, legt die Annahme nahe, dass sekuritisierte Problematisierungen in Migrationszusammenhängen in diesen Jahren de facto inexistent waren. Von den drei von Huysmans (2006) identifizierten Formen der Sekuritisierung von Migration scheint nur die Inszenierung als Gefahr für so-

Der stumme Zwang des Ökonomischen

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ziale Sicherungssysteme in Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit relevant. Tatsächlich spielen selbst diese Thematisierungen der Arbeitslosigkeit erst rund um die Wirtschaftskrise Mitte der 1970er-Jahre und damit am Ende des in der Abbildung repräsentierten Zeitraums eine Rolle. Quantitativ waren sekuritisierende Thematisierungen nicht prägend. Nichtsdestotrotz lassen sich Beiträge finden, die der Logik eines Sicherheitstopos folgen, also (existenzielle) Bedrohungen für ein gegebenes Referenzobjekt identifizieren, die außergewöhnliche Entscheidungen bzw. Handlungen erforderlich machen. Diese tragen klar die Spuren der geopolitischen und ideologischen Nachkriegsordnung und sind um zwei übergeordnete Themen organisiert: das Erbe des Faschismus und den Kalten Krieg. In Summe ergibt sich eine Art von Bedrohung, die in mehreren Hinsichten einen aussagekräftigen Kontrast zu Formen der Sekuritisierung seit den späten 1980er-Jahren bildet und deshalb hier in aller Kürze exemplarisch dargestellt wird (Tabelle 5.5). Spionage und ideologische Schlüsselfiguren stehen im Zentrum der Auseinandersetzung, daran sind auch die geforderten staatlichen Gegenmaßnahmen orientiert. Im Unterschied zu den deutlich diffuseren »Bedrohungen« der 1990er- und 2000erJahre sind die Gefährdungen personalisiert und konkret benennbar. Überwiegend handelt es sich um bewusst ideologisch handelnde Personen, die eben deshalb nicht mit »dem Migranten« gleichgesetzt werden, angefangen von faschistischen Gruppierungen in der direkten Nachkriegszeit bis zu erfolgreich eingeschleusten Top-Agenten als feindlich eingestufter Geheimdienste. Zugespitzt kommt die Ideologisierung und Personalisierung dieser Gefährdungsszenarien in der Aufregung seitens der FPÖ-Vorläuferorganisation VdU über die Einbürgerung von Bert Brecht zum Ausdruck. Im Gegensatz zur Zeit der dynamisierten Weiterentwicklung um die Jahrtausendwende spielen explizite Verknüpfungen mit Arbeitsmigration in diesen Formen der Sekuritisierung keine Rolle. Während die Bevölkerung der Stadt Villach den Festtag der Arbeit in voller Ruhe und beispielgebender Disziplin und Würde beging, haben Fremdländer Ausschreitungen und Provokationen gegen die österreichische Bevölkerung begangen. Mit Steinen hat eine Gruppe ausländischer Provokateure die Fensterscheiben in der Wohnung des österreichischen Eisenbahners Peskola zertrümmert. Die Einbürgerung Brechts und Weigels steht in einem auffallenden, unvereinbaren Gegensatz zu den wiederholten Erklärungen der Bundesregierung und einzelner Bundesminister, wonach der offenen und versteckten Infiltrierung Österreichs durch die kommunistische Ideologie mit allen Mitteln entgegengetreten werden würde.

Anfrage 30/J (SPÖ), V. GP, Mai 1946

Anfrage 346/J (VdU/FPÖ), VI. GP, Oktober 1951

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Das Gastarbeitsregime

In diesem Zusammenhang sei auch die Rede Jiri Hendrychs, Sekretär des ZK und Mitglied des Politbüros des ZK der KP der CSSR, auf dem 18. Parteitag der KPÖ am 2. April 1961 genannt. Diese Rede unterstützt nach einem Bericht des CTK-Informationsbulletins vom 7. April 1961 die Neutralitätspolitik der KPÖ und deren Auffassungen über den »deutschen Militarismus« und dessen »revanchistische Politik, die das Bonner Regime unterstützt«. Welche Gründe haben den Herrn Bundesminister bewogen, Journalisten und Kameraleuten aus Ostdeutschland ein Visum für die Einreise nach Österreich auszustellen? Ist der Herr Bundesminister bereit, den gefertigten Abgeordneten einen detaillierten Bericht über die Modalitäten für die Visaerteilung an ostdeutsche Journalisten und über die Zahl der diesem Personenkreis bereits erteilten Visa zu geben? Tabelle 5.5: Sicherheitstopos in Zeiten des Kalten Kriegs

5.2

Anfrage 235/J (ÖVP), IX. GP, November 1961

Anfrage 281/J (ÖVP), IX. GP, Juli 1962

Ein Kind seiner Zeit: Gastarbeit als fordistische Problem-Lösung

Ökonomisierende Problematisierungen und eine starke Betonung nationaler Zugehörigkeit sind Charakteristika der diskursiven Konstellation des Gastarbeitsregimes. Diese trägt damit klar die Zeichen des politisch-ökonomischen Nachkriegsarrangements. Es war genau dieses Arrangement, das nicht nur die Form der politischen Bearbeitung in Form der Gastarbeiterkontingente hervorbrachte, sondern zuallererst zum »Ausgangsproblem« geführt hatte. Ziel dieses Kapitels ist es, die skizzierte diskursive Konstellation soziopolitisch in dieser Nachkriegskonstellation zu verorten, und zwar sowohl mit Blick auf die realen sozialen Problemlagen als auch hinsichtlich der institutionellen Formen ihrer Bearbeitung. Die reale soziale Lage, die in den (spärlichen) migrationspolitischen Beiträgen problematisiert wurde, war ebenso deutlich vom fordistischen Nachkriegsarrangement geprägt wie die diskursive Ordnung. Der Ausbau des Wohlfahrtsstaats, staatliche Investitionen in Bauvorhaben und andere Infrastrukturprogramme, die Ausdehnung der durchschnittlichen Bildungszeiten und die Verkürzung der Lebens- und Wochenarbeitszeit hatten in Verbindung mit hohem Wirtschaftswachstum zu niedrigen Arbeitslosenzahlen geführt. Von knapp fünf Prozent Ende der 1950er-Jahre sank die Arbeitslosenrate in den frühen 1960er-Jahren auf unter drei Prozent. Das Wirtschaftswachstum pendelte ebenfalls zwischen drei und fünf Prozent.

Ein Kind seiner Zeit

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Abbildung 5.6: Entwicklung zentraler Wirtschaftsindikatoren 1960 – 1980, Quellen: WiFo, Statistik Austria

Vor diesem Hintergrund begannen WirtschaftsvertreterInnen das »Hinauflizitieren von Löhnen«, den »Verfall der Arbeitsmoral, Fluktuation, Lohnüberforderungen …« und die »unwirtschaftliche Ausnützung der eingesetzten Geräte und der Arbeitskräfte« zu monieren (Matuschek 1985, 160). Als Indikator für die sich aus dieser Konstellation ergebende gesamtwirtschaftliche Gefährdung galt die Inflationsrate – das deklarierte Ziel lautete Lohn-Preis-Stabilität. Spielraum nach oben gab es bei den Löhnen wohl tatsächlich, das Lohnniveau in Österreich war Anfang der 1960er-Jahre das zweitniedrigste in Westeuropa, niedrigere Löhne wurden nur in Italien gezahlt (Matuschek 1985, 165). Schon aus diesem Grund war eine Absenkung des allgemeinen Lohnniveaus keine durchsetzbare Lösung. Das vergleichsweise niedrige Lohnniveau verstärkte

150

Das Gastarbeitsregime

Abwanderungstendenzen speziell aus dem ländlichen Raum in den Grenzregionen zu Deutschland und der Schweiz. In den 1950er-Jahren hatte Österreich ein negatives Wanderungssaldo von 129.000 Personen zu verzeichnen, davon gingen 60.000 in die BRD oder die Schweiz. 1962 arbeiteten 78.000 und 1970 115.000 ÖsterreicherInnen im Ausland, am Höhepunkt des Wirtschaftsaufschwungs 1971 waren 93.088 (4,7 Prozent der Beschäftigten) allein in der BRD erwerbstätig (Parnreiter 1994, 102). Die Zahl der GrenzgängerInnen lag 1961 bei 28.608, zur selben Zeit waren weniger als ein Drittel so viele ausländische Arbeitskräfte in Österreich beschäftigt (Sensenig-Dabbous 1998, 469).59 Die Lösung für das so definierte Problem bestand kurzfristig in der differenzierten und flexiblen Arbeitsmarktintegration migrantischer Arbeitskraft und mittelfristig in der ethnischen Segmentierung des Arbeitsmarktes: »Um weitere Expansion zu ermöglichen, mußten Arbeitskräfte mobilisiert werden, die außerhalb des fordistischen Zusammenhanges standen und die deshalb auf das B-Segment des Arbeitsmarktes verwiesen werden konnten« (Parnreiter 1994, 66). Nachgefragt waren dabei vorwiegend Arbeitskräfte für niedrig entlohnte Tätigkeiten in der industriellen Massenfertigung. Nicht nur das Ausgangsproblem und die gefundene Lösung, auch die Form der Aushandlung der konkreten Maßnahmen entsprach dem fordistischen Nachkriegsarrangement; die Integration der Sozialpartner und vor allem der Gewerkschaften in politische Aushandlungsprozesse war Teil der politischen Nachkriegsordnung (Scharinger et al. 1995)60. Wimmer (1986b) argumentiert, dass das GastarbeiterInnensystem dazu prädestiniert sei, das Phänomen »Sozialpartnerschaft« zu analysieren: »Es gibt kaum Rechtsmaterien in Österreich, wo sich die Sozialpartner praktisch in allen relevanten Verwaltungsverfahren einen dermaßen hohen Einfluß gesichert haben« (Wimmer 1986b, 15). In der Rolle der Sozialpartner einen Rückzug der Politik zu sehen, scheint nichtsdestotrotz verkürzt. In Tabelle 5.6 sind die beruflichen und institutionellen Hintergründe der Parlamentarier angeführt, die sich in die Debatte zum 59 In dieser Situation forderten WirtschaftsvertreterInnen wiederholt die gesetzliche Beschränkung der Freizügigkeit. Unter anderem sollten Inseratenwerbungen für österreichische Arbeitskräfte an Genehmigungen durch das Arbeitsamt gekoppelt werden, darüber hinaus forderte die Wirtschaftskammer Abkommen über die Nichtanwerbung von Arbeitskräften mit den Nachbarstaaten (Matuschek 1985, 160). Parallel wurden Initiativen zur Anwerbung migrantischer Arbeitskräfte gesetzt. Ziel war eine neue Form der Regelung des Arbeitsmarktzugangs, die das schwerfällige Einzelgenehmigungsverfahren (siehe unten) ersetzen hätte sollen. 60 Damit war sie selbst eine Sicherheitstechnologie im Rahmen des liberalen Nationalstaats, wie Foucault am Beispiel des New Deal von Roosevelt deutlich macht. Eine Überausbeutung der ArbeiterInnenschaft hätte systemgefährdende Folgen gezeitigt und wäre damit ein Beispiel für exzessiven Gebrauch der Freiheit gewesen. Dagegen musste der Sozialstaat als Sicherheitstechnologie ins Feld geführt werden.

151

Ein Kind seiner Zeit

Ausländerbeschäftigungsgesetz eingebracht haben. Alle von ihnen waren entweder in ihrem ursprünglichen Beruf oder als Funktionsträger in Interessensvertretungen oder Sozialversicherungseinrichtungen tätig. Das gilt für den FPÖMandatar Melter, der als Dienstnehmervertreter in der Hauptversammlung der PVA aktiv war, ebenso wie für die Abgeordneten von ÖVP und SPÖ. Teilweise zählten die betreffenden Institutionen zu den SchlüsselakteurInnen in der Gestaltung des Gastarbeitsregimes, so etwa die Industriesektion der Bundeswirtschaftskammer, die Gewerkschaft Bau Holz oder die AK Vorarlberg. Regierungsmitglieder saßen darüber hinaus in der Paritätischen Kommission, die 1960 das BMfsVW mit der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs beauftragte (Matuschek 1985, 164). Parlamentarische Parteipolitik und Sozialpartnerschaft waren institutionell und personell engstens verwoben. Redner Werner Melter Walter Hauser Walter Schwimmer

Partei Beruflicher Hintergrund (Auszug) FPÖ Dienstnehmervertreter in der Hauptversammlung der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten ÖVP Sekretär der Industriesektion der Bundeswirtschaftskammer

ÖVP

Karl Wedenig ÖVP Erich Hofstetter Leonhard Treichl Edgar Schranz Franz Willinger61 Rudolf Häuser

SPÖ SPÖ SPÖ SPÖ

Sozialversicherungsangestellter, Rechtsschutzsekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten, Bundessekretär des ÖAAB, Direktor der Wiener Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte Bundessekretär des ÖAAB, Sekretär des ÖGB und Bundessekretär der Fraktion Christlicher Gewerkschafter, Kammerrat der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien Leitender Sekretär im ÖGB, davor u. a. Jugendvertrauensmann der Gewerkschaft und Buchdrucker Sekretär der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg, Sekretär der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter Leitender Sozialversicherungsangestellter, Mitglied des Beirates der Sozialversicherungsanstalt der Bauern Landessekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten

SPÖ

Bundesminister soziale Verwaltung, Zentralvorstandsmitglied der Freien Gewerkschaft der Industrieangestellten, geschäftsführender Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten, Vizepräsident des ÖGB, Kammerrat der Kammer für Arbeiter und Angestellte Tabelle 5.6: Beruflicher Hintergrund der Redner in der Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz 1975, Quelle: www.parlament.gv.at

Diese Konstellation spiegelte sich auch im konkreten Ablauf der Ereignisse. Die Initiative zur gesetzlichen Neuregelung der Arbeitsmigration war von der Paritätischen Kommission ausgegangen. Sie empfahl 1960 dem Bundesministeri61 Berichterstatter, kein eigenständiger Redebeitrag

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Das Gastarbeitsregime

um für soziale Verwaltung, ein Gesetz auszuarbeiten, das sich am Schweizer Modell der strikten Temporalisierung orientieren und prinzipiell einen Arbeitsmarktzugang nur auf gemeinsamen Antrag der Sozialpartner gestatten sollte. Auch ÖGB Vorsitzender Olah trat für das Schweizer Modell ein (SensenigDabbous 1998, 263). Unmittelbarer Anlass für diesen Vorstoß war eine Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, das einige Erlässe aus den direkten Nachkriegsjahren für verfassungswidrig erklärt hatte (Sensenig-Dabbous 1998, 461). Damit stand die etablierte Form der Regulation der Arbeitsmigration zur Disposition. Aufgrund des VfGH-Urteils gab es weder für die bis dahin praktizierte Form der Entrechtung der migrantischen Arbeitskraft noch für die Form der sozialpartnerschaftlichen Arbeitsmarktzulassung eine gesetzliche Grundlage. Anfang der 1960er-Jahre wurde ein erster Gesetzesentwurf vorgelegt, der stark von Sozialministerium, Arbeiterkammer und ÖGB geprägt war und nicht die Zustimmung der UnternehmensvertreterInnen fand. Mit dem Scheitern der gesetzlichen Neukodifizierung war eine andere Lösung gefragt. Im Raab-OlahAbkommen aus dem Dezember 1961 wurde schließlich die Kontingentlösung fixiert, die bis 1975 in Kraft bleiben sollte. Im selben Abkommen stimmte die Wirtschaftskammer einer aktiven Arbeitsmarktpolitik (Qualifizierungsmaßnahmen und aktive Umschichtungsmaßnahmen), der Forcierung von Sozialversicherungsabkommen mit den Nachbarstaaten und der Ratifizierung zweier Abkommen des Europarats zu sozialer Sicherheit zu (Matuschek 1985, 162). Mit den Kontingenten wurde eine Zahl von ausländischen Beschäftigten festgelegt, für die die Einzelfallprüfung für die Arbeitsmarktzulassung entfallen konnte. Genauer gesagt wurde die Kontingentlösung zunächst als einseitiger Akt des ÖGB gesetzt wurde (Sensenig-Dabbous 1998, 263). Diese Lösung ging auf Vorschläge und Initiativen der Gewerkschaft Bau-Holz und der Bundesinnung für das Baugewerbe zurück (Matuschek 1985, 162). Der ÖGB war in den 1960erJahren nicht prinzipiell gegen die Beschäftigung von GastarbeiterInnen, im Gegenteil, er spielte eine höchst ambivalente Rolle, die auch die gezielte Ausbeutung migrantischer Arbeitskraft implizierte, entgegen landläufigen Darstellungen, die eine simple Anti-Einwanderungshaltung unterstellen. Hauptsächlich dürfte es der Führungsriege des ÖGB aber zunächst darum gegangen zu sein, die Kontrolle über die Arbeitsmarktzulassung nicht zu verlieren, darin bestand das eigentliche Zugeständnis der Bundeswirtschaftskammer. Im RaabOlah-Abkommen hatte sich der ÖGB dazu bekannt, dem Wirtschaftswachstum oberste Priorität einzuräumen – und sich damit auch zu entsprechenden Definitionen des kollektiven Interesses verpflichtet. Das Gastarbeitsregime war in mehreren Hinsichten ein Kind seiner Zeit. Der Aufbau eines nationalen Wohlfahrtsstaats inklusive der damit einhergehenden Rechte und Ansprüche, die Stellung der organisierten Interessensvertretungen

Kontingente, Bewilligungen, Abkommen

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in diesem Prozess und die fordistische Beschäftigungsstruktur und Akkumulationsweise bildeten den Hintergrund, vor dem spezifische gesellschaftliche Phänomene als politische Probleme definiert und ihnen entsprechende Lösungen gesucht wurden. Im Fall der Gastarbeit bestand die Herausforderung in der Sicherung des Wirtschaftswachstums und der Drosselung der Inflation bei gleichzeitiger Wahrung der erworbenen/erkämpften Ansprüche und Rechte der österreichischen ArbeiterInnenschaft. Wirtschaftswachstum und Inflation waren Marker des kollektiven Interesses, die von allen Beteiligten akzeptiert wurden. Damit war eine keynesianisch überformte, aber nichtsdestotrotz im Kern klassisch liberale politische Rationalität sozialpartnerschaftlicher Konsens. Gastarbeit war also notwendig aufgrund des fordistisch-keynesianischen Nachkriegsarrangements. Und sie war möglich, weil die Instrumente zu ihrer Umsetzung vorhanden waren. Der Frage, welche juridischen und administrativen Mittel in der Steuerung der Gastarbeit relevant waren, ist der folgende Abschnitt gewidmet. Kapitel 6 widmet sich dann der Frage, wo zentrale Elemente des politischen Instrumentariums des Gastarbeitsregimes herkamen.

5.3

Kontingente, Bewilligungen, Abkommen: das komplexe Instrumentarium der Gastarbeit

Die sozialpartnerschaftliche Aushandlung war die Form der Bestimmung des kollektiven Interesses der Nachkriegsjahrzehnte. Das mit der Gastarbeit zu lösende Problem hing eng mit dieser politischen Form zusammen, der Ausbau der sozialen Rechte und wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen und die damit verbundenen Ansprüche der ArbeiterInnenklasse hatten die Nachfrage nach flexibel einsetzbaren Hilfskräften für die industrielle Massenfertigung geschaffen, die aus dem österreichischen Arbeitskräftereservoir nicht befriedigt werden konnte. Die politische Rationalität, die der Definition von Problem wie Lösung zugrunde lag, war »sozialliberaler« Art, ein keynesianisch geprägter, aber an marktwirtschaftlichen Grundprinzipien orientierter Liberalismus. Grundfigur war die Definition von partikularen und kollektiven Interessen; das Problem wurde in ökonomischen Termini auf der Systemebene verortet (Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und Inflation), die Lösung in der Änderung der Rahmenbedingung freien Markthandelns gesehen. GastarbeiterInnen waren in diesem Sinn eben keine »modernen Sklaven« (Prader 1992b), sie waren als VerkäuferInnen ihrer eigenen Arbeitskraft TeilnehmerInnen im freien Marktgeschehen. Wie andere Wirtschaftssubjekte waren sie rechtlich als Marktakteure konstituiert, allerdings als spezifische, differenziell entrechtete Arbeitskräfte.

154

Das Gastarbeitsregime

Die Frage ist nun, wie diese differenzielle Entrechtung in der Praxis funktionierte. Welche politischen Technologien organisierten die Gastarbeit? Es zeigt sich, dass das Gastarbeiterregime auf der Grundlage einer komplexen Kombination von politischen und administrativen Instrumenten funktionierte. Die zentralen waren: die Beschäftigungsbewilligung zur befristeten und abhängigen Arbeitsmarktzulassung, die Nutzung von Anwerbeinstitutionen zur Auswahl der Arbeitskräfte und die Aushandlung von Kontingenten in sozialpartnerschaftlichen Gremien. Der Großteil der notwendigen juristischen, administrativen, politischen und diskursiven Rahmenbedingungen war zu Beginn der Gastarbeit fix etabliert, neu hinzu kamen bloß die Anwerbeinfrastruktur und die Kontingentvereinbarungen.

5.3.1 Das bestehende Instrumentarium … Das zentrale Instrument der Gastarbeiterbeschäftigung – und allgemeiner der Beschäftigung von ArbeitsmigrantInnen in Österreich – war über Jahrzehnte die Beschäftigungsbewilligung. Sie wird stets befristet dem beschäftigenden Unternehmen ausgestellt und ist nur für dieses gültig. Durch die Befristung erlaubt die Beschäftigungsbewilligung eine Temporalisierung der Beschäftigung und damit die flexible Steuerung des Arbeitskräfteangebots. Beschäftigungsbewilligungen wurden bis zum Beginn der GastarbeiterInnenrekrutierung in einem Einzelgenehmigungsverfahren vergeben. Nachdem das Unternehmen beim zuständigen Landesarbeitsamt angesucht hatte und dieses das Ansuchen an das Sozialministerium weitergeleitet hatte, sprach ein sozialpartnerschaftliches Gremium unter Berücksichtigung des von Unternehmerseite geäußerten Bedarfs und der regionalen Arbeitsmarktsituation Empfehlungen aus, die das Sozialministerium in der Regel eins zu eins an die Landesarbeitsämter weitergab. In den Jahren der Gastarbeit war die Beschäftigungsbewilligung an eine zweite Genehmigung gekoppelt: die Arbeitserlaubnis, die an die arbeitssuchenden MigrantInnen auszustellen war. Die Beschäftigungsbewilligung wurde nach arbeitsmarktpolitischen, die Arbeitserlaubnis nach fremdenpolizeilichen Erwägungen erteilt (Parnreiter 1994, 117), beide waren auf maximal zwölf Monate befristet (konnten aber verlängert werden). Erst nach zehn Jahren Beschäftigung in Österreich bestand ein Anspruch auf einen auf zwei Jahre befristeten Befreiungsschein, der innerhalb dieses Zeitrahmens freien Arbeitsmarktzugang erlaubte. Beschäftigungsbewilligung und Arbeitserlaubnis funktionierten nicht in Isolation. Sie setzten andere Gesetzesmaterien voraus, die wichtigsten waren das Paßgesetz, das die Einreise regelte, und das Fremdenpolizeigesetz, das Aufenthaltsrechte inklusive Abschieberegelungen definierte. Aus der Wechselwirkung

Kontingente, Bewilligungen, Abkommen

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zwischen den Gesetzesmaterien ergaben sich schon damals unterschiedliche Szenarien der Gastarbeiterbeschäftigung. So waren Einreise und dreimonatiger Aufenthalt als TouristIn für JugoslawInnen und TürkInnen während der 1960erJahre visumfrei möglich – daraus sollte sich ein wichtiger Kanal der Arbeitskräfterekrutierung entwickeln. Die Touristenbeschäftigung war selbstverständlich nicht die vorgesehene Variante, der offizielle Weg ging über ein sogenanntes A-Visum, das eine Sicherungsbescheinigung voraussetzte, in der die Arbeitsmarktverwaltung die voraussichtliche Bewilligung der Beschäftigung bestätigte (Parnreiter 1994, 134). Aufenthaltsrechte und Arbeitsmarktzugang waren schon damals miteinander verzahnt. Zu den gesetzlichen und administrativen Regelungen kamen weitere Faktoren. Sari (1988, 85) weist etwa auf die große Bedeutung zwischenstaatlicher Abkommen hin, die bei Einreise, Arbeitsmarktzugang und sozialen Rechten einigen MigrantInnen Ansprüche eröffneten, die anderen verschlossen blieben. Zum Beispiel genossen deutsche und Schweizer Staatsbürger nicht nur allgemeine Visafreiheit, sondern auch einen erleichterten Zugang zum Befreiungsschein nach fünf Jahren Aufenthalt. Letzteres bedeutete eine doppelte Besserstellung im Vergleich zu anderen MigrantInnen, für die nicht Aufenthalt, sondern Beschäftigung gefordert war, und das nicht über fünf, sondern über zehn Jahre.

5.3.2 …und neue Technologien Das Instrument der Beschäftigungsbewilligung mitsamt den mit ihr verbundenen administrativen Verfahren, Fremdenpolizeigesetz und Paßgesetz, zwischenstaatliche Abkommen etc.: Die Kontingentvereinbarungen der Sozialpartner konnten auf einem komplexen Regulationssystem aufbauen. Nachdem der erste Vorstoß der Paritätischen Kommission im Jahr 1960 (siehe Kapitel 5.2) zur Ausarbeitung eines neuen Gesetzes zur Ausländerbeschäftigung gescheitert war, musste in diesem bestehenden Rahmen gearbeitet werden. Zur Etablierung des Gastarbeitsregimes waren allerdings auch nur zwei Neuerungen nötig: erstens ein System, das die mühsamen Einzelbewilligungsverfahren zu umgehen half, zweitens Maßnahmen zur tatsächlichen Anwerbung von Arbeitskräften. Als Antwort auf die erste Herausforderung wurden die sogenannten Kontingentvereinbarungen getroffen, für das zweite Problem wurde ein System von Anwerbestellen entwickelt. Keine dieser Maßnahmen markiert einen fundamentalen Bruch, beide waren ohne große Schwierigkeiten zu entwerfen und zu etablieren. Die tatsächliche Änderung, die die GastarbeiterInnenkontingente brachten, war marginal: Die Kontingente bedeuteten nur, dass für eine von den Sozialpartnern festgesetzte

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Das Gastarbeitsregime

Zahl von Beschäftigungsbewilligungen die Einzelfallprüfung entfallen konnte. Entsprechend wurden die ersten Kontingente auch eher für schon in Österreich beschäftigte Arbeitskräfte genutzt, die bei Verlängerung ihrer Beschäftigung über das deutlich weniger aufwendige Kontingent statt über das Einzelgenehmigungsverfahren abgewickelt wurden (WiFo 1963; Butschek/Walterskirchen 1974). Zum ersten Mal trafen die Sozialpartner im Rahmen des Raab-Olah-Abkommens (1961) eine Kontingentvereinbarung, in der sie eine Gesamtzahl von 47.000 erleichterten Bewilligungen festlegten. Gesetzliche Grundlage dafür hatten sie eigentlich keine, das Sozialministerium akzeptierte ihre Empfehlungen aber und gab diese an die ihm unterstehenden Arbeitsämter weiter. Die Kontingentlösung wurde ab 1962 von Jahr zu Jahr verlängert, bei ständiger Steigerung der Kontingentzahlen. Im Detail waren die Kontingentvorgaben komplex und nach Berufsgruppe und Region differenziert. So kamen 176 Einzelkontingente zustande, von denen 30 weniger als 10 Personen ausmachten, das größte Kontingent für eine Branche pro Bundesland betrug 1.900 (WiFo 1963, 412). In der Theorie hätten die Kontingente auf diese Art eine optimale Abstimmung von Bevölkerung, Arbeitsmarkt und Wirtschaftsabläufen gewährleisten sollen. Die Kontingente waren trotz ihrer Ausdifferenzierung letztlich aber nicht primär eine Form, die Verteilung migrantischer Arbeitskräfte zwischen Branchen und Regionen zu organisieren, diese wurde vielmehr »durch die Nachfrage der Unternehmen« (Sari 1988, 103) geregelt und verlief, wie wiederholt diagnostiziert, schon früh an den offiziellen Kanälen vorbei (Butschek/Walterskirchen 1974). Sehr wohl waren sie aber ein Kanal der politischen Aushandlung und dienten als Spiegel der Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung wie auch als Einsatz in Verhandlungen. So knüpfte der ÖGB seine Zustimmung zur Verlängerung der Kontingente 1963 an eine neue allgemeine Überstundenregelung. Real bedeutete die Kontingentregelung daher an erster Stelle eine Verschiebung von Kompetenzen von der Arbeitsmarktverwaltung – die für die Einzelfallprüfungen zuständig war – zu den Sozialpartnern – die untereinander die Kontingente verhandelten. Das vorhandene migrationspolitische Instrumentarium wurde damit direkt in die oben skizzierten politischen Foren integriert. Die tatsächlich vereinbarten Kontingente verloren dabei zusehends an Bedeutung, »wirtschaftliche, nicht institutionelle Faktoren« determinierten die tatsächlichen Migrationspraktiken (Wimmer 1986b, 12) – als Verhandlungsgegenstand symbolischer Politik blieben sie aber relevant. Neben der Verschiebung in den Zuständigkeitsbereich der Sozialpartner sind die Kontingentvereinbarungen in einer weiteren Hinsicht analytisch interessant, und zwar aufgrund der Begleitvereinbarungen zu den Kontingenten. Diese nahmen wesentliche Eckpunkte des am Ende der Gastarbeitsära verabschiede-

Kontingente, Bewilligungen, Abkommen

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ten Ausländerbeschäftigungsgesetzes und späterer Neuregelungen vorweg. So wurde etwa festgelegt, dass GastarbeiterInnen nicht auf Arbeitsplätzen streikender ArbeiterInnen eingesetzt werden durften (wohl aber durften sie während eines Streiks innerhalb des Unternehmens in eine unbestreikte Abteilung verschoben werden) oder dass das beschäftigende Unternehmen für ortsübliche Unterkünfte zu sorgen hatte. Für einzelne Branchen wurden Sondervereinbarungen getroffen, etwa Höchstzahlen für die Baubranche (höchstens 50 Prozent der Gesamtbelegschaft durften ausländische ArbeitnehmerInnen sein) oder für die Chemie- und Kunststoffindustrie (10 Prozent). Im Flugwesen durften GastarbeiterInnen nur als leitendes oder Schulungspersonal eingesetzt werden. Die Vereinbarungen enthielten auch Regelungen zur Sicherstellung der Rückreise, die im Normalfall vom Unternehmen zu finanzieren war, und zum »Schutz vor ansteckenden Krankheiten«. Schließlich buchstabierten sie den »Inländerschutz« neu als Inländerprimat aus: Im Falle eines Stellenabbaus war ausländischen ArbeitnehmerInnen zuerst zu kündigen (WiFo 1963, 411 – 412). Aus migrationspolitischer Sicht sind diese Zusatzvereinbarungen und die Funktionsweise des Instruments der Beschäftigungsbewilligung entscheidend, weniger die konkret vereinbarten Kontingentzahlen. Diese beiden Faktoren determinierten die Form der Arbeitsmarktintegration ebenso wie Art und Ausmaß der Reduktion auf Waren- und Objektstatus. Erst durch sie wurde das Gastarbeitsregime zur wirkmächtigen Institution, die tatsächlich die Entstehung eines ethnisch segmentierten Arbeitsmarktes oder, ab Mitte der 1970er-Jahre, den Export von Arbeitslosigkeit und Krisenkosten erlaubte. Die Kontingentverhandlungen waren also im wirtschaftspolitischen Spiel der Interessen doppelt bedeutsam, weil sie die Positionierung migrantischer Arbeitskräfte strukturierte und in sozialpartnerschaftlichen Verhandlungsrunden als Einsatz wie als Spiegel der Interessenslagen dienten. Weniger bedeutsam waren sie für die Migrationszahlen selbst, die sie ja eigentlich hätten regeln sollen. Für diese war gerade in den Anfangsjahren eine zweite institutionelle Neuerung relevanter – die organisierte Anwerbung von Arbeitskräften. Diese blieb der Wirtschaftskammer überlassen, die mit der ab 1. Februar 1962 tätigen »Arbeitsgemeinschaft für die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte« aktiv die Rekrutierung migrantischer ArbeiterInnen zu organisieren versuchte. Die Anwerbung wurde in zwischenstaatlichen Anwerbeabkommen geregelt und über Anwerbestellen in den Entsendeländern organisiert. Die Anwerbeabkommen gaben die Bedingungen der Auswahl, der Beschäftigung und Beförderung der Arbeitskräfte vor (Sari 1988, 53). Das erste Anwerbeabkommen wurde 1962 mit Spanien, das zweite 1964 mit der Türkei und das dritte 1966 mit Jugoslawien abgeschlossen. 1970 folgte eines mit Tunesien, das aber real ebenso wenig bedeutsam wurde wie das mit Spanien. Die verschiedenen Anwerbeabkommen unterschieden sich im Detail und wurden über die Zeit durch zusätzliche Ver-

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Das Gastarbeitsregime

einbarungen ergänzt. So schloss die Wirtschaftskammer beispielsweise 1973 mit Jugoslawien ein Rahmenabkommen über die Fachausbildung in einigen Bauberufen, das Unterrichtsmaterial dazu sollte von der Bundeswirtschaftskammer kommen (Matuschek 1985, 170)62. Die österreichischen Anwerbestellen sollten nie die Bedeutung erlangen, wie sie etwa ihren deutschen Pendants für das Gastarbeitsregime der BRD zukam. Ihre Aufgabe bestand vor allem darin, sich mit den lokalen Arbeitsmarktverwaltungen kurzzuschließen und eine Vorselektion der Arbeitskräfte vorzunehmen. Das beinhaltete die Überprüfung der »körperlichen und geistigen Gesundheit«. Im Gegensatz zum deutschen Anwerbesystem unterstanden die Anwerbestellen direkt der Wirtschaftskammer und nicht dem Ministerium. Nicht zuletzt aufgrund der hohen Spesen (rund 1.000 Schilling pro Arbeitskraft) und wegen des damit verbundenen Verwaltungsaufwands verloren die Anwerbestellen mit der Zeit an Bedeutung. Andere Kanäle wie die Rekrutierung von Familienangehörigen, für die den GastarbeiterInnen von den Unternehmen meist eine Kopfprämie gezahlt wurde (Parnreiter 1994, 121), die Beschäftigung von als TouristInnen eingereisten Arbeitskräften oder die einfache Rekrutierung von offiziell mit zur Arbeitssuche legitimierenden Sichtvermerk eingereisten MigrantInnen gewannen die Überhand (Mayer 2009, 34 – 35).

5.3.3 Differenzielle Entrechtung als »capability« Gastarbeit war insofern unproblematisch, als die Form des gesellschaftlichen Problementwurfs und die bereits vorhandenen Mittel zur praktischen Umsetzung einer als akzeptabel empfundenen Problemlösung einander entsprachen63. Das Gastarbeitsregime war aber – und das ist analytisch wesentlich – nichtsdestotrotz voraussetzungsreich. Es funktionierte auf der Grundlage eines Gefüges von Gesetzen, Institutionen und Verwaltungsabläufen, das es erlaubte, GastarbeiterInnen als ganz spezifische Form der Ware Arbeitskraft in den nationalen Arbeitsmarkt zu integrieren. Diese spezifische Arbeitsmarktintegration ging vor allem mit einer differenziellen Entrechtung der migrantischen ArbeitnehmerInnen einher. Das betraf, der Systematik von Marshall (1950/1992) zufolge mehrere Rechte: soziale (Anspruch auf Arbeitslosenzahlungen und Notstandshilfe, auf Sozialhilfe etc.), politische (bis hin zur Versammlungsfrei62 Diese Episode verweist auf einen zentralen, aber selten diskutierten Punkt der GastarbeiterInnenbeschäftigung: die Ausbildungskosten, die das »Gastland« spart. Parnreiter (1994, 135 – 136) macht darauf aufmerksam, dass der so zustande gekommene Export von »Humankapital« den Wert der Rücküberweisungen durch GastarbeiterInnen übertraf. 63 Das stille und wenig weiteres Aufsehen erregende Scheitern einer gesetzlichen Neukodifizierung der Ausländerbeschäftigung ist ein Indiz dafür.

Kontingente, Bewilligungen, Abkommen

159

heit) und grundlegende bürgerliche Rechte – Beispiele sind die Beschränkung der Bewegungsfreiheit und der Vertragsfreiheit durch die Bindung an einen einzelnen Arbeitgeber. Im Hintergrund bewirkte das Regime des Fremdenpolizeigesetzes die ständige Ausweisungsdrohung und damit die Grundzüge eines Deportationsregimes (de Genova 2010). Eine so weitgehende Entrechtung ist nicht selbstverständlich, sondern musste erst im Zuge gesellschaftlicher (Klassifikations-)Kämpfe etabliert werden. Einmal etabliert, erlaubten diese Entrechtungsmechanismen Formen der utilitaristischen Kosten-Nutzen-Kalkulation und ihrer Umsetzung in konkrete Migrationspolitik, die ohne sie undenkbar gewesen wären. Erst auf dieser Grundlage konnte etwa das WiFo (1962) die fehlende Bewegungs- und Arbeitsmarktfreiheit wie auch den Export von Arbeitslosigkeit positiv gewendet als nutzenmaximierende Faktoren ins Spiel bringen, und Wimmer (1986b, 17) von einer »positiven Kostenbilanz« für das Sozialsystem sprechen, die aufgrund nicht gewährter sozialer Rechte möglich war. Wo aber kamen die für die ökonomisierten Gastarbeiterprogramme nötigen politischen Technologien her? Immerhin müssen diese als »Errungenschaften« verstanden werden; sie sind Capabilities in der von Sassen (2008) definierten Bedeutung. Auf diskursiver Ebene setzten diese Instrumente voraus, dass die rechtliche Differenzierung nach nationalen Kriterien zentrales Element etablierter Deutungs- und Bewertungsschemata war. Auch das war nicht selbstverständlich, sondern der Ergebnis von Deutungskämpfen, als deren Resultat »gesetzlich ein institutioneller Unterschied zwischen seßhafter und gewanderter Arbeitskraft etabliert« wurde (Parnreiter 1994, 68). Im folgenden Kapitel wird der Kontext, in dem die wesentlichen politischen Technologien des Gastarbeitsregimes etabliert wurden, dargestellt: die Verabschiedung des Inlandarbeiterschutzgesetzes Mitte der 1920er-Jahre.

6

Das Inlandarbeiterschutzgesetz 1925: Arbeitsmarktregulation zwischen Deutschtum und Wirtschaftskrise

Das im Dezember 1925 verabschiedete Inlandarbeiterschutzgesetz ist ein Meilenstein in der Entwicklung des österreichischen Migrationsregimes. Eigentlich als vorübergehende Notstandsmaßnahme deklariert, war es 16 Jahre lang in Kraft, bevor es von der (reichs-)deutschen »Verordnung über ausländische Arbeitnehmer« abgelöst wurde, die bis 1975 den rechtlichen Rahmen der Arbeitsmigration nach Österreich bilden sollte. Für die Analyse des österreichischen Migrations- und Grenzregimes verdient die Einführung des Inlandarbeiterschutzgesetzes aus zwei Gründen Aufmerksamkeit. Erstens wurden mit ihm administrative Abläufe und Instrumentarien eingeführt, die für die Steuerung und Regelung von Migrationsphänomenen bis heute von Bedeutung sind. Das Inlandarbeiterschutzgesetz war auch zum damaligen Zeitpunkt nicht das einzige migrationspolitische Steuerungsinstrument – schon die Habsburger Monarchie kannte Schubwesen und Einreisesichtvermerke zur Regulierung von Bevölkerungsbewegungen –, es brachte aber z. B. eine befristete und an das beschäftigende Unternehmen ausgestellte Beschäftigungsbewilligung. Erstmals wurde rechtlich explizit zwischen inländischer und ausländischer Arbeitskraft unterschieden, die kleinräumig organisierte »Migrationspolitik« der Monarchie wurde national organisiert und sozialpartnerschaftliche Aushandlungsprozesse wurden direkt in die Migrationssteuerung integriert. Insofern war das Inlandarbeiterschutzgesetz ein wichtiger Schritt zur Etablierung eines »modernen« Migrationsregimes. Zweitens sind die Diskussionen rund um das Inlandarbeiterschutzgesetz ein markanter Punkt der Problematisierung, an dem zentrale, zum Teil auch widersprüchliche Aspekte einer politischen Rationalität zum Ausdruck kommen, die der Regierungslogik bürgerlich-liberaler Nationalstaaten entsprechen und mit neuen Formen der gleichzeitigen Regulation von Migrations- und Arbeitsmarktverhältnissen einhergehen. Die migrationspolitischen Entwicklung der 1920er-Jahre sind also schon alleine deswegen relevant, weil sich in ihnen zentrale Elemente, die in den darauffolgenden Jahrzehnten die österreichische Migrationspolitik und allen voran

162

Das Inlandarbeiterschutzgesetz 1925

das Gastarbeitsregime prägen sollten, endgültig durchsetzen. Umso erstaunlicher ist, dass für den österreichischen Kontext dem Inlandarbeiterschutzgesetz wie generell den migrationspolitischen Entwicklungen der Zwischenkriegszeit kaum Beachtung geschenkt wird. So widmet etwa Bauböck (1996) dem Inlandarbeiterschutzgesetz nicht mehr als zwei Sätze. Noch 1998 konnte SensenigDabbous (1998, 12) feststellen, dass es kaum eine systematische Aufarbeitung der migrationspolitischen Entwicklungen der Ersten Republik und des austrofaschistischen Ständestaates gibt. Daran hat sich seither wenig geändert.

6.1

Ausnahmesituation oder strukturelle Notwendigkeit?

Mit späteren fundamentalen Änderungen der gesetzlichen Einwanderungs- und Aufenthaltsbestimmungen verbindet das Inlandarbeiterschutzgesetz, dass es als durch eine außergewöhnliche Bedrohungslage bedingtes Ausnahmegesetz präsentiert wurde – und sogar explizit zu einem solchen deklariert wurde, indem es einer bedingten zeitlichen Befristung unterstellt wurde: »§ 1. Für die Dauer der außerordentlichen Arbeitslosigkeit im Bundesgebiete werden zum Schutze des inländischen Arbeitsmarktes die in den nachstehenden Paragraphen enthaltenen Bestimmungen getroffen.« In der seine Einführung begleitenden Parlamentsdebatte wurde es als unumgängliche Reaktion auf die migrationspolitischen Verschärfungen anderer industrialisierter Staaten präsentiert. Hohe Arbeitslosenzahlen bei schlechter Konjunkturlage und gleichzeitiger fehlender Bewegungsfreiheit für österreichische Arbeitskräfte als Folge der Abschottungspolitik anderer Staaten erforderten, so die Argumentation, Schutzmaßnahmen für die eigene Bevölkerung. Den wiederholten Beteuerungen seines absoluten Ausnahmecharakters zum Trotz kann das Inlandarbeiterschutzgesetz aber nicht als simple Reaktion auf zufällige Vorkommnisse verstanden werden. Vielmehr ist es Ausdruck struktureller Veränderungen im globalen politischen und wirtschaftlichen Gefüge. In Anlehnung an Overbeek (1995, 16 – 21), der Fernand Braudels Unterscheidung verschiedener Zeitebenen aufgreift: Das Inlandarbeiterschutzgesetz ist nicht einfach eine Reaktion auf Ereignisse – also auf der Ebene des ¦vÀnement zu analysieren –, sondern ein Element in der Veränderung allgemeinerer struktureller Konfigurationen (auf der Ebene der conjuncture). Seine Verabschiedung muss vor dem Hintergrund globaler sozialer, politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen gesehen werden. Die Zeit des Ersten Weltkriegs und vor allem die Jahre danach waren in praktisch allen Industriestaaten von protektionistischen Abschottungstendenzen geprägt, die ihre Ursache in einer Kombination aus wirtschaftlichen Problemen, identitätspolitischen Debatten und der Furcht der herrschenden Eliten

Ausnahmesituation oder strukturelle Notwendigkeit?

163

davor hatten, dass der Funken der Russischen Revolution auch auf andere Länder überspringen könnte. Speziell in Mittel- und Osteuropa spielten die wirtschaftlichen Verwerfungen mit komplexen territorialen Verschiebungen, zum Teil bürgerkriegsähnlichen sozialen Auseinandersetzungen sowie ethnisch kodierten Konflikten zusammen, die mit der Formierung neuer Nationalstaaten verbunden waren. Noiriel (1994, 75) spricht von einem »Nationalisierungsprozess der Gesellschaft«, der »für das tägliche Dasein« der Menschen tiefgreifende Veränderungen brachte. In migrationspolitischen Belangen schlug sich die Kombination aus sozialen Spannungen und Nationalismus in einem Grundmuster nieder, das in praktisch allen Industriestaaten zu beobachten war : Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurden restriktive Maßnahmen zur Kontrolle und Beschränkung von Einwanderungsbewegungen ergriffen, die während des Ersten Weltkriegs und in den Nachkriegsjahren fortgeführt, ausdifferenziert und ausgeweitet wurden. In den USA wurde 1924 ein rigides Quotensystem eingeführt, das strikt nach national-ethnischen Kriterien selektierte. Dieser National Origin Act stand ganz in der Tradition des Chinese Exclusion Act aus dem Krisenjahr 1882 und verfestigte kurz nach dem Weltkrieg getroffene Restriktionen (Zolberg 2008, 243 – 245). In Großbritannien wurde 1919 der Aliens Restrictions Act verabschiedet, der u. a. die »Förderung sozialer Unruhe« durch MigrantInnen zu einem Kriminaldelikt erklärte und Befugnisse des Home Secretary ausdehnte, die die Einreise, Beschäftigung und Abschiebung von MigrantInnen betrafen. Auch in Großbritannien wurde damit eine restriktive Politik fortgeführt, die schon 1905 mit dem Aliens Act begonnen hatte (Sales 2007, 131 – 137). In Frankreich wurde 1926 ein »Gesetz über den Schutz des nationalen Arbeitsmarktes« erlassen, das ganz dem Geist vorangegangener sozial- und arbeitsrechtlicher Differenzierungen nach nationalen Leitlinien entsprach (Noiriel 1994, 71 – 72). Auch in Deutschland wurde mit dem Arbeitsnachweisgesetz von 1922 die Beschäftigung migrantischer Arbeitskräfte in allen Wirtschaftsbereichen mit Ausnahme der Landwirtschaft deutlich restringiert, zusätzlich führten der nach dem Weltkrieg beibehaltene Legitimationszwang und der 1923 verabschiedete Erlass über die »Ausweisung lästiger Ausländer« zu aufenthaltsrechtlichen Beschränkungen (Herbert 2001, 120).64 Das Inlandarbeiterschutzgesetz (IASchG) kann demnach als (relativ späte) Realisierung einer internationalen Entwicklung gelesen werden. Es markiert eine neuartige Form der Migrationsregulation, die das Ergebnis gesellschaftlicher Transformationsprozesse ist. Die Betonung des Ausnahmecharakters ist Ausdruck der mit diesen Prozessen verbundenen Brüche und Widersprüche. Die versicherheitlichte Ausnahmesituation ermöglichte es, Maßnahmen durchzu64 Für eine Übersicht zu Einreisebeschränkungen auch in den Staaten des ehemaligen Habsburger Reichs siehe Pelz (1994, 78 – 79) sowie Rager (1926, 9 – 14).

164

Das Inlandarbeiterschutzgesetz 1925

setzen, die davor als undenkbar oder illegitim gegolten hatten, aufgrund politisch-ökonomischer Entwicklungen aber notwendig geworden waren65. Der Ausnahmecharakter kann, für die bürgerliche Seite des politischen Spektrums, als Konsequenz der grundlegenden Spannung zwischen Sicherheit und Liberalismus im kapitalistischen Nationalstaat verstanden werden (Huysmans 2006; Zolberg 1991): Dem grundlegenden Wunsch nach weitest gehender Freizügigkeit am Arbeitsmarkt stehen nationale Sicherheitsbestrebungen gegenüber, die einerseits die Herstellung und Sicherung des sozialen Friedens und andererseits mit Migrations- und Fluchtbewegungen der Zeit verbundene Gefahren betreffen. Auf sozialdemokratischer Seite markiert das Inlandarbeiterschutzgesetz einen Bruch zwischen dem lange Zeit proklamierten Prinzip der maximalen Freizügigkeit für ArbeiterInnen und dem gegen andere Strömungen der ArbeiterInnenbewegung durchgesetzten Postulat, zunächst vor allem den Schutz der nationalen Arbeiterschaft sicherzustellen. Die Forderung nach Freizügigkeit ist das Erbe des Kampfes gegen Emigrationsbeschränkungen in der Zeit der Habsburger Monarchie und spiegelt den ursprünglichen Internationalismus der ArbeiterInnenbewegung wider. Dieses internationalistische Bekenntnis ist mit einer strategischen Ausrichtung auf nationale Politikgestaltung, wie sie für die sozialdemokratischen Parteien der Zwischenkriegszeit charakteristisch ist, schwer zu vereinbaren. Der sich aus dieser Spannung ergebende Bruch macht eine Betonung des kritischen Ausnahmecharakters der Situation notwendig. In der Parlamentsdebatte, die der Verabschiedung des Inlandarbeiterschutzgesetzes vorausging (wie auch abseits davon, siehe z. B. Rager 1926, 1 – 8), wurde dieser entsprechend unablässig hervorgehoben. Alle drei Reden von sozialdemokratischen Abgeordneten beginnen mit Beteuerungen und Erklärungen dafür, warum »für diese Zeit der außerordentlichen Not auch außerordentliche Notstandsmaßnahmen«66 getroffen werden müssen: Wenn ich als Redner der sozialdemokratischen Partei zu diesem Gesetze Stellung nehme, muß ich, um allen Unterschiebungen und falschen Auslegungen vorzubeugen, die Erklärung abgeben, daß wir diesem Gesetze nicht sympathisch gegenüberstehen, weil es unserem Grundsatz der Freizügigkeit widerspricht. Wenn wir uns dazu hergegeben haben, an diesem Gesetze mitzuarbeiten, so haben wir dies nur deshalb getan,

65 In Österreich kam nach dem Ersten Weltkrieg ein weiterer Faktor hinzu: die Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen von Saint-Germain und Versaille ergaben und ein behutsames Vorgehen der österreichischen Politik erforderten (Pelz 1994). Die Parallele zu internationalen Entwicklungen und die Dauerhaftigkeit der gefundenen Lösung sprechen aber dafür, dass grundlegendere strukturelle Faktoren ausschlaggebend waren. 66 Abg. Bauer (SPÖ), Debatte zum Inlandarbeiterschutzgesetz, II. Gesetzgebungsperiode, 130. Sitzung, Dezember 1925.

Ausnahmesituation oder strukturelle Notwendigkeit?

165

weil wir unter dem Druck einer ungeheuren Arbeitslosigkeit stehen und weil auch eine Anzahl unserer Nachbarstaaten ähnliche Maßnahmen getroffen [hat].67

Das IASchG ist eine von spezifischen politischen Rationalitäten geprägte Antwort auf eine für die Zeit charakteristische doppelte Herausforderung, die nach neuartigen Antworten verlangte: eine Kombination aus nationaler und sozialer Frage. Die wirtschaftliche Lage nach dem Ersten Weltkrieg war von hohen Inflationsraten, komplexen wirtschaftlichen Verflechtungen und Disparitäten vor allem zwischen den Nachfolgestaaten der Monarchie und – phasenweise – hohen Arbeitslosenzahlen geprägt (Pelz 1994, 6 – 9). Das Inlandarbeiterschutzgesetz ist eine »rationale« Antwort auf diese Herausforderungen, wobei »›[r]ational‹ […] in diesem Sinn nur die Übereinstimmung von Regeln, Verfahren, Denkformen etc. mit einer Gesamtheit von Bedingungen, unter denen es zu einem gegebenen Zeitpunkt möglich ist, bestimmte Probleme zu behandeln« meint (Lemke 1997, 146). Es ist Ausdruck einer politischen Rationalität, die es erlaubt, »ein Problem zu stellen«, und die »bestimmte Lösungs- und Bearbeitungsstrategien für dieses Problem« bietet – einer politischen Rationalität, die grundlegende Prinzipien liberaler Regierungskunst national kodiert. Die geforderten neuen Regierungstechnologien markieren einen Bruch zu davor etablierten Formen der Regulation. Als in diesem Sinn weitreichende Neuerungen konnten sie nur in einem Kontext durchgesetzt werden, der, als Ausnahmesituation konstruiert, Sicherheitsmaßnahmen zu erfordern schien. Die wesentliche Neuerung lag den öffentlichen Darstellungen zum Trotz weniger in der Abschottung des Arbeitsmarktes als in einer Neuorganisation der Regulation der Arbeitsmigration, die für die Migrationspolitik der folgenden Jahrzehnte prägend sein sollte68 : Die Regulation bestimmter Formen der Migration wurde unmittelbar zum Gegenstand von Aushandlungsprozessen zwischen Unternehmensverbänden und ArbeiterInnenvertreterInnen. Damit eröffnete sich ein neues Feld strategischen Handelns für Unternehmensverbände und Gewerkschaften. Gleichzeitig wurde die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte zu einem eigenständigen Feld der Migrationspolitik: Erstmals wurde

67 Abg. Schneeberger (SPÖ), Debatte zum Inlandarbeiterschutzgesetz, II. Gesetzgebungsperiode, 130. Sitzung, Dezember 1925. 68 Dass das Inlandarbeiterschutzgesetz keinen unmittelbaren Bruch in den etablierten Praktiken der Arbeitsmigration bedeutete, weder ihr Ausmaß noch die hauptsächlich involvierten Wirtschaftsbereiche und Beschäftigungsarten betreffend, lässt sich schon an den Beschäftigungszahlen ablesen. Die Arbeiterkammer berichtet für das erste Halbjahr 1927 3.038 gemeldete ausländische Arbeitskräfte, ein deutlicher Anstieg verglichen mit 3.870 für das Gesamtjahr 1926 (dem Jahr, in dem das IASchG in Kraft getreten war) und den 4.429 für das gesamte Jahr 1925 (AK 1927, 825 – 826). Bis 1930 stieg die Zahl der registrierten ausländischen Arbeitskräfte auf 8.172, ging dann aufgrund der Wirtschaftskrise vorübergehend zurück und erreichte 1934 einen Höchstwert von 10.267 (Sensenig-Dabbous 2001).

166

Das Inlandarbeiterschutzgesetz 1925

rechtlich explizit zwischen inländischer und ausländischer Arbeitskraft differenziert.

6.2

Inlandarbeiterschutz und soziale Frage: Arbeitsmarkt im Klassenkampf ?

6.2.1 Heimatrechtliche Regulation: Steuerung der Arbeitsmigration vor dem Inlandarbeiterschutzgesetz Vor Inkrafttreten des Inlandarbeiterschutzgesetzes wurde der Arbeitsmarktzugang für ZuwanderInnen nur indirekt durch die Erteilung von Sichtvermerken sowie über das sogenannte Heimatrecht reguliert. Das Heimatrecht war an die Gemeinde gebunden und regelte u. a. die öffentliche Fürsorgepflicht. Wer in einer Gemeinde nicht heimatberechtigt war, wurde im Fall von Arbeitslosigkeit oder Bedürftigkeit abgeschoben, »[w]er Arbeit fand, der blieb. Wer keine Arbeit fand, kehrte heim« (John/Lichtblau 1990, 266 – 267). Dabei wurde nicht zwischen BinnenmigrantInnen und internationalen MigrantInnen unterschieden. Die Letztverantwortung für die Erteilung der Sichtvermerke lag beim Wanderungsamt des Bundeskanzleramtes, das in seinen Entscheidungen nicht nur sozialpolitischen, sondern – vor allem – auch geo- und sicherheitspolitischen Erwägungen folgte. Das Wanderungsamt entschied im Sinne dessen, was als staatliches Gesamtinteresse wahrgenommen wurde. Die sozialen Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit und die von ihnen ausgehenden Gefahren für den noch jungen kapitalistischen Nationalstaat waren dabei von zentraler Bedeutung und wurden entsprechend berücksichtigt69. Vor diesem Hintergrund wurde erstens der effektiven Kontrolle von Einwanderungsbewegungen und der sicherheitspolizeilichen Überwachung politisch suspekter Flüchtlinge ein hoher Stellenwert beigemessen (Heiss 1995). Zweitens wurde die weitgehend unregulierte Arbeitsmarktpolitik der vorangegangenen Jahrzehnte schrittweise durch eine aktiv eingreifende ersetzt (für einen Überblick über die nur teilweise umgesetzten Arbeitsmarktmaßnahmen siehe Pelz 1994, 10 – 21). Auch die Erteilung von Sichtvermerken wurde zusehends abhängig von der Arbeitsmarktlage ge69 Der Klassenkampf der Nachkriegszeit war im Inneren wie im Äußeren zu spüren. Wiederholt kam es zu teils militanten Streiks und Demonstrationen, die 1927 im Justizpalastbrand und Tausenden Toten aufseiten der streikenden ArbeiterInnen gipfelten. Die Arbeitskämpfe waren begleitet von einer Militarisierung, die immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen dem sozialdemokratischen Schutzbund und der konservativen Heimwehr führte und schließlich im Februar 1934 in einigen Tagen Bürgerkrieg enden sollte. Diese Ereignisse wurden international von den Geschehnissen rund um die bayrische und die ungarische Räterepublik und, vor allem, den Folgewirkungen der Oktoberrevolution gerahmt.

Inlandarbeiterschutz und soziale Frage

167

macht und entwickelte sich damit zu einem Mittel der Wahrung des Klassenfriedens und des staatlichen Gesamtinteresses (Pelz 1994, 34). Unterschiedliche Akteure versuchten, auf den Prozess der Sichtvermerkserteilung Einfluss zu nehmen, darunter Ministerien, Bürgermeister und Industrielle Bezirkskommissionen. Sozialdemokratische Verbände, allen voran die Bauarbeitergewerkschaft und die Arbeiterkammern, sowie LokalpolitikerInnen drängten dabei zusehends auf Einreisebeschränkungen (Sensenig-Dabbous 2001). Bis zum Inlandarbeiterschutzgesetz war der Einfluss der Interessensgruppen aber kein unmittelbarer, sondern Ergebnis von mehr oder weniger offiziellen Aushandlungsprozessen70. Erst mit dem Inlandarbeiterschutzgesetz und der darin festgeschriebenen Rolle für die paritätisch besetzten Industriellen Bezirkskommissionen wurde Arbeitsmigration direkt zum Gegenstand sozialpartnerschaftlicher Aushandlungen. Spätestens ab der Wirtschaftskrise 1923 war die Praxis der Sichtvermerkserteilung der österreichischen Behörden äußerst restriktiv. Obwohl es keine explizite arbeitsrechtliche Unterscheidung zwischen inländischer und ausländischer Arbeitskraft gab (Pelz 1994, 25 – 26), hatte der Staat durchaus den Spielraum zur willkürlichen Diskriminierung bestimmter Gruppen von Arbeitskräften. Dieser wurde auch genutzt: So waren österreichische Behörden Anfang der 1920er-Jahre dazu angehalten, 1.) arbeitslose ausländische Arbeitskräfte prinzipiell nachzureihen, 2.) die im Heimatrecht vorgesehenen Schubmaßnahmen rigide umzusetzen und 3.) die Verlängerung von Sichtvermerken ausländischer Arbeitskräfte abzulehnen (Sensenig-Dabbous 1998, 315 – 318). Mit der bewussten Nichtvermittlung und der strengen Ausweisungspolitik wurde de facto ein Inländerprimat formuliert, allerdings war dieses noch nicht gesetzlich festgeschrieben und erfolgte nur indirekt über die Einreisebestimmungen, nicht über einen direkten Eingriff in das Arbeitsverhältnis. Erst das Inlandarbeiterschutzgesetz machte die Beschäftigung nicht-österreichischer Arbeitskräfte bewilligungspflichtig. Mit Ausnahme von landwirtschaftlichen Dienstboten und Hilfskräften, die von der Regelung ausgenommen waren, verpflichtete die neue gesetzliche Lage Unternehmen, für ausländische Arbeitskräfte eine Beschäftigungsbewilligung zu beantragen. Diese wurde dem Unternehmen – und zwar immer befristet – nur dann ausgestellt, wenn es die Lage des Arbeitsmarktes zuließ und es keine geeigneten inländischen Arbeits70 Steirische Arbeitsmarktbehörden, unter ihnen die paritätisch besetzten Industriellen Bezirkskommissionen, hatten schon 1920 die Entscheidungsbefugnis über Einreisebewilligungen gefordert, allerdings zu diesem Zeitpunkt, um eine beschleunigte Beschäftigung »dringend benötigter Agrar- und Bauarbeiter für die unmittelbar bevorstehende Anbaubzw. Bausaison« zu gewährleisten (Sensenig-Dabbous 1998, 305). Auch die Arbeiterkammer forderte schon 1923 die Schaffung einer paritätischen Einwanderungskommission (Rager 1926).

168

Das Inlandarbeiterschutzgesetz 1925

kräfte gab. Die Bewilligung erfolgte durch das Bundeskanzleramt, allerdings wurden u. a. die paritätisch besetzten Industriellen Bezirkskommissionen in den Prozess eingebunden. Sie konnten z. B. ablehnende Bescheide erlassen, nicht aber positive. Das Gesetz fand auf alle Nicht-StaatsbürgerInnen Anwendung, die keinen zumindest bis zum 1. Jänner 1923 zurückreichenden, durchgängigen Aufenthalt in Österreich nachweisen konnten (Rager 1926). Die Verknüpfung von staatlichem Gesamtinteresse und den strategischen Handlungen »partikularer« nationaler Interessensverbände im Inlandarbeiterschutzgesetz schlug sich in einer institutionellen Doppelstruktur nieder : Die Letztentscheidung über die Erteilung der Beschäftigungsbewilligung lag beim Bundeskanzleramt, das allerdings nur mit schon von den Industriellen Bezirkskommissionen diskutierten Anträgen konfrontiert wurde.

6.2.2 Der Kampf um die Kontrolle Die direkte Einbindung von Interessensverbänden in die Migrationskontrolle erstmals zu institutionalisieren, kann als einer der wesentlichen, dauerhaften Effekte des Inlandarbeiterschutzgesetzes gesehen werden. Der zentrale Stellenwert dieser Reorganisation schlug sich auch in der parlamentarischen Verhandlung nieder – die Frage der Kontrolle über die Erteilung der Beschäftigungsbewilligung war heftig umstritten. Anlass der Diskussion war die Ausnahmeregelung für landwirtschaftliche Arbeitskräfte, die (in einem festzusetzenden Rahmen) von der Einzelbewilligungspflicht ausgenommen waren. De facto bedeutete das eine erleichterte Beschäftigung für landwirtschaftliche ArbeiterInnen. Mit dem Inlandarbeiterschutzgesetz wurde die bisherige Form der Regulierung aufgehoben, im Fall der Landwirtschaft aber durch keine neue ersetzt: Die scheinen zu glauben, es handle sich hier um etwas Neues, und was da geschehe sei nur, daß man den landwirtschaftlichen Arbeitern einen neuen Schutz nicht gibt. Das ist ein Irrtum. Es handelt sich darum, daß durch die Fassung, die Sie dem Gesetze geben wollen, den landwirtschaftlichen Arbeitern ein Schutz, den sie schon haben, genommen werden soll. Denn wenn wir auch bisher kein Inländer-Arbeiterschutzgesetz gehabt haben, so hat doch schon jetzt das Wanderungsamt praktisch die Einwanderung der ausländischen Arbeiter beschränkt, ohne die Grundlage eines solchen Gesetzes.71

Die wesentliche Frage ist damit nicht, ob die Arbeitsmigration überhaupt beschränkt werden kann oder soll – das war schon davor der Fall. Die Frage ist, wer in den Regulationsprozess eingebunden wird: »Soll das an eine Bewilligung 71 Abg. Bauer (SPÖ), Debatte zum Inlandarbeiterschutzgesetz, II. Gesetzgebungsperiode, 130. Sitzung, Dezember 1925.

Inlandarbeiterschutz und soziale Frage

169

geknüpft sein oder soll der landwirtschaftliche Arbeitgeber ohne jede behördliche Kontrolle Ausländer anstellen können?«. Und über diese Bewilligung sollten, so Bauer weiter, Berufsverbände mitentscheiden können: »Was wir wollen, ist ja nicht, daß man dem Bauer, nicht einmal daß man den Herren Strakosch, Löw und Konsorten [beide namentlich genannten Personen sind jüdische Großgrundbesitzer] verbietet, Wanderarbeiter zu beschäftigen, sondern nur, daß man eine Kontrollmöglichkeit darüber hat, daß das nicht zur planmäßigen Verdrängung der einheimischen Arbeiter führt.« Mit der personalisierten, aber an das Unternehmen erteilten Beschäftigungsbewilligung wurde ein Instrument etabliert, das die entsprechenden Kontrollprozeduren unter Berücksichtigung lokaler Arbeitsmarktverhältnisse, aber auch aktueller Kräfteverhältnisse zwischen den Verhandelnden durchzuführen erlaubte. Mit dem Inlandarbeiterschutzgesetz veränderte sich damit das strategische Setting vor allem für Gewerkschaften und sozialdemokratische Verbände. Allerdings war die Einbindung über die paritätischen Kommissionen noch nicht gleichbedeutend mit einem realen Einfluss auf die Kontrolle der Arbeitsmigration; diese blieb von regionalen und nationalen Kräfteverhältnissen und dem damit verbundenen Einfluss auf staatliche Verwaltungsapparate verbunden. Das neue Regulativ ließ damit Raum für strategisches Handeln, der sich nicht direkt aus dem Gesetzestext ergab, sondern von den in der Implementierung involvierten Akteuren mitgestaltet wurde. Zahlreiche Unternehmen scheinen nach Umgehungstaktiken gesucht und diese auch gefunden zu haben: Nun gibt es gewiß in fast allen Berufen Spezialarbeiter, was auf die Arbeitsteilung zurückzuführen ist, aber es wird doch niemand [sic], der die Arbeitsverhältnisse kennt, einfallen, etwa folgende Beschäftigungen als ›Spezialarbeit‹ zu bezeichnen: Abwascherin, Halbtagsbedienerin, Schinkenköchin, Kastanienbrater, Mörtelmischer, Lumpen- oder Saitlingssortierer, Wagenwascher oder Ziegelablader. […] Besonders schlau dünken sich wahrscheinlich jene Unternehmer, die unter anderem auch Arbeiter folgender Beschaffenheit anfordern: Fleischhauergehilfe und Landarbeiter, Schmiedgehilfe und Feldarbeiter, oder gar neben dem Hauptberuf anführen: Inkassant, Stellvertreter des Unternehmers, Geschäftsführer oder zwecks Übernahme des Geschäfts. (AK 1927, 377)

Zu den Strategien, die Unternehmen zur Umgehung der lästigen und unsicheren Bewilligungsprozedur blieben, zählte auch die Beschäftigung von Volontären und Praktikanten (AK 1927, 377 – 378, 453 – 454). Die Umgehungsversuche wurden auch dadurch erleichtert, dass die Handhabung der Strafbestimmungen eher lasch gewesen sein dürfte. Die Kontroll- und Bestrafungsbefugnis lag bei der Polizei, der in der Flüchtlings- und Migrationspolitik der Zwischenkriegszeit eine zentrale und relativ eigenständige Rolle zukam (Heiss 1995, 96 – 101). Die Arbeiterkammer berichtet, dass sich der übliche Strafrahmen im Bereich von 0,5

170

Das Inlandarbeiterschutzgesetz 1925

bis 1 Prozent des vorgesehenen Höchstrahmens von 1.000 Schilling bewegt habe (AK 1927, 784 – 785, 824 – 825): Es ist klar, daß unter diesen Umständen berechtigte Bedenken an die [sic] Objektivität und die Eignung der Bundespolizeibehörde besonders zur Handhabung der Strafgewalt in rein sozialpolitischen Angelegenheiten, wie zum Beispiel beim Inlandarbeiterschutzgesetz, auftauchen müssen. (AK 1927, 825)

Der prinzipiellen Logik des Inlandarbeiterschutzgesetzes war wohl unter anderem deshalb eine so lange Karriere beschieden, weil es eine neue Möglichkeit der Regulation von Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt schuf, die für Arbeitnehmer- wie Arbeitgeberseite akzeptabel war. Die prinzipielle marktwirtschaftliche Logik wurde mit dem Inlandarbeiterschutzgesetz nicht ausgehebelt. Es wurde aber eine Möglichkeit der angebotsseitigen Reglementierung des Arbeitsmarktes institutionalisiert – eine mögliche Strategie des Eingreifens in Marktmechanismen unter anderen (wie etwa Arbeitszeitverkürzung) – eine Möglichkeit, die national selektiv war. Sie setzte die Durchsetzung entsprechender Vorstellungen nationaler Zugehörigkeit voraus, die in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg gerade in den Nachfolgestaaten der Habsburger Monarchie alles andere als selbstverständlich waren. Das Inlandarbeiterschutzgesetz trägt den Stempel der Überzeugungen und Vorstellungen, die den Prozess der österreichischen »Nationenwerdung« geprägt haben. Es ist das Resultat der Durchsetzung einer nationalen Logik und der Institutionalisierung nationalstaatlich organisierter Kontroll- und Steuerungsmechanismen und markiert damit auch in dieser Hinsicht einen bedeutenden migrationspolitischen Wendepunkt.

6.3

Die nationale Frage – oder die Furcht vor der Slowakisierung

6.3.1 Vom Großreich der Kleinräume zur Nation Für die Nachfolgestaaten der Habsburger Monarchie bedeutete die Zeit nach 1918 eine Phase der konfliktbehafteten Aushandlung von nationalen Identitäten. In Österreich war die nationale Frage gezeichnet von den Verhältnissen in und zwischen den Nachfolgestaaten, einem großteils negativen Bezug zur ehemaligen Monarchie, starken antisemitischen Strömungen (wie sie auch in anderen europäischen Staaten festzustellen waren) und einer Betonung des deutschen Charakters der neuen Republik. In akademischen Debatten zur Frage der Herausbildung einer nationalen Identität in Österreich herrscht die Auffassung vor, dass sich die Idee einer spezifisch österreichischen Nation erst im Lauf der Jahrzehnte nach dem

Die nationale Frage – oder die Furcht vor der Slowakisierung

171

Zweiten Weltkrieg ausgebildet hat. In der Ersten Republik habe demgegenüber die Skepsis gegenüber dem neu entstandenen Kleinstaat dominiert, der in dieser Form für »nicht lebensfähig« befunden wurde (Frölich-Steffen 2003, 40 – 41). Als eine seiner ersten Entscheidungen erklärte der österreichische Nationalrat, entgegen den üblichen Vorstellungen einer Nationsgründung, den neuen Staat für abhängig: Österreich sei Teil von Deutschland (Langer 1999, 158). Die Dominanz der Vorstellung von einer deutschen Nation ist auch an den Namensvorschlägen für die neu gegründete Republik abzulesen: »Die Vorschläge der Bevölkerung reichten von Hochdeutschland, Ostdeutschland, Jungdeutschland über Alpenland, Alpenreich, Ostalpenland, Republik Alpenland bis zu Deutsches Bergreich, Markland, Hochmark, Vorderland oder Deutsches Friedland«, Karl Renner schlug »Republik Südostdeutschland« vor, und Otto Bauer sprach noch Jahre nach der Durchsetzung der Bezeichnung »Republik Österreich« von »Deutsch-Österreich« (Frölich-Steffen 2003, 43 – 44). Das vorherrschende Nationsverständnis war unmissverständlich »ethnic«, nicht »civic« (Brubaker 1999; Langer 1999), wobei die Sprachzugehörigkeit als wesentlicher Marker galt; diese grundsätzliche Ausrichtung schlug sich auch im Staatsbürgerschaftsrecht des jungen Nationalstaats nieder, das u. a. ein Optionsrecht für BewohnerInnen anderer Nachfolgestaaten kannte, sofern diese »nach Rasse und Sprache zur deutschen Mehrheit der Bevölkerung Österreichs« gehörten (zitiert nach Pelz 1994, 23). Die Wurzeln dieses dominanten Deutschnationalismus müssen in der quasipostkolonialen Konstellation der Habsburger Monarchie gesucht werden. Den wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Zentren – vor allem Wien und Prag – standen in einer Konfiguration »ethnisch-differenzierter Herrschaft« (Ruthner 2003, 1) periphere Gebiete wie die Bukowina oder Galizien gegenüber. Die Muster sozialer Ungleichheit waren eng mit sprachlichen Unterschieden gekoppelt und führten so zur Herausbildung der Vorstellung distinkter »Nationen« im Rahmen eines Vielvölkerstaates. Vorherrschend war ein Nationsbegriff, der zwar zentral um die Frage der Sprache organisiert war, insgesamt aber stark ethnisch-kulturell orientiert war (Sandner 2002). In den Peripherien wurde im Lauf des 19. Jahrhunderts die Forderung nach Selbstbestimmung stärker, in den deutschsprachigen Regionen nahmen Chauvinismus und Antisemitismus zu (Ruthner 2003). Auch als Folge der Ablehnung der Herrschaftsform der Monarchie (und damit in vielen Fällen gleichzeitig mit dem mit ihr verbundenen »Vielvölkerreich«) wurde gerade in sozialdemokratischen Kreisen diese im Zuge jahrzehntelanger Auseinandersetzungen etablierte Formel vom Selbstbestimmungsrecht der Völker (der Nationen) nach dem Ersten Weltkrieg für die zuvor gesellschaftlich privilegierte »deutsche« Bevölkerung beansprucht. Die Diskussionen um die nationale Identität der neu gegründeten Republik fanden vor dem Hintergrund umfangreicher Migrationsbewegungen statt. Ge-

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Das Inlandarbeiterschutzgesetz 1925

rade in Mittel- und Osteuropa brachten die Jahre während des Ersten Weltkriegs und danach regelrechte Bevölkerungsverschiebungen, viele von ihnen waren Folge nationalistischer Bewegungen und Ausschreitungen im Zuge der Etablierung neuer Nationalstaaten (Noiriel 1994; Mentzel 1995; Heiss 1995, 83 – 100). Auch in das Gebiet der Ersten Republik waren zahlreiche Flüchtlinge gekommen oder getrieben worden, zum Großteil Jüdinnen und Juden aus Osteuropa (Grandner 1995, 60 – 61). Vor allem gegen sie richteten sich vor dem Hintergrund der schlechten wirtschaftlichen Lage, von Versorgungsengpässen und hoher Arbeitslosigkeit, offener Rassismus, Pogromstimmung und groß angelegte Ausweisungsinitiativen (berüchtigt ist etwa der Ausweisungserlass des sozialdemokratischen niederösterreichischen Landeshauptmannes Albert Sever vom 9. September 1919, siehe Hoffmann-Holter (1995) und Grandner (1995)). Heiss (1995, 102; 92 – 101) meint, dass dabei allgemein »chauvinistischer Ausländerhaß«, vor allem aber Antikommunismus eine wichtige Rolle gespielt hätten: Harsche Ausweisungsverfahren, Pass- und Sichtvermerkszwang sowie vielfältige aufenthaltsrechtliche und polizeiliche Schikanen wurden unter anderem als Teil des Kampfes gegen die »bolschewistische Gefahr« inszeniert und durchgeführt. Rassistische Ressentiments und nationalistischer Chauvinismus prägten auch die Debatten um das Inlandarbeiterschutzgesetz. In der knapp einstündigen Debatte vom 19. Dezember 1925 kamen abgesehen vom Berichterstatter vier Redner zu Wort, drei davon sozialdemokratische Abgeordnete. Die gesamte Diskussion ist durchzogen von Verweisen auf »billige, kulturlose ausländische Arbeitskräfte« wie auch auf »die jüdischen Großgrundbesitzer« (und die Charakterisierung des politischen Gegners als »Judenschutztruppe«)72. Vor allem von sozialdemokratischer Seite wird der Ausnahmezustand als doppeltes Bedrohungsszenario entworfen, in dem volkswirtschaftliche und nationalistische Bedenken eng verwoben sind. Otto Bauer, eine der Koryphäen des Austromarxismus, warnt vor den mit der Ausnahmeregelung für landwirtschaftliche ArbeiterInnen verbundenen Gefahren. In dieser Form sei das Gesetz »ein Gesetz erstens für den Lohndruck des Grußgrundbesitzes in diesem ganzen Gebiete und zweitens für die Slowakisierung eines Teiles von Niederösterreich«73. Die beiden Gefahren seien unauflöslich miteinander verbunden, würden doch »ganze Bezirke mit fremden Arbeitskräften durchsetzt, um dadurch die Löhne zu drücken«74. 72 Abg. Schneeberger (SPÖ), Debatte zum Inlandarbeiterschutzgesetz, II. Gesetzgebungsperiode, 130. Sitzung, Dezember 1925. 73 Abg. Bauer (SPÖ), Debatte zum Inlandarbeiterschutzgesetz, II. Gesetzgebungsperiode, 130. Sitzung, Dezember 1925. 74 Abg. Bauer (SPÖ), Debatte zum Inlandarbeiterschutzgesetz, II. Gesetzgebungsperiode, 130. Sitzung, Dezember 1925.

Die nationale Frage – oder die Furcht vor der Slowakisierung

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Zwischen österreichischer und ausländischer Arbeitskraft wird eine fundamentale Differenz konstruiert. Aufgrund kultureller Unterschiede (oder eher hierarchischer Abstufungen) sei nicht nur eine Zusammenarbeit oder ein organisatorischer Zusammenschluss undenkbar, es drohe sogar ein territorialer Verdrängungsprozess, denn »[d]ie österreichischen Landarbeiter […] können sich […] unmöglich mit diesen ausländischen Wanderarbeitern vertragen, weil sie eben mit diesen Menschen, die auf einer so niedrigen Kulturstufe leben, einfach nicht zusammenarbeiten können und die Gutshöfe verlassen«75. Eindringlich mahnt Otto Bauer aus der Geschichte zu lernen. Seine Befürchtungen begründet er mit seiner persönlichen Interpretation der Geschichte des Sachsengängertums im 19. und frühen 20. Jahrhundert – der Ost-West-Wanderung preußischer LandarbeiterInnen und der nachfolgenden Beschäftigung polnischer LandarbeiterInnen in den östlichen Gebieten Deutschlands (zur historischen Entwicklung siehe Herbert 2001, 14 – 20): Sobald die Zahl dieser slawischen Arbeiter etwas größer war, hat es der deutsche Arbeiter dort einfach nicht mehr ausgehalten und ist abgewandert. Die Folge war, daß ganze Bezirke slawisiert wurden. Meine Herren, das hat die europäische Landkarte entschieden, denn diese Bezirke gehören heute zu Polen. Diese Erfahrungen muss man kennen, um zu wissen, daß das, was sich da im Nordosten von Niederösterreich zu vollziehen beginnt, eine ganz ernste Gefahr ist.76

Von bürgerlicher Seite wird zwar in der Sache widersprochen, die prinzipielle Logik aber geteilt. Differenziert wird abgewogen, um das reale Ausmaß der nationalen Gefährdung einzuschätzen. Eine Gefahr der »Slowakisierung besteht«, demnach, »nicht, weil die Leute hier nicht seßhaft werden«, wenn auch »eine gewisse Gefahr besteht. Das will ich gar nicht ableugnen, aber so groß ist die Gefahr nicht«77. Die mit der Vorstellung nationaler Differenz verbundenen chauvinistischen und rassistischen Denkmuster werden über die Thematisierung »objektiver« Gefahren und Risiken rationalisiert. Beispielhaft zeigt sich das in der Debatte zum Inlandarbeiterschutzgesetz etwa daran, wie die Wohnverhältnisse landwirtschaftlicher Arbeitskräfte diskutiert werden. Der sozialdemokratische Abgeordnete Johann Pölzer moniert, »daß man in einem Kulturstaate duldet, daß 50, 60, ja ich habe in Hohenau festgestellt, daß 67 Menschen zusammen in einem 75 Abg. Schneeberger (SPÖ), Debatte zum Inlandarbeiterschutzgesetz, II. Gesetzgebungsperiode, 130. Sitzung, Dezember 1925. Dem wird vom bürgerlichen Abgeordneten Eisenhut in einem Zwischenruf sofort vehement widersprochen, denn: »Die arbeiten ja nicht zusammen, das ist ja nicht richtig.« 76 Abg. Bauer (SPÖ), Debatte zum Inlandarbeiterschutzgesetz, II. Gesetzgebungsperiode, 130. Sitzung, Dezember 1925. 77 Abg. Eisenhut (ÖVP), Debatte zum Inlandarbeiterschutzgesetz, II. Gesetzgebungsperiode, 130. Sitzung, Dezember 1925.

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Das Inlandarbeiterschutzgesetz 1925

Raum hausen«, nachdem er sich schon zuvor gewundert hat, »daß gerade die kleinen Bauern, die deutschen Bauern, das Weiterbestehen dieser Zustände ermöglichen wollen, die ja zweifellos eine sanitäre Gefahr für die ganze Umgebung darstellen«78. Die Wohnverhältnisse werden nicht als sozialpolitisches Problem verhandelt, sondern als »biopolitisches« der gesundheitlichen Gefährdung. Auffällig ist die explizite Kopplung mit einem diffusen Kulturbegriff. Die ärmlichen Massenunterkünfte werden zu einem Lebensstilphänomen. Dem deutschen Bauern wie auch einem Kulturstaate (in Kontrast zur nicht-deutschsprachigen Landbevölkerung und Nicht-Kulturstaaten) müssten solche Zustände doch unerträglich sein. Vollkommen ausgeblendet bleibt die Perspektive der betroffenen ArbeiterInnen, sie sind Teil des Problems. Die Sicht und Bedürfnisse der ArbeitsmigrantInnen gehen in die Problematisierungen nicht ein. Darin zeigt sich der ihnen zugeschriebene Status als »andere«. Nur auf der Grundlage einer so konstruierten kulturellen Differenz ist zu erklären, warum für die Sozialdemokratie alternative Strategien scheinbar undenkbar waren. Gerade in einem über Jahrhunderte gewachsenen Gebiet wie dem der ehemaligen Monarchie – wenige Jahre davor noch das Aktivitätsgebiet einer gemeinsamen, mehrsprachigen Sozialdemokratie (Sandner 2002) – ist es erstaunlich, dass die Option, migrantische Arbeitskräfte organisatorisch einzubinden und auf diese Weise den Druck auf Lohn- und Arbeitsverhältnisse zu bremsen, nicht in Betracht gezogen wurde – »Die alte Forderung der mitteleuropäischen sozialdemokratischen Arbeiterbewegung nach Gleichheit und Schutz für alle Arbeitnehmer eines Arbeitsmarktes wurde somit bereits Mitte der 20er endgültig ad acta gelegt« (Sensenig-Dabbous 2001, 87). Im Gegenteil, selbst der Umstand der organisatorischen Exklusion wird zu einer Folge unterschiedlicher Kulturen (bzw. Kulturstufen) stilisiert: Diese Leute sind für die österreichischen Arbeiter die reinsten Lohndrücker. Sie haben drüben kein Organisationsleben […] aber weil die slowakischen Arbeiter billiger sind, weil sie der Organisation nicht zugänglich, weil sie nicht organisationsfähig sind, werden sie genommen, und die dortigen Arbeiter bekommen keine Arbeit.79

Die nationale Zugehörigkeit wird fortan ein zentrales Kriterium in Entrechtungsprozessen wie auch in Fragen der politischen Problemdefinition sein. Wessen Probleme sind zu berücksichtigen, wer wird damit als Subjekt im politischen Gestaltungsprozess anerkannt? Wer nicht? In der Debatte zum Inlandarbeiterschutzgesetz bringt Otto Bauer diese Scheidelinie beispielhaft zum 78 Abg. Pölzer (SPÖ), Debatte zum Inlandarbeiterschutzgesetz, II. Gesetzgebungsperiode, 130. Sitzung, Dezember 1925. 79 Abg. Pölzer (SPÖ), Debatte zum Inlandarbeiterschutzgesetz, II. Gesetzgebungsperiode, 130. Sitzung, Dezember 1925.

Die nationale Frage – oder die Furcht vor der Slowakisierung

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Ausdruck. Er spricht von einem Antrag, in dem die Sozialdemokratie für bestimmte Fälle eine Sonderregelung zur vereinfachten Antragstellung gefordert hat. Es ginge dabei um den »ausländischen Arbeiter, den wir aus Menschlichkeitsgründen hier lassen wollen […] [D]as sind nicht Ungarn und nicht Jugoslawen, sondern das sind zumeist Deutsche, vor allem Deutsche aus Südtirol«. Wesentlich ist, dass nur in diesem einen Fall die praktischen Hürden und Erschwernisse, mit denen ausländische Arbeitskräfte aufgrund des Bewilligungsprozederes konfrontiert wurden, kritisch reflektiert werden. Die de facto notwendige Vorabrekrutierung durch einen Unternehmer, der dann um eine personalisierte Beschäftigungsbewilligung ansuchen könne, wird von Otto Bauer als unzumutbares Hindernis gesehen – Bedenken, die in anderen Fällen nicht zu zählen scheinen. Im Fall der Südtiroler deutscher Sprachzugehörigkeit liegen die Dinge anders: »Ich möchte Sie sehr bitten, diese Sache, bei der es sich nicht um etwas Materielles und Soziales dreht – das liegt bei dem früheren Fall vor –, sondern um etwas Moralisches handelt, durchzudenken«80. Der ausländische Arbeitnehmer bleibt dagegen gesichtslos. Er wird charakterisiert als kulturlos, arm, passiv ; nicht aber als berechtigt, bedürftig, als politisches Subjekt oder als zugehörig.81

80 Abg. Bauer (SPÖ), Debatte zum Inlandarbeiterschutzgesetz, II. Gesetzgebungsperiode, 130. Sitzung, Dezember 1925. 81 Das IASchG war ganz offensichtlich Ausdruck einer Kombination aus wirtschaftlicher Freizügigkeit und (Deutsch-)Nationalismus (Sensenig-Dabbous 1998, 315). Allerdings zeigte sich gerade im Umgang mit deutschen Arbeitskräften, dass das Verhältnis von »Ethnizität« und »Nation« durchaus auch spannungsreich/widersprüchlich sein konnte. Noch vor der Verabschiedung des IASchG wurde die Strategie der Abschottung gegen die anderen Nachfolgestaaten der Monarchie gewählt, um langfristig einen einheitlichen deutschen Arbeitsmarkt zu schaffen. Dem steht gegenüber, dass es vor allem die als Folge der 1923 einsetzenden ersten schweren Wirtschaftskrise der Nachkriegsjahre beschäftigungslosen deutschen Arbeitskräfte waren, die, vorwiegend in den westlichen Bundesländern, Ängste vor einer Überflutung des Arbeitsmarktes hervorriefen (Pelz 1994, 47 – 58). Mit dem Inlandarbeiterschutzgesetz setzte sich eine nationalstaatliche Logik durch, die zu Versuchen der ethnischen Grenzziehung in keinem Eins-zu-eins-Verhältnis stand und sich entsprechend auch gegen deutsche Arbeitskräfte richtete (Sensenig-Dabbous 2001). Schon 1926 wurde die nationalstaatliche Logik des IASchG aber »(re-)ethnisiert«: Mit einem Geheimabkommen zwischen Österreich und Deutschland über die Harmonisierung ihrer Arbeitsmärkte wurde das IASchG für deutsche StaatsbürgerInnen außer Kraft gesetzt. SensenigDabbous (2001) argumentiert, dass dieses Abkommen geheim bleiben musste, weil es u. a. den Meistbegünstigungsklauseln in verschiedenen Handelsverträgen (wie auch der Grundlogik des staatsbürgerschaftlich gefassten Inländerprimats) nicht entsprach.

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6.3.2 Die Nationalisierung von Arbeitsmarkt und Migrationspolitik Verglichen mit migrationspolitischen Diskussionen nach dem Zweiten Weltkrieg ist diese explizite Thematisierung einer Gefahr für die Nationale Einheit, für die Nation an sich, auffällig. Sie ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Definition der »österreichischen Nation« noch umstritten war. Trotz der Dominanz der Vorstellung einer einheitlichen deutschen Nation muss im Auge behalten werden, dass sich der österreichische Nationalstaat in den frühen 1920er-Jahren erst in der Phase seiner Konstitution befand. Eine durchgängige, nationalstaatliche Logik der politischen Verhältnisse musste erst noch durchgesetzt werden. Das gilt auch für migrationspolitische Belange, speziell in der Kopplung mit Arbeitsmarktverhältnissen. Weder Vorstellungen nationaler Zugehörigkeit noch die Formen der nationalstaatlichen Organisation des Arbeitsmarktes – mitsamt der damit verbundenen Entrechtungen ausländischer Arbeitskräfte etc. – waren selbstverständlich, geschweige denn fix institutionalisiert. Während heute nationale Deutungsmuster etabliert sind und damit stillschweigend vorausgesetzt werden können, fällt die Verabschiedung des Inlandarbeiterschutzgesetzes in eine Phase der ideologischen Nationsbildung. Die Debatte um den Inlandarbeiterschutz ist dabei zwar einerseits schon deutlich durch existierende oder sich herauskristallisierende nationalistische Ideologeme strukturiert. Andererseits wirkt sie umgekehrt auch als Katalysator für die Konstitution einer nationalstaatlich organisierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und beschleunigt damit ihre Durchsetzung. Das Inlandarbeiterschutzgesetz institutionalisierte die Nation als Ordnungskriterium in einem Bereich, in dem sie das bis dahin nicht oder nur eingeschränkt gewesen war. In der Monarchie wurden Bevölkerungsbewegungen vorwiegend auf Gemeindeebene reguliert. Das wichtigste »migrationspolitische« Instrument war die sogenannte Heimatrolle, in der jede Gemeinde über die in ihr Heimatberechtigten Liste zu führen hatte. Mit der Heimatberechtigung war das Recht auf ungestörten Aufenthalt in der Gemeinde sowie, im Bedarfsfall, auf Armenfürsorge verbunden. Wer in einer Gemeinde nicht heimatberechtigt war und in die Arbeitslosigkeit bzw. Armut abrutschte, wurde in der Regel aus dem Gemeindegebiet ausgewiesen, was zumeist eine Rückkehr in die eigene Heimatgemeinde bedeutete; Abschiebungen waren eine innerstaatliche Angelegenheit. Selbst für österreichische StaatsbürgerInnen war es nach dem Reichsgesetz 1863 äußerst schwierig, in einer anderen als ihrer Geburtsgemeinde das Heimatrecht zu erhalten (John/Lichtblau 1990, 266 – 267). Diese Form der gemeinde- und kronländer-basierten Migrationspolitik setzte das Vorherrschen von kleinräumigen, lokalen bis regionalen Zugehörigkeitsvorstellungen voraus. Was Noiriel (1994, 73) für den französischen Kontext diagnostiziert, kann damit auch für den

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österreichischen gelten: Der Begriff des »Ausländers« war selbst in der Zwischenkriegszeit noch nicht national gefasst, sondern drückte lokale Zugehörigkeit aus: »Es existierten gleichsam genauso viele ›Ausländer‹ wie ›kleine Vaterländer‹.« Dieses lokal bis regional organisierte Heimatrecht- und Schubwesen wurde rund um den Krieg mit einer generellen Sichtvermerkspflicht (auch für österreichische StaatsbürgerInnen) verbunden. Damit hatten einzelne Kronländer die Möglichkeit der eigenständigen Steuerung und Kontrolle von Migrationsbewegungen. Die Heimatrolle funktionierte auf dieser Grundlage auch als Instrumentarium der Steuerung einer industriellen Reservearmee: Während die Zuwanderung selbst ungeregelt blieb, wurde durch diese Kombination von Heimatrecht, Armenfürsorge und Schubwesen dafür gesorgt, daß Migranten eine flexible Unterschicht in den neuen Arbeitsmärkten bildeten, die bei dauernder Arbeitslosigkeit auch wieder in die Herkunftsregionen exportiert werden konnten. (Bauböck 1996, 3)

Bis in die Mitte der 1920er-Jahre gab es entsprechende Reisebeschränkungen zwischen Bundesländern, die erst nach und nach aufgehoben wurden und auch mit regionalen Unterschieden in der Arbeitsmarktstruktur und der Bevölkerungsentwicklung zusammenhingen (Heiss 1995, 89 – 92). Die kleinräumige Bevölkerungspolitik der Monarchie konnte nur auf der Grundlage der Etablierung grundlegend neuer Vorstellungen von Zugehörigkeit und legitimer Souveränität zu einer national organisierten, übergreifenden und allgemeinen Politik weiterentwickelt werden. Die Idee eines »nationalen Arbeitsmarkts«, institutionell durch national organisierte Interessensverbände, Geldpolitik, Arbeitsmarktverwaltungen bis hin zu Zeitungs- und Schulwesen gestützt, setzt entsprechend »vorgestellte Gemeinschaften« voraus – und vertieft und verfestigt ihrerseits diese Deutungsmuster. Polanyi (2001 [1944]) argumentiert, dass Währung und Recht im Lauf des 19. Jahrhunderts zu Vermittlungsinstrumenten der Nationsbildung wurden: Sie erlaubten, die Nation als gesellschaftliches Gefüge zu denken und wahrzunehmen. Ebenso führte die nationale Organisierung von Arbeitsmärkten zu einer »Zentralisierung und Vereinheitlichung von Vorstellungsgehalten, mit denen sich die kollektive Identität von nun an verband« (Noiriel 1994, 72). Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts waren Wahlrecht und Sozialrecht zu zentralen Markern einer national gefassten StaatsbürgerInnenschaft geworden – nach dem Ersten Weltkrieg wurde auch der Arbeitsmarkt institutionell wie vorstellungsmäßig ein nationaler (Noiriel 1994, 12). Damit wurden lang etablierte Migrationsmuster einem neuen rechtlichen Regime unterstellt. WanderhändlerInnen und ArbeitsmigrantInnen, die zwischen den verschiedenen Regionen der Monarchie wanderten, waren schon nach

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Das Inlandarbeiterschutzgesetz 1925

dem Ersten Weltkrieg plötzlich zu »AusländerInnen« geworden. Mit dem Inlandarbeiterschutzgesetz wurden sie auch am Arbeitsmarkt zu entrechteten »anderen« (Rager 1926, 3 – 4; Heiss 1995, 87 – 92). Voraussetzung dafür waren rassistische Klassifikationen, die in einer vermeintlichen Ausnahmesituation, die auch als Bedrohung für die kulturelle Ordnung konstruiert wurde, in rechtliche Formen gegossen wurden. Mit dem Inlandarbeiterschutzgesetz wurde ein Instrument der differenziellen Entrechtung migrantischer Arbeitskraft etabliert. Im folgenden Abschnitt wird diese Entwicklung noch einmal zusammenfassend auf den Theorierahmen dieser Arbeit bezogen, bevor in Kapitel 6.5 die weitere, unverhofft lange Karriere des Inlandarbeiterschutzgesetzes besprochen wird.

6.4

Inlandarbeiterschutz: ein permanenter Ausnahmezustand

Die politische Rationalität hinter der Verabschiedung des Inlandarbeiterschutzgesetzes entspricht durch und durch Foucaults Charakterisierung einer liberalen Regierungskunst, die »als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als wichtigste Wissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat« (Foucault 2006b, 162). Die Idee des Marktes als »Ort der Veridiktion« bleibt im Prinzip unhinterfragt. Allerdings sind regulierende Maßnahmen notwendig, um das national gefasste gesellschaftliche Ganze vor den zerstörerischen Auswirkungen eines übermäßigen Gebrauchs der »Freiheit« liberalen Marktverhaltens zu bewahren. Tatsächlich zeigt das Inlandarbeiterschutzgesetz alle Zeichen einer Sicherheitsmaßnahme, wie sie etwa Huysmans (2006) definiert. Es ist die Antwort auf ein dreifaches Bedrohungsszenario, das mit der Einwanderung von Arbeitskräften verbunden wurde: für Arbeitsmarkt und soziale Sicherungssysteme, für die kulturelle Identität und für die öffentliche Ordnung. Der dritte Punkt spielt vor allem für konservative Kräfte eine Rolle, die etwa ein Überschwappen der Russischen Revolution und das Eindringen politischer Agiteure fürchteten, er bleibt in der Verhandlung des Inlandarbeiterschutzgesetzes aber implizit. Die ersten beiden Aspekte werden, wie oben ausführlich beschrieben, gerade von sozialdemokratischer Seite massiv in Szene gesetzt. Das Inlandarbeiterschutzgesetz ist eine spezifische Antwort auf eine als brisant empfundene Problemlage, es kann daher als staatliche Strategie der Verwaltung eines Gesamtinteresses auf einem Weg verstanden werden, der bestimmten Akteuren eine eigenständige strategische Einflussnahme ermöglicht. Objekt des strategischen Handelns ist ein national gefasster Arbeitsmarkt. Es wird direkt in das Wirken des Marktes eingegriffen (Angebotsregulation), damit ist die Möglichkeit der Verhandlung partikularer Interessen im Rahmen einer

Inlandarbeiterschutz: ein permanenter Ausnahmezustand

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marktbasierten Interessenspolitik möglich. Konstitutiv ist dabei die ethnischnationale Rahmung, ohne die diese spezifische Antwort auf die Herausforderung der Arbeitsmarktregulation nicht denkbar wäre. Migrationspolitik wurde damit von einem Feld staatlicher Hoheitspolitik, die vorwiegend an außen- und sicherheitspolitischen Zielen orientiert war, endgültig auch zu einem Feld der Interessenspolitik einer kapitalistischen Marktwirtschaft. Auch wenn die Entwicklung in Österreich aufgrund der außergewöhnlichen Geschichte der Nationswerdung – mit dem Einschnitt, den die Nachkriegsjahre für das vormalige Großreich brachten – einen untypischen Verlauf nahm, entsprach sie im Prinzip ganz dem internationalen Trend. So wurde auch in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg damit begonnen, aufbauend auf den Erfahrungen vorangegangener migrationspolitischer Maßnahmen ein »differenziertes Regelungsinstrumentarium zu entwickeln, das die ›Ausländerzufuhr‹ auf das angesichts der wirtschaftlichen Notlage nur denkbare Minimum beschränkte, andererseits aber flexibel auf wechselnde konjunkturelle Entwicklungen reagieren konnte« (Herbert 2001, 119). Die augenfällige Spannung zwischen Liberalismus und Nationalismus, zwischen Partikularismus und Universalismus, wird damit produktiv gemacht. Sie erlaubt die Regulation von Arbeitsmarktverhältnissen durch die differenzielle Entrechtung von Teilen der ArbeiterInnenschaft. »Ausländische Arbeitsmigranten wurden zu einem Regulativ der Arbeitsmarktpolitik« (John/Lichtblau 1990, 267). Migration und Arbeitsmarkt waren schon davor in der Vergabepraxis von Sichtvermerken miteinander verbunden, mit der Beschäftigungsbewilligung wurde aber erstmals ein eigenständiges Instrument zur Steuerung von Arbeitsmigration eingeführt, das direkt arbeitsrechtlich diskriminierte. Dessen Handhabung verlangte nach spezifischen Wissensformen: Entwicklung von Beschäftigten- und Arbeitslosenzahlen, Wirtschaftsprognosen und Einschätzungen zur allgemeinen Stimmungslage in der Bevölkerung, Risikoabschätzungen und die Definition von bevölkerungs- und arbeitsmarktpolitischen Kriterien. Um diese spezielle Maßnahme möglich zu machen, musste die Vorstellung einer »österreichischen Nation« ebenso wie jene einer zu regierenden »Bevölkerung« ausreichend etabliert sein, gleichzeitig trug das Inlandarbeiterschutzgesetz dazu bei, diese in Bezug auf Arbeitsmarktverhältnisse durchzusetzen; es etablierte den Nationalstaat als Referenzrahmen und damit auch als »politische Gemeinschaft« bzw. »polity«.

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6.5

Das Inlandarbeiterschutzgesetz 1925

Ende oder Erbe? Vom Inlandarbeiterschutzgesetz zur Gastarbeit

Wie die Gastarbeit war auch das Inlandarbeiterschutzgesetz ein Kind seiner Zeit – von Nationalismus, Protektionismus und Wirtschaftskrise –, entsprach als Antwort auf diese Situation aber den Prinzipien und Strukturen einer kapitalistischen Weltwirtschaft und liberaler Nationalstaaten. Im Gegensatz zu anderen Maßnahmen, die angedacht oder auch in ersten Versuchen gestartet worden waren, wie etwa dem Verbot von Doppelverdiensten oder dem Transfer von Unterstützungszahlungen an Unternehmen, die Arbeitslose einstellten, erwies es sich deshalb auch als äußerst dauerhaft, nämlich über die NS-Zeit bis in die Zweite Republik.

6.5.1 Entwicklung der Gesetzgebung nach 1925 Das Inlandarbeiterschutzgesetz blieb bis 1941 in Kraft und bildete in dieser Zeit unter anderem schon 1938 den rechtlichen Rahmen für die Rekrutierung von tschechischen Arbeitskräften, war also schon in dieser Zeit kein reines Instrument der Abschottung. Vielmehr konnte es, einmal etabliert, in Kombination mit dem Mittel des Anwerbeabkommens zur Rekrutierung spezifischer, weil entrechteter migrantischer Arbeitskräfte dienen (Gächter/Recherchegruppe 2004, 31). Auffällig ist, dass das ursprünglich als Ausnahmegesetz gegen den rhetorischen Widerstand der Christlichsozialen etablierte Inlandarbeiterschutzgesetz auch in der Zeit des Austrofaschismus beibehalten wurde (Sensenig-Dabbous 1998, 418). Die christlichsoziale Forderung der Liberalisierung betraf eben weniger die rechtliche Situation der MigrantInnen als die numerische Beschränkung ihrer Beschäftigung. Erst 1941 wurde das Inlandarbeiterschutzgesetz von der »Deutschen Reichsverordnung über ausländische Arbeitnehmer« aus dem Jahr 1933 (kurz Reichsverordnung 1933) ersetzt. Die Reichsverordnung 1933 stammt noch aus der Zeit der Schleicher-Regierung, war also noch vor Beginn der NS-Herrschaft installiert worden (Herbert 2001, 118 – 123). Sie bildete bis zur Verabschiedung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (1975) formal den rechtlichen Rahmen der Arbeitsmigration nach Österreich. Die Reichsverordnung 1933 unterschied sich vom Inlandarbeiterschutzgesetz in drei Punkten. Erstens war ein doppeltes Genehmigungsverfahren vorgesehen. Neben der Beschäftigungsgenehmigung für das Unternehmen war auch für die migrantische Arbeitskraft eine sogenannte Arbeitserlaubnis nötig. Das bedeutete einerseits eine zusätzliche fremdenpolizeiliche Kontrolle über MigrantInnen, andererseits erlangten diese Parteienstellung im Verfahren. In diesem Sinn

Ende oder Erbe? Vom Inlandarbeiterschutzgesetz zur Gastarbeit

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stellte die Arbeitserlaubnis eine Besserstellung im Vergleich zum Inlandarbeiterschutzgesetz dar. Zweitens war der Einfluss der Sozialpartner deutlich beschnitten, denn im Gegensatz zum Inlandarbeiterschutzgesetz kannte die Reichsverordnung in der Fassung des Jahres 1939 keine paritätischen Kommissionen. Drittens bedeutete die Einführung der Reichsverordnung das Ende der Sonderregelungen für die Landwirtschaft, deren Arbeitskräfte nun denselben Regelungen unterstellt wurden wie die in anderen Wirtschaftsbereichen tätigen. Der Grund für das Ende der Ausnahmeregelungen für die Landwirtschaft lag im Bestreben, eine durchgängige »fremdenpolizeiliche« Kontrolle über den nationalen Arbeitsmarkt sicherzustellen. Dazu diente eine weitere wesentliche Neuerung, die schon 1938 in Österreich Rechtskraft erlangt hatte: die Übernahme der Ausländerpolizeiverordnung (die 1954 in das österreichische Fremdenpolizeigesetz überführt wurde) (Herbert 2001, 124 – 217). Die Ausländerpolizeiverordnung regelte Aufenthaltsrechte und das Schubwesen und ersetzte die noch aus der Zeit der Monarchie stammende gesetzliche Regelung des Schubwesens von 1867. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte die österreichische Politik damit auf ein Instrumentarium zur Regulation der Ausländerbeschäftigung zurückgreifen, das in den Nachkriegsjahren alles andere als totes Recht war (wie weiter unten noch Thema sein wird). 1948 betrug der Anteil der dem Regime von Reichsverordnung 1933 und Ausländerpolizeiverordnung unterstellten ArbeitnehmerInnen an der Gesamtbeschäftigung 13 Prozent (Wurm 1993, 25), ein Wert, der deutlich über dem Spitzenwert der Gastarbeiterphase von 8,7 Prozent 1973 liegt (Butschek/Walterskirchen 1974, 216). Die Nachkriegsregierung hatte dabei schon früh stillschweigende Adaptionen an den rechtlichen Rahmenbedingungen der Ausländerbeschäftigung vorgenommen. Erstens wurde 1946 per Erlass den Sozialpartnern wieder Mitspracherecht gegeben, die paritätischen Kommissionen des Inlandarbeiterschutzgesetzes also de facto wieder eingeführt82. Zweitens wurden 1948 Arbeitserlaubnis und Befreiungsschein – die Verbesserungen der rechtlichen Stellung migrantischer Arbeitskräfte, die mit der Reichsverordnung 1933 eingeführt worden waren – wieder abgeschafft (Sensenig-Dabbous 1998, 424 – 426)83. Die rechtliche Grundlage, auf der die Beschäftigung migrantischer Arbeitskräfte

82 Erlass zur reichsdeutschen AuslVO/1933 vom 26. April 1946. 83 Erlass zur reichsdeutschen AuslVO/1933 vom 9. Jänner 1948. Der Arbeitserlaubnis war auch in den Folgejahren eine wechselhafte Karriere beschieden; Ende der 1950er-Jahre wurde sie aufgrund von Verfahrensmängeln bei der Aufhebung vom VfGH wieder installiert, nur um 1975 mit dem AuslBG wieder abgeschafft, 1990 bei der Novelle desselben aber wieder eingeführt zu werden.

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Das Inlandarbeiterschutzgesetz 1925

nach dem Zweiten Weltkrieg beruhte, war also nur formell die deutsche Reichsverordnung 1933. In anderen Bereichen wurde dagegen Kontinuität zur NS-Zeit bewahrt. So blieb das Betriebsratsverbot für Nicht-StaatsbürgerInnen bestehen und wurde im Betriebsratsgesetz 194784 festgeschrieben. Es sollte in den Folgejahrzehnten eine zentrale Rolle in der kontinuierlichen Marginalisierung migrantischer Arbeitskräfte spielen. Zweitens wurde auch der Landwirtschaft keine Sonderstellung mehr eingeräumt, sie blieb dem allgemeinen Migrations- und Grenzregime unterstellt.

6.5.2 Gründe für die juristischen Adaptionen nach 1945 Warum aber kam es zu den erwähnten Adaptionen? Die dieser Arbeit zugrunde liegenden Quellen primärer und sekundärer Art erlauben zu dieser Frage nur Mutmaßungen. Im zugänglichen Parlamentsmaterial haben die Anpassungen keine Spuren hinterlassen, mit Ausnahme einer Anfrage der ÖVP, in der die Folgen des Erlasses aus dem Jahr 1948, mit dem Befreiungsschein und Arbeitserlaubnis aufgehoben wurden, aus Sicht der betroffenen »Volksdeutschen« problematisiert werden85. Diese Anfrage legt die Vermutung nahe, dass den Involvierten durchaus klar war, dass die Anpassungen eine Schlechterstellung für »ausländische« ArbeitnehmerInnen bedeutete. Gleichzeitig werden sie aber nicht allgemein kritisiert, sondern nur in Bezug auf die klar umrissene Gruppe der »Volksdeutschen« (siehe Kapitel 8). Sensenig-Dabbous (1998, 426 – 427) sieht diese Entwicklungen vor allem als Folge einer unseligen Tradition der Sozialdemokratie, als »Versuch, die wirtschaftliche, politische und kulturelle Sicherheit der Staatsfremden in Österreich möglichst zu untergraben, um somit die Entstehung von unerwünschten ethnischen Eliten – ähnlich der Wiener Tschechen während der Monarchie – zu unterbinden«. Solche ideologischen Kontinuitäten waren zweifellos wirksam. Allerdings sind die Veränderungen auch vor dem Hintergrund der Nachkriegssituation und, vor allem, der Neu-Konstitution Österreichs als sozialpartnerschaftliche Konkordanzdemokratie mit konservativem Wohlfahrtsstaat zu verstehen. Sie hatten auch strukturelle, nicht nur ideologische Gründe. In der Ausnahmesituation der Nachkriegsjahre ging es vor allem darum, öffentliche Ruhe und soziale Sicherheit sicherzustellen und den Arbeitsmarkt unter Kontrolle zu halten. In der Präambel zum Paßgesetz 1948 wurde als entsprechendes Ziel formuliert, »die österreichische Bevölkerung vor den Gefahren 84 Betriebsratsgesetz vom 28. März 1947 (BGBl. 97/1947). 85 Anfrage 170/J (ÖVP), VI. Gesetzgebungsperiode, November 1950.

Ende oder Erbe? Vom Inlandarbeiterschutzgesetz zur Gastarbeit

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einer Überfremdung, einer ungünstigen Beeinflussung der Arbeitsmarktlage, einer Beeinträchtigung der Volksgesundheit sowie der Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit […] [zu] schützen« (Parnreiter 1994, 134). Konkret stellte sich ähnlich wie in den 1920er-Jahren eine Kombination aus nationaler und sozialer Frage, allerdings in einem anders gearteten Kontext und mit anderen Folgen. Eine zentrale Rolle spielte dabei, wie oben bereits beschrieben, die Institutionalisierung der Sozialpartnerschaft. Vor dem Hintergrund des nationalen Schulterschlusses zwischen Sozialdemokratie und Volkspartei kam der aktiven Einbindung nationaler Interessensverbände eine zentrale Rolle zu – die paritätische Mitsprache in der Ausländerbeschäftigung war in diesem Sinn nur eine Fortsetzung der Lohn-Preis-Abkommen und anderer sozialpartnerschaftlicher Institutionen. Der Erlass von 1946 war ein Element in einem allgemeinen sozialstaatlichen Sicherheitsprogramm. Vor allem für Sozialdemokratie und Gewerkschaften brachte das eine fundamentale Veränderung ihrer gesamtgesellschaftlichen Rolle. Der phasenweisen Integration mit nachfolgender politischer Marginalisierung in der Zwischenkriegszeit folgte nach dem Krieg eine unmittelbare und dauerhafte Rolle im neuen Modus der staatlichen Interessensbildung.86 Die Anpassung der Reichsverordnung 1933 in Richtung der ursprünglichen Regelungen des Inlandarbeiterschutzgesetzes, ergänzt um einzelne Verschärfungen, spiegelt diese Entwicklung wider. Nun traten ÖGB und Sozialdemokratie, einer sozialliberalen politischen Rationalität folgend, direkt als VertreterInnen des national gefassten Gesamtinteresses auf. Der in den 1920er-Jahren noch zumindest rhetorisch bedauerte Bruch mit dem Prinzip des sozialdemokratischen Internationalismus spielte keine Rolle mehr (Gulick 1976). Entsprechend wandelte sich auch die Positionierung zur Ausländerbeschäftigung. Entgegen häufigen Darstellungen trat der ÖGB in den Nachkriegsjahrzehnten nicht einfach gegen die Beschäftigung migrantischer Arbeitskräfte auf. Wohl wollte er die Kontrolle über die Beschäftigung migrantischer Arbeitskräfte bewahren – dieses Ziel teilte er mit den SozialdemokratInnen der 1920er-Jahre –, um Druck auf die Löhne und Arbeitsbedingungen seiner Klientel zu vermeiden. Nichtsdestotrotz unterstützte er die Beschäftigung von GastarbeiterInnen, um den fordistischen Gesamtkreislauf am Laufen zu halten. Der ÖGB trat für eine »aktive Arbeitsmarktpolitik« ein, mit den durchaus der Rationalität der Erhaltung des Gesamtsystems folgenden Argumenten, volkswirtschaftliche Kosten zu 86 In diesem Sinn ist die Sozialpartnerschaft auch eine Sicherheitsmaßnahme, die auf den Erfahrungen von Krieg und Faschismus basierte (»Austrian social partnership is at least partly to be understood as a reaction to the experience of societal cleavage during the First Republic«, siehe Spang/Mayer 2009, 8) und den Schritt von einer Konfliktkultur- zu einer Konkordanzdemokratie markiert (Aigner 2008, 46).

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Das Inlandarbeiterschutzgesetz 1925

sparen, die Produktivität zu steigern und die Inflation zu bekämpfen (Matuschek 1985, 162). Der ÖGB war damit ein wesentlicher Akteur in der Ökonomisierung von Migration, der nicht nur passiv auf Forderungen der Unternehmerverbände reagierte. Sensenig-Dabbous (1998, 463 – 464) fasst die Neupositionierung des ÖGB zusammen: Für den ÖGB-Präsident [sic!] sind Gastarbeiter nicht gleichberechtigte Kolleginnen und Kollegen, die man aus Gründen der vorübergehenden wirtschaftlichen Not aus Österreich fernhalten muß, sondern lediglich Arbeitskräfte, die man im Dienste des österreichischen Nationalinteresses befristet ins Land holen soll. Somit tritt erstmals in der Geschichte des demokratischen, kapitalistischen Gesellschaftssystems eine Gewerkschaft aktiv als Ausbeuter fremder Arbeitskraft auf.

Neben der Anerkennung der Rolle der Sozialpartner wird in Darstellungen der österreichischen Gastarbeiterpolitik üblicherweise die formale Kontinuität zur NS-Gesetzgebung betont (siehe etwa Sari 1988, 65, Bauböck 1996, 5 oder Gächter/Recherchegruppe 2004, 32). So berechtigt diese Kritik ist, darf ein Punkt nicht übersehen werden: Die wesentlichen Eckpunkte dieses Regimes waren unter demokratisch-republikanischen Vorzeichen formuliert worden. Die Re-Adaptierung der Reichsverordnung in Richtung des Inlandarbeiterschutzgesetzes unterstreicht diesen Punkt zusätzlich. Reichsverordnung und Inlandarbeiterschutzgesetz waren das Ergebnis von Entwicklungstendenzen des liberalen Nationalstaats und der ihm immanenten Tendenzen zur Sekuritisierung von Migration und der Ethnisierung von Arbeitsmärkten. Und sie waren, ungeachtet ihrer Kompatibilität mit dem nationalsozialistischen Arbeitskräfteregime, für eine Weiternutzung auch für ökonomisierte Zwecke im Rahmen des liberalen Nationalstaats nutzbar. Entsprechend wurden sie nach dem Zweiten Weltkrieg nicht einfach vergessen, aufgrund fehlender Relevanz übersehen oder gleichsam aus Unaufmerksamkeit beibehalten – die Reichsverordnung wurde adaptiert, aktiv in den Rechtsbestand der Zweiten Republik übernommen und auch genutzt. Die vorgenommenen Änderungen, vor allem die Abschaffung der Arbeitserlaubnis und die Reintegration der Sozialpartner, veränderten das migrationspolitische Setting wesentlich – »[d]iese Wendung in der Ausländerpolitik gleich am Anfang der Zweiten Republik ist von zentraler Bedeutung« (Sensenig-Dabbous 1998, 426).

7

Inlandarbeiterschutz 2.0: das Ausländerbeschäftigungsgesetz 1975

Der Kontext, in dem die Gastarbeit organisiert wurde, unterschied sich in wesentlichen Hinsichten von der Phase der Zwischenkriegszeit. Zu nennen sind die neue Rolle von ÖGB und Sozialdemokratie als staatstragende sozialliberale Akteure, die Etablierung einer fordistischen Politik- und Wirtschaftsformation, damit verbunden der neue rechtliche Hintergrund mit dem Ausbau sozialer Rechte, vor dem die Entrechtung migrantischer Arbeitskräfte organisiert wurde, sowie der veränderte geopolitische Kontext des Kalten Kriegs. Kurz, es war eine andere Welt, in der sich ein altes Problem neu stellte: der Bedarf an massenweiser Rekrutierung von Arbeitskräften für Hilfstätigkeiten, die gerade im Rahmen des fordistischen Klassenkompromisses anfielen (Wollner 1996). Vor dem Hintergrund so grundlegender Veränderungen ist die Kontinuität des Instrumentariums verblüffend. Es wurde zwar in den Zwischenkriegsjahren entwickelt, konnte nach dem Zweiten Weltkrieg aber einer neuen organisatorischen Logik folgend eingesetzt werden. Eine Rekapitulation des bisher Gesagten aus der Perspektive der Forschungsfragen dieser Arbeit erlaubt dabei die Identifikation eines Musters. Mit Blick auf Frage 3 – nach den Formen, in denen das Wechselspiel der Formen der Problematisierung die Instrumente zur Steuerung der Arbeitsmigration prägt – zeigt sich, das wesentliche Weiterentwicklungen in sekuritisierten diskursiven Settings stattfanden, vor allem in Fällen, in denen unter normalen Umständen schwer zu rechtfertigende Maßnahmen durchzusetzen waren. Die einmal institutionalisierten Regelungen konnten aber dann im Rahmen von ökonomisierten Ausländerbeschäftigungsprogrammen aufgegriffen und genutzt werden. Sowohl die Sekuritisierung als auch die utilitaristische Nutzung der geschaffenen Entrechtungsmechanismen lassen sich, wie ich zu zeigen versucht habe, jeweils vor dem Hintergrund epochenspezifischer struktureller Widersprüche und Tendenzen des liberalen Nationalstaates verstehen (Frage 2). Es zeigt sich also ein spannungsreiches, aber durchaus produktives Wechselspiel aus Sekuritisierung und Ökonomisierung von Migration. Dieses allgemeine Muster war auch nach dem offiziellen Ende der Gastarbeit Mitte der 1970er-Jahre wirksam,

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Inlandarbeiterschutz 2.0

wie in den verbleibenden Teilen der Arbeit argumentiert wird. Der erste Schritt in der Weiterentwicklung des Migrationsregimes wurde 1975 mit der Verabschiedung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes getan. Wie oben bereits ausgeführt, markiert dieser Schritt keinen Punkt der ausgeprägten Problematisierung. Die im Folgenden beschriebenen Adaptionen am rechtlichen Rahmen sind nichtsdestotrotz bedeutsam.

7.1

Zum Inhalt des Ausländerbeschäftigungsgesetzes 1975

Nach 1945 funktionierte die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte in Österreich über Jahrzehnte »unproblematisch«, erst mit dem Ende der Anwerbeperiode wurde Gastarbeit mehr oder weniger ernsthaft auf der parlamentarischen Bühne verhandelt. Auch das 1975 verabschiedete Ausländerbeschäftigungsgesetz stellt aber keinen Bruch dar, aus damaliger Sicht ließ es sich, in den Worten des ÖVP-Abgeordneten Hauser, als »Legalisierung derzeitiger Zustände«87 charakterisieren. Es kodifizierte den Status quo für eine Zeit, in der keine Beschäftigung im Rahmen von Kontingenten mehr vorgesehen war. Im Vergleich zur Reichsverordnung 1933, die formal noch in Kraft war, brachte es zwar eine Reihe von Neuerungen, viele davon waren aber schon in den Jahren davor durch Erlässe oder Sozialpartnervereinbarungen eingeführt worden. Sozialpartner und Regierung hatten sich entsprechend vor der parlamentarischen Auseinandersetzung auf einen Entwurf geeinigt, dessen Kern die Kontingentvereinbarung von 1962 und der Generalkollektivvertrag von 1970 bildeten (Matuschek 1985, 184 – 185). Beibehalten wurden weitgehende Befugnisse der Sozialpartner – was bedeutet, dass Migration auch Mitte der 1970er noch vor allem als Variable im wirtschaftspolitischen Gefüge gehandelt wurde. Das Ausländerbeschäftigungsgesetz war das Ergebnis eines Lern- und Aushandlungsprozesses. Wesentliche Elemente des Inlandarbeiterschutzes wurden beibehalten, aber um neue Möglichkeiten und Instrumente ergänzt. Folgende Regelungen sind relevant, überwiegend stellen sie Verschärfungen dar (für einen Überblick über das Ausländerbeschäftigungsgesetz und seine Weiterentwicklung bis Ende der 1980er siehe Neurath/Steinbach 1976; 1991): – Die mit der Reichsverordnung eingeführte, nach dem Krieg stillschweigend beseitigte und schließlich 1960 aufgrund eines VfGH-Urteils wieder installierte Arbeitserlaubnis wurde mit dem Ausländerbeschäftigungsgesetz wieder abgeschafft. Im VfGH-Urteil war die mangelhafte Veröffentlichung der Abschaffung kritisiert worden, mit der Verabschiedung des Ausländerbeschäf87 Abg. Hauser (ÖVP), Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz, XIII. Gesetzgebungsperiode, 140. Sitzung, März 1975.

Zum Inhalt des Ausländerbeschäftigungsgesetzes 1975





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tigungsgesetzes war dieser Mangel also, juristisch betrachtet, behoben. Was zunächst nach einer Verfahrensvereinfachung und dem Abbau redundanter bürokratischer Strukturen aussehen mag, bedeutete tatsächlich eine wesentliche Schlechterstellung der migrantischen Arbeitskraft: Mit der Arbeitserlaubnis ging auch deren Parteienstellung im Bewilligungsprozess verloren (Matuschek 1985; Wimmer 1986b; Sari 1988). Da Beschäftigungsbewilligung und Arbeitserlaubnis davor im Zuge eines einzelnen Verfahrens vergeben worden waren (WiFo 1963, 411), fiel auch die Verwaltungsvereinfachung mäßig aus – vor allem, da die Verpflichtung zur fremdenrechtlichen Überprüfung jeder einzelnen Arbeitskraft beibehalten wurde. ArbeitsmigrantInnen unterstanden schließlich auch dem vollen Regime des Fremdenpolizeigesetzes. Neu gesetzlich festgehalten wurde die Möglichkeit, die Beschäftigungsbewilligung jederzeit widerrufen zu können. Einer Berufung gegen eine solche Entscheidung kam keine aufschiebende Wirkung zu. Festgeschrieben wurde außerdem die Anforderung einer ortsüblichen Unterkunft. Der Logik der Beschäftigungsbewilligung folgend wird diese an das Unternehmen gerichtet. Ist keine entsprechende Unterkunft vorhanden, kann die Beschäftigungsbewilligung widerrufen werden. Das Unternehmen konnte nach Beseitigung der Unterbringungsmängel um die Bewilligung einer neuen Arbeitskraft ansuchen. Für die/den betroffene/n ArbeiterIn war die Widerrufung gleichbedeutend mit der Ausweisung, da die Beschäftigung an das Unternehmen gekoppelt blieb und Berufungen wie erwähnt keine aufschiebende Wirkung hatten. Neben der ortsüblichen Unterkunft wurde auch ein ärztliches Gesundheitszeugnis verpflichtend vorgegeben. Im Gegensatz zur Arbeitserlaubnis wurde der Befreiungsschein beibehalten, dieser konnte nun auch schon nach acht Jahren Beschäftigung in Österreich erworben werden, und zwar immer auf zwei Jahre befristet. Ungleichheiten aufgrund zwischenstaatlich vereinbarter Besserstellungen blieben bestehen. Außerdem wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Beschäftigungsbewilligungen nur noch vergeben werden, wenn sie aus dem Ausland beantragt werden. Dies wäre gegebenenfalls vom Sozialministerium per Verordnung festzulegen gewesen. In der Praxis ist dies nicht vorgekommen. Auch das Inländerprimat wurde explizit gesetzlich festgehalten. In Paragraph 8 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes heißt es, dass »die Beschäftigungsverhältnisse der Ausländer vor jenen der inländischen Arbeitnehmer zu lösen sind« und dass im Fall von »Kurzarbeit im Sinne des Arbeitsmarktförderungsgesetzes vor deren Einführung die Beschäftigungsverhältnisse der Ausländer zu lösen sind, wenn dadurch Kurzarbeit auf längere Sicht verhindert werden könnte«. Der »Schutz der inländischen Arbeitskraft« ging so

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Inlandarbeiterschutz 2.0

weit, dass selbst Lehrstellen nicht mit ausländischen StaatsbürgerInnen besetzt werden durften, wenn zu befürchten sei, dass nach Abschluss der Lehre inländische Arbeitskräfte »verdrängt« werden könnten (Prader 1992a, 31). – Im selben Paragraphen wird festgehalten, dass keine direkte Schlechterstellung im Beschäftigungsverhältnis vorliegen darf. Neu war, dass nicht ordnungsgemäß beschäftigte MigrantInnen bei Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses auch im Nachhinein den Anspruch auf Leistungen erhielten, die ihnen mit einem gültigen Arbeitsvertrag zugestanden hätten. – Mit dem Ausländerbeschäftigungsgesetz wurde die Möglichkeit geschaffen, Landeshöchstzahlen zu definieren. Diese kehren die Logik der Kontingente um – anstatt ein Kontingent zur erleichterten Erteilung der Beschäftigungsbewilligung festzusetzen, wurde eine Grenze definiert, über die hinaus nur per Ausnahmegenehmigung Bewilligungen erteilt werden durften. Diese Höchstzahlen sollten den »öffentlichen und gesamtwirtschaftlichen Interessen, insbesondere im Bereich der Bevölkerungspolitik und der Infrastruktur« entsprechend vom Bundesministerium für Soziale Verwaltung erteilt werden und konnten nach Bundesländern differenziert werden. Auch die Möglichkeit der Definition von Kontingenten wurde beibehalten. Insgesamt verschob das Ausländerbeschäftigungsgesetz der nach wie vor starken Position der Sozialpartner zum Trotz die Kompetenz in Richtung Ministerien und Regierung. Das betrifft nicht nur Entscheidungsbefugnisse, sondern auch inhaltliche Aspekte: Im Ausländerbeschäftigungsgesetz sind neben arbeitsmarktpolitischen Kriterien und »in der Person gelegenen Gründen« (das Gesundheitszeugnis ist ein Beispiel) auch gesellschaftspolitische Aspekte erwähnt. So wurde mit den Höchstzahlen ein dezidiert außerwirtschaftliches Kriterium eingeführt, das der Logik der ethnischen Toleranzschwelle folgt. Nichts anderes verbirgt sich hinter der Formulierung vom »Bereich der Bevölkerungspolitik und Infrastruktur«. Von der Möglichkeit, Höchstzahlen zu definieren, wurde schon 1976 Gebrauch gemacht. Der Anteil der im Jahresdurchschnitt des Vorjahres beschäftigten Ausländer an der durchschnittlichen Gesamtbeschäftigung pro Bundesland sollte nicht überschritten werden (Wimmer 1986b, 16). Die Verpflichtung zur Antragstellung aus dem Ausland bot die theoretische Möglichkeit, die Zahl an GastarbeiterInnen noch strikter zu steuern – und das sogar nach Herkunftsstaat differenziert. Arbeitsmarktpolitische Argumente für eine solche Maßnahme sind kaum denkbar ; das Ausländerbeschäftigungsgesetz verfolgte auch identitätspolitische Ziele. Die beschriebenen Maßnahmen spiegeln damit auch diskursive Konstellationen am Ende bzw. in der beginnenden Krise der fordistischen Nachkriegsordnung wider. Diese diskursive Ordnung ist Thema des folgenden Unterabschnitts.

Zum Inhalt des Ausländerbeschäftigungsgesetzes 1975

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7.1.1 Ethnisierung und Sekuritisierung in der Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz Das Ausländerbeschäftigungsgesetz organisiert zwar eine utilitaristisch ausgerichtete Politik, verlässt aber den sekuritisierten und ethnisierten Rahmen des Inlandarbeiterschutzes nicht. Im Gegenteil, ethnische wie sicherheitspolitische Problemdimensionen wurden durch die Nachkriegsordnung nicht infrage gestellt – und die Krise der 1970er-Jahre bereitete den Boden für neue Formen der Sekuritisierung. Die Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz zeigt Spuren dieser Entwicklung. Die Verschränkung von Ethnisierung und Sekuritisierung kommt schon in der Präambel des neuen Gesetzes zum Ausdruck, in der es heißt: Fremde wurden von jeher unter besondere Rechtsvorschriften gestellt. Diese Vorschriften sollten dem Schutz der ansässigen »eigenen« Bevölkerung dienen. Zunächst in erster Linie im Sinne politischer Sicherheit, die durch Angehörige fremder, oftmals als feindlich empfundener staatlicher Gemeinschaften gefährdet erschien.

Der unmittelbare Hintergrund der Verabschiedung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes waren die Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre und die damit verbundene Veränderungen am Arbeitsmarkt. Zwar war die Arbeitslosigkeit von 1,3 Prozent im Jahr 1973 nur auf 2,1 Prozent 1975 gestiegen. Zahlreiche Betriebe hatten aber auf Kurzarbeit umgestellt, ein Problem, das in der Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz ein zentrales Thema war und sich auch durch jene Beiträge zog, die sich nicht oder nur peripher der Frage der Arbeitsmigration widmeten. Die Krisensituation lieferte den Hintergrund zur Festschreibung einer wesentlichen rechtlichen Schlechterstellung. Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der inländischen ArbeiterInnenschaft waren notwendig. Diese betrafen jetzt aber nicht die Frage der Zulassung zum Arbeitsmarkt, sondern den Eingriff in bestehende Arbeitsverhältnisse. Wenn auch die/der »beschäftigte AusländerIn« vor Überausbeutung bewahrt werden sollte, so wurde ihr/sein Beschäftigungsverhältnis nicht geschützt. Vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Vollbeschäftigungspolitik war die Bekämpfung der aufgetretenen Unsicherheiten am Arbeitsmarkt symbolisch bedeutsam. Der drohende Anstieg der Arbeitslosigkeit und die daran anschließende Sekuritisierung der Gastarbeit ist einer der unmittelbaren Anlässe für die Verabschiedung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes – Beispiele für entsprechende Problematisierungen sind in Tabelle 7.1 angeführt.

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Inlandarbeiterschutz 2.0

Die Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung, Abg. Hauser (ÖVP), Debatte zum die neue Erscheinung einer Rivalisierung um AuslBG, XIII. GP, 140. Sitzung, März den Arbeitsplatz, das Bemühen um 1975 Einschaltung des Staates als regulierende Kraft auf dem Arbeitsmarkt, der eben mehr Sorgen macht als bisher, kennzeichnen diese Gesetzgebung. Angesichts dieser wirtschaftlichen Situation Abg. Melter (FPÖ), Debatte zum AuslBG, und der Arbeitsmarktlage müssen wir XIII. GP, 140. Sitzung, März 1975 feststellen, daß das Ausländerbeschäftigungsgesetz nun, da es dringendst notwendig geworden ist, schließlich doch noch zur Vorlage gebracht wurde. Daß der Schutz des Menschen unser zentrales Abg. Treichl (SPÖ), Debatte zum Anliegen ist, haben wir Sozialisten genügend AuslBG, XIII. GP, 140. Sitzung, März 1975 oft unter Beweis gestellt, und auch in dieser Regierungsvorlage werden eine ganze Reihe von Maßnahmen gesetzt, durch die ein Mißbrauch ausländischer Arbeitnehmer – also wieder Schutz des Menschen – verhindert werden soll. Es darf in diesem Zusammenhang auf keinen Fall übersehen werden, daß es auch vordringliche Aufgabe des Gesetzgebers sein muß, den inländischen Arbeitnehmer zu schützen, diesem inländischen Arbeitnehmer vor allen Dingen seinen Arbeitsplatz zu sichern. Tabelle 7.1: Sekuritisierung in der Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz: soziale Sicherheit/Arbeitslosigkeit

Die Maßnahmen, die getroffen werden, scheinen selbstverständliche und unausweichliche Antworten auf von außen kommende Probleme. Sie scheinen im Rahmen des Nationalstaats »natürlich« und keiner weiteren Begründung bedürftig, sie müssen nicht mehr, wie noch Mitte der 1920er-Jahre einem Ausnahmezustand zugeschrieben werden. Es geht um den Schutz der inländischen Bevölkerung; die Allgemeingültigkeit dieses Problementwurfs kommt darin zum Ausdruck, dass die Leitdifferenz, die in der Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz prägend ist, die Unterscheidung von »inländisch« und »ausländisch« ist, ohne nähere Konkretisierung von »österreichisch«. Der aktive Sekuritisierungs- und Ethnisierungsprozess, der die verfügbaren politischen Technologien geprägt hat, tritt nicht mehr offen zutage, zwischen Inlandarbeiterschutzgesetz und Ausländerbeschäftigungsgesetz liegt, in diesem Sinn, ein Naturalisierungsprozess. Das Ausmaß der Ethnisierung ist in der Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz nichtsdestotrotz klar erkennbar. Gastarbeiter sind zwar Menschen, wie in der Debatte von mehreren Rednern betont wird, aber doch anders. SPÖ-Mandatar Hofstetter will sie »nicht als Ware, sondern als Mensch fern seiner Heimat sehen«. Die Ferne zur Heimat spiegelt die kulturelle Differenz zur österreichischen Bevölkerung. Diese kulturelle Distanz erfordert

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politische Antworten. Im Gegensatz zu den Jahren davor wird Migration jetzt direkt als Gefahr für die identitätspolitische Ordnung inszeniert (Tabelle 7.2). Der FPÖ schwebt entsprechend schon 1975 die dauerhafte »Verankerung der Gastarbeiter« in ihrem »angestammten Volkstum« vor. Ich erinnere daran, daß wir uns immer für den Abg. Hofstetter (SPÖ), Debatte zum ausländischen Arbeitnehmer, den wir ja nicht AuslBG, XIII. GP, 140. Sitzung, März 1975 als Ware, sondern als Mensch fern seiner Heimat sehen, einsetzten. Wir haben weiters in unserem Abg. Melter (FPÖ), Debatte zum AuslBG, gesellschaftspolitischen Manifest sehr XIII. GP, 140. Sitzung, März 1975 eindeutig erklärt, daß wir die Verankerung der Gastarbeiter in ihrem eigenen angestammten Volkstum wünschen und nicht deren Assimilierung. Abg. Hauser (ÖVP), Debatte zum Durch Ausländerbeschäftigung erfolgt AuslBG, XIII. GP, 140. Sitzung, März 1975 eigentlich eine künstliche Überhöhung des Arbeitskräftepotentials eines Volkes. Durch die Hereinnahme dieser staatsfremden Personen, die nun unsere Anlagen und Maschinen besser nützen helfen, erfolgt tatsächlich eine künstliche Überhöhung unseres Arbeitskräftepotentials. Tabelle 7.2: Sekuritisierung in der Debatte zum AuslBG: kulturelle Identität

Die Ethnisierung ist an spezifische Gesellschaftsbilder gekoppelt, die von einem national abgegrenzten Ganzen als Naturzustand ausgehen. Dieses ContainerModell der Gesellschaft (Wimmer/Glick-Schiller 2003) strukturiert auch die Argumentationen für eine Kontrolle der GastarbeiterInnenbeschäftigung. Das »Volk« wird verdinglicht und mit dem Staat gleichgesetzt. Vertraut ein solches »Volk« zu sehr auf staatsfremde Arbeitskräfte, kann das negative Auswirkungen haben, weil die Selbsterhaltungsfähigkeit des »Volkes« verloren zu gehen droht. Damit wird die Frage der kulturellen Identität an die Inszenierung einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung gekoppelt (Tabelle 7.3). Im Beitrag des Abgeordneten Hauser (ÖVP) handelt es sich dabei recht diffus um die Selbsterhaltungsfähigkeit einer gesellschaftlichen Ordnung. Von viel größerer Bedeutung sind Beiträge, die sich mit der Wohnsituation von GastarbeiterInnen beschäftigen. Und zwar nicht aus Perspektive der Betroffenen, sondern als gesundheitliches und ordnungspolitisches Risiko. Die Frage der GastarbeiterInnenunterkünfte ist ein gutes Beispiel für die Wirkmächtigkeit der Ethnisierung sozialer Probleme. Der Ethnizität wird dabei zunächst eine kausale Wirkung unterstellt. Die Wohnsituation der GastarbeiterInnen liegt diesem Erklärungsmuster zufolge auch im kulturellen Hintergrund der MigrantInnen begründet, deren »Gewohnheit« es sei, »in Massenquartiere zurückzuströmen« (ÖVP-Abgeordneter Wedenig). Die Beiträge spiegeln wider, dass man dem Gedanken des Inländerschutzes verpflichtet ist; der

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Inlandarbeiterschutz 2.0

Grund, die Wohnverhältnisse zu verändern, liegt hauptsächlich in der Sicherung der Interessen der österreichischen Wohnbevölkerung. Zwar werden vom SPÖMandatar Schranz auch GastarbeiterInnen als gefährdet und schutzbedürftig dargestellt, nichtsdestotrotz stellt auch er explizit eine Verbindung zu vermeintlichen ethnischen Differenzen her. Abg. Hauser (ÖVP), Debatte zum Es besteht ganz gewiß die Gefahr, daß die AuslBG, XIII. GP, 140. Sitzung, März 1975 Österreicher verlernt haben, unangenehme, aber für die soziale Gemeinschaft unentbehrliche Arbeiten selbst zu verrichten. Wir kennen diesen Effekt: Das Niggertum in Amerika ist ein deutliches Beispiel, wohin Entwicklungen gehen können. Auch das ist für den Überlebenswillen eines Volkes nicht unbedeutend. Es ist aber auf der anderen Seite auch eine Abg. Wedenig (ÖVP), Debatte zum Gewohnheit mancher Gastarbeitergruppen, AuslBG, XIII. GP, 140. Sitzung, März 1975 daß sie nach kurzem Aufenthalt in einer ordentlichen Unterkunft wieder zu ihren Massenquartieren zurückströmen, weil sie gerne gemeinsam, sozusagen im größeren Verbandsbereich, wohnen. Abg. Schranz (SPÖ), Debatte zum Es sollen also mit diesen Bestimmungen AuslBG, XIII. GP, 140. Sitzung, März 1975 Gefahren auf dem Wohnungssektor ausgeschaltet werden, die sowohl die österreichische Bevölkerung betreffen als auch die Gastarbeiter selbst […]. Wir tun das vor allem auch im Interesse der österreichischen Bevölkerung, denn hier schafft die Profitpolitik der Hausbesitzer eine ungeheure Gefährdung der Österreicher, eine gesundheitliche Gefährdung durch Ansteckungsmöglichkeiten und auch eine ständige Belästigung durch das Zusammendrängen von mit den österreichischen Sitten und Gebräuchen wenig vertrauten Ausländern und damit auch eine weitgehende Beeinträchtigung der Wohnqualität, der Lebensqualität für die österreichische Bevölkerung. Sie fühlen sich, wenn Sie solche Häuser von innen anschauen, wie in den Slums unzivilisiertester Staaten und nicht wie in Mitteleuropa. Tabelle 7.3: Sekuritisierung in der Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz: öffentliche Ordnung

Der Schutz der GastarbeiterInnen, den die Anforderung einer ortsüblichen Unterkunft postuliert, ist eingebettet in einen diskursiven Kontext aus Sekuritisierung und Ethnisierung. Das schlägt sich auch in der Gestaltung der Maßnahmen nieder. Bei Fehlen einer entsprechenden Wohnmöglichkeit wird die

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Beschäftigungsbewilligung entzogen. Formal wird damit das Unternehmen sanktioniert, tatsächlich trifft diese Maßnahme die beschäftigte Arbeitskraft, der noch dazu keine reale Berufungsmöglichkeit gegeben wird. Die vermeintliche Fürsorge wird zur Drohung, das Leben in »unzumutbaren Wohnverhältnissen« bestraft: Gerade dieser Paragraph wird die Möglichkeit geben, eine bessere Handhabe gegen unzumutbare Wohnverhältnisse zu haben. Es soll aber auch hier klargestellt werden, daß der ausländische Arbeitnehmer die Beschäftigungsgenehmigung verlieren kann, wenn er gegen diese Bestimmungen verstößt.88

Die Ethnisierung sozialer Phänomene war kein historischer Zufall, sondern in der Nachkriegsordnung verankert. Mit dem Ausbau sozialer Rechte im Rahmen des Nationalstaats gewannen Nationalität und Staatsbürgerschaft nicht nur symbolisch an Bedeutung. Über die Idee eines Kollektivinteresses war darüber hinaus der »nationale Schulterschluss« der Sozialpartner tief in die politische Ordnung der Zeit eingeschrieben. Bestehende Deutungs- und Bewertungsschemata erlaubten, einen Unterschied zu machen, und von dieser Möglichkeit wurde ausgiebig Gebrauch gemacht, um auf die neu aufkommenden gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen eine Antwort zu formulieren. (Die gesetzliche Festschreibung bestehender Entrechtungen war in diesem Sinn notwendig, weil sie möglich war.) Der Utilitarismus der (Post-)Gastarbeiterpolitik ist von Sicherheitspolitik und Ethnisierung durchzogen. Insgesamt ergibt sich dadurch ein Rahmen, in dem grundlegende bürgerliche Rechte wie jenes auf freien Arbeitsmarktzugang, Vertragsfreiheit oder Bewegungsfreiheit aus den unterschiedlichsten Erwägungen heraus differenziert werden können. So kritisiert der FPÖ-Abgeordnete Melter, dass eine längere Laufzeit des Befreiungsscheines wünschenswert wäre, nicht, weil es um universale Rechte geht, sondern weil damit eine unerwünschte Flucht in die österreichische Staatsbürgerschaft verhindert werden könnte. Die Beschäftigungsbewilligung wird demgegenüber ganz klar als das begrüßt, was sie ist: Bei den zwei Jahren, die man für den Befreiungsschein vorsieht, liegen ja schon die allgemeinen Voraussetzungen für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft vor. Wir vertreten hier die Auffassung, daß wegen des Befreiungsscheines nicht unbedingt ein Druck ausgeübt werden sollte, um die österreichische Staatsbürgerschaft anzusuchen. Der Umstand, daß die Beschäftigungsbewilligung nur für die Dauer eines Jahres ausgestellt wird, wird von uns begrüßt, weil damit doch eine ziemlich schnelle Anpassung an den jährlichen Bedarf an ausländischen Arbeitskräften möglich ist. Wir begrüßen es auch, daß die Bewilligungen nur für bestimmte Arbeitsplätze in einem 88 Abg. Hofstetter (SPÖ), Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz, XIII. Gesetzgebungsperiode, 140. Sitzung, März 1975.

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Inlandarbeiterschutz 2.0

bestimmten Betrieb ausgestellt werden. Das ist deshalb sehr wesentlich, weil ja gerade die große Fluktuation für die Wirtschaft und damit für das Volkseinkommen eine besondere Belastung dargestellt hat.89

Nationale Zugehörigkeit, Ethnisierung und Sekuritisierung ermöglichten die differenzielle Entrechtung in Verbindung mit durchaus komplexen KostenNutzen-Rechnungen. Ob und in welcher Form ein Recht gewährt wird, hängt von den vermuteten Folgen und Risiken ab. Diese diskursive Konstellation ist an eine Perspektive gebunden, in der MigrantInnen als Objekte, nicht als Subjekte auftreten.

7.2

Nach der Gastarbeit

7.2.1 Ein geteilter Arbeitsmarkt Das Ergebnis der Gastarbeit war ein geteilter Arbeitsmarkt mit einem Niedriglohnsektor, dessen Entwicklung von jener in höherbezahlten Bereichen abgekoppelt wurde (Butschek/Walterskirchen 1974, 220 – 223). Diesem B-Segment waren die ArbeitsmigrantInnen der Nachkriegsjahrzehnte zugewiesen, damit »bildeten die ArbeitsmigrantInnen schließlich jene Klammer, die die auseinanderdriftenden Tendenzen in Arbeitsprozeß und Gesellschaft zusammenhielt« (Parnreiter 1994, 67 – 68). Selbst in Zeiten steigender Unternehmensgewinne, hoher Produktivitätszuwächse und starken Wirtschaftswachstums stiegen in den Jahren der Gastarbeit die Löhne in den untersten Einkommenssegmenten nicht oder nur marginal. Unselbstständig Beschäftigte in höherqualifizierten Tätigkeiten konnten demgegenüber reale Einkommenszuwächse verzeichnen (Pollan 1977). Eine wichtige Komponente der Entstehung eines rechtlich abgesicherten, ethnisierten Niedriglohnsektors war die Herausbildung eines »illegalen« Arbeitssektors, dessen Potenzial für Mitte der 1970er auf 40.000 Arbeitskräfte geschätzt wurde. Der wohl wichtigste Weg in den undokumentierten Arbeitsmarkt führte über die – phasenweise legalisierte – Touristenbeschäftigung (Matuschek 1985, 173; Mayer 2009, 35). Die Effizienz der Gastarbeitspolitik zeigte sich auch während der Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre. Das österreichische Migrationsregime konnte die Folgen des Wirtschaftsabschwungs und einen Großteil der Arbeitslosigkeit exportieren. Dazu reichten die Befristung der Beschäftigungsbewilligungen, die Kopplung von Arbeits- und Aufenthaltsrecht und die Durchgriffsrechte der Fremdenpolizei. Sari (1988, 56) zufolge wurden in nur drei Jahren 26 Prozent der 89 Abg. Melter (FPÖ), Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz, XIII. Gesetzgebungsperiode, 140. Sitzung, März 1975.

Nach der Gastarbeit

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migrantischen Arbeitskräfte abgebaut, und das obwohl viele Firmen dazu übergegangen waren, ihre GastarbeiterInnen dauerhaft zu beschäftigen. Die Segmentierung der Arbeitsmarkt- und Lohnentwicklung hing an rechtlich abgesicherten Einschränkungen der Verhandlungsposition und Arbeitsmarktfreiheit migrantischer Arbeitskräfte, die häufig keine andere Wahl hatten, als parallel zur Entrechtung auch eine Dequalifizierung in Kauf zu nehmen. Das über die Jahrzehnte aufgebaute Instrumentarium zur Regulation der Arbeitsmigration war in dieser Hinsicht effizient. Sie kam vor allem ohne die explizite Schlechterstellung im Arbeitsverhältnis aus, im Gegenteil: Die lohn- und arbeitsrechtliche Gleichstellung war seit dem Inlandarbeiterschutzgesetz fixer Bestandteil einer von den Gewerkschaften mitgetragenen Migrationspolitik. Die Diskriminierung musste davor passieren – durch Anwerbung für spezifische, niedrig bezahlte und qualifizierte Tätigkeiten. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang das 1975 im Ausländerbeschäftigungsgesetz festgeschriebene Verbot der Beschäftigung ausländischer Lehrkräfte, wenn diese später zur Konkurrenz für österreichische hätten werden können (Prader 1992a, 31). Ebenso ergibt sich aus der Temporalisierung der Beschäftigungsbewilligung, dass innerbetriebliche Weiterbildung und ein Aufstieg in höher bezahlte Positionen erschwert sind: »Die als temporär eingestuften Arbeitskräfte bleiben auch bei längerer Beschäftigung in den hierarchisch untersten Jobs festgenagelt« (Gächter 1992, 61). Abgesichert durch das Migrations- und Grenzregime wird so eine doppelt spezifische Arbeitskraft geschaffen: »Ihre Position im Arbeitsprozeß ist die einer flexibel kommandierbaren und billigen Masse Arbeitskraft, im Arbeitsmarkt die einer periodisch in die Arbeitslosigkeit ausgelagerten Reserve« (Gächter 1992, 61).

7.2.2 Diskursive Verschiebungen Obwohl das Ausländerbeschäftigungsgesetz auf rechtlicher Ebene keinen fundamentalen Bruch markiert, kann auf gesellschaftlicher Ebene das Ende der Gastarbeit als Zäsur in der Entwicklung der Arbeitsmigration nach Österreich gelten. Mit dem Ende der offiziellen Anwerbepolitik entkoppelten sich Migrations- und Ausländerbeschäftigungsprozesse, nach und nach wurden auch in Österreich »neue ethnische Minderheiten« soziale Realität (Castles et al. 1984), eine Entwicklung, die in der österreichischen Migrationsforschung breit aufgearbeitet wurde (als Überblickswerke dienen z. B. Wimmer 1986a; Fassmann/ Stacher 2003; Fassmann 2007). Auf politischer Ebene setzte eine diskursive Verschiebung ein. Zunehmend wurde sicherheitsbezogenen Aspekte mehr Gewicht gegeben, wie aus Grafik 7.1 ersichtlich. Wirtschaftliche Thematisierungen verloren an Gewicht, im Gegenzug kamen neue Themen auf: Schwarzarbeit,

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Inlandarbeiterschutz 2.0

Schlepperei, Scheinehen, Fragen der rechtlichen Gleichstellung und allgemein als kulturell deklarierte Aspekte sind Beispiele. All das geschah aber auf niedriger Flamme, die Gesamtzahl an Beiträgen blieb über den gesamten Zeitraum niedrig; zwar veränderte sich der thematische Raum der Migrationspolitik, insgesamt fand aber (noch) keine fundamentale Politisierung auf parlamentarischer Ebene statt.

Abbildung 7.1: Schlüsselbegriffe für zentrale Problemdimensionen: 1976 bis 1988

Die langsame Sekuritisierung brachte auch eine Veränderung der Zuschreibungen zur Figur der GastarbeiterInnen. Von reinen Arbeitskräften wurden sie nach und nach zu einer vieldimensionalen Figur, die auf allen wesentlichen

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migrationspolitischen Problemdimensionen lädt. Wie aus Abbildung 7.2 ersichtlich, kann Gastarbeit über den gesamten Zeitraum betrachtet als Repräsentation des migrationspolitischen Gesamt-Problematisierungsraumes dienen. In zwei Aspekten blieb die Figur des »Gastarbeiters« aber ein Erbe ihrer Zeit: in der Überrepräsentation von arbeitsbezogenen und der Unterrepräsentation von gleichheits- bzw. gerechtigkeitsbezogenen Thematisierungen.

Abbildung 7.2: Schlüsselbegriffe für zentrale Problemdimensionen: Gastarbeiter über gesamten Zeitraum

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Inlandarbeiterschutz 2.0

7.2.3 Rechtliche Weiterentwicklungen 1975 – 1988 Der anhaltend niedrige Grad der politischen Problematisierung von Migration in der Phase von der Mitte der 1970er- bis zum Ende der 1980er-Jahre spiegelt sich auch in der niedrigen Zahl an Weiterentwicklungen der Gesetzesmaterie. Tabelle 7.4 gibt einen Überblick über relevante Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen in den Jahren 1925 bis 1988. Nach Einführung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes war für mehr als zehn Jahre kein entscheidender Einschnitt zu verzeichnen. Die Novellen aus den Jahren 1987 und 1988 können dagegen als Präludium zu den Folgeentwicklungen interpretiert werden. Beide bringen bedeutende Veränderungen. Zunächst wurde auf Drängen des Verfassungsgerichtshofs das Fremdenpolizeigesetz adaptiert; Anlass war die mangelnde Rechtsklarheit und -sicherheit von langfristig in Österreich aufhältigen Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft. Die Novelle des Ausländerbeschäftigungsgesetzes 1988 brachte ebenfalls geringfügige Verbesserungen für langfristig in Österreich niedergelassene Personen; das betraf vor allem den Zugang zum Befreiungsschein (der weitgehend freien Arbeitsmarktzugang bedeutete) und die Verlängerung seiner Gültigkeit. Obwohl beide Maßnahmen weit hinter den Erwartungen politisch aktiver MigrantInnen geblieben waren (Sari 1988), ist die Art der Änderungen vor allem im Vergleich zu den Entwicklungen der Folgejahre interessant. Beide Novellen sind das Ergebnis politischer Kämpfe um Teilhabe und Anerkennung (vgl. Bojadzijev 2008). Auch wenn diese größtenteils ausbleiben, steht die Richtung der rechtlichen Anpassung doch in starkem Kontrast zu den Entwicklungen der 1990er- und 2000er-Jahre. Jahr Maßnahme 1988 Änderung Ausländerbeschäftigungsgesetz 1987 Änderung Fremdenpolizeigesetz 1983 Staatsbürgerschaftsgesetz 1975 1968 1954

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Kommentar Erleichterter Zugang zu Befreiungsschein und Verlängerung seiner Gültigkeit Neuregelung im Schubwesen

Staatsbürgerschaftsrechtliche Gleichstellung von Frauen Ausländerbeschäftigungsgesetz Ersetzt nach dem Krieg adaptierte Deutsche Reichsverordnung zur Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer Aufenthaltsberechtigung für Auch Asylgesetz 1968, erste Version eines Flüchtlinge eigenständigen Asylgesetzes Optionsgesetz Volksdeutsche Als Abschluss der rechtlichen Gleichstellung zeitlich befristetes Optionsrecht auf Einbürgerung für »volksdeutsche« Nachkriegsflüchtlinge Fremdenpolizeigesetz Löst reichsdeutsche Ausländerpolizeiverordnung ab, Abschaffung der Notwendigkeit einer Aufenthaltserlaubnis

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Nach der Gastarbeit

Fortsetzung Jahr Maßnahme 1953 Ratifikation Flüchtlingskonvention 1951 Notstandshilfe Volksdeutsche

Kommentar

Beginn des rechtlichen Gleichstellungsprozesses für »volksdeutsche Heimatvertriebene«: Anspruch auf Notstandshilfe 1948 Erlass zur Reichsverordnung Abschaffung Arbeitserlaubnis und 1933 Befreiungsschein 1946 Erlass zur Reichsverordnung Wiedereinführung der paritätischen 1933 Mitbestimmung 1941 Änderung Deutsche Reichsverordnung zur Beschäftigung Inlandarbeiterschutzgesetz ausländischer Arbeitnehmer (Reichsverordnung 1933) beschränkt Einfluss von Interessensverbänden, Doppelsystem Beschäftigungsbewilligung und Arbeitserlaubnis 1933 Ausländerpolizeiverordnung Übernahme der NS-Regelung 1925 Inlandarbeiterschutzgesetz Erstmals Inländerprimat am Arbeitsmarkt, Einführung Beschäftigungsbewilligung Tabelle 7.4: Auswahl an relevanten Gesetzesänderungen 1925 – 1988

Dass auch eine weitgehende Gleichstellung im Bereich des politisch Denkbaren und Möglichen ist, ist Thema des folgenden Kapitels, in dem die Geschichte der Gleichstellung der »Volksdeutschen« nachgezeichnet wird. Der Prozess der Gleichstellung war an eine Desekuritisierung (Huysmans 2006, 124 – 144) gekoppelt, die durch eine Kombination aus politischer Teilhabe und identitätspolitischen Vorstellungen möglich wurde.

8

Die Nicht-Gastarbeiter. »Volksdeutsche« Nachkriegsflüchtlinge

Die Geschichte der »volksdeutschen« Nachkriegsflüchtlinge90 in Österreich ist das seltene Ereignis einer Gleichstellungsgeschichte. Diese Gleichstellung erfolgte in Schritten; sie war an die spezielle Nachkriegssituation gekoppelt und sowohl ethnisch und humanitär als auch utilitaristisch fundiert. Auf dieser Grundlage wurde die Gleichstellung der Volksdeutschen als mit keinem anderen vergleichbares Migrationsphänomen der Nachkriegsjahrzehnte konstituiert. Obwohl sowohl sicherheitspolitische als auch ökonomische Thematisierungen zu finden sind, setzt sich eine Gerechtigkeits-/Gleichheitslogik durch (in diesem Sinn kommt es zu einer Desekuritisierung), die allerdings ethnisch verankert bleibt. Unter anderem zeigt die Geschichte der »volksdeutschen« Flüchtlinge so indirekt die Bedeutung der ethnisch/rassistischen Komponente für die dauerhafte Markierung und Positionierung als migrantisch(e Arbeitskraft).

8.1

Displaced Persons und »volksdeutsche« »Heimatvertriebene« in Österreich nach 1945

Die Phase der Gastarbeit nimmt in Darstellungen der österreichischen Migrationspolitik eine zentrale Rolle ein. Sie markiert den Ausgangspunkt von Entwicklungen, die bis heute Gegenstand gesellschaftlicher Diskussionen und sozialwissenschaftlicher Forschungen sind. Die Gastarbeit blieb im deutschsprachigen Raum lange Zeit auch terminologisch der Bezugspunkt politischer und 90 Der Begriff »volksdeutsch«, der die Spuren der NS-Terminologie trägt, wird in politischen, medialen und sozialwissenschaftlichen Zusammenhängen durchgängig beibehalten, was zum Teil das Ergebnis des auch rechtlich gestützten und damit offiziell anerkannten Gleichstellungsprozesses ist, der Thema dieses Kapitels ist. In Österreich war der Begriff seit seiner angeblich ersten Verwendung durch Sozialdemokraten (Hackl 2002, 7) ab den 1920erJahren verbreitet. Da der Begriff bis heute geläufig ist, wird er hier beibehalten, aber in Anführungszeichen gesetzt, um den Konstruktionscharakter der ethnisierten Bezeichnung zu unterstreichen.

202

Die Nicht-Gastarbeiter

sozialwissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Dieser Fokus kommt etwa in der lange Zeit etablierten Bezeichnung als Gastarbeiterforschung zum Ausdruck (Korte/Schmidt 1983; Lichtenberger 1984; Wimmer 1986a). Die Stoßrichtung dieser Forschung war, mit etablierten Deutungsmustern zu brechen und ArbeitsmigrantInnen aus einer rein ökonomischen Betrachtungsweise herauszulösen. Diskutiert wurden Lebensverhältnisse ebenso wie Identitätsmuster. Nichtsdestotrotz war die Gastarbeit als Ausgangsphänomen markiert.91 Die Konstruktion der Gastarbeit als migrationspolitischer Nullpunkt wird auch in üblichen statistischen Darstellungen der österreichischen Migrationsgeschichte reproduziert, die, für Österreich, mit dem Jahr 1961 beginnen, als gäbe es kein Davor. In der folgenden, wie in der Tabellenbeschreibung betont, auf mehrere administrative Datenquellen gestützten Darstellung der Wirtschaftskammer wird dieser Effekt durch die scheinbar sinnlose Auflistung der Jahre 1950 bis 1960 noch verstärkt (Tab. 8.1). Der Gesamteindruck wird durch die vernachlässigbar niedrige Zahl an ausländischen ArbeitnehmerInnen im Jahr 1961 unterstrichen (8.812 verglichen mit 226.384 im Jahr 1973 und 435.496 2008). Auch Biffl (1984, 649) argumentiert, dass man »[e]rst seit zu Beginn der sechziger Jahre die Vollbeschäftigung erreicht wurde, […] in Österreich vom Einsetzen der ›Fremdarbeiterwanderung‹ sprechen« könne, und lässt daher auch ihre statistischen Darstellungen mit dem Jahr 1961 beginnen. Diesen Problementwürfen zum Trotz gab es auch in den Jahren vor 1961 »Ausländerbeschäftigung«. Allein 1952 waren zwischen 120.000 und 150.000 Personen über eine Beschäftigungsbewilligung in Österreich erwerbstätig (Hackl 2002, 56). Der Rückgang auf den vernachlässigbar geringen Wert Anfang der 1960er-Jahre war auf eine Kombination aus Einbürgerungen und (Weiter-) Emigrationen zurückzuführen. Die Nachkriegsjahre bedeuteten auch arbeitsmarkt- und migrationspolitisch eine unübersichtliche Situation, mehrere hunderttausend Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft befanden sich in dieser Zeit in Österreich (Stieber 1995, 140), ein hoher Wert, auch wenn man ihn mit der Zahl der GastarbeiterInnen Anfang der 1970er-Jahre oder der Einwanderung Anfang der 1990er-Jahre vergleicht. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hielten sich geschätzt 1,6 Millionen Kriegsflüchtlinge und Displaced Persons (also auch ehemalige KZ-InsassInnen und andere ZwangsarbeiterInnen92) in Österreich auf, zudem war Österreich in den letzten Kriegstagen zum Rück91 Eine Ausnahme ist die Arbeit von Sensenig-Dabbous (1998), der auf Arbeitsmigration vor 1960 ausführlich eingeht, auch Fassmann/Münz (1995) streifen die Jahre 1945 bis 1960. 92 In Österreich waren 1945 rund 1,4 Millionen FremdarbeiterInnen (zwangs-)beschäftigt (Stieber 1995, 141), in einzelnen Bezirken Oberösterreichs machten sie laut offiziellen Statistiken aus dem Mai 1944 über 40 Prozent der Gesamtbeschäftigtenzahl aus (Volkmer 2003, 23).

Displaced Persons und »volksdeutsche« »Heimatvertriebene«

203

Abbildung 8.1: Auszug aus einer Tabelle der Wirtschaftskammer zur »Ausländerbeschäftigung«, Quelle: WKÖ

zugsgebiet für NS-Verbrecher, Angehörige der Ustascha, der Waffen-SS und anderer faschistischer Verbände geworden (Stanek 1985, 17). Von den in Österreich aufhältigen »AusländerInnen« wurde eine Million als »fremdsprachig« kategorisiert, 200.000 waren reichsdeutsche StaatsbürgerInnen, die im Laufe des Zweiten Weltkriegs nach Österreich gekommen waren. Drei Jahre nach Kriegsende variierte der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung zwischen 2 Prozent im Burgenland und 16,8 Prozent in Salzburg und 15,7 Prozent in Oberösterreich. In Summe lag der Anteil der dem Regime der Reichsverordnung 1933 unterstellten Arbeitskräfte an der Gesamtbeschäftigung bei rund 13 Prozent (Wurm 1993, 8; 25). Wie in Tabelle 8.1 dargestellt, nahm die Zahl der in Österreich aufhältigen Nicht-StaatsbürgerInnen über die Jahre stetig ab. Zu beachten ist, dass keine zuverlässigen Zahlen existieren, die genannten Werte sind als Untergrenze zu interpretieren; andere Quellen (Stanek 1985; Wurm 1993) nennen fast durchgängig höhere Zahlen.

204

Die Nicht-Gastarbeiter

Gesamt

»Volksdeutsche«

Displaced Persons 1946 482.596 306.652 161.869 1947 454.575 288.308 133.658 1948 471.584 327.506 124.795 1949 415.614 310.470 95.348 1950 358.689 281.432 70.501 1951 313.473 251.382 57.997 1952 256.644 210.193 44.426 Tabelle 8.1: Nachkriegsflüchtlinge, Displaced Persons und »Volksdeutsche« in Österreich, Quelle: Stieber 1995, Werte jeweils zum 1. Juli

Die rückläufige Entwicklung ist das Ergebnis zweier unterschiedlicher Prozesse. Einerseits reisten vorwiegend nicht-deutschsprachige Displaced Persons und Flüchtlinge weiter in eines der hauptsächlichen Einwanderungsländer der Zeit oder zurück in ihre Herkunftsländer. Diese Migrationsbewegungen wurden von den Alliierten und neu gegründeten internationalen Organisationen (UNRRA, IRO und ICEM) unterstützt und verwaltet. Andererseits ging die Zahl »ausländischer Arbeitskräfte« aufgrund der Integration und Einbürgerung der sogenannten »volksdeutschen Heimatvertriebenen« zurück. Wer waren nun diese »Volksdeutschen«? Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und danach flüchteten zahlreiche Angehörige deutschsprachiger Minderheiten aus osteuropäischen Staaten, teilweise wurden sie vertrieben. Für diese Gruppe wurde in der internationalen Flüchtlingsverwaltung die Bezeichnung »Volksdeutsche« geläufig. Im Potsdamer Abkommen aus dem August 1945 hatten die USA, Großbritannien und die UdSSR die Vertreibungen deutschsprachiger Minderheiten aus osteuropäischen Staaten, die schon während des Krieges begonnen hatten, offiziell gebilligt (Stieber 1995, 143; Hackl 2002, 25 – 26)93. Dem waren komplexe politische Entwicklungen vorausgegangen. Unmittelbarer Anlass oder Vorwand der Vertreibungen war, dass weite Teile der deutschsprachigen Bevölkerung Ost- und Mitteleuropas in das NS-Herrschaftsregime einbezogen gewesen waren – »[d]ie Miteinbeziehung der Volksdeutschen in die nationalsozialistische Aggressions- und Expansionspolitik bildete die Rechtfertigung für die gegen sie gerichtete Gewalt und Entrechtung am Ende des Krieges« (Volkmer 2003, 18). Im Potsdamer Abkommen legten die Alliierten 93 Deutsche Sprachinseln in Mittel- und Osteuropa waren das Ergebnis unterschiedlicher Wanderungs- und Kolonisierungsprojekte. Eine wichtige Rolle spielte die Neubesiedlung von der Donaumonarchie unterstellten Gebiete durch Maria Theresia und Josef II (Volkmer 2003, 13 – 19). Teilweise waren die Kolonisierungsprojekte mit Überschichtungstendenzen verwoben, Teile der deutschsprachigen Bevölkerung waren vergleichsweise wohlhabende Gutsbesitzer (für einen Überblick über die Siedlungsgeschichte siehe z. B. Hackl 2002, 9 – 12).

Displaced Persons und »volksdeutsche« »Heimatvertriebene«

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fest, dass diese Bevölkerungsgruppen in Deutschland aufzunehmen seien, konkret war von einer »Rückführung« die Rede.94 Für die österreichische Nachkriegsregierung ergab sich eine strategisch und administrativ ambivalente und komplexe Situation. 1945 hielten sich geschätzte 480.000 »Volksdeutsche« in Österreich auf, 1947 stieg ihre Zahl auf 872.000 (Stanek 1985, 19). Untergebracht waren sie zu einem großen Teil in Barackenlagern. Nicht zuletzt aufgrund der komplexen geopolitischen Verschiebungen nach dem Krieg erwies sich ihr Aufenthalt in vielen Fällen als dauerhafter als geplant, und zwar aus unterschiedlichen Gründen. So galten etwa aus Rumänien und Jugoslawien kommende Flüchtlinge als generell »nicht repatriierbar«, weil beide Länder im Potsdamer Abkommen nicht genannt wurden und Deutschland daher nicht für die Unterbringung zuständig war (Volkmer 2003, 19). In anderen Fällen hatte die österreichische Regierung ein Interesse daran, die Kriegsflüchtlinge als Arbeitskräfte zu halten. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Formulierung einer nationalen Interessen folgenden Migrations- und Arbeitsmarktpolitik in den Nachkriegsjahren durch mehrere Faktoren verkompliziert wurde. Zunächst waren die Zuständigkeiten zwischen Alliiertem Kontrollrat und österreichischer Regierung verteilt, wobei in der konkreten Umsetzung z. B. der Weiterleitung oder Repratriierung von Displaced Persons und Vertriebenen große Unterschiede zwischen den Verwaltungssektoren bestanden. Der österreichischen Regierung erwuchsen zahlreiche Verpflichtungen, vor allem die Verpflegung der Displaced Persons und Volksdeutschen betreffend, rechtlich blieben diese aber den Alliierten unterstellt (Stanek 1985, 23 – »Die Österreicher teilten damals die letzte Erbse mit den Heimatlosen.«). Neu gegründete internationale Organisationen95 erweiterten das Feld involvierter Akteure. Die geopolitischen Verschiebungen der Nachkriegsjahre trugen ebenfalls zur Komplexität der Situation bei; beispielsweise hatte Großbritannien als involvierte Kolonialmacht die Emigration jüdischer Flüchtlinge nach Palästina betreffend ganz andere Interessen als die anderen alliierten Staaten (Albrich 1995). Die offizielle Haltung der österreichischen Nachkriegsregierung den Volksdeutschen gegenüber war zunächst äußerst zurückhaltend. Der Mythos vom 94 Obwohl historisch wie auch regional die deutschsprachige Kolonisierung Osteuropas hauptsächlich mit der Habsburger Monarchie verknüpft war (das gilt auch für die große Gruppe der sogenannten Sudetendeutschen (Hackl 2002, 9)), folgten die Allierten hier der NS-Theorie deutschem Volkstums und erklärten Deutschland für zuständig. 95 Bis Ende 1946 war die United Nations Relief and Rehabilation Administration (UNRRA) in Österreich tätig. Sie ging 1947 schließlich in die International Refugee Organization (IRO) über, der Vorgängerorganisation des UNHCR. Ab 1951 war auch das Intergovernmental Committee for European Migration (ICEM) involviert, das später zur International Organization for Migration (IOM) wurde.

206

Die Nicht-Gastarbeiter

ersten Opfer des Nationalsozialismus und die daraus folgende rhetorische Distanzierung vom NS-Regime resultierten darin, dass gegenüber den Alliierten die Nicht-Zuständigkeit Österreichs betont wurde. Schließlich galt es, Österreich als von Deutschland unabhängigen Nationalstaat zu konstituieren und zu präsentieren, und das Potsdamer Abkommen sprach explizit von der Rückführung nach Deutschland. Der Umgang mit den »volksdeutschen« Flüchtlingen war vor diesem Hintergrund umso schwieriger, als sie unter dem Nimbus standen, mit dem NS-Regime kollaboriert zu haben. Gleichzeitig war die politische Elite bedacht, als wertvoll erachtete Arbeitskräfte zu halten, andere aber möglichst nicht versorgen zu müssen. Schon früh zeigte sich also eine utilitaristisch relativierende Rationalität, die an den arbeitsmarkt- und bevölkerungspolitischen Nachkriegsverhältnissen orientiert war. Die im Innenministerium für die »Überprüfung und Selektion« der Flüchtlinge zuständige »Abteilung 12U Umsiedlung« hatte dabei starke Vorbehalte – die auch »Volksdeutsche« betrafen. Stieber (1995, 144) zitiert aus einer Stellungnahme des Innenministeriums: Es ist ohne weiteres klar, daß wir diese mehr als eine halbe Million Leute nicht im Lande behalten können und wollen. In erster Linie wollen wir die Leute weghaben, von denen angenommen werden muß, daß sie sich der österreichischen Bevölkerung nicht anpassen werden. Das ist der weitaus größte Teil der Fremdsprachigen. Dann wollen wir alle weghaben, ob deutsch- oder anderssprachig, die schon jetzt erkennen lassen, daß sie absolut nicht arbeiten wollen, sondern sich mit Schleichhandel und auf andere verbrecherische Art ihren Lebensunterhalt beschaffen. Hierbehalten wollen wir aber diejenigen, die Berufe haben, an denen wir Mangel haben.

8.2

Der lange Weg zur Gleichstellung

Die Probleme und Vorbehalte in den ersten Nachkriegsjahren stehen in auffälligem Kontrast zu späteren Narrativen zur Geschichte der »Volksdeutschen« in Österreich, die durchgängig von einem gelungenen Integrationsprozess erzählen. Der Begriff der Integration charakterisiert den Prozess insofern treffend, als die volksdeutschen Nachkriegsflüchtlinge rechtlich wie gesellschaftlich als »AusländerInnen« galten. Wie alle anderen Nachkriegsflüchtlinge ohne österreichische StaatsbürgerInnenschaft unterstanden sie dem Regime von Fremdenpolizei- und Ausländerbeschäftigungsgesetz. Das war keine reine Formsache, zum Teil wurde der Rahmen des gesetzlich Möglichen bis an seine Grenzen ausgeschöpft. Hackl (2002, 58) berichtet, dass in Mondsee »Volksdeutsche« nur gegen Genehmigung durch den Bürgermeister öffentliche Verkehrsmittel nutzen durften. »Volksdeutsche« benötigten trotz ihres Vertriebenenstatus eine Aufenthaltserlaubnis, die zunächst alle drei Monate erneuert werden musste, später

Der lange Weg zur Gleichstellung

207

war für Volksdeutsche ein Daueraufenthaltsrecht »bis auf Widerruf« (Stieber 1995, 149) möglich. Eines der Kriterien für die Aufenthaltsbewilligung war die berufliche Qualifikation (Volkmer 2003, 111). Hier hatten die vorwiegend aus ländlichen Gebieten stammenden »Volksdeutschen« einen Vorteil, weil gerade in der Landwirtschaft dringend Arbeitskräfte benötigt wurden. Auch ihnen drohte jedoch der Entzug der Beschäftigungsbewilligung, wenn eine »Ersatzmöglichkeit durch Inländer gegeben« war (Volkmer 2003, 111) – es galt das Inländerprimat, das auch unter »Volksdeutschen« große Unsicherheit schuf. Die Behandlung als AusländerInnen beschränkte sich nicht auf die rechtliche Ebene. »Volksdeutsche« wurden nicht wie der lange verlorene Bruder begrüßt, in der Bevölkerung wie in den Medien dominierten Vorbehalte und Negativberichte (Hackl 2002; Imlinger 2003). Verschärft wurden Konflikte mit der lokalen Bevölkerung dadurch, dass ein großer Teil der »Volksdeutschen« in Lagern lebten. Stanek (1985, 18, 33 – 34) spricht von annähernd 1.000 mehr oder weniger verwahrlosten Barackenlagern, in denen rund 50.000 »Volksdeutsche« untergekommen waren. Die Lager waren als Horte der Unsicherheit verrufen, zur Prekarität der Wohnsituation kam damit auch die Stigmatisierung als LagerbewohnerInnen (Volkmer 2003). Auch in der populär- bis sozialwissenschaftlichen Aufarbeitung wurden (und werden) »Volksdeutsche« als MigrantInnen thematisiert, die Darstellungen zeigen in Fragestellungen wie Begrifflichkeiten Ähnlichkeiten zur Post-Gastarbeitsforschung. Die Untersuchungen fokussieren auf kulturelles Selbstverständnis und Identitätskonstruktion, untersucht wird etwa die Frage der »Identität im Alter« (Roggethin 2000) oder die biographische Verarbeitung von Vertreibungs- und Migrationserfahrungen (etwa Imlinger 2003). Neben dem Begriff der Identität ist Integration das zweite zentrale Schlagwort, so diskutieren etwa Hackl (2002) oder Stanek (1985) den Prozess der Eingliederung der »Volksdeutschen« in Österreich. In Deutschland erschien schon 1959 eine dreibändige Aufarbeitung der Integration der deutschsprachigen Vertriebenen, die einen »Überblick über den Eingliederungsprozess und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Aufnahmegesellschaft« gab, mit einem Fokus auf berufliche und sozialpolitische Aspekte (Roggethin 2000, 10). An den Erzählungen von der gelungenen Integration fällt auf, dass der Begriff der Integration durchgängig im Sinn von Gleichstellung und Gleichberechtigung verwendet wird. (Besonders markant ist der Kontrast zur Verwendung in anderen Kontexten bei Stanek 1985.) Dieser Gleichstellungsprozess dauerte Jahre – Volkmer (2003, 11) geht für Oberösterreich davon aus, dass er Anfang bis Mitte der 1960er-Jahre abgeschlossen gewesen sei und damit rund 20 Jahre in Anspruch genommen habe – und war mit mehreren Verschiebungen verbunden. Auf der diskursiven Ebene wurde eine sich langsam durchsetzende Würdigung des Beitrags zum Wiederaufbau in der Öffentlichkeit wie auch in den Medien

208

Die Nicht-Gastarbeiter

konstatiert. Institutionell gestützt wurde dieser Prozess dadurch, dass die »Volksdeutschen« einen Volksdeutschenbeirat schufen sowie Vertriebenensprecher im Parlament ernannten und so organisiert repräsentiert waren. Kern der Gleichstellung waren aber rechtliche Maßnahmen, die ab 1950 zu einer schrittweisen Gleichberechtigung führten. Nach und nach wurden »volksdeutschen« Nachkriegsflüchtlingen soziale und politische Rechte gewährt. Auf die Zuerkennung der Notstandshilfe im Jänner 1950, die anderen migrantischen Arbeitskräften aufgrund eines Nachkriegserlasses verwehrt blieb, folgte die arbeitsrechtliche Gleichstellung im Juli 1952. Auch im Mutterschutzgesetz und bei der Zulassung zu Gewerbe und zulassungspflichtigen Berufen wurden »Volksdeutsche« ÖsterreicherInnen gleichgestellt, als einer der letzten Berufsgruppen wurde Rechtsanwälten die freie Berufsausübung gewährt. Dass noch 1961 im »Kreuznacher Abkommen« zwischen Österreich und der BRD eine finanzielle Ausgleichsregelung für Wiedergutmachungsansprüche von Vertriebenen und Umsiedlern getroffen96 und in den Folgemonaten im Auslandsrenten-Übernahmegesetz (November 1961) und im Vertriebenen-Entschädigungsgesetz (Juli 1962) letzte Maßnahmen gesetzt wurden, zeigt, wie langwierig und komplex der rechtliche Integrationsprozess war (einen Überblick gibt Stanek 1985). Den Höhepunkt der Gleichberechtigungsmaßnahmen bildete das Optionsgesetz vom Juni 1954, das »Volksdeutschen« den erleichterten Zugang zur österreichischen StaatsbürgerInnenschaft mittels freiwilliger Erklärung ermöglichte. Von den 530.000 »Volksdeutschen«, die in Österreich geblieben waren, wurden bis 1961 rund 350.000 eingebürgert (Fassmann/Münz 1995, 34); Wurm (1993, 20) spricht von insgesamt 237.937 Einbürgerungen zwischen 1945 und 1955. Daran lässt sich die numerische Bedeutung der Einbürgerung von »Volksdeutschen« erkennen, von denen in diesem Zeitraum 180.000 die österreichische Staatsbürgerschaft erwarben. Darstellungen zum Trotz, in denen die Integration der »Volksdeutschen« als selbstverständliche, wenn auch durch die Umstände erschwerte Entwicklung beschrieben wird97, zeigen sich im Konkreten die Symptome der Ausnahmesituation. Alle wesentlichen rechtlichen Regelungen wurden mit Bedingungen versehen, so etwa minimale und maximale Aufenthaltsdauern und Fristen für die Inanspruchnahme von Rechten. So wurde das Optionsrecht für die Staatsbürgerschaft zunächst nur bis zum Ende des Folgejahres (1955) gewährt; 1955 wurde diese Frist um ein halbes Jahr verlängert. Auch in den Begründungen für 96 Die Bundesrepublik Deutschland verpflichtete sich zur Zahlung von 321 Millionen DM für Vertriebene und Umsiedler. 97 Etwa bei Stanek: »Diese zweifellos diffizile politische Situation begründet auch, warum Österreich die Volksdeutschen nicht wie die Südtiroler und Kanaltaler uno actu den österreichischen Staatsbürgern gleichstellte, sondern diese Maßnahmen mit leisen Schritten durch acht Gleichstellungsgesetze auf den einzelnen Teilgebieten vollzog« (Stanek 1985, 31).

Der lange Weg zur Gleichstellung

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die gewährten Sonderrechte zeigt sich die Komplexität der Situation – sie kombinieren den allgemeinen Flüchtlingsstatus mit Ausführungen über die wirtschaftlichen Leistungen und den »Fleiß« der »Volksdeutschen« ebenso wie mit ethnisierten identitätspolitischen Überlegungen. Diskursiv war ein Prozess der Desekuritisierung notwendig, um die rechtliche Gleichstellung möglich zu machen. »Volksdeutsche« wurden zunächst ebenso wie andere MigrantInnen als mehrfaches Sicherheitsproblem gesehen. »Volksdeutsche« waren nicht nur den zu der Zeit etablierten migrationspolitischen Sicherheitstechnologien unterworfen, sie wurden auch aktiv als Belastung und Gefahr für den Nachkriegsstaat diskutiert. Neben arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Aspekten spielten dabei die unklare politische Situation und die diskursive Assoziation der »Volksdeutschen« mit dem NS-Regime eine zentrale Rolle. So thematisierte die SPÖ 1946 politisch motivierte Übergriffe von LagerbewohnerInnen auf Mai-Feiern in Spittal/Drau. Dass es sich bei den AngreiferInnen um »Volksdeutsche« handelte, kann nur vermutet werden, in den ersten Jahren wurde in der parlamentarischen Auseinandersetzung nicht zwischen den unterschiedlichen Kategorien an Nachkriegsflüchtlingen differenziert. Ethnizität, Zugehörigkeit oder Flüchtlingseigenschaft spielten keine Rolle: »Wer sich als Ausländer nicht anständig benimmt, hat kein Recht auf unsere Gastfreundschaft, am wenigsten aber Faschisten, die uns beleidigen und sich an den Symbolen vergreifen, die der österreichischen Arbeiterschaft heilig sind«98. Auch in zwei Anfragen zur Zuteilung landwirtschaftlicher Arbeitskräfte finden »Volksdeutsche« keine explizite Erwähnung, die Rede ist allgemein von »ausländischen Flüchtlingen«99, obwohl aufgrund der von den Alliierten vorgegebenen Richtlinien andere Flüchtlingsgruppen für eine solche Form der Zuteilung zum Arbeitseinsatz nicht infrage kamen. Erst ab 1950 setzt sich die Bezeichnung »volksdeutsch« auch im parlamentarischen Kontext durch, und zwar in Kombination mit einer wesentlichen Verschiebung im Diskurs zur Flüchtlingsproblematik, die nun zusehends mit der Frage der »Volksdeutschen« gleichgesetzt wurde. Als Gründe für den plötzlichen Schwenk wird in der Literatur auf die politische Aktivität der »Volksdeutschen« verwiesen, die schon früh begonnen hatten, sich in Landsmannschaften zu organisieren, und auch den Weg in die etablierten Parteien gesucht hatten (Stanek 1985; Hackl 2002; Imlinger 2003). In anderen Worten: Auch im Fall der »Volksdeutschen« war ein Kampf um gesellschaftliche Klassifikationssysteme notwendig. Dieser Deutungskampf war von allen Seiten ein ethnisierter, was sich in Organisationsformen wie Problementwürfen niederschlug: 98 Anfrage 30/J (SPÖ), V. Gesetzgebungsperiode, Mai 1946. 99 Anfragen 218/J und 221/J (beide ÖVP), V. Gesetzgebungsperiode, Juni 1948.

210

Die Nicht-Gastarbeiter

Die Landsmannschaften bestehen heute noch; ihr Hauptanliegen ist die Pflege der Kultur und des Brauchtums der verlorenen Heimat. In letzter Zeit klagen sie allerdings darüber, daß ihre Kinder nicht mehr recht mitmachen wollen. Sie sind bereits zu sehr Österreicher geworden; der Weg von der Integration der Volksdeutschen führt hier zur Assimilation. (Stanek 1985, 28)

Die ethnisierte politische Aktivität der »Volksdeutschen« bei gleichzeitigem Fehlen anderer Formen der politischen Partizipation von Nachkriegsflüchtlingen sollte in der Folge zur Gleichsetzung des »Flüchtlingsproblems« mit dem »Volksdeutschenproblem« führen. Gleichzeitig bot gerade die Ethnisierung des Problems den deutschsprachigen Flüchtlingen eine Möglichkeit, Zugehörigkeitsvorstellungen, Ansprüche und Forderungen zu formulieren. Ab den frühen 1950er-Jahren ist eine klare Verschiebung in den parlamentarischen Problematisierungen festzustellen. Thematisiert wird jetzt explizit die Situation der »Volksdeutschen«, andere Flüchtlingsgruppen werden aus der Darstellung damit implizit ausgeschlossen (Wurm 1993). Auffällig ist, dass ab diesem Zeitpunkt immer wieder allgemeine Forderungen der »Menschlichkeit« erhoben werden. Beispielhaft zeigt sich die neue Form der Argumentation in einer Anfrage der FPÖ, in der gefordert wird, sich für noch in Kriegsgefangenschaft befindliche Volksdeutsche einzusetzen und diesen die Familienzusammenführung zu ermöglichen. Die Argumentation fokussiert auf allgemeine Fragen der Menschlichkeit, ist aber gleichzeitig ethnisch konnotiert. Fälle fremdsprachiger Displaced Persons, die in ähnlichen Situationen gewesen sein mögen, werden damit indirekt ausgeblendet, Menschlichkeit an Volkstum gekoppelt: Tausende von Angehörigen der in Österreich lebenden sogenannten Volksdeutschen befinden sich in Kriegsgefangenschaft bzw. in Arbeitsverschickung. Es erfolgen in den letzten Wochen wohl laufend Entlassungen, jedoch verlangt die Menschlichkeit, dass diesen sogenannten Volksdeutschen fünf Jahre nach Kriegsende endlich auch ihre Väter und Brüder beschleunigt wiedergegeben werden.100

Die Aspekte Fleiß/Leistung, Ethnizität und Menschlichkeit prägen von diesem Zeitpunkt an, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung, die Darstellungen durchgängig. Die allgemeine Flüchtlingsproblematik wird dabei zusehends auf die Frage der »Volksdeutschen« reduziert. Die ethnische Komponente wird manchmal als grundlegend vorausgesetzt, in anderen Fällen als zufällig gegebene, aber nicht entscheidende Dimension ins Spiel gebracht. In einer Anfrage der SPÖ aus dem Februar 1950 ist der Beitrag zum Wiederaufbau der entscheidende Faktor : »In den vergangenen Jahren haben zahlreiche nichtösterreichische Arbeitskräfte – insbesondere aus den Reihen der Volksdeutschen – 100 VI. Gesetzgebungsperiode, 56/J, Jänner 1950.

Der lange Weg zur Gleichstellung

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zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Österreichs wesentlich beigetragen.«101 In anderen Fällen wird die Menschlichkeit ohne explizite Einschränkung auf eine ethnisch markierte Untergruppe als wesentlicher Punkt genannt: »Wir halten es für abwegig, diese Frage, die eine Frage der Menschlichkeit und der Hilfsbedürftigkeit ist, zu einer Auseinandersetzung der Demagogie zu machen.«102 Gleichzeitig werden migrationspolitische Arrangements nach 1950 zunehmend aus der Sicht der von ihnen Betroffenen problematisiert. Das Muster ist dabei konstant: Eine allgemeine, nicht auf »Volksdeutsche« beschränkte Regelung (etwa die »Gebühren für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft«103), wird mit Verweis auf die Betroffenheit der »Volksdeutschen« diskutiert und auf dieser Grundlage kritisiert. Nun bilden bekanntlich die völlig verarmten heimatvertriebenen Volksdeutschen das Hauptkontingent der Einbürgerungswerber ; sie sind daher die Hauptbetroffenen der ungerechten Auswirkung. […] Die verheissene erleichterte und beschleunigte Einbürgerung der Volksdeutschen scheitert vielfach an der Höhe der vorgeschriebenen Gebühren und der in der Regel in gleicher Höhe zu entrichtenden Verwaltungsabgaben.104

»Volksdeutsche« treten dabei als politische Subjekte mit Ansprüchen, Bedürfnissen und Forderungen auf. Ihre Verbitterung alleine ist politische Handlungsaufforderung: Unter den noch nicht eingebürgerten deutschsprachigen Heimatvertriebenen erregt der Umstand große Verbitterung, dass sie von den Arbeitsämtern auf Grund des erwähnten Erlasses noch immer als Ausländer betrachtet werden, obwohl eine erhebliche Anzahl aus ihren Reihen um die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft angesucht hat. Von offizieller Seite wurde wiederholt anerkannt, dass sich die deutschsprachigen Heimatvertriebenen um den wirtschaftlichen Wiederaufbau Österreichs unbestreitbare Verdienste erworben haben.105

In den parlamentarischen Debatten zu den Gleichstellungsgesetzen ist die ethnisierte Einschränkung der Flüchtlingsproblematik auf Volksdeutsche bereits vorausgesetzt und wird von keiner Parlamentspartei infrage gestellt. Auf dieser ethnisierten Grundlage werden scheinbar selbstverständliche, universale Rechte verhandelt: »Zu diesem Gesetz selbst ist inhaltlich nicht viel zu sagen, es ist ein Akt der Gerechtigkeit, auf dem Grundsatz basierend: Gleiche Geldleistungen, 101 VI. Gesetzgebungsperiode, 86/J, Februar 1950. 102 Abg. Olah (SPÖ), Debatte zur Gewährung der Notstandshilfe für Volksdeutsche, VI. Gesetzgebungsperiode, 46. Sitzung, Jänner 1951. 103 Anfrage 204/J (VdU/FPÖ), VI. Gesetzgebungsperiode, Jänner 1951. 104 Anfrage 204/J (VdU/FPÖ), VI. Gesetzgebungsperiode, Jänner 1951; siehe auch Anfrage 241/ J (VdU/FPÖ), VI. Gesetzgebungsperiode März 1951. 105 Anfrage 170/J (ÖVP), VI. Gesetzgebungsperiode, November 1950.

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Die Nicht-Gastarbeiter

gleiche Ansprüche.« (Abg. Elser, KPÖ)106 Die von den nur den Volksdeutschen gewährten Ansprüchen Ausgeschlossenen finden keine Erwähnung. Diese Sichtweise kann als konsensual angenommen werden. Zwischen den Thematisierungen von KPÖ-Abgeordneten und VdU-Mandataren bestanden natürlich bedeutende Unterschiede, der ethnisch-nationalen Grundlage wurde aber nicht widersprochen. Vor allem die ersten Debatten zur Gleichstellung verliefen vor diesem Hintergrund zwar emotional, aber weniger aufgrund widerstreitender Problematisierungen als aus dem Grund, dass die Themenherrschaft gekämpft wurde. Der Prozess der Gleichberechtigung war also durch ethnisierte Vorstellungsgehalte strukturiert. Volksdeutsche wurden dabei als anders, aber doch zugehörig inszeniert, sie sind Brüder, die den schlimmsten Verlust hinnehmen mussten, den der Heimat. Die Problematisierung der Zugehörigkeit der Volksdeutschen ist von dieser Spannung aus Differenz und Gleichheit durchzogen. Die Gleichstellung ist notwendig, um »die Not der noch ärmer gewordenen, und noch mehr verelendeten heimgekehrten Volkssplitter« (Abg. Stüber, VdU) zu lindern, die Not der »Volkssplitter«, die von VdU bis SPÖ alle »in unseren Volkskörper, in unsere Bevölkerung eingliedern« (Abg. Olah, SPÖ) wollen. Dabei zeigen sich durchaus unterschiedliche Konzepte einer österreichischen Identität. Die ÖVP spricht, eingedenk der Habsburger Monarchie, von »Altösterreichern«, von VdU-Seite wird eher das Deutsche betont: Warum hat die Österreichische Volkspartei damals die heimkehrenden Volksdeutschen als so lästig betrachtet, als lästige Heimkehrer, wie heute noch die Kommunisten? […] Vor kurzer Zeit, meine Herrschaften, war es Ihnen noch unangenehm, das Wort »deutsch« auch nur in den Mund zu nehmen, selbst in der Verbindung »volksdeutsch«, weil Sie sich dessen geschämt haben.107

Die Integration der Volksdeutschen findet damit in einem bemerkenswerten Zirkel statt. Die Herstellung von Gleichheit ist möglich, weil sie bereits existiert. Der ÖVP-Abgeordnete Hauser konstatierte diesen Zusammenhang mit Bezug auf die Volksdeutschen Mitte der 1970er-Jahre, als er feststellte, dass »Integration immer gelingt, wenn ein Gemeinschaftsbewußtsein innerhalb der Beteiligten vorhanden ist«108. Es war die vorgestellte Nähe zu den deutschsprachigen Flüchtlingen, die Ende der 1940er-Jahre erlaubte, einer zunehmenden Zahl von »Volksdeutschen« den 106 Dieses und die Folgezitate: Debatte zur Gewährung der Notstandshilfe für Volksdeutsche, VI. Gesetzgebungsperiode, 46. Sitzung, Jänner 1951. 107 Abg. Stüber (VdU), Debatte zur Gewährung der Notstandshilfe für Volksdeutsche, VI. Gesetzgebungsperiode, 46. Sitzung, Jänner 1951. 108 Abg. Hauser (ÖVP), Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz, XIII. Gesetzgebungsperiode, 140. Sitzung, März 1975.

Kein Präzedenzfall

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Zugang zur Staatsbürgerschaft zu gewähren. Die politische Einbindung schlug sich im verstärkten Bemühen der Parteien um die Heimatvertriebenen nieder, die nun in allen Parteien eigene VertreterInnen hatten und auch auf institutioneller Ebene in Form des Vertriebenensprechers im Parlament und des Volksdeutschenbeirats repräsentiert waren. Stanek (1985, 27) führt die erfolgreiche Integration der »Volksdeutschen« vorwiegend auf diesen Prozess der Elitenbildung und Einbindung in politische Abläufe zurück. Die politische Partizipation ermöglichte ihrerseits eine Verschiebung der Perspektive, sodass die Sicht der von migrationspolitischen Sondergesetzen Betroffenen eingenommen werden konnte. Huysmans (2006, 124 – 144) argumentiert, dass die Desekuritisierung migrationspolitischer Themen voraussetzt, dass neue diskursive Verknüpfungen geschaffen werden. Konkret diskutiert er die Kopplung mit Fragen der sozialen (Un-)Gleichheit und der Gerechtigkeit. Beide Aspekte spielten als diskursive Begleiterscheinungen der Integration der »Volksdeutschen« eine wichtige Rolle. Sie erlaubten, die versicherheitlichte Betonung von Risiken und Gefahren in den Hintergrund zu drängen und die Frage nach staatsbürgerschaftlichen Rechten und Ansprüchen zu formulieren. Von Objekten in Risiko- und Nutzenkalkulationen wurden »Volksdeutsche« zu Subjekten im politischen Prozess, deren allgemeine bürgerliche, politische und soziale Rechte keiner ökonomischen oder versicherheitlichten Relativierung unterliegen. Vorherrschende ethnisierte Deutungs- und Bewertungsschemata waren in diesem Prozess eine Ressource, die anderen Flüchtlingsgruppen nicht zur Verfügung stand. Letzten Endes bildete der deutschsprachige Charakter des Staates das entscheidende Kriterium für die Auswahl der integrierbaren Vertriebenen. Das offizielle Betonen der ethnisch-sprachlichen Verwandtschaft als Bedingung für erfolgreiche Eingliederung erscheint fast paradox, weil der neue Patriotismus gleichzeitig bemüht war, eine eigenständige österreichische Nation von der deutschen abzugrenzen. (Bauböck 1996, 8)

Bauböck (1996, 6 – 8) spricht zutreffenderweise von einer selektiven Integration der Nachkriegsflüchtlinge, der Weg zu dieser war aber lang und voraussetzungsreich. Der letztendlichen Einbindung der Volksdeutschen stand etwa die antisemitische Ausgrenzungspolitik gegen jüdische Nachkriegsflüchtlingen entgegen (Albrich 1995).

8.3

Kein Präzedenzfall

In der Literatur wird die Gleichstellung der »Volksdeutschen« als selbstverständliche Anpassung gesehen: »Mit fortschreitender wirtschaftlicher Konsolidierung des Landes trat der unzeitgemäße Charakter der Maßnahmen, die ihre

214

Die Nicht-Gastarbeiter

[gemeint sind die Volksdeutschen, Anm.] freie Arbeitsplatzwahl beschränkten, immer stärker hervor« (Volkmer 2003, 115). Dieser Annahme steht die im Vergleich mit anderen migrationspolitischen Problematiken intensive parlamentarische Auseinandersetzung mit dem Thema gegenüber. Die Gleichstellung der Volksdeutschen musste diskursiv verhandelt, durchgesetzt und abgesichert werden. Im Zeitraum 1945 bis 1975 beschäftigen sich 82 Einzelbeiträge (Anfragen und Reden) mit der Volksdeutschenproblematik, im Vergleich zu 24, die sich dem Problem der Gastarbeit zuordnen lassen. Acht Mal fanden zwischen 1950 und 1962 Plenardebatten statt, die explizit den Problemen der »Volksdeutschen« gewidmet waren. Umso auffälliger ist, dass mit Ausnahme vereinzelter Verweise das Integrationsprojekt »Volksdeutsche« nie als Präzedenzfall oder Erfahrungsschatz herangezogen wurde. Dabei wären Parallelen nicht nur zur allgemeinen Flüchtlingspolitik – der die Volksdeutschenproblematik in den ersten Nachkriegsjahren und nach dem Ende des Gleichstellungsprozesses zugeordnet wurde –, sondern vor allem auch zur Gastarbeit ohne Weiteres zu diagnostizieren gewesen. Wie erwähnt, unterstanden »Volksdeutsche« dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, auch die Diskussionen um ihre Lebensverhältnisse berühren Arbeitsmarktfragen. Umgekehrt zielten die ersten Anfragen, die sich nach dem Weltkrieg der Beschäftigung von »migrantischer« Arbeitskraft widmeten, auf die Beschäftigung von Flüchtlingen, und dabei an erster Stelle von »Volksdeutschen«. In zwei Anfragen zur Nutzung von Flüchtlingen in der Landwirtschaft ist kaum ein Unterschied zu üblichen Diskussionen zur Nutzung migrantischer Arbeitskräfte zu erkennen. Inländische ArbeiterInnen drohen von ausländischen verdrängt zu werden, diese sollen nach utilitaristischen Kriterien so verteilt werden, dass sie volkswirtschaftlichen Nutzen bringen: Es wird die Beobachtung gemacht, daß viele der Flüchtlinge in den Auffangs- und Flüchtlingslagern wenig Interesse zeigen, in der Landwirtschaft Arbeitsplätze aufzunehmen, obwohl es sich oftmals um Menschen aus dem bäuerlichen Lebenskreis handelt. Vielfach besteht das Interesse, Arbeitsplätze in der Industrie und im Gewerbe zu finden, wo sie oft einheimische Arbeiter verdrängen.109

Tatsächlich waren »Volksdeutsche« als Proto-GastarbeiterInnen in den Arbeitsmarkt integriert. Sie waren hauptsächlich in niedrig qualifizierten Tätigkeiten zu finden, in diesen machten sie aber einen wesentlichen Anteil der Gesamtbeschäftigten aus. In Oberösterreich hatten 1948 29,6 Prozent der in der Landwirtschaft Beschäftigten nicht die österreichische Staatsbürgerschaft, davon fiel der Großteil in die Kategorie der »Volksdeutschen«. Unter HilfsarbeiterInnen machten sie 25,8 Prozent aus. In höher qualifizierten Tätigkeiten 109 Anfragen 218/J und 221/J (ÖVP), V. Gesetzgebungsperiode, Juni 1948.

Kein Präzedenzfall

215

waren praktisch keine AusländerInnen zu finden, beispielsweise hatten gerade 0,4 Prozent der Maschinisten und Heizer nicht die österreichische StaatsbürgerInnenschaft. Insgesamt waren in dieser Zeit kurz nach dem Krieg rund 23 Prozent der verfügbaren Arbeitskräfte keine österreichischen StaatsbürgerInnen (Volkmer 2003, 132 – 134) Die Positionierung der »Volksdeutschen« am Arbeitsmarkt war durch dieselben Einschränkungen der Bewegungs- und Vertragsfreiheit geprägt wie die anderer ausländischer ArbeitnehmerInnen. Das Regime der Beschäftigungsbewilligung band Volksdeutsche an ihre ArbeitgeberInnen und bedeutete, dass ihre Weiterbeschäftigung unter dem Vorbehalt stand, dass kein/e ÖsterreicherIn für ihren Arbeitsplatz verfügbar war (Volkmer 2003, 114 – 116). Umso bedeutsamer war, dass die arbeitsrechtliche Gleichstellung einer der ersten Schritte im Gleichberechtigungsprozess war. Auch der Befreiungsschein, eigentlich 1948 per Erlass abgeschafft, wurde speziell für »Volksdeutsche« wieder eingeführt (allerdings zunächst nur für ArbeiterInnen; Angestellte und in der Landwirtschaft Beschäftigte waren von dieser Regelung ausgenommen). Die Auswirkungen einer solchen Differenzierung auf die Betroffenen war schon damals bekannt, und im speziellen Fall der Volksdeutschen offenbar in sich eine politische Handlungsaufforderung. So etwa eine Anfrage der ÖVP: »Eine Trennung der Heimatvertriebenen in Bevorzugte und unter Ausnahmebestimmungen Fallende erscheint unzweckmässig und müsste die bestehende Unzufriedenheit noch weiter steigern«110. Parallel zur rechtlichen Gleichstellung und der diskursiven De-Sekuritisierung erfuhr auch das migrationspolitische Instrumentarium eine selektive Neubewertung. »Volksdeutsche« waren bis weit in die 1960er-Jahre immer wieder Thema der parlamentarischen Auseinandersetzung – beispielsweise trat Anfang der 1960erJahre das Problem der Anerkennung von Ersatzdokumenten für Flüchtlinge auf111. Zu dieser Zeit waren die ersten Gastarbeiterkontingente bereits beschlossen. Umso auffälliger ist das Fehlen jeglicher thematischer Verknüpfung der beiden Fragen. Die oben dargestellte Kombination von Ethnisierung, Opferdiskurs (Menschlichkeit) und Beitrag zum Wiederaufbau diente als Grundlage dafür, das Beispiel »Volksdeutsche« trotz der zahlreichen Ähnlichkeiten in sozialen und rechtlichen Belangen als inkommensurabel mit anderen migrationspolitischen Problemen zu etablieren. Zusammenfassend zeigen sich die im Lauf der Zeit durchgesetzten Unterschiede zwischen den prototypischen Figuren des »Volksdeutschen« und anderen als MigrantInnen inszenierten Gruppen in den thematischen Verknüp110 Anfrage 170/J (ÖVP), VI. Gesetzgebungsperiode, November 1950. 111 Anfrage 207/J (ÖVP), IX. Gesetzgebungsperiode, Mai 1961, sowie Anfrage 256/J (FPÖ), IX. Gesetzgebungsperiode, Februar 1962.

216

Die Nicht-Gastarbeiter

fungen, die in der Problematisierung der »Heimatvertriebenen«-Problematik vorgenommen werden (Abbildung 8.2). Im Gegensatz zum Fall der GrenzgängerInnen sind deutliche Spuren der Problematisierung als Migrationsphänomen erkennbar, nicht zuletzt am Überhang der Bezeichnungen als »Arbeitskraft«, nicht als »Arbeitnehmer«. Auch einzelne Sekuritisierungsindikatoren deuten in diese Richtung, so etwa die numerische Relevanz von Bezügen zu Arbeitslosigkeit. Von anderen Migrations-Figuren unterscheidet sich die diskursive Repräsentation der »Volksdeutschen« allerdings in zwei miteinander verwobenen Punkten: in der vernachlässigbaren Relevanz des Abgrenzungsmarkers »ausländisch« und, vor allem, in der überwältigenden Bedeutung der Gleichstellungsproblematik.

Abbildung 8.2: Schlüsselbegriffe für zentrale Problemdimensionen: Volksdeutsche

Kein Präzedenzfall

217

Nur an einer Stelle im Korpus findet sich eine direkte Verknüpfung von Gastarbeit und Volksdeutschenproblematik, in einer Rede des VP-Abgeordneten Hauser in der Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz. Bemerkenswert ist diese Stelle, weil sie im expliziten Vergleich durchaus die sozial- und arbeitsmarktpolitischen Ähnlichkeiten betont; allerdings wird die Adäquatheit des Vergleichs unmittelbar darauf relativiert. Aufgrund der größeren kulturellen Distanz stünde der »volksdeutsche« Pfad der Integration den zu »Gastarbeiterheeren«, die durch Europa ziehen, stilisierten migrantischen Arbeitskräften der späteren Jahrzehnte nicht offen – ein völlig verqueres Bild, das viel besser auf die Fluchtbewegungen nach dem Weltkrieg zutrifft als auf die organisierte Gastarbeit. Der mühsame Prozess der rechtlichen Gleichstellung wie auch die ihm zugrunde liegenden Problementwürfe, in denen die Kausalwirkung von der rechtlichen und materiellen Gleichstellung zur Integration verlaufen war, bleiben unerwähnt: Ich möchte nun doch kurz daran erinnern, daß wir uns ja schon in der Vergangenheit in solchen Phasen befunden haben. Denken Sie an die Zeit nach dem Krieg: Deutschland vom Krieg gänzlich zerstört; auch wir in unserem Land an den Kriegsfolgen leidend; die Sudetendeutschen, die Volksdeutschen, die aus dem Südosten hierher zu uns verschlagen wurden, waren in unsere Volkswirtschaft zu integrieren. Und am Anfang war, wenn Sie sich an die Jahre nach 1945 erinnern, auch das ein menschliches Problem. Die Frage, ob man diese Leute so beschäftigen kann wie Inländer, war auch damals aktuell. Denken Sie etwa an die Zustände der Ostzone Deutschlands, den Millionenstrom von Flüchtlingen nach Westdeutschland. Damals machte man sich Sorgen, ob dieser Staat mit den vielen Millionen überhaupt fertig werden kann. Und wie wir heute alle wissen, beruht nicht zuletzt auf dieser gelungenen Integration der Menschen das deutsche Wirtschaftswunder. […] Die Integration gelingt immer dann, wenn ein Gemeinschaftsbewußtsein innerhalb der Beteiligten vorhanden ist. Anders scheinen nun tatsächlich – das muß man offen aussprechen – die Dinge zu liegen, wenn wir an die Gastarbeiterheere denken, die seit einigen Jahren in einer ungeheuren Binnenwanderung durch Europa ziehen.112

Im Gegensatz zum Abgeordneten Hauser stimmt Biffl (1984, 649) der etablierten Sichtweise zu, dass die Frage der Ausländerbeschäftigung erst mit der Gastarbeit der 1960er-Jahre aufgekommen sei: »In der ersten Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stellte sich die Frage der Ausländerbeschäftigung nicht, da es vor allem galt, die große Zahl der Flüchtlinge, die als Volksdeutsche den Inländern gleichgestellt waren, in den Arbeitsmarkt einzugliedern.« Keine Erwähnung finden die Prozesse der Gleichstellung oder die vorangegangene differenzielle Einbindung in den Arbeitsmarkt als migrantische Arbeitskraft. Diese Form der sozialwissenschaftlichen Darstellung spiegelt das Selbstverständnis einer Poli112 Abg. Hauser (ÖVP), Debatte zum Ausländerbeschäftigungsgesetz, XIII. Gesetzgebungsperiode, 140. Sitzung, März 1975.

218

Die Nicht-Gastarbeiter

tik, deren Akteure über Jahre das Problem der Eingliederung der Nachkriegsflüchtlinge als Ausnahmephänomen konstituiert hatten, in dem die Gleichstellung der »Volksdeutschen« kein Präzedenzfall und damit die Gastarbeit der Beginn der »problematischen« Arbeitsmigration war. Für die sozialwissenschaftliche Analyse geraten historische Vergleichsfälle zur Identifikation konstituierender und strukturierender gesellschaftlicher Prozesse ebenso wie juristische, diskursive und soziale Pfadabhängigkeiten aus dem Blick. Diese Perspektive auch historisch zu erweitern könnte einen Beitrag dazu leisten, diesen nationalen Mythos, der selbst eine Rolle in der Marginalisierung migrantischer Arbeitskraft gespielt hat und spielt, zu hinterfragen.

Teil III Eine neue Gastarbeit für eine neue Zeit?

Rückblick und Ausblick

Im ersten empirischen Block der Arbeit wurde argumentiert, dass in den Jahrzehnten vor und nach dem Zweiten Weltkrieg im Wechselspiel von Ökonomisierung und Sekuritisierung von Migration ein System zur Regulation der Arbeitsmigration etabliert wurde, das den speziellen Herausforderungen der Nachkriegsordnung entsprach. Dass die Rekrutierung von ArbeitsmigrantInnen in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg einer utilitaristischen politischen Rationalität folgte, ist unstrittig. Die wirtschaftspolitische Logik der Gastarbeit schlägt sich in den sie rahmenden Stellungnahmen ebenso nieder wie auf der Ebene administrativer und regulatorischer Praktiken. Das Gastarbeitsregime setzte aber Maßnahmen voraus, die in einem ganz anderen Kontext etabliert worden waren – aus einer wirtschaftsliberalen Logik allein wären diese nur schwer zu rechtfertigen gewesen. Sassen (2008) folgend, kann gesagt werden, dass mit dem Inlandarbeiterschutzgesetz bestimmte capabilities entwickelt wurden, die später im Rahmen einer neuen organisatorischen Logik re-investiert werden konnten. Die Gastarbeit ist daher, entgegen üblichen Darstellungen, kein migrationspolitischer Nullpunkt: »Volksdeutsche« und andere Nachkriegsflüchtlinge waren schon im ersten Nachkriegsjahrzehnt auch im rechtlichen Sinn migrantische Arbeitskräfte. Hinsichtlich der Debatte um das Verhältnis von restriktiver, sekuritisierter Migrationspolitik und utilitaristischer, nutzenorientierter Argumentationen zeigt sich in den empirischen Analysen der Migrationsdebatten im österreichischen Parlament ein Wechselspiel. In den kontextualisierenden Diskussionen der empirischen Befunde habe ich argumentiert, dass sich sowohl die Sekuritisierung als auch die Ökonomisierung von Migration auf strukturelle Tendenzen des liberalen Nationalstaats in der jeweiligen Epoche zurückführen lässt: die Maßnahmen des Inlandarbeiterschutzgesetzes und die Formen, in der sie in der Zwischenkriegszeit argumentativ gestützt wurden, auf die Durchsetzung einer nationalstaatlichen Logik in der Arbeitsmarktpolitik, die Übernahme und Weiterentwicklung der NS-Gesetzgebung in der Zweiten Republik erstens auf die spezifische Form, in der sich nationale und soziale Frage nach 1945 stellten, und

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Rückblick und Ausblick

zweitens auf die konkrete Art der Nachfrage nach migrantischer Arbeitskraft in der fordistischen Wirtschaftsordnung der Nachkriegsjahrzehnte. Die gesellschaftliche Ordnung der Gastarbeiterepoche kam Mitte der 1970erJahre in eine politische und ökonomische Krise, die zu Restrukturierungen am Arbeitsmarkt wie auch zu Verschiebungen in den politischen Systemen Westeuropas führte. Damit änderten sich sowohl die migrationspolitischen Herausforderungen als auch die Wege, die eingeschlagen wurden, um ihnen zu begegnen. Das Ende des Kalten Kriegs und der EU-Integrationsprozess wirkten als Katalysatoren dieser Transformationsprozesse, die sich in der oben diagnostizierten Politisierung von Migration niederschlugen. Vor diesem Hintergrund führte, wie im Folgenden deutlich gemacht wird, wiederum das Wechselspiel von Ökonomisierung und Sekuritisierung von Migration zur Entwicklung neuer migrationspolitischer Instrumente. Ohne die restriktive Anti-MigrantInnen-Politik der 1990er- und 2000er-Jahre wäre, in anderen Worten, ein Migrationsmanagement in seiner aktuellen Form nicht möglich. Im Vergleich zu den Jahrzehnten davor fallen dabei erstens das Tempo der Weiterentwicklung des österreichischen Migrationsregimes und zweitens die Komplexität der Regulationsformen auf.113 Der zweite empirische Teil der Arbeit ist diesen Entwicklungen gewidmet. Im anschließenden Kapitel charakterisiere ich den Politisierungsprozess der Migration ab Mitte der 1980er-Jahre als weitreichenden Prozess der Sekuritisierung. Zunächst skizziere ich den Bruch in der parlamentarischen Auseinandersetzung, der mit einer Dynamisierung der Gesetzgebung verbunden war. Als Gründe für die Politisierung und Dynamisierung der Migration werden in der Literatur verschiedene Faktoren genannt. Zu den zentralen zählen Veränderungen in den Migrationsdynamiken selbst, Verschiebungen in den politischen Landschaften westlicher Staaten und intentionale Handlungen institutioneller Akteure. In Kapitel 9 bespreche ich zunächst verschiedene Erklärungsansätze und zeige dann, dass alle ins Feld geführten Gründe als Elemente umfassender gesellschaftlicher Transformationsprozesse interpretiert werden können. Ein 113 Es ist im Rahmen dieser Arbeit aufgrund der Dynamik und Komplexität der juristischen Entwicklungen nicht möglich, einen auch nur annähernd vollständigen Überblick über die Weiterentwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu geben. Schumacher (2003, 11) diagnostiziert in seinem Standardwerk zur Migrationsgesetzgebung in Österreich: »Ein gutes Gesetz sollte so formuliert sein, dass es von jenen, die es betrifft, gelesen und verstanden werden kann. Ein akzeptables Gesetz muss zumindest für Juristen, die nicht ständig mit ihm befasst sind, klare Auskunftsquelle sein. Das Fremdenrecht erfüllt nichts davon. Ständige Gesetzesänderungen […], zahlreiche widersprüchliche Detailregelungen und fehlende Bestimmungen für Probleme der Praxis machen aus einer Materie, die immerhin für über 700.000 Menschen ohne österreichischen Pass außerordentliche Bedeutung hat, eine Spezialwissenschaft.«

Rückblick und Ausblick

223

zentraler Aspekt muss dabei im Rahmen dieser Arbeit unterbelichtet bleiben: die Entwicklungen rund um die EU-Integration. Anschließend stelle ich zwei wesentliche juridische Folgeentwicklungen der diskursiven Sekuritisierung von Migration dar. Die erste findet vorwiegend im neu ausdifferenzierten Feld der Asylpolitik statt und führt, mit Blick auf die Steuerung der (Arbeits-)Migration, zur Forcierung der »Deportability« migrantischer Arbeitskraft. Die zweite ist vorwiegend dem Feld der Integrationspolitik zuzurechnen und hat die Etablierung neuer Klassifikationen und Kriterien zur Folge. Der Fokus der Arbeit bleibt auf der Regulation der Arbeitsmigration, eine kursorische Darstellung der mit dieser Sekuritisierung verbundenen Maßnahmen ist aber notwendig, weil diese erstens in Wechselwirkung mit Regelungen zur Arbeitsmigration stehen und weil sie zweitens die Weiterentwicklung des direkt die Arbeitsmigration betreffenden Regelwerks strukturiert haben. Trotz der umfassenden Sekuritisierung von Migration verschwinden ökonomisierende Problematisierungen nicht aus der parlamentarischen Auseinandersetzung. Wie auf Basis der resultierenden Wechselwirkung neue migrationspolitische Instrumente möglich wurden, diskutiere ich anhand zweier Neuerungen: erstens des bis heute wenig diskutierten Saisonnierstatus, zweitens der medial viel beachteten, aber bisher sozialwissenschaftlich noch relativ unbearbeiteten Rot-Weiß-Rot-Karte. Zusammen bilden sie wesentliche Elemente eines dem aktuellen internationalen Trend entsprechenden Migrationsmanagements, das transnationale Elitenmobilität mit weitgehend entrechteter temporärer Migration verbindet.

9

Nach 1989: Sekuritisierung von Migration

Ab Mitte der 1980er-Jahre setzten international zu beobachtende Dynamiken auch in der österreichischen Migrationspolitik ein. Wie oben bereits erläutert, vervielfachte sich die Zahl der migrationspolitischen Anfragen und Diskussionen. Auch die Form der inhaltlichen Problematisierung verschob sich deutlich, und zwar ganz der These von der Sekuritisierung der Migrationspolitik ab Mitte der 1980er-Jahre entsprechend (Waever et al. 1993; Bigo 2002; Huysmans 2006; Guild 2009). Der schon in Kapitel 4 beschriebene Bruch in der Intensität der Thematisierung tritt zwischen der 16. (Koalition zwischen SPÖ und FPÖ, 1983 – 86) und der 17. Gesetzgebungsperiode (große Koalition, 1986 – 90) auf und lässt sich allein an der Anzahl der migrationsbezogenen Anfragen ablesen: von 9 in der 16. auf 47 in der 17. und 105 in der 18. Legislaturperiode. Vor diesem Hintergrund kam es zu einer beachtlichen Beschleunigung gesetzgeberischer Aktivitäten. Innerhalb weniger Jahre wurde das österreichische Migrationsregime mehrfach erweitert und umstrukturiert.

9.1

Der Bruch im Diskurs: Politisierung und Sekuritisierung in der parlamentarischen Auseinandersetzung nach 1989

Im Folgenden zeichne ich zunächst den migrationspolitischen Bruch der späten 1980er-Jahre auf der diskursiven Ebene nach. Anschließend diskutiere ich mögliche Erklärungen für die neue Form und Intensität der Problematisierung von Migration und argumentiere, dass sie als Resultat des vielschichtigen Transformationsprozesses der politisch-ökonomischen Ordnung der vergangenen Jahrzehnte gesehen werden können. Die anschließenden Kapitel 9.3 bis 12 widmen sich der Frage, ob und inwiefern auch die auf dieser Grundlage erfolgten Erweiterungen des österreichischen Migrationsregimes, speziell hinsichtlich der Regulation der Arbeitsmigration, auf ein Wechselspiel von Sekuritisierung und Ökonomisierung von Migration zurückgeführt werden können.

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Nach 1989: Sekuritisierung von Migration

9.1.1 Inszenierung einer Flüchtlingskrise : 1989 als Bruch im Migrationsdiskurs Abbildung 9.1 zeigt, wie Themen und Begriffe, die davor kaum bis gar nicht zur Sprache gekommen waren, ab den späten 1980er-Jahren relativ abrupt ins Feld der Migrationspolitik getragen wurden. Die Grafik greift vier Begriffe heraus, die als indikativ für dominante Themen und Topoi gelten können. Klar zu erkennen ist, dass es sich nicht um eine einmalige Verschiebung handelt; Sekuritisierende Problematisierungen waren über die gesamten 1990er- und 2000er-Jahre zu beobachten. Zu Beginn der 1990er-Jahre steht die Frage der Illegalität im Vordergrund; darin kommen, wie weiter unten noch Thema sein wird, Vorstöße zur Erfassung und Regularisierung zum Teil schon lange bestehender Migrationssysteme zum Ausdruck. Aber auch »Integration« als Indikator für identitätspolitische Sekuritisierungen und »Arbeitsmarkt« als Indikator für die Konstruktion von Migration als Bedrohung für die soziale Sicherheit sind klar zu erkennen. Während die relative Bedeutung der Illegalitäts-Problematik am Beginn der Sekuritisierung am höchsten ist, gewinnen die anderen genannten Themen in den 2000er-Jahren noch an Relevanz.

Abbildung 9.1: Häufigkeit sicherheitsbezogener Schlüsselwörter im Zeitvergleich in schriftlichen Anfragen und Debattenbeiträgen im österreichischen Parlament, 1945 bis Juni 2011, graue Referenzlinie: »Wirtschaft«

Der Bruch im Diskurs

227

Ausgangspunkt der Intensivierung und Zuspitzung der parlamentarischen Auseinandersetzung sind die als Flüchtlingskrise inszenierten Entwicklungen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. In den Medien und anderen außerparlamentarischen Zusammenhängen waren schon in den Jahren davor verstärkt negative Stellungnahmen zur Flüchtlingsfrage zu finden (Stanek 1985; Heiss/ Rathkolb 1995). Im parlamentarischen Diskurs fanden diese aber bis zum Ende der Sowjetunion und zur damit verbundenen geo- und identitätspolitischen Verschiebung keine Bühne. Im Gegenteil: Auf parlamentarischer Ebene ist eher ein abrupter Bruch zu diagnostizieren. Die Entwicklung in der Positionierung der FPÖ steht idealtypisch für dieses Phänomen. In Tabelle 9.1 sind exemplarisch Zitate von FPÖ-Abgeordneten aus der Phase dieses Bruchs angeführt. Bis in die späten 1980er-Jahre äußert sich die FPÖ hauptsächlich kritisch in Bezug auf mögliche Erschwernisse im Asylverfahren. Zwar finden sich in einer Anfrage aus dem März 1988 (erstes Zitat in der Tabelle) Anklänge an eine mögliche Asylkrise, im Mittelpunkt der Problematisierung steht aber auch hier das Schicksal von Flüchtlingen. Es wird zwar nicht infrage gestellt, dass die Einführung eines Schnellverfahrens im Asylrecht eine notwendige Reaktion auf angestiegene Flüchtlingszahlen ist, allerdings wird die bürokratische Maßnahme im Hinblick auf die resultierende Unmenschlichkeit kritisiert. Die Konzentration auf Flüchtlinge aus Siebenbürgen scheint dabei einen Rest an volksdeutscher Solidarität widerzuspiegeln. Die Sorge der FPÖ gilt aber nicht nur deutschsprachigen Flüchtlingen, auch politische Flüchtlinge anderer Sprachzugehörigkeit sind Anlass für kritische Anfragen. Im Juli 1988 thematisiert sie das Schicksal von zehn libanesischen Flüchtlingen (zweites Zitat); ihre Situation und Bedürfnisse sind Ausgangspunkt der Problematisierung. Um das zu unterstreichen, geht die FPÖ in ihren Ausführungen ins Detail. Folgen, Risiken oder potenzielle Kosten für die österreichische Bevölkerung werden konstruiert, die Erzählung ist die von der heldenhaften Flucht aus einem unmenschlichen Regime, in Verbindung mit der Imaginierung von Österreich als Tor zu Humanität und Freiheit. Auf dieser Grundlage wird die Sicherheit der Flüchtlinge betont, die in Gefahr ist. Der negative Asylbescheid gibt dementsprechend Anlass zur kritischen Nachfrage; die FPÖ fährt in der Anfrage fort: »Ist Ihrer Meinung nach im gegenständlichen Fall humanitär und im Sinne des österreichischen Fremdenrechtes entschieden worden?« Interessant ist hier die implizite, scheinbar unhinterfragt vorausgesetzte Kopplung von »humanitär« mit dem »österreichischen Fremdenrecht«.

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Nach 1989: Sekuritisierung von Migration

Die Wiedereinführung der Visafreiheit für Polen und der Anfrage 2397/J (FPÖ), März starke Zustrom von Auswanderern aus Ungarn hat die 1988, XVII. GP Einführung eines Schnellverfahrens für um Asyl ansuchende Flüchtlingen notwendig gemacht. In diesem Zusammenhang sind aber in den vergangenen Tagen Pressemeldungen erschienen, die darauf aufmerksam machen, daß durch dieses Verfahren rumänischen Staatsbürgern deutscher oder ungarischer Nationalität die Erlangung des Flüchtlingsstatus erschwert wurde. Am 2. Juli 1988 flüchteten 10 Libanesen zu Fuß durch den Anfrage 2492/J (FPÖ), Juli Karawankentunnel von Jugoslawien nach Kärnten. Die aus 1988, XVII. GP der Kriegsregion im Libanon stammenden Libanesen sind zum Teil stark verwundet. Einer der Männer ist querschnittgelähmt und wurde von seinen Freunden durch den 8,7 km langen und nur 6 m breiten Zugstunnel getragen. Ein weiterer wurde durch eine Granate schwer verwundet; ein anderer Libanese hat ein lahmes Bein. Anfrage 3631/J (FPÖ), April Jüngsten Zeitungsberichten zufolge sieht sich die 1989, XVII. GP Attergauer Bevölkerung einem enorm angewachsenen Kontingent ausländischer Flüchtlinge gegenüber. Das überproportionale Ansteigen der Kriminalitätsrate (Vervielfachung der registrierten Delikte) hat dazu geführt, daß die heimische Bevölkerung in außerordentlichem Maße beunruhigt ist und diese aufstrebende Fremdenverkehrsregion bereits spürbar an Attraktivität für Feriengäste verloren hat. In den letzten Jahren war in Österreich ein rapider Anstieg Anfrage 5121/J (FPÖ), März der Asylanträge festzustellen. Aus diesem Grunde mußten 1990, XVII. GP auch zunehmend Budgetmittel für die Flüchtlingsbetreuung bereitgestellt werden. […] Da die Unterscheidung zwischen politischen und wirtschaftlichen Flüchtlingen sich äußerst schwierig gestaltet und Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft oft sehr lange dauern, sollten die in Bundesbetreuung stehenden Asylwerber entsprechende Gegenleistungen erbringen. Tabelle 9.1: Bruch in der Problematisierung von Flüchtlingsfragen – am Beispiel der FPÖ: vom Flüchtlingsschicksal zu Missbrauch und Bedrohung

Kein Jahr später dominiert eine ganz andere Form der Argumentation. An die Stelle einer humanitären tritt eine Sicherheitslogik, der Fokus rückt vom Schicksal der Flüchtlinge zu potenziellen Bedrohungen »der Bevölkerung«. Exemplarisch zeigt sich das in einer Anfrage der FPÖ aus dem April 1989 (drittes Zitat in der Tabelle), die sich der »Flüchtlingsschwemme im Attergau« widmet. Schon mit der Bezeichnung als »Schwemme« wird metaphorisch das Bild einer Naturgewalt mit unkontrollierbaren und bedrohlichen Ausmaßen gezeichnet. Die Präsenz von Flüchtlingen wird direkt und ohne Überleitung mit dem Ansteigen der Kriminalitätsrate verknüpft; die Kopplung ist scheinbar selbstverständlich. In Summe ergibt sich eine mehrfache Bedrohung: Neben der Kriminalität werden wirtschaftliche Auswirkungen hervorgehoben. Betroffen und

Der Bruch im Diskurs

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politisch relevant sind jetzt nicht mehr die Flüchtlinge, sondern die (Attergauer) Bevölkerung, die einem »Kontingent« an Flüchtlingen gegenübersteht. Im vierten Zitat zeigt sich, wie diese Grundfigur der Bedrohung mit der Frage des möglichen »Missbrauchs« gekoppelt wird; zum ersten Mal ist explizit von Abschreckungsmaßnahmen für Flüchtlinge die Rede. Der Bruch kam abrupt, setzte aber nicht erst mit der eigentlichen Flüchtlingsbewegung der Wendejahre ein. Schon im November 1988 hatte die ÖVP einen Artikel im Kurier zum Anlass für eine dem neuen Muster entsprechende Problematisierung genommen. Der Kurier hatte getitelt: »Die blechaliche Flüchtlingspolitik: Flüchtlinge arbeiten nun mit neuer Taktik«. Die ÖVP übernimmt die Darstellung von den organisiert und strategisch agierenden Flüchtlingen, die damit als Sicherheitsrisiko thematisiert werden, nicht mehr als verfolgt und hilfsbedürftig114. Der Fokus auf die Flüchtlingsproblematik ab dem Ende der 1980er-Jahre ist nur ein Teil der politischen Inszenierung. Tatsächlich ist die Sekuritisierung deutlich breiter angelegt – wie im Folgeabschnitt diskutiert wird. Auch die in ihrer Folge getroffenen Maßnahmen berühren Arbeitsmarktpolitik und Staatsbürgerschaftsrechte ebenso wie die Abschottung gegen neue Flüchtlingsbewegungen.

9.1.2 Ausnahmezustand: Migration als Gefahr für kulturelle Identität, soziale Sicherheit und öffentliche Ordnung Die Asylproblematik ist Anlass und Zentrum der migrationspolitischen Debatten ab den späten 1980er-Jahren. Allerdings wird von ihr ausgehend ein breites Feld an Sicherheitsthemen geöffnet, das weit über die Bewältigung einer unmittelbaren Flüchtlingskrise hinausgeht und auch allgemeine Fragen der öffentlichen Ordnung, der Arbeitsmarktpolitik und identitätspolitischer Bedrohungen umfasst. Bereits im Mai 1989 problematisiert die SPÖ das Problem der Scheinehen und fragt nach Wegen, diesen »Mißbrauch der Institution der Ehe zwecks Erlangung einer Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung« zu verhindern; die Dramatik wird dabei wie schon im Fall der Attergauer Bevölkerung in der Anfrage der FPÖ (Tabelle 9.1) durch eine kleinräumige Lokalisierung in Voitsberg unterstrichen115. Dabei spielt die Frage der Flüchtlingsbewegungen keine explizite Rolle, vielmehr werden Scheinehen als Arbeitsmarktproblem gefasst – 114 Anfrage 3008/J (ÖVP), XVII. Gesetzgebungsperiode, November 1988. Kritisiert werden lange etablierte Praktiken der Pendelmigration zwischen Österreich und Polen bzw. Ungarn, die in einigen Fällen mit Asylanträgen verbunden waren, in anderen nicht (Stanek 1985). 115 Anfrage 3993/J (SPÖ), XVII. Gesetzgebungsperiode, Juni 1989.

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sie dienen demnach als Weg zur Erschleichung des Arbeitsmarktzugangs, wie in einer zweiten Anfrage der SPÖ ausgeführt wird: In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, daß die Zahl der Scheinehen immer größer wird und damit die Bemühungen zum Schutz inländischer Arbeitnehmer zunehmend unterlaufen werden […] In der Zwischenzeit sind durch entsprechende Maßnahmen zwar die Staatsbürgerschaftsehen abgebaut worden, die Zahl der Scheinehen zwecks Erlangung eines Befreiungsscheines geht dagegen in die Tausende.116

Schon in den Wendejahren ging es damit nicht um eine reine Asylkrise, die Sekuritisierung von Migration umfasste auch Folgeentwicklungen der Gastarbeit und allgemeine Probleme staatlicher Kontrolle und Regulation. Auch die Integrationsthematik wird in diesem Kontext erstmals breit auf die Vorderbühne der politischen Debatte gebracht, wobei dem diskursiven Kontext entsprechend ein versicherheitlichender Modus der Thematisierung vorherrscht. Im Juni fragt beispielsweise die ÖVP, ob das Unterrichtsministerium im Hinblick auf die durch Gastarbeiterkinder belastete Schulsituation aktiv zu werden gedenke117. Es ging eben nicht nur um die plötzlich aufgetretene, von »Banden aus dem Osten« ausgehende Gefährdung, sondern auch um längerfristige Fragen, für die exemplarisch die Entdeckung der Zweiten Generation als Problemfeld steht: »Es ist nicht jeder ein Ausländerfeind, der sich zum Beispiel sorgt, wenn sein Kind in einer Schulklasse beginnt, in der es schon mehr nichtdeutschsprachige Kinder gibt«118. Der Umstand, dass trotz dieser Breite in der Thematisierung migrationsbezogener Phänomene die Asylkrise in den Vordergrund gespielt wird, war für die Folgeentwicklungen im österreichischen Migrationsregime höchst relevant. Den theoretischen Überlegungen der Copenhagen School (Waever et al. 1993; Buzan et al. 1998) entsprechend wird ein Ausnahmezustand proklamiert, der mit mehr oder weniger existenziellen Bedrohungsszenarien verbunden ist und daher außergewöhnliche Maßnahmen rechtfertigt und notwendig macht. Ein solcher Ausnahmezustand wird in den parlamentarischen Beiträgen der frühen 1990erJahre wiederholt konstruiert – beispielhafte Problematisierungen finden sich in Tabelle 9.2. Die zentrale Rolle spielen dabei in diesen frühen Jahren, der Diagnose von Zuser (1996) entsprechend und entgegen üblichen Sichtweisen (siehe etwa Aigner 2008), die Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP. Die FPÖ tritt erst nach und nach als zentraler Akteur in Erscheinung. Die Situation wird als außergewöhnlich, teilweise auch als dramatisch beschrieben. Aufgrund der unvorher116 Anfrage 3750/J (SPÖ), XVII. Gesetzgebungsperiode, Mai 1989. 117 Anfrage 3905/J (ÖVP), XVII. Gesetzgebungsperiode, Juni 1989. 118 Abg. Rabl-Stadler (ÖVP), XVII. Gesetzgebungsperiode, 152. Sitzung, Debatte zum Fremdenrecht, Juli 1990.

Der Bruch im Diskurs

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gesehenen Umstände ist unmittelbarer Handlungsdruck gegeben, notwendige Maßnahmen müssen ergriffen und klare Entscheidungen getroffen werden. Im Zentrum stehen zwei Fragen: die »Illegalität« der Wanderungsbewegungen, in anderen Worten der Umstand, dass sie nicht adäquat erfassbar sind, und die Bedrohung, die von der Kombination aus Zahl und Herkunft der Flüchtlinge ausgeht. Pointiert kommt diese kombinierte Gefahr im Bild von der »Flut aus Rumänien« zum Ausdruck. Innenminister Löschnak spricht offen von einer dramatischen Situation, »weil von den 20.000 Asylwerbern seit Jahresbeginn etwa 6.000 nach Österreich gekommen sind und weil von diesen 6.000 wieder rund 4.000 rumänische Staatsangehörige sind«, und gibt damit einen Vorgeschmack auf die identitätspolitische Sekuritisierung der Folgejahre. Verglichen mit Flüchtlingsbewegungen der Jahrzehnte davor sind die erwähnten Zahlen vernachlässigbar klein, sie lassen sich aber problemlos als dramatisch darstellen. Wir beschließen heute in einer Novelle eine Änderung des Paß-, Grenzkontroll- und des Fremdenpolizeigesetzes. Im Hintergrund steht eine dramatische Situation: Wenn meine Informationen stimmen, so haben in der Nacht auf heute wiederum 5.000 Rumänen illegal die Grenze überschritten. Tausende Rumänen warten in den benachbarten Oststaaten, um in unsere Republik einzureisen […]. Wir können nicht die Hälfte der Bevölkerung von Rumänien aufnehmen. Das Schlepperunwesen und damit verbunden die illegale Einreise von Fremden hat in der letzten Zeit Ausmaße angenommen, die nicht länger ohne Reaktion des Gesetzgebers hingenommen werden können. Sowohl an der Ost- und Südostgrenze des Bundesgebietes als auch im Westen werden in steigendem Maße Fremde angetroffen, die oft illegal in das Bundesgebiet eingereist sind […]. Es ist daher notwendig, dafür zu sorgen, daß einerseits der illegale Grenzübertritt erschwert wird und daß andererseits Fremde, denen er trotzdem gelingt, ohne größere Formalitäten dazu verhalten werden können, das Bundesgebiet zu verlassen.

Abg. Burgstaller (ÖVP), Debatte zu fremdenrechtlichen Novellierungen, XVII. GP, 133. Sitzung, März 1990

Berichterstatter Leikam (SPÖ), Debatte zu fremdenrechtlichen Novellierungen, XVII. GP, 133. Sitzung, März 1990

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Von diesen 20.000 Asylwerbern sind nicht BM Löschnak, Debatte zu ganz 10.000 rumänische Staatsangehörige, fremdenrechtlichen Novellierungen, XVII. und die Entwicklung ist in den letzten GP, 133. Sitzung, März 1990 Wochen, seit 1.1. dieses Jahres, und vor allem in den letzten Tagen wieder dramatisch geworden, weil von den 20.000 Asylwerbern seit Jahresbeginn etwa 6.000 nach Österreich gekommen sind und weil von diesen 6.000 wieder rund 4.000 rumänische Staatsangehörige sind. Die Altersstruktur der rumänischen Asylwerber ist so, daß rund 75 Prozent dieser 10.000 von mir genannten Asylwerber zwischen dem 17., 18. und dem 30. Lebensjahr stehen und männlichen Geschlechts sind, um auch das aufzuzeigen. Abg. Elmecker (SPÖ), Aktuelle Stunde zur Nun, geschätzte Damen und Herren, die Entwicklung in Osteuropa trifft unser Land Aufteilung von Flüchtlingen, XVII. GP, 143. Sitzung, Mai 1990 in einer ganz besonderen Hinsicht. Viele Menschen in diesen Ländern wollen nicht auf die erhoffte Entwicklung der Wirtschaft warten, sondern glauben, sofort ihre Lebensbedingungen dadurch verbessern zu können, daß sie in die Länder Westeuropas abwandern. Österreich ist nun einmal das nächstgelegene westeuropäische Land. Deshalb sind wir hier mit vielen Tausenden Menschen konfrontiert, die um Aufnahme ersuchen, nicht aber um Asyl im Sinne der Genfer Konvention. Meine Damen und Herren! Da sind klare Entscheidungen notwendig. Tabelle 9.2: 1990: Inszenierung eines Ausnahmezustands in der parlamentarischen Auseinandersetzung

Wie in Kapitel 9.3 noch gezeigt werden wird, war die diskursive Konstruktion eines Ausnahmezustands durchaus folgenreich. Die Sekuritisierung selbst wurde rasch von der Ausnahme zur Regel. In Abbildung 9.1 oben ist schon zu sehen, dass sekuritisierende Problematisierungen über die gesamten 1990er und 2000er-Jahre relevant blieben. Alle drei von Huysmans (2006) identifizierten Formen der Versicherheitlichung von Migration spielen dabei eine Rolle: Migration wird als Gefahr für die kulturelle Identität, für die soziale Sicherheit und für die öffentliche Ordnung diskutiert. Die Schwerpunkte verschieben sich über die Zeit und liegen auch bei den verschiedenen politischen Akteuren an unterschiedlichen Punkten. Der identitätspolitische Sicherheitstopos ist schon für die frühen Neunzigerjahre im erwähnten Fokus auf »Rumänien« feststellbar. Über die Jahre kondensierten die diversen Formen der kulturellen Sekuritisierung von Migration

Der Bruch im Diskurs

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zu fest im öffentlich-politischen Diskurs etablierten Symbolen. Im ersten Zitat in Tabelle 9.3 ist die topologische Struktur klar erkennbar : Ausländerintegrationsvereine hätten es sich zur Mission gemacht, den ÖsterreicherInnen Sitten und Gebräuche aufzuoktroyieren, die diesen fremd sind. Am Rande sei die paradox anmutende Betonung des »Integrationscharakters« der Vereine vermerkt, ein Hinweis auf die allgemeine Kopplung von kultureller Gefahr und Integrationsdiskurs. Dass es dabei um Bauchtanz, also um eine grotesk harmlose Sache geht, scheint irrelevant – es geht um ein größeres Ganzes. Die Implikation bleibt unklar, scheinbar ist die Intention, den »hoch subventionierten« Vereinen Geldmittel zu streichen. Die Missionierung ist nur eine Form der Gefährdung der kulturellen Identität, die andere liegt in der Entstehung von Parallelgesellschaften (Zitat 2), die direkt für politische und menschliche Probleme verantwortlich gemacht werden. Diese Problematisierung wird, dem typischen Argumentationslauf folgend, mit Bildern von Zwangsehen und Gewalt gegen Frauen verbunden. Insgesamt droht der Untergang der österreichischen Gesellschaft – Zitat 3 in der Tabelle ist ein Paradebeispiel für dieses Szenario. Es zeigt, wie im politischen Diskurs mit medial vermittelten und etablierten Bildern gearbeitet werden kann, die Bezugnahme auf »Ottakring« erfordert keine weitere Erläuterung. Ist es nicht auch verrückt, meine Damen und Herren, dass hoch subventionierte Ausländerintegrationsvereine ihre Hauptaufgabe darin sehen, uns Österreichern die Sitten und Bräuche der Ausländer beizubringen und zu vermitteln, wie zum Beispiel Sozialvereine im Siedlerzentrum, wo man Bauchtanz lernen kann und dergleichen? Und unmenschlich ist es, eine Parallelgesellschaft zu organisieren, wie es das in Deutschland gibt und wir das bald auch in Österreich haben, wo es kulturelle und menschliche Probleme gibt. Das ist keine Frage mehr von Gleichberechtigung. Zwangsehen, Gewalt gegen Frauen, das ist alles nicht so ein Thema, denn das ist ja das Schöne an der multikulturellen Gesellschaft. Das ist ja Ihr sozialromantisches, Ihr ideologisches Dilemma, in dem Sie sich befinden. Ich sage Ihnen aus Erfahrung: 30 bis 40 Jahre, so viel Zeit hat dieses Land nicht mehr. Gehen Sie nach Ottakring, gehen Sie nach Meidling, dann sehen Sie die massiven Probleme, die wir bereits heute im Bereich der Integration haben!

Abg. Mainoni (FPÖ), XXI. GP, 109. Sitzung, Debatte zur Novelle des Fremdengesetzes, Juli 2002

Abg. Scheibner (BZÖ), XXIII. GP, 24. Sitzung, Aktuelle Stunde »Sozialstaat statt Zuwanderung«, Juni 2007

Abg. Petzner (BZÖ), XXIV. GP, 103. Sitzung, Debatte zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, April 2011

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Abg. Prinz (ÖVP), XXIV. GP, 103. Sitzung, Erfolgreiche Integration ohne Sprachkenntnis ist nicht denkbar. Der Debatte zum Erwerb der Sprache ist das Tor in eine neue, Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, April bisher fremde Welt. 2011 Tabelle 9.3: Sicherheitstopos nach dem Kalten Krieg: kulturelle Identität

Im Zentrum der Debatten rund um diese Bedrohungsfantasien steht die »Integrationsproblematik«. Auch scheinbar rein vernünftige Argumente entfalten ihre Wirkung in diesem diskursiven Kontext – und sind zu einem Teil erst in diesem entstanden. Das wohl wichtigste Beispiel ist die konsensuelle Betonung der Sprachproblematik. Integration – diesmal nicht verstanden als Gleichberechtigung, wie noch zu Zeiten der »volksdeutschen« Nachkriegsflüchtlinge – ist die politische Antwort auf die kulturellen Gefahren, Spracherwerb wird als notwendige Prämisse für deren Eindämmung gesehen. Im vierten Zitat wird die Verknüpfung mit Kulturfragen noch einmal betont: Die Sprache ist das Tor zu einer »bisher fremden Welt«. Die FPÖ ist mit Blick auf die identitätspolitische Sekuritisierung die aktivste politische Kraft. In der zweiten Sekuritisierungsdimension, der Inszenierung von Migration als Gefahr für die soziale Sicherheit, teilt sie sich diese Rolle mit der SPÖ. Arbeitslosigkeit ist das zentrale Thema in diesem Zusammenhang; über die gesamten 1990er- und 2000er-Jahre finden sich simpel gestrickte Verknüpfungen von Migrations- und Arbeitslosenzahlen. Diese werden mit Elementen des oben besprochenen Ausnahmezustands verknüpft. Zu Beginn der 1990er-Jahre ist es die »unbegrenzte Zahl« an Ausländern, die nach Österreich wollen (Zitat 1 in Tabelle 9.4), später sind es die erwarteten Migrationsfluten im Zuge der EU-Erweiterung (Beispielzitat 3). Arbeitsmarktprobleme dominieren diese Form der Sekuritisierung, daneben werden speziell Folgen für das Wohnungs- und das Bildungswesen ins Spiel gebracht. Aber auch in einer Zeit, geschätzte Damen Abg. Hesoun (SPÖ), XVII. GP, 152. Sitzung, und Herren, in der die Wanderbewegung Debatte zu fremdenrechtlichen vom Osten in den sogenannten goldenen Änderungen, Juli 1990 Westen immer stärker wird, werden auch bei uns Fragen der Beschäftigungspolitik einen höheren gewerkschaftlichen Stellenwert haben. Es ist nicht Ausländerfeindlichkeit, wenn wir als Gewerkschafter in einer Zeit, in der niemand die weitere Entwicklung in diesem Bereich einschätzen und abschätzen kann – all jene Vordenker, die vor einem Jahr andere Behauptungen aufgestellt haben, sind in der Zwischenzeit eines Besseren belehrt worden –, unsere Besorgnis darüber äußern, daß Ausländer in unbegrenzter Zahl nach Österreich einströmen können.

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Dringliche Anfrage 808/J (FPÖ), XX. GP, Der Zusammenbruch der realsozialistischen Diktaturen in Osteuropa Juni 1996 in den Jahren 1989 und 1990 und die damit verbundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten dieser Länder bei der Umgestaltung ihrer Kommandowirtschaften in marktwirtschaftlich orientierte Systeme haben zu einer großen Emigrationswelle aus diesen Ländern geführt, die insbesondere auch Österreich betroffen hat. Dazu kamen noch die kriegerischen Auseinandersetzungen nach dem Zerfall Jugoslawiens, die besonders schwerwiegend waren. Während dieser Zeit sind Hunderttausende Ausländer nach Österreich zugewandert. Diese unkontrollierte Zuwanderung führte zu unhaltbaren Zuständen insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, im Bereich des Sicherheitswesens und insbesondere auch des Wohnungs- und Schulwesens. Abg. Silhavy (SPÖ), XXII. GP, 55. Sitzung, Mit 1. Mai dieses Jahres tritt die EUErweiterung in Kraft, eine Tatsache, die Debatte zum EUvielen Menschen in unserem Land Sorgen Erweiterungsanpassungsgesetz, März 2004 macht, die sie verunsichert, weil sie unter innerstaatlichen Rahmenbedingungen, wie beispielsweise der Untätigkeit dieser Bundesregierung, die gegen die enorme Arbeitslosigkeit nichts unternimmt, leiden, und deswegen haben sie natürlich auch Bedenken. Statt ein Beschäftigungspaket vorzulegen, Abg. Dolinschek (BZÖ), XXIV. GP, 100. Sitzung, Debatte zu Übergangsfristen, März das mit illegalem Aufenthalt und illegaler 2011 Zuwanderung Schluss macht und auf der anderen Seite bestens integrierte hier lebende Zuwanderer unterstützt, wird uns jetzt mit der Rot-Weiß-Rot-Card eine völlig unzureichende Regelung vorgelegt, die heute beschlossen werden soll und die auch die Schleusen für eine weitere Massenzuwanderung auf den österreichischen Arbeitsmarkt öffnet. Das geschieht in Zeiten, in denen Österreich zirka 310.000 Arbeitslose hat, 60.000 befinden sich in Schulungen. Diese Menschen haben jetzt mit einer neuen Konkurrenz aus dem Ausland zu rechnen. Tabelle 9.4: Sicherheitstopos nach dem Kalten Krieg: soziale Sicherheit

Die Gefährdung der sozialen Sicherheit ist über das Problem der Schwarzarbeit direkt mit der dritten zentralen Dimension der Sekuritisierung von Migration

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verbunden: der Bedrohung für die öffentliche Ordnung. Die Bedrohung für den Arbeitsmarkt kommt (wie im letzten Zitat in Tabelle 9.5 festgehalten) auch aus ihrem unkontrollierten, nicht gesetzeskonformen Charakter. In dieser dritten Dimension zeigen sich stärkere thematische Fluktuationen. Über die Jahre wurden Schlepperei und Scheinehe als zwei zentrale Herausforderungen für die öffentliche Ordnung diskutiert. Von herausragender Bedeutung sind aber vor allem Verknüpfungen von Migration und Kriminalität. In letzter Zeit ist in Teilen Österreichs eine gewisse Zunahme von Straffällen, vornehmlich Eigentumsdelikten geringeren Schweregrades, zu beobachten, was teilweise auf den vermehrten Grenzverkehr und die stärkere Mobilität im Zusammenhang mit der Öffnung der Grenzen im Osten des Bundesgebietes zurückzuführen sein dürfte. Ich könnte Ihnen genügend Beispiele aufzählen, wo Leuten politisches Asyl gewährt wurde, wo es sehr viele Interventionen gab, sich aber dann herausgestellt hat, daß diese Mitglieder von internationalen kriminellen Organisationen sind, Drogenringen angehören und ähnliches. Das ist kein Einzelfall, sondern da gibt es viele Fälle. In einem Fall, der in jüngster Vergangenheit zu verzeichnen war, ging es um einen afrikanischen Drogendealer, der in Österreich unter fünf verschiedenen Identitäten um politisches Asyl angesucht hat. Wir sind nur dadurch draufgekommen, weil dieser Drogendealer getötet wurde, ein Mordanschlag auf ihn verübt wurde. (Abg. Dr. Krüger : Herr Bundesminister! Wer interveniert …?) – Dabei handelt es sich um keine politischen Interventionen, um Ihnen das auch gleich zu sagen; damit ich diese Befürchtungen zerstreuen kann. Fest steht jedenfalls, dass der fundamentalistische Islam seine ursprüngliche Einflusszone erweitert hat und nun mit terroristischen und gewaltsamen Mitteln auch im westlichen Kulturkreis im wahrsten Sinne des Wortes zuschlägt.

Berichterstatter Fuchs (SPÖ), XVII. GP, 152. Sitzung, Debatte zu fremdenrechtlichen Änderungen, Juli 1990

BM Schlögl, XX. GP, 77. Sitzung, Debatte zum Fremdengesetz, Juni 1997

Abg. Jung (FPÖ), XXI. GP, 80. Sitzung, Aktuelle Stunde zu Terror und Kriminalität, Oktober 2001

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Wir haben daher auf der heutigen BM Grasser, XXI. GP, 97. Sitzung, Aktuelle Tagesordnung auch einen Punkt, der die Stunde zu Arbeitsmarkt und Novelle des Integrationsvertrag, März 2002 Ausländerbeschäftigungsgesetzes betrifft. Es geht uns hier um die Fragen: Wie können wir Verzerrungen auf dem Arbeitsmarkt bekämpfen? Wie können wir die illegale Beschäftigung von Ausländern besser unter Kontrolle bringen? Wie können wir alle Erscheinungen der Schwarzarbeit und des wirtschaftlichen Betrugs bekämpfen? Tabelle 9.5: Sicherheitstopos nach dem Kalten Krieg: öffentliche Ordnung

Kriminalität ist vor allem in den frühen 2010er-Jahren zentrales Thema der migrationspolitischen Debatten (im Mittelpunkt steht dabei das Bild der »Banden aus dem Osten«), wird aber auch in den Jahren nach 1989 bereits häufig thematisiert. Im Vergleich zu den Nachkriegsjahrzehnten hat sich die Form der inszenierten Bedrohung merkbar verändert. Die Gefahren sind nicht mehr in ideologischen Schlüsselfiguren oder Spionen personalisierbar, sondern diffus, netzwerkartig organisiert und daher schwer zu fassen (Peoples/Vaughan-Williams 2010, 136 – 138). Die international organisierte Kriminalität ist der zentrale Marker dafür. Beachtenswert ist dabei, dass damit der Fokus von den großen Verbrechen hin zu eher alltäglicher, geringfügiger (Straßen-)kriminalität rückt. Drogenhandel, Diebstahl und Einbruch sind die Delikte, die typischerweise thematisiert werden. Groß sind die mutmaßlichen Netzwerke und die Herausforderung, nicht die Verbrechen. Die offensichtliche Ausnahme von diesem Muster – der internationale Terror – spielt im österreichischen Parlament eine vernachlässigbar geringe Rolle; wenn er thematisiert wird, dann wird auch in diesem Fall die diffuse Bedrohung betont: der missionarische Islam, der die westliche Zivilisation zu unterwandern droht. Hier wird die Brücke zu identitätspolitischen Sekuritisierungen geschlagen. In Summe ergibt sich eine vielschichtige Verschiebung der diskursiven Ordnung und eine facettenreiche Sekuritisierung. Wie in Abbildung 9.2 für die Jahre 1989 bis 1993 dargestellt, steigen die relativen Häufigkeiten der Schlüsselbegriffe für die Problemdimension »Sicherheit« deutlich an. Schon in dieser Grafik ist aber zu erkennen, dass das nicht das Ende für ökonomisierende Problematisierungen bedeutete, es zeigt sich eher eine Ergänzung denn eine Ersetzung bisheriger Argumentationsformen. Im Gegenzug verlieren gerechtigkeitsbezogene Begriffe relativ an Bedeutung. Damit sind zentrale Themen einer umfassenden Problematisierung von Migration eingeführt, die in den folgenden Jahrzehnten die Restrukturierung des österreichischen Migrationsregimes prägen sollten. Es lassen sich zwei Entwicklungen unterscheiden, die weiter unten (Kapitel 9.3) beschrieben werden:

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Abbildung 9.2: Schlüsselbegriffe für zentrale Problemdimensionen: 1989 – 1993

die Durchsetzung eines »civic integrationism« (Triadafilopoulos 2011) und die Installierung eines »deportation regimes« (de Genova/Peutz 2010). Beide sind als Rahmenbedingungen für die Etablierung neuer Instrumente zur Regulation der Arbeitsmigration bedeutsam. Davor widme ich mich in Kapitel 9.2 der Frage, ob und in welchen Hinsichten die diagnostizierte Sekuritisierung strukturell in gesellschaftlichen Transformationsprozessen verankert ist.

Zeichen der Zeit 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41

9.2

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Zeichen der Zeit: gesellschaftliche Transformationsprozesse als Grundlage der Sekuritisierung

Die Ausgangsannahme dieser Arbeit ist, dass Sekuritisierung und Ökonomisierung von Migration aus strukturellen Tendenzen liberaler Nationalstaaten resultieren. Die Frage ist nun, ob und in welchen Hinsichten die beschriebene diskursive Verschiebung dieser Annahme entspricht. Im Folgenden argumentiere ich, dass die Sekuritisierung von Migration aus dem Zusammenspiel verschiedener Faktoren resultiert. Zentral sind dabei Migrationsbewegungen selbst, Veränderungen im politischen System und institutionelle Akteure speziell aus den staatlichen Sicherheitsapparaten. Alle drei Faktoren sind Elemente der umfassenden gesellschaftlichen Transformation vom »Keynesian Welfare National State« zum »Schumpeterian Workfare Postnational Regime« (Jessop 2002). In Abschnitt 9.2.1 stelle ich zunächst die wichtigsten Erklärungsansätze zur Sekuritisierung von Migration vor. Danach diskutiere ich das Verhältnis, in dem die dargestellten Faktoren zum genannten Transformationsprozess stehen.

9.2.1 Erklärungsansätze: Migration, Parteien, Institutionen Drei Faktoren spielen in gängigen Erklärungen zur Sekuritisierung von Migration eine zentrale Rolle: die Migrationsbewegungen selbst, die Rolle politischer Parteien und die Aktivitäten institutioneller Akteure. Erklärungen, die den ersten Aspekt in den Blick nehmen, spielen in Analysen der Entwicklungen nach 1989 eine prominente Rolle. Die migrationspolitischen Entwicklungen der frühen 1990er-Jahre werden dabei als Reaktion auf die Dynamisierung der Migrationsbewegungen dargestellt. Tatsächlich ist für Österreich in den Jahren 1989 bis 1993 ein starker Anstieg der Migrationszahlen zu verzeichnen, wie sich etwa an der Entwicklung der ausländischen Wohnbevölkerung (Tabelle 9.6) ablesen lässt. 1951 1961 1971 1981 1991 2001 6.611.307 6.971.648 7.279.630 7.263.890 7.278.096 7.322.000 Österreichische Staatsbürgerschaft Keine österreichische 322.598 102.159 211.896 291.448 517.690 710.926 Staatsbürgerschaft 4,7 1,4 2,8 3,9 6,6 8,9 Anteil ohne österreichische Staatsbürgerschaft Tabelle 9.6: Entwicklung des Anteil der Wohnbevölkerung ohne österreichische Staatsbürgerschaft an der Gesamtbevölkerung 1981 – 2010, Quelle: Statistik Austria

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Nach 1989: Sekuritisierung von Migration

Der Großteil des Anstiegs der ausländischen Wohnbevölkerung zwischen 1981 und 2001 fand in den vier Jahren zwischen 1989 und 1993 statt. Der Anteil der Bevölkerung ohne österreichische Staatsbürgerschaft verdoppelte sich in wenigen Jahren von knapp 4 Prozent Mitte der 1980er-Jahre auf 8,2 Prozent 1993, in absoluten Zahlen entspricht das einem Anstieg von 333.295 1989 auf 645.823 ausländische Staatsangehörige im Jahr 1993. Ähnliche Entwicklungen der Migrationszahlen sind für diesen Zeitraum für die meisten westeuropäischen Staaten zu verzeichnen. Weiner (1995) diagnostizierte auf der Grundlage dieser Entwicklungen eine »migration crisis« – die Politisierung der Migration in diesem Zeitraum ist seiner Ansicht nach eine zwangsläufige Reaktion auf die Dynamisierung der globalen Migrationsbewegungen. Eine Erklärung der politischen Reaktionen auf Migration über deren numerische Entwicklung ist analytisch allerdings wenig zufriedenstellend. Immerhin hatten ähnlich große Migrationsbewegungen auch schon davor stattgefunden, ohne zu vergleichbaren Reaktionen zu führen (Zolberg 2001). Das gilt auch für Österreich: Wie in Kapitel 8 dargelegt, lag der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit über den Werten der 1980er-Jahre, und auch zwischen den beiden Volkszählungen von 1961 und 1971 verdoppelte sich der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung. Den Inszenierungen einer Flüchtlingsflut aus Rumänien zum Trotz war der Anstieg auch nicht primär auf Fluchtmigration zurückzuführen. Gächter (1992, 49) zeigt, dass die Zunahme der Migrationszahlen um 1990 vor allem auf die zwischen den Sozialpartnern akkordierte Anwerbung migrantischer Arbeitskräfte zurückzuführen ist. So war beispielsweise die Zahl der zusätzlich ausgestellten Beschäftigungsbewilligungen viermal höher als jene der »sprunghaft angestiegenen« Asylanträge. Entgegen den Darstellungen von einem plötzlichen »Schwall an Flüchtlingen« waren die Migrationspraktiken, die auch der Post1989-Wanderung zugrunde lagen, schon länger etabliert; das war auch im Parlament bekannt. Der ÖVP-Abgeordnete Ettmayer referierte 1987 die Zahl der erteilten Visa für das Jahr 1984 – diese lagen weit über den als Flut inszenierten Zahlen flüchtender RumänInnen: »63.000 in Prag, 31.000 in Warschau, 27.000 in Preßburg. Darüber hinaus gibt es in Österreich jährlich zirka 7.000 Asylanträge.«119 Es ging 1990 entsprechend nicht um das Eindämmen einer neuen, plötzlich auftretenden Flüchtlingswelle, sondern um die Kontrolle von Praktiken, die über Jahrzehnte etabliert worden waren. Als eine der ersten Maßnahmen gegen die angebliche Flüchtlingswelle aus Osteuropa wurde etwa am 16. Jänner 1990 eine Visumpflicht für TürkInnen (!) eingeführt (Zuser 1996, 16), und Innenminister Löschnak sprach prominent vom Schlepperunwesen, das Tür119 Abg. Ettmayer (ÖVP), XVII. Gesetzgebungsperiode, 34. Sitzung, Debatte zum Fremdenpolizeigesetz, November 1987.

Zeichen der Zeit

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kInnen nach Österreich brächte. Erklärungsansätze, die als Ursache der relativ plötzlich eintretenden massiven Sekuritisierung angeblich neuartige Migrationsbewegungen vermuten, mögen der politischen Rhetorik entsprechen, werden aber weder der Geschichte der betroffenen Migrationssysteme noch den getroffenen Maßnahmen gerecht. Alternative Erklärungsansätze rücken die Veränderungen in den politischen Systemen westlicher Nationalstaaten ins Zentrum der Argumentation. Für die Vehemenz der Reaktion auf die Migrationsbewegungen ab den 1980er-Jahren sind diesen Diagnosen zufolge die parallel verlaufenden Entwicklungen des »nativist backlash« und des Aufstiegs der Neuen Rechten entscheidend. Der Aufstieg der Neuen Rechten wird dabei von manchen AutorInnen als Reaktion auf gesellschaftlich vorherrschende Ressentiments gesehen (Messina 2007), andere betonen umgekehrt die treibende Rolle der Neuen Rechten für die Verschärfungen in Migrationsdiskurs und Migrationspolitik (Spang/Mayer 2009; van Spanje 2010). Minkenberg (2001) argumentiert, dass rechtspopulistische Parteien unabhängig von ihrer Regierungsbeteiligung einen Effekt auf die Politikgestaltung hätten, weil etablierte politische Parteien ihre Strategien an ihnen ausrichteten. Demnach wären die Parteien der Neuen Rechten eine wesentliche Ursache für die Sekuritisierung der Migration. Das Problem bei diesem Erklärungsansatz ist, dass ähnliche Entwicklungen auch in Staaten ohne rechtsextreme Parteien mit elektoraler Massenbasis stattgefunden haben. Auch für den Fall Österreich greift eine Erklärung der Sekuritisierungsdynamik über die Rolle einzelner Parteien, allen voran der FPÖ, zu kurz. Gerade zur Wendezeit waren SPÖ und ÖVP eher als die FPÖ die bestimmenden Kräfte der Abschottungspolitik (Zuser 1996). Von einem Ansteckungseffekt kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgegangen werden. In ihrer Diskussion des »Aufklärungsfundamentalismus« dreht Fekete das Kausalitätsverhältnis zwischen Sekuritisierung und Erfolg der Neuen Rechten um, sieht aber nichtsdestotrotz einen von rechtsextremen Parteien ausgehenden Ansteckungseffekt: »[I]ncreasingly, the views and policies promulgated by such parties are being absorbed into a process of governmental policy and decisionmaking dictated by the ›war on terror‹« (Fekete 2006, 1). In diesem Problementwurf schafft die Sekuritisierung von Migration den Spielraum für die Forcierung rechtsextremer Inhalte. Fekete verschiebt damit die Frage von der isolierten kausalen Wirkung einzelner Parteien zu allgemeinen gesellschaftlichen Transformationsprozessen. Aber warum wurde dieser Umstand genau zu diesem Zeitpunkt in genau dieser Form wirksam? Bigo (2001/2002) zufolge ist die Sekuritisierung von Migration die Konsequenz der Handlungen verschiedener (institutioneller) Akteure, und zwar einerseits verschiedener staatlicher »security professionals« und andererseits professioneller PolitikerInnen. Diese verknüpfen allgemein

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steigende Verunsicherungen – »unease« (Bigo 2002; Huysmans/Buonfino 2008) – vor dem Hintergrund der Krise der Nachkriegsordnung mit dem Thema der Migration, PolitikerInnen als eine Gruppe sekuritisierender Akteure im Rahmen symbolischer Politik, Sicherheitsexperten als andere zentrale Gruppe im innerstaatlichen Kampf um Ressourcen. Das ist auch deshalb möglich, weil Migrationsphänomene nach dem Zweiten Weltkrieg real mit anderen sozialen Problemlagen gekoppelt wurden: »The nineteenth-century repertoire of anomie, the lack of values of the poor, and a connection between ethnicity and the ›dangerous classes‹, is linked to the modern argument about the danger of globalisation for state-sovereignty« (Bigo 2001, 123). In Zeiten, in denen die »armen Klassen« nicht mehr als solche als Bedrohung inszeniert werden können, bietet die Verknüpfung mit Migration eine Möglichkeit, aktuelle soziale Entwicklungen im Rahmen einer nationalstaatlichen Ordnung aus einer Sicherheitsperspektive zu problematisieren. Sie eröffnet damit sicherheitspolitischen staatlichen AkteurInnen die Möglichkeit, die eigene Position und Funktion innerhalb einer liberalen Ordnung zu legitimieren und zu stärken. Als allgemeines strukturelles Phänomen ist diese Verbindung auch unabhängig z. B. von der Stärke der Neuen Rechten im jeweiligen Staat zu beobachten. Die Auswirkungen der geopolitischen Verschiebungen waren dabei gerade in Österreich von großer Bedeutung. Mit dem Ende des Kalten Kriegs stellte sich etablierten Sicherheitsapparaten die Frage ihrer Existenzberechtigung. Im Kalten Krieg war die Sicherheitskonstellation durch die Benennbarkeit von Feind- und Freundstaaten und explizite politische und wirtschaftliche Frontstellungen geprägt. Das hatte Folgen einerseits für die Kategorien, in denen auch Migrationspolitik gefasst wurde, andererseits ergaben sich spezifische Aufgaben für Geheimdienste, Polizei und Bundesheer. Spionage und Geheimdienste waren – wie in Kapitel 5.1.4 gezeigt – in diesem Kontext eher problematisierbar als Sprachprobleme und Schlepperorganisationen. Mit dem Ende des Kalten Kriegs fällt die primär politisch-ideologische Kodierung weg, die Gefährdung lässt sich nicht mehr an einzelnen Staaten festmachen. Von Spionage, feindlichen Medien und Feindstaaten verschiebt sich die Problematisierung in die Richtung von internationalen Organisationen, Netzwerken und kulturell gefassten Bedrohungen (Waever et al. 1993; Peoples/Vaughan-Williams 2010, 136 – 138). Getragen wird diese Verschiebung großteils von denselben institutionellen AkteurInnen, die ihren Fokus nun auf ebenfalls schon davor existente gesellschaftliche Phänomene verschieben. Dass institutionelle Akteure auch in Österreich eine gewichtige Rolle bei der Sekuritisierung von Migration gespielt haben, lässt sich zumindest begründet vermuten. Schon 1989 erschien in der Fachzeitschrift »Der Kriminalbeamte« ein Artikel vom späteren Leiter des Wiener Asylamts unter dem Titel »Das Boot ist voll« (Prader 1992a, 20); laut Manfred Matzka, einem leitenden Beamten mit

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SPÖ-Hintergrund, war das Boot sogar »mehr als voll« (Zuser 1996, 16). 1992 legten zwei Polizeibeamte nach und veröffentlichten ein 350 Seiten starkes Buch über »die schutzlose Gesellschaft« (Lenz/Mason 1992), das praktisch ausschließlich damit befasst ist, den Nexus zwischen Migration und der »Kriminalität von morgen« im »Europa von gestern« zu etablieren. Schon Mitte der 1980er-Jahre kamen ähnliche sekuritisierende Problematisierungen aus dem Feld der Flüchtlingspolitik selbst. Stanek (1985) betitelt eines der Kapitel seiner quasi-offiziellen Geschichte der österreichischen Flüchtlingspolitik mit: »Aus dem Osten: Reise-Asylanten, auch Kriminelle«120, ein anderes mit »Aus dem wilden Kurdistan«. Stanek war von 1946 bis Anfang der 1980er-Jahre im Innenministerium führend mit Flüchtlingsfragen betraut und ab 1960 Geschäftsführer des Flüchtlingsfonds der Vereinten Nationen in Wien. Seine historische Darstellung der österreichischen Flüchtlingspolitik wird durch Geleitworte von Bruno Kreisky und Karl Blecha legitimiert. Das Dilemma der österreichischen Flüchtlingspolitik sieht er zu einem Zeitpunkt, zu dem andere als humanitäre Problematisierungen der Flüchtlingsfrage im Parlament noch großteils tabu sind, darin, dass Österreich von der Drehscheibe zur Endstation für viele Flüchtlinge geworden sei. Österreich bleibe, so der Geschäftsführer des UN-Flüchtlingsfonds a.D., mit jenen Flüchtlingen zurück, die den Selektionskriterien anderer Nationen nicht entsprächen: »Welches Land ist schon bereit, einen als kommunistisch deklarierten Neger, der in Prag studiert hat, zu akzeptieren, besonders wenn in diesem Land obendrein Rassenprobleme herrschen« (Stanek 1985, 141). Analytisch relevant sind diese Äußerungen, weil sie zeigen, dass sekuritisierende und ethnisierende Problematisierungen auch in Österreich aus der Mitte der staatlichen Bürokratie selbst entwickelt wurden, deutlich vor dem Aufstieg der FPÖ zur elektoralen Massenpartei. Dieser Prozess der Sekuritisierung von Migration aus dem Inneren des Staates heraus kam nicht aus dem Nichts; er hatte schon vor 1989 begonnen. Für Westeuropa spielte dabei der europäische Integrationsprozess eine wesentliche Rolle. Schon Mitte der 1980er-Jahre begannen europäische Sicherheitsapparate, ihre Aktivitäten zu koordinieren, der »Migrant« rückte dabei sehr rasch in den Mittelpunkt ihres Interesses. Institutionell fanden diese Initiativen z. B. in der Trevi Group und der Ad Hoc Working Group on Immigration (AHWGI), später dann u. a. im Schengener und Dubliner Abkommen Ausdruck (van Munster 2009, 16 – 45). Diese Entwicklungen waren auch im österreichischen Parlament bekannt, wie z. B. aus einer Anfrage der Grünen aus dem Jahr 1987 hervorgeht, in 120 In diesem Kapitel schreibt er schon Mitte der 1980er-Jahre speziell zu Flüchtlingen aus Rumänien: »Unter diesen Personen waren aber nicht nur politisch unliebsame, sondern leider auch manche Kriminelle, deren Anwesenheit im Lager Traiskirchen bald für die Gemeinde Traiskirchen und die Umgebung Folgen haben sollte; Einbrüche und Überfälle häuften sich, die Bevölkerung fühlte sich bedroht« (Stanek 1985, 144).

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der bereits die neue Verknüpfung von Flüchtlingspolitik mit Drogenhandel und Terrorismus angesprochen wird: Am 28. April 1987 fand in Brüssel eine Sitzung der sogenannten ›Trevi‹-Gruppe statt, in deren Rahmen die Innen- und Justizminister der EG Fragen der Asylpolitik, der Bekämpfung des Terrorismus und der Einschränkung des Drogenhandels diskutierten. Im Vordergrund stand allerdings das Thema Asylpolitik, in diesem Bereich wurden auch die meisten Entscheidungen getroffen. Was in der Rhetorik der Politiker als ›Harmonisierung der Asylbestimmungen‹ bezeichnet wurde, war in Wahrheit der Auftakt zu deren Verschärfung, zur Abschottung der europäischen Grenzen gegenüber Flüchtlingsströmen. Einige beschlossene Maßnahmen stehen im Widerspruch zur Genfer Konvention.121

Ich gehe davon aus, dass alle genannten Faktoren die Sekuritisierung von Migration gefördert und geprägt haben, dass aber keiner von ihnen in Isolation als Erklärung ausreicht. Eher entfalten sie – wie im folgenden Abschnitt argumentiert wird – ihre Wirkung als Elemente eines fundamentalen gesellschaftlichen Transformationsprozesses.

9.2.2 Das strategisch-relationale Setting der 1990er-Jahre und der politisch-ökonomische Kontext der Sekuritisierung Die Sekuritisierung von Migration fand zeitgleich zu dem in Kapitel 2.5 beschriebenen gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozess statt, der sich mit den vier Schlagworten Neoliberalismus, Postfordismus, Globalisierung und neue Weltordnung in seinen Grundtendenzen umreißen lässt. Das Wirken der drei genannten Faktoren zur Erklärung der Sekuritisierung von Migration (Veränderungen der Migrationspraktiken, Aufstieg der Neuen Rechten, institutionelle Akteure) ist eng mit diesen Veränderungen verwoben. – Die Dynamisierung der Migration werden in breiten Teilen der Migrationsforschung als direkte Auswirkung und zentrales Symptom der zunehmenden globalen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Vernetzung der vergangenen Jahrzehnte gedeutet (Castles/Miller 2009). Neben neuen und leichter zugänglichen Kommunikations- und Transporttechnologien geht es dabei auch um wirtschaftliche Interdependenzen – und die mit diesen Prozessen verbundenen Veränderungen der Rolle moderner Nationalstaaten (Guiraudon/Joppke 2001b; Messina 2007). Die im Theorieteil skizzierte Debatte um den Souveränitäts- und Kontrollverlust des Nationalstaats zielt genau auf dieses Wechselverhältnis von Globalisierung, Nationalstaat und internationaler Migration (Bhagwati 2003; Sassen 1996). 121 Anfrage 742/J (Grüne), XVI. Gesetzgebungsperiode, Juli 1987.

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– Auch der Aufstieg der Neuen Rechten wurde und wird als Folge und Katalysator der besprochenen Transformationsprozesse interpretiert (Birsl 2002; Bathke/Spindler 2006). Das betrifft einerseits die Ebene der politischen Programmatik, auf der eine weitgehende Entsprechung zentraler neoliberaler Überzeugungen mit den politischen Eckpfeilern der Neuen Rechten diagnostiziert wurde. Andererseits prägen die Umbauprozesse, die mit der Bewältigung der Krise der Nachkriegsordnung verbunden sind, den Möglichkeitsraum der Neuen Rechten, die in ihrem Kampf um Stimmen und Einfluss von gesteigerten Unsicherheitsgefühlen und anderen Symptomen der politischen und ökonomischen Krisen der Nachkriegsordnung zu profitieren versucht. – Schließlich wurde oben schon angeführt, dass vor allem die Veränderung des geopolitischen Kontexts mit dem Ende der Sowjetunion das strategische Setting für innerstaatliche Sicherheitsinstitutionen fundamental verändert hat. Zwischen neuen Sicherheitspolitiken und den gesellschaftlichen Transformationsprozessen gibt es aber zusätzliche Verknüpfungen. So wurde die restriktive und teilweise militarisierte Migrationspolitik in den EU-Staaten, wie sie auch durch das Schengener-Abkommen vorgegeben ist, als direkte Folge der wirtschaftlichen Integration der EU gedeutet: Die innereuropäische Öffnung resultiert diesen Konzeptionen zufolge unweigerlich in der verstärkten Abschottung nach außen (kritisch zu diesen Diagnosen: Huysmans 2006; van Munster 2009). Die Sekuritisierung von Migration ist damit auch an die Restrukturierung der Staatlichkeit hin zu neoliberalen politischen Verhältnissen gekoppelt, weil sie Teil größerer politischer Programme ist, konkret etwa durch die Verschiebung von Kompetenzen aus vormals sozialpartnerschaftlich organisierten in zentrale staatliche Bereiche. Die Sekuritisierung von Migration kann damit auf mehrfache Weise als Ausdruck aktueller struktureller Tendenzen liberaler Nationalstaaten in gegebenen politisch-ökonomischen Kontexten gesehen werden. Den Blickwinkel in diese Richtung zu erweitern, hat den Vorteil, dass damit analytisch der Schritt zum wirtschaftlichen Kontext getan werden kann, in dem Arbeitsmigration stattfindet und reguliert wird. Der aktuelle gesellschaftliche Wandel ist der Hintergrund, vor dem Praktiken der Arbeitsmigration ebenso wie ihre politische Regulation ihre Form verändern. Mit dem Kalten Krieg kamen auch wesentliche Aspekte der wirtschaftlichen Nachkriegsordnung zu einem Ende (Hirsch 1996). Der Krise der fordistischen Ordnung wurde in allen westeuropäischen Staaten mit einer Kombination aus Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung begegnet. Auf politischer Ebene implizierte das verschiedene Spielarten einer neoliberalen Wende, die um die Leitvorstellungen der Wettbewerbsfähigkeit, der Selbstverantwortung und

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der Flexibilität organisiert sind. Damit waren auch eine höhere Akzeptanz von Arbeitslosigkeit, Forderungen nach moderaten Lohnabschlüssen und eine monetaristische Prioritisierung der Geldwertstabilität verbunden. Die Folgen des politisch-ökonomischen Umbaus sind an der Entwicklung zentraler Wirtschaftsindikatoren abzulesen (Abbildung 9.3). Die Arbeitslosenrate steigt ab den frühen 1980er-Jahren kontinuierlich an und pendelt sich schließlich auf deutlich höherem Niveau ein als in den Nachkriegsjahrzehnten, nämlich bei rund acht Prozent. Gleichzeitig ist die monetaristische Ausrichtung der Wirtschaftspolitik an der relativ niedrigen Inflation zu erkennen, wobei Inflation und Wirtschaftswachstum ab den 1990er-Jahren nicht mehr entgegengesetzt, sondern parallel verlaufen, das Schreckgespenst der »Stagflation« scheint also gebannt. Die wirtschaftspolitische Neuausrichtung war auch mit Veränderungen in den dominanten Produktionsstrategien verbunden. Einerseits verlor der industrielle Bereich ab Mitte der 1970er-Jahre nach und nach an gesamtwirtschaftlicher Bedeutung – der Anteil der Fertigung von Waren an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung sank von knapp unter 30 auf 18, jener an der Gesamtbeschäftigung von rund 32 auf 17 Prozent (Abb. 9.4). Im stärkeren relativen Rückgang des Anteils an der Beschäftigung kommt eine zweite wesentliche Komponente der Restrukturierung zum Ausdruck: Statt auf arbeitsintensive Massenfertigung zu setzen, wurde mehr und mehr auf kapitalintensive Qualitätsfertigung umgestellt. Die Verschiebung von der industriellen Fertigung zu anderen Sektoren ist auch migrationspolitisch relevant. Zwar sank der Bedarf an Hilfskräften in der Industrie, dafür wuchs die relative Bedeutung an niedrig entlohnten Arbeitskräften in Landwirtschaft, Dienstleistungssektor und Baubranche. Zeitgleich ließen die politisch-ökonomischen Entwicklungen eine neue Art der Migration an Relevanz gewinnen: Das Credo der Wettbewerbsfähigkeit, Freihandel und internationale Investitionstätigkeiten schufen die strukturellen Voraussetzungen für verschiedene Formen der »Elitenmigration«. Mit diesen Transformationen war auch eine Verschiebung der gesamtgesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und der Formen der Verhandlung kollektiver Interessen verbunden. Sozialpartnerschaftliche Aushandlungsprozesse verloren an Einfluss, expertengestützte Politik und neue Formen der staatlich organisierten »Governance« gewannen an Bedeutung (Jessop 2008). Crouch (2004) spricht in diesem Zusammenhang auch von einer postdemokratischen Ordnung, die durch mehr oder weniger informelle Aushandlungsprozesse zwischen technokratischen Eliten geprägt ist.

Deportability und Civic Integrationism

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Abbildung 9.3: Entwicklung zentraler Wirtschaftsindikatoren 1980 – 2011, Quellen: WiFo, Statistik Austria, eigene Aufbereitung

9.3

Deportability und Civic Integrationism: die sekuritisierte Weiterentwicklung des österreichischen Migrationsregimes

Die Sekuritisierung von Migration mitsamt der Inszenierung eines Ausnahmezustands bildete die Grundlage für eine merkbare Dynamisierung der migrationspolitischen Gesetzgebung. Zahlreiche Änderungen wurden dabei unter Umgehung der üblichen parlamentarischen Begutachtungsfristen durchgeführt – damit wurde der Notstandscharakter der Maßnahmen unterstrichen. Den Anfang machten im März 1990 beschlossene Verschärfungen des Aufenthaltsrechts, die unter anderem Strafbestimmungen für Schlepperei und ein

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Abbildung 9.4: Entwicklung der sektoralen Verteilung: Anteil der »Herstellung von Waren« an der Wertschöpfung sowie an der Gesamtbeschäftigung, Österreich, Zeitreihe verfügbar für die Jahre 1955 – 2011, Quelle: WiFo, eigene Aufbereitung

»Schnellverfahren für ausländische Straftäter« brachten, das auch an Wochenenden unter Verkürzung der üblichen Fristen direkt in den Grenzorten stattfinden können sollte. Nach diesen ersten Einschnitten wurden 1991, 1992, 1997, 2000, 2002, 2003, 2005, 2009 und 2011 jeweils größere Änderungen beschlossen, dazwischen lagen unzählige kleine Novellen der verschiedenen Gesetzesmaterien. In den folgenden beiden Unterabschnitten beschreibe ich zunächst – gestützt auf existierende sozialwissenschaftliche Analysen – zwei fundamentale Tendenzen in den Migrationsregimen westeuropäischer Staaten, die als juridische Formen der Sekuritisierung von Migration interpretiert werden können. Der erste Trend betrifft den Ausbau der staatlichen »Deportationsregimes«, der politisch an die Aushöhlung des Asylrechts gekoppelt ist (de Genova/Peutz 2010), der zweite die Durchsetzung eines »civic integrationism« (Triadafilopoulos 2011) bzw. des »Integrationsparadigmas« (Hess/Moser 2009). Beide Tendenzen sind für die Weiterentwicklungen der Instrumente zur Regulation der Arbeitsmigration zentral, die in den Kapiteln 10 – 12 eingehend besprochen werden.

Deportability und Civic Integrationism

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9.3.1 Vom Scheinasylland122 zum Deportationsregime Wie oben ausgeführt, hat die Sekuritisierung von Migration nach 1990 auf der Ebene des politischen und medialen Diskurses eine inhaltliche Verschiebung gebracht. Unter anderem wurde Migration verstärkt mit Themen wie Kriminalität, Terrorismus oder Schlepperei assoziiert. Die Bedrohung wurde dabei als diffus, netzwerkartig und organisiert dargestellt, übliche Motive waren (und sind) osteuropäische Einbrecherbanden, internationale Drogenmafia und organisierter Missbrauch von Migrationskanälen z. B. über Scheinehen. Als Antwort auf die so inszenierte Gefahr wurden nationalstaatliche123 Kontrollapparate über die vergangenen zwanzig Jahre beachtlich erweitert. Die Maßnahmen zielen auf die verbesserte Erfassung von Migrationsbewegungen, die Verhinderung vermeintlichen Missbrauchs und die Erweiterung der Möglichkeiten zu Anhaltung und Deportation ab. De Genova/Peutz (2010) charakterisieren die resultierenden migrationspolitischen Konstellationen als »Deportationsregime«. Restriktive Einwanderungsbestimmungen sind ein wesentliches Element dieser Regime, ihre Wirksamkeit liegt aber weniger in der Abschottung als in der Prekarisierung von MigrantInnen, die ständig mit der Möglichkeit der Aufenthaltsbeendigung rechnen müssen. Diesen Zustand bezeichnet de Genova (2010, 6) als »Deportability«: »the very possibility of being deported«. Diskursiv fand die Durchsetzung dieser Maßnahmen vorwiegend im Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik statt: »Undocumented migration and allegedly ›bogus‹ asylum seeking have widely become the central and often constitutive preoccupation of immigration politics and policy debates« (Peutz/de Genova 2010, 1). Der häufig be122 »Man kann auch sagen, wir sind eine Art Scheinasylland und nicht ein Asylland, das sich in der Öffentlichkeit und im Ausland damit brüsten könnte, wie sehr wir bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen« (Abg. Smolle (Grüne), XVII. Gesetzgebungsperiode, 133. Sitzung, Debatte zum Fremdenrecht, März 1990). Der heute weit verbreitete, nicht gegen das Migrationsregime, sondern Flüchtlinge gerichtete Begriff des »Scheinasylanten« tritt in der parlamentarischen Auseinandersetzung erstmals im Dezember 1991 auf. 123 Dem mutmaßlich neuartigen international vernetzten Charakter der »Bedrohung« entsprechend geht ein Teil der ergriffenen Maßnahmen über den nationalstaatlichen Rahmen hinaus, und zwar in zwei Hinsichten. Erstens wurden zunehmend nichtstaatliche Akteure in die sicherheitspolitische Migrationskontrolle einbezogen, die Verpflichtung von Fluglinien zur Identitätskontrolle sind dafür das am häufigsten angeführte Beispiel (Guiraudon 2001; Menz 2010). Zweitens hat eine Transnationalisierung von Kontrollpraktiken stattgefunden, allen voran im Rahmen der EU (Hess/Tsianos 2007). Neben der Vorverlagerung und Exterritorialisierung von Grenzkontrollen (Panagiotidis/Tsianos 2007) hat das auch die Etablierung eines gemeinsamen militärischen Grenzschutzes in Form der »Grenzschutzagentur« Frontex bedeutet, einer Institution, die Technologien und Personal aus ganz Europa zusammenzieht und unter anderem auf der Grundlage sozialwissenschaftlich fundierter Risikokalkulationen arbeitet (Neal 2009).

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tonten Trennung von Asyl- und Arbeitsmigration zum Trotz ergeben sich vor allem für die Beschäftigung migrantischer Arbeitskräfte wichtige Implikationen. Die Prekarität ihres aufenthaltsrechtlichen Status reduziert den Handlungsspielraum von ArbeitsmigrantInnen für sozialen und innerbetrieblichen Protest, fremdenpolizeiliche Zwangsmaßnahmen stellten damit die »disposability of ever deportable migrant labor« her (de Genova 2010, 9). Diese Kopplung von Abschiebemaßnahmen, Schubhaft und dergleichen an den Bereich der Arbeitsmigration trat früher auch in der politischen Problematisierung offen zutage; erst die Kopplung an Asylfragen ließ den Zusammenhang zwischen Arbeitsmigration und »Deportationsregime« in den Hintergrund treten. Eine kurze Rekapitulation der Entwicklung des Aufenthaltsrechts in Österreich zeigt erstens den Bruch in der migrationspolitischen Logik und zweitens die Relevanz der Kopplung der Weiterentwicklung der Gesetzesmaterie an die Flüchtlingsproblematik. Richtungsweisend für die aufenthaltsrechtlichen Entwicklungen der 1990er- und 2000er-Jahre war die Neugestaltung des Fremdenpolizeigesetzes zwischen 1990 und 1992. Schon im März 1990 wurde, als Notstandsmaßnahme deklariert, eine explizite Aufenthaltserlaubnis für alle nichtösterreichischen StaatsbürgerInnen gesetzlich vorgeschrieben. Damit wurde eine Regelung aus der Zeit des Nationalsozialismus wieder aufgegriffen: Zuletzt hatte die Ausländerpolizeiverordnung 1938 eine solche Aufenthaltserlaubnis vorgeschrieben. Mit dem Fremdenpolizeigesetz 1954124 wurde diese abgeschafft, Paragraph 2 stellte klar125 : »Fremde sind nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zum zeitlich unbeschränkten Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt.«. Der Aufenthalt von »Fremden« konnte zwar erstens durch im Paßgesetz geregelte Sichtvermerke befristet und zweitens bei Verstößen zwangsweise beendet werden. Im Vergleich zur Regelung aus der NS-Zeit und der aktuellen Situation musste aber nicht der/die MigrantIn die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts rechtfertigen. Schubhaft durfte damals maximal zwei, in begründeten Einzelfällen drei Monate dauern. Die juridische Liberalisierung des österreichischen Aufenthaltsrechts nach dem Zweiten Weltkrieg war auch Teil der Positionierung in der Nachkriegsordnung des atlantischen Fordismus, wie schon in den Erläuterungen zum Fremdenpolizeigesetz am Beginn der parlamentarischen Debatte betont wurde:

124 BGBl. Nr. 75/1954. 125 Der Aufenthaltserlaubnis wurde schon damals kriegsbedingter Ausnahmecharakter zugeschrieben wurde. Dazu Pfeifer (VdU) in der Debatte zum neuen Fremdenpolizeigesetz: »Durch eine knapp nach Kriegsausbruch am 5. September 1939 erlassene Verordnung wurden aber die Bestimmungen der Ausländerpolizeiverordnung, offenkundig nur für die Dauer des Krieges, wesentlich verschärft« (Abg. Pfeifer (VdU), VII. Gesetzgebungsperiode, 35. Sitzung, Debatte zur Fremdenpolizeigesetz, März 1954.).

Deportability und Civic Integrationism

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Das Erfordernis der Aufenthaltserlaubnis in ein neues österreichisches Gesetz zu übernehmen, würde zu dem von maßgebender österreichischer Seite wiederholt betonten Grundsatz der Liberalisierung des zwischenstaatlichen Verkehres in Widerspruch stehen und geeignet erscheinen, Zweifel an der Aufrichtigkeit diesbezüglicher Erklärungen zu erwecken.126

Die betonte Liberalisierung des Aufenthaltsrechts in den Nachkriegsjahrzehnten war auch für eine zweite migrationspolitische Materie prägend: die Flüchtlingspolitik. Die Positionierung als »Tor zur freien Welt« war von großer Bedeutung für die geopolitische Selbstverortung Österreichs (Stanek 1985, 9 – 10; 13 – 16). Noch 1987 wollte das Innenministerium das Asylrecht in den Verfassungsrang heben (Mayer 2009, 51), wie das etwa in Deutschland in den Nachkriegsjahren passiert war.127 Diese offizielle Darstellung war mit gegen Flüchtlinge gerichteten Abschottungsmaßnahmen nicht vereinbar, entsprechend betrafen die im Fremdenpolizeigesetz definierten Abschiebeinstrumente nicht in erster Linie AsylwerberInnen. Vorwiegend waren sie mit der Arbeitsmigration und speziell der Gastarbeit verbunden. Diese Verbindung war durchaus eine bewusst gesetzte, was sich beispielsweise daran zeigt, dass Abschiebemodalitäten Gegenstand der Kontingentvereinbarungen waren (sie waren in der Regel vom Unternehmen zu tragen, eine Regelung, die erst 1988 aufgehoben wurde). Abschiebung und Schubhaft waren das juridische Instrument zur Realisierung des »Gast«-Charakters der Arbeitsmigration und so für den Export der Arbeitslosigkeit in den Jahren der Wirtschaftskrise wesentlich (Sari 1988, 137 – 139). Eine Einschränkung dieser Deportability migrantischer Arbeitskräfte wurde 1987 aufgrund eines Urteils des Verfassungsgerichtshofs nötig. Der VfGH hatte eine Berücksichtigung von Lebensverhältnissen und grundlegenden Rechten bei der Erteilung von Aufenthaltsverboten und damit eine Beschränkung der staatlichen Willkür gefordert und die diesbezüglichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes aufgehoben. Bauböck/Perchinig (2003) attestieren der darauf folgenden Novelle des Fremdenpolizeigesetzes eine hohe symbolische Bedeutung: 126 Berichterstatter Horn, VII. Gesetzgebungsperiode, 35. Sitzung, Debatte zur Fremdenpolizeigesetz, März 1954. 127 Juridisch war die Flüchtlingspolitik bis in die 1990er-Jahre kaum als eigenständiger Bereich ausdifferenziert. Das erste Asylgesetz aus dem Jahr 1968 (BGBl. Nr. 126/1968) hieß schlicht »Aufenthaltsberechtigung für Flüchtlinge« und regelte die Modalitäten der Antragstellung, vor allem aber den fremdenpolizeilichen Sonderstatus während des Asylverfahrensm, in § 5 (2) hieß es dazu: »Der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung steht ein nach den Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954, erlassenes Aufenthaltsverbot oder eine vom Gericht ausgesprochene Landesverweisung oder Abschaffung nicht entgegen; in diesem Fall ersetzt die vorläufige Aufenthaltsberechtigung eine Bewilligung gemäß § 6 des Fremdenpolizeigesetzes.«

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Nach 1989: Sekuritisierung von Migration

Erstmals tauchte die Frage der Aufenthaltssicherheit für jene auf, die doch bloß als temporäre Gastarbeiter ins Land gekommen waren, und erstmals verlagerte sich die Gestaltungskompetenz der Ausländerpolitik vom Sozialministerium und den Sozialpartnern auf das Innenministerium, welches zuvor nur in der Flüchtlingspolitik gestalterisch tätig war.

Als gesamtstaatlich konstruierte Interessen waren mit fundamentalen Menschenrechten in Konflikt geraten – es ergab sich, in der Wahrnehmung involvierter politischer Akteure, ein Balanceakt: Es geht hier um den Konflikt zwischen dem Gemeinschaftsinteresse, dem Staatsinteresse auf der einen Seite, und dem Menschenrecht auf der anderen Seite […]. Das, Herr Minister, ist das Problem, das sicherlich die anwendenden Behörden in einige Schwierigkeiten bringt. Sie hat sie schon immer gebracht, nur waren damals die Leute nicht so kritisch, sind nicht so ohneweiters zum Verwaltungsgerichtshof gegangen […]. Selbst wenn ein Fremder offensichtlich das Gastrecht mißbraucht, soll er trotzdem – und das ist die Besonderheit – aus bestimmten menschenrechtlichen Erwägungen dennoch nicht abgeschoben werden. Hier nimmt also die menschenrechtliche Regelung den Vorrang ein.128

Diese Einschätzung ist interessant, weil darin der politische Widerstand, der nach Jahren zur Änderung der Gesetzeslage geführt hatte, angesprochen wird, wenn auch etwas verdeckt im Hinweis auf die »kritischer« gewordenen Leute. Vor allem aber bringt sie ein wesentliches Element einer Desekuritisierung zum Ausdruck: die Neueinbettung von Problemen in einen Gerechtigkeits- und Gleichheitsdiskurs (Huysmans 2006, 125 – 127), im Zitat angedeutet in der Spannung aus »Missbrauch des Gastrechts« und »bestimmten menschenrechtlichen Erwägungen«. Restriktive aufenthaltsrechtliche Bestimmungen hatten, in anderen Worten, im Lauf der 1980er-Jahre nicht zuletzt aufgrund der politischen Aktivitäten von MigrantInnen (Bojadzijev 2008) an Legitimität verloren. Erst der sekurisierte Kontext der frühen 1990er-Jahre erlaubte gegenläufige Maßnahmen, die Wiedereinführung einer Aufenthaltserlaubnis war eine der ersten konkret unternommenen Schritte. Den Hintergrund dazu bildete die oben beschriebene Inszenierung einer Migrations- und vor allem Asylkrise, in der die Frage fremdenpolizeilicher Befugnisse zusehends aus der Sphäre der regulären Migrationspolitik in den als in einem Ausnahmezustand befindlichen Bereich der Flüchtlingspolitik eingebettet wurde. Schubhaft und Asyl wurden in den Folgejahren diskursiv aneinander gekoppelt und die Frage der Deportability damit oberflächlich vom Problem der Arbeitsmigration entkoppelt. In Tabelle 9.7 sind Kennwerte für die relative Bedeutung von mit Aufenthaltsverbot und Abschie128 Abg. Ermacora (ÖVP), XVII. Gesetzgebungsperiode, 34. Sitzung, Debatte zum Fremdenpolizeigesetz, November 1987.

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Deportability und Civic Integrationism

bung verbundenen Begriffen in Beiträgen angeführt, die explizit von Flüchtlingen bzw. AsylwerberInnen handeln. Zeitraum 1945 – 1989

1990 – 2011

1990 – 2011

Begriff

Spezifität

Faktor Über-/Unterrepräsentation

illegal schubhaft rechtsstellung

26,21 24,73 59,29

0,27 0,24 11,51

illegal schubhaft rechtsstellung

4,10 95,83 5,43

1,04 3,06 0,43

haftraum 92,45 32,17 straffällig 62,93 6,77 abschieben 57,77 2,57 Tabelle 9.7: Für Beiträge zu »Flüchtlingen« und »Asylwerbern« spezifische Begriffe, Spezifität und Vergleich der relativen Häufigkeit des Auftretens, lemmatisierte Version des Korpus ohne Stopwords, berücksichtigt sind Lemmata mit einer Gesamthäufigkeit größer 2, insgesamt 16.461 Lemmata; erstes und zweites Drittel: Vergleich von Begriffen aus den Perioden 1945 – 1989 und 1990 – 2011, drittes Drittel: Auswahl an für 1990 – 2011 spezifischen Begriffen

Vor 1989 sind Bezüge auf Illegalität oder Schubhaft in flüchtlingspolitischen Kontexten stark unterrepräsentiert. Beide kommen in den entsprechenden Dokumenten mit rund 75 Prozent geringerer Häufigkeit vor als bei Gleichverteilung zu erwarten wäre. Auf die Rechtsstellung von Flüchtlingen wird dagegen überproportional häufig rekurriert. Alle drei Begriffe haben eine relativ hohe Spezifität, kommen also in einer statistisch auffällig hohen bzw. niedrigen Häufung vor. Nach 1989 kehrt sich dieses Verhältnis um. Illegalität kommt mit derselben Häufigkeit vor wie in anderen Dokumenten, Schubhaft dreimal so häufig, die Rechtsstellung von Flüchtlingen wird dagegen unterdurchschnittlich häufig betont. (Zu beachten ist, dass für die Berechnung der relativen Häufigkeiten im Vergleichskorpus nur Dokumente ohne Erwähnung von Flüchtlingen/ AsylwerberInnen berücksichtigt wurden, da aufgrund der hohen absoluten Häufigkeit von Bezugnahmen auf Flüchtlinge/AsylwerberInnen ansonsten die Spezifitäten unterschätzt würden.) Die diskursive Kopplung von Instrumenten zur Umsetzung von Aufenthaltsverboten an die Asylfrage ist analytisch relevant. Der Flüchtlingsstatus ist interpretationsoffen und tendenziell an Ausnahmesituationen gekoppelt – das macht ihn zu einem relativ volatilen Element westlicher Migrationsregime. Die Kriterien, die echte von unechten Flüchtlingen unterscheiden und zwischen Missbrauch und Anspruch trennen, haben sich historisch als dehnbar erwiesen; sie sind daher auch immer nur bedingt gültig. Das zeigt schon die ursprüngliche Definition des Flüchtlingsstatus in der Genfer Flüchtlingskonvention, der dort

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Nach 1989: Sekuritisierung von Migration

explizit nur auf eine eng definierte Gruppe von Nachkriegsflüchtlingen bezogen wurde, genauer auf »sich infolge von vor dem 1. Jänner 1951 eingetretenen Ereignissen«129 auf der Flucht befindende Personen. Erst Ende der 1960er-Jahre setzte sich die an die bipolare Weltordnung angepasste Erweiterung durch, die nicht mehr auf einen eingeschränkten Zeitraum abzielte. Die Relevanz der Interpretationsoffenheit des Flüchtlingsbegriffs lässt sich illustrieren, indem man die Thematisierung von Flüchtlingsfragen in den frühen Jahren der Zweiten Republik mit dem in den Kapiteln 9.1.1 und 9.2 beschriebenen diskursiven Setting nach 1989 vergleicht. Knapp nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs formulierten, um ein markantes Beispiel zu geben, ÖVPAbgeordnete Bedenken zu einer Entscheidung österreichischer Behörden, die sechs jugendliche UngarInnen mit der Begründung abgewiesen hatten, dass es sich nicht um politische Flüchtlinge gehandelt habe: Am 14. Mai 1950 kam eine Gruppe von sechs minderjährigen Ungarn nach Fürstenfeld, Steiermark, und meldete sich dort bei der Gendarmeriedienststelle. Die jungen Leute gaben an, Ungarn verlassen zu haben, weil sie sich in Österreich günstigere Lebensbedingungen erhofften. Nach einer Einvernahme bei den britischen Behörden wurden die sechs Ungarn wieder der Bezirkshauptmannschaft Fürstenfeld überstellt. Diese hat auf Grund der bei den österreichischen Behörden aufgenommenen Protokolle verfügt, dass diese Personen nicht als politische Flüchtlinge anzusehen sind, und der Gendarmerie die Weisung erteilt, sie über Jennersdorf an die ungarische Grenze zu bringen und den ungarischen Behörden zu übergeben.130

Deutlich wird, dass die Unterscheidung zwischen politischen und wirtschaftlichen Flüchtlingen schon geläufig war. Im Gegensatz zu aktuellen Problementwürfen wird aber betont, dass man hier eben keine klare Trennlinie ziehen kann. Entsprechend fallen die Schlüsse aus, die direkt auf diese Ausführungen folgend in der Anfrage gezogen werden: Durch dieses völkerrechtswidrige Verhalten der Behörde ist die Frage aufgeworfen, ob das Asylrecht für politische Flüchtlinge in Österreich anerkannt wird oder nicht. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass Österreich trotz aller Schwierigkeiten zu dem Grundsatz der Asylgewährung stehen muss. Wenn jemand die Grenze, die durch Stacheldraht und Minenfelder gesichert ist, überschreitet, um sich nach Österreich zu begeben, dann geschieht dies sicherlich nicht aus Abenteuerlust und Arbeitsscheu. Es ist daher der von der Sicherheitsdirektion Graz eingeschlagene Weg schlechthin unverständlich.131

Im Vergleich zu den frühen 1990er-Jahren ist der Gegensatz in der Art der Problematisierung schon in der Betonung der Unschuldsvermutung offen129 Genfer Flüchtlingskonvention, BGBl. 55/1955. 130 Anfrage 119/J (ÖVP), VI. Gesetzgebungsperiode, Juni 1950. 131 Anfrage 119/J (ÖVP), VI. Gesetzgebungsperiode, Juni 1950.

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Deportability und Civic Integrationism

sichtlich: Selbst wenn ihnen ihre eigene Situation nicht klar sein sollte, sind diese Jugendlichen politische Flüchtlinge. Das subversive Überwinden von Grenzbarrieren wird nicht als Grund zur Verschärfung derselben angeführt, vielmehr wird von der gefährlichen Flucht in die Freiheit erzählt. Diese Form der Thematisierung steht konträr zu den Problematisierungen der Flüchtlingsproblematik nach 1989. Vor diesem veränderten diskursiven Hintergrund erlaubte die Kopplung von Einreise- und Aufenthaltsrechten mit der Flüchtlingsfrage eine nachhaltige Sekuritisierung in einem Politikbereich, der Ende der 1980er-Jahre, wie erwähnt, erste Zeichen einer Desekuritisierung in Form kleiner Besserstellungen gezeigt hatte. Die an die Asylfrage gekoppelte Sekuritisierung funktionierte, weil der Humanitätsdiskurs, auf dem die Flüchtlingspolitik der Nachkriegsjahrzehnte ebenso wie die Einwände gegen aktuelle asylpolitische Entwicklungen basier(t)en, keine nachhaltige Desekuritisierung erlaubt. In diesem Sinn argumentiert etwa Bigo (2002, 79): [D]iscourses concerning the human rights of asylum seekers are de facto part of a securitization process if they play the game of differentiating between genuine asylum seekers and illegal migrants, helping the first by condemning the second and justifying border controls.

Die neue Kopplung von mehrfachen Sicherheitsbedenken und Aufenthaltsrecht über den Umweg der Asylfrage bildete die Grundlage für den massiven Ausbau des österreichischen Migrationsregimes in Richtung eines »Deportationsregimes« – Tabelle 9.8 gibt einen Überblick über die wichtigsten Stationen dieser Entwicklung. Überwiegend zielen die getroffenen Maßnahmen darauf ab, den Migrationskanal »Asyl« so unattraktiv und unzugänglich wie möglich zu machen. Aber auch die allgemeinen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen wurden deutlich restringiert. Jahr Maßnahme 2011 Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 2009 Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 2007 Asylgerichtshofgesetz 2005 Fremdengesetz 2005 2003 Änderung Asylgesetz

2001 Änderung Asylgesetz

Kommentar Anwesenheitspflicht für AsylwerberInnen Aufenthaltsstatus Duldung, Gebietsbeschränkungen und Meldeverpflichtung für AsylwerberInnen, radiologische Altersfeststellung Einrichtung des Asylgerichtshofs Verlängerung möglicher Schubhaftdauer ; umfangreiche asylrechtliche Änderungen Ausdehnung sicherheitsbehördlicher Kompetenzen, Einführung Zulassungsverfahren in EASt, keine aufschiebende Wirkung von Berufungen … Volljährigkeit mit 18 Jahren, Neuregelung zu »sicheren Drittstaaten«

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Nach 1989: Sekuritisierung von Migration

Fortsetzung Jahr Maßnahme 2000 Änderung Fremdengesetz 1998 Änderung Asyl- und Fremdengesetz

Kommentar Schlepperei wird zum Straftatbestand Zehn- statt Zweitagesfrist bei Berufung (nach VfGH-Urteil), Festlegung »sicherer Drittstaaten« per Verordnung 1997 Asylgesetz 1997 Umsetzung Schengener und Dubliner Abkommen, Schaffung Bundesasylsenat, Maßnahmen gegen »Asylmissbrauch« 1992 Fremdengesetz Regelt fremdenpolizeiliche Agenden und Eingriffsrechte (Wohnungsbetretung etc.), Schubhaftwesen 1992 Aufenthaltsgesetz System von befristeten Aufenthaltsbewilligungen, Antragstellung im Ausland, Lebensunterhalt und »ortsübliche« Unterkunft sind nachzuweisen, Festlegung von Quoten per Verordnung, Saisonnier-Status 1991 Asylgesetz 1991 Verschärfte Asylgesetzgebung, Einführung verkürztes Verfahren in »offensichtlich unbegründeten Fällen«, Drittstaatenregelung 1991 Bundesbetreuungsgesetz Regelt Aufteilung von Flüchtlingen auf die Bundesländer 1990 Änderungen Fremdenrecht Proto-Version Bundesbetreuungsgesetz, (Juli) Schnellverfahren für ausländische Straftäter 1990 Änderungen Fremdenrecht Wiedereinführung Aufenthaltserlaubnis, (März) Flughafentransiträume werden Pass-Inland, Neuregelung Zurückschiebung und Ausweisung, Strafbestimmungen für Schlepper Tabelle 9.8: Gesetzesänderungen im Deportationsregime 1990 – 2011

Schon das Asylgesetz 1991 ging klar in die Richtung eines Deportationsregimes: »Wer in Österreich Asyl begehrt, ist seit Inkrafttreten des neuen Asylgesetzes vom 1. Juni 1992 recht- und wehrlos Zufällen, Weisungen, politischen Opportunitätsüberlegungen und Behördenwillkür ausgeliefert« (Prader 1992b, 28). Neben Eingriffen in Persönlichkeitsrechte etwa über die radiologische Altersfeststellung oder über die Praktiken der Identitätsfeststellung in den Erstaufnahmestellen, sind dabei erstens verfahrensrechtliche Bestimmungen und zweitens Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Belang. Als Beispiel für erstere sei die mit dem Asylgesetz 2003132 getroffene Regelung herausgegriffen, dass Berufungen gegen Asylbescheide keine aufschiebende Wirkung zukommt – damit sind Abschiebungen auch während eines laufenden Verfahrens möglich. Auch die 2009 implementierte Erschwerung von Folgeanträgen ist ein treffendes Beispiel. Was das Recht auf Bewegungsfreiheit betrifft, wurden gerade in jüngerer Vergangenheit massive Einschränkungen eingeführt. Seit 2009 gelten von Be132 BGBl. I Nr. 101/2003.

Deportability und Civic Integrationism

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ginn des Verfahrens an Gebietsbeschränkungen und Meldeverpflichtungen für alle AsylwerberInnen, seit 2011 eine euphemistisch »Anwesenheitspflicht« genannte Internierung in den ersten 120 Stunden des Verfahrens133. Dazu kommen die Möglichkeit zur Verhängung der Schubhaft bei geringen Anlässen und die Verlängerung der möglichen Schubhaftdauer auf bis zu 18 Monate innerhalb von drei Jahren. Schubhaft ist mittlerweile auch bei traumatisierten Personen und Jugendlichen möglich. Allgemein ist der Zugang zum Asylverfahren über das 2003 eingeführte Zulassungsverfahren erschwert, das vor allem der Implementierung des Dublin-Verfahrens dient. Im Bereich des allgemeinen Aufenthalts- und Einwanderungsrechts wurden unter anderem polizeiliche Eingriffsrechte massiv erweitert, z. B. beim Verdacht einer »Scheinehe« oder mit gegen »Schlepperei« gerichteten Maßnahmen. Letztere wurde 1990 zu einem Verwaltungs- und 2000 zu einem Straftatbestand134 erklärt. Zu den wesentlichen Verschärfungen zählen außerdem die Verlagerung der Antragstellung für die Einreise ins Herkunftsland und Erschwernisse beim Wechsel von einem Aufenthaltstitel in den anderen. Polizeiliche Durchgriffsrechte und administrative Restriktionen haben in Summe dazu geführt, dass andere als die offiziellen Migrationskanäle zunehmend verbaut wurden. Schon Anfang der 1950er-Jahre war die prinzipielle Unterscheidung zwischen Asyl und Einwanderung diskursiv etabliert, auch damals diente der Flüchtlingsstatus zur Definition einer Ausnahmesituation, allerdings unter ganz anderen Vorzeichen als im politischen und wirtschaftlichen Kontext nach 1989. So wenig wie die realen Migrationspraktiken seit dem Zweiten Weltkrieg eine klare Trennlinie zwischen Flucht und Arbeitsmigration erlauben, so wenig können neue Formen der Regulation der Arbeitsmigration ohne Berücksichtigung des massiven Ausbaus des Deportationsregimes verstanden werden. Diese bilden die Grenze der Arbeitsmigration, insofern sie andere Migrationskanäle als die rechtlich vorgesehenen verbauen. Dass die Sekuritisierung von Migration noch weiter gehende strukturierende Effekte auf neue Formen der Arbeitsmigration hat, wird weiter unten Thema sein.

9.3.2 Integration: neue Identitätspolitik Neben der Ausdifferenzierung eines restriktiven Deportationsregimes hatte die Sekuritisierung von Migration nach 1990 auf einen zweiten Bereich der Migrationspolitik weitreichende Auswirkungen. Dieser Bereich wird in Anlehnung 133 BGBl. I Nr. 38/2011. 134 BGBl. I Nr. 34/2000.

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Nach 1989: Sekuritisierung von Migration

an eine von Hammar (1985) eingeführte Unterscheidung als immigrant policy im Gegensatz zu immigration policy bezeichnet, im deutschsprachigen Raum wird er üblicherweise Integrationspolitik (in Abgrenzung zu Einreise- und Aufenthaltspolitik) genannt. Die Grenzen zwischen den beiden Politikbereichen sind fließend. Für die vorliegende Arbeit ist der wesentliche Unterschied, dass im Bereich des Deportationsregimes die Prekarisierung des migrantischen Aufenthaltsrechts geschieht, in der Integrationspolitik dagegen hauptsächlich die Kriterien der Zugehörigkeit und die sich aus ihr ergebenden Rechte und Pflichten verhandelt werden. Triadafilopoulos (2011) diagnostiziert für Westeuropa einen aktuellen Trend zu einem »aggressive civic integrationism«, der sich unter anderem in verpflichtenden Sprachkursen und Staatsbürgerschaftstests und restriktiven Bestimmungen zu Niederlassung und Einbürgerung niederschlägt. Diese Entwicklung führt er auf ein Zusammentreffen mehrerer Prozesse zurück, die im Großen und Ganzen den in Kapitel 2.5 beschriebenen entsprechen und die Adamson et al. (2011, 849) folgendermaßen zusammenfassen: [T]he breakdown of the postwar economic order and consequent hollowing out of welfare states, the dissolution of party systems and the rise of »new« parties of the Left and Right, the end of the Cold War, the deepening and expansion of European integration and the emergence of the so-called »war on terror«.

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Dominanz einer Schmitt’schen Variante liberaler Politik ausmachen, die zentral mit Freund-Feind-Dichotomisierungen arbeitet, um die Identität des Eigenen abzustecken, wo positive Definitionsmerkmale fehlen. Die Bestimmung der »core values« (Hansen 2011) ist in diesem Sinn erstens nicht von den allgemeinen Transformationsprozessen zu trennen, die auch zur Sekuritisierung der Migration geführt haben, und zweitens überwiegend negativ über die Benennung des anderen organisiert. Wie Hampshire (2011, 962) es ausdrückt: »[I]n pluralist societies there simply isn’t a consensus about national identity.« In Österreich zeigt sich der Trend zu einem solchen »integrationism« fast idealtypisch. Sowohl im Staatsbürgerschafts- als auch im Aufenthaltsrecht wurden entsprechende verschärfte und teilweise auch neue Anforderungen durchgesetzt (Tabelle 9.9). Mit der Novelle des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1998135 wurde erstmals der Nachweis von Sprachkenntnissen zur Voraussetzung für die Einbürgerung gemacht. Im Gegenzug wurden die Möglichkeiten zur frühzeitigen Einbürgerungen ausgeweitet. Diese Erleichterung im Staatsbürgerschaftsgesetz wurde mit der nächsten größeren Novelle 2005136 wieder 135 BGBl. I Nr. 124/1998. 136 BGBl. I Nr. 37/2006.

Deportability und Civic Integrationism

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rückgängig gemacht, gleichzeitig wurden die Anforderungen zu Sprachkenntnissen verschärft und ein Staatsbürgerschaftstest eingeführt. Statt des Hauptwohnsitzes wurde nun der durchgängige137 rechtmäßige Aufenthalt zum Kriterium zur Bestimmung der Aufenthaltsdauer. Jahr Maßnahme 2011 Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 2005 Fremdengesetz 2005

Kommentar Verschärfung bei geforderten Sprachkenntnissen Trennung in Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz und Fremdenpolizeigesetz (für kurze Aufenthalte); Neuorganisation der Aufenthaltstitel; Verschärfung »Integrationsvereinbarung« 2005 Staatsbürgerschaftsgesetz 2005 Einschränkung frühzeitige Einbürgerung, rechtmäßiger Aufenthalt statt Hauptwohnsitz, Verschärfung Sprachkenntnisse, Staatsbürgerschaftstest 2002 Fremdenrechtspaket 2002 Integrationsvereinbarung, Beschränkung der Zuwanderung auf sogenannte Schlüsselkräfte, Niederlassungsnachweis nach 5 Jahren 1998 Staatsbürgerschaftsgesetz Ausdehnung frühzeitige Einbürgerung, Erhöhung Ermessensspielraum, Verschärfung bei Straffälligkeit, Anforderung Sprachkenntnisse 1997 Fremdengesetz 1997 Zusammenfassung Aufenthaltsgesetz und Fremdengesetz, Höchstalter 14 für nachziehende Kinder, Aufenthaltsverfestigung, Unterscheidung Aufenthaltserlaubnis und Niederlassungsbewilligung, erleichterter Arbeitsmarktzugang für Familienangehörige, Einführung humanitäre Aufenthaltserlaubnis 1992 Aufenthaltsgesetz System von befristeten Aufenthaltsbewilligungen, Festlegung von Quoten per Verordnung, Saisonnier-Status Tabelle 9.9: Gesetzesänderungen »Integrationsparadigma« bzw. »civic integrationism« 1990 – 2011

Parallel zu den Restriktionen im Staatsbürgerschaftsrecht wurden auch die Anforderungen an andere Aufenthaltstitel verschärft. Wo bis zum Aufenthaltsgesetz 1992 der Nachweis von Unterkunft, Lebensunterhalt und Unbescholtenheit ausreichend waren, wurden nach und nach protostaatsbürgerschaftliche 137 Die Anforderung des durchgängigen, ununterbrochenen Aufenthalts wird rigide interpretiert. Aufgrund von Verschärfungen bei Fristversäumnissen kann es dabei sehr schnell zu Phasen des streng genommen unrechtmäßigen Aufenthalts kommen. Die Beweislast liegt dabei bei den Einbürgerungswilligen, sie müssen die Durchgängigkeit und Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts nachweisen können.

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Nach 1989: Sekuritisierung von Migration

Anforderungen eingeführt. Die mit der Fremdenrechtsnovelle 2002138 eingeführte Integrationsvereinbarung ist ein Meilenstein dieser Entwicklung: Erstmals wurde das Aufenthaltsrecht an den Besuch und erfolgreichen Abschluss eines »Deutsch-Integrationskurses« gekoppelt. Die Sprachanforderungen wurden über die Jahre erhöht; seit der letzten Novelle des Fremdenrechts139 sind Deutschkenntnisse für die meisten Einreise- und Aufenthaltstitel schon bei der Antragstellung im Ausland nachzuweisen. Die neuen Anforderungen sind in ein System der differenzierten Aufenthaltsverfestigung eingebettet, das entlang zweier Achsen organisiert ist: Es richtet sich erstens nach der Aufenthaltsdauer, zweitens nach einer Kombination aus Aufenthaltszweck und Personenmerkmalen. Die Verfestigung des Aufenthalts erfolgt in Schritten und läuft, grob gesagt, von der Aufenthaltserlaubnis über die Niederlassungsbewilligung140 zum Niederlassungsnachweis141; mit den unterschiedlichen Aufenthaltstiteln sind verschiedene Rechte (zum Beispiel des Arbeitsmarktzugangs) und Sicherheiten (z. B. in Bezug auf Abschiebung) verbunden. Im Lauf der Jahre kamen spezielle Aufenthaltstitel für diverse Konstellationen dazu (Beispiele sind der »Daueraufenthalt EG« und der »Daueraufenthalt – Familienangehöriger«). Für die anschließenden Analysen sind quer zur Aufenthaltsverfestigung liegende Differenzierungen nach Aufenthaltszweck und Personenmerkmalen bedeutsam. Seit dem Aufenthaltsgesetz 1992142 wird im österreichischen Fremdenrecht zwischen unterschiedlichen Arten des Aufenthalts unterschieden. Für jeden Aufenthaltszweck wurden von der Regierung per Verordnung Quoten eingeführt, die sowohl die Zahl unterschiedlicher Beschäftigungsverhältnisse als auch die Zahl der nicht arbeitsmarktbezogenen Einreisen begrenzen sollten. Die Quotierung betraf dabei auch eigentlich menschenrechtlich relevante Bereiche wie die Familienzusammenführung. In der Praxis haben vor allem die Quoten für Fachkräfte und Familienzusammenführung eine Rolle gespielt. Kurz: Mit dem Aufenthaltsgesetz wurde die Möglichkeit geschaffen, »qualitative und quantitative Kriterien für den Aufenthalt von Fremden in Österreich festzulegen«143. Die Vielzahl an Maßnahmen spiegelt den zentralen Stellenwert wider, den das Problemfeld »Integration« in der Migrationspolitik einnimmt; »[w]enn von Fragen der Migration und Einwanderung […] die Rede ist, dann seit einigen 138 139 140 141 142 143

BGBl. I Nr. 126/2002. Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl. I Nr. 38/2011. BGBl. I Nr. 75/1997. BGBl. I Nr. 126/2002. BGBl. Nr. 466/1992 Berichterstatter Hofmann, XVIII. Gesetzgebungsperiode, 76. Sitzung, Debatte zum Aufenthaltsgesetz, Juli 1992.

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Deportability und Civic Integrationism

Jahren stets erweitert um den Zusatz ›und Integration‹« (Hess/Moser 2009, 11). Angesichts der starken Kopplung an Fragen der Arbeitsmigration und speziell der Post-Gastarbeits-Entwicklungen überrascht dabei, dass das Schlagwort der Integration in Debatten vor den 1990er-Jahren keine Rolle spielt. Bis 1986 kommt das Wort zehn Mal vor, 1988 ist ein erster Ausreißer mit neun Nennungen festzustellen. Wirklich im politischen Diskurs präsent ist es aber erst 1990 mit 30 Nennungen, den vorläufigen Höhepunkt an Bezugnahmen auf »Integration« bildet das Jahr 2008 mit 100 Nennungen. Erst mit der Sekuritisierung von Migration wurde das Thema Integration in den parlamentarischen Diskurs getragen, dabei lässt sich eine tendenzielle Umbewertung des Integrationsbegriffs feststellen. Auch hier spielt die Verschiebung im Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik eine wichtige vermittelnde Rolle. Wurde Integration (bzw. semantisch ähnliche Begriffe wie Eingliederung) in den ersten Nachkriegsjahrzehnten vorwiegend im Sinn von »Gleichstellung« verwendet, verschob sich der Bedeutungsgehalt in den 1990erJahre hin zu einer Anforderung. Stanek (1985, 20) verwendet »Integration« noch hauptsächlich zur Beschreibung des Gleichstellungsprozesses der Volksdeutschen. Die Frage von Gleichstellung und Rechten ist bis 1990 auch im Parlament mit der Flüchtlingsfrage verknüpft, wenn sie auch kaum explizit als Integration verhandelt wird. In Tabelle 9.10 ist eine Auswahl an Begriffen dargestellt, die für Beiträge zu Flüchtlingen und AsylwerberInnen vor 1989 spezifisch und die diesem semantischen Feld zuordenbar sind. »Gleichstellung«, »Eingliederung« und »arbeitsrechtlich« sind alle überproportional häufig in asylpolitischen Zusammenhängen zu finden, und das verstärkt vor 1989. Ab 1990 dreht sich das Verhältnis um, von einer überproportionalen kommt es zu einer unterproportionalen Assoziation der Themen Asyl/Flucht mit Fragen von Recht und Gleichstellung. Zeitraum 1945 – 1989

1990 – 2011

Begriff

Spezifität

Faktor Über-/Unterrepräsentation

gleichstellung eingliederung arbeitsrechtlich

73,16 33,62 36,39

8,74 12,23 7,80

gleichstellung 27,66 0,14 eingliederung 2,99 0,59 arbeitsrechtlich 14,87 0,20 integration 21,35 0,73 Tabelle 9.10: Integrationsbezüge in Beiträgen zu »Flüchtlingen« und »Asylwerbern«, Vergleich 1945 – 1989 mit 1990 – 2011, Spezifität und Vergleich der relativen Häufigkeit des Auftretens, lemmatisierte Version des Korpus ohne Stopwords, berücksichtigt sind Lemmata mit einer Gesamthäufigkeit größer 2, insgesamt 16.461 Lemmata

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Nach 1989: Sekuritisierung von Migration

Parallel zu dieser Entkopplung von Asyl und Gleichstellung findet eine Bedeutungsverschiebung bzw. -erweiterung des Integrationsbegriffs statt. Noch im März 1990 ist »Integration« thematisch vor allem mit Flüchtlingspolitik verknüpft, so etwa in der Begründung zu einem Antrag der Grünen auf Schaffung eines Integrationsgesetzes: Durch dieses zu schaffende Gesetz soll auf rationaler Basis und in planvoller Weise die Integration folgender Personengruppen in Österreich ermöglicht werden: anerkannte Flüchtlinge, Asylwerber, geduldete Fremde (unter diesen zum Beispiel die sogenannten Kontingentflüchtlinge), Einwanderungswillige.144

In derselben Debatte spricht der damalige Innenminister Löschnak von einem »Integrationsmodell mit 3.200 CSSR-Asylwerbern«, das er in die Wege geleitet habe, und SPÖ-Abgeordneter Parnigoni spricht von der »Integration von Flüchtlingen, die als solche anerkannt worden sind«. Integration wird dabei auf eine nicht sekuritisierte Weise verwendet, es geht um Recht und Gleichstellung, manchmal gar um Menschenrechte. So setzt es etwa der ÖVP-Abgeordnete Burgstaller gleich: »[…] wenn wir die Menschenrechte, die Integration diskutieren«145. Spätestens in der Debatte zum Aufenthaltsgesetz 1992 ist eine Bedeutungsverschiebung zu erkennen. Integration ist nun von der Flüchtlingsthematik entkoppelt, wird kulturell gefasst – die FPÖ ist dabei federführend, aber nicht allein –, als Anforderung definiert und in den Kontext der allgemeinen Sekuritisierung von Migration eingebettet: Wir, die Freiheitlichen, suchen hingegen einen Dialog mit den anderen Kulturen. Wir wollen eine vernünftige Integration. Wir erwarten uns aber andererseits von den Ausländern, die in unser Land kommen, daß sie sich an unsere Gesellschaftsordnung anpassen. Die Integration der Ausländer in die österreichische Kultur ist das Ziel und nicht umgekehrt.146

Zentrales Thema sind dabei die durch einen hohen Anteil von SchülerInnen »nichtdeutscher Muttersprache« verursachten Probleme: »Denn das Ziel der Integration muß es ja sein, daß sich die ausländischen Kinder in die österreichische Kultur integrieren, nicht umgekehrt, daß die Österreicher in die aus144 Abg. Geyer (Grüne), XVII. Gesetzgebungsperiode, 133. Sitzung, Debatte zum Fremdenrecht, März 1990. Der Grüne Abgeordnete Srb spricht im Juli desselben Jahres überhaupt von einem »Asylwerberintegrationsgesetz« (Abg. Srb (Grüne), XVII. Gesetzgebungsperiode, 152. Sitzung, Debatte zum Fremdenrecht, Juli 1990). 145 Abg. Burgstaller (ÖVP), XVIII. Gesetzgebungsperiode, 5. Sitzung, Debatte zum Fremdenpolizeigesetz, Dezember 1990. 146 Abg. Praxmarer (FPÖ), XVIII. Gesetzgebungsperiode, 131. Sitzung, Debatte zum Volksbegehren Österreich Zuerst, September 1993.

Deportability und Civic Integrationism

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ländische Kultur in ihrem eigenen Land integriert werden sollen«147. Auch die SPÖ hatte schon »Integrationsprojekte und -modelle für Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache« gefordert148. Die neue Form der kulturalisierten Problematisierung ist mit einer wesentlichen Verschiebung verbunden. Von einer notwendigen Gleichstellung von Flüchtlingen wird Integration zu einem möglichen Kriterium zur Bewertung von (Arbeits-)MigrantInnen – ein Kriterium, das in der Flüchtlingspolitik definitionsgemäß nicht angelegt werden kann: »[Umso] entschiedener treten wir dagegen auf, daß wir starke Gruppen über unsere Grenzen lassen, die erklärtermaßen weder integrationsbereit noch integrationswillig sind«149. Gleichzeitig wird Integration, fast zwangsläufig, nicht mehr mit der Frage der Fluchtmigration, sondern mit jener der Arbeitsmigration gekoppelt: Wir sollten auch nicht so blauäugig sein, Frau Kollegin Stoisits, zu glauben, daß alle Ausländer integrationswillig sind. Wir haben sehr viele, die bei uns arbeiten und Geld verdienen wollen, aber im Prinzip mit unserer Kultur nur sehr wenig zu tun haben wollen.150

Wo im Fall der Deportability eine neue Verknüpfung von Flüchtlingspolitik mit Schubhaft und verwandten Themen stattfand, ist im Fall der Integrationspolitik eine diskursive Entkopplung von Asyl- und Integrationsproblematik festzustellen. Damit soll nicht unterstellt werden, dass diese Bedeutungsverschiebung bewusst inszeniert oder geplant wurde. Eher rührt sie daher, dass der Begriff Integration sehr bedeutungsoffen ist und gleichzeitig Migrationsphänomene immer stärker als gesellschaftliches Problem dargestellt und wahrgenommen werden. »Integration« kann in diesem Feld als floating signifier fungieren und so den Migrationsdiskurs in Bahnen lenken. Bojadzijev (2008) zeigt am Beispiel von Deutschland, wie der Integrationsbegriff dabei zunächst (im Sinne eines Rechts) als politisches Ziel migrantischer Kämpfe um gesellschaftliche Beteiligung gedient hat, dann aber von der staatlichen Migrationspolitik »rekuperiert« und zu neuen Zwecken eingesetzt wurde. Ähnliche Prozesse haben auch in Österreich stattgefunden. So war die mit der Novelle des Fremdenpolizeigesetzes 1987 verbundene rechtliche Anerkennung der Ansprüche, die sich aus einer faktischen Aufenthaltsverfestigung ergeben können, ein Ergebnis migrantischer 147 Abg. Haider (FPÖ), XVIII. Gesetzgebungsperiode, 91. Sitzung, Debatte zum Fremdengesetz, Dezember 1992. 148 Anfrage 2151/J (SPÖ), XVIII. Gesetzgebungsperiode, Dezember 1991. 149 Abg. Ofner (FPÖ), XVIII. Gesetzgebungsperiode, 131. Sitzung, Debatte zum Volksbegehren Österreich Zuerst, September 1993. 150 Abg. Keppelmüller (SPÖ), XVIII. Gesetzgebungsperiode, 166. Sitzung, Debatte zu Antrag zum Staatsbürgerschaftsgesetz, Mai 1994.

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Nach 1989: Sekuritisierung von Migration

Kämpfe (Sari 1988). Diese Anerkennung wurde dann aber im Lauf der 1990erJahre nach und nach zu einer Anforderung umgedeutet und bestimmte Rechte wurden vom Nachweis der regulären Aufenthaltsverfestigung abhängig gemacht. Ein wesentliches Element der Neudefinition des Begriffs der Integration ist, dass diese jetzt als Problem nicht für die involvierten MigrantInnen, sondern für die nationale Gemeinschaft gefasst wird. Anpassungs- und Sprachprobleme werden, der Argumentation von Triadafilopoulos (2011) entsprechend, zur Bedrohung für die nationale kulturelle Identität (Tabelle 9.11). Der sekuritisierte Charakter dieses Integrationsverständnisses bleibt oft implizit, kann aber auch ganz offen ausgesprochen werden, wie in der Projektbeschreibung zu einem aktuellen, vom Bundesministerium für Inneres finanzierten sozialwissenschaftlichen Forschungsprojekt: Zugehörigkeits- und Loyalitätsgefühle zur österreichischen Gesellschaft (»identifikative Integration«) stellen grundlegende Elemente für den Zusammenhalt Österreichs und für die gesellschaftliche Konfliktprävention dar. Die identifikative Integration ist demnach ein sicherheitspolitisch besonders relevanter Aspekt von Integration. (KIRAS Sicherheitsforschung o. J.)

Wie schon bei der Definition nationaler Zugehörigkeit im Fall der Volksdeutschen nach dem Weltkrieg dient dabei Sprache als wesentliches Identitätsmerkmal. Mit einer Spezifität von 102,84 ist es absolut charakteristisch für Integrationsdokumente, der hohe relative Wert im Gesamtkorpus ergibt sich damit praktisch ausschließlich aus den Dokumenten, in denen auch Integration vorkommt (das Teilkorpus ist aus dem Gesamtkorpus nicht ausgeschlossen). Auch das Vorherrschen einer kulturalisierten Deutung geht aus der quantitativen Auswertung klar hervor : Fast viermal häufiger als bei Gleichverteilung zu erwarten wird in integrationsbezogenen Beiträgen auf »Multikulturalismus« rekurriert. Begriff Spezifität Faktor Über-/Unterrepräsentation sprache 102,84 2,55 multikulturell 40,31 3,76 einbürgerung 37,15 2,22 Tabelle 9.11: Für Beiträge zu »Integration« spezifische Begriffe, Spezifität und Vergleich der relativen Häufigkeit des Auftretens, lemmatisierte Version des Korpus ohne Stopwords, berücksichtigt sind Lemmata mit einer Gesamthäufigkeit größer 2, insgesamt 16.461 Lemmata

Die sekuritisierte Inszenierung eines Integrationsproblems und die darauf aufbauende Etablierung sprachlicher und anderer Kriterien zur differenziellen Zu- und Aberkennung von Rechten steht in einer auffälligen Spannung zum zeitgleich stattfindenden Prozess der EU-Integration. Scheinbar komplett

Deportability und Civic Integrationism

265

selbstverständliche Anforderungen gelten für EU-BürgerInnen nicht; zum Großteil wurde dabei im Lauf der Zeit als explizite gesetzliche Regelung übernommen, was davor schon in Form von bi- und multilateralen Abkommen festgeschrieben war. Die Unterscheidung zwischen EU-BürgerInnen und Drittstaatsangehörigen ist eine der, wenn nicht die wichtigste juridische Differenzierung im österreichischen Migrationsregime; sie steht im Widerspruch zur sekuritisierten Identifikation existenzieller Risiken. Über die Kopplung an andere identitätspolitische Konzepte – ein prominentes Beispiel ist der »Islam« – kann diese Begründungslücke geschlossen werden. Sprache wird so durch die Vorstellung einer Leitkultur ergänzt, die rechtlich im Staatsbürgerschaftstest Ausdruck findet.

10

Arbeitsmigration und ihre Regulation nach 1989

Mit dem Ende der Nachkriegsordnung verlor die Arbeitsmigration nicht an Bedeutung, im Gegenteil. Der Arbeitsmarkt war als Ergebnis der Gastarbeit faktisch segmentiert, der Bedarf an entsprechenden Arbeitskräften damit strukturell verankert (Parnreiter 1992; Gächter 1992). Entsprechend diagnostiziert Biffl (2003, 65 – 66) für die Jahre 1980 bis 1999 vor allem in Niedriglohnbranchen eine gestiegene Abhängigkeit von migrantischen Arbeitskräften. In der Landwirtschaft verdreifachte sich der statistisch erfassbare Anteil ausländischer Arbeitskräfte von 8,7 auf 25,4 Prozent, in der Bekleidungsindustrie stieg er von 9,6 auf 21,3 Prozent, im Gesundheitsbereich von 0,5 auf 7,3 Prozent und im Bereich der persönlichen Dienste (inklusive Reinigungsdienste) von 3,9 auf 14,4 Prozent. Neu hinzu kam, dass auch in mittel und hoch bezahlten Tätigkeiten der Anteil von ArbeitnehmerInnen ohne österreichische Staatsbürgerschaft anstieg, so etwa im Bereich der Versicherungen und Banken von 0,4 auf 1,9 Prozent. Zwar waren typische Gastarbeiterpositionen (meist Hilfskrafttätigkeiten in der industriellen Massenfertigung) abgebaut worden, der massive Strukturwandel am österreichischen Arbeitsmarkt zu Beginn der 1980er-Jahre hatte aber auch einen neuen Bedarf speziell im Dienstleistungsbereich gebracht. Damit war auch eine Verlagerung von Groß- zu Kleinbetrieben verbunden, die migrantische Arbeitskräfte überproportional betraf (Biffl 2003, 67 – 68). Dazu kam das neue Phänomen der Elitenmigration, das sich aus verschiedenen Quellen speiste. Einerseits drückt sich im Bild des »Wettstreits um die besten Köpfe« die neoliberale Leitidee der volkswirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit aus, andererseits ging die zunehmende wirtschaftliche Vernetzung mit neuen Migrationssystemen einher, die eher Eliten als HilfsarbeiterInnen involvierten: Investitionstätigkeiten und der Aufbau multi- und transnationaler Konzerne erforderten internationale Arbeitsmobilität einer anderen Art. Damit hatte sich vor allem die Art der geforderten und nachgefragten Arbeitsmobilität geändert. Wesentlich für die »neue Gastarbeit« (Castles 2006) ist eine Spaltung in als niedrig qualifiziert und als hoch- bzw. höchst qualifiziert

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Arbeitsmigration und ihre Regulation nach 1989

markierte ArbeitsmigrantInnen (Gabriel 2008; Raghuram 2008). Migrationsmanagementprogramme sollen gezielt differenzierte Formen der Steuerung zulassen. In den Kapiteln 11 und 12 bespreche ich die zwei wesentlichen Instrumente der österreichischen Spielart eines solchen Migrationsregimes. Der Fokus meiner Analyse liegt dabei auf der Frage, wie die dafür notwendigen diskursiven und juridischen Differenzierungen an ein Wechselspiel aus Sekuritisierung und Ökonomisierung gekoppelt waren. Davor argumentiere ich in Kapitel 10.1, dass die ausführlich beschriebene Sekuritisierung von Migration kein Ende für ökonomisierende Problementwürfe bedeutete: Sicherheits- und Nutzenlogik waren gleichzeitig wirksam. Schon die ersten Adaptionen der juridischen Mittel zur Regulation der Arbeitsmigration zeigen die Komplexität, die sich aus dieser Ko-Existenz ergibt – und ihre Produktivität (einen Überblick über die wichtigsten Maßnahmen gibt Tabelle 10.1). So erweisen sich die meist als Sicherheitsmaßnahme gedeuteten Höchstzahlen als Mittel zur Vereinfachung und, zumindest in den Anfangsjahren, zur Ausweitung der Ausländerbeschäftigung. In der neuen Steuerungsform über Höchstzahlen spiegeln sich zudem Aspekte der Veränderung der »Staatsform«. Die quantitative Steuerung über Höchstzahlen wurde 1992 um die Möglichkeit der qualitativen Steuerung über ein System aus Kriterien und Quoten ergänzt. Damit wurde eine wichtige Grundlage für die Rot-Weiß-Rot-Karte geschaffen. Jahr Maßnahme 2011 Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 2011 Änderung Ausländerbeschäftigungsgesetz 2006 2. EU-ErweiterungsAnpassungsgesetz 2005 Änderung Fremdengesetz 2005 2005 Änderung Ausländerbeschäftigungsgesetz 2004 EU-ErweiterungsAnpassungsgesetz 2002 Fremdenrechtspaket 2002 2000 Änderung Fremdengesetz

Kommentar Rot-Weiß-Rot-Karte und Blue Card (EU) Rot-Weiß-Rot-Karte, Einführung des Status »Stammsaisonnier« Änderungen im AuslBG anlässlich des EUBeitritts von Bulgarien und Rumänien analog zur ersten Erweiterungsrunde Keine Prüfung der Selbstständigkeit in bestimmten Fällen, Saisonbeschäftigung auch ohne Visum Meldepflicht zwischen AMS und Fremdenbehörden, Gleichstellung subsidiär Schutzberechtigter mit Flüchtlingen Übergangsregelungen für die Beitrittsländer 2004 (außer Malta und Zypern) Beschränkung der Zuwanderung auf »Schlüsselkräfte«, Ausdehnung Pendler- und Saisonnierbeschäftigung Einführung »Erntehelfer«, Ausdehnung Saisonbeschäftigung

Zwei Rationalitäten?

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Fortsetzung Jahr Maßnahme 1992 Änderung Fremdengesetz

Kommentar System von befristeten Aufenthaltsbewilligungen, Festlegung von Quoten per Verordnung, Einführung des Saisonnier-Status 1990 Änderungen Fremdenrecht AuslBG: Einführung Bundeshöchstzahlen, (Juli) Einführung Arbeitserlaubnis Tabelle 10.1: Gesetzesänderungen zur Ausländerbeschäftigung 1990 – 2011

10.1 Zwei Rationalitäten? Kontinuierliche Ökonomisierung Die Politisierung von Migration im österreichischen Parlament war spätestens ab dem Frühjahr 1990 von sekuritisierenden Problematisierungen geprägt, die Migration als vielfältige Bedrohung inszenierten. Auf dieser Grundlage wurden zahlreiche Verschärfungen mit Blick sowohl auf die Sicherung der »kulturellen Identität« im Bereich der Integrationspolitik als auch auf die Sicherung der »öffentlichen Ordnung« eingeführt, etwa durch den Ausbau von Kontrollinstrumenten und allgemein des Deportationsregimes. Auch zum Thema Arbeitsmarkt waren sekuritisierende Problematisierungen zu finden, thematisiert wurde etwa das Problem der Schwarzarbeit oder auch einfach die steigenden Arbeitslosenzahlen.151 Den sekuritisierenden Tönen in der parlamentarischen Auseinandersetzung zum Trotz verschwanden ökonomisierende, den Nutzen und die Notwendigkeit von Migration betonende Problematisierungen nicht einfach von der Bildfläche. Im Gegenteil, Beispiele für ökonomisch-utilitaristische Thematisierungen finden sich für alle Parteien, in ihrer Argumentation sind diese teilweise fast deckungsgleich – Beispiele sind in Tabelle 10.2 zu finden. Das volkswirtschaftliche Gesamtinteresse wurde zusehends mit dem Argument der drohenden demographisch bedingten Pensions- und Arbeitskrise gekoppelt (Zitate 2, 3 und 4 in 151 Im Gegensatz zu anderen Dimensionen der Sekuritisierung – kultureller Identität und öffentlicher Ordnung – fällt auf, dass Arbeitslosigkeit auch in den Nachkriegsjahrzehnten schon Thema gewesen war. Die Häufigkeit der Thematisierung stimmt dabei grob mit der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen überein. In der Phase der Gastarbeit ist Arbeitslosigkeit kein Thema, erst rund um die Einführung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes wird die allgemeine Beschäftigungsproblematik aufgegriffen, nach einem leichten Anstieg der Arbeitslosenzahlen zwischen 1973 und 1975. Ab Mitte der 1980er-Jahre steigen die Arbeitslosenzahlen und parallel dazu auch die Thematisierungen der Arbeitslosigkeit in Migrationskontexten. Neu kommt die Diskussion von Problemen der Schwarzarbeit hinzu. Trotz eines Wirtschaftsaufschwungs stieg die Arbeitslosigkeit in den frühen 1990er-Jahren auf Werte, die davor zuletzt in den 1950er-Jahren erreicht worden waren.

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Arbeitsmigration und ihre Regulation nach 1989

der Tabelle), die wiederum als wesentliches Element im Diskurs zur Notwendigkeit von Verschlechterungen in Sozial- und Pensionspolitik funktioniert. Auch auf der rein diskursiven Ebene spiegeln sich Aspekte der Verschiebung vom fordistischen zum neoliberalen Zeitalter. Auf dem Tiroler Arbeitsmarkt im Bereich der Fremdenverkehrswirtschaft und insbesondere der Gastronomie herrscht ein Mangel an Arbeitskräften, der zurzeit nur durch ausländische Arbeitskräfte ausgeglichen werden kann, weshalb im Sinne der wirtschaftlichen Notwendigkeiten eine rasche und unbürokratische Antragserledigung vonnöten wäre. Das wäre tatsächlich ein sinnvoller Beitrag zu einer bewußten, einer positiv gesteuerten Einwanderungspolitik in diesem Land. Ich glaube, es gibt kaum jemanden mehr in Osterreich, der in Abrede stellt, daß eine Nettozuwanderung von 25.000 Personen in Österreich notwendig ist, um unsere demographische Entwicklung so zu gestalten, daß Österreich sowohl ökonomisch als auch sozial als auch in bezug auf die Lebenszusammenhänge eine positive Entwicklung zu erwarten hat. Pro Jahr ist es möglich, 20.000 bis 25.000 Menschen aus anderen Staaten zusätzlich aufzunehmen, und diese Zahl der Menschen ist für die österreichische Wirtschaft notwendig, und daher werden diese Menschen, weil sie gebraucht werden, auch aufgenommen, Herr Kollege. Lassen Sie mich am Schluß meiner Wortmeldung noch einen anderen Aspekt anführen, weswegen wir ausländische Arbeitskräfte, abgesehen von der Funktionstüchtigkeit mancher Wirtschaftszweige, so dringend brauchen. Das hängt auch sehr mit unserer demographischen Entwicklung zusammen […] Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir nicht nur keinen Einwanderungsstopp, sondern auch keine Zuwanderung von nur 5.000 Arbeitskräften pro Jahr in unser Land hinnehmen würden, dann würden wir im Jahre 2030 nach derzeitigen Schätzungen auf eine Bevölkerungszahl von 7,4 Millionen abgesunken sein, dann wäre unser Pensionssystem nicht mehr finanzierbar.

Anfrage 4257/J (FPÖ), XVII. GP, September 1991

Abg. Stoisits (Grüne), XVIII. GP, 76. Sitzung, Debatte zum Aufenthaltsgesetz, Juli 1992

Abg. Seidinger (SPÖ), XVIII. GP, 130. Sitzung, Debatte zum AuslBG, Juli 1993

Abg. Bartenstein (ÖVP), XVIII. GP, 160. Sitzung, Aktuelle Stunde »Unkontrollierte Zuwanderung«, April 1994

Zwei Rationalitäten?

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Abg. Spindelberger (SPÖ), XXIV. GP, 14. Verschließen Sie doch nicht immer die Augen vor der Realität, meine Damen und Sitzung, Debatte zu Arbeitsmarkt und EWR, Februar 2009 Herren von FPÖ und BZÖ. Unsere Wirtschaft benötigt, ob Krise hin oder Krise her, ausländische Fachkräfte. (Abg. Dr. Königshofer: Wo denn?) Wir benötigen die Saisonniers, wir benötigen auch Pflegepersonal. Tabelle 10.2: Nutzentopos in der parlamentarischen Auseinandersetzung 1989 – 2011

Die Gleichzeitigkeit von sekuritisierenden und ökonomisierenden Problematisierungen führt zu einer Spannung zwischen Migration als existenziell entworfener Bedrohung und einer utilitaristischen Marktlogik, die allerdings in der Regel nicht explizit gemacht wird. Verblüffend ist etwa die Schlussfolgerung der FPÖ-Mandatarin Partik-Pabl¦ zum Problem der illegalen Touristenbeschäftigung, vor allem angesichts der Tatsache, dass die FPÖ zu diesem Zeitpunkt die thematische Verknüpfung von Arbeitslosigkeit und Migration forcierte (unter anderem im Rahmen ihres Volksbegehrens »Österreich Zuerst«): Wir glauben auch nicht, daß durch diese Bestimmungen die große Masse der Touristen, die in Österreich legal einreist, aber dann illegal beschäftigt ist, die Möglichkeit hat, eine Beschäftigungsbewilligung zu bekommen, weil sie ganz einfach die Voraussetzungen nicht erfüllt, weil sie meistens nicht ununterbrochen gemeldet ist. Ich glaube, man hätte den Arbeitsämtern wirklich einen größeren Freiraum lassen müssen, Beschäftigungsbewilligungen zu erteilen.152

Dieses Zitat ist auch deswegen interessant, weil es zeigt, wie der sekuritisierte Kontext das strategische Setting auch für ökonomisierende Thematisierungen verändert: Das ins Rampenlicht gerückte Problem der Schwarzarbeit bringt die Möglichkeit, eine Verfahrensvereinfachung zu fordern; die implizit bleibende Alternative wäre ein Fortbestehen der Beschäftigung ohne staatliche Erfassung. Die Sekuritisierung von Migration wirkt dabei, wie im Folgenden an konkreten Beispielen diskutiert werden wird, bei Weitem nicht nur beschränkend für eine »liberale« Wirtschaftspolitik. Sie erlaubt, ein Regelwerk weiterzuentwickeln, das nicht mehr als ausreichend flexibel angesehen wird, um den differenzierten Ansprüchen an transnationale Arbeitsmarktverhältnisse in einer globalisierten Welt zu entsprechen. Die Entwicklung neuer Instrumente zur Regulation der Arbeitsmigration fand unter veränderten strategisch-relationen Verhältnissen statt. Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse hatten sich verschoben und speziell die traditionelle ArbeiterInnenbewegung hatte an Einfluss verloren. Teil dieser Entwicklung war eine ideologische Stärkung von klassisch liberalen und neolibe152 Abg. Partik-Pabl¦ (FPÖ), XVII. Gesetzgebungsperiode, 152. Sitzung, Debatte zum Fremdenrecht, Juli 1992.

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Arbeitsmigration und ihre Regulation nach 1989

ralen Vorstellungen, in denen Wettbewerbsfähigkeit und Marktförmigkeit zu Leitvorstellungen der Regierungstätigkeit wurden. Damit gingen neue Formen der Aushandlung des »Gesamtinteresses« einher. Alte Formen der Sozialpartnerschaften bestanden weiter, wurden aber zusehends in neue Formen der »Governance« eingebettet. In anderen Worten: Die Form der Staatlichkeit hatte sich verändert. Vor diesem Hintergrund ermöglichte das Wechselspiel von utilitaristischer Ökonomisierung und Sekuritisierung die Durchsetzung neuer Formen der differenziellen Entrechtung. Die funktionale Passung bedeutet aber keine einfache Entsprechung und auch nicht, dass das Wechselspiel das Ergebnis einer geplanten Inszenierung gewesen wäre. Sowohl Ökonomisierung als auch Sekuritisierung von Migration waren gesellschaftlich verankerte Prozesse, die einer eigenen politischen Rationalität folgten. Wie oben diskutiert, wurde die Sekuritisierung von Migration zum Teil von professionellen Akteuren aus staatlichen Institutionen getragen. Die Ökonomisierung hat eine ganz andere soziale Trägerschaft (Unternehmensverbänden sind ein Beispiel, das auf der Hand liegt). Keine Kosten-Nutzen-Analyse könnte darüber hinaus etwa den Grenzeinsatz des Bundesheeres rechtfertigen: Zuser (1996, 33) rechnet für diesen für die erste Hälfte der 1990er-Jahre mit Kosten von rund 1 Milliarde Schilling pro Jahr oder 150.000 Schilling pro aufgegriffener Person. Diese sicherheitspolitische Kostenexplosion ist kein Einzelfall, sondern ein international zu konstatierendes Phänomen. Vergleichbar hohe und aus utilitaristischer Sicht kaum zu rechtfertigende Kosten fallen etwa im Bereich der Schubhaft an. Vor allem im Fall von teilprivatisierten Schubhaftorganisationen können durchaus Kosten von tausenden Euro pro Person und Woche anfallen (Menz 2010).

10.2 Quantitative Begrenzung: Höchstzahlen als neue Form der rechtlichen Regulation Ende der 1980er-Jahre waren erste Änderungen am 1975 beschlossenen Ausländerbeschäftigungsgesetz vorgenommen worden. Die Zeichen schienen dabei, wie schon besprochen, auf eine Verbesserung der Lage migrantischer Arbeitskräfte zu stehen. 1988 wurde die Anforderung für die Erlangung eines Befreiungsscheins auf fünf Jahre Beschäftigung innerhalb der vorangegangenen acht Jahre gesenkt (davor waren acht Jahre ununterbrochene Beschäftigung notwendig), seine Laufzeit von zwei auf fünf Jahre verlängert (Neurath/Steinbach 1991/1976). Zusätzlich stand der Befreiungsschein nun auch einem Teil der

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Zweiten Generation zu. In der Debatte zur Novelle153 wurde mehrfach die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform des Ausländerbeschäftigungsrechts betont, von Regierungsseite wurden diesbezüglich erste Schritte angekündigt. Die nächsten Änderungen am Ausländerbeschäftigungsgesetz fielen dann in die Anfangsphase der Sekuritisierung von Migration im Jahr 1990. In der Debatte zu diesen Änderungen wird das novellierte Ausländerbeschäftigungsgesetz von ÖVP-Abgeordnetem Stummvoll als »großer Wurf« bezeichnet – das lässt vermuten, dass es sich dabei um die zwei Jahre davor angekündigte große Reform gehandelt habe. Umso mehr erstaunt, dass die Änderung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes genau wie die »Ausnahmegesetze« zur Eindämmung der »Flüchtlingsströme« und entgegen der üblichen Vorgehensweise als Initiativantrag eingebracht wurde – so konnte es an den vorgesehenen parlamentarischen Begutachtungskanälen vorbei eingeführt werden. Schon darin zeigt sich die inhaltliche Verwobenheit der neuen Regelungen zur Arbeitsmigration mit sekuritisierten Problematisierungen. Gleich zwei fundamentale Änderungen wurden im Juli 1990 beschlossen: die Einführung einer Arbeitserlaubnis und die gesetzliche Festschreibung einer Bundeshöchstzahl an Beschäftigten ohne österreichische Staatsbürgerschaft. Die Bundeshöchstzahl ist, abgesehen von ihrer symbolischen Bedeutung als Ausdruck der Vorstellung einer ethnischen Toleranzschwelle, in zumindest drei Hinsichten bedeutungsvoll. Erstens brachte sie für einen Teil der Beschäftigungsverhältnisse eine deutliche Verfahrensvereinfachung. Zweitens wurde das Verfahren im Vergleich zu den davor üblichen branchenspezifischen Kontingenten zentralisiert, womit drittens eine neue Form der Feststellung des »kollektiven Willens« verbunden war. Zusammenfassend betrachtet wirkt die Höchstzahlenregelung eher als Liberalisierungs- denn als Sicherheitsmaßnahme. Umso mehr überrascht, dass im Gegensatz zur ebenfalls neu eingeführten Arbeitserlaubnis154 die Höchstzahlen überwiegend als Ausdruck einer restrik153 XVII. Gesetzgebungsperiode, 59. Sitzung, April 1988. 154 Die Arbeitserlaubnis kann an dieser Stelle nicht näher besprochen werden. Mit ihr wurde ein Zwischenschritt zwischen Beschäftigungsbewilligung und Befreiungsschein wieder eingeführt. Ihrer Einführung lagen mehrere Prozesse zugrunde: Einerseits ist sie das Ergebnis von Gleichberechtigungskämpfen. Sie erkennt migrantischen Arbeitskräften Subjektstellung im Zulassungsverfahren zu und bringt insgesamt ein Plus an Arbeitsmarktfreiheit. Auch diese Maßnahme ist aber nicht nur ein Akt der Menschenfreundlichkeit. Eingeführt wurde sie auch als Zugeständnis an Unternehmen und sie war als Bürokratieabbau gedacht: »[…] daß wir eine Arbeitserlaubnis eingeführt haben für all jene ausländischen Arbeitnehmer, die schon mehr als ein Jahr in Österreich gearbeitet haben. Das ist ein ungeheurer Wegfall von Bürokratie. Das betrifft zirka 150.000 von 200.000 Arbeitnehmern« (Abg. Rabl-Stadler (ÖVP), XVII. Gesetzgebungsperiode, 152. Sitzung, Debatte zum Fremdenrecht, Juli 1990).

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tiven Migrationspolitik gedeutet wurden (siehe etwa auch Bauböck/Perchinig 2003, 11): Es darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass neben Zugeständnissen auch restriktive Maßnahmen gesetzt wurden. Mit dem § 12 a der Ausländerbeschäftigungsnovelle 1990 wird eine Höchstzahl an ausländischen Arbeitskräften eingeführt. (Schmiderer 2008, 48) Abg. Rabl-Stadler (ÖVP), XVII. GP, 152. Sicherstellung der Kontrolle des Sitzung, Debatte zum Fremdenrecht, Juli Arbeitsmarktes sowie der Akzeptanz der 1990 Ausländerbeschäftigung durch die Bevölkerung durch Festsetzung grundsätzlich unüberschreitbarer Höchstzahlen in Österreich beschäftigter Ausländer ; Ausbau des Kontrollsystems zur wirksamen Verfolgung der illegalen Ausländerbeschäftigung […] daß wir eine Höchstgrenze eingezogen haben, weil sie den Menschen die Angst vor Überfremdung nimmt. Man spricht davon, daß in Polen über eine Abg. Moser (FPÖ), XVII. GP, 152. Sitzung, Million Menschen freigesetzt werden. In der Änderungen Fremdenrecht, Juli 1990 Sowjetunion sollen es mehrere Millionen sein, in der DDR, in der Tschechoslowakei fast genausoviel. Es ist ja natürlich, daß diese Menschen in den Westen ziehen, daß diese Menschen Arbeit suchen und daß sie zu uns kommen, weil bei uns doch in gewisser Hinsicht Arbeit vorhanden ist. Wir haben sehr oft in diesem Hause über die Probleme diskutiert, die sich im Zusammenhang mit der Schwarzarbeit, mit dem Schwarzhandel und mit der steigenden Kriminalität ergeben. Abg. Hesoun (SPÖ), XVII. GP, 152. Sitzung, Es ist daher, so glaube ich feststellen zu dürfen, unsere berechtigte Aufgabe – und Debatte zu fremdenrechtlichen das muß und wird von unserer Seite jedem Änderungen, Juli 1990 verständlich gemacht werden –, daß wir in erster Linie den Österreichern ihren Arbeitsplatz schützen und auch in Zukunft schützen werden. Tabelle 10.3: Sicherheitstopos in Debatten zur Änderung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes 1990

Ausgehend von der parlamentarischen Auseinandersetzung vor ihrer Einführung scheint die neue Bundeshöchstzahl tatsächlich ein durch und durch sekuritisiertes Instrument zu sein, geprägt von der Vorstellung einer ethnischen Toleranzschwelle bzw. einer natürlichen Gegenreaktion auf zunehmende Migration und vom Kampf gegen drohenden Kontrollverlust (siehe Belegstellen in Tabelle 10.3). Ähnlich wird in den Erläuterungen zum Ausländerbeschäfti-

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gungsgesetz des ÖGB argumentiert, die Darstellung orientiert sich stark am Bericht des mit der Novelle befassten parlamentarischen Ausschusses: Internationale Erfahrungen mit der Ausländerbeschäftigung haben nämlich gezeigt, daß bei einem Ausländeranteil von über 10 vH an der Beschäftigtenzahl die Nachteile der Ausländerbeschäftigung die Vorteile zu überwiegen beginnen. Neben den bekannten ökonomischen Nachteilen […] ist auf Grund fehlender infrastruktureller Ausstattung – Wohnungen, Schulen, Spitäler – bei einer noch stärkeren Ausweitung der Ausländerbeschäftigung zu befürchten, daß vorhandene Vorurteile gegenüber Fremden verstärkt und ausländerfeindliche Tendenzen begünstigt werden (Neurath/Steinbach 1991, 190).

Berücksichtigt man die Entwicklung der Beschäftigungszahlen, scheinen die Höchstzahlen dagegen erstens weder darauf abgezielt zu haben, neue Zuwanderung zu stoppen, noch besonders effizient darin gewesen zu sein, den Anteil nicht-österreichischer Arbeitskräfte am Arbeitsmarkt zu deckeln. Das etablierte Höchstzahlensystem ist kompliziert – es kombiniert die Landeshöchstzahlen, die schon seit Mitte der 1970er-Jahre erlassen wurden, mit einer übergeordneten Bundeshöchstzahl, die im Gesetz explizit auf 10 Prozent festgelegt und drei Jahre später auf 8 Prozent gesenkt wurde. Die Landeshöchstzahlen blieben über die Jahre in Summe stets unter der Bundeshöchstzahl, die systematische Überschreitung war aber nicht folgenlos, weil bei Überschreitung der Landeshöchstzahl automatisch ein »erschwertes Bewilligungsverfahren« wirksam wurde. Auch die Bundeshöchstzahl kann seit 1994 um einen Prozentpunkt überzogen werden, aber nur für eigens definierte Berufsgruppen und nur mittels ministerieller Verordnung (der (Fachkräfte-)Bundeshöchstzahlenüberziehungsverordnung, die die Komplexität des ihr zugrunde liegenden Regelwerks im Namen trägt). Zum Zeitpunkt der Einführung lag der Anteil der Ausländerbeschäftigung deutlich unter den im Gesetz definierten 10 Prozent. Auf 8 Prozent gesenkt wurde die Bundeshöchstzahl, als dieser Wert überschritten, aber stabil war. Seit 2001 ist dann ein stabiles Ansteigen des Anteils migrantischer Arbeitskräfte zu beobachten, obwohl die Bundeshöchstzahl nur marginalen Änderungen unterlag: Der Anstieg der Ausländerbeschäftigung ist Teil eines Gesamtanstiegs der Beschäftigtenzahlen um fast 150.000 Personen in den Jahren 1987 bis 1990. Zur Hälfte war dieser Zuwachs auf die Beschäftigung migrantischer Arbeitskräfte zurückzuführen, von denen wiederum mehr als die Hälfte auf die klassischen Gastarbeitsländer Jugoslawien und Türkei kamen (Gächter 1992, 48). Der Anteil der Arbeitskräfte ohne österreichische Staatsbürgerschaft stieg von 5,3 Prozent 1987 auf 9 Prozent 1993, 1990 lag er bei 7,4 Prozent155 und damit deutlich unter der beschlossenen Bundeshöchstzahl. Gächter (1992) argumentiert, dass eine 155 Quelle: AMS, eigene Berechnung.

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Arbeitsmigration und ihre Regulation nach 1989

Abbildung 10.1: Anteil ArbeitnehmerInnen ohne österreichische Staatsbürgerschaft, 1977 – 2010, schwarz: Bundeshöchstzahlen, schwarze Strichlinie: Maximalrahmen für Bundeshöchstzahlenüberziehung, Quelle: AMS, eigene Berechnung

solche Ausdehnung der Ausländerbeschäftigung ohne Einführung der Bundeshöchstzahl nicht möglich gewesen wäre. Denn: Bis zur Erreichung der Höchstzahl galt ein vereinfachtes Bewilligungsverfahren. Die Bundeshöchstzahl folgte damit der Logik der Kontingente der Gastarbeiterepoche, die ebenfalls hauptsächlich eine bestimmte Menge an vereinfachten Bewilligungen definierten. Dass eine solche Ausdehnung trotz hoher und steigender Arbeitslosenzahlen von Arbeitnehmervertretungen zugelassen wurde, lag auch daran, dass eine qualitative Verschiebung beim Arbeitsplätzeangebot stattgefunden hatte (dazu: Gächter 1992). Der sekuritisierte Kontext vereinfachte die Durchsetzung einer solchen Maßnahme, weil Unternehmensverbände staatlichen Stellen und dem ÖGB gegenüber das Argument der Bedrohung für geordnete Beschäftigungsverhältnisse aufgreifen konnten, wie sie etwa vom SPÖ-Abgeordneten Hesoun formuliert wurden: Durch die Neuordnung der Ausländerbeschäftigung wird der Schwarzarbeit – dies ist unser Wille und unsere Meinung – ein wirksamer Riegel vorgeschoben werden, und es

Wer ist wie viel Ausländer?

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wird verhindert, daß Zuzügler aus unseren osteuropäischen Nachbarländern zu Billigstlöhnen in Zukunft als industrielle Reservearmee mißbraucht werden.156

Damit war eine zweite wesentliche Verschiebung verbunden. Die Festlegung der Höchstzahlen erfolgte durch die Regierung, nicht durch die Sozialpartner. Die Bestimmung des migrationspolitischen »kollektiven Interesses« bewegte sich weg von der sozialpartnerschaftlichen Aushandlung, wie sie über die gesamte Epoche der Gastarbeit wirksam gewesen war, hin zur zentralisierten Festlegung durch Regierungsmitglieder, eine Entwicklung, deren Relevanz vor dem Hintergrund neuer Formen der Staatlichkeit zu sehen ist. Dass die Höchstzahlen in den ersten Jahren nach ihrer Einführung kein Instrument der zahlenmäßigen Einschränkung, sondern der Erweiterung der Beschäftigung migrantischer Arbeitskraft waren, soll nicht heißen, dass sie ein migrantInnenfreundliches Arbeitsmarktinstrument seien. Sie verdeutlichen eher, wie im Fall von Nicht-StaatsbürgerInnen Rechte nicht als allgemeine, sondern als bedingte etabliert und damit instrumentell nutzbar werden können. Ausgehend von komplexen Sicherheitserwägungen setzt der Staat eine Zahl fest – für jene, die in der zeitlichen Reihenfolge unter dieser bleiben, gelten andere Rechte als für jene, die nach ihrer Überschreitung versuchen, eine Beschäftigungsbewilligung zu erhalten. Der Unterschied ist durchaus bedeutsam, im »erschwerten Bewilligungsverfahren« haben MigrantInnen so gut wie keine Chance auf eine Bewilligung. Im Endeffekt wird damit vor allem die Unsicherheit der Beschäftigung aufrechterhalten: Gäbe es die Beschränkung durch die Höchstzahl nicht, wäre die rechtliche Prekarität migrantischer Arbeitskräfte insgesamt geringer. Unternehmen können Anstellungsverhältnisse vorab planen und entsprechend rechtzeitig Bewilligungen beantragen. Migrantische ArbeitnehmerInnen dagegen können im Fall eines Jobverlusts kaum damit rechnen, ein neues Beschäftigungsverhältnis eingehen zu können.

10.3 Wer ist wie viel Ausländer? Qualitative Regulation durch Quoten und Kriterien Mit der Bundeshöchstzahl wurde eine Logik der quantitativen Begrenzung etabliert. Das wurde im Lauf der Jahre um ein Instrumentarium der qualitativen Kategorisierung ergänzt. Die Kategorien, nach denen direkt oder indirekt differenziert wird, umfassen heute z. B. Ausbildung, Berufsfeld und -erfahrung, Einkommensverhältnisse, Sprachkenntnisse, Aufenthaltsdauer, Alter und Fa156 Abg. Hesoun (SPÖ), XVII. Gesetzgebungsperiode, 152. Sitzung, Debatte zum Fremdenrecht, Juli 1990.

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miliensituation157. Der wesentliche Punkt ist, dass diese Kriterien und Kategorien ein System der differenziellen Entrechtung zu etablieren erlaubt haben. Dieses System schafft erst die für ein modernes Migrationsmanagement nötige Flexibilität und Gleichzeitigkeit von Öffnung und Schließung, die auch den geänderten Arbeitsmarktverhältnissen entspricht. Erstmals formuliert wurden solche Kriterien mit dem Quotensystem des Aufenthaltsgesetzes 1992. Das Quotensystem ist bis heute ein Kernstück des österreichischen Migrationsregimes und war eine wesentliche juridische Vorarbeit zur Rot-Weiß-Rot-Karte. Im Aufenthaltsgesetz 1992 wurde vorgeschrieben, dass das Innenministerium jährlich per Verordnung Obergrenzen für verschiedene Gruppen an MigrantInnen festzulegen hat. Das Ministerium hatte eine allgemeine Höchstzahl vorzugeben, diese war in der Verordnung auf die Bundesländer aufzuteilen. Innerhalb dieses Rahmens konnten Aufenthaltserlaubnisse vergeben werden, wobei Führungskräfte und Spezialisten internationaler Unternehmen sowie Ehegatten und minderjährige Kinder von bereits niedergelassenen Personen zu bevorzugen waren. Zusätzlich zu den allgemeinen Quoten, die zumindest theoretisch zu einem Daueraufenthalt führen konnten, wurde eine zusätzliche Quote für den befristeten Aufenthalt von Arbeitskräften (siehe Kapitel 11) vorgesehen. In der Verordnung für das Jahr 1996 wurde die allgemeine Quote erstmals explizit und vorab nach unterschiedlichen Gruppen differenziert (Schlüsselkräfte, Familiennachzug, Studierende und andere). Das Fremdengesetz 1997 entwickelte dieses System weiter, es brachte vor allem restriktive zahlenmäßige Beschränkungen der familienbezogenen Migrationsformen (wobei ausländische EhepartnerInnen österreichischer StaatsbürgerInnen nicht mehr der Quotierung unterlagen). Die Einschränkung der Zuwanderung ist an den Bewilligungszahlen abzulesen. Waren 1994 noch 14.900 allgemeine plus 7.000 befristete Aufenthaltsbewilligungen (plus 11.400 Aufenthaltsbewilligungen für in Österreich geborene Kinder) vorgesehen, ging die allgemeine Quote für 1998 auf 8.540 Bewilligungen zurück. Die Zahl an Bewilligungen für befristet Beschäftigte blieb dagegen mehr oder weniger konstant. Die Quotenlogik hatte auch für die Regulation der Arbeitsmigration direkte und indirekte Konsequenzen. An erster Stelle lieferte sie die Grundlage für die Ausdifferenzierung von Beschäftigungstiteln – in anderen Worten: für die differenzielle Entrechtung migrantischer Arbeitskräfte. Eine grobe Darstellung der Entwicklung der zahlenmäßigen Bedeutung unterschiedlicher Beschäftigungsformen illustriert den Prozess der Ausdifferenzierung (Abbildung 10.2). Wurden 1989 nur zwei Beschäftigungstitel unterschieden, waren es zwanzig Jahre später Dutzende, die sich nur grob in fünf Hauptkategorien zusammenfassen 157 Diesen Kriterien übergeordnet ist die neue Unterscheidung zwischen EU-BürgerInnen und Drittstaatsangehörigen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht näher diskutiert werden kann.

Wer ist wie viel Ausländer?

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ließen: Beschäftigungsbewilligungen, Arbeitserlaubnis, Befreiungsschein, diverse bewilligungspflichtige EU-Titel und nicht bewilligungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Die Arbeitserlaubnis war praktisch nur in den 1990erJahren von quantitativer Bedeutung, dagegen wurde der Befreiungsschein zusehends wichtiger ; erst die Überführung von Befreiungsschein in EU-bezogene Bewilligungen mit den beiden EU-Erweiterungsrunden 2004 und 2007 ließ seine relative Bedeutung sinken. Die unsicherste Beschäftigungsform der Beschäftigungsbewilligung scheint nach 1992 rasch an Bedeutung verloren zu haben – die offiziellen Zahlen geben aber nur ein ungenaues Bild, weil sie den Jahresdurchschnitt von häufig nur kurz laufenden Bewilligungen berechnen, also mehrere Bewilligungen als eine gezählt werden. Wird dieser Umstand berücksichtigt, steigt die Zahl an jährlichen Beschäftigungsbewilligungen um rund das Vierfache. Hinter diesen Zahlen verbergen sich noch deutlich komplexere Differenzierungen. Das AMS unterscheidet derzeit zwölf unterschiedliche bewilligungspflichtige Beschäftigungstitel.158 Dazu kommen verschiedene Kategorien an Nicht-StaatsbürgerInnen, deren Beschäftigung nicht bewilligungspflichtig ist.159 Die Ausweitung an Gruppen, die relative Arbeitsmarktfreiheit genießen, ist auch dafür verantwortlich, dass sich der Anstieg des Anteils der Nicht-Staatsbürge158 »Als bewilligungspflichtig beschäftigte AusländerInnen werden Personen gezählt, deren Beschäftigung zum Stichtag der Zählung bei einem Sozialversicherungsträger nachweislich gemeldet ist und die entweder über eine gültige Beschäftigungsbewilligung (BB) oder eine aufrechte Arbeitserlaubnis (AE) oder einen aufrechten Befreiungsschein (BS) oder eine gültige Entsendebewilligung (EB) oder eine Schlüsselkraft-Zulassung (SKR) oder eine Freizügigkeitsbestätigung (FZ) oder einen Niederlassungsnachweis (NN) oder einen Daueraufenthalt-EG (EG) oder eine Niederlassungsbewilligung-unbeschränkt (NBU) oder eine Karte Rot-Weiß-Rot oder Blaue Karte EU (§12) oder eine Karte Rot-Weiß-Rot-Plus (PLS) verfügen oder aufgrund einer vorläufigen Berechtigung (VB) eine Beschäftigung ausüben dürfen, mit Ausnahme derer, die beim AMS arbeitslos oder lehrstellensuchend vorgemerkt sind.« (AMS o. J.) 159 »Wichtige Personengruppen, die vom AuslBG ausgenommen sind und daher keine Arbeitsbewilligung benötigen (Stand: 1. 7. 2011): EU-, Schweizer und EWR-StaatsbürgerInnen (mit Ausnahme folgender StaatsbürgerInnen: BulgarInnen und RumänInnen) sowie ihre Familienangehörigen, sofern ihre Bezugsperson ihr Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit in Österreich in Anspruch nimmt, EhepartnerInnen und minderjährige Kinder österreichischer StaatsbürgerInnen, anerkannte Konventionsflüchtlinge (Asylberechtige) und subsidiär Schutzberechtigte, Betreuungskräfte aus den neuen EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der Rund-um-die-Uhr Betreuung, Wissenschaftler- und ForscherInnen sowie ihre Familienangehörigen, Besondere Führungskräfte sowie deren Familienangehörige, AusländerInnen im diplomatischen oder konsularischen Dienst, einschließlich der Bediensteten dieser Personen, AusländerInnen im Seelsorgedienst bei gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften, Besatzungsmitglieder in der grenzüberschreitenden Schifffahrt sowie beim Bundeskanzleramt akkreditierte ausländische Medienvertreter, AusländerInnen hinsichtlich ihrer Tätigkeit im Rahmen von Aus- und Weiterbildungsoder Forschungsprogrammen der EU.« (AMS o. J.)

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Arbeitsmigration und ihre Regulation nach 1989

Abbildung 10.2: Absolute Anzahl verschiedener bewilligungspflichtiger Beschäftigungsformen, 1989 – 2010, schwarze Linie: Anzahl an erteilten Saisonbewilligungen, graue Linie: Anzahl an Gesamtbewilligungen, Berechnung je nach Verfügbarkeit der Daten nicht für alle Jahre möglich, Quelle: AMS, eigene Berechnung

rInnen an der Gesamtbeschäftigung über die 2000er-Jahre nicht in einem Anstieg der Beschäftigungsbewilligungen (Abb. 10.2) niederschlägt.

11

Saisonarbeit: Zirkuläre Migration als neues Paradigma?

In diesem Kapitel widme ich mich der Einführung des Saisonarbeiterstatus in Österreich und seiner Weiterentwicklung zu einem allgemeinen Instrument zur Steuerung temporärer Arbeitsmigration. Das Ziel besteht darin, zu zeigen, dass und inwiefern das österreichische Saisonniermodell nur auf der Grundlage des Wechselspiels von Sekuritisierung und Ökonomisierung zu Beginn der 1990erJahre etabliert werden konnte. Ich argumentiere, dass erst die Sekuritisierung von Migration Motive und Möglichkeiten für die Durchsetzung des Saisonnierstatus geschaffen hat. Die Einführung eines Programms zur temporären Arbeitsmigration kann daher nicht sinnvoll als Symptom eines Paradigmenwechsels hin zu einem neutral-vernünftigen Migrationsmanagement, das auf die Inszenierung von Migration als Gefahr verzichtet, gedeutet werden. Im Folgenden skizziere ich zunächst den Stellenwert von Programmen zur zirkulären bzw. temporären Arbeitsmigration in aktuellen Formen des Migrationsmanagements, in deren Kontext sie als Teil einer rationalen Pro-Migrationspolitik gelten. Anschließend bespreche ich die Durchsetzung des Saisonarbeiterstatus im sekuritisierten Kontext der frühen 1990er-Jahre. Die Kopplung von Sekuritisierung und Ökonomisierung ist dabei keine rein abstrakt-logische, sondern auch konkret in den Beiträgen politischer AkteurInnen feststellbar, wie ich mit einem Fokus auf die Rolle der FPÖ diskutiere. In Kapitel 11.4 stelle ich die schrittweise Verallgemeinerung des Saisonniermodells zu einem allgemeinen Programm der befristeten Arbeitsmigration dar. Im abschließenden Kapitel charakterisiere ich die Saisonarbeit als neue, radikalisierte und den veränderten wirtschaftlichen Umständen angepasste Spielart der Gastarbeit.

11.1 Der Trend zu Temporary Migrant Worker Programmes Die Forcierung von Programmen temporärer Arbeitsmigration (sogenannte »Temporary Migrant Worker Programmes«, TMWP) sind ein fixer Bestandteil jüngerer Initiativen, ein internationales Migrationsmanagement zu etablieren

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Saisonarbeit: Zirkuläre Migration als neues Paradigma?

(Gosh 2000; Martin et al. 2006). Zirkuläre Migration gilt auch für die EU als eine zentrale Komponente zeitgemäßer Migrationsprogramme. 2005 formulierte die Europäische Kommission in zwei Dokumenten ihre Vorstellungen aus (CEC 2005a; 2005b): Die demographischen und wirtschaftlichen Entwicklungen erforderten geordnete Arbeitsmigration, und zwar sowohl hoch als auch niedrig qualifizierter Arbeitskräfte. Speziell für letztere werden zirkuläre Formen der Arbeitskräftemobilität vorgeschlagen (Castles 2006). Die Initiativen zu temporärer Migration gehen zum Teil von supra- und internationalen Organisationen aus, relevant waren dabei neben der EU etwa die UN-Kommission »Global Commission on International Migration« (GCIM) und die »International Organization for Migration« (IOM) (Vertovec 2007). In der Literatur wird dabei der Konnex zwischen Migrations- und Entwicklungspolitik hervorgehoben. Ausgehend von der Entdeckung der Bedeutung der Rücküberweisungen von MigrantInnen in ihre Herkunftsländer (Vertovec 2007, 2) und gestützt auf humankapitaltheoretische Überlegungen zum »brain drain« werden temporäre Arbeitsmigrationsprogramme als vorteilhaft für post- und neokoloniale Staaten präsentiert160. Daraus folgern ProponentInnen dieser Modelle eine Triple-Win-Situation, in der Herkunftsländer, Zielländer und MigrantInnen zu GewinnerInnen würden (Agunias 2007): The appeal of circular migration is not hard to see. It offers destination countries a steady supply of needed workers in both skilled and unskilled occupations, without the requirements of long-term integration. Countries of origin can benefit from the inflow of remittances while migrants are abroad and their investments and skills upon return. The migrants are also thought to gain much, as the expansion of circular migration programs increases the opportunities for safer, legal migration from the developing world. (Agunias/Newland 2007, 1)

Programme zur zirkulären oder temporären Arbeitsmigration scheinen damit der Inbegriff einer unideologischen, rein nutzenorientierten Migrationspolitik zu sein. Ob damit tatsächlich eine neue Form der Regulation von Arbeitsmigration zu erkennen ist, wird von zahlreichen MigrationsforscherInnen bezweifelt (Plewa/Miller 2005; Castles 2006). Die neuen Programme erinnern nicht nur mit ihren Anklängen an die »Gastarbeiterrotation« an altbekannte Vorstellungen, auch das Argument von der indirekten und selbstverantwortlichen Entwicklungshilfe ist nicht neu. Vor allem aber gilt auch für die »neue Gastarbeit«, dass sie auf einem Wechselspiel aus Sekuritisierung und Ökonomisierung beruht. 160 Gleichzeitig werden freilich Entwicklungshilfen zunehmend an migrationspolitische Zugeständnisse der Entsendestaaten geknüpft. Diese werden damit indirekt in die restriktiven und teilweise militarisierten Kontrolltätigkeiten speziell europäischer Staaten eingebunden (Hess/Kasparek 2010).

Tabubruch? Die Einführung eines Saisonarbeiterstatus in Österreich

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11.2 Tabubruch? Die Einführung eines Saisonarbeiterstatus in Österreich Die Entwicklung neuer Instrumente zur Regulation temporärer Arbeitsmigration nach Österreich begann mit der Etablierung eines eigenen Saisonarbeiterstatus Anfang der 1990er-Jahre. Tatsächlich war die Einführung dieses Status eine der ersten fundamentalen Änderungen, die in dieser Phase am österreichischen Migrationsregime vorgenommen wurden. Wie Menz (2009) der »Wiederentdeckung« der Gastarbeit in den vergangenen Jahren allgemein attestiert, kam auch die Einführung des Saisonnierstatus überraschend. Die Forderung nach einem solchen Modell der Arbeitsmigration war allerdings keineswegs neu. Die Wirtschaftskammer hatte schon in den 1960er-Jahren das Schweizer Modell der Arbeitskräfterotation, das im Großen und Ganzen dem später eingeführten Saisonarbeitermodell entsprach, zur Deckung des damaligen Arbeitskräftebedarfs vorgeschlagen (Matuschek 1985). Entsprechend ähneln die Argumentationen, die sich Anfang der 1990er-Jahre für den neuen Status finden, der Gastarbeitslogik (Tabelle 11.1); sie betonen mögliche negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft und den Bedarf der Wirtschaft an migrantischen Arbeitskräften. Die ersten Vorstöße der FPÖ fallen zeitlich mit dem in Kapitel 9.1 beschriebenen asylpolitischen Schwenk und der beginnenden Sekuritisierung zusammen. Gefordert werden Verfahrensvereinfachungen für Unternehmen, wobei sich die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch in der Art der notwendigen Maßnahmen spiegeln: Im Mittelpunkt steht nicht mehr die Industrie, sondern der Kleinbetrieb im Tourismus. Ein Tiroler Gastwirt verfügte zu Beginn der Anfrage 4257 (FPÖ), XVII. GP, September 1989 Saison u. a. auf Grund familiärer Krankheitsfälle nicht über das für ihn unbedingt notwendige Personal. Er beabsichtigte daher, als Aushilfe eine ausländische Arbeitskraft einzustellen und wollte diese ordnungsgemäß anmelden. Vom zuständigen Arbeitsamt erhielt er daraufhin die Auskunft, daß gemäß einem ministeriellen Erlaß der 26. 5. 1989 Stichtag für die Anmeldung ausländischer Arbeitskräfte gewesen sei und eine Arbeitsbewilligung für darnach angemeldete Ausländer nicht mehr erlangt werden könne. Auf dem Tiroler Arbeitsmarkt im Bereich der Fremdenverkehrswirtschaft und insbesondere der Gastronomie herrscht ein

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Mangel an Arbeitskräften, der zurzeit nur durch ausländische Arbeitskräfte ausgeglichen werden kann, weshalb im Sinne der wirtschaftlichen Notwendigkeiten eine rasche und unbürokratische Antragserledigung vonnöten wäre. Anfrage 643/J (ÖVP), XVIII. GP, Werden Sie aufgrund der Tatsache, daß nunmehr bereits zwei wichtige Wirtschafts- März 1991 und Handelspartner Österreichs, Deutschland und die Schweiz, das Institut des Saisonarbeitnehmers kennen, veranlassen, daß im Rahmen von Sozialpartnergesprächen die Einführung des Instituts von ausländischen Saisonarbeitskräften in Österreich ebenso intensiv geprüft wird? Wenn nein, warum sind Sie trotz des enormen Bedarfs der österreichischen Wirtschaft nicht bereit, analog zu Deutschland und der Schweiz das Institut der ausländischen Saisonarbeitskräfte auch in Österreich einzuführen? Abg. Haigermoser (FPÖ), XVIII. GP, Und eine wirksame Wirtschaftshilfe wäre 5. Sitzung, Änderung FPG, dieser Saisonnier-Status. Das wäre eine Dezember 1990 wirksame Möglichkeit. Beste Qualität in zweierlei Hinsicht. Herr Kollege Verzetnitsch (Beifall bei der FPÖ. Abg. Verzetnitsch: Die Schweiz hat das abgeschafft!), nämlich den Wünschen der österreichischen Wirtschaft nachzukommen und gleichzeitig sozusagen Entwicklungshilfe zu leisten. Tabelle 11.1: Nutzentopos und die Forderung nach einem Saisonarbeitermodell

Die Forderungen nach einem solchen Modell waren über die Jahrzehnte nie ganz verstummt, aber immer am Widerstand der SPÖ und des ÖGB gescheitert (Mayer 2009). Umso mehr überrascht, dass es genau zu einer Zeit, als die Arbeitslosigkeit rund dreimal höher war als in den Jahren der Gastarbeit (1990 5,4 Prozent im Vergleich zu 1,9 Prozent 1970). Der neue Status wurde zudem zu einem Zeitpunkt eingeführt, als die Zahl der im Land verfügbaren migrantischen Arbeitskräfte deutlich angestiegen war – genau dieser Anstieg diente in anderen juridischen Bereichen schließlich als Begründung für die Verschärfung migrationspolitischer Rahmenbedingungen. Wenig schien demnach für einen neuen Gastarbeiterstatus zu sprechen. Noch 1990 äußerte sich SPÖ-Sozialminister Geppert in dieser Hinsicht unzweideutig: Vielleicht noch kurz zum Problem der Saisonniers nach Schweizer Modell, das bereits mehrfach in Diskussion gestellt wurde. Ich bin gegen diese Einrichtung – nicht nur ich, sondern auch meine Gesinnungsfreunde – vor allem wegen der nachteiligen Folgen dieses Modells für die ausländischen Arbeitskräfte und deren Familienangehörige. Im

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übrigen – auch das dürfte bereits bekannt sein – besteht gegen diese Einrichtung erheblicher Widerstand.161

Die ersten Vorstöße in Richtung der Etablierung eines Saisonarbeitermodells kamen dann auch buchstäblich überraschend. In der Debatte zur Aufteilung von Flüchtlingen zwischen den Bundesländern wechselte Partik-Pabl¦ abrupt das Thema, was durch den Zwischenruf einer SPÖ-Mandatarin noch unterstrichen wird: Aber wir wissen ja, daß das Flüchtlingsproblem ein Gesamtproblem ist, das man nicht nur in einem Ressort behandeln kann. Selbstverständlich hätte sich der Innenminister beim Sozialminister dafür einsetzen müssen, daß zumindest der Saisonnier-Status eingeführt wird. (Abg. Gabrielle Traxler : Was hat das mit den Flüchtlingen zu tun?!)162

Die Konstruktion eines Ausnahmezustands und die sekuritisierte Inszenierung von Migration als (existenzielle) Bedrohung schienen ebenfalls nicht für die Einführung eines neuen, wenn auch adaptierten Gastarbeiterstatus zu sprechen. Tatsächlich wurde der Saisonarbeiterstatus aber nicht trotz der Sekuritisierung von Migration eingeführt – vielmehr war seine Durchsetzung nur vor diesem Hintergrund denkbar. Erstens verlangte und ermöglichte der behauptete Ausnahmezustand Maßnahmen, die unter normalen politischen Verhältnissen nicht durchsetzbar gewesen wären. Was davor als illegitime Entrechtung angesehen worden war, wurde jetzt akzeptiert, wenn auch als notwendiges Übel. Alle an einen dauerhaften Aufenthalt gebundenen Rechte und Ansprüche gingen mit dem neuen Status verloren, ohne dass Pflichten wie jene, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen, entfallen wären. Damit werden die in den Jahren davor durchgesetzten Rechte, die sich aus der Dauer des Aufenthalts in Österreich ergeben, für bestimmte, definierte Arbeitsmarktsegmente wieder beschränkt. Ein in den parlamentarischen Debatten prominent behandelter Aspekt betrifft die Möglichkeit zur Familienzusammenführung. Der Beginn der 1990er-Jahre markiert hier spürbar einen Zeitpunkt des Übergangs, an dem neue Formen der legitimen Entrechtung erst durchzusetzen waren. So äußerte sich etwa der ÖVP-Abgeordnete Feurstein kritisch zur Einschränkung der Rechte auf Familienleben: Wir brauchen kein neues Saisonniermodell, es kann keines geben, es sei denn, die FPÖ möchte eine Beschneidung der sozialen Rechte, möchte, daß die Gastarbeiter, die ausländischen Arbeitskräfte keine Familienmitglieder mehr mitnehmen dürfen, und wenn sie Familienmitglieder mitnehmen, dann dürfen diese bei uns keine Schulen 161 BM Geppert, XVII. Gesetzgebungsperiode, 143. Sitzung, Aktuelle Stunde zur Bundesländeraufteilung der Flüchtlinge, Mai 1990. 162 Abg. Partik-Pabl¦ (FPÖ), XVII. Gesetzgebungsperiode, 143. Sitzung, Aktuelle Stunde zur Bundesländeraufteilung der Flüchtlinge, Mai 1990; die zitierte Äußerung des Sozialministers Geppert ist eine Reaktion auf diesen Vorstoß.

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besuchen und so weiter. Ich kann mir nicht vorstellen, meine Damen und Herren, daß Sie das tatsächlich wollen, daß das Ihre Absicht ist.163

In derselben Debatte entwirft seine Parteikollegin Rabl-Stadler eine ganze andere Sichtweise: Und glauben Sie nicht, daß es ein bißchen – wie soll ich sagen? – unehrlich ist, wenn gesagt wird, man kann doch dem armen ausländischen Arbeitnehmer aus Marburg nicht antun, daß er ohne Familie in Kärnten, in Velden, drei Monate arbeitet! Bitte, wer hat sich eigentlich je Gedanken gemacht über die steirischen Arbeitskräfte, die am Arlberg in der Wintersaison arbeiten? Also bei Inländern macht das nichts, wenn die Familie nicht dabei ist, aber bei Ausländern – der kommt nämlich viel leichter von Kärnten nach Maribor zurück – ist das für Sie ein Grund – ich glaube halt, ein vorgeschützter Grund –, daß er dieses befristete Arbeitsverhältnis nicht annehmen kann.164

Ein wesentlicher Unterschied bleibt ausgeklammert: dass im Fall der steirischen Arbeitskraft keine rechtliche Beschränkung der Möglichkeit auf Familienzusammenführung besteht, wie sie mit dem Saisonnierstatus festgeschrieben wird. Die Sekuritisierung von Migration spielte aber nicht nur deshalb eine ermöglichende Rolle, weil sie bis dahin nicht durchsetzbare Entrechtungen erlaubte. Der neue Status verfolgte auch explizit sicherheitspolitische Ziele: Er sollte erlauben, Formen der Mobilität, die ohnehin stattfanden, unter staatliche Kontrolle zu bringen (Castles 2006). Saisonale Arbeitskräftewanderungen in die landwirtschaftlichen Gebiete Österreichs waren seit der Monarchie fixer Bestandteil mitteleuropäischer Arbeitsmärkte (Schörg 2004; Binder 2008). Vor diesem Hintergrund wäre die einzige Alternative gewesen, zu akzeptieren, was zunehmend als ernstes Problem entworfen wurde: die staatlich nicht erfasste Mobilität und Beschäftigung von Arbeitskräften. Der Saisonarbeiterstatus war damit eine Art Regularisierungsprogramm (Maas 2010), das gleichzeitig alten wirtschaftsliberalen Forderungen entsprach. Dieser doppelte Begründungscharakter war in der parlamentarischen Auseinandersetzung zum neuen Status bemerkbar (Tabelle 11.2), die ÖVP ist dabei jene Kraft, die wirtschaftsliberale und kontrollpolitische Argumente durchgängig verbindet.

163 Abg. Feurstein (ÖVP), XVII. Gesetzgebungsperiode, 152. Sitzung, Debatte zu Fremdenrechtsänderungen, Juli 1990. 164 Abg. Rabl-Stadler (ÖVP), XVII. Gesetzgebungsperiode, 152. Sitzung, Debatte zu Fremdenrechtsänderungen, Juli 1990.

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Die erste Herausforderung war, etwas zu Abg. Stummvoll (ÖVP), XVII. GP, 152. tun, um den ungehemmten Zustrom von Sitzung, Debatte zum Fremdenrecht, Juli Ausländern nach Österreich einzubremsen. 1990 Die Herausforderung Nummer zwei war, die zunehmende Schwarzarbeit in den Griff zu bekommen. Die Herausforderung Nummer drei lautete: Wie kann das Verfahren der Zulassung von Ausländern liberalisiert, beschleunigt, entbürokratisiert werden? Es waren also drei ganz große Herausforderungen. Jetzt, nach 15 Jahren Geltung dieses Gesetzes ist es gelungen, diesen Durchbruch zu erzielen. Mit diesem neuen arbeitsmarktpolitischen Anfrage 643/J (ÖVP), XVIII. Instrument soll nicht nur der nicht mehr zu Gesetzgebungsperiode, März 1991 deckende Bedarf an Arbeitskräften in einigen Wirtschaftszweigen wenigstens teilweise ausgeglichen, sondern auch illegalen Praktiken zur Beschäftigung von ausländischen Arbeiternehmern ein Riegel vorgeschoben werden. Wir haben, gemeinsam mit dem Abg. Pirker (ÖVP), XVIII. GP, 91. Sitzung, Koalitionspartner, rechtzeitig und rasch Debatte zum Fremdengesetz, Dezember gehandelt und alle legistischen Maßnahmen 1992 gegen ungehemmte und unkontrollierte Zuwanderung, aber für eine selektive, kontrollierte und zeitlich begrenzte Aufnahme von Gast- und Saisonarbeitern in Österreich erarbeitet. Tabelle 11.2: Nutzen und Kontrolle: doppelte Begründung des Saisonniermodells

Der Saisonarbeiterstatus war auch juridisch an den restriktiven Umbau des Migrationsregimes gekoppelt, der in den umfassenden Novellen von 1992 gipfelte. Im Gegensatz zur Gastarbeit war der neue Status nicht im Ausländerbeschäftigungsgesetz definiert, sondern im neu geschaffenen Aufenthaltsgesetz. Im Ausländerbeschäftigungsgesetz waren keine weiteren Änderungen notwendig, die Möglichkeit zur Befristung von Beschäftigungsverhältnissen war schließlich schon lange etabliert. Neu waren aber die staatlichen Durchgriffsmöglichkeiten im Aufenthaltsrecht. Der Saisonnierstatus war das Ergebnis aufenthaltsrechtlicher, nicht arbeitsrechtlicher Restriktionen. Ein solcher Einschnitt ist leichter, wenn der Aufenthalt prinzipiell bewilligungspflichtig ist. Insofern war die Änderung des Fremdenpolizeigesetzes in ebendiese Richtung (s. o.) keine folgenlose Spitzfindigkeit. Gleichzeitig illustriert die Definition der Saisonarbeit über die Beschränkung des Aufenthaltsrechts, wie Arbeitsmarktverhältnisse juridisch über Eingriffe in fundamentale Rechte reguliert werden.

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11.3 Pro-Migrations-anti-MigrantInnen-Parteien Die Sekuritisierung von Migration war nicht nur abstrakt-logisch mit der Einführung des Saisonarbeiterstatus verknüpft, die beiden waren auch auf der Ebene politischer AkteurInnen miteinander gekoppelt. Die Forderung nach einem Saisonniermodell stand zwar meist etwas unverbunden neben sekuritisierenden Ausführungen, sie wurde kaum explizit oder einer logischen Argumentation folgend auf diese bezogen – das obige Zitat aus der Rede von PartikPabl¦ ist ein Beispiel für ein allgemeines Muster. Nichtsdestotrotz war eine prominente Rolle in der Sekuritisierung von Migration noch lange kein Grund, gegen die flexible Beschäftigung migrantischer Arbeitskräfte einzutreten. Die Zahlen in Tabelle 11.3 scheinen eine klare Botschaft zu haben: Die FPÖ war über die beiden letzten Jahrzehnte die zentrale sekuritisierende Kraft, Wirtschaft und speziell Saisonarbeit waren die Themen anderer Parteien, speziell der ÖVP. Diese Zahlen erzählen aber nicht die ganze Geschichte. Die FPÖ war die erste und die mit Abstand aktivste Partei, als es darum ging, die Forderung nach dem Saisonnierstatus aufs Tapet zu bringen. Die ÖVP mag hinter den Kulissen aktiv gewesen sein165, die FPÖ war aber auf der öffentlichen Bühne des Parlaments die treibende Kraft. Die FPÖ nutzte die Politisierung und Sekuritisierung von Migration nicht so sehr, um allgemein gegen Arbeitsmigration aufzutreten, sondern eher, um ihre Vorstellungen durchzusetzen, wer unter welchen Bedingungen beschäftigt werden können sollte. Der Saisonnierstatus war in diesem Zusammenhang eine der zentralen Forderungen, deren NichtBerücksichtigung in der ersten Runde an Gesetzesänderungen 1990 einer der Gründe war, aus denen die FPÖ nicht zustimmte: »Wir können auch deshalb nicht zustimmen, weil sie den Saisonnier-Status ablehnen«166. Die ÖVP ist inhaltlich auf derselben Linie, scheiterte 1990 aber noch am Widerstand der SPÖ: »Der zweite Schönheitsfehler ist, daß die Möglichkeit einer Beschäftigung befristeter Arbeitskräfte, der Saisonniers, fehlt«167.

165 Diese Aktivitäten haben auch Spuren in den parlamentarischen Debatten hinterlassen: »Wir haben natürlich als Koalitionspartei eingesehen: Wenn unser Partner nicht über seinen Schatten springen kann, dann werden wir einen anderen Konsens finden« (Abg. Rabl-Stadler (ÖVP), XVII. Gesetzgebungsperiode, 152. Sitzung, Debatte zu Fremdenrechtsänderungen, Juli 1990. 166 Abg. Partik-Pabl¦ (FPÖ), 152. Sitzung, Debatte zu Fremdenrechtsänderungen, Juli 1990. 167 Abg. Rabl-Stadler (ÖVP), 152. Sitzung, Debatte zu Fremdenrechtsänderungen, Juli 1990.

Pro-Migrations-anti-MigrantInnen-Parteien

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Illegalität Integration Saisonarbeit(er) Wirtschaft Arbeitsmarkt Gesamt FPÖ 631 (1) 597 (1) 105 (3) 299 (2) 382 (1) 580 (1) ÖVP 200 (4) 272 (4) 159 (1) 365 (1) 300 (3) 363 (4) SPÖ 271 (2) 466 (2) 128 (2) 282 (3) 352 (2) 407 (2) Grüne 224 (3) 464 (3) 68 (4) 166 (4) 170 (4) 397 (3) Tabelle 11.3: Nennungen einzelner Begriffe nach Partei, 1945 – 2011, Mehrfachnennungen pro Dokument möglich, in Klammern: Reihung pro Begriff; Spalte »Gesamt«: Anzahl der Dokumente im Korpus, die der jeweiligen Partei zugeordnet sind

Die politische Rationalität, die sich in den Äußerungen der FPÖ niederschlägt, ist dabei durchaus mit den Prinzipien einer liberalen Gouvernementalität vereinbar. Sie folgt letztlich einer Marktlogik, in der auch Saisonniers als freie MarktteilnehmerInnen entworfen sind, die aus freien Stücken einer Beschäftigung in Österreich nachgehen wollen. Die Kompatibilität ihrer Argumentation mit einer allgemeinen liberalen Rationalität gibt der FPÖ den rhetorischen Spielraum zu polemischen Bemerkungen: »Ich sehe schon ein, daß die Sozialisten immer wieder sagen: Der Saisonnier-Status ist inhuman, lieber sollen die Ausländer in ihrem Heimatland bleiben und dort arbeitslos sein, anstatt bei uns etwas verdienen zu können«168. Auch die in aktuellen Vorstößen verbreitete Vorstellung einer Triple-Win-Situation (Agunias 2007; Vertovec 2007, 2) ist im Argumentationsrepertoir der FPÖ zu finden, wenn auch um ethnisierende Elemente erweitert: Was könnte man denn mit diesem Saisonnier-Status, den wir zum wiederholten Male einfordern, alles erreichen? Ich sage es Ihnen, meine Damen und Herren von der linken Reichshälfte, die Sie Scheuklappen vor Ihren Augen haben! Erstens: Arbeitssuchenden könnte unbürokratisch Arbeit geboten werden. Zweitens: Der Beschäftigungszeitraum wäre überschaubarer, und das würde den berechtigten Sorgen österreichischer Arbeitssuchender entgegenkommen. Drittens: Die drohende Entwurzelung ausländischer Arbeitnehmer würde so hintangehalten. Viertens: Unausgebildete Arbeitskräfte könnten mit einem verbesserten Wissensstand, den sie in unserer Wirtschaft erzielt haben, in ihre Heimat zurückkehren und dort eine Infrastruktur aufbauen helfen. Fünftens: Das ersparte Einkommen könnte in den Heimatländern der Saisonniers den Familien zukommen und zum Aufbau einer neuen Wirtschaftsstruktur verwendet werden. (Abg. Dr. Johann Bauer : Das ist doch scheinheilig!) Meine Damen und Herren! Das sind doch Argumente, die Sie nicht wegdiskutieren können!169

Auch nach der Etablierung des neuen Status bleibt die FPÖ bei ihrer treibenden Rolle und forciert den Ausbau der temporären Arbeitsmigration – zunächst unter dem Schlagwort der Saisonbeschäftigung – von verschiedenen Seiten. Sekuritisierend, indem sie die Einschränkung von Rechten mit dem Anstieg der 168 Abg. Partik-Pabl¦ (FPÖ), 152. Sitzung, Debatte zu Fremdenrechtsänderungen, Juli 1990. 169 Abg. Haigermoser (FPÖ), XVIII. Gesetzgebungsperiode, 5. Sitzung, Debatte zur Novelle des Fremdenpolizeigesetzes, Dezember 1990.

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Arbeitslosigkeit begründet, wie etwa in einer von Holger Bauer (FPÖ) eingebrachten dringlichen Anfrage »betreffend steigende Arbeitslosigkeit und weitere Zuwanderung von Ausländern nach Österreich« im Mai 1996 (Mayer 2009, 55). Hauptthema der Sitzung war, wohl nicht ganz zufällig, die Diskussion des Sicherheitsberichts 1994, in deren Verlauf der Konnex Migration/Kriminalität betont wurde. Vor diesem doppelt-versicherheitlichten Kontext kann die FPÖ dann eine schlichte Frage stellen: Wir haben derzeit rund 36 000 arbeitslose Ausländer, und es stellt sich daher wirklich die Frage: Was ist das für ein Gastarbeiterprinzip, wenn jemand, der als Gast kommt, solange wir Arbeit haben, dann nicht als Gast geht, wenn wir keine Arbeit mehr haben? […] Hier geht es darum, daß den Österreichern Dauerarbeitsplätze zustehen, die wir nicht durch einen ungehemmten Zuzug in Frage stellen dürfen!170

Zu anderen Zeitpunkten (und in anderen, weniger öffentlichen Formen) macht die FPÖ Druck in Richtung einer Erleichterung der Saisonbeschäftigung auf der Grundlage klassisch-wirtschaftsliberaler Argumente. Anfragen wie die folgende finden sich über den gesamten Zeitraum immer wieder171: Es wurden wieder Saisonarbeiterkontingente für den Tourismus festgelegt. Erst um den 20. November wird bekannt gegeben, wie viele Saisoniers eine maximal fünf Monate gültige Beschäftigungsbewilligung erhalten und damit eingestellt werden können. Das bezeichnen Tourismusbetriebe etwa am Arlberg, die heuer bereits am 1. Dezember aufsperren, als viel zu spät. Die Betriebe klagen, sie wüssten jeweils um den 20. November noch nicht, ob sie genügend Fachkräfte hätten, um den Betrieb am 1. Dezember aufnehmen zu können, das sei teilweise existenzbedrohend.172

Auf der Bühne der parlamentarischen Auseinandersetzung ließ das Zusammenspiel von Sicherheits- und Wirtschaftslogik bis dahin undurchsetzbare oder undenkbare Maßnahmen möglich werden. Dass beide Prozesse von politischen AkteurInnen zum Teil auch auf zynische Weise sowie äußerst bewusst genutzt und mal offen, mal implizit miteinander verbunden werden, bedeutet aber nicht, dass Ökonomisierung und Sekuritisierung von Migration im Stil einer Verschwörung lancierte rhetorische Prozesse sind. Sie konnten im politischen Feld aufgegriffen werden, weil sie gesellschaftlich institutionalisiert waren: sozial verankert und getragen von außerparlamentarischen AkteurInnen – Medien und Sicherheitsinstitutionen im Fall der Sekuritisierung (Bigo 2001; Buonfino 2004), SozialwissenschaftlerInnen und Wirtschaftsverbänden im Fall der Ökonomisierung (Menz 2009). 170 Abg. Haider (FPÖ), XX. Gesetzgebungsperiode, 23. Sitzung, Dringliche Anfrage Arbeitslosigkeit und Zuwanderung, Mai 1996. 171 Etwa: Anfrage 79/J (FPÖ), XX. Gesetzgebungsperiode, Februar 1996; Anfrage 1519/J (FPÖ), XX. Gesetzgebungsperiode, November 1996. 172 Anfrage 73/J (FPÖ), XXIII. Gesetzgebungsperiode, November 2006.

Die unendliche Saison: Vom Erntehelfer zum Stammsaisonnier

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Der Saisonarbeiterstatus ist dabei nicht einfach als Kompromiss zwischen jenen zu verstehen, die mehr Einwanderung für notwendig halten, und jenen, die damit verbundene Risiken betonen. Er ist kein Zugeständnis angesichts eines unvorhergesehen aufgetretenen wirtschaftlichen Bedarfs. Vielmehr ermöglichte die Sekuritisierung die Einführung neuer Formen der aktiv gesteuerten Arbeitsmigration zu einem, angesichts der realen Arbeitslosen- und Migrationszahlen, unwahrscheinlichen Zeitpunkt. In den Folgejahren wurde der Saisonnierstatus normalisiert, 2009 wurde er auch von SPÖ-Abgeordneten völlig unhinterfragt akzeptiert: »Unsere Wirtschaft benötigt, ob Krise hin oder Krise her, ausländische Fachkräfte. […] Wir benötigen die Saisonniers, wir benötigen auch Pflegepersonal«173. Der Saisonnierstatus wurde aber nicht nur fix etabliert, sondern vor allem über die Folgejahre zu einem allgemein einsetzbaren Instrument zur Steuerung temporärer Arbeitsmigration ausgebaut. Zwanzig Jahre nach seiner erstmaligen Einführung ist in Österreich damit eine der beiden wesentlichen Komponenten aktueller Migrationsmanagementprogramme installiert, und zwar als Ergebnis eines jahrzehntelangen, von Widersprüchen durchzogenen Prozesses, nicht aufgrund eines bruchförmigen Paradigmenwechsels, wie Diagnosen von einer aktuellen Neuorientierung in westeuropäischen Migrationsregimen nahelegen (beispielhaft Castles 2006; Kolb 2010).

11.4 Die unendliche Saison: Vom Erntehelfer zum Stammsaisonnier Die Einführung des Saisonarbeiterstatus war auch deshalb ohne großes Aufsehen möglich, weil der neue Status eine alte Form der saisonalen Arbeitsmigration regularisierte. Erntehelfer kamen schon zu Zeiten der Monarchie in die landwirtschaftlichen Zentren. Weil die Beschäftigungsbewilligung schon seit dem Inlandarbeiterschutzgesetz befristet erteilt wurde, war die eigentliche Maßnahme erstens bescheiden. Zweitens schien sie nicht viel mehr zu tun, als schon bestehende Migrationsverhältnisse zu verrechtlichen: Die Maßnahme, die 1992 getroffen wurde, bestand in der unscheinbaren Definition eines zusätzlichen befristeten Aufenthaltstitels mit einer maximalen Gültigkeit von sechs Monaten. Allerdings hatte diese Änderung weitreichende Folgen: Sie erlaubte die juridische Definition eines permanent temporären Status, wobei die Zuschreibung der Temporalisierung mit weitreichenden Entrechtungen verbunden ist (Stasilius 2008). Saisonarbeiter bleiben dauerhaft dem Regime der Beschäf173 Abg. Spindelberger (SPÖ), XXIV. Gesetzgebungsperiode, 14. Sitzung, Aktuelle Stunde zu »Asylmissbrauch«, »Islamisierung« und »Massenzuwanderung«, Februar 2009.

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tigungsbewilligung unterstellt, eine Arbeitserlaubnis oder erst recht einen Befreiungsschein können sie per definitionem nicht erlangen. Auch das entspricht einem internationalen Trend: »[C]ontracts are for fixed terms only, specifying precisely occupation, employer, and geographic area, and there is a strict duty to exit after their expiration date« (Guiraudon/Joppke 2001b, 7). Die resultierende permanente Temporalisierung ist ein auch von Wirtschaftsseite anerkanntes Faktum: »Von den in Vorarlberg beschäftigten Saisonniers aus Drittstaaten arbeiten über 60 Prozent schon zehn oder mehr Saisonen bei uns«174. Einmal etabliert, konnte der Saisonarbeiterstatus in den Folgejahren zu einem allgemeinen Instrument der Arbeitsmarktregulation entwickelt werden. Die bedeutendsten Weiterentwicklungen fanden in den frühen Jahren der FPÖ/ ÖVP-Regierung zwischen 2000 und 2002 statt. Zunächst wurde der Saisonnierstatus intern ausdifferenziert. Dem Trend von nach Branchen und Tätigkeiten differenzierten Programmen der temporären Arbeitsmigration entsprechend wurde ein Erntehelferstatus speziell für die Landwirtschaft vom allgemeinen Saisonnierstatus unterschieden. Erntehelfer können für bis zu sechs Wochen beschäftigt werden und sind damit ein Extrembeispiel einer marginalen Arbeitsmarktintegration. Dieser Status wurde 2000 durch eine symbolisch bedeutsame Maßnahme unterstrichen: Der Dienstgeberbeitrag zur Pensionsversicherung wurde für Erntehelfer gestrichen. Damit wurden sie auch offiziell für ArbeitgeberInnen zu billigeren Arbeitskräften. Gleichzeitig bricht diese Maßnahme mit dem Gedanken einer allgemeinen Sozialversicherungspflicht. Wie allgemein bei der Gestaltung des Saisonarbeiterstatus war auch hier die FPÖ die treibende Kraft: Der FPÖ-Abgeordnete Peter hatte schon 1992 ein Zeitarbeitermodell gefordert, »wo nur Kranken- und Unfallversicherung zum Tragen kommen und keine Versicherungspflicht im Bereich des Pensionsrechtes, des Arbeitslosenrechtes und auch der Familienbeihilfenausgleichsfonds entsteht«175. Der Saisonnierstatus wurde darüber hinaus zeitlich ausgedehnt, die ursprüngliche Befristung auf sechs Monate wurde um die Möglichkeit einer einmaligen Verlängerung um sechs weitere Monate erweitert. Nach diesen 12 Monaten müssen Aufenthalt und Beschäftigung für mindestens zwei Monate unterbrochen werden, sofern kein anderer Aufenthaltstitel vorliegt (die sogenannte 12/14-Regel). Damit entfällt im Regelfall der Anspruch auf Arbeitslosengeld, und das dauerhaft, weil Saisonniers ohne regulären Aufenthalt auch nicht offiziell dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Vor allem bedeutet die Möglichkeit 174 WK Vorlarberg (2011), »Neue Regelung für Saisonniers – Engpass befürchtet«, http:// portal.wko.at/wk/format_detail.wk, zugegriffen am 19. 02. 2012. 175 Abg. Peter (FPÖ), XVIII. Gesetzgebungsperiode, 76. Sitzung, Debatte zur Fremdenrechtsnovelle, Juli 1992.

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einer bis zu einjährigen Beschäftigung eine inhaltliche Verallgemeinerung: Eine Beschäftigung von bis zu zwölf Monaten kann nicht mehr sinnvoll als »saisonal« bezeichnet werden. Dem neuen Charakter einer allgemeinen Befristung wurde 2002 mit der Umbenennung des Status in »befristet Beschäftigte« entsprochen. Zwar war in Diskussionen noch immer von Saisonniers die Rede – häufig inszenierte Bilder waren dabei die ohne Erntehelfer uneinbringbaren Ernten und die mit langsamen bürokratischen Mühlen konfrontierten Tourismusunternehmen. Die rhetorische Reduktion auf klassische Saisontätigkeiten lenkt davon ab, dass spätestens mit der Fremdenrechtsnovelle 2002 ein allgemeines Instrument zur temporären Arbeitsmigration geschaffen worden war. Richtungsweisend war dabei die Entscheidung, Kontingente für befristet Beschäftigte für alle Branchen zu ermöglichen. Von dieser Möglichkeit ist bisher nicht Gebrauch gemacht worden; nach wie vor werden Saisonniers nur in der Landwirtschaft, im Tourismus und im Baugewerbe beschäftigt. Die Erweiterung ist aber von großer symbolischer Bedeutung, weil damit keine Begründung der Befristung in der Natur der Tätigkeit mehr nötig ist, sondern ein anders nicht zu deckender Arbeitskräftebedarf ausreicht. Mitte der 2000er-Jahre wurde der Status der befristet Beschäftigten rechtlich weiter ausdifferenziert. Zwei Erweiterungen sind von Bedeutung. Erstens wurde 2005 die Visumspflicht für SaisonarbeiterInnen aufgehoben. Sofern keine allgemeinen zwischenstaatlichen Einreisebestimmungen dagegen sprechen, benötigen Saisonarbeitskräfte nur noch eine sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigung, die vom österreichischen Innenministerium ausgestellt wird. Damit wurde das Bewilligungsverfahren deutlich vereinfacht. Zweitens wurde die befristete Beschäftigung zur bevorzugten Beschäftigungsform für eine Reihe von Personengruppen, die eigentlich über einen Aufenthaltstitel verfügen oder einen solchen nicht benötigen. Der ursprünglich an einen eigenen Aufenthaltstitel gekoppelte prekäre Arbeitsmarktstatus (der ja ursprünglich auch als Eingriff ins Aufenthaltsrecht definiert worden war) wurde zu einem allgemeiner anwendbaren Arbeitsmarktinstrument. Damit wurde die differenzielle Entrechtung zumindest potenziell auch innerhalb der Wohnbevölkerung durchgesetzt; Argumente, die den Nutzen der Saisonbeschäftigung für die Arbeitskraft über die Kombination aus höheren Löhnen und niedrigeren Lebenskosten im Herkunftsland begründen, verlieren damit ihre Gültigkeit. Der Vorteil liegt für diese Gruppen nur darin begründet, dass sie keinen anderen legalen Arbeitsmarktzugang haben. AsylwerberInnen und Arbeitskräfte aus den neuen Mitgliedsstaaten der EU während der Laufzeit der Übergangsfristen sind die wichtigsten Beispiele. Diese Gruppen sind bei der Erteilung von befristeten Beschäftigungsbewilligungen bevorzugt zu behandeln. AsylwerberInnen müs-

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sen allerdings zumindest ein halbes Jahr in Österreich sein, bevor sie eine Saisonarbeitsbewilligung erhalten können. Im Zuge der Einführung der Rot-Weiß-Rot-Karte und des gleichzeitigen Auslaufens der Übergangsbestimmungen für die EU-8-Staaten wurde schließlich zeitlich befristet der Status des »Stammsaisonniers« eingeführt: Drittstaatsangehörige SaisonarbeiterInnen, die in den letzten fünf Jahren jährlich wenigstens vier Monate entweder im Tourismus oder in der Landwirtschaft beschäftigt waren, können um diesen Status ansuchen. Für sie entfällt das Ersatzkräfteverfahren176, sie unterliegen keiner Kontingentierung und genießen für die Dauer ihrer Bewilligung relative Arbeitsmarktfreiheit innerhalb der genehmigten Branche. Die strukturelle Provokation, die dieser Status darstellt, wurde von der Wirtschaftskammer Vorarlberg in einer Stellungnahme formuliert, die den Titel trägt: »Langjährige Saisonniers können sich heuer aussuchen, wo in Österreich sie arbeiten wollen. Eine Gefahr für Vorarlbergs Hotellerie und Gastronomie?« Darin wird der Geschäftsführer der Sparte Tourismus der WK Vorarlberg zitiert, der die vorübergehende und als Ausnahme deklarierte Zuerkennung einer Arbeitsmarktfreiheit für eine kleine Gruppe an mehr als fünf Jahre in Österreich beschäftigten Arbeitskräften als Gefährdung des Wirtschaftsstandorts inszeniert – eine Arbeitsmarkfreiheit, die noch zu Beginn der 1990er-Jahre Arbeitskräften nach nur einem Jahr in Form der Arbeitserlaubnis zugesprochen wurde: »In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Fachkräfte aus Südosteuropa beschäftigt worden. Durch die neue Stammsaisonnier-Verordnung können diese sich nun in ganz Österreich eine Arbeitsstelle suchen. Viele werden wahrscheinlich ihren bisherigen Arbeitgeberbetrieben die Treue halten. Einige könnten allerdings mit dieser neuen Option einen Arbeitsplatz in Salzburg oder Kärnten wegen der geographischen Nähe zu ihrem Heimatland suchen«, sieht der Spartengeschäftsführer ein Risiko, dass langjährige und bewährte Mitarbeiter im Osten Österreichs hängenbleiben. Die Verunsicherung aufgrund der neuen Mobilität der Saisonniers für diese erste Wintersaison sei jedenfalls groß. (WK Vorarlberg 2011)

Ausgehend von der scheinbar schlichten Regularisierung bestehender Migrationspraktiken in der Landwirtschaft wurde der Saisonarbeitsstatus damit über die Jahre zu einem komplexen juridischen Instrument der differenzierten Arbeitsmarktregulation entwickelt (das in seiner Komplexität heute ausreichend Stoff für eine rechtswissenschaftliche Dissertation liefert: Pirker 2010). Das 176 Dieses Verfahren war schon mit dem Inlandarbeiterschutzgesetz in einer frühen Form eingeführt worden und ist noch heute wirksam. Es besagt, dass das AMS nach Beantragung einer Beschäftigungsbewilligung nach österreichischen Arbeitskräften sucht, die anstelle der beantragten ausländischen Arbeitskraft angestellt werden könnten, und dass erst bei negativem Ausgang dieses Verfahrens die migrantische Arbeitskraft beschäftigt werden kann.

Neue Gastarbeit?

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Verfahren spiegelt dabei die Verwobenheit verschiedener Sicherheits- und Wirtschaftslogiken wider. Saisonbewilligungen unterliegen einem zweistufigen Verordnungsverfahren. Zunächst definiert das Innenministerium jährlich in der Niederlassungsverordnung zwei Quoten, eine für SaisonarbeiterInnen, eine für ErntehelferInnen. Diese lagen in den vergangenen Jahren jeweils bei rund 7.500 Bewilligungen im gewichteten Durchschnitt pro Jahr. In diesem Rahmen kann das Sozialministerium Kontingentbewilligungen für einzelne Branchen erlassen. Das passiert mehrmals pro Jahr, in der Regel werden zwei Verordnungen für den Wintertourismus, eine für den Sommertourismus und zwei für die Land- und Forstwirtschaft erlassen. Da es sich dabei um Bestands-, nicht um Zugangskontingente handelt, liegt die Zahl der insgesamt erteilten Bewilligungen weit über den offiziellen Quoten. Über die letzten Jahre wurden stets zwischen 65.000 und 70.000 befristete Beschäftigungsbewilligungen erteilt (zu den Details des Verfahrens siehe Pirker 2010).

11.5 Neue Gastarbeit? Saisonale Migrationsmuster bestanden schon lange vor Einführung des Saisonarbeiterstatus, »[h]istorisch jüngeren Datums ist allerdings die vorrangige Beschäftigung von bestimmten Ausländergruppen in solchen Bereichen« (Fassmann/Münz 2006 zit. n. Brack 2006, 32), und noch einmal rezenter ist die explizite Verrechtlichung dieser Segmentierung des Arbeitsmarktes. Die österreichische Migrationspolitik ist dabei – in auffälliger zeitlicher Übereinstimmung – einem allgemeinen Trend in industrialisierten Staaten gefolgt, der von Deutschland über Dänemark nach Großbritannien und Irland reicht (Pellerin 2008, 28). Heute sind auf dem Saisonarbeiterstatus beruhende befristete Beschäftigungsverhältnisse aus dem österreichischen Migrationsregime nicht mehr wegzudenken. Umso überraschender ist, dass die Einführung des Saisonnierstatus in Darstellungen des österreichischen Migrationsregimes kaum Erwähnung findet (siehe etwa Bauböck 1996; Bauböck/Perchinig 2003). Die Bedeutung der Saisonarbeit in Zahlen zu fassen ist schwierig, weil drei Arten der Berechnung einander entgegenstehen. Am wenigsten Aussagekraft hat dabei die in der Niederlassungsverordnung erlassene Quote, sie sagt weder etwas über die Zahl der betroffenen Personen aus noch über die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse. Seriöse Schätzungen über die Personenzahl existieren nicht (Kratzmann et al. 2011, 54 – 55), weil eine Person mehrere Bewilligungen pro Jahr erhalten kann. Die Zahl der erteilten Bewilligungen kann aus den Statistiken des AMS rekonstruiert werden. Allerdings ist dabei zu beachten, dass auch diese Zahlen nur ein Indikator für die Gesamtzahl an offiziellen und inoffiziellen Beschäftigungsverhältnissen ist – gerade der Tourismus und die Land- und

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Forstwirtschaft gelten als Branchen mit einem hohen Anteil an irregulären Arbeitsverhältnissen (Jandl et al. 2009, 143 – 159). Unter Berücksichtigung dieser Komplikationen können die Zahlen in Tabelle 11.4 als Indikatoren für die relative Bedeutung der verschiedenen Formen der temporären Beschäftigungsbewilligungen dienen; der Großteil der Bewilligungen entfällt auf die Land- und Forstwirtschaft. Ihr Anteil an allen Beschäftigungsbewilligungen liegt stabil über 50 Prozent, ist aber in den letzten Jahren rückläufig. 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Erntehelfer 18.417 19.322 19.471 19.814 19.918 20.279 21.689 18.417 Landwirt- 31.607 31.295 31.077 32.674 34.776 32.012 30.424 31.607 schaft Sommer7.053 6.477 5.650 5.939 6.110 4.886 4.555 7.053 tourismus Winter9.977 9.026 8.612 9.064 9.426 8.098 8. 745 9.977 tourismus Gesamt 67.054 66.120 64.810 67.491 70.230 65.275 65.413 67.054 befristet Bewilligun- 90.989 87.638 87.414 96.739 107.699 101.187 109.815 gen gesamt Anteil 73,69 % 75,45 % 74,14 % 69,77 % 65,21 % 64,51 % 59,57 % befristet Tabelle 11.4: Erteilte befristete Beschäftigungsbewilligungen nach Art, 2004 – 2011, Quelle: AMS, eigene Berechnung

Obwohl in sozialwissenschaftlichen und öffentlichen Diskussionen kaum präsent, spielen Saisonniers auch strukturell eine wichtige Rolle im österreichischen System der Arbeitsmigration. Im nationalen Wohlfahrtsstaat war das Problem der Saisonarbeitslosigkeit nur über die Beschäftigung migrantischer Arbeitskräfte zu lösen, weil die dauerhafte Prekarität der Beschäftigung für inländische Arbeitskräfte nicht mehr akzeptabel schien177. Entsprechend abhängig sind die betroffenen Wirtschaftsbereiche heute von temporärer Arbeitsmigration. Dietz (2004) attestiert ihr eine Schlüsselrolle und sieht keine

177 Die neuen Formen der temporären Arbeitsmigration erlauben also, ein altes strukturelles Problem kapitalistischer Nationalstaaten zu lösen. »Das Problem der Saisonarbeitslosigkeit ist sowohl ein wirtschaftliches wie auch ein soziales und rechtliches« (Bettzieche 1935, 7), ein Problem, für das lange kein rechtlicher Begriff existierte. Juristisch gefasst wurde es in Deutschland erstmals 1927 als »berufsübliche Arbeitslosigkeit«, Saisonarbeitslosigkeit wird dabei als die »wesentlichste Ursache der Arbeitslosigkeit in normalen Zeiten« (Clemens 1932) wahrgenommen. Bettzieche (1935, 52 – 55) diskutiert die Folgen saisonaler Beschäftigungsschwankungen für die Arbeitslosenversicherung; in den 1920er-Jahren wurde in Österreich versucht, durch die branchenspezifische Staffelung der Arbeitslosenbeiträge Abhilfe zu schaffen, allerdings konnte »[d]ie Sonderbehandlung der Saisonarbeiter in der österreichischen Arbeitslosenversicherung […] nicht als vorbildlich angesehen werden« (Bettzieche 1935, 55).

Neue Gastarbeit?

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realistische Alternative zur Beschäftigung saisonaler Arbeitskräfte, eine Einschätzung, die Binder (2008, 8) unterstreicht: Würde zum gegenwärtigen Zeitpunkt und unter den gegebenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beispielsweise die Produktion von handarbeitsintensiven Feldfrüchten in Österreich ohne die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte gleichermaßen stattfinden (können)?

Die niedrigen Löhne und häufig schlechten Wohnbedingungen sind dabei nicht unbedingt ein Indiz für technologische Rückständigkeit: Pirker (2010, 38) berichtet etwa von Chipkartensystemen, mit denen individuelle Arbeitsleistungen von ErntehelferInnen erfasst werden, um die Unter- und Überschreitungen der durchschnittlichen Arbeitsleistungen erfassen zu können. Saisonarbeitskräfte sind nicht »Sklaven« (G¦taz 2004), sie sind eigenmotiviert und »gewinnen«, wenn man so will, tatsächlich. Allerdings dürfen die globale Ungleichheit an Lebens- und Einkommenschancen und die differenzielle Entrechtung, auf denen das ganze System der Saisonbeschäftigung beruht, nicht vergessen werden178. Saisonarbeit ist in einem Machtgefüge verortet, das in diesem Sinn weder neutral als juridisch noch repressiv als disziplinär adäquat zu charakterisieren ist – sie basiert auf gouvernementaler Regierungstätigkeit. Über die Gestaltung der Rahmenbedingungen, bis hin zur ungleichen Verteilung von Rechten, werden die autonomen strategischen Handlungen sozialer Akteure strukturiert, mit dem Ziel, den kollektiven Nutzen zu maximieren. In diesem strategisch-relationalen Gefüge können temporäre Formen der Arbeitskräftemobilität unterschiedlich zustande kommen. In der EU ist dabei derzeit eine Gleichzeitigkeit von freiwilliger und erzwungener Temporalisierung zu beobachten. Erstere kommt gerade aufgrund der Arbeitsmarktfreiheit zustande, die es erlaubt, zwischen Arbeits- und Wohnort beliebig oft zu wechseln. So konnte über die letzten Jahre ein eigenes Subsystem der Saisonmigration zwischen Ostdeutschland und Österreich entstehen (Brack 2006). 2007 waren über 60.000 deutsche StaatsbürgerInnen vorübergehend in Österreich beschäftigt, der größte Teil davon im Gastgewerbe (Pirker 2010, 22). Auch diese Form der Saisonarbeit funktioniert vor dem Hintergrund ungleicher Lohnverhältnisse. In ihrer erzwungenen/entrechteten Form – die gerade in den strukturell von ihr abhängigen Branchen vorherrscht – ist die Saisonarbeit mehr als nur eine Revitalisierung der Rotationslogik der Gastarbeit (Mayer 2009, 53) – sie ist deren Radikalisierung, weil die Beschränkung der Aufenthaltsverfestigung konsequent durchgesetzt wird. Möglich wurde sie vor dem Hintergrund der Sekuritisierung 178 Das sind Aspekte, die zusammen mit der notwendigen Mobilität selbst profitabel sein können: »Die Vorzüge von ArbeitnehmerInnen, die sich auf Grund einer ›sozialen Isolierung‹ sozusagen voll und ganz auf ihre Aufgabe konzentrieren können, sind dabei nicht von Nachteil« (Binder 2008, 28).

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Saisonarbeit: Zirkuläre Migration als neues Paradigma?

von Migration am Ende des Kalten Kriegs und unter wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die weniger Bedarf an langfristig beschäftigten angelernten Kräften in der Industrie als an leicht ersetzbaren ArbeiterInnen in Dienstleistungs- und Landwirtschaftsberufen entstehen ließen. Die Parallelen zwischen SaisonarbeiterInnen und GastarbeiterInnen, aber auch die radikalisierte Entrechtung der ersteren lässt sich auch an der Verortung der beiden Figuren im Begriffsraum politischer Debatten erkennen. Im Vergleich zu GastarbeiterInnen (Abb. 7.2 in Kap. 7.2.2) sind SaisonarbeiterInnen (Abb. 11.1) mehr Arbeitskraft als Arbeitnehmer und ihre Situation wird deutlich weniger aus einer Gerechtigkeits- oder Gleichheitslogik thematisiert.

Abbildung 11.1: Schlüsselbegriffe für zentrale Problemdimensionen: Saisonniers

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Die Rot-Weiß-Rot-Karte: Von der Reservearmee zum Humankapital

Das abschließende Kapitel des empirischen Teils der Arbeit diskutiert eine aktuelle Änderung des österreichischen Migrationsregimes, die im Vergleich zur Frage der Saisonbeschäftigung deutlich größere mediale Resonanz gefunden hat: die sogenannte Rot-Weiß-Rot-Karte. Die Rot-Weiß-Rot-Karte soll das für überkommen gehaltene, weil zu unflexible Quotensystem durch ein »kriteriengeleitetes« System der Zuwanderungskontrolle ersetzen. Dabei wird nicht mehr primär die Lage in Österreich, sondern, einer Humankapitallogik folgend, das migrierende Individuum bewertet. Solche Systeme gelten als Inbegriff einer ökonomisch-vernünftigen Migrationspolitik, die den Nutzen der und die Nachfrage nach Migration anerkennt und damit Schluss macht, Migration als Gefahr darzustellen (Buonfino 2004; Kolb 2010). Traditionelle Einwanderungsstaaten wie Kanada, Neuseeland und Australien stehen für diese Analysen Pate. Im Folgenden beschreibe ich zunächst das mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 verabschiedete Maßnahmenpaket zur Einführung der RotWeiß-Rot-Karte. Tatsächlich wurden verschiedene Aufenthaltstitel geschaffen, die teilweise sehr eng an der bisherigen Regelung bleiben, bei der Verfestigung des Aufenthalts und der schrittweisen Zuerkennung von Rechten aber deutliche Vorteile für als »nützlich« anerkannte MigrantInnen bringen. Die drei anschließenden Kapitel sind der Fundierung der Maßnahme im politischen Diskurs gewidmet. Zunächst argumentiere ich, dass die Logik der Rot-Weiß-RotKarte abgesehen von einer unklaren Positionierung der FPÖ konsensuell ist; die Prinzipien, die der Maßnahme zugrunde liegen, werden breit geteilt, auch wenn der konkreten Umsetzung aus unterschiedlichen Gründen nicht von allen Parteien die Zustimmung erteilt wurde. Danach illustriere ich die utilitaristische Verankerung der Rot-Weiß-Rot-Karte nicht nur in der Einschätzung, dass Migration notwendig sei, sondern vor allem auch im durchgängig anzutreffenden Motiv des »Wettstreits um die besten Köpfe«. Diese Ökonomisierung, die ganz neoliberalen Ideologemen entspricht, kann aber nicht sinnvoll als Gegenpol zu sekuritisierten Politikansätzen der vergangenen Jahrzehnte konstruiert werden.

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Die Rot-Weiß-Rot-Karte

Wie ich im abschließenden Kapitel argumentiere, ist die Rot-Weiß-Rot-Karte nämlich auf zumindest zwei Arten fundamental an diese Sekuritisierungsprozesse gebunden. Erstens, weil die Abschottung über das Schließen anderer Migrationskanäle eine notwendige Bedingung für die utilitaristische Auswahl »nützlicher« MigrantInnen ist. Und zweitens, subtiler, weil die Kriterien, die in das Punktesystem der Rot-Weiß-Rot-Karte einfließen, erst im Zuge der Sekuritisierung von Migration zu legitimen Gründen für die differenzielle Entrechtung von MigrantInnen werden konnten. Damit ist die Einführung der RotWeiß-Rot-Karte sowohl an die Durchsetzung eines »Deportation Regimes« als auch an den aktuellen »civic integrationism« (siehe Kapitel 9.3) gekoppelt.

12.1 Anwerbung zwischen Humankapitallogik und Unternehmerorientierung Die Rot-Weiß-Rot-Karte ist das Ergebnis eines mehrjährigen Aushandlungsprozesses. Offiziell hatte die damalige Innenministerin Fekter im Jänner 2009 die Initiative zur Ausarbeitung eines neuen Systems zur Regulation Arbeitsmigration hoch Qualifizierter ergriffen. An den Verhandlungen waren die Sozialpartner sowie das Sozial- und das Innenministerium federführend beteiligt. Im Februar 2011 wurde schließlich ein »3-Säulen-Modell« vorgestellt, das in wesentlichen Bereichen das bisherige quotenbasierte durch ein sogenanntes kriteriengeleitetes System ersetzen sollte. Die Rot-Weiß-Rot-Karte ist ein Punktesystem und unterscheidet sich damit ihrer grundlegenden Architektur nach von Systemen, die sich direkt an der Nachfrage von Unternehmen und allgemeinen Arbeitsmarktgegebenheiten orientieren. Wer eine bestimmte Punkteanzahl erreicht, kommt in den Genuss spezieller Ansprüche, unabhängig von Höchstgrenzen oder Quoten. Allerdings wurden einige Vorkehrungen und Differenzierungen getroffen, die in zentralen Aspekten Kontinuität zu bisherigen Regelungen herstellen. Obwohl auch in der medialen Berichterstattung wiederholt von einer Ersetzung des bisherigen Systems die Rede war (siehe etwa Die Presse 2010), handelt es sich daher eher um eine Ergänzung. Für alle MigrantInnen, die die Kriterien nicht erfüllen, bleiben die alten Regulationsformen intakt, allen voran die quotierte Familienzusammenführung und die Arbeitsmigration auf Grundlage von nach wie vor durch Höchstzahlen gedeckelten Beschäftigungsbewilligungen. Die neue Regelung unterscheidet drei Gruppen von MigrantInnen: Spitzenkräfte, Schlüsselkräfte und Schlüsselkräfte in Mangelberufen. Für diese drei Gruppen gelten unterschiedliche Voraussetzungen und, entsprechend, Punktesysteme. Nur für Spitzenkräfte gelten keine arbeitsmarktbezogenen Kriterien,

Anwerbung zwischen Humankapitallogik und Unternehmerorientierung

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für die anderen beiden Gruppen gelten neben dem Punktetest auch Maßnahmen zur Überprüfung des Arbeitsmarktbedarfs. Für normale Schlüsselkräfte gilt dabei de facto das Ersatzkräfteverfahren weiter. Sie können also nur dann zuwandern und in Österreich arbeiten, wenn das AMS die Stelle als nicht anders vermittelbar einstuft. Diese Anforderung entfällt nur, wenn das Berufsfeld der ArbeitnehmerIn per Verordnung als Mangelberuf definiert wird. Spitzenkräfte erhalten, sobald sie den Punktetest bestanden haben, für einen beschränkten Zeitraum ein Visum zur Arbeitssuche und haben ab ihrer Einreise ein halbes Jahr Zeit, in Österreich eine ihren Qualifikationen entsprechende Arbeitsstelle zu finden (wobei keine Beschäftigung unter den definierten Einkommens- und Qualifikationsgrenzen möglich ist). Eine Rot-Weiß-Rot-Karte im Sinn des Gesetzes erhalten sie, wenn die Arbeitssuche erfolgreich ist. Die Karte gilt zunächst nur für diesen Arbeitgeber. Wer nicht als Spitzenkraft eingestuft ist, muss weiterhin bereits vor der Einreise eine Beschäftigungszusage durch ein österreichisches Unternehmen vorweisen, es gibt also keinen Zeitraum zur freien Arbeitsplatzsuche. Auch in diesem Fall gilt die Rot-Weiß-Rot-Karte im ersten Jahr nur für diesen einen Arbeitgeber. Für die/den MigrantIn bedeutet die Rot-Weiß-Rot-Karte in dieser Hinsicht keine wesentliche Veränderung im Vergleich zur Beschäftigungsbewilligung. Inhaber einer Rot-Weiß-Rot-Karte können eine sogenannte »Rot-Weiß-RotKarte plus« erhalten, wenn sie innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten zehn Monate beschäftigt waren. Die Rot-Weiß-Rot-Karte plus bedeutet freien Arbeitsmarktzugang, entspricht in dieser Hinsicht also dem Befreiungsschein im alten Regime. Für die einwandernde Person ändert sich also wenig in puncto anfänglicher Arbeitsmarktfreiheit. Sobald aber eine Arbeitsstelle gefunden ist, verläuft der Integrationsprozess am Arbeitsmarkt deutlich schneller. Sobald Inhaber einer Rot-Weiß-Rot-Karte einen regulären Arbeitsplatz in Österreich gefunden haben, entsteht darüber hinaus das Recht auf Familiennachzug. Auch Familienangehörige erhalten Zugang zum Arbeitsmarkt. Die genauen Punkteregelungen sind für jede der drei Säulen unterschiedlich. In allen drei Fällen gibt es Punkte für Qualifikation, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse und Alter, im Fall der Spitzenkräfte außerdem für ein etwaiges Studium in Österreich. Die Rot-Weiß-Rot-Karte entwickelt damit insgesamt das Quotensystem weiter, denn die genannten Differenzierungskriterien waren auch davor schon wirksam179. Derzeit ist keines der Kriterien formal ein Muss-Kri179 In den Worten von Sozialminister Hundstorfer: »Wir öffnen überhaupt keine Türln, sondern wir versuchen ein Regulativ weiterzuentwickeln, das wir bei der Fachkräfteverordnung entwickelt haben« (BM Hundstorfer, XXIV. Gesetzgebungsperiode, 100. Sitzung, Debatte zum AuslBG, März 2011).

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Die Rot-Weiß-Rot-Karte

terium, wer also etwa keine Sprachkenntnisse vorweisen kann, hat die Möglichkeit, dies durch Punkte in den anderen Kategorien auszugleichen. Was die Sprachkenntnisse betrifft, ist Englisch de facto gleichwertig mit Deutsch – ein Umstand, auf den in der Debatte zur Rot-Weiß-Rot-Karte selten Bezug genommen wird. Trotz der offensichtlichen Kontinuitäten markiert die Rot-Weiß-Rot-Karte in mehreren Hinsichten einen Bruch. Erstens setzt sie in Aspekten eine Humankapitallogik um: Die Kriterien werden jetzt direkt an der Person angelegt und nicht mehr über den Umweg der Rahmenbedingungen in Österreich formuliert (Kolb 2010). Dass diese Humankapitallogik mit Elementen des alten Systems, in dem die Anwerbung direkt über das beschäftigende Unternehmen und über den Umweg einer Arbeitsmarktprüfung lief, kombiniert wird, entspricht dem internationalen Trend zu »hybriden« Migrationsregimen (Papademetriou/ Sumption 2011). Die Humankapitallogik setzt dabei die neoliberale Orientierung auf Eigenverantwortung und Wettbewerbsfähigkeit um. Neben dieser Etablierung einer individualisierenden Bewertungslogik liegt eine wesentliche Änderung in der potenziellen Flexibilisierung des Regelwerks. Auf der Grundlage des Etablierten können auch fundamentale Einschnitte durch einfache Adaptionen des Punktesystems erreicht werden: Um Sprachkenntnisse von einem potenziellen Punktevorteil zu einer Anforderung zu machen, reicht eine entsprechende Anpassung der Punkteaufteilung: »[p]oints systems can be easily adjusted to meet evolving economic and broad labor market needs« (Papademetriou/Sumption 2011, 3). Damit in Zusammenhang ist eine dritte Verschiebung zu sehen: Die Rot-Weiß-Rot-Karte zentralisiert migrationspolitische Belange weiter auf der ministeriellen Ebene. Auch wenn die Sozialpartner in der Ausarbeitung des neuen Systems eine Rolle gespielt haben, geht der Trend doch klar in die Richtung der gesamtstaatlichen Verwaltung auf Regierungsebene. Erst wenn dieser Umstand berücksichtigt wird, wird die Einschätzung eines langjährigen SPÖ-Parlamentariers verständlich: Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik – und ich bin froh darüber, dass wir es gemacht haben, denn wir haben es bereits bei den Regierungsverhandlungen ins Regierungsübereinkommen geschrieben – versucht man, Zuwanderung klar zu regeln, neben der Asylschiene!180

Die klare Regelung steht hier im Gegensatz zur konflikthaften Aushandlung zwischen den Sozialpartnern. Angesichts der weitreichenden Differenzierung fundamentaler Rechte, die mit der Rot-Weiß-Rot-Karte weitergetrieben wird, erscheint die unaufgeregte 180 Abg. Pendl (SPÖ), XXIV. GP, 103. Sitzung, Debatte zum Fremdenrechtsänderungsgesetz, April 2011.

Die Rot-Weiß-Rot-Karte als konsensuelle Maßnahme

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und fast durchgängig positive mediale und politische Debatte rund um ihre Einführung erstaunlich. Im Gegensatz zum Saisonnierstatus wurde die prinzipielle Logik der Rot-Weiß-Rot-Karte, wie im Folgeabschnitt besprochen wird, von keiner Seite grundlegend infrage gestellt.

12.2 Die Rot-Weiß-Rot-Karte als konsensuelle Maßnahme Die Rot-Weiß-Rot-Karte wurde im Parlament mit den Stimmen der Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP beschlossen. Im Gegensatz zur Saisonarbeit wurde ihre grundsätzliche Stoßrichtung aber auch von Grünen und BZÖ geteilt; die Positionierung der FPÖ über die Jahre ist nicht eindeutig181. Grüne und BZÖ stimmten gegen die neue Regelung, weil sie ihnen – in unterschiedlichen Hinsichten – nicht weit genug ging; ähnliche Modelle wurden und werden aber von beiden Parteien vertreten. Diese Übereinstimmung ist analytisch relevant, weil sie zeigt, dass wesentliche Aspekte der politischen Rationalität, die der RotWeiß-Rot-Karte zugrunde liegen, unwidersprochen bleiben. In der Terminologie von Pierre Bourdieu teilen die politischen Akteure wesentliche Prinzipien des Urteilens und Bewertens (Bourdieu 1979, 325 – 330), auch wenn im Detail unterschiedliche Positionen eingenommen werden. Die Grünen konzentrierten sich in den beiden parlamentarischen Debatten zur Einführung der Rot-Weiß-Rot-Karte182 auf andere Aspekte und kommentierten das neue Punktesystem nur am Rande. Ihre Ablehnung des Regierungsvorschlags begründen sie mit der Beibehaltung existierender Regelungen und der zu kurz greifenden rechtlichen Absicherung der neuen EinwanderInnen. Mit dem Prinzip einer kriteriengeleiteten Zuwanderung in Form eines Punktesystems erklären sie sich schon deshalb einverstanden, weil sie den Anspruch auf Urheberschaft erheben: Die Grünen haben schon im Jahr 2006 ein grünes Einwanderungsmodell vorgelegt, inklusive eines kriteriengeleiteten Einwanderungssystems für die Gestaltung der Arbeitsmigration. Jetzt freut es uns, dass es der Bundesregierung gelungen ist – zwar mit fünfjähriger Verspätung, aber immerhin –, diese grüne Idee eines kriteriengeleiteten Einwanderungssystems zu übernehmen und die grüne Idee sozusagen zu kopieren. Aber gute Ideen soll man auch kopieren, auch in der Politik, dagegen ist nichts einzuwenden.183 181 Die FPÖ – nach wie vor Anhängerin des Saisonniermodells – positionierte sich klarer ablehnend als die anderen beiden Oppositionsparteien; inwiefern das populistisches Auftreten ist, das der eigentlichen Parteiprogrammatik widersprechen mag, ist auf der Grundlage des vorhandenen Materials kaum einzuschätzen. 182 XXIV. Gesetzgebungsperiode, 100. und 103. Sitzung des Nationalrats, März bzw. April 2011. 183 Abg. Korun (Grüne), XXIV. Gesetzgebungsperiode, 100. Sitzung, März 2011.

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Die Rot-Weiß-Rot-Karte

Zusammenfassend sei die Richtung »an sich richtig«, »aber die Ausführung ist leider alles andere als genügend«. Auch das BZÖ hat programmatisch wenig gegen die Rot-Weiß-Rot-Karte einzuwenden. Der Logik nach entspricht sie dem von der FPÖ-Abspaltung vorgeschlagenen »Ausländercheck«184. Auch der »Ausländercheck« ist ein kriteriengeleitetes Zuwanderungssystem: »Angelehnt an die Systeme in Australien und Kanada wird durch den Ausländercheck als (im Rahmen der ersten Jahre jederzeit überprüfbare) Voraussetzung für Einreise und Aufenthalt festgelegt, dass aus den folgenden Punkten eine Mindestpunktezahl erreicht wird«. Als Kriterien genannt werden dann Bedarf, Sprache, Bildung, Gesundheit und Arbeitsfähigkeit, noch zu erwartende Erwerbstätigkeitsdauer, Arbeitsplatz, Einkommen, Unbescholtenheit, Integrationswille und gute Integrationsvoraussetzungen. Soziale Rechte sollten nach den Vorstellungen des BZÖ erst nach und nach erworben werden. Im Vergleich zur beschlossenen Lösung ist der Kriterienkatalog des BZÖ stärker kulturlastig, neben Sprachanforderungen ist explizit von kultureller Nähe die Rede. In dieser Hinsicht ist der »Ausländercheck« radikaler, insgesamt sind die Ähnlichkeiten aber augenfällig. Auch die Humankapitallogik scheint konsequenter durchgezogen: Bewertet werden sollte dem BZÖ folgend nicht nur die »Kapitalausstattung«, sondern auch die Verfügbarkeit über die Zeit. Das in der Rot-Weiß-Rot-Karte ausbuchstabierte Kriterium des Alters kann in der Regel aber als funktionales Substitut dienen. In der Debatte begründete das BZÖ seine Ablehnung mit der Art der Punkteberechnung und der mangelhaften Berücksichtigung von Sprachkenntnissen: Deutschkenntnisse sollten zwingendes, nicht optionales Kriterium sein. Das ist also absolut kein System, mit dem Österreich konkurrieren kann, um gut qualifizierte oder höchstqualifizierte Arbeitskräfte anzuwerben. Das ist eigentlich ein Scheinmodell, mit dem Sie einerseits signalisieren wollen: Ja, wir brauchen Arbeitskräfte, wir wollen sie holen; aber andererseits bauen Sie die Hürden so hoch, dass selbst Höchstqualifizierte entweder nicht kommen werden, nicht kommen können werden oder nicht kommen werden wollen. Es geht nicht darum, dass Sie jetzt überlegen, wen wir gnädigerweise hereinlassen oder wie viele wir nicht brauchen, sondern es geht darum, dass wir dringend Fachkräfte

Abg. Korun (Grüne), XXIV. GP, 100. Sitzung, Debatte zum AuslBG 2011, März 2011

Abg. Kuntzl (SPÖ), XXI. GP, 69. Sitzung, Aktuelle Stunde »Soziale Integration«, Mai 2001

184 Entschließungsantrag 1079/A(E) (BZÖ), XXIV. Gesetzgebungsperiode, eingebracht am 25. März 2010.

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brauchen, um die wirtschaftliche Entwicklung in bestimmten Branchen voranzutreiben, um den Wohlstand in diesem Land voranzutreiben. […] Die internationale Konkurrenz, diese begehrten Fachkräfte ins Land zu bekommen, ist groß. Mittlerweile, sehr geehrte Damen und Abg. Fürntrath-Moretti (ÖVP), Herren, sollte außer Streit stehen, dass wir XXIV. GP, 103. Sitzung, Debatte zum Zuwanderung brauchen. Warum sage ich Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, das? – Ohne Zuwanderung schrumpft die April 2011 Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter. Die Zahl der Geburten sinkt, und auch die Anzahl jener, die eine Lehre beginnen, sinkt, sehr geehrte Damen und Herren, das wissen Sie ganz genau. Und wir haben geburtenstarke Jahrgänge, die ins Pensionsantrittsalter kommen. Dadurch fehlen uns natürlich in der heimischen Wirtschaft Fachkräfte, qualifizierte Fachkräfte, und gerade diese qualifizierten Fachkräfte brauchen wir unbedingt. […] Durch diese Rot-Weiß-Rot-Card überlassen wir Zuwanderung nicht mehr nur dem Zufall. Tabelle 12.1: Nutzentopos, Wettbewerbsfähigkeit und Wettstreit um die besten Köpfe

Eine der Grundlagen für den relativen Konsens zwischen den Parteien liegt in Aspekten der Ökonomisierung von Migration. Die Rot-Weiß-Rot-Karte funktioniert nach einer Nutzenlogik und wurde auf der Basis der Diagnose eines strukturellen Bedarfs an Arbeitskräften durchgesetzt. Einerseits spielen dabei die bereits in Tabelle 10.2 exemplarisch dargestellten Argumente eine zentrale Rolle – Bedarf an Zuwanderung entsteht dabei u. a. aus der prognostizierten demographischen Krise. Andererseits wird wiederholt die Argumentationsfigur vom »Wettstreit um die besten Köpfe« ins Spiel gebracht (Tabelle 12.1). In einer sich selbst als »Wissensgesellschaft« inszenierenden politisch-ökonomischen Ordnung (Jessop 2004) wird volkswirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zentral über die Wettbewerbsfähigkeit der involvierten Individuen hergestellt. Die Vorstellung von den »besten Köpfe« macht die Humankapitallogik neoliberaler Gesellschaftspolitik greifbar ; auch in der migrationspolitischen Auseinandersetzung im österreichischen Parlament ringen die Parteien von den Grünen bis zur ÖVP rhetorisch um sie. Die Grünen-Abgeordnete Korun kritisiert die RotWeiß-Rot-Karte nicht im Hinblick auf die mit ihr verbundene indirekte Entrechtung anderer Gruppen, sondern weil sie nicht geeignet sei die »qualifizierten und höchst qualifizierten« Arbeitskräfte tatsächlich nach Österreich zu lotsen. Die SPÖ-Mandatarin Kuntzl buchstabiert ebenfalls das Credo von den die Wirtschaftsleistung tragenden und den Fortschritt antreibenden besten Köpfen

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aus. Im Zitat der ÖVP-Parlamentarierin Fürntrath-Moretti werden die beiden ökonomisierten Argumente von der demographischen Lücke, die ja ein Massenphänomen ist, und den besten Köpfen, die vielleicht nicht vereinzelt, aber sicher keine Masse sind, in ein Non-sequitur verflochten, das deshalb analytisch relevant ist, weil beide Elemente als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Dass die besten Köpfe die demographische Lücke schließen, dürfte jedenfalls nicht Teil der Grundintentionen der Rot-Weiß-Rot-Karte sein. Den Argumentationen zufolge geht es um das Schließen von Lücken in Schlüssel- und Führungspositionen, sie sollen »stagnierende« Wirtschaftssysteme »verjüngen«. Inhaber einer Rot-Weiß-Rot-Karte sind als wirtschaftliche MultiplikatorInnen und AntreiberInnen gedacht, nicht aber als massenhaft zu rekrutierende Arbeitskräfte. Die ökonomisierte Grundlage der Rot-Weiß-Rot-Karte ist offensichtlich und entspricht ganz der Diagnose von Buonfino (2004). Die Rot-Weiß-Rot-Karte beruht als Instrument zur Steuerung der Arbeitsmigration aber ebenso auf den verschiedenen Formen der Sekuritisierung von Migration über die vergangenen Jahrzehnte. Diese zweite Dimension der politischen Rationalität des österreichischen Punktesystems ist Thema des folgenden Abschnitts.

12.3 Die Rot-Weiß-Rot-Karte als sekuritisiertes Steuerungsinstrument Die Rot-Weiß-Rot-Karte basiert auf zwei Arten der Sekuritisierung der vergangenen Jahrzehnte. Erstens impliziert die Möglichkeit, bedarfsorientiert MigrantInnen auszuwählen, dass andere, nicht der Nutzenlogik folgende Migrationskanäle verbaut sind. Abschottung ist in diesem Sinn eine Voraussetzung für die partielle Öffnung. Die Hürden und Barrieren sind Teil des Gesamtmechanismus. Dieses Muster gilt auch für die Pioniere migrationspolitischer Punktesysteme wie Kanada und Australien: Auch diese Staaten haben den Zugang über andere Kanäle restringiert und differenzieren heute MigrantInnen in zahlreiche unterschiedliche, ebenfalls auf Branchen abgestimmte Programme, ähnlich den österreichischen Programmen zur befristeten Arbeitsmigration (Papademetriou et al. 2008). Zwar sind viele staatsbürgerschaftliche Rechte in anderen Staaten teils deutlich leichter zugänglich als in Österreich; aber die prinzipielle Logik der Ungleichbehandlung am Beginn der Karriere als ArbeitsmigrantIn gilt allgemein. Darauf weist auch Menz (2009, 257) in seiner Analyse der politischen Ökonomie europäischer Migrationsregime hin: »The new paradigm of managing migration […] entails the active solicitation and encouragement of human resource potentials on the one hand […] and more

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restrictive procedures and administration of humanitarian migration channels on the other.« Insofern ist es kein Zufall, dass das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, mit dem die Rot-Weiß-Rot-Karte installiert wurde, überwiegend Verschärfungen im Einreise- und Aufenthaltsrecht gebracht hat. Von herausragender Bedeutung ist dabei die Anforderung, Deutschkenntnisse bereits im Herkunftsland nachweisen zu müssen. Für viele »Drittstaatsangehörige« ist das eine beachtliche Hürde – Goethe-Institute oder ähnliche Institutionen, die entsprechende Zertifikate ausstellen könnten, sind bei Weitem nicht an jedem Eck der Welt zu finden, abgesehen von anderen Barrieren wie fehlenden Lese- und Schreibkompetenzen und den nötigen finanziellen Mitteln. Auch diese Anforderung kann als »kriteriengeleitet« interpretiert werden. Deutschkenntnisse sind in diesem Fall eben Muss-Kriterium; allerdings erwächst aus der Erfüllung dieser Kriterien noch kein Anspruch auf Visum oder Aufenthaltsbewilligung. Zusätzlich wurden im selben Gesetz wesentliche Verschärfungen im Asylrecht vorgenommen, die den Versuch, als Flüchtling anerkannt zu werden, zusehends zu einem riskanten Migrationskanal machen. Eingeführt wurde etwa die einwöchige Freiheitsbeschränkung (Anwesenheitspflicht in der Erstaufnahmestelle) oder die Regelung, dass Daten von abgewiesenen AsylwerberInnen eins zu eins an Herkunftsstaaten weitergegeben werden. Auch die FPÖ bringt in der Begründung ihrer Ablehnung der neuen Regelung die notwendige Kopplung von Abschottung und utilitaristischem Punktesystem zum Ausdruck: Es gibt die Rot-Weiß-Rot-Card, die, ohne dass andere Routen der Einwanderung in irgendeiner Weise beseitigt werden, neue eröffnet. Es ist ja nichts gemacht worden gegen den Zuzug von Illegalen oder von Scheinlegalen nach Österreich. Es ist ja keiner dieser Wege, durch den die Masseneinwanderung kommt, dadurch auch nur eingeschränkt worden. Es ist dem Asylmissbrauch nicht entgegengetreten worden.185

Die Rot-Weiß-Rot-Karte ist aber nicht nur hinsichtlich des notwendigen migrationspolitischen Kontexts, sondern auch in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung durch Sekuritisierungsprozesse geprägt. Papademetriou/Sumption (2011, 3 – 4) weisen in ihrem Vergleich von unterschiedlichen Formen der Steuerung ökonomischer Migration darauf hin, dass Punktesysteme den Vorteil haben, dass sie stärker als »employer-driven systems« die Berücksichtigung von außerökonomischen Faktoren erlauben. Am Beispiel des Kriteriums der »Sprachkenntnisse« lässt sich die Kopplung dieser anderen Faktoren an Sekuritisierungsprozesse illustrieren. 185 Abg. Hübner (FPÖ), XXIV. GP, 103. Sitzung, Debatte zum Fremdenrechtsänderungsgesetz, April 2011.

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Unabhängig von der Frage der Relevanz des Spracherwerbs für individuelle Chancen und Möglichkeiten kann festgestellt werden, dass die Frage des Spracherwerbs durch MigrantInnen nach 1989 hauptsächlich als ein Element der Sekuritisierung – speziell der Inszenierung von MigrantInnen als Gefahr für die kulturelle Identität – aufs Tapet gebracht wurde. Die Frage des Spracherwerbs wurde dabei eng an die Integrationsproblematik gekoppelt und trat vor allem in zwei weiter oben diskutierten Kontexten in Erscheinung: als bildungspolitisches Problem und als kulturpolitische Bedrohung in Form von Parallelgesellschaften. In beiden Fällen wird die Frage des Spracherwerbs nicht als Recht von MigrantInnen verhandelt, wie das etwa Sari (1988) Ende der 1980er-Jahre noch tun konnte, sondern als scheinbar selbstverständliche Forderung an die Betroffenen, von deren Erfüllung die Zu- oder Aberkennung fundamentaler Rechte abhängig gemacht wird. Ich war bei Puls 4, bei einer Diskussion zum Abg. Tamandl (ÖVP), XXIV. GP, Thema Islam. Dort ist in Filmen zutage getreten, 103. Sitzung, Debatte zum dass Leute im 12. Bezirk, die bereits 18 Jahre lang Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, in Österreich sind, nicht Deutsch reden können, April 2011 dass sie in einem Interview nicht einmal eine Antwort geben können auf Fragen wie: Wo kommen Sie her? Wie lange sind Sie da? Wie geht es Ihnen hier? […] Darum müssen wir die Menschen besser integrieren. Das werden wir mit der Zuwanderung, mit einer geregelten Zuwanderung, mit der Rot-Weiß-Rot-Card bewältigen. Abg. Hagen (BZÖ), XXIV. GP, Zum Schluss möchte ich noch kurz auf den Ausländercheck des BZÖ zu sprechen kommen. 103. Sitzung, Debatte zum Fremdenrechtsänderungsgesetz, April Genau da greift dieser Ausländercheck ein. Es werden diese Probleme und diese Maßnahmen – 2011 ich kann jetzt aufgrund der vorangeschrittenen Zeit nicht mehr weiter darauf eingehen – angepackt und die Situation verbessert. Familienleistungen werden an das Erlernen von Deutsch und an die Integrationswilligkeit gebunden. Nur so kann man es richtig machen! Wir wollen daher, dass jene Menschen, die am Abg. Kiss (ÖVP), XXI. GP, Leben bei uns teilnehmen, die Kultursprache 109. Sitzung, Debatte zur Novelle des Deutsch, unsere Sprache Deutsch, die Sprache, Fremdengesetzes, Juli 2002 die wir in unserem Land sprechen, beherrschen, und zwar in den Grundzügen, selbstverständlich im Alltag und darüber hinaus auch immer dann, wenn sie auf dem Arbeitsmarkt integriert sein wollen. Ohne diese Voraussetzung wird es den Schlüssel zu ihren Mitmenschen – und das sind nun einmal die Österreicher, die hier leben – nicht geben können. Tabelle 12.2: Sicherheitstopos und Spracherwerb

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Tabelle 12.2 gibt Beispiele für verschiedene Aspekte dieses Zusammenhangs. Die Ausführungen der ÖVP-Mandatarin Tamandl stehen exemplarisch für verschiedene Formen der Skandalisierung, die implizit oder explizit das Bild der Parallelgesellschaft evozieren. Aus dem wörtlich Gesagten geht nicht hervor, worin das Problem besteht, wenn jemand über Jahrzehnte ohne Sprachkenntnisse in Österreich lebt. Erst die implizite Vorstellung, dass eine Parallelgesellschaft entsteht, die zur identitätspolitischen Bedrohung wird, macht das Argument nachvollziehbar. Das zweite Zitat zeigt, wie auf dieser Grundlage, anhand des Sprachkriteriums, die differenzielle Entrechtung als Forderung formuliert werden kann. Auch diese ist nicht so selbstverständlich, wie sie hingenommen wird: Die Forderung, fundamentale staatsbürgerschaftliche Rechte allgemein von der individuellen Artikulationsfähigkeit abhängig zu machen, ist in derzeitigen politischen Kontexten kaum vorstellbar. Das dritte Zitat verdeutlicht die identitätspolitische und ethnisierte Komponente der Sprachfrage. Für die Rot-Weiß-Rot-Karte konnten Sprachkenntnisse als Kriterium ohne größere Umstände festgelegt werden, weil in den Jahrzehnten davor sekuritisierte juridische und diskursive Vorarbeiten geleistet worden waren. Erstmals explizit als rechtliches Differenzierungskriterium wurden Sprachkenntnisse im Staatsbürgerschaftsgesetz 1998 eingeführt, damals als noch relativ offene Forderung nach Basiskenntnissen des Deutschen. Der Höhepunkt der Problematisierung der Sprachfrage fällt in die Zeit der FPÖ/ÖVP-Regierung in der ersten Hälfte der 2000er-Jahre, wie aus Abbildung 12.1 hervorgeht. Sprache als wesentliches Differenzierungsmerkmal wird in dieser Phase fast doppelt so häufig genannt wie über den gesamten Zeitraum. Gleichzeitig ist auch »Integration« als zentrale Problematik erkennbar, ebenso wie generell sekuritisierende Problematisierungen eine große Rolle spielen. Im Vergleich zu den frühen 1990erJahren (Abb. 9.2) verlieren lediglich Bezugnahmen auf »Illegalität« an Relevanz. Vor diesem Hintergrund wurden mit der Einführung der noch heute bestehenden Integrationsvereinbarung Sprachkenntnisse nicht nur zur Anforderung für die Einbürgerung, sondern auch für die Verlängerung des rechtmäßigen Aufenthalts. Über die Folgejahre wurden die geforderten Sprachniveaus und Kursstunden im Staatsbürgerschafts- und im Aufenthaltsrecht sukzessive erhöht. Dass Kenntnisse des Deutschen keine selbstverständliche Voraussetzung für das Recht auf Arbeitsplatzsuche sind, sondern als solche etabliert werden müssen, zeigt sich an einer Detailregelung der Rot-Weiß-Rot-Karte: Sprachkenntnisse können in Deutsch oder Englisch nachgewiesen werden. Warum Englisch als Wirtschaftssprache in Wien Erfolg versprechender sein soll als etwa Türkisch, ist nicht unmittelbar einsichtig. Vor allem fällt auf, dass weder in der parlamentarischen noch in der medialen Auseinandersetzung die Gleichstellung des Englischen thematisiert wurde. Nicht nur die Forderung nach Deutschkenntnissen,

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Die Rot-Weiß-Rot-Karte

Abbildung 12.1: Schlüsselbegriffe für zentrale Problemdimensionen: 2000 – 2006

auch die Ausnahme davon scheint selbstverständlich und in diesem Sinn unproblematisch. Zu vermuten ist, dass die Sonderstellung des Englischen mitsamt ihrer allgemeinen Akzeptanz mit einer zweiten Art der Sekuritisierung verwoben ist, die komplexer ist als jene über die Sprachfrage und für die grundsätzliche Logik der Rot-Weiß-Rot-Karte wesentlich ist. Über die letzten Jahre wurde nach und nach »Qualifikation« zu einem Kriterium, das, so wie Sprache, mit der Zeit zur als legitim geltenden Grundlage für die Zu- und Aberkennung von Rechten wurde. Auch dieses Differenzierungskriterium ist das indirekte Ergebnis der Sekuritisierungsprozesse der vergangenen Jahrzehnte. Wesentliche Elemente der Sekuritisierung im Hinblick auf öffentliche Ordnung und soziale Sicherheit waren

Die Rot-Weiß-Rot-Karte als sekuritisiertes Steuerungsinstrument

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diskursiv an Tätigkeiten in niedrig entlohnten (und als »niedrig qualifiziert« angesehenen) Arbeitssegmenten verbunden: Schwarzarbeit und Lohndumping ebenso wie die Kopplung an Arbeitslosigkeit. Das soll nicht heißen, dass es in höher bezahlten Arbeitsverhältnissen keine undokumentierte Arbeit gibt oder keine Versuche, Löhne über die Beschäftigung migrantischer Arbeitskraft zu senken; allerdings überwiegen in den dominanten Darstellungen Kopplungen dieser Problematiken an klassische Gastarbeiter- und, aktuell, Saisonarbeiterbranchen. Die Entwicklung der Häufigkeit von Bezugnahmen auf Schlüsselkräfte und Qualifikation als Differenzierungskriterium lässt jedenfalls erkennen, dass es sich um ein relativ junges Thema handelt, das aber insgesamt dem Verlauf der sekuritisierten Problematisierung der Sprachfrage folgt (Abbildung 12.2).

Abbildung 12.2: Bezugnahmen auf Qualifikation und Sprache im Korpus, 1980 – 2011, »Qualifikation« als Summe von Referenzen auf Fachkräfte, Schlüsselkräfte und (hoch) qualifizierte Arbeitskräfte

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Die Rot-Weiß-Rot-Karte

Die Rot-Weiß-Rot-Karte beruht, zusammenfassend, sowohl darauf, dass andere Migrationskanäle geschlossen werden, als auch auf den umfassenden Prozessen der Sekuritisierung von Migration, die entlang mehrerer Dimensionen Migration als existenzielle Bedrohung inszenieren. Sie ist damit ebenso sehr Ausdruck jüngst durchgesetzter »Deportationsregime« und eines »aggressive civic integrationism« wie der »Wiederentdeckung der Gastarbeit«. Dabei geht es, wieder, nicht nur um schlichte Kompromisse oder darum, dass PolitikgestalterInnen vor einer komplexeren Aufgabe stehen, weil auch die Risiken der Migration zu berücksichtigen sind. Vielmehr spielt die Sekuritisierung von Migration eine ermöglichende und notwendige Rolle für die Durchsetzung und das Funktionieren eines »rationalen« Migrationsmanagements.

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Resümee und Ausblick

13.1 Zusammenfassung: die Logik der Entrechtung Aus einer regimetheoretischen Perspektive und gestützt auf eine breite historische Datenbasis ist die vorliegende Arbeit der Frage nachgegangen, auf welche Arten das Wechselspiel von Sekuritisierung und Ökonomisierung die Entwicklung neuer Formen der politischen Regulation der Arbeitsmigration in Österreich geprägt hat – von den ersten Anfängen der rechtlichen Migrationssteuerung in den 1920er-Jahren über die fordistischen Gastarbeitsprogramme bis zu aktuellen Formen eines Migrationsmanagements. Ausgangspunkt des zugrunde liegenden Dissertationsprojekts waren sozialwissenschaftliche Einschätzungen aktueller migrationspolitischer Entwicklungen, die einen fundamentalen Wandel weg von restriktiver Abschottungspolitik hin zu einem nüchtern nutzenorientierten, »rationalen« Politikzugang diagnostizieren. Auf der Grundlage von Jessops strategisch-relationaler Staatstheorie und Foucaults Diagnose der liberalen Regierungskunst wurde im Theorieteil der Arbeit argumentiert, dass sowohl die Ökonomisierung als auch die Sekuritisierung von Migration strukturelle Tendenzen liberaler Nationalstaaten sind. Die Ökonomisierung von Migration ergibt sich aus der utilitaristischen Fundierung des Liberalismus: Liberale Politik hat die Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Markt und Bevölkerung ihren je eigenen Gesetzmäßigkeiten folgend funktionieren können. In diesem Kontext ist Migration eine der Variablen, über die liberale Politik das Gleichgewicht zwischen ökonomischen und demographischen Dynamiken herstellen kann. Die Sekuritisierung von Migration folgt aus der zentralen Daseinsberechtigung liberaler Regierungen: das gesellschaftliche Ganze vor einem Missbrauch zu bewahren, der aus einem zu viel an Freiheit resultiert. Migration kann in diesem Zusammenhang auf drei fundamentale Arten als Bedrohung auftreten und inszeniert werden: als Bedrohung für soziale Sicherungssysteme, kulturelle Identitäten und die öffentliche Ordnung. Das zentrale Ergebnis der Arbeit sehe ich in der Identifikation eines wie-

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Resümee und Ausblick

derkehrenden Wechselspiels von Sekuritisierung und Ökonomisierung. Die Sekuritisierung erlaubt die Durchsetzung von Maßnahmen, die zuvor (»unter normalen Umständen«) nicht als legitim oder denkbar gegolten haben. Im Fall der Migration bedeutet das vor allem die Möglichkeit, MigrantInnen fundamentale (staatsbürgerschaftliche) Rechte vorzuenthalten. Sind Entrechtungen einmal durchgesetzt, können sie im Rahmen utilitaristischer Programme instrumentell genutzt werden. Der Beitrag der Sekuritisierung zu ökonomischen Migrationsprogrammen besteht demnach nicht einfach darin, dass neben den mit Zuwanderung verbundenen Chancen eben auch die mit ihr einhergehenden Risiken berücksichtigt werden, also quasi zwischen Nutzen und Gefahren ein goldener Mittelweg gewählt wird. Vielmehr spielt die Sekuritisierung von Migration eine notwendige, ermöglichende Rolle für die Entwicklung neuer ökonomischer Steuerungsformen. Unter anderem schafft die Inszenierung der Migration als (existenzielle) Gefahr den diskursiven Rahmen für außergewöhnliche Maßnahmen. Im Fall des Inlandarbeiterschutzgesetzes wurde eine derartige diskursive Konstellation gegen den deklarierten Widerstand wirtschaftsliberaler Kräfte genutzt, um die rechtliche Differenzierung zwischen in- und ausländischer Arbeitskraft zu etablieren; Anfang der 1990er-Jahre nutzten, demgegenüber, wirtschaftsliberale Kräfte den sekuritisierten Kontext, um eine jahrzehntelange Forderung nach einem weitgehend entrechteten Saisonarbeiterstatus durchzusetzen – und das in einem für eine solche Forderung denkbar ungünstigen Bedingungsgefüge von hoher Arbeitslosigkeit und ohnehin steigenden Migrationszahlen. In den 1920er- wie auch in den 1990er-Jahren war die Sekuritisierung von Migration eine notwendige Bedingung, um neue rechtliche Diskriminierungen einführen zu können. Über diese indirekt ermöglichende Rolle hinaus sind zentrale Instrumente zur Steuerung der Arbeitsmigration immanent sekuritisiert. Der Saisonarbeiterstatus war auch ein Instrument im Kampf gegen Schwarzarbeit; die Bundeshöchstzahlen sind durch die Vorstellung einer ethnischen Toleranzschwelle und Bestrebungen zur Kontrolle des Arbeitsmarkts geprägt. Die Rot-Weiß-RotKarte schließlich setzt nicht nur die parallele Abschottung anderer Migrationskanäle voraus, sondern übersetzt auch zentrale Formen der Sekuritisierung aus den 1990er- und 2000er-Jahren in scheinbar neutrale Kriterien der Arbeitskräftebewertung. Sie ist ebenso sehr das Resultat der Entwicklung eines neuen Deportations- und eines rigiden Integrationsregimes wie eines utilitaristischen Pragmatismus. Das soll nicht heißen, dass es belanglos ist, ob Zuwanderung prinzipiell als nützlich begrüßt oder als Gefahr inszeniert und abgelehnt wird, ob also eine größere oder eine kleinere Zahl an MigrantInnen akzeptiert wird. Allerdings sind Einwanderungszahlen nur ein Aspekt zur Bewertung migrationspolitischer

Zusammenfassung: die Logik der Entrechtung

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Programme. Wesentliche andere betreffen die Logik, in die diese Programme eingebettet sind, und die Art der rechtlichen Instrumente, die sie voraussetzen. Wird Migration aus einem Nutzenkalkül heraus begrüßt, dann bleibt die daran gekoppelte Bewegungsfreiheit immer eine bedingte; vor allem kann sie, bei Umkehrung der vermuteten Kosten-Nutzen-Konstellation, problemlos ins Gegenteil gedreht werden. Die Frage, welche Formen und Ausmaße der Entrechtung als legitim durchgesetzt sind, ist zentral dafür, wie flexibel utilitaristisch geprägte Programme auf Veränderungen reagieren können. In der differenziellen Entrechtung von MigrantInnen treffen sich sekuritisierende und ökonomisierende Problematisierungen. Die differenzielle Entrechtung ganzer Personengruppen ist keine triviale Fähigkeit nationaler Staaten – das zeigt sich schon daran, dass alle wesentlichen Einschnitte der letzten Jahrzehnte erst auf der Grundlage einer Sekuritisierung von Migration durchgesetzt wurden. Sie setzt vor allem die Möglichkeit voraus, »einen Unterschied zu machen« zwischen jenen, denen Rechte zugestanden werden, und jenen, denen sie vorenthalten werden. Am Beispiel der Unterschiede zwischen den diskursiven Figuren der GastarbeiterInnen und der GrenzgängerInnen hat sich gezeigt, wie die Thematisierung als politisches Subjekt mit der Betonung unhintergehbarer Rechte einhergeht, während die Reduktion von MigrantInnen auf Variablen in Kosten-Nutzen-Kalkülen mit der Negierung ihres Subjektstatus Hand in Hand geht. Sowohl die Sekuritisierung als auch die Ökonomisierung haben damit eine identitätspolitische Komponente. Diese zeigt sich schon in der Grundstruktur der jeweiligen Topoi: Der Sicherheitstopos unterstellt eine zu schützende Einheit, im gegebenen Kontext die nationale Bevölkerung, der Nutzentopos setzt die Vorstellung eines Kollektivs voraus, dessen gemeinsames Interesse sinnvoll kalkulierbar ist. Die Wirkmächtigkeit nationaler Identitätsbezüge ist ein möglicher Grund für die Beständigkeit einmal etablierter Entrechtungen. Die Gleichstellungsgeschichte der »Volksdeutschen« illustriert, dass die Beseitigung rechtlicher Schlechterstellungen einen Prozess der Desekuritisierung erfordert – der Neueinbettung der Migrationsproblematik in einen Gerechtigkeits- und Gleichheitsdiskurs. Im Fall der »Volksdeutschen« war eine solche Neueinbettung aufgrund der damaligen identitätspolitischen Konstellation möglich. Diese erlaubte unter anderem, Lobby-Arbeit bis weit in die Sphäre der offiziellen Politik hinein zu entfalten. Dazu kamen andere ermöglichende Faktoren wie das rasche Wirtschaftswachstum und die spezifische Nachfrage nach landwirtschaftlichen Arbeitskräften. Abgesehen vom identifizierten wiederkehrenden Wechselspiel von Sekuritisierung und Ökonomisierung haben die dargestellten Befunde eine weitere wichtige Implikation. Die theoretischen Vorannahmen haben die These begründet, dass Sekuritisierung und Ökonomisierung von Migration eher die

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Resümee und Ausblick

Regel denn historische Ausnahmen sind – tatsächlich zeigen sich beide über den gesamten untersuchten Zeitraum. Die Annahme eines in den letzten Jahren erfolgten, bruchhaften Übergangs von »Abschottung« zu »Management« lenkt daher von zentralen Kontinuitäten und Wechselwirkungen ab. Die Ökonomisierung von Migration wurde nicht am Ende der Gastarbeiterära zu Grabe getragen und vor Kurzem wiederentdeckt; und die Sekuritisierung von Migration ist kein singuläres Phänomen, das für die Jahre nach dem Kalten Krieg spezifisch ist, wie die Analysen der Copenhagen School implizieren (Waever et al. 1993; Buzan et al. 1998). Schon rund um die Einführung des Inlandarbeiterschutzgesetzes zeigten sich alle drei von Huysmans (2006) diagnostizierten Formen der Sekuritisierung von Migration: als Gefahr für die kulturelle Identität, für die soziale Sicherheit und für die öffentliche Ordnung. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg waren alle drei Formen der Sekuritisierung feststellbar, wenn auch Migration insgesamt kein zentrales politisches Thema war. So war die Übernahme der fremdenrechtlichen Regelungen aus der NS-Zeit kein Unfall, sondern ein politischer Prozess, in dem mit der prekären Suche nach einer österreichischen Nationalidentität einzelne Verschärfungen speziell im Ausländerbeschäftigungsrecht einhergingen. Auch die Debatten um das Ausländerbeschäftigungsgesetz 1975 zeigen deutliche Spuren einer Sekuritisierung, der Fokus lag dabei auf Gefahren für die soziale Sicherheit, speziell in puncto Arbeitslosigkeit. Die Intensität und die konkreten Formen der Problematisierung von Migration hängen vom politisch-ökonomischen Gefüge ab. So habe ich, beispielsweise, die Sekuritisierung von Migration nach 1989 als Ergebnis eines vielschichtigen Transformationsprozesses beschrieben, der auf verschiedenen Ebenen dazu führte, dass sich die Wahrnehmung der Migration und die Formen ihrer gesellschaftlichen Bearbeitung grundlegend wandelten. In diesem Prozess spielten auch in Österreich Akteure aus den Sicherheitsapparaten eine zentrale Rolle; die von ihnen gesetzten Initiativen sind als Reaktion auf eine veränderte geopolitische Konstellation zu deuten, die eine innerstaatliche Neuausrichtung notwendig machte. Dass sie erfolgreich waren, ist wiederum durch die allgemein gestiegene wirtschaftliche und identitätspolitische Verunsicherung in den Wendejahren erklärbar (Bigo 2001/2002). Die Bedeutung des politisch-ökonomischen Kontexts zeigt sich nicht nur im Fall der Sekuritisierung. Die Veränderungen in den Formen der Regulation der Arbeitsmigration sind auf vielfältige Arten an gesellschaftliche Transformationsprozesse gebunden. Das betrifft das Problem, das sich stellt, ebenso wie die Arten seiner politischen Bearbeitung und der gefundenen Lösungen. Das Problem zur Zeit der Gastarbeit bestand in strukturell bedingten Inflationsrisiken und der Arbeitskräfteknappheit in einem Kontext, in dem an eine Entrechtung inländischer Arbeitskräfte nicht zu denken war. Die Segmentierung des Arbeitsmarktes, die vermittelt über die Rekrutierung migrantischer Arbeitskräfte

Zusammenfassung: die Logik der Entrechtung

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für niedrig entlohnte Tätigkeiten in der Industrie zustande kam, erwies sich als eine den gesellschaftlichen Umständen angemessene Lösung, die auch dem sozialpartnerschaftlichen Modus der Verhandlung des kollektiven Interesses entsprach: Sowohl der ÖGB als auch die Unternehmerseite trug die gezielte Rekrutierung von ArbeitsmigrantInnen in Niedriglohnsegmente mit. Im Gegensatz zu anderen Befunden (etwa Wimmer 1986a; Bauböck 1996; Perchinig 2010) wurde das parlamentarische Schweigen zur Gastarbeit in dieser Arbeit dabei nicht primär als Symptom eines intransparenten Korporatismus, sondern vor allem als Indiz dafür gedeutet, dass die etablierten Instrumentarien im Groben den vorherrschenden politischen Verhältnissen entsprachen und daher keinen umfassenden Problematisierungsprozess erforderten. In den 1990er- und 2000er-Jahren war die Problemlage eine ganz andere. Die Intensivierung transnationaler Wirtschaftsbeziehungen und die Vorstellung vom Wettstreit um »die besten Köpfe« waren mit dem neuen Problem der ElitenArbeitsmigration verbunden. Gleichzeitig verschob sich in benachteiligten Arbeitsmarktsegmenten die Nachfrage von industriellen Hilfstätigkeiten in andere Bereiche, allen voran Dienstleistungsbranchen, Baubranche und Landwirtschaft. Die Lösung für diese neue Konstellation lag in einer rechtlichen Ausdifferenzierung – mit Abstufungen von weitgehender Gleichstellung bis zu radikalisierten Formen der erzwungenen Temporalisierung. Der Prozess zur Durchsetzung dieser Lösungen nahm Jahrzehnte in Anspruch, die von sekuritisierten Diskussionen geprägt waren. Die Politisierung der Migration ab Mitte der 1980er-Jahre erscheint vor diesem Hintergrund eher als Begleitgeräusch zur Durchsetzung vielfältiger Entrechtungen denn als demokratischer Prozess der Parlamentisierung der Migrationspolitik (Perchinig 2010; Kraler 2011). Die Analysen in dieser Arbeit unterstreichen nicht nur die strukturelle Verankerung politischer Problematisierungsweisen, sondern auch die konflikthaften Prozesse der schrittweisen Entwicklung von den historischen Umständen entsprechenden Lösungen. Wie zielführend es ist, in der Analyse der zugrunde liegenden politischen Prozesse die involvierten Akteure primär auf einer Achse von Pro- versus Anti-Migrations-Standpunkten anzuordnen, ist zumindest diskussionswürdig. Eher als um die Frage, ob überhaupt oder in welchem Ausmaß Migration zugelassen werden soll, geht es darum, wer unter welchen Bedingungen und mit welchen Perspektiven gesellschaftlich tätig sein kann, welche Rechte als allgemein und unveräußerlich gelten und wie einmal durchgesetzte Entrechtungen wieder rückgängig gemacht werden können.

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Resümee und Ausblick

13.2 Ausblick: am Weg zu Europäisierung und Verrechtlichung? Die Ausführungen dieser Arbeit haben sich auf einen relativ engen Teilbereich der politischen Regulation von Migration konzentriert. Der Fokus auf dem Wechselspiel von Sicherheits- und Nutzenlogik lässt eine Reihe von Fragen für zukünftige Forschungsarbeiten offen. Eines der wichtigsten Probleme betrifft dabei das Verhältnis der untersuchten zu anderen migrationspolitischen Logiken. Sekuritisierung und Ökonomisierung decken nicht den gesamten diskursiven Raum der Migrationspolitik ab. Argumentationen, die um Gerechtigkeitsund Gleichheitstopoi strukturiert sind – wie sie aktuell etwa europaweit in den verschiedenen Refugee-Bewegungen präsent sind –, sind dabei von spezieller Relevanz. Wie am Beispiel der »Volksdeutschen« gezeigt, stehen Gerechtigkeit und Gleichheit als Leitideen in einer fundamentalen Spannung zu versicherheitlichenden und nutzenorientierten Argumentationen, weil sie den Subjektstatus von MigrantInnen betonen. Gerade Aspekte einer Gerechtigkeitslogik wären dabei im Verhältnis zu einer der zentralen Diagnosen zum österreichischen Migrationsregime der vergangenen Jahrzehnte zu analysieren: der Diagnose von der Verrechtlichung der Migrationspolitik (zum Hintergrund dieser Diagnose siehe etwa Kraler 2011). Dieser Einschätzung zufolge brachte die Politisierung von Migration ab den 1980er-Jahren zwei positive Effekte: Erstens traten Migrationsfragen aus den mehr oder weniger geheimen sozialpartnerschaftlichen Verhandlungskontexten auf die öffentliche Bühne des Parlaments und wurden in diesem Sinn demokratisiert. Damit war zweitens ein Prozess der Anerkennung von Lebensumständen wie Familienverhältnissen und Aufenthaltslänge verbunden, woraus sich für einige MigrantInnengruppen eine weniger unsichere rechtliche Stellung ergab. Die Analysen in dieser Arbeit lenken den Blick auf deutlich negativere Aspekte dieser Entwicklungen. Zwar ist unstrittig, dass bestimmte Gruppen erweiterte Rechtsansprüche genießen, insgesamt bleibt Arbeitsmigration aber ein Rechtsbereich, in dem fundamentale Rechte einer instrumentellen Logik folgend zu- oder aberkannt werden. Das Migrationsrecht ist in diesem Sinn auch und vorwiegend ein Modus der gouvernementalen Steuerung. Die Politisierung von Migration (die nicht synonym ist mit migrationspolitischer Demokratisierung) hat nicht nur zu mehr Öffentlichkeit der politischen Verhandlung geführt, sie war und ist gleichzeitig ein wesentlicher Bestandteil der dabei involvierten Entrechtungsmechanismen: Bestimmte Formen der politischen Problematisierung schaffen erst die Möglichkeit zur Durchsetzung neuer Formen der Entrechtung. So konnten jene Kriterien, die einzelnen Gruppen (etwa der sogenannten Zweiten und Dritten Generation) zur Durchsetzung begrenzter Besserstellungen dienten, in anderen Kontexten für neue Formen der differenziellen Entrechtung genutzt werden – die dauerhafte Temporalisierung von

Ausblick: am Weg zu Europäisierung und Verrechtlichung?

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Saisonbeschäftigten ist ein augenfälliges Beispiel. Vor diesem Hintergrund muss die Frage, wie Gerechtigkeits- und Gleichheitsargumentationen im Detail zur Diagnose der Verrechtlichung stehen, zukünftigen Untersuchungen vorbehalten bleiben. Ein zweiter Problembereich betrifft das Verhältnis der nationalen zu anderen Ebenen der politischen Regulation. Im Kontext der Europäischen Union ist diese Frage zentral. Seit dem Vertrag von Amsterdam aus dem Jahr 1997 sind migrationspolitische Angelegenheiten prinzipiell EU-Gemeinschaftssache. Wie weit der Prozess der Europäisierung tatsächlich fortgeschritten ist, ist umstritten (Menz 2009; Geddes/Boswell 2011; Buckel 2013). Das gesamteuropäische und die nach wie vor bestehenden nationalen Migrationsregime sind seither jedenfalls in einem komplexen Prozess miteinander verkoppelt. Da es in dieser Arbeit weniger um die exakte Bestimmung rechtlicher Regelungen und Verfahren ging als um die diskursiven Bedingungen und strukturellen Rahmenbedingungen, die bestimmte Maßnahmen überhaupt erst möglich machen, wurde den mit diesen konkreten juridischen und administrativen Prozessen verbundenen Komplexitäten nicht nachgegangen. Auch aus der diskurstheoretischen Diskussion ergeben sich aber Anschlusspunkte an aktuelle Diskussionen in der Migrationsforschung. Erstens stellt sich die Frage nach dem Charakter und der tatsächlichen Reichweite der aktuellen Transnationalisierung der Migrationspolitik. Das Inlandarbeiterschutzgesetz wurde weiter oben als Element eines Konstitutionsprozesses der österreichischen Nation beschrieben. Die Gastarbeit half, einen nationalen Interessensausgleich zu organisieren. Wie stehen aktuelle Maßnahmen, die unter Umständen nur die Übersetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht darstellen, zu nationalstaatlichen Projekten? Wie weit reicht der von Jessop als post-national bezeichnete Aspekt aktueller politischer Formationen? Zweitens ist nach der adäquaten Charakterisierung des europäischen Migrationsregimes im Spannungsfeld von Rechts-, Sicherheits- und Nutzenlogik zu fragen. Einerseits steht die EU für Prozesse der rechtlichen Absicherung von MigrantInnen und für einen gewissen Schutz aller UnionsbürgerInnen vor (national-)staatlicher Willkür – in diesem Sinn ist sie auch ein verrechtlichender und einer humanitären Logik folgender Akteur. Der Europäische Gerichtshof und das Europaparlament sind Institutionen, die häufig mit dieser Seite des europäischen Migrationsregimes verknüpft werden. Auf der anderen Seite stehen eine mittlerweile jahrzehntelange Geschichte der massiven Sekuritisierung, angefangen bei der Trevi-Gruppe und dem Schengener Abkommen über Frontex zu Eurosur, und eine treibende Rolle in der Implementierung eines utilitaristischen Migrationsmanagements. In welchen Arenen und von welchen Akteuren werden Sekuritisierung und Ökonomisierung auf EU-Ebene ausgetragen? Welche Rolle spielen welche institutionellen Akteure?

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Resümee und Ausblick

Das führt drittens zur Frage nach neuen identitätspolitischen Konstellationen. Sekuritisierung und Ökonomisierung erfordern, wie in dieser Arbeit mehrfach betont, ein zu schützendes bzw. als Basis zur Nutzenmaximierung dienendes Referenzobjekt. Werden dabei nationale von anderen Grenzziehungen abgelöst? Wie stehen post-nationale Identitätspolitiken zu aktuell zu beobachtenden nationalistischen Bewegungen, speziell, aber nicht nur in den neuen Mitgliedsstaaten? Wie sind diverse, noch immer nationalstaatlich organisierte Handlungsfelder – Medien und Bildungssysteme sind Beispiele – in diese Prozesse involviert? Was die Verallgemeinerbarkeit der präsentierten Befunde auf andere nationale Settings betrifft, muss betont werden, dass Österreich in manchen Hinsichten gewiss ein spezieller Fall ist. Schon aufgrund geographischer Gegebenheiten kann etwa angenommen werden, dass sowohl die Existenz des Eisernen Vorhangs und die mit ihm verbundene geopolitische Ordnung als auch deren Ende eine vergleichsweise gewichtige Rolle für die Entwicklung des österreichischen Migrationsregimes gespielt haben. Auch die zentrale Rolle rechtsextremer politischer Formationen kann als Faktor interpretiert werden, der die Vergleichbarkeit mit anderen Nationalstaaten einschränkt. Trotzdem ist anzunehmen, dass zentrale Befunde dieser Arbeit allgemein gelten. Die beschriebenen Zusammenhänge zwischen politisch-ökonomischen Ordnungen, Problematisierungsweisen und der Entwicklung neuer migrationspolitischer Instrumente betreffen sehr allgemeine Aspekte der gesellschaftlichen Formationen in der Zeit des Fordismus und den Jahrzehnten seit Mitte der 1970er-Jahre. Deshalb ist nicht anzunehmen, dass es sich dabei um österreichische Idiosynkrasien handelt. Als Indiz für die Verallgemeinerbarkeit über den Fall Österreich hinaus mögen die offenkundigen Parallelen mit den Entwicklungen in anderen Staaten dienen: Praktisch alle Staaten des globalen Westens und Nordens haben in den Nachkriegsjahrzehnten der Gastarbeit vergleichbare Migrationsprogramme installiert (Castles/Kosack 1973; Hammar 1985), Prozesse der Politisierung von Migration ab Mitte der 1980er-Jahre wurden für praktisch alle westeuropäischen Staaten festgestellt (Messina 2007) und zentrale Elemente des aktuellen österreichischen Migrationsregimes wurden in ähnlicher Form und in denselben Zeiträumen in anderen Staaten durchgesetzt (Plewa/Miller 2005; Menz 2009). Das Ziel meiner Arbeit war, zum Verständnis und zur Einschätzung migrationspolitischer Entwicklungen beizutragen – nicht zuletzt deshalb, weil SozialwissenschaftlerInnen zunehmend in die Gestaltung der Migrationspolitik einbezogen werden. Gerade in einem Feld, in dem es oft genug im wahrsten Sinn des Wortes um Menschenleben, immer aber um die Frage geht, wem unter welchen Bedingungen als fundamental anerkannte Rechte zu- oder aberkannt werden können, ist ein tief greifendes Verständnis zugrunde liegender Dynamiken unerlässlich.

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Die Integration der Sozialwissenschaften in Regime des Migrationsmanagements kann dabei selbst als ein Element der Durchsetzung neuer Formen der expertengestützten, technokratischen, scheinbar neutralen Steuerung des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs gelesen werden. Zumindest indirekt ist sie damit Teil der gesellschaftlichen Transformationen, die neue Formen der differenziellen Entrechtung – wie sie im kombinierten System aus Saisonarbeit und Rot-Weiß-Rot-Karte zum Ausdruck kommen – möglich gemacht haben. Dieser Prozess ist heute weit fortgeschritten, war aber vor 30 Jahren nicht vorgezeichnet. Vieles davon, was heute selbstverständlich und schlicht vernünftig scheint, war vor wenigen Jahrzehnten nicht denk- oder sagbar.

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Abg. AHWGI AMS AuslBG BGBl. BM BMfsVW BRD BZÖ CEC EASt EU FPÖ GCIM GP IASchG ICEM IOM IRO IWF KPÖ NGO ÖGB ÖVP SPÖ TMWP UdSSR UNHCR UNRRA USA VdU VfGH WiFo

Abgeordnete/r Ad Hoc Working Group on Immigration Arbeitsmarktservice Österreich Ausländerbeschäftigungsgesetz Bundesgesetzblatt Bundesminister Bundesministerium für Soziale Verwaltung Bundesrepublik Deutschland Bündnis Zukunft Österreich Commision of the European Communities Erstaufnahmestelle Europäische Union Freiheitliche Partei Österreichs Global Commission on International Migration Gesetzgebungsperiode Inlandarbeiterschutzgesetz Intergovernmental Committee for European Migration International Organization for Migration International Refugee Organization Internationaler Währungsfonds Kommunistische Partei Österreichs Nichtregierungsorganisation Österreichischer Gewerkschaftsbund Österreichische Volkspartei Sozialdemokratische Partei Österreichs Temporary Migrant Worker Programme Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations High Commissioner for Refugees United Nations Relief and Rehabilitation Administration United States of America Verband der Unabhängigen (Vorläufer der FPÖ) Verfassungsgerichtshof Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung

342 WK WKÖ WTO

Abkürzungen

Wirtschaftskammer Wirtschaftskammer Österreich World Trade Organization