Die Kulturimmobilie: Planen - Bauen - Betreiben. Beispiele und Erfolgskonzepte [1. Aufl.] 9783839429815

Museums, opera houses, theaters, concert halls, cultural centers, libraries, and adult education centers are buildings t

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German Pages 384 [382] Year 2016

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Die Kulturimmobilie: Planen - Bauen - Betreiben. Beispiele und Erfolgskonzepte [1. Aufl.]
 9783839429815

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
TEIL A. Planen, Bauen und Betreiben von Kulturimmobilien
Die Bedeutung von Kulturbauten für die Stadtentwicklung und die Baukultur
Die Elbphilharmonie und die Öf fentliche Hand als Bauherr
Nicht die Ouver türe – das Gesamtkonzert bestimmt das Erlebnis
Kulturimmobilien – Er folgsfaktor Projektmanagement
Baulogistik bei Kulturimmobilien
Kulturbauten, Architekturqualität und öffentlich-private Par tnerschaf ten – ein Widerspruch?
Dienstleistungspar tnerschaf ten als wer tstif tendes Pendant zur Kulturimmobilie
Gastronomie in Kulturimmobilien
TEIL B. Museum
Kulturbauten als Ressource oder Wie man ein Museum entwirft
Die »Kulturimmobilie« Museum
Raum, Ding, Betrachter. Der Kontext des Museumsraums
Museum in Bewegung?
Der Neubau Museum Folkwang Essen. Vom Bauherrenmodell über die Projektsteuerung bis zur Übergabe eines Museums
Der Betrieb als Kernaufgabe
TEIL C. Theater, Oper, Konzerthaus
Theater bauen, wozu eigentlich?
Die Akustik von Konzer thäusern, Opern- und Theaterräumen
Planung und Betrieb eines Konzertsaals
Konzentration, Kooperation, Koordination. Der Betrieb von fünf Sparten aus einer Hand
Technischer Gebäudebetrieb und Veranstaltungsbetrieb der Kulturimmobilien in Essen
Ökologieorientier ter Betrieb historischer Kulturimmobilien
TEIL D. Kulturelle Bildung
Ein Bildungshaus für Wolfsburg – ein öffentlicher Raum im Herzen der Stadt
Bibliotheken als Kulturimmobilien
Autorinnen und Autoren
Herausgeberteam

Citation preview

Oliver Scheytt, Simone Raskob, Gabriele Willems (Hg.) Die Kulturimmobilie

Edition Umbruch Texte zur Kulturpolitik Herausgegeben für die Kulturpolitische Gesellschaft e.V. von Norbert Sievers Band 32

Oliver Scheytt, Simone Raskob, Gabriele Willems (Hg.)

Die Kulturimmobilie Planen – Bauen – Betreiben. Beispiele und Erfolgskonzepte

Gefördert von der Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg und der KULTUREXPERTEN Dr. Scheytt GmbH, Essen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildungen: Aalto-Musiktheater Essen, © Stadt Essen; Ruhr Museum Essen, © Peter Prengel, Stadt Essen; Museum Folkwang Essen, © Peter Prengel, Stadt Essen; Aalto-Musiktheater Essen, Innenansicht, © TUP Essen / Bernadette Grimmenstein; alle Rechte vorbehalten. Redaktionelle Mitarbeit: Lisa Höhne, Michaela Meeßen Satz: Mark-Sebastian Schneider, Bielefeld Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-2981-1 PDF-ISBN 978-3-8394-2981-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwor t  | 9

TEIL A P lanen , B auen und B etreiben von K ulturimmobilien Die Bedeutung von Kulturbauten für die Stadtentwicklung und die Baukultur Reiner Nagel | 13

Die Elbphilharmonie und die Öffentliche Hand als Bauherr Barbara Kisseler | 23

Nicht die Ouver türe – das Gesamtkonzer t bestimmt das Erlebnis Andreas Leuchtenmüller und Hauke Schlüter | 35

Kulturimmobilien – Er folgsfaktor Projektmanagement Gabriele Willems und Henner Mahlstedt | 63

Baulogistik bei Kulturimmobilien Dirk Heisterkamp, Christian Otto, Richard Pohl, Frank Scheid | 75

Kulturbauten, Architekturqualität und öffentlich-private Par tnerschaften – ein Widerspruch? Michael Vahlert | 97

Dienstleistungspar tnerschaften als wer tstiftendes Pendant zur Kulturimmobilie Peter-Roman Persch | 103

Gastronomie in Kulturimmobilien Ingo B. Wessel | 111

TEIL B M useum Kulturbauten als Ressource oder Wie man ein Museum entwir ft Matthias Sauerbruch | 119

Die »Kulturimmobilie« Museum Alexander Schwarz | 127

Raum, Ding, Betrachter Der Kontext des Museumsraums HG Merz und Pablo von Frankenberg | 141

Museum in Bewegung? Dieter Bogner | 167

Der Neubau Museum Folkwang Essen Vom Bauherrenmodell über die Projektsteuerung bis zur Übergabe eines Museums Klaus Wolff | 175

Der Betrieb als Kernaufgabe Sebastian Schwarzenberger | 195

TEIL C T heater , O per , K onzerthaus Theater bauen, wozu eigentlich? Jörg Friedrich | 211

Die Akustik von Konzer thäusern, Opern- und Theaterräumen Karlheinz Müller und Petra Nies | 235

Planung und Betrieb eines Konzer tsaals Maurice Lausberg und Marietta Taegener | 249

Konzentration, Kooperation, Koordination Der Betrieb von fünf Sparten aus einer Hand Berger Bergmann und Christof Wolf | 265

Technischer Gebäudebetrieb und Veranstaltungsbetrieb der Kulturimmobilien in Essen Thorsten Steinmann | 285

Ökologieorientier ter Betrieb historischer Kulturimmobilien Tessa Beecken und Lars Wilcken | 309

TEIL D K ulturelle B ildung Ein Bildungshaus für Wolfsburg – ein öffentlicher Raum im Herzen der Stadt Monika Thomas | 331

Bibliotheken als Kulturimmobilien Walter von Lom | 355

Autorinnen und Autoren  | 369 Herausgeber team  | 379

Vorwort

Kulturbauten sind Ausdruck der Stadtidentität. Mit ihrer stadtbildprägenden Wirkung können sie zum Symbol für eine Stadt oder eine ganze Region werden. An sie knüpfen sich Assoziationsketten in der kollektiven Wahrnehmung einer Stadt. Sie sind Ausdruck ihrer Entstehungszeit, erzählen Geschichten oft über Jahrhunderte hinweg, auch wenn sie durch Umnutzung neue Funktionen erhalten. Zugleich sind Kulturimmobilien Stätten der Begegnung und der (Selbst-)Reflexion des Einzelnen in der Gesellschaft. Zweifellos sind Kulturimmobilien damit wesentliche Basis der kulturellen Infrastruktur in Deutschland, von Ländern, Städten und Regionen. Planen, Bauen und Betreiben von Kulturimmobilien sind schon jeweils für sich hochkomplexe Aufgaben, die zudem auf vielfältige Weise miteinander verwoben sind. Zahlreiche unterschiedliche Akteursgruppen sind an diesen Aufgaben beteiligt. Im Lebenszyklus eines Kulturbaus fallen oft immense Kosten, nicht nur für Planung und Bau, sondern vor allem für den Betrieb an. Von Bürgern und Öffentlichkeit wird es fast schon als sicher angenommen, dass für die Planung und den Bau einer Kulturimmobilie erheblich mehr Kosten als im Voraus geplant anfallen und dass Bauzeitenpläne meist nicht eingehalten werden. Angesichts der eminenten Bedeutung von Kulturimmobilien, der enormen Summen, die für diese jährlich in Bau und Betrieb aufgewendet werden und der allgemeinen öffentlichen Aufmerksamkeit, die diese genießen, ist es erstaunlich, dass es bisher wenig allgemeinen Erfahrungsaustausch zwischen den Verantwortlichen jenseits von Fachsparten und kommunalen Grenzen gibt. Diese Ausgangslage war Hauptmotiv für die Pionierarbeit, der sich das Herausgeberteam gestellt hat: Zielsetzung dieses Buches ist, erfahrene Praktiker aus den verschiedenen Fachsparten des Planens, Bauens und Betreibens sowie einschlägigen Kulturorganisationen zu gewinnen, um das gesammelte Erfahrungswissen im Umgang mit Kulturimmobilien erstmals in einem Buch zu vereinen. Damit soll die Basis für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Gesamtthematik in den nächsten Jahren gelegt werden. Die unterschied-

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Die Kulturimmobilie

lichen Provenienzen der Mitglieder des Herausgeberteams ermöglichten die Ansprache verschiedener, an der Realisierung und Nutzung von Kulturbauten beteiligter Akteursgruppen. Auf diese Weise konnten Autorinnen und Autoren aus der Architektur- und Städtebauszene, der Bauwirtschaft, der kommunalen Planungs- und Bauverwaltung und dem Kulturbetrieb gewonnen werden. Wir sind allen Autorinnen und Autoren außerordentlich dankbar für ihr Engagement und die Bereitschaft, an diesem Buchprojekt mitzuwirken. Während der Arbeit daran sind uns viele Aspekte deutlich geworden, die einer vertieften Erörterung und des kontinuierlichen Erfahrungsaustausches würdig sind. Daher haben wir das Projekt in die Schriftenreihe der Kulturpolitischen Gesellschaft eingebracht, die nunmehr vom transcript Verlag betreut wird. Das Herausgeberteam setzt darauf, dass in dieser Konstellation ein vertiefter und dauerhafter Gedankenaustausch zum Thema »Kulturimmobilie« initiiert werden kann. Die Beiträge dieses Buches haben ihren Schwerpunkt in der Planung und Realisierung von neuen Bauwerken, die Umnutzung und Sanierung steht nicht im Fokus. Angesichts des Sanierungsstaus in den öffentlichen Kultureinrichtungen in Deutschland ist damit jedoch ein lohnendes Thema für eine weitere Publikation dieser Art gegeben. Damit wäre auch die generelle Fragestellung zu verknüpfen, welche Anforderungen die gesellschaftlichen Entwicklungen an die kulturelle Infrastruktur in Zukunft stellen und in welcher Form die vorhandene Infrastruktur um- und neugestaltet werden muss, etwa auch im Hinblick auf den demografischen und den digitalen Wandel. Nicht von ungefähr wird in letzter Zeit immer wieder thematisiert, ob die Zahl der Bauten für Museen und Theater in Deutschland immer weiter erhöht werden sollte oder ob nicht eher eine Konzentration und standortbezogene Zusammenführung sinnvoll erscheint. Wir danken dem Verlag für seine spontane Bereitschaft, das Buchprojekt in sein Programm aufzunehmen und die stete qualifizierte Unterstützung. Wir freuen uns, dass die Kulturpolitische Gesellschaft e.V., namentlich Dr. Norbert Sievers und Marc Grandmontagne, unser Buchprojekt engagiert begleitet hat. Herzlich danken möchten wir Michaela Meeßen und Lisa Höhne für ihre unermüdliche Mitwirkung bei der Bild- und Textredaktion. Besonderer Dank gilt den Autorinnen und Autoren für ihre inspirierenden Beiträge. Schließlich danken wir der Wüstenrot Stiftung und der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. für ihre finanzielle Unterstützung. Essen, im März 2016 Simone Raskob, Oliver Scheytt, Gabriele Willems

TEIL A Planen, Bauen und Betreiben von Kulturimmobilien

Kapitel A enthält Beiträge, die sich allgemeinen Funktionen und generellen Prozessen widmen, die bei der Realisierung und dem Lebenszyklus einer Kulturimmobilie eine wesentliche Rolle spielen. Das Themenspektrum reicht von der Rolle von Kulturimmobilien in der Stadtsanierung über die Rolle der Öffentlichen Hand als Bauherr, die Ausgestaltungsmöglichkeiten in der Partnerschaft zwischen Bauherren, Architekten, Bauunternehmen und Dienstleistern bis hin zum Betrieb von Gastronomien in Kulturimmobilien. Kulturimmobilien können eine prägende Wirkung für die Stadtentwicklung entfalten. Sie leisten mit ihrer besonderen architektonischen Qualität häufig einen spezifischen Beitrag zur Baukultur (Reiner Nagel). Der Öffentlichen Hand kommt daher als Bauherr eine besondere Verantwortung zu, nicht nur in der Ausschreibung für Architekturwettbewerbe, sondern auch im Umgang mit kulturellen Großprojekten wie der Elbphilharmonie (Barbara Kisseler). Die Planung von Kulturimmobilien ist eine der wichtigsten, oft unterschätzten Aufgabenstellungen, hat sie doch nicht nur Folgewirkungen für ihren baukulturellen Beitrag in der Stadt, sondern insbesondere für den späteren Betrieb und die Nutzerfreundlichkeit (Andreas Leuchtenmüller und Hauke Schlüter). Von größter Bedeutung ist das Zusammenspiel aller Akteure in sämtlichen Phasen, die eine Kulturimmobilie durchläuft. Ein kluges Projektmanagement ist ein entscheidender Erfolgsfaktor in der Planungs- und Bauphase (Gabriele Willems und Henner Mahlstedt). Dieses umfasst auch eine intelligente Baulogistik (Christian Otto und Dirk Heisterkamp). Partnerschaften zwischen Öffentlicher Hand und Privatwirtschaft spielen immer wieder eine Rolle bei der Realisierung und dem Betrieb von Kulturimmobilien (Michael Vahlert und Peter-Roman Persch). Dieser Aspekt ist auch eine Kernfrage bei dem Betrieb von Gastronomien in Kulturimmobilien (Ingo B. Wessel). Auch in den Folgekapiteln B, C und D werden immer wieder generelle Thematiken aufgegriffen, so vor allem in den Beiträgen der Architekten (Matthias Sauerbruch, Alexander Schwarz, Jörg Friedrich, Walter von Lom) sowie zum technischen Gebäudebetrieb (Thorsten Steinmann).

Die Bedeutung von Kulturbauten für die Stadtentwicklung und die Baukultur Reiner Nagel

Inhalt 1. Kulturbauten und ihre prägende Wirkung auf die Stadt | 13 2. Kulturausstattung als Ebene der Stadtentwicklung | 14 3. Berlin ist nicht Bilbao | 18 4. Phase Null und Zehn bei Bestandsentwicklung und Neubau | 19 5. Kulturbauten als Bindeglied zwischen Stadtentwicklung und Alltagsarchitektur der Stadt | 21 Stadtentwicklung umfasst die räumliche, wirtschaftliche, fachübergreifend ganzheitliche Gesamtentwicklung der Stadt und wird durch einen aktiven politischen Gestaltungsprozess begleitet. Stadtentwicklungspläne und Konzepte, häufig mit einem zwanzigjährigen Zielhorizont ausgestattet, sind so etwas wie die Königsdisziplin der Planung, weil es um einen common sense zu Identitäts- und Zukunftsfragen der Stadtgesellschaft und deren siedlungsräumliche Konsequenzen geht. Stellt sich die Frage nach der Rolle von Kulturbauten, als konstituierende, städtische Infrastruktur, als Ausdruck kultureller Identität, als siedlungsprägende Impulsgeber und als stadtbildprägende Bauwerke.

1. K ulturbauten und ihre pr ägende W irkung auf die S tadt Seit den Anfängen der Stadt sind die Fragen von Identität und Charakter des Siedlungsstandortes eng mit dem Geist des Ortes, dem Genius loci in Form bedeutender Gebäude verbunden. Konstituierende Elemente und prägende Bauwerke waren nach den Tempeln der Antike, den Kathedralen des Mittelalters, den Schlössern und Rathäusern der Renaissance und des Barocks und nach der Epoche der Aufklärung dann im 19. und 20. Jahrhundert in zunehmenden Masse Kulturbauten. Als Gegenstand wachsenden bürgerlichen Selbstbewusstseins

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waren sie bereits in dieser Zeit Aktivposten der Stadtentwicklung. Der Pariser Oper (Palais Garnier, 1875, Charles Garnier) war neben ihrer Bedeutung als Kulturort mit eklektizistischer Architektur, von Anfang an durch Hausmann auch die Rolle als Impulsgeber für einen ganzen Stadtbezirk mit öffentlichen Räumen, Boulevards, Handel und Dienstleistungen zugewiesen. Paris ist ein gutes Beispiel dafür, wie dieses, im 19. Jahrhundert durchaus noch dem Städtebau und der Stadtbaukunst zuzurechnende Phänomen, im 20. Jahrhundert bei der Neuen Oper Paris, der Opera Bastille (1989, Carlos Ott) zum Instrument der Stadtentwicklung wird und im 21. Jahrhundert, bei der vor kurzem eröffneten Philharmonie de Paris von Jean Nouvel im 19. Arrondissement, zur aktiven stadtentwicklungspolitischen Intervention in einem sozial- und strukturschwachen Gebiet am nordöstlichen Stadtrand. Ab dem Ende der 1970er Jahre waren die postmodernen Museumsprojekte großer Städte eher Gegenstand der kulturellen Neupositionierung und der Innenstadtkonsolidierung als Ergebnis eines stadtentwicklungspolitischen Interventionsansatzes. Das Museumsufer in Frankfurt a.M., die Staatsgalerie in Stuttgart, das Museumsquartier in Wien oder die Museumsmeile in Hamburg sind Beispiele dieser Bündelungsstrategien für ein neues kulturelles Profil der Stadt durch Kulturbauten. Jüngstes Beispiel dieser Dominanz auf die Außenprofilierung ausgerichteten Erneuerungsstrategie ist Marseille, das nach jahrzehntelangen Vorläufen der schrittweisen Transformation ehemaliger Hafenareale seinen euromediterranen Wandel schließlich im Zusammenhang mit dem europäischen Kulturhauptstadtjahr 2013 gleich mit drei neuen Museen Ausdruck verlieh. Nach dieser Welle der Museen wird die städtische Induktion durch Kulturbauten zukünftig vermutlich getragen von Bildungsbauten wie Bibliotheken, Kulturzentren oder einer Reihe neuer, zum Teil noch in der Diskussion befindlichen Konzerthäusern. Bauten für Kultur, oder wie in dieser Veröffentlichung erstmals so genannte Kulturimmobilien, sind damit weit über ihre zentralörtliche Infrastrukturfunktion hinaus zu Trägern kultureller und baulicher Identität geworden und zu Instrumenten und (Hoffnungs-)Trägern von Stadtentwicklungspolitik.

2. K ultur ausstattung als E bene der S tadtentwicklung Sieht man das Thema der Kulturbauten im Zusammenhang mit Stadtentwicklung aus Sicht des Baugesetzbuches und der damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten der vorbereitenden und verbindlichen Bauleitplanung, so findet sich die Kulturausstattung nicht im Zusammenhang der nachhaltigen Entwicklung, wie sie in §1 Absatz 5 mit den sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen im Sinne des klassischen Nachhaltigkeitsdreieck beschrieben wird. In §1 Absatz 6, Ziffer 3 wird gesondert ausgeführt, dass bei

Die Bedeutung von Kulturbauten

der Aufstellung von Bauleitplänen insbesondere auch soziale und kulturelle Belange der Bevölkerung zu berücksichtigen sind. Stadtentwicklungspolitik durch die Standortwahl von Kulturimmobilien ist somit Gegenstand informeller Rahmenpläne, Integrierter Stadtentwicklungskonzepte (ISEKs) oder teilräumlicher Masterpläne. Sie müssen nach §1 Absatz 6, Ziffer 11 bei der Aufstellung von Bebauungsplänen berücksichtigt werden, wenn sie als Entwicklungskonzepte von der Gemeinde zuvor beschlossenen wurden. Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept Karlsruhe 2020 formuliert beispielsweise fünf integrierte Leitvorhaben als Schwerpunkte künftiger Stadtpolitik. Neben der Technologiestadt oder der Umweltstadt ist das auch der Fokus Kulturstadt 2020, bei dem es unter anderem um die inhaltliche Neukonzeption und bauliche Weiterentwicklung der kulturellen Infrastruktur geht. Kulturbauten wie das Stadtmuseum/Prinz-Max Palais, das Badische Staatstheater oder der neue Kulturort Alter Schlachthof stehen hierbei direkt im Fokus der Stadtentwicklung. Gerade die Transformation ehemaliger Industrieareale zu neuen Kulturorten wie Musikzentren oder Kulturfabriken galt in den vergangenen Jahren (zumindest in größeren Städten) als notwendiger, öffentlicher Entwicklungsimpuls zur Unterstützung der Kreativ- und Kulturwirtschaft. Stellt sich also je nach Gemeindegröße die Frage der kulturellen Ausstattung und deren räumlicher Steuerung. Nach dem System der zentralen Orte, das der Bundesraumordnung zugrunde liegt, richten sich die zentralörtlichen Kulturangebote zwar nach Gemeindegröße, umgekehrt kann aber (auch innerhalb der Gemeinde) die Zentralität durch zentralörtliche Einrichtungen auf verschiedenen Sektoren erzeugt werden, unter anderem durch Gebäude für Handel, Verwaltung, Dienstleistung, Freizeit, Kultur, Bildung oder Gesundheit. Dabei steht nicht nur eine adäquate Versorgung, sondern auch die Machbarkeit von Investition und dauerhaftem Betrieb einer Kultureinrichtung im Begründungszusammenhang dieser zentralörtlichen Regelungsmechanismen. Anders als bei den sozialen Wohnfolgeeinrichtungen wie Schulen, Krankenhäusern oder Parkanlagen unterliegen Kulturangebote nämlich nicht »dem Müssen«, sondern »dem Wollen« und letztlich dem »es sich dauerhaft leisten können«. Kulturbauten zwischen ihrer Rolle als Funktionsträger, Standortfaktor und Motor der Stadtentwicklung Dieser Aspekt des dauerhaft auf dem angestrebt hohen Niveau in einem langlebigen Gebäude hoher Architekturqualität garantierten Kulturangebots ist aus Sicht der Stadtentwicklung mindestens so entscheidend wie die Investitionsentscheidung und deren Realisierung. Dabei geht es nicht nur um den langfristig zu sichernden Kulturbetrieb, zu dem das Gebäude als maßgeschneiderte Sonderimmobilie im Grunde keine Alternative bietet, sondern auch um die reinen Gebäudeunterhaltungs- und Betriebskosten. Gemeinhin spricht man davon, dass bei einer kommunalen Immobilie lediglich ein Fünftel bis maximal

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ein Drittel der Lebenszykluskosten (bezogen auf eine Nutzungsdauer von sechzig Jahren) bei der Errichtung anfallen, der Rest entsteht im Betriebszeitraum. Auch wenn das Verhältnis bezogen auf die untypisch hohen Errichtungskosten der Elbphilharmonie in Hamburg günstiger sein mag, wird der Beweis noch zu erbringen sein, ob der Betrieb eines Konzerthauses und dessen logistische Anforderungen an diesem Sonderstandort und den Sonderbedingungen eines Hochhauses dauerhaft organisiert und finanziert werden können. Es gehört auch zum Phänomen der Entstehungsgeschichte dieses Gebäudes, über dessen politischen Entscheidungsweg und die Fragen von Realisierbarkeit und Finanzierbarkeit an anderer Stelle in diesem Buch berichtet wird, dass diese Überlegungen bei der emotionalisierten Bauchentscheidung der Stadtgesellschaft im Sinne eines »Habenwollens« auf Grundlage der ersten atemberaubenden Renderings und einer zweifellos ebenso atemberaubenden Architektur, die zu erwarten ist, am Anfang und im Grunde bis heute keine Rolle spielten und spielen. Dennoch ist die Elbphilharmonie kein Zufallsprodukt einer die Nachbarschaft in der HafenCity optimierenden Standortentwicklung, sondern Ergebnis einer abgeleiteten strategischen Stadtentwicklung auf Grundlage des im Jahr 2000 von Senat und Bürgerschaft beschlossenen Masterplans. Die HafenCity selbst war der dritte Schritt einer systematischen Zuwendung der Stadt ans Wasser, über die senkrechte Anbindung entlang der sogenannten Fleetachse, die »Perlenketten«-Entwicklung elbabwärts entlang des nördlichen Elbufers und dann der Innenstadterweiterung durch die HafenCity. Der Masterplan sah deshalb von Anfang an nicht nur innenstädtische Dichten und Nutzungsangebote vor, sondern formulierte auf den exponierten Landspitzen eine Herausforderung zur ambitionierten Projektentwicklung. Im Strukturkonzept als »Standort besonderer Bedeutung« mit Hochpunkt gekennzeichnet, heißt es schon im Erläuterungstext: »Der Kaiserhöft (der heutige Standort der Elbphilharmonie) ist für die HafenCity ein Ort von herausragender städtebaulicher Bedeutung. […] Wegen der schwierigen Erschließungs- und Stellplatzsituation werden für diesen Standort innovative Kerngebietsnutzungen angenommen.« Zuvor hatte der damalige Oberbaudirektor Egbert Kossak bereits seine Vision eines ikonografischen Gebäudes an dieser Stelle durch eine Handzeichnung mit der Simulation der Sydney-Oper am Kaiserhöft zum Ausdruck gebracht. Allerdings konnte dies im weiteren nur gemeinsam mit den stadtentwicklungsplanerischen Grundlagen Wirkung entfalten, die für die HafenCity als Innenstadterweiterungsgebiet eine metropolengemäße Kulturausstattung vorsahen wie das Maritim Museum, ein ursprünglich geplanes Science-Center und dann eben ein damals noch diskutiertes Konzerthaus. Diese und andere funktionale Überlegungen weisen auf ein Dilemma der Stadtentwicklung und noch mehr der Baukultur hin: Der strukturelle Impuls

Die Bedeutung von Kulturbauten

der Kulturimmobilie für die Stadtentwicklung reicht von der reinen Funktion bis zur symbolischen Wirkungsmacht des Gebäudes. Letzteres war auch schon bei den Konzertsälen, Opernhäusern und Museen des 18. und 19. Jahrhunderts der Fall, die für eine selbstbewusste Stadtgesellschaft standen und die aus Gründen der bürgerschaftlichen Identifikation als Solitär- und Schmuckgebäude aus der allgemeinen Architekturqualität ihres Umfeldes tatsächlich und symbolisch herausragten. Théophile Gautier nannte die Pariser Oper bewundernd »eine weltliche Kathedrale unserer Zivilisation«. Dieser Gedanke wird bei den strategischen Investitionsentscheidungen in Kulturbauwerke inzwischen teilweise umgedreht im Sinne: »Wenn du eine Stadt baust, errichte zuerst eine Kathedrale«. Dabei sehen jedoch alle die Pflicht zur Errichtung dieser Kathedralen der Kultur, oder auch der Bildung im Falle der neuen Bibliotheken, zunächst bei der öffentlichen Hand. Für die Politik ist die Akzeptanz, teilweise die gesellschaftliche Nachfrage nach Konzertgebäuden, Bibliotheken oder Museen die Entscheidungsbasis für die Bereitschaft zur Investitionsentscheidung bei der Standortentwicklung von Transformationsvorhaben. Die Kulturimmobilie ist in diesem Fall bewusster öffentlicher Beitrag zu einer ansonsten privat getragenen Stadtentwicklung. Sie zielt ganz bewusst auf Aufwertung, also auf Grundstückswertzuwächse, und infolgedessen auf private Investitionen. Kultur ist heute ein Standortfaktor geworden. Die Attraktivität von Städten hängt ganz wesentlich von ihrer Kulturausstattung ab. In Berlin sind die Zuzüge kreativer, junger Menschen aber auch älterer Bevölkerungsteile ganz wesentlich auf das Vorhandensein vielfältiger kultureller Angebote zurückzuführen – ob man sie nun nutzt oder nicht. Die Qualität und der Wert der Kulturangebote und die sie repräsentierenden Kulturbauten sind zu einem Imageund Standortfaktor geworden. Dabei ist das unterschiedliche Frequentierungspotential von Kulturimmobilien aus Sicht der Stadtentwicklung zu beachten: vom Archiv über Theater, Oper, Museum bis zur Bibliothek sind unterschiedliche Personenkreise und Besucherfrequenzen als entscheidend bei der Standortwahl zu berücksichtigen. Die Tate Modern in London, ein von Herzog de Meuron umgebautes Kraftwerk und bewusster Entwicklungsimpuls für den vormals strukturschwachen Londoner Süden, hatte im Jahr ihrer Eröffnung bereits fünf Millionen Besucher, mehr als die gesamte Berliner Museumsinsel und schon fast in der Größenordnung einer Handelsimmobilie. Ausschlaggebend war aber hier, wie bei vielen der ikonografischen Bauwerke, nicht unbedingt die Ausstellung, sondern vor allem die Architektur.

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3. B erlin ist nicht B ilbao Dieses, seit den neunziger Jahren als Bilbao-Effekt diskutiertes Phänomen, Kulturbauten durch bewusst ikonografische Architektur einerseits zum Symbolträger für eine neue kulturelle Identität, andererseits aber auch zum (touristisch wirksamen) Motor des Strukturwandels von der Industrie- zur Dienstleistungsmetropole zu machen, war mit dem Guggenheim Museum in Bilbao sicher erfolgreich. Bilbao hat sich aber nicht als Blaupause für andere Städte bewährt, die diesem Vorbild nacheiferten. Dort in Bilbao war es übrigens nicht nur das Guggenheim Museum von Frank O. Gehry allein, sondern auch die neue Metrostrecke, von Sir Norman Foster gestaltet, die auch im Stadtbild mit den Stationsaufgängen, den »Fosteritos« kenntlich wurden, oder die neue Brücke über den Nervión sowie der Flughafen von Santiago Calatrava. Allesamt also Projekte, deren stadtentwicklungspolitischer Impuls bewusst in die Hände von sogenannten »Stararchitekten« gelegt wurde um neben der erhofften, berührenden Emotionalität einer Zeichenarchitektur auch den »Promifaktor« zu gewährleisten. Im Sinne einer Tendenz ist dies auch in anderen Städten Thema und in besonderer Weise in der 1938 gegründeten Stadt Wolfsburg als ein roter Faden der Stadtentwicklung zu erkennen: Vom Kulturhaus Alvar Aaltos von 1962, über das Städtischen Theater von Hans Scharoun von 1973, das Kunstmuseum von Peter P.Schweger 1994 zum 2005 eröffneten Science Center Phaeno von Zaha Hadid ist einerseits die zunehmende, inzwischen oberzentrale Funktion der wachsenden und sich im Zentrum konsolidierenden Stadt erkennbar, andererseits aber auch ein zunehmend weiter gefasster und sich teilweise kommerzialisierender kultureller Nutzungszweck, dem Stararchitektur Ausdruck verschafft. Kulturbauten machen hier eindeutig Stadt, aber umgekehrt kann auch gefragt werden, wieviel stadtentwicklungspolitische Verantwortung kann Kulturbauten zugemutet werden, ohne ihren eigenen Erfolg zu gefährden? Die Oper in Oslo der Architekten Snoehetta ist nicht nur ein genialer Entwurf, der einen neuen, öffentlichen Ort mit begehbarem Rampenplatz auf dem Gebäudedach für alle Bürger schafft (ähnlich der Sydney Oper oder der Hamburger Elbphilharmonie demnächst in 37 Metern Höhe), sondern sie ist auch ein Pionier für einen hafenindustriellen Transformationsort. Stadtentwicklung trägt hier die Verantwortung, den Pionier nicht allein zu lassen, sondern ihn verkehrlich und räumlich anzubinden und ihm kontinuierlich ein städtisches Umfeld für seine kulturelle Kernfunktion zu ermöglichen. Gleichzeitig ist natürlich das Kulturgebäude als Impuls Aufwerter für sein Umfeld und steht in der aktuellen Stadtentwicklungsdiskussion deshalb auch im Verdacht Verdrängungseffekte angestammter Nutzungen oder Nutzer zu bewirken. Damit die soziale, kulturelle und architektonische Verankerung in der Stadt gelingt, muss der Gefahr reiner Marketingeffekte mit autistischen Einzelgebäuden durch integrierte Stadtentwicklungsstrategien bewusst entgegengewirkt werden.

Die Bedeutung von Kulturbauten

In Berlin ist dieser Versuchung, bewusst oder unbewusst, bei den vielfältigen Neubauaktivitäten seit der Wiedervereinigung erfolgreich widerstanden worden. Zwar sind neben der Sanierung von Kulturbauten im Bestand – allen voran auf der Museumsinsel – eine Reihe neuer Museen entstanden (u.a. 2001 das Jüdische Museum von Daniel Libeskind oder 2003 der Erweiterungsbau des Deutschen Historischen Museums von I.M. Pei). Trotz einer für den direkten Standort prägnanten Architektur und Sonderstellung sind diese Kulturbauten aber Ensemble bezogen und haben sich in den städtebaulichen Kontext eingefügt. Auch ein Zeichen dafür, dass Berlin, anders als Bilbao, seinen Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungsmetropole und Hauptstadt, nicht durch die Symbolkraft ikonografischer Architektur ausdrückt – oder vielleicht auch nur, dass es nicht so kommunal und standortpatriotisch funktioniert.

4. P hase N ull und Z ehn bei B estandsentwicklung und N eubau Stadtentwicklung wirkt entscheidend in der Konzeptionsphase neuer oder bei der Stabilisierung bestehender Kulturbauten mit. Diese Rahmen- und Standortentwicklungsplanungen sowie die dahinter stehenden Prozesse bilden sich in keinem Lehrbuch und keiner Honorarordnung ab, sondern sie müssen eigeninitiativ von Städten betrieben werden. Auch bei Kulturbauten sind die meisten Immobilien Bestandsgebäude, deren dauerhafter Betrieb für sich und bezogen auf seinen Quartiersbezug als Daueraufgabe der Stadtentwicklung ständig nachgesteuert und optimiert werden muss. Die Bundesstiftung Baukultur nennt diese Vorlaufprozesse zu realen Planungs- und Bauvorhaben (in Anlehnung an die Leistungsphasen 1 – 9 der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure HOAI) die sogenannten »Phase Null« und die Optimierung der Nutzung im Betrieb die »Phase Zehn«. Sie hat hierzu im aktuellen Baukulturbericht einen umfassenden Begründungszusammenhang dargestellt. Baukultur misst sich auch an der Qualität der Prozesse. Hier liegen auch beim Thema von Stadtentwicklung und Kulturbauten einige der wichtigsten Synergiepotentiale. Zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Veröffentlichung spielt sich in München eine Posse um den Umbau der Gasteig bzw. die Machbarkeit eines neuen Konzerthauses ab, die deutlich Defizite bei einer stadtentwicklungspolitischen und integrierten Planungsvorlaufphase Null erkennen lässt. Zu einem Zeitpunkt, zu dem anscheinend weder die Akteurskonstellation der Kulturschaffenden, noch die städtebaulichen Standortalternativen gründlich voruntersucht und ein Forum der bürgerschaftlichen Diskussion und Mitverantwortung geschaffen wurde, wird von oben, durch den bayrischen Ministerpräsidenten, und flankiert durch den Münchener Oberbürgermeister, eine Entscheidung zu einer Komplettentkernung und Neubau eines neuen Konzerthauses in der Ge-

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bäudehülle der Gasteig getroffen und verkündet. Der Ministerpräsident argumentiert mit Risikominimierung und der Oberbürgermeister prognostiziert zwei Jahre Bauzeit. Es braucht nicht viel Erfahrung, um sowohl die Machbarkeit und die Kostenannahmen, als auch die Bauzeitprognose als eine, auch schon beim Planungsbeginn anderen Kultur-Neubauten vorliegende »Optimismusverzerrung« zu erkennen. Trotz zehnjährigem Vorlauf scheint eine Phase Null kaum stattgefunden zu haben. Das Beispiel ist auch deshalb interessant, weil schon die Entstehungsgeschichte der Gasteig zwischen 1971 und 1984 von einigen Rückschlägen, Verkrampfungen und vor allen Dingen Kostensteigerungen begleitet war und der Preisträgerentwurf der Architektengemeinschaft Raue, Rollenhagen und Lindemann noch bis heute, dreißig Jahre nach der Realisierung, kritisch diskutiert wird. Gleichzeitig ist der Gasteig dasjenige Kulturbauwerk, das hinsichtlich seiner Frequenz, Nutzungssynergien und Besucherzahl, wie nur wenige Gebäude in Deutschland immobilienwirtschaftlichen Nutzen darstellt (und Kostendeckungsbeiträge erwirtschaftet). In diesem Spannungsfeld wäre auch hier aus Sicht der Stadtentwicklung für die beste Lösung offen zu diskutieren, unterstützt mit fundierten Machbarkeitsuntersuchungen und Standortkonferenz.

Abbildung 1: Ergänzung der Leistungsphasen nach der HOAI durch »Phase Null« und »Phase 10« (© Bundesstiftung Baukultur, Design: Heimann und Schwantes)

Die Bedeutung von Kulturbauten

5. K ulturbauten als B indeglied z wischen S tadtentwicklung und A lltagsarchitektur der S tadt Kulturbauten sind für sich immer Sonderfälle einer ambitionierten Architektur, baukünstlerischen Gestalt, technischen und finanziellen Herausforderung. Über die hiermit verbundenen Konflikte, Erfolgs- und Leidensgeschichten, der den Nutzungszweck konditionierenden, autonomen und nicht dienenden Baukunst, der Wahrzeichenhaftigkeit realisierte Vorhaben aber auch der ungeliebten Zweckarchitektur, über abgebrochene und nie zustanden gekommenen Vorhaben ist viel geschrieben worden und wird an anderer Stelle in diesem Buch noch berichtet werden. Aus Sicht der Stadtentwicklung aber auch der Baukultur geht es zunächst darum, einen möglichst großen Nutzen für die Stadt und ihre gebauten Lebensräume mit dem Instrumentarium von Kulturimmobilien zu ziehen – mit Konzertsälen und Opernhäusern, Theatern und Kulturzentren oder Museen und Bibliotheken. Sie tragen jede für sich baukulturelles Potential/Verantwortung in der Prozessqualität ihrer Entstehung, in der Klugheit und Machbarkeit ihrer Funktionalität und ihres dauerhaften Betriebs und in der vorbildlichen Gestaltqualität – wenn vieles positiv zusammenkommt – in ihrer Schönheit im Auge des Betrachters. Wenn dies gelingt, kann über die Ebene der Stadtentwicklung hinaus für Städtebau und Architektur eine Referenz geschaffen werden, die neben der kulturellen Identität auch eine architektonische und baukulturelle Referenz schafft, als Ansporn für die Alltagsarchitektur der Stadt.

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Die Elbphilharmonie und die Öffentliche Hand als Bauherr Barbara Kisseler

Inhalt 1. Die Idee | 23 2. Ein steiniger Weg | 24 3. Schlussfolgerungen für eine erfolgreiche Projektumsetzung | 26 4. Wozu risikobehaftete, kulturelle Großprojekte umsetzen? | 28 5. Bedeutung der Elbphilharmonie für die Gesellschaft | 29 5.1 Verknüpfung von Altem und Neuem | 30 5.2 Herausforderungen und Aufgaben der Elbphilharmonie | 33

1. D ie I dee Am Anfang stand eine so einfache wie geniale Visualisierung der Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron. Am 26. Juni 2003 präsentierten sie diese gemeinsam mit den Projektentwicklern Alexander Gérard und Jana Marko der Öffentlichkeit. Auf dem mächtigen alten Backstein-Kaispeicher A erstreckt sich nahezu schwerelos ein Neubau aus Glas, geschwungen wie die Wellen der Elbe. Ein neues Wahrzeichen für Hamburg, mitten im Hafen, an drei Seiten umgeben von der Elbe. Diese Idee zog die Hamburger sofort in ihren Bann. Damit konnte die Macht des Bildes ihre ganze Kraft entfalten. Die Öffentlichkeit, die Politik und auch die Projektbeteiligten waren fortan insbesondere von diesem starken Bild begeistert. Nicht zuletzt, weil der private Projektentwickler versprach, dies weitgehend privat zu finanzieren und zu realisieren. Ich erinnere mich, die Pläne erstmals als Staatssekretärin für Kultur bei der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur im Rahmen einer Projektvorstellung in Berlin gesehen zu haben. Und auch ich war – wie die anderen Vertreter der Berliner Kulturszene – fasziniert von der Idee und dem Mut der Hamburger, sich auf ein architektonisch, inhaltlich und

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finanziell so ambitioniertes Projekt einzulassen. Dabei beinhaltete das Projekt von Beginn an mehr als den Bau eines neuen Wahrzeichens.

Abbildung 1: RENDERING der EPH. Eine erste Visualisierung der Elbphilharmonie von den Schweizer Architekten Herzog & de Meuron (© Herzog & de Meuron) Heute, über zehn Jahre später und nach einer vollständigen Neuordnung der Vertragsstrukturen im Jahre 2013, stehen wir kurz vor der Fertigstellung der Elbphilharmonie. Wir freuen uns über ein in der Stadt von allen Seiten deutlich sichtbares architektonisches Ausrufezeichen. Mit der Eröffnung des Konzerthauses sehen wir der Chance entgegen, eine neue Epoche der Musikstadt Hamburg zu beginnen.

2. E in steiniger W eg Bis hierhin war es aber ein langer und schwieriger Weg, auf dem das Projekt insbesondere bis 2013 vor allem für viele negative Schlagzeilen gesorgt hat. Bei sechs Jahren Bauzeitverzug und gut 500 Millionen Euro Mehrkosten muss man heute auch die Fehler betrachten, die insbesondere bei Planung und Bau der Elbphilharmonie gemacht wurden. Um für spätere Projekte vergleichbare Fehler zu vermeiden, haben zwei Parlamentarische Untersuchungsausschüsse detailliert die Versäumnisse auf-

Die Elbphilharmonie und die Öffentliche Hand als Bauherr

gelistet, die zu dem Bauzeitverzug und der Kostensteigerung geführt haben. Der Kardinalfehler lag sicherlich darin, dass die Verantwortlichen in der Politik am Anfang von der Idee so berauscht waren, dass sich niemand die notwendige Zeit genommen hat, das Projekt in Ruhe durchzuplanen. Ein so komplexer Bau, mit diesem architektonischen Anspruch, wurde in dieser Form noch nie zuvor realisiert. Vieles an der Elbphilharmonie ist einzigartig: die geschwungene Fassade, die sogenannte Weiße Haut, mit der im Konzertsaal eine optimale Akustik erreicht werden soll. Und letztlich auch die Grundidee, auf einem historischen Gebäude, in den Hafengrund einen Konzertsaal zu errichten. Ein solches Unterfangen muss zwingend vor Baubeginn detailliert durchgeplant werden, will man nicht unliebsame Überraschungen erleben. Dies ist bei der Elbphilharmonie nicht in ausreichender Weise geschehen. Man wollte zu früh Fakten schaffen. Im Bau hat dies zu erheblichen Mehrkosten geführt, weil zum Beispiel zur Auftragsvergabe niemand wusste, wie die Fassade oder die Weiße Haut überhaupt hergestellt werden sollten, weil hier bautechnisch absolutes Neuland betreten wurde. Folglich konnte noch niemand wissen, welche finanziellen Auswirkungen diese haben würden. Die zu diesem Zeitpunkt noch ausstehenden Planungen hatten zudem eine mangelhafte Projektstruktur zur Folge. Da die Planungen noch nicht abgeschlossen waren, musste sich die Stadt an zwei Vertragspartner binden: die Architekten, die noch fertig planen mussten, und das Bauunternehmen, das schon anfangen sollte zu bauen. Hieraus ergab sich ein Dreiecksverhältnis aus Bauherr, Architekten und Bauunternehmen, das zwangsläufig zu zunehmenden Problemen auf dem Bau und zu einer immer verfahreneren Situation führte. Es gipfelte schließlich in einem eineinhalb Jahre dauernden weitgehenden Baustillstand – von November 2011 bis Juni 2013. Auch dieses Problem konnte erst mit der vollständigen Neuordnung im Jahre 2013 gelöst werden. Es wurde unter anderem vereinbart, dass Architekten und Bauunternehmen künftig im Auftrag der Stadt zunächst gemeinsam die Planung fertigstellen und danach das beauftrage Bauunternehmen Hochtief für die erfolgreiche Umsetzung zuständig ist und hierfür auch alle Risiken und Garantien übernimmt. Um den Anspruch erfüllen zu können, eines der besten Konzerthäuser der Welt zu bauen, wurde zudem das so genannte »Herzog-de-Meuron-Label« entwickelt und die enge Anbindung des Akustikers Yasuhisa Toyota festgeschrieben. Damit wurde zur Prämisse: Erst wenn Architekten und Akustiker bestätigen, dass alles qualitätsvoll gebaut ist, ist die Voraussetzung für die Abnahme durch die Stadt gegeben. Als zusätzliche Garantie für die Qualität und die Funktionsfähigkeit des Gebäudes hatte Hochtief zudem zugestimmt, auf eigene Kosten und im garantierten Zeitrahmen auch Änderungen am Bau umzusetzen, sollten diese während des Baus notwendig werden. Denn auch dies musste in den ersten Jahren schmerzlich gelernt wer-

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den: Auch wenn ein so komplexes Projekt sicherlich vor Baubeginn deutlich besser hätte geplant werden können, als es bei der Elbphilharmonie geschehen ist, werden im Bau immer wieder Konkretisierungen und auch Umplanungen notwendig. Ein Einfallstor für teure Mehrkosten und zeitfressende Streitereien zwischen den Projektbeteiligten, wenn nicht vorab für diesen Fall klare Regelungen gefunden werden. Beim Bau der Elbphilharmonie ist dies mit der Neuordnung nachgeholt worden. Aus diesen weitreichenden, umfänglichen Garantien und der Risikoübernahme ergaben sich für die Stadt jedoch auch erneut erhebliche Mehrkosten. Diese Vereinbarungen im Rahmen der Neuordnung zur konstruktiven Zusammenarbeit der Projektbeteiligten und zur weitreichenden Risikoübernahme durch das Bauunternehmen sind in dieser Form sicherlich nur vor dem Hintergrund der schwierigen Projektgeschichte und der außerordentlich verfahrenen Situation im Jahr 2013 möglich gewesen. Dennoch können hieraus auch Schlussfolgerungen abgeleitet werden, die schon während der Planungsphase zur erfolgreichen Realisierung von Großprojekten der öffentlichen Hand in Zukunft beitragen können.

3. S chlussfolgerungen für eine erfolgreiche P rojektumset zung Neben einer ausreichenden Planung vor Baubeginn ist auch eine gute Projektstruktur eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Realisierung. Doch auch die Projektstruktur war bei der Elbphilharmonie zunächst mangelhaft. Dies jedoch nicht ausschließlich – wie bereits beschrieben – auf Grund der nicht ausreichenden Planung, sondern auch, weil die ersten Planungen in eine Phase fielen, in der die öffentliche Hand immer mehr Aufgaben an Private abgegeben hat. Die frühere städtische Kompetenz in Hochbauverwaltungen hat es zu diesem Zeitpunkt in Hamburg wie in vielen anderen Städten kaum noch gegeben. Man suchte nach einem Weg, wie das Projekt gemeinsam mit Privaten realisiert werden könne. Die Auswirkungen lohnen insbesondere bei dem Bau eines Kulturprojektes und den besonderen Herausforderungen bei dem künftigen Betrieb einer gesonderten Betrachtung. Ursprünglich sollte auf dem Grundstück ein Bürohaus für Medienunternehmen entstehen. Private Investoren sollten das Projekt realisieren. Nach dem Platzen der Medienblase wurde die Idee für ein ebenfalls weitgehend privat zu realisierendes Konzerthaus an dieser exponierten Stelle präsentiert – mit der beschriebenen öffentlichen Begeisterung. Im Dezember 2003 beschloss der Senat, die privaten Projektentwickler bei der Realisierung zu unterstützen. Noch ging man aber davon aus, dass es weitgehend von privaten Investoren realisiert werden sollte.

Die Elbphilharmonie und die Öffentliche Hand als Bauherr

Nach und nach hatte die Stadt jedoch immer mehr die Verantwortung für das Vorhaben übernommen. Die Umsetzung wurde an eine mehr oder weniger eigenständig agierende städtische Gesellschaft delegiert. Die städtische Realisierungsgesellschaft (ReGe), die als öffentliches Unternehmen bereits die Erweiterung des Airbus Werksgeländes in Hamburg-Finkenwerder erfolgreich umgesetzt hatte, bekam nun auch den Auftrag für die Elbphilharmonie. Ein Problem, da die Stadt nicht die Verantwortung für die Umsetzung eines Kulturprojektes an eine Realisierungsgesellschaft delegieren kann, wenn sie selber noch nicht abschließend inhaltlich definiert hat, was sie realisieren will. Die ReGe gab eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, bei der man noch immer weitgehend von einer Umsetzung des Projekts in der Konstruktion eines Public-Private-Partnership (PPP) ausging. Folglich wurden für die öffentliche Hand zu diesem Zeitpunkt lediglich Kosten in Höhe von 77 Millionen Euro prognostiziert, weil unter anderem das Hotel noch komplett privat finanziert werden sollte. Auf dieser Grundlage ging das Projekt im Februar 2005 in die europaweite Ausschreibung. Auch wenn bis hierhin seit der Projektvorstellung bereits eineinhalb Jahre vergangen waren, blieben noch immer viel zu viele Fragen offen. Neben der detaillierten Planung auch Fragen zur Struktur, in der das Projekt schlussendlich umgesetzt werden sollte. Im Zuge der Ausschreibung verabschiedete man sich immer weiter von der PPP-Idee, bis man sie schließlich ganz fallen ließ. Im Februar 2007 beschloss die Bürgerschaft den Bau der Elbphilharmonie durch das Bauunternehmen Hochtief, das einzige Unternehmen, das am Ende der Ausschreibung noch übriggeblieben war. Mit Ausnahme der Wohnungen an der Westspitze des Gebäudes, die in Eigenverantwortung der »Skyliving«, einem Gemeinschaftsunternehmen von Bauunternehmen und einer Projektentwicklungsgesellschaft realisiert werden, lag nun der Bau des ganzen Gebäudes in der Hand der Stadt. Das Absurde hieran: Die Stadt übernahm die volle Verantwortung, baute aber weiter nach der Grundidee des PPP. Hierdurch finden sich heute in der Elbphilharmonie neben den Konzertsälen auch ein Hotel, Wohnungen, ein Parkhaus, Cafés und Restaurants. Dieser sogenannte kommerzielle Mantel des Gebäudes wurde nie hinterfragt. So sinnvoll Hotel und Gastronomie im Einzelnen sein mögen, so fragwürdig ist der Einfluss, den der kommerzielle Mantel im Laufe der Jahre auf das Projekt genommen hatte. Geplant als wesentlicher Beitrag zur Finanzierung ist die Stadt beziehungsweise der Stadtstaat Hamburg inzwischen in der sonderbaren Situation, Hotelbesitzer zu sein. Was einmal als vermeintlich kluge Finanzierungsidee geboren worden war, erwies sich als zusätzlicher Kostentreiber in dem Projekt. Alle Risiken und Probleme bei der Umsetzung mussten von der öffentlichen Hand übernommen werden – auch wenn der Grund hierfür im kommerziellen Mantel lag. So musste das Gebäude aufwändig nachgegründet werden, um eine größere Nutzfläche für das Hotel zu bekommen.

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Bei der Umsetzung eines Kulturprojektes in einer PPP-Struktur droht zudem ein Aufweichen der eigentlichen Projektidee, weil neben dem Konzertsaal kommerzielle Nutzungen und private Interessen integriert werden müssen. Und damit komme ich zur entscheidenden Frage nach dem Sinn kultureller Großprojekte für eine Gesellschaft. Mit Blick auf die Probleme bei der Realisierung solcher Projekte wird hier ja oft gerne die Grundsatzfrage gestellt oder wie es der Architekt Matthias Sauerbruch einst sagte: »Was in dem einen Beispiel als Weitsicht und mutige Risikobereitschaft gefeiert wird, von der eine ganze Stadt profitiert, wird im Falle des Scheiterns zur basisfremden Hybris und Selbstüberschätzung aller Projektinitiatoren, die auch der unbedeutendste Kritiker längst vorausgesehen hat.«

Abbildung 2: RENDERING des Großen Saals. Visualisierung des Großen Konzertsaales der Elbphilharmonie (© Herzog & de Meuron)

4. W ozu risikobehaf tete , kulturelle G rossprojekte umset zen ? Wir brauchen solche Großprojekte ganz sicher nicht, damit der Staat am Ende Besitzer eines Hotels ist. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass ein zivilisierter Staat auch künftig den Mut haben muss, solche Großprojekte zu realisieren, um der Kultur einen eindeutigen Platz in der Gesellschaft zu geben. Dann aber gilt es in der Umsetzungsphase, neben der seriösen, vielleicht auch teuren Planung, auch eine überzeugende Idee zu haben, was man mit dem

Die Elbphilharmonie und die Öffentliche Hand als Bauherr

Projekt erreichen möchte. Hierauf muss man spätestens im Betrieb gute Antworten geben können. Schon im alten Griechenland waren das Theater, die Agora, das Stadion diejenigen Orte, an denen das Selbstverständnis der jeweiligen Gesellschaft entstand. Eine Gesellschaft braucht solche Orte, um eine eigene Identität zu entwickeln, und insbesondere Orte der Kunst sind in der Geschichte die Plätze gewesen, an denen sich die zivilisierte Gesellschaft entwickelt hat. So hat die Aufklärung vom Theater aus ihren Siegeszug angetreten. Und es sind die Erfahrungen, die die Menschen im Erleben der Kunst machen, die uns neue Horizonte eröffnen und Antworten auf die grundlegenden Fragen des Lebens geben, die wir uns sonst womöglich nie gestellt hätten. Und mit Blick auf die moderne Gesellschaft sagte auch Walter Gropius: »Die Krankheit unserer heutigen Städte und Siedlungen ist das traurige Resultat unseres Versagens, menschliche Grundbedürfnisse über wirtschaftliche und industrielle Forderungen zu stellen.« Die Symptome dieser Krankheit können wir insbesondere in manchen US-amerikanischen Städten beobachten, aber auch in den Einkaufszentren unserer Städte, die uniform funktional gestaltet vor allem eines zu erfüllen haben: die optimale Hülle für die überall gleichen Geschäfte abzugeben. Um zu verhindern, dass unsere Städte zu gesichtslosen, austauschbaren Gebilden werden, braucht es daher eine Rückbesinnung auf die menschlichen Grundbedürfnisse, zu denen eindeutig auch »die soziale, geistige und kulturelle Entfaltung des Menschen« gehört, wie der Städtetag schon 1973 zu Recht in der Erklärung »Bildung und Kultur als Element der Stadtentwicklung« festgehalten hat.

5. B edeutung der E lbphilharmonie für die G esellschaf t Dies vor Augen lässt sich die Frage nach der Bedeutung der Elbphilharmonie für die Gesellschaft nur über ihre spätere kulturelle Nutzung beantworten. Diese stand sicherlich auch im Mittelpunkt der Überlegung bei den ursprünglichen Projektentwicklern Alexander Gérard und Jana Marko und ganz gewiss beim damaligen Laeiszhallen-Geschäftsführer Benedikt Stampa, der wesentlichen Anteil an der Grundidee der Elbphilharmonie hatte. Und auch die Architekten haben sehr bewusst die kulturelle Nutzung in das Zentrum ihrer Planungen gestellt. Im Zuge der weiteren Realisierung und dem Glauben, ein solches Projekt erfolgreich in einer PPP-Struktur durchführen zu können, drohte diese eigentliche, inhaltliche Idee aber immer mehr an den Rand gedrückt zu werden. Dass dies nicht geschah, ist sicherlich auch dem Umstand zu verdanken, dass das Projekt in der Verantwortung der Kulturbehörde realisiert wird und nicht, wie es oft gefordert wurde, in der einer Bau-

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behörde. Gerade in der Phase des Baustillstandes wurde, in der Hoffnung auf eine schnelle Lösung, immer wieder gefordert, Abstriche an der Qualität zu machen, um so den Bau irgendwie fertigzustellen. Wir haben jedoch auch in der größten Krise der Projektgeschichte nie den Anspruch aufgegeben, am Ende tatsächlich eines der besten Konzerthäuser der Welt zu realisieren. Daher haben wir mit der Neuordnung nicht nur einen Weg für die Fertigstellung des Baus gesucht, sondern immer auch großen Wert darauf gelegt, dass ebenso Regelungen gefunden wurden, die uns am Ende dieser gewaltigen Investition die größte Sicherheit für die architektonische und akustische Qualität des Gebäudes garantieren. Vor allem aber ist es ein Glück, dass letztendlich die PPP-Struktur gescheitert ist. So haben wir heute die Möglichkeit, das Projekt beim späteren Betrieb auf seine kulturelle Nutzung zu fokussieren und auch die kommerziellen Partner dafür zu gewinnen. Das heißt, in einer der Keimzellen der Stadt, dem historischen Hafen, ein Konzerthaus zu errichten, das architektonisch und akustisch den Anspruch erfüllt, eines der besten der Welt zu werden und für die Stadt zu einem identitätsstiftendem kulturellen Wahrzeichen werden wird. Davon sind wir zutiefst überzeugt.

5.1 Verknüpfung von Altem und Neuem Wir schaffen dabei aber nicht nur etwas Neues, sondern knüpfen zugleich an Altes an. Das Konzerthaus entsteht an einem historisch bedeutsamen Ort, im Sandtorhafen. 1875 wurde hier das damals größte Lagerhaus des Hamburger Hafens errichtet: der Kaiserspeicher. Schnell avancierte der neugotische Prachtbau zum Wahrzeichen der Stadt – und die Stadt zu einer internationalen Handelsmetropole. Im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört, wurde der Kaiserspeicher 1963 gesprengt. Nach einem Entwurf von Werner Kallmorgen entstand 1966 an dieser Stelle der Kaispeicher A. Bis in die 90er Jahre hinein lagerten hier Kakao, Tee und Tabak. Mit dem Anstieg des Containertransports verlor der Kaispeicher jedoch an Bedeutung und stand schließlich leer. Die Architekten Herzog & de Meuron haben mit der Elbphilharmonie ein neues Wahrzeichen für Hamburg geschaffen, das bewusst an diese lange Tradition Hamburgs anknüpft und sie lebendig hält. Auch damit leistet sie einen überzeugenden Beitrag zur Selbstvergewisserung und zum Selbstverständnis der Stadt. Ein wichtiger Beitrag der Stadtentwicklung, der im heute oft üblichen Einerlei der Glas-Stahl-Architektur unserer Städte eher die Ausnahme geworden ist. Auch musikalisch knüpfen wir mit der Elbphilharmonie an eine lange Tradition an. Und auch dies ist eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren dieses kulturellen Großprojektes. Hamburg hat zu allen Zeiten große Musiker angezogen und hervorgebracht. 1678 wurde die Oper am Gänsemarkt ge-

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gründet, die erste bürgerlich-städtische Oper und damals die größte Bühne Nordeuropas – hier wirkte unter anderem Georg Friedrich Händel. Hamburgs lange Tradition als Musikstadt begründeten zudem Georg Philipp Telemann, Felix Mendelssohn Bartholdy, Johannes Brahms, Gustav Mahler und nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem György Ligeti. Jenseits der Klassik starteten die Beatles ihre Karriere 1962 im Star Club in der Großen Freiheit. Heute ist das Reeperbahn Festival eines der wichtigsten Musik-Festivals Europas und Hamburg die unumstrittene Musicalhauptstadt Deutschlands.

Abbildung 3: Historisches Foto. Der alte Kaiserspeicher stand von 1875 bis 1963 an der Spitze des Kaiserkais – ein weithin sichtbares Wahrzeichen mitten im Hamburger Hafen (© Denkmalschutzamt Hamburg Bildarchiv, Foto: Hans Breuer) Wir bauen also sowohl architektonisch als auch künstlerisch mit der Elbphilharmonie auf eine gewachsene Struktur in der Stadt auf. Nun geht es darum, diese mit Leben zu füllen. Die HamburgMusik, als künftige Betreiberin der Elbphilharmonie, leistet hier bereits seit Jahren wertvolle Arbeit, indem sie Jahr für Jahr ein vielfältiges hochkarätiges Musikprogramm in der Stadt anbietet. Dabei hat es sich fast als Vorteil erwiesen, dass die Konzerte mangels einer fertigen Elbphilharmonie nicht nur in der altehrwürdigen Laeiszhalle stattfinden, sondern an sehr unterschiedlichen Orten in der Stadt – vom Bürgerhaus über Kirchen bis zum Musikclub auf der Reeperbahn. Dieser Öffnung in die Stadtgesellschaft wird die Elbphilharmonie auch künftig gerecht werden müssen.

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Damit die Elbphilharmonie als kulturelles Großprojekt tatsächlich in die Gesellschaft wirken kann, planen wir sie sehr bewusst als ein offenes Haus für alle. Wir wollen nicht nur das klassische Konzertpublikum ansprechen, sondern deutlich machen, dass dieses Gebäude mit seiner herausragenden Architektur für alle Hamburgerinnen und Hamburger und ihre Gäste da ist. Dabei kommt insbesondere der Plaza eine eigene Bedeutung zu. Zwischen altem Kaispeicher und dem Neubau entsteht mit der Plaza ein für jeden frei zugänglicher Raum. Nirgendwo sonst erschließt sich der für Hamburg so prägende Zusammenhang von Stadt und Hafen so eindrucksvoll wie hier. Auf 37 Metern Höhe bietet sich den Besuchern ein einzigartiges 360°-Panorama über die Stadt. Mit einer Größe von etwa 4.000 Quadratmetern ist die Plaza dabei fast so groß wie der Rathausmarkt. Von hier aus kann man entweder den grandiosen Blick auf die Stadt genießen, einen der Konzertsäle aufsuchen oder aber in die Restaurants oder das Hotel gehen. Allein der durch die Plaza geschaffene offene Charakter dieses einzigartigen Gebäudes wird dazu beitragen, dass die Elbphilharmonie prägend für das Hamburger Selbstverständnis wird und so einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Stadt leistet. 30.000 Besucher auf der Baustelle allein im Jahr 2013 zeigen, dass das Gebäude schon in der Entstehung eine große Faszination ausstrahlt und Begeisterung erregt.

Abbildung 4: Aktuelles Foto der Elbphilharmonie (© Thies Raetzke) Dieser offene Charakter der Elbphilharmonie durch Plaza, Gastronomie und Hotel ist ursprünglich aus rein finanziellen Erwägungen geplant worden. Beim Bau hat das viele Probleme bereitet. Künftig wird uns bei klugem Be-

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trieb diese Offenheit die Chance bieten, Leute für Kultur zu begeistern, die von sich aus wohl nie in ein Konzerthaus gegangen wären. In Zeiten, in denen gerade die klassische Musik erhebliche Schwierigkeiten hat, neues Publikum zu gewinnen, kann dies von großem Vorteil sein. Es kann jedoch nur gelingen, wenn dem Besucher immer klar ist, dass er sich in einem Konzerthaus befindet und nicht nur auf irgendeiner Aussichtsplattform. Dies wird insbesondere durch die herausragende Architektur sichergestellt, die neben dem künstlerischen Anspruch des Gebäudes auch keinen Zweifel daran lässt, dass der Große Konzertsaal mit seinen 2.150 Plätzen das Herz dieses Gebäudes darstellt. Dem Konzept der sogenannten WeinbergArchitektur folgend, bei dem sich die nach oben ansteigenden Ränge um eine zentral angeordnete Bühne gruppieren, befindet sich das Orchester in der Mitte des Saales und damit auch in der Mitte des Gebäudes. Das Orchester ist also für die Zuschauer direkt erleb- und sichtbar, die Ränge ragen zu einem steilen Zuschauerkessel hinauf. Das akustische Konzept wurde von einem der weltbesten Akustiker, Yasuhisa Toyota von Nagata Acustics, entwickelt und unterstreicht neben der Architektur unseren Anspruch, eines der besten Konzerthäuser der Welt zu bauen.

5.2 Herausforderungen und Aufgaben der Elbphilharmonie Im Betrieb wird es jedoch darauf ankommen, den Spagat zwischen »bestes Konzerthaus der Welt« und »offenes Haus für alle« zu meistern. Hier bedarf es einer klugen Bespielung des Gebäudes. Und es zeigt, dass sich Hülle und Inhalt eines Gebäudes niemals getrennt voneinander betrachten lassen. Ein kultureller Leuchtturm kann seine volle Wirkung jedoch nur dann entfalten, wenn er sich nicht ausschließlich als Solitär versteht. Er muss vielmehr in die kulturelle DNA einer Stadt eingebunden sein. Die Elbphilharmonie ist daher nicht singulär zu betrachten – so herausragend sie in vielerlei Hinsicht ist. Sie ist Teil einer vielfältigen Kulturlandschaft in Hamburg. Auf der einen Seite der HafenCity entsteht die Elbphilharmonie, auf der anderen Seite das Kreativquartier im Oberhafen und in der benachbarten Speicherstadt die Künstlerateliers. Mit dieser Infrastruktur bieten wir der HafenCity – aber auch der ganzen Stadt – Entwicklungspotenzial und Reibungsfläche. Wenn dies gelingt und sich die Elbphilharmonie als neue Ikone der Stadtgestaltung und als Wahrzeichen in das Selbstverständnis der Stadtgesellschaft einfügt, dann wird sie einen wesentlichen Beitrag zu der »sozialen, geistigen und kulturellen Entfaltung« der Stadt leisten. Vor allem wird sie dann aber selbst die beste Antwort auf die Frage geben, wozu wir auch heute noch kulturelle Großprojekte brauchen.

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Nicht die Ouvertüre – das Gesamtkonzert bestimmt das Erlebnis Andreas Leuchtenmüller und Hauke Schlüter

Inhalt 1. 2. 3. 4.

Warum sind Kulturimmobilien besonders? | 36 Sicherheit bei Kulturimmobilien schaffen | 42 Sanierungen von Kulturimmobilien | 61 Schlussakkord | 62

Kulturimmobilien sind besonders – so ist auch eine besondere Prozessqualität in Entwicklung und Betrieb gefragt, sollen sie zu Leuchttürmen im Kulturbetrieb und Stadtbild werden. Dazu ist es aber notwendig, nicht nur in Architektur und Ästhetik zu denken, sondern schon bei der Planung die Nutzeranforderungen genau festzulegen und den Betrieb im Lebenszyklus durchzurechnen. Wohl waltete wagnerianische Wucht, weil Wichtiger Wünsche wohlmeinend wirkten – und am Ende wurde es nur ein karges Konzert auf dem Kamm. Wir alle kennen Kulturbauprojekte, die euphorisch, abgestimmt und scheinbar budgetsicher gestartet sind, sich dann verloren in umbautem Raum und Zeit, unklaren Zuständigkeiten und ausufernden Kosten. Die Gefahr, vom Elbtraum zum Albtraum zu werden, ist groß. Und sie versteckt sich nicht nur in Neubauprojekten. Auch Sanierungen oder Umnutzungen von Kulturbauten oder Kulturdenkmälern sind »Werke«, die eher dem überlegten und vorausschauenden Malen der Alten Meister näherstehen sollten, als spontanem Action Painting. In diesem Text machen wir uns Gedanken über die Besonderheiten von Kulturimmobilien und zeigen auf, was man von einer bei vielen Wirtschaftsunternehmen bewährten Vorgehensweise strategisch, planerisch und operativ lernen kann, damit man auf einem sicheren Weg »von der ersten Skizze« zum »fertigen Bild« kommt, das alle erfreut und inspiriert.

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1. W arum sind K ulturimmobilien besonders ? Kulturimmobilien haben in der Gesellschaft einen besonderen Stellenwert. Sie werden beachtet, oft kontrovers diskutiert; ihre Gestalter werden ausgezeichnet. Von den letzten zehn Pritzker Architekturpreisträgern haben neun Kulturimmobilien entworfen.1 Indes, die Gebäude selbst, ihre Entstehung und ihr Kontext weisen tatsächlich Besonderheiten auf, die sie von Objekten der privaten Wirtschaft unterscheiden. Auf Basis unserer Erfahrungen strukturieren wir hier die Kriterien, die miteinander in Wechselwirkung stehen:

1.1 Die Funktionalität von Kulturimmobilien: hochkomplex Fragt man einen Briten, wie er einen Vorschlag findet und er antwortet »interesting«, so fasst er in einem Wort zusammen, was alle Bedeutungen und Haltungen von vollkommener, höflicher Ablehnung bis hin zu enthusiastischer Begeisterung annehmen kann – und somit oft richtig ist. Das entsprechende Wort auf die Frage nach dem Wesen der Funktionalität einer Kulturimmobilie wäre »komplex«. Treten wir einen Schritt näher heran. Kulturimmobilien sind Sonderbauten. Spezialwerkzeuge. Eine Konzerthalle hat andere Aufgaben und muss dementsprechend anders ausgelegt werden als eine Glyptothek. Der Bogen spannt sich vom kleinen, aber feinen Spezialwerkzeug Lesebühne bis zum multifunktionalen Schweizermesser Dreispartenhaus. Neue Ertragsfelder, wie Gastronomie oder Shop außerhalb des Kerngeschäftes erhöhen die Komplexität weiter. Unternehmensimmobilien2 weisen diese Komplexität in der Regel nicht auf. Ob es Schadensbearbeitung bei einer Versicherung ist, Entwicklungsarbeit bei einem IT-Unternehmen oder reine Administration: die Nutzung ist vergleichbar.3 1 | Zählt man das geplante olympische Dorf 2012 (Morphosis/Thom Mayne) in New York als Kulturimmobilie hinzu, sind es zehn von zehn. 2 | Wir betrachten den Schwerpunkt »Headquarters/Zentrale« oder »Administration«. Produktionshallen, Testgebäude oder Konferenzkomplexe können zwar ebenfalls zum Immobilienportfolio eines Unternehmens gehören, sind aber aufgrund ihrer Sonderfunktion nicht Gegenstand dieses Textes. 3 | Natürlich unterliegt die räumliche Ausprägung Varianzen, die von der Organisation der Prozesse abhängen, vom Unternehmensleitbild und der gestalterischen Umsetzung. Das »Grundmodul Arbeitsplatz« mit Tisch und Stuhl ist jedoch typisch für die Nutzung »Büro« und nicht »Theater«. Auch wenn manche Künstler durchaus einen ganzen Abend damit bestreiten können.

Nicht die Ouver türe – das Gesamtkonzer t bestimmt das Erlebnis

Nicht so bei Kulturimmobilien. Aufführen (Musik? Tanz? Sprache?), Proben, Ausstellen, Präsentieren, Exemplare in Ruhe lesen oder ausleihen, Verwalten, Kulissenlagern… und Zuhören/Zuschauen/Genießen sind völlig verschiedene Nutzungsformen, die zu ihrer optimalen Ermöglichung verschiedene Raumlösungen und Serviceleistungen benötigen.

Abbildung 1: Kultur und ihre Inszenierung können auch Teil der Anforderungen bei der Entwicklung einer Unternehmensimmobilie sein. Mittelbayerischer Verlag, Regensburg – ein M.O.O.CON-Projekt (© Helge Bauer) Dies zeigt den größten Unterschied zwischen Kultur- und Corporate-Immobilien:

1.2 Die Vielfalt der Nutzertypen einer Kulturimmobilie: extrem Gehen wir mit der Pyramidenstruktur von oben hinein, teilen sich auf: »Kulturschaffende« und »Kulturkonsumierende«.4 Erstere können sich zum Beispiel allein in einem Theater unter anderem unterteilen in: Ensemble, Intendanz, Gastkünstler, Regisseure, Dramaturgen, Inspizienten, Bühnenarbeiter, Toningenieure, Presseabteilung, Theaterkreisbetreuer, Kantinenpersonal, Administration, Musiker, Ankleiderin, Fundus, Zuschauergarderobe, Tänzer, … die Zweiteren beispielsweise in Abonnenten, Senioren, Schulklassen, zufällig Hereinkommende, Studenten, Theaterenthusiasten, Presse, Kritiker, Künstler, VIP-Logen Berechtigte und nahezu endlos weitere, die sich nach unten belie-

4 | Natürlich nicht immer trennscharf. Aktive Musiker sitzen auch bei Kollegenkonzerten im Publikum: es geht um die momentane Nutzung.

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big differenzieren lassen. Dazu kommen noch eventuelle Betreiber und Angestellte von Restaurants oder Shops. Allen gemeinsam: sie stellen ihre beruflichen und persönlichen Ansprüche an die Kulturimmobilie. Und sie sind alle völlig verschieden. Voneinander und auch innerhalb »sich selbst«.5 In Quantitäten und in Qualitäten. Sie sind oft widersprüchlich. Was Wirtschaftsunternehmen mit ihren Produkten passiert6 – hier geschieht’s mit dem Haus. Was zur wichtigen Erkenntnis führt, dass die Immobilie in der Kultur wesentlicher Teil des Produktes und damit der Kernprozesse ist. Das kann man sich einfach vergegenwärtigen: Ein und dieselbe Ausstellung wirkt im Victoria and Albert Museum anders, als in einer leeren Fabrikhalle. Tosca auch. Den Gedanken mit den Kernprozessen merken wir uns. Zusätzlich gibt es die »Kulturimmobilienbeobachtenden oder -wahrnehmenden«. Nicht notwendigerweise die physischen Nutzer des Objektes, aber trotzdem Inhaber von Ansprüchen an selbiges.7 Ideelle Nutzer. Personen, die Anforderungen an das Gebäude haben, ohne es zu betreten. Politiker auf allen Ebenen, insbesondere diejenigen, die über seine Finanzierung entscheiden. Die Betreiber von Kulturimmobilien der Umgebung. Aufmerksamkeitskonkurrenz. Bürger. Und die amorphe »Öffentliche Meinung«.

5 | So können die Ansprüche und Wahrnehmungen ein und desselben Hauses in der Nutzergruppe »Gastregisseure« völlig unterschiedlich sein – von »tolle Akustik« bis »ich kann so nicht arbeiten«. 6 | Anschaulich: Automobilindustrie. Ein und dasselbe Auto wird von verschiedenen Personen (auch gleicher Zielgruppen) unterschiedlich wahrgenommen oder genutzt. 7 | Um sich diese Ambiguität bewusst zu machen, stelle man sich beispielsweise die Frage: »Wann ist der erbittertste Gegner der Theaterrenovierung zum letzten Mal im Theater gewesen? Oder der Bauunternehmer?“

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Abbildung 2: Kulturimmobilien sind wesentlicher Teil des »Produktes« und damit der Kernprozesse. Als Beispiel hier das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt a.M. mit dem »Haus-im-Haus« von Oswald Mathias Ungers – kein funktionaler Museumsbau, sondern ein programmatisches Gebäude für die Architektur (© Norbert Miguletz)

1.3 Die Identität von Kulturimmobilien: präsenter, relevanter, schwierig zu steuern Kulturimmobilien sind präsenter im kollektiven Bewusstsein als Unternehmensimmobilien. Das liegt sowohl an ihrer meist zentralen Lage, aber auch daran, dass sie für die Meisten von höherer und dauerhafterer Relevanz sind, als Gebäude der privaten Wirtschaft. Neue Unternehmenszentrale für den Vertrieb Deutschland einer Automarke8 in Berlin-Friedrichshain, schön und gut, aber die Anteilnahme am Museum der Moderne und die öffentliche Diskussion schon vor dem ersten Spatenstich hat doch eine ganz andere Wucht und Qualität. Es ist mehr ein wir, als ein die. Kollektive Identität, Identität des Kollektivs. Und dahinter steht nicht nur das Bewusstsein der Finanzierung durch Steuergelder. Es ist einfach eine Frage der Nutzung, sei sie tatsächlich oder »nur« potenziell. Jeder kann ins Museum gehen (oder es behaupten) und 8 | Unternehmenszentrale Mercedes-Benz Vertrieb Deutschland, Architekten Gewers & Pudewill, eingeweiht 2013 in Friedrichshain-Kreuzberg.

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es nutzen, aber man versuche mal, unangemeldet an der Rezeption eines amerikanischen Technologiekonzerns vorbeizukommen. Dass die Identität von Kulturimmobilien in der Öffentlichkeit wesentlich wahrnehmbarer ist als die von Konzernzentralen, liegt an ebenfalls ihrer »Vernetzung«. Sowohl durch Infrastruktur (ÖPNV-Anbindung, Haltestelle »Theater«) als auch durch Kommunikation: regelmäßige neue, tagesaktuelle Programme, Personalia, Hintergründe von Trivial- bis Hochkultur befeuern Feuilletons und Medienberichterstattung. Kulturimmobilien werden damit stärker am »wirklichen Leben«, an der eigenen Kultur gemessen. Sie erhalten dadurch für die Meisten eine höhere Bedeutung. Lokal, regional. Auch daran zu erkennen, dass sie häufig – und vor allem schon in der Initiierungsphase oder ab der ersten Idee – zum Spielball von Partikularinteressen der unterschiedlichsten Anspruchsgruppen werden. Jeder meint, mitreden zu können, zu dürfen – und tut es auch. Allein oder in organisierter Form. Mit und ohne Mandat.

Abbildung 3: Das Gebäude als Ausdruck von Identität – voestalpine Stahl in Linz, Österreich – ein M.O.O.CON-Projekt. Architekt: Dietmar Feichtinger Architectes (© Martin Eder) Anders bei Unternehmenszentralen. Ihre Identitätsfindung erfolgt in der Regel schneller, bedeutend weniger Personen sind daran beteiligt. Ihnen kann neben den Funktionen ein »Markenauftrag« mitgegeben werden, der sich meist aus einem wohldefinierten Markenhandbuch in Corporate Architecture ableitet. Vorstand oder Geschäftsführung befinden über Markenwerte und richten Unternehmen, Kultur und Objekt daran aus.9 Sie werben zwar für Akzeptanz und sichern sie, aber entscheiden direkt. Die Anzahl der Anspruchstellenden und der Entscheider ist gering. Gottfried Semper mag allein vom sächsischen König einen klaren Auftrag für das Opernhaus bekommen haben; das »Paekdusan-Institut für Bauwesen und Architektur« in Nordkorea kennt sicher auch kein anderes Arbeiten. Gleichwohl, die Entscheidungswege für 9 | … in an ideal world, die jede Unternehmensleitung natürlich gerne hätte…

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zeitgenössische öffentliche Kulturbauten der westlichen Welt sind… komplex. Auch die Einbindung in die städtebauliche Situation. Ebenso die erwartbaren Identitäten der Objekte. Aber sie müssen durchdacht und gesteuert werden, damit sich ein erwünschter Bilbao-Effekt einstellt und spektakuläre Architektur Besucher anziehen kann sowie die geschaffene Identität der Immobilie auf den Ort und nicht den Gestalter übergeht. Gutes Beispiel, ein Partygespräch: »Was fällt Ihnen zu Sydney ein?“ »Natürlich das Opernhaus!“ »Und welcher Architekt hat es entworfen?“ »…«10

1.4 Die Finanzierung und das Entwicklungsmanagement von Kulturimmobilien: oft diffus Nähern wir uns diesem Thema über die Budgets. Fallende Verfügbarkeit bei steigenden Kosten, Investitionen bis zur Milliardenhöhe, öffentliche Gelder, Entscheidungswege, politische und soziale Spannungsfelder, Wahlperioden, Interessengefüge, extremer Argumentations- und Rechtfertigungsdruck, geforderte Revisionssicherheit, und vor allem nachentscheidliche Spezifikationsänderungen kennzeichnen ein Feld, auf dem der Taschenrechner ein ebenso unentbehrliches Accessoire ist, wie ein Minendetektor. Noch im sprichwörtlich letzten Moment können Projekte kippen; ein Beispiel ist das von Helmut Jahn entworfene Stadtmuseum in Wiesbaden11 mit politischem Vor-, Zwischen- und Nachbeben. Wenn auch viele Projekte mit Kulturimmobilien gut gemanagt sind und mit wenig Enttäuschungen hinsichtlich Budgets, Zeit, Funktion und Ästhetik beendet werden, ergeben sich Felder, in denen von Corporate Immobilien gelernt werden kann. Dies betrifft auch den Ausgleich möglicher mangelnder Erfahrung von Verantwortlichen mit den Eigenheiten der Bauwirtschaft und den Prozessen und ihren Zeitlichkeiten im tatsächlichen Tagesgeschäft. Funktionalitäten, Dimensionierung oder Ausstattungsqualitäten, die nicht anforderungsseitig und genau zu einem bestimmten Projektzeitpunkt vorliegen, führen in der Regel zu Mehraufwand oder Fehlplanung. Wunschdenken funktioniert und ist finanziell greif bar und entscheidungsfähig, aber nur, wenn es im Vorfeld genau beschrieben und für die Kulturimmobilie in ihrem gesamten Lebenszyklus 10 | Der dänische Architekt Jørn Utzon (1918-2008). 11 | Wiesbaden wollte ursprünglich ein Museum für die eigene Stadtgeschichte bauen lassen und das Haus über 30 Jahre lang mieten und betreiben. Abgesagt im Dezember 2014.

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einschließlich Betrieb zu Vollkosten berechnet wurde. Die heutigen Methoden und Tools, richtig angewandt, erlauben dies. Geklärte Verantwortungsbereiche, auf die wir im Folgenden noch eingehen werden, und sinnvolle Projektstrukturen erlauben auch der Öffentlichen Hand, Sicherheit bei der Entwicklung, Sanierung oder Umnutzung von nachhaltigen und erfolgreichen Kulturimmobilien zu gewinnen. Doch wie wird diese Sicherheit bei Kulturimmobilien geschaffen?

2. S icherheit bei K ulturimmobilien schaffen Sicherheit, vom lateinischen sēcūrus12, bedeutet der Wortherkunft nach unbekümmert, oder frei von Risiken oder Gefahren. Dieser Zustand tritt nicht automatisch ein, sondern ist das Ergebnis eines Prozesses. Und wie alle Prozesse13 können und müssen sie gesteuert werden, um das beste Ergebnis hervorzubringen. Sowohl Achtsamkeit und Nachdenken, als auch Intuition und Entscheidungsstringenz sind wichtige Komponenten, die aber eines »Roten Fadens« bedürfen, damit sie zielgerichtet wirken können.

Abbildung 4 (© M.O.O.CON) Aus unserer Erfahrung heraus empfehlen wir ein fünfphasiges Modell, das wir im Folgenden weiter erläutern werden. Die fünf Phasen sind: I. Strategie II. Initiierung III. Planung IV. Ausführung V. Nutzung 12 | Genau: sē »ohne« und cūra »Sorge, Pflege«, also »ohne Sorge«. Erinnert dies nicht an ein Theater in Hamburg? 13 | Hier seien ausschließlich nichtnatürliche Prozesse gemeint. Keine natürlichen wie Mondphasen oder das Auftauchen unliebsamer Personen, wenn man sie am wenigsten erwartet.

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2.1 Strategie Das Projekt beginnt in den Köpfen… und mit einer Strategie! Visionen (das Was?) brauchen eine Strategie (das Wie?), damit sie Gestalt annehmen können. Wir haben gesehen: Kulturimmobilien sind Teil des Kulturproduktes und damit der Kernprozesse. Der Erfolg der Kulturorganisation, ob Theater, Museum, Bibliothek oder Konzerthalle steht in direktem Zusammenhang mit dem geplanten oder zu sanierenden Gebäude. Umso entscheidender ist es, für den zu entwickelnden Kulturbau eine klare Vorstellung davon zu haben, welche Aufgaben er übernehmen soll und was er dabei leisten muss. Schon hier hilft es, in Anforderungen und nicht in Lösungen zu denken. Das gilt besonders für vorschnelle Gestaltungsvorschläge oder gar Dimensionierungen. Eine Vision wie »ein hypermoderner Theaterbau mit 800 Plätzen« ist gefährlich. Es wurde weder untersucht, ob »hypermodern« eine Qualität ist, die für die Nutzergruppen wichtig ist, »Theater« eine relevante Fokussierung oder »800 Plätze« eine Größenordnung, die – auch unter Betrachtung aller Konkurrenzangebote – für das Einzugsgebiet adäquat ist. Daher wäre eine bessere Formulierung der Vision zum Start: »ein attraktiver Kulturbau, der unsere Bürger begeistert und über die Grenzen hinaus für Aufmerksamkeit sorgt«. Und auf dieser Basis weiter differenzieren. Indes, diese gemeinsame Vorstellung ist schwierig zu erzeugen. In der Praxis treffen wir auch bei Unternehmen immer wieder auf Situationen, in denen ein gemeinsames Strategieverständnis auch auf den Leitungsebenen nicht existiert. Hier muss ein Prozess der Strategieentwicklung oder -vermittlung vorgeschaltet werden. Die besondere Situation von politischen Konstellationen und individuellen Gemengelagen vereinfacht verbindliche Entscheidungen über Kulturimmobilien nicht, aber eine Klärung ist notwendig, um Strategie und Ziele festlegen zu können. Nach dem Grund des Projektes müssen Rollen geklärt werden. Gerade für Gemeinden ist es wesentlich, ob es eine interkommunale Zusammenarbeit geben oder eine projektbezogene Vorgehensweise bevorzugt wird. Erst dann sollte es mit den weiteren Schritten weitergehen. Aber genau dies passiert oftmals nicht. Man ist verführt, sofort in das Projekt hineinzuspringen und »Vorentwurf!« zu rufen und vielleicht auch schon die ersten renommierten Architekten anzufragen. Das ist übereilt und wenig zielführend. Auch, wenn es Spaß macht.

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Abbildungen 5 & 6: Umsetzung einer Vision und Ausdruck von Identität außen wie innen: Zwei Unternehmensstandorte werden zusammengelegt; das neue Gebäude soll der privilegierten Lage gerecht werden und einzigartigen Standard bieten, die Dynamik der Teams unterstützen und Raum für Wachstum vorhalten. Reversibilität der Ausbauten und technischen Infrastruktur muss sichergestellt sein. Das Objekt soll Talente (Design, Entwicklung, Management) anziehen und binden. Neues Bürogebäude Swarovski, Männedorf, Schweiz – ein M.O.O.CONProjekt. Architekten: Ingenhoven Architects, Fotos © Andreas Keller

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Grundsätzliches Thema ist hier die Finanzierung. Angefangen bei der Finanzierbarkeit (Bankability). Gibt es Förderung, arbeiten mehrere Gemeinden zusammen? Wer übernimmt welche Aufgaben? Was kann aus bereits abgewickelten eigenen oder vergleichbaren Projekten gelernt werden? Welche Möglichkeiten der Vergabe der Planungs- und Bauleistungen gibt es im Beschaffungsprozess konkret? Wie geht es nach der Errichtung und während des Betriebs der Kulturimmobilie weiter? Verantwortung und Risikoverteilung der Rollen aller Beteiligter sind zu bestimmen. Die spätere Gebäudenutzung (Bauherr? Nutzerinstitution?) und die herzustellende Gebäudeverfügbarkeit (Planer, Bauunternehmer, Betreiber, Bank) können über Funktionsvereinbarungen abgebildet werden. Und hier gleich eine Reprise: Insbesondere bei Kulturimmobilien-Projekten öffentlicher Auftraggeber muss zunächst ein gemeinsames Verständnis aller Beteiligten über Verantwortung und Aufgaben in den Rollen erzeugt werden. Hilfreich sind existierende Organisationsmodelle für lebenszyklusorientierte Projekte, die unabhängig vom gewählten Beschaffungsmodell (Vergabepolitik) eingesetzt werden können. Improvisationen werden hier mit großer Wahrscheinlichkeit zur Kakophonien. Wir empfehlen, diese Punkte strukturiert in Projektgruppen zu klären, zu dokumentieren und nach den Regeln von Projektmanagement meets Politik sich das placet zu erarbeiten und zu erdiskutieren. Als wesentliche Erkenntnis halten wir fest: Der Strategiephase muss ein viel höherer Wert beigemessen werden. Erst dann geht es in die Initiierungsphase über, dem eigentlichen Projektbeginn.

2.2 Initiierung Vision und Strategie erzeugen einen Bedarf und Kosten – beides ist zu kennen Ziel dieser Phase ist, Entscheidungssicherheit durch vollständige und detaillierte Berechnungen zu erlangen und eine strategiekonforme Umsetzungsoption zu erarbeiten. Der Bedarf – die redundanzfreie Summe der Anforderungen an die Kulturimmobilie – wird strukturiert erfasst und detailliert, auf Umsetzungsfähigkeit überprüft und einer Betrachtung unterzogen, die nicht nur die Entstehungskosten, sondern auch den Betrieb im gesamten Lebenszyklus14 zu Vollkosten berücksichtigt.

14 | Einschließlich eines möglichen Rückbaus.

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Das klingt jetzt sehr nach Managementsprache. In der Welt der Alten Meister ausgedrückt, hätte Albrecht Dürer, von Jakob Fugger beauftragt, ihn zu portraitieren, seine Initiierungsphase vielleicht wie folgt organisiert: Eines oder mehrere sehr intensive Gespräche mit Fugger geführt, in denen er ermittelt hätte, was genau das Bild über den Portraitierten aussagen solle, wer es betrachten würde, in welchem Umfeld und wo genau es hängen werde – nicht: die Bildgröße in Quadratzentimetern, es sei denn, es hätte bereits einen festen Platz gegeben – wieviel Zeit Fugger für das Portraitsitzen werde aufwenden können, wann der Fertigstellungstermin sein solle, wie lange das Bild existieren solle, ob ein Rahmen mitanzufertigen wäre und welche Wünsche hier zu berücksichtigen seien, ob das Bild in adäquaten Zeitabständen auf Vergilbung oder Frühsprünge zu begutachten sei und was der sicherlich kostenbewusste Kaufmann denn dafür auszugeben gedenke. Dann hätte sich Dürer zum Denken und Rechnen zurückgezogen und versucht, alles in Einklang zu bringen. Materialien, Utensilien und Zeit ermessen, eventuell Pigmente auf Lapislazuli-Basis aufgrund der exorbitanten Kosten mit anderen Farbstoffen ersetzt, die eine ähnliche Farbe liefern, Öle auf den Lichteinfall abgestimmt, Mal- und Trockenzeiten kalkuliert, vielleicht eine Skizze angefertigt und erst dann Termin und Preis bestätigt. Bevor er das Bild weiter zu planen oder gar zu malen begonnen hätte. Zurück zu Immobilien. Mit einem längeren Gespräch ist es hier nicht getan. Die Anforderungen der Nutzergruppen sind – Sie haben es geahnt – komplex. Trotzdem lassen sie sich ermitteln, wenn man strukturiert vorgeht und die Befragungsgespräche mit den relevanten Nutzervertretern15 anhand eines Leitfadens moderiert. Zur Ermittlung und Festschreibung der Ziele einer Kulturimmobilie und der Anforderungen an sie, ist das Denken in vier Dimensionen zu empfehlen: Kulturelles | Soziales | Organisatorisches | Wirtschaftlichkeit Geht es bei Unternehmensimmobilien mehr darum, die Identität des Unternehmens oder Bauherren zu erkennen und mit der Nachhaltigkeit16 des geplanten Gebäudes zu verbinden, steht bei Kulturimmobilien im Vordergrund, eine eigene Identität zu schaffen (und zu bauen sowie zu betreiben), die sich an den Zielen und Anforderungen ausrichtet. Und genau darum sind diese genau zu ermitteln.

15 | Auch die Zusammenstellung der Nutzervertreter ist ein ebenso faktisch wie politisch getriebener Prozess. 16 | »Nachhaltigkeit« nicht im Sinne von »ökologischem Bauen«, sondern »nur die Ressourcen aufwenden, die zur Deckung des identifizierten Bedarfes notwendig sind«.

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Ein Sonderfall, und hinsichtlich Identität fast zu behandeln, wie Unternehmensimmobilien, ist zum Beispiel Guggenheim, die ihren Museen in Bilbao und Abu Dhabi sehr viel von der eigenen Identität in der Architektursprache mitgegeben haben, oder Kulturimmobilien, die in Dominanz eines Sponsors (Unternehmen oder Person) entstehen, der in den meisten Fällen seine eigene Identität miteinbringen wird.

Abbildungen 7 & 8: Ob Frank Lloyd Wright in New York oder Frank O. Gehry in Bilbao – diese Kulturimmobilien verkörpern immer die Identität von Guggenheim. Links: Solomon R. Guggenheim Museum Restoration Completion. Photograph by David Heald, © The Solomon R. Guggenheim Foundation, New York; rechts: Guggenheim Museum Bilbao. Photograph by David Heald, © The Solomon R. Guggenheim Foundation, New York

Die generelle Methode zur Ermittlung von Zielen/Anforderungen ist identisch – die Differenzierung erfolgt in den Unterkategorien und natürlich über die Inhalte und Erkenntnisse, die man daraus erhält. Wie sieht eine weitere Differenzierung in den Dimensionen aus? Eine beispielhafte und daher unvollständige Darstellung: Kulturelle Ziele Leitbild »Heimat der Kulturimmobilie« (Land, Region, Stadt, Viertel) Image »Heimat der Kulturimmobilie« »Wesen« der geplanten kulturellen Aktivität/en (Image, aktuelle Trends, Historie, Zukunftsprognose, Protagonisten) Sinn und Zweck der Kulturimmobilie Kulturszene der »Heimat« (Angebot, Quantitäten, Qualitäten, Erreichbarkeiten, »Einfachheit der Teilnahme«)

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Berücksichtigung des städtebaulichen Umfeldes »Heimatliche Besonderheiten« (z.B. Lage am Meer, Bergbautradition, besterhaltene Altstadt) Entwicklung der Heimat (Prognose, Historie, Entwicklungspolitik, Infrastruktur) »Marktpolitik« der Kulturimmobilien-Heimat (Stadtmarketing, Wirtschaftsförderung, Tourismus, Inward Investment) Kulturpolitik und Aktivitäten

Soziale Ziele Haltungen, Einstellungen Kulturimmobilien-Initiatoren und Verantwortliche (auch Betrieb) Attraktivität für Nutzer, Gesellschaft, Anspruchsgruppen Lebensklima der »Heimat« (relative Standards, Erholungsangebot, Städte, Natur) Wissen, Können Bevölkerung/Zielgruppe EU relevante Ziele

Organisatorische Ziele Arbeits- und Entscheidungsprozesse der kulturellen Disziplin/Organisation, für die Kulturimmobilie geplant ist Kompetenzen und Verantwortungen dort Aufbau- und Ablauforganisation Dimensionierung/Platzbedarf Schnittstellen der Nutzergruppen (insbesondere zur Öffentlichkeit) Besondere Anlässe (Großereignisse wie WM/Olympia, Titel »Kulturhauptstadt«, Stadtjubiläen) und ihre zeitlichen Vorgaben

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Wirtschaftliche Ziele Budgets, Aufwand/Ertrag, Haushalt Finanzierung Vermögen, Wertentwicklung Unabänderbare Auflagen (EU, Strukturförderung, regional, lokal) Jede Entwicklungsaufgabe hat ihren komplexen Kriterienkatalog, der in den vier Dimensionen Ziele/Anforderungen ermittelt, die dann in konkrete Objektziele übersetzt werden müssen: die geeigneten Methoden sind vorbereitete und moderierte Diskussionsrunden, Dokumentation, und verbindliche Verabschiedung. Um einen Eindruck zu geben, zeigen wir beispielhaft, wie Formulierungen konkreter Objektziele aussehen, die aus Anforderungen abgeleitet wurden. Zu beachten ist, dass dies nicht Ergebnisse eines einzigen Projektes sind, sondern zur Verdeutlichung verschiedene mögliche Objekte herangezogen wurden. Auch gibt es in den seltensten Fällen eine 1:1-Entsprechung von »Anforderung« und »Objektziel«. In den Dimensionen sind die Anforderungen aufzustellen, zu reflektieren und dann in Objekt- und Serviceziele zu überführen. Dimension

Anforderungen

Objekt- und Serviceziele

Kulturelles

• Hauptstadtcharakter unterstreichen

• »Landmark« – Gebäude • Zeitgeschichtliche Bedeutung des Ortes berücksichtigen

• Technologieregion verkörpern

• Benchmark für Energieeffizienz/Nachhaltigkeit • Ingenieurgetriebene Ästhetik außen und innen

• Offenheit für andere Kulturen zeigen

• Die Welt/kulturelle Vielfalt im Gebäude wahrnehmen können • Vielsprachiges Leitsystem

• Eigene und fremde Veranstaltungen von Ausstellung bis Konzert

• Extreme Flexibilität der Säle, relevanten Räume, Technik und Betrieb

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Anforderungen

Objekt- und Serviceziele

Soziales

• EU: Verringerung CO2Emissionen • Gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen

• Nachhaltige, zukunftsweisende Immobilie entwickeln • Gesundheit und Sicherheit für Mitarbeiter und Besucher

• Vereinbarkeit von Familie und Beruf der Künstler • Mitarbeiter und Künstler anziehen und langfristig binden

• Kombination von Arbeits-, Familien- und Freizeitthemen • Persönliche Atmosphäre für Mitarbeiter und Künstler, die Wertschätzung und »Heimat« vermittelt

• Besucher anziehen

• »Unwiderstehliches« Gebäude (auffällig, neugierig machend, einzigartig, verführerisch, inspirierend) • Einfachste Erreichbarkeit, Zugang so einfach, wie möglich

• Effizienter Personaleinsatz

• Präsentation/Management des Objektes durch geringstmögliche Mitarbeiterzahl • Kommunikation der Mitarbeiter untereinander fördern

Organisatorisches

• Städtisches Angebot im Zu- • Andere Kulturimmobilien sammenhang mit anderen im Objekt wahrnehmbar Kulturimmobilien stärken machen • Wertschöpfung durch Dritte erhöhen

• Gastronomie/Shop(s) • Fremdvermietbarkeit

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Anforderungen

Objekt- und Serviceziele

Wirtschaftlichkeit

• Öffentlich-rechtlich

• Kostendisziplin und -transparenz • Effiziente Flächennutzung (shared services and spaces) • Betriebskosten minimieren • Wertorientierung

• Langer Nutzerzyklus

• Dauerhafte Materialien • Moden vermeiden • Kostengünstige Sanierung

Die Übersetzung erfordert Denk- und Abstimmungsarbeit – was gleichzeitig ein nicht zu unterschätzendes, gemeinsames Projektverständnis erzeugt. Die Objekt- und Serviceziele sind dann auf Vollständigkeit und Freiheit von Redundanzen und Widersprüchen zu überprüfen. Ein Objekt und sein Betrieb sind dann gut beschrieben, wenn die Ziele für die folgenden neun Felder (mit Themenbeispielen) bearbeitet wurden: 1. Ökologie: Energieverbrauch | Baustoffe | Emmissionen | Fläche | Mikroklima, 2. Soziokultur: Integration Umfeld | Komfort (visuell, akustisch, thermisch) | subjektive Sicherheit | Außenraumqualität, 3. Ökonomie: Flächenwirtschaftlichkeit | bedarfsgerechte Bau- & Ausstattungsqualität | Lebenszykluskosten | Investition | Drittverwendungsfähigkeit | Folge- & Nutzungskosten | Wert- & Ertragsentwicklung, 4. Funktion: Nutzungskonzept | Raum- & Funktionsprogramm | Logistik & Infrastruktur | Strukturen & Modularität | Sonderthemen, 5. Prozess: Managementkompetenz Prozesse & Projekte | Beschaffungsqualität | Analyse & Konzept | Planung | Ausführung | Inbetriebnahme | Bewirtschaftung, 6. Form: Gestalt und Wirkung | Bezug zu Identität der Kulturinstitution | Umgang mit dem Kontext, 7. Standort: Image/Stadtentwicklung, Gestaltung und Entwicklung von Stand-Ort und Quartier | Verkehrsanbindung | spezifische und allgemeine Umfeldinfrastruktur | Verhältnisse am Mikrostandort/Grundstück | rechtliche Parameter, Baureife, 8. Service: Portfolio | Produkte | Organisation | Steuerung, 9. Konstruktion: thermische Qualität Gebäudehülle | Schallschutz | Brandschutz | Tragsicherheit | Reinigungs- & Wartungsfreundlichkeit | Rückbaubarkeit | Umnutzungsfähigkeit, Reversibilität.

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Noch einmal sei daran erinnert, dass hier mit »Zielen« gearbeitet wird, nicht mit Lösungen. So ist »minimale Emission und weitgehende Verwendung natürlicher Baustoffe« ein Ziel und »Gestaltung der Westfassade mit Holz und Ton« eine Lösung, die vom Architekten angeboten werden kann. Ein genau umrissener Flächen-/Raumbedarf nach Funktionen differenziert (Bühne, Lager, Ausstellungsfläche, Lesesaal, Archiv, Publikum, Büro, Kantine, Technik, Anlieferzone, Parkplätze, Gastronomie, Shop, u.v.a.) ist das Herzstück. Oberste Maxime sei die bedarfsgerechte Dimensionierung – denn jeden nicht gebauten Quadratmeter muss man auch später nicht betreiben. Die technischen Qualitäten (Beispiel: Raumklima, Beleuchtung) werden ebenfalls festgelegt. Vieles weitere muss an dieser Stelle schon durchdacht werden, bevor es festgeschrieben wird. Dazu gehören Besucherströme, Kommunikationsbeziehungen von Abteilungen untereinander, Sichtachsen oder die Gebäudeerschließung. All diese Informationen sind entscheidend für zwei weitere wichtige Prozesse: Die Analyse der Lebenszykluskosten und die notwendige Durchführung eines Architektenwettbewerbes.

Schon jetzt können Lebenszykluskosten berechnet werden Nur mit einer lebenszyklusorientierten Vorgehensweise entstehen zukunftsfähige Kulturimmobilien, die von Anfang an höchst wirtschaftlich auf den gesamten Lebenszyklus abgestimmt sind. Bei einem lebenszyklusorientierten Vorgehen ist die spätere Nutzungsphase von Beginn an integraler Bestandteil der Planung. Sinn ist, nur so viele Ressourcen zu verbrauchen, wie unbedingt erforderlich. Dieser Nachhaltigkeitsgedanke trägt mit geringeren Nutzungskosten zum Gesamterfolg der Organisation bei. Fast schon ein running gag, auf den wir regelmäßig treffen, ist die Frage »Wie genau wird diese wunderschöne Fassade denn gereinigt?« Wenn wir auch Verständnis dafür haben, wie wenig Spaß es macht, beim Entwurf eines fantastischen Gebäudes über seine Außenreinigung nachzudenken, wissen wir, dass auch hier – wie an vielen anderen Punkten – schnell erhebliche Kosten im Lebenszyklus entstehen, hat man sich diese Gedanken nicht gemacht und auch nicht in den Objektzielen vorgesehen. Es ist eben nicht schnell damit getan, »alle 2 Jahre den Hubwagen kommen zu lassen«, denn der kommt vielleicht gar nicht über den Zugangsweg, weshalb ein viel teurerer Spezialwagen mit Ausleger die Arbeit übernehmen muss – und natürlich auch in Rechnung stellt. Siebenstellige Beträge kommen während des gesamten Nutzungszyklus der Kulturimmobilie flugs zusammen. Welche renommierten Gastkünstler hätte man dafür engagieren können! Wie viele Ausstellungskataloge hochwertig produzieren! Wie viele Beispiele zeigen, ist es der kritischste Erfolgsfaktor überhaupt, sich über die notwendigen Kosten ex ante im Klaren zu sein, schon bevor das Projekt in die Planungsphase geht. Ist ein gründliches Nutzerbedarfsprogramm erarbeitet worden, wie gezeigt, ist bereits zu diesem Zeitpunkt die

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Ermittlung eines Rahmens für die Lebenszykluskosten (LZK) unter Zuhilfenahme eines LZK-Tools17 mit einer Genauigkeit von +/- 20 % möglich. Nach der Planungsphase steigt die Genauigkeit auf +/- 10 %, nach der Ausführungsvorbereitung und noch vor der Ausführung sind +/- 5 % realistisch. Lebenszykluskosten schließen natürlich Finanzierungskosten ein.

Abbildung 9: it dem LZK-Tool lassen sich schon in der Phase »Initiierung« die Lebenszykluskosten mit einer Genauigkeit von ±20 Prozent bestimmen (© M.O.O.CON) Eine ergänzende Machbarkeitsstudie, die sich qualitativ und quantitativ mit Definition und Detailbetrachtung von Varianten des Nutzerbedarfes (als Idealfall und Messgröße) beschäftigt und hilft, Erwartungen und Budgets in Einklang zu bringen. Auch sie betrachtet immer Ziele für Objekt und Betrieb über den Lebenszyklus. Typische Fragen, die sie klärt, sind: Welche Auswirkung hat eine Größenveränderung zum Beispiel des Zuschauerbereiches auf Errichtungskosten und Betrieb? Was bewirkt eine Änderung der Transparenzanforderung an die Fassade hinsichtlich energetischem Verhalten und Betriebsaufwand? Was lösen unterschiedliche Sicherheitskonzepte aus? Und natürlich auch, wie Service Level für Reinigung die Rechnung beeinflussen.

Qualitätsvolle Entwürfe brauchen qualitätvolle Briefings Erst diese fertige und abgestimmte Arbeit sei die Grundlage für die Auslobungsbroschüre eines möglichen Architektenwettbewerbs. Damit sie wirklich 17 | Ein software- und datenbankgestützer Ermittlungsprozess für Lebenszykluskosten.

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kreative Lösungen entwickeln können, die auch die Projektanforderungen erfüllen, müssen die teilnehmenden Architekten in die Lage versetzt werden, die auch tun zu können. Nichts ist schlimmer für einen Künstler, als gesagt zu bekommen »mach’ irgend was«. Sagt Peter Gabriel.18 Und für Budgets auch. Eine hohe »Bestellqualität« ist conditio sine qua non für exzellente Entwürfe und Budgetsicherheit. Spätestens jetzt ist ein geeigneter Zeitpunkt, über Akzeptanzsicherung und Kommunikationsstrategie tiefer nachzudenken, die bei einem solchen Projekt notwendig werden. Die hereinkommenden Entwürfe sind ein würdiger Kommunikationsanlass, der Absichten und Strategien unterstreicht. Aufgrund der höchst individuellen Situation kann in diesem Beitrag keine Empfehlung neben der gemacht werden, dass beide Themen die gleiche Sorgfalt verdienen, wie das Objekt und sein Betrieb.

Abbildung 10: Hohe Bestellqualität: Die strukturierte und detaillierte Erfassung von Anforderungen in den vorgestellten Dimensionen, ermöglicht den zu einem Wettbewerb eingeladenen Architekten Lösungen vorzuschlagen, die den Zielen der Organisation entsprechen. Forschungs- und Entwicklungszentrum »Laces« der adidas Group, Herzogenaurach – ein M.O.O.CON-Projekt. Architekten: kadawittfeldarchitektur (© Werner Huthmacher)

18 | »The worst thing you can say to an artist is you have freedom to do anything, or you say it to yourself.« – Peter Gabriel, Interview mit John Carucci (Associated Press) Mai, 2010.

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2.3 Planung Vertiefung und permanente Optimierung Eine erfolgreiche Kulturimmobilie besteht nicht nur aus einem Gestaltungskonzept. Wow! – Architektur ist aufregend, aber eitel Blendwerk und nicht nachhaltig, wenn sie in anderen wesentlichen Punkten gegen die Kulturstrategie der Institution sowie Objekt- und Betriebsstrategie verstößt. Nur ein ganzheitlich durchdachtes Konzept sichert Nachhaltigkeit, Zukunft und damit Werte kultureller und auch finanzieller Natur. Das wertschöpfende Zusammenspiel aller Qualitätsaspekte wird nur durch einen integralen Planungsprozess erreicht. Erfolgsfaktoren sind dabei das Hinzuziehen aller am Planungsprozess Beteiligten, ein Fortschreiben der Anforderungen und ihr regelmäßiges Spiegeln im Rahmen eines installierten Qualitätsmonitoring. Unverzichtbar ist ein durchgängiges digitales Datenmodell von der ersten Idee über alle virtuellen Varianten der Planung (Vorentwurf, Entwurf, Einreichung, Ausschreibung) und der realen Bauvorgänge bis zum lebenslangen Betrieb des Gebäudes. Eindeutige Prozessverantwortung (inhaltlich, rechtlich und organisatorisch) für die komplexe Planung und Ausführung ist festzulegen. Das Qualitätsmonitoring sichert die Ausführung im Hinblick auf Objektund Servicestrategie, effektive Steuerungs- und Kontrollmechanismen für die Entwicklungs- und Betriebsphase sind aufzubauen. Als sinnvolle Struktur haben sich die oben vorgestellten neun Felder erwiesen, innerhalb derer Optimierungen stattfinden. Da sich für gewöhnlich die Nutzeranforderungen über die Projektlaufzeit verändern können (und werden, sic) sind sie fortzuschreiben und als neuer Kanon zu nutzen. Das Team der Projektbeteiligten muss neben hoher Professionalität auch den Willen zu Qualität und Nachhaltigkeit teilen. Dazu gehört, sich nicht mit Standardlösungen zufriedenzugeben, sondern immer die beste Lösung finden zu wollen. Zeit zum Durchdenken von Implikationen muss eingeplant werden. Als wertvoll für den Gesamterfolg einer Kulturimmobilie sei auf folgende Punkte hingewiesen: • Rechtzeitiges und baubegleitendes Facility Management Untrennbar zur Kulturimmobilie gehört ihr Betrieb. Damit ist er ebenso Teil des kulturellen Kernprozesses, wie das Gebäude selbst. Infrastrukturelle, technische oder betriebliche Schwächen werden von den Besuchern oder den Kulturschaffenden wahrgenommen. Sie können eine perfekte Inszenierung oder Präsentation von Exponaten erschweren bis verhindern. Spielzeiten, Festivals, Programmwechsel, Umbauten, Anlieferungen etc. – alle Prozesse und Aktivitäten müssen auf ihre Implikationen auf das Facility Management (FM) untersucht werden, Anforderungen, für die die

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FM-Strategie Lösungen schaffen muss, sind festzuhalten – im Qualitätsmanagement sind die angebotenen Lösungen an den Anforderungen zu spiegeln und gegebenenfalls zu optimieren. Klassiker: Verbringen die Besucher ihre Theaterpause mit der Suche nach den sanitären Anlagen, dem schier endlosen Weg dorthin und dann in der Warteschleife oder kann diese Zeit minimiert werden, damit Kunstgenuss und Bar-Erlebnis im Vordergrund stehen. Änderungs-/Optimierungsmanagement stets mit Lebenszyklusbetrachtung Werden verbesserte und neue Lösungen in Erwägung gezogen, sind sie vor Entscheidung der Lebenszyklusbetrachtung zu unterziehen. Oftmals werden qualitativ bessere Lösungen spontan verworfen, weil der Anschaffungspreis zu hoch scheint – dabei ist es möglich, dass sich eine zunächst kostenintensivere Lösung im Lebenszyklus als die günstigere und nachhaltigere Lösung herausstellt. Klassiker: aus Nutzerperspektive die Schalldämmung von Probenräumen. Günstige Lösungen erzeugen oft ernsthafte akustische Unverträglichkeiten; ein nachträglicher Umbau ist wesentlich kostenintensiver und betriebsstörender als eine Startlösung, die zuvor erfasste Anforderungen zu Hörsamkeit, Sprachverständlichkeit oder Nachhallzeiten genau erfüllt.

Besondere Empfehlung zu Erzeugung von Kostensicherheit: Open Book vereinbaren Unvorhergesehenes kommt so zuverlässig wie der Schwan in Lohengrin. Ein Planungs- und Realisierungsprozess nach Vertragsabschluss mit dem Immobilienentwickler19 dauert mehrere Jahre. Und Kulturorganisationen sind dynamisch. Auch wenn der Bedarfsplanungsprozess noch so akribisch durchgeführt wurde, die Nutzeranforderungen hypergenau festgehalten – schon fast naturgesetzmäßig wird es zu Änderungen kommen. Daher ist die kontinuierliche Fortschreibung des Nutzerbedarfs auf Mieterseite so notwendig. Jedoch können daraus durch die Kulturinstitution veranlasste, nachvertragliche Änderungen an Fläche und Ausstattung resultieren. Damit es nicht zu Kostenexplosionen in Flughafendimensionen kommt, sollte prinzipiell ein transparentes Open Book vertraglich festgehalten werden. Heißt: Auftraggeber und Auftragnehmer haben in partnerschaftlicher Weise klare Einblicke in alle Projektvorgänge. So sind vom Vertragspartner vorgelegte Nachtragskalkulationen im Detail offenzulegen20 und können mit der Urkalkulation verglichen werden. Sollten weitere Zweifel bestehen, hat die Kultur19 | Steht stellvertretend für den Vertragspartner der Kulturinstitution; es kann auch der Vermieter, Leasinggeber, Eigentümer oder eine andere Form juristischer Personen sein. 20 | Das schließt, in der Tat, die Einsicht in mögliche Ausschreibungen ein.

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institution sogar das Recht, eigene Angebote einzuholen, die dann Basis für Abrechnungen werden. Dieses Prinzip von Nutzer und Entwickler/Ersteller/Eigentümer als faire und gleichberechtigte Partner hat sich in vielen unserer Projekte bewährt.

2.4 Ausführung Das Prozessmodell der Kulturinstitution und das architektonische Konzept werden realisiert Aus der optimierten und genehmigten Entwurfsplanung heraus werden Leistungsverzeichnisse erstellt, die vergaberechtlich konform ausgeschrieben werden und zu Angeboten führen. Es ist der Übergang von der »Planungstheorie« ins wirkliche Bauleben. Richtige Entscheidungen müssen getroffen werden, damit sich die individuellen Prozesse der Kulturinstitution in der Kulturimmobile entfalten können. Öffentliche Institutionen stehen im Fokus. Sie unterliegen öffentlich-rechtlichen Rahmenbedingungen. Ihre Entscheidungen müssen nachvollziehbar sein, die Entscheidungsfindung transparent. Sie sollten stets auf einer belastbaren Basis auf bauen und gut dokumentiert sein. Ausschreibungsunterlagen – sowohl für den früheren Architektenwettbewerb, als auch hier für die Vergabe bauen auf den Ergebnissen der bisherigen Phase auf. Ebenfalls die Finanzierung (Volumen) und der Zusammenhang mit den verschiedenen Finanzierungsformen insbesondere hinsichtlich Flexibilität und Risikoabdeckung. In die Vergabestrategie fließen die rechtlichen Aspekte ebenso ein, wie vorab definierte Ziele, beispielsweise: • Minimierung der Gesamtkosten, • Minimierung der Umweltbelastungen: - Vermeidung gesundheitsgefährdender Stoffe - Nutzung ressourcenschonender- und emissionsarmer Baustoffe, • Hohe soziale Standards bei Erstellung des Gebäudes, • Kompetente und termingerechte Leistungserbringung, • Rollenaufteilung (Verantwortung, Risiken) und Schnittstellendefinition der Leistungen Finanzierung | Planung | Ausführung | Betrieb. Auch die Vergabestrategie sei getrieben von der Lebenszyklusdenkweise.

Marktpreisschock und Point of no return Erstmals mit tatsächlichen Marktpreisen konfrontiert, passiert es natürlich, dass übereilt kostensenkungsgetriebene Entscheidungen getroffen werden, bei denen sowohl die Ziele der Kulturinstitution als auch die Nachhaltigkeit auf der Strecke bleiben. Schnell wird für einen billigeren Bodenbelag gestimmt

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(schneller Abrieb, teurer Austausch) oder eine Leuchtstoffröhre statt der anforderungskonformen (und langfristig günstigeren) LED-Lösung – und damit die Chance auf eine qualitätsvolle Kulturwelt, die immer den passenden Raum zur Verfügung stellt verbaut.21 Erschwerend kommt hinzu: ausführende Unternehmen setzen gerne um, was sie bereits kennen. Sie lieben Standards und schützen sie. Und die Unterschrift unter den Zuschlag ist der Point of no return. Umso wichtiger ist es daher vor Vertragsabschluss, zum einen die Fortschreibung der Anforderungen und die Planung möglichst weit voranzutreiben und zum anderen eine Kompetenz in Vollkosten zu entwickeln. Und dies nicht bei einer kleinteiligen Optimierung, sondern natürlich über den gesamten Lebenszyklus der Kulturimmobilie. Der kostenintensivere Betrieb von Kulturimmobilien durch überdurchschnittliche Verbräuche und höheren Energiebedarf ist zu berücksichtigen.

2.5 Nutzung Permanentes Erzeugen der kulturellen Erlebnisqualität und Werterhaltung Umfassendes und nachhaltiges Facility Management von Kulturimmobilien ist aufgrund ihres Kernprozesscharakters von besonderer Nutzerrelevanz. Damit es in der Lage ist, kulturelle Bestleistungen zum einen zu ermöglichen und zum anderen wahrnehmen zu lassen, sollte es aus sechs Perspektiven betrachtet werden: 1. Ziel und Strategiekonformität mit den Kernprozessen der Kulturinstitution Um einen Wertschöpfungsbeitrag (ideeller und monetärer Art) zu leisten, müssen die FM-Ziele und -Strategien aus dem »Wesen« sowie der Strategie der Kulturinstitution abgeleitet und umgesetzt werden. 2. Organisation und Prozesse Das Organisationsmodell stellt die Weichen auf Erfolg – oder Misserfolg. Die »Sekundärprozess-Organisation« darf nicht nur »stumm leisten« und verwalten. Sie muss Megatrends, Branchentrends, Entwicklungen in »ihrer« Disziplin22 beobachten, für ihre Umsetzung bewerten und daraus Maßnahmen für Werterhaltung und Ermöglichen der Bestleistungen entwickeln. Eine FM-Organisation, die weiß, wie sich das digitale Archivierungswesen entwickeln wird und welche Auswirkungen dies auf die Fläche hat, wird einer Bibliothek einen größeren Wertschöpfungsbeitrag liefern.

21 | Dieses Wortspiel ist wörtlich zu nehmen. 22 | Ein Theaterbetrieb muss andere Entwicklungen beobachten als ein Museum.

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3. Kompetentes Management Sekundäre Prozesse von Kulturimmobilien dürfen nicht »sekundär« behandelt werden, sondern brauchen Kernprozess-Qualität. Zuverlässiges Projekt-Management, tadellose Beschaffung, transparentes Kostencon­ trolling und Qualitätsmanagement sind hier selbstverständliche Hygienefaktoren. Gefordert sind ganzheitliche Sichtweise, kulturstrategische Begabung, Kreativität, Reflexionsfähgkeit und praktische Intelligenz, um funktionierende Lösungen zu entwerfen und persönliches »Standing«, um diese Lösungen auch gegen Zweifel durchsetzen zu können.23 4. Bedarfskonforme »Produkte« Versteht man Organisationseinheiten in einem Kulturbetrieb als »Kunden des FM«, müssen ihnen »marktfähige Produkte« zur Verfügung gestellt werden. Keine Einzelelemente wie beispielsweise »ein Raum« für Musiker, sondern Services wie »buchbare ungestörte Probebühne mit Notenständern«. Keine »Kasse«24, sondern eine Lösung mit verschiedenen Zahlungsmöglichkeiten, Online Ticketing, sicherem Geldfluss und statistischer Auswertung. Darüber hinaus können Anreizsysteme eine nachhaltige Nutzung von Ressourcen fördern. 5. Wirtschaftlichkeit Wirtschaftlichkeit ist das Maß für den verantwortlichen Ressourceneinsatz zur Bedarfsdeckung der kulturellen Kernprozesse. Versteht man die Kulturimmobilie und ihren Betrieb nicht als »Ist-eben-da-Objekt«, sondern als »gebaute Ressource«, ist man gedanklich schon einen Schritt weiter. Nicht nur bei der Erstellung, auch beim Betrieb ist der gebaute Raum der größte Hebel für Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. 6. Risikobeherrschung Das FM muss Risikomanagement betreiben. Kulturelles Angebot und Nachhaltigkeit müssen auch in »Notfällen« aufrechterhaltbar sein. Dies gilt für den Kulturbetrieb25 selbst, ökonomische Nachhaltigkeit (beispielsweise den umgehenden Ersatz eines Lieferanten bei dessen Ausfall), soziale Nachhaltigkeit (Aufrechterhaltung von Arbeitsplatzsicherheit und -standards) und ökologische Nachhaltigkeit (Umweltschutz). Die Risikobeherrschung muss in Business Continuity Plänen zur Sicherung der kulturellen Aktivitäten integriert werden.

23 | Zum Beispiel in der Diskussion mit dem Intendanten oder seinem kaufmännischen Direktor… 24 | Es sei denn, man ginge konform mit Neil MacGregor: »Kein Museum sollte Eintritt verlangen, sondern sich als Privatsammlung der Bürger verstehen.« 25 | Ein Unwetter sorgte im Kurhaus Wiesbaden im Juli 2014 unter anderem für Betriebsausfall und Wasserschaden in zwei Konzertflügeln.

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Abbildung 11: Der Betrieb gehört dazu: um der Organisation über den Lebenszyklus des Gebäudes die bestmögliche Umgebung zu bieten, muss das Facility Management aus sechs Perspektiven betrachtet werden. Haus der Ärzteschaft, Düsseldorf – ein M.O.O.CON-Projekt. Architekten: RKW Architekten (© Ansgar M. van Treeck) Um einen wirtschaftlichen und nachhaltigen Betrieb zu gewährleisten, ist es sinnvoll, ihn in drei Phasen zu teilen: • • •

Einregulierung und Inbetriebnahme des Gebäudes, Betriebseinführung (unterschiedlicher Länge, mehrere Spielzeiten oder Ausstellungsrhythmen) und Regelbetrieb (eingeschwungener Zustand des Systems).

Technische Parameter, Auslastungen, Wartung dürfen sich nicht an einer Starteinstellung orientieren, sondern immer am tatsächlichen Nutzerbedarf. Aktuelle Systeme und SMART-Technologien erlauben auch dem Nutzer oder Nutzergruppen eine Beeinflussung in Echtzeit.26 Eine saubere und zugriffsschnelle Dokumentation sei selbstverständlich.

26 | Bedingt auch die Übernahme von individueller Verantwortung und ist ein Thema für interne Kommunikation.

Nicht die Ouver türe – das Gesamtkonzer t bestimmt das Erlebnis

3. S anierungen von K ulturimmobilien Verschärfte EU-Gebäuderichtlinien sowie selbstauferlegte Gebäude- und Servicestandards verändern und erhöhen die Anforderungen bezüglich Nachhaltigkeit und Energieeffizienz an öffentliche Gebäude. Die Verantwortlichen stehen vor großen Herausforderungen und operieren unter budgetär und politisch komplexen Rahmenbedingungen. Oft sind auch Entscheidungen in einem Portfolio von Kulturimmobilien gefragt, so dass sich der Einsatz von Portfolio-Techniken anbietet, um »sanierungsrelevante« Objekte und ihre Beziehung zueinander zu erkennen. Um bei der Entwicklung von nachhaltigen Sanierungsprojekten einen rationalen und transparenten Entscheidungsfindungsprozess zu ermöglichen, empfehlen wir einen vierstufigen Prozess: 1. Erarbeitung Kriterienkatalog zur Bewertung der Kulturimmobilien, 2. Bewertung der einzelnen Objekte und Ableitung von Portfolio- und Objektstrategien, 3. Überführung der Objektstrategien in eine Immobilien- und Sanierungsstrategie, 4. Analyse von Sanierungsvarianten entsprechend Kulturstrategie, Lebenszykluskosten, Nachhaltigkeitskriterien. Die Evaluierung von Sanierungsobjekten anhand klug gewählter Kriterien verhindert den voreiligen Start kostspieliger Sanierungs- und Modernisierungsprojekte, ohne mögliche Alternativen berücksichtigt zu haben. Nach Erkennen der tatsächlichen Sanierungsobjekte wird zunächst die Machbarkeit von Sanierungsvarianten wie Teilsanierung in mehreren Schritten, Generalsanierung oder Neubau in Abhängigkeit der Kulturziele und Qualitätskriterien überprüft. Im Mittelpunkt der weiteren Überprüfung der Sanierungsvarianten muss eine belastbare Berechnung nach Vollkosten stehen, die nicht nur Investitions-, sondern auch Objektfolgekosten berücksichtigt und – das ist wie immer entscheidend – den Lebenszyklus betrachtet. Dann wird mit den öffentlichen Entscheidungsträgern die Bewertung der Sanierungsvarianten entsprechend Kulturstrategie und Nachhaltigkeitskriterien durchgeführt. Dieses Vorgehen garantiert öffentlichen Bauherren oder Kulturinstitutionen, dass die hohen Erwartungen und Zielvorstellungen an Sanierungsprojekte erfüllt werden sowie die Öffentlichkeitsarbeit mit objektiven und nachvollziehbaren Schlussfolgerungen unterstützt wird.

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Andreas Leuchtenmüller und Hauke Schlüter

4. S chlussakkord Wir sind am Ende unserer Betrachtungen von Kulturimmobilien und ihres Zyklus Planen | Bauen | Betreiben. Im Zentrum stehen für uns eine detaillierte Anforderungsdefinition, die sich konsequent am Bedarf von Nutzergruppen orientiert, und die permanente Spiegelung/Optimierung von Lösungen. Erst die so erzeugte Bestellqualität versetzt Architekten und Projektpartner in die Lage, auch Lösungen liefern zu können, die eine außergewöhnliche Kulturimmobilie schaffen und gleichzeitig Sicherheit erzeugen. Wir haben gezeigt, wie dieser Bedarf strukturiert werden kann und wie wichtig das Denken im kompletten Lebenszyklus zu Vollkosten ist. Die Kulturimmobilie selbst und ihr Betrieb sind wesentliche Elemente des Kernprozesses der Institution, die sie plant. An dieser Stelle verabschieden wir uns höflich aus diesem Beitrag, freuen uns auf viele weitere außergewöhnliche Kulturimmobilien mit Planungssicherheit und möchten jedoch nicht verschweigen, dass viele Gedanken eigentlich eine Vertiefung einer über 200 Jahre alten Anforderung sind: Drei Dinge sind an einem Gebäude zu beachten: dass es am rechten Fleck stehe, dass es wohlgegründet, dass es vollkommen ausgeführt sei. Johann Wolfgang von Goethe (in den Wahlverwandtschaften)

Kulturimmobilien – Erfolgsfaktor Projektmanagement Gabriele Willems und Henner Mahlstedt

Inhalt 1. Besonderheiten von Kulturimmobilien | 63 2. Gemeinsamkeiten mit anderen Immobilien | 64 3. Erfolgsfaktor Phase 0 – Nutzeranforderungen und -bedarfsprogramm | 65 4. Erfolgsfaktor Preconstruction-Phase | 67 5. Erfolgsfaktor Projektteam und Dokumentation | 70 6. Erfolgsfaktor Risikomanagement | 72 7. Erfolgsfaktor Projektcontrolling | 74 8. Fazit | 74

1. B esonderheiten von K ulturimmobilien Kulturbauten sind – gleichgültig aus welchem Blickwinkel man sie betrachtet – für alle beteiligten Akteure eine Besonderheit. Aus städtebaulicher Sicht haben sie eine herausragende Bedeutung, weil sie das Stadtbild prägen und in der Stadtentwicklung eine wichtige Rolle spielen. Daher ist die architektonische Gestaltung und die Einbindung in die städtebauliche Situation ein erheblicher Erfolgsfaktor für derartige Projekte. Im Gegensatz zu herkömmlichen Immobilienprojekten – wie z.B. Bürogebäuden – sind Nutzer- und Besucheranforderungen gleichberechtigt bei der Planung zu berücksichtigen. Letzten Endes sind Kulturimmobilien immer »Leuchtturmprojekte«, denen besondere öffentliche Aufmerksamkeit gewidmet wird. Sie ziehen Öffentlichkeit an, sind ein Aushängeschild für Städte und Kommunen und können sehr emotional diskutiert werden, weil das Budget sich in der Regel aus öffentlichen Geldern generiert. Daher macht gerade sowohl im Rahmen der Ideenfindung als auch der späteren Umsetzung der Immobilie eine klare

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Gabriele Willems und Henner Mahlstedt

Kommunikationsbegleitung Sinn und hilft, Konflikte durch Information und Transparenz nicht entstehen zu lassen. Aus baulicher Sicht sind Kulturprojekte in vielerlei Hinsicht eine Besonderheit. Aufgrund Ihrer häufig herausragenden Architektur stellen sie nicht nur hohe Anforderungen an die Ausführungsplanung und die Konstruktion. Vielmehr zeichnen sich derartige Immobilien auch durch eine hohe Komplexität in Bauphysik (z.B. Akustik), Steuer-, Regelungs- und Bühnentechnik sowie Technischer Gebäudeausrüstung aus.

2. G emeinsamkeiten mit anderen I mmobilien Wie bei anderen Immobilienarten gilt auch für die Kulturimmobilie: Nur die Betrachtung der gesamten Lebenszykluskosten ist sinnvoll und ein Muss von Anfang an. In der Regel sind nur 20-30  % der gesamten Lebenskosten der Immobilie Investitionskosten (hiervon entfallen ca. 60 % auf die Baukosten) – der viel größere Teil, nämlich 70-80 % der Kosten entstehen während der Betriebsphase. Daher ist es wichtig, bereits in ganz frühen Planungsphasen die Nutzungsphase mitzudenken und die entsprechenden Fachplaner mit in den Planungsprozess einzubeziehen. So kann man bereits in dieser frühen Phase Kosten für den späteren Betrieb optimieren. Vorrangige Ziele für ein erfolgreiches Projektmanagement sind – unabhängig von der Immobilienart – Planungs-, Termin-, Kosten- und Qualitätssicherheit. Für die Realisierung der Immobilie ist die Erreichung dieser Ziele von existentieller Bedeutung. Nicht selten entstehen aber aus diversen Gründen sowohl Kosten- als auch Terminüberschreitungen. Kostenüberschreitungen resultieren u.a. daraus, dass das Budget von vorneherein zu niedrig angesetzt wird. Zum Teil geht dies darauf zurück dass die Kosten in der Regel nach der DIN 276 (Kosten im Hochbau) ermittelt werden. Dabei wird von einem ungestörten, optimalen Bauablauf ausgegangen – Risikozuschläge für unvorhersehbare Ereignisse sind nicht vorgesehen und auch selten als Vorsorge eingestellt. Aus der Praxis weiß man, dass die Realität häufig anders aussieht. Bauzeitverlängerungen aus denen dann Terminüberschreitungen entstehen, gehen häufig darauf zurück, dass zum Zeitpunkt des Baubeginns die vertraglich bestimmten Leistungen (das Bausoll) nicht klar definiert und festgeschrieben sind. Häufig ist die Planung noch nicht komplett abgeschlossen und/oder wesentliche Planungsunterlagen fehlen. Sei es, weil bestimmte Gestaltungsalternativen noch unklar sind oder – wie in den meisten Fällen, weil Bauherren- und Nutzungsanforderungen noch nicht abschließend geklärt sind. Eine klare Definition des Planungs- und Bausolls verhindert ungestörte Bauabläufe und beugt nicht nur Zeitverzögerungen vor, sondern auch Kosten-

Kulturimmobilien – Er folgsfaktor Projektmanagement

steigerungen, die aus diesen Verzögerungen resultieren. Die Voraussetzung für die Definition eines klaren Bausolls ist eine intensive, rechtzeitige Planungsphase, die eindeutig das geforderte Bausoll festlegt und Entscheidungsprozesse definiert und zu einem frühen Zeitpunkt klare Freigabetermine festlegt.

3. E rfolgsfaktor P hase 0 – N ut zer anforderungen und - bedarfsprogr amm Im Verlauf eines Projektes stellt sich häufig heraus dass Bedarf und Anforderungen nur ungenügend formuliert und die Bedürfnisse von Bauherrn und Nutzer nicht ausreichend ermittelt wurden. Dem gegenüber stehen aber häufig schon festgelegte (politische) Kosten- und Terminziele, die sich mit den funktionalen und qualitativen Vorstellungen, die dann im Laufe der Planung und Ausführung entstehen nicht vereinbaren lassen. Die Folge sind Konflikte, gestörte Abläufe und Behinderungen durch ständige Planungsanpassungen/Umplanungen. Das führt letzten Endes zu Terminverzögerungen und daraus resultierenden Kostensteigerungen, weil es nahezu unmöglich ist, ohne konkrete Bedarfs- und Nutzerplanungen Baukosten seriös zu kalkulieren. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass z.B. öffentliche Aufraggeber ohne Bedarfsplanung kein Vergabeverfahren nach VOF durchführen können. Die DIN 18205 Bedarfsplanung im Bauwesen weist nicht nur auf die Erfordernis einer qualifizierten Bedarfsplanung hin, sondern Sie stellt auch in ihrem Anhang wesentliche Arbeitsmittel zur Strukturierung zur Verfügung. Die Leistung des Architekten beginnt üblicherweise mit der Leistungsphase 1, der Grundlagenermittlung. Hier werden aber schon Planungsleistungen erbracht und wesentliche Weichen für das Projekt gestellt. Die Bedarfsplanung muss unbedingt vorher erfolgen. Sie ist die Basis, auf der die weiteren Planungsphasen auf bauen. Die Bedarfsplanung und das daraus resultierende Nutzerbedarfsprogramm liegen in der Verantwortung des Bauherrn. Wesentliche Angaben im Nutzerbedarfsprogramm sollten sein: • Funktionsprogramm mit Zuordnung der einzelnen Funktionsbereiche, Raumgruppen und Sonderflächen, • Raumprogramm mit Flächen und Räumen für Nutzungseinheiten und Sonderflächen, • Ausstattungsprogramm für die Technische Gebäudeausrüstung, • Anforderungen an das Grundstück, Verkehrswege und Erschließung.

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Bedarfsplanung und Nutzerbedarfsprogramm sollte ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit gewidmet werden. Daher macht es Sinn, dass der Bauherr sich hierfür professioneller Unterstützung bedient. Vorzugsweise empfehlen sich interdisziplinäre Teams, die aus Bedarfsplanern, erfahrenen Praktikern, Architekten, Ingenieuren, Ökonomen, spezifischen Fachleuten wie Kulturexperten und Arbeitswissenschaftler bestehen können. Für die Erstellung des Nutzerbedarfsprogramms empfiehlt sich ein interaktiver Prozess, bei dem in einem Workshop-Format im Dialog mit Experten und Bauherrn das Nutzerbedarfsprogramm entsteht. In diesem Dialog werden Bedürfnisse von Bauherrn und Nutzer ermittelt und als Anforderung im Nutzerbedarfsprogramm festgeschrieben. Hierbei werden Arbeitsabläufe und Kommunikationsbeziehungen ebenso wie die betriebliche Logistik berücksichtigt. Es entsteht ein Arbeitsdokument, das Eigenschaften und Leistungen des zukünftigen Gebäudes enthält, aber auch Anforderungen an die Entwurfsgestaltung, die Zuordnung der einzelnen Funktionsbereiche, das Raumprogramm mit Flächen für die erforderlichen Nutzungseinheiten, die Betriebs- und Gebäudetechnik. Auszug aus einem Raumprogramm (Beispiel) Nr. Bezeichnung

Werkstatt Skulptur

Anzahl

1

Größe

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Nutzung

Erstellung von Gips- und Tonarbeiten (andere Materialien sind möglich) im freien Bereich (Bildhauerei)

Nutzergruppen

• Lerngruppen (KITA, Schule), Weiterbildung und Qualifizierung, freie Jugendarbeit, • max. 15 Personen

Planungsparameter

• Raum und Ausstattung sind den schulischen und arbeitsrechtlichen Sicherheitsvorschriften entsprechend zu gestalten bzw. auszuwählen • der Raum sollte einen Außenzugang haben (Materialanlieferung, Abfuhr von Werkstücken)

Kulturimmobilien – Er folgsfaktor Projektmanagement

Ausstattungs­ kriterien

• • • • • • • • •

Besonderes

15 Arbeitsplätze Schränke für Handwerkszeug in Gruppenzahl Schränke für Handmaschinen Regale zur Lagerung von Material und Werkstücken Tonlagermöbel Brennofen Ausgussbecken mit Abscheideranlagen (ggf. Fräspumpen) Absaug- und Belüftungsanlagen Nottelefon

• Raum bildet Cluster mit anderen Werkstätten (4.1) und der Kunst (4.2) • im Cluster Gliederung in ruhige und laute Bereiche • Zugang ins Freie

4. E rfolgsfaktor P reconstruction -P hase Genauso wie das Nutzerbedarfsprogramm ein unbedingtes Muss für die Festlegung des eindeutigen Planungssolls und damit die Einleitung der Objektplanung darstellt, ist eine gut strukturierte und qualifizierte Planungs- und Preconstruction-Phase ein unbedingtes Muss für die Festlegung des eindeutigen Bausolls und damit die Einleitung der Bauphase. Sie legt die Basis für eine klare Einhaltung des vorgegebenen Kostenrahmens, des Terminplanes und der erwarteten Qualität. In der der klassischen Projektabwicklung resultieren gestörte Bauabläufe und damit Bauzeitverlänge­rungen sowie Kostensteigerungen unvollständigen, nicht rechtzeitig vorliegenden Planunterlagen die wiederum zu verspäteten Freigaben bzw. Entscheidungen führen. Hinzu kommen mangelhafte Arbeitvorbereitung, fehlende Vorbereitung der notwendigen Prozesse und mangelhafte Kenntnisse/Qualifikation in den Projektteams. Die Preconstruction Phase, in der die Beeinflussbarkeit von Kosten, Terminen und Qualität aber am größten ist, kann dafür Sorge tragen, dass diese Störungen gar nicht erst eintreten bzw. die negativen Auswirkungen minimiert werden (siehe Grafik).

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Gabriele Willems und Henner Mahlstedt

Abbildung 1: Grafik Preconstruction-Phase In dieser intensiven Phase, werden von vorneherein alle wesentlichen Kompetenzen, die Einfluss auf Kosten, Termin und Qualität des Projektes und der späteren Immobilie haben, in den Planungsprozess eingebunden und intelligent miteinander verknüpft, wie z.B.: • • • • • • • • • • • • • • •

Tragwerksplanung, technische Gebäudeausrüstung, Fassade, Bauphysik, Ausführungskompetenz/Technische (Sonder-)Lösungen, Logistik, Arbeitsvorbereitung, Terminplanung, Umweltschutz, Risiko- und Sicherheitsmanagement, Budgetentwicklung und -steuerung, Planungssteuerung, Entwicklung von Vertragsmodellen für die Construction Phase, Absichern der Genehmigungsfähigkeit, Projektmanagement Kompetenz, Bedarfs- und Wirtschaftlichkeitsanalysen, Finanzierungskonzepte, Standortbewertung, Architektenwettbewerb, Facility- und Inbetriebnahmemanagement, Immobilien-Lebenszyklus-Bewertung.

In der Preconstruction-Phase wird das Bausoll gemeinsam präzise definiert und der spätere Bauablauf gemeinsam intensiv geplant – angefangen von der

Kulturimmobilien – Er folgsfaktor Projektmanagement

Logistik über die Beschaffung und den eigentlichen Bauprozess bis hin zur Integration des Mieter-/Nutzer-Ausbaus. Auch Entscheidungsprozesse, die sich in der klassischen Bauabwicklung oft als Hemmnis und als Ursache für Bauverzögerungen herausstellen (z.B. Bemusterung, Beschaffung) werden in die Preconstruction Phase verlegt. Dadurch entschärft sich der Termindruck in der Bauphase. Eine intensive Arbeitsvorbereitung ermöglicht die Planung von optimierten Arbeitsabläufen für eine terminsichere Ausführung. Das Ergebnis der Preconstruction Phase ist eine vollständige, lückenlose Bausollbeschreibung, Bausollpläne, Leitdetails, eine Mengenermittlung und eine nachvollziehbare, transparente Kostenkalkulation sowie ein detaillierter Terminplan und qualifizierte Ausschreibungsunterlagen. Am Ende der Preconstruction-Phase kennen alle Beteiligten Anforderungen, Chancen und Risiken so genau, dass die eigentliche Bauphase sicher und termingerecht ablaufen kann. Für die Ausgestaltung der Preconstruction Phase bieten sich unterschiedliche Konstellationen an z.B. Steuerung durch den Bauherrn mit einer eigenen Bau-Abteilung, Übertragung an einen Projektsteuerer, Beauftragung eines Construction Managers bzw. eines Bauunternehmens. Wesentliche Aufgaben, die in der in der Preconstruction Phase abgearbeitet werden: • • • • • • • • • • • • • • • •

Projektstatus feststellen, Stand der Planung dokumentieren, Überprüfen und dokumentieren der übergegebenen Unterlagen, Genehmigungsfähigkeit überprüfen, Vollständigkeit der Planungsleistungen zur Bausolldefinition überprüfen, Planungsbeschränkungen, Baurecht, Nutzungsrechte, Städtebauliche Anforderungen, Denkmalschutz Anforderungen klären, Kunden- und Nutzerbedarf definieren und dokumentieren, Zeitliche Rahmenbedingungen bzw. Zwangspunkte klären, wie z.B. – Eröffnung, Jubiläum etc., Erkennbare Risiken analysieren, Budget vom Bauherrn einfordern, abstimmen und überprüfen gffs. anpassen, Leistungsabgrenzung entsprechend der Verantwortlichkeiten vornehmen, Kostenschätzung nach DIN 276 und vergleichende Investitionsberechnung durchführen, Deckungsgleichheit von Planung zum Budget prüfen, Plausibilitätsprüfung Budgeterreichbarkeit, Risikoanalyse, Bausollbestimmung, value-engineering, Planungssteuerung, Bauherrenpflichten definieren u. beschreiben,

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• • • • • • • •

Projekt-Organigramm festlegen, Erfordernis von Machbarkeitsstudien und Gutachten prüfen, Bemusterung wesentlicher Materialien und Werkstoffe, Ablauf mit Entscheider-Terminen und Meilensteinen festlegen, Terminplanung aufsetzen, Betriebskostenanalyse, Berichtswesen und Dokumentation festlegen, u. A.

5. E rfolgsfaktor P rojektteam und D okumentation Jede Immobilie und besonders Kulturimmobilien sind Unikate, bei deren Erstellung viele unterschiedliche Personen und Fachrichtungen beteiligt sind. Daher kommt der fachlichen und organisatorischen Kompetenz des Projektteams, das letzten Endes für die Realisierung der Immobilie zuständig ist, eine besondere Bedeutung zu. Das Projektteam steuert die Planungsleistungen und bereitet die Bauleistungen vor, organisiert, steuert sie und setzt sie um. Die Projektteams passen sich in Größe, Zusammensetzung und Kompetenz den jeweiligen Anforderungen und Komplexität des Projektes an. Der Kopf eines jeden Projektteams ist der Projektleiter – der idealerweise für die gesamte Projektlaufzeit dem Bauherren als Ansprechpartner zur Verfügung steht und bei dem alle Fäden im Projekt zusammenlaufen. Er übernimmt in Abstimmung mit dem Bauherrn die Verantwortung für das Projekt von der Angebotsbearbeitung über die Ausführungsphase bis zur Abnahmeund betreut ihn idealerweise auch über das Projektende hinaus – z.B. in Fragestellung der Gewährleistung. Er überwacht den Projektablauf, organisiert die Planungssteuerung und das Vertragsmanagement, überwacht das Projektcontrolling, er regelt das Berichtswesen und organisiert den Informationsfluss zwischen Kunde, Projektteammitgliedern und allen Projektbeteiligten, er grenzt die verschiedenen Aufgaben und Aufgabenbereiche
 im Projektteam ab und stellt den Informationsflusses zwischen allen Projektbeteiligten sicher.
 Vor der Beauftragung des Bauunternehmens und/oder des Planungsteams sollte es obligatorisch sein, dass sich das der Projektleiter mit den wesentlichen Mitgliedern seines Teams persönlich beim Auftraggeber vorstellt und präsentiert. Ebenfalls empfiehlt es, Referenzen für ähnliche Projekte zu abzufragen, die der potenzielle Projektleiter/das Projektteambereits abgewickelt hat. So hat der Auftraggeber die Gelegenheit sich einen Eindruck über Kompetenzen und Profile zu verschaffen.

Kulturimmobilien – Er folgsfaktor Projektmanagement

Dem Projektleiter sind permanent oder temporär Projektteammitglieder zugeordnet, die unterschiedliche ihre Erfahrungen und Fachwissen in das Projekt einbringen. Die Projektteam-Mitglieder unterstützen den Projektleiter bei seinen Aufgaben. Sie führen und koordinieren die Arbeiten der Planungsteams, der Bauteams und die der beauftragten Dienstleister und Unternehmen. Ihm gehören u.a. ein oder mehrere Bauleiter an, die die Verantwortung für die technische, wirtschaftliche und vertrags getreue Abwicklung des Projektes haben. Bei komplexen und größeren Projekten ist es sinnvoll einen Planungskoordinatoren als Projektteammitglied zu etablieren. Er ist für die Qualität und Vollständigkeit der Planung verantwortlich und koordiniert Fachplaner und bindet sie in notwendiger Weise in das Projekt ein. Er überprüft, die Planungen dahin gehend, dass die Planaussagen genehmigungsfähig, abnahmefähig, vertragskonform und aufeinander abgestimmt sind. Eine wichtige Funktion im Projektteam stellt auch der Vertragsmanager dar. Er identifiziert Chancen und Risiken, die aus den vertraglich vereinbarten Rechten und Pflichten in den bestehenden Verträgen entstehen und entwickelt Maßnahmen, um diese zu steuern und zu beherrschen. Zu den wesentlichen Aufgaben gehört auch die Erfassung und das Beurteilen von Abweichungen und Änderungen vom vertraglich vereinbarten Bausoll und dem damit evtl. verbundenen vertraglichen Verhandlungen zwischen den Parteien, die Überprüfung des Vertragsterminplanes und die baubetriebliche Umsetzung der vertraglichen Inhalte. Es ist ein Muss, für jedes Projekt ein Organigramm aufzustellen, das die Organisation des Projekts darstellt mit Ansprechpartnern, Zuordnung und Berichtswegen. Das gleiche gilt für ein strukturiertes Besprechungswesen, das alle erforderlichen Projektabläufe adressiert und alle beauftragten Planer, Dienstleister und Fachfirmen mit einbezieht. Zu jedem Projekt gehört ein Projekthandbuch entsprechend der individuellen Randbedingungen und der vertraglich festgelegten Qualitätsziele zu Projektbeginn. In diesem Projekthandbuch werden die Projektorganisation sowie die Festlegungen und Ergebnisse der Projektabwicklung zusammengefasst und dokumentiert. Das Projekthandbuch wird über die Projektlaufzeit fortgeschrieben und gepflegt. Durch eine lückenlose Dokumentation kann man frühzeitig Missverständnissen vorbeugen und unnötige Auseinandersetzungen vermeiden.

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6. E rfolgsfaktor R isikomanagement

Abbildung 2: Risikomatrix Risikomanagement ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Projektmanagements- und damit für die Realisierung von Bauprojekten ein unverzichtbares Werkzeug. Je früher man sich abzeichnende Risiken erkennt und kommuniziert, desto eher ist im Sinne des Projekterfolges ein Eingreifen und Gegensteuern möglich. Daher müssen m Anfang eines jeden Projektes auf Basis einer umfassenden Risikoanalyse die vorhandenen Projektrisiken identifiziert und analysiert werden. In der Folge wird dann entschieden, wie Sie bewertet werden, welche Auswirkungen sie auf das Projektergebnis haben und wie sie im weiteren Prozess berücksichtigt werden und wie mit Ihnen umgegangen wird. Die Bewertung erfolgt mit Hilfe von Risikomaßstäben, die auf einer einheitlichen Bewertungsgrundlage beruhen, die einen Kostenansatz beinhaltet, damit die Risiken in der Kostenkalkulation entsprechend berücksichtig werden können. Neben der quantitativen Bewertung der Risiken ist es ebenso wichtig, alle Projektbeteiligten für mögliche Risiken zu sensibilisieren und den Fokus auf das Risikobewusstsein zu lenken. Projektrisiken resultieren im Wesentlichen aus dem Baugrund, aus nicht bekannter vorhandener Bausubstanz, ungünstigen Witterungsverhältnissen, Mängeln in der Organisation, Mängeln in der Planung, fehlenden Ressourcen, fehlerhaften Vertragsmanagement, Qualitätsmängeln u.a. Für das Risikomanagement empfiehlt sich ein strukturierter und für alle Projektbeteiligten transparenter Ablauf:

Kulturimmobilien – Er folgsfaktor Projektmanagement

Risiko-Identifikation Die Risiko-Identifikation beinhaltet dies sowohl die bewusste Suche als auch die strukturierte, detaillierte und vollständige Erfassung (Dokumentation) der wesentlichen Risiken des Projektes. Es empfiehlt sich hierbei sowohl mit Checklisten zu arbeiten, als auch die Risiken in einem Brainstorming mit allen Projektbeteiligten zu identifizieren.

Risikobewertung Die identifizierten Risiken werden in Bezug auf Schadenspotenzial und Eintrittswahrscheinlichkeit bewertet und im Risikoportfolio dargestellt. Dies dient der Beurteilung, ob die Risiken in der Summe wesentlich sind, d.h. von großer Bedeutung für das Erreichen der Projektziele sind.

Risikosteuerung und -über wachung Risikosteuerung besteht aus Maßnahmen zur Vermeidung und Begrenzung von Risiken sowie der bewussten Akzeptanz des verbleibenden Restrisikos mit klar definierten und laufend verfolgten Maßnahmen zu deren Beherrschung. Das Restrisiko darf das Erreichen der definierten Ziele nicht gefährden. Ziel des Risikomanagements muss es natürlich sein, die Risiken im Rahmen des Projektmanagements aktiv so zu beeinflussen, dass das Schadenspotenzial begrenzt wird und die Eintrittswahrscheinlichkeit verringert wird.

(Transparente) Risikokommunikation Alle Steuerungsmaßnahmen werden von den Verantwortlichen innerhalb des Projektes vollständig und zeitnah kommuniziert. Die Kommunikation erfolgt anhand standardisierten Erfassungsbögen für jedes der Hauptrisiken. Daraus entwickelt sich die Risikosituation des Gesamtprojektes. Zusammenfassend zeichnet sich ein funktionierendes Risikomanagementsystem durch nachstehende Erfolgsbausteine aus: • Installation eines Startup-Teams bei Projektbeginn zur Sicherstellung frühzeitiger Prozessstabilität, • Vorausschauende Identifizierung von Risiken, • Definition von Maßnahmen zur Beherrschung der identifizierten Risiken, • Enge Begleitung von Hochrisiko-Projekten durch Risikocontroller über die gesamte Projektlaufzeit, • Stärkung des Vertragsmanagementes, • Kommunikation innerhalb des Projektes zur Vermeidung von Wiederholungen.

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7. E rfolgsfaktor P rojektcontrolling Eines der vorrangigen Ziele des Projektmanagements ist die Einhaltung der vorgegebenen Kostenrahmen, der vereinbarten Qualität und des festgelegten Terminrahmens. Dazu stehen im professionellen Projektmanagement verschiedene Planungs- und Controlling Instrumente zur Verfügung, die je nach Komplexität und Zielsetzung auf das jeweilige Projekt angepasst werden müssen. Für ein effizientes Kostencontrolling sind klare, transparente Kostenstrukturen und (Projekt) interne Kostenwahrheit wesentliche Voraussetzungen. Für ein funktionierendes Terminmanagement empfiehlt es sich seitens des Bauherrn oder seines Vertreters konkrete Projektziele und Meilensteine zu definieren, um Verzögerungen zu vermeiden. Diese führen oft zu Engpässen im Prozess, die häufig mit schlechter Qualität kompensiert werden. Daher macht eine proaktive Terminplanung und -verfolgung Sinn, die durch Frühwarnsysteme ein rechtzeitiges Entwickeln und Umsetzen von Gegenmaßnahmen ermöglicht. Hierzu wird im Projektcontrolling – als Bestandteil des Projektteams – ein monatlicher Soll/Ist Vergleich aufgestellt in Bezug auf Kosten und Termine. Auch Risiken werden hier in Bezug auf Ihre Eintrittswahrscheinlichkeit und ihre Kostenauswirkung bewertet und controlled. In der regelmäßig stattfindenden Projektteambesprechung werden die Ergebnisse transparent gemacht, gemeinsame Maßnahmen entwickelt und ein Reporting für den Auftraggeber abgesprochen.

8. F a zit Kenntnis und Umsetzung der vorgenannten Erfolgsfaktoren tragen wesentlich zum Erreichen der Projektziele und damit zum Projekterfolg bei. Individuelle Randbedingungen und Einflussfaktoren, speziell bei hochkomplexen Kulturimmobilien, erfordern darüber hinaus große Erfahrung, hohes Engagement und erhebliche Disziplin der Beteiligten in der Projektabwicklung und der Vertragsgestaltung.

Baulogistik bei Kulturimmobilien Dirk Heisterkamp, Christian Otto, Richard Pohl, Frank Scheid

Inhalt 1. Einleitung | 75 2. Definition, ganzheitliche Planung und Prozessqualität sowie Verantwortlichkeiten | 76 3. Baulogistikplanung | 77 4. Baulogistik Module | 81 5. IT-gestützte Prozesse | 87 6. Einbeziehung der Stakeholdergruppen | 92 7. Empfehlungen | 94 Literatur | 95

1. E inleitung Die Baulogistik ist eine der jüngeren Disziplinen, welche sich im deutschen Baumarkt entwickelt haben. Gleichzeitig ist es jedoch auch eines der Gewerke mit den höchsten Wachstumsraten im Bausektor in den letzten fünf Jahren. Einer der Gründe für dieses Wachstum ist die verstärkte Nachfrage am Markt für Einzelgewerkevergaben bei Großprojekten oder Projekten mit »besonderen« Bedingungen. Hier sind innerstädtische Projekte oder Projekte mit engen Platzverhältnissen wie z.B. in Industrieumfeldern oder Bauvorhaben mit hohen »Bauen im Bestand« Anteilen zu nennen. All diese Projektkriterien führen u.a. dazu, dass für das Bauprojekt nur sehr begrenzte Flächen zur Verfügung stehen und zusätzlich auch übergeordnete Bedingungen wie eine Werkslogistik oder innerstädtische Belange Vorrang vor dem Bauprojekt haben. Gerade Kulturimmobilien sind in vielen Fällen Projekte, die in diese Projektcluster fallen, da Kulturimmobilien oft erneuert werden oder sich auch nahezu immer in innerstädtischen Lagen befinden. Die damit verbundenen Herausforderungen in Bezug auf verfügbare Flächen führen dazu, dass sich diese Projekte intensiv mit der baulogistischen Organisation auseinandersetzen müssen. Zusätzlich kommt bei Kulturimmobilien immer hinzu, dass es

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Dirk Heisterkamp, Christian Otto, Richard Pohl, Frank Scheid

im Vergleich zu anderen Bauprojekten zusätzliche Stakeholdergruppen und ein hohes Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit gibt. Der folgende Aufsatz versucht nach einer Definition des Gewerkes Baulogistik im Bereich von Kulturimmobilien auf die enorme Bedeutung einer vorgeschalteten Baulogistikplanung einzugehen. Im darauf folgenden Abschnitt werden fünf Baulogistik Module und Ihre Bedeutung für Kulturimmobilien beleuchtet. Im Weiteren wird die Nutzung von prozessgestützten IT-Systemen für die Baulogistik betrachtet und in einem fünften Teil die Einbeziehung der unterschiedlichen Stakeholdergruppen bei Kulturimmobilien schon im Bauprozess angegangen. Der Beitrag schließt mit einer Empfehlung für die notwendigen Baulogistikmodule für ein Projekt ab. In allen Teilen des Aufsatzes wird auch jeweils auf die Kosten-Nutzen Aspekte gezielt eingegangen, um so ein Gewerk zu beschreiben, welches ein überdurchschnittliches Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweist.

2. D efinition , ganzheitliche P lanung und P rozessqualität sowie V er antwortlichkeiten Die Literatur liefert mehrere Definitionen zur Baulogistik, am geläufigsten ist die folgende: Die Baulogistik als Teilgebiet der Logistik verbindet die betrieblichen Bereiche von gewerkeübergreifender Koordination sowie Lagerung und Transportwesen. Sie beinhaltet zum einen die Versorgung des Projektes mit Baustoffen und deren terminliche Koordinierung zur Verarbeitung in dem zu erstellenden Bauwerk unterschiedlichster Kategorien (Hochbau, Tiefbau). Sie beinhaltet zum anderen eine ganzheitliche Planung, Steuerung, Durchführung, Bereitstellung, Optimierung und Kontrolle von Prozessen, der Ortsveränderung von Gütern, Personen und Transportmitteln und deren Umschlagplätze selbst. Sie sichert den quantitativen und qualitativen Erfolg von Bauprozessen und dient der Einsparung von Zeit-, Material- und Transportkosten. Allein anhand dieser Definition ist bereits zu erkennen, dass es sich hier um Effektivität, klare Strukturen und den ressourcenschonenden Einsatz von Baustoffen oder Medien handelt. Damit ist die Baulogistik z.B. auch ein möglicher Baustein im Rahmen von DGNB1 oder LEED2 Zertifizierungen von Gebäuden. In jedem Fall ist die professionelle Organisation baulogistischer Prozesse ein Faktor, der zur Nachhaltigkeit beiträgt. Dies unterstreicht auch Gary Sullivan in seinem Buch »Managing Construction Logistics«, dem Standardwerk in Bezug auf die Baulogistik im englischsprachigen Raum.3

1 | Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. 2 | Leadership in Energy and Environmental Design. 3 | Vgl. G. Sullivan/S. Barthorpe/S. Robbins: Managing Construction Logistics.

Baulogistik bei Kulturimmobilien

Mit der Verbundenheit zur Nachhaltigkeit ist die Baulogistik der Kultur als solcher im Übrigen sehr nahe. Kultur ist per se immer darauf ausgelegt, nachhaltig zu sein. Kultur und damit auch Kulturimmobilien geben den Regionen, in denen sie entstehen oder modernisiert werden eine Unverwechselbarkeit, eine Identität und damit auch einen Sinn. Mit Kulturimmobilien werden (Lebens-)räume der Zukunft gestaltet, sie sind immer nahe an den Menschen, die sie nutzen. Damit obliegt diesen Kulturimmobilien auch ein gewisser Vorbildcharakter in der Gestaltung, in der Nutzung, aber doch auch in der Realisierung an sich. Was liegt da näher, als nicht nur die Kulturimmobilie selbst, sondern auch den Prozess unter dem das Kulturgut (neu) entsteht, ebenfalls so auszulegen, dass er möglichst nachhaltig ist, dass er nahe an den Menschen ist, dass er sorgsam ausgelegt ist, was einen schonenden Ressourceneinsatz angeht, dass er verantwortungsvoll und unverwechselbar ist. Hierzu bietet die verantwortungsvolle Baulogistik einen großen Mehrwert. Sie hat nicht nur unmittelbar mit »Kultur-Bauten« zu tun, sie ist im Umkehrschluss auch Bestandteil einer besonderen Baukultur, die es weiter zu fördern gilt. Durch eine übergeordnete Ablaufplanung, durch das Schaffen eines Überblicks über Bauphasen, über Ressourcen, über die Steuerung logistischer Abläufe werden die zur Schaffung einer wirklich nachhaltigen Kulturimmobilie notwendigen Elemente berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund hat auch die öffentliche Hand eine besondere Verantwortung. Dies gilt auch und besonders in Zeiten von Reformkommissionen z.B. zum Bau von öffentlichen Großprojekten oder in denen eine Stiftung Baukultur, in der es auch um einen verantwortungsvollen Umgang mit der Planung und Steuerung von Projekten geht, an Bedeutung hinzugewinnt. Die öffentliche Hand kann und muss durch ihre gesetzgebende Funktion Einfluss auf die Qualität von Bauprozessen und der zu schaffenden Umwelt haben. Das gilt auch und insbesondere für Kulturimmobilien im Rahmen eines kompletten »Kultur-Zyklusses«. Allein die Akzeptanz von Kulturimmobilien kann dadurch erheblich gesteigert werden. Vor diesem Hintergrund machte es Sinn, Belange z.B. der Baulogistik im Rahmen einer kompletten Nachhaltigkeitsbetrachtung anzuführen und bereits im Genehmigungsverfahren einzufordern.

3. B aulogistikplanung Das Ziel einer Baulogistikplanung besteht darin, die für eine erfolgreiche Abwicklung einer Baumaßnahme erforderlichen baulogistischen Elemente, Funktionen und Güter zu untersuchen, zu bemessen und abschließend aufzuzeigen. Im Speziellen wird hierbei auf die materielle und energetische Versorgung und Entsorgung sowie auf den personellen und organisatorischen Betrieb der Baustelle eingegangen.

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Sollten diese Faktoren im Vorfeld einer Baumaßnahme sorgfältig durchgeplant werden, kann die eigentliche Aufgabe der ausführenden Baulogistik mit der Bereitstellung der richtigen Menge, des richtigen Objektes, am richtigen Ort, zum richtigen Zeitpunkt, in der richtigen Qualität, zu den richtigen Kosten gewährleistet werden.4 Die Bandbreite zeigt, dass die Baulogistik und damit die vorgelagerte Baulogistikplanung als Gesamtfunktion über alle klassischen betrieblichen Funktionen, sprich über alle Gewerke hinweg, wirkt. Die Ergebnisse einer Baulogistikplanung können abschließend in Baulogistikphasenplänen, in Regelwerken für die Baustelle, beispielsweise in Form eines Baulogistikhandbuches sowie in die Baulogistik betreffenden Leistungsverzeichnissen festgehalten werden. Die Baulogistikplanung unterscheidet zwischen den inneren und äußeren Faktoren einer Baustelleninfrastruktur. Nur Elemente und Güter, welche von außen während eines definierten bzw. benötigten Zeitraumes zur Baustelle transportiert werden können, können auch innerhalb der Baustelle be- bzw. verarbeitet werden. Die außerhalb der Baustelle liegende Verkehrsinfrastruktur könnte somit einen ersten Flaschenhals bezüglich einer Materialanlieferung bilden. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass aus der Baustelle heraus auch nur so viele Güter abtransportiert werden können, wie sie von der äußeren Verkehrsinfrastruktur auch aufgenommen werden können. Aus diesem Grund werden zu Beginn einer Baulogistikplanung unter anderem nachfolgend aufgezeigte, äußere Faktoren untersucht: •

• •

Verkehrsinfrastruktur im erweiterten sowie im direkten Baustellenumfeld zwecks Aufnahme des zu ermittelnden Transportaufkommens für anzuliefernde Stoffe wie Beton, Bewehrung, Schalung und Ausbaumaterialien sowie für abzufahrende Stoffe wie Bodenaushub und Entsorgungsmaterialien, Bauweise des Bauwerkes bzgl. Fertigteilanlieferungen vs. Transportbetonanlieferungen, Energetische äußere Anbindung der Baustelle bezogen auf die benötigten Medienanschüsse für Frischwasser, Strom, Telefon und Internet sowie für Abwasser.

Des Weiteren gilt es, nachfolgend aufgezeigte, innere Faktoren der Baustelleninfrastruktur bzw. der Baustelleneinrichtung zu untersuchen bzw. zu erarbeiten:

4 | Vgl. 6 R der Logistik entsprechend Prof. Dr. J. Jünemann: Materialfluss und Logistik – Systemtechnische Grundlagen mit Praxisbeispielen.

Baulogistik bei Kulturimmobilien

• Transportaufkommen bezogen auf die Gewerke und Terminplanung, • Verkehrsinfrastruktur innerhalb des Baufeldes mit Positionierung der Baustellenzugänge für Personal und Verkehr, der Wartezonen, der Baustraßen, der Ladezonen, der Lagerflächen für Bau- bzw. Aushubmaterialien sowie der Entsorgungsflächen, • Baustellensicherung in Form von Zugängen mit Toren und Drehkreuzen/ Drehsperren, Bauzäunen, Absperrungen sowie mittels Personalbewachung5, • Temporär zu nutzende, stationär aufzustellende Anlagen und Geräte wie Hebezeuge, Mischer, Pumpen und Verteiler in der Roh- und Ausbauphase, • Temporär zu nutzende, mobile Geräte wie Transportfahrzeuge und Ladehilfen, • Personalauf kommen (gewerbliches sowie zugehöriges Führungspersonal), • Einrichtungen für das Baustellenpersonal (Unterkünfte, Büros, sanitäre Anlagen etc.)6, • Einrichtungen für die Medienversorgung sowie Entsorgung innerhalb des Baufeldes (Frischwasser, Strom, Telefon, Internet, Abwasser). Die Ziele einer Baulogistikplanung für Kulturimmobilien gestalten sich grundsätzlich in ähnlicher Art und Weise, wie die bereits beschriebenen Ziele einer »herkömmlichen« Baulogistikplanung. Bedingt durch die zumeist innerstädtische Lage, durch den hohen Grad an Aufmerksamkeit und den hohen öffentlichen Stellenwert einer Kulturimmobilie werden über die bereits beschriebenen Ziele hinaus jedoch erfahrungsgemäß weitere bzw. speziellere Anforderungen an die Baulogistikplanung gestellt.7 Aufgrund des fokussierten Interesses der Öffentlichkeit an einer Kulturimmobilie sollte durch die Baulogistikplanung angestrebt werden, die vom Baubetrieb ausgehenden, möglichen Auswirkungen wie etwa eine höhere Luftbelastung, eine etwaige hohe Verkehrskonzentration, eine Verringerung der Leistungsfähigkeit des Straßennetzes sowie eine Beeinträchtigung der Anlieger im direkten Umfeld einer Baustelle auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren. Zur Erfüllung dieser »öffentlichen Anforderungen« werden, unabhängig ob Neubau- oder Renovierungsmaßnahme, nachfolgend aufgezeigte Werkzeuge bzw. Aktivitäten geplant:

5 | Vgl. VOB Teil B, § 4 Ausführung. 6 | Vgl. die Technischen Regeln für Arbeitsstätten – ASR, www.baua.de. 7 | Vgl. Heft 25, AHO Schriftenreihe: Leistungen für Baulogistik.

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• Einsatz eines zentralen Verkehrssteuerungssystems welches ermöglicht, das öffentliche Straßenverkehrsnetz zu den Spitzenzeiten zu entlasten, die Anliegerbeeinträchtigung zu minimieren sowie die Feinstaubbelastung über einen gleichmäßigeren Zeitraum zu verteilen und in den Verkehrsspitzen zu verringern, • Verringerung des Verkehrsaufkommens und damit Reduzierung von Emissionen beispielsweise durch die Vorgabe des zu nutzenden (größeren) Transportfahrzeuges, durch die Nutzung von Zustelldiensten für die Lieferung von Kleinstmengen, durch die Bündelung von Betonierterminen zur Kapazitätsoptimierung sowie durch die Zentralisierung der Entsorgungslogistik und Containerstellung, • Wiederverwertung von Materialien auf der Baustelle, beispielsweise durch die direkte Lagerung von Bodenaushub, • Optimierung des äußeren Erscheinungsbildes der Baustelle, • Terminliche Berücksichtigung von innerstädtischen Veranstaltungen zur besseren Stadtverträglichkeit, • Öffentlichkeitsarbeit mit regelmäßigen Informationsveranstaltungen für die betreffenden Anlieger und die interessierte Öffentlichkeit (Anwohnermanagement). Unabhängig von den Anforderungen und den vorgestellten Erfüllungsinstrumenten gilt es speziell bei der Renovierung von Kulturimmobilien, nachfolgende Punkte zu planen: • • • •

Maßnahmen zum Schutz von Gebäudeteilen, Maßnahmen zum Schutz von Gebäudeeinrichtungen, Maßnahmen zum Schutz von Ausstellungsstücken, Umzugsmaßnahmen innerhalb des Gebäudes, bspw. im laufenden Betrieb, • Maßnahmen zum Schutz von Außenanlagenteilen. Die Erfahrung zeigt, dass durch eine sorgfältige Planung der Baulogistik mit der Erarbeitung einer optimierten Baustelleneinrichtung, unabhängig von der Vergabestrategie des Bauherren (Generalunternehmer vs. Einzelgewerke), das wirtschaftliche Ergebnis einer Baumaßnahme positiv beeinflusst wird. Als harte Faktoren lassen sich Kosteneinsparungen im Bereich der Planung einer zentralen Vergabe für die Entsorgungsleistungen festhalten. Es sind Kosteneinsparungen von bis zu 15  % möglich.8 Gründe für die signifikanten Einsparungen sind die Abnahme der gesamten Entsorgungsfraktionen 8 | Vgl. Wilson James: Case Study, Construction´s complete logistics solution: an idea that is just in time, 2015.

Baulogistik bei Kulturimmobilien

und der damit verbundenen Möglichkeit zur gezielt getrennten Sammlung von Fraktionen, die verringerte Anzahl an An- und Abtransporten, bedingt durch die Stellung größerer Container und der Einsatz von qualifiziertem, jedoch kostengünstigerem Reinigungspersonal. Ein ähnliches Einsparpotential lässt sich durch die Ausplanung einer zentralen und übergeordneten Stellung von Unterkünften für das Baustellenpersonal erzielen. Neben den Vorteilen einer organisierten An- und Abfahrt der einzelnen Container lässt sich durch eine übergeordnete Vermietungsstrategie ein wesentlich erhöhter Auslastungsgrad der einzelnen Container erzielen und somit Kosten einsparen. Neben den aufgezeigten harten Faktoren lassen sich abschließend auch nachfolgende weiche Faktoren als Vorteile einer Baulogistikplanung festhalten: • Reduzierung von Behinderungsanzeigen, • Bedingt durch die zentrale Einrichtung eines Wertstoff hofes und durch die zentral organisierte Stellung von Unterkünften auf dem Baustellengelände stehen gegenüber der dezentralen und unkoordinierten Aufstellung von Containern durch die Nachunternehmer mehr und besser nutzbarere Lagerflächen zur Verfügung, • Bedingt durch die gezielt getrennte Sammlung von Fraktionen vor Ort wird sichergestellt, dass ein hoher Anteil der Fraktionen der Wiederverwertung zugeführt werden kann. Die verbleibende Restabfallmenge, welche abschließend deponiert werden muss, verringert sich – eine Maßnahme zur Schonung der Landschaftsressourcen, • Bedingt durch die Organisation der Materialtransporte über ein Verkehrssteuerungssystem entfallen die »Zeitchaos-Kosten«, verursacht durch längere Wartezeiten – eine Maßnahme zur Förderung der Stadtverträglichkeit des Bauvorhabens, • Bedingt durch die verringerte Anzahl an An- und Abtransporten stellt sich eine Reduzierung des CO2 Verbrauches sowie eine Reduzierung der Lärmemission ein – ebenso eine Maßnahme zur Förderung der Stadtverträglichkeit des Bauvorhabens.

4. B aulogistik M odule Die oben definierte und in Bezug auf die Planung erläuterte Baulogistik kann im Bereich der Kulturimmobilien in fünf Module gegliedert werden. Die hier gewählten Module sind im Kulturimmobilienbereich wichtig, da die differenzierten Anforderungen an Umfeld, öffentliche Wahrnehmung und zusätzliche

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Stakeholdergruppen9 andere Anforderungen an Baulogistik stellen, als zum Beispiel Büroimmobilien oder Wohnimmobilien. Die in der Grafik zusammenfassten Module sind: • • • • •

Baustelleninfrastruktur, Materiallogistik, Entsorgungslogistik, SIGEKO (Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordination), Zutrittskontrolle.

Abbildung 1: Eigene Darstellung Christian Otto, SiteLog GmbH Die Baustelleninfrastruktur stellt die Basis einer jeden Baulogistik dar. Hierunter fallen sowohl die großen Gewerke der Baustelleninfrastruktur wie Containeranlagen für Bauleitungen ,Tagesunterkünfte und Sanitäranlagen, sowie die Baustrom- und Bauwasserversorgung, als auch sämtliche kleinen Gewerke wie Bauaufzüge, sonstige Hebegeräte, Stapler, Bauzaun, Tore, Schranken, temporäre Baustraßen sowie zusätzliches notwendiges Equipment. Eine optimale und zentral zur Verfügung gestellte Baustelleninfrastruktur als Teil einer Baulogistik-Dienstleistung bringt vielfältige Vorteile bei Projekten mit engen innerstädtischen Platzverhältnissen, wie sie bei Kulturimmobilien oft anzutreffen sind. So kann der vorhandene, enge Platz optimal genutzt werden, sollte es zum Beispiel eine Containeranlage geben, die zentral zur 9 | Vgl. R. E. Freeman: Strategic Management. A Stakeholder Approach.

Baulogistik bei Kulturimmobilien

Verfügung gestellt wird. Gewerkeabhängige Containerstellungen führen zur zusätzlichen Raumbedarf und unnötigen Transporten. Auch ist das saubere, geordnete Erscheinungsbild einer zentralen, einfarbigen Anlage als Visitenkarte der Baustelle im gesamten Projektverlauf positiv zu beurteilen. Im Bereich der Kulturimmobilien kommt gerade dem Bauzaun als Teil der Baustelleninfrastruktur eine wichtige Kommunikationsbedeutung zu. Stellt er vom ersten Tag der Baugrube an, doch das Gesicht der Baustelle zu sämtlichen Stakeholdergruppen dar. So kann hier schon frühzeitig die strategische Ausrichtung der Kulturimmobilie transportiert werden. Als Beispiel sei hier bei einem Museumsbau ein Künstlerwettbewerb genannt, welcher die zukünftigen Werke, die der Bau einmal beheimaten wird, bereits in der Bauphase der Öffentlichkeit kommuniziert. Im Bereich der Materiallogistik setzen sich die eher personalintensiven Dienstleistungen der Baulogistik fort. Hier sollte gerade bei innerstädtischen Kulturimmobilien ein webbasiertes Anliefermanagement verwendet werden. Jeder Transport der die Baustelle befährt muss hier auf diesem IT-gestützten System angemeldet werden. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit die Buchung der Logistikflächen mit der Buchung von zusätzlichen Ressourcen wie Bauaufzügen oder Gabelstaplern zu verknüpfen. Diese Verknüpfungsmöglichkeiten führen zu einem optimalen Lieferprozess, welcher die Kosten für LKW-Wartezeiten signifikant reduziert. Auch bringen diese klaren Prozessstrukturen weniger Diskussionen unter den Projektbeteiligten, sowie weniger Belästigungen der Nachbarschaft mit sich. Das führt automatisch zu Kostenreduzierungen bei Behinderungsnachträgen. Die EDV-gestützten Systeme, welche zur Stützung der Baulogistikprozesse genutzt werden sollten, sind im Kapitel IT-gestützte Prozesse näher beschrieben, da sie die zukunftweisende Bedeutung des Gewerks Baulogistik repräsentieren. Da aber jedes IT-System nur so gut ist, wie es auch von fachmännischen Mitarbeitern bedient wird, ist die Materiallogistik auch zu einem hohen Teil von den Mitarbeitern des BaulogistikDienstleisters abhängig. Sie sorgen dafür, dass der im Computer abgebildete Prozess, auch auf der Baustelle vor Ort identisch ausgeführt wird. Zusätzlich sind sie wichtige Personen, sollte der Prozess durch äußere Einflüsse wie Staus, Verspätungen, Behinderungen von Lagerflächen, o.ä. beeinflusst werden. Da es im Bereich von Kulturimmobilien auch die Öffentlichkeit als zusätzliche Stakeholdergruppe im Umfeld der Baumaßnahme gibt, ist die Materiallogistik durch IT-gestütze Systeme ein nicht zu unterschätzendes Modul im Bereich von innerstädtischer Verkehrsvermeidung oder auch negativer Verkehrsbeeinflussung. Um das positive Image der Immobilie vom Baustart an zu pflegen, muss offensiv die optimale Ausrichtung auf das Umfeld auch durch einen verkehrsunterstützenden Prozess wie eine baulogistische LKW Steuerung betont werden. Die Nichtbeachtung dieser Maxime führt möglicherweise zu kontinuierlicher Unzufriedenheit im Umfeld der Baustelle, mit damit einhergehenden

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möglichen Protesten und den Bauprozess beeinflussenden Verzögerungen aufgrund öffentlicher Einflussnahme. Im Zuge immer knapper werdender Rohstoffe werden ressourcenschonende Bauweisen und die Vermeidung von Abfällen auch auf Baustellen ein immer wichtigeres Thema.10 Da sich jedoch Abfälle nicht vollständig vermeiden lassen, ist auch hier eine Lösung gefragt, die die Entsorgung und das Umgehen des verbliebenen Abfalls möglichst wirkungsvoll unterstützt. Abfälle fallen zum größten Teil aus folgenden Gründen an: • • • •

Abbruchmaßnahmen, Restmengen, Defekte Baustoffe, Verpackungsmaterialen.

Im Gegensatz zu früheren Zeiten, wird mittlerweile auf Baustellen vermehrt auf eine sortenreine Trennung der Baustellenabfälle geachtet. Grund sind auf der einen Seite ein gestiegenes Umweltbewusstsein von Bauherren, auf der anderen Seite gesetzliche Anforderungen, die vorschreiben, einen möglichst hohen Anteil der Baustellenabfälle zu verwerten und dem Stoff kreislauf wieder zuzuführen. Vorreiter auf diesem Gebiet sind Großbaustellen, die mit einem Nachhaltigkeitszertifikat (z.B. DGNB, Leed) ausgestattet werden sollen, welche eine hohe Recyclingquote fordern. Nachgewiesen wird dies durch die Erstellung einer Abfallbilanz, aus der hervorgeht, welche Menge welcher Fraktion wie und wo verwertet wurde. Auch im Bereich von Kulturimmobilien ist ein Trend zu beobachten, dass Zertifizierungen und damit verbundene Nachhaltigkeitskriterien, sehr oft eingesetzt werden und dadurch auch baulogistische Entsorgungskonzepte wichtig werden. Zusätzliche Anforderungen an den Entsorgungsprozess bei Kulturimmobilienprojekten werden durch die Vorgabe des Bauherren gestellt, dass die anfallenden Kosten für die Müllentsorgung von den Verursachern selbst zu tragen sind. Es hat sich herausgestellt, dass es nicht sinnvoll ist, die Entsorgung des Abfalls jeder Firma selbst zu überlassen. Sofern eine Sortierung des Abfalls durch den Bauherren gefordert ist, würde dies zu einer Vielzahl von Sammelbehältnissen gleicher Fraktion auf der Baustelle führen. Um wertvollen Lagerplatz und auch Transportkosten zu sparen, hat sich daher in den letzten Jahren eine zentrale Abfallentsorgung durchgesetzt. Dies beinhaltet einen im Regelfall durch die Baulogistik vorgehalten Wertstoff hof, an dem alle anfallenden Abfälle in Großcontainern (7m³ bis 40m³) gesammelt werden. Ein weiterer Vorteil der Zentralisierung besteht darin, dass auf einfache Weise eine Abfallbilanz für die gesamte Kulturimmobilie erstellt werden kann. 10 | Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 19 Reihe 1: Umwelt – Abfallentsorgung.

Baulogistik bei Kulturimmobilien

Bei der Durchführung eines zentralisierten Abfallkonzepts hat sich herausgestellt, dass die Anlieferung durch den Verursacher in vorgegebenen Sammelbehältern eine wirksame und im Baustellenalltag praktikable Methode darstellt. Hierbei werden möglicherweise vom Baulogistiker standardisierte Sammelbehälter je nach Einsatzzweck in verschiedenen Größen (z.B. 240 Liter, 1100 Liter) an die ausführenden Firmen herausgegeben. Um hier eine Verschwendung zu vermeiden werden hierfür üblicherweise Mietgebühren erhoben. Bei Rücklieferung einer befüllten Tonne kann auf einfache Weise der Füllungsgrad und damit die Menge des angelieferten Materials bestimmt werden. Hier erfolgt die Abrechnung über die angelieferte Menge für gewöhnlich in Kubikmetern. Alternativ kann die angelieferte Menge über die Masse bestimmt werden. Hierzu ist jedoch eine geeignete Wiegeeinrichtung vorzusehen. Auf Grund der häufig vorzufindenden engen Platzverhältnisse auf Baustellen wird darauf zumeist verzichtet und über die angelieferte Kubatur abgerechnet. Dieses Entsorgungskonzept kann auch für Kulturimmobilien aus Kostengesichtspunkten nur empfohlen werden, da konzeptionell für alle Beteiligten eine kostenoptimierte Lösung angestrebt wird. Wichtiges Bindeglied der Baulogistik für Kulturimmobilien ist die Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordination, auch SIGEKO genannt.11 Um das Kulturprojekt von Unfällen bis hin zu Todesfällen auf der Baustelle möglichst frei zu halten, muss über die ganze Bauzeit hinweg dieser Dienstleistung ein hoher Stellenwert eingeräumt werden. Die Aufgabe eines Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinators (SIGEKO) besteht darin, die auf der Baustelle stattfinden Arbeiten verschiedener Firmen und Gewerke zu steuern, sodass keine gegenseitigen Gefahren entstehen. Zusätzlich werden generelle Punkte zum Arbeitsschutz begutachtet. Hier kann durch eine vorausschauende und qualifizierte Dienstleistung im Bereich von regelmäßigen Begehungen und einer frühzeitigen Planung die Bauphase optimal gesichert werden. Diese Begehungen werden dokumentiert und in Form eines Protokolls an einen vorher festgelegten Teilnehmerkreis versendet. Bei der Erstellung dieser Dokumentation werden im Regelfall pro Vorfall Punkte wie eine Beschreibung des Sachverhalts, Fotos zur Situation oder eventuell notwendige Folgeaktivitäten aufgenommen: Auch kann durch einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator in der Bauphase bereits Ordnung und Sicherheit auf der Baustelle positiv beeinflusst werden, was zu einer Effizienzsteigerung im Bauprozess und damit einhergehenden Kosteneinsparungen führt. 11 | Vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: RAB 30 – Geeigneter Koordinator.

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Die Zutrittskontrolle ist ein weiteres wichtiges Modul im Bereich der Baulogistik. Sie erfolgt im Wesentlichen aus drei Gründen: Der Baustellensicherungspflicht, der Einhaltung rechtlicher Rahmenbedingungen und nicht zuletzt aus Controllinggesichtspunkten. Die Baustellensicherungspflicht beinhalt den Schutz der Baustelle vor dem Zutritt Dritter (z.B. Passanten). Die Einhaltung rechtlicher Rahmenbedingungen der Arbeiter auf der Baustelle ist auch im Bereich der Kulturimmobilien ein wichtiger Grund für eine Zutrittskontrolle. Aufgrund der herausgehobenen Stellung einer Kulturimmobilie in der städtischen Wahrnehmung wären Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz, gegen das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung oder Verstöße gegen das Mindestlohngesetz für das Image der späteren Immobilie und deren Bauherrn absolut schädlich. Eine durch die Baulogistik verantwortete Mindestlohnkontrolle ist also auch für Kulturimmobilien zu empfehlen. Hier wird vom Spatenstich bis zur Übergabe der Immobilie an den finalen Nutzer jeder Eintritt auf die Baustelle mit individualisierten Baustellenausweisen festgehalten. Im weiteren Abschnitt der IT-gestützten Prozesse wird stärker auf die Möglichkeiten mit RFID12 Chips ein Controlling der erbrachten Arbeitsleistung durchzuführen eingegangen. Aufgrund der oben genannten Punkte stellt die Zutrittskontrolle ein übergeordnetes Element der Baulogistik dar, das von sämtlichen Gewerken im Laufe der Bauphase genutzt wird und daher auch im Bereich der Kulturimmobilien angewendet werden sollte. Bei allen oben beschriebenen Modulen kommen auch Mitarbeiter zum Einsatz, die vom Baulogistikunternehmen zur Verfügung gestellt werden können. Bei Kulturimmobilien bietet es sich jedoch besonders an, bereits in unterschiedlichen Bereichen der Bauphase zukünftige oder aktuelle Mitarbeiter des Kulturbetriebs in die baulogistischen Prozesse einzubinden. Das Gewerk Baulogistik eignet sich hier besonders, weil aufgrund der temporären Bedeutung der Einzelmodule keinerlei Gewährleistungsrisiken durch die Mitarbeiter negativ beeinflusst werden können. Beispiele für die Einbeziehung im Baulogistikbetrieb sind die Nutzung von Facility Management Beteiligten im Bereich der Logistiksteuerung oder Zutrittskontrolle. Zusätzlich werden auch Konzepte aus dem Einzelhandel für den Kulturbetrieb interessant. Bei Großprojekten im Einzelhandel stellen in der Umzugsphase die zukünftigen Beschäftigten eines Bereiches die Umzugslogistik auf die Verkaufsflächen sicher, um so schon einen besonderen Bezug zu Ihrem zukünftigen Arbeitsplatz zu erhalten. Diese Art der Personalbeistellung kann man sich auch bei Kultur-

12 | Radio-frequency identification bezeichnet eine Technologie für Sender-EmpfängerSysteme zum automatischen und berührungslosen Identifizieren und Lokalisieren von Objekten mit Radiowellen.

Baulogistik bei Kulturimmobilien

immobilien vorstellen, wenn der Fundus eines zukünftigen Theaters von den Fundusbeschäftigten bestückt und umgezogen wird.

5. IT- gestüt z te P rozesse Im Allgemeinen dient die Etablierung von Software nicht dem Selbstzweck, sondern der Unterstützung bereits bestehender Prozesse. Insbesondere sind hier Prozesse von hoher Bedeutung, die auf Grund einer Vielzahl von Wiederholungen besonders wirkungsvoll durch eins oder mehrere der folgenden Ziele unterstützt werden können: • Standardisierung: Prozesse sollen, unabhängig vom Mitarbeiter, alle in der gleichen Abfolge und Form durchlaufen werden, • Qualitätssicherung: Prozesse sollen mit den definierten Zielen beendet werden, das heißt, den gleichen Qualitätsstandard aufweisen, • Effizienzsteigerung: Durch den Einsatz von Information Tecnology (IT) sollen Prozesse in kürzerer Zeit abgeschlossen werden. Auch in der Baubranche existiert eine Fülle von Prozessen, die hinsichtlich der im vorigen Abschnitt vorgestellten Module verbessert werden können. Durch IT-Systeme werden Prozesse quasi von der engen Baustelle »aus«-gelagert. Dies bedeutet, dass die Koordination nicht auf sondern zeitlich gesehen vor der Baustelle erfolgt. Im Rahmen der Baulogistik lassen sich bis auf die Baustelleninfrastruktur alle anderen genannten vier Module durch den Einsatz von IT sinnvoll unterstützen. Wie oben beschrieben stellt die Zutrittskontrolle einen wesentlichen Baustein dar, um die rechtlichen Rahmenbedingungen der Arbeiter sowie die Baustellensicherungspflicht zu überprüfen. Auch kann durch eine Auswertung der gesammelten Daten ein sehr effizientes Controlling betrieben werden. Auf Grund der sehr langen Phase der Nutzung und einer Vielzahl verschiedener Personen, die die Zugangskontrolle passieren, bietet sich hier besonders eine Unterstützung durch ein IT-System an. So wird der Prozess zur Erfassung der berechtigten Personen standardisiert ausgeführt. Zunächst müssen sich am Bau tätige Firmen bei der Baulogistik anmelden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es im Baugewerbe üblich ist, eine Vielzahl von Nachunternehmern zu beschäftigen. Daher muss an dieser Stelle penibel darauf geachtet werden, dass es möglich ist, für jede Firma den eindeutigen Auftraggeber zu identifizieren und auf diese Weise eine hierarchische Darstellung der Firmenkonstellation darzustellen. Firmenanmeldungen werden im Regelfall durch den Bauherren freigegeben, da Kenntnisse über Nachunternehmerstrukturen für

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diesen zur Risikoabschätzung (z.B. Insolvenzrisiko, fehlende Versicherungsbeitrage, ausstehende Steuern) unerlässlich sind. Nach Freigabe der Firmenanmeldung erfolgt die Personalanmeldung. Jede Person, die die Baustelle betreten möchte, muss ihre Personalien angeben und durch entsprechende Dokumente nachweisen. Hier sind insbesondere wichtig: • Personalausweis oder Reisepass (zur eindeutigen Identifikation), • Versicherungsnachweis (Krankenkassenkarte, früher Sozialversicherungsausweis), • Aufenthaltserlaubnis (bei Nicht-EU Bürgern), • Arbeitserlaubnis (bei Nicht-EU Bürgern). Nach Verifizierung dieser Daten werden personalisierte Baustellenausweise erstellt, die auch ein Lichtbild erhalten, um einen Missbrauch der Ausweise zu erschweren. Diese Daten werden digital in einem elektronischen Datenverarbeitungssystem erfasst. Hierbei werden ganz intuitiv die Vorteile der IT-Unterstützung im Prozess sichtbar, denn die abgefragten Werte zur Erstellung eines Ausweises können für alle Mitarbeiter zügig eingegeben und gespeichert werden. In neueren Systemen erfolgt diese Eingabe durch den Nutzer über eine Weboberfläche direkt in die Datenbank. Durch den Baulogistiker erfolgt in diesem Fall nur noch die Prüfung und Freigabe der Daten. Zum Betreten der Baustelle muss sich jeder Mitarbeiter mit seinem Ausweis am System anmelden, sowie beim Verlassen wieder abmelden. Dazu wird üblicherweise ein elektronisches Zugangsterminal zur Verfügung gestellt. Dieser An- und Abmeldeprozess kann durch die Nutzung einer Vereinzelungsanlage (z.B. Drehkreuz) erzwungen werden. Die Anwesenheiten der einzelnen Personen werden elektronisch vom System gespeichert. So können jederzeit in Echtzeit Anzahl, Firma und Name der aktuell auf der Baustelle befindlichen Personen ausgeben lassen. Insbesondere in Notfällen, die eine Evakuierung des Bauplatzes erfordern, kann die Arbeit von Rettungskräften effektiv unterstützt werden. Im Baustellenalltag hat sich der Einsatz von RFID-Chips in Baustellenausweisen als Standard etabliert. Auch wenn die Bauprozesse das Ziel haben, Ressourcen zu schonen und Abfälle zu vermeiden, gilt die deutsche Bauindustrie immer noch als der größte Abfallproduzent Deutschlands.13 Im Bereich der Baulogistik Module wird eine mögliche zentrale Entsorgungslogistik beschrieben. Und auch hier gilt, dass gerade bei dem Prozess der Abfallentsorgung ein IT-gestütztes System ungemein hilft.

13 | Vgl. Statistisches Bundesamt: Abfallaufkommen 2000 bis 2012.

Baulogistik bei Kulturimmobilien

Dazu kann zunächst jeder Sammelbehälter im Bestand erfasst und zur schnellen Identifizierung mit einem Barcode ausgestattet werden. Durch die eingesetzte Software wird eine Ausgabe eines Sammelbehälters an eine Firma festgehalten. Dadurch ist jede Tonne, die sich auf dem Baufeld befindet, eindeutig zuzuordnen, entweder ist sie einer Firma zugeordnet, oder sie steht im »Depot«. Bei der Rückgabe gefüllter Tonnen werden Fraktion und Menge samt »Beweisfoto« als virtueller Lieferschein dokumentiert und anschließend in eine Datenbank übertragen. Dort sind alle Müllanlieferungen gespeichert und können nach Bedarf ausgewertet werden. Es können dort mit wenigen Mausklicks Lieferscheine erzeugt werden, die die Grundlage zu einer verursachergerechten Abrechnung darstellen. Vorteile eines IT-gestützten Systems zur Entsorgungslogistik: • • • • •

Jede Tonne identifizierbar, in wessen Verantwortungsbereich sie liegt, Auswertungen über Fraktionen, Firmen, Zeitpunkte, Schnelle Ausgabe und Rücknahme von Tonnen, Ausdruck von Rücknahmebelegen als Vorbereitung zur Abrechnung, Einfache Erstellung von Abfallbilanzen.

Auch der Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator (SIGEKO) wird seine Dienstleistung mit einer IT Unterstützung deutliche effizienter ausführen. Zur Dokumentation und Ausfertigung des entsprechenden Protokolls kann auf IT-gestützte Lösungen zurückgegriffen werden. Hierbei werden mit einem mobilen Datenerfassungsgerät die Inhalte der Sicherheitsbegehungen direkt auf der Baustelle erfasst und entsprechende Fotos können direkt einem Sachverhalt zugeordnet werden. Die Eingabe kann durch Auswahl aus Listen für häufig genutzte Formulierungen zusätzlich beschleunigt werden. Alle aufgenommenen Daten werden in einer Datenbank gespeichert. Aus dieser Datenbank können nach der Begehung am Rechnerarbeitsplatz mit wenigen Mausklicks entsprechende Protokolle erstellt und direkt per Email an den entsprechenden Verteilerkreis gesendet werden. Der Vorteil dieses Systems liegt hauptsächlich in der Zeitersparnis und zeigt sich in folgenden Punkten: • • • •

Zügige Dokumentation auf der Baustelle, Direktes Verknüpfen von Fotos mit textlicher Beschreibung, Direkte Verortung von Vorfällen auf der Baustelle, Automatisierte Erstellung eines Protokolls aus den aufgenommenen Punkten, • Schnelles Finden alter Protokolle in der Datenbank (z.B. durch Suchfunktion).

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Die durch Einsatz einer EDV-Lösung gesparte Zeit kann der Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator sinnvoller verbringen, nämlich dort, wo er gebraucht wird – auf der Baustelle. Die zunehmende Digitalisierung von Produktionsprozessen macht auch vor der Bauwirtschaft nicht halt. In Zeiten von globalisierten Lieferketten kann auf die Unterstützung durch IT-Systeme nicht mehr verzichtet werden. In der stationären Industrie spricht man von Industrie 4.0, eine »Informatisierung der Fertigung« durch Vernetzung aller Glieder der Wertschöpfungskette.14 Obwohl die Bauwirtschaft anderen Wirtschaftszweigen, wie zum Beispiel dem Automobilbau, technologisch nicht folgen kann, sind die ersten Vorboten dieser Entwicklung durch die Nutzung von onlinebasierten Avisierungssystemen (OAS) bereits erkennbar. Einen großen Mehrwert bieten diese Systeme besonders bei Großbaustellen, bei denen viele Materialien von unterschiedlichen Lieferanten erwartet werden. Erschwerend kommen oft nur begrenzte Ressourcen für Entladung und Lagerung von Baustoffen auf der Baustelle hinzu. Dies trifft besonders auf Werksgelände sowie Innenstadtprojekte zu. Daher ist vor allem in diesen Fällen die Unterstützung durch eine IT-gestützte Anwendung unerlässlich. Ziele eines onlinebasierten Avisierungssystems sind: • Vermeidung von Verkehrsbehinderung im unmittelbaren Baustellenumfeld, • Optimale Ausnutzung der auf der Baustelle zur Verfügung stehenden Entladeressourcen (Hebezeuge, Ladestellen), • Vermeidung von Wartezeiten für Speditionen, • Vermeidung von Wartezeiten für Materialempfänger. Die Erreichung dieser Ziele ist nur durch eine abgestimmte Vorgehensweise von verschiedenen Nutzer- und Interessengruppen möglich. • • • •

Bauherr, Materiallieferant, Materialempfänger, Baulogistik.

Die Baulogistik übernimmt in diesem Fall die Rolle des Vermittlers, um die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Beteiligten zusammenzutragen und zu koordinieren. Dabei steht nicht das bestmögliche Erzielen von Ergebnissen für die einzelnen Beteiligten im Vordergrund, sondern die bestmögliche Gesamtlösung für das Bauvorhaben, also die Summe aller Be14 | Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung: Zukunftsbild »Industrie 4.0«.

Baulogistik bei Kulturimmobilien

teiligten. Daher ist es notwendig, den verschiedenen Beteiligtengruppen ein gemeinsames Werkzeug in Form eines onlinebasierten Avisierungssystems zur Verfügung zu stellen. Das Prinzip des onlinebasierten Avisierungssystems besteht darin, dass Lieferanten spezielle Zeitfenster zugeteilt werden, zu denen sie die Baustelle beliefern können. Dieses Zeitfenster wird exklusiv für die liefernde Firma reserviert, sodass es nicht zu gegenseitigen Behinderungen mit anderen Lieferanten kommen kann. Grundlage dazu ist im Regelfall eine geschützte Internetseite, die nur für registrierte und durch den Bauherren freigegebene Firmen nutzbar ist. Da jedes Bauprojekt einmalig ist und stets unterschiedliche Rahmenbedingungen einzuhalten sind, muss das onlinebasierte Avisierungssystem für jede Baustelle separat konfiguriert werden. Dabei versuchen Bauherr und Baulogistik zu Beginn der Baumaßnahme gemeinsam alle Rahmenbedingungen und Zwänge, denen die Baustelle unterliegt, auf dem System zu hinterlegen. Dies betrifft vor allem die Punkte Arbeitszeiten auf der Baustelle, Anfahrt zur Baustelle, Ladezonen, Anlieferzeiten, vorhandene Ladehilfen wie Kran oder Gabelstapler. Diese Parameter können sich im Baustellenalltag ständig ändern. Entsprechende baubegleitende Anpassungen im System müssen daher nach Bedarf vorgenommen werden. Unter Berücksichtigung dieser Rahmenbedingungen können nun Wunschliefertermine beantragt werden. In der Regel geschieht dies in enger Absprache zwischen der liefernden und belieferten Firma. Um einen Transport zu avisieren, sind folgende Angaben zwingend notwendig: • • • • • •

Datum der Lieferung, Uhrzeit der Lieferung, Dauer der Entladung, Ladezone, Belieferte Firma, Lieferfirma.

Der entscheidende Vorteil bei der Nutzung eines Online-Avisierungssystems liegt darin, dass zur Buchung nur solche Zeitfenster zugelassen sind, die nicht durch eine andere Lieferfirma belegt sind. Dazu wird jedem Beantragenden jederzeit der aktuelle Buchungsstand zur Verfügung gestellt. Dadurch kann eine Doppelbuchung für dieselbe Stelle und Uhrzeit systemseitig unterbunden werden. Sobald eine Firma ein Zeitfenster beantragt hat, erhält der zuständige Mitarbeiter der Baulogistikfirma eine Mitteilung. Anschließend werden durch diesen die bei der Beantragung angegebenen Daten unter Berücksichtigung der aktuellen Baustellensituation auf Plausibilität geprüft. Nach eventuell notwendiger Rücksprache wird die Transportanmeldung für den Lieferanten freigegeben. Die Materiallieferung kann somit endgültig organisiert werden.

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Unter Umständen werden vor der Bestätigung noch Änderungen vorgenommen (z.B. Dauer der Entladung), in seltensten Fällen muss eine Anfrage auch gänzlich abgelehnt werden. Die Benachrichtigung über erfolgte Genehmigungen, noch zu bearbeitende Avisierungen oder sonstige Aktivitäten erfolgt dabei automatisiert per Emailversand. Die Informationen werden direkt beim Auslösen der Aktion versendet, sodass alle Beteiligten stets auf dem aktuellen Stand gehalten werden können. Trotz einer sorgfältigen Planung kommt es im Baustellenalltag immer wieder zu Verzögerungen und Verschiebungen. Dies kann zum Beispiel durch Änderungen im Bauablauf, witterungsbedingte Verzögerungen, Komplikationen beim Entladen oder Stau auf langen Transportstrecken auftreten. In diesen Fällen muss der Baulogistiker in Absprache sowohl mit den liefernden als auch mit den belieferten Firmen versuchen, auf dem direkten Wege eine für alle sinnvolle Lösung zu realisieren. In solchen Fällen zeigt sich immer wieder, dass IT-Systeme nur ein unterstützendes Werkzeug für die Baulogistik darstellen. Diese nehmen bei Routinehandlungen viel Arbeit ab, bei ungeplanten Zwischenfällen muss jedoch das Personal vor Ort die richtigen Entscheidungen treffen. Dies gilt ebenso für die Kontrolle, ob die angemeldeten Zeitfenster eingehalten werden. Auch hierbei kann durch die Ausgabe von entsprechenden Listen das Personal vor Ort systemseitig unterstützt werden. Im Zuge der Verbreitung des sogenannten Lean Construction Ansatzes, der die Ansätze des Lean Thinking auf die Bauwirtschaft überträgt, wird der Materiallogistik eine noch größere Gewichtung im Bauprozess zukommen. Dies wird sicherlich u.a. auch unter Zuhilfenahme von IT-gestützten Prozessen geschehen.15

6. E inbe ziehung der S takeholdergruppen Stakeholder sind entweder Personengruppen oder Einzelpersonen, die entweder direkt an einem Projekt beteiligt sind oder deren Interessen durch das Projekt beeinflusst werden. Diese Definition wird in der ISO 1000616 so beschrieben. Generell gibt es eine weitere Unterscheidung der Stakeholdergruppen nach internen und externen Projektbeteiligten. Während interne Stakeholder im direkten Umfeld des Projektes anzutreffen sind, sind externe Stakeholder nicht direkt am Projekt aktiv, haben jedoch mit den Auswirkungen des Projektes kontakt und müssen deshalb Beachtung finden. 15 | Vgl. E. Wallerang, VDI Baubetrieb, Ausgabe 1,2015: Der Bau soll von der pro­ duzierenden Industrie lernen. 16 | Vgl. DIN-Fachbericht ISO 10006:2004, Qualitätsmanagementsysteme – Leitfaden für Qualitätsmanagement in Projekten.

Baulogistik bei Kulturimmobilien

Transferiert man diese Betrachtung auf eine Kulturimmobilie, so könnte eine kurze Auflistung der internen und externen Stakeholder folgendermaßen aussehen: Interne Stakeholder: • • • • • •

Bauherr des Projektes, Architekt der Immobilie, Mitarbeiter der Kulturimmobilie, Kreditgeber des Projektes, Bauunternehmen, Nachunternehmer und sonstige Dienstleiter, Besucher und Kunden.

Externe Stakeholder: • • • • • • •

Anwohner und Anlieger der Kulturimmobilie, Vereine und Verbände, Politische Instanzen und Vertreter, Öffentlichkeit der Kommune, Ortsansässige Unternehmen, Interessengruppen (z.B. Kulturgruppen etc.), Kulturinstitutionen, die im Wettbewerb zur neugebauten Institution stehen.

Im Gegensatz zu jedem anderen Immobilienprojekt gibt es hier zusätzliche Stakeholdergruppen, die beachtenswert sind und auch im Bereich der Ausführung des Gewerkes Baulogistik einbezogen werden können. Das Einbeziehen einer internen Stakeholdergruppe, wie der zukünftigen Mitarbeiter der Kulturimmobilien wurde bereits im Abschnitt Baulogistik Module beschrieben. Vor allem externe Stakeholdergruppen sind jedoch aus Sicht der Baulogistik gezielt bereits in der Bauphase mit einzubeziehen. Die baulogistischen Prozesse und Infrastruktur eignen sich hervorragend Stakeholdergruppen wie die breite Öffentlichkeit der Kommune, Interessengruppen oder auch politische Instanzen und Vertreter frühzeitig einzubeziehen und anzusprechen. So wird gezielt ein positives Bild bei den Gruppen generiert und Risiken dadurch eingegrenzt. Risiken, die von diesen externen Gruppen ausgehen, sind sowohl ihr Einfluss und ihre Macht, die sich negativ auf das Projekt ausüben können, als auch die damit verbundenen Protestaktionen, die möglich sind. Die baulogistische Infrastruktur eignet sich hervorragend vom ersten Spatenstich an, hier durch eine gezielte Kommunikationsstrategie z.B. auf dem Bauzaun oder der Containeranlage ein zukünftiges Image der Kulturimmobilie zu transportieren. Zusätzlich können alle drei Stakeholdergruppen durch gezielte Baustel-

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lenführungen über die gesamte Bauzeit hinweg für die neue Kulturimmobilie sensibilisiert, oder sogar fasziniert werden. Diese Führungen sollten als Teil der baulogistischen Dienstleistungen parallel zum Baubetrieb durchgeführt werden. Zusätzlich sollten wie im Absatz der IT-gestützten Prozesse beschrieben, eine onlinebasierte Materiallogistik dringend auch für mehrere Stakeholdergruppen eingesetzt werden, da ansonsten im direkten Umfeld der Baustelle mit vielfältigen Verkehrsbehinderungen zu rechnen ist. Das kann durch die just-in-time Versorgung einer Baustelle aufgrund von vorgebuchten Zeitfenstern nahezu komplett verhindert werden. Aus diesen wenigen Beispielen wird deutlich, dass bei Kulturimmobilien eine kurze Stakeholderanalyse mit möglichen Umsetzungsmaßnahmen anzuraten ist, um frühzeitig ein positives Image für die zukünftige Kulturimmobilie anzuvisieren.

7. E mpfehlungen Die in diesem Artikel entwickelten Inhalte zum Thema Baulogistik für Kulturimmobilien führen zu drei übergeordneten Empfehlungen, die beim Bau und der Entwicklung einer Kulturimmobilie aus baulogistischer Perspektive zu beachten sind. Bereits in der Planungsphase sollten die Belange, die die Baustelleninfrastruktur und die Baulogistik betreffen, fachplanerisch betreut werden. Dies bedeutet, dass für das Projekt eine Baulogistikplanung vorzusehen ist, die sowohl die internen, als auch die externen Faktoren einer Baustelleninfrastruktur betrachtet. Diese fachplanerische Leistung ist im Vergleich zur Gesamtplanung kostentechnisch überschaubar, für das langfristige Image und die zukünftigen effizienten Bauprozesse jedoch unerlässlich. Eine zentrale Baustelleninfrastruktur in Verbindung mit zusätzlichen Baulogistikmodulen sollte bei Kulturimmobilien angedacht werden. Auch hier kann eine deutliche Effizienzsteigerung im gesamten Bauprozess erzielt und mögliche Verschwendungen oder Verzögerungen reduziert werden. Bei einer Ausschreibung in Einzelgewerken, sollte es ein eigenes Gewerk Baulogistik geben. Vor dem Hintergrund zukünftiger Entwicklungen ist zusätzlich der Einsatz von IT-gestützten Prozessen zu empfehlen. Gerade bei Kulturimmobilien ist aus baulogistischer Sicht eine kurze vorgeschaltete Stakeholderanalyse zu empfehlen, um frühzeitig im Rahmen der Baulogistik sowohl interne, als auch externe Stakeholdergruppen mit einzubeziehen und so die zukünftige Strategie der Kulturimmobilie, als auch das Image in die Richtung der Gruppen zu transportieren und Risiken frühzeitig zu identifizieren.

Baulogistik bei Kulturimmobilien

L iter atur AHO Schriftenreihe: Heft 25 – Leistungsbild und Honorierung Leistungen für Baulogistik: 2011. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: RAB 30 – Geeigneter Koordinator. Bundesministerium für Bildung und Forschung: Zukunftsbild »Industrie 4.0«: 2014. DIN-Fachbericht ISO 10006: Qualitätsmanagementsysteme – Leitfaden für Qualitätsmanagement in Projekten: 2004. Freeman, R. E.: Strategic Management. A Stakeholder Approach, Cambridge: 2010. Jünemann, J.: Materialfluss und Logistik, Berlin: 1989. Kimmich, B./Bach: VOB für Bauleiter, 5. Auflage, Köln: 2014. Statistisches Bundesamt: Fachserie 19 Reihe 1: Umwelt – Abfallentsorgung: 2012. Statistisches Bundesamt: Zeitreihe zum Abfallaufkommen 1996-2012: 2014. Sullivan, G./Barthorpe, S./Robbins, S.: Managing Construction Logistics, Chichester: Wiley-Blackwell: 2010. Wallerang, E.: VDI Nachrichten Baubetrieb, Ausgabe 1: Der Bau soll von der produzierenden Industrie lernen: 2015. www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Arbeitsstaetten/ASR/ASR.html vom 01.01. 2015. http://wilsonjames.co.uk vom 03.02.2015: Wilson James: Case Study, Construction´s complete logistics solution.

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Kulturbauten, Architekturqualität und öffentlich-private Partnerschaften – ein Widerspruch? Michael Vahlert

Was ist qualitativ hochwertige Architektur und wie kann man durch eine verlässliche Projektstruktur ein hochwertiges Architekturergebnis sicherstellen? Kurze Antwort: Eine gute Projektstruktur kann man sicherstellen, hochwertige Architektur kann man allenfalls fördern. Ob ein realisiertes Gebäude im Verlauf seiner mitunter langen Lebensdauer vom Betrachter als wirklich gute Architektur angesehen wird, zeigt sich meistens erst im Nachhinein im Urteil der dem jeweiligen Zeitgeist unterliegenden, mehr oder weniger fachlich geschulten Betrachter. Nur ganz wenige Gebäude werden über den Zeitgeist hinweg von der überwiegenden Anzahl der Betrachter und Nutzer als wahre Architekturikonen eingestuft. Beispiele sind Gebäude wie der Kölner Dom, Notre Dame du Haut in Ronchamp von Le Corbusier oder auch die Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe in Berlin. Schon bei der Auswahl von hier zufällig genannten Architekturikonen fällt auf, wie schwer es ist, wirklich unstrittige Gebäude zu benennen. Zufällig sind denn hier auch Gebäude benannt worden, die eines gemeinsam haben: sie sind nicht das Ergebnis eines Architekturwettbewerbes. Trotzdem gilt heute der Architektenwettbewerb als eine der Grundvoraussetzung, um überhaupt in die Nähe eines architektonisch hochwertigen Gebäudes zu kommen. Am besten ein mehrstufiger, offener und international ausgelobter Realisierungswettbewerb nach vorausgegangenem städtebaulichem Wettbewerb. Und in der Tat, das Verfahren fordert von den Architekten viel. Ein 2014 ausgelobter Architektenwettbewerb in Helsinki für das Guggenheim-Museum erbrachte 1715 Entwürfe, von denen es sechs Teilnehmer geschafft haben, in die 2. Auslobungsphase zu kommen. Keiner der bisher bekannten Stararchitekten hat es geschafft in die engere Wahl der elfköpfigen Jury zu gelangen.

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Im Gegensatz zu solch einem kreativen »amerikanischen Traum« jedes jungen Architekten, der im klassischen Architektenwettwerb realisiert werden könnte, ist eine oft geäußerte geäußerte Hypothese von Architektenverbänden dagegen bei einem stärker integrierten Wettbewerb, wie er bei einer ÖPP – Ausschreibung realisiert wird, dass hier die architektonische Qualität auf der Strecke bliebe. Eine ÖPP-Maßnahme ist ein Projektansatz bei dem im Sinne von »strategischen Bauherrenmanagement« die Planung neben Bau und Betrieb integraler Teil des Vergabeverfahrens ist. Jeder Bieter muss auch einen Entwurf anbieten. Es kommt auf die Wertungsmatrix an, welchen Stellenwert die Architektur innerhalb des Vergabefahrens haben soll. Wenn hohe Architekturqualität gewünscht ist, kann die Wertung von Qualität zu Kosten z.B. im Verhältnis 60/40 erfolgen. In diesen Fällen ist auch gebräuchlich, diese Qualität von einem »baufachlichen Bewertungsgremium« beurteilen zu lassen. Dieses hat dann eine vergleichbare Zusammensetzung wie eine Jury im reinen Architektenwettbewerb. Jedoch ist die Anzahl der Bieter und damit der einzureichenden Entwürfe verfahrensbedingt beschränkt. Üblich sind maximal sechs Bieter, da die unterlegenen Bieter mit hohen Kosten zu kalkulieren haben. (Mit fünf Architekturbüros ist 1983 auch der beschränkte Wettbewerb für die Neubauten des Deutschen Bundestages in Bonn ausgelobt worden.) Bei ÖPP ist folglich auch für die Planungsleistungen der Wettbewerb der Regelfall. Die Ergebnisse können sich auch nach objektiven Beurteilungsmaßstäben sehen lassen. Wenn mit ÖPP ein Gebäude mit außergewöhnlichem Architekturanspruch (dies ist bei Kulturbauten regelmäßig der Fall) realisiert werden soll und sich der Bauherr deshalb für einen vorgeschalteten Wettbewerb entscheidet, muss er sich der Aufgabe stellen, wie er einen zweiphasigen, offenen, vorgeschalteten Architektenwettbewerb nach den Regeln der Architektenkammer RPW in sein ÖPP-Vergabeverfahren integriert und der Architekt sich auch nach der Errichtung des Gebäudes nicht von der wirtschaftlichen Verantwortung für das gebaute Ergebnis distanziert. Dies setzt voraus, dass der im Architektenwettbewerb gefundene Planer nicht nur das ÖPP-Vergabeverfahren begleitet, sondern insbesondere bei der Ausführungsplanung und der Errichtung des Gebäudes auf der Seite des operativ tätigen privaten Partners eingebunden ist und andererseits nichts errichtet wird, was die Leitlinien des preisgekrönten Wettbewerbsentwurfes verlässt. Der Wettbewerbsentwurf muss integraler Bestandteil des Auslobungstextes der funktionalen Leistungsbeschreibung werden. Im Leistungsbeschrieb sind die vom Architekten zu definierenden gestalterischen und funktionalen Leitlinien, die im Vergabeverfahren vom Bieter nicht angetastet werden dürfen, erschöpfend zu beschreiben. Die Planungstiefe eines Entwurfes, der im Realisierungswettwerb gefunden wird, reicht für die Integration in die Leistungsbeschreibung jedoch nicht aus, weil der Auslober bei einem vor-

Kulturbauten, Architekturqualität und öffentlich-private Par tnerschaf ten

gegebenen Entwurf dem Bieter im ÖPP-Verfahren mindestens die generelle Genehmigungsfähigkeit der Planung schuldet. Die im Wettbewerb vorgelegte Planung entspricht im Wesentlichen maximal zwei Drittel von der Vorentwurfsplanung (Leistungsphase 2 der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure -HOAI). Erforderlich für eine ÖPP Ausschreibung sind in einer solchen Verfahrensgestaltung jedoch große Teile der Leistungsphase 3 und Teile von 4. Ideal ist es, wenn der Bauherr mit der Auslobung einen positiven Vorbescheid der Bauaufsicht vorlegen kann. Nach der Wettbewerbsentscheidung und vor Versand der Leistungsbeschreibung an die Bieter im ÖPP-Verfahren ist deshalb eine möglichst straff gefasste Phase der Konsolidierung des Entwurfes erforderlich. Die Phase sollte einen Zeitraum von sechs Monaten nicht überschreiten. Da der Bieter im Verfahren mit vorgeschaltetem Wettbewerb erhebliche Teile der Planung nicht beeinflussen darf, gehen ihm Teile seines unternehmerischen Optimierungspotenzials verloren. Der Bauherr muss folglich mit höheren Baukosten rechnen, als er es im Verfahren ohne vorgeschalteten Architektenwettbewerb hätte erwarten dürfen. Die ÖPP-Maßnahme darf die Referenzkosten, die sich bei einer Baumaßnahme im Eigenbau und Eigenbetrieb (sogenannter »public sector comparator« – PSC) ergeben, nicht überschreiten. Die verbleibenden Effizienzvorteile müssen ausreichen, um im Ergebnis des Vergabeverfahrens den PSC zu unterschreiten. Um beide grundlegenden Anforderungen (der Architekt identifiziert sich mit dem Haus, der PSC ist unterschritten) zu erfüllen, muss die gesamte Projektstruktur grundlegend auf die besonderen Belange der veränderten Projektziele ausgerichtet sein: • Schon im Auslobungstext des Architektenwettbewerbes sollte das gesamte Vergabeverfahren unter Einschluss der Alternative, dass der PSC vom finalen Bieterangebot nicht unterschritten wird, für alle Beteiligten transparent dargestellt sein. • In dem Auslobungstext muss auch die Kostenvorgabe für die Kostengruppen 300, 400 und 500 (Bauwerkskosten, technische Anlagen und Außenanlagen) als wertungsrelevante Kostenobergrenze benannt werden. • Im Auslobungstext ist auch das Auftragsversprechen, das für den Fall der Realisierung der Maßnahme abgegeben wird, verlässlich zu beschreiben. Es sollte dargelegt werden, für wen es gilt (in der Regel: Architekt und Freianlagenplaner). Auch der Auftragsumfang sollte sowohl für die Konsolidierungsphase als auch für die Phase, in der der Architekt nach Auftragserteilung für den privaten Partner im ÖPP-Verfahren tätig wird, dargestellt sein. Alle honorarbestimmenden Faktoren sollten definiert werden: anrechenbare Kosten, Honorarzone, Teilleistungspunkte der Leistungsphasen nach HOAI.

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• In der Konsolidierungsphase nach Wettbewerbsentscheidung ist der Entwurf auch hinsichtlich der Nutzeranforderungen zu konkretisieren. Der Architekt sollte als Generalplaner alle von ihm benötigten Sonderfachleute koordinieren. Im konsolidierten Entwurf sind die Optimierungspotenziale, die der Bieter im ÖPP-Vergabeverfahren zur Optimierung seines Angebotes nutzen kann (ggf. Betriebstechnik, Primärkonstruktion o.ä.) transparent und umfassend darzulegen. • In die funktionale Leistungsbeschreibung sind die endverhandelten Vertragsentwürfe, die das Auftragsverhältnis zwischen privatem Partner und den Planern regeln, als Kalkulationsvorgabe aufzunehmen. Der Bieter wird verpflichtet, im Falle der Auftragserteilung die Verträge mit den Planern abzuschließen. • Nach Versand der Leistungsverzeichnisse stehen die Planer für eventuelle Rückfragen der Bieter zur Verfügung. Die Rückfragen werden anonymisiert und unter Einhaltung der Vergaberegeln beantwortet. • Nach dem Einreichen und Werten der indikativen Angebote stehen die Planer im Verhandlungsverfahren mit den (in der Regel) beiden wirtschaftlichsten Bietern zur Verfügung. Ziel ist es, die angebotenen Leistungen der Bieter so zu optimieren, dass sie den architektonischen Anforderungen der Planer und den funktionalen Belangen der Nutzer entsprechen. • Nach dem Verhandlungsverfahren werden die Auslobungsunterlagen im Lichte des Verhandlungsverfahrens unter Beteiligung der Planer aktualisiert und die Bieter zur Legung des finalen Angebotes (best and final offer – BAFO) aufgefordert. • Nach Auswertung der finalen Angebote, Unterschreitung des PSC und Auftragserteilung an den Wettbewerbsgewinner im ÖPP-Vergabeverfahren wechselt der Planer zum privaten Partner. Regelmäßiger Auftragsumfang sollte umfassen: Komplettierung der Leistungsphasen 3 und 4, Leitdetails aus Leistungsphase 5 und künstlerische Oberleitung während der Bauausführung. Sollte die Ausführungsplanung von fremder Hand gefertigt werden, sollten dem Planer die Kontrolle der Ausführungs- und Werkstattplanung beauftragt werden. Für die Beauftragung hat der private Partner die in den Ausschreibungsunterlagen beigefügten Vertragsunterlagen zu verwenden, die die Bestimmungen der HOAI einhalten. Ob das zu errichtende Gebäude dann im Lichte des gesellschaftlichen Wandels zu einer Architekturikone wird, liegt in der Hand der Architekten und am Geschick des Preisgerichtes, das ihn für diese Aufgabe ausgesucht hat. Im ÖPPVergabeverfahren wird es – wegen der damit für den Bauherrn verbundenen Effizienzverluste – der Ausnahmefall bleiben. Festzuhalten ist jedoch auch, dass Kulturbauten und ÖPP sich keinesfalls ausschließen.

Kulturbauten, Architekturqualität und öffentlich-private Par tnerschaf ten

Partnerschaften Deutschland hat als öffentliche Beratungsgesellschaft für die öffentliche Hand in den letzten zwei Jahren sehr praktische Erfahrungen in diesem Themenbereich sammeln dürfen im ÖPP – Projekt »Haus der Zukunft« des Bundesforschungsministeriums in Berlin. Der Grundstein für den Entwurf eines architektonischen »Newcomers« ist gerade gelegt worden. Wir und die Jury sind davon überzeugt, dass hier und in zukünftigen ÖPP Projekten – unter Einhaltung der oben genannten Empfehlungen – hochwertige Architektur realisiert wird.

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Dienstleistungspartnerschaften als wertstiftendes Pendant zur Kulturimmobilie Peter-Roman Persch

Inhalt 1. Einleitung | 103 2. Strategische Ausgangslage | 104 3. Typische Formen von Dienstleistungspartnerschaften | 105 4. Parameter erfolgreicher Partnerschaften | 107 5. Schlussfolgerungen | 108

1. E inleitung Deutschland besitzt eine der vielfältigsten Kulturlandschaften Europas. Die Pluralität an Kultureinrichtungen1 und Trägerschaften sowie deren Förderung durch den öffentlichen Sektor sind einzigartig in der Welt. Ungeachtet dessen kann davon ausgegangen werden, dass sich insbesondere der öffentlich geförderte Kulturbetrieb in den nächsten Jahren vor große Herausforderungen gestellt sehen wird. Drei wesentliche Entwicklungen werden dazu beitragen: der hohe Konsolidierungsdruck auf öffentliche Haushalte, ein tiefgreifender kultureller Wandel in der Gesellschaft und zugleich umfassende demografische Herausforderungen für Bund, Länder und Kommunen. Wie sind diese Herausforderungen zu meistern? Welche Betrachtungsweise führt hier zu angemessenen Lösungen? Um sich einem möglichen Ansatz zu nähern, sei hier eine Beobachtung vorangestellt: Tatsächlich zeichnet sich in den letzten Jahren der deutlich feststellbare Trend ab, dass Neubau- oder umfassende Renovierungsvorhaben von Kultureinrichtungen oftmals als Initial für grundlegende Veränderungen in der Betriebsorganisation genutzt werden. Mit Blick auf zukünftig zu erwartende Anforderungen wird die Neu1 | Als Kultureinrichtungen werden hier vorrangig Museen, Theater, Opernhäuser, Orchester und Bibliotheken verstanden.

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anlage der »äußeren Hülle« zum Moment einer ganzheitlich begriffenen Modernisierung und damit auch zu einem Moment der Zukunftssicherung von Organisationsmodellen im Kulturbereich. Betrachtet man den Sachverhalt von anderer Seite, so kann die These aufgestellt werden, dass die häufig durch finanzielle Zwänge initiierten Lösungsmodelle – über das Bauen und Betreiben von Kulturimmobilien hinaus – wesentliche Impulse für die wirtschaftliche Erbringung öffentlicher Kulturleistungen geben können. Anhand der wirkungsvollen Implementierung von Dienstleistungspartnerschaften zeichnet sich dies ebenso exemplarisch wie zukunftsweisend ab. Anhand skizzenartiger Erläuterungen und Beispiele soll dies hier plausibel hergeleitet werden.

2. S tr ategische A usgangslage Auch wenn der Kulturetat des Bundeshaushalts in den letzten Jahren stetig gestiegen ist, so sind doch – und zwar auf allen Ebenen – neue Wege zur langfristigen wirtschaftlichen Finanzierung des deutschen Kulturbetriebs einzuschlagen: Während auf Bundesebene ein Großteil der Kulturmittel zur Erhaltung der sog. Spitzenkultur Verwendung findet, steht die Politik auf Landesebene vor der Herausforderung, insbesondere in den Flächenländern ein gleichbleibendes Kulturangebot aufrecht zu erhalten. Die kommunale Ebene wiederum umfasst die größte Anzahl an Einrichtungen und erhält gleichzeitig die meisten finanziellen Zuwendungen in Deutschland. Hier stellt sich insbesondere die Aufgabe, ein qualitativ hochwertiges Kulturangebot für breite Bevölkerungsschichten auch langfristig sicherzustellen. Neben haushaltsbedingten Herausforderungen machen neue kulturelle und mediale Bedürfnisse in der Gesellschaft sowie in Teilen bereits rückgängige Besucherzahlen den Kulturbetrieb insgesamt unvorhersehbarer. Dies beeinflusst nicht nur die Programmgestaltung einzelner Einrichtungen, sondern wird auch deren Finanzierungssituation maßgeblich erschweren. Zusätzlich sind hierbei demografische Veränderungen in der Gesellschaft zu berücksichtigen, die sich unmittelbar in den künftigen Besucherstrukturen und -zahlen der Kultureinrichtungen auswirken werden. Vor diesem Hintergrund wird notwendiger Weise die Konzentration der Kulturbetriebe auf ihren Kernbereich, die Erfüllung des unmittelbaren Kulturauftrags (d.h. insbesondere das Sammeln, Bewahren, Erforschen oder Vermitteln von Kulturgütern bzw. kultureller Werte), weiter an Bedeutung gewinnen. Von entsprechender Relevanz wird daher – gleichsam in der Rolle einer zweiten tragenden Säule – auch der kulturelle Wandel der Verwaltungsorganisationen in Kultureinrichtungen sein. Ihr muss – äquivalent zur Konzentration auf die kulturelle Kernkompetenz – deutliches Augenmerk geschenkt werden;

Dienstleistungspar tnerschaf ten als wer tstif tendes Pendant zur Kulturimmobilie

denn sie übernimmt die Rolle der wesentlichen Entlastung und Unterstützung des Kernbereichs. Dies umso wertstiftender, da auf Verwaltungsseite Kriterien der Wirtschaftlichkeit und Dienstleistungsqualität als Schlüsselgrößen gelten, um den Kulturauftrag der öffentlichen Hand nachhaltig zu flankieren und Planungssicherheit für die Kulturbetriebe herzustellen.

3. T ypische F ormen von D ienstleistungspartnerschaf ten Aktuell werden strategische Kooperationen durch Dienstleistungspartnerschaften im Kulturbereich in Deutschland zunehmend diskutiert und gefordert. In der praktischen Umsetzung werden sie hingegen – abgesehen von einigen erfolgreichen Projekten bspw. im Bereich öffentlich-privater Servicegesellschaften – bei weitem noch nicht hinreichend genutzt. Netzwerke und Kooperationen öffentlicher Kultureinrichtungen untereinander – sogenannte Öffentlich-Öffentliche Partnerschaften (ÖÖP) – können dabei ebenso wie Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) wichtige strategische Eckpfeiler sein. Im Gegensatz zu bereits etablierten öffentlich-privaten Vertragsbeziehungen im Kulturbereich, wie etwa Sponsoring oder Mäzenatentum, basieren Dienstleistungspartnerschaften auf kompetenzbasierter Risikoallokation sowie dem Erzielen wirtschaftlicher Synergie-Effekte aus optimierten Management- und Betriebsleistungen. Sie sind im Sinne der Erhaltung und Weiterentwicklung von Kultureinrichtungen auf eine langfristige Kooperation öffentlicher und privater Akteure angelegt. Ihr Ziel ist es, den Ressourceneinsatz für Kulturbetrieb und Verwaltung zu verbessern, um dadurch nicht zuletzt mehr wirtschaftliche Gestaltungsspielräume für den künstlerischen Bereich zu gewinnen. Das Spektrum partnerschaftlich angelegter Kooperationsansätze umfasst in der aktuellen und damit zugleich zukunftsweisenden Praxis zwei wesentliche Leistungssegmente: unmittelbar immobilienbezogene und nicht-immobilienbezogene Dienstleistungen. Zu den immobilienbezogenen Dienstleistungen zählt insbesondere das klassische Facility Management, d.h. die Verwaltung und Bewirtschaftung der zur jeweiligen Kultureinrichtung gehörenden Gebäude und Anlagen. Das Spektrum des Facility Managements reicht dabei von einfachen Hausmeister- und Elektriker-Tätigkeiten bis hin zu anspruchsvollen Bühnenbeleuchtungen für Opernhäuser oder dem Energie-Beschaffungsmanagement großer öffentlicher Kulturstiftungen. Idealer Weise folgt das Facility Management dabei dem Paradigma eines strategisch ausgerichteten, auf den Lebenszyklus bezogenen Managementansatzes; denn nur so ist es konsequent möglich, die Systeme und Prozesse von Kulturimmobilien funktionsfähig zu halten bzw. an sich kon-

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tinuierlich wandelnde organisatorische Bedürfnisse anzupassen und damit dauerhaft in hoher Qualität zur Verfügung zu stellen. Zu den nicht-immobilienbezogenen Dienstleistungen zählen hingegen unterstützende Services wie der Kassendienst, der Besucherservice, das Catering oder auch – perspektivisch sicherlich mit zunehmender Bedeutung – das Event-Management, Fundraising, Merchandising sowie die Erschließung neuer Absatzmärkte für spezifische, teilweise einzigartige Kompetenzfelder einer Kulturinstitution wie bspw. Restaurationsleistungen. All diesen nicht-immobilienbezogenen Leistungen ist zu eigen, dass sie sich überwiegend durch einen direkten »Kundenbezug« auszeichnen und damit maßgeblich nicht allein zum Erscheinungsbild der Kultureinrichtung beitragen, sondern zugleich als wichtige Faktoren der Identitätsstiftung bei den Besucherinnen und Besuchern einer Kultureinrichtung bewertet werden müssen. Mit zunehmender Ausweitung des Leistungsspektrums in diese Richtung wird die Nähe zur Kernmarke »Kultur« in äquivalenter Weise signifikant. Das bedeutet andererseits: Während Partnerschaftsmodelle für immobilienbezogene Leistungen zumeist ausschließlich einer unmittelbar kaufmännisch geprägten, finanziellen Ratio im Sinne von Kosteneffizienz folgen, unterstützen Kooperationsansätze für nicht-immobilienbezogene Leistungen auch verstärkt qualitativ-strategische Ziele des Managements einer Kultureinrichtung. Diese Leistungen haben neben Effizienzgewinnen bspw. zum Ziel, zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen oder auch neue ideelle Impulse zur Markenbildung zu geben. Private Akteure können der öffentlichen Kultureinrichtung hierbei wichtiges Know-how bereitstellen und helfen, innovative Marktzugänge zu öffnen. Im Kontext nicht-immobilienbezogener Dienstleistungen wird – so kann beispielhaft angeführt werden – dem Bereich IT und Digitalisierung in Zukunft eine tragende Rolle als Bestandteil von Partnerschaftsmodellen im Kulturbereich zukommen. Zum einen werden durch öffentlich-öffentliche Zusammenschlüsse IT-Leistungen zunehmend auch im Kulturbereich gebündelt und wirtschaftlicher erbracht werden, z.B. durch das gemeinsame Nutzen IT-basierter Ticketing- und Informationssysteme. Zum anderen sind im Kultursektor verstärkt Bestrebungen zu erkennen, Kulturinhalte zu digitalisieren, um dadurch u.a. neue Interessentenkreise zu erschließen. Diese teilweise sehr komplexen und aufwändigen Projekte wären ohne professionelle Zusammenarbeit mit privaten Partnern sowohl aus der IT- als auch aus der Kreativ-Branche gar nicht denkbar.

Dienstleistungspar tnerschaf ten als wer tstif tendes Pendant zur Kulturimmobilie

4. Par ameter erfolgreicher Partnerschaf ten Unabhängig vom gewählten Partnerschaftsmodell gilt für alle Kulturinstitutionen das strategische Ziel, höhere Wirtschaftlichkeit und Dienstleistungsqualität zum unmittelbaren Nutzen des originären Kulturauftrags zu erwirken. Das Instrumentarium zum Erreichen dieses Ziels leitet sich aus einer passgenauen Sourcing-Strategie ab. Sie optimiert Management- und Betriebsleistungen zum Einsatz von Personal- und Sachmitteln. Grundlage der Passgenauigkeit ist eine sorgfältige Analyse der spezifischen Gegebenheiten der jeweiligen Kultureinrichtung. Lösungsansätze »von der Stange« sind im Kulturbereich erfahrungsgemäß hingegen weniger erfolgversprechend. Die zentralen Parameter, die für Dienstleistungspartnerschaften im Kulturbereich definiert und ausgestaltet werden müssen, lassen sich vor diesem Hintergrund in vier Kategorien unterteilen: • Leistungsportfolio und Laufzeit: Das Leistungsportfolio des Partnerschaftsmodells ist zu definieren und funktional zu beschreiben. Gegebenenfalls ist ein stufenweiser Auf bau des Leistungsportfolios zu erarbeiten, wenn bspw. bereits bestehende Dienstleistungsverträge der Kulturinstitution zu unterschiedlichen Zeitpunkten auslaufen bzw. kündbar sind. Und die Laufzeit des Partnerschaftsmodells ist zu bestimmen. Da es sich hierbei in der Regel um langfristige Geschäftsbeziehungen handelt, die für zum Teil deutlich längere Zeiträume als vier Jahre vereinbart werden können, sind dabei flexible Vertragsmechanismen für sich in der Laufzeit verändernde Rahmenbedingungen und Anforderungen der Kultureinrichtung mit zu berücksichtigen. • Auf bauorganisation und Schnittstellen: Wird die Gründung einer partnerschaftlich agierenden Gesellschaft angestrebt, ist einerseits die Auf bauorganisation für diese Gesellschaft selbst zu konzipieren. Andererseits sind auch auf bauorganisatorische Veränderungen in der öffentlichen Kultureinrichtung zu berücksichtigen, da Leistungsbestandteile ggf. entfallen bzw. auf die neue Gesellschaft übertragen werden können. Darüber hinaus sind Schnittstellen und dazugehörige Abläufe zwischen der Kultureinrichtung und der Partnerschaft zu definieren. • Risikoverteilung: Dem partnerschaftlichen Paradigma folgend, werden die Projektrisiken kompetenzbasiert zwischen den Partnern geteilt. Bei der Verteilung gilt der Grundsatz, dass derjenige Partner eben jene Risiken trägt, die er jeweils am besten beherrschen und beeinflussen kann. Dies führt in Summe zu mehr Effizienz, einer verbesserten Projektsteuerung und dem notwendigen Verantwortungsbewusstsein auf beiden Seiten. Hierzu sind zunächst sämtliche strategischen und operativen Risiken zu

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identifizieren, zu gewichten und zu bewerten. Anschließend werden sie in ein systematisches Risikomanagement überführt. • Steuerung und Anreiz-System: Die Zusammenarbeit der Partner erfolgt auf Basis einer durch die Partner einzurichtenden Steuerung der Leistungsbeziehung. Hierzu werden Institution, Rollen bzw. Funktionen und Prozesse definiert (z.B. Lenkungsausschuss, Koordinierungsteam, Eskalationsprozesse, Berichtswesen). Darüber hinaus ist ein Anreiz-System auf Basis definierter Leistungsparameter praxistauglich zu entwickeln und umzusetzen. Planung und Umsetzung einer erfolgreichen Dienstleistungspartnerschaft sind zudem durch ein aktives Veränderungsmanagement kontinuierlich zu begleiten. Da es sich in der Regel um tiefgreifende Veränderungen in bestehende Verwaltungs- und Dienstleistungsprozesse des Kulturbetriebs handelt, sind Vertrauen und Motivation bei allen Anspruchsgruppen – insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – aufzubauen. »Betroffene« können so zu engagierten Beteiligten werden.

5. S chlussfolgerungen Abschließend lassen sich für Dienstleistungspartnerschaften vier Schlussfolgerungen aus der aktuellen Bestandsaufnahme in Verbindung mit den künftig zu erwartenden Herausforderungen für öffentliche Kulturbetriebe ziehen: • Dienstleistungspartnerschaften sind wichtige strategische Eckpfeiler, um Organisation und Betrieb von Kultureinrichtungen zu modernisieren und zukunftsfähig zu gestalten. • Wertschöpfungsanteile privater Akteure werden künftig verstärkt Wirtschaftlichkeit und Dienstleistungsqualität in Kulturbetrieben erhöhen, wobei die strategische Steuerung ungeachtet dessen beim öffentlichen Partner verbleiben muss. • Neben öffentlich-privaten Partnerschaften werden auch öffentlich-öffentliche Kooperationen im Kulturbereich an Bedeutung gewinnen. Wissenstransfer und das Erschließen synergetischer Potenziale werden hierbei die Entwicklung bestimmen. • Künstlerische Unabhängigkeit und Freiheit von Kulturbetrieben werden durch Dienstleistungspartnerschaften nicht eingeengt, sondern befördert. Der Kernbereich Kultur wird gestärkt. Sowohl öffentlich-öffentliche als öffentlich-private Kooperationen werden in den nächsten Jahren – über die bauliche Errichtung und den Betrieb von Kulturimmobilien hinaus – maßgeblich helfen, den öffentlichen Kulturbereich

Dienstleistungspar tnerschaf ten als wer tstif tendes Pendant zur Kulturimmobilie

weiter zu entwickeln und wirtschaftlich zu stärken.2 In diesem Kontext werden Dienstleistungspartnerschaften als wertstiftendes Pendant zur Kulturimmobilie dazu beitragen können, Vielfalt und künstlerische Qualität öffentlicher Kulturbetriebe in Deutschland auch langfristig zu sichern.

2 | Siehe hierzu auch die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland« der 16. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags.

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Gastronomie in Kulturimmobilien Ingo B. Wessel

Die Mehrzahl der Besucher kommen nicht allein ihretwegen – aber sie wird immer unverzichtbarer, und zugleich komplexer, volatiler, unberechenbarer – Gastronomie als Teil einer größeren kulturellen Einrichtung. Zumindest ein »Café« wird erwartet in Museen, Theatern, Konzerthäusern und historischen Ensembles bzw. ein Mindestmaß an Foyergastronomie. Weit darüber hinaus versprechen sich Träger und Kulturschaffende die vielzitierten Synergieeffekte und einen positiven Imagetransfer von einem »schönen Restaurant« im Hause, mit durchgehendem Qualitätsanspruch und der dem Ort geschuldeten Prise innovativen Auftretens. Stylisch im Design, sauber geführt, geöffnet für Schülergruppen ebenso wie Lunchgäste, Mitarbeiter und zugleich für internationales Fachpublikum. Den Betrieb führen und das Risiko übernehmen möge aber bitte bewährter maßen ein Pächter, ein Profi aus der doch sehr speziellen Gastronomie-Branche. Mit eigenen Investitionen in Einrichtung und Ausstattung, wenn notwendig auch mit einem längeren Vertrag zur beiderseitigen Sicherheit, und eher ohne lästige Brauereibindung. Soweit die Wunschvorstellungen. In der Realität schlagen sich mehr und mehr Einrichtungen mit häufigem Pächterwechsel, mit Leerstand, unbefriedigendem Betrieb und zunehmend eingeschränkten Öffnungszeiten herum. Verknüpft mit steigenden Avancen des Pächters auf museale und kulturelle Kernflächen für das offensichtlich einzig einträgliche Geschäft: Catering für geschlossene private und FirmenVeranstaltungen. Die Schere geht offenkundig weiter auf zwischen Anspruch und Wirklichkeit… Gleich vergessen sollte man als Bauherr, Kultur-Einrichtung oder Träger die Illusion, dass in der einer Kultureinrichtung verbundenen Gastronomie automatisch viel (privatwirtschaftliches) Geld verdient werden könne. In den nächsten Jahren werden u.a. Zeiterfassungsgesetz, fälschungssichere Kassensysteme und weiter steigende bauliche Anforderungen wie Brandschutz und Versammlungsstättenverordnung die vermeintlich goldenen Zeiten der Pachtbetriebe endgültig beenden. Ein professioneller Gastronomie-Betreiber hat ab-

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seits von gewissen tariflichen und Einkaufs-Vorteilen kaum noch deutlichen betriebswirtschaftlichen Vorsprung. Alle »kochen doch nur mit Wasser«, ob integriert in die Kulturimmobilie oder »draußen« in der freien Straßenlage.

Abbildung 1: Schloss Schwetzingen/Restaurant im Park Es wird unausweichlich, für die gewünschte gastronomische Dienstleistung an den Besuchern und noch mehr für den Imagetransfer einer guten ZielGastronomie im Hause die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Ein paar der vielen Punkte auf der Checkliste an Architektur und Betriebskonzept seien aufgezählt: • • •



Zugang für Gäste außerhalb der ticketpflichtigen Zonen und Öffnungszeiten, incl. Toiletten und Garderoben, Nebenräumen und Logistikzonen, 50  % der Umsätze sollten von Gästen von außerhalb kommen für eine nachhaltige Wirtschaftlichkeit, Möglichst alle wesentlichen Flächen auf einer Ebene – kurze Wege sind essenziell bei hohen Personalkosten; und interne Treppen in Lagerbereiche sind auch Gastronomie-Mitarbeitern in Zukunft kaum mehr zumutbar, Vorsicht bei Vitrinen-Theken in Selbstbedienung, aber auch bei »klassischer« rückwärtiger großer Küche – Gastronomie in integrierten Standorten konkurriert um die Gunst der Gäste mit allen aktuellen Konzepten im In- und Ausland,

Gastronomie in Kulturimmobilien

• •



Gasträume auch mit Südausrichtung, ebenerdig zum Außenzugang, mit Terrassen oder Innenhöfen für Attraktivität zur Sommerzeit, Begrenzung der in historischen oder spektakulären Bauten häufig überbordenden Neben- und Energiekosten für den Gastronomiebetreiber auf einen angemessenen Anteil vom machbaren Umsatz, Kluge Regelungen für Rechte und Pflichten des Haus-Caterers mit marktgerechten Mietpreisspiegeln.

Erstaunlich oft werden ganz wesentliche Elemente für eine erfolgreiche Gastronomie viel zu spät in die Planung eingebracht oder gar bis zur Diskussion mit einem Pächterkandidaten bis wenige Monate vor Eröffnung verschoben. Um die stark schwankenden Besucher- bzw. Zuschauerzahlen vieler Kultureinrichtungen gastronomisch abzufangen und guten Service bieten zu können, müssen sowohl die Gastfläche als insbesondere die Theke(n) und Produktionsflächen im Personaleinsatz in großer Flexibilität bespielbar sein. Zubereitung vor dem Gast entlastet in Schwachlastzeiten rückwärtige Küchenkräfte, muss aber in Stoßzeiten durch systemorientierte Abläufe ersetzt werden – ohne jedes Mal umzubauen. Küchenkonzepte mit mobilen Geräten statt gemauerten Sockeln und inflexiblen Lüftungshauben atmen wechselnde Zeiten und eine technologischen Geräteentwicklung mit.

Abbildung 2: Gasteig München/Quick Service Gastronomie GAST

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Die Gastronomie in Museen und Konzerthäusern, in Gartenanlagen und Schlössern darf sich mehr Anleihen an professionellen Cateringunternehmen und Systemgastronomie nehmen, was die Abläufe und die Logistik betrifft. Und gleichzeitig individueller, mutiger und innovativer im Design und den Sortimenten werden, um den außergewöhnlichen Anspruch der Location schlüssig zu unterstreichen. Es bleibt eine gestalterische und strategische Entscheidung, ob die Gastronomie das Thema und den künstlerischen Inhalt der Institution übernimmt, verstärkt, spiegelt – oder eher neutralen Erholungsraum und zeitlose Reflexionszone des Gesehenen und Gehörten sein möchte. Meine Studien und Erfahrungen stützen beide Konzeptlinien, so sie denn konsequent wertig verfolgt werden. Und damit wären wir beim kritischen Punkt – der potenziellen Partnerschaft zwischen Kulturinstitution und Gastronomie-Betreiber. Hier prallen Welten aufeinander. Ob kameralistische Budgetierung versus Bargeldwirtschaft – europaweite Ausschreibungen von Küchenausstattung versus ad-hoc-Einkauf – oder Dokumentationskultur versus Improvisationsverhalten – die gewisse notwendige Harmonisierung der Betriebsabläufe ist von der Verhandlungsphase über die spannende Eröffnung bis zur kontinuierlichen Weiterentwicklung nur unter großen Anstrengungen und andauernder Gesprächsdisziplin erreichbar. Meist erlebe ich ein toleriertes Nebeneinander statt Ausnutzen der Co-Branding-Potenziale. Laissez-faire mit Ansätzen der Resignation statt koordinierter Besucheransprache und klarer gemeinsamer Wettbewerbspositionierung. Auch für Einrichtungen mit weit über 100.000 Besuchern pro Jahr wird eine »Versorgungs-Gastronomie« in Zukunft weder ausreichen noch überhaupt nachhaltig Betreiber finden, wenn Konzept, Räume, Design und Angebot kein eigenes Profil erlebbar machen – für kleine Objekte schon gar nicht. Die dienende Funktion einer Gastronomie in Kulturimmobilien bleibt aber dabei wichtige Basis der Zusammenarbeit – durchaus auch daran zu messen, ob die Mitarbeiter der Institution regelmäßig in der hauseigenen Gastronomie zu Gast sind oder sie eher meiden. Den multiplen Spagat zwischen schnellen leckeren Snacks um fünf Euro, hochwertigen Getränken sofort nach der Bestellung an den Theken, preisgünstiger Verpflegung für Künstler und Crew bis hin zum attraktiven Dinner für das verwöhnte Stadtpublikum werden in Zukunft immer weniger professionelle Betreiber erfüllen können – daran haben der anhaltende Fachkräftemangel im Gastgewerbe ebenso wie der erwähnte Kostendruck nicht unerheblichen Anteil, aber auch die mangelnde Professionalisierung einer ganzen Branche. Nicht zuletzt deshalb, aber auch, um die Besucherzufriedenheit besser ganzheitlich steuern zu können, werden viele Einrichtungen um die Überlegung eines strukturierten professionellen Eigenbetriebes in Zukunft nicht herumkommen. Wie gesagt, alle kochen nur mit Wasser und die Rahmenbedingun-

Gastronomie in Kulturimmobilien

gen werden so anders nicht ausfallen unter Regie eines eigenen Wirtschaftsbetriebes. Insofern minimiert der Träger das Risiko des Betriebswechsels, das durch die Schnelllebigkeit der Gastronomielandschaft verstärkt wird, wenn die funktionalen und betrieblichen Rahmenbedingungen schon im Briefing zum Architekturwettbewerb oder des Agenturpitch für die Gestaltung gründlich und individuell auf das Objekt bezogen berücksichtigt sind. Ein Vorlauf von 1 ½ Jahren vor Eröffnung für eine strukturierte und fachlich begleitete Betreiber-Akquisition wird dann die letzten 20-30 % konzeptionelle und gestalterische Ausrichtung im Rahmen der Fixpunkte von Flächen, Infrastruktur und Ertragsprognose liefern. Aus langjähriger Erfahrung vieler Projekte kann der Autor nur empfehlen, in der heißen Phase des Pre-Opening und noch mindestens im ersten vollen Betriebsjahr durch moderierte Fachbegleitung ein Annähern der Welten zu den wirklich erreichbaren Synergien von Kunst und Kulinarik zu realisieren. Der Gastronomie-Standort Museum, Theater, Opernhaus, Schloss, Garten, Konzertsaal ist um mindestens die originären tausende potenzielle Gäste attraktiver als jede andere sogenannte »freie« Location. Die gesuchten professionellen Gastronomiebetreiber mit Biss, Potenzial, guter Basis und dennoch freiem Kopf für eine beiderseitig offene Kooperation haben aber vielfach kritische Distanz zu integrierten Projekten meist in öffentlicher Hand. Zu groß erscheinen die Unterschiede in Zielen und betrieblichen Methoden.

Abbildung 3: Haus der Kunst München/Goldene Bar

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Ingo B. Wessel

Es wird in Zukunft wichtiger, das große Potenzial gemeinsamer »Erlebniswelten« im Geiste der Kunst und Kultur herauszustellen und in geregelter Partnerschaft mit realistischen betrieblichen Rahmenbedingungen zu leben. Dazu gehört auch, die angemessene Schnittstelle in den Investitionen, Mieten und Laufzeiten zu finden. Fünf Jahre und weniger, bei weitgehender Ausstattung durch den Pächter, 30-seitigem Pachtvertrag aus dem städtischen Liegenschaftsamt und vorheriger Ausschreibung analog VOF-Verfahren sind im volatilen Betreibermarkt der Gastronomie fehl am Platz – sie führen zu keinen werthaltigen Interessenten, sondern vielmehr zu schnellem, kostenintensiven Betreiberwechsel. Gefragt sind ganzheitliche Konzepte und Augenmaß für die realen, schwierigen Betriebsbedingungen einer qualitätvollen Gastronomie.

TEIL B Museum Seit der Diskussion um den sogenannten »Bilbao-Effekt« ist allen Verantwortlichen bewusst, welche Funktion Museumsarchitektur in der Außenwahrnehmung von Städten einnehmen kann. Architektur steht oft im Widerstreit der Interessen. Eine zentrale Frage lautet: Hat die Architektur eine dienende Funktion für die Objekte, die Produktion/Präsentation und die Nutzer oder geht es um eine nach außen wirkende »Geste« für das Stadtimage, die Stadtentwicklung oder die Stadtsanierung? Museen sind Schatzhäuser und ein Geschenk an die Stadt (Matthias Sauerbruch), aber auch Orte sozialer Begegnung und ein Spiegelbild der Stadtidentität (Alexander Schwarz). Die Rolle der künftigen Nutzer, der Kontext der Objekte und des Museumsraumes (HG Merz und Pablo von Frankenberg), sind bei der Abwägung der beim Planen und Bauen aufeinander treffenden Interessen von zentraler Relevanz. Die Funktionalität von Kulturimmobilien bemisst sich auch an der Grundsatzfrage der museologischen Fachplanung, wie sich Menschen und Objekte in diesen Räumen bewegen können (Dieter Bogner). Am Beispiel des Neubaus des Museum Folkwang von David Chipperfield, das bereits im Artikel von Alexander Schwarz in Bezug auf die Architektur sowie in Kapitel C von Thorsten Steinmann im Blick auf den Betrieb behandelt wird, wird eine umfassende Projektsteuerung sowie ein privates Bauherrenmodell erläutert (Klaus Wolff ). Dieses war Erfolgsfaktor für die budget- und zeitgerechte Realisierung von der Neubauentscheidung im August 2006 bis zur Eröffnung des Museums pünktlich zu Beginn des Kulturhauptstadtjahres im Januar 2010. Nicht nur bei der baulichen Umsetzung, sondern auch im Betrieb von Museen können private Partner eingeschaltet werden (Sebastian Schwarzenberger), um zusätzliches Know-how-Potential von Dienstleistern zu mobilisieren, die sich den Museumsbetrieb als Geschäftsfeld erschlossen haben.

Kulturbauten als Ressource oder Wie man ein Museum entwirft Matthias Sauerbruch

Die meisten Architekten würden mir zustimmen, dass ein Museum wohl der beste Auftrag ist, den man bekommen kann. Bei einem Museumsgebäude sind höchste ästhetische Maßstäbe selbstverständlich, die Budgets sind überdurchschnittlich und die öffentliche Aufmerksamkeit ist einem sicher. Ein Museum entwerfen zu dürfen, ist wie ein Lottogewinn. Der Erfolg des Projekts scheint garantiert, weil man automatisch davon ausgeht, dass ein Museumsbau selbst dieselben Qualitätsstandards erfüllt wie sein Inhalt, der ja per definitionem von kulturellem Wert ist. Doch die Gleichsetzung von Inhalt und Behältnis ist eine vorschnelle Schlussfolgerung, wenn nicht sogar ein komplettes Missverständnis. Denn bevor sie Kultobjekte sein müssen, haben Museumsbauten drei wichtige Funktionen zu erfüllen: Erstens gleichen sie Schatzhäusern, in denen natürliche, wissenschaftliche, technische Artefakte oder Kunstwerke für zukünftige Generationen sicher verwahrt werden müssen. Die Auf bewahrung dieser wertvollen Stücke erfordert Schutz – sowohl vor Diebstahl und Beschädigung, als auch vor Zersetzung und Zerfall. Die zweite Hauptaufgabe eines Museums besteht in der Präsentation seiner Sammlung. Das Gebäude ist dabei lediglich die Bühne für das Theater der Ausstellung. Es ist offenkundig, dass die Exponate, Bilder und Objekte dem Besucher Informationen vermitteln müssen, aber diese expressive Qualität ist nicht zwangsläufig auch für die Architektur erforderlich, die sie umgibt. Ihre Aufgabe besteht vor allem darin, den Raum zu schaffen, der gute Ausstellungen möglich macht. Darüber hinaus, und dies ist die dritte Anforderung, muss ein Museum in das Umfeld hineinstrahlen, zu dem es gehört, und in ihm einen Widerhall finden. Sowohl in seiner physischen Präsenz als auch unter programmatischen Gesichtspunkten muss es seiner Umgebung etwas bieten. Erst wenn seine Räume, Strukturen und Oberflächen mit seinem Kontext und seinen

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Matthias Sauerbruch

Inhalten ein architektonisches System bilden, das in sich schlüssig ist, kann man einen Museumsbau als wertvollen Beitrag zu unserer gemeinsamen Kultur begreifen. Museumsbauten müssen ein Geschenk an ihre Stadt sein. Sie müssen die vorgefundene Situation verbessern, sie müssen ihre Umgebung mit dem kollektiven Geist der Kultur durchdringen, und sie müssen der Gemeinschaft Anknüpfungspunkte bieten, die zur Partizipation einladen. Dieses Potential wurden in den letzten zwei oder drei Jahrzehnten meist im Kontext des Strukturwandels gesehen: Museen sollten zunehmend dazu dienen, Prozesse der sozialen und wirtschaftlichen Transformation anzustoßen oder zu begleiten. Das bekannteste Beispiel hierfür, Frank Gehrys 1991 errichtetes Guggenheim Museum, setzte hierin Maßstäbe: eine hochartikulierte, betont originelle Gebäudeskulptur mit dementsprechend geringer architektonischer oder urbaner Bodenhaftung avancierte zum Symbol für das wiederauferstandene Bilbao. Dieses avantgardistische und unweigerlich fremdartige Architekturobjekt sollte das Signal aussenden, dass man den fatalen Niedergang der Stahlindustrie, derentwegen Bilbao einst entstanden war, überwunden hatte. Jetzt war die Stadt auf dem Weg ein modernes Zentrum zu werden für Finanz-, Kreativund andere Dienstleistungsindustrien, wobei die Tourismusbranche von der Intervention noch am stärksten profitierte. Obwohl zahlreiche weitere Infrastrukturmaßnahmen (etwa der Bau einer U-Bahn, die Öffnung ehemaliger Industriegebiete, der Bau eines großen Konferenzzentrums) ebenso Teil dieser Transformation waren, wurde das spektakuläre Museum so sehr zur Ikone des Wandels gemacht, dass es in der Wahrnehmung der allgemeinen Öffentlichkeit zum »Bilbao-Effekt« nämlich, der etwas vorschnellen Gleichung kam, dass man nur irgendwo ein extravagantes Museum bauen müsse, und der wirtschaftliche Aufschwung sich fast von alleine einstellen würde. Eine ganze Reihe von Städten, insbesondere in Spanien, folgte diesem einfachen Rezept, mit teilweise katastrophalen Folgen. Etwa Oscar Niemeyers Kulturzentrum in der nordspanischen Stadt Aviles entsprach offenbar nicht dem lokalen Bedarf und musste wenige Jahre nach seiner prachtvollen Eröffnung wieder geschlossen werden. Auch Valencia klagt über die enorme Belastung des städtischen Haushalts durch Santiago Calatravas Ciudad de las Artes y de las Ciencias, und Peter Eisenmans Cidade da Cultura de Galicia in Santiago de Compostela konnte aufgrund von Budgetschwierigkeiten nur zur Hälfte gebaut werden und droht ein finanzielles Fass ohne Boden von unabsehbarem Ausmaß zu werden. Die Beispiele machen deutlich, dass die Beziehung zwischen einer Kulturinstitution und ihrer Stadt komplexer sein muss, als dieses allzu schlichte neoliberale Rezept suggeriert. Es genügt nicht, einen internationalen Stararchitekten anzuheuern und ein ikonisches Objekt zu kreieren, das dann ein zahlungskräftiges internationales Publikum anzieht oder auch nur junge Kulturarbeiter in großer Zahl anzuwerben. Die Initialzündung, wie man manch

Kulturbauten als Ressource

einer bedürftigen Kommune wieder auf die Beine helfen kann, mag von außen kommen, aber ein Museum muss am Ende dennoch seine Wurzeln vor Ort und in der lokalen Bevölkerung finden. Die Diskussion über die Gestaltung eines Museums (des Gebäudes und der Institution) sollte dementsprechend bei seinem Verhältnis zu seiner Stadt ansetzen. Entspricht es dem Maßstab und dem Wesen der vorhandenen (Stadt-) Landschaft? Findet es die richtige Balance zwischen dem angemessenen Ausdruck seiner Einzigartigkeit und einer adäquaten Integration in das urbane Gewebe seines Standorts? Hat es die Großzügigkeit, zu seinem Viertel oder der Stadt als Ganzer beizutragen? Ist es elegant und strahlt es Energie aus? Ist es offen, lädt es Aktivitäten von außen ein, ist seine Struktur flexibel genug, auf sich ändernde Bedürfnisse zu reagieren? Auch programmatisch muss ein neues Museum in seiner Nachbarschaft als Attraktor fungieren; es muss Aktivitäten unterstützen oder stimulieren, die über seinen unmittelbaren Aufgabenbereich hinausgehen. Es sollte mit den Schulen und Universitäten vor Ort zusammenarbeiten und mit seinen Ausstellungen auch die jeweilige lokale Identität stärken. Schließlich bietet ein Museum eine Fülle von Gelegenheiten für die Art von sozialem Austausch, die eine Stadt ausmacht und Urbanität entstehen lässt – vom Plausch beim Cappuccino im Café, aus dem ein interessanter Ideenaustausch werden kann, bis hin zu Bildungs- und Vortragsprogrammen, Performances u.v.a.m. Ein Museum soll helfen – auf der Basis gemeinsamen Interesses an den Inhalten des Hauses und der gemeinsamer Erfahrung ihrer Präsentation – neue Gemeinschaften heranzubilden. Da der öffentliche Raum in unseren Städten heute fast vollständig der Kommerzialisierung und der damit verbundenen Kultur des Spektakels ausgesetzt ist, kann das Museum tatsächlich noch jenen geschützten Ort bieten, der sich als Keimzelle des öffentlichen Lebens beschreiben lässt – nicht nur wegen der allgemeinen Einrichtungen und Möglichkeiten, die es bietet, sondern auch, weil es einer der wenigen Orte ist, der wie Platons reflektierende Höhlenwand funktionieren kann, also als ein Projektionsraum jener Ideen, die für unsere Existenz als Gemeinschaft wesentlich sind. Um diese Ideen zu pflegen und lebendig zu halten, müssen sie von jeder Generation mit sämtlichen Formen kulturellen Ausdrucks immer wieder aufs Neue interpretiert werden – Architektur und damit Kulturbauten inbegriffen. Dabei mögen wirklich neue Kulturbauten ihren Zeitgenossen fremd erscheinen, denn sind sie geglückt, zwingen sie uns dazu, auf behutsame Weise ihre Institution und deren Rolle mit anderen Augen zu betrachten. Die Werte, die eine Gemeinschaft lebendig halten, zeitgemäß zu formulieren, statt einfach nur die Phrasen der Vergangenheit zu wiederholen, und dabei das richtige Gleichgewicht von Neuheit und kulturellem Echo zu finden, ist möglicherweise die größte Herausforderung, vor die ein Museumsprojekt den Architekten stellt. Hier zählen für mich Carlo Scarpas Interventionen in Verona und Ve-

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nedig nach wie vor zu den erfolgreichsten Vorbildern. So ist die Fondazione Querini Stampalia eines der Beispiele, bei denen eine kompromisslos zeitgenössische Position eine neue und spannende Perspektive auf Werte der Vergangenheit eröffnet. Scarpa bewahrt das Bestandsgebäude in seiner mannigfaltigen physischen Präsenz mit grosser Sorgfalt und fügt ihm zugleich eine weitere, explizit moderne Schicht hinzu, die dem Besucher hilft, dieses Palimpsest der Geschichte zu verstehen. Das Museum ist als Ausstellungsraum zu allererst ein Raum, in dem eine Geschichte erzählt und verstanden werden soll. Ein Ort, an dem bestimmte Artefakte in räumlicher oder linearer Anordnung ihre Aura entfalten können. Ein Museum ist vor allem ein Ort der Begegnung zwischen dem Besucher und expressiven bzw. affektiven Objekten und Bildern. Dieser persönlichen Begegnung sollte ein Museumsgebäude einen möglichst optimalen Rahmen bieten. Natürlich streiten Kuratoren und Architekten seit jeher darüber, wie viel Architektur ein Museum dazu wirklich braucht. Kuratoren bevorzugen so wenig architektonische Einmischung wie möglich, während Architekten von einem Dialog sprechen, den Ausstellung und Gebäude eingehen sollten. Nimmt man Roms MAXXI von Zaha Hadid Architects als ein Museum aus jüngster Zeit, das ein hervorragendes Beispiel seiner Art ist, so werden alle Argumente völlig klar, denn dieses Museumsgebäude beansprucht selbst mindestens so viel Aufmerksamkeit wie sein Inhalt. Aber gerade auf Grund seiner Architektur ist das MAXXI bei Besuchern äußerst beliebt, und diese Popularität des Gebäudes – so könnte man argumentieren – hat wahrscheinlich eine große Zahl von Touristen in Kontakt mit der Kunst darin gebracht, die sich ansonsten nicht in eine »normale« Galerie begeben hätten. Andererseits muss man zugeben, dass viele der ausgestellten Werke in den ihnen zur Verfügung stehenden Räumen eher deplatziert erscheinen. Abschüssige Böden, geschwungene Decken, dynamische Wände und fließende Räume lenken zwangsläufig von den Exponaten ab. Bei diesem »Dialog« kommt ein Teil der Kunstwerke einfach nicht gegen die Wucht und Größe ihrer gebauten Umgebung an und geht buchstäblich darin verloren. Das Kunsthaus Bregenz von Peter Zumthor ist auf den ersten Blick ein weiteres Beispiel dieser Art. Die Materialdominanz und die räumliche Präsenz seiner Sichtbetonräume tendieren dazu, selbst stärkere Kunstwerke in den Schatten zu stellen. Ich erinnere mich an eine Ausstellung mit Gemälden von Jeff Koons, die bestimmt nicht bescheiden sind und die im Kontext dieser gebieterischen Architektur seltsam verblassen und zögerlich wirken. Andererseits gab es dort, kuratiert von Eckhardt Schneider, auch einige sehr denkwürdige Ausstellungen, bei denen Künstler wie Santiago Serra, Antony Gormley, Anish Kapoor, Olafur Eliasson und viele andere In-situ-Installationen schufen, die ohne den starken architektonischen Kontext, auf den sie reagieren mussten, nicht entstanden wären. Zumthors Architektur mit ihrer einfachen Geo-

Kulturbauten als Ressource

metrie, mit ihrem fundamentalen Habitus bei subtiler Lichtführung inspirierte die Künstler zu bemerkenswerten Interventionen. Dabei lässt die einfache Anlage des Gebäudes genug Spielraum für eine große Bandbreite unterschiedlicher Installationen. Bei Daniel Libeskinds jüdischem Museum in Berlin liegen die Dinge wieder anders. Hier sind die gelungensten Räume diejenigen, die als unabhängige Teile der Ausstellung gestaltet sind; Räume, die wie Denkmäler nur sich selbst ausstellen wie der Garten des Exils, die Holocaust-Voids usw. Die eigentlichen Ausstellungsräume hingegen haben sich als problematischer erwiesen. Zahlreiche zusätzliche Strukturen mussten innerhalb der Räume errichtet werden, um die Installation der multimedialen Präsentation des Museums möglich zu machen. Die Räume des Museums tolerieren diese Subsysteme nicht ohne Weiteres, sodass es zu konfusen und beengten Situationen kommt. Als Folge hiervon ist sich der Besucher des expressiven Charakters des Gebäudes kaum bewusst, ja die weit ausholenden »Schlitz-Fenster« und der zickzackförmige Grundriss sind von innen schwer nachvollziehbar und erweisen sich eher als Hindernis denn als Vorteil. Wenn ich darüber nachdenke, warum ich gerne ins Museum gehe, dann steht dabei vor allem ein Wunsch im Vordergrund: Generelle Neugier, ein gewisser Voyeurismus, gepaart mit der Lust am Spektakel mögen eine Rolle spielen, doch vor allem suche ich dort nach Inspiration. Unabhängig davon, ob ich in ein gutes historisches, naturwissenschaftliches oder ein Kunstmuseum gehe, lohnt sich dieser Besuch für mich immer dann am meisten, wenn er mir ein Fenster zu Wissensgebieten, Erfahrungen und Denkweisen öffnet, die mir neu sind und die meinen geistigen Horizont erweitern. Eine gute Ausstellung hilft mir dabei, meine eigene Situation zu relativieren und gute Museumsräume vermitteln mir diese Einsicht ohne zusätzliche Ablenkungen. Natürlich kann man argumentieren, Museumsarchitektur selbst solle auch inspirieren und ebenso unerwartet und bewusstseinserweiternd sein, wie die Ausstellung, ich aber meine, Architekten sollten in dieser Hinsicht eine gewisse Bedeutungshierarchie akzeptieren. Was immer darin ausgestellt wird, gibt dem Museum seinen Daseinsgrund und sollte daher im Vordergrund der Aufmerksamkeit stehen. Dies gilt besonders für jene Fälle, in denen der Architekt den zukünftigen Inhalt des Museums noch gar nicht kennt. Die Rolle der Architektur ist die eines »noble enabler«, eines edlen Ermöglichers. Räume müssen die richtige Bühne bieten, wenn ein Werk seine Präsenz entfalten soll. Die Klimabedingungen müssen perfekt sein, ohne dass davon viel Aufhebens gemacht wird, und die Atmosphäre der Ausstellungsräume muss intim, aber großzügig sein, einladend, aber präzis, offen und klar. Um Duchamp zu zitieren: Ein Kunstwerk existiert nur, wenn man es sieht, und so spielt der Museumsraum eine existentielle Rolle für die ausgestellten Werke.

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Für Bereiche eines Museums, in denen die Architektur eindeutig den Vorrang hat – traditionellerweise Foyers, Verkehrsflächen, Seminarräume, Vortragssäle usw. – ist es meines Erachtens wichtig, dass diese einladend und inspirierend wirken, nicht einschüchternd. Diese Räume sollen den Besucher zwar auch überraschen, doch genauso sollen sie ein Gefühl von Zugehörigkeit oder sogar möglicher Inbesitznahme vermitteln. Ein Museum ist kein Denkmal, das die Geheimnisse unseres Dasein materialiseren soll, sondern vielleicht sogar das Gegenteil: es ist ein Ort, der uns dabei helfen sollte, die conditio humana zu verstehen und sie mit Wissen, Intuition, Kreativität und der Freude an ihrem anscheinend unendlichen Potenzial zu füllen. Und um nun schließlich noch auf meinen ersten Punkt zurückzukommen: das Bewahren. Auch das primitivste Museum ist letztlich eine Art umgekehrtes Gefängnis. Wertvolle Dinge sind dort in Sicherheitsverwahrung – nicht, um sie der »normalen« Welt zu entziehen, sondern um sie zugänglicher zu machen und sie unter den bestmöglichen Bedingungen aufzubewahren. Der Schutz vor dem Verfall, also die Kontrolle über Lichtverhältnisse und klimatische Bedingungen, ist ein wesentlicher Faktor bei der Gestaltung von Museen, ganz besonders dort, wo internationale Standards gelten. Museen zählen in technischer Hinsicht – neben Krankenhäusern und Laboratorien – zu den Gebäudetypen mit den höchstmöglichen Anforderungen und Spezifikationen. Eine Architektur zu schaffen, die ein vernünftiges Maß an Technologie bedingt, ist eine große Herausforderung beim Entwurf eines Museums. Um jedem Ausstellungstyp gerecht werden zu können, müssen alle Bereiche mit Kunstlicht gut ausgeleuchtet sein, der Einfall von Tageslicht muss kontrolliert werden, das Niveau von Luftfeuchtigkeit und Temperatur muss konstant und zugleich variabel sein. Die Sicherheit muss so umfassend wie effizient sein, wobei es sich als schwierig erweisen kann, den Brandschutz für Besucher und Artefakte gleichermaßen zu gewährleisten. Es ist nicht leicht, eine technische Gebäudeausrüstung unterzubringen, die all diese Anforderungen erfüllt, und zugleich eine entspannte Atmosphäre zu erzeugen, die der Begegnung zwischen Besucher und Artefakt nicht im Wege steht. Oft ist das eine Frage der Feinabstimmung aller Details: Licht, Oberfläche, Materialität, Proportion, das Verhältnis zwischen Wand und Öffnung, das Aufeinandertreffen von Boden, Wand und Decke usw. In diesen Diskurs eingebettet ist auch die Frage der Ökonomie. Nach dem ursprünglichen Investitionsaufwand spielen vor allem zwei Aspekte in den Budgets von Museen eine erhebliche Rolle, nämlich die Personal- und die Betriebskosten. Zu den Personalbudgets zählt auch die kuratorische und museumspädagogische Arbeit, oft reichen sie aber nur dafür aus, die notwendige Sicherheit zu gewährleisten. Zu den Betriebskostenbudgets können Ausstellungs- und Vortragsprogramme zählen, doch häufig werden sie vielmehr durch den Betrieb besagter museumstechnischer Anlagen aufgefressen. Die

Kulturbauten als Ressource

Tatsache, dass fast jede große Museumsausstellung von Sponsoren gefördert werden muss, verleiht der Kulturproduktion dieser Institutionen ein hohes Maß an Unsicherheit und bedroht offenkundig eben jene Unabhängigkeit, die sie so wertvoll macht. Übertriebene Ausgaben für anspruchsvolle Gebäude stellen eine Dauerblutung dar, die die unermüdlichen Anstrengungen von Förderern, Kuratoren, Sammlern und Gestaltern unterminieren. Eine nachhaltige Lösung für ein Museum der Zukunft muss wirtschaftlich langfristig umsetzbar sein. Technisch gesprochen ist ein gutes Museum ein einfaches Museum, ganz besonders unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Umständen. Jeder hat diese Erfahrung als Tourist schon gemacht: Man verbringt einen Sommertag in einer fremden Stadt, es ist heiß und laut, und man ist gereizt ob der Überfülle von Sinneseindrücken. So beschließt man, in ein Museum zu gehen. Hat man Glück, ist es im Reiseführer nicht unter den Top Ten aufgeführt. Man taucht in eine Welt ein, die ruhig und kühl ist und in der viele interessante Erfahrungen warten. Man kann dort herumgehen und Kunstwerke erkunden, wird dort auf alte Freunde und neue Bekannte stoßen. Man kann mit einem Kunstwerk Zwiesprache halten oder sich treiben lassen. Man wird alles finden, was man erwartet hatte, und mehr als das. Es ist, als betrete man einen anderen Kosmos, eine andere Zeit, als entdecke man verborgene Bereiche der eigenen Erinnerung. Ist man erschöpft, findet man im Museumscafé normalerweise gutes Essen zu vernünftigen Preisen und im Buchladen ein interessantes und inspirierendes Angebot. Wenn man ortsansässig ist, kann man Führungen, Vorträge und Seminare besuchen, ja auch an Empfängen, Abendessen und Partys teilnehmen. Museen sind nicht nur Orte, wo Menschen auf Kunstwerke treffen, sondern sie sind auch wichtige Orte der sozialen Begegnung. Im Meer des Alltäglichen sind sie Inseln des Besonderen. Sie sind Schutzräume, und dies nicht nur, weil dort bedeutende Dinge und deren fragile Aura bewahrt werden, sondern auch, weil sie die unmittelbare Verkörperung der Freiheit des Wissens sind – von Finesse, Kunstfertigkeit und menschlichen Höchstleistungen, von Fantasie und Mut. Ein gutes Museum vermittelt diese Ideen irgendwie durch seine bloße Existenz, seine Architektur wird dabei seinen Inhalt stets komplementieren. Jenseits von Information oder Bildung ermöglicht es tief greifende Erfahrungen, die die Menschen miteinander teilen können. Diese Erfahrung hat nichts mit dem Spektakel eines Vergnügungsparkes zu tun, der die oberflächliche Neugier des Besuchers befriedigt. Ein gutes Museum kann ein Feld von Möglichkeiten eröffnen, wo vorher nicht viel zu sein schien. Ein Ort, an dem wir neue Kraft tanken können. Ein Ort, der in uns neue Lebensgeister mit unerwarteten Potenzialen erweckt.1

1 | Übersetzung aus dem Englischen: Nikolaus G. Schneider

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Die »Kulturimmobilie« Museum Alexander Schwarz

Inhalt 1. Zum Begriff »Kulturimmobilie« | 128 2. Das Literaturmuseum der Moderne (Marbach) | 129 3. Das Neue Museum (Berlin) | 132 4. Das Museum Folkwang (Essen) | 135 Es ist ein Irrglaube zu meinen, Architektur entstehe als Skizze auf der Serviette. Der Entstehungsprozess von Architektur, insbesondere gebauter Architektur, unterscheidet sich maßgeblich von gängigen Vorstellungen der Kunstproduktion. Wie der Künstler versucht, die Grenzen zu überschreiten, versucht der Architekt, die Grenzen zu lieben. Architektonisches Entwerfen ist die Vorstellung davon, was das Vorgefundene sein könnte. Das Vorgefundene ist viel: der Ort, seine Grenzen, die Bauaufgabe, das Baurecht, das Geld, die Menschen, die planen, die bauen, die das Haus benutzen und bewohnen und die, die es besitzen. Die Vorstellung, was sein könnte, muss nicht nur die Möglichkeiten und Grenzen des Orts und des Budgets bedenken, sondern auch die Vorstellung all dieser Menschen. Es ist sehr schwer ein Haus zu bauen, das sich ein Bauherr nicht vorstellen kann. Architektur entsteht nicht als Skizze auf der Serviette, sondern in einem kollektiven Vorstellungsraum, der in gewisser Hinsicht einen Ausschnitt unserer Gesellschaft, unserer Kultur darstellt. Damit ein Architekturbüro gute Architektur herstellen kann, bedarf es einer Entwurfskultur, die Bürokultur und Planungskultur einschließt. Wer gute Architektur bauen will, so ist zumindest unsere Erfahrung, muss vor allem einen kulturellen Vorstellungsraum einräumen, in dem die beteiligten Menschen die Kraft ihrer Vorstellung gemeinsam entfalten können. Entwerfen heißt zunächst Raum schaffen für Architektur. Architektonisches Entwerfen heißt Raum bauen für die Menschen, für ihr Leben und für ihr Denken.

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1. Z um B egriff »K ulturimmobilie « Eine Immobilie, gebaute Architektur, reflektiert die Kultur der Gesellschaft, die sie erstellt. Insofern ist jede gebaute Architektur, jede Immobilie eine »Kulturimmobilie«. Der Begriff ist eine Tautologie. Er hört erst auf tautologisch zu sein, wenn man davon ausginge, dass eine Immobilie – also gebaute Architektur – genuin unkulturell sei, was aber angesichts des komplexen und aufwendigen Herstellungsprozesses fast jeder gebauten Architektur nahezu nicht möglich ist. Die Tautologie suggeriert einen Widerspruch zwischen Architektur und Kultur, den es meiner Meinung nach kaum geben kann. Es ist kaum möglich, eine Architektur außerhalb der Kultur der Gesellschaft, die dort wohnt, wo die Immobilie steht, zu errichten. Ein seltenes Beispiel dafür könnte in Essen die Designschule von Sanaa darstellen. Die dünne, ungedämmte, einschalige Betonaußenwand atmet etwas, das nichts mit Bauen in der Kulturnation Deutschland zu tun hat und ist eines der ganz wenigen Beispiele internationaler Architektur, die im Prozess ihrer Erstellung der kulturellen Macht deutschen Bauens entkommt und nicht, wie fast alle internationale Architektur in Deutschland, vom nicht deutschen zum deutschem Kulturgut mutiert. Freilich ist aber auch dieser Bau letztlich, wie jede Immobilie, eine Kulturimmobilie. Sie reflektiert aber in bemerkenswerter und bewundernswerter Weise die unterschiedlichen kulturellen Vorstellungsräume der Architekten und der Gesellschaft, die da wohnt, wo die Immobilie entsteht. Die Tatsache, dass uns der Begriff »Kulturimmobilie« zunächst einleuchtet als Spezifizierung einer Gruppe von Bauten, die sich von allen anderen Immobilien unterscheiden, wirft einen interessanten gesellschaftlichen Aspekt auf. Schon bei dem Begriff »Kulturarchitektur« würden wir doch stutzig werden. Dass wir den Begriff aber hinnehmen, hat wohl damit zu tun, dass das Wort »Immobilie« kein Wort aus der Welt der Architektur, sondern ein Wort der Wirtschaft, eben der »Immobilien«-Wirtschaft ist, ein Wort aus der Welt des Geldes, deren vorrangiges Optimierungskriterium die Vermehrung desselben darstellt. Nicht zuletzt, weil Bauen immer teuer ist und Geld der Geldwirtschaft bindet, scheinen wir uns damit abgefunden zu haben, dass die gebaute Umwelt weitgehend den Vorstellungsraum einer Geldwirtschaft und deren Optimierungskriterien widerspiegelt und nicht andere Optimierungskriterien einer kulturellen Gesellschaft. Nur in Ausnahmefällen, bei den sogenannten »Kulturimmobilien« – allen voran Museen –, kann es gelingen, dass Architektur andere Werte als den Profit reflektiert, während im Normalfall der gebauten Architektur die Kultur die Logik der Immobilie stören würde. Dem liegt ein Kulturbegriff zugrunde, der Kultur nicht als existenziale Form unseres gesellschaftlichen Daseins betrachtet, sondern als Luxus, den man sich leisten kann, wenn man erfolgreich genug Geld vermehrt hat. Ich halte diesen Kulturbegriff für ebenso fatal wie die Tatsache, dass es einen Wirt-

Die »Kulturimmobilie« Museum

schaftsbereich, nämlich die Immobilienwirtschaft gibt, der ausschließlich davon lebt, die durch gebaute Architektur geschaffene Wertschöpfung abzuschöpfen und darüber hinaus global bestimmt, wie unsere gebaute Umwelt aussieht, nämlich der Logik der Immobilie folgend: unkulturell. Es war mir in meinem bisherigen Berufsleben in unserem Büro vergönnt, einige der sogenannten Kulturbauten zu entwerfen und deren Herstellungsprozess entwerfend zu begleiten, darunter das Museum Folkwang in Essen, das Neue Museum in Berlin und das Literaturmuseum der Moderne in Marbach am Neckar, die ich für diesen Essay unter einigen Aspekten vergleichen möchte. Alle drei Museen reflektieren für mich deutlich die Möglichkeiten und Grenzen des kulturellen Vorstellungsraums, den die Menschen, die maßgeblich für die Erstellung des Baus waren, gewissermaßen deren Autoren, aufspannen. Alle drei unterscheiden sich im Prozess wie im Ergebnis deutlich. Gemeinsam ist ihnen der vorgeschaltete mehrstufige internationale Wettbewerb, das eingehaltene Budget sowie der eingehaltene Eröffnungstermin und, um es vorweg zu nehmen, ich meine oder zumindest hoffe, sie sind alle drei gesellschaftlich relevant und kein Luxus.

2. D as L iter aturmuseum der M oderne (M arbach) Dass im Herzen des pietistisch geprägten, gesunden Wirtschaftsraums Mittlerer Neckar kein Luxus für Literatur, deren Ertrag unklar ist, gebaut wird, versteht sich von selbst. Dennoch oder vielleicht auch daher ist Marbach für mich das Haus mit der größten Verdichtung, Stringenz und erfahrbaren Sinnfälligkeit seiner konzeptionellen, räumlichen und materiellen Mittel. Der Bauherr, das Deutsche Literaturarchiv, hatte eine eigene Bauabteilung, die aus einem klugen Germanisten, Herrn Dr. Roland Kamzelak, bestand, dessen Hauptaufgabe während der Planungs- und Bauphase eigentlich die Herausgabe der Tagebücher von Harry Graf Kessler war. Es gab einen Stuttgarter Projektsteuerer und lokale Fachplaner. Das Museum wurde paritätisch vom Bund und vom Land finanziert. Die strenge Sprache der Architektur, vor allem der repetitiven Vertikalen, waren dem südwestdeutschen Bauherrn zu der Zeit befremdlich. Vorsitzender der Jury des anonymen und offenen Wettbewerbs, in dem unser Entwurf zunächst nur den vierten Preis gewonnen hatte, war Vittorio Lampugnani, der, so habe ich vernommen, damals sehr überrascht war, dass es sich um einen Entwurf von David Chipperfield Architects handelte. In der folgenden Auseinandersetzung mit dem Bauherrn, insbesondere auch – ab der Überarbeitung in der zweiten Runde des Wettbewerbs – mit der Direktorin des Museums, Frau Dr. Heike Gfrereis, entwickelte sich eine Sympathie für unseren Entwurf, seine Organisation, seine räumliche Qualität und seine redu-

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zierte Sprache, die es vermeidet, die Literatur der Moderne zu kommentieren. Die Beschränkung auf architekturimmanente Themen wie Horizontale und Horizont, Terrasse und Topografie, Tragen und Lasten, Öffnung und Masse, Ausblick und Konzentration, Licht und Dunkelheit, führt auch dazu, dass die Architektur im Prozess nicht verwässert wird.

Abbildung 1: Kolonnade, Eingangsebene (© Ute Zscharnt für David Chipperfield Architects)

Abbildung 2: Modellfoto Innenraum (© David Chipperfield Architects) Ich war damals für die Aufgabe jung, meine Berufserfahrung gründete sich im Wesentlichen auf die Arbeit am Neuen Museum. Nicht nur, weil es sich um

Die »Kulturimmobilie« Museum

einen Bau in Sichtweite meines Geburtsorts handelte, war ich hoch motiviert. Ich wollte unbedingt am Wettbewerb teilnehmen und wurde insbesondere von Harald Müller, damals väterlicher Geschäftsführer und Büroleiter, getragen. Trotz einiger Hitzköpfigkeiten wurde ich als Architekt ungewöhnlich ernst genommen. Das gebaute Haus entspricht, bis auf eine geringe Höhenreduzierung zur Kosteneinsparung, dem Wettbewerbsbeitrag, der übrigens ohne Computerrendering auskam. Das Haus ist auch in seiner kompromisslosen Materialität nahezu so gebaut wie ich es mir vorgestellt und gewünscht habe. Das passiert selten. Sogar die vier Meter hohen Eingangstüren, die bis heute nicht richtig funktionieren, wurden realisiert.

Abbildung 3: Ausstellungsebene im Sockelgeschoss (© Jörg von Bruchhausen) Wettbewerb und Bau des Literaturmuseums, die Auseinandersetzung mit den kultivierten Bauherrn und den Vertretern der Geldgeber waren für mich eine

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beglückende und intensive Erfahrung, die trotz der bescheidenen Größe des Baus und seines Budgets zu einem für uns bedeutsamen Beitrag geführt hat. Der Wettbewerb war der erste unseres jungen Berliner Büros, der zu einem Auftrag geführt hat und fällt in die Planungspause nach der Einreichung der Genehmigungsplanung des Neuen Museums. In dieser Zeit wandelt sich das Berliner Büro vom reinen Planungsbüro für die Museumsinsel zu einem eigenständigen Standort von David Chipperfield Architects mit eigenem Profil, das stark durch die insgesamt zwölfjährige Arbeit am Neuen Museum geprägt wird.

3. D as N eue M useum (B erlin) Der Wettbewerb des Neuen Museums wurde in London bearbeitet. Wir waren mit Frank Gehry, der gerade Bilbao eröffnet hatte und wohl zu dieser Zeit der berühmteste Architekt war, in der letzten Runde des Gutachterverfahrens. Unsere Haltung, die eigene Erfindung dem Vorgefundenen zu unterwerfen, untermauerte David Chipperfield auch damit, den Restaurierungsarchitekten Julian Harrap in unser Team zu nehmen. Nach dem Wettbewerbsgewinn zogen wir nach Berlin, um vor Ort planen zu können. Die Auseinandersetzung mit dem reichen Bestand und die Komplexität seines Zustandes führten zu einer kompletten Änderung des Raumprogramms. Während im Gutachterverfahren das Neue Museum noch zentrales Eingangsgebäude der Museumsinsel werden sollte, um deren städtebaulichen und sammlungsspezifischen Merkwürdigkeiten zu korrigieren, legte die längere Betrachtung des fragilen Zustands und die unmittelbar emotionale Authentizität und Delikatesse der Kriegsruine nahe, anderes zu planen. Entscheidend für einen möglichst angemessenen Umgang mit dem Vorgefundenen war, mit möglichst vielen Beteiligten seitens der Denkmalpflege, der Staatlichen Museen und des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung – allesamt Koryphäen ihres Fachs – vor Ort ergebnisoffen und lange zu diskutieren, was am besten gewollt werden soll. Es ist David Chipperfield zu Beginn des Projekts gelungen, in einer hochexplosiven öffentlich beobachteten Situation einen kulturellen Schutzraum zu schaffen, in dem über mehr als zehn Jahre die sich widersprechenden Optimierungskriterien gegeneinander abgewogen wurden, um ein möglichst ideales Ergebnis zu erreichen. Diese Planungskultur führt dazu, dass eine Gruppe hochgradig qualifizierter und identifizierter Menschen das Projekt nach innen und nach außen tragen und stetig voneinander lernen. Aufgrund der Vielzahl der Themen gestaltet sich der Planungsprozess als Moderationsmarathon, den vor allem Eva Schad und Martin Reichert in unserem Büro begleiten. Während Marbachs Entwurfshaltung in seiner Beschränkung auf wenige Themen, Materialien und Mittel eher als Minimalismus gelten könnte, führt die Über-

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lagerung der enzyklopädischen Architektur Friedrich August Stülers, die historische Bedingtheit seiner ruinösen Zustände und der Anspruch, möglichst allem gerecht zu werden und aus dem Erhaltenen und dem Neuen ein neues Ganzes, ein funktionierendes Museum zu schaffen, zu einer Entwurfshaltung, die man als Maximalismus bezeichnen könnte.

Abbildung 4: Niobidensaal, Blick in den Nordkuppelsaal (© Ute Zscharnt für David Chipperfield Architects) Die Erfahrung für das Neue Museum zu entwerfen ist eigen. Außer der Decke in der Treppenhalle ist nichts aus dem Wettbewerbsentwurf geblieben. Ich erinnere mich, dass ich die Decke von Anfang an mochte und daher nie mehr in Frage gestellt habe. Obwohl sie sicher intellektuell richtig ist – der dunkle Raumabschluss, die sichtbare tragende Konstruktion, die sich nach oben im Dunkel verliert und dem seitlich durch die großen Drillingsfenster einfallen-

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den Tageslicht Dramatik verleiht –, erreicht sie aus heutiger Sicht nicht die sinnliche Kraft späterer Entwurfsentscheidungen, die extremer und subjektiver sind und sich gleichzeitig besser in den Kosmos der Stüler’schen Architektur integrieren, so zum Beispiel die neue Decke des Saals hinter der Treppe, deren exzentrische Tektonik nur auffällt, wenn man sie aktiv betrachtet.

Abbildung 5: Saal hinter der Treppe, Blick in den Ethnographischen Saal (© SPK/David Chipperfield Architects, Foto Christian Richters) Im Gegensatz zu den meisten Projekten, die von den frühen Entwurfsentscheidungen im Wettbewerb getragen werden, reflektiert das Neue Museum einen Reichtum im Prozess gewonnener Erkenntnis, der sich insbesondere in den späten Entwurfsentscheidungen ablagert. Der Reichtum ist nicht nur intellektuell bemerkenswert, sondern offenbar auch unmittelbar sinnlich erlebbar. Dieser Luxus der Entscheidungsfindung oder genauer Maximalismus (denn es handelt sich ja nicht um Luxus) erfordert eine außergewöhnliche Projektkultur des Wissens und des Nichtwissens, die der Staat als Bauherr, professionell

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vertreten durch das Bundesamt, mitgetragen hat. Das Ergebnis ist, zumindest den Auszeichnungen nach zu schließen, die das Neue Museum gewonnen hat, herausragend. Ich bezweifle, dass ein PPP-Modell mit seiner Effizienzästhetik in der Planungskultur dazu in der Lage gewesen wäre.

4. D as M useum F olkwang (E ssen) Architektur betrifft uns. Sie ist von langer Dauer. Sie besetzt und definiert die physische Welt, in der wir uns bewegen, wenn wir nicht in der Natur wandern. Sie ist insofern eine res publica, eine öffentliche, staatliche Angelegenheit und Ausdruck und Bedingung unserer Kultur und unseres Zusammenlebens. Ein Staat, der das Bauen an die Immobilienwirtschaft abgibt, ist gewissermaßen unkulturell. Öffentlicher Raum entsteht nicht als »leftover« zwischen addierten Immobilien, die der Logik des Geldes folgen. Eine Stadt, die aufhört den ästhetischen Zusammenhang ihrer Räume zu denken, verliert ihre zivile Urbanität. Die Demokratie muss sich beweisen, indem sie in der Lage ist, Überdurchschnittliches für den öffentlichen Raum zu schaffen. Gerade der Wettbewerb ist ein gutes Mittel, um in einer Demokratie Exzellenz zu erreichen, auch wenn er volkswirtschaftlich betrachtet und im Speziellen für die Architekturbüros, die daran teilnehmen, fast immer ein wirtschaftliches Desaster ist. Man kann beobachten, wie weltweit Städte des posttotalitären entfesselten Kapitalismus den öffentlichen Raum aufgeben und sich in ihrer architektonischen Belanglosigkeit annähern als ein globales Abbild des beschränkten Vorstellungsraums der Immobilienwirtschaft. Urbane Kultur ist komplex und braucht gesellschaftliche Bildung und handlungsfähige staatliche Organe jenseits der Logik der Geldvermehrung. Es ist in diesem Zusammenhang mehr als bemerkenswert, dass das Museum Folkwang aus den fünfziger Jahren von den Architekten des Stadtbauamts Essen entworfen wurde. Aus der quasi anonymen Normalität eines städtischen Hochbauamtes entsteht ein Bau, dessen außergewöhnliche Qualität unfraglich scheint, zu einem Zeitpunkt, da der Anbau aus den achtziger Jahren, noch keine 25 Jahre alt ist und abgerissen werden soll. 25 Jahre alte Häuser haben es schwer. Die Qualität ihrer Neuheit hat sich gänzlich überlebt. Alles, was an ihnen modisch wäre, ist zu diesem Zeitpunkt unerträglich. Es ist vermutlich der Zeitpunkt des gnadenlosesten und seinerseits zeitgebundensten Urteils. Man sollte nicht nur einen Architekturpreis für 25 Jahre alte Häuser ausloben, sondern auch sehr zögern, 25 Jahre alte Häuser abzureißen. Im Falle des Museum Folkwang ist es erstaunlich, dass der quasi anonyme Bau aus den späten Fünfzigern die Bauphase zu Beginn der achtziger Jahre überlebt hat. Ich bin mir sicher, dass gewisse bauphysikalische Naivitäten dieser wunderbar direkten Architektur mit den Südfenstern

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zur Straße, von der aus man van Gogh hängen sieht, Anlass genug geboten hätten, angesichts gestiegener Museumsstandards den Bau loszuwerden, so wie 25 Jahre später den Anbau. Ich war sehr froh, dass diese heikle Frage des Abrisses im Vorfeld des Architektenwettbewerbs entschieden wurde. Häufig werden politische Fragen, die nicht mit Architektur zu lösen sind, in den Architekturwettbewerb verschoben, was nicht nur ärgerlich für die Architekten ist, sondern später meist zu Verzögerungen oder zum Sterben des Projekts führt. Ohnehin empfanden wir die Qualität der Wettbewerbsauslobung, die das Büro Phase 1 erstellt hat, als außergewöhnlich professionell, besonders auch die darin enthaltenen klaren und präzisen Vorstellungen der Museumsdirektion unter Hartwig Fischer. Sicherlich hat die Qualität des Wettbewerbs, des Teilnehmerfeldes und der Jury den Grundstein dafür gelegt, dass das ambitionierte Bauvorhaben innerhalb der ausgesprochen knappen Budgets an Zeit und Geld gelingen konnte. Unser Wettbewerbsentwurf nahm Fragen der Realisierbarkeit unter diesen Bedingungen bereits sehr ernst, auch wenn wir zu diesem Zeitpunkt wenig von der Prozesskultur der Realisierungsphase ahnten. Die zweite Quelle der Inspiration für den Entwurf war eine Kritik des Anbaus, der abgerissen wurde. Es war klar, dass nur ein Neubau, der entscheidende Fragen der Situation besser beantwortet, den Abriss legitimierte. Eine neue Version dessen, was abgerissen wurde, genügte nicht. Wichtige Themen beziehungsweise Kritikpunkte waren die positive Integration des schwierigen urbanen Umfelds, die Zugänglichkeit, die Organisation aller öffentlichen Bereiche auf der Ebene des Bestandsbaus, die Atmosphäre der Ausstellungsräume, das Tageslicht, die Orientierung und die Integration des Altbaus zu einem neuen Ganzen. Dabei wurden Qualitäten und Elemente des Altbaus wie zum Beispiel die Höfe weiterentwickelt und teilweise unter Ausnutzung der Topografie monumentalisiert, während der Altbau auf jegliche Monumentalisierung verzichtet. Trotz dieser etwas Miesianischen Monumentalisierung einer nicht monumentalen Architektur, ist unser Bau des Museum Folkwang zurückhaltend und dienend, bisweilen passiv. Er begnügt sich damit, jene ambivalente Atmosphäre der zugänglichen Abgeschiedenheit zu erzeugen, die eine optimale oder zumindest möglichst gute Begegnung zwischen Betrachter und Kunstwerk ermöglicht. Ein Museum für eine hervorragende Sammlung zu bauen, ist im Grunde einfach. Es geht um den Boden, auf dem ich mich bewege, die Glaubwürdigkeit der Wand, an der das Bild hängt, um das Ein- und Ausblenden und Verwandeln der Stadt, aus der ich komme und in die mich der Bau entlässt. Und es geht um den existenziellen Luxus des Tageslichts. Zweifellos ist das radikale Bekenntnis zum Tageslicht als das reichste Licht für die Erfahrung der Kunstwerke und der Räume zentral für das Museum. Der Bau wird getragen von der Vorstellung und dem Mut des Direktors, ein zutiefst europäisches

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Kunstmuseum zu bauen, das auf Highlighting verzichten kann. Kunstwerk wie Besucher befinden sich im selben wechselnden Tageslicht, das den Raum (und nicht nur das Kunstwerk) beleuchtet. Eines der eindrücklichsten Erlebnisse während der Entwurfsplanung war eine gemeinsame Exkursion zu einigen Tageslichtmuseen, darunter das Kunstmuseum und die Fondation Beyeler in Basel und zuletzt der Louvre, den wir an einem Schließtag besichtigt haben, an dem alles Kunstlicht ausgeschaltet war. Lebendigkeit und Modernität der Grande Galerie in reinem Tageslicht waren ein überwältigendes Erlebnis, beglückend die räumliche Asymmetrie des seitlich von oben einfallenden Nordlichts, auf welche die Hängung präzise eingeht, wie uns der Künstler Bruno Haas, den Museumsdirektor Hartwig Fischer zugeladen hatte, zeigen konnte. Die Kulinarik dieses Diskurses über die Bedeutung räumlicher Bedingungen für unsere Wahrnehmung war allerdings nicht repräsentativ für den Realisierungsprozess. Das Modell, das sich die Stadt Essen zur Realisierung des Wettbewerbs erdacht hatte, war ein PPP-Modell. Dabei ging es um die Herkulesaufgabe, den Museumsbau im Rahmen der Spende, die Berthold Beitz1 ermöglichte, bis zum Jahr 2010, in dem Essen Kulturhauptstadt war, fertigzustellen. Die wenigen eindrücklichen Begegnungen mit Berthold Beitz umwehte ein geschichtlicher Hauch, insbesondere als er auf einer Baustellenbegehung über »einen Kollegen« von mir und dessen Sicht auf das Museum Folkwang sprach als sei er ein Zeitgenosse. Wie sich herausstellte, handelte es sich aber um Mies van der Rohe. Wir lernten den privaten Partner, in persona Klaus Wolff, erstmals während der Entscheidung der Wettbewerbsüberarbeitung kennen. Für die Garantie, Kosten und Zeitrahmen einzuhalten, erhielt er von der Stadt Essen weitreichende Befugnisse. Er agierte fortan nicht nur als Bauherr, sondern auch als Projektsteuerer und ab der Ausführungsplanung auch als Architekt. Er war also auch unser Auftraggeber. Pars pro toto sei ein Passus des Vertrags erwähnt, der es uns verbot, mit dem Museumsdirektor zu reden. Der Prozess war schwierig und mitunter unerfreulich für uns. Dennoch möchte ich ihn angesichts des Ergebnisses nicht verurteilen, auch wenn ich ihn mir kein zweites Mal wünsche. Sicher ist es weitestgehend Herrn Wolff zu verdanken, den Bau in der Zeit und in den Kosten erstellt zu haben und das ist eine unglaubliche Leistung. Immer noch sprengt das Museum Folkwang jeden statistischen Wert dessen, was ein Museum seriöser Weise kostet und es sieht so aus wie auf den Renderings, die wir in der Überarbeitung des Wettbewerbs anfertigen sollten.

1 | Berthold Beitz (1913–2013) war ein deutscher Manager und Unternehmenslenker. Er war Generalbevollmächtigter Alfried Krupp von Bohlen und Halbachs und einflussreicher Industrieller in der Montanindustrie des Ruhrgebiets.

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Abbildung 6: Blick von der Bismarckstraße (Foto © Christian Richters, Rendering © Imaging Atelier) Glücklicherweise hatte ich darüber hinaus zur Überarbeitung des Wettbewerbs ein 1:1 Detailmodell der Fassade aus Recyclingglas anfertigen lassen, was dazu führte, dass die Fassade tatsächlich materiell so ausgeführt wurde, wie sie gemeint war: aus einem damals neuen Material, dessen alabasterne Präsenz in einem Zustand zwischen Stein und Glas verharrt und das Licht auch bei schlechtem Wetter quasi aufsaugt. Ansonsten hatte das Rendering die größte qualitative Verbindlichkeit. Gebaut wurde ein Bild. Es ist ein fataler Irrtum unserer Zeit, dass das Abbild von Architektur die größte Kredibilität genießt. Das Entscheidende des architektonischen Erlebnisses ist meines Erachtens das, was nicht auf dem Rendering ist. Das, was nicht abbildbar ist. Das, was ich nur erleben kann, wenn ich am Ort bin. Die Exklusivität des Erlebnisses vor Ort, das sich nicht restlos in Information verwandeln lässt, dürfte auch der Grund sein, warum es auch in Zukunft noch Museen geben wird, mit Sammlungen, deren physischer Verfall mit großem Aufwand signifikant verlangsamt wird, um sie zukünftigen Generationen physisch und nicht nur als ortlose und zeitlose Information zu erhalten. So betrachtet ist ein gebautes Bild kein originäres Bauwerk, es ist nicht die entworfene Architektur. Im Gegensatz zum Neuen Museum und zum Literaturmuseum existiert in meinen Kopf ein »wahres« Museum Folkwang, das sich maßgeblich vom Gebauten unterscheidet. Beispielsweise waren Decken und Wände der Foyer- und Hofräume – heute hellgrau gestrichener Gipskarton – in Sichtbeton gedacht. Die materielle Präsenz des Betons steht im Gegensatz zu den dünnen Stahlstützen der Hofumgänge, die die Hofdächer tragen und gleichzeitig Fassadenstruktur bilden. Glücklicher Weise konnten die Stahlstützen nach langer Auseinandersetzung wie geplant außenliegend realisiert werden. Ein gutes, konstruktives Verhältnis zwischen den beiden pragmatischen Projektleitern, Dieter Deichsel seitens der Wolff Group und Eberhard Veit auf unserer Seite, hat ohnehin auf der Arbeitsebene zu guten Lösungen geführt. Beiden ist viel gebaute Qualität zu verdanken. Dennoch gibt es unnötige Details, die ich auch heute noch unverzeihlich finde, so zum Beispiel die Schattenfuge zwischen der Wand und

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der Decke, die vor allem im Bereich der Dauerausstellung die tektonische Autorität der Decke empfindlich stört, da die Decke visuell nun hängt und ihre Last nicht mehr auf die Wand legen kann. Darunter leiden auch die sorgfältig studierten Proportionen dieser Räume. Trotz der materiellen Armut und einiger Grobheiten im Detail ist aber, wie ich empfinde, das Museum Folkwang ein öffentlicher Ort in der Stadt geworden, an dem man sich gerne aufhält und ein Museum, das man gut nutzen kann, das in der Lage ist, seine herausragende Sammlung auf unterschiedliche Weise angemessen zu zeigen. Es ist für uns interessant zu sehen, welche Qualität die Architektur aufgrund ihrer primären räumlichen Struktur gewinnt, wenn ihre physische Präsenz marginalisiert wird und nur das immaterielle Tageslicht als quasi materieller Luxus bleibt. Das Museum Folkwang ist ein Spiegelbild der Kultur, in der wir wohnen und arbeiten. Sie ist effizient und zögert nicht. Sie baut schnell und günstig und erfüllt ein Bild. Ich kann mir eine andere, bessere Kultur vorstellen.

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Inhalt 1. Museen: Kontexte | 143 2. Ausgestelltes: Dinge | 147 3. Fallbeispiele: Ausstellung und Architektur verbinden | 149 3.1 Kunstkammer im Kunsthistorischen Museum Wien | 150 3.2 Mercedes-Benz Museum Stuttgart | 154 3.3 Gedenkstätte KZ Sachsenhausen | 158 4. Fazit | 162 Literatur | 168 Anfang des 18. Jahrhunderts lösten sich die königlichen und fürstlichen Kunstsammlungen, Wunderkammern und andere Sammlungsbestände mehr und mehr von den feudalen Palästen und wurden in eigens errichteten Bauwerken untergebracht. Seither werden Museumsgebäude in erster Linie dafür errichtet, gesammelte Dinge aufzunehmen und öffentlich zu zeigen. Die Zugänglichkeit von gesammelten Objekten für eine breitere Öffentlichkeit ist weiterhin eines der wesentlichen Merkmale des Museums. Davon abgesehen ist das institutionelle Selbstverständnis des Museums relativ offen. Neben Aufgaben wie Sammeln, Konservieren und Forschen sollen Museen nach Maßgabe des International Council of Museums (ICOM), des größten internationalen Branchenverbunds, Dinge »zum Zwecke des Studiums, der Bildung und des Erlebens« ausstellen. Im angelsächsischen Raum darf das Museum, nebenbei bemerkt, durchaus auch dem Vergnügen dienen. Das wird im englischen Original der ICOM-Erklärung deutlich, in der von »education, study and enjoyment« die Rede ist.1 Die museumspädagogischen Programme, die viele Museen mittlerweile anbieten, können nur zum Teil die ersten beiden Zweck1 | Vgl. www.icom-deutschland.de/schwerpunkte-museumsdefinition.php und http:// icom.museum/the-vision/museum-definition/, zuletzt abgerufen am 07.04.2015.

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setzungen abdecken, zumal beim Museum nicht von einem zielgerichteten Studium oder einer Bildung im Sinne von Ausbildung auszugehen ist. Ein klassischer Museumsbesuch mit oder ohne persönliche oder mediale Führung richtet sich eher an einer gewissen Ziellosigkeit aus, die für den deutschen Bildungsbegriff charakteristisch ist. Wenn man im musealen Sinne von Bildung spricht, trifft Reinhart Kosellecks Definition des Begriffs als »Autonomieanspruch, die Welt sich selbst einzuverwandeln« zu, und zwar seit Beginn der Kunst- und Wunderkammern bis zum heutigen Museum. Bildung bezieht sich, anders als in der französischen und angelsächsischen Tradition, weniger auf eine als politisch verstandene Gemeinschaft, als auf die Eigenbildung der Mitglieder dieser Gemeinschaft und ihre »persönliche Binnenreflexion«.2 Wenn dies nun aber als Zweck des Museums gesetzt wird, folgt daraus in erster Linie eine Offenheit des musealen Angebots. Das Erleben (oder Vergnügen), das dem Bildungszweck anbei gestellt wird, macht diese Offenheit noch deutlicher. Das Erleben setzt jeden einzelnen Besucher in den Mittelpunkt. Es weicht den Versuch einer allgemeinen Definition der Aufgaben des Museums auf. Ein Museumsbesuch dient in aller Regel nicht einer schulisch verstandenen Ausbildung mit abprüf baren Ergebnissen, sondern einem ergebnisoffenen Prozess der Auseinandersetzung mit Aspekten des kulturellen Erbes, oder, mit Gottfried Korff gesprochen, Identitäts- und Alteritätserfahrungen,3 dem Erleben des Fremden und des Eigenen. Welchen Rahmen bietet das Museum dafür? Was sollten Architektur und Ausstellung leisten, um der Ziel- und Bedeutungsoffenheit des Museums gerecht zu werden? Drei Fallbeispiele zeigen, wie Ausstellungen auf architektonischer und gestalterischer Ebene der Offenheit der institutionellen Identität des Museums entgegen kommen und welche Auswirkungen dies auf die gezeigten Inhalte haben kann. Für die Kunstkammer im Kunsthistorischen Museum in Wien als erstem Fallbeispiel wurde ein bestehendes Raumgefüge klimatisch und lichttechnisch so ertüchtigt, dass es den konservatorischen Anforderungen einer einzigartigen Sammlung entspricht und die Sammlung ihre Wirkung in einem vorgegebenen räumlichen Gefüge optimal entfalten kann. Beim zweiten Beispiel, dem Mercedes-Benz Museum Stuttgart, wurde das Gehäuse, die Architektur, auf der Basis eines Drehbuchs der Ausstellung entwickelt. Es ist ein »Futteral«, das an den Inhalt angepasst ist. Beim dritten Fallbeispiel, der Gedenkstätte KZ Sachsenhausen, ist das Gehäuse selbst, in diesem Fall die baulichen Überreste eines KZ, das wichtigste Exponat. Die Geschichte des Ortes ist die zu vermittelnde Botschaft. In den Fallbeispielen zeigt sich die Vielfalt museologischer Herangehensweisen. In der Kunstkammer stehen die Ordnung der Dinge im Raum, der 2 | R. Koselleck: Struktur der Bildung, S. 110. 3 | G. Korff: Speicher und/oder Generator, S. 169.

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Dialog zwischen Raum und Ausstattung und die Aura der ausgestellten Dinge im Mittelpunkt. Das Mercedes-Benz Museum zeigt, wie ein Verschmelzen von Ausstellung und Gebäude ein kontinuierliches Narrativ innerhalb einer Ausstellung stärken und gleichzeitig flexible Räume schaffen kann. Die Gedenkstätte KZ Sachsenhausen steht für eine dichte Verknüpfung der Raum- mit der Exponatebene und für die spezifischen Herausforderungen, die ein Mahnund Erinnerungsort an ein Museum als Ort des Studiums und der Bildung, aber eben auch des Erlebens stellt. Der Analyse der Fallbeispiele wird die Betrachtung zweier für das Museum wichtiger Faktoren vorangestellt. Erstens bilden Museen einen besonderen, von der Lebenswelt losgelösten Kontext. Das für ein Museum gebaute und/ oder genutzte Gebäude spielt für diesen Kontext eine entscheidende Rolle. Zweitens haben die Dinge, die im musealen Kontext gezeigt werden (und um die es im Museum hauptsächlich geht), bestimmte Eigenschaften bzw. nehmen diese im musealen Kontext an. Diese Eigenschaften und die Art ihrer inszenatorischen Rahmung hängen wiederum eng mit dem sie umgebenden Raum zusammen.

1. M useen : K onte x te Museen sind Profiteure der Zwischenwelt. Sie pflegen die vampiristische Praxis, Dinge aus ihrem lebensweltlichen Zusammenhang zu lösen und sie in das aseptische, vom hellen Licht des Tages verborgene Reich der Depots und Ausstellungsräume zu überführen. Das gilt nicht nur für den Stiefel des napoleonischen Soldaten oder das Skelett eines Mammuts. Es trifft nach Boris Groys auch auf Kunstwerke zu.4 Etwas weniger polemisch formuliert befriedigen Museen nicht nur die Neugier, sondern gerade auch die Altgier der Besucher.5 In den vergangenen Jahrzehnten kann man, wenn nicht von einem Museumsboom, so doch von einer Aufwertung des Musealen sprechen. Diese Aufwertung ging sowohl mit den großen historischen Ausstellungen der 1970er und 1980er Jahre als auch mit Blockbuster-Kunstausstellungen wie »Das MoMA in Berlin« 2004 in der Neuen Nationalgalerie einher. Sie spiegelt 4 | Vgl. B. Groys: Unsterbliche Körper. Groys führt den Vampir als Akteur des Museums als heuristische Kategorie ein, um das Leben aus Sicht des Friedhofs oder das Kunstwerk aus Sicht des Museums (und damit entpolitisiert, entpsychologisiert etc.) anzuschauen und eine Vielfalt von Perspektiven entstehen zu lassen. In Anlehnung an Foucaults Heterotopien nennt er diese Vorgehensweise Hetero-Metanoia und setzt damit das Museum in die Nähe der Religion (μετάνοια, metanoia, Umkehr des Denkens, im Neuen Testament der Begriff für Buße). 5 | Vgl. F. Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen.

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sich auch in der gestiegenen internationalen Bedeutung der Museumsarchitektur wider.6 Dieses in der Aufwertung des Musealen manifestierte Interesse für das Stillgestellte, der Drang nach Geschichte, die Gier nach dem Alten, längst Vergangenen bildet einen Widerspruch zu der subjektiv wahrgenommenen (oder journalistisch und teils auch wissenschaftlich herbeigeschriebenen) Beschleunigung der heutigen Lebenswelt mit ihrer simultanen Verfügbarkeit verschiedener Präsenzen. Dieser Widerspruch lässt sich nicht durch eine simple Kausalverkettung, etwa über eine Kompensation des Einen mit dem Anderen erklären.7 Anstatt das Museum einseitig auf vampiristische Altgier oder funktionalistische Kompensation festzulegen, sollte die institutionelle Offenheit des Museums gedanklich in den Vordergrund gerückt werden. Die Korff’schen Identitäts- und Alteritätserfahrungen, die ein Museumsbesuch bieten, sind letztlich nichts anderes als eine räumlich vermittelte kritische Auseinandersetzung mit dem, was man als Tradition und Traditionsbewusstsein bezeichnen könnte. Tradition definiert Heiner Treinen als »die Summe der überlieferten konstanten Wertvorstellungen, Denkweisen, Normen und deren symbolischen Darstellungen«. Traditionsbewusstsein ist für Treinen dagegen »die Legitimierung von Denk- und Handlungsschemata […], die unter Hinweis auf deren Kontinuität erfolgt«.8 Das Museum, gleichgültig, ob es über eine kultur-, technik-, natur- oder kunsthistorische Sammlung verfügt, ist nicht der Pflege von Traditionen oder gar einer Stärkung des Traditionsbewusstseins verschrieben. Museen kümmern sich vielmehr um die kritisch-rationale Auseinandersetzung mit bestimmten Wertvorstellungen und Denkweisen. Sie fokussieren auf die bildlichen und symbolischen Darstellungen dieser Wertvorstellungen und Denkweisen und den historisch-soziokulturellen Handlungspraxen, die aus ihnen abgeleitet wurden. Die Aufwertung des Musealen ist also keinesfalls eine Aufwertung des Traditionsbewusstseins. Sie kann auch nicht als Kompensation gelesen werden. Vielmehr geht sie mit der Aufwertung »wissenschaftlich begründbar scheinende[r] Weltbilder« einher: »Vergangenheit erhält in diesem Prozeß eine neue Dimension: Traditionsbewußtsein wird durch historisches Bewußtsein abgelöst; d.h., es entsteht ein Anspruch auf Sichtbarkeit und rationale Deutung der Vergangenheit, wobei der legitimierende Gehalt dieser Vergangenheit zweitrangig wird«.9 Der wissenschaftliche Bezugsrahmen ist für das Museum der entscheidende Kontext, nicht die Verklärung oder Funktiona6 | Vgl. P. v. Frankenberg: Internationalisierung der Museumsarchitektur. 7 | Wie dies immer wieder von Joachim Ritter, Hermann Lübbe oder Odo Marquard probiert wurde (vgl. z.B. J. Ritter: Aufgaben der Geisteswissenschaften; H. Lübbe: Geschichtsbegriff; O. Marquard: Inkompetenzkompensationskompetenzenz. 8 | H. Treinen: Soziologie des Museumswesens, S. 336. 9 | Ebd. S. 339.

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lisierung von Vergangenem. Die Interpretation eines Kunstwerks ist im Museum allein den Maßgaben des wissenschaftlichen Diskurses unterworfen. Im Privathaus des Sammlers oder im Atelier des Künstlers muss Kunstgeschichte (weniger orthodox betrachtet auch Soziologie, Geschichte, Kulturwissenschaft oder verwandte Fächer) hingegen nicht der dominante Bezugsrahmen für diejenigen sein, die mit dem Kunstwerk umgehen und es betrachten. Gleiches gilt für den Damhirsch, dessen ausgestopfter Kopf über dem Kamin des Hobbyjägers eine andere Bedeutung als im Naturkundemuseum hat. Das Museum ist der Ort, an dem Dinge aus ihrem lebensweltlichen Zusammenhang herausgelöst, dekontextualisiert und in einen neuen Zusammenhang gestellt, rekontextualisiert werden.10 Das Museumsgebäude ist die Voraussetzung für die Kontexttransformation der Dinge. Ob es sich um einen Museumsneubau oder die Umwidmung eines bestehenden Gebäudes handelt, spielt dabei keine Rolle – der Museumsraum ist immer architektonisch definiert. Auch virtuelle Museen, die dieser These auf den ersten Blick zu widersprechen scheinen, orientieren sich immer wieder an »realen« architektonischen Räumen.11 Aus dieser simplen Versuchsanordnung (Übergang eines Dings von lebensweltliche in museale Kontexte) ergeben sich unendlich scheinende Konstellationen, die sich zwischen den Polen rationaler Wissenschaftlichkeit und auratischer Exponatwirkung auffalten. Die Übertragung eines Dings in den Kontext des Museums heißt nicht, dass seine multiplen Bedeutungsschichten neutralisiert werden. Vielmehr schälen sich die Bedeutungsschichten je nach Ausstellung, Erkenntnisinteresse, Raumgefüge, Anordnung bzw. Nachbarschaft mit anderen Museumsdingen auf spezifische Weise heraus. Das Gebäude des Museums markiert auf materieller Ebene den Wechsel des Kontexts der Dinge. Angesichts einer zum Ikonischen tendierenden Museumsarchitektur macht ein Museumsgebäude diesen Wechsel weithin sichtbar. Davon abgesehen sind im Museumsgebäude die Komposition der Räume und das Arrangement der Dinge entscheidend, um den Bedeutungsschichten der Exponate gerecht zu werden. Die Besucher erfahren die Museumsinhalte, indem sie die Museumsräume durchschreiten. Die Anordnung der Dinge im Raum, die 10 | Zur De- und Rekontextualisierung vgl. G. Korff: Betörung durch Reflexion. 11 | Eines der ausgefeiltesten virtuellen Museen, das Adobe Museum of Digital Media (www.adobemuseum.com, 16.06.2011; 2010 geöffnet, wurde es ca. 2013 wieder vom Netz genommen), hat ein Architekturteam angeheuert, das einen 3D-Entwurf erarbeitet haben, dessen »Räume« Grundlage für den Aufbau der Seite ist. Ähnlich auch das Guggenheim Virtual Museum, das von Asymptote Architects entworfen wurde (das Guggenheim Virtual Museum ist nie online gegangen, für eine Projektbeschreibung siehe https://web.archive.org/web/20100730052508/www.asymptote.net/art-objectsand-editions/guggenheim-virtual-museum, 20.04.2015).

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Juxtaposition der Objekte und die Präsentation des einzelnen Exponats geben dieser Erfahrung Gestalt.12 Sie ermöglichen den Besuchern, durch Blickbeziehungen Zusammenhänge zu verstehen, die einerseits durch die Gestaltung der Ausstellung vorgegeben, andererseits von jedem Besucher neu und anders hergestellt werden – je nach spezifischen Interessen, Vorbildung, Richtung des gewählten Rundgangs, Dauer des Aufenthalts, Art der Begleitung, akuter persönlicher Verfassung etc.13 Die Gleichzeitigkeit heterogener Dinge und Inhalte, die jede Ausstellung kennzeichnet, macht das Museum zu einer Heterotopie, zu einem Ort, der verschiedene Zeiten und Räume vereint.14 Diese Heterotopie zu gliedern, ohne sie zu zerstören, das Gleichgewicht des Ungleichartigen aufrechtzuerhalten und dabei dennoch den unterschiedlichen Besuchergruppen Orientierungslinien an die Hand zu geben, ist wesentliche Aufgabe der Ausstellungsgestaltung. Wenn der dominante Kontext des Museums ein rational-wissenschaftlicher ist und die Museumsdinge und ihre Anordnung mehrere Lesarten zulassen, ist die primäre Aufgabe des Museums, dem Denken und der Wahrnehmung Raum zu geben. Um diese Offenheit – die Bedeutungsoffenheit musealer Anordnungen und die entsprechende kognitive und emotionale Offenheit eines Museumsbesuchs – zu gewährleisten, sollte eine Ausstellung keinesfalls axiomatisch konzipiert werden. Eine Ausstellung sollte die Möglichkeit offen lassen, die Bedingungen zu hinterfragen, durch die Ordnungen und damit Wissenszusammenhänge entstehen. Das heißt, dass die Rekontextualisierung der Dinge im geschützten Rahmen des Museums einerseits präzise genug erfolgen muss, damit die Dinge im Kontext einer jeweiligen Ausstellung ihre Geschichten erzählen. Andererseits darf die Rekontextualisierung Eigenart und Eigensinn der Dinge nicht einschränken, sondern sollte ihre weiteren Bedeu12 | Juxtaposition ist ein Begriff, der im museologischen Diskurs dafür verwendet wird, das Verhältnis unmittelbar in einem räumlichen Zusammenhang ausgestellter Objekte zueinander zu beschreiben. Dieses Verhältnis impliziert nicht zwingend eine inhaltliche oder sonstige Beziehung benachbarter Exponate. Die Bedeutungsoffenheit der Juxtaposition ist ein Wesensmerkmal von Museen und Ausstellungen. 13 | Welch großen Einfluss die individuelle Vorbildung auf den Besuch eines Museums haben, haben die Studien z.B. Pierre Bourdieus und Heiner Treinens gezeigt (vgl. u.a. P. Bourdieu/A. Darbel: Liebe zur Kunst; H. Treinen: Museumspädagogik und Besucherverhalten). Vorbildung kann für viele der angeführten Faktoren als determinierend angenommen werden. Inwieweit die Kontingenz musealer Arrangements, also die Möglichkeit, die gleichen Objekte anders anzuordnen, andere Objekte für ähnliche Aussagen zu nehmen, Gestaltungskonzepte zu modifizieren etc. die Vorbildung als determinierender Faktor wenn nicht ausgleichen, so doch zumindest teilweise nivellieren kann, ist eine bisher noch nicht untersuchte Fragestellung. 14 | Vgl. M. Foucault: Other Spaces.

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tungsschichten zumindest latent mitführen, auch wenn nur ein bestimmter Ausschnitt des Dingkontexts relevant ist.

2. A usgestelltes : D inge Museumsdinge besitzen eine Eigenlogik. Sie sind dem unmittelbaren Handeln, Berühren und Verändern entzogen. Sie können im Kontext des Museums nicht auf ihre Form und Funktionalität reduziert werden, wie dies in einem lebensweltlichen Kontext möglich ist. »Die Dynamik des Stillgestellten«15 sorgt dafür, dass die Bedeutungsschichten der Dinge stärker in den Vordergrund treten und sich je nach Art der Rekontextualisierung verändern. Form und symbolischer Gehalt eines Dings sind dabei unabhängig voneinander und können sich auch unabhängig wandeln. Museumsdinge haben in ihrer Materialität eine zugleich sinnliche, suggestive und symbolische Kraft, deren vielfältige Bezugsebenen gerade in ihrem zweiten Leben im Museum zur Geltung kommen. Vereinfacht ausgedrückt hat das Exponat, ruht es noch im Depot, eine andere sinnliche und symbolische Anmutung als perfekt inszeniert und illuminiert im Ausstellungsraum. Wenn man ersteren Zustand als musealisiert beschreibt, wird das Exponat im Ausstellungsraum aktualisiert.16 Zwischen dem musealisierten und dem aktualisierten Zustand und auch innerhalb beider Zustände gibt es vielfache Abstufungen. Krzysztof Pomian spricht in Hinblick auf Museumsdinge von »Semiophoren«, von Bedeutungsträgern, und akzentuiert damit die Aura der Objekte. Die Materialität der Dinge schafft eine unmittelbare Nähe. Ihre Bedeutung wiederum verweist auf einen nicht klar zu definierenden Abstand, auf eine Ferne. Jedes Objekt, das einmal musealisiert ist, wird zum Semiophor.17 Im Museum spielt der Gebrauchswert der Dinge keine Rolle mehr, sondern allein ihre Bedeutung. Im Zwischenraum der einzigartigen Präsenz des Dings im Museum und den zeitlichen und räumlichen Entfernungen, die es verkörpert, entsteht die Aura. Nicht nur Museumsdinge besitzen Aura. Nach Walter Benjamin kann die Aura eine Eigenschaft jedes Dings sein.18 Im Museum aber steht 15 | So der Titel einer philosophischen Studie zum Museum (S. Ratt: Dynamik des Stillgestellten). 16 | Vgl. dazu G. Korff: Sieben Fragen. 17 | Vgl. K. Pomian: Ursprung des Museums, insbes. S. 92 und 94. 18 | »Was ist eigentlich Aura? Ein sonderbares Gespinst aus Raum und Zeit: einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag. An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont oder einem Zweig folgen, der seinen Schatten auf den Ruhenden wirft – das heißt die Aura dieser Berge, dieses Zweiges atmen.« (W. Benjamin: Kunstwerk, S. 383)

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die Aura der Dinge im Vordergrund. In ihr konzentriert sich das Eigene und das Fremde, das Hier und das Dort, das Jetzt und das Wann­-Anders. Im Museum wirken die verschiedenen Zeiten und Orte der Dinge fort. Sie sind latent vorhanden und scheinen je nach Blickwinkel, je nach musealer Inszenierung, je nach Kontext der Ausstellung anders auf. Inwieweit die Aura etwas Gemachtes, in das Objekt durch den Betrachter Projiziertes ist, und bis zu welchem Grade sie eine inhärente Objekteigenschaft ist, lässt der spezifische Kontext des Museums offen. Für die Museumspraxis ist dies ein wesentlicher Punkt. Ob es sich um eine Ausstellung mit den Meisterwerken des Surrealismus, Kriegsgerät aus dem Ersten Weltkrieg oder Skulpturen der Khmer oder Cham handelt – wie mit der Aura der Objekte umgegangen wird, ist nicht festgelegt und kann sich für ein und dasselbe Objekt in verschiedenen musealen Zusammenhängen deutlich unterscheiden. Ein Museumsding kann auch zum Fetisch werden, zu einem Ding, an das »Verehrungs-, Furcht- oder Wunschmotive gebunden« sind. Das Begehren, das in einem Fetisch verobjektiviert wird, überführt die Aura in ein »zwanghaftes« Verhältnis zwischen Objekt und Betrachter, zwischen Fetisch und Fetischist: »Diese Obligation durch eine pseudo-objektive Macht verhindert die Einsicht, dass es der Fetischist selbst ist, der den Fetisch und die Beziehung zu ihm kreiert«.19 Die Distanz, die zwischen einem auratischen Objekt und dem Betrachter entsteht, indem sich der Betrachter die Ursachen der auratischen Wirkung (zumindest in Teilen) ins Bewusstsein rufen kann, fällt bei einem Fetischobjekt weg. Die Illusion des Fetisch lässt sich für den Fetischisten nicht hinterfragen, sonst wäre es kein Fetisch. Die Aura der Dinge verleiht dem Museum neben dem rational-wissenschaftlichen einen weiteren, nicht minder wichtigen Bezugsrahmen. Wissenschaft und Forschung sind immer wieder Voraussetzung für die Entstehung von Aura. Beispielsweise weiß man erst durch langjährige Untersuchungen ein wenig mehr über Herkunft und Bedeutung der Himmelsscheibe von Nebrah oder des Pergamon-Altars. Erst die wissenschaftliche Taxinomie macht das Mammut-Skelett zum auratischen Objekt. Und auch die kunsthistorische Einordnung einer Radierung von Piranesi stärkt ihre Bedeutung und Aura. Dennoch ist Aura, schenkt man den Ausführungen Benjamins Glauben, eine Kategorie, die auch abseits der epistemischen Komponente wirkt. Einerseits verschwindet die Mystik der »Ferne, so nah sie sein mag«20und ihre symbolische Verkörperung im Objekt der Anschauung nicht dadurch, dass man diese Ferne in all ihren Facetten erklärt. Andererseits braucht man nicht für jedes Museumsding in gleichem Maße den wissenschaftlichen Bezugsrahmen, um 19 | H. Böhme: Fetischismus, S. 17. Vgl. zum Fetischcharakter von Dingen auch K.-H. Kohl: Macht der Dinge. 20 | Vgl. Anm. 17.

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seine auratischen Qualitäten mitzubekommen, denn Aura entzieht sich weitestgehend der kognitiven Ebene. Die Inszenierung eines Dings, die seine auratischen Qualitäten hervorhebt, kann nach Roland Barthes sogar umgekehrt die Wissenschaft der Aura nachzeitig machen. Der museale Erkenntnisprozess, wie jede Auseinandersetzung mit ästhetisierten Artefakten, beinhaltet nach Barthes ein »punctum« und ein »studium«. Das »punctum« löst die Aufmerksamkeit des Besuchers aus und führt zum »studium«, der näheren Beschäftigung mit dem Exponat.21 Auch wenn »punctum« und Aura nicht deckungsgleich sind, so kann man im Museum davon ausgehen, dass das »punctum« eines Exponats immer mit seiner Aura zu tun hat, sich Aura aber niemals nur im »punctum« erschöpft. Die Aura der Museumsdinge ist eingefasst in das, was man mit Gernot Böhme Atmosphäre nennen kann: »Die Atmosphäre ist die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und Wahrgenommenen. Sie ist die Wirklichkeit des Wahrgenommenen als Sphäre seiner Anwesenheit und die Wirklichkeit des Wahrnehmenden, insofern er, die Atmosphäre spürend, in bestimmter Weise leiblich anwesend ist.«22 Abgesehen vom rational-wissenschaftlichen Bezugsrahmen, der je nach Museumstyp und Region variieren kann, haben sich Konzeption und Gestaltung einer Ausstellung mit diesen drei Faktoren, dem »punctum«, der Aura und der Atmosphäre auseinanderzusetzen und sie in räumlich-epistemische Arrangements zu übersetzen.

3. F allbeispiele : A usstellung und A rchitektur verbinden Die Fallbeispiele sind ein kleiner Ausschnitt aus der Vielfalt der Museumswelt. Ein kunsthistorisches Museum, ein zeit- und technikgeschichtliches Markenmuseum und eine Gedenkstätte als musealer Ort, die sich nicht nur hinsichtlich ihrer Exponate, sondern auch hinsichtlich ihrer architektonischen Voraussetzungen wesentlich voneinander unterscheiden, können auf den ersten Blick nur schwer miteinander verglichen werden. Die Vergleichsebene ergibt sich aus der Verbindung, die Architektur und Ausstellung miteinander eingehen. Auf dieser übergeordneten Ebene zeigt sich, dass ein Museum, dessen Architektur von den Inhalten her gedacht wird, der Zielsetzung des Museums als ein Ort des ziellosen Sich-Bildens und offenen Erlebens des Fremden und des Eigenen am nächsten kommt. Die Vorzeitigkeit der inhaltlichen Ebene bedeu-

21 | Das »studium« verläuft immer im Rahmen einer kulturellen Vorbildung, einer Sozialisation des Sehens, wohingegen des »punctum« etwas eher Zufälliges ist. Vgl. R. Barthes: Helle Kammer. 22 | G. Böhme: Atmosphäre, S. 34.

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tet dabei keineswegs eine Einschränkung der Flexibilität des Museumsgebäudes.

3.1 Kunstkammer im Kunsthistorischen Museum Wien Das Kunsthistorische Museum in Wien wurde von Gottfried Semper und Carl von Hasenauer erbaut und 1891 eröffnet. Es handelt sich um einen klassischen Museumsbau des 19. Jahrhunderts, der sich stilistisch an die Herrscherpaläste anlehnt, aus denen die Sammlungsbestände stammen. Gleichzeitig ist der Bau mit dem Anspruch der bürgerlichen Aneignung dieser Sammlungen ausgestattet.23 Die Ausstellungsräume sind als Enfilade von Galerien angelegt, welche die Besucher nacheinander durchschreiten. In den Galerieräumen eines Flügels der Anlage ist die Kunstkammer untergebracht. Sie besteht aus der Habsburger Sammlung von Kunst und Kunsthandwerk und wurde erstmals im 1891 eröffneten Kunsthistorischen Museum öffentlich ausgestellt. Die Sammlung firmierte unter dem etwas despektierlichen Titel »Sammlung kunstindustrieller Güter«, bis man sich 1990 entschied, diese irreführende Bezeichnung in »Kunstkammer« zu ändern. Anders als das Grüne Gewölbe in Dresden besteht die Wiener Kunstkammer nicht aus einer historisch gewachsenen Einheit von Raum, Einrichtung und Exponaten. Der Kontext der Wiener Kunstkammer ist nicht der eines historischen Gesamtkunstwerks. In Dresden bedingen sich Architektur, Ausstellung und Exponate gegenseitig. Sie gehen eine Symbiose ein. In Wien hingegen führen Architektur und Ausstellung ein Eigenleben, das sich gegenseitig respektiert. In der 2013 neugestalteten Kunstkammer sind die Exponate im Gegensatz zu Dresden dekontextualisiert und nicht nach Gattungen sortiert, sondern in einer chronologischen Ordnung rekontextualisiert. Sempers Architektur ist primär die räumliche Fassung der Ausstellung. Andererseits ist sie aber selbst Exponat und Bestandteil der Geschichte der Sammlung. Die unter Denkmalschutz stehenden Räume wurden behutsam renoviert. Sie führen zwar ein Eigenleben, drängen sich in ihrer Wirkung aber nicht in den Vordergrund. Fast alle Objekte der Sammlung wurden vereinzelt und mussten in Klimavitrinen untergebracht werden, um den konservatorischen Ansprüchen gerecht zu werden. Nur Tapisserien, Gemälde und Grossskulpturen konnten offen ausgestellt werden. Nicht Objektarrangements innerhalb der Vitrinen ermöglichen den Dialog zwischen den Exponaten, sondern die räumliche Stellung der Objektvitrinen zueinander. Für eine adäquate Präsentation der aussergewöhnlichen Exponate mussten die Vitrinen sich zwar gegenüber der Architektur behaupten, sich aber trotzdem in ihrer Gestaltung zurücknehmen. Nichts sollte das Erleben der Exponate stören. Die Arbeit an der räum23 | Vgl. dazu K. Kretschmann: Räume öffnen sich, S. 15 und 72.

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lichen Dinganordnung, die Entwicklung und das Testen von alternativen Ordnungsstrukturen bildeten einen wesentlichen Teil der Konzeption.

Abbildung 1: Ordnung als »Schwebezustand über dem Abgrund«24: Variantenbildung nach inhaltlichen, gestalterischen und kontextuellen Gesichtspunkten (© HG Merz) In allen Sälen wurde versucht, die Ordnung der Dinge (und damit der Vitrinen) auf drei Hauptfaktoren abzustimmen: thematische und inhaltliche Ordnung, Bezüge der Exponaten untereinander und der Dialog zwischen Ausstellungsmöbeln und Raum. So werden im Rudolphsaal die Sammlungsvitrinen kreisförmig um eine Büste des Sammlers der hier gezeigten Objekte gruppiert. Die Anordnung antwortet zum einen auf die neun Deckenfelder und stellt zum anderen den Sammler inmitten seiner Objekte.

24 | W. Benjamin: Rede über das Sammeln, S. 214.

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Abbildung 2: Geschichte und Kontext der Dinge in ihrem Zwischenraum entstehen lassen: Büste Kaiser Rudolfs II. inmitten seiner Sammlung (© Brigida González, Stuttgart) Im Saal 25 hingegen werden die Exotica in einer sehr dichten Aufstellung präsentiert, um dem Besucher das Gefühl der Fülle einer tradierten Schatz- oder Wunderkammer zu vermitteln. Anders im Saliera-Saal: hier sollten nur wenige Exponate im Raum wirken, um der Aura des Meisterwerks Benvenuto Cellinis genügend Platz zu lassen. Neben der Ordnung der Dinge war die Lichtregie ein wesentlicher Faktor der Neugestaltung der Kunstkammer. Das Licht sollte die Atmosphäre in den Räumen bilden, nicht die Ausstellungsmöbel. Für das Allgemeinlicht wurde zusammen mit Olafur Eliasson dessen Star-Brick Luster so modifiziert, dass zum einen die bemalten Decken mit indirektem Licht gewaschen und zum anderen freistehende Exponate direkt ausgeleuchtet werden können. Die Luster fügen sich wie selbstverständlich in die Kreuzgewölbe ein und werden trotz ihrer expressiven Formensprache kaum wahrgenommen. Alles andere Licht ist in den Vitrinen untergebracht. Kleine Strahler in den Deckeln der übermannshohen Vitrinen leuchten die Exponate aus. Betrachtet man die Exponate, nimmt man die LED-Strahler nicht wahr. Die Exponate scheinen aus sich heraus zu leuchten.

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Abbildung 3: Zeitschichten und Orte überlagern sich, Bedeutungsräume öffnen sich: die Aura der Saliera von Benvenuto Cellini (© Brigida González, Stuttgart) Das Leitmotiv der Gestaltung der Kunstkammer ist die selbstverständlich wahrgenommene Einheit von Raum, Ausstellungsmöbel, Licht und Exponat. Keine zusätzliche didaktische Rahmung, keine Exponatshilfsmittel oder aufdringliche Texte im Sichtfeld hindern die Besucher daran, die Aura der Exponate zu erleben.

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Abbildung 4: Einheit aus Raum, Licht, Vitrinen und Exponaten (© Kunsthistorisches Museum Wien)

3.2 Mercedes-Benz Museum Stuttgart Wie in den meisten kunsthistorischen Museen spricht in der Kunstkammer jedes Exponat für sich, erzählt seine eigene Geschichte, und wirkt in erster Linie über seine Ästhetik. Stilistische Bezüge, künstlerische Techniken oder allgemein Entstehungszeiträume lassen Gruppierungen zu, die durch Hinzufügen oder Entfernen einer oder mehrerer Objekte nicht zwangsläufig gestört werden. Im Zentrum bleiben die Geschichte und vor allem die Form des Exponats und die kunsthistorischen Bezüge, diese Form zu entschlüsseln. Anders ist dies in episch angelegten kulturhistorischen Museen, in Museen also, die ihre Sammlung unter einem narrativen Prinzip vereinigt ausstellen. Sie bil-

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den auf diese Weise einen mehr oder minder abgeschlossenen Kosmos, eine Erzählung, welche die Besucher am Anfang der Ausstellung abholt und über die Dauer ihres Besuchs begleitet. Die inszenatorische Rahmung macht die ausgestellten Dinge zu Zeugen, rückt den ereignisgeschichtlichen Kontext in den Vordergrund und bringt sie zum Sprechen. Epische Museen wie das Mercedes-Benz Museum erzählen Geschichte mit Dingen, im Gegensatz zur Kunstkammer, in der die Dinge Geschichten erzählen. Das 2006 neu eröffnete Mercedes-Benz Museum ist als Firmenmuseum kein klassisch kulturhistorisches Museum. Die Konzeption der Ausstellung verknüpft die Geschichte der Marke eng mit der deutschen und der internationalen Geschichte von der Erfindung des Automobils 1886 bis heute. Die Marke wird nicht nur als Hersteller von Konsumwaren betrachtet, sondern als gewachsene Institution, welche die Identitäten von Orten, Regionen, Generationen von Arbeitern, Angestellten und Konsumenten konstituiert und verändert hat. Die museologische Herangehensweise spiegelt sich in der Architektur des Gebäudes, da das Ausstellungskonzept Grundlage für die Ausschreibung des Architekturwettbewerbs war. Das Museumsgebäude von Ben van Berkel (UNStudio) ist quasi um die Ausstellung herum entstanden. In einer Doppelhelix schraubt sich das zentrale Narrativ, das die Entwicklung der Marke mit der deutschen Geschichte und der Weltgeschichte verbindet, von der obersten Ebene herunter. Die Chronologie der Epochenkabinette befindet sich dabei im einen und die Themenkabinette im zweiten Strang der Helix. Es entsteht eine Enfilade von Räumen, die letztlich der eines klassischen Museums des 19. Jahrhundert ähnelt. Allerdings findet im Mercedes-Benz Museum die Reihung der Räume nicht auf der gleichen Ebene statt, sondern höhenversetzt und um jeweils 120 Grad gedreht. Die höhenversetzten Räume sind über Rampen verbunden, die ebenfalls als Ausstellungsfläche dienen und den Wechsel der Ebenen verschwimmen lassen. Die trotz expressiver Architektur eher klassische Abfolge von Räumen und die Querverbindungen zwischen den beiden Strängen der Doppelhelix ergeben eine Flexibilität, die auch für Dauerausstellungen geeignet ist, die nicht dem ursprünglichen, den Architekturprozess informierenden Konzept entsprechen. Die Epochenkabinette haben eine wiederkehrende Struktur. Die »illustrierte Chronik« mit ikonografischen Zeitbildern führt den Besucher in die jeweilige Epoche ein. Die »Szene« im Zentrum zeigt die wichtigsten Fahrzeugexponate der Epoche als Solitäre ohne große Erläuterung.

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Abbildung 5: Im Vordergrund die Szene, im Hintergrund die Illustrierte Chronik, dazwischen ein durchsichtiger Kettenvorhang als Projektionsfläche (© Brigida González, Stuttgart) Die Werkbank an der Seite liefert die notwendigen zeitgeschichtlichen und technischen Zusatzinformationen. Die Besucher sollen Dinge entdecken, Zusammenhänge spielerisch erfassen und historische Kenntnisse neu justieren. Der Korff’sche Dreiklang aus Gehen, Sehen und Verstehen wird durch die Synthese aus Ausstellung und Architektur unterstützt. Die Doppelhelix gibt einerseits einen klaren Pfad durch die Ausstellung vor, der mit der wiederkehrenden Strukturierung der einzelnen Ausstellungseinheiten eine klare Orientierung ermöglicht. Andererseits kann auf jeder Ebene der Helixstrang gewechselt und verschiedene Erfahrungsebenen miteinander verwoben werden. Aussichtspunkte innerhalb einer Epoche und Durchblicke zwischen den Epochenkabinetten durch das zentrale Atrium erleichtern es, technik-, ästhetik- und kulturgeschichtliche Zusammenhänge zu sehen und zu verstehen.

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Abbildung 6: Gehen, Sehen, Verstehen: Durchblicke schaffen neue Zusammenhänge (© Daimler AG) Zusätzliche inhaltliche Ebenen wie z.B. die »33 Extras« brechen die großformatige Perspektive, die sowohl die Hauptexponate als auch die Architektur fordern, immer wieder auf, um bestimmte, eher unterhaltsame Details aus der kulturhistorischen Entwicklung des Automobils vorzustellen. Die unterschiedlichen Ebenen des Museums halten die Aufmerksamkeit der Besucher wach und ergeben zusammen ein Tableau der Ursprünge, Ausprägungen und Folgen motorisierter Mobilität. Die Verbindung zwischen Architektur, Ausstellungsgestaltung und Exponat ist im Mercedes-Benz Museum so weit gediehen, dass eins das andere symbiotisch bedingt. Keiner der Elemente spielt sich in den Vordergrund, keine Disziplin führt ein Eigenleben. Der Dialog zwischen Architektur, Ausstellungsgestaltung, Medien und Exponaten wirkt selbstverständlich und ermöglicht ein durchgehendes Narrativ.

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Abbildung 7: Die Architektur als organische Umsetzung des inhaltlichen Konzepts und flexibles Ausstellungshaus zugleich (© UNStudio)

3.3 Gedenkstätte K Z Sachsenhausen Beim Mercedes-Benz Museum bilden Architektur und Ausstellung eine Einheit. Die architektonische Formensprache ist durch die gezeigten Inhalte informiert. In der Gedenkstätte KZ Sachsenhausen kann ebenfalls zwischen Exponatebene und Architektur an den meisten Stellen kein Unterschied gemacht werden. Allerdings ist hier die Architektur nicht aus der museal-inhaltlichen Ebene heraus entstanden. Der Ort und die noch vorhandene historische Bausubstanz sind als Original-Schauplätze selbst die inhaltliche Ebene, sind selbst die Exponate. Das KZ Sachsenhausen wurde 1936 kurz vor der Olympiade als idealtypisches Modelllager, als das »KZ der Reichshauptstadt« von einem Architekten geplant und gebaut. Funktionale Überlegungen verbanden sich mit der architektonischen Symbolisierung von Kontrolle und Terror. Das Häftlingslager wurde in Form eines gleichschenkligen Dreiecks angelegt, in dem alle Gebäude fächerförmig um die Mittelachse gruppiert und auf den Turm A, den Sitz der SS-Lagerleitung in der Mitte der Grundlinie des Dreiecks bezogen waren. Durch die fächerförmige Anordnung konnte das gesamte Lager mit nur einem Maschinengewehr im Turm A beherrscht werden. 1945 wurde das Lager von der Roten Armee befreit und als Internierungslager benutzt, bis es 1950 der Nationalen Volksarmee übergeben und militärisch genutzt wurde. Später wurden die meisten Baracken geschleift und von der Bevölkerung als Bau- und Brennmaterial verwendet. Die Vernichtungsstation Z wurde 1953 gesprengt.

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An derselben Stelle wollte – welch Absurdität – die NVA einen Schießgarten anlegen. Nach Protesten internationaler Opferverbände entschloss man sich, nach Buchenwald und Ravensbrück eine dritte »Nationale Mahn- und Gedenkstätte« einzurichten. Das »Buchenwaldkollektiv«, das für diese erneute Transformation zuständig war, überformte das Lagerdreieck mit einer interpretierenden Denkmalanlage. Laut den Planern ist »bei den Lagern auf deutschem Boden […] die Überwindung der SS-Herrschaft durch Abtragen der Reste und durch eine planmässige Gestaltung zum Ausdruck zu bringen«.25 Es entstand ein Landschaftspark mit Kranzabwurfstelle. Nur wenig Authentisches war erhalten geblieben. Die im Rahmen eines internationalen Wettbewerbs 1998 mit dem 1. Preis ausgezeichnete Gesamtkonzeption der Gedenkstätte Sachsenhausen nähert das Gelände wieder der historischen Struktur des KZ an. Die totalitäre Lagergeometrie wird aufgezeigt, ohne den Besuchern die historische Distanz und die Möglichkeit zu eigenen Deutungen zu nehmen. Die rigide Struktur des »Ideallagers« und die fächerförmige Anordnung der Baracken wurde durch mit Grauwacke gefüllte »Abdrücke« der Standorte wieder sichtbar gemacht. Die Zeitschicht des Buchenwaldkollektivs wurde in das neue Konzept integriert und ist nach wie vor gegenwärtig. Sie wurde lediglich wie bei einem Palimpsest überschrieben.

Abbildung 8: Überschreibung des Orts mit gestalterischen Mitteln (© Udo Meinel, Berlin) 2 5   |   w w w. s t i f t u n g - b g . d e/g u m s /d e/g e s c h i c h t e/n a t m a h n /n a t m a h n 0 3 . h t m (20.04.2015).

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Die Öffnung, die das Buchenwaldkollektiv zwischen Lager und Vernichtungsstation Z geschlagen hatte, konterkarierte die ursprüngliche Situation. Die Häftlinge im Lager konnten nicht sehen, wo sie umgebracht wurden, sie konnten es nur ahnen. In der Neugestaltung der Gedenkstätte wurde seine Abgeschlossenheit für die Erlebbarkeit des Lagerdreiecks wieder hergestellt. Neue Elemente, die eindeutig als Ergänzung identifiziert werden können, grenzen die Reste der Station Z (wie in der ursprünglichen Situation) vom Lagerbereich ab.

Abbildung 9: Mauerelemente und Station Z: Räumliche Abgeschlossenheit nachempfinden, neue Zeitschichten deutlich machen (© Udo Meinel, Berlin) Leicht über dem Boden der Station Z schwebt eine abstrakte, objekthafte Hülle. Sie schützt die Fundamentreste und bietet im Innenraum eine kontemplative Atmosphäre für das Gedenken. Die transluzente Eindeckung durch eine Membran abstrahiert einerseits den Bau und weist andererseits auf die ausweglose Situation der Opfer hin, die hierher verbracht und getötet wurden. Die Reduktion auf das Wesentliche, auf einen Gedenkraum, der nur aus einem transluzenten Wetterschutz besteht, kann einerseits den Eindruck des Formalismus und der ästhetischen Überhöhung erwecken. Andererseits führt die abstrakte Ausprägung zu einer dezenten Vermittlung der Inhalte und unterstützt das

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Gedenken. Die ästhetische Ebene des Baukörpers erschafft ein Bild für etwas, das sich der Vorstellbarkeit entzieht – Ästhetik macht das Empfinden stark.26

Abbildung 10: Gedenken ermöglichen, Ausweglosigkeit erleben: die abstrakte Hülle über den Resten der Vernichtungsstation Z (© Udo Meinel, Berlin) Alle anderen Maßnahmen im Gelände nehmen sich bewusst zurück. Schlichte Stelen oder bodennahe Blöcke übernehmen Leitfunktionen und die Information zu bestimmten Orten im Lager. Die Exponate, die historischen Gebäude und baulichen Fragmente erschließen sich den Besuchern durch die unmittelbare didaktische Ebene. Bei längerem Verweilen und genauerem Hinsehen erschließt sich auch das Palimpsest, das als zentraler Gestaltungsansatz die verschiedenen historischen Schichten und die gegenwärtige Überschreibungen gleichzeitig sichtbar werden lässt. Das Palimpsest drängt sich den Besuchern nicht auf, hilft aber, nicht nur die historische Situation des KZ, sondern die gesamte Entwicklung dieses Orts zu begreifen. In Sachsenhausen wurden die architektonischen Relikte belassen und konserviert. Sie wurden behutsam mit weiteren architektonischen Elementen ergänzt, die neben Schutzfunktionen vor allem das Narrativ unterstützen. Die Architektur hat in dieser Gedenkstätte keine dienende Funktion wie in Wien oder Stuttgart. Sie ist das Relikt, um das und anhand dessen die Geschichte dieses Ortes und dieser Zeit erzählt wird.

26 | Vgl. W. Welsch: Ästhetisches Denken, S. 10.

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Abbildung 11: Ein zurückhaltendes Leitsystem markiert die Transformation des Ortes (© Udo Meinel, Berlin)

4. F a zit Im Museum wird alles bedeutsam. Selbst geringfügig scheinende Objekte wie ein Duftbaum oder ein Paar kaputte Schuhe können Geschichten von großer Tragweite erzählen. Es gibt Dinge, die im Museum erst aufgeladen werden müssen, um ihre auratischen Qualitäten zu entfalten. Dann wiederum gibt es Dinge, die so mit Bedeutung geladen sind, dass man ihrer Aura nurmehr genügend Raum und eine dezidierte und gleichzeitig zurückhaltende Rahmung geben muss. Ein Gemälde von Andy Warhol kann dann rein in seinen ästhetischen Qualitäten genossen werden oder z.B. zu einer Vorlesung über postmoderne Theorie werden. Bei der Betrachtung der Saliera von Cellini kann man in staunende Bewunderung versinken oder ein Drama in mehreren Akten vor seinem geistigen Auge aufgeführt sehen. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es unendliche Abstufungen, die im besten Fall einer räumlich vermittelten kritischen Auseinandersetzung und dem Vergnügen mit den ausgestellten Inhalten Vorschub leisten. Die Rahmung der Exponate bezieht sich dabei nicht nur auf die Ausstellungsmöblierung, sondern auch auf die architektonische Hülle. Beides als eine Einheit

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gedacht ermöglicht ein ganzheitliches, sich der Erinnerung einprägendes Erleben, durch das ein Museum ein Alleinstellungsmerkmal erhält. Die drei Fallbeispiele stehen für unterschiedliche Ausprägungen des Verhältnisses von Hülle und Inhalt. Bei der Kunstkammer in Wien gibt es die Architektur, die als denkmalgeschützter Bau nur minimal veränderbar ist. Der Inhalt muss sich in die Architektur einfügen, ohne seinen Charakter und seine Intentionen bei der Vermittlung zu verlieren. Das Ergebnis ist eine Einheit aus Ding, Vitrine, Licht und Raum. Diese jeweils für sich stehende Einheit stört die anderen Einheiten nicht, hat aber das Nebeneinander der Dinge und den Dialog zwischen ihnen im Auge. Der Prozess der Einpassung von Inhalten in ein bestehendes Gehäuse ist eine Gratwanderung zwischen pragmatischer Möblierung, narrativer Erzählung der Exponate im Zusammenspiel mit der Architektur und dem gesamtheitlichen Erlebnis, das die beiden »Erzählstränge« (Inhalt und Architektur) verbindet. Die Gedenkstätte in Sachsenhausen ist insoweit ein Sonderfall, als auch hier eine bestehende Architektur bzw. deren Relikte nicht oder nur leicht modifiziert werden können, um die Aura zwischen Betrachter und Architektur nicht zu stören. Anders als in Wien oder Stuttgart ist die Architektur die Dokumentationsebene. Die historischen Schichten des Ortes stehen im Mittelpunkt. Für die Gestaltung bedeutete dies eine äußerst zurückhaltende Freilegung der einander überlagernden Zeitschichten. Der Ort wurde behutsam für das heutige Verständnis erschlossen, ohne das Gedenken an die an diesem Ort umgebrachten Menschen zu stören. Die Transformation des KZ Sachsenhausen in einen Ort, der einen Museumsbetrieb gewährleistet, hatte auch fragwürdige Folgen. Ein »Unort« wurde zu einem Ort mit Adresse, Telefonnummer und Öffnungszeiten, mit einem Leit- und Orientierungssystem, das z.B. die Häftlingswäscherei zu einem Veranstaltungsraum macht. Die Dekontextualisierung der Dinge funktioniert hier nur eingeschränkt, da die Dinge (Bauten, Fundamentreste etc.) immer noch an ihrem ursprünglichen Ort stehen. Die Exponate, die hier gezeigt werden, mussten die Schwelle eines Museumsgebäudes nicht übertreten, damit sie zu Museumsdingen werden. Der lebensweltliche (faschistische) Kontext der hier gezeigten Dinge ist stärker präsent, da ihre Rahmung keine rein museale ist. Die reduzierten Mittel, mit denen die museale Rahmung umgesetzt wurde, können in ihrer Ästhetik teils deplaciert wirken. Es entsteht ein Dilemma aus notwendiger Dekontextualisierung und der Unmöglichkeit, sich vom Ort des Geschehens zu lösen. Die Dekontextualisierung musste also symbolisch und damit auch ästhetisch erfolgen. Bei einem Neubau oder bei bestehenden Gebäuden, die modifiziert werden können, sollte sich zwingend das Gehäuse an den Inhalt anpassen. Die inhaltliche Konzeption und Ansätze für ihre Visualisierung sollten die Grundlage für das Gestaltungskonzept der Architektur bilden. Die Ausstellungsgestaltung sollte zumindest konzeptionell der Architekturplanung vorgeschaltet

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werden und diese während des gesamten Planungsprozesses begleiten. Wenn die Ausstellungskonzeption den roten Faden für die Architektur bildet, kann die Architektur nach Ablauf der »Halbwertszeit« der Ausstellung durchaus auch für andere Ausstellungen verwendet werden. Eine von den Inhalten her gedachte Architektur schließt Flexibilität nicht aus. Aus der Betrachtung der Fallbeispiele ergeben sich drei für jedes Museums(bau-)projekt leitgebende Faktoren. Erstens sollten sich alle Projektbeteiligten an der Offenheit der Institution Museum zwischen wissenschaftlicher Interpretationsfähigkeit und auratischer Zugänglichkeit orientieren. Um das zu gewährleisten sollte man zweitens stets von den zu vermittelnden Inhalten und den ausgestellten Dingen und ihren spezifischen Anforderungen (Kontext, Aura, konservatorische Bestimmungen) ausgehen. Im Bewusstsein dieser Tatsachen sollte man drittens eine Einheit zwischen inhaltlicher, gestalterischer und architektonischer Ebene anstreben, die ein für die Besucher ganzheitliches »Bildungserleben« ermöglichen.

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Museum in Bewegung?

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Inhalt 1. Museologische Fachplanung | 167 2. Luft, Wasser, Datenströme | 169 3. Mobile Wände | 169 4. Menschen und Objekte | 170 5. Sammlung | 171 6. Leere Räume | 172

1. M useologische F achplanung Museologische Fachplanung denkt ganzheitlich. Sie widmet sich inhaltlichen, funktionellen, sozialen, organisatorischen, logistischen, architektonischen, technischen, konservatorischen und nicht zuletzt finanziellen Fragen. Planungsteams für Museumsbauten bestehen aus Spezialisten, die primär ihr jeweiliges Fachgebiet vertreten und nur bedingt das komplexe Anforderungsprofil und die Arbeitsbedingungen des Museumsbetriebs kennen. Museumsbetreiber und ihre Teams haben wiederum nur selten konkrete Planungs- und Bauerfahrung und sind dadurch oftmals den Meinungen der Fachplaner ausgeliefert. In diesem spannenden Feld divergierender bis gegensätzlicher Interessen arbeitet museologische Fachplanung, mit der ich mich seit zwanzig Jahren beschäftige. Museen haftet in der Öffentlichkeit noch immer der Anstrich des Statischen, Unveränderlichen an. Ein Eindruck, der vor allem durch die sogenannte permanente Schausammlung hervorgerufen wird. »Bewegung« steht hingegen weniger im Fokus des Interesses. Dies erklärt, warum der Frage nach der Komplexität raum-zeitlicher Bewegungsphänomene zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dabei handelt es sich um eine vielschichtige Kons1 | Erstveröffentlichung in: Kunsthalle Mannheim, Neue Räume für Kunst, Hg. Ulrike Lorenz, Kehrer Verlag Heidelberg 2014.

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tellation geistiger, psychischer, physischer, logistischer und technischer Bewegungen. Alle diese materiellen und immateriellen Phänomene hängen mehr oder weniger eng zusammen, bestimmen oder begrenzen Möglichkeiten, beeinflussen Entscheidungen, erwecken positive und negative Empfindungen, prägen Verhaltensweisen und bestimmen Kommunikationsprozesse. Einer der radikalsten Ausstellungsarchitekten des 20. Jahrhunderts, Friedrich Kiesler, fasste 1957 die auf einem hochkarätig besetzten Symposium in Chicago zur Frage der Museumsplanung geäußerten Wünsche der Museumsdirektoren pointiert wie folgt zusammen: »Sie wollen mehr und mehr Raum, vor allem aber Raum hinter den Ausstellungswänden, um die Ausstellungen besser organisieren zu können. […] Man sollte die Möglichkeit haben, die Höhe und Ausdehnung der Räume nach Belieben ändern zu können. Wenn möglich automatisch. Tageslicht von oben und von der Seite sollte nicht ausgeschlossen sein. Das ideale Museum würde jede Größe und Ausdehnung annehmen können, und das Licht ebenso. […] Insgesamt wurde genügend Ausstattung verlangt, dass man dieses Museum auch in ein Atomkraftwerk verwandeln könnte.« Der Wunsch nach einer »elastischen« Museumsarchitektur mit unbegrenzten Bewegungsmöglichkeiten in Zeit und Raum, die sich gleichsam auf Knopfdruck den jeweiligen Anforderungen anpasst, ist heute nicht weniger aktuell. Viele Versuche wurden in den letzten Jahrzehnten des Museumsbooms unternommen, den »Stein der Weisen« hat jedoch noch niemand gefunden. Bewegungsphänomene im Museum sind vielschichtiger als sie in der obigen Wunschliste von Museumsdirektoren zum Ausdruck kommen. Luft wird in riesigen Mengen in voluminösen Rohrleitungen durch das gesamte Gebäude bewegt. Sammlungsobjekte müssen unter logistisch effizienten, barrierefreien Bedingungen schonend von der Anlieferung zu den Ausstellungsräumen, Depots oder zur Restaurierung bewegt werden. Die Schaffung bestmöglicher Voraussetzungen für die physische, psychische und nicht zuletzt intellektuelle Bewegung der Besucherinnen und Besucher stellt vielfältige Anforderungen an Planung und Betrieb des Museums. Aber auch Bewegungsmelder, Sicherheitskameras, Rauchmelder und Fluchttreppenhäuser gehören in die Liste der »bewegenden« Fragen der Museumsplanung, deren Einfluss auf Raumästhetik und Gebäudestruktur nicht unterschätzt werden sollte. Diese unterschiedlichen Bewegungsphänomene stehen in vielfältigen Abhängigkeitsverhältnissen. Daraus resultieren zahlreiche Zielkonflikte inhaltlicher, formaler, räumlicher, funktioneller und finanzieller Natur, von denen ich im Folgenden einige vorstelle.

Museum in Bewegung?

2. L uf t, W asser , D atenströme Luft! Die Bewegung der Luft – zwischen unmerklichem Luftaustausch und Zugluft – bestimmt die Befindlichkeit von Werken und Publikum gleichermaßen. Die Frage, wie oft pro Stunde das Luftvolumen in einem Ausstellungsraum ausgetauscht werden soll, hat auf Grund des enormen Platzbedarfs für Luftschächte eine nicht zu unterschätzende Auswirkung auf die Raumstruktur. Da Luftschächte in Wettbewerbsbeiträgen selten in ausreichender Größe ausgewiesen werden, fallen ihrem Raumbedarf in der Planung oftmals wertvolle Ausstellungsflächen zum Opfer. Die Größenordnung der Luftumwälzung hängt eng mit dem gewählten Klimakonzept zusammen, bei dessen Entwicklung es zu heftigen Interessenskonflikten zwischen Haustechnikplanern, Restauratoren, Architekten und Kuratoren kommen kann. Warum? Schadenspräventive Klimatisierung ist aus konservatorischen und finanziellen Gründen anzustreben, doch nicht jeder Haustechnikplaner ist damit vertraut. Die dafür empfohlene Bauteilaktivierung kann wiederum die Raumästhetik beeinflussen und zu Einschränkungen kuratorischer Flexibilität führen. Nicht weniger problematisch sind die technischen Vorrichtungen für forcierten Rauchabzug im Brandfall. Träumt man von einem möglichst niedrigschwelligen Übergang vom Außenraum in die Ausstellungsräume, steht diesem Wunsch die haustechnische Forderung entgegen, die »schädliche« Außenluft durch Türen maximal vom Innenraum abzuschotten. Die Planung der Luftbewegung im Sinne der Herstellung einer optimalen Beziehung zwischen Besucherinnen/ Besuchern und Ausstellungsobjekten birgt zahlreiche Konflikte. Wasser! Wasser bewegt sich in Rohren durch das ganze Gebäude. Niemals soll es oberhalb von Sammlungsobjekten fließen. Doch energetisch vorteilhafte Kühlregister im Boden, in den Wänden oder gar in der Decke reduzieren die zu transportierenden Luftmengen. Andererseits besteht die Gefahr, dass sie das Befestigen von Ausstellungsobjekten an der Wand erschweren… Datenströme! Ein quantitativ und qualitativ neues Bewegungsphänomen stellen rasch wachsende Datenströme im elektronischen Raum dar, die mehr und mehr mit dem physischen Raum des Museums verschmelzen. Ihre Integration in die Raum- und Technikplanung von Neubauten setzt ein umfassendes inhaltliches Medien- und Kommunikationskonzept voraus.

3. M obile W ände Mobile Wände! Im Laufe jeder Vorbereitung eines Architektenwettbewerbs stellt sich dem Nutzer die gleiche Frage: Sollen große Hallen mit mobilen Wänden, eine statische Raumstruktur oder eine Mischung beider Möglichkeiten gefordert werden, oder überlässt man diese für ein Museum überaus folgen-

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schwere Entscheidung lieber Architekten und Juroren? Wie mobil sind mobile Wände? Die Veränderungsmöglichkeit hängt von der Auslegung der Decke und des Bodens ab: Die Unterteilungen der Lichtdecke, die notwendige Distanz zwischen Wand und Lichtschienen, die Position von Alarmlautsprechern und in Plänen selten deutlich ausgewiesenen Revisionsöffnungen schränken die freie Positionierung mobiler Wände ein. Auch gilt es, die geplante Luftzirkulation nicht zu stören und es muss auf Quellluftöffnungen und Bodendosen Rücksicht genommen werden. Wer bewegt die mobilen Wände? Ist ausreichend Lagerraum für die Elemente vorgesehen? Ist der Lift groß genug? Summieren sich nur einige dieser Probleme, ist der interne Widerstand gegen die Veränderung mobiler Wände vorhersehbar.

4. M enschen und O bjekte Menschen und Objekte in Bewegung! Zwei Bewegungsströme sind für das Museum ausschlaggebend: Der Weg der Sammlungsobjekte von der Anlieferung durch verschiedenste Funktionsbereiche bis zum »Haken« ebenso wie der Weg des Publikums vom Eingang bis zum Kunstwerk und über das Café und den Museumsshop zurück zum Ausgang. Diese Wege lassen sich nicht nur als Folge von Räumen beschreiben, sondern als quantitatives und qualitatives Bewegungsphänomen in Raum und Zeit, das durch Raumformen, Farben und Materialien sowie technische Einrichtungen beeinflusst wird. Ein Transportlift, dessen Türöffnung aus Kostengründen relativ klein dimensioniert ist, schafft ebenso dauerhafte logistische Probleme wie das Fehlen ausreichender Manipulationsflächen im Vorfeld. Eine einzige Luftleitung, die einen Transportweg zu niedrig kreuzt, macht die gewünschte Transporthöhe für große Objekte weitgehend nutzlos. Ein sehr hoher Sicherheitsstandard kann die Transportlogistik so behindern, dass im Alltagsbetrieb mit »geheimen« Blockaden gerechnet werden muss. Die Bewegung der Menschen im Museum wird durch Verhaltenskonventionen geprägt! Würden sich alle Menschen nackt durch Ausstellungsräume bewegen, ließe sich mit beachtlicher Trefferquote zwischen Direktor, Kurator, Restaurator, Aufseher, Haustechniker, Kunstgenießer und Tourist unterscheiden. Rasches Gehen erregt Aufmerksamkeit, Laufen alarmiert. Die Bewegungslinien, die Besucherinnen und Besucher auf ihrem Weg durch Ausstellungsräume ausführen, lassen Rückschlüsse auf die Qualität der Hängung, den Grad der Aufmerksamkeit aber auch auf Ermüdungserscheinungen zu. Mittels statistischer Auswertung der Inanspruchnahme von Audio- oder Mediaguides lassen sich solche Daten erheben. Die Entscheidung zwischen »Zwangsführung« und freier Bewegungsmöglichkeit in labyrinthischen Raumkonfigurationen kennzeichnet die Spannweite des planerischen Mög-

Museum in Bewegung?

lichkeitsfelds. Die kuratorischen Intentionen stimmen dabei oftmals nicht mit jenen der Architekten überein. Barrierefreie Bewegung! Der Ausbau gesetzlicher Bestimmungen, die Besucherinnen und Besuchern mit besonderen Anforderungen ein möglichst problemfreies Bewegen in allen Bereichen des Museums ermöglichen sollen, gewinnt an Einfluss auf die Raum- und Ausstellungsgestaltung. Dazu gehört z.B. die Forderung nach Vitrinen, die mit dem Rollstuhl unterfahrbar sind, schräg gestellte Monitore, eine angepasste Beschriftungshöhe etc. Das fordert ein Umdenken von den Ausstellungsgestaltern. Fluchtbewegung! Auch das Flüchten gehört zu den architektonisch und funktionell relevanten Bewegungsphänomenen im Museum, die gesetzlich klar definiert sind. Ruhen! Zur Bewegung im Museum gehört auch ihr Gegenteil: das Betrachten von Ausstellungsobjekten im Sitzen und das ganz banale Ausruhen. Wie angenehm sind doch die Sitzgelegenheiten im Wiener Kunsthistorischen Museum mit der weichen Polsterung und den hohen Rückenlehnen! Thomas Bernhard hat ihnen in »Alte Meister« ein Denkmal gesetzt.

5. S ammlung Sammlung in Bewegung! Die Sammlung ist das Kapital des Museums. Ihre Präsentation nimmt zumeist 80 Prozent der verfügbaren Ausstellungsfläche ein. In vielen Museen ist der Umgang mit Sammlungsbeständen tendenziell statisch. Größte Dynamik kennzeichnet demgegenüber das temporäre Ausstellungswesen, das Jahr für Jahr große Mengen an Werken weltweit mobilisiert. Wechselausstellungen setzen mehr Menschen in Bewegung als die ständige Sammlung und erfüllen damit die Erwartungen von Politik und medialer Öffentlichkeit. Es gilt die Neugierde, d.h. die menschliche Gier nach Neuem zu befriedigen. Mit welchen Maßnahmen könnten Sammlungsbestände so eingesetzt werden, dass sie dieses Bedürfnis in annähernd gleichem Maße erfüllen wie Wechselausstellungen? Die unterschiedliche Behandlung des dauerhaften »Kapitals« der Schausammlung und der nur für kurze Zeit geborgten »Schätze« bildet sich eindrücklich im unterschiedlichen Aufwand für Marketing ab. Wenige Museen bewerben ihre Sammlung mit gleicher Intensität wie ihre Wechselausstellungen. Liegt nicht in einer inhaltlich motivierten Dynamisierung der Sammlungsbestände eine Herausforderung und Chance für unkonventionelle Museumsarbeit und deren kreative Vermarktung? Eine programmatische inhaltliche Gesamtstrategie, die bewusst ein eingeschränktes Flächenangebot mit vielschichtiger Dynamik kompensiert, bedarf jedoch geeigneter räumlicher, funktioneller, logistischer, konzeptioneller und personeller Rahmenbedin-

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gungen. Dazu gehören Ausstellungsflächen, die nicht langfristig besetzt sind, sondern für semipermanente oder kurzfristige thematische Sammlungspräsentationen frei zur Verfügung stehen. Im Salzburg Museum und im Grazer Naturkundemuseum – zwei meiner langjährigen Projekte – wurde jeweils nur eines von zwei Geschossen mit einer langfristigen Sammlungsausstellung belegt und die zweite Ebene in einem semipermanenten Rhythmus thematisch aus den Beständen bespielt. In Salzburg war während einiger Jahre unter dem Titel »Salzburg persönlich« jeder der zwanzig Räume einer mehr oder weniger bekannten Salzburger Persönlichkeit gewidmet. Das Ergebnis? Aus den Depots tauchten Objekte auf, die im traditionellen Format der permanenten chronologischen Schausammlung kaum je hervorgeholt worden wären – und verschwanden wieder, doch die Erinnerung blieb. Entdeckungen waren möglich und Schenkungen erfolgten. »Salzburg persönlich« mobilisierte kein Massenpublikum, sprach aber jeweils einen interessanten Personenkreis aus unterschiedlichen Segmenten der Bevölkerung an und festigte dadurch die Position des Museums in der lokalen Gemeinschaft. Diese Kleinausstellungen haben die Museumsteams stark beansprucht, aber zum Gewinn der Arbeit gehörte die Sichtung und Mobilisierung des gesamten Sammlungsbestands. Um dieses temporäre Ausstellungsprogramm zu ermöglichen, fiel die Entscheidung, wichtige Teile der Sammlungsbestände ebenfalls nur zeitweise zu zeigen! Der Klage über nicht ausgestellte Lieblingsobjekte kann durch eine Studiengalerie oder ein offenes Depot entgegengewirkt werden. Vom langsamen Veränderungsrhythmus im Hauptdepot bis zum raschen Wechsel in einem Raum für Aktualitäten verschwimmen die traditionellen Kategorien von Sammlungs- und Wechselausstellung zu einem Museum der »vielfältigen Geschwindigkeiten«. Die einzelnen Ausstellungsformate dieser vielschichtigen Dynamik sind keinesfalls neu, doch ihre programmatisch konzeptionelle sowie räumlich und logistisch genau abgestimmte Planung gehört noch nicht zum Museumsalltag.

6. L eere R äume Leere Räume? Räume für prozessual angelegte, partizipative und performative Projekte erweitern dieses differenzierte Bewegungsspektrum um ein neues Element, das sich erst noch durchsetzen muss. Es handelt sich um einen »dritten Raum«, in dem in offenen Diskursen mit unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen Ideen eingebracht und ihre kooperative Umsetzung organisiert, die Kommunikation der Ergebnisse in der Öffentlichkeit auf gleichem Niveau wie andere Projekte vorgenommen sowie Rückkoppelungsprozesse angestrebt werden. Es handelt sich um Prozesse, die nicht als Randerscheinung der Museumsarbeit an der konzeptionellen und räumlichen – oder an der elektroni-

Museum in Bewegung?

schen – Peripherie angesiedelt werden sollten. Dieser »dritte Raum« sollte als Impuls gebendes Zentrum des Museums gedacht werden, in dem sich unkonventionelle Ideen- und Ausdrucksformen differenzierter gesellschaftlicher Gruppen manifestieren, die nicht zum Museumsestablishment gehören. Wie müssten solche integrativen Denk- und Handlungsräume konzipiert werden, die ein gleichberechtigtes Neben- und Miteinander traditioneller passiver Rezeption und aktiver Teilhabe an Konzeptions- und Produktionsprozessen ermöglichen würden? Ein Museum in Bewegung!

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Der Neubau Museum Folkwang Essen Vom Bauherrenmodell über die Projektsteuerung bis zur Übergabe eines Museums Klaus Wolff

Inhalt 1. Intro | 176 2. Strategien/Analysen | 177 Die Essener Museumslandschaft: Finanzielles Bangen und kulturelles Hoffen | Anspruch und eine Idee 3. Akteure | 180 Das Bauherrenmodell | Vorbereitungen zum Architektenwettbewerb | Das Preisgericht und die Optimierung des Gewinnerentwurfes | Planung, künstlerische Oberleitung, Ausführungsplanung | Vergabe, Bauabwicklung, Übernahme der Bauaufgaben 4. Strukturen und Verträge | 183 Der Museumsstiftungsvertrag | Der Museumsgrundvertrag | Die Realisierungsverträge 5. Prozesse | 185 Ausführung und Beratung | Vergabe an den regionalen Mittelstand | Architektenverantwortung und städtisches Know-how | Positives Zeitmanagement und Übergangsszenario | Gewährleistung und künftige Übergabe des Museums an die Stadt 6. Projektkommunikation | 188 7. Budget und Kostenmanagement | 189 Kostenreduzierung durch Energie-Contracting | Instandhaltungsbudgets | Risikobudget 8. Bauherr-Fazit | 191 9. Zitate der Projekt-Unterstützer und -Mitstreiter | 192

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Abbildung 1: Außenansicht Museum Folkwang Essen, Bismarckstraße (© WOLFF GRUPPE)

1. I ntro »Für die Entstehung einer Kulturimmobilie bedarf es der Affinität zur Kunst und Kultur, des Fingerspitzengefühls für die Gestaltung und den Bau der Räume, in der sie stattfindet – und nicht zuletzt eines stringenten Kostenmanagements.« (Klaus Wolff)

Der Erhalt, die Modernisierung und insbesondere der Neubau von Kulturimmobilien braucht mehr als das fachliche Know-how eines guten Projektsteuerers und Generalplaners. Es ist die Summe der Erfahrungen und Kenntnisse, welche bautechnischen und organisatorischen Maßgaben bestehen, wie ein Kulturbetrieb läuft, wie die Menschen dort mit der Kunst und für die Kunst arbeiten. Dies erfordert eine detaillierte und sensible Umsetzung im Sinne der Kunst und der kulturellen Darbietungen. Kurz: Hohe Fachkompetenz und tiefgreifendes Kulturverständnis machen einen guten Projektsteuerer für eine Kulturimmobilie aus. Klaus Wolff, Inhaber und Geschäftsführer der Stuttgarter WOLFF GRUPPE Holding GmbH mit Büros in Stuttgart und Essen, besitzt mehr als 25 Jahre Erfahrung im Bauwesen, die sich in einer Vielzahl von Bauprojekten widerspiegelt. Mit der integralen Kompetenz der Tochterunternehmen innerhalb der Holding ist die Unternehmensgruppe bundesweit und international branchenübergreifend tätig. Ein Sonderfall in der Verwirklichung einer Kulturimmobilie ist das Folkwang Museum insoweit, als die Neubau Museum Folkwang Essen GmbH (NMFE) sowohl Bauherrenfunktion als auch die Projektsteuerung zur Umsetzung des Museumsentwurfs von David Chipperfield Architects, London/ Berlin übernahm. Dieses Projekt ist ein weiterer Meilenstein in der Bauhistorie der Unternehmensgruppe. Dem vorausgegangen waren die erfolgreiche

Der Neubau Museum Folkwang Essen

Steuerung und Abwicklung eines städtischen Kulturbau-Projektes, der beispielgebende Umbau und die Erweiterung der Philharmonie Essen.

Abbildung 2: Außenansicht Philharmonie Essen, Huyssenallee (© WOLFF GRUPPE)

2. S tr ategien /A nalysen 2.1 Die Essener Museumslandschaft zwischen finanziellem Bangen und kulturellem Hoffen Die langjährigen und weitreichenden Überlegungen innerhalb der Stadtverwaltung Essen zur Zukunft der Essener Museumslandschaft reichten weit in die 1990er Jahre hinein. Es begann mit der Ideenentwicklung für ein neues Ruhr-Museum auf dem ehemaligen Zechenareal und späteren Weltkulturerbe Zollverein. Auch das Deutsche Plakat Museum sollte einen neuen und dauerhaften Standort erhalten. Ein möglicher Neubau des Museum Folkwang wurde ebenfalls diskutiert. Das Museumsgebäude, mit einer herausragenden, internationalen Sammlung der Malerei und Skulptur des 19. bis 21. Jahrhunderts, wurde den Anforderungen an einen modernen Museumsbetrieb nicht mehr gerecht. Im November 2005 wurde dem Rat der Stadt Essen ein Sachstandsbericht zu den Essener Museen vorgelegt, in den auch die Raumplanung für das Museum Folkwang eingeflossen war. Bei der Planungserstellung wurde der damalige Museumsdirektor Prof. Hubertus Gaßner von seinem Nachfolger

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Prof. Dr. Hartwig Fischer und dem externen Museumsberater und ausgewiesenen Fachexperten für die Raumgestaltung von Museen, dem Wiener Prof. Dieter Bogner, unterstützt. Die intensive Vorgeschichte zur Neugestaltung der Essener Museumslandschaft führte in ihrer Gesamtheit zu dem klaren Votum für eine Machbarkeitsstudie. Diese sollte die Möglichkeiten einer Sanierung des Bauteils aus den 1980erJahren darstellen: • • • •

Die Sanierung der Flächen des Museum Folkwang. Die zusätzliche Sanierung und Aufrüstung der frei werdenden Flächen durch den Auszug des Ruhrlandmuseums. Der Abriss des für ein Skulpturen- und Gemälde-Museum eigentlich unbrauchbaren Bauteils. Der Neubau entsprechend der musealen Anforderungen sowie die Integration des Deutschen Plakat Museums.

Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie waren jedoch mehr als ernüchternd. Die Kosten für die Sanierung und Umnutzung der vorhandenen Flächen schienen jenseits des Erreichbaren. Das Beurteilungsgremium, bestehend aus Mitgliedern des Rates der Stadt, des Museums, der Immobilienwirtschaft sowie des Folkwang-Museumsvereins, fällte dennoch eine positive Entscheidung. In Abwägung aller Varianten und Kosten wurde die Neubauvariante empfohlen. Ein unterstützender Aspekt für dieses Votum war die kurz zuvor eingetroffene Nachricht der Europäischen Union, dass Essen und das Ruhrgebiet im Jahr 2010 den Titel »RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas« tragen durften. In der Ratssitzung vom 21. Juni 2006 wurde diese Empfehlung jedoch aufgrund der finanziell angespannten Haushaltslage noch abgelehnt.

2.2 Hoffnung, Anspruch und eine Idee Am Höhepunkt der nachfolgenden innerstädtischen Diskussionen stand die alle Beteiligten überraschende Ankündigung in einer Pressekonferenz im August 2006: Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung (Stiftung) werde mit ihrem Kuratoriumsvorsitzenden Prof. Dr. h. c. mult. Berthold Beitz die Kosten für einen Neubau an Stelle eines unvorteilhaften Baus der 1980erJahre übernehmen. Die Übernahme der Kosten bis zu maximal 55 Mio. Euro war jedoch an drei Bedingungen geknüpft, welche die Stadt vor wiederum fast unlösbare Probleme stellte.

Der Neubau Museum Folkwang Essen

• Der neue Bau solle in einem international besetzten Architektenwettbewerb entworfen werden. • Das Museum solle zur »RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas«, mit dem Ruhrgebiet als Europäische Kulturhauptstadt, also im Jahr 2010 fertiggestellt werden. • Die Stadt müsse einen Weg finden, die Nachhaltigkeit und Instandhaltung dauerhaft sicherzustellen. Damit lag auf der Hand: Es musste ein komplett neues Museum innerhalb von nur vierzig Monaten erstellt werden, um die Spende der Stiftung auch zu erhalten. Zuvor war noch eine weitere Entscheidung umzusetzen. Das damalige Ruhrlandmuseum war als neues, regionales »Ruhr Museum« in der sanierten Kohlenwäsche auf dem Gelände Zollverein unterzubringen. Bisher war es Bestandteil des Museumszentrums an der Bismarckstraße und teilte sich dieses mit dem Museum Folkwang. Insgesamt lag darin eine organisatorische Herausforderung. Darüber hinaus schienen die weiteren Umsetzungsmaßnahmen aufgrund des langwierigen Vergabeverfahrens schier unmöglich. Innerhalb des festgelegten Zeitfensters mussten ein internationaler Architektenwettbewerb, der Abriss des Altbaus, der Neubau und die Inbetriebnahme eines Museumsneubaus für das Museum Folkwang erfolgen. Somit waren langwierige, zeitverzögernde und damit risikoreiche Vergabeverfahren von Anfang an auszuschließen. Doch es gab eine Möglichkeit, das Projekt im Sinne der Stiftung und in dem vorgegebenen Zeitrahmen zu realisieren. Der Museumsneubau musste nach entsprechender juristischer Bestätigung grundsätzlich als ein Auftrag der Stiftung gehandhabt werden. Das entsprach der Intention von Prof. Berthold Beitz, der Stadt den Neubau zu schenken, indem die Mittel für seine Planung und Errichtung bereitgestellt wurden.

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Abbildung 3: Innenhof blick Museum Folkwang Essen zur Goethestraße (© WOLFF GRUPPE)

3. A kteure 3.1 Das Bauherrenmodell und die Wettbewerbsvorbereitungen Nach Abschluss intensiver Gespräche mit Prof. Berthold Beitz erklärte sich die WOLFF GRUPPE bereit, mit der neugegründeten NMFE das komplette Vorhaben als Bauherr durchzuführen. Gemeinsam mit dem Tochterunternehmen W+P Gesellschaft für Projektabwicklung mbH (W+P) waren zuvor Sanierung und Umbau der Philharmonie Essen, vom ehemaligen Saalbau in einen philharmonischen Konzertsaal, erfolgreich gesteuert und abgewickelt worden. Um nicht in Zeitverzug zu geraten, übernahm die Stadt Essen parallel zu den laufenden Realisierungsgesprächen und auf eigene Verantwortung die Durchführung des geforderten internationalen Architektenwettbewerbs. Die entstandenen Kosten wurden später durch den privaten Bauherrn NMFE refinanziert. Unter Mitwirkung der W+P und der Nutzer des Museums, somit der Direktion, der Angestellten und Mitarbeiter, wurden innerhalb von drei Monaten die Anforderungsprofile für das neue Museum überarbeitet. Es wurde ein komplettes Raumprogramm mit der Beschreibung der Funktionen und mit den entsprechenden Anforderungen festgelegt. Hierbei mussten unter anderem alle Flächen inklusive der Ausstellungsflächen, Depoträume, Werkstätten,

Der Neubau Museum Folkwang Essen

Restaurierungswerkstätten, Foyers und Restaurants sowie die Veranstaltungsräume und Büros mit einbezogen werden.

3.2 Der Architektenwettbewerb, das Preisgericht und die Beurteilungskriterien In einem weltweit offenen Bewerbungsverfahren hatten sich nicht weniger als 217 Teilnehmer aus 18 Ländern beworben. Der nachfolgende Wettbewerb wurde von der Stadt Essen mit insgesamt zwölf Teilnehmern ausgelobt, davon die drei gesetzten, renommierten Architekturbüros David Adjaye Associates aus London, Gigon Guyer Achitekten aus Zürich sowie SANAA aus Tokio. Nun ging es darum, das Preisgericht festzulegen. Die Jury setzte sich aus Kuratoriumsmitgliedern der Stiftung, Architekten, dem Oberbürgermeister und den zuständigen Fachdezernenten der Stadt, dem Museumsdirektor als zukünftiger Nutzer und Vertreter des Museumsvereins, externen Sachverständigen sowie Mitarbeitern der WOLFF GRUPPE zusammen. Nach rund zwei Monaten konnte ein Teilnahmekolloquium durchgeführt werden, um die ersten Planungsansätze der Architekturbüros zu prüfen. Die Beurteilungskriterien waren vorgegeben: • • • • • • • • •

Idee Städtebauliche Bezüge Gliederung der Baumassen Gestaltung der Baukörper und Freiräume Innere und äußere Erschließung Erfüllung des Raumprogramms Nutzungsverteilung und -zuordnung Wirtschaftlichkeit in Erstellung und Betrieb Genehmigungsfähigkeit.

Nach einer Gesamtbearbeitungszeit von knapp fünf Monaten kam es zur ersten Preisgerichtssitzung und einer Empfehlung für David Chipperfield Architects und David Adjaye Associates. Eine Besonderheit dieser Sitzung war es, dass die vorab ermittelten Baukosten direkt als Entscheidungsgrundlage mit einbezogen wurden. So erhielten beide Architekturbüros die Einladung zur zweiten Sitzung, verbunden mit der Vorgabe einer Überarbeitung der Entwürfe zur Kostensenkung.

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3.3 Zweite Preisgerichtssitzung und Optimierung des Gewinnerentwurfes Das Preisgericht entschied im März 2007, den Entwurf von David Chipperfield Architects zu realisieren und eine weitere Überarbeitung zur Erreichung des Kostenrahmens vorzunehmen. Die Optimierung des Gewinnerentwurfes und die Einarbeitung der Ergebnisse in die Pläne, als Grundlage für die Kostenschätzung, erfolgten einen Monat später. Eine erhebliche Beschleunigung in der Findungsphase war der Beschluss bereits im Februar 2007 des Rates der Stadt Essen, die Entwürfe der beiden Bestplatzierten anzuerkennen. Die Jury und die Stiftung konnten daher die weiteren Entscheidungen auf dieser Grundlage treffen. So konnte ein erheblicher Zeitgewinn erreicht werden.

3.4 Die Planung und die künstlerische Oberleitung Mit dem von städtischer Seite durchgeführten Wettbewerb wurde nicht nur der Entwurfsgedanke der Stadt berücksichtigt, sondern auch die Grundlage für die weitere Planung geschaffen. Die NMFE übernahm die Fortführung der Planung zur Erstellung des Museums. Basis war das durch den Wettbewerb vorgegebene Bau- und Raumprogramm. David Chipperfield Architects wurden, unter Vorgabe der Kosteneinhaltung, durch die NMFE mit den Leistungsphasen 1 bis 4, vom Entwurf bis zur Genehmigungsplanung, beauftragt. Ab Leistungsphase 5, der Ausführungsplanung, hatten der britische Architekt und sein Team die künstlerische Oberleitung für das Projekt.

3.5 Die Ausführungsplanung Im Anschluss an die Entscheidung des Preisgerichtes verblieben bis zur Fertigstellung des Neubaus und der Öffnung des Museums nur rund 30 Monate. Im August 2007 standen die ersten notwendigen Planungen zur Erstellung der Baugrube und der Fundamente nach Abriss des Altbaus zur Verfügung. Die Ausführungsplanung wurde frühzeitig, ab September 2007, von den Architekten in den Stuttgarter und Essener Büros der PLAN FORWARD GmbH übernommen. Sie konnten bereits parallel zur laufenden Entwurfs- und Genehmigungsplanung mit den Vorbereitungen beginnen.

Der Neubau Museum Folkwang Essen

Abbildung 4: Grundriss Ensemble Neubau und Altbau Museum Folkwang mit Karl Ernst Osthaus-Saal (© PLAN FORWARD GmbH)

3.6 Vergabe, Bauabwicklung und Übernahme der Bauaufgaben Die W+P begann ab August 2007, innerhalb von drei Monaten, mit dem Abriss des Museumsaltbaus und richtete nachfolgend die Baustelle für den Neubau ein. Durch die Möglichkeit der NMFE als privater Bauherr Aufträge zu vergeben, wurde bereits während der Planungen mit den Vergaben an potenzielle Firmen begonnen. Dies gab der Projektsteuerung und der Planung die Möglichkeit, Optimierungsvorschläge aus der Industrie, zum Beispiel zur Regelungstechnik und zum Fertigteilbau, zu integrieren und bereits bei der Auftragsvergabe zu berücksichtigen. Während der Bauzeit wurden die Planungsansätze insbesondere mittels großer Musterflächen überprüft und mit dem zukünftigen Nutzer sowie der Stadt angepasst und festgelegt. So wurde unter anderem bei den Glasqualitäten in der Farbechtheit und den großflächig geschliffenen Estrichen verfahren.

4. S trukturen und V ertr äge Die Realisierung des Museumsneubaus innerhalb der befristeten Zeitspanne von 30 Monaten verlangte klar definierte Verträge für das der kurzen Entwicklungs- und Bauzeit geschuldete Abwicklungsverfahren. Dies galt ebenso für die notwendigen grundlegenden Parameter und Rahmenbedingungen zwischen der Stiftung, der Stadt Essen und der NMFE.

4.1 Der Museumsstiftungsvertrag In diesem Vertrag ist die Kapitalgestellung nach Fertigstellung an die NMFE als privaten Bauherrn geregelt.

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4.2 Der Museumsgrundvertrag Der vor dem Architektenwettbewerb geschlossene Vertrag beinhaltet den zeitlich befristeten Übergang des Grundstücks und des Altbaus mit der Verpflichtung für den Abbruch des Altbaus sowie den Neubau des Museums mit später förmlicher Übergabe des Museums an die Stadt Essen. Dies war ausschließlich alles aus den festgesetzten Stiftungsmitteln zu finanzieren. Darüber hinaus enthält der Vertrag die Implementierung einer Lenkungsgruppe sowie den Hinweis auf weitere Ergänzungen und Konkretisierungen in nachfolgenden Realisierungsvereinbarungen.

4.3 Die Realisierungsverträge Mit bisher zwei Realisierungsverträgen, geschlossen nach dem Architektenwettbewerb, waren rechtliche Regelungen fixiert worden. In diesen Verträgen ist zunächst der Informationsfluss während der Planungen in Richtung der Stadt beschrieben. Die Mitglieder der Lenkungsgruppe, unter Leitung der amtierenden Baudezernentin, mussten aus dem Museumsbetrieb und allen Stadtdezernaten rekrutiert werden. Sie waren regelmäßig über das Bauvorhaben zu informieren, um gegebenenfalls einen einvernehmlichen Konsens herbeizuführen. Weiterhin sind in den Verträgen der Wettbewerbsentwurf sowie die wettbewerblichen Vorgaben und Funktionen im Rahmen des Raum- und Flächenprogramms hinterlegt.

a) Erster Realisierungsvertrag für die Bauaufgabe Mit den Ergebnissen aus dem durchgeführten internationalen Architektenwettbewerb wurde die Grundlage für die Umsetzung des Museumsneubaus durch die NMFE geschaffen. Die hieraus entstandenen Bauaufgaben wurden durch die W+P umgesetzt. Hierzu gehörte auch die Abwicklung eines Energie-Contractings, das die gesamte Haustechnik beinhaltet. Der Vertrag besagt, dass noch 25 Jahre nach Inbetriebnahme die haustechnischen Anlagen zu betreiben sind. Damit wurde die Nachhaltigkeitsforderung der Stiftung berücksichtigt.

b) Zweiter Realisierungsvertrag für den Betrieb In einem weiteren Realisierungsvertrag wurde geregelt, wie die Übernahme des Museums durch die Stadt Essen unter Vermeidung von Schnittstellen zu erfolgen habe. Es wurde festgelegt, dass zunächst nur eine Ingebrauchnahme des Museums durch die Stadt erfolgt. Der verantwortliche Betrieb des Gebäudes werde weiterhin, mindestens bis zum Abschluss aller Abnahmen der ausführenden Gewerke, bei der NMFE verbleiben. Diese Regelung war notwendig, da eine finale Übergabe erst nach abschließender Fertigstellung, somit nach Abnahme aller Einzelgewerke und erfolgter Mängelbeseitigung, stattfinden

Der Neubau Museum Folkwang Essen

kann. Weiter konnte nur die NMFE die Gewährleistungsverfolgung übernehmen. Diese richtete über die WOLFF GRUPPE-Tochter F/M Facility Management GmbH (F/M) eine Dienstleistung mit der Aufgabenstellung ein, sowohl die Mängelverfolgung als auch den Betrieb des Museums zu organisieren und zu betreuen. Es wurde festgelegt, dass das Facility Management dem Museum ein bezugsfähiges, sauberes und sicheres Gebäude zur Verfügung zu stellen habe, in das der Kulturbetrieb seine Kunstwerke einbringen kann.

c) Dritter Realisierungsvertrag Ein dritter Realisierungsvertrag mit abschließenden Regelungen zur Klärung aller noch verbliebener rechtlicher und organisatorischer Fragen steht noch aus.

5. P rozesse 5.1 Ausführung und Beratung Hohe Kostenrelevanz und Fachkompetenz waren für die NMFE die Beauftragungs- und Beratungskriterien zur Umsetzung der vertragsrelevanten Bauaufgaben. Diese beinhalteten Projektsteuerung, Projektabwicklung und Ausführungsplanung ebenso wie die bautechnischen Planungen Sicherheit, Brandschutz und Bauphysik. Einen besonderen Part als externer Berater übernahm Lorenzo Piqueras, Architekt und Experte für den Bereich Museologie aus Paris.

5.2 Vergabe an den regionalen Mittelstand Um für das Bauvorhaben zeitnah Qualitäten umzusetzen, beauftragte die NMFE für sämtliche Schlüsselgewerke bewusst Firmen des regionalen Mittelstandes. Der Philosophie der WOLFF GRUPPE entsprechend wurden Einzelvergaben ausgeführt und keine Generalunternehmerverträge abgeschlossen. Damit wurde einerseits ein enorm erhöhter Koordinierungsaufwand verlangt, andererseits schuf dieses Konzept hohe Flexibilität. Durch die Einzelvergaben war es bereits in sehr frühen Abschnitten der Planung und zum Teil auch währenddessen möglich, bestimmte Gewerke bei den Firmen anzufragen und zeitnah zu beauftragen. So wurde zum Beispiel während des Rohbaus oder beim Bau der Aufzugsanlagen verfahren. Gemeinsam mit den Kulturbauexperten der WOLFF GRUPPE wurden Optimierungsmaßnahmen ausgearbeitet, um das vorgegebene Budget einhalten zu können. Somit wurde es möglich, den Neubau nicht nur innerhalb der festgelegten Zeit, bis Oktober 2009, sondern auch im festgelegten Kostenrahmen fertigzustellen.

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Abbildung 5: Impression Baustelle Museum Folkwang Essen (© WOLFF GRUPPE )

Abbildung 6: Impression Baustelle Innenraum Museum Folkwang Essen (© WOLFF GRUPPE)

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5.3 Architektenverantwortung und städtisches Know-how Während des Bauprozesses wurde von David Chipperfield Architects die gesamte Ausführungsplanung dahingehend geprüft, ob diese dem Entwurfsgedanken des Wettbewerbes entspricht. Danach erfolgten gegebenenfalls Korrekturen oder Freigaben. So wurde sichergestellt, dass die Qualitäten des Gewinnerentwurfes baulich umgesetzt wurden.

5.4 Positives Zeitmanagement und Übergangsszenario Die sukzessiven Einzelvergaben, parallel zur laufenden Ausführungsplanung, waren ein wichtiges Kriterium in der Einhaltung der Zeitplanung. Ein ebenso wichtiger Punkt war das gute und professionelle Zusammenspiel mit den beauftragten Unternehmen und den Architekten von David Chipperfield Architects. Dem Nutzer, das Museum Folkwang, konnte somit in Folge ermöglicht werden • •



das Gebäude ab Oktober 2009 zu beziehen, das Museum am 30. Januar zu eröffnen, und zwar - mit den Präsentationen der Sammlung des 20. und 21. Jahrhunderts, - mit der Fotografischen und der Grafischen Sammlung, - mit dem Deutschen Plakat Museum, die erste Sonderausstellung am 20. März 2010, »Das schönste Museum der Welt – Museum Folkwang bis 1933« vorzubereiten.

Zeitgleich wurden in diesen drei Monaten sämtliche Inbetriebnahmen der Haustechnik und Einregulierungen vorgenommen. Um einen reibungslosen Übergang zwischen Neubau und Betrieb sicherzustellen, wurde entschieden, dass die NMFE das Gebäude auch weiterhin betreiben solle. Dies solange, wie das Museum Folkwang als reiner Nutzer des Gebäudes fungieren werde. Eine Entscheidung für ein Management der kurzen Wege. Ein Unternehmen und somit ein Ansprechpartner für das infrastrukturelle, kaufmännische und technische Gebäudemanagement. Mit diesem Startup-Management des Gebäudebetriebes durch die Verantwortlichen, die auch den Baubetrieb begleitet hatten, wurde der Verlust von Know-how beim Übergang von der Bauphase in die Betriebsphase vermieden.

5.5 Gewährleistung und künftige Übergabe des Museums an die Stadt Um bestehende Mängelansprüche zugunsten der NMFE gegenüber baubeteiligten Firmen direkt verfolgen zu können, wurde das Gebäudemanagement

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ebenfalls von der WOLFF GRUPPE-Tochter F/M ausgeführt. Der Betrieb durch das Unternehmen wurde bereits in den Anfängen von städtischer Seite begleitet. Hierdurch entstand die erforderliche Transparenz innerhalb der bestehenden Strukturen für die spätere Übergabe einer gesamterprobten Ablauforganisation. Das Ergebnis nach fünf Jahren Betrieb zeigt, dass genau dieser Weg zum Erfolg des Gebäudebetriebes führt.

Abbildung 7: Pflege und Erhalt hochwertiger Produkte im Museum Folkwang Essen (© WOLFF GRUPPE)

6. P rojektkommunikation Die Projektkommunikation war das verbindende Element zwischen den unterschiedlichen Akteuren innerhalb der Projektstrukturen und darüber hinaus. Sie war Basis für eine begleitende, kunden- und nutzerfreundliche Öffentlichkeitsarbeit zum Museumsneubau.

6.1 Interne Kommunikation Parallel zur klassischen Projektsteuerung wurde im Rahmen der Verträge die direkte Kommunikation mittels eines Gremiums, der vorgenannten Lenkungsgruppe, eingeführt. Der hier praktizierte, schnelle und direkte Informationsfluss zwischen allen Projektbeteiligten und den Dienstleistern ermöglichte ebenso schnelle Umsetzungen. Hierzu gehörten sowohl Optimierungsmaß-

Der Neubau Museum Folkwang Essen

nahmen zur vorgegebenen Budgeteinhaltung als auch zu den organisatorischen Abläufen. Im Fazit war es eine Kommunikation der Ziele, Fortschritte und Verantwortlichkeiten zum Besten des Projektes.

6.2 E xterne Kommunikation Die Projektkommunikation setzt klare Ziele. Dazu gehören Austausch, Motivation und die Bindung des Projektes unter anderem an den zukünftigen Nutzer und die interessierte Öffentlichkeit. Für die externe Kommunikation zum Neubau des Museum Folkwang bedeutete dies eine professionelle Informationsweitergabe zum Baufortschritt an die Medien. Hierdurch wurde von Anfang an die Identifikation mit dem Museumsneubau unterstützt und die Intention seiner Entwickler und Förderer vermittelt. Die Abstimmung erfolgte zwischen den Beteiligten der Stiftung, der Stadt Essen, dem Museum Folkwang, der David Chipperfield Architects und der NMFE. So entstand eine transparente Kommunikation zu den baulichen Meilensteinen, zur verantwortungsvollen Umsetzung des Budgets und für die »Mitnahme« der Anwohner, Firmen und Institute in direkter Umgebung des Museumsneubaus. Bespielhaft hierfür ein Artikel in der Tagespresse1 über die bevorstehende Fertigstellung des Museums: »… das Umfeld gewinnt an Urbanität und auch die Nachbarn profitieren«.

7. B udget und K ostenmanagement Die im Jahr 2006 durch die Stiftung erfolgte Spendenzusage war unter anderem an die Bedingung gebunden, das neue Museum dürfe keine anderen Sponsoren oder Spendengeber zulassen. Zum damaligen Zeitpunkt entsprach die erstellte Machbarkeitsstudie, ermittelt auf Basis des Baukostenindex (BKI), dem von der Stiftung vorgegebenen Kostenrahmen, aber nicht der hochwertigen Architektursprache eines international renommierten Architekten. Eine weitere Herausforderung im Rahmen des Projektes. Somit wurde den beiden Erstplatzierten, David Chipperfield Architects und David Adjaye Associates, bereits in der ersten Preisgerichtssitzung des Wettbewerbsverfahrens die Vorgabe gemacht, die Entwürfe zielführend zu optimieren.

1 | Aschendorf, Dirk: »Auch die Nachbarn profitieren«, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Neue Ruhr Zeitung vom 18.08.2009.

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7.1 Kostenreduzierung durch Energie-Contracting Ein weiterer Garant, um den Gewinnerentwurf von David Chipperfield Architects in der Gesamtheit seiner Qualitäten umsetzen zu können, war ein Energie-Contracting-Vertrag. Die NMFE schloss einen Vertrag ab, mit dem die Bereitstellung der Haustechnik im Museum Folkwang geregelt wird. Die Refinanzierung dieser Haustechnik wird über den erhöhten Energiepreis innerhalb der nächsten 25 Jahre an den Vertragspartner zurückgezahlt. Weiterhin ist in den Energiekostenzahlungen nicht nur die Wartung und Instandsetzung, sondern auch das Betreiben der Anlagen enthalten. Dazu gehören Anlagen-Erneuerungen bzw. der Austausch von Anlagenteilen im Rahmen der vereinbarten Laufzeit. Somit wird die Stadt Essen mit der abschließenden Übernahme des Museums für die Haustechnik den aus Sicht der Stiftung maßgeblichen Punkt der Nachhaltigkeit des Gebäudes erfüllen. So lässt sich als Abschluss des Neubauprojektes sagen, dass aufgrund dieses Vertrages ein qualitativ hochwertiges und funktionstüchtiges Gebäude im November 2009 an den Nutzer überlassen wurde. Die von der Stadt vorgegebenen Budgetwerte wurden im Zeit- und Qualitätsrahmen eingehalten.

7.2 Instandhaltungsbudgets Für die bauliche Instandhaltung des Gebäudes wurden jeweils zwei Baubudgets gebildet, für die sich die Stadt zu einer treuhänderisch verwalteten, jährlichen Rücklage verpflichtete. Die Rücklagen ermöglichen kleinere Instandhaltungsarbeiten, sogenannte »Schönheitsreparaturen«. Mit dem im Laufe der Jahre darüber hinaus angesparten Geld sind auch größere Reparaturen gesichert. Mit diesen Bauunterhaltungs-Konten und der städtischen Verpflichtung ist auch hier die Forderung der Stiftung zur Nachhaltigkeit im Rahmen der Instandsetzung erfüllt. Der Zukunft des Gebäudes und dem Wunsch der Stiftung wird somit Rechnung getragen. Engpässe im öffentlichen Haushalt zu Instandhaltungsrückständen bei den geförderten Maßnahmen werden so vermieden.

7.3 Risikobudget Die NMFE hatte innerhalb ihrer Budgets ein Risikobudget gebildet. Dieses war für nicht absehbare Risiken aus Abbruch, Baugrund und Schadstoffen, die im »worst case« abzufangen wären, vorgesehen. Nachdem sich diese Risiken geringer darstellten, ergab sich hieraus eine gewisse Handlungsfreiheit für die NMFE. Planungsveränderungen, Nutzungsanpassungen und die Erfüllung sowohl funktionaler als auch architektonischer Wünsche konnten so im laufenden Prozess durch die NMFE ermöglicht werden. Teilweise wurde aus diesem Budget auch die Museumsausstattung, unter anderem Regal- und

Der Neubau Museum Folkwang Essen

Kompaktanlagen in den Depots sowie die Ausstellungs- und Büromöblierung, finanziert und abgedeckt. Relativ unkompliziert wurde es so möglich, zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme bzw. des Einzuges des Museums in den Neubau einen Teil der notwendigen Ausstattung bereitzustellen.

Abbildung 8: Impression Baustelle Museum Folkwang Essen: Widmung an die Bürger (© WOLFF GRUPPE)

8. B auherr -F a zit In der Retrospektive erscheint es geradezu zwingend, das Neubauprojekt des Museum Folkwang Essen als Erfolgsmodell zu betrachten. Zu Recht, denn das Ergebnis spricht für sich. Und doch, für den Bauherrn NMFE war der Museumsneubau eine deutliche Herausforderung. Ich nahm sie an, weil ich mir sicher war, dass alle Beteiligten das Projekt im Rahmen des beschriebenen Bauherrenmodells erfolgreich umsetzen können. Voraussetzungen hierfür waren • • • • •

die Erfahrungen mit dem und das Vertrauen in den regionalen Mittelstand, der Mut, als Bauherr ins Risiko zu gehen, eine stringente Projektsteuerung, harte, aber faire Diskussionen zur Einhaltung des Budgets und durchdachte Entscheidungen, auch unter Zeitdruck.

Das ist uns gelungen.

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9. Z itate der P rojekt -U nterstüt zer und -M itstreiter Aus den Editorialbeiträgen »Eröffnungszeitung« vom Museum Folkwang, erschienen mit dem Titel »Eröffnung des Neubaus. Essen Januar – März 2010« Reinhard Paß2 »Es ist der Leistung des Architekten und insbesondere der Planer hier vor Ort zu verdanken, dass dieser fantastische Bau rechtzeitig zu Beginn der »Kulturhauptstadt Europas 2010« fertiggestellt wurde – und das in dieser Qualität.« Prof. Dr. h. c. mult. Berthold Beitz3 »Der glanzvolle Neubau – ein Geschenk der Stiftung an die Essener Bürger – ist ganz im Sinne Alfried Krupps. […] Die Durchführung des Bauvorhabens gilt unter Kennern kommunaler Projekte als einmalig. Die Vorgaben – eine auf zwei Jahre befristete Bauzeit und die Summe von 55 Millionen Euro – wurden eingehalten.« Dr. Hartwig Fischer4 »Die eigentliche Dimension dieses Geschenks stand von Beginn an vor Augen: Einem der bedeutendsten Museen in Deutschland mit einem hervorragenden Neubau eine Zukunft zu geben, einen Ort zu schaffen, der die Begegnung mit den Werken der Sammlung ermöglicht und die Besucherinnen und Besucher zur Auseinandersetzung mit der Kunst, der Kunst der Vergangenheit und der Kunst der Gegenwart, inspiriert. […] Die Planungen wurden in intensiver Kooperation vorangetrieben, getragen von der Begeisterung und dem Engagement aller Beteiligten.«

2 | Vom 22. Oktober 2009 bis 20. Oktober 2015 amtierender Oberbürgermeister der Stadt Essen. 3 | Vorsitzender und geschäftsführendes Mitglied des Kuratoriums der Stiftung vom 1. Januar 1968 bis 30. Juli 2013 †. 4 | Von 2006 bis 2011 Direktor am Museum Folkwang in Essen, seit 2012 Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, im September 2015 zum neuen Direktor des British Museum, London, ernannt.

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Abbildung 9: Von links: Reinhard Paß, David Chipperfield, Prof. Dr. h. c. mult. Berthold Beitz, Klaus Wolff, Prof. Ute Eskildsen, Dr. Wolfgang Reiniger, Alexander Schwarz, Dr. Hartwig Fischer (© Peter Wieler, Essen)

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Inhalt 1. Der Betrieb gehört in den Kanon der Kernaufgaben eines Museums – eine Einführung | 195 2. Die zentralen Bausteine für einen erfolgreichen Betrieb | 198 2.1 Einführung | 198 2.2 Die Architektur | 198 2.3 Die Rechtsform | 199 2.4 Die Auswahl und Qualifikation des Managements | 199 2.5 Das Personal | 200 2.6 Die Strategie | 202 3. Partnerschaftsmodelle als Option | 202 3.1 Allgemeine Vorteile einer Partnerschaft für den Betrieb in Kultureinrichtungen | 202 3.2 Was ist zu beachten – in Planungsphase, Startphase und im laufenden Betrieb? | 205 3.3 Ein beispielhaftes Partnerschaftsmodell: die Servicegesellschaft | 206 4. Fazit | 207

1. D er B etrieb gehört in den K anon der K ernaufgaben eines M useums – eine E inführung Der Kanon muss geändert werden. Es ist überholt, wenn Museumsfachleute immer wieder die alte ICOM-Definition des Museums wie ein Mantra wiederholen: Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen. Dem Ausstellen wird ab und an das Vermitteln zur Seite gestellt. Dem Forschen gesellt man das Dokumentieren hinzu. Doch auch die Digitalisierung ist eine der Hauptaufgaben geworden, vielleicht sogar die Provenienzforschung. Aber allem voran sei die Aufnahme des Betreibens eines Museums in den Kanon der Museumsdefinition gefordert. Vom Betreiben hängt die Wirtschaftlichkeit ebenso ab wie die Nachhaltigkeit; diverse Beispiele haben gezeigt, dass der Betrieb die Gesamt-

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sicht der Besucher auf eine Kultureinrichtung ebenso stark prägt wie die inhaltlichen Komponenten. Das gilt aber beispielsweise ebenso für die politische Betrachtung. Schließlich schauen auch die Geldgeber, in der Regel Kommunen, Länder und der Bund, immer genauer auf die Zahlen. Der Betrieb einer Kultureinrichtung ist eine sehr komplexe Aufgabe, die zwischen inhaltlichem Anspruch und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Balance gehalten werden muss. Und selbst wenn der Bedarf und die Abläufe bezüglich des Betreibens klar formuliert sind, gilt es noch viele Hürden zu nehmen. Regelmäßig steigende Personalkosten auf Grund von Tarif- und Lohnerhöhungen sowie die stetig erhöhten Energiekosten sind zwei der größten – und alle Kultureinrichtungen betreffenden – Herausforderungen. Aus dem Kostendruck folgt für viele Institutionen akuter Handlungsdruck. Die zukünftige Schuldenbremse wird die Situation keinesfalls entspannen – im Gegenteil. Der Umgang in den Kulturinstitutionen mit diesem Thema ist höchst unterschiedlich. Wie kann eine Kultureinrichtung ihren Bedarf feststellen und das Optimale aus den Rahmenbedingungen herausholen? Einige Einrichtungen sind sehr professionell aufgestellt und unterhalten eigene Abteilungen für die Betreuung des Gebäudemanagements und den Betrieb. Andere haben jedoch nicht die personellen Kapazitäten, um hier strategisch vorgehen zu können. Dann bietet es sich an, diese Leistung extern einzukaufen: als einzelne Dienstleistung, im Dienstleistungspaket vorzugsweise mit Managementaufgaben oder als komplettes Managementmodell wie bei einer Servicegesellschaft (näher dazu unten). Erfolgreiche Best-Practice-Beispiele gibt es bereits einige. Beispiele für Servicegesellschaften mit privatem Partner im Kulturbereich sind etwa die Ehrenhof-Servicegesellschaft der Stiftung Museum Kunstpalast, die Fridericus Servicegesellschaft der Preußischen Schlösser und Gärten mbH der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg und die Subsidiarius Servicegesellschaft der Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt und der Stiftung Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt. Allesamt sind sie in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) gestaltet. Servicegesellschaften ohne Partner haben beispielsweise der Landschaftsverband Rheinland (LVR) mit der Rheinland Kultur GmbH oder die Stiftung Stadtmuseum Berlin mit der Stadtmuseum Berlin GmbH. In Österreich sei die Schloß Schönbrunn Kultur- und Betriebsgesellschaft genannt, die bereits seit über 20 Jahren existiert und sogar schwarze Zahlen schreibt. Gewiss ist diese Gesellschaft nicht eins zu eins vergleichbar mit den anderen, unter anderem weil hier große Besucherströme hohe Einnahmen bringen und kein wissenschaftlicher Apparat wie in vielen anderen kulturellen Einrichtungen unterhalten werden muss. Auch die Stiftung Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen hat – zunächst konzentriert auf das Sponsoring und Eventpakete – die Vorteile erkannt und

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diesen Bereich der eigenen ArtPartner Relations GmbH übertragen. Bei den Staatlichen Museen zu Berlin ist die Museum und Location GmbH des Vereins der Freunde der Nationalgalerie mit der Vermittlung von Räumlichkeiten und Eventservices ein positives Beispiel für das Outsourcing. Ob mit oder ohne privaten Partner: Ein Blick von außen kann stets sehr sinnvoll sein. Denn wer einmal die Abläufe koordiniert, die Anforderungen der verschiedenen Abteilungen analysiert und so den Betrieb optimiert, der kann Geld- und Reibungsverluste vermeiden. Und wenn mit privater Beteiligung vorgegangen wird, dann sollte man sich einen Partner ins Haus holen, der sich auf dem speziellen Gebiet der Kultureinrichtung auskennt. Ansonsten werden hier schnell praxisferne Optimierungsvorschläge entwickelt, die dem eigentlichen Anspruch der Institution zuwiderlaufen. Im Jahr 2006 haben ICOM-Deutschland und der Deutsche Museumsbund die Standards für Museen neu definiert. Den oben genannten Kernaufgaben Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen wurden die Aspekte dauerhafte institutionelle und finanzielle Basis, Leitbild und Museumskonzept, Museumsmanagement sowie qualifiziertes Personal vorangestellt. Doch bislang wurde dies noch viel zu wenig rezipiert. Auf der Webseite des Museumsverbandes Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise finden sich noch unverändert die alten Werte: Die Kernaufgaben der Museen sind das Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln. Auch das LWL-Industriemuseum definiert sich so im Profil – um nur zwei von zahlreichen Beispielen herauszugreifen. Das Betreiben muss Teil des Kanons werden, damit es nicht immer separat betrachtet wird. Dies wird auch die Arbeit der Geschäftsführer, der technischen oder kaufmännischen Direktoren erleichtern, die doch häufig ein wenig außerhalb des »Normalbetriebs« gesehen werden. Und die der »All-in-one«Direktoren sowieso, die schon heute einen Großteil ihrer Energie und Arbeitszeit den Themen des Betreibens widmen müssen, ob sie nun wollen oder nicht. Wir wollen in der Folge einen Blick auf die wichtigsten Bausteine für einen erfolgreichen Betrieb werfen. Dazu gehören neben der Architektur und der Rechtsform – beide in der Regel schwer zu verändern – die leichter gestaltbaren Aspekte »Auswahl und Qualifikation des Managements« und als weitere zentrale Bereiche das Personal sowie die Strategie. Danach geht es um die zentralen Lösungsansätze für die Herausforderungen der kommenden Jahre. Partnerschaftsmodelle sollten unbedingt als mögliche Option geprüft werden. Es werden einige Vorteile für diesen Weg aufgeführt. Doch was ist zu beachten – in der Planungsphase, der Startphase und im laufenden Betrieb? Dem Blick auf Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit externen Partnern folgt schließlich die detailliertere Vorstellung eines erfolgreich praktizierten Partnerschaftsmodells: die Servicegesellschaft.

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2. D ie zentr alen B austeine für einen erfolgreichen B etrieb 2.1 Einführung Auch wenn die Museen in erster Linie dem Gemeinwohl dienen sollen, spielt die Wirtschaftlichkeit eine immer größere Rolle. Schließlich steigen die Kosten von Jahr zu Jahr – angefangen bei den Personalkosten mit Lohnerhöhungen über die Instandhaltungskosten bis zu den Energiekosten. Andererseits gibt es den jährlichen Kampf um die öffentlichen Gelder sowie Zuschüsse aus anderen Quellen. Auch die Eintrittsgelder können nicht endlos erhöht werden. Um all dem gerecht zu werden, müssen die Grundlagen für einen verantwortungsvollen und nachhaltigen Betrieb stets überdacht werden. Wegweisend sind hierbei der Museumsbau beziehungsweise die Architektur mit ihren Folgekosten, die Wahl der Rechtsform, die Auswahl und Qualifikation des Managements sowie die Strategie für den Betrieb.

2.2 Die Architektur Für den Betrieb ist die Architektur einer Kulturimmobilie eine immens wichtige Grundkoordinate. Technik-, Energie- und Personaleinsatz hängen zum wesentlichen Teil von den baulichen Gegebenheiten ab. Hier werden die entscheidenden Weichen für das Budget gestellt, das die Kultureinrichtung in der Folge dauerhaft belastet. Wirtschaftlichkeit und Qualität werden ausgeprägt. Eine besonders große Herausforderung stellt die Tatsache dar, dass die Immobilien häufig nicht den Kultureinrichtungen selbst gehören, sondern von anderer Stelle verwaltet werden. Das Immobilien-Management vertritt in der Regel nicht die gleichen Interessen wie die Kultureinrichtung. Dadurch entstehen Informationsverluste und Interessenkonflikte. In der Praxis kommen selten alle Wünsche der Nutzer einer Immobilie in die Leistungskataloge, so dass es später Unstimmigkeiten geben kann, die hätten vermieden werden können. Dass am Ende die Intervalle der Reinigung, die Ausbildung der Mitarbeiter oder das gastronomische Angebot nicht dem entsprechen, was sich die Betreiber einer Kultureinrichtung wünschen, verwundert letztlich nicht. Der Alltag der meisten Kulturinstitutionen ist auf diesem Gebiet von Zwängen und Provisorien geprägt. Einerseits sind viele Gebäude alt und es fehlen Gelder für die notwendigsten Investitionen. Andererseits muss man aber auch feststellen, dass Neu- und Umbauphasen nur unzureichend dafür genutzt werden, Unterhalts- und Betriebskosten zu optimieren. Schließlich sollen Kulturbauten in erster Linie hohen ästhetischen Anforderungen entsprechen. Dass dann die exklusiven Materialien nicht für die dauerhafte Beanspruchung geeignet sind, dass Glasflächen nur unter immensem Aufwand erreicht und ge-

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reinigt werden können oder dass nicht genügend Räumlichkeiten eingeplant werden, die für die betrieblichen Abläufe hinter den Kulissen notwendig sind – all das ist eher die Regel als die Ausnahme. Auch gibt es vielerorts einen Investitionsstau, dringend notwendige Instandhaltungen können nicht durchgeführt werden oder reißen Löcher in die Etats. Und auch wenn man die alten Gebäude herrichtet, so kann in der Regel nicht eine hinreichende Basis für den modernen Betrieb mit all den Erfordernissen im technischen Ablauf und für die Erwartungen der Besucher gesteckt werden. In der Folge wird dann häufig für Großveranstaltungen mit entsprechendem Etat ein Provisorium finanziert, das langfristig für die Einrichtung keine Vorteile bringt. Auch wenn man aus alten Gebäuden keine neuen Gebäude machen wird, so kann man durch langfristige Planungen doch einen Stand erreichen, der zufrieden stellt. Wenn aber wegen kurzfristig zur Verfügung stehender Gelder Maßnahmen vorgenommen werden, die später wieder rückgängig gemacht werden müssen, so ist das widersinnig und unökonomisch.

2.3 Die Rechtsform Von der Rechtsform hängen Flexibilität und Selbständigkeit ab. Ist man im Regiebetrieb stark reglementiert, so ist der Eigenbetrieb bereits variabler zu gestalten und die Eigengesellschaft, beispielsweise als Stiftung oder GmbH, bietet nochmals weitere Unabhängigkeit. Und wer positive wirtschaftliche Resultate umgehend abführen muss, wie es beispielsweise beim Wallraf-Richartz-Museum vor einigen Jahren der Fall war, als der städtische Betriebskostenzuschuss nach erfolgreichem Wirtschaften prompt um mehr als zehn Prozent gekürzt wurde, der weiß, wovon hier die Rede ist. Allgemein hat das Museum aber von der Umwandlung in eine eigenbetriebsähnliche Einrichtung profitiert, wie eine Studie der Boston Consulting Group ergeben hat. Dieser Aspekt kann an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Wer jedoch die Möglichkeiten einer Neustrukturierung hat, sollte sich unbedingt mit den verschiedenen Optionen befassen und auch hier nach Best-Practice-Beispielen und eventuell nach externem Rat Ausschau halten.

2.4 Die Auswahl und Qualifikation des Managements Ist die Sammlung das Herz eines jeden Museums, so ist das Personal der Kopf desselben. Die Bedeutung vor allem des Führungspersonals kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Anforderungen sind groß, schließlich soll der Leiter des Museums, egal ob als alleinige Spitze oder im Team von künstlerischem, kaufmännischem und vielleicht sogar technischem Direktor, sowohl wissenschaftlich als auch wirtschaftlich denken können, von der sozialen Kompetenz und der Führungskompetenz ganz zu schweigen. Neben der

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Leitung der Einrichtung und der Führung der Mitarbeiter gehören beispielsweise die strategische Planung, die konzeptionelle Arbeit, Netzwerkarbeit, Forschung und Publikationen, aber auch Öffentlichkeitsarbeit und Akquise von Drittmitteln zu den Standardaufgaben. Die Auswahlverfahren sollten hier auf ihre Angemessenheit und Aktualität geprüft werden. Es kann durchaus sinnvoll sein, dabei auf Spezialwissen aus der Wirtschaft zurückzugreifen.

2.5 Das Personal Da in vielen Kultureinrichtungen 60 bis 80 Prozent des Budgets für Personalkosten aufgewendet werden, sollte auch eine detaillierte Planung des Personalbedarfs für den laufenden Betrieb stattfinden. Synergien beim Personaleinsatz können beispielsweise in den Bereichen Kasse, Einlass, Information, Garderobe, Audioguide-Ausgabe, Museumsshop und Gastronomie erreicht werden.

Abbildung 1: Der Einsatz von Personal und das Personalmanagement gehören zu den aufwendigsten und kostspieligsten Bereichen in einem Kulturbetrieb. Die Dussmann Group bietet als einer der Dienstleister in diesem Bereich externes Personal u.a. für die rot markierten Positionen (© Dussmann Group)

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Auswahl, Qualifikation und Weiterbildungen sind nicht nur elementare Aspekte für die Führungspositionen in einem Museum, sondern für das gesamte Personal. Egal ob hier eigene Mitarbeiter eingesetzt werden, Mitarbeiter einer anderen Firma oder einer eigenen Betriebsgesellschaft – die Kontakte zwischen Museumspersonal und Besucher sind entscheidend für das Erlebnis Museumsbesuch. Ob an der Tür zur Orientierung, an der Kasse beim Kauf eines Tickets, bei der Suche nach Garderobe oder WC oder beim Kaffee in der Ruhepause: Das serviceorientierte Denken und Handeln ist keinesfalls selbstverständlich und bei dem sehr heterogenen und anspruchsvollen Publikum auch nicht immer einfach. Doch mit entsprechenden Schulungen und der dauerhaften intensiven Steuerung und Unterstützung des Personals kann hier der Grundstein für eine positive Grundeinstellung gelegt werden. Weiterbildungen und Entwicklungsperspektiven sind von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Dies erhöht die Motivation und verbessert die Qualität. Schließlich gilt wie in anderen Bereichen auch: Motivierte Mitarbeiter sind die Grundlage für den dauerhaften Erfolg einer Kultureinrichtung. Und die geringe Entlohnung für eine Tätigkeit im anspruchsvollen Umfeld ist nicht stimulierend. Andere Faktoren müssen hierfür sorgen. Da ist zunächst einmal die Betreuung des Personals zu nennen, also der Kontakt zwischen den Kollegen und die Zuverlässigkeit des Arbeitgebers (u.a. in punkto Zahlung der Löhne) sowie die Ausstattung des Personals mit aktueller Technikausrüstung und angemessener Kleidung. Wenn alles stimmt und idealerweise durch Schulungen und Weiterbildungen auch gewisse persönliche Entwicklungsmöglichkeiten geboten werden, dann ist der Grundstein für motiviertes Arbeiten und die Identifikation mit dem Auftraggeber Museum und der eigenen Tätigkeit gelegt. Darin liegt in der Praxis eine der zentralen Herausforderungen. Denn die Identifikation entsteht nicht nur über das Firmenschild auf dem Dienstausweis. Auch wenn natürlich im besten Fall eine einheitliche Kleidung besteht, die Corporate Identity des Museums erkennbar ist oder eine (Betriebs-)Gesellschaft bei allen Mitarbeitern für Einheitlichkeit sorgt. Wenn diverse Gewerke outgesourct sind und alle Personen in der Einrichtung mit unterschiedlicher Dienstkleidung und eigenen Firmenschildern herumlaufen, dann ist das keine besonders gute Basis für einen homogenen Außen-Auftritt. Ein spezielles Augenmerk muss auch darauf gerichtet werden, dass das Personal sich nicht stärker mit der Kultureinrichtung als mit dem eigenen Arbeitgeber identifiziert, denn auch dadurch entstehen häufig Spannungen. Schließlich muss die Führung der Mitarbeiter eindeutig durch ihren Arbeitgeber vorgenommen werden. Hier gibt es immer wieder Grauzonen – auch bedingt durch eine Mischung von eigenen Mitarbeitern und Mitarbeitern eines Dienstleisters – und es kann im schlimmsten Fall dazu kommen, dass die Mitarbeiter sich von ihrem Auftraggeber abwenden und versuchen, sich bei der Kultureinrichtung

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einzuklagen, wie es zuletzt etwa bei der Stiftung Jüdisches Museum in Berlin der Fall war.

2.6 Die Strategie Ein Großteil der Kultureinrichtungen ist insbesondere bei vorgeschriebenen Ausschreibungen und Vergaben durch das Vergaberecht stark eingeschränkt. Die Komplexität der Ausschreibungen hat stark zugenommen und in gleichem Maße scheint die Anzahl der Rügen und Nachprüfungsverfahren angestiegen zu sein. Doch selbst die hiervon betroffenen Einrichtungen können durch eine Gesamtstrategie den Betrieb in ihrem Sinne entwickeln. Ob das gesamte Management oder einzelne Aufträge und Gewerke – die Fragen nach interner oder externer Lösung, nach Rhythmen und Fristen, nach Einzelvergabe oder Vergabe in Paketen beziehungsweise Gesamtvergabe, nach möglichen Synergien und Reduzierung von Schnittstellen sollte sich jeder Zuständige stellen. Gesichtspunkte wie Effektivität beispielsweise durch zentrale Steuerung und Nachhaltigkeit durch Vermeidung von Know-how-Verlusten, etwa häufigem Wechsel von Personal und Technik, können erhebliche Verbesserungen mit sich bringen. Können Branchentarife oder Einkaufskonditionen etwas bewirken? Wie kann das Know-how auf dem aktuellen Stand gehalten und die Identifikation der Mitarbeiter verbessert werden? Hier sollen nur einige Beispiele herausgegriffen werden, um für die Problematik zu sensibilisieren. Zentrale Kriterien sollten ein Integriertes Managementsystem mit Qualitätsmanagement (nach der ISO 9001 oder dem EMAS), Umweltmanagementsystemen (etwa nach der ISO 14001), Arbeitssicherheitsmanagementsystemen (etwa nach OHSAS 18001), Lebensmittelsicherheit nach ISO 22000 und Sicherheitsdienstleistungen nach DIN 77200 sein. Neben den in der Regel abgefragten Referenzen sind Zertifizierungen, ein nachweisbares (möglichst auch zertifiziertes) Projektmanagement und der Aspekt der Nachhaltigkeit von elementarer Bedeutung. Auch die Optimierung von Prozessen sollte thematisiert werden.

3. Partnerschaf tsmodelle als O ption 3.1 Allgemeine Vorteile einer Partnerschaft für den Betrieb in Kultureinrichtungen Welcher Museumsdirektor – ob umfassend alleinentscheidend, mit künstlerischer oder kaufmännischer Zuständigkeit – kann sich regelmäßig mit den vielen Aspekten im Betrieb seiner Kultureinrichtung auseinandersetzen? Wer kann es (sich) leisten, alles selbst zu organisieren und sich dabei stets auf dem Laufenden zu halten? Wer wenig anderes in seinem Hause zu erledigen hat,

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der kann hier vielleicht noch gute Arbeit verrichten. Für die meisten allerdings ist es sehr ratsam, sich Freiräume zu verschaffen, indem man auf Partner zurückgreift, die sich mit den entsprechenden Themen tagtäglich beschäftigen. Diese sind häufig flexibler und auch effektiver. Und letztlich kann man sehr wohl dosieren, wieweit man das Heft in der Hand behält oder aus der Hand gibt. Was kann solch ein Partner möglicherweise besser? Nun, das hängt natürlich von vielen Faktoren ab, aber idealerweise wird er mit Branchentarifen entlohnen, was wettbewerbsfähige Tarifstrukturen ermöglicht. Der Partner wird als Großabnehmer gute Einkaufskonditionen haben, was etwa bei Reinigungsmitteln oder im gastronomischen Betrieb durchaus eine größere Summe als Einsparpotential bedeuten kann. Auch ist ein Unternehmen in der Lage, das Know-how in den einzelnen Bereichen stets aktuell zu halten und idealerweise sogar gemeinsam mit weiteren Spezialunternehmen kundenspezifische Lösungen zu entwickeln. Die Zuständigkeit für mehrere Bereiche ist in der Regel nachhaltiger durch gemeinsame Steuerung und eine Reduzierung diverser Verluste: Know-how-Verlust, Personal-Verlust, möglicherweise TechnikVerlust. Neben dem Aspekt der Einsparmöglichkeiten sollten natürlich die Qualität und die Leistungen im Fokus stehen. Sind die Prozesse optimiert, die Leistung stimmt und die Steuerung funktioniert, dann kann man auch gemeinsam mit dem Partner weitere Einnahmequellen erschließen. Hier sollte man beispielsweise Fundraising und Sponsorensuche, Merchandising und Betrieb von Museumsshop und Museumsgastronomie analysieren und gegebenenfalls entwickeln. Der Besucherservice ist das Herz einer jeden Kultureinrichtung, da die meisten Besucher ihren Wohlfühlfaktor ganz gewiss besonders daran messen, welchen anderen Menschen sie im Museum begegnet sind. Der Einzelbesucher wird sich über freundliche Worte oder Blickkontakte freuen, die Gruppe über entspanntes Personal auch in stressigen Momenten. Hierfür gibt es im Übrigen Spezialausbildungen, die in ein Gesamtkonzept gehören und von Partnerunternehmen vermutlich besser geleistet werden können als von jeder Kultureinrichtung in Eigenregie. Auch IT-Dienstleistungen, das Marketing oder gar ganze Ausstellungen, wie beispielsweise eine komplette Gebrüder Grimm-Ausstellung in Kassel (Hessische Landesausstellung 2013) mit einem Generalunternehmer, können Bestandteil der Leistungen sein. Interessant sind gewiss auch die partnerschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten im Bereich Hausmeisterdienste und technisches Gebäudemanagement. Museen haben schließlich besondere Anforderungen. Das liegt einerseits an den denkmalgeschützten alten Bauten oder den hochmodernen neuen Bauten – in der Regel außergewöhnliche Architektur. Das liegt aber auch an den wertvollen und häufig empfindlichen Ausstellungsstücken. Als Beispiele

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seien nur der Brandschutz und die Objektsicherung genannt, beziehungsweise die Klimatisierung mit gleichbleibender Luftfeuchtigkeit. Das kann selbst auf die Reinigung Auswirkungen haben, schließlich hat das Wischen der Böden oder Glasscheiben mit Wasser auch Einfluss auf das Raumklima. Wenn der Hausmeister oder der Gebäudetechniker allerdings in all den komplexen Gegebenheiten lediglich derjenige ist, der zum Telefon greift und die Spezialunternehmen anruft, dann sollte man auch in diesem Punkt die Effektivität hinterfragen. Letztlich muss sich jede Institution mit dem Thema Outsourcing des Personals intensiv beschäftigen. Kann man mit eigenem Personal das Management und die Ausführung der Gewerke wettbewerbsfähig realisieren? Könnte man beispielsweise durch bessere Einkaufskonditionen erhebliche Summen einsparen? Hat man die Leistungen in zahlreichen Einzelverträgen vergeben, so ist hier ein umfangreicher bürokratischer Apparat notwendig, denn die Auswahl und Betreuung der manchmal mehr als zehn unterschiedlichen Dienstleister in einer Kultureinrichtung ist aufwendig und von vielen alltäglichen Herausforderungen geprägt. Eine Lösung dieses Problems könnte in einem Partnerschaftsmodell liegen, das den Anforderungen sowohl der Kultureinrichtung als auch der möglichen Partner aus der Wirtschaft Rechnung trägt. Eine umsatzsteuerliche Organschaft etwa bedeutet die Wiedereingliederung der Dienstleistungen, da hier – beispielsweise – gemeinsam mit einem Unternehmen als Minderheitsgesellschafter eine GmbH gegründet wird. Die Federführung liegt dabei eindeutig bei der Kultureinrichtung, so dass man quasi von einem Re-Insourcing sprechen kann, wenn die Aufgaben zuvor durch externe Dienstleister erledigt wurden. Kostentransparenz, die Sicherstellung eines professionellen Know-how-Transfers sowie gegebenenfalls der Wegfall der Umsatzsteuer auf die Personalkosten sind dabei nicht zu vernachlässigende Argumente. Seit dem »Mannheimer Urteil« ist auch das Thema Führungen wieder oben auf der Tagesordnung der Kultureinrichtungen. Die Deutsche Rentenversicherung hatte das Technoseum Mannheim vor dem Sozialgericht Mannheim auf Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen für Honorarkräfte verklagt, die Führungen und andere besuchernahe Aufgaben im Museum durchgeführt hatten. Zwar wurde in einem folgenden Musterprozess vor dem Landessozialgericht dem Technoseum Recht gegeben, aber das Thema ist – insbesondere in Baden-Württemberg – damit noch längst nicht vom Tisch. Auch das Technoseum hat reagiert und diesen Bereich nun überwiegend über einen Dienstleister organisiert. Handelt es sich also tatsächlich um Scheinselbständigkeit, so muss für die bislang gepflegte Praxis der freien Mitarbeiter – meist überwiegend Studenten – eine neue Lösung gefunden werden. Erste Beispiele haben gezeigt, dass hierfür die Umsetzung mithilfe eines Unternehmens ein Ausweg aus dem Dilemma sein kann. Es gibt Partner, die auf diese

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Bereiche spezialisiert sind u.a. für die Personalsuche, die Aus- und Weiterbildung des Personals sowie das Management des Personals, um nur einige Beispiele zu benennen.

3.2 Was ist zu beachten – in Planungsphase, Startphase und im laufenden Betrieb? Wer sich lange bindet, der sollte gut planen und prüfen. Erfolgsfaktoren für erfolgreiche Partnerschaften sind eine sorgfältige Vorbereitung und Konzeption sowie die konsequente Implementierung und Weiterentwicklung. Das Leistungsportfolio sollte nicht nur gut entwickelt sein, es sollte auch Raum für zukünftige Veränderungen lassen. Schließlich macht es durchaus Sinn, eine Partnerschaft mit den Jahren auszubauen und gemeinsam nach Möglichkeiten zu schauen, in welchen Bereichen die Vorteile über die bestehenden Gewerke hinaus genutzt werden können. Hierbei hilft ein durchdachtes Veränderungsmanagement. Um für beide (oder auch mehr) Partner einen Anreiz zu bieten, sollte es in den Verhandlungen auch um Bonusregelungen und eine gerechte Risikoverteilung gehen. Im Service-Level-Agreement (SLA) sollten diese festgelegt werden. Für den kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) und Innovationen sind derartige Anreize für beide Partner wegweisend. Strategisch wie auch operativ erleichtern klare Schnittstellen- und Führungsdefinitionen das spätere alltägliche Zusammenarbeiten. In den einzelnen Bereichen sind in der Startphase Auswahl und Ausbildung des Personals, dessen Ausstattung mit Kleidung und Ausrüstung mit Technik für die zukünftige Leistungserfüllung entscheidend. Schließlich hängen hiervon die Leistungsbereitschaft, Motivation und Leistungsfähigkeit entscheidend ab. Ein dezidiertes Change Management erleichtert die ersten Schritte. Schließlich müssen Ängste genommen werden und eventuell Mitarbeiter ihren Arbeitgeber wechseln. Allein die Tatsache, dass es eine Veränderung gibt, kann bei einem Teil des Personals zu Verunsicherung führen. Im laufenden Betrieb hilft dann wie angesprochen ein gutes Qualitätsmanagement. Weiterbildungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten steigern die Motivation sowie die Produktivität und führen im Idealfall zu einer Reduzierung der Fehlzeiten. Hierdurch wird auch die Identifikation erhöht. Gleiches gilt für sehr spezialisierte Weiterbildungen, etwa im Bereich Restaurierung oder Kommunikation. Bei entsprechender Vermittlung der Vorteile fühlt sich das Personal gut begleitet und motiviert. All dies ist notwendig, da es sich zumeist um eine Tätigkeit im anspruchsvollen Umfeld mit geringer Entlohnung handelt.

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3.3 Ein beispielhaftes Partnerschaftsmodell: die Ser vicegesellschaft Die Servicegesellschaft ist eine umsatzsteuerliche Organschaft, etwa in der Rechtsform einer GmbH. Sie ist eine ernst zu nehmende Alternative für die Organisation der Dienstleistungen. So holt sich eine Einrichtung externes Know-how für Management und Dienstleistungen in das Haus. Anders als bei der herkömmlichen Vergabe an externe Dienstleister spart die Institution die Umsatzsteuer auf die Personalkosten, was bei größeren Ausgaben im Dienstleistungsbereich zu erheblichen Einsparungen führt. Und man kann sich auf die Geschäftsführung sowie seine eigenen Kernprozesse konzentrieren. Neben der seit 2010 bestehenden Ehrenhof-Servicegesellschaft ist die Dussmann Group bereits seit 2006 in der Fridericus Servicegesellschaft (FSG) gemeinsam mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) engagiert. In einer Wirtschaftlichkeitsanalyse für die ersten Jahre konnte der Erfolg in Zahlen nachgewiesen werden. Mehr als zehn Prozent gegenüber den Kosten, die unter den vorherigen Voraussetzungen angenommen wurden, konnten eingespart werden. Dabei wachsen die Einsparungen dynamisch. Mindestens genau so wichtig wie die finanzielle Entlastung sind aber die qualitativen Verbesserungen. So profitiert die Institution nicht nur von der Kostentransparenz, sondern insbesondere von der Personalführung. Es wächst über die Jahre ein Stamm an Mitarbeitern heran, der sich stärker als sonst mit seinem Haus identifiziert. Einige weitere Vorteile des Betriebsführungsmodells: Synergien durch Bündelung aller tertiären Dienstleistungen und Standardisierung der Leistungssegmente sowie wettbewerbsfähige Tarifstrukturen bei allen Beschäftigten der Servicegesellschaft. Auch die Prozesse wurden optimiert und die FSG im Oktober 2010 vom TÜV nach der DIN ISO 9001:2008 zertifiziert. Ausgangssituation im Jahr 2005 bei der Fridericus Servicegesellschaft: 72 historische Gebäude, 32 Museumsschlösser, 15 Gartenanlagen mit 730 Hektar Gartenfläche, rund zwei Millionen Besucher pro Jahr in den Schlössern, etwa fünf Millionen Besucher pro Jahr in den Gärten, fünf Verträge mit externen Dienstleistern. Bei gleich bleibenden Zuschüssen musste die Stiftung allerdings immer mehr Aufgaben übernehmen. Durch die Gründung der Servicegesellschaft konnte für die Stiftung der Stellenplan um die Stellen der übergeleiteten Beschäftigten entlastet werden. Das führte zu einem neuen Handlungsspielraum in den traditionellen Kernprozessen. So konnten etwa Stellen in EDV, Marketing oder Restaurierung geschaffen werden. Gegründet wurde die GmbH durch die SPSG (Mehrheit) sowie die Dussmann Group. Die SPSG stellt den Geschäftsführer, die Dussmann Group den Prokuristen, der für die Sicherstellung des operativen Geschäfts verantwortlich ist. Das Dienstleistungsportfolio der GmbH ist über die Jahre gewachsen.

Der Betrieb als Kernaufgabe

Mittlerweile werden folgende Dienstleistungen angeboten: Schlossführungen, Kassen- und Infodienste, Aufsichts- und Garderobendienste, Freiwilliger Parkeintritt (Besucherbetreuer), Parkplatzsicherung inklusive technischer und kaufmännischer Betreuung der Ticketautomaten sowie Gebäude- und Kunstgutreinigung mit 400 bis 700 Mitarbeitern – unterschiedlich nach Haupt- und Nebensaison – und einem Gesamtumsatz von über zwölf Millionen Euro jährlich. Zusätzlich zu den Basisaufgaben werden auch Sonderprojekte gestemmt, etwa große Sonderausstellungen im Luisenjahr 2010 oder die FriederisikoAusstellung zum 300-jährigen Geburtstag Friedrichs des Großen im Neuen Palais in Potsdam.

4. F a zit Für manch eine kulturelle Einrichtung kann das Betriebsführungsmodell Vorteile bieten. Zunächst muss man sich insbesondere folgende Fragen stellen: Gibt es eine aufwendige Steuerung von verschiedenen externen Dienstleistern? Besteht Kostendruck? Ist die Servicequalität zufriedenstellend? Gibt es bei den Dienstleistungsprozessen Optimierungsbedarf? Das Umsatzvolumen der Dienstleistungen sollte nicht unter einer Million Euro im Jahr liegen, sonst rechnet sich eine Servicegesellschaft kaum. Und schließlich benötigt man immer genügend interne und externe Unterstützung, um die Idee voranzutreiben und umzusetzen. Letztlich gibt es kein Patentrezept für den erfolgreichen Betrieb eines Museums oder einer anderen Kultureinrichtung, die Voraussetzungen sind hierfür auch zu unterschiedlich. Die Erfahrung aber zeigt, dass nur in den wenigsten Einrichtungen das Management-Know-how und die Kommunikationskultur vorhanden sind, um das Optimale aus den Gegebenheiten zu entwickeln. Zahlreiche Direktoren sind für alles zuständig, sie können häufig aber nur einem Teil der Aufgaben wirklich gerecht werden. Andere Kultureinrichtungen haben eine Doppelspitze, bei der es naturgemäß zu Spannungen zwischen künstlerischen und verwaltungstechnischen Ansprüchen kommt. Das Wichtigste ist, einen verantwortungsvollen Weg mit Blick auf Kosten, Qualität und Leistung zu beschreiten. Denn der Betrieb ist nicht nur ein Kostenfaktor, sondern auch eine Chance und prägt das Image und die Außenwirkung der Kultureinrichtung wesentlich mit. Die meisten Kontakte der Besucher mit der Einrichtung finden an Kasse und Garderobe, beim Einlass, im Café oder im Shop statt. Und dass hier Freundlichkeit, Sauberkeit und Sicherheit zentrale Grundpfeiler bilden und im laufenden Betrieb sichergestellt werden müssen, darüber herrscht dann doch ein breiter Konsens.

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TEIL C Theater, Oper, Konzerthaus Die weltweit einmalige Theater-Infrastruktur in Deutschland weist einen erheblichen Sanierungsstau auf. Angesichts der permanent knappen öffentlichen Kassen stellt sich in besonderem Maße die Frage, wie mit dieser zentralen, sehr hohen finanziellen Aufwand erfordernden Aufgabe umgegangen wird und wie die Öffentliche Hand diese im Wechselspiel zwischen Stadtsanierung und Sanierungsstau bewältigt (Jörg Friedrich). Dabei rückt auch die Frage nach Nutzungsmischung und Öffnung der Theaterräume für eine breitere Öffentlichkeit in den Fokus. Die Akustik ist mit ihren unterschiedlichen Raumformen, dem Raumvolumen und auch visuellen Aspekten eine der zentralen Themenstellungen bei der Realisierung von Bauten für die »Performing Arts« (Karlheinz Müller und Petra Nies). Die Betriebskosten sollten schon bei der Planung von Theatern, Opern und Konzerthäusern eine Rolle spielen (Maurice Lausberg und Marietta Taegener) und lassen sich durch den Betrieb von mehreren Spielstätten und Sparten aus einer Hand reduzieren (Berger Bergmann und Christof Wolf ). Insbesondere im Facility-Management unterschiedlicher Kulturimmobilien einer Stadt liegen erhebliche Potentiale und Synergieeffekte (Thorsten Steinmann), auch mit Blick auf den ökologieorientierten Betrieb, vor allem von historischen Kulturimmobilien (Tessa Beecken und Lars Wilcken).

Theater bauen, wozu eigentlich? Jörg Friedrich

Inhalt 1. Die Theaterlandschaft in Deutschland – Weltkulturerbe! | 212 2. Theaterbau und Innovationslust | 213 3. Wie kommt es heute zum Theater? Theaterbau und demokratischer Entscheidungsprozess | 219 4. Das Desinteresse der Theaterleute an ihren Theaterbauten | 221 5. Die Globalisierung der Theaterkultur: Anreiz oder Ende für die europäische Theaterkultur? | 222 6. Dominanz der Kunst statt Dominanz der technischen Betriebsabläufe | 227 7. Theaterbauten als Impuls für eine zukunftsgerichtete Stadtsanierung | 228 8. Sechziger Jahre Moderne – Sanierungsstau der Nachkriegstheaterarchitektur als Chance zur Innovation im Stadtraum | 229 9. Theaterarchitekturen als Bauaufgaben für die Zukunft der Stadt | 230 10. Die Zukunft der Kulturimmobilie: »Theater der Einfachheit« | 231 »For centuries theaters have been the true hybrids in architecture: they are insane asylums, swimming pools, space stations, cathedrals, sanctuaries, rubbish dumps and works of art simultaneously. Pools to catch and to collect the tears of the actors and the spectators; asylums and cathedrals as concerns the constantly oscillating emotions and the changing sense of reality oft he theatrical ensemble and their presentations, all in need of an architectural framework; space stations and houses of ill repute in regard tot he lust for high tech, assisting in simulating on stage each and every desired reality, even a dream. Who as a spectator would like to step out of this asylum, ardous enough in every day life, into a swimming pool, through the church via the rubbish dump into the space station? No one, we just want to go into the theater. And there we have it all« (Paonessa, Ivana [Hg.]: Theaters, S. 2; Berlin 2012)

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1. D ie Theaterlandschaf t in D eutschland – W eltkulturerbe! Vergleichen wir die Theaterleere anderer Länder mit der Theaterfülle in Deutschland, dann geraten Theaterkenner schnell ins Schwärmen. Nirgendwo auf der ganzen Welt ist die Anzahl der öffentlichen Theater und Opernspielstätten größer. Diese Theaterdichte ist historisch bedingt. Sie ist erwachsen aus der Profilierungsnotwendigkeit vieler Fürstentümer seit dem sechzehnten Jahrhundert: Jedes noch so kleine Fürstentum brauchte für seine Repräsentation und gesellschaftliche Selbstdarstellung, zur Anerkennung innerhalb der internationalen höfischen Konkurrenz, sein privates Hoftheater oder seine Oper. So finden wir heute gerade in scheinbar abgelegenen Orten Deutschlands Kleinode in der Theaterbaukunst. In Meiningen ist eines der Schätze der Theaterarchitektur des neunzehnten Jahrhunderts versteckt, in Bayreuth steht seit 1748 ein barockes Opernhaus, vergleichbar in seiner Prachtfülle mit den Häusern in Venedig, Wien, Dresden oder Paris.

Abbildung 1: Wagner Theater, Bayreuth, 1873 (aus: Die Gartenlaube, Heft 4, Leipzig, 1873) Das Markgräfliche Opernhaus ist lange vor Wagners Festspielhaus entstanden und hätte ohne weiteres auch als Wagnerspielraum dienen können, wenn es nicht so wenig ideologisch in das Musiktheaterkonzept von Richard Wagner gepasst hätte: Er komponierte eine Musik, die er nur in einer neuen Theaterarchitektur zum Klingen bringen wollte; die alten Barockräume des Markgräf-

Theater bauen, wozu eigentlich?

lichen Opernhauses mit ihren Logen und Balkonen waren dazu nicht etwa akustisch, sie waren für Wagner ideologisch von der Raumtypologie ungeeignet. Also: Eine neue Kulturimmobilie bauen auf der grünen Wiese, außerhalb der Stadt. Heute steht das Festspielhaus meistens leer über das gesamte Jahr bis auf die Wagnerfestspiele im Sommer. Das nicht weit entfernt vom »Grünen Hügel« liegende ehemalige markgräfliche Theater hat mehr Aufführungen im Jahr als das Festspielhaus, nur: Kennen tut es künstlerisch kaum einer. Architektonisch ist es möglicherweise Bauhistorikern bekannt und wenigen Touristen und das, obwohl es ein architektonisches Meisterwerk ist. Es gibt einfach zu viele Theaterarchitekturen in Deutschland, könnte man sagen. Eine Fülle deutscher Städte transformierten den Theaterboom der Fürstenzeit in die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, der bis in das 21. Jahrhundert anhält. Nunmehr repräsentieren die Stadt- und Staatstheater das Kulturverständnis einer größeren, bürgerlichen Gesellschaft, und ersetzen damit das Hoftheater. Das Resultat sind größere Räume, größere Säle. Ein urbanes Repräsentationsverständnis verhilft den Theaterarchitekturen zu ihrem neuen, monumentalen Auftritt im Zentrum der Städte. Die Theater und Opernhäuser ziehen aus der Privatheit des Fürstenpalais in die urbane Öffentlichkeit und besetzen deutlich sichtbar repräsentative Orte in den Städten: Bürgerliche Kultur, sichtbar gemacht in repräsentativer Architektur im Stadtzentrum, die gleichwertig zum Rathaus, zum Museum, zum Dom zum sichtbaren Teil der Stadt des neunzehnten Jahrhundert wird. Verkürzt dargestellt, reicht diese Interpretationsgeschichte des Theaters als architektonisches Monument in der Stadt bis in die Gegenwart des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Auch in Zukunft stellen Theater- und Opernarchitekturen sowie Konzerthäuser wichtige Bausteine im Stadtgefüge dar. Für die Kirche, den Adel und für das Bürgertum war in der Vergangenheit stets klar, für wen das Theater ist. Die Zukunft des Theaters wird zunächst die Suche und Definition seines zukünftigen Publikums sein. Theaterarchitekturen in ihrer Öffnung nach außen einzuweben in die urbanen Netze dieser noch zu definierenden Besucherschichten in der Stadt, stellt die größte Herausforderung an die zukünftigen Architekturkonzeptionen dar. Die Möglichkeiten, ein neues Publikum in die Theater zu bringen, sind großartig, vielfältig und innovativ. Die Innovationen müssen jedoch wahrgenommen und ausgeschöpft werden. Dies ist bei einer mehrtausendjährigen Traditionsgeschichte nicht einfach.

2. Theaterbau und I nnovationslust Gehen wir in der Geschichte des Theaters weiter zurück, in die griechische Antike, oder gar in die Vorinkazeit nach Moray in Peru.

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Abbildung 2: Teatro Olimpico, Vicenza: Schnitt durch den Saal und den perspektivischen Bühnenbildraum, (1580-1585); Andrea Palladio; mit Vincenzo Scamozzi Überall stoßen wir auf archaische Theatertypologien, die sich bis heute zwar wesentlich verfeinert haben, differenziert werden konnten. In der Anlage sind die Ideen vom Theater als ortsbezogenen Raum seit Tausenden von Jahren jedoch gleich geblieben: Ein in das Gelände eingeschnittenes Halbrund mit ansteigenden Stufen als Sitzplätzen versammelt die Menschen im Halbrund und fasst sie zu Zuschauern zusammen. Auf der Bühne agieren die Chöre, Priester oder später die Schauspieler. Das Bühnenbild ist zunächst der Blick in die freie Natur, in die Landschaft, in römischer Zeit wird die »scenae«, der Bühnenhintergrund architektonisch gebaut. Die Amphitheater ziehen aus der Landschaft in die Stadt. Aus geformter, terrassierter Natur werden gebaute Architekturen. Theater werden zu Häusern, zu Objekten in der Stadt, zunächst wieder als Freilichttheater. Dann, als überdachte Räume, werden Theater zu geschlossenen Gebäuden mit einem klaren Außen und einem ebenso eindeutigen Innen. Ein Problem entsteht: Wie baue ich den endlosen Blick in die Landschaft, in den freien Raum, wenn ich in einem geschlossenen Gehäuse Theater spielen will? Der Architekt muss den endlosen Raum baulich simulieren. Wie soll das geschehen? Über eine Bühnenbildarchitektur, die den perspektivisch verkürzten Blick in die Straßen der simulierten Stadt in ansteigenden Holzelementen nachbaut und als abstraktes und klar erkennbares Raumgefüge von Stadt als Hintergrund für die Auftritte der Aufführungen bereitstellt; Andrea Palladio und Vincenzo Scamozzi haben diese Simulation von Stadt auf der Bühne in

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ihren Theaterbauten in Vicenza oder im »Teatro Olimpico« in Sabbioneta (15871590) realisiert. Die Illusion des perspektivisch geformten Raumes als Simulation von der idealen Stadt wird zum festen Passepartout für die Theateraufführungen. Diese Simulationsarchitektur konnte darauf bis heute im Wesentlichen zum Prinzip der Theaterarchitektur werden. Vor den Zuschauern im Saal liegt im Zentrum des Saales eine Bühne und im Hintergrund der Bühnenraum. Diese Anordnung hat sich in nunmehr zweitausend Jahren entwickelt und setzte sich als bewährtes typologisches Prinzip von Theaterarchitekturen seit der Renaissance durch. Widersprüchlicher können die Gegensätze kaum sein zwischen Simulation neuer ungeahnter Welten, gedanklicher Innovationslust, größtem Freiheitsbedürfnis im künstlerischen Ausdruck und im Spiel auf der Bühne und auf der anderen Seite – begrenzt von archaischer Konservativität und Innovationsfeindlichkeit der architektonischen Gebäudehülle. Die katholische Kirche hat dieses raffinierte Spiel zwischen mystischer Überhöhung und Theatralik in der Architektur zur Sicherung und Vermittlung einer konservativen Botschaft und Religionstradition seit Jahrhunderten bestens verstanden. Sie setzt seit dem Mittelalter raffiniert die Logik von Theaterarchitekturen ein, um mit ihren Raumschöpfungen die Simulation von Geist, Überirdischem, Spiritualität zur Bannung der Wahrnehmung der Gläubigen einzusetzen. Zunächst wird das Theater im Mittelalter als »heidnisch« von der Kirche verboten. Es werden neue Ersatzräume – die Kirchen – geschaffen, die höchst innovativ sind und bestes Theater versprechen: Das »Theater vom heiligen Geist«, könnte man sagen. Gotische Kirchen mit ihrer Erfindung einer neuen Konstruktionstechnik, die die Auflösung der massiven Wand erlaubt. Die Brechung des Lichtes durch farbige riesige Glasfenster sind Transformation und Ersatz für die verbotenen Spielräume der verlorengegangenen Theaterarchitekturen aus der Antike. Oder: Der Petersplatz in Rom: Schauen wir die raffinierte Umarmungsgeste des Stadtraumes durch die Arkaden von Gian Lorenzo Bernini an: Die Masse der Gläubigen wird gleichsam »eingefangen« durch eine gigantische städtebauliche Umarmungsgeste und durch bewusste Maßstabsprünge raffiniert dramatisiert: Aus einer perspektivisch sich verkürzenden Arkadenfolge wird – ganz wie bei Scamozzi und seinen Theaterbühnenbildern in Sabbionetta – über eine leicht ansteigende Platzfläche die Fassade des Domes mit seiner Kuppel optisch vergrößert, die Kirchenfassade wird durch diesen optischen Trick monumentaler wahrgenommen von den Gläubigen auf dem Platz. Der Stadtgrundriss von Rom wird von Bernini als Bühnenbild für bestes Kirchentheater ausgebildet: Eine formale Revolution der europäischen Stadt in der barocken Stadtplanung ist die Folge aus diesem Kirchenprojekt: Die Stadt wird perspektivisch in unterschiedliche Sichtachsen theatralisch inszeniert und die Stadträume und Straßen beziehen sich auf die

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baulich-architektonisch besetzten Zentren der Macht in den Städten; sichtbar, perspektivisch, räumlich.

Abbildung 3: Ulm Projekt für ein Schauspielhaus mit vier Bühnen und Publikum in der Mitte oder auch genannt: Projekt für die fürstliche Hof haltung, Joseph Furttenbach, aus: Architectura Civilis, Frankfurt am Main, 1655

Die Theater als Bauaufgaben sind da oft innovationsfeindlicher als die Kirchenarchitekturen. Es gibt wenige Formen für eine Theaterarchitektur. Davon setzte sich kein typologisches Modell annähernd so erfolgreich durch in den vergangenen Jahrhunderten bis heute wie die klassische »Guckkastenbühne«. Die mobile Theaterbühne, der »Theaterkarren«, waren lange nicht so erfolgreich, obwohl es ein suggestives modernes Konzept sein könnte: die Schauspieler zogen durch das Land und konnten ihr Wohnmobil und Transportfahrzeug durch Ausklappen, Aufklappen und Auskragen zu einer höher liegenden mobilen, regengeschützten Bühne mit wenigen Handgriffen umformen:

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Abbildung 4: Mainfrankentheater, Jörg Friedrich, Würzburg, Perspektive Stadtumbau 2015 Die »Commedia dell arte« hatte dieses mobile Theaterkarrenprinzip zur höchsten Reife weiterentwickelt. Die Shakespearsche Bühne mit ihrem »Globe Theatre« zählt dazu. Bei Shakespeare durchmischten sich die Schauspieler mit dem Publikum im Zentrum einer realen Umgebungsarchitektur und hoben damit die Trennung von Publikum und Akteuren auf der Bühne auf, auch dies ein avantgardistisches Theater- und Architekturkonzept. Oder das Theater als »Raumbühne«, welches im zwanzigsten Jahrhundert von Friedrich Kiessler erfunden wurde, in dem die feste Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum aufgegeben wurde: die Bühne kreist um die Zuschauer im dreidimensionalen Raum. Ein grandioser Gedanke, nie realisiert. Einfach zu kompliziert. Vorläufer dieser bewegungsorientierten Raumbühnenarchitektur könnte eine nahezu vergessene Erfindung eines Architekten aus dem siebzehnten Jahrhundert sein: Die »Fürstliche Hofhaltung« von Joseph Furttenbach stellt 1655 einen höchst innovativen Beitrag für die Theaterarchitektur dar: Innovativ wird das Publikum in das Zentrum eines mehreckigen Zentralbaus gesetzt. Vier Flügel schließen kreuzförmig an diesen überdachten Innenraum an und bilden mit vier Bühnenportalen die fertig installierten Bühnenbilder für die damals vieraktigen Aufführungen hinter beweglichen, öffenbaren Vorhängen ab. Da es keine anderen beweglichen Bühnenteile gab, sollte schlicht das Publikum von darunterliegenden Maschinen per Menschenhand im Saal bewegt und auf einer Rundscheibe vor den nächsten Flügel, vor das Bühnenbild des kommenden Aktes gedreht werden. Erst im zwanzigsten Jahrhundert wurde der fliegende horizontale Szenenwechsel ohne Umbauten durch die Drehbühne, vertikale Verwandlungen durch Aufzüge realisiert. Bei Furttenbach sollte

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kurzerhand das gesamte Publikum im Saal gedreht werden. Skurril und innovativ.

Abbildung 5: Vertikales Theater, Jörg Friedrich, Gütersloh 2013, Foyer Alle diese innovativen Theaterarchitekturkonzepte setzten sich letztlich nicht durch, es blieb bis heute bei der im Barock angelegten Guckkastenbühne. Der Fortfall der Logen, die Veränderungen im wagnerianischen Orchestergraben, die Entwicklung von reinen Parkettsälen ohne Rang, die akustischen und technischen Entwicklungen sind letztlich nur feinere Differenzierungen eines klaren architektonischen Prinzips: Vor dem Publikum, im Zentrum die Bühne mit dem Orchestergraben davor, dahinter die Hinterbühnen und Nebenbühnenbereiche zum Wechsel und unsichtbaren Vorhalten der Bühnenbilder und Auftritte.

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Abbildung 6: Vertikales Theater, Jörg Friedrich, Gütersloh 2013, Perspektive

3. W ie kommt es heute zum Theater ? Theaterbau und demokr atischer E ntscheidungsprozess Ein neues Theater zu bauen, bedeutet heutzutage eine schwierige Wegstrecke zu durchlaufen. Theaterneubauten sind umstrittene politisch hochbrisante Investitionen, die – weil Theater nicht billig zu haben sind – andere öffentliche Ausgaben einschränken. Die Kulturimmobilie »Theaterneubau« muss sich messen in der Konkurrenz zu anderen öffentlichen Investitionen: Der Theaterneubau wird gesehen als Verhinderer vom Neubau von neuen Kindergärten, Schulen, Verkehrsstraßen, Stadtbahnen, Infrastruktureinrichtungen und öffentlichen Arbeitsplätzen. Eine Investitionsentscheidung für die Theaterkultur ist politisch in der kommunalen oder staatlichen Politik zu einem schmerzhaften Spießrutenlaufen geworden: Jahrzehntelang andauernde Neubaudiskussionen in Dresden zur Staatsoperette, in Rostock zum Volkstheater, in Würzburg zum Mainfranken Theater, um nur einige Beispiele zu nennen, zeugen davon. Theaterprojekte lagern heute jahrzehntelang in den Schubladen der Stadtparlamente. Ein Theater muss politisch gewollt sein, politische Entscheidungsträger müssen das Architekturprojekt »Theater« über Jahre hindurch am Leben erhalten in der öffentlichen Debatte. Diese Ausdauer steht im Widerspruch zu kurzfristigen politischen Karrieren der Entscheidungsträger. Beispiel für eine solche, scheinbar endlos andauernde Debatte ist der Neubau

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eines Stadttheaters in der westfälischen Provinz, in Gütersloh. Hier dauerte der Entscheidungsprozess von der ersten Absicht, ein neues Theater als Ersatz für eine vorhandene Halle neu zu bauen, über 30 Jahre, zwei Volksbegehren mussten durchlaufen werden, bis der Rat der Stadt schließlich den Baubeschluss fasste und ein stark abgespecktes Theaterkonzept im Unterschied zum ersten Theaterentwurf von 1986 freigab. Entstanden ist der Prototyp des vertikalen Theaters, welcher bis heute auf knappestem Raum kompakt und sehr funktional zwei Säle für ein Gastspieltheater als architektonische Skulptur im Stadtraum eindrucksvoll platziert. In Rostock wird seit vierzig Jahren um den Neubau des Volkstheaters gestritten, andere Theaterstandorte werden geschlossen, da fällt eine politische Entscheidung zum Neubau nicht leichter. Größter Fehler in allen Theaterneubauprojekten ist die falsche Herangehensweise im Meinungsbildungsprozess vor der politischen Entscheidung. Grundsätzlich sind sämtliche Theater in der Denkphase zu groß konzipiert. Unrealistische Traumtänze und Wünsche aller Beteiligten machen die Projekte damit angreif bar und erschweren ihre Umsetzung und Realisierung. Für den Verfasser hat sich gezeigt, dass ein transparenter Programmfindungsprozess bis hin zur technischen Ausstattungsbudgetierung im Sinne einer Machbarkeitsstudie vor Beginn einer Theaterplanung den besten Erfolg verspricht. Bereits vor Beginn der Theaterplanung müssen Politik und Theater in diesen Machbarkeitsstudien zusammen kommen, ihre Wünsche formulieren und ihre realen Möglichkeiten offenlegen und einschätzen. Erst im Abgleich zwischen Wollen und Können findet ein kommunales oder staatliches Entscheidungsgremium überhaupt zu einer Grundlage. Stifter müssen bereits zu Beginn der Denkphase ebenso realistisch miteinbezogen werden wie sinkende Steueraussichten oder steigende Zinsen zur Deckung der Kredite. Zurzeit, bei der augenblicklichen Zinssituation, sind Investitionen in die Theater sinnvoll und sollten so schnell wie möglich realisiert werden. Dies gilt nicht nur für die Neubauten, dies gilt noch mehr für die Modernisierung und Instandsetzung vorhandener Theaterbauten. Das Nationaltheater in Mannheim, die Städtischen Bühnen in Frankfurt, das Mainfrankentheater in Würzburg, um nur einige zu nennen, sind gut beraten, jetzt schnell ihre Sanierungs- und Erweiterungsmaßnahmen aus der Planungsphase in die Realität zu überführen. Die alten Theaterkisten gammeln vor sich hin. Jeder Spieltag, an dem nicht gebaut wird, ist ein verlorener Tag für die Zukunft und kostet nur unnötiges öffentliches Geld.

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Abbildung 7: Vertikales Theater, Jörg Friedrich, Parkettfoyer, Gütersloh 2013 (Foto: Guido Erbring)

4. D as D esinteresse der Theaterleute an ihren Theaterbauten Es ist verblüffend: Kaum jemand interessiert sich so wenig für Theaterarchitektur wie die Theaterleute selber. Eine merkwürdige Erfahrung war für den Verfasser das Preisgericht eines internationalen Architektenwettbewerbes für das neue Schauspielhaus in Köln. Es war schon sonderbar, dass bei den tagelang andauernden Jurysitzungen das Theater nicht mit der Intendanz sondern nur mit den Technischen Mitarbeitern die Juryentscheidungen begleitete. Der damals amtierende Intendant war nicht ein einziges Mal mit dabei. Interessant war der publikumswirksam inszenierte Theaterdonner, den die Intendanz nach der Juryentscheidung, nachdem alles entschieden war, um das Siegerprojekt entfacht hat, statt sich bereits während der Jury selbst mit einzubringen in die Lösungsfindung. Es scheint den Theaterleuten nicht unbedingt um Optimierung ihrer Theaterarchitekturen zu gehen, sondern oft mehr um die Optimierung des »Theaters über das Theater«. Alles wird publikumswirksam auf bereitet und inszeniert, die Kulturimmobilie »Theater« wird eingebettet in eine Inszenierung über das Theater. Dabei ist das Interesse am Theater als Architekturgegenstand relativ gering. Häufig verwechselten Intendanten, die ich erleben durfte, den architektonischen Formfindungs- und Entwurfspro-

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zess von Theaterbauten mit dem Formfindungsprozess für eine Theaterinszenierung, die nach zehn Aufführungen wieder mit Absetzung vom Spielplan unsichtbar verschwinden kann. Natürlich ist dieses Verhalten verständlich, hilfreich ist es für eine Lösungsoptimierung nicht: Theaterarchitekturen bleiben, Intendanten kommen und gehen. Im Entscheidungsprozess für die Kulturimmobilie »Theater« oder »Opernhaus« ist dieses kurzfristige, künstlerisch ambitionierte, beherzte »Einmischen« und das genauso kurzfristige, interesselose »Aussteigen« also eher eine unproduktive Last für den Planungsprozess. Das Planen und Bauen eines Theaters ist keine Sache, die im Nebenjob, auf Zuruf, von den Theatern und ihren Intendanten begleitet werden kann. Die Verantwortlichen sollten sich darüber klar werden werden, dass von der Vorbereitung einer Architekturmaßnahme über die Planung bis zur Realisierung der Kulturimmobilie »Theater« ein Fulltime Engagement von Seiten der Theater erforderlich wird, das die Theater in der Regel gar nicht personell umsetzen können. Hier wäre ein vom Theater über die ganze Planungsgeschichte dauerhaft installierter »Moderator« oder eine »Moderatorengruppe« an der Schnittstelle zwischen Theater und Planern die richtige Lösung.

5. D ie G lobalisierung der Theaterkultur : A nreiz oder E nde für die europäische Theaterkultur ? Das Unverwechselbare in der deutschen Theaterlandschaft ist der individuelle Spielort, der in der Gemeinsamkeit von Theaterarchitektur, Standort und in der Präsenz des Lokalen in dem Ensemble geprägt wird. »Der Sprung vom Lokalen zum Globalen ist ein Moment in der allgemeinen Standardisierung und Homogenisierung. Die weltweite Etablierung derselben Produkte und Ketten lässt den Bezug auf das Einmalige eines Ortes und seiner Geschichte anachronistisch erscheinen. …Statt aus der Auseinandersetzung mit dem Lokalen und der eigenen Geschichte eine unverwechselbare ästhetische Gestalt zu gewinnen und damit auf der Welttheaterbühne anzutreten, soll der Stadtgesellschaft künftig das gleiche Produkt serviert werden, das auch in London, Paris, Amsterdam, Brüssel, Venedig zu haben ist – und wohl auch bald in Hamburg, Düsseldorf und Frankfurt a.M..« (Frank Raddatz, Felix Raddatz: »Die Logik der Betriebsabläufe« in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 25 vom 21.6.2015; S. 48)

Diese »Logik der Betriebsabläufe«, wie Raddatz sie benennt, werden zunehmend eine Herausforderung für die Theater und für die Kulturimmobilie »Theater«. Eine neue Form des Theaterbetriebes, die sie daraus ableiten, wird sicher auch in Deutschland zu diskutieren sein. Die umstrittene Vision:

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Nur noch einige wenige, dafür bestens ausgestattete Häuser produzieren von höchster Qualität Theater- und Opernaufführungen, die dann durch die verschiedenen Theaterstandorte Europas ziehen. Das Lokale in der bundesrepublikanischen Theaterwelt wird aufgegeben zugunsten einer homogenisierten globalisierten Steigerung der künstlerischen Qualität in der Theaterwelt. Eigentlich wäre das gar nicht viel anders als der Thespiskarren aus der Antike. Nun zieht er allerdings auf höchstem künstlerischem Niveau durch die Lande und spielt großes Theater. In jeder Stadt das gleiche: vier, fünf große Bühnen produzieren in Deutschland wie Mineralölkonzerne als Monopolisten den Stoff für die gesamte Theaterrepublik. Schlagartig würden sich die Theaterimmobilien verändern: Fünf, sechs Theater in Deutschland bauen sich zu riesigen Produktionsstätten und Werkstätten aus, großen Fabriken gleich oder »Eliteuniversitäten« gleich. Sie produzieren auf billigen »Ikeastandorten« außerhalb der Städte neue Theateraufführungen, die auf die Reise gehen durch das Land. In vielen anderen Städten könnten die gesamten vorhandenen, nun nicht mehr benötigten Werkstätten und gigantischen Nebenflächen, die heute die Theater angeblich benötigen, umgenutzt werden: In Schauspielschulen oder in Wohnungsbauten für Flüchtlinge oder in Hallenbädern im Stadtzentrum können sie beliebig anderweitig sinnvoll genutzt werden, um nur einige Umnutzungsbeispiele zu nennen. Lediglich die Spielstätten, die dann allerdings wesentlich weniger Raum benötigen würden, damit weniger Personal, weniger Energie und damit immer auch wesentlich weniger Kosten im kommunalen Haushalt erzeugen würden, wären noch erforderlich. Das wäre schon eine politisch verlockende Alternative zur historischen klassischen überdifferenzierten Mehrsparten – Stadttheaterlandschaft in Deutschland. In Gütersloh hat das Stadttheater im Kleinen diesen Begriff von »Bespieltheater« bereits architektonisch Realität werden lassen: Bertelsmann, als moderner »Fürst«, sorgte sich um die kulturellen Defizite in der Stadt für seine Manager und litt unter der mangelnden Attraktivität eines Provinzstandortes einer weltumspannenden Firma fernab der ICE Linien. Die Familie Mohn »schenkt« der Stadt gemeinsam mit einem anderen ortsansässigen weltumspannenden Familienkonzern, Miele, ein neues Stadttheater. Die Erfindung des »Vertikalen Theaters« mit übereinandergeschichteten Spielstätten ist extrem kostengünstig gewesen, sie ist neu und – sie erlaubt Investitionen in mehr und bessere Aufführungen, als sie ein Theater vor Ort mit drei Sparten selber in solch kleinen Städten jemals produzieren könnte. Ein gelungenes Beispiel, wohl auch weil in der Nähe große Bühnen wie Düsseldorf, Köln, Hamburg oder Berlin, schon genügend Aufführungen produzieren, die einfach nur »gemietet« werden müssen: Das Konzept mit dem Kulturtransport im neuen Theaterbau ging auf.

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Abbildung 8: Opernhaus, Jörg Friedrich, Lage im neuen Stadtgrundriss, Erfurt 2004 In einer anderen Region, zwischen Weimar und Erfurt, gelang dieses einfache Strategiespiel nicht. Zwei verfeindete Theaterstädte kamen über den Neubau des Opernhauses in Erfurt nicht zusammen. Eigentlich hätten sich nur beide Städte auf eine sinnvolle Arbeitsteilung: Sprechtheater in Weimar, Musiktheater in Erfurt einigen müssen. Die Produktionen und den Rest macht man gemeinsam, so wie die »Deutsche Oper am Rhein«, die ebenfalls mit Düsseldorf und Duisburg zwei Städte gleichzeitig bespielt und dies seit Jahrzehnten mit bestem Erfolg. Architektonisch sind für ein Zusammengehen alle Voraussetzungen geschaffen, gleiche Bühnenmasse, gleiche Portalbreiten usw. sollen den Arbeitsaustausch der Produktionen für beide Theater erleichtern.

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Die historisch gewachsene Abneigung zwischen der vermeintlichen »Kulturstadt Weimar« und der vermeintlichen »Krämerstadt Erfurt« haben bis heute ein solches durchaus nachdenkenswertes Zusammengehen verhindert, nicht die Theaterimmobilie und nicht die Architektur.

Abbildung 9: Opernhaus, Jörg Friedrich, Großer Saal, Erfurt 2004 (Foto: Ralf Buscher) In Dresden wird im Zusammengehen von »Staatsoperette« und dem »Theater Junge Generation« ein neuer Theaterstandort über eine gemeinsame Theaterarchitektur auf einem alten Kraftwerkgelände zentrumsnah entwickelt. Anfangs ein unmögliches Unterfangen, im Laufe des Bauprozesses wuchsen beide zunächst unvereinbar nebeneinander stehenden Theater immer mehr zusammen. Es scheint zu gehen, das Zusammengehen von Theatern – und wenn es nur der ökonomische Druck ist und die Angst vor Schließung einer Sparte.

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Abbildung 10: Kraftwerk Mitte, Jörg Friedrich, Innerstädtisches Sanierungs- und Neubauprojekt für vier Spielstätten, Dresden 2013-2016

Abbildung 11: Kraftwerk Mitte, Jörg Friedrich, Saalperspektive Staatsoperette, Dresden 2013-2016 In Dresden wird das Zusammengehen zweier Theater in einer gemeinsam bespielten Architektur die Entwicklung und Aufwertung eines vernachlässigten Stadtareals vorantreiben. Der Standort wird attraktiver zum Wohnen und Arbeiten, die Kulturimmobilie setzt einen städtebaulichen Wandlungsprozess in Kraft. Für die Theater bedeutet das Zusammengehen zweier so unterschied-

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lichen Bühnen eine Chance für eine unkonventionelle Neuaufstellung beider Bühnen. Gemeinsam werden sie stärker in der Stadt in Erscheinung treten. Die neue, komplexe Stadttheateridee schafft es, im nächsten Jahr ab 2016 in dem »Kraftwerk Mitte« in Dresden Aufführungen wie die »Fledermaus« für eine Rentnerklientel gemeinsam mit Kindertheateraufführungen, experimentellen Studiotheateraufführungen und einer Puppenbühne zusammenzuführen. Eine bessere Durchmischung der Generationen über die Zusammenführung von zwei Theatern ist kaum denkbar. Die Architektur schafft allen vier Spielstätten einen gemeinsamen, neuen und unkonventionellen Rahmen.

6. D ominanz der K unst statt D ominanz der technischen B etriebsabl äufe Dass Theaterimmobilien sehr, sehr teuer in Erstellung und Betrieb sind, haben in den letzten Jahren einige haushaltsschwache Städte in Deutschland erfahren müssen. Schmerzliche Theaterschließungen, glaubt man den Politikern, waren nicht zu vermeiden: Wuppertal trauert um sein Theater, welches einfach dicht gemacht wurde. Dass die Theater auch aus sich selbst heraus eine Art Todessehnsucht zu haben scheinen, ist weniger bekannt. Der Verfasser hat in vielen deutschen Städten in Diskussionen um Theaterplanungen eine Art verkehrte Welt kennengelernt. Je kleiner die Stadt, desto größer die Ansprüche der Theaterleute an ihr Haus, technische Ausstattungen übersteigen in der Regel die Architekturkosten einer Immobilie um das vier bis sechsfache. Absurd, aber irgendwie wollen alle einmal am großen internationalen Technikkuchen von Beleuchtungswahnsinn, Bühnentechnik und Flexibilität teilhaben, macht es den Eindruck. Dieser »unkontrollierte Größenwahn«, aus dem Inneren der Theater kommend, scheint mir eines der wesentlichen Gefahrenpotentiale in der Verhinderung von Theaterprojekten und Architektur mit Augenmaß zu werden. Wir müssen mit den Theaterleuten, mit den Akustikern, den Technikern, den Behindertenbeauftragten usw. auch wieder die »Kunst der Angemessenheit« im gemeinsamen Handeln erlernen. Hier können Beraterteams aus erfahrenen Architekten, erfahrenen Theaterleuten, erfahrenen Technikern von außen als Berater einspringen und mit den Theatern angemessene Theaterlösungen erarbeiten helfen. Die Architekten, indem sie die Theater auf unkonventionelle, oft unbekannte Lösungen und Vergleiche hinweisen können; die Technikfreaks, indem sie helfen, dass die Intendanten ihr Theater in Radebeul bei Dresden nicht mit der Semperoper verwechseln und die Theaterleute braucht man von außen, indem sie den Kollegen sagen, wie sie die innovative Kunst wieder in den Vordergrund ihrer Arbeit stellen können vor jeder überfrachteten Technik. Ein solches beratendes »Lenkungsgremium« kann in der Diskussion zwischen Stadt, Theater, Gewerk-

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schaften und Architekt eine erhebliche Dichte und Entscheidungsoptimierung im Programmfindungsprozess bis hin zur Planungsrealisierung bedeuten. Peter Brook hatte mit seiner Arbeit und seinen Einlassungen über den »Leeren Raum« eigentlich alles dazu gesagt (Brook, Peter: Der leere Raum; 12. Auflage, Berlin 2015).

7. Theaterbauten als I mpuls für eine zukunf tsgerichtete S tadtsanierung Die meisten Theater liegen in Deutschland in der Mitte der Stadtzentren. Neue Theaterkonzepte (Auslagerung der Werkstätten, Umwandlung der Dreispartenhäuser in Bespieltheater etc.) können ganze Stadtteile verändern hin zu völlig neuartigen gemischten Wohn- und Theaterkulturstandorten im urbanen Kontext. Theaterneubauten können Impulsgeber für die Sanierung von öffentlichen Stadt- oder Industriebrachen im innerstädtischen Bereich werden. Ein Theater- und Kongresszentrum in Padua in Italien (Padua, 2014 ), saniert einen jahrzehntelang verkommenen Bereich des Messegeländes hinter dem Hauptbahnhof, im Zentrum der Stadt. Die Umgebung ist ein brachliegendes, leerstehendes Baudenkmal aus der faschistischen Architekturgeschichte Italiens, es werden die denkmalgeschützten Bauten saniert und zu einem neuen Theater- und Kongresszentrum behutsam in die sanierte, denkmalgeschützte Stadtlandschaft zusammengefügt.

Abbildung 12: Sanierung und Erweiterungsbau zur Neustrukturierung des Messegeländes von 1930 ein eine Theater- und Kulturzentrum in der Stadtmitte (Jörg Friedrich, Padua 2014)

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Andere, nicht kulturelle Nutzungen hätten einen solchen Sanierungsprozess gar nicht einleiten können, weil sie nicht genehmigungsfähig wären. Die uneigennützige, unverdächtige gemeinnützige »Kulturimmobilie« ist im öffentlichen Raum baurechtlich bestens geeignet, Sanierungsanstoß für brachliegende Denkmalräume zu sein. In Erfurt diente der Theaterneubau auf der Rückseite des Domes in unmittelbarer Zentrumsnähe zur Entwicklung eines ganzen neuen Theaterviertels, mit gemischter Wohnnutzung, Altenpflegeheimen, Werkstätten, dem Opernhaus und Hotel- und Verwaltungsgebäuden. Ein schadstoffverseuchtes Gelände einer großen Fabrik aus den dreißiger Jahren wurde saniert, die Flächen für ein Opernareal mit Werkstätten und Spielstätten wurden implantiert und ein neuer städtischer Raum, mit »Opernplatz« und Blick auf den Dom, konnte entstehen. Den Sanierungsanstoß zum Umbau des Fabrikgeländes bot eine öffentliche Kulturimmobilie: die Investitionen in ein neues Opernhaus. Die Entwicklung des städtischen Opernquartiers zu einem neuen Stadtteil erfolgte über Ergänzungsnutzungen wie Hotel, Verwaltung, Wohnen und Dienstleistungsnutzungen. Dass gleichzeitig der Landschaftsraum mit der Freilegung jahrzehntelang verrohrter Bäche den für Erfurt typischen Charakter der von Wasser durchflossenen Stadt rekonstruierte, ist eine weitere Folge dieser Kulturimmobilie: Ein ganzes Stadtquartier konnte auf diese Weise entstehen, Initialzündung war das neue Opernhaus.

8. S echziger J ahre M oderne – S anierungsstau der N achkriegstheater architektur als C hance zur I nnovation im S tadtr aum Neben den Bauten aus der Theaterboomzeit im neunzehnten Jahrhundert, die alle aufwändig in Stand gehalten werden müssen und nur mühsam modernisiert werden können, gibt es in der bunt schillernden Theaterwelt in Deutschland viele, gar nicht so bekannte Denkmäler, es sind in die Jahre gekommene Theaterimmobilien aus der frühen Nachkriegszeit, aus den fünfziger und sechziger Jahren. In diesen Bauten liegt ein unglaubliches, zukunftsfähiges Potential: Städtebaulich können in den Sanierungsprojekten mit den für den Betrieb erforderlichen notwendigen Erweiterungs- und Ergänzungsbauten die vorhandenen Stadtquartiere völlig neu strukturiert und entwickelt werden. Architektonisch können modernistische Nachkriegsarchitekturen aufgewertet und neu im Stadtzusammenhang orientiert werden: Das Nationaltheater in Mannheim arbeitet seit Jahren an der Erstellung eines Konzeptes zur Generalsanierung. Hier sind über Machbarkeitsstudien bereits hochinteressante Wege in die Zukunft des Nationaltheaters bis hin zur Entwicklung eines neuen Kultur- und Theaterzentrums in der Stadtmitte aufgezeigt worden. Die Architekten schlagen in Karlsruhe zur Sanierung des Staatstheaters die Bildung eines

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neuen Stadtteils vor, der von dem Theater im Rahmen der Sanierung komplex mit neuen Wohnungen, Theaterspielstätten und neuen Stadtplätzen ergänzt werden kann. Das Schauspielhaus in Nürnberg wurde von den Planern bereits saniert; den vorhandenen Bau aus den fünfziger Jahren haben sie erhalten und ergänzend erweitert zu einer unmittelbar neben der Oper liegenden charakteristischen zweiten Spielstätte; mit mehreren Bühnen zum neuen Stadtplatz, mit Lounges in den Obergeschossen entwickelt. Endlich: das Theater kann wieder Teil des öffentlichen Raumes werden und aktiv in die Stadt hineinwirken.

Abbildung 13: Schauspielhaus Nürnberg, Jörg Friedrich, Sanierung und Erweiterung des Provisoriums v. 1950, Fertigstellung 2012 (Foto: Petra Steiner)

9. Theater architekturen als B auaufgaben für die Z ukunf t der S tadt Sie müssen jedoch auch zukunftsfähig interpretiert werden dürfen: Schluss mit monostrukturaler Hof haltung; das Theater der Zukunft ist ein Hybrid in der Stadtmitte: Mehr Nutzungsmischung, mehr Wohnungen in den Theaterstandort hinein zu mischen, mehr Offenheit anzustreben, Werkstätten können als öffentliche »Räume der Produktion« sichtbar gemacht werden in der Stadt. Theatersäle können mit Tageslicht versehen völlig neue Raumqualitäten aus den sechziger Jahren (Nationaltheater Mannheim) übernehmen in Planungskonzepte für neue Theaterideen. Insgesamt kann Architektur die Ver-

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webung des Theaters mit der Stadtöffentlichkeit wesentlich verstärken helfen – dies sind im Wesentlichen die Erfahrungen, die wir als Planer aus den letzten zwanzig Jahren Theater(um)baugeschichte anregen würden, umzusetzen. Die Flachdächer der Sechziger Jahre Theater können aufgestockt werden, können die Stadt verdichten. Theater sind öffentliche Gebäude, gegenwärtig (2015) gibt es ein dramatisches Asylanten- und Flüchtlingsproblem in Europa, gleichzeitig fehlen den Theatern Wohnungen für Gastkünstler in Theaternähe. Die Theaterimmobilien können – wenn sie weitergedacht werden – für die Zukunft auch als innovative Standorte für billigen Wohnraum auf den Dächern der Stadttheater in der Stadtmitte erweitert und aufgestockt werden im Rahmen ihrer ohnehin erforderlichen Sanierung. Dies erzeugt einen Mehrwert für die Theater wie für die Stadtgesellschaft. Die Theaterstandorte inmitten der Städte sind dazu ideal geeignet; Werkstätten können zu öffentlichen Fabriken der Theaterproduktion sichtbar gemacht werden im öffentlichen Raum, wie dies in Heidelberg oder Erfurt so vorzüglich gelungen ist. Das Kulturverständnis einer Willkommenskultur auf dem Theater wird signifikant in der sanierten, umgebauten und aufgestockten Theaterimmobilie und in der Stadt. Ein Anstoß zum Nachdenken.

10. D ie Z ukunf t der K ulturimmobilie : »Theater der E infachheit« Eines habe ich in meiner nun mehr als 25-jährigen Erfahrung im Theaterbau bewundernd erfahren dürfen: es war immer die Einfachheit des »Leeren Raumes«, die bereits Peter Brook forderte, sie sollte wieder Einzug halten dürfen in die architektonischen Überlegungen zur »Kulturimmobilie Theater«. Ein Umbau eines Bunkers aus dem Zweiten Weltkrieg zu einem Konzertraum für ein junges ambitioniertes Musikerensemble (»Ensemble Resonanz« in Hamburg) möchte als Beispiel für eine solche verantwortungsvolle Verwendung sparsamster Ressourcen herhalten: für weniger als 200.000 Euro konnte eine hochmoderne Spielstätte für Musik mit dramatisch inszenierten riesigen beweglichen, akustisch wirksamen Stahlwänden und billigsten Kronleuchtern aus wassergefüllten Plastikflaschen mit privater Sponsorenhilfe, mit geringsten öffentlichen Mitteln in einem denkmalgeschützten Bunker aus dem zweiten Weltkrieg entstehen, zwischen »Reeperbahn« und dem Stadion vom FC St. Pauli: So konnte eine weitere, neue Form der »Kulturimmobilie Theater und Oper« entstehen für die Zukunft der Stadt. Interessant ist, dass diese unspektakuläre »Minilocation auf Mindestlohnbasis« bereits jetzt in der Publikums- und Medienwahrnehmung in Hamburg als eigenständige Spielstätte für junge Musik gleichwertig zur Laiszhalle und zur zukünftigen Elbphilharmonie in einem Atemzug genannt wird. (Quelle:

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Hamburger Abendblatt: »Hamburg neu entdecken: Die Musik in der Hansestadt« vom 13.05.2015) »In diesem Sinne bedeutet gemeinsame Arbeit an der »Kulturimmobilie Theater« für die Architektur immer ein behutsames Experimentieren und Forschen an der Stadt der Zukunft. Die entwerferische Arbeit ist verbunden mit der Stärkung ihrer kulturellen Identität am Beispiel des Theaters, das Ergebnis des Nachdenkens ist eine selbstbewusste »Architektur der Einfachheit« zum Zwecke des Theaters, zum Wohle der städtischen Gemeinschaft.« (Paonessa, Ivana: Theaters; S. 12 ff; Berlin 2012)

Abbildung 14: Ensemble Resonance Bunker, Jörg Friedrich, Hamburg 2015 (Foto: Ralf Buscher) Was das verlorengegangene Einfache ist, kann hier nur angerissen werden: Zu hohe technische Ansprüche und Wünsche machen Theater und die Theaterimmobilie in der Provinz immer unmöglicher. Neue Spielräume müssen eingefordert werden, auch von den Theatermachern: Die Bühnenhäuser und Hinterbühnen könnten mit riesigen Toren geöffnet werden zu den Stadtplätzen, um Spielstätten für Freilufttheateraufführungen zu werden. Durch das Theater kann ruhig zukünftig »hindurch gespielt« werden: Selbst die Zuschauer aus den Sälen könnten in die Mitte der Stadt schauen. Neue Theaterräume können durchaus auch als Tageslichtsäle gedacht werden, das erhöht die Nutzungsvielfalt; bespielbare Dächer ziehen Öffentlichkeit in und auf die Häuser; die durch Technik immer gigantischer werdenden Monumente der Bühnentürme könnten umbaut werden mit neuen Nutzungen, mit Wohnungen zum Beispiel und auf diese Weise in die Stadt hinein leuchten, das Theater »bewohnen«. Öffentlichkeit kann rund um die Uhr in allen Foyers entstehen, das Theater kann sich mehr zum öffentlichen »Stadtraum« wandeln als hermetisch geschlossener Theaterbau zu bleiben. Es muss möglich sein, kostentreibende akustische Anforderungen zu reduzieren, einfach um Investitionen zu sparen: Was geht

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denn unter in der Theaterkultur, wenn einmal ein Polizeiwagen während der Vorstellung leise mitgehört wird? Na und? Im Bayreuther Festspielhaus erleben dies die Bundeskanzlerin oder andere wichtige Leistungsträger jedes Jahr, dennoch stellen sich alle brav an, um irgendwelche überteuerten Eintrittskarten zu ergattern. Am Beispiel eines Entwurfes für das Staatstheater in Karlsruhe haben im Wettbewerb die Architekten 2015 diese Gedanken und Ziele einmal in einer Vision als Entwurf zusammengeführt.

Abbildung 15: Ensemble Resonance Bunker, Jörg Friedrich, Konzertsaal, Hamburg 2015 (Foto: Ralf Buscher) Hier spürt man das Potential bei der Sanierung eines Fünfziger-Jahre-Hauses, welches mit seinen fünf Spielstätten und Werkstätten und Probebühnen zu einem neuen Stück der Karlsruher Innenstadt entwickelt werden kann: mit öffentlichen Dachterrassen, mit öffentlichen Werkstätten, öffentlichen hellen Orchesterproberäumen und Theatersälen mit Tageslicht. Alle diese Nutzungen sind um ein öffentliches, durchwanderbares Stadtfoyer herumkomponiert: Eine öffentliche Theaterskulptur in der Stadt – das »Theater der Zukunft« ist einfach, komplex, geheimnisvoll und öffentlich zugleich.

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Abbildung 16: Staatstheater Karlsruhe, Jörg Friedrich, Sanierung des Stadtplatzes, Perspektive Wettbewerbsentwurf 2014

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Inhalt 1. 2. 3. 4.

Auftakt | 235 Historischer Exkurs: Der Einfluss von Saalgröße | 236 No risk – no fun! Ist gute Akustik kalkulierbar? | 237 Das »Atmen« der Klänge und Silben: Raumvolumen für Konzertsäle, Opernhäuser und Sprechtheater | 238 5. Das Geheimnis der Raumform: Rechteck versus Weinberg bei Konzertsälen | 239 5.1 Der Rechtecksaal | 239 5.2 Die freie Raumform, Weinbergform | 240 5.3 Die neuen Formen | 242 6. Raumformen für Opernhaus und Theater | 242 7. Die Augen hören: Raummaterialien und Inneneinrichtung | 243 8. Vergessene Räume, vergessene Kosten | 245 9. Elektroakustik ist salonfähig! | 246 10. Die Akustik im Betrieb einer Kulturimmobilie | 248 11. Schlusstakt | 248

1. A uf takt Die »Akustik« ist die Lehre vom Schall, der Begriff stammt vom altgriechischen Wort »Hören« ab. Sie befasst sich mit der Erzeugung, der Übertragung und der Wahrnehmung von Geräuschen, Tönen, Musik und Sprache. Bereits vor über 2.500 Jahren untersuchte Pythagoras (ca. 570 bis 510 v. Chr.) musikalische Zusammenhänge. Später analysierte der römische Architekt Vitruv (ca. 70 bis 15 v. Chr.) die Ausbreitung des Schalls in Amphitheatern. Doch erst im 19. Jahrhundert begann die intensive Beschäftigung mit der Akustik, die schließlich als wissenschaftliche Disziplin zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Räumen und Gebäuden Anwendung findet.

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Da die Korrelation zwischen subjektiven Empfindungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen bis heute nicht geklärt ist, lässt sich über Akustik trefflich und kontrovers diskutieren. Denn: der subjektive Höreindruck löst bei jedem Menschen unterschiedliche Empfindungen aus. Dies trifft in besonderem Maße auf Räume für Musikdarbietungen zu. Dagegen findet man bei sprachorientierten Räumen mit der Wortverständlichkeit ein überzeugendes objektives Kriterium, auf das sich die meisten Zuhörer einigen können. Die historischen Opern- und Theaterräume entstanden im 18. und 19. Jahrhundert meist im Rahmen höfischer Bauvorhaben. In diesen Räumen wurden auch Konzerte veranstaltet. Reine Konzertsäle, die meist von bürgerlichen Vereinen getragen wurden, entwickelten sich erst im 19. Jahrhundert und hatten ihre große Blütezeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Trotz unterschiedlicher akustischer Eigenschaften war in diesen Räumen immer ein ausgewogenes und starkes Klangbild möglich. Die kompakten Dimensionen und die klare Formensprache sorgten beinahe zuverlässig für die richtige Klangmischung und ausreichende Lautstärke, mehr oder weniger unabhängig von den verschiedenen Instrumenten und Orchestergrößen.

2. H istorischer E xkurs : D er E influss von S aalgrösse Als im Jahr 1962 die Philharmonic Hall im Lincoln Center in New York mit über 2.700 Zuhörerplätzen eröffnete, begannen gleichzeitig die Diskussionen um akustische Anpassungen. Nur wenige Jahre später wurde der Innenraum vollständig abgerissen und durch den Neubau der heutigen Avery Fisher Hall ersetzt. Ähnliche Diskussionen erleben die Royal Festival Hall in London und viele andere sehr große Säle, deren Akustik bis heute kontrovers diskutiert wird. Bei allen Debatten über gute und schlechte Konzert- und Opernhäuser der letzten Jahre zieht sich ein roter Faden durch die akustische Betrachtungsweise: die Saalgrößen stoßen an ihre räumlichen Grenzen! Denn eines ist immer unveränderbar vorgegeben: die Größe der Schallquelle und die Richtcharakteristik der Instrumente. Unabhängig davon, ob ein Orchester, ein Ensemble oder ein einzelner Solist auftritt, die Schallleistung, die durch die Instrumente abgegeben wird, ist nur schwer zu steigern. Damit sind der Größe des Konzertsaals physikalische Grenzen gesetzt. Die Grenzen können heute etwa bei einer Besucheranzahl von 2.000  Personen für Konzert- und Opernhäuser angesetzt werden. Für Sprechtheater liegt die sinnvolle Kapazität bei maximal 1.000 Besuchern. Trotzdem gibt es einige wenige neue Häuser, die eine hohe Sitzplatzkapazität bei hervorragender Akustik aufweisen. Dieses akustische Ambiente ist aber meist großen Orchesterbesetzungen und überragenden Solisten vorbehalten.

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Für eine musikalisch breitbandige Nutzung sollten die oben genannten Personenzahlen eingehalten werden. Auch der Einwand, dass es gute historische Räume gibt, die eine deutlich höhere Platzkapazität aufweisen (z.B. Carnegie Hall, 2.700  Sitzplätze, und Boston Symphony Hall, 2.600 Sitzplätze), kann außer Betracht bleiben. Hier ist der Sitzkomfort durch eine sehr enge Bestuhlung und engste Reihenabstände erheblich eingeschränkt. Auch die vorgeschriebenen Größen der Fluchtwege werden deutlich unterschritten. Nur dadurch sind kompakte Raumdimensionen für eine gute Klangmischung möglich. Diese Räume können heute allerdings nur noch mit einem »baulichen Bestandsschutz« weiterbetrieben werden. Für einen Bauherrn ist es deshalb wichtig, möglichst früh Fragen der Saalgröße zu erörtern und eine sinnvolle Entscheidung zu treffen.

Abbildung 1: Historischer Aufführungsraum, Alte Aula, Universität Wien (Wikimedia Commons © Thomas Ledl)

3. N o risk – no fun! I st gute A kustik kalkulierbar ? Wenn bei großen Kulturbauten die Kosten explodieren, dann wird häufig auch die teure Akustik als Ausrede benutzt und meist maßlos überschätzt. Dabei lassen sich hervorragende akustische Ergebnisse zumeist mit einfachen Mitteln erzielen.

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Etwas anders verhält es sich mit unseren subjektiven akustischen Vergleichsmöglichkeiten. Diese haben sich im Laufe der Geschichte verändert. Während das Publikum früher mit seinem Konzerthaus, seinem Opernhaus oder seinem Theater sehr zufrieden und verbunden war, haben wir heute vielfältige Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Orten. Schnell ergeben sich da Kritikpunkte am eigenen Haus. Gleichzeitig erlauben in unserem medialen Zeitalter Audioaufnahmen Hörerlebnisse in Bestklang­qualität. In naher Zukunft werden uns die gesamten je aufgenommenen Musikwerke über das Internet zur Verfügung stehen. Die klassische Stereoanlage ist heute zum perfekten Surround-Entertainment geworden, die einen guten akustischen Klangeindruck »vortäuschen« kann. Doch jetzt schlägt die Stunde der Live-Konzerte, bei denen man mit anderen Musikfreunden und echten Musikern aus Fleisch und Blut zusammen ist. Dies gilt für Rock, Pop und Klassik in gleicher Weise. Während bei Rock- und Popkonzerten die Akustik durch die intensive und oftmals unverschämt schlechte Beschallung in den Hintergrund tritt, ist sie für die Klangmischung und Tonübertragung in klassischen Konzertsälen, Opernhäusern und Sprechtheatern essentiell. Da die Errichtung einer Kulturimmobilie neben objektiven auch subjektiven Einflüssen ausgesetzt ist, bleibt sie immer ein gewisses Risiko. Lässt sich dieses Risiko vermeiden oder wenigstens so weit eingrenzen, dass man die zukünftigen akustischen Probleme einschätzen kann? Die Frage kann eindeutig mit »ja« beantwortet werden und wird in den folgenden Kapiteln beschrieben.

4. D as »A tmen « der K l änge und S ilben : R aumvolumen für K onzertsäle , O pernhäuser und S prechtheater Das Raumvolumen eines Saales ist für die akustische Entwicklung von größter Bedeutung. Konzertsäle, Opernhäuser und Theater brauchen für die Klangmischung eine bestimmte Mindestgröße. Andererseits können gewisse Grenzen nach oben hin nicht überschritten werden, da die Schallquelle als solche gleich bleibt und nicht angehoben werden kann. In Akustiklehrbüchern finden sich Volumenkennzahlen, sogenannte spezifische Raumvolumina, die das erforderliche Raumvolumen in Kubikmeter pro Zuhörer angeben (m3/Person, siehe Tabelle 1). Werden die genannten Werte deutlich unterschritten, ist es in der Regel nicht möglich, objektiv sehr gute akustische Verhältnisse zu erzielen. Das bedeutet, ein optimales Nachklingen des Raumes ist nicht vorhanden, da die gewünschte Länge der Nachhallzeit aufgrund der Enge des Raumes nicht erreicht werden kann. Werden die Volumenkennzahlen deutlich überschritten, sind schallabsorbierende Flächen notwendig, um die Nachhallzeit auf einen angemessenen

Die Akustik von Konzer thäusern, Opern- und Theaterräumen

Wert zu begrenzen. Gleichzeitig führt dies zu einer Reduzierung der Lautstärke, ein meist unerwünschter Effekt in Räumen mit unverstärkter Musik. Tabelle 1. Anzustrebende Volumenkennzahl in Abhängigkeit der Raumnutzung Konzertsaal für Orgelmusik

10 bis 14 m³/Person

Konzertsaal für sinfonische Musik

8 bis 12 m³/Person

Konzertsaal für Kammermusik

6 bis 10 m³/Person

Musiktheater und Mehr-Sparten-Haus

5 bis 9 m³/Person

Sprechtheater

3 bis 5 m³/Person

Musicalhaus (mit Elektroakustik)

3 bis 5 m³/Person

Zur maximalen Raumgröße der Häuser siehe Kapitel 2.

5. D as G eheimnis der R aumform : R echteck versus W einberg bei K onzertsälen Baut man um eine Schallquelle, z.B. einen Sprecher oder einen Sänger, einen Raum, so ist es den Tönen nicht mehr möglich, ins Freie zu »entkommen«. Die Schallenergie der erklingenden Töne wird von den Decken, den Wänden, den Balkonbrüstungen, dem Fußboden aufgehalten und, je nach Materialeigenschaft, wieder in den Raum und auf die Zuhörer zurückgelenkt. Es ist nachgewiesen, dass in einem Konzertsaal und Opernhaus nur etwa 20 % der Schallenergie eines Tones als Direkt­schall von der Schallquelle zum Hörer wandert. Etwa 80 % der Schallenergie des gleichen Tons werden von Wänden, Decken und Fußboden wieder auf den Zuhörer gelenkt. Fazit: der Erfolg der Klangentwicklung und Klangmischung ist wesentlich von der Raumform abhängig. In den letzten Jahrzehnten wurden Konzertsäle als Rechteckräume gebaut, als aufspreizende Fächerräume, als kreisrunde Räume mit und ohne Kuppel, als elliptische Räume und als freie Raumform mit terrassenartiger Gestaltung der Zuschauerbereiche (Weinberg). In der musikalischen Aufführungspraxis haben sich bisher nur zwei Raumformen besonders bewährt:

5.1 Der Rechtecksaal Die Zuschaueranordnung erfolgt im Parkett und auf einer oder mehreren Galerien. Für den Konzertsaalbau ist die rechteckige Saalform die traditionelle

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Bauform, die bereits im 19. Jahrhundert voll und ausführlich entwickelt wurde. Viele Komponisten, insbesondere der klassischen und romantischen Periode, haben noch für solche existierenden Rechteckräume komponiert und deren Akustik bei ihren Werken »im Ohr« gehabt. Der Hauptvorteil dieser Raumform ist: Richt­charakteristiken der verschiedenen Orchesterinstrumente und Solisten werden durch die enge Wandstellung gebündelt und mit frühen Reflexionen zu einem geschlossenen Klangbild vereint. Das gilt sowohl für die Akustik der Zuhörer als auch für das gegenseitige Hören des Orchesters. Zusammen mit dem richtigen Raumvolumen ergibt sich daraus ein fantastisches Klangerlebnis, das von keiner anderen Raumform erreicht wird. Hinzu kommt, dass der Rechteckraum im Kostenvergleich immer als günstigere Saalform abschneidet.

Abbildung 2: Auditorium Grafenegg, Österreich: Konzertsaal mit den klassischen Proportionen eines Rechtecksaales und vielgelobter Akustik. Akustische Beratung: Müller-BBM (Foto © Alexander Eugen Koller, Wien)

5.2 Die freie Raumform, Weinbergform Die freie Raumform, angelehnt an einen terrassenartig ansteigenden Weinberg, hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt, als viele Konzerthäuser in Europa neu entstanden sind. Diese Form ist dem Wunsch der Bauherren geschuldet, größere Konzertsäle für über 2.000 Personen zu bauen. Zusätzlich stiegen die Anforderungen

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an die Gangbreiten, die Fluchtwege und an den Sitzkomfort, was zur erheblichen Ausweitung der Publikumsflächen führte. Das Musikerpodium musste in Richtung Saalmitte gerückt werden, um den Abstand zu den Platzbereichen zu verkleinern. Die Saaldecke dieser Räume kann meist akustisch optimal ausgerichtet werden. Die Hauptproblematik dieser Saalform liegt jedoch darin, dass es nur wenige Seitenwände und Terrassenflächen gibt, die frühe Schallreflexionen ins Publikum ermöglichen. Dafür müssen Terrassen mit möglichst hohen Zwischen­wänden ausgebildet werden. Genauso wichtig ist bei dieser Saalform die Unterstützung des gegenseitigen Hörens der Musiker untereinander durch Podiumswände und Deckenreflektoren. Der Vorteil der freien Raumform ist also weniger akustisch zu begründen, sondern ergibt sich eher aus optischen oder Modernitätsgründen und auch, um mehr Publikum in den Raum zu bringen. Die Kosten liegen dafür deutlich über denen eines Rechteckraumes, da der Raum als solches schwieriger zu bauen ist und erheblich mehr Flächen für die Erschließung des Saales zur Verfügung stehen müssen.

Abbildung 3: Tianjin Grand Theater, China: die freie Raumform im Konzertsaal ermöglicht eine Saalentwicklung um das Podium mit terrassenförmigen Sitzplatzbereichen. Akustische Beratung: Müller-BBM (Foto © Christian Gahl, Berlin)

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5.3 Die neuen Formen In den vergangenen Jahren ging es häufig darum, die rechteckige und die freie Raumform zu verbinden. So entstanden breite Rechteckräume, die mit terrassenförmigen Rängen ausgestattet sind und die die Vorteile der beiden Raumformen vereinen.

Abbildung 4: Megaro Mousikis Athen: Konzertsaal mit hoher akustischer Variabilität für Konzerte und Opernaufführungen. Akustische Beratung: MüllerBBM (Foto © OMMA – The Athens Concert Hall Organization, Athen)

6. R aumformen für O pernhaus und Theater Wesentlich schwieriger ist die Betrachtung einer akustisch guten Raumform bei Opern- und Schauspielhäusern. Hier diktieren zuerst die Sichtlinien die Raumgeometrie. Es sind deutlich weniger experimentelle Saalformen möglich als beim Konzertsaal. Gerade im medialen Zeitalter mit seiner Bilderflut werden Plätze ohne Sichtbeziehungen zur Bühne vom Publikum nicht mehr akzeptiert. Es bedarf deshalb sehr differenzierter Berechnungen, Konstruktionen und Details, um unter diesen Vo­raussetzungen eine hervorragende Akustik zu erzielen. Gelingt dies, können gute Opernhäuser auch wie exzel-

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lente Konzertsäle klingen (z.B. die Festspielhäuser Salzburg, Baden-Baden, Bregenz, Mariinsky II etc.). In jüngster Vergangenheit gibt es zudem Versuche, aus der traditionellen Bühnenkonstellation aus­zubrechen und beispielsweise in großen Industriehallen mit variablen Bühnenmöglichkeiten zu experimentieren. Oder es wird über modular aufgebaute Säle nachgedacht, die innerhalb kurzer Zeit in verschiedene Spiel- und Bühnenrichtungen umgestaltet werden können. Dies erfordert allerdings auch eine wandelbare akustische Ausstattung.

Abbildung 5: Mariinsky II Theater, St. Petersburg: modernes Opernhaus in Hufeisenform mit drei Rängen, perfekter Sicht und einzigartiger Akustik. Akustische Beratung: Müller-BBM (Foto © Tim Griffith, USA)

7. D ie A ugen hören : R aummaterialien und I nneneinrichtung Die Bedeutung der Architektur für die Beurteilung der Akustik ist nicht zu unterschätzen. Die ästhetische Empfindung beim Anblick eines Raumes beeinflusst, wenn auch unterbewusst, die objektive Urteilskraft. So wird ein architektonisch gelungener Saal meist auch akustisch gut gefallen. Dagegen muss ein optisch schwieriger Raum seine akustischen Vorzüge erst einmal unter Beweis stellen. Das harmonische Zusammenspiel der Raumform und der Materialgestaltung sollte daher bereits frühzeitig zwischen Architekt und Akustiker entwickelt und abgestimmt werden. Denn die akustischen Eigenschaften der Materialien an Decken, Wänden und Fußböden bestimmen, wie ein Saal klingt. Glatte, geschlossene Flächen reflektieren den Schall, offenporige Oberflächen wie Textilien, Schaumstoffe oder gelochte Verkleidungen absorbieren ihn. Konvex gekrümmte Flächen fä-

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chern den Schall auf, konkave Krümmungen fokussieren ihn. Strukturierte und gegliederte Oberflächen sorgen für ein diffuses, weiches Klangbild. Und dann gibt es da noch die akustisch variablen Konstruktionen. Das können drehbare Wandelemente oder Vorhänge sein, die je nach Stellung schallabsorbierend oder schallreflektierend wirksam sind. Auch die Form und das Material der Bestuhlung haben eine wichtige akustische Aufgabe zu erfüllen. Schließlich hat auch der Fußboden akustische Funktionen, insbesondere der des Podiums: wie ein Musikinstrument kann er beim Musizieren mitschwingen und den Raumklang stützen.

Abbildung 6: Franz-Liszt-Konzertsaal in Raiding, Österreich: Konvex gewölbte Fichtenholzpaneele verleihen dem Kammermusiksaal eine zeitlose Eleganz mit hervorragenden akustischen Eigenschaften. Akustische Beratung: Müller-BBM (Foto © Ulrich Schwarz)

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Abbildung 7: Teatro del Lago in Frutillar, Chile: Die fließende Formgebung an Decke und Wänden wurde mit heimischen Hölzern aus Patagonien umgesetzt und ermöglicht beste akustische Bedingungen für Opern und Konzerte. Akustische Beratung: Müller-BBM (Foto © TdL, Frutillar)

8. V ergessene R äume , vergessene K osten Bei der öffentlichen Diskussion über Kulturimmobilien steht immer der Aufführungsraum im Zentrum. Oft wird vergessen, dass dieses Zentrum viele weitere Räume braucht, die zusammen ein funktionsfähiges Ganzes bilden: Foyers, Garderoben für Künstler und Zuhörer, Orchester­probenräume, Einspielräume, Verwaltung etc. Das gesamte Gebäudevolumen eines Konzerthauses muss deutlich mehr umbauten Raum als die Saalgröße aufweisen, um alle notwendigen Räumlichkeiten unterzubringen. Bei Opern- und Theaterbauten sind Haupt- und Nebenbühne, Bühnenmaschinerie, Probenräume und Verwaltung etc. weit umfangreicher und kostenintensiver als der eigentliche Zuschauerraum.

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Abbildung 8: Konzertsaal Liepaja, Lettland: Längsschnitt mit erforderlichen funktionalen Räumen; Akustische Beratung: Müller-BBM (Foto © MBBM 3-D-Modell)

9. E lektroakustik ist salonfähig! Nicht immer findet man ideale Räume, die optimale Voraussetzungen zum Erreichen guter akustischer Bedingungen aufweisen. Und denkt man an OpenAir-Aufführungen, so gibt es gar keinen umschließenden Raum, der die wichtigen Schallreflexionen für eine gute Raumakustik liefern könnte. Hier kommt die elektronische Raumakustik ins Spiel. Innen- und Außenräume lassen sich mit Hilfe eines ausgeklügelten Systems von Mikrofonen und Lautsprechern akustisch flexibel an Nutzerwünsche anpassen. Zum Beispiel erlaubt das unter dem Namen »Vivace« bekannte Raumakustiksystem die passgenaue Ergänzung der natürlichen Raumakustik von Konzertsälen, Theatern und Opernhäusern mit elektroakustischen Mitteln – und dies in exzellenter Qualität und für höchste Ansprüche. Passend zu den Wünschen der Künstler und des Publikums wird die gesamte klangliche Feinstruktur der Raumakustik behandelt und perfektioniert. Der so erzeugte Raumklang folgt dabei exakt den physikalischen Gesetzmäßigkeiten der natürlichen Raumakustik. Das Ergebnis ist eine eindrucksvolle Räumlichkeit mit absolut natürlicher Klangwahrnehmung. Der Raumklang unterstützt die Veranstaltung anstatt sie zu begrenzen und eröffnet eine breite Anwendungsvielfalt.

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Abbildung 9: Klassik am Odeonsplatz in München. Über 8.000 Menschen erleben dank des elektronischen Raumakustiksystems »Vivace« ein hochkarätiges Musikereignis bis in die letzte Reihe. Akustische Beratung: Müller-BBM (Foto © Ralph@Larmann)

Abbildung 10: Saint François d’Assise, Ruhrtriennale und Madrid: Das elektronische Raumakustiksystem schafft eine packende klangliche Präsenz für alle Zuhörerplätze. Akustische Beratung: Müller-BBM (Foto © MBBM)

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10. D ie A kustik im B etrieb einer K ulturimmobilie Die klassische Bau- und Raumakustik verursacht keine Betriebskosten, wenn eine Kulturimmobilie einigermaßen gut funktioniert und »gewartet« wird. Abgesehen von anfänglichen Arbeiten im Zuge der Gewährleistung oder der akustischen Feinjustierung sind später in der Regel nur noch die Unterhaltskosten eines Gebäudes zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Bau- und Raumakustik im Gebäude fest integriert ist. Etwas anders verhält es sich bei variabler Akustik. Die Elemente der variablen Akustik müssen für den Nutzer deutlich beschrieben werden, damit er sie annimmt und entsprechend den Planungsvorgaben nutzt. Gerade die klassische variable Akustik in Form von mobilen Vorhängen, klappbaren Elementen und zusätzlichen Volumenkammern benötigt eine dauerhaft gute Wartung sowie Sach- und Fachkenntnis in der Anwendung. Ähnliches gilt für elektronische Raumakustiksysteme.

11. S chlusstakt Aus Sicht erfahrener Akustiker können heute sehr gute raumakustische Resultate für nahezu alle Kulturimmobilien erreicht werden. Auch wenn gewisse Raumgrenzen überschritten werden, sind immer noch akzeptable Ergebnisse möglich. Voraussetzung hierfür ist, dass Bauherr und Nutzer, Architekt und Akustiker sowie alle anderen Planungspartner sehr gut zusammenarbeiten und bereit sind, auch ungewöhnliche Lösungswege zu gehen.

Planung und Betrieb eines Konzertsaals Maurice Lausberg und Marietta Taegener

Inhalt 1. Nutzungskonzept | 250 1.1 Trends und Entwicklungen im Veranstaltungsmarkt | 252 1.2 Bestimmung des Nachfragepotenzials | 254 1.3 Angebots- und Wettbewerbsanalyse | 254 2. Raumkonzept | 255 2.1 Großer Saal | 255 2.2 Weitere Säle und Nutzräume | 256 2.3 Foyers | 256 3. Business Case | 257 3.1 Einnahmen aus Vermietung und Eigenveranstaltungen | 258 3.2 Einnahmen aus Serviceleistungen | 259 3.3 Einnahmen aus Gastronomie | 259 3.4 Einnahmen aus Sponsoring | 260 3.5 Einnahmen aus Parkgebühren | 260 3.6 Personalkosten | 260 3.7 Betriebs-, Instandhaltungs- und Marketingkosten | 261 4. Betreibermodell | 263 5. Fazit | 264 Neubau- und Sanierungsprojekte von Konzertsälen sind in den meisten Städten prestigeträchtige und für den Standort relevante Vorhaben, die mit erheblichen Kosten verbunden sind. Beispiele aus der jüngsten Zeit, wie z.B. die Debatten um einen Konzertsaal in München oder um ein Festspielhaus in Bonn, haben den Stellenwert solcher Projekte in der öffentlichen und politischen Diskussion gezeigt. Dabei stehen im Fokus der öffentlichen Debatten meist nur die direkten Kosten, also die Höhe der Bau- bzw. Sanierungskosten. Nicht selten werden die jährlich wiederkehrenden Betriebs- und Instandhaltungsrücklagen, die Träger über Jahrzehnte binden, unterschlagen. Oft wird die Diskussion bewusst ausgeklammert, verbunden mit der Hoffnung, dass

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der Betrieb eines Konzertsaals, wenn er erst einmal steht, zuschussneutral geschieht. Dass diese Hoffnung für einen reinen Konzertsaalbetrieb in der Regel nicht realistisch ist, zeigen zahlreiche Beispiele von erfolgreichen Konzerthäusern in Deutschland. Daher sollten sich Träger und Zuschussgeber vor dem Bau eines Konzertsaals mit der (realistischen) Höhe der Betriebskosten genauso detailliert beschäftigen wie mit den Baukosten selbst. Ein wichtiger Punkt ist dabei sicher, welche kulturellen und standortpolitischen Ziele mit dem Vorhaben verfolgt werden. Kulturangebote sind ein wichtiger Standortfaktor im Wettbewerb um die Ansiedlung von Unternehmen und qualifizierten Mitarbeitern. Unter diesem Aspekt können die Bau- sowie Betriebskosten als Investitionen in die Standortattraktivität gezählt werden. Diskussionen über eine mögliche Zuschusshöhe werden oft emotional geführt und können Politik und Öffentlichkeit spalten. Daher empfiehlt es sich, vor dem Bau eine detaillierte Markt- und Bedarfsanalyse durchzuführen, die durch eine seriöse Berechnung des Besucherpotentials und davon ableitend des Zuschusses die Grundlage für eine rationale Auseinandersetzung bildet. Eine Markt- und Bedarfsanalyse sollte folgende Aspekte behandeln: 1. Nutzungskonzept 2. Raumkonzept 3. Business Case 4. Betreibermodell

1. N ut zungskonzept Grundlage für die Ausgestaltung eines Konzertsaalbaus und die Entwicklung einer strategischen Ausrichtung ist die Entscheidung über das Veranstaltungsportfolio, das in dem Neubau untergebracht werden soll. Grundsätzlich kann nach folgenden Konzertsaal- und Veranstaltungsstätten-Typen differenziert werden. Zunächst lässt sich eine grobe Unterscheidung zwischen zwei Arten von Konzertsälen treffen: • Konzertsäle, die eine Vielzahl an Nutzungsmöglichkeiten bieten (Typ A und B), • Konzertsäle, die für E-Musik-Veranstaltungen1 konzipiert wurden (Typ C und D). 1 | E-Musik bezeichnet die Ernsthafte Musik im Gegensatz zur Unterhaltungsmusik, der sogenannten U-Musik.

Planung und Betrieb eines Konzer tsaals

Abbildung 1: Typologisierung von Konzertsälen und Veranstaltungsstätten (actori) Konzertsäle mit erweiterten Nutzungsmöglichkeiten zeichnen sich in der Regel durch mindestens einen großen Saal aus, der für E-Musik genauso wie für U-Musik 1 und Theatervorstellungen sowie Kongresse, Messen oder Bankette konzipiert ist. Beide Typen verfügen meist über eine Anzahl weiterer Räume in verschiedenen Größen, angefangen bei kleineren Sälen über große Kongressräume bis zu kleineren Workshopräumen. Während die weitere Infrastruktur eines Kultur- und Kongresszentrums (A) auf größere Veranstaltungen mit überregionaler Ausstrahlung ausgerichtet ist, zielt die Infrastruktur einer Stadthalle (B) primär auf kleinere Kongresse, Messen und gesellschaftliche Events von regionaler Ausstrahlung. Die Konzertsäle C und D unterscheiden sich weniger in ihrer Infrastruktur als in ihrem Veranstaltungsangebot. Ein Konzertsaal (C) bietet neben Konzerten von national und international bekannten Orchestern auch ein breit gefächertes Angebot an Konzerten von Nachwuchskünstlern, Orchestern mit regionaler Ausstrahlung und Veranstaltungen im Bereich U-Musik an. Im »High End Konzertsaal« (D) finden dagegen fast ausschließlich Konzerte hochkarätiger Orchester und Künstler im Bereich E-Musik statt. Eine differenzierte Betrachtung unterschiedlicher Typen von Konzertsälen macht eine Besonderheit deutlich: Ein Konzertsaal muss nicht zwingend nur die Funktion eines reinen Kulturbetriebs einnehmen. Eine Mischnutzung kann sich positiv auf den Zuschussbedarf eines Konzertsaals auswirken, in dem der kommerzielle Veranstaltungsbetrieb in den Bereichen Messe, Kongresse und Society den meist defizitären Kulturbetrieb querfinanziert. Dagegen zeichnen sich reine Konzertsäle durch einen nicht zu unterschätzenden Vorteil aus: Sie sind in vielen Fällen die Ankerspielstätte eines Orchesters und unterstehen der Leitung einer künstlerischen Intendanz. Dies ist die Grund-

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voraussetzung für die Entwicklung eines eigenen künstlerischen Profils, das sich sowohl positiv auf das kulturelle Leben einer Stadt auswirken als auch eine Strahlkraft für überregionale Aufmerksamkeit entwickeln kann. Das Nutzungskonzept bildet die Grundlage für die Ausgestaltung des Baus sowie des Angebotsportfolios. Daher sollte die Entscheidung über das Nutzungskonzept frühzeitig und aufgrund einer ausführlichen Markt- und Bedarfsanalyse getroffen werden. Dafür werden Trends und Entwicklungen im lokalen und nationalen Veranstaltungsmarkt sowie Angebot und Abschöpfungsgrade je Segment (z.B. im Bereich E-Musik oder im Kongressbereich) analysiert. Folgende Themenfelder stehen dabei u.a. im Mittelpunkt: • • • •

Aktuelle Trends und Entwicklungen im Veranstaltungs- und KongressSegment, Vorhandenes Veranstaltungs- und ggf. Kongressangebot in der Stadt und der Region (z.B. Anzahl, Typ und Größe der Veranstaltungsstätten), Regionale Marktabschöpfung (z.B. Veranstaltungstyp und -besucher sowie Auslastung der Veranstaltungen), Marktabschöpfung in Benchmarkregionen sowie bundesweit.

Die Analyse zeigt einerseits wichtige Trends der letzten Jahre im Veranstaltungs- und Kongressmarkt differenziert auf. Andererseits erlaubt sie die Ermittlung des bereits bestehenden Angebotsspektrums und des Abschöpfungsgrades je Segment für den Standort des geplanten Konzertsaals. Mit diesen Informationen lässt sich ein Markt- und Nachfragepotential differenziert ableiten.

1.1 Trends und Entwicklungen im Veranstaltungsmarkt Für die Analyse von Trends und Entwicklungen im Veranstaltungsmarkt wird der Markt in zwei Hauptsegmente unterteilt: • •

Kultur- und Society-Veranstaltungen (z.B. Konzerte, Comedy, Bälle, Hochzeiten), Business-Veranstaltungen (z.B. Kongresse, Messen).

Das Angebot von Kultur- und Society-Veranstaltungen richtet sich vornehmlich an Endkunden, wohingegen Business-Veranstaltungen bis auf wenige Ausnahmen überwiegend Firmenkunden ansprechen und aus Großveranstaltungen wie Aktionärsversammlungen und Parteitage, Kongresse, Fach- und Endverbrauchermessen sowie Produkt- und Firmenpräsentationen bestehen. Beide Marktsegmente unterliegen unterschiedlichen Marktmechanismen.

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Kultur- und Society-Veranstaltungen werden entweder als Eigenveranstaltungen des Konzertsaals durchgeführt oder als Mietveranstaltungen von Veranstaltern gebucht. Diese vermarkten die Veranstaltung und setzen Tickets direkt an die Konsumenten ab, deren Nachfrage den Markt bestimmt. Der Markt ist daher konsumentengetrieben und besitzt eine lokale bis regionale Reichweite. Eine differenzierte Übersicht zur bundesweiten Entwicklung der Marktsegmente erlauben Studien wie z.B. die GfK-Studie »Live-Entertainment in Deutschland«. Wie aus der Abbildung 2 hervorgeht, war der Veranstaltungsmarkt zwischen 2007 und 2012 volatil. Er weist insgesamt eine negative Entwicklung auf. Dennoch lassen sich in der negativen Entwicklung auch positiv verlaufende Wachstumssegmente wie z.B. Pop (+10,5 %) oder Comedy (+19,5 %) ausmachen.

Abbildung 2: Entwicklung Musikveranstaltungen bzw. Schauspiel- und Wortveranstaltungen in Segmenten [2007-2012]2

Business-Veranstaltungen hingegen werden von Unternehmen organisiert und weisen je nach Größenordnung der Veranstaltung regionale bis internationale Reichweiten auf. Der Zuspruch der Teilnehmer ist für die Veranstaltungsstätte nur indirekt relevant, da es sich um ein Mietgeschäft zwischen Unternehmen und Veranstaltungsstätte handelt. Bei Business-Veranstaltungsstätten werden Kongress- und Messezentren sowie Tagungshotels und Eventlocations unterschieden. Die Entwicklung von Business-Veranstaltungen verlief in den Jahren 2008 bis 2013 positiv. Die Stei-

2 | GfK Studie: Live-Entertainment in Deutschland, S. 9.

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gerung von Veranstaltungen in Höhe von 9 % wurde durch die Steigerung der Teilnehmerzahlen in Höhe von 14 % noch übertroffen.3 Trends und Entwicklungen geben Hinweise auf die Entwicklung von Marktsegmenten, sie zeigen jedoch nicht auf, ob ein Nachfragepotenzial am Standort des geplanten Konzertsaals besteht. Dies kann nur durch eine Analyse des Nachfragepotenzials ermittelt werden.

1.2 Bestimmung des Nachfragepotenzials Es gibt unterschiedliche Methoden, das Nachfragepotenzial zu ermitteln, z.B.: Top-down- und Bottom-up-Abschätzungen, Befragungen bei (potenziellen) Besuchern oder Veranstaltern. Idealerweise werden zur Validierung der Ergebnisse mehrere Methoden verwendet. So ermöglicht z.B. eine Analysemethode, die auf einem Vergleich des Besuche-Aufkommens mit Benchmarkregionen sowie dem Bundesdurchschnitt aufsetzt, ein differenziertes und verlässliches Ergebnis. Hierzu wird jeweils um den Konzertstandort sowie mehrere Benchmarkstädte, die ähnliche Charakteristika wie der Standort aufweisen (z.B. Einwohner, Kaufkraft), eine sogenannte 60-Minuten-Isochrone gezogen. Die Isochrone definiert ein Gebiet, das innerhalb einer Fahrtzeit von 60 Minuten erreicht werden kann. In einem zweiten Schritt werden die Bevölkerungsanzahl der Isochrone sowie die Veranstaltungsstätten mit deren Kapazitäten, Veranstaltungen und Auslastungen erfasst. Hierbei sind alle Veranstaltungen von Relevanz, die potenziell in dem neuen Konzertsaal stattfinden. Im nächsten Schritt wird eine Hochrechnung für alle Veranstaltungsbesuche erstellt. Ergebnis ist ein genauer Überblick über die Anzahl von Veranstaltungsbesuchen je Segment (z.B. Theater, Klassikmusik/Opern, Shows) im Laufe eines Jahres innerhalb des einstündigen Radius. Die Anzahl von Veranstaltungsbesuchen wird ins Verhältnis zur Einwohnerzahl der Isochrone gesetzt und mit dem Ergebnis der Benchmarkregionen sowie des Bundesdurchschnitts abgeglichen. So kann ermittelt werden, ob für das jeweilige Segment ein nicht gedecktes Nachfragepotenzial besteht oder der Markt für dieses Veranstaltungssegment gesättigt ist.

1.3 Angebots- und Wettbewerbsanalyse Eine Angebots- und Wettbewerbsanalyse hilft, die Ausgestaltung des Konzertsaals im regionalen Wettbewerb bestimmen zu können. Durch eine differenzierte und detaillierte Analyse der vorhandenen Veranstaltungsstätten und Interviews mit Veranstaltern und Kongressunternehmen können Überange3 | Meeting- & EventBarometer, Deutschland 2013/14, Pressekonferenz 20.05.14, S. 10.

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bote bzw. der Mangel an Veranstaltungsstätten-Typen bzw. bestimmten Kapazitäten (z.B. Kammermusiksaal) und Ausstattungen (z.B. technische Gegebenheiten wie Hubbühnen) ermittelt werden. Zeigen sich Desiderate in Bezug auf Typen, Kapazitäten und Ausstattung, können diese durch einen Neubau gezielt beseitigt werden. Sowohl der Veranstaltungs- als auch der Kongressmarkt sind hart umkämpft. Eine passende und zeitgemäße Infrastruktur stellt einen zentralen Wettbewerbsvorteil dar. Daher ist eine klare Positionierung nicht nur in Bezug auf das Veranstaltungsportfolio sondern auch auf die infrastrukturelle Ausstattung relevant. Ist im Rahmen der Markt- und Bedarfsanalyse ein geeignetes Nutzungsmodell ermittelt worden, so gilt es, den Bau für dieses architektonisch optimal auszustatten.

2. R aumkonzept Ein Raumkonzept hat die Funktion, die räumlichen Anforderungen, die sich aus dem Nutzungsmodell ergeben, in ein Konzept zu übersetzen, das als Architektenbriefing dient. Gleichwohl wird diesem Planungsschritt häufig nicht ausreichend Beachtung geschenkt. Dies führt dazu, dass Immobilien an den tatsächlichen Bedarfen ihrer Nutzer »vorbeigeplant« werden. Neben ggf. anfallenden Zusatzkosten für bautechnische Nachbesserungen verursachen Fehlplanungen oft hohe Opportunitätskosten, da ursprünglich geplante Nutzungen aufgrund der unzureichenden technischen und architektonischen Gegebenheiten nicht umsetzbar sind. Für einen Konzertsaal mit erweiterter Nutzung ist Multifunktionalität der technischen und räumlichen Ausstattungen maßgeblich. Alle Bereiche eines Konzertsaals mit erweiterter Nutzung sind entsprechend diesem Hintergrund zu prüfen und zu planen. Das folgende Kapitel soll exemplarisch wichtige Punkte für die Planung aufzeigen.

2.1 Großer Saal Zwei grundsätzliche Möglichkeiten bestehen für die Architektur des Großen Saals eines Konzerthauses: • Schuhschachtel-Konzertsaal, • Weinberg-Konzertsaal. Schuhschachtel-Konzertsäle zeichnen sich durch eine kleinere Grundfläche mit einem flachen bzw. leicht ansteigenden Publikumsbereich und Seitenrängen sowie großen reflektierenden Wände aus. International bekannte

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Schuhschachtel-Konzertsäle sind z.B. der Concertgebouw Amsterdam oder der Wiener Musikverein. Weinberg-Konzertsäle hingegen haben eine große Grundfläche mit einem ansteigenden Publikum ohne Seitenränge oder Emporen, meist keine überlagerten Publikumsflächen und Zwischenwände. Bekannte Weinberg-Konzertsäle sind die Berliner Philharmonie oder die neue Elbphilharmonie in Hamburg. Für einen Konzertsaal mit erweiterter Nutzung kommt prinzipiell nur ein Schuhschachtel-Modell in Frage, da ein Weinbergkonzertsaal aufgrund der Architektur keine multifunktionale Nutzung ermöglicht. Ein Konzertsaal mit erweiterter Nutzung muss nicht nur die räumlichen, akustischen und technischen Anforderungen für einen regulären Konzertsaal erfüllen, sondern auch den Anforderungen für Rock- und Pop-Konzerte, Opern- und Theatervorstellungen, Kongressveranstaltungen, Messen, Bankette oder Feiern entsprechen. Eine höchste räumliche Flexibilität bildet demnach die Basis.

2.2 Weitere Säle und Nutzräume Die Möglichkeit, den Großen Saal um weitere Säle zu erweitern, wird maßgeblich durch das Nutzungskonzept bestimmt. Sollen große Messen und Kongresse stattfinden, bedarf es einer umfangreicheren Infrastruktur sowie Flexibilisierungsmöglichkeiten bezüglich des Raumkonzeptes. Große Kongresszentren halten meist mindestens drei Säle mit einer Saalkapazität von bis zu 2.000 Plätzen und mehr vor, die um mindestens 20 Tagungsräume ergänzt werden. Kultur- und Kongresszentren dagegen verfügen meist nur über einen großen und einen kleineren Saal (z.B. ein Kammermusiksaal). Dazu kommt eine Reihe von ca. zehn bis maximal 20 Tagungsräumen. Sowohl für Kongress- und Messezentren als auch für Kultur- und Kongresszentren gilt, dass größere Räume immer auch in kleinere Räume teilbar sein sollten, um alle Räumlichkeiten bestmöglich an die individuellen Nutzungsbedarfe anpassen zu können.

2.3 Foyers Foyers können flexibel verwendet werden und nehmen daher für einen Konzertsaal mit multifunktionaler Nutzung eine wichtige Rolle ein. Das Foyer sollte in weiten Flächen mit dem Großen Saal verbunden werden, da Kongresse und Messen oftmals neben Sälen und Räumen auf die Foyerflächen für weitere Nutzungen zurückgreifen. So können z.B. im Großen Saal Kongresse sattfinden während das umliegende Foyer als Ausstellungsfläche für Produktpräsentationen oder für das Anrichten eines Mittagsbüffets genutzt wird.

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3. B usiness C ase Vor Baubeginn sollte bereits ein (grober) Businessplan bestehen, der alle relevanten Erträge sowie Aufwendungen umfasst. Der Business Plan fußt auf dem Nutzungs- sowie Raumkonzept und ermöglicht eine Abschätzung über den zukünftigen Zuschussbedarf des Konzertsaals. Folgende Struktur liegt einem Business Case zugrunde: 1. Einnahmen durch • • • • • •

Vermietungen, bei Eigenveranstaltungen ggf. Ticketeinnahmen, Serviceleistungen, Gastronomie, Sponsoring, Parkgebühren.

2. Kosten • • • • • •

Personal, Betrieb, Rücklagen für Instandhaltung, Ggf. Mieten, Veranstaltungen, Marketing.

Sollte ein Konzertsaal mit oder ohne erweiterte Nutzung schon zuvor am Standort existiert haben, können Erträge und Aufwendungen der alten Immobilie nützliche Anhaltspunkte für die Ermittlung der Zahlen des neuen Business Case liefern. Die Berechnung des Business Case setzt in dem Jahr an, in dem die Planungs- und Bauphase abgeschlossen ist. Dafür müssen Erträge sowie Aufwendungen unter Beachtung der Inflation, Tarifsteigerungen etc. hochgerechnet werden. Ein Business Case sollte immer einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren abdecken, um den Betrieb in einem »eingeschwungenen Zustand« abzubilden. Da sich die Immobilie in den ersten Jahren i.d.R. noch nicht auf dem Veranstaltungsmarkt fest etabliert hat, können die ersten Betriebsjahre keine voll aussagekräftigen Ertragszahlen liefern. Erst im eingeschwungenen Zustand lässt sich der tatsächliche Zuschuss ermitteln, den der Träger für den Konzertsaal zu leisten hat.

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Im Folgenden sollen die einzelnen Bereiche des Business Case erläutert werden. Dabei werden zunächst die Erträge und anschießend die Aufwendungen behandelt.

3.1 Einnahmen aus Vermietung und Eigenveranstaltungen Zentraler Bestandteil der Erträge sind die Einnahmen aus Vermietungen und ggf. Ticketeinnahmen von Eigenveranstaltungen. Die Berechnung der Einnahmen erfolgt auf Grundlage des Nutzungs- und Raumkonzeptes. Auf dieser Basis lässt sich ableiten, wie viele Veranstaltungen bzw. Vermietungen aus den einzelnen Segmenten in den Räumlichkeiten im Jahr stattfinden werden. Die folgende Abbildung zeigt eine exemplarische Verteilung der Veranstaltungen in den Bereichen Kultur, Society, Business bzw. Tagung/Kongresse und Messen/Ausstellungen auf die einzelnen Raumsegmente eines Konzertsaals mit erweiterter Nutzung.

Abbildung 3: Exemplarische Verteilung von Veranstaltungs- und Vermietungsarten auf Raumsegmente eines Konzertsaals mit erweiterter Nutzung (actori) Für die Berechnung der Mietpreise empfiehlt sich eine Benchmarkanalyse mit Veranstaltungsstätten ähnlichen Typs. Die Mietpreise sollten sich an Preisen vergleichbarer Immobilien und Standorte orientieren. Für die Ermittlung von Mietpreisen im Kultur- und Society-Segment bietet sich ein Basistarif an, der durch einen Zusatztarif, der sich nach der Höhe der Eintrittspreise richtet, ergänzt wird. Dauert die Belegung des Raums über einen definierten Zeitraum hinaus, so fallen Extrakosten an. Im Business-Segment kann mit einer Tages-Tarifpauschale für die Säle gerechnet werden. Dabei bemessen sich die Mietpreise für Tagungsräume und Foyers an ihrer Größe und der technischen Ausstattung. Für Ausstellungen und Messen wird ein Preis pro qm Ausstellungsfläche angesetzt. Auf- und Abbautage können mit einem reduzierten Mietpreis kalkuliert werden.

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Im Kulturbereich können neben Mietveranstaltungen, die ein geringes finanzielles Risiko bedeuten, auch Eigenveranstaltungen durchgeführt werden. Diese bergen zwar ein deutlich höheres Finanzierungsrisiko, können jedoch auch einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur künstlerischen Profilierung des Konzertsaals leisten. Darüber hinaus wird der Konzertsaal für das Engagement von Sponsoren deutlich attraktiver. Zur Berechnung der Einnahmen wird eine durchschnittliche Auslastung sowie ein durchschnittlicher Eintrittspreis für den jeweiligen Veranstaltungstyp und -raum angesetzt. Den Einnahmen müssen allerdings veranstaltungsbezogene Kosten (z.B. Gagen oder Reisekosten) entgegengerechnet werden. Daher empfiehlt sich im Falle von Eigenveranstaltungen eine konservative Berechnung für den Business Case.

3.2 Einnahmen aus Ser viceleistungen Das Angebot an technischen Serviceleistungen (Ton, Licht) sowie weiteren Dienstleistungen (Garderobe, Wachdienst, Umstuhlung für und während Veranstaltungen etc.) ist wirtschaftlich lukrativ. Dies kann entweder durch eigenes Personal oder durch eine externe Firma geschehen, deren Beauftragung in vielen Fällen praktikabler ist: Die Kosten können an den Kunden mit einem Aufschlag weitergereicht werden, der eigene Personalstamm muss nicht vergrößert und der Einsatz kann flexibel geplant und gesteuert werden. Die Einnahmen aus Serviceleistungen berechnen sich nach einer Provision pro Dienst, die mit dem Partner auszuhandeln ist. Für die Berechnung der Einnahmen im Business Case müssen die Höhe der Provision, der Preis für die Services sowie ein realistischer Anteil der Mieter im Kultur-, Society- und Business-Segment angenommen werden, der die Serviceleistungen in Anspruch nimmt.

3.3 Einnahmen aus Gastronomie Die Gastronomie kann entweder durch ein Pachtmodell oder auf eigenes Risiko (mit eigenem Personal) betrieben werden. Grundlage zur Berechnung ist eine Planung bezüglich der angebotenen gastronomischen Services. Pausengastronomie bei Kulturveranstaltungen sowie Catering bei Society- und Businessveranstaltungen gehören zu den Standardleistungen eines Konzertsaals mit erweiterter Nutzung. Die Frage nach der Einrichtung einer Großküche ist vor dem Hintergrund zu klären, in welcher Regelmäßigkeit Großveranstaltungen mit gastronomischer Versorgung stattfinden. Um das finanzielle Risiko sowie die Personalkosten gering zu halten, empfiehlt es sich, die Gastronomie zu verpachten. Diese Empfehlung wird durch das Ergebnis einer Benchmarkanalyse durch actori gestützt, die ergeben hat, dass alle der zehn untersuchten Kultur- und Kongresszentren mittelgroßer deutscher Städte ihren Gastronomiebetrieb verpachten.

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Die Berechnung des Umsatzes aus der Pausengastronomie sowie des Caterings basiert auf der Besucheranzahl von Kultur-, Society- und Business-Veranstaltungen. Dabei müssen Annahmen über den Anteil der Besucher, die die Gastronomie in Anspruch nehmen, sowie den durchschnittlichen Umsatz getroffen werden. Die Umsatzpacht sollte standortüblich berechnet werden.

3.4 Einnahmen aus Sponsoring Nur wenige Konzerthäuser können substantielle Sponsoringeinnahmen vorweisen. Ausnahmen sind Sponsoringerträge, die aufgrund von Eigenveranstaltungen erzielt werden. Daher sollten Erlöse aus Spenden und Sponsoring nur dann kalkuliert werden, wenn Eigenveranstaltungen geplant sind. Mögliche Leistungen von Sponsoringpartnern sind die Unterstützung einer Konzertreihe, die Ermöglichung von reduzierten Tickets für junge Menschen etc. Für die Berechnung der Sponsoringerträge ist pro Eigenveranstaltung eine durchschnittliche Sponsoringsumme anzunehmen. Die Höhe der Sponsoringeinnahmen variiert nicht nur in Abhängigkeit der Veranstaltungsanzahl, sondern hängt auch entscheidend von dem Standort ab. Demnach sollte realistisch bedacht werden, wie viele Unternehmen am Standort als potenzielle Sponsoren in Frage kommen und welche Stellung der Konzertsaal in der Stadt einnehmen wird.

3.5 Einnahmen aus Parkgebühren Je nach Standort wird ein Konzertsaalneubau Parkplätze vorhalten müssen. Die benötigte Anzahl ergibt sich aus dem Nutzungskonzept. Zur Ermittlung des Umsatzes kann eine standortübliche Parkgebühr pro Stunde sowie eine durchschnittliche Parkdauer pro Besucher angenommen werden. Für den Betrieb des Parkhauses empfiehlt sich meist ein Pachtmodell mit einem externen Dienstleister. Abhängig von der Lage des Konzertsaals kann im Business Case neben einem Anteil von Veranstaltungsbesuchern mit einem Umsatz durch Nicht-Besucher gerechnet werden.

3.6 Personalkosten Die Personalkosten machen neben den Betriebskosten den größten Anteil der Kosten eines Konzertsaals aus. Das Tagesgeschäft wird mit einem festen Personalstamm bewältigt. Die Ausgestaltung des Personalstamms hängt wesentlich von der Größe sowie dem Typus des Konzertsaals ab. Finden lediglich Konzerte im Bereich E-Musik statt, ergeben sich andere Anforderungen an den Personalstamm als bei einem Saal, der neben Veranstaltungen im Kultur- und Society-Segment auch Veranstaltungen im Business-Segment aufweist. Abbildung 4 zeigt ein exemplarisches Organigramm eines mittelgroßen Kultur-

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und Kongresszentrums. Neben einem Kaufmännischen Direktor bedarf es im Fall von Eigenveranstaltungen eines künstlerischen Intendanten. Darüber hinaus werden Abteilungen in den Bereichen Kommunikation, Produktion und Verwaltung benötigt. Die Anzahl des Personals ist abhängig von der Größe des Gebäudes, der Anzahl und Größe der Veranstaltungen sowie dem Umfang des Outsourcings. Die Kalkulation der Personalkosten im Business Case sollte auf Basis von entsprechenden Durchschnittsgehältern erfolgen und auf das erste Betriebsjahr hochgerechnet werden.

Abbildung 4: Exemplarisches Organigramm eines Kultur- und Kongresszentrums (actori)

3.7 Betriebs-, Instandhaltungs- und Marketingkosten Betriebskosten umfassen unter Anderem Kosten für Energie und Abwasser, die sich anhand der Fläche, der Raumarten (Säle und Konferenzräume) und der verwendeten Materialien berechnen lassen, sowie für Gebäude- und Technikunterhalt, die anhand der Fläche sowie der technischen Ausstattung kalkuliert werden. Veranstaltungskosten bestehen bei Eigenveranstaltungen aus den Kosten für die Veranstaltung selbst (z.B. Gagen der Künstler). Darüber hinaus fallen bei allen Veranstaltungen Kosten für z.B. zusätzlichen Energieverbrauch, Reinigung, Umstuhlung sowie ggf. zusätzliche Dienste eigener Techniker an, die sich anhand der Veranstaltungsanzahl (und Besucher) berechnen lassen. Je nach Business Modell können Teile der Veranstaltungskosten an den Mieter weiterverrechnet werden. Die Bildung von Rücklagen für Instandhaltung ist

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ein Kostenpunkt, der häufig vernachlässigt wird, jedoch für größere Investitionen einer Veranstaltungsstätte relevant ist. Die Höhe der anzusetzenden Rücklagen ist abhängig von der Größe und der Beschaffenheit des Gebäudes. Zur Etablierung einer neuen Konzert- und Veranstaltungshalle sowie zur mittel- und langfristigen Positionierung ist eine umfängliche Öffentlichkeitsund Marketingkampagne notwendig. Im Kultur- und Society-Segment müssen die Maßnahmen darauf abzielen, das Angebot, besonders der Eigenveranstaltungen, im Stadtbild und bei der lokalen Presse sichtbar zu machen. Für das Business-Segment sollte das Angebot zielgruppengerecht an potentielle Kunden in der Region und darüber hinaus kommuniziert werden. Oft werden diese Kosten unterschätzt. Daher sollten Marketingkosten im Business Case grundsätzlich nicht zu niedrig angesetzt werden. Neben der Kalkulation eines Real Case empfiehlt sich die Kalkulation eines Worst- bzw. Best-Case, um eine Bandbreite an negativen und positiven Entwicklungen sowie deren Auswirkungen finanziell abzubilden. Wichtige Kennzahlen bilden hier die Anzahl der Vermietungen, bei Eigenveranstaltung zudem die Auslastung. Die folgende Abbildung zeigt exemplarisch einen Business Case für einen Konzertsaal mit erweiterter Nutzung in einer mittelgroßen deutschen Stadt von 2020 bis zum eingeschwungenen Zustand im Jahr 2024 auf.

Abbildung 5: Exemplarischer Business Case für einen Konzertsaal mit erweiterter Nutzung – Real Case (in Tsd. €)

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4. B etreibermodell Zuletzt ist für den Konzertsaal das Betreibermodell zu definieren. Erstens ist die Ausgestaltung der Rechtsform zu bestimmen, was z.B. die Festlegung von Kontroll- und Steuerungsmechanismen durch den Träger betrifft. Zweitens ist die Art des Betriebs der Veranstaltungsstätte zu klären: Soll der Konzertsaal »stand alone« betrieben werden oder gemeinsam mit anderen Veranstaltungsstätten am Standort? Hinsichtlich der Rechtsform ist grundsätzlich zwischen einer öffentlichen und einer privaten zu unterscheiden. Während reine Kulturbetriebe, wie Museen oder Theater oft in einer öffentlichen Rechtsform, d.h. als Regie- oder Eigenbetrieb, geführt werden, weisen viele Konzertsäle die private Rechtsform einer GmbH auf. Diese bietet für einen Konzertsaal eine Reihe von Vorteilen, besonders dann, wenn mit einer erweiterten Nutzung auch ein Großteil rein kommerzieller Veranstaltungen durchgeführt wird. So schafft eine GmbH die besten Rahmenbedingungen für eine effiziente Betriebsführung in Form der doppelten Buchführung, durch die Ein- und Ausgaben transparent gemacht werden. Darüber hinaus ist eine GmbH im Gegensatz zu einem Regie- oder Eigenbetrieb nicht an öffentliches Tarifrecht oder an ein vergleichbar strenges Ausschreibungs- und Vergabewesen gebunden. Insbesondere das Einhalten strenger Ausschreibungspflichten kann Betriebsvorgänge verkomplizieren. Daher empfiehlt sich für einen Konzertsaal mit erweiterter Nutzung prinzipiell die Rechtsform der GmbH. Die Frage, ob der Konzertsaal als »stand alone-Modell« betrieben wird oder in eine bestehende Veranstaltungsbetriebsstruktur zu integrieren ist, hängt davon ab, welche jeweiligen Strukturen am Standort existieren. Ein gemeinsamer Betrieb mit anderen Veranstaltungsstätten einer Stadt ist dann zu empfehlen, wenn dadurch Synergien, sei es strategischer, prozessualer oder monetärer Art, erzeugt werden: Auf strategischer Ebene kann eine gemeinsame Vermarktung die Wahrnehmung und das Image als professionell agierendes Kongress- und Kulturzentrum stärken. Auf prozessualer Ebene kann an schon etablierte Strukturen im Controlling bzw. Buchungssystem angedockt werden. Durch die Steuerung des Vermietungsbereichs aus einer Hand, können Buchungsanfragen von einem Haus an das andere weitergeleitet werden, was zur Optimierung der Auslastung beiträgt. Außerdem können Personaleinsparungen z.B. in den Bereichen Disposition, Technik, Vermarktung und Controlling möglich sein.

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5. F a zit Ob ein Konzertsaal wirtschaftlich erfolgreich betrieben wird oder nicht, ist nicht nur eine Frage des Managements. Der erfolgreiche Betrieb fußt zunächst auf einer genauen Planung der Immobilie und ihrer Nutzung. Dabei setzt eine Markt- und Bedarfsanalyse die Rahmenbedingungen für den erfolgreichen Betrieb eines Konzertsaals. Dafür muss zuallererst von Seiten des Trägers entschieden werden, welche kulturellen und standortpolitischen Ziele mit der Immobilie verfolgt und welche finanziellen Erwartungen an den zukünftigen Betrieb gestellt werden. Erst im nächsten Schritt kann die genaue Nutzung ermittelt werden. Einen entscheidenden Beitrag zum Erfolg der Immobilie leistet ein Raumkonzept, das dafür sorgt, dass die definierte Nutzung auch konsequent in der Architektur umgesetzt wird. Ein Business Case legt die Weichenstellungen für die Ausgestaltung des Konzertsaals, insbesondere in Bezug auf die Anzahl von Veranstaltungen sowie die Höhe der Erträge und Aufwendungen, und bewirkt, dass von Seiten des Trägers realistische Erwartungen an den zukünftigen Betrieb des Konzertsaals gestellt werden. Nicht zuletzt schafft die Wahl des geeigneten Betreibermodells rechtliche und operative Grundlagen für eine effiziente Betriebsführung. Sind alle Schritte einer Markt- und Bedarfsanalyse sorgfältig bearbeitet und die Ergebnisse mit den Entscheidungsträgern diskutiert und eng abgestimmt, ist eine entscheidende Grundlage für die Ausgestaltung des Baus sowie den kulturell und wirtschaftlich erfolgreichen Betrieb eines Konzertsaals gelegt.

Konzentration, Kooperation, Koordination Der Betrieb von fünf Sparten aus einer Hand Berger Bergmann und Christof Wolf

Inhalt 1. Zweck und Aufgaben | 265 2. Akteure und Strukturen | 267 2.1 Zentrale Dienste | 269 2.2 Nutzung der Immobilien | 269 2.3 Das Grillo-Theater | 270 2.4 Das Aalto-Theater | 271 2.5 Die Philharmonie Essen | 273 3. Prozesse und Spielpläne | 276 4. Kommunikation und Marketing | 278 5. Finanzen und Zuschuss | 280 6. Nachhaltigkeit und Ökologie | 281 7. Schlussbemerkung und Ausblick | 282 Literatur | 283 Die Theater und Philharmonie Essen GmbH, kurz TUP, lässt sich mit ihren fünf Sparten, ihren drei großen Spielstätten, mit ihren mannigfachen Abteilungen und der Vielzahl externer Partner als diffiziles und differenziertes Gebilde bezeichnen. Im Folgenden soll beispielhaft verdeutlicht werden, wie ein solch komplexer Apparat funktionieren kann und wie wichtig dabei Stichworte wie Konzentration, Kooperation und Koordination sind.

1. Z weck und A ufgaben Die TUP betreibt als privatrechtlich organisierte gemeinnützige Kultureinrichtung und 100-prozentige Tochtergesellschaft der Stadt Essen einen der größten Kulturbetriebe Deutschlands. Sie bildet das organisatorische Dach für die künstlerischen Sparten Musiktheater, Orchester, Ballett und Schauspiel sowie

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– und dies eine in Deutschland singuläre Konstruktion – ein Konzerthaus. Den fünf Sparten stehen drei Intendanten vor, die Leitung der Gesellschaft obliegt einem Geschäftsführer. Zweck der Gesellschaft ist laut Satzung »die unmittelbare und ausschließliche Pflege und Förderung der Kunst, der Kunstteilhabe und der kulturellen Breitenarbeit«.1 Verwirklicht wird dieser Zweck durch ein reichhaltiges Angebot aller Sparten der TUP, das sich vom klassischen Opernbetrieb über vielfältige Angebote in Ballett und Schauspiel, den Konzertbetrieb bis hin zu Festivals der Neuen Musik (»NOW!«) erstreckt. Die Geschäftsführung unterstützt und fordert dabei von den künstlerischen Leitern spartenübergreifende Projekte. Prägend für die TUP ist zudem das Kinder- und Jugendprogramm, das unter dem Titel »TUP macht Schule« in Zusammenarbeit aller Sparten ein beachtenswertes Spektrum unterschiedlichster Aufführungen und Projekte anbietet. Vom Kleinkind über den Grundschüler bis zum Jugendlichen finden sich für alle Altersstufen umfängliche Angebote.2 Symposien, Konzerteinführungen, Vortragsreihen und vieles mehr bilden darüber hinaus ein Begleitund Bildungsprogramm für Erwachsene. Die TUP versteht sich als ein nicht nur lokal, sondern auch regional verankertes Unternehmen. »Wir machen Kunst für hier, bringen internationale Künstler und überregionalen Glanz in die Stadt und Region und leisten damit unseren Beitrag zum Strukturwandel im Ruhrgebiet.«3 Ziel der TUP ist es, als zentraler Anziehungspunkt für interessierte Kunstliebhaber in der Stadt und in der gesamten Region zu wirken. Rund die Hälfte der Gäste, welche die Programme von Oper, Ballett, Schauspiel, Orchester und Konzerthaus besuchen, kommt aus Essen, rund 40 Prozent aus dem Umland in einem Radius von 40 Kilometer und damit zehn Prozent von jenseits dieses Einzugsbereichs. Gegründet wurde die TUP im Jahre 1984 in der Nachfolge des behördlich geführten Essener Theaters.4 Unter dem Dach der neuen gemeinnützigen GmbH versammelten sich damals die Sparten Musiktheater, Ballett, Orchester, Schauspiel sowie das Kinder- und Jugendtheater (das zur Spielzeit 1998/1999 1 | Gesellschaftsvertrag (Satzung) der Theater und Philharmonie Essen GmbH. Fassung vom 11. Mai 2004. 2 | Siehe die Broschüre »TUP macht Schule«, die – von der TUP einmal in der Spielzeit herausgegeben – auf rund 160 Seiten das Programm für Kinder und Jugendliche aller TUP-Sparten enthält. 3 | Aus der Broschüre zur Besucherbefragung, die die TUP in der Spielzeit 2012/2013 durchführen ließ. 4 | Zur Geschichte des Essener Theaters siehe: Jürgen-Dieter Waidelich: Essen spielt Theater. 1000 und einhundert Jahre. Zum 100. Geburtstag des Grillo-Theaters (Band 1 + 2), Düsseldorf: ECON Verlag 1992/1994.

Konzentration, Kooperation, Koordination

dem Schauspiel zugeordnet wurde und damit den Status als eigenständige Sparte verlor). Mit dem von 2002 bis 2004 erfolgten Umbau des städtischen Saalbaus zur Philharmonie Essen kam das Konzerthaus als wiederum fünfte künstlerische Sparte hinzu. Die großen Spielstätten der TUP – das Aalto-Theater, das Grillo-Theater und die Philharmonie – gelten als Symbole und Begleiter des Strukturwandels im Ruhrgebiet. Sie dienen als kulturelle Aushängeschilder und Imageträger der Kommune, von der sie zum allergrößten Teil finanziert werden. Ihre Angebote sollten und sollen zur Befriedigung der kulturellen Bedürfnisse der Essener und der Ruhrgebiets-Bürger sowie zu ihrer Bildung beitragen. Mit Blick auf das hohe Niveau und den Umfang des künstlerischen Programms einerseits und die Zahl von mehr als 350.000 Besuchen jährlich andererseits, erfüllt die TUP ihren kulturpolitischen und von der Satzung vorgegebenen Auftrag erfolgreich. Im Ranking der NRW-Bühnen belegen die Essener Konzert- und Theaterhäuser seit Jahren wiederkehrend vorderste Plätze, und die Auslastung der Häuser liegt regelmäßig jenseits der 80-Prozent-Marke, die Sparte Ballett erreicht derzeit sogar Auslastungswerte von über 90 Prozent. Zudem obliegt der TUP die Aufgabe, die Philharmonie, die sie überwiegend mit Eigenveranstaltungen bespielt, auch gewerblich zu vermieten. Sie bietet das Gebäude sowohl für künstlerische wie auch für rein kommerzielle Veranstaltungen an. In dieser Funktion handelt die TUP nicht mehr im Rahmen ihrer satzungsgemäßen, gemeinnützigen Aufgaben, sondern wird gewerblich tätig.

2. A kteure und S trukturen Die Organisationsform als gemeinnützige GmbH ermöglicht es der TUP, insgesamt flexibler zu agieren als dies in der vormaligen behördlichen Struktur möglich war.5 Geleitet wird sie derzeit von einem Geschäftsführer (Berger Bergmann). Die Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers erfolgt gemäß der Satzung der TUP durch den Aufsichtsrat und die Gesellschafterversammlung, wobei der Rat der Stadt diese Entscheidung abschließend an sich zieht. Die Position des Geschäftsführers wurde durch die Satzung (Gesellschaftsvertrag) sowie die Geschäftsordnung der TUP mit weitgehenden Kompetenzen ausgestattet. Zur Erfüllung des Zwecks der Gesellschaft sind dem 5 | In der deutschen Kulturlandschaft finden sich Betriebe mit Rechts- und Betriebsformen diverser Art. Die Rechtsformen wurden schon verschiedentlich dargestellt und diskutiert, siehe beispielhaft: Petra Schneidewind: »Die Rechtsform«, in: Prof. Dr. Armin Klein (Hg.), Kompendium Kulturmanagement. Handbuch für Studium und Praxis, München: Verlag Franz Vahlen 2004, S. 159-178.

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Geschäftsführer Intendanten zur Seite gestellt. Deren Bestellung erfolgt allein durch den Aufsichtsrat. Die Gesellschaft hat derzeit drei künstlerische Leiter: einen Intendanten für das Musiktheater, das Orchester und das Konzerthaus (Hein Mulders), einen Intendanten für das Ballett (Ben Van Cauwenbergh) sowie einen Intendanten für das Schauspiel (Christian Tombeil). Der Geschäftsführer und die Intendanten werden im Regelfall für jeweils fünf Jahre bestellt, eine Verlängerung ist möglich. Dachorganisation

Theater und Philharmonie Essen (TUP)

Geschäftsführer

Intendanten Sparten

Berger Bergmann •

Verwaltung/Personal/Finanzen/EDV



Marketing/Öffentlichkeitsarbeit



Vertrieb/TicketCenter



Kostüm/Maske



Technik/Werkstätten



etc.

Ben Van Cauwenbergh

Ballett

Musiktheater

Aufführungen von Ballett und Musiktheater

Spielstätten

Christian Tombeil

Hein Mulders

Aalto-Theater

Philharmoniker

Philharmonie

Sinfoniekonzerte in der Philharmonie

Schauspiel

Einzelprojekte im Schauspiel

Philharmonie

Grillo-Theater

Nicht nur Konzerthaus, sondern auch Kongresszentrum und Tagungsort etc.

Als Hauptspielstätte, außerdem: Casa, Box, Cafe Central und Heldenbar

Abbildung 1: Die TUP: fünf Sparten, drei große Häuser, ein Dach Die künstlerischen Leiter sind hinsichtlich ihrer künstlerischen Planungen frei; sie sind allerdings vertraglich dazu verpflichtet, mit den ihnen zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln auszukommen. Überschreitungen müssen frühzeitig angezeigt werden und bedürfen der Genehmigung durch den Geschäftsführer. Im Falle nicht angezeigter und nicht genehmigter Überschreitungen sehen die Verträge der künstlerischen Leiter die Möglichkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor. Die Wirtschaftspläne werden unter Beteiligung der künstlerischen Leiter vom Geschäftsführer aufgestellt. Er unterbreitet dem Aufsichtsrat die Wirtschaftspläne zur Genehmigung und setzt sie im Rahmen seiner Tätigkeit selbstständig um.

Konzentration, Kooperation, Koordination

2.1 Zentrale Dienste Den künstlerischen Leitern sind nur die unmittelbar ihren Bereichen zuzuordnenden Mitarbeiter unterstellt. Hierzu gehören neben den Sängern, Schauspielern, Tänzern und Orchestermusikern die jeweilige Leitung der künstlerischen Betriebsbüros, die Dramaturgen sowie Assistenten und sonstige Mitarbeiter, die zur direkten Erfüllung der künstlerisch ausgerichteten Aufgaben notwendig erscheinen. Alle sonstigen Mitarbeiter der Bereiche Technik, Werkstätten, Kostüm, Maske, Haustechnik etc., aber auch aus den Abteilungen EDV, Verwaltung, Vertrieb, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Marketing sind dem Geschäftsführer unterstellt. Er bietet alle diese Dienste zentral für das gesamte Unternehmen an und steuert ihre Inanspruchnahme durch die Sparten und ihre künstlerischen Leiter.

2.2 Nutzung der Immobilien Der TUP stehen zur Erreichung ihrer Zwecke diverse Immobilien zur Verfügung. Zu nennen sind hier das bekannte Aalto-Theater am Essener Stadtgarten und die ihm direkt gegenüberliegende Philharmonie Essen, der ehemalige Saalbau. In der Mitte des Stadtzentrums gelegen ist das Grillo-Theater als Essener Schauspielhaus. In unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich – untergebracht im Gebäude der historischen Sparkasse – zwei Nebenbühnen des Schauspiels: die Casa und die Box. Neben diesen als Spielstätten fungierenden Gebäuden nutzt die TUP eine Reihe weiterer Immobilien. Dazu gehört zum Beispiel das in der Essener Innenstadt befindliche ursprüngliche Verwaltungsgebäude des städtischen Theaters, in dem heute die Schauspiel-Intendanz und ihre Mitarbeiter sowie Fremdnutzer untergebracht sind. Außerdem befinden sich in dem Haus das zentrale Ticket-Center der TUP und die Büros des Essener Theaterrings, einer Besucherorganisation, mit der die TUP partnerschaftlich verbunden ist. In einigen, von der TUP angemieteten Hallen im Essener Norden sind die für alle Sparten zuständigen zentralen Werkstätten untergebracht, außerdem existieren weitere kleinere Werkstätten im Aalto- und im Grillo-Theater. Keine der von der TUP in Anspruch genommenen Immobilien befindet sich im Eigentum der Gesellschaft, sie sind dieser vielmehr in unterschiedlichen rechtlichen Konstruktionen überlassen.

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2.3 Das Grillo-Theater

Abbildung 2: Das Grillo-Theater (Foto: Bernadette Grimmenstein) Von dem Berliner Architekten Heinrich Seeling im Auftrag des Essener Industriellen Friedrich Grillo errichtet und im Jahre 1892 eröffnet, im Zweiten Weltkrieg zerstört und bis 1950 durch Wilhelm Seidensticker wieder aufgebaut, wurde das Grillo-Theater Ende der 1980er Jahre von dem Essener Architekten Werner Ruhnau aufwändig umgestaltet.6 Mit seiner Wiedereröffnung 1990 und der Inbetriebnahme des Aalto-Theaters zwei Jahre zuvor wurde das bis dahin als Mehrsparten-Haus genutzte Theater zur Heimat des Schauspiels. Der Zuschauerraum hat heutzutage eine Besucherkapazität von rund 430 Plätzen.7 Die Nutzung durch die Gesellschaft ist vergleichsweise unkompliziert geregelt: Das Gebäude sowie die Nebenspielstätten Casa und Box stehen seit ihrer Eröffnung dem ehemaligen städtischen Theater, inzwischen der TUP, kostenfrei zur Verfügung. Die Bauverwaltung der Stadt Essen hielt das Haus samt dem neben ihm liegenden Intendanz-Gebäude in den vergangenen Jahrzehnten im Rahmen ihrer Möglichkeiten instand und übertrug es vor kurzem

6 | Siehe Helga Mohaupt: Das Grillo-Theater. Geschichte eines Essener Theaterbaus 1892-1990, Bonn: Bouvier 1990. 7 | Zur Architektur von Grillo-Theater, Aalto-Theater und Philharmonie siehe: Dr. Frank Maier-Solgk: Die Neuen Architekturführer Nr. 174: Theater und Philharmonie Essen, Berlin: Stadtwandel Verlag Daniel Fuhrhop 2012.

Konzentration, Kooperation, Koordination

zur effektiveren Betreuung an die Theater-Baugesellschaft Essen mbH, wie die TUP eine Tochtergesellschaft der Stadt Essen.8

Abbildung 3: Der Zuschauersaal des Grillo-Theaters (Foto: Bernadette Grimmenstein)

2.4 Das Aalto-Theater

Abbildung 4: Das Aalto-Theater (Foto: Bernadette Grimmenstein) 8 | Siehe dazu den sich anschließenden Beitrag von Thorsten Steinmann.

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Das Aalto-Theater wurde, nachdem der renommierte finnische Architekt Alvar Aalto schon 1959 den Wettbewerb zum Neubau eines Theaters in Essen gewonnen hatte, erst 1988, rund zwölf Jahre nach Aaltos Tode, mit Richard Wagners »Meistersinger von Nürnberg« eröffnet. Die Bauleitung übernahm der Architekt Harald Deilmann, Aaltos Witwe, Elissa Aalto, stand ihm beratend zur Seite.9 Bauherr war aus steuerlichen Gründen die neu geschaffene »Gemeinnützige Theater-Baugesellschaft Essen mbH« (TBE), der es gelang, den Bau viel günstiger als geplant zu errichten. Noch heute ist die TBE die Eigentümerin des Gebäudes, unterhält es in vortrefflicher Weise und hat es der TUP im Rahmen eines langfristigen Pachtvertrags überlassen. Auf Grund der damals gewählten steuerrechtlichen Konstruktion war nur eine kostenpflichtige Überlassung des Gebäudes möglich, sodass die TUP zehn Prozent der jährlichen Einnahmen des Aalto-Theaters an die TBE abführen muss. Durch diese Rahmenbedingungen sind zudem gewerbliche Vermietungen des Gebäudes nur sehr eingeschränkt möglich.

Abbildung 5: Der Zuschauersaal des Aalto-Theaters (Foto: Bernadette Grimmenstein) Sowohl im Aalto-Theater als auch im Grillo-Theater hat die Geschäftsführung die Betreuung des Vorderhauses und die Reinigung selbstständig an Fremdfirmen vergeben. 9 | Siehe auch: Gemeinnützige Theater-Baugesellschaft Essen mbh (Hg.): Aalto-Theater Essen, Dokumentation, Essen 1989.

Konzentration, Kooperation, Koordination

2.5 Die Philharmonie Essen Die Philharmonie Essen, der historische Saalbau, ist ein erstklassiges Konzerthaus mit wechselvoller Geschichte. 1904 mit einem Konzert unter der Leitung von Richard Strauss eröffnet, wurde es im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört und anschließend wiederaufgebaut.10 Von 2002 bis 2004 erfolgte eine umfassende, die historische Bausubstanz berücksichtigende Umgestaltung nach Plänen des Architekturbüros Busmann + Haberer.

Abbildung 6: Die Philharmonie Essen (Foto: Bernadette Grimmenstein) Das Konstrukt der Überlassung der Philharmonie Essen an die TUP stellt sich kompliziert dar. Auch hier liegt ein Pachtverhältnis vor, auch hier muss die TUP zehn Prozent der Einnahmen der Philharmonie abführen, allerdings nicht an die TBE, sondern an die Stadt Essen. Verwaltet wird das Gebäude von der GVE. Die GVE ist allerdings selbst nicht Eigentümer des Objekts, sondern übt nur Rechte aus, die ihr aus einem zwischen der Stadt Essen und der Eigentümergesellschaft der Philharmonie geschlossenen Vertrag übertragen worden sind. Die Konstruktion ist kompliziert, was sich aus dem für die Erstellung der Philharmonie gewählten Modell einer Public-Privat-Partnership erklären 10 | Für einen detaillierten Überblick zur Geschichte des Saalbaus siehe: Klaus Wisotzky: »Nicht nur ein Musentempel – Die Geschichte des Saalbaus«, in: Historischer Verein für Stadt und Stift Essen e. V. (Hg.): Essener Beiträge. Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen (116. Band, 2004), S. 171-226.

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lässt. Neben der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und der RWE AG war es eine Vielzahl weiterer Unternehmen, Stiftungen und Privatpersonen, die durch ihr Engagement den Bau der Philharmonie erst ermöglichten. Die folgende Übersicht soll das gewählte Modell veranschaulichen. Für weitere Einzelheiten verweisen wir auf den Beitrag von Thorsten Steinmann (GVE) in dieser Publikation. Stadt Essen

Nutzungsüberlassungsvertrag

Vermarktung

TUP

Theater und Philharmonie Essen

Pachtvertrag

Gastronomie

Dienstleistungsvertrag FM

GVE

Grundstücksverwaltung Stadt Essen

Beauftragung

Kulturelle Bespielung

Nichtkulturelle Veranstaltungen

Veranstaltungen

Dienstleister

Abbildung 7: Philharmonie Essen – Betrieb und Unterhaltung Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass die Philharmonie Essen auch wirtschaftlich genutzt wird, indem sie für künstlerische oder gewerbliche Zwecke vermietet wird. Im kulturellen Bereich handelt es sich zum überwiegenden Teil um Konzerte, die von Gastveranstaltern in der Philharmonie realisiert werden. Das Spektrum reicht vom Klavier-Festival Ruhr über die Konzertreihe des Veranstalters »Pro Arte« bis zu den Auftritten des Polizeichors Essen. Es stellt sich bunt und abwechslungsreich dar und findet regen Zuspruch. 58 Prozent der Vermietungsvorgänge fallen in dieses kulturelle Feld. Aber auch das »Philharmonie Conference Center« hat sich mit 38 Prozent Vermietungsanteil zu einer wichtigen Ertragssäule entwickelt, basierend auf einer Vielzahl großer Kongresse und Tagungen aus allen Bereichen von Wirtschaft, Medizin und Verwaltung. Die Voraussetzungen für eine solche Nutzung sind ideal: Der multifunktional nutzbare große Alfried Krupp Saal bietet Platz für über 1900 Besucher, der RWE Pavillon kann für Veranstaltungen mit bis zu 400 Gästen genutzt werden, daneben steht eine Reihe weiterer Räumlichkeiten (darunter die denkmalgeschützten »bunten« Säle) mit unterschiedlichen Platzkapazitäten zur Verfügung. Kombi-

Konzentration, Kooperation, Koordination

niert man die Raumnutzung, lassen sich so Großveranstaltungen mit bis zu 3.000 Personen durchführen. Die Bürger der Stadt haben zudem die Möglichkeit, die Räumlichkeiten für Hochzeiten, Geburtstage oder Trauerfeierlichkeiten anzumieten. Dieser Sektor erreicht einen Vermietungsanteil von vier Prozent.

Abbildung 8: Der Alfried Krupp Saal der Philharmonie Essen (Foto: Bernadette Grimmenstein) Die Vermarktung der Philharmonie-Räumlichkeiten wurde erst 2008 in die Hände der TUP gegeben. Zuvor war die Messe Essen GmbH für die Vermietung des Objekts zuständig. Immer wieder auftretender Abstimmungsbedarf zwischen der TUP als künstlerischem Hauptnutzer der Philharmonie mit rund 180 Eigenveranstaltungen einerseits und den Interessen der auf die gewerbliche Nutzung fokussierten Messe Essen GmbH andererseits führten

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dazu, dass das Vermietungsgeschäft komplett an die TUP übertragen wurde. Seit diesem Zeitpunkt ist zum einen die Anzahl der Vermietungen angestiegen, zum anderen konnten durch die besseren Planungsmöglichkeiten Abstimmungsprobleme weitgehend beseitigt und Interessensüberschneidungen nahezu ausgeschlossen werden. Sieht man von der verbesserten Koordination ab, profitiert die TUP allerdings kaum von der Übernahme des Vermietungsgeschäfts, da sie – wie die Messe Essen GmbH zuvor – die erzielten Einkünfte an die Stadt abführen muss. Nur an Einnahmen, die sich aus der Überlassung von einzelnen, zum Hause gehörenden technischen Einrichtungen sowie aus der Bereitstellung von Personal für Drittnutzer ergeben, partizipiert die TUP gemeinsam mit der GVE. Für die Unterhaltung des Gebäudes sowie die Bereiche Technik, Pförtnerdienste, Reinigungspersonal und Vorderhaus ist die GVE zuständig – als Nachfolgerin der HOCHTIEF-Gruppe, die mit der Eröffnung der Philharmonie das Facility Management übernahm. Die GVE bedient sich zur Bewältigung dieser Aufgaben einer Vielzahl von Fremdfirmen.

3. P rozesse und S pielpl äne Der Theater- und Konzertbetrieb stellt an alle an seiner Realisierung beteiligten Personen höchste kommunikative und logistische Anforderungen. Die Abstimmungen zwischen Technik, Proben und Spielbetrieb, Verkaufsstrategien des Ticketings, Umsetzung der dramaturgischen Konzepte, wirtschaftlichen Zwängen, kurzfristig erkrankten Mitwirkenden, festbeschäftigten Künstlern am Haus, künstlerischen Gästen wie Regisseuren, Bühnenbildnern oder Dirigenten müssen in allen Planungen bedacht werden. Dazu kommt die Langfristigkeit der Disposition. So werden im Konzertbereich Verträge mit einer Vorlaufzeit von drei, im Opernbereich von mindesten zwei und im Bereich des Schauspiels von bis zu zwei Jahren abgeschlossen. Auf die Einzelheiten der Spielplangestaltung sowie der inneren Organisation – sowohl im künstlerischen als auch im administrativen Bereich – einzugehen, würde den vorgegebenen Rahmen dieses Beitrages sprengen. Hinsichtlich der gern diskutierten Frage, ob Bühnen mit einem Repertoire- oder einem Stagionebetrieb11 erfolgreicher agieren können, muss die Feststellung reichen, dass die Theater der TUP im Grunde ein Repertoire-System einsetzen, das mit Stagione-Elementen angereichert ist. 11 | Für eine Betrachtung aus betriebswirtschaftlicher Perspektive siehe: Henning Röper: Handbuch Theatermanagement. Betriebsführung, Finanzen, Legitimation und Alternativmodelle, Köln: Böhlau 2001, S. 418ff.

Konzentration, Kooperation, Koordination

Im Grundsatz gilt es, einen ausgewogenen Spielplan zu gestalten, der höchsten künstlerischen Ansprüchen genügt, das Interesse einer möglichst großen Anzahl unserer Besucher weckt und ihren persönlichen Gewohnheiten entgegen kommt; wobei, und das sei hier nur am Rande bemerkt, die dramaturgischen Abteilungen der zur TUP gehörenden Häuser sicherlich eine erheblich spezifischere Ansicht hinsichtlich der Gestaltung der Spielpläne vertreten würden. Im Wettbewerb mit den anderen Theatern und Bühnen der Region ist dabei auf eine signifikante Handschrift zu achten, die die Angebote der TUP im Vergleich als etwas Besonderes, möglichst Außergewöhnliches erscheinen lässt. Das Besondere im Gesamtprogramm der Theater und Philharmonie Essen ergibt sich aus dem Vielklang der verschiedenen Handschriften der drei Intendanten und ihrer Teams, denen die selbstständige individuelle Gestaltung der Spielpläne der Häuser obliegt. Im Grunde kann die Stadt als Träger der TUP, aber auch ihr Geschäftsführer, nur einmalig – bei Auswahl, Bestellung und Vertragsgestaltung der Intendanten – auf deren zukünftige Arbeit Einfluss nehmen. Während der laufenden Intendantenverträge ist dies nur beschränkt möglich. Der Geschäftsleitung stehen als Steuerungsinstrumente ihr Einfluss auf den überwiegenden Teil der vorhandenen Ressourcen und die Zuständigkeit des Geschäftsführers als alleiniger rechtlicher Vertreter der Gesellschaft nach außen zur Verfügung. Die Intendanten nehmen ihren Einfluss aufgrund der vertraglich festgelegten Rahmenbedingungen, der grundgesetzlich garantierten »Freiheit der Kunst«12 und durch die Akzeptanz ihrer Programme beim Publikum wahr. Als außergewöhnliches Merkmal der TUP darf die Tatsache gelten, dass die künstlerischen Leiter der Häuser, angeregt durch den Geschäftsführer, in den vergangenen Jahren begonnen haben, diverse gemeinsame Projekte zu organisieren. Zudem verbindet eine Vielzahl von Kooperationen die TUP mit verschiedenen Partnern in der Stadt und der Region. Möglich wurde die Entstehung dieser Vernetzung durch eine modern denkende Generation künstlerischer Leiter, die erkannte, dass sich die Potenziale eines Fünfspartenbetriebs nicht im Gegeneinander, sondern nur im Miteinander optimal entwickeln können. Eine Einsicht, die gerade in Zeiten, in denen Kultureinrichtungen immer weniger Geld zur Verfügung steht, von besonderer Bedeutung ist.

12 | Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 5 Abs. 3.

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Abbildung 9: Die Leitungsebene der TUP (v. li.): Christian Tombeil (Intendant des Schauspiels), Berger Bergmann (TUP-Geschäftsführer), Hein Mulders (Intendant des Musiktheaters, der Philharmoniker und der Philharmonie) und Ben Van Cauwenbergh (Intendant des Balletts) Foto: Sven Lorenz

4. K ommunikation und M arketing Noch vor wenigen Jahren existierten innerhalb der TUP vier Presse- und drei Marketingabteilungen, die im Laufe der Jahre in den jeweiligen Zuständigkeitsbereichen der damaligen Intendanten eingerichtet worden waren. Im Jahr 2008 entschied sich die Geschäftsführung dazu, die einzelnen Presse- und Marketingbereiche zusammenzuführen. Heute wird die gesamte Arbeit von einer zentralen Marketingabteilung und einer Pressestelle erledigt. Beide Bereiche sind unmittelbar dem Geschäftsführer unterstellt, in seinem Auftrag unterstützen sie die Intendanten bei deren Öffentlichkeitsarbeit. Die Zusammenlegung der zuvor separierten Abteilungen kann nicht getrennt von dem Vorhaben gesehen werden, der Theater und Philharmonie Essen eine stimmige Corporate Identity (CI) zu geben und dafür ein einheitliches Corporate Design (CD) zu kreieren – dieses konnte nur durch die Geschäftsleitung zentral entwickelt und durchgesetzt werden. Das Konzept wurde im Rahmen der nach 2008 erfolgten Intendantenwechseln und den dazu notwendigen Anpassungen der Intendantenverträge sukzessive für alle Sparten umgesetzt. Als Gestalter des neuen CD konnte der Hamburger Designer

Konzentration, Kooperation, Koordination

Peter Schmidt13 vom Designbüro »peter schmidt christian von der heide – das atelier« gewonnen werden. Der Entwurf nutzt die hohen Wiedererkennungswerte der drei ikonenhaften TUP-Gebäude:

Abbildung 10: Alte Logos (links), aktuelle Logos (rechts) Mit dem neuen Erscheinungsbild präsentieren sich die Sparten als Einheit, als »TUP-Familie«, in der jede Tochter dennoch ihre Identität behält. Auf allen Kommunikationsmitteln findet sich nun der Schriftzug »KULTUR IN ESSEN. TUP« – eine selbstbewusste Aussage, die von einem leichten Augenzwinkern begleitet wird.

13 | Siehe auch: Inga Griese: Inszenierte Welten. Der Gestalter Peter Schmidt, München: Collection Rolf Heyne 2010.

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5. F inanzen und Z uschuss »Mehr Geld für Kultur, Schulen, Sport und Soziales«14 – diese Überschrift fand sich im November 2014 über einem Artikel der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ). Immer seltener gelingt es Kommunen, die von ihnen unterhaltenen Kulturbetriebe auskömmlich zu finanzieren. Dies liegt heutzutage meist nicht mehr an Intendanten, die rücksichtslos die ihnen zur Verfügung gestellten Etats überziehen – Ausnahmen sind leider hier und da noch immer festzustellen –, sondern oft genug an Kostensteigerungen, die von den Theatern nicht beeinflusst werden können. Diese finanziellen Mehraufwendungen, zum großen Teil durch die Tarifzuwächse im öffentlichen Dienst bedingt, können mittlerweile von den Theatern weder durch Einsparungen noch durch Erhöhung der Einnahmen aufgefangen werden. Im kulturellen Sektor machen sich die – gerade im Ruhrgebiet oft strukturell bedingten – finanziellen Schwierigkeiten der Kommunen außerordentlich bemerkbar. Dank erheblicher Sparanstrengungen konnte die TUP in den vergangenen Jahren alle entstandenen Tarifsteigerungen selbstständig erwirtschaften. Erst in den Spielzeiten 2012/2013 und 2013/2014 war sie auf eine weitreichende Hilfe der Stadt angewiesen – verursacht durch Tariferhöhungen, die sich in wenig mehr als zwei Spielzeiten auf zehn Prozent summierten. Dabei gilt es zu bedenken, dass sich bei der TUP mit ihren rund 700 Beschäftigten jede Erhöhung um ein Prozent mit jeweils rund 400.000 Euro Mehrkosten im Jahr niederschlägt. Mit den in den Vorjahren umgesetzten Reduzierungen der Personalkosten waren die Sparmaßnahmen in diesem Bereich erschöpft. Die in den vergangenen Jahren stetig erfolgte Anpassung der Eintrittspreise ließ ebenfalls keinen weiteren Spielraum für die Realisierung von Mehreinnahmen zu. Allen Beteiligten war klar, dass der Träger dem Unternehmen finanziell zur Seite springen musste. Neben den Einnahmen aus Kartenverkauf und sonstigen betrieblichen Erlösen (Marketingmaßnamen, Sponsoring, Spenden, Verkauf von Produktionen usw.) und einem geringen Landeszuschuss wird das Unternehmen zu mehr als 70 Prozent (42,97 Millionen Euro für die Spielzeit 2012/2013) durch die Stadt Essen finanziert. Im Frühjahr 2014 geriet das Unternehmen in die Gefahr einer Überschuldung, da die Finanzierung der Spielzeit 2014/2015 wegen des bis dahin noch nicht genehmigten städtischen Haushalts für 2015 nicht mehr gewährleistet war. Nachdem im Herbst 2014 der Haushalt durch den Rat verabschiedet wurde, konnte die Gefahr einer Insolvenz des Unternehmens abgewendet werden. Die TUP verfügt damit, im Unterschied zu vielen Theaterhäusern anderer deutscher Kommunen, momentan über finanzielle 14 | Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) vom 26.11.2014.

Konzentration, Kooperation, Koordination

Zusagen, die zumindest ein weiteres Arbeiten in »auskömmlicher Armut« ermöglichen. Basierend auf einer stabilen mittelfristigen Finanzplanung kann derzeit davon ausgegangen werden, dass in den nächsten vier bis fünf Jahren keine existenzbedrohende Situation für das Unternehmen eintritt. Die zuvor beschriebene Abhängigkeit vom alleinigen Gesellschafter Stadt Essen kann indes kurzfristig zu einem veränderten Szenario führen, da die Kommune – wie ein Großteil der Ruhrgebietsstädte – chronisch unterfinanziert ist. Ob und inwieweit sich dieser Umstand in den nächsten Jahren ändern könnte, darüber kann nur spekuliert werden. Die Theater und Philharmonie Essen wird heute als Unternehmen mit Vorbildfunktion und als eine der wichtigsten kulturellen Einrichtungen der Stadt Essen wahrgenommen. Zu verdanken ist dieses Ergebnis einer transparenten Geschäftsführung, der Umsetzung von Sparmaßnahmen, aber auch Investitionen und Innovationen an den richtigen Stellen des Unternehmens (Vergrößerung des Ballettensembles, Straffung von Vertrieb und Marketing, Verbesserung des gesamten Controlling, Schaffung einfacherer Strukturen und Zuständigkeiten) und insbesondere dem anhaltenden Besucherzuspruch sowie der klugen Spielplanpolitik der Intendanten. Mit Blick auf die von ihr als Spielstätten genutzten Immobilien fallen für die TUP insbesondere die Betriebskosten, die in den vergangenen Jahren durch steigende Energiepreise beharrlich gewachsen sind, und die Aufwendungen für die »kleine Bauunterhaltung« an. Die »große Bauunterhaltung« und die hierfür notwendigen Investitionen werden von den unterschiedlichen Trägern der Immobilien übernommen, die sie ihrerseits von der Stadt Essen erhalten. Der Etat der TUP wird durch diese Ausgaben nicht belastet. Für sonstige Immobilien, die durch die TUP angemietet oder gepachtet sind, z.B. die Räumlichkeiten für die zentralen Werkstätten, fallen die jeweils in den Mietbzw. Pachtverträgen geregelten Zahlungsverpflichtungen an.

6. N achhaltigkeit und Ö kologie Die TUP bemüht sich über die rechtlichen Regelungen hinaus um die jeweils auch ökologisch sinnvollste Lösung. Im Rahmen der Instandhaltung und Betreuung der Gebäude durch die GVE wird z.B. bei Neuplanungen und Renovierungen auf die Möglichkeiten zur Energieeinsparung großer Wert gelegt – ob es sich um den Einsatz neuer Beleuchtungstechniken (z.B. LED), die Anschaffung neuer Fenster oder die Installation einer effizienten Klimaanlage handelt. Beim Materialeinkauf zum Bau der Bühnenbilder (Holz, Farben, Lacke, Stoffe etc.) bemüht sich die TUP, Produkte zu wählen, die aus ökologisch nachhaltiger Produktion stammen. Bei anfallenden Reparaturen und Neuanschaffungen wird selbstverständlich die ökologische Variante bevorzugt. Alle

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TUP-Häuser sind zudem an die zentrale Wärmeversorgung der Stadt Essen angeschlossen. Dass die Bemühungen von TUP und GVE bei der Bewirtschaftung der Häuser Erfolge zeitigen, beweist der Umstand, dass für das Aalto-Theater ein Energieausweis (167,2 KW/h pro Quadratmeter und Jahr) gemäß Energieeinsparverordnung vorliegt. Die Werte des Gebäudes sind damit, obwohl es vor über 25 Jahren errichtet wurde, mit denen eines Neubaus vergleichbar. Was nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken ist, dass die Bauherren sich schon bei der Planung des Theaters »angesichts weltweiter Energieverknappung und sprunghaft gestiegener Energiepreise«15 intensiv mit Fragen nach einer wirtschaftlichen und zukunftssicheren Wärmeversorgung auseinandersetzten und so neben zahlreichen anderen Maßnahmen z.B. Regenerativ-Wärmerückgewinnungssysteme eingesetzt wurden.16

7. S chlussbemerkung und A usblick Aus wirtschaftlicher und organisatorischer Perspektive existieren derzeit auf Geschäftsführungsebene Überlegungen, neue zentrale Werkstätten zu errichten und damit alle zur TUP gehörenden Werkstätten an einem Punkt zu konzentrieren. Dies würde zu Verbesserungen hinsichtlich des Energieverbrauchs und der logistischen Abläufe und somit auch zu notwendigen weiteren Einsparungen führen. Zudem beschäftigt sich die Geschäftsführung derzeit mit dem Gedanken, die Künstlerischen Betriebsbüros der Häuser zusammenzulegen, was zu einer noch verbesserten Abstimmung der Programmplanung und der Kooperationsprojekte führen könnte. Nicht zuletzt wurde zum Ende der Spielzeit 2014/2015 ein neues Kartenvertriebssystem installiert, das den veränderten Anforderungen am Markt gerecht wird – freie Platzwahl, print at home, virtueller Warenkorb, Zahlungsvarianten wie PayPal etc. werden sukzessive eingeführt. Mit dieser Maßnahme wurde zudem die Grundlage für ein modernes Customer-Relationship-Management (CRM) gelegt. Nur durch eine Verbindung von Informationen über unsere Besucher und ihre Interessen kann es der Marketing-Abteilung gelingen, unsere Kunden zukünftig noch zielgerichteter anzusprechen. Mit Blick auf die ambitioniert kalkulierte Finanzierung der Häuser dürfte es zu den Hauptaufgaben der Geschäftsführung und der Intendanzen gehö15 | Gemeinnützige Theater-Baugesellschaft Essen mbh (Hg.): Aalto-Theater Essen, Dokumentation, Essen 1989, S. 46. 16 | Siehe auch: DIE DEUTSCHE BÜHNE. Theatermagazin für alle Sparten. Februar 2015.

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ren, einerseits weiterhin ein anspruchsvolles, vielfältiges und umfängliches Programm anzubieten, das dem künstlerischen und kulturpädagogischen Auftrag der TUP entspricht, und andererseits – nicht zuletzt durch die pädagogische Arbeit der Sparten und eine wachsende Zahl von Vermittlungsformaten – neue Besucher zu gewinnen sowie auch theaterferne Bevölkerungsgruppen anzusprechen. Denn die Zukunft der TUP wird letztlich vom Zuspruch unseres Publikums abhängig sein. In einer Zeit, in der unser Leben vielen theaterund konzertfernen Einflüssen unterliegt, beispielhaft seien hier Fernseh- und Internetnutzung sowie ein verändertes Freizeitverhalten genannt, dürfte die wichtigste der Aufgaben, mit denen wir uns beschäftigen müssen, diese sein: den Wünschen des Publikums gerecht zu werden.

L iter atur DIE DEUTSCHE BÜHNE. Theatermagazin für alle Sparten. Februar 2015. Gemeinnützige Theater-Baugesellschaft Essen mbh (Hg.): Aalto-Theater Essen, Dokumentation, Essen 1989, S. 46. Gesellschaftsvertrag (Satzung) der Theater und Philharmonie Essen GmbH. Fassung vom 11. Mai 2004. Griese, Inga: Inszenierte Welten. Der Gestalter Peter Schmidt, München: Collection Rolf Heyne 2010. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 5 Abs. 3. Maier-Solgk, Dr. Frank: Die Neuen Architekturführer Nr. 174: Theater und Philharmonie Essen, Berlin: 2012. Mohaupt, Helga: Das Grillo-Theater. Geschichte eines Essener Theaterbaus 1892-1990, Bonn: 1990. Röper, Henning: Handbuch Theatermanagement. Betriebsführung, Finanzen, Legitimation und Alternativmodelle, Köln: 2001, S. 418ff. Schneidewind, Petra: »Die Rechtsform«, in: Prof. Dr. Armin Klein (Hg.), Kompendium Kulturmanagement. Handbuch für Studium und Praxis, München: 2004, S. 159-178. Waidelich, Jürgen-Dieter: Essen spielt Theater. 1000 und einhundert Jahre. Zum 100. Geburtstag des Grillo-Theaters (Band 1 + 2), Düsseldorf: 1992/1994. Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) vom 26.11.2014. Wisotzky, Klaus: »Nicht nur ein Musentempel – Die Geschichte des Saalbaus«, in: Historischer Verein für Stadt und Stift Essen e. V. (Hg.): Essener Beiträge. Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen (116. Band, 2004), S. 171-226.

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Technischer Gebäudebetrieb und Veranstaltungsbetrieb der Kulturimmobilien in Essen Thorsten Steinmann

Inhalt 1. Leitsatz, Maxime | 285 2. Organigramm und Organisation der GVE-Gruppe | 286 3. Haustechnik, Ausstattung und Betrieb | 287 4. Technische Abteilungen der GVE-Gruppe | 289 5. Strategie zur Personalauswahl und zum Einsatz | 291 6. Qualifikation, Aus- und Weiterbildung des technischen Personals | 292 7. Betreiberverantwortung und Objektorganisation | 295 7.1 Beispiel Aalto-Theater | 295 7.2 Beispiel Grillo-Theater | 297 7.3 Beispiel Philharmonie | 297 7.4 Beispiel Lichtburg und Volkshochschule im Burgplatzgebäude | 298 7.5 Beispiel Museum Folkwang | 298 7.6 Beispiel Stadion Essen | 299 7.7 Dokumentation zur Betreiberverantwortung und Objektorganisation | 300 8. Kosten und Budgets | 301 9. Bauunterhaltung und Maßnahmenplanung | 304 10. Fazit | 307

1. L eitsat z , M a xime Gebäude im Allgemeinen und Versammlungsstätten für kulturelle Nutzung im Speziellen werden optimal betrieben, wenn der Gebäudebetrieb den Nutzungszweck nicht nur ermöglicht, sondern unterstützt und fördert. Dieser Ansatz geht über den Leitspruch der Facility Management Branche »Möglich machen« hinaus. Ein fördernder Gebäudebetrieb erfüllt nicht »nur« Anforde-

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rungen, sondern erkennt selbstständig Bedürfnisse und macht Vorschläge zur Verbesserung der Nutzung. Dazu ist es erforderlich, dass der Gebäudebetreiber neben allgemeinen Kenntnissen des professionellen Gebäudebetriebs und Facility Managements, z.B. nach GEFMA 1001, auch über besondere Erfahrung mit dem Nutzungszweck verfügt. Auf diesem Wege kann im besten Fall eine fruchtbare Nutzungssteigerung erzielt werden, sei es durch Nutzungsänderungen z.B. auf Flächen, oder in der Maschinerie und Ausstattung, oder durch Verbesserungen in Abläufen, Wegen und Zuständigkeiten oder durch Änderungen der Nutzungsintensität oder der Nutzungszeiten. Je nach Rahmensituation der jeweiligen Versammlungsstätte können Optimierungen durch Verdichtung oder gezielt Entspannung der Nutzungen erreicht werden. Dazu müssen vorhandene Freiheiten in der Gestaltung von Terminplänen genutzt und unter gesamtheitlicher Betrachtung vorgenommen werden. Die Optimierungen sollten immer unter einer oder mehreren gewichteten Zielsetzungen erfolgen. Eine Zielsetzung kann die vollständige und vollzeitige Verfügbarkeit der Einrichtung sein, sie kann aber auch die Einhaltung einzelner Budgets oder die Verfolgung eines Images sein. Wichtig ist in jedem Fall die Verständigung zwischen kulturellem Betrieb- und Gebäudebetrieb über die Verfolgung der jeweiligen Zielgrößen und deren Gewichtung.

2. O rganigr amm und O rganisation der GVE-G ruppe Die GVE-Gruppe beinhaltet die vier Gesellschaften GVE Grundstücksverwaltung Stadt Essen GmbH, TBE Gemeinnützige Theater-Baugesellschaft Essen mbH, SBG Sportstätten Betriebsgesellschaft Stadt Essen mbH und das ETEC Essener Technologie- und Entwicklungs-Centrum GmbH. Ihre Zuständigkeit für die entsprechenden Liegenschaften zeigt dieses Organigramm.

1 | GEFMA Deutscher Verband für Facility Management, »Die GEFMA-Richtlinie 100 definiert den Begriff des Facility Managements«.

Technischer Gebäudebetrieb und Veranstaltungsbetrieb

Philharmonie Museum Folkwang Lichtburg und VHS

Aalto-Theater Grillo-Theater

Stadion Essen

ETEC-Gebäude

Abbildung 1 Der innere Aufbau der GVE-Gruppe unterscheidet die vier Gesellschaften nicht, denn alle Mitarbeiter sind gesellschaftsübergreifende eingesetzt. Die innere Struktur zeigt das folgende Organigramm.

Geschäftsführung

Bereich 1

Bereich 2

Bereich 3

Bereich 4

Facility Management und Veranstaltungswesen

Finanzen

Kommunikation

Bau

Abbildung 2

3. H austechnik , A usstattung und B etrieb Versammlungsstätten für Kulturbetriebe sind erfreulicher Weise zahl- und artenreich. In diesem Beitrag wird der Fokus auf die städtischen Gebäude in Essen gelegt, die sich in der Verwaltung der GVE-Gruppe befinden. Dies sind Lichtburg und Volkshochschule im Burgplatzgebäude, das Aalto-Musikthea-

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ter, das Grillo-Theater, die Philharmonie im Saalbau, das Museum Folkwang und das Stadion Essen. Diese sieben Einrichtungen unterscheiden sich deutlich in ihrer Nutzung, in ihrer Betriebsstruktur, in ihrer Trägerschaft, in ihrem Image, in der örtlichen Lage, ihrer Ausstattung und Betriebsweise und nicht zuletzt in ihrer finanziellen Ausstattung. Allen gleich ist, dass sie geeignet sind, Begeisterung und Verbundenheit für die Sache, also die Nutzung, die Veranstaltung, die Auf- bzw. Vorführung, zu wecken und nicht zuletzt auch für die bauliche Hülle. Ebenfalls ist allen gleich, dass sie Sonderbauten im Sinne der Bauordnung sind. Sie unterliegen somit regelmäßigen strengen Überprüfungen bezüglich ihrer baulichen und brandschutztechnischen Infrastruktur, sowie der technischen Gebäudeausrüstung. Zu letzterer gehören neben den allgemeinen technischen Anlagen wie Elektro, Sanitär und Klima vor allem sicherheitstechnisch relevante Anlagen wie Lüftungsanlagen, Brandmeldeanlagen, Feuerlöscheinrichtungen, Ersatzstrom- und Ersatzbeleuchtungsanlagen etc. Ferner haben alle Gebäude nutzungsspezifische Gebäudetechnik wie Bühnenmaschinerie, Beleuchtungsanlagen, Magazine, Projektionstechnik, audiotechnische Beschallungsund Aufnahmeanlagen, Werkstatt- und Laboreinrichtungen etc. Der Umfang dieser technischen Ausstattung ist teilweise immens und erfordert sowohl im Einsatz zu Nutzungszwecken, als auch bei Instandhaltung, Verbesserung oder Nutzungsänderung, ein sehr hohes Maß an allgemeinem technischen Sachverstand, gepaart mit spezieller Orts- und Anlagenkunde. Bei der speziellen Ortsund Anlagenkunde ist es für den technischen Betreiber von größter Bedeutung, die Wechselwirkungen verschiedener technischer Einrichtungen und Anlagen zu erkennen, zu dokumentieren und sowohl Veranstaltungsplanern, also auch Wartungs- und Instandsetzungstechniken bekannt zu machen. Im Betrieb mehrerer Liegenschaften mit verwandter Nutzung ist es zweckmäßig, die gleichen, oder zumindest kompatible, technische Produkte zu verwenden. Das ermöglicht eine gebäudeübergreifende Ersatzteilhaltung und erleichtert den liegenschaftsübergreifenden Personaleinsatz, sowohl beim haustechnischen als auch beim veranstaltungstechnischen Personal. Von besonderer Bedeutung ist hier die einheitliche Infrastruktur bei Audio-/Videonetzwerken nebst Kreuzschienen und Mischpulten. Bei der Lichttechnik gilt für die Netzwerk- und Steuerpultaspekte das Gleiche. Hier ist es sehr zweckdienlich, gleiche oder artverwandte Produkte zu verwenden. Grundsätzlich sollte bei spezieller Ausstattung eher eine engere Lieferanten- und Herstellerbindung verfolgt werden als bei allgemeiner Ausstattung, da hier besser vom Wettbewerb profitiert werden kann, als in der Spezialanwendung. Bei der Ausstattung mit mobilem veranstaltungstechnischen Material, loser Möblierung und mit Spezialwerkzeug, sollten ebenfalls die Besonderheiten des liegenschaftsübergreifenden Einsatzes berücksichtigt werden. So können Einsparungen in der

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Beschaffung durch Mengenreduktion erzielt werden und Mehrwerte durch höhere Auslastung der Ausstattung. Diesen Vorteilen steht allerdings ein höherer Dispositionsaufwand entgegen, der jedoch bei Softwareunterstützung gut gehandhabt werden kann.

4. Technische A bteilungen der GVE-G ruppe Die betriebliche Auf bauorganisation ist üblicherweise der jeweiligen Veranstaltungsstätte und deren Nutzung angepasst. Gleiches gilt auch für die technischen Abteilungen. Die GVE-Gruppe hat sich daher für eine eigene liegenschaftsübergreifende Struktur entschieden. Dabei sind die Geschäftsführung, das Controlling, das Personal- und Rechnungswesen, das Vertragsmanagement und das kaufmännische Facility Management grundsätzlich zentral verortet. Liegenschaftsspezifische Arbeiten im Bereich des technischen Facility Managements und des infrastrukturellen Facility Managements werden dann aber vorwiegend dezentral in den jeweiligen Liegenschaften ausgeführt. Der technische Gebäudebetrieb unterscheidet ferner zwei Bereiche: Bereich 1: Betrieb der Haustechnik inkl. Wartung, Prüfung und Instandsetzung aller gebäudetechnischen Einrichtungen und Anlagen. Ausnahmsweise ausgenommen sind hier nur spezielle nutzungsspezifische Anlagen und Geräte. Die Mitarbeiter in diesem Bereich arbeiten im Wesentlichen außerhalb des Veranstaltungsbetriebes zu üblichen Geschäftszeiten. Der Bereich ist mit Meistern und Fachkräften besetzt. Bereich 2: Das Veranstaltungswesen, darunter fallen Hilfskräfte, Techniker, Meister, Kaufleute und Planer für Veranstaltungstechnik und Logistik. Nutzungsspezifische Anlagen wie die ton- und medientechnische Ausstattung (z.B. Lautsprecher, Verstärker, Funk-/Mikrofone, aktive Netzwerkkomponenten, Projektoren, Videoregietechnik. Kameras etc.), lichttechnische Ausstattung (Scheinwerfer, Dimmer, Lichtstellanlagen etc.) und mobile Bühnentechnik (Podeste, Traversen, Züge etc.) werden von den Meistern und Fachkräften für Veranstaltungstechnik der jeweiligen Gewerke gewartet, geprüft und instand gesetzt. Wenn im Ausnahmefall der Umfang über die eigenen Ressourcen hinausgeht, veranlassen sie die jeweiligen Arbeiten bei einer Fachfirma. Da die Mitarbeiter dieses Bereiches hauptsächlich in der Veranstaltungsbetreuung eingesetzt sind, arbeiten sie in der Regel nach einem Dienstplan, der die Veranstaltungszeiten abdeckt. Das heißt zu großen Teilen abends und an Sonn- und Feiertagen.

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Geführt werden beide Bereiche von einer technischen Direktion. Die Techniker des Bereiches 1 sind liegenschaftsübergreifend für das Schauspiel, die Oper und das Konzerthaus zuständig. Da sie nicht in den Veranstaltungsablauf eingebunden sind, sind sie lokal in der Philharmonie verortet, von wo aus die Arbeiten in dem benachbarten Opern- oder Schauspielhaus ausgeführt, veranlasst und überwacht werden. Die Veranstaltungsplanung und -durchführung erfolgt ebenfalls von der Philharmonie aus, da hier mit Abstand die höchste Veranstaltungsdichte vorherrscht. Veranstaltungen im Stadion Essen und ab Juni 2015 auch im Museum Folkwang, werden zentral von hier beplant und mit Meistern, Technikern und Hilfskräften für Veranstaltungstechnik versorgt und durchgeführt. Dabei bestellt die Veranstaltungsplanung bei Bedarf auch Veranstaltungsleiter, die dabei neben den Aufgaben nach Sonderbauverordnung des Landes NRW auch die Führung des Empfangs-, Kassen-, Reinigungs-, Vorderhaus-, bzw. Ordnungs-, oder Aufsichtspersonals übernehmen. Die technischen Abteilungen sind ca. 20 Personen stark und das Personal ist fest angestellt. Die Veranstaltungsplanung ist in der Philharmonie als eigene Abteilung zentralisiert und hat die Aufgabe, alle stattfindenden Veranstaltungen mit der erforderlichen personellen und materiellen Ausstattung zu versorgen. Dabei werden optimaler Weise eigene Ressourcen (Zeitkontingente, Möbel, Veranstaltungstechnik etc.) gegenüber einer Zumietung bevorzugt. Die Planungsabteilung erstellt Angebote für Kunden und plant die Veranstaltung technisch, logistisch z.B. mittels Ablaufplänen, Zeichnungen, Schaltplänen, technischen Berechnungen, Stücklisten, Dispositionen etc. Im Bedarfsfall erstellt die Planungsabteilung ebenfalls Nutzungsänderungs- und Bauanträge beim örtlichen Bauordnungsamt. Die Planungsabteilung ist mit Meistern und Fachkräften für Veranstaltungstechnik besetzt und wird im Bedarfsfall von Ingenieuren unterstützt. Die Planungsabteilung ist das logistische Herzstück des liegenschaftsübergreifenden Veranstaltungsbetriebs, denn hier laufen alle Informationen zu Abläufen und zur Logistik zusammen, hier werden die Werte aus den Synergien des liegenschaftsübergreifenden Einsatzes gehoben. Dies geschieht vor allem durch optimierte Auslastung der vorhandenen Stundenkontingente, das Zusammenlegen von Transporten, die Hintereinanderlegung von Um- und Auf bauten zu einer Schicht, oder unter Umständen auch durch Doppelbetreuung von mehreren Veranstaltungen in einer Schicht. Praktisch erfolgt diese Planung anhand eines Personal-/Aufgaben-Dienstplanes. Hier ist es für die Planer möglich, die Teilaufgaben verschiedener Veranstaltungen über die vorhandenen, oder dazu zu bestellenden, Kräfte zu verteilen und nach den verfolgten Maßgaben zu optimieren. Zu Spitzenzeiten und wenn Spezialisten benötigt werden, können zusätzliche Freiberufliche bestellt und eingesetzt werden. Das ist erforderlich, da es kaum möglich ist und gleichfalls unwirtschaftlich wäre, alle erforderlichen

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Spezialisten vorzuhalten. Eine leichte Unterdeckung zwischen 10 % bis 30 % des Personalstamms gegenüber dem durchschnittlichen Bedarf ist hier vorteilhafter.

5. S tr ategie zur P ersonalauswahl und zum E insat z In der GVE-Gruppe verfolgt man die Auffassung, dass der Betrieb von Veranstaltungsorten bestenfalls von Menschen mit »Veranstaltungsblut« gemacht wird. Das heißt, es wird vorrangig auf den persönlichen Bezug, die persönlichen Vorlieben bzw. die Vita der Menschen in puncto Veranstaltungsaffinität geschaut. Hier wurde festgestellt, dass es besser funktioniert, einem Menschen mit Veranstaltungshintergrund die Grundlagen des Facility Managements zu vermitteln, als einem gestandenen Gebäudemanager die Besonderheiten, z.B. eines Drei Sparten-Hauses oder einer Tourproduktion nahezubringen. Bei der Auswahl des veranstaltungstechnischen Personals gilt es immer, die Begeisterung für die Veranstaltung, die den Kern der Nutzung darstellt, zu haben, (wieder-)zufinden und zu bewahren. Denn nur mit Begeisterung und offenem Austausch über die Sache lässt sich die Schaffenskraft aller Beteiligten ins Gesamtwerk einbringen. Ein Mix aus Spezialisten für den technischen Gebäudebetrieb und Veranstaltungsbetrieblern scheint der beste Weg für die GVE-Gruppe zu sein. Denn der Veranstaltungsbetrieb kann zu Nicht-Veranstaltungszeiten bei Fehlersuche, Verbesserungsplanung, Instandhaltung oder Prüfungsvor- und nachbereitung zweckdienlich durch das eigene haustechnische Fachpersonal unterstützt werden. Im Gegenzug kann das Veranstaltungspersonal im Rahmen bestehender Kapazitäten das haustechnische Personal unterstützen. Beispiel: Ein Techniker des Veranstaltungsbetriebs nimmt zu einer Veranstaltung Einstellungen zu Temperatur, Feuchte und Luftmenge anhand der geplanten Veranstaltung vor und steuert die Regelung im Bedarfsfall nach. Eine mögliche Störung an der Anlage kann er entweder selbst beheben, kompensieren oder erdulden. Im Falle höherer Tragweite informiert er den Veranstaltungsleiter und kompensiert soweit möglich die Störung um einen Veranstaltungsausfall oder -abbruch zu vermeiden. Wenn die Störung an einer sicherheitstechnischen Einrichtung vorliegt und keine Kompensation möglich ist, muss der (Teil-)Betrieb durch den Veranstaltungsleiter eingestellt werden. Die Fehlersuche und Instandsetzung erfolgt nach der Veranstaltung mit Hilfe der fachlich, liegenschaftsübergreifend eingesetzten Kollegen und bei Bedarf mit einer externen Fachfirma. Bei einer größeren Zahl an Fachkräften sollte innerhalb der Abteilung eine gleichmäßige Altersverteilung angestrebt werden. Das wird durch jährliche Ausbildung und teilweise Übernahme der Auszubildenden, sowie Ein-

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stellung von neuen Kollegen/innen außerhalb des jeweiligen vorhandenen Altersschwerpunktes erreicht. Solange das Personaltableau kleiner als der durchschnittliche tatsächliche Bedarf ist, kann so gut verfahren werden. Das Personalwesen ist gut beraten, diese Unterdeckung aus den folgenden Gründen aufrechtzuerhalten: Zeitfenster für den Einsatz neuer, freiberuflicher Kollegen entstehen. Zeitfenster für den Einsatz erforderlicher externer Spezialisten gehen nicht zu Lasten der eigenen zeitlichen Kapazitäten und verbleibende Zeitfenster können nach Vorlieben der festangestellten Mitarbeiter vergeben werden. Das ist natürlich nur machbar, wenn eine ausreichend große Anzahl an geeigneten und für die jeweilige Aufgabe eingewiesenen Freiberufler zur Verfügung stehen. Ziel ist es, eine leistungsfähige Kartei an Freiberuflern aufzubauen und zu pflegen. Dies geschieht durch möglichst regelmäßige Buchung und mittel- bis langfristige Terminplanung mit Abstimmung von Buchungszeitfenstern und Sperrzeiten. Abwechslung im täglichen Aufgabenbereich der Festangestellten wird durch wechselnden Einsatz zwischen Konzert-, Tagungs-, Sport-, oder Museumsveranstaltung erreicht. Persönlichen Interessen z.B. an einem technischen Gewerk, oder einer besonderen Veranstaltungsart, kann im Rahmen der Personaldisposition durch Schwerpunkte entsprochen werden. Durch die Benennung von Materialverantwortlichen kann man der jeweiligen persönlichen Neigung zu einem Gewerk entsprechen und steigert die Bindung zwischen Fachkraft und Ausstattung. So ist es beispielsweise sinnvoll, einen Meister für Veranstaltungstechnik mit der Fachrichtung Beleuchtung zum Materialverantwortlichen der Lichttechnik nebst Lager zu ernennen. Bei der Zuteilung ausreichender Zeitressourcen können die sicherheitsrelevanten, betrieblichen Prüfungen der elektrischen Betriebsmittel und der mobilen Veranstaltungstechnik, sowie kleine Instandsetzungen, selbstständig vom Benutzer durchgeführt werden. Sinnvollerweise werden die Zeiten für diese Prüfungen von den Planern gleichfalls im Personalplan eingetragen.

6. Q ualifikation , A us - und W eiterbildung des technischen P ersonals Grundsätzlich kann das technische Personal der GVE-Gruppe anhand seiner Qualifikation eingeteilt werden. Man unterscheidet ungelernte Hilfskräfte, Auszubildende, Fachkräfte, Meister und Ingenieure. Ungelernte Hilfskräfte werden gerade im Bereich der Auf-, Um- und Abbauten von Veranstaltungsausstattung, Möbeln, Technik etc. häufig und teilweise zahlreich eingesetzt. Sie werden immer von Meistern, Fachkräften und teilweise zusätzlich von Vorarbeitern geführt. Bei Ausstattungs- Auf-, Um- und Abbauten werden mindestens zwei Helfer und in der Regel in geraden Anzahlen

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gebucht. Der Hintergrund ist, dass größere Lasten immer zu zweit getragen werden und bei etwaigen Vorfällen die zweite Person diese melden oder helfen kann. Bei der Einrichtung von Beleuchtungs-, Ton- oder Videotechnik werden ebenfalls Helfer eingesetzt, die der jeweiligen Fachkraft zur Hand gehen. Wie alle Hilfskräfte arbeiten sie auf direkte Weisung. Ungelernte Hilfskräfte werden zusätzlich zur Unterstützung der Hausmeister bei Transporten oder zeitaufwändigen Arbeiten, wie großflächigem Leuchtmitteltausch in Foyers, eingesetzt. Hierbei führt der Hausmeister oder Haustechniker, der seinerseits mindestens die Qualifikation des Facharbeiters innehat. Hilfskräfte werden in der Regel von Personaldienstleistern im Rahmen der Mitarbeiterüberlassung gestellt. Auszubildende in technischen Berufen hat die GVE-Gruppe derzeit nur für den Beruf Fachkraft für Veranstaltungstechnik. Hier wird in jedem Ausbildungsjahr eine Auszubildendenstelle besetzt. Die Auszubildenden werden einem Meister für Veranstaltungstechnik zugeordnet, der die fachliche Ausbildung in der Philharmonie, im Stadion oder im Museum vornimmt. Die Auszubildenden durchlaufen entsprechend des betrieblichen Ausbildungsplanes alle Bereiche des Veranstaltungswesens. Das sind neben den klassischen, technischen Gewerken Bühnen-, Licht-, Ton- und Videotechnik auch die Bereiche der Veranstaltungsplanung und das Lagerwesen. Erfreulicherweise ist die GVEGruppe durch die Vielzahl an unterschiedlichen Veranstaltungsorten in der Lage die Auszubildenden mit einer Vielzahl unterschiedlicher veranstaltungstechnischer Aufgaben vertraut zu machen. Ergänzt wird der Ausbildungsteil der Gerätekunde durch Kooperation mit den Technik-Verleihern, die die GVEGruppe für Veranstaltungen beliefern. Sie sind in diesem Fall auch Partner der GVE für die Ausbildung in diesem Bereich. Ferner gibt es Kooperationsmöglichkeiten mit den Ausbildungsstellen der Stadt Essen z.B. im Museum Folkwang (Museums-Handwerker) und den Ausbildungsstellen im Bereich der Theater und Philharmonie Essen. Dort werden ebenfalls Fachkräfte für Veranstaltungstechnik, aber eben im Repertoirebetrieb in Oper und Schauspiel und Auszubildende im Schreiner- und Metallhandwerk, sowie zahlreiche andere Berufe ausgebildet. Fachkräfte setzt die GVE-Gruppe im Bereich der Haustechnik und im Bereich des Veranstaltungswesens ein. Als Haustechniker werden in der Regel Fachkräfte für Elektrotechnik (Elektroinstallateure, Energieanalagenelektroniker etc.) eingesetzt, eine andere technische Ausbildung z.B. Schreiner ist auch möglich, jedoch wird dann auf die Weiterbildung zur elektrotechnisch unterwiesenen Person großer Wert gelegt. Im Veranstaltungswesen sind die Fachkräfte für Veranstaltungstechnik Funktionsträger als Verantwortliche für Veranstaltungstechnik im Sinne der Sonderbauverordnung NRW, sie führen Helfer, errichten und bedienen beleuchtungs-, video-, ton- und bühnentechnische Anlagen. In der Regel hat jede Fachkraft für Veranstaltungstechnik

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einen Gewerkeschwerpunkt und man spricht dann umgangssprachlich vom Licht-, Ton-, Video- oder Bühnentechniker. Fachkräfte arbeiten unmittelbar mit dem technischen Material und sind während der Veranstaltung immer vor Ort und teilweise in den Veranstaltungsablauf eingebunden. Fachkräfte für Veranstaltungstechnik können auch als technische Veranstaltungsplaner eingesetzt werden, gerade im Bereich der Gerätekunde und in der Kalkulation des Arbeitsaufkommens sind ihre detaillierten Kenntnisse und praktische Erfahrung besonders wertvoll. Meister setzt die GVE-Gruppe vorwiegend im Bereich des Veranstaltungswesens, als Meister für Veranstaltungstechnik ein. Sie sind Funktionsträger als Verantwortliche für Veranstaltungstechnik im Sinne der Sonderbauverordnung NRW, sie führen Helfer und Fachkräfte und stellen neben der Funktionsfähigkeit der sicherheitstechnischen Anlagen auch die Errichtung und Bedienung von beleuchtungs-, video-, ton- und bühnentechnische Anlagen sicher. Nur im Ausnahmefall oder bei gefährlichen, technischen Vorgängen bedienen sie selbst die Anlagen, vornehmlich im Bereich Bühnenober- und Untermaschinerie. In der Regel hat jeder Meister für Veranstaltungstechnik eine Fachrichtung, z.B. Bühne/Studio, Halle oder Beleuchtung, man spricht dann umgangssprachlich vom Bühnen-, Hallen- oder Beleuchtungsmeister. Im Sinne der Sonderbauverordnung NRW ist auf die ausreichende Anzahl der jeweiligen Qualifikationsinhaber zu achten. Bei Auf-, Um- und Abbauten und während der Veranstaltung leitet der Meister für Veranstaltungstechnik alle Arbeiten und koordiniert die Eigenund Fremdgewerke. Sie sind tief in den Veranstaltungsablauf eingebunden. Meister für Veranstaltungstechnik stellen die bauliche Sicherheit im Sinne der Sonderbauverordnung NRW sicher. Das gilt im Besonderen für die Freihaltung aller erforderlichen Flucht- und Rettungswege sowie für die Funktionsfähigkeit der sicherheitstechnischen Anlagen. Meister für Veranstaltungstechnik können auch als technische Veranstaltungsplaner eingesetzt werden, ihre in der Regel umfangreiche Berufserfahrung und die Fachkunde im Bereich der Veranstaltungsorganisation und -sicherheit sind besonders wertvoll. Ingenieure setzt die GVE-Gruppe wie auch Architekten im Bereich des Bauwesens und des Facility Managements ein. Bauingenieure planen, leiten und überwachen größere Bauprojekte innerhalb und außerhalb des Portfolios der GVE-Gruppe. Dabei sind sie in der Regel Projektleiter auf Seiten des Bauherrn oder in dessen Vertretung. Im Einzelfall übernehmen sie Bauleiteraufgaben. Fachingenieure für Facility Management sind bei der GVE-Gruppe als Objektverantwortliche für eine oder mehrere Liegenschaften eingesetzt. Sie steuern als Objektverantwortliche alle Gebäudeprozesse ihrer jeweiligen Liegenschaft(en). Dabei bewältigen Sie Anforderungen aus organisatorischen, kaufmännischen und technischen Bereichen. Sie werden in der Regel für Liegenschaften mit geringem Veranstaltungsaufkommen eingesetzt. Fachinge-

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nieure für Theater- und Veranstaltungstechnik setzt die GVE-Gruppe ebenfalls als Objektverantwortliche ein, in der Regel in einer Versammlungsstätte mit hohem Veranstaltungsaufkommen. Positiv für den Qualifizierungsstand und die Motivation der Mitarbeiter ist es, regelmäßig Weiterbildungen und Fortbildungen anzubieten und auf die Teilnahme hinzuwirken. Die Fertigkeiten und Kenntnisse der Mitarbeiter können so ausgebaut und entwickelt werden. Mitarbeiter aller Qualifikationen werden bei der GVE-Gruppe von ihren Vorgesetzten zur kontinuierlichen Weiterbildung angehalten und unterstützt. Grundsätzlich soll jeder Mitarbeiter an einer Weiterbildung pro Jahr teilnehmen. Dabei wird darauf geachtet, dass der Weiterbildungsinhalt sowohl der persönlichen Entwicklung als auch der fachlichen Weiterbildung dient. Unternehmensinteressen bezüglich benötigter Fertigkeiten sollten bei der Auswahl von Weiterbildungen mit den persönlichen Interessen der jeweiligen Mitarbeiter in Einklang gebracht werden. So können Unternehmensziel und Motivationspflege verbunden werden. Weiterbildungen werden in unterschiedlicher Form wahrgenommen. Es gibt berufsbegleitende Studiengänge sowie ein- und mehrtätige Seminare mit und ohne Abschlussprüfung. Ferner unterscheidet man zwischen Weiterbildungen zur Erlangung von Qualifikationen, also z.B. »Elektrotechnisch unterwiesene Person«, »Fachkraft für die Hygieneinspektion von Lüftungsanlagen« oder »Unterweisung zur Personenbefreiung aus Aufzügen« und Weiterbildungen zu aktuellen Themen und Entwicklungen z.B. »Umgang mit Sicherheitskonzepten« oder »Betriebs- und Nebenkostenabrechnung in Gewerbeimmobilien«. Grundsätzlich wird versucht, Weiterbildungen zur Erlangung von Qualifikationen und Weiterbildungen zu aktuellen Themen im Wechsel und bestenfalls aufgabenbezogen zu vergeben.

7. B etreiberver antwortung und O bjektorganisation Wie eingangs beschrieben, werden die Liegenschaften der GVE-Gruppe in teilweise sehr unterschiedlichen Betriebsformen und Konstellationen aus Nutzer, Betreiber, Pächter, Mieter und Eigentümer bewirtschaftet.

7.1 Beispiel Aalto-Theater Das Aalto-Theater ist ein großes Opernhaus mit Vollbühne und 1.750 m² Bühnenfläche, aufgeteilt in 520 m² Hauptbühne, rechte und linke Seitenbühne, Hinterbühne und Unterbühne, sowie die Vorbühne mit Orchestergraben. Es ist komplett mit Ober- und Untermaschinerie ausgestattet. Die Besonderheit ist das breite Bildformat des verstellbaren Portals von ca. 16/9. Der Zuschauerraum besteht aus dem Parkett und zwei Rängen und fasst 1.125 Plätze. Es wur-

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de 1988 in Betrieb genommen. Hier werden Opern, Operetten, Musicals und Ballette aufgeführt. Die gemeinnützige Theaterbaugesellschaft Essen mbH TBE ist Eigentümer des Gebäudes und hat dieses an die Theater und Philharmonie Essen GmbH (TUP) vermietet. Die Aufgabe der TBE ist es, das Gebäude nebst technischer und infrastruktureller Ausstattung instand zu halten und die Nutzbarkeit des Gebäudes als Opernhaus zu erhalten. Dazu nimmt die TBE Bauunterhaltungsmaßnahmen vorwiegend in Form einer vorbeugenden Instandhaltungsstrategie und Modernisierungen vor. Der Grund für die vorbeugende Instandhaltungsstrategie liegt in der hohen Bedeutung, mögliche Veranstaltungsausfälle durch Bau- oder Instandsetzungsmaßnahmen zu verhindern. Praktisch stimmt die TBE einen langjährigen Maßnahmenkatalog aus Instandsetzung und Modernisierung mit dem Nutzer TUP ab und lässt die Maßnahmen von Fachfirmen in den Theaterferien zeitlich stark konzentriert ausführen. Kleinere oder lokale Maßnahmen ohne Auswirkung auf den Spielbetrieb können auch spielzeitbegleitend in Abstimmung mit der Technischen Direktion des Aalto-Theaters ausgeführt werden. Die GVE-Gruppe in Form der Organisation TBE hat hier die Aufgabe des Eigentümers und Bauunterhalters. Die TUP betreibt das Gebäude inhaltlich, also künstlerisch, gastronomisch mit einem Pächter und technisch mit einer eigenen technischen Abteilung, die analog zum Betrieb einer Versammlungsstätte der GVE-Gruppe zweigeteilt ist. Die Technische Direktion der TUP im Aalto-Theater führt eine große bühnentechnische Abteilung aus Licht-, Ton-, Video- und Bühnentechnikern und Meistern. Ferner hat die TUP eine eigene Haustechnikabteilung, die die gebäudetechnischen Anlagen im Aalto-Theater bedient und betreibt und mit Fremdfirmen auf eigene Kosten warten lässt. Die Instandsetzung und Modernisierung erfolgt hingegen durch den Eigentümer TBE. Bewegliche Ausstattung und Werkzeuge sind teilweise Eigentum der TUP und werden in diesem Fall auch von der TUP instandgehalten oder erneuert. Die Schnittstelle stellt die feste Ausstattungsliste des Gebäudes dar. Als weitere technische Abteilung verfügt die TUP über Theaterwerkstätten, die sowohl für das Aalto-Musiktheater (Sparte Oper), das Aalto-Ballett (Sparte Ballett) und das Grillo-Theater (Sparte Schauspiel) die szenische Ausstattung zentral produzieren. Die Essener Philharmoniker (Sparte Orchester) und Philharmonie Essen (Sparte Konzerthausbetrieb) erhalten nur im Ausnahmefall die Ausstattung aus den zentralen Werkstätten. Die Werkstätten des Theaterbetriebs umfassen zahlreiche, größtenteils kunstfertige Gewerke. Dies sind vornehmlich die Gewerke Schreinerei, Schlosserei, Theatermaler und Kascheure sowie Kostümbildner, Schusterei, Rüstmeisterei etc. In den außerhalb des Aalto- und Grillo-Theaters befindlichen, zentralen Werkstätten sind vorwiegend die Gewerke für die großformatigen Kulissen- und Dekorationsarbeiten wie Schreiner, Schlosser und Theatermaler angesiedelt. Die segmentierten Bauteile werden nach Herstellung in den zentralen Werkstätten vom Fahrdienst der TUP in Containern

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entweder ins Aalto- oder Grillo-Theater transportiert. Im Aalto-Theater sind zusätzlich noch Bühnenwerkstätten für die lokale und schnelle Anpassung und Überarbeitung der Vorstellungsausstattung vorhanden. Dies sind die Gewerke Schreiner, Schlosser, Kostümschneider mit Schusterei, Requisite und Rüstmeisterei. Nachdem ein Stück abgespielt hat, werden Kulissen und Ausstattungselemente im Zentrallager der TUP bei den zentralisierten Werkstätten eingelagert. Die Betreiberverantwortung des Aalto-Theaters ist somit recht einfach geteilt. Der gesamte Betrieb liegt in der Verantwortung der TUP, die Funktionsfähigkeit des Gebäudes nebst seiner festen technischen Ausstattung liegt bei der TBE, also der GVE-Gruppe.

7.2 Beispiel Grillo-Theater Das Grillo-Theater ist ein mittleres Schauspielhaus mit festen Bühnen von 230 m² Hauptbühne und 157 m² Hinterbühne mit voller Ober- und Untermaschinerie. Der Zuschauerraum ist bedingt flexibel, sodass im Sonderfall von der standardisierten Guckkastenbühne und dem gestuftem Parkett abgewichen werden kann. Das Grillo-Theater wurde 2009 nach der letzten Sanierung wieder in Betrieb genommen. Es hat 427 Sitzplätze im Parkett. Hier werden in der Regel Schauspielaufführungen gezeigt. Die Stadt Essen ist Eigentümer des Gebäudes und hat dieses der TBE, also der GVE-Gruppe zur Durchführung des technischen Bauunterhalts übertragen. Die TBE führt ähnlich wie im Aalto-Theater alle Instandsetzungen und Modernisierungen am Gebäude und seiner festen technischen Ausstattung durch. Im Gegensatz zur Organisation im Aalto-Theater beauftragt die TBE hier auch die Wartung der technischen Einrichtungen. Analog zur Organisation im Aalto-Theater bedient und betreibt die TUP das Gebäude inhaltlich, also künstlerisch, und technisch mit einer eigenen technischen Abteilung, die analog zum Betrieb der GVE-Gruppe in anderen Häusern zweigeteilt ist. Es gibt eine kleine haustechnische Abteilung und eine größere bühnentechnische Abteilung. Die Gastronomie im GrilloTheater hat die TUP in Zusammenarbeit mit der GVE-Gruppe verpachtet.

7.3 Beispiel Philharmonie Die Philharmonie Essen ist ein 2004 generalsanierter und zum hochwertigen Konzerthaus ausgebauter historischer Saalbau. Hier finden die Konzerte der Essener Philharmoniker und anderer, teilweise weltberühmter Orchester statt. Ferner wird die Philharmonie mit ihren zehn Sälen auch als Tagungsund Veranstaltungszentrum vermarktet. Die Stadt Essen hat das Gebäude an die TUP zur Durchführung des kulturellen Spielbetriebs als Konzerthaus überlassen, ferner hat die Stadt Essen die Philharmonie ebenfalls an die TUP

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zur kommerziellen Vermarktung für Tagungen und Kongresse verpachtet. Zur Versorgung aller Veranstaltungen und zur Durchführung rein gastronomischer Veranstaltung, auch im eigenen Restaurant, hat die Stadt die Philharmonie an einen Gastronomen verpachtet. Den Gebäudebetrieb hat die Stadt der GVE übertragen. In diesem Fall hat die GVE ein modernes Facility Management eingesetzt, das heißt es gibt eine Objektleitung, die die haustechnische und veranstaltungstechnische Abteilung (Details siehe Abschnitt »Technische Abteilungen der GVE«) sowie die infrastrukturelle Versorgung und die kaufmännische Abwicklung führt. Die GVE nimmt mit Mitteln des Bauunterhaltes Instandsetzungsmaßnahmen und Modernisierungen am Gebäude und seiner technischen und infrastrukturellen Ausstattung vor. Diese Maßnahmen stimmt sie mehrjährig mit der Stadt Essen und der TUP ab. Die GVE übernimmt für die Stadt die Aufgaben eines Verwalters und interagiert entsprechend mit den Vertragspartnern. Die Betreiberverantwortung ist in der Philharmonie recht einfach verteilt. Die GVE trägt für die technische und infrastrukturelle Betriebssicherheit der Liegenschaft die Verantwortung, die Verantwortung für den Küchenbetrieb trägt der Gastronom und die künstlerische/musikalische Verantwortung sowie die Terminvergabe-Verantwortung trägt die TUP.

7.4 Beispiel Lichtburg und Volkshochschule im Burgplatzgebäude Die GVE ist Eigentümer und Vermieter des Burgplatzgebäudes, in welchem neben mehreren gastronomischen Betrieben auch die Lichtburg, ein sehr großes historisches Kino, und die Volkshochschule, untergebracht sind. Der Volkshochschulbetrieb erfolgt selbstständig durch den Mieter in 37 Schulungsräumen inkl. zwei Aulen auf 8.631 m². Der Kinobetrieb, der nicht nur Filmvorführungen in zwei Sälen mit 958 m² und 131 m² und mit 1.250 Plätzen und 150 Plätzen, sondern auch Premieren und Sonderveranstaltungen, durchführt, erfolgt selbstständig durch den Mieter. Der große Kinosaal verfügt neben 1.250 Sitzplätzen, aufgeteilt auf das Parkett (614m²) und einen Rang (344 m²), auch über eine feste Bühne mit Vorbühne und Orchestergraben von 56 m² und eine Hauptbühne von 102 m² mit Maschinerie. Die GVE bedient und betreibt die haustechnischen Anlagen, ohne Veranstaltungsbetreuung, und stellt die Funktionsfähigkeit des Gebäudes und seiner festen, technischen Einrichtungen sicher.

7.5 Beispiel Museum Folkwang Das Museum Folkwang wurde 2008 bis 2010 rechtzeitig zum Kulturhauptstadtjahr am gleichen Ort größtenteils neugebaut, nur der neuere Teil des Altbaus mit dem Karl-Ernst-Osthaus-Saal blieb erhalten. Das moderne Museum

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Folkwang erhielt einen Neubau mit Dauer- und Wechselausstellungsflächen, Depots, Werkstätten, Verwaltung und Gastronomie, sowie einer Tiefgarage. Der verbliebene Altbau wurde modernisiert und an den Neubau angeschlossen. Das Grundstück gehört der Stadt Essen, die auch das Museum Folkwang künstlerisch und organisatorisch betreibt. Das Neubaugebäude wurde von der Alfred-Krupp-Stiftung als Sachspende der Stadt Essen übergeben. Die Grundstücksverwaltung erbringt alle Facility Management-Leistungen von der Reinigung, über Bewachung, den Betrieb der technischen Anlagen, die Bauunterhaltung, den Betrieb der Tiefgarage bis hin zu den Veranstaltungsdiensten und der Grünanlagenpflege. Die Aufteilung der Betreiberpflichten gliedert sich im Groben in den kulturellen, wissenschaftlichen und musealen Teil, den die Museumsdirektion als Institution der Stadt verantwortet und den infrastrukturellen/technischen Teil, den die Stadt Essen über einen Facility Management-Vertrag an die GVE übertragen hat. Die Veranstaltungsleitung bei Ausstellungen, oder Veranstaltungen zur Ausstellung nimmt in der Regel das Museum in Person eines Kurators, des Verwaltungsleiters oder des Direktors wahr, alternativ wird ein Veranstaltungsleiter durch das Facility Management im Auftrag des Museums eingesetzt. Die Sicherung der Kunstwerke in den Depots und in den Ausstellungen wird nach den Rahmenbedingungen der Kunstversicherungen und der Leihgeber ausgeführt. Hier gibt es technisch und organisatorisch komplexe Sicherungskonzepte, die neben dem Vieraugenprinzip und biometrischen Erkennungsverfahren auch immer die Begleitung durch einen Kurator erfordern. Bei der Handhabung, Ausstellung und Lagerung von unwiederbringlichen Kulturgütern gibt es einige Besonderheiten in der gebäudebetrieblichen Gefährdungsbeurteilung, so steht neben dem Schutz von Leib und Leben auch der Schutz und die Sicherung der Kunstwerke an höchster Stelle. Die daraus resultierende Konzepte, z.B. das Brandschutzkonzept und das Sicherungskonzept der Zuund Ausgänge tragen dieser Besonderheit entsprechend Rechnung.

7.6 Beispiel Stadion Essen Die GVE ist Grundstücks- und Gebäudeeigentümer des Stadions. Die SBG Sportstätten Betriebsgesellschaft Stadt Essen mbH ist Betreiber des Stadions. Das Stadion Essen wurde 2012 bis 2013 fertiggestellt und bietet 20.000 Fußballzuschauern oder 32.064 Konzertbesuchern Platz. Es ist für den Fußballspielbetrieb bis zur 2. Bundesliga ausgelegt. Die SBG hält alle Pacht- und Mietverträge, ferner betreibt sie alle technischen und infrastrukturellen Einrichtungen des Stadions mit Ausnahme der Gastronomie. Die Gastronomie ist verpachtet und besteht aus den Bereichen Public (also Kioske zur Tribünenversorgung) und Business-Catering (also die Versorgung der Veranstaltungsflächen im Warmgebäude mit Speisen und Getränken gemäß Bestellung). Die

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SBG überträgt die Betreiberverantwortung auf die jeweiligen Veranstaltungsleiter der Drittveranstaltungen, also bei den Heimspielen von Rot-Weiss Essen auf den Fußballverein, bei Konzerten auf den Veranstalter, bei Businessveranstaltungen erfolgt keine Delegation. Die Übertragungen sind in diesem Fall relativ einfach durchführbar, da die Bedienung der sicherheitstechnischen Einrichtungen beim Betreiber verbleibt und er dem Veranstaltungsleiter des Nutzes einen technischen Leiter zur Abdeckung des haus- und sicherheitstechnischen Teils der Betreiberverantwortung zur Seite stellt. So erspart man sich aufwendige technische Unterweisungen und Gefahrenübergänge. Die organisatorischen, infrastrukturellen (Verkehrssicherung, Ordnungsdienst etc.) und inhaltlichen Anteile der Betreiberverantwortungen werden in Form einer Übergabe übertragen.

7.7 Dokumentation zur Betreiber verantwortung und Objektorganisation In den von der GVE betriebenen Liegenschaften wurde die Verteilung und Delegation der Betreiberverantwortung sowie die Notfallorganisation umfangreich dokumentiert. Die Dokumentation dient zur Schulung und als Leitfaden für die Mitarbeiter aller in der Liegenschaft tätigen Organisationseinheiten. Es wurden und werden Handbücher und Konzepte zu verschiedenen, teilweise kritischen Situationen, erstellt und verteilt. Man unterscheidet zwischen Betriebs- und Sicherheitshandbüchern, Schließ- und Wachordnungen, sowie Sicherheitskonzepten und Brandschutzordnungen. Obligatorisch sind dann noch Haus- und Parkplatzordnungen. Die Inhalte werden angewendet und erprobt, Erkenntnisse aus Erprobung und Anwendung werden gesammelt und ausgewertet. Wenn die Auswertung eine Verbesserung oder Änderung ergibt, wird das entsprechende Dokument überarbeitet. Betriebshandbücher sind im Prinzip die textliche Beschreibung des Gebäudebetriebs zu seiner Nutzung. Sie fungieren wie allgemeine Bedienungsanleitungen und erklären grundlegenden Zuständigkeiten. Konkretisiert wird ein Betriebshandbuch durch seine Anlagen. Die Anlagen sind zahlreich und haben eine hohe Detailtreue. So sind in diesen Anlagen Arbeitsweisen und Verfahren beschrieben, z.B. die Schließordnung, der Schneeräumplan, oder der Pflegeplan der Grünanlagen und vieles mehr. Vorteilhaft ist an dieser Stelle die Modulartigkeit des Betriebshandbuches, denn üblicherweise ändert sich die grundsätzliche Betriebsweise oder die Konstellation der wesentlichen Partner in der kulturell genutzten Liegenschaft nur sehr selten. Eine Schließordnung oder der Turnus der Entleerung der Abfallentsorgungsbehälter ändern sich hingegen mitunter öfter. Bei einer solchen Änderung wird einfach die entsprechende Anlage des Betriebshandbuches überarbeitet und an die Nutzer und Partner innerhalb der Liegenschaft verteilt. Das Betriebshandbuch

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wird dann wie eine Blattsammlung als Kartei geführt und fortgeschrieben. Durch ihre Umfänglichkeit eignen sich Betriebshandbücher hervorragend zur Leistungsbeschreibung für das Facility Management. Wenn man ein Betriebshandbuch zum Bestandteil eines Nutzungs-, Überlassungs-, Pacht-, oder Mietvertrages macht, hat dies den großen Vorteil, die Übertragung der Betreiberverantwortung dem Erfordernis der Schriftform in besonders geeigneter Form entsprochen zu haben. Die teilweise kurze, mitunter jährliche Haltbarkeit einzelner Anlagen des Betriebshandbuches steht allerdings dem zuvor genannten Vorteil entgegen, da an jede Änderung das gleiche Formerfordernis wie an eine Vertragsänderung gestellt wird. Daher ist es mitunter ratsam, nur den Fließtext zu verwenden und auf die jeweils aktuellen Anlagen zu verweisen. Wo Sicherheitskonzepte erforderlich sind, also bei Versammlungsstätten über 5.000 Personen, oder bei Veranstaltungen und Nutzungen, oder Vorgängen besonderer Art, werden diese Konzepte immer auch Teil der Betriebshandbücher. So ist sichergestellt, dass alle Beteiligten darüber informiert sind. Die Besonderheit ist, dass die Sicherheitsträger ihr Einvernehmen zum Sicherheitskonzept schriftlich erklären müssen. Es liegt also nahe, dass die Änderung und die Fortschreibung eines Sicherheitskonzeptes einen größeren administrativen Aufwand zur Folge haben. Unter Sicherheitshandbuch versteht man in der GVE-Gruppe die Sammlung aller sicherheitsrelevanten Abläufe und Dienstanweisungen. Hier findet man neben der Brandschutzordnung auch den Ablauf bei Katastrophen oder Bombendrohungen mit Meldeketten. Hier wird auch das Procedere einer Räumung beschrieben und die jeweiligen Räumungshelfer sind schriftlich benannt. Folglich wird dieses Dokument in der Regel jährlich überarbeitet. Der Unterschied zu einem Sicherheitskonzept ist eher formeller als inhaltlicher Natur. Es tritt in Liegenschaften ohne vorgeschriebenes Sicherheitskonzept an seine Stelle. Die Anpassung und Fortschreibung seiner Bestandteile ist deutlich einfacher, da sie in der Regel nur der Zustimmung eines Sicherheitsträgers bedarf.

8. K osten und B udgets Vor dem Hintergrund der prekären finanziellen Situation der Stadt Essen wird auf den ersten Blick klar, dass die Kosten sowohl des Kulturbetriebs, als auch des Gebäudebetriebs, die wichtigste Kenngröße sind. Daher ist es besonders wichtig, die Kosten jeder Teilleistung innerhalb der Liegenschaft zu erfassen, aufzubereiten und somit zu kennen. Die GVE-Gruppe hat dazu eine Reihe bewährter Abrechnungsweisen erfolgreich eingeführt und auf unterschiedliche Versammlungsbauten übertragen. Die wichtigsten Kosten und Abrechnungen sind:

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Betriebskostenabrechnung nach § 2 der Betriebskostenverordnung: Diese aus der Wohnraumvermietung bekannte Kostengliederung wird für alle Nebenkostenabrechnungen angewendet. Die wesentlichen Bestandteile sind die Energiekosten, sowie Grundsteuer und Versicherungskosten. Die Abrechnung von Wartungs- und Prüfkosten erfolgt in der Regel als Teil der Nebenkostenabrechnung oder wird im Ausnahmefall separat abgerechnet. Hier hilft die GEFMA 2002 bei der Gliederung der einzelnen Kostenarten je technischer Anlage und Tätigkeit. So wird bei der GVE-Gruppe die Kostengruppe »17. Sonstige Betriebskosten« nach § 2 BetrKV (Betriebskostenverordnung) sinnvoll konkretisiert. Das ist aus Übersichtlichkeits- und Strukturgründen erforderlich, da bei den von der GVE-Gruppe verwalteten Kultur- und Versammlungsgebäuden diese Kostengruppe naturgemäß die umfangreichste und kostenintensivste Gruppe darstellt. Facility Management-Abrechnungen: Hiermit werden die Kosten des Facility Managements nach Leistungsart abgerechnet, die Unterscheidung der Kosten in der ersten Gliederungsebene lautet wie folgt: Management, technisches FM, kaufmännisches FM, infrastrukturelles FM, Veranstaltungswesen, Sonstiges. Zur internen Betrachtung wird auch hier zweckdienlich die Kostengruppengliederung nach Gefma 200 herangezogen, da sie nahezu umfassend ist und die logisch-nummerische Systematik die Ergänzung neuer, liegenschaftstypischer oder nutzungstypischer Kostenarten ermöglicht. Veranstaltungsbezogene Abrechnung auf Nachweis: Das bedeutet, dass die Kosten einer jeden Veranstaltung einzeln geplant, angeboten erfasst und abgerechnet werden. Der Nachweis wird in Form von Lieferlisten und Stundenzetteln geführt und der jeweiligen Abrechnung beigefügt. Die veranstaltungsbezogene Abrechnung auf Nachweis erlaubt die dezidierte Abrechnung mit dem Veranstalter, ohne Unterscheidung, ob es sich um externe Veranstalter oder städtisch institutionelle Nutzer handelt. Eine einzelne Veranstaltungsabrechnung erfolgt in der Regel binnen 48 Stunden nach der Veranstaltung, sodass bei der GVE und dem Veranstalter noch ein enger zeitlicher Bezug zur erhaltenen Leistung vorliegt. Eine große Zeitspanne zwischen Veranstaltung und Abrechnung hat sich für die Vermieter und Dienstleister als negativ gegenüber dem Veranstalter und Nutzer herausgestellt, da u.U. der Leistungserhalt trotz Dokumentation in Frage gestellt wird. Veranstaltet ein Nutzer turnusmäßig Veranstaltungen in einer Liegenschaft der GVE-Gruppe, so erhält er monatliche Abrechnungen, die die Summe aller Veranstaltungsabrechnungen des betreffenden Monats darstellen.

2 | GEFMA Deutscher Verband für Facility Management, »Die GEFMA-Richtlinie 200 bietet eine Kostengliederungsstruktur zur einheitlichen Erfassung und weiteren Verarbeitung von Kosten über den gesamten Lebenszyklus von Objekten (Facilities) hinweg«.

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Die GVE-Gruppe erhält über die jeweiligen Facility Management-Verträge finanzielle Mittel um den regulären Veranstaltungs-, bzw. Museumsbetrieb sicherzustellen. Die Rede ist hier von der Herstellung eines spielfertigen bzw. nutzungsfähigen Objektzustandes. Diese Mittel sind für eine entsprechende Anzahl an Veranstaltungen bzw. für ein bestimmtes Zeitfenster der Öffnungszeiten kalkuliert. Das einzelne Angebot für einen Öffnungstag, oder eine Veranstaltung wird durch die Intendanz oder Direktion beauftragt und durch das KFM auf das dafür vorgesehene Teilbudget geschrieben. Den monatlichen Budgetstatus berichtet das Kaufmännische Facility Management an den Nutzer und an die Objektleitung der jeweiligen Liegenschaft. Auf dieser Grundlage können die jeweiligen künstlerischen Entscheider eine Gewichtung bei der Beauftragung von angebotenen Leistungen treffen. Zeichnet sich ab, dass ein Budget erschöpft sein wird, so müssen zukünftig anfallende Kosten auf ein anderes noch nicht erschöpftes Budget umgeschrieben oder nicht beauftragt werden. Der bessere Weg ist natürlich die Aufstockung eines erschöpften Budgets durch Drittmittel, dieser Fall tritt planmäßig bei der kommerziellen Vermarktung der Philharmonie und bislang nur in Ausnahmefällen im Museum Folkwang ein. All dies ist bei der »veranstaltungsbezogenen Abrechnung auf Nachweis« abbildbar. Die jährliche Budgethöhe wird von der Stadt Essen an die GVE bereitgestellt, eine gewisse Grobaufteilung nimmt die GVE über das Kaufmännische Facility Management bereits vor, die konkrete Mittelverteilung und etwaige Budgetverschiebungen sind dann Sache der entsprechenden Intendanz bzw. Direktion, die auf diesem Wege ihre jeweiligen künstlerisch gesetzten Schwerpunkte auch monetär unterbauen können. Durch die Bildung geeigneter Unterbudgets ist es möglich, z.B. die unterschiedlichen Sparten des Konzerthausbetriebs der Philharmonie einzeln abzurechnen. Im Museum Folkwang kann auf diese Art und Weise eine Gewichtung zwischen Dauer- und Wechselausstellung vorgenommen werden. Im Stadion Essen gibt es zwar kein Budget für die Durchführung von (Sport-)Veranstaltungen oder ähnlichem, dafür aber ein Budget zur Herstellung der Spielbereitschaft im Rahmen der Daseinsvorsorge für den Amateursport. Um diese Sparte von der kommerziellen Nutzung bei der Tagungs- und Veranstaltungsvermietung, sowie den Konzertveranstaltungen zu trennen, werden die gleichen Budgetwerkzeuge angewendet. So wird die buchhalterische Trennung zwischen Daseinsvorsorge und kommerziellem Betrieb durch die GVE-Gruppe vorgenommen. Auch hier sind die dafür erforderlichen Werkzeuge die »veranstaltungsbezogene Abrechnung auf Nachweis«, die Betriebskostenabrechnung und die Facility Management-Kostenabrechnung, wobei letztere im Falle des Stadions Essen in die Betriebskostenabrechnung einfließt und nicht separat verrechnet wird. Die Erstellung der oben beschrieben Abrechnungen, Angebote, Hochrechnungen, Auswertungen etc. sind die Aufgaben des Kaufmännischen Facility

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Managements. Je feingliedriger die Abrechnungsstruktur, desto konkretere Prognosen lassen sich daraus erstellen und desto prüfungssicherer wird das Abrechnungswesen; gerade in Zeiten chronischen Geldmangels. Außerdem lässt sich eine feingliederige Abrechnung leichter an wechselnde Kostenträger anpassen, als eine grobe, pauschalierte Abrechnung. Auf der anderen Seite steigt mit dem Detaillierungsgrad auch der Aufwand beim Planen, Erfassen und Abrechnen von Kosten und Leistungen. Folglich stehen den Vorteilen einer hohen Transparenz die Nachteile der höheren Kosten im Kaufmännischen Facility Management gegenüber.

9. B auunterhaltung und M assnahmenplanung Die GVE-Gruppe unternimmt in allen ihren Liegenschaften laufend Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen. Dabei wird grundsätzlich zwischen laufender Instandsetzung und Groß-Maßnahmen im Einzelfall unterschieden (vgl. dazu auch den sich anschließenden Beitrag von Tessa Beecken und Lars Wilcken in dieser Publikation). Maßnahmen der laufenden Instandsetzung sind sehr zahlreich, dazu gehören der Austausch von Steckdosen, die Reparatur einer undichten Leitung, die Malerarbeiten aus optischen oder brandschutztechnischen Gründen, Erneuerung von Akkus der Brandmeldeanlage und die Anbringung neuer Hinweisschilder, sowie eine neue Funkmikrofonanlage (nachdem die Funkfrequenzen der Bestandsanlagen durch die Bundesnetzagentur verkauft wurden und nicht mehr genutzt werden konnten), der Austausch von Schlössern sowie die Ersatzbepflanzung in den Grünanlagen, die Pflege, Versiegelung und das Schleifen des Fußbodens und vieles, vieles mehr. In der Regel sind diese laufenden Maßnahmen neben der laufenden Gebäudenutzung möglich. Dennoch hat sich gezeigt, dass man am besten in einer nutzungsarmen Zeit möglichst viele Maßnahmen und Arbeiten zusammenlegt, so ist die Gesamtzeit der Störungen geringer und der Koordinationsaufwand mit dem laufenden Veranstaltungsbetrieb geringer, die Koordination mehrerer Maßnahmen zeitgleich, oder hintereinander hat auch ihre logistischen Besonderheiten. Das ist aber besser zu beherrschen als die Koordination mit einem zeitweise sehr kurzfristigen und sprunghaften Veranstaltungsbetrieb. Günstige Zeiten für die Ballung mehrerer Maßnahmen sind im Theaterbetrieb immer die Theaterferien, hier werden neben Instandsetzungen auch Wartungen und Prüfungen, sowie Inventuren und Umbauten vorgenommen. Im Konzerthausbetrieb gibt es ebenfalls eine Sommerspielpause für das eigene Orchester, die Pause wird aber durch Vermietungen oder geplante Sommerbespielungen teilweise stark eingeschränkt. Soweit diese Pause besteht, ist sie die beste Zeit, um viele Maßnahmen im Konzerthaus zu ballen. In der Regel ist

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die Zeit zwischen Weihnachten und Silvester auch gut für kurzfristige Maßnahmen mit Berührung der Veranstaltungsflächen geeignet, gleiches gilt für einzelne, langfristig geplante Maßnahmen in den Oster- und Herbstferien um die entsprechenden Feiertage herum. An den Feiertagen hingegen finden in der Regel wieder Veranstaltungsnutzungen statt. Für die Volkshochschule gilt das gleiche wie für andere Schulen. Maßnahmen sollten grundsätzlich nur in den Ferien ausgeführt werden. Da die Schulferien im Vergleich zu den Theaterferien recht ausgiebige Zeitfenster ermöglichen, ist hier nur selten mit größeren Terminproblemen zu rechnen. Im Stadion ist die Terminfindung für Maßnahmen sehr unterschiedlich. Fußballspiele werden in der Regel am Wochenende ausgetragen und in der Woche können immer nur dann Maßnahmen durchgeführt werden, wenn keine anderen Veranstaltungen stattfinden. Da zu Beginn der Sommerpause Konzerte im Stadioninnenraum veranstaltet werden und vor Saisonbeginn Trainings- und Testspiele stattfinden, stehen faktisch nur ca. zwei Wochen im Sommer planbar für Maßnahmen zur Verfügung, sonst ist das Augenmerk auf nicht für Veranstaltungen geblockte Wochen im laufenden Jahr zu legen. Am schwierigsten ist die Terminfindung für laufende Maßnahmen im Museum. Ein Museum schließt eigentlich niemals außer montags. Daher wird im Museum Folkwang versucht, alle Wartungs- und Instandsetzungsmaßnahmen in langen Tagen, teilweise im Dreischichtbetrieb am Montag auszuführen. Diese auf die Spitze getriebene Ballung reicht für die meisten Arbeiten aus, nicht jedoch wenn Arbeiten z.B. durch Trocknung, Aushärten, oder Ähnliches lange andauern und nicht durch paralleles Arbeiten beschleunigt werden können. Diese Arbeiten sind dann in die Teilschließungszeiten vor und nach großen Wechselausstelllungen zu legen, oder es ist im Ausnahmefall (z.B. bei einer größeren technischen Störung) ein Schließungstag mit der Direktion abzustimmen. Diese vereinzelten Schließungstage sind zum einen sehr selten, zum anderen tunlichst zu vermeiden. Sie haben dann auch nur beschränkte Wirkung für umfangreiche, zeitintensive Arbeiten. Es hat sich gezeigt, dass es am praktischsten ist, die Umbauzeiten zwischen großen Ausstellungen großzügig zu gestalten, um dort zeitgleich auch größere Unterhaltungsmaßnahmen auszuführen. Das hat zwar logistische Vorteile, stellt aber eine Doppelbelastung für die Kuratoren und Handwerker des Museums da, weil neben den ohnehin besonders arbeitsintensiven Ausstellungsumbauten u.U. auch Transport-, Schutz- oder Begutachtungsaufgaben im Zusammenhang mit der Maßnahme anfallen. Um diesen zahlreichen terminlichen Erschwernissen begegnen zu können, sind gerade bei Arbeiten, die keine kuratorische Begleitung erfordern, bevorzugt Leistungszeiten in der Nacht zu planen, was natürlich mit den entsprechenden Zuschlägen und Härten verbunden ist. Eine tageszeit-, raum- und personengenaue Maßnahmenplanung in engster Abstimmung mit dem Museum ist die einzige Möglichkeit, zwischen Belastung für die Kura-

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toren und Museumshandwerker, möglichst keine Beeinträchtigung von Ausstellungsflächenzeiten und massiven Mehrkosten bei Handwerkern und Wartungsfirmen für Nacht- und Teiltageswerkzuschläge etc. zu vermitteln. In allen Liegenschaften erfolgt eine jährliche Maßnahmenplanung, die sowohl laufende, nach Gewerken unterschiedene Maßnahmen, als auch Großmaßnahmen beinhaltet. Diese Planung stimmt die GVE mit der Stadt Essen und den Nutzern ab. Großmaßnahmen wie die Sanierung eines Daches, einer Entwässerung, der Tausch einer Bühnenmaschinerie, neue Bodenbeläge in den öffentlichen Foyers etc. werden mit teilweise mehrere Jahre umfassendem Vorlauf geplant, da diese Maßnahmen nicht nur im Theater die Anpassung des Spielplanes erfordern können. Das Optimum bei der Terminierung von Maßnahmen wird erreicht, wenn diese ohne Beeinträchtigung der Nutzung durchgeführt werden können und keine massiven Mehrkosten durch Nachtzuschläge o. ä. verursachen. Das ist nur möglich, wenn der Veranstaltungskalender mit der langfristigen Maßnahmenplanung des Gebäudebetriebs kanonisiert wird und so ein langfristiger, liegenschaftsspezifischer Ereigniskalender entsteht. Diese Verbindung beider, teilweise langfristiger Planungen ist anzustreben, auch wenn es zahlreiche Probleme gibt, die eine solche Planung behindern. Das erste Problem sind die scheinbar gegenläufigen Interessen aus hoher Verfügbarkeit und nachhaltiger Instandhaltung. Auf die gesamte Lebensdauer der Kulturimmobilie gesehen, gibt es hier allerdings keine gegenläufigen Interessen, da vorbeugende Instandhaltung in toto weniger Nutzungszeitverlust darstellt als ausfallorientierte Instandhaltung (nebenbei hat erstere auch eine höhere Ausstattungs- und Anlagenqualität zur Folge). Die Nutzer haben unter Umständen nur kurzfristige Intendanz- und Direktionszeiten, so hat natürlich der jeweilige Direktor und Intendant vorrangig seine Spielzeit(en) und Ausstellungsplanung(en) vor Augen und wird versuchen zeitaufwändige Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen aus seiner Amtszeit zu verdrängen. Ein weiteres großes Problem bei der Verbindung von langfristiger Maßnahmenplanung mit dem jeweiligen Spielplan besteht in der Unkenntnis des Erfordernisses einer Maßnahme bei den technisch Verantwortlichen. Zwar kann man Erfahrungswerte und durchschnittliche Lebensdauern von Anlagen und Anlagenteilen betrachten und daraus mögliche Austauschzeiten ableiten, das ist aber unkonkret und führt im Zweifelsfall aus Unsicherheit zur Anmeldung von zu vielen Maßnahmenterminen. Eine realistische Einschätzung, wann an welcher Anlage oder an welchen Ausstattungselementen Maßnahmen anfallen, kann nur bei sehr hoher Detailkenntnis durch intensive Interaktion und Inspektion erfolgen. Selbst wenn eine intensive Interaktion stattfindet, besteht die Schwierigkeit darin, hieraus die relevanten Erkenntnisse zum Status zu erlangen und wiederum daraus einen Austausch-, oder Sanierungszeitpunkt abzuleiten. Um hier den Inspektions- und Erkundungsaufwand nicht unverhältnismäßig hoch werden zu lassen, sollte die Inspektion und Erkundung priorisiert

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werden, z.B. nach der Reichweite des Ausfalls und nach der Wirkung auf die Öffentlichkeit. An dieser Stelle schließt sich der Bogen zum motivierten Hausund/oder Veranstaltungstechniker, denn nur wenn der Benutzer, der täglich mit der Ausstattung interagiert, seine Einschätzung an die technische Leitung transportieren kann (Rahmenbedingungen, Meldung und Kommunikationsklima), kann die Planung nah an der Realität sein. Ausfallstatistiken können insoweit auch helfen, sind aber nur bei guter Datenpflege verfügbar und nur bei Anlagen mit vielen Komponenten durch den Betrieb belastbar zu erstellen. CAFM-Systeme sind für die Datenauswertung das geeignete Mittel. Ein gutes Bespiel für Anlagenteile und Störungen, die sich betrieblich recht gut erfassen und später prognostizieren lassen, sind Beleuchtungskörper, Vorschaltgeräte, Netzteile, Verstärker in den ELA-Schalt-Matrizen und kleinteilige Fassadenelemente, Störstellen im Bodenbelag, Brandschutzklappen und Rohr- bzw. WC-Verstopfungen, sowie Glasbruch durch Nickelsulfideinschluss etc. Für eigene Statistiken ungeeignet sind Kompressoren, Transformatoren und große Hebeanlagen und Absorptionskälteanlagen, Rohrleitungsbrüche etc. Dies soll heißen, kleinteilige Anlagenkomponenten kann man gut auswerten und deren Ausfall prognostizieren. Leider hilft das bei der Vorsorge gegen Betriebsausfall kaum, weil man deren Ausfall auch betrieblich verhältnismäßig gut ertragen oder mit vorhandenen Ersatzteilen reparieren kann. Große Anlagen, die in der Regel auch nicht redundant sind, kann man betrieblich leider kaum belastbar prognostizieren und deren Ausfall ist in der Regel auch mit einem Totalausfall der Nutzbarkeit der Liegenschaft für Veranstaltungszwecke verbunden. Folglich sollten diese Anlagen besonders intensiv überprüft und inspiziert werden. Im Bereich der Notfallorganisation sollten für den Ausfall von Anlagen, die für den Veranstaltungsbetrieb in der Liegenschaft existenziell sind, Notfallpläne vorliegen (fiktives Beispiel Trafobrand: erst Löschen, dann Ersatzstromversorgung auf bauen, also einen Generator mieten, anschließen und in Betrieb nehmen). Dabei sind die Fragen des Bezuges, des Aufstellungsortes, der technischen Daten (Leistung, Spannung, Betriebsdauer etc.), des Anschlusspunktes (Niederspannung, Mittelspannung) des Leitungsweges etc. im Vorfeld zu beantworten. Mit Notfallplänen nach diesem Muster kann man unerwarteten Störungen verhältnismäßig schnell und sicher begegnen.

10. F a zit Aus Sicht der GVE-Gruppe sind durch die bestehenden Betriebs- und Nutzungskonzepte in Verbindung mit den dazugehörigen Verträgen und Finanzierungsgrundlagen gute bis sehr gute Rahmenbedingungen für einen nachhaltigen und professionellen Betrieb der Versammlungsbauten im Portfolio der GVE-Gruppe gegeben. Um das Bestehende zu sichern und weiterzuent-

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wickeln, muss eine am betrieblichen und bautechnischen Bedarf orientierte Mittelbereitstellung über den gesamten Lebenszyklus der Immobilie sichergestellt werden. Zur Bewertung der Wirtschaftlichkeit der Betriebs- und der Gebäudebewirtschaftung ist der gesamte Lebenszyklus der einzelnen Immobilie zu betrachten, denn dort zahlen sich die Vorteile der verfolgten, vorbeugenden Instandhaltung aus. Dem Nachteil der höheren laufenden Kosten der vorbeugenden Instandhaltungsstrategie begegnet die GVE mit gesteigertem Inspektions- und Erkundungsaufwand, der durch die hohe Fachkunde und Objektverbundenheit der einzelnen Mitarbeiter erreicht wird. Da dies nur bei hoher persönlicher Motivation möglich ist, muss auch das positive Arbeitsumfeld als wichtige Rahmenbedingung bewahrt bleiben. Weitere wesentliche Aspekte eines erfolgreichen Gebäudebetriebs von Sonder- und Kulturbauten sind die oben erwähnte veranstaltungsspezifische Abrechnung auf Nachweis und die Führung eines einheitlichen, für alle Beteiligten verbindlichen, Liegenschaftsterminkalenders. Dieser wird von der für die Veranstaltungsterminvergabe verantwortlichen Abteilung geführt, enthält alle Veranstaltungstermine und bildet ebenfalls die wesentlichen Termine für Maßnahmen der Bauunterhaltung und Maßnahmen des Gebäudebetriebs ab. Die wesentliche Voraussetzung für einen fruchtbaren Betrieb von Kulturund Versammlungsbauten ist die Verständigung zwischen Nutzer und Betreiber über die Priorität der gemeinsam verfolgten Ziele.

Ökologieorientierter Betrieb historischer Kulturimmobilien Tessa Beecken und Lars Wilcken

Inhalt 1. Einleitung | 309 2. Ziele und Rahmenbedingungen für den Betrieb von Kulturimmobilien | 311 3. Die LAEISZHALLE Hamburg – Ein Haus mit Geschichte | 312 4. Herangehensweisen und Möglichkeiten, Betrieblichen Umweltschutz umzusetzen | 314 4.1 Strukturiertes (kausales) Vorgehen | 314 4.2 Mittelorientiertes Vorgehen | 314 4.3 Balance zwischen beiden Vorgehensweisen | 317 5. Strukturiertes (kausales) Vorgehen und Effectuation am Beispiel der Laeiszhalle | 317 6. Strukturelle Umsetzung | 319 7. Effekte | 320 8. Fazit | 322 Anhang: Ausgewählte Optimierungs-Beispiele aus der Laeiszhalle | 323 Literatur | 327

1. E inleitung Wo liegt in einer öffentlichen Kultureinrichtung die betriebliche Aufmerksamkeit? In der Regel konzentriert sich das künstlerische Team einer Veranstaltungsstätte auf die Programmgestaltung und den inhaltlichen Diskurs sowie auf dessen Vermarktung und die Auslastung des Kartenverkaufs. In regelmäßigen Abständen kommen notwendige Sonderprojekte der Geschäftsleitung hinzu, wie die Überarbeitung des Gastronomie-Konzeptes, die Suche nach einem neuen Pächter mit frischen Ideen, die Einführung neuer Softwarepakete oder die Entwicklung neuer Sponsoring-, Vermietungs- oder Servicekonzepte. Die

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technische Leitung verfolgt die Umsetzung des Spielplans, hält mit den Bühnen-, Beleuchtungs- und Tontechnikern das Herzstück, die Bühne, funktionsfähig und kümmert sich um die vielen großen und kleinen technischen Optimierungen sowie um die Anschaffung neuer Technologien im Bühnenbetrieb. Die Haustechnik wird meist durch ein gesondertes Team betreut, oft in Verbindung mit der Koordination der Reinigung oder der Betreuung des Vorderhauses. Zeit für weitere Projekte bleibt im Alltag einer Kulturinstitution selten. Allerdings können für Theater und Veranstaltungsstätten neue Chancen entstehen, wenn die Aufmerksamkeit neben den Tätigkeiten aus dem Veranstaltungs-Alltag ebenfalls auf betrieblichen Umweltschutz und EnergieManagement gelegt wird. Hierdurch können Einsparungen im Energie- und Wasserverbrauch oder im Bereich der Abfallentsorgung erzielt und die Betriebskosten deutlich gesenkt werden. Darüber hinaus lassen sich auf diese Weise neben den ökonomischen und ökologischen Aspekten auch positive soziale Effekte erreichen: Erfolge im betrieblichen Umweltschutz können sich durch die als sehr sinnhaft empfundenen Ergebnisse positiv auf die Motivation der beteiligten Mitarbeiter auswirken. Und dort, wo die Mitarbeiter feststellen, dass sich mit dem gelernten Wissen auch privat Kosten sparen lassen, entsteht ein doppelt positiver Effekt für Motivation und Umwelt. Häufig können mit effizienter und moderner Technik auch die Bedingungen in der betrieblichen Arbeitssicherheit verbessert werden; die Attraktivität der Immobile für die Mitarbeiter, die Zuschauer und auch für externe Stakeholder wird erhöht. Moderne Klima- und Haustechnik steigert das Wohlfühl-Erlebnis der Besucher im Haus, und die guten Taten haben Botschafts-Charakter und können für die Außendarstellung genutzt werden, was wiederum die Identifizierung der Mitarbeiter, der Besucher und Kunden mit der Immobilie stärkt. Benötigt werden Akteure, die sich den Hut für dieses spannende Projekt aufsetzen, im Betrieb die nötigen zeitlichen und budgetären Rahmenbedingungen schaffen und die eine Strategie zur Vorgehensweise und zum Knowhow-Auf bau im betrieblichen Umweltschutz entwickeln. Von Ende 2009 bis Mitte 2013 war Tessa Beecken Betriebsdirektorin der Elbphilharmonie & Laeiszhalle Service GmbH in Hamburg. Lars Wilcken war in dieser Zeit als Technischer Leiter tätig. Gemeinsam haben beide Autoren neben dem Veranstaltungs-Alltag die historische Laeiszhalle durch die Zertifizierung des Umweltmanagement-Programms Ökoprofit geführt und mit kräftiger Unterstützung des technischen Teams diverse große und kleine energetische Maßnahmen im Haus realisiert, die in Summe eine Energie-Einsparung von über 40 % ermöglichten. In diesem Artikel beschreiben die Autoren, wie sie durch die Kombination unterschiedlicher Herangehensweisen energetische Sanierungsmaßnahmen in der Hamburger Laeiszhalle erfolgreich umgesetzt haben. Sie zeigen dabei

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die notwendigen organisatorischen Strukturen auf, die aus ihrer Erfahrung die Möglichkeit schaffen, in einem Kulturbetrieb von innen heraus viel zu bewegen. Die Beispiele sollen zeigen, dass es Betreibern von Kulturimmobilien, insbesondere von historischen Gebäuden, möglich sein kann, Sanierungen und energetische Optimierungen aus eigener Kraft erfolgreich durchzuführen.

2. Z iele und R ahmenbedingungen für den B etrieb von K ulturimmobilien Aus der langjährigen Erfahrung in verschiedenen Kulturbetrieben sind für beide Autoren folgende Ziele für den Betrieb einer Kulturimmobile gesetzt: • Technisch-organisatorische Umsetzung des Spielbetriebs und der künstlerischen Anforderungen, • Einhalten der Budgetvorgaben, • Sicherstellen eines hohen Serviceniveaus für Veranstalter, Künstler, Kunden und Publikum, • Gewährleistung der permanenten Spielfertigkeit des Hauses, • Weiterentwicklung des technischen Equipments an den technischen Standard, • Langfristige Bestandssicherung der Kulturimmobilien. Die Rahmenbedingungen für Optimierungen und Sanierungen von historischen Kulturimmobilien, insbesondere von Konzerthäusern, können wie folgt zusammengefasst werden: • Knappe finanzielle Ressourcen, • Kurzfristige finanzielle Perspektiven durch jährliche Spielbetriebszuwendungen und kurzfristige Bewilligungen gesonderter Investitionszuwendungen, • Geringe langfristige Planungssicherheit durch Legislaturperioden oder Intendantenwechsel, • Schwierige Fremdfinanzierungsmöglichkeiten, • Hohe betriebliche Flexibilitätsanforderungen, • Kurze Spielzeitpausen, • Dauerhaft ganztägiger Probenbetrieb, • Hohe Anforderungen an die Sicherheit der Versammlungsstätte, • Oftmals einzuhaltende Denkmalschutz- oder Designvorschriften, • Hohe Komplexität unterschiedlicher Nutzungen und Nutzeranforderungen, • Mehrjährige Vorbuchungszeiten im Konzertbetrieb.

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Die genannten Ziele sind teilweise konkurrierend und die aufgezeigten Rahmenbedingen verschärfen diese Konflikte. Neue Ziele einzuführen, wie ein ökologieorientierter Veranstaltungsbetrieb, die energetische Sanierung des Gebäudes oder Modernisierung der Haus- und Anlagentechnik, ist vor diesem Hintergrund meist schwierig. Gelingen kann ein ökologieorientierter Betrieb jedoch dort, wo eine Zielkongruenz mit anderen Zielen hergestellt werden kann. Dies ist insbesondere dort der Fall, wo sich Kosteneinsparungen kurzfristig realisieren lassen oder wo positive Imageeffekte vermutet werden, die sich gewinnbringend für das Marketing der Veranstaltungen einsetzen lassen. Wie also kann ein Betrieb bei den beschriebenen Rahmenbedingungen dennoch neue ökologisch orientierte Ziele fokussieren?

3. D ie LAEISZHALLE H amburg – E in H aus mit G eschichte Am 4. Juni 1908 wurde die Laeiszhalle, damals das größte und modernste Konzerthaus Deutschlands, festlich eingeweiht. Der bekannte Hamburger Reeder Carl Heinrich Laeisz hatte testamentarisch verfügt, dass die Firma F. Laeisz den Betrag von 1,2 Millionen Mark stiftet und damit den Bau »einer würdigen Stätte für die Ausübung und den Genuss edler und ernster Musik« ermöglicht. Die Summe wurde später von seiner Witwe Sophie Christine Laeisz noch erhöht. Die Architekten Martin Haller und Erwin Meerwein, die sich bereits mit dem Bau des Rathauses in Hamburg einen Namen gemacht hatten, errichteten das neobarocke Konzerthaus, das bis heute zu den schönsten Europas zählt. Von Beginn an hat die Laeiszhalle Hamburg Musikgeschichte geschrieben: Prominente Künstler wie Richard Strauss, Sergej Prokofjew, Igor Strawinsky und Paul Hindemith spielten und dirigierten eigene Werke. Der 12-jährige »Wundergeiger« Yehudi Menuhin gab 1930 ein umjubeltes Gastspiel, und Maria Callas‹ legendäre Konzerte sind unvergessen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den sie unversehrt überstand, erlebte die Laeiszhalle ein ungewöhnliches Intermezzo: Die britischen Besatzer nutzten ihre Räume vorübergehend als Funkhaus für ihren Militärsender BFN und lagerten im Foyer 60.000 Jazz-Schellackplatten. Chris Howland startete hier als Radio-DJ seine Karriere. Der kleine Saal wurde im Zuge dieser Nutzung umgebaut und steht heute mit seinem erst kürzlich sanierten 50ger Jahre Ambiente ebenso unter Denkmalschutz wie die gesamte neobarocke Laeiszhalle.

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Abbildung 1: Die Hamburger Laeiszhalle (Foto: Thies Raetzke) Auch heute geben sich die internationalen Stars der Musikwelt in der Laeiszhalle die Klinke in die Hand, zugleich ist sie Treffpunkt für das reiche Hamburger Musikleben mit seinen Chören und Orchestern und beheimatet ebenfalls das Klingende Museum, in dem Kinder Musikinstrumente kennenlernen und ausprobieren können. Das Publikum weiß die hochkarätigen musikalischen Ereignisse zu schätzen: Über 400.000 Besucher kommen jedes Jahr in die Veranstaltungen in der Laeiszhalle mit ihren vier Veranstaltungssälen (Großer Saal: 2.023 Plätze, Kleiner Saal: 639 Plätze, Studio E: 150 Plätze, Brahms-Foyer: rd. 80 Plätze an Tischen). Im Vergleich zu Theaterbetrieben haben Konzerthäuser längere Vorlaufzeiten für die zeitliche Planung von Veranstaltungen. Die Vorbuchungszeiten der Orchester betragen bis zu drei Jahren. Kurz- und mittelfristig auftretender Sanierungs- oder Modernisierungsbedarf muss daher in der Regel rund um bereits gesetzte Proben- und Veranstaltungszeiten der Spielzeit realisiert werden. Oftmals ist eine ca. sechswöchige Sommerpause die einzige Chance, Umbauten zu realisieren, wenn nicht Sommer-Festivals bereits Jahre zuvor einzelne Termine einer Sommerpause gebucht haben. Zudem sind mit den Orchestern, Chören, privaten Konzertveranstaltern und sogar langfristigen Untermietern viele Akteure mit ihren Ansprüchen, Wünschen und Bedürfnissen unter einen Hut zu bringen. Anders als im Theater, bei dem die Geschäftsführung zumeist selbst entscheiden kann, welche Beeinträchtigungen durch Baumaßnahmen für den Spielbetrieb zumutbar sind, erwarten die Mieter eines Konzerthauses selbstverständlich ein stets einwandfrei funktionierendes

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Haus. In historischen Kulturimmobilien können sich die Rahmenbedingungen noch dadurch verschärfen, dass Vorschriften des Denkmalschutzes eingehalten werden müssen und häufig ein Investitionsrückstau anzutreffen ist.

4. H er angehensweisen und M öglichkeiten , B etrieblichen U mweltschut z umzuset zen 4.1 Strukturiertes (kausales) Vorgehen Management-Systeme für Betrieblichen Umweltschutz basieren auf einem strukturierten Vorgehen und setzen damit einen Betrieb auf die Spur: FachKnow-how wird aufgebaut, ein Umweltteam zusammengestellt und anschließend wird ein Themenfeld nach dem anderen auf die bestehende Situation geprüft und nach Optimierungen abgeklopft: der Verbrauch von Energie, Wasser und weiteren Ressourcen, Entsorgung, Einkauf, Gefahrstoffe etc. Man kann dieses Vorgehen als »Kochen nach bewährtem Rezept« beschreiben, wobei für die Vorbereitung viel (Planungs-)Zeit investiert wird. Kausales Vorgehen benötigt ein stabiles Umfeld im Unternehmen und ein definiertes Ziel. Die Zielerreichung geht häufig mit der Aussicht auf einen Ertrag, einen Gewinn oder eine Einsparung einher. Kultur-Betriebe und Veranstaltungsstätten kann eine strukturierte und vollständige Vorgehensweise überfordern, wenn Personal- und Zeit-Ressourcen sowie Investitionsmittel nur begrenzt zur Verfügung stehen. Hier empfiehlt sich die Kombination des strukturierten Vorgehens mit einem mittelorientierten Vorgehen, welches im nächsten Abschnitt beschrieben wird. Auch die Definition der betrieblichen Ziele kann sich bei einem strukturierten Vorgehen als schwierig erweisen, wenn die daraus resultierenden Projekte und Maßnahmen nicht im Mittelpunkt des täglichen Betriebes stehen. Zu kleine Ziele sind wenig attraktiv, hoch gesteckte Ziele wirken beängstigend. Einige Betriebe halten daher zunächst bewusst die Zielsetzung flach. Werden zu ambitionierte Ziele definiert, bindet dieses Vorgehen Personal- und Zeitressourcen, der Verwaltungsaufwand ist hoch und als verantwortlichen Protagonisten benötigt das Unternehmen zunächst keinen »Macher«, sondern vor allem einen gewissenhaften Controller. Sind die Ziele jedoch zu hoch gesteckt, dann erleben die Beteiligten ein Nichterreichen als Misserfolg.

4.2 Mittelorientiertes Vorgehen Beim mittelorientierten Vorgehen bestimmen die jeweils verfügbaren Ressourcen, welche Ziele und Projekte im Betrieb angestrebt werden: Was weiß ich? Was gibt es bereits im Betrieb? Wen kenne ich? Hier geht es nicht um Voll-

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ständigkeit, sondern darum, mit wenigen, aber effektiven Maßnahmen, ins Handeln zu kommen. In der Entscheidungs-Logik wird diese Herangehensweise als »Effectuation« beschrieben. Dieser Ansatz ist ein aktuelles Ergebnis der globalen Entrepreneurship-Forschung und wurde von Professorin Saras Sarasvathy (University of Virginia) begründet. Der Begriff »Effectuation« fasst die Herangehensweisen erfolgreicher Unternehmer zusammen, deren Handeln in Situationen mit großer Ungewissheit studiert und beobachtet wurde. Dabei kann Ungewissheit in verschiedenen Themengebieten gemeint sein: • • • • •

Zukunft (»Es ist klar, was kommt« vs. »Alles ist möglich«), Ziele (»stehen fest« vs. »sind verhandelbar«), Informationen (»sind eindeutig« vs. »weisen in alle Richtungen«), Veränderungen (»kommen langsam« vs. »passieren ständig«), Komplexität (»Unter Kontrolle« vs. »Überforderung«).

Die Ungewissheit von Projekten kann mit einem schnell durchzuführenden Profiling bewertet werden. Wie ist Ihr Projekt in den fünf Themengebieten aufgestellt? Schlägt das Pendel eher auf die Seite der Ungewissheit (»Alles ist möglich«, »Informationen weisen in alle Richtungen«, »Veränderungen passieren ständig« etc.) oder auf die Seite der Sicherheit (»Ziele stehen fest«, »Informationen sind eindeutig«, »die Komplexität erscheint kontrollierbar« etc.)? Planbare Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen in Spielzeitpausen fallen tendenziell eher in die Kategorie sicherer Projekte (vgl. dazu auch den Beitrag von Thorsten Steinmann in diesem Buch). Kurzfristig notwendige Modernisierungsprojekte, z.B. in der laufenden Spielzeit, oder auch aktuell sinnvolle Maßnahmen, die sich aufgrund struktureller oder betrieblicher Anforderungen oder finanzieller Möglichkeiten ergeben, fallen hingegen eher in die Kategorie »Alles ist möglich« und »Veränderungen passieren ständig«. Die Komplexität der Umsetzung größerer Projekte im laufenden Betrieb, sozusagen »am offenen Herzen«, wird von den Beteiligten eher als Herausforderung, manchmal sogar als Überforderung erlebt. Die Entrepreneur-Forschung hat für diese Situationen bei erfolgreichen Unternehmern folgende mittelorientierte Herangehensweise und Fragestellung beobachtet: • Was weiß ich bereits und kann es mir in der Situation zunutze machen? Hierzu gehören eigene Fähigkeiten, Qualifikationen der Mitarbeiter, Erfahrungen und Fertigkeiten. • Wen kenne ich? Wer kann uns unterstützen? Unterstützer und Helfer können Mitarbeiter oder Partner aus dem Netzwerk des Betriebes, Kunden, externe Dienstleister, Verbände oder Vereine sein.

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• Was ist mein möglicher Einsatz, um dieses Projekt anzuschieben? Welches ist mein größter vertretbarer Verlust, sollte das Projekt nicht erfolgreich sein? Zu den Einsatzformen gehören z.B. Zeit, Kapital, Ressourcen aller Art, aber auch »der gute Name« oder »Ruf« des Betriebes oder der Beteiligten sowie die Bereitschaft, die Kontrolle des Prozesses auf eine angemessene Form zu reduzieren.. Für die Themenfelder im Betrieblichen Umweltschutz, für energetische Sanierungsmaßnahmen und energie-effiziente Optimierungsprojekte in einem (Veranstaltungs-)Betrieb können die Fragen folgendermaßen lauten: • Wer im Unternehmen bringt bereits Know-how und Motivation für einzelne Umweltschutz-Themen mit? • Welche Unterstützung kann der Betrieb leisten, um diesen Personen die Bearbeitung der Themen zu ermöglichen? • Welchen Einsatz ist der Betrieb bereit, für die Bearbeitung der Themen zur Verfügung zu stellen (Zeit, Investitionsmittel, Personal)? • Wer aus dem Unternehmens-Netzwerk kann uns unterstützen und von wem können wir lernen?. Bei diesem Ansatz bestimmen die im Veranstaltungsbetrieb individuell leistbaren Möglichkeiten, welche Gelegenheiten wahrgenommen bzw. welche Schritte in einem Vorhaben tatsächlich gesetzt werden, nicht ein definiertes Ziel. Sie kochen mit dem, was sie haben und lassen sich überraschen, welche interessanten Gerichte möglich sind. Unerwartetes, Zufälle und neue Umstände werden dabei nicht als Störung oder Misserfolg gewertet, sondern sie können als Hebel genutzt und in Innovationen und neue Ideen umgewandelt werden. Mit mehreren kleinen Projekten können Sie jederzeit flexibel auf neue Einflüsse und Informationen reagieren und diese nutzen. Neue Partner im Netzwerk oder engagierte Mitarbeiter bringen neue Ideen in den Prozess und lenken die Projekte Stück für Stück in Richtungen, die zu Beginn niemand voraussehen oder planen konnte. Ein ökologischer Themenbereich, in dem schnell Ergebnisse und Erfahrungen erzielt werden können, findet sich häufig in der Beleuchtung. Durch einfache Maßnahmen wie der Substitution von Leuchtmitteln, Einbau von Bewegungsmeldern oder Zeitschaltungen, sind zeitnah darstellbare Ergebnisse möglich, die zum weiteren Handeln animieren und sich teils innerhalb einer Spielzeit amortisieren. Und bereits in der nächsten Spielzeit stehen die eingesparten finanziellen Mittel für neue Investitionen zur Verfügung.

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4.3 Balance zwischen beiden Vorgehensweisen Vor dem Hintergrund, dass in einem Konzerthaus zum einen langfristige Planung vorherrscht, andererseits kurzfristig eine große Ungewissheit über die technischen Abläufe der kommenden Woche herrscht, ist eine ausgewogene Balance zwischen der strukturierten und der mittelorientierten Vorgehensweisen wichtig, wenn neben den genannten Zielen auch das Ziel eines ökologieorientierten Betriebs verfolgt werden soll. Ein langfristiger Projektplan auf Basis einer umfangreichen Aufnahme der Ist-Situation hilft, das Ziel eines ökologieorientierten Betriebs nicht aus den Augen zu verlieren. Die permanente Fortschreibung dieses Plans anhand neuer Erkenntnisse und die Variation der Prioritäten anhand der Machbarkeiten vergrößert dabei die Handlungsfähigkeit.

5. S trukturiertes (kausales) V orgehen und E ffectuation am B eispiel der L aeiszhalle Beim Einstieg in den betrieblichen Umweltschutz nach einem strukturierten (kausalen) Vorgehen ist eine Bestandsaufnahme im Betrieb sinnvoll: Welche Technik mit welchen Energieverbräuchen ist im Haus eingesetzt, welche Abläufe bestimmen die Einschaltzeiten, welche Verbrauchsmittel kommen in welchen Mengen zum Einsatz usw. Sowohl zur Unterstützung in dieser komplexen Bestandsaufnahme und zugleich zum Auf bau des intern notwendigen Know-how im betrieblichen Umweltschutz haben sich die Autoren dazu entschlossen, den Prozess in der Laeiszhalle mit dem Umweltmanagement-Programm Ökoprofit zu begleiten. Ökoprofit ist ein internationales Zertifizierungssystem, und allein in Deutschland wurde es in 82 Kommunen mit ca. 2000 Unternehmen durchgeführt. In Hamburg sind mehr als 20 Durchgänge des Managementsystems durchgeführt worden, und mittlerweile haben in der Hansestadt über 300 Betriebe an Ökoprofit teilgenommen. Im Gegensatz zu den Umweltmanagement-Systemen EMAS oder ISO 14000 ist der betriebliche Arbeitsaufwand bei einer Teilnahme an Ökoprofit besonders für kleinere und mittlere Betriebe überschaubar und leistbar, und im Rahmen von zehn Themenworkshops und einzelbetrieblichen Beratungen wird jeder Betrieb durch Fachleute der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) begleitet und beraten. Gemeinsam werden Maßnahmen und Einsparpotentiale beim Strom- oder Wasserverbrauch, beim Betrieb der Heizungs- und Klima-Anlage ermittelt sowie eine Analyse des Müllaufkommens oder der möglichen Substitution von Gefahrstoffen erstellt. Ökoprofit bietet mit Workshops zu Themen wie Controlling, Energie & Emissionen, Abfall, Wasser, Gefahrstoffe, Einkauf oder

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Arbeitsschutz eine praxisorientierte Grundlage für eine erste umfangreiche Bestandsaufnahme. Weil Theater, Konzerthäuser und Kulturinstitutionen besondere Produktionsstätten mit höchst eigenen Strukturen und Abläufen sind, liegen sinnvolle Optimierungspotentiale nicht immer sofort auf der Hand. Hilfreich ist bei der Bestandsaufnahme daher auch der Erfahrungsaustausch mit anderen Betrieben. Die teilnehmenden Betriebe am Ökoprofit-Programm vertreten in der Regel höchst unterschiedlichste Branchen, wodurch ein fruchtbarer und kreativer Austausch von Ideen und Optimierungsansätzen entsteht. Der erste Kontakt der Autoren zu Ökoprofit fand 2005 statt. Tessa Beecken war damals Kaufm. Direktorin auf Kampnagel in Hamburg, Lars Wilcken Technischer Leiter. Kampnagel ist Deutschlands größte freie Spiel- und Produktionsstätte und zählt zu den international bedeutendsten Bühnen für darstellende Künste. Die ehemalige Kranfabrik wurde 1984, nach der Zwischennutzung des Deutschen Schauspielhauses und den BesetzungsprobenFestivals freier Theatergruppen, in einen multifunktionalen Bühnenkomplex umgebaut. Dieser umfasst heute sechs Bühnen, ein Kino, neun Probenräume und ein Restaurant. Zusammen mit dem dortigen technischen Team wurden u.a. Bewegungsmelder verbaut, Leuchtmittel getauscht, LED-Beleuchtungen ausprobiert, das Müllkonzept überarbeitet, Sanitärausstattungen erneuert und Heizungsrohre gedämmt. Nach der Zertifizierung 2006 ist es den Autoren gelungen, in Zusammenarbeit mit der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt im Rahmen des Hamburger Klimaschutzkonzepts eine umfangreiche Dachsanierung in Verbindung mit einer Wärmeisolierung von rund 7000 qm der insgesamt 11.200 qm Dachfläche durchzuführen und dabei eine der größten Photovoltaikanlagen Hamburgs auf das Dach der Theaterhallen zu bauen. Seit 2009 produziert diese Anlage rund 100.000 kWh jährlich. 2011 wurde die Laeiszhalle erfolgreich als Ökoprofit-Betrieb zertifiziert und ist nach der Neuen Flora, Kampnagel, dem Deutschen Schauspielhaus und dem Thalia Theater die fünfte große Spielstätte in Hamburg, die ein Umweltmanagement-Programm im Betrieb verankert hat. Eine Übersicht ausgewählter durchgeführter Maßnahmen findet sich am Ende dieses Artikels. Für das Team der Laeiszhalle war die Bestandsaufnahme und die Entwicklung von technischen und strukturellen Optimierungsmöglichkeiten zugunsten des Umweltschutzes auch ein Testlauf für den Konzertbereich der Elbphilharmonie, der ab der Fertigstellung von der Elbphilharmonie & Laeiszhalle Service GmbH betrieben wird. Durch ihre langjährige Arbeit an verschiedenen Veranstaltungshäusern und Erfahrung im Bereich des Betrieblichen Umweltschutzes haben die beiden Autoren ein umfangreiches Netzwerk aus beratenden und ausführenden Betrieben gepflegt. Der intensive Kontakt zu den Hamburger Behörden u.a. zur Kulturbehörde und zur Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, führte

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bei der mittel- bis langfristigen Planung zu einer umfangreichen Unterstützung, z.B. durch Fördermittel und durch fachliches Know-how.

6. S trukturelle U mset zung Intern haben die Autoren die Möglichkeiten, Maßnahmen kurzfristig und unbürokratisch durchzuführen, dadurch unterstützt, dass Lars Wilcken als Technischer Leiter neben dem künstlerischen Betrieb auch die Budgetverantwortung für Energie und Ressourcen im Gesamtgebäude übernommen hat. Darüber hinaus war er sowohl für die Bühnentechnik als auch die Haustechnik im Gesamtgebäude verantwortlich. Diese Strukturoptimierung hat ermöglicht, Einsparungen im Strom-, Wasser- oder Energiebereich zügig für weitere sinnvolle und notwendige Maßnahmen einsetzen zu können, da beide Bereiche, Betriebskosten und Investitionsmittel, von der gleichen Person im Blick gehalten und gegeneinander verrechnet werden konnten. Vor allem Maßnahmen mit kurzfristig erzielbaren Einsparpotentialen konnten sich auf diese Weise teils innerhalb einer Spielzeit selbst finanzieren, z.B. im Bereich der Beleuchtungssanierung. Eine schlagkräftige Projektstruktur, bei der die Akteure schnell reagieren und entscheiden können, eine enge Zusammenarbeit zwischen Technischer Leitung und Geschäftsführung, gute Behörden-Kontakte, eine vorausschauende Planung notwendiger Investitionen und möglicher Projekte mit energetischem Optimierungspotential sowie die Einbeziehung interner und externer Nutzer waren weitere wesentliche Aspekte für die ökologisch und ökonomisch erfolgreiche Umsetzung von betrieblichem Umweltschutz. Die Mitarbeiter sind die eigentlichen Experten für Abläufe und Prozesse im Betrieb und verantwortlich für die dauerhafte Umsetzung. Ohne ihre Einbeziehung gelingt es oft nicht, vorhandene, nicht optimal genutzte Technik im Betrieb ausfindig zu machen und Verbesserungsvorschläge zu entwickeln. In der Umsetzung vieler Maßnahmen, z.B. bei der Einsparung von Papier oder Strom im Gebrauch der PCs, gelingt ein ökologieorientierter Betrieb darüber hinaus nur durch dauerhafte Verhaltensänderungen aller Kollegen. Ohne die Mitnahme der Mitarbeiter kann diese Daueraufgabe nicht gelingen oder nach einem Anfangseffekt auch wieder verpuffen. Mitarbeiter an den Planungen und Entscheidungen bei Veränderungsprozessen mitzunehmen und aktiv einzubinden erhöht hier die Erfolgs- und Akzeptanz-Chancen. Will man betrieblichen Umweltschutz nachhaltig betreiben, so müssen alle Aspekte der Nachhaltigkeit betrachtet werden: Ökologie, Ökonomie und soziale Aspekte. Auf den betrieblichen Umweltschutz übertragen bedeutet dies, technische Veränderungen immer auch mit Aufklärung und Schulung zu untermauern

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und die Sensibilisierung der Mitarbeiter zu fördern. Aus diesem Grund wurden die Mitarbeiter in den Zertifizierungsprozess von Ökoprofit eingebunden und über Einsparungen aktiv informiert. Zudem finden sich im Veranstaltungsbetrieb viele Optimierungspotentiale, die aufgrund der Abläufe nur schlecht oder gar nicht automatisiert werden können, also zwingend die Sensibilisierung der Mitarbeiter erfordern. In der Probenpause kann eine Umschaltung von der Bühnenbeleuchtung zu effizienterem Bühnenarbeitslicht nur durch die Veranstaltungstechniker erfolgen – ihnen muss aber zuvor bewusst sein, dass der Unterschied im Energieverbrauch beider Beleuchtungs-Varianten erheblich ist.

7. E ffekte Da der Investitionsplan der Laeiszhalle nur wenige finanzielle Mittel für größere Maßnahmen vorsah, haben sich die Autoren zunächst vor allem um die Optimierung und Reduzierung des Stromverbrauches bemüht, da in diesem Bereich viele Maßnahmen in der Regel schnell umsetzbar sind und sich schnell amortisierten. Die Autoren sind für den Start des Projektes der mittelorientierten Herangehensweise gefolgt. Hierzu zwei Beispiele: Bereits mit Beginn der Teilnahme an Ökoprofit wurde die Beleuchtungsanlage der Tageslichtdecke im Großen Saal saniert. Die Tageslichtdecke besteht aus einer Zwischendecke aus Glas sowie aus darüber liegenden Oberlichtern und ermöglicht eine Saalbeleuchtung mit natürlichem Licht. Für Veranstaltungen mit einem modernen Lichtkonzept können die Oberlichter verdunkelt werden, bei Dunkelheit besteht die Möglichkeit, die Zwischendecke mit Kunstlicht zu illuminieren. Bei der Sanierung sind die veralteten Leuchten mit einer Gesamtleistung von rund 64 kW durch moderne Leuchtstofflampen mit einer neuen Gesamtleistung von nur 6,4 kW ersetzt worden. Durch den Einsatz von Leuchtstofflampen in den Lichtfarben Kaltweiß und Warmweiß ist es mit der neuen Beleuchtung seit der Sanierung sogar möglich, die Beleuchtung der Decke nach Bedarf zu variieren, die Maßnahme hat also neben den ökologischen und ökonomischen Vorteilen zusätzlich eine Verbesserung der Serviceleistung für Kunden und Besucher möglich gemacht. Die Maßnahme wurde durch die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt in Hamburg gefördert. In den Gängen, Fluren und im Backstage-Bereich der Säle wurde – wo möglich – die Beleuchtung auf Energiesparlampen oder auf Leuchtstofflampen mit EVG umgerüstet. Zusätzlich wurden Licht-Schaltkreise in Technik-Ebenen in kleinere Bereiche aufgeteilt, Zeitschaltuhren für interne Treppenhausbeleuchtungen nachgerüstet und Bewegungsmelder installiert.

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Auch diese Maßnahmen hatten größtenteils Amortisationskosten unter einem Jahr. Viele der Maßnahmen wurden zudem im Zuge kurzfristig notwendiger Reparaturmaßnahmen umgesetzt, d.h. bei anfallenden Tätigkeiten der Elektriker wurden energetische Optimierungen immer mitgedacht und mitgemacht.

Abbildung 2: Der Große Saal der Laeiszhalle (Foto: Thies Raetzke) Anzumerken ist, dass vor allem in älteren Kulturimmobilien, aber auch in vielen anderen historischen Gebäuden der Stadt oder Gemeinden, die nach Erfahrung der Autoren nur selten über ein modernes Facility Management verfügen, besonders viele Energie-Effizienz-Potentiale auszumachen sind. Häufig ist die finanzielle Situation in älteren Häusern jedoch derart angespannt, dass nur wirklich dringende Sanierungsmaßnahmen durchgeführt werden können und diese nur selten mit einem Umweltmanagement-Gedanken verbunden werden. In historischen Immobilien kann zudem der Denkmalschutz ein Kostentreiber sein. Durch einen engen Kontakt zum Amt für Denkmalschutz kann es aber gelingen, die Sichtweise der Denkmalschützer frühzeitig in die Projektideen einzuarbeiten und so den historischen Charakter der Häuser zu erhalten. Im betrieblichen Umweltmanagement liegt eine große Chance für historische Kulturimmobilien. Die Verbindung von Sanierung und Betrieblichem Umweltschutz kann helfen, die negative Spirale von immer knapper werdenden öffentlichen Mitteln und immer größer werdendem Investitions-Rückstau zu durchbrechen.

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8. F a zit Aus ihren Erfahrungen in der Laeiszhalle leiten die Autoren folgende Erkenntnisse ab: •













Für die Fokussierung auf Betrieblichen Umweltschutz in einer Kulturimmobilie benötigt der Betrieb eine detaillierte Bestandsaufnahme und die Entwicklung eines priorisierten Maßnahmenplans. Ein schlankes Umweltmanagementprogramm wie Ökoprofit kann hierbei sehr hilfreich sein. Die Strukturen im Betrieb sollten derart optimiert sein, dass die Beteiligten reaktionsschnell und flexibel reagieren können sowie Zeit für die dauerhafte Beschäftigung mit dem Thema Ökologie zur Verfügung haben. Auch wenn für einzelne größere Projekte externe Planer und Berater nötig werden, so sollte ein Grund-Know-how im eigenen Betrieb aufgebaut, gefördert und verankert werden, um ein dauerhaftes Interesse an dem Thema Betrieblicher Umweltschutz zu schaffen. Hierbei ist es wichtig, möglichst viele Mitarbeiter einzubinden und für das Thema dauerhaft zu begeistern. Eine mittel- und langfristige Zielorientierung funktioniert im Kontext eines Veranstaltungsbetriebes nur bedingt. Ideal hat der Betrieb neben mittelfristigen Projekten auch ausreichend kurzfristig durchführbare Maßnahmen »in der Tasche«, sodass bei plötzlich auftretenden Möglichkeiten schnell reagiert werden kann. Die Erfahrung zeigt, dass sich bei Zuwendungen von Drittmittelgebern manchmal kurzfristig Möglichkeiten auftun, die derjenige anwirbt, der fristgerecht eine gute Idee hat und sie auch fundiert belegt einreichen kann. Diese nötige Geschwindigkeit kann oftmals nur erreicht werden, wenn man mehrere Projekte nahezu durchgeplant vorhält, auch auf die Gefahr hin, dass Planungskosten zunächst umsonst anfallen. Wenn Umbau-Maßnahmen sowieso anstehen, so sollten Effizienz-Maßnahmen sofort mitgedacht werden. So können Projekt-Energien und der vorhandene Flow genutzt werden. Enge Kontakte und ein kontinuierlicher Gedankenaustausch mit städtischen Behörden führen zu neuen Ideen, Umsetzungs- und Fördermöglichkeiten. Der Wissensaustausch in Netzwerken zum Thema Ökologie, gerade auch mit Unternehmen außerhalb der Kultur, fördert analoge Konzepte für die Kultur zu Tage. Zusammengenommen führt nur die Kombination von effizienter Technik und der Sensibilisierung der Mitarbeiter, Schulungen und Bereitstellung von Fachinformationen in einem Betrieb zu einem bewussten Umgang mit den Ressourcen, der auch mittelfristig Bestand hat, d.h. nachhaltig ist. Auch eine Summe vieler kleiner Maßnahmen kann es ermöglichen, die Betriebskosten des Veranstaltungsbetriebs spürbar zu reduzieren bzw. für

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die nächsten Jahre bei kontinuierlich steigenden Preisen für Energie die aktuellen Ausgaben konstant zu halten. Dies ist neben dem Umweltschutz ein wichtiger Beitrag, um den Bestand des Betriebes und der Arbeitsplätze zu sichern. Vor allem Kultur- und Landesbetriebe sollten im betrieblichen Umweltschutz Vorbild sein und mit gutem Beispiel vorangehen. Für die Beteiligten ist es wichtig zu wissen, dass sie auch Zeitverzögerungen, Zwangspausen oder kleine Rückschläge aushalten müssen. Es ist nicht immer alles sofort umsetzbar. Wenn sie allerdings gut vorbereitet sind und ihre Strukturen flexible Reaktionen erlauben, so können sie die sich ergebenen Möglichkeiten im Sinne von »Effectuation« optimal nutzen.

Auf diesem strukturellen Weg werden dann auch andere Themen möglich. Seit Mai 2013 beherbergt die Laeiszhalle Bienen. In Zusammenarbeit mit einem Bio-Imker aus Hamburg St. Pauli wurden sechs Bienenvölker auf einer Dachterrasse der Laeiszhalle angesiedelt, von wo aus diese die städtische Parkanlage »Planten un Blomen« auf der anderen Straßenseite anfliegen. Damit sind die Laeiszhalle und die Musik- und Kongresshalle in Lübeck die ersten großen Veranstaltungshallen in Norddeutschland mit eigener nachhaltiger Honigproduktion. Entdecken auch Sie die Potentiale eines ressourcenschonenden Kulturbetriebs! Wir wünschen Ihnen viel Spaß dabei!

A nhang : A usgewählte O ptimierungs -B eispiele aus der L aeiszhalle Die Bestandsaufnahme in der Laeiszhalle ergab, dass über 25  % des Stromverbrauchs auf das Arbeits- und Wegelicht entfallen. Da energie-effiziente Leuchtmittel auf einem hohen technischen Stand sind und sich derzeit die LED-Technik rasant entwickelt, konnten die Autoren diverse Optimierungsmöglichkeiten finden, die sich aufgrund langer Einschaltzeiten schnell rechnen. In der Probebühne konnte mit einer Investition von ca. 1000.- € für den Tausch von Leuchtmitteln jährliche Einsparungen von rund 2500.- € erzielt werden. Der Einsatz von Bewegungsmeldern und Zeitschaltuhren im Haus und das Aufteilen von Stromkreisen in kleinere Bereiche waren weitere effektive Maßnahmen mit kurzen Amortisationszeiten. Ein Lieblingsprojekt in der Laeiszhalle von Lars Wilcken war die Umrüstung der Bühnenbeleuchtung im Kleinen Saal von Halogen-Leuchtmitteln auf LED-Leuchten, da bei diesem Projekt vier Aspekte unter einen Hut zu bringen waren. Die Beleuchtung in diesem Saal ist sowohl bei Proben als auch bei Veranstaltungen eingeschaltet, d.h. sie läuft bis zu zehn Stunden am Tag. Die

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Halogen-Leuchtmittel hatten eine Lebensdauer von rund 2000 Stunden. Bei 28 Leuchtmitteln kann man sich ausrechnen, dass regelmäßig eines defekt ist – meist direkt vor den Veranstaltungen. Das Wechseln der Leuchtmittel, vor allem im vorderen Bühnenbereich, kurz vor der Vorstellung unter Zeitdruck war quasi nicht machbar. Selbst das geordnete Wechseln der Leuchtmittel in sieben Metern Höhe war nur über eine lange Leiter, Anbau eines Podestes und zu zweit möglich, d.h. es sprachen auch Aspekte der Arbeitssicherheit für eine neue Lösung. Des Weiteren haben die Halogen-Leuchtmittel einen hohen Stromverbrauch, eine Umrüstung musste aber optisch neutral erfolgen, da der Kleine Saal unter Denkmalschutz steht. Zusammen mit der Firma StageLED aus Hamburg hat der Autor nach intensiver Recherche, ein paar Bauproben und dank der engen Kontakte zur Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt eine Umrüstungsmöglichkeit der Beleuchtung auf LED entwickelt. Die LED verbrauchen nur noch 1/4 des ursprünglichen Stromes, sind mit 50.000 Stunden Betriebszeit zuverlässig, zumal das Ende der Betriebszeit bei LED keinen Ausfall bedeutet, sondern nur eine Verschlechterung der Lichtqualität. Und das heißt auch, dass ein Wechsel – nach voraussichtlich acht bis zehn Jahren – planbar ist, sodass die Leuchten in der Sommerpause über ein Gerüst getauscht werden können. Die LED’s haben eine Lichtfarbe von 3000 Kelvin und passen sich optisch ideal in die Saaldecke ein. Sie sind bis zu einem Wert von ca. 20 % stufenlos dimmbar, was für den Konzertbetrieb ausreichend ist, da auf der Bühne in der Regel keine szenischen Lichteinsätze gefordert sind. Für die Amortisationsrechnung dieser Maßnahme wurden nicht nur die Energie-Einsparungen und die damit verbundene Kostenreduzierung betrachtet, sondern auch die Arbeitszeit-Einsparung der technischen Mitarbeiter. Statt regelmäßig Leuchtmittel mit dem oben beschriebenen Aufwand zu wechseln, steht die Arbeitszeit nun für andere Arbeiten zur Verfügung, sei es für Reparaturen, die vielleicht ansonsten liegenbleiben oder an externe Handwerker vergeben würden, oder für die Verbesserung der Service-Qualität im Betrieb. Einige Förderprogramme im Bereich der Energie-Effizienz berücksichtigen zusätzlich zur Energie-Einsparung ebenfalls die Einsparung von Arbeitszeit und betrachten beide Faktoren für eine Amortisation. Die Maßnahme wurde durch die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt in Hamburg gefördert. Für die Bühnenbeleuchtung des Großen Saals der Laeiszhalle wurde ein energie-effizientes Bühnenarbeitslicht installiert, welches bei Auf- und Umbauten anstelle der Bühnenbeleuchtung eingeschaltet wird. Diese Maßnahme spart ca. 5300.- € pro Jahr und hatte sich nach ca. 1 ½ Jahren amortisiert. Die Bestandsaufnahme ergab, dass die Bühnenbeleuchtung im Großen Saal der Laeiszhalle einen Anteil von über 13  % am Gesamtstromverbrauch

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des Gebäudes hatte. Ähnlich wie im Kleinen Saal sind die Scheinwerfer bis zu zehn Stunden pro Tag für Proben und Veranstaltungen in Betrieb. Da die Geräte im Großen Saal bereits älter und immer wieder reparaturbedürftig waren, wurde eine energetische Sanierung sinnvoll. Bei einem Vergleich der technischen Kriterien und der betrieblichen Notwendigkeiten war Ende 2012 festzustellen, dass LED-Geräte für den Einsatz im Großen Saal der Laeiszhalle noch nicht die nötigen Beleuchtungsstärken erzeugen konnten. Lüfter-Geräusche und Bauform sind weitere wichtige Kriterien, die bei einem Einsatz von LED-Geräten zu beachten sind und vor allem bei Veranstaltungen von klassischen und unverstärkten Konzerten störend sind.

Abbildung 3: Der kleine Saal der Laeiszhalle (Foto: Thies Raetzke) Nach einigen Bauproben und Tests mit unterschiedlichen Geräten wurden die vorhandenen PAR64-Scheinwerfer mit 1 kW Leistung gegen Par EA-Geräte der Firma ETC mit 750 Watt Leistung getauscht. Der Anteil des Gesamtstromverbrauchs sank durch diese Maßnahme auf deutlich unter 10  %, die Wirtschaftlichkeitsberechnung ergab eine Amortisationszeit der Maßnahme von 6,2 Jahren. Eine weitere Optimierungsmaßnahme war die Installation eines Lastspitzenmanagements. Tagsüber finden neben den Proben im Studio E auch regelmäßig Konzertproben im Großen und Kleinen Saal ohne Publikum statt. Da über die Klima-Anlage auch die nötige Luftfeuchtigkeit für die Orgel und die Instrumente der Musiker in die Säle eingebracht wird, ist die Anlage auch

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tagsüber im Dauerbetrieb. Zusammen mit dem parallel stattfindenden Bürobetrieb und den Arbeitszeiten für Fremdfirmen und Installateuren wurde die maximale Lastspitze in der Regel gegen Mittag erzeugt. Zusammen mit dem Energiemanagement-Unternehmen PTE aus Bremen und der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt haben die Autoren eine Lastspitzenmessung entwickelt, die gezielt große Verbraucher der Klima-Anlage im Publikumsbereich während der Probezeiten wegschaltet und die Lastspitze somit dauerhaft senkt. Nach zwei Jahren Betrieb konnte eine Senkung der Lastspitze um ca. 100 kW belegt werden. Die Haupt-Toilettenzentrale im Backstagebereich der Laeiszhalle wurde mit Händetrocknern der Firma Dyson ausgerüstet und die Papierhandtücher abgeschafft. Die Dyson-Geräte trocknen die Hände über einen Luftstrom (keine Erwärmung der Luft) und die Stromkosten pro Einsatz liegen deutlich unter den Kosten für ein Papierhandtuch. Zudem entfallen große Müllmengen von Papiertüchern und damit Entsorgungskosten. Die Toiletten sehen am Ende eines Betriebstages ohne Papiermüll noch immer aufgeräumt aus, und so werden auch Reinigungskosten reduziert. Durch die Erneuerung der 30 Jahre alten Regelungstechnik sowie die Modernisierung der gesamten Klima-Anlage konnte der Energieverbrauch für die Klima-Anlage der Laeiszhalle um ca. 15 % gesenkt werden. Mit der neuen Technik ist die Luftqualität im Großen Saal spürbar gestiegen und die hohen Investitionskosten konnten teils durch Fördergelder aus Umweltprogrammen gedeckt werden. Auf eine Maßnahme ist das technische Team der Laeiszhalle jedoch besonders stolz, da nur einen Investitionseinsatz von drei Euro nötig war und nach Durchführung jährlich rund 2000 Euro Stromkosten eingespart werden: Der allmorgendliche Reinigungs-Arbeitsablauf in der Laeiszhalle sah vor Umsetzung der Maßnahme so aus, dass die Kolleginnen der Reinigungsfirma gegen 6:00 Uhr ins Haus kamen und über den zentralen Schaltschrank überall im Haus das Licht einschalteten. Das Haus war hell beleuchtet, unabhängig von den Bereichen, in denen gerade gereinigt oder gearbeitet wurde. Meist gegen 10:00 Uhr, wenn die Arbeiten erledigt waren, wurde das Licht am zentralen Schaltschrank wieder aus- bzw. in den Tagbetrieb geschaltet. Zusammen mit den Reinigungskolleginnen hat die technische Abteilung der Laeiszhalle einen neuen Ablauf entwickelt, der das Haus in einzeln schaltbare Bereiche unterteilte, die direkt für den Reinigungsvorgang ein- und wieder ausgeschaltet werden können. Die Schaltbereiche wurden mit kleinen farbigen Klebern markiert – das war die Investition von drei Euro. In der Summe konnten die gezeigten Maßnahmen einen spürbaren Beitrag zur Kosteneffizienz des Konzertbetriebs beitragen und gleichzeitig Ressourcen schonen.

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Abbildung 4: Stromverbrauch der Laeiszhalle Saison 2009/10 bis 2012/13

L iter atur Faschingbauer, Michael: Effectuation – Wie erfolgreiche Unternehmer, denken, entscheiden und handeln. Stuttgart: 2013 Mohr, Günther: Systemische Organisationsanalyse. Bergisch Gladbach: 2006. Unfried, Peter: Öko – Lebe wild und emissionsfrei. Köln: 2011. www.hamburg.de/oekoprofit/ www.oekoprofit-club-hamburg.de

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TEIL D Kulturelle Bildung In Kommunen stellt sich die Frage, inwieweit Immobilien für die Kulturelle Bildung Funktionen für unterschiedliche Institutionen übernehmen und Bildungseinrichtungen wie Allgemeinbildende Schulen, Volkshochschulen, Musik- und Kunstschulen in einem Gebäudekomplex zusammengeführt werden können. Zum Gelingen derartiger Kombinationen empfiehlt sich die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Nutzergruppen bereits in einer sehr frühen Phase der Planung (Monika Thomas). Von solchen Prozessen können auch Impulse für die Urbanität und Quartiersentwicklung ausgehen. Die Bürger- und Nutzerbeteiligung lässt sich ebenfalls in ein klassisches Verfahren eines Architekturwettbewerbes einbinden. Zu den ältesten Einrichtungen der Kulturellen Bildung gehören Bibliotheken, die in den unterschiedlichsten Kombinationen häufig als Element größerer Kulturimmobilienkomplexe wie Museen und Universitäten anzutreffen sind. Wie in allen Kulturimmobilien vereinen sich auch in den Bibliotheken kulturelle, soziale und wirtschaftliche Interessen (Walter von Lom).

Ein Bildungshaus für Wolfsburg – ein öffentlicher Raum im Herzen der Stadt Monika Thomas

Inhalt 1. 2. 3. 4.

Impuls für die weitere urbane Stadtentwicklung Wolfsburgs | 333 Das Bildungshaus – Herausforderung in einem bildungsund kulturorientierten Quartier | 334 Symbol eines kommunalen Bildungsverständnisses | 338 Integration von gesetzlicher Schule und offener Bildung für alle – eine Sekundarstufe II integriert in einem offenen Bildungshaus? | 340 5. Innovation in Funktion, Technik und Gestaltung | 342 6. Schritt für Schritt den Weg entwickeln und gehen – ein Fazit | 351

Abbildung 1: Foto Modell Bildungshaus Wolfsburg, Esa Ruskeepää Architects, 2014

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Monika Thomas

Das Bildungshaus für Wolfsburg ist ein sowohl stadtentwicklungs- wie auch bildungspolitisch besonderes Vorhaben, das der jungen Stadt Wolfsburg einen neuen Impuls hinsichtlich ihrer urbanen, gesellschaftlichen und demokratischen Entwicklungen geben soll. Das Haus kann nicht losgelöst von seiner lokalen Einbettung in den sogenannten »Bildungscampus am Klieversberg« und seiner geistigen Einbettung in ein Wolfsburger Bildungsverständnis gesehen werden. Es ist mehr als ein Projekt der Stadtentwicklung und als ein spektakulärer Bau: Das Bildungshaus fordert die Diskussion über die kommunale Bildungsaufgabe und ist zugleich ein Modell für neue Bürgermitwirkungsmethoden. Die Leitmotive für das Bildungshaus Wolfsburg sind: • • • • • • •

Impuls für die weitere urbane Stadtentwicklung Wolfsburg, Herausragende Einrichtung in einem bildungs- und kulturorientierten Quartier, Innovation in Funktion, Technik und Gestaltung, Symbol für ein kommunales Bildungsverständnis, Integration von gesetzlicher Schule und offener Bildung für alle, Abkehr von funktionalen klassischen Bildungsangeboten, Mitwirkung aller Beteiligten Nutzer/Bürger, Betreiber und Politik in allen Phasen.

Gereizt hat die Stadtverantwortlichen vor einigen Jahren, Antworten auf die Fragen zu finden, welche neuen gesellschaftlichen Forderungen »in der Luft liegen« und wie diese für die weitere Entwicklung des jungen Wolfsburgs genutzt werden könnten. Allgegenwärtig zu dem Zeitpunkt war die PISA-Diskussion über den Zustand des Bildungswesens in Deutschland. So entstand die Idee, in Wolfsburg ein neues Schulsystem, ja gar ein eigenes über Schule hinausgehendes Bildungsverständnis für eine Stadt zu entwickeln und eben diesem einen Ort, ein besonderes Gebäude zu geben. Dies ist eine Vision, die sich über die Jahre zunehmend konkretisierte. Diese Überlegungen fanden sich auch in einer Zeit, in der sich in der Gesellschaft neue Mitwirkungserfordernisse artikulierten. Neue Mitwirkungsmethoden, die zu einer stärkeren Teilhabe an der Stadt und dem großen Projekt führen sollten, sollten daher stets wesentliche Bausteine der einzelnen Entwicklungsschritte sein. Nach sieben Jahren gibt dieser Bericht nun ein Resümee zu den einzelnen Zielen unter Beachtung der methodischen Vorgehensweise.

Ein Bildungshaus für Wolfsburg

1. I mpuls für die weitere urbane S tadtentwicklung W olfsburgs Die Idee war die Gründung einer neuen großen Schule – ohne zu Beginn zu wissen, was »groß« bedeuten würde (400-1000 Schüler) – in zentraler Innenstadtlage als stadtstrategisches Urbanisierungsprojekt. Alle Innenstadtentwicklungspläne waren und sind nach wie vor insbesondere geprägt durch die Ansiedlung von Einzelhandel, Shoppingcenter usw. Eine Zunahme der Besucherfrequenzen – gerade bei steigenden Mieten für Büroflächen – zu generieren und auch abends ein lebendiges Zentrum zu garantieren, sind als urbane Aufgaben speziell im funktionsgeschwächten Zentrum Wolfsburgs aktuell. Die Grundentscheidung, eine Schule auch »innenstadtstrategisch« zu verstehen und ihr in diesem Sinne einen besonderen Ort zu geben, der in die Fußgängerzone ausstrahlt, fiel in 2009. Da aufgrund dieser politischen Entscheidung andere Bildungseinrichtungen vorübergehend weichen mussten, fiel auch gleichzeitig die Entscheidung, mit einer sich anschließenden Rückkehr dieser Einrichtungen aus diesem Projekt noch »mehr« zu machen und über die Schule hinaus diesen innerstädtischen Bereich zu einem Kultur- und Bildungsquartier zu entwickeln.

Abbildung 2: Vernetzung Bildungscampus Wolfsburg, Büro Schneidermeyer, 2009 Die Bürgerbeteiligung war in dieser Phase geprägt von der Interessenslage derjenigen, die vorübergehend weichen sollten, insbesondere von der Volkshochschule, die für den Start der Neuen Schule Räume zur Verfügung stel-

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len sollte. Die Notwendigkeit einer Konsensfindung zwischen einer starken Nutzerschaft, den Einrichtungsbetreibern und den politisch Verantwortlichen führte an dieser Stelle zu dem geforderten Mehrwert für alle durch die Kooperations- und Synergiewünsche der bestehenden Kultur- und Bildungsangebote. Zu dem Zeitpunkt starteten erste entscheidungsorientierte Mitwirkungsmethoden. Der Dialog wurde geführt in abendlichen Diskussionsveranstaltungen der Beteiligten, zunehmend extern moderiert. Wichtig war in dieser Phase mit einem politischen Grundsatzbeschluss, den Geist zu verankern, dass allen Nutzern, Besuchern und den Bewohnern das Quartier gehört.

2. D as B ildungshaus – H er ausforderung in einem bildungs - und kulturorientierten Q uartier Aus dem Gesamtportfolio des Bildungscampus heraus sollte vermieden werden, dass mit der Neuen Schule oder dem Projekt Bildungshaus im Stadtraum unvernetzte Architekturikonen entstehen. Gerade aus der Wolfsburger Erfahrung mit spektakulären Bauten wie dem Science Center phaeno von Zaha Hadid (2005) war man doch besonders empfindlich in der Diskussion um den sogenannten »Bilbao-Effekt« von spektakulären Bauvorhaben. Das Grundverständnis für die städtebauliche Planung bestand darin, auch, aber nicht nur die strategische Bedeutung für die Urbanität zu sehen, sondern gleichzeitig eine Quartiersentwicklung zu fördern, die städtebaulich auf die Vernetzung der vielfältigen Bildungs-, Kultur- und Sportangebote sowie der angrenzenden Wohnungsangebote setzt und dies in einem besonders stadtprägenden Landschaftsraum am Klieversberg. Mögliche lebbare gemeinsame Nutzungen von Schule und Theater, Planetarium, Kunstmuseum, Kongresspark und den umgebenden Landschaftspotentialen war Grundlage für die Einbettung des Bildungshauses in das Quartier. Methodisch wurden diese Kooperationsmöglichkeiten der Einrichtungen in dem Quartier zunächst in Form von Interviews und Workshops intensiv erforscht. Die Quartiersplanung wurde unter Einbeziehung der Nutzer und politischen Vertreter in mehreren Workshops entwickelt. Für die städtebaulichen Planungsvarianten wurde der Weg von vier Mehrfachbeauftragungen gewählt. Die einzelnen Planungsetappen wurden durch einen Arbeitskreis aus Nutzern, Politik, Planern und Verwaltung begleitet. Hieraus ergab sich keine Entscheidung für eine vorgeschlagene Planungsvariante. Positive Aspekte aus den jeweiligen Vorschlägen führten zu einem Rahmenplan mit Baufeldern für die Quartiersentwicklung. Statt des besonderen Augenmerkes auf die Baukörper wurde insbesondere der sensible öffentliche Raum mit einer vertieften landschaftlichen Rahmenplanung bedacht, um so die eigentlichen Synergien

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und Kooperationen der Einrichtungen durch gemeinsame Wege und attraktive Außenräume zu fördern. Die Kooperationschancen und Nutzungssynergien sowie die städtebauliche Rahmenplanung wurden betreut durch das Büro Schneidermeyer und in zwei Dokumentationen erfasst.

Abbildungen 3.1, 3.2, 3.3: Städtebauliche Planungswerkstätten Juni und Oktober 2009, Fotos Stadt Wolfsburg

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Abbildungen 4.1, 4.2: Dokumentationen »Nutzungskonzeption« und »Städtebauliche Entwicklung«, Büro Schneidermeyer, Dezember 2009

Abbildung 5: Rahmenplan Bildungscampus am Klieversberg, bgmr Landschaftsarchitekten

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Mit dem Vorliegen dieser Quartiersplanung sowie der Zustimmung des Rates wurde die Gesamtentwicklung mit einer Projektgruppe und die bauliche Umsetzung mit einer umfassenden Projektsteuerung hinterlegt. Eine ernsthafte kooperative Entwicklung des Areals mit vielen Akteuren machte diese besondere Projektstruktur auch innerhalb der Verwaltung erforderlich. So wurde der Grundstein gelegt für ein umfassendes zielorientiertes Maßnahmenpaket, dessen Finanzmitteleinsatz sich aus einer Reihe von Einzelmaßnahmen aus vielen Ressorts der Verwaltung zusammensetzt. Die sinnstiftende Koordinierung der Nutzungen, die berechtigten Wünsche aller Nutzer und die Abwicklung der Umsetzung sind höchst anspruchsvoll, um das Ganze zum Erfolg zu führen. Im sogenannten Bildungssalon (zwischengenutzter ehemaliger Friseursalon in einem zum Abriss bestimmten Gebäude) wurde eine temporäre Geschäftsstelle eingerichtet. Eine Lenkungsgruppe bestehend aus den Bildungs- und Planungsverantwortlichen und ein »Jour-fix« für alle Beteiligten wurde institutionalisiert.

Abbildung 6: Bildungssalon, zwischengenutzter ehemaliger Friseursalon in einem zum Abriss bestimmten Gebäude, Foto Ansgar Wilkendorf

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Abbildung 7: Beispiel Gesamtübersicht über Projektbausteine Bildungscampus Wolfsburg, Stadt Wolfsburg

3. S ymbol eines kommunalen B ildungsverständnisses In diese Phase der planerischen Entwicklung fiel parallel die Entwicklung eines kommunalen Bildungsverständnisses. Dieses Vorhaben steht für die kommunale Haltung, die Aufgabe Bildung in ihrer ganzen Vielfalt kommunal zu prägen und nicht nur dem jeweiligen Bundesland zu überlassen. Im Sommer 2010 startete das Bildungsdezernat einen umfassenden Beteiligungsprozess zur aktiven Vernetzung und Entwicklung der Wolfsburger Bildungslandschaft. An dem symbolischen Ort, dem Hang des Klieversbergs, wurde in einer kleinen Zeltstadt mit einem Workshop aller wesentlichen Bildungs- und Kulturanbieter und Interessierten der Grundstein über ein Wolfsburger Bildungsverständnis gelegt. Das dann über mehrere Jahre entwickelte Konzept wurde vom Rat verabschiedet. Das Motto lautet »Menschen bilden Wolfsburg«. Wesentlich für dieses Bildungsverständnis ist, dass Bildung nicht auf die klassischen Einrichtungen reduziert wird, sondern ihre Relevanz über alle Lebensaltersstufen und Kulturen hinweg darin besteht, den Einzelnen mit seinen Interessen ›abzuholen‹ und zu fördern. Hieraus entstanden mittlerweile unzählige Initiativen in der Bildungslandschaft der gesamten Stadt, weit über den Bildungscampusgedanken hinaus. Allerdings entstand auch der Nachdruck auf das Vorhaben, hier ein zentrales, für alle schwellenfreies Angebot zu schaffen, das der zentralen Bedeutung als offenes Haus gerecht wird, einem

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Haus für die vielfältigen außerschulischen Bildungsangebote unter Integration schulischer Angebote.

Abbildungen 8.1, 8.3: Workshop am Klieversberg, Fotos Stadt Wolfsburg

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4. I ntegr ation von geset zlicher S chule und offener B ildung für alle – eine S ekundarstufe II integriert in einem offenen B ildungshaus ? Eine international besetzte Errichtungskommission schuf für die Neue Schule Wolfsburg das Curriculum beginnend mit dem ersten Schuljahr bis hin zur Hochschulreife und ausgelegt auf eine Schülerzahl bis zu 800 Schülern. Die Schule sollte sich in acht Jahren zu ihrer vollen Größe entwickeln (siehe unter folgendem Link: www.neue-schule-wolfsburg.de). Dies erfordert enorme Baubedarfe in dem Quartier und einen intensiven Managementprozess: Diesen zum einen, um eine ›andere‹ wirklich pädagogisch, baulich und quartiersoffene Schule (›ohne Zäune‹) zu entwickeln und zum anderen um dadurch entstehende Verdrängungen, wenn auch nur temporär, verträglich zu regeln und die Reintegration stets mitzudenken. Aber gerade wirklich neue Schulkonzepte, die Entwicklung eines kommunalen Bildungsverständnisses mit konkreten Einflüssen auf alle Bildungseinrichtungen und die Idee einer quartiersoffenen Schule waren und sind der großer Reiz der Planungs- und Bauaufgabe. So soll im Bildungshaus in diesem Sinne die gymnasiale Oberstufe der Neuen Schule Wolfsburg ein integrierter Baustein sein. Die Schüler bewegen sich in einem für alle Wolfsburger offenen Haus um als junge Erwachsene noch ein Stück selbständiger als in den Jahren zuvor, ihren Weg zu gehen. Abkehr von funktionalen klassischen BildungsangebotenDer Leitgedanke setzte hohe Anforderung an das Nutzungskonzept des Bildungshauses und setzte eine sehr intensive Vorplanungsphase (Phase 0) voraus. Den Auftakt definierte der Rat der Stadt mit seinen Vorgaben: »Der Rat der Stadt Wolfsburg hatte das Ziel festgelegt, neben den am Klieversberg bereits angesiedelten Kultur- und Bildungsinstitutionen die Volkshochschule, die Stadtbibliothek und das Medienzentrum (teils wieder) anzusiedeln. Ziel ist die inhaltliche und räumliche Zusammenführung von Volkshochschule, Stadtbibliothek, Medienzentrum der Stadt und Sekundarstufe II der Neuen Schule Wolfsburg in einem Neubau, zu dem sogenannten Bildungshaus. Gerade das Bildungshaus soll sich mit den anderen Angeboten am Klieversberg und der Wolfsburger Bildungslandschaft dauerhaft vernetzen. [...] Es geht um viel mehr, als um einen geplanten gemeinsamen Neubau. Es geht zusätzlich darum, auch architektonisch und inhaltlich ein neues visionäres Angebot von Erlebnislernen, Lernen, Leben und Selbstlernen im Sinne der Anforderungen an das Lernen der Zukunft, im Sinne neuer Lernkulturen und innovativer Weiterbildungsformate in der Verbindung von formalem, non-formalem und informellem Lernen zu schaffen. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Neuen Medien zu: Die rasante Entwicklung in diesem Segment und die Bedeutung für (Selbst-)Lernprozesse sind ein entscheidender Faktor für zukunftsweisende pädagogische Konzepte. [...] Im Jahr 2011 begannen die zukünftigen Nutzer

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des Bildungshauses in einem beteiligungsorientierten Prozess die Planungen des pädagogischen Konzeptes für das Bildungshaus … Er hat für den Realisierungsprozess des geplanten Neubaus eine herausragende Bedeutung. [...] Das Bildungshaus wird ein Ort, [...] der Menschen animiert und inspiriert ihre Kreativität und Kompetenz zu entdecken und zu entwickeln. Ein Treffpunkt für die Wolfsburger Bürgerinnen und Bürger. Die Konzeptentwicklung begleitete Prof. Dr. Richard Stang. [...] Das Bildungshaus ist nicht nach Institutionen aufgeteilt, sondern strukturiert sich nach thematischen Zonen, die sowohl organisationsbezogen als auch inhaltlich definiert sind.«1 Das besondere Unterfangen in dieser ausgeprägten sogenannten »Phase 0« lag darin, extrem unterschiedliche Nutzerinteressen zusammenzuführen, um innovative pädagogische Konzepte zu entwickeln. Das Ergebnis stellt folgende Grafik dar, die Vorgabe für die architektonische Planungsaufgabe war.

Abbildung 9: Funktionsprogramm aus der Auslobung des Planungswettbewerbes Bildungshaus Wolfsburg, Büro Luchterhandt

1 | Buntzoll, Petra/Gülzow, Andre/Rabofski, Birgit/Jörke, Friederike : »Information Innovation Inspiration: Das Bildungshaus in Wolfsburg als neuer Prototyp eines Zentrums für lebenslanges Lernen«, in: Eigenbrodt, Olaf/Stang, Richard: »Formierung von Wissensräumen: Optionen des Zugangs zu Information und Bildung« (2014), Berlin, S. 138 – 148.

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5. I nnovation in F unktion , Technik und G estaltung Die besondere Aufgabe des Bildungshauses für Wolfsburg und auch die vielen Erfahrungen mit Schulsanierungen und -erweiterungen weckten zunehmend den Wunsch nach echter Innovation im Bildungsbau. Insbesondere die Besichtigung von Schulprojekten in Kopenhagen führten zu neuen Inspirationen, so z.B. das Projekt des Ørestad Gymnasiums, realisiert von 3XN. Hier war die Grundlage für das Raumprojekt ein textlich beschriebenes pädagogisches Konzept, kein quadratmeterweise dekliniertes Raumprogramm. Die Entscheidung in Wolfsburg fiel aufgrund der besonderen städtebaulichen Lage und Bauaufgabe auf einen öffentlichen zweiphasigen Wettbewerb, in der in der 1. Phase die städtebauliche Lösung für den besonderen Ort zu finden war und in der 2. Phase dann der realisierbare Entwurf für das Haus und das direkte Umfeld. Mutig wurde der Wettbewerb mit dem Titel »Prototyp« ausgelobt. Ein besonderes Augenmerk wurde darauf gelegt, bei Einhaltung des bestehenden Regelwerks gem. RPW eine ehrliche und transparente Bürgermitwirkung zu implementieren. Gerade wegen der strikten Einhaltung der Wettbewerbsrichtlinien erschien dies zuerst unmöglich. Dann gelang gemeinsam mit der Architektenkammer Niedersachsen eine diskriminierungsunschädliche Innovation. Der Prototyp zeigte Wirkung: 400 Teilnahmeanfragen gingen ein, 112 Arbeiten wurden zur ersten Phase abgegeben und 22 Entwürfe für die zweite Phase ausgewählt. Diese Arbeiten wurden den Bürgerinnen und Bürgern in Form einer Ausstellung präsentiert. Die so eingeholten Meinungen wurden der Jury zusätzlich zum Vorprüfungsbericht vorgelegt. Besonders ausgeprägt unter Mitwirkungsgesichtspunkten erfolgte die Prüfung der Arbeiten durch die Nutzer, die die Umsetzbarkeit ihrer pädagogischen Ziele innerhalb des jeweiligen Entwurfs prüften. Erkenntnisreich und hilfreich war in den entscheidenden Sitzungen die Beratung durch die Fachjury, die das Lesen der Bilder und Zeichnungen den Fachfremden mit großem Engagement vermittelten. Die intensive Beratung führte zu einem großen Respekt gegenüber den Fachjuroren. Besonders ausgeprägt war die Bürgermitwirkung in der zweiten Phase. Hier fand eine intensive Bürgerbeteiligung vor der Jurysitzung statt. Die 22 Arbeiten wurden in einem von außen nicht einsehbaren Raum der Öffentlichkeit präsentiert. Die Bürgerinnen und Bürger, teils auch in Gruppen geführt, gaben Ihre Statements ab. Hieraus wurde im Anschluss je Arbeit ein Bürgergutachten erfasst, das dann als Beratungsgrundlage mit in die Jurysitzung einfloss. 850 Bürgerinnen und Bürger nahmen das Angebot wahr. Eine sehr wichtige Erkenntnis aus diesem Prozess, war der Respekt der Bürgerinnen und Bürger vor den Arbeiten. Die Aussage, ›diese Entscheidung möchten wir

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nicht treffen‹, fiel sehr oft. Die Presse wurde frühzeitig in das Verfahren eingebunden und hielt sich seriös an die Nichtöffentlichkeit der Arbeiten, berichtete aber intensiv über die Mitwirkungsmöglichkeit, was das Bürgerinteresse sehr unterstützte. »[...] Wer den abgetrennten Raum betrat, musste am Eingang eine Erklärung unterschreiben, die Entwürfe weder auf Fotos noch in Form von Zeichnungen nach außen zu tragen. Die Schüler hatten sichtlich Freude an der Geheimnistuerei – wie auch an den Modellen der Teilnehmer, die sie in ein Stadtmodell puzzeln konnten. Die Be­t reuer gaben Einführungen, wie die Pläne zu lesen seien, warnten vor Täuschungen durch Renderings und empfahlen, bei den Modellen den Blick auch mal auf Fußgängerniveau zu senken. Mit mehr Eifer kann man eine Beteiligung wohl kaum durchführen. Am Ende sorgte die Meinungsfülle aber nicht dafür, einen 1. Preis zu finden. Stattdessen: drei mit dem 2. Preis prämierte Entwürfe, die überarbeitet werden sollen. Eine Angst, die in der Ausstellung häufiger zu hören war, kann den Wolfsburgern aber genommen wer­d en: Es wird kein zweites Phæno geben.« 2

2 | Benedikt Crone: »Kein zweites Phaeno«, Bauwelt 21/2014.

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Abbildungen 10.1, 10.2, 10.3: Bürgermitwirkung beim Planungswettbewerb Bildungshaus Wolfsburg im März 2014, Fotos Ansgar Wilkendorf

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Abbildung 11: Stephanie Knostmann, Kommentar zur Bürgermitwirkung, Wolfsburger Nachrichten 18. März 2014

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Abbildungen 12.1, 12.2: Auszug positive und kritische Bürgerkommentare zum Entwurf von Esa Ruskeepää Architects Phase 3, 2014 Der zweiphasige Planungswettbewerb wurde mit drei zweitplatzierten Arbeiten abgeschlossen. Die Stadt folgte der Empfehlung des Preisgerichtes, die noch offenen planerischen Aspekte in Form eines VOF-Verhandlungsverfahrens mit Überarbeitung der Wettbewerbsentwürfe weiter zu beauftragen. In dieser sogenannten Phase 3 fand erneut einer Bürgermitwirkung analog der Phase 2 vor der eigentlichen Entscheidung statt. Bürgerinnen und Bürger gaben an einem Tag ihre Kommentare zu den Arbeiten ab. Diese wurden wiederum Bestandteil der Beratungen für die weitere Entscheidung. Die ganzheitliche Vorprüfung wurde analog zu Phase 2 durchgeführt. Um die architektonische Qualität auch in dieser Phase zu sichern, erhielt die Überarbeitung des Entwurfs mit 50  % einen außerordentlichen Anteil bei der Gewichtung der Zuschlagskriterien. Die Bepunktung dieser Kriterien obliegt den formalen Vorgaben entsprechend dem Auftraggeber, also der Stadt. Die berief erneut

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die Jurymitglieder ein und die argumentative Beurteilung der Arbeiten durch diese externen Experten stellte so auch in der Phase 3 eine ganzheitliche Beurteilung der Entwurfsqualität sicher.

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Abbildungen 13.1, 13.2: Bürgermitwirkung beim Planungswettbewerb Bildungshaus Wolfsburg im September 2014, Fotos Ansgar Wilkendorf Ergebnis dieses Verfahrens ist der Entwurf des jungen finnischen Architekten Esa Ruskeepää. Im Protokoll zur Begründung der Vergabe heißt es wie folgt: »Die Entwurfsverfasser legen einen sehr überzeugenden Entwurf für ein Bildungshaus vor, der in seiner städtebaulichen Positionierung und architektonischen Anmutung der Bedeutung voll gerecht wird. Den Verfassern gelingt es, die komplexen Anforderungen des Funktionsprogramms in eine überzeugende Raumorganisation und Atmosphäre zu übersetzen, die der Idee des Bildungshauses uneingeschränkt entspricht. Auch wenn in den Grundrissen punktuell Verbesserungsbedarfe bestehen, so ermöglicht die Struktur eine gute Wegeführung und gute Orientierung im Hause. Sie verspricht zudem eine langfristige Nutzungsflexibilität und die Möglichkeit, dass erforderliche Anpassungen ohne einen Verlust an räumlicher Qualität vorgenommen werden können. Die Gestaltung der Fassaden in ihrer Farbigkeit und Materialität zeugt von einem anspruchsvollen Architekturverständnis und verleiht dem Gebäude eine unverwechselbare Anmutung, zu der auch die charakteristische Dachlandschaft signethaft beiträgt.[...] Herausragend stellt sich auch das freiraumplanerische Konzept dar, das auf einzigartige Weise den Außenraum mit dem Programm des Bildungshauses verwebt. Insgesamt vermag die Qualität des Entwurfs vollends zu überzeugen; er erfüllt bei einer integrierten Betrachtung aller Planungsparameter sehr gut die komplexen Anforderungen und stellt sich im Vergleich zu den beiden anderen Entwürfen als inspirierendes, innovativstes und somit tragfähigstes Konzept zur Umsetzung der Bildungshausidee dar.«

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Abbildung 14: Funktionsschema Medienfluss, Esa Ruskeepää Architects

Abbildung 15: Blick aus dem Bildungshaus Wolfsburg zum Klieversberg, Esa Ruskeepää Architects Der Entwurf wurde nach Veröffentlichung der Vergabeentscheidung in außerordentlichem Maße in mehrfacher Hinsicht gelobt und begeistert in mannigfacher Weise: Architektonisch besitzt er hohe Symbolkraft, das Konstruktionsprinzip ist einfach. Im Innern lässt sich ablesen, dass die skandinavische Pädagogik auch bei den skandinavischen Architekten verinnerlicht ist. Der Raum erfüllt alles, wird selbst zum pädagogischen Lehrinhalt, ob in Konstruktion, Technik und Gestalt oder im gärtnerischen Umfeld. Zwischenräume und Ausblicke sind ebenso wichtig wie gute Technik.

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Vielleicht geschieht es nicht von ungefähr, dass in der Diskussion um PISA ein finnisches Büro den ersten Preis für einen innovativen Bildungsbau erhält. »[...] Dazu zählt die Planung eines neuen Bildungshauses, mit einem innovativen und aufwendig ausgeklügelten Wettbewerbsverfahren samt zwischengeschalteten, öffentlichen Anhörungen. Jetzt steht fest, der Sieger ist der Finne Esa Ruskeepää (siehe Seite 10). Scharoun und Aalto bekommen ein Geschwisterhaus, das, wenn es ohne Abstriche umgesetzt wird, Furore machen wird: eine herausragende Arbeit des jungen Architekten, der bei OMA und Zumthor in die Schule gegangen ist und in Europa seit längerem durch konzeptionelle Wettbewerbsbeiträge auffällt. Ein neues, gut fundiertes Verfahren, eine lange, öffentlich geführte Debatte über die Alternativen und als Ergebnis ein Entwurf, bei dem einem das Herz aufgeht – wann und in welcher Stadt gab es das zuletzt?« 3

Abbildung 16: Blick aus der Schillerstraße auf das Bildungshaus Wolfsburg, Esa Ruskeepää Architects

3 | Kaye Geipel: Auszug aus dem Kommentar in Bauwelt 07/2015.

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Abbildung 17: Blick vom Klieversberghang auf das Bildungshaus Wolfsburg, Esa Ruskeepää Architects

6. S chritt für S chritt den W eg entwickeln und gehen – ein F a zit

Abbildung 18: Wegeachse entlang Parkhaus 2010 vor Rückbau und Umgestaltung, Bildungscampus Wolfsburg, Foto Stadt Wolfsburg

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Abbildungen 19.1 und 19.2: Anbau und Schulhof der Primarstufe der Neuen Schule und öffentliche Wegeachse mit Parkhaus und neuer Dreifeldporthalle, Bildungscampus Wolfsburg, Fotos Stadt Wolfsburg (20.1), Lars Landmann (20.2)

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Zwischenzeitlich wurden im Quartier bereits einige Bildungs- und Kulturbausteine auf Basis des Rahmenplanes (s.Abb. 05) realisiert bzw. befinden sich Bausteine aktuell in der Umsetzung. Viele Akteure und auch die Architekten und Landschaftsplaner haben sich engagiert in den Geist der Bildungscampusplanung eingefunden: • Umbau und Sanierung der ehemaligen Hermann-Löns-Schule für die Neue Schule (A+I Generalingenieure, Wolfsburg), 2009, • Anbau an die ehemaligen Hermann-Löns-Schule für die Primarstufe der Neuen Schule (bünemann & collegen, Hannover), 2009-2010, • Teilrückbau des Parkhauses mit Anbau der neuen Dreifeldsporthalle nach Planungswettbewerb (KSP Jürgen Engel Architekten, Braunschweig) 2011-2013, • Gestaltung des Schulhofes der Primarstufe der Neuen Schule zusammen mit der öffentlichen Wegeachse entlang des Parkhauses (bgmr Landschaftsarchitekten, Leipzig/Berlin) 2011-2014, • Erweiterung der ehemaligen Hermann-Löns-Schule für die SEK I der Neuen Schule nach Gutachterverfahren (Entwurf: Kirstin Bartels/div.A arkitekter, Hannover/Oslo; Ausführung: Schneider + Sendelbach Architekten, Braunschweig; Gestaltung des Außenbereiches: Lohaus + Carl Landschaftsarchitekten, Hannover) 2010-2016, • An- und Umbau der Gastronomie des CongressParks zur Mensa der Neuen Schule (Thamm Architekten, Braunschweig) 2014-2015, • Denkmalgerechte Sanierung und Erweiterung des Theaters von Hans Scharoun (Brenne Architekten, Berlin) 2011-2015, • Sanierung und Neugestaltung des Umfeldes des Theaters von Hans Scharoun (Levin Monsigny Landschaftsarchitekten, Berlin) 2014-2016. Das Verfahren zum Bildungscampus und insbesondere zum Bildungshaus Wolfsburg hat bewiesen, dass es möglich ist, jeden einzelnen Planungsschritt der anfangs genannten Ziele mit einem hohen Mitwirkungsgrad der Beteiligten Nutzer, Betreiber, Stadtgesellschaft und Politik zu entwickeln und zu gehen und dabei einen Entwurf mit höchster technischer, gestalterischer und nutzerorientierter Genugtuung zu finden. Bürgermitwirkung führt nicht zu konsensorientiertem Allerlei. In der Umsetzung hat sich gezeigt, dass die Einrichtungen mit ihren sich zunehmend etablierenden Bildungs- und Kulturkooperationen ein enormes Verständnis für ein vitales Quartier und den Respekt vor Landschaft und gebautem Raum entwickelt haben. Die Chance der Mitgestaltung an der Entwicklung hat sich als ein großer Gewinn für alle an der Umsetzung des Bildungscampus am Klieversberg Beteiligten dargestellt. Bildung versteckt sich nicht, Bildung ist urbaner baulich sichtbarer Bestandteil, und an Bildung haben alle teil.

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Abbildung 20: Bisheriger Ablauf Projekt Bildungshaus Wolfsburg, Stadt Wolfsburg Das Gesamtprojekt Bildungscampus, an dessen Ende das Wolfsburger Bildungshaus als Prototyp für Bildung stehen soll, hat in jeder Phase allen Planern und Steuerern Mut zu Neuem in Aufgaben und in Methoden abverlangt. Dabei entstand eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Projektes und seiner Beteiligungsformen durch schrittweise Reflexion der Ergebnisse. Die Fragen, welche Methode zu dem jeweiligen Zeitpunkt passt und ob es externe Experten braucht, standen immer im Vordergrund und nicht etwaige vorgedachte Ergebnisse. Die Vorbereitung der Stadtgesellschaft auf diesen Weg und die erforderliche Kooperation mit den öffentlichen Medien ist unerlässlich, insbesondere bei unterschiedlichen Interessenlagen. Die intensivsten Phasen lagen in der Vermittlung des Grundansatzes für das Quartier (politische Dimension), die Programmentwicklung durch die Nutzerinnen und Nutzer mit der intensiven wissenschaftlichen Begleitung (Nutzerdimension) und die intensive Bürgerbeteiligung im Wettbewerbsverfahren (Bürgerdimension). Neben den klassischen Methoden sind eine ressortübergreifende Projektsteuerung und intensive Kommunikationsbegleitung elementare Umsetzungserfordernisse. Große Offenheit und Transparenz sind für die Beteiligungen seitens der Stadtverantwortlichen erforderlich. Letztlich muss man immer etwas mehr wagen, als man sich vorstellen kann und bei allen Beteiligten den Geist entfachen, etwas wirklich Neues zu schaffen, was dann wirklich ein öffentlicher Raum im Herzen der Stadt werden kann.

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Inhalt 1. Entwicklung und Funktion von Bibliotheken | 355 2. Programm, Standort und Kostenberechnung für den Bibliotheksbau | 358 3. Architekturwettbewerb | 360 4. Planungsprozesse | 361 5. Bibliotheken vereinen kulturelle, soziale und wirtschaftliche Interessen | 366 Literatur | 367 Bibliotheken sind im gesamten Kulturbautenkanon lange Zeit eher einem Randbereich zuzuordnen gewesen. Sie haben in ihrer geschichtlichen Betrachtung ein spezielles Publikum angesprochen und weniger ein öffentliches Interesse weckendes, städtebauliches Element dargestellt. Gleichwohl waren die Bauten in ihrer architektonischen Ausformung, die ordnende Funktion ihrer inneren Organisation spiegelnd, schon in historischer Zeit zu sehr klaren, systematisch stilistisch durchdachten gestalterischen Aussagen geführt worden, deren Ausdruck sich im Laufe vieler Jahrhunderte nicht wesentlich verändert hat.

1. E ntwicklung und F unktion von B ibliotheken Bibliotheken waren wissenschaftlich genutzte und ausschließlich zu diesem Zweck zugängliche Archive, in denen die kontemplativen, sich auf die Konzentration der Arbeit, das Studium der Schriften ausgerichteten Räume auch den Ausschlag ihrer inneren Gestaltung ausmachten. Dabei vermittelten die Lesesäle mit den sichtbaren Bücherregalen eine räumliche Überschaubarkeit, – eine gute Orientierung, eine räumlich einfache, begreif bare Umgebung. Diese gute Orientierung ist eine erste und wichtige Komponente zur Unterstützung der Konzentration der Benutzer auf die zu vermittelnden Inhalte. Die harmonisch abgestimmten Farben und Materialien ergaben zusätzlich eine,

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diese Sinnbestimmung unterstützende wohlempfundene Atmosphäre. Die architektonischen Detailausformungen und Ausschmückungen entsprachen den jeweiligen zeitlichen, baugeschichtlichen Vorgaben. Auch die natürliche Lichtführung und die zusätzlich künstliche Beleuchtung wurden ganz auf diese kontemplative Atmosphäre hin entwickelt. Darüber hinaus waren die konservatorischen Gesichtspunkte immer schon mit zu berücksichtigen. Bis Anfang des 19. Jahrhundert bestimmten Universitäts-, Fürsten-, und Klosterbibliotheken sowie wenige Staatsbibliotheken den Bibliotheksbau. Die Nutzer waren im Wesentlichen Studierende, Gelehrte und Geistliche.

Abbildung 1: Benediktinerkloster Admont (© Stift Admont) Im Jahr 1828 wurde die erste öffentliche Bibliothek in Deutschland eingerichtet, der dann sehr schnell viele öffentliche Büchereien folgen sollten, die den spätromantischen Dichter und Literaturhistoriker Wolfgang Menzel zu der Aussage brachte »Wohin wir uns wenden, erblicken wir Bücher und auch die kleinste Stadt hat ihre Leseanstalt, der ärmste Honoratior eine Handbibliothek.«1 Es war das Jahrhundert der Aufklärung, in dem sich die öffentliche Bibliothek, auch Bücherei genannt, als Typus der allgemeinen Informationsbibliothek entwickelt und schnell zu einer vielschichtigen Volkseinrichtung mit sehr unterschiedlichen Aufgaben und Zielsetzungen für die Wissensvermitt1 | Siehe: W. Menzel, Die deutsche Literatur, S. 4.

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lung und Wissensspeicherung wurde. Von den USA über Großbritannien kam diese neue Haltung der Informationsmöglichkeit für breite Bevölkerungsschichten, – unterbrochen durch die Folgen der Revolution 1848/49 – im späten 19. Jahrhundert auch in Deutschland an. Inzwischen sind die Stadtbibliotheken und Volksbüchereien, entwickelt aus den einfachen Lese- und Bücherhallen und auch die Universitätsbibliotheken und Staatsbibliotheken zu sozial gesellschaftspolitischen Zentren gewachsen, die nicht nur durch ihre originäre Gestalt – sehr oft als Solitär gebildet – sondern auch durch ihre Lage in der Stadtlandschaft, durch ihre vielschichtigen Angebote mit ihren unterschiedlichen, kulturpolitisch aufschlussreichen Arbeitsgebieten zu Einrichtungen mit baulicher und inhaltlicher stadtzentraler Bedeutung gewachsen.

Abbildung 2: Stadtbücherei Nettetal, Architektur: Walter von Lom (Foto: Helmut Stahl) Mit dem Beginn des sogenannten digitalen Zeitalters verändert sich nicht nur das Lese- und Lernverhalten, sondern es bringt darüber hinaus auch neue Möglichkeiten der Auf bewahrung und Speicherung von Wissen. Die Bibliothek mit der kontemplativen Arbeitsatmosphäre wird abgelöst oder auch ergänzt durch eine starke kommunikative Komponente –­ sie wird Treffpunkt zum Austausch von Wissen, sie wird Kritik- und Diskussionsforum, sie wird in Teilen zur Mediathek, in der nicht nur die Buchform, sondern mindestens

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ebenso stark das digitale Lesen und Arbeiten ganz neue Raumgefüge und Raumatmosphären benötigt. Inzwischen wird das ganze Spektrum der unterschiedlichen Auffassungen der Bedeutung und der Arbeitsmethoden einer Bibliothek, der Bücherspeicherung, der Wissensvermittlung bei den verschiedensten Bibliothekstypologien in ihrer unterschiedlichen architektonischen Ausformung bei dem Planer abgefragt, und man wird bei jedem einzelnen Neubau oder Umbau im Vorfeld genau analysieren müssen, wo der jeweilige Schwerpunkt für die zukünftigen Nutzer liegen soll. Die Leitfragen sind • • •

ob ein möglichst offenes Haus geschaffen werden kann, ob mit hoher Flexibilität auf die verschiedenen, auch wechselnden Ansprüche reagiert werden soll, ob eine stärker zurückhaltende, klare, einfache Antwort der vorgegebenen Zielsetzung gerechter wird.

In jedem Fall sollte die Lage einer Bibliothek im Stadtgefüge an zentraler Stelle in Kombination mit ergänzenden kulturellen Einrichtungen geplant werden, in direkter Nachbarschaft zu den Kommerz- und Verwaltungszentren, dem Einkaufszentrum und immer mit guter Erreichbarkeit durch öffentliche Verkehrsmittel.

2. P rogr amm , S tandort und K ostenberechnung für den B ibliotheksbau Als Startpunkt bei der Überlegung eines Neu- oder Umbaus gilt es, eine genaue Definition des Nutzerprofils zu erarbeiten, um daraus ein Nutzungs- und Raumprogramm zu entwickeln. An erster Stelle muss eine genaue Analyse des Zielpublikums mit Politikern, Verwaltung und Betreibern ausdiskutiert werden: Wen wollen wir vordringlich mit der Einrichtung erreichen? Nach diesem Profil richtet sich der Bedarf der anzubietenden Inhalte, die wiederum ein bestimmtes qualitatives Raumgefüge initiieren. Nach dieser qualitativen Nutzerdefinition folgt die quantitative Prognose des zu bedienenden Personenkreises. Daraus entwickelt sich das quantitative Raumprogramm, das einzelne Inhalte in seinen notwendigen Raumgrößen fixiert. An dieser gesamten Vorarbeit sind der Bauherr und Finanzier, der Betreiber und ganz intensiv die avisierten Nutzer, die Bürger des Stadtbezirkes zu beteiligen. Parallel zu diesem »Laiengremium« sind selbstverständlich Bibliotheksfachleuchte und in der Projektentwicklung und Programmfindung erfahrene Büros einzuschalten, die sowohl die qualitativen als auch die quantitativen Festlegungen des

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Programms bestätigen müssen. Dieser erste Findungsprozess muss darüber hinaus konsequent von der Politik mitverfolgt und inhaltlich begleitet werden. Nach der Festlegung des auf die zukünftigen Nutzer zugeschnittenen Raumprogramms werden in einem zweiten Schritt alternative Baustandorte untersucht oder bei zu ergänzenden oder zu ertüchtigenden und umzunutzenden Altimmobilien die Verträglichkeit dieser mit dem neuen Nutzungsprogramm geprüft.

Abbildung 3: Stadtbibliothek Essen, Umbau vom Spaßbad zur Bibliothek, Architektur: Walter von Lom (Foto: Martin Claßen)

Nach der Bestimmung des Standortes und des qualitativen und quantitativen Programms folgt dann in einem dritten Schritt die Berechnung eines ganz groben Gesamtkostenrahmens. Das sind standortbedingte Umfeldkosten, Erschließungskosten, Grundstückskosten, die gesamten Bau- und Planungskosten, die Einrichtungskosten und die baulichen Folgekosten sowie die Kosten für den Betrieb der Einrichtung. Diese Kostenprognose ist wiederum auf die Verträglichkeit mit dem Programm und dem Standort hin zu kontrollieren und gegebenenfalls sind dann die Größen der einzelnen Faktoren der Vorgaben zu korrigieren und zu variieren. Das Ergebnis möglicher Korrekturen von Programm, Standort und Kosten bildet dann die Rahmenvorgabe, die im Gleichgewicht gehalten werden muss und bis in die Schlussphase der Umsetzung einzuhalten ist.

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3. A rchitekturwettbewerb Wenn also der Bauplatz festliegt, der Inhalt schriftlich definiert ist, die Zirka­ grössen der Nutzflächen in einem Programm und der grobe Kostenrahmen abgestimmt sind, einschließlich einer vorgesehenen Gesamtfinanzierung, dann sind diese Vorgaben von allen Verantwortlichen, Bauherren, privat oder öffentlich, von Verwaltung und Politik abzusegnen. Auf dieser Basis soll als nächster Schritt üblicherweise die schriftliche Fassung eines Architekturwettbewerbs erfolgen, der wiederum von allen Beteiligten freigegeben und anschließend öffentlich oder beschränkt ausgeschrieben wird. Bei der schriftlichen Fixierung ist zu beachten, dass die klare, eindeutige Definition aller Fakten dieser Ausschreibung den Entwerfern immer noch ein Maß an Freiheiten belassen sollte. Die Eckpunkte der städtebaulichen Zielsetzung, der inhaltlichen nutzerbezogenen Forderungen, der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Umsetzung und Betreibung sind fixiert, bleiben aber im Zuge der Konzeptfindung interpretierbar. Es gibt zum Ausschreibungsverfahren von Architekturwettbewerben viele, inzwischen mehrfach erprobte Wege. Sie reichen von einem, dem Architektenwettbewerb vorgeschalteten Workshop, mit einem öffentlich ausdiskutierten Rahmenprogramm für die Festlegungen der Ausschreibung, einem darauffolgenden, wenn erforderlich auch mehrstufigen Planungswettbewerb, bis hin zu beschränkten Wettbewerben oder auch Mehrfachbeauftragungen ausgewählter Planungsbüros. Im öffentlichen Wettbewerb bietet der mehrstufige Wettbewerb die Möglichkeiten an, dass in einer ersten Stufe Aufwand und Ergebnis sinnvoll abgestimmt werden können, für den einzelnen Wettbewerbsteilnehmer tragbarer in den Kosten bleiben und für den Ausschreibenden und Beurteilenden im Grundsatz fassbarer im Ergebnis werden. Für die Gemeinschaft der Beteiligten kann dabei besser von kleinmaßstäblichen Grundsatzentscheidungen zu späteren, detaillierteren, endgültigen Festlegungen gefunden werden. In der zweiten Wettbewerbsstufe erfolgt dann unter schon greifbar und sichtbar gewordenen Planungsergebnissen die detaillierte Bearbeitung bei einer zahlenmäßig überschaubaren Auswahl der Entwürfe aus der ersten Stufe. In einem Preisgericht, besetzt mit Fachleuten und Sachpreisrichtern, mit Politikern und Fachvertretern wichtiger inhaltlicher Einzelaspekte, werden die in Plänen und Modellen sichtbaren unterschiedlichen Einzelvorschläge gegeneinander abgewogen. Am Ende dieses Abwägungsprozesses sollte als Ergebnis ein Entwurf stehen, der Grundlage aller weiteren Planungs- und Konkretisierungsschritte wird.

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4. P lanungsprozesse Es hat sich immer wieder herausgestellt, dass ein genügend langer Zeitraum für die Findung einer planerisch, baulichen Konzeption wichtiger städtebaulicher, architektonischer Aufgaben – Bibliotheken, Büchereien und Archive gehören dazu – sowie eine breite öffentliche Diskussion im Vorfeld dazu notwendig sind. Diese muss zunächst ohne eine schon vorgefasste Fixierung der Lösung des Problems starten und sollte während der gesamten Planung und baulichen Umsetzung als öffentliche Information in den einzelnen Schritten des Projektverlaufs beibehalten werden. Die eventuell später zusätzlich aufzuwendenden Kraftakte und Kosten für Bauvorhaben, die durch Bürgerinitiativen mit begründeten oder auch unbegründeten Einsprüchen behindert werden, die ohne solche Vorbereitungsarbeiten in die Konkretisierung gestartet sind, überschreiten die einer gut organisierten Vorbereitungsarbeit und etwas längeren Vorbereitungszeit deutlich. Man muss davon ausgehen, dass öffentliche Bibliotheken – oder heute besser definiert öffentliche Büchereien, Mediatheken – in ihrer Standortfindung und ihrem Inhalt immer großen öffentlichen Diskussionsbedarf haben. Sie werden in ihrer Realisierung, im sichtbaren und nutzbaren Ergebnis, auf längere Zeit ihrer besonderen städtebaulichen und sozialpolitischen Bedeutung besser gerecht, wenn ihre Akzeptanz im Vorfeld ihres Entstehens öffentlich ausdiskutiert und angenommen worden ist. Ein etwas anderes Vorbereitungsszenario gilt sicherlich für die ausschließlich der Wissenschaft dienenden Bibliotheken. Hier sind die inhaltlichen Vorgaben eines Nutzungs- und Raumprogrammes und der Beteiligungsrahmen stark auf ein bestimmtes Fachpublikum beschränkt. Für die Akzeptanz im öffentlichen Raum bietet sich aber ebenfalls eine offene Diskussion der Bauvorhaben im Vorfeld an. Deren Optimierung sollte dann auch in Alternativverfahren, mindestens in beschränkten Wettbewerbsverfahren erfolgen. Ein Beispiel hierfür kann die Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (Architektur: Walter von Lom, Köln) sein. Ein geschlossener Archivteil wird bei diesem Projekt ergänzt durch eine offene, zentrale, die Geschosse verbindende Halle, um die sich die einzelnen Arbeitsräume nach außen und zur Halle hin öffnend legen.

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Abbildung 4: Bibliothek Institut für Weltwirtschaft, Architektur: Walter von Lom (Foto: Lukas Roth) Eine »Zwischenlage« bilden die Universitätsbibliotheken, die einer sehr vielschichtigen und breit interessierten Studenten- und Professorenschaft für ihre wissenschaftliche Fortbildung zur Verfügung stehen. Diese müssen aber auch durch offene Kontakt- und Kommunikationszonen in ihrem räumlichen Angebot dem Wissensaustausch und der Diskussion um Inhalte und auch freizeitlichen Angeboten der Rekreation nachkommen. Sie sind damit in der Programmfindung und ihren räumlichen Angeboten in vielerlei Hinsicht den öffentlichen Bibliotheken ähnlich. Hier ist zum Beispiel das Learning Center in Lausanne (Architektur: SANAA, Tokyo), ein multifunktionaler Gebäudekomplex mit einer unkonventionellen, organischen Formensprache, das eine Extrem eines räumlichen und atmosphärischen Angebotes und die Zentralbibliothek der Humboldt-Universität (Architektur: Max Dudler, Berlin), mit einer klassisch-modernen Formensprache und einem schon heute berühmten »sakralen Lesesaal« die extrem andere Variante.

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Abbildung 5: Bibliothek Institut für Weltwirtschaft, Architektur: Walter von Lom (Foto: Lukas Roth) In diesen beiden Universitätsbibliotheken als Beispiel wird deutlich, dass aus einem unterschiedlich definierten Nutzeranspruch der Bauherren und der Betroffenen und aus einer sehr unterschiedlichen städtebaulichen Situation sowie aus einer breit gestreuten Vorlage von alternativen Entwurfsvorschlägen jeweils eine bestmögliche Lösung dieser unterschiedlichen Ansprüche herausgefiltert und umgesetzt werden konnte. Schwerpunkt meiner Betrachtung bleiben die öffentlichen Staats- und Stadtbibliotheken, die verstärkten Öffentlichkeitsbezug haben und eine große sozialpolitische Aufgabe für das Umfeld übernehmen, in das sie eingepflanzt werden. Nach der gut fundierten, hinterfragten Findung eines Konzeptes wird es darauf ankommen, alle Beteiligten bei der weiteren Begleitung des Projektes aktuell in allen wichtigen Fortschritten und Änderungen auf dem Laufenden zu halten. Politik, Verwaltung und Nutzer sollten dabei gleichrangig die weiteren Planungen und die Umsetzung verfolgen können. Die verantwortlichen Akteure, geführt von den Architekten und – je nach Größe des Projektes – begleitet von einem Projektsteuerer und von einer alle Einzeldisziplinen der gestalterischen und technischen Gewerke abdeckenden Spezialistenmannschaft haben zunächst die Aufgabe, im Entwurf alle im Konzept vorgegebenen Planungsgrundlagen detailliert zu erarbeiten und diese dann in die Ausschreibungs- und Ausführungsunterlagen zu überführen. Dabei spielt die Kostenkontrolle vom Frühstadium der groben Kos-

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tenschätzung (Grundlage ist die realistisch mit Spielräumen für noch unerkannte Risiken erarbeitete grobe Kostenschätzung der Programm- und Standortfindung zum Wettbewerb) über die Kostenberechnung bis zur Kostenfeststellung und deren Finanzierung eine entscheidende Rolle. Der Architekt oder auch das Team der originären Konzeptfindung muss das große Gesamtteam der unterschiedlichen Verantwortungsbereiche bei der weiteren Planung und Durchführung leiten und die dabei oft kontrovers gesehenen und schwierig zu entscheidenden Detailpunkte wesentlich beeinflussen können. Jede Detailentscheidung kann das übergeordnete Konzept stützen oder auch verwässern. Dabei kommt es darauf an, in den oft hart geführten Diskussionen um Konstruktion, Material, Kosten und Termine und letztlich auch um die vielschichtigen Folgekosten eine zielgerichtete Einigung zu erreichen: an welchen Punkten sind Veränderungen der jeweiligen Einzeldisziplin zu akzeptieren und an welchen darf man zu keinen Kompromissen bereit sein, damit die einmal festgelegte Gesamtkonzeption nicht Stück für Stück geschmälert wird oder ganz verloren geht.

Abbildung 6: Rolex Learning Center, Architektur: SANAA (© Alain Herzog/ EPFL)

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Abbildung 7: Zentralbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin, Architektur: Max Dudler (Foto: Stefan Müller) Jedes Gewerk, jeder beteiligte Ingenieur, jeder am Planen und Bauen Beteiligte hat innerhalb des Gesamtkonzeptes seinen eigenen Part zu optimieren. Und bei diesem Prozess muss einer – und das ist üblicherweise der originäre Ideenfinder der Gesamtkonzeption – immer das gemeinsame Ziel im Auge behalten und die Optimierungsziele des Einzelnen wieder einbinden in das übergeordnete Gesamtziel. Je besser und breiter ein Projekt vorbereitet wurde, desto weniger schwierig wird es auch, dieses in seiner Umsetzung ohne Aufgabe von Planungs-, Zeitoder Finanzzielen durchzustehen. Programmveränderungen der einmal abgestimmten vorliegenden Planung nach der Entwurfsverabschiedung müssen ausgeschlossen bleiben, wenn man im fixierten Kosten- und Terminrahmen bleiben will.

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5. B ibliotheken vereinen kulturelle , soziale und wirtschaf tliche I nteressen In Deutschland wird der Vorbereitung von Bauvorhaben häufig viel zu wenig Zeit eingeräumt und das hat verheerende die ganze Baubranche in Verruf bringende Konsequenzen. Der parteipolitisch durch eine Wahlperiode vorgegebene zeitliche Rahmen ist für eine erfolgreiche Durchführung von Planungsvorbereitung, Planung und Baudurchführung und damit für einen erfolgreichen Abschluss eines Bauvorhabens fast immer zu kurz. In den USA sind die Planungszeiten beinahe doppelt so lang wie bei uns, – dafür sind die Bauzeiten erheblich kürzer als die bei uns durch Veränderungen geprägten Langzeitbaustellen. Der Staat, die Länder und die Kommunen tragen nicht nur in ihren sozialen und kulturellen Bauaufgaben eine hohe Verantwortung für bauliche Qualitäten, sondern auch für die mit diesen Bauten an besonderen Standorten verbundene Adressqualität. Da die öffentliche Hand als Träger in vielen Fällen finanziell nicht in der Lage ist – und auch in der Zukunft nicht sein wird – diese Aufgaben immer angemessen zu erfüllen, – auf der anderen Seite aber private Geldgeber vorhanden sind, die immer weniger lohnende Anlagemöglichkeiten finden – sollten die verantwortlichen Initiatoren öffentlicher Bauten versuchen, verstärkt Privatgelder auch für Kulturbauten zu gewinnen und in einer vernünftigen Abwägung der nur zum Teil unterschiedlichen Interessen zu einer gemeinsamen Trägerschaft zu kommen. Die öffentliche Hand kann die Immobilie in zentraler Stadtlage, eine langzeitige Anmietung und eine moderate Mindestverzinsung des eingesetzten Fremdkapitals garantieren. Es lassen sich immer vertragliche Regelungen für eine so gebildete Interessengemeinschaft finden, die sowohl der sozialen kulturpolitischen Aufgabe und Verantwortung der Kommunen als auch der sozialen Verantwortung der Geldwirtschaft und auch den wirtschaftlichen Interessen beider Seiten gerecht werden. Der gesamtwirtschaftliche Erfolg einer Kommune, der Erfolg ihrer gesamten Bürgerschaft wird durch ein gutes kulturelles und soziales Angebot untermauert. Nur wenn sich alle drei Bereiche Wirtschaft-, Kultur- und Sozialengagement konsequent parallel entwickeln prosperiert die gesamte Stadtgesellschaft. Dabei ist eine Bibliothek gegenüber anderen kulturellen Angeboten nur ein kleiner Mosaikstein, aber insbesondere in der Kombination mit verschiedenen, kulturellen Einrichtungen an stadtzentralen Hochpunkten lässt sich soziales, kulturelles und wirtschaftliches Interesse auch mit Bibliotheken und Archiven zu Erfolgen kombinieren. Bibliotheken sind dabei nicht nur Häuser für die Speicherung unseres gesamten Wissens, sondern in ihrer mannigfaltigen Nutzung auch Gebäude, die Forschung und Bildung einer Gesellschaft ermöglichen, fördern und prägen. Im besten Fall sind sie zudem auch Treffpunkt für

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soziale und freizeitbezogene Aktivitäten in einer atmosphärisch angenehmen und inspirierenden Umgebung.

L iter atur Cerver, Francisco A.: Hegendaagse architectuur. Köln: Könnemann Verlagsgesellschaft mbH 2000. DETAIL Konzept Zeitschrift für Architektur. Bibliotheken. München: Institut für internationale Architektur-Dokumentation GmbH & Co.KG 2005. Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur, Stuttgart: Gebrüder Franckh 1828. Nerdinger, W. u.a. (Hg.): Die Weisheit baut sich ein Haus. Architektur und Geschichte von Bibliotheken. München: Prestel Verlag 2011.

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Autorinnen und Autoren

Dipl. Kauffrau Tessa Beecken *1966, studierte Betriebswirtschaft in Hamburg, Köln und Mailand und war von 1991 bis 1996 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Organisationstheorie an der Universität zu Köln. Nach ihrer anschließenden Tätigkeit als Chefdisponentin und stellvertretende Intendantin am Theater Aachen leitete Tessa Beecken von 2000 bis 2008 als kaufmännische Geschäftsführerin die Kampnagel Internationale Kulturfabrik GmbH und von 2009 bis 2013 als Geschäftsführerin und Betriebsdirektorin die Elbphilharmonie und Laeiszhalle Service GmbH in Hamburg. Seit 2013 berät Tessa Beecken Unternehmen insbesondere in Fragen der Struktur- und Teamentwicklung. In der Beratungstätigkeit verbindet sie ihre praktische Erfahrung aus der Führungsverantwortung im Kulturmanagement mit ihrer fundierten Basis aus wissenschaftlicher Lehrtätigkeit sowie absolvierten Ausbildungen zum systemischen Coach und zur systemischen Teamentwicklerin. Seit September 2015 ist Tessa Beecken kaufmännische Direktorin des Theaters der Stadt Freiburg. Berger Bergmann *1962, Studium der Rechtswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Während der Referendarzeit am Kammergericht Berlin, der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, der Akademie der Künste Berlin und am Staatstheater Weimar tätig. Von 1994 bis 1995 Koordinator der Ausstellung „MoskauBerlin, Berlin-Moskau“ bei der Berlinischen Galerie, 1995 bis 2007 Geschäftsführender Direktor des Konzerthauses Berlin. Seit 2008 Geschäftsführer der Theater und Philharmonie Essen GmbH (TUP) und damit verantwortlich für die fünf Sparten Schauspiel Essen, Aalto-Musiktheater, Aalto Ballett Essen, Essener Philharmoniker und Philharmonie Essen. Herausgeber verschiedener Bücher zur Architektur und Kulturgeschichte.

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Dr. Dieter Bogner *1942, Kunsthistoriker, Universitätsdozent, Ausstellungskurator, Museumsplaner. 1989 Konzept für das Museumsquartier Wien, von 1990 bis 1994 Geschäftsführer der Museumsquartier Errichtungs- und Betriebsgesellschaft Wien. 1994 Gründung der Firma bogner.cc (www.bogner-cc.at), die sich international museologischen Fachplanungen für Museumsneubauten bzw. der Modernisierung von Museumsaltbauten und Neuaufstellung von Sammlungen, der Konzeption von Medienprojekten für Museen, dem Kuratieren von Ausstellungen und der Erarbeitung von Machbarkeitsstudien und Kulturentwicklungsplänen widmet, sowie als Partner von Architekturbüros an Wettbewerben für Museumsneu- bzw. umbauten teilnimmt. Bogner ist Stifter der Friedrich und Lillian Kiesler Privatstiftung Wien und Mitglied des Board of Trustees am New Museum of Contemporary Art New York, an dessen Planung er beteiligt war. Er lehrt am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien und ist Autor zahlreicher Publikationen zu Architektur und Kunst der Moderne. Gemeinsam mit Gertraud Bogner leitet er den Kunstraum Buchberg, Schloss Buchberg am Kamp. Dr. Pablo v. Frankenberg *1984, studierte Empirische Kulturwissenschaft und Soziologie. Promotion über die Internationalisierung der Museumsarchitektur mit Forschungsaufenthalten in England, den USA, China und am Arabischen Golf. Er war Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Landesgraduiertenförderung Baden-Württemberg. Nach Abschluss der Promotion 2012 Volontariat bei Kultur Ruhr GmbH/ Urbane Künste Ruhr. Seit 2013 Creative Director bei hg merz architekten museumsgestalter/mm+. Prof. Jörg Friedrich *1951, ist seit 1982 Architekt mit Architekturbüros in Hamburg, Genua und Frankfurt. Neben Opernhäusern, Theaterbauten und Kulturprojekten in Deutschland, Italien, Österreich, Polen und der Schweiz Professuren und Lehrtätigkeiten in Hamburg, Mendrisio, Genua und Rom; er ist seit 2000 Professor für Gebäudelehre und Entwerfen an der Leibniz Universität Hannover. Architektur- und Kunstpreise, u.a. 1988 Villa Massimo Rom-Preis der BRD; 1994 Staatspreis Thüringen. 1996 Berufung in die Freie Akademie der Künste in Hamburg. Ausstellungen: Venedig, Architekturbiennale; Frankfurt, Deutsches Architekturmuseum; Rotterdam, Nederlands Architectuurinstituut; Berlin, Hamburg, Kunsthalle; Hannover, Kestner-Gesellschaft. Dirk Heisterkamp *1970, hat nach seiner Ausbildung zum Bauzeichner und dem Studium zum Bauingenieur im Jahr 1998 die Baulogistik bei einer Tochtergesellschaft eines

Autorinnen und Autoren

großen deutschen Baukonzerns mit angeschoben und dieses Geschäftsfeld auch bis 2014 verantwortet. Weiterhin hat er die Tochtergesellschaften in Österreich und Katar bei der Entwicklung der baulogistischen Dienstleistungen begleitet. Seit mehr als 15 Jahren ist er somit als Baulogistiker und Idealist der „ersten Stunde“ bei einer Vielzahl von Projekten involviert. Er ist in mehreren überregionalen Arbeitskreisen sowie als Dozent verschiedener Hochschulen aktiv und engagiert sich für die Weiterentwicklung der Baulogistik hinsichtlich des lean construction Ansatzes. Als Geschäftsführer und Gründer der SiteLog GmbH fokussiert er sich nun noch mehr darauf, Bauprozesse zu optimieren sowie Baubeteiligte zu beraten und zu begleiten. Prof. Barbara Kisseler *1949, ist seit 2011 Kultursenatorin der Freien und Hansestadt Hamburg, im Mai 2015 wurde sie zur Präsidentin des Deutschen Bühnenvereins gewählt. Von 1970 bis 1977 absolvierte sie ein Studium der Theaterwissenschaft, Filmund Fernsehwissenschaft, Germanistik und Pädagogik an der Universität zu Köln, anschließend arbeitete sie von 1977 bis 1978 als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschlandfunk, WDR sowie der Carl-Duisberg-Gesellschaft. Von 1978 bis 1981 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kulturdezernat der Stadt Bonn. Zwischen 1982 und 1986 leitete sie das Kulturamt der Stadt Hilden, anschließend sieben Jahre das Kulturamt in Düsseldorf. Von 1993 bis 2003 war sie Abteilungsleiterin für Kultur im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, bevor sie 2003 als Staatssekretärin für Kultur zum Land Berlin wechselte. Dort wurde sie 2006 Chefin der Senatskanzlei, bis 2011 der Ruf nach Hamburg folgte. Prof. Maurice Lausberg *1973, ist Diplom-Physiker und studierte an der Universität München sowie der École Normale et Supérieure in Paris. Nach einer mehrjährigen Beratungstätigkeit für Roland Berger & Partner war er Produktionsmanager an der Bayerischen Staatsoper und baute dann den Bereich Development/Sponsoring auf. Seit 2005 ist Maurice Lausberg Geschäftsführender Gesellschafter der actori GmbH, die u.a. Kunden aus den Bereichen Kultur, Bildung, Unternehmen und Entertainment berät und vermarktet. Im Oktober 2009 übernahm er zudem die Leitung des Instituts für Kulturmanagement an der Hochschule für Musik und Theater München. Andreas Leuchtenmüller *1965, ist geschäftsführender Gesellschafter von M.O.O.CON mit Standorten auch in Frankfurt am Main und Wien. Nach seinem Abschluss des Studiums der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien war er in der Industrie tätig. Bereits in der Gründungsphase stieß er

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zu M.O.O.CON und war wesentlich am Auf bau des Beratungsunternehmens beteiligt. Seine Erfahrung und sein Wissen aus internationaler Projekttätigkeit fließt ein in Fachveranstaltungen zu den Themen Strategie, Gebäudeentwicklung, -planung und -betrieb, sowie wertschöpfendes Corporate Real Estate Management. Henner Mahlstedt *1953, studierte Bauingenieurwesen an der Technischen Universität in Braunschweig. Von 1980 bis 2001 hatte Henner Mahlstedt diverse verantwortliche Positionen in der Strabag Hoch- und Ingenieurbau AG in Hamburg, Berlin und Köln inne, von 1997 bis 2001 als Mitglied des Vorstandes. Anschließend war er als Vorsitzender der Geschäftsführung für die Pegel & Sohn GmbH & Co KG in Berlin tätig, bevor er 2003 als Verantwortlicher für die Neuen Bundesländer in den Hochtief Konzern wechselte. 2005 wurde er in den Vorstand der Hochtief Construction AG in Essen bestellt, ab 2007 bis Ende 2010 stand er dem Unternehmen als Vorstandsvorsitzender vor. Anschließend wurde Henner Mahlstedt zum Vorsitzenden des Vorstandes der Hochtief Solutions AG in Essen bestellt. Von 2007 bis 2012 war er zudem Mitglied des Global Group Executive Committees der Hochtief AG. Darüber hinaus nahm er verschiedene Aufgaben in den Gremien des Verbandes der Deutschen Bauindustrie sowie dem deutschen Beton- und Bautechnik Verein wahr. Seit Mitte 2012 ist Henner Mahlstedt für Mahlstedt Consultants GbR tätig. Zudem ist er Mitglied in Gremien verschiedener Bauunternehmen sowie Dozent an der Westfälischen Hochschule. Prof. Dr.-Ing. e.h. HG Merz *1947, Gründer von hg merz architekten museumsgestalter und mm+. Nach seinem Architekturstudium arbeitete und forschte er über alternative Bauansätze und experimentelles Bauen in Deutschland und den USA. Von 1993 bis 2007 Professur für Ausstellungsgestaltung und Visuelle Kommunikation an der Hochschule Pforzheim, von 2008 bis 2014 Professur für Entwerfen und Experimentelles Gestalten an der Technischen Universität Darmstadt. Seit 2013 Vorsitzender des Universitätsrates der Bauhaus Universität Weimar. Seine Büros in Stuttgart, Berlin und Hong Kong sind auf Ausstellungs- und Museumsgestaltung sowie visuelle Kommunikation und Medienplanung spezialisiert. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Restaurierung und Instandsetzung historisch bedeutender Bauwerke. Prof. Karlheinz Müller *1941, nahm ab 1962 verschiedene Aufgaben im Beratungsbüro Prof. Lothar Cremer/Müller wahr. Seit 1973 war er beratend und planerisch im Ingenieurbüro Müller-BBM GmbH in Planegg bei München tätig. Ebenfalls wurde er

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1973 Gesellschafter der Müller-BBM Holding AG (bis 01/2009 Müller BBM VuB GmbH). Seit 1978 übernahm er die akustische Planung und Beratung vieler nationaler und internationaler Konzert- und Opernhäuser. Neben den Planungen von Kulturbauten arbeitete er auch bei vielen Produktions- und Sendestudios verschiedener Rundfunkanstalten mit. Ferner unterstützt er regelmäßig diverse Festspiele bei akustischen Fragen, so z. B. Bayreuth, BadenBaden, Bregenz, Salzburg, Grafenegg sowie die Ruhr-Triennale. Neben diesen Tätigkeiten übernahm Herr Karlheinz Müller 1993 die Professur für Akustik an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien. Seit 2010 ist er als freier Mitarbeiter beim Ingenieurbüro Müller-BBM GmbH sowie als selbstständiger Berater tätig. Reiner Nagel *1959, ist Architekt und Stadtplaner. Er hat ab 1986 zunächst in verschiedenen Funktionen auf Bezirks- und Senatsebene für die Stadt Hamburg gearbeitet, zuletzt ab 1998 in der Geschäftsleitung der HafenCity Hamburg GmbH. Seit 2005 war er Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung für die Bereiche Stadtentwicklung, Stadt- und Freiraumplanung. Hier verantwortete er diverse Stadtentwicklungspläne und die Strategie Stadtlandschaft Berlin, die Projekte Süd-Ost Achse, Europacity/Heidestraße, IGA 2017 Berlin, die Nachnutzung des Flughafens Tegel sowie die Erarbeitung des aktuellen Stadtentwicklungskonzeptes Berlin 2030. Seit 1. Mai 2013 ist Reiner Nagel Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur in Potsdam. Reiner Nagel ist Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung und des Bundes Deutscher Architekten. Er ist Mitglied im Kuratorium Nationale Stadtentwicklungspolitik und Lehrbeauftragter an der TU Berlin im Bereich Urban Design. Petra Nies *1961, ist seit 1988 als beratende Ingenieurin auf den Gebieten der Thermischen Bauphysik sowie der Bau- und Raumakustik im Ingenieurbüro Müller-BBM GmbH in Planegg bei München tätig. 1991 wurde sie Gesellschafterin der Müller-BBM Holding AG (bis 01/2009 MüllerBBM VuB GmbH). Von 1996 bis 1998 war sie Koordinatorin für den Geschäftsbereich Bau, bevor sie sich anschließend bis zum Jahr 2000 in Elternzeit befand. Seit 2001 betreut sie bei MüllerBBM als Projektleiterin Kunden national und international schwerpunktmäßig auf den Gebieten der Bau- und Raumakustik. Neben der Beratung einer Vielzahl von Musikproberäumen, Musikschulen und -hochschulen sowie Museen umfasst ihr Portfolio auch Plenarsäle, Theaterbauten, Musicalhäuser und Konzertsäle. Christian Otto *1977, studierte in Aachen sowie in Coventry und schloss sein deutsch-britisches Studium der Betriebswirtschaftslehre als Diplom-Kaufmann ab. Nach

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Auslandsaufenthalten in den USA und England begann er seinen beruflichen Werdegang im Jahr 2001 bei einem börsennotierten Baukonzern. Dort war er als Senior Manager Strategic Projects für die Strategieentwicklung national/ international sowie für die Produktentwicklung und Restrukturierungen zuständig. Bis heute ist er auch als MBA Dozent im Bereich Strategic Management tätig. 2009 wechselte Christian Otto in die Leitungsebene der Baulogistiktochter des Baukonzerns und war bis 2014 u.a. als Geschäftsführer für die österreichische Tochtergesellschaft verantwortlich. Er ist Gründer und Geschäftsführer der SiteLog GmbH und entwickelt gemeinsam mit Kunden individuelle Baulogistiklösungen. Dr. Peter-Roman Persch *1970, Studium der Wirtschaftswissenschaften in Schweden, Argentinien, Deutschland und den USA; anschließend Promotion zum Thema Humankapitalbewertung an der Universität Potsdam. Herr Dr. Persch ist Mitglied der Geschäftsleitung der ÖPP Deutschland AG. Er verantwortet Projekte im Bereich IT/Dienstleistungen zu den Themen Strategie, Organisation und Sourcing-Modelle. Seine Schwerpunktmandate liegen in den Bereichen Mobilität und Verkehr, Dienstleistungszentren sowie öffentliche Kulturinstitutionen. Zuvor war Herr Dr. Persch mehrere Jahre in kaufmännischen und strategischen Führungsfunktionen bei verschiedenen IT- und Dienstleistungsunternehmen tätig. Prof. Dipl.-Ing., AA Dipl., ARB, Hon. FAIA Matthias Sauerbruch *1955, ist Architekt und Gründungspartner von Sauerbruch Hutton. Von 1985 bis 1990 lehrte er an der Architectural Association School of Architecture, London. 1995 bis 2001 war er Professor an der TU Berlin, von 2001 bis 2007 Professor an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und anschließend Gastprofessor an der Harvard Graduate School of Design sowie der Universität der Künste Berlin. Matthias Sauerbruch ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen, gehört dem Baukollegium Zürich, der Kommission für Stadtgestaltung München sowie dem Kuratorium der Stiftung Bauhaus Dessau an. Er ist Honorary Fellow des American Institute of Architects sowie Mitglied der Akademie der Künste Berlin, für die er 2011 bis 2013 die internationale Ausstellung Kultur:Stadt kuratierte. Hauke Schlüter *1962, ist verantwortlich für Marketing und Unternehmenskommunikation der M.O.O.CON GmbH in Deutschland. Nach seinem Abschluss als DiplomWirtschaftsingenieur am KIT/Universität Karlsruhe arbeitete er bei internationalen Beratungsunternehmen für Strategie und Branding/Kommunikation, war in der Leitung der Deutschen Auslandshandelskammer in London

Autorinnen und Autoren

und ist nach zwei Jahren Start Up-Beratung in Luxemburg seit fünf Jahren bei M.O.O.CON. Prof. Alexander Schwarz *1967 in Ludwigsburg ist Partner und Design Director bei David Chipperfield Architects Berlin. Alexander Schwarz studierte Architektur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und der Universität Stuttgart, nachdem er eine Ausbildung zum Geigenbauer abgeschlossen hatte. Seit 1996 ist er für David Chipperfield Architects tätig, zunächst in London und seit 1998 in Berlin. 2006 wurde er einer der Geschäftsführenden Direktoren und 2011 Partner. Als Design Director ist er für den Entwurf zahlreicher Projekte und Wettbewerbe verantwortlich, beispielsweise für das Neue Museum und die James-SimonGalerie auf der Museumsinsel Berlin, das Literaturmuseum der Moderne in Marbach sowie das Museum Folkwang in Essen. Darüber hinaus verbindet Alexander Schwarz durch sein akademisches Engagement die Praxis und Forschung mit der Lehre. 2015 übernahm er den Lehrstuhl für ‘Öffentliche Bauten und Entwerfen’ an der Universität Stuttgart. Sebastian Schwarzenberger *1966, Studium Betriebswirtschaft und Kunstgeschichte (Magister Artium) in Berlin. Über mehrere Jahre Freier Mitarbeiter im Bereich Führungen u.a. für die Staatlichen Museen zu Berlin, das Jüdische Museum Berlin sowie die Berliner Festspiele. Seit dem Studium ist er neben Tätigkeiten an der Schnittstelle von Kultur und Wirtschaft, u.a. für diverse Verlage auch als Autor und Redakteur aktiv, u.a. für Bücher, Künstlerkataloge und Zeitschriften wie die Kunstzeitung, artery berlin und Museum aktuell. Von 2009 bis 2011 war er Vertriebsleiter Deutschland und Niederlande im Bereich Audioguides/Apps bei Acoustiguide, seit 2011 ist er Key Account Manager Kulturorganisationen bei der Dussmann Group, die in Kultureinrichtungen Servicegesellschaften mit auf baut und führt, aber auch einzelne Bereiche betreut wie Aufsichten, Besucherbetreuer, Gastronomie und Gebäudetechnik, Museumsshop und Reinigung. Sebastian Schwarzenberger ist Mitglied im Deutschen Museumsbund und im Verein der Freunde der Nationalgalerie Berlin. Thorsten Steinmann *1979, leitet nach dem Studium der Theater- und Veranstaltungstechnik in Berlin, einer Tätigkeit als Planungs- und Projektingenieur und nach über 10 Jahren praktischer Tätigkeit im technischen Veranstaltungswesen, seit 7 Jahren den Bereich Facility Management der städtischen GVE Grundstücksverwaltung Stadt Essen GmbH. Dazu gehören unter anderem der technische Gebäudebetrieb und der Veranstaltungsbetrieb in unterschiedlichen städtischen

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Sonder- und Versammlungsbauten. Seit 2016 ist Herr Steinmann technischer Prokurist der GVE Grundstücksverwaltung Stadt Essen GmbH. Marietta Taegener *1986, studierte Betriebswirtschaftslehre und Romanistik in Mannheim und Córdoba, Argentinien. Sie arbeitet als Consultant mit Spezialisierung auf Kulturinstitutionen bei der actori cee GmbH. In diesem Rahmen war sie an der Erstellung mehrerer Beratungskonzepte für Neubauten von Konzertsälen beteiligt, darunter Projekte zum Neubau des Konzertsaals in Nürnberg und in München sowie zu den Neubauplänen des Festspielhauses in Bonn. Monika Thomas *1958, ist Architektin und Stadtplanerin. Sie arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin und freiberuflich, bis sie ab 1986 als Stadtplanerin in der Stadtverwaltung Lehrte (ehem. Landkreis Hannover) und dann 1988 als Leiterin des Stadtplanungs- und Hochbauamtes nach Lingen an der Ems wechselte. 1990 wurde sie Baudezernentin der Stadt Seelze und 1994 wurde sie dort zur Stadtbaurätin und Ersten Stadträtin gewählt. Seit Januar 2003 ist Monika Thomas Stadtbaurätin der Stadt Wolfsburg. Sie ist Mitglied im Bauausschuss des Deutschen und Niedersächsischen Städtetages, im Bund Deutscher Architekten (BDA), in der Deutschen Akademie für Städtebau (DASL) und der Vereinigung der Stadt- und Regionalplaner (SRL). Sie engagiert sich für innovative Planungsmethoden und Bauprojekte, wie auch für die Weiterentwicklung der Planungs- und Baukultur in den Städten. Michael  Vahlert *1949, ist Senior Manager bei der ÖPP Deutschland AG. Er betreut Projekte im Bereich Hochbau mit dem Schwerpunkt Bundesprojekte. Zuletzt war er maßgeblich in die Projektsteuerung der ÖPP-Neubauprojekte „Bundesministerium für Bildung und Forschung“ in Berlin sowie „Haus der Zukunft“ in Berlin eingebunden. Zuvor war der Architekt und Bauzeichner langjähriger Referent im Bundesministerium der Finanzen und im Bereich Bauhaushalt mit der Querschnittaufgabe haushaltsmäßige Anerkennung von Baumaßnahmen des Bundes betraut. Hierzu gehörten insbesondere die Baumaßnahmen im Zusammenhang mit dem Bonn-Berlin-Umzug und alle großen Maßnahmen des Bundes wie der Neubau des Bundesnachrichtendienstes in Berlin. Michael Vahlert war bis zu seinem Ausscheiden aus dem BMF an der Gestaltung der grundlegenden Regelungen für die Bundes- und Landesbauverwaltung beteiligt.

Autorinnen und Autoren

Walter von Lom, Architekt BDA, DASL *1938, 1966 Diplom an der RWTH Aachen, anschließend Mitarbeit im Büro Prof. Schürmann, Köln. 1972 gründete er sein eigenes Architekturbüro in Köln. Im Zentrum seiner architektonischen Arbeit stehen Sozial- und Kulturbauten, die durch den konsequenten Bezug aus ihrem Umfeld heraus gestaltet sind. Zu den wichtigsten Arbeiten gehören u.a. das Bergbaumuseum in Mechernich, die Bibliothek des Weltwirtschaftsinstituts in Kiel, das Europäische Bildungszentrum für Wohnungswirtschaft in Bochum und die Marktplatzgestaltung in Lemgo. Er gewann zahlreiche Architekturwettbewerbe und erhielt viele Architekturpreise, u.a. den DEUBAU Preis und den Architekturpreis Nordrheinwestfalen. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der Bundesstiftung Baukultur, war langjähriges Mitglied des Gestaltungsbeirats Köln und ist heute Vorstandsmitglied des AFR Architekturforum Rheinland, des Baukunstarchivs NRW und des UAA Ungers Archiv für Architekturwissenschaft. Regelmäßige Teilnahme als Jurymitglied nationaler und internationaler Architekturwettbewerbe runden sein architektonisches Engagement ab. Ingo B. Wessel, Dipl. Kfm. *1962, studierte Betriebswirtschaftslehre und Organisationspsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität, München und dem King’s College in Halifax, Kanada. Seit 1985 als Unternehmensberater selbstständig, seit 1990 Spezialisierung auf Gastgewerbe und Tourismus. Lehrtätigkeit im Institut für Systemgastronomie e.V., Leader Club Academy und an der Fachhochschule München. Von 1998 bis 2001 Strategiepartner des DRV (Deutscher ReiseVerband), seit 2005 persönliches Mitglied im Leaders Club Deutschland AG. Zeitweise Mitglied im FIZZZ Redaktionsbeirat und der Jury des FIZZZ-Awards. Leitung von Beratungs- und Entwicklungsprojekten in Deutschland (13 Bundesländer), Österreich, Schweiz, Luxemburg, Palästina, Cuba, Kroatien, Dominikanische Republik, Malta. Schwerpunkt in den letzten 10 Jahren: Kultur-Immobilien, u.a. Gasteig München, Museumslandschaft Hessen Kassel, BMW Welt München, Staatstheater Stuttgart, Berliner Schloss Humboldtforum, Bundesgartenschau Koblenz 2011, Hamburger Kunsthalle, Schloss Schwetzingen, Schloss Bothmer Klütz. Autor verschiedener Publikationen zu Gastronomie-Management und Trendstudien, Gastbeiträge in Lehrbüchern, Fachzeitschriften und Unternehmensmedien. Dipl.-Ing. Lars Wilcken *1969, ist Diplom-Ingenieur für Medienbetriebstechnik, Europäischer Energiemanager, Business-Coach und -Trainer im Betrieblichen Umweltschutz. Er ist zudem Gesellschafter des iuct: Institut für Umwelt, Coaching & Training. Von 2000-2009 war er Technischer Leiter der Kampnagel Internationale Kulturfabrik GmbH, von 2009 bis 2013 Technischer Leiter der Elbphilharmonie &

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Laeiszhalle Service GmbH. Seit 2012 bietet Lars Wilcken Beratungen und Seminare zur Umsetzung von energie-effizienten Maßnahmen, zum Betrieblichen Umweltschutz in Unternehmen, zur Entwicklung einer nachhaltigen Produktund Unternehmensausrichtung und zur Konzeption von Green Meetings und nachhaltigen Veranstaltungen an. Seit 2015 führt er mit dem iuct: die Umweltmanagementprogramme „ÖKOPROFIT®“ und „QuB – Qualitätsverbund umweltbewusster Betriebe“ in Hamburg durch. Darüber hinaus unterstützt er mit seinen langjährigen Erfahrungen in der Team- und Projektleitung die zielgerichtete Führung von Mitarbeitern, von Teams, Projekten und von Veränderungsprozessen in Betrieben. Sein umfangreiches Wissen rund um den Veranstaltungs-, Theater- und Eventbereich bietet er für Projektberatungen an, u.a. für den derzeit entstehenden Konzertbetrieb der Elbphilharmonie in Hamburg. Christof Wolf *1969, Studium der Kommunikationswissenschaften, Psychologie und Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in München und Essen. Während und nach der Studienzeit freie Mitarbeit bei verschiedenen Zeitungen und Magazinen. 2000 bis 2002 Volontariat bei der Neuen Ruhr / Neuen Rhein Zeitung (NRZ). Anschließend sechsmonatiger Aufenthalt in Namibia und Südafrika als Stipendiat der Heinz Kühn-Stiftung des Landes Nordrhein-Westfalen. Von 2003 bis 2010 Redakteur der NRZ. Seit 2010 Leitung der Unternehmenskommunikation der Theater und Philharmonie Essen (TUP), zu der die fünf Sparten Schauspiel Essen, Aalto-Musiktheater, Aalto Ballett Essen, Essener Philharmoniker und Philharmonie Essen gehören. Klaus Wolff *1959, Unternehmensgründer und geschäftsführender Gesellschafter der WOLFF GRUPPE Holding GmbH mit Sitz in Stuttgart und einem Büro in Essen. Mit Beginn der 1980er bis zum Ende der 1990er Jahre war der Projektsteuerer bei einem der großen Planungs-, Bauleitungs- und Projektsteuerungsbüros in Deutschland tätig. Während dieser Zeit wickelte er zahlreiche Großprojekte ab, u.a. Unikliniken, Warenhäuser und Banken. 1998 gründete Klaus Wolff die W+P Gesellschaft für Projektabwicklung mbH. Mit zwei Mitarbeitern begonnen, wuchs innerhalb weniger Jahre ein rund 70-köpfiges Team heran. Mit der WBP Planungsgesellschaft mbH, nach ihrer Umfirmierung die heute bekannte PLAN FORWARD GmbH, hielt im Jahr 2000 die Architektur Einzug in das Unternehmen. Nach der Gründung der WOLFF GRUPPE Holding GmbH im Jahr 2009 folgten weitere Tochterunternehmen, u.a. die W+P Consulting GmbH, die F/M Facility Management GmbH und die Wolff ImmoDevelopment GmbH. Heute ist die Unternehmensgruppe mit einem umfassenden Angebot national und international im Bauwesen tätig.

Herausgeberteam

Simone Raskob, Oliver Scheytt und Gabriele Willems haben in verantwortlichen Positionen der öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft zum Teil über viele Jahre hinweg die Planung, den Bau und den Betrieb von bedeutsamen Kulturimmobilien vor allem in Essen gestaltet und begleitet. Die Idee zu diesem Buch entwickelte sich so aus gemeinsamer Praxis und der dabei gewonnenen Überzeugung, dass ein fachübergreifender Austausch von Erfahrungen und Kenntnissen für die Entwicklung von Kulturimmobilien in Deutschland von hoher Relevanz ist. Die positive und qualifizierte Resonanz der vom Herausgeberteam angesprochenen, in ihren jeweiligen Fachkreisen hoch geschätzten Autorinnen und Autoren war für alle Beteiligten eine stete Motivation während der Arbeit an diesem Buch. Dipl.-Ing. Simone Raskob *1961, ist seit 2005 Beigeordnete für Umwelt und Bauen der Stadt Essen und verantwortlich für die Immobilienwirtschaft, die Steuerungsstelle ÖPNV, das Umweltamt, das Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt, das Amt für Straßen und Verkehr, die Wasserwirtschaft sowie Grün und Gruga Essen. In dieser Zeit entwickelte sie eine Reihe Kulturimmobilien wie etwa das Museum Folkwang, das Haus der Essener Geschichte mit dem Stadtarchiv, die Philharmonie Essen und die Alte Synagoge. Nach ihrem Abschluss als Dipl.-Ing. Landespflege an der T.U. München von 1986 bis 1988 Tätigkeit in einem Büro für Städtebau und Landschaftsarchitektur in Kolding, Dänemark, sodann vier Jahre lang Projektleitung der Landesgartenschau Pforzheim 1992. Anschließend war sie bis 1995 für die Internationale Bauausstellung Emscherpark (IBA) tätig, gleichzeitig Geschäftsführerin der Ökozentrum NRW GmbH & Co. KG, Hamm. Von 1995 bis 2001 war sie Stadtbaurätin in Göttingen und gleichzeitig Geschäftsführerin der Gesellschaft für Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung (GWG). Anschließend führte sie bis Mitte 2005 sowohl die Geschäfte der Wasserstadt GmbH in Berlin als auch der Société de Développement AGORA s.à.r.l. et Cie, Secs / Luxemburg. Simone Raskob ist seit 1991 Mitglied der Architektenkammer und des Bundes deutscher Landschaftsarchi-

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tekten (BDLA), außerdem seit 2000 Mitglied des Vereines zur Förderung der Baukunst e.V., Hannover. 1997 wurde sie zum Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) berufen. Seit 2012 ist sie Vorsitzende des Umweltausschusses des Städtetages NRW, seit 2014 Mitglied im Vorstand des AAV (Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung) und seit 2015 Vorsitzende des Umweltausschusses des Deutschen Städtetages, Mitglied im Vorstand des Klimabündnisses sowie im Vorstand des M:AI = Museum für Architektur und Ingenieurkunst. Unter ihrer Führung hat sich die Stadt Essen erfolgreich um den Titel der Europäischen Union »Grüne Hauptstadt Europas« für das Jahr 2017 beworben. Prof. Dr. jur. Oliver Scheytt *1958, studierte Musik und Rechtswissenschaften. Von 1986 bis 1993 hat er beim Deutschen Städtetag umfassende kommunalpolitische Erfahrungen gesammelt, ab 1990 als Beauftragter für die Städte in den neuen Bundesländern. Von 1993 bis 2009 war er Kulturdezernent der Stadt Essen und betreute viele Jahre lang auch die Ressorts Bildung, Jugend, Grün und Gruga. In dieser Zeit wirkte er wesentlich an der Entwicklung wichtiger Kulturimmobilien der Stadt Essen mit, dazu gehören u.a. das Weltkulturerbe Zollverein, das Museum Folkwang, die Philharmonie Essen, der Gebäudekomplex von Lichtburg und Volkshochschule, die Zentralbibliothek, die Weststadthalle, das Haus der Essener Geschichte mit dem Stadtarchiv und die Alte Synagoge. Von 2006 bis 2012 war er Geschäftsführer der für das Programm der Kulturhauptstadt Europas in der Metropole Ruhr verantwortlichen RUHR.2010 GmbH. Im Jahr 2011 gründete er die KULTUREXPERTEN GmbH, mit der er Personalberatung für Kulturorganisationen sowie Strategieberatung für Kulturhauptstädte in Europa leistet. Oliver Scheytt ist seit 1997 Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V., war von 2003 bis 2007 Mitglied der Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland« des Deutschen Bundestages und ist seit 2007 Professor für Kulturpolitik und kulturelle Infrastruktur an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Zahlreiche Publikationen zu Kulturpolitik, Kulturrecht und Kulturmanagement u.a. »Kulturstaat Deutschland. Plädoyer für eine aktivierende Kulturpolitik« (2008). Herausgeber der »Kulturpolitischen Mitteilungen« und des fortlaufend aktualisierten »Handbuch Kulturmanagement. Recht, Politik & Praxis«. Gabriele Willems *1960, ist Diplom Ingenieurin und Architektin AKNRW und hat einen Masterabschluss in Business Marketing/Technischer Vertrieb. Seit 2015 ist sie Geschäftsführerin des Bau- und Liegenschaftsbetriebes NRW. Der Bau- und Liegenschaftsbetreib NRW ist ein teilrechtsfähiges Sondervermögen des Landes Nordrhein-Westfalen und gilt als das zweitgrößte Immobilienunternehmen

Herausgeber team

in Europa (4.100 Immobilen, ca. 10 Mio. vermietete Fläche und ca. 1,1 Mrd. Euro Investitionsvolumen in Baumaßnahmen). In ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin verantwortet Frau Willems die Ressorts Planen und Bauen (Landesvermögen und Bundesbau), Einkauf, Personal, Recht und Öffentlichkeitsarbeit. Vor ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin war sie in verschiedenen Führungspositionen in der Baustoff- und in der Bauindustrie tätig. In verschiedenen Gesellschaften des HOCHTIEF Konzerns war sie in Führungspositionen unter anderem für die Bereiche Beschaffungsmarketing, Business Development, Vertrieb, Strategie und Unternehmensentwicklung verantwortlich. Zu ihren Schwerpunkten gehörten die Geschäftsfelder Hochbau, Infrastruktur und Energie. In der Baustoffindustrie war sie beim Marktführer für Dämmstoffe (GH ISOSVER) zuletzt als Leiterin Technisches Marketing/Produktmanagement tätig. Zu ihren Schwerpunktthemen gehörten hier Schall-, Wärme-, Kälte-, und Brandschutz für den Hochbau sowie für haus- und betriebstechnische Anlagen.

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