Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine 3795306019

Die Legendensammlung des Jacobus de Voragine war neben den Martyrologien über viele Jahrhunderte eine der wichtigsten Qu

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Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine
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Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine

Die Legenda aurea Deutsch

Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine Aus dem Lateinischen übersetzt von

Richard Benz

Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt

Lizenzausgabe 1984 für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft

Darmstadt

Der Band erscheint im Originalverlag in der -Sammlung Weltliteratur,

S9 Bestellnummer 7451-3 1o. Auflage 1984 © 1984 Verlag Lambert Schneider GmbH. Heidelberg Alle Rechte vorbehalten. Gedruckt vom Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten Printed in Germany

3nbalt

Einleitung von Richard Benz Folge der Legenden

IX XXXVIII

Das "Buch von den Legenden der Heiligen / Die hat gesammlet Bruder Jacobus von Genua / Predigerordens‫״‬

1

Register

1002

Die Quellen

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Dieses Werk ist in der sogenannten "Schwabacher" gesetzt und gedruckt, der am weitesten verbreiteten und beliebtesten Textschrift in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Friedrich Creussner in Nürnberg druckte 1485 das erste Buch in dieser

Schrift. at Die "Schwabacher" war eine der ersten Druck-

schriften. Sie ist aus der Kursivschrift des gotischen Typus hervorgegangen, die im Laufe des 13. Jahrhunderts Gestalt

annahm. In Italien war sie zur Zeit des Jacobus de Voragine als zügig geschriebene Kursiv mit einem ausgeprägten,

regelmäßigen Duktus weithin in Gebrauch.

Einleitung

Einleitung 1. rtem gotischen Dom i st ein Weltalter versteinert. Die ewigen -*-Formen leben unter uns. Die ewigen Räume sind uns aufgetan. Noch tönt uns die Raum-Mufik; noch glüht die Farbenmystik der Glas-Fenster; noch redet uns Goldgrund-Bild und Stein-Gestalt. Aber hinter diesen Räumen, Bildern und Gestalten ruht eine Welt der Dichtung und des Gedankens, die uns verborgen ist: die heiligen Sagen des Mittelalters sind verklungen, die heiligen Bücher sind verschollen; Worte dringen nicht mehr an unser Ohr. Was in Steinen gedacht ist, steht fest und dauert, zu zeitloser Kunstgestalt erhöht. Was aber in Worten gedacht und gedichtet ist, das wird ins Schicksal der Begriffe mit hineingezogen; der Verstand anderer Zeiten fragt nach dem Falsch und Richtig; Sinn-Bilder des Geistes werden als Erkenntnis-Irrtum für Fabel und Aberglaube erklärt, verworfen, -- vergehen. Was wisfen wir von dem Geist des Mittelalters? Ost er in den Bekenntnis-Streitigkeiten der Bischöfe und Abte? Ast er im Haß der Kaiser und Päpste? Wird er erkannt im historischen Geschehen? Die Taten einer Zeit spiegeln den Geist nicht, sie sind aus irdischer Not geboren. In den Werken lebt der Geist wohl — er enthüllt sich aber dem nicht, der nur von ihnen weiß, der nur die Ergebnisse des Denkens und Betrachtens kennt, die Fortschritte und Errungenschaften oder Irrtümer, aus denen in unfern Lehrbüchern das Bild eines vergangenen Zeitalters zusammengestückt wird. Darum fuhrt kein heutiges Lehrbuch mit noch so viel Daten und Schilderungen uns in den Geist des Mittelalters; sondern nur ein Buch jener Zeit selbst, das wir lesen. Denn hier ist dieselbe Kraft am Werke, die die Dome gewölbt hat: im Zusammentragen unzähliger Materie, in der Freude am riesenhaften Aufbau,imüberspannen der Räume, in der Fähigkeit zumBändigat. Abschließen, Krönen. Und bei allem Erkenntnisumfang istdieseWeltansicht keinWissen gewefen, das etwa nurderBesitz einer abgesonderten gebildeten Kaste gewesen wäre: sie war Leben, täglich gegenwärtiges Leben; sie ward Gestalt für jeden Tag des Jahres; sie prägte sich jedem ein in dauernder Wiederkehr: durch die Feste und liturgischen Feiern des Kirchenjahre. Das ist der Sinn des Heiligenkalenders gewesen: nicht nur das Gedächtnis einiger Märtyrer und Bekennet zu begehen; sondern die Seele des Menschen ewig in

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Einleitung

Berührung zu halten mit dem großen Heilsgeschehen, das sich von der Schöpfung an bis zum jüngsten Gericht symbolisch in dem Reich Gottes und des Teufels abgespielt hat und abspielen wird. Dazu gehört nicht nur die heilige Legende, sondern auch die weltliche Sage; nicht nur die Lehre der Kirchenväter, sondern auch die Zauberei und verbotene Kunst der heidnischen Meister — Überlieferung aus allen Weltaltern: aber immer auf den einzelnen Menschen bezogen, immer aufs Heil seiner Seele gewendet. Ein Buch, das diese ewige Vergegenwärtigung alles geistig und leiblich Vergangenen im kultischen und liturgischen Leben des Mittelalters darstellte, miißte uns wahrhaft in den Geist des Mittelalters führen. Ein solches Buch hat es gegeben: es ist die Legenda aurea des Jacobus de Voragine. 2.

"Bruder Jacobus de Voragine vom Orden der Prediger"tnönche war der Stadt Genua achter Erzbischof; er hub an "zu regieren im Jahre des Herrn 1292, und wird leben so"lange es Gott gefällt. Durch den Herrn Nicolaus den Vier"ten den Papft, welcher war vom Orden der Minderen Brü"der, ward er zum Erzbischof erwählt. Derselbe Papst beschied "ihn durch Briefe gen Rom, daß er ihn weihe mit großer "Würdigkeit und ihm das Pallium gebe. Aber da er zu "Rom einging am Palmsonntag, fand er den Papst krank "mit schwerer verderblicher Krankheit, also daß er am Oster"sonnabend seine Seele gab zu Gott; und glauben wir, daß "er einging in den himmlischen Palast. Da hielt das ehr"würdige Collegium der Cardinäle in der Osteroctav einen "Rat und gebot um der Ehre willen der Gemeine von Genua, "daß ihr Erzbischof fchnelliglich werde ausgerichtet. Darum "ward er in der Osteroctav durch den ehrwürdigen Mann, ‫״‬den Vater und Herrn Latinus von Ostia geweiht, und an "demselben Tag oder in derselben Woche mit dem Pallium "bekleidet. Und fuhr mit Freuden wieder in seine Stadt und "ward vom Volke mit Ehren empfangen." "Da derselbige "aber noch in seinem Orden war, und darnach, da er Erz‫״‬bischof war worden, hat er in etliche Bücher gesammelt die "Legenden der Heiligen, darein er viel fügte aus der Historia "Tripartita und Scholastica und aus den Chroniken vieler "Meister: Dasselbe Buch hebt nach dem Prologus also an

Einleitung

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"'Adventus Domini'. Er hat auch gemacht zwei Bücher ‫״‬Predigten von allen Heiligen, welcher Feste von der Kirche "gefeiert werden durch den Kreis des Jahres; das eine Buch ‫״‬ist gar weit und gross das andere ist gar eng und klein. Sie "heben aber beide also an 'Vestigia eius secutus est pes ‫״‬meus'. Er hat auch gemacht Predigten von allen Sonntags"evangelien, die in der Kirche gelesen werden durch den Kreis ,,des Jahres; und hat drei Predigten gemacht von jeglichem ‫״‬Evangelio, der heiligen Dreieinigkeit zu Ehren. Dasselbe "Buch hebt nach dem Prologus also an 'Praepara te in "occursum Dei tui Jerusalem'. Er hat auch Predigten ge"macht von allen Evangelien, die gelesen werden in den ‫״‬Tagen der Fasten, von dem Aschermittwoch an bis zu dem ‫״‬Sonntag nach Ostern, und hat zwei Predigten gemacht von "jeglichem Evangelio. Dasselbe Buch hebt an 'Filia populi ‫״‬mei inducere cilicio'. Er hat auch ein Buch gemacht, welches ‫״‬Mariale genannt ist; das ist gänzlich geschrieben von Sanct ‫״‬Marien; und ist unterschiedlich geordnet nach dem ABC. "Dasselbe Buch hebt nach dem Prologus also an'Abstinentia ‫״‬multiplex est'. Er hat auch gemacht diese gegenwärtige "Chronik, die hat er geschrieben im zweiten Jahre, daß er ‫״‬Erzbischof war, das ist im Jahre des Herrn 1293." — So schreibt Jacobus de Voragine von sich selbst und von seinem Werk, da er als Greis die Chronik von Genua abschliefin Er hat in dieser Chronik die Geschichte der Stadt von ihren sagenhaften Anfängen an beschrieben und hat auch die großen Weltereignlsse ausgezeichnet, die in seinem Jahrhundert in Italien sich abspielten, deren Augenzeuge er zum Teil mit war: den Untergang der Hohenstaufen, den Kampf der Guelfen und Ghibellinen, das Auftreten des Franciscus und Dominicus, die Heiligsprechung der Elisabeth von Thüringen, die ersten Geisilerfahrten. Dazwischen berichtet er die Hauptbegebenheiten seines eigenen Lebens, und hat sein stilles mönchisches Dasein als ein unbewegtes Bild mitten hineingestellt in eine von Geist und Taten bewegte Zeit. Um das Jahr 1230 ist er geboren, in Vorago oder Varazze nahe bei Genua. Er sah als Knabe die Sonnenfinsternis des Jahres 1239'. "Zur Zeit des Erzbischofs Otto, das ist int Jahre des ,,Herrn 1239, geschah eine solche Finsternis der Sonne, als ‫״‬niemand gedenken mag wie sie zu einer andern Zeit so groß "und finster möchte gewesen sein. Denn die Sterne erschienen ‫״‬bei dem Tag, als sie sonst des Nachts bei klarer Luft pflegen

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Einleitung

‫״‬zu scheinen. Das haben wir selbst gesehen, die wir zu der ‫״‬Zeit noch kindliche Spiele spielten, wie die Sterne am Him‫״‬tnel erschienen und leuchteten." 3m Jahr 1244, da der Papst Innocentius IV. vor dem Kaiser nach Genua flieht, tritt Jacobus de Voragine, noch jung bei Jahren, in den Dominicanerorden; davon er selbst schreibt: ,,In dem Zsahr aber, da "der Papst Innocentius gen Genua kam, da gab uns die "Gottes Gnade in unsern Sinn, daß wir traten in den Orden ‫״‬der Predigermönche; darinnen wir ernährt und erzogen ,,wurden von unsern jungen Tagen bis in unser Greisenalter, "mit mütterlichen Treuen." Es wird berichtet, daß er es im Studium und in der Auslegung der heiligen Schrift zu großer Vollkommenheit bringt, sonderlich aber, daß er ein eifriger Prediger wird, der durch seine Fastenpredigten allenthalben berühmt ist. Er zieht predigend von Ort zu Ort, wie die Brüder der Bettelorden alle, und man mag es auch auf ihn wenden, was er in seiner Legende von Sanct Franciscus schreibt: "Darnach begann er glühender den "Samen des Gottes Wortes auszustreuen und zog durch ‫״‬Städte und Burgen in wundersamem Feuer." Er erlebt· 1252 in seiner eigenen Ordensprovinz den Märtyrertod eines anderen eifrigen Predigers seines Ordens, des Petrus Martyr, dessen Legende er uns in seiner Sammlung überliefert hat. Er sieht zehn Jahre später eine neue religiöse Bewegung heraufkomtnen, nur eine andre Form des seit Franz von Assisi bis zum Übermaß gesteigerten inneren Lebens: ‫״‬Itn Jahre des Herrn 1261 geschah fast durch das "ganze Land Italien eine große Geißelung. Denn Groß und ‫״‬Klein, Edel und Unedel zog durch die Städte und Dörfer "und Burgen, und taten die Kleider von sich, daß sie nackend "waren vom Gürtel auf, und zogen also in einer Procession, ‫״‬und schlugen sich, und riefen die heilige Jungfrau und die ‫״‬anderen Heiligen an mit engelgleichem Bittgesang. Der‫״‬selben kamen etliche, gar edel von Geburt, die von Terdona "waren, nach Genua. Und da sie durch die Stadt zogen und "sich also geißelten, spottete man ihrer, als wären sie när"risch und von Sinnen. Aber siehe da ward plötzlich durch "Gottes Fügung die Stadt bewegt, daß Groß und Klein, "Edel und Unedel Tag und Nacht von einer Kirche zur an"deren zogen und sich geißelten, und sangen englischen und ‫״‬himmlischen Gesang. Die aber die ersten gewesen waren "zu spotten, die waren nun die ersten sich zu geißeln. Da

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‫״‬kam viel Unfrieden und Krieg zu Ruhe und Frieden, alter "und neuer, zu Genua und fast im ganzen Land ;Italien. Sie "gingen aber je zween und zween durch die Stadt, und geißel"ten sich, und gingen die Mönche und Cleriker voran mit "Kreuzen und Fahnen. Und ob gleich die Geißelung war mit"ten im Winter, und die Menschen nackend waren vom "Gürtel auf, und einherzogen vom Morgen bis zur dritten ‫״‬Stunde, fo ward doch keiner erfunden, der die Kälte hätte ‫״‬gespürt. Das war nicht wunderlich, daß sie die Kälte außen ‫״‬nicht spürten: denn die große Glut der Liebe, die sie inner‫״‬Ich hatten, die brannte in ihrem Sinn und hielt alle äußere ‫״‬Kälte des Leibes von ihnen." ‫״‬Zu desselben Erzbischofs ‫״‬Zeiten, im Jahre des Herrn 1264, erschien ein Comet, der "zog einen großen feurigen Schweif nach sich. Der ging auf "von Mitternacht und zog gen Morgen; und hub an zu schei‫״‬nen vom ersten Tage des August, und erschien darnach vier‫״‬zig Tage ohn Unterlaß. Denselben Cometen haben wir ‫״‬oftmals gesehen, und haben uns verwundert, was Gott mit ‫״‬diesem unerhörten und ungewohnten Zeichen wolle bedeuten, ‫״‬und ob er etwan ein groß zukünftig Ding damit wolle kun‫״‬den." Es ist die welthistorische Stunde, da im Kampf zwischen Kaifer und Papft die letzte Entscheidung fällt: ‫״‬Is1 ‫״‬demselben Jahr ward das Königreich Sicilien und Apulien ‫״‬von der Kirche dem Carolus gegeben, dem Grafen von ‫״‬Provence. Etliche Zeit darnach geschah es, daß Conradinus ‫״‬mit großem Heere gen Pisa kam und wollte mit Gewalt "ziehen in Apulien und das Königreich reißen aus Caroli ‫״‬Hand: darob war alles in großer Furcht." Noch einmal scheint in dem Kampfe das Glück sich dem Erben der kaiferlichen Herrschaft zuzuwenden. In der Kirche der Predigermönche zu Viterbo hält der Papst Clemens am Pfingsttag 1264 feierlich Mefse und Predigt; er ermahnt die versamweiten Cleriker, unter denen auch Jacobus de Voragine als Provincialprior der Lombardei gegenwärtig ist, daß sie sich nicht fürchten sollen, und prophezeit den Untergang des letzten Hohenstaufen. Es ist ein symbolisches Bild: Der Mönch Jacobus unter der Kanzel des Papstes, da dieser den letzten Fluch gegen die kaiserliche Herrschaft schleudert. Denn weder Kaiser noch Papst haben schließlich in diesem Kampfe gesiegt, sondern sie haben Macht und geistige Führung an einen Dritten weiter gegeben: an den volkstümlichen Mönch, den Träger einer neuen Kultur. Kaiser Friedrich II. hatte die

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deutsche Weltherrschaft bis zum Orient ausgedehnt. Dort traf er zusammen mit der sicilisch-arabischen Kultur. Er fand in ihr eine Freiheit der Wissenschaft und Kunst, die von der abendländisch-mittelalterlichen sehr verschieden war: Mathematik, Naturwissenschaft und aufgeklärte Philosophie als reine Beschäftigung des Geistes ohne religiöses Endziel; Kunst ebenfalls nicht als bildhafte Verherrlichung der Religion, sondern als Element des Lebens, des Genusses: eine höfische Conversationspoesie, die arabische Reimrede, das ;Improvisieren von Versen; fürstliche Garten- und Baukunst; in sicilischen Gärten Springbrunnen, Saitenspiel, Frauen; alle Lebenskunst und Lebensverherrlichung, die sich denken läßt. Ein edles freies Spiel aller Kräfte, aber nur innerhalb eines kleinen aufgeklärten Kreises. Eine wahrhaft königliche Kultur, die aber nie allgemein, nie Volkskultur hätte fein können. Dagegen fteht die päpstliche Macht mit dem christlichen Dogma, in ihren Vertretern noch streng und unaufgeklärt. Sie ist noch gegen den Bund von Macht und Lebensgenuß, den sie ihrerseits später in der Renaissance eingeht. Sie vertritt die absolute kirchliche Organisation und Macht — aber nicht die eigentliche Kultur. Das Papsttum stürzt das Kaisertum, indem es den Freigeist für damalige Begriffe religiös verdächtigt. Aber es erbt nach dem Fall des Kaisers nicht feine Macht: die geht an die Städte über, die im Kampf zwischen Kaiser und Papst groß geworden sind und nun eine neue geistige Kultur in ihren Mauern entstehen sehen. Diese Kultur ist nicht die aufgeklärte Kultur Friedrichs II., denn sie ist noch im Christlichen verankert; sie ist aber auch nicht die kirchliche Kultur, für welche die Päpste kämpften; sondern sie ist die freiere, undogmatische, liebende Weltanschauung des Franciscus. Was Friedrich II. unorganisch und von außen versucht: eine geistige Kultur zu schaffen, das hat kurz vor ihm schon Franciscus angefangen zu verwirklichen, ohne daß er es wollte oder wußte: er giebt der aufstrebenden Bürgerwelt den geistigen Itnpuls, er leitet dadurch, daß er das Christliche ganz mit dem Gefühl umfaßt und es volkstümlich macht, die große Arbeit der Dichtung ein, die wiederum die größte Entfaltung der bildenden Kunst nur vorbereitet. Der Mönch Jacobus de Voragine, der Pfingsten 1264 unter der Kanzel des Papstes sitzt, welcher den Untergang des Kaisertums prophezeit, ist der wahre Erbe jener beiden Mächte damals

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schon gewesen: er, der Dichter und Sammler der christlichen Mythologie, aus der der Reichtum an Sinnbildern kam, der noch ein paar Jahrhunderte lang der christlichen Kultur die Herrschaft in der Kunst behalten sollte. 3m äußeren Leben dieses Mönchs hat das neue Geistige sich weniger gespiegelt. Als er Erzbischof geworden war, ist er der typische mittelelterliche Patriarch gewesen, wie er ihn selbst so oft in seinen Legenden schildert: der große und prächtige Kirchenversatnmlungen abhält; der mit Andacht Reliquien der Heiligen prüft und überführt; der in vollem Maße die evangelischen Tugenden besitzt, indem er seine reichen Einkünfte den Armen opfert oder Frieden in die wilden Bürgerkriege seiner Zeit zu tragen sucht. Davon hören wir ihn noch in seiner Chronik sagen: ‫״‬In Sanct Laurentii Kirche hat er gehalten ein Con"cilium Provinciale. Dazu kamen fünf Bischöfe und vier ‫״‬gekrönte Abte und viel andre Abte und Archipresbyter und ‫״‬Cleriker mancher Art; und die nicht kamen von den Bischö‫״‬fen und :übten, die sandten ihre Statthalter dahin. In dem "Concil ward viel Nützliches aufgesetzt und wurden viele ‫״‬Constitutionen gegeben, die noch heute gehalten werden. ‫״‬Da aber ein Zweifel entstund unter Etlichen, ob Sanct Syri ‫״‬Leib wahrlich in dem marmornen Schrein wäre, der unter ‫״‬Sanct Laurentii Altar ist beigesetzt, so wollten wir hierob "die Wahrheit erforschen. Darum ließen wir den Schrein ‫״‬im Beisein des Concils und des Podesta und des Capitanus ‫״‬und des Volksabts und viel andern Edeln von Genua auf‫״‬tnn, und fanden darin einen hölzernen Sarg, der mit Sorg,,fältigkeit geschlossen war. Und da wir ihn öffneten, fanden "wir darin eine bleierne Capsel mit einer marmornen Tafel ‫״‬und dabei einen Zettel in einem Büchslein, und stund auf "der Tafel und auf dem Zettel mit Buchstaben geschrieben, "daß in der Capsel Sanct Syri Gebeine ruheten. Da ließen ‫״‬wir die Capsel überführen auf Sanct Laurentii Altar, und ‫״‬prüften mit unsern eigenen Händen, daß alle Gebeine darin"nen waren, so zu dem Leib des Menschen gehören. Etliche ‫״‬Tage darnach, da Sanct Syri Fest nahete, ließen wir die‫״‬selbe Capsel auf ein großes Pult legen in Sanct Laurentii ,,Kirche, und zeigten da die Gebeine allem Volk öffentlich: ‫״‬da schauere sie männiglich in großer Ehrfurcht und betete ‫״‬sie demütiglich an. Wir aber geboten, daß Sanct Syri ‫״‬Haupt in der Sacristei werde bewahrt und in silbernem ,,Sarge verschlossen." ‫״‬Itn Jahre des Herrn 1295, im Monat

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"Januar, geschah ein großer und allgemeiner Friede zu ,,Genua in der Stadt, zwischen denen, die Mascarati oder "GhibeIIini waren genannt, und denen, die Rampini oder ‫״‬Guelfi genannt sind. Denn es ward unter ihnen lange Zeit ‫״‬mit böslichem Mut großer Krieg und verderbliche Zwie,,tracht aufgeregt; derselbe Krieg, Zwietracht und Parteiung ,,währte mehr den sechzig Jahr. Aber von Gottes Gnade ‫״‬wurden sie allesamt zu Frieden und Eintracht bewegt, und ‫״‬wurden eine Gemeinschaft und Bruderschaft und ein Leib. "Davon ward ihnen allen so große Freude, daß die ganze "Stadt war voll Tanzen und Springen und unermeßlichem "Jubel. Bei dem öffentlichen Verspruch aber, da der Friede ‫״‬geschlossen ward, lasen -wir, mit bischöflichem Gewand be‫״‬kleidet, das Wort Gottes, und fangen mitsamt unserm "Clerus das Te Deum Laudamus mit heller Stimme; und "hatten mit uns vier gekrönte Bischöfe und Abte unter den ‫״‬andern, und nachdem wir zusammen das Frühmahl hatten "genommen, ritten wir, von der gesammten Ritterschaft ge"folgt, auf einem Rost, das mit Seiden gedeckt war, im ‫״‬bischöflichen Gewand durch die ganze Stadt, fröhlich und "wohlgemut; und gaben allem Volk Gottes Segen und den "unfern, und sagten Gott Dank. Aber da in diesem gegen"wärtigen Leben das Gute nicht rein mag sein; dieweil das ‫״‬reine Gute ist in dem Himmel, das reine Böse in der Hölle, ‫״‬Gut und Böse vermischet aber ist in dieser Welt: wehe, so "ward unser Saitenspiel in Trauern verkehrt und unsre ‫״‬Flöte ward tönen die Stimme der Weinenden. Denn in ‫״‬demselben Jahr, im Monat December, am fünften Tage ‫״‬nach Weihnachten, da· unsre Bürger des vorbeschriebenen "Friedens sich freueten: geschah es, daß der Feind und Neider ‫״‬alles menschlichen Friedens unsre Bürger zu solcher Zwie‫״‬tracht und Trübsal bewegte, daß sie in den Straßen und auf ‫״‬den Plätzen wider einander stunden mit gewaffneter Hand "und viele Tage lang feindlich mit einander stritten. Daraus "kam Mord und Verwundung vieler Menschen, Brand von "Häusern, Raub von Gut. und da die feindliche Wut keinen "Zügel mochte annehmen, ging die allgemeine Blindheit und ,,Wirrnis soweit, daß sie es wagten, an Sanct Laurentii ‫״‬Kirche Feuer zu legen, damit sie den Turm zu Sanct Lorenz ‫״‬möchten haben; also daß das Dach der Kirche gänzlich ver‫״‬brannte. Es währte aber der verderbliche Aufruhr vom ‫״‬fünften Tage nach Weihnachten bis zum siebenten Tage des

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"Februar." Jacobus de Voragine starb im Jahre 1298, von allem Volke betrauert, denn sie liebten ihn um seiner Milde und Gute willen. Sein Andenken blieb im Volke von Genua lebendig. Und es galt nicht dem großen Prediger und Schriftsteller, sondern dem heiligen Menschen Jacobus, als er im Jahre 1816 selig gesprochen ward, und das Volk, bei der Überführung, sich um seinen Leichnam drängte. — Ein frontmer schlichter Mönch, Prediger des Volks; Hirte und Erzbischof; in schweren Bürgerkämpfen vermittelnd, mit Güte und Weisheit über den Parteien stehend. Dabei kindlich schauend; den Himmelszeichen soviel Wichtigkeit beimessend wie dem irdischen Geschehen; und doch so resigniert, von der Unbeständigkeit und Unsicherheit des Lebens tief durchdrungen — das ist die Außenseite des Bildes, das ist sein sterbliches Teil, das der Zeit angehört: an sich schon würdig und schön. Aber hinter diesem Bilde, dem tausende im Mittelalter mögen geglichen haben, lebt nun der eigentliche, der dichtende Mensch: der Schöpfer, der nicht sterben wird solange christliche Kunst besteht. 3.

Die Legenda aurea des Jacobus ist die Frucht einer tausendjährigen Entwicklung der christlichen Mythologie. Wie ist das möglich? Ost nicht der christliche Mythus mit dem Christentum selbst von Anfang an gegeben? -- Das Christentum ist, wie jeder Monotheismus, ursprünglich mythenarm, ja mythenfeindlich. Es ist die Anweisung zu einem Verhalten im Leben, zum seligen Leben; einen geistigen Horizont, eine mythisch-bildliche Weltausdeutung mußte es nicht nur als gleichgültig, sondern als hemmend empfinden. Aber das Christentum blieb nicht auf den Orient beschränkt. Es trat ins Abendland über, in eine Welt, die noch vom Mythus beherrscht war. War der Mythus der Griechen und Römer auch nicht mehr echtes Erlebnis der Epiphanie der Götter, so war er doch noch in der selbstverständlichen Art, die Welt bildhaft-künstlerisch anzuschauen, lebendig: Himmel und Erde waren noch mit Gestalten bevölkert, die auch den Dichtern und Philosophen zur Verdeutlichung ihrer Gefühle und Gedanken ein unentbehrlicher Bilderschatz waren. Gegenüber dieser Herrschaft der mythischen Anschauung war das Christentum gezwungen, sich durch

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Einleitung

eine eigene Bildwelt zu legitimieren. Die Personen der jüdischen Geschichte und Sage von Adam bis zu den Propheten werden deutlicher zu symbolischen Vertretern der Vorahnung und Vorbereitung Christi, und somit ist die zeitlose Gestalt des Erlösers und seine zeitlose Lehre immer fester in ein historisch zusammenhängendes Weltbild eingefugt. In den ersten christlichen Jahrhunderten baut schon die Sage an dem Leben, vor allem an der Kindheit Christi, von der wenig überliefert war, an dem Leben Marien und der Apostel weiter. Am 4. Jahrhundert ist bereits neben den vielen einzelnen apokryphen Geschichten und Acten eine Zusammenfassung da: des Eusebius Kirchengeschichte, in welcher die Grundzüge der Legende um Christus, Pilatus, die Apostel, das heilige Kreuz bereits gegeben sind. Um diese Zeit gewinnen auch die bis dahin mehr historischen Passionen der Märtyrer und die Lebensbeschreibungen der Bekenner ihren eigentlich mythischen Wert, in der liturgischen Einbeziehung in einen großen kirchlichen Rahmen: Ambrosius, Hieronymus, Augustinus bauen alle, sei es mit einzelnen Heiligen- und Wundergeschichten, sei es mit kanonischen Zusammenfassungen an dem christlichen Mythus weiter. Allerdings liegt der Schwerpunkt noch weniger im Bildlichen, als in der philosophischen Discussion dieses Mythus als Dogma. Dennoch enthüllen sich hierbei Männer, die man sonst nur als Kirchenlehrer kennt, als Überlieferet des Mythus, der Legende. Aber zur lebendigen künstlerischen Gestalt wird diese Mythologie erst durch das Einwirken eines neuen Elements: durch die Völkerwanderung und durch die vielfältige Völkermischung, auch mit keltischein und germanischem Blut wird ein andrer Weltzustand geschaffen. Hier vereinigt sich nun zweierlei: der antik-heidnische Mythus, der in einzelne christliche Gestalten sich verwandelte: der aus dem Perseus einen Sanct Georg, aus dem Oedipus einen Gregorius schuf, aus heidnischen Kultstätten, heidnischen Festen christliche machte, in den Heiligen alte Lokal- und Nationalgötter neu erstehen ließ: er verband sich dem germanischen, der seinerseits die Funktionen seiner Götter und Helden auf die christlichen Heiligen und Teufel übertrug, und den Ausbau einer eignen nationalen Naturmythologie, an dem er durch das Eindringen des fremden Glaubens gehindert ward, am christlichen Stoff vollbrachte. Mit diesem wieder jung und natürlich Werden hat für

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die europäischen Völker alter Kultur ein Proceß des Vergessens eingesetzt, der dem Nichtwissen der neuhinzutretenden unkultivierten entsprach und entgegenkam. Alles historische Sehen und Erinnern gewann eine traumartige Beschaffenheit: die antike Kultur lebte noch in der Erinnerung fort; aber verblaßt, unwirklich — sie ward zum Märchen. Aber eben dadurch ward sie die fruchtbare, nebelhaftunbewußte Atmosphäre, in der allein eine neue Schöpfung entstehen konnte. Sehr bald nach dem Eindringen der Goten und Langobarden in Italien wird dieser neue märchenhafte Geist verspürt. Schon des Cassiodorus Historia Tripartita ist voll von Fabel und Phantasie. Das eigentlich volksmäßige Empfinden aber kommt erst in des großen Gregorius Dialogen ans Licht und in den Wundergeschichten des Gregorius von Tours. Neben der eigentlichen Erzählung dieser Werke steht die Zusammenfassung des Wissens und Denkens des Altertums, wie sie zum ersten Mal im Sinne einer neuen Welt Isidorus Hispalensis leistet. Nach der Bekehrung der Franken und der übrigen Mittel- und Nord-Germanen bildet sich eine neue Art des Heiligenlebens heraus: die Lebensgeschichte der Bekehrer und Bekenner. Sie wird von Geistlichen, die oft die Junger der Heiligen find, ausführlich und faft historisch getreu ausgezeichnet, und bleibt, in dieser Form, im engeren Kreise der Mönche und Cleriker. Nebenher aber geht die Volksüberlieferung, die an die Taten jener Kulturbringer, an die Bekehrung der Vorfahren ihre Sagen knüpft und aller Orten einen Grundstock geistlicher Stammeslegende pflanzt. Diese mündliche Überlieferung wesentlich lokaler Art, zu der sich Predigt und Lied zum Preise der Schutzheiligen gesellt, umfaßt im frühen Mittelalter das, was das Volk an Legende kennt und pflegt. Die Überlieferung ist reich, aber nach Stämmen, Orten, Klöstern getrennt und verschieden: es ist die Epoche der Sage, die an Historisches oder vermeintlich Historisches, an körperlich Gegebenes oder vermeintlich Gegebenes wie: Reliquien, Marterstättelr, Kapellen der Einsiedler, gegründete Klöster, Kirchen, Städte; zerstörte und umgewandelte Heidentempel; an heilige Bäume, Steine; an Naturereignisse, Veränderungen der Landschaft; an Ausrottung schädlicher Tiere, an Vertreibung von Krankheiten, an teure oder gesegnete Zeiten anknüpft. Über diefe volksmäßige Überlieferung darf nicht täuschen der Ton, in dem ihr Sachliches vielfach auf-

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Einleitung

gezeichnet ist: ein äußerliches Nachahmen antiker Autoren beherrscht den Stil der schreibenden Mönche und Chrolristen, so daß eine falsche Rhetorik, eine Überladung mit antiken Reminiscenzen, eine gebildete Weitschweifigkeit und Unsachlichkeit auch in die Aufzeichnung der Viten und Passionen der Heiligen eindringt. Zwischen der lokalen mündlichen Heiligensage und der gelehrten Hagiographie der Mönche war eine Zwischenstufe die Legendendichtung in der Landessprache. Aber neben einzelnen Liedern zum Preis der Heiligen und Marien, neben einzelnen Legenden kam es zu einem großangelegten Legendenepos bloß in Deutschland, in der Kaiserchronik und den ihr verwandten geistlichen Epen, wie dem Annolied. Und auch diese Dichtung war, trotz ihrer Größe, erst ein Anfang; denn ehe sie daran gehen konnte, den gesammten christlichen Stoff in ihrem Stil zu gestalten, wurde sie verdrängt und vernichtet von dem höfischen Epos, das an die wenigen geistlichen Stoffe, die es noch übernahm, ohne Ernst und Innigkeit ging und den Inhalt in seiner virtuosen spielerischen Form kaum mehr zu Wirkung kommen ließ. Während die internationale romanische Mode der höfischen Poesie das Volk allenthalben der Dichtung entfremdete, vollzog sich auf der andern Seite eine Annäherung zwischen Geistlichkeit und Volk, und damit auch zwischen dem Volk und der geistlichen Literatur und Dichtung: durch die Gründung der Bettelorden. Die religiöse Erneuerung, die in diesen Orden erstrebt ward, bewirkte, daß auch die christlichen Stoffe und Inhalte verinnerlicht und vereinfacht, und damit erst wahrhaft volkstümlich wurden. Die Mönchsorden, ja die Theologen überhaupt, traten aus ihrer wissenschaftlichen Abgeschlossenheit heraus, sie gaben ihre lokalen und spezialen Interessen auf, und traten vors Volk mit Zusammenfassungen, in welchen die überlieferte christliche Literatur in Hinsicht auf das allen Verständliche, Wichtige, Bleibende revidiert war. Auf allen Gebieten wurde gesammelt und zusammengefaßt: der Historiker gab statt lokaler Annalen den Weltzusammenhang, soweit er ihn sehen konnte: die Welthistorie mit aller Legende und Sage, oft einbezogen in die Lokalgeschichte. Der Liturgiker sann über den Sinn des Kultes nach, der Exegetiker sogar trug episches Material zusammen, wenn er das legendenhafte Nebenwerk beschreiben wollte, das um die Evangellen gewachsen war: die Historia Scholastica eines Petrus

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Comestor entspringt dem gleichen Trieb nach Übersicht, Vereinfachung und Ordnung des Vorhandenen wie die großen Summen eines Rupertus, Johannes Beleth, Sicardus, Durandus, Guillelmus von Auxerre, Richardus und Hugo de Sancto Victore, Magister Praepositivus; oder wie die Chroniken eines Sigebertus, Helinandus, Gotfried von Viterbo, Vincentius von Beauvais, Martinus Polonus. So konnte auch der eigentliche Hagiograph nicht mehr in der Weitschweifigkeit und Konvention einer Mönchsrhetorik für Mönche beharren, sondern er sah auf das Ganze und trat an die Aufgabe heran, die Legende für die Bedürfnisse der Allgemeinheit zu sammeln und zu gestalten. 4. Damit der Mythus zum Epos werde, bedarf es der Form. Die Legenden des 11.und 12.Jahrhunderts waren,bei allem Schmuck und Predigtschwung, ungeformt. Die christliche Mythologie, die in der Phantasie des Volks überall unsichtbar gegenwärtig lebte, war ungeformt, ungebunden, noch nicht durch ein ordnendes Prinzip gegliedert und beherrscht. Der Reichtum an Gestalten war da; der Zusammenhang des christlichen Weltbildes war auch da: im Kult, im Kirchenjahr. Aber jedes war noch für sich: die Geftaltenwelt der volkstümlichen und mönchischen Überlieferung war unübersehbar reich; die Calendarien und Martyrologien, die dem zusammenfassenden Kultgebrauch dienten, waren stofflich arme, nüchterne Verzeichnisse, die von der Bildrvelt der einzelnen Legende nichts ahnen ließen. Es ist die erste schöpferische Tat des Jacobus de Voragine gewesen, daß er diese beiden getrennten Elemente vereinigte: den mythologischen Stoff mit der liturgischen Form durchdrang. Dazu bedurfte es zunächst einer gewaltigen Gelehrsamkeit: in dem Kopfe eines Menschen mußte die gesamte christliche Mythologie in allen ihren verschiedenartigen literarischen Formen und Stufen von den ersten Jahrhunderten an bis in die mündliche Überlieferung der eigenen Zeit vorhanden und gegenwärtig sein; und mußte vereint sein mit der genauesten Kenntnis der Liturgik und Dogmatik. Hierbei hat der Autor sich nicht nur der allein fruchtbaren kritischen Methode bedient: der Scheidung des Wesentlichen vom Unwesentlichen; er hat auch die Art Kritik angewandt.

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welche die neuere Wissenschaft geneigt ist, besonders hoch einzuschätzen und in ihrer Praxis als die einzig giltige anerkennt: die Scheidung des Glaubwürdigen vom unglaubwürdigen. Es finden sich zahlreiche Stellen, wo der Autor seine Zweifel am Überlieferten äußert und begründet; wo er verschiedene Versionen neben einander berichtet und dem Leser die Entscheidung überläßt, an welche er sich halten wolle; wo er mit den Mitteln historischer Kritik die Chronologie in Ordnung bringt oder unlösbare Widersprüche in der Überlieferung feststellt und zu bedenken giebt. Dies diene lediglich zum Beweis dafür, daß diefer mittelalterliehe Geist sehr wohl die Fähigkeit besaß, überliefertes zu prüfen, und daß er nicht blindlings alles nachsagte und nachschrieb, was er in Glauben und Ansehen fand. Freilich eine Kritik um der Kritik willen lag dem aufbauenden TJnstinkt dieses Mannes und dieser Zeiten fern: es war eine tiefe Ehrfurcht und Frömmigkeit, es war das Gefühl der Verantwortung für die Seelen, was ihn Kritik üben ließ. Denn da er nicht nur, wie der gewöhnliche Hagiograph, das Leben eines Heiligen der frommen Erinnerung einprägen wollte, sondern das für den Kultus, für Andacht und Anbetung Gültige sichern wollte, so mußte er das Apokryphe vom Glaubwürdigen scheiden, und, in zweifelhaften Fällen, das Apokryphe mindestens als solches bezeichnen und bei Seite stellen. Der heilige Ernst des Erzählers sträubt sich, Züge wiederzugeben oder anzuerkennen, die ihm gegen die Hoheit seiner Helden zu sprechen scheinen; so, wenn die Überlieferung den Apostel Petrus der Luge und Verstellung sich bedienen oder den Apostel Thomas grausame Rache üben läßt, □fr in einem solchen Falle die Überlieferung dennoch unanfechtbar, so sucht er doch eine Erklärung, die den Vorgang gemildert und verschändlich erscheinen läßt. — Ommer die Phantasie des Stoffes und die Glaubensgeltung seiner Grundlage vorausgesetzt, hat Jacobus de Voragine mit den kritischen Mitteln seiner Zeit so viel geleistet, als ein scharfsinniger heutiger Forscher, in jene Zeit versetzt, zu leisten im Stande wäre. Und dieser kritisch gesichtete Stoff: die Historie der durch die ganze Christenheit geltenden Heiligen, wird nun eingeordnet ins Kirchenjahr, das in seinen einzelnen Tagen eben aus den Gedenktagen, Todestagen der Heiligen besteht. Diefes Kirchenjahr ist gegliedert durch die großen Feste, welche die grundlegenden Heilstatsachen feiern: das Werk des

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Jacobus beginnt mit dem Advent und geht über Weihnachten, Epiphanien, Ostern, Pfingsten zu den Tagen AlIerheiligen und Allerseelen, und endet mit dem Fest der Kirchweih: damit ist die einzelne Legende in den Rahmen der kultischen Wiederkehr gestellt und ihr Ewigkeitswert aus dem historischen Geschehen symbolisch aufs eindringlichste herausgehoben. Hier zeigt sich der höhere Rang der Legenda aurea gegenüber dem andern großen zusammenfassenden Werk jener Zeit, dem Geschichtsspiegel des Vincentius Bellovacensis: denn dessen Ordnung ist rein historisch; und obgleich er alle Phantasie und Sage in seine Weltgeschichte einreiht: es geschieht in historischer Folge, die durch die politische Realität ständig unterbrochen wird und dieser überall untergeordnet ist. Bei Jacobus de Voragine ist es umgekehrt: das Historische, das jeder Legende als ein eigentümlicher Hintergrund dient, ist für den Zusammenhang aufgehoben in einer höheren Ordnung; und die Visionen und Erscheinungen in jeder einzelnen Legende sorgen dafür, daß dieser höhere Zusammenhang überall hindurchblickt. So ist ein zeitloses Geisterreich geschaffen, dessen einzelne Glieder nach andern als historischen Gesetzen mit einander verkehren; ein Reich in den Wolken, dessen Herrscher nach höhereu Plänen und überirdischen Ratschlüssen das menschliche Geschehen regieren; ein Reich, in das der sieghaftvollendete Heilige eingeht, um von ihm herab gleichermaßen seine Vorrechte im Lenken der menschlichen Schicksale, im Warnen. Helfen, Strafen, Begnadigen zu üben. Damit ist der Ausbau des Mythus zur Mythologie erst vollendet; ein christlicher Olymp, dem antiken vergleichbar, erschaffen. Zu dieser inneren Formung und Gliederung des Stoffs, die einen epischen Zusammenhang im großen Stile erst ermöglicht, tritt nun die epische Form im Einzelnen, die Art der Erzählung. Wenn man die großen Feste der Verkündigung, Geburt, Passion, Auferstehung, Himmelfahrt, Wiederkunft als die festen Pfeiler betrachtet, die den bunten Bilderhimtnel der Legende über dem irdisch-historischen tragen und stützen, so wird man es begreifen, wenn innerhalb der Kapitel, die diese Feste behandeln, ein architektonisch-dogmanschet Aufbau herrscht. Ins sprachlich-dichterische des Buchs übersetzt bedeutet dies das Vorherrschen des mathematisch-musikalischen, des abstrakt-gedanklichen vor der Bildhaftigkeit eigentlicher Erzählung. Ein fugenartiges

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Variieren von Gedanken und Betrachtungen über die eine feststehende Heilstatsache, nicht melodischer Fluß der Erzählung macht das Wesen solcher Kapitel aus; aber gerade das Walten des dichterisch-musikalischen muß, wie bei aller Scholastik, hier hervorgehoben werden: bei aller Strenge der Disposition, bei aller Gründlichkeit der dogmatischen Auslegung ist die Art der Beweisführung, das Bewähren durch Stellen der Bibel und Sprüche der Kirchenväter, etwas überlogifches; und wenn unser Geist heute von dem eigentlich Gedanklichen oft weniger berührt werden mag, fo wird er doch wundersam angezogen von der Art, wie es sich darbietet, von der Größe und tiefsinnigen Verschränkung des Aufbaus. Am deutlichsten wird dies empfunden beiderGedankenmusik der Namens-Erklärungen, die jeder Legende vorgefetzt sind, und die fester als irgend etwas anderes den Zusammenhang der Erzählungen unter einander mitl diesem architektonisch-musikalischen Auftakt wahren. Sie sind, als wissenfrhaftliche Erklärungen, für den heutigen Etymologen oft schlechthin "falsch": weshalb man sich nicht gescheut hat, sie dem Autor abzusprechen, um seinen wissenschaftlichen Ruf zu retten l Aber abgesehen davon, daß eine solche Ehrenrettung angesichte der ältesten handschriftlichen Überlieferung garnicht möglich ist, kann nur rationalistische Befangenheit im Wirklichkeits- und Wissenschaftsbegriff der eigenen Zeit sich der überzeitlichen Wirkung von Vorstellungen verschließen, mit denen das Mittelalter geheimnisvolle Beziehungen zwischen Benennung und Gestalt, die ihm lebendig waren, anzudeuten suchte. Etymologie ist hier mystische Interpretation der Namensbestandteile nach ihrem irgendwie möglichen sinnlichen Anklang, wobei die geläufige rationale Bedeutung oft völlig außer Acht bleibt; wie etwa bei St. Modeftus des Wortsinns "bescheiden", der dem lateinisch schreibenden Verfasser ja selbstverständlich war, überhaupt nicht gedacht ist. Wie sehr dem Mittelalter dieses alles Anschauung war, wird dadurch bewiesen, daß aus diesen Namenserklärungen und aus jenen abstrakten dogmatischen Beweisführungen Vieles als nachgezeichnetes Bild und Symbol in Malerei, Baukunst und Plastik überging. Das ist ja gerade die wunderbare Fähigkeit des Mittelalters gewesen: das, was uns nur in Begriffen vorstellbar ist, anzuschauen und zu gestalten. Der gotische Dom selbst war nichts anderes als die strenge und unerbittliche Verkörperung des bis ins

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kleinste dogmatisch und liturgisch ausgerechneten Heilsgebäudes: gestaltgewordener Gedankenbau. Farbe und Schmuck empfing dieser Bau aber erst durch die Bilderwelt menschlicher Erzählung — und dies ist es, was in den übrigen, nichtdogmatischen Partieen der Legenda aurea, d. h. in deren weitaus umfangreichstem Teile, vorgebildet ist. Hier hat nun Kritik in jenem wahrhaft schöpferischen Sinne gewaltet, von dem wir sprachen: als Scheidung des Wesentlichen vom Unwesentlichen. Man muß die Quellen des Jacobus de Voragine kennen: nicht nur ihre gewaltige Zahl, sondern ihre unendlich mannigfache Art, um die Größe der schöpferischen Tat zu ermessen, die hier geschah: hunderte von Stilen sind hier in einen Stil gebracht; aus Schwulst und Rhetorik, aus undichterischer und unbildlicher Rede und Predigt ist überall das episch-bildliche mit Sicherheit herausgefunden; Bände sind zu Seiten, Kapitel zu Zeilen zusammengezogen. Alles Nebensächliche: das genaue historische Kostüm und Beiwerk, der historische Name von Personen, Ländern, Städten, wird weggelassen, wenn es zu der erzählten Handlung nicht wesentlich und notwendig ist. Durch das Weglassen des historischen Details schmelzen die Zeitverschiedenheiten zusammen, die Personen und Dinge werden zu Typen: die Stadt, der Bischof, der König; "es war ein Abt, ein Bauer, ein Graf. .." wir sind völlig im Märchen. Die Gestalten dieses Märchens aber leben nicht in einem Wunderland jenseits aller Zeit; sondern sie stehen fest in der mittelalterlichen Landschaft: die Stadt, mit Mauern und Türmen umfriedet; das Kloster, die Kirche, die Burg; wilde Wälder mit Fabeltieren und Einsiedlerhöhlen; die Wüste; das begrenzte Meer mit Handel und Schiffen; Handwerk, Lärm des Volkes auf den Gassen; Ritterfahrten und Pilgerzüge durch die Lande — die ganze Nähe, Bewegtheit, Handlung, Rede einer Welt, die wir bisher nur durch den Maler kannten, und die doch vor dem Maler da ist und ihn erst inspiriert hat: die Bilder- und Gestaltenwelt des christlichen Epos. Was aber der Erzählung des Jacobus die Unmittelbarkeit und Lebendigkeit verleiht, die noch nach fast siebenhundert Jahren zu uns spricht, das ist nicht nur die Gestaltung im Großen, sondern der Ausdruck im Einzelnem er sieht nicht nur episch — er kann es umsetzen in Sprache. Hier, bei der eigentlichen dichterischen Form, wird es dem an der Antike geschulten modernen Menschen

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besonders schwer, seinen Gefühlseindruck mit den überkommenen ästhetischen Begriffen in Einklang zu bringen: keine nachweisbare Kunstform findet er hier; was er mit dem Epos gewohnt ist zu verbinden, fehlt: der Vers und der epische Gesang. Dafür rührt ihn etwas an, was er bei keinem kunstmäßigen Heldengedicht gespürt hat: der Klang des schlichten, bildgesättigten Worts, das gefühlt wird, als würde es von einer vertrauten Stimme laut und vernehmlich gesprochen; die Innigkeit, Nähe und Heimlichkeit; der Mangel jedes bewußten Schmuckes, jeder kalten Kunstabsicht: kein Reden über die Sache, sondern stets dieSache selbst:abermitWorten,die für sie stehen, die Bild und Klang zugleich sind. Nicht alsGelehrter, nicht als Geistlicher und kunfrbeflissener Mönch, sondern als Mann des Volkes hat Jacobus de Voragine seine Geschichten erzählt: mit der Einfalt und Erfülltheit, die zu allen Zeiten das Volk in seinem Reden und Erzählen besessen hat. Es ist die Zeit, da die schöpferischen Tiefen des Volks sich auftun und ihre Kräfte an die Oberfläche senden, die seltene Zeit, da das Volk dem gelammten literarischen Schaffen die Gesetze seines Ausdrucks aufzwingt: diese Zeit beginnt mit Jacobus und währt bis ans Ende des Mittelalters überall da, wo die bürgerliche Stadtkultur sich entfaltet. Die Form der Erzählung, die das Volk zur Herrschaft bringt, ist die Profa: nicht eine naturalistische Verkehrsund Alltagssprache; auch nicht eine verzwickte geschmückte Rhetorik: sondern die dem einfachsten Manne verständliche reine Sprache des Märchens. Wie aber konnte die Form einer Erzählung volksmäßig sein, die nicht in der Landessprache abgefaßt war, sondern lateinisch? Hier tut sich ein HauptProblem der mittelalterlichen Literatur auf. Das Latein jener Zeit ist nicht das klassische Latein der Römer, das noch die Kirchenväter zum Muster nahmen. Was ist es dann? In einem von ihnen, Hieronymus, vollzieht sich der Übergang, wie seine Legende es berichtet: in einem Gesicht findet er sich vor dem Thron des Richters, der ihn einen ‫״‬Ciceronianus" schilt, weil er Cicero und seinen Stil der "ungezierten Sprache der prophetischen Bücher" vorzieht; und er wendet sich nun der Bibel zu, die lateinisch in rustikalen Formen, wie der "Itala" vorlag. Seine griechischen und hebräischen Kenntnisse ermächtigen ihn zu einer neuen Übersetzung, die sich dennoch jene volksmäßige Form zum Vorbild nimmt. So entsteht die Vulgata; die auf die Dauer die Bibel der römischen Kirche

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bleibt. Denn der BibeItext mußte der schlichtesten Rede sich befleißigen, weil ja seine laute Lesung liturgisch eingeordnet war; sodaß der knappe und anschauliche Erzählerton der Vulgata das unmittelbare Vorbild auch für das Werk des Jacobus wurde, das sich ja in seinem ganzen Aufbau der gottesdienftlichen Ordnung einfugte. Diefes Latein kann nicht an der klassischen Latinität der alten Römer gemessen werden: es paßt sich durch einfachen Satzbau dem Verständnis junger Völker an, ist außerdem von vorn herein international, herrscht ohne Unterschied bei allen europäischen Völkern, nnd ist recht eigentlich das geistige Band gewesen, welches das Abendland als übervölkische Einheit zusammenhielt. Es ist in diesem Sinne nicht ‫״‬tote" Sprache, wie man sonst die vergangenen Sprachen nennt, die niemandem mehr Muttersprach( sind; es ist lebendig, man kann in ihm volkstümlich sprechen, und, was es sonst nie wieder gegeben hat, zugleich zu allen Völkern. So sprach auch aus dem Latein, das Jacobus schrieb, nicht der Italiener, sondern der Angehörige der übernationalen christlichen Kultur: er konnte volkstümlich schreiben und volkstümlich mit seinem Werke wirken, ohne daß er sich an ein spezielles Volkstum wandte: die bürgerliehe Stadtkultur, aus der die Gotik erwuchs, war ein Volkstum über den Nationen. So konnte sich auch in jeder der großen abendländischen Nationen das Epos der Legenda aurea als das Eigene und Vertraute widerspiegeln; und wenn es auch aus dem engeren Landschaftlichen immer wieder ergänzt und bereichert wurde, wenn überfetzung und Umdichtung zu dem hundertfach verbreiteten lateinischen Original trat — die Grundlage dieses Epos war dem gesammten Abendland gemeinsam, so sehr wie das, was sich darauf erbaute: der gotische Dom und die gotische Bildkunst. Denn es war nun die bildende Kunst, in Italien so gut wie in Deutschland, Frankreich, England, Flandern, die auf dieser Grundlage sich entwickelte.

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Es kann hier nur angedeutet werden, was die Legenda aurea für die Kunft des Mittelalters als Ganzes bedeutet hat. Vor ihrer Einwirkung haben wir das feierliche statuarische Gottes- und Heiligenbild, das noch der gläubigen Anbetung oder der dogmatischen Belehrung unmittelbar dient.

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Aber nachdem der Dichter in menschlicher Erzählung das Epos der Himmlischen geformt hat, kommt Leben und Bewegung in die feierlichen Bildgestalten: in Plastik und Malerei wird der dichterische Vorgang, die Scene, die Folge von Scenen gegeben: es wird dem Erzähler nacherzählt. Diesen Einfluß der Dichtung darf man sich nicht nur und eigentlich literarisch vorsteIIen: daß die einzelne Geschichte der Legenda aurea dieses und jenes Bild anregte -- obgleich dies in hunderten von Fällen nachweisbar ist; sondern diese geschriebene Legende war nur Symbol und Losungswort für den dichterischen Geist, der allenthalben schon bereit war, in die Kunst einzuströmem Alle die großen Cyklen und Scenenfolgen: die erzählende Wandmalerei der großen Bettelordenskirchen in Italien; die Kathedralskulptur Frankreichs; die Glasmalerei der deutschen Dome; die Miniaturmalerei; die späteren Altar- und Tafelbilder in Italien, Deutschland, den Niederlanden — sie sind ohne die vorausgehende concentrierende Erzählerkunst zum größten Teil undenkbar. Und was schon beim Dichter neu und verheißungsvoll war: das Erzählen um der Erzählung willen, die Freude am Phantasievorgang an sich, das gelangte beim Maler zur vollen Blüte: er schuf nicht mehr nur repräsentative Gestalten zur Anbetung; sondern er gab in liebevollem Anteil das menschlich ergreifende Geschehnis, den ewig gültigen Wundervorgang epischer Phantasie. Erst so ist christliche Kunst das geworden, was noch heute durch die Jahrhunderte vertraut und unverlierbar innig zu uns spricht: es ist im dichterischen Schauen so tief verwurzelt wie im religiösen Glauben. Die eigentliche Erzählung drückt der Maler durch die räumlich-zeitliche Folge der Scenen aus. In diesem Nacheinander einer Reihe von Bildern, die alle zusammen erst eine Legende ausmachen, tritt wohl der Unterschied der mittelalterlichen Kunst von aller anderen eigentlichen Bildkunst am klarsten zu Tage: das Bild ist hier nicht beharrendes Körperabbilch sondern es lebt nur durch geistige Bewegung und dichterischen Zusammenhang. Diese allen verständliche Verbildlichung eines ursprünglich Dichterischeu, die durch die Malerei auf allen Gebieten erreicht wird, erklärt auch die Verbreitung des Bilderbuchs als eines Volksbuchs zu Ausgang des Mittelalters: denn die Bilder waren dazu bestimmt, von denen geschaut zu werden, die selbst nicht lesen konnten, und die doch im Buch, auch wenn

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man ihnen nicht daraus vorlas, den Zusammenhang der geliebten Geschichte oder der geistlichen Belehrung vor Augen haben wollten: sie hatten ihn in den Bildern, in denen das Dichterische völlig in bedeutungsvoller Bildform aufgegangen war. Am deutlichsten wird dies bei den Armenbibeln und Heilsspiegeln und ähnlichen geistlichen Erbauungsbüchern, wo ganze dogmatische Abhandlungen zu Bildein geworden sind, die dem einfachsten Manne verständlich waren. 6.

Die Legenda aurea ist in dem Jahrzehnt von 1263-1273 geschrieben worden. Schon aus dem nächsten Jahrzehnt, vom Jahre 1282, ist eine in Deutschland geschriebene Handschrift des Werkes datiert: noch bei Lebzeiten des Autors fand das Werk eine für damalige Verhältnisse erstaunlich schnelle Verbreitung. Seinen Namen trägt es in den zahllosen Handschriften des 13. und 14. Jahrhunderts allerdings fast nie: es ging, wie die meisten großen volkstümlichen Werke des Mittelalters, anonym aus. Der häufigste Titel ist ‫״‬Vitae sanctorum a praedicatore quodam" -- von "einem" Predigermönche! Nur selten und meist erst in späteren Handschriften ist der Name beigefügt: a Jacobo Januenfi, von Jacobus von Genua. Auch den stolzen Namen der Goldenen Legende hat das Buch nicht von Anfang an getragen: erst das spätere Mittelalter hat ihm, als es nach Wirkung und Verbreitung das Legendenbuch geworden war, den Beinamen gegeben. Auch der andere Titel, mit dem man die Legenda aurea hauptsächlich zur Zeit des beginnenden Buchdrucks citierte, "Historia Lombardiert", ist nicht Ursprunglick): er wurde aus dem vorletzten Kapitel, das mit der Geschichte der Langobarden eine Art Weltchronik bietet, auf das ganze Werk übertragen. In der frühen Zeit herrscht ein anderer Titel vor, mit dem es die Abschreiber auszeichnen: nova legenda, novum passionale: die neue Legende, das neue Passional — ein Zeichen dafür, wie tief sich die Legende des Jacobus von den früheren Sammlungen unterschiech und wie sehr sie, infolge der neuen Eigenschaften, die wir oben gewürdigt haben, Epoche machte. Schon nach der Anzahl der überlieferten Handschriften war die Wirkung der Legenda aurea eine unermeßliche: kein anderes Buch des

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Mittelalters ist so oft abgeschrieben, so viel übersetzt, ausgeschrieben, weiter- und umgedichtet worden. Sie war das wahre Volksbuch jener Zeiten, weit mehr als die Bibel; sie war dem mittelalterlichen Menschen das, was später, in beschränkterer Geltung, dem Protestanten die Lutherische Bibel gewesen ist. Wie sehr sie Kern und Mittelpunkt aller Legendenüberlieferung war, zeigt am besten, daß sie in allen Ländern fortgesetzt wurde: die besonderen lokalen Legenden, die jede Nation, ja jede Landschaft, Stadt und Kloster besaß, und die man in der Legenda aurea als der Sammlung der allgemeingiltigen Legenden vermißte: sie wurden nicht in eigenen Werken gesammelt, sondern an die Legende des Jacobus de Voragine angereiht. So entstand der sogenannte Appendix, die Schar der "zugesetzten Legenden", die dem Werk des Jacobus ursprünglich fremd ift und von der sich in den ältesten Handschriften nichts findet, die aber im Verlauf der Zeit immer mehr anschwillt: m die Handschrift, welche die Abschrift der Legenda aurea enthielt, wurden jeweils die lokalen und nationalen Heiligengeschichten nach dem letzten authentischen Kapitel, der Dedicatio ecclesiae, eingetragen, und, wenn der Raum nicht ausreichte, auf eigens vorn eingeheftete Blätter, oder auf die inneren Buchdeckel, geschrieben. Diese angehängten Legenden waren nach Art und Zahl und Anordnung überall verschieden; die größten Unterschiede ergaben die einzelnen großen Nationen: Italien hat wenig hinzugefügt, da die nationale Überlieferung von dem Autor schon berücksichtigt worden war; desto mehr hat Frankreich, England, Deutschland hinzugebracht. Und da bereitet sich bald der eigentümliche Proceß vor, der jeder der großen Nationen auf Grund der Legenda aurea mit der Zeit eigene Passionale schenkte: die zugesetzten Legenden wurden schließlich nicht mehr am Ende des Werks als Anhang nachgetragen, sondern nach der Kalenderordnung, der die Legenda aurea folgte, in die originalen Geschichten des Werkes selbst eingereiht. Man findet solche Legendare vielfach noch lateinisch und vermag sie oft, wegen der vielen fremden Bestandteile, mit der Legenda aurea kaum zu identificieren. Entscheidende Bedeutung bekommt diese Anordnung aber erst bei der Übersetzung in die Landessprachen, wo denn ganz eigene neue Werke aus ihr hervorgehen. Die Architektonik, die in der Anordnung der Legenda aurea lag, ist hier meist verloren gegangen: die großen Kirchenfefre

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mit ihren dogmatischen Begründungen werden weggelassen, auch die Namenserklärungen fallen weg: es ist die einzelne Heiligenlegende als selbständige losgelöste Geschichte, die jetzt im Mittelpunkt des Interesses steht. Diese Legende ist kaum mehr Vorbild und Inspiration des Malers, dem ja das originale Werk und seine getreue Übersetzung neben ihr verbleibt; das historische Detail fehlt gänzlich, die Geschichten werden verändert, gekürzt, verwechselt, durcheinandergeworfen. Es herrscht der schöpferische Wille zur Dichtung: mit den Mitteln des Dichters, der erst in dem Element der nationalen Sprache sich völlig frei entfalten kann, wird hier, unter Ausschaltung alles Historischen und Verstandesmäßigen, die künstlerische Wirkung gesucht: neben das gotische Heiligenbild tritt als gleichwertige und selbständige Schöpfung die in sich geschlossene Einzelform der volksmäßigen Heiligen geschichtet beide aber entstammen, wo es auch im einzelnen oft nicht mehr zu erkennen ift, der gemeinsamen Quelle der lateinischen Legenda aurea. In Frankreich erfährt die Legenda aurea schon in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine Übersetzung in die Volkssprache durch Mestre Jehan Belet. Das Werk des Jehan Belet benutzt dann Jehan de Vignay zu einer eigenen Übersetzung, die zwischen 1330 und 1340 entsteht, und die 43 neue Legenden als "festes nouvelles" zufügt. Tin provenyalischen übersetzungen lafsen sich die verschiedenen Stufen von der genauen Übertragung bis zur völligen Umordnung und Veränderung ebenfalls schon im Anfang des 14. Jahrhunderts verfolgen. Einen Begriff von dem, was Frankreich an Stoff hinzufügte, giebt der zweite Band der Brunet’schen übersetzung der Legenda aurea von 1843. England hat, charakteristisch genug, viele Perfonen des Alten Testaments unter die Heiligen der Passionale ausgenommen, ja, diese alttestamentlichen Heiligen in eigenen Passionalen aus dem Zusammenhang der Legenda aurea gelöst. Die berühmteste Sammlung ist Caxtons Golden Legend, die zu Westminster 1483 und später im Druck erschien: sie folgt der französischen Version des Jehan de Vignay. Selbständige und abweichende Passionale hat Holland aufzuweisen, die zu Gouda, Delf, Zwolle, Deventer erschienen. Auch Italien und Spanien, Schweden, Böhmen haben eigene Übersetzungen gehabt. In Deutschland ist die erste Prosaiibersetzung in einer Handschrift von 1362 am vollständigsten überliefert.

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Sie ist elsässischer Herkunft und steht im Zusammenhang mit Königshofens Straßburger Chronik und anderen oberrheinischen Denkmälern. Obgleich sie bereits kürzt und vereinfacht, giebt sie doch das Original im ganzen getreu, da sie auch die Anordnung beibehält und die Zusätze noch in einem getrennten Anhang unterbringt. Die Schönheit und Kraft der Sprache ist hier ohne gleichen, sie waltet nicht nur aufs sicherste in der eigentlichen Erzählung, sondern sie erweist sich besonders darin, daß sie die abstrakteren dogmatischen Erörterungen, die schwierigen Namenserklärungen, und die eingestreuten lateinischen Verse und Citate in ein stets anschauliches und oft ergreifendes Deutsch zu übertragen vermag. Hier ist das dem Original entsprechende und wahrhaft congeniale deutsche Werk geschaffen. Ein dritter Typus ist dann die eigentliche Umdichtung im nationalen Sinne: er ist am reinsten und größten gestaltet in "der Heiligen Leben, Sommer- und Winterteil", dem in Oberdeutschland etwa um 14oo entstandenen Volksbuch, das bis ins 16. Jahrhundert in zahlreichen Handschriften und Drucken verbreitet war. Hier ist nur noch das rein Epische der Legenda aurea bewahrt, und um reichen epischen Stoff aus den verschiedensten anderen Quellen vermehrt; selbst was in der unzulänglichen Form der höfischen Poesie bewahrt war, wurde hier zur volksmäßigen Prosaerzählung concentriert. Alle deutsch uberlie. ferte Legende ist hier aufs glücklichste mit dem allgemein und international Gütigen der Legenda aurea vereinigt in einem wahrhaften geistlichen Märchenbuch, das ebenbürtig, ja überragend den weltlichen Volksbüchern jener Zeit zur Seite steht. Und es war lediglich die konfessionelle Spaltung in Deutschland daran schuld, daß dieses Buch nicht, gleich den anderen Volksbüchern, im Volke jahrhundertelang fegenspendend weiterwirkte. Es ist hier nicht der Ort, die Einwirkung der Legenda aurea auf die deutsche Literatur des ausgehenden Mittelalters im einzelnen aufzuzeigen: die Einflüfse sind vielfach, und bisher noch nicht annähernd aufgedeckt. Eines derbedeutendstenHolzschnittbücherdes,5.Jahrhunderts z. B., der bei Peter Drach in Speier gedruckte Spiegel menschlicher Behaltnis, leitet den Text der Heilsgeschichte nicht nur aus der Legenda aurea, sondern wörtlich aus der erwähnten elsässischen Übersetzung der Legenda aurea her; sodaß jene grundlegenden dogmatisch-scholafrischen Abhandlungen, die von den rein dichterischen deutschen

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Legendenbüchern bei Seite gelassen wurden, auf anderem Wege dennoch ins Volk drangen, und nicht nur in deutscher Sprache bewahrt wurden, sondern die tiefsinnigsten Schöpfungen eines der bedeutendsten Holzschnittmeister inspirierten. und so steht es mit vielen populären Chroniken und Einzellegenden, Beispiel- und Wundersammlungen jener Zeit, die genannt oder ungenannt Stoff oder Form aus der Legenda aurea übernehmen. Ganz für sich stehen die niederdeutschen Übersetzungen und Bearbeitungen, die fast mehr Beziehungen zu den holländischen als zu den oberdeutschen haben. Das Charakteristische ist hier ein Zwischentypus: fast wörtliche Übersetzung aus dem lateinischen Original, aber mitten hinein eingeordnet Zusatzlegenden, von denen manche ganze umfängliche Legenden-Romane sind; am Schluß dann wiederum große stofflichreiche Anhänge. Diese übersetzungen erschienen, in Köln und Lübeck, auch im Druck; während in Oberdeutschland zur Zeit des Buchdrucks die wortgetreuen Übersetzungen von dem einen großen HeiligenLeben bereits verdrängt waren. Es war dann ebenfalls in Köln, daß ein Herausgeber der lateinischen Legenda aurea es unternahm, den gesammten Stoff der zugesetzten Legenden, soweit er erreichbar war, zu sammeln und zu drucken: er hat zu den 177 Kapiteln des Originals einen Anhang von nicht weniger als 197 Kapiteln geliefert; welches ungefähr einen Begriff von der magnetischen Wirkung der Legenda aurea giebt, die schließlich foviel Stoff an sich zog, daß dieser sie selbst an Umfang übertraf. Aber dieser Versuch, die in lateinischen und deutschen Handschriften und Drucken unübersehbar gewordene Überlieferung wissenschaftlich zusammenzufassen, ist schon das Zeichen eines neuen Geistes: der nicht mehr ins Ungemessene producieren und variieren, sondern das Vorhandene ordnen, sichten, festlegen will. So wurde der Text der Legenda aurea selbst auch bald der Revision unterworfen (die bekannteste ist die des Claudius Rota von 1519): denn es war nicht anders möglich, als daß ein Text, der durch eine solche vielgestaltige Überlieferung von mehr als zwei Jahrhunderten hindurchgegangen war, unsäglich verderbt und mißverständlich geworden war. Und die Mißverständnisse begannen erst recht mit dem Buchdruck, der, ungeachtet der deutschen, französischen, englischen, italienischen, holländischen, böhmischen Übersetzungen, von 1470 bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts allein noch über

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siebenzig lateinische Ausgaben hervorbrachte! Aber die Wissenschaft, die jetzt aufkam, begnügte fich nicht mit Textrevision und Sichtung der überlieferten Zufätze. Von zwei Seiten ging sie radikal gegen die Legenda aurea als Ganzes vor: als humanistisch-protestantische Kritik bekämpfte sie den Mythus und das Wunder überhaupt; als katholische, durch diese Kritik beeinflußte Hagiographie wollte sie das Authentische, das quellenmäßig Echte retten, und mußte daher das Dichterische preisgeben; damit fiel aber das ganze Werk. Schon zu des Jacobus de Voragine Lebzeiten hatte es ähnliche Bestrebungen innerhalb seines eigenen Ordens gegeben. Gleichzeitig mit ihm hatte Petrus von Chiozza eine weitschweifige Sammlung von Heiligenleben verfaßt, die, im Gegensatz zu ihm, auf authentische Wiedergabe der Quellen und biographische Richtigkeit Wert legte. Kurz nach des Jacobus Tode, als die Legenda aurea eben berühmt zu werden begann, regte sich sofort der Widerspruch der Fachleute gegen das Volksbuch: Berengarius de Landora, Ordensmeister der Dominicaner, nachmals Erzbischof von Compoftella, veranlaßte den Bruder Bernardus Guidonis ausdrücklich, ein Gegenstück zur Legenda aurea zu verfassen, welche ihm "unvollständig und in vieler Hinsicht unzuverlässig" erschien. Man muß die Widmung dieses Werkes an den Papst Johann XXII. vom Jahre 1324 lesen, um zu erfahren, daß es schon damals eine Wissenschaft um der Wissenschaft willen gab, die im Sammeln des Gleichgiltigen und Unwesentlichen ihren Beruf fand, wenn es nur historische Vollständigkeit und anscheinende Zuverlässigkeit bot. Das umfangreiche Werk des Bernardus, das Speculum Sanctotale, ist denn auch ein Werk für Gelehrte geblieben, ja selbst unter diesen nicht weiterverbreitet, geschweige denn später gedruckt worden: die Absicht, das dichterische Volksbuch des Jacobus zu verdrängen, wurde jedenfalls von ihm nicht erreicht. Erfolg erlangten solche Bestrebungen erst zu Ende des Mittelalters, als der kritisch-wissenschaftliche Geist der Renaissance sich ausbreitete. Das freie künstlerische Weiterbilden am Stoff, die Phantafieauffassung der Welt, die mythische Gesammtanschauung: alles das war mit einer Schnelligkeit vorbei, die uns unbegreiflich erscheint. Humanismus und Protestantismus verdächtigten die Legende überhaupt als Lüge und Priestertrug. Und derselbe philologische Geist, der Luthern auf die heilige Schrift als alleinige

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Quelle der Religion zurückgehen lieft, trieb den Katholicismus, der den Heiligenkult selbst nicht aufgeben wollte, zur Fundierung der Heiligenverehrung durch das HistorischBiographische: mit den kritischen Mitteln, die der Humanismus an die Hand gab, wurden die "echten Quellen" der Legende aufgespürt. Nächst den klassischen Autoren wurden die Heiligenleben der Stoff, an dem sich die größte Leistung der modernen Philologie entfaltete. Petrus de Natalibus, Mombritius, Lipomanus und Surius waren einzelne Ansätze der Bewältigung des Stoffs im 15. und 16. Jahrhundert. Die wunderbare Arbeitsorganisation des Jesuitenordens schloß dann seit 1643 alle Kräfte zu dem Riesenwerk der Acta Sanctorum der Bollandisten zusammen, in welchem mit historischer Kritik und philologischer Treue alle erreichbaren Acten, Viten, Passionen sämtlicher Heiligen vereinigt und in jedem einzelnen Falle nach ihrer GlaubWürdigkeit und historischen Aufeinanderfolge geordnet sind; ein Werk, durch die Jahrhunderte fortgeführt und heute noch nicht abgeschlossen. Die uralte Feindschaft zwischen dem Phantasiemenschen und dem Verstandesmenschen steigerte sich, als die Rationalisten die Herrschaft in Händen hatten, zum Haß gegen die Person des Jacobus de Voragine. Huma-

nisten wie katholische Theologen nannten die Legenda aurea jetzt Legenda ferrea, die eiserne Legende; ihren Verfasser einen Menschen mit ehernem Mund und bleiernem Herzen. Zur rationalistischen Kritik kam der Renaissancehochmut der Neulateiner: die volksmäßige, wahrhaft dichterische Schreibart wurde von den Schreibtischgelehrten mit dem eleganten lateinischen Stil und dem richtigen klassischen Ausdruck als plump und pöbelhaft verdammt. Nur wenige Stimmen unter den gelehrten Historikern erhoben sich, die den armen ungebildeten Autor mit seiner Zeit und der allgemeinen Unbelehrtheit und Roheit des dunkeln Mittelalters entschuldigten und es ihm zu Gute hielten, daß er die Fabeln, die er sammelte, wenigstens nicht selbst erdacht hätte. Die unhistorische Verurteilung von historischer Seite war bis zum Ende des 18. Jahrhunderts allgemein. Und als dann von den Dichtern das Vorurteil gegen die Legende durchbrochen wurde, blieben gerade die Historiker, die doch den mittelelterlichen Menschen am ehesten hätten verstehen müssen, bei ihrem Verdikt. Bei so beschaffner Einschätzung vom 16. bis ins 20. Jahrhundert kann es nicht Wunder nehmen, daß die

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Legenda aurea und mit ihr die mittelalterliche Legende sogut wie verschollen blieb. Selbst den Romantikern, die doch gewiß um den mittelalterlichen Geist sich mühten, war die Legende, für die zum ersten Male Herder eingetreten war, ein Stoffbegriff; ihre originale Form, ohne die fie nichts ist, war ihnen fremd: sie wußten außer Brentano kaum, daß es einmal eine deutsche Prosalegende gegeben hatte. Die wenigen Proben, die Kosegarten in seinen ‫״‬Legenden" (1810) aus dem alten Prosa-Passional mitteilte, vermochten ihn selbst und die anderen an der bloß stofflichen Einschätzung der Legende nicht zu hindern, die er und sie durch schlechte Versbearbeitungen bekundetem Die Kenntnis der Legende war so wenig mehr allgemein, daß Gottfried Kellers gänzlich anders gerichtete Bearbeitungen gerade durch ihren Stoff, als einen unbekannten, erfreuen konnten. Dieser stofflichen Wertung entsprechend ist auch die Wiederentdeckung der Legenda aurea nicht von der Dichtung, sondern von der Kunstgeschichte ausgegangen. Die mittelalterlichen Studien, die durch die Romantik angeregt waren, wandten sich auch auf die Kunst; und hier hat sich Frankreich, hauptsächlich in der Erforschung seiner Kathedralen, früher hervorgetan als Deutschland. Hier wurde denn auch die Legenda aurea schon ziemlich früh, durch Brunet, übersetzt, und dieser Übersetzung von 1843 sind bis in die neueste Zeit verschiedene teils vollständige, teils ausgewählte Übersetzungen gefolgt. Den einzigen modernen Neudruck des lateinischen Originals lieferte hingegen, im Zusammenhang mit den germanisch-literarischen Studien, Deutschland, in der Recension von Graesie, 1846. Aber außer in philologischen Kreisen wurde diese Ausgabe, die trotz eines späteren anastatischen Neudrucks überaus selten geworden ist, wenig bekannt, weil eben das allgemeine künstlerische Interesse in Deutschland lange Zeit fehlte. Als dann in neuerer Zeit die Kunstgeschichte in Deutschland als Wissenschaft, und bald auch als allgemeinere ästhetische Beschäftigung mit Mittelalter und Renaissance emporkam, sah man in diesen Kreisen zuerst die Bedeutung der Legenda aurea ein; doch war man, auch zum Verständnis deutscher Bilder, auf die französischen übersetzungen angewiesen. Schon aus diesem offenbaren Mangel für die künstlerische Anschauung ergab sich die Notwendigkeit einer deutschen Übersetzung. Noch dringender schien eine solche geboten, als endlich der Sinn für die dichterische Form

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wieder erwachte und die Prosalegende als ein :Inbegriff der Erzählungskunfr des Mittelalters, als ein zweites Epos nach dem heidnischen Naturepos, Beachtung und Verständnis fand. Dieser doppelte Zweck: für den Kunst- und Kulturforscher und -liebhaber und für den andächtig und dichterisch Genießenden, hat denn auch die Art der vorliegenden übersetzung bestimmt. Für den wissenschaftlichen Zweck mußte sie vollständig und zuverlässig sein. Das heißt, es durfte nicht dem Ermessen des Übersetzers anheim gegeben sein, Partiten, die er persönlich etwa für unwesentlich oder entbehrlich hielt, wegzulassen oder im einzelnen zu kürzen. Es mußte ferner ein möglichst einwandfreier und verständlicher Text gegeben werden; und das war nur zu erreichen, indem man die ältesten lateinischen Handschriften zu Grunde legte; welches bisher weder bei der sehr mangelhaften Graeßischen Ausgabe, noch bei den französischen Übersetzungen geleistet worden war, die sämmtlich nur auf den Drucken des 15. und 16. Jahrhunderts beruhtem Der zweite künstlerische Zweck konnte allein erfüllt werden durch die Anwendung des alten Deutsch, da nur dieses dem Mittellateinischen wahrhaft entspricht. Hier war es möglich, an die alten deutschen abersetzungen der Legenda aurea anzuknüpfen, insonderheit an die elsässische von 1362; doch war dies nur für Teile möglich, da die alten Übersetzungen weder im Ganzen vollständig, noch im Einzelnen durchaus so deutlich und getreu sind, wie es das Bestreben, dem Original möglichst nahe zu kommen, gebietet; so daß die Sprache der Übersetzung weniger die der alten Verdeutschungen selbst, als eine Sprache nach ihrem Bilde ist. R. B.

Folge der Legenden ♦prologus snFVon dem geistlichen

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Advent und der Wiederkunft des Herrn 3 Von S. Andreas 14 26 Von S. Nicolaus Von S. Lucia 35 Von S. Thomas 38 § Von dem Unterschied der Zeit 47 Von der Geburt des Herrn 47 Von S. Anastasia 56 Von S. Stephanus 58 Von S. Johannes Evangelista 65 Von den unschuldigen Kindlein 73 Von S. Thomas von Cantuaria 78 Von S. Silvester 82 Von der Beschneidung des Herrn 93 Von der Erscheinung des Herrn 102 Von S. Paul dem Einsiedel 111 Von S. Remigius 112 Von S. Hilarius 115 Von S. Macarius 117 Von S. Felix in pincis 119 Von S. Marcellus 121 Von S. Antonius 121 Von S. Fabianus 126 Von S. Sebastian 127 Von S. Agnes 132 Von S. Vincentius 137 Von S. Basilius dem Bischof 141 Von S. Johannes dem Almosner 147 Von S. Pauls

Bekehrung Von S. Paula Von S. Julianus § Von dem Unterschied der Zeit Von der Zeit Septuagesima Von der Zeit Sexagesima Von der Zeit Quinquagesima Von der Zeit Quadragesima Von den Vierzeitenfasten Von S. Agnatius Von Mariae Reinigung Von S. Blasius Von S. Agatha Von S. Vedastus Von S. Amandus Von S. Valentinus Von S. Juliana Von S. Peters Stuhl Von S. Mathias Von S. Gregorius Von S. Longinus Von S. Benedictus Von S. Patricius Von der Verkündigung des Herrn

155 158 1ö4

170 171

173 175

177 179 181 184 194 198 202 203 205 206 207 213 219 235 236

245 249

Von der Passion des Herrn § Von dem Unterschied der Zeit Von der Auferstehung des Herrn Von S. Secundus

272 284

Von S. Maria Aegyptiaca Von S. Ambrosius Von S. Georg

287 289 300

257 272

Folge der Legenden Von S. Marcus Evang. 306 Von S. Marcellinus 314 Von S. Vitalis 315 Von einer Jungfrau zu Antiochia 316 Von S. Petrus Martyr 322 Von S. Philippus 337 Von S. Jacobus dem Minderen 339 Von der Kreuzfindung 349 Von S. Johannes vor dem latinischen Tore 358 Vom großen und kleinen Bittgang 360 Von der Himmelfahrt 364 Vom heiligen Geiste 375 Von S. Gordianus und Epimachus 388 Von S. Nereus und Achilleus 389 Von S. Pancratius 391 § Von dem Unterschied der Zeit 392 Von S. Urbanus 393 Von S. Petronella 394 Von S. Petrus dem Beschwörer 395 Von S. Primus und Felicianus 397 Von S. Barnabas 398 Von S. Vitus und Modestus 403 Von S. Quiricus und Junta 405 406 Von S. Marina Von S. Gervasius und Prothasius 407 Von der Geburt Johannis Baptistae 411 Von S. Johannes und Paulus 421 Von S. Leo, Papst 424

Von Von Von Von Von Von Von

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S. Petrus S. Paulus den sieben Brüdern S. Theodora S. Margareta S. Alexius S. Praxedis

Von S. Maria Magdalena Von S. Apollinaris Von S. Christina

426

439 458 459 463 466 470 470 482 484

Von S. Jacobus dem Großen 487 Von S. Christophorus 498 Von den sieben Schläfern 503 Von S. Nazarius und Celsus 508 Von S. Felix, Papst 512 Von S. Simplicianus und Faustinus 513 Von S. Martha 513 Von S. Abdon und Sennen 517 Von S. Germanus 518 Von S. Eusebius 522 Von S. Peter zu den Ketten 525 Von S. Stephanus dem Papst 532 Von S. Stephani Findung 532 Von S. Dominicus 538 Von S. Sixtus 558 Von S. Donatus 559 Von S. Cyriacus 562 Von S. Laurentius 564 Von S. Hippolytus 5’79 Von Mariae Himmelfahrt 583 Von S. Bernhard 609 Von S. Timotheus 622 Von S. Symphorianus 623

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Folge der Legenden

Von S. Bartholomaeus 624 Von S. Augustinus 634 Von der Enthauptung S. Johannis Bapt. 655 Von S. Felix und 665 Adauctus 666 Von S. Aegidius Von S. Savinianus 669 und Savina Von S. Lupus 673 Von S. Mamertinus 674 Von der Geburt Mariae 676 Von S. Adrianus 688 Von S. Gorgonius und Dorotheus 693 Von S. Prothus und Hyacinthus 694 Von der Erhöhung des Kreuzes 698 Von S. Johannes Chrysostomus 705 Von S. Cornelius und Cyprianus 715 Von S. Eufemia 71ö Von S. Lampertus 719 Von S. Matthaeus 721 Von S. Mauritius 727 Von S. Justin« 732 Von S. Cosmas und Damianus 737 Von S. Forseus 740 Von S. Michael 743 Von S. Hieronymus 756 Von S. Remigius 762 Von S. Leodegarius 764 Von S. Franciscus 766 Von S. Pelagia 781

Von S. Margarita 783 Von S. Thaisis 784 Von S. Dionysius 787 Von S. Calixtus 795 Von S. Lucas 796 806 Von S. Chrysanthus Von den eIftausend Jungfrauen 807 Von S. Simon und Juda 812 820 Von S. Quintinus Von S. Eustachius 821 Von allen Heiligen 828 Von aller Gläubigen Seelen Gedächtnis 839 Von S. Leonardas 853 Von den vier Gekrönten 858 Von S. Theodorus 859 Von S. Martinus 860 Von S. Briccius 872 Von S. Elisabeth 874 Von S. Caecilia 895 Von S. Clemens 903 Von S. Chrysogonus 916 Von S. Katherina 917 Von S. Saturninus 927 Von Sanct Jacobus, der zerschnitten ward 929 Von S. Pastor 934 Von S. Johannes, Abt 936 Von S. Moyses, Abt 937 Von S. Arsenius, Abt 939 Von S. Agathon, Abt 941 Von S. Barlaam und Josaphat 943 Von S. Pelagius 958 Von der Kirchweih 984

§

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Herrn schreiben uns die heiligen Lehrer mit Unterschied viel Bedeutungen. Unser Herr selbst spricht in dem Evangelium St. Lucae, daß er um siebenerlei Nutzen gekommen sei, da er anhebt 'Der Geist des Herrn ist über mir' (Luc. 4,18), und sagt, er sei gesendet, die Armen zu trösten, die Traurigen zu heilen, die Gefangenen zu befreien, die Ungelehrten zu erleuchten, die Sünder zu reinigen, alles menschtiche Geschlecht zu erlösen, alles Verdienst zu belohnen.

Augustinus spricht von einem dreifachen Nutzen der Zukunft Christi und sagt 'In dieser bösen Welt ist nichts, denn geboren werden und arbeiten und sterben: das sind die Kaufwaren unsrer Lande, und um solcher Ware willen ist Gott gleich einem Kaufmann zu uns herabgestiegen. Und wie der Kaufmann giebt was er hat und nimmt was er nicht hat, so nahm Christus an sich von dem Menschen geboren werden sind arbeiten und sterben, als woran hier Überfluß ist, und gab wiedergeboren werden und von dem Tode erstehn und ewiglich herrschen'. 'Er ist gekommen, der himmlische Kaufmann, daß er nähme Schmach und gäbe die ewige Glorie, daß er empfinge den Tod und gäbe das ewige Leben'. Gregorius redet von einem vierfachen Nutzen und Grund der Zukunft des Herrn, und spricht 'Alle, die von Adam sind kommen, begehrten dieses gegenwärtigen Lebens Wollust, Widerwärtiges zu meiden, Scheltworte zu fliehen, Ehre zu suchen: unser Herr ist kommen, daß er Widerwärtigkeit litte, Glück verschmähte, Härtigkeit suchte, Ehre flöhe. Er ist kommen, der Ersehnte, und hat neue Dinge gelehret, Wunder gewirkt, Pein gelitten'. Sanft Bernhard meint einen anderen Nutzen und spricht 'An drei großen Gebrechen leiden wir gar jämmerlich: Wir sind leicht zu verführen, schwach in Werken, gebrechlich im Widerstand. Wollen wir Gut und Böse unterscheiden so sind wir leicht getäuscht; wenn wir das Gute zu tun versuchen, so werden wir schwach; wir werden überwunden, so wir dem Bösen wollen widerstehen. Also kam unser Herr, daß sein Glaube uns erleuchte, seine Gnade uns kräftige, seine Kraft uns beschirme'. § An der anderen Zukunft unsres Herrn, das ist zu dem jüngsten Gerichte, merken wir erstlich: was ihr vorangeht; und zum andern: wovon sie begleitet wird. § Dreierlei ist, was vorangeht: Schreckliche Zeichen, die Wunder des Antichrist, und des Feuers Ungestiimigkeit. Es sind fünf Vorzeichen des Gerichts. Davon schreibt Sanct Lucas 'Es werden Zeichen

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geschehen an der Sonne, an dem Mond und an den Sternen, und auf Erden wird den Menschen bange sein von der Verstörung des Meers und dem Brausen der Wasserwogen' (Luc. 21,25). Von den drei ersten Zeichen ist geschrieben in der heimlichen Offenbarung 'Die Sonne wird schwarz wie ein härener Sack, und der Mond wird wie Blut, und die Sterne fallen von dem Himmel auf die Erde' (Apocal. ö,12). Es heißt 'die Sonne wird schwarz', weil sie ihr Licht ausgehen läßt aus Trauer über den Untergang des Menschen, ihres Hausvaters; oder weil sie von der anderen Sonne, die da aufgeht, von Jesus Christus, verdunkelt wird; oder die Verdunkelung der Sonne ist bildlich gemeint, denn als Augustinus spricht, wird das göttliche Gericht also streng, daß die Sonne das Antlitz unsres Herrn nicht wagen wird anzuschauem Oder im mystischen Sinne, daß die Sonne der Gerechtigkeit Christi verdunkelt sein wird, weil niemand sich wird zu bekennen wagen. Mit 'Himmel' ist hier der Luftraum gemeint, und mit 'Sternen' die Sternschnuppen, weil sie Ähnlichkeit mit Sternen haben. Denn wie man im Volke spricht 'Es fallen Sterne vom Himmel' wenn die Sternschnuppen herabfallen; so bedient auch die Schrift sich hier der volkstümlichen Rede. Dieser Sternschnuppenfall wird um jenen Zeitpunkt sonderlich groß sein, weil Überfluß sein wird an feuriger Materie; und tut dies der Herr zur Erschreckung der Sünder. Es mag auch sein, daß man deshalb spricht 'Die Sterne fallen' weil fie feurige Schweife ausgehen lassen. Oder, bildlich, weil viele, welche Sterne in der Kirche zu sein schienen, am jüngsten Tage werden herabfallen. Oder endlich, weil die Sterne ihr Licht zurückziehen, daß man sie nicht mehr sehen kann. Von dem vierten Zeichen, der Angst auf Erden, ist geschrieben in dem Evangelio St. Matthaei 'Es wird alsdann eine große Trübsal sein, dergleichen nicht gesehen ist von Anbeginn der Welt' (Matth. 24,21). Das fünfte Zeichen, die Verstörung der Wasser, ist, als etliche meinen, der Untergang des Meeres, das wird mit großem Getön vergehen. Davon heißt es in der heimlichen Offenbarung 'und das Meer ist nicht mehr' (Apocal. 21,1). Andere meinen, das fünfte Zeichen sei jenes große Getön, so das Meer mit großem Donner und Schall vierzig Ellen aufsteigt über alle Berge und darnach wieder herabfällt. Nach Gregorius wäre der Wortsinn 'Es wird sein'eine neue und unerhörte Verwirrung des Meeres

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und seiner Flusse'. § Sanct Hieronymus hat funden in den Annales Hebraeorum fünfzehn Vorzeichen des jüngsten Gerichte: ob sie aber bald nach einander kommen, oder ob wieder Zeit dazwischen liegt, das sagt er nicht. § Des ersten Tages so hebet sich das Meer auf über alle Berge vierzig Ellen hoch und steht als eine Mauer an seiner Statt. § Des andern Tages so schwindet das Meer unter sich, daß man es kaum sehen mag. § Des dritten Tages so gehen die Meerwunder aus und lassen sich sehen, und brüllen auf gen Himmel. Der Stimme verstehet niemand denn Gott. § Des vierten Tages so verbrennet das Meer und alle Wasser. § Des fünften Tages so geben alle Bäume und Kräuter blutfarbenen Tau. Man sagt auch, daß dann alle Vögel der Luft sich auf das Erdreich sammeln, ein jeglicher nach seiner Ordnung, und essen noch trinken nicht von Furcht der Zukunft des strengen Richters. § Des sechsten Tages so fallen alle Städte und was gebauet ist, und fahren feurige Blitze wider das Antlitz des Firmaments vom tlntergang der Sonne bis gen den Aufgang. § Des siebenten Tages so schlagen die Steine an einander, daß sie brechen, und spalten sich jeglicher in vier Teile und reiben sich an einander. Das Getöne, das weiß niemand denn allein Gott. § Des achten Tages so wird ein großes Erdbeben, so groß, daß alle Menschen und Tiere niederfallen zur Erde und niemand stehen kann. § Des neunten Tages so wird alles Erdreich gleich eben, und werden alle Berge und Bühel zu Pulver. § Des zehnten Tages so gehen die Menschen aus den Höhlen, darein sie geflohen waren, als wären sie von Sinnen, und mag eins zu deut andern nicht reden. § Des elften Tages so erstehen die Gedeine der Toten, und stehen über den Gräbern. Und tun sich alle Gräber auf von Sonnenaufgang bis Untergang, daß die Toten können heraus gehen. § Des zwölften Tages so fallen die Sterne vom Himmel und alle Planeten und Fixsterne lassen feurige Schweife ausgehen; und es wird abermals ein Feuerregen. Auch sagt man, daß an diesem Tage alle Tiere auf den Feldern mit Brüllen sich sammeln, und essen und trinken nicht. § Des dreizehnten Tages so sterben die Lebenden, daß sie mit den Toten auferfrehen. § Des vierzehnten Tages so verbrennet Himmel und Erde. § Des fünfzehnten Tages so wird ein neuer Himmel und eine neue Erde, und erstehen die Menschen alle. § Das andere, was dem jüngsten Gerichte vorangeht, ist die Trügnis des Anti-

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chrifts. Hier merken wir vierhand Wege, wie der Antichrist die Menschen betrüget. § Das erste ist der schalkete Rat und Lehre, die er den Menschen wird geben, und die falsche Auslegung der Schrift, wenn er spricht und aus der Schrift will bewähren, er fei der wahre Messias, der uns gelobet sei in dem Gesetz; und wird Christi Lehre verkehren und seine Lehre aufrichten. Davon spricht David in dem Psalter 'Herr du wirst geben einen über sie, der ihnen ein ander Gesetz giebt' (Psi 9,21) und die Glosse bezeugt 'das ist der Antichrist, der Geber schnöden Gesetzes'. Und Daniel (11,31) 'Sie werden das Heiligtum entweihen und einen Greuel der Verwüstung aufrichten'. Dazu die Glosse 'Der Antichrist wird im Tempel Gottes sitzen als ein Gott, daß er das Gesetz des Herrn vertilge'. § Das andre sind die falschen Zeichen und Wunder, die er wirken wird. Davon steht geschrieben in der andern Epistel Pauli an die Thessalonicher 'Welches Zukunft geschieht nach der Wirkung des Satans mit allerlei lugenhaftigen Kräften und Zeichen und Wundern' (2. Thessi 2,9) und in der heimlichen Offenbarung 'Und tut große Zeichen, daß er auch Feuer machet vom Himmel fallen vor den Menschen' (Apocal. 13,13). Dazu spricht die Glosse 'Wie den Aposteln der heilige Geist ward geben in Feuers Gestalt, so wird er den bösen Geist geben im Feuer'. § Das dritte sind die großen Gaben, die er seinen Nothelfern giebt. Davon spricht Daniel 'Er wird den Seinen große Gewalt geben und wird die Lande unter sie teilen' (Daniel 11,39) und die Glosse 'Der Antichrist wird den Betrogenen Geschenke geben und die Erde unter sein Heer teilen'. Denn welche er mit Gewalt nicht wird bezwingen können, die wird er durch ihre Habgier gewinnen. § Das vierte ist die große Pein, die er den Menschen antun wird. 'Er wird alle Dinge zerstören, mehr denn glaublich sei' sagt Daniel (Dam 8,24). Und Gregorius spricht 'Er tötet die Starken, denn welche unbesieglich sind im Geiste, denen nimmt er den Leib'. § Das letzte, was dem Gericht vorangehen wird, ist die Ungestümigkeit des Feuers, das vor dem Angesicht des Richters hergeht. Das sendet Gott erstlich, um die Welt zu erneuen, denn es wird alle Elemente läutern und neu machen; und wie das Wasser der großen Sintflut geht es hoch auf, fünfzehn Ellen über alle Berge, 'so hoch wie Menschenwerk je gekommen ist'. Das lesen wir in der Historia Scholastica. Zum andern sendet es der Herr

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zur Läuterung der Menschen: denn es wird ein Fegefeuer sein denen, die noch leben. Zum dritten schickt er es, daß es eine größere Qual sei den Verdammten. Zum vierten, daß es diene zur Glorie der Heiligen: Denn wenn die Welt geläutert ist, wird Gott des Feuers Glanz und Hitze scheiden: die Glut wird er senden an den Ort der Verdammnis, zur Qual den Bösen, den Glanz in die Wohnung der Seligen, daß ihre Freude sich mehre. Das schreibt Basilius. § Hier-

nach folget das Jungste Gericht. Das begleiten mancherlei Dinge. Das erste ist das Gericht des Richters. Es soll geschehen im Tale Josaphat, da wird der Richter erscheinen zu richten Böse und Gute; und wird die Gerechten stellen zu seiner rechten Hand, die Bösen zu seiner Linken; und wird auf einer Höhe sitzen, daß jedermann ihn sehe. Es werden nicht alle in diesem kleinen Tal sein; dies zu denken wäre kindlich, sagt Hieronymus; sondern überall in den umliegenden Orten. Doch können auf einem kleinen Fleck unzählige Menschen sein, sonderlich wenn sie gedrängt stehen; und, so es not tut, werden die Auserwählten in der Luft schweben, durch die Leichtigkeit ihrer Leiber, doch auch die Verdammten werden es können, wenn Gott will. Dann wird der Herr zu den Ungerechten sprechen und sie fragen nach den Werken der Barmherzigkeit, die fie nicht getan haben. So werden sie alle über sich selber weinen. Davon spricht Chrysostomus zu dem Evangelium Matthaei 'Die Juden weinen, so sie den lebend schauen und Leben spendend, den sie tot schätzten an dem Kreuz, und mögen ihre Sünde nicht verhehlen, so sie schauen die offenen Wunden unfres Herrn. Die Heiden weinen, fo fie schauen die Wahrheit, die sie nicht glauben wollten, betrogen von den Reden ihrer Weltweisen: denn sie schätzten es eine Torheit, an einen gekreuzigten Gott zu glauben. Die Sünder unter den Christen weinen über sich, daß sie die Welt mehr liebten, denn Gott und Christum. Die Ketzer weinen, daß sie ihn allein wähnten menschliche Persone, der nun trägt göttliche Krone. Alle Menschelt weinen, da sie keine Kraft empfinden, ihm zu widerstehn, und kein Weg ist, vor seinem Angesicht zu fliehen, noch eine Statt, Buße zu tun, noch eine Frist, sich zu besfern. Nichts bleibt ihnen in solcher Bedrängnis anders denn Trauern'. § Das zweite ist der Unterschied unter den Geurteilten. Denn als Gregorius spricht: An dem jüngsten Gericht wird es vier Unterschiede geben, zwei unter den

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Bösen und zwei unter den Guten. Ein Teil der Bösen wird mit Urteil verdammt; zu denen unser Herr spricht 'Mich hat gehungert, und ihr habt mich nicht gespeiset'. Die andern werden ohne Urteil verdammt, das sind die Ungläubigen; von denen ist geschrieben 'Wer nicht glaubet, der ist in seinem Unglauben verurteilt'. Denn sie sind nicht würdig, daß sie hören die Worte des Urteils, die verschmähet haben die Worte des Glaubens. Andere werden geurteilt und werden das Himmelreich haben: zu denen er sagen wird 'Ich habe gehungert und ihr habt mich gespeiset'. Andre werden selbst urteilen und werden das Reich haben, als Vollkommene, welche über die andern dürfen zu Gericht sitzen. Nicht, daß sie das Urteil sprechen: das tut allein der Richter. Aber sie stehen ihm zur Seite, wenn er richtet. Das geschicht zu ihrer Ehre; denn es ist eine große Ehre, mit dem Richter zu Gericht zu sitzen; nach dem als ihnen der Herr versprochen hat (Matthaeus 19,28) 'So werdet auch ihr auf Stühlen sitzen, zu richten'. Es geschieht zur Bestätigung des Urteils; denn sie werden das Urteil des Richters bestätigen, wie Beisitzer es tun und werden es unterschreiben. Davon spricht der Psalm 'Daß sie ihnen tun das geschriebene Recht' (Pf. 149,9). Es geschieht auch zur Verdammnis der Bösen, die werden durch ihr heiliges Leben verdammt. § Das dritte ist, daß die Zeichen des Leidens unsres Herrn erscheinen, das Kreuz und die Nägel, und die Wundmale an seinem Leib. Sie sind die sichtbaren Zeichen seines Siegs und werden in großer Glorie erscheinen. Davon spricht Chrysostomus über Matthaeus 'Das Kreuz und die Wundmale scheinen lichter denn die Sonne'. 'Siehe, wie groß die Kraft des Kreuzes ist, die Sonne wird dunkel und der Mond verliert seinen Schein, denn es leuchtet herrlicher als Sonne und Mond'. Es werden die Gerechten an diesen Zeichen des Leidens erkennen, daß sie erlöst sind durch das Erbarmen unsres Herrn. Auch wird das Urteil wider die Bösen davon gekräftigt, denn sie werden erkennen, daß sie zu Recht verdammt sind, da sie das große Leiden des Herrn an sich haben lassen verloren gehen. Er wird zu ihnen sprechen, wie Chrysostomus schreibet zu dem Evangelium Matthaei 'Ich bin um euretwillen Mensch worden, gebunden, geschlagen, verspottet, gekreuziget: wo ist die Frucht dieses Leidens? wo ist der Lohn für das Blut, das ich für eurer Seelen Erlösung vergossen? wo ist der Dienst, den ihr mir dafür erzeiget habt? Ich hab euch ge-

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ehret über mich selber, daß ich Gott ein Mensch bin worden; ihr habt mich entehret, indem daß ihr die bösen Dinge der Welt mehr geliebet habt denn mich; denn das schlechteste Ding dieser Welt habt ihr lieber gehabt denn meinen Glauben und meine Gerechtigkeit'. § Das vierte ist die Strengigkeit des Richters. Keine Furcht zwinget ihn, denn er ist allmächtig. Chrysostomus spricht 'Es ist keine Kraft, die ihm widerstehe, noch kann man vor seinem Angesicht fliehen'. Kein Geld und Gut kann ihn gewinnen, denn fein Reichtum ist unermeßlich. Davon spricht Sanct Bernhard 'Wenn er kommen wird, an dem Tage sind lautere Herzen nutzer denn kundige Worte, und ein gut Gewissen genehmer als ein Seckel voll Pfennige; denn der Richter wird nicht betrogen mit Worten, noch überwunden mit Gaben'. Und Augustinus spricht 'An dem jüngsten Gerichte wird ein Richter, der keines Gewaltigen Person ansieht, des Gunst kein Gold noch Silber, noch Bischoß noch Abt, noch Graf gewinnen mag'. Kein Haß vermag etwas über ihn, denn er ift gut. Davon heißt es im Buch der Weisheit 'Du hasfest nicht, was du erschaffen hast' (Sap. 11,25). Keine Liebe zwingt ihlt, denn er ist gerecht, darum wird er den falschen Christen, seinen Brüdern, nichts nachsehen. Davon heißt es im Psalm 'Der Bruder hilft nicht' (Psi 48,8). Er irret nicht, denn er ist die oberste Weisheit. Papst Leo spricht 'Dies ist die Kunst des obersten Richters, dies ist sein furchtbares Angeficht; es geht durch alle Schlösser, ihm ist alle Heimlichkeit offenbar; da wird die Finsternis Licht, was stumm ist antwortet, und die Gedanken des Menschen reden ohne Stimme. Und darum, daß diese Weisheit so groß ist, so versähet wider fie nicht die Widerrede der Fürsprechen, noch die Trügnis der Weltweisen, noch die kluge Rede der Sprecher, noch die Schalkheit der Listigen'. Spricht Sanct Hieronymus 'Seliger sind die Stummen an dem Tage denn die Schwätzer, seliger sind die Hirten denn die Weltweisen, die Bauern denn die Künstereichen, und Einfalt wird besfer sein als eines Cicero Spitzfindigkeit'. § Das fünfte ist die furchtbare Anklage. Denn es werden drei Ankläger aufstehen wider den Sünder. Das erste ist der böse Geist. Davon spricht Sanct Augustinus 'Gegenwärtig ist der Teufel und wiederholt die Worte unsrer Beichten, und mahnet den Menschen alles des, das er getan hat, an welchem Ort, und zu welcher Stunde, und was wir Gutes auf die Zeit sollten

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haben vollbracht. Denn er wird sprechen 'Herr, gerechter Richter, urteile, daß dieser mein sei um seine Sünde, der nicht dein wollte sein um Gnade; er ist dein von Naturen, mein von Sünden; dein um dein Leiden, mein um meinen Rat; dir war er ungehorsam, mir ist er gefolgt; von dir hat er empfangen das Kleid der Unsterblichkeit, von mir den wollenen Rock zeitlichen Lebens; dein Kleid hat er verloren, in meinem steht er hier offenbar: darum so fordere ich diesen Menschen, daß er sei mein und mit mir leide ewige Pein.' Wird der den Mund auftun können, der also geurteilt wird dem Teufel gleich?' Der andre Ankläger ist des Menschen eigene Missetat; denn die eigenen Sünden werden einen jeglichen anklagen. Davon ist geschrieben in dem Buche der Weisheit 'Sie kommen voll Furcht in ein Betrachten ihrer Sünden, und stehen alle ihre Sünden als Ankläger wider sie auf' (Sap. 4,20). Sanct Bernhard spricht 'Dann werden die Werke alle zugleich wider den Sünder sprechen: wir sind deine Werke, du hast uns gewirket, wir lassen dich nicht, wir wollen allezeit bei dir sein und bei dir stehn vor Gericht. Und werden ihn anklagen unzähliger Missetat'. Der dritte Ankläger ist die Welt allesamt. Davon spricht Gregorius 'Fragst du, wer dich anklagen wird? Ich sage es dir: die ganze Welt. Denn mit dem Schöpfer ward alle Creatur von dir beleidigt'. Und Chryfoftomus spricht über Matthaeus 'An dem Tage werden wir nichts antworten können, denn Himmel und Erde, Sonne und Mond, Tag und Nacht und alle die Welt stehen zu Gezeugnis wider den Sünder; und ob diese alle schwiegen, so stünden doch unsre Gedanken und unsre Werke zu Gezeugnis wider uns, und klagten uns an'. § Das sechste ist das untrügliche Zeugnis. Denn es stehen drei Zeugen wider den Menschen; der eine ist über ihm, der andre in ihm, der dritte neben ihm. Der erste Zeuge ist Gott. Von dem spricht Jeremias 'Ich bin Richter und Zeuge, spricht der Herr' (Aerem. 29,23). Der andere Zeuge ist unser Gewissen. Von dem spricht Sanct Augustinus 'Fürchtest du den künftigen Richter, so strafe dein gegenwärtiges Gewissen; denn das Zeugnis deines Gewissens ist ein Urteil deiner Sachen'. Der dritte Zeuge ist der Engel der uns zum Schutz gegeben ist; der weiß alles, was wir getan haben, und steht zum Zeugnis wider uns auf. Von dem spricht Hiob 'Die Himmel' das sind die Engel 'die offenbaren die Sünde des Menschen' (Job 20,27). § Das siebente ist die Angst des

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Sünders ob alle dem. Davon spricht Sanet Gregorius 'O wie enge werden die Wege des Sünders! So er ob ihm sieht den zornigen Richter, unter ihm den gähnenden Höllenschlund, zur Rechten die anklagende Sünde, zur Linken die Teufel, die ihn zur Pein schleppen wollen, inwendig das nagende Gewissen, auswendig um ihn die brennende Welt. Wo fliehet der arme Sünder hin, so er also umgeben ist? Es ist unmöglich, daß er sich möge verhehlen und ist ihm unleidlich, daß er sich erzeige'. § Das achte ist das Urteil; und das ist unwiderruflich. Denn des Richters Spruch kann nimmermehr aufgehoben werden, noch giebt es eine Berufung wider ihn. Denn auch irdisches Recht duldet keine Berufung in den drei Dingen: Erstlich, wenn der Richter zu mächtig ist; also kann man wider das urteil eines Königs in seinem Reiche keine Berufung tun, da niemand über ihm ist; also giebt es keine Berufung wider den Kaiser und wider den Papst. Zum andern, wenn die Missetat offenbar ist. Und zum dritten, wann die Sache unaufschiebbar ist; denn aus der Verschleppung möchte der Sache Nachteil kommen. Um dieser drei Ursachen willen wird auch am jüngsten Tage keine Berufung sein. Erstlich wegen der Größe des Richters; denn dieser Richter hat Keinen über sich, sondern überragt die andern alle an Ewigkeit, Würde und Macht. Vom Kaiser oder vom Papst könnte man gleichsam noch zu Gott mit seiner Klage gehen, von Gott aber zu niemandem, denn er hat niemand über sich. Zum andern wegen der Offenkundigkeit der Missetat. Denn alle Bosheit und Verbrechen ist dann offenbar. Davon spricht Sanct Hieronymus 'Es wird jener Tag kommen, da alle unsre Tat wird offenbar sein und gezeigt wird werden, als wäre sie auf einer Tafel gemalt'. Zum dritten wegen der Unaufschiebbarkeit der Sache; denn was dort geschieht, leidet nimmermehr Aufschub. Alles geschieht da in einem Augenblick. § Von Sanct Andreas dem Apostel. -‫־‬Wttdreas ist verdolmetschet schön; oder antwortend; oder ■crmännlich, von andros, das ist: Mann. Oder Andreas ist

soviel wie antropos, Mensch, und kommt von ana, in die Höhe, und tropos, Kehrung: einer, der hinauf zum Himmel und zum Göttlichen gekehrt und zu seinem Schöpfer emporgerichtet war. Schön war er in seinem Leben; antwortend in

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weifer Lehre; männlich im Leiden; ein Mensch in seinem Ruhm. § Sein Martyrium haben uns beschrieben die Presbyter und Diaconen von Achaia oder Asia, wie sie es mit ihren Augen gesehen hatten. -'}sttdreas und etliche andere Junger sind dreimal von un■41 ferm Herrn berufen worden. Das erste Mal hat er sie gerufen zu seiner Erkenntnis, das war des Tages, da Andreas und ein anderer Junger von Johannes seinem Meister die Worte hörte 'Sehet, das ist das Lamm Gottes, das der Welt Sunde trägt'. Da kam Andreas mit dem andern Junger und sah, wo Jesus wohnte, und blieben den Tag bei ihm; und da Andreas seinen Bruder Simon fand, führte er ihn auch dahin. Des andern Tags kehrten sie von unserm Herrn und fuhren wieder auf das Meer fischen. Zum andern Mal rief er sie zu seiner Freundschaft, da das Volk sich um ihn drängte am See Genezareth, der da heißt das Meer Galileae; da trat er in das Schiff Andreae und Simonis und hieß fie tun den wunderbaren Fischzug; und rief darnach auch Jacobum und Johannenr, die in dem anderen Schiffe waren; alfo folgten sie ihm nach; aber nicht lange, so kehrten sie wieder von ihm. Darnach berief er sie zum letzten Mal zu seiner Nachfolge, als er am Gestade desselben Meeres ging, da sie fischten, und sprach 'Folget mir nach, ich will euch zu Menschenfischern machen'. Da ließen sie alles, folgten ihm nach und blieben hinfort bei ihm. Der Herr rief auch Andreas, da er ihn mit etlichen andern Jungern zum Apostel berief. Davon spricht Marcus 'Er rief zu sich, welche er wollte, und sie gingen zu ihm hin, und er ordnete die Zwölfe, daß sie bei ihm sein sollten und daß er sie aussendete zu predigen' (Marc. 3,13). § Da unser Herr gen Himmel war gefahren, teilten die Junger sich durch die Welt, und kam Sanct Andreas in das Land Scythia und Sanct Matthaeus predigte in dem Lande Murgundia oder Mirmidona. Die Predigt Sanct Matthaei aber verschmähten die Leute und stachen ihm die Augen aus, warfen ihn gebunden in einen Kerker, und wollten ihn über etliche Tage töten. Unter der Zeit erschien der Engel des Herrn dem Andreas und gebot ihm, daß er nach Murgundia ginge zu Sanct Matthaeo. Sprach Sanct Andreas, er wüßte des Weges nicht. Da gebot ihm der Engel, daß er an das Gestade des Meeres gehe, und in das erste Schiff steige, das er daselbst fände. Andreas tat, wie ihm der Engel geheißen

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hatte, und kam unter des Engels Führung bald in die Stadt mit einem glückhaften Wind. Und kam zu dem Kerker, den fand er offen; und sah Sanct Matthaeum, und weinte und betete. Da empfing Matthaeus sein Gesicht wieder, das ihm die Bosheit der Ungläubigen geraubt hatte; und fuhr von dannen und kam gen Antiochia; Andreas aber blieb zu Murgundia. Da ward das Volk zornig, daß ihm Matthaeus entronnen war, und nahmen Andream und banden ihm seine Hände, und schleiften ihn durch die Stadt, daß fein Blut auf die Erde rann. Da bat er unfern Herrn für fie in seinem Leiden, und bekehrte sie mit diesem Gebet zu Christo. Darnach fuhr er auch gen Antiochiam. § Och meine aber, was hier von der Heilung der Blindheit des Matthaeus erzählt wird, ist man nicht schuldig zu glauben; auf daß nicht so klein gemacht werde der große Evangelist und Apostel Matthaeus: als sollte er sich von Gott nicht selbst haben erbitten können, was Andreas ihm also leichtlich erwarb. § Es geschah, daß ein edler Jungling wider seiner Eltern Willen dem heiligen Andreas nachfolgte. Da legten die Eltern Feuer an das Haus, darin der Zwölfbote mit dem Jungling war. Da nun die Flamme begann zu wachsen und aufzusteigen, nahm der Jungling ein kleines Gläslein mit Wasser und goß es auf das Feuer, da erlosch es alsbald. Sie aber sprachen 'Unser Sohn ist ein Zauberer worden' und legten Leitern an das Haus und wollten den Jungling sahen. Da wurden sie blind, also daß sie die Stufen der Leiter nicht mehr sehen mochten. Sprach einer, der dabei stund 'Warum bekümmert ihr euch in fruchtloser Arbeit? Gott streitet für sie, und ihr sehet es nicht. Lasset ab, daß der Zorn Gottes nicht über euch komme'. Von diesem Zeichen wurden Viele gläubig. Die Eltern aber starben nach fünfzig Tagen beide in demfelbigen Augenblick. § Das Weib eines Mörders war eines Kindes schwanger, und da ihre Stunde kant, mochte sie des Kindes nicht genesen. Da sprach sie zu ihrer Schwester 'Gehe hin und rufe Diana unsre Göttin an, daß sie mich erlöse von der Pein, die ich leide'. Das tat die Schwester. Da antwortete der Teufel aus dem Bild und sprach 'Warum rufst du mich an? Ich kann deiner Schwester nicht helfen. Aber gehe hin■ zu Andreas dem Apostel, der mag ihr wol helfen'. Alfo ging sie zu dem Zwölfboten und führte ihn zu ihrer frechen Schwester. Da sprach Sanct Andreas 'Es ist billig, daß du diese Pein leidest, denn deine

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Ehe ist böse, du hast in Arglist empfangen, und hast den Teufel angerufen. Aber tue Buße und glaube an Christum, so wirst du des Kindes genesen'. Sie glaubte, und genas eines toten Kindes, und aller Schmerz wich von ihr. § In den Zeiten war ein alter Mann, Nicolaus mit Namen, der kam zu Sanct Andreas und sprach 'Herr, siehe, meines Lebens sind siebenzig Jahre, und ich habe sie alle verzehrt in unkeuschem Leben; doch hab ich gelesen unterweilen das Evangelium Christi, und hab Gott gebeten, daß er mir endlich Keuschheit verleihe. Des ward ich nie gewährt, denn meine böse Gewohnheit und Wollust zog mich alle Zeit wieder zu den Sünden. Es geschah, daß ich einst das Evangelium von ungefähr mit mir trug, da ich unkeusche Werke wollte vollbringen. Da sprach die Frau, mit der ich wollte sündigen 'Geh von mir, du bist ein Engel Gottes, berühre mich nicht und gehe nicht zu mir ein, denn ich sehe große Wunder an dir'. Da erschrak ich, und merkte, daß ich das Evangelium bei mir trug. Nun bitte ich dich, heiliger Andreas, daß du mit deinem Gebet meine Sünde vertreibest'. Da dies Andreas hörte, weinte er aus großem Mitleiden, und lag an seinem Gebet von Terz- bis Nonzeit, und da er aufstund, wollte er nicht essen, sondern sprach 'Ich will keine Speise versuchen, unser Herr tue mir denn kund, ob er sich erbarmen wolle über diesen alten Sünder'. Da er fünf Tage gefastet hatte, kam eine Stimme zu ihm, die sprach 'Andreas, du bist deiner Bitte gewährt. Und wie du dich mit Fasten hast kasteiet, so soll auch er fasten; so ist er gerettet'. Also geschah es, und der Greis lebte sechs Monate bei Wasser und Brot; und nach vielen guten Werken entschlief er in Frieden. Und wieder kam die Stimme zu Andreas und sprach 'Durch dein Gebet hab ich wieder funden Nicolaum, den ich verloren hatte'. § Ein Christenjüngling kam zu Sanct Andreas und sprach zu ihm heimlich: 'Da meine Mutter sahe, daß ich schön bin, ist sie in unkeuscher Liebe zu mir entbrannt; und da ich ihr nicht gehorsam wollte sein, klagte sie es dem Richter, und zieh mich der Missetat, die sie wollte vollbringen. Da bitt ich dich, heiliger Andreas, bete für mich, daß ich nicht also unschuldig müsse sterben. Denn ich will lieber sterben, als daß ich meine Mutter schände und sage, was sie an mich begehrt hat'. Als nun der Jüngling vor Gericht geführt ward, folgte Sanct Andreas ihm nach. Die Mutter klagte über den Sohn, daß er ihr wollte Ge-

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walt tun; der Jungling ward gefragt, ob es wahr sei; aber so oft man ihn fragte, er antwortete nichts. Da sprach Sanct Andreas 'Du böses Weib, um deine Unkeuschheit willst du dein einiges Kind töten?' Aber die Frau sprach zum Richter 'Herr, wisset, daß mein Sohn mit diesem Manne hat gewohnt, nachdem er die Bosheit an mir versucht hat, und es ihm nicht gelang'. Da ward der Richter zornig und hieß den Jungling in einen Sack mit Pech stoßen und in den Fluß werfen. Sanct Andreas aber ließ er in einen Kerker beschließen, bis er zu Rat würde, mit welcher Marter er ihn töte. Da sprach Andreas sein Gebet zu Gott, und es geschah ein großer Donnerschlag, der erschreckte das Volk, und ein Erdstoß schlug sie alle zu Boden; das böse Weib aber ward vom Blitz zu Asche gebrannt. Die andern baten Sanct Andreas um ihr Leben, und er betete für sie: da verging die Ungestümigkeit. Der Richter aber ward gläubig und sein ganzes Haus mit ihm. § Zu den Zeiten kam Andreas in die Stadt Nicaea. Da klagten ihm die Bürger, daß draußen vor der Stadt bei der Straße sieben böse Geister wohnten, und alle Menschen töteten, die den Weg wandelten. Der Apostel beschwor sie; da erzeigten sie sich dem Volk in der Gestalt von Hunden. Darnach gebot er ihnen, dorthin zu fahren, wo sie keinem Menschen mehr schaden könnten; alsbald waren sie verschwunden. Da das Volk dies Zeichen sah, empfingen sie Christenglauben. Fürbaß ging er zu einer andern Stadt, und da er ans Stadttor kant, trug man ihm einen toten Jungling entgegen. Andreas fragte, was ihm geschehen sei. Sie antworteten 'Es sind sieben Hunde zu ihm eingegangen und haben ihn in seiner Kammer getötet'. Da weinte Sanct Andreas und sprach ‫׳‬Herr, ich weiß, daß dies die sieben Geister haben getan, die ich aus der Stadt Nicaea vertrieben habe', und sprach zu des Junglings Vater 'Was giebst du mir, wenn ich deinen Sohn gesund mache?' Da antwortete ihm der Vater und sprach 'Ich habe nichts lieberes denn meinen Sohn, den geb ich dir'. Da betete Andreas über dem Jungling, und er erstund, und folgte dem Apostel nach. § Es wollten vierzig guter Menschen zu Sanct Andreas über Meer fahren, daß sie seine heilige Lehre hörten. Da machte der böse Geist ein Unwetter auf dem Meere, daß die Menschen alle ertranken. It1re Leiber aber wurden an den Strand geworfen und vor den Heiligen gebracht; der gebot ihnen, daß sie alsbald auf-

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stünden. Da waren sie lebendig und erzählten ihm alles, was ihnen widerfahren war. Daher liest man in einem Hymnus auf den Heiligen: 'Quaterdenos juvenes / submersos maris fructibus / vitae reddidit usibus': 'Vierzig Junglinge / verfunken in Meeres Fluten / gab er dem Leben wieder'. § Darnach wohnte Sanct Andreas in Achaia und bauet( viel Kirchen in dem Land und bekehrte des Volkes viel zum Christenglauben. Auch des Landpflegers Egeas Frau lehrte er den Glauben und taufte sie. Als das Egeas vernahm, kam er in die Stadt Patras und zwang die Christenleute, daß sie den Abgöttern sollten ihr Opfer bringen. Da ging ihm Sanct Andreas entgegen und sprach zu ihm 'Da du gewürdiget bist zu einem Richter der Menschen, so ist es billig, daß du lernest erkennen deinen Richter im Himmel und dem dienest, und dein Gemüte ziehest von den falschen Abgöttern'. Antwortete Egeas 'Du bist Andreas, der da predigt den bösen ;Irrglauben, den die römischen Fürsten kürzlich auszutilgen geboten haben'. Dem antwortete Andreas und sprach 'Die Fürsten der Römer wissen noch nicht, daß Gottes Sohn auf Erden ist kommen und gelehret hat, wie eure Götzen voll sind der bösen Geister, die euch nichts anderes raten, als wie ihr mißfallet dem allmächtigen Gotte; sie wollen euch von ihm kehren, daß er euch nicht erhöre, und ihr davon in des Teufels Stricke fallet, und darinnen so lange gefangen lieget, bis daß ihr nackt und bloß von dieser Erde scheidet und nichts anderes mit euch traget denn eure Sünden'. Egeas antwortete 'Da euer Jesus diese eitlen Dinge predigte, darum ward er ans Kreuz genagelt'. Sprach Andreas 'Daß Gott die Marter hat gelitten, das tat er von seinem eigenen Willen, nicht um seine Missetat, sondern um unser Heil und Seligkeit'. Egeas sprach 'Wie redest du, daß er von seinem eigenen Willen den Tod habe erlitten, da er doch von seinem Junger verraten ward, und von den Juden gefangen, und von den Kriegsknechten ans Kreuz geschlagen'. Da antwortete Andreas, und begann mit fünf Sachen zu bewähren, daß Gott von eigenem Willen den Tod habe gelitten und sprach 'Er wußte sein Leiden voraus, da er zu seinen Jungern sprach in dem Evangelio 'Sehet, wir ziehen hinauf gen Jerusalem, da wird des Menschen Sohn in den Tod gegeben', und als Petrus ihn davon abkehren wollte, fuhr er ihn hart an und sprach 'Weiche von mir. Satanas'. Auch bezeugte er, daß er beides könne, leiden und auferstehen, da er sprach

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'Ach habe Gewalt, meine Seele zu geben und wieder zu nehmen'. Er wußte den, der ihn verraten sollte, da er ihm das eingetunkte Brot gab, und hütete sich dennoch nicht vor ihm. Auch ging er williglich an die Statt, da er wußte, daß er sollte verraten werden. Und ich war Zeuge aller dieser Dinge'. So sprach Andreas und rief 'Groß ist das Mysterium des Kreuzes'. Egeas aber sprach 'Das Kreuz ist kein Mysterium, sondern eine Pein, und wisse fürwahr: es sei denn, daß du meinen Geboten gehorsam bist, sonst sollst du das Mysterium des Kreuzes erfahren'. Da sprach Andreas 'Wollte ich fürchten die Pein des Kreuzes, so predigte ich nicht das Lob des Kreuzes. Darum will ich, daß du vernehmest das Mysterium des Kreuzes, ob du es wollest glauben, auf daß du gerettet werdest'. Und fing da an und legte ihm das Mysterium des Leidens dar, wie es notwendig sei um fünf Ursachen. 'Zum ersten, wie der erste Mensch durch das Holz des Baumes hatte gesündigt und den Tod hatte in die Welt gebracht, so sollte der zweite Mensch den Tod vertreiben an dem Stamm des heiligen Kreuzes. Zum andern, wie der erste Sünder gemacht war aus jungfräulicher Erde, so sollte der Erlöser geboren werden von einer reinen Jungfrau. Zum dritten, wie der erste Adam seine gierige Hand ausreckte nach dem verbotenen Apfel, so streckte der zweite Adam seine unschuldigen Hände an das Kreuz. Zum vierten, wie der erste Mensch versuchte die Süße des Apfels, also versuchte Christus die Bitterkeit der Gallen an dem heiligen Kreuze, auf daß er es gut mache durchs Gegenteil. Zum fünften, wie uns Christus seine Unsterblichkeit brachte, so mußte er unsere Sterblichkeit an sich nehmen. Denn wenn Gott nicht sterblich geworden wäre, so hätte der Mensch nicht die Unsterblichkeit erlangt'. Darnach sprach Egeas 'Diese unsinnigen Worte sage den Deinen. Aber mir gehorche, und opfere den allmächtigen Göttern'. Andreas antwortete 'Dem allmächtigen Gotte opfre ich alle Tage ein reines Lämmlein, und ob es gleich von allem Volk genossen wird, so bleibt es doch lebendig, einig und ganz'. Egeas fragte, wie das geschehe. Andreas antwortete 'Werde sein Junger, so will ich es dir offenbar machen'. Da sprach Egeas 'Ich will dich mit Pein zwingen, daß du es mir sagen mußt'. Und hieß ihn voll Zorns in den Kerker schließen. Des andern Tages ward Sanct Andreas vor Gericht geführt. Egeas riet ihm abermals, daß er den Abgöttern sein Opfer böte.

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und sprach 'Gehorchst du mir nicht, so sollst du an dem Kreuze hängen, das du sehr gelobt hast'. Und drohte ihm große Pein. Andreas antwortete 'Die größte Pein, die du mir magst gedenken, zu der bin ich bereit; denn je größere Pein ich um den Namen meines Herrn geduldig leide, desto genehmer bin ich ihm'. Da gebot Egeas, es sollten einundzwanzig Mann den Heiligen schlagen und darnach mit Händen und Füßen an ein Kreuz binden, daß seine Marter desto länger währe. Also führte man ihn zu dem Kreuze. Da folgte ihm nach eine große Schar des Volkes, die riefen mit lauter Stimme 'Das unschuldige Blut dieses Gerechten wird verdammt ohne Ursache'. Da bat Andreas das Volk, daß sie seine Marter nicht hinderten. Da er aber das Kreuz von fern fahr, da grüßte er es und sprach 'Gegrußet seist du, Kreuz, das du von dem Leib unsres Herrn geweiht bist und von seinen Gliedern als von Perlen gezieret. Ehe Gott an dich stieg, warst du voll irdischen Schreckens, nun aber bist du voll göttlicher Liebe und gar willkommen. Darum so komme ich sicher und fröhlich zu dir; ach, daß auch du mich mit Freuden empfingest. Denn ich bin ein Junger des, der an dir ist gehangen, und habe dich allzeit lieb gehabt und habe begehrt, dich zu umfahen. O gutes Kreuz, du hast von den Gliedern unsres Herrn Schönheit und Zierde empfangen, ich habe dein lange begehrt, ich habe dich fleißiglich geminnot, ohn Unterlaß hab ich dich gesucht, nun bist du bereit meinem begierigen Herzen. Nimm mich von der Welt und gieb mich meinem Meister wieder, daß er mich von dir empfahe, der mich durch dich hat erlöset'. Als er dies gesprachen hatte, zog er seine Kleider aus und gab sie denen, die ihn kreuzigen sollten. Also hingen sie ihn an das Kreuz. Daran lebete er noch zwei Tage und predigte zwanzigtausend Menschen, die da immer bei ihm stunden. Da drohete das Volk dem Egeas den Tod, daß er den gerechten sanftmütigen milden Menschen zu solcher Pein hatte verdammt. Da nahete Egeas dem Kreuze, daß er Sanct Andreas von dem Kreuze hieße ledigen. Als Andreas dies sah, sprach er 'Egea, warum bist du her zu uns kommen? Hast du Reue und begehrest Gnade, die sollst du finden. Bist du aber kommen, daß du mich von dem Kreuze nehmest, so wisse, daß ich lebend von diesem Kreuze nicht komme, denn ich schaue schon den König, der mein wartet'. Und da sie ihn wollten von dem Kreuze nehmen, mochten sie ihm nicht nahen, und ihre

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Arme wurden alsbald lahm. Als aber Sanct Andreas die Begierde des Volkes sah, da sprach er dies Gebet an dem Kreuze als uns Sanct Augustinus schreibet in dem Buche De poenitentia 'Herr, ich bitte dich, daß du mich nicht lasfest lebend von diesem Kreuze kommen. Es ist Zeit, daß du der Erde wiedergebest meinen Leib: ich hab ihn so lange getragen und hab ihn so lange gehütet mit großen Sorgen und Arbeit, daß ich nun begehre erlöst zu werden von diesem Gehorsam, und bitte, daß mir abgenommen wird dieses schwere Kleid; denn ich betrachte, wie schwer dieser Leib mir ist gewesen zu tragen, wie widerspenstig zu zähmen; wie sehr zu pflegen in seiner Schwachheit, wie oft zu zügeln in feiner Üppigkeit. Herr, du weißt, wie oft mich der Leib begehrte zu ziehen von der Reinheit göttlicher Anschauung, wie oft er mich zog von der Süßigkeit göttlicher Ruhe, und wie oft er mir große Schmerzen hat angetan. Sieh an, liebster Vater, wie ich dieser Anfechtung so lange hab widerstanden und sie mit deiner Hilfe hab überwunden. Und so bitte ich dich, du guter und gerechter Richter, empfiehl mir diesen Leib nicht fürbaß, sondern laß ihn mich dir wiedergeben. Befiehl ihn einem, den er nicht beschwert, der ihn bewahre bis zu seiner Auferstehung und ihn dann wiedergebe, daß er den Lohn seiner Arbeit empfange: befiehl ihn der Erden, daß ich hinfort nicht dürfe wachen, daß ich leicht und frei ohn alles Hindernis möge kommen zu dir, dem Brunnen der ewigen Freude'. Da Sanct Andreas dies Gebet vollbracht hatte, da kam ein Licht vom Himmel, des Schein umgab den Heiligen bei einer halben Stunde, daß ihn kein Mensch sehen mochte; und da das Licht verschwand, fuhr sein Geist mit ihm zu Himmel. Es kam Maximilla, des Egeas Weib, die nahm den Leichnam des heiligen Zwölfboten und begrub ihn mit großen Ehren. Egeas aber ward, noch ehe er sein Haus erreichte, von dem bösen Geiste besessen und starb auf der Straße vor allem Volk. § Man sagt, daß aus Sanct Andreas Grabe Manna gehe, ähnlich dem Mehl, und ein wohlriechend öl. Es kündet den Einwohnern des Landes des künftigen Jahres Fruchtbarkeit: fließt es spärlich, so bringt die Erde schlechte Frucht, fließt es reichlich, so glebt es ein gutes Jahr. Also mag es etwan vor alters gewesen sein; nun aber sagt man, daß der heilige Leichnam überführt ward nach Constantinopel.

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§ Es war ein Bischof, der führte ein geistlich Leben, und liebte Sanct Andreas vor allen Heiligen. Was er anfing, so sprach er 'In Gottes und Sanct Andreas Namen'. Das neidete der böse Geist und legte an mit aller Listigkeit, wie er den Bischof betrüge. Und zeigte sich in einer schönen Frauen Gestalt in dem Palast des Bischofs; die begehrte, daß der Bischof ihre Beichte höre. Der Bischof entbot ihr, daß sie seinem Beichtiger beichten solle, dem er volle Gewalt gegeben hatte. Sie entbot ihm hinwider, daß sie keinem Menschen ihre Heimlichkeit wolle wissen lassen, denn allein dem Bischof. Also überwand sie den Bischof, daß er sie zu sich kommen ließ. Da sie vor ihn kam, sprach sie 'Herr, ich bitte euch, erbarmt euch über mich; denn ich bin noch jung und von Kind auf gar zärtlich erzogen, als ihr wol schauen möget, und bin von königlichem Geschlecht geboren. Ich bin in Pilgerims Weise her zu euch kommen, denn mein Vater ist ein mächtiger König und wollte mich einem großen Fürsten zur Ehe geben; ich aber antwortete ihm: ich habe meine Keuschheit Christo ewiglich gelobt, und werde mich nie zu leiblicher Ehe geben. Da wollte mein Vater mich zwingen: ich sollte seinen Willen tun oder große Pein und Strafe leiden. Darum fo entrann ich heimlich und begehrte lieber im Elend zu leben, als meinem himmlischen Bräutigam die Treue zu brechen. Da ich nun das Lob eurer Heiligkeit hörte, so hab ich Zuflucht genommen unter die Fittiche eures Schutzes, und hoffe bei euch eine ruhige Statt zu finden, da ich der Stille meiner göttlichen Betrachtung leben könne und da ich sicher sei vor der Betrübnis und Anfechtung der Welt'. Da verwunderte fich der Bischof, daß fo große fromme Worte aus dem Herzen eines zarten Menschen und so schönen Weibes flossen, und antwortete ihr mit sanfter Stimme und sprach 'Sei ruhig, Tochter, und fürchte dich nicht, denn der, um des willen du so kräftiglich Freundschaft und Ehre und Gut verschmähet hast, der wird dir große Gnade geben in dieser Zeit und überflüssige Glorie in dem ewigen Leben. Aber ich, als sein Knecht, biete dir mich und alles meine, daß du dir auserkiesest eine Statt zu deiner Wohnung; und bitte dich, daß du heute mit mir wollest essen'. Sie antwortete 'Lieber Vater, bittet mich das nicht, damit kein böser Argwohn daraus entspringe und den Ruhm eurer Heiligkeit beflecke'. Der Bischof sprach 'Wir sollen nicht allein essen, es sollen der Meinen viel dabei sein, darum so mag niemand nichts Böses

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gedenken'. Es kam die Zeit, daß sie zu Tische sollten gehn, da setzte der Bischof sie gegen sich über und die andern setzten sich zu den Seiten. Der Bischof sah sie häufig an und mochte den Blick nicht von ihr wenden, so verwunderte er sich über ihre große Schönheit. Also ward sein Herze versehet von dem Blick seiner Augen: denn da seine Augen unverwandt das schöne Gesicht ansahen, senkte der Stachel des Bösen sich in sein Herz. Der Teufel nahm das wahr, und mehrte seine Schönheit je mehr und mehr. Der Bischof war nahe daran, daß er sie bitten wollte, seinen Willen zu tun, wenn die erste Gelegenheit sich erzeige; da klopfte es plötzlich ungestüm ans Tor und ein Pilgerim begehrte mit lautem Rufen Einlass Und da man ihm nicht öffnete, rief und klopfte er also ungestüm, daß der Bischof die Frau fragte, ob es ihr genehm wäre, wenn man den Menschen einließe. Sie antwortete 'Man lege ihm eine schwere Frage vor: kann er die auflösen, so ist er würdig, daß man ihn einlasse, kann er es nicht, so ist er als ein Unweiser nicht würdig, daß er vor den Bischof komme'. Das gefiel ihnen allen wohl, und fragten, wer unter ihnen so weise wäre, daß er die Frage sollte aufgeben. Da man niemanden fand, sprach der Bischof 'Fraue, unter allen denen, die gegenwärtig sind», so schaue ich niemand, der geschickt sei, die Frage vorzulegen, als euch, denn ihr übertreffet uns alle mit Weisheit eurer Rede. Darum so sollet ihr die Frage vorlegen'. Sie antwortete und sprach 'Fraget ihn, was das größte Wunder sei, das Gott in einer kleinen Sache gewirket hat'. Die Frage ward dem Pilgerim gesagt; der ließ durch den Schaffner antworten 'Das Wunder ist der Unterschied der Angesichter aller Menschen, daß man von Anbeginn der Welt bis an ihr Ende keine zwei kann finden, deren Antlitz gleich sei ohn allen Unterschied, und hat Gott in diesen kleinen Raum alle Sinne des Körpers gebannt'. Die Antwort lobten sie alle und sprachen 'Dies ist eine gute und wahre Antwort zu dieser Frage'. Da sprach die Frau 'Wir sollen ihm eine Frage vorlegen, die schwerer sei, so erkennen wir seine Weisheit desto mehr; und sei dies die Frage: wo ist die Erde höher denn aller Himmel?' Der Pilgerim antwortete und sprach 'An dem Empyraeum, denn da thront Christi Leib, der höher ist denn alle Himmel und ist doch von unserem Fleisch, unser Fleisch aber ist von Erde; also ist da die Erde höher denn der Himmel'. Der Schaffner brachte die Antwort den Gä-

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sten. Da waren alle voll Lobes und verwunderten sich solcher Weisheit. Sprach die Frau wiederum 'Nun wollen wir seine Weisheit erkennen, denn die dritte Frage soll die schwerste und verborgenste sein; schließt er den Sinn dieser Frage auf, so ist er würdig, daß man ihn lasse sitzen an den Tisch des Bischofs: fraget ihn, wie hoch es sei von der Erde bis zu dem Himmel'. Da antwortete der Pilgerim zu dem Schaffner und sprach 'Geh hin zu dem, der dich zu mir mit dieser Frage hat gesendet und laß dir von ihm antworten: er weiß es besser denn ich; denn er hat die Höhe selbst gemessen, da er von dem Himmel in den Abgrund fiel; ich aber bin von dem Himmel nie gefallen, darum so hab ich die Höhe nicht gemessen, wie der böse Geist. Denn es ist kein Weib, sondern der Teufel, der sich in Weibes Gestalt gewandelt hat'. Von den Worten erschrak der Knecht, und lief hin und sagte diese Märe vor ihnen allen. Da wurden sie niedergeschlagen von großem Schrecken und Wunder; der Teufel aber verschwand vor ihren Augen. Da der Bischof zu sich selber kam, da strafte er sich bitterlich und bat Gnade über seine Sünde. Er sandte eilends seinen Knecht, daß er den Pilgerim zu ihm führe. Aber man fand ihn nimmermehr. Da verfammelte der Bischof das Volk und legte ihm die Sache für, wie es ihm ergangen war, und gebot, daß sie mit Fasten und Gebet unsern Herrn anriefen, ob er etwan jemandem kund täte, wer der Pilgerim wäre gewesen, der ihn vor so großer Fährlichkeit hätte behütet. In derselben Nacht ward dem Bischof geoffenbaret, daß Sanct Andreas ihm zu Hilfe in eines Pilgrims Weise sich hätte erzeiget. Da hielt der Bischof Sanct Andream in noch größeren Ehren, als er je zuvor hatte getan. § Es war ein Herr Über eine Stadt, der hielt von dem Gute Sanct Andreae einen Acker mit Unrecht. Da fiel er durch des Bischofs Gebet in ein schweres Fieber um die Sünde. Er bat den Bischoß daß er Sanct Andreas für ihn bitte, so wollte er ihm den Acker wiedergeben. Das tat der Bischof. Da aber der Herr gesund war geworden, nahm er den Acker zum andern Male. Da gab sich der Bischof wieder an sein Gebet, und löschete alle Lampen, die in der Kirche waren, und sprach 'Es soll kein Licht in dieser Kirche brennen, es sei denn, daß Gott sich an seinem Feinde räche, und werde der Kirche das ihre wieder'. Und siehe, der Herr fiel abermals in ein schweres Fieber; da entbot er dem Bischoß er sollte für ihn beten, er wollte ihm

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seinen Acker wiedergeben und einen andern also guten dazu. Der Bischof hieß ihm allezeit antworten 'Ich habe Gott schon gebeten und bin erhöret'. Da ließ der Herr sich zu dem Bischof tragen, und zwang den Bischof, daß er in die Kirche ginge und für ihn bete. Da aber der Bischof in die Kirche trat, starb der Herr eines jähen Todes, und ward der Acker der Kirche wieder.

§ Von Sanct Nicolaus. icolaus kommt von nicos, das ist Sieg, und laos, das ist Volk, und heißt also: ein Überwinder des Volks, nämlich aller Untugenden, die gewöhnlich und gemein sind. Oder er heißt Sieg des Volks, weil er viele Völker durch Ermahnung und Beispiel gelehrt hat, wie sie die untugenden und Sünden sollen überwinden. Oder Nicolaus kommt von nicos, Sieg, und laus, Lob: sieghaftes Lob. Oder es kommt von nitor. Glanz, und laos, Volk: Glanz des Volks; denn in ihm war das, was rein und glänzend macht. Denn wie Ambrosius schreibet: Rein macht göttliche Rede, rein macht wahre Beichte, heilige Betrachtung, gutes Tun. § Sein Leben haben ausgeschrieben die Meister von Argos. Argos aber ist, wie Isidorus schreibt, eine Stadt in Griechenland, daher man die Griechen auch Argiver nennt. Auch findet man, Methodius der Patriarch habe es griechisch aufgeschrieben, und der Diacon Johannes es ins Lateinische übersetzt und etliches hinzugetan. icolaus ist geboren aus der Stadt Patera, von frommen und reichen Eltern: sein Vater hieß Epiphanius, seine Mutter Johanna. An der Blüte ihrer Jugend schenkte Gott den Eltern dieses Kind; darnach lebten sie keusch, in göttlicher Liebe. § Des ersten Tages, da man Sanct Nicolaus das Kindlein baden sollte, da stund es aufrecht in dem Becken, und wollte auch am Mittwoch und Freitag nicht mehr denn einmal saugen seiner Mutter Brust. Als das Kind zu Jahren kam, schied es sich von den Freuden der anderen Junglinge und suchte die Kirchen mit Andacht; und was er da verstand von der heiligen Schrift, das bedielt er mit Ernst in seinem Sinne. Als sein Vater und seine Mutter tot waren, begann er zu betrachten, wie er den großen Reichtum verzehre in Gottes Lob und nicht zu der Ehre der Menschen. § Da war ein Nachbar, edel von Geburt und arm

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an Gut, der hatte drei Töchter, die wollte er in feiner Not in die offene Sünde der Welt stoßen, daß er von dem Preis ihrer Schande leben möchte. Als das Sanct Nicolaus hörte, entsetzte er sich über die Sünde; und ging hin und band einen Klumpen Goldes in ein Tuch und warf ihn des Nachts heimlich dem Armen durch ein Fenster in sein Haus und ging heimlich wieder fort. Da es Morgen ward, fand der Mann das Gold, dankte Gott, und richtete davon der ältesten Tochter Hochzeit aus. Nicht lange darnach tat Sanct Nicolaus dasselbige zum andern Mal. Als der arme Mann wiederum das viele Gold fand, lobte er Gott von Herzen und setzte sich vor, hinfort zu wachen, daß er den Diener Gottes fände, der ihm in seiner Armut so zu Hilfe käme. Darnach kürzlich warf Nicolaus Goldes zweimal so viel in das Haus denn zuvor; da erwachte der Mann von dem Falle des Goldes und eilte dem Heiligen nach und rief 'Steh stille und laß mich dein Antlitz schauen' und holte ihn ein und erkannte, daß es Sanct Nicolaus war; und fiel vor ihm nieder und wollte ihm seine Füße küssen. Das wehrte ihm Nicolaus und gebot ihm, daß er diese Tat nicht sollte offenbar machen, so lange er lebte. § Nun war zu der Zeit der Bischof von Myra gestorben; da kamen viel Bischöfe zusammen, daß sie einen andern an seine Statt wählten. Unter ihnen war einer von großer Gewalt und Ansehen, an des urteil stund das Auserwählen der Andern. Der ermahnte sie allesamt, daß sie in Fasten und Gebet verharren sollten; aber des Nachts kam eine Stimme zu ihm die sprach 'Du sollst zur Mettenzeit die Tür der Kirche behüten, und der erste Mensch, der zu der Kirche kommt, des Name auch Nicolaus ist, den sollst du zum Bischof weihen'. Das tat er den andern kund und hieß fie mit Andacht im Gebet verharren, er selbst blieb an der Kirchentür und wartete. Nun fügte es Gott, daß zur Mettenzeit Sanct Nicolaus zuerst zu der Kirche gegangen kam vor allen andern. Da hielt ihn der Bischof an und fprach 'Wie heißest du?' Nicolaus neigte voll heiliger Einfalt sein Haupt und antwortete 'Ich bin genannt Nicolaus, ein Diener eurer Heiligkeit'. Da führten sie ihn in die Kirche, und setzten ihn, ob er sich gleich sträubte, auf den Bischofsstuhl. Doch verharrte Nicolaus in seiner Einfalt und Reinigkeit und in nächtlichem Gebet; er peinigte seinen Leib und floh die Gemeinschaft der Weiber, er war demütig und gar gleich gegen jedermann, beredt in

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seiner Rede, fleißig in göttlicher Ermahnung, streng in guter Strafung. Man liest auch in einer Chronik, daß Nicolaus mit auf dem Conzil von Nicaea sei gewesen. § Es geschah, daß Leute auf dem Meer fuhren, die kamen in große Not. Da riefen fie Sanct Nicolaus an und sprachen 'Nicolae, du Knecht Gottes, wenn das wahr ist, was wir von dir haben gehört, so laß uns deine Hilfe erfahren'. Zustund erschien ihnen einer, der ihm gleich sah, und sprach Ohr rufet mir, hier bin ich'. Und fing an und half ihnen an den Segeln und Stricken und anderem Schiffsgerät; alsbald war das Meer geftillt. Da sie nun zu Lande kamen, gingen sie zu seiner Kirche: und ob sie ihn gleich nie zuvor gesehen hatten, so brauchte ihn doch niemand ihnen zu weisen, und erkannten ihn alsbald. Sie dankten Gott und ihm für ihre Rettung. Er aber sprach 'Nicht ich, sondern euer Glaube und Gottes Gnade haben euch geholfen'. § Darnach ward ein großer Hunger in dem Lande, da Sanct Nicolaus Bischof war, und war keine Nahrung mehr weit und breit. Auf dieselbe Zeit ward Sanct Nicolaus gesagt, daß Schiffe mit Weizen wohl geladen in den Hafen eingelaufen wären. Da ging er hin und bat die Schiffleute, daß fie aus jeglichem Schiff nur hundert Maß Weizen wollten geben, die Hungernden zu retten. Antworteten die Schiffleute 'Vater, das trauen wir uns nicht zu tun, denn das Korn ift zu Alexandria gemessen, und alfo muffen wir es überantworten in die Scheuern des Kaisers'. Da sprach Sanct Nicolaus 'Tm, was ich euch sage, und ich schwöre euch bei der Kraft Gottes, daß ihr keine Minderung haben werdet an eurem Korn gegen des Kaisers Kornmefser'. Die Schiffleute erfüllten sein Gebot; und da sie vor die Diener des Kaisers kamen, hatten sie so viel Maß Kornes, als sie zu Alexandria eingenommen hatten. Da sagten sie das Wunder öffentlich und priefen den Herrn in seinem Knecht. Unterdes teilte Sanct Nicolaus das Korn unter das Volk nach eines jeden Bedürfnis, und von diesem wenigen Korn ward das ganze Land zwei Jahre gespeiset, und blieb noch genug zur Aussaat übrig. § In demselben Land hatte man die Abgötter geehrt nach alter Gewohnheit, und insonderheit das Bild der Teufelin Diana, alfo daß noch zu Sanct Nicolaus Zeiten etliche Bauern diesem Glauben dienten und unter einem Baum, der in des Abgotts Ehre geweiht war, ihre heidnischen Opfer hielten. Diefe böse Gewohnheit zerstörte Sanct Nicolaus und ließ den Baum umhauen. Das

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war dem böfen Geiste leid, und er gedachte, wie er sich an Sanct Nicolaus räche; und bereitete ein Öl, das heißt Mydiacon, und ist so kräftig, daß es wider die Natur an Steineu und im Wasser brennt; und nahm eines frommen Weibes Geftalt an, und begegnete Leuten auf dem Meere, die zu Sanct Nicolaus Kirche fahren wollten, in einem Schifflein und sprach zu ihnen 'Ich wäre gern mit euch zu dem Heiligen Gottes gefahren, aber ich kann nicht; so bitte ich euch, daß ihr für mich dieses ten' so spricht Remigius in seinem Originale 'haben die Könige bezeuget, daß Christus wahrer Mensch ist, in dem, daß

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fie sprachen 'wo ist, der da geboren ist'. Sie haben ihn als wahren König bezeugt, da sie sprachen 'ein König der Juden'; auch als wahren Gott, da sie sprachen 'wir sind gekommen ihn anzubeten'. Denn es war verboten, daß jemand angebetet werde denn allein Gott'. Da das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm das ganze Jerusalem. Herodes erschrak um drei Sachen. Erstlich weil er fürchtete, wann die Juden den neugeborenen König als ihren König möchten annehmen, fo würde er als ein Fremder von dem Königreich vertrieben. Darum spricht Chrysostomus 'Recht wie ein Zweig im Gipfel des Baumes von dem kleinsten Lüftchen beweget wirt, also werden oft von einem Wort beweget die Menschen, die auf den Höhen der Macht und Würde stehen'. Zum andern fürchtete Herodes der Römer Ungunst, wenn in seinem Lande sich einer König nennte, den der Kaiser nicht hätte eingesetzt. Denn die Römer hatten geboten, daß niemand Gott oder König genannt werde ohne ihren Willen. Zum dritten erschrak Herodes, wie Sanct Gregorius spricht 'Da der himmlische König ward geboren, mußte der irdische König erschüttert werden; denn irdische Hochfahrt wird ohn allen Zweifel geschändet, so die himmlische Hoheit wird offenbar'. Und es erschrak mit ihm das ganze Jerusalem. Das geschah um drei Sachen. Denn erstlich mögen die Bösen sich nicht freuen der Zukunft des Gerechten. Zum andern wollten sie damit dem Könige wohlgefallen, daß sie mit ihm wären betrübet. Zum dritten so fürchteten sie, betrübt und geschädigt zu werden von dem, daß zwei Könige nun würden kriegen um das Königreich; denn das Volk wird vom Streite der Könige geängstigt, wie die Wellen bewegt werden, wenn die Winde mit einander streiten. Diesen Grund schreibt uns Chrysostomus. § Darnach versammelte Herodes alle Priester und Schriftgelehrten und erforschte von ihnen, wo Christus sollte geboren werden. Und da er von ihnen vernahm: zu Bethlehem im jüdischen Lande, da berief er die Weisen heimlich zu sich und erlernte mit Fleiß von ihnen, wann ihnen der Stern erschienen wäre, auf daß er wüßte, was er tue, so die Weisen nicht wieder zu ihm kehrten; und sprach zu ihnen 'Und wenn ihr das Kindlein findet, so saget mirs wieder'; als wolle er den auch anbeten, den er doch zu töten gedachte. Hier sollen wir auch merken, daß die Könige den Stern verloren, da sie zu Jerusalem eingingen, und das um drei Sachen. Denn sie sollten erstlich aus Not nach diesem

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Kinde fragen, damit fie des Ortes inne würden und gänzlich Sicherheit gewönnen von seiner Geburt, in dem daß ihnen die Erscheinung des Sterns bestätigt würde und die Weissagung; als auch geschah. Zum andern: da sie weltlichen Rat begehrten war es ziemlich, daß sie verloren die göttliche Hilfe. Zum dritten als Sanct Paulus spricht, daß die Zeichen den ungläubigen gegeben sind, die Prophezeiungen aber den Gläubigen: so erschien den Königen das Zeichen in dem heidnischen Land und sie verloren es, da sie unter den gläubigen Juden waren. Von diesen dreien handelt auch die Glosse. § und siehe, da sie wieder aus Jerusalem zogen, ging der Stern vor ihnen her, bis daß er kam und stund oben über, da das Kindlein war. Was dieser Stern gewesen sei, davon ist dreierhand Glauben, wie Remigius schreibt in seinem Originale: Etliche sprechen, es wäre der heilige Geist gewesen; der auch darnach bei der Taufe des Herrn erschien in einer Tauben Gestalt; also erschien er den Weisen in Gestalt eines Sterns. Andere, als Chrysostomus, sprechen, es sei der Engel gewesen, der auch den Hirten erschien; den Hirten, als Juden, erschien er in einer Gestalt, die ihnen verständlich war, den heidnischen Königen in der Form, die sie begreifen konnten. Die Dritten fprechen, und das wird die Wahrheit fein, es wäre ein Stern gewesen, der neu erschaffen ward, und da er seinen Dienst hatte getan, so kehrte er wieder zu seiner vorigen Materie. Auch war dieser Stern, wie Fulgentius spricht, von den andern unterschieden durch seinen Stand, denn er stund nicht an dem Firmament, wie die andern, sondern schwebte in dem Mittel der Luft, nahe über der Erde. Er war auch unterschieden durch sein Licht; denn er hatte klareren Schein als die andern Sterne, also daß er auch von der Sonne Schein nicht verdunkelt ward, sondern am Mittag leuchtete mit großer Klarheit. Er war auch unterschieden in seinem Lauf; denn er ging den Königen voran gleich einem Wanderer, und ward nicht im Kreis bewegt als die anderen Sterne, sondern ging vor sich, als ein lebend Wesen. Drei andere Sachen, dadurch dieser Stern von den anderen sich unterschied, liest man in der Glosse über Matthaeus 2, welche anhebt 'Haec stella dominicae nativitatis': Das war erstlich sein Ursprung, da die anderen Sterne erschaffen wurden im Anbeginn der Welt, dieser aber erst jetzund; das zweite war seine Bestimmung, denn die anderen Sterne sind gemacht, daß sie seien zu Zeichen und zu Zeiten, wie es im Buche Ge-

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nefis heißt (Gen. 1,14), dieser aber war gemacht, daß er den Weisen den Weg zeige; das dritte war seine Dauer, denn die anderen Sterne sind ewiglich, dieser aber kehrte wieder in seine vorige Materie, nachdem er sein Amt hatte erfüllt. § Da die Könige aber den Stern sahen, wurden sie hocherfreut mit großer Freude. Hier merken wir fünferlei Sterne, die die Könige haben gesehen. Das erste war der wirk-

liche Stern, den sie im Morgenlande sahen. Das andre war ein geistlicher Stern, der Glauben, den sahen sie in ihrem Herzen; und hätte dieser Stern nicht in ihrem Herzen gestrahlt, so hätten sie den ersten nimmermehr gesehen; denn sie hatten Glauben zu Christi Menschheit, darum sprachen sie 'wo ist er geboren?'; sie hatten Glauben zu seiner königlichen Würde, da sie sprachen 'der König der Juden'; sie hatten Glauben zu seiner Gottheit, da sie sprachen 'wir sind gekommen, ihn anzubeten'. Das dritte war ein geistiger Stern, das war der Engel, der ihnen im Schlafe erschien und sie mahnte, daß sie nicht wieder zu Herodes kehrten. Doch schreibt eine Glosse, daß kein Engel, sondern der Herr selbst ihnen erschien. Das vierte war ein menschlicher Stern: unsre liebe Frau, die sahen sie in der Hütte. Das fünfte war ein übernatürlicher Stern, den sahen sie in der Krippe: Christus. Von diesen beiden letzten steht geschrieben 'und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Marien, seiner Mutter'. Diese fünf nennen wir mit Recht Sterne, denn vom ersten spricht der Psalm 'Mond und Sterne, die du gegründet' (Psi 8, 4); vom zweiten Ecclesiasticus 43, 10 'Der Schmuck des Himmels' das ist: des himmlischen Menschen 'ist die Klarheit der Sterne' das ist: seiner Tugenden; vom dritten Baruch 3, 34 'Die Sterne geben ihr Licht an ihrer Stätte und freuen fich'; vom vierten: 'Meerstern sei gegrüßet'; vom fünften Apocalypsis 22, 16 'Ich bin die Wurzel und der Stamm David, der helle Stern, der Morgenstern'. Von dem Schauen des ersten und zweiten Sternes wurden die Könige froh, von dem dritten wurden sie erfreut mit einer Freude, von dem vierten wurden fie erfreut mit großer Freude, von dem letzten wurden fie hocherfreut mit großer Freude. Oder als die Glosse spricht 'Der freuet sich mit Freude, der sich Gottes freuet, der die wahre Freude ist; es steht aber geschrieben: mit großer Freude, weil nichts größer ist denn Gott, und: hoch mit großer Freude, weil von großer Freude der eine mehr, der andre minder mag erfreut wer-

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den'. Oder es wollte der Evangelist durch diese Häufung der Worte zu verstehen geben, daß sich die Menschen mehr über das freuen, was sie verloren haben und wieder finden, als über das, was sie immer besessen haben. § Als sie aber in das Haus traten, und das Kind fanden mit Marien, seiner Mutter, da knieten sie nieder, und opferten ihm ein jeglicher seine Gaben, als Gold, Weihrauch und Myrrhen. Hier ruft Augustinus aus, 'O du Kindheit, der die Sterne sind untertan, wie bist du geehrt so hoch und herrlich, daß die Engel bei deinen Windeln wachen, daß alles Gestirn dir dienet, daß die Könige vor dir erzittern und die Durchgründer der Weisheit vor dir knieen! O glückliche Hütte, Thron Gottes nächst dem Himmel, hier leuchtet keine Laterne, sondern ein Stern. O himmlischer Palast, da kein König wohnt, geziert mit edelem Gestein, sondern ein fleischgewordener Gott; er liegt nicht auf weichen Polstern, sondern in einer harten Krippe, er ruht nicht unter goldenem Getäfel, ihn deckt ein rauchgeschwärztes Strohdach; aber der dienende Stern leuchtet ob ihm. Ich verwundere mich, so ich schaue die Windeln und betrachte den Himmel, ich empfange von Wunder eine brennende Hitze, fo ich einen Bettler sehe in der Krippe, und sehe ihn doch herrlich über alle Sterne'. Und Sanct Bernhard spricht 'O ihr Weisen, wie tut ihr wunderlich, daß ihr ein säugend Kind anbetet in armer Hütte, in schlechten Windein: ist er ein Gott? Wie tut ihr wunderlich, daß ihr ihm Gold opfert: ist er ein König? Wo ist dann sein königlicher Saal, wo ist sein Thron, wo ist sein königlich Gesinde? Ast der Stall sein Königssaal, die Krippe sein Thron, sein Hofgesinde Joseph und Maria? Ja, diese Weisen sind töricht worden, auf daß sie weise werden'. Davon spricht auch Hilarius in dem zweiten Buche von der Dreifaltigkeit 'Eine Jungfrau gebiert, die Geburt ist von Gott, das Kindlein weint, die Engel singen, schlecht sind die Windeln, Gott wird angebetet. So wird göttliche Würdigkeit nicht geschwächet davon, daß die Schnödigkeit des Fleisches wird erzeiget; also sehen wir, daß in Christo dem Kindlein nicht allein sind gewesen menschliche Schwäche und Niedrigkeit, sondern auch Zeichen göttlicher Hoheit'. Hieronymus spricht, da er über den Hebräerbrief schreibt 'Schauest du auf die Wiege Christi, fo schau auch auf zum Himmel; hörest du das Kindlein weinen, so lausche auch dem Lobgesang der Engel; Herodes wütet, aber die Könige beten an; die Pharisäer erkennen sein

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nicht, aber der Stern kündet ihn; er wird vom Geringern getauft, aber die Stimme des Vaters wird im Donner von oben gehöret; er wird ins Wasser getaucht, aber die Taube kommt vom Himmel herab, der heilige Geist'. § Warum die Könige solche Gaben opferten, des sind mancherlei Ursachen. Spricht Remigius, daß es eine Gewohnheit war der Alten, daß niemand vor Gott oder vor den König ging ohne eine Gabe. Und war es die Gewohnheit des Volkes von Persien und Chaldaea, solcherlei Gaben darzubringen. Denn die Könige kamen von den Enden von Persien und Chaldaea, wie es in der Historia Scholastica heißt; daselbst fließt der Fluß Saba, davon das Land auch Sabaea genannt ist. Sanct Bernhard aber spricht, daß sie Gold opferten für die Armut Marien, Weihrauch wider den bösen Geruch des Stalles, Myrrhen um des Kindes Glieder zu kräftigen und die bösen Würmer zu vertreiben. Oder sie opferten Gold zu einem Zins, da er der oberste König war, Weihrauch zu einem Opfer, da er Gott war, Myrrhen zu einem Begräbnis, da er ein sterblicher Mensch war. Oder Gold bezeichnet göttliche Liebe, Weihrauch ein andächtig Gebet, Myrrhen Ertötung des Fleisches: also sollen wir geistlich Christo opfern. Oder es follen dadurch bezeichnet werden drei Dinge, die in Christo waren: die edle Gottheit, die andächtige Seele, der reine Leib. Diese Drei sind vorgedeutet durch die Drei, die in der Bundeslade waren: die Rute, welche blühet«, ist das Fleisch Christi, das auferstand; davon spricht der Psalter 'und mein Fleisch ist wieder blühend worden' (Psi 27,7); die Tafel, darauf die Gesetze geschrieben waren, ist die Seele, darein der Schatz aller Weisheit und Wissenheit Gottes verborgen war; das Manna ist die Gottheit, die allen Geschmack und alle Süßigkeit in sich hat. Das Gold aber bezeichnet die edle Gottheit, weil es edler ist denn alles andre Metall; der Weihrauch bezeichnet die andächtige Seele, denn Weihrauch bedeutet Andacht und Gebet, davon spricht der Psalm 'Laß mein Gebet wie Weihrauch vor dein Angesicht kommen' (Psi 140,2); die Myrrhe bezeichnet den reinen Leib, denn sie schützt vor aller Unreinigkeit. § Darnach wurden die Könige im Schlaf ermahnt, daß sie nicht wieder zu Herodes zögen, und kehrten durch einen andern Weg wieder heim in ihr Land. Sehet hier, wie die Könige haben zugenommen an ihrer Fahrt: der Stern geleitete ihre Herfahrt, Menschen, ja Propheten wiesen sie zu

Von Sanct Paul dem ersten Einsiedel

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der Stadt, der Engel geleitete sie zu der Heimfahrt, und Christus wird sie ins ewige Leben empfangen auf ihrer letzten Fahrt. § Ohre Leiber waren vor Zeiten zu Mailand in der Kirche, die nun den Predigermönchen gehört, jetzt aber ruhen sie zu Cöln.

§ Von Sanct Paul, dem ersten Einsiedel.

aulus, der erste Einsiedel, floh zu der Zeit, da Decius die Christen verfolgte, in die tiefste Wüste und lebte daselbst in einer Höhle sechzig Jahre den Menschen unerkannt; das erzählt Sanct Hieronymus, der sein Leben beschrieben hat. Dieser Decius mag gewesen sein Gallienus, welcher zwei Namen hatte und im Jahre 256 zur Herrschaft kam. § Sanct Paulus floh in die Wüste, da er ansah die mannigfache Pein, die man den Christen antat. So wurden zu der Zeit zwei Junglinge gefangen, die waren Christen: den einen bestrich man mit Honig an allem seinem Leib und legte ihn nackt in die Sonne, da kamen die Mücken und Wespen und Hornissen, die marterten ihn jämmerlich. Den andern legte man auf ein weiches Bett an einem lustlichen Ort, da wehte eine milde Luft, da klungen die Brunnen, da Jungen die Vögel, da war süßer Duft von Blumen. Die Stricke, damit er gebunden war, die waren durchziert mit bunten Blumen; doch war er an das Bette so fest gebunden, daß er weder Hand noch Fuß rühren mochte. Dann tat man zu dem Jungling eine Dirne, die war gar schön und schamlos, die handelte mit ihm wie es sie lüstete. Der Jungling aber war voll himmlischer Liebe, und da er des Fleisches Bewegung empfand wider seinen Willen, da mochte er sich nicht anders wehren, denn daß er sich die Zunge abbisi mit seinen Zähnen und spie sie dem schamlosen Weib ins Angesicht; mit dem Schmerz vertrieb er die Versuchung und behielt also den Sieg. Als Sanct Paulus dergleichen Pein und Marter sah, die man den Christenmenschen anlegte, da floh er in die Wüste. § Nun war zu derselben Zeit Antonius der Mönch auch in der Wüste und wähnte, er sei der erste Einsiedel. Da ward ihm im Schlaf kund getan, daß ein anderer Einsiedel in der Wüste wäre, der sei viel besser und heiliger denn er. Da machte Antonius sich auf durch die Wälder, daß er den Menschen finde. Nicht lange, fo kam ihm ein Tier entgegen. Hippocentaurus genannt, das war halb ein Pferd und

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halb ein Mensch, und wies ihn mit stummen Zeichen zur rechten Hand. Darnach begegnete ihm ein Tier, das trug Palmenfrüchte und war oben eines Menschen Bild und unten einer Geiß Gestalt. Antonius beschwor es bei Gott, daß es ihm sage, wer es sei. Es antwortete 'Ich bin Satyrus, ein Gott der Wälder nach dem Irrglauben der Heiden'. Zuletzt lief ihm ein Wolf entgegen, der leitete ihn zu Sanct Paulus Zelle. Der aber wußte im Geist wohl daß Antonius käme, und hatte die Tür verriegelt. Da bat Sanct Antonius, daß er ihm auftäte, und sprach, er wolle eher sterben denn von dannen scheiden. Von diesen Worten ward Sanct Paulus überwunden und schloß ihm auf; da fielen fie alsbald einander in die Arme. Als die Zeit kam, daß sie essen sollten, kam ein Rabe und brachte ihnen ein zwiefältig Brot, und da Sanct Antonius sich darob verwunderte, sprach Sanct Paul, daß ihm von Gott alle Tage die Hälfte des Brotes würde gesandt, aber um des Gastes willen sei ihm die Speise heute gedoppelt. Nun erhub sich ein frommer Krieg unter ihnen, denn ein jeglicher deuchte sich unwürdig das Brot zu teilen; so ehrte Sanct Paulus den Gast, und ehrte Antonius

den Altvater. Zuletzt griffen sie das Brot an alle beide, da brach es mitten entzwei. § Da aber Antonius wieder heimkehrte und schon nahe bei seiner Zelle war, da sah er, daß die Engel Sanct Pauls Seele gen Himmel führten. Er kehrte eilends um und fand seinen Leib aufrecht auf den Knieen als ob er betete, und meinte, er lebe noch. Aber da er merkte, daß er tot war, sprach er 'O du heilige Seele, du erzeigst noch in deinem Tod, was du allezeit im Leben hast getan'. Nun hätte er ihn gern begraben, und hatte doch nichts, damit er es tun möchte. Siehe, da kamen zwei Löwen und gruben ein Grab, und da er darein bestattet war, gingen sie wieder in ihren Wald. Antonius aber nahm Sanct Pauls Rock, der war aus Palmenblättern geflochten; den trug er hinfort an hohen Festtagen. Es war aber ums Jahr 287, daß Sanct Paulus entschlief. § Von Sanct Remigius. emigius kommt von renn, das heißt: der da weidet, und ^‫׳‬Vgeos: Erde; und ist soviel als einer, der das irdische

Volk mit seiner Lehre weidet. Oder es kommt von remi, Hirt, und gyon, Kampf: ein Hirt und Kämpfer. Denn er

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weidete seine Herde mit dem Wort seiner Predigt, mit dem Beispiel seines guten Wandels und mit dem Beistand seines Gebets; so giebt es auch dreierlei Waffen: zur Verteidigung, als den Schild; zum Angriff, als das Schwert; zum Schutz, als den Panzer oder den Helm: also hat Remigius geftritten wider den Teufel mit dem Schild des Glaubens, mit dem Schwert des Gotteswortes, mit dem Helm guter Hoffnung. § Sein Leben hat beschrieben Hincmarus der Erzbischof von Reims. ■^Jemigii Geburt des großen Lehrers und Bekenners -cvward von einem Einsiedel geweissagt. Denn in den Zeiten, da alles Land zu Frankreich von den Vandalen ward verwüstet, war ein heiliger Einsiedel, der seiner Augen Licht hatte verloren, der betete Tag und Nacht zu Gott, daß er der Kirche zu Frankreich den Frieden wiedergebe. Und siehe, der Engel des Herrn erschien ihm im Gesicht und sprach 'Wisse, ein Weib, Cilina genannt, wird ein Kind gebären, des Name wird Remigius heißen: der wird sein Volk erlösen von der Bosheit seiner Feinde'. Da der Einsiedel erwachte, ging er alsbald zum Hause der Cilina und sagte ihr, was ihm erschienen sei. Sie aber glaubte der Rede nicht, denn sie war alt; da sprach der Einsiedel 'Wisse, wenn du dein Kind säugest und mit der Milch meine Augen bestreichest, so werde ich von Stund an mein Augenlicht wieder haben'. Und das geschah alles, wie er gesagt hatte. § Als Remigius zu seinen Tagen kam, da floh er die Welt und ging in eine Klause. Aber der Ruf seiner Heiligkeit erscholl so laut, daß ihn das Volk einmütig zum Erzbischof von Reims erwählte; da zählte er nicht mehr denn zweiundzwanzig Jahre. Er war so sanftmütig, daß die Sperlinge auf seinen Tisch flogen, wenn er aß, und nahmen die Brosamen des Mahles aus seiner Hand. § Einst hielt er Einkehr bei einer Frau, die hatte nur ein wenig Weines. Da ging Remigius in den Keller und machte ein Kreuz über das Faß und betete; und siehe, alsbald ward das Faß so voll Weines, daß es uberfloß und über den ganzen Keller sich ergoß. § Zu den Zeiten war Chlodewig König in Frankreich, der war noch ein Heide. Er hatte eine gar fromme Christin zum Weibe, die mochte aber mit allem Fleiß den König nicht bekehren. Nun geschah es, daß die Alemannen mit gewaltiger Heeresmacht über ihn kamen; da gelobte er: wenn ihm seines Weibes Gott hülfe, daß er im Streite die Alemannen überwinde, fo wollte er an denfelben

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Von Sanct Remigius

Gott glauben. Es erging, wie er begehrt hatte, darum fuhr er zu Sanct Remigio, daß er die Taufe empfinge. Als fie zu dem Taufcluell kamen, da war kein Chrifam da, den König zu falbem Siehe, da kam eine Taube vom Himmel herab, die trug ein Gläslein mit Salbe in ihrem Schnabel, daraus falbte Remigius den König. Das Gläslein aber wird in dem Münster zu Reims bewahrt und werden die Könige von Frankreich noch heutigen Tages daraus gesalbt. § Hiernach über lange Zeit war ein gar weiser Mann, Genebaldus mit Namen, der hatte die Nichte des heiligen Remigius zum Weibe; die beiden Gemahle schieden sich von einander, daß sie ein geistlich Leben führen möchten; und weihte Sanct Remigius Genebaldum zu einem Bischof von Laon. Nun kam sein Gemahl oft zu ihm, seine Lehre zu hören. Von dieser Gemeinschaft ward Genebaldus gegen sie entzündet und fiel mit ihr in Sünde. Die Frau empfing, und gebar ein Knäblein. Das ward dem Bischof gekündet; da entbot er der Mutter voll Scham 'Du sollst das Kind Räuber heißen, denn es ist auf den Raub gewonnen'. Darnach ließ er die Frau wieder zu fich eingehen, damit keine böfe Rede darob entstünde; aber nicht lange, daß sie über ihre Missetat hatten geweint, so fielen fie abermals in die Sünde. Sie gebar eine Tochter, und als fie es ihm kundtat, sprach er 'So sollst du sie Füchsin heißen'. Darnach betrachtete er seine Missetat, und ging zu Sanct Remigio und fiel ihm zu Füßen und wollte die Stola abtun von seinen Schultern. Das wehrte ihm Sanct Rentigius, und da er seine Missetat vernahm, tröstete er ihn sänftiglich und schloß ihn sieben Jahre in eine kleine Zelle; und regierte unterdes das Bistum an seiner Statt. An dem siebenten Jahr, da Genebaldus an dem Gründonnerstag in seinem Gebet lag, erschien ihm der Engel des Herrn und sprach 'Dir ist deine Sünde vergeben, steh auf und geh heraus'. Antwortete Genebaldus 'Ich mag nicht herauskommen, denn mein Herr Remigius hat die Tür auswendig beschloffen und mit seinem Siegel versiegelt'. Sprach der Engel 'Daß du wissest, daß dir der Himmel offen sei, so sieh diese Tür offen und das Siegel unversehrt'. Und da er dies gesprochen hatte, sprang die Tür alsbald auf. Da legte fich Genebaldus kreuzweis mitten in die Tür und sprach 'Ich gehe nicht vor hier, und wenn unser Herr Christus selber zu mir käme: es sei denn, daß mein Herr Remigius komme, der mich hierein beschlossen hat'. Da kam Sanct Remigius nach

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Laon auf des Engels Geheiß und setzte Genebaldum wieder ein in sein Bistum. Der lebte fortan in guten Werken bis an seinen Tod. Sein Sohn Räuber aber ward nach ihm Bischof, und war auch gar ein heiliger Mann. § Sanct Remigius aber entschlief in Frieden voll Tugend und Heiligkeit um das Jahr des Herrn 500.

§ Von Sanct Hilarius. 9 ilarius ist soviel als hilaris, fröhlich; denn er war gar -^fröhlich im Dienste Gottes. Oder Hilarius ist soviel als

alarius, das kommt von altus, hoch, und ares, Kraft; da er hoch war in Künsten und kräftig in feinem Leben. Oder Hilarius kommt von hyle, das ist gesprochen der Urstofß und der war finster; so war auch Hilarius gar dunkel und unergründlich in seiner Rede. .> ilarius ist geboren von Aquitanien, und war ein Bischof -^zu Poitiers in der Stadt: er ftrahlte unter dem Volk wie der Morgenstern unter den Sternen. Vor dem hatte er ein Weib und eine Tochter und führte unter weltlichem Gewand ein geistlich Leben. Darnach nahm er zu in Weisheit und Heiligkeit und ward zum Bischof erwählt. Nun beschirmte er nicht seine Stadt allein, sondern das ganze Frankenland vor den Ketzern; da ward er von zwei ketzerischen Bischöfen dem Kaiser vermeldet, der der Ketzer Schirmherr war, und ward in die Verbannung gesandt mitsamt Eusebio, dem Bischöfe von Vercellae. Darnach, da des Arius Irrlehre zunahm allerwegen, gab der Kaiser seinen Willen dazu, daß alle Bischöfe zusammen kämen und um des Glaubens Wahrheit mit einander stritten. Dazu kam auch Hilarius; aber die beiden ketzerischen Bischöfe mochten die Gewalt seiner Rede nicht erleiden, darum gaben sie ihren Rat, daß er gezwungen ward wieder heimzukehren nach Poitiers. Und da er also auf dem Wege war, kam er zu der Insel Gallinaria, die war ganz voll Schlangen: die flohen allefamt, da er sich nahte. Da nahm er einen Pfahl und steckte ihn in die Mitte der Insel, und gebot den Schlangen diese Grenze nimmermehr zu überschreiten: also mochten sie nicht darüber kommen, gleich als sei der andre Teil der Insel ein Wasser und nicht ein Land. § Als er nun in die Stadt Poitiers kam, da war ein Kind ohne Taufe geftorben, dem gab er mit seinem Gebet das Leben wieder; und lag da lange im Staube, bis

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Von Sanct Hilarius

sie beide aufstunden, der Greis vom Gebet und das Kind vom Tode. § Nun wollte Apia, seine Tochter, einen Mann nehmen: da predigte er ihr also viel vom jungfräulichen Leben, daß sie ihre Keuschheit Gott gelobte. Und ob er sie gleich fest in ihrem Vorsatz sah, fürchtete er doch, sie möchte ihren Willen wieder kehren, darum bat er Gott mit ganzer Andacht, daß er sie zu sich nähme und nicht länger lasse leben. Also starb sie nach etlichen Tagen und er begrub sie mit seinen eigenen Händen. Als dies des Kindes Mutter sah, bat sie ihn, daß er ihr auch bei Gott erwürbe, was er der Tochter hatte erworben. Das tat er auch, und sandte sie mit seinem Gebet in den Himmel voraus. § Zu den Zeiten war Leo Papst, der war mit der Ketzer Lehre betrogen. Er rief alle Bischöfe zusammen zu einem Concil, und Hilarius kam auch dazu, ob er gleich nicht geladen war. Als das der Papst vernahm, gebot er, daß niemand vor Hilarius aufstunde und ihm keine Statt gebe, da er sitzen möchte. Da er nun in den Saal trat, sprach zu ihm der Papst 'Du bist Hilarius, der Hahn?' Antwortete Hilarius 'Ich bin kein Hahn, aber ich bin von der Hähne Land, das ist: ich bin nicht von Gallien geboren, aber ich bin von welschen Landen der Bischof'. Sprach der Papst 'Bist du nun Hilarius von Gallien, so bin ich Leo, des apostolischen Stuhles Herr und Richter'. Antwortete Hilarius 'Wiewol du Leo heißest, so bist du doch nicht der Löwe vom Stamme Juda, und wiewol du zu Gericht sitzest, so sitzest du doch nicht auf dem Stuhl der Gerechtigkeit'. Da stund der Papst mit Grimm auf und sprach 'Wart ein wenig, bis ich wiederkomme, so will ich dir den Lohn geben, den du verdient hast'. Sprach Hilarius 'So du nicht wiederkommst, wer soll mir für dich antworten?' Sprach der Papst 'Ich werde alsbald wiederkommen, und deine Hoffahrt demütigen'. Also ging der Papst an einen heimlichen Ort, daß er die Notdurft der Natur verrichte; da fuhr in ihn die rote Ruhr und ging ihm all sein Eingeweide zum Leibe heraus; also starb er eines jähen Todes an einer schmählichen Statt. Unterdem sah Hilarius, daß niemand für ihn wollte aufstehen. Das trug er geduldiglich und setzte sich nieder auf die Erde und sprach 'Die Erde gehört unserm Herrn'. Da hub sich die Erde auf unter ihm durch Gottes Kraft, daß er gleich den andern Bischöfen saß. Darnach ward der jämmerliche Tod des Papstes gemeldet; da stund Hilarius auf und predigte den Bischöfen und stärkte sie im

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rechten katholischen Glauben und sandte jeglichen wieder auf fein Bistum. § Man zweifelt aber, ob dies Wunder vom Tode des Papstes Leo wahr sei; denn in der Historia Ecclesiastica und Tripartita ist davon nichts zu lesen, auch finden wir in keiner Chronik, daß in den Zeiten ein Papst des Namens gewesen sei; und Hieronymus hat gesprochen 'Die heilige römische Kirche blieb immer rein und unbefleckt von aller Ketzerei und wird es allezeit bleiben'. Doch mag man sagen, daß einer dieses Namens sei Papst gewesen, der aber nicht nach rechter kirchlicher Ordnung, sondern mit Gewalt zum Papst ward gemacht. Oder es mag wol der Papst Liberius, der dem ketzerischen Kaiser Constantinus gar günstig war, mit anderem Namen Leo geheißen haben. § Sanct Hilarius aber wirkte hiernach noch viele Wunder. Da er aber seinen Tod nahen fühlte, und gar siech lag, rief er zu fich den Priester Leontius, den er gar lieb hatte; und da die Nacht nahete, hieß er den Priester ausgehen, und hieß ihn melden, was er höre. Leontius tat nach seinem Gebot: und kam wieder und sprach 'Ich höre nichts denn den Lärm der Stadt'. Und da er also bei ihm wachte und seines Todes wartete, gebot ihm der Kranke um Mitternacht abermals, daß er ausgehe, und ihm sage, was er höre. Und er kam wieder und sprach, er höre nichts. Siehe, da war auf einmal ein großes Licht um den Heiligen, des Klarheit mochte der Priester nicht ertragen; und da das Licht langsam wieder verschwand, war Sanct Hilarii Seele gen Himmel gefahren. § Sanct Hilarius lebte aber um das Jahr 34o, unter dem Kaiser Constantinus. § Von Sanct Macarius.

acarius kommt von macha, Klugheit, und ares, Kraft; oder von macha, das ist Strafe, und rio, das heißt Meister. Denn er war sinnreich im Widerstand gegen die böfrn Listen des Teufels, kräftiglich in seinem Leben; er zähmte seinen Körper mit Strafen, und war ein Meister in der Regierung seines Klosters. 4/1-A-acarius der Abt kam einst herab von der skethischen ·o-l ß-Wüste, und da er schlafen wollte, trat er in ein Grab-

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mal, da lagen viel Heiden begraben; und zog eines Heiden Leichnam heraus und tat ihn als ein Kissen unter sein Haupt. Da wollten ihn die Teufel erschrecken und riefen

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Von Sanct Macarius

dem Totem als sei er ein Weib, und sprachen 'Steh auf und geh mit uns zum Bad'. Und ein andrer böser Geist schrie unter ihm als ob er aus dem Toten rede 'Ich hab einen Pilgerim auf mir und kann nicht kommen'. Davon erschrak Macarius nicht, sondern er schlug den Toten und sprach 'Steh auf, und geh, so du magst'. Da flohen die Teufel und schrieen mit lauter Stimme 'Macari, weh, du hast uns überwunden'. § Macarius der Abt ging einst an einem Sumpfe hin, da er nach feiner Zelle wollte gehen; da begegnete ihm der Teufel mit einer Sichel, damit hätte er ihn gern erfchlagen, aber er mochte es nicht tun. Da sprach er zu ihm 'Macari, wisse, daß ich von dir große Pein leide, weil ich nichts gegen dich ausrichten mag, und tue doch alles was du tust: fastest du, so esse ich nimmer, wachest du, so schlafe ich nie; es ist allein ein Ding, darin überwindest du mich'. Sprach Macarius 'Was ist das?' Antwortete der Teufel 'Das ist deine Demütigkeit, wider die vermag ich nichts'. § Einsmals hatte Macarius große Anfechtung feines Leibes, da füllte er einen großen Sack voll Sand und trug den lange Zeit auf seinen Schultern durch die Wüste. Also fand ihn Theofebius, der fprach zu ihm 'Vater, warum trägst du also eine schwere Bürde?' Antwortete Macarius 'In) mühe den, der mich mühet'. § Sanct Macarius sah einsmals den Teufel vor feiner Zelle gehn in Menschengestalt, der hatte einen leinenen Rock an, der war gar zerrissen, und aus jeglichem Loch schauete eine Flasche. Sprach Sanct Macarius 'Wo willst du hin?' Der Teufel antwortete 'Ich will den Waldbrüdern zu trinken bringen'. 'Und warum trägst du soviel Flaschen?' 'Ich gebe sie den Brüdern zu versuchen, und ob einem eins nicht gefalle, so biete ich ihm das zweite und dritte und so fort, bis ihm eines behaget'. Da der Teufel wiederkam, sprach zu ihm Macarius 'Wie ist es dir ergangen?' Er antwortete 'Sie sind alle heilig und ist mir keiner gefolgt, denn ein einziger, der heißt Theotiftus'. Da stund Macarius auf und ging zu dem Bruder, den der Teufel betrogen hatte, und bekehrte ihn wieder mit guter Ermahnung. Darnach begegnete Macarius dem Teufel abermals und sprach zu ihm 'Wo willst du hin?' Er antwortete 'Ith gehe zu den Brüdern'. Und da er wiederkehrte, lief ihm Macarius entgegen und sprach 'Was tun nun die Brüder?' Der Teufel antwortete 'Es geht ihnen gar übel'. 'Wie das?' 'Sie sind alle heilig, und das Böseste ist: der, den ich zuvor hatte, den hab ich

Von Sanct Felip in pincis

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verloren, der ist heiliger worden denn die andern alle'. Als Macarius das vernahm, da dankete er Gott. § Einst fand Macarius eines Toten Haupt. Er betete über ihm und fragte es, wes Menschen es wäre gewesen. Da antwortete das Haupt und sprach 'Ich war eines Heiden Haupt'. Sprach Macarius 'Wo ist deine Seele?' Es antwortete 'In der Hölle'. Sprach Macarius 'Bist du tief in der Hölle?' Es antwortete 'So tief, als der Himmel hoch ist über der Erde'. Sprach Macarius 'Isst jemand tiefer denn du?' Es antwortete 'Ja, die Juden'. Ost jemand noch tiefer?' 'Tiefer als alle andern sind die falschen Christen, die erlöst sind mit Christi Blut und haben den köstlichen Preis für nichts geachtet'. § Sanct Macarius ging einsmals durch eine weite Wüste, und wenn er eine Meile ging, so steckete er ein Rohr, daß er den Weg hienach möchte wieder finden. Und da er neun Tage weit gegangen war, legte er fich an einer Statt nieder, zu ruhen. Aber da er schlief, trug der böse Feind die Rohre alle zusammen und legte sie zu seinen Häupten. Also mußte er große Arbeit leiden, bis daß er wieder heim kam. § Es war ein Bruder, der ward oft schwer angefochten von seinen Gedanken, wie daß er in seiner Klause gar unnütz wäre, und viel andern Menschen möchte nütze sein in der Welt. Dies klagete er Sanct Macario, der lehrte ihn, er sollte den Gedanken also antworten und sprechen 'Ich will um Christi willen allein dieser Zelle Wände hüten'. § Macarius tötete einst eine Mücke, die ihn gestochen hatte. Doch als er sah, wieviel Bluts aus ihr ging, schalt er sich, daß er sich selber gerochen hatte; und ging hin in die Wüste nakkenn, daß ihn die Mucken und die Bremsen bissen. Also kam er gar jämmerlich zerstochen wieder heim. § Darnach starb er in Frieden, geziert mit viel guten Tugenden.

§ Von Sanct Felix in pincis. elix ist mit Beinamen in pincis genannt, von der Stätte, da er ruht; oder weil er gemartert ward mit Pfriemen, denn pinca heißt Pfriemen. Denn man sagt, daß er ein Schullehret war und hielt die Kinder gar streng; da nun die Heiden ihn fingen um Christenglauben und ihn martern wollten, da überantworteten sie ihn den Kindern, die er gelehrt hatte, die töteten ihn mit Schreibgriffeln und Pfriemen. Doch hält die Kirche, als es scheint, nicht, daß er gemartert

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Von Sanct Felix in pincis

wurde, sondern zählt ihn unter die Schar der Bekenner. § Als ihn die Heiden zwingen wollten, daß er den Abgöttern opfere, da zerstörte er jegliches Bild, davor er geführt ward, mit seinem Anhauch. § Wir lesen auch in einer andern Legende, daß einst Maximus, der Bischof von Nola, auf der Flucht vor der Verfolgung durch großen Hunger und Kälte am Boden liegen blieb. Da ward Sanct Felix von einem Engel zu ihm geleitet, und da er keine Speise hatte, die er ihm geben mochte, sah er von ungefähr an einem Dornstrauch eine Weintraube hangen; aus der Traube drückte er ihm Wein in den Munch und trug ihn darnach auf seinen Schultern weiter. Nach des Maximus Tode ward dann Felix an seiner Statt zum Bischof gewählt. § Es geschah, da er predigte, daß der Verfolger ihn suchte; da verbarg er sich zwischen verfallenen Mauern, die einen engen Zugang hatten. Da ließ Gott Spinnen ihre Netze vor den Eingang weben. Und als die Verfolger nun vorüber kamen und die Spinnwebe sahen, glaubten sie, daß da niemand könne sein, und zogen weiter. § Von da fuhr er an einen andern Ort, da herbergte ihn eine Witwe ein halb Jahr; doch fah er in der Zeit nie ihr Angesicht. Darnach, als wieder Friede ward, da kehrte er in sein Bistum zurück, und entschlief daselbst seliglich. Er ward begraben vor der Stadt an der Stätte, die da heißt Pincis. § Dieser Heilige hatte einen Bruder, der hieß auch Felix. Den wollten die Heiden gleichermaßen zwingen, daß er die Abgötter anbete. Da sprach er 'Isir seid eurer eignen Götter Feinde, so ihr mich zu ihnen führet, denn ich hauche sie an, wie mein Bruder hat getan, so werden sie alle fallen'. § Sanct Felix hatte einen Garten, den pflegte er mit großer Liebe. Nun geschah es, daß ihm Etliche seinen Kohl stehlen wollten; und da sie wähnten, den Kohl zu stehlen, bestellten sie den Acker mit großem Fleiß die ganze Nacht. Als es Morgen ward, grüßte sie Sanct Felix: da bekannten sie die Missetat, die sie wollten haben getan, und gingen wieder von dannen. § Nun kamen die Heiden und wollten Sanct Felix fangen, da fuhr ein solcher Schmerz in ihre Hände, daß sie laut schrieen. Sprach Sanct Felix 'Rufet: Christus ist Gott, so gehet der Schmerz von euch'. Das taten sie und waren alsbald gesund. § Einst kam ein GötzenPriester zu Felix und sprach 'Herr, da mein Gott sahe, daß du kamst, ist er geflohen. Ich fragte ihn, warum er flöhe, da sprach er: Ich kann die Heiligkeit dieses Felix nicht er-

Von Sanct Marcellus und Antonius

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tragen. Wenn aber mein Gott dich also fürchtet, wieviel mehr muß ich dich dann fürchten'. Da lehrte ihn Sanct Felix Christenglauben und taufte ihm § Sanct Felix sah die Heiden den Gott Apollo anbeten, da sprach er 'Ost Apollo ein wahrer Gott, so sage er mir, was ich hier in meiner Hand beschlossen halte'. Er hatte aber einen Zettel darin, auf dem das Gebet des Herrn geschrieben stund. Da nun der Gott nicht antwortete, wurden die Heiden bekehrt. § Als Sanct Felix fühlte, daß er fterben müsse, las er die Messe; und da er dem Volke den Frieden des Herrn erboten hatte, streckte er sich auf den Estrich der Kirche nieder im Gebet, und gab also seinen Geist auf.

§ Von Sanct Marcellus. 4/E^-arcellus ist soviel als arcens malum a se, das ist: !■einer, der das Böse von sich vertreibet. Oder es heißt so viel wie maria percellens, das ist einer, der das Meer darniederschlägt, das ist: die Widerwärtigkeit der Welt zertritt und überwindet; denn die Welt gleicht dem Meer; davon spricht Chrysostomus (über Matthäus): im Meer ist wirres Getön, ewige Furcht, ein Bild des Todes, unermüdlicher Kampf der Wogen, Unbeständigkeit ohne Ende. 4/|-Y‫־‬arcellus war Papft zu Rom, und da der Kaifer Maxio-l bmianus die Christen gar schwer verfolgte, tadelte er ihn darob. Nun hatte er das Haus einer edlen Frau zu einer Kirche geweiht und las daselbst die Messe; da ließ der Kaiser voll Zorns einen Stall aus der Kirche machen und zwang Sanct Marcellum, daß er des Viehes daselbst mußte hüten bis an seinen Tod. Tin dieser Knechtschaft ftarb er nach vielen Jahren selig im Herrn, um das Jahr 287.

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§ Von Sanct Antonius. -‫־‬Asntonius kommt von ana, oben, und tenens, haltend und cicheisit: der das Obere hält und die Welt verachtet. Denn

er verschmähte diese Welt, die da ist unrein, ohne Ruhe, vergänglich, voll Täuschung, und gar bitter. Davon spricht Augustinus 'O Welt so unrein, was tobest du? Warum willst du uns verführen? Du willst uns halten, fo du fliehest; was tätest du, so du beharrtest? Wen täuschtest du nicht mit deiner Süßigkeit, und bist doch bitter und ist deine Süßig-

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Von Sanet Antonius

feit auswendig'. § Des Antonius Leben hat Athanasius beschrieben. -‫־‬wntonius war seines Alters zwanzig Jahre, da hörte er -clin der Kirche lesen 'Willst du vollkommen sein, so gehe hin und verkaufe alles was du haft und gieb es den Armen'. Da verkaufte er all sein Gut und teilte es unter die Armen, und nahm an sich ein Einsiedlerleben. Da mußte er von den bösen Geistern Anfechtungen leiden ohne Zahl. § Einsmals hatte er mit der Kraft des Glaubens den Teufel überwunden, welcher mit leiblicher Lust versucht; da erschien ihm der Teufel in eines schwarzen Kindes Gestalt, und warf sich vor ihm nieder und sprach 'Du hast mich überwunden'. Denn Sanct Antonius hatte Gott gebeten, daß ihm der Teufel der Unkeuschheit würde erzeigt, der den Junglingen nachstelle. Und da er ihn also sah in des schwarzen Kindes Gestalt, da sprach er 'och habe dich in einer schnöden Gestalt gesehen, ich fürchte dich hinfort nicht mehr'. § Einst lag Antonius in einem Grabe; da kam eine große Schar der bösen Geister zu

ihm, die schlugen und zerrten ihn also, daß sein Knecht ihn für tot auf seinen Schultern von dannen trug, tlnd seine Freunde alle versammelten sich um ihn, und beweinten ihn, als wäre er tot. Aber da die andern entschliefen, erwachte Antonius und gebot seinem Knecht, daß er ihn wieder in das Grab trüge. Also lag er, von den Schmerzen seiner Wunden darniedergestreckt; aber mit der Kraft des Geistes reizte er die Teufel abermals zum Streite. Da erschienen die bösen Geister in mancherlei greulicher Tiere Gestalt und zerzerrten ihn abermals mit ihren Hörnern und Zähnen und Krallen gar jämmerlich. Aber auf einmal kam ein lichter Schein und verjagte die Teufel ganz und gar; und Antonius war alsbald gesund. Da verstund er wohl, daß Christus gegenwärtig war, und sprach 'Guter Jefrt, wo wärest du, daß du nicht zu dem ersten bist hie gewesen, und mir halfest und heiltest meine Wunden?' Da antwortete unser Herr und sprach 'Antoni, ich war bei dir, doch gelüstete michs, zuzusehen deinem Streit; nun aber, da du so mannlich hast gestritten, will ich deinen Namen groß machen in aller Welt'. § Sanct Antonius war so voll göttlicher Minne: als Maximianus der Kaiser die Christen tötete, ging er der Marter nach, daß er mit den andern gemartert werde. Und betrübte sich sehr, da ihm die Krone der Märtyrer nicht ward gegeben. § Einst ging Antonius in eine andere Wüste, da sah er eine silberne

Von Sanct Antonius

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Schüfsel am Wege liegen. Da gedachte er bei fich selbst 'Wie mag die silberne Schüssel hieher kommen, da keines Menschen Spur ist? Wäre sie einem wegfährtigen Menschen entfallen, er wäre sein wol inne worden, so groß ist sie; o du böser Geist, das ist deine List, aber meinen Willen sollst du nimmer beugen'. Da verschwand die Schüssel als ein Rauch.

§ Darnach fand er einen großen Klumpen reinen Goldes, das floh er, als ob es Feuer wäre, und floh auf einen Berg, da wohnte er zwanzig Jahr und tat unzählige Wunder und Zeichen. § Einsmals ward er im Geist entrückt, und sah die ganze Welt mit Schlingen überspannt, die alle miteinander waren verknüpft. Da schrie er und sprach 'O Herr, wer mag diesen Schlingen entrinnen?' Da hörte er eine Stimme, die sprach 'Demütigkeit'. § Einst kamen die Engel und führten Antonium hochauf in die Luft, da waren die Teufel auch da und wollten es wehren, und warfen ihm vor alle Misfetat, die er von Kindesbeinen an hatte getan. Sprachen die Engel 'Der Sünden follt ihr nicht gedenken, denn sie sind getilgt von der Barmherzigkeit Gottes; wisset ihr aber Sünden, die er getan hat, seit er ein Mönch ist worden, die saget'. Das mochten die Teufel nicht tun; da trugen ihn die Engel ungewehrt zum Himmel empor und wieder hernieder. § Sanct Antonius erzählt von sich selbst 'Ich sah einst den Teufel in Riefengeftalt, der vermaß fich und sprach 'Antoni, sieh, ich bin die Kraft und Weisheit Gottes, was willst du, daß ich dir gebe?' Da spie ich ihm ins Angesicht und fetzte mich kräftig wider ihn, und wappnete mich mit dem Namen Christi: alsbald war er verschwunden'. § Unterweilen erschien ihm der Teufel fo gross daß es anzusehen war, als rühre er mit seinem Haupt an den Himmel. Antonius fragte ihn, wer er wäre; er antwortete 'Ich bin Satanas, und möchte wol wissen, warum die Mönche wider mich sind und die Christen mir fluchen?' Sprach Antonius 'Das tun sie billig, denn sie werden von deinen Listen viel betrübt'. Antwortete der Teufel 'Ich betrübe fie mit nichten, sie bekümmern sich selbst untereinander. Ich aber bin gar zu nichte worden, denn Christus regiert in allen Landen'. § Ein Schütz sah einst Antonium fröhlich mit seinen Brüdern, des nahm er Ärgernis. Da rief ihm Antonius und sprach 'Nimm einen Pfeil und fpanne deinen Bogen'. Das tat der Schütz; aber Antonius hieß es ihn zum andern und dritten Male tun. Da sprach er 'Möchte ich den Bogen so sehr spannen, er zer-

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Von Sanct Antonius

bräche'. 'Also ist es auch mit dem Dienste Gottes' sprach Antonius 'wollten wir uns anspannen über unser Maß, so wären wir bald zerbrochen. Darum so ist es ziemlich, daß wir unterweilen von unsrer Strenge ablassen'. Also ging jener erbaut von dannen. § Es fragte einer Sanct Antonium 'Was soll ich tun, daß ich Gott wohlgefalle?' Er antwortete 'Wohin du gehst, so habe Gott vor Augen; was du tust, das bewähre mit dem Zeugnis der Heiligen Schrift; wo du einmal sitzest, da gehe nicht zu bald wieder fort. Halte diese drei, so wirst du selig'. § Ein Abt fragte Sanct Antonium, was er tun sollte. Er antwortete ihm und sprach 'Baue nicht auf deine eigne Gerechtigkeit; halte Maß mit Essen und mit Reden; hab kein Leiden um ein vergangen Ding'. § Antonius sprach 'Recht wie die Fische sterben, wenn sie aufs trockne Land kommen, also verlieren die Mönche ihre Ruhe, wenn sie aus ihrer Zelle kommen und mit den weltlichen Menschen wohnen'. 'Wer in der Einsamkeit sitzet und ruhet, der ist dreierlei Kampfs ledig: Sehen, Hören und Reden mögen ihn nicht mehr irren; ihm bleibt allein ein Krieg: wider sein Herz'. § Es gingen etliche Bruder mit einem Greis, Sanct Antonium zu besuchen. Da Antonius sie sah, sprach er zu den Brüdern 'It1r habt einen guten Gefährten gehabt an diesem Altvater'. Und sprach zu dem Greis 'Vater, du hast gute Bruder mit dir bracht'. Da antwortete der Alte 'Gut sind sie, aber ihre Wohnung hat keine Tür; und wer da will, der geht in den Stall und bindet den Esel los'. Das sprach er darum, weil alles, was in ihr Herz kam, alsbald auf ihren Lippen war. § Antonius sprach 'Man soll wissen: Es sind drei Bewegungen leiblicher Lust, eine von Natur, eine von üppiger Speise, eine von dem Teufel'. § Ein Bruder hatte sich von der Welt gekehrt, aber nicht gänzlich, sondern behielt insgeheim noch ein Teil seines Gutes. Zu dem sprach Sanct Antonius 'Gehe hin und kaufe Fleisch'. Und er ging hin und kaufte Fleisch; aber dieweil er damit ging, fielen die Hunde auf ihn und bissen ihn. Sprach zu ihm Sanct Antonius 'Wer der Welt absagt und doch der Welt Gut will haben, der wird also von den Teufein angefochten und zerfleischt'. § Einst kam Sanct Antonium Langeweile an in der Einsamkeit; da sprach er 'Herr, ich möchte gern selig werden, aber meine Gedanken lassen mich nicht'. Also stand er auf und ging hinaus; da sah er einen sitzen und arbeiten, und darnach aufstehn und beten;

Von Sanct Antonius

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das war ein Engel, der sprach zu ihm 'Tue desgleichen, so bist du gerettet'. § Einst hatten ihn die Brüder gefragt um das Schickfal der Seelen. Des Nachts darnach kam eine Stimme zu ihm, die sprach 'Hebe dich auf, geh aus und schau'. Da sah er einen langen greulichen Mann, des Haupt rührte an die Wolken; er hatte seine Arme ausgeftreckfr damit wehrte er etlichen, die mit Flügeln zum Himmel wollten auffliegen: etliche aber flogen empor und er mochte ihnen nicht wehren. Und Antonius vernahm große Freude mit großem Jammer untermischt; und verstund, daß es Seelen wären, die auffahren möchten und Satan wehrete ihnen: die Schuldigen stieß er hinab, den Heiligen aber mochte er nichts anhaben, und trug darum großes Leid. § Einsmals, als Antonius mit den Brüdern arbeitete, sah er auf gen Himmel und sah gar ein trauriges Gesicht. Da fiel er nieder auf feine Knie und bat Gott, daß er die künftige Plage abwende. Die Brüder fragten ihn, was das wäre; da antwortete er ihnen mit Weinen und Seufzen, daß der Welt drohe unausfprechliche Bosheit und sprach 'Ich sahe den Altar Gottes umgeben von einer großen Schar Rosse, die zerstampften alles mit ihren Hufen. Das bedeutet, daß der rechte Glaube über die Maßen wird verstöret, und werden Menschen gleich diesen Tieren das Heiligtum Christi zertreten; und die Stimme des Herrn sprach: 'Sie werden meinen Altar entehren'. Darnach über zwei Jahre brachen die Arianer in die Kirche und zerstörten ihre Einigkeit. Sie besudelten die Kirchen und Bethäuser und schlachteten die Christenmenschen auf den Altären wie die Schafe. § Zu den Zeiten war ein Herzog in tigypten, Ballachius mit Namen, der war ein Arianer und verfolgte die Christen fehr. Und ließ die Nonnen und Mönche nackend ausziehen vor allem Volk und mit Geißeln schlagen. Dem schrieb Sanct Antonius 'Ich sehe den Zorn Gottes über dich kommen: darum so laß die Christen ungepeinigt, daß dich der Zorn Gottes nicht treffe, welcher dir bald den Untergang droht'. Da der Unselige den Brief las, trieb er feinen Spott damit, und spie auf ihn und warf ihn an die Erde; die Boten aber, die den Brief gebracht hatten, ließ er sehr schlagen; und entbot dem Antonius hinwieder 'Da du also große Sorge für die Mönche hast, so soll die Härte meiner Rache auch über dich kommen'. Darnach über fünf Tage wollte der Herzog auf sein Pferd steigen, das war gar zahm: da biß es ihn und warf ihn auf die Erde, und zer-

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Von Sanct Fabianus

stampfte und zerzerrte ihm sein Gebein, also daß er nach drei Tagen starb. § Es begehrten etliche Bruder heilsame Lehre von Sanct Antonius, da sprach er 'Is1r habt gehört, daß unser Herr gebietet: wer dich auf eine Wange schlägt, dem biete auch die andere dar'. Sie antworteten 'Das mögen wir nicht erfüllen'. Sprach Antonius 'So leidet doch den einen Streich geduldiglich'. Sie antworteten 'Das mögen wir auch nicht tun'. Sprach er 'So habet doch den Willen, daß ihr lieber wollet geschlagen sein, denn daß ihr schlaget'. 'Das ist uns auch zu schwer'. Da sprach Antonius zu seinem Jünger 'Bereite den Brüdern ein Tränklein, denn sie sind gar zart'. Und zu ihnen sprach er 'Euch tut allein das Gebet not'. Solches liest man in dem Buch der Väter. § Sanct Antonius ward seines Alters hundertundfünf Jahre. und da er ans Sterben kam, da küßte er seine Brüder und schied in Frieden von ihnen zu Gott. Das war zu der Zeit Constantini, der um das Jahr 340 zur Herrschaft kam.

§ Von Sanct Fabianus. abianus ist soviel wie Fabricanus, das ist: fabricans, und heißt: der sich schmiedet die ewige Seligkeit. So heißt er billig, denn er hat sie besessen mit dreifältigem Recht: mit dem Recht der Kindschaft, mit dem Recht des Kaufs und mit dem Recht guten Kampfes. abianus war ein Burger zu Rom in der Stadt. Und da der Papst gestorben war und das Volk sich sammelte, einen anderen zu wählen, kam Fabianus auch dazu, daß er sähe, was die Sache für einen Ausgang nähme. Siehe, da flog eine weiße Taube auf sein Haupt; des verwunderten sich alle und erwählten ihn zu einem Papst. Von ihm schreibt Damafus der Papst, daß er sieben Diacone sendete über alle Lande und gab ihnen sieben Subdiacone, daß sie die Taten der heiligen Märtyrer sollten aufschreiben. § Haymo erzählt von ihm: da der Kaiser Philippus bei den Ostervigilien wollte sein und teilnehmen an dem heiligen Sacrament, widerstund ihm Fabianus und hieß ihn zuvor seine Sünden beichten und unter den Büßern stehn, eh daß er ihn zu dem Gottesdienst ließ kommen. § Da Fabianus dreizehn Jahre Papst war gewesen, hieß ihm der Kaiser Decius das Haupt abschlagen, und also ward ihm die Märtyrerkrone.

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§ Von Sanct Sebastian. ebastianus kommt von sequens, das ist folgend; beatitudo, das ist Seligkeit; astin, das ist Stadt; und ana, das ifr oben; und heißt: einer der nachfolgt der Seligkeit der oberen Stadt; denn die hat er erworben und besessen, wie Augustinus schreibt, um einen fünffachen Preis: durch seine Armut erwarb er das Reich, durch seinen Schmerz die ewige Freude, durch Muhe und Arbeit die ewige Ruhe, durch Schmach die Glorie, durch seinen Tod das Leben. Oder Sebastianus kommt von bastum, das heißt Sattel: Christus ist der Ritter, die Kirche das Roß, Sebastianus der Sattel: also hat Christus durch ihn in der Kirche gestritten, daß er über manchen Märtyrer den Sieg behielt. Oder aber Sebastianus heißt einer, der umgeben ifr: denn er war mit Pfeilen umgeben, wie ein Igel mit Stacheln; oder es heißt: einer der umgeht, weil er umging bei den gefangenen Christen und sie zu der Marter stärkte. ebastianus war ein guter Christ. Er war geboren von Narbonne und war ein Bürger zu Mailand in der Stadt. Diocletianus und Maximianus die Kaiser hatten ihn also lieb, daß sie ihm den Befehl über die erste Cohorte vertraueten, und ihm geboten, daß er immer vor ihrem Angesicht sollte sein. Aber Sebastianus trug ritterlich Kleid allein darum, daß er mit seinen Worten die Christen stärke, wenn sie in der Pein verzagen wollten, die man ihnen antat. § Nun geschah es, daß zwei gar treffliche Männer um Christenglauben sollten enthauptet werden, die hießen Marcellianus und Marcus, und waren Zwillingsbrüder. Da kamen ihre Eltern und wollten sie von ihrem Vorsatz bringen. Die Mutter stund mit gelöstem Haar und zerrissenen Kleidern und wies ihnen ihre Brüste und rief 'O ihr lieben Kinder mein, wie bringet ihr mich in unsäglich Leid und bittern Schmerz! Ach ich armes Weib verliere meine Söhne, und sie geben mit Willen in den Tod. Hätten mir die Feinde sie geraubt, ich liefe den Räubern nach mitten durch den Streit; hielte ein ungerechter Richter sie eingeschlossen, ich bräche in den Kerker, und müßte ich darum sterben. Das ist eine neue Art des Todes, da man den Henker bittet, daß er schlage; da gewünscht wird, daß das Leben verderbe; da der Tod wird geladen, daß er komme. Das ist ein neuer Jammer und ein neues Leich daß der Kinder blühende Jugend williglich ver-

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Von Sanct Sebastian

loren wird, und die betrübten alten Eltern müssen leben bleiben'. Da die Mutter noch klagte, ward der greise Vater daher geführt, auf die Arme seiner Knechte gestützt. Er hatte Asche auf sein Haupt gestreut und schrie gen Himmel 'Ich bin her kommen, daß ich meinen Söhnen Lebewohl sage, die sich selbst dem Tode bieten. Das Grab, das ich mir hatte bereitet, das wird nun ihr Grab. O lieben Söhne, ein Stab meinem Alter, ein zwiefach Licht meiner Seele, warum habt ihr den Tod also lieb? Kommet herbei alle ihr Junglinge, und klaget die beiden, die mit Willen den Tod leiden. Kommet herbei ihr Greise und helft mir meine Kinder beweinen. Kommet ihr Väter und sehet euch vor, daß ihr an euren Kindern nicht solche Pein leidet. Ach ihr Augen, werdet blind von Weinen, daß ihr nicht ansehen müßt, wie man sie mit dem Schwerte wird schlagen'. Da dies der Vater sprach, kamen auch die Weiber der Heiligen und hielten ihnen ihre Kinder vor die Augen und sprachen mit Weinen und Schreien 'Wem wollt ihr uns nun lassen? Wer soll dieser Kinder Herr sein? Wer teilt eure reichen Güter? Ach wie sind eure Herzen so gar eisern, daß ihr Vater und Mutter verschmäht, eurer Freunde nicht achtet, eure Frauen vertreibet, eure Kinder verleugnet und euch freiwillig gebt unter die Hände des Henkers'. Von diesen Worten wurden die Herzen der Heiligen bewegt; aber da trat Sebastianus, der dabeistund, mitten unter sie und sprach 'O ihr starken Ritter Christi, lasset euch nicht die ewige Krone rauben durch Bitten und süße Worte'. Und sprach zu den Eltern und Freunden 'Fürchtet euch nicht, denn diese werden nicht von euch geschieden, sondern sie gehen hin, daß sie euch eine Wohnung bereiten in den Sternen. Denn sehet, von Anbeginn der Welt hat dieses Leben die betrogen, so darauf bauten, es hat genarrt, die es suchten, und hat zu Spott gemacht, die ihm vertrauten; und ist also wenig Sicherheit in ihm, daß man sprechen mag, es sei ganz und gar betrogen: es ermahnet den Dieb, daß er stehle, den Zornigen, daß er schlage, den Lügenhaften, daß er betrüge. Dies Leben gebietet Sünde, befiehlt Missetat und rät zum Unrecht. Die Verfolgung aber, die wir hie leiden, die glühet heute und ift morgen verraucht, sie ist heute hitzig und morgen kühl, in einer Stunde nimmt sie ein Ende. Aber die ewige Pein, die wird alle Zeit erneut, daß sie desto grimmer sei, sie wird gemehrt, daß sie brenne, und wird entfacht, daß die Strafe vollkommen sei. Darum soll all unsre

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Begierde mit Minnen zur Marter stehn. Wol meint der Teufel, daß er uns hier möge überwinden; aber fo er fangen will, ist er selbst gefangen; so er uns packt, ist er gebunden; da er siegen will, ist er überwunden; da er peinigt, wird er gequält; da er würget, ist er tot; da er höhnet, wird er zu Spott'. Da aber Sanct Sebastian also predigte, warf sich ihm zu Füßen Zoe, des Nicoftratus Weib, in des Haus die Heiligen gefangen lagen, die war stumm; und winkete ihm, daß er sich ihrer erbarme. Sprach Sanct Sebastian 'Bin ich Gottes Knecht, und sind die Dinge wahr, die ich gesprochen habe, und die dieses Weib gehört hat und geglaubt: so tue ihr der den Mund auf, der feinem Propheten Zacharias die Zunge löste'. Da rief das Weib 'Gesegnet sei die Rede deines Mundes, und gesegnet alle, die deinen Worten glauben; denn ich sah einen Engel bei dir stehen, der hielt dir ein Buch vor, darin waren alle die Worte geschrieben, die du hast gesprochen'. Als ihr Mann Nicoftratus das hörte, fiel er auch Sanct Sebaftian zu Füßen und bat um Gnade; und löste alsbald der Märtyrer Bande und hieß sie frei aus dem Gefängnisse gehen. Sie aber sprachen 'Wir wollen den Sieg nicht lassen, den wir schon erstritten haben'. Also blieben Marcellianus und Marcus standhaft in der Marter von der Kraft und Gnade, die Gott den Worten Sanct Sebastians verliehen hatte; davon ward auch ihr Vater Tranquillinus gläubig, und ihre Mutter und viel andere Menschen. Die wurden alle getauft von dem Presbyter Polycarpus. § Da aber Tranquillinus die Taufe empfing, ward er von einem schweren Siechtum gesund, damit er behaftet war. Das vernahm der Präfekt der Stadt Rom, der auch an einer schweren Krankheit darniederlag, und bat Tranguillinum, daß er den zu ihm führe, der ihn habe gesund gemacht. Also kamen Polycarpus der Presbyter und Sanct Sebastianus vor ihn, und er bat sie, daß sie ihm auch Gesundheit gäben. Da sprach Sebastian, er sollte zuvor die Abgötter abschwören und ihm die Macht geben, ihre Bilder zu zerbrechen, so würde er gesund. Sprach Cromatius der Präfekt 'Das sollen meine Knechte tun und nicht du'. Sebastianus antwortete 'Deine Knechte fürchten sich, ihre Götter zu zerbrechen, und wenn ihnen dabei ein Leid von den Teufeln geschähe, so würden die Heiden sprechen, es sei davon geschehen, daß sie ihre Götter zerbrochen hätten'. Also gurteten sich Polycarpus und Sebastianus und brachen mehr denn zweihundert Abgötter.

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V0n Sanet Sebastian

Darnach sprachen sie zu Cromatio 'Entweder du hast deinen Unglauben noch nicht gelassen, oder du hast noch andere Abgötter heimlich verborgen, darum bist du noch nicht gesund worden, ob wir gleich die Bilder alle haben zerbrochen'. Antwortete Cromatius 'Ich habe noch ein heimliches Gemach, darin ist des Himmels und der Sterne Lauf gar meisterlich gemacht; mein Vater hat mehr denn zweihundert Pfund Goldes daran gelegt, und ich sehe daran alle zukünftigen Dinge'. Sprach Sebaftianus 'Dieweil das Werk ganz bleibt, magst du keine ganze Gesundheit haben'. Da gab er seinen Willen darein. Dem widerstund Tiburtius, des Richters Sohn, ein stolzer Jungling, und sprach 'Ich leide nicht, daß das köstliche Werk zerstört wird; doch daß man nicht spreche, ich wolle die Gesundheit meines Vaters hindern, so will ich, daß man zwei c&fen anzünde, und wird mein Vater nach des Werkes Zerstörung nicht gesund, so soll man die beiden darein stoßen und lebendig verbrennen'. Sebastianus antwortete 'Es geschehe, wie du gesagt hast'. Und da man das Werk zerbrach, erschien ein Engel dem Richter und kündete ihm, daß er durch □esu Gnade seine Gesundheit wieder habe. Als der Richter empfand, daß er gefund war, lief er hinter dem Engel drein und wollte ihm die Füße küsfen. Das wehrte ihm aber der Engel weil er noch nicht die Taufe hatte empfangen. Also ließ sich der Richter taufen mit Tiburtius, seinem Sohn, und vierzehnhundert seines Gesindes. § Zoe aber ward von den Heiden ergriffen und nach langer Pein getötet. Als das Tranquillinus vernahm, trat er hervor und sprach 'Die Frauen eilen uns voraus zu der Marterkrone, was säumen wir?' Und über wenig Tage ward er gesteinigt. § Darnach ward Tiburtius gefangen und ihm die Wahl gegeben, auf glühenden Kohlen den Göttern Weihrauch zu opfern, oder mit bloßen Füßen darauf zu gehen. Da machte er ein Kreuz vor sich und ging auf die Kohlen und sprach 'Mich dünket, daß ich auf Rosen gehe, im Namen unseres Herrn Jesu Christi'. Sprach der Richter Fabianus 'Ich weiß wohl, daß euer Christus euch Zauberei gelehrt hat'. Antwortete Tiburtius 'Schweig, Unseliger, denn du bist nicht würdig, daß du diesen heiligen süßen Namen in deinen Mund nehmest'. Da ward der Richter zornig und hieß ihm das Haupt abschlagen. § Marcellianus und Marcus aber wurden an einen Pfahl gebunden; da sprachen sie die Worte des Psalms 'Siehe wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig

Von Sanct Sebastian

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bei einander wohnen' (Psi 132, 1). Sprach der Richter 'Ohr Rasenden, werfet von euch eure Torheit und erlöset euch selber'. Sie antworteten 'Nie waren wir so wohl beisammen; ach, daß du uns also ließest, so lange unsre Seele in unserm Leibe ist'. Da hieß ihnen der Richter Speere in die Seiten stechen; also empfingen sie das Martyrium. § Darnach klagte der Richter bei Diocletianus dem Kaiser über Sanct Sebastian. Der entbot ihn vor sich und sprach 'Ich habe dich allzeit unter den Ersten gehalten in meinem Palast, und du bist insgeheim gegen mich gewesen und gegen die Götter?' Antwortete Sebastianus und sprach ':Ich habe Christum allzeit geehret um dein Heil und hab Gott im Himmel allzeit gebeten für das römische Reich'. Da gebot Diocletianus, daß man ihn mitten auf dem Feld an einen Pfahl binde, und sollten die Kriegsknechte auf ihn mit Pfeiien schießen. Da schossen sie so viele Pfeile auf ihn, daß er stund gleich einem Igel. Und gingen darnach von ihm und wähnten, er wäre tot. Aber über wenige Tage, so stand er gesund auf der Treppe vor des Kaisers Palast, und da die Kaiser kamen, strafte er sie zorniglich um die Pein, die sie den Christen antaten. Da sprachen die Kaiser 'Isst das nicht Sebastianus, den wir unlängst mit Pfeilen hießen töten?' Antwortete Sebastian und sprach 'Der Herr hat mich darum von dem Tode erweckt, daß ich zu euch komme und euch strafe um das Leiden, das ihr den Dienern Christi antut'. Da ließ der Kaiser ihn so lange mit Stecken schlagen, bis er seinen Geist aufgab. Und ließ seinen Leichnam in eine Kloake werfen, daß ihn die Christen nicht als einen Märtyrer ehren möchten. Hienach in der ersten Nacht erschien Sanct Sebastian der heiligen Lucina und tat ihr kund, wo sein Leichnam läge; den sollte sie begraben zu der Apostel Füßen. Das vollbrachte sie auch. § Sanct Sebastian aber ward gemartert unter den Kaisern Diocletianus und Maximianus, die im Jahre 287 zur Herrschaft kamen. § Es schreibet Sanct Gregorius im ersten Buch der Dialogi, daß eine Frau war im Lande Tuscien, die hatte unlängst einen Mann genommen; die ward geladen zur Kirchweih von Sanct Sebastianus Kirchen. Des Nachts zuvor aber, da sie gehen sollte, mochte sie ihrer Lust nicht widerstehen und schlief bei ihrem Manne. Als es Morgen ward, zog sie dennoch dahin, denn sie schämte sich mehr vor den Menschen, als vor Gott; aber alsbald sie in die Kirche trat, darin Sanct

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Von Sanct Agnes

Sebastians Gebein war, da ward fie befefsen von dem bösen Geist, der quälte sie sehr vor allem Volk. Der Priester nahm das Altartuch und deckte sie damit; da fuhr der Teufel auch in den Priefter. Nun ward die Frau von ihren Freunden zu Teufelsbannern geführt, daß fie den Teufel aus ihr trieben; aber da sie ihre Beschwörung anhuben, da fuhren von Gottes Verhängnis 6666 Teufel in sie und peinigten sie noch härter. Darnach kam ein heiliger Mann mit Namen Fortunatus, der heilte die Frau mit seinem Gebet. § In den Geschichten der Langobarden lesen wir, daß zu den Zeiten des Königs Gumbertus durch ganz Italien ein großes Sterben war, also daß einer den andern kaum begraben mochte; sonder!ich zu Rom und Pavia war das Sterben groß. Da sahen viele mit leiblichen Augen einen guten Engel am Himmel dem folgte ein Teufel nach mit einem Spieß, der schlug, wenn der Engel es gebot, und machte so das Sterben. Und so oft er an ein Haus schlug, so viel Tote wurden daraus getragen. Da ward einem guten Menschen von Gott kund getan, daß dieses Sterben nicht aufhöre, es sei denn, daß dem heiligen Sebastian ein Altar geweiht werde zu Pavia. Das tat man in Sanct Peters Münster, das man ad vincula heißt, und alsbald gestund das Sterben. Und wurden die Gebeine des Heiligen von Rom gen Pavia geführt. § Sanct Ambrosius schreibet von Sanct Sebastian in seiner Praefatio also: 'Das Blut des heiligen Märtyrers Sebastian, das für deines Namens Bekenntnis ward vergofsen, verkündet, Herr, deine Wunder, der du in den Schwachen mächtig bist, unsern Mühen Erfolg giebft und den Kranken Gesundheit verleihst um seines Gebetes willen'.

§ Von Sanct Agnes. ,‫־‬wgnes ist soviel als agna und tst gesprochen das Lamm; -crdenn sie ist sanft und demütig gewesen wie ein Lämm-

leim Oder es kommt von agnon, das ist griechisch und heißt fromm; denn fie war fromm und mitleidig. Oder es kommt von agnoscere, das heißt erkennen; denn sie erkannte den Weg der Wahrheit. Die Wahrheit aber setzt Augustinus gegen diese drei: Eitelkeit, Lüge und Zweifel: welche fie durch die große Tugend überwunden hat, die in ihr war.

Von Sanct Agnes

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-‫־‬wgnes war eine Jungfrau gar sinnreich und weise; da sie -et dreizehn Jahre alt war, da verlor sie den Tod und fand

das Leben, als uns Ambrosius schreibt, der ihr Leben hat ausgezeichnet. Sie war gar jung geschätzt an den Jahren und war doch alt an Sinnen, sie war des Leibes ein Kind und des Gemütes eine alte Fraue, schön war sie von Antlitz und war doch viel schöner an ihrem Glauben. § Einst als sie von der Schule nach Hause ging, sah sie der Sohn des Präfekten und gewann sie von Herzen lieb. Er warb um sie und gelobte ihr unzähliges Gut und edles Gestein, wenn sie ihn zum Manne nähme. Sie aber sprach 'Weiche von mir, du Futter der Sünde und Speise des Todes; einen andern Bräutigam habe ich mir erwählet'. Und hub an und lobte ihren Bräutigam um fünf Dinge, so die Braut am Bräutigam sonderlich liebt, als da ist: Edelkeit des Geschlechts, Schöne, Reichtum, Gewalt und hohe Minne; und sprach 'Ich liebe einen, der ist viel edler und würdiger denn du; seine Mutter ist eine Jungfrau, sein Vater hat nie ein Weib erkannt; ihm dienen die Engel, und Sonne und Mond bewundern seine Schöne; sein Gut wird nie gemindert, sein Reichtum nimmt nicht ab; sein Atem macht die Toten lebendig, von seiner Berührung werden die Schwachen gesund; seine Minne ist keusch, seine Berührung heilig, die Vereinigung mit ihm ein lauter Magdtum'. In diesen fünf Dingen sieht sie seine übertreffende Würdigkeit und spricht 'Wes Edelkeit ist größer, wes Gewalt mag stärker sein, wes Anblick ist schöner, wes Liebe süßer und lieblicher?' Darnach so nennt sie fünf Geschenke, die der Bräutigam ihr hat gegeben und die er auch den anderen Bräuten giebt: er verlobt sich ihnen mit dem Ring des Glaubens, er kleidet und ziert sie mit mancherlei Tugenden, er zeichnet sie mit dem Blut seiner Marter, er fesselt sie an sich mit dem Band seiner Liebe, er beschenkt sie mit dem Schatz himmlischer Glorie. Davon spricht sie 'Er hat ein Ringlein an meine rechte Hand gegeben und hat meinen Hals gegürtet mit gar edelem Gestein, er hat mir einen Mantel umgetan, der ist mit Gold durchwirket, und hat mich geziert mit köstlichen Spangen. Er hat ein Zeichen an mein Antlitz gelegt, daß ich hinfort keinen anderen liebe denn ihn allein, und hat mit seinem Blut meine Wänglein gezieret; schon bin ich umfangen von seinen keuschen Armen, sein Leib ist nun bei meinem Leib. Er hat mir gezeigt unermeßlichen Schatz, den hat er mir gelobt, wenn ich in Treuen bei ihm

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Von Sanct Agnes

verbleibe'. Als der Jungling das hörte, kam er fast von Sinnen; und ging hin und warf sich auf sein Lager. Aus seinen Seufzern ward den Atzten kund, daß er von Liebe krank war; da ging der Vater des Junglings felbst zu Agnes und legte ihr dies vor. Sie aber sprach 'Wie mag ich meinem Bräutigam die Treue brechen?' Nun hub der Richter an, zu forschen, wer der Bräutigam wäre, des Macht und Herrlichkeit Agnes also rühme. Sprach einer, daß es Christus wäre, den sie ihren Gemahl nenne. Da wollte der Richter Agnes zu dem ersten mit Schmeichelworten überkommen, und darnach mit Drohungen. Aber Agnes sprach 'Tue mir, was du willst; was du von mir begehrst, das mag nicht geschehen'. Also achtete sie seiner Drohungen so wenig wie seiner Bitten. Da sprach der Richter ‫׳‬So erwähle dir eins von den zweien: gehe mit unsern Jungfrauen hin in den Tempel und opfere der Göttin «Vesta, so du deine Jungfräulichkeit willft bewahren, oder geh mit den offenen Sünderinnen zu den leiblichen Unreinigkeiten'. Also nahm er zum Vorwand wider fie, daß sie eine Christin sei; denn da sie von edlem Geschlechte war, mochte er anders ihr keine Gewalt antun. Sie aber antwortete 'Ich will deinen Göttern nicht opfern, und mag auch von leiblichen Sünden nicht entreinet werden, denn sch habe bei mir einen Hüter meines Leibes, den Engel des Herrn'. Da gebot der Richter, daß man sie sollte bloß ausziehen und also nackt in der gemeinen Frauen Haus führen. Aber der Herr ließ ihr Haar fo dicht wachsen, daß ihr Leib davon besser gedeckt war denn mit Gewand. Und da sie in das Haus der Schande kam, stund dort ein Engel, der gab ihr ein lichtes Gewand, und erfüllte mit seinem Glanz das ganze Haus. Also ward die Stätte der Schmach zum Ort des Gebets, und wer dem himmlischen Glanz Ehre gab, ging reiner von dannen, als er gekommen war. Nun kam der Sohn des Richters mit seinen Gesellen vor das Haus und hieß sie zuerst zu ihr eingehen; aber als sie das große Wunder sahen, erschraken sie und wichen scheu zurück. Er aber schalt sie und sprach 'Ohr seid rechte Zagen' und ging zornig zu ihr hinein, und wollte Agnes anrühren in dem Glanz; da erwürgete ihn der böse Geist, denn er hatte Gott nicht die Ehre gegeben. Als das der Richter vernahm, kam er mit großem Trauern zu Agnes und forschte, warum sein Sohn tot läge. Sie sprach 'Der, des Willen er an mir vollbringen wollte, hat Gewalt über ihn gewonnen und hat ihn getötet.

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denn seine Gesellen, als sie das Wunder an mir sahen, kehrten um und blieben unversehrt'. Da sprach der Richter 'Ist es, daß du mir erwerben magst, daß mein Sohn wieder lebendig werde, so will ich glauben, daß du dies nicht mit Zauberei vollbracht hast'. Da betete Agnes; und der Jungling erwachte, und predigte alsbald Christum vor allem Volk. Als das die Priester der Abgötter sahen, machten sie einen Aufstand unter dem Volk und schrieen 'Tötet die Hexe, die die Sinne der Menschen bezaubert und die Seelen verwandelt'. Der Richter hätte sie gern gerettet, da er die großen Zeichen sah, aber er fürchtete, daß er in die Acht würde getan, darum setzte er einen andern Richter an seine Statt und ging von dannen; und war gar betrübt, daß er sie nicht mochte erlösen. Der andre Richter, Aspasius mit Namen, hieß die Jungfrau in ein gewaltiges Feuer werfen: aber das Feuer teilte sich in zwei Teile und fiel auf das tobende Volk und versehrte die Magd nicht. Da gebot Aspasius, daß man ihr ein Schwert in die Kehle stoße. Also empfing der weiße und rote Bräutigam Sanct Agnes zu seiner Braut und Märtyrerin. Sie starb, als man glaubt, zu den Zeiten Constantini des Großen, der im Jahre 309 zur Herrschaft kam. § Als aber die Freunde ihren Leichnam begruben, mochten sie kaum den Steinwurfen der Heiden entrinnen. Da blieb Emerentiana, Sanct Agnes Milchschwester, bei dem Grab, die war gar heilig, ob sie gleich noch nicht die Taufe hatte empfangen; und strafte die Heiden mit harten Worten, bis sie selbst von ihnen gesteinigt ward. Da kam ein großes Erdbeben mit Blitz und Donnerschlag und tötete viele Heiden, also daß hinfort niemand mehr die Christen zu betrüben wagte, die zu dem Grab der heiligen Jungfrau kamen. Emerentianen Leib aber ward neben Sanct Agnes Leib beftattet. § Acht Tage wachten die Freunde an ihrem Grab; aber am achten Tage war auf einmal bei dem Grab ein Reigen von Jungfrauen, die trugen Kleider von strahlendem Gold; mitten unter ihnen sahen sie Agnes stehen im goldenen Kleid mit einem Lämmlein zu ihrer Rechten weißer denn der Schnee. Und sie sprach 'Weinet nicht als wäre ich tot, sondern freuet euch mit mir und preiset mein Glück, denn ich throne in einem lichten Reich mit allen diesen Jungfrauen'. Von dieser Erscheinung wird das Fest der heiligen Agnes zum zweiten Male gefeiert.

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Von Sanct Agnes

§ Es war eine Jungfrau, Constantia mit Namen, des Kaisere Constantini Tochter, die war gar siech am Aussatz; da hörte sie von der Erscheinung, die an Sanct Agnes Grabe war geschehen. Und ging zu dem Grabe, und entschlief daselbst im Gebet. Da sah sie im Traum Sanct Agnes, die sprach zu ihr 'Sei standhaft, Constantia, und glaube an Christum, so wirst du alsbald gesund'. Von dieser Stimme erwachte sie und empfand fich gänzlich gesund. Da ließ sie sich taufen, und baute über Sanct Agnes Grab eine schöne Kirche, und lebte daselbst in Reinigkeit, und sammelte mit ihrem Beispiel viel anderer Jungfrauen um sich. § Es war ein Priester in Sanct Agnes Kirche, Paulinus mit Namen, der hatte so schwere Anfechtung von unkeuscher Begierde, daß er sich nicht bezwingen mochte; doch wollte er Gott nicht beleidigen, darum bat er vom Papst Urlaub, daß er ein ehelich Weib nähme. Da sah der Papst an die Einfalt und Güte dieses Mannes, und gab ihm ein Ringlein mit einem Smaragd und gebot ihm, daß er damit vor das schöne Bild der heiligen Agnes trete, das in seiner Kirche gemalt war, und ihm gebiete von des Papstes wegen, daß es ihn zu einem Gemahl empfinge. Als der Priester dem Bild das Ringlein bot, da streckte ihm das Bild den Goldfinger dar, und empfing das Ringlein, und zog den Finger wieder zu fich. Von Stund an wich alle Versuchung von dem Priester. Den Ring aber soll man noch heutigen Tages an dem Bilde sehen. § Man liest auch: Da die Kirche Sanct Agnes in Trümmer fiel, sprach der Papst zu einem Priester, er wolle ihm eine Braut geben, die er nähren und hüten solle; damit meinte er Sanct Agnes Kirche. Und gab ihm einen Ring, damit sollte er sich dem Bild verloben. Das Bild streckte den Finger aus nach dem Ring und zog ihn wieder zu sich, und also ward er ihm verlobt. § Sanct Ambrosius schreibt von ihr in seinem Buch von den Jungfrauen 'Greise, Junglinge, Kinder singen ihr Lob; wer ist größer, als der, den alle preisen? Alle Menschen sind ihre Herolde und ehren sie, so sie den Mund auftnn. Staunet allesamt, daß sie ein Zeuge Gottes ward, die dem Alter nach noch nicht ihr eigener Herr mochte sein. Gott vertrauete ihr, da ihr die Menschen noch nicht vertrauten; denn was also über die Natur war, kam von dem, der alle Natur erschaffen hat. Das war eine neue Marter: die zum Leiden noch zu schwach schien, war stark genug für den Sieg, die noch nicht kämpfen konnte, gewann die

Von Sanet Vineentius

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Krone; sie war eine Meisterin in den Tugenden, die noch nicht zwischen gut und bös unterscheiden mochte, so man ihr Alter ansieht. Keine Braut ist also zum Brautgemach geeilet, wie die Heilige ist zur Richtstätte gegangen: fröhlich, eiligen Schrittes'. Derselbe Ambrosius spricht in seiner Praefatio 'Sanct Agnes schätzte den Glanz edler Abkunft gering und erwarb dafür himmlische Würdigkeit; sie verachtete das, was Menschen begehren, und teilte dafür des ewigen Königs Reich; sie starb den köstlichen Tod für Christi Namen und ward ihm also gar gleich'.

§ Von Sanct Vincentius. incentius ist soviel als vitum incendens, das heißt: der das Laster verbrennt; oder vincens incendia, der das Feuer überwindet, oder victoriam tenens; der den Sieg behält. Denn er hat die Laster verbrannt und vertrieben durch Kasteiung seines Leibes; er hat in seinem Leiden die Flamme der Marter überwunden mit Standhaftigkeit; er hat den Sieg gewonnen über die Welt, da er sie verachtete. Es waren drei Dinge in der Welt, die er besiegen mußte: falschen Irrglauben, den überwand er durch Weisheit; unreine Liebe, die überwand er durch Reinigkeit; irdische Furcht, die überwand er durch festen Mut. Davon spricht Augustinus 'Es lehrt uns der Heiligen Marter, wie diese Welt mit allem ihrem Irrsal, unreiner Liebe und Schrecken müsse überwunden werden'. § Sein Leben hat beschrieben Sanct Augustinus, als etliche sprechen; Prudentius aber hat es in schönen Versen besungen. incentius war von edlem Geschlecht, aber noch edler an seinem Glauben. Er war des seligen Bischofs Valerius Diacon, und da er besser denn der Bischof mochte reden, so übertrug ihm der Bischof, an feiner Statt zu predigen, und lag selbst dem Gebet ob und göttlicher Betrachtung. Auf des Landpflegers Dacianus Gebot wurden die beiden nach Valencia gebracht und in harte Gefängnis gelegt. Als nun Dacianus wähnte, sie seien von Hunger schier verdorben, ließ er sie vor sich führen; da er sie aber gesund und fröhlich sah, ward er zornig und sprach 'Was kannst du antworten, Va< leri, da du unter dem Vorwand des Glaubens wider die Gebote der Fürsten tust?' Der Bischof antwortete gar sanftmütiglich; da sprach zu ihm Vincentius 'EhrwürdigerVater,

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Von Sanct Vincentius

flustre nicht so leise, als ob du aus einem furchtsamen Gemitte sprächest, sondern rede mit lauter Stimme; oder gebiete mir, daß ich dem Richter antworte'. Sprach der Bischof 'Sohn, ich habe dir schon lange die Gewalt gegeben, für mich zu reden, so befehl ich dir auch nun für den Glauben zu antWorten, um des Willen wir hie stehen'. Da kehrte sich Vincentius zu dem Richter und sprach 'Du hast begehrt, daß

wir unsern Glauben sollten verleugnen; so wisse, daß es für uns Christen eine teuflische Klugheit wäre, Gott zu verleugnen und seinen Dienst zu schänden'. Darob ward der Richter gar zornig und sandte den Bischof in die Verbannung, den Vincentius aber ließ er, als einen frechen und vermessenen Jungling, auf die Folter spannen, und seine Glieder zerdehnen, daß Andre davon erschreckt würden. Da er nun also zerzerret ward an allen Gliedern, sprach Dacianus 'Vincentius, wo ist nun dein armseliger Leib?' Aber Vincentius lachte und sprach 'Das hab ich alle meine Zeit begehrt'. Davon ward der Richter noch zorniger und drohte ihm alle Pein, wenn er sich nicht in seinen Willen gäbe. Antwortete Vincentius 'O wie glücklich bin ich: je schlimmer du wider mich zürnest, je größere Freude tust du mir; so geh nur hin und tu alle Bosheit an mir, die dein böser Geist dir eingiebt: du sollst sehen, daß ich mit Gottes Hilfe stärker bin im Leiden denn du im Peinigen'. Da schrie der Richter und schalt die Henker und ließ sie mit Ruten und Knütteln schlagen. Aber Vincentius sprach 'Nun sieh, Daciane, du rächest mich selber an meinen Peinigern'. Da kam der Richter fast von Sinnen und sprach zu seinen Knechten 'O ihr Elenden, ihr vermögt nichts. Warum werden eure Hände matt? Vatermörder und Ehebrecher habt ihr gefoltert, daß sie ihre Missetat nicht mochten verhehlen, und dieser Vincentius siegt über alle eure Kunst'. Da rissen ihm die Henker mit eisernen Kämmen die Rippen auf, daß das Blut allenthalben von ihm floß; und lösten die Rippen sich voneinander, daß man die Eingeweide sehen mochte. Der Richter sprach 'Vincentius, erbarme dich über dich selbst, daß du deine schöne Jugend wiedergewinnest, und folge mir; so bist du der anderen Pein überhoben'. Vincentius antwortete 'O du giftige Zunge des Teufels, ich fürchte deine Pein nicht; ich fürchte allein, daß du dich über mich erbarmest: denn je zorniger ich dich sehe, je mehr freue ich mich. Ich will nicht, daß du meine Pein minderst, sondern du sollst erkennen, daß du überwunden bist

V0n Sanct Vincentius

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in allem, was du mir magst antun'. Da nahmen sie ihn von der Folter und brachten ihn zu der Feuermarter. Er aber trieb die Schergen zur Eile an und schalt sie, daß sie so lange säumten, und stieg freiwillig auf den Rost, und ließ sich brennen und braten; und wurden eiserne Nägel und glühende Haken durch alle seine Glieder gestochen. Da floß das Blut in das Feuer und wurden neue Wunden in den alten. Man warf auch Salz in das Feuer, daß es möge aufspritzen und in seinen Wunden brennen. Nicht lange so trafen die glühenden Haken nicht mehr die Glieder, sondern die innersten Eingeweide, und hingen die Eingeweide alle aus seinem Leib. In diesen Peinen blieb Vincentius unbeweglich und hub seine Augen auf und betete Gott an. Das sagten die Knechte dem Richter; da sprach Dacianus 'Ach weh mir, so sind wir überwunden! Aber er soll in seiner Pein noch länger leben. Darum nehmet ihn, und schließt ihn in den finstersten Kerker, streckt ihn auf spitzige Scherben und bindet seine Füße an einen Pfahl; laßt ihn also auf den Scherben liegen ohn einen menschlichen Trost, und saget es mir, wenn er tot ist'. Da liefen die bösen Knechte, ihres bösen Herrn Gebot zu vollbringen. Aber siehe, der König, für den der tapfre Ritter leidet, verwandelt seine Pein in Glorie: die Finsternis des Kerkers ward vertrieben von unermeßlichem Licht, die spitzen Scherben wurden verwandelt in zarte Blumen mancher Art, die Banden fielen von seinen Füßen und die Engel kamen und trösteten ihn. Da er also mit den Engeln über die Blumen schritt und Gott lobte, erscholl der süße Gesang weithin und der Duft der Blumen breitete sich umher. Darob erschraken die Wächter und schauten durch die Spalten des Kerkers: da wurden sie gläubig von dem, was sie sahen. Als Dacianus das hörte, geriet er außer sich und rief 'Was mögen wir ferner tun? Weh, wir sind überwunden. Aber traget ihn auf ein Bette und legt ihn auf weiche Kiffen; denn es würde seinen Ruhm mehren, so er in dieser Pein stürbe. Aber so er erlabt und erquickt ist, soll er neue Marter leiden'. Da aber Vincentius eine kleine Weile auf dem Bett geruhet hatte, gab er seinen Geist auf. Das war im Jahre des Herrn 287, unter Diocletianus und Maximianus. Dacianus erschrak, als er das vernahm, und war ihm leid, daß er also besiegt war; und sprach 'Mochte ich ihn nicht überwinden dieweil er lebte, so will ich ihn doch peinigen nun er tot ist; ward mir auch nicht der Sieg, so will ich doch meine Rache

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an ihm ersättigen'. Und hieß den Leichnam auf das Feld fahren, und den Vögeln und wilden Tieren zum Fraße vorwerfen. Aber alsbald war um ihn der Engel Wacht, die hüteten sein, daß er von den Tieren nicht verfehrt ward. Zuletzt kam ein Rabe, des Art doch von Natur gefräßig ist, der verjagte die anderen Vögel, die stärker waren als er, mit den Schlägen seiner Flügel und vertrieb auch einen Wolf mit Beißen und Schreien; und saß darnach, den Kopf zu des heiligen Leibes Anblick ohn Unterlaß gewendet, als bewundere er ehrfürchtig der Engel Wacht. Als Dacianus dies vernahm, rief er 'Soll ich ihn auch im Tode nicht überwinden?' Und hieß einen großen Mühlstein an den Leichnam binden und ihn ins Meer werfen, daß ihn die Meerungeheuer fressen sollten, da die Tiere des Feldes sein hatten geschont. Also fuhren die Schiffleute den Leichnam hinaus aufs Meer und versenkten ihn in die Flut: da war er schneller wieder am Strand denn die Schiffleute. Darnach tat Sanct Vincentius einer edlen Witwe und etlichen anderen Chriftenmenschen kund, wo sein Leichnam läge; die bestatteten ihn mit großen Ehren. § Von diesem Märtyrer spricht Sanct Augustinus also 'Sanct Vincentius hat gesiegt mit Worten, in den Martern, mit Bekenntnis; er hat gesiegt in Trübsal; in Feuer und Wasser, im Leben und im Tod'. 'Er ward gepeinigt, daß er würde grübet; er ward geschlagen, daß er würde gelehret; er ward gestoßen, daß er wurde gefestiget; gebrannt, daß er würde geläutert'. Ambrosius spricht von ihm in seiner Praefatio 'Er ward gefoltert, gestoßen, gegeißelt, gebrannt; aber er blieb unbesiegt, sein Mut den heiligen Namen zu bekennen ward nicht erschüttert; vom Feuer seines Eifers brannte er mehr als von den glühenden Eisen. Die Furcht Gottes fesselte ihn stärker als die Furcht vor den Menschen; er wollte lieber Gott gefallen als dem Volk, lieber der Welt sterben als dem Herrn'. Und Augustinus spricht 'Vor unsern Augen hebt sich ein wunderlich Schauspiel: ein ungerechter Richter, ein grausamer Henker, ein unbesieglicher Märtyrer: ein Wettstreit zwischen Grausamkeit und Sanftmut'. Prudentius, der zur Zeit des älteren Theodofius lebte, der im Jahre 387 zur Herrschaft kam, erzählt, daß Vincentius dem Dacianus geantwortet habe 'Folter, Kerker, Nägel, glühende Bleche, ja der Peinen äußerste, der Tod, ist den Christen ein Spiel'. Spricht Dacianus 'Bindet ihn, renkt ihm die Arme nach hinten, reißt seinen Leib hin und

Von Sanct Basilius dem Bischof

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her, bis alle Gelenke sich lösen und Glied für Glied abbricht, bis man durch die Löcher der Wunden seine bloße Leber zappeln sieht'. Des lachte der Ritter Christi, und schalt seine blutigen Hände, weil die eisernen Nägel nicht tief genug eindrangen in die Gelenke. Da er in dem Kerker lag, sprach zu ihm der Engel 'Glorreicher Märtyrer, steh auf und furchte dich nicht, mache dich auf und gehe ein in unsre himmlische Schar. O du männlicher Ritter und unbesieglicher Streiter, nun fürchten die härtesten Martern dich als ihren Befieger'. Hier ruft Prudentius aus 'Berühmter du in aller Welt, du allein haft die Palme zwiefachen Sieges davongetragen, und zwei Lorbeerkränze erstatten'. § Von Sanct Basilius dem Bischof.

*VK afilius war ein ehrwürdiger Bischof und großer Leh--^Jrer; sein Leben hat Amphilochius, der Bischof von Ironium, aufgeschrieben. § Nun war ein Einsiedel Effretn mit Namen, dem ward im Gesicht Sanct Basilii Heiligkeit kund getan. Denn da dieser Effrem einst in der Verzückung lag, sah er eine feurige Säule, die war also groß, daß sie an den Himmel rührte; und hörte eine Stimme, die sprach 'Also groß ist Basilius, wie die Feuersäule, die du schaust'. Da machte sich Effrem auf in die Stadt, daß er den großen Mann sehen möchte, und kam dahin am Epiphanientage; da sah er ihn mit einer weißen Stola angetan mit seinem Klerus in feierlicher Procesfion; und fprach bei sich 'Das ist der Mann nicht, den ich suche, ich bin umsonst gekommen: wer in so großen Ehren sitzet, mag nimmer der Mann sein, den mir Gott gezeigt hat. Denn wir, die wir des Tages Last und Hitze tragen, haben solches Lob noch nicht verdienet, und der hier, der in solchen Ehren prangt, soll eine feurige Säule sein? das nimmt mich Wunder'. Sanct Basilius aber wußte im Geiste wohl, daß Effrem sich sein geärgert hatte, und hieß den Einsiedel zu ihm führen. Und da Effrem vor ihm stund, sah er, daß eine feurige Zunge aus feinem Munde ging, wann er redete; da fprach er 'Er ist wahrlich der große Basilius, er ist wahrlich die feurige Säule: der heilige Geist redet durch seinen Mund'. Und sprach weiter 'Herr, laß mich eins von dir bitten: ich möchte gern griechisch reden; so bitte ich dich, erwirb mir das bei Gott'. Antwortete Basilius 'Du hast kein leichtes Ding gefordert'; doch bat er Gott darum;

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Von Sanct Basilius dem Bischof

und alsbald fing der Einsiedel an, griechisch zu reden. § Es war ein anderer Einsiedel, der sah Sanct Basilium auch einmal in bischöflicher Herrlichkeit einherziehen; darob verachtete er ihn und verdammte ihn in seinem Herzen, daß er Gefallen habe an solcher Hoffahrt. Da hörte er eine Stimme, die sprach zu ihm 'Du hast mehr Lust, wenn du deiner Katze Schwanz streichest, denn Basilius von aller seiner Pracht'. § Valens der Kaiser war den Arianern gar günftig, darum nahm er den Katholischen eine Kirche und gab sie den Ketzern. Da ging Sanct Basilius vor ihn und sprach 'Kaiser, es stehet geschrieben, daß die Ehre des Königs liebet das Gericht, und das Gericht des Königs ist Gerechtigkeit. Nun hat dein Herz geboten, daß die Kirche den Gläubigen genommen werde und den Ketzern gegeben?' Sprach der Kaiser 'Basili, du kommst aber mit Scheltworten, das ziemit dir nicht'. Antwortete Basilius 'Es ziemet mir, für das Recht zu sterben'. Nun war des Kaisers Küchenmeister, Demosthenes mit Namen, auch den Arianern zugetan, und wollte für sie sprechen; dabei geschah es, daß er seine Rede gar ungelehrt setzte. Da sprach Basilius 'Bedenke du die Speisen des Kaisers und koche nicht an den göttlichen Dingen'. Da schämte sich der Koch und schwieg. Darnach sprach der Kaiser zu Sanct Basilius 'Geh hin und richte zwischen den Streitenden, aber nicht nach dem blinden Willen des Volkes'. Da ging Basilius hin und verkündete öffentlich vor Katholiken und Arianern, daß die Türen der Kirche sollten geschlossen werden und mit dem Siegel beider Teile versiegelt; und von welches Teiles Gebet die Türen sich auftäten, der sollte die Kirche besitzen. Dies Urteil gefiel ihnen allen wohl. Da gingen die Ketzer und lagen drei Tage und Nächte im Gebet und zogen darnach vor die Kirche; aber die Türen taten fich nicht gegen sie auf. Da ordnete Basilius seine Procession und kam vor die Kirche und sprach ein kurz Gebet; dann klopfte er leise mit seinem Hirtenstab an die Tür und sprach 'Tut auf, ihr Fürsten, eure Pforten und hebet euch auf ihr ewigen Tore, daß einziehe der König der Ehren' (Psi 23, 9). Da taten die Tore sich alsbald auf, und sie zogen in die Kirche und dankten Gott. Also ward die Kirche den Gläubigen wieder. § Darnach gelobte der Kaiser Sanct Basilio großes Gut, als wir in der Historia Tripartita lesen, daß er ihm sollte gehorchen und gehorsam sein. Aber Basilius antwortete ihm 'So mögen wol Kinder tun.

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aber die da von Gottes Wort gespeiset werden, die leiden nicht, daß auch nur eine Silbe des heiligen Glaubens verloren gehe oder zerstört werde'. Darob erzürnte der Kaiser und wollte ihn in die Verbannung senden; aber da er die Feder nahm, daß er das Urteil schriebe, brach ihm die Feder in der Hand; und also geschah es mit der zweiten und mit der dritten Feder: darnach fuhr ein solches Zittern in seine Hand, daß er vor Unmut das Blatt zerriss § Zu den Zeiten war ein guter Mann, Eradius mit Namen, der hatte eine einige Tochter, die wollte er dem Herrn weihen. Das war dem bösen Feinde leib, darum entzündete er in einem von des Eradius Knechten Liebe zu der Jungfrau. Da bedachte der Knecht, daß es unmöglich wäre, daß ihm die edle Jungfrau möchte werden, also ging er zu einem Zauberer und gelobte dem viel Geld und Gut, wenn er ihm zu der Jungfrau Gunst hülfe. Sprach der Zauberer 'Das kann ich nicht; aber willst du, so schicke ich dich zu meinem Herrn, dem Teufel: und wenn du tust, was der dir sagt, so wird dein Begehr erfüllt'. Antwortete der Jungling 'Was er mir fagt, das will ich tun'. Also schrieb der Zauberer einen Brief an den Teufel, den sollte ihm der Jungling bringen, darin stund geschrieben 'Da es mir obliegt, Herr, die Christen von ihrem Glauben zu bringen, also viel ich mag, und dir zuzuführen, auf daß dein Reich täglich zunehme, so sende ich dir diesen Jungling und bitte dich, daß du ihm helfest die Jungfrau gewinnen, in die er entbrannt ist. Davon so gewinne ich großen Ruhm und mag dir desto mehr Seelen zuführen'. Den Brief gab er dem Jungling und sprach 'Gehe hin und stelle dich um Mitternacht auf ein Heidengrab, und rufe den Teufeln, und wirf den Brief in die Luft; so werden sie alsbald bei dir fein'. Der Knecht tat wie ihm geboten war, und rief den Teufeln und warf den Brief in die Luft. Und siehe, es erschien der Fürst der Finsternis mit einer großen Schar Teufel; der las den Brief und sprach zu dem Jungling 'Glaubst du an mich, daß ich deinen Willen mag erfüllen?' Antwortete der Junglang 'Ja, Herr, ich glaube an dich'. Sprach der Teufel 'Und verleugnest du deinen Christus?' Antwortete der Jungling 'Ja, ich schwör ihn ab'. Da sprach der Teufel 'Ahr Christen seid so schalkicht, wann ihr mein bedürft, so kommet ihr zu mir, und wann ihr eure Begierde erfüllet habt, so verleugnet ihr mich, und kehret wieder zu eurem Christo; denn der ist also milch daß er euch wieder zu Gna-

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den annimmt. Darum: willst du, daß ich deinen Willen tue, so mache mir einen Brief mit deiner Hand geschrieben, daß du Christo absagest und der Taufe und dem christlichen Bekenntnis, und dich gebest in meine Gewalt als mein Knecht, der mit mir verdammt wird am Tage des Gerichts'. Der Jungling tat alfo, und schrieb mit eigener Hand einen Brief, darin er Christum abschwur und des Teufels Dienste sich verschrieb. Alsbald rief der Teufel den Geistern, die Gewalt haben Uber die Unkeuschheit, und gebot ihnen, daß sie in die Jungfrau sollten fahren und sie entzünden in unmäßiger Liebe gegen den Jungling. Dies geschah, und der Jungfrau Herz ward so hitzig entzündet, daß sie sich zur Erde warf, und bat ihren Vater mit weinenden Augen 'Vater, erbarme dich über mich, ich liebe jenen Jungling, unfern Knecht, und leide große Pein um feinetwillen; sieh an deine väterliche Liebe und Treue, und gieb mir den Knaben, den ich liebe und um den ich Pein leide; denn tust du das nicht, fo sterbe ich vor deinen Augen und du mußt für mich Rechenschaft ablegen am Tag des Gerichts'. Da erfeufzte der Vater tief und sprach 'O weh mir, was ist meiner armen Tochter geschehen? Wer hat meinen Schatz gestohlen? Wer hat das süße Licht meiner Augen verlöscht? Ich wollte dich dem himmlischen Bräutigam weihen und wollte durch dich selig werden, und du rasest in unreiner Liebe. Laß ab, Tochter, ich muß dich dem Herrn weihen, wie ich gelobt habe, ach bringe mein Alter nicht mit Schmerzen unter die Erde'. Sie aber schrie und sprach 'Vater, erfülle bald meine Bitte, oder du siehst mich in kurzer Zeit tot'. Da sie nun also bitterlich weinte und tobte, da gab der Vater nach seiner Freunde Rat seinen Willen darein mit großer Betrübnis, und vermählte die Tochter seinem Knecht und gab ihr all sein Gut und sprach 'Ziehe hin, mein armes Kind'. Da sie nun bei einander waren, da ging der Jungling in keine Kirche, und segnete sich nicht mit dem Zeichen des Kreuzes, und empfahl sich Gott nicht. Das merkten die Menschen und sprachen zu der Frau 'Weißt du, daß der Mann, den du dir erwählt hast, kein Christ ist, und in keine Kirche geht?' Da erschrak sie gar übel und warf sich nieder auf die Erde und zerkratzte sich mit ihren Nägeln und schlug ihre Brust und sprach 'Ach ich Arme, warum bin ich geboren und nicht sogleich gefrorben?' Und ging hin und sagte ihrem Manne, was sie gehört hatte. Der leugnete es und schwur, man hätte sie belogen.

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Da sprach sie 'Willst du, daß ich dir glaube, so wollen wir beide mit einander morgen zur Kirche gehn'. Da merkte er, daß es nicht mehr mochte verholen bleiben, und erzählte ihr alles, was sich zugetragen hatte. Sie erseufzte gar tief, als sie das hörte, und ging zu Sanct Basilius und sagte ihm alles, was ihr und ihrem Manne war geschehen. Da rief Basilius den Mann zu sich, und hörte von ihm die Geschichte, und sprach darnach 'Sohn, willst du wieder zu Christo kehren?' Er antwortete 'Ja Herr, aber es mag nicht mehr geschehen; ich hab mich dem Teufel ergeben und Christum abgeschworen, und habe davon eine Verschreibung gemacht und sie dem Teufel felbst gegeben'. Sprach Basilius 'Darob sei unbesorgt, unser Herr ist barmherzig und wird deine Reue annehmen'. Damit nahm er den Mann, zeichnete ihm ein Kreuz an seine Stirne und beschloß ihn drei Tage in eine Kammer. Darnach kam er wieder zu ihm und sprach 'Sohn, wie ist es dir ergangen?' Er antwortete 'O Herr, ich leide große Not, die Teufel treiben großes Geschrei vor mir und halten mir meinen Brief vor die Augen und sprechen 'Du kamst zu uns, und wir nicht zu dir'. Sprach Basilius 'Fürchte dich nicht und glaube nur' und gab ihm ein wenig zu essen, segnete ihn wiederum mit dem Zeichen des Kreuzes und schloß ihn wieder ein und betete für ihn. Nach etlichen Tagen kam er wieder und fprach 'Sohn, wie ist es dir ergangen?' Er antwortete 'Vater, ich höre der Teufel Drohen und Geschrei in der Ferne, aber ich sehe sie nicht mehr'. Da gab er ihm wieder Speise, segnete ihn und schloß die Tür; und bat Gott für ihn. Und kam nach etlichen Tagen wieder und sprach 'Sohn, wie geht es dir nun?' Er antwortete 'Es geht mir wohl, denn ich sah dich, heiliger Vater, heute im Gesicht für mich fechten wider den Teufel und sah dich siegen'. Da nahm Basilius ihn mit sich und versammelte die Priester und die Mönche und alles Volk und mahnte sie alle, Gott für ihn zu bitten. Und führte den Jungling an der Hand zur Kirche. Da kam der Teufel mit einem großen Heer der bösen Geister unsichtbar und wollte den Jungling von der Hand des Bischoss reißen. Der Jungling schrie 'HeiligerVater, hilf mir'. Aber der Teufel fiel ihn mit folcher Gewalt an, daß er auch Sanct Basilium zerrte, der ihn hielt. Da fprach der Heilige 'Verfluchter, ist dir nicht genug an deiner eigenen Verderb, nis, willst du auch Gottes Geschöpf darein bringen?' Sprach der Teufel, daß es viele hörten 'O Bafili, du tust mir wahr-

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lich Unrecht'. Da rief alles Volk 'Kyrie eleifon' und Basilius sprach 'Gott strafe dich, du böser Teufel'. Der aber sprach 'Du tust mir wahrlich Unrecht, Basili: ich kam nicht zu ihm, er kam zu mir und verleugnete seinen Christus und gab sich in meine Gewalt. Siehe, ich habe seine Verschreibung in der Hand'. Basilius sprach 'Ich will so lange beten, bis du den Brief mußt wiedergeben'. Und damit hub er feine Hände auf gen Himmel und betete. Da sah alles Volk den Brief durch die Luft herabfliegen in des Bischofs Hände. Der nahm ihn, zeigte ihn dem Jungling und sprach 'Bruder, kennst du diese Buchstaben?' 'Ach ja' antwortete er 'ich hab sie mit eigner Hand geschrieben'. Da zerriß Sanct Basilius den Brief, und führte den Jungling in die Kirche. Er weihte ihn aufs neue und lehrte ihn, wie er leben sollte; und gab ibn seinem Weibe wieder. § Es war eine Frau, die hatte viel Sünden begangen. Die schrieb ihre Missetat alle in einen Brief, und schrieb die schwerste zu allerletzt. Den Brief gab sie Sanct Basilio, daß er Gott für sie bitte, und ihre Sünde tilge. Als Sanct Basilius sein Gebet gesprochen hatte und die Frau den Brief auftat, da waren die Sünden alle getilgt, nur die große Sünde nicht. Da sprach die Frau 'Du Diener Gottes, erbarme dich über mich und erwirb mir Gnade auch für die große Sünde'. Er antwortete 'Weiche von mir, Weib, denn ich bin auch ein fündiger Mensch und bedarf der Gnade fo wohl wie du'. Sie aber wollte nicht ablassen mit Bitten, da sprach er 'So gehe hin zu dem heiligen Manne Effrem, der mag dir wol erwerben, was du begehrst'. Sie kam zu Effrem und fagte ihm, warum sie von Sanct Basilio zu ihm wäre gesandt. Er aber sprach 'Geh von mir, ich bin ein sündiger Mensch, und geh wieder zu Sanct Basilio; hat er dir Gnade erworben für die anderen Sünden, so wird er dir auch Vergebung erlangen für diese Sünde; aber eile, daß du ihn noch lebend findest'. Und da sie in die Stadt kam, trug man Sanct Basilium zu Grabe; da schrie sie hinter dem Sarg und sprach 'Nun seh es Gott der Allmächtige an und richte zwischen mir und dir; denn du hättest mich wohl mit Gott versöhnt und hast mich zu einem anderen gesendet' und warf den Brief auf die Bahre; aber da sie ihn wieder aufhub und von einander tat, da war die Sünde auch getilgt. Da sagte sie Gott von Herzen Dank und mit ihr alles Volk, das dabei stund. § Nicht lange zuvor, da Sanct Basilius in dem großen Siechtum lag, daran er auch starb, ließ er einen Juden

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rufen, Joseph mit Namen, der war ein Meister in der Arzte Kunst. Der Bischof hatte ihn gar lieb, weil er wußte, daß er ihn dereinst noch zum Glauben würde bekehren. Und ließ ihn rufen, als ob er seiner Hilfe bedürfte. Der Jude griff ihm seinen Puls, der gefiel ihm gar übel, und er merkte wohl, daß der Tod vor der Tür sei; und sprach zu des Bischoss Gesinde 'Ordnet, was zum Begräbnis not ist, denn der Bischof wird alsbald sterben'. Das hörte Basilius und sprach 'Du weißt nicht, was du sagst'. Antwortete der Arzt 'Glaube mir, Herr, so wahr heute mit Sonnenuntergang die Sonne untergeht, so wahr wirst du mit Sonnenuntergang tot sein'. Sprach Basilius 'Und wenn ich heute nicht sterbe?' Antwortete Joseph 'Herr, das ist unmöglich'. Sprach Basilius 'Was tust du, wenn ich morgen noch bis zur sechsten Stunde lebe?' Antwortete Joseph 'Lebst du bis zu der Stunde, so will ich sterben'. 'So stirb den Sünden ab' sprach Basilius 'und lebe Christo'. Da sprach der Jude 'Herr, ich weiß wohl, was du meinest. Ost es, daß du morgen zur sichsten Stunde noch lebest, so will ich tun, was du mich mahnest'. Da bat Sanct Basilius, der von Natur wegen alsbald hätte sterben müssen, daß Gott sein Leben längerte, und blieb leben bis zum andern Tag um die neunte Stunde. Als Joseph dies sah, erschrak er, und glaubte an Christum. Basilius aber überwand mit der Kraft des Geistes die Schwäche seines Leibes, stund auf von seinem Bette und ging in die Kirche: da taufte er den Anden mit feinen eigenen Händen. Darnach legte er fich wieder nieder auf fein Lager und gab alsbald selig seinen Geist auf. § Er lebte um das Jahr 370.

§ Von Sanct Johannes dem Almosner. ohannes der Almosner war ein Patriarch zu Alexandria in der Stadt. Eines Nachts, da er an seinem Gebete lag, sah er eine gar schöne Jungfrau bei sich stehn, die hatte ein grünes Kränzlein auf dem Haupt von Blättern des Ölbaumes. Da er sie sah, verwunderte er sich über die Maßen, und fragte, wer sie wäre. Sie antwortete 'Ich bin die Barmherzigkeit, die den Sohn Gottes vom Himmel auf die Erde hat gezogen; und du sollst mich zu einer Braut nehmen, so wird dir gar wohl'. Da verstund er, daß der chlzweig die Barmherzigkeit bedeute, und ward von dem Tage an also barmherzig, daß man ihn Eleymon nannte, das ist gespro-

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chen ein Almosner. Er nannte die Armen allezeit seine Herren; daher heißen noch jetzt die Spitalherren arme Leute ihre Herren. Darnach rief er seine Diener zusammen und sprach 'Geht durch die ganze Stadt und schreibet mir in ein Buch alle meine Herren'. Da verstunden sie nicht, welche Herren er meinte. Und er sprach 'Welche ihr Arme heißet und Bettler, die nenne ich meine Herren und Helfer; denn fie mögen uns wahrlich helfen und uns das Himmelreich erwerben'. § Wann er die Menschen wollte ziehen zur Barmherzigkeit, so sagte er ihnen dieses Beispiel 'Es saßen einst arme Menschen an der Sonne, daß sie sich wärmten, und redeten untereinander von den Almosengebern; und rühmten die Guten und schmähten die Bösen. Da war ein reicher und mächtiger Zöllner in der Stadt, Petrus mit Namen, der war gar unbarmherzig gegen die Armen, und wer von ihnen an seine Tur klopfte, der ward mit Schelten davongejagt; von dem hatte noch keiner ein Almosen empfangen. Da sprach einer von den Bettlern 'Was wollt ihr mir geben, so ich diesem Kargen noch heute ein Almosen abgewinne?' Also machten sie mit ihm einen Pakt, und er lief hin vor des Geizigen Tür und bat das Almosen, und da er eine Weile gesessen hatte, kam der karg Peter heim. Als der des Bettlers gewahr ward, sah er fich um nach einem Stein, damit er ihn würfe; da fand er keinen. Alleweil trug sein Knecht einen Korb Weizenbrote in das Haus; da riß er ein Brot aus dem Korb und warf es auf den Armen in großem Grimm. Der hob es schnell auf und lief damit zu seinen Gesellen und rühmte sich, er hätte das Brot von des Zöllners Hand empfangen. Darnach über zwei Tage ward der Zöllner siech bis auf den Tod. Da träumte ihm, er stünde vor Gericht, und etliche Mohren legten alle seine Sünde auf die eine Schale einer Wage; auf der andern Seite frunden Etliche in weißen Kleidern, die waren gar betrübt, denn sie hatten nichts auf die Wagschale zu legen. Endlich sprach einer 'Wir finden wahrlich nichts anderes, denn dies Weizenbrot, das er vor zwei Tagen Christo gab wider seinen Willen'. Sie legten es auf die Wage: da stunden die Schalen gleich. Die in den weißen Kleidern aber sprachen zu dem Zöllner 'Lege mehr guter Werke zu dem Brot, sonst packen dich die schwarzen Mohren'. Als der Zöllner am andern Morgen erwachte, war er gesund; und sprach bei sich 'Ei, wenn ein Brot mir also wohl zu statten ist kommen, das ich

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im Zorn geworfen hab, wie nütze mag es dann sein, so ich all mein Gut mit Willen Gott gebe!' Eines Tages ging er auf der Straße gar köstlich gekleidet mit seinen besten Kleidern, da begegnete ihm ein Schiffbrüchiger und bat um etwas, damit er seine Blöße decke. Alsbald zog er sein köstlich Gewand aus und gab es ihm; der Arme aber ging hin und verkaufte das Kleid. Da nun der Zöllner wieder desfelbigen Weges ging, sah er sein Kleid aufgehängt zum Verkauf. Des betrübte er sich gar sehr und mochte vor Leid des Tages weder essen noch trinken; und sprach bei sich 'Ach ich bin nicht würdig, daß der Arme mein gedachte bei dem Kleide'. Aber da er des Nachts entschlief, sah er Einen, der strahlte lichter denn die Sonne und hatte ein Kreuz auf seinem Haupt: der war mit dem Gewand gekleidet, das er dem Armen hatte gegeben; und sprach zu ihm 'Peter, warum weinest du?' Da sagte er ihm, warum er traurig sei. Sprach jener 'Kennst du dieses Kleid?' Antwortete Petrus '3a Herr, ich kenne es wohl'. Da sprach unser Herr 'Siehe, mit diesem Kleide bin ich bekleidet, weil du es mir gegeben hast, und danke dir deines guten Willens: denn ich habe gefroren und du hast mich gekleidet'. Als Petrus erwachte, da war er froh; und pries die Armen und sprach 'Der Herr lebt, und ich mag nicht sterben, bis daß ich bin wie ihrer einer'. Also gab er den Armen alles, was er hatte. Und ließ seinen Schreiber kommen und sprach zu ihm 'Ich will dir etwas Heimliches sagen: verrätst du das oder tust du nicht, was ich dir sage, so verkaufe ich dich in die Heidenschaft', und gab ihm zehn Pfund Goldes und sprach 'Ziehe hin in die heilige Stadt und kaufe dir Ware ein, mich aber verkaufe an einen Christen, und teile das Geld, das du davon lösest, unter die Armen'. Der Schreiber wollte es nicht tun. Er aber sprach 'Erfüllst du meinen Willen nicht, so verkaufe ich dich den Heiden'. Also führte der Schreiber seinen Herrn mit sich in schlechten Kleidern als seinen Knecht und verkaufte ihn einem Silberschmied um dreißig Silberlinge, und teilte das Geld unter die Armen. Petrus aber tat auf seines Herrn Hof die niedrigsten Dienste, also daß ihn jedermann verachtete, und das andere Gesinde seinen Spott mit ihm hatte, und schlugen und stießen ihn, und hießen ihn einen Narren. In dieser Demütigkeit erschien ihm unser Herr gar oft, und zeigte ihm das Kleid und die dreißig Silberlinge zu einem Trost. Der Kaiser aber und das ganze Land klagten den Verlust dieses

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Mannes. Nun geschah es, daß etliche seiner Nachbarn von Constantinopel kamen, die heiligen Stätten zu besuchen, und wurden von Petrus Herrn zu Tische geladen, und da sie über Tische saßen, raunte einer dem andern ins Ohr 'Wie ähnlich ist doch dieser Knecht Peter dem Zöllner' und sahen ihn mit Fleiß an. Da sprach einer 'Wahrlich er ist’s, ich will aufstehen und ihn halten'. Das merkte Petrus und stahl sich heimlich weg. Da war ein Pförtner, der war stumm und taub, und wer aus oder ein wollte gehn, der mußte ihm ein Zeichen geben. Des Zeichens vergaß Petrus vor großem Eilen und sprach 'Tu auf das Tor'. Da hörte der Taubstumme

plötzlich und konnte reden, und gab ihm Antwort und schloß fröhlich das Tor auf. Und lief bald in das Haus zu den Gästen; und da sie sich alle über ihn verwunderten, sprach er 'Peter der Küchenknecht ist eilends hinweggegangen, aber sehet zu, ob er nicht Gottes Knecht ist: denn da er zu mir sprach 'Ich sage dir, tu auf das Tor', da ging eine feurige Flamme aus seinem Mund, die berührte meine Zunge und meine Ohren, und alsbald konnte ich hören und reden'. Da sprangen sie alle auf und liefen nach ihm aus, aber fie konnten ihn nicht mehr finden. Da taten alle, die in dem Hause waren, Buße, daß sie den heiligen Menschen so schmählich hatten gehandelt'. § Es war ein Mönch, Vitalis mit Namen, der wollte Sanct Johannes den Almosner versuchen, ob er auf bloße Worte hörte und leichtlich tirgernis nähme. Darum ging er hin in die Stadt und schrieb auf alle öffentlichen Dirnen und ging da zu einer nach der andern und bat jegliche, daß sie ihm eine Nacht gäbe und in der Nacht keine leibliche Sünde beginge. Also ging er in jeglicher Sünderin Haus, und kniete die ganze Nacht in ihrer Kammer in einem Winkel und betete für fie; des Morgens ging er von dannen und gebot ihr, daß sie es niemandem verriete. Eine aber tat seinen Lebenswandel kund. Da betete Vitalis, daß alsbald ein Teufel in sie führe und sie peinigte. Und alle sprachen zu ihr 'Gott hat dir gelohnt, wie du verdient hast mit deinem Lügen, denn dieser schlechte Mönch ist zu dir eingegangen, daß er seine Sünde vollbringe und nichts anderes'. Wenn es Abend ward, sprach Vitalis öffentlich, daß es viele hörten 'Ich will jetzt gehen, denn die und die Frau wartet mein'. Straften ihn die Leute um diese Rede, so sprach er 'Habe ich nicht einen Leib so gut wie die anderen Menschen auch, oder ist Gott allein den Mönchen gram? Sie sind Menschen gleich

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den andern'. Etliche sprachen 'Du solltest ein einig Weib nehmen, Vater, und dein Kleid verwandeln, damit sich die Leute nicht über dich ärgern'. Da gebahrte er sich gar zorniglich und sprach 'Hebet euch von mir, ich will euch nicht hören. Wer sich ärgern will, der ärgere sich und stoße seine Stirn wider die Wand. Seid ihr von Gott zu Richtern über mich gesetzt? Geht und kümmert euch um euch selber, es ist nicht not, daß ihr Rechenschaft gebet über mich'. Das sprach er überlaut, also daß man darüber vor Sanct Johannes Klage führte. Des Herz aber festete Gott, daß er der Rede keinen Glauben gab. Vitalis aber bat Gott, daß nach seinem Tode sein Tun offenbar werde, damit es denen nicht zur Sünde gerechnet würde, die an ihm tirgernis genommen hatten. Und bekehrte der Dirnen viel und brachte ihrer viele in ein Kloster. Nun geschah es eines Morgens, da er von einer Dirne ging, daß ihm Einer begegnete, der wollte um Sünde zu ihr eingehen; der schlug den Mönch an seine Wange und sprach 'Wann wirst du von deiner Unreinigkeit lassen. Elender'. Antwortete Vitalis 'Wahrlich, du sollst einen Backenstreich von mir empfangen, daß ganz Alexandria zusammen läuft'. Und siehe, nicht lange darnach trat der Teufel in eines Mohren Gestalt dem Menschen in den Weg und schlug ihn auf seinen Backen und sprach 'Diesen Backenstreich sendet dir der Abt Vitalis'; und alsbald war er vom bösen Geist besessen, daß alles Volk auf sein Geschrei zusammenlief. Hernach aber, da er Reue empfing, ward der durch Vitalis Gebet erlöst. Als Vitalis starb, ließ er einen Zettel zurück, darauf stunden die Worte: Urteilet nicht vor der Zeit. Da bekannten die Frauen, was er getan hatte, und alles Volk lobte Gott, sonderlich Sanct Johannes; der sprach 'O daß ich selbst den Backenstreich möchte haben empfangen, den jener Mensch empfing'. § Es kam ein armer Mensch in Pilgers Gewand zu Sanct Johannes und bat ihn um ein Almosen. Da rief Johannes feinem Säckelmeister und ließ ihm sechs Silberlinge geben. Der Bettler empfing das Geld und ging; und kam über eine Weile wieder mit verwandeltem Gewand und bat zum andern Male. Da rief Johannes dem Säckelmeister und hieß ihm sechs Goldstücke geben. Als der Bettler von dannen ging, sprach der Säckelmeister 'Herr, dieser Mensch hat nach deinem Gebot zweimal empfangen; denn wisse, er hatte sein Kleid verwandelt'. Johannes aber stellte sich, als wäre es ihm nicht kund. Da kam der Bettler

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zum drittenmal und hatte wieder andre Kleider an. Da stieß der Säckelmeister Sanct Johannes an und winkte ihm, daß es derselbe Pilgerim wäre. Aber Johannes sprach 'Gehe hin und gieb ihm zwölf Goldstücke; denn es mag nun unser Herr Jesus Christus sein, der mich will versuchen, ob ich eher des Gebens werde müde denn er des Nehmens'. § Es war ein großer Herr in der Stadt, der wollte Kirchengeld anlegen in Kaufmannsgut; dies wehrte Sanct Johannes und begehrte, daß man das Geld den Armen sollte geben. Also wurden sie uneins, daß sie zornig von einander schieden. Aber um die elfte Stunde sandte Johannes seinen Archipresbyter zu ihm und entbot ihm 'Herr, es will Abend werden'. Als jener das hörte, da weinte er bitterlich, und kam zu Johannes und bat ihn um Vergebung. § Sanct Johannis Neffe war einst von einem Krämer gröblich beschimpft worden; das lag ihm schwer an, daß ihn niemand trösten mochte, und klagte es seinem Oheim. Der sprach 'Wie konnte jemand wagen, wider dich zu reden und den Mund wider dich aufzutun? Sohn, glaube mir, ich will dem Menschen noch heute etwas tnn, darüber ganz Alexandria sich verwundern soll'. Da das der Jungling hörte, ward er getröstet; denn er meinte nicht anders, als daß Sanct Johannes seinen Feind würde auspeitschen lassen. Als Johannes sah, daß er hievon getröstet war, zog er ihn an sich und küßte ihn und sprach 'Lieber Sohn, willst du der rechte Neffe meiner Demütigkeit sein, so bereite dich dazu, mit Worten und mit Werken Schmach zu leiden von der Welt; denn die wahre Verwandtschaft kommt aus der Kraft des Geistes, und nicht von Fleisch und Blut'. Und alsbald sandte er nach dem Menschen, und ließ ihn ledig von allem Zins und Steuern. Da verwunderten sich alle, die das vernahmen, und merkten, was er damit gemeint hatte, daß er sprach 'Ich will etwas an ihm tun, daß ganz Alexandria sich verwundern soll'. § Sanct Johannes vernahm: wenn ein Kaiser gekrönt werde, so sei es Gewohnheit, daß die Baumeister der Grabmäler vor ihn träten und wiesen ihm vier oder fünf Stücklein Marmors von unterschiedlichen Farben und sprächen 'Von welchem Marmor oder von welchem Metall befiehlt deine Hoheit, daß wir dein Grabmal sollen machen?' Also ließ Johannes sich auch ein Grab bereiten, dieweil er lebte, und ließ es doch nicht ganz vollenden. Und wann er mit seinen Pfaffen in den größten Ehren war oder Freuden, fo mußten etliche vor ihn treten und spre-

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chen 'Herr, dein Grab ist noch nicht vollendet, gebiete, daß es vollbracht werde; denn du weißt nicht, zu welcher Stunde der Dieb kommen mag'. § Ein reicher Mann sah einsmals, daß Sanct Johannes auf seinem Lager schlechte Decken hatte, da er die guten alle den Armen gegeben hatte. Da ging er hin und kaufte ein köstlich Bettlaken und gab es Sanct Johannes. Da nun Sanct Johannes des Nachts das köstliche Tuch ob ihm hatte, da konnte er die ganze Nacht nicht schlafen und gedachte, wie dreihundert seiner Herren von dem Erlös des Tuches möchten gekleidet werden. Und weinte die ganze Nacht und sprach 'Wie sind der so viel, die heute ungegessen sich haben niedergelegt, die naß vom Regen auf den Straßen fchlafen und vor Frost mit den Zähnen klappern; und ich habe heute guten Fisch gegessen und liege hier auf einem weichen Bett mit allen meinen Sünden, und bin gedeckt mit einem Tuche, das sechsunddreißig Silberlinge hat gekostet. Doch soll dies dem demütigen Johannes nicht zum andern Male geschehen'. Des Morgens hieß er das Bettlaken verkaufen und gab das Geld den Armen. Da das der reiche Mann vernahm, kaufte er das Bettlaken wieder, brachte es Sanct Johannes und bat ihn, daß er es für sich behielte und nicht mehr verkaufe. Johannes nahm es, und verkaufte es

zum andern Male und gab das Geld feinen Herren. Der Reiche aber ging wieder hin, kaufte das Tuch abermals, gab es Sanct Johannes und sprach mit lachendem Munde 'Laß uns sehen, wer eher müde wird, du des Verkaufens, oder ich des Wiederkaufens'. Also beraubte er den Reichen auf eine gute Art und sprach 'Wer einen Reichen auf diese Weise beraubt, daß er den Armen mitteile, der tut keine Sünde, sondern er wirkt zwei gute Werke: eines, daß er des Reichen Seele rettet, das andere, daß er selbst großen Lohn davon gewinnt'. § Um daß er die Menschen zur Barmherzigkeit möchte bewegen, erzählte Sanct Johannes dieses Beispiel: Der heilige Serapion hatte seinen Mantel einem Armen gegeben; da begegnete er einem andern Bettler, der litt von Kälte große Not; dem gab er auch sein Gewand hin, also daß er nackt am Wege saß, das Evangelium in der Hand. Und da er gefragt ward, wer ihn also hätte beraubt. zeigte er auf das Evangelium und sprach 'Das hat mich beraubt'. Ein andermal, da er einen Armen sah, ging er hin und verkaufte sein Evangelium und gab jenem das Geld. Da ward er gefragt, wo er das Evangelium habe. Er antwortete 'Das

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Evangelium gebot mir: Geh hin und verkaufe alles, was du hast, und gieb das Geld den Armen; da hatte ich nichts denn das Buch Evangelium selbst, so habe ich es verkauft, wie es selber es gebot'. § Es geschah einst, daß Sanct Jahannes einem Bettler fünf Geldstücke reichen ließ; da ward der Bettler bös, daß er ihm keine größere Gabe wollte geben, und schmähte ihn in sein Angesicht. Als das Sanct Johannes Diener hörten, warfen sie sich auf ihn, und wollten ihn züchtigen. Das hinderte Sanct Johannes und sprach 'Lieben Kinder, lasset ihn mich schelten; habe ich doch sechzig Jahre durch meine Werke Christum betrübt und geschmäht, und sollte eine Schmähung dieses Menschen nicht ertragen?' Und hieß einen Sack mit Geld bringen und vor den Armen stellen, daß er daraus nähme, so viel er begehre. § Das Volk hatte eine Gewohnheit, daß es nach der Verlesung des Evangeliums aus der Kirche lief und draußen vor den Türen mit müßigen Worten stund. Da ging Sanct Johannes einst nach dem Evangelium mit ihnen aus der Kirche, und setzte sich mitten unter sie. Und da sie sich alle darob verwunderten, sprach er 'Lieben Kinder, wo die Schäflein sind, da soll auch der Hirte sein. Darum, gehet ihr in die Kirche, so gehe ich mit; bleibet ihr hie draußen, so bleibe ich bei euch'. Das tat er ein Mal oder zwei, und lehrte also das Volk in der Kirche bleiben. § Ein Jungling hatte eine Klosterfrau entführt; da schalten ihn die Pfaffen vor Sanct Johannes und sprachen, daß er in den Bann müsse getan sein, weil er zwei Seelen hätte verdorben, seine und ihre. Aber Sanct Johannes sänftigte sie und sprach 'Nicht also, Kinder. Ich will euch zeigen, daß auch ihr zwei Sünden tut: die erste, daß ihr wider Gottes Gebot handelt, das da spricht 'Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet'; die andre, daß ihr nicht klärlich wisset, ob jene noch sündigen oder Buße haben getan'. § Gar oft, wann Sanct Johannes in seinem Gebet lag, ward er verzücket. Da ward gehört, wie er mit Gott redete und sprach 'Also guter Jefrt, soll man sehen, wer den andern überwinde, du im Geben, oder ich im Austeilen deiner Gaben'. § Als Sanct Johannes in ein schweres Fieber fiel, und merkte, daß der Tod ihm nahe, da sprach er 'Herr ich danke dir, daß du mich erhört hast, denn so ich tot bin, wird man bei meinem Leichnam nicht mehr finden denn einen Heller, den soll man auch den Armen geben'. Als man seinen heiligen Leichnam in ein Grab legen wollte, darin zwei andere Bi-

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schöfe ruhten, da rückten dieselben wunderbarlich von einander und gaben Sanct Johannes eine Statt zwischen ihnen. § Nicht lange eh Sanct Johannes starb, geschah es, daß eine Frau, die eine gar große Sunde hatte getan, vor Scham die Sünde nicht wollte beichten. Da sprach Sanct Johannes, daß sie doch die Sünde auf einen Zettel schriebe, denn sie konnte schreiben, und ihm den Zettel versiegelt brächte, so wollte er Gott für sie bitten. Das tat die Frau, und schrieb die Sünde auf, und schloß den Brief mit einem Siegel und gab ihn Sanct Johannes. Darnach über etliche Tage ward Johannes krank und starb. Da erschrak die Frau, denn sie meinte, sie müsse nun zu Schanden werden, weil Johannes den Brief einem andern möchte gegeben haben. Also kam sie zu seinem Grab und sprach mit großem Seufzen und Weinen 'Ach weh mir, ich wähnte meine Schande zu verhehlen, nun muß ich vor aller Welt zu Schanden werden'. Und weinte bitterlich und bat Sanct Johannes mit großer Andacht, daß er ihr zeige, wo er den Zettel habe gelaffen. Siehe, da trat Sanct Johannes heraus aus dem Grab in bischöflichem

Gewand, die zween Bischöfe, die mit ihm ruhten, zu seinen Seiten; und sprach zu dem Weib 'Warum bekümmerst du uns, und !ässest mich und diese zwei Heiligen, die bei mir sind, nicht ruhen? Sieh, wie unsre Stolen sind naß worden von deinen Tränen'. Und gab der Frau ihren Brief wieder, der war noch versiegelt wie zuvor, und sprach 'Schau dein Insiegel, und tu deinen Brief auf und lies'. Da sie den Brief auftat, da sah sie ihre Sünde alle abgetilgt und fand da geschrieben 'um meines Knechtes Johannes willen ist deine Sünde vertilget'. Da war sie über die Maßen froh und dankte Gott. Johannes aber stieg mit den Bischöfen wieder in das Grab. § Er lebte um das Jahr 605, zur Zeit Phocas des Kaisers. § Von Sanct Pauls Bekehrung. anct Pauls Bekehrung geschah in demselben Jahre, da Christus gemartert ward und Sanct Stephanus gesteinigt; doch ist nicht das natürliche Jahr gemeint, sondern der Zeitraum eines Jahres. Denn Christi Kreuzigung war am 25. Tage des März, Stephani Steinigung am 3. Tage des August, und Pauli Bekehrung am 25. Tage des Januar. Warum aber der Tag seiner Bekehrung von der Christen-

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heit mehr geehrt wird, als der anderer Heiliger, des finden wir drei Ursachen. Die erste ist, daß kein Sünder an Gottes Erbarmen verzweifle, sondern sich ein Beispiel nehme an dem großen Sünder, der hernach zu solchen Gnaden ist gekommen. Das andere ist die Freude, die die Christenheit von seiner Bekehrung empfing, da sie zuvor so sehr betrübet war durch seine Verfolgung. Das dritte ist das große Wunder, das Gott an ihm wirkte, da er aus seinem grimmigsten Verfolger machte seinen getreuesten Prediger. § Denn wunderbarlich ist diese Bekehrung gewesen: durch den, der sie bewirkte; durch das, wodurch sie bewirkt ward; und durch den, dem sie geschah. Durch den, der sie bewirkte, das ist Christus; der erzeigte seine wunderbare Gewalt, da er zu ihm sprach 'Dir ist hart, wider den Stachel löken' (Act. 9, 5) und auch darin, daß er ihn so schnell verwandelte, daß er alsbald antwortete 'Herr, was willst du, daß ich tue?' Davon spricht Sanct Augustinus 'Das Lamm, das von den Wölfen ertötet ward, das machte aus dem Wolf ein Lämmlein; der zuvor gewütet hatte in der Verfolgung, der bereitet sich nun zu gehorchen'. Er erzeigte zum andern seine große Weisheit, in dem daß er Pauli Hoffart mit seiner Demütigkeit

niederwarf, und nicht mit seiner göttlichen Majestät; denn er sprach 'Ich bin Jesus von Nazaret, welchen du verfolgst'. 'Nicht nannte er sich Gott, oder Gottes Sohn' sagt die Glosse 'sondern er sprach: nimm an die Tiefe meiner Demütigkeit und tu ab die Schuppen deiner Hoffart'. Zum dritten hat Gott hier erzeigt seine große Müdigkeit; denn mitten in Willen und Tat der Verfolgung hat er Paulum bekehrt. Int bösen Willen: denn er schnaubete mit Dräuen und Morden wider die Christen; im Versuch der bösen Tat: denn er ging hin zum Hohenpriester und drängte sich gleichsam dazu; im bösen Tun selbst: denn er zog aus, daß er die Christen gebunden führe gen Jerufalm. Auf diesem bösen Wege hat ihn dennoch das göttliche Erbarmen bekehrt. § Die Bekehrung ist auch wunderbarlich gewesen davon, wie sie geschah, nämlich von dem Licht, das ihn zu der Bekehrung bereitete: das war plötzlich, unermeßlich und himmlisch; denn es heißt, 'es umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel'. Nun hatte Paulus drei große Laster an sich. Das erste war seine freventliche Kühnheit; die wird daraus erkannt, daß es heißt 'Er ging zu dem Hohenpriester'. 'Nicht gerufen' fagt die Glosfe 'sondern aus freiem Willen, von

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Eifer getrieben'. Das andre war sein Übermut; der wird daran erkannt, daß geschrieben ist 'Er schnaubte mit Dräuen und Morden wider die Christen'. Das dritte war das irdische Wissen, das er hatte im Gesetz; darum spricht die Glosse über die Worte 'Ich bin Jesus': 'Ich, dein Gott, rede vom Himmel herab zu dir, der du mich tot wähntest mit deinem jüdischen Verstande'. Also war das himmlische Licht plötzlich, daß es den Kuhnen erschrecke; unermeßlich, daß es den Stolzen und übermütigen niederwerfe in die tiefste Demütigkeit; himmlisch, daß es seine irdische Erkenntnis in göttliche wandele. Man kann auch sagen, daß die Bekehrung durch drei Dinge gewirket ward: durch die Stimme, die ihn rief, durch das Licht, das ihn erleuchtete, durch die Gotteskraft, die ihn bekehrte. § Die Bekehrung ist auch wunderbarlich gewesen an dem, der sie erlitt, das ist Sanct Paulus selbst. Denn an ihm geschahen äußerlich drei Zeichen: er wurde zu Boden geschlagen; er wurde blind; er mußte drei Tage fasten. Er wurde niedergeschlagen, daß er wieder aufgerichtet werde; denn seine Begier lag darnieder. Davon spricht Sanct Augustinus 'Paulus ward zu Boden geschlagen, damit er blind wurde; er ward geblendet, damit er verwandelt würde; er ward verwandelt, daß er werde ausgesendet; er ward ausgesandt, daß er für die Wahrheit den Tod erleide'. Desgleichen spricht Augustinus 'Der Grimme ward zerschmettert und ist gläubig worden, der Wolf ward erschlagen und ist ein Lämmlein worden, der Verfolger ist niedergeworfen und ist worden ein Verkündiger, der Sohn des Verderbens ist zerbrochen und ist aufgerichtet das auserwählte Gefäß'. Er ist worden blind, daß er das wahre Licht empfinge; denn seine Erkenntnis war verfinstert. Darum so meint man, daß er in den dreien Tagen, da er blind war, von Gott das Evangelium gelehret ward. Denn er spricht selbst, daß er es nicht habe von einem Menschen oder durch einen Menschen: sondern allein durch Offenbarung Jesu Christi. Davon schreibt Sanct Augustinus 'Ich heiße Paulum einen wahren Streiter Christi; denn er ward von Christo gelehret, von ihm gesalbet, mit ihm gekreuziget und in ihm erhöhet. Er peinigte seinen Leib, daß das Fleisch gefolgig werde zu allen guten Werken; und es ward gefolgig zu allen Werken: denn er konnte Hunger leiden und genug haben, und wußte sich zu finden an allen Orten und in allen Dingen, und trug alle Widerwärtigkeit williglich'. Und

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Chryfoftomus spricht 'Er schätzte die Tyrannen und das zornmütige Volk nicht anders als Mücken; Tod und Leiden mit tausenderlei Pein schätzte er ein Kinderspiel. Er empfing die Marter williglich, und er war mehr geziert mit den Ketten der Gefangenschaft, denn mit einer köstlichen Krone; und empfing mit größeren Freuden Wunden, denn andere Menschen Geschenke empfangen'. Es waren auch in Paulo drei Dinge wider die drei, die Adam in sich hatte: der hub sich gegen Gott in Hoffart auf, darum fchlug Gott Paulum auf das Erdreich nieder; wie Adam feine Augen auftat, also ward Paulus geblendet; Adam aß den verbotenen Apfel, Paulus enthielt sich auch erlaubter Speise.

§ Von Sanct Paula.

aula war der edelsten Frauen eine von Rom; ihr Leben hat Sanct Hieronymus also beschrieben: 'Wenn alle Glieder meines Leibes Zungen wären und allesamt menschliche Stimme hätten, so möchten sie doch nicht Lobes genug sprechen von der heiligen Paula. Sie war edel von Geschlecht, aber noch viel edler an ihren Tugenden; sie war vordem gewaltig an Reichtum, aber darnach leuchtender in der Armut Christi. Ich nehme Gott zum Zeugen und seine heiligen Engel, und sonderlich den Engel, der ein Hüter war und ein Leiter dieser heiligen Fraue, daß ich ihr nicht zu Gefallen fpreche nach Art der Lobredner, sondern daß alles, was ich von ihr spreche, zu klein ist gegen ihr großes Verdienst. Wer in Kurze von ihren Tugenden wissen will, der höre: sie ließ die Ohren arm und war sie die ärmste; und wie unter den Edelsteinen der edelste alle überstrahlt, und wie der Sonne Glanz den Schein der Sterne verdunkelt, so übertraf sie die Tugenden der andern durch ihre Demütigkeit, und war die niedrigste unter allen Menschen, auf daß sie die höchste würde. Und je mehr sie sich erniedrigte, desto mehr ward sie von Christo erhöhet. Sie verbarg sich und konnte doch nicht verborgen bleiben. Sie floh irdische Ehre und erwarb damit die ewige Glorie, die den Tugenden wie ein Schatten nachfolgt, die denen entflieht, die sie suchen und die zuteil wird denen, die sie verachten. § Sie hatte fünf Kinder: Blaesilla, über deren Tod ich sie zu Rom tröstete; Paulina, welche ihren heiligen und ehrwürdigen Gemahl Pammachius als Erben ihrer Güter und Pläne hinterließ;

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dem zu Troste ich ein klein Buch schrieb über ihren Hingang; Eufrochium, die noch jetzt an den heiligen Stätten wohnt und eine köstliche Zierde ist der Kirche und aller Jungfräulichkeit; Rusina, die durch ihren frühen Tod der Mutter Herz betrübte; Toxocius, welcher ihr letztes Kind war; daran wir merken, daß sie nicht den ehelichen Pflichten fröhnte, sondern allein dem Begehren ihres Gemahls nach einem männlichen Nachkommen gehorchte. Als dieser ihr Gemahl starb, betrübte sie sich so sehr, daß sie beinahe selbst gefrorben wäre. Darnach aber kehrte sie sich so innig zu Gott, daß sie seinen Tod gleichsam schien gewünscht zu haben. § Soll ich erzählen, wie sie die Schätze ihres zuvor gar reichen und edlen Hauses unter die Armen teilte? Es geschah zu der Zeit, daß Paulinus der Bischof von Antiochia und Epiphanius gen Rom kanten. Durch derselbigen Tugend ward sie also entzündet, daß sie unterweilen gedachte, ihre Heimat zu verlassen. Ich will es kürzlich sagen: sie stieg zuletzt zum Hafen hinab, gefolgt von ihrem Bruder, von Verwandten und Freunden, und sonderlich von ihren Kindern, die die milde Mutter mit Bitten wollten überwinden. Schon waren die Segel gerichtet und die Ruder führten das Schiff aufs hohe Meer, da sah man ihr jüngstes Kind Toxocius am Strande, das streckte die Hände sehnlich nach ihr aus, und Rusina die Tochter, die ihrer Hochzeit nahe war, beschwor die Mutter mit stummen Tränen; sie aber blickte trockenen Auges unverwandt gen Himmel und kämpfte die Mutterliebe mit göttlicher Liebe nieder. Also vergaß sie mütterliche Treuen, daß sie Gott würde eine getreue Dienerin. Ohr Herz tat ihr weh und sie kämpfte mit einem Schmerz, als würden ihr die Glieder vom Leibe gerissen. Dies alles litt die vollkommene Minne wider die Rechte der Natur, ja ihre Seele begehrte es mit großen Freuden und vergaß die Liebe zu den Kindern in der großen Liebe zu Gott. Sie ruhete allein in ihrer Tochter Eustochium, die eine Gefährtin war ihres Vorhabens und ihrer Reise. Das Schiff fuhr hin durch das Meer: alle die darin waren, sahen nach dem Strand; sie allein blickte gerade vor sich; denn sie mochte ohne unmäßig Weh und Schmerzen die Augen dahin nicht wenden. Da sie nun in das heilige Land kamen, sandte der Landpfleger von Palästina, der ein Freund war ihres Hauses, seine Diener, daß sie ihr in seinem Palast eine Wohnung bereiten möchten: sie aber erwählte sich eine arme

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Hütte zu ihrer Wohnung. Nun besuchte sie mit ganzem Fleiß und Ernst die Stätten, da Christus wandelte, dieweil er noch auf Erden ging, und sah sie mit solcher Begier und Andacht, daß man sie von keiner hätte bringen mögen, wenn sie nicht zur nächsten hätte eilen müssen. Da sie kam an die Statt des heiligen Kreuzes, da fiel sie nieder, als ob sie

Christum selbst leiblich an dem Kreuze sähe hangen. Sie ging zum Grab des Herrn und küßte den Stein, den der Engel von dem Grabe wälzte, und küßte die Stelle, da Christus selbst gelegen war, als schlürfe sie mit durstigen Zügen die Wässer des Glaubens in sich. Wieviel sie da Tränen und Seufzer und Schmerzen ausgofi, des ist ganz Jerusalem Zeuge und Gott selbst, zu dem sie betete. Darnach kam sie gen Bethlehem, trat in die Höhle und sah der Jungfrau heilige Herberge, und sprach, daß ich es hörte, der dabei stund 'Ich sehe mit den Augen des Glaubens das Kind in Tüchlein gewunden, ich seh es weinen in der Krippe, und seh die Könige, die es anbeten; der Stern steht über dem Haus; ich seh Marien die Mutter, und Joseph den Hüter; die Hirten, die des Nachts kommen, auf daß sie sehen das Wort, das Fleisch ist worden; es ist als ob sie sprächen die Worte, damit das Evangelium S. Johannis anhebt 'Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort ward Fleisch'; ich sehe die unschuldigen Kindlein, die von Herodes wurden getötet, ich sehe Joseph und Maria auf der Flucht nach tigypten'. Und mit einer Freude, die mit Tränen untermischt war, rief sie aus 'Gegrüßet seist du, Bethlehem, Haus des Brotes; denn in dir ist geboren das Brot, das vom Himmel herab ist kommen. Gegrüßet seist du Effrata, fruchtbar Land, des Frucht Gott selber ist. Davon hat David vertrauensvoll gesprochen 'Wir wollen in seine Wohnung gehn und anbeten an der Statt, da seine Füße sind gestanden (Pf. 1 31,7)'. Also bin ich arme Sünderin gewiirdiget, daß ich soll küssen die Krippe, darin der Herr als Kindlein weinte, daß ich soll beten in der Höhle, da Maria die reine Magd ihres Leibes Kind gebar. Hier soll meine Ruhe sein, denn es ist meines Herren Heimat; hier will ich wohnen, denn mein Heiland hat diese Wohnung auserwählt'. § Sie erniedrigte sich so sehr in ihrer Demut, daß niemand sie erkennen mochte, der sie zu sehen kam um ihres Namens willen, sondern sie für die letzte der Mägde hielt; und so sie in der Schar der Jungfrauen daherkam, schien sie in Kleidung, Sprache,

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Gang und Gebärde die niedrigste von allen. Nach ihres Gemahls Tode kam sie an keines Mannes Tisch mehr bis an ihren Tod, auch wenn er heilig war und von bischöflichem Rang. Sie ging in kein Bach es fei denn in schwerer Krankheit; sie hatte kein weiches Bett denn im schwersten Fieber: auf härenen Tüchern, die auf den harten Boden gebreitet waren, war ihre Ruhe, die doch nichts anderes war denn Beten Tag und Nacht, über eine kleine Sünde weinte sie also sehr, daß du möchtest wähnen, sie sei die größte Sünderin von der Welt. Wann sie von uns gemahnt ward, daß sie ihr Weinen solle lassen, um ihrer Augen zu schonen für das Lesen des Evangelii, so sprach sie 'Dies Angesicht soll zerstört werden, das ich oft wider Gottes Gebot geschminkt habe und gemalt; der Leib soll gepeinigt sein, der soviel Wollust hat gehabt; das viele Lachen will ich büßen mit ewigem Weinen; das weiche Linnen und die köstliche Seide müssen verwandelt sein in ein hären Hemd: denn nun trachte ich allein nach Christi Wohlgefallen, da ich zuvor meinem Gemahl zu gefallen begehrte und der Welt'. Wollte ich bei solchen Tugenden ihre Keuschheit preisen, des wäre nicht not. Denn da sie noch weltlich war, war sie schon allen Frauen zu Rom ein Vorbild, und hielt sich also, daß kein böser Mensch von ihr etwas Arges mochte sagen. § Ich irrte, da ich ihr einst Schuld gab, sie sei im Schenken zu freigebig; und mahnte sie an das Wort des Apostels 'Gebet nicht also, daß ihr anderen helfet, selbst aber zu Schanden werdet, sondern daß Gleichheit sei: also, daß euer Überfluß der anderen Mangel stille in dieser Zeit, und der anderen Überfluß etwan auch euer Gebresten' (2. Cor. 8,13). Auch sprach ich, wenn sie also gäbe, könnte sie nicht lange so schenken, wie sie es gerne täte, und vieles dergleichen. Da antwortete sie gar bescheidentlich und weise 'Christus ist mein Zeuge, daß ich in seinem Namen alles dies tue; und ist mein Begehr, als Bettlerin zu sterben, und keinen Pfennig meiner Tochter zu hinterlafsen; und in einem Tuch foll man mich begraben, das nicht mir gehört'. Zu dem letzten so sprach sie 'Wenn ich betteln muß, so finde ich viele, die mir geben; aber wenn der Arme stirbt, weil er von mir nicht empfängt, was ich ihm geben mag auch aus fremdem Gute: von wem wird dann dereinst seine Seele gefordert werden?' Sie wollte ihr Gut nicht an die toten Steine legen, die mit der Erde und mit der Welt vergehen, sondern an jene lebendigen Steine, die über

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die Erde wallen, und von denen, wie es in der heimlichen Offenbarung heißt, die Stadt des großen Königs erbaut ist. § Sie war so mäßig an ihrer Speise, daß sie selten öl in ihrer Speise nahm, es sei denn an hohen Festtagen; und aus diesem einen mag man ersehen, wie sie von Wein und Brühe, von Fisch, Milch, Honig, Eiern und andern wohlschmeckenden Dingen dachte; da doch viele sich es schon für eine große Enthaltsamkeit anrechnen, wenn sie nur das allein essen, und sich für sicher halten in ihrer Tugend, wenn sie damit ihren Leib angefüllt haben. Ich kannte einen Ohrenbläser, welches eine schnöde Art Menschen ist, der erzählte ihr scheinbar in guter Absicht, daß viele wegen ihrer außerordentlichen Tugenden sie fiir närrisch hielten, und daß man ihrem Gehirn müsse aufhelfen. Dem antwortete sie 'Wir sind ein Schauspiel geworden der Welt und den Engeln und den Menschen, wir sind Narren um Christi willen: aber die Torheit Gottes ist weiser denn die Welt' (1. Cor. 4,9). § Sie hatte ein Männerkloster gebaut und hatte es Männern gelassen zur Verwaltung; darnach sammelte sie gute Jungfrauen aus allen Ländern, davon war ein Teil edel von Geburt, ein Teil von dem Mittelvolk, ein Teil arme Mägde; die ordnete sie also, daß sie gemeinsam waren im Beten und Gesang, aber in drei Scharen geteilt in ihren Werken, Speise und Wohnung. Wenn ein Streit unter ihnen entstand, den versöhnte sie mit sanften Worten, und die überflüssige Kraft ihrer jungen Leiber brach sie mit doppelten Fasten; denn sie sprach 'Es ist besser der Magen leide, denn die Seele; des Körpers und der Kleider Reinheit ist der Seele Verderb; was den weltlichen Leuten eine kleine Sünde ist oder keine, das ist im Kloster eine schwere Missetat'. Wann eine ihrer Schwestern siech war, so gewährte sie ihr alles reichlich, und ließ sie Fleisch essen; aber sich selbst erlaubte sie es nicht, wenn sie krank war: also war sie ungleich, und härter gegen sich selbst denn gegen die anderen. § Doch ich will sprechen von dem, was ich selbst habe erfahren. Einsmals war es gar heiß, im Juli, da fiel sie in ein schweres Fieber. Man verzweifelte schon an ihrem Leben, aber mit Gottes Hilfe ward sie wieder gesund. Da rieten ihr die Arzte ein wenig dünnen Weines zu trinken, daß sie wieder zu Kräften käme und durch Wassertrinken nicht wasser« süchtig würde. Ich bat heimlich Epiphanium den Bischof, er solle sie mahnen oder zwingen, daß sie Wein trinke; sie

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aber merkte in der Klarheit ihres Geistes die List alsbald und sprach lächelnd, der Rat komme von mir. Was soll ich weiter sagen? Als er nach langem Reden von ihr ging, fragte ich ihn, was er ausgerichtet hätte. Er antwortete 'Ich habe erreicht, daß sie selbst mir altem Manne fast ausgeredet hat, Wein zu trinken'. § 3m Schmerz war sie zart, und ward gar schwer von dem Tod ihrer Kinder getroffen, also daß sie beim Tode des Gemahls und der Kinder selbst fast das Leben ließ. Sie zeichnete Mund und Leib mit dem heiligen Kreuze, um den Schmerz der Mutter damit zu sänftigen; aber da ward sie vom Gefühl überwältigt und die gläubige Seele ward überwunden vom Schmerz der Gebärerin. Also ward sie vom Körper überwunden, da sie im Geiste siegte. § Die heilige Schrift wußte sie auswendig; und ob sie gleich die Geschichte liebte und sie einen Grund der Wahrheit nannte, so folgte sie doch mehr der geistlichen Auslegung, und diese war der Gipfel all ihrer Erbauung. Was ich nun fage, wird ihren Neidern unglaublich dünken: das Hebräifche, welches ich von Jugend auf mit großer Arbeit und vielem Schweiß etlichermafien erlernt habe und in täglicher Übung wieder und wieder lerne, damit es mich nicht im Stich laffe, das begehrte sie zu lernen, und lernte es also, daß sie

die Psalmen hebräisch singen und die Sprache sprechen konnte ohn alle Eigenschaft lateinischer Zunge; dasselbige sehen wir noch heutigen Tages bei ihrer heiligen Tochter Eustochium. § Bis hieher sind wir mit gutem Winde gefahren, und das Schiff hat die krausen Fluten des Meeres durchlaufen ohne Müh. Aber nun fährt meine Rede durch böse Klippen; denn wer mag trockenen Auges reden von Paulas Tode? Sie fiel in eine schwere Krankheit oder vielmehr, sie erreichte, was sie immerdar hatte gewünscht: daß sie uns verlasse und Gott inniger werde vereinet. Was soll ich länger säumen und meinen Schmerz größer machen, indem ich bei anderem verweile? Sie merkte, daß ihr Tod nahcte, denn die äußeren Teile des Leibes waren schon alle erkaltet und nichts mehr lebte an ihr, denn das heilige Herze, in dem die Seele noch ihr Wirken hatte. Und mit einer Freude, als ob sie von Fremden sollte fahren in ihre Heimat, flüsterte sie die Verse des Psalms 'Herr, ich habe lieb gehabt die Zierde deines Hauses und die Stätte, da dein Ruhm wohnt' (Psi 25, 8) und 'Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr; ich möchte im Hause meines Gottes die letzte fein' (Psi

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83, 2; 11). Ich fragte sie, warum sie nun schwiege und nicht mehr wollte antworten; ob ihr etwas gebreche; da antwortete sie auf griechisch 'Ich habe kein Ungemach: ich schaue eine große Ruhe und Stille'. Darnach schwieg sie, und mit geschlossenen Augen, als verachte sie die Welt, wiederholte sie jene Verse bis zum letzten Atemzug; also schwach, daß wir kaum mit hingehaltenem Ohr es verstehen mochten. § Zu ihrem Begräbnis kam alles Volk von Palästina in großer Zahl. Da war kein Mönch so verborgen in der Einöde, keine Jungfrau so abgeschlossen, daß sie es nicht für eine Sünde gehalten hätten, der heiligen Frau Begräbnis zu verfäumen und ihr Geleit zu geben, bis sie unter der Kirche ruhte, neben der Höhle, da unser Herr geboren ist. Ohre Tochter Eustochium mochte man von dem Leib der Mutter nicht bringen wie ein Kind von der Mutter Brust; sie küßte ihre Augen, sie hing an ihren Lippen, sie umschlang allen ihren Leib und wollte mit ihr begraben werden. Jesus Christus ist ein Zeuge, daß die Heilige keinen Pfennig ihrer Tochter zu Erbe ließ. Sie ließ ihr allein Schulden und eine große Zahl geistlicher Brüder und Schwestern, welcher nicht leicht zu pflegen ift, und die man doch ohne Sünde nicht von sich stoßen darf. § Doch nun lebe wohl, o Sanct Paula, und hilf deinem Diener mit deinem Gebet in seinen letzten Tagen'.

§ Von Sanct Julianus. ulianus kommt von jubilus, Jubel, und ana, empor, und ist soviel wie Jubilianus; weil er jubilierend zum Himmel emporgestrebt ist. Oder es kommt von Julius, das heißt: der da anfängt, und anus: Greis. Denn er war in Gottes Dienste ein Greis an Langmut, aber in der Schätzung seiner selbst war er ein Anfänger. ulianus war ein Bischof zu Mans. Und als man sagt, ist er der aussätzige Simon gewesen, den Christus vom Aussatz heilte und der darnach den Herrn zu Tische lud; nach unsres Herrn Auffahrt ward er dann von den heiligen Zwölfboten zum Bischof von Mans geordnet. Dieser Julianus hat von seiner Heiligkeit viele Zeichen gewirkt, sonderlich hat er drei Tote erweckt; und ist darnach in Frieden entschlafen. Ohn, sagt man, rufen die Reifenden an, daß er ihnen eine gute Herberge bereite, da Gott selber in seinem Hause geherberget war. Doch scheint es, daß dies einem andern Julia-

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nus gilt: dem, der Vater und Mutter unwissentlich erschlug; von dem sollen wir hienach sagen. § Nun war noch ein anderer Julianus, von Auvergne, der war von edlem Geschlecht, aber noch viel edler an dem Glauben. Er war so begierig der Marter, daß er den Verfolgern entgegenlief und mit freiem Willen fich zu der Marter bot. Zu jüngst sandte Crispinus der Richter seinen Schergen und gebot ihm, daß er Julianum töte. Als das Julianus vernahm, lief er fröhlich aus dem Haus und bot sich selbst dem Henker ohne Furcht, und empfing mit Willen den Todesstreich. Da nahmen sie sein Haupt und trugen es zu Sanct Ferreolo, dem Gesellen Juliani, und drohten, ihn auch also zu töten, wenn er nicht den Abgöttern opfere. Das wollte Ferreolus nicht tun, und also ward er erschlagen und sein Leib mit Juliani Haupt in ein Grab gelegt. Es geschah über lange Zeit darnach, daß Sanct Mamertus, der Bischof von Vienna, das Grab öffnete: da fand er Sanct Juliani Haupt in Sanct Ferreoli Händen also frisch und wohlerhalten, als ob es an dem Tage erst wäre begraben. § Unter andern Wundern dieses Heiligen wird erzählt, daß ein Diacon Schafe raubte, die der Kirche Sanct Juliani zugehörten; und als die Hirten im Namen des Heiligen ihn hindern wollten, sprach er 'Julianus ißt keine Schafe'. Und siehe, über kurze Zeit stieß ihn ein böses Fieber an; und da das Fieber sich mehrte, bekannte er laut, daß Sanct Julianus ihn brenne; und hieß Wasser über sich gießen, daß er sich erkühle; alsbald ging ein böser übelriechender Rauch von seinem Leibe, daß niemand bei ihm bleiben mochte, und über kurze Zeit so war er tot. § Es schreibt Gregorius von Tours, daß ein Bauer an einem Sonntag seinen Acker pflügen wollte; da krampften fich feine Finger zusammen und der Griff des Beiles, damit er das Pflugeisen reinigen wollte, blieb an seiner rechten Hand hangen. Das trug der arme Mensch zwei Jahr, aber darnach ward er in Sanct Juliani Kirche gesund durch die Fürbitte des Heiligen. § Es war noch ein anderer Julianus, der war Sanct Julius Bruder. Die beiden Brüder gingen zu dem allerchristlichsten Kaiser Theodosius, und begehrten von ihm, daß er ihnen erlaube, die Abgöttertempel zu zerstören, wo sie ihrer fänden, und Christenkirchen an ihre Statt zu bauen. Das erlaubte ihnen der Kaiser mit Freuden; und gab ihnen Briefe, daß ihnen alle gehorsam und zu Diensten sollten sein, deren

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Hilfe fie bei dieser Arbeit bedürften, bei Strafe ihres Lebens. Da nun diese zwei, Julianus und Julius, eine Kirche baueten an der Statt, die da genannt ist Gaudianum, und alle, die vorüber kamen, ihnen helfen mußten zu dieser Arbeit um des kaiserlichen Gebotes willen, da geschah es von ungefähr, daß Leute mit einem Wagen vorüberzogen; die sprachen unter einander 'Was mögen wir sagen, daß wir hie vorüber kommen und nicht bekümmert werden mit diesem Werk? Wir wollen einen von uns auf den Wagen legen und mit Tüchern decken, und wollen sprechen, wir führten einen Toten des Weges; so kommen wir frei davon'. Also taten sie und legten einen ihrer Gesellen auf den Wagen, und sprachen zu ihm 'Nun sprich kein Wort und tu die Augen zu, und liege still als ein Toter, bis wir vorüber find' und deckten ihn wie einen Toten. Da sie nun kamen zu Sanct Julio und Juliano, sprachen die Heiligen zu ihnen 'Igr lieben Leute, haltet eine Weile still und helfet uns ein wenig an diesem Werk'. Sie antworteten 'Wir können hie nicht halten, denn wir haben einen toten Menschen auf dem Wagen'. Sprach Sanct Julianus 'Lieben Söhne, warum lüget ihr also?' Sie antworteten 'Herr, wir lügen nicht, es ist so, wie wir sagen'. Da sprach Julianus 'Es geschehe euch nach der Wahrheit eurer Worte'. Damit stachen sie auf ihre Ochsen und fuhren weiter. Als sie fern genug gekommen waren, riefen sie dem auf dem Wagen und sprachen 'Steh auf und treibe die Ochsen an, auf daß wir schneller mögen heim kommen'. Da er sich nicht rührte, schlugen sie ihn und schrieen 'Bist du votr Sinnen? Steh auf und treibe die Ochsen an!' Aber er stund nicht auf und sprach kein Wort. Da gingen sie hin und deckten ihn auf: da lag er tot vor ihnen. Davon fuhr ein solcher Schrecken in sie und in alle, die diese Geschichte hörten, daß niemand hinfort den Diener Gottes zu betrügen wagte. § Es war aber noch ein anderer Julianus, der tötete unwissentlich Vater und Mutter. Dieser Julianus war ein edler Jungling, und fuhr einst in den Wald jagen; da erspürte er einen Hirsch und folgte ihm nach durch den Wald; aber plötzlich wandte der Hirsch sich um und sprach zu ihm 'Warum verfolgst du mich, der du deinen Vater und deine Mutter töten wirst?' Als der Jungling das hörte, erschrak er. Und damit das nicht geschehe, was der Hirsch gesagt hatte, ließ er Vater und Mutter, und floh heimlich in ein fernes

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Land. Dort diente er einem Fürsten, in des Dienst hielt er sich also treulich in Krieg und Frieden, daß ihn der Fürst zum Ritter schlug und ihm eine edle Wittib, die Herrin einer Burg, zum Weibe gab, die brachte ihm die Burg zur Morgengabe. Unterbeut waren die Eltern Juliani gar betrübt um ihren Sohn, und machten sich auf und suchten ihn allemhalben. Sie kamen auch zu der Burg, da Julianus wohnte; aber er war nicht daheim. Da sah seine Frau die Pilger und fragte sie, wer sie wären, und sie sagten ihr alles, wie es ihnen mit ihrem Sohn wäre ergangen; da erkannte die Frau zustund von dem, was ihr Gemahl ihr oftmals mochte haben gesagt, daß es ihres Mannes Eltern seien; und nahm sie freundlich auf, und legte sie in ihr eigen Bett und bereitete sich selbst eine andere Stätte zu schlafen. Am andern Morgen ging fie früh zur Kirche, um dieselbe Zeit kehrte Julianus zurück, und da er in die Schlafkammer trat und seine Frau aufwecken wollte, sah er zwei Menschen in seinem Bette liegen, und gedachte nicht anders, denn daß seine Frau bei einem Anderen läge. Er sprach kein Wort, zog sein Schwert, und schlug sie beide tot. Als er aber wieder aus dem Hause trat, sah er seine Frau aus der Kirche kommen frisch und gesund. Das nahm ihn Wunder, und er sprach zu derFraue'Wer sind die zwei, die in meinem Bett liegen?'Sie antwortete 'Es sind dein Vater und Mutter, die haben dich lange Zeit gesucht; und ich hab sie in deine Kammer gelegt'. Als Julianus das hörte, kam er fast von Sinnen und weinte und sprach 'Ach ich unseliger, was habe ich getan, ich habe meine liebsten Eltern getötet. Nun ist das Wort des Hirsches wahr worden: ich habe es erfüllet, da ich ihm wollte entronnen sein. Aber nun leb wohl, liebste Schwester; denn ich soll hinfort nimmer ruhen, bis ich weiß, daß ich diese Sünde gegen Gott gebüßt habe'. Da sprach sie 'Das soll nimmer geschehen, liebster Bruder mein, daß ich dich ziehen lasse ohne mich; denn ich bin bei dir gewesen in deinem Glück, so will ich auch mit dir leiden'. Also machten sie sich beide auf mit einander und gingen fern aus dem Land, bis sie an ein großes Wasser kamen, das war gar schädlich den Menscheu, die darüber wollten ziehn. Dort bauten sie eine Herberge und führten die Menschen, die über den Fluß wollten, um Gottes willen hinüber, und herbergten alle, die arm waren; und büßten also ihre Sünde. Darnach über lange Zeit geschah es, daß Julianus vor großer Müdigkeit sich nieder-

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gelegt hatte zu schlafen; und es war draußen gar kalt: da hörte er um Mitternacht jenhalb des Wassers eine Stimme, die schrie jämmerlich 'Steh auf und führe mich hinüber'. Da stund er eilends auf und fand einen Menschen, der war halb tot vor Kälte. Er trug ihn in sein Haus, und machte ein Feuer an, daß er wieder zu Kräften käme. Aber da er nicht warm ward und Julianus fürchtete, er möchte sterben, da trug er ihn in sein eigen Bett und deckte ihn warm. Aber nach einer kleinen Weile erhob sich der Mensch; und der zuvor einem Aussätzigen gleich gesehen hatte, stund in gar klarem Schein und hub sich gen Himmel und sprach 'Juliane, du sollst wissen, daß ich von Gott bin zu dir gesendet, und soll dir künden, daß er deine Buße in Gnaden hat angenommen. lind über ein kleines so werdet ihr beide in Frieden ruhen'. Damit war er verschwunden. Und nicht lange darnach entschlief Julianus und sein Weib im Herrn, gezieret mit viel guten Werken und Almosen. § Es war noch ein andrer Julianus, aber kein Heiliger, sondern der allerbösesten Menschen einer: Julianus Apostata. Der war zuerst ein Mönch und heuchelte große Frömmigkeit. Nun war eine Frau, als Magister Johannes Beleth erzählt in der Summa de officio ecclesiae, die hatte drei Töpfe voll Gold, und hatte obenan in die Töpfe ein wenig Asche getan, daß man nicht merken sollte, daß Gold darinnen wäre. Die Töpfe empfahl fie Juliano, da er sich also fromm und heilig hielt, und gab sie ihm im Beisein etlicher anderer Mönche, daß er sie ihr sollte bewahren; doch sagte sie von dem Golde nichts. Als Julianus nun merkte, daß so viel Golds in den Töpfen war, da nahm er das Gold alles und füllte die Töpfe mit Asche. Nach einer Zeit forderte die Frau ihre Töpfe wieder, da fand sie nichts denn Asche darin. Sie sprach Julianum darum an und hiesch Zeugnis von den anderen Mönchen, die dabei waren, als sie ihm die Töpfe empfahl; die sprachen, sie hätten in den Töpfen nichts anderes gesehen denn Asche. Also behielt Julianus das Gold mit Unrecht, und fuhr gen Rom; und erwarb mit dem Gold, daß man ihn zum Consul machte und darnach zum Kaiser. § Dieser Julianus war von Kind auf gelehrt in der schwarzen Kunst und war ein großer Zauberer; darum so hatte er allezeit viel Meister der Zauberei um sich. So lesen wir in der Hifroria Tripartita, daß einsmals, da er noch ein Kind war, sein Meister von ihm war gegangen; da hub er an und las eine Teufels-

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beschwörung; da kam eine große Schar Teufel, die waren schwarz wie die Mohren. Als Julianus sie sah, fürchtete er sich und machte ein Kreuz vor sich; da verschwanden die Teufel alle. Da nun der Meister wiederkam, sagte er ihm, wie es ihm wäre ergangen. Sprach der Meister 'Das Zeichen des Kreuzes fürchten die bösen Geister mehr denn irgend ein Ding und hassen es sehr'. Da nun Julianus in die kaiserliche Gewalt war gesetzt, da gedachte er, wie die Teufel das Kreuz fürchteten; und da er mit ihrer Hilfe zaubern wollte und große Dinge tun, fiel er ab vom Christenglauben, und ließ das Kreuz allenthalben zerstören, und verfolgte die Christenmenschen so viel er konnte; denn er fürchtete, daß die Teufel ihm sonst nimmermehr würden gehorsam sein.

§ Wir lesen im Leben der Väter, daß Julianus einsmals hinabzog in das Land Persia, und sandte einen Teufel in die Lande gen Abend, daß er ihm von dort eine Antwort brächte. Da nun der Teufel ausfuhr, kam er an eine Statt, da stund er zehn Tage unbeweglich, denn es war ein Mönch daselbst, der betete Tag und Nacht ohn unterlaß. Da nun der Teufel heim kam ohne Antwort, sprach Julianus, wo er so lange wäre gewesen. Sprach der Teufel 'Ich habe zehn Tage geftanden und gewartet, bis ein Mönch aufhöre mit seinem Gebet, daß ich vorüber möchte kommen; da er aber nicht abließ von seinem Gebet, so mußte ich wiederkehren, ohne daß ich deinen Auftrag mochte vollbringen'. Da schwur Julianus voll Zornes, das wolle er rächen an dem Mönche, wenn er dahin käme. § Nun versprachen ihm die Teufel, daß er über die Perser sollte siegen; da sagte seiner weisen Meister einer zu einem Christen 'Was wähnest du, was nun des Zimmermanns Sohn tut?' Der antwortete 'Er zimmert Juliano den Sarg'. § Nun lesen wir in der Geschichte Sanct Basilii, wie auch Fulbertus bezeugt, der Bischof von Chartres, daß Julianus kam in das Land Cappadocia zu der Stadt Caesarea, da zog ihm entgegen Sanct Basilius und bot ihm vier Gerstenbrote zu einer Gabe. Das verschmähte Julianus in grosiem Zorn und wollte es nicht nehmen; und sandte Sanct Basilio Heu wieder für dies Brot, und ließ ihm sagen 'Du hast uns unvernünftiger Tiere Futter geboten, das sollst du auch empfangen'. Da ließ Basilius hinwider sagen 'Wir haben dir gegeben, das wir selber essen, du aber hast uns gesandt, was dein Vieh isset'. Darob ergrimmte Julianus und sprach 'Wenn ich das Land Persien gewonnen habe, so

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Von dem unterschied der Zeit

will ich diese Stadt zerstören und will sie umpflügen, daß sie mehr Kornes soll tragen denn Menschen'. In der Nacht darnach sah Sanct Basilius im Gesicht, wie in unsrer Frauen Kirche eine große Schar Engel stund, und mitten unter ihnen war eine Frau auf einem Thron, die sprach 'Rufet mir eilends Mercurium, daß er Julianum den Abtrünnigen töte, der mich und mein Kind also freventlich beschimpft'. Dieser Mercurius war ein Ritter gewesen, den hatte Julianus um Christenglauben getötet; der lag in derselbigen Kirche begraben. Und alsbald war Sanct Mercurius da, wohlgerüstet mit den Waffen, mit denen er dort begraben liegt, und bereitete sich nach unsrer Frauen Gebot zum Streite. Da erwachte Sanct Basilius und ging hin in die Kirche, da Mercurius liegt und seine Waffen, und öffnete das Grab: da war kein Leichnam mehr, und auch die Waffen waren fort. Da fragte er den Küster, wo die Waffen wären; der antwortete und fchwur, daß er sie noch des Abends zuvor an derselben Statt gesehen habe, da sie sonst bewahrt würden. So ging Basilius von dannen und kam des andern Morgens wieder: siehe, da lag der Leichnam in seinem Grab, mit all seinen Waffen; und die Spitze der Lanze war voll Blutes. Zu derselben Stunde kam einer vom Heere und sprach 'Da der Kaiser Julianus in den Streit fuhr, da kam wider ihn gesprengt ein fremder Ritter, der trieb sein Rost mit den Sporen und schwang seine Lanze, und stieß sie mitten durch Julianum; und war alsbald verschwunden'. Julianus aber lebte noch, und nahm eine Hand voll seines Blutes und warf sie in die Luft und sprach 'So hast du gesiegt, Galiläer'. Damit starb er gar jämmerlich. Also lesen wir in der Historia Tripartita. Da ließen ihn die Seinen unbegraben liegen. Die Perser aber kamen, und zogen ihm seine Haut ab, und machten für ihren König ein Polster daraus.

§ Von dem Unterschied der Zeit. achdem wir nun gesagt haben von den Festen, die zu einem Teil sind begriffen unter der Zeit der Versöhnung, zum andern unter der Zeit der Pilgerschaft; die man begeht von Weihnachten bis Septuagesima; so sollen wir hienach sagen von den Festen, die da fallen in die Zeit der Verirrung, die da von Adam währt bis Moyses. Die Zeit begeht die Christenheit von Septuagesima bis Ostern.

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Legenda aurea

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§ Von der Zeit Septuagesima. eptuagesima bezeichnet die Zeit der Verirrung; Sexagesima bezeichnet die Zeit eines verwitweten Lebens; Quinquagesima bezeichnet die Zeit der Vergebung oder des Ablasses; Quadragesima bezeichnet die Zeit der geistlichen Reue. § Die Zeit Septuagesima hebt an an dem Sonntag, da man zur Messe singt 'Circumdederunt me' (Psi 17, 5) und währt bis an den ersten Samstag nach Ostern. Diese Zeit ist aufgesetzt in dieser Ordnung um drei Sachen, als wir in der Summa de officio des Meisters Johann Beleth finden. § Erstlich zu einem Ersatz, den die heiligen Väter geordnet haben für die Feier des Tages der Auffahrt des Herrn, an welchem Tage menschliche Natur aufstieg zum Himmel; also sollte der Donnerstag immer heilig sein und an ihm kein Fasten gehalten werden. Und er ward auch im Anbeginn der Christenheit gefeiert wie der Sonntag, und wurde eine feierliche Prozession gemacht, um der Junger oder der Engel Umzug zu bezeichnen. Auch kommt davon das Sprichwort, daß der Donnerstag ein Vetter des Sonntags ist, weil in den alten Zeiten beide gleicherweise Feiertage waren. Als aber der Heiligen Feste viele wurden in der Christenheit und es beschwerlich ward also viel Feste zu begehen, da hat man dem Donnerstage seine Feier genommen, und haben die heiligen Väter dafür den Fasten eine Woche zugegeben, und nannten sie Septuagesima. § Die andre Sache ist, daß diese Zeit bezeichnet eine Verirrung, eine Verbannung, und eine Betrübnis des ganzen menschlichen Geschlechte von Adam bis an das Ende der Welt. Diese Verbannung wird bezeichnet mit sieben Tagen, und ist diese Zeit beschlossen in siebentausend Jahren; davon heißt dies die Zeit der siebenzig Tage, also daß jeder Tag stünde für hundert Jahr. Denn von Anbeginn der Welt bis zu Christi Himmelfahrt sind sechstausend Jahr, das siebente Tausend soll währen bis an das Ende der Welt; das Ziel ist niemand kund denn allein Gott. So hat uns Christus in dem sechsten Jahrtausend der Welt aus dieser Verbannung gerissen und uns eine Zuversicht gegeben des ewigen Lohnes, und hat uns das Gewand der Unschuld wiedergegeben mit der Einsetzung der heiligen Taufe; aber wenn die Zeit unsrer Verbannung vorüber ist, so wird er uns vollkommenlich zieren mit zweien Gewändern. Darum so legen wir in der ganzen Zeit der Ver-

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Von der Zeit Septuagesima

irrung und der Verbannung die Gesänge der Freude hin, aber an dem Osterabende singen wir ein Halleluja, zu einem Zeichen, daß wir Zuversicht haben zu den ewigen Freuden, und Hoffnung zu dem Gewand der Unschuld, das Christus uns in dem sechsten Weltalter hat erworben. Auch singen wir in dieser Zeit nach dem Halleluja ein Tractum, zu einem Zeichen der Arbeit, die wir noch haben sollen, Gottes Gebote zu erfüllen. Am Ende diefer Zeit, das ist an dem Samstag nach Ostern, singet man zwei Halleluja zu einem Zeichen, daß am Ende dieser Welt Gott uns zieren will mit zweien Gewändern der Glorie. § Die dritte Sache ist, daß wir mit diesen siebenzig Tagen bezeichnen die Betrübnis, die das Volk Israel in der babylonischen Gefangenschaft siebenzig Jahre litt. Und gleichwie die Kinder ;Israel ihre Harfen an die Weiden hingen, die an den Wassern zu Babel sind, und sprachen 'Wie sollten wir des Herrn Lied singen im fremden Land?' (Psi 136, 4), alfo lasfen wir die Lobgesänge um diese Zeit. Darnach aber gab Cyrus ihnen die Freiheit heimzuziehen, im sechzigsten Jahre der Gefangenschaft: und gleich wie fie davon Freude empfingen, so singen wir am Ostersonnabend, als im sechzigsten Jahr, Halleluja zur Bezeichnung ihrer Freude. Aber sie hatten noch mit der Zurüstung ihrer Heimfahrt und mit dem Schnuren ihrer Bündel viel Mühe und Arbeit; darum so singen wir alsogleich nach dem Halleluja ein Tractum, damit wird die Mühe und Arbeit bezeichnet. Am Ende dieser Zeit aber, am Samstag nach Ostern, singen wir zwei Halleluja, damit wir ihre vollkommene Freude bezeichnen, da sie heimkamen in ihr Land. Diese Zeit der Gefangenschaft und Verbannung der Kinder Israel bezeichnet die Zeit unsrer Pilgerschaft, denn gleichwie sie erlöst wurden in dem sechzigsten Jahre, also wurden wir in dem sechsten Weltalter erlöst durch unsern Herrn Christum. Und gleichwie sie noch Arbeit hatten auf der Straßen, also müssen wir auch Arbeit haben mit der Erfüllung der Gebote, bis wir in das ewige Leben kommen. Aber so wir in dem gelobten Lande sind, so wird alle Arbeit abgelegt, und wird vollkommene Freude; und wird man singen zwiefach Halleluja: dem Leibe und der Seelen Freude und Lob. § In dieser Zeit der Verbannung ist die Kirche in großer Betrübnis und vor dem Abgrund der Verzweiflung; darum erseufzt fie von Grund des Herzens und ruft in der Messe und spricht 'Circumdederunt me gemitus mortis': 'die Seufzer

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des Todes sind um mich'; und damit meint sie die mancherlei Ursachen ihrer Betrübnis: das Elend, so sie auf sich gezogen; die zwiefache Pein und Strafe, damit sie geschlagen ist; und die Schuld, so etliche ihrer Glieder auf sich haben geladen. Daß sie aber nicht verzage, so wird ihr wider die Gebresten im Evangelium und in der Epistel vorgesetzt dreierhand heilsame Arznei und dreierhand Lohn. Die erste Arznei ist, so sie ihrer Gebresten gänzlich will ledig sein, daß sie in dem Weingarten ihrer Seele arbeite und alle Fehl und Sünden abschneide. Die andere ist, daß sie laufe in der Rennbahn des gegenwärtigen Lebens mit Werken wahrer Reue. Die dritte ift, daß sie fechte mit ganzem Vermögen wider des Teufels Anfechtung. Hierfür wird ihr gegeben dreifältiger Lohn; denn dem, der da arbeitet, wird der Groschen zu Lohn gegeben; dem, der da läuft, dem wird der Preis zuteil; dem der da ficht, die Krone des ewigen Lebens. Oder, da doch Septuagesima das Gleichnis unserer Gefangenschaft ist, so sind uns die Mittel geboten, aus ihr zu kommen: durch den Lauf mögen wir ihr entrinnen, durch den Kampf uns aus ihr befreien, durch den Groschen uns von ihr loskaufen.

§ Von der Zeit Sexagesima.

exagesima hat seinen Anfang mit dem Sonntag, da man das Amt der Messe anhebt mit den Worten 'Exsurge, quare obdormis. Domine' (Psi 43, 23), und hat ihr Ende am Mittwoch nach Ostern. Diese Zeit ist aufgesetzt zu einem Ersatz, zu einer Bezeichnung und zu einem Gleichnis. Zu einem Ersatz, denn Melchiades der Papst und Sanct Silvester verordneten, daß man des Samstags zweimal esse, damit nicht durch das Fasten des Freitags, das alle Zeit gehalten wird, menschliche Natur zu sehr geschwächt würde. Zum Entgelt für diese Samstage haben sie den Fasten eine Woche zugelegt, und haben sie genannt Sexagesima. Die andere Ursache, darum diese Zeit ist aufgesetzt, ist, daß sie bezeichnen soll ein verwitwetes Leben der Kirche, der ihr Gemahl gen Himmel geführt ist, Christus, den sie in Betrübnis suchet; denn daß das Wort Gottes Frucht trägt sechzigfältig, das ziehet man auf die Witwen. Darum werden der Kirche zween Fittiche gegeben, daß sie ihm nachfliege in den Himmel: das ift die Übung der sechs Werke der Barmherzigkeit und die Erfüllung der zehn Gebote des

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Von der Feit Sexagesima

Herrn. Davon kommt der Name Sexagesima, das ist sechsmal zehn: sechs bedeutet die sechs Werke der Barmherzigkeit, zehn die zehn Gebote. Die dritte Ursache ist zu einem Gleichnis. Denn Sexagesima bedeutet nicht allein die Witwenschaft, sondern auch das Mysterium unsrer Erlösung. Denn bei zehn nehmen wir den Menschen, welcher ist die zehnte Art, weil er dazu geschaffen ift, daß er die neun Chöre der gefallenen Engel erfülle; oder es bezeichnet zehn den Menschen, der von vier Elementen ist leiblich, und drei Kräfte hat er von der Seelen, das ist Gedächtnis, Wille und Vernunft, die dienen den andern drei, der heiligen Dreifaltigkeit; also daß wir getreulich an sie glauben, sie ewig lieben und aller Wegen im Gedächtnis haben. Die sechs, das sind die sechs Mysterien, durch die der Mensch, der zehnte, ist erlöst: die Empfängnis, die Geburt, das Leiden, die Fahrt in die Vorhölle, die Auferstehung, und die Himmelfahrt. § Die Zeit Sexagefima währt bis an den Mittwoch nach Ostern, da man singt 'Venite benedicti patris mei' (Matth. 25, 34); denn die, so die Werke der Barmherzigkeit üben, werden seine Stimme hören 'Kommet her zu mir, ihr Gesegneten meines Vaters'; wie Christus selber verheißen hat; und alsdann wird der Braut das Tor aufgetan, und sie darf in den Armen des Bräutigams ruhen. In der Epistel wird die Kirche ermahnt, daß sie, nach Pauli Vorbild, die Betrübnis über die Abwesenheit des Bräutigams geduldiglich soll leiden; in dem Evangelio, daß sie dazu den Samen guter Werke säe. und wenn sie zuvor, gleich als ob sie verzweifeln wollte, ausrief 'Die Seufzer des Todes sind um mich', so ist sie nun wieder zu sich selbst kommen und bittet in der Messe, daß Gott ihr helfe in der Trübsal und sie daraus führe; und spricht 'Exsurge, quare obdormis. Domine' 'Steh auf Herr, warum schläfst du'. Nun singen wir drei Exsurge für dreierhand Menschen, die in der Christenheit sind. Etliche sind, die Kummer und Unseligkeit leiden, aber sie werden nicht ungeduldig; etliche sind, die leiden kein Unglück und verzagen auch nicht, aber da sie keine Widerwärtigkeit haben, ist zu fürchten, daß sie von dem Glücke zerstoßen werden. Darum so ruft die Kirche in dem ersten Exsurge, daß unser Herr aufstehe und nicht schlafe, für die ersten: daß er sie wolle stärken, denn es scheint, daß der Herr schlafe, so er ihnen nicht hilft; in dem zweiten bittet sie für die andern: daß er aufstehe und sie zu sich kehre, denn es scheint, als habe er sein Angesicht

Von der Zeit (ßuinquagesima

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von ihnen gewendet; in dem dritten so ruft sie, daß er aufstehe um der dritten willen: daß er ihnen helfe und sie erlöse in ihrem Glück.

§ Von der Zeit Quinquagesima.

/fX uinquagesima hebt an an dem Sonntage, so man singt SL-4'Esto mihi in Deum protectorem' (Psi 3o, 3) und endet mit dem Ostertage. Diese Zeit ist aufgesetzt zu einer Erfüllung, zu einer Bezeichnung und zu einer Bedeutung. Erstlich zu einer Erfüllung; denn wir follten eigentlich vierzig Tage fasten, wie Christus tat, und sind doch nur sechsunddreißig Tage, die wir fasten, da an den Sonntagen der Zeit gemeiniglich nicht gefastet wird, dem heiligen Ostertag zu Ehren,

da wir uns über die Auferstehung freuen; auch, weil unser Herr am Ostertage mit seinen Jungern aß zu zweien Malen: einmal, da er zu ihnen in das Haus einging durch die beschlossene Tür, da reichten sie ihm ein Stücklein gebratenen Fisches und ein Weniges Honigs; das andre Mal da er mit den zween Jungern nach Emmaus ging, als etliche sagen. Also hat man vier Tage dazu gelegt zur Erfüllung der Sonntage. Nun wollten aber die Priester, wie sie würdig vor dem Volk sind in ihrem Amt, auch an Heiligkeit mit Fasten wider Gott voranstehen, und haben sich selbst noch zwei Tage zugelegt zu den vieren, und also ward eine Woche daraus, die heißt Quinquagesima; es hat dies aber der Papst Telesphoros aufgesetzt, wie Ambrosius sagt. Zum andern ist die Zeit eingesetzt zu einer Bedeutung; denn sie bedeutet die Zeit des Ablasses, das ift: der Buße, da alle Schuld vergeben wird. Denn im alten Bund war jedes fünfzigste Jahr ein Jubeljahr, ein Jahr der Vergebung: da ward alle Schuld erlassen und wurden alle Sklaven freigegeben und kamen alle wieder zu ihrem Besitz und Erbe. Damit soll bezeichnet werden, daß durch die Buße alle Sünden vergeben werden, und werden alle Menschen von dem Dienst des Teufels frei, und kehren heim zu dem Befitz der himmlischen Wohnungen. Zum dritten ift die Zeit eingefetzt zu einem Gleichnis; denn Quincluagefima bezeichnet nicht nur die Zeit des Ablasses, sondern auch die Zeit der Seligkeit. Denn im fünfzigsten Jahre wurden die Sklaven freigelassen; am fünfzigsten Tag nach der Opferung des Passahlammes ward den Juden das Gesetz gegeben; am fünfzigsten Tag nach Ostern ward

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Von der Zeit (Huinquagesima

der heilige Geist ausgegossen: also ist in dieser Zahl alle Seligkeit beschlossen; da soll sein Freiheit von Knechtschaft, Erkenntnis der Wahrheit, Vollendung in himmlischer Liebe. Dazu sind uns drei Dinge notdürftig, die uns im Evangelio und in der Epistel werden vorgelegt, auf daß die Werke unferer Buße vollkommen feien:daseine ist göttliche Minne; zu der wir in der Epistel werden bewegt; das andre ist das Gedächtnis des Leidens Christi; das dritte ist ein fester Glaube, der wird durch die Heilung des Blinden bezeichnet; von diesen zweien spricht das Evangelium; denn der Glaube macht die Werke genehm gegen Gott, weil ohne den Glauben kein Werk Gott wohlgefallen mag; die Andacht des Leidens Jesu Christi aber macht die Werke leicht. Davon spricht Gregorius 'Wenn der Mensch an Gottes Leiden und Marter gedenkt, so ist ihm keine Arbeit um Gottes Willen zu vollbringen zu schwer'. Göttliche Minne macht den Menschen fleißig an den Werken. Davon spricht Gregorius 'Göttliche Minne läßt den Menschen nicht müßig sein; denn wo sie ist, da wirket sie große Werke, ist sie aber säumig in den Werken, so ist es keine Liebe'. § Wie nun die Kirche zu Anfang fast in Verzweiflung schrie 'Circumdederunt me'; und darnach wieder zu sich selbst kam und Gott um Hilfe anrieh also hat sie nun Zuversicht und Hoffnung auf Vergebung um der Buße willen und spricht 'Esto mihi in Deum protectorem': 'Sei mir ein Gott, der mich beschirmt'. Damit bittet sie vier Hilfen von Gott: Beschirmung, Festigung, Zuflucht und Geleite. Denn alle ihre Kinder sind entweder in Gnaden oder in Schuld; in Unglück oder in Glück. Also bittet sie um Festigung für die, so in Gnaden sind, daß sie fest darin verbleiben; für die, so in Schuld sind, bittet sie, daß Gott ihre Zuflucht sei; für die Unglücklichen begehrt sie, daß Gott ihnen ein Schirm sei in ihrer Widerwärtigkeit; für die Glücklichen bittet sie um ein Geleite, daß Gott sie in Unschulden geleite in ihrem Glück. § Die Zeit Quinauagesima endiget an dem Ostertage, wie zuvor gesagt ist, dieweil die Buße den Menschen läßt auferstehen zu einem neuen Leben. Auch betet man in dieser Zeit gar oft den 50. Psalm 'Miserere mei Deus', welcher ist der Psalm der Buße und des Ablasses.

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§ Von der Zeit Quadragesima.

ie Zeit Quadragesima hebt an mit dem Sonntage, da

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man bei der Messe singt 'Invocavit me' (Psi 88,27). Die Kirche, die erst in großer Not geschrieen hatte 'Circumdederunt me' und darnach aufgeatmet hatte und um Hilfe gebeten mit den Worten 'Exsurge Domine' und 'Esto mihi in Deum protectorem', die erzeiget nun, daß sie erhört ist von Gott, und spricht 'Invocavit me: Pater meus es tu, Deus meus, et susceptor salutis meae': 'Er rief zu mir: Du bist mein Vater, mein Gott und die Zuflucht meines Heils'. Wir sollen aber merken, daß die Zeit Quadragesima in sich beschließet zweiundvierzig Tage, von denen sind sechs Sonntage gefreiet, daß man sie nicht fastet. Also bleiben noch sechsunddreißig Tage zu fasten, das ist der zehnte von allen Tagen des Jahres; denn das Jahr hat dreihundertfünfundsechzig Tage, davon sind sechsunddreisiig Tage der zehnte Teil. Doch tut man die ersten vier Tage dazu, daß die heilige Zahl Vierzig erfüllt werde, die unser Herr mit seinem Fasten heiligte. Warum wir aber das Fasten halten mit dieser Zahl der Tage, dafür find dreierlei Urfachen. Die erste ist nach Sanct Augustinus, daß Matthäus vierzig Geschlechter zählt: denn gleichwie unser Erlöser Christus zu uns herabgestiegen ist durch die Zahl Vierzig, also sollen wir durch die Fasten dieser vierzig Tage zu ihm emporsteigen. Augustinus spricht auch von der anderen Ursache 'Sollen es fünfzig werden, so mußt du zehn dazu tun zu den vierzig; und wollen wir zu der seligen Ruhe kommen, so müssen wir die ganze Zeit des gegenwärtigen Lebens arbeiten. Darum blieb der Herr vierzig Tage bei seinen Jungern und sandte ihnen am zehnten Tage darnach den heiligen Geist, den Tröster'. Die dritte Ursache schreibet Meister Praepositivus in der Summa de officiis und spricht 'Die Welt ist in vier Teile geteilet, und das Jahr in vier Zeiten, und der Mensch ist aus vier Elementen zusammengesetzt und aus vier Complexionem Wir aber haben das neue Gesetz in den vier Evangelien übertreten und auch das alte, die zehn Gebote. Also muß man die zehn viermal setzen, damit wir Vierzig erfüllen: das ist, die Gebote des alten und neuen Gesetzes in aller Zeit unsres Lebens halten. Unser Leib besteht, als wir haben gesagt, aus vier Elementen, die haben alle vier ihren besonderen Sitz in ihm: das Feuer in den Augen, die Luft in dem Mund und in

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Von der Zeit Vuadragefima

den Ohren, das Wasser in den Geschlechtsteilen, die Erde in den Händen und übrigen Gliedmaßen. Also sitzt in den Augen die Neugier, in Mund und Ohren die Narrheit, in den Geschlechtsteilen die Wollust, in den Händen und anderen Gliedern die Grausamkeit. Die vier beichtete der Zöllner (Luc. 18); er bekannte die Wollust, welche stinkend ist, weil er von ferne stund als spräche er 'Ich wage dir nicht nahe zu kommen, Herr, damit mein Gestank nicht in deine Nase komme'; die Augen wagte er nicht zum Himmel aufzuheben, damit beichtete er seine Neugier; die Hände schlug er an seine Brust und bekannte damit seine Grausamkeit; er gestand seine Schalkhaftigkeit, da er sprach 'Herr, sei mir Sünder gnädig'. Denn die Narren pflag man zu nennen peccatores, das ist: Sünder; besser aber leccatores, das ist: Lecker'. Dieses schreibt Praepositivus. Gregorius setzt in seinen Homilien drei Ursachen und spricht 'Warum halten wir denn die Zahl Vierzig in den Fasten, als weil die Kraft der zehn Gebote erfüllt wird durch die heiligen vier Evangelien? Denn vier Elemente bilden diesen sterblichen Leib und seine Lüste streiten wider die Gebote des Herrn. Da wir nun durch die Gelüste des Fleisches die zehn Gebote übertreten, so müssen wir auch dies Fleisch vierzigmal peinigen. Von dem heutigen Tage bis Ostern aber sind sechs Wochen, das sind zweiundvierzig Tage; davon fallen den Fasten ab sechs Sonntage, also, daß sechsunddreißig Tage den Fasten bleiben. Da aber das Jahr dreihundertundfünfundsechzig Tage hat, so opfern wir Gott gleichfam den Zehnten des Jahres'. Solches schreibt Gregorius. Warum aber halten wir das Fasten nicht in derselben Zeit, da Christus fastete? Das war, alsbald er getauft war. Es sind vier Ursachen, darum es mit den Ostern verbunden ward, wie Meister Johannes Beleih in der Summa de officio schreibt. Erstlich, gleichwie wir mit Christo wollen auferstehen, also sollen wir mit ihm, der für uns gelitten hat, das Leiden und die Pein leiblich tragen. Die andre Sache ift, daß wir damit den Kindern Israel gleichen; die zogen um diese Zeit erstlich aus Agypten und darnach aus der Gefangenschaft von Babylon; das sehen wir daran, daß sie jegliches Mal den Ostertag begingen, alsbald sie ausgezogen waren. So sollen wir ihnen nachfolgen und auch in diefer Zeit unser Fasten halten, damit wir aus tigypten und Babylon, das ist aus diesem □ammertal, in das Land der Verheißung mögen eingehen. Die

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dritte Sache ist, daß in dieser Zeit des Lenzes die Natur den Menschen am allerkräftigsten zu Unkeuschheit beweget: also zähmen wir des Leibes Hitze, und fasten sonderlich in dieser Zeit. Die vierte Sache ist, weil wir gleich nach dem Fasten den Leib des Herrn sollen empfangen: wie also die Altväter sich kasteieten, bevor sie das Osterlamm empfingen, und zuvor bittere Kräuter aßen, als wilden Lattich; also sollen wir das bittere Kraut der Reue und Kasteiung unsres Leibs an uns nehmen, so wir das Lamm des Lebens würdiglich wollen nutzen.

§ Von den Vierzeitenfasten. lr^ie Vierzeitenfasten sind eingesetzt von Calixtus dem lispapft, und werden diese Fasten viermal gehalten im Jahr, nach den vier Zeiten des Jahres, um vieler Ursachen willen. Erstlich, da der Lenz warm ist und feucht, darum so halten wir ein Fasten, daß wir die schädliche Feuchtigkeit unkeuscher Anfechtung vertreiben. Der Sommer ist dürr und hitzig, in dem ist auch dieser Fasten eines aufgesetzt, daß wir die schädliche Hitze der Habgier vertreiben. Der Herbst ist kalt und trocken, so fasten wir, daß wir die Dürre des Hochmuts vertreiben. Der Winter ist kalt und feucht, so fasten wir, daß wir die Kälte des Unglaubens und aller Bosheit vertreiben. § Die andre Sache, darum dies Fasten ist in die vier Zeiten des Jahres geteilet, ist diese. Das erste Fasten ist in dem März aufgesetzt, in der ersten Woche Quadragesimae: auf daß unsre Sünden alle verdorren; und so wie wir sie nicht alle mögen austilgen, daß doch in uns aufgehen die grünen Sprossen der Tugenden. Das andere Fasten ist in dem Sommer, in der Pfingstwochen, wann der heilige Geist kommt: daß wir dann glühen in der Minne des Heiligen Geistes. Das dritte ist in dem September, vor Sanct rnichaels Tage, so alles Gebäum seine Frucht giebt: zu einem Zeichen, daß wir dann Gott sollen die Frucht geben unsrer guten Werke. Das vierte ist in dem December, so alle grünende Kreatur erstirbt: zu einem Zeichen, daß wir der zergänglichen Welt sollen absterben. § Die dritte Sache ist, daß wir damit den Juden nachfolgen, die auch diese vier Zeiten des Jahres mit Fasten ehrten; vor den Ostern; vor Pfingsten; vor dem Laubhüttenfest, das ist im September, da ihr Tempel gefristet ward; und vor Encaenia, das ist, als

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V0n den Vierzeitenfasten

der Tempel geweihet ward, im December. § Die vierte Sache ist, daß der Mensch aus vier Elementen besteht leiblich, und hat drei Seelenkräfte, das ift Vernunft, Gier und Zorn; damit nun alles dies in rechter Ordnung in uns werde behalten, so fasten wir viermal im Jahr drei Tage; viermal wegen der vier Elemente des Leibes; drei Tage wegen der drei Kräfte der Seele. Diese vier Gründe schreibt Meister Johannes Beleih. § Die fünfte Sache schreibt uns Johannes Damascenus: 3m Lenz mehrt sich das Blut; so fasten wir, daß das Blut böser Wollust und unnützer Freuden gemindert werde; denn der Sanguinicus ist unkeusch und voll üppiger Freude. Im Sommer wächset die Galle, das macht Zorn und Haß; darum so fastet man, daß aller Zorn und Falschheit in uns verlöschet werde; denn der Cholericus ist von Natur zornig und tückisch. In dem Herbst mehret sich Unmut, der macht gierig und unwillig; darum fastet man für alle überflusfige Begierde und Traurigkeit; denn der Melancholicus ist von Natur begierlich und traurig. In dem Winter werden die Leute träge; so fastet man, daß Gott uns verleihe frischen Mut und bereiten Willen; denn der Phlegmaticus ist von Natur stumpf und träge. § Die sechste Sache ist: der Lenz gleichet der Luft; so fasten wir dann wider die Luft der Aufgeblasenheit und Hoffart. Der Sommer gleicht dem Feuer; so fasten wir wider die Hitze der Begehrlichkeit und Habgier. Der Herbst gleicht der Erden, so fasten wir wider die Erde geistiger Kälte und die Finsternis der Unwissenheit. Der Winter gleichet dem Wasser; darum fasten wir in dem Winter wider den leichten Fluß und die Unstetigkeit unsres Gemüts. § Die siebente Sache ist, daß der Lenz sich gleichet der Kindheit, der Sommer der Jugend, der Herbst der Reife oder Mannheit, der Winter dem Alter. Also sollen wir fasten im Lenz, daß wir Kinder seien in Unschuld; im Sommer, daß wir zunehmende Junglinge seien in Standhaftigkeit; im Herbst, daß wir reif werden in Bescheidenheit und Zucht; im Winter, daß wir alt werden in Weisheit und in einem ehrsamen Leben; oder daß wir wieder gut machen, was wir in den vier Lebensaltern haben gesündigt. § Die achte Sache schreibt Wilhelm von Auxerre: Daß wir in den vier Zeiten fasten für alles, was wir in diesen Zeiten wider Gott tun. Auch fasten wir zu jeder dieser Zeiten drei Tage, je einen Tag für die Sunde eines Monates; und tun dies den Mittwoch, weil Christus auf den Tag von Judas

Von Sanet ognatius

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verraten ward; den Freitag, weil er da an das Kreuz ward geschlagen; den Samstag, weil er da im Grabe lag und die Junger um den Tod ihres Herrn trauerten. § Von Sanct Ignatius. signatius ist soviel wie ignem patiens, das heißt: der das .*J Feuer göttlicher Minne hat erfahren. cognatius war der Junger Sanct Johannis des Evange>«.1 listen und war Bischof zu Antiochia in der Stadt. Er schrieb der Jungfrau Maria einen Brief, der lautete also: 'Der Christträgerin Maria entbietet seinen Gruß Ignatius. Du sollst mich Neuchristen und Junger deines Johannes stärken und trösten, denn ich habe von Jesu deinem Sohn so große Wunder hören sagen, daß ich gar erschrocken bin: darum so begehre ich in diesen Sachen von dir gesichert zu werden, ob diese Märe wahr sind; denn du mußt solches zum allerbesten wissen, da du immer mit ihm bist gewesen und seine Heimlichkeit alle gewußt hast. Lebe wohl und gewähre meine Bitte, daß die Neuchristen, die mit mir sind, aus dir, durch dich, und in dir gekräftiget werden'. Da antwortete ihm unsere liebe Frau mit diesen Worten: 'Dem lieben erwählten Mitjunger Ignatio entbietet die niedere Magd Christi: Was du von Jesu durch Johannes hast gehöret, das ist wahr; das sollst du alles glauben, dem sollst du anhängen; und sollst Christenglauben festiglich halten und dein Leben darnach richten. Ich aber will mit Johannes kommen, dich und die, so mit dir sind, zu besuchen. Steh männlich im Glauben und erschrick nicht im Grimm der Verfolgung; sondern dein Geist sei stark und freue sich in Gott deinem Heiland'. § Sanct Ignatius stund in solchem Ansehen, daß sogar Dionysius, Sanct Pauli Junger, der in natürlicher und in göttlicher Weisheit gar groß war, Sanct Ignatii Worte brauchte, seine Lehre zu bewähren. Davon spricht er selbst in dem Buche von den göttlichen Namen, daß etliche das Wort Liebe in göttlichen Dingen tadelten und sprachen, man könne Gott nicht lieben, sondern allein ehren; da wollte er ihnen erweisen, daß man wohl von Liebe möge reden in allen göttlichen Dingen, und sprach 'Auch der große :Ignatius schreibet: meine Liebe ist ans Kreuz geschlagen'. § In der Historia Tripartita lesen wir, daß Ignatius einst Engel auf einem Berge Antiphonen singen hörte;

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Von Sanct Ognatius

davon verordnete er, daß man die Antiphonen in der Kirche sollte singen, und die Psalmen in dem Tone der Antiphonen halten. § Sanct Agnatius hatte lange Zeit Gott um Frieden der Christenheit gebeten, nicht aus Furcht für sein Leben, sondern weil ihn die Verfolgung fährlich dünkte für die schwachen Christen. Als aber der Kaiser Trajanus, der im Jahre 100 zur Herrschaft kam, allen Christen den Tod drohete, da er wiederkehrte von einem sieghaften Streit, lief Sanct :Ignatius ihm entgegen und bekannte öffentlich, daß er ein Christ sei. Trajanus ließ ihn in Eisen schließen und gebot zehn Rittern, daß sie ihn sollten gen Rom führen, und drohete ihm, daß er ihn den wilden Tieren zum Fraße würde vorwerfen. Da er nun gen Rom geführt ward, schrieb er Briefe an alle Gemeinden und ermahnte sie, daß sie fest blieben im Glauben. Unter andern schrieb er den Römern, wie wir in der Historia Ecclesiastica lesen, und bat sie, daß sie seine Marter nicht wollten hindern, und sprach in dem Brief 'Ohr sollt wissen, daß ich von Syrien bis Rom, zu Wasser und zu Lande mit Tieren kämpfte: Tag und Nacht bin ich gebunden an zehn Leoparden, das sind die Ritter, die mir zu Hütern gegeben sind; die werden immer wilder von meinen guten Werken, ich aber werde durch ihre Bosheit immer mehr erzogen. O der heilsamen Tiere, die bereit sind wider mich: Wann kommen sie? Wann wird man sie ledig lassen? Wann dürfen fie mein Fleisch essen? Ich lade sie zur Speise meines Leibes und bitte sie, daß sie mein nicht schonen, wie sie etlicher Christen haben geschont; und wollten sie zaudern, so würde ich sie reizen wider mich. Darum so bitte ich euch, daß ihr mir vergebet und mein Leiden nicht irret; denn ich weiß, was mir nütze ist: Feuer, Kreuze, wilde Tiere, Zerstreuung der Gebeine, Zerzerrung des Leibes und aller Glieder; alle Pein mag über mich kommen, die teuflische Kunst erfinden mag, bis ich Christum werde gewinnen'. § Da er nun kam gen Rom und vor Trajanum geführt ward, sprach zu ihm der Kaifer 'Agnati, warum bekehrest du das Volk von Antiochia zum Christenglauben und machest, daß es uns ungehorsam wird?' Antwortete Sanct Agnatius 'Wollte Gott, Trajane, daß ich auch dich möchte bekehren, daß du das ewige Königreich gewännest'. Der Kaiser sprach 'Opfere unsern Göttern, so will ich dich zum obersten aller meiner Priester machen'. Antwortete Ignatius 'Ich will deinen Göttern nicht opfern, auch begehr ich der Würdigkeit nicht; tu mit mir, was du

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willst, du magst meinen Sinn nimmermehr wandeln'. Da sprach der Kaiser 'Schlagt seine Schultern mit Bleiklötzen und zerrt das Fleisch mit Nägeln von seinen Seiten, dann reibt die Wunden mit rauhen Steinen'. Da das alles an ihm erfüllt ward, und er doch in Christo stund, sprach der Kaiser 'Bringt brennende Kohlen herbei und zwinget ihn, daß er mit bloßen Füßen darauf gehe'. Aber Agnatius rief 'Weder das brennende Feuer noch das siedende Wasser mag in mir die Minne Jesu Christi auslöschen'. Sprach der Kaiser 'Das ist Zauberei, daß dich soviel Marter nicht zu bekehren vermag'. Antwortete Ignatius 'Wir Christen treiben keine Zauberei, sondern wir verdammen die Zauberer in unserm Gesetz und lassen sie nicht leben: aber ihr seid Zauberer, denn ihr betet die Abgötter an'. Sprach der Kaiser 'Zerfleischt seinen Rücken mit spitzen Nägeln und reibt die Wunden mit Salz'. Ignatius sprach 'Die Leiden dieser Zeit sind nichts gegen die künftigen Freuden'. Da sprach Trajanus 'So nehmt ihn und bindet ihn mit eisernen Banden an einen Pfahl in dem tiefsten Kerker, und laßt ihn ohne Speife und Trank; und darnach über drei Tage fo sollt ihr ihn den wilden Tieren vorwerfen'. Am dritten Tage versammelte der Kaiser den Senat und alles römische Volk und wollte schauen, wie der Bischof von Antiochia mit den Tieren kämpfe; und sprach 'Da Ignatius hoffärtig ist und halsstarrig, so bindet ihn und lasset zwei Löwen auf ihn, daß kein Haar von ihm übrig bleibe'. Da sprach Ignatius zu dem Volk, das da stund 'Is1r Männer von Rom, die ihr diesem Kampfe zuschauet, wisset: ich streite nicht ohne Lohn; denn ich leide diese Pein nicht um meine Bosheit, sondern um meine Frömmigkeit'. Darnach sprach er, als wir in der Historia Ecclesiastica lesen 'Ich bin das Korn Christi und soll von den Zähnen der Tiere gemahlen werden, daß reines Brot aus mir werde'. Da sprach der Kaiser 'Groß ist die Geduldigkeit der Christen; wo wäre der Grieche, der solches litte für seinen Gott'. Aber Ignatius sprach 'Nicht ich, sondern Christi Kraft trägt diefes Leiden'. Damit hub er an, die Löwen wider sich zu reizen, daß sie kommen möchten, ihn zu verschlingen. Da stürzten zwei wilde Löwen auf ihn und erwürgten ihn: aber sein Fleisch ließen sie unberührt liegen. Des verwunderte sich der Kaiser über die Mafien; und da er fortging, gebot er, daß man niemandem möchte wehren, der seinen Leichnam wollte hinwegtragen. Also nahmen die Christen seinen Leib und be-

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ftatteten ihn mit großen Ehren. Nicht lange darnach empfing der Kaifer Briefe von dem jüngeren Plinius; der lobte die Christen sehr, die der Kaiser zu töten geboten hatte. Da betrübte Trajanus sich über das, was er mit Ignatius hatte getan. Und gebot, hinfort keine Christen mehr zu verfolgen und aufzufpüren; fiele aber einer doch in die Hände des Richters, so solle er bestraft werden. § Man liest, daß Sanct Ignatius in aller seiner Marter doch des Namens Christi nie vergaß. Da fragten ihn die Knechte, die ihn peinigten, warum er so oft den Namen nenne. Er antwortete 'Ich kann davon nicht lassen, denn er ist in mein Herz geschrieben'. Das wollten die Heiden prüfen, da er tot war, und riffen fein Herz aus dem Leibe und schnitten es auf: da stund mit goldenen Buchstaben der Name Jesus Christus mitten darin geschrieben. Von diesem Zeichen wurden viel Heiden gläubig. § Sanct Bernhard schreibt von ihm, da er von dem Psalm spricht 'Qui habitat': 'Der große Ignatius war ein Schüler des Jungers, den der Herr lieb hatte, und ward selbst ein Märtyrer; von seinem Heiltum ist unsre Armut begabet. Er hat Marien manchen Brief geschrieben und sie darin gegrüßet als 'Christträgerin': ein Name höchster Würdigkeit und ein Lob unermeßlicher Ehren'.

§ Von Mariae Reinigung. L/t^-ariae Reinigung ist gewesen am vierzigsten Tage nach ch-l Eder Geburt unsres Herrn. Es hat aber dieses Fest drei

Namen, nämlich: Reinigung, Hypopanti, und Candelaria, das ist Lichtmeß. § Es ist zum ersten Reinigung genannt, weil am vierzigsten Tage nach der Geburt unsres Herrn die Jungfrau zum Tempel kam, sich zu reinigen, wie es des Gesetzes Gewohnheit war, ob sie gleich nicht unter dem Gesetze stand. Denn es gebietet das Gesetz im Leviticus im 12. Capitel, daß das Weib, welches mit Samen empfangen hat und einen Sohn gebiert, fieben Tage unrein sei; dann soll sie keine Gemeinschaft haben mit den Menschen, und soll nicht in den Tempel gehen; wenn aber die sieben Tage um sind, so ist sie rein für die Menschen. Aber noch andere dreiunddreisiig Tage soll sie nicht in den Tempel kommen. Wenn aber die vierzig Tage um sind, so soll sie am vierzigsten Tage in den Tempel gehen, und den Knaben darbringen und ihre Gaben opfern.

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Gebiert sie aber ein Töchterlein, so soll sie vierzehn Tage die Menschen meiden und achtzig Tage den Tempel. § Warum aber der Herr geboten hat, daß die Knäblein am vierzigsten Tage im Tempel dargebracht werden, des sind drei Ursachen. Die erste ist, daß wir daran erkennen, daß am vierzigsten Tage nach der Empfängnis die Seele zumeist in den Tempel des Leibes wird gegossen, gleichwie das Kind am vierzigsten Tage in den wirklichen Tempel gebracht wird. Solches lesen wir in der Historia Scholastica; doch sprechen die Meister der Natur, daß der Leib nach sechsundvierzig Tagen vollendet wird. Die andere Ursache ist, daß die Seele, gleichwie sie am vierzigsten Tage beim Einguß in den Leib von diesem verunreint wird, also am vierzigsten Tage im Tempel durch Opfer von solchem Makel geläutert werde. Zum dritten sollen wir an den vierzig Tagen merken, daß alle die in den Tempel der ewigen Freude werden eingehen, so die zehn Gebote halten zusamt dem Glauben der vier Evangelien. Die Frau aber, die ein Töchterlein gebiert, soll zweimal so lange aus dem Tempel bleiben, weil auch der Leib eines Mägdleins in der doppelten Zeit vollendet wird. Denn während eines Knäbleins Leib in vierzig Tagen vollendet wird und am vierzigsten Tage die Seele zumeist wird eingegossen, so wird des Mägdleins Leib in achtzig Tagen vollendet, und empfängt die Seele am achtzigsten Tage. Warum aber der weibliche Körper doppelt so langsam im Mutterleib vollendet wird wie der männliche, und erst so spät die Seele empfängt, des sind drei geistliche Ursachen, wenn wir die natürlichen lassen sein. Erstlich, weil Christus in eines Mannes Person wollte geboren werden, so wollte er männliches Geschlecht ehren und ihm größere Gnade spenden; darum ließ er die Knaben schneller wachsen und die Mütter eher gereinigt werden. Zum andern, da das Weib mehr gesundiget hat denn der Mann, so soll es auch unseliger sein; und wie seine Leiden gedoppelt sind auf Erden, so sollen ihrer schon im Mutterleib noch einmal so viel sein. Zum dritten soll damit bezeichnet werden, daß die Frau Gott gleichsam mehr gemuhet hat denn der Mann, weil sie mehr gesiindiget hat; denn Gott wird gleichsam durch unsre Sünden gemühet. Davon spricht er selbst 'Du hast mir Arbeit gemacht in deinen Sünden und Mühe in deinen Missetaten' (Isal 43,24). Und Isaias am ersten 'Sie sind mir beschwerlich und muhsam zu tragen' (Isafr 1, 14). § Maria Gottes Mutter war

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nicht gehalten unter dem Gesetz dieser Reinigung; denn sie

hatte nicht mit Samen empfangen, da sie gebar, sondern aus dem heiligen Geist. Darum auch Moyses sprach 'welche empfängt und gebiert', welches zu sagen doch nicht notwendig war, da alle Frauen gebären, wenn sie empfangen haben; aber er sagte es dennoch, weil er sonst fürchtete, daß er die Mutter Gottes möchte lästern, als uns Sanct Bernhard schreibet. Doch wollte Maria hierin das Gesetz halten aus vier Ursachen. § Zum ersten wollte sie uns ein Beispiel der

Demütigkeit geben; davon spricht Sanct Bernhard 'Maria, wahrlich, du hattest keine Ursach noch war es dir notdürftig, daß du gereiniget werdest, so wenig deinem Kind die Beschneidung not war. Doch du sollst sein unter den anderen Frauen wie ihrer eine, gleichwie dein Kind ist mitten unter den anderen Kinden'. Diese Demütigkeit war nicht allein in Marien, sie ist auch gewesen in Christo, welcher auch dem Gesetze wollte untertan sein: in seiner Geburt erzeigte er sich als ein armer Mensch, in seiner Beschneidung als ein Armer und ein Sünder, am heutigen Tage als ein Armer, als ein Sünder, und als ein Knecht. Als ein Armer, da er der Armen Opfer für sich ließ darbringen; als ein Sünder, da er mit seiner Mutter in dem Tempel wollte gereiniget werden; als ein Knecht, da er sich loskaufen ließ, nicht um feiner Sünde willen, sondern um seine große Demut zu erzeigen; darum er auch später die Taufe empfing. Also wollte unser Herr alle die Arznei an seinem eigenen Leibe brauchen, die wider die Erbsünde gut ist; nicht, weil er ihrer bedurfte, sondern, daß seine Demut offenbar werde und er bewähre, daß diese Heilmittel alle gut waren für ihre Zeit. Es sind aber fünf Heilmittel wider die Erbsünde, die da im Laufe der Zeit wurden aufgesetzt. Davon wurden drei im alten Gesetz gefunden, wie uns Hugo von Sanct Victor schreibet: die Darbringung, der Zehnte und das Tieropfer; welche alle das Werk unsrer Erlösung bezeichnen. Die Darbringung bedeutet die Art unsrer Erlösung; das Opfer ihren Preis, denn es ward dabei Blut vergossen; der Zehnte bedeutet den, der erlöst ward; denn der Mensch wird durch die Zahl Zehn bezeichnet. Das erste war die Darbringung; wie denn Kain Gott die Früchte des Feldes opferte und Abel die Erstlinge seiner Herde. Das zweite war der Zehnte, wie denn Abraham dem Priester Melchisedech den Zehnten darbrachte. Wir lesen aber bei Augustinus, daß man den Zehnten gab von

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alle dem, dafür man Sorge trug. Das dritte war das Opfer; das war gegen die Erbfünde aufgesetzt, wie Sanct Gregorius bezeugt. Da aber hiebei gefordert ward, daß wenigftens eins von den Eltern gläubig sei, und beide doch ungläubig mochten sein, so kam als viertes Heilmittel die Beschneidung, die galt, ob die Eltern gläubig waren oder nicht. Aber da dieselbige allein den Männern nütze war und des Paradieses Tür nicht aufschlosi, so kam zu dem letzten die Taufe, die alle Menschen mögen empfangen, und die da aufschließt die Himmelstür. Das erste dieser Heilmittel nahm Christus an sich, da er von seinen Eltern im Tempel dem Herrn ward dargebracht; das zweite, da er vierzig Tage und Nächte fastete; denn da er kein Gut hatte, davon er den Zehnten hätte geben können, opferte er Gott den Zehnten der Tage des Jahrs; das dritte, da feine Mutter ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben für ihn darbrachte zu einem Opfer; das vierte, da er sich ließ beschneiden; das fünfte, da er von Johannes getauft ward. § Die zweite Sache war, daß das Gesetz werde erfüllt; denn der Herr war nicht gekommen das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen. Hätte er das Gesetz übertreten, so konnten die Anden sich entschuldigen und konnten sprechen 'Wir haben deine Lehre nicht empfangen, denn du warft unähnlich unsern Vätern und hast unsre Gesetze nicht gehalten'. Es war ein dreifach Gesetz, dem heute Christus mit seiner Mutter sich unterwarf. Erstlich das Gesetz der Reinigung; zu einer Bezeichnung der Tugend; denn haben wir auch alles gut gemacht, so sollen wir doch sprechen 'Wir sind unnütze Knechte'. Zum andern das Gesetz des Loskaufs, zu einem Vorbild der Demütigkeit. Zum dritten das Gesetz des Opfers zu einem Vorbild der Armut. § Die dritte Sache war, daß dem Gefetz der Reinigung ein Ende werde gemacht. Denn gleichwie durch das Licht die Finsternis vertrieben wird und die Schatten vor der Sonne weichen müssen, also ward die sinnbildliche Reinigung geendet, da die wahre Reinigung kam. Denn die ist mit Christo in die Welt gekommen, welcher in der Wahrheit eine Reinigung wird genannt, weil er unsre Herzen gereinigt hat durch den Glauben; wie geschrieben steht 'und reinigte ihre Herzen durch den Glauben' (Act. 15,9). Davon sind die Väter nicht mehr gehalten zur Lösung, noch die Mütter zur Reinigung oder zum Tempelgang, noch die Kinder zum Loskauf. § Die vierte Sache ist, daß uns ein Bei-

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spiel werde gegeben, wie wir uns reinigen sollen von unseren Sünden. Das geschieht auf fünferlei Art, gleichwie vor Gericht fünf Stücke einen Menschen mögen unschuldig bewähren von falscher Anklage; doch gebietet das Gesetz allein drei; der Eid, der bezeichnet ein Absagen den Sünden; das Wasser, das bezeichnet die heilige Taufe; das Feuer, das bezeichnet den Einguß geistlicher Gnaden; die Zeugen, das sind die guten Werke; der Kampf, der bedeutet die Versuchung. § Da nun unsre Frau in dem Tempel ihr Kind opferte, da löste sie es wieder mit fünf Sekeln. Hier follen wir merken, daß etliche Erstgeburt gelöst ward, wie die Erstgeburt von den elf Stämmen: die ward losgekauft mit fünf Sekeln; etliche nicht, wie die Erstgeburt vom Stamme Levi: die ward niemals gelöst, sondern wenn sie herangewachsen war, so diente sie allezeit im Tempel des Herrn; desgleichen auch die Erstgeburt der reinen Tiere, welche auch nicht gelöst, sondern dem Herrn dargebracht ward; etliche wurde ausgewechselt, wie die der Esel, welche durch Schafe erfetzt ward; etliche ward getötet, wie die Erstgeburt der Hunde. Christus nun war vom Stamme Juda, einem der elf Stämme; darum mußte er gelöst werden. Also opferten sie für ihn ein Paar Turteltauben oder zwo junge Tauben, das war der armen Leute Opfer; die Reichen aber opferten ein Lamm. Es steht geschrieben 'junge Tauben', nicht 'junge Turteltauben', denn junge Tauben giebt es immer, junge Turteltauben aber nicht, doch alte; auch heißt es, 'zwo junge Tauben' und nicht 'ein Paar Tauben' wie 'ein Paar Turteltauben', weil die Turteltaube ein schamhafter Vogel ist, die Taube aber ist unkeusch; und wollte Gott nicht, daß man sie ihm darbringe. Hier ist zu fragen: Hatte nicht unsre liebe Frau kürzlich zuvor von den drei Königen viele Pfund Goldes empfangen? warum opferte fie da nicht ein Lamm? Dazu müffen wir antworten: sicherlich hatten die Weisen, wie Sanct Bernhard bezeugt, viele Pfund Goldes dargebracht, denn es ist nicht glaublich, daß solche Könige einem solchen Kind kleine Gaben hätten geboten; aber etliche sprechen, daß Maria es nicht behielt, sondern alsbald den Armen schenkte; oder aber, sie behielt das Geld mit Fürsicht für die Fahrt nach tigyptenland, da fie sieben Jahre sollte sein; oder auch, die Weisen gaben des Goldes nicht gar so viel, da sie es ja nur opferten in einem geistlichen Sinn. Wir lesen aber in der Auslegung von drei Opfern unsres Herrn: das erste brachten

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seine Eltern in ihm selbst; das zweite für ihn, da die Tauben wurden geopfert; als drittes brachte er fich selbst für die Menschen, am Kreuz. Ich ersten erzeigte er seine Demut, da der Herr des Gesetzes dem Gesetz sich unterwarf; im zweiten feine Armut, da er der Armen Opfer sich erwählte; im dritten seine Liebe, da er sich für die Sünder dahingab. § Die Eigenschaften der Turteltaube merken wir mit diesen Worten 'Die Turteltaube liebt in die Höhe zu fliegen, ihr Gefang ist seufzend, fie kündet den Frühling, sie lebt keusch und bleibt für fich, ihre Jungen wärmt sie des Nachts, das Aas flieht sie'. Von der Taube aber sagt man 'Sie sammelt Körner, fliegt in Gesellschaft, sie meidet das Aas, ist sonder Gallen, sie klagt, sie schnäbelt sich mit dem Freund, sie nistet

in Steinen; sie flieht den Feind, den sie im Flusse ersieht; sie macht mit dem Schnabel keine Wunden, und nährt ihre beiden Jungen mit Liebe'. § Zum andern heißt das Fest auch Hypopanti, das heißt Darbringung, da Christus im Tempel dargebracht ward; oder es heißt Begegnung, weil Simeon und Anna dem Herrn entgegen gingen, da er in den Tempel ward gebracht; und kommt dies Wort von hypo, das heißt: gehen, und anti, das ist: entgegen. Simeon aber nahm ihn in seine Arme. Hier sollen wir merken, daß dreifache Verdunkelung oder Vernichtung den Heiland umgab: Erstlich eine Verdunkelung der Wahrheit; weil er, der da ist die Wahrheit und leitet alle Menschen durch sich, denn er ist der Weg; und zu sich, denn er ist das Leben: der mußte heute zulassen, daß er von anderen ward geführet, wie geschrieben steht 'Sie führten das Kind Jesum in den Tempel'. Zum andern war verdunkelt seine Gute; denn der, welcher allein gut und heilig ist, mußte als ein Unreiner mit seiner Mutter gereiniget werden. Zum dritten war verdunkelt seine himmlischt Majestät; denn er, der alle Dinge trägt mit dem Worte seiner Kraft, wollte heute von einem Greis auf den Armen getragen sein, den er doch selbst in seiner Gotteskraft trug und aufrecht hielt; wie es heißt 'Der Greis trug das Kind, aber das Kind regierte den Greis'. Simeon aber fegnete ihn und sprach 'Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast, denn meine Augen haben dein Heil gesehen, welches du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht zu erleuchten die Heiden, und eine Herrlichkeit deines Volkes Israel'. Simeon nennt ihn mit drei Namen: Heil, Licht, Herrlichkeit des Volkes Israel. Die

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Ursach dieses dreifältigen Namens mag man in vierlei Weise verstehen. Einmal zu unsrer Rechtfertigung: er nennt ihn Heil, da uns in ihm unfre Schuld vergeben wird, denn Jesus heißt der Heiland, weil er sein Volk retten wird von seinen Sünden; er nennt ihn ein Licht, weil er Gnade giebt; Ruhm und Herrlichkeit des Volkes, weil er Ruhm und Herrlichkeit verleiht. Zum andern wegen unsrer Wiedergeburt; denn zuerst wird ein Kind gesegnet und getauft, und dadurch von der Sunde gereinigt, das geht auf den ersten Namen; dann giebt man ihm eine angezündete Kerze in die Hand, das geht auf den zweiten Namen; darnach bringt man es dar auf dem Altar, das geht auf den dritten Namen. Zum dritten wegen der Procession, die heute gemacht wird: da werden erst die Kerzen gesegnet und geweiht; dann werden sie angezündet und den Gläubigen in ihre Hände gegeben; darnach zieht man mit Gesang in die Kirche. Zum vierten wegen des dreifachen Namens, den unfer Fest hat: es heißt Reinigung wegen der Tilgung von aller Sünde, damit wird der Name Heil bezeichnet; es heißt Lichtmeß, wegen der Erleuchtung durch die Gnade, das bedeutet den Namen Licht, den Simeon Jesu gab; es heißt Hypopanti, Begegnung, von der Herrlichkeit, die uns wird werden, das bedeutet 'Herrlichkeit deines Volkes Israel; wie da geschrieben steht 'Denn dann werden wir Christo entgegen eilen in die Lüfte' (1. Thesf. 4>1ö). Auch können wir fagen, daß in Simeons Rede Chriftus gepriesen sei als der Friede, denn er ist der Mittler; als das Heil, denn er ist der Erlöser; als das Licht, denn er erleuchtet uns mit seiner heiligen Lehre; als die Herrlichkeit, denn er giebt uns dereinst den ewigen Preis. § Der dritte Name dieses Festes ist Lichtmeß, weil man brennende Kerzen in den Händen trägt. Warum aber die Kirche geordnet hat, daß man an diesem Tage brennende Kerzen in den Händen trage, des sind vier Ursachen. § Die erste Sache ist gewesen, daß ein heidnisch Irrsal und böse Gewohnheit werde verstört. Denn die Römer hatten vor Zeiten die Gewohnheit, daß sie jedes fünfte Jahr am erften Tage des Februar die Stadt mit brennenden Kerzen und Fackeln eine ganze Nacht erleuchteten, einer Göttin zu Ehren, die war Februa genannt, und war die Mutter des Mars, welcher gewaltig ist über den Krieg; die ehrten sie so feierlich, damit ihr Sohn ihnen Sieg verliehe wider ihre Feinde; die Zeit aber von einem Fest zum andern nannten

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sie ein Lustrum. Auch opferten die Römer im Februar dem Februus, das ist dem Pluto, und den andern unterirdischen Gottheiten; das taten sie für die Seelen ihrer Vorfahren; und damit sie ihnen gnädig seien, brachten sie ihnen feierliche Opfer dar und wachten die ganze Nacht in ihrem Lob mit brennenden Kerzen und Fackeln. Innocentius der Papft erzählt, daß auch die römischen Frauen in diesen Tagen ein Fest der Lichter begingen; das hatte seinen Ursprung aus den Fabeln der Poeten. Sie sagen nämlich, daß Proserpina war also schön, daß Pluto, der Höllen Gott, ihrer begehrte, und raubte sie und machte sie zu einer Göttin. Da suchten ihre Eltern sie durch die Wälder und durch die Haine mit Fackeln und Lichtern lange Zeit. Dem zum Gedächtnis zogen die römischen Frauen mit Fackeln und Lichtern einher. Nun ist es schwer. Gewohntes fahren zu lassen; darum mochten die Römer, da sie Christenglauben empfingen, diese heidnische Sitte nicht lassen, und also wandelte Sergius der Papst diese Gewohnheit zum Guten und ordnete, daß die Christen zu Ehren der Mutter Gottes jedes Jahr an diesem Tag mit brennenden Kerzen und geweihtem Wachs alle Welt sollten erleuchten; also blieb die andächtige Gewohnheit, aber der Sinn ward ein anderer. § Die zweite Sache ist, daß mit dem Lichterschein erzeigt werde die lautere Reinheit Mariae. Denn es könnte jemand, der von Marien Reinigung hört, glauben, sie habe der Reinigung bedurft; damit nun offenbar werde, daß sie rein sei und ohne Makel, ordnete die Kirche, daß man brennende Kerzen trüge, als wolle sie damit sprechen: Heilige Jungfrau, du bedarfst der Reinigung nicht, du leuchtest und glänzest ganz und gar. Wahrlich, sie bedurfte der Reinigung nicht, denn sie hatte nicht aus menschlichem Samen empfangen, sondern war schon im Mutterleib vollkommenlich gereinigt und geheiligt. Und also sehr war sie in ihrer Mutter Leib und durch den heiligen Geist heilig und rein worden, daß auch kein Willen zur Sünde in ihr mochte erfunden werden, und ihre Reinheit auch auf andere überfloß; denn sie löschte in allen Männern, mit denen sie war, alle fleischliche Bewegung und Begierde aus. Daher sprechen die Juden, daß kein Mann jemals Marien begehrte, ob sie gleich über die Maßen schön war. Denn die Macht ihrer Reinheit durchdrang alle, die sie anschauten und schlug in ihnen alles leibliche Begehren nieder. Darum so gleicht man sie dem Cederbaum, von dessen Duft alle

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Schlangen sterben: also wurden von ihrer Heiligkeit die Schlangen im Fleische der Menschen getötet. Man gleichet sie auch der Myrrhe, die alle Würmer vertilget: also hat ihre Heiligkeit alle fleischliche Begierde vertrieben. Und hierin übertrifft ihre Heiligkeit die der anderen Heiligen und Jungfrauen, die auch in ihrer Mutter Leibe wurden geheiliget; denn derselbigen Reinheit und Keuschheit strahlte nicht auf andere Uber und ertötete nicht die fleischliche Begierde derer, die um sie waren; aber der allerheiligsten Jungfrau Reinigkeit drang auch den Schamlosen mitten ins Herz und machte sie keusch und rein gegen sie. § Die dritte Sache, daß man Kerzen in der Hand trägt, ist zum Gebenken der heutigen Procession. Denn Maria und Joseph und Simeon und Anna machten einen feierlichen Umzug, da fie das Kind Jesum in den Tempel trugen. So machen auch wir eine Procession, und tragen die brennende Kerze in der Hand, damit Christus bezeichnet wird, und ziehen also zur Kirchen. In der Kerze sind drei Dinge: Wachs, Docht und Flamme; die bezeichnen die drei, die da waren in Christo: das Wachs ist der Leib Christi, der ist von der Jungfrau geboren ohn alle fleischliche Befleckung, gleichwie die Bienen das Wachs erzeugen ohne leibliche Vermischung unter einander; der Docht, der im Wachs verborgen ist, bedeutet die reine Seele, die im Leibe war verborgen; die Flamme aber bedeutet die Gottheit: denn Gott ist ein verzehrend Feuer. Davon singt Einer diese Verse, ob er gleich das vom Dochte wegläsit 'Marien zu Ehren trag ich die Kerze / siehe: das Wachs ist der wahre Leib von der Jungfrau geboren / siehe: die Flamme ist Gott und alle himmlische Macht'. § Die vierte Sache ist, daß wir nütze Lehre hiervon nehmen. Denn wollen wir vor Gott gereiniget sein, so müssen wir dreierlei in uns haben: wahren Glauben, gute Werke, rechten Willen. Die brennende Kerze in unsrer Hand ist der Glaube mit den guten Werken; und wie die Kerze ohne Flamme tot ist, eine Flamme ohne Kerze aber nicht sein noch leuchten mag, also sind die guten Werke ohne Glauben und der Glaube ohne gute Werke tot. Der Docht aber, der in der Kerze ist verborgen, das ist der rechte Wille. Davon spricht Gregorius 'Dein Werk sei offenbar, aber die gute Absicht bleibe verborgen'. § Es war eine edle Frau, die hatte große Andacht zur heiligen Jungfrau. Sie baute sich eine Kapelle an ihrem Haus

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und hielt dazu einen eigenen Kapellan, der las ihr täglich Messe von unsrer Frauen. Es geschah einst auf Lichtmeßtag, daß der Priester fern war um eines Geschäftes willen und die Frau des Tages keine Mefse hören mochte. Oder man liest auch, daß sie alles, was sie hatte, den Armen hatte gegeben, auch die Kleider; und hatte auch ihren Mantel hingegeben, also daß sie nicht zur Kirche mochte gehen. Des betrübte sie sich gar sehr, daß sie an dem heiligen Tage ohne Messe sollte sein. Und ging in ihre Kapelle, oder in ihre Kammer, und kniete vor dem Altar der heiligen Jungfrau in Andacht nieder. Alsbald ward sie verzücket im Geist, und bedeuchte sie, sie wäre in einer gar schönen Kirche. Und da sie aufschaute,

sah sie eine große Schar Jungfrauen in die Kirche kommen, vor denen allen ging eine Königin wohlgekrönt; die setzten sich in der Kirche nieder nach ihrer Ordnung. Darnach kam eine Schar Junglinge, die setzten sich auch nach ihrer Ordnung. Nun kam einer und trug ein großes Bündel Kerzen, und gab zuerst der Jungfrau, die vor den anderen ging, und darnach jeglicher Jungfrau und jeglichem Jungling eine Kerze, und zuletzt auch der Frau; die empfing fie mit großen Freuden. Aber da sie nach dem Chore blickte, siehe, da stunden zwei Kerzenträger und ein Subdiacon, ein Diacon und ein Priester in den heiligen Gewändern, zur Messe bereit. Es bedeuchte sie aber, daß die Kerzenträger seien Vincentius und Laurentius, die Diacone aber zwei Engel und der Priester war Christus selbst. Da nun die Beichte gesprochen war, stunden zwei schöne Junglinge auf, traten in den Chor und hüben an mit lauter Stimme das Amt zu singen, und die andern, die im Chor waren, stimmten ein. Als das Amt vollbracht war bis daß man die Kerzen sollte opfern, da stund die Königin auf mit ihren Jungfrauen und brachte die Kerze mit gebeugten Knieen dem Priester dar, als es Gewohnheit ist, desgleichen taten die andern alle. Da sie nun alle ihr Opfer hatten gegeben, da stund der Priester und wartete, ob die Frau auch ihre Kerze wolle opfern; aber fie wollte nicht kommen. Da schickte die Königin einen zu ihr und ließ ihr sagen, daß es nicht ziemlich sei, daß sie den Priester so lange ließe warten. Antwortete die Frau 'Der Priester soll die Messe auslesen, denn ich will die Kerze nicht opfern'. Da sandte die Königin einen anderen Boten, dem antwortete sie dasselbe, daß sie ihre Kerze niemandem wolle geben, sondern sie in Andacht wolle bewahren. Da sprach die

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Königin zu dem Boten 'Geh und bitte sie noch einmal, daß sie die Kerze gebe, und tut sie es nicht, so nimm sie ihr mit Gewalt'. Der Bote ging, sie aber wollte seine Bitte nicht hören; da sprach er, daß ihm geboten wäre, die Kerze mit Gewalt zu nehmen. Also wollte er ihr die Kerze entreißen; sie aber hielt die Kerze fest und widerstund mit aller ihrer

Kraft. Da nun der Streit eine Zeit gewährt hatte und die Kerze hierhin und dorthin war gerissen worden, brach sie plötzlich mitten entzwei; und blieb ein Stück dem Boten in der Hand und das andere der Frauen. Von der Gewalt des Bruches kam die Frau wieder zu sich selber und fand sich vor dem Altar, da sie zuvor war niedergekniet, und hielt eine halbe Kerze in der Hand. Darob verwunderte sie sich gar sehr, und dankte der Jungfrau Maria von Herzen, daß sie an diesem Tage sie nicht ohne Messe hatte lassen sein, sondern ihr zu einem solchen Amt hatte geholfen. Die Kerze aber bewahrte sie mit großem Fleiß und hielt sie in Ehren als ein großes Heiltum. Und man sagt, welcher Kranke die Kerze berührte, der ward alsbald gesund. § Es war eine andre Frau, die war eines Kindes schwanger; der träumte des Nachts, daß sie eine Fahne trüge, die war blutrot. Als sie erwachte, kam sie alsbald von Sinnen, und der Teufel gab ihr ein, daß sie wähnte, der Christenglaube, den sie bisher gehabt hatte, säße in ihren Brüsten und ginge doch immerfort von ihr. Von diefem Wahn konnte sie niemand heilen. Aber einesmals blieb sie in einer Kirche unsrer Frauen am Lichtmesiabend über Nacht; da war sie des Morgens geheilt von allen Gebrechen.

§ Von Sanct Blasius. lafius kommt von blandus, süß; oder es ist soviel wie -^.JBelasius und kommt von bela, Kleid und sior, klein.

Denn er war süß in seiner Rede, gekleidet mit dem Kleid der Tugenden, klein durch die Demut seiner Sitten. lasius war groß in Sanftmut und Heiligkeit. Das sah -^.Jdas Volk des Landes Cappadocia an, darum erwählte

es ihn zu einem Bischof in der Stadt Sebaste. Da nun Sanct Blafius das Bistum empfangen hatte, da ward des Kaisers Diocletianus Verfolgung wider die Christen so groß, daß er in eine Höhle mußte fliehen. Daselbst führte er ein Einsiedlerleben. Die Vögel brachten ihm Speise in seine Höhle,

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und das Wild kam einmütiglich zu ihm, und gingen nicht von ihm, er legte denn seine Hand auf sie und gab ihnen seinen Segen. War der Tiere eines krank, so kam es alsbald zu ihm, und er erwarb ihm Gesundheit. § Es geschah, daß der Herr des Landes seine Ritter aussandte zu jagen; die fuhren durch den WaId und fanden kein Tier. Zuletzt kamen fie von ungefähr vor die Höhle, darin Sanct Blasius wohnte: da sahen sie alle die Tiere in Scharen stehn, die sie im Walde hatten gesucht; doch mochten sie ihrer keines fangen. Da erschraken sie und kehrten wieder zu ihrem Herrn; und sagten ihm das Wunder, das ihnen begegnet war. Da sandte der Herr alsbald viele Ritter aus und gebot ihnen, daß sie den Menschen fangen sollten und alle Christen mit ihm. In der Nacht erschien unser Herr Sanct Blasio zu dreien Malen und sprach 'Hebe dich auf und bringe mir dein Opfer'. Mit dem waren auch die Ritter da und sprachen zu Blasio 'Geh heraus, der Herr des Landes hat nach dir gesandt'. Antwortete Sanct Blasius 'Seid willkommen lieben Kinder, ich sehe nun wohl, daß Gott mein nicht vergessen hat'. Also fuhr er mit den Rittern, und predigte ihnen, und tat große Zeichen vor ihren Augen. § Da war ein Weib, das brachte ihren Sohn dar, dem war eines Fisches Gräte in seiner Kehle stecken geblieben, daß er dem Tode nahe war; und bat mit weinenden Augen um Hilfe. Sanct Blasius legte seine Hände auf den Kranken und betete, daß dieser Knabe gesund würde, und alle, die sonst in Blasii Namen um Heilung bäten; und alsbald war er gesund. § Ein armes Weib hatte ein einziges Schwein, das raubte ihr ein Wolf. Sie bat Sanct Blasium, daß er es ihr wiederschaffe. Da lächelte er und sprach 'Weib, betrübe dich nicht, du sollst dein Schwein wiederhaben'. Alsbald war der Wolf da, und gab der Witwe das Schwein wieder. § Da nun Sanct Blasius in die Stadt kam, ließ ihn der Fürst in einen Kerker werfen. Des anderen Tages hieß er ihn vor sich führen, und grüßte ihn mit sanften Worten und sprach 'Freue dich Blasi, Freund der Götter'. Antwortete Blasius 'Freude auch dir, guter Fürst; aber die du Götter nennst, das sind Teufel, die die Pein des ewigen Feuers müssen leiden und mit ihnen alle, die an sie glauben'. Da ward der Fürst zornig, und hieß ihn mit Knütteln schlagen und wieder ins Gefängnis werfen. Aber Blafius sprach 'Du törichter Mensch, wähnest du durch deine Strafen die Liebe meines Gottes aus mir zu vertreiben, der meine

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Kraft und Stärke ist?' Als das die Witwe vernahm, der er das Schwein hatte wieder gegeben, ging sie hin und schlachtete das Schwein, und brachte ihm des Schweines Kopf und Fuße, und eine Kerze und Brot. Er dankte ihr und aß; und sprach zu ihr 'Opfere jedes Jahr in der Kirche, die in meinem Namen ist geweiht, eine Kerze, das soll ein Segen sein dir und allen die es tun'. Sie tat, wie er ihr gesagt hatte, und es brachte ihr Glück und Segen. § Darnach nahm man Blasium aus dem Gefängnisse; aber da er zu den Abgöttern nicht mochte bekehrt werden, gebot der Fürst, daß man ihn an ein Holz henke, und hieß ihm das Fleisch mit eisernen Kämmen abzerren und ihn darnach wieder in den Kerker werfen. Da gingen ihm sieben Frauen nach, die sammelten die Tropfen seines Blutes. Alsbald griff man fie und wollte fie zwingen, daß sie den Abgöttern ihr Opfer brächten. Sie aber sprachen zu dem Fürsten 'Willst du, daß wir deine Götter mit Würdigkeit anbeten, so sende sie zu dem Teich, daß ihre Angesichter gewaschen werden und wir sie also rein mögen anbeten'. Da ward der Fürst froh, und ließ die Götter zu dem Teiche tragen. Da nahmen die Frauen die Götterbilder und warfen sie in den Teich und sprachen 'Nun sehen wir wohl, ob dies Götter sind'. Als der Fürst das vernahm, kam er vor Zorn fast von Sinnen; und schlug sich selbst und sprach zu seinen Knechten 'Warum habt ihr die Götter nicht gehalten, daß sie nicht ins Wasser wurden geworfen?' Sie antworteten 'Die Frauen haben dich mit schalkichten Worten betrogen, daß sie die Götter ins Wasser brächten'. Aber die Frauen sprachen 'Ein wahrer Gott leidet keine Listen; wären es Götter gewesen, so hätten sie vorher wohl gewusit, was wir ihnen wollten tun'. Da ließ der Richter voll Grimmes siedend Blei und eiserne Kämme und sieben glühende Eisenpanzer auf die eine Seite tun und sieben weiche leinene Hemden auf die andre Seite, und sprach 'Nun wählet unter den zweien'. Da trat der Frauen eine hervor, die hatte zween junge Kinder; die nahm die leinenen Hemden und warf sie in den Feuerofem Sprachen die Kinder 'Mutter, laß uns nicht hinter dir: speise uns mit der Süßigkeit des Himmels wie du uns mit der Süßigkeit deiner Milch hast gespeiset'. Da ließ der Richter die Frauen aufhenken und ihr Fleisch mit den eisernen Kämmen abzerren: siehe, da war ihr Fleisch weiß wie der Schnee und an des Blutes Statt floß Milch von ihrem Leib. Da sie aber in der Marter

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wollten verzagen, erschien ihnen der Engel des Herrn und stärkte sie, und sprach 'Fürchtet euch nicht; der ist ein guter Werkmann, der sein Werk wohl anhebt und wohl vollbringet: sein Herr wird ihn segnen für das vollbrachte Werk, er wird ihm Lohn geben für seine Arbeit, und sein Lohn ist ewige Freude'. Darnach hieß der Richter sie herabnehmen und in den feurigen Ofen setzen; aber das Feuer verlosch von Gottes Fügung, und sie gingen unverletzt hervor. Da sprach der Fürst 'Nun lasset eure Zauberei und betet unsere Götter an'. Sie antworteten 'Vollende, was du begonnen hast, denn schon sind wir gerufen zu der himmlischen Herrlichkeit'. Da gab er das UrteU, daß man sie solle enthaupten. Sie aber knieten nieder und sprachen das Gebet 'Herr vom Himmel, wir loben dich, daß du uns aus der Finsternis hast geleitet in dein süßes Licht, und uns dir zu einem Opfer hast auserwählt: nimm nun unsre Seelen auf und laß uns kommen ins ewige Leben'. Also wurden sie enthauptet, und fuhren ihre Seelen zu Gott. § Darnach ließ der Fürst Sanct Blasium vor sich führen und sprach zu ihm 'Willst du nun unsre Götter anbeten oder nicht?' Antwortete Blasius 'Gottloser, ich fürchte dein Dräuen nicht, tue was du willst, ich gebe diesen Leib gänzlich in deine Gewalt'. Da hieß der Fürst ihn in den Teich werfen. Er aber machte das Kreuz über dem Wasser, da ward es fest gleich einem dürren Erdreich. Und Blasius sprach 'Sind nun eure Götter wahre Götter, so lasset mich ihre Gewalt schauen, und gehet her zu mir auf dem Wasser'. Da gingen zu ihm fünfundsechzig Mann, die ertranken alle. Aber der Engel des Herrn kam und sprach 'Blasi, geh von dem Teich und empfahe die Krone, die dir Gott bereitet hat', und da er von dem Wasser ging, sprach zu ihm der Fürst 'Hast du dich gänzlich bedacht, daß du den Göttern nicht willst opfern?' Antwortete Sanct Blasius 'Erkenne, du armer Mensch, daß ich bin ein Diener Christi, darum bete ich keine Teufel an'. Da befahl der Fürst, daß man ihn enthaupte; er aber betete zum Herrn, daß alle Menschen, die da ein Gebresten an ihrer Kehle hätten oder sonst ein Siechtum, und in seinem Namen Gesundheit begehrten, daß sie ihrer Bitte würden gewährt. Da kam eine Stimme vom Himmel, die sprach, daß nach seiner Bitte sollte geschehen. Also ward er enthauptet mit den zwei Kindlein; um das Jahr 287.

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Legenda aurea § Von Sanct Agatha.

,‫־‬wgatha kommt von agios, das ist heilig, und theos, das ist ■41· Gott, und ist soviel wie: Heilige Gottes. Es sind aber

drei Dinge, als Chrysostomos spricht, die einen Heiligen machen, und die waren vollkommenlich in ihr: Reinheit des Herzens, Gegenwart des heiligen Geistes, aller guten Werke Überfluß. Oder Agatha kommt von a, das heißt ohne, und geos, Erde, und theus, Gott: eine Göttin ohne Erde, das ist ohne Liebe zum Irdischen. Oder es kommt von aga, sprechend, und thau, Vollendung: eine, die vollendet und vollkommen spricht; welches wir an den Antworten sehen, die sie gegeben hat. Oder es kommt von agat, das ist Knechtschaft, und thaos, oben: obere Knechtschaft; fo heißt sie weil sie sprach 'Die höchste Freiheit ist die Knechtschaft Gottes'. Oder es kommt von aga, feierlich; und thau, Vollendung: die feierlich Vollendete, das ist: Bestattete; denn die Engel haben sie begraben. ,^sgatha die Jungfrau war edel von Geschlecht und schön -44 von Angesicht und wohnte in der Stadt Catania; und ehrte Gott in großer Heiligkeit. Aber Quintianus der Landpfleger von Sicilien war unedel von Geburt, wollüstig, habgierig und ein Heide; der wollte die edle Magd in seine Gunst zwingen: ihr Adel sollte seinen geringen Stand erhöhen, ihre Schönheit sollte seiner Wollust dienen, ihre Schätze wollte er rauben um seiner Habgier willen; und da er ein Götzenanbeter war, wollte er sie zu der Götter Opfer zwingen. Er ließ fie vor sich führen, und da er ihren Willen unwandelbar sich. Übergab er fie einer Kupplerin, Aphrodisia mit Namen, und ihren neun Töchtern, die alle in Sünde lebten. Die suchten dreißig Tage lang ihren Willen zu verkehren und wollten sie bald mit süßen Worten bald mit Drohungen von ihrem guten Vorsatz bringen; sie aber sprach 'Mein Mut ist auf einen starken Fels gegründet und in Christo gefestet: eure Worte sind mir wie ein Wind, eure Versprechungen sind wie ein Regen, euer Drohen wie ein hinfliesiend Wasser; und wieviel ich angefochten werde, so mag ich doch nicht sallen, denn der Grund meines Hauses steht gar fest'. Mit diesen Worten antwortete sie ihnen alle Tage, und weinte und betete, und sehnte sich nach der Märtyrer Palme. Da nun Aphrodisia sah, daß die Magd in ihrem Vorsatz beharrte, fprach fie zu Quintiano 'Viel leich-

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ter möchtest du Steine erweichen und Eisen so weich wie Blei machen, als diese Jungfrau von Christo bringen'. Da ließ Quintianus sie vor sich fuhren und sprach zu ihr 'Wes Geschlechtes bist du?' Sie antwortete ':Ich bin nicht allein frei geboren, sondern von edlem Geschlecht, wie alle meine Verwandtschaft bezeuget'. Sprach Quintianus 'Wenn du frei und edel bist, warum hältst du dich dann nach Knechtssitten?' Sie antwortete 'Weil ich eine Magd Christi bin, darum bin ich von Knechtssitten'. Sprach Quintianus 'Wie willst du eine Magd sein, so du frei bist?' Sie antwortete 'Die höchste Freiheit erzeigt sich in der Knechtschaft Christi'. Sprach Quintianus 'Wähle zwischen zwei Dingen: opfere den Göttern, oder du mußt mannigerhand Marter leiden'. Sprach Sanct Agatha 'Möge dein Weib fein wie deine Göttin Venus und du felbst wie dein Gott Jupiter'. Da ließ Quintianus ihr Backenftreiche geben und sprach 'Du sollst deinen Richter nicht schelten und mit frechem Geschwätz mühen'. Agatha antwortete 'Ich wundere mich, wie du als ein weiser Mann in solche Torheit magst fallen, daß du die Götter nennest, welcher Leben weder du noch dein Weib möchtest führen; also daß du sprichst, daß ich dich schelte, so ich dich ihnen gleiche. Sind deine Götter gut, so habe ich dir Gutes gewünscht; wenn du aber ihre Gemeinschaft verfluchft, fo sind wir eines Sinnes'. Sprach Quintianus 'Was soll der ungestüme Fluß deiner Rede? Opfre den Göttern oder ich töte dich mit schwerer Pein'. Antwortete Agatha 'Lässest du wilde Tiere auf mich: fo werden fie zahm, wenn fie den Namen Christi hören; droheft du mir Feuer: so werden die Engel mir helfen mit himmlischem Tau; willft du mich schlagen und mir andre Marter tun: des heiligen Geistes Macht läßt mich das alles für nichts achten'. Da gebot er, daß man sie ins Gefängnis führe, denn fie machte ihn mit ihren Reden vor dem Volke zum Spott. Tiber sie ging fröhlich in den Kerker, als sei sie zu einem Mahle geladen, und empfahl ihren Streit Gott dem Herrn. Des anderen Tages sprach zu ihr der Richter 'Schwöre Christum ab und bete die Götter an'. Das wollte sie nicht tun; da ließ er sie aufhängen in der Folter und martern. Sprach Agatha 'Itch hab in dieser Pein so große Wollust und Freude, als einer, der eine gute Botschaft hört; oder als einer, der einen Freund erschaut, den er lange hat ersehnt; oder als einer, der einen großen Schatz hat gefunden. Denn der Weizen kann nicht in

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die Scheuer kommen, wenn die Hülse nicht kräftig gewalkt ist und zu Spreu ist worden: also kann meine Seele nicht ins Paradies eingehen mit der Marterpalme, wenn du meinen Leib nicht recht von den Henkern lässest zernichten'. Da ward Quintianus zornig und hieß ihr die Brüste peinigen und nach langer Pein abschneiden. Sprach Sanct Agatha 'Du greulicher, gottloser Wüterich, schämst du dich nicht, daß du an einem Weibe lässest abschneiden, was du selber an deiner Mutter gesogen hast? Aber wisse, daß ich noch ganze Brüste habe in meiner Seele, daraus ich alle meine Sinne speise, die ich von Jugend auf Gott habe geweiht'. Da hieß er sie wieder in den Kerker führen, und gebot, daß kein Arzt zu ihr dürfe eingehen, noch dürfe ihr jemand Wasser reichen oder Brot. Aber siehe, um Mitternacht kam zu ihr ein alter Mann, der war beladen mit mannigerhand Arznei, dem trug ein Kindlein ein Licht vor. Und der Greis sprach zu ihr 'Der Richter hat dir schwere Marter angetan, aber du hast ihn noch mehr gepeinigt mit deinen Antworten. Er hat dir die Brüste lassen abschneiden, doch sein Brüsten soll auch in Bitterkeit verkehrt werden. Aber ich war dabei, wie du littest, und sah, daß deine Brüste mögen geheilt werden'. Antwortete Sanct Agatha 'Och brauchte nie leiblicher Heilmittel, und es wäre ein Schimpf, zu lassen, was man so lange hat gehalten'. Sprach zu ihr der Greis 'Tochter, du sollst dich nicht vor mir schämen, denn ich bin ein Christ'. Antwortete Agatha 'Warum sollte ich mich schämen, da du ein Greis bist und hochbejahrt, und ich so gar zerzerret bin und übel gehandelt an meinem Leib, daß niemand Lust daran möchte gewinnen. Doch danke ich dir, mein Vater, daß du zu mir gekommen bist und deine Sorge zu mir hast gewendet'. Sprach der Alte 'Warum willst du nicht, daß ich dich gesund mache?' Sie antwortete 'Ich habe meinen Herrn Jesum Christum, der alle Kreaturen mit einem Worte gesund machet und mit seiner Rede alles erneuet: will der, so mag er mich zustund gesund machen'. Da lächelte der Greis und sprach 'Ich bin deines Herrn Apostel, er hat mich selber zu dir gesandt; davon so wisse, daß du in seinem Namen bist gesund worden'. Damit war Sanct Peter verschwunden. Da fiel Sanct Agatha nieder und dankte unserm Herrn; und empfand sich gesund allenthalben, und stunden die Brüste wieder an ihrem Leib. Nun waren die Wächter geflohen, da sie das helle Licht sahen, und hatten die Tür des Kerkers

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offen gelassen; da kamen etliche und baten sie, daß sie entfliehe. 'Das sei ferne' sprach sie, 'daß ich fliehe und die Krone meines Leidens verliere, und meine Wächter bringe in Not und Pein'. Darnach über vier Tage sprach zu ihr Quintianus, sie solle den Abgöttern opfern, oder sie müßte noch größere Pein leiden. Agatha antwortete 'Deine Worte sind eitel und ohne Sinn, sie verpesten die Luft und sind böse. Du armer Mensch an Sinnen und Gedanken, heißest du mich den Herrn des Himmels verleugnen, der mich geheilt hat, und willst, daß ich tote Steine anbete?' Sprach Quintianus 'Wer hat dich geheilet?' Sie antwortete 'Christus, Gottes Sohn'. Sprach Quintianus 'Nennest du mir den, des Namen ich nicht will hören?' Agatha sprach 'So lange ich das Leben habe, will ich Christum mit Herzen und mit Lippen preisen'. Da sprach der Richter 'Nun will ich besehen, ob dich Christus möge gesund machen'. Und ließ glühende Kohlen bereiten und darauf spitze Scherben werfen, und hieß die Jungfrau bloßen Leibes darauf wälzen. Als fie das taten, siehe, da geschah ein großes Erdbeben, das erschütterte die Stadt also, daß ein Teil niederfiel und zwei Ratsherren des Quintianus erschlug. Da lief das Volk zu Hauf und schrie vor dem Richter, dies Leiden komme über sie um der unschuldigen Pein willen, die er Sanct Agatha antäte. Da fürchtete Quintianus das Erdbeben und den Aufstand des Volkes und ließ Agatha wieder ins Gefängnis führen. Da kniete sie nieder und betete 'Herr Jesu Christe, du hast mich erschaffen und mich von Kind auf behütet, du hast meinen Leib in Reinigkeit behalten und hast die Liebe zur Welt von mir genommen, du hast mir Kraft und Geduld gegeben, daß ich alle Marter hab überwunden: so nimm nun meinen Geist auf und laß mich zu deiner Barmherzigkeit eingehen'. Nach diesem Gebet gab sie ihren Geist gen Himmel mit lautem Rufen. Das geschah nach der Geburt unsres Herrn um das Jahr 253, da Decius Kaiser war. § Als aber die Christen ihren Leib mit Wohlgerüchen begruben und ihn in die Gruft legten, siehe da kam ein Jungling in seidenem Gewand mit mehr denn hundert schönen, wohlgezierten Männern in weisien Kleidern, die man noch niemals daselbst hatte gesehen; der ging zu dem Leichnam und setzte eine Marmortafel zu seinen Häupten, und war alsbald verschwunden. Auf der Tafel aber stund geschrieben 'Heilig der Geist und willig, Gott die Ehre, Rettung dem Land'. Das will sagen: Sie war

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Von Sanct Vedastus

heilig im Geist, willig bot sie sich zur Marter, Gott gab sie die Ehre, und errettete ihr Land. Von diesem großen Zeichen hüben auch die Heiden und die Juden an das Grab zu ehren mit großer Andacht. § unter diesen Dingen fuhr Quintianus hin, daß er das Gut an sich nehme, das Sanct Agatha hinter sich hatte gelassen. Da geschah es, daß auf der Fahrt seine beiden Rosse wild wurden; das eine biß ihn, das andre schlug ihn mit dem Huf, daß er in den Fluß fiel; und ward sein Leichnam nimmermehr gefunden. § Darnach über ein Jahr, an dem Tag, da Sanct Agatha geboren ist, geschah es, daß ein großer Berg nahe der Stadt mit Feuer ausbrach, und das Feuer kam wie ein Gießbach den Berg herab, schmolz Stein und Erde, und kam mit großem Ungestüm wider die Stadt. Da liefen die Heiden von dem Berg und flohen zu Sanct Agathen Grab, und nahmen den Schleier, damit das Grab bedeckt ist und trugen ihn wider das Feuer. Da stund das Feuer, und ging nicht weiter. Das war an dem Tag von Sanct Agathen Geburt. § Ambrosius spricht von ihr in seiner Praefatio 'Selige, hochberühmte Jungfrau, die da zum Lob des Herrn ihr Blut durfte ausgießen, du bist mit doppelter Zier geschmückt, in deinen Leiden geschahen alle Wunder, und der Apostel des Herrn kam und heilte dich. Also wardst du Christo vermählt gen Himmel genommen; deinen irdischen Überresten ward hohe Ehre zuteil, der Engel Chor verkündete die Heiligkeit deiner Seele und deines Landes Befreiung'.

§ Von Sanct Vedastus.

edastus ist soviel als vere dans aefrus, der da wahrlich Hitze giebt; weil er sich wahrlich eine Hitze machte der Reue und Buße. Oder es heißt vaeh distans, fernes Weh, weil das ewige Weh fern von ihm ist; denn die Verdammten werden rufen ohn Unterlaß Weh: Weh, daß ich Gott habe beleidigt; Weh, daß ich dem Teufel bin nachgefolgt; Weh, daß ich bin geboren; Weh, daß ich nicht mag sterben; Weh, daß ich also große Pein muß leiden; Weh, daß ich ihrer niemals mag ledig werden. edastus ward von Sanct Remigius zum Bischof von Arras geordnet. Als er zu der Stadt kam, sah er zwei Bettler am Stadttor sitzen, einen Blinden und einen Lahmen; die baten ihn um ein Almosen. Da sprach er 'Ich habe nicht Gold noch Silber, doch so geb ich euch, was ich habe'

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Von Sanct Amandus

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und betete über ihnen; da wurden die beiden alsbald gesund. § Es war eine Kirche gar verlassen, die war ganz mit Dornen überwachsen, darin hauste ein Wolf; dem gebot Sanct Vedafrus, daß er entwiche und nimmer wiederkehre; das geschah auch, wie er geboten hatte. § Da er vierzig Jahre in seinem Bistum hatte gewirkt, und mit Worten und Werken manchen Menschen hatte bekehrt, da sah er eine feurige Säule vom Himmel herab sich senken in sein Haus. Da erkannte er, daß sein Ende nahe sei; und nicht lange darnach entschlief er in Frieden, um das Jahr des Herrn 550. § Da sein Leib zu Grabe ward geleitet, klagte ein Greis, Audomatus mit Namen, der vor Alter blind war, daß er den Leichnam des Bischofs nicht möge sehen; alsbald ward er sehend, darnach aber wieder blind, wie er es hatte begehret.

§ Von Sanct Amandus. -‫*־‬smandus hat seinen Namen davon, daß er gar liebens-ciwert war. Denn er hatte die drei Dinge in sich, die einen

Menschen liebenswert machen. Das ist erstlich treue Freundschaft: davon heißt es 'Der Mann, des Gesellschaft genehm ist, ist ein besserer Freund denn ein Bruder' (Proverb. 18, 24). Das andre ist ein ehrsamer Wandel; dies ist geschrieben von Esther 'Denn sie war lieblich anzuschauen aller Augen' (Esth. 2, 15). Das dritte ist Rechtschaffenheit und Tugend; davon heißt es 'Saul und Janathas lieblich und schön in ihrem Leben' (2. Reg. 1, 13). -‫־‬wntandus war geboren von edelem Geschlecht; und ging -ctin ein Kloster. Es geschah, daß er durch das Kloster wandelte; da begegnete ihm eine gar große Schlange. Da machte er das Kreuz über ihr und sprach sein Gebet; und zwang sie also, daß sie wieder in ihre Höhle ging und nimmer mehr mochte wieder kommen. Er kam auch zu Sanct Martini Grab und wohnte daselbst fünfzehn Jahre; und war gekleidet mit einem härenen Hemd und trank nichts anderes denn Waffer und aß Gerstenbrot. Hienach fuhr er gen Rom und blieb einst über Nacht in Sanct Peters Münster. Da fand ihn der Küster und trieb ihn unwürdiglich aus. Als er nun vor der Kirchentür schlief, erschien ihm Sanct Peter, und gebot ihm, daß er nach Gallien ziehe. Also tat er auch. Daselbst geschah es, daß er den König Dagobertus einst strafte um seine Missetat; da ward der König zornig und

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Von Sanct Amandus

trieb ihn aus dem Reich. Nun hatte der König keinen Sohn; aber da er Gott mit großer Andacht darum bat, ward ihm seine Bitte gewährt. Darnach gedachte er, wer das Kind taufen sollte; da kam ihm in den Sinn, daß es von Sanct Amandus die Taufe solle empfangen. Also hieß er den Heiligen suchen und vor sich führen; und fiel ihm zu Füßen und bat ihn, daß er ihm wolle verzeihen, und den Sohn taufen, den ihm Gott geschenkt hatte. Zu dem ersten war Sanct Amandus gar willig und vergab ihm mit großer Güte; das andere aber wollte er nicht tun, denn er fürchtete, daß er mit weitlichen Dingen sollte gemühet werden, und ging hinweg. Zuletzt aber ward er doch von den Bitten des Königs überwunden und taufte das Kind. Und da er es taufte, und die andern alle schwiegen, antwortete das Kind Amen. Darnach machte der König ihn zum Bischof von Maestricht. Aber als er fah, daß seine Predigt daselbst nicht geachtet ward, fuhr er gen Gasconien. Da geschah es, daß ein fahrender Spielmann mit Worten seiner spottete; der ward alsbald von dem bösen Geist besessen, und zerrte mit seinen Zähnen sich selbst das Fleisch von seinem Leib und schrie 'Ich habe gesündigt an dem Heiligen Gottes'; und starb alsbald jämmerlich. § Als Amandus sich einst die Hände wusch, ließ ein Bischof das Wasser aufheben: und siehe, ein Blinder ward von dem Wasser geheilt. § Sanct Amandus wollte einsmals ein Kloster bauen mit des Königs Gunst und Willen. Hiewider war ein Bischof von der nächsten Stadt, und schickte seine Knechte aus, daß sie Amandum töteten oder vertrieben. Die Knechte kamen zu Sanct Amando und sprachen listiglich 'Geh mit uns auf jenen Berg, da wollen wir dir eine Stätte zeigen, da du dein Kloster bauen magst'. Amandus erkannte ihre Bosheit wohl, aber er ging mit ihnen, denn ihn verlangte nach dem Martyrium. Sie kamen auf den Gipfel des Bergs, da sie ihn töten wollten: aber siehe, da ging ein solches Unwetter und Regen über den Berg, daß sie einander nicht mehr mochten sehen. Da verzagten die Knechte an ihrem Leben und fielen vor Sanct Amando nieder und bekannten ihre Missetat, und baten, daß er sie lebendig von dem Berge ließe kommen. Also sprach er sein Gebet; da ward alsbald ein schön klar Wetter, und kehrten die Knechte heim. Also entrann Sanct Amandus dem Tode. § Darnach tat er noch viel andere Wunder und Zeichen und schied in Frieden von dieser Welt. Er lebte aber um das Jahr 653, zur Zeit des Kaisers Eraclius.

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§ Von Sanct Valentinus.

alentinus ist soviel wie valorem tenens, das will sagen: einer, der in der Heiligkeit beharrt. Oder es heißt valens tiro, starker Kriegsknecht, das ist: ein Streiter Christi. Ein Kriegsknecht aber heißt stark, so er nimmer fällt, kräftiglich zuschlägt, tapfer sich verteidiget, und den Sieg davonträgt. Also ist Valentinus niemals gefallen, da er das Martyrium niemals hat geflohen; er schlug die Abgötter, da er sie ausrottete; er verteidigte den Glauben, da er ihn festigte; er erlangte den Sieg, indem er litt. alentinus war ein ehrsamer Priester, den hieß Claudius der Kaiser vor sich führen und sprach 'Valentine, warum wirfst du nicht von dir den :Irrglauben der Christen und betest unsre Götter an, daß du mögest genießen unsrer kaiserlichen Freundschaft?' Antwortete Valentinus 'Kaiser, wäre dir Gottes Gnade kund, du sprächest nicht also: du kehrtest deinen Sinn von den Abgöttern und betetest den wahren Gott an, der in dem Himmel ist'. Da sprach einer, der dabeistund 'Was sagst du, Valentine, von der Heiligkeit unsrer Götter?' Antwortete Valentinus 'Ich sage von ihnen nichts, als daß sie gewesen sind arme Menschen voll aller Unreinigkeit und Sünden'. Sprach Claudius 'Wenn Christus wahrer Gott ist, warum sagest du mir die Wahrheit nicht?' Antwortete Valentinus 'Christus ist allein der wahre Gott; glaubst du an den, so wird deine Seele gerettet, dein Reich gemehrt, du siegst über alle deine Feinde'. Da wandte sich der Kaiser zu denen, die bei ihm stunden, und sprach 'Hört, ihr Männer von Rom, wie gut und weislich dieser Mann redet'. Aber der Richter sprach 'Ach weh, der Kaiser ist verführet; wie follten wir lasfen, was wir von Kind auf haben gehalten'. Davon ward des Kaisers Sinn gewendet. Valentinus aber ward einem Fürsten in seine Hut gegeben; da er in des Haus trat, sprach er 'Herr Jesu Christe, du wahres Licht, ich bitte dich, daß du dieses Haus erleuchtest, daß dich als den wahren Gott erkennen alle, die darin wohnen'. Da sprach der Fürst 'Mich wundert, ob Christus ein Licht sei, als du sagst; darum versuche, ob dein Christus meine Tochter erleuchten mag, die schon lange blind ist; vermag er das, so will ich alles tun, was du gebietest'. Also bat Sanct Valentinus für die Tochter; und fie empfing von Stund an ihr Geficht. Da wurden alle in dem Hause gläubig. § Darnach

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Von Sanet Iuliana

befahl der Kaiser, daß man ihm das Haupt abschlüge. Das geschah um das Jahr 280.

§ Von Sanct Juliana. uliana war dem Eulogius verlobt, der war ein Richter zu Nicomedia in der Stadt; aber sie wollte ihm nicht vermählt werden, es wäre denn, daß er Christenglauben empfinge. Darum ließ ihr Vater sie nackend ausziehen und schwerlich schlagen, und also dem Richter überantworten. Der sprach zu ihr 'Liebste Juliana mein, warum hast du mein also gespottet, daß du mich hast von dir gewiesen?' Juliana antwortete 'Wenn du meinen Gott anbetest, so will ich deinen Willen tun; anders wirst du nimmermehr über mich Herr sein'. Er sprach 'Liebste Herrin mein, täte ich das, so schlüge mir der Kaiser das Haupt ab'. Antwortete Juliana 'Fürchtest du also den irdischen Kaiser, wie muß ich erst fürchten den himmlischen Kaifer? Darum so tu was du willst, du magst mich nicht betrügen'. Da hieß der Richter sie schwerlich mit Ruten schlagen und den halben Tag an den Haaren aufhängen, und hieß ihr flüssiges Blei auf ihr Haupt gießen; das mochte ihr alles keinen Schaden tun. Alfo ward sie mit Ketten gebunden und in den Kerker geworfem Da erschien ihr ein Teufel in eines Engels Gestalt und sprach 'Juliana, ich bin ein Engel von Gott zu dir gesandt, daß ich dich bewege, den Abgöttern zu opfern; denn du follst nicht fürder also gepeinigt werden und nicht also jämmerlich sterben'. Da weinte Juliana und betete also 'Herr mein Gott, laß mich nicht verderben, sondern tu mir kund, wer der sei, der mir solche Dinge rät'. Und es kam eine Stimme vom Himmel, die sprach: sie sollte ihn greifen und ihn zwingen, daß er ihr sage, war er wäre. Da fing sie ihn und fragte ihn, wer er sei. Er antwortete 'Ich bin ein Teufel, von meinem Vater hergesandt, daß ich dich solle betrügen'. Juliana sprach 'Wer ist dein Vater?' Er antwortete 'Das ist Beelzebub, der sendet uns zu allen bösen Werken, und schlägt uns sehr, wenn wir von den Christen überwunden werden; so weiß ich nun, daß ich zu meinem Unglück bin herkommen, darum daß ich dich nicht mochte überwinden'. Und unter anderen Dingen, die er bekannte, so sagte er auch, daß die bösen Geister am fermsten müßten fliehen von dem Menschen, so er Messe höre, und wann man bete oder pre-

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Von Sanct Peters Stuhl

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dige. Darnach band Juliana dem Teufel die Hände auf den Rücken und warf ihn nieder zur Erde, und schlug ihn gar hart mit der Kette, damit sie selber gebunden war. Der Teufel aber schrie und bat 'O Juliana, liebste Herrin, erbarme dich über mich'. § Nun befahl der Richter, daß man Juliana aus dem Kerker führe. Da ging sie heraus und zog den Teufel gebunden nach sich. Der flehte sie an und sprach 'Juliana, Herrin, ich bitte dich, laß mich nicht so gar zu Spotte werden vor den Menschen, denn ich mag sonst hinfort keine Gewalt mehr haben über irgend einen. Nun fagt man doch, daß die Christen mitleidig sind, aber bei dir ist kein Erbarmen'. Sie aber zog den Teufel fest nach sich und zog ihn über

den ganzen Markt, und warf ihn zuletzt in eine Latrine. § Da fie nun vor den Richter kam, ward fie so greulich auf ein Rad gespannt, daß ihre Gebeine brachen und das Mark herausfloss Aber ein Engel kam und zerstörte das Rad und machte die Jungfrau alsbald gesund. Davon wurden gläubig alle, die es sahen; aber der Richter ließ ihrer 500 enthaupten und 130 Frauen. Hienach ward sie in einen Kessel gesetzt voll siedenden Bleies; darin saß sie als in einem kühlen Bad. Da fluchte der Richter seinen Göttern, daß sie ihm nicht wollten zu Hilfe kommen und die Magd strafen, von der alle Abgötter fo große Schande litten. Darnach gebot er, daß man sie enthaupte. Da erschien der Teufel, den sie geschlagen hatte, in eines Junglings Gestalt, der schrie und sprach ':Ihr sollt die Magd nicht schonen, die eure Götter hat geschmäht, und mich diese Nacht also hat geschlagen: darum so gebt ihr den Lohn, den sie verdient hat'. Da hub Juliana ein wenig ihre Augen auf, daß sie sähe, wer der wäre, der diese Worte spräche. Als das der Teufel sah, floh er und schrie 'Ach, ich Armer, wo soll ich hinfliehen? Mich dünkt, sie wolle mich wieder sahen und binden'. § Nun ward Sanct Juliana enthauptet. Der Richter aber fuhr auf das Meer mit 34 Mannen. Da kam ein großes Ungewitter, daß sie alle ertranken. Und das Meer warf ihre Leiber an den Staden, da kamen die wilden Tiere und Vögel und aßen die Leichen. § Von Sanct Peters Stuhl. tuhl mag sein von dreierlei Art. Das erste ist der Stuhl königlicher Würdigkeit; davon ist geschrieben im 2. Buch der Könige 'David saß auf dem Stuhl' (2. Reg.

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Von Sanet Peters Stuhl

23, 8). Das andre ist der Stuhl priesterlicher Würdigkeit; davon ist geschrieben im 1. Buch der Könige 'Heli, der Priester, saß auf dem Stuhle' (1. Reg. 1, 9). Das dritte ist der Stuhl des Lehrers; davon schreibt Matthaeus, daß die Schriftgelehrten und Pharisäer saßen auf dem Stuhle Moysis (Matth. 23,2). Die Stühle hat Sanct Peter alle besessen; den ersten, da er ein Fürst war aller Könige dieser Welt; den andern, da er ein Hirt war über alle Priester; den dritten, da er ein Lehrer war aller Christenheit. anct Peters Stuhl wird von der Kirche feierlich begangen, weil an diesem Tage Sanct Peter zu Antiochia, als man schreibt, mit großen Ehren ward erhöhet auf den bischöflichen Stuhl. Und sind vier Sachen, darum dieses Fest ist aufgesetzt. § Die erste ist: Da Sanct Petrus predigte in dem Lande zu Antiochia, sprach zu ihm Theophilus, der Herr der Stadt 'Peter, warum verkehrest du mir mein Volk?' Als aber Petrus ihm von Christo predigte, hieß er ihn gebunden in das Gefängnis legen ohne Speife und Trank. Nun war Petrus dem Tode nah; da sammelte er noch einmal alle Kraft, und hub seine Augen auf gen Himmel und sprach 'Jesu Christe, Nothelfer aller armen Menschen, hilf mir, daß ich nicht verderbe in dieser Betrübnis'. Da antwortete der Herr und sprach 'Petre, wähnest du, daß ich dich habe verlassen? Du tust meiner Güte Unrecht, wenn du solches von mir magst sprechen. Denn wisse, der dir helfen soll, ist nimmer fern'. Es hatte aber Sanct Paulus vernommen, daß Sanct Petrus gefangen läge. Darum ging er hin zu Theophilo und gab sich aus, wie er ein großer Meister wäre in allen Künsten; er könne in Holz und in Tafeln schneiden und schnitzen, und könne Zelte bemalen, und viel andres dergleichen. Da bat ihn Theophilus mit Fleiß, daß er bei ihm bleibe und an seinem Hofe wohne, über etliche Tage kam Sanct Paulus heimlich in den Kerker, da Sanct Peter lag; und sah, wie er ganz von Kräften war und nahe tot. Da weinte er bitterlich und umarmte ihn mit großen Schmerzen und sprach 'O Peter lieber Bruder; du mein Ruhm und meine Freude, ander Teil meiner Seelen, empfange von meinem Kommen wieder Kraft'. Da hub Sanct Peter seine Augen auf und erkannte Paulum, und weinte; aber sprechen mochte er nicht von großer Unkraft. Und Paulus ging hin und flößte ihm Speise ein, und konnte ihm kaum seinen Mund öffnen. Als

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aber Petrus sich mit der Speise erkräftigt hatte, fiel er Paulo in die Arme, und sie weinten beide mit einander. Darnach ging Sanct Paulus gar heimlich wieder aus dem Kerker und kam zu Theophilo und sprach 'Guter Theophilus, groß ist dein Ruhm und deine Höfischkeit, die Schwester der Ehre. Aber ein kleines übel entehret so großes Gut: gedenke, was du jenem Gottesdiener hast getan, der Petrus ist genannt, als sei das ein groß Ding. Denn siehe, er war arm von Gewand, häßlich, mager und schnöde an seinem Leib, und allein edel an seiner Rede. Wie mochtest du den ins Gefängnis werfen? Ließest du ihn ledig, er möchte dir nütze sein; denn ich habe gehört, daß er die Siechen gesund macht und die Toten lebendig'. Antwortete Theophilus 'Was du mir sagst, sind Märlein, o Paule, denn möchte er die Toten erwecken, er hätte sich selber aus den Banden gelöst'. Sprach Paulus 'Ich habe gehört, daß ihr Gott Christus von dem Tode erstund und doch nicht von dem Kreuze wollte gehn; also will vielleicht auch dieser Petrus sich seiber nicht erlösen, sondern für feinen Christus leiden'. Da sprach Theophilus 'So gehe hin und sage ihm, daß er meinen Sohn von den Toten erwecke, der ist vierzehn Jahre tot; tut er das, so will ich ihn ledig lassen'. Also ging Paulus in den Kerker und sagte Petro, wie er dem Fürsten gelobt habe die Erweckung des Sohnes. Antwortete Petrus 'Paule, du hast ein schwer Ding gelobt; doch ist es der Gotteskraft gar leicht'. Also führte man Petrus aus dem Kerker und öffnete das Grab; da sprach Sanct Peter sein Gebet und der Jungling erstund vom Tode. § Dies alles erscheint nicht gar glaublich; weder, daß Paulus solcher weitlicher Klugheit sich befliß und folcher Kunstfertigkeit sich fälschlich rühmte, noch, daß das Urteil über den Jungling vierzehn Jahre sei aufgehalten worden. § Theophilus aber ward gläubig und mit ihm alles Volk von Antiochia und viel andrer Menschen, und bauten eine schöne Kirche, darein setzten sie einen hohen Stuhl und setzten Sanct Peter darauf, damit er von allem Volk möchte gehört und gefehen werden. Da saß er in Würdigkeit und Ehren sieben Jahr; darnach fuhr er gen Rom und faß auf dem römischen Stuhl fünfundzwanzig Jahr. Aber die Kirche feiert nur jene erste Erhöhung, weil damals die Kirchenfürsten zuerst an Sitz, Gewalt und Namen erhöhet wurden. Da ward erfüllt, was in dem Psalter ist geschrie-

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ben 'Sie werden ihn erhöhen in der Kirche des Volks und werden ihn loben in dem Stuhl der Alten' (Psi 106, 32). § Hier sollen wir merken, daß es drei Kirchen sind, in denen Sanct Peter erhöhet ward: die Kirche der Streitenden, die Kirche der Bösen und die Kirche der Triumphierenden. In jeglicher ward er erhöhet, darum feiert die Kirche dreimal des Jahres sein Fest. Er ist zum ersten erhöhet in der Kirche der Streitenden, deren Fürst er ist, und die er im Geist, im Glauben und in Tugenden würdiglich regieret: das ist die Feier, die wir heute begehen, und heißt Stuhlfeier, da er zu Antiochia in die bischöfliche Gewalt gesetzt ward, und daselbst die Kirche sieben Jahre würdiglich regierte. Er ist auch erhöhet in der Kirche der Bösen, die er selber zerstört hat und zum Glauben bekehrt: dies begehen wir an Petri Kettenfeier, denn an diefem Tage zerftörte er die Kirche der Bösen und bekehrte viele zum Glauben. Zum dritten ist er erhöht in der Kirche der Triumphierenden, weil er selig zu ihr ist eingegangen: das begehen wir an dem Tage seiner Marter, da er erhöhet ward in die Gemeinschaft der Seligem Daß wir aber ihn dreimal feiern im Jahre, des sind noch viel andere Ursachen. § Das erste ist, daß er sonderlich begabt ist über die anderen Heiligen in drei Stücken; darum ehrt ihn die Kirche dreimal des Jahres: er war höher als die andern in Würdigkeit, denn er war der Apostel Fürst und empfing die Schlüffe! zum Himmelreich; er hatte größere Minne zu Christo denn die andern, davon uns viel im Evangelio ist geschrieben; er war gnadenreicher an Kräften denn die andern, denn der Schatten, den er gab, machte die Siechen gesund; davon wir in der Apostel Geschichte lesen. § Das andre ist, daß er das oberste Amt hatte über die ganze Christenheit. Denn da die Kirche in drei Teile der Welt ist ausgebreitet: in Asia, Africa und Europa, und Sanct Peter über dies alles der oberfte Fürst und Prälat ist gewesen, so feiert man sein Fest dreimal des Jahres. § Das dritte ist die große Wohltat, die er uns tm, da er die Gewalt empfangen hat zu binden und zu lösen; also hilft er uns von dreierlei Sünde: die wir in Gedanken tun, in Worten und in Werken; oder die wir begehen wider Gott, wider unfern Nächsten und wider uns selbst. Die Wohltat, die der Sünder durch die Gewalt der Schlussel in der Kirche empfängt, ift auch dreifach: Verkündigung des Ablaffes der Sünde, Wandlung

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der ewigen Strafe in zeitliche, Vergebung eines Teiles der zeitlichen Strafe; auch um diefe dreifältige Wohltat ist Sanct Peter dreifältig zu ehren. § Das vierte ist, daß wir hoch in seiner Schuld stehen um drei Dinge: denn er speist und weidet uns mit seinem Wort; mit seinem Beispiel; mit zeitlicher Hilfe oder mit der Kraft seiner Fürbitte; auch um deswillen sollen wir ihn dreimal ehren. § Das fünfte ist sein Beispiel; denn kein Sünder soll verzweifeln, auch wenn er Gott dreimal verleugnete, wie Petrus tat: so er doch gleich Petro Gott wieder bekennen will mit Herz und Mund und mit guten Werken. § Die andere Sache, darum wir dieses Fest feiern, lesen wir in dem Itinerarium Clementis. Petrus predigte das Wort Gottes, und da er kam nahe der Stadt Antiochia, da ging ihm das Volk entgegen barfuß aus der Stadt in härenen Kleidern und hatten Afche auf ihr Haupt gestreut, und begehrten Gnade dafür, daß sie mit Simon dem Magier wider Sanct Peters Lehre hatten gelebt. Da aber Petrus ihre Reue sah, dankte er Gott, und sie führten alle Siechen zu ihm und alle, die von dem Teufel besessen waren. Und er ließ sie vor sich hinlegen zu seinen Füßen und rief Gott an mit großer Andacht: da erschien ein großes Licht, und die Menschen wurden alle gesund, und liefen ihm nach und küßten die Spuren seiner Füße. Also empfingen in sieben Tagen mehr denn zehntausend Menschen die Taufe, und Theophilus, der Fürst der Stadt, ließ sein Haus zu einer Kirche weihen und ließ darin Petro einen hohen Stuhl bereiten, daß alle ihn sähen und hörten. Solches widerspricht nicht dem, was oben gesagt ist; sondern es mag wol geschehen sein, daß Petrus durch Pauli Hilfe von Theophilo und der ganzen Stadt würdiglich ward aufgenommen; darnach aber, als er von hinnen zog, kam Simon der Magier und verkehrte das Volk, und reizte es wider Sanct Peter; also tat es wiederum Buße und empfing ihn mit großen Ehren. § Petri Stuhlfeier wird auch Petri Mahl genannt, und das ist die dritte Sache, darum es eingesetzt ward. Denn es schreibt uns Meister Johannes Beleih: Es war eine Gewohnheit der Heiden von alters her, daß sie an einem gewissen Tage im Monat Februar Speisen auf die Gräber ihrer Vorfahren ftellten, die wurden dann des Nachts von den bösen Geistern gegessen, die Heiden aber glaubten, daß sie von den Seelen würden verzehrt, die um die Gräber irrten, und die von ihnen

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Schatten genannt waren. Denn nach der Gewohnheit der Alten waren die Seelen, fo sie noch in den Leibern wohnten, Seelen genannt; fuhren sie in die Hölle, so hießen sie Manen; fuhren sie gen Himmel, so hießen sie Geister; waren sie aber noch nicht lang gestorben und irrten noch um die Gräber, so wurden sie Schatten genannt. Diese Gewohnheit der Totenmähler mochte auch unter den Christen kaum ausgetilgt werden. Das sahen die heiligen Väter an und setzten an dieses Festes Statt Petri Stuhlfeier zu Rom und zu Antiochia. Also kommt es, daß noch bis auf den heutigen Tag dieses Fest von etlichen Petri Mahl genannt wird, da es auf denselben Tag fällt wie das alte Totenmahl. § Zum vierten ist dieses Fest aufgesetzt, daß geehrt werde die priesterliche Krone. Denn es ist zu wissen, daß, als etliche schreiben, die priesterliche Tonsur an diesem Tage ihren ersten Anfang nahm. Denn da Sanct Peter predigte zu Antiochia, ward ihm zu Schmach und Spott des christlichen Namens das oberste Haar seines Hauptes abgeschnitten. Seitdem tragen alle Priester Platten, und ward der ganzen Priesterschaft das zu einer Ehre gewendet, das dem Apostelfürsten um Christi Namen zu einer Schmach geschehen war. Bei der priesterlichen Krone selbst aber merken wir drei Dinge: das Scheren des Haupts, das Stutzen der Haare, und die Kreisesform. Das Haupt wird an seinem oberen Teil geschoren, aus drei Gründen. Zwei davon lesen wir bei Dionysius in der Hierarchie Ecclesiastica: das Abscheren der Haare bezeichnet ein reines aber unschönes Leben; denn aus dem Abscheren des Haars oder dem Rasieren des Haupts folgen diefe drei: Bewahrung der Reinigkeit, Ungestalt, und Blöße. Bewahrung der Reinigkeit: denn das lange Haar sammelt auf dem Haupte Unsauberkeit; Ungestalt: denn das Haar ist eine Zier des Menschen; also bezeichnet die Platte ein reines aber ungestaltes Leben, weil die Priester Reinigkeit des Sinnes sollen haben innerlich, und äußerlich ein ungestalt Wesen, das ist ein Wesen ohne Zier. Die Blöße aber bedeutet, daß zwischen dem Priester und Gott kein Mittel soll sein, sondern daß sie sich unmittelbar Gott mögen vereinen und seine Herrlichkeit ohne Schleier mögen schauen. Das übrige Haar wird aber gestutzt, daß man daran merke, daß der Priester von seinem Sinn alle überflüssigen Gedanken müsse abschneiden, und sein Ohr allezeit bereit und aufgeschlossen soll haben, das

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Wort Gottes zu vernehmen; alfo soll er alles Zeitliche gänzlich von sich halten, außer was zu des Lebens Notdurft gehört. Die Tonsur hat Kreisesform aus mancherlei Ursach. Erstlich zu einem Zeichen, wie diese Form weder Anfang noch Ende hat, so hat auch der weder Anfang noch Ende, dem der Priester dient. Zum andern hat die Figur des Kreises keine Winkel, und das bedeutet, daß der Priester keine Unsauberkeit in seinem Leben soll haben: 'Denn wo ein Winkel ist, da ist Unreinigkeit' spricht Sanct Bernhard. Auch soll der Priester wahrhaft sein in seiner Lehre: 'Denn die Wahrheit liebt keine Winkel' spricht Sanct Hieronymus. Zum dritten ist der Kreis aller Figuren schönste; wie denn Gott die Himmelslichter in Kreises Gestalt hat geschaffen. Das bedeutet, daß der Priester innerlich Schönheit habe in seinem Herzen und äußerlich in seinem Wandel. Zum vierten ist der Kreis die einfachste aller Figuren. Denn Augustinus spricht, daß keine Figur wird von einer einzigen Linie gebildet, außer dem Kreis, der wird von einer einzigen Linie umschlossen. Das bedeutet, daß der Priester die Einfalt der Tauben soll haben, wie geschrieben steht 'Seid einfältig wie die Tauben' (Math. 10, 16).

§ Von Sanct Mathias dem Apostel. athias ist hebräisch und heißt: der von Gott gegeben ist; oder: Geschenk des Herrn; oder: der Kleine, Niedrige. Er war von Gott gegeben; denn der Herr erwählte ihn aus der Welt, und bezeichnete ihn unter zweiundsiebenzig Jungerm Er war ein Geschenk Gottes; da er, vom Los bestimmt, unter die Apostel gezählet ward. Er war klein und niedrig, weil er immer in wahrer Niedrigkeit lebte. Es ist aber dreierlei Niedrigkeit, als uns Ambrosius schreibet; eine ist von Trübsal und kommt von außen: so einer wird erniedriget; die andre ist aus der Betrachtung und kommt von innen: so einer sich selbst betrachtet; die dritte ist von Andächtigkeit: und kommt aus der Erkenntnis Gottes. Die erste hatte Mathias, da er das Martyrium litt; die zweite, da er sich selbst verachtete; die dritte, da er Gottes Gewalt anbetete. Oder Mathias kommt von manu, das ist das Gute, und thesis, das heißt Satzung: das Gute, das für das Schlechte ward gesetzt; dennMathiaswardanJudasStatt gesetzet.Sein

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Leben, das in den Kirchen wird gelesen, hat Beda geschrieben.

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4/|e%-athias ward unter den zwölf Jungern gesetzt an Ju+Ί l-das Statt; darum so wollen wir zu dem ersten kürzlich von dieses Judas Leben und Herkunft sagen. § Man liest in einer apokryphen Historie, daß ein Mann war zu Jerusalem, der hieß Ruben, und hieß auch Simon; und war vom Stamme Dan; Hieronymus aber schreibt, er sei vom Stamme xsaschar gewesen. Dieser Ruben hatte ein Weib, die hieß Cyborea. Es geschah eines Nachts, da sie einander hatten erkannt, daß dem Weibe träumte ein schwerer Traum; und da sie erwachte, hub fie bitterlich an zu weinen, und sagte ihrem Mann den Traum und sprach'Mir träumte, ich sollte ein Kind gebären, das wäre so böse, daß all unser Volk davon verderbet wurde'. Da sprach Ruben 'Du sagst ein übel Ding, das sollst du nimmer sagen. Dich hat vielleicht ein böser Geist betrogen'. Sie antwortete '3fr es, daß ich empfangen habe und einen Knaben gebäre, fo wirst du inne werden, daß der böse Geist mich nicht betrogen hat, sondern daß es die sichere Wahrheit ifr gewesen'. Da nun die Zeit kam, gebar sie einen Sohn; da erschraken sie beide über die Maßen, und betrachteten, was sie mit dem Kinde wollten tun; denn sie wollten ihr eigen Blut nicht töten, und wollten auch den Verderber ihres Geschlechts nicht aufziehen. Darum legten sie das Kind in ein Körblein von Binsen gemacht und taten es auf das Meer. Da warfen es die Fluten an eine Insel, die hieß Scarioth. Von der Insel empfing Judas hernach den Namen Scariothes. Nun traf es sich, daß die Königin des Landes an dem Gestade lustwandelte; die sah das Körblein auf den Fluten hertreiben, und hieß es auffahen und öffnen. Darinnen sah sie ein schön lebendig Kindlein. Da erseufzte sie gar sehr und sprach 'Wollte Gott, dafi ich auch ein solch Kind möchte haben, daß mein Reich nach meinem Tode nicht ohne Erben sei'. Also nahm sie das Kind und liest es heimlich aufziehen; und erzeigte fich, als ob sie schwanger wäre. Zujüngst ging ein Wort durch das Königreich, wie die Königin einen Sohn hätte geboren; des freute sich der König und alles Volk. Das Kind ward köstlich erzogen, wie es königlichem Adel geziemt. Nicht lange darnach aber empfing die Königin wirklich und gebar einen Sohn. Da nun die Kinder größer wurden, spielten sie unterweilen mit einander; da betrübte Judas des Königs Kind oft mit Worten und Werken, und brachte es oft zum weinen. Das verdroß die Königin, denn

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fie wußte wohl, daß Judas nicht von ihrem Geschlecht war, und schlug ihn oftmals sehr; aber Judas stund nicht von seiner Bosheit ab. Zuletzt ward es offenbar, daß Judas ein Findling war, und nicht der Königin rechter Sohn. Als Judas das vernahm, schämte er sich gar sehr, und ging hin und tötete heimlich seinen vermeintlichen Bruder, des Königs Kind. Darnach gedachte er 'Greift man mich, fo schlägt man mir das Haupt ab'. Also hub er sich auf und floh davon und fuhr verstohlen gen Jerusalem, mit denen, die des Königs Zins dahin sollten bringen, und fügte sich an des Pilatus Hof, der dafelbft Landpfleger war. Und da jeglich Ding begehrt seinesgleichen, fand Pilatus bald, daß Judas zu seinen Sitten sich schicke; er gewann ihn lieb vor allen seinen Knechten und machte ihn zu seinem obersten Hofmeifter, nach des Wink und Willen alles mußte geschehen. Nun stund Pilatus eines Tages in seinem Palast und sah in einen schönen Baumgarten, darin stunden gar schöne ,tipfel. Derselben "Apfel gelüstete ihn also sehr, daß ihn dünkte, würden ihm die tipfel nicht, so möchte er nicht länger leben. Der Baumgarten aber war Ruben, Judas Vater, zu eigen; doch kannte Judas seinen Vater nicht, und Ruben wußte nichts von seinem Sohn; denn er meinte, er wäre auf dem Meer ertrunken; Judas aber wußte nicht, wer sein Vater wäre, noch von welchem Lande er geboren sei. Also rief Pilatus den Judas zu sich und sprach 'Ich hab zumal groß Verlangen nach den tipfeln in dem Baumgarten, und muß ich ihrer mangeln, das ist mein Tod'. Alsbald sprang Judas in den Garten und brach die tipfel. Unter dem kam Ruben dahergegangen, und sah, wie Judas seine tipfel brach. Alfo gerieten sie an einander und kamen bald von Worten zu Schlägen; zuletzt traf Judas den Ruben mit einem Steine ins Genick, daß er tot vor ihm lag. Darnach nahm er die Apfel und brachte fie Pilato und sagte ihm, wie es ihm wäre ergangen. Als es Nacht war, fand man den Ruben in seinem Garten tot, und gedachte, er wäre eines jähen Todes gestorben. Da gab Pilatus dem Judas alles Gut, das dem Ruben war gewesen, und gab ihm auch Cyborea zum Weibe. Eines Tages erseufzte Cyborea gar tief, und Judas ihr Mann fragte sie, was ihr gebreche. Da sprach sie 'Ich bin die unseligste unter allen Frauen; ich trug ein Kind unter meinem Herzen, das legte man auf das Meer; meinen Mann hab ich unverfehens tot funden; zu

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allem diesem Leid hat mir Pilatus einen neuen Schmerz gefügt, und hat mich in meiner Trauer verheiratet, und mich über meinen Willen dir zum Weibe gegeben', und erzählte ihm alles, was ihr mit dem Kinde war geschehen; da legte ihr Judas auch den Lauf seines Lebens aus: also ward offenbar, daß Judas seinen Vater hatte getötet, und seine Mutter hatte zum Weibe genommen. Da kam eine große Reue in sein Herz; und er kehrte sich zu unserm Herrn Jesu Christo auf der Cyborea Rat und begehrte Vergebung für feine Sünde. § Bis hierher ist das vorgeschriebene genommen aus der apokryphen Geschichte; und was davon zu halten sei, steht bei des Lesers Urteil; ob es gleich scheinen win, als sei es eher zu verwerfen denn zu glauben. Der Herr aber machte Judas zu seinem Junger und darnach zu seinem Apostel, und er war ihm so lieb und vertraut, daß er ihn zu seinem Schaffner machte, der hernach sein Verräter ward. Also trug Judas den Säckel und stahl unserm Herrn, was ihm gegeben ward. Nun geschah es zu der Zeit, da Christi Leiden nahete, daß die köstliche Salbe nicht verkauft ward, die war dreihundert Silberlinge wert. Das verdroß Judas, daß ihm das Gut entgangen war; und damit er den Schaden gut mache, ging er hin und verkaufte Christum um dreißig Silberlinge, von denen galt jeglicher soviel wie zehn gewöhnliche Silberlinge; damit erwarb er die dreihundert Silberlinge, die er mit der Salbe hatte verloren. Andere sagen, Judas habe immer den zehnten Teil von dem gestohlen, was Christo gegeben ward; und da er bei der Salbe, die dreihundert Silberlinge wert war, den zehnten Teil, das sind dreißig Silberlinge, verloren hatte, so verkaufte er den Herrn um diefen Preis. Darnach gab er das Geld wieder mit böser Reue, und ging hin und erhenkte sich selbst, und barst ihm sein Leib mitten auseinander, daß sein Eingeweide herausfiel. Und alfo ward sein Mund geschonet, daß seine Seele nicht ausfuhr aus dem Munde; denn es war nicht ziemlich, daß der Mund so schmählich werde entreinet, der Christi Lippen hatte berührt. Aber es war recht, daß seine innersten Eingeweide, aus denen der Plan des Verrats war aufgestiegen, geborsten herausfielen, und die Kehle, aus der das Wort des Verrats hervorging, vom Stricke ward zugeschnürt. Er starb in der Lust, denn er hatte die Engel im Himmel und die Menschen auf Erden betrübt, also ward er von ihnen geschieden und mußte den Teufeln gesellet wer-

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den in der Luft. § Nach der Auffahrt unsres Herrn und vor den Pfingsten, da die Apostel in ihrem Speisehause bei einander waren, sahe Petrus, daß der Apostel nicht mehr Zwölfe waren, die doch der Herr zu zwölfen hatte geordnet, auf daß sie den Glauben der Dreieinigkeit in den vier Weltteilen sollten predigen. Darum stund er auf und sprach also 'Ahr Männer lieben Brüder, es ist not, daß wir einen Andern setzen an Judas Statt, der mit uns Zeugnis gebe von der Auferstehung des Herrn. Denn unser Herr hat gesprochen: It1r sollt Zeugnis geben von mir zu Jerusalem und durch alles jüdische Land, und durch Samaria bis an das Ende der Welt. Da nun niemand soll Zeugnis geben denn allein, der die gegenwärtigen Dinge gesehen und gehöret hat, so sollen wir einen auserwählen von den Männern, die allezeit bei uns sind gewesen, und die Wunder und Zeichen haben gesehen, die Christus gewirket hat, und seine Lehre haben gehöret'. Also stellten sie zween von den zweiundsiebenzig Jungern in die Mitte: Joseph, der geheißen war der Gerechte von seiner Heiligkeit, der war Jacobi Alphei Bruder; und Mathias, von des Lob wir schweigen; denn es ist Lobes genug, daß er zum Apostel erwählt ward, und sie beteten über ihnen und sprachen 'Herr, der du der Menschen Herzen kennest, tu uns kund, welchen du habest auserwählt aus diesen zweien, daß er empfange die Statt und das Amt, das Judas hat verloren'. Da ward das Los geworfen, und fiel auf Mathias; also ward er ausgenommen in die Zahl der Zwölfe. § Hier sollen wir merken, daß dieses Beispiel das Los noch nicht erlaubt mache; denn das Vorrecht Etlicher macht nicht das Gesetz. So spricht Hieronymus. Beda aber sagt, es war erlaubt, sich solcher Zeichen zu bedienen, ehe die Wahrheit kam. Denn das Opfer am Kreuz war wohl getan, aber das Heil ward erst vollendet am Pfingsttag; also nahmen sie zu des Mathias Wahl das Los, auf daß sie nicht wichen vom Gesetz, nach welchem der HohePriester durch das Los erwählt ward. Nach Pfingsten aber, da die Wahrheit offenbar war, wurden die sieben Diacone nicht durch das Los gewählt, sondern durch die Wahl der Junger, durch der Apostel Gebet und durch Handauflegung. Welcher Art aber das Los war, davon schreiben die heiligen Väter zwei unterschiedliche Meinungen. Hieronymus und Beda schreiben, daß es Lose waren, wie man sie allermeist hatte im alten Bund. Dionysius aber, Sanct Pauls

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Junger, hält solches für gottlos und glaubt, jenes Los sei nichts anderes gewesen denn ein Schein, der vom Himmel herab kam und Sanct Mathias umgab; dadurch offenbar ward, daß man ihn zum Apostel solle nehmen. Davon spricht er selbst in seinem Buche von der Hierarchie Ecclesiastica 'Von dem Los, das über Mathias nach Gottes Willen fiel, haben die einen dies gesagt, die andern das, doch nicht gar heiliges, wie mir scheint, darum will auch ich schreiben, was ich denke: es scheint die heilige Schrift hier ein Geschenk von Gott Los zu nennen, welches den Aposteln den kund tat, den Gott zu ihrer Schar auserwählt hatte nach seinem Rat'. § Diesem Apostel Mathias ward Judaea zu teil und er predigte daselbst, und tat viel Wunder und Zeichen. Darnach entschlief er in Frieden. Doch lesen wir in etlichen Büchern, daß er gekreuzigt wurde und mit dieser Marter gekrönt gen Himmel fuhr. Sein Leib liegt zu Rom begraben in der Kirche Sancta Maria Major unter einem Porphyrstein; daselbst wird auch sein Haupt dem Volk gezeigt. § In einer andern Legende aber, welche man zu Trier findet, lesen wir, daß Mathias war vom Stamme Juda und aus der Stadt Bethlehem, von gar edlen Eltern. Er lernte alle Weisheit, und war über kurze Zeit im Gesetz und in den Propheten wohlgelehrt. Er ging nicht weltlicher Begierde nach und war schon in seinen kindlichen Jahren reif an guten Sitten. Er schickte sein Gemüt zur Tugend, auf daß er klug sei im Verstehen, bereit zum Erbarmen, nicht hoffärtig im Glück, fest und unverzagt im Unglück. Er flisi sich, das zu vollbringen mit Worten, was er begriffen hatte in seinem Herzen, und was feine Lippen verkündigten, das taten seine Hände auch. Da er durch Judaea predigte, machte er die Blinden sehend, die Aussätzigen rein, und trieb die Teufel aus; er gab den Lahmen den Gang, den Tauben das Gehör, den Toten das Leben wieder. Er ward vor dem Hohenpriester verklagt um viel Sachen; da antwortete er 'Zu der Missetat, der ihr mich anklagt, mag ich nicht viel antworten. Denn Christ zu sein ist keine Missetat, sondern der höchste Ruhm'. Sprach der Hohepriester 'Willst du Buße tun, so ich dir Frist gebe?' Er antwortete 'Das sei fern, daß ich der Wahrheit abtrünnig würde, die ich einmal habe gefunden'. Alfo war Mathias gar gelehrt im Gesetz, reines Herzens, klugen Geistes, scharf in Auslegung der Schrift, bedächtig im Rat, wacker in feiner Predigt, und da er das

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Wort Gottes predigte durch Judaea, bekehrte er viele durch seine Wunder und Zeichen. Das neideten ihm die Juden, und stellten ihn vor ihren Rat. Zwei falsche Zeugen klagten wider ihn, und warfen die ersten Steine auf ihn; da bat er, daß man zu einem Zeugnis wider sie die Steine zu ihm ins Grab lege. Und da sie ihn steinigten, ward ihm mit dem Beil nach römischem Brauch das Haupt abgeschlagen. Also gab er mit ausgebreiteten Armen seinen Geist gen Himmel. In derselben Legende ist geschrieben, daß sein Leib von Judaea nach Rom überführt ward und von Rom nach Trter. § In einer andern Legende lesen wir, daß Sanct Mathias in Macedonia Christenglauben predigte. Da gab man ihm einen giftigen Trank zu trinken, davon wurden alle blind, die ihn tranken. Er aber trank es in Christi Namen ohne allen Schaden, und machte auch durch Handauflegung zweihundert und fünfzig Menschen sehend, die von dem Trank alle waren erblindet. Aber der Teufel erschien ihnen in eines Kindes Bild und riet ihnen, daß sie den Mathias töteten, der ihren Glauben verstöre. Da war er mitten unter ihnen, und dennoch suchten sie ihn drei Tage und konnten ihn nicht finden. Am dritten Tage aber tat er sich ihnen selbst kund und sprach 'Och bins, den ihr suchet'. Da banden sie ihm die Hände auf den Rücken, legten ein Seil um seinen Hals und schlugen ihn hart, und legten ihn ins Gefängnis. Daselbst erschienen ihm die Teufel und knirschten mit den Zähnen wider ihn, aber sie mochten ihm nicht nahen. Da kam der Herr zu ihm in einem großen Glanz und hub ihn auf von der Erde, und löste ihn aus den Banden, darin er lag, und stärkte ihn süßiglich, und tat ihm die Tür auf. Und er ging heraus und predigte das Wort Gottes. Da waren etliche in ihren Sünden verhärtet und widerstunden ihm; er aber sprach 'Ich sage euch, ihr werdet lebendig zur Hölle fahren'. Alsbald tat sich die Erde auf und verschlang sie. Da wurden die andern alle zum Herrn bekehrt.

§ Von Sanct Gregorius. xXXrecrorius kommt von grex, Herde; und gore, das heißt vUpredigen oder sprechen: also ist Gregorius soviel als

ein Prediger der Herde. Oder Gregorius ist soviel als Egregorius, von egregius und gore; und heißt ein löblicher Prediger oder Lehrer. Oder Gregorius heißt in unserer Sprache

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ein Wachender, denn er wachte wider sich selber, wider Gott und wider die Herde: wider sich selber, indem er seine Reinheit bewahrte; wider Gott in einem schauenden Leben; wider die Herde mit fleißiger Predigt. Durch diese drei mag ein jeglicher das Anschauen Gottes erwerben. Davon schreibt Sanct Augustinus in dem Buche De ordine 'Der wird Gott schauen, der tugendlich lebt, fleißig sich müht, und andächtig betet'. Sein Leben hat uns Paulus beschrieben, der Geschichtsschreiber der Langobarden, und darnach hat es Johannes der Diacon mit Fleiß zusammengefügt. /CX retrorius war von dem Geschlechte der Senatoren, und xXJhiesi sein Vater Gordianus und seine Mutter Silvia. Ob er gleich schon in seinen jungen Tagen den Grund aller natürlichen Erkenntnis begriffen hatte und überflüssig reich war an weltlichem Gut, so gedachte er dennoch, wie er dieses Gut alles möchte lassen und ein geistlich Leben an sich nehmen. Doch verzog er diesen Vorsatz lange Zeit, und meinte, er diente Gott mit großer Sicherheit in einem weltlichen Schein als ein Richter in der Stadt. Tiber nicht lange, so kamen die Sorgen der Welt über ihn, daß er nicht allein nach dem Schein, sondern in seinem Herzen mit dem Irdischen bekümmert ward. In diesen Zeiten starb sein Vater. Da ging er hin und baute von seinem Gelde sechs Klöster in dem Lande Sicilia. Das siebente bauete er in der Stadt in seinem eigenen Haus, und weihte es in Sanct Andreas des Apostels Ehren. Er ließ fortan die seidenen Gewänder, die mit Gold und edlem Gestein waren geziert; und wohnte daselbst in einer armen Mönchskappe. Davon so kam er kürzlich zu so großer Heiligkeit, daß er gezählt ward unter die Schar der vollkommensten Mönche schon zu der Zeit, da seine Bekehrung ihren Anfang nahm. Dieser Vollkommenheit mögen wir einen Teil gewahr werden aus den Worten, die er in der Vorrede zu seinem Dialogus schreibt 'Mein unseliges Gemüte, das zerstoßen ist von den Wunden seiner Geschäftigkeit, gedenket daran, wie anders es einst im Kloster ist gewesen: da alle vergänglichen Dinge unter ihm waren, da es aufrecht stund in allem was dahin rauschte, da es nichts denken mochte denn göttliche Dinge, da es, vom Leib gebunden, doch des Leibes Schranken im Anschauett überschritt, da es sogar den Tod lieb hatte, der fast aller Kreatur eine Pein ist, weil er ein Eingang war zum ewigen Leben und ein Lohn aller Arbeit'. Er kasteiete auch seinen

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Leib mit solcher Strenge, daß er kaum mehr mochte leben; sein Magen ward gar schwach, und ein Herzbruch, welchen die Griechen Syncope nennen, stieß ihn in große Angst und brachte ihn unterweilen dem Tode nah. § Einst saß er in dem Kloster, des Abt er war, und schrieb. Da kam der Engel des Herrn zu ihm in eines Schiffbrüchigen Gestalt und bat mit weinenden Augen, daß er sich über ihn erbarme. Da hieß ihm Sanct Gregorius sechs Silberlinge geben. Der Arme ging von dannen und kam desselben Tages wieder und klagte, wie er viel mehr verloren hätte, als er von ihm hätte empfangen. Da gab ihm Sanct Gregorius wieder fechs Silberlinge. Darnach kam der Menfch zum dritten Male und begehrte mit ungestümem Schreien, daß er ihm helfe. Da vernahm Gregorius von dem Schaffner, daß nichts anderes mehr in dem Kloster sei, das man geben möge, denn die silberne Schüssel, in der seine Mutter ihm das Gemüse zu schicken pflag: die Schüssel gab Sanct Gregorius dem Armen; der ging gar fröhlich von dannen. Es war aber der Engel des Herrn, der offenbarte fich ihm darnach selber. § Sanct Gregorius ging einsmals über den Markt zu Rom; da sah er feil gar stolze Junglinge, von herrlicher Gestalt, schönem Angesicht und lichten Haaren. Er fragte den Kaufmann, aus welchem Land er sie hätte hergefuhrt. Der antwortete, er brächte sie her von Britannien, da wären alle Menschen so licht und schön. Gregorius fragte, ob sie Christen wären. Der Kaufmann antwortete 'Nein, sie sind noch umfangen von heidnischem Irrglauben'. Da erseufzte Sanct Gregorius gar tief und fprach 'Ach weh, wie besitzet der Fürst der Finsternis so klare Angesichter an diesen Menschen'. Darnach fragte er, wie das Volk des Landes wäre genannt. Der Kaufmann antwortete 'Sie heißen Engelische'. Da sprach Gregorius 'Sie heißen billig Engelische, denn sie haben engelgleiche Angesichter'. Und fragte weiter, wie ihre Provinz hieße. Der Kaufmann antwortete 'Die Leute aus der Provinz werden Dein genannt, das heißt 'Von dem Zorne'. 'Sie heißen billig fo' fprach Gregorius 'denn man muß sie lösen von dem Zorne Gottes'. Und fragte weiter, wie ihr König hieße. Der Kaufmann antwortete, er hieße Aelle. Sprach Gregorius 'Er heißet billig fo, denn man foll bald Alleluja daselbst singen'. Alsbald ging Gregorius zu dem Papst und erwarb kaum mit großer Bitte, daß er dürfe gen Engelland fahren, das Volk zu bekehren. Da er nun auf die

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Fahrt kam, wurden die Römer gar sehr betrübt, daß er von ihnen war geschieden. Und gingen zum Papst und sprachen 'Du hast Sanct Peter erzürnt und Rom verderbet, indem daß du Gregorium hast von uns gesandt'. Hievon erschrak der Papst und schickte eilends Boten aus, daß sie Gregorium wieder brächten. Gregorius war drei Tage weit gefahren, da hielt man an einem Ort, und da seine Gesellschaft ruhete, las Gregorius in einem Buch. Da kam eine Heuschrecke und bekümmerte ihn, daß er des Lesens vergaß; denn er betrachtete den Namen des Tierleins: Locusta, das ist gesprochen 'An dieser Statt steh still'. Da verstund er im Geist wohl was das bedeuten solle, und rief seinen Gefährten, und mahnte fie, daß sie schnell fürbaß führen. Aber des Papstes Boten holten ihn dennoch ein und zwangen ihn, wieder heim zu fahren. Des ward er gar fehr betrübt. Hiernach nahm der Papst Sanct Gregorium aus dem Kloster und machte ihn zu seinem Cardinaldiacon. § Es geschah zu einer Zeit, daß der Tiberflusi aus seinem Bette trat, und ward sein Wasser so groß, daß es sich über die Stadtmauer ergoß und viel Häuser zerstörte. Es wurden auch viele Schlangen und sonderlich ein großer Drache von dem Tiber nach dem Meere geführt, aber sie kamen in den Fluten um und wurden zurückgeworfen ans Gestade. Da faulten ihre Leiber, und von dem bösen Gestank ward die Luft vergiftet, daß davon ein großes Sterben über das Volk kant, das man die Beulenpeft heißt. Und man sah mit leiblichen Augen Pfeile vom Himmel fliegen, und wen fie trafen, der war tot. Zum ersten ward der Papst Pelagius getroffen, und war alsbald tot; und darnach des Volkes so viel, daß der Häuser viele öde wurden in der Stadt. Da aber die Kirche Tsesu Christi nicht ohne Haupt mag sein, so wählten die Römer einmütiglich Gregorium zu einem Papst wider seinen Willen. Da man ihn nun weihen sollte und des Sterbens kein Ende war, predigte er dem Volk und ordnete einen Kreuzgang und setzte die Litaneien zu singen ein; und mahnte das Volk, daß sie allesamt Gott anriefen mit großer Andacht. Da nun das Volk versammelt war und zu Gott betete, mehrte sich das Sterben also, daß in einer Stunde achtzig Menschen starben. Aber Gregorius ließ nicht ab das Volk zu ermahnen, daß sie in ihrem Gebet verharrten, bis unser Herr mit seiner Barmherzigkeit das Sterben ende. Da der Kreuzgang war vollbracht, wollte er aus der Stadt fliehen:

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da waren alle Tore Tag und Nacht bewacht um seinetwillen, daß er nicht entrinnen mochte. Zuletzt verwandelte er sein Gewand und bat etliche Kaufleute, daß sie ihn in einem Faß auf einem Wagen aus der Stadt brächten. Das taten sie, und er lief bald in den Wald und suchte eine heimliche Höhle, darin verbarg er sich drei Tage. Aber da die Römer ihn mit Fleiß suchten, so erschien über der Statt, da er verborgen war, eine Säule von gar klarem Licht, die ging bis zum Himmel empor; und ein Klausner in demselben Walde sah, wie die Engel in dem Licht auf und nieder stiegen. Alsbald fand ihn das Volk und führte ihn mit sich, und weihte ihn zum Papst. § Daß Sanct Gregorius wider seinen Willen in diese Würdigkeit ward gesetzt, das bezeugen uns seine eigenen Worte, in dem Brief, den er an Narfus den Patricier hat geschrieben. Daselbst spricht er 'Wenn ihr mir schreibet von den Höhen des Schauens, so erneuet ihr in mir das Seufzen über meinen Fall; da ich dann höre, was ich innerlich habe verloren, davon daß ich äußerlich ohne mein Verdienst bin gestiegen auf den Gipfel der Macht. Wisset, ich bin so sehr betrübt, daß ich es nicht aussagen mag. Darum sollt ihr mich nicht Noemi nennen, das heißt schön, sondern nennet mich Mara, das ist bitter; denn ich bin voll Bitternis'. Ein andermal schreibt er 'Habt ihr mich lieb, so weinet mit mir, da ihr vernommen habt, daß ich zum obersten Bischof bin gesetzet, denn auch ich weine ohn Unterlaß; und bittet Gott für mich'. Und in der Vorrede zu seinem Dialogus spricht er also 'Mein Gemüt wird durch mein rairtenamt bekümmert mit den Geschäften der weltlichen Menschen, und nach der seligen Ruhe des Schauens mit dem Staub irdischen Tuns befleckt. Also werde ich gewahr, was ich leide, und was ich verloren habe. Sehe ich das an, was ich verlor, so wird die Last schwerer, die ich trage. Siehe, ich werde jetzt auf einem großen Meer einhergeworfen, und das Schifflein meines Geistes wird bedrängt von der Ungestümigkeit des Windes und der Wasserwogen; und so ich meines früheren Lebens gedenke, wende ich meine Augen hinter mich als nach dem Strand, und seufze, wenn ich ihn erblicke'. § Aber zu Rom war noch das große Sterben. Da ordnete Sanct Gregorius um die Osterzeit einen Kreuzgang mit Litaneien, und hieß vorantragen gar feierlich unfrer lieben Frauen Bild. Dasfelbige ist noch jetzt zu Rom, als man sagt, in der Kirche Sancta Maria Major; Sanct Lucas,

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der Arzt und Maler hat es gemacht, und man fpricht, daß es unsrer Frau gar gleich ist. Und siehe, alle Unreinigkeit der Luft floh fichtbarlich vor dem Bild, als könne es seine Gegenwärtigkeit nicht ertragen; und lautere Klarheit folgte ihm nach. Und es wird erzählt, daß man in der Luft, nahe bei dem Bilch Engelstimmen hörte, die sangen 'Regina coeli laetare alleluja, quia quem meruisti portare alleluja, resurrexit sicut dixit alleluja'. Das ist gesprochen 'Freue dich, Himmelskönigin, alleluja; denn den du würdiglich hast getragen, alleluja, der ist erstanden von dem Tode, wie er gesagt hat, alleluja'. Da tat Sanct Gregorius einen Vers dazu und sprach 'Ora pro nobis Deum rogamus, alleluja'. 'Bitt Gott für uns, so flehen wir, alleluja'. Und alsbald sah Gregorius einen Engel stehn auf der Burg Crescentii, der wischte sein blutig Schwert und stieß es darnach in die Scheide. Hiebei erkannte Gregorius, daß das Sterben ein Ende hätte; und also war es auch. Die Burg aber ward hinfort die Engelsburg genannt. § Darnach vollbrachte Gregorius, was er begehrt hatte, und sandte Augustinum, Mellitum und Johannem mit etlichen anderen nach Engelland, und bekehrte das Volk durch sein Verdienst und sein Gebet. § Dieser Sanct Gregorius war so demütig, daß er auf keine Weise wollte gelobt sein. Als Stephanus der Bischof ihn in seinen Briefen lobte, schrieb er ihm hinwieder 'Ohr habt mir eure Gunst in euren Briefen erzeiget, mehr als ich Unwürdiger hören darf; denn es stehet geschrieben 'Lobe keinen Menschen, solange er lebt'. Aber wenn ich auch es zu hören nicht wert war, so bitte ich euch doch: betet für mich, daß all das Gute in mich komme, das ihr von mir gesagt habt, und welches doch nicht in mir ist'. Desgleichen schrieb er Narsus dem Patricier 'Wenn ihr, Namen und Sache gleichend, große Worte von mir sprecht, lieber Bruder, so machet ihr sicherlich einen Löwen aus dem Affen. Es ift dasselbe, als wenn ihr ein klein räudig Hündlein einen Leoparden nennt oder ein Tigertier'. Und an Anastasius, den Patriarchen von Antiochia, schrieb er 'Daß ihr mich den Mund des Herrn genannt habt und eine Leuchte, weil mein Wort viele speise und ihnen leuchte, des habt ihr mein Gemüt in schwere Zweifel gebracht. Denn ich betrachte, wer ich bin, und kann der keines an mir finden, das ihr an mir schätzet; ich betrachte auch, wer ihr seid, und mag nicht gedenken, daß ihr lüget. Will ich euren Worten glauben.

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so steht darwider meine Sündhaftigkeit; will ich darwider reden, so ist mir eure Heiligkeit zu groß. Darum so will ich bitten, daß uns dieser Streit das Gute bringe, daß alles so werde wie ihr sagt, wenn es auch jetzund noch nicht also ist'. Gregorius wollte auch große hochfahrende Namen nicht leidem Darum schrieb er Eulogio dem Patriarchen von Alexandrien, welcher ihn einen Papst über alle Welt hatte genannt 'Dhr habt vor den Brief, den ihr mir schriebet, ein hochfärtig Wort gesetzet, da ihr mich einen Papst nennet über alle Welt. Ich bitte eure Heiligkeit, daß ihr solches hinfort nicht mehr tut, denn ihr nehmt euch damit etwas und gebt einem anderen etwas, das ihm von Vernunft wegen nicht zukommt. Denn ich fuche nicht selig zu werden mit Worten, sondern mit guten Werken; auch schätz ich es keine Ehre, was meinen Brüdern ihre Ehre raubt. Darum lasset uns Worte fliehen, welche die Eitelkeit blähen und die Nächstenliebe beleidigen'. Als nun Johannes der Bischof von Constantinopel diesen Namen der Eitelkeit an sich nahm, und sich mit List von der Synode als ein allgemeiner Papst ließ ausrufen, schrieb Sanct Gregorius Über ihn unter anderm also 'Wer ist es, der wider die Gesetze des Evangelii und wider die canonischen Decrete einen neuen Namen sich anmaßt, auf daß er allein der einzige sei, der da der allgemeine will sein'. Er litt auch nicht, daß seine Mitbischöfe vom 'Gebieten' sprächen. Davon schreibt er in dem Brief an Eulogius den Bischof von Alexandria 'Euer Liebden schreibt mir 'Wie ihr gebietet'; dieses Wort lasset mich nimmer hören, denn ich weist, wer ich bin und wer ihr seid: in Würdigkeit seid ihr meine Brüder, in Heiligkeit meine Väter'. Seine große Demut ließ auch nicht zu, daß eine Frau sich seine Magd nannte. So schrieb er einer edlen Frau mit Namen Rusticiana 'Eines ist mir in deinen Briefen leid gewesen: daß du dich des öfteren, da doch einmal wäre genug gewesen, meine Magd hast genannt. Wie magst du dich die Magd des nennen, der durch sein Amt zum Knechte aller ist geworden, zuvor aber selbst dein Knecht ist gewesen? Darum bitte ich dich bei dem allmächtigen Gott, laß mich dieses Wort in keinem deiner Schreiben mehr finden'. Gregorius war es auch, der sich zuerst in seinen Briefen einen Knecht der Knechte Gottes nannte, und verordnete, daß die anderen Päpste auch sich also sollten nennen. Seine Bücher gab er nicht ans Licht, so lange er lebte, aus großer Demütigkeit;

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und schätzte sie gering wider der andern Lehrer Bücher. Davon schreibt er an Innocentium den Landpfleger von Africa 'Wir loben euch eures Eifers, daß ihr die Auslegung des Buches □ob von uns fordert, aber, wollt ihr mit köfrkicher Speife gesättigt werden, so lest eures Landsmannnes Augustinus Werke: nach seinem Weizenmehl werdet ihr nicht mehr meiner Kleie begehren. Auch will ich nicht, solange ich in diesem Leibe bin, daß den Menschen etwas kund werde von dem, was mir etwa zu sagen gelang'. § Wir lesen in einem Buche, das aus dem Griechischen ins Lateinische gebracht ist: Es kam ein heiliger Vater, Johannes der Abt mit Namen, gen Rom und wollte der Apostel Kirchen besuchen. Da er nun Sanct Gregorium durch die Stadt gehen sah, lief er ihm entgegen und wollte ihm seine Ehrfurcht bezeigen, als es ziemlich ist. Da aber Gregorius sah, daß er sich ihm zu Fußen wollte werfen, kam er ihm zuvor und fiel selbst vor ihm nieder, und wollte nicht eher aufstehen von der Erde, bis der Abt zuerst aufstund. Hieran mag man seine Demütigkeit klärlich sehen. § Sanct Gregorius war auch so barmherzig, daß er nicht nur denen, die um ihn waren, sondern auch Menschen in fernen Landen, als den Mönchen auf dem Berge Sinai, ihre Notdurft zukommen ließ; und hatte aller Dürftigen Namen aufgeschrieben, und half ihnen, soviel er mochte. Zu Jerusalem hatte er ein Kloster gebaut und versah die Diener Gottes, die daselbst wohnten, mit aller Notdurft. Dreitausend Nonnen gab er alle Jahre zu ihrer Kost 80 Pfund Goldes; und täglich lud er arme Pilger an seinen Tisch. § Einsmals saß unter ihnen einer, dem wollte er Handwasser über seine Hände gießen in großer Demütigkeit, aber da er sich umwandte nach dem Wasserkrug, da war der Mensch verschwunden. Des wunderte sich Gregorius gar sehr. Desselben Nachts aber erschien ihm unser Herr und sprach 'Gregori, zu andern Zeiten hast du mich in meinen Gliedern geehrt, aber heute hast du mich empfangen in meiner eigenen Person'. § Ein andermal gebot Gregorius seinem Kanzler, daß er ihm zwölf Pilgrime zu Tische lüde. Das geschah. Aber da sie über Tische saßen, zählte sie der Papst und fand, daß ihrer dreizehn waren. Er rief den Kanzler und fprach 'Ich gebot dir zwölf armer Menschen zu laden; warum haft du ihrer dreizehn hergebracht?' Da zählte der Kanzler, und zählte nur zwölf und sprach 'Glaubet mir, heiliger Vater, es sind ihrer nicht mehr denn

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zwölf'. Da sah der Papst einen unter ihnen, der verwandelte sein Angesicht, und war eine Weile jung und schön, und ward darnach alt und grau und ehrfürchtig anzusehen. Als das Mahl zu Ende war, nahm er den Mann und führte ihn heimlich in seine Kammer und beschwur ihn bei Gott, daß er ihm sage, wer er sei. Da sprach der Mensch 'Was fragst du mich nach meinem Namen? der ist wunderlich. Wisse, ich bin der Schiffbrüchige, dem du die silberne Schüssel gabst, in der deine Mutter dir das Gemüse hatte gesandt. Und wisse fürwahr, daß von demselbigen Tage an, da du mir das gabst, der Herr dich zum Haupt seiner Kirche ausersah und zum Nachfolger Sanct Peters'. Sprach Gregorius 'Und woher weißt du, daß der Herr mich damals zum Papst ausersah?' Antwortete jener 'Ith bin seiner Engel einer, und der Herr sendet mich jetzt zu dir, daß ich hinfort dein Hüter sei; und alles was du mich bittest, das magst du durch mich bei ihm erlangen'. Damit war er verschwunden. § Zu der Zeit war ein Einsiedel von großer Heiligkeit, der hatte alles um Gott gelassen, und besaß nichts denn eine Katze, die streichelte er oft als seine Gesellin und nahm sie auf seinen Schoß. Der bat Gott, er möchte ihm kund tun, mit wem er dereinst Lohn sollte haben im ewigen Leben, da er um Gottes Willen allen Reichtum der Welt hatte gelassen. Da ward ihm des Nachts kund getan, daß er mit Gregorius dem Papst von Rom gleichen Lohn sollte empfangen. Das beschwerte dem Einsiedel sein Herz, und er sprach bei sich 'Es ist mir wenig nütze gewesen, daß ich die freiwillige Armut hab auf mich genommen, so ich nun denselben Lohn verdienen soll wie einer, der allen Reichtum der Welt besitzt'. Also verglich er mit Seufzen Tag und Nacht seine Armut mit Gregorii Reichtum. Aber nicht lange, so kam die Stimme Gottes wiederum zu ihm des Nachts und sprach 'Wisse, nicht die Menge des Gutes macht den Reichen, sondern die Lust daran: wie magst du nun deine Armut Gregorii Reichtum gleichen, der du jeglichen Tag mehr Lust hast, so du deine Katze streichest und liebest, denn Gregorius in aller seiner Herrlichkeit; denn er liebet das irdische Gut nicht, sondern verachtet es, und zerstreut es mit Almosengeben'. Da dankte der Einsiedel Gott; und wenn er zuvor seinen Verdienst gemindert glaubte, da er mit Gregorio verglichen ward, so betete er jetzt mit Ernst, daß er einst gleichen Lohn mit ihm möchte empfangen. §

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Sanct Gregorius ward vor dem Kaiser Mauritius und seinen Söhnen fälschlich angeklagt, daß er an dem Tode eines Bischofs schuldig sei. Da schrieb er des Kaisers Hausmeister einen Brief, darin er alfo sprach 'Sag meinen Herren dieses: wenn ich, ihr Knecht, zu der Langobarden Schaden mich hätte einmischen wollen, so hätte dieses Volk heute weder einen König, noch Herzog, noch Grafen, und wäre gar verhört. Aber ich furchte Gott, und hüte mich, jemandes Tod zu wirken'. Hier wird seine Demütigkeit offenbar, denn ob er gleich Papst war, nannte er sich doch des Kaisers Knecht und den Kaiser seinen Herrn; hier wird auch offenbar feine Lauterkeit, da er nicht in den Tod seiner Feinde mochte willigen. § Als der Kaiser ihn und die Kirche verfolgte, schrieb er ihm unter anderm also 'Ich weiß, daß ich ein Sünder bin: darum machet ihr euch Gott je mehr zu einem Freund, je mehr ihr mir, seinem unnützen Knecht, zu Leide tut'. § Hiernach geschah, daß vor den Kaiser trat ein Mann in eines Mönches Schein, der schwang ein bloßes Schwert und sprach, daß er durchs Schwert sollte umkommen. Davon erschrak der Kaiser, und ließ von der Verfolgung Gregorii ab und bat ihn mit ganzem Fleiß, daß er Gott für ihn bitte, er möchte ihn um seine Missetat in diesem Leben peinigen, und es ihm nicht aufsparen bis zum Tag des Gerichts. Darnach sah der Kaiser Mauritius im Traum, daß er vor dem Stuhl des Richters stund; und der Richter sprach 'Bringet Mauritium'. Da nahmen ihn die Knechte und stellten ihn vor des Richters Angesicht. Der sprach zu ihm 'Wo soll ich dir die Sünde vergelten, die du in diesem Leben hast vollbracht?' Er antwortete 'Herr, laß es mich hier büßen und spar es mir nicht auf für das ewige Leben'. Da gebot die Stimme, daß er mit Weib und Söhnen und Töchtern Phocas dem Ritter übergeben werde. Also geschah es auch, daß kürzlich darnach ein Ritter, Phocas mit Namen, den Kaiser und alle seine Anverwandten mit dem Schwerte tötete und das Kaisertum an sich nahm. § Als Sanct Gregorius einst am Ostertag Messe las in der Kirche Sancta Maria Major und das 'Friede sei mit euch' gesprochen hatte, da antwortete der Engel des Herrn mit lauter Stimme 'Und mit deinem Geiste'. Seitdem macht der Papst am Ostertag zu dieser Kirche einen Bittgang, und wenn er den Frieden des Herrn spricht, so darf ihm zum Gedächtnis diefes Wunders niemand antworten. § Trajanus, der vor

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Zeiten zu Rom Kaiser war gewesen, ritt einst in einen Streit in großer Hast. Da trat ihm eine Witwe in den Weg, die weinte jämmerlich und sprach 'Ich beschwöre dich Kaiser, räche den Tod meines Sohnes, den hat man unschuldig erschlagen'. Trajanus schwur, er wolle ihr Recht sprechen, so er heil wiederkomme. Aber die Witwe sprach 'Stirbst du in der Schlacht, wer wird mir dann richten?' Er antwortete 'Der, der nach mir Kaiser wird sein'. Sprach die Witwe 'Richtet mir ein anderer, was ist es dir nütze?' Er antwortete 'Es ist mir nichts nütze'. Und sie sprach '□st es also nicht besser, du richtest mir, und hast deinen Lohn davon, denn daß du es einem anderen lässest?' Da erbarmte sich der Kaiser und stieg von seinem Roß, und richtete über das Blut des Unschuldigen. Man erzählt auch, daß ein Sohn des Kaisers Trajanus, da er auf seinem Roß mutwillig durch die Stadt sprengte, den Sohn einer Witwe unter sich trat, daß er starb. Als das die Witwe Trajano klagte, gab er seinen eigenen Sohn, der dies hatte getan, der Witwe an ihres getöteten Sohnes Statt, und gab ihr großes Gut dazu. § Da nun Trajanus schon lange tot war, geschah es einst, daß Sanct Gregorius über den Markt Trajani ging, und gedachte seiner Milde und Gerechtigkeit; da ging er in die Kirche Sanct Peter und weinte bitterlich über des Kaisers Orrglauben, und siehe, eine Stimme vom Himmel sprach 'Dein Gebet ist erhöret, ich habe Trajano die ewige Pein erlassen. Aber hüte dich, daß du hinfort für keinen andern Verdammten bittest'. Damascenus erzählt in einer seiner Predigten, daß Gregorius, da er für Trajanum betete, eine Stimme hörte, die sprach 'eich habe dein Gebet erhört und Trajano seine Sünde vergeben'. Des ist ganz Orient und Occident Zeuge, spricht Damascenus. Andre sagen auch, Trajanus sei wieder zum Leben erweckt worden, da habe er Gnade erlangt und Vergebung und ewige Glorie, und sei nicht zu ewiger Pein verurteilt gewesen und nicht mit unwiderruflichem Spruch verdammt. Etliche fagen, Trajanus ward von der ewigen Pein nicht gänzlich gefreiet, sondern sie ward nur aufgehoben bis zum Tage des Gerichts. Etliche fagen, daß die Art oder die Stätte feiner Pein nur auf eine Zeit über ihn war verhängt, bis sie durch Gregorii Fürsprache von Christi Gnade etwie gewandelt ward. Etliche, wie Johannes der Diacon, der diese Legende zusammengefügt hat, sprechen: man finde nicht, daß Gregorius gebetet habe, fondern allein.

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daß er weinte; Gott aber hat oft in seinem Erbarmen das erhört, was der Mensch in seinem Herzen begehrte, wenn er gleich nicht darum zu bitten wagte; und also ward Trajani Seele zwar nicht aus der Hölle befreit und ins Paradies versetzt, sondern nur der Höllenaual erledigt. Denn als er spricht, so mag eine Seele wohl in der Hölle sein, aber die Pein durch Gottes Barmherzigkeit nicht fühlen. Andre fprechen, die ewige Pein bestünde in zwei Stücken, das erste ist die fühlbare Qual, das andre ist die Beraubung des Anblicks Gottes: die erste Strafe ward Trajano erlassen, die andere mußte er leiden. Man sagt auch, daß der Engel noch zu Gregorius sprach 'Du hast für einen Verdammten gebeten: so wähle zwischen den zweien; entweder du mußt zwei Tage im Fegefeuer gepeinigt werden, oder du sollst alle Zeit deines Lebens hinfort an Schmerzen und Gebresten leiden', und Gregorius wählte, siech zu sein die ganze Zeit seines Lebens, denn daß er zwei Tage sollte im Fegefeuer sein. Also kam es, daß er fortan allezeit krank war; er litt am Fieber, oder an den Beschwerden des Podagra; er war zerschlagen von schweren Schmerzen, und ein Magenleiden quälte ihn gar sehr. Davon spricht er in einem Brief 'Ich leide vom Podagra und anderen Gebrechen solche Schmerzen, daß das Leben mir eine schwere Pein ist; ich sterbe täglich nahe vor Qual und harre mit Seufzen auf die Erlösung durch den Tod'. Ein andermal schreibt er'Etwan sind meine Schmerzen gering, etwan unerträglich; aber sie werden nie so gering, daß sie aufhörten, und nie so stark, daß ich davon stürbe. Also schwebe ich täglich im Tode, und sterbe doch nicht. Ich bin so voll schädlicher Säfte, daß das Leben mir eine Pein ist, und ich des Todes mit Sehnsucht harre, der die einzige Erlösung sein wird von meinen Seufzern'. § Es war eine Frau, die buk Oblaten, und trug sie des Sonntags in die Kirche und gab sie Sanct Gregorio. Da nun Gregorius einst Messe hielt und ihr darnach Gottes Leib bot, und die Worte sprach 'Der Leib unsres Herrn Jesu Christi, der helfe dir zu dem ewigen Leben', da lachte das Weib. Der Papst zog die Hand zurück, mit der er ihr den Leib des Herrn reichen wollte, und legte die Oblate auf den Altar. Darnach fragte er sie vor allem Volk, warum sie gelacht hätte. Sie antwortete 'Weil du das Brot Christi Leib nennest, das ich mit meinen eigenen Händen hab gebacken'. Da fiel Gregorius auf seine Knie und betete für des Weibes Unglauben; und da er

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aufstund, siehe, so fand er ein Stücklein des Brotes zu Fleisch worden in eines Fingers Gestalt; davon ward das Weib gläubig. Er betete zum andern Male, da ward das Fleisch wieder Brot, und er reichte es der Frau. § Es kamen etliche Fürsten zu Sanct Gregorio, und baten ihn um eine köstliche Reliquie. Da gab er ihnen ein Stück von der Dalmatica Sanct Johannis des Evangelisten. Das wollten sie nicht nehmen, und verschmähten es als gering. Da betete Sanct Gregorius und nahm ein Messer und stieß es in die Dalmatica: und siehe, es floß Blut daraus. Also ward durch Gottes Fügung die Köstlichkeit der Reliquie offenbar. § Ein reicher Römer hatte sein Weib verlassen und ward darob vom Papste in den Bann getan. Das erzürnte ihn sehr; aber da er der Macht und dem Ansehen des Papstes öffentlich nicht mochte widerstehen, so nahm er seine Zuflucht zu etlichen Zauberern, die schwuren ihm, sie wollten es mit ihren Beschwörungen zu Wege bringen, daß ein Teufel in des Papfres Roß führe und es peinige, also lang, bis es seinen Reiter zu Schaden brächte. Da nun Gregorius einst ausritt, ließen die Zauberer den Teufel in das Roß fahren, der peinigte es also, daß niemand es halten mochte. Aber Gregorius erkannte im Geist, daß dies von dem Teufel komme, und machte das Kreuzeszeichen; da war das Pferd von feiner Wut befreit; aber die Zauberer waren blind geworden für alle ihre Zeit. Sie gestanden ihre Schuld und erlangten darnach Gnade und wurden getauft; doch gab Gregorius ihnen das Licht ihrer Augen nicht wieder, damit fie nicht wieder in ihre Zauberet möchten fallen; aber er gebot, daß man sie ernähre aus Kirchengut. § Wir lesen in dem Buche, das von den Griechen Lymon genannt wird, daß der Abt eines Klosters Sanct Gregorio meldete, es trage einer von den Mönchen drei Geldstücke bei sich. Den tat Gregorius in den Bann, den anderen Mönchen zu einer Warnung. Darnach über kurze Zeit starb der Bruder, und Gregorius wußte es nicht; als er es aber vernahm, ward er zornig, daß man ihn ohne Ablaß hatte sterben lassen, und schrieb ein Gebet auf ein Pergament, darin er den Bann von ihm nahm. Das gab er einem Diacon und gebot ihm, es über dem Grab des Verstorbenen zu lesen. Das geschah, und in der Nacht darauf erschien der Tote dem Abt und sprach 'Bis jetzt war ich in Banden, seit gestern aber bin ich frei'. § Sanct Gregorius setzte das kirchliche Amt und den Kirchengesang ein. Und richtete auch

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eine Singschule ein, und baute dafür zwei Häuser, eines neben Sanct Peters Kirche, das andere neben der Kirche des Lateran. Daselbst weist man noch heute mit großer Ehrfurcht das Ruhebett, darauf er während der Singstunden ruhete, und die Rute, damit er den Schulern drohte; auch ein Antiphonarium von seiner Hand geschrieben. Dem Canon fügte er die Worte hinzu 'Diesclue nostros in tua pace disponas atque ab aeterna damnatione nos eripi et in electorum tuorum jubeas grege numerari'. Das ist gesprochen 'Gieb unsern Tagen deinen Frieden und rette uns von der ewigen Verdammnis, auf daß wir unter die Schar der Auserwählten mögen kommen'. § Sanct Gregorius schied von dieser Welt geziert mit guten Werken, nachdem er dreizehn Jahre, sechs Monate und zehn Tage auf Petri Stuhl war gesessen. § Auf seinem Grab liest man diese Worte 'Nimm den Leib auf, Erde, der von deinem Leib ist genommen, gieb davon wieder was du vermagst, so Gott ihn auferweckt. Der Geift schwebt zu den Sternen, der Tod hat keine Macht über den, dem er nur ein Weg ist zu dem ewigen Leben. Des Papstes Reste ruhen in diesem Grab, der immer und allenthalben in guten Werken lebte'. Es war aber im Jahre des Herrn 604 unter dem Kaiser Phocas, daß er starb. § Nach Sanct Gregorii Tode kam ein großer Hunger über das Land. Da traten die Armen, die Sanct Gregorius gar reichlich gehalten hatte, vor seinen Nachfolger und sprachen 'Herr, deine Heiligkeit lasse die Armen nicht Hungers sterben, die unser Vater Gregorius allezeit gespeiset hat'. Darob erzürnte der Papst und antwortete jedesmal 'Mochte Gregorius alles Volk speisen, auf daß es fein Lob finge, wir können das nicht'. Und ließ sie immer leer von sich gehen. Da erschien ihm Gregorius zu drei Malen und strafte ihn mild um seines Geizes und seiner bösen Rede willen. Aber der Papst wollte sich nicht bessern. Das vierte Mal erschien ihm Gregorius mit schrecklichem Angesicht, und nahm ihn, und schlug ihn tödlich an sein Haupt, also daß er kürzlich darnach in großen Schmerzen starb. Die Teuerung aber verging nicht. Da begannen etliche Neider des Heiligen auf ihn zu schmähen und sprachen, er habe den ganzen Kirchenschatz verschwendet. Und reizten die anderen, daß sie aus Rache dafür seine Bücher wollten verbrennen. Als sie nun schon etliche verbrannt hatten und die übrigen verbrennen wollten, trat unter sie Petrus der Diacon, der Gregorii bester

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Freund war gewesen; und ist derselbige, mit dem er in den vier Büchern der Dialogi disputiert; der stund ihnen entgegen mit aller Macht, und sprach 'Sein Gedächtnis möget ihr damit nimmermehr auslöschen, denn in allen Teilen der Welt sind seine Bücher zu finden; auch ist es eine große Sünde, die hochberühmten Bücher dieses heiligen Vaters zu verbrennen, auf des Haupt ich den heiligen Geist gar oft in einer Tauben Gestalt gesehen hab'. Zu dem letzten so brachte er sie dazu: Hätte er es beschworen, was er hätte gesagt, und stürbe er, so sollten sie die Bücher nicht verbrennen. Bliebe er aber am Leben, nachdem daß er geschworen hätte, so wollte er mit eigenen Händen dazu helfen, daß die Bücher würden verbrannt. Denn Sanct Gregorius hatte ihm gesagt, wenn er das Wunder mit der Taube offenbar mache, so müsse er alsbald sterben. Also nahm der ehrwürdige Diacon Petrus, angetan mit seinem priesterlichen Gewand, das Buch Evangelium in seine Hand, und alsbald er es berührte und den Schwur von Gregorii Heiligkeit sprach, gab er seinen Geist auf ohne allen Schmerz, unter den Worten des Bekenntniffes der Wahrheit. § Ein Mönch in Sanct Gregorii Kloster hatte sich irdisch Gut gesammelt. Da erschien der Heilige einem andern Mönche und gebot ihm, jenem zu sagen, er solle sein Gut zerstreuen und Buße tun; denn über drei Tage so wäre er tot. Jener erschrak, als er das hörte, tat Buße und gab das Geld zurück. Bald fiel ihn ein Fieber an, das peinigte ihn so sehr, daß ihm am dritten Tage vom Morgen bis zur dritten Stunde vor großem Brennen die Zunge aus dem Munde hing; und es schien, als wäre er tot. Da unterbrachen die Mönche ihren Gesang, den sie um ihn angestimmt hatten, und hüben an, ihn zu schmähen; er aber erwachte plötzlich und schlug lächelnd die Augen auf und sprach 'Der Herr sei euch gnädig, Brüder; warum mußtet ihr mich schmähen? Ahr habt mir große Pein bereitet: denn ich ward zugleich von euch und von dem Teufel angeklagt, und wußte nicht, wem ich zuerst sollte antworten. Wenn ihr wieder jemand seht im Sterben liegen, so schmähet ihn nicht, sondern erzeiget ihm Mitleiden; denn er geht mit seinem Ankläger vor das Angesicht des strengen Richters. Also stund ich vor dem Gericht, der Teufel klagte wider mich, aber mit Sanct Gregorii Hilfe konnte ich auf alle seine Anklagen antWorten, nur auf eine nicht, um derentwillen ich, wie ihr fahrt, also gepeinigt ward, und davon ich mich auch jetzt noch nicht

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mochte befreien'. Die Bruder fragten ihn, was das wäre. Er antwortete 'Ich darf es nicht fagen, denn da mich Sanct Gregorius wieder zu euch sandte, beklagte sich der Teufel darob gar fehr und meinte, Gott sende mich zurück, daß ich für jene Sache hier Buße tue; darum mußte Sanct Gregorius für mich Bürge sein, daß ich es niemandem kund tue'. Nicht lange darnach schrie der Mönch auf 'Andreas, Andreas, du haft mich mit deinem böfen Rat in diese Not gebracht, aber noch in diesem Jahre wirst du sterben', und rollte schrecklich mit den Augen, und verschied. Nun war in der Stadt ein Mensch mit Namen Andreas, der fiel in dem Augenblick, da ihm der fterbende Mönch hatte geflucht, in eine schwere Krankheit: alles sein Fleisch zerfiel, aber er mochte nicht fterben. Zuletzt rief er die Mönche vom Kloster Sanct Gregorii zu sich, und beichtete ihnen, daß er mit jenem andern Mönche zusammen Bücher aus dem Kloster geraubt und gegen Geld an Fremde hatte verkauft. Und sobald er dies gesagt hatte, konnte er sterben, und hauchte mitten in seiner Beichte die Seele aus. § Zu der Zeit herrschte in den Kirchen noch das Ambrosianische Amt vor dem Gregorianischen. Da berief Adrianus der Papst, wie wir im Leben des heiligen Eugenius lesen, ein Concil; das setzte fest, daß man überall das Gregorianische Amt sollte halten. Carolus der Kaiser vollbrachte das Gebot des Concils; er fuhr durch alle Lande und zwang die Priester dazu mit Drohen und mit Gewalt, und ließ die Bücher mit dem Ambrosianischen Amt allenthalben verbrennen; und warf die Priester ins Gefängnis, die dem widerstunden. Da nun der selige Bischof Eugenius zu demfelben Concil kam, da war es schon seit drei Tagen aufgelöst. Da überkam er den Papst mit seiner Weisheit, daß er alle Prälaten, die bei dem Concil gewesen waren, zurückrief, ob fie fchon drei Tagereifen weit fortgezogen waren. Als sie nun alle beisammen waren, ward einmütig

beschlossen, daß man das Gregorianische und Ambrosianische Missale auf den Altar Sanct Peters des Apostels lege; darnach sollten die Türen der Kirche fest verschlossen und mit den Siegeln der Bischöfe versiegelt werden, und man sollte die ganze Nacht Gott bitten, daß er durch ein Zeichen offenbar mache, welches Missale in den Kirchen sollte gehalten werden. Es geschah alles, wie es geboten war, und als man des Morgens die Türen öffnete, fand man beide Bücher auf dem Altar aufgeschlagen; andre sagen, daß das Gregoria-

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nische rnissale zertrennt war und auf dem Boden umher gestreut, das Ambrosianische aber war aufgeschlagen auf dem Altar, an der Statt, da man es hingelegt hatte; damit wollte Gott ihnen kund tun, daß das Gregorianische Amt durch alle Welt solle gehalten werden, das Ambrosianische aber nur in seiner eigenen Kirche. Also setzten es die heiligen Väter nach Gottes Willen fest und also wird es noch heutigen Tages gehalten. § Es erzählt Johannes der Diacon, der uns das Leben Sanct Gregorii hat beschrieben, daß ihm, dieweil er an diesem Werke war, einst träumte, er schriebe bei der Lampe und es erschiene ihm ein Mann in priesterlicher Würdigkeit; sein Kleid war weiß, doch also dünn, daß die Schwärze seines Unterkleides hindurchschien. Er trat näher zu Johannes und blies die Backen auf als könnte er sich nicht halten vor Lachen. Sprach Johannes 'Du scheinest ein würdiger Priester und lachest so gar freventlich'. Er antwortete 'Ich lache, daß du von Toten schreibest, die du im Leben nie hast gesehen'. Sprach Johannes 'Hab ich auch nicht sein Gesicht gesehen, so hab ich doch in den Büchern von ihm gelesen'. Sprach der Priester 'Du tust, was du willst; so tu ich, was ich mag'. Damit löschte er ihm die Lampe aus und erschreckte ihn also sehr, daß er laut aufschrie; denn es war ihm, als habe jener ihm mit einem Schwert die Kehle abgeschnitten. Aber siehe, da erschien Sanct Gregorius mit Sanct Nicolaus zu seiner Rechten und Petro dem Diacon zu seiner Linken, und sprach zu ihm 'Du Kleingläubiger, warum zweifeist du?' Darnach nahm er aus Petri des Diacons Hand eine große Fackel und schlug damit den Teufel, der fich hinter den Vorhang des Betts geflüchtet hatte, und brannte ihm sein Angesicht schwarz wie das eines Mohren. Da sprang ein Funke in sein weißes Kleid, das war in einem Nu verbrannt, und der Teufel stund gar schwarz. Sprach Petrus zu Sanct Gregorio 'Den haben wir schwarz genug gemacht'. Antwortete Gregorius 'Wir haben ihn nicht schwarz gemacht, sondern allein erzeiget, wie schwarz er sei'. Und also ließen sie einen klaren Schein und verschwanden. § Von Sanct Longinus. Λ onginus war ein Hauptmann, der stund mit anderen --CKriegsknechten unter dem Kreuz, da unser Herr gekreu-

zigt ward. Auf des Pilatus Gebot durchstach er die Seite

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des Herrn mit seinem Speer; aber da er die Zeichen sah, die da geschahen, daß die Sonne ihren Schein verlor und die Erde erbebte, da glaubte er an Christum. Etliche schreiben, daß er sonderlich sei gläubig worden, da das Blut Christi, das an der Lanze herablief, von ungefähr seine Augen berührte, die von Krankheit oder Alter schwach waren, und ihm alsbald sein klares Gesicht wiedergab.Also sagte er aller Ritterschaft ab, und empfing von den Aposteln die Lehre des Glaubens. An der Stadt Caesarea im Lande Cappadocien lebte er achtundzwanzig Jahre gleich einem Mönche, und bekehrte viele Menschen mit seinem Wort und seinem guten Beispiel. Zuletzt ward er von dem Richter gefangen, und da er nicht opfern wollte, hieß ihm der Richter seine Zähne alle ausbrechen und seine Zunge abschneiden. Doch verlor Longinus die Sprache nicht, sondern nahm eine Axt und zerschlug alle Abgötter, daß sie in Stücke brachen und rief 'Nun sehen wir wohl, ob dieses Götter sind'. Da fuhren die Teufel aus den Götterbildern in den Richter und feine Gefellen, daß sie von Sinnen kamen und bellend zu Longini Füßen krochen. Der aber sprach zu den Teufeln 'Warum wohnet ihr in den Bildern?' Sie antworteten 'unsre Wohnung ist, da der Name Christi nicht genannt wird und da sein Kreuzeszeichen nicht ist'. Da aber der Richter raste und sein Augenlicht verkoren hatte, sprach zu ihm Longinus 'Wisse, du magst nicht gesund werden, du tötest mich denn; und alsbald ich durch dich gestorben bin, will ich Gott für dich bitten, und erwerbe dir Gesundheit Leibes und der Seelen'. Da hieß ihn der Richter zustund enthaupten; darnach kam er mit großer Reue und Leid und warf sich vor seinem Leichnam mit Tränen nieder. Alsbald empfing er Gesundheit und Gesicht und endete sein Leben in guten Werken. § Von Sanct Benedictus.

‫״‬vKenedictus heißt also, weil er vieles gesegnet hat; oder .-^Jweil er viel Segnungen hatte in diesem Leben; oder weil alle ihn segneten; oder weil er den ewigen Segen verdient hat. Sein Leben hat Sanct Gregorius beschrieben. *VKenedictus ist geboren von der Provinz Nursia, und -^.zward in seiner Jugend gen Rom gesandt, die freien Künste zu lernen. Doch bedachte er sich eines Besseren; und ließ die Wissenschaften noch in seinen kindlichen Tagen und

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gedachte, wie er in die Wüste möchte gehn. Da folgte ihm seine Amme nach, die ihn gar lieb hatte, und kam mit ihm bis zu einem Ort, der heißt Effide. § Daselbst geschah es, daß sie ein Sieb entlehnte, Weizen darin zu reinigen, und setzte es unfürsichtig auf einen Tisch, daß es herabfiel und in zwei Stücke brach. Als Sanct Benedict sah, daß sie darob weinte, nahm er die Stücke und betete darüber. Und da er von seinem Gebet aufstund, war das Sieb wieder ganz. § Darnach stahl sich Sanct Benedict gar heimlich von seiner Amme und kam an einen Ort, da wohnte er drei Jahre, den Menschen unerkannt, denn allein einem einigen Mönch, Romanus mit Namen, der brachte ihm mit Fleiß alle seine Notdurft. Aber zu der Höhle, da Sanct Benedict wohnte, war von des Romanus Kloster kein Weg; darum band er das Brot an ein langes Seil und ließ es ihm also hinab; und band auch ein Glöckchen an das Seil, daß Sanct Benedict es hörte, wann er ihm das Brot herabließ: so kam er dann aus seiner Höhle und nahm es. Aber der alte böse Feind neidete dem einen seine Güte und dem andern seine Nahrung, und warf einen Stein und zerbrach die Schelle, daß sie nimmer klang. Doch ließ Romanus nicht ab und brachte die Nahrung alle Tage. Nun geschah es, daß ein Priester am Ostertage ihm selber eine gute Speise bereitet hatte. Da erschien ihm unser Herr und sprach 'Du bereitest dir eine lustliche Speise, und mein Knecht liegt an jener Statt, und stirbt Hungers'. Alsbald stund der Priester auf und ging hin, Sanct Benedict zu suchen, und fand ihn kaum mit großer Mühe. Er sprach zu ihm 'Steh auf, und laß uns essen, denn heute sind die Ostern des Herrn'. Benedictus antwortete 'Ich merke wohl, daß Ostern ist, da ich dich sehen darf'. Denn er war so weit von allen Menschen, daß er nicht wußte, daß desselbigen Tages Ostern war. Da sprach der Priester 'Glaube mir, heute ist wahrhaftig der Tag, da unser Herr von dem Tode erstund, darum ziemt dir heute nicht zu fasten, und ich bin darum von Gott zu dir gesandt'. Also aßen sie und lobten Gott. § Eines Tages flog ein schwarzer Vogel, den man Amsel nennt, Sanct Benedict greulich um sein Haupt, und flog ihm so nahe, daß er ihn wohl hätte greifen mögen. Aber er machte das Kreuz, da war der Vogel verschwunden. § Darnach führte der Teufel Sanct Benedict eine Frau vor seines Geistes Augen, die hatte er vormals in der Welt gesehen; und reizte ihn sehr

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dazu und entzündete sein Herz also mit ihrem Bilch daß er gedachte, er wollte die Wüste verlassen um dieser Lust willen. Da erleuchtete ihm Gott sein Herz und half ihm, daß er der Anfechtung widerstund; und zog sich nackend aus und wälzte sich in den Dornen und Disteln so lange hin und her, bis all sein Leib blutig war. Also heilte er des Geistes Wunden durch die Wunden des Leibes, und siegte über die Sünde, da er den Brand nach außen zog. Von der Zeit focht ihn keine leibliche Versuchung mehr an. § Nun wuchs sein guter Leumund über alles das Land. Da war ein Kloster mit Mönchen, denen war ihr Abt tot; die kamen gemeiniglich und begehrten, daß er ihr Haupt sollte sein. Des wehrte er sich lange und sprach, seine Sitten möchten sich zu den ihren nicht wohl schicken; doch gab er sich zuletzt in ihren Willen. Da zwang er die Mönche, daß sie streng die Regel mußten halten; die schalten sich gar bald, daß sie ihn zu ihrem Abt hatten erwählt, des Heiligkeit von ihrer Laßheit wurde beleidigt. Da sie nun sahen, daß sie unter ihm nicht mochten sündigen, war ihnen leid, und mochten doch nicht ihre böse Gewohnheit lassen, darum taten sie Gift in seinen Wein und gaben ihm den zu trinken da er zu Tische saß. Aber Sanct Benedict machte ein Kreuz darüber; da sprang das Glas, als ob es mit einem Stein wäre entzwei geworfen. Da verstund Sanct Benedict, daß dieser Trank ein Trank des Todes gewesen war, da er das Zeichen des Lebens nicht ertragen mochte; darum so stund er auf und sprach mit lächelndem Angesicht 'Brüder, der allmächtige Gott erbarme sich über euch: sagte ich euch nicht zuvor, daß meine Sitte und eure Gewohnheit nicht möchten übereinkommen?' Also schied er sich von ihnen und ging wieder von dannen in seine Wüste. Daselbst tat er viel Zeichen, und kamen viele Menschen zu ihm, daß er ihnen zwölf Klöster bauete. § In dem einen Kloster war ein Mönch, der mochte keine Weile an seinem Gebet bleiben, sondern wenn die anderen beteten, ging er alsbald hinaus, und ging irdischen Dingen nach. Das klagte der Abt des Klosters Sanct Benedict. Der kam, und sah, wie ein schwarz Kindlein den Mönch am Saum seines Kleides mit sich zog, dass er bei dem Gebete nicht mochte bleiben. Da sprach Sanct Benedict zu dem Abt und zu Maurus, einem Mönch 'Sehet ihr nicht, wer diesen Mönch von dem Gebete ziehet?' Sie antworteten 'Nein'. Sprach Sanct Benedict 'So wollen wir Gott bitten, daß

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ihr es auch sehet', und da sie gebetet hatten, sah Maurus das schwarze Kindlein, aber der Abt sah es nicht. Des anderen Tages nach dem Gebet fand Sanct Benedict den Mönch vor der Tür; da fchlug er ihn um seiner Blindheit willen mit einer Rute, und von Stund an blieb der Mönch bei seinem Gebet ohn Hindernis, und der böse Geist war aus seinen Gedanken vertrieben, als wäre er selbst von dem Schlag der Rute getroffen worden. § Von den Klöstern waren drei auf einen hohen Fels gesetzt, daß sie großen Mangel an Wasser hatten und mit großer Mühe das Wasser auf den Berg mußten tragen. Die Mönche baten Sanct Benedict gar oft, daß er die Klöster an ein ander Ende sollte setzen; da stieg er eines Nachts auf den Berg mit einem Kinde, betete daselbst und legte drei Steine an die Stelle zu einem Wahrzeichen. Als er des Morgens heintkam, traten die Brüder wiederum vor ihn mit derselben Bitten. Da sprach er 'Gehet hin und hauet ein wenig in dem Fels, darauf ich drei Steine habe gelegt: da mag Gott euch wohl Wasser geben'. Sie kamen dahin und fanden den Fels schon feucht, und gruben gar ein wenig, da ward er alsbald voll Wassers; das fließt noch bis auf den heutigen Tag und fließt von dem Gipfel des Bergs bis zu seinem Fuß. § Einstnals mähte ein Mann um das Kloster Sanct Benedicti Dornen ab mit einer Sichel: da sprang das Eisen von dem Griff und fiel in einen tiefen See. Des betrübte sich der Mensch gar sehr. Aber Sanct Benedict nahm das Heft und hielt es in den See; da sprang das Eisen wieder an seinen Griff. § Es war ein Mönchlein, Placidus genannm, das ging an den Fluß Wasser schöpfen und fiel darein, und ward faft einen Pfeilschuß weit vom Ufer weggerissen. Sanct Benedict saß unterdes in seiner Zelle und erkannte im Geist, was geschehen war. Da rief er Bruder Maurum und gebot ihm, daß er eilends ginge und dem Kind zu Hilfe käme. Maurus empfing seinen Segen und eilte hin und lief auf dem Fluß, daß er meinte, er ginge auf festem Lande. Er kam zu dem Knaben, griff ihn bei dem Haar und zog ihn aus dem Wasfer. Dann ging er wieder zu Sanct Benedict und erzählte ihm, was geschehen war. Aber der sprach 'Das ist nicht mein Verdienst, sondern der Lohn deines Gehorsams'. § Nun war ein Priester, Florentius mit Namen, der war Sanct Benedict gar feind, und war so bös, daß er dem Heiligen ein vergiftet Brot sandte als eine Segensgabe. Benedictus empfing es mit Dank; und gab es

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feinem Raben, der sonst aus seiner Hand zu essen pflag, und sprach 'Ich Namen Jesu Christi, nimm das Brot und trage es an einen Ort, da es kein Mensch finden mag'. Da sperrte der Rabe seinen Schnabel auf und breitete die Flügel aus, und hub an, rings um das Brot zu laufen und zu krächzen, als wollte er fagen 'Ich möchte gern gehorsam sein, doch kann ich das Gebot nicht vollbringen'. Aber der Heilige gebot es ihm zum zweiten und dritten Male und sprach 'Nimm das Brot sicherlich und ohne Furcht, und trag es, dahin ich dir gesagt habe'. Endlich nahm er es und trug es fort; und kam nach drei Tagen heim, und nahm fein Futter wieder aus Sanct Benedicts Hand, wie er es gewohnt war. § Da nun Florentius sich, daß er des Meisters Leib nicht töten mochte, gedachte er, wie er doch die Seelen seiner Junger möchte verderben. Und sandte sieben nackte Mägde in den Klostergarten, die sollten vor den Mönchen tanzen und singen und sie zu Unkeuschheit reizen. Das sah Sanct Benedict aus seiner Zelle; da fürchtete er der Mönche Fall und mochte auch nicht widerstehn dem Hasse; darum nahm er etliche Brüder zu sich und ging aus dem Kloster. Florentius aber stund auf seinem Söller, und da er sah, daß Sanct Benedict floh, freuete er sich seiner Bosheit; da fiel der Söller und schlug ihn tot. Maurus der Mönch lief hinter Sanct Benedict drein und rief 'Kehre wieder in dein Kloster, denn der dich verfolgte, ift tot'. Als das Sanct Benedict hörte, erfeufzte er tief, daß sein Feind verdorben war und daß fein Jünger fich des freuete. Und fetzte Mauro eine schwere Buße, darum daß er ihm die Botschaft vom Tod seines Feindes also frohlockend hatte gebracht. Er selbst zog an einen andern Ort. Doch ob er gleich die Statt verwandelte, da er wohnte, so entging er doch nicht seinem alten Feind. Denn da er zu dem Berge Cassinus kam, weihte er den Tempel des Abgotts Apollo zu einem Bethaus Sanct Johannis des Täufers und kehrte das Volk, das dabei wohnte, vom Dienfte der Abgötter. Darum trug ihm der böse Feind Hass und erschien ihm leibhaftig in einer greulichen Gestalt und sprach mit feurigem Antlitz und flammenden Augen wider ihn 'Benedicte, Benedicte'. Da antwortete Sanct Benedict nicht. Sprach der Teufel 'Maledicte, Maledicte, non Benedicte' das ift gesprochen 'Du Verfluchter, nicht du Gesegneter'; 'was verfolgest du mich?' § Eines Tages wollten die Mönche bei dem Baue einen Stein von der Erde auf-

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heben, das mochten sie in keiner Weise vollbringen. Es kam herbei eine große Schar Männer, die konnten ihn auch nicht heben. Da kam Sanct Benedictus hinzugegangen, und gab seinen Segen über dem Stein: da erhüben sie ihn zumal leichtiglich; also wurden sie gewahr, daß der Teufel auf dem Stein hatte gesesfen, daß er ihn nicht ließ aufheben. Da nun die Mönche die Wand schon höher gebaut hatten, erschien der Teufel Sanct Benedict und sprach 'Ich fahre zu den Brüdern, die da arbeiten'. Der Heilige sandte den Mönchen alsbald einen Boten und ließ ihnen entbieten 'Brüder, sehet euch vor, denn der böse Geist will zu euch kommen'. Kaum hatte der Bote die Worte ausgesprochen, da war auch der Teufel da und warf die Wand um und erschlug darunter ein junges Mönchlein. Sanct Benedict aber hieß das Mönchlein in einem Sack also tot und zerquetscht vor sich tragen, und erweckte das Kind mit seinem Gebet, und sandte es wieder an das Werk. § Es war ein ehrsamer Laie, der hatte die Gewohnheit, daß er alle Jahre einmal mit Fasten zu Sanct Benedict fuhr. Einsmals nun, da er auf dem Wege war, stieß ein anderer Pilgerim zu ihm, der trug Speise für die Fahrt mit sich. Da es des Tages spät ward, sprach zu ihm der andere Pilgerim 'Bruder, wir wollen essen, daß wir nicht müde werden auf der Straßen'. Er aber antwortete, daß er keine Nahrung zu sich nähme auf dem Wege. Da schwieg der Pilgerim eine Weile; darnach lud er ihn aber zum Essen. Aber er wollte nicht. Hiernach über eine lange Stunde, da sie sehr müde waren, kamen sie auf eine grüne Wiese. Da stund ein kühler Brunnen und alles, was den Menschen dazu laden mag, seinen Leib zu erquicken. Das wies ihm der Pilgerim und lud ihn ein, daselbst ein wenig zu rasten und zu essen. Die Worte schmeichelten seinem Ohr, und der lustige Ort blendete sein Auge; also willigte er ein und aß. Als er aber zu Sanct Benedict kam, sprach zu ihm der Mann Gottes 'Lieber Bruder, der böse Geist mochte dich mit der ersten Versuchung nicht überkommen noch mit der anderen, doch hat er dich mit der dritten überwunden'. Da fiel der Mensch nieder zu Sanct Benedicts Füßen und bekannte, daß er gefehlt hatte. § Totila war ein König der Goten, der wollte Sanct Benedict versuchen, ob er den göttlichen Geist der Wahrsagung hätte. Darum kleidete er seiner Schwertträger einen mit seinen königlichen Kleidern und sandte ihn zu Sanct Benedict mit großem Gefolge. Da

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der Heilige ihn kommen sah, sprach er 'Sohn, leg von dir das Kleid, das du trägst; denn es ist nicht dein'. Da fiel der Knecht nieder auf die Erde und erschrak, daß er einen solchen Mann hatte verspotten wollen. § Es war ein Priester von dem bösen Geist besessen, der ward vor Sanct Benedict geführt, daß er ihn heile. Der trieb den Teufel aus ihm und sprach 'Gehe hin, und iß hinfort kein Fleisch mehr, und hüte dich, daß du keinen heiligen Orden an dich nehmest; denn an welchem Tage du das vermessentlich tust, fällst du in des Teufels Gewalt'. Der Priester hielt dies lauge; aber da er sah, daß viel unwürdigere denn er den heiligen Orden empfingen, so übertrat er des Heiligen Gebot, gleich als hätte er es nach so langer Zeit vergessen, und ging in den Orden. Da fuhr der Teufel wieder in ihn und peinigte ihn, daß er starb. § Ein Mann sandte Sanct Benedict zwei Flaschen Weines durch seinen Knecht. Da verbarg der Knecht die eine Flasche auf dem Wege und brachte die andere Sanct Benedict. Der empfing sie mit großem Dank, doch warnte er den Knecht und sprach 'Sohn, siehe zu, daß du nicht aus der Flasche trinkest, die du verborgen hast, sondern gieße sie fürsichtiglich aus, so wirst du sehen, was darin ist'. Da schied der Knecht von ihm mit großer Scham, und ging hin, und wollte prüfen, was er gehört hatte. Und goß die Flasche aus: da fuhr eine Schlange heraus. § Einst, da Sanct Benedict zu Abend aß, hielt vor ihm ein Mönch das Licht, der war eines Fürsprechen Sohn; der gedachte in seinem Herzen voll Hoffart 'Wer ist dieser, daß ich ihm das Licht vorhalte, da er isset? wer bin ich, daß ich ihm diene?' Da sprach Sanct Benedict alsbald zu ihm 'Bruder, segne dein Herz, segne dein Herz. Was sprichst du?' Damit rief er die Brüder und hieß dem Mönch den Leuchter aus der Hand nehmen. Und hieß ihn in das Kloster gehen und Ruhe halten. § Einst hatte Sanct Benedict etliche Mönche ausgesandt, daß sie sollten ein Kloster bauen. Und sprach, daß er auf einen benannten Tag wollte zu ihnen kommen, und ihnen zeigen wie fie das Kloster follten bauen. In der Nacht vor dem Tage, den er ihnen hatte gelobt, erschien Sanct Benedict dem obersten der Mönche, den er dahin hatte gesetzt, im Traum und wies ihm alle die Stätten genau, da man ein jeglich Ding bauen sollte. Doch glaubten die Mönche dem Gesicht nicht, sondern warteten auf ihn selbst. Zu dem letzten so kehrten sie wieder zu ihm und sprachen 'Vater, wir haben

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dein lange geharrt, daß du kämest wie du uns gelobt hast; aber du bist nicht gekommen'. Antwortete Sanct Benedict 'Warum sprechet ihr so? Bin ich euch nicht erschienen, und hab euch jeglichen Ort gewiesen? Gehet hin und bauet, wie ihr es im Gesicht gesehen habt'. § Es waren zwei Nonnen von edlem Geschlecht nicht fern von Sanct Benedicts Kloster; die mochten ihre Zunge nicht im Zaume halten, und betrübten ihren Oberen oft mit ihren unbedachten Reden. Der klagte solches Sanct Benedict. Und der Heilige ließ ihnen sagen 'Haltet eure Zungen still, anders ich tu euch in den Bann'. Doch tat er sie nicht wirklich in den Bann, sondern drohte ihnen nur damit. Sie aber besserten sich nicht, und es geschah, daß sie kürzlich darnach starben und in der Kirche wurden begraben. Als nun daselbst Messe gehalten ward und der Diacon nach der Gewohnheit die Worte sprach 'Wer in dem Bann ist, der gehe aus der Kirche' da sah die Amme der beiden Frauen, die immer für sie opferte, wie sie aus ihren Gräbern aufstunden und aus der Kirche gingen. Das ward Sanct Benedict gesagt. Da gab er mit eigener Hand ein Opfer und sprach 'Bringet dies für sie dar, so werden sie aus dem Bann entbunden'. Das geschah; und wann der Diacon nun die Worte sprach, so sah man sie hinfort nicht mehr aus der Kirche gehen. § Ein Mönch ging ohne Sanct Benedicts Segen aus dem Kloster, seine Eltern zu besuchen, und des Tages, da er zu ihnen kam, starb er. Man begrub ihn, aber die Erde warf ihn wieder aus; das geschah auch bei dem zweiten Male. Da kamen die Eltern zu Sanct Benedict und baten ihn, daß er seinen Segen über ihn gäbe. Der Heilige nahm den Leib des Herrn und sprach 'Gehet hin und legt die Hostie dem Toten auf seine Brust, und begrabt ihn dann'. Sie taten also, und der Leichnam blieb darnach unter der Erde und ward nicht mehr ausgeworfen. § Es war ein Mönch, der wollte im Kloster nicht bleiben, und lag mit seinen Bitten Sanct Benedict also lange an, bis er ihm im Zorn erlaubte, daß er aus dem Kloster gehe. Aber alsbald da er aus dem Kloster trat, sah er einen Drachen vor sich auf dem Wege mit offenem Rachen, als wollte er ihn verschlingen. Da schrie er laut 'It)r Brüder, lauft und kommt mir zu Hilfe, denn dieser Drache will mich verschlingen'. Die Brüder liefen heraus, aber sie sahen keinen Drachen. Da führten fie den Mönch wieder in das Kloster; der zitterte und bebte vor Schrecken und gelobte, daß er nie wieder von

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dem Klofter wolle kommen. § Einst war eine große Hungersnot in dem Land, da Sanct Benedict wohnte, und der Heilige hatte alles, was er finden mochte, den Dürftigen gegeben, alfo daß nichts mehr in dem Kloster war denn ein wenig Öl in einem Gläslein. Auch dieses hieß Sanct Benedict einem Armen geben; das wollte der Kellermeister nicht tun, weil sonst kein chl übrig bliebe für die Mönche. Als der Heilige das vernahm, ließ er das Glas mit dem chl aus dem Fenster werfen, auf daß nichts in dem Kloster sei, was wider den Gehorsam wäre behalten. Da blieb das Glas ganz, ob es gleich auf den harten Felsen fiel, und das ©l ward nicht verschüttet. Also ließ er es aufheben und dem Armen geben. Darnach schalt er den Mönch um seinen Ungehorsam und Unglauben, und gab sich an sein Gebet: da ward alsbald ein großes Fass das in dem Keller lag, voll cvls, daß es auf den Boden überflosi.§ Einst war Sanct Benedict gegangen, seine Schwester zu besuchen. Und da sie sich zu Tische setzten, bat sie ihn, daß er über Nacht bei ihr bliebe. Das wollte er nicht tum Da neigte sie ihr Haupt nieder in ihre Hände und bat Gott, daß er ihre Bitte erfülle. Und da sie ihr Haupt wieder aufhub, war da ein so groß Ungewitter von Donner und Blitzen und ein solch strömender Regen, daß Sanct Benedict seinen Fuß nicht mochte aus dem Hause setzen; und war es doch zuvor heiter und schön gewesen: also hatte sie mit ihren Tränenbächen die Regenströme vom Himmel herabgezogen und die Heiterkeit des Wetters verwandelt. Da ward Sanct Benedict gar betrübt und sprach 'Gott vergebe dir, Schwester, was hast du getan?' Sie antwortete 'Ach bat dich, aber du wolltest mich nicht hören; da hab ich unsern Herrn gebeten, der hat mich erhöret. Darum so geh nun von mir, so du magst'. Also blieben sie bei einander und durchwachten die Nacht in andächtigem Gespräch. Darnach über drei Tage, da Sanct Benedict wieder in seinem Kloster war, hub er von ungefähr die Augen auf: da sah er seiner Schwester Seele in einer weißen Tauben Gestalt dem innersten Himmel zustreben. Er sandte aus und ließ ihren Leib zu sich in das Kloster führen und begrub ihn in dem Grab, das er sich selber hatte bereitet. § Eines Nachts stund Sanct Benedict an seinem Fenster und betete. Da sah er, wie ein Licht von oben alle Finsternis der Nacht vertrieb. Aber plötzlich schien es, als sei alle Welt unter einem Sonnenstrahl vor seinen Augen gesammelt. In dem Strahl sah er Germani

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des Bischofs von Capua Seele gen Himmel fahren. Und hernach erfuhr er, daß er um dieselbige Stunde von der Welt geschieden war. § In dem Jahr, da Benedictus sterben sollte, sagte er seinen Brüdern den Tag seines Todes voraus. Da nun die Zeit nahete, hieß er sechs Tage zuvor das Grab öffnen. Auf diefelbe Zeit ftieß ihn ein Fieber an, und er ward von Tag zu Tag schwächer. Am sechsten Tage ließ er sich in die Kirche tragen und empfing zur Stärkung den Leib und das Blut des Herrn. Darnach stund er in den Armen seiner Junger, den schwachen Leib aufgerichtet, breitete seine Arme gen Himmel, und gab seinen Geist auf unter den Worten des Gebets. § Auf den Tag, da Sanct Benedict von dieser Welt schied, ward zweien Mönchen dasselbe Gesicht; einem in seiner Zelle, dem anderen weit davon; die sahen eine leuchtende Straße, die war mit köstlichen Teppichen gedeckt und mit unzähligen Lichtern geziert, und ging von Sanct Benedicti Zelle gen Aufgang zum Himmel empor. Auf der Straße sahen sie einen ehrwürdigen Greis mit klarem Angesicht, der sprach zu ihnen 'Wißt ihr, wes die Straße ist, die ihr schaut?' Sie antworteten, sie wüßten es nicht. Da sprach er 'Dies ist die Straße, darauf der auserwählte Freund Gottes Sanct Benedictus foll gen Himmel fahren'. § Er ward begraben in der Kirche Sanct Johannis des Täufers, die er selbst an der Statt hatte gebaut, da zuvor der Altar des Abgotts Apollo hatte gestanden. Er lebte um das Jahr des Herrn 518 zu Jufrini des Alteren Zeiten. § Von Sanct Patricius.

atricius, der da lebte um das Jahr des Herrn 280, stund einst vor dem Könige von Schottenland und predigte ihm von dem Leiden Christi; er hatte seinen Stab von ungefähr auf des Königs Fuß gefetzt, und lehnte fich darauf; alfo durchstach er den Fuß des Königs. Da wähnte der König, Sanct Patricius verwunde ihn mit Bedacht, und er möge nicht anders Christenglauben empfangen, als wenn er gleiches für Christo litte; und hielt geduldig still. Als Patricius es endlich inne ward, erschrak er, und heilte den König alsbald mit seinem Gebet. Und betete für das ganze Land, daß daselbst kein giftig Tier leben könne. Des ward er gewährt, und Gott verlieh auch allem Holz und Rinde dieses Landes die Krafr, daß es gegen das Gift gut fei. § Ein Mann hatte

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seines Nachbars Schaf gestohlen und gegessen. Sanct Patricius ermahnte den Dieb oft mit allgemeinen Worten, daß er seine Sünde gut mache, wer er auch sei; aber es fand sich niemand. Da beschwur Patricius in der Kirche vor allem Volk das Schaf bei der Kraft Jesu Christi, daß es in des Leib solle schreien, der es gegessen hätte. Da bähete das Lamm aus dem Bauch des Diebes, und also mußte er Buße tun mit großer Schande. Dies Zeichen sahen die anderen Leute und hüteten sich hinfort vor Diebstahl. § Es hatte Sanct Patricius die Gewohnheit, daß er alle Kreuze, die er sah, mit Andacht grüßte. Nun geschah es, daß er einsmals vor einem großen und schönen Kreuze vorüberging, ohne daß er es sah. Da fragten ihn seine Gefährten, warum er das Kreuz nicht gesehen hätte und nicht gegrüßet. Und er bat Gott, daß er ihm kund täte, wes das Kreuz sei. Da antwortete ihm eine Stimme unter der Erden und sprach 'Du sahest das Kreuz nicht, weil ich ein Heide hie liege begraben und bin nicht würdig, daß auf mir steht das Zeichen des heiligen Kreuzes'. Da ließ er das Kreuz nehmen und an eine andere Statt setzen. § Nun predigte Sanct Patricius in dem Land Hybernia, aber er mochte wenig Menschen daselbst bekehren. Da bat er Gott um ein Zeichen, davon die Menschen erschreckt würden und Buße täten. Und Gott der Herr wies ihm eine Statt und ließ ihn daselbst mit seinem Stabe einen Kreis machen: und siehe, die Erde öffnete sich in dem Kreis und ein tiefer Abgrund erzeigte sich. Sanct Patricio aber ward kundgetan, daß dies ein Fegefeuer sei; und wer darein gehe, dem wäre keine andere Buße not und kein anderes Fegefeuer für seine Sünden. Die meisten würden daraus nicht kommen, aber die da wieder sollten kommen, die wären nicht länger darinnen denn von einem Morgen bis zu dem anderen. Also gingen viele darein und kamen nicht wieder. § Lange Zeit darnach, als Patricius tot war, trug es sich zu, daß ein Edelmann mit Namen Nicolaus, der lange in Sünden hatte gelegen, seine Missetat büßen und in Sanct Patricii Fegefeuer sich reinigen wollte. Er bereitete sich fünfzehn Tage mit Fasten, wie es Gewohnheit war, und ließ sich die Pforte auftun mit einem Schlüssel, der in einer Abtei bewahrt ward. Er stieg in die Höhle hinab, da sah er zur Seite einen Gang; er ging darin fort und kam in eine Kirche, da traten Mönche herein, mit der Alba angetan, und begingen das Amt. Darnach sprachen sie zu Nicolaus, er sollte

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standhaft bleiben wider die Anfechtungen der Teufel, die er müßte leiden. Er fragte, was Hilfe er dawider möchte haben. Sie antworteten 'Wenn du gewahr wirst, daß sie dich peinigen wollen, so rufe alsbald: Jesu Christe, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich über mich Sünder'. Als die Mönche von dannen gegangen waren, kamen alsbald die Teufel und rieten ihm zu dem ersten mit sanften Worten und großen Versprechungen, daß er umkehre und ihnen gehorsam sei; und sprachen, sie wollten sein hüten und ihn unversehrt wieder heimbringen. Das verschmähte Nicolaus und wollte ihnen nicht gehorsam sein. Da hörte er zustund die erschrecklichen Stimmen vieler wilder Tiere und ein Donnergebrüll, als seien alle Elemente im Aufruhr. Lin diesem Schrecken rief er eilends 'Jesu Christe, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich über mich Sünder'; und alsbald war alles ruhig. Er ging fürbaß und kam an einen anderen Ort. Da war eine Schar der Teufel, die sprachen 'Meinst du, du könntest unsern Händen entrinnen? Nimmermehr, denn deine Pein soll sich erst anheben'. Siehe, da war vor ihm gar ein ungeheures Feuer, und sprachen die Teufel 'Es sei denn, daß du uns folgest, sonst werfen wir dich in dieses Feuer'. Er aber widerstund ihren bösen Reden. Also nahmen sie ihn und warfen ihn in das Feuer. Da ihn die Glut brannte, rief er 'Jesu Christe, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich über mich Sünder'; da verlosch das Feuer zustund. Darnach ward er an einen anderen Ort geführt, da sah er etliche Menschen, die wurden lebendig im Feuer gebraten und von den Teufeln mit glühenden Eisen gepeinigt bis auf die Eingeweide. Andre lagen mit dem Bauch auf der Erde und bissen vor Schmerz in die Erde und schrieen um Erbarmen: dann schlugen die Teufel noch grausamer zu. Andere sah er, an deren Gliedern fraßen Schlangen, und Kröten zogen mit feurigen Stacheln ihre Eingeweide heraus. Und da Nicolaus den Teufeln nicht wollte gehorsam sein, ward er in dasselbe Feuer geworfen und ward gepeinigt wie die anderen. Aber er rief 'Jesu Christe, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich über mich Sünder' und war alsbald frei. Darnach kam er an einen Ort, da man die Menschen in Pfannen briet; da war auch ein großes Rad voll glühender Haken, daran hingen Menschen, der eine mit dem Glied der andre mit einem andern; und das Rad wälzte so schnell um, daß es einer feurigen Kugel glich. Darnach sah

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er ein großes Hauch darin waren viele Gruben voll wallenden Eisens: etliche waren mit einem Fuß darin, andre mit beiden; etliche waren darin bis an die Knie, etliche bis zum Bauch, etliche bis zur Brust, etliche bis zum Hals; von etlichen sah man die Augen kaum, und er ging durch alle diese Marter und rief den Namen des Herrn an. Er ging fürbaß, da sah er einen breiten Schlund, daraus ging ein großer Rauch mit einem gar unleidlichen Gestank. Und Menschen sah er daraus steigen weisiglühend wie feurige Aschefunken, die wurden von den Teufeln immer wieder hinabgestoßen. Die Teufel riefen ihm zu 'Der Ort, den du siehest, ist die Hölle, und unsres Herrn Beelzebub Wohnung. Da werfen wir dich hinein, so du uns jetzt nicht willst folgen, und bist du darinnen, so magst du mit keiner Hilfe nimmer daraus kommen', und da er ihre Drohungen verschmähte, packten sie ihn und warfen ihn in den Schlund. Von großem Schmerz ward er fast von Sinnen und vergaß den Namen des Herrn anzurufen; doch kam er wieder zu sich und rief die Worte in seinem Herzen, die er mit seinem Munde nicht mehr mochte sprechen. Da war er alsbald erlöst, und alle Schar der Teufel war verschwunden, als wäre sie besiegt. Und er kam an einen anderen Ort, da sah er eine Brücke, darüber er gehen sollte; die war gar schmal, und glatt wie Eis. Unter der Brücke floß ein Fluß von Feuer und Schwefel; und er hatte große Sorge, er möchte nicht hinüber kommen. Doch gedachte er der Worte, die ihm schon aus so viel Nöten hatten geholfen, und sprach die Worte, und setzte also einen Fuß auf die Brücken. Da ward er erschreckt von also großem Geschrei, daß er fast gefallen wäre; aber er sprach die Worte und stund fest. Darnach setzte er den anderen Fuß auf und sprach die Worte wieder und sprach sie bei jeglichem Schritt, daß er also heil hinüber kam. Da war eine anmutige Wiese, da dufteten mancherhand süße Blumen. Und zwei schöne Junglinge kamen zu ihm und führten ihn zu einer herrlichen Stadt, die leuchtete von Gold und Edelgestein, und ein wunderbarer Geruch ging aus ihrem Tor; der erquickte ihn also, daß er vermeinte, er habe zuvor weder Schmerz erlitten noch Gestank verspürt. Sie sprachen 'Diese Stadt ist das Paradies'. Und Nicolaus begehrte, daß sie ihn einließen. Aber die Jünglinge sprachen, er müßte zuvor wieder zu den Seinen gehn, und durch alle die Orte wieder kehren, dadurch er gekommen wäre. Die Teufel aber würden

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ihm nichts mehr tun, sondern bei seinem Anblick voll Schrekken fliehen. Darnach über dreißig Tage sollte er in Frieden sterben: so werde er dann ein ewiger Bürger sein in dieser Stadt. Also ging Nicolaus den Weg zurück, den er gekommen war, und fand sich an dem Orte wieder, da er hinabgestiegen war. Da sagte er öffentlich alles, was ihm geschehen war, und über dreißig Tage entschlief er selig im Herrn.

§ Von der Verkündigung des Herrn. i^sies Fest heißt die Verkündigung des Herrn, weil an tc✓ v ' die Ankunft des Sohnes ~ ' 1C‫''״‬diesem Tage vom Engel Got-

tes ins Fleisch verkündet ward. Daß aber der Menschwerdung des Gottessohnes die Verkündigung durch den Engel vorausging, des sind drei Ursachen. § Die erste ist, daß die Heilsordnung offenbar werde; weil die Ordnung der Erlösung mußte Übereinkommen mit der Ordnung des Falles; denn wie der böse Engel das Weib versuchte, daß sie in einen Zweifel fiel, und aus dem Zweifel in eine Einwilligung, und zu jüngst in einen Fall: gleicherweise sollte die Verkündigung durch den guten Engel geschehn; denn von der Ver!Kündigung empfing die Jungfrau einen festen Glauben, durch den Glauben einen Gehorsam, und zu jungst eine Vollbringung, daß sie Gottes Sohn empfing. § Die andere Urfache ist, daß solches des Engels Amt war. Denn da der Engel Gottes Knecht und Bote ist, und da Maria auserwählt war, daß sie Gottes Mutter sollte sein; so war es billig, daß ihres Kindes Diener auch in ihren Dienst sich bückten, und also die Verkündigung durch einen Engel geschah. § Die dritte Sache war, daß der Fall der Engel damit sollte wieder gut gemacht werden. Denn Gott ward Fleisch, nicht nur, daß er den Fall des Menschen gut mache sondern auch den Sturz der Engel; darum sollten die Engel nicht ausgeschlossen sein. Und wie des Weibes Geschlecht nicht ausgeschlossen ist von der Erkenntnis des Mysteriums der Fleischwerdung und der Auferstehung, also auch nicht der himmlische Bote, der Engel: beides tat Gott durch Engel Frauen kund: seine Menschwerdung der Jungfrau Maria, seine Auferstehung der Maria Magdalena. § Nun hatte die heilige Jungfrau mit den anderen Jungfrauen im Tempel gedient, von ihrem dritten bis zu ihrem vierzehnten Jahre, und hatte ihre Keuschheit

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gelobt zu bewahren, es sei denn, daß Gott selber ihr Leben wollte verwandeln. Da ward sie Joseph verlobt nach des Herrn Willen, da seine Rute grünete, wie in der Geschichte von Mariae Geburt klärlich geschrieben ist. Darnach fuhr Joseph gen Bethlehem, von dannen er geboren war, daß er die Dinge vorsehe, die für die Gemahlfchaft notdürftig waren. Maria aber kehrte wieder nach Nazareth, in das Haus ihrer Eltern. Nazareth ift gesprochen die Blume; davon schreibt Sanct Bernhard 'Die Blume wollte geboren werden von der Blume, in der Blume, in der Zeit der Blumen'. § Daselbst erschien ihr der Engel des Herrn und grüßte sie und sprach 'Gegrüßet seist du voll der Gnaden, der Herr ist mit dir, du gesegnete unter den Frauen'. Hievon spricht Sanct Bernhard 'Zu dem Gruße Marien lädt uns Gabriels Beispiel, Johannis Freudengrufi und eines Widergrufies Gewinn'. Hier sehen wir erstlich, warum der Herr wollte, daß seine Mutter verlobt wäre. Davon schreibt Sanct Bernhard uns drei Ursachen, da er spricht 'Es war not, daß Maria Joseph verlobt ward, auf daß den Teufeln das Mysterium von Gottes Geburt bliebe verholen; und daß ihr Verlobter ein Zeuge wäre ihrer Jungfräulichkeit; und ein Bewahrer ihrer Ehre und ihres guten Leumunds'. Die vierte Sache ist, daß sie in allen Stufen den Fluch vom Geschlecht des Weibes nähme: als Jungfrau, Frau und Witwe; denn sie war alles dieses zumal; das fünfte, daß der Gemahl ihr in ihrer Notdurft diente; das sechste, daß die Ehe damit werde geheiligt; das siebente, daß Christus in das Geschlecht Josephs werde gezählt. § Der Engel sprach 'Sei gegrüßet du voller Gnaden'. Davon spricht Sanct Bernhard 'Maria hat in ihrem Leibe die Gnade der Gottheit, in ihrem Herzen die Gnade göttlicher Liebe, in ihrem Munde die Gnade des Zusprechens, in ihren Händen die Gnade aller milder Barmherzigkeit'. Und spricht fürbaß 'Sie ist wahrlich der Gnaden voll; denn von ihrer Fülle empfangen die Gefangenen eine Erlösung, die Kranken das Heil, die Betrübten einen Trost, die Sünder Vergebung, die Gerechten Gnade, die Engel Freude, die heilige Dreieinigkeit Lob und Ehre, und des Menschen Sohn wahren menschlichen Leib'. 'Der Herr ist mit dir': 'Der Vater ifr mit dir, der da hat erzeugt, den du empfängst; der heilige Geist, von dem du empfängst; der Sohn unser Herr, den du mit deinem Fleische bekleidest und umgiebst'. Solches spricht Sanct Bernhard. 'Du Gesegnete

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unter den Frauen', das ist: über alle Frauen; denn du bist Jungfraumutter und Gottesmutter. Dreierlei Fluch lag auf dem Weibe. Erstlich die Schande, wenn es nicht gebar; darum sprach Rachel 'Der Herr hat meine Schmach von mir genommen' (Genesis 30, 23). Zum andern der Fluch der Sünde, wenn es gebar; davon heißt es im Psalm 'Siehe ich bin in Bosheit geboren und in Sünden von meiner Mutter empfangen' (Pf. 50, 7). Zum dritten der Fluch der Pein, wenn es gebar; denn es steht geschrieben im Buche Genesis 'Du sollst mit Schmerzen Kinder gebären' (Gen. 3, 16). So ist Maria allein gesegnet unter den Frauen. Sie ist Jungfrau und fruchtbar, sie empfängt in Heiligkeit, und gebiert ohne Schmerzen. § Voller Gnaden heißet Maria, als Sanct Bernhard spricht, weil aus ihrem Geiste strahlten vier Dinge, das waren Demut, Scham, fester Glaube und Marter des Herzens. Es ist geschrieben 'Der Herr sei mit dir' um der anderen vier, welche vom Himmel auf sie herabstrahlten, als Sanct Bernhard spricht, nämlich: Marien Heiligung, des Engels Gruß, des heiligen Geistes Kommen, Gottes Fleischwerdung. Es ist geschrieben 'Du gesegnete unter den Frauen', um der dritten vier, die von ihrem Leibe strahlten, als Sanct Bernhard spricht: da sie war Jungfrau ohne Makel, fruchtbar ohne Sünde, schwanger ohne Beschwerde, Gebärerin ohne Schmerzen. § Da nun Maria hörte den Gruß des Engels, ward sie verwirrt ob seiner Rede und gedachte bei sich 'Was Grußes ist dies?' Hier wird Marien Lob offenbar: in dem Hören, daß sie so bescheiden war, denn sie hörte und schwieg; in dem Fühlen, daß Scham über sie kam, denn sie ward verwirrt; in dem Denken, daß sie so weise war, da sie bedachte: was Grußes ist dies? Doch ward sie nur von den Worten des Engels erschreckt, nicht von seinein Gesicht; denn sie hatte zuvor schon oft Engel gesehen, aber solche Worte hatte sie von ihnen nicht vernommen. Davon spricht Petrus von Ravenna 'Des Engels Anblick war gar süß, aber sein Wort war schrecklich; also ward sie von seinem Gesicht erfreut, aber von seinem Wort erschrak sie zumal'. Und Sanct Bernhard spricht 'Sie ward erschreckt, das kam von ihrer jungfräulichen Scham; sie erschrak nicht über die Maßen, das kam von ihrem Mut; sie schwieg und dachte nach, das war ein Zeichen ihrer Bescheidenheit und Klugheit'. § Da gab ihr der Engel einen Trost und sprach 'Maria, fürchte dich nicht, denn du hast Gnade gefunden vor

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dem Herrn'. Spricht Sanct Bernhard 'Und welche Gnade! Frieden Gottes und der Menschen, Überwindung des Todes, Gewinn des Lebens'. § 'Siehe, du sollst empfangen und einen Sohn gebären, des Namen sollst du Jesus heißem das ist: ein Heiland; denn er soll sein Volk erretten von seinen Sunden. Dieser wird groß sein und ein Sohn des Höchsten heißen'. Spricht Sanct Bernhard 'Das heißt, der ein großer Gott ist, wird auch ein Großer werden, nämlich ein großer Mensch, ein großer Lehrer, ein großer Prophet'. § 'Da sprach Maria zu dem Engel: wie soll das geschehen, sintemal ich von keinem Manne weiß, noch Willen habe einen zu erkennen?' Also war sie Jungfrau von Herzen, von Leibe und von Willen. Aber sehet, Maria fragt; und wer fragt, der zweifelt. Warum wurde dann Zacharias allein mit Stummheit gestraft? Davon lesen wir bei Petrus von Ravenna vier Verantwortungen 'Der Herzenskundiger sah nicht die Worte, sondern das Herz an; er urteilte nach dem, was sie meinten, nicht nach dem, was sie sagten. Denn der Grund ihres Fragens war nicht derselbe und ihre Zuversicht war ungleich. Sie glaubte wider die Natur, er zweifelte an der Natur. Sie fragt bloß, wie es möge geschehen; er leugnet, daß es möge geschehen, was Gottes Wille war. Dieser mag mit Beispiel nicht zum Glauben werden gebracht; sie aber glaubt ohne Beispiel. Sie wundert sich, daß eine Jungfrau möge gebären; er zweifelt, daß sein ehelich Weib möge empfangen. Also zweifelt sie nicht, daß es sollte geschehen; sondern sie fragt allein, wie es sollte sein. Denn da es dreierlei Weise giebt, zu empfangen: die natürliche, die geistige, die wunderbare; so fragt fie, in welcher Weise von diesen dreien sie solle empfangen'. § 'Da antwortete der Engel und sprach: Der heilige Geist wird über dich kommen, von dem sollst du schwanger werden'. Davon spricht man 'empfangen von dem heiligen Geiste'; und solches aus vier Gründen. Erstlich, damit die große Liebe Gottes offenbar werde, denn durch die Liebe ward das Wort Fleisch: Johannes 3, 16 'Also hat Gott die Welt geliebt'. Diesen Grund schreibt der Magister Sententiarum. Zum andern, damit Gottes Gnade wider uns erwiesen werde ohne all unser Verdienst. Darum, so man spricht 'empfangen von dem heiligen Geiste' so soll daraus offenbar werden, daß es nur durch Gnade geschah, ohne menschliches Verdienst. Solches schreibt Augustinus. Zum dritten, wegen der Kraft der Wirkung. Denn Christus ward

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empfangen durch Kraft und Wirken des heiligen Geistes. Solches schreibt Ambrosius. Zum vierten, um Bewegung zur Empfängnis willen. Davon schreibt Hugo von Sanct Victor 'Die Ursache natürlicher Empfängnis ist die Liebe des Mannes zum Weibe und die Liebe des Weibes zum Manne. Also war es auch bei der heiligen Jungfrau: denn da ihr Herz in wundersamer Minne zu dem heiligen Geiste brannte, so tat die Liebe zum heiligen Geist auch an ihrem Leibe Wunder'. § 'und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten'. Das wird nach der Glosse also ausgelegt: 'Der Schatten pflegt zu kommen von dem Licht und von einem Körper, der wider das Licht steht; die Jungfrau aber mochte, als ein Mensch, die Fülle der Gottheit nicht ertragen; also überschattete sie die Kraft des Höchsten, indem das unkörperliche Licht der Gottheit in ihr menschlichen Leib annahm, damit sie Gott möge ertragen'. Diese Auslegung meint Sanct Bernhard, wenn er spricht 'Gott ist Geist, und wir sind der Schatten seines Leibes; also hat er sich uns vereint, auf daß wir durch das lebenspendende Fleisch das Wort sähen im Fleisch, die Sonne in der Wolke, das Licht in der Lampe, die Kerze in der Laterne'. Die Stelle aber legt Sanct Bernhard also aus, als spräche der Engel 'Wie du von dem heiligen Geiste wirst empfangen, das hat Christus, die Kraft des Höchsten, in dem Schatten seines heimlichsten Ratschlusses verborgen, daß nur er es weiß und du'. Und als spräche der Engel fürder 'Was fragst du mich über das, was du in dir kürzlich erfahren wirst? du wirst es wissen und selig sein, Gott wird es dir kundtun, der es in dir wirkt. Ich bin allein gekommen, die jungfräuliche Empfängnis zu verkündigen, nicht, sie zu wirken'. 'Er wird dich überschatten' mag aber auch heißen 'Er wird dir vor der Hitze der Laster Kühle geben'. § 'und siehe, Elisabeth, deine Gefreundte, hat in ihren alten Tagen einen Sohn empfangen und gehet jetzt im sechsten Mond, die im Geschrei ist, daß sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich'. 'Und siehe' heißt es, um zu zeigen, daß in der Nähe eine große Neuigkeit geschehen ist. Marien aber ward der Elisabeth Empfängnis gekündet aus vier Ursachen, als Sanct Bernhard schreibet: ihre Freude zu mehren, ihr vollkommenes Wissen zu geben, und eine Vollkommenheit der Lehre, und eine Bewegung zur Teilnahme. Davon spricht er also 'Der unfruchtbaren Verwandten Empfängnis ist Marien gekündet.

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daß dem Wunder das Wunder gesellt und die Freude mit Freude werde gemehrt. Dann war es ziemlich, daß die Jungfrau das Gerücht, das bald allenthalben erscholl, von dem Engel hörte, ehe sie es von einem Menschen vernahm; denn die Mutter Gottes sollte nicht der Ratschläge ihres Sohnes also unkundig sein, daß sie von dem nichts wüßte, was auf Erden so nahe bei ihr geschah. Es wurde ihr auch des Erlösers und seines Vorläufers Empfängnis verkündet, auf daß sie die Folge der Zeit behalten und den Schreibern und Predigern des Evangelii die Wahrheit möge mitteilen. Auch sollte sie, so sie von der Schwangerschaft ihrer Gefreundten hörte, daran gedenken, wie sie, die Junge, zu ihr, der Alten, möchte kommen und ihr beistehen; also mochte es auch geschehen, daß der kleine Prophet Johannes dem Herrn seinen Dienst erböte mit seinem Gruß, und ein größer Wunder aus dem Wunder wurde'. Sanct Bernhard spricht auch 'Antworte eilends, Maria, sprich das Wort und empfange das Wort, gieb das deine und nimm das göttliche, laß das vergängliche fahren und nimm das ewige auf. Hebe dich auf, lauf, tu auf: hebe dich auf, deinen Glauben zu erzeigen, lauf aus Ehrfurcht, tu auf zum Zeichen der Einwilligung'. § Da hub Maria ihre Hände und ihre Augen auf gen Himmel und sprach 'Siehe, ich bin des Herrn Magd, mir geschehe nach deinem Worte'. Sanct Bernhard spricht 'Wir lesen, daß etliche das Wort Gottes aufnehtnen mit dem Munde, etliche mit dem Ohre, etliche mit der Hand: Maria empfing es im Ohr durch den Gruß des Engels; im Herzen durch den Glauben; im Munde durch das Bekenntnis; in der Hand, da sie es berührte; in ihrem Leib, da es Fleisch ward; in ihrem Schoß, wann sie es hielt; in ihren Armen, da sie es darbrachte'. § 'Mir geschehe nach deinem Worte'. Das legt Sanct Bernhard also aus 'Ich will nicht, daß es mir geschehe mit rufenden Worten geprediget, oder als Gleichnis, oder als Traum; fondern es soll schweigend sich in mich gießen, in mir Fleisch werden persönlich, und leibhaftig in mir wohnen'. § Davon so empfing sie zustund in ihrem Leib den wahren Gott und wahren Menschen, der in den ersten Tagen seiner Empfängnis so vollkommen war an Weisheit und Gewalt als im dreißigsten Jahr seines Lebens. § 'Und Maria stund auf und ging in das Gebirge, und kam zu Elisabeth. Und es begab sich, da Elisabeth Mariens Gruß hörte, hüpfte das Kind Johannes in ihrem Leibe'. Davon spricht

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die Glosse 'Mit der Zunge konnte er seine Freude nicht kund tun, so tat er es mit dem Herzen und grüßte also den Herrn, und begann an diesem Tage das Amt des Vorläufers'. § 'und Maria blieb bei ihr und dienete ihr bei drei Monaten, bis Johannes geboren war', und hub ihn von der Erde auf mit ihren eigenen Händen; das lesen wir in dem Buche der Gerechten. § An diesem Tag aber hat Gott, als man sagt, durch alle Zeiten viel große Zeichen getan; das hat einer in diese Worte gefaßt 'Gegrüßet feift du, hochgelobter Tag, der unfre Wunden hat geheilet / Heute hat Maria den englischen Gruß von Gott erworben / Heute ift Christus an dem Kreuze gestorben ‫ ן‬Heute ward Adam aus nichts geschöpfet / Heute ward Sanct Johannis Baptista geköpfet / Heute brachte Melchisedek sein Opfer der oberste Priester / Heute ward Sanct Peter erlöset aus dem Kerker / Heute hat der Schächer an dem Kreuze Gnade erworben / Heute ist der gerechte Abel unter seines Bruders Händen erstorben / Heute ward geopfert Isaak von feinem Vater Abraham ‫ ן‬Heute fiel Adam / Heute ifr Sanct Jacob gemartert unter dem König, Herodes genannt / Heute sind die Toten erstanden mit Christo, die hat er geleitet in sein ewiges Vaterland'. § Es war ein edler reicher Ritter, der wollte sich der Welt abtun und gab sich in der Cistercienser Orden. Ob er nun gleich der Schrift nicht kundig war, fo ließen die Mönche ihn doch seines Adels genießen und wollten ihn nicht unter die Laienbrüder zählen, sondern gaben ihm einen Lehrmeister, ob er etwan ein weniges lernen möchte und also bei ihnen bliebe. Er war lange mit dem Meister, doch war sein Sinn und Vernunft so gar hart, daß er mit allem seinenj Fleiß nicht mehr behalten mochte denn die zwei Worte 'Ave Maria'. Die aber behielt er mit so großer Andacht, daß er ohn Unterlaß, wo er ging und stand, die Worte für fich sprach. Es geschah, daß der Ritter starb und auf dem Kirchhof bei den anderen Mönchen begraben ward; fiehe, da wuchs eine schöne Lilie auf seinem Grab, und war auf jeglichem Blatt der Lilie mit goldenen Buchstaben geschrieben 'Ave Maria'. Zu dem großen Wunder kamen die Mönche gelaufett und gruben das Grab auf: da sahen sie, daß die Wurzel der Lilie aus dem Munde des Ritters ging. Daran erkannten sie, mit welcher Andacht er die zwei Worte hatte gesprochen, da der Herr ein solches Wunder an ihm hatte erzeigt. § Es war ein Ritter, der hatte eine Burg an einer gemeinen

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Landstraßen, daraus beraubte er alles Volk, das vorüberfuhr, ohn Erbarmen. Doch hatte er die gute Gewohnheit an sich, daß er alle Tage unsre liebe Frau grüßte mit einem Ave Maria; das ließ er keinen Tag unterwegen, was auch geschah. Einsmais traf es sich, daß gar ein heiliger geistlicher Mann des Weges zog; der ward alsbald auf des Ritters Gebot beraubt. Da bat der gute Mensch die Räuber, daß sie ihn zu ihrem Herrn führten, denn er wollte ihm eine heimliche Botschaft sagen. Als er nun vor den Ritter kam, bat er ihn, daß er all sein Gesinde von der Burg hieße vor sich kommen, denn er wollte ihnen Gottes Wort predigen. Da sie versammelt waren, sprach er 'Es sind noch nicht alle hie gegenwärtig, es fehlet einer'. Sie sprachen, sie seien alle da. Er aber sprach 'Suchet mit Fleiß, ihr werdet sehen, daß einer fehlt'. Da rief einer, daß nur der Mundschenk noch nicht dahin wäre gekommen. Und der heilige Mann sprach 'Wahrlich er ist es, der fehlt'. Alsbald ward nach ihm gefandt und er trat zu ihnen. Aber da er den heiligen Mann erblickte, rollte er seine Augen gar fürchterlich, warf sein Haupt hin und her als ein Rasender und wollte nicht näher herankommen. Sprach der heilige Mensch 'Ach beschwöre dich bei dem Namen unseres Herrn □esu Christi, daß du uns öffentlich fagst, wer du feist, und warum du hierher seist gekommen'. Er antwortete 'Weh, er zwingt mich, daß ich wider meinen Willen verrate, wer ich bin. Denn ich bin

kein Mensch, sondern ein Teufel, und hab eines Menschen Leib angezogen, und darin diesem Ritter vierzehn Jahre gedienet. Und unser Fürst hat mich hergesandt, daß ich mit Fleiß warte, welches Tages er seine Maria nicht würde grüßen: so hätte ich Gewalt über ihn gewonnen, und ihn alsbald in seinen Sünden erwürgt, daß er unser eigen wäre gewesen. An welchem Tage er aber jenen Gruß sagte, so hatte ich keine Macht über ihn. Nun hab ich von Tag zu Tage mit großem Fleiß gewartet, aber er war keinen Tag säumig an dem Gebet'. Als das der Ritter hörte, erschrak er über die Maßen; und fiel vor dem heiligen Manne nieder und begehrte Gnade. Und kehrte darnach sein Leben zu einer Besserung. Der heilige Mann aber sprach zu dem Teufel ':Ich gebiete dir, böser Geist, im Namen unsres Herrn Jesu Christi, daß du ausfahrest an eine solche Statt, da du hinfort keinen Menschen schädigen mögest, der Marien die Gottesmutter anrufet und ehret'. Als er das gesagt hatte, ver-

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schwand der Teufel; und der Ritter ließ den heiligen Mann frei seine Straße ziehen mit Dank und Ehren.

§ Von der Passion des Herrn. as Leiden unsres Herrn Jesu Christi war groß von

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Bitterkeit der Schmerzen und Schmach der Verspottung, aber überflüssig fruchtbar an Heil und Nutzen. Die Größe der Bitterkeit und der Schmerzen aber sehen wir an fünf Stücken seines Leidens. § Das erste ist die Schande, die ihm erboten ward, daß er an der schändlichen Stätte Calvaria geurteilt ward, da man die Übeltäter peinigte; und daß er den schmählichen Tod der Schächer mußte leiden. Denn das Kreuz war die Strafe der Mörder und Räuber: es war einst höchste Schmach, was nun in unermeßlicher Glorie steht. Davon spricht Sanct Augustinus 'Das Kreuz, das zu Christi Zeiten war die Pein der Schächer, damit werden nun gezieret die Stirnen der Kaiser. Wenn Gott seine Marter zu solchen Ehren erhöht, wie wird er seinen Diener groß machen!' Auch war sein Leiden groß, davon daß er unter die Übeltäter, das ist unter die Räuber und Mörder gerechnet und in ihre Gesellschaft gesetzt ward. Dieser Schächer einer, der Dismas genannt war und zu der rechten Seite des Herrn hing, ward hernach bekehrt und gerettet ob er gleich zuvor ein Sünder war, wie wir im Evangelium Nicodemi lesen; der andere zur linken, Gesmas mit Namen, ward verdammt; dem einen gab er das Reich, dem andern ewigem Tod. Hievon spricht Sanct Ambrosius 'Der Ursprung aller Milbigkeit erzeigte seine Müdigkeit, da er am Kreuze unter die Menschen teilte: Verfolgung den Zwölfboten, Frieden den Jungern, seinen Leichnam den Juden, seine Kleider denen die ihn kreuzigten, seinen Geist dem Vater, Marien seiner Mutter einen Hüter, dem Schächer das Paradies, seine Kleider seinen Henkern, den Sündern die Hölle, das Kreuz den reuigen Christen. Das war das Testament, das Christus machte, da er im Tode am Kreuze hing'. § Das andere ist, daß er wider die Gerechtigkeit verdammt ward in den Tod. Denn er tat nie eine Sünde, noch ward je untreue in seinem Munde erfunden. Also tat ihm die Strafe wehe, da sie unverdient war. Sie hatten ihn ungerecht angeklagt sonderlich in drei Stücken: sie sprachen, er hätte verboten, daß man dem Kaiser den Zins gebe; er hätte sich einen König ge-

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nannt; und hätte sich zu Gottes Sohne gemacht. Wider diese drei Anklagen singen wir an diesem Tage in der Person des Heilands drei Antworten 'Popule meus, guid feci tibi' etc. Darin entschuldigt sich unser Herr und weist auf die Wohltaten, die er den Juden hat getan: das war die Erlösung aus Agyptenland, die Führung durch die Wüste, und daß er sie gleich einem Weinstock pflanzte in ein fruchtbar Land; gleich als ob er sagen wollte 'Is1r schuldiget mich, ich habe dem Kaiser den Zins verboten; und billiger solltet ihr mir danken, daß ich euch aus Agyptenland geführt und vom Zins habe befreit. Is)r scheltet, daß ich mich einen König mache; und danket mir nicht, daß ich euch mit königlicher Gewalt durch die Wüste habe geleitet. Auch hasset ihr, daß ich mich Gottes Sohn nenne; und danket mir nicht, daß ich euch zu einer fruchtbaren Weinrebe habe auserwählt und euch an die beste Statt habe gepflanzet'. § Die dritte Bitterkeit seines Leidens war, daß er von seinen Freunden litt. Denn der Schmerz war leichter zu tragen, so er ihn von Feinden litt; oder von Fremden; oder von solchen, denen er selbst etwas hatte getan; er aber litt von seinen Freunden, das ist von denen, die seine Freunde hätten sollen sein, desgleichen von seinen Nächsten, von deren Geschlecht er geboren war. Davon spricht der Psalter 'Meine Freunde und meine Nächsten, die sind wider mich gestanden' (Ps. 37, 12) und Job 'Meine Freunde sind wie Fremde von mir gewichen' (Job 19, 13). Er litt auch von denen, welchen er viel Gutes hatte getan. Davon spricht Johannes im 10. Capitel (32) 'Vieles Gute habe ich ihnen getan'. Und Sanct Bernhard 'O du guter Desu, wie hast du so gar süßiglich mit den Menschen gehandelt, wie hast du ihnen so große und vollkommene Gabe gegeben. Wie hast du so strenge bittre Pein durch sie gelitten: harte Worte, schwere Streiche, bittre Kreuzespein'. § Die vierte Ursache seines Leidens war die Zartheit seines Leibes. Von ihm ist im Gleichnis Davids geschrieben in dem 2. Buch der Könige, am vorletzten Capitel, daß er ist gewesen wie das zarteste Würmlein des Holzes (2. Reg. 23,6). Sanct Bernhard spricht 'O ihr Juden, was seid ihr so harte Steine, daß ihr an den schlagt, des Klang nur Müdigkeit widertönt, aus dem nur das öl der Liebe herausfließt'. So spricht auch Sanct Hieronymus 'Jesus ist übergeben den Kriegsknechten, daß sie ihn schlagen und den heiligen Leib mit Geißeln zerschnei-

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den darin Gott wohnet'. § Das fünfte war, daß die Pein gemeiniglich alle Glieder des Leibes berührte und alle Sinne. Zuerst berührte das Leiden die Augen, denn es ist gescheitben, daß er weinte (Hebr. 5,7). Davon spricht Sanct Bernhard 'unser Herr ist hoch aufgestiegen an das Kreuz, daß man seinen Ruf weithin höre; er rief laut, daß fich niemand möchte entschuldigen; er weinte viele Tropfen, daß er die Menschen bewege zu einem Mitleiden'. Sonst hat er nur noch zweimal geweint, da er Lazarum erweckte, und über Jerusalem. Das erste waren Tränen der Liebe; darum sprachen etliche, die ihn weinen sahen 'Siehe, wie lieb hat er ihn gehabt'. Das andre waren Tränen des Mitleidens; aber am Kreuze weinte er von bittern Schmerzen. Zum andern empfing er auch Schmerzen in feinen Ohren: von den ScheltWorten und Lästerungen, die er mußte hören. Es waren aber sonderlich vier Dinge in ihm, darob er Lästerung mußte hören: Ob seiner großen Edelkeit; denn nach göttlicher Natur so war er des ewigen Königs Sohn, nach menschlicher Natur so war er von königlichem Stamm geboren, und auch als Mensch ein König aller Könige und ein Herr aller Herrscher. Ob seiner unaussprechlichen Wahrhaftigkeit; denn er selbst ist Weg, Wahrheit und Leben, darum er von sich spricht 'Dein Wort ist die Wahrheit' (Joh. 17,17); denn der Sohn ist das Wort des Vaters. Ob seiner unüberwindlichen Macht; denn alles ist von ihm geschaffen, und ohne ihn ist nichts gemacht. Ob seiner großen Güte; denn niemand ist gut, denn allein Gott. Ob alledem mußte er Lästerung hören. Erstlich an seiner Edelkeit; davon heißt es Matthaeus 15,55 'Ost er nicht eines Zimmermanns Sohn? heißt nicht seine Mutter Maria?' Zum andern an seiner Macht: Matth. 12,24 'Er treibet die Teufel nicht anders aus, denn durch Beelzebub, der Teufel obersten'. Desgleichen Matthaeus 27,42 'Andern hat er geholfen, und sich selbst kann er nicht helfen'. Also nannten sie ihn ohnmächtig; da er doch so mächtig war, daß er seine Häscher allein durch seine Stimme niederschlug. Denn als er fragte 'Wen fuchet ihr?' sprachen sie Josum von Nazareth'; antwortete er Och bins': da fielen sie zu Boden nieder. Davon spricht Augustinus 'Eine Stimme schlug nieder die gewaffnete Schar der hässigen Juden, ohne Waffe, allein mit der verborgenen Gotteskraft. Was vermag der an dem Jungsten Gericht, der solches tat, da er felbst gerichtet ward. Was tut der in seinem

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Reich, der dies tat in seinem Tod!' Zum dritten an seiner Wahrheit: Johannes 8,13 'Du zeugest von dir selbst, darum ist dein Zeugnis nicht wahr'. Also nannten sie ihn lügenhaft, da er doch Weg, Wahrheit und Leben ift. Diese Wahrheit verdiente Pilatus nicht zu wissen oder zu hören, da er ihn nicht nach der Wahrheit richtete. Wohl begann er sein Richtamt mit Wahrheit, aber er beharrte nicht bei der Wahrheit; darum verdiente er die Frage der Wahrheit zu stellen, nicht aber, ihre Lösung zu vernehmen. Eine andere Ursache, daß er die Lösung nicht empfing, ist nach Augustinus, daß ihm während seiner Frage die Gewohnheit der Juden in den Sinn kam, daß sie auf Ostern einen frei ließen; also ging er hinaus und vergaß der Antwort zu warten. Chrysostomus schreibt eine dritte Ursache, daß Pilatus wohl wußte, daß eine solche Frage fordere viel Zeit und Nachdenken, und da er Christum bald wollte retten, sei er alsbald hinaus gegangen. Doch lesen wir im Evangelium Nicodemi, daß Jesus auf des Pilatus Frage 'Was ist Wahrheit' antwortete 'Die Wahrheit ist von dem Himmel'; sprach Pilatus 'So ist auf Erden keine Wahrheit?' Antwortete ihm Jesus 'Wie mag Wahrheit auf Erden sein, da sie von denen verdammt wird, die die Gewalt auf Erden haben?' Die Juden schmähten zum vierten seine Güte und sprachen, er wäre ein Sünder in seinem Herzen: □oh. 9,24 'Wir wissen, daß dieser Mensch ein Sünder ist'. Sie nannten ihn auch einen Verführer mit der Rede: Luc. 23,5 'Er hat das Volk erreget damit, daß er gelehret hat hin und her im ganzen jüdischen Lande, und hat in Galilaea angefangen bis hie her'. Sie sprachen auch, er wäre ein Brecher des Gefetzes mit der Tat: Joh. 9,16 'Dieser Mensch ist nicht von Gott, der den Sabbath nicht hält'. § Unser Herr empfing zum dritten Pein von dem bösen Geruch der toten Leiber, die da lagen zu Calvaria an der Statt. Calvaries aber ist gesprochen nackter Menschen-Schädel, als die Historia Scholastica schreibt; und davon, daß daselbst die Übeltäter wurden enthauptet, und viele Schädelknochen da herumgestreut lagen, war die Stätte Schädelstätte genannt. § Unser Herr empfing zum vierten Pein an seinem Geschmack; denn da er rief 'Mich dürstet', gaben sie ihm Essig mit Myrrhen und Gallen vermischt. Von dem Essig sollte er schneller sterben, auf daß die Wächter schneller loskämen von ihrer Wacht; denn man spricht, daß die Gekreuzigten schneller sterben, so sie

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Essig trinken. Von den Myrrhen sollte der Geruch, von den Gallen der Geschmack Pein leiden. Augustinus 'Die Reinheit wird mit Essig erfüllet statt mit Wein, die Süßigkeit wird mit Gallen berauschet, die Unschuld wird verurteilt statt der Schuld, das Leben stirbt für die Toten'. Zum fünften so hatte er Pein in der Berührung an allen Teilen seines Leibes 'Denn von der Sohle seines Fußes bis an den Scheitel seines Hauptes ist nichts Gesundes an ihm' (Isafr 1,6). Davon, daß er mit allen Sinnen Pein litt, spricht Sanct Bernhard 'Das Haupt, das alle Engel mit Furcht ansehen, das ward mit Dornen durchstochen; das zierliche Antlitz über aller Menschen Schönheit ward von der Juden Speichel beschmutzt; die Augen, lichter denn die Sonne, werden verdunkelt von dem Tode; die Ohren, denen Engelsgesang getönet hat, hören der Sünder Lästerung; der heilige Mund, der die Engel lehrte, wird mit Essig und Gallen getränket; die Füße, deren Schemel angebetet wird, denn er ist heilig, die werden mit Nägeln ans Kreuz geschlagen; die Hände, die die Himmel haben geschaffen, werden zerzerret und an das Kreuz geheftet; der heilige Leib wird geschlagen, die Seite wird durchstochen von der Lanze. Es blieb ihm nichts, denn die Zunge, mit der er für die Sünder betete, und seine Mutter dem Junger empfahl'. § Das Leiden ist zum andern groß gewesen durch den schmählichen Spott, der ihm darin erboten ist. Denn er wurde zu vier Malen verspottet. Zuerst ward er verspottet in dem Hause des Annas, da er verspieen ward und an seine Wange geschlagen, und ihm seine Augen wurden verbunden. Davon spricht Sanct Bernhard 'Guter Jesu, dein tröstlich Antlitz, das die Engel mit begierlicher Freude anschauen, das haben sie mit Speichel entehret, mit ihren Händen zerschlagen, und zum Spott mit einem Tuch verdecket, und haben die bittern Wunden nicht gesparet'. Er ward zum andern Mal verspottet im Hause Herodis, der ihn einen Toren schätzte und von Sinnen darum, daß er keine Antwort von ihm haben mochte. Also kleidete er ihn zum Spott mit einem weißen Gewand. Davon spricht Sanct Bernhard 'Du bist ein Mensch und trägst einen Kranz von Blumen, so ich, Gott, eine dornene Krone trage; du hast Handschuhe an deinen Händen, so sind meine Hände mit Nägeln durchstochen; du zierst dich mit weißen Kleidern, so ward ich verspottet mit einem weißen Kleide von Herodes; du tanzest mit deinen Füßen, so leide ich an

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ihnen große Pein; du breitest die Arme kreuzweis aus an dem Tanz mit Freuden, so hab ich die meinen ausgebreitet am Kreuze zu einer Schmach; du freuest dich des Kreuzes, ich habe an ihm gelitten; du hast Brust und Seite entblößt zu einem Zeichen üppiger Freuden, so ist meine Seite durchstochen um dich. Doch kehre wieder, so will ich dich empfangen zu Gnaden'. § Warum aber der Herr während seines ganzen Leidens, vor Herodes, Pilatus und den Juden schwieg, des sind drei Ursachen. Erstlich waren sie nicht würdig seine Antwort zu hören. Zum andern, gleich wie Eva gesündigt hatte durch Schwatzen, so wollte Christus sühnen durch Schweigen. Zum dritten, weil alles, was er sprach, von ihnen verkehret und fälschlich ausgelegt ward. § Er ward zum dritten Mal verspottet in dem Hause Pilati, da ihn die Kriegsknechte kleideten mit einem Purpurmantel, und gaben ihm ein Rohr in seine Hand, und drückten ihm eine Dornenkrone auf sein Haupt, und beugten die Knie vor ihm und sprachen 'Gegrüsiet seist du, der Juden König'. Die Krone aber sagt man, sei aus Meerbinsen gewesen, die sind so scharf als Dornen; darum glaubt man, daß sie das Blut aus seinem Haupte trieb. Davon spricht Sanct Bernhard 'Das göttliche Haupt ward von dichten Dornen durchstochen bis in das Hirn'. Nun sind drei Meinungen, wo die Seele ihren sonderlichen Sitz habe: Am Herzen; denn es ist geschrieben 'Aus dem Herzen kommen die bösen Gedanken' (Matth. 15,19). Am Blut; denn es heißt im Leviticus (17,11) 'Die Seele allen Fleisches ist im Blut'. Oder im Haupt; da es heißt 'Er neigte sein Haupt und verschied'. Daß den Juden diese drei Meinungen kund waren, wird offenbar in ihrem Tun. Denn um daß fie seine Seele von dem Leibe möchten reißen, so suchten sie sie im Haupt: da sie die Dornen ihm trieben bis ins Hirn; im Blut: da sie seine Adern an Händen und Fußen öffneten; im Herzen: da sie seine Seite durchstachen. § Wider diese dreifache Verfpottung sagen wir heute als am Rüsttag vor der EnthülIung des Kreuzes drei Gebete, da wir sprechen 'Agios' etc., und ehren also den dreimal, der um unsertwillen dreimal verspottet ward. § Zum vierten Male ward er geschmähet am Kreuz: Matth. 28, 40 'Desgleichen auch die Hohenpriester spotteten sein samt den Schriftgelehrten und ■Altesten und sprachen: Ast er der König von Israel, so steige er nur vom Kreuz, so wollen wir ihm glauben'. Hievon spricht

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Sanct Bernhard 'Unter dem so erzeiget er nur mehr Geduldigkeifr Demut, Gehorsam und Liebe. Von diesen vier Tugenden werden die vier Teile des Kreuzes fürwahr gezieret als mit edlen Steinen: das Oberteil mit göttlicher Liebe, das Teil der rechten Hand mit Gehorsam, das Teil zur linken Hand mit Geduld, das untere mit Demutigkeit, als der Wurzel aller Tugend'. Alles, was Christus gelitten hat, faßt Sanct Bernhard kürzlich zusammen, wenn er spricht 'So lang ich lebe, soll ich gedenken an die große Arbeit, die unser Herr hatte in seinem Predigen; die Mühe, die er hatte beim Umherziehen; an sein Wachen im Gebet, an seine Versuchung beim Fasten, an die Tränen seines Mitleidens, an die lauernden Lügen der Juden, wenn sie mit ihm sprachen; letztlich an die Scheltworte, an das Speien, die Backenstreiche, an das Höhnen; an die Nägel, an die Lästerungen'. § Zum dritten ward das Leiden des Herrn fruchtbar an mancherhand Nutzen, und sonderlich in drei Stücken: denn es gab uns einen Ablaß der Sünde, eine Gabe der Gnade und eine Teilhaftigkeit an seiner Glorie. Darum war über das Kreuz geschrieben: Jesus, weil er uns erlöste; Nazarenus, weil er uns Gnade gab; rex Judaeorum, weil auch wir dereinst im Himmel alle Könige sollen sein. Hiervon spricht Augustinus 'Christus hat all unsre Schuld vertilget, die vergangene und die gegenwärtige und die künftige; die vergangene hat er uns vergeben, von der gegenwärtigen ziehet er uns, vor der künftigen behütet er uns mit feiner Gnade, dadurch wir sie mögen vermeiden'. Von demselben Nutzen spricht Augustinus weiter 'Darum sollen wir uns wundern und freuen, lieben und loben und anbeten, daß wir mit dem Tode unsres Erlösers sind gerufen von der Finsternie zum Licht, vom Tod zu dem Leben, von der Verderbnis zur Reinigkeit, aus dem Elend in das ewige Vaterland, von der Trauer zur Freude'. § Wie nutze die Art unsrer Erlösung war, das wird offenbar in vier Sachen: Versöhnung des Zornes Gottes, Heilung der Krankheit des Menschen, Zuzug des menschlichen Geschlechtes zu Gott, Bekämpfung des alten Feindes der Menschheit. § Das Leiden war gar nütze zu einer Sänftigung und Versöhnung des Zornes Gottes. Davon spricht Sanct Anselmus in dem Buche, das er genannt hat Cur Deus homo 'Es mag der Mensch nichts schwereres noch strengeres zu Gottes Ehre leiden, nicht aus Not, sondern aus eigenem Willen, denn den Tod, und mag

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sich auch nicht mehr Gott geben, denn daß er sich in den Tod gebe um Gott'. Davon ist geschrieben Epheser 5,2 'Er gab sich selbst für uns als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch'. Wie aber das Opfer war, das uns Gott verföhnte und wiederbrachte, davon spricht Augustinus in dem Buch über die Dreieinigkeit 'Was möchte so dankbarlich empfangen werden als das Opfer unfres Fleisches im Leib unsres Priesters?' Denn bei allem Opfer so merket man vier Dinge: Wem man opfert, was man opfert, für wen man opfert und wer opfere; fo ift Gott alles in einem. Er aber, der der Mittler ist zwischen Gott und Mensch, hat uns durch das Opfer des Friedens mit Gott verföhnt, da er doch eins mit dem war, dem er opferte, und sich eins mit denen machte, für die er sich opferte, und derselbe war, der geopfert ward und opferte. Davon, wie wir durch Christum versöhnt sind, spricht derselbe Augustinus, daß Christus Priester ist und Opfer, Gott und Tempel. Er ist der Priester, durch den wir die ewige Sühne haben empfangen; er ist das Opfer, damit wir verföhnet find; er ifr der Gott, mit dem wir wurden verföhnt; er ift der Tempel, darin wir wurden entsühnt. Davon spricht Sanct Augustinus wider die, so diese Versöhnung gering achten, in der Person Christi 'Da du ein Feind warest meinem Vater, so hab ich dich mit ihm versöhnet; da du fern warest, bin ich zu dir kommen, daß ich dich erlöste; da du in den Bergen und in den Wäldern irre gingest, da suchte ich dich: da hab ich dich funden unter Holz und unter Steinen, und hab dich zusammengelesen, daß dich die Wölfe und wilden Tiere nicht zerzerrten; ich hab dich auf meiner Achfel getragen und hab dich dem Vater wiedergegeben; ich hab gearbeitet, geschwitzet, mein Haupt wider die Dornen gehalten und meine Hände wider die Nägel, meine Seite ift aufgefchlofsen mit einem Speer, mein Leib ift zerrifsen von all der Widerwärtigkeit und schweren Pein. Ich hab mein Blut vergossen und meine Seele hingegeben, damit ich dich wiederbrächte; so verschmähest du nun dies alles und scheidest dich von mir?' § Die andere Sache des Nutzens ist, daß dieses Leiden die würdigste Arznei ist gewesen wider unser Leiden und Gebrechen, und hat es geheilt zur gleichen Stunde, am gleichen Ort, auf die gleiche Art, wie es entstand. Zur felben Zeit: denn gleich wie Adam in dem März erschaffen ward und fiel, an einem Freitage um die sechste Stunde, also wollte auch

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unser Herr in dem März, an dem Freitag leiden um die sechste Stunde; auch ward er auf denfelben Tag und Stunde Marien seiner Mutter gekündet. Am selben Ort: denn man mag die Statt seines Leidens dreifältig verftehen: die allgemeine, die sonderliche und die eigentliche. Die allgemeine Statt ist das gelobte Land, die sonderliche ist der Berg Calvaria, die eigentliche das Kreuz. An der allgemeinen Statt ward auch erschaffen der erfte Mensch: in dem Land um Damascus, auf einem Acker dafelbst soll er erschaffen worden fein. Auf der sonderlichen Stätte ward er begraben; denn man spricht, daß er auf dem Berg bestattet ward, da Christus litt; doch ist hiewider, daß Adam auf dem Berge Ebron bestattet ward, nach Hieronymus, dasselbe ist auch klärlich geschrieben Josua 14,15. § An der eigentlichen Stätte ward er auch verführt und zu Fall gebracht; das ift nicht also zu verstehen, daß Adam an dem selben Holze sündigte, an dem Christus litt, sondern es ist zu verstehen: gleichwie Adam sündigte an dem Holz, so litt Christus an dem Holze. Doch liest man auch in einer griechischen Geschichte, daß es geschah an demselben Holz. Gar ziemlich war auch die Art der Heilung; sie geschah durch Gleiches und durch Entgegengesetztes. Durch Gleiches, denn wie Augustinus in seinem Buche von der christlichen Lehre schreibt, ist der Mensch durchs Weib gefallen, und ist durchs Weib geboren; also hat auch ein Mensch die Menschen erlöst, ein Sterblicher die Sterblichen, die Toten durch seinen Tod. Ambrosius 'Adam ward gemachet aus der Erden, die noch jungfräulich war, Christus ward von einer Jungfrau geboren; Adam ward nach dem Bilde Gottes geschaffen, Christus war das Bild Gottes; die erste Torheit ward begangen durch ein Weib, die oberste Weisheit kam zu uns durch ein Weib; nackt war Adam, nackt war Christus; der Baum brachte den Tod, das Kreuz brachte das Leben; Adam war in der Wüste, in der Wüste war auch Christus'. Die Heilung geschah auch durch Entgegengesetztes; denn der erste Mensch fiel, als Gregorius spricht, durch Hoffärtigkeit, durch Ungehorsam und durch Fräßigkeit; er wollte sich Gott gleichmachen durch Wissen, er übertrat sein Gebot; und wollte die Süßigkeit des Apfels kosten; und da eine Heilung durch Gegenmittel geschehen mag, so war es ziemlich, daß Christus es wieder gut machte durch Demut, Ergebung in Gottes Gebot und hartes Leiden. Von den dreien ist geschrieben Philipper 2,7; von dem ersten

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'Er erniedrigte sich selbst'; von dem zweiten 'und ward gehorsam'; von dem dritten 'bis zum Tode'. § Zum dritten ist dieses Leiden der kräftigste Zuzug menschlichen Geschlechtes in göttliche Minne gewesen; denn nimmer mochte er menschliches Geschlecht mächtiger zu Liebe und Vertrauen an sich ziehn, und jeglichem doch seinen freien Willen belassen, denn durch sein Leiden. Wie er uns aber dadurch zu seiner Liebe emporzieht, davon spricht Sanct Bernhard 'O du guter Jesu, der Kelch, den du getrunken, das Werk unsrer Erlösung macht dich mehr minnesam, als alle die Werke, die du je Menschen hast erzeigt. Es ist so mächtig, daß es gar leicht all unsre Minne zu dir kehrt, all unsre Andacht sänftiglich zu dir zieht, rechter gegen dich aufrichtet, strenger und michtiger zu dir zwingt; denn wo du dich erniederst und dich deines natürlichen Glanzes beraubest, da glänzt deine Mildigkeit kräftiger, da strahlt deine Liebe herrlicher und leuchtet deine Gnade'. Wie uns das Leiden Christi aber führte zu einem Zutrauen, davon spricht Sanct Paulus an die Römer 'Welcher auch seinen eigenen Sohn nicht hat verschonet, sondem hat ihn für uns alle dahingegeben: wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?' (Rom. 8,32). Hievon spricht auch Sanct Bernhard 'Wer ist der Mensch, der nicht eine tröstliche Hoffnung und Zuversicht empfindet, so er Christi Leib anschauet an dem Kreuz: da ist das Haupt geneigt zu einem friedsamen Kuß, die Arme ausgebreitet zum Umsahen, die Hände durchbohrt um ihre Schätze auszuteilen, die Seite geöffnet zur Liebe, die Füße festgenagelt zu einem Bleiben bei uns, der ganze Leib gedehnt zu einer Gabe für uns'. § Zum vierten war das Leiden ein weises Mittel, den bösen Feind zu überwinden. Davon spricht Job (2ö,12) 'Seine Weisheit hat den Hochfärtigen überwunden' und spricht weiter 'Wer ist, der den Leviathan möge sahen mit einer Angel?' (Job 40,20). Das ist Christus gewesen, der die Angel göttlicher Gewalt hatte verborgen unter dem Köder menschlicher Natur: da nun der Teufel wollte verschlingen die Speise menschlicher Natur, da ward er gefangen mit der Angel der allmächtigen Gottheit. Von diesem weisen Fang spricht Sanct Augustinus 'Unser Erlöser ist kommen; davon ist der Betrüger überwunden. Und wie hat er den Seelenfänger gefangen? Er hat ihm sein Kreuz als eine Falle gestellt, daran war sein Blut als ein Köder getan'. Er wollte aber sein Blut vergießen, nicht des Schuld-

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ners Blut, darum ging er von den Schuldnern. Diese Schuld nennt der Apostel eine Verschreibung, welche Christus nahm und ans Kreuz heftete; davon spricht Sanct Augustinus 'Eva entlehnte die Sünde vom Teufel und schrieb die Verschreibung und nahm einen Bürgen und die Schuld trug Zinsen allen ihren Nachfahren. Das erste tat sie, da sie wider Gottes Gebot begehrte, und dem bösen Rat folgte; das andere tat fie, da fie die Hand zu dem verbotenen Apfel aufhub; das dritte, da sie Adam zu einem Mitschuldigen machte; und also ist ein Wucher der ersten Sünde allen Menschen zugewachsen'. Wider die, fo solches Leiden an sich lassen verloren werden, dadurch uns Christus von des Feindes Gewalt hat befreit, spricht Sanct Bernhard in der Person Christi 'Mein Volk, spricht der Herr, was mochte ich dir haben getan, das ich hab unterwegen gelassen? Was ist die Ursach, daß dich mehr lüstet meinem Feinde zu dienen denn mir? Er hat euch doch nicht geschaffen noch nähret er euch; scheint eurem Undank dies gering: so hab ich euch doch erlöst und nicht er; nicht mit vergänglichem Gold oder Silber, nicht mit Sonne oder Mond, nicht mit einem meiner Engel, sondern mit meinem eigenen Blut. Mag ich aber um soviel Rechte von euch nicht haben den gebührlichen Dienst, so sehet dies alles nicht an und dienet mir allein um den täglichen Groschen'. § Wenn nun unser Herr in den Tod ward verraten von Judas aus Habsucht, von den Juden aus Neid, von Pilatus aus Furcht; so sollen wir sagen, mit welcher Rache sie Gott dafür getroffen hat. Von Judas Lohn und wie er geboren ward findest du geschrieben in der Legende von Sanct Mathias; von der Juden Strafe und ihrem Untergang in der Legende Sanct Jacobi des Minderen; darum sollen wir hier alleine sagen von dem Leben und dem Lohne Pilati. § Man liest in einer apokryphen Geschichte, daß ein König war, Tyrus mit Namen, der beschlief eines Müllers Tochter, die hieß Pyla, und hieß ihr Vater Atus; und erzeugte mit ihr einen Sohn. Da das Kind geboren war, machte Pyla einen Namen aus ihrem und ihres Vaters Namen und nannte das Kind Pylatus. Da nun dies Kind drei Jahre alt war, da sandte es Pyla dem Könige. Der aber hatte noch einen anderen Sohn mit der Königin, seinem ehelichen Weib, der war in dem Alter Pilati, und ward mit ihm zusammen aufgezogen. Da diese zwei Kinder zu ihren Jahren kamen, da spielten sie oft mit einander

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und übten sich im Ringen, Faustkampf und Schleuderwerfen. Da erzeigte des Königs rechter Sohn seinen Adel, daß er in allen Dingen Pilatum überkam und in aller Art des Kampfes besser erfunden ward. Davon gewann Pilatus also großen Neid und Haß, daß er seinen Bruder heimlich erschlug. Da dies der König vernahm, ward er sehr betrübt und rief seine Räte zusammen, und fragte, was er mit diesem Bösewicht und Mörder sollte tun. Da antworteten sie alle mit gemeiner Stimme, er hätte den Tod verdient. Doch bedachte sich der König eines anderen und wollte den Frevel nicht durch Frevel größer machen; sondern sandte Pilatum gen Rom als Geisel an des Zinses Statt, den er den Römern jährlich mußte bringen; also wollte er unschuldig bleiben am Tode seines Sohnes, und wollte auch von dem Zins wider die Römer freikommen. Zu derselben Zeit war auch zu Rom des Königs Sohn von Frankreich, den sein Vater auch als Geisel an Zinses Statt dahin hatte gesandt. Er ward Pilato zum Gesellen gegeben; aber als dieser sah, daß er ihn mit Sitten und mit Fleiß übertraf, ward er von Neid ergriffen und tötete ihn. Nun betrachteten die Römer, was sie mit diesem Pilatus wollten tun und sprachen 'Bleibt dieser Jungling leben, der seinen Bruder hat erschlagen und seinen Gesellen hat erwürgt, so wird er dem Staate gar nütze sein und mit Härtigkeit die härtesten Feinde zwingen'. Und sprachen also 'Er ist des Todes schuldig, darum sollen wir ihn in die Insel Pontus senden: da ist das Volk so wild, daß es keinen Richter über sich duldet; so mag er es zähmen, oder sie töten ihn, wie er es verdient'. Also ward Pilatus zu dem bösen Volk gesandt, das seine Richter tötete, und wußte wohl, zu wem er geschickt war, und daß des Todes Urteil über ihm schwebte. Er bedachte mit Schweigen, wie er sein Leben rette, und legte an mit Gaben und mit Drohen, mit Gewalt und mit List, daß er das böse Volk überbösete, bis er es gänzlich unter sich zwang. Davon, daß er das wilde Volk zähmte, ward Pilatus Pontius genannt von Pontus, dem Namen der :Insel. Da Herodes vernahm die kundige Bosheit Pilati, freuete der Listige sich seiner Arglist und sandte ihm Boten und Geschenke, daß er zu ihm käme gen Jerusalem und über alles jüdische Land mit ihm herrsche. Also geschah, daß Pilatus so viel Gutes sammelte, daß er ohne Herodis Wissen gen Rom fuhr und mit dem unzähligen Gut den Kaiser Tiberius überkam, und von ihm erhielt.

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was ihm Herodes zu Lehen hatte gegeben. Davon wurden Herodes und Pilatus einander feind, bis zur Zeit des Leidens unsres Herrn, da versöhnte Pilatus den Herodes, als er ihm Christum übersandte. In der Historia Scholastica liest man eine andere Ursache dieser Feindschaft: denn es war ein Mann, der sprach: er wäre Gottes Sohn, und betrog damit viel Leute von Galilaea; und führte fie zum Berge Garizim und sprach, er wolle dort gen Himmel fahren; da kam Pilatus dazwischen und erschlug ihn und alle die mit ihm waren; denn er fürchtete, daß er auch die Anden möchte verführen. Darob ward ihm Herodes feind, weil er Herr von Galilaea war. Es mögen aber beide Reden wahr sein. § Als Pilatus aber nun den Herrn den Juden überantwortet hatte, daß sie ihn kreuzigten, fürchtete er doch die Ungnade des Kaisers Tiberius, da er das unschuldige Blut in den Tod hatte gegeben. Darum sandte er seiner Vertrauten einen zu dem Kaiser, daß er ihn seiner Tat sollte entschuldigen. § Unterdem lag der Kaiser Tiberius in einer schweren Krankheit; da ward ihm gesagt, daß zu Jerusalem ein Arzt seh der vertriebe alles Siechtum durch sein bloßes Wort. Daß ihn aber Pilatus und die Juden getötet hatten, das war ihm nicht kund. Also sprach er zu Volusiano seinem heimlichen Diener 'Mache dich schnell auf und fahre über Meer und entbiete dem Pilatus, daß er mir den Arzt sende, der soll mir meine Gesundheit wiedergeben'. Volusianus kam zu Pilato und sagte ihm die Botschaft des Kaifers. Da erschrak Pilatus, und bat, daß er ihm vierzehn Tage Frist lasse. An der Zeit geschah es, daß Volusianus eine Frau traf, die hieß Veronica und war Jefu gefreundet gewesen. Die fragte er, wo er Jesum Christum möge finden. Sie sprach 'Ach, das war mein Herr und mein Gott, der ward von Haß in die Hände Pilati gegeben, der hat ihn verdammt an das Kreuz in den Tod'. Von dieser Rede erschrak Volusianus und sprach 'Ach wie bin ich nun s gar betrübt, daß ich das Gebot meines Herrn nicht mag erfüllen'. Da sprach Veronica 'Als mein Herr durch die Welt ging predigen und ich seiner Gegenwart nicht mochte genießen alle Zeit, da wollte ich mir sein Bild lassen malen, daß ich davon Trost empfinge, wann er selber nicht gegenwärtig wäre. Da ich nun das Tuch zu dem Maler trug, daß er mir darauf das Bild male, begegnete mir mein Herr auf der Straßen und fragte mich, wohin ich ginge. Und da ich ihm die Sache meines

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Weges sagte, so hiesch er von mir das Tuch; und da er es mir wiedergab, hielt das Tuch das Bild seines Antlitzes. Dies Bild ist fo kräftig, sähe es dein Herr mit Andacht an, er würde ohne Zweifel gefund'. Da fprach Volufianus 'Mag jemand diefes Bild mit Gold oder Silber aufwiegen?' Antwortete jene 'Nein, das Bild erzeigt seine Kraft allein einem gläubigen und andächtigen Herzen. Darum fo will ich mit dir fahren und das Bild dem Kaiser zeigen und darnach wieder heimkehren in mein Land'. Also kam Volusianus mit Veronica gen Rom zum Kaiser Tiberius und sprach zu ihm Josum, den du so lange begehrt hast, den hat Pilatus mit den Juden wider das Recht aus Haß in den Tod verdammt an das Kreuz. Doch ist mit mir gefahren diefe Frau und bringet fein Bild: willft du das mit Andacht anschauen, so giebt es dir Gesundheit deines Leibes'. Da hieß der Kaiser seidene Tücher ausbreiten und das Bild ihm entgegen tragen; und alsbald er es angeschaut hatte, ward er gesund. § Hienach ward Pontius Pilatus auf des Kaifers Gebot gefangen und gen Rom geführt. Als der Kaiser vernahm, daß Pilatus gekommen sei, hieß er ihn in großem Zorne vor sich führen; Pilatus aber hatte den ungenähten Rock Christi mit sich geführt, und trat darein gekleidet vor den Kaifer. Alsbald der Kaifer ihn in dem Rocke sah, da vergaß er seines Zornes, und stund gegen ihn auf und mochte ihm nichts Hartes erzeigen; und fo grimmig er in feiner Abwefenheit hatte getobt, so mild und gütig war er in seiner Gegenwart. Alsbald er ihm aber Urlaub hatte gegeben, entbrannte sein Zorn von neuem; und schalt sich einen Toren, daß er ihm seinen Zorn nicht hatte erzeiget. Er hieß ihn zustund wieder rufen, und schwur, er sei ein Sohn des Todes und habe am längsten auf Erden gelebt. Als er ihn aber wieder sah, grüßte er ihn alsbald freundlich und war all sein Grimm verschwunden. Darob verwunderten sich alle, und er verwunderte sich selbst, daß er gegen Pilatum, so er nicht da wäre, voll Zorns sei, und so er vor ihnr stunde, nichts Hartes wider ihn möchte sagen. Da geschah es von Gottes Verhängnis, oder weil etwan ein Christ es dem Kaiser hatte geraten, daß Tiberius dem Pilatus den Rock ließ ausziehen; alsbald war er wieder in seinem vorigen Zorn. Da er sich darob verwunderte, ward ihm gesagt, daß dies der Rock Christi sei. Er gebot, daß man Pilatum wieder ins Gefängnis lege, bis der Rat der Weisen beschlossen hätte, was mit

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ihm sollte geschehen. Also ward ein Urteil gegeben, daß er des schimpflichsten Todes sollte sterben. Da dies Pilatus vernahm, da tötete er sich mit seinem eigenen Messer und endete also sein Leben. Als das der Kaiser hörte, sprach er 'Wahrlich, er hat den schimpflichsten Tod erlitten, den die eigene Hand umgebracht hat'. Darnach ward sein Leichnam an einen großen Mühlstein gebündelt, und ward also in den Tiber geworfen. Da freueten die bösen und unreinen Geister sich an dem stinkenden Leichnam dieses Bösen und Unreinen, und warfen ihn auf in die Luft, und wieder ins Wasfer, und erregten große Überschwemmung des Wassers, und Blitz und Donner, und fuhren in Sturm und Hagel auf und nieder, daß alles in Angst und Schrecken war. Darum zogen ihn die Römer wieder aus dem Tiber und führten ihn zum Spott gen Vienna, und warfen ihn in den Rhoneflufi. Denn Vienna ist gesprochen via Gehennae Weg der Hölle, weil er vor Zeiten ein Ort des Fluches war; man nennt es wol auch Bienna, weil es in zwei Jahren ward erbaut. Aber auch dort waren die Teufel da, und trieben dasselbe Spiel, also daß die von Vienna es nicht ertragen mochten, und dieses Gefäß der Bosheit von sich taten, und gaben es an die Leute von Losanna, daß sie ihn in ihrem Lande begruben. Die mochten das Treiben der bösen Geister auch nicht ertragen und führten ihn von sich und warfen ihn da in einen Abgrund um den große Berge liegen. Da soll man noch jetzt das Treiben der Hölle spüren wie etliche erzählen. Also steht es in jener apokryphen Geschichte zu lesen. Ob das aber zu halten seh steht bei des Lesers Urteil. Doch sollen wir merken, was man in der Historia Scholastica findet. Da lesen wir, daß Pilatus von den Juden bei Tiberius angeklagt ward, weil er mit Unrecht und Gewalt etliche unschuldige hatte getötet, und weil er wider der Juden Willen die Bilder heidnischer Abgötter in ihren Tempel hatte gesetzt; auch hatte er Geld aus dem Gotteskasten genommen und es für sich genützt, und hatte davon einen Wassergang in sein Haus gebaut. Für dieses alles ward er nach Lugdunum in die Verbannung gesandt, daher er gebürtig war, daß er daselbst zur Schmach seines Volkes sein Leben beschließe. Ost nun jene andere Geschichte wahr, so mag es wol sein, daß Pilatus bereits zur Verbannung nach Lugdunum verurteilt und dahin gesandt war, ehe Volusianus zum Kaiser wiederkehrte; darnach aber, als Tiberius vernahm, wie er Chri-

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stunl hatte getötet, ließ er ihn aus der Verbannung nach Rom führen. Eusebius und Beda aber sagen in ihren Chroniken nichts davon, daß er in die Verbannung geschickt ward, sondern nur, daß er in mancherlei Unglück fiel, und sich mit eigener Hand das Leben nahm.

§ Von dem Unterschied der Zeit. achdem wir nun gesagt haben von den Festen, die da fallen in die Zeit der Verirrung; die da währt von Adam bis Moyses; die man begeht von Septuagesima bis Ostern; so sollen wir hienach sagen von den Festen, die da fallen unter die Zeit der Versöhnung; die Zeit begeht die Christenheit von Ostern bis acht Tage nach Pfingsten.

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§ Von der Auferstehung des Herrn. nser Herr ist erstanden an dem dritten Tage nach seinein Leiden. An seiner Auferstehung aber merken wir sieben Stücke. Das erste ist, wie dies wahr sei, daß er drei Tage und drei Nächte in dem Grabe lag und doch an dem dritten Tage erstund. Das zweite, warum er nicht alsbald von dem Tode erstund, da er starb, sondern bis zum dritten Tage wartete. Das dritte, wie er auferstund. Das vierte, warum er so bald auferstund und seine Auferstehung nicht aufschob bis zum Tage der allgemeinen Auferstehung. Das fünfte, warum er auferftund. Das sechste, wie oft er nach feiner Auferftehung erschien. Das fiebente, wie er die heiligen Väter, die im Limbus waren, herausführte, und was er daselbft tat. § Zu dem erften, daß Christus drei Tage und drei Nächte im Grabe sei gewesen so setzt man den Teil für das Ganze und spricht mit Sanct Augustino, daß man von dem ersten Tage muß nehmen den Abend, den zweiten ganz, von dem dritten den Morgen, so sind es drei Tage; und deren jeglicher hat seine Nacht, die ihm voraufgeht. Beda aber schreibt uns, daß seit der Passion des Herrn die Ordnung des Tages und der Nacht verwandelt ist. Denn vor der Zeit zählte man den Tag vor der Nacht; so zählt man nun, nach der Passion des Herrn, die Nacht vor dem Tage. Das ist zu einem Zeichen, daß der Mensch zuerst gefallen war von einem Tage der Gnade in die Nacht der Sünde; so ist er nun durch Christi Tod und Auferstehung aus der

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Nacht der Sünde erstanden in das Licht und den Tag der Gnade. § Zum andern, daß er nicht alsbald, da er gestorben war, auferstund, sondern bis zum dritten Tage wartete, das war ziemlich aus fünf Gründen. Erschlich follte damit bezeichnet werden, daß er mit dem Licht seines eigenen Todes wollte erleuchten die Finsternis unseres zwiefältigen Todes: darum lag er einen ganzen Tag und zwei Nächte in dem Grab; der Tag bedeutet das Licht seines Todes, die beiden Nächte unsern zwiefältigen Tod. Diefen Grund meint die Gloffe über Lucas 24, 46 'Und also mußte Christus leiden und am dritten Tage von den Toten auferstehn, daß in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werde, von Jerusalem angefangen'. Zweitens, daß er daran bewährte die Wahrheit seines Todes. Denn wie auf zwei oder drei Zeugen die Wahrheit einer Ausfage steht, so steht auf drei Tagen die Wahrheit eines Gefchehniffes. Und also, daß er den Tod bewähre und von seiner Wahrheit zeuge, darum wollte er drei Tage in dem Grabe liegen. Drittens, daß er daran erzeigte seine Gewalt; denn wäre er alsbald auferftanden, fo wäre nicht die Gewalt offenbar worden, die er hatte, fein Leben zu geben und wieder zu nehmen. Dies meint die Gloffe über 1. Corinther 15, 3 'Daß Christus für unsre Sünden gestorben ist, wie geschrieben steht, daß er begraben ward und am dritten Tage wieder auferstund, wie geschrieben steht' da sie spricht 'Es ist zuerst gesagt von dem Tod, damit, wie sein Tod wahrhaftig erwiesen ward, auch seine Auferstehung erwiesen werde'. Viertens, daß damit alles bezeichnet würde, was Christus erlöste. Davon schreibt Petrus von Ravenna 'Drei Tage wollte unser Herr begraben sein, zu einem Zeichen, daß er erneue die im Him-

mel sind, die auf Erden wiederbringe, und die in der Unterweit .erlöse'. Fünftens follte der dreifache Zustand der Gerechten damit bezeichnet werden. Davon spricht Sanct Gregorius über Ezechiel 'Unser Herr hat an dem Freitag den Tod gelitten, an dem Samstag hat er im Grabe geruht, an dem Sonntag ist er vom Tode erstanden; das soll uns ein Zeichen sein, daß alles Leben dieser Zeit ein Freitag ist, da wir Angst und Schmerzen sollen leiden; der Samstag ist, wann wir im Grabe ruhen, denn nach dem Tode hat unsere Seele Ruhe; der Sonntag ist, wann wir von dem Tode erstehen, das ist an dem achten Tage, und fröhlich sind an Leib und Seele. Leiden am Freitag, Ruhe am Samstag, Freude

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am Sonntag'. § Das dritte Stück, das wir merken sollen, ist, wie Christus erstund. Da sehen wir erstlich seine Gewalt, denn er ist von seiner eigenen Kraft erstanden. Davon heißt es Johannes 1o, 18 'Ich habe Macht, mein Leben zu lassen, und habe Macht, es wieder zu nehmen'. Und Johannes 2, 19 'Zerstöret diesen Tempel, so will ich ihn wiederbauen in dreien Tagen'. Er ist zum andern seliglich auferstanden, da er alles Leid hinter sich ließ. Davon heißt es Matthäus 26, 32 'Wann ich aber auferstanden bin, werde ich vor euch hergehen nach Galilaea'; Galilaea aber ist gesprochen ein Übergang: also ging Christus nach seiner Auferstehung seinen Jungern voraus nach Galilaea, das ist, von den Leiden zu den Freuden, von der Zergänglichkeit in die Ewigkeit. Hievon spricht Leo der Papst 'Nach dem Leiden unsres Herrn wurden die Banden des Todes zerbrochen, da ward die Krankheit verwandelt in eine Kraft, die Sterblichkeit in Unsterblichkeit, die Schande in göttliche Ehre'. Zum dritten ist er auferstanden mit Nutzen; denn er führte den Raub mit fich. Davon heißt es Jeremiae 4, 7 'Es fteigt herauf der Löwe aus feinem Lager und der Räuber der Völker macht fich auf'. Und Johannis 12,32 'Wann ich erhöhet werde von der Erde' das ist: meine Seele ziehe aus dem Limbus und meinen Leib aus dem Grabe, 'so will ich alle Dinge nach mir ziehen'. Zum vierten ist er auferstanden wunderbarlich; denn er erstund aus dem verschlossenen Grab. Gleichwie er aus dem verschlossenen Schoß seiner Mutter ging und zu den Jungern durch verschlossene Türen trat, so mochte er auch aus einem verschlossenen Grab gehen. Davon liest man in der Historia Scholastica, daß im Jahre 1111 einem Mönch von Sanct Laurentius extra muros der Gürtel, damit er gegürtet war, unaufgelöst vor seine Füße fiel; und da er fich darob verwunderte, sprach eine Stimme in den Lüften 'Also mochte Christus aus dem geschlossenen Grabe erstehn'. Zum fünften ist Christus wahrhaftig auferstanden, mit seinem eigenen wahren Leib, und hat solches bezeugt zu sechs Malen. Er bezeugte es durch den Engel, welcher nimmer lügt; und durch sein Erscheinen zu etlichen Malen; an diesen beiden merken wir, daß er wahrhaft auferstund; er bezeugte es durch sein Essen, daß es keine Zauberei mochte sein; durch sein Tasten, daß er einen wahrhaften Leib hatte; durch die Wundmale, daß es derselbe Leib war, in dem er gestorben war; er bezeugte es durch sein Eingehen

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durch die verschlossene Tür, damit ward bewährt, daß er in verklärtem Leib war auferstanden; denn über alles dieses waren Zweifel gewesen bei den Jungenr. Zum sechsten ist Christus erstanden unsterblich, denn er wird hinfort nimmermehr sterben. Davon spricht Sanct Paulus 'Christ ist erstanden von dem Tode, hinfort ftirbet er nicht mehr' (Rom. 6, 9). Dennoch schreibt Dionysius in dem Briefe an Demophilus, daß Christus, da er schon gen Himmel war gefahren, zu einem heiligen Manne, Carpus mit Namen, sprach 'Ich bin bereit zum andern Male für die Erlöfung der Menschen zu sterben'. Daraus erkennen wir, daß er, wann es not wäre, wiederum für die Menschheit würde sterben. Carpus hat dieses dem heiligen Dionysius, wie wir in demselbigen Briefe lefen, also erzählt: Es hatte ein Ungläubiger einen Christen von seinem Glauben gebracht. Davon ward Carpus also betrübt, daß er in eine Krankheit fiel. Er war aber so heilig, daß er niemals Messe hielt, es ward ihm denn ein himmlisches Gesicht zu teil. Aber da er für die Bekehrung der beiden follte beten, flehte er täglich zu Gott, daß er ihr Leben ende und fie ohn Erbarmen wolle verbrennen. Es geschah um Mitternacht, da er erwacht war und dies Gebet tat, daß das Haus, darinnen er war, sich plötzlich in zwei Teile teilte; und er sah einen großen Ofen, und da er die Augen aufhub, sah er den Himmel offen und Jesum darin mit der Menge der himmlischen Heerscharen. Er sah auch vor dem Ofen die beiden Männer stehn, die zitterten vor Angst, und wurden von Schlangen, so aus dem Ofen kamen, umwunden und gebissen und zu dem Ofen gezerrt, und etliche andere Männer waren an dem, sie hinein zu stoßen. Als Carpus das sah, ergötzte er sich also an ihrer Pein, daß er die Erscheinung in der Höhe nicht wollte ansehen; er war gänzlich in das Anschauen des Gerichts versenket, und war ihm allein leid, daß sie nicht gar schnell in den Ofen wurden gestoßen. Da er nun auch einmal aufsah gen Himmel, erblickte er dieselbe Erscheinung wie zuvor. Aber siehe, da stund Christus auf von seinem himmlischen Thron, denn die Sünder erbarmten ihn, und stieg mit seinen Engeln herab zu ihnen, reckte seine Hand aus und hub sie selbst empor; und zu Carpus sprach er 'Hebe nur deine Hand auf und schlage mich fürbaß, ich bin bereit zum andern Male für die Erlöfung der Menschen zu leiden. Und dasfelbige für einen Freund, und nicht für die Sünde der anderen Men-

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schen'. Dieses Gesicht, davon Dionysius schreibt, haben wir hieher gesetzt, um jenes Wortes willen von Christi zweitem Tode. § Das vierte Stück ist, warum Christus nicht wartete der allgemeinen Auferstehung aller Menschen. Das geschah um drei Dinge. Erstlich um seines Leibes Würdigkeit; denn da dieser Leib von Gott war oder Gott geeint, so war es nicht ziemlich, daß er so lange der unreinen Erde sollte untertan sein. Darum heißt es Psalm 15,1o 'Du wirst nicht leidem daß dein Heiliger verwese' das ist: dein heiliger, gottgeschaffner Leib. Desgleichen Psalm 131, 8 'Herr, mache dich auf zu deiner Ruhe, du und die Lade deiner Heiligkeit'. Lade der Heiligkeit aber heißt hier der Leib, der die Gottheit umschloß. Zum andern sollte der Glaube dadurch bewährt werden; denn wäre er nicht so bald erstanden, so wäre der Glaube vergangen, und niemand hätte ihn als wahren Gott angebetet. Das sehen wir daran, daß bei des Herrn Leiden alle, außer seiner Mutter, den Glauben verloren; da sie aber sahen, daß er sei auferstanden, wurden sie wieder gläubig. Corinther 15,17 '□st aber Christus nicht auferstanden, so ist unser Glaube vergeblich'. Zum dritten sollte uns Christi Auferstehung ein Vorbild sein unsrer eigenen Auferstehung. Denn wäre er nicht erstanden, wer sollte dann hoffen, daß eine Auferstehung sei? Darum spricht der Apostel, daß auch wir werden auferstehen so Christus ist erstanden; denn seine Auferstehung ist das Vorbild unsrer Auferstehung, und Sanct Gregorius spricht 'unser Herr hat uns an ihm selbst als an einem Beispiel erzeigt, was er uns gelobt hat zu einem Lohn; denn so wir treulich daran glauben, daß er sei auferstanden, so sollen wir auch am jüngsten Tage den Lohn der Auferstehung erhoffen', und spricht weiter 'Nicht länger denn drei Tage wollte unser Herr tot sein; denn hätte sich seine Auferstehung verzogen, so hätten wir an der unsern müssen verzweifeln. ■Also haben wir Hoffnung zu unserer Auferstehung, wenn wir ansehen die Glorie unsres Herrn'. § An dem fünften Stück, warum Christus auferstund, merken wir, daß es geschah um vierlei großen Nutzens willen. Denn seine Auferstehung macht rechtfertig die Sünder, sie lehrt Erneuung der Sitten, sie giebt eine Hoffnung des Lohnes und wirkt die Auferstehung aller Menschen. Sie geschah erstlich zur Rechtfertigung der Sünder. Davon heißt es Römer 4, 25 'Welcher ist um unsrer Sünden willen dahingegeben und um unsrer Gerechtigkeit

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willen auferwecket'. Zum andern soll sie uns lehren einen neuen Wandel. Davon heißt es Römer b, 4 'Gleichwie ChUstus ist auferweckt von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, also sollen auch wir in einem neuen Leben wandein'. Zum dritten giebt sie uns eine Hoffnung auf himmlischen Lohn. Davon heißt es 1. Petri 1,3 'Der uns nach seiner großen Barmherzigkeit zu einer Hoffnung des Lebens erweckt hat durch Christi Auferstehung von den Toten'. Zum vierten wirkt seine Auferstehung die Auferstehung aller Menschen. Davon heißt es 1. Corinther 15,20 'Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten, und der Erstling worden unter denen, die da schlafen; sintemal durch einen Menschen der Tod und durch einen Menschen die Auferstehung der Toten kommt'. § Aus dem Vorgesagten wird offenbar, daß Christi Auferstehung von unsrer Auferstehung in vier Dingen war unterschieden. Erstlich ist er am dritten Tage erstanden, unsre Auferstehung aber wird erst sein am Ende der Tage. Zum andern ist er durch eigene Kraft auferstanden; wir aber erstehen allein durch ihn. Davon spricht Ambrosius 'Wie mochte der von einem andern mögen erweckt werden, der selbst die andern hat erweckt'. Das dritte ist, daß wir zu Asche werden; sein Leib aber zerfiel nicht. Zum vierten ist seine Auferstehung unserer Auferstehung eine Ursache, ein Beispiel und ein geistlich Gleichnis. Von dem ersten spricht die Glosse über den Psalm 'Am Abend wird Weinen sein, am Morgen aber Freude' (Psi 29, 6). 'Die Auferstehung Christi ist die wirkende Ursache der Auferstehung der Seele in diesem und des Leibes in jenem Leben'. Von dem zweiten heißt es 1. Corinther 15 'Isst aber Christus erstanden, so werden auch wir auferstehen'. Von dem dritten lesen wir Römer 6, 4 'Gleichwie Christus ist auferstanden von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, also sollen wir in einem neuen Leben wandeln'. § Das sechste Stück ist, wie oft Christus nach seiner Auferstehung erschienen sei. Da sollen wir merken, daß er an dem Ostertag selbst zu fünf Malen erschienen ist, und an den anderen Tagen auch fünf Male. § Das erste Mal erschien er der Maria Magdalena; als uns geschrieben ist Johannis am 2o.Capitel; und Marci am letzten, da es heißt 'Jesus aber, da er auferstanden war, früh am ersten Tage der Woche, erschien er am ersten der Maria Magdalena' (Marc. 16, 9); die bezeichnet uns die Büßenden. Warum er ihr aber zuerst erschienen ist, des sind

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fünf Urfachen. Die erste ist, daß sie gar brennend liebte; Lucas 7, 47 'Ohr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt'. Zum andern wollte er zeigen, daß er für die Sünder sei gestorben: Matthäus 9, 13 'Ich bin gekommen, zu berufen die Sünder und nicht die Gerechten'. Zum dritten wollte er zeigen, daß die Huren eher ins Himmelreich sollten kommen denn die Weisen: Matthäus 21, 31 'Wahrlich ich sage euch, die Zöllner und Huren werden eher in das Himmelreich kommen denn ihr'. Zum vierten: wie eine Frau war die Künderin des Todes, so sollte auch eine Frau die Künderin des Lebens sein, als die Glosse spricht. Zum fünften: wo die Sünde übergefloffen war, da sollte auch die Gnade überflüssig sein. Solches lesen wir Römer 5, 20. § Zum andern erschien er den Frauen, die von dem Grabe gingen, da er zu ihnen sprach 'Seid gegrüsiet'; und sie traten zu ihm und rührten seine Füße an; davon lesen wir Matthäi am letzten. Die bezeichnen uns die Demütigen, welchen der Herr erscheint, ihres Geschlechtes wegen, und der Liebe wegen, da sie seine Füße anrührten. § Zum dritten erschien er Simon Petro; doch wo und wann das geschah, das lesen wir nicht; es mag gewesen sein, da Petrus mit Johannes von dem Grabe wiederkehrte; denn es mochte etwan sein, daß er sich von Johannes hatte getrennt, und ihm dann der Herr erschien. Davon ist geschrieben Lucas am letzten. Oder er mag ihm erschienen sein, da Petrus allein zu dem Grabe kam; als wir in der Historia Scholastica lesen. Oder auch in der Grotte oder Höhle; denn man liest in derselben Geschichte, daß Petrus, da er Christum verleugnet hatte, in die Grotte floh, welche jetzt Gallicantus heißt, das ist gesprochen Hahnenschrei; daselbst habe er drei Tage lang geweint aus Trauer, daß er den Herrn verleugnet hatte; daselbst erschien ihm auch der Herr und tröstete ihn. Petrus aber ist verdolmetschet der Gehorchende; und also bezeichnet er die Gehorsamen, denen der Herr erscheint. § Zum vierten erschien er den zween Jungern auf dem Wege nach Emaus. Emaus aber ist verdolmetschet Begierde des Rats, und bezeichnet die Armen im Geist, oder die Armen Christi, welche den Rat erfüllen wollen 'Gehe hin und verkaufe alles was du hast, und gieb es den Armen'. § Zum fünften erschien er den Jungent, da sie einmütig bei einander waren; das bezeichnet die geistlichen Menschen, die die Tore ihrer fünf Sinne verschlossen halten. Von dieser Erscheinung lesen wir Johan-

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nis am 20. Capitel. § In diefer fünferlei Weife ist der Herr am Ostertage erschienen. Und diese fünf Erscheinungen bezeichnet der Priester in der Messen, so er sich fünfmal umkehrt zu dem Volke; die dritte Umkehr aber geschieht mit Stillschweigen, denn sie bezeichnet die Erscheinung, die Sanct Petro geschah, welche so heimlich war, daß man nicht weiß wann oder wo. § Zum sechsten erschien er an dem achten Tage den Jungem, da sie versammelt waren, und Thomas bei ihnen war, welcher gesagt hatte, er glaube nicht, er sähe denn. Und damit werden bezeichnet die, so im Glauben zweifelhaft sind. Davon lesen wir Johannes am 20. Capitel. § Zum siebenten erschien er den Jungern, da sie fischten. Davon ist geschrieben Johannis am letzten; dabei versteht man die Prediger, denn sie sind Fischer der Menschen. § Zum achten erschien er den Jungern auf dem Berge Thabor, davon ift geschrieben Matthäi am letzten. Das bezeichnet die Schauenden; weil Christus auf demselbigen Berge verklärt ward. § Zum neunten erschien er den Elfen, da fie zu Tische saßen, da strafte er ihren Unglauben und ihrer Herzen Härtigkeit; davon ift geschrieben Marei am letzten. Dabei verftehen wir die Sünder, die da sind in der Elfzahl der Übertretung, welche der Herr unterweilen in feiner Barmherzigkeit auffucht. § Zum zehnten und letzten Male erschien er den Jungern auf dem ©lberge, davon wir Lucas am letzten lesen. Hiemit werden bezeichnet die Barmherzigen, und die, welche das l der Barmherzigkeit lieben. Und von diesem Berg fuhr er auf gen Himmel. 'Denn die Barmherzigkeit ift zu allen Dingen nütze und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens' (1. Timotheus 4, 8). § Es find noch drei andere Erscheinungen, welche am Ostertage sollen geschehen sein; aber in der Schrift lefen wir davon nichts. § Einmal erschien er Jacobus dem Gerechten, welcher ift Jacobus des Alpheus Sohn; von dieser Erscheinung findest du geschrieben in der Legende des Jacobus selbst. § Das andre Mal erschien er dem Joseph von Arimathia, wie wir im Evangelium Nicodemi lesen. Denn da die Juden vernahmen, daß Joseph des Herrn Leib von Pilato hatte erbeten und ihn in sein Grab hatte gelegt, da ergrimmten sie wider ihn, griffen ihn und legten ihn in eine Kammer, die beschloffen sie mit Fleiß und versiegelten sie; und wollten ihn nach dem Sabbat töten. Aber in der Nacht der Auferftehung siehe, so hub Christus das Haus auf an den vier

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Enden, trat zu ihm, trocknete seine Tränen und küßte ihn, und führte ihn heraus, ohne daß die Siegel zerbrochen wurden, hin in sein Haus nach Arimathia. § Das dritte war, daß er Marien seiner Mutter erschien vor allen andern; das glaubt man gewißlich, ob auch die Evangelisten davon schweigen. Das wird auch bestätigt durch die Kirche von Rom, die des Tages einen Bittgang macht zu Sanct Marien. Glaubt man es aber nicht, dieweil kein Evangelist es bezeugt, so wäre dann Christus nach seiner Auferstehung ihr nicht erschienen, denn kein Evangelist sagt wann oder wo. Aber das sei fern, daß der Sohn die Mutter mit Versäumnis also habe entehret. Wol mag es sein, daß die Evangelisten nur darum schweigen, weil sie nichts anderes wollten denn Zeugen geben für die Auferstehung; die Mutter aber als Zeugen zu stellen für den Sohn, war nicht ziemlich. Denn wenn schon der anderen Frauen Rede für Fabel und Traum gehalten ward, fo mußte der Mutter Zeugnis als ein Wahn erscheinen, den ihr die Liebe zu ihrem Sohne eingab; darum wollten die Evangelisten nicht davon schreiben, doch war es ihnen sicher ohne allen Zweifel. Denn die Mutter mußte er mit seiner Auferstehung noch eher erfreuen als die anderen, weil sie mehr bei seinem Tode gelitten hatte als die andern; und wahrlich, er durfte ·der Mutter nicht vergesfen, da er also eilte, die anderen zu trösten. Das bezeugt auch Ambrosius in dem dritten Buche von den Jungfrauen, da er spricht 'Die Mutter sah die Auferstehung des Herrn, und sah und glaubte am ersten; Maria Magdalena sah sie auch, ob sie gleich noch zweifelte'. Und, von der Auferstehung Christi handelnd, spricht er 'Der jungfräulichen Mutter erschien er zu allererst nach seiner Auferstehung, auf daß sie des großen Wunders Zeuge sei; sie war einst der Weg des kommenden, so sollte sie auch des wiederkommenden Wegweiser fein'. § Das siebente und letzte Stuck ist, was unser Herr in der Vorhölle wirkte, und wie er die Altväter daraus erlösete. Hievon schreibet das Evangelium nicht; doch sprechen davon etlichermaßen Sanct Augustinus in einer Predigt und Nicodetnus in seinem Evangelium. Augustinus spricht § 'Alsobald Christus gestorben war, so fuhr die Seele vereinbart mit der Gottheit in den Abgrund der Höllen. Da er nun nahete der Höllen mit einem furchtbaren lichten Schein, als ob er die Hölle wollte berauben ihrer Finsternis, und die bösen Höllenscharen ihn sahen, erschraken sie und hüben an

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zu fragen 'Wer ist der Starke, der Furchtbare, der Lichte, Herrliche? Die Welt, die uns untertan ist, hat uns nie einen solchen Toten gesendet, sie hat der Hölle nie eine solche Gabe geschenkt. Wer ist, der also unerschrocken in unser Land gehet, und nicht allein unsere Pein nicht fürchtet, er löset auch unsere Gefangenen aus unsern Banden. Sehet, wie sie uns schmähen, weil das Heil kommen ift, die zuvor unter unsrer Gewalt seufzten in schwerer Pein: sie fürchten uns nimmer und drohen uns gar.Niemalen ist solche Hoffart an den Toten gesehen worden und solche Freude an den Gefangenen. Weh und weh, wer hat uns diesen hergetragen? O Sathan unser Fürst, all deine Freude ist verschwunden, all deine Wonne ist in Betrübnis verkehret. Da du Christum hast an das Holz gehenket, da hast du nicht erkannt, wie großen Schaden du der Hölle hast getan'. Nach diesen grimmigen Rufen der Höllenknechte gebot unfer Herr den Riegeln der Hölle, daß fie fich auftäten. Da brachen die eifernen Riegel und es kamen herfür unzählige Völker der Heiligem die fielen nieder zu den Füßen des Herrn und riefen mit weinenden Stimmen 'Bist du kommen, Heiland der Welt, wie haben wir dein so lange geharret, nun bist du um unsertwillen herab in die Hölle gefahren. Wir bitten dich, daß du uns mit dir führest, fo du wieder auffährst, und uns nicht hinter dir lassest. Herr, fahre auf mit deinem Raube, den du der Höllen hast genommen, wenn du den Teufel mit seinen eigenen Banden hast gebunden. Gieb der Welt Freude wieder, komm uns zu Hilf, verlösche die grimme Pein; erbarme dich und erlöst die Gefangenen, dieweil du hie bist, entbinde die Schuldigen, und beschirme die Deinen, so du auffährst'. Solches schreibet Sanct Auguftinus. § Nun lesen wir aber in dem Evangelium Nicodemi, daß Carinus und Leucius, des alten Simeon Söhne, mit Christo auferstunden, und dem Annas, Caiphas, Nicodemus, Joseph und Gamaliel erschienen; die beschwuren sie, daß sie ihnen sollten sagen, was Christus in der Hölle habe gewirket. Da erzählten sie und sprachen also § 'Wisset fürwahr, da wir in der Finsternis saßen mit unsern Altvordern, den Patriarchen, erschien ein güldener Glast und Schein der Sonnen und ein königlich Licht gleich dem Purpur über uns. Als das Adam sah, der Stammvater des Menschengeschlechts, freuete er sich und sprach 'Dies ist der Glanz des, der alles Licht hat geschaffen und der uns gelobet hat, fein ewig Licht

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zu senden'. Und Isaias rief und sprach 'Dies ist das Licht des Vaters, Gottes Sohn, von dem ich geweissagt habe, da ich noch auf Erden ging: Das Volk, das im Finstern wandelte, sahe ein großes Licht'. Hienach kam unser Vater Simeon und sprach mit großen Freuden 'Lobet den Herrn, denn ich habe Christum, das neugeborene Kindlein in meinen Armen empfangen im Tempel; und der Geist trieb mich, daß ich sprach: Nun haben meine Augen dein Heil gesehen, das du bereitet hast vor den Völkern, ein Licht zu erleuchten die Heiden und ein Ruhm deines Volkes Israel'. Darnach kam einer gleich einem Einsiedler, den fragten wir, wer er wäre. Er sprach 'Ich bin Johannes, der Christum hat getaufet, und vor ihm ist gegangen, seinen Weg zu bereiten; ich wies auf ihn mit meinem Finger und sprach: Sehet, das ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, und bin nun herab zu euch gestiegen, daß ich euch künde sein Kommen: denn es steht nahe bevor'. Da sprach Seth 'Als ich einst ging an die Tür des Paradieses, und unsern Herrn bat, daß er mir durch einen Engel sende das cvl der Barmherzigkeit, daß ich den Leib meines Vaters Adam damit salbte; denn er war siech; da erschien mir Michael der Erzengel und sprach: Laß dein Weinen und mühe dich nicht um das

Von Sanct Ratherina

sophistica. Die erste ist für die Philosophi, die zweite für die Rhetores und Dialectici, die dritte für die Sophistae. Auch diese dreifache Weisheit war in ihr; denn es ist von ihr geschrieben 'Sie disputierte mancherlei Ding mit dem Kaiser durch unterschiedliche Schlüsse der Syllogismen, allegorisch und metaphorisch, dialectisch und mystisch'. § Zum andern so war sie gar wunderbarlich in Wohlredenbeit, denn sie hatte große Beredsamkeit in ihrer Predigt; als man aus ihren Reden ersiehet. Dhre Rede war auch geschickt, Antwort zu stehen; als sie bewies, da sie zum Kaiser sprach 'Verwundert dich dieser Tempel, der von der Hand der Werkleute gemacht ist'. Ohre Rede war auch lieblich, Menschen an sich zu ziehen; als an Porphyrio und der Kaiserin offenbar ward, die sie durch die Süßigkeit ihrer Rede zu dem Glauben zog. Sie war auch kräftig in Überredung, als an den Meistern erwiesen ist, die sie mit großer Kraft überredete. § Das dritte war ihre Standhaftigkeit. Denn sie war standhaft wider alle Drohung und verachtete fie. Darum antwortete fie dem Kaiser, der ihr drohete 'Verzieh nicht alle Marter zu erdenken, als du vermagst, denn ich sehne mich, mein Fleisch und Blut dem Herrn darzubringen' und 'Vollbring deinen Willen an mir, denn siehe, ich bin bereit zu aller Marter'. Sie war auch standhaft wider alle Geschenke, die man ihr bot, die verschmähte sie; denn da der Kaiser ihr gelobte, daß sie die zweite sein sollte in seinem Palast, antwortete sie 'Rede mir nicht von solchen Dingen, dergleichen Sünde ist zu denken'. Sie war auch standhaft wider alle Pein und überwand sie; das sehen wir, da sie in den Kerker geworfen ward und auf das Rad geflochten. § Das vierte ifr ihre jungfräuliche Reinigkeit. Denn sie bewahrte ihre Keuschheit auch unter den Dingen, da Keuschheit leichtlich Schaden nehmen mag. Denn es sind fünf Dinge, dadurch Keuschheit mag Schaden nehmen: Überfluß des Guts, der löset auf; Gelegenheit, die verführet; Jugend, die reizt zur Lust; Freiheit, die macht zügellos; Schönheit, die locket an. Unter diesen Dingen allen bewahrte Katherina ihre Keuschheit. Denn sie lebte in großem Überfluß des Guts, da sie ihren reichen Eltern war nachgefolgt. Sie hatte gar viel Gelegenheit, da sie als eine Herrin den ganzen Tag war mit ihren Dienern. Sie war auch jung; und war dazu frei: denn sie blieb allein und frei zurück in ihrem Palast. Von diesen vier Dingen ist oben gesagt 'Katherina, die ihres Alters war achtzehn Jahr,

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stund alleine in ihrem Palast, der voll war von Dienern und aller Reichheit'. Sie war auch schön, davon heißt es ‫׳‬Sie war auch gar zart und schön und erschien aller Augen sonderlich lieblich mit wunderlicher unsäglicher Schönheit'. § Das fünfte ist ihre sonderliche Würdigkeit. Denn es haben etliche Heilige sonderliche Vorrechte gehabt, wann sie von diesem Leben schieden, als: die Erscheinung des Herrn, die geschah Sanct Johannes dem Evangelisten; der Ausfluß des Oles, der war bei Sanct Nicolaus; der Ausfluß der Milch, der geschah bei Sanct Paulo; die Bereitung des Grabes, als Sanct Clemens zu Teil ward; die Erhörung des Gebets, die geschah Sanct Margarethen, da sie für die bat, die ihr Gedächtnis würden begehen. Diese sonderlichen Vorrechte waren allesamt bei Sanct Katherina vereinet, als wir in ihrer Legende haben gelesen. § Man findet aber bei Etlichen einen Zweifel, ob die Heilige von Maxentio gemartert ward oder von Maximino. Denn es hatten zu der Zeit drei Kaiser das Reich: Constantinus, der seinem Vater als Kaiser war nachgefolgt; Maxentius, Maximiani Sohn, der zu Rom von den kaiserlichen Rittern zum Augustus ward ausgerufen; und Maxintinus, der ein Cäsar war in Orient. Als aber die Chroniken schreiben, so wütete Maxentius zu Rom wider die Christen, Maximinus aber in Orient. Also mag es wohl sein, als etliche meinen, daß es durch einen Fehler des Schreibers geschah, daß für Maximinus Maxentius wurde gesetzt.

§ Von Sanct Saturninus.

aturninus ward von der Apostel Jungern zum Bischof geweiht und gen Toulouse gesandt. Da er nun zu der Stadt einging, wollten die bösen Geister den Heiden nintmer antworten. Da sprach der Heiden einer: Es sei denn, daß sie Saturninum töteten, anders möchten sie von ihren Göttern kein Ding mehr haben. Also griffen sie Saturninum; und da er nicht opfern wollte, banden sie ihn einem Stier an seine Füße, und trieben das Tier mit Stacheln von der Höhe der Burg die Stufen des Capitolii hinab, daß sein Schädel zerschellte und sein Gehirn herausspritzte. Also vollbrachte er das Martyrium. Zwei Frauen aber nahmen seinen Leib und begruben den gar tief unter der Erde aus Furcht vor den Heiden; aber seine Nachfolger überführten ihn hernach an eine würdigere Statt.

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§ Es war auch ein anderer Saturninus, den ließ ein Präfect zu Rom lange in dem Kerker hungern; darnach spannte er ihn aus auf der Folter und ließ ihn mit Riemen, Knütteln und Scorpionen schlagen; und ließ seine Seiten mit Feuer brennen; und ihn darnach von der Folter nehmen und enthaupten. Das geschah unter Maximianus um das Jahr des Herrn 287. § Es war noch ein anderer Saturninus, in Africa, der ein Bruder war Sanct Satyri, welcher das Martyrium litt mit diesem seinem Bruder, und mitsamt Revocatus und Felicitas, des vorgenannten Revocati Schwester, und mit Perpetua, die war von edelem Geschlecht. Derselben Gedächtnis wird ziemlicher zu einer anderen Zeit gefeiert. Da der Richter zu ihnen sprach, fie sollten den Göttern opfern, wollten sie es in keiner Weise tun; da ließ er sie alle ins Gefängnis werfen. Als das Sanct Perpetuen Vater fah, da lief er weinend zu dem Kerker und sprach 'Tochter, was hast du getan? du hast dein Geschlecht entehret, denn von allem unserm Geschlechte ward noch niemand in den Kerker geschlossen'. Da er aber vernahm, daß sie eine Christin war worden, fuhr er mit seinen Fingern wider ihre Augen, und wollte ihr die Augen ausgraben. Hiernach so lief er mit Schreien davon. § Sanct Perpetua aber hatte dieses Gesicht, das sagte sie des andern Morgens ihren Gesellen: 'Ich sah eine goldne Leiter, die war so lang, daß sie an den Himmel rührte, und war so eng, daß allezeit nicht mehr denn ein kleiner Mensch darauf mochte stehn. An dieser Leiter zur Rechten und zur Linken waren eiserne Schwerter und Messer gestecket, die waren spitz und gefeilet, also daß, wer hinauf stieg, weder neben sich noch unter sich mochte schauem sondern er mußte allezeit aufrecht zum Himmel stehen. Unter dieser Leiter lag ein erschrecklicher ungeheurer Drache, also daß vor großer Furcht niemand da hinaufsteigen wollte. Darauf sah ich Sanct Satyrum die Leiter hinaufsteigen bis zu oberst; der blickte zu uns herab und sprach: Igr sollt den Drachen nicht fürchten, sondern steiget fröhlich empor, auf daß ihr bei mir möget fein'. Als die andern Heiligen das vernahmen, dankten sie alle Gott; denn sie erkannten, daß sie zu der Marter waren gerufen. Darnach wurden sie vor den Richter geführt, und da sie nicht opfern wollten, schied der Richter Saturninum und die anderen Männer von den Frauen; und sprach zu Felicitas 'Hast du einen Gemahl?' Sie antwortete 'Ich

Von Sanct Jacobus der zerschnitten ward 929 habe einen, den verschmäh ich'. Sprach der Richter 'O du zarte Frau, erbarme dich über dich selber, sonderlich da du ein Kind trägst in deinem Leib'. Sie antwortete 'Tu mit mir was du willst, denn zu deinem Willen magst du mich nimmermehr kehren'. Da liefen auch Sanct Perpetuen Vater und Mutter herzu mitsamt ihrem Gemahl, die brachten auch ihr klein Kindlein dar, das noch säugend war. Und da ihr Vater sie stehen sah vor dem Richter, da fiel er nieder auf sein Angesicht und fprach 'O du allerliebste Tochter, erbarme dich meiner und deiner betrübten Mutter, und deines verlaffenen Gemahls, der nach dir nimmermehr mag leben'. Perpetua aber ftund unbewegt. Da gab ihr der Vater das Kind an ihren Hals, und griffen alle drei ihre Hände und küßten fie, und sprachen 'Liebe Tochter, erbarme dich über uns, und lebe mit uns'. Sie aber warf das Kind hin und stieß die andern von ihr und rief 'Weichet von mir, ihr Feinde Gottes, ich kenne euch nicht'. Als der Präfect ihre Standhaftigkeit sah, ließ er sie sehr geißeln, und legte sie darnach wieder in den Kerker. Da betrübten sich die Heiligen gar sehr über Sanct Felicitas, die ein Kind trug in dem achten Mond. Darum beteten sie alle für sie. Also kamen die Schmerzen der Geburt plötzlich über sie, und sie genas zustund eines lebendigen Knäbleins. Sprach der Wächter einer zu ihr 'Was willst du nun tun, so du vor den Richter kommest, so du jetzt dich so übel gehabest in dieser kleinen Pein?' Sie antwortete 'Ich leide hier für mich selber; so leidet Gott für mich vor dem Richter'. Darnach wurden sie aus dem Gefängnis geführt, und wurden ihnen die Hände auf den Rücken gebunden; und wurden mit bloßem Hintern geführt durch die Straßen und Plätze. Darnach so ließ man wilde Tiere auf sie. Also wurden Satyrus und Perpetua von Löwen zerrissen. Revocatus und Felicitas aber von Leoparden; und ward Sanct Saturninus mit dem Schwert enthauptet. Das geschah um das Jahr des Herrn 257 unter den Kaisern Valerianus und Gallienus. § Von Sanct Jacobus, der zerschnitten ward. acobus der Märtyrer, der mit Beinamen genannt ist der Zerschnittene, war von edlem Geschlecht, aber noch viel edler an seinem Glauben. Er war geboren von der Stadt Elape in dem Land zu Persien, und war von gar seligen

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930 Von Sanct Jacobus der zerschnitten ward christlichen Eltern und hatte auch eine gute christliche Fraue. Er war dem König der Perser gar gefreundet und war der ersten einer unter den Edelsten. Es geschah, daß er durch große Liebe zu dem Fürsten bewegt ward, daß er die Abgötter anbetete. Da das seine Mutter und sein Weib vernahmen, da schrieben sie ihm also 'Um daß du einem sterblichen Menschen möchtest gehorchen, so hast du gelassen den, der das Leben ist; um daß du dem möchtest gefallen, der bald ein Moder wird sein, so hast du den ewigen Wohlgeruch verschmähet; du hast die Wahrheit zur Lüge gemacht; und damit du einem Sterblichen möchtest zu Willen sein, hast du verschmähet den Richter der Lebendigen und der Toten. Darum wisse, daß wir dir hinfort fremd sind, und nimmer mit dir wollen wohnen'. Da Jacobus diesen Brief las, da weinte er bitterlich und sprach bei sich 'Will nun meine Mutter, die mich gebar, und mein Weib mir fremde sein, wie mag erst mein Gott mir fremd worden sein!' Dieweil er also bekümmert war um seine Irrung, kam ein Bote vor den König, der sprach, wie dieser Jacobus ein Christ wäre. Da rief ihn der König zu sich und sprach 'Sag an, bist du der Nazarener einer?' Antwortete Jacobus 'Ja Herr, das bin ich'. Sprach jener 'So bist du auch ein Zauberer?' Er antwortete 'Das sei ferne von mir, daß ich ein Zauderer fei'. Da begann ihm der König zu drohen mit schwerer Pein; aber Jacobus sprach 'Deine Drohungen schrecken mich nicht, und dein Zorn geht an meinen Ohren hin als ein sanfter Wind streicht über einen Felsen'. Sprach der Fürst 'Du sollst nicht unweise sein, aufdaß du nicht stirbft eines bösen Todes'. Antwortete Jacobus 'Du sollst es nicht einen Tod heißen, sondern einen Schlaf, nach dem der Mensch bald wieder erstehet'. Sprach der König 'Laß dich nicht von den Nazarenern verführen, welche sprechen, der Tod sei nur ein Schlaf; da doch große Kaiser ihn fürchten'. Sprach Jacobus 'Wir fürchten diesen Tod nicht, weil wir hoffen, daß wir von dem Tode kommen zum Leben'. Da gab der Fürst nach seiner Freunde Rat über Jacobus das urteil, daß er zum Schrecken der andern zerschnitten würde Glied für Glied. Da aber etliche aus großem Mitleid über ihn weinten, sprach der Heilige 'Weinet nicht über mich, sondern über euch seiber; denn ich fahre zu dem ewigen Leben, so fahret ihr zu der ewigen Pein'. Da schnitten die Henker den Daumen seiner rechten Hand ab; da schrie Jacobus und sprach 'Heiland

Von SanctJacobus der zerschnitten ward 931 von Nazareth, empfang den Zweig vom Baume deines Mitleidens; denn ich weiß, daß der Pfleger des Weinberges ein Reis von der Weinrebe schneidet, damit sie desto mehr wachse und desto köstlicher werde gekrönet'. Sprach derHenker 'Willst du dich noch bekehren, so will ich dein schonen und dich heilen'. Antwortete Jacobus 'Hast du je geschauet den Stamm des Weinstocks? so die Reiser sind abgeschnitten, so bringet der Stumpf, der da bleibet, zu seiner Zeit, wann die Erde wieder warm ist worden, jungen Keim an allen den Enden, da geschnitten ist. So nun der Weinstock wieder mag grünen in dem Wandel der Zeit, wie sollte nicht der gläubige Mensch wachsen, der auf den wahren Weinstock Christus ist gepfropfet?' Da ging der Henker hin und schnitt ihm den anderen Finger ab. Sanct Jacobus aber sprach 'Herr, nun empfahe die zween Aste, die deine Rechte gepflanzt hat'. Da ihm der dritte Finger ward abgeschnitten, da sprach er 'Ich lobsinge dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, daß ich von dreifaltiger Versuchung erlöst bin, und bekenne dich Herr mit den drei Männern, die aus dem feurigen Ofen wurden errettet, und sag deinem Namen Lob, Chrifre, im Chore der Märtyrer'. Da ward ihm der vierte Finger abgeschnitten, und er sprach 'Hüter der Söhne Israel, der du dich verheißen hast in der vierten Segnung,

empfang von deinem Knecht das Bekenntnis des vierten Fingers, gleich als sei er in Juda gesegnet'. Beim fünften sprach er 'Nun ist meine Freude erfüllet'. Da sagten die Henker zu ihm 'Schone doch nun deiner Seele, daß du nicht verderbest, und betrübe dich nicht, daß du eine Hand verloren hast; denn es sind ihrer viele, die nur eine Hand haben und doch Überfluß haben an Reichtum und Ehren'. Sanct Jacobus sprach 'Wann die Hirten ihre Schafe scheren, scheren sie allein das Fell auf der rechten Seiten und lafsen es auf der linken stehn? So nun die Schafe, die doch unverniinftige Tiere sind, ihr ganzes Fell wollen verlieren, wie viel mehr muß ich, ein vernünftiger Mensch, begehren, gänzlich für Gott getötet zu werden!' Also traten die Bösen wieder zu ihm und schnitten ihm den kleinen Finger der linken Hand ab. Sprach Jacobus 'Du o Herr, der du groß bist, wolltest klein und gering für uns sein, darum gebe ich dir Seele und Leib dahin, welche du erschaffen hast und mit deinem Blute wiedererkaufet'. Da ihm der siebente Finger ward abgeschnitten, da sprach er 'Herr, alle Tage habe ich

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dir sieben Mal Lob gesprochen'. Bei dem achten Finger so sprach er 'Am achten Tage ward Jesus beschnitten; so ward der Hebräer am achten Tage beschnitten, daß er eingehe zu den gesetzlichen Ceremoniem also mag auch der Geist deines

Knechtes beschnitten werden, Herr, daß er von diesen, die unbeschnitten sind und haben eine unreine Vorhaut, hinfahre und komme vor dein Angesicht'. Bei dem neunten Finger sprach er 'Um die neunte Stunde gab Christus am Kreuze seinen Geist auf, darum bekenne auch ich mit dem Schmerz des neunten Fingers und fage dir Dank'. Beim zehnten Finger sprach er 'Zehn ist die Zahl der Gebote, und der Buchstab i ist der erste Buchstab des Namens Jesu Christi'. Da sprachen etliche von denen, die dabei stunden 'O du, der uns einst vielgeliebt war, sag dein Bekenntnis allein vor dem Consul, und du wirst leben; und sind deine Hände auch abgeschnitten, so giebt es doch meisterliche Arzte, die deinen Schmerzen mögen zu Hilf kommen'. Antwortete Jacobus 'Die böse Heuchelei sei ferne von mir; denn wer seine Hand an den Pflug legt und hinter sich siehet, der ist unwürdig des Reiches Gottes'. Da traten die Henker wieder zu ihm mit Unmut, und schnitten ihm den großen Zeh des rechten Fußes ab. Und Jacobus sprach 'Christi Fuß ward durchstochen, und es ging Blut heraus'. Da ward ihm der zweite Zeh abgeschnitten, und er sprach 'Groß ist mir dieser Tag vor allen anderen Tagen, denn heute gehe ich ein bekehret zu dem starken Gott'. Sie schnitten ihm den dritten Zeh ab und warfen ihn vor ihn, da lachte Jacobus und sprach 'Geh, du dritter Zeh, zu deinen Gesellen; und wie ein Weizenkorn viel Frucht bringt, so wirst auch du zujüngst mit deinen Gesellen ruhn'. Bei dem vierten Zeh so sprach er 'Was betrübest du dich meine Seele und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken, daß er mir hilft mit seinem Angesicht'. Bei dem fünften so sprach er 'Nun will ich anheben und zum Herren sprechen, daß er mich gewürdiget hat unter seine Knechte'. Darnach gingen die Henker zu dem linken Fuß und schnitten ihm den kleinen Zeh ab; und Jacobus sprach 'Kleiner Zeh, verzage nicht, denn groß und klein haben eine Auferstehung. Es wird kein Haar vom Haupte fallen, wieviel weniger magst du geschieden werden von deinen Gesellen'. Bei dem zweiten so sprach er 'Reißet das alte Haus nieder, denn ein neues wird bereitet, das viel schöner ist'. Bei dem dritten so sprach er 'Von

Von Sanct Jacobus der zerschnitten ward

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Streichen wird der Ambos gefestigt'. Bei dem vierten sprach er 'Stärke mich, Herr der Wahrheit, denn auf dich vertraut meine Seele, und im Schatten deiner Flügel werde ich harren, bis die Bosheit vorüber geht'. Beim fünften sprach er 'Siehe, Herr, nun bin ich dir zu zwanzig Malen geopfert'. Darnach schnitten sie ihm den rechten Fuß ab; und Jacobus sprach 'Nun bringe ich eine Gabe dem himmlischen König, um des Liebe ich dies alles leide'. Da schnitten sie ihm auch den linken Fuß ab, und Jacobus sprach 'Du bist es, Herr, der da Wunder wirket, erhöre mich und rette mich'. Da sie ihm die rechte Hand abschnitten, sprach er 'Deine Barmherzigkeit ist meine Hilfe, Herr'. Bei der linken sprach er 'Du bist der Gott, der Wunder wirket'. Darnach schnitten sie ihm den rechten Arm ab, da sprach er 'Lobe den Herrn meine Seele, ich werde den Herrn preisen in meinem Leben, und meinem Gotte lobsingen, solange ich lebe'. Sie schnitten ihm auch den linken Arm ab, und er sprach 'Die Schmerzen des Todes waren um mich, doch soll ich an ihnen gerochen werden im Namen des Herrn'. Hiernach gingen sie hin und schnitten ihm das Fleisch von seinem rechten Bein und schnitten bis zu dem Schenkel. Da ward er mit unsäglichen Schmerzen beschweret und schrie auf 'Herr Jesu Christe, steh mir bei, denn die Seufzer des Todes umgeben mich'. Und fprach zu den Henkern 'Der Herr wird mich kleiden mit neuem Fleisch, das mögen eure Wunden nimmer versehren'. Da wurden die Henker schwach, denn sie hatten von der ersten Stunde des Tages geschaffet bis an die neunte, daß sie ihn zerschnitten. Doch gingen sie abermals hinzu, und schnitten ihm das Fleisch von seinem linken Bein und rissen es ab bis zum Schenkel. Da schrie Jacobus und sprach 'Herr und Herrscher, erhöre mich, der ich nur halb noch lebe, o du Herr der Lebendigen und der Toten. Och hab keine Finger, Herr, daß ich sie zu dir möge emporstrecken, noch Hände, daß ich sie gegen dich ausbreite; meine Füße sind abgeschlagen und meine Kniee zerschmettert, so mag ich sie dir nicht beugen; und bin als ein fallend Haus, dem die Säulen genommen find, darauf es stund. Darum bitte ich dich: erhöre mich, Herr Jesu Chrifte, und führe meine Seele heraus aus ihrem Gefängnis'. Als er das gesprochen hatte, trat der Henker einer hinzu und schlug ihm sein Haupt ab. Die Christen aber kamen heimlich und nahmen seinen Leib und begruben ihn mit großen Ehren, und geschah seine Marter am 27. November.

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Legenda aurea § Von Sanct Pastor.

astor der heilige Abt lebte in der Wüste viele Jahre und kasteiete sich in großer Enthaltsamkeit, und war gar heilig und fromm. Nun hätte seine Mutter ihn und seine Brüder gern gesehen; doch da dies nicht mochte sein, so wartete sie auf einen Tag und begegnete ihnen, da sie zur Kirche gingen. Da flohen sie aber und eilten in ihre Zellen und schlossen die Tür zu vor ihrem Angesicht. Also stund sie vor der Tür und schrie und weinte sehr. Da kam Sanct Pastor an die Tür und sprach 'Was schreiest du, altes Weib?' Da sie seine Stimme vernahm, da schrie und weinte sie noch viel mehr und sprach 'Och will euch sehen, lieben Kinder. Was mag euch schaden, so ich euch sehe? bin ich nicht eure Mutter und hab euch gesäuget? Auch sehet ihr, daß mein Haar allbereits weiß ist'. Sprach der Sohn 'Willst du uns hie sehen oder in der künftigen Welt?' Sie antwortete 'So ich euch hie nicht fehe, mag ich euch dann dort sehen, lieben Söhne?' Er antwortete 'Magst du das geduldig tragen, daß du uns hie nicht siehest, so siehest du uns dort ohn allen Zweifel'. Da ging sie fröhlich von dannen und sprach 'Werd ich euch dort sehen, so will ich euch hie nimmermehr schauen'. § Nun hätte der Richter des Landes Sanct Pastor den Abt gern gesehen, aber da es nicht mochte sein, fing er ihm seiner Schwester Sohn als einen Übeltäter, und legte ihn in den Kerker und sprach '□st es, daß Sanct Pastor komme und für ihn bitte, so laß ich ihn ledig'. Alsbald kam die Mutter des Knaben vor die Tür des Greises und weinte sehr. Da wollt er ihr keine Antwort geben; also sprach sie 'Hast du auch ein eisern Herz und wirst von keinem Mitleiden bewegt, so solltest du dich doch über dein Blut erbarmen, denn ich habe nicht mehr denn diesen einigen Sohn'. Da entbot er ihr hinwider 'Pastor hat keine Kinder erzeugt, darum hat er auch kein Mitleiden'. Also ging sie mit Leid von ihm, und kam zu dem Richter. Der sprach zu ihr 'Gebietet Sanct Pastor es nur mit einem Wort, so will ich ihn ledig lassen'. Da hieß er dem Richter hinwider sagen 'Urteile die Sache nach dem Recht, und ist er des Todes schuldig, so soll er sterben; ist er

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das aber nicht, so tu, was dir gefällt'. § Sanct Pastor lehrte die Brüder und sprach 'Ohr sollt eurer wol hüten, euch selber betrachten, und Bescheidenheit halten: das sind die Werke der Seele. Armut aber, Trübsal und Bescheidenheit, das

Von Sanct pastor

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sind die Werke des einsamen Lebens. Denn es steht geschrieben 'und wenn dann gleich die drei Männer, Noe, Daniel und Job darinnen wären, so würden sie allein ihre eigene Seele retten durch ihre Gerechtigkeit'. Noe bedeutet, die nichts besitzen; Job die betrübten; Daniel, die bescheiden find'. 'Hasset der Mönch zwei Dinge, so ist er dieser Welt frei'. Ein Bruder fragte ihn, was die zwei Dinge wären. Da sprach er 'Fleischliche Ruh und eitle Ehre. Denn willst du Ruhe finden in diefer Welt und in der künftigen, so sprich in allen Dingen 'Wer bin ich?' und verurteile niemand'. § Da der Brüder einer ein Unrecht hatte getan, da vertrieb ihn der Abt nach dem Rat eines Einsiedels. Der Mensch aber weinte und wollte verzweifeln; da ließ ihn Pastor der Abt wieder vor sich führen, tröstete ihn gütlich, und sandte ihn zu dem Einsiedel und ließ dem sagen 'Ich habe von dir gehört und begehre dich zu sehen, mühe dich also her zu mir'. Als er kam, sprach Pastor 'Es waren zween Menschen, die hatten beide ihre Toten, da ließ der eine seinen Toten und ging hin, den des andern zu beweinen'. Als das der Einsiedel vernahm, verstund er, was er meinte, und ward von seiner Rede gebessert. § Einsmals sprach seiner Brüder einer zu ihm, er sei verstört und wolle nimmer an der Stätte wohnen: denn er habe von einem Bruder ein Wort gehört, das habe ihn mit nichten erbaut. Sprach Sanct Pastor, er sollte die Worte nicht glauben, denn sie seien nicht wahr. Der Bruder aber sprach, sie seien wahr, denn ein gar treuer Bruder habe sie ihm gemeldet. Sprach Sanct Pastor 'Der ist nicht getreu, der dir die Worte gesagt hat: denn wäre er getreu, er sagte dir solche Dinge nimmermehr'. Sprach jener 'Ich sah es aber mit meinen eigenen Augen'. Da fragte ihn Pastor, ob er wüßte, was ein Halm wäre und was ein Balken wäre. Er antwortete, ein Halm sei ein Halm, und ein Balken sei ein Balken. Da sprach Sanct Pastor 'Das nimm in dein Herz; denn deine Sünde ist gleich einem Balken, die Sünde des andern aber ist gleich einem Hälmlein'. § Ein Bruder hatte eine große Sünde getan, die wollte er büßen in drei Jahren; und fragte Sanct Pastor, ob es also genug sei. Der sprach 'Es ist zu viel'. Da fragte er, ob er ein Jahr sollte büßen. Sprach Sanct Pastor 'Es ist zu viel'. Die dabei stunden sprachen 'vierzig Tage'. Sanct Pastor aber sprach 'Es ist zu viel', und sprach weiter 'Ich glaube, wenn ein Mensch von ganzem Herzen Reue hat über seine Sünde, und tut sie

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Von Sanct Jahannes dem Abt

nicht wieder, so nimmt unser Herr eine Buße an von dreien Tagen'. § Einst fragte man ihn über das Wort 'Wenn ein Mensch seinem Bruder ohn Ursach zürnet'; da sprach er 'Womit dich dein Bruder beschwere, so zürne nicht wider ihn, und ob er dir dein rechtes Auge ausreißet; tust du anders, so erzürnst du dich über ihn ohne Ursach. Will dich aber jemand von Gott scheiden, des sollst du ihm zürnen'. § Und Sanct Pastor sprach zum andern Male 'Wer gerne klaget, der ist kein Mönch; wer Bosheit trägt in seinem Herzen, der ist kein Mönch; wer jähzornig ist; wer Böses mit Bösem vergilt; wer hoffärtig ift und viele Worte hat: der ist kein Mönch. Wer aber in der Wahrheit ein Mönch ist, der ist allezeit demütig, sanftmütig, und voll Liebe, und hat auch immer die Furcht Gottes vor seinen Augen, daß er nicht sündige'. § Wiederum sprach er 'Es sind drei bei einander, der eine hat gute Ruh und Gemach, der andre ist krank und siech und dankt doch Gott dem Herrn, der dritte dienet dem Kranken von freiem Willen: die drei sind alle gleich und eines Werkes'. § Ein Bruder klagte ihm, daß er viel unnütze Gedanken hätte, davon möchte er wol Schaden nehmen. Da hieß ihn Sanct Pastor an die freie Luft gehn und sprach zu ihm 'Tu deinen Mantel auf und fang den Wind'. Er sprach 'Das vermag ich nicht'. 'Alsowenig magst du den Gedanken wehren, daß sie zu dir eingehen, aber du sollst ihnen widerstehen'. § Ein Bruder fragte ihn, was er mit einer Erbschaft follte tun, die ihm war hinterlassen worden. Da sprach er, er sollte nach drei Tagen wieder zu ihm kommen. Als er wieder zu ihm kam, sprach er 'Wenn ich spräche, daß du es den Clerikern sollst geben, so verprassen sie es mit gutem Essen; spräche ich, daß du es deinen Verwandten sollst geben, so wird dir kein Lohn; spräche ich, daß du es gebest den Armen, so magst du sicher sein. Doch sollst du tun, was du willst, ich habe keine Sache dazu'. Also liest man in dem Leben der Altväter. § Von Sanct Johannes dem Abt.

ohannes der Abt fragte den Esius, der vierzig Jahre in der Wüste war gewesen, wieviel er sich dadurch gebessert hätte. Der antwortete 'Seit ich ein Einsiedel ward, hat mich die Sonne nie gesehen, daß ich aß'. Sprach Johannes 'Und mich hat die Sonne nie gesehen, daß ich zornig war'.

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Von Sanct Moyses dem Abt

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§ Also liest matt daselbst auch, daß der Bischof Epiphanius einsmals dem Abte Hilario wollte Fleisch vorlegen, der aber sprach 'Och bitte dich, verzeihe mir, aber seit daß ich dieses Gewand habe an mich genommen, so hab ich nie etwas Getötete» gegessen'. Antwortete der Bischof 'Seit daß ich dieses Gewand an mich nahm, so ließ ich niemanden schlafen, der etwas wider mich hatte, und mochte auch selbst nicht schlafen alldieweil ich etwas wider jemanden hatte'. Sprach der Abt ·So wollest du mir verzeihen, denn du bist viel besser als ich'. § Johannes aber vermeinte, er wollte den Engeln gleich werden, und wollte nimmer nichts arbeiten, sondern ohn Unterlaß ganz allein Gott dienen. Also zog er sich nackend aus und ging eine Woche in die Wüste, und da er nahe verhungert tvar und von den Stichen der Mücken und Wespen ganz verwundet, kehrte er wieder und klopfte an seines Bruders Tür. Der Bruder sprach 'Wer bist du?' Antwortete Johannes 'Ich bin Johannes'. Der Bruder aber sprach 'Nimmermehr, denn Johannes ist ein Engel worden, und ist fürbaß nicht mehr unter den Menschen'. Sprach Johannes 'Wahrlich, ich bins'. Aber der Bruder tat ihm nicht auf, und ließ ihn gepeinigt werden bis zum Morgen. Darnach tat er ihm auf und sprach zu ihm 'Bist du ein Mensch, so ist not, daß du arbeitest, damit du dich ernähren mögest und lebest; bist du aber ein Engel, was willst du dann in der Zelle?' Da sprach Johannes 'Vergieb mir lieber Bruder, denn ich habe gesündigt'. § Da der Abt Johannes zum Sterben kam, baten ihn die Brüder, daß er ihnen ein heilsam kurz Wort lasse zu einem Erbteil. Da erseufzte er und sprach 'Ich hab meinen eigenen Willen nie getan; und hab nie etwas gelehret, ich habe denn zuvor nicht selber getan'. Das lesen wir in dem Leben der Altväter.

§ Von Sanct Moyses dem Abt.

4/VVoyses der Abt sprach zu einem Bruder, der ihn um ein ♦F l-gut Wort bat 'Sitze in deiner Zelle, die lehret dich

alle Dinge'. § Es wollte ein Altvater nach ■tigypten gehen, denn er tvar krank worden und wollte die Brüder nicht beschweren. Da sprach zu ihm Moyses 'Gehe nicht, denn du wirst in Unkeuschheit fallen'. Da ward der Bruder betrübet und sprach 'Nun ist doch mein Leib tot, und du sagst mir das?' Und da er hinging, da diente ihm eine Jungfrau aus

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Von Sanct Mopses dem Abt

Andacht; da ward er wieder kräftig und tat ihr Gewalt an. Sie gebar ein Kind, das nahm der Greis auf seinen Arm und trat damit an einem hohen Festtag, der in der Syrte war, in die Kirche, vor die Menge der Brüder. Da weinten sie alle, er aber sprach 'Schauet dieses Kind att, es ist ein Sohn meines Ungehorsams; darum so hütet euch ihr Brüder, denn ich habe es in meinem Alter getan; und bittet Gott für mich', und ging wieder in seine Zelle und lebte darin wie zuvor. § Ein Altvater sprach zu einem andern 'Ich bin tot'. Der aber antwortete 'Getraue dir nicht bis du aus diesem Leibe scheidest; und ob du sprichst, du seiest tot, so ist doch Satanas nicht tot'. § Ein Bruder hatte gesündiget, da sandte man nach dem Abt Moyses. Der nahm einen Korb voll Sandes und kam also zu ihnen. Da fragten ihn die Brüder, was das wäre. Er sprach 'Das sind meine Sünden, die laufen hinter mir, daß ich sie nicht sehen mag; heut aber bin ich kommen, fremde Sünde zu urteilen'. Als sie das hörten, da vergaben sie dem Bruder seine Schuld. § Dasselbe liest man von dem Abt Prior. Dem sagten die Brüder einsmale von einem schuldigen Bruder; da schwieg er und nahm einen Sack voll Sands hinter sich und trug auch ein wenig Sands vor sich. Die Brüder fragten ihn, was er damit meinte. Da sprach er 'Der viele Sand das sind meine Sünden, die trage ich nach mir und sehe sie nicht und trage kein Leid darum; aber der wenige Sand das sind meines Nächsten Sünden, die trage ich vor mir und sehe sie immer an, und verurteile ihn darum; und sollte doch meine Sünden vor mir tragen alle Zeit, und sollte sie betrachten und Gott bitten, daß er mir die vergäbe'. § Da man Moyses den Abt zum Priester weihte, und er das weiße Priestergewand anhatte, sprach zu ihm der Bischof 'Der Abt ist geweißet worden'. Antwortete Moyses 'Außen allein, mein Herr und Vater, oder innen?' Darnach wollte der Bischof ihn versuchen und sprach zu seinen Pfaffen: wenn er über den Altar ginge, fo follten fie ihn mit Unrecht vertreiben und sollten ihm dann nachfolgen und hören, was er redete. Also stießen sie ihn heraus und sprachen 'Heraus mit dir du Mohr!' Da ging er aus und sprach zu sich selber 'Sie haben dir gar recht getan, du schwarzer Kohlenpeter; warum hast du dich unter die anderen Menschen gemischet,da du doch kein Mensch bist?' Das liest man in der AItväter Leben.

Legenda aurea

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§ Von Sanct Arfenius dem Abt.

rsenius war an eines Königs Hofe; da bat er Gott, daß ihn zum Heile weise. Da hörte er eine Stimme, die sprach 'Flieh die Menschen, Arseni, so wirst du gerettet'. Also ward er ein Mönch; da sprach er wieder das Gebet zu Gott. Da hörte er die Stimme 'Arseni fleuch, schweig, ruh'. § Daselbst lesen wir auch, wie solche Ruhe zu erlangen sei: Es waren Dreie Mönche worden, da wollte der eine allen denen Frieden geben, die mit einander stritten; der andre wollte die Siechen trösten; der dritte wollte in der Einöde ruhen. Also arbeitete der erste und wollte die streitenden Menschen versöhnen, doch mochte er ihnen nicht allen wohlgefallen; das verdroß ihn, und er kam zu dem zweiten, den fand er im Geiste verzagt; denn er mochte seinen guten Vorsatz auch nicht vollbringen. Da wurden sie eins, daß sie zu dem dritten gingen in die Einöde. Als sie ihm ihr Ungemach hatten erzählt, da goß er Wasser in einen Becher und sprach 'Schauet in das Wasser'. Da war es bewegt und trübe. Und er sprach weiter 'Nun merket bald, wie es ruhig und klar ist worden'. Da sahen sie zu, und schauten ihre Angesichter in dem Wasser. Da sprach er 'Also mögen die, so mitten unter den Menschen sind, ihre Sünden vor Unruh nicht sehen, aber wann sie ruhen, so sehen sie ihre Sünden'. § Es sah einer einen Einsiedel im Wald, der war nackt und fraß das Gras gleich einem Tier: der floh vor ihm; er aber lief ihm nach und rief 'Warte mein, denn ich will dir um Gottes willen nachfolgen'. Antwortete der andere 'Und ich fliehe vor dir um Gottes willen‫־‬. Doch warf er jenem sein Gewand hin; da wartete er sein und sprach 'Weil du nun der Welt Materie von dir hast geworfen, so habe ich dein gewartet'. Sprach der andere 'Nun sag mir, wie ich mag gerettet werden'. Antwortete jener 'Flieh die Menschen und schweig'. § Es kam eine edle alte Frau und wollte aus Andacht den Abt Arsenius sehen. Da bat ihn der Erzbischof Theophilus, daß er sich ihr lasse sehen; aber er wollte es nicht tun. Zu dem letzten kam sie an seine Zelle, da fand fie ihn vor der Tür, und warf sich ihm zu Füßen. Da hob er sie mit Zorn wieder auf und sprach zu ihr 'Willst du mein Antlitz sehen, so sieh'. Sie aber mochte es vor Verwirrung und Scham nicht ansehen. Sprach der Greis 'Wie hast du als Weib eine also große Schiffahrt mögen tun? Siehe, du wirst wieder gen Rom

-44‫ ־‬er

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Von Sanct Arfenius dem Abt

kehren, und wirst anderen Weibern erzählen, du habest den Abt Arsenium gesehen; und sie werden auch kommen, daß sie mich sehen'. Sie antwortete 'Wenn ich mit Gottes Hilfe wieder gen Rom komme, fo will ich keine hieher lassen kommen. Doch bitte ich dich, daß du für mich beteft, und mein immer wollest gedenken'. Sprach jener 'Ich werde Gott bitten, daß er dein Gedächtnis aus meinem Herzen vertilge'. Von diesen Worten ward sie sehr betrübt, und ging in die Stadt, und fiel vor Leid in ein Fieber. Als das der Erzbischof vernahm, kam er zu ihr und wollte sie trösten; sie aber sprach 'Siehe, nun werde ich vor Leid sterben'. Sprach der Erzbischof 'Weißt du nicht, daß du ein Weib bist, und der Teufel die Heiligen durch Weiber anficht? Darum hat der Greis also gesprochen; dennoch betet er allezeit für deine Seele'. Von der Rede ward sie gar wohl getröstet, und zog fröhlich heim. § Von einem anderen Altvater liest man, daß sein Junger zu ihm sprach 'Du bist alt worden, Vater, so laß uns ein wenig in die Welt gehen'. Da antwortete er 'Laß uns hinziehen, wo keine Weiber find'. Sprach der Junger 'Wo ist eine Stätte, da sie nicht sind, denn nur die Wüste?' Sprach der Greis 'So bringe mich in die Wüste'. § Ein andrer Bruder sollte seine alte Mutter über einen Fluß tragen. Da umwickelte er seine Hände mit seinem Mantel. Sprach die Mutter 'Sohn, warum bedeckest du deine Hände also?' Er antwortete 'Eines Weibes Leib ist ein Feuer, würd ich dich anrühren, so kämen davon Gedanken an andre Weiber in mein Herz'. § Arfenius aber hatte alle Zeit seines Lebens, wann er sich niedersetzte zum Werk seiner Hände, ein Tuch in seinem Busen, die Tränen damit zu trocknen, die ihm häufig von seinen Augen flossen. Des Nachts blieb er alleweg ohne Schlaf, aber wann es Morgen ward, und ihn der Schlaf zwang von Schwachheit der Natur, so sprach er zu dem Schlaf 'Komm nun, schlechter Knecht'. Und stahl sich ein wenig Schlafs im Sitzen; doch ftund er bald wieder auf. Er sprach auch 'Einem Mönch genügt eine Stunde Schlafs, wenn er anders ein rechter Streiter ist'. § Als Sanct Arsenii Vater, gar ein edler Senator, aus dem Leben schiech ließ er seinem Sohne großes Gut zu Erbe; und ein kaiserlicher Bote überbrachte das Testament Sanct Arsenio. Der nahm es, und wollte es zerreißen. Doch der Bote warf sich ihm zu Füßen, und bat ihn, er möchte es nicht tun, sonst würde ihm sein Haupt abgeschlagen. Arfenius sprach ':Ich bin. eher ge-

Von Sanct Agathon dem Abt

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frorben denn er; wie mochte er mich zu einem Erben setzen, da er nun gestorben ist?' Und sandte das Testament zurück und wollte nichts annehmen. § Einsmals kam eine Stimme zu Sanct Arsenio, die sprach 'Komm, daß ich dir die Werke der Menschen weise'. Und führte ihn an eine Statt und zeigte ihm einen Mohren, der hauete Holz und machte eine große Bürde und mochte sie nicht tragen. Darnach hauete er mehr Holz und tat es zu der Bürde, und tat dies immer fort. Darnach zeigte er ihm einen Menschen, der schöpfte Wasser aus einem See, und goß es in eine Cisterne, die war durchlöchert, und das Wasser lief wieder in den See, dennoch wollte er die Cisterne allezeit füllen. Zum dritten wies er ihm einen Tempel und zween Männer auf Rossen, die trugen einen Balken überzwerch: die wollten hinein in den Tempel; das mochte ihnen nicht gelingen, denn sie trugen das Holz iiberzwerch. Das legte er ihm aus und sprach 'Das sind die, so das Joch der Gerechtigkeit mit Hoffart tragen und nicht mit Demut; darum so bleiben sie draußen vor der Tür des Reiches Gottes. Der aber das Holz hauet, ist der Mensch, der in viel Sünden ist: und ehe daß er Buße täte und die Sünde minderte, so häuft er Mifsetat auf Missetat. Der aber das Wasser schöpft, ist der Mensch, der gute Werke tut; aber da sie mit bösen Werken vermischt sind, so verliert er die guten mit den bösen'. § An dem Samstag zu Abend, so der Sonntag einging, da kehrte Sanct Arsenius der Sonne seinen Rücken, und reckte seine Hände auf gen Himmel und saß also, bis daß die Sonne aufging früh an dem Sonntag, und ihm sein Antlitz erleuchtete. Dies liest man in der Altväter Leben.

§ Von Sanct Agathon dem Abt.

-‫־‬Wgathon der Abt tat einen Stein in seinen Mund und trug -cl ihn drei Jahre darin, bis daß er schweigen lernete. § Ein anderer Bruder, da er in den Orden trat, sprach zu sich selber 'Du und ein Esel, das soll hinfort gar gleich sein; denn als wie ein Esel nichts sagt, wenn er Schläge empfängt, und leidet unrecht und antwortet nichts, alfo sei auch du'. § Ein anderer Bruder ward vom Tische vertrieben, da sprach er kein Wort. Als man ihn hernach darum fragte, antwortete er 'Ich hab in mein Herz gesetzet, daß ich gleich sein will einem Hunde: wird der geschlagen, so läuft er aus der

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Von Sanct Agathon dem Abt

Tür'. § Einsmals fragte man Sanct Agathon, welche Tugend die allermeiste Arbeit hätte. Da sprach er 'Ich vermeine, daß keine größere Arbeit sei, denn Gott anbeten: denn die bösen Geister arbeiten alle Zeit, das Gebet zu stören und zu irren. In anderer Arbeit hat der Mensch ein wenig Ruh; aber wer betet, der hat ein Werk großen Streites'. § Ein Bruder fragte Sanct Agathon, wie er mit den andern Brüdern sollte leben. Er antwortete 'Nicht anders denn als an dem ersten Tag; und hab zu niemand Vertrauen, denn es ist kein schlimmer Leiden, denn Vertrauen, und ist ein Ursprung aller Leiden'. § Und sprach wiederum 'Ein zornmütiger Mensch ist weder Gott noch Menschen genehm um seines Zorns willen, und wenn er Tote erweckte'. § Ein Bruder, der gar zornmütig war, sprach bei sich 'Wohnte ich allein, ich würde nicht so leicht zu Zorn beweget'. Aber einst, da er einen Krug mit Wasser füllte, fiel der Krug um; er füllte ihn zum andern Male und verschüttete ihn abermals; er füllte ihn zum dritten Male, da fiel er wieder um. Da ward er zornig und zerbrach den Krug. Als er wieder zu sich selber kam, da erkannte er, daß er von dem bösen Geist des Zornes war angefochten worden, und sprach 'Siehe, nun bin ich doch allein gewesen und der Zorn hat mich dennoch überwunden; darum so will ich wieder zu den Brüdern kehren, denn es ist überall Arbeit, und ist überall Geduld not und die Hilfe des Allmächtigen'. § Zum Widerspiel so waren zween Brüder, die wohnten viele Jahre mit einander und mochten doch nie zu Zorn bewegt werden. Einst sprach der eine zum andern 'Laß uns einen Streit machen, wie die Menschen in der Welt tun'. Sprach der andre 'Ich weiß nicht, wie man einen Streit machet'. Sprach der erste Bruder 'Och will einen Ziegelstein zwischen uns legen, und sprechen, er sei mein, du aber sprich: nein, er ist mein; so wird der Streit sich anheben'. Also ward der Scherben in die Mitte gesetzt, und der eine sprach 'Er ist mein'. 'Nein' sprach der andre 'er ist mein'. Sprach der erste 'So ist er dein, darum nimm ihn und geh damit von dannen'. Also gingen sie von einander und kamen nimmer zu Streit. § Es war aber der Abt Aga-

thon weise, emsig zur Arbeit, mäßig in Essen und Trinken und in seiner Kleidung. Er sprach 'Ich habe nach meinem Willen nie geschlafen, wenn ich einen Schmerz wider jemand hatte in meinem Herzen, und ließ auch nie jemanden schlafen, der etwas wider mich mochte haben'. § Und da Sanct Aga-

Von Sanct Barlaam und Jasaphat

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thon zum Sterben kam, da blieb er drei Tage unbeweglich mit offenen Augen. Da rüttelten ihn die Brüder; und er sprach 'Ich stehe in Erwartung des himmlischen Gerichts'. Sie sprachen 'Fürchtest du dich auch?' Er antwortete 'Soviel ich mochte, hab ich geschaffet, daß ich die Gebote Gottes möchte erfüllen. Aber ich bin ein Mensch und weiß nicht, ob meine Werke Gott dem Allmächtigen haben gefallen'. Sie sprachen 'und trauest du nicht auf deine Werke, die nach dem Willen Gottes sind?' Er antwortete Och traue darauf nicht, bis daß ich vor ihn komme; denn das Urteil Gottes ist anders denn das Urteil der Menschen'. Aber da sie ihn mehr wollten fragen, da sprach er 'Erzeiget mir die Liebe und redet nimmer zu mir, denn ich bin mit anderem bekümmert'. Und als er das gesagt hatte, gab er alsbald seinen Geist auf mit Freuden. Sie sahen ihn aber seinen Geist sammeln, wie einer, der seine liebsten Freunde grüßet. Das liest man in der Altväter Leben. § Von Sanct Barlaam und Josaphat.

'Vl arlaatn, des Historie Johannes Damascenus mit grosiem Fleiße hat zusammengesetzt, war ein Werkzeug göttlicher Gnaden, also daß er Sanct Josaphat den König zum Christenglauben bekehrte. Denn zu der Zeit, da ganz Indien voll war von Christen und von Mönchen, stund ein großmächtiger König auf, Avennir mit Namen, der verfolgte die Christen sehr und sonderlich die Mönche. § Nun hatte der König einen gar guten Freund, der der erste war in seinem Palast; der ward ermahnt von der Gnade Gottes, daß er des Königs Hof ließ und ein Mönch ward. Als das der König vernahm, ward er zornig, und hieß ihn allenthalben suchen in der Wüste, und fand ihn kaum mit großer Mühe. Und da er ihn vor sich hieß bringen, sah er, daß derselbige Mensch, der zuvor nrit herrlichen Gewändern war geziert und in großer Reichheit lebte, schlechte Kleider anhatte, und von Hunger war abgemagert. Da sprach er zu ihm 'Du Tor, wie hast du deinen Sinn so gar verloren, daß du deine Ehre in Schande hast verwandelt? Siehe, du bist zum Kinderspott worden'. Sprach jener 'Willst du hören, warum ich dies habe getan, so treibe zuvor deine Feinde fern von dir'. Fragte der König 'Wer sind meine Feinde?' Sprach jener 'Das sind dein Zorn und böse Begier, die irren dich.

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Von Sanct Barlaam und Jafaphat

daß du die Wahrheit nicht magst erkennen. Aber laß Weisheit und Gerechtigkeit dir zur Seite treten, wenn du hören willst, was ich sage'. Sprach der König 'Es sei, aufdaß du redest'. Da hub er an und sprach 'Die Törichten verschmähen das, was ist, als wäre es nicht; und jagen dem nach, was nicht ist, als sei es. Aber wer nicht die Süßigkeit der Dinge gekostet hat, die da sind, der kann auch nicht die Wahrheit der Dinge erkennen, die nicht find'. Darnach sagte er ihm viel von dem Mysterium der Menschwerdung Christi und vom Glauben, doch der König sprach 'Hätte ich dir nicht versprochen von Anbeginn, daß ich allen Zorn wollte dahinten lassen, ich hieße deinen Leib den Flammen geben. Darum hebe dich auf und fleuch bald aus meinen Augen, daß ich dich ferner nicht sehe, oder ich verderbe dich'. Da schied der Mann Gottes traurig von dannen, denn er hätte gern die Marter erlitten. § Nun hatte der König bislang keine Kinder gehabt. Da ward ihm ein schöner Knabe geboren, den nannte er Josaphat. Und lud ein großes Volk zusammen, das sollte den Abgöttern opfern für die Geburt des Kindes; und rief auch fünfundfünfzig Sternseher zusammen, von denen erforschte er mit Fleiß, was künftiges an dem Kinde sollte ergehen. Da sprachen sie allesamt, es sollte gewaltig werden an Macht und Reichtum; einer aber, der weiser war als die andern, sprach 'Der Knabe der dir geboren ist, o König, wird nicht in deinem Reich herrschen, sondern in einem andern, das ist ohnegleichen besser: denn als ich verstehe, so wird er den Christenglauben anbeten, den du verfolgest'. Das sagte er aber nicht von sich selber, sondern durch göttliche Eingebung. Als der König das hörte, erschrak er; und ließ dem Sohn einen köstlichen Palast bauen abseits von der Stadt, darein tat er das Kind, und tat zu ihm lauter schöne Junglinge. Und gebot ihnen, daß sie dem Kind weder von Tod noch Alter noch Krankheit noch Armut sollten sagen, und von keinem Ding, das ihn betrüben möchte. Sondern er sollte allerwegen in Freuden sein, daß sein Geist, von Lust umgeben, nichts nach der Zukunft follte fragen. Geschah es, daß einer der Diener krank ward, so hieß der König ihn alsbald von ihm bringen, und einen andern gesunden an seine Statt tun. Und gebot auch, daß man ihm nie von Christo durfte fagen. § Zu der Zeit war bei dem König ein Mensch, der war heimlich ein Christ, der war seiner edelsten Fürsten einer. Der ritt einst mit dem König aus zu jagen; da sah er

Von Sanct Barlaam und Jasaphat

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einen armen Menschen am Boden liegen, des Fuß war von einem wilden Tier gewundet; der bat ihn, daß er ihn mit sich nähme, denn er möchte ihm wohl nütz sein. Sprach der Ritter 'Och will dich gern mit mir nehmen, aber worin du mir nützen willst, das weiß ich nicht'. Er antwortete 'Ich bin ein Arzt der Worte: denn wenn ein Mensch zu Zeiten mit Rede beleidiget wird, das mag ich heilen mit Arznei der Worte, die dazu ziemet'. Der Rede achtete der Ritter gering, doch nahm er ihn auf um Gottes willen und pflegete sein. Nun waren etliche Männer voll Neid und Bosheit; die sahen, wie dieser Fürst in so großer Gnade war bei dem Könige, darum verklagten sie ihn bei dem Könige, daß er nicht allein zum Christenglauben neige, sondern auch nach der Herrschaft trachte, und rühre das Volk auf und mache es sich günstig. Und sprachen 'Willst du wissen, daß dem also sei, so rufe ihn heimlich zu dir; und sprich ihm davon, wie dieses Leben bald ein Ende habe, und daß du die Herrlichkeit deines Reiches wollest lassen und der Mönche Gewand an dich nehmen, die du bis zu dieser Stunde unwissend hättest verfolgt; so wirst du sehen, was er dir antwortet'. Der König tat, wie sie ihm geraten hatten, und der Fürst lobte den Vorsatz des Königs mit weinenden Augen, denn er war der List unwissend, und mahnte ihn an die Eitelkeit der Welt, und riet ihm den Vorsatz zu vollbringen, also bald er möchte. Als das der König hörte, glaubte er, daß es wahr wäre, was ihm die bösen Diener hatten gesagt, und ward zornig; doch antwortete er nichts. Da vermerkte der Fürst, wie der König seine Worte ungnädig hatte ausgenommen, und ging mit Zagen von dannen. Und gedachte da, daß er daheim habe einen Arzt der Worte, und erzählte ihm alles. Der sprach 'Du sollst wissen, daß der König wähnt, du habest dies gesagt, um nach ihm sein Reich zu besitzen. Darum so hebe dich auf und schere dein Haar und lege ein hären Gewand an, und gehe morgen in aller Frühe zu dem König. Und fragt er dich, was du damit willst, so sprich: Nimm wahr, König, daß ich bereit bin, dir nachzufolgen, denn ist der Weg auch nicht leicht, den du dir zu gehen hast vorgesetzt, so wird er mir doch leicht werden mit dir zusammen; bin ich in Freuden dein Geselle gewesen, so will ich auch mit dir sein in Widerwärtigkeit. Ich bin bereit, was säumest du?' Das tat der Fürst alles, wie jener es ihm gesagt hatte. Da verwunderte sich der König und tat ihm größere Ehre an denn zuvor, und

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Von Sanct Barlaam und Jasaphat

strafte die falschen Ankläger. § Unterbeut ward des Königs Sohn in dem Palast erzogen, und wuchs heran und war wohlgelehrt in aller Weisheit. Da verwunderte er sich, daß sein Vater ihn also hielt eingeschlossen, und fragte seiner vertrauten Diener einen heimlich darum; und sprach, er wäre gar betrübt, daß er nicht heraus dürfe gehen, davon schmecke ihm weder Speise noch Trank. Als das der Vater vernahm, war ihm leid; und hieß ihm Rosse bereiten, und hieß eine Schar vor ihm fahren, die mußte in die Hände klatschen; also wollte er mit Fleiß hindern, daß ihm etwas Häßliches möchte begegnen. Da nun der Jungling also dahinfuhr, begegnete ihm von ungefähr ein Aussätziger und ein Blinder. Da verwunderte er sich, und fragte, was für Menschen das wären, und was ihnen geschehen sei. Die Diener antworteten 'Das sind die Leiden, die den Menschen geschehen'. Sprach er 'Geschiehet das allen Menschen?' Sie sprachen 'Nein'. Er fragte 'Weiß man, welche Menschen leiden müssen, oder geschicht dies von ungefähr?' Sie antworteten 'Wer möchte des Menschen Zukunft voraussagen?' Da ward ihm Angst, denn die Sache war ihm gar ungewohnt. Ein andermal begegnete ihm ein Greis, der war voll Runzeln in seinem Antlitz, und krumm gebeugt, und stammelte aus zahnlosem

Munde. Des wunderlichen Anblicks erschrak er und wollte wissen, wovon das wäre. Da sagte man ihm, daß er von viel Jahren dahin sei kommen. Sprach Josaphat 'Und wie endet es sich?' Sie antworteten 'Mit dem Tode endet es sich'. Er sprach 'Sterben alle Menschen oder nur etliche?'Da sagten sie ihm, daß alle Menschen sterben müßten. Er fragte noch 'Nach wieviel Jahren geschieht dies?' Sie sprachen 'Der Mensch wird seines Alters achtzig Jahr oder hundert, darnach so folget der Tod von ihm selber'. Das bedachte der Jungling oftmals in seinem Herzen, und ward gar traurig, doch vor dem Vater war er allezeit fröhlich; und begehrte doch sehr, in diesen Dingen gelehrt und gerichtet zu werden. § Zu der Zeit war ein Mönch in der Wüste des Landes Senaar, Barlaam mit Namen, der war eines vollkommenen Lebens und Geistes. Dem ward im Geist kundgetan, was sich mit dem Königssohne zutrug. Da legte er Kaufmannsgewand an, und kam zu der Stadt, und ging zu des Königssohnes Lehrmeister und sprach zu ihm 'Ich bin ein Kaufmann und hab gar einen edlen Stein feil, der macht die Blinden sehen, und die Tauben hören, die Stummen reden und die Toren weise.

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Darum führe mich zu des Königs Sohn, daß ich ihm den gebe'. Sprach der Lehrmeister 'Du siehst einem weisen Manne gleich, aber du redest nicht weislich. Doch so zeige mir den Stein, denn ich kenne die Steine wohl; und ist er so gut als du sagst und bewährt sich, so wird dich des Königs Sohn mit Ehren begaben'. Sprach Barlaam 'Mein Stein hat zudem die Kraft: wer nicht gesunde Augen hat, und ist nicht eines keuschen Lebens, der verliert die Kraft seines Gesichts, die er hat, so er den Stein anschauet. Nun bin ich erfahren in der Arzte Kunst, und sehe wohl daß du keine gesunden Augen hast; aber von des Königs Sohn hörte ich, er sei keusch und rein und habe schöne gesunde Augen'. Der Meister sprach 'TJst dem so, wie du sagst, so zeige mir deinen Stein nicht, denn ich habe kranke Augen und bin in Sünden'. Also meldete er ihn dem Königssohn und führte ihn bald zu ihm. Und da er zu ihm geführt ward, empfing ihn derselbe mit Ehren. Da sprach Barlaam 'Du hast wohl getan, o König, daß du nicht angesehen hast die Schnödigkeit des Kußeren. § Denn es war ein König, der fuhr im goldenen Wagen einher, und da er etlichen armen elenden Menschen begegnete in zerrissenen Kleidern, stieg er bald aus seinem Wagen und fiel ihnen zu Füßen und betete sie an; und stund darnach auf und umarmte und küßte sie. Das deuchte seine Edlen unbillig und wagten ihm doch darob nichts zu sagen. Also gingen sie zu seinem Bruder und sagten ihm, wie der König wider seine königliche Herrlichkeit hätte getan; der tadelte ihn darum. Nun hatte derselbige König den Brauch: wann er einen Menschen töten wollte, so schickte er einen Herold vor sein Haus, der blies auf einem sonderlichen Horm Da es nun Abend ward, schickte der König den Herold vor seines Bruders Tür und ließ das Horn blasen. Da der Bruder das hörte, verzagte er an seinem Leben, und mochte die Nacht nicht schlafen und ordnete alles für seinen Tod. Des Morgens legte er schwarze Kleider an und kam klagend mit Weib und Kind vor das Tor des Palastes. Der König hieß ihn zu sich eing-hen und sprach 'O du Tor, so du den Boten deines Bruders also fürchtest und hast doch nichts Böses getan: wie soll ich nicht die Boten Gottes fürchten, gegen den ich so viel gesündigt habe, da sie mir lauter denn Posaunenschall den Tod ankündigen und den Tag des Gerichts'. Darnach hieß er vier Kisten machen; zwei davon waren außen vergoldet, innen aber voll modernden Totengebeins, zwei mit

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Pech bestrichen, aber mit Edelsteinen und Perlen gefüllt. Und hieß die Fürsten rufen, die, als er wußte, ihn bei dem Bruder hatten verklagt; und hieß die vier Kisten vor sie setzen und sprach 'Welche bedünken euch die besten?' 'Die goldenen', sprachen sie, 'die anderen sind nichts wert'. Der König gebot die goldenen Kisten zu öffnen: da ging ein böser Gestank heraus, der war gar unerträglich, und er sprach 'Die gleichen den Menschen, die auswendig mit Pracht gekleidet sind, inwendig aber sind sie voll Unsauberkeit und Laster'. Darnach hieß er die andern Kisten öffnen: und siehe, ein wundersamer Duft ging daraus. Und er sprach 'Diese sind gleich den Armen, denen ich Ehre erwies; sind sie auch äußerlich mit schlechten Kleidern bedeckt, so strahlen sie doch innerlich aller Tugenden Duft aus. Ohr aber sehet allein, was außen ist, was inwendig ist, des achtet ihr nicht'. 'Diesem König gleich hast du getan, Josaphat, da du mich gütlich aufnahmst'. Also hub Barlaam an und predigte ihm von der Erschaffung der Welt, und vom Sündenfall, und von der Menschwerdung Christi, von seinem Leiden und von seiner Auferstehung. Er sprach auch von dem jüngsten Gericht, von dem Lohn der Guten und der Bösen. Er tadelte die GötzenAnbeter und erzählte von ihrer Torheit dieses Gleichnis. § 'Es war ein Jager, der hatte einen kleinen Vogel gefangen, den man heißt Nachtigall, und wollte ihn töten. Da konnte der Vogel reden und sprach 'Was nützt es dir, o Mensch, wenn du mich tötest, ich fülle dir deinen Bauch nicht, so du mich issest: laß mich lieber frei, so will ich dir drei Lehren geben, die dir von großem Nutzen sind, wenn du wohl auf sie achtest'. Der Jager verwunderte sich, daß der Vogel sprach; und gelobte ihm, daß er ihn wollte ledig lassen, so er ihm die Lehren sagte. Sprach die Nachtigall 'Trachte nie nach Dingen, die du nicht erreichen magst; traure nie um etwas, das unwiederbringlich verloren ist; glaube nie etwas Unmögliches: die drei bewahre in deinem Sinn, das wird dir gut fein'. Der Jager ließ den Vogel frei, als er versprochen hatte. Da schwang sich der Vogel in die Lüfte und rief 'O weh dir, Mensch, wie töricht hast du getan, wie großer Schatz ist dir heute entgangen: wisse, in meinen Eingeweiden ist eine Perle, größer denn ein Straußenei'. Als das der Jager hörte, ward er gar betrübt, daß er die Nachtigall hatte lassen fliegen, und wollte den Vogel mit List wieder haben und sprach 'Komm in mein Haus, du lieber Vogel, ich

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will dich köstlich pflegen und mit Ehren entlassen'. Da sprach die Nachtigall 'Nun weiß ich wahrlich, daß du ein Narr

bist; denn du hast keinen Nutzen gehabt von dem, was ich dir sagte: du hast mich betrauert, der ich dir unwiederbringlich verloren bin, und hast mich greifen wollen, da du doch meinem Fluge nicht folgen magst; und hast in der Wahrheit geglaubt, ich hätte eine Perle in meinem Leib, größer als ein Straußenei, und bin doch selbst nicht so groß wie solch ein Ei!' :ähnliche Toren sind die, so auf Götzenbilder ihren Glauben setzen. Sie beten an, was sie gemacht haben, und nennen ihre Hüter, was sie selbst behüten müssen'. Darnach hub Barlaam an, wider die betrügliche Lust und Eitelkeit dieser Welt zu sprechen, und gab davon mancherlei Beispiel; und sprach 'Die, so an der leiblichen Lust dieser Welt hangen, und ihre Seelen lassen Hungers sterben, sind gleich jenem Manne, der mit Eilen vor einem Einhorn floh, daß er nicht von ihm werde verschlungen, und in einen tiefen Abgründ fiel. Aber da er fiel, griff er mit seinen Händen einen Strauch, und fuhr mit seinen Füßen auf einen schlupfrigen und haltlosen Grund. Aber wie er näher zusah, erblickte er zwei Mäuse, eine weiße und eine schwarze, die nagten ohn Unterlaß an der Wurzel des Strauches, daran er sich hielt, und es war schon nahe daran, daß er abreisien mußte. Auf dem Grunde der Höhle aber ersah er einen greulichen Drachen, der spie Feuer, und sein offener Rachen war bereit, ihn zu verschlingen. Aus dem schlüpfrigen Grund aber, da er mit seinen Füßen stund, reckten vier Schlangen ihre Häupter. Doch da er die Augen wieder aufhub, sah er ein Tröpflein Honig von den Zweigen des Strauchs rinnen. Da vergaß er aller Fährlichkeü, davon er umgeben war, und gab sich ganz der Süßigkeit des Honigs. Das Einhorn aber bedeutet den Tod, der dem Menschen allezeit nachfolgt, ob er ihn möge ergreifen; der Abgrund bedeutet die Welt, die ist voll aller Übel. Der Strauch ist unser Leben, das wird verzehrt ohn Unterlaß von den Stunden des Tags und der Nacht als von schwarzen und weißen Mäusen; und nahet dem Falle. Der Grund mit den vier Schlangen, das ist der Leib, der aus vier Elementen ist zusammengesetzt, und sich auflöst, so dieselben in Unordnung kommen. Der greuliche Drache ist der Höllenschlund, der uns allesamt zu verschlingen droht. Der süße Honig des Zweigleins aber ist die betrügliche Lust der Welt, damit der Mensch betrogen wird und seiner Fährlich-

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keit vergißt'. Und Barlaam fuhr fort und sprach 'Die die Welt liebhaben, sind wiederum gleich einem Menschen, der hatte drei Freunde. Der eine war ihm lieber denn er selbst, den andern hatte er so lieb als sich selber, den dritten liebte er weniger als sich selber, und liebte ihn fast nicht. Derselbige Mensch ward vor dem Könige angeklagt, und war in großer Not. und ging zu dem ersten Freunde und bat ihn um Hilfe und mahnte ihn an die große Liebe, die er immer zu ihm hatte gehabt. Antwortete dieser 'Ich weiß nicht, wer du bist: ich habe andere Freunde, mit denen muß ich mich heute freuen; die Freunde werde ich auch von nun an haben. Doch will ich dir zwei härene Tücher geben, damit magst du dich decken'. Da ging er mit Trauern zu dem andern Freund und bat ihn desgleichen, daß er ihm hülfe. Der sprach 'eich habe keine Zeit, für dich zu sprechen, denn ich bin mit viel Sorgen umgeben. Doch will ich gerne ein Weniges mit dir gehen bis vor des Palastes Tür; darnach muß ich bald wieder heimkehren in mein Haus, denn ich bin mit meinen Geschäften bekümmert'. Da ward er sehr betrübt, und wollte schier verzweifeln; und ging zu dem dritten Freund und sprach zu ihm mit gesenktem Haupt 'Ich getraue mich kaum, zu dir zu sprechen, denn ich habe dich nicht so lieb gehabt als ich sollte; aber da ich in Trübsal bin und verlassen von meinen Freunden, so bitte ich dich, daß du mir wollest vergeben und mir zu Hilf kommen'. Da antwortete jener mit fröhlichem Angesicht 'Wisse, daß du mein liebster Freund bist; auch bin ich eingedenk des Guten, das du mir hast getan, ob es gleich nicht viel ist: darum will ich vor dir her zu dem König gehn und will ihn für dich bitten, daß er dich nicht gebe in die Hände deiner Feinde'. Der erste Freund aber ist das Gut, das einer mit Fährlichkeit gewinnet: davon bleibt ihm nicht mehr, so er stirbt, denn die schlechten Tücher, darinnen man ihn begräbt. Der andre Freund, das ist Weib und Kind und Vater und Mutter, die gehen nicht weiter mit dir denn bis zu dem Grab, und gehn darnach bald wieder heim an ihr Tagewerk. Der dritte Freund, das ist Glaube, Hoffnung, Liebe, Almosen und die andern guten Werke, die gehn vor uns her, wenn wir von dieser Welt scheiden, und kommen uns vor Gott zu Hilf, und erlösen uns von unfern Feinden den Teufeln'. Hiezu sagte Barlaam noch ein ander Beispiel und sprach 'In einer großen Stadt war eine Gewohnheit, daß man jedes Jahr einen fremden und unbekann-

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ten Menschen zum Fürsten erwählte; da hatte er alle Gewalt zu tun, was ihm gefiel, und regierte also das Land nach seinem Willen. Wann er nun herrlich und in Freuden lebte, und vermeinte, es bliebe immer so, da stunden plötzlich die Bürger wider ihn auf, schleiften ihn nackend durchs ganze Land, und brachten ihn auf eine ferne Infeh da saß er ohne Speise und Kleidung und mußte große Pein leiden von Hunger und Kälte. Zuletzt ward einer zum König erwählt, der wußte um ihren Brauch: und da er noch König war, sandte er heimlich unermeßliche Schätze nach der Insel voraus; da man ihn nun in die Verbannung sandte, als das Jahr um war, lebte er dort in überflüssigem Reichtum, dieweil die anderen Hungers gestorben waren. Die Stadt ist gleich dieser Welt; die Bürger sind die Teufel, die uns anlocken mit der falschen Lust der Welt; und dieweil wir auf die Zukunft hoffen, überkommt uns der Tod, und wir werden verbannt an die Stätte der Finsternis. Doch mag man seine Schätze ins Himmelreich voraussenden durch die Hände der Dürftigen'. § Da nun Barlaam den Sohn des Königs gar vollkommen hatte gelehrt, wollte derselbe seinen Vater lassen und ihm nachfolgen. Da sprach zu ihm Barlaam 'Tust du das, so bist du gleich dem Junglinge, dem man eine edle Magd verlobte, er aber wollte sie nicht und floh an eine Statt, daselbst sah er eine Jungfrau, die war eines armen Mannes Tochter; die arbeitete sehr und lobte dazu Gott mit fröhlichem Mund. Er sprach zu ihr 'Was tust du, Weib? Du bist arm, und dankest dennoch Gott andächtiglich, als ob er dir viel Gutes hätte getan?' Sie antwortete 'Wie eine kleine Arznei oft von großer Krankheit erlediget, so mag Danksagung für geringe Dinge zu großen Gaben helfen. Was außen ist, gehört uns nicht, aber was in uns ist, das gehört uns: also habe ich große Gaben von Gott empfangen; denn er hat mich nach feinem Bild geschaffen, und hat mir Verstand gegeben, und hat mich zu seiner Glorie berufen, und mir die Himmelstür aufgeschlossen. Sollte ich ihn nicht loben für solche große Gaben?' Da der Jungling hörte, daß sie also weislich redete, bat er ihren Vater, daß er sie ihm zur Ehe gäbe. Der sprach 'Das mag nimmermehr geschehen, denn du bist edler und reicher Eltern Kind, ich aber bin arm'. Dennoch wollte er von ihr nicht lassem Da sprach der Greis 'Ich kann sie dir nicht geben, daß du sie hinfuhrest in deines Vaters Haus, denn sie ist meine einige Tochter'. Er aber

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sprach 'So bleibe ich hie bei euch, und wiu mich euch in allen Dingen gleichen'. Und legte sein reiches Gewand hin, und zog des alten Mannes Kleider an, und blieb bei ihnen und nahm die Tochter zum Weibe. Als der Greis ihn lange hatte versucht, führte er ihn in die Brautkammer, da zeigte er ihm unermeßlichen Schatz, desgleichen er noch nie gesehen hatte; und gab ihm alles'. Jasaphat sprach 'Ich merke wohl, daß diese Geschichte mich angeht und daß du dies von mir gesagt hast. Aber da ich nun hinfort mich nimmer von dir will scheiden, so sage mir, Vater, wie alt bist du und wo ist deine Wohnung?' Sprach Barlaam 'Ich wohne in der Wüste Senaar und bin meines Alters funfundvierzig Jahr'. Da sprach Josaphat 'Mich bedünket, du habest mehr denn siebenzig Jahr'. Sprach Barlaam 'Du hast mein Alter recht geschätzt, so du die Jahre zählest von meiner Geburt. Aber ich rechne zu meinem Leben die Jahre nicht, die ich in Eitelkeit der Welt habe verzehrt, denn da war mein innerer Mensch erstorben, und Jahre des Todes nenne ich nimmermehr Lebensjahre'. Nun wollte Josaphat mit ihm in die Wüste ziehen. Da sprach aber Barlaam 'Tätest du dies, so müßte ich deiner Gemeinschaft entbehren, und würde eine Ursach sein, daß man meine Brüder würde ächten und verfolgen. Aber komme zu mir, wann du siehst, daß die Zeit günstig ist'. Darnach taufte er ihn und lehrte ihn Christenglauben gar vollkommenlich, und küßte ihn, und schied heim an seine Statt. § Als der König inne ward, daß sein Sohn ein Christ war worden, ward er gar betrübt. Da tröstete ihn seiner Freunde einer, Arachis mit Namen, und sprach zu ihm 'Ich weiß, o König, einen alten Einsiedel von unserem Glauben, der ist Barlaam in allen Dingen gar gleich. Der soll sich als Barlaam stellen und soll zu dem ersten den Christenglauben sehr loben, und sich darnach lassen überwinden und alles widerrufen, was er zuvor gelehret hat; damit bringen wir des Königs Sohn wieder zu unserem Glauben'. Also fuhr der vorgenannte Fürst aus mit einem großen Heer, den Barlaam zu fangen; und brachte jenen Einsiedel heim, und sprach, er hätte den Barlaam gefangen. Als das Josaphat hörte, weinte er sehr, daß sein Meister Barlaam gefangen wäre. Darnach aber tat ihm Gott kund, daß es sein Meister Barlaam nicht sei. Der König ging zu seinem Sohn und sprach 'Lieber Sohn, du hast mich in grofies Leid gebracht und hast mein Alter entehrt und das Licht

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meiner Augen von mir genommen. Sohn, warum hast du das getan, und hast den Glauben unsrer Götter verlassen?' Josaphat antwortete 'Lieber Vater, ich bin von der Finsternis zu dem Licht kommen und habe die Irrsal gelassen, und weiß die Wahrheit: darum ist deine Mühe gar vergebens, denn du magst mich nimmermehr von Christo bringen, so wenig du an den Himmel rühren magst wenn du deine Hand aufhebst, oder das große Meer magst trocken machen'. Da sprach der Vater 'Ach, wer ist anders an diesem Übel schuld, denn ich, der ich mehr Pracht an dich habe gelegt, als je ein Vater an seinen Sohn. Darum läßt deine Bosheit und entfesselte Wut dich nun wider das Haupt deines Vaters rasen. Es ist nun wahr worden, was die Sterndeuter bei beiner Geburt geweisfagt haben, daß du stolz würdest werden und deinen Eltern ungehorsam. Aber wisse: willst du dich nun nicht bekehren, so sollst du nimmer mein Sohn heißen, sondern sollst deinen Vater zum Feinde haben; und ich werde dir tun, was ich selbst Feinden bis zu dieser Stunde nicht habe getan'. Antwortete Josaphat 'Warum, o König, betrübst du dich? Denn siehe, ich bin großen Gutes teilhaftig worden; und welcher Vater war je traurig bei feines Sohnes Glück? Doch so soll ich dich nimmer Vater heißen, und will vor dir als vor einer Schlange fliehen, so du wider mich stehst'. Da ging der König mit Zorne von ihm und sagte seinem Freunde Arachis von der Härtigkeit des Sohnes. Der sprach, er möchte nicht mit harten Worten zu ihm reden, sondern sänftlich und gütlich; so möchte er des Junglings Gemüt überkommen. Also ging er des andern Tags wieder zu ihm, umarmte und küßte ihn und sprach 'Eia du mein allerliebster Sohn, ehre mein weißes Haupt und folge deinem Vater; denn du weißt wohl, daß es gut ist, seinen Vater zu erfreuen und ihm gehorsam zu sein, und daß es gar bös ist, ihn zu betrüben. Denn welche Menschen das taten, die gingen jämmerlich zu Grunde'. Da antwortete Josaphat 'Es ist eine Zeit der Liebe und ist eine Zeit des Gehorsams, es ist eine Zeit des Friedens und ist eine Zeit des Streits; denn wir sollen niemandem gehorchen, der uns von Gott will ziehen, ob es Vater sei oder Mutter'. Als der König seine Standhaftigkeit sah, da sprach er 'Da ich deine Halsstarrigkeit sehe, und du mir nicht gehorchen magst, so komm doch und laß uns beide der Wahrheit glauben; denn dein Meister Barlaam, der dich betrogen hat, ist von mir gefangen. Nun

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sollen die Meinen und die Deinen mit ihm zusammenkommen, und ich will einen Herold aussenden, daß alle Galiläer ohne Furcht kommen sollen; und soll sich eine Disputation anheben: siegt dann euer Barlaam, so wollen wir euch glauben; siegen die Unsern, so glaube du uns'. Das gefiel Josaphat wohl, und kamen sie alle zusammen. Und hatten zuvor den falschen Barlaam unterwiesen, wie er zuerst heucheln solle, den Christenglauben zu verteidigen, und darnach sich solle lassen überwinden. Also stund Josaphat auf und wandte sich zu Nachor und sprach 'Du weißt, o Barlaam, was du mich gelehrt hast. Bewährst du den Chrifrenglauben, den du mich hast gelehrt, so will ich in deiner Lehre verharren bis an mein Ende. Lässest du dich aber überwinden, so will ich meine Schande an dir rächen, und will dir Herz und Zunge mit meinen eigenen Händen ausreißen und vor die Hunde werfen, damit fortan keiner mehr eines Königs Sohn zu betrügen wage'. Davon erschrak Nachor und ward gar verzagt, und sah, daß er in die Grube gefallen war, die er selber gegraben hatte, und in seiner eigenen Schlinge gefangen sei. Und da er solches bei sich betrachtete, erkannte er, daß es besser wäre, des Königs Sohne anzuhangen, daß er doch der Gefahr des Todes entgehe. Der König aber hatte ihm vor allem Volke gesagt, daß er seinen Glauben ohne Furcht sollte verteidigen. Nun stund einer von den Meistern auf und sprach zu Nachor 'Du bist Barlaam, der des Königs Sohn betrogen hat?' Da sprach er 'In) bin Barlaam, aber ich habe ihn nicht betrogen, sondern vom Irrtum gekehrt'. Sprach der Meister 'Wie wagst du, also wider unsere Götter zu reden, so doch edle und wundergroße Männer sie angebetet haben?' Antwortete Nachor 'Chaldäer, Griechen und tigypter haben gesprochen, daß irrende Kreaturen Götter wären; und haben die Chaldäer die Elemente für Götter gehabt, so doch zum Nutzen des Menschen sind erschaffen, daß fie seiner Herrschaft seien untertan und viel Ungemach von ihm sollen leiden. Die Griechen hatten für Götter missetätige Menschen, als Saturnum, von dem sie sagen, daß er seine Kinder habe verschlungen, und habe sein Glied sich abgeschnitten und ins Meer geworfen, daraus sei die Göttin Venus geboren; darnach ward er von Jupiter seinem Sohn gebunden und in den Tartarus geworfen. Diesen Jupiter aber nennen sie der Götter König, und sprechen doch, wie er oftmals sich in

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Tiere habe verwandelt, daß er seine Unzucht möchte vollbringen. Sie sprechen auch, daß die Göttin Venus eine Ehebrecherin war: denn etwan hatte sie den Mars zum Buhlen, etwan den Adonis. Die Agypter aber haben die Tiere angebetet, als das Schaß das Kalb, das Schwein und dergleichen. Die Christen allein ehren den Sohn des Höchsten, der vom Himmel stieg und menschlichen Leib an sich nahm'. Mit dem so hub Nachor an, den Christenglauben zu verteidigen; und bewährte ihn mit Gründen so wohl, daß die Meister alle schwiegen, und konnte ihm keiner Antwort geben. Josaphat aber war froh, daß Gott die Wahrheit bewährt hatte durch den Feind der Wahrheit; der König aber war voll Zornes, und gebot, den Rat aufzulösen, als wollte man die Sache des andern Tages von neuem anheben. Da sprach Josaphat 'Vater, laß meinen rneister diese Nacht bei mir, daß wir mit einander reden, und trachten, was wir morgen antworten wollen, und nimm du deine Meister mit dir und trachte, wie ihr morgen tut; oder laß deine Meister mit mir sein, so sollst du meinen Meister haben: anders tust du nicht recht, sondern übest Gewalt'. Also ging Nachor mit ihm, und hatte noch Hoffnung, er könnte ihn von feinem Glauben bringen. Da sie aber mit einander heim kamen, sprach Josaphat zu Nachor 'Glaube nicht, ich wisse nicht, wer du seist: ich weiß wohl, daß du nicht Barlaam bist, sondern Nachor der Sternseher'. Und hub an, ihm den Weg des Heils zu predigen, und bekehrte ihn zu Christo. Und schickte ihn des Morgens früh in die Wüste, da empfing er die Taufe und lebte daselbst in eines Einsiedlers Weise. § Nun kam ein Zauberer vor den König, Theodas mit Namen, der hatte gehört, was sich zutrug, und gelobte, daß er den Sohn wieder wollte zu dem väterlichen Glauben bringen. Da sagte der König 'Tust du das, so will ich dir eine Bildsäule von Gold errichten und dir Opfer bringen als einem Gotte'. Sprach der Zauberer 'Nimm alle Männer von deinem Sohn, und tu zu ihm schöne wohlgezierte Frauen, die immer um ihn seien und ihm dienen; ich aber will meiner Geister einen zu ihm senden, der soll ihn zur Wollust reizen. Denn nichts vermag einen Jungling mehr zu bekehren, denn ein schön Weibergesicht. § So war auch einst ein König, dem ward ein Sohn geboren; alsbald sprachen die weisen Arzte, daß er sein Augenlicht würde verlieren, wenn er Sonne oder Mond sähe vor seinem zehnten Jahr. Darum ließ der König eine Höhle

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in einen Felfen hauen, darin mußte der Königssohn leben bis in das zehnte Jahr. Da aber die zehn Jahre um waren, hieß der König allerlei Dinge vor ihn führen, damit ihm Art und Namen derselben kund würde. Da ward Gold und Silber herbeigebracht, edles Gestein und Gewand, königliche Rosse und mancherhand Ding. Und wonach er fragte, davon nannten ihm die Diener den Namen. Da er nun mit Fleiß den Namen der Weiber zu wisfen begehrte, sprach des Königs Schwertträger im Scherz, daß das böse Teufel seien, die die Männer verführten. Darnach fragte der König seinen Sohn, was ihm am liebsten wäre von allem was er gesehen hätte. Antwortete der Sohn 'Was anderes, Vater, als jene Teufel, die die Menfchen verfuhren; denn von keinem Ding ist meine Seele entbrannt, denn von ihnen'. Darum glaube auch du, o König, daß dein Sohn nicht anders mag überwunden werden'. Also nahm der König seinem Sohn alle Diener und gesellte ihm schöne Jungfrauen, die ihn allezeit zur Wollust sollten reizen; und hatte er niemand anderen anzusehen, noch beim Sprechen oder Essen jemand anderen denn sie. Dazu beschwor der Zauberer einen Teufel, der fuhr in den Jungling und entzündete in ihm große Glut; also reizte ihn der böse Geist innerlich, dieweil die Jungfrauen die Hitze äußerlich mehrten. Da er empfand, daß er also heftig ward angegriffen, da befahl er sich Gott ganz und gar; alsbald ward ihm himmlischer Trost, und wich alle Anfechtung von ihm. Zuletzt sandte der König eine Jungfrau, die war gar schön und war auch eines Königs Tochter; doch war ihr Vater gestorben; der sagte Josaphat viel vom Christenglauben. Da sprach die Jungfrau 'Willst du mich von dem Glauben der Abgötter bringen, so nimm mich zur Ehe; denn auch die Christen verwerfen die Ehe nicht, sondern loben sie, und haben die Patriarchen und Propheten alle Frauen gehabt, auch Sanct Peter ihr Apostel'. Antwortete Josaphat 'Deine Rede, o Weib, ist gar umsonst; wohl ist den Christen erlaubt Ehfrauen zu nehmen, aber denen nicht, die Gott ihre Keuschheit haben gelobt'. Die Jungfrau sprach fürder 'Es sei wie du sagst; aber willst du meine Seele retten, so erfülle mir nur eine kleine Bitte, und schlafe allein diefe Nacht bei mir; fo gelob ich dir, daß ich des Morgens früh eine Christin will werden. Denn ihr sprecht ja, es sei Freude bei den Engeln im Himmel über einen Sünder, der Buße tut: mag da nicht großer Lohn dem werden, der die

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Bekehrung wirket? Willige nur einmal darein, so rettest du mich'. Damit begann sie die Veste seiner Seele gewaltig zu erschüttern. Als das der Teufel sah, sprach er zu seinen Geseilen 'Sehet ihr, wie diese Magd ihn bewegt, den wir nicht erschüttern konnten? Kommt, laßt uns grimmiger in ihn fahren, denn die rechte Stunde ist gekommen'. Da aber Josaphat sah, wie schwerlich er gefangen war, und ihn zugleich Wollust bewegte und die Sorge um das Heil eines Mägdleins, die ihm der Teufel hatte eingegeben; da fiel er mit Weinen an sein Gebet. In dem Gebet entschlief er, und ward im Traum auf eine schöne Wiese geführt, darauf stunden viel wohlgezierte Blumen; in den Blättern der Bäume war ein fanfter Wind, davon gaben sie gar süßen Klang, und gaben süßen Duft; da waren Früchte herrlich zu schauen und lustlich von Geschmack; da waren Bänke von Gold und Edelstein und schimmernde Ruhebetten mit köstlichen Decken geziert; dabei flossen klare Brunnen. Darnach ward er in die Stadt selber geführt, der Mauern waren von lauterem Golde, daß sie strahlte mit wunderbarer Klarheit. In den Lüften aber sangen himmlische Scharen einen Sang, als kein menschlich Ohr je hat vernommen. Und eine Stimme sprach 'Das ist die Stadt der Seligen'. Da ihn die Männer wieder von hinnen wollten führen, bat er, daß man ihn da ließe; aber sie sprachen zu ihm 'Nur mit großer Arbeit gelangst du hieher, so du dir magst Gewalt tun'. Darnach führten sie ihn an greuliche Stätten, die waren voll Gestank und aller Unreinigkeit. Und eine Stimme sprach 'Das ist die Statt der Ungerechten'. Damit erwachte er. Und die Schönheit der Jungfrau und der anderen Mägde erschien ihm jetzt stinkender als ein Mist. § Nun kehrten die bösen Geister zu dem Zauberer Theodas zurück; und da er sie schalt, sprachen sie 'Bevor er mit dem Kreuzeszeichen sich waffnete, fielen wir kräftiglich auf ihn und irreten ihn; da er sich aber mit dem Zeichen zeichnete, verfolgte er uns mit großem Grimm'. Da ging der Zauberer mit dem Könige selbst zu ihm und hoffte, daß er ihn möchte überkommen. Aber er ward von ihm selber gefangen, den er fangen wollte, und ward von ihm bekehrt; und empfing die Taufe und führte fortan ein löblich Leben. Da verzagte der König an seinem Sohn Und ließ ihm die Hälfte des Reichs nach seiner Freunde Rat. Und wie auch Josaphats Herz allein nach der Wüste stund und der Einsamkeit, so nahm er doch das Reich für

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Von Sanct pelagius dem Papst

eine Zeit auf sich, damit der Glaube gemehrt würde, und bauete Kirchen und richtete Kreuze auf in seinen Städten, und bekehrte die Menschen alle zu Christo. Zu dem letzten so überwand er auch seinen Vater mit guten Gründen und Reden, daß er den Christenglauben an sich nahm und die Taufe empfing, und ließ dem Sohne das ganze Reich und lebte hinfort in Werken der Buße, und endete sein Leben gar seliglich. § Josaphat aber kündete dem Volk, daß Barrachias an seiner Statt sollte König sein; und wollte oftmals fliehen, aber das Volk fing ihn allezeit wieder, bis er endlich doch entrann. Und da er durch die Wüste wandelte, gab er einem Armen sein königlich Gewand, und legte selber des Bettlers Kleid an. Der Teufel aber bereitete ihm mancherlei Nachstellung. Etwan fiel er auf ihn mit einem bloßen Schwert und drohete ihm den Tod, wenn er nicht abließe. Etwan erschien er ihm in der Gestalt wilder Tiere, und brüllte und knirschte ihn an. Josaphat aber sprach 'Der Herr ist mein Helfer, ich fürchte nicht, was mir ein Mensch tut'. Also wanderte er zwei Jahre in der Wüste hin und her. und fand Barlaam nicht. Endlich kam er an eine Höhle; da stund er vor dem Eingang und rief 'Komm Vater und gieb mir deinen Segen!' und Barlaam erkannte seine Stimme und lief eilends heraus. Da umfingen fie einander inniglich, und küßten sich und konnten sich nicht ersättigen. Und Josaphat sagte dem Barlaam alles, was ihm geschehen war; der dankte Gott ohne Maßen. Da blieb Josaphat bei ihm, und lebte mit ihm viele Jahre in großer Enthaltsamkeit und Tugend, und da Barlaams Tage erfüllt waren, entschlief er in Frieden. Josaphat aber, der im fünfundzwanzigfren Jahr seines Alters sein Reich hatte gelassen, blieb in dem Einsiedlerleben fünfunddreißig Jahr; darnach entschlief er, geziert mit viel Tugenden, und ward bestattet zu Barlaams Leib. Als das der König Barrachias vernahm, zog er dahin mit großer Heeresmacht, und nahm die heiligen Leichname, und führte sie mit großer Ehrfurcht heim in seine Stadt, und es geschahen viel Wunder daselbst an ihrem Grab. § Von Sanct Pelagius dem Papst.

elagius, der Papst, war gar heilig und führte sein Amt gar löblich, und entschlief zuletzt nach vielen guten Wer­ ken in Frieden. Doch war dieser Pelagius nicht Sanct Gre-

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gorii Vorgänger, sondern ein anderer vor ihm. Denn diesem Pelagius folgte nach Johannes der Dritte, dem Johannes folgte Benedictus, dem Benedictus Pelagius, dem Pelagius Gregorius. Zu dieses ersten Pelagii Zeiten nun kamen die Longobarden nach Italien; da ich aber sah, wie viele von dergleichen Historie nichts wissen, so hab ich mir vorgesetzet, sie an dieser Statt einzufügen, wie fie beschrieben ist in der Historia Longobardorum, welche Paulus der Geschichtsschreiber der Longobarden zusammengesetzt hat, wie sie auch klärlich in unterschiedlichen Chroniken ist zu finden. § Es war ein Stamm der Germanen, gar volkreich, der zog aus von den Gestaden des nordischen Meeres. Und nachdem sie viel Kriege hatten durchfochten und durch viel Länder waren geirrt; so kamen sie von der Insel Scandinaria zu dem letzten nach Pannonien; doch wagten sie nicht fürder vorzudringen, und ließen fich daselbst zu dauernder Wohnung nieder. Zu dem ersten hießen sie Winuli, darnach Longobarden. Da sie noch in Germanien wohnten, geschah es einst, daß ihr König Agilmund in einem Fischteich sieben Knaben fand, die eine Buhlerin dahinein geworfen hatte, fie zu töten; denn sie hatte sie alle auf einmal geboren. Da der König sie also von ungefähr fand, rührte er mit seinem Speer in großer Verwunderung unter sie; da griff einer von ihnen nach des Königs Speer und hielt ihn fest. Als der König das sah, verwunderte er sich und ließ das Kind aufziehen; er nannte es Lamissio; und weissagte ihm, daß es gar groß würde werden. Der Knabe wuchs heran und ward so gerecht, daß ihn die Longobarden nach dem Tode des Königs zu ihrem Könige wählten. § Zu derselben Zeit, das ist um das Jahr des Herrn 480, geschah es, daß ein arianischer Bischof, als Eutropius schreibet, einen Mann mit Namen Barba taufen wollte; dabei sprach er 'Barba, ich taufe dich im Namen des Vaters, durch den Sohn in dem heiligen Geist; und wollte damit zeigen, daß der Sohn und der heilige Geist geringer seien denn der Vater; da verschwand das Wasser plötzlich, und der Täufling floh und kam zu der rechten Kirche. § Zu derselben Zeit etwan lebten die Heiligen Medardus und Gildardus, die waren leibliche Brüder; und wurden an einem Tage geboren, an einem Tage zu Bischöfen geweiht, und starben an einem Tage, und wurden von Christo an einem Tage gen Himmel genommen. § Um dieselbe Zeit, das ist um das Jahr des Herrn 528, lebte unter

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Justinianus dem Kaiser der ehrwürdige Vater Benedictus, gar hochberühmt durch seine Lehre und durch seine Wunder. Und wohnte auf dem Berge Casfino, an der Stätte die Sublacus genannt ist, nachdem er zuvor ein Einsiedlerleben hatte geführt. Als er aber dahin fuhr und seine frühere Wohnung hatte gelafsen, so folgten ihm, als man in der vorgenannten Historia Longobardorum liest, auf Gottes Gebot drei Raben, die speiste er alle Tage. Und da er an einen Wegscheid kam, erschienen ihm zween Engel in zweier Junglinge Gestalt, die wiesen ihm den Weg, darauf er zu der Stätte kam. Daselbst aber wohnte ein anderer Diener Gottes, zu dem sprach die Stimme vom Himmel 'Von dieser Stätte flieh, der andere Freund ift hie', und ist der Sinn dieses Verses 'Geh von dieser Statt, mein Freund; denn ein anderer Freund soll hier wohnen'. Also kam Sanct Benedictus auf den Gipfel des Bergs und lebte da in großer Strengigkeit. Und schrieb daselbst die Regel der Mönche auf mit sonderlicher Weisheit und in wohlgesetzten Worten, als Sanct Gregorius bezeuget, unter anderen Zeichen seiner Heiligkeit aber erzählt man, daß er unvermählt blieb auf Erden, als denn dieser heilige Mensch nicht anders leben mochte denn er lehrte. § Vor dieser Zeit aber, das ist um das Jahr des Herrn 450, da in Gallien die arianische Ketzerei bluhete, geschah, als in einer Chronik geschrieben ist, ein Wunder, dadurch die Wesenseinheit der drei Personen klärlich erwiesen ward. Denn dieweil der Bischof in der Stadt Bazas die Messe ■hielt, sah er drei lautere Tropfen von gleicher Größe auf den Altar fallen, die floffen alsbald zu einem zusammen, und ward daraus ein schöner Edelstein. Den setzte der Bischof hernach in die Mitte eines goldenen Kreuzes; da fielen die andern Edelsteine, die daran waren, alsbald heraus. § Darnach war König der Longobarden Albuinus, der war gar tapfer und gestrenge: derselbe führte Krieg wider den König der Gepiden, und schlug sein Heer und tötete den König. Der Sohn des getöteten Königs aber, der seinem Vater in der Herrschaft nachfolgte, wollte den Vater an Albuinus rächen, und zog wider ihn mit gewaffneter Hand. Albuinus sammelte sein Heer gegen ihn, und überwand und tötete ihn, und nahm seine Tochter mit Namen Rosimunda gefangen, und machte sie zu seinem Weibe; des toten Königs Schädel aber faßte er in Silber in eines Bechers Weise, und trank daraus. § In jenen Tagen

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herrschte Justinus der Jungere über das Reich, der hatte einen Verschnittenen zum Ffrldherrn, Narses mit Namen, der war edel und tapfer, und zog wider die Goten, die ganz Italien erobert hatten und überwand sie und tötete ihren König, Totila mit Namen, und gab Italien den Frieden wieder. Für diese große Guttat mußte er großen Neid der Römer leiden, und ward vor dem Kaiser fälschlich verklagt und von dem vorgenannten Kaiser seines Amtes entsetzt. Die Kaiserin aber, Sophia mit Namen, erbot ihm solche Schmach, daß sie ihn mit ihren Mägden wollte spinnen lassen und Wolle zupfen. Hiezu sprach Narses 'Ich will dir ein solch Gewebe machen, daß du dein ganzes Leben es nimmer magst auflösen'. Also schied er von dannen gen Neapolis und ließ den Longobarden entbieten, sie sollten ihre armen Länder in Pannonien lassen, und herbeiziehen, den fruchtbaren Boden Italiens zu besitzen. Als Albuinus das vernahm, ließ er Pannonien, und fiel mit den Longobarden in Italien ein im Jahre des Herrn 568. Es war aber eine Gewohnheit dieses Volkes, daß sie lange Bärte trugen. Also erzählt man, daß einst Kundschafter zu ihnen sollten kommen; da gebot Albuinus den Weibern allen, daß sie ihr gelöstes Haar um ihr Kinn täten, damit sie von den Kundsc-haftern für bärtige Männer gehalten würden. Davon wurden sie hernach Longobardi genannt, von den langen Bärten; denn barda war in ihrer Sprache genannt der Bart. Andere aber sprechen, daß einst die Winuler kämpfen sollten mit den Wandalen; da gingen sie zu einem Mann, der den Geist der Weissagung hatte, aufdaß er für ihren Sieg bete und ihnen seinen Segen gebe. Also stellten sie sich auf den Rat feines Weibes neben das Fenster, daraus er des Morgens gen Osten zu beten pflegte, und geboten ihren Frauen auf desselben Weibes Rat, daß sie ihre Haare um ihr Kinn täten. Da nun jener Mann das Fenster auftat und ihrer ansichtig ward, rief er aus 'Wer sind diese Langbärte?' Da sprach sein Weib: welchen er den Namen gegeben hätte, denen würde er auch den Sieg geben. § Da sie nun nach Italien kamen, da nahmen sie fast alle Städte, und töteten die Einwohner alle; die Stadt Pavia aber belagerten sie drei Jahre lang und gewannen sie auch zuletzt. Nun hatte der König Albuinus geschlvoren, daß er alle Christen in der Stadt wollte töten. Aber da er zu Pavia sollte einreiten, fiel sein Roß vor dem Tore plötzlich in die Knie, und wollte

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nicht aufstehen, so sehr er es auch mit den Sporen trieb; bis er zu dem letzten den Schwur widerrief auf eines Christen

Mahnung. Darnach zogen die Longobarden in Mailand ein und unterwarfen fast ganz Italien in kurzer Zeit außer der Stadt Rom und dem Land, das Romanilia genannt ist, das ist: ein ander Rom; dieweil es allezeit an Rom hing. Da nun Albuinus zu Verona war und daselbst ein großes Gelage bereitet hatte, hieß er den Becher herbeibringen, den er aus dem Haupte jenes Königs hatte gemacht, und trank daraus. und zwang auch sein Weib, Rosimunda mit Namen, daraus zu trinken, und sprach 'Trinke mit deinem Vater'. Davon gewann Rosimunda großen Haß wider den König. Nun hatte der König einen Herzog, der oftmals bei einer Magd der Königin schlief. Da nun der König einst nicht daheim war, ging die Königin des Nachts in das Gemach der Magd und ließ dem Herzog unter dem Namen der Magd entbieten, daß er die Nacht zu ihr sollte kommen. Da er kam, legte die Königin sich an der Magd Statt zu dem Herzog. Darnach sprach sie 'Weißt du, wer ich bin?' Er sprach, sie wäre seine vorgenannte Freundin. Sie aber sprach 'Nimmermehr, sondern ich bin Rosimunda; nun hast du sicherlich etwas getan, wofür du den König töten mußt, oder selber von seiner Hand sterben. Aber ich will, daß du mich an meinem Gemahl rächest, der mir den Vater erschlug und mich aus dem Becher zu trinken zwang, den er aus seinem Schädel gemacht hat'. Das wollte der Herzog nicht tun, doch gelobte er ihr, daß er einen andern wollte finden, der das Ding vollbrächte. Alfo versteckte Rosimunda des Königs Waffen, und band sein Schwert, das zu Häupten des Bettes hing, so fest, daß er es weder heben mochte noch aus der Scheide ziehen. Da nun der König in seinem Bette schlief, trat der Mörder in das Gemach; das merkte Albuinus und sprang aus dem Bett und griff nach seinem Schwert; aber da er es nicht aus der Scheide mochte ziehen, nahm er einen Schemel und hub an, sich kräftiglich damit zu wehren. Doch der Mörder war gar gut gewappnet und fiel den König an, und tötete ihn. Darnach nahm er alle Schätze des Palast« und entfloh mit Rosimunda, als man sagt, gen Ravenna. Daselbst aber ersah Rosimunda gar einen schönen Jungling, der ein Praefect war zu Ravenna, den wollte sie gern zum Manne haben. Darum gab sie ihrem Buhlen Gift in einem Becher zu trinken. Der aber spürte die Bitterkeit des Giftes

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und gebot dem Weib, daß sie den Rest sollte trinken. Da sie sich des weigerte, zog er sein Schwert und zwang sie, daß sie mußte trinken. Also kamen sie beide daselbst um. § Zu dem letzten geschah es, daß der Longobarden Könige einer, Ada-

laoth mit Namen, sich ließ taufen und nahm den christlichen Glauben an sich. § Theodelinda aber, die Königin der Longobarden, war auch gar fromm und andächtig, und war eine Tochter Garibaldi des Königs der Bajuvaren. Da nun ihr Gemahl Autharius der König ftarb, gefiel es den Longobarden, daß sie sie ließen regieren, und sprachen: sie sollte sich zum Manne nehmen, welchen sie wollte; doch müßte er würdig sein, das Reich zu regieren. Also hielt sie Rat mit den Weisen des Landes und erwählte sich zu einem Gemahl den Herzogen von Turin, Agyolfus mit Namen, der ein weiser Mann war und ein tapfrer Krieger und aller Dinge zu der Herrschaft geschickt. Zu den Zeiten schrieb Gregorius der Papst zu Rom seinen Dialogus und sandte ihn Theodelinda der Königin zu einer Gabe; denn er wußte wohl, dafi sie gar fromm war und gottesfürchtig. Darum wurde durch sie auch der Kirche Gottes viel Gutes getan; denn die Longobarden, die bis zu der Zeit im heidnischen Irrglauben waren gewesen, hatten fast alles Gut der Kirche an sich genommen. Aber die Königin vollbrachte es durch ihre Bitten, daß der König selber zum katholischen Glauben bekehrt ward, und daß auch viel Gut den Kirchen ward gegeben. Die Bischöfe aber, die vor der Zeit in Unehre waren gewesen, die setzte sie wieder in ihre frühere Würdigkeit. Da aber die Longobarden durch alles Italien herrschten, geschah es, daß Agyolfus der König in das Land zu Rom kam. Da erschrak Sanct Gregorius also, daß er die Auslegung Ezechiels ließ fahren; als er selber schreibet. Und hub an, die Königin Theodelinda mit Briefen zu ermahnen, daß sie ihrem Gemahl Agyolfus zum Frieden mit den Römern riete. Das vollbrachte sie auch, daß er mit dem römischen Reich und mit der Kirche Frieden hielt. Darum sandte der ehrwürdige Priester ihr und dem Könige Agyolfo Briefe mit Danksagung, die man in dem Buch seines Lebens geschrieben findet. Also ward am Fest der Heiligen Gervasius und Prothasius Friede geschlossen zwischen den Römern und den Longobarden. Darum setzte auch Gregorius bei diesem Fest in der Messe zu singen ein 'Loquetur Dominus pacem'. Am Fest der Geburt Johannis des Täufers ward dann der

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Friede der vorgenannten Fürsten und die Bekehrung des Königs noch fester bestätigt. Theodelinda aber hatte sonderliche Andacht zu Sanct Johannes dem Täufer, durch des Verdienft sie ihr Volk bekehrt wähnte; darum bauete sie

ihm zu Ehren gar ein schön Bethaus zu Modoetia. und es ward einem heiligen Manne kund getan, daß Sanct Johannes der sonderliche Schutzherr dieses Volkes sei. § Da Gregorius starb, folgte ihm nach Sabinus; Sabino folgte Bonifacius der Dritte; Bonifacio dem Dritten folgte nach Bonifacius der Vierte, auf des Bitten Phocas der Kaiser der Kirche Christi das Pantheon schenkte, um das Jahr des Herrn 610. Zuvor aber hatte er auf des dritten Bonifacius Bitte festgesetzt, daß der römische Stuhl das Haupt sei aller Kirchen; denn zuvor hatte die Kirche von Confrantinopel sich die erste aller Kirchen genannt. § Zu den Zeiten dieses Bonifacii, da Phocas gestorben war und Heraclius regierte, um das Jahr des Herrn 61o, da geschah es auch, daß Machumethus der falsche Prophet und Zauberer die Agarener oder Tlsmaeliten, das ist: die Saracenen, in dieser Weise betrog, als wir in einer Geschichte von ihm und in einer Chronik lesen. Es war ein hochberühmter Cleriker, der mochte bei der römischen Curie die Würde, die er begehrte, nicht erreichen; darum floh er voll Unmuts über Meer, und lockte durch seine Heuchelei unzählbar viel Menschen an sich. Da der Machumethum fand, gelobte er ihm, er wollte ihn über alles sein Volk setzen. Also zog er eine Taube, und tat Körner und anderes Futter dem Machumethus in seine Ohren, also daß die Taube auf seine Schultern saß und ihr Futter holte aus seinen Ohren. Daran gewöhnte sie sich also sehr; wann sie Machumethum sah, alsbald flog sie auf seine Schultern und hielt ihren Schnabel an sein Ohr. Darnach rief der vorgenannte Mensch das Volk zusammen und sprach: er wollte den über sie setzen, welchen der heilige Geist in Taubengestalt ihnen würde bezeichnen. Also ließ er die Taube heimlich los; die flog auf Machumethi Schultern, der da unter den andern stund, und legte ihren Schnabel an sein Ohr. Als das das Volk sah, vermeinten sie, es wäre der heilige Geist, der auf ihn herabfteige und ihm das Wort Gottes sage in sein Ohr. Also betrog Machumethus die Saracenen, daß sie ihm anhingen, und eroberten das Königreich Persien und alles Reich zu Orient bis gen Alexandrien. Also erzählt man im Volk gemeiniglich; doch ist das wahrer.

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was wir hernach werden lesen. Machumeth nun machte von ihm selber Gesetze und sprach mit Lügen, er habe sie von dem heiligen Geist empfangen, der oftmals vor den Augen des Volkes auf ihn flog in der Tauben Gestalt. In das Gesetz brachte er etliches aus dem alten und neuen Testament; denn in seiner Jugend hatte er Kaufmannschaft getrieben, und wann er mit seinen Kamelen gen tigypten und Palästina zog, so war er gar oft mit Christen und (Juden umgangen, von denen lernte er das neue und das alte Testament. Darum werden nun die Saracenen nach dem Gesetze der Juden beschnitten, und essen kein Schweinefleisch. Machumethus aber sprach, das täten sie darum, weil das Schwein nach der Sündflut aus dem Kot des Kameles sei erschaffen worden, und müsse also als ein unrein Tier von einem reinen Volke gemieden werden. Mit den Christen aber kommen sie darin überein, daß sie an einen einigen allmächtigen Gott glauben, der alles erschaffen hat. Desgleichen untermischte der falsche Prophet Wahres mit Lügen und sprach, wie Moyses ein großer Prophet sei gewesen, Christus aber sei größer und der größeste aller Propheten, geboren von der Jungfrau Maria aus der Kraft Gottes und nicht von menschlichem Satiren. Auch sagt er in seinem Alkoran, daß Christus, da er noch ein Kind war, Vögel schuf aus dem Lehm der Erde.

Doch mischte er Gift in alles dieses, indem er lehrte und sprach, daß Christus nicht in der Wahrheit habe gelitten und sei nicht wahrhaftig auferstanden, sondern ein anderer Mensch, der ihm ähnlich sei gewesen, habe dies an seiner Statt gelitten und getan. § Nun war eine edle Frau, Cadigan mit Namen, die herrschte über ein Land, das hieß Corocanica, die sah, wie dieser Mensch mit den Saracenen und Juden wohnte, und von ihnen geehrt ward; und meinte, wie eine göttliche Majestät in ihm verborgen wäre. Darum nahm sie ihn zum Manne, denn sie war eine Wittib; und also gewann Machumeth die Herrschaft über jenes ganze Land. Er verkehrte nun durch feine Gaukelei nicht nur die vorgenannte Herrin sondern auch die Juden und Saracenen also, daß er öffentlich sprach, er sei der Messias, der ihnen im Gesetz versprochen sei. Darnach kam über Machumethum gar oft die fallende Sucht. Als das Cadigan merkte, ward sie gar betrübt, daß sie sich einem unreinen fallsüchtigen Menschen hatte vermählt. Er aber wollte sie besänftigen und fprach zu ihr also 'Ich sehe gar oft den Erzengel Ga-