Die Kaschmirfrage im Lichte des Völkerrechts [1 ed.] 9783428423026, 9783428023028

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Die Kaschmirfrage im Lichte des Völkerrechts [1 ed.]
 9783428423026, 9783428023028

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RUDOLF GEIGER

Die Kaschmirfrage im Lichte des Völkerrechts

Schriften zum Völkerrecht

Band 12

Die Kaschmirfrage im Lichte des Völkerrechts

Von

Dr. Rudolf Geiger

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Alle Rechte vorbehalten

@ 1970 Dunelter & Humblot, Berlin 41

Gedruckt 1970 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlln 61 Printed in Germany

Für Marianne

Vorwort Im Jahre 1963 promovierte ich an der juristischen Fakultät der Universität München über das Thema: "Die völkerrechtliche Lage Kaschmirs". Die Dissertation behandelte in aller gebotenen Kürze nur einen Ausschnitt des zwischen Indien und Pakistan schwelenden Kaschmirkonflikts. Einer Anregung meines hochverehrten Lehrers Professor Dr. Friedrich Berber folgend, lege ich nunmehr eine umfassende völkerrechtliche Untersuchung des Kaschmirstreits vor. Es ist mir ein besonderes Anliegen, Herrn Professor Berber für die verständnisvolle Unterstützung zu danken, die er mir bei dieser Arbeit hat zuteil werden lassen. Dem Inhaber des Verlags Duncker & Humblot, Herrn Ministerialrat a. D. Dr. J. Broermann, danke ich für die Aufnahme der Arbeit in sein Verlagsprogramm und insbesondere für die Bereitschaft, dem Werk den umfangreichen und oft schwer zugänglichen Schriftwechsel Indiens und Pakistans mit der UNCIP anzufügen, den die beiden Staaten über die Frage der Annahme der Vermittlungsvorschläge der Kommission mit dieser führten. Meinen Eltern danke ich für ihre Unterstützung bei meiner Arbeit an der vorliegenden Untersuchung. Ich widme dieses Buch meiner Frau Marianne. Ihrem Verständnis und ihrer Ermutigung habe ich es zu danken, daß es mir gelungen ist, dieses Werk neben meiner beruflichen Arbeit zu vollenden. Rudolf Geiger

Inhaltsverzeichnis

Einleitung Der Kaschmirkonflikt -

eine internationale Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

Die völkerrechtliche Beurteilung des Kaschmirkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . .

26

Erster Teil Die Gesdlichte des Konflikts um Jammu und Kaschmir 1. Abschnitt: Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

I. Britisch-Indien und die indischen Fürstenstaaten vor dem Unabhängigkeitstag (15. August 1947) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

II. Die Unabhängigkeit und die Teilung Britisch-Indiens . . . . . . . . . . . .

33

III. Die Frage der Fürstenstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

2. Abschnitt: Die Hyderabad- und die Junagadh-Frage . . . . . . . . . . . . . . . .

40

I. Die Hyderabad-Frage

40

II. Der Konflikt um Junagadh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

3. Abschnitt: Die Entstehung des Kaschmirkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

I. Der Staat Jammu und Kaschmir und seine Geschichte bis zum Unabhängigkeitstag (15. August 1947) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Staat Jammu und Kaschmir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Geschichte Jammu und Kaschmirs bis zum Unabhängigkeitstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Entstehung des Staats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die britische Herrschaft über Jammu und Kaschmir c) Die Verfassung des Fürstenstaats und seine Parteien . . . . . .

49 49 52 53

II. Die Geschichte des Beitritts Jammu und Kaschmirs zu Indien . . . . 1. Das Stillhalteabkommen mit Pakistan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54 54

48 48

10

Inhaltsverzeichnis 2. Die Unruhen in Poonch und die Bildung der Azad-KaschmirRegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Die Differenzen Jammu und Kaschmirs mit Pakistan und die Invasion der Stammeskrieger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4. Der Beitritt Jammu und Kaschmirs zu Indien . . . . . . . . . . . . . . . .

58

5. Der Protest Pakistans und die Kämpfe in Jammu und Kaschmir 61 4. Abschnitt: Die Versuche zur Beilegung des Konflikts vor den Vereinten

Nationen bis zum Waffenstillstand (1. 1. 1949) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

I. Die Anträge Indiens und Pakistans an den Sicherheitsrat . . . . . . . .

65

II. Die Resolutionen des Sicherheitsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

1. Die Resolution vom 17. Januar 1948

67

2. Die Resolution vom 20. Januar 1948

67

3. Die Resolution vom 21. April 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

4. Die Resolution vom 3. Juni 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

III. Die Vermittlung durch die United Nations Commission for lndia and Pakistan (UNCIP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Die UNCIP-Resolution vom 13. August 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Resolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Stellungnahme Indiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Stellungnahme Pakistans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70 70 73 75

2. Die "Basic Principles for a Plebiscite" vom 11. Dezember 1948 (UNCIP-Resolution vom 5. Januar 1949) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der ergänzende Vorschlag der UNCIP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Stellungnahme Indiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Stellungnahme Pakistans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79 79 82 84

3. Das Ergebnis der Vermittlungsaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

IV. Die Vermittlung der UNCIP bei der Ausführung ihrer Resolution vom 13. 8. 1948 und vom 5. 1. 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Die Feuereinstellung

(Teil I der Resolution vom 13. 8. 1948) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

2. Die Frage des Abschlusses eines Entmilitarisierungsabkommens (Teil II der Resolution vom 13. 8. 1948) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 5. Abschnitt: Die Entwicklung des Kaschmirkonflikts bis zum Jahre 1964

91

I. Die Haltung der Regierungen Indiens und Pakistans . . . . . . . . . . . .

91

II. Die Bemühungen der Vereinten Nationen um die Beilegung des Konflikts auf der Grundlage der UNCIP-Resolutionen . . . . . . . . . . 92 1. Die Vermittlung durch den Präsidenten des Sicherheitsrats

General McNaughton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

Inhaltsverzeichnis 2. Die Vermittlung durch den United Nations Representative for India and Pakistan (UNRIP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Funktion des UNRIP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bestellung und der Bericht Sir Owen Dixons . . . . . . . . . . c) Die Bestellung und die Berichte Frank P. Grahams . . . . . . . . 3. Die Vermittlung durch den Präsidenten des Sicherheitsrats Gunnar Jarring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die erneute Vermittlung durch den United Nations Representative for lndia and Pakistan (UNRIP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 93 93 94 94 98 99

III. Die Verhandlungen vor dem Sicherheitsrat in den Jahren 1962 und 1964 . .. .......... . .... .... ........ . ..... .... ................ .. .. 100 1. Die Verhandlungen im Jahre 1962 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Die Verhandlungen im Jahre 1964 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 6. Abschnitt: Die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Jahre 1965 und

die Deklaration von Taschkent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 I. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Indien und Pakistan ................. . ................ .. ...................... 102 1. Der Kampf um das Rann von Kutch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Die Kämpfe um Jammu und Kaschmir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 II. Die Deklaration von Taschkent vom 10. Januar 1966 . .... . . . . .. . 104

Zweiter Teil Die völkerrechtliche Lage Jammu und Kaschmirs 1. Abschnitt: Die völkerrechtliche Lage Jammu und Kaschmirs zur Zeit

der britischen Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 I. Der Staat Jammu und Kaschmir als Teil des britischen Reichs . . . . 107 1. Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Meinung der indischen Regier ung . ... ........ .... . . . . b) Die Meinung der pakistanischen Regierung .. . .. . .... .... .. c) Die Meinung der britischen Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Meinung der Fürstenstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Auffassung der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Meinungen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Erwerb des Gebiets des späteren Fürstenstaates Jammu und Kaschmir durch das britische Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der völkerrechtliche Erwerb von "Kolonialgebiet" durch Vertrag mit den "Eingeborenen" im 19. J ahrhundert . , .... b) Der Vertrag von Labore vom 9. März 1846 als völkerrechtlicher Vertrag ............. .. ................. . ........ . ..

107 108 108 108 108 110 110 111 112 112 116

12

Inhaltsverzeichnis aa) Die British East India Company als Organ des britischen Reichs ....... .. .................. .. ................... bb) Das Sikh-Reich als Völkerrechtssubjekt . . . . . . . . . . . . . . c) Die Zession der Gebietshoheit durch den Vertrag von Lahore vom 9. März 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Frage der Sezession des Staates Jammu und Kaschmir vom britischen Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Sezession im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Frage der Sezession Jammu und Kaschmirs durch den Vertrag von Amritsar vom 16. März 1846 . ............... . . II. Der Staat Jammu und Kaschmir als Teil des Völkerbunds- und UNO-Mitglieds Indien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der völkerrechtliche Status des Völkerbunds- und UNO-Mitglieds Indien bis zur Unabhängigkeit (15. August 1947) ........ a) Die Teilnahme eines Staatsteils am Völkerrechtsverkehr .. b) Die Teilnahme Indiens am Völkerrechtsverkehr ... . ... . . . 3. Jammu und Kaschmir als Teil des britischen Staatsteils Indien

116 117 118 119 119 120 122 122 122 122 123 124

III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Abschnitt: Die völkerrechtliche Lage Jammu und Kaschmirs zwischen

dem Unabhängigkeitstag und der Beitrittserklärung gegenüber Indien (15. August bis 26. Oktober 1947) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 I. Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 li. Die Stellungnahmen .. ... .................. . ............. . ...... 1. Die Meinung Indiens .................... . . . . ; . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Meinung Pakistans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Meinung der Fürstenstaaten ....... .. ... .. .. ... . ...... ... . 4. Die Meinung der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Meinungen der Gerichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Meinungen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

III. Die Entstehung des unabhängigen Staats Jammu und Kaschmir durch Sezession vom britischen Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Erlöschen der britischen Gebietshoheit über Jammu und K aschmir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Unabhängigkeit Jammu und Kaschmirs von Indien und Pakistan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Regelung der Sezession des indischen Subkontinents durch die India Independence Act, 1947 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Gebiete der Dominien Indien und Pakistan . . . . . . . . bb) Die Erstreckung der völkerrechtlichen Gebietshoheit der Dominien über die Fürstenstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Unabhängigkeit Jammu und Kaschmirs . . . . . . . . . . . . . . . .

127 127 128 128 128 129 129 130 130 131 131 132 132 132 134

Inhaltsverzeichnis

13

3. Der Umfang des Staatsgebiets des unabhängigen Staats Jammu und Kaschmir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 3. Abschnitt: Die völkerrechtliche Lage Jammu und Kaschmirs seit der

Beitrittserklärung vom 26. Oktober 1947 ........................... . .. 141 I. Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 II. Der Erwerb Jammu und Kaschmirs durch das Dominion Indien .. 1. Die Stellungnahmen .... ... . ... ... ........ .. ............ . . .. .. a) Der Standpunkt Pakistans ......................... ... .... b) Der Standpunkt Indiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Standpunkt der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Meinungen im Schrifttum ............................ 2. Das für den Beitritt Jammu und Kaschmirs zu dem Dominion Indien geltende Völkerrecht ................... ... ............ a) Die einverständliche Einverleibung eines Staates nach allgemeinem Völkerrecht ...... . ........................... . . .. b) Das für den Beitritt eines unabhängigen Fürstenstaats zu einem Dominion geltende spezielle Völkerrecht . . . . . . . . . . . . aa) Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Transformation britischen Reichsrechts in regionales Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Problem der Existenz eines speziellen Beitrittsrechts 3. Der Beitritt Jammu und Kaschmirs zu dem Dominion Indien .. a) Die Einigung zwischen dem Maharaja von Jammu und Kaschmir und dem indischen Generalgouverneur . . . . . . . . . . aa) Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Erklärung des Generalgouverneurs als Annahme unter einem Vorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Einverständnis des Maharajas mit der Erklärung des Generalgouverneurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Zuständigkeit des Maharajas zur Abgabe einer Beitrittserklärung .. .. . .... .......... . ............................ aa) Die Wirkung des Stillhalteabkommens mit Pakistan .... bb) Die Frage des Regierungssturzes ...................... c) Die Zuständigkeit des Generalgouverneurs zur Abgabe seiner Vertragserklärung .................................... d) Die Frage der Unwirksamkeit des Beitritts wegen arglistiger Täuschung und Anwendung von Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Frage der arglistigen Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Frage der Gewaltanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das Problem der Annahme des Beitritts als Verstoß gegen Rechte Pakistans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Estoppel-Prinzip im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Frage des "Estoppels" durch das indische Verhalten im Junagadh-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die indischen Grundsätze im Junagadh-Konflikt . . . . (2) Das Vertrauen Pakistans in die indische Haltung in der Junagadh-Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

142 142 142 144 146 146 146 146 150 150 150 151 153 153 153 154 156 156 157 157 160 163 163 164 167 167 168 169 169 170

14

Inhaltsverzeichnis 4. Das Ergebnis

170

III. Die völkerrechtliche Stellung Pakistans und der Azad-KaschmirRegierung in Jammu und Kaschmir ....................... .. ..... 1. Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der völkerrechtliche Status der pakistanischen Staatsgewalt in J ammu und Kaschmir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Besetzung fremden Staatsgebiets im Völkerrecht . . . . . . b) Die Besetzung Jammu und Kaschmirs durch Pakistan . ..... c) Das Grenzabkommen zwischen Pakistan und der Volksrepublik China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Gegenstand des Abkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die völkerrechtliche Wirkung des Abkommens . . . . . . . . (1) Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Vertrag zu Lasten Dritter im Völkerrecht . . . . . . (3) Die völkerrechtliche Wirkung des Grenzabkommens 3. Der völkerrechtliche Status der Azad-Kaschmir-Regierung .. .. a) Die lokale de-facto-Regierung im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . b) Die Azad-Kaschmir-Regierung als lokale de-facto-Regierung? . .. . ... ... .. . .. ... .. ... ....... .... ...... .. .. .. .. ....

171 171 171 171 173 174 174 177 177 177 178 180 180 181

Ergebnis des zweiten Teils .................. . . .. .................... .. 183

Dritter Teil Die völkerrechtliche Verpflichtung Indiens und Pakistans zur Änderung des Status quo in Jammu und Kaschmir 1. Abschnitt: Das Problem

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

2. Abschnitt: Die Pflicht Pakistans zur Räumung des von ihm besetzten

Teils Jammu und Kaschmirs nach allgemeinem Völkerrecht ....... . .. 189 I. Die völkerrechtliche Pflicht zur Räumung fremden Staatsgebiets . . 189

II. Die Pflicht Pakistans zur Räumung Jammu und Kaschmirs nach allgemeinem Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3. Abschnitt: Die Verpflichtung Indiens und Pakistans zur Änderung des

Status quo in Jammu und Kaschmir aufgrund einer Sonderregelung (die UNCIP-Resolutionen vom 13. 8. 1948 und v om 5. 1. 1949) . . . . . . . . . . 196 I. Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 II. Die Begründung einer Bindung Indiens und Pakistans an die UNCIP-Resolutionen vom 13. August 1948 und vom 5. Januar 1949 1. Die Rechtsgrundlage der Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Annahmeerklärungen Indiens und Pakistans . . . . . . . . . . . . a) Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198 198 200 200

Inhaltsverzeichnis b) Die Meinungen Indiens und Pakistans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Interpretationsvorbehalt im Völkerrecht .............. d) Die Annahme der UNCIP-Resolutionen unter einem Interpretationsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Einverständnis mit den gegnerischen Vorbehalten ........ a) Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Wirkung des Stillschweigens gegenüber dem gegnerischen Vorbehalt bei Vertragsschluß ...................... c) Das Stillschweigen Indiens und Pakistans als Annahme der gegnerischen Vorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Fortbestand der Bindung Indiens und Pakistans an die UNCIPResolutionen vom 13. August 1948 und vom 5. Januar 1949 .•.... 1. Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Frage der Beendigung der Pflicht, den Kaschmirkonflikt durch ein Plebiszit zu lösen, durch das Nichtzustandekommen des Entmilitarisierungsabkommens als einer Voraussetzung des Plebiszits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Beendigung einer völkerrechtlichen Verhandlungspflicht durch Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Frage der Erfüllung der Verhandlungspflicht Indiens .. 3. Die Frage der Beendigung der Pflicht, den Kaschmirkonflikt durch ein Plebiszit zu lösen, durch Indiens Rücktritt von der Vereinbarung wegen einer Vertragsverletzung durch Pakistan a) Die Voraussetzungen des Rücktritts vom Vertrag wegen einer Vertragsverletzung durch die Gegenseite im Völkerrecht .... b) Das Problem einer Vertragsbeendigung durch Indiens Rücktritt von der Vereinbarung ................................ aa) Die indische Rücktrittserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Frage einer wesentlichen Vertragsverletzung durch Pakistan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Voraussetzungen einer wesentlichen Verletzung der aufgrundder UNCIP-Vorschläge zustandegekommenen Vereinbarung .......................... . ... (2) Die einzelnen Fälle der von Indien behaupteten wesentlichen Vertragsverletzung durch Pakistan ...... (a) Die Weigerung Pakistans, "seine Aggression rückgängig zu machen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Der Verstoß gegen die für das künftige Entmilitarisierungsabkommen vereinbarten Prinzipien (Teil II der UNCIP-Resolution vom 13. 8. 1948) •. (aa) Die Frage der Azad-Kaschmir-Truppen . . . . (bb) Die Frage der nördlichen Regionen ........ (cc) Die Frage der Annehmbarkeit der Pläne für den indischen Truppenabzug für Pakistan . . (c) Der Verstoß gegen das Verbot der Rüstungsverstärkung und der anti-indischen Propaganda (Teil I B und E der UNCIP-Resolution vom 13. 8. 1948) (d) Der Verstoß gegen sonstige Vertragspflichten .. 4. Die Frage der Beendigung der Pflicht, den Kaschmirkonflikt durch ein Plebiszit zu lösen, durch Indiens Rücktritt von der Vereinbarung wegen einer wesentlichen Veränderung der Um-

15 202 202 204 205 205 206 207 209 209 209

213 213 215 216 216 218 218 219 219 220 220 221 222 224 227 230 232

stände .....................•.......... ...............•........ 234

16

Inhaltsverzeichnis a) Die Voraussetzungen des Rücktritts vom Vertrag wegen einer wesentlichen Veränderung der Umstände im Völkerrecht .. 234 b) Das Problem der Vertragsbeendigung durch Indiens Rücktritt von der Vereinbarung .......... .... .. ...... . . . . .. .. .. 234 5. Die Frage der Beendigung der Pflicht, den Kaschmirkonflikt durch ein Plebiszit zu lösen, durch den Eintritt eines Kriegszustandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Zusammenfassung und Würdigung des Ergebnisses

238

Anhang 1. Vertrag von Amritsar vom 16. März 1846 .................... .... .... 243

2. Beitrittserklärung des Maharajas von Jammu und Kaschmir gegenüber dem Dominion Indien und Annahmeerklärung des Generalgouverneurs Indiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 3. Schreiben des indischen Generalgouverneurs an Maharaja Hari Singh vom 27. Oktober 1947 ...................... . ............... . . .. .... 246 4. Resolution der United Nations Commission for India and Pakistan (UNCIP) vom 13. August 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 5. Schriftwechsel der UNCIP mit den Regierungen Indiens und Pakistans betreffend die Resolution der UNCIP vom 13. August 1948 . . . . . . . . . . a) Schriftwechsel der UNCIP mit der indischen Regierung .... . ..... (1) Schreiben des indischen Ministerpräsidenten an die Kommission vom 20. August 1948 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schreiben der Kommission an den indischen Ministerpräsidenten vom 25. August 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bericht der UNCIP über das weitere Schreiben des indischen Ministerpräsidenten vom 20. August und ihre Antwort vom 25. August 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schriftwechsel der UNCIP mit der pakistanischen Regierung ... . .. (1) Schreiben und Memorandum des pakistanischen Ministers für auswärtige und Commonwealth-Angelegenheiten an die Kommission vom 19. August 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Antwortschreiben der Kommission an den pakistanischen Außenminister vom 27. August 1948 . . .. ................... . . . .. (3) Schreiben der Kommission an den pakistanischen Außenminister vom 3. September 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Schreiben des pakistanischen Außenministers an die Kommission vom 6. September 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Antwortschreiben der Kommission an den pakistanischen Außenminister vom 6. September 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Zweites Schreiben des pakistanischen Außenministers an die Kommission vom 6. September 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Antwortschreiben der Kommission an den pakistanischen Außenminister vom 7. September 1948 . . . . .... . ..... .. ....... . . .

248 248 248 250 250 251 251 256 259 260 263 263 264

Inhaltsverzeichnis

17

(8) Schreiben des pakistanischen Außenministers an die Kommission vom 7. September 1948 .............................. .. .. 264 (9) Schreiben der Kommission an den pakistanischen Außenminister vom 19. September 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 6. Vorschlag der Kommission vom 11. Dezember 1948 als Ergänzung ihrer Resolution vom 13. August 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 7. Stellungnahmen Indiens und Pakistans zu den "Basic Principles for a Plebiscite" der Kommission vom 11. Dezember 1948 ................ 268 a) Schreiben der indischen Regierung an den Repräsentanten der UNCIP, Alfredo Lozano, vom 23. Dezember 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . 268 b) Schreiben (Communications) der pakistanischen Regierung an den Repräsentanten der UNCIP, Alfredo Lozano, vom 25. Dezember 1948 .................. . . . ............. ..... ..................... 273 8. Resolution der UNCIP vom 5. Januar 1949

276

Schrifttumsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Entscheidungsverzeichnis

286

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

Abkürzungsverzeichnis Aj..•

a.A. a.a.O. Abs. AJIL Anm. Art. AVR Bd., Bde. BYIL CBR ders. Diss. f., ff. HLKO h.M. ICLQ IGH IJIL ILR ind. IYIA o.J. ÖZÖR P.A. pak. para. PH R.d.C. Rep. Res. R.I.A.A.

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S.C.O.R. Ser. StiGH SVN UN UNCIP UNIPOM

Aktenzeichen für Dokumente der Generalversammlung der Vereinten Nationen anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz American Journal of International Law Anmerkung Artikel Archiv für Völkerrecht Band, Bände British Yearbook of International Law Canadian Bar Review derselbe Dissertation folgende (Seite, Seiten) Haager Landkriegsordnung herrschende Meinung International and Comparative Law Quarterly Internationaler Gerichtshof Indian Journal of International Law International Law Reports indisch Indian Yearbook of International Affairs ohne Jahresangabe Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht Plebiscite Administrator pakistanisch paragraph Pakistan Horizon Receuil des Cours, Academie de Droit International Reports Resolution Reports of International ArbitralAwards siehe Seite Aktenzeichen für Dokumente des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Security Council Official Records Series Ständiger Internationaler Gerichtshof Satzung der Vereinten Nationen United Nations United Nations Commission for India and Pakistan United Nations India and Pakistan Observation Mission

Abkürzungsverzeichnis UNMOGIP U.N.Rep. UNRIP

v.

vgl. VN vol. WPH WPIS WVR ZaöRV z.B. zit.

19

United Nations Military Observation Group for India and Pakistan United Nations Reports of International Arbitral Awards (identisch mit R.I.A.A.) United Nations Representative for India and Pakistan versus vergleiche Vereinte Nationen volume White Paper on Hyderabad White Paper on Indian States Wörterbuch des Völkerrechts Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel zitiert

Einleitung Der Kaschmirkonflikt eine internationale Krise Seit der Trennung des indischen Subkontinents vom ·b ritischen Reich im Jahre 1947 schwelt zwischen Indien und Pakistan der Streit um den Himalayastaat Jammu und Kaschmir. In den Jahren 1948 und 1965 flammte der Konflikt in größeren kriegerischen Auseinandersetzungen auf. Doch auch in Zeiten relativer Waffenruhe hielten die starken Spannungen zwischen den beiden Staaten an. "Ungezählte Male" 1 brachen Indien und Pakistan den offiziellen Waffenstillstand in Jammu und Kaschmir. Das Ende des Konflikts ist noch nicht abzusehen. Da seine politischen Ursachen fortbestehen, erscheint ein erneuter Ausbruch bewaffneter Feindseligkeiten selbst bei geringfügigem Anlaß nicht ausgeschlossen. Jammu und Kaschmir spielt schon aufgrund seiner geographischen Lage im äußersten Norden des indischen Subkontinents eine bedeutende Rolle in der Außen- und Sicherheitspolitik Indiens2 • Außer an Westpakistan grenzt es an Afghanistan und an die Machtbereiche der Sowjetunion und Chinas. Zur Zeit ihrer Herrschaft über Indien hatte die britische Regierung den nördlichen Regionen Jammu und Kaschmirs große strategische Bedeutung ·gegenüber der Sowjetunion beigemessen3 • Heute stellt die Hochebene von Aksai Chin im Westen Jammu und Kaschmirs die größte zusammenhängende Fläche dar, die im indisch-chinesischen Grenzkonflikt umstritten ist. Gupta meint in seiner Untersuchung des Kaschmirkonflikts4, daß Indien befürchte, ohne die Herrschaft über Jammu und Kaschmir einem koordinierten Vorgehen der ·beiden ihm feindlich gesonnenen Nachbarn Pakistan und China geschwächt gegen1 so berichtete der Generalsekretär der Vereinten Nationen dem Sicherheitsrat am 3. 9. 1965 (S/6651). 2 s. die Äußerung Nehrus vor der indischen Constituent Assembly am 25. 11. 1947, zit. bei Gupta, Kashmir, S. 442. 3 s. Lamb, Crisis in Kashmir, S. 93 ff. Der pakistan;ische Außenminister wies in einer Besprechung mit der United Nations Commission for India and Pakistan (UNCIP) am 18.7.1948 darauf hin, daß die im Norden Jammu und Kaschmirs gelegene Provinz GiJg,i t im Oktober 1947, als sie den Beitritt zu Pakistan begehrt habe, klar zu verstehen gegeben habe, daß sie den 'Anschluß an die Sowjetunion suchen würde, wenn Pakistan nicht die Herrschaft über die nördlichen Gebiete Jammu und Kaschmirs übernähme; s. Bericht der UNCIP S/1100 Abschnitt 67. 4 Kashmir, S. 442, 462.

22

Einleitung

überzustehen. Auch verschöbe sich das politische Gewicht Indiens und Pakistans in Asien entscheidend zuungunsten Indiens. Pakistan würde als Machtzentrum in Westasien eine bedeutende politische Rolle erlangen, wenn es ihm gelänge, sich das Gebiet Jammu und Kaschmirs einzuverleiben. Auch Pakistan sieht in der Frage der Herrschaft über Jammu und Kaschmir unter anderem ein Sicherheitsprob lem. Der frühere pakistanische Außenminister Mohammed Zafrullah Khan erklärte gegenüber der Vermittlun,gsko mmission der Vereinten Nationen (UNCIP) 5, daß Indien, wenn es .ganz Jammu und Kaschmir kontrolliere, in der Lage sei, sämtliche fünf Flüsse umzuleiten, die den Punjab bewässerten und die für West-Pakistan von lebenswichtiger Bedeutung seien. Die Flüsse Beas, Ravi und Sutlej seien bereits in indischer Hand, Jhelum und Chenab kämen hinzu. Indien hätte damit die Möglichkeit, ein Drittel der bewässerten Fläche des West-Punjab in eine Wüste zu verwandeln. Die indische Herrschaft über die Provinz Jammu stelle eine ständige Bedrohung Pakistans dar. Die eigentlichen Ursachen für die Entstehung und den Fortbestand des Konflikts sind jedoch nicht diese sicherheitspoliti schen Erwägungen6 • Der Grund dafür, daß der Streit um Jammu und Kaschmir mit der Erbitterung eines Existenzkampfe s ausgetragen wird, liegt darin, daß die Kaschmirfrage an das Selbstverständn is Indiens und Pakistans rührt. Pakistan ist ein theokratischer Staat. Seine Verfassung gründet sich auf die "Islamic Principles of Social Justice" 7• Pakistan sieht seine geschichtliche Mission darin, die mohammedanis che Bevölkerung des indischen Subkontinents, soweit sie im Nordosten und im Nordwesten in zusammenhängen den Siedlungsräum en lebt, in einem eigenen Staat zu vereinen8 • Diese Bevölkerung bildet nach pakistanischer Auffassung wegen ihres gemeinsamen Bekenntnisses zum Islam eine von der übrigen Bevölkerung Indiens zu unterscheidend e Nation. Es war diese "ZweiNationen-Theor ie", die zum Zeitpunkt des Rückzugs der britischen 5 Besprechung vom 18. 7. und vom 4. 8. 1948, S/1100 Abschnitt 67 und Annex 8. 8 ebensowenig wie gewisse wirtschaftliche Interessen. 1 vgl. die Präambel zur pakistanischen Verfassung vom 1. 3. 1962: "Whereas sovereignty over the entire Universe belongs to Almighty Allah alone, and the authority exercisable by the people is a sacred trust: and whereas the faunder of Pakistan, Quaid-i-Azam Mohammed Ali Jinnah, expressing the will of the people, declared that Pakistan should be a democratic State based on Islamic principles of social justice,

~~d whereas it is the will of the people of Pakistan that the principles of democracy, freedom, equality, tolerance and social justice, as enunciated by Islam, should be fully observed in Pakistan; ... s dazu unten S. 33 ff.

Der Kaschmirkonflikt - eine internationale Krise

23

Staatsgewalt aus Indien am 15. August 1947 zur Teilung Britisch-Indiens und zur Entstehung des Staates Pakistan auf einem Teil des bis dahin britisch-indischen Gebietes führte. Zu dem großen Siedlungsraum der mohammedanischen Bevölkerung im Nordwesten des Subkontinents zählt auch Jammu und Kaschmir. Es grenzt an Westpakistan. Seine Bevölkerung bekennt sich zu nahezu 80 Prozent zum Islam. Die pakistanische Politik zielt deshalb ihrem Ursprung gemäß darauf ab, auch die Glaubensbrüder in Jammu und Kaschmir in dem .g emeinsamen mohammedanischen Staat unter der Fahne des Propheten zu sammeln. Anders als Pakistan :betrachtet die Regierung in Delhi die Bevölkerung des Subkontinents als ein zusammengehöriges Volk. Die ZweiNationen-Theorie wird von Indien abgelehnt. Indien weist darauf hin, daß auch nach der Teilung Britisch-Indiens in die beiden Dominien Indien und Pakistan nahezu 40 Millionen Mohammedaner auf indischem Gebiet leben. Die Unterschiede in der Religion müssen nach indischer Ansicht ebenso wie die Verschiedenheiten in der Sprache und in der Geschichte einzelner Bevölkerungsgruppen ("communities") von der Idee der Einheit Indiens in einem gemeinsamen demokratischen und säkularen Staat überbrückt werden. Der im Oktober 1947 durch den Maharaja von Jammu und Kaschmir erklärte Beitritt seines Staates zur Indischen Union kann deshalb nach indischer Auffassung nicht aus dem Grunde angefochten werden, daß der größte Teil der Bevölkerung Jammu undKaschmirssich zum Islam bekennt. Die indische Regierung scheint auch zu befürchten, daß eine für Indien ungünstige Lösung der Kaschmirfrage separatistischen Bestrebungen einzelner Volksgruppen Auftrieb ,geben und dadurch die Existenz Indiens als einem einheitlichen Staat bedrohen würde. Ein Verzicht auf Jammu und Kaschmir könnte für diese Volksgruppen der Anlaß sein, das einigende Band des indischen Staats im Hinblick auf dieses Präjudiz zu sprengen•. Die permanente Krise in den Beziehungen zwischen Indien und Pakistan wegen Jammu und Kaschmir ist besonders gefährlich, weil der Streit über den Kreis der unmittelbar an ihm beteiligten Staaten hinauswirkt. Brecher10 verweist auf eine Äußerung des stellvertretenden Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Ralph Bunche, daß die Kaschmirfrage die gesamte mohammedanische Welt bewege und daher leicht 9 s. den indischen Minister Krishna Menon vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 23. 1. 1957 (S/PV 763): "... to throw accession away would be to throw the whole of India into chaos and we would open the door to dismemberment, and our unity and national sovereignty is something which we prize. Therefore, under the circumstances, we are not prepared to permit a challenge to the validity of this accession." 1o The Struggle for Kashmir, S. X.

24

Einleitung

in einem über Indien und Pakistan hinausgreifenden Konflikt aufflammen könnte. Viele Gläubige in dem mohammedanischen Staatengürtel, der sich von Nordafrika bis Südostasien erstreckt, mögen einen Kampf um Jammu und Kaschmir als einen "heiligen Krieg" ("jihad") zur Befreiung ihrer Glaubensbrüder betrachten. Vor allem aber betrifft die Kaschmirfrage auch die Interessen der Weltmächte. Der Kaschmirkonflikt wurde spätestens seit dem Jahre 1953 in wachsendem Maße in den "kalten Krieg" der beiden Großmächte USA und Sowjetunion einbezogen11 • Pakistan erlangte zu dieser Zeit die Stellung eines wichtigen Bindeglieds in dem Ring von Staaten, den die USA in ihrer Politik der "Eindämmung" der befürchteten kommunistischen Expansion um den sowjetischen Machtbereich errichteten. Im Februar 1954 schloß Pakistan mit der Türkei einen Freundschaftsvertrag, aus dem ein Jahr später der Bagdad-Pakt12 hervorging, der im Jahre 1959 die Bezeichnung CENTO erhielt13• Im September 1954 wurde Pakistan neben den USA, Großbritannien, Frankreich, Australien, Neuseeland, den Philippinen und Thailand ein Mitglied der SEATO. Damit verband Pakistan diese beiden Or,g anisationen, die wiederum über die Türkei mit der NATO verknüpft waren. Pakistan erhoffte sich von seiner Annäherung an die USA wohl ·e ine Stärkung seiner politischen Ausgangslage im Kaschmirkonflikt14 • Dementsprechend erhielt Indien, das eine Politik der Bündnislosigkeit verfolgte, im Kaschmirkonflikt politische Unterstützung durch die Sowjetunion. Im November und im Dezember 1955 statteten Bulganin und Chruschtschow Indien einen Besuch ab. Chruschtschow ergriff dabei die Gelegenheit, auch Srinagar, die Hauptstadt Jammu und Kaschmirs, zu besuchen. Dort erklärte er, daß die Kaschmirfrage bereits im Sinne der Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs zu Indien entschieden sei15 • Bei der Behandlung des Kaschmirkonflikts durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Jahre 1962 legte die Sowjetunion gegen den Resolutionsentwurf vom 22. 6. 1962, der Indien und Pakistan empfahl, den Konflikt durch Vermittlung oder durch die Einschaltung eines Schiedsgerichts beizulegen, ihr "Veto" ein16 und verhinderte dadurch, daß der 11 hierzu Lamb, Criisis in Kashmir, S. 80 ff. Die Einwirkung des "kalten Kriegs" auf die Kaschmirfrage fand bereits in dem "Minority Report" des tschechoslowakischen Mitglieds der UNCIP zu deren letztem Bericht an den Sicherheitsrat (S/1430) ihren Niederschlag. 12 weitere Mitglieder waren Großbritannien, Irak und Iran. 18 nach dem Ausscheiden des Irak. 14 vgl. die von dem indischen Vertreter vor dem Sicherheitsrat (S/PV 799) verlesenen, an Indien gerichteten 'Aide-memoires der Türkei vom 4. 5. 1956 und des Irak vom 26. 6. 1956. 15 Rede vom 9. 12. 1955, zit. bei Korbel, Danger in Kashmir, S. 45: ". .. the question of Kashmiir as one of the States of the Republic of India has already been decided by the people of Kashmir." 18 s. S/PV 1016.

Der Kaschmirkonflikt- eine internationale Krise

25

Sicherheitsrat überhaupt eine abschließende Resolution zur weiteren Behandlung des Konflikts faßte. Sie entsprach damit der indischen Auffassung, wonach die Beibehaltung des Status quo in Jammu und Kaschmir die zu dieser Zeit bestmögliche Lösung des Konflikts darstellte. Die einseitige Parteinahme der Sowjetunion in der Kaschmirfrage schwächte sich jedoch in der folgenden Zeit ab. Zugleich verminderte sich der Einfluß der USA auf Pakistan. Dies war auf das Eingreifen der dritten Großmacht, China, zurückzuführen17• Nach der Besetzung Tibets hatte China durch die Hochebene von Aksai Chin, die Indien zu Ladakh und damit zu dem Staatsgebiet Jammu und Kaschmirs rechnet, während China sie als einen Teil seiner Provinz Sinkiang betrachtet, eine Straße gebaut, ohne daß Indien dies bemerkt hätte18• Wegen des Streits um diesen und um andere Teile der indisch-chinesischen Grenze geriet das bis dahin .gute Verhältnis zwischen den beiden Staaten etwa im Jahre 1957 in eine Krise, die sogar zu militärischen Auseinandersetzungen führte. Pakistan, das von den USA nicht die wohl erhoffte Hilfe im Kaschmirkonflikt erhalten hatte, näherte sich nunmehr China an. Im Mai 1962 trat es in Verhandlungen mit der Regierung in Peking über die Grenze zwischen den von ihm beherrschten Gebieten im Norden Jammu und Kaschmirs und der chinesischen Provinz Sinkiang. Am 2. März 1963 unterzeichneten die Verhandlungspartner in Peking ein Grenzabkommen, das die Grenzlinie zwischen den beiden Herrschaftsbereichen festlegte19 • China unterstützt seither den pakistanischen Standpunkt in der Kaschmirfrage. So gab das gemeinsame Schlußkommunique vom 9. März 1965 nach dem Besuch des pakistanischen Präsidenten Ayub Khan in Peking der Besorgnis über die Fortdauer des Kaschmirkonflikts Ausdruck. Es stellte fest, daß beide Parteien dies als eine Bedrohung des Friedens und der Sicherheit dieser Region betrachteten. Der Kaschmirkonflikt müsse in Übereinstimmung mit den Wünschen der Bevölkerung Jammu und Kaschmirs gelöst werden, wie es dieser durch Indien und Pakistan gelobt worden sei.20• Während der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Indien und Pakistan im September 196521 unterstützte die rotchinesische Regierung Pakistan dadurch, daß es Indien, das es der Aggression gegen Pakistan bezichtigte22, mit einer zweiten Front bedrohte. Sie forderte die indische Regierung am 16. September 1965 auf, 17 18

1e 20

21 22

hierzu Lamb, Crisis in Kashmir, S. 92 ff. über den indisch-chinesischen Grenzkonflikt s. unten S. 175. s. unten S. 175. s. Europa-Archiv S. Z 63. s. unten S. 102. Erklärung der Volksrepublik China vom 5. 9. 1965, s. Europa-Archiv 1965

S. D 564 ff.

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Einleitung

deren angeblich auf chinesischem Gebiet vorhandene militärischen Einrichtungen binnen drei Tagen zu beseitigen; andernfalls habe Indien mit schweren Konsequenzen zu rechnen23• Dieses Ultimatum verlängerte die rotchinesische Regierung zum Zeitpunkt seines A:blaufs um weitere drei Tage. Erst am 21. September 1965, als der indisch-pakistanische Waffenstillstand bereits in Sicht war, zog sie das Ultimatum zurück, indem sie erklärte, Indien habe der chinesischen Forderung Rechnung getragen24• Sowohl die USA als auch die Sowjetunion haben seit dem Eingreifen Chinas in den Kaschmirkonflikt eine eher neutrale Position bezogen. Die USA dürften zwar daran interessiert sein, Indien gegen die rotchinesische Regierung zu unterstützen, doch befürchten sie wohl eine hierdurch entstehende Verstärkung der pakistanischen Annäherung an China. Die Sowjetunion andererseits ist, wie insbesondere die Vermittlungsaktion des sowjetischen Ministerpräsidenten Kossygin im Januar 1966 in Taschkent zeigte, von einer starren Parteinahme zugunsten Indiens abgerückt. Sie befürchtet offenbar ebenfalls eine Ausdehnung des chinesischen Einflußbereichs durch eine Annäherung Pakistans an China. Angesichts dieser Interessenlage erscheint es nicht ausgeschlossen, daß der Kaschmirkonflikt zu einer Konfrontation der Großmächte in dem Himalayastaat führen kann.

Die völkerrechtliche Beurteilung des Kaschmirkonflikts Der Kaschmirkonflikt stellt eine Gebietsstreitigkeit dar. Er läßt sich völkerrechtlich durch zwei einander ergänzende Fragen erfassen: einmal durch die Frage nach der völkerrechtlichen Zuordnung des umstrittenen Gebiets zu Indien oder Pakistan (und damit zusammenhängend nach der völkerrechtlichen Beurteilung einer etwa mit dieser Zuordnung nicht übereinstimmenden faktischen Ausübung von Staatsgewalt); zum anderen durch die Frage der zwischen Indien und Pakistan bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen zur Änderung der rechtlichen Zuordnung oder des faktischen Besitzstandes, sei es aufgrund partikulär für Indien und Pakistan oder speziell für die Kaschmirfrage geltender völkerrechtlicher Sondervorschrüten. Entsprechend dieser Fragestellung gliedert sich die vorliegende Untersuchung. Nach einer zusammenfassenden Darstellung der Ursprünge und des historischen Ablaufs des Kaschmirkonflikts im "Ersten Teil" mitgeteilt in dem 'indischen Schreiben an den Sicherheitsrat (S/6692). s. Europa-Archiv 1965 S. Z 186: Indien bestritt nach wie vor die Existenz dieser militärischen Einrichtungen.

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Die völkerrechtliche Beurteilung des Kaschmirkonflikts

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befaßt sich der "Zweite Teil" mit der völkerrechtlichen Lage Jammu und Kaschmirs, die das Problem der Zuordnung Jammu und Kaschmirs zu Indien oder Pakistan einschließt. Der "Dritte Teil" beschreibt die zwischen Indien und Pakistan untereinander etwa bestehenden Verpflichtungen zur Änderung der in dem vorangegangenen Teil geschilderten Lage, wobei zunächst die sich auf das allgemeine Völkerrecht ,gründenden Pflichten und sodann die Frage der partikulär geltenden völkerrechtlichen Sondernormen behandelt werden, die speziell den Kaschmirkonflikt regeln.

Erster Teil

Die Geschichte des Konflikts um Jammu und Kaschmir 1. Abschnitt

Die Ausgangslage I. Britisch-Indien und die indischen Fürstenstaaten vor dem Unabhängigkeitstag (15. August 1947) Gegen Ende des 16. Jahrhunderts entwickelte sich das Mogulreich unter Akbar zu dem beherrschenden Machtzentrum in Indien. Ein Jahrhundert später umfaßte es nahezu den gesamten Subkontinent. Doch schon im 18. Jahrhundert begann das Reich zu zerfallen. Die bedeutendsten der Vasallen des Großmoguls, wie der Nizam von Hyderabad und der Nawab Wazir von Oudh, erlangten faktisch die Selbständigkeit gegenüber der Mogulregierung in Delhi, wenn sie auch deren formale Suzeränität noch anerkannten. Westlake 1 vergleicht die Organisation des Mogulreichs in dieser Zeit mit der Verfassung des Heiligen Römischen Reichs nach dem Westfälischen Frieden. Hier wie dort sei die Zentralgewalt immer schwächer geworden, ohne daß die formale Einheit des Reichs in Frage gestellt worden sei. Ebenfalls im 18. Jahrhundert erkämpfte sich die British East India Company ihre Stellung als die hervorragende Macht ("paramount power") des indischen Subkontinents2 • Die British East India Company war zunächst als Handelsgesellschaft gegründet worden. Die königliche Charter vom 31. Dezember 1600 hatte ihr ein auf fünfzehn Jahre befristetes Handelsmonopol für das Gebiet zwischen dem Kap der guten Hoffnung und der Maghellanstraße verliehen, das später (1609) unbefristet verlängert worden war. Darüber hinaus war sie ausdrücklich mit der Ausübung öffentlicher Gewalt beliehen worden. Die königliche Charter vom 3. April 1661 hatte der Gesellschaft das Recht zugesprochen, mit nicht-christlichen Fürsten Krieg zu führen, Frieden zu schließen und in ihren Niederlassungen Gouverneure zur Ausübung hoheitlicher Gewalt zu ernennen. Collected Papers S. 197 ff. s. Dodwell, Cambridge History, S. 91 ff.; Kraus, Britisch-Indien, S. 149 f.; Westlake, Collected Papers, S. 197 ff. 1

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1. Teil: Die Geschichte des Kaschmirkonflikts

Die erste britische Besitzung in Indien, die von der East India Company verwaltet wurde, war das Gebiet von Bombay, das die britische Krone im Jahre 1661 von Portugal als Heiratsgut der Gemahlin Karls des Zweiten erhalten hatte. Die eigentliche Epoche der Ausübung öffentlicher Gewalt durch die Gesellschaft begann jedoch erst ein Jahrhundert später, als der Großmogul sie mit seinem Firman vom 12. August 1765 zum Diwan über Bengal, Behar und Orissa einsetzte3 • Sie erlangte damit die Steuer- und Verwaltungshoheit in diesen Gebieten. Ihnen folgten in kurzer Zeit teils durch Eroberung, teils durch Verträge mit den Vasallen des Großmoguls, weitere Territorien. Die Stellung der Gesellschaft gegenüber dem Großmogul wurde dabei wie die der indischen Fürsten aufgefaßt4 • Die Gesellschaft herrschte faktisch ohne Beschränkung, gestand dem Mogulkaiser jedoch eine formale Oberhoheit über die von ihr verwalteten Gebiete zu, soweit sie diese nicht - wie etwa Bombay- von vornherein als britisches Gebiet .betrachtete. Um den Beginn des 19. Jahrhunderts entwand die Gesellschaft dem Großmogul die letzten Reste der ihm bis dahin noch verbliebenen Macht5 • Im Jahre 1803 besiegte sie die Maharatten, in deren Schutz der Mogulkaiser sich zuletzt befunden hatte. Sie beließ ihm nur noch die Palastgerichtsbarkeit in Delhi, stellte jedoch auch diese unter ihre Aufsicht. Im Jahre 1857 setzte die britische Regierung den letzten Großmogul ab, weil er an dem gegen die .britische Herrschaft gerichteten Sepoy-Aufstand ("Grand Mutiny") beteiligt gewesen sei8 • Zugleich löste sie die in London wegen ihrer Politik schon seit langem umstrittene East India Company auf und wies in der "Government of India Act, 1858" 7 die von der Gesellschaft bis dahin in Indien ausgeübten Funktionen den Behörden der britischen Staatsverwaltung zu. Das von der Gesellschaft unmittelbar verwaltete Gebiet regierte Großbritannien als die britische Kolonie "Britisch-Indien". Diese unterstand dem in Indten residierenden Governor General (in Council}, dem die in den einzelnen Provinzen Britisch-Indiens eingesetzten Governors (in Council) unterstellt waren. Diese Verwaltungsorganisation BritischIndiens blieb ohne wesentliche Änderung bis zum Ende der britischen Herrschaft in Indien im Jahre 1947 bestehen. Die vom britischen Parlament beschlossenen "Government of India Acts" von 1919 und 1935 gest anden der indischen Bevölkerung zwar ein gewisses Maß an Selbstvers. Mukherji, Documents, S. XXII. s. Government of India, White Paper on Indian States, S. 137 f. 5 s. hierüber Aitchison Bd. 3 S. 118 f.; Sankar, Indian States, S. 41 ff.; Ranadive, The legal rights of the Indian States, S. 127; Westlake, Collected Papers, s. 200. 6 s. Aitchison Bd. 1 S. 355 f. 7 abgedruckt bei Mukherji, Documents, S. 90. 3

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waltung zu. Doch hatte der Generalgouverneur in den Provinzen auch der Gouverneur - das Recht, jeden Akt der Selbstverwaltung nach seinem Gutdünken aufzuheben8 . Die "auswärtigen Angelegenheiten" und die Verteidigungsfragen wurden von der Selbstverwaltung nicht betroffen. Hier entschied der Generalgouverneur von vornherein in eigener Zuständigkeit in Übereinstimmung mit den Weisungen des britischen Kabinetts9 • Die British East India Company hatte nicht sämtliche Gebiete des Subkontinents unmittelbar verwaltet. Den Bereichen ihrer unmittelbaren Herrschaft standen die unregelmäßig über den Subkontinent verstreuten Territorien .gegenüber, die von indischen Fürsten regiert wurden. Einige dieser Fürstenstaaten10, wie Hyderabad, Myseire und Travancore, konnten sich in ihrer Größe mit europäischen Staaten messen, während ein großer Teil der übrigen nahezu sechshundert Fürstenstaaten11 nur kleinen Gutsherrschaften vergleichbar war, die ihrerseits in einer Vasallität zu den mächtigeren Fürsten standen. Die British East Company brachte die indischen Fürstenstaaten schrittweise unter ihren Einfluß. Zunächst- bis 1813- trachtete sie lediglich danach, zur Festigung ihrer Herrschaft über die eigenen Besitzungen in Indien die "auswärtige Politik" der angrenzenden Fürstenstaaten durch entsprechende "Allianzverträge" zu kontrollieren. Es war dies die "ringfence policy", von der W estlake12 sagt, daß sie die Souveränität der betroffenen Fürstenstaaten nicht eingeschränkt habe. Die zweite Phase der Einflußnahme der Gesellschaft begann mit der Amtszeit Hastings als Generalgouverneur im Jahre 1813. Hastings entwickelte die Paramountcy-Doktrin", die seither bis zum Ende der britischen Herrschaft in Indien im Jahre 1947 das Verhalten der britischen Regierung zu den Fürstenstaaten bestimmte. Diese Doktrin besagte, daß die britische Regierung aufgrund ihrer überragenden Stellung ("paramountcy") auf dem indischen Subkontinent notwendig auch die Oberherrschaft über die Fürstenstaaten ausübte, soweit sie es nicht ohnehin für erforderlich hielt, die Fürstenstaaten dem Bereich ihrer unmittelbaren Verwaltung einzugliedern. s vgl. Art. 9 Abs. 3 Government of India Act, 1935. 8 s. Art. 11, 13, 14 Government of India 'A ct, 1935. 10 über die Fürstenstaaten s. eingehend die unten S. 111 genannten Werke; ferner die zusammenfassende Darstellung der ~ndischen Regierung in ihrem White Paper on Indian States S. 17 ff. 11 Das Indian States Committee zählte in seinem Bericht über die Beziehungen der britischen Krone zu den Fürstenstaaten vom 14. 2. 1929 (abgedruckt bei Gwyer-Appadorai S. 716 ff.) 562 Fürstenstaaten, deren Gebiete 48 Prozent der Fläche des Subkontinents einnahmen. Die 40 wichtigsten Staaten hatten mit der Gesellschaft formelle Statusverträge abgeschlossen. Sie wurden daher "Treaty States" genannt. 202 Fürstenstaaten umfaßten weniger als je 10 Quadratmeilen. 12 Collected Papers, S. 197 ff.

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Die Rechte, die die Gesellschaft und, ihr folgend, die britische Regierung aus dem in der Paramountcy-Doktrin zum Ausdruck gekommenen Herrschaftsanspruch ableiteten, waren nach britischer Auffassung schrankenlos. Die britische R~ierung weigerte sich deshalb, den Begrüf der "Paramountcy" gegenüber den Fürsten in rechtlich relevanter Weise zu definieren, weil jede Definition der "Paramountcy" als Rechtsbegriff der Willkür der britischen Regierung in ihrer Herrschaft über die Fürstenstaaten zugleich Grenzen gesetzt hätte13 • Die Paramountcy ging nach Auffassung der britischen Regierung auch den mit den Fürstenstaa ten geschlossenen Verträgen vor. Die Anwendung der Paramountcy-Doktrin schloß generell eigene auswärtige Beziehungen der Fürstenstaaten aus. Es war den Fürstenstaaten nicht einmal .g estattet, ohne Zustimmung der britischen Regierung untereinander in Verbindung zu treten. Im übrigen intervenierte die britische Regierung in jede Angel~enheit des Fürstenstaats, wenn sie dies "zum Wohle des Fürsten, seines Staats, oder Indiens als Ganzem" 14 für erforderlich hielt. Die faktische Durchsetzung der Doktrin gewährleistete ein System von britischen "Beratern", "Residenten" und "political agents" an den größeren Fürstenhöfen, die zugleich für die Überwachung der angrenzenden kleineren Fürstenstaaten zuständig waren. Das ,gemeinsame den Fürsten übergeordnete Staatsorgan war bis zum Inkrafttreten der "Government of India Act, 1935" der "Governor General in Council" Britisch-Indiens. Als sich nach dem ersten Weltkrieg der Widerstand der Fürstenstaaten gegen die Ausübung der "Paramountcy" durch ein Organ Britisch-Indiens verstärkte, weil die Fürsten glaubten, daß hierdurch ihre eigenen Interessen den Bedürfnissen Britisch-Indiens untergeordnet würden, entzog dieses Gesetz die dem Generalgouverneur .g egenüber den Fürstenstaaten zustehenden Befugnisse und übertrug sie auf das neugeschaffene britische Staatsorgan des Kronrepräsentanten 15 • In der Praxis blieben die beiden Ämter des Generalgouverneurs und des Kronrepräsentanten in einer Person vereinigt. 13 s. den Bericht des Indian States Committee vom 14. 2. 1929, abgedruckt bei Gwyer-Appadorai S. 722: "We have endeavoured, as others before us have endeavoured, to find some formula which will cover the exercise of paramountcy, and we have failed, as others before us have failed, to do so. The reason for such failure is not far to seek. Conditions alter rapidly in a changing world. Imperial necessity and new conditions may at any time raise unexpected situations. Paramountcy must remain paramount; it must fulfil its Obligations defining or adapting iitself according to the shifting necessities of the time and the progressive development of the States." 14 Bericht des Indian States Committee, abgedruckt bei Gwyer-Appadorai s. 718 ff. 1s s. Government of India Act, 1935, Art. 2 und 3. Die offizielle Bezeichnung für den Kronrepräsentanten ("Crown Representative") war "His Majesty's Representative for the exercise of the functions of the Crown in its relations with Indian States".

1. Die Ausgangslage

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II. Die Unabhängigkeit und die Teilung Britisch-Indiens Während indische Politiker, wie sie sich insbesondere seit dem Jahre 1885 im Indian National Congress zusammengeschlossen hatten16 , bis zum Ende des ersten Weltkriegs jeweils nur Verwaltungsreformen und eine stärkere Beteiligung von Indern in öffentlichen Angelegenheiten gefordert hatten, verlangten sie von nun an in einem gestärkten Selbstbewußtsein den Status eines Dominions im britischen Commonwealth. Indien wurde im Jahre 1919 zwar Mitglied des Völkerbunds, doch weigerte sich die Regierung in London, ihm den Status eines Dominions zuzugestehen. Seit dem Jahre 1929 forderte hierauf der Indian National Congress unter der Führung Gandhis und N ehrus die "complete independence". Während des zweiten Weltkriegs, in dem Großbritannien gegen den Willen der Kongreßpartei auch für Indien den Krieg erklärt hatte, rief Gandhi im Jahre 1942 die "Quit India"-Kampagne aus, die die Briten ultimativ aufforderte, den Subkontinent zu verlassen. Bei Kriegsende stand fest, daß Großbritannien der Unabhängigkeitsforderung Britisch-Indiens nicht länger widerstehen konnte. In einer Regierungserklärung vom 3. Juni 1947 17 gab der britische Premierminister seine Vorstellungen über die "Übertragung der Staatsgewalt" auf indische Staatsorgane bekannt, die die Grundlage für das am 11. Juni 1947 vom britischen Parlament beschlossene Unabhängigkeitsgesetz (India Independence Act, 1947) 18 bildeten. Der Kampf um die Unabhängigkeit von Großbritannien war von dem Konflikt zwischen dem Indian National Congress und der Muslim League überschattet, der am Unabhängigkeitstag (15. August 1947) zu der in der India Independence Act vorgesehenen Teilung des bisherigen Britisch-Indien führte. Unter den vielen Bevölkerungsgruppen in Indien, die sich nach Sprache, Kultur oder Religion voneinander unterschieden, war die mohammedanische Minderheit am bedeutendsten. Die Volkszählung im Jahre 1941 hatte ergeben, daß von der Gesamtbevölkerung von 389 Millionen Menschen sich 94,5 Millionen zum Islam bekannten. Etwa 54 Millionen mohammedanische Inder lebten in den Gebieten im Nordosten und im Nordwesten des Subkontinents, wo sie jeweils die Bevölkerungsmehr· heit bildeten. Die übrigen 40 Millionen verteilten sich über den gesamten Subkontinent und waren dort in der Minderheit19• Bereits im Jahre 1906 hatten indische Mohammedaner die Muslim League gegründet, die ihnen auf britisch-indischem Gebiet eine eigene 18 zum folgenden s. Korbel, Danger in Kashm:ir, S. 34 ff.; Keith, A constitutional history of India, 1600-1935. 17 s. unten S. 35. 18 10 & 11 Geo. VI Ch. 30; abgedruckt bei Poplai, Bd. 1, S. 24 ff. 18 s. Davis, Demography of Partition, S. 260.

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Vertretung in jenen Staatsorganen sichern sollte, die nicht mit Briten, sondern mit Indern zu besetzen waren. Das Prinzip der "separate representation" gegenüber den Nicht-Mohammedanern wurde 1909 durch die Morley-Minto-Reformen anerkannt. Im Jahre 1916 stimmte auch die Kongreßpartei der Forderung nach getrennten "electorates" für die mohammedanische Bevölkerung zu. Nach den Wahlen im Jahre 1937 bahnte sich eine ,grundlegende Änderung im Programm der Muslim League an. Der überwältigende Wahlsieg der Kongresspartei hatte der Muslim League gezeigt, daß sie als Interessenvertretung einer Minderheit keine Aussicht hatte, sich neben dem National ,Congress durchzusetzen, der den Anspruch erhob, alle Inder ohne RüCksicht auf ihre Religionszugehörigkeit zu repräsentieren. Als Reaktion hierauf entstand in den folgenden Jahren in den Reihen der Muslim League die radikale Idee eines eigenen mohammedanischen Staats "Pakistan"20, der die Gebiete mit Moslem-Mehrheit im Nordosten und im Nordwesten des Subkontinents umfassen sollte21 • In der "Pakistan Resolution" vom 24. März 194022 forderte die Muslim League auf ihrem Parteitag in Lahore den eigenen mohammedanischen Staat. Diese Forderung hatte der Vorsitzende der Partei, Mohammed Ali Jinnah, am 20. März 1940 mit der sogenannten Zwei-Nationen-Theorie begründet23. Er hatte hierzu erklärt: "Es ist außerordentlich schwer zu begreifen, warum unsere Hindu-Freunde die wahre Natur von Islam und Hinduismus nicht verstehen können. Es handelt sich nicht um Religionen im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern iin Wirklichkeit um verschiedene Gesellschaftsordnungen. Es ist ein Wunschdenken, daß Hindus und Moslems je eine gemeinsame Volkszugehörigkeit entwickeln könnten. Die falsche Konzeption von dem einen indischen Volk hat die tragbaren Grenzen weit überschritten und ist die Ursache für die meisten unserer Sorgen. Sie wird Indien in den Untergang führen, wenn wir unsere Haltung nicht rechtzeitig revidieren. Hindus und Moslems gehören zwei verschiedenen religiösen Weltanschauungen, verschiedenen Gesellschaftsordnungen und verschiedenen Literaturkreisen an. Sie heiraten nicht untereinander und essen nicht gemeinsam. Sie gehören zwei Kulturen an, die auf einander widersprechende Ideen und Auffassungen gegründet sind. Ihre Vorstellungen vom Leben und über das Leben sind unterschiedlich. Es ist ganz klar, daß Hindus und Moslems ihre Inspiration aus unterschiedlichen Quellen der Geschichte erhalten. Sie haben verschiedene Epen, verschiedene Helden und verschiedene Legenden. Sehr oft ist der Held des einen der Feind des anderen und ebenso überschneiden sich ihre Siege und ihre Niederlagen. Zwei so verschiedene Nationen unter das Joch eines gemeinsamen Staats zu spannen, die eine als die zahlenmäßige Minderheit und die andere "pak" bedeutet "rein". s. Gwyer-Appadorai S. XLIX. abgedruckt bei Gwyer-Appadorai S. 443 f. 23 abgedruckt bei Gwyer-Appadorai S. 440 f., Übersetzung durch den Verfasser. 20 21 22

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als die Mehrheit, muß zu wachsender Unzufriedenheit und schließlich zur Zerstörung jedes Verfassungssystems führen, das für die Regierung eines solchen Staats geschaffen werden mag." Die Standpunkte der beiden großen Parteien waren damit zu weit voneinander entfernt, als daß es möglich ;gewesen wäre, gemeinsam eine Verfassung für ein unabhängiges Indien auszuarbeiten. Die britische Regierungserklärung vom 3. Juni 194724 trug deshalb der Forderung der Muslim League Rechnung, zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit die Errichtung des Staats Pakistan auf einem Teil des bisher britisch-indischen Gebiets zuzulassen. Sie sah vor, daß die BevölktJrung der North West Frontier Province, Sinds, Britisch Baluchistans, d