Die »hypothetische Einwilligung« im Strafrecht [1 ed.] 9783428532865, 9783428132867

Im Arztstrafrecht wird neben der wirklichen, der gemutmaßten und der mutmaßlichen Einwilligung auch der Gedanke einer hy

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Die »hypothetische Einwilligung« im Strafrecht [1 ed.]
 9783428532865, 9783428132867

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Schriften zum Strafrecht Heft 211

Die „hypothetische Einwilligung“ im Strafrecht Von

Andreas Albrecht

a Duncker & Humblot · Berlin

ANDREAS ALBRECHT

Die „hypothetische Einwilligung“ im Strafrecht

Schriften zum Strafrecht Heft 211

Die „hypothetische Einwilligung“ im Strafrecht

Von

Andreas Albrecht

a Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-13286-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Diese Arbeit ist im Sommersemester 2009 an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth zur Promotion zugelassen worden. Rechtsprechung und Schrifttum wurden für die Drucklegung bis November 2009 berücksichtigt. Herzlich danke ich Herrn Prof. em. Dr. Dr. h.c. (Univ. Pécs) Harro Otto als dem akademischen Lehrer, der meine wissenschaftliche Entwicklung durch Anteilnahme und Förderung geprägt hat. Das Gelingen dieser Arbeit beruht maßgeblich hierauf. Ich bedanke mich weiterhin bei Herrn Prof. Dr. Nikolaus Bosch für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Einen herzlichen Dank für die Förderung richte ich auch an Herrn Privatdozent Dr. Joerg Brammsen. Bayreuth, im November 2009

Andreas Albrecht

Inhaltsübersicht Erster Teil Einführung in die Problematik der „hypothetischen Einwilligung“

33

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

§1

Die „hypothetische Einwilligung“ in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

§2

Die begriffliche Umschreibung der „hypothetischen Einwilligung“. . . . . . .

44

Erstes Kapitel Die Entwicklung des Diskussionsstandes bei der „hypothetischen Einwilligung“

63

§1

Die zivilrechtliche Problematik zu Zeiten des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . .

63

§2

Die „hypothetische Einwilligung“ zu Zeiten des Bundesgerichtshofs . . . . .

70

Zweites Kapitel Vorläufige Feststellungen zur „hypothetischen Einwilligung“

97

Zweiter Teil Die „hypothetische Einwilligung“ in der dogmatischen Betrachtung

101

Drittes Kapitel Die Einwilligung als Tatbestandsausschließungsoder Rechtfertigungsgrund

101

§1

Hinführung zur Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

§2

Die Entwicklung der Einordnungsproblematik aus dem geschützten Rechtsgut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

§3

Die „hypothetische Verfügungsbefugnis“ als geschütztes Rechtsgut . . . . . . 132

§4

Weitere vorläufige Feststellungen zur „hypothetischen Einwilligung“. . . . . 138

10

Inhaltsübersicht Viertes Kapitel Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte

140

§1

Hinführung zur Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

§2

Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

§3

Die rechtliche Würdigung des ärztlichen Heileingriffs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

§4

Die bei der „hypothetischen Einwilligung“ zugrundegelegte Beschreibung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . 160

§5

Weitere vorläufige Feststellungen zur „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . 166 Fünftes Kapitel Die „hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

168

§1

Einführung in den Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

§2

Die Ursächlichkeit und die „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“ . . . . 169

§3

Die „(Quasi-)Kausalität“ der Unterlassung der gebotenen ärztlichen Aufklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Sechstes Kapitel Die „hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene der Rechtswidrigkeit

225

§1

Einführung in den Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

§2

Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

§3

Die Auseinandersetzung mit dem Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

§4

Die Auseinandersetzung mit dem Gedanken der „Irrtumskausalität“ . . . . . . 309

§5

Die Auseinandersetzung mit dem Gedanken der hypothetischen Rechtfertigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Siebentes Kapitel Die „hypothetische Einwilligung“ und die Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ im Rahmen der objektiven Erfolgszurechnung

385

§1

Hinführung zur Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385

§2

Die Lehre vom „Chancensaldo“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386

§3

Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“ als „hypothetische Ersatzursache“ im Rahmen der objektiven Erfolgszurechnung . . . 392

Inhaltsübersicht

11

Achtes Kapitel Die Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

430

§1

Hinführung zur Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430

§2

Das Beweisthema der „hypothetischen Einwilligung“ und seine Einschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431

§3

Die „Versuchslösung“ bei der „hypothetischen Einwilligung“. . . . . . . . . . . . 464 Neuntes Kapitel Die „hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene der Strafbarkeit

478

§1

Einführung in den Streitstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478

§2

Die „hypothetische Einwilligung“ oder die „besondere (körperverletzungsspezifische) nachträgliche Billigung“ als Strafausschließungsgrund (i. w. S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480

§3

Die „hypothetische Einwilligung“ als Strafmilderungsgrund . . . . . . . . . . . . . 491 Dritter Teil Zusammenfassung und Entwicklung einer Lösungsmöglichkeit

499

Zehntes Kapitel Zusammenfassung der Zwischenergebnisse

499

Elftes Kapitel Die Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

507

§1

Vorüberlegungen zur Entwicklung einer eigenen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . 507

§2

Die Unterscheidung zwischen der Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ und der „Selbstbestimmung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 Zwölftes Kapitel Die Lösung der Beispielsfälle

554

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Einführung in die Problematik der „hypothetischen Einwilligung“

33

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

§1

Die „hypothetische Einwilligung“ in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

§2

Die begriffliche Umschreibung der „hypothetischen Einwilligung“. . . . . . . A. Die zivil- und die strafrechtliche Perspektive bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Erweiterung der Problematik über die Grenzen des Arzt-Patienten-Verhältnisses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Standpunkt der Rechtsprechung in Strafsachen . . . . . . . . . . . . II. Die Ausdehnung der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . C. Die verschiedenen Fälle der ärztlichen Eigenmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ bei Fahrlässigkeits- und Vorsatzdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die „hypothetische Einwilligung“ bei den Fahrlässigkeitsdelikten II. Die „hypothetische Einwilligung“ bei den Vorsatzdelikten . . . . . E. Die verschiedenen Maßstabsfiguren bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Die „hypothetische Einwilligung“ zwischen „in dubio pro reo“ und der Risikoerhöhungslehre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44 45 45 45 45 48 52 52 52 56 60

Erstes Kapitel Die Entwicklung des Diskussionsstandes bei der „hypothetischen Einwilligung“ §1

Die zivilrechtliche Problematik zu Zeiten des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . A. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Entwicklung bis zur Entscheidung des Reichsgerichts vom 8. März 1940. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die rückwärtige Tendenz bei der „hypothetischen Einwilligung“ II. Die Zurückhaltung des Reichsgerichts in der Entscheidung vom 8. März 1940 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63 63 63 66 66 67

14

Inhaltsverzeichnis

§2

Die „hypothetische Einwilligung“ zu Zeiten des Bundesgerichtshofs. . . . . . A. Die Entwicklung der „hypothetischen Einwilligung“ bis Anfang der 80er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Entwicklung des Rechtsgedankens in der Rechtsprechung . . II. Die Entwicklung des Rechtsgedankens im Schrifttum . . . . . . . . . . 1. Der Rechtsgedanke im Zivilrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Beschäftigung mit dem Rechtsgedanken im Strafrecht. . . B. Die Entwicklung der „hypothetischen Einwilligung“ bis in die Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Entwicklungslinie im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ in der Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die dogmatischen Unsicherheiten bei der rechtlichen Einordnung der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die tatsächliche Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Entwicklungslinie im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Einfluss des Zivilrechts auf das Strafrecht. . . . . . . . . . . . . . 2. Die rückwärtige Tendenz nach dem Bandscheibenfall . . . . . . .

70 70 70 74 74 77 78 78 78 81 82 84 86 86 91

Zweites Kapitel Vorläufige Feststellungen zur „hypothetischen Einwilligung“

97

Zweiter Teil Die „hypothetische Einwilligung“ in der dogmatischen Betrachtung

101

Drittes Kapitel Die Einwilligung als Tatbestandsausschließungsoder Rechtfertigungsgrund §1

Hinführung zur Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Einwilligung (auch) im „Surgibone“-Dübelfall als Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Einordnungsproblematik der Einwilligung als Tatbestandsausschließungs- oder Rechtfertigungsgrund – ein originäres Problem der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Relevanz der rechtlichen Einordnung der Einwilligung für die „hypothetische Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die „normativen“ „Zusammenhangslösungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Krauß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

101 101 101

101 102 103 103 105

Inhaltsverzeichnis

IV. §2

§3

§4

15

2. Die Stellungnahme Kindhäusers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3. Die Stellungnahme Roxins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Die verschiedenen rechtstheoretischen Standpunkte zur Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

Die Entwicklung der Einordnungsproblematik aus dem geschützten Rechtsgut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gesicherte Erkenntnisse der Lehre vom Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das „Interesse des Individuums“ als geschütztes Rechtsgut . . . . . . . . . . C. Die theoretische Überwindung der „Objekts-Auffassung(en)“ des geschützten Rechtsguts durch die Entwicklung der personalen Rechtsgutslehre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Entwicklung der personalen Rechtsgutslehre . . . . . . . . . . . . . . II. Die „Objekts-Auffassung(en)“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Beschreibung der „Objekts-Auffassung(en)“ . . . . . . . . . . . 2. Die Probleme bei der „Objekts-Auffassung“ . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Wortlaut des § 34 StGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Eigen- oder Sozialwert der materiellen Güter . . . . . . . aa) „Werte und Bewusstsein“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Vereinbarkeit der „Objekts-Auffassung(en)“ mit der geltenden Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Entwicklung des geschützten Rechtsguts aus der Aufgabenbestimmung des Strafrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die „Verfügungsbefugnis“ als geschütztes Rechtsgut. . . . . . . . . . . 1. Die Beschreibung der Rechtsgutsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Probleme mit der „Verfügungsbefugnis“ . . . . . . . . . . . . . . . a) Die konstruktiven Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik an den inhaltlichen Aussagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Aufgabenbeschreibung des Strafrechts . . . . . . . . . bb) Die wechselseitige Verschränkung der Interessen des Einzelnen und der Allgemeinheit bei den Rechtsgütern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das „Handlungspotential“ als geschütztes Rechtsgut. . . . . . . . . . . III. Das hier zugrundegelegte abstrakte Rechtsgutsverständnis. . . . . . Die „hypothetische Verfügungsbefugnis“ als geschütztes Rechtsgut . . . . . . I. Die Beschreibung der Rechtsgutsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Probleme mit der „hypothetischen Verfügungsbefugnis“ . . . . . . . 1. Der Patient als „Subjekt der Behandlung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Verfehlung des mit der Einwilligung und der ärztlichen Aufklärungspflicht verfolgten Zwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Unvereinbarkeit der „Verfügungsbefugnis“ als geschütztes Rechtsgut mit der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . .

108 108 110

110 110 113 113 114 114 115 115 119 119 119 119 121 121 124 124

126 127 129 132 132 133 133 135 136

Weitere vorläufige Feststellungen zur „hypothetischen Einwilligung“. . . . . 138

16

Inhaltsverzeichnis Viertes Kapitel

§1

Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte

140

Hinführung zur Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bedeutung der Rechtsgutsbeschreibung für die „hypothetische Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der ärztliche Heileingriff als Körperverletzung. . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der ärztliche Heileingriff als Verletzung der Selbstbestimmung . . II. Prüfungsgegenstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

140 140 140 142 142

§2

Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

§3

Die rechtliche Würdigung des ärztlichen Heileingriffs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Der Begriff der ärztlichen Heilbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Meinungsübersicht über die rechtliche Bewertung des ärztlichen Heileingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die „Konzepte“ der Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die verschiedenen Konzepte der Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die subjektiven Kompensationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die objektiven Kompensationsmodelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die rechtliche Bewertung des ärztlichen Heileingriffs . . . . . . . . . . . . . . .

§4

§5

Die bei der „hypothetischen Einwilligung“ zugrundegelegte Beschreibung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die „Selbstbestimmung“ als geschütztes Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte in Rechtsprechung und Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die „zweispurige Lösung“ von Horn und Wolters. . . . . . . . . . . . . . II. Das „limitierte Kombinationsdelikt“ der Körperverletzung von Schwartz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das „Seins- und Bestimmungsfeld der Persönlichkeit“ . . . . . . . . . B. Die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die bedenklichen Konsequenzen der Umgestaltung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145 145 146 146 147 147 149 153 160 160 161 161 162 164

165

Weitere vorläufige Feststellungen zur „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . 166 Fünftes Kapitel Die „hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

168

§1

Einführung in den Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

§2

Die Ursächlichkeit und die „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“ . . . . 169 A. Die Darstellung der „Kausalitätslösungen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 I. Die Lösung des Fünften Strafsenats des Bundesgerichtshofs im „O-Bein“-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

Inhaltsverzeichnis Die Lösung der anderen Strafsenate des Bundesgerichtshofs sowie des Oberlandesgerichts Hamm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Lösung des Sechsten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs sowie einiger Oberlandesgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die „Kausalitätslösungen“ in der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einordnung der „hypothetischen Einwilligung“ in bekannte Strukturen der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorläufige Feststellungen zu den „Kausalitätslösungen“ . . . . . . . . II. Der „Ursachenzusammenhang im strafrechtlichen Sinn“ in der Radfahrerentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Prüfungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Auseinandersetzung mit der „Kausalitätslösung“. . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ursächlichkeit bei der „hypothetischen Einwilligung“. . . . . . 1. Die Bedingungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ermittlung der Kausalität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche (Un-)Beachtlichkeit des „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willens“ des Berechtigten . . . . . . . aa) Die Irrelevanz „hypothetischer Ersatzursachen“ für die Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Missverständnis in der Fallgruppe der „geistigen Vorgänge im Innern des Menschen“ . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Rettungsversuche bei der Bedingungstheorie. . . . (1) Intuitiver Ausschluss „hypothetischer Ersatzursachen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Lehre vom Erfolg in seiner (ganz) konkreten Gestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die „verbesserte“ Variante der Bedingungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Lehre von der (natur-)gesetzmäßigen Bedingung . . . . . . . 3. Das Motivationsmodell in der Referendarentscheidung. . . . . . a) Die Anwendbarkeit der Bedingungstheorie bei „geistigen Vorgängen im Innern des Menschen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Übertragbarkeit und Übertragung des Motivationsmodells auf die „hypothetische Einwilligung“ . . . . . . . . . . . II. Die „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“ . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Logische Widersprüchlichkeit der Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vermischung von „wertfreier Kausalität“ und „Wertung“ . . . . 3. Zerstreuung der Bedenken durch die Rechtsprechung . . . . . . . III. Die Konsequenzen für die „hypothetische Einwilligung“ . . . . . . .

17

II.

§3

170 173 175 176 176 177 180 180 180 180 181 182 182 185 186 187 187 193 194 196 196 197 198 199 200 201 202

Die „(Quasi-)Kausalität“ der Unterlassung der gebotenen ärztlichen Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 A. Die Darstellung der „Unterlassungslösungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 I. Hinführung zum Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

18

Inhaltsverzeichnis II.

Die Darstellung der „Unterlassungslösungen“ im Zivilrecht. . . . . 1. Die Lösung des Sechsten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs sowie einiger Oberlandesgerichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die „Unterlassungslösungen“ in der Wissenschaft. . . . . . . . . . . III. Die „Unterlassungslösung“ im Strafrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Berücksichtigung des hypothetischen Verhaltens im Rahmen der „Quasikausalitätsformel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Prüfungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Auseinandersetzung mit den Gedanken von Kleinwerfers und Wilts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Unterscheidung von Tun und Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Unterscheidung von Tun und Unterlassen in „einfach“ und „mehrdeutig“ gelagerten Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die „Schwerpunktformel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Sachverhalt der „hypothetischen Einwilligung“ als „ambivalente“ (?) Fallgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Auseinandersetzung mit der „Schwerpunktformel“ i. V. m. dem Kriterium des „sozialen Handlungssinns“ . . . . . . . a) Bewertungsgegenstand bei der „hypothetischen Einwilligung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Umdeutung“ in ein Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die geringe Resonanz der „Unterlassungslösungen“ . . . . . . . . . . . .

205 205 207 207 208 209 210 211 211 214 214 215 215 220 223

Sechstes Kapitel Die „hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene der Rechtswidrigkeit

225

§1

Einführung in den Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

§2

Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Der Gedanke des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ . . . . . . . . . . . . . . I. Die Darstellung der „normativen“ „Zusammenhangslösungen“ . . 1. Der „normative Zusammenhang“ zwischen dem „Aufklärungsmangel“ und dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Übertragung der Lehre der objektiven Zurechnung auf die Rechtswidrigkeitsebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kuhlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dreher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der bei der Einwilligung von Geppert geforderte „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Parallele zum Kokainfall bei G. Hirsch und Weißauer

226 226 226

226 226 226 231 233 233

Inhaltsverzeichnis

II. III. IV. B. Die I.

II.

III. §3

2. Der „normative Zusammenhang“ zwischen dem „Aufklärungsmangel“ und der „Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rönnau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eisele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ulsenheimer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nicht klar zuzuordnende Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Amelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kühl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rengier. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Darstellung der „Risikoerhöhungslösung“ von Roxin. . . . . . . Die Darstellung der Lösung von Mitsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorläufige Feststellungen zu den „Wertungslösungen“ . . . . . . . . . „Rechtfertigungslösungen“ (i. e. S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Gedanke der „Irrtumsrelevanz“ bei der Einwilligung . . . . . . 1. Die Entscheidung des Reichsgerichts vom 8. März 1940 . . . . 2. Der Famulusfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Merkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Müller-Dietz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Gedanke eines „echten Rechtfertigungsgrundes“ . . . . . . . . . . 1. Die Gleichsetzung von „mutmaßlicher“ und „hypothetischer Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der eigenständige Rechtfertigungsgrund der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Lösung des Ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Bandscheibenfall und im Bohrerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Lösung des Vierten Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Liposuktionsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Lösung des Ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Turboentzugsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die zivilrechtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Böcker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beulke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Jahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorläufige Feststellungen zu den „Rechtfertigungslösungen“ (i. e. S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

234 234 236 236 237 237 237 238 238 240 242 245 245 245 246 247 247 250 251 252 252 252 252

252 254 256 256 257 257 257 258 258

Die Auseinandersetzung mit dem Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 A. Die Anerkennung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ . . . . . . . . . . 259

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Inhaltsverzeichnis I.

Die Unterscheidung der strukturellen Situationen beim „rechtmäßigen Alternativverhalten“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begründung des Zurechnungserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Begründung vorgetragene Gedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Behandlung nach den eigenen Prämissen. . . . . . . . . . . . . . . a) Die Behandlung des „erlaubten Risikos“ . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beschreibung des „erlaubten Risikos“ . . . . . . . . . . . . . . bb) Konkretisierung der Rechtspflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Prämissen im Unrechtsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Anwendung der Prämissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Behandlung der Fälle, in denen das „erlaubte Risiko“ eingehalten wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Behandlung der Fälle, in denen das „erlaubte Risiko“ nicht eingehalten wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Übertragbarkeit des Gedankens des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ auf die Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der strukturelle Unterschied zwischen dem „rechtmäßigen Alternativverhalten“ und der „hypothetischen Einwilligung“ 2. Die Vermeidbarkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtliche (Un-)Beachtlichkeit des „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willens“ des Berechtigten . . . . . . . . aa) Der Korrekturversuch der Vermeidbarkeitsformel . . . . bb) Die Unterscheidung zwischen dem „hypothetischen Denkverfahren“ bei der Vermeidbarkeitsformel und der Beachtlichkeit „hypothetischer Ersatzursachen“ . . b) Die „Gleichstellung“ von ärztlichen „Behandlungs-“ und „Aufklärungsfehlern“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der bei der „hypothetischen Einwilligung“ geforderte „Zusammenhang“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der „Zusammenhang“ zwischen dem „Aufklärungsmangel“ und dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“ . . . . . . . . a) Der „Zusammenhang“ auf der Tatbestandsebene . . . . . . . . . b) Das Verhältnis zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der „Zusammenhang“ zwischen dem „Aufklärungsmangel“ und der „Einwilligung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Übertragung des Gedankens des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ auf die Vorsatzdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Darstellung des Meinungsstandes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorsatz schließt den Gedanken „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

259 262 263 270 271 271 276 277 278 278 280 281 281 281 284 284 284

288 291 293 293 293 295 296 299 299 302

Inhaltsverzeichnis

21

IV. Die Lösung von Mitsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 §4

Die Auseinandersetzung mit dem Gedanken der „Irrtumskausalität“. . . . . . A. Die „Irrtumskausalität“ bei der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Einordnungsproblematik der „Irrtumskausalität“. . . . . . . . . . . II. Der strukturelle Unterschied zwischen der Kausalität und der „Irrtumskausalität“ bei der („hypothetischen“) Einwilligung III. Der Zweck der „Irrtumskausalität“ und dessen Umsetzung . . . . . 1. Der Zweck der „Irrtumskausalität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die methodische Umsetzung dieses Zwecks . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtliche (Un-)Beachtlichkeit des „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willens“ des Berechtigten . . . . . . . b) Die Darstellung der Methode zur Ermittlung eines Autonomiedefizits bei der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Darstellung der Methode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die beachtlichen Sachverhalte eines „Abbruchs der Irrtumskausalität“ (Rönnau) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Anderweitige Beschaffung der Informationen. . . (2) Keinerlei Berücksichtigung des Irrtums bei der Entscheidungsfindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Beschränkungen der „hypothetischen Einwilligung“. . . . . . . . . . . . . I. Die Unterscheidung des Reichsgerichts in der Entscheidung vom 8. März 1940 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Parallele zur Rechtsgeschäftstheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Unterscheidungsversuche in der heutigen Diskussion . . . . . . 1. Der Gedanke des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ . . . . . . 2. Die „Funktionsbestimmung strafrechtlicher Gewährleistungsnormen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Aufgabe der restriktiven Behandlung der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Berechtigung der differenzierenden Betrachtung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die verschiedenen Maßstabsfiguren bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Parallele zur Rechtsgeschäftstheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der „verständige“ (objektive) Patient. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Verletzung der Autonomie des Einwilligenden . . . . . . . . . 2. Die Ersetzung der Einwilligung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der „konkrete“ individuelle (subjektive) Patient. . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Schutz der „spezifischen Lage vor dem Eingriff“. . . . . . . 2. Die plausible Schilderung eines „echten Entscheidungskonflikts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Beweislast bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . .

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22

Inhaltsverzeichnis

§5

Die Auseinandersetzung mit dem Gedanken der hypothetischen Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Strukturelle Unterschiede zwischen den Rechtfertigungsgründen und der „hypothetischen Einwilligung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der strukturelle Unterschied zwischen der Einwilligung und der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ermittlung der Rechtspflichtwidrigkeit des ärztlichen Handelns. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Impfentscheidung des Dritten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Gedanke eines „mutmaßlichen“ und „hypothetischen Einverständnisses“ als Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Gedanke einer „hypothetischen Rechtfertigung“ . . . . . . . . . . . 1. Der strukturelle Unterschied zwischen der Rechtfertigung und der „hypothetischen Rechtfertigung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das fehlende „subjektive Rechtfertigungselement“ in dem Notwehrbeispiel von Ulsenheimer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Gedanke und die Bedeutung des „mutmaßlichen Willens“ des Berechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Begriffsbestimmung der „mutmaßlichen Einwilligung“ . . 2. Die behauptete Ähnlichkeit zwischen der „mutmaßlichen“ und der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Unterscheidung von „mutmaßlicher“ und „hypothetischer Einwilligung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der strukturelle Unterschied von „mutmaßlicher“ und „hypothetischer Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Subsidiaritätsgedanke bei der „mutmaßlichen Einwilligung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Beschreibung des Subsidiaritätsgedankens . . . . . . bb) Die Konsequenzen aus der rechtlichen Gestattung bei der „hypothetischen Einwilligung“. . . . . . . . . . . . . . c) Zeitpunkt und Maßstab der Willensermittlung . . . . . . . . . . . V. Vorläufige Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Problematik der nachträglichen Befragung des Patienten bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Grundsatz der unbedingten Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . II. Die „Rückwirkungsfiktion“ bei der „hypothetischen Einwilligung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die „Konstruktion einer Rückwirkungsfiktion“ bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Darstellung der „Rückwirkungsfiktion“ . . . . . . . . . . . . . b) Die Problematik der „Rückwirkung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Ablehnung der „Rückwirkung“ aus normativen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

23

bb) Die Problematik der „Rückwirkung“ in der Zeit . . . . (1) Die Unterscheidung zwischen der „Rückwirkung einer Rechtsfolge“ und der „Ersetzung eines früheren Zustandes für die Gegenwart und Zukunft“ (2) Keine „Rückwirkung“ auch im Zivilrecht. . . . . . . 2. Die Vereinbarkeit der „hypothetischen Einwilligung“ als Zurechnungsausschluss und als „echter Rechtfertigungsgrund“ mit dem Grundsatz der unbedingten Rechtswidrigkeit. . . . . . . a) Die Unterscheidung zwischen der nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“) und der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Bedeutungslosigkeit der nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“) im Strafrecht. . . . . . . . . . . . . . bb) Die strukturellen Unterschiede zwischen der nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“) und der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die „hypothetische Einwilligung“ oder die „nachträgliche Hypothesenbildung“ als eine „Art von Genehmigungstatbestand“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Begriff der „nachträglichen Hypothesenbildung“ bb) Die Ablehnung dieser Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die „hypothetische Einwilligung“ als „echter Rechtfertigungsgrund“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die „hypothetische Einwilligung“ als „Zurechnungsausschluss“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Umgehung dieser Bedenken durch eine Einschränkung des „Wissenshorizontes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der „Wissenshorizont“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) „Erfolgsorientierte“ Sichtweise bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) „Entscheidungsbezogene“ Sichtweise bei der „hypothetischen Einwilligung“. . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Schwächen der „erfolgsorientierten“ und der „entscheidungsbezogenen“ Konzeptionen der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Problematik des Schwebezustandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Schaffung eines Schwebezustandes durch die „nachträgliche Hypothesenbildung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verstoß gegen das Offizialprinzip bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einfluss der „hypothetischen Einwilligung“ auf Gegenrechte C. Das subjektive Rechtfertigungselement bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Anerkennung eines subjektiven Rechtfertigungselements bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 1. Die Beschreibung des subjektiven Rechtfertigungselements bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der strukturelle Unterschied zwischen der subjektiven Vorstellung bei der Einwilligung und der „hypothetischen Einwilligung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ermittlung des Vorsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Anerkennung eines Erlaubnistatbestandsirrtums. . . . 3. Der eigentliche Inhalt des Glaubens an die „hypothetische Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Überlegungen Böckers hinsichtlich einer „gesamtrechtfertigenden“ „hypothetischen Einwilligung“ bei Nichtvorliegen des subjektiven Rechtfertigungselements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements . . . . . . . . 2. Ein „körperverletzungsspezifischer Rechtfertigungsgrund“ mit „gesamtrechtfertigender Wirkung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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378 378 379 380

Siebentes Kapitel Die „hypothetische Einwilligung“ und die Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ im Rahmen der objektiven Erfolgszurechnung

385

§1

Hinführung zur Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385

§2

Die Lehre vom „Chancensaldo“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Übersicht über die Beachtlichkeit von hypothetischen Ersatzursachen . I. Die verschiedenen Fallgruppen und Konstruktionen . . . . . . . . . . . . II. Der verschiedenen Begriffe des Unrechtserfolges . . . . . . . . . . . . . . B. Einordnung der „hypothetischen Einwilligung“ in die Lehre vom „Chancensaldo“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die „Lehre von der Wahrung der Interessendefinition“ des Berechtigten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Strukturelle Vergleichbarkeit der vorhandenen Fallgruppen und Zurechnungsprinzipien mit der „Interessenlehre“. . . . . . . . . . . . . . . III. Prüfungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§3

Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“ als „hypothetische Ersatzursache“ im Rahmen der objektiven Erfolgszurechnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Nicht zwingende Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Evidenzerlebnis ungerechter Bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Wortlaut der Erfolgsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zufälligkeiten bestimmen die Erfolgszurechnung . . . . . . . . . . . . . . IV. Die positivrechtliche Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die „Grundentscheidung zur Funktion strafrechtlicher Normen“ . . . . . .

386 386 386 388 388 388 389 391

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Inhaltsverzeichnis

25

Die Gegenüberstellung der verschiedenen Ansichten. . . . . . . . . . . Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte („Erfolgsseite“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Schutz des Patienten als „Subjekt der Behandlung“. . . . . a) Das konkrete Rechtsgutsverständnis bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das hier zugrundegelegte Rechtsgutsverständnis. . . . . . . . . 2. Die Unbeachtlichkeit „hypothetischer Ersatzursachen“ in anderen Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Fallgruppe der „hypothetischen Eigen-/Opferschädigung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die positivrechtliche Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die (Un-)Beachtlichkeit der „hypothetischen Eigen-/ Opferschädigung“ in der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . b) Die Fallgruppe der „personengebundenen Rechtfertigungsgründe“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Herausarbeitung des Schutzgedankens. . . . . . . . . . bb) Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kritik an der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Wertungswiderspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorläufige Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Bewahrung der „Aktwerte rechtlicher Gesinnung“ als „tiefere Aufgabenbestimmung“ des Strafrechts („Handlungsseite“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Schutz der „Aktwerte rechtlicher Gesinnung“ bei Welzel 2. Die Übertragung dieses Gedankens auf die „hypothetische Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strafrecht als Vertypung von real existierenden Erwartungshaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die real existierende Erwartungshaltung bei der ärztlichen Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die praktische Wirkung des Strafrechts auf diese Erwartungshaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Schutz des Strafrechts nach der Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“. . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die (Un-)Beachtlichkeit der Berufspflicht . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Gegeneinwände Samsons für sein Intensivierungsprinzip . . . C. Die Bedeutung der „hypothetischen Einwilligung“ für das ArztPatienten-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Verkennung des Sinns der ärztlichen Aufklärungspflicht . . . II. Die negativen Entwicklungen im Medizinsystem . . . . . . . . . . . . . . D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. II.

400 400 400 401 405 406 406 407 409 409 412 412 412 414

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Inhaltsverzeichnis Achtes Kapitel Die Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

430

§1

Hinführung zur Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430

§2

Das Beweisthema der „hypothetischen Einwilligung“ und seine Einschränkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Der geforderte „Zusammenhang“ als Beweisthema . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Einschränkung der freien richterlichen Überzeugungsbildung bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ nach der Vermeidbarkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der „hohe Grad an Wahrscheinlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die restriktive Handhabung des „Zweifelsgrundsatzes“ in der Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Formel der „Plausibilität“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Formel der „bloßen Wahrscheinlichkeit“ . . . . . . . . . . . . II. Beweisgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Objektive Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Willensbekundungen des Berechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das regelmäßige Fehlen früherer Äußerungen des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die nachträgliche Befragung des Patienten . . . . . . . . . . . . . . aa) Die im Strafrecht verpönte Betrachtung „ex post“ . . . bb) Fehlende Rekonstruierbarkeit der „spezifischen Lage vor dem Eingriff“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Zurückdrängung des „Zweifelsgrundsatzes“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Opportunitätsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Beweislastumkehr“ im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der strukturelle Unterschied zwischen dem „Zweifelsgrundsatz“ und der Situation bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . IV. Der „Zweifelsgrundsatz“ und die Problematik bei nicht strikt determinierten „hypothetischen Geschehensabläufen“ . . . . . . . . . . 1. Die Unterscheidung von Tatsachenzweifeln und der Ungewissheit prinzipieller Art bei „hypothetischen Geschehensabläufen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Auseinandersetzung mit den Einwänden Rönnaus . . . . . . . a) Die Abgrenzbarkeit von „Tatsachenzweifeln“ und der Ungewissheit prinzipieller Art bei „hypothetischen Geschehensabläufen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rönnaus zweiter Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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448 450

450 455 456

§3

Inhaltsverzeichnis

27

C. Die Risikoerhöhungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die weitere Zurückdrängung von „in dubio pro reo“ . . . . . . . . . . II. Die Auseinandersetzung mit der „Risikoerhöhungslösung“ . . . . . 1. Die Ermittlung der Risikoerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Probleme der Risikoerhöhungslehre bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Verfehlung des mit der Einwilligung und der ärztlichen Aufklärungspflicht verfolgten Zwecks. . . . . . . . . . . . b) Umkehrung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ . . . . . . . . . c) Die Problematik des Nachweises der Risikoerhöhung . . . .

459 459 460 460

Die „Versuchslösung“ bei der „hypothetischen Einwilligung“. . . . . . . . . . . . A. Die Gründe für die Versuchsstrafbarkeit bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Auseinandersetzung mit der „Versuchslösung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ermittlung des Vorsatzes bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Übergehen der theoretischen Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Theoretisch beinahe vollständiger Ausschluss der Versuchsstrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Praktisch erheblich eingeschränkter Bereich der Versuchsstrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die „sichere“ Voraussicht der „hypothetischen Einwilligung“ und die Irrtumsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das „Fürmöglichhalten“ der „hypothetischen Einwilligung“ aa) Die Problematik bei den unechten Unterlassungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die mögliche Interpretation der herrschenden Meinung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Interpretation durch den Zweiten Strafsenat des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bruch zwischen Vorsatz und subjektivem Versuchstatbestand (Tatentschluss) . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Wiederholung dieser Problematik bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Neuntes Kapitel Die „hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene der Strafbarkeit §1

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Einführung in den Streitstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 I. Die Darstellung der „Strafbarkeitslösungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478

28

Inhaltsverzeichnis

II. §2

§3

1. Die verschiedenen „Konstruktionen eines Strafaufhebungsgrundes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die „hypothetische Einwilligung“ als Strafaufhebungsgrund bei Böcker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die „nachträgliche Billigung“ als „besonderer Strafaufhebungsgrund“ bei Mitsch und Weber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die „hypothetische Einwilligung“ als „Strafmilderungsgrund“ bei Arzt und Schwartz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorläufige Feststellung zu den „Strafbarkeitslösungen“ . . . . . . . . .

Die „hypothetische Einwilligung“ oder die „besondere (körperverletzungsspezifische) nachträgliche Billigung“ als Strafausschließungsgrund (i. w. S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Der strukturelle Unterschied zwischen den Strafausschließungsgründen (i. w. S.) und der „hypothetischen Einwilligung“. . . . . . . . . . . . . B. Der Strafaufhebungsgrund der „besonderen (körperverletzungsspezifischen) nachträglichen Billigung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die „Umdeutung“ der „hypothetischen Einwilligung“ in einen Strafaufhebungsgrund der „besonderen (körperverletzungsspezifischen) nachträglichen Billigung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Auseinandersetzung mit der „besonderen (körperverletzungsspezifischen) nachträglichen Billigung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Berücksichtigung der nachträglichen Genehmigung als Strafausschließungsgrund (i. w. S.) bei Weber . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Fehlen der „versuchsähnlichen Struktur“ bei den Körperverletzungsdelikten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strukturelle Unterschiede zwischen den besonderen Rücktrittsvorschriften und der „nachträglichen Billigung“ . . . . . . . . C. Die Bewertung des „besonderen Strafaufhebungsgrundes“ de lege ferenda. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Vorteile dieses Strafausschließungsgrundes . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Nachteile dieses Strafausschließungsgrundes . . . . . . . . . . . . . . Die „hypothetische Einwilligung“ als Strafmilderungsgrund . . . . . . . . . . . . . A. Die Darstellung des Meinungsstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der allgemeine Diskussionsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sonderansichten von Spendel und Jakobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Erheblichkeit von „hypothetischen Ersatzursachen“ im Rahmen der Strafzumessungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Bewertung der „Strafzumessungslösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

29

Dritter Teil Zusammenfassung und Entwicklung einer Lösungsmöglichkeit

499

Zehntes Kapitel Zusammenfassung der Zwischenergebnisse I.

II. III.

Die Rechtsgutslehre bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . 1. Das Rechtsgutsverständnis bei der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Konkretisierung des geschützten Rechtsguts der „körperlichen Unversehrtheit des Menschen“. . . . . . . . . . . . . . . Hypothesen entlasten den Täter nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine „nachträgliche Hypothesenbildung“ entlastet den Täter nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

499 499 499 502 503 506

Elftes Kapitel Die Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht §1

Vorüberlegungen zur Entwicklung einer eigenen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . A. Der Zweck der „hypothetischen Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der ursprüngliche Zweck der „hypothetischen Einwilligung“ . . . II. Die „hypothetische Einwilligung“ als Korrektiv für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes wegen einer Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Standpunkt des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Standpunkt der strafrechtlichen Wissenschaft . . . . . . . . . . 3. Die Gründe für die „hypothetische Einwilligung“ . . . . . . . . . . a) Einschränkung der Strafbarkeit des Arztes wegen einer Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht b) Umgehung der Voraussetzungen des Behandlungsfehlerprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einordnung der ärztlichen Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die allgemeinen Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Täuschung und der Irrtum bei der Einwilligung . . . . . . . . 2. Die Konsequenzen aus der Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Begriff der ärztlichen Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die „therapeutische Aufklärung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die „Selbstbestimmungsaufklärung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die verschiedenen Ausprägungen der „Selbstbestimmungsaufklärung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die „Diagnoseaufklärung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis c) Die „Verlaufsaufklärung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die „Risikoaufklärung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Gründe für die Erweiterung der ärztlichen Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Unterscheidung der mit der „hypothetischen Einwilligung“ verbundenen Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einschränkung des „Selbstbestimmungsrechts“ des Patienten bei der ärztlichen Heilbehandlung als Körperverletzung . . . . . . . . II. Keine Unrechtseinschränkung durch eine „hypothetische Einwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das zentrale Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Unterscheidung des Reichsgerichts in seiner Entscheidung vom 8. März 1940 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§2

Die Unterscheidung zwischen der Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ und der „Selbstbestimmung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Kenntnis des „konkreten Risikos“ der Rechtsgutsbeeinträchtigung I. Die Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Gegenstand der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Konkretisierung der ärztlichen Aufklärungspflicht. . . . . . . 3. Die Unterscheidung des Bundesgerichtshofs im „O-Bein“-Fall, im Bohrerfall und im Liposuktionsfall . . . . . . . B. Die Übertragung des Kriteriums auf die „Heileinwilligung“ . . . . . . . . . . I. Die „Behandlungseinwilligung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der strafrechtlich relevante Teil der „Risikoeinwilligung“ . . . . . . 1. Die Konkretisierung des Rahmens der „Risikoaufklärung“ . . . 2. Die „Komplikationsdichte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Existenz von Behandlungsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Famulusfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zusammenfassung der Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Überzeugungskraft dieser Konstruktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Sinn der ärztlichen Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Übereinstimmung mit der allgemeinen Dogmatik . . . . . . . . . . III. Die unterschiedliche Behandlung der ärztlichen Eigenmacht im Zivil- und Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Einheit der Rechtsordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Schutz des Angeklagten vor Kriminalstrafe . . . . . . . . . . . . a) Die Zweckbestimmung von Zivil- und Strafrecht . . . . . . . . b) Die Vorhersehbarkeit der Rechtspflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte. . .

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Inhaltsverzeichnis

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Zwölftes Kapitel Die Lösung der Beispielsfälle I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII.

Der Der Der Der Der Der Der Der

„O-Bein“-Fall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cignolinfall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Surgibone“-Dübelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebärmutterfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bandscheibenfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bohrerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liposuktionsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Turboentzugsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591

Erster Teil

Einführung in die Problematik der „hypothetischen Einwilligung“ Einleitung § 1 Die „hypothetische Einwilligung“ in der Praxis Die Arbeit beschäftigt sich mit einer materiell-rechtlichen Problematik im Strafrecht: Der im zivilrechtlichen Arzthaftungsrecht entwickelte Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“, mit der die zivilrechtliche Haftung des Arztes wegen einer Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht eingeschränkt wird, soll ins Strafrecht übertragen werden. Aus dem bekannten Grundsatz der Rechtsprechung, die seit der Entscheidung des Reichsgerichts vom 31. Mai 1894 (RGSt 25 375) jede ärztliche Heilbehandlung als eine Körperverletzung behandelt, die zu ihrer Rechtmäßigkeit grundsätzlich der Einwilligung des Berechtigten bedürfe, folge nicht, dass der Arzt sich mit jedem nach einer mangelhaften Aufklärung und folglich aufgrund unwirksamer Einwilligung vorgenommenen Eingriff wegen Körperverletzung strafbar mache.1 Der Arzt kann sich nach einer ärztlichen Behandlung, die er tatsächlich ohne eine wirksame Einwilligung durchführte, auf die „hypothetische Einwilligung“ des Patienten berufen. Die Rechtsprechung geht daher von folgenden Leitsätzen aus: „Aufklärungsmängel können [. . .] eine Strafbarkeit des Arztes wegen Körperverletzung nur begründen, wenn der [konkrete] Patient bei einer den Anforderungen genügenden Aufklärung [durch den konkreten Arzt] in den [konkret ausgeführten] Eingriff [hypothetisch] nicht eingewilligt hätte [. . .]. Dies ist dem Arzt [. . .] nachzuweisen. Verbleiben Zweifel, so ist davon auszugehen, dass die Einwilligung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung erteilt worden wäre [. . .].“2

Lässt sich dieser haftungseinschränkende Sachverhalt feststellen, so scheidet – sehr grob formuliert – für den Arzt eine Bestrafung jedenfalls wegen einer vollendeten Körperverletzung unter dem Gesichtspunkt der ärztlichen Eigenmacht aus. 1 2

Vgl. BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 72. Vgl. BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71. Ergänzungen vom Verf.

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Einleitung

Die Problematik der „hypothetischen Einwilligung“ war in folgenden Entscheidungen von Bedeutung: I. Urteil des Fünften Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 25. September 1990 („O-Bein“-Fall):3 Der Geschädigte begab sich 1979 zu einer Untersuchung zu dem Angeklagten, weil er klären wollte, ob seine ihn zunehmend störende Fehlstellung der Beine operativ korrigiert werden kann. Zwei von ihm zuvor konsultierte Orthopäden hatten ihm von einer Operation abgeraten, weil die Fehlstellung der Beine nach ihrer Meinung nicht so stark ausgeprägt war, dass sie eine Korrektur durch eine Operation erforderlich machte, und weil der operative Aufwand mit den damit verbundenen Risiken weit größer als der Nutzen einer derartigen Operation war. Der Angeklagte hielt die Deformität der Beine des Geschädigten dagegen für operationswürdig, zumal der Geschädigte die operative Korrektur intensiv wünschte. Der Angeklagte entschloss sich daher, eine lange Schrägosteotomie im mittleren Bereich der Unterschenkel zum Zweck einer Beseitigung der Krümmung der Beine sowie eines Drehfehlers durchzuführen. Über Operationsrisiken und mögliche Komplikationen sprach der Angeklagte nur in allgemeiner Form. Eine spezielle Risikoaufklärung durch den Angeklagten im Hinblick auf eine Osteomyelitis und Pseudarthrose fand nicht statt. Der Geschädigte erklärte noch während der ambulanten Untersuchung sein Einverständnis zur Operation beider Beine. Er war froh und glücklich darüber, endlich einen Arzt gefunden zu haben, der auf seinen intensiv vorhandenen Wunsch nach einer operativen Korrektur seiner O-Beine einging. Für ihn war der Angeklagte der „Größte“, zu dem er seinerzeit volles und uneingeschränktes Vertrauen besaß. In seiner damaligen Situation und Stimmung hätte der Geschädigte all dem zugestimmt, was ihm der Angeklagte operationsmäßig vorgeschlagen und für notwendig gehalten hätte. Bei der stationären Aufnahme holte die Assistenzärztin die schriftliche Einwilligungserklärung des Patienten ein. Sie führte ein Aufklärungsgespräch. Sie kannte die Operationsmethode des Angeklagten allerdings nicht und wusste auch nichts von der geplanten Drehkorrektur. Den Geschädigten wies sie auf die Operationsrisiken in der Form von Wundheilungs-, Durchblutungs- und Sensibilitätsstörungen sowie auf Schmerzen hin. Eine Risikoaufklärung über die Gefahren einer Osteomyelitis und einer Pseudarthrose erfolgte nicht. Noch während des Krankenhausaufenthaltes entwickelten sich am linken Bein des Geschädigten eine Osteomyelitis und eine Pseudarthrose. Der Geschädigte kann lediglich mit Hilfe eines Gehapparates kürzere Wegstrecken laufen. Zeitweise ist er auf die Benutzung eines Rollstuhles angewiesen. Die Pseudarthrose ist immer noch vorhanden. Das Landgericht sprach den Angeklagten vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung frei. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers blieben ohne Erfolg. Im Ausgangspunkt stimmten der Fünfte Strafsenat des Bundesgerichtshofs und das Landgericht darin überein, dass der Angeklagte den Patien3

Vgl. BGH 5 StR 342/90, in: BGHR § 223 Abs. 1 StGB Heileingriff 2.

§ 1 Die „hypothetische Einwilligung“ in der Praxis

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ten nicht über die speziellen Eingriffsrisiken der Osteomyelitis sowie Pseudarthrose unaufgeklärt habe lassen dürfen. Das „hält das Landgericht zu Recht für pflichtwidrig.“ Der Senat folgte dem Landgericht weiter in der Annahme, der Angeklagte habe an die Ordnungsgemäßheit der Aufklärung durch seine Stationsärztin geglaubt und sei deshalb in einem den Vorsatz ausschließenden Irrtum befangen gewesen. Er habe aber nicht darauf vertrauen dürfen, dass die mit der Aufklärung beauftragte Stationsärztin, die zudem ohne chirurgische oder orthopädischeoperative Erfahrung und gerade ein gutes halbes Jahr als Assistenzärztin in der Abteilung des Angeklagten tätig gewesen sei, den Patienten ordnungsgemäß aufgeklärt habe. Das sei fahrlässig gewesen. Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung komme für den Fünften Strafsenat des Bundesgerichtshofs dennoch nicht in Betracht, weil der Patient in dem Angeklagten endlich einen Arzt gefunden habe, der seinem „dringenden Wunsch“ nachgekommen sei, die störende Fehlstellung der Beine operativ zu korrigieren und er deshalb ein „weitgehend bedingungsloses Vertrauen“ in das ärztliche Können und die operative Kunst des Angeklagten gehabt habe. Für ihn sei der Angeklagte damals der „Größte“ gewesen. Deshalb hätte er in die Operation auch dann eingewilligt, wenn er über alle damit verbundenen Risiken aufgeklärt worden wäre. II. Beschluss des Dritten Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 11. Dezember 1990 (Cignolinfall):4 Der Geschädigte G. war bei der Angeklagten wegen einer ihn seit Jahren plagenden Schuppenflechte in Behandlung. Diese wurde üblicherweise mit einer cortison- oder cignolinhaltigen Salbe behandelt. Erstere lehnte der Geschädigte G. ab, da er das cignolinhaltige Präparat bereits vorher durch den Hausarzt erhalten und gut vertragen hatte; zuletzt hatte es aber nicht mehr so gut gewirkt. Die Angeklagte verabreichte wunschgemäß ein zuvor von ihr selbst hergestelltes cignolinhaltiges Präparat. Der Geschädigte wurde über möglicherweise auftretende Hautreizungen, nicht aber über die mit der Verwendung von cignolinhaltigen Präparaten verbundene typische Gefahr einer „bullösen“ Reaktion aufgeklärt. Nach mehreren Tagen spürte der Geschädigte starke Schmerzen, vorwiegend in den Beinen. Auf der gesamten äußeren Haut waren linsen- bis münzgroße Hautrötungen vorhanden. An beiden Unterschenkeln bildeten sich zusätzlich mit klarer Flüssigkeit gefüllte Blasen heraus. Eine solche „bullöse“ Reaktion kann auftreten, wenn der Cignolingehalt der Salbe zu hoch oder zumindest anfänglich zu hoch gewählt wird oder der Patient die Salbe falsch anwendet oder sonst ungünstige Bedingungen auftreten. Die Behandlung der Schuppenflechte mit cignolinhaltigen Präparaten stellt eine aggressive Behandlungsmethode dar, wobei der Zellabstoß beschleunigt wird. Demgegenüber gibt es eine dämpfend wirkende Behandlungsmethode mit Cortisonpräparaten. Die Behandlung nach der aggressiven Methode ist die wirksamere aber auch schwierigere. 4

Vgl. OLG Hamm 3 Ss 742/90.

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Einleitung

Das Amtsgericht verurteilte die Angeklagte wegen fahrlässiger Körperverletzung. Das Landgericht wies die Berufung der Angeklagten im Wesentlichen zurück. Ihre Revision war dagegen erfolgreich. Der Dritte Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm folgte dem Landgericht darin, der Hinweis lediglich auf mögliche Hautreizungen sei für eine wirksame Einwilligung keinesfalls ausreichend gewesen. Bemängelt wurde an der Entscheidung des Landgerichts jedoch das Fehlen einer Prüfung, ob der Zeuge G. bei umfassender Aufklärung seine Einwilligung zu der konkreten Heilbehandlung verweigert hätte. Eine umfassende Aufklärung müsse nämlich nicht denknotwendig zur Versagung der Einwilligung führen, zumal der Zeuge eine Behandlung mit cortisonhaltigen Präparaten abgelehnt und eine solche mit cignolinhaltigen Präparaten gewünscht und auf den Hinweis, dass möglicherweise Hautreizungen entstehen könnten, seine Einwilligung nicht versagt habe.

III. Urteil des Vierten Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 29. Juni 1995 („Surgibone“-Dübelfall):5 Der Angeklagte führte 1990 HWSDisc-Ektomien in der Weise aus, dass er nach Entfernung der abgenutzten Halsbandscheibe als Abstandhalter einen aufbereiteten Rinderknochen („Surgibone“-Dübel) zwischen den angrenzenden Wirbelknochen einsetzte. Üblicherweise wurden zu jener Zeit in Deutschland Abstandhalter aus Eigenknochen oder aus Kunststoff verwendet. Bei dem „Surgibone“-Dübel handelte es sich hingegen um ein nach dem deutschen Arzneimittelgesetz zulassungspflichtiges, aber zur Tatzeit vom Bundesgesundheitsamt nicht zugelassenes Arzneimittel. Der Angeklagte vertraute allerdings auf die Ordnungsgemäßheit der „Surgibone“-Dübel, weil er sie über die Klinikapotheke bezog. Von der Nichtzulassung der Interponate wusste er nichts. Die Verwendung des „Surgibone“-Dübels bringt im Vergleich mit der des Eigenknochen-Interponats für den Patienten keine zusätzlichen Belastungen mit sich. Im Gegenteil entfallen sogar Belastungen und Risiken, die mit der Verwendung von Eigenknochen verbunden sind. Vor dem Angeklagten hatten in Deutschland 2 Chirurgen „Surgibone“-Dübel bei der Fusion von Halswirbelkörpern eingesetzt. Außerhalb Deutschlands fanden sie vor allem in kanadischen Kliniken Verwendung. In Europa waren sie insbesondere in Großbritannien, Frankreich, Italien und Skandinavien an einzelnen Kliniken gebräuchlich. In den USA wurde seit 1972 eine umfangreiche Studie über „Surgibone“-Dübel durchgeführt. In 6 Fällen kam es im Anschluss an die vom Angeklagten durchgeführten Operationen mit „Surgibone“-Dübeln zu Spankomplikationen. Bei den Patienten stellten sich erneute Beschwerden ein. Vor den Eingriffen wurden die Patienten jeweils über Risiken der Operation – auch über die Möglichkeit ihrer Erfolglosigkeit – aufgeklärt. Von einer umfassenden Aufklärung über die unterschiedlichen Mate5

Vgl. BGH 4 StR 760/94, in: BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69 mit Anm. Rigizahn = BGHR § 223 Abs. 1 StGB Heileingriff 4; vgl. auch Anm. Ulsenheimer, NStZ 1996 134; Jordan, JR 1997 32. Im „Surgibone“-Dübelfall wird in der strafrechtlichen Rechtsprechung erstmals von einer „hypothetischen Einwilligung“ gesprochen.

§ 1 Die „hypothetische Einwilligung“ in der Praxis

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rialien der gebräuchlichen Interponate sowie ihre spezifischen Vor- und Nachteile sah man auf Anweisung des Angeklagten jeweils ab, um die Patienten nicht zu verunsichern. Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in 6 Fällen. Die Revision des Angeklagten war erfolgreich. Der Vierte Strafsenat des Bundesgerichthofs verlangte von dem neuen Tatrichter eine eingehendere Beschäftigung mit der Frage der „hypothetischen Einwilligung“ als in dem angefochtenen Urteil geschehen: Die Strafkammer habe sich insoweit mit der bloßen Wiedergabe der Aussagen der Geschädigten begnügt. Die Zeugen haben zum Teil bekundet, sie hätten sich bei vollständiger Information über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Interponate für einen Dübel aus Eigenknochen entschieden, und dies damit begründet, dass sie eine grundsätzliche Abneigung gegen Fremdkörper hätten. Ohne jede Würdigung dieser Aussagen genüge das den an die Beweiswürdigung zu stellenenden Anforderungen zumindest im Fall der Patientin W. jedoch nicht. Dieser sei nämlich die Möglichkeit des Einbaus von Eigenknochen-Dübeln bekannt gewesen; angesichts ihrer (angeblichen) grundsätzlichen Abneigung sei dann aber nicht verständlich, warum sie gleichwohl in eine Operation mit „Surgibone“-Dübeln eingewilligt habe. Im übrigen dürfen bei der erforderlichen Überprüfung, ob die nachträglichen – möglicherweise durch den Misserfolg des Eingriffs geprägten – Äußerungen der Patienten zur Frage einer „hypothetischen Einwilligung“ plausibel seien, hier die Risiken nicht unberücksichtigt bleiben, die bei der Verwendung von Eigenknochen-Dübeln der erforderlichen Zweitoperation anhaften. IV. Urteil des Vierten Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 28. Oktober 1960 (Gebärmutterfall):6 Der Angeklagte operierte am 20. März 1954 Frl. L. an der Gebärmutter. Zwei Wochen vorher hatte er sie untersucht und dabei eine zwei Faust große Geschwulst in ihrem Unterleib, wahrscheinlich im Uterus, festgestellt. Er hatte ihr zur Operation geraten. Während der Operation zeigte sich nach dem Öffnen der Bauchdecke, dass die Gebärmutter von multiplen Myomknoten durchsetzt war und an der rechten Uteruskante ein gestielter apfelgroßer Myomknoten aufsaß. Der Arzt entfernte deshalb große Teile des Gebärmutterkörpers. Die Außenteile und die beiden Eierstöcke ließ er bestehen. Der Eingriff war nach Anlage, Art und Umfang fachgerecht durchgeführt. Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung. Nach Ansicht der Strafkammer hätte der Angeklagte erkennen können und müssen, dass Frl. L. nur in die Entfernung eines Myoms, jedoch nicht in die Wegnahme wesentlicher Teile des Gebärmutterkörpers eingewilligt habe. Hätte er sie 6 Vgl. BGH 4 StR 375/60. Unveröffentlicht sind die Ausführungen zur Problematik des Fahrlässigkeitsvorwurfs. Vgl. auch BGH JZ 1964 231, 232. Diese Fälle werden beispielsweise von Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230 zur „hypothetischen Einwilligung“ gerechnet.

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Einleitung

pflichtgemäß aufgeklärt, dann hätte sie nach Überzeugung der Strafkammer ihre Einwilligung nicht erteilt. Es wäre dann die Operation unterblieben. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten war erfolgreich. Der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs führt hierzu aus: „Es mag sein, dass die Nebenklägerin infolge der von der Strafkammer für erwiesen erachteten unzulänglichen Aufklärung durch den Angeklagten nicht an einen so weitgehenden Eingriff, wie er an ihr vorgenommen wurde, dachte, als sie in die Operation einwilligte, und dass der Angeklagte dies hätte erkennen können. Zur Begründung des Vorwurfs, er habe eine fahrlässige Körperverletzung begangen, genügt dies jedoch nicht. Voraussetzung hierfür wäre außerdem, dass er auch hätte erkennen können und müssen, dass die Nebenklägerin, falls sie hinlänglich aufgeklärt worden wäre und dann jene Erkenntnis gewonnen hätte, in die Operation dieses Umfangs nicht einwillige. Jene etwaige Erkenntnis musste bei ihr nicht denknotwendig die Versagung ihrer Einwilligung zur Folge haben, so dass auch der Angeklagte sie hätte annehmen müssen. Obwohl Frl. L., wie festgestellt ist, mit der Beseitigung der Gebärmutter unter keinen Umständen einverstanden war, hat doch möglicherweise der Angeklagte ohne Fahrlässigkeit davon ausgehen dürfen, sie werde auch und gerade bei einer zutreffenden Vorstellung über ihren Zustand und der sich daraus im Falle einer operativen Entfernung der Geschwulst ergebenden Folge, nämlich der Notwendigkeit einer völligen oder fast völligen Beseitigung der Gebärmutter, damit einverstanden sein. Bei Frl. L. handelte es sich nämlich nicht um eine Patientin, bei der sich der Angeklagte unbedingt hätte sagen müssen, sie wolle ohne Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand und ihre persönlichen Verhältnisse jedenfalls ihre Gebärmutter erhalten haben. [. . .] Im Gegenteil waren [. . .] in der Person der Nebenklägerin eine Reihe von Umständen gegeben, aus denen der Angeklagte möglicherweise schuldlos folgern durfte, sie werde mit der Beseitigung der Gebärmutter einverstanden sein, wenn die Geschwulst an der Gebärmutter nicht anders als gleichzeitig mit diesem Organ oder großer Teile von ihm entfernt werden könne: Frl. L. war ledig und bereits 45 Jahre alt. Sie trug sich zwar mit Heiratsabsichten, eine Erstempfängnis war jedoch auch ohne die Operation bei ihrem Alter unwahrscheinlich. Außerdem hätten die Myome entweder eine Befruchtung oder ein Austragen der Frucht bis zum lebensfähigen Alter verhindert. Andererseits hatte die Operation, abgesehen vom Verlust wesentlicher Teile der Gebärmutter, keine weiteren nennenswerten physischen Veränderungen zu ihrem Nachteil zur Folge, zumal die Eierstöcke bestehen blieben und die Nebenklägerin den Geschlechtsverkehr noch ausüben kann.“ V. Beschluss des Ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs 7 vom 15. Oktober 2003 (Bandscheibenfall): Der Angeklagte war Chefarzt der neurochirurgischen Abteilung der O. Klinik. Wegen eines Bandscheibenvorfalls begab sich die A. im August 1996 zur opera7 Vgl. BGH 1 StR 300/03, in: NStZ-RR 2004 16 = JR 2004 251 = BGHR § 223 Abs. 1 StGB Heileingriff 7.

§ 1 Die „hypothetische Einwilligung“ in der Praxis

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tiven Behandlung in die dem Angeklagten unterstellte Abteilung. Bei ihr wurden ein schwerer Bandscheibenvorfall im Bandscheibenfach L 4/L 5 der Lendenwirbelsäule und ein leichter Bandscheibenvorfall im darunter liegenden Bandscheibenfach L 5/S 1 festgestellt. Der schwere Bandscheibenvorfall sollte operativ behandelt werden. Die Oberärztin Frau Dr. K. führte die Operation durch. Von ihr unbemerkt operierte sie in der darunter liegenden Etage L 5/S 1 und entfernte den kleinen Bandscheibenvorfall. Am nächsten Tag traten bei der Patientin Lähmungserscheinungen der unteren Extremitäten auf, die auf eine Beeinträchtigung von Nervenfasern hinwiesen. Ursache der Nervenbeeinträchtigung konnte ein Frührezidiv – dabei handelt es sich um einen erneuten Vorfall im selben Fach – oder das Fortbestehen des ursprünglichen Vorfalls nach Verwechselung der Etage sein. Röntgendiagnostische Untersuchungen und eine Computertomographie ergaben eindeutig die Verwechslung der Etage. Dies wurde von ihr ohne Zweifel erkannt und in der Krankenakte dokumentiert. Anstatt die A. über den Kunstfehler zu informieren, fragte Frau Dr. K. den Angeklagten um Rat. Er riet ihr zu folgender Vorgehensweise, die auch ausgeführt wurde: Der Patientin solle der Fehler verschwiegen und die Notwendigkeit einer nochmaligen Operation im tatsächlich nicht operierten Fach L 4/L 5 mit einem Frührezidiv erklärt werden. Dann solle bei der zweiten Operation der schwere Bandscheibenvorfall beseitigt und außerdem der rechte Wirbelhalbbogen am darunter liegenden Lendenwirbel 5 entfernt werden. Entsprechend wahrheitswidrig aufgeklärt, erteilte die Patientin ihre Einwilligung in die zweite Operation. Von dem Umstand, dass schon vor der Operation die Entfernung des rechten Wirbelhalbbogens L 5/S 1 beschlossen war, erfuhr sie nichts. Das Landgericht unterstellte zu Gunsten der Ärzte, dass die Entfernung des rechten Wirbelhalbbogens medizinisch indiziert war. Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen Anstiftung zur vorsätzlichen Körperverletzung. Nach den Feststellungen der Strafkammer hätte die Nebenklägerin in Kenntnis des wahren Sachverhalts in die medizinisch zwingend indizierte zweite Operation eingewilligt. Die Operation entsprach im Ergebnis ihrem Willen und ihrem Interesse. Die Patientin hätte – wäre sie über den wahren Sachverhalt zutreffend unterrichtet worden – möglicherweise auch einer zweiten Operation durch Frau Dr. K. aufgrund der Notwendigkeit und Dringlichkeit zugestimmt. Möglicherweise hätte sie aber auch bei Kenntnis des von Frau Dr. K. am Vortag begangenen schweren Fehlers darauf bestanden, von einem anderen Arzt operiert zu werden. Von einer mutmaßlichen Einwilligung der Patientin seien aber weder der Angeklagte noch die Oberärztin Dr. K. ausgegangen. Der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs hielt die Urteilsfeststellungen nicht für ausreichend, um den Schuldspruch zu tragen. Der Angeklagte sei nicht von einer „hypothetischen Einwilligung“ der Patientin in die konkret durchgeführte Operation durch die Oberärztin bei wahrheitsgemäßer Aufklärung ausgegangen. Für die subjektive Tatseite sei damit aber lediglich belegt, dass der Angeklagte zu einer vorsätzlichen rechtswidrigen Tat anstiften wollte. Im objektiven Bereich seien die Urteilsfeststellungen hinsichtlich einer „hypothetischen Einwilligung“ dagegen lückenhaft und bleibe die „Kausalität des Aufklärungsmangels“ offen. Bei der „Kausalitätsprüfung“ sei dabei auf das konkrete Entscheidungsergebnis des jeweiligen Patienten abzuheben. Es komme nicht da-

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Einleitung

rauf an, dass er sich ohnehin hätte operieren lassen müssen oder dass ein vernünftiger Patient eingewilligt hätte. Es dürfe auch nicht offenbleiben, ob die Nebenklägerin in Kenntnis des wahren Sachverhalts möglicherweise auch in eine Operation durch Frau Dr. K. eingewilligt, möglicherweise aber auch darauf bestanden hätte, von einem anderen Arzt operiert zu werden. Es dürfe zudem nicht offengelassen werden, ob die Nebenklägerin der zuvor beschlossenen Entfernung des Wirbelhalbbogens zugestimmt hätte, selbst wenn diese Entfernung medizinisch indiziert gewesen sein sollte. Es reiche nicht aus, dass die zweite Operation im Ergebnis ihrem Willen und Interesse entsprochen habe. Eine Entscheidung „in dubio pro reo“ durch das Revisionsgericht komme nicht Betracht, weil weitere Feststellungen zur „hypothetischen Einwilligung“ möglich erscheinen. Der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs verlangt für die neue Hauptverhandlung eine persönliche Befragung der Patientin. Deren Äußerung und Begründung müssen einer Würdigung unterzogen werden. Diese müsse erkennen lassen, dass die Entscheidung der Patientin zum damaligen Zeitpunkt aus ihrer Sicht bei Aufdeckung des wahren Sachverhalts eine nachvollziehbare und mögliche Schlussfolgerung sei.

VI. Urteil des Ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 20. Januar 2004 (Bohrerfall):8 Im Februar 1999 behandelte der Angeklagte den damals 18 Jahre alten Patienten E., der eine zweimalige Schulterluxation rechts erlitten hatte. Bei der Operation zur Behebung der vorderen Schulterinstabilität musste der Angeklagte Löcher in das Schulterblatt bohren. Dabei brach ihm ein ca. 2 cm langes Bohrerstück – die Bohrerspitze – im Acromion ab. Bergungsversuche der Bohrerspitze scheiterten, sodass der Angeklagte die Bohrerspitze im Körper des Patienten E. beließ. Die Bohrerspitze beeinträchtigte das Gelenk nicht und war fast vollständig im Knochen versenkt. Am Abend des Operationstages überraschte der Angeklagte den Patienten mit der Mitteilung, es sei besser, noch einmal zu operieren. Er habe bei der Operation festgestellt, dass auch eine hintere Schulterinstabilität bestehe, der man durch eine dorsale Kapselraffung begegnen könne. Wenn er ein hundertprozentiges Ergebnis wolle, sei eine zweite Operation notwendig. Den Bohrerabbruch erwähnte der Angeklagte dem Patienten gegenüber bewusst nicht. Der Eingriff fand statt, nachdem die Eltern des Patienten eher zögerlich ihre Zustimmung erteilt hatten. Der Angeklagte schnitt die Schulter von oben auf und barg die Bohrerspitze aus der Schulter. Dann raffte er die obere Schulterkapsel, indem er eine Falte in die Kapsel legte und vernähte. Nach den Feststellungen der Kammer diente der zweite Eingriff in erster Linie der Bergung der Bohrerspitze. Der Angeklagte wollte nicht, dass der Patient von dem Abbruch des Bohrers erfährt, was zwangsläufig der Fall gewesen wäre, denn das Metallteil wäre auf jedem späteren Röntgenbild klar zu erkennen gewesen. Die vom Angeklagten durchgeführte 8

Vgl. BGH 1 StR 319/03, in: NStZ 2004 442 = JR 2004 469 mit Anm. Puppe; Anm. Jäger, Examens-Repetitorium Strafrecht AT § 4 Rdn. 146c; Anm. Otto, JK 2/05 StGB § 228/4.

§ 1 Die „hypothetische Einwilligung“ in der Praxis

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obere Kapselraffung durch Anbringung von Raffnähten war im Vergleich zu einer lehrbuchmäßig durchgeführten dorsalen Kapselraffung wenig effektiv und diente in erster Linie der Rechtfertigung des durchgeführten Eingriffs gegenüber dem Patienten. Das Landgericht verurteilte den Angeklagten u. a. wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Die Revision des Angeklagten blieb ohne Erfolg. Auf Grund der eindeutigen Feststellung, nach der der Patient E. zur Entfernung der abgebrochenen Bohrerspitze keine Einwilligung gegeben hätte, war nach Auffassung des Ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs für die Annahme kein Raum, die Rechtswidrigkeit habe deshalb entfallen können, weil der Eingriff de lege artis durchgeführt worden sei und der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die durchgeführte Operation eingewilligt hätte. VII. Urteil des Vierten Strafsenat des Bundesgerichtshofs vom 5. Juli 2007 (Liposuktionsfall):9 Der Angeklagte führte Ende April/Anfang Mai 2002 bei seinem Patienten A. ordnungsgemäß einen ambulanten Eingriff durch. Hierbei wurde bei lokaler Betäubung am Bauch Fett abgesaugt, eine Fettschürze unter Vollnarkose entfernt und ein Bauchdeckenbruch gerichtet. Über die Risiken der Fettabsaugung und des Betäubungsverfahrens wurde A. vor der Operation aufgeklärt. Am 29. Juni 2002 operierte der Angeklagte seinen Patienten A. ein weiteres Mal. In lokaler Anästhesie sollten von der ersten Operation herrührende Narbenstummel entfernt und – auf Vorschlag des Angeklagten – nochmals Fett abgesaugt werden. Eine erneute Aufklärung über die Risiken der Fettabsaugung unterblieb. Eine Einwilligungserklärung unterzeichnete der A. nicht. Die medizinisch nicht indizierte, allein kosmetischen Zwecken dienende Operation des Angeklagten war dabei von vornherein so angelegt, dass sie nicht dem medizinischen Standard entsprach. Der Angeklagte stellte kein kontinuierliches Patientenmonitoring während des Eingriffs sicher, da er sich eines medizinischen Laien statt einer ausgebildeten Krankenschwester als Hilfspersonal bediente. Die vom Angeklagten angewandte Narkosemethode (Lokalanästhesie statt Vollnarkose) war unter den gegebenen Umständen nicht regelgerecht gewählt. Die kombinierte Gabe von Schlaf fördernden Medikamenten, später ein solches gegen Angst- und Spannungszustände sowie die zweimalige Dosierung eines opiathaltigen schmerzstillenden Mittels potenzierte das Risiko des Auftretens einer zentralen Atemdepression. Infolge einer zu spät erkannten medikamentenbedingten Atemdepression kam es auch zum Tod des A. Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung. Die Nebenklägerin, die Ehefrau des Tatopfers, war mit ihrer auf eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge gerichteten Revision erfolgreich. 9

Vgl. BGH 4 StR 549/06, in: NStZ-RR 2007 340 = StV 2008 189 mit Anm. Sternberg-Lieben; vgl. auch Anm. Bosch, JA 2008 70; Anm. Geppert, JK 4/08 StGB § 223/4; Anm. Jäger, Examens-Repetitorium Strafrecht AT § 4 Rdn. 146c.

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Einleitung

Der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs wendete sich gegen die Annahme des Landgerichts, eine vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge sei abzulehnen, da die zweite bei A. durchgeführte Liposuktion „durch eine (hypothetische) Einwilligung des Patienten gerechtfertigt gewesen sei und den Angeklagten in Bezug auf die Überdosierung der Medikamente nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf treffe.“ Das halte sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Die „hypothetische Einwilligung“ in die zweite Operation könne nicht mit der Erwägung begründet werden, der Angeklagte habe den Patienten nicht vor der verfahrensgegenständlichen, jedoch vor der zuvor durchgeführten ersten Operation über alle Risiken einer Fettabsaugung unterrichtet. A. sei damals mit dem Eingriff einverstanden gewesen und hätte deshalb selbst bei einer nochmaligen Aufklärung auch in den zweiten Eingriff eingewilligt. Diese Überlegung des Landgerichts lasse unberücksichtigt, dass sich die Einwilligung in einen ärztlichen Heileingriff, jedenfalls bei Fehlen einer weitergehenden Aufklärung, nur auf eine lege artis, d.h. nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft durchgeführte Heilbehandlung beziehe. Die Durchführung der zweiten Operation sei jedoch vom Angeklagten von vornherein so angelegt gewesen, dass sie nicht dem medizinischen Stand entsprochen habe. Das Landgericht hätte daher nicht lediglich auf die Umstände der ersten, kunstgerecht durchgeführten Operation abstellen dürfen, sondern in den Blick nehmen und erörtern müssen, ob A. auch in Kenntnis der von der ersten Operation abweichenden Umstände in den Eingriff eingewilligt hätte. Dies dürfte allerdings schon in Anbetracht dessen, dass es sich weder um eine eilbedürftige, noch um eine medizinisch indizierte, sondern lediglich um eine kosmetische Behandlung gehandelt habe, die ohnehin erheblich genaueren Aufklärungsanforderungen unterliege, „kaum anzunehmen sein.“

VIII. Urteil des Ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 23. Oktober 2007 (Turboentzugsfall):10 Der Angeklagte, ein niedergelassener Arzt, betrieb ab Anfang 1996 neben seiner Praxis eine Therapiestation zur Behandlung von Drogenabhängigen, in der er bis zum Januar 1999 an 75 Patienten einen narkosegestützten Opiat- und Arzneimittelentzug durchführte. Am 15. Januar 1999 führte der Angeklagte einen solchen „Turboentzug“ auch bei dem damals 33-jährigen Patienten K. durch. Im Vorfeld der Behandlung übersandte der Angeklagte zweimal von ihm selbst gefertigte Merkblätter, in denen wahrheitswidrig angegeben war, „alle bisher . . . durchgeführten narkosegestützten Entgiftungen . . . [sind] komplikationsfrei verlaufen.“ Bei zwei Telefonaten fragte die Mutter des K. ausdrücklich, ob „bei einem Turboentzug schon einmal etwas passiert ist, insbesondere . . . jemand gestorben ist“. Dies verneinte der Angeklagte jeweils. Zuvor war jedoch eine andere Patientin anlässlich eines Turboentzugs in den Praxisräumen des Angeklagten verstorben, wobei dieser selbst die Todesbescheinigung dahingehend ausgefüllt hatte, dass nicht aufgeklärt werden konnte, ob ein natürlicher oder ein nicht natürlicher Tod vorlag. 10 Vgl. BGH 1 StR 238/07, in: StV 2008 464 mitgeteilt von Moos mit Anm. Rönnau; vgl. auch Anm. Jahn, JuS 2007 1145.

§ 1 Die „hypothetische Einwilligung“ in der Praxis

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Der Angeklagte stellte den K. beginnend am 28. Dezember 1998 von nur schwer entziehbaren Methadon auf Dihydrocodein um. Weiterhin verordnete er ihm das Medikament Temgesic mit dem Wirkstoff Buprenorphin. Der Angeklagte hielt vor dem Turboentzug die sichere Einstellung des Patienten auf ein Opiat nicht für erforderlich. Er vertrat unter den Anhängern dieser Außenseitermethode eine Mindermeinung. Das teilte er dem K. nicht mit. Am 15. Januar 1999 gegen 10.00 Uhr begann der Angeklagte mit dem Turboentzug. Auf seine Verordnung verabreichte man K. zahlreiche Medikamente (u. a. Dihydrocodein, Temgesic). Um 14.30 Uhr leitete man durch die Gabe zahlreicher weiterer Medikamente die Narkose ein. Den Tubus, der dem Patienten um 18.30 Uhr gesetzt wurde, entfernte man um 22.00 Uhr. Nachdem zwei Mitarbeiter des Angeklagten ihren Dienst beendet hatten, war ab ca. 22.10 Uhr der Angekl. zur Überwachung des Patienten allein in den Praxisräumen. Das hatte man dem K. verschwiegen. Um 2.00 Uhr des Folgetages entfernte der Angeklagte zudem den Fingersensor, mit dem die Sauerstoffsättigung des Blutes gemessen werden konnte. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt war die Überwachung des Patienten unzureichend. Eine Überwachung der Atemfrequenz sowie der Sauerstoffsättigung des Blutes erfolgte nicht mehr. Bei K. entwickelte sich in diesem Zeitraum ein hämorrhagisches Lungenödem. Er hatte vor Behandlungsbeginn zahlreiche Giftstoffe aufgenommen, wobei insbesondere das Dihydrocodein im hochtoxischen Bereich selbst für körperlich Schwerstabhängige lag. Durch das Medikament Temgesic konnten diese Giftstoffe zunächst nicht zur Wirkung gelangen. Erst durch das allmähliche Nachlassen der Wirkung zeigten die anderen Giftstoffe ihre Wirkung. Daneben entwickelte sich bei K. eine Lungenentzündung als Folge einer Aspiration von Erbrochenem während der Narkose. Um 4.00 Uhr bemerkte der Angeklagte die Unterversorgung bei K. Die eingeleiteten Rettungsbemühungen blieben allerdings erfolglos. Um 5.27 Uhr wurde der Tod von K. festgestellt. Ob das Lungenödem oder die Lungenentzündung todesursächlich war, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Eine andere Todesursache schloss es allerdings aus. Bei adäquater Überwachung hätte die aspirationsbedingte Lungenentzündung ebenso wie das hämorrhagische Lungenödem infolge der Opiatintoxikation entdeckt werden können. Der Todeseintritt auf Grund der Opiatintoxikation wäre bei Überwachung auch sicher verhinderbar gewesen. An der Lungenentzündung wäre K. bei – auf frühzeitige Entdeckung hin erfolgter – intensiv-medizinischer Versorgung zwar möglicherweise ebenfalls verstorben, jedoch erst nach einem mehrtätigen bis mehrwöchigen Intensivaufenthalt in einer Klinik. Zur „hypothetischen Einwilligung“ traf das Landgericht die Feststellungen, dass K. sich nicht am 15. Januar 1999 einem Turboentzug unterzogen hätte, wenn er über den früheren Todesfall, die ab 22.10 Uhr allein durch den Angeklagten erfolgende Überwachung und darüber unterrichtet worden wäre, dass der Angeklagte unter den Anhängern dieser Außenseitermethode eine Mindermeinung einnimmt. Der Angeklagte hielt es seinerseits für möglich und nahm es billigend in Kauf, dass K. von der Behandlung Abstand genommen hätte, wenn er dementsprechend unterrichtet gewesen wäre. Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung. Die Revision des Angeklagten blieb erfolglos. Die

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Einleitung

zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft und die Revisionen der Nebenkläger, mit denen die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge erstrebt wurde, waren dagegen alle erfolgreich. Unter dem Gesichtspunkt einer von der Revision des Angeklagten behaupteten „hypothetischen Einwilligung“ sei nach Auffassung des Ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs zu beachten, dass sich eine Einwilligung in einen ärztlichen Heileingriff – jedenfalls bei Fehlen einer weitergehenden Aufklärung – nur auf eine nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft („lege artis“) durchgeführte Heilbehandlung beziehe. Die Prüfung einer „hypothetischen Einwilligung“ in den Turboentzug gerade am 15. Januar 1999 habe daher zu unterstellen, K. hätte um die unzureichende Überwachung durch den Angeklagten am Folgetag ab 2.00 Uhr gewusst. Dann hätte er aber zumindest auf „eine weitere Verschiebung (des Termins) . . . Wert gelegt.“

§ 2 Die begriffliche Umschreibung der „hypothetischen Einwilligung“ Über den Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ besteht nur in wenigen Punkten Einigkeit. Weder im Zivilrecht, noch im Strafrecht lässt sich eine klare Begriffsdefinition finden. Die zivilrechtliche Rechtsprechung greift nach der endgültigen Durchsetzung der Rechtsfigur in der grundlegenden Entscheidung des Sechsten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 7. Februar 1984 (BGHZ 90 103) in einigen Entscheidungen schlagwortartig auf die „gefestigten Grundsätze“ zur „hypothetischen Einwilligung“ zurück.11 Das ist allerdings grob irreführend, denn „gefestigte Grundsätze“ gibt es nicht.12 Auch im Strafrecht ist man von einem allgemeinen Konsens über die im Detail sehr schwierigen dogmatischen Konstruktionen, den Anwendungsbereich und die Konsequenzen der „hypothetischen Einwilligung“ weit entfernt.

11 Vgl. etwa BGH VersR 1995 1055, 1057; NJW 1996 3073, 3073; NJW 1997 2734; NJW 1998 2734; OLG Koblenz MedR 2004 505, 503; NJW-RR 2004 1166, 1167; OLG Köln NJW-RR 1998 1324, 1325; OLG Stuttgart VersR 1998 1111, 1113; NJOZ 2001 2331, 2333; vgl. auch Kullmann, PHi 1997 80. Eine kritische Erörterung mit den Grundlagen der Rechtsfigur bleibt im zivilrechtlichen Schrifttum aus diesem Grund häufig aus, vgl. etwa Gehrlein, Arzthaftungsrecht 80; Lorz, Schönheitsoperation 153 f.; anders aber Katzenmeier, Arzthaftung 367 ff.; WeberSteinhaus, Ärztliche Berufshaftung 256 ff. 12 Vgl. deutlich etwa OLG Köln NJOZ 2003 1771 f. mitgeteilt von Rosenberger.

§ 2 Begriffliche Umschreibung der „hypothetischen Einwilligung“

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A. Die zivil- und die strafrechtliche Perspektive bei der „hypothetischen Einwilligung“ Der vorliegende Text setzt sich allein mit der Zulässigkeit der „hypothetischen Einwilligung“ im Strafrecht auseinander. Bei dem Seitenblick auf die im Zivilrecht über diese Rechtsfigur geführte Diskussion ist dabei Vorsicht geboten: Es besteht zum Teil die Vorstellung, dass der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“ im Zivilrecht seine volle Berechtigung habe, indem er die Interessen im Arzt-Patienten-Verhältnis angemessen berücksichtige, im Strafrecht jedoch – wegen der dort geltenden Prinzipien13 – aber nicht durchgreifen könne.14

B. Die Erweiterung der Problematik über die Grenzen des Arzt-Patienten-Verhältnisses I. Der Standpunkt der Rechtsprechung in Strafsachen Der Bundesgerichtshof hat die „hypothetische Einwilligung“ im Anschluss an das Reichsgericht für das Arzthaftungsrecht entwickelt, konkretisiert, gefestigt, aber auch erweitert und Anfang der 90er Jahre ins Arztstrafrecht übertragen. Seither hält die strafrechtliche Rechtsprechung diese Rechtsfigur ausschließlich im Arzt-Patienten-Verhältnis für ganz bestimmte Fälle von ärztlicher Eigenmacht bereit oder wenigstens für prinzipiell möglich. II. Die Ausdehnung der „hypothetischen Einwilligung“ Die Rechtsfigur ist in der strafrechtlichen Wissenschaft seit ihrer Übertragung ins Strafrecht erheblich weiterentwickelt worden. Sie wird auch außerhalb ihres relativ schmalen arztstrafrechtlichen Anwendungsbereiches für denkbar gehalten.15 Über die Reichweite dieser Forderung besteht allerdings kein Konsens: 13

Vgl. 11. Kap. § 2 C. III. zur Zivilrechtsakzessorietät des Strafrechts. Vgl. etwa Jäger, in: FS für Jung 353 ff.; Puppe, GA 2003 772 ff.; dies., JZ 2004 471 f.; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 136 ff.; vgl. weitere Nachweise im 1. Kap. § 2 B. II. 1. a). 15 Vgl. für das Zivilrecht etwa Deutsch, NJW 1984 1400; für das Strafrecht Dreher, Objektive Zurechnung 39 ff.; Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 444, 451; ders., in: FS für Roxin 437; vgl. offenlassend Eisele, JA 2005 254; Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231; ders., JZ 2004 803; 14

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Einleitung

1. Gefordert wird die Ausdehnung der Rechtsfigur auf andere „Einwilligungsmängel“ als die fehlerhafte ärztliche Aufklärung.16 Dieser Vorschlag wird aber auch mit Zurückhaltung betrachtet: Die Übertragbarkeit der Rechtsfigur auf andere Einwilligungsmängel bedürfe noch der weiteren Klärung.17 Die Forderung nach einer weiteren dogmatischen Untersuchung ist angesichts des Eingeständnisses fehlender abstrakter Kriterien zur Unterscheidung der „zurechnungs(ir-)relevanten Einwilligungsmängel“ nicht unberechtigt. 2. Bisweilen wird die Ausdehnung der Rechtsfigur auf alle anderen Rechtfertigungsgründe neben der Einwilligung gefordert.18 So hat Kuhlen seine Konstruktion für die Einwilligung, die „mutmaßliche Einwilligung“19 vollständig und für die Notwehr anhand eines Beispielsfalls20 in Teilen offengelegt.21 In einem Notwehrbeispiel hatte zuerst Puppe eine „Weiterentwicklung der Lehre von der objektiven Zurechnung auch in der Rechtfertigungsdogmatik“ für möglich gehalten.22 Eine eingehendere Darstellung zum Notstand (§ 34 StGB)23 und der rechtfertigenden behördlichen Genehmigung24 liefert Dreher. Kuhlen tritt zusammen mit Dreher25 am nachhaltigsten für eine Erstreckung der Rechtsfigur im Sinne der Lehre der objektiven Zurechnung auf sämtliche Rechtfertigungsgründe ein. Verhalten befürwortet jedoch Roxin den ihm im Ansatz durchaus einleuchtenden Vorstoß. Im Einzelnen bedürfe die Lehre der objektiven Zurechnung im Rahmen der Rechtfertigungskategorie noch weiterer Ausarbeitung für jeden Rechtfertigungsgrund und jedes einzelne seiner Merkmale unter dem Gesichtspunkt hypothetischen Alternativverhaltens.26 Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 134, § 14 Rdn. 113 ff.; vgl. zweifelnd Böcker, JZ 2005 932; vgl. ablehnend Duttge, in: FS für Schroeder 188; Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 134; ders., Jura 2004 683. 16 Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 109 f., 114 ff.; Kuhlen, in: FS für Roxin 340; ders., in: FS für Müller-Dietz 440 ff. 17 Vgl. offenlassend Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231; ders., JZ 2004 803; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 134. 18 Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 39 ff., 110; Kuhlen, in: FS für MüllerDietz 451; ders., in: FS für Roxin 347. 19 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 447; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht I § 9 Rdn. 44. 20 Vgl. LG – Schwurgericht – München I JZ 1988 565 mit Anm. Schroeder. 21 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 432 f., 439 ff., 447 ff.; ders., in: FS für Roxin 339, 347; Stratenwerth/Kuhlen, AT I § 9 Rdn. 28, 44; vgl. auch Dreher, Objektive Zurechnung 56 ff. 22 Vgl. Puppe, JZ 1989 728, 729. 23 Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 56 ff. 24 Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 129 ff. 25 Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 39 ff., 110.

§ 2 Begriffliche Umschreibung der „hypothetischen Einwilligung“

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3. Gefordert wird auch eine Anerkennung des Rechtsgedankens der „hypothetischen Einwilligung“ bei „allen Erfolgsdelikten“.27 Die „hypothetische Einwilligung“ wird daher nicht mehr „arztstrafrechtsspezifisch“, auch nicht mehr „körperverletzungsspezifisch“ verstanden. Für den Schwangerschaftsabbruch (§ 218a StGB) lässt Merkel die „hypothetische Einwilligung“ in bestimmten Grenzen zu.28 Kuhlen verlangt die Anerkennung dieser Rechtsfigur für die Sachbeschädigung.29 Die Anwendung dieser Rechtsfigur bei „allen Individualrechtsgütern“ hält darüberhinaus auch Dreher für sachgerecht.30 Bei der behördlichen Genehmigung muss es ihm sogar um Universalrechtsgüter gehen.31 An einer Ausdehnung dieser Rechtsfigur auf Fälle außerhalb der Arzthaftung haben andere jedoch wegen der „noch nicht übersehbaren dogmatischen Konsequenzen“ größte Zweifel.32 Bei den Vermögensdelikten wird die Entscheidung für eine Übertragung der „hypothetischen Einwilligung“ für „völlig offen“ gehalten.33 Diesem Rechtsgedanken käme hier eine beachtliche Bedeutung zu.34 Andere sehen in der Übertragung der „hypothetischen Einwilligung“ auf Sachverhalte wie zum Beispiel den Diebstahl,35 den Betrug36 oder die Untreue37 gerade eine besondere Gefahr.38 Noch problematischer erscheint die Übertragung dieses Gedankens auf die Vergewaltigung.39 Aus der unterschiedlichen Rechtsnatur von Einverständnis und Einwilligung zieht Schwartz dagegen die Konsequenz, dass der Rechts26 27

Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 14 Rdn. 115. Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 110; Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 444,

451. 28 Vgl. Merkel, in: NK § 218a StGB Rdn. 38 ff.; ders., in: Handbuch des Medizinstrafrechts 195 ff. 29 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 444. 30 Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 110. 31 Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 129 ff. 32 Vgl. Eisele, JA 2005 254. Eingehend Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 447 ff. 33 Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231; ders., ZStW 119 (2007) 908 Fn. 84 für das Beispiel der Untreue (§ 266 StGB); ders., StV 2008 467 Fn. 17. 34 Vgl. Rönnau, in: FS für Tiedemann 720. 35 Vgl. Freund, Strafrecht AT § 3 Rdn. 44c; Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 134; ders., Jura 2004 683. 36 Vgl. BGHSt 13 13, 14; vgl. auch Freund, Strafrecht AT § 3 Rdn. 44c Fn. 57; Puppe, JR 2004 471 f. 37 Vgl. Jäger, in: FS für Jung 356; vgl. auch ders., aaO. 352: für die „Trunkenheitsfahrt“; vgl. auch Frister, Strafrecht AT 15. Kap. Rdn. 33: „hypothetisch gebliebene Selbstschädigung“. Ablehnend auch Fischer, § 266 StGB Rdn. 46c. 38 Vgl. Duttge, in: FS für Schroeder 188; Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 134; ders., Jura 2004 683; Jäger, in: FS für Jung 352, 356. 39 Vgl. Duttge, in: FS für Schroeder 188.

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gedanke der „hypothetischen Einwilligung“ überhaupt nur bei der Einwilligung bedeutsam sein könne.40

C. Die verschiedenen Fälle der ärztlichen Eigenmacht Begriffliche Klarheit ist auch bei den maßgeblichen Fallgestaltungen innerhalb des Arzt-Patienten-Verhältnisses nicht vorhanden, bei denen die „hypothetische Einwilligung“ für denkbar gehalten wird. 1. Eine Schranke dieses Rechtsgedankens hatte schon das Reichsgericht in seiner zivilrechtlichen Entscheidung vom 8. März 1940 skizziert.41 Die Entscheidung beruht auf folgendem – gekürzten – Sachverhalt: Der Arzt versicherte sich der Zustimmung der Kl. zur Entfernung einer harten Stelle an der rechten Brust durch Einschnitt. Bei der Operation entfernte der Bekl. die ganze rechte Brust. Die Geschwulst war, wie sich in einer späteren Untersuchung herausstellte, ohne bösartiges zerstörendes Wachstum. Der Bekl. verteidigte sich damit, dass vor dem Eingriff die Umstände durchaus auf Brustkrebs hingewiesen hätten. Er habe der Kl. nichts davon gesagt, um sie, die noch unter dem Eindruck des gerade eingetretenen Todes ihrer Mutter infolge der gleichen Krankheit gestanden habe, zu schonen. Bei dem Eingriff selbst habe er, wozu ihm der weitere Befund ausreichenden Anlass gegeben habe, seinen Verdacht bestätigt gefunden. Eine größere Gewissheit habe er sich nicht verschaffen können. Er habe es für notwendig halten dürfen, sofort die ganze Brust zu entfernen, um das Leben der Klägerin zu retten.

Das Reichsgericht lehnte es ab, die Frage, ob die Patientin bei sachgemäßer Beratung ihre Einwilligung in den Eingriff gegeben haben würde, auch auf den Fall anzuwenden, dass überhaupt keine Einwilligung zur Abnahme der ganzen Brust gegeben wurde. Die Frage könne nur in dem Fall aufgeworfen werden, bei dem die Zustimmung auf Grund einer unzureichenden Belehrung des Arztes unwirksam erteilt worden sei.42 In der Lehre wird diese Unterscheidung von Geilen nachvollzogen. Er differenziert zwischen Fällen der „qua Aufklärungspflichtverletzung“ irrtümlich erteilten Einwilligung43 und der eigentlichen „hypothetischen Rechtfertigung“, der Ersetzung einer „a limine fehlenden“ oder sogar verweigerten Einwilligung durch eine nur gedachte Einwilligung. Einer eigentlichen „hypothetischen Rechtfertigung“ steht er skeptisch gegenüber.44 Diese Unterscheidung halten in der zivilrechtlichen Kommentarliteratur 40 41 42 43 44

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Schwartz, Hypothetische Einwilligung 169 f. RGZ 163 129 = DR 1940 1288 mit Anm. Kallfelz. RGZ 163 129, 138 f. = DR 1940 1288, 1291. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 107. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 106 f.; ders., Medizinrecht Rdn. 452.

§ 2 Begriffliche Umschreibung der „hypothetischen Einwilligung“

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auch Kuckuk45 und Mertens46 für sachgerecht. Den Unterschied dieser Fallgruppen deutet außerdem Nüßgens an: Das Reichsgericht hätte in RGZ 163 129 wohl anders entschieden, wenn ein „Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht“, nicht aber eines Eingriffs „ohne Einwilligung“ zu beurteilen gewesen wäre.47 Ebenso greift Merkel diese Differenzierung zwischen „einwilligungsvernichtenden und den lediglich einwilligungshemmenden Aufklärungsfehlern“ mit Blick auf die „Besonderheit des Rechtfertigungsgrundes [der] Einwilligung“ wieder auf. Die Trennlinie verlaufe zwischen der Aufklärung über Verletzungsbestandteile und der Aufklärung über Risikofolgen und nichtverletzende Nebenumstände.48 2. Nach der Rechtsprechung des Sechsten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs entziehe jedenfalls eine „klare Ablehnung des Patienten“ der „hypothetischen Einwilligung“ den Boden.49 Die Abgrenzung des Reichsgerichts wurde indessen relativiert: Der Rechtsgedanke sei auch dann denkbar, wenn es nicht schon an der Aufklärung, sondern erst an der Einwilligung fehle. Verfalle der Patient, nachdem er aufgeklärt worden sei, in einen nicht mehr erklärungsfähigen Zustand, so sei die „hypothetische Einwilligung“ denkbar, genauso wenn eine hinreichend klare Verständigung zwischen Arzt und Patient nicht zustande gekommen oder nachweisbar sei, sofern die in Betracht kommenden Erweiterungen einer Operation erörtert worden seien.50 Der Sechste Zivilsenat ist dazu übergegangen, dem Arzt die „hypothetische Einwilligung“ auch bei einer nicht rechtzeitig erfolgten Aufklärung des Patienten einzuräumen.51 3. Nach der Auffassung des Ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs erfasse die „hypothetische Einwilligung“ – vornehmlich – die ärztliche Heilbehandlung, bei der der Arzt den Patienten fehlerhaft über den lege artis durchgeführten,52 medizinisch indizierten53 (Heil-)Eingriff, seinen Ver45

Vgl. Kuckuk, in: Erman Vor § 249 BGB Rdn. 88. Die Differenzierung des Reichsgerichts wird vielfach nicht beachtet, vgl. etwa Sickor, JA 2008 12. 47 Vgl. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 152. 48 Vgl. Merkel, in: NK § 218a StGB Rdn. 42; ders., in: Handbuch des Medizinstrafrechts 196 ff. 49 Vgl. BGH NJW 1991 2342, 2343. 50 Vgl. BGH NJW 1991 2342, 2343. 51 Vgl. grundlegend BGH NJW 1992 2351, 2353. 52 Vgl. dazu BGH NStZ 2004 442 = JR 2004 469; BGH StV 2008 464, 465. In BGH NStZ-RR 2007 340, 341 und in BGH StV 2008 464, 465 wird die „hypothetische Einwilligung“ allerdings auch für einen nicht dem medizinischen Standard ent46

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lauf, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken, mögliche Behandlungsalternativen sowie die Diagnose aufgeklärt habe.54 Der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs ist im Bandscheibenfall55 allerdings dazu übergegangen, die „hypothetische Einwilligung“ auch in einem Fall einer „fehlenden Einwilligung“ anzuerkennen. Im Bandscheibenfall hat der Patient gerade keine Einwilligung in die Operation des Bandscheibenfachs L 4/L 5 und auch nicht in die Entfernung des rechten Wirbelhalbbogens erklärt. Die „hypothetische Einwilligung“ wird daher – anders als noch beim Reichsgericht – prinzipiell auch dann für möglich gehalten, wenn der Patient keine Vorstellung von der „Art“ und dem „Umfang“ der Aufopferung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ besitzt. Die strafrechtliche Wissenschaft ist der Entscheidung des Ersten Strafsenats zum Teil ausdrücklich gefolgt.56 Gleichwohl lässt sich auch hier durchaus eine Tendenz ausmachen, dem eigenmächtig handelnden Arzt die „hypothetische Einwilligung“ in den Fällen einer „wirklich fehlenden Zustimmung“,57 jedenfalls in den Fällen eines Handelns „gegen den erklärten Willen“58 des Berechtigten nicht zu gewähren. Dreher und Krauß sehen das für den Fall des „Fehlens einer Einwilligung“ aber ausdrücklich anders.59 Sogar eine Heilmaßnahme „gegen den ausdrücklichen Willen“ des Patienten will Krauß straflos stellen, wenn die ärztliche Eigenmacht die Entfaltung individueller Körperinteressen nicht verhindert habe: Die bloße Brüskierung des Patienten durch ärztliche Eigenmacht sei nach dem geltenden Recht allenfalls wegen Nötigung (§ 240 StGB) strafbar.60 sprechenden Eingriff für denkbar gehalten, wenn der Patient hierüber aufgeklärt worden ist. Vgl. auch Jäger, Examens-Repetitorium Strafrecht AT § 4 Rdn. 146c; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 15 ff.; anders wohl Bosch, JA 2008 71. 53 Vgl. dazu BGH NStZ 2004 442 = JR 2004 469; BGH 1 StR 238/07. 54 Vgl. BGH BGHR § 223 Abs. 1 StGB Heileingriff 2; NStZ 1996 34 = JR 1996 69; NStZ-RR 2004 16 = JR 2004 251; NStZ 2004 442 = JR 2004 469; NStZ-RR 2007 340. 55 Vgl. am deutlichsten BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252; vgl. aber auch NStZ 2004 442 = JR 2004 469 (Bohrerfall). 56 Vgl. etwa Eisele, JA 2005 254; Geppert, JK 12/04 StGB § 223/3 3c; Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a; ders., in: Lackner/Kühl § 228 StGB Rdn. 17a; Kuhlen, JR 2004 229; Rönnau, JZ 2004 802; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122; Tag, Körperverletzungstatbestand 399 Fn. 1981. 57 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 440. Rönnau, JZ 2004 803 scheint dem Vorschlag Kuhlens zu folgen, soweit es die Differenzierung in „bloße Rechtfertigungsmängel“ und „tiefgreifende Rechtfertigungsdefizite“ anbelangt. Inwieweit er mit der weiteren Ausarbeitung sämtlicher Rechtfertigungsvoraussetzungen innerhalb dieser Systematik einhergeht, kann nur vermutet werden: Für die wichtigste Fallgruppe des rechtsgutsrelevanten Irrtums stimmen sie überein. 58 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 339. 59 Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 116.

§ 2 Begriffliche Umschreibung der „hypothetischen Einwilligung“

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Der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs erkennt im Liposuktionsfall die „hypothetische Einwilligung“ prinzipiell auch für „rein kosmetische Eingriffe“ an.61 Der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“ könne sich – jedenfalls bei Fehlen einer weitergehenden Aufklärung – allerdings nur auf einen nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft („lege artis“) durchgeführten Eingriff beziehen.62 Diese Einschränkung der Rechtsfigur, die auch der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs für sachgerecht hält, wird im Turboentzugsfall nunmehr auf eine ärztliche Heilbehandlung übertragen.63 Die wesentliche Sachaussage in den Entscheidungsgründen des Bohrerfalls und des Liposuktionsfalls besteht jedoch darin, die Rechtsfigur der „hypothetischen Einwilligung“ einzuschränken: Im Bohrerfall sind dem Ersten Strafsenat des Bundesgerichtshofs offenbar Bedenken gekommen, dass die „hypothetische Einwilligung“ auch einem Arzt helfen soll, der sich eine Einwilligung des Patienten ausschließlich zu dem Zweck der Vertuschung eines ärztlichen Kunstfehlers durch Täuschung erschleicht. Die von dem Arzt durchgeführte obere Kapselraffung durch Anbringung von Raffnähten war im Vergleich zu einer lehrbuchmäßig durchgeführten dorsalen Kapselraffung wenig effektiv und diente in erster Linie der Rechtfertigung des durchgeführten Eingriffs gegenüber dem Patienten. Die dorsale Kapselraffung war daher medizinisch nicht indiziert. „Auf Grund der eindeutigen Feststellungen, nach denen der Patient zur Entfernung der abgebrochenen Bohrerspitze keine Einwilligung gegeben hätte, war für die Annahme [einer ‚hypothetischen Einwilligung‘] kein Raum [. . .]“.64 Auch der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs teilt diese Bedenken. Im Liposuktionsfall lehnt er die „hypothetische Einwilligung“ eindeutig für Sachverhalte ab, in denen die durchgeführte Liposuktion „von vornherein so angelegt war, dass sie nicht dem medizinischen Standard entsprach.“ Eine „hypothetische Einwilligung“ dürfe allerdings schon in Anbetracht dessen, dass es sich weder um eine eilbedürftige, noch um eine medizinisch indizierte, sondern lediglich um eine kosmetische Behandlung handele, die 60

Vgl. Krauß, in: FS für Bockelmann 573, der – soweit ersichtlich – als einziger für eine derartige Weite der „hypothetischen Einwilligung“ eintritt. 61 Vgl. hierzu BGH NStZ-RR 2007 340, 341. Vgl. zu weiteren zivilrechtlichen Fällen rein kosmetischer Eingriffe Lorz, Schönheitsoperation 154. 62 Vgl. dazu BGH NStZ-RR 2007 340, 341. Vgl. hierzu Jäger, Examens-Repetitorium Strafrecht AT § 4 Rdn. 146c; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 15 ff.; anders wohl Bosch, JA 2008 71; Geppert, JK 4/08 StGB § 223/4. 63 Vgl. BGH StV 2008 464, 465. 64 Vgl. BGH NStZ 2004 442 = JR 2004 469.

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ohnehin erheblich genaueren Aufklärungsanforderungen unterliege, „kaum anzunehmen sein“.65 Der Erste und der Vierte Strafsenat des Bundesgerichthofs scheinen die „hypothetische Einwilligung“ daher als ein Privileg zu verstehen. Dem Arzt kann die „hypothetische Einwilligung“ nach diesen Entscheidungen nur unter der zusätzlichen Voraussetzung zugutekommen, dass der Patient bei seiner tatsächlich erklärten Einwilligung von einer medizinischen Behandlung ausgeht, die sich im „Wesentlichen“ mit dem tatsächlich durchgeführten Eingriff deckt. Ist die Vorstellung des Patienten von der tatsächlichen ärztlichen Behandlung in ihren „wesentlichen“ Teilen allerdings fehlerhaft, kann die ärztliche Eigenmacht durch eine „hypothetische Einwilligung“ nicht mehr nachträglich „geheilt“ werden.

D. Die Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ bei Fahrlässigkeits- und Vorsatzdelikten I. Die „hypothetische Einwilligung“ bei den Fahrlässigkeitsdelikten Der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“ wird bei den Fahrlässigkeitsdelikten weitaus häufiger befürwortet als bei den Vorsatzdelikten. Übereinstimmend im Ergebnis, nicht aber in der Begründung sollen „Aufklärungsmängel [. . .] eine Strafbarkeit des Arztes wegen Körperverletzung nur begründen, wenn der Patient bei einer den Anforderungen genügenden Aufklärung in den Eingriff [hypothetisch] nicht eingewilligt hätte [. . .].“66 II. Die „hypothetische Einwilligung“ bei den Vorsatzdelikten 1. Neben denjenigen Stimmen, die eine „hypothetische Einwilligung“ prinzipiell ablehnen,67 bestreiten zum Teil selbst deren Befürworter, wenn sie sich überhaupt auf eine Stellungnahme zu dieser Problematik einlassen, die Anerkennung des Rechtsgedankens im Vorsatzbereich. In den Täuschungsfällen müsse über die Angemessenheit der Zulassung des Rechtsgedankens durch Übertragung der aus der Fahrlässigkeitsdogmatik bekannten Rechtsfigur auf die Vorsatzdelikte verstärkt nachgedacht und jedenfalls berücksichtigt werden, dass die Schutzlosstellung des Einwilligenden in der 65 66 67

Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340, 341. Vgl. BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71. Vgl. eingehend 1. Kap. § 2 B. II. 2.

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Tendenz restriktiv zu handhaben sei, um eine möglichst täuschungsfreie Disposition des Einwilligenden über sein Gut zu gewährleisten.68 a) In seinen vielen Stellungnahmen zur strafrechtlichen Problematik der „hypothetischen Einwilligung“ hat Ulsenheimer den Rechtsgedanken früher allein für die fahrlässige Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht reserviert.69 In seinem „Arztstrafrecht“ behandelte er die „hypothetische Einwilligung“ ausschließlich in dem Kapitel über die „Fahrlässige Tötung [. . .] und fahrlässige Körperverletzung [. . .]“.70 Diese Einschätzung wurde auch aus einem weiteren Grund getragen: In seiner Dissertation zur Problematik des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ hat er die Zurechnungsvoraussetzung der „Schutzwirkung der Sorgfaltspflicht“ entwickelt,71 die er allein bei fahrlässigen Erfolgsdelikten für einschlägig hält. Das ergebe sich aus der unterschiedlichen Konstruktion von Vorsatz- und Fahrlässigkeitstaten.72 Diese Rechtsfigur hat er auf die „hypothetische Einwilligung“ übertragen.73 Nach seinen Prämissen müsste Ulsenheimer zu einer Bestrafung des Arztes wegen eines vorsätzlichen vollendeten Delikts gelangen, ohne dass es auf die „hypothetische Einwilligung“ überhaupt angekommen wäre. Diesen Standpunkt gibt er in der 4. Auflage seines „Arztstrafrechts“ jedoch auf.74 Zutreffend lasse der Bundesgerichtshof in den einschlägigen Fällen nicht die Tatbestandsmäßigkeit, sondern die „Rechtswidrigkeit entfallen“. Das „Haftungskorrektiv“ der „hypothetischen Einwilligung“ beseitige daher auch in den Täuschungsfällen die „(Quasi-)Kausalität zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten“ (scil. bewusste Fehlinformation des Patienten) und der Einwilligung bzw. dem Erfolgsunwert der Tat, doch bleibe ein haftungsrelevanter Handlungsunwert übrig.75 G. Hirsch und Weißauer setzen für eine Verurteilung des Arztes wegen „fahrlässiger Körperverletzung“ einen „Rechtswidrigkeitszusammenhang“ voraus, der entfalle, wenn die Verletzung auch bei pflichtgemäßem Verhal68 Vgl. so noch Rönnau, Willensmängel 436, der sich nunmehr in JZ 2004 801 ff. weitaus weniger einschränkend für eine Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ auch im Vorsatzbereich ausspricht. 69 Vgl. Ulsenheimer, NStZ 1996 133; ders., in: Medizin und Strafrecht 137; ders., Entwicklung 33; ders., in: Laufs/Uhlenbruck § 139 Rdn. 23. 70 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132; vgl. auch ders., in: Arztrecht § 139 Rdn. 23: „Die fahrlässige Körperverletzung“. 71 Vgl. Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 143 ff.; ders., JZ 1964 368. 72 Vgl. Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 143 ff., 156 f. 73 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132; ders., NStZ 1996 133; ders., in: Medizin und Strafrecht 137; ders., Entwicklung 33; ders., in: Laufs/Uhlenbruck § 139 Rdn. 23. 74 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132a Fn. 1013. 75 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132a.

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ten eingetreten wäre. Das gleiche müsse auch bei unzureichender ärztlicher Aufklärung gelten.76 Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs im „Surgibone“-Dübelfall verdienen nach Rigizahn „uneingeschränkte Zustimmung“.77 Das ist insofern irreführend, als er die Problematik der „hypothetischen Einwilligung“ konstruktiv nicht mittels der „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“ oder der objektiven Zurechnung, sondern im Anschluss an Baumann und Weber78 mit der Rechtsfigur eines „fahrlässigkeitsspezifischen Rechtfertigungsgrundes“ lösen will.79 Andere Stellungnahmen behalten sich die Entscheidung über die Anerkennung der Rechtsfigur auch bei einer vorsätzlichen Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht vor: Jedenfalls für die fahrlässige Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht befürworten Müller-Dietz80 und Schroth81 die „hypothetische Einwilligung“. b) Auch im Zivilrecht lässt sich zum Teil dieser restriktive Standpunkt nachweisen. Kleinewerfers geht von einer Beachtlichkeit der „hypothetischen Einwilligung“ jedenfalls „nur [bei einer] fahrlässig unterlassene[n] Aufklärung“ aus.82 Ähnlich bewertet Weber-Steinhaus die Problematik. Dem vorsätzlich fehlerhaft aufklärenden Arzt soll die „hypothetische Einwilligung“ aus generalpräventiven Gründen abgeschnitten sein.83 2. Der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat im Bandscheibenfall, im Bohrerfall und im Turboentzugsfall, der Vierte Strafsenat im Liposuktionsfall den Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ abweichend von der bisherigen Rechtsprechung bis zum „Surgibone“-Dübelfall, die sich ausschließlich mit Fällen einer fahrlässigen Vernachlässigung der ärztlichen Aufklärungspflicht beschäftigt hatten, prinzipiell auch bei vorsätzlicher Aufklärungspflichtverletzung für möglich gehalten.84 Ein großer Teil der Lehre ist dem Bundesgerichtshof gefolgt.85 Die rechtlichen Kon76

Vgl. G. Hirsch/Weißauer, MedR 1983 44 zudem mit einer Parallele zum Kokainfall (RG HRR 1926 Nr. 2302). 77 Vgl. Rigizahn, JR 1996 73. 78 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 22 Rdn. 31 ff. 79 Vgl. Rigizahn, JR 1996 74 Fn. 8. 80 Vgl. Müller-Dietz, JuS 1989 281. 81 Vgl. Schroth, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 33 Fn. 36. 82 Vgl. Kleinewerfers, VersR 1963 303 begründet die „hypothetische Einwilligung“ im Schadensersatzrecht mit dem Gedanken von Treu und Glauben (§ 242 BGB). 83 Vgl. Weber-Steinhaus, Ärztliche Berufshaftung 257 f.

§ 2 Begriffliche Umschreibung der „hypothetischen Einwilligung“

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sequenzen dieser Übertragung sind allerdings besonders unklar, weil die Konstruktionen erheblich voneinander abweichen. a) Die Entscheidungsgründe des Ersten und Vierten Strafsenats, wonach die „Rechtswidrigkeit entfällt [. . .], wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte“ sind dahin interpretiert worden, dass die „hypothetische Einwilligung“ auch bei vorsätzlicher Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht zu einem kompletten Ausschluss der Strafbarkeit des Arztes wegen Körperverletzung führen soll.86 Hieraus ergibt sich eine Gleichbehandlung von fahrlässiger und vorsätzlicher Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht.87 b) Ulsenheimer ist aber der Auffassung, dass der Bundesgerichtshof die Möglichkeit einer Versuchsbestrafung in der Bandscheibenentscheidung nur nicht erörtert habe.88 In der Literatur wird die Forderung nach einer strafbarkeitsausschließenden Wirkung der „hypothetischen Einwilligung“ bei einem vorsätzlichen Handeln des Arztes überwiegend nicht geteilt. Die „hypothetische Einwilligung“ schließe nach Auffassung von Eisele,89 Geppert,90 Dreher,91 84

Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252; NStZ 2004 442 = JR 2004 469; NStZ-RR 2007 340; StV 2008 464. 85 Vgl. Eisele, JA 2005 254; Fischer, § 223 StGB Rdn. 16a; Geilen, Medizinrecht Rdn. 452; Geppert, JK 12/04 StGB § 223/3 3c; Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a; ders., in: Lackner/Kühl § 228 StGB Rdn. 17a; Kuhlen, JR 2004 229 f.; Merkel, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 195 ff.; Mitsch, JZ 2005 284 f.; Rönnau, JZ 2004 802; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122; Tag, Körperverletzungstatbestand 399 Fn. 1981. Vgl. wohl auch Krey/Heinrich, Strafrecht BT Bd. 1 § 3 Rdn. 210a Fn. 49b; Rengier, Strafrecht BT II § 13 Rdn. 18; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 9 Rdn. 381b. 86 Vgl. etwa Böcker, JZ 2005 927, 929; Geilen, Medizinrecht Rdn. 452; Geppert, JK 12/04 § 223/3 StGB 3c; Eisele, JA 2005 254 Fn. 15; Kuhlen, JR 2004 229; Otto, Jura 2004 682; vgl. auch Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122. 87 Vgl. zu dieser Argumentationsrichtung Amelung, Willensmängel 77. Auch Beulke, in: Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 9 Rdn. 381b will die Rechtsfiguren der „mutmaßlichen“ und der „hypothetischen Einwilligung“ „im Ergebnis gleich“ behandeln. Das kann im Sinne gesamtrechtfertigender Wirkung der Rechtsfigur interpretiert werden, die einer Versuchsstrafbarkeit theoretisch entgegensteht. Noch weiter geht Böcker, JZ 2005 929, der die „hypothetische Einwilligung“ sogar im Sinne eines per definitionem nur aus objektiven Rechtfertigungsmerkmalen bestehenden Rechtfertigungsgrund interpretiert. Dann wäre nicht einmal theoretisch eine Versuchsstrafbarkeit denkbar. 88 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132a. 89 Vgl. Eisele, JA 2005 254. 90 Vgl. Geppert, JK 12/04 StGB § 223/3 3c; offengelassen noch ders., JZ 1988 1025. 91 Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 69 ff.

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Kühl,92 Kuhlen,93 Mitsch,94 Rönnau,95 Roxin96 und Tag97 ein vollendetes Delikt aus, lasse aber eine Strafbarkeit wegen Versuchs unberührt. Von der theoretischen und praktischen Möglichkeit der Bestrafung des Arztes wegen eines Versuchsunrechts soll viel von der „Überzeugungskraft der Rechtsfigur“ abhängen.98 Die Versuchsstrafbarkeit wird aus verschiedenen Gründen für wichtig gehalten.99 Gravierende Verstöße gegen die ärztliche Aufklärungspflicht dürften nicht unsanktioniert bleiben.100 Bei anderen Delikten als der Körperverletzung wird der Möglichkeit einer Versuchsstrafbarkeit aber offenbar nicht dieselbe Bedeutung zuerkannt.101

E. Die verschiedenen Maßstabsfiguren bei der „hypothetischen Einwilligung“ Ob bei dem Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ von der Entscheidung eines „verständigen Patienten“ auszugehen ist, der sie „frei von Eigensinn, subjektiven Launen und törichten Anschauungen“ trifft,102 oder von der Entscheidung eines „individuellen Patienten“, ist in hohem Maße umstritten: 1. Insbesondere in der älteren Rechtsprechung103 und Literatur104 lassen sich Nachweise finden, wonach sich die „hypothetische Einwilligung“ nach der Entscheidung eines „verständigen“ oder „vernünftigen Patienten“ richten soll. Dieser Standpunkt stand am Anfang der Entwicklung der „hypothetischen Einwilligung“. 92 Vgl. Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a; ders., in: Lackner/Kühl Vor § 32 StGB Rdn. 21a, § 228 StGB Rdn. 17a. 93 Vgl. Kuhlen, JR 2004 229; vorher schon ders., in: FS für Müller-Dietz 443; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 9 Rdn. 28. 94 Vgl. zweifelnd Mitsch, JZ 2005 284 f. 95 Vgl. Rönnau, JZ 2004 803; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231; ders., StV 2008 467; ders., in: FS für Tiedemann 719; vorher eher restriktiv ders., Willensmängel 435 f.: „in der Tendenz restriktiv zu handhaben“. 96 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122, 128; vgl. auch ders., Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 74, 99. 97 Vgl. Tag, Körperverletzungstatbestand 299 Fn. 1981. 98 Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231. 99 Vgl. Kuhlen, JR 2004 229. Vgl. zu den Gründen 8. Kap. § 2 E. I. 100 Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231. 101 Vgl. Rönnau, in: FS für Tiedemann 719 für die Untreue (§ 266 StGB). 102 Vgl. RGZ 62 201, 206. 103 Vgl. RG JW 1907 505, 506 vom 21. Juni 1907; vgl. auch OLG Hamburg OLG 28 182 vom 27. März 1913. 104 Vgl. König/Köstlin, Haftpflicht des Arztes 42; Liertz/Paffrath, Handbuch des Arztrechts 203, 316.

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Das Kammergericht Berlin hat die Rechtsprechung des Reichsgerichts mit der Entscheidung vom 22. März 1955 fortgesetzt: Nach der „Erfahrung des Lebens“ hätte sich die Klägerin mit der Operation einverstanden erklärt. Es müsse davon ausgegangen werden, dass auch die Klägerin und ihr Ehemann den Entschluss gefasst hätten, zu dem „verständige Menschen“ in solcher Lage gekommen wären.105 Dass der „verständige“106 oder der „vernünftige Patient“107 seine Einwilligung „vernünftigerweise“ nicht versagen werde, davon ist in jüngster Zeit immerhin noch das Oberlandesgericht Zweibrücken ausgegangen.108 Aus dem wissenschaftlichen Schrifttum befürworten Geilen109 und Krauß110 diesen Standpunkt. Als „tragende Gesichtspunkte“ für die „hypothetische Einwilligung“ hob früher zudem Ulsenheimer auf objektive Umstände ab. Entscheidend seien die Schwere und die Langwierigkeit der Erkrankung, die Indikation des Eingriffs, dessen Heilungschancen (Erfolgsprognosen) und bei Behandlungsalternativen die objektive Risikoabwägung.111 105

Vgl. KG Berlin VersR 1956 261. Vgl. dazu etwa BGH NJW 1980 1333, 1334; NJW 1991 2344, 2345; VersR 1994 1236, 1237. 107 Vgl. dazu etwa BGHZ 90 103, 111 = NJW 1984 1397, 1399; weiter BGH NJW 1980 1333, 1334; NJW 1990 2928, 2929; NJW 1993 2378, 2379; NJW 1994 799, 801; NJW 1998 2734; OLG Düsseldorf NJW 1989 2334, 2335; OLG München NJW-RR 1994 1308, 1309; aus dem Strafrecht BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. 108 Vgl. OLG Zweibrücken VersR 2000 892, 893. 109 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 110 ff.; ders., Medizinrecht Rdn. 452; vgl. auch Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 133; ders., NStZ 1996 133; ders., in: Medizin und Recht 138. 110 Vgl. Krauß, in: FS für Bockelmann 573 stellt zwar auf die „individuellen Interessen“, auf eine „individuelle Betrachtungsweise“ ab. Er will aber sachlich nur diejenige Entscheidung anerkennen, die neben derjenigen des Arztes „sinnvoll gewesen wäre“. Auch Jäger, in: FS für Jung 345 Fn. 1 ist der Auffassung, es würden hier „offensichtlich“ allgemeine Vernünftigkeitserwägungen eine Rolle spielen. 111 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132; ders., NStZ 1996 133; ders., in: Medizin und Recht 138. Vgl. auch Geilen, Medizinrecht Rdn. 452. Ulsenheimer bildet folgenden Beispielsfall: Stehen zwei Behandlungsalternativen (Rektoskopie und Coloskopie) zur Verfügung, wobei die Quote eines tödlichen Zwischenfalls beim Colon-Kontrastmitteleinlauf jedoch insgesamt geringer sei, dürfe man, wenn andere Untersuchungsmethoden fehlen, davon ausgehen, dass der Patient, der über die Möglichkeit einer Perforation des Darmes nicht aufgeklärt worden sei, in die Darmkontrastmitteluntersuchung eingewilligt hätte. Dasselbe soll gelten, wenn es aus medizinischer Sicht keine Behandlungsalternative gebe. Komme dagegen im konkreten Fall eine sinnvolle Alternative oder der Verzicht auf den Eingriff in Betracht, weil keine akute Gefahr für den Patienten bestand, so seien dies Umstände, die im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens sein Gewicht nehmen. 106

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2. Im Anschluss an einige Entscheidungen Anfang der 80er Jahre112 und die Grundlagenentscheidung vom 7. Februar 1984113 verlangt der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, die Überzeugung von der „hypothetischen Einwilligung“ des Patienten dürfe nicht aufgrund von Erwägungen gebildet werden, dass „die große Mehrzahl der Patienten“114 oder „alle verständigen Patienten“ so gehandelt haben würden. Es gehe nicht an, die Ursächlichkeit des Aufklärungsversäumnisses für den Einwilligungsentschluss mit der Begründung zu verneinen, der Patient hätte sich aufgrund der „Erfahrungen mit dem gesamten Patientengut“ ebenfalls voraussichtlich zur Operation auch bei sachgemäßer Aufklärung entschlossen.115 Es komme nicht auf das an, „was aus ärztlicher Sicht erforderlich und sinnvoll gewesen wäre“.116 Unerheblich sei es, dass sich der Patient ohnehin hätte operieren lassen müssen.117 Ob die Voraussetzungen der „hypothetischen Einwilligung“ vorliegen, soll sich stattdessen nach dem „konkreten Entscheidungsergebnis des jeweiligen Patienten“ richten. Der Bundesgerichtshof verlangt daher grundsätzlich die „persönliche Anhörung des Patienten“.118 Nur auf diesem Weg lasse sich sicherstellen, dass die besondere persönliche Situation und die Einstellung des jeweiligen Patienten hinreichend beachtet werden.119 Auch die Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs liegt prinzipiell auf dieser Linie.120 Der Erste Strafsenat wies im Bandscheibenfall121 noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass bei der „Kausalitätsprüfung“ auf das konkrete Entscheidungsergebnis des jeweiligen Patienten abzustellen sei. Es komme nicht darauf an, dass er sich ohnehin hätte operieren lassen müssen oder dass ein vernünftiger Patient eingewilligt hätte.122 Diesen Standpunkt hat er nunmehr in der 4. Aufl. seines Arztstrafrechts § 1 I Rdn. 132c aufgegeben. 112 Vgl. BGH NJW 1980 1333, 1334 = VersR 1980 428, 429; NJW 1980 2751, 2753; NJW 1982 700 = VersR 1982 74, 75 f.; VersR 1982 168, 169; VersR 1982 1142, 1143. 113 Vgl. BGHZ 90 103, 111 = NJW 1984 1397, 1399. 114 Vgl. dazu etwa BGH NJW 1980 1333, 1334. 115 Vgl. BGH NJW 1980 1333, 1334. 116 Vgl. dazu etwa BGH NJW 1998 2734; vgl. auch Kullmann, PHi 1997 82 mwN. 117 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. 118 Vgl. BGH NJW 1990 2928, 2929; NJW 1991 1543, 1544; 1992 2351, 2352; 1994 2414, 2415; 1994 3009, 3011; 1995 2410, 2411; NJW 1998 2734. 119 Vgl. dazu BGH NJW 1990 2928, 2929. 120 Vgl. BGH BGHR § 223 Abs. 1 StGB Heileingriff 2, 3; NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71 f.; BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. 121 Vgl. Einl. § 1 IV. 122 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252.

§ 2 Begriffliche Umschreibung der „hypothetischen Einwilligung“

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Der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs ist seit der Entscheidung vom 7. Februar 1984 (BGHZ 90 103) auch in ständiger Rechtsprechung denjenigen Entscheidungen entgegengetreten, die die „hypothetische Einwilligung“ des Patienten am Maßstab des „verständigen Patienten“ gemessen haben: Das Berufungsgericht „stellt auf die Entscheidung eines vernünftigen Patienten ab und berücksichtigt nicht die konkrete Konfliktlage der Klägerin.“123 Im Schrifttum wird diese Praxis geteilt. Zum Schutz des „Selbstbestimmungsrechts“ verlangt Rönnau das Abheben auf das konkrete Entscheidungsergebnis des jeweiligen Patienten.124 Diesen Standpunkt vertreten auch Amelung,125 Bauer,126 Eisele,127 Eser,128 Geppert,129 G. Hirsch und Weißauer,130 Joecks,131 Kuhlen,132 Müller-Dietz,133 Riedelmeier,134 Ulsenheimer135 und Tag.136 Aus dem zivilrechtlichen Schrifttum pflichten Deutsch,137 Grunsky,138 Hager,139 Hanau,140 Katzenmeier,141 Kullmann,142 Mertens,143 Schiemann144 und Schlund145 dieser Position bei. 123

Vgl. etwa BGH NJW 1990 2928, 2929; JZ 1991 675, 676; NJW 1991 2344, 2345 = VersR 1991 812, 814; NJW 1993 2378, 2379; NJW 1994 709, 801; VersR 1994 1235, 1237; NJW 1998 2734 = VersR 1998 766, 767. 124 Vgl. Rönnau, Willensmängel 428 Fn. 70; ders., JZ 2004 804; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231. 125 Vgl. Amelung, Willensmängel 55, 69. 126 Vgl. Bauer, Ärztlicher Heileingriff 175. 127 Vgl. Eisele, JA 2005 253. 128 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 40 (bis zur 26. Aufl.), der die „hypothetische Einwilligung“ danach ablehnt, vgl. ders., aaO. Rdn. 40e. 129 Vgl. Geppert, JK 12/04 § 223/3 StGB 3; dagegen unklar ders., JZ 1988 1025. 130 Vgl. G. Hirsch/Weißauer, MedR 1983 42. 131 Vgl. Joecks, in: MüKo § 223 StGB Rdn. 80. 132 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB 26. Aufl. Rdn. 40. 133 Vgl. Müller-Dietz, JuS 1989 281. 134 Vgl. Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 79 f., die die „hypothetische Einwilligung“ allerdings ablehnt. 135 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132c. 136 Vgl. Tag, Körperverletzungstatbestand 399. 137 Vgl. Deutsch, Medizinrecht 108. 138 Vgl. Grunsky, in: MüKo 3. Aufl. Vor § 249 BGB Rdn. 90a. 139 Vgl. Hager, in: Staudinger § 823 BGB I Rdn. 123. 140 Vgl. Hanau, Pflichtwidrigkeit 48 Rdn. 84. 141 Vgl. Katzenmeier, Arzthaftung 368 f. 142 Vgl. Kullmann, PHi 1997 82. 143 Vgl. Mertens, in: MüKo § 823 BGB Rdn. 746; ders., in: Soergel Vor § 249 BGB Rdn. 166. 144 Vgl. Schiemann, in: Staudinger § 249 BGB Rdn. 107. 145 Vgl. Schlund, VersR 1991 815.

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Einleitung

3. Dem herrschenden Standpunkt im Zivil- und Strafrecht tritt Mitsch entgegen. Er will nach seiner „erfolgsorientierten“146 Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ „vor allem“ von der „Heilungschance“ auf die „hypothetische Einwilligung“ des Patienten schließen.147 Nicht entscheidend sei die Entschließung eines „verständigen Patienten“, der sich maßgeblich nach der medizinischen Indikation richten werde, sondern „vor allem“ der „Heileffekt“ (scil. Heilungserfolg).

F. Die „hypothetische Einwilligung“ zwischen „in dubio pro reo“ und der Risikoerhöhungslehre 1. Die Voraussetzungen der „hypothetischen Einwilligung“ sollen dem Arzt im Strafrecht nachzuweisen sein. Verbleiben Zweifel, so sei – abweichend von den Regeln im Zivilrecht – in dubio pro reo davon auszugehen, dass die Einwilligung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung erteilt worden wäre.148 Der „Zweifelsgrundsatz“ wird in der Wissenschaft dabei restriktiv zu handhaben versucht, um zu verhindern, dass der Arzt „stets“ mit dem Argument gehört werden müsste, es sei „nicht ausgeschlossen (weil nicht undenkbar)“,149 dass der Patient eingewilligt hätte. Die „bloß abstrakte Denkmöglichkeit“ oder die „rein theoretische Möglichkeit“ einer „hypothetischen Einwilligung“ legitimiere die Anwendung des „Zweifelsgrundsatzes“ nicht. Die „rein theoretische Möglichkeit“ der Nichtzustimmung sei „nie“ auszuschließen. Eine zu weitgehende Anwendung des „Zweifelssatzes“ wäre die Folge. Vielmehr bedürfe es zum Ausschluss der richterlichen Überzeugung (§ 261 StPO) von der „hypothetischen Einwilligung“ eines „vernünftigen 146

Vgl. zur Terminologie Kuhlen, JZ 2005 715. Vgl. Mitsch, JZ 2005 283. 148 Vgl. BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71; NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252; vgl. etwa auch Bauer, Ärztlicher Heileingriff 175; Eisele, JA 2005 254; Fischer, § 223 StGB Rdn. 16a; Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 105; ders., Medizinrecht Rdn. 452; G. Hirsch/Weißauer, MedR 1983 44; Joecks, in: MüKo § 223 StGB Rdn. 80; Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a; ders., in: Lackner/ Kühl § 228 StGB Rdn. 17a; Kuhlen, in: FS für Roxin 342 Fn. 62; ders., JR 2004 228, 229; Krey/Heinrich, Strafrecht BT Bd. 1 § 3 Rdn. 210a; Rönnau, JZ 2004 804; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230; Schroth, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 33 Fn. 36; Tag, Körperverletzungstatbestand 399; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132; ders., in: Medizin und Recht 138; ders., NStZ 1996 133; Wessels/ Beulke, Strafrecht AT § 9 Rdn. 381b; vgl. auch Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 40a; Gropp, Strafrecht AT § 6 Rdn. 41. 149 Vgl. Puppe, Strafrecht AT Bd. 1 § 22 Rdn. 4; vgl. auch Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 81. 147

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Zweifels“, also eines Zweifels, der sich auf „konkrete Anhaltspunkte“ stützen lasse.150 Diese Zweifel seien aus der „Interessenlage“ und aus den – auch nachträglichen – „Willensbekundungen des Betroffenen“ zu gewinnen.151 Der Bundesgerichtshof hält zur Ermittlung der „hypothetischen Einwilligung“ – abgesehen von besonders gelagerten Fällen152 – eine persönliche Anhörung des Patienten nach dem ärztlichen Eingriff daher stets für erforderlich.153 Die Äußerung und Begründung müssen erkennen lassen, dass die Entscheidung der Patientin zum damaligen Zeitpunkt eine „nachvollziehbare und mögliche Schlussfolgerung“ sei.154 Die nachträgliche Anhörung des Patienten soll zu „sicheren“, „eindeutigen und glaubhaften Ergebnissen“ führen.155 2. Die Anwendbarkeit von „in dubio pro reo“ auf die „hypothetische Einwilligung“ wird zum Teil aus unterschiedlichen theoretischen Gründen ganz in Abrede gestellt.156 3. Andere gehen nicht derart weit. Sie befürchten bei einer Zulassung des Rechtsgedankens zwar keine unlösbaren, aber durchaus erhebliche Nachweisschwierigkeiten.157 Exemplarisch hierfür steht der Turboentzugsfall.158 Hier war der Patient in der Folge verschiedener ärztlicher Kunstfehler verstorben. 4. Um ein „hypothetisches Rätselraten“159 zu vermeiden, werden daher zum Teil auch Vermutungen aufgestellt. Oft lege der situative Kontext bestimmte Annahmen zwingend nahe. Im Bohrerfall160 sei die Aufklärung absichtlich unterlassen worden, um nicht eine Ablehnung des Eingriffs durch den Patienten zu provozieren. Hier könne die „konkrete Möglichkeit“ der 150

Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231. Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 434 Fn. 14; ders., JR 2004 229, der auch „nachträgliche Erklärungen“ des Patienten im Strafverfahren gegen den Arzt berücksichtigen will. Vgl. auch Dreher, Objektive Zurechnung 83 f. 152 Vgl. zu diesen Sonderfällen, in denen aus den unstreitigen äußeren Umständen auf eine „hypothetische Einwilligung“ geschlossen wurde 1. Kap. Fn. 58. 153 Vgl. etwa BGH NJW 1990 2928, 2929; NJW 1994 2414, 2415. 154 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. 155 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 127. 156 Vgl. Puppe, GA 2003 769; dies., JR 2004 470: Keine Anwendung des „Zweifelsgrundsatzes“ auf nicht strikt determinierte Kausalverläufe; vgl. auch Duttge, in: FS für Schroeder 189; Otto, Jura 2004 683; ders., JK 2/05 § 228/4 StGB 1. Vgl. anders Paeffgen, in: FS für Rudolphi 208; ders., in: NK § 228 StGB Rdn. 86: Unanwendbarkeit von „in dubio pro reo“ auf „bloße Mutmaßungen“ anstelle von Tatsachen. 157 Vgl. etwa Kleinewerfers, VersR 1963 303. 158 Vgl. Einl. § 1 VIII. 159 Vgl. Bosch, JA 2008 72 Fn. 8. 160 Vgl. Einl. § 1 VI. 151

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Einleitung

Einwilligung für den Fall der ordnungsgemäßen Aufklärung „in der Regel“ ausgeschlossen werden.161 5. Im Prinzip leuchtet die Rechtsfigur der „hypothetischen Einwilligung“ auch Roxin ein.162 Den „wohlbekannten Streit“ zwischen der Vermeidbarkeits- und der Risikoerhöhungslehre entscheidet er allerdings gegen den seiner Meinung nach „bedenklichen“ Nachweis der „hypothetischen Nichteinwilligung“. Hier sei „im Wege der Übertragung der Risikoerhöhungstheorie“ eine Strafbarkeit des Arztes schon dann anzunehmen, wenn auch nur die „konkrete Möglichkeit“ bestehe, dass der Patient bei sachgerechter Aufklärung dem Eingriff nicht zugestimmt haben würde. Dann habe sich das Risiko eines eigenmächtigen Eingriffs erhöht. Daraus folge: „Aufklärungsmängel können [. . .] eine Strafbarkeit des Arztes wegen Körperverletzung [. . .] begründen, wenn der [konkrete] Patient bei einer den Anforderungen genügenden Aufklärung [durch den konkreten Arzt] in den [konkret ausgeführten] Eingriff [hypothetisch] nicht eingewilligt hätte [. . .].“ Die Strafbarkeit des Arztes sei aber nur dann ausgeschlossen, wenn die „hypothetische Einwilligung“ mit Sicherheit erteilt worden wäre. Zweifel hieran gehen zu Lasten des Arztes.163

161 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 127. In diese Richtung wohl auch Böcker, JZ 2005 927. Vgl. auch Kuhlen, JR 2004 929, der im Bandscheibenfall letztlich von einem „vorangegangenen Kunstfehler“ der behandelnden Oberärztin auf die Nichteinwilligung des Patienten schließen will. 162 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 120. 163 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 124 ff., 134. Auch Kuhlen, JR 2004 228 hat die Anwendung der Risikoerhöhungslehre im Grunde immer für möglich gehalten. Vgl. zudem Stratenwerth/Kuhlen, AT Bd. I § 9 Rdn. 28. Diese Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ hält Joecks, Studienkommentar Vor § 32 StGB Rdn. 36 b „für vertretbar“; weiter aber ders., in: MüKo § 223 StGB Rdn. 80. Vgl. hierzu Schroth, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 33 Fn. 36.

Erstes Kapitel

Die Entwicklung des Diskussionsstandes bei der „hypothetischen Einwilligung“ 1 § 1 Die zivilrechtliche Problematik zu Zeiten des Reichsgerichts A. Ausgangspunkt Das Reichsgericht hat den Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ – entgegen mancher Bekundungen2 – schon früh anerkannt. Die zur Illustration dienenden Beispiele betreffen dabei allesamt die zivilrechtliche Schadensersatzpflicht des Arztes. Strafrechtliche Erörterungen der Problematik fehlen.3 Dieser Gedanke, dass der Patient, „falls er darum angegangen worden wäre, seine Einwilligung [. . .] gegeben haben würde“, lässt sich bereits in einer Entscheidung vom 21. Juni 1907 nachweisen.4 In der Sache ist über eine ohne Zustimmung der Eltern vorgenommene, fehlgeschlagene Schieloperation zu entscheiden. Obwohl der Arzt ohne Fahrlässigkeit von einer Einwilligung der Patientin ausgehen durfte, komme es jedenfalls dazu, dass – hilfsweise – auch „der ursächliche Zusammenhang, über den das Berufungsgericht sich jeder Äußerung entschlägt, zwischen einem etwaigen Verschulden des beklagtischen 1 Die Entwicklungsgeschichte der „hypothetischen Einwilligung“ im sich wandelnden Zeitverständnis des Arzt-Patienten-Verhältnisses wird für das Zivilrecht vielfach nachvollzogen. Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 105 f.; Eb. Schmidt, Gutachten zum 44. DJT Bd. I; vgl. weiter etwa Ehlers, Ärztliche Aufklärung 15 ff.; Helbron, Entwicklung 77 ff.; Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht 160 ff. 2 Vgl. Fn. 29, 30. 3 In den ausführlichen Erörterungen zur „hypothetischen Einwilligung“ bei König/Köstlin, Haftpflicht des Arztes 42 und Liertz/Paffrath, Handbuch des Arztrechts 203 verhält es sich nicht anders. Besonders die letztgenannten Verfasser gehen mit keinem Wort auf die Bedeutung der „hypothetischen Einwilligung“ in den ansonsten sehr umfangreichen Erläuterungen über die strafrechtliche Seite des eigenmächtigen ärztlichen Handelns ein, vgl. Liertz/Paffrath, Handbuch des Arztrechts 373 ff., 383 ff. 4 Vgl. RG JW 1907 505, 506.

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1. Kap.: Diskussionsstand bei der „hypothetischen Einwilligung“

Erblassers und dem der Klägerin durch die Operation erwachsenen Schaden vollständig fehlen würde“.5 Die Voraussetzungen der „hypothetischen Einwilligung“ wurden dabei sehr weit gesteckt. Aus der Entscheidung des Reichsgerichts vom 21. Juni 1907 und des Oberlandesgerichts Hamburg vom 27. März 19136 lässt sich entnehmen, dass sich der hypothetische bzw. vermutliche Wille des Kranken entscheidend nach dem richten sollte, was ein „vernünftiger Mensch“ anstelle des Patienten bei wahrheitsgemäßer Belehrung gedacht haben würde: Es könne keinem Zweifel unterliegen, dass der klägerische Vertreter, falls er darum angegangen worden wäre, seine Einwilligung zu der, von sehr seltenen fast nie vorkommenden Ausnahmen abgesehen, gefahrlosen Schieloperation, auf die sich zudem die Dienstbotenversicherung erstreckte, gegeben haben würde. Dies um so mehr, als der bereits 18 Jahre 7 Monate alten Klägerin nicht nur an sich das Schielen unangenehm war, sondern dasselbe auch deshalb, weil sie vom Straßenpublikum dieserhalb angerufen wurde, besonders lästig wurde.7 Die Entscheidung eines „verständigen Patienten“ war für die „hypothetische Einwilligung“ bis in die 60er Jahre hinein maßgeblich.8 Auf einen derartigen medizinischen und forensischen Paternalismus kommt es nach heutiger Auffassung in Rechtsprechung9 und Lehre allerdings nicht mehr an.10 Bei dieser schwierigen Sachlage oblag es nach Auffassung des Reichsgerichts und des Oberlandesgerichts Hamburg dem Kranken, die „besonderen Gründe“ offenzulegen, weshalb eine Einwilligung zu der Operation nicht erteilt worden wäre.11 Mindestens „ist [dem Arzt] auch nicht zu widerlegen“, dass die Patientin ihr Einverständnis erteilt haben würde, wenn 5

Vgl. RG JW 1907 505, 506. Vgl. OLG Hamburg OLG 28 182: Fall einer fehlenden Zustimmung der bald nachher verstorbenen Patientin in eine Operation zur Beseitigung von Wucherungen an der Gebärmutter, nicht aber zu der bereits zuvor geplanten völligen Fortnahme des ganzen Gebärmutterorgans. Vgl. dazu auch König/Köstlin, Haftpflicht des Arztes 32; Eb. Schmidt, in: Gutachten zum 44. DJT Bd. I Anm. 100. Die Begründetheit der Honorarklage des Arztes u. a. begründet das OLG Hamburg damit, dass der Arzt mit gutem Grund die Einwilligung tatsächlich erteilt vorausgesetzt habe und voraussetzen durfte. Neben das fehlende Verschulden tritt hilfsweise der Gedanke der „hypothetischen Einwilligung“. 7 Vgl. RG JW 1907 505, 506. 8 Vgl. ganz in diesem Sinne noch Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 110 ff. 9 Vgl. st. Rspr. BGH NJW 1980 1333, 1334; BGHZ 90 103, 111 = NJW 1984 1397, 1399. 10 Vgl. nur Kleinewerfers, VersR 1963 303. 11 Vgl. RG JW 1907 505, 506. 6

§ 1 Zivilrechtliche Problematik zu Zeiten des Reichsgerichts

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er ihr die Wahrheit über ihr Krebsleiden gesagt und sie danach vor die Wahl gestellt hätte.12 Das seinerzeitige Schrifttum hat den Standpunkt der Rechtsprechung soweit ersichtlich geteilt. Das belegen die Ausführungen von König und Köstlin13 sowie von Liertz und Paffrath. Auch hier war man davon überzeugt, dass der Patient den „Kausalzusammenhang“ zwischen der Verletzung der Aufklärungspflicht und dem Schaden „darzutun und zu beweisen“ habe.14 Die Beweislastverteilung zu Lasten des Patienten trifft im Zivilrecht später auf beinahe einhellige Ablehnung. Dogmatisch können die Beweislastverteilung sowie das Abstellen auf den „vernünftigen Patienten“ mit der Theorie der adäquaten Verursachung begründet worden sein. Das vermuten Liertz und Paffrath.15 Naheliegend erscheint auch der Gedanke, dass die Einwilligung nach der damals noch herrschenden Rechtsgeschäftstheorie als Willenserklärung behandelt wurde.16 Das Irrtumsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches berücksichtigt Vorstellungsmängel bei der Abgabe einer Willenserklärung aber nur, wenn der Irrende die Erklärung – hypothetisch – bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde (§ 119 Abs. 1 BGB). Die entschiedenen Fälle des Reichsgerichts und des Oberlandesgerichts Hamburg betrafen zudem bezeichnenderweise eine kosmetische Operation und einen Fall von Krebsleiden. In diesen Sachgestaltungen waren die Richter überzeugt, dass der Patient in den Eingriff eingewilligt hätte, wenn er vor die Wahl gestellt worden wäre. Auch das damalige Schrifttum erörtert die „hypothetische Einwilligung“ anhand besonderer Fallgruppen: Die Akzentsetzung liegt auf den vital indizierten Eingriffen, die der „Beseitigung einer unmittelbaren Lebensgefahr“ dienen, und auf den kosmetischen Eingriffen, bei denen zu gegenwärtigen sei, dass diese Personen ihrer Eitelkeit wegen „erfahrungsgemäß“ jedes Opfer zu bringen pflegen.17 12 Vgl. OLG Hamburg OLG 28 182, 183. Vgl. später auch Engisch/Hallermann, Ärztliche Aufklärungspflicht 32 f.; Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 105. 13 Vgl. König/Köstlin, Haftpflicht des Arztes 42. 14 Liertz/Paffrath, Handbuch des Arztrechts 203 sind der Meinung, dass der Patient dazu häufig nicht in der Lage sein werde, „da zahlreiche Patienten sich auch dann hätten behandeln lassen, wenn sie die Gefahr erkannt hätten.“ Über die „vernünftige“ oder „verständige“ Maßstabsperson bei der „hypothetischen Einwilligung“ bestand Einmütigkeit. Vgl. weitere Nachweise 6. Kap. § 3 C. 15 Vgl. Liertz/Paffrath, Handbuch des Arztrechts 203, 316. 16 Vgl. Geilen, Medizinrecht Rdn. 452. 17 Vgl. König/Köstlin, Haftpflicht des Arztes 42.

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1. Kap.: Diskussionsstand bei der „hypothetischen Einwilligung“

B. Die Entwicklung bis zur Entscheidung des Reichsgerichts vom 8. März 1940 I. Die rückwärtige Tendenz bei der „hypothetischen Einwilligung“ Diesen weitgehenden Standpunkt hat die Rechtsprechung in den Folgejahren wohl auch wegen der Entwicklung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Anschluss an RGZ 78 432 aufgegeben.18 So lassen sich zwar noch immer Entscheidungen zu der sehr paternalistisch gehandhabten „hypothetischen Einwilligung“ nachweisen. Die rückläufige Tendenz des Rechtsgedankens zeichnet sich aber schon darin ab, dass in dem Fall des Reichsgerichts vom 17. April 1934 der „Ursachenzusammenhang“ sogar festgestellt wurde:19 Der Arzt habe seine Verpflichtungen verletzt, indem er der Kranken die subjektiv und objektiv falsche Auskunft gegeben habe, dass die Einspritzung völlig ungefährlich sei. Das sei „für den entstandenen Schaden ursächlich gewesen, denn bei Kenntnis der Gefahren hätte die Kranke die Einspritzung nicht vornehmen lassen [. . .].“ Dem damaligen Schrifttum geht die Anwendung der „hypothetischen Einwilligung“ durch die Gerichte auch nicht weit genug:20 Es sei recht häufig anzunehmen, wie König und Köstlin 1937 ausführen, dass der Patient bei vorheriger richtiger Aufklärung seine Einwilligung erteilt haben würde. „Dieser Gesichtspunkt pflegt erfahrungsgemäß nicht die genügende Beachtung zu finden. Es besteht der Eindruck, dass eine Reihe von Urteilen sonst anders ausgefallen wäre.“21 Das spiegelt sich etwa in einer Entscheidung des Reichsgerichts vom 11. Dezember 193422 wider, in der das Oberlandesgericht ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass die Frage des „Kausalzusammenhangs“ zwischen der schuldhaften Verletzung der Aufklä18

Vgl. Nachweise zur ärztlichen Aufklärungspflicht bei Eb. Schmidt, in: Gutachten zum 44. DJT Bd. I Anm. 14 ff. 19 Vgl. RG III 27/34 vom 17. April 1934 mitgeteilt bei Goldhahn/W. Hartmann, Chirurgie und Recht 44: Fall einer Varizeninjektion, die von ärztlicher Seite auf Nachfragen des Patienten als „ungefährlich“ bezeichnet wurde. Mitgeteilt auch bei Perret, Arzthaftpflicht 20. 20 Vgl. Liertz/Paffrath, Handbuch des Arztrechts 203. 21 Vgl. König/Köstlin, Haftpflicht des Arztes 41 f. 22 Vgl. RG III 128/34 vom 11. Dezember 1934 mitgeteilt bei König/Köstlin, Haftpflichtrecht des Arztes 41, 42: Nicht im entferntesten zutreffende Inaussichtstellung einer zwar nicht 100-prozentigen, aber doch 99-prozentigen Erfolgswahrscheinlichkeit eines in erheblichen Maße gefährlichen kosmetischen Eingriffs, der der Beseitigung eines Defektes des rechten Nasenflügels mit narbiger Zerstörung der Haut auf luetischer Grundlage dient. Vgl. auch Liertz/Paffrath, Handbuch des Arztrechts 203.

§ 1 Zivilrechtliche Problematik zu Zeiten des Reichsgerichts

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rungspflicht und der Einwilligung einer eingehenden Prüfung unterzogen werden müsse. II. Die Zurückhaltung des Reichsgerichts in der Entscheidung vom 8. März 1940 1. Die rückwärtige Tendenz der „hypothetischen Einwilligung“ wird schließlich auch in der Entscheidung des Reichsgerichts vom 8. März 1940 deutlich.23 Der Beklagte, so führt der Dritte Zivilsenat in den Entscheidungsgründen aus, habe „ohne Zustimmung der Patientin“ die ganze rechte Brust entfernt und damit die „Grenzen des rechtlich und vertraglich Zulässigen“ überschritten. Das begründe den Schadensersatzanspruch der Klägerin. Der „kausale Zusammenhang“ wäre allerdings nicht gegeben, falls der Schaden auch eingetreten sein würde, wenn das schadensstiftende Ereignis unterblieben wäre. Da die schadensstiftende Handlung eben die Vornahme des Eingriffs selbst sei, so würde es, wenn der Beklagte sie unterlassen hätte, nicht zu dem geltend gemachten Schaden gekommen sein. Es sei nicht so, dass der Beklagte die Zustimmung der Klägerin zur Abnahme der ganzen Brust gehabt hätte und es sich nur darum handelte, dass diese Zustimmung auf Grund einer unzureichenden Belehrung erteilt worden wäre. „Nur dann könnte die Frage aufgeworfen werden, ob die Klägerin die Einwilligung nicht auch bei sachgemäßer Beratung gegeben haben würde, so dass es unter allen Umständen zu dem Eingriff und damit zu den durch diesen herbeigeführten Nachteilen gekommen wäre.“24 Die differenzierte Betrachtung der ärztlichen Eigenmacht – Handeln „gegen“, „ohne“ den und „mit fehlerhaft gebildeten“ Willen – wird auch später in Rechtsprechung25 und Lehre anerkannt.26 In der neueren Auseinandersetzung über die „hypothetische Einwilligung“ geht man auf diese Problematik aber nur noch am Rande ein. Das Reichsgericht lehnte es demnach ab, die „hypothetische Einwilligung“ zuzulassen, wenn es an einer Einwilligung des Patienten in den Eingriff gänzlich fehle. Bei dem ärztlichen Handeln „ohne“ und „gegen“ den Willen des Patienten fehlt es an einer „Behandlungseinwilligung“. Eine eigentliche „hypothetische Rechtfertigung“ lehnte später auch der Dritte Zi23 24 25 26

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Sachverhalt Einl. § 2 B. I. RGZ 163 129, 139 = DR 1940 1288, 1291 mit Anm. Kallfelz. etwa OLG Karlsruhe NJW 1966 399, 401, vgl. hierzu Fn. 43. die Nachweise Einl. § 2 B. I.

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1. Kap.: Diskussionsstand bei der „hypothetischen Einwilligung“

vilsenat des Bundesgerichtshofs in der Impfentscheidung vom 26. Januar 1959 ab.27 Skepsis bestand lange Zeit auch in der Wissenschaft.28 Wenn Schiemann, Schwartz und Weyers allerdings dafür halten, dass das Reichsgericht den zivilrechtlichen Einwand der „hypothetischen Einwilligung“ „zunächst recht apodiktisch abgelehnt“ habe,29 so ist das angesichts der Fundstellen zwar unzutreffend.30 Die gewisse Berechtigung dieser Einschätzung ergibt sich allerdings aus der Skepsis, die auch das Reichsgericht einer eigentlichen „hypothetischen Rechtfertigung“ entgegenbrachte. Zweifel bestehen jedoch an dieser Auffassung insoweit, als dass das Reichsgericht die Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ durchaus für möglich hielt, wenn die Einwilligung auf Grund einer unzureichenden Belehrung des Arztes erteilt wurde. Dem ärztlichen Handeln liegt dann eine „fehlerhaft gebildete Einwilligung“ des Patienten zugrunde.31 Bei dieser Differenzierung lässt sich jedoch erahnen, dass mit der „hypothetischen Frage“, ob die Patientin die Einwilligung auch bei sachgemäßer Beratung gegeben haben würde, in eine ganz andere Richtung als mit der heutigen Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ gewiesen wird.32 2. Von der ehemals großen Bedeutung der „hypothetischen Einwilligung“ ist nach der Entscheidung des Reichsgerichts vom 8. März 1940 daher nicht viel geblieben. Eb. Schmidt hatte erste Hinweise auf die später so wichtige ärztliche Aufklärungspflicht als Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung („Rechtswidrigkeitskonzept“)33 erst in einer reichsgerichtlichen Entscheidung vom 1. März 1912 ausgemacht.34 Davor habe es das Problem der Aufklärungs27

Vgl. BGH VersR 1959 355. Vgl. Fn. 55. Vgl. Fn. 120. 29 Vgl. Schiemann, in: Staudinger § 249 Rdn. 107; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 137; Weyers, in: Gutachten zum 52. DJT Bd. I Anm. 333: „ausdrückliche Ablehnung“. 30 Auch im späteren Schrifttum bestehen wenig Zweifel, dass das Reichsgericht die „hypothetische Einwilligung“ berücksichtigt hätte, sofern eine fehlerhafte Einwilligung der Patientin in den Eingriff vorhanden gewesen wäre, vgl. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 152; siehe auch Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht 160: „grundsätzlich für zulässig“ gehalten. 31 Vgl. RGZ 163 129 = DR 1940 1288 mit Anm. Kallfelz. 32 Vgl. eingehend 11. Kap. § 1 I, III. 33 Vgl. eingehend 11. Kap. § 1 B. III. 1., 2. 34 Vgl. RGZ 78 432 = JW 1912 528 Nr. 5. Vgl. auch noch OLG Hamburg vom 27. März 1913 (OLG 28 182) sowie RG III 416/19 vom 4. Mai 1920 Warneyer Rechtsprechung 1920 138 Nr. 109. 28

§ 1 Zivilrechtliche Problematik zu Zeiten des Reichsgerichts

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pflicht nicht gegeben.35 Im seinerzeitigen Schrifttum fehlen Nachweise über die ärztliche Aufklärungspflicht sogar bis weit in die 30er Jahre hinein.36 Bezeichnenderweise war die Frage nach Aufklärung weithin ins ärztliche Ermessen gestellt worden.37 Stillschweigend ging das Reichsgericht davon aus, dass sich der Patient, der den Arzt aufsucht, ihm voll anvertraut. Aufklärung war von dem Patienten einzufordern und nicht vom Arzt anzubieten.38 Es war auch undenkbar, den „Kranken auf alle nachteiligen Folgen aufmerksam zu machen, die möglicherweise bei einer dem Kranken angeratenen Operation entstehen können“.39 Für eine legitime Aufgabe der ärztlichen Aufklärungspflicht war es seinerzeit gehalten worden, die Wirkungslosigkeit oder sogar Schädlichkeit von medizinischen Außenseitermethoden nach Auffassung der Schulmedizin dem Patienten gegenüber offenzulegen.40 Die Warnungen des Reichsgerichts vor einer „Überspannung der Aufklärungspflicht“41 und vor einer „Überforderung des Arztes“ in dem Konflikt zwischen ärztlicher Fürsorge und Selbstbestimmung des Patienten wirkten noch bis Anfang der 30er Jahre nach. In der Entscheidung vom 8. März 1940 ist die Zurückhaltung des Reichsgerichts noch immer daran spürbar, dass die ärztliche Aufklärungspflicht unter dem Vorbehalt der „hypothetischen Einwilligung“ stand. Das Reichsgericht sprach sich – wohl auch angesichts der politischen Verhältnisse – zwar für das „Selbstbestimmungsrecht“ des Patienten und die ärztliche Aufklärungspflicht aus, lehnte allerdings eine damit verbundene Ausdehnung der Strafbarkeit des Arztes wegen einer Körperverletzung ab. Der weite Bereich der „Selbstbestimmungsaufklärung“,42 auf den die „hypothetische Einwilligung“ begrenzt wurde, erlangte erst später seine große Bedeutung.

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Vgl. Eb. Schmidt, in: Gutachten zum 44. DJT Bd. I Anm. 6, 14. Vgl. Eb. Schmidt, in: Gutachten zum 44. DJT Bd. I Anm.15. 37 Vgl. RG JW 1937 3087, 3088; vgl. auch Eb. Schmidt, in: Gutachten zum 44. DJT Bd. I Anm. 39. 38 Vgl. auch Tröndle, MDR 1981 881 f. 39 Vgl. RGZ 78 432, 433 f.; vgl. die weiteren Nachweise bei Eb. Schmidt, in: Gutachten zum 44. DJT Bd. I Anm. 38 ff. 40 Vgl. RGSt 50 37; 66 181. 41 In RGZ 78 432 war die Rede von einer ärztlicher Aufklärung, die den Patienten seelisch zu schonen, ihn vor Aufregung und davor zu bewahren habe, dass er in einer bedrückten Gemütsstimmung aus Ängstlichkeit und in subjektiver Übersteigerung der mit dem Eingriff vielleicht verbundenen Gefahren sich ärztliche Maßnahmen verweigere, die sichere oder doch große Chancen für die Wiedererlangung der Gesundheit gewähren. Vgl. hierzu vgl. Eb. Schmidt, in: Gutachten zum 44. DJT Bd. I Anm. 40. 42 Vgl. eingehend hierzu 11. Kap. § 1 B. II. 36

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1. Kap.: Diskussionsstand bei der „hypothetischen Einwilligung“

§ 2 Die „hypothetische Einwilligung“ zu Zeiten des Bundesgerichtshofs A. Die Entwicklung der „hypothetischen Einwilligung“ bis Anfang der 80er Jahre In den 50er Jahren hat sich die Rechtsprechung mehrfach mit der „hypothetischen Einwilligung“ auseinandergesetzt. Sie hat die schon beim Reichsgericht zuletzt feststellbare zurückhaltende Tendenz nahezu durchweg beibehalten. Sie ist vereinzelt weit darüber hinausgegangen. I. Die Entwicklung des Rechtsgedankens in der Rechtsprechung 1. Im Urteil vom 5. November 1952 verlangt das Oberlandesgericht Stuttgart von dem Arzt sogar den „sicheren Nachweis“ des „Kausalzusammenhangs“ zwischen der schuldhaften Nichtaufklärung und der Verletzung des Nervus Radialis. An die Beweispflicht des „Schädigers“43 müssen auch „insofern strenge Anforderungen“ gestellt werden.44 Den von Misstrauen gegenüber Ärzten geprägten Zeitgeist spiegeln auch noch andere Entscheidungen wieder. Hierher gehört die Entscheidung des Oberlandesgerichts Bremen vom 21. Oktober 1953,45 der Strahlenfall des Bundesgerichtshofs vom 16. Januar 195946 sowie die Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 1. Oktober 1965.47 43 Diese Entscheidung war insofern höchst konfliktbeladen und Ausdruck des anwachsenden Misstrauens gegenüber Ärzten, als sie den Arzt schlechtweg als „Schädiger“ herabgewürdigt hat. 44 Vgl. OLG Stuttgart VersR 1954 310, 311. 45 Vgl. OLG Bremen VersR 1954 63, 64: Eine Unterbrechung des Kausalzusammenhanges würde nur dann vorliegen, wenn auch bei erfolgter Aufklärung der Kläger mit Sicherheit seine Einwilligung erteilt hätte. Die Revisionsentscheidung wird als Erste Elektroschockentscheidung des Bundesgerichtshofs bekannt (BGH NJW 1956 1106). 46 Eher nebenbei wird die „hypothetische Einwilligung“ angerissen: Bleibe ungewiss, wie der Patient sich entschieden hätte und ob er die Einwilligung zu einem gefährlichen Eingriff erteilt hätte, gehe das zu Lasten des ohne wirksame Einwilligung handelnden Arztes, vgl. BGHZ 29 176, 187. 47 Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1966 399, 401. Die Differenzierung des Reichsgerichts in RGZ 163 129 findet sich wieder, doch wird sie anders entschieden: Es soll nämlich die Tatsache, dass die Einwilligung fehle oder mangels genügender Aufklärung nicht wirksam sei, dann nicht ursächlich sein, wenn der Arzt nachweisen könne, dass der Patient eingewilligt hätte, wenn er darauf angegangen worden

§ 2 „Hypothetische Einwilligung“ zu Zeiten des Bundesgerichtshofs

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Durch die Umkehr der Beweislast zu Lasten des Arztes ist sein Berufen auf die „hypothetische Einwilligung“ „praktisch erschwert, um nicht zu sagen entwertet“ worden.48 In einigen Entscheidungen wird über diese „praktische Erschwerung“ sogar noch hinausgegangen. Die erheblichen Bedenken des Sechsten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs an der Statthaftigkeit der „hypothetischen Einwilligung“ dokumentiert die Erste Elektroschockentscheidung vom 10. Juni 1954, in der sich der Senat erstmals mit der „hypothetischen Einwilligung“ beschäftigt hat: „Es mag dahinstehen, ob eine Feststellung, der Kl. würde bei ordnungsmäßiger Aufklärung eine Einwilligung erteilt haben, angesichts des tatsächlich vorliegenden rechtswidrigen Eingriffs in seine körperliche Integrität erheblich sein kann.“49 Bei dieser Haltung blieb der Senat auch in der Entscheidung vom 10. Februar 1956: „Es kann dahingestellt bleiben, ob es überhaupt zulässig ist, in dieser Weise hypothetisch innere Tatsachen anzunehmen [. . .].“50 Zweifel an der Zulässigkeit der „hypothetischen Einwilligung“ äußert auch Hauß in einer Anmerkung zum Strahlenfall vom 16. Januar 1959 (BGHZ 29 46): Unentschieden bleibe, ob rechtsdogmatisch überhaupt die Möglichkeit bestehe, dass die hypothetische Unterstellung eines anderen Geschehensablaufs in Fällen eines rechtswidrigen körperlichen Eingriffs zu einer Verneinung der Schadenszurechnung führen könne.51 Im Myomfall52 und in der Zweiten Elektroschockentscheidung53 wird der Rechtsgedanke gar nicht mehr erwähnt. Bezeichnend ist auch eine von Geilen mitgeteilte zivilrechtliche Entscheidung, in der der Bundesgerichtshof auf die „hypothetische Einwilligung“ gar nicht mehr eingegangen war, obwohl sie sogar zum Klagevortrag gehört hatte.54 wäre. Offen bleibt, ob hier vom Reichsgericht in RGZ 163 129 abgewichen werden sollte. Eine „Unterbrechung des Kausalzusammenhangs“ sei allerdings immer nur dann gegeben, wenn auch bei erfolgter Aufklärung die Klägerin mit Sicherheit ihre Einwilligung erteilt hätte, es genüge nicht, dass sie nur möglicherweise eingewilligt hätte, vgl. OLG Karlsruhe aaO. 402. Die Beklagten hatten einen solchen Nachweis nicht erbringen können. 48 Vgl. zutreffend Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 105. 49 Vgl. BGH NJW 1956 1106, 1108. 50 Vgl. BGH VersR 1956 406, 408. In dem konkreten Fall war die Skepsis auch deshalb angezeigt, weil die Ermittlung des hypothetischen „wahren Willens“ wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Todes der Patientin nicht möglich war. 51 Vgl. Hauß, LM 1960 § 276 BGB Ca Nr. 9. 52 Vgl. BGHSt 11 111 = NJW 1958 267. 53 Vgl. BGHZ 29 46 = NJW 1959 811. 54 Vgl. BGH NJW 1961 2203; vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 106 Fn. 277.

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1. Kap.: Diskussionsstand bei der „hypothetischen Einwilligung“

Ein vorläufiges Ende nimmt die Entwicklung der Rechtsfigur mit ihrer klaren Ablehnung in der Impfentscheidung des Dritten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 26. Januar 1959. „Die Rechtswidrigkeit einer Handlung [. . .] kann aber durch eine hypothetische Zustimmung des Berechtigten nicht beseitigt werden.“55 Bei dieser sehr restriktiven, zweifelnden bis mitunter sogar ablehnenden Haltung ist die Rechtsprechung bis Ende der 70er Jahre geblieben.56 Den damaligen Entwicklungsstand der „hypothetischen Einwilligung“ beschreibt Dunz dahingehend: Dem Beklagten stehe der Beweis zwar offen, dass der Patient bei angemessener Aufklärung in den Eingriff eingewilligt haben würde. Abgesehen von „besonders gelagerten Fällen“, in denen der Beweis vom Bundesgerichtshof anerkannt worden sei,57 werde seine Möglichkeit aber nur „gelegentlich“, mit „bewusster Sparsamkeit“ erwähnt. Wenn an ihn „strengste Anforderungen“ gestellt würden, dann beruhe dies auf der im Grunde sachlich-rechtlichen Erwägung, dass das „grundrechtlich fundierte Selbstbestimmungsrecht des Patienten über seine Person“ vorrangigen Schutz verlange. Die Konsequenzen für den Arzt seien „hart“, aber 55

Vgl. BGH VersR 1959 355, 356. Vgl. BGHZ 61 118, 123 = NJW 1973 1688, 1689 zur hypothetischen Betrachtung bei der Verletzung einer nichtärztlichen Aufklärungspflicht. 57 Der Bundesgerichtshof hatte in zwei Entscheidungen „ausnahmsweise“ (vgl. BGH VersR 1979 1012, 1013) auf die Voraussetzungen der „hypothetischen Einwilligung“ erkannt. Auf den „Ausnahmecharakter“ dieser Entscheidungen, denen einen vollkommen eindeutiger Sachverhalt zugrundegelegen hatte, wird auch von Schiemann, in: Staudinger § 249 BGB Rdn. 107 hingewiesen, der die Auffassung von der höchst zurückhaltenden Gesamttendenz der Rechtsprechung in der Anerkennung des Rechtsgedankens teilt. Es waren „Sonderfälle“, in denen die unstreitigen äußeren Umständen eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation erlaubt hatten, vgl. hierzu BGH NJW 1980 1333, 1334; NJW 1990 2928, 2929; NJW 1993 2378, 2379; NJW 1998 2734, 2735; vgl. auch Dunz, Zivilrechtliche Arzthaftung 17: „besonders gelagerte Fälle“. In dem Fall BGH NJW 1965 2005, 2007 vom 16. Oktober 1962 war das Abstellen auf die „hypothetische Einwilligung“ zudem gar nicht entscheidungserheblich. Hilfsweise trat der Bundesgerichtshof – nachdem die Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht verneint worden war – dem Vorbringen hypothetischer Ablehnung des Eingriffs entgegen. Angesichts der eindeutigen Tatsache, wonach der Kl., nachdem das Auge wieder in Schielstellung gegangen war, dieses Auge erneut habe operieren lassen, sei die Annahme unhaltbar, dass er in die erste Operation nicht eingewilligt hätte, wenn ihm erklärt worden wäre, dass sie die Möglichkeit einer Entwicklung zu erneutem Einwärtsschielen des Auges nicht ausschließe. In dem Fall BGH VersR 1979 1012, 1013 vom 10. Juli 1979 „hätte [der Kläger] keinen Glauben verdient“, wenn er bei der „notwendigen“ Operation, die das einzige Mittel war, bereits bestehende Funktionsbeeinträchtigungen zu bessern oder jedenfalls den sonst zu erwartenden weiteren Verschleiß des Gelenks aufzuhalten, behauptet hätte, was allerdings nicht einmal geschah, dass er bei ordnungsmäßiger Aufklärung den Eingriff abgelehnt haben würde. 56

§ 2 „Hypothetische Einwilligung“ zu Zeiten des Bundesgerichtshofs

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von dieser Wertung auch „wohl unvermeidlich“.58 „Dass [durch die Ausgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“] der Arzt, der seiner Aufklärungspflicht nicht nachgekommen ist, mitunter in eine fast aussichtslose Beweislage geraten kann, muss um der Selbstbestimmung des Patienten willen in Kauf genommen werden. Dieses Ergebnis ist [. . .] nicht untragbar.“59 Getragen wird diese Einschätzung von der nur in Reserve anklingenden „hypothetischen Einwilligung“ auch von Weyers, der rückblickend keinen Fall erkennen konnte, in denen der Rechtsgedanke einen Prozess entschieden hätte.60 Diese Auffassung stimmt jedoch nicht, wie sich anhand einer Entscheidung des Kammergerichts Berlin vom 22. März 1955 nachweisen lässt.61 Das Kammergericht verneint zunächst eine Pflicht des Arztes unter – wenn auch nicht ausdrücklicher – Berufung auf die leitenden Gedanken des Reichsgerichts in RGZ 78 432 zur Aufklärungspflicht. Sodann zieht es sich auf den Standpunkt zur „hypothetischen Einwilligung“ zurück, wie er zuletzt vom Reichsgericht bekannt war: Nachdem der Beklagte darauf hingewiesen habe, dass die Beschwerden der Klägerin sehr ernst seien, sogar eine bösartige Geschwulst vorhanden sein könne, die unbedingt entfernt werden müsse, hätte die Klägerin nach der Erfahrung des Lebens sich mit der Entfernung auch dann einverstanden erklärt, wenn der Beklagte darauf hingewiesen hätte, dass in wenigen Ausnahmefällen bei solchen Operationen leichte Schielfehler zurückbleiben können. Es müsse davon ausgegangen werden, dass auch die Klägerin und ihr Ehemann daraufhin den Entschluss gefasst hätten, zu dem verständige Menschen in solcher Lage gekommen wären. 2. Aus dem Strafrecht wird die Entscheidung des Vierten Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 28. Oktober 1960 (Gebärmutterfall)62 zur Problematik der „hypothetischen Einwilligung“ gerechnet.63 Der Senat verlangt für eine fahrlässige Körperverletzung, dass der Arzt hätte „erkennen können und müssen“, dass die Patientin, „falls sie hinlänglich aufgeklärt worden wäre und dann jene [tatsächlich fehlende] Erkenntnis gewonnen hätte, in die Operation dieses Umfangs nicht einwillige.“ Jene etwaige Erkenntnis musste bei der Patientin – angesichts einer Reihe von Umständen in ihrer 58

Vgl. Dunz, Zivilrechtliche Arzthaftung 17 f. Vgl. BGH NJW 1980 1333, 1334. 60 Vgl. Weyers, in: Gutachten zum 52. DJT Bd. I Anm. 333; vgl. auch Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 106. 61 Vgl. KG Berlin VersR 1956 261. 62 Vgl. Einl. § 1 IV. 63 Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230. 59

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1. Kap.: Diskussionsstand bei der „hypothetischen Einwilligung“

Person zum Tatzeitpunkt64 – nicht denknotwendig die Versagung ihrer Einwilligung zur Folge haben, so dass auch der Angeklagte sie hätte annehmen müssen.65 Auch in der Entscheidung vom 28. Juni 1963 beruft sich der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs hilfsweise auf diesen Gedanken.66 3. Die fortwährende Zurückdrängung der „hypothetischen Einwilligung“ beruht sicherlich auf dem stetig an Bedeutung gewinnenden „Selbstbestimmungsrecht“ des Patienten. Die Verschärfung der ärztlichen Aufklärungspflicht findet im Wesentlichen im Zivilrecht statt:67 Sie zeichnet sich spürbar im Ersten Elektroschockurteil,68 im Zweiten Elektroschockurteil69 und im Strahlenurteil70 ab. Aus dem Strafrecht ist der Myomfall zu nennen.71 Mit dem Zweiten Elektroschockurteil wurde auch die Position des Reichsgerichts endgültig aufgegeben, den Inhalt der ärztlichen Aufklärungspflicht ins Ermessen des Arztes zu stellen.72 Diese Entwicklung verträgt sich nicht mit dem Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“, bei dem zu befürchten sei, dass „auf diesem Wege das Aufklärungsrecht des Patienten [. . .] unterlaufen“ werde. II. Die Entwicklung des Rechtsgedankens im Schrifttum 1. Der Rechtsgedanke im Zivilrecht

In den 60er und 70er Jahren wurde im Schrifttum ein guter Teil der wissenschaftlichen Aufarbeitung der zivilrechtlichen Problematik der „hypothetischen Einwilligung“ geleistet. Maßgeblichen Einfluss hatte dabei von Caemmerers Abhandlung über „Das Problem der überholenden Kausalität im Schadensersatzrecht“. Unter Berufung auf den „Schutzzweck der ärztlichen Aufklärungspflicht“ hat er die Überzeugung gebildet, dass die „nicht leicht“ zu treffende Feststellung, dass der Patient mit Sicherheit eingewilligt hätte, nicht ausreichen könne, den „Rechtswidrigkeitszusammenhang“ in Frage zu stellen. Der Sinn der 64 65 66 67 68 69 70 71 72

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

hierzu Einl. § 1 IV. BGH 4 StR 375/60 7. BGH JZ 1964 231, 232. eingehend 11. Kap. § 1 B. III. BGH VersR 1954 496. BGHZ 29 46 = NJW 1959 811. BGHZ 29 176 = NJW 1959 814. BGHSt 11 111 = NJW 1958 267. BGHZ 29 46, 57 = NJW 1959 811, 814.

§ 2 „Hypothetische Einwilligung“ zu Zeiten des Bundesgerichtshofs

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Aufklärung sei es, die „persönliche Entscheidungsfreiheit“ des Patienten vor dem Eingriff zu gewährleisten. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten soll geschützt werden. Ein Gericht könne die persönliche Entschließung „nicht später [. . .] an seiner Statt treffen“, zumal wenn der Patient gestorben sei.73 Diese Kritik hat im Zivilrecht zwar nicht zu einer Aufgabe des Rechtsgedankens geführt, doch ist sie in die heutige Gestalt der „hypothetischen Einwilligung“ maßgeblich eingegangen.74 Die „gewichtigen sachlichen Gründe“ von Caemmerers werden zwar mit spezifisch schadensersatzrechtlichen Wertungen (scil. „Aufgabe des Schadensersatzrechts“) überwunden. Ohne eine „Rückversicherung“ im formellen Beweisrecht werden diese Befürchtungen allerdings nicht beiseite geschoben.75 Der Schutz- und Zweckgedanke der kritischen Auffassung finde seinen Platz bei der Frage der Beweislast.76 Für die „hypothetische Einwilligung“ soll demnach der eigenmächtig handelnde Arzt beweispflichtig sein. Die Ergebnisse der in ihrem Ausgangspunkt abweichenden Auffassungen nähern sich damit einander an, denn die „hypothetische Einwilligung“ ist im Zivilrecht praktisch unerweislich geblieben: Aus der veröffentlichten neueren obergerichtlichen Rechtsprechung ist nur ein einziger Fall bekannt, in der die „hypothetische Einwilligung“ zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden konnte.77 Gegen Ende der 70er Jahre hatte sich die „hypothetische Einwilligung“ zunehmend durchgesetzt. Nach der theoretischen Auseinandersetzung mit der Kritik von Caemmerers dürfte die „wohl herrschende (ablehnende) Meinung“ nachhaltig gekippt sein, nachdem nunmehr auch die Rechtsprechung das Rechtsinstitut Anfang der 80er Jahre in mehreren Entscheidungen, deren Grundsätze in der Entscheidung des Sechsten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 7. Februar 1984 (BGHZ 90 103) zusammengefasst werden, wiederbelebt hat.78 Den Rechtsgedanken lehnten sei73 Vgl. von Caemmerer, in: Gesammelte Schriften Bd. I 411, 448 ff.; vgl. auch Deutsch, NJW 1979 1906; H. Lange, Schadensersatz 1. Aufl. § 4 XII 5 206. 74 Vgl. etwa Kleinewerfers/Wilts, in: Juristische Problematik in der Medizin Bd. III 54. 75 Vgl. eingehend zum Ganzen 8. Kap. § 2 II. 76 Vgl. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 154; ders., in: FS für Hauß 294; ders., in: FS für Nirk 753. Vgl. weiter etwa Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht § 6 Rdn. 76; Katzenmeier, Arzthaftungsrecht 369; Schiemann, in: Staudinger § 249 BGB Rdn. 106, 108; Steffen, in: FS für Medicus 643; Weber-Steinhaus, Ärztliche Berufshaftung 257. 77 Vgl. OLG Karlsruhe VersR 2001 860, 861. 78 Das meint in der Sache auch Medicus, in: Staudinger 12. Aufl. § 249 BGB Rdn. 114, der gegen Ende der 70er Jahre von einer die „hypothetische Einwilligung“ ablehnenden „wohl herrschenden Meinung“ gesprochen hat.

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1. Kap.: Diskussionsstand bei der „hypothetischen Einwilligung“

nerzeit neben von Caemmerer etwa auch Deutsch,79 Keuk,80 Hofmann,81 H. Lange,82 Laufs,83 Medicus,84 nachdrücklich Schäfer85 und Zeuner86 ab. Auf die Zweifel, die Hauß an der Zulässigkeit der „hypothetischen Einwilligung“ geäußert hatte, wurde hingewiesen.87 Befürwortet haben den Rechtsgedanken dagegen etwa Dunz,88 Esser und Schmidt,89 Geilen,90 Gotzler,91 Grunsky,92 Hanau,93 Kahrs,94 Kleinewerfers95 und Wilts,96 Lehmhöfer,97 Nüßgens,98 Ohm,99 Perret,100 Schlosshauer-Selbach,101 Stoll102 und Weitnauer.103 Angedeutet wird er bei Roemer.104 Über den Entwicklungsstand der Rechtsprechung zur „hypothetischen Einwilligung“ referiert Petersen.105

79 Vgl. Deutsch, NJW 1965 1989; ders., NJW 1979 1906; vgl. aber anders ders., NJW 1984 1397. 80 Vgl. Keuk, Vermögensschaden 70 f. 81 Vgl. Hofmann, NJW 1974 1643. 82 Vgl. Lange, Schadensersatz 1. Aufl. 136 Fn. 94. 83 Vgl. Laufs, NJW 1969 533; vgl. aber anders Fn. 168. 84 Vgl. Medicus, in: Staudinger 12. Aufl. § 249 BGB Rdn. 114. 85 Vgl. Schäfer, in: Staudinger 10./11. Aufl. § 823 BGB Rdn. 414, der seinen Standpunkt später zu Gunsten der „formell-rechtlichen Lösung“ relativiert hat, vgl. ders., aaO. 12. Aufl. Rdn. 486. 86 Vgl. Zeuner, AcP 176 (1976) 159. 87 Vgl. Hauß, LM Nr. 9 zu § 276 [Ca] BGB. 88 Vgl. Dunz, Zivilrechtliche Arzthaftung 17 f. 89 Vgl. Esser/Schmidt, Schuldrecht I 2 5. Aufl. 189. 90 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 105 ff. 91 Vgl. Gotzler, Rechtmäßiges Alternativverhalten 187 f. 92 Vgl. Grunsky, in: MüKo 2. Aufl. Vor § 249 BGB Rdn. 90a. 93 Vgl. Hanau, Pflichtwidrigkeit 48. 94 Vgl. Kahrs, Überholende Kausalität 89 f. 95 Vgl. Kleinewerfers, VersR 1962 204; ders., VersR 1963 303. 96 Vgl. Kleinewerfers/Wilts, in: Die juristische Problematik der Medizin III 54 f. 97 Vgl. Lehmhöfer, JuS 1966 341. 98 Vgl. Nüßgens, in: FS für Hauß 289 ff. 99 Vgl. Ohm, VersR 1959 4. 100 Vgl. Perret, Arzthaftungsrecht 20, 27. 101 Vgl. Schlosshauer-Selbach, DRiZ 1982 364. 102 Vgl. Stoll, AcP 176 (1976) 159. 103 Vgl. Weitnauer, in: Verhandlungen zum 44. DJT Bd. II F 159; ders., DB Beilage Nr. 21 8. 104 Vgl. Roemer, JZ 1960 139. 105 Vgl. Petersen, DRiZ 1962 237.

§ 2 „Hypothetische Einwilligung“ zu Zeiten des Bundesgerichtshofs

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2. Die Beschäftigung mit dem Rechtsgedanken im Strafrecht

An die „Kausalität der Nichtaufklärung“ erinnerte Engisch bei einer Besprechung des Strahlenurteils:106 Für die Nichtaufklärung könne der Arzt ja wohl nur dann verantwortlich sein, wenn bei einer genügenden Aufklärung der Patient sich anders entschieden hätte, also die Einwilligung verweigert hätte.107 Engisch bezog sich auch auf die kritischen Gedanken Geilens in dessen Schrift „Einwilligung und ärztliche Aufklärungspflicht“108 zur Haltung der Rechtsprechung in der „Kausalitätsfrage“.109 Geilen griff die Entwicklungslinie des Reichsgerichts in RGZ 163 129 zur „hypothetischen Einwilligung“ auf und begründete die rechtgebietsübergreifende Anerkennung des Gedankens auch im Strafrecht mit einer Parallele zur Rechtsgeschäftstheorie: Er unterschied zwischen Fällen einer „qua Aufklärungspflichtverletzung“ irrtümlich erteilten Einwilligung und einer eigentlichen „hypothetischen Rechtfertigung“, der Ersetzung einer „a limine fehlenden“ oder sogar verweigerten Einwilligung durch eine nur gedachte Einwilligung.110 Geilen wies auf die abweichende „Beweislastverteilung“ im Zivil- und Strafrecht hin. Dabei sollte im Zivilrecht der Patient die Beweislast für die „hypothetische Einwilligung“ tragen.111 Später erörterte auch Krauß den Gedanken einer „hypothetischen Einwilligung“ unter dem Stichwort des „Rechtswidrigkeitszusammenhangs“ im Rahmen der strafrechtlichen Bewertung der eigenmächtigen ärztlichen Heilbehandlung. Im Gegensatz zu Geilens Vorschlag sollte der Gedanke darüberhinaus auch bei einer „Heilmaßnahme gegen den ausdrücklichen Willen des Patienten“ denkbar sein.112 Beide wendeten sich allerdings übereinstimmend gegen eine zu „weitgehende Subjektivierung oder besser Individualisierung der Irrtumskausalität“. Mit der „verständigen Würdigung“ der „Irrtumskausalität“ komme es zu einer „weitgehenden Übereinstimmung [der „hypothetischen Einwilligung] mit der medizinischen Indikation“.113 Wegen der „Unschärfe der Kriterien“ hat Hirsch die Konstruktion von Krauß abgelehnt.114 106

Vgl. BGHZ 29 176 = NJW 1959 814. Vgl. Engisch/Hallermann, Ärztliche Aufklärungspflicht 32. 108 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 105 ff. 109 Vgl. Engisch/Hallermann, Ärztliche Aufklärungspflicht 32. 110 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 106 f.; ders., Medizinrecht Rdn. 452. 111 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 105 ff. Vgl. auch Engisch/Hallermann, Ärztliche Aufklärungspflicht 32. 112 Vgl. Krauß, in: FS für Bockelmann 573. 113 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 110 ff.; Krauß, in: FS für Bockelmann 573. 114 Vgl. Hirsch, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 4. 107

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1. Kap.: Diskussionsstand bei der „hypothetischen Einwilligung“

Gegen eine „hypothetische Rechtfertigung“ bei vorsätzlicher ärztlicher Eigenmacht sprach sich Ulsenheimer aus.115 Ansonsten wurde die Problematik im Strafrecht ersichtlich nicht diskutiert.116

B. Die Entwicklung der „hypothetischen Einwilligung“ bis in die Gegenwart I. Die Entwicklungslinie im Zivilrecht 1. Die Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ in der Rechtsprechung

Die zivilrechtliche Rechtsprechung änderte Anfang der 80er Jahre ihre von Zurückhaltung, Skepsis bis hin zu Ablehnung geprägte Haltung zur „hypothetischen Einwilligung“, obwohl noch das Oberlandesgericht Celle in einem Urteil vom 17. August 1977 ausdrücklich hatte dahingestellt sein lassen, ob der Rechtsgedanke rechtlich „überhaupt zulässig ist“.117 Der Rechtsprechungswandel118 wird in der Leitentscheidung des Sechsten Zivilsenats vom 7. Februar 1984 ersichtlich: Die „hypothetische Einwilligung“ sei „immer für möglich gehalten“ worden, an sie seien „grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen“, „damit auf diesem Wege das Aufklärungsrecht des Patienten nicht unterlaufen“ werde. Die Feststellung, wonach ein „vernünftiger Patient“ sich nicht würde abschrecken lassen, sei aber nicht ausreichend, weil das Selbstbestimmungsrecht auch die Entschließung sichere“, die aus medizinischen Gründen unvertretbar“ erscheine. Die entscheidende Neuerung dieser Entscheidung gegenüber dem bisherigen Verständnis der „hypothetischen Einwilligung“ bestand in der Einrich115

Vgl. Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 155 f. Vgl. etwa Bockelmann, Strafrecht des Arztes 50 ff.; ders., NJW 1961 945 ff.; ders., JZ 1962 525 ff.; Grünwald, ZStW 73 (1961) 5 ff.; ders., in: Arzt und Recht 125 ff.; Arth. Kaufmann, ZStW 73 (1961) 341 ff.; Schröder, NJW 1961 951 ff. 117 Vgl. OLG Celle VersR 1977 1106, 1107. 118 Bereits in der Entscheidung vom 22. Januar 1980 heißt es beim Sechsten Zivilsenat des Bundesgerichtshofs angesichts der in § 2 A. I. mitgeteilten Fundstellen überraschend, dass er den Nachweis der „hypothetischen Einwilligung“ „im Grundsatz immer für möglich gehalten“ habe. Doch habe er an den diesen Nachweis „bewusst immer strengste Anforderungen“ gestellt, vgl. BGH NJW 1980 1333, 1334. Vgl. noch BGH NJW 1982 697, 698: „Die Beweislast dafür, dass die unterlassene Aufklärung für den Entschluss des Klägers, in die vorgeschlagene Behandlung einzuwilligen, nicht ursächlich gewesen ist, tragen allerdings die Beklagten. [. . .].“: Vgl. weiter BGH NJW 1982 700; VersR 1982 168, 169; VersR 1982 1142, 1143; BGH MedR 1983 192, 194; vgl. auch OLG Karlsruhe MedR 1983 190, 191. Vgl. auch schon KG VersR 1979 260, 261 mwN. 116

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tung eines ausgeklügelten Behauptungs-, Substantiierungs- und Beweislastsystems. Der Schutz- und Zweckgedanke der kritischen Auffassung von Caemmerers über die „hypothetische Einwilligung“ findet hiernach seinen Platz bei der Frage der Beweislast:119 Der eigenmächtig handelnde Arzt muss hiernach die Voraussetzungen der „hypothetischen Einwilligung“ behaupten. Erst dann treffen den Patienten gewisse Substantiierungspflichten.120 Hat der Patient einen „echten Entscheidungskonflikt“ in seiner Person für den Fall der vollständigen und wahrheitsgemäßen ärztlichen Aufklärung „plausibel geschildert“, trifft den Arzt die Beweislast für die „hypothetische Einwilligung“ des konkreten Patienten in die konkrete Heilbehandlung. Diese Anforderungen konnte der Arzt bis auf den heutigen Tag überhaupt nur einmal erfüllen.121 Trotz der grundsätzlichen Zulassung des Rechtsgedankens beherrscht noch immer Zurückhaltung die Rechtsprechung des Sechsten Zivilsenats. Spürbar wird das an verschiedenen Stellen: Die „hypothetische Einwilligung“ wird in BGHZ 90 103 unter den Vorbehalt gestellt, dass die Grundsätze „jedenfalls“ dann gelten, wenn die Gründe für eine Ablehnung der Behandlung angesichts der „Schwere der Erkrankung“ und der angewendeten, als Methode der Wahl anerkannten Therapie mit einer „günstigen Erfolgsprognose“ und „im Regelfall verhältnismäßigen geringen Belastungen“ für den Patienten nicht ohne weiteres zu Tage liegen.122 Ohnehin werden an den Nachweis der „hypothetischen Einwilligung“ „strenge“ bis „strengste Anforderung“ gestellt, damit nicht auf diesem Wege das Aufklärungsrecht des Patienten unterlaufen werde. Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14. Juni 1994 gelte das erst 119 Vgl. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 154; ders., in: FS für Hauß 294; ders., in: FS für Nirk 753. Vgl. weiter etwa Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht § 6 Rdn. 76; Katzenmeier, Arzthaftungsrecht 369; Schiemann, in: Staudinger § 249 BGB Rdn. 106, 108; Steffen, in: FS für Medicus 643; Weber-Steinhaus, Ärztliche Berufshaftung 257. 120 Die Forderung nach der Darlegung von Motiven, aus denen heraus die Ablehnung des Eingriffs verständlich wird, lässt sich schon in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs NJW 1965 2005 vom 18. Mai 1965 und vor allem in VersR 1979 1012 vom 10. Juli 1979 nachweisen. Vgl. auch Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht 162. 121 Vgl. OLG Karlsruhe VersR 2001 860, 861. 122 Von dieser Einschränkung ist kein Gebrauch gemacht worden in dem Sinn, dass die „hypothetische Einwilligung“ bei weniger eindeutig zu Tage liegenden Fällen schon gar nicht zugelassen worden wäre. Vielmehr begründet diese Formel die Wertung, dass mit der Zunahme der objektiv für den Eingriff sprechenden Umstände auch die Anforderungen an den Patienten steigen, einen echten Entscheidungskonflikt in seiner Person plausibel zu schildern. Vgl. so auch Geiß/Greiner, Arzthaftpflicht Rdn. 140; Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht 164.

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recht in dem Fall, in dem die Patientin die Behandlung zunächst abgelehnt und sich hierzu erst bereit gefunden habe, nachdem die Ärztin von ihr die schriftliche Bestätigung der Ablehnung des Eingriffs verlangt und die Sprechstundenhilfe durch beruhigende Erklärung ihre Entscheidung beeinflusst habe.123 Die Beweislast für die „hypothetische Einwilligung“ trifft den Arzt. Mit der praktischen Unerweislichkeit der „hypothetischen Einwilligung“ wird das Rechtsinstitut verkürzt auf die plausible Schilderung eines „echten Entscheidungskonflikts“. Die Haftungssituation hat sich für den Arzt mit der Einführung des Entscheidungskonfliktes deutlich verbessert.124 Die spürbare Zurückhaltung des Senats führte Anfang der 90er Jahre zu einer Lockerung der Anforderungen an die Schilderung der Konfliktsituation. Im Zweifel soll zugunsten des Patienten davon ausgegangen werden, dass er bei ausreichender Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre.125 An anderer Stelle hat der Bundesgerichtshof seine restriktive Haltung jedoch aufgegeben. In der Entscheidung vom 5. Februar 1991 wird festgestellt, dass eine „klare Ablehnung des Patienten [. . .] hypothetischen Erwägungen [zwar noch immer] den Boden“ entziehe.126 Abweichend von der Entscheidung des Reichsgerichts vom 8. März 1940 (RGZ 163 129) wird die „hypothetische Einwilligung“ allerdings für anwendbar gehalten, wenn es „nicht schon an der Aufklärung, sondern erst an der Einwilligung“ fehle. Das sei denkbar, wenn der Patient, nachdem er aufklärt worden sei, in einen nicht mehr erklärungsfähigen Zustand gerate, aber auch dann, wenn die in Betracht kommende Erweiterung der Operation zwar mit ihren Risiken erörtert worden sei, jedoch eine hinreichend klare Verständigung zwischen Arzt und Patienten nicht zustande gekommen oder nicht nachweisbar sei.127 Hieran wird ersichtlich, dass der Bundesgerichtshof mit dem Gedanken der „hypothetischen Einwilligung“ eigene Wege geht. Mit der Entscheidung vom 7. April 1992 werden die Grundsätze zur „hypothetischen Einwilligung“ auch bei einer verspäteten ärztlichen Aufklärung für anwendbar gehalten.128 123

Vgl. BGH NJW 1994 2414, 2415. Vgl. etwa die Aufzählung gescheiterter Prozesse bei Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht Rdn. 146, an der belegt werden kann, dass die jüngere Rechtsprechung den „echten Entscheidungskonflikt“ durchaus als ernstes Hindernis entwickelt hat. 125 Vgl. OLG Stuttgart 14 U 49/92 zitiert nach Kullmann, PHi 1997 82. 126 Vgl. BGH NJW 1991 2342, 2343. 127 Vgl. BGH NJW 1991 2342, 2343. 128 Den Patient trifft die Pflicht zur Substantiierung seines Tatsachenvortrags, dass seine Entscheidungsfreiheit durch die verspätete Aufklärung nicht mehr ge124

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Neuerdings kommen allerdings die Vorbehalte gegen die „hypothetische Einwilligung“ in einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Jena vom 3. Dezember 1997 zum Tragen, nachdem bereits seit den 80er Jahren von einer eher zunehmenden Zahl an Stimmen im Schrifttum129 eine „Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ für den fehlerhaft aufgeklärten Patienten trotz „hypothetischer Einwilligung“ gefordert wird.130 2. Die dogmatischen Unsicherheiten bei der rechtlichen Einordnung der „hypothetischen Einwilligung“

In der zivilrechtlichen Rechtsprechung der Obergerichte gibt es noch immer erhebliche dogmatische Unsicherheiten über die rechtliche Einordnung der „hypothetischen Einwilligung“. Aufschlussreich ist eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln,131 dass unentschieden gelassen hat, ob sich die Tatsache, dass der Patient hypothetisch eingewilligt hätte, „rechtlich als Darstellung eines alternativen Kausalverlaufs darstellt oder als Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Patienten,132 oder ob schlicht gesagt wird, auch eine hypothetische Einwilligung sei (wie die tatsächliche) unmittelbar als Rechtfertigungsgrund133 anzusehen [. . .].“ Unter den Obergerichten lassen sich häufiger auch Entscheidungen nachweisen, die die „hypothetische Einwilligung“ des Patienten als Kausalproblematik behandeln.134 In der zivilrechtlichen Praxis der Oberlandesgerichte wird zudem darauf abgestellt, dass in der fehlerhaften Belehrung des Patienten nicht ein positives wahrt gewesen sei. Gelinge das dem Patienten, so obliege dem Arzt die Beweislast, dass sich der Patient trotz verspäteter Aufklärung frei für den Eingriff entschieden habe, vgl. BGH NJW 1992 2351, 2532. Zur Auseinandersetzung, ob der Bundesgerichtshof hier nicht von der üblichen Beweislastverteilung Abstand nimmt, vgl. Giesen, JZ 1993 318 mit der Entgegnung BGH NJW 1994 3009, 3011. Vgl. hierzu auch Sickor, JA 2008 13 f. 129 Vgl. Hart, in: FS für Heinrichs 316; Hager, in: Staudinger § 823 BGB I Rdn. 121; Laufs, Arztrecht Rdn. 540; Mertens, in: MüKo 3. Aufl. § 823 BGB Rdn. 453; Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 154; ders., in: FS für Hauß 292 f.; ders., in: FS für Nirk 750 f. Auf „grobe Fälle“ von Aufklärungspflichtverletzung beschränkt, vgl. Katzenmeier, Arzthaftung 369. 130 Vgl. stattgebend OLG Jena MDR 1998 536. Allerdings ist diese Auffassung in der Rechtsprechung sehr umstritten, vgl. 11. Kap. § 2 B. III. 3. c). 131 Vgl. OLG Köln NJOZ 2003 1771, 1771 f. 132 Vgl. etwa Kleinewerfers, VersR 1963 303, der entscheidend auf § 242 BGB abstellt. 133 Vgl. ablehnend etwa der Dritte Zivilsenat des Bundesgerichtshofes in BGH VersR 1959 355, 356. 134 Vgl. etwa BGH NJW 1980 1333, 1334; NJW 1991 2344, 2345; NJW 1992 2351, 2353; OLG Köln VersR 1987 514, 515; OLG Stuttgart VersR 1987 515, 517.

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Tun (scil. „Übermittlung unvollständiger bzw. falscher Informationen“), sondern ein Unterlassen (scil. „Unterlassung der gebotenen Aufklärung“) zu sehen sei (scil. „Quasikausalzusammenhang“).135 In einer Entscheidung verweist der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf die Grundsätze zum „rechtmäßigen Alternativverhalten“.136 In vielen Entscheidungen wird dagegen jede rechtliche Einordnung vermieden. Es erfolgt nur ein Hinweis auf die fehlende Verletzung des Selbstbestimmungsrechts137 oder häufiger auf die gefestigten Grundsätze zur „hypothetischen Einwilligung“.138 3. Die tatsächliche Umgebung

Die Wiederbelebung und Fortentwicklung der „hypothetischen Einwilligung“ steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der ständig an Bedeutung gewinnenden ärztlichen Aufklärungspflicht. Allerdings ist es nunmehr die Weite der „Einwilligungsmotivation“, die den Sechsten Zivilsenat des Bundesgerichtshofs gegensteuern lässt. Im Ersten Elektroschockurteil vom 10. Juni 1954 hatte der Bundesgerichtshof keine Aufklärung selbst über das „typische“ Risiko von Knochenbrüchen verlangt, das mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,1 Prozent angegeben war.139 Im Strahlenfall vom 16. Januar 1959 hatte er dagegen eine Aufklärung über eine strahlenbedingte Harnleiterstenose bei einer Komplikationsdichte von 5 Prozent gefordert.140 Das Risiko hatte Eb. Schmidt wegen der geringen Komplikationsdichte allerdings noch für „untypisch“ und damit nicht mehr aufklärungsbedürftig gehalten.141 Perret verlangte 1956 keine Aufklärung bis zu etwa 4 Prozent Komplikationsdichte: Für das Risiko einer einfachen Wundstörung, die mit einer Komplikationsdichte von 135 Vgl. etwa BGH NJW 1982 697, 698; OLG Bamberg VersR 1998 1025, 1026; OLG Bremen VersR 1954 63, 64; OLG Karlsruhe NJW 1966 399, 402; OLG München 1992 835; OLG Nürnberg VersR 1995 1057, 1058; OLG Zweibrücken VersR 1987 108. 136 Vgl. BGH NJW 1989 1533, 1534. 137 Vgl. etwa BGHZ 90 103, 111 = NJW 1984 1397, 1399. 138 Vgl. etwa BGH VersR 1995 1055, 1057; NJW 1996 3073, 3073; NJW 1997 2734; NJW 1998 2734; OLG Koblenz MedR 2004 505, 503; NJW-RR 2004 1166, 1167; OLG Köln NJW-RR 1998 1324, 1325; OLG Stuttgart VersR 1998 1111, 1113; NJOZ 2001 2331, 2333; vgl. auch Kullmann, PHi 1997 80. Eine kritische Erörterung mit den Grundlagen der Rechtsfigur bleibt im zivilrechtlichen Schrifttum aus diesem Grund häufig aus, vgl. etwa Gehrlein, Arzthaftungsrecht 80; Lorz, Schönheitsoperation 153 f.; anders aber Katzenmeier, Arzthaftung 367 ff.; WeberSteinhaus, Ärztliche Berufshaftung 256 ff. 139 Vgl. BGHZ 29 46, 60. 140 Vgl. BGHZ 29 176, 182. 141 Vgl. Eb. Schmidt, in: Gutachten zum 44. DJT Bd. I Anm. 145.

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seinerzeit 1 bis 4 Prozent angegeben wurde, werde nämlich bekanntlich keine Aufklärung verlangt.142 Demgegenüber hatte Schwalm sich für eine Aufklärung der Komplikation sogar erst bei einer 10-prozentigen Chance ihres Eintretens eingesetzt.143 Heute wird dagegen unter Berufung auf den Grundsatz, dass das Risiko – unabhängig von einem bestimmten Grad der Komplikationsdichte – dem Eingriff „spezifisch“ („typischerweise“) anhaften und bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belasten müsse,144 auch eine Aufklärung von „äußerst seltenen, aber eingriffstypischen Risiken“145 verlangt: In BGHZ 90 103 war das Risiko einer strahlenbedingten Myelopathie, die sich zu einer inkompletten Querschnittslähmung weiterentwickelt hatte, bei im allgemeinen wesentlich höheren Cobalt-Strahlenbelastungen des Rückenmarks mit maximal 0,15 Prozent – die tatsächliche Komplikationsrate war viel geringer – angegeben worden. Dabei war die Behandlung vital indiziert.146 Das aufklärungspflichtige Infektionsrisiko bei einer Gelenkpunktion lag bei 1 zu 35000.147 Das Risiko einer Bauchspeicheldrüsenentzündung bei einer Operation zwecks Entfernung der Gallenblase lag im Promillebereich.148 Das Risiko einer dauerhaften Schädigung des nervus lingualis bei einer Leitungsanästhesie war auf weniger als 1 zu 400000 geschätzt worden. Unter den Obergerichten bestand keine Einigkeit über die Aufklärungsbedürftigkeit dieses Risikos.149 Schließlich erinnert Ulsenheimer an die Aufklärungsbedürftigkeit des AIDS-Infektionsrisikos bei Fremdbluttransfusionen, obwohl die Ansteckungsgefahr bei 1 zu 2 bis 3 Mio. liegt.150 Die Haftungsmöglichkeiten des Arztes wegen Körperverletzung haben sich damit erheblich erweitert. In der Zeit, in der die „hypothetische Einwilligung“ wiederbelebt wurde, hatte die Zahl der Arzthaftungsprozesse auch deutlich zugenommen.151 Als Haftungskorrektive zu der schon „ausufern142 143 144 145 146 147 148 149 150

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Perret, Arzthaftpflicht 17. Schwalm, Grenzen der ärztlichen Aufklärungspflicht 25. BGH NJW 1980 1905, 1907; VersR 1996 330, 331. BGH NJW 1991 2346. BGHZ 90 103, 106 = NJW 1984 1397, 1394. BGH NJW 1994 2414. BGH VersR 1996 330, 331. ablehnend OLG Stuttgart VersR 1999 1500, 1501 mwN. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 67. Vgl. hierzu BGH NJW 1992

743. 151 Vgl. so auch die Einschätzung von Isele, in: Juristische Problematik der Medizin Bd. III 11, allerdings auf den Zeitraum bis 1971 bezogen. Dass sich später etwas an dem Trend geändert haben soll, ist nicht ersichtlich. Eingehend wird diese Entwicklung auch in der in 1978 veröffentlichten Dokumentation von Weyers, in: Gut-

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den Aufklärungspflicht“, die auf unterschiedlichen Gründen beruht,152 wurden in der Rechtsprechung verschiedene Rechtsgedanken entwickelt. Hierher gehören die Maßstabsfigur des „verständigen Patienten“, mit der die ärztliche Aufklärungspflicht seit der Zweiten Elektroschockentscheidung auf einen „mittleren Standard“ eingeschränkt wird,153 und die von der Rechtsprechung etwa zur gleichen Zeit wie die „hypothetische Einwilligung“ entwickelte Rechtsfigur des „Schutzbereichs der Aufklärungspflicht“.154 Mit der „hypothetischen Einwilligung“ soll daher nicht mehr die Problematik einer irrtümlich erteilten Einwilligung gelöst werden, wovon noch das Reichsgericht in seiner Entscheidung vom 8. März 1940 (RGZ 163 129) ausgegangen war, sondern sie soll als Haftungskorrektiv zu der „ausufernden Aufklärungspflicht“ dienen.155 4. Das Schrifttum

Seit der Entscheidung des Sechsten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 7. Februar 1984 (BGHZ 90 103) werden die Bedenken gegen die „hypothetische Einwilligung“ kaum noch wahrgenommen.156 Die heute weithin gefestigte Ansicht befürwortet diesen Rechtsgedanken. Bedenken hat man allenfalls hinsichtlich der rechtlichen Einordnung der „hypothetischen Einwilligung“, weshalb die Rechtsfigur im zivilrechtlichen Schrifttum nicht auf die Kausalität oder die „Quasikausalität“,157 sondern auf das „rechtmäßige Alternativverhalten“ zurückgeführt wird.158 Zum Teil wird die Rechtsfigur aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) begründet.159 Aus dem sehr umfangreichen Schrifttum befürworten die „hypothetische Einwilligung“ Bergmann,160 Deutsch,161 Ehlers,162 Gehrlein,163 Geiß und achten zum 52. DJT Bd. I Anm. 42, 45 beschrieben. Vgl. auch Katzenmeier, Arzthaftung 41 ff. 152 Vgl. eingehend 11. Kap. § 1 B. III. 153 Vgl. BGHZ 29 46 = NJW 1959 811. 154 Vgl. dazu Helbron, Entwicklung 95 ff. 155 Vgl. eingehend auch 11. Kap. § 1 A. II. 156 Vgl. etwa Lorz, Schönheitsoperation 153 f.; vgl. aber Frank/Löffler, JuS 1985 693 f.; Giesen, Medical Malpractice Law Rdn. 689 Fn. 72; ders., Arzthaftungsrecht 119 f.; ders., JZ 1991 678; ders., JZ 1993 318; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht 167. 157 Vgl. aber Weber-Steinhaus, Ärztliche Berufshaftung 256 ff., 265 ff. 158 Vgl. etwa Oetker, in: MüKo § 249 BGB Rdn. 201 ff.; Spickhoff, in: Soergel § 823 BGB Anh. I Rdn. 155 jeweils mwN. 159 Vgl. etwa Kleinewerfers, VersR 1963 303. 160 Vgl. Bergmann, Arzthaftung 71 ff.

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Greiner,164 Hager,165 Heilmann,166 Katzenmeier,167 Kern und Laufs,168 Kullmann,169 Lepa,170 Lorz,171 Martis und Winkhart,172 Müller,173 Nüßgens,174 Oetker,175 Schiemann,176 Schultz,177 Spickhoff,178 Spindler,179 Sprau,180 Steffen,181 Dressler182 und Pauge,183 Taupitz,184 Tempel,185 Terbille,186 Wagner187 und Weber-Steinhaus.188 Gleichwohl fehlt es an begrifflicher Schärfe bei der Beschreibung der „hypothetischen Einwilligung“. Der Rechtsgedanke soll nur in bestimmten Fallgruppen zugelassen werden. Zum Teil wird auf die Differenzierung des 161 Vgl. Deutsch, Medizinrecht Rdn. 160 ff.; ders., Allgemeines Haftungsrecht Rdn. 192; ders., NJW 1984 1399; ders./Ahrens, Deliktsrecht § 6 Rdn. 75. 162 Vgl. Ehlers, Arzthaftungsrecht Rdn. 804 ff.; ders./Broglie, Arzthaftungsrecht 250. 163 Vgl. Gehrlein, in: Arzthaftungsprozess 28; ders., Arzthaftungsrecht 80; ders., Arzthaftpflicht 185. 164 Vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht 258 ff. 165 Vgl. Hager, in: Staudinger § 823 BGB Abschn. I Rdn. 121 ff. 166 Vgl. Heilmann, NJW 1990 1518. 167 Vgl. Katzenmeier, Arzthaftung 368 f. 168 Vgl. Kern/Laufs, Ärztliche Aufklärungspflicht 160 ff.; ders., in: Laufs/Uhlenbruck § 67 Rdn. Rdn. 3, § 103 Rdn. 15. Ein anderer methodischer Ansatz findet sich dagegen bei Laufs, Arztrecht Rdn. 540. 169 Vgl. Kullmann, PHi 1997 80 f. 170 Vgl. Lepa, in: FS für Geiß 458 f. 171 Vgl. Lorz, Schönheitsoperation 154. 172 Vgl. Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht Kommentar 140 ff. 173 Vgl. Müller, NJW 1997 3051; dies., in: FS für Geiß 467. 174 Vgl. Nüßgens, RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 154 ff.; ders., in: FS für Nirk 750 f. 175 Vgl. Oetker, in: MüKo § 249 BGB Rdn. 216. 176 Vgl. Schiemann, in: Staudinger Vor § 249 BGB Rdn. 97, § 249 BGB Rdn. 107 f. 177 Vgl. Schultz, VersR 1990 812. 178 Vgl. Spickhoff, in: Soergel § 823 BGB Anh. I Rdn. 155. 179 Vgl. Spindler, in: Bamberger/Roth § 823 BGB Rdn. 647 f. 180 Vgl. Sprau, in: Palandt § 823 BGB Rdn. 157. 181 Vgl. Steffen, RPG 1997 99; ders., in: FS für Deutsch 642 ff.; vgl. auch Fn. 189, 190. 182 Vgl. Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht 9. Aufl. Rdn. 438 ff. 183 Vgl. Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht 10. Aufl. Rdn. 438 ff. 184 Vgl. Taupitz, in: 50 Jahre BGH FG 499 f. 185 Vgl. Tempel, NJW 1980 616. 186 Vgl. Terbille, VersR 1999 237. 187 Vgl. Wagner, in: MüKo § 823 BGB Rdn. 746. 188 Vgl. Weber-Steinhaus, Ärztliche Berufshaftung 256 ff., 265 ff.

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Reichsgerichts in RGZ 163 129 Bezug genommen.189 Eine weitere Mindermeinung will die „hypothetische Einwilligung“ mit unterschiedlicher Begründung auf eine fahrlässige Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht beschränken.190 Die letzten Jahrzehnte nach der praktischen Durchsetzung der „hypothetischen Einwilligung“ werden kaum noch von Fragen über die rechtliche Anerkennung dieses Rechtsgedankens beherrscht, obwohl Zweifel auch hier nicht völlig verstummen.191 Der Bundesgerichtshof bemüht sich stattdessen nachhaltig um eine klare inhaltliche Konturierung seiner „gefestigten Grundsätze“ zur „hypothetischen Einwilligung“, indem die relevanten Fallgruppen und die Anforderungen an die Substantiierungspflichten des Kranken konkretisiert werden.192 Im Wesentlichen beschränkt sich die Würdigung der Rechtsprechungsgrundsätze im Schrifttum darauf, ob sie den kritischen Einwendungen genügen.193 II. Die Entwicklungslinie im Strafrecht 1. Der Einfluss des Zivilrechts auf das Strafrecht

a) In den 80er Jahren begann die Diskussion über die „hypothetische Einwilligung“ im Strafrecht. Vorher hatte es nur vereinzelte Äußerungen hierüber gegeben.194 Unter dem Einfluss der Grundsatzentscheidung des Sechsten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 7. Februar 1984 (BGHZ 189 Vgl. Kuckuk, in: Erman Vor § 249 BGB Rdn. 88; Mertens, in: Soergel Vor § 249 BGB Rdn. 166 und früher Steffen, in: Verhandlungen zum 52. DJT Bd. II I 15, 26 wollen den Einwand nur bei gegebener, aber fehlerhafter Einwilligung zulassen. 190 Kleinewerfers, VersR 1963 303 sieht keinen Raum für die „hypothetische Einwilligung“ bei einer vorsätzlichen Falschaufklärung. Er stützt das Ergebnis auf § 242 BGB. In der Sache schränkt auch Weber-Steinhaus, Ärztliche Berufshaftung 258 die „hypothetische Einwilligung“ ein. Er stellt auf die „Schwere der Pflichtverletzung“ und den Präventionsgedanken im Rahmen des rechtmäßigen Alternativverhaltens ab. 191 Vgl. OLG Köln NJOZ 2003 1771 f. mitgeteilt von Rosenberger. Vgl. auch Nüßgens, RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 153; ders., in: FS für Hauß 292; ders., in: FS für Nirk 749 f. 192 Vermehrt finden sich Fallgruppenkommentare zum „echten Entscheidungskonflikt“. Vgl. etwa Deutsch, Medizinrecht Rdn. 162 ff., Gehrlein, Arzthaftungsrecht 83, ders., Arzthaftpflicht 188, Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht 236 ff., H. Schünemann, in: Risikoaufklärung 75 f. und Spickhoff, in: Soergel § 823 BGB Anh. I Rdn. 156 f. zu Argumenten jeweils mN aus der Rspr., die einen Entscheidungskonflikt in der forensischen Praxis nicht bzw. getragen haben. 193 Vgl. etwa Giesen, JZ 1993 318. 194 Vgl. A. II. 2.

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90 103) sowie der zivilrechtlichen Diskussion über diese Problematik bildete sich auch bald eine „herrschende Meinung“ im Strafrecht heraus. Einen Eindruck des maßgeblichen Einflusses des Zivilrechts auf das „akzessorische“ Strafrecht vermitteln folgende Fundstellen. Eser kommentiert 1982 – zwei Jahre nach der Veröffentlichung des den Umschwung in der Rechtsprechung des Sechsten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs andeutenden Urteils195 – in der 21. Aufl. des Schönke/Schröder, dass die „erforderliche Kausalität des Aufklärungsmangels für die (sonst verweigerte) Einwilligung“ darzutun sei.196 Anscheinend unabhängig hiervon bemühen sich G. Hirsch und Weißauer um eine strafrechtliche Begründung ihrer Forderung eines „Rechtswidrigkeitszusammenhangs“ bei der fahrlässigen Heilbehandlung ohne wirksame Einwilligung.197 Auf diesen Kurs schwenkt 1988 auch Ulsenheimer in seinem „Arztstrafrecht“ ein. Ausgehend von den zivilrechtlichen Entscheidungen fordert er die Prüfung der „Kausalität des Aufklärungsmangels“ für die Durchführung des Eingriffs im Strafrecht. Die „unterlassene Aufklärung“ müsse für die Durchführung des Eingriffs „relevant („kausal“)“ geworden sein.198 Sowohl G. Hirsch, Weißauer als auch Ulsenheimer weisen auf die abweichende zivilrechtliche Beweislastverteilung hin.199 Für einen Freispruch des Arztes wegen Körperverletzung plädieren außerdem noch Schwab, Gramer und Krieglstein (1983), wenn die Möglichkeit bestehe, dass der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte.200 Unter Bezugnahme auf Esers Kommentierung halten sodann auch Geppert201 und Müller-Dietz202 die „hypothetische Einwilligung“ für sachgerecht. Mehr als diese Angaben lassen sich zur positiven Begründung der Rechtsfigur im Strafrecht nicht anführen. Die warnenden Worte in der Wissenschaft vor einer Übertragung der „hypothetischen Einwilligung“ ins Strafrecht werden dabei nicht wahr195

Vgl. BGH NJW 1980 1333. Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder 21. Aufl. § 223 StGB Rdn. 40 (bis zur 26. Aufl.); vgl. ablehnend aber ders., in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 40e. 197 Vgl. G. Hirsch/Weißauer, MedR 1983 44. 198 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132. 199 Vgl. G. Hirsch/Weißauer, MedR 1983 44; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132. 200 Vgl. Schwab/Gramer/Krieglstein, Ärztliche Aufklärungspflicht 70. 201 Vgl. Geppert, JZ 1988 1025; vgl. aber unten Fn. 235. 202 Vgl. Müller-Dietz, JuS 1989 281. 196

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1. Kap.: Diskussionsstand bei der „hypothetischen Einwilligung“

genommen. Zwar hat sich die „hypothetische Einwilligung“ im Zivilrecht Anfang der 80er Jahre nachhaltig etabliert.203 Weitnauer hegt jedoch Zweifel daran, dass das Rechtsinstitut ins Strafrecht übertragen werden könne: „Die Fragen hinsichtlich der Schadensersatzpflicht liegen im Zivilrecht [. . .] auch insofern etwas anders als im Strafrecht, als wir im Zivilrecht, jedenfalls nach meiner Meinung, dem Patienten sagen können, Du hättest ja doch eingewilligt, wenn Du aufgeklärt worden wärst; auf diese Weise entfällt die Kausalität.“ „Ich glaube, im Zivilrecht kann man das wohl machen, so dass ein Eingriff, der zu keinem Schaden führt, zivilrechtlich praktisch irrelevant ist [. . .].“204 Auch Kleinewerfers legt die straf- wie zivilrechtlichen Folgen einer eigenmächtigen Heilbehandlung offen, geht aber mit keinem Wort auf die Statthaftigkeit des Rechtsgedankens im Strafrecht ein, obwohl er einer der vehementesten Verfechter der „hypothetischen Einwilligung“ war.205 Die Wiederbelebung dieses Rechtsgedankens beruht ersichtlich auf der Entwicklung der strengen zivilrechtlichen Rechtsprechung zur ärztlichen Aufklärungspflicht. Sie könne nicht unbesehen hingenommen werden, wo es um die Frage gehe, ob der Aufklärungsmangel ein solches Gewicht habe, dass er die schwerwiegende Folge einer Kriminalstrafe rechtfertige. Hieraus erkläre sich, dass in der Frage der Aufklärungspflicht, die eigentlich einheitlich zu beurteilen sei, die Zivilrichter strenger urteilen als die Strafrichter, die vor einer Überspannung der ärztlichen Aufklärungspflicht warnen.206 In diese Richtung zeigt auch die Kritik von Arzt: „Strafrechtlich ist diese Verteidigung [mit der „hypothetischen Einwilligung“] nicht haltbar.“207 Die zivilrechtliche Praxis habe die Rechtsfigur nämlich als „nahezu unüberwindbares Beweishindernis“ ausgewiesen. Zudem werde „im Grunde“ nur das Argument wiederholt, dass der oktroyierte Heileingriff keine Körperverletzung sei. Der Schaden des Patienten liege nicht im Schnitt mit dem Skalpell, sondern im Schnitt ohne vorherige Dispositionsmöglichkeit; dieser Schaden könne durch die Überlegung nicht beseitigt werden, dass das Opfer im Sinne des Täters disponiert hätte, wenn es gefragt worden wäre.208 203

Vgl. Nachweise § 2 A. II. 1., B. I. 4. Vgl. Weitnauer, in: Verhandlungen zum 44. DJT Bd. II F 159. 205 Vgl. Kleinewerfers, VersR 1964 353. 206 Vgl. Tröndle, MDR 1983 883; vgl. auch Taupitz, NJW 1986 2853; Ulsenheimer, NStZ 1996 132. 207 Vgl. Arzt, in: Arzt und Recht 57. 208 Vgl. Arzt, in: Arzt und Recht 57. Solche Fragen könne man in der Regel erst bei der Strafzumessung berücksichtigen, vgl. ders., aaO. 58 Fn. 24; vgl. auch Landgericht Ravensburg JR 2004 251. 204

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b) Die strafrechtliche Rechtsprechung hat sich mit solchen Bedenken ersichtlich nicht auseinandergesetzt. Die „hypothetische Einwilligung“ wird Anfang der 90er Jahre ins Strafrecht übertragen. aa) In den Entscheidungen des Fünften Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 25. September 1990 („O-Bein“-Fall)209 und des Dritten Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 11. Dezember 1990 (Cignolinfall),210 wird die im Zivilrecht anerkannte „hypothetische Einwilligung“ ins Strafrecht übertragen. Der Fünfte Strafsenat fordert für eine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung, dass die „Pflichtwidrigkeit [fehlerhafte Aufklärung] für die Körperverletzung [. . .] ursächlich gewesen“ sein müsse.211 Das Oberlandesgericht Hamm sieht den Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung nur dann verwirklicht, wenn feststehe, dass der Aufklärungsmangel für die – im Fall ordnungsgemäßer Aufklärung verweigerte – Einwilligung kausal sei.212 In der „Surgibone“-Dübelentscheidung vom 29. Juni 1995 beruft sich der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einem weiteren Fall einer fahrlässigen Versäumung der ärztlichen Aufklärungspflicht mit fast schon beeindruckender Selbstverständlichkeit auf die „hypothetische Einwilligung“: „Aufklärungsmängel können eine Strafbarkeit des Arztes wegen Körperverletzung nur begründen, wenn der Patient bei einer den Anforderungen genügenden Aufklärung in den Eingriff nicht eingewilligt hätte.“213 bb) In der „Surgibone“-Dübelentscheidung wird zwar auch deutlich, dass die Entwicklungslinie der „hypothetischen Einwilligung“, wie sie der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs eingeschlagen hat, im Strafrecht fortgesetzt werden soll.214 Diese Entscheidung ist jedoch wegen ihrer „Zwischentöne“ zur ärztlichen Aufklärungspflicht besonders bemerkenswert.215 Der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs würdigt eingehend, „ob die [Strafkammer] die Anforderung an die vom Arzt geschuldete Aufklärung überspannt hat.“216 In der Sache erkennt der Senat damit eine unterschiedliche Behandlung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Zivil- und Strafrecht 209

Vgl. BGHR § 223 Abs. 1 StGB Heileingriff 2. Vgl. OLG Hamm 3 Ss 742/90. 211 Vgl. BGHR § 223 Abs. 1 StGB Heileingriff 2, 3. 212 Vgl. OLG Hamm 3 Ss 742/90. 213 Vgl. BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71. 214 Im „Surgibone“-Dübelfall (BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71) wird an die Rechtsprechung des Sechsten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs erinnert: „([. . .] zur ‚hypothetischen Einwilligung‘ in den ärztlichen Eingriff im Zivilrecht vgl. u. a. BGH NJW 1980, 1333; BGHZ 90, 96, 100.)“ 215 Vgl. Ulsenheimer, NStZ 1996 132. 216 Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70. 210

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1. Kap.: Diskussionsstand bei der „hypothetischen Einwilligung“

an. Die „hypothetische Einwilligung“ steht hiernach unter dem Vorbehalt einer restriktiveren strafrechtlichen Rechtsprechung zur ärztlichen Aufklärungspflicht. cc) Schließlich hat der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs im Bandscheibenfall217 vom 15. Oktober 2003 und im Bohrerfall218 vom 19. Januar 2004 keine Bedenken mehr, die „hypothetische Einwilligung“ auch auf Fälle von vorsätzlicher ärztlicher Eigenmacht zu übertragen. Im Liposuktionsfall des Vierten Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 5. Juli 2007 wird die „hypothetische Einwilligung“ schließlich auf einen Fall eines vorsätzlichen, zudem rein kosmetischen ärztlichen Handelns bezogen.219 Nicht frei von Zweifeln ist dagegen, ob der Erste und der Vierte Strafsenat des Bundesgerichthofs die bisherige Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ im „O-Bein“-Fall, im Cignolinfall und im „Surgibone“-Dübelfall auch bei den Vorsatzdelikten beibehalten oder nicht insoweit eigene Wege gehen wollen. Die Entscheidungsgründe im Bandscheibenfall bringen insoweit keine Klarheit, denn die Formulierung des Leitsatzes deutet auf einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund, die Begründung der „hypothetischen Einwilligung“ dagegen eher auf den Gedanken der „Kausalität der Aufklärungspflichtverletzung“ oder, wovon das Schrifttum ausgeht, „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ hin:220 Die „Rechtswidrigkeit entfällt, wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte.“ Allerdings wird unter Anknüpfung an die Fahrlässigkeitsentscheidungen hervorgehoben, dass bei der „Kausalitätsprüfung“ auf das konkrete Entscheidungsergebnis des jeweiligen Patienten abzuheben sei.221 Der Bohrerfall trägt zu keiner wesentlichen Klärung dieser Frage bei. Auf Grund der eindeutigen Feststellung, nach denen der Patient zur Entfernung der abgebrochenen Bohrerspitze keine Einwilligung gegeben hätte, sei für die Annahme kein Raum, „die Rechtswidrigkeit habe deshalb entfallen können, weil der Eingriff de lege artis durchgeführt und der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die durchgeführte Operation eingewilligt hätte.“222 Spätestens seit dem Liposuktionsfall ist jedoch klar, dass die Strafsenate des Bundesgerichtshofs neben der wirklichen, der gemutmaßten und der „mutmaßlichen Einwilligung“ einen eigenständigen körperverletzungsspezi217 218 219 220 221 222

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

BGH NStZ-RR 2004 16 = JR 2004 251. BGH NStZ 2004 442 = JR 2004 469. BGH NStZ-RR 2007 340. etwa Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. BGH NStZ 2004 442 = JR 2004 469.

§ 2 „Hypothetische Einwilligung“ zu Zeiten des Bundesgerichtshofs

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fischen Rechtfertigungsgrund der „hypothetischen Einwilligung“ anerkennen. Die Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ führt nunmehr in den Bereich der eigentlichen „hypothetischen Rechtfertigung“ hinein. Die Annahme des Landgerichts, die zweite bei A. durchgeführte Liposuktion sei „durch eine (hypothetische) Einwilligung des Patienten gerechtfertigt gewesen“, halte sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.223 Ärztliche Heileingriffe seien vorsätzliche Körperverletzungen, die der Einwilligung des Patienten bedürfen, um rechtmäßig zu sein; diese Einwilligung könne aber wirksam nur erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise aufgeklärt worden sei, was aber hier nicht geschehen sei. Es könne aber die „Rechtswidrigkeit auch dann entfallen“, wenn im Falle eines Aufklärungsmangels, der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte.224 dd) Der Erste Strafsenat hat im Bandscheibenfall auch am nachhaltigsten offengelegt, dass er an der Differenzierung des Reichsgerichts in RGZ 163 129 nicht festhält. Die „hypothetische Einwilligung“ wird auch dann für möglich gehalten, wenn die Patientin über den geplanten Eingriff in dem nicht operierten Fach L4/L5 nicht zutreffend informiert und die zuvor beschlossene Entfernung des rechten Wirbelhalbbogens ganz verschwiegen wird.225 Die Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ betrifft daher nicht mehr die fehlerhafte „Einwilligungsmotivation“, sondern die Problematik der Ersetzung einer fehlenden Einwilligung durch eine nur gedachte Einwilligung. 2. Die rückwärtige Tendenz nach dem Bandscheibenfall

a) Obwohl die Gedanken von Kuhlen in ähnlicher Weise schon bei Amelung,226 Krauß,227 Tag228 und Ulsenheimer229 angeklungen sind, stammt doch von ihm der am meisten beachtete Erklärungsversuch der „hypothetischen Einwilligung“.230 Seinen231 Ausführungen über die „Objektive Zu223

Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340, 341. Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340, 341. 225 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16 = JR 2004 251. 226 Vgl. Amelung, ZStW 109 (1998) 490; ders., Willensmängel 55 f., 69 f., 77. 227 Vgl. Krauß, in: FS für Bockelmann 573. 228 Vgl. Tag, Körperverletzungstatbestand 399. 229 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132; ders., NStZ 1996 132; ders., in: Medizin und Strafrecht 138; ders., in: Entwicklung der Arzthaftung 32 f. 230 Vgl. so auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 120 Fn. 196. 231 Vgl. auch Kuhlen, JR 2004 227; ders., JZ 2005 713; vgl. auch Stratenwerth/ Kuhlen, Strafrecht AT Teil I § 9 Rdn. 28, 44. 224

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1. Kap.: Diskussionsstand bei der „hypothetischen Einwilligung“

rechnung bei Rechtfertigungsgründen“232 und den „Ausschluss der objektiven Zurechnung bei Mängeln der wirklichen und der mutmaßlichen Einwilligung“,233 in denen er die Lehre der objektiven Zurechnung, insbesondere den Gedanken des rechtmäßigen Alternativverhaltens auf den Rechtfertigungsgrund der Einwilligung überträgt, sind in der Sache Rönnau,234 Geppert235 und Kühl236 gefolgt. Einen ganz ähnlichen Vorschlag unterbreitet auch sein Schüler Dreher.237 Roxin leuchtet die „Übertragung der [. . .] Lehre von der objektiven Zurechnung auf die Einwilligung“ im Prinzip ein.238 Einen schon von Kuhlen239 geäußerten Gedanken aufgreifend, will er jedoch entgegen der herrschenden Überzeugung unter den Befürwortern der „hypothetischen Einwilligung“, die sich für den zweifelsfreien Nachweis der „hypothetischen Einwilligung“ aussprechen,240 seine Risikoerhöhungslehre berücksichtigen.241 Anerkannt wird die Rechtsfigur außerdem von Bauer,242 Beulke,243 Knauer,244 Rengier,245 Rigizahn,246 Schöch247 und 232

Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 331. Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 431. 234 Vgl. Rönnau, Willensmängel 428 f., 435 f.; ders., JZ 2004 801; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230 ff.; ders., StV 2008 467. Zur Übertragung der „hypothetischen Einwilligung“ auf die Untreue (§ 266 StGB) vgl. ders., ZStW 119 (2007) 908 Fn. 84; ders., in: FS für Tiedemann 719. 235 Vgl. Geppert, JK 12/04 StGB § 223/3; vgl. ders., JK 4/08 StGB § 223/4. 236 Vgl. Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a; ders., in: Lackner/Kühl Vor § 32 StGB Rdn. 21a, § 228 StGB Rdn. 17a. 237 Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 103 ff., 116, der in einzelnen Fallgruppen über die Forderungen Kuhlens hinausgeht. 238 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 120 ff.; vgl. auch ders., aaO. § 14 Rdn. 113 ff. 239 Vgl. Kuhlen, JR 2004 228; Stratenwerth/Kuhlen, AT I § 9 Rdn. 28, 44. 240 Vgl. BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71; NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252; NStZ-RR 2007 340, 341; vgl. etwa auch Eisele, JA 2005 254; Fischer, § 223 StGB Rdn. 16a; Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 105; G. Hirsch/ Weißauer, MedR 1983 44; Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a; ders., in: Lackner/ Kühl § 228 StGB Rdn. 17a; Kuhlen, in: FS für Roxin 342 Fn. 62; ders., JR 2004 228, 229; Krey/Heinrich, Strafrecht BT Bd. 1 § 3 Rdn. 210a; Rönnau, JZ 2004 804; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230; Tag, Körperverletzungstatbestand 399; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132; ders., in: Medizin und Recht 138; ders., NStZ 1996 133; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 9 Rdn. 381b; vgl. auch Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 40a; Gropp, Strafrecht AT § 6 Rdn. 41. 241 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 124 ff. 242 Vgl. Bauer, Ärztlicher Heileingriff 175. 243 Vgl. Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 9 Rdn. 381b. 244 Vgl. Knauer, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 2. Aufl. 14. 245 Vgl. Rengier, Strafrecht BT II § 13 Rdn. 19. 246 Vgl. Rigizahn, JR 1996 73: „uneingeschränkte Zustimmung“. 247 Vgl. Schöch, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 51 ff. 233

§ 2 „Hypothetische Einwilligung“ zu Zeiten des Bundesgerichtshofs

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Schroth.248 Geilen hält an der „hypothetischen Einwilligung“ fest. Er beruft sich auf eine Parallele zur Rechtsgeschäftstheorie bzw. zum Irrtumsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches.249 Einen hiermit in der Sache, nicht aber in der Begründung übereinstimmenden Vorschlag unterbreitet Merkel.250 Neuerdings referiert Jahn über eine „wirksame, gegebenenfalls auch nur hypothetische Einwilligung“ und dürfte die Rechtsfigur am nachhaltigsten als „echten“ Rechtfertigungsgrund deuten.251 Inhaltlich wird auf die Konstruktionsfragen zur „hypothetischen Einwilligung“,252 die im Detail sehr schwierig sind, in den einzelnen Kapiteln eingegangen. Beginnend mit dem Bandscheibenfall lässt sich aber im strafrechtlichen Schrifttum eine Trendwende erkennen. Die „hypothetische Einwilligung“ in ihren vielfältigen Konstruktionen wird aus sachlichen Gründen für unzutreffend gehalten von Böcker,253 Bosch,254 Bruckmüller und Schumann,255 Cramer,256 Duttge,257 Edlbauer,258 Eser,259 Fischer,260 Freund,261 Frister,262 Gropp,263 Jäger,264 Joecks,265 Lenckner,266 Marlie,267 – zum Teil von – 248

Vgl. Schroth, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 33. Vgl. Geilen, Medizinrecht Rdn. 452. 250 Vgl. Merkel, in: NK § 218a StGB Rdn.38 ff.; ders., in: Handbuch des Medizinstrafrechts 195 ff. 251 Vgl. Jahn, JuS 2007 1146. 252 Vgl. zudem Mitsch, JZ 2005 279; vgl. auch ders., mit einem weiteren Vorschlag in JZ 2005 718. 253 Vgl. Böcker, JZ 2005 931. 254 Vgl. Bosch, JA 2008 72. 255 Vgl. Bruckmüller/Schumann, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 669 für das österreichische Strafrecht. 256 Vgl. Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 15 StGB Rdn. 219 b. 257 Vgl. Duttge, in: FS für Schroeder 179. 258 Vgl. Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 329 ff. 259 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 40e; anders noch ders., bis zur 26. Aufl. § 223 StGB Rdn. 40. 260 Vgl. Fischer, § 223 StGB Rdn. 16a; § 266 StGB Rdn. 46c. 261 Vgl. Freund, Strafrecht AT § 3 Rdn. 44b. 262 Vgl. Frister, Strafrecht AT 15 Kap. Rdn. 33. 263 Vgl. Gropp, Strafrecht AT § 6 Rdn. 41; ders., in: FS für Schroeder 197. 264 Vgl. Jäger, Examens-Repetitorium § 4 Rdn. 146c; ders., Zurechnung 25 f.; ders., in: FS für Jung 345. 265 Vgl. Joecks, Studienkommentar Vor § 32 StGB Rdn. 36 b, der sich allenfalls für den Vorschlag Roxins ausspricht, die Risikoerhöhungslehre auf den Gedanken der „hypothetischen Einwilligung“ anzuwenden. Weitergehender ders., in: MüKo § 223 StGB Rdn. 80. 266 Vgl. Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 54. 267 Vgl. Marlie, JA 2007 112 ff., der sich nachhaltig gegen ein „hypothetisches Einverständnis“ wendet. 249

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1. Kap.: Diskussionsstand bei der „hypothetischen Einwilligung“

Mitsch,268 Otto,269 Paeffgen,270 Puppe,271 Riedelmeier,272 Schwartz,273 Sternberg-Lieben274 und Weber.275 Im Übrigen kann auf Arzt276 und nunmehr auch auf Ulsenheimer hingewiesen werden, der seine bisherige Konstruktion aufgegeben hat.277 Zweifel an der Rechtsfigur klingen bei Bollacher und Stockburger,278 Eisele,279 Gössel und Dölling („fragwürdig“),280 Hirsch („Unschärfe der Kriterien“)281 und später gleichlautend Lilie,282 darüberhinaus bei Kindhäuser,283 Krey und Heinrich („Erfordernis der ordnungsgemäßen Aufklärung [. . .] erheblich relativiert“),284 wohl auch bei Rengier285 und immer noch bei Kühl („bedarf noch der Klärung“) an, obwohl er sie hinnehmen zu können glaubt.286 Weitere Zweifel äußert Sickor.287 Bedenklich soll die Konstruktion nach Roxins Auffassung inso268

Vgl. Mitsch, JZ 2005 282 ff. Vgl. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 134; ders., Jura 2004 682 f.; ders., JK 2/05 § 228/4 StGB. 270 Vgl. Paeffgen, in: FS für Rudolphi 208 f.; ders., in: NK § 228 StGB Rdn. 86. 271 Vgl. Puppe, JR 1994 514; dies., Strafrecht AT Bd. 1 § 22; dies., GA 2003 765; dies., JR 2005 469; dies., Analysen 159 Fn. 40. 272 Vgl. Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 76 ff. 273 Vgl. Schwartz, Hypothetische Einwilligung 243 ff. 274 Vgl. den Streitstand zusammenfassend Sternberg-Lieben, StV 2008 190 ff.; vgl. auch Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 15 StGB Rdn. 219 b. 275 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 6 Rdn. 106g. 276 Vgl. schon Arzt, in: Arzt und Recht 57 f. 277 Vgl. für Vorsatz Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 155 f.; nunmehr die „Kausalitätslösung“ ablehnend ders., Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132a Fn. 1013. 278 Vgl. Bollacher/Stockburger, Jura 2006 913. Hier wird die „hypothetische Einwilligung“ zudem in der strafrechtlichen Fallbearbeitung mit Prüfungsschema dargestellt. 279 Vgl. Eisele, JA 2005 252; ders., Strafrecht BT I Rdn. 301 f. 280 Vgl. Gössel/Dölling, Strafrecht BT Teil 1 § 12 Rdn. 63; vgl. auch Dölling, in: Dölling/Duttge/Rössner, § 228 StGB Rdn. 11. 281 Vgl. Hirsch, in: LK 10. Aufl. Vor § 223 StGB Rdn. 4; ders., in: GS für Zipf 358 Fn. 23. 282 Vgl. Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 4. 283 Vgl. übersichtlich zum Meinungsstand Kindhäuser, Strafrecht AT § 19 Rdn. 15 ff. 284 Vgl. Krey, Strafrecht AT Bd. 1 § 16 Rdn. 639b; ders./Heinrich, Strafrecht BT Bd. 1 § 3 Rdn. 210a. 285 Vgl. Rengier, Strafrecht BT II § 13 Rdn. 18, der auf die „Verletzung der Selbstbestimmung“ hinweist. 286 Vgl. Kühl, in: Lackner/Kühl Vor § 32 StGB Rdn. 21a, § 228 StGB Rdn. 17a hat die Zweifel spätestens in Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a überwunden. 287 Vgl. Sickor, JA 2008 14 ff., 16; ders., JR 2008 179 ff. der die „hypothetische Einwilligung“ für das Arztstrafrecht begrüßen würde, wenn die nach seiner Meinung zu weitläufigen Kriterien enger gefasst werden könnten. 269

§ 2 „Hypothetische Einwilligung“ zu Zeiten des Bundesgerichtshofs

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weit sein, als dem Arzt die hypothetische Ablehnung nachgewiesen werden müsse.288 Erwähnt wird die „hypothetische Einwilligung“ bei Hettinger,289 Schroeder und Maiwald.290 b) In den neueren Entscheidungen erwecken die Strafsenate des Bundesgerichtshofs auch den Eindruck, bestimmte Fallgruppen von der „hypothetischen Einwilligung“ ausnehmen zu wollen. Das Rechtsinstitut der „hypothetischen Einwilligung“ scheint zusehends als Privileg interpretiert zu werden. Das verdeutlicht der Erste Strafsenat im Bohrerfall, bei dem ihm anders als im Bandscheibenfall Bedenken gegen die Rechtsfigur gekommen zu sein scheinen. Dem Arzt, der sich durch Vorspiegelung der medizinischen Indikation eine Einwilligung in den Eingriff erschleicht, soll die „hypothetische Einwilligung“ bei der Vertuschung von ärztlichen Kunstfehlern eindeutig nicht zur Seite stehen: „Auf Grund der eindeutigen Feststellungen, nach denen der Patient zur Entfernung der abgebrochenen Bohrerspitze keine Einwilligung gegeben hätte, war für die Annahme [einer ‚hypothetischen Einwilligung‘] kein Raum [. . .]“.291 Im Liposuktionsfall lehnt auch der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs die „hypothetische Einwilligung“ apodiktisch für Sachverhalte ab, in denen die durchgeführte Liposuktion „von vornherein so angelegt war, dass sie nicht dem medizinischen Standard entsprach.“ Eine „hypothetische Einwilligung“ dürfe allerdings schon in Anbetracht dessen, dass es sich weder um eine eilbedürftige, noch um eine medizinisch indizierte, sondern lediglich um eine kosmetische Behandlung handele, die ohnehin erheblich genaueren Aufklärungsanforderungen unterliegt, „kaum anzunehmen sein“.292 Die „hypothetische Einwilligung“ soll anscheinend bedeutungslos sein, wenn der Patient bei seiner tatsächlich erklärten Einwilligung von einer medizinischen Behandlung ausgeht, die sich im „Wesentlichen“ nicht mehr mit dem tatsächlich durchgeführten Eingriff deckt. Ist die Vorstellung des Patienten von der tatsächlichen ärztlichen Behandlung in ihren „wesentlichen“ Teilen daher fehlerhaft, kann die ärztliche Eigenmacht durch eine „hypothetische Einwilligung“ nicht mehr nachträglich „geheilt“ werden. 288 289 290 291 292

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 124. Wessels/Hettinger, Strafrecht BT/1 § 6 Rdn. 324. Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT Tb. 1 § 8 Rdn. 23. BGH NStZ 2004 442 = JR 2004 469. BGH NStZ-RR 2007 340, 341.

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1. Kap.: Diskussionsstand bei der „hypothetischen Einwilligung“

So lässt sich an dieser Trendwende im Strafrecht letztlich ablesen, dass die gegen die „hypothetische Einwilligung“ erhobenen kritischen Einwände ein weitaus stärkeres Gewicht als im Zivilrecht haben. Die Rechtsfigur wird im Strafrecht von einer Einschränkung der praktischen Ergebnisse mittels der Risikoerhöhungslehre293 bis hin zu deren materiell-rechtlicher Ablehnung als „unbeachtliche Reserveursache“ tendenziell auf breiter Front in Zweifel gezogen.

293 Selbst hinter der neuerdings zunehmend befürworteten Lösung Roxins Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 134 stehen – wenngleich nur weniger deutlich – die Vorbehalte, das Aufklärungsrecht des Patienten soweit als möglich gegen medizinische und forensische Bevormundung abzusichern.

Zweites Kapitel

Vorläufige Feststellungen zur „hypothetischen Einwilligung“ I. Mit der Anerkennung des Satzes, dass „Aufklärungsmängel [. . .] eine Strafbarkeit des Arztes wegen Körperverletzung nur begründen [können], wenn der [konkrete] Patient bei einer den Anforderungen genügenden Aufklärung in den Eingriff nicht eingewilligt hätte“, ist eine präzise begriffliche Definition der „hypothetischen Einwilligung“ nicht erreicht. Mit der „hypothetischen Einwilligung“ verbinden sich vielmehr ganz unterschiedliche Entwicklungslinien. 1. Das Reichsgericht hat den Gedanken der „hypothetischen Einwilligung“ in seiner Entscheidung vom 8. März 1940 (RGZ 163 129) begrenzt auf Fälle einer „qua Aufklärungspflichtverletzung [irrtümlich erteilten] Einwilligung“. Bei der eigentlichen „hypothetischen Rechtfertigung“, der Ersetzung einer „fehlenden“ oder sogar „verweigerten Einwilligung“ durch eine nur gedachte Einwilligung, soll die „hypothetische Einwilligung“ dagegen nicht herangezogen werden dürfen. Der „hypothetische Wille“ des Kranken soll sich entscheidend nach dem richten, was ein „vernünftiger“ Mensch anstelle des Patienten bei wahrheitsgemäßer Belehrung gedacht haben würde. Dem Patienten obliegt die Offenlegung der „besonderen Gründe“, weshalb er sich nicht zu dem Eingriff entschlossen haben würde. Der Patient habe den „Kausalzusammenhang“ zwischen der Verletzung der Aufklärungspflicht und dem Schaden „darzutun und zu beweisen“.1 2. Von dieser Entwicklungslinie hat sich der Bundesgerichtshof entfernt. Der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die „hypothetische Einwilligung“ maßgeblich weiterentwickelt. Eine „klare Ablehnung des Patienten [entzieht] hypothetischen Erwägungen [zwar immer noch] den Boden“.2 Abweichend von der Entscheidung vom 8. März 1940 (RGZ 163 129) wird die „hypothetische Einwilligung“ aber auch in zwei Fallkonstellationen für möglich gehalten, in denen es „nicht schon an der Aufklärung, sondern erst 1 2

Liertz/Paffrath, Handbuch des Arztrechts 203. Vgl. BGH NJW 1991 2342, 2343.

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2. Kap.: Vorläufige Feststellungen zur „hypothetischen Einwilligung“

an der Einwilligung“ fehle. Das sei denkbar, wenn der Patient, nachdem er aufklärt worden sei, in einen nicht mehr erklärungsfähigen Zustand gerate, aber auch dann, wenn die in Betracht kommende Erweiterung der Operation zwar mit ihren Risiken erörtert worden sei, jedoch eine hinreichend klare Verständigung zwischen Arzt und Patienten nicht zustande gekommen oder nicht nachweisbar sei.3 Damit berührt die „hypothetische Einwilligung“ die vom Reichsgericht noch mit Skepsis betrachtete „eigentliche“ „hypothetische Rechtfertigung“. Die Obergerichte stellen an die „hypothetische Einwilligung“ „grundsätzlich strenge Anforderungen“, „damit auf diesem Wege das Aufklärungsrecht des Patienten nicht unterlaufen“ werde. Die Feststellung, wonach ein vernünftiger Patient sich nicht würde abschrecken lassen, sei nicht ausreichend, vielmehr müsse auf den konkreten Patienten mit seinen Besonder-/Eigenheiten als Maßstabsfigur abgestellt werden. Der Sechste Zivilsenat hat in seiner Entscheidung vom 7. Februar 1984 (BGHZ 90 103) ein ausgeklügeltes Behauptungs-, Substantiierungs- und Beweislastsystem für die „hypothetische Einwilligung“ eingerichtet: Der eigenmächtig handelnde Arzt hat die Voraussetzungen der „hypothetischen Einwilligung“ zu behaupten, der Patient daraufhin einen echten Entscheidungskonflikt darzulegen. Erst hiernach hat der Arzt den Beweis der „hypothetischen Einwilligung“ anzutreten. In der zivilrechtlichen Rechtsprechung ist die „hypothetische Einwilligung“ eine praktisch unerweisliche Illusion geblieben. Der häufige Hinweis der Rechtsprechung auf die „gefestigten Grundsätze“ zur „hypothetischen Einwilligung“4 ist irreführend, soweit es die rechtliche Einordnung des Rechtsgedankens betrifft. Treffend beschreibt das Oberlandesgericht Köln den Streitstand, dass unentschieden gelassen hat, ob sich die Tatsache, dass der Patient hypothetisch eingewilligt hätte, „rechtlich als Darstellung eines alternativen Kausalverlaufs darstellt oder als Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Patienten, oder ob schlicht gesagt wird, auch eine hypothetische Einwilligung sei (wie die tatsächliche) unmittelbar als Rechtfertigungsgrund anzusehen [. . .].“ Die Obergerichte tendieren in dieser Frage überwiegend in die Richtung einer „(Quasi-)Kausalität“ der Aufklärungspflichtverletzung für die Einwilligung oder den Verletzungserfolg.5 3

Vgl. BGH NJW 1991 2342, 2343. Vgl. etwa BGH VersR 1995 1055, 1057; NJW 1996 3073, 3073; NJW 1997 2734; NJW 1998 2734; OLG Koblenz MedR 2004 505, 503; NJW-RR 2004 1166, 1167; OLG Köln NJW-RR 1998 1324, 1325; OLG Stuttgart VersR 1998 1111, 1113; NJOZ 2001 2331, 2333; vgl. auch Kullmann, PHi 1997 80. 5 Vgl. etwa BGH NJW 1980 1333, 1334; NJW 1991 2344, 2345; NJW 1992 2351, 2353; OLG Köln VersR 1987 514, 515; OLG Stuttgart VersR 1987 515, 517. 4

2. Kap.: Vorläufige Feststellungen zur „hypothetischen Einwilligung“

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Der Fünfte und der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs sowie der Dritte Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm übertragen die „hypothetische Einwilligung“ schließlich ins Strafrecht. Die Strafsenate setzen im „O-Bein“-Fall, im Cignolinfall und im „Surgibone“-Dübelfall die Entwicklungslinie des Sechsten Zivilsenats für Fahrlässigkeitstaten fort. Der Fünfte Strafsenat fordert für eine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung, dass die „Pflichtwidrigkeit [fehlerhafte Aufklärung] für die Körperverletzung [. . .] ursächlich gewesen“ sein müsse.6 3. Der Erste und der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs halten den Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ im Bandscheibenfall, im Bohrerfall und im Liposuktionsfall allerdings auch in Fällen vorsätzlicher ärztlicher Eigenmacht für denkbar. Nicht frei von Zweifeln ist dagegen, ob sie mit diesen Entscheidungen die bisherige Linie des Sechsten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs weiterverfolgen oder eigene Wege gehen wollen. Im Bandscheibenfall heißt es: „Die Rechtswidrigkeit entfällt aber, wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte.“ Die Formulierung des Leitsatzes soll auf einen „Rechtfertigungsgrund“ schließen lassen, die weitere Begründung der „hypothetischen Einwilligung“ eher auf den Gedanken der „Kausalität der Aufklärungspflichtverletzung“ oder, wovon das Schrifttum ausgeht, „rechtmäßigen Alternativverhaltens“.7 Im Bandscheibenfall legt der Erste Strafsenat zudem offen, dass er an der einschränkenden Auslegung der „hypothetischen Einwilligung“ durch das Reichsgericht in RGZ 163 129 nicht festhält. Die „hypothetische Einwilligung“ wird auch dann für möglich gehalten, wenn die Patientin über den geplanten Eingriff in dem nicht operierten Fach L4/L5 nicht zutreffend informiert und die zuvor beschlossene Entfernung des rechten Wirbelhalbbogens ganz verschwiegen wird.8 II. Ungenau ist die Beschreibung der „hypothetischen Einwilligung“ bei Weber, wonach der Wille des Patienten im Zeitpunkt des körperverletzenden Eingriffs „nicht bekannt, jedenfalls nicht einwandfrei ermittelt“ sei.9 In struktureller Hinsicht ist vielmehr besonders zu beachten, dass der „hypothetischen Einwilligung“ kein tatsächlicher Wille des Einwilligenden zugrundeliegt. Sie ist ein „bloßes fiktives Potential“. Anstelle der wirklichen Einwilligung wird der „hypothetischen Einwilligung“ des konkreten Patienten in dem gedachten Fall rechtmäßigen Alternativverhaltens des Arztes 6 7 8 9

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

BGH BGHR § 223 Abs. 1 StGB Heileingriff 2 3. etwa Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. so aber Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 3 Rdn. 106c.

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2. Kap.: Vorläufige Feststellungen zur „hypothetischen Einwilligung“

rechtliche Wirkung zuerkannt: Der – tatsächlich an einem Aufklärungsmangel leidenden – rechtlich unwirksamen Einwilligung soll „ausnahmsweise“ unrechtskompensierende Kraft zukommen, wenn sie bei rechtmäßigem Alternativverhalten erteilt worden wäre. Ausgehend von diesen vorläufigen Feststellungen soll der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“ im Zweiten Teil auf seine strukturelle Vereinbarkeit mit den anerkannten strafrechtlichen Rechtsfiguren gewürdigt werden.

Zweiter Teil

Die „hypothetische Einwilligung“ in der dogmatischen Betrachtung Drittes Kapitel

Die Einwilligung als Tatbestandsausschließungsoder Rechtfertigungsgrund § 1 Hinführung zur Problematik I. Die Einwilligung (auch) im „Surgibone“-Dübelfall als Rechtfertigungsgrund Im „Surgibone“-Dübelfall erinnert der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs eingangs der Entscheidungsgründe: „Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BGH und ist im Grundsatz heute auch in der Ärzteschaft unumstritten, dass ärztliche Heileingriffe grundsätzlich der Einwilligung bedürfen, um rechtmäßig zu sein [. . .].“1

Der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“ wird in der Rechtsprechung auf die höchst umstrittene Prämisse gestützt, wonach die Einwilligung in ärztliche Heileingriffe nicht den Tatbestand der Körperverletzung, sondern die Rechtswidrigkeit ausschließen soll. Die Einwilligung soll ein Rechtfertigungsgrund sein. Entsprechend wird davon ausgegangen, dass auch die „hypothetische Einwilligung“ ein Rechtfertigungsgrund ist.2 II. Die Einordnungsproblematik der Einwilligung als Tatbestandsausschließungs- oder Rechtfertigungsgrund – ein originäres Problem der Einwilligung Die Wissenschaft ist der Rechtsprechung in Bezug auf die Einordnungsproblematik der „hypothetischen Einwilligung“ ganz überwiegend gefolgt.3 Konsequenzen aus der dogmatischen Einordnung der Einwilligung werden 1 2

Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70. Vgl. Nachweise im 6. Kap. § 2 B.

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

für die „hypothetische Einwilligung“ jedoch nicht gezogen. Es wird vielmehr davon ausgegangen, dass die Einordnung, ob die Einwilligung tatbestandsausschließend oder rechtfertigend wirkt, eine originär auf die Einwilligung zurückgehende Problematik ist, die keine unmittelbaren Konsequenzen für den Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ hat, sondern ihr vielmehr vorausliegt. Die bei der Einwilligung und bei der „hypothetischen Einwilligung“ entstehenden Sachprobleme werden auseinandergehalten. Die rechtlichen Konsequenzen der „hypothetischen Einwilligung“ gerade auf der Tatbestandsebene der Körperverletzungsdelikte werden dementsprechend mit anderen konstruktiven Erwägungen (Kausalität, „(hypothetisch) rechtmäßiges Alternativverhalten“) begründet.4 Daraus erklärt sich die geringe Resonanz der Einordnungsproblematik der Einwilligung gerade im Zusammenhang mit der „hypothetischen Einwilligung“, die ausschließlich auf der Überlegung beruht, dass der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“ unabhängig von der Einordnungsproblematik der Einwilligung „im Prinzip“ einleuchten soll.5 Auch diejenigen, die von der Prämisse ausgehen, der „konkrete Wille“ des Rechtsinhabers sei ein konstitutives Element des Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte, so dass seine Einwilligung in die Körperverletzung tatbestandsausschließend wirke,6 ziehen keine ausdrücklichen Konsequenzen aus dieser Konstruktion für die „hypothetische Einwilligung“.7 III. Die Relevanz der rechtlichen Einordnung der Einwilligung für die „hypothetische Einwilligung“ Gleichwohl gibt es Ansätze in der Wissenschaft, die der Einordnungsfrage der Einwilligung doch unmittelbare Bedeutung für die „hypothetische Einwilligung“ zuzuschreiben scheinen. In diese Richtung lassen sich einige Ausführungen zur „hypothetischen Einwilligung“ deuten:8 3 Selbst der offene Widerspruch zu den eigenen Prämissen wird hierbei in Kauf genommen. Vgl. etwa Rönnau, Willensmängel 85 ff.; ders., Jura 2002 598; ders., JuS 2007 19, der die Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund erfasst. Vgl. aber auch ders., JZ 2004 801, wonach „die Bedeutung der objektiven Zurechnungslehre bei Rechtfertigungsgründen“, insbesondere bei der Einwilligung bisher kaum diskutiert werde. 4 Vgl. auch 6. Kap. § 2 A. 5 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 120. 6 Vgl. Krauß, in: FS für Bockelmann 592; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122; Tag, Körperverletzungstatbestand 399. 7 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 120; anders wohl Kindhäuser, Strafrecht AT § 19 Rdn. 18. 8 Vgl. hierzu auch Kuhlen, JR 2004 229.

§ 1 Hinführung zur Problematik

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1. Die „normativen“ „Zusammenhangslösungen“9

a) Krauß Bereits 1978 hatte Krauß einen der „hypothetischen Einwilligung“ sehr nahe kommenden Vorschlag unterbreitet. Die „Einwilligung“ des Patienten weist er dem „individuell-subjektiv deutbaren Rechtsgut der körperlichen Integrität“ zu. Die Behandlung sei daher ohne Rücksicht auf die Entscheidung des Patienten nicht lege artis.10 Die Einwilligung des Berechtigten erlange damit tatbestandsauschließende Bedeutung.11 Der Frage nach dem Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht geht Krauß nicht weiter nach. Jedenfalls soll die vorbereitende Aufklärung und Durchführung des gemeinsamen Entscheidungsprozesses nicht irgendeinem verselbstständigten „Selbstbestimmungsrecht“ des Patienten, sondern unmittelbar dem Schutz des in § 223 StGB beschriebenen Rechtsguts dienen. Die ärztliche Aufklärung sei demnach normative Bedingung ärztlicher Sorgfaltspflicht im Bereich der Tatbestandsmäßigkeit aller Körperverletzungsdelikte.12 Krauß entwickelt zur sachgerechten rechtlichen Erfassung der ärztlichen Heilbehandlung folgendes Gesamtkonzept: Auf der ersten Stufe sei die Verschlechterung des körperlichen status activus einer Person, seiner Leistungsfähigkeit oder seines Wohlbefindens, durch einen ärztlichen Eingriff festzustellen.13 Auf der zweiten Stufe sei zu erörtern, ob der Arzt bei der Vorbereitung des Eingriffs die Kommunikationsanforderungen der Rechtsordnung zum Schutz der körperlichen Integrität verletze und dadurch eine sozialinadäquate Gefahr geschaffen habe, dass der Eingriff der Intention des Patienten in einem für sein körperliches Wohl wesentlichen Punkt widerspreche und damit das Rechtsgut selbst in seiner individuellen Entfaltung und Erhaltung behindert werden könnte.14 Nunmehr soll auf der dritten Stufe geprüft werden, ob sich diese Gefährdung der Interessen, die Nichtbeachtung der selbstbestimmten Entscheidung des Patienten über den Eingriff, als objektiver Sorgfaltsverstoß in dem „konkreten Erfolg“ ausgewirkt habe. Zwischen der „Pflichtverletzung“ und 9

Vgl. zu den differenzierenden Begriffen 6. Kap. § 2 A. IV. Vgl. Krauß, in: FS für Bockelmann 572. 11 Vgl. auch Krauß, in: FS für Bockelmann 574. 12 Vgl. Krauß, in: FS für Bockelmann 572. 13 Vgl. Krauß, in: FS für Bockelmann 559 ff., 574. 14 Vgl. Krauß, in: FS für Bockelmann 563 ff., 574. 10

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

dem „tatbestandsmäßigen Erfolg“ müsse ein „Rechtswidrigkeitszusammenhang“ bestehen, der das abschließende Urteil über die Zurechnung trage.15 Der Erfolg der Körperverletzung (scil. die „Verschlechterung des körperlichen status activus der Person“, d.h. die Verschlechterung der Leistungsfähigkeit oder des Wohlbefindens) müsse durch einen entsprechenden, durch mangelnde Kommunikation (scil. die ärztliche Aufklärung) bewirkten „Interesseverlust“ beim Patienten belegt werden. Ergebe sich dagegen kein Anhaltspunkt dafür, dass die eigenmächtige Heilbehandlung solche „individuellen Interessen“ berührt habe, so scheide eine „strafrechtliche Haftung“ mangels „Rechtswidrigkeitszusammenhangs“ aus. Der geforderte „Zusammenhang“ sei demnach gegeben, wenn der festgestellte Erfolg das Resultat der in der Kommunikationsstörung liegenden Risikoerhöhung sei. Die Zurechnung des tatbestandlichen Erfolgs wird davon abhängig gemacht, dass bei normgemäßen Verhalten des Arztes die für diesen Fall vorausgesetzte Verweigerung der Einwilligung ein anderes Körperinteresse des Patienten hätte zur Geltung bringen können.16 Die Ähnlichkeit zu den heutigen Erklärungsmodellen der „hypothetischen Einwilligung“ ist auffallend. Gleichwohl weicht Krauß in seinen Ergebnissen von den heutigen Konstruktionen ab. Die „bloße Brüskierung des Patienten“ durch ärztliche Eigenmacht begründe für sich keine Strafbarkeit wegen einer Körperverletzung (§ 223 StGB). Selbst eine Heilmaßnahme „gegen den ausdrücklichen Willen des Patienten“ sei allenfalls als Nötigung (§ 240 StGB) zu bestrafen.17 Eine strafbare Körperverletzung werde der Eingriff erst, aber immer dann, wenn die ärztliche Eigenmacht die Artikulation und die Verwirklichung bestimmter individueller Körperinteressen des Patienten verhindere. Bei einer „individuellen Betrachtungsweise“ müsse auch eine andere Entscheidung als die des Arztes „sinnvoll“ gewesen sein und die Alternative als ein von der Rechtsordnung akzeptiertes subjektives Interesse an der körperlichen Integrität verstanden werden können. Interessen des Rechtsgutsträgers, die nicht die körperliche Integrität selbst, sondern andere Gesichtspunkte einer Entscheidung über den Körper betreffen, seien durch die Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.) nicht geschützt.18

15

Vgl. Krauß, in: FS für Bockelmann 573. Vgl. Krauß, in: FS für Bockelmann 573 f., 574. 17 Vgl. Krauß, in: FS für Bockelmann 573. 18 Vgl. Krauß, in: FS für Bockelmann 574 bildet folgenden Beispielsfall: Ein Arzt, der aus betriebsinternen Gründen den Zeitpunkt der Operation durch Täuschung des Patienten eigenmächtig vorziehe, obwohl er wisse, dass der Patient aus geschäftlichen Gründen auf einem späteren Zeitpunkt bestehen würde, begehe keine tatbestandsmäßige Körperverletzung, obwohl er den Eingriff zu dieser Zeit „ohne 16

§ 1 Hinführung zur Problematik

105

b) Tag Auch Tag ist der Überzeugung, dass es zum Problemkreis der objektiven Zurechnung gehöre, ob der fehlerhaft aufgeklärte Patient bei Kenntnis aller aufklärungsrelevanten Umstände in die ärztliche Behandlung eingewilligt hätte.19 Zwar sei die Sorgfaltspflichtverletzung „kausal“ für den Eingriff in das geschützte Rechtsgut „der körper- und gesundheitsbezogenen Verfügungsfreiheit“.20 Der Schutzbereich der Körperverletzung will dem „Rechtsgut der körperbezogenen Verfügungsfreiheit“ Integrität gegenüber dem nicht aufklärenden Arzt gewähren. Die Gewährleistung werde jedoch dort eingeschränkt, wo durch eine sorgfältige Aufklärung der Schutz des Rechtsguts nicht erreicht werden könne, weil der Patient dem prinzipiell aufklärungsrelevanten Umstand keine Bedeutung zugemessen hätte. Hier sei der Erfolgsunwert nicht verwirklicht.21 Gedankliche Voraussetzung einer „hypothetischen Einwilligung“ sei die Hypothese ordnungsgemäßer und vollständiger Aufklärung.22 2. Die Stellungnahme Kindhäusers

Für die gutachterliche Bearbeitung schlägt Kindhäuser vor, die Frage der „hypothetischen Einwilligung“ – je nachdem, ob man die tatsächliche Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund oder als Rechtfertigungsgrund begreife – auf der Tatbestandsebene oder auf der Rechtswidrigkeitsebene zu behandeln.23 3. Die Stellungnahme Roxins24

Die Einwilligung wird bei Roxin im Ausgangspunkt als Tatbestandsausschließungsgrund gesehen.25 Er legt dar, dass in den Fällen der „hypothetiwirksame Einwilligung“ des Patienten vornehme. Die Zielrichtung der Einwilligung sei hier nicht „rechtsgutsbezogen“. 19 Vgl. Tag, Körperverletzungstatbestand 399. 20 Vgl. Tag, Körperverletzungstatbestand 399, die aaO. 68 mit dieser Bestimmung des Rechtsguts offenlegt, dass sie den „konkreten Willen des Rechtsgutsinhabers“ in das Rechtsgut einbezieht und damit die Einwilligung als Tatbestandsausschließungs-, nicht als Rechtfertigungsgrund qualifiziert. 21 Vgl. Tag, Körperverletzungstatbestand 399. 22 Vgl. Tag, Körperverletzungstatbestand 399. 23 Vgl. Kindhäuser, Strafrecht AT § 19 Rdn. 18. 24 Vgl. zur Darstellung der Risikoerhöhungslehre 6. Kap. § 2 A. II. 25 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 12 ff., 120 Fn. 196; vgl. weitere Nachweise unten § 2 D. I.

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

schen Einwilligung“ „wie in sonstigen Fällen fehlenden Pflichtwidrigkeitszusammenhanges“26 die Zurechnung „zum Tatbestand der Körperverletzung“ „bzw., wenn man die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund ansieht, die Zurechnung zum Körperverletzungsunrecht“ ausgeschlossen sei.27 Es fehle an der Zurechenbarkeit des Erfolges.28 Zunächst hat es den Anschein, dass der Ausschluss der „Zurechnung zum Tatbestand der Körperverletzung“ durch die „hypothetische Einwilligung“ auf ähnliche konstruktive Erwägungen gestützt wird „wie in sonstigen Fällen fehlenden Pflichtwidrigkeitszusammenhanges“ (Kausalität, „(hypothetisch) rechtmäßiges Alternativverhalten“). Die Eigenständigkeit der Problematik der „hypothetischen Einwilligung“ gegenüber der Einordnungsfrage der Einwilligung wird jedoch dadurch in Zweifel gezogen, dass für die konstruktive Begründung des Zurechnungsausschlusses (i. w. S.) gerade bedeutsam sei, ob man die Einwilligung als Tatbestandsausschließungs- oder Rechtfertigungsgrund ansehe, weil je nachdem der Ausschluss der „Zurechnung zum Tatbestand der Körperverletzungsdelikte“ oder „zum Unrecht der vollendeten Körperverletzung“29 bzw. „zum Körperverletzungsunrecht“ erfolgen soll. An diesen Äußerungen wird ersichtlich, dass der hypothetische Wille des konkreten Rechtsgutsinhabers bei der „hypothetischen Einwilligung“ offenbar doch als konstitutiver Bestandteil des geschützten Rechtsguts angesehen wird, sodass eine Rechtsgutsverletzung von vornherein undenkbar wäre, wenn der hypothetische Wille „vorläge“. Über die dem Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ vorausliegende Problematik, ob die Einwilligung tatbestandsausschließend oder rechtfertigend wirkt, ist aus diesem Grund eine weitere vorläufige Feststellung zu treffen. Es ist zu untersuchen, ob der „hypothetische Wille“ des konkreten Rechtsgutsinhabers ein konstitutives Element des geschützten Rechtsguts sein kann. IV. Die verschiedenen rechtstheoretischen Standpunkte zur Einwilligung Über das „Wesen der Einwilligung“ besteht insoweit Einigkeit, als das mit der Einwilligung der „Verzicht auf Rechtsschutz“ gemeint sein soll.30 26

Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 120. Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122 Fn. 197. Vgl. auch Kuhlen, JR 2004 229. 28 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122. 29 Vgl. Kuhlen, JR 2004 229. 27

§ 1 Hinführung zur Problematik

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Dem Berechtigten soll der autonome Umgang mit „seinen“ Individualrechtsgütern ermöglicht werden. Hingegen herrscht Streit über die dogmatischen Konsequenzen des Rechtsschutzverzichts.31 Häufig wird im Anschluss an Mezger argumentiert,32 dass das Selbstbestimmungsrecht des Berechtigten (Art. 2 Abs. 1 GG) ein „mangelndes Interesse“ am Strafrechtsschutz begründe und sich unmittelbar als Rechtfertigungsgrund durchsetze („dualistische Lehre“).33 Bei der „monistischen Rechtfertigungslehre“ wird die Rechtfertigung dagegen allein auf das Prinzip des „höherrangigen Interesses“ zurückgeführt, wie es beim Notstand (§ 34 StGB) seinen Ausdruck gefunden hat. Die Selbstbestimmung soll in dem Interessenkonflikt zwischen Selbstbestimmungsrecht und Rechtsgüterschutz bei Individualrechtsgütern grundsätzlich – bis an die Grenzen der §§ 216, 228 StGB – als höherrangiges Interesse überwiegen (Prinzip des höherrangigen Interesses).34 Im Gegensatz dazu behauptet eine jüngere Lehre seit den 70er Jahren35 nicht erst die rechtfertigende, sondern die bereits tatbestandsausschließende Wirkung der Einwilligung.36 Sie begründet das aus der Beschreibung des geschützten Rechtsguts.37 30 Vgl. anders Ohly, in: FS für Jakobs 454 für das Zivilrecht mwN. Eingehend Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 111 ff. 31 In der Ablehnung der Rechtsgeschäftstheorie besteht Einigkeit, vgl. 6. Kap. § 4 B. II. 32 Auf Mezger, GerS 89 (1924) 270 ff. geht die Unterteilung der Rechtfertigungsgründe in solche des „überwiegenden“ und des „mangelnden Interesses“ zurück („dualistische Rechtfertigungslehre“). 33 Vgl. BGHSt 4 88, 90; 17 359; BayObLG NJW 1999 372; Amelung, Einwilligung 26 ff.; ders./Eymann, JuS 2001 939; Fischer, Vor § 32 StGB Rdn. 3c, § 228 StGB Rdn. 2; Geerds, Einwilligung und Einverständnis 12 f.; ders., GA 1954 263; ders., ZStW 72 (1960) 43; Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 104; Lackner/Kühl, Vor § 32 StGB Rdn. 10; Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 33; Welzel, Lehrbuch § 14 VII 2 a 95; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 9 Rdn. 370. 34 Die Entwicklung der Güterabwägungslehre wird Noll, Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe 74 ff.; ders., ZStW 77 (1965) 14 ff. zugeschrieben; vgl. weiter Geppert, ZStW 83 (1971) 952 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 34 II 3 377; Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 5 ff., 127; ders., in: FS für Geerds 608 ff. 35 Vgl. auch Rönnau, JuS 2007 19. 36 Vgl. etwa Bauer, Ärztlicher Heileingriff 189 ff.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 12 ff.; Rönnau, Willensmängel 85 ff.; Rudolphi, in: FS für Honig 164; Schroth, in: FS für Volk 721 f.; Weigend, ZStW 98 (1986) 60 f. Diese Einheitslehre wendet sich gegen die auf Geerds Einwilligung und Einverständnis 88 ff.; ders., GA 1954 263 ff. zurückgehende scharfe Trennung des tatbestandsausschließenden Einverständnisses und der rechtfertigenden Einwilligung. 37 Vgl. die Begründung § 2 D. I.

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

§ 2 Die Entwicklung der Einordnungsproblematik aus dem geschützten Rechtsgut38 A. Gesicherte Erkenntnisse der Lehre vom Rechtsgut Am Anfang der Entwicklung des Rechtsgutsbegriffs stand die Vorstellung eines Rechtsguts als etwas „sinnlich Wahrnehmbares“, das der körperlichen Objektswelt angehört.39 Mit der weiteren Entfaltung der Rechtsgutslehre erhob sich demgegenüber die Forderung nach einer Abstrahierung des Rechtsguts von der „körperlichen Welt“.40 Die Lehre vom Rechtsgut41 hat – auf einer ersten Abstraktionsstufe – eine Trennung von konkretem Angriffsobjekt (Handlungs-, Tatobjekt), geschütztem ideellen Rechtsgut und materiellem Rechtsgutsobjekt42 entwickelt43 und die Vorstellung überwunden, dass das im Tatbestand beschriebene Objekt als etwas „sinnlich Wahrnehmbares“, etwas „Handfestes“, ein „concretes, thatsächlich vorhandenes Etwas“ selbst das geschützte Rechtsgut sein kann.44 Die Trennung von dem Objekt der Handlung, an 38

Vgl. eingehend Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 83 ff. Diese Vorstellung konnte Bezug nehmen auf den von Birnbaum verwendeten Begriff des „Guts“. Die Objektsvorstellung vollzog auch Birnbaum, ArchCrimR NF 15. Bd. (1834) 172, 176 nach, dem die Einführung des Begriffs „Gut“ oder „Gut“, „welches uns rechtlich zusteht“, was sachlich gleichwertig mit dem „Rechtsgut“ sein soll, zuzuschreiben ist. Birnbaum soll zwar nicht an einen Gutsbegriff als eines körperlichen Gegenstandes gedacht haben, doch hatte er bildhaft gleichwohl „etwas Konkret-Gegenständliches“ vor Augen, das auf natürliche Weise verletzt werden konnte, vgl. eingehend Sina, Rechtsgutsbegriff 19 ff., 22; vgl. auch Hassemer, in: NK Vor § 1 StGB Rdn. 266. Es hat auch später noch immer Vorstellungen vom materiellen Inhalt des Rechtsguts gegeben, bei denen es etwa mit Gerland, GerS 59 (1901) 99 als „concretes, thatsächlich vorhandenes Etwas“ beschrieben wurde, vgl. dazu Hassemer, in: NK Vor § 1 StGB Rdn. 263; Sina, Dogmengeschichte 58 mwN. Der Rechtsgutsbegriff war in seinen Anfängen durchaus bestimmt von gegenständlichen, objektbezogenen Vorstellungen. 40 Vgl. zu den Stufen möglicher Abstraktion des Rechtsguts vom konkreten Tatobjekt Stratenwerth, in: FS für Lenckner 380, 383; Suhr, JA 1990 306 ff.; vgl. auch Walter, in: LK Vor § 13 StGB Rdn. 14. 41 Vgl. eingehend zu den Funktionen der Rechtsgutslehre Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 39 ff.; Walter, in: LK Vor § 13 StGB Rdn. 8. 42 Hierunter fasst Rönnau, Willensmängel 30 die Materialisierung des ideellen Rechtsguts in der Tatsachenwelt. Bisweilen werden Rechtsgut und Rechtsgutsobjekt auch als „Schutzobjekt“ gleichwertig behandelt, vgl. dazu Sina, Dogmengeschichte 56. 43 Vgl. Tiedemann, Nebenstrafrecht 116; vgl. auch Rönnau, Willensmängel 30; Schmidhäuser, in: FS für Engisch 444. 44 In einigen Tatbeständen ist diese als „irreführend“ bezeichnete Vorstellung allerdings naheliegend, vgl. Stratenwerth, in: FS für Lenckner 384. Beim Diebstahl 39

§ 2 Entwicklung der Einordnungsproblematik

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dem sich die strafbare Handlung des Täters tatsächlich vollzieht (Handlungsobjekt) und dem Objekt des Verbrechens als einer Sinnerscheinung (Rechtsgut)45 ist „allgemein anerkannt“.46 Die Zurückdrängung der anfänglichen Objektsbetrachtung beruht auf den Grenzen eines „am Handgreiflichen“ orientierten Rechtsgutsverständnisses: Neben der „körperlichen Welt“ existiert auch eine Welt rein geistiger Wertvorstellungen. Mit dem Hinweis auf die „ideellen Güter“, deren Schutz ebenso eine legitime Aufgabe des Strafrechts ist, konnte diese Vorstellung nicht sachgerecht fertig werden. Sie hätte konsequent befolgt zu einer Freistellung weiter Teile des Kernbereichs des Persönlichkeitsschutzes (Freiheit der Willensbildung, der Schutz der Ehre) geführt.47 Auch Birnbaum erkannte „ideelle Güter“ wie die „Ehre“ an.48 Der „am Handgreiflichen“ orientierte Rechtsgutsbegriff, der dem Rechtsgut zugegeben klare Konturen gegeben hat,49 begann sich infolge der Abstrahierung des Rechtsguts vom Handlungsobjekt zunehmend zu „vergeistigen“.50

(§ 242 StGB) ist nicht die „gestohlene Sache“ das geschützte Rechtsgut, denn diese wird durch die Wegnahme weder gefährdet noch verletzt, vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 28; ders., Strafrecht BT § 39 Rdn. 3 mwN; ders., in: Strafrechtsdogmatik 5; ders., Struktur 32 f.; Stratenwerth, in: FS für Lenckner 384. Bei der Urkundenfälschung (§§ 267 StGB ff) ist die im Einzelfall gefälschte Urkunde das Handlungsobjekt, die Reinheit des Beweisverkehrs jedoch das geschützte Rechtsgut, vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 28; ders., Strafrecht BT § 39 Rdn. 3 mwN; ders., in: Strafrechtsdogmatik 5; ders., Struktur 32 f.; Stratenwerth, in: FS für Lenckner 384. Weitere Beispiele bei Walter, in: LK Vor § 13 StGB Rdn. 14. 45 Vgl. etwa Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 26 I 4 259 f. 46 Vgl. Stratenwerth, in: FS für Lenckner 380; vgl. weiter Hassemer, in: NK Vor § 1 StGB Rdn. 264; Jakobs, Strafrecht AT 2. Abschn. Rdn. 15; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 26 I 3 259; Kargl, GA 2001 450 f.; Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 26, 42; ders., in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 6 Fn. 26; ders., Struktur 32 f.; Rönnau, Willensmängel 29 ff.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 2 Rdn. 34; Schmidhäuser, Lehrbuch 2. Abschn. Rdn. 32; Sina, Rechtsgut 95; Tiedemann, Nebenstrafrecht 116; Walter, in: LK Vor § 13 StGB Rdn. 14. 47 Vgl. Hassemer, in: NK Vor § 1 StGB Rdn. 263; Stratenwerth, in: FS für Lenckner 380. 48 Vgl. Birnbaum, ArchCrimR NF 15. Bd. (1834) 178, 183 ff., der neben „Personen“ und „Sachen“ die „sittlichen Vorstellungen einer Gesellschaft“ als Rechtsgut anerkannte. Vgl. weiter Hassemer, in: NK Vor § 1 StGB Rdn. 266; Rönnau, Willensmängel 29; Sina, Dogmengeschichte 22, 55 f. 49 Vgl. Hassemer, in: NK Vor § 1 StGB Rdn. 263. 50 Vgl. zu den Gefahren der Abstrahierung vom Objekt etwa Hassemer, in: NK Vor § 1 StGB Rdn. 265 mwN.

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

B. Das „Interesse des Individuums“ als geschütztes Rechtsgut Zum Teil wird der Rechtsgüterschutz definiert als Schutz des (Lebens-)Interesses des Individuums an bestimmten Objekten.51 Bei den Körperverletzungsdelikten soll das „Körperinteresse“ das geschützte Rechtsgut sein. Die Körperverletzung sei „Körperinteressenverletzung“.52 Das „Interesse“ an einem bestimmten „Gut“ kann aber nicht das geschützte Rechtsgut sein. Eine subjektive Interessendefinition ist unvereinbar mit dem Gesetz,53 eine objektive Interessendefinition hingegen, wie sie der Zwecktheorie bei der Erfassung der ärztlichen Heilbehandlung zugrundeliegt, ist „ungeheuer vieldeutig“.54 Es gibt zahlreiche Interessen.55 Interessen können zudem auf die vielfältigste Weise beeinträchtigt werden.56

C. Die theoretische Überwindung der „Objekts-Auffassung(en)“ des geschützten Rechtsguts durch die Entwicklung der personalen Rechtsgutslehre I. Die Entwicklung der personalen Rechtsgutslehre Die Entwicklung der Rechtsgutslehre fasste Sina Anfang der 60er Jahre dahin zusammen, dass sich die „Objekts-Auffassungen“ trotz „theoretischer Überwindung“ der „empirisch-naturalistischen“ Auffassung vom Rechtsgut als „irgendwie gegenständliche Objekte“ – infolge der Anerkennung rein ideeller Rechtsgüter und der Trennung von Angriffsobjekt und Rechtsgut – fortgeerbt haben.57 Anfang der 70er Jahre58 sollten sie mit einem bis heute in der inhaltlichen Ausgestaltung und Herleitung sämtlicher Rechtsgüter umstritten gebliebenen59 personalen Rechtsgutsverständnis endgültig überwunden werden.60 51 Vgl. die älteren Ansichten bei Binding, Normen Bd. I 340 ff.; Hegler, ZStW 36 (1915) 30; Honig, Einwilligung 115. 52 Vgl. Engisch, ZStW 58 (1938) 5. Vgl. auch Kargl, GA 2001 451 f. 53 Vgl. Stratenwerth, in: FS für Lenckner 380, der auf § 216 StGB hinweist, bei dem ein subjektives Interesse des Individuums am eigenen Leben gerade nicht mehr feststellbar ist. 54 Vgl. Rudolphi, in: FS für Honig 162. 55 Vgl. Otto, Struktur 33; Stratenwerth, in: FS für Lenckner 380. 56 Vgl. eingehend Otto, Struktur 33. 57 Vgl. Sina, Dogmengeschichte 95 bezeichnet diese Rechtsgutslehren daher durchaus treffend als „unklare Objekts-Auffassungen“. 58 Vgl. auch Rönnau, JuS 2007 19.

§ 2 Entwicklung der Einordnungsproblematik

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Die grundlegende Überzeugung hinter der personalen Rechtsgutslehre ist es, den Menschen mit seinen Interessen und Bedürfnissen in den Mittelpunkt der Rechtsordnung zu stellen: „Der Zweck des Rechts ist der Mensch; ihm zu dienen ist Aufgabe des Rechts.“61 Sehr schön weist Stratenwerth darauf hin, dass ein Gut als schutzwürdig nur erscheine, wenn es auf eine Person bezogen werde („Zuweisungsfunktion“).62 Die Orientierung am Individuum ergibt sich aus der Anerkennung der „Beziehungsstruktur“ als das geschützte Rechtsgut. Die „Beziehungsstruktur“ werde von ihren beiden Beziehungspunkten her bestimmt, also vom Menschen bzw. seinen Verwirklichungsmedien wie Staat und Familie und dem jeweiligen Beziehungsgegenstand: Weder der eine noch der andere Beziehungspunkt wäre das Rechtsgut, sondern die „Beziehung zwischen Personen und bestimmten Objekten“ bzw. die „Beziehung zu einem bestimmten Wert“ als solche wäre es. Das würde bedeuten, dass subjektive und objektive Momente in die Beziehung Eingang fänden, dass somit ein Rechtsgut weder rein objektiv noch rein subjektiv bestimmt werden könne.63 Der normativen Zuordnung des Guts entspricht andererseits eine „faktische Seite“, die den „Wert des Rechtsguts“ ausmachen soll.64 Die legitime Aufgabe des Strafrechts wird nach der personalen Rechtsgutslehre in der „Entfaltung der Persönlichkeit“ gesehen.65 Die Entfaltung der Persönlichkeit soll den ungestörten Genuss bestimmter Güter bedingen bzw. die Möglichkeiten der willkürlichen Nutzung des Guts, etwa sein Leben zu führen, von seinen körperlichen Fähigkeiten und Freiheiten Gebrauch zu machen 59

Die Monisten leiten sämtliche Individual- und Universalrechtsgüter vom Staat (vgl. Honig, Einwilligung 115; vgl. wohl auch Schmidhäuser, Strafrecht AT 2. Abschn. Rdn. 33; weitere Nachweise bei Hassemer, in: NK Vor § 1 StGB Rdn. 271) oder in ihrer personalen Interpretation vom Individuum ab: Auch Universalrechtsgüter werden nur anerkannt, wenn und soweit sie der – mittelbaren – personalen Entfaltung des Individuums dienen, vgl. etwa Hassemer, in: NK Vor § 1 StGB Rdn. 271 ff.; Otto, in: Kriminalpolitik und Strafrechtsdogmatik 5 ff., 8; zu den Konsequenzen vgl. Hassemer, in: NK aaO. Rdn. 271 ff., insbes. Rdn. 280. Die Dualisten erkennen ein Nebeneinander von Universal- und Individualrechtsgütern an, stellen aber den Eigenwert der Person und ihrer Interessen heraus, vgl. etwa Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 2 Rdn. 9; Stratenwerth, in: FS für Lenckner 383. 60 Vgl. dazu Sina, Dogmengeschichte 95 ff. 61 Vgl. Marx, Rechtsgutsbegriff 40; vgl. auch Rönnau, Willensmängel 49. 62 Vgl. Stratenwerth, in: FS für Lenckner 384; vgl. zur „Beziehungsstruktur“ auch ders., ZStW 68 (1956) 42 f. 63 Vgl. Sina, Dogmengeschichte 102. 64 Vgl. Stratenwerth, in: FS für Lenckner 384; vgl. auch Rönnau, Willensmängel 85. 65 Vgl. Otto, in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 5.

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

(„status negativus“).66 Eine Verengung des Rechtsgüterschutzes auf diese Aufgabe greift allerdings zu kurz.67 Es bleibt mit Stratenwerth zu erinnern, dass sich das Rechtsgut weder in der „normativen Zuordnung“ des Guts zu einer Person, noch in der „faktischen“ Komponente erschöpft. Erst in der Verbindung beider Aspekte sei das geschützte Rechtsgut zu sehen.68 Die Anerkennung einer „Beziehungsstruktur“ führt zu einer weiteren, über die Trennung von Handlungsobjekt und Rechtsgut hinausgehenden Stufe der Abstraktion.69 In dieser Abstraktheit ist das Rechtsgut gegen eine materielle Verletzung „immun“.70 Die Rechtsgutsbeeinträchtigung ist vielmehr die „Beeinträchtigung des Rechtsguts durch Verschlechterung der Möglichkeit der Realisierung der Rechtsgutsbeziehung“:71 Mit der Rechtsgutsbeeinträchtigung kommt es zu einer sozial unerträglichen Beeinträchtigung der faktischen Möglichkeit des Berechtigten, das Gut nach eigenen Maßstäben zu funktionalisieren und sich damit in dem Gut personal zu entfalten.72 Die „Beziehungsstruktur“ als das geschützte Rechtsgut hat in weiten Teilen des wissenschaftlichen Schrifttums Anerkennung gefunden, wie etwa bei Bauer,73 Bosch,74 Jäger,75 Jakobs,76 Kargl,77 Otto,78 Rönnau,79 Ro66

Vgl. Stratenwerth, in: FS für Lenckner 384; vgl. auch Rönnau, Willensmängel

85. 67 Trotz des im Grunde richtigen Ausgangspunktes darf die „Entfaltung der Persönlichkeit“ nicht auf den „ungestörten Genuss“ im Sinne einer willkürlichen Entfaltung in einem bestimmten Gut reduziert werden. Die legitime Aufgabe des Strafrechts (Rechtsgüterschutz) muss weiter reichen, vgl. D. II. 2. a). 68 Vgl. dazu Stratenwerth, in: FS für Lenckner 384 f. 69 Vgl. eingehend Stratenwerth, in: FS für Lenckner 383; Suhr, JA 1990 306 f. zu den Grenzen möglicher Abstraktion bei der noch weitergehenden Ablösung des als „abstrakten“, „ideellen“ Wert verstandenen Rechtsguts vom konkreten Objekt oder Wert. 70 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 31. Walter, in: LK Vor § 13 StGB Rdn. 14 wendet sich gegen den Begriff des Rechtsgüterschutzes, da diese Güter „unverletzlich“ seien. In der Tat sollte der ungenaue Begriff der Rechtsgutsverletzung zugunsten des sachlich zutreffenden Begriffes der Rechtsgutsbeeinträchtigung aufgegeben werden. 71 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 31. 72 Vgl. Rönnau, Willensmängel 50. 73 Vgl. Bauer, Ärztlicher Heileingriff 125 ff., 141. 74 Vgl. Bosch, JA 2008 71, der „Gesundheit“ und „körperliche Unversehrtheit“ nur unter Einbeziehung subjektiver Elemente definiert. 75 Vgl. Jäger, in: FS für Jung 349. 76 Vgl. Jakobs, AT 2. Abschn. Rdn. 14 f. 77 Vgl. Kargl, GA 2001 552.

§ 2 Entwicklung der Einordnungsproblematik

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xin,80 Schmidhäuser,81 Schroth,82 Sina,83 Tiedemann84 und Weber.85 Gleichwohl weichen die Konstruktionen in ihrer sachlichen Ausgestaltung erheblich voneinander ab.86 II. Die „Objekts-Auffassung(en)“ 1. Die Beschreibung der „Objekts-Auffassung(en)“

Entgegen dieser Entwicklung sind unterschiedliche „materielle Rechtsgutslehren“ bis heute nachweisbar. Zum einen gehören zu den „objektiven“ Rechtsgutsvorstellungen auch87 die Ansichten, denen es bei den dem Individuum zugewiesenen Rechtsgütern sachlich vornehmlich um den Schutz eines „Sozial- oder Eigenwertes“ am Gegenstand und damit des „materiellen Substrats“, des durch die Norm geschützten „realen Gegenstands“ geht. Andererseits wird das Tatobjekt „in die Nähe“ des geschützten Rechtsguts gerückt unter Hervorhebung des „sozialen Werts“ des „Guts“. Die Konstruktion des geschützten Rechtsguts erfolgt nach allen „Objekts-Auffassungen“ sachlich übereinstimmend unabhängig vom Willen des Betroffenen. „Subjektive Elemente“ werden im Rechtsgut ausgeblendet.88 Bei dieser Rechtsgutsbestimmung fallen die Verletzung des Tatobjekts (Handlungsobjekt, Angriffsobjekt) und des Rechtsguts beinahe zusammen.89 78 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 32; ders., in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 3; ders., Struktur 33; ders., in: FS für Geerds 610. 79 Vgl. Rönnau, Willensmängel 85 ff., 429 f.; ders., Jura 2002 598; ders., JZ 2004 802. 80 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 2 Rdn. 7; ders., in: FS für Amelung 271. 81 Vgl. Schmidhäuser, Strafrecht AT 36 f. 82 Vgl. Schroth, in: FS für Volk 721 f. 83 Vgl. Sina, Dogmengeschichte 60 f., 98 ff. 84 Vgl. Tiedemann, Nebenstrafrecht 115. 85 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 6 Rdn. 28, 106 f. 86 Vgl. eingehend D. 87 Vgl. i. Ü. B. 88 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 17 Rdn. 95; Geppert, ZStW 83 (1971) 967; Hirsch, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 98, 105; ders., in: FS für Welzel 785; ders., in: GS für Zipf 355 f.; Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 22; Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 1; wohl auch Welzel, Lehrbuch Einl. 3; vgl. dazu Rönnau, Willensmängel 35 f. 89 Vgl. auch Suhr, JA 1990 307. Konsequent wird etwa in der eigenmächtigen, aber erfolgreichen ärztlichen Heilbehandlung keine Körperverletzung gesehen, weil das „materielle Substrat“ insgesamt nicht negativ, sondern positiv beeinflusst wird. Demgegenüber wird geltend gemacht, dass die Fälle von ärztlicher Eigenmacht, um deren Erfassung es der Rechtsprechung geht, nicht das Rechtsgut der Körperverlet-

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

Solche Inhaltsbestimmungen kommen bei einzelnen Tatbeständen besonders eindrucksvoll zum Vorschein: Insbesondere auch bei den Körperverletzungsdelikten lässt sich die von Sina beschriebene Fortführung der „Objekts-Auffassung“ bis in die heutige Zeit hinein nachweisen. Wenn verschiedentlich das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte der „menschliche Körper“90, der „Körperzustand“,91 der „Körper in seiner Unversehrtheit“92 bzw. die „körperliche Unversehrtheit des Menschen“,93 die „körperliche Integrität“94 oder das „körperliche Wohl“95 sein soll, so wird anschließend unmissverständlich offengelegt, dass damit allein die materielle Seite des „Guts“ geschützt werde, nicht aber der Wille des Individuums über sein Rechtsgut.96 Die Einwilligung des Betroffenen steht dem geschützten materiellen Rechtsgut demzufolge als Rechtfertigungsgrund gegenüber.97 2. Die Probleme bei der „Objekts-Auffassung“

a) Der Wortlaut des § 34 StGB Das „materielle“ Rechtsgutsverständnis ist aus verschiedenen Gründen98 angreifbar. Die Anhänger dieser Lehre berufen sich zur Begründung ihrer zung, sondern das Selbstbestimmungsrecht beeinträchtigen, also Freiheitsdelikte sind. 90 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 14; Schroeder, in: FS für Hirsch 736. 91 Vgl. Hirsch, ZStW 83 (1971) 141. 92 Vgl. Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 1. 93 Vgl. Bosch, JA 2008 71; Otto, Grundkurs BT § 14 Rdn. 1; Jäger, in: FS für Jung 349; Lackner/Kühl, § 223 StGB Rdn. 1: „körperliche Unversehrtheit“; Rengier, ZStW 111 (1999) 2; Rönnau, JZ 2004 801. 94 Vgl. Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 1; Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442; Rönnau, Willensmängel 429; ders., JZ 2004 802. 95 Vgl. Bockelmann, Strafrecht des Arztes 66; Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 1. 96 Vgl. Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 1. 97 Vgl. Rönnau, Willensmängel 32 ff., der diese Konstruktion als „Kollisionsmodell“ bezeichnet. 98 Soweit die „generelle Subjektivierung der Rechtsgüter“ (Beziehungsstruktur) kritisiert wird, weil Leben, Körper, Bewegungsfreiheit, Ehre, Eigentum und andere Rechtsgüter für sich allein Werte seien, die den grundsätzlichen Schutz der Rechtsordnung genössen (vgl. Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 98; vgl. auch Geppert, ZStW 83 (1971) 967) dürfte dass das personale Rechtsgutsverständnis nicht berühren. Vielmehr richtet sich die zu undifferenzierte Kritik gegen einzelne Rechtsgutsmodelle. Der unabhängig vom Willen zu konstruierende Tatbestand habe die „edukative“ und „generalpräventive“ Funktion, verbotenes Verhalten zu um-

§ 2 Entwicklung der Einordnungsproblematik

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These auf den Wortlaut des § 34 Satz 1 StGB.99 Nach seinem Wortlaut werden „Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut“ geschützt, nicht aber der „Wille zur Wahrung von . . .“. Der Hinweis auf den Wortlaut des § 34 Satz 1 StGB kann für ein materielles Rechtsgutsverständnis aber nicht entscheidend fruchtbar gemacht werden: Auch wenn dessen für sämtliche Rechtsgüter verallgemeinerter Wortlaut eher für einen Schutz des „Substrats“ zu sprechen scheint, so ist das nur eine der im „Begriffshof“ (Larenz) angelegten Möglichkeiten nachvollziehbarer Interpretation. Es ist aber nicht minder vertretbar, § 34 Satz 1 StGB anders auszulegen und das Rechtsgut dementsprechend in den Kontext eines personalisierten Rechtsgutsverständnisses zu rücken.100 Das wird etwa an der Replik Roxins gegen Lenckners Kritik deutlich: § 303 StGB sichere den Eigentümer nicht in der Ausübung seiner Befugnisse aus § 903 BGB, sondern die ungeschmälerte Existenz der konkreten Sache als notwendige Voraussetzung dieser Befugnisse.101 Das Eigentum bestehe gerade in den Befugnissen aus § 903 BGB und nicht die auch noch als vom Willen des Eigentümers unabhängig vorgestellte Existenz der konkreten Sache, sondern das Eigentum sei das geschützte Rechtsgut.102 b) Der Eigen- oder Sozialwert der materiellen Güter aa) „Werte und Bewusstsein“ (1) Die Prämisse des „objektivierten“ Rechtsgutsverständnisses ist nicht überzeugend, denn sie schützt die materiellen Güter wegen „der ureigenen Dignität der Dinge oder im Interesse der Gemeinschaft“, schreibt ihnen eischreiben und den Bürger über das in seinem Gemeinwesen gültige Recht und die geschützten Werte zu informieren. Diese Effekte drohen nicht gebührend beachtet zu werden, wenn die Verletzung mit Einwilligung des Berechtigten nicht grundsätzlich als Wertverletzung gelte, die freilich insgesamt gebilligt werden könne, vgl. Geppert, ZStW 83 (1971) 968; vgl. ferner Noll, ZStW 77 (1965) 7; Welzel, Lehrbuch § 10 I 49. Dieser Einwand richtet sich nicht grundsätzlich gegen die Beziehungsstruktur im Rechtsgut, sondern gegen die Konkretisierung der subjektiven Beziehungsstruktur, wie sie etwa Roxin, Schmidhäuser und Weigend, vorschlagen, vgl. D. I. Den Bedenken Gepperts kann mit der weiteren Abstrahierung des Rechtsguts als „abstrakte Beziehung“ hinreichend Rechnung getragen werden, vgl. D. III. 99 Vgl. Geppert, ZStW 83 (1971) 959 ff.; Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 98; ders., in: FS für Welzel 785; Jäger, in: FS für Jung 349; Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 33a. 100 Vgl. so auch Rönnau, Willensmängel 42 f.; eingehend Schwartz, Hypothetische Einwilligung 116 f. 101 Vgl. Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 33a. 102 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 15.

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

nen Sozial- oder Eigenwert zu.103 Eine solche Lehre ist auf der Basis einer materiellen Wertlehre begründbar, wie sie Hartmann oder Scheler vertreten haben:104 Werte seien „eine Wesenheit anderer Art“, sie „bestehen unabhängig vom Bewusstsein“, sie seien „Gegenstände möglicher Wertschau“,105 wobei das Subjekt in dieser Schau „rein rezeptiv, hinnehmend“ sei.106 Die alleinige Aufgabe des Gesetzgebers würde darin bestehen, das in der Wertschau als „gut“ Erkannte durch eine Strafrechtsnorm abzusichern.107 Eine materielle Wertlehre ist Topos geblieben.108 Bemerkenswert ist jedoch, dass sie gleichwohl ohne die die Werte schauenden Subjekte nicht auskommen kann, deren Evidenzerlebnisse aber sehr von der jeweiligen Person abhängen.109 Das begründet die Relativität „bestimmter Werte“. Damit wankt aber die These von der Unabhängigkeit des Wertes vom Beziehungssubjekt schon in grundsätzlicher Hinsicht, denn weder dürfte die Erhebung des Wertes zum „Wert“ unabhängig vom Bewusstsein möglich sein, noch das Erkennen eines bestimmten Wertes als bestimmter „Wert“. Konstruktiv sollten „Wert“ und „gewerteter Gegenstand“, welcher vor allem je nach Interessenlage des Wertenden als „werthaft“ oder „wertlos“ bewertet wird, auseinandergehalten werden.110 Die skizzierte Abhängigkeit des „Wertes“ eines „Guts“ vom bewertenden Subjekt bedingt die Notwendigkeit einer subjektiven Strukturkomponente im Rechtsgut („Beziehungsstruktur“). (2) Betonung findet der Schutz des „Substrats“ unabhängig von einer Willensbeziehung häufig bei höchstpersönlichen Rechtsgütern: Diese seien für sich allein genommen bereits schutzwürdige Werte.111 Die Anerkennung 103 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 17 Rdn. 96; Geppert, ZStW 83 (1971) 967; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 34 I 3 375 f.; Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 22; Hirsch, in: LK 10. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 98. 104 Vgl. Hartmann, Ethik 122 ff.; Scheler, Materielle Wertethik 35 ff., 43. 105 Vgl. Hartmann, Ethik 149. 106 Vgl. Hartmann, Ethik 150. 107 Vgl. Koriath, GA 1999 578. 108 Vgl. Koriath, GA 1999 565. 109 Vgl. Koriath, GA 1999 578 f., der zudem Weinberger, ARSP Beiheft 51 Bd. 1 1993 31 zitiert, dass die Anerkennung von solchen materiellen Werten durch den Gesetzgeber immer auch politische Entscheidung und nicht bloße Textierung kognitiv erfassbarer Grundsätze sei. 110 Vgl. auch Rönnau, Willensmängel 39. Gegen einen vom Menschen losgelösten, nicht auf ihn bezogenen „Wert“ (Rechtsgut) hat auch Hohmann, Umweltdelikte 95 ff. erinnert, dass in einer säkularisierten, von Menschen gebildeten und organisierten Gesellschaft immer der Mensch, sei es als Einzelwesen oder in der Gruppe, sei es direkt oder etwa repräsentativ vermittelt durch die Organe der Gesetzgebung, darüber befinde, welche Güter werthaft und damit erhaltenswert seien. 111 Vgl. auch Geppert, ZStW 83 (1971) 967; Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 98.

§ 2 Entwicklung der Einordnungsproblematik

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eines Sozial- oder Eigenwertes wird zum Teil als intuitiv einleuchtend bezeichnet: Trotz Einwilligung des Patienten soll bei einer Beinamputation ein auf den ersten Blick für diesen nachteiliger Eingriff vorliegen.112 Die Wichtigkeit des Schutzes dieser Rechtsgüter bestätigt auch die gesetzgeberische Entscheidung (§§ 216, 228 StGB) („Schutz sogar gegen den Willen“). Doch gerade das Rechtsgut „Leben“ ist ohne eine Beziehung zum Bewusstsein des Rechtsgutsträgers nicht vorstellbar. Und auch der „Körper“ ist nicht Schutzobjekt als Anhäufung von Fleisch und Knochen, sondern nur in Verbindung mit dem Geist, der in ihm wohnt und ihn beherrscht.113 Hieraus erklärt sich bei den Rechtsgütern „Leben“, „Körper“ und „Gesundheit“ der „Wandel in der Rechtsgutsqualität“ beim Erlöschen des Bewusstseins.114 Sinnvoll sind bestimmte subjektive Rechtsgüter wie „Leben“, „Körper“ und „Gesundheit“ ohne Rückgriff auf das Bewusstsein des Menschen gar nicht zu beschreiben. Die „materiellen Rechtsgutsauffassungen“ stellen hingegen den Maßstab in das jeweilige Belieben des bewertenden Subjekts, es ist in der jeweiligen Lage gebunden und dem Augenblick verhaftet.115 Dem korreliert eine unterschiedliche Bewertung eines einheitlichen Sachverhalts. Das belegt etwa die fortwährende Auseinandersetzung um die Einordnung des ärztlichen Heileingriffs, die sich nach der Einschätzung Lilies116 tendenziell wieder zu Gunsten der Anerkennung der Freiheit entwickelt hat, nachdem die – auch die modifizierte – Erfolgs- und Zwecktheorie erhebliche Schutzlücken de lege lata offenbart haben („medizinische Bevormundung“).117 Außerdem leuchte – bei einer systematisch übergreifenden Beschreibung des geschützten Rechtsguts – die Objektivierung gerade eines solchen subjektiven Gutes wie das der Gesundheit um so weniger ein, je stärker die objektiv saldierende Betrachtung bei viel leichter zu objektivierenden Rechtsgütern zu Gunsten eines subjektiven Einschlags aufgegeben werde.118 Beim Rechtsgut „Vermögen“ verdrängt zunehmend der „individuelle Schadenseinschlag“ die objektive Saldobetrachtung (Melkmaschinenfall)119 oder das Rechtsgut wird von vornherein sogleich personal definiert.120 Bei der Bestimmung des Wertes einer Sache kann nicht von einem objektiv festste112 113 114 115 116 117 118 119 120

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

so Rönnau, Willensmängel 37 f. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 14. Rönnau, Willensmängel 38. auch Rönnau, Willensmängel 38. Lilie, in: LK 11. Aufl. Vor § 223 StGB Rdn. 3. eingehend § 1 B. 3. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 6 Rdn. 100. BGHSt 16 321. Otto, Grundkurs BT § 51 Rdn. 60 f., 63; ders., Struktur 34 ff., 69 f.

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

henden Wert ausgegangen werden. Der Wert einer Sache ist keine dieser Sache anhaftende Eigenschaft, sondern die Auffassung eines Subjekts über die Nützlichkeit eines Objekts.121 Hier lassen sich sinnvolle Ergebnisse erst aus der „Beziehungsstruktur“ des geschützten Rechtsguts erzielen. Eine objektive Bestimmung des Schadens muss auch dann zu Schwierigkeiten führen, wenn der Gegenstand keinen oder noch keinen anerkannten Marktwert hat.122 Der Mangel der Lehre vom „individuellen Schadenseinschlag“ liegt weiter darin, dass kein Konsens darüber besteht, wann die Konstruktion herangezogen werden darf. Die personale Komponente muss einem materiell verstandenen Rechtsgut „Vermögen“ notwendig von außen angestückt sein, obwohl sie das Rechtsgut wesentlich bestimmt. Die Rechtssicherheit ist berührt, wenn die Anwendbarkeit der Konstruktion allein von den subjektiven Entscheidungen des Betrachters abhängt und sich dessen Ansicht ändern kann: eben „augenblicks- und lagegebunden“. Nicht grundsätzlich anders verhält es sich bei dem bekannten Problem, ob die Ersetzung einer schadhaften durch eine neue Dielung in einer Mietswohnung eine Sachbeschädigung darstellt (§ 303 StGB), wenn der Vermieter berechtigte Interessen an der Erhaltung des schadhaften Zustands hat, um einen Prozess zu führen. Das Reichsgericht hat darin eine Sachbeschädigung gesehen.123 Das leuchtet von einem personalen Rechtsgutsverständnis her ein. Bei einer „materiellen Betrachtung“ steht eher die Sachverbesserung im Vordergrund.124 Die Tendenzen zu einer Beschreibung des geschützten Rechtsguts unter Rückgriff auf einen „individuellen Einschlag“ sind deutlich zu gegenwärtigen. Eine konsequente Betrachtung führt weiter zu einem personalen Rechtsgutsverständnis, „erst-Recht“ bei einem solchen subjektiven Rechtsgut wie der „Gesundheit“.

121 Vgl. Jacob, WiSu 3. Vgl. auch Rönnau, Willensmängel 38 f., der die Frage stellt, welchen Eigen- oder Sozialwert in den heutigen westlichen Massenproduktions- und Überflussgesellschaften das private Eigentum habe, man denke nur an das Beispiel eines Tisches, der die Rechtsordnung nur noch unter dem Aspekt der Entsorgung interessiere. 122 Vgl. Otto, Grundkurs BT § 51 Rdn. 62. Das gilt für Vermögenswerte, die erst nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage einen Marktpreis erhalten, oder für solche Werte wie die „Hasenpfote“, die allein ein Affektionsinteresse besitzen. 123 Vgl. RGSt 33 177. Vgl. hierzu auch Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 12 Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald, § 36 III Rdn. 11; Otto, Grundkurs BT § 47 Rdn. 9. 124 Vgl. hierauf eingehend Schwartz, Hypothetische Einwilligung 119 ff.

§ 2 Entwicklung der Einordnungsproblematik

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bb) Die Vereinbarkeit der „Objekts-Auffassung(en)“ mit der geltenden Rechtslage Eine „objektive“ Rechtsgutsbeschreibung kann auch nur bedingt die Rechtslage de lege lata erklären. Es müsste konsequenterweise wegen des „Sozial- oder Eigenwertes“ der geschützten Güter de lege ferenda die Forderung nach einer Bestrafung auch der Eigen- bzw. Selbstverletzung erhoben werden, für die die Rechtsordnung in der Regel125 keinen Bedarf sieht.126 Bei den „formellen Willensbruchdelikten“ bedarf es zur Verwirklichung des objektiven Tatbestandes ohnehin der Einbeziehung des Willens (scil. Einverständnis) des Berechtigten („invito laeso“).127 Die Vorstellung einer materiellen „Objekts-Auffassung“ des geschützten Rechtsguts, bei der subjektive Elemente von vornherein ausgeblendet werden, überzeugt daher nicht.

D. Die Entwicklung des geschützten Rechtsguts aus der Aufgabenbestimmung des Strafrechts I. Die „Verfügungsbefugnis“ als geschütztes Rechtsgut 1. Die Beschreibung der Rechtsgutsauffassung

Auch nach der Anerkennung der „Beziehungsstruktur“ wird das Rechtsgut zum Teil noch immer „handgreiflich“ vom Bilde eines „concreten, thatsächlich vorhandenen Etwas“ her interpretiert. Rechtsgüter versteht Roxin im Ausgangspunkt zwar als „Gegebenheiten oder Zwecksetzungen, die dem einzelnen und seiner freien Entfaltung im Rahmen eines auf dieser Zielvorstellung aufbauenden sozialen Gesamtsystems oder dem Funktionieren dieses Systems selbst nützlich sind“.128 Diese durchaus „abstrakte“ Rechtsgutsdefinition bezeichnet er als eine „liberale, auf das Individuum bezogene Rechtsgutslehre“.129 Klarstellend beschreibt er das Rechtsgut aber sodann dergestalt, dass es „nicht nur aus seinem realen Substrat [besteht], sondern auch aus dem 125

Vgl. aber bei Betroffenheit eines überindividuellen Gutes etwa § 109 StGB. Vgl. Rönnau, Willensmängel 40, der eine Begründung für das fehlende Bedürfnis für den Verzicht auf umfassende Bestrafung vermisst. Vgl. auch Duttge, in: MüKo § 15 StGB Rdn. 163. 127 Vgl. Rönnau, Willensmängel 43. Kritisch zur Differenzierung Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 107 ff. 128 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 2 Rdn. 7. 129 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 12. 126

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

Stück persönlicher Autonomie, das sich in ihm verkörpert“.130 Der Mensch habe dabei eine über seine physisch-biologische Existenz hinausreichende Personenqualität, solange er lebe: Die Autonomie, die den Kern der Persönlichkeit bilde, enthalte dabei in erster Linie das Recht des Menschen, „in seiner Körperintegrität“ und „in seinem Eigentum“ unbeeinträchtigt zu bleiben. Erst in zweiter Linie erwachse aus der Autonomie das Recht, über seinen Körper oder sein Eigentum nach eigenem Willen zu disponieren.131 Dieses Rechtsgutsmodell sieht in der „individuellen Dispositionsbefugnis“ des Rechtsgutsinhabers demzufolge ein konstitutives Element des geschützten Rechtsguts, ohne das eine Rechtsgutsverletzung überhaupt nicht denkbar ist. Der Wille des Berechtigten wird mit dem Verfügungsgegenstand, auf den er sich „bezieht“, zu einer Einheit verschmolzen, die sich als „konkrete Willensbeziehung“ beschreiben lässt:132 Wenn Rechtsgüter der freien Entfaltung des einzelnen dienen sollen, könne keine Rechtsgutsverletzung vorliegen, wenn eine Handlung auf einer Disposition des Rechtsgutsträgers beruhe, die seine freie Entfaltung nicht beeinträchtige, sondern im Gegenteil deren Ausdruck sei. Der Wille des Betroffenen sei nicht nur für den Rechtsschutz bedeutsam, sondern „gehört auch zum geschützten Objekt“. Rechtsgut und Verfügungsbefugnis über das Rechtsgut seien nicht nur eine Einheit, sondern in ihrem Aufeinanderbezogensein selbst das im Tatbestand geschützte Rechtsgut. Das bedeute für den Körper, dass er „Schutzobjekt nicht als Anhäufung von Fleisch und Knochen [ist], sondern nur in Verbindung mit dem Geist, der in ihm wohnt und ihn beherrscht.“133 Die Einwilligung des Berechtigten schließe daher den Tatbestand aus.134 Einen ähnlichen Ansatz hat Weigend entwickelt.135 Der „relationelle, (für den Inhaber) funktionale Charakter“ der Individualrechtsgüter wird nach 130

Vgl. Roxin, in: FS für Amelung 271. Vgl. Roxin, in: FS für Amelung 282. 132 Von Rönnau, Willensmängel 49; ders. Jura 2002 597 wird dieses Modell als „Integrationsmodell“ bezeichnet. 133 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 12 f., 14. Vgl. hierzu auch Schroth, in: FS für Volk 721 f.; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 88 ff., 94. 134 Vgl. auch Bauer, Ärztlicher Heileingriff 125 ff., 141. 135 Vgl. Weigend, ZStW 98 (1986) 60 f. Mit der strafrechtlichen Bewehrung der „individuellen“ Rechtsgüter werde nicht das Vorhandensein eines Grundbestandes dieser Güter beim einzelnen Berechtigten, sondern dessen Freiheit zur autonom gesteuerten Verfügung über sie geschützt. Hieraus folge, dass keine strafrechtsrelevante Rechtsgutsbeeinträchtigung eintreten könne, wenn der Berechtigte in die „Verletzung“ eingewilligt habe: Er treffe dann ja gerade die Disposition, die ihm die Rechtsordnung freistelle. Wenn und soweit also Güter betroffen seien, bei denen es der Allgemeinheit auf den Schutz der Dispositionsfreiheit des einzelnen ankomme, bleibe das Rechtsgut unverletzt, wenn der Berechtigte den Gegenstand ohne Willensmängel ganz oder teilweise preisgebe. 131

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seinem Rechtsgutsmodell nicht nur als einer „unter mehreren Aspekten des Rechtsguts“, sondern als dessen „zentraler Wert“ bezeichnet.136 Von Tag wird das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte ganz ähnlich als „körper- und gesundheitsbezogene Verfügungsfreiheit“ des Rechtsgutsinhabers beschrieben.137 2. Die Probleme mit der „Verfügungsbefugnis“138

a) Die konstruktiven Schwierigkeiten Diese Konstruktion verliert einen Teil ihrer Überzeugungskraft, weil sie sachlich auf den Schutz eines bloß fingierten Willens hinausläuft: Niemand ist sich „auch nur annähernd all’ seiner Interessen in jedem Augenblick bewusst [. . .].“139 Der Gefahr, an Beständigkeit und Effektivität des Rechtsgüterschutzes zu verlieren, begegnet Roxin damit, dass nicht ein aktueller, sondern ein „zumindest latenter“ Wille geschützt werde.140 Der „Wille“ verkommt damit zu einer „bloßen Fiktion“.141 Konstruktiv bedarf es daher der Bildung eines aktuellen „Abkehrwillens“ des Berechtigten, wenn der durch die „fiktive Verfügungsbefugnis“ gewährleistete Rechtsgüterschutz aufgegeben werden soll.142 Diese Rechtsgutslehre soll darüberhinaus bei der faktischen oder normativen Unmöglichkeit der Freiheitsausübung zwangsläufig zu Erklärungsschwierigkeiten führen.143 Das Unrecht einer Körperverletzung, die an eiAls Rechtsgutsverletzung soll nach Schmidhäuser, Lehrbuch AT 2. Abschn. Rdn. 34; ders., in: FS für Engisch 445 die „Verletzung des vom Rechtsgut [in der konkreten Situation] ausgehenden Achtungsanspruchs durch ein Willensverhalten“ zu verstehen sein. Bei einem Handeln auf Grund einer Einwilligung des Berechtigten fehle es bereits an der tatbestandsmäßigen Rechtsgutsverletzung. Vgl. hierzu Schwartz, Hypothetische Einwilligung 86 f. 136 Vgl. Weigend, ZStW 98 (1986) 60. 137 Vgl. auch Tag, Körperverletzungstatbestand 399. Vgl. auch Krauß, in: FS für Bockelmann 572, der die Einwilligung in einem „individuell-subjektiv deutbaren Rechtsgut“ der „körperlichen Integrität“ zur Geltung bringt. Weil und soweit diese subjektive Bezogenheit hervortrete, sei eine Behandlung ohne Rücksicht auf die Entscheidung des Patienten nicht lege artis. Die Einwilligung werde zum konstitutiven Element des Rechtsguts. 138 Vgl. eingehend zum Streitstand Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 12 ff.; ders., in: FS für Amelung 271 ff. jeweils muN. Vgl. auch Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 134 ff. 139 Vgl. Keßler, Einwilligung 51. 140 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 14. 141 Vgl. Rönnau, Willensmängel 63 ff.; ders., Jura 2002 597. 142 Vgl. Rönnau, Willensmängel 64, 68.

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

nem Kleinkind begangen werde, müsse geringer sein als bei einer Person, deren Verfügungsbefugnis uneingeschränkt vorhanden sei. Denn die Verfügungsbefugnis, deren Verletzung erst das volle Unrecht der Körperverletzung konstituiere, sei bei einem Kleinkind nicht vorhanden. Für eine solche Differenzierung lasse sich dem Gesetz allerdings nichts entnehmen.144 In derartigen Fällen werde entweder „nur eine Fiktion“ geschützt oder man müsse „die unmenschliche Konsequenz“ ziehen, dass man die dauerhaft Handlungsunfähigen, also gerade die besonders schutzbedürftigen Menschen, aus dem Schutzbereich der Körperverletzungsdelikte herausnehme.145 Säuglinge, im Wachkoma Liegende, bewusstlos dem Tod entgegen Dämmende und Geisteskranke nehmen aber an dem uneingeschränkten Rechtsschutz ihrer Rechtsgüter teil.146 Diesen Bedenken will Roxin mit einer auf den allgemeinen Zurechnungsregeln aufbauenden „Stellvertretung im Willen“ abhelfen.147 Rönnau wendet hiergegen ein, die Abhängigkeit der Verletzung der Rechtsgüter von der Beeinträchtigung der Dispositionsfreiheit anderer Personen vernachlässige den „Wert jedes Menschen“, weil in unserer Rechts- und Werteordnung der Mensch im Zentrum stehe und dessen höchstpersönliche Rechtsgüter von der – mit Menschenwürde ausgestatteten – Person nicht abgelöst werden können.148 Mit der Anerkennung der Einwilligungszuständigkeit Dritter für bestimmte Fälle der Rechtsgutsbeeinträchtigung werden diese Bedenken allerdings relativiert; sonst dürfte konsequent nicht einmal das möglich sein. Es ist aber in der Tat fragwürdig, ob diese Stellvertreter überhaupt Autonomie besitzen, denn die Ziele ihrer Tätigkeit sind ihnen gesetzlich vorgegeben und sie werden in der Ausübung ihrer Tätigkeit vom Staat überwacht.149 Bei „unvertretbaren Entscheidungen existentieller Art“ (Sterilisation, Organspende usw.) sind der „Stellvertretungskonstruktion“ daher Grenzen gesetzt.150 An der Verletzung der „konkreten Willensbeziehung“ zweifelt Roxin auch dann nicht, wenn gar kein Sorgeberechtigter vorhanden ist: Die Dis143

Vgl. Amelung, Einwilligung 26 f. Vgl. Amelung, Einwilligung 26 f. 145 Vgl. Amelung/Lorenz, in: FS für Otto 530. 146 Vgl. Amelung/Lorenz, in: FS für Otto 530; Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 98. 147 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 16: die Sorgeberechtigten, der Betreuer usw. 148 Vgl. Rönnau, Willensmängel 71; vgl. auch Amelung/Lorenz, in: FS für Otto 532, der sich gegen den Begriff der „substitutiven Autonomie“ von Jox, EthikMed 2004 404 f., 406 f. richtet. 149 Vgl. Amelung/Lorenz, in: FS für Otto 532. 150 Vgl. zutreffend Rönnau, Willensmängel 73; ders., Jura 2002 598. 144

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positionsbefugnis sei vorübergehend „in der Schwebe“, nicht aber könne ihre „substantielle Verletzung“ bestritten werden.151 Fällt die alleinstehende und zurückgezogen lebende greise Frau plötzlich bewusstlos zu Boden,152 so darf sie während ihres Komazustandes natürlich nicht bestohlen werden. Tötet der Täter erst die Eltern des vierjährigen Kindes, so darf das Kind anschließend nicht misshandelt oder getötet werden.153 Problematisch ist in der Tat, dass selbst die Einsetzung eines „Stellvertreters im Willen“ nichts mehr an dem tatsächlichen Fehlen des „konkreten Verfügungswillens“ für die verstrichene Schwebezeit zu ändern vermag. Allein die mit Rückwirkung ex-tunc versehene Einsetzung eines „Stellvertreters“ hilft hier weiter,154 doch läuft das auf eine abzulehnende rückwirkende Belebung des Strafanspruches hinaus.155 „Weiteres Nachdenken“ hat Roxin jedoch gelehrt, dass es auf diese um die Handlungsfähigkeit kreisenden Streitfragen überhaupt nicht ankomme: Die Autonomie, die dem Menschen über seine physisch-biologische Existenz wegen seiner Personenqualität zustehe, solange er lebe, und den Kern seiner Persönlichkeit bilde, enthalte in erster Linie das Recht, in seiner Körperintegrität und in seinem Eigentum unbeeinträchtigt zu bleiben. Erst in zweiter Linie erwachse aus der Autonomie das Recht, über seinen Körper oder sein Eigentum nach eigenem Willen zu disponieren. Das zentrale Recht auf den Schutz der Körper- und der Eigentumssphäre haben selbstverständlich auch der Schlafende, der Bewusstlose, der Geisteskranke, der Sterbende, der Apalliker und der Säugling.156 Roxin räumt zwar ein, dass es zu einem „Autonomiedefizit“ führe, wenn diese Menschen von den Handlungsmöglichkeiten, die die ihrer Person zugeordneten Rechtsgüter bieten, nicht oder wenigstens einstweilen nicht oder nicht in vollem Umfang Gebrauch machen können. Der aus der Persönlichkeitsautonomie folgende Eingriffsschutz bleibe jedoch uneingeschränkt erhalten.157 In dieser Rückbesinnung auf den Schutz „nicht nur [des] realen Substrat[s], sondern auch [des] Stück[s] persönlicher Autonomie, das sich in ihm verkörpert“,158 legt Roxin den durchaus materiellen Ausgangspunkt seiner personalen Rechtsgutslehre besonders deutlich offen.

151 152 153 154 155 156 157 158

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 16. Rönnau, Willensmängel 71. Amelung, Einwilligung 27. Rönnau, Willensmängel 71 f.; ders., Jura 2002 597. auch 6. Kap. § 5 C. Roxin, in: FS für Amelung 282. Roxin, in: FS für Amelung 282. Roxin, in: FS für Amelung 271.

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

b) Kritik an den inhaltlichen Aussagen aa) Die Aufgabenbeschreibung des Strafrechts Wichtiger als diese konstruktiven Belange sind jedoch die hinter diesem Rechtsgutsverständnis stehenden inhaltlichen Aussagen. Die Überzeugungskraft eines Rechtsgutsverständnisses entscheidet sich an der Sachgerechtigkeit der von ihm abhängenden Ergebnisse für die Auslegung und die Gesetzgebung.159 Die Aufgabe des Strafrechts ist der „Rechtsgüterschutz“. Es ist daher zu entscheiden, ob das Rechtsgut aus „seinem [ganz konkreten, „handgreiflichen“] realen Substrat“ und dem Stück „persönlicher Autonomie“ bestehen kann, das sich in ihm verkörpert. Eine Rechtsgutslehre, die sich auf den Schutz dessen konzentriert, über das der Rechtsgutsinhaber verfügen kann („Hab und Gut“), geht an der legitimen Aufgabenbeschreibung des Strafrechts vorbei. Die Begriffsbestimmung des geschützten Rechtsguts als etwas „sinnlich Wahrnehmbares“, über das der Inhaber soll verfügen können, korrespondiert mit der zu Beginn des 19. Jahrhunderts von der Aufklärung geprägten, herrschenden Aufgabenbestimmung des Strafrechts. Danach sollte das Strafrecht die „subjektiven Rechte“ des Individuums schützen. Über den Schutz von „Hab und Gut“ sollte das Strafrecht nicht hinausgehen.160 Auch Birnbaum, der den Begriff des „Guts“, „welches uns rechtlich zusteht“,161 in die Rechtsgutslehre einführte,162 argumentierte noch ganz in diesem Verständnishorizont.163 Sein maßgebliches Verdienst war das Bestreiten der Verletzung eines „subjektiven Rechts“ im Verbrechen überhaupt, da das Recht weder vermindert noch entzogen werde, wenn der Gegenstand des Rechts, das „Gut“, vermindert oder entzogen werde.164 Hinter dem vom Liberalismus geprägten Schutzauftrag des Strafrechts vor der Verletzung von „Hab und Gut“ stand allerdings ein spezifisch richtiger Gedanke: Die Gewährleistung der Entfaltung der Persönlichkeit des 159

Vgl. Otto, in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 3. Vgl. eingehend Sina, Dogmengeschichte 6 ff. muwN; vgl. auch Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 28; ders., Strafrecht BT § 39 Rdn. 3 mwN; ders., in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 3 f.; ders., Struktur 32 f. 161 Diese Beschreibung soll sachlich gleichwertig mit dem Begriff „Rechtsgut“ sein. 162 Vgl. Fn. 21. 163 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 28; ders., in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 4: keine „grundlegende Neubestimmung der Aufgaben des Strafrechts“. 164 Vgl. dazu Sina, Dogmengeschichte 20; vgl. auch Otto, Struktur 32 f.; ders., in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 5; ders., Struktur 32 f.: Das Eigentumsrecht wird beim Diebstahl nicht verletzt (§ 935 BGB). 160

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Einzelnen. Zu eng war die Schutzbestimmung in ihrer negativen Form. „Schutzwürdig ist das Subjekt nicht nur in dem, was es hat, schutzwürdig ist es auch in dem, was es wird, nämlich in der Entfaltung von Möglichkeiten in seiner Entwicklung zum mündigen Rechtsgenossen.“165 Der Rechtsgutsbegriff soll seine sachgerechte Interpretation nicht vom Bilde „Hab und Gut“ her erfahren, sondern von dem, was „gut“ ist für die Entwicklung der Person in der Rechtsgesellschaft. Die Entfaltung der Persönlichkeit ist allerdings nicht auf den ungestörten Genuss bestimmter Güter bzw. die Möglichkeiten der willkürlichen Nutzung des Guts verengt, etwa sein Leben zu führen, von seinen körperlichen Fähigkeiten und von seinen Freiheiten Gebrauch zu machen („status negativus“),166 sie sei auch das Hineinwachsen des Rechtsgenossen in ein „bestimmtes Verfasstsein der Rechtsgesellschaft“, etwa das Gefühl für die menschliche Würde, die Achtung vor den Mitmenschen, die Identifizierung mit bestimmten Werten („status activus“). Gleichwohl erkennen auch die Anhänger eines am „Handgreiflichen“ orientierten Rechtsgutsverständnisses die Strafbefugnis des Staates in Bereichen an, die nach ihrem Rechtsgutsverständnis straffrei bleiben müssten, weil sie nicht mehr die Verletzung der äußeren Ordnung („Hab und Gut“) betreffen. Hiermit wird allerdings die Aufgabenbestimmung des Strafrechts, bestimmte Rechtsgüter zu schützen, in der Sache aufgegeben. Stattdessen wird eine „Strafbefugnis über den Rechtsgüterschutz hinaus“ anerkannt.167 Daraus ergibt sich allerdings die ungenügende Reichweite eines strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes auf Gegebenheiten bzw. Objekte (i. w. S.), über die der einzelne Rechtsgenosse soll verfügen können.168

165

Vgl. Otto, in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 5. Vgl. Stratenwerth, in: FS für Lenckner 384. 167 Vgl. dazu besonders Otto, in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 4 f. Von praktischer Relevanz war die Auseinandersetzung um die sachgerechte Interpretation des Rechtsgutsbegriffs im Bereich des Sexualstrafrechts, besonders bei der Strafbarkeit der Homosexualität unter Erwachsenen (§ 175 StGB a. F.), der Sodomie (§ 175 b StGB a. F.), der Kuppelei (§ 180 StGB a. F.) sowie der Verbreitung von Pornographie (§ 184 StGB a.F). Hier wird nichts „Handgreifliches“ mehr geschützt, sondern bestimmte Wertvorstellungen in der Gesellschaft. Vgl. eingehend hierzu Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 2 Rdn. 3; siehe auch Otto, in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 7 f., 10 ff. 168 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 30; ders., in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 5. 166

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

bb) Die wechselseitige Verschränkung der Interessen des Einzelnen und der Allgemeinheit bei den Rechtsgütern Rechtsgutsauffassungen beruhen zudem immer auf verschiedenen Staatsverständnissen. „Nur“ die personale Rechtsgutslehre lässt sich auf eine liberale Staatsvorstellung zurückführen.169 Das liberale Rechtsgutsverständnis soll nach Hirsch aber nicht mehr im Einklang mit dem Menschenbild des Grundgesetzes stehen, dass nicht das eines selbstherrlichen Individuums, sondern das einer in der Gemeinschaft stehenden und ihr vielfältig verpflichteten Persönlichkeit sei.170 Das Bundesverfassungsgericht ist der Auffassung, der Mensch sei kein isoliertes souveränes Individuum. Stattdessen habe das Grundgesetz die wechselseitigen Spannungen zwischen Individuum und Gemeinschaft im Sinne einer Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten.171 Das Menschenbild des Grundgesetzes dürfe weder individualistisch noch kollektivistisch missverstanden oder umgedeutet werden. Der Mensch sei weder isoliertes, seiner geschichtlichen Bedingtheiten entkleidetes Individuum noch wesenloses Partikel moderner „Masse“: von unverfügbarem Eigenwert, zu freier Entfaltung bestimmt, zugleich aber auch Glied von Gemeinschaften.172 Diese Einsicht muss nicht im Widerspruch zu einem personalen Rechtsgutsverständnis stehen. Vor einem „gesellschaftszerstörenden Individualismus“, bei dem es nur noch um die Durchsetzung der eigenen Interessen geht, warnen auch Anhänger einer personalen Rechtsgutslehre.173 Das ist der zutreffende Kern der Kritik Hirschs. Das personale Rechtsgutsverständnis erkennt allerdings an, dass die Individualrechtsgüter auch soziale Bezüge haben, so wie umgekehrt die Universalrechtsgüter auch personale Bezüge haben.174 Individualrechtsgüter, die vorrangig der Entfaltung der Persönlichkeit einzelner dienen,175 gehören daher nicht allein dem Berechtigten, sondern die Allgemeinheit ist Mitinhaber dieser Individualrechtsgüter.176 Mit der Anerkennung eines „Guts“ als 169

Vgl. Hassemer, in: NK Vor § 1 StGB Rdn. 276; vgl. weiter Otto, in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 5; Rönnau, Willensmängel 34, 45, 51 f., 94; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 12; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 85. 170 Vgl. Hirsch, in: FS für Welzel 786. 171 Vgl. BVerfGE 4 7, 15 f.; weiter BVerfGE 8 274, 329; 27 1, 7; 27 344, 351 f.; 33 303, 334; 50 290, 353; 52, 131, 168 f.; 56 37, 49; 65 1, 44. 172 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts § 4 Rdn. 116. 173 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 611; vgl. auch Rönnau, Willensmängel 51 f. 174 Vgl. Rönnau, Willensmängel 50 f.; vgl. auch Hassemer, Theorie 231. 175 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 33. 176 Vgl. auch Rönnau, Willensmängel 114.

§ 2 Entwicklung der Einordnungsproblematik

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„Rechtsgut“ durch die Rechtsordnung kommen individuelle und soziale Aspekte zum Tragen. Durch den Schutz individueller Rechtsgüter wahre die Rechtsgesellschaft nicht nur die Interessen des Einzelnen. Auch Individualrechtsgüter haben einen Bezug auf das soziale Ganze. Die Rechtsordnung gewähre dem Einzelnen den Schutz der als Rechtsgut anerkannten personalen Beziehung, weil sie ein Interesse daran habe, dass sich der Einzelne in dieser Wertbeziehung entfalte. Umgekehrt legitimiere sich der Schutz sozialer Rechtsgüter aus der Tatsache, dass der Einzelne ein Interesse an der durch diese Rechtsgüter gewährten Entwicklung der Gesellschaft habe.177 Falsche Akzentuierungen in der einen oder anderen Richtung führen entweder zu einem gesellschaftszerstörenden Individualismus, da jeder nur noch seine eigenen Interessen verwirkliche und durchsetze, oder zu einem Staatsapparat, in dem der Einzelne nur noch nach Nützlichkeitsaspekten bewertet und gewürdigt werde. Die Interpretation des Rechtsgutsbegriffs ist daher nicht von dem Bilde „Hab und Gut“ her zu interpretieren, sondern von dem her, was „gut“ ist für die Entwicklung der Person in der Rechtsgesellschaft.178 Hieran zeigt sich aber, dass der Wille des einzelnen konkreten Rechtsgenossen kein konstitutives Element des geschützten Rechtsguts sein kann. Vielmehr muss eine weitere Abstrahierung des Rechtsguts vom Rechtsgutsinhaber erfolgen. Die „Beziehungsstruktur“ ist daher „abstrakt“ zu verstehen.179 Ein „konkretes“ Rechtsgutsverständnis, bei dem die konkrete, jeweilige „Beziehung des Rechtsgutsinhabers zu seinem Eigentum oder seinem Körper“ geschützt wird,180 ist abzulehnen, weil das geschützte Rechtsgut die Entwicklung der Person in der Rechtsgesellschaft ermöglichen soll und daher im geschützten Rechtsgut individuelle und soziale Aspekte zum Tragen kommen.181 II. Das „Handlungspotential“ als geschütztes Rechtsgut Bei dem von Rönnau entwickelten „Basismodell“182 soll das Schutzobjekt des Strafrechts im Bereich der Individualrechtsgüter nicht primär der 177 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 611; ders., Grundkurs AT § 1 Rdn. 46, § 8 Rdn. 127; ders., in: FS für Tröndle 158. 178 Vgl. Otto, in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 5; ders., in FS für Geerds 607. 179 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 611. 180 Vgl. Roxin, in: FS für Amelung 271, 277. 181 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 611; vgl. auch ders., Grundkurs AT § 8 Rdn. 127; ders., in: FS für Tröndle 158. 182 Vgl. Rönnau, Willensmängel 85 ff.; ders., Jura 2002 598. Zustimmend Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 138 ff.

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

Wille des Berechtigten im Umgang mit seinen Gütern („Integrationsmodell“) und auch nicht der materielle bzw. ideelle Gegenstand in seinem Eigenwert sein („Kollisionsmodell“), sondern ein dem einzelnen konkreten Gutsinhaber zugeordneter Gegenstand, der ihm als Basis für seine personale Entfaltung diene. Der Wert des Gegenstandes liege in den Möglichkeiten seines Einsatzes zur selbstbestimmten Entfaltung durch den Rechtsgutsinhaber („Basis“ oder „Reservoir“ für Handlungschancen). Das Strafrecht garantiere dem Einzelnen ein Handlungspotential, das in den Gegenständen gespeichert sei und vom Berechtigten zur Freiheitsbetätigung genutzt werden könne.183 Die Konstruktion der Rechtsgutsverletzung erfolgt so: Der Angriff auf den Gegenstand („Basis“) selbst sei lediglich ein Durchgangsstadium für den entscheidenden Angriff auf die im Gut verkörperten Handlungschancen. „Unmittelbare“ Angriffe auf die geschützte Basis schmälern danach zugleich „mittelbar“ das Handlungspotential des Rechtsgutsinhabers.184 Der „Wille“ des Berechtigten stehe dabei in unmittelbarer Nähe zum jeweiligen Individualrechtsgut, ohne selbst zu dessen Bestandteil zu werden. Dem Berechtigten werden durch den Rechtsgüterschutz nur in einem „umfassenden Sinne Handlungsoptionen“ gewährleistet, sodass es für die Rechtsgutsmodellierung auf den Willen des Rechtsgutsinhabers nicht ankomme. Der Wille trete vielmehr erst bei Ausübung der Freiheit an das Rechtsgut heran, da die personale Entfaltung unter Rückgriff auf die Schutzgegenstände regelmäßig durch willensgetragene Handlungen stattfinde. Der Wille des Berechtigten habe eine „Selektions- und Konkretisierungsfunktion im Hinblick auf die geschützten Handlungsoptionen“. Der auf Gestaltung drängende Wille setze Handlungschancen, die im geschützten Gut verkörpert seien, „in die Realität“ um; er verwandle gleichsam Potenz in Wirklichkeit. Daher spiele die Freiheit auf Tatbestandsebene nur dann eine Rolle, wenn sie etwa qua Einwilligung aktuell ausgeübt werde. Ansonsten werde sie vom Gesetzgeber in abstractum durch den strafrechtlichen Schutz des Individualrechtsguts für den Gutsinhaber vorgehalten.185 Das „Basismodell“ ist eine „Variante“ der von Roxin vertretenen Auffassung mit lediglich marginalen Konstruktionsdifferenzen:186 Die Verfügungsbefugnis des Berechtigten ist konstruktiv nicht selbst das geschützte Rechtsgut, sondern der konkrete Wille tritt in seiner „Selektions- und Kon183

Vgl. Rönnau, Willensmängel 85; ders., Jura 2002 598. Vgl. Rönnau, Willensmängel 91, 93. 185 Vgl. Rönnau, Willensmängel 92. 186 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 17 f.; vgl. so wohl auch Amelung/ Lorenz, in: FS für Otto 530. Anders Schwartz, Hypothetische Einwilligung 92. Vgl. zu diesen Unterschieden Rönnau, Willensmängel 94 ff. 184

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kretisierungsfunktion“ an die geschützten „Handlungschancen“ heran. Doch geht der Schutz des Strafrechts über den Schutz der durch den Willen konkretisierten „Handlungschancen“ hinaus („status negativus“).187 Es macht allerdings keinen Unterschied, wenn anstelle der Verfügungsbefugnis die „durch den Willen konkretisierten“ „Handlungschancen“ geschützt werden. Das „Basismodell“ führt bei der nur eingeschränkten Möglichkeit der Freiheitsbetätigung zu Erklärungsschwierigkeiten.188 An den „Grenzen des menschlichen Lebens“, also in Situationen, in denen der Gutsinhaber nach medizinischer Erkenntnis nur „äußerst begrenzt“ oder niemals wieder Gebrauch von der in seinen Rechtsgütern gespeicherten Handlungsfreiheit machen kann, bedingt es erheblichste Schutzlücken, die „unmenschlich“ erscheinen.189 Für schwerstgeschädigte Neugeborene und Patienten mit apallischen Syndrom (Wachkoma), die infolge schwerer Hirnschäden „im Regelfall“ irreversibel bewusstlos dahinsiechen, wird das Versagen des „Basismodells“ eingeräumt.190 Der Maßstab der „äußerst begrenzten“ Möglichkeiten der Entfaltung der im Gut gespeicherten Handlungschancen ist überdies unpräzise: Auch der ans Bett gefesselte Schwerstkranke, der dem Tod entgegensieht, genauso wie der Selbstmörder, der sich mit einem nur langsam wirkenden Gift das Leben nimmt, nimmt teil am Schutz der Rechtsordnung. Das „Basismodell“ wird für „menschliche Extremsituationen“ zu Gunsten einer „formalen Begründung“ in der Sache zutreffend, aber inkonsequent aufgegeben.191 III. Das hier zugrundegelegte abstrakte Rechtsgutsverständnis Das geschützte Rechtsgut meint einen anderen Sachverhalt. Es ist „eine bestimmte, in den einzelnen Tatbeständen näher beschriebene, reale Beziehung des Rechtssubjekts zu konkreten von der Rechtsgesellschaft anerkannten Werten (‚soziale Funktionseinheiten‘)“, „in der sich das Rechtssubjekt 187

Vgl. II. 2. a). Der Strafrechtsschutz bei faktischen Beschränkungen der Freiheitsbetätigung auf Zeit (etwa sinnlos Betrunkene, Schlafende und zeitweilig bewusstlose, gelähmte oder geisteskranke Menschen) rechtfertigt sich nach Rönnau, Willensmängel 101 f.; ders., Jura 2002 598 aus der Möglichkeit, die im Gut gespeicherten Möglichkeiten nach Zeitablauf wieder willkürlich einsetzen zu können. 189 Vgl. Amelung/Lorenz, in: FS für Otto 530. 190 Vgl. Rönnau, Willensmängel 107 ff.; ders., Jura 2002 598. Vgl. auch Amelung, ZStW 115 (2003) 715; ders./Lorenz, in: FS für Otto 530; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 18; ders., in: FS für Amelung 281. 191 Vgl. Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 140 f.; Rönnau, Willensmängel 109 ff.; ders., Jura 2002 598. 188

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

mit Billigung durch die Rechtsordnung personal entfaltet“.192 Das Rechtsgut ist daher „abstrakt“ als „schutzwürdige Beziehung“ einer Person zu einer sozialen Funktionseinheit (Wert) zu erfassen. Hieran zeigt sich eine weitere Abstrahierung des geschützten Rechtsguts vom jeweiligen Rechtsgutsinhaber. Die Rechtsgüter können dabei nach ihrer Funktion unterschieden werden, ob sie vorrangig der „Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen“ in der Rechtsgesellschaft (Individualrechtsgüter) oder der „Entwicklung der Rechtsgesellschaft“ (Universalrechtsgüter) dienen.193 Aus der Definition des Rechtsguts als abstrakte „schutzwürdige Beziehung“ folgt, dass der Wille des konkreten Rechtsgenossen nicht konstitutives Element des Rechtsgutsbegriffs sein kann. Der Rechtsgenosse kann nicht über Rechtsgüter „verfügen“, denn sie sind nicht „sein“, sondern sie haben „persönliche“ und „gesellschaftliche“ Bezüge (Mitinhaberschaft): Die Rechtsordnung gewähre dem Einzelnen den „Schutz der als Rechtsgut anerkannten personalen Beziehung“, weil auch sie ein Interesse daran habe, dass sich der Einzelne in dieser „Wertbeziehung“ entfalte.194 Der Rechtsgenosse vermag aber über die ihm gehörenden Rechtsgutsobjekte (Handlungs-, Angriffsobjekte) zu verfügen und damit auf konkrete Rechtsgutsbeziehungen Einfluss zu nehmen.195 Die Einwilligung des Berechtigten in die Verletzung seines Handlungsobjekts könne den rechtlichen Schutz der Beziehung nicht aufheben, doch sei der Verzicht des Berechtigten auf den strafrechtlichen Schutz dieser Beziehung auch nicht irrelevant: Die Selbstbestimmung des Berechtigten (Einwilligung) werde in dem hier relevanten Konflikt zwischen dem Interesse an der „Achtung des freien Verfügungswillens“ (Selbstbestimmungsrecht) und dem Interesse am „Erhalt der Rechtsgüter“ von der Rechtsordnung regelmäßig als das höherrangige Interesse anerkannt, weil der gewährte Rechtsschutz bei dem Schutz von individuellen Rechtsgütern vorrangig dem Interesse des Berechtigten zu dienen bestimmt sei.196 Das verbleibende gesellschaftliche Interesse rechtfertige hier im Regelfall keine strafrechtliche Absicherung mehr.197 192 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 32; ders., Struktur 33; ders., in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 8; ders., in: FS für Geerds 610. 193 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 46, § 8 Rdn. 127; ders., in: FS für Geerds 611. 194 Vgl. oben D. I. 2. b) bb). 195 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 46, § 8 Rdn. 127; ders., in: FS für Geerds 611; ders., in: FS für Tröndle 158. 196 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 608 f. 197 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 127; ders., in: FS für Geerds 612. Ausnahmsweise rechtfertigt das verbleibende gesellschaftliche Interesse am Bestand der Wertbeziehung einen strafrechtlichen Schutz (§§ 216, 228 StGB): Das Interesse der

§ 2 Entwicklung der Einordnungsproblematik

131

Die Einwilligung kann damit auf das Prinzip des überwiegenden Interesses zurückgeführt werden („monistische Lehre“).198 Sie ist ein Rechtfertigungsgrund. Das sind keineswegs „schwer nachvollziehbare Gedankengänge“, die einer Prüfung an der „Lebensrealität“ nicht standhalten: Wenn sich jemand die Haare schneiden lasse, könne gerade nicht gesagt werden, dass die „Beziehung des Rechtsgutsträgers [. . .] zu seinem Körper [. . .] beeinträchtigt“ werde, denn gerade in einem auch Substanzeingriffe einschließenden Umgang mit seinen Rechtsgütern entfalte sich der Einzelne.199 Allerdings stimmt die von Roxin behauptete Rechtsgutsbeschreibung mit der vorliegenden Rechtsgutsbeschreibung nicht überein, denn nicht in der – konkreten – „Beziehung des Rechtsgutsträgers [. . .] zu seinem Körper“ ist das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte zu sehen, die bei einer Entfaltung des Rechtsgenossen in seinem konkreten Gut nicht „beeinträchtigt“ sein kann, sondern in der – abstrakt zu verstehenden – „schutzwürdigen Beziehung“ einer Person zu einer sozialen Funktionseinheit (Wert), deren Schutzwürdigkeit unabhängig von der Einwilligung des Berechtigten anzuerkennen ist. Der Gesetzestatbestand enthält darüberhinaus keine abschließende Bewertung des konkreten Geschehens, sondern beschreibt als ein vertypter Unrechtstatbestand das geschützte Rechtsgut, die Modalitäten des Angriffs und seine Realisierung in der Rechtsgutsgefährdung oder -beeinträchtigung durch den Täter. Ob das Rechtsgut in dem konkreten Fall tatsächlich rechtswidrig, also „sozialschädlich“ „beeinträchtigt“ wird, bedarf erst der gesonderten positiven Feststellung auf der Ebene der Rechtswidrigkeit anhand der Gesamtrechtsordnung:200 Die Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts der „körperlichen Unversehrtheit“ ist daher rechtmäßig, wenn sich jemand die Haare schneiden lässt. Damit liegt der Unrechtstatbestand der Körperverletzung nicht vor. Diese Bewertung des Geschehens stimmt mit der „Lebensrealität“ völlig überein.201

Gesamtheit, diese Rechtsgüter unbeeinträchtigt zu erhalten, übersteige das Interesse an der Achtung des freien Verfügungswillens des Rechtsgutsträgers. 198 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 127; ders., in: FS für Geerds 609. 199 Vgl. Roxin, in: Festschrift für Amelung 277. 200 Vgl. hierzu Otto, Grundkurs AT § 5 Rdn. 6 ff. 201 Diese Einsicht erweist sich besonders dann als zutreffend, wenn der Blick auf einen weitreichenden ärztlichen Heileingriff gelenkt wird, bei dem Patienten einzelne Gliedmaßen amputiert werden, vgl. hierzu 4. Kap.

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

§ 3 Die „hypothetische Verfügungsbefugnis“ als geschütztes Rechtsgut I. Die Beschreibung der Rechtsgutsauffassung Mit der „hypothetischen Einwilligung“ wird die sachgerechte Beschreibung des geschützten Rechtsguts mit einer weiteren Problematik belastet. Sehr plastisch ist die Beschreibung des geschützten Rechtsguts als „hypothetischer Wille“ bei Kuhlen. Die „Selbstbestimmung“ des Patienten werde eben nicht im Sinne einer Gewährleistung der „wirklichen Ausübung“ der Selbstbestimmung, sondern im Sinne der Wahrung der „Maßgeblichkeit der auf die Rechtsgüter Gesundheit und körperliche Integrität bezogenen Interessendefinition des Patienten“ geschützt.202 Der Sinnzusammenhang, in dem die hier der „hypothetischen Einwilligung“ zugrundeliegende Rechtsgutsbeschreibung steht, ist bei Kuhlen jedoch ein anderer als bei Roxin. Es wird offengelegt, dass es bei der „hypothetischen Einwilligung“ um die Bestimmung der sachlichen Reichweite des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.) geht, nicht aber um eine sachgerechte Beschreibung der Individualrechtsgüter schlechthin.203 Die „hypothetische Einwilligung“ beruht auf einem sehr konkret gedachten Rechtsgutsverständnis, getragen von dem Gedanken, dem ganz konkreten Rechtsgutsinhaber einen ganz bestimmten Umgang mit einem ganz konkret verstandenen Rechtsgut zu gewährleisten. Nach den heute überwiegend anerkannten Grundsätzen zur „hypothetischen Einwilligung“ soll nämlich auf das „konkrete Entscheidungsergebnis des jeweiligen Patienten“ zu der „konkret durchgeführten Operation“ durch den konkret handelnden Arzt bei wahrheitsgemäßer Aufklärung abzustellen sein.204 Für den konkret betroffenen Rechtsgutsinhaber wird ein ganz bestimmter Umgang – die „hypothetische (Nicht-)Einwilligung“ des tatsächlich ausgeführten ärztlichen Heileingriffs durch den tatsächlich handelnden Arzt – mit dem ganz konkret verstandenen Gut der „körperlichen Unversehrtheit“ gewährleistet. Der konkrete Patient soll nach der Durchführung der eigenmächtigen ärztlichen Heilbehandlung darüber befinden, ob er seine „körperliche Unversehrtheit“ auch dann aufgeopfert hätte, wenn er gefragt worden wäre. Dieses Rechtsgutsverständnis kann folgerichtig das Fehlen einer Rechtsgutsverletzung begründen, wenn der konkrete Patient in die Verletzung sei202

Vgl. etwa Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442. Vgl. eingehend zur Beschreibung des durch die Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff) geschützten Rechtsguts 4. Kap. 204 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. 203

§ 3 „Hypothetische Verfügungsbefugnis“ als geschütztes Rechtsgut

133

ner „körperlichen Unversehrtheit“ eingewilligt hätte. Die „Maßgeblichkeit der auf die Rechtsgüter Gesundheit und körperliche Integrität bezogenen Interessendefinition des Patienten“ ist dann gewahrt.205 Es stellt sich die Frage, ob sich das geschützte Rechtsgut in dem Schutz eines ganz spezifischen Umgangs mit einem bestimmten, konkretisierten Gut erschöpft, oder ob nicht der abstrakte „Wert“ der umfassenden Möglichkeiten der freien Entfaltung der Person in dem Gut das geschützte Rechtsgut sachgerecht beschreibt. Es ist zu entscheiden, ob der „hypothetische Wille“ des konkreten Berechtigten ein konstitutives Element des Rechtsgutsbegriffs sein kann. II. Die Probleme mit der „hypothetischen Verfügungsbefugnis“ 1. Der Patient als „Subjekt der Behandlung“

a) Das bei der „hypothetischen Einwilligung“ offengelegte Rechtsgutsverständnis, bei der nicht die „wirkliche Ausübung“ der Selbstbestimmung, sondern die Wahrung der „Maßgeblichkeit der auf die Rechtsgüter Gesundheit und körperliche Integrität bezogenen Interessendefinition des Patienten“ geschützt sein soll,206 legt das Schwergewicht des Schutzes auf die subjektive Anerkennung bzw. Ablehnung der bevormundenden ärztlichen Entscheidung über die „körperliche Unversehrtheit“ des Berechtigten. Im Vordergrund dieser Rechtsgutslehre steht der Schutz der Person in der Entfaltung in ihrem konkret verstandenen „materiellen Körpersubstrat“. Folgerichtig ist eine Rechtsgutsverletzung abzulehnen, wenn der Berechtigte den Eingriff in die „körperliche Unversehrtheit“ „subjektiv nachvollzogen“ hätte. b) Allein das Rechtsgut kann nicht auf das bloße „materielle Substrat“ verkürzt werden. Dieses sehr „konkrete“ Rechtsgutsverständnis entfaltet das geschützte Rechtsgut im Ausgangspunkt von dem her, worüber der einzelne „verfügen“ kann. Es relativiert aber den vom Rechtsgut ausgehenden „Achtungsanspruch“ und bleibt damit hinter dem Schutz von „Hab und Gut“ zurück. Gerade aus der „Relativierung des vom Rechtsgut ausgehenden Achtungsanspruches“ ergeben sich die weiteren Bedenken gegen eine derart „am Handgreiflichen“ orientierte Rechtsgutslehre, wenn das Rechtsgut als „eine bestimmte, in den einzelnen Tatbeständen näher beschriebene, reale Beziehung des Rechtssubjekts zu konkreten von der Rechtsgesellschaft anerkannten Werten (‚soziale Funktionseinheiten‘)“ verstanden wird, „in der 205 206

Vgl. etwa Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442. Vgl. etwa Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442.

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

sich das Rechtssubjekt mit Billigung durch die Rechtsordnung personal entfaltet“.207 Das geschützte Rechtsgut meint einen „abstrakten Wert“. Sachlich überzeugend ist daher Steffens Beschreibung des „Werthaften“ der „körperlichen Unversehrtheit“, mit der er einer Relativierung des vom Rechtsgut ausgehenden „Achtungsanspruches“ begegnet: Der Patient könne Aufklärung nicht nur zum „Schutz der Integrität“, sondern als „Subjekt der Behandlung“ verlangen.208

Verfassungsrechtlich abgesichert wird dieses moderne Leitbild der Rechtsprechung in Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG.209 Das moderne Verständnis vom Arzt-Patienten-Verhältnis wird nicht vornehmlich geprägt von der bloßen Verantwortungsübernahme für die ärztliche Heilbehandlung. Das „konkrete“ Rechtsgutsverständnis erfüllt hier eine sicher nicht zu vernachlässigende Schutzfunktion für die „körperliche Unversehrtheit“. Das Arzt-Patienten-Verhältnis hat allerdings eine andere Entwicklung genommen. Es betont nachhaltig die Einbindung des Patienten als „Subjekt der Behandlung“ in den Heilungsprozess. Arzt und Patient stehen sich eben nicht mehr in einem Über-/Unterordnungsverhältnis (Subordinationsverhältnis), sondern als gleichberechtigte, an der Heilbehandlung zusammenwirkende Partner (Kooperationsverhältnis) gegenüber. Die gerade von medizinischer Seite erkannte Bedeutung der willentlichen Beteiligung des Patienten für den Heilungsprozess wird in jüngerer Zeit zunehmend erinnert. Das Arzt-Patienten-Verhältnis wird zudem nicht durch gegenseitiges Misstrauen, sondern durch gegenseitiges Vertrauen beherrscht. Erst die ernstgemeinte Umsetzung der auf Wahrheit und Vollständigkeit angelegten Kommunikation zwischen Arzt und Patient erfüllt die Anforderungen des in der Rechtsprechung hervorgehobenen Leitbildes des Patienten als „Subjekt der Behandlung“. In diesem „Subjektanspruch“ wird der Patient durch medizinischen Paternalismus endgültig missachtet. Der Reflex der Art von „Selbstbestimmung“, wie ihn die „hypothetische Einwilligung“ bietet, taugt demgegenüber nicht als Äquivalent. Der Patient steht eben nicht mehr vor der Frage, ob er seine „körperliche Unversehrtheit“ aufopfern soll, um Heilung zu erfahren. Er ist zunächst zum „Objekt“ ärztlicher Vernunfthoheit gemacht worden und wird schließlich mit diesen vollendeten Tatsachen konfrontiert. 207

Vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 32; ders., Struktur 33; ders., in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 8; ders., in: FS für Geerds 610. 208 Vgl. Steffen, in: Verhandlungen zum 52. DJT Bd. II I 26. 209 Vgl. BVerfGE 52 131, 173.

§ 3 „Hypothetische Verfügungsbefugnis“ als geschütztes Rechtsgut

135

Das „Werthafte“ des geschützten Rechtsguts ist aber die freie Entfaltung des Patienten in seiner „körperlichen Unversehrtheit“ als „Subjekt der Behandlung“. Die Einwilligung und die ärztliche Aufklärungspflicht sollen als „Institutionen“ ernst genommen werden.210 Im Mittelpunkt der abstrakten personalen Rechtsgutsinterpretation steht daher der Mensch, besonders der von ihm ausgehende Achtungsanspruch, nicht so sehr das materielle „Substrat“, um dessen Schutz sich das „engere“ Rechtsgutsverständnis bemüht. 2. Die Verfehlung des mit der Einwilligung und der ärztlichen Aufklärungspflicht verfolgten Zwecks

Sachlich wird mit dem bei der „hypothetischen Einwilligung“ zugrundegelegten Rechtsgutsverständnis der Zweck der Einwilligung und der ärztlichen Aufklärungspflicht prinzipiell verfehlt. Es wird zunächst anerkannt, dass mit der ärztlichen Aufklärungspflicht sichergestellt werden soll, dass ärztliche Eingriffe nur stattfinden, wenn der Patient ordnungsgemäß informiert sei.211 Der Schutzzweck der ärztlichen Aufklärungspflicht sei die „Befähigung des Patienten zu einer selbstbestimmten Entscheidung.“212 Mit der Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ wird dieses überzeugende Zweckverständnis aber aufgegeben. Die ärztliche Aufklärungspflicht dient nicht der Verhinderung der Einwilligung des Berechtigten in eine als „unvernünftig“ gedachte Behandlung. Die „hypothetische Einwilligung“, die genau das suggeriert, entfaltet nämlich ihre strafrechtliche Schutzwirkung, wenn der Berechtigte nicht in den Eingriff eingewilligt hätte. Der durch die medizinische Indikation als objektiv vernünftig ausgewiesene – höchst befolgenswerte – Rat des gewissenhaften Arztes zu einer bestimmten Heilbehandlung wird in einem „negativen“ Sinne verstanden und der durch ärztliche Aufklärung „geschärften Wachsamkeit“ des gegenüber dem Arzt allein vernunftbegabten Patienten gegenübergestellt.213 Der Aufklärungspflicht bedarf es allein um der Verhinderung der jedenfalls sonst „sicher“ verweigerten „unvernünftigen“ Einwilligung in die ärztliche Behandlung. Die Aufklärungspflicht wird funktionalisiert als Instrument des vernünftigen Patienten, einer „unvernünftigen“ Entscheidung des Arztes zu entgehen. Es ist aber nicht der Schutz vor der Einwilligung, der mit der ärztlichen Aufklärungspflicht garantiert werden soll. Es ist vielmehr der Schutz des Pa210

Vgl. vollkommen sachgerecht Weber-Steinhaus, Ärztliche Berufshaftung

268 f. 211 212 213

Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 125. Vgl. Lorz, Schönheitsoperation 154. Vgl. auch Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 111 f.

136

3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

tienten als „Subjekt der Behandlung“ (Steffen) (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG) und mit ihm der Schutz vor der „fehlerhaften“, weil heteronom getroffenen Einwilligung. Die „hypothetische Einwilligung“ offenbart ein grundfalsches Vorstellungsbild von der als „sinnleer“ gedachten Heilbehandlung als schlichte Körperverletzung, der medizinischen Indikation, der Einwilligung und der ärztlichen Aufklärungspflicht. Die medizinische Indikation weist eine Heilbehandlung aus medizinischer Sicht in gestaffelten Graden nach objektiven Gesichtspunkten bereits als vernünftige Entscheidung aus. Nicht die Verhinderung einer als „unvernünftig“ ausgewiesenen Entscheidung im Sinne eines sinnleeren „Wundenschlagens“, sondern die Ermöglichung des subjektiven Nachvollziehens einer aus medizinischer Sicht bereits als „vernünftig“ ausgewiesenen Entscheidung für die Heilbehandlung, die ihrem ganzen Inhalt nach auf Besserung des Gesundheitszustandes des Patienten gerichtet ist, ist der Sinn der ärztlichen Aufklärungspflicht. Es ist abzulehnen, die Einwilligung und die ärztliche Aufklärungspflicht der medizinischen Indikation im Sinne von „Vernunft“ des Patienten und „Unvernunft“ des Arztes, der es wachsam zu begegnen gilt, gegenüberzustellen. Die Aufklärungspflicht soll statt die Einwilligung in die vermeintlich „unvernünftige“ Heilbehandlung zu verhindern, den Patienten durch Mitteilung von zwar bedenkenswerten, warnenden, die Entschließung verzögernden, aber nicht notwendig davon abhaltenden Informationen zu einer selbstbestimmten und verantwortungsvollen Entscheidung im Umgang mit seinen Rechtsgütern aufrufen, ihm bei der Zurückdrängung seiner Ängste, Zweifel, Bedenken usw. unterstützen und letztlich zu einer Entscheidung für die objektiv „vernünftige“ Heilbehandlung ermutigen. Der ärztlichen Aufklärungspflicht geht es um die Unterstützung des Patienten als „Subjekt der Behandlung“ bei der Ausübung seiner freien, höchstpersönlichen Entscheidung im Umgang mit den eigenen Rechtsgütern (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG). Das meint die „Befähigung des Patienten zu einer selbstbestimmten Entscheidung.“ Ihren wahren Sinn erlangt die ärztliche Aufklärungspflicht allenfalls unter Abstandnahme von der „hypothetischen Einwilligung“. 3. Die Unvereinbarkeit der „Verfügungsbefugnis“ als geschütztes Rechtsgut mit der „hypothetischen Einwilligung“

Die strukturellen Unterschiede zwischen der wirklichen und der „hypothetischen Einwilligung“ stehen einer Gleichbehandlung der Sachverhalte im Weg. Wenn der Wille des Betroffenen nicht nur für den Rechtsschutz bedeutsam sei, sondern „zum geschützten Objekt“ gehöre, Rechtsgut und „Verfügungsbefugnis“ über das Rechtsgut nicht nur eine Einheit bilden sollen, sondern in ihrem Aufeinanderbezogensein selbst das im Tatbestand ge-

§ 3 „Hypothetische Verfügungsbefugnis“ als geschütztes Rechtsgut

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schützte Rechtsgut seien, dann kann in der Tat keine Rechtsgutsverletzung vorliegen, wenn eine Handlung auf einer Disposition des Rechtsgutsträgers beruht, die seine freie Entfaltung nicht beeinträchtigt, sondern im Gegenteil deren Ausdruck ist.214 Strukturell anders liegt der Sachverhalt bei einer tatbestandsausschließenden „hypothetischen Einwilligung“. Mit der Einwilligung des Berechtigten, die die Rechtsgutsverletzung ausschließen soll, ist die tatsächliche Einwilligung gemeint. Bei der „hypothetischen Einwilligung“ fehlt es gerade an einer tatsächlichen Einwilligung des Berechtigten. Die „hypothetische Einwilligung“ ist ein „bloßes fiktives Potential“ einer Einwilligung, die in dem gedachten Fall des rechtmäßigen Alternativverhaltens des Arztes eine Rechtsgutsverletzung ausgeschlossen hätte, aber tatsächlich nicht ausgeschlossen hat. Das „bloße fiktive Potential“ einer Einwilligung ändert an der tatsächlichen Rechtsgutsverletzung nichts. Der Grund für die Unbeachtlichkeit der „hypothetischen Einwilligung“ als Tatbestandsausschließungsgrund liegt in der strukturellen Verschiedenheit der zu vergleichenden Sachverhalte. Bei einer „hypothetischen Einwilligung“ liegt tatsächlich gerade keine wirksame Einwilligung vor, die die Rechtsgutsverletzung ausschließen kann. Bei der „hypothetischen Einwilligung“ ist eine Rechtsgutsverletzung gegeben. Wenn in der Achtung der Menschenwürde, der Gleichheit und den sonstigen Grundrechten des Menschen „essentielle Bedingungen menschlicher Freiheit“ gesehen werden,215 die um der Sicherung friedlicher und freiheitlicher Koexistenz216 als „unabdingbare Voraussetzung des Zusammenlebens in Freiheit“217 zu respektieren seien, ein friedliches Zusammenleben ohnedem gar nicht möglich wäre,218 so kann nicht gleichsam mit der Anerkennung der tatbestandsausschließenden „hypothetischen Einwilligung“ eine Relativierung dieser Forderungen behauptet werden. Der „zentrale Wert“ des Rechtsguts als „Verfügungsbefugnis“ ist bei einer fehlenden Einwilligung des Berechtigten verletzt. Wer also durch Gewalt, Täuschung, Drohung, List oder in sonstiger unredlicher Weise dem einzelnen die freie Dispositionsbefugnis nehme, der gefährde die Bedingungen, die die Grundlage unserer Gesellschaft bilden, und dessen Verhalten müsse, soll das allgemeine Vertrauen in die fortdauernde Gültigkeit dieser Bedingungen nicht Schaden leiden, öffentlich als unethisch missbilligt werden.219 214 215 216 217 218 219

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 12 ff. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 2 Rdn. 8. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 2 Rdn. 7. Weigend, ZStW 98 (1986) 59. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 2 Rdn. 9. Weigend, ZStW 98 (1986) 59.

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3. Kap.: Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund

Aus dem Rechtsgutsverständnis von Roxin lässt sich die tatbestandsausschließende Wirkung der „hypothetischen Einwilligung“ nicht widerspruchsfrei begründen. Die Anerkennung des „hypothetischen Willens“ als geschütztes Rechtsgut bleibt hinter der Anerkennung der „Freiheit zur autonom gesteuerten Verfügung“ [scil. die „individuelle Dispositionsbefugnis“] als Schutzobjekt und „zentralem Wert“ seines Rechtsgutsverständnisses zurück.220 Diese Konstruktion bestreitet die „essentiellen Bedingungen menschlicher Freiheit“. Das erkennt Roxin auch an. Er hält für unzutreffend, wenn durch die „hypothetische Einwilligung“ die „Rechtswidrigkeit entfällt“.221 Über die Rechtswidrigkeit der eigenmächtigen Heilbehandlung kann nach seinen Prämissen allerdings nur nachgedacht werden, wenn nicht bereits der Tatbestand der Körperverletzung als Gegenstand der Bewertung durch die Rechtsordnung auf der Rechtswidrigkeitsebene durch eine „hypothetische Einwilligung“ ausgeschlossen ist.

§ 4 Weitere vorläufige Feststellungen zur „hypothetischen Einwilligung“ I. Die „hypothetische Einwilligung“ wird unabhängig von der sich originär bei der Einwilligung stellenden Einordnungsproblematik, ob diese als Tatbestandsausschließungs- oder Rechtfertigungsgrund anzusehen ist, „im Prinzip“ anerkannt. Die tatbestandsausschließende Wirkung der „hypothetischen Einwilligung“ beruht nicht auf der Qualifikation der Einwilligung gerade als ein Tatbestandsausschließungsgrund, sondern auf anderen, von dieser Einordnungsproblematik unabhängigen konstruktiven Erwägungen (Kausalität, „(hypothetisch) rechtmäßiges Alternativverhalten“). Wie „in sonstigen Fällen fehlenden Pflichtwidrigkeitszusammenhanges [soll] die Zurechnung [des Erfolgs zum Tatbestand der Körperverletzung] ausgeschlossen“ sein.222 II. Doch wird in der Literatur auch der Eindruck erweckt, aus der Einordnungsproblematik der Einwilligung unmittelbare konstruktive Konsequenzen für die „hypothetische Einwilligung“ zu ziehen. Bei der „hypothetischen Einwilligung“ sei die objektive Zurechnung des Erfolgs i. w. S. gerade „zum Tatbestand der Körperverletzung“ ausgeschlossen,223 wenn die Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund erfasst werde. Es stellt sich daher die Frage, ob diesen Äußerungen dahin zu folgen ist, in der „hypothetischen Verfügungsbefugnis“ des Berechtigten das geschützte Rechtsgut zu sehen. 220 221 222 223

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

auch Rönnau, JZ 2004 802 Fn. 19. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 120, 122. etwa Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 12 ff. mwN.

§ 4 Weitere Feststellungen zur „hypothetischen Einwilligung“

139

1. Das geschützte Rechtsgut meint allerdings „eine bestimmte, in den einzelnen Tatbeständen näher beschriebene, reale Beziehung des Rechtssubjekts zu konkreten von der Rechtsgesellschaft anerkannten Werten (‚soziale Funktionseinheiten‘)“, „in der sich das Rechtssubjekt mit Billigung durch die Rechtsordnung personal entfaltet“. Die Bestimmung der „Beziehung“ erfolgt abstrakt von dem Bild her, was „gut“ ist für die freie „Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen“ in der Rechtsgesellschaft. 2. Als Konsequenz dieser personalen Rechtsgutsbeschreibung ist die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund zu erfassen. Die „Verfügungsbefugnis“ des konkreten Rechtsgutsinhabers ist dagegen kein konstitutiver Bestandteil des geschützten Rechtsguts. 3. Sodann ist auch der „hypothetische Wille“ des konkreten Berechtigten nicht das geschützte Rechtsgut. Die Relativierung des vom Rechtsgut ausgehenden „Achtungsanspruches“, bei der nicht die „wirkliche Ausübung“ der Selbstbestimmung, sondern die Wahrung der „Maßgeblichkeit der auf die Rechtsgüter Gesundheit und körperliche Integrität bezogenen Interessendefinition des Patienten“ geschützt werde,224 ist abzulehnen. Diese Konstruktion vernachlässigt den Wert des geschützten Rechtsguts der „körperlichen Unversehrtheit“. Zutreffend schildert Steffen, der Patient könne die ärztliche Aufklärung nicht nur zum „Schutz der Integrität“, sondern als „Subjekt der Behandlung“ verlangen.225 III. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich für die Würdigung der „hypothetischen Einwilligung“ einige weitere vorläufige Konsequenzen ziehen. 1. Der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“ ist unabhängig von der Einordnungsproblematik bei der Einwilligung, die als Tatbestandsausschließungs- oder Rechtfertigungsgrund erfasst wird, zu bewerten. 2. Wird das berücksichtigt, sind die aus dieser Problematik hergeleiteten konstruktiven Differenzen, nämlich der Ausschluss der objektiven Zurechnung i. w. S. „zum Tatbestand der Körperverletzung“ oder zum „Unrecht der vollendeten Körperverletzung“ bzw. zum „Körperverletzungsunrecht“, unschädlichen sprachlichen Besonderheiten geschuldet, denen keine abweichenden Sachaussagen zugrundeliegen. Die „hypothetische Einwilligung“ soll unabhängig von der Einordnung der Einwilligung „im Prinzip“ einleuchten. 3. Die Würdigung der „hypothetischen Einwilligung“, die zu einem Ausschluss von „Tatbestand“ oder „Rechtswidrigkeit“ führen soll, muss sich daher auf die Behauptung ihrer Vereinbarkeit mit anerkannten strafrechtlichen Konstruktionen konzentrieren. 224 225

Vgl. etwa Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442. Vgl. Steffen, in: Verhandlungen zum 52. DJT Bd. II I 26.

Viertes Kapitel

Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte § 1 Hinführung zur Problematik I. Die Bedeutung der Rechtsgutsbeschreibung für die „hypothetische Einwilligung“ Von ausschlaggebender Bedeutung für die Anerkennung des Rechtsgedankens der „hypothetischen Einwilligung“ soll das geschützte Rechtsgut sein. Im Mittelpunkt steht dabei das Arzt-Patienten-Verhältnis, auf das die „hypothetische Einwilligung“ im Strafrecht bisher konzentriert wird. Damit wird in der Sache die „Sinnerfassung“ ärztlichen Handelns erneut thematisiert. Trotz dieses gemeinsamen Ausgangspunktes stimmen die hieraus gezogenen Konsequenzen nicht überein: 1. Der ärztliche Heileingriff als Körperverletzung

Die strafrechtliche Praxis sieht in jeder ärztlichen Heilbehandlung eine tatbestandsmäßige Körperverletzung (§§ 223 StGB ff.). Für die rechtliche Würdigung der „hypothetischen Einwilligung“ übernimmt ein Großteil der Wissenschaft diesen Standpunkt. Dem liegt eine Beschreibung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte zugrunde, wie sie von Kuhlen offengelegt wird: Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.) sei die „körperliche Integrität“ und die „Gesundheit“ des Patienten. Allerdings werde auch dessen „Selbstbestimmung“ jedenfalls nach der Rechtsprechung zum ärztlichen Heileingriff von den Körperverletzungsdelikten geschützt.1

Diese Beschreibung erweckt den Eindruck, als ob neben der „körperlichen Integrität“ und der „Gesundheit“ auch die „Selbstbestimmung“ des Berechtigten zum geschützten Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte gehört. 1

Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442.

§ 1 Hinführung zur Problematik

141

Die Anerkennung des Rechtsgedankens der „hypothetischen Einwilligung“ soll entscheidend von dieser Rechtsgutsbeschreibung abhängen:2 Der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“ sei nämlich unerheblich, wenn der Schutz des Rechtsguts im „Schwerpunkt stärker oder gar ausschließlich“ auf dem Schutz der „freien Selbstbestimmung des Patienten“ liege. An der tatsächlichen Verletzung des „Selbstbestimmungsrechts“ durch unzureichende Aufklärung oder gar Täuschung ändere dieser hypothetische Umstand nichts. Anders sei dagegen zu entscheiden, wenn das Schutzgut der Körperverletzungsdelikte „primär“ die „Körperintegrität“ sei, wobei die „gutsbezogene Dispositionsfreiheit“ mitgeschützt werde.3 Die Entwicklung, wonach in der Lehre die „Sinnerfassung“ des ärztlichen Handelns als tatbestandliche Körperverletzung – auch bei der „hypothetischen Einwilligung“ – ohne eine diesbezügliche kritische Auseinandersetzung zugrundegelegt wird, lässt sich aber nicht als kontinuierliche Fortsetzung einer von Lilie ausgemachten Trendwende verstehen, wonach sich in jüngerer Zeit die Stimmen gemehrt haben sollen, die fast einhellig zur Stärkung der Patientenrechte dem Konzept der Rechtsprechung gefolgt seien.4 Arzt sieht in der „hypothetischen Einwilligung“ „im Grunde“ vielmehr nur eine Wiederholung des Arguments, der oktroyierte Heileingriff sei keine Körperverletzung.5 Die „hypothetische Einwilligung“ berührt daher erneut die Problematik der „Sinnerfassung“ ärztlichen Handelns. Die Entscheidung über die Wertung, dass jede (eigenmächtige) ärztliche Heilbehandlung als tatbestandsmäßige Körperverletzung zu erfassen sei, ist im Wesentlichen aus dem geschützten Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte zu begründen. Im Kern wird geltend gemacht, dass die Fälle von ärztlicher Eigenmacht, um deren Erfassung es der Rechtsprechung de lege lata gehe, nicht das Rechtsgut der Körperverletzungs-, sondern der – nur in ganz wenigen krassen Ausnahmefällen de lege lata einschlägigen – Freiheitsdelikte beeinträchtigen. Die konsequente Fortführung dieser Überlegung führt wenigstens zu einer starken Zurückdrängung der „hypothetischen Einwilligung“ im Arzt-Patienten-Verhältnis. An der tatsächlichen Verletzung des „Selbstbestimmungsrechts“ durch unzureichende Aufklärung oder gar Täuschung ändere die „hypothetische Einwilligung“ nämlich nichts.6 2 Vgl. auch Bosch, JA 2008 71; Jäger, in: FS für Jung 449 f.; Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 443; Rönnau, Willensmängel 429; ders., JZ 2004 802. 3 Vgl. Rönnau, JZ 2004 802. Vgl. zu dem Rechtsgutsmodell Rönnaus 3. Kap. § 2 D. II. 4 Vgl. Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 3. 5 Vgl. Arzt, in: Arzt und Recht 57. 6 Vgl. Rönnau, JZ 2004 802.

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4. Kap.: Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte 2. Der ärztliche Heileingriff als Verletzung der Selbstbestimmung

In eine andere Richtung zeigen dagegen die Ansichten, bei denen die Statthaftigkeit des Rechtsgedankens der „hypothetischen Einwilligung“ gerade davon abhängen soll, dass beim ärztlichen Heileingriff nicht der „Körper“ des Patienten, sondern dessen „Selbstbestimmungsrecht“ verletzt sei. Erst die Subsumtion des „eigenmächtigen, kunstgemäßen, aber zum gesundheitsverschlechternden Misserfolg führenden Heileingriffs“ als tatbestandsmäßige Körperverletzung habe zu einer starken Zurückdrängung der „hypothetischen Einwilligung“ führen müssen. Die sachliche Prüfung seiner Zulässigkeit werde „kaum noch“ zugelassen, wenn man dem Arzt eine Körperverletzung und damit ein positives Tun vorwerfe: Die Frage müsse nämlich stets verneint werden, ob der Schaden oder der Misserfolg der ärztliche Maßnahme auch ohne die Heilbehandlung eingetreten wäre. Würde man dem eigenmächtig handelnden Arzt dagegen eine rechtswidrige Verletzung des „Selbstbestimmungsrechts“ zur Last legen, so könne die Antwort auf die Frage, ob die Heilbehandlung ohne die Beeinträchtigung des „Selbstbestimmungsrechts“ unterblieben wäre, von Fall zu Fall durchaus unterschiedlich beantwortet werden.7 II. Prüfungsgegenstand Mit der „hypothetischen Einwilligung“ ist daher erneut die „Sinnerfassung“ ärztlichen Handelns zu erörtern. Die Anerkennung des Rechtsgedankens der „hypothetischen Einwilligung“ soll entscheidend darauf beruhen, ob die ärztliche Heilbehandlung rechtlich als „Körperverletzung“ oder als Beeinträchtigung der „Selbstbestimmung“ zu erfassen ist. Die Entscheidung in dieser Frage beruht auf der sachlichen Reichweite des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.). Zu würdigen ist dabei insbesondere auch die bei der „hypothetischen Einwilligung“ zugrundegelegte Beschreibung des geschützten Rechtsguts, wonach die Körperverletzungsdelikte die „körperliche Integrität“ und die „Gesundheit“ des Berechtigten, aber auch dessen „Selbstbestimmung“ schützen sollen.8

7 8

Vgl. Kleinewerfers/Wilts, in: Juristische Problematik der Medizin Bd. III 54. Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442.

§ 2 Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte

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§ 2 Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte Bei der Bestimmung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte ist von der bereits herausgearbeiteten abstrakten Begriffsbestimmung des Rechtsguts auszugehen. Das Rechtsgut ist „eine bestimmte, in den einzelnen Tatbeständen näher beschriebene, reale Beziehung des Rechtssubjekts zu konkreten von der Rechtsgesellschaft anerkannten Werten (‚soziale Funktionseinheiten‘)“, „in der sich das Rechtssubjekt mit Billigung durch die Rechtsordnung personal entfaltet“.9 Das Rechtsgut meint einen abstrakten Sachverhalt, nicht aber ein bestimmtes konkretes Objekt,10 an dem sich die einschlägige Handlung vollzieht. Daher ist der „menschliche Körper“,11 die „Leiblichkeit“12 oder der „Körperzustand“13 des konkreten Menschen nicht das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte, denn es ist strikt zwischen „Werteinbuße und Objektsverletzung“ zu trennen.14 Daraus folgt aber, dass eine Definition der Körperverletzung als „Körperinteressenverletzung“ unzutreffend ist.15 Denn das „Körperinteresse“ ist nicht das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungstatbestände. Der Begriff der Interessen ist „ungeheuer vieldeutig“. Interessen sind zudem auf vielfältigste Weise verletzbar.16 Unzutreffend sind „materielle“ Rechtsgutsbeschreibungen, bei denen allein der „menschliche Körper“,17 der „Körperzustand“,18 der „Körper in seiner Unversehrtheit“19 bzw. die „körperliche Unversehrtheit des Men9 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 32; ders., Struktur 33; ders., in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 8; ders., in: FS für Geerds 610. 10 Vgl. anders Roxin, in: FS für Amelung 273. 11 Vgl. Lorz, Schönheitsoperation 153; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 14; Schroeder, in: FS für Hirsch 736. 12 Vgl. Nagler/Schaefer, in: LK 7. Aufl. Vor § 223 StGB Anm. II 1; Sauer, Strafrecht BT § 24 1 278. 13 Vgl. Hirsch, in: LK 10. Aufl. Vor § 223 StGB Rdn. 1; ders., ZStW 83 (1971) 149 Fn. 23; Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 1. 14 Vgl. kritisch zu einzelnen Begriffen, die dem Angriffsobjekt zu nah seien, Kargl, GA 2001 451. 15 Vgl. Engisch, ZStW 58 (1938) 5. Vgl. auch Kargl, GA 2001 451 f. 16 Vgl. 3. Kap. § 2 B. 17 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 14; Schroeder, in: FS für Hirsch 736. 18 Vgl. Hirsch, ZStW 83 (1971) 141. 19 Vgl. Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 1.

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4. Kap.: Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte

schen“,20 die „körperliche Integrität“21 oder das „körperliche Wohl“22 als „materielles Substrat“ geschützt werden,23 nicht aber die „Beziehung“ des Individuums zu seinen Gütern.24 Die „Beziehungsstruktur“ als geschütztes Rechtsgut kommt am ehesten in Umschreibungen wie der „Körper in seiner Unversehrtheit“, der „körperlichen Unversehrtheit des Menschen“ oder der „körperlichen Integrität“ zum Ausdruck.25 Dagegen gehen Beschreibungen des Rechtsguts wie der „menschliche Körper“,26 vor allem aber der „Körperzustand“ an einem abstrakt zu verstehenden personalen Rechtsgutsverständnis vorüber. Hinter der personalen Rechtsgutslehre steht die Überzeugung, dem Berechtigten eine umfassend verstandene freie Entfaltung in seiner „körperlichen Unversehrtheit“ zu gewährleisten. Darüberhinaus schützt das hier zugrundegelegte personale Rechtsgutsverständnis der Körperverletzungsdelikte den Patienten als „Subjekt der Behandlung“ (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG). Bei einem ärztlichen Heileingriff kann danach die „körperliche Unversehrtheit“ auch dann rechtspflichtwidrig beeinträchtigt werden, wenn es zwar insgesamt zu einer objektiven Verbesserung des „Körperzustandes“ gekommen, aber eigenmächtig ohne den Willen des Patienten gehandelt worden ist. Das subjektivierte Rechtsgut wird von vornherein umfassender verstanden als bei einer „Objekts-Auffassung“. Es schützt die „Willensbeziehung“ des Individuums zum materiellen Gut in der Weite der Rechtsgutsdefinition als „Beziehungsstruktur“ von vornherein mit, ohne allerdings den Willen des Individuums selbst zu einem eigenständig geschützten Rechtsgut zu erheben (Art. 103 Abs. 2 GG). Der Wille des Individuums aktualisiert sich in seiner Einwilligung in die Verletzung des Handlungsobjekts.27

20

Vgl. Bosch, JA 2008 71; Otto, Grundkurs BT § 14 Rdn. 1; Jäger, in: FS für Jung 349; Lackner/Kühl, § 223 StGB Rdn. 1: „körperliche Unversehrtheit“; Rengier, ZStW 111 (1999) 2; Rönnau, JZ 2004 801. 21 Vgl. Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 1; Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442; Rönnau, Willensmängel 429; ders. JZ 2004 802. 22 Vgl. Bockelmann, Strafrecht des Arztes 66; Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 1. 23 Mitunter bringen die Begrifflichkeiten den strafrechtlichen Schutzauftrag der Körperverletzungsdelikte hinsichtlich einzelner medizinischer Maßnahmen nicht immer genügend zum Ausdruck. Sie sind ergänzungsbedürftig, vgl. eingehend Schroeder, in: FS für Hirsch 734 ff.; vgl. auch Kargl, GA 2001 450 ff.; Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 4. 24 Vgl. Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 1. 25 Vgl. zutreffend Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 4. Vgl. auch Schroth, in: FS für Volk 720. Kritisch zur „körperlichen Integrität“ als geschütztes Rechtsgut Kargl, GA 2001 551. 26 Vgl. Roxin, in: FS für Amelung 273, der mit seiner Rechtsgutsbeschreibung zu nah am konkreten Handlungsobjekt ist.

§ 3 Die rechtliche Würdigung des ärztlichen Heileingriffs

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§ 3 Die rechtliche Würdigung des ärztlichen Heileingriffs A. Der Begriff der ärztlichen Heilbehandlung Unter der „ärztlichen Heilbehandlung“ soll im Anschluss an Göbbels jede zur Abwendung oder Bekämpfung eines regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustandes bedingte Behandlungsmaßnahme verstanden werden, die, nach Erkenntnis und Übung der medizinischen Wissenschaft und Praxis, auf Grund individueller und/oder überindividuell im Interesse der Gesellschaft ausgerichteter medizinischer Indikation, im zielstrebigen Vorgehen von außen in die Integrität des menschlichen Körpers bzw. den Ablauf seines biologischen Geschehens für Zeit und Dauer erhebliche und/ oder nachhaltig einzugreifen geeignet sei.28 In abgekürzter Form kann der ärztliche Heileingriff mit dem nicht klar definierten „Heilzweck“,29 der „medizinische Indikation“ sowie der „Kunstgerechtigkeit“ der Ausführung umschrieben werden. Umstritten ist, ob rein prophylaktische Eingriffe, etwa Impfungen usw. zu Heilzwecken erfolgen.30 Hingegen sollen Maßnahmen zu „rein“31 oder „überwiegend“32 experimentellen Zwecken („Humanexperimente“), fremdnützige Eingriffe im Interesse eines Dritten, etwa die Blutentnahme oder rein kosmetische Operationen33 keine ärztlichen Heilbehandlungen sein. Diese Maßnahmen erfüllen unstreitig den Körperverletzungstatbestand, wenn eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschritten wird.34 27 Vgl. zur Problematik der inhaltlichen Ausgestaltung des geschützten Rechtsguts 3. Kap. § 2 D. 28 Vgl. Göbbels, Duldung ärztlicher Eingriffe 10; vgl. auch Cramer, in: FS für Lenckner 761 f. 29 Vgl. Cramer, in: FS für Lenckner 762 Fn. 4, der auf die Abgrenzungsschwierigkeiten insbesondere bei der kosmetischen Operation hinweist; vgl. auch Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 34 f., 50: mit „vorbereitenden“ (Diagnose) und „nachbehandelnden“ Maßnahmen wird auch ein „Heilzweck“ verfolgt; Otto, Grundkurs BT § 15 Rdn. 12; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 25. 30 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 34. Dagegen Cramer, in: FS für Lenckner 762: vor dem Hintergrund der von ihm herangezogenen Definition des ärztlichen Heileingriffs wohl inkonsequent, wenn „Abwendung“ im weiteren Sinne (auch „Vorbeugung“) verstanden wird. 31 Vgl. Cramer, in: FS für Lenckner 762. 32 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 34. 33 Vgl. etwa den Fall von BGH NStZ-RR 2007 340; vgl. eingehend zur kosmetischen Operation Lorz, Schönheitsoperation 38 ff. 34 Vgl. zum Ganzen Cramer, in: FS für Lenckner 762; vgl. auch Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 34 f.; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT Bd. 1 § 8 Rdn. 29 f.; Otto, Grundkurs BT § 15 Rdn. 12.

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4. Kap.: Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte

B. Meinungsübersicht über die rechtliche Bewertung des ärztlichen Heileingriffs I. Die „Konzepte“ der Rechtsprechung Das Reichsgericht hat seit seiner grundlegenden Entscheidung vom 31. Mai 1894 (RGSt 25 375) jeden ärztlichen Heileingriff als tatbestandsmäßige Körperverletzung (§§ 223 ff. StGB) erfasst.35 Der Bundesgerichtshof setzt diese Auffassung fort. Er versteht den ärztlichen Heileingriff unter Berufung auf eine etwaige „körperliche Misshandlung“ im weitesten und allgemeinsten Sinne als alle unmittelbar und physisch dem körperlichen Organismus zugefügte Verletzungen – Schnitt mit dem Skalpell, Injektion einer Spritze, Beschuss mit Strahlen, Behandlung mit Elektroschock usw. – unabhängig von einem möglicherweise eintretenden „Heilungserfolg“36 als Körperverletzung.37 Zu ihrer Rechtfertigung bedürfen die Ärzte regelmäßig der Einwilligung des vollständig aufgeklärten Patienten, ersatzweise einer „mutmaßlichen Einwilligung“ oder eines anderen anerkannten Rechtfertigungsgrundes.38 Die Rechtsprechung leidet das Einwilligungserfordernis dabei nicht mehr aus diesem „formellen Rechtswidrigkeitskonzept“, sondern aus dem „materiellen Selbstbestimmungskonzept“ her: Der Patient sei „Subjekt der Behandlung“ (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG).39 Das Schrifttum folgt diesem Standpunkt der Recht35 Vgl. aus dem Strafrecht RGSt 25 375, 378; 38, 34; 74, 91; RG DR 1943 579 Nr. 11; aus dem Zivilrecht RGZ 68, 431; 78 432; 151 349; 163 129; 168 206. Vgl. eingehend Noack, Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht des Patienten 38 ff., der auch auf eine Entscheidung des OLG Dresden aus dem Jahre 1897 aufmerksam macht, in der in einer gegen den Wunsch der Patientin durchgeführten Operationserweiterung, bei der es zur Entfernung der Eileiter und der Eierstöcke kam, eine zum Honorarausschluss führende rechtswidrige Körperverletzung gesehen wurde. 36 Vgl. Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 3. Das Gegenstück zum „Heilungserfolg“ oder „Heilbehandlungserfolg“ ist der auf der Einzelbetrachtung aufbauende „Eingriffserfolg“ in den Körper des Patienten, vgl. zu dieser einleuchtenden Terminologie Gropp, in: FS für Schroeder 203 f. 37 Vgl. aus dem Strafrecht BGHSt 11, 111 (Myomfall); 12 379; 16 309; 45 219; BGH JZ 1964 231; NJW 1966 1871; BGH BGHR § 223 StGB Heileingriff 2 („O-Bein“-Fall); BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69 („Surgibone“-Dübelfall); NStZ-RR 2004 16 = JR 2004 251 (Bandscheibenfall); NStZ 2004 442 = JR 2004 469 (Bohrerfall); NStZ-RR 2007 340 (Liposuktionsfall); StV 2008 464 (Turboentzugsfall) aus dem Zivilrecht BGH NJW 1956 1106, (Erstes Elektroschockurteil); BGHZ 29 46 (Zweites Elektroschockurteil); 29 176 (Strahlenfall); vgl. dazu auch Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 3; Paeffgen, in: NK Vor § 228 StGB Rdn. 53 ff. 38 Vgl. Cramer, in: FS für Lenckner 762; Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 3; Paeffgen, in: NK § 228 StGB Rdn. 53. 39 Vgl. eingehend 11. Kap. § 1 B. III.

§ 3 Die rechtliche Würdigung des ärztlichen Heileingriffs

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sprechung zunehmend,40 in der dogmatischen Begründung jedoch mit meist abweichenden Konstruktionen.41 II. Die verschiedenen Konzepte der Rechtslehre42 1. Die subjektiven Kompensationsmodelle

Ein Teil der Lehre behandelt die Einwilligung des Berechtigten in einen ärztlichen Heileingriff anders als die Rechtsprechung als Tatbestandsausschließungsgrund: a) Schröder rechnete den Willen des Berechtigten zur lex artis,43 denn ohne Mandat handele der Arzt vielleicht nach einer lex artis im rein technisch-medizinischen Sinne, aber nicht als der „gewissenhaft Arzt, den sich die Allgemeinheit als Typus“ vorstelle.44 Seine Behandlung entbehre ohne Einwilligung eines Zulässigkeitselementes und sei damit Körperverletzung, wenn deren Tatbestand erfüllt sei.45 40 Vgl. Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 3, der eine Trendwende erkannt haben will, wonach sich in jüngster Zeit die Stimmen wieder gemehrt haben, die fast einhellig um dem Aspekt der Stärkung der Patientenrechte dem Konzept der Rechtsprechung gefolgt seien. 41 Vgl. aus der Literatur etwa Arzt, in: FS für Baumann 209; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 6 Rdn. 99 f.; Bauer, Ärztlicher Heileingriff 41 ff., 89 ff.; Baumann, NJW 1958 2093; Bosch, JA 2008 71; Bussmann, Ärztlicher Heileingriff 35 ff.; Cramer, in: FS für Lenckner 776; Jakobs, Strafrecht AT 14. Abschn. Rdn. 6 Fn. 9; Krey/Heinrich, Strafrecht BT Bd. 1 § 3 Rdn. 219 ff.; Küpper, Strafrecht BT Bd. 1 § 2 Rdn. 43; Paeffgen, in: NK § 228 StGB Rdn. 53 ff.; Rengier, Strafrecht BT Bd. II § 13 Rdn. 17; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 24; Schreiber, in: 50 Jahre BGH FG 506; Sickor, JA 2008 12. 42 Die verschiedenen Modelle in der Rechtslehre, mit denen der eigenmächtige ärztliche Heileingriff aus dem Tatbestand der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 ff. StGB) herausgenommen werden soll, lassen sich in die „subjektiven“ und die „objektiven Kompensationsmodelle“ unterscheiden, vgl. den Systematisierungsvorschlag von Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 39 ff. Es soll entweder vom Willen des Berechtigten oder von einem objektiven Sachverhalt abhängen, ob der Arzt den Tatbestand der Körperverletzung verwirklicht. 43 Die Lösung, die mit der Einwilligung des Berechtigten in den ärztlichen Heileingriff den Deliktstatbestand der Körperverletzung verneint, lässt sich auf Schröder, NJW 1961 953 zurückführen. Damit begegnet die modernere Lehre der auf Geerds Einwilligung und Einverständnis 1953; ders., GA 1954 263 ff. zurückgehenden Dichotomie von der „Einwilligung“ als Rechtfertigungs- und dem „Einverständnis“ als Tatbestandsausschließungsgrund. 44 Diese Vorstellung kommt auch in BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70 („Surgibone“-Dübelfall) zum Ausdruck, denn es sei heute im Grundsatz auch in der Ärzteschaft unumstritten, dass ärztliche Heileingriffe grundsätzlich der Einwilligung bedürfen.

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4. Kap.: Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte

b) Daneben sind es die „subjektivistischen Tendenzen“ im Rechtsgutsbegriff, die in der Zustimmung des Berechtigten einen konstitutiven Bestandteil des geschützten Rechtsguts sehen. Die Einwilligung des Patienten schließe eine Verletzung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ aus.46 Das Erfordernis der Einwilligung steht bei Roxin47 und Tag48 allerdings neben der im rein technisch-medizinischen Sinne zu verstehenden lex artis. c) Bei der Frage, ob die Einwilligung tatbestandsausschließend oder rechtfertigend wirke, sieht Jäger eine unzulässige Verkürzung der Problematik darin, wenn sie vor allem aus der Definition des geschützten Rechtsguts erklärt werde. Nach dem heutigen Stand der Lehre genüge es nämlich nicht, dass ein Rechtsgut – gleichgültig wie man es definiere49 – verletzt werde, sondern vielmehr sei zusätzlich erforderlich, dass diese Rechtsgutsverletzung dem Täter zurechenbar sei.50 Der Ausschluss des Tatbestandes beruhe auf dem Gedanken der „fehlenden rechtlichen Verantwortlichkeit“ des Täters für den konkreten Erfolg, sodass man nicht von seiner Tatbestandsverwirklichung sprechen könne.51 Bei der Einwilligung sei eine Zuordnung in den Bereich der objektiven Zurechnung unumgänglich. Hier müsse ein umgekehrter „Erst-Recht-Schluss“ gelten: Wenn schon die einverständliche Fremdgefährdung die Zurechnung zum Erfolg auszuschließen vermöge, dann müsse dies für die einverständliche Fremdverletzung erst recht gelten. Der Tatbestandsausschluss ergebe sich aus dem Gedanken, dass sich das Opfer selbst frei in den Wirkungskreis der Rechtsgutsbeeinträchtigung begebe und ihm daher die Verantwortung für die bei ihm eintretende Schädigung zuzuschreiben sei.52 d) Für den ärztlichen Heileingriff hat Horn eine Sonderauffassung entwickelt, die Wolters fortführt.53 Nach der „zweispurigen Lösung“54 schütze 45 Vgl. Schröder, NJW 1961 953; vgl. auch Krauß, in: FS für Bockelmann 572: Eine Behandlung ohne Rücksicht auf die Entscheidung des Patienten sei nicht lege artis. 46 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 12 ff. 47 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 12 ff. 48 Vgl. Tag, Körperverletzungstatbestand 179. 49 Vgl. zu den möglichen Definitionen 3. Kap. § 2 D. 50 Vgl. Jäger, Zurechnung 22. 51 Vgl. Jäger, Zurechnung 19; ähnlich auch Kindhäuser, Strafrecht AT § 12 Rdn. 4: „Übernahme der Verantwortung für einen Eingriff in eigene Güter“; ders., in: FS für Rudolphi 140 ff. 52 Vgl. Jäger, Zurechnung 19 ff., 22 f. 53 Vgl. aber auch schon Hirsch, ZStW 74 (1962) 102 ff., der diesen Standpunkt aufgegeben hat. 54 Vgl. Horn/Wolters, in: SK § 223 StGB Rdn. 35 ff. Im Gegensatz dazu sind die Lösungen, welche auf einem personalen Rechtsgutsmodell aufbauen, als „einspurig“ zu bezeichnen, vgl. M.-K. Meyer, GA 1998 416: Vgl. dazu auch Eser, ZStW 97

§ 3 Die rechtliche Würdigung des ärztlichen Heileingriffs

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der Tatbestand der Körperverletzung streng voneinander getrennt das „körperbezogene Selbstbestimmungsrecht“ und die „Gesundheit“. Einmal gehe es um den Schutz vor eigenmächtigen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit55 und ein anderes Mal um den Schutz der „Gesundheit“.56 Diese Lösung steht der Rechtsprechung nahe, doch wird die Einwilligung des Berechtigten als Tatbestandsausschließungsgrund behandelt. 2. Die objektiven Kompensationsmodelle

a) Die „objektiven Kompensationsmodelle“ haben die Auseinandersetzung um die Sinnerfassung ärztlichen Handelns weitaus länger beherrscht. aa) Nach der (objektiven) Erfolgstheorie57 soll der objektive, aus der Sicht „ex post“ zu bestimmende medizinische Erfolg der ärztlichen Heilmaßnahme („Heilungserfolg“) das ausschlaggebende Kriterium zur sachgerechten Erfassung der ärztlichen Heilbehandlung sein. Es könne seiner sozialen Sinnhaftigkeit nach keine „Gesundheitsschädigung“ und auch keine „körperliche Misshandlung“ sein, wenn der Heileingriff den Körperzustand nicht gemindert, sondern im Gegenteil verbessert oder wenigstens bewahrt habe. Für die Verletzung des Rechtsguts komme es nicht auf den Einzelakt, sondern auf das Gesamtergebnis („Gesamtbetrachtung“)58 der ärztlichen (1985) 3 f.; ders., in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 1; vgl. auch Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 1. 55 Die unmittelbare und physische Einwirkung auf den Organismus ohne wirksame tatsächliche oder mutmaßliche Einwilligung erfülle den objektiven Tatbestand der [körperlichen] Misshandlung. Die Zustimmung schließe damit bereits den Tatbestand aus, vgl. Horn/Wolters, in: SK § 223 StGB Rdn. 36. 56 Unter dem Aspekt der Gesundheitsschädigung sei der objektiv ex ante medizinisch indizierte und lege artis durchgeführte Eingriff dagegen objektiv nicht tatbestandsmäßig. Für die Gesundheitsschädigung komme es allein auf das Kriterium der Verschlechterung des gesundheitlichen Gesamtzustandes an, vgl. Horn/Wolters, in: SK § 223 StGB Rdn. 42. 57 Vgl. aus dem umfangreichen älteren Schrifttum etwa Behr, GerS 62 (1903) 403; Beling, ZStW 44 (1923) 228 ff.; Frank, Strafgesetzbuch 478; Kohlrausch, ZStW 52 (1932) 386 f.; Mezger, Strafrecht 2. Abschn. II 1 243 f.; Stoofs, DJZ 1902 566 f.; aus dem jüngeren Schrifttum Bockelmann, Strafrecht des Arztes 66 ff.; Hirsch, in: LK 10. Aufl. Vor § 223 StGB Rdn. 3; ders., in: GS für Zipf 355; Hardwig, GA 1965 162 f.; Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 3; Maurach/Schroeder/ Maiwald, Strafrecht BT Bd. 1 § 8 Rdn. 29; Otto, Grundkurs BT § 15 Rdn. 11; Rönnau, Willensmängel 104, 106; Rudolphi, JR 1975 512 f. Weitere Nachweise finden sich bei Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 42 und Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 3 Fn. 16. 58 Über den tatbestandlichen „Eingriffserfolg“ soll eine „Gesamtbetrachtung“ (Saldotheorie) hinweghelfen, in der der Gesundheitszustand im Augenblick des ärztlichen Eingriffs im Tatzeitpunkt mit dem Gesundheitszustand nach Abschluss der Heiltätigkeit verglichen werde, vgl. Horn/Wolters, in: SK § 223 StGB Rdn. 42.

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4. Kap.: Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte

Maßnahme an.59 Die erfolglos gebliebene Heilbehandlung sei hingegen objektiv tatbestandsmäßige Körperverletzung,60 die durch eine das Erfolgsrisiko deckende Einwilligung des Patienten allerdings legitimiert sein könne.61 bb) Die von Eser entwickelte modifizierte Erfolgstheorie führt zu einer Relativierung der Erfolgstheorie.62 b) Nicht auf den „Heilerfolg“, sondern auf die Handlung des Arztes stellt die Zwecktheorie ab. Heileingriffe, die von einer Tendenz zur Erhaltung, Sicherung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit getragen werden und hinsichtlich ihrer Durchführung vor der lex artis zu bestehen vermögen, seien unabhängig von ihrem Ge- bzw. Misslingen keine tatbestandsmäßige Körperverletzung.63 Hierbei ist umstritten, ob der Zweck Selbst bei einer Gesundheitsverschlechterung sei nicht zwingend eine Körperverletzung gegeben. Doch soll die Saldierungsfrage dann „richtig“ gestellt werden müssen, wenn der Patient im Augenblick des Eingriffs bereits auf dem Wege gesundheitlicher Verschlechterung sei: Dann sei der Zustand des Patienten nach dem Eingriff mit dem hypothetischen Zustand zu vergleichen, in dem sich der Patient befände, wenn nicht auf ihn eingewirkt worden wäre, vgl. Horn/Wolters, in: SK § 223 StGB Rdn. 42, die zu Recht auf die Konsequenz aufmerksam machen, dass ein negativer Saldo auch dann verneint werden müsse, wenn es dem Patienten nach dem Eingriff noch schlechter gehe, weil es ihm ohne den Eingriff hypothetisch eben noch schlechter ergangen wäre. Zudem seien „begründete (günstige oder ungünstige) Expektanzen“ des Patienten von Bedeutung, vgl. Horn/Wolters, in: SK § 223 StGB Rdn. 42. 59 Vgl. Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT Bd. 1 § 8 Rdn. 29; Otto, Grundkurs BT § 15 Rdn. 11. 60 Zu den Konsequenzen des misslingenden Eingriffs eingehend Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 5; vgl. auch Eser, in: Schönke/Schröder Vor § 223 StGB Rdn. 36; Schwalm, in: FS für Bockelmann 544. 61 Vgl. Frank, Strafgesetzbuch Vor § 223 StGB Rdn. 3; vgl. auch Eser, in: Schröder/Schönke § 223 StGB Rdn. 30; Hardwig, GA 1956 164; Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 5; vgl. weiter Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 43 mwN. 62 Die gelingende Heilmaßnahme, die „ohne wesentlichen Substanzverlust“ auskomme, sei keine Körperverletzung (Erfolgstheorie). Ein solcher Eingriff hänge nicht von der Zustimmung des Patienten oder der im Wesentlichen beachteten lex artis ab. Bei einer groben Verletzung der Regeln ärztlicher Kunst könne ein „körperliche Misshandlung“ vorliegen, vgl. Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 32. Bei einem Eingriff mit wesentlichen Substanz- oder Funktionsverlusten oder ähnlichen gravierenden Persönlichkeitsveränderungen könne der Erfolgsunwert allenfalls dann verneint werden, wenn der Eingriff insgesamt zu einer Gesundheitsverbesserung führe und dem Selbstbestimmungsrecht durch ein tatbestandsausschließendes Einverständnis Rechnung getragen sei. Bei gesundheitsverschlechternden Maßnahmen lasse sich nicht der Erfolgsunwert bestreiten. Bei einverständlicher und kunstgerechter Durchführung und entsprechendem Heilwillen des Arztes könne aber der Handlungsunwert entfallen, vgl. Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 33.

§ 3 Die rechtliche Würdigung des ärztlichen Heileingriffs

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der Erhaltung, Sicherung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit subjektiv, vom Willen des jeweiligen Arztes her64 oder objektiv zu bestimmen sei.65 aa) In der subjektiven Zweckrichtung des Handelnden, seiner „Absicht zur Heilung“, die neben den Vorsatz treten soll, hat die Intentionstheorie den Grund für das Fehlen des subjektiven Tatbestandes der Körperverletzung gesehen.66 bb) Repräsentativ67 für die objektivierte Zwecktheorie sind die Ausführungen Grünwalds. Von einer „Gesundheitsschädigung“ könne bei einer Heilbehandlung keine Rede sein. Auch das Merkmal der „körperlichen Misshandlung“ erfasse nach seinem Wortsinn die Heilbehandlung offensichtlich nicht.68 Misslinge die angezeigte und kunstgerecht durchgeführte Behandlung, so sei die Behandlung „ex post“ betrachtet nicht nützlich, sondern schädlich gewesen. Aber der Arzt habe die Sorgfalt, die ihm gegenüber dem körperlichen Wohl des Patienten obliege, „ex ante“ nicht verletzt. Die medizinische Indikation der Behandlung habe doch die Bedeutung, dass es medizinisch richtig gewesen sei, um der Aussicht auf Heilung willen das Risiko auch eines Misslingens in Kauf zu nehmen. Habe der Arzt aber im Hinblick auf das körperliche Wohl des Patienten sachgemäß gehandelt, so könne ihm der negative Ausgang nicht deshalb zugerechnet werden, weil er ein anderes Recht des Patienten, das Selbstbestimmungsrecht, missachtet habe.69 Beim gelingenden Heileingriff sei der Tatbestand der Körperverletzung gar nicht, beim misslingenden zwar der objektive, nicht aber der 63

Vgl. Eb. Schmidt, Arzt im Strafrecht 69 f.; Gallas, ZStW 67 (1955) 21 f.; Niese, in: FS für Eb. Schmidt 367; vgl. auch Engisch, ZStW 58 (1939) 5. 64 Vgl. auch den § 229 Abs. 1 StGB des Referentenentwurfes 1996 („um . . . zu“) abgedruckt etwa bei M.-K. Meyer, GA 1998 421. 65 Vgl. Eb. Schmidt, Arzt im Strafrecht 70. 66 Vgl. Finger, Strafrecht § 25 3 C a 474 f.; Hamm, DJZ 1907 450; vgl. weitere Nachweise bei Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 44 f. Hierin unterscheidet sich die subjektive Vorstellung des Arztes von derjenigen bei der Erfolgstheorie, bei der der Wille auf den im objektiven Deliktstatbestand beschriebenen Heilungserfolg gerichtet sein soll. 67 Vgl. Behr, GerS 62 (1903) 410 ff.; Blei, Strafrecht BT § 14 58 ff.; Engisch, ZStW 58 (1939) 5, 9; Hartmann, Heilbehandlung 240; Heghmanns, Strafrecht 9. Kap. Rdn. 387; Katzenmeier, Arzthaftung 116; Kitzinger, GerS 55 (1896) 88; M.-K. Meyer, GA 1998 419; Schaffstein, ZStW 72 (1960) 378; Schmidhäuser, Strafrecht AT 8. Abschn. Rdn. 121; Eb. Schmidt, Gutachten zum 44. DJT Bd. I Anm. 188 ff.; Tröndle, MDR 1983 881 ff.; Welzel, Lehrbuch § 39 I 3 a 289; Zipf, in: FS für Bockelmann 582. Vgl. weitere Nachweise bei Riedelmeier, Ärztliche Heileingriff 40. 68 Vgl. Grünwald, in: Arzt und Recht 138. 69 Vgl. Grünwald, in: Arzt und Recht 138 f.

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4. Kap.: Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte

subjektive Tatbestand verwirklicht. Es fehle am Handlungsunwert der Körperverletzung.70 Der Eingriffserfolg der ärztlichen Behandlung werde durch eine Gesamtsaldierung „ex ante“ aufgewogen, indem bei Einhaltung der medizinischen Indikation und der lex artis71 die Eingriffsrisiken durch die mit dem Eingriff verbundenen Heilungschancen kompensiert werden sollen.72 Engischs Variante der Zwecktheorie nimmt den Begriff der „Körperverletzung“ nicht äußerlich, vielmehr bedeute er „Körperinteressenverletzung“, also Verletzung des Interesses am Wohlergehen oder subjektiven Wohlbefinden oder am Wohlaussehen.73 Wenn eine Handlung geeignet und von dem Willen getragen sei, die dem Rechtsgutsobjekt drohenden Gefahren ausschließlich74 zu verringern,75 so fehle es M.-K. Meyer zufolge an einem rechtsgutsverletzenden Willensverhalten.76 Die Tatbestandslosigkeit wird auf das Ergebnis einer Gesamt70 Vgl. auch Heghmanns, Strafrecht 9. Kap. Rdn. 387; Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 40. 71 Die „lex artis“ (i. e. S.) wird nach der Zwecktheorie allein im Sinne medizinisch kunstgerechten Handelns verstanden. Der zustimmende Wille des Berechtigten ist hierfür bedeutungslos (lex artis (i. w. S.)). 72 Vgl. auch Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 41. 73 Eine Behandlung des Körpers eines Menschen, die überwiegend dessen Interessen (mit Einschluss des Lebensinteresses) wahre, könne im Ganzen nicht Körperinteressenverletzung sein, auch wenn einzelne untergeordnete Interessen in Mitleidenschaft gezogen werden, vgl. Engisch, ZStW 58 (1939) 5. Die „Interessenabwägung“ sei eine solche „ex ante“, sodass für die überwiegende Wahrung der körperlichen Interessen nicht maßgebend sei der zufällige wirkliche, sondern der zu erwartende wahrscheinliche Ausgang, vgl. Engisch, ZStW 58 (1939) 9. 74 Bei Eingriffen, die vorhandene Schmerzen nur „unwesentlich“ steigern, die zu Bestandseinbußen führen, die lediglich ohnehin funktionsunfähige Organe treffen oder zur Lebensrettung notwendig seien, sei die Einwilligung des Patienten nicht erforderlich. Anders sei in Fällen zu entscheiden, die zusätzliche, erheblich stärkere Schmerzen zufügen oder neue, erhebliche Risiken begründen. Hier könne die Rechtsgutsverletzung nicht durch die Möglichkeit eines Heilungserfolges und den Heilungswillen ausgeschlossen werden, es bedürfe der Einwilligung des Berechtigten, vgl. M.-K. Meyer, GA 1998 419 f. Zur Abschichtung der Fälle könne auf die Rechtsprechung zur Risikoaufklärung zurückgegriffen werden, ob etwa die Eingriffsrisiken oder die Schmerzzufügung für einen „verständigen Patienten“ ernsthaft ins Gewicht fallen, ob die Organe funktionsuntüchtig seien oder ob eine vitale Indikation bestehe, vgl. weiter M.-K. Meyer, GA 1998 420. 75 Damit wird die Zwecktheorie in der Lehre der objektiven Zurechnung verankert, vgl. auch Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 40. 76 In Anlehnung an M.-K. Meyer differenziert Schmidhäuser, Strafrecht AT 8. Abschn. Rdn. 121 zwischen der – tatbestandslosen – auf Lebenserhaltung gerichteten Heilbehandlung und der auf Lebenserleichterung gerichteten Heilbehandlung. Soweit diese nicht mit Gefahren für das Leben verbunden sei, liege tatbestandsloses Handeln vor. Bei gefährlichen, lebenserleichternden Eingriffen könne

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betrachtung „ex ante“ gestützt. Eine Gefahrverringerung setze in der Regel die medizinische Indikation und die Einhaltung der lex artis voraus.77

C. Die rechtliche Bewertung des ärztlichen Heileingriffs I. Die Ablehnung der „körperlichen Misshandlung“ bei einer ärztlicher Heilbehandlung wird getragen von dem auf den Wortlaut des Körperverletzungstatbestandes (§ 223 StGB) gestützten Argument, dass es grotesk wäre zu sagen, der Arzt, der die zerschlagene Lippe des Boxers wieder zusammennähe, fahre mit der Verletzung seiner körperlichen Integrität fort, mit der der Gegner begonnen habe.78 Der ärztliche Heileingriff sei gerade „keine üble, unangemessene Behandlung“ des Körpers einer anderen Person, sondern im Gegenteil „vernünftig“ und „angemessen“.79 Die Grenzen des Wortlauts (Art. 103 Abs. 2 GG) sind allerdings mit der Einbeziehung der ärztlichen Heilbehandlung in die Körperverletzungsdelikte keineswegs überschritten.80 Das bestätigt die historische Entwicklung des Begriffs der „körperlichen Misshandlung“, der gegen eine Heranziehung der Formel von der „üblen, unangemessenen Behandlung“ bei der ärztlichen Heilbehandlung spricht: Kargl hat dargelegt, dass man unter der „körperlichen Misshandlung“ anfänglich die „Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens“ verstanden hatte. Diese Beeinträchtigung des Opfers lag immer schon dann vor, wenn ihm Verletzungen der körperlichen Substanz beigebracht oder Schmerzen zugefügt wurden.81 Die Formel von der „unangemessenen, schlimmen, üblen Behandlung“ wurde dagegen entwickelt, um solche Fälle an der Grenze der Körperverletzungsdelikte zu erfassen, in denen es an der Substanzverletzung fehlte und trotzdem an der Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens nicht zu zweifeln war. Das Schwergewicht lag hier bei Angriffen auf die Menschenwürde und die Selbstbestimmung. Die Formel muss daher ihre „Lückenbüßerfunktion“ verlieren, wenn auf den Organismus eingewirkt wird, wie es bei dem Stechen mit der Nadel, dem Schneiden mit dem Skalpell, dem Schießen mit Röntdas Rechtsgut der körperlichen Integrität nur bei einer Einwilligung nicht verletzt sein. 77 Vgl. M.-K. Meyer, GA 1998 419. 78 Vgl. etwa Grünwald, in: Arzt und Recht 137; Roxin, in: FS für Amelung 275. 79 Vgl. kritisch hierzu Paeffgen, in: NK § 228 StGB Rdn. 57, der den behaupteten normativen Unterschied zwischen der ärztlichen Heilbehandlung und der kosmetischen Operation rügt; vgl. neuerdings auch Jahn, JuS 2007 1146. 80 Vgl. so aber etwa Grünwald, in: Arzt und Recht 138 differenzierend für die Gesundheitsschädigung und die „körperliche Misshandlung“ („Wortsinn“); vgl. auch Heghmanns, Strafrecht 9. Kap. Rdn. 387. 81 Vgl. Kargl, GA 2001 547.

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4. Kap.: Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte

genstrahlen, der Behandlung mit Elektroschock usw. der Fall ist.82 Über diesen „unbezweifelbaren“ phänotypischen Erfolg soll nur eine jeweils andere „Gesamtbetrachtung“ (Erfolgs-, Zwecktheorie) des Geschehens hinweghelfen. Eine „Gesundheitsschädigung“, das Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Zustands, liegt darüberhinaus auch dann vor, wenn die ärztliche Heilbehandlung nur zu einer vorübergehenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Patienten während des Heilprozesses führt, der Gesundheitszustand des Patienten sich jedoch im Ergebnis schließlich verbessert.83 Auf die Dauer des anormalen Zustandes kommt es nach der Definition der „Gesundheitsschädigung“ gerade nicht an. Die Körperverletzung ist ein Zustandsdelikt.84 II. Unergiebig ist der Gedanke, der Arzt werde als „Schädiger“ herabgewürdigt, indem man die ärztliche Heilbehandlung durch die tatbestandliche Erfassung als Körperverletzung in diskriminierender Weise auf eine Stufe mit dem „Messerstechen“ stelle: Nicht das Wunden schlagen, sondern das Wunden heilen kennzeichne aber den „sozialen Sinngehalt“ ärztlichen Handelns.85 Allein mit der Verwirklichung des Gesetzestatbestandes, die freilich auch andere ehrenwerte Berufe verwirklichen, ohne dass daran Anstoß genommen wird,86 ist noch kein sozialethisches Werturteil über das ärztliche Han82 Vgl. Kargl, GA 2001 548. Vgl. eingehend auch Bauer, Ärztlicher Heileingriff 99 ff. 83 Beispiele sind die Strahlenbehandlung und das Verabreichung von Impfstoffen. Hierdurch kann die Gesundheit des Patienten zwischenzeitlich in Mitleidenschaft gezogen werden, auch wenn im Ergebnis eine Verbesserung des Gesundheitszustands möglich ist. 84 Vgl. Paeffgen, in: NK § 228 StGB Rdn. 55; Otto, Grundkurs BT § 15 Rdn. 5. Dagegen läuft ein normatives Verständnis, dass die „Gesundheitsschädigung“ per se bei Wiederherstellung oder Verbesserung der Gesundheit unabhängig von einer zwischenzeitlich bewirkten Gesundheitsverschlechterung ablehnt, auf verschiedene inhaltliche Begriffe hinaus. Der Erfolgsunwert ist unter Aufgabe des einheitlichen Ausgangspunktes nicht zu leugnen. An dem Zustandserfordernis sollte aber schon deswegen festgehalten werden, weil sonst viele Fälle der „Gesundheitsschädigung“, die nicht im Zusammenhang mit dem ärztlichen Handeln stehen, gar nicht mehr erfasst werden könnten, weil es eine Eigenschaft des Körpers ist, sich in bestimmten Grenzen selbst zu heilen und erklärt werden müsste, wieso dieser Heilungsprozess dann nicht berücksichtigt werden sollte, während sich die Ärzte darauf berufen dürfen. 85 Vgl. etwa Bockelmann, Strafrecht des Arztes 66; verkennend auch Jäger, Zurechnung 23; Jahn, JuS 2007 1145. 86 Vgl. auch Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 6 Rdn. 96; Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 5; vgl. Paeffgen, in: NK § 228 StGB Rdn. 55: Flugzeugkapitäne, Lokomotivführer, Polizisten, Richter usw.

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deln gefällt. Hier schwingt die unzutreffende Vorstellung mit,87 dass „die Tatbestandsverwirklichung die Rechtswidrigkeit indiziert, wenn kein Rechtfertigungsgrund vorliegt“.88 Die „Indizwirkung des Tatbestandes“, mit der Welzel ursprünglich nur ganz bestimmte Fälle erfassen wollte, ist jedoch abzulehnen: Die Rechtswidrigkeit des ärztlichen Verhaltens ist positiv anhand der Gesamtrechtsordnung zu bestimmen. Ein Werturteil über den Arzt wird erst, aber immer dann gefällt, wenn er den Gesetzestatbestand in rechtswidriger Weise verwirklicht hat.89 III. Die verschiedenen Modelle, mit denen die ärztliche Heilbehandlung aus den Körperverletzungsdelikten herausgenommen werden soll, überzeugen nicht. 1. Die – mittlerweile aufgegebene – Intentionstheorie, die mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen ist,90 beruht auf dem in der Rechtsordnung auch sonst nicht anerkannten Gedanken, dass der „gute Wille“, auch nicht der des Arztes,91 strafausschließend wirkt. Zudem kann der „wohlmeinende Wille“92 nicht die kunstgerechte Ausführung der Heilbehandlung ersetzen: „Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut gemacht“.93 2. Unzutreffend ist die Rechtsgutsbeschreibung bei den „einspurigen Lösungen“, die in der Einwilligung des Berechtigten in den ärztlichen Heileingriff konstruktiv einen Tatbestandsausschließungsgrund sehen.94 87

Vgl. eingehend Otto, Grundkurs AT § 5 Rdn. 25 ff.; ders., Jura 1995 468 ff. Vgl. Katzenmeier, Arzthaftung 120; vgl. auch Jahn, JuS 2007 1145. 89 Dieser Einwand kann mit der Anerkennung eines („Gesamt“)Unrechtstatbestandes völlig entkräftet werden. Der Arzt begeht keine Körperverletzung, wenn eine rechtfertigende Einwilligung des Patienten vorliegt: Der Gesetzestatbestand ist ein vertypter Unrechtstatbestand, der nur unter der Voraussetzung vorliegt, dass im konkreten Fall auch tatsächlich Unrecht verwirklicht wird. Vgl. hierzu auch Paeffgen, in: NK § 228 StGB Rdn. 55. 90 Der Vorsatz bezieht sich auf den objektiven Deliktstatbestand (§ 16 Abs. 1 StGB) der Körperverletzungsdelikte, in dem ein derartiges besonderes „Motiv“ nicht enthalten ist. Es fehlt auch an einem darüberhinausgehenden subjektiven Erfordernis („überschießende Innentendenz des Deliktstatbestandes“), was keine Entsprechung im objektiven Tatbestand haben muss, vgl. auch Riedelmeiner, Ärztlicher Heileingriff 45. 91 Es ist dabei völlig irrelevant, ob der Wille bei einer den Heilberuf ausübenden Person vorliegt. Auch der Laie kann „gutgläubig“ handeln, vgl. Cramer, in: FS für Lenckner 767; Freund, ZStW 109 (1997) 477. 92 Das Abstellen auf den „wohlmeinenden Willen“ begünstigt zudem unwiderlegbare Einlassungen des Arztes im Prozess. 93 Vgl. Freund, ZStW 109 (1997) 477; vgl. auch Cramer, in: FS für Lenckner 767; Müller, DRiZ 1998 159, der den Heilzweck als „höchst randunscharf“ bezeichnet; Otto, Grundkurs BT § 15 Rdn. 13; Paeffgen, in: NK § 228 StGB Rdn. 54; Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 45 Fn. 150. 94 Vgl. zu dieser Problematik 3. Kap. § 2 D. I. 88

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4. Kap.: Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte

3. Die Verlagerung der Problematik, ob die Einwilligung tatbestandsausschließend oder rechtfertigend wirke, von der Rechtsgutslehre in die objektive Zurechnung, wie es Jäger befürwortet, ist nur möglich, weil es an klaren Begriffen bei der objektiven Zurechnung fehlt. Das beruht auf der Meinung, die „Verletzung“ des geschützten Rechtsguts und die objektive Zurechnung stünden nebeneinander,95 wobei die objektive Zurechnung die Konsequenzen des Kausaldogmas durch eine Reihe von „Ausnahmen“, über die allerdings keine Einigkeit besteht, abmildere. Hierdurch kommt es auch zu einer begrifflichen Überdehnung der Zuschreibung von „Verantwortung“ für einen bestimmten tatbestandlichen Erfolg. Die Problematik der objektiven Zurechnung auf der Tatbestandsebene konzentriert sich auf die „Verantwortlichkeit des Täters“ für den tatbestandlichen Erfolg, allerdings nicht in dem Sinne einer den („Gesamt-“)Unrechtstatbestand umfassenden Verantwortung für den rechtspflichtwidrig verwirklichten Erfolg,96 sondern in dem Sinne der Steuerbarkeit des Geschehens. Die Zurechenbarkeit des Erfolges setzt Steuerbarkeit voraus. Im Unrechtstatbestand wird dagegen das der Verantwortung des Täters unterliegende Geschehen auf seine Rechtspflichtwidrigkeit bewertet. Hieraus ergibt sich, dass eine tatbestandsausschließende Wirkung der Einwilligung aus der objektiven Zurechnung nicht erklärt werden kann. Von einer Steuerbarkeit des ärztlichen Heileingriffs durch einen in Narkose liegende Patienten kann nämlich keine Rede sein. Mit dem Gedanken, dass sich das Opfer selbst frei in den Wirkungskreis der Rechtsgutsbeeinträchtigung begebe und ihm daher die Verantwortung für die bei ihm eintretende Schädigung zuzuschreiben sei, werden die psychologisch verschiedenen Situationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung97 und der Einwilligung miteinander identifiziert. Begibt sich jemand eigenverantwortlich in eine Situation, in der sich Gefahren für „seine“ Rechtsgüter realisieren können, liegt darin regelmäßig keine Einwilligung in eine „Verletzung“, die er gerade vermeiden will, sondern die Problematik der Verantwortlichkeit für die Entscheidung, bestimmte Gefahren einzugehen, aus denen sich Erfolge realisieren können. Die Einwilligung 95

Vgl. Jäger, Zurechnung 22. Bei der „Verletzung des Rechtsguts geht es ab immer um die Problematik der objektiven Zurechnung der Verletzung des tatbestandlich geschützten Handlungsobjekts. Die objektive Zurechnung tritt nicht neben die (verursachte) „Rechtsgutsverletzung“. Vgl. Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 12 ff. 96 Vgl. auch Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 46 f. 97 Jäger, Zurechnung 22 nennt sie eine „einverständliche Fremdgefährdung“. Von einer „Fremdgefährdung“ im Unterschied zu einer „Eigengefährdung“ kann aber sinnvoll nur gesprochen werden, wenn der andere an der Gefahrensituation Beteiligte ein besseres Sachwissen besitzt. Vgl. zur Dialektik Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 62.

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des Patienten in den ärztlichen Heileingriff umfasst nicht auch die Einwilligung in seinen zwar möglichen, aber höchst unerwünschten Tod.98 4. Der modifizierten Erfolgstheorie ist jedenfalls Inkonsequenz entgegen zu halten. Die Zustimmung des Berechtigten als Tatbestandsausschließungsgrund99 kann nicht nur bei „wesentlichen Substanzverlusten“, sondern muss konsequenterweise bei jedem Eingriff berücksichtigt werden.100 5. Gegen die objektivierenden Kompensationsmodelle spricht im Wesentlichen die Beschreibung des geschützten Rechtsguts, die ohne einen Bezug auf das Individuum sachlich nicht überzeugt („Beziehungsstruktur“). Die Entwicklung der „Beziehungsstruktur“ im geschützten Rechtsgut Anfang der 70er Jahre hat maßgeblich zur Überwindung der „materiellen“ Rechtsgutslehren und mit ihnen der „objektiven Kompensationsmodelle“ beigetragen.101 Die „Selbstbestimmung“ des Berechtigten wird damit nicht zu einem selbstständig geschützten Rechtsgut, was in der Tat an Art. 103 Abs. 2 GG vorbeiführt. An der Umformulierung des geschützten Rechtsguts scheitert die „zweispurige Lösung“, bei der die „Selbstbestimmung“ des Berechtigten ein eigenständig geschütztes Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte sein soll.102 Diese insbesondere gegen das Konzept der Rechtsprechung eingewendeten Bedenken treffen ohnehin nicht grundsätzlich die personale Rechtsgutslehre, als vielmehr die Problematik des Schutzes der „Freiheit“ über den Schutz der „körperlichen Unversehrtheit des Menschen“ hinaus. Das berührt die Bestimmung der sachlichen Reichweite des mit der Einwilligung gemeinten „Rechtsschutzverzichts“, wenn die Einwilligung im Ausgangspunkt als Rechtfertigungsgrund erfasst wird. Die Entfaltung der ärztlichen Aufklärungspflicht nach dem „Selbstbestimmungskonzept der Rechtsprechung“ über die Grenzen der „Behandlungs-“ und „Risikoeinwilligung“ hinaus ist durchaus problematisch.103 Von einem Konsens über die Reich98

Vgl. eingehend 11. Kap. Fn. 138. Vgl. zu dieser Problematik 3. Kap. § 2 D. I. 100 Vgl. zutreffend Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 4. 101 In diesen Zeitraum fallen allerdings auch die Versuche, aufgrund eines subjektivierten Rechtsgutsverständnisses den ärztlichen Heileingriff aus dem Körperverletzungsdelikt herauszunehmen, vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I §13 Rdn. 12 ff.; vgl. auch Rönnau, JuS 2007 19. Diese Methode erklärt sich auch vor dem Hintergrund der seinerzeit herrschenden strengen Schuldtheorie (§ 17 StGB). 102 Vgl. auch Horn/Wolters, in: SK § 223 StGB Rdn. 34 f.; vgl. weiter Hirsch, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 4; ders., in: FS für Welzel 782 ff.; Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 4. Vgl. zu der ebenso abzulehnenden Auffassung von Freund/ Heubel, MedR 1995 197 f. und Schwartz, Hypothetische Einwilligung 111 ff. Verkennend Jahn, JuS 2007 1145; sehr bedenklich auch Sickor, JA 2008 12, der ähnlich wie Horn und Wolters eine „Doppelfunktion der Körperverletzungstatbestände“ anerkennt. Vgl. hierzu eingehend § 4 A. 103 Vgl. eingehend 11. Kap. § 2. 99

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4. Kap.: Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte

weite des mit dem „Rechtsschutzverzicht“ gemeinten Sachverhalts ist man weit entfernt. Ein subjektives Rechtsgutsverständnis und der Schutz der „Selbstbestimmung“ über das geschützte Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ hinaus sind allerdings streng voneinander zu trennende Sachverhalte. Das personale Rechtsgutsverständnis widerspricht solchen Erwägungen, wonach das Abstellen auf den sozialen Sinn („Wunden heilen“), den objektiven Zweck („medizinische Indikation“, „im medizinischen Sinn verstandene lex artis“)104 oder den strafrechtlich ohnehin höchst bedenklichen105 „Heilungserfolg“ ärztlichen Handelns, der, wenn er ausbleibt, inkonsequent durch einen Wechsel des Anknüpfungspunktes überspielt wird,106 ein Recht über den Körper, nicht aber die Freiheit des Patienten geben soll. Im Zeit104

Der Zwecktheorie ist immer wieder die auffallende Bevorzugung der Interessen des Arztes vorgehalten worden, vgl. Hardwig, GA 1965 165. Weder ein subjektives noch ein objektives Zweckverständnis begründen allerdings ein Recht über den Patienten, vgl. auch Kargl, GA 2001 550. 105 Der „Erfolgsbegriff“ bei der Erfolgstheorie ist unbestimmt (Art. 103 Abs. 2 GG): Es ist offen, ob eine „Verbesserung“ des körperlichen Zustands gegenüber dem Zustand vor dem Eingriff gemeint ist oder ob es bereits genügen soll, dass sich der Zustand des Patienten infolge der ärztlichen Tätigkeit nicht verschlimmert hat oder „bewahrt“ worden ist. In diesen Fällen liegt es jedenfalls nicht nahe, von einer „Verbesserung“ des körperlichen Wohls auszugehen. Es ist auch offen, welche Umstände in die Gesamtbetrachtung einzustellen sind, vgl. noch unten Fn. 109, 110. Im Tatzeitpunkt steht der Eintritt des Heilungserfolgs häufig nicht fest, sondern er tritt erst nach mitunter langwierigen Genesungsprozessen („Schwebephase“) ein. Dem dürfte das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) im Wege stehen, denn der Normadressat soll im Tatzeitpunkt (§ 8 StGB) vorhersehen können, welches Verhalten verboten ist, vgl. Behr, GerS 62 (1903) 401 f.; Kargl, GA 2001 549; Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 40 mwN. Der Heilungserfolg begründet schließlich ein „erhebliches Erfolgsrisiko“ für den Arzt, vgl. Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB 30; Gropp, in: FS für Schroeder 204. Die Effektivität des Medizinsystems wird damit in medizinischen Grenzbereichen in Frage gestellt. Der spezialisierte Arzt wird sich überlegen, ob er die oftmals schwer kalkulierbare Gefahr des Scheiterns der Behandlung noch eingehen wird. Spezialisten, die die vagen Erfolgsaussichten der Heilbehandlung absehen können, werden daher gehalten sein, die zivil- und strafrechtlich gefahrgeneigte Tätigkeit auf andere Personen zu verschieben. Patienten werden in die Hände von „Kurpfuschern“ getrieben. Hiergegen kann nicht eingewendet werden, dass es auch bei einem Misslingen der Heilbehandlung an einem Körperverletzungsvorsatz fehle: Das mag für den überzeugten, leichtsinnigen, nicht aber für den gewissenhaften Arzt gelten, der den Misserfolg mit bedingtem Vorsatz einkalkulieren wird. Die Konstruktion verfehlt daher auch intrasystematisch ihr Ziel, denn das Handlungsunrecht begründet Versuchsstrafe, die seit dem Sechsten Strafrechtsänderungsgesetz denkbar ist (§§ 223 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB). 106 Vgl. Hirsch, in: LK 10. Aufl. Vor § 223 StGB Rdn. 5; Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 5, die bei einem Ausbleiben des Heilungserfolgs auf ein Handeln im Sinne der lex artis ausweichen, um die fahrlässige Körperverletzung auszuschlie-

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alter ungeheuer fortschreitender Naturwissenschaften, des damit verbundenen Fortschritts medizinischer Behandlungsmethoden, die neue, bisher ungeahnte Möglichkeiten, aber auch Risiken bieten, ist der ernstzunehmenden Gefahr einer Einschränkung des „Selbstbestimmungsrechts“ und des Rechts auf „körperliche Unversehrtheit“ des Patienten zu begegnen.107 Das ärztliche Handeln „ohne“, besonders das Handeln „gegen“ den Willen des Patienten ist aber, wenn keine weiteren Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen, nach zutreffender Rechtsgutsauffassung eine rechtspflichtwidrige Körperverletzung unabhängig von dem objektiven Zweck oder dem Heilungserfolg. Die Einbeziehung des Subjekts in das geschützte Rechtsgut („Beziehungsstruktur“) verlangt konsequent nach einer Bewertung des ärztlichen Heileingriffs in den Körper des Patienten als Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“. Nur so kann dem Anliegen der personalen Rechtsgutslehre entsprochen werden, dem Patienten einen umfassenden, freien und eigenverantwortlichen Umgang mit seinem „Körper“ zu gewährleisten. Der Patient ist „Subjekt der Behandlung“ (Steffen). Diesen Achtungsanspruch garantiert ihm Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG. Der phänotypische Körperverletzungserfolg über der Bagatellschwelle108 wird auch gar nicht bestritten, sondern saldiert. Das Saldierungsmodell bei der Zweck-109 und der Erfolgstheorie110 begründet in Grenzbereichen allerdings keine rational nachvollziehbaren Ergebnisse mehr. Die Erfassung der ärztlichen Eigenmacht durch andere Straftatbestände als den Körperverletzungstatbestand offenbart schließlich erhebliche kriminalpolitische Schutzlücken de lege lata.111 Die objektiven Kompensationsßen. Die erfolgsbezogene Betrachtung wird aufgeben, vgl. Paeffgen, in: NK Vor § 228 StGB Rdn. 55. 107 Vgl. Cramer, in: FS für Lenckner 763. 108 Vgl. zutreffend Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 76; Paeffgen, in: NK § 228 StGB Rdn. 55. 109 M.-K. Meyer, GA 1998 418 erinnert gegen die „Körperinteressentheorie“ die Fraglichkeit der rechtlichen Bewertung solcher Sachverhalte, in denen mit der gegen den Körper gerichteten Handlung nicht nur eine Heilung, sondern unter Umständen ein besonderes Risiko oder schwerwiegende andere Beeinträchtigungen verbunden seien. Die Bewertung dieses Sachverhalts soll dem Individuum zu überlassen sein. 110 Vgl. Paeffgen, in: NK § 228 StGB Rdn. 55, der auf den zweifelhaften Fall des langwierigen, von Rückschlägen begleiteten Genesungsprozess mit bleibenden Spuren (Organ-, Gliedmaßen- oder Funktionsverlust) hinweist. Ihre Stärken spielt die Erfolgstheorie bei kurzfristigen Heilungserfolgen aus. Von dieser durchaus naheliegenden Vorstellung einer ärztlichen Heilbehandlung geht sie ursprünglich aus. Die Erfolgstheorie ist daher „überholt“, denn sie wird der heutigen Medizin mit ihren vielfältigen Möglichkeiten, aber auch Risiken nicht mehr gerecht. 111 Vgl. etwa Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 76; Jäger, Examens-Repetitorium Strafrecht AT § 4 Rdn. 146c; Krey, Strafrecht BT Bd. 1 § 3 Rdn. 219; Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 6; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 103, 117 f.,

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4. Kap.: Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte

modelle konnten in der Vergangenheit nur deshalb so bedeutsam werden, weil die strafrechtliche Erfassung der eigenmächtigen ärztlichen Behandlung zwar selten unmittelbar über §§ 185, 239, 240 StGB erfolgen konnte,112 jedoch – nach der damaligen Gesetzeslage gemäß § 2 StGB in der Fassung von 1935113 – mittelbar über eine analoge Anwendung dieser Vorschriften zu Lasten des Täters gelang. Hierauf haben Engisch und Eb. Schmidt ihre Auffassung maßgeblich gestützt. Das Konzept der Rechtsprechung ist in seinem auf den Patienten konzentrierten Ausgangspunkt nach wie vor zutreffend.

§ 4 Die bei der „hypothetischen Einwilligung“ zugrundegelegte Beschreibung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte A. Die „Selbstbestimmung“ als geschütztes Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte in Rechtsprechung und Wissenschaft Es ist allerdings die Frage, ob die „Selbstbestimmung“ des Patienten neben der „körperlichen Integrität“ und der „Gesundheit“ zum geschützten Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.) gehört. In diese Richtung haben sich zum Teil Rechtsprechung und Wissenschaft erklärt. 130; Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1 § 6 Rdn. 326. Der wichtigste Fall, nämlich die „Betäubung des widerstrebenden Patienten zwecks Vornahme der Operation“, also das ärztliche Handeln „gegen“ den erklärten Willen des Kranken, ist auch nach der heutigen Rechtslage durch § 240 StGB erfasst, vgl. Schröder, NJW 1961 953; so auch Krey/Heinrich, Strafrecht BT Bd. 1 § 3 Rdn. 219. In den übrigen Fällen des ärztlichen Handelns „ohne“ den Willen des Kranken wird der Wille zwar „missachtet, aber nicht gebeugt“, vgl. Schröder, NJW 1961 953. 112 Vgl. dazu etwa Engisch, ZStW 58 (1939) 4 Fn. 11; Heghmanns, Strafrecht 9. Kap. Rdn. 387; Jäger, Examens-Repetitorium Strafrecht AT § 4 Rdn. 146c; M.-K. Meyer, GA 1994 418; Eb. Schmidt, Arzt im Strafrecht 110 ff. 113 § 2 StGB lautete: „Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient. Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft.“ Vgl. zum geschichtlichen Hintergrund dieser Ansicht, die den Tatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) analog anwendete, „wo eine Willensbeeinträchtigung im Sinne dieser Norm mit Mitteln erfolgt, die der Wortlaut des Gesetzes nicht umfasst“, Eb. Schmidt, Arzt im Strafrecht 112; vgl. auch Engisch, ZStW 58 (1939) 3 f.; vgl. referierend dazu Schröder, NJW 1961 952 f.; vgl. weiter Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 30; Maurach/ Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT Tb. 1 § 8 Rdn. 1.

§ 4 Beschreibung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte 161

I. Die „zweispurige Lösung“ von Horn und Wolters Die zur sachgerechten Erfassung des ärztlichen Heileingriffs de lege lata entwickelte „zweispurige Lösung“ von Horn,114 bei der der Tatbestand der Körperverletzung streng voneinander getrennt das „körperbezogene Selbstbestimmungsrecht“ und die „Gesundheit“ schütze, scheitert an Art. 103 Abs. 2 GG.115 Die „Selbstbestimmung“ des Berechtigten ist kein eigenständiges Schutzgut der Körperverletzungsdelikte.116 II. Das „limitierte Kombinationsdelikt“ der Körperverletzung von Schwartz Schwartz, der den „Stellenwert des Selbstbestimmungsrechts“ in den Körperverletzungsdelikten durch die bisherigen Rechtsgutsverständnisse nicht hinreichend beachtet sieht, definiert das Körperverletzungsdelikt als ein „limitiertes Kombinationsdelikt“: Hiernach genieße das „Selbstbestimmungsrecht“ neben der „körperlichen Unversehrtheit“ eigenständigen Schutz, der jedoch durch das Erfordernis der Kombination mit einer Verletzung der „körperlichen Integrität“ eingeschränkt sei, um Art. 103 Abs. 2 GG hinreichend zu respektieren.117 Ein ohne wirksame Einwilligung des Berechtigten vorgenommener Eingriff in dessen Körper verletze daher das Rechtsgut der „körperlichen Integrität“ und auch das der „freien Selbstbestimmung“.118 Hiermit rückt Schwartz von seinem Ausgangspunkt ab, wonach „Verfügungsgegenstand und Verfügungsbefugnis [in] ihrem Aufeinanderbezogensein selbst das [. . .] geschützte Rechtsgut“ seien,119 und verselbstständigt das „Selbstbestimmungsrecht“ zu einem eigenständig geschützten Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte. Das Nebeneinander von „körper114 Vgl. Horn/Wolters, in: SK § 223 StGB Rdn. 35 ff. Im Gegensatz dazu sind die Lösungen, welche auf einem personalen Rechtsgutsmodell aufbauen, als „einspurig“ zu bezeichnen, vgl. M.-K. Meyer, GA 1998 416: Der Trennung der Verfügungsfreiheit vom Verfügungsgegenstand wird entgegengetreten. Die Gutsqualität liegt gerade auch in der Verfügungsfreiheit. Vgl. dazu auch Eser, ZStW 97 (1985) 3 f.; ders., in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 1; vgl. auch Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 1. 115 Vgl. aber auch schon Hirsch, ZStW 74 (1962) 102 ff., der diesen Standpunkt aufgegeben hat. 116 Vgl. auch Horn/Wolters, in: SK § 223 StGB Rdn. 34 f.; vgl. weiter Hirsch, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 4; ders., in: FS für Welzel 782 ff.; Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 4. 117 Vgl. Schwartz, Hypothetische Einwilligung 113 ff. 118 Vgl. Schwartz, Hypothetische Einwilligung 112. 119 Vgl. Rudolphi, ZStW 86 (1974) 87; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 88 ff., 94.

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4. Kap.: Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte

licher Integrität“ und „Selbstbestimmung“ bedeutet allerdings eine Aufspaltung des umfassend zu verstehenden subjektiven Rechtsguts der „körperlichen Unversehrtheit“ in zwei Bestandteile. Die „Beziehungsstruktur“ des geschützten Rechtsguts und die Verselbstständigung der „Selbstbestimmung“ sind jedoch streng voneinander zu trennen. Die Interpretation der Körperverletzung als „Kombinationsdelikt“ verstößt daher gegen Art. 103 Abs. 2 GG.120 III. Das „Seins- und Bestimmungsfeld der Persönlichkeit“ 1. Ausgehend von der Anerkennung des „Allgemeinen Persönlichkeitsrechts“, das einen umfassenden Schutz der Person vor widerrechtlichen Eingriffen gewährleisten soll, hat der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter „Körper“, „Gesundheit“ und „Freiheit“ als partikulare Ausprägungen dieses umfassenden Persönlichkeitsschutzes gesehen. Das „Recht am eigenen Körper [sei ein] gesetzlich ausgeformter Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“.121 Das Schutzgut des § 823 Abs. 1 BGB sei „nicht die Materie, sondern das Seinsund Bestimmungsfeld der Persönlichkeit, das in der körperlichen Befindlichkeit materialisiert ist“.122 Hieraus zieht der Bundesgerichtshof die Konsequenz, die vom menschlichen Organismus abgetrennten Körperteile noch in den Schutzbereich des „Körpers“ einzubeziehen, wenn sie nach dem Willen des Rechtsgutsträgers zur Bewahrung von Körperfunktionen oder zu ihrer Verwirklichung später wieder vereinigt werden sollen.123 2. Ins Strafrecht haben Freund und Heubel diesen Ansatz übernommen. Die Körperverletzungsdelikte sollen einen „Kernbestand des Freiheitsentfaltungspotentials [der] Person“ garantieren.124 Geschützt werde die „normativ-funktional[e] [. . .] Körper-Einheit“.125 Das führe zu einem Schutz von einzelnen Körperteilen (Gliedmaßen, Blut, Organe, Spermakonserven), die vorübergehend126 vom (Rest-)Körper getrennt werden, im Rahmen der Kör120 Vgl. eingehend Schwartz, Hypothetische Einwilligung 114 f., der mit dem „Kombinationserfordernis“ der tatbestandlichen Umschreibung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte nur unzureichend begegnet. 121 Vgl. BGH NJW 1980 1452, 1453; NJW 1995 2407, 2408. 122 Vgl. BGHZ 124 52, 54 = NJW 1994 127. 123 Vgl. BGHZ 124 52, 55 f. = NJW 1994 127, 128. Erfasst werden Fälle der Eigentransplantation von Haut- oder Knochenbestandteilen, die Eigenblutspende, die zur Befruchtung entnommene Eizelle, die Einlagerung von Sperma usw. 124 Vgl. Freund/Heubel, MedR 1995 198. 125 Vgl. Freund/Heubel, MedR 1995 197. 126 Nicht mehr durch die Körperverletzungsdelikte geschützt seien hingegen die nicht dringend benötigten Blutkonserven, die – anders als die für die bevorstehende

§ 4 Beschreibung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte 163

perverletzungsdelikte. Deren Verletzung sei Körperverletzung. Auch in gewissen, „hinreichend gewichtigen“ Fällen der Beeinträchtigung von künstlichen Gliedmaßen des Berechtigten sei eine Verletzung des „Freiheitsentfaltungspotentials“ gegeben.127 Der maßgebliche strafrechtliche Einwand gegen diese Ansicht, die auch in der zivilrechtlichen Lehre auf Ablehnung stößt,128 ist aus Art. 103 Abs. 2 GG herzuleiten. Die Körperverletzungsdelikte schützen nur die „biologische Einheitlichkeit und Gesamtheit“ des Körpers, nicht aber die auch nur vorübergehend abgetrennten Körperteile.129 Eine unerträgliche Rechtsschutzlücke ergibt sich hieraus nicht.130 Weiterhin sind es die „schwierigen Fragen der Grenzziehung“, wie sie auch Freund und Heubel selbst einräumen,131 die in sämtlich genannten Sachverhalten einer rational nachvollziehbaren Argumentation im Wege stehen.132 Unklar bleibt darüberhinaus, wem das abgetrennte Organ bei einer Organspende zuzuordnen ist. Freund und Heubel schließen nicht aus, dass zwei Körperverletzungen des „gemeinsamen Körperteils“ möglich seien.133

Operation getätigte Eigenblutspende – nicht mehr dem Körper der Spender zuzuordnen seien, vgl. Freund/Heubel, MedR 1995 198. Anders soll aber bei der Nierentransplantation entschieden werden, weil das Organ in der Interimsphase bis zur Implantation dem Körper des Spenders zugeordnet bleibe. 127 Vgl. Freund/Heubel, MedR 1995 198, die in dem Zersägen von Holzbeinen und der Entwendung von Hörgeräten des fast Tauben eine Körperverletzung sehen wollen, da normativ gesehen Körperfunktionen in ihrer Basis betroffen seien. 128 Vgl. Laufs/Reiling, NJW 1994 775; Nixdorf, VersR 1995 741 ff.; Rohe, JZ 1994 468; Taupitz, JR 1995 22; ders., NJW 1995 748 ff.; Wagner, in: MüKo § 823 BGB Rdn. 69; Zeuner, in: Soergel § 823 BGB Rdn. 17. 129 Vgl. Otto, Jura 1996 220; Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 1. 130 Einerseits werden vom Körper abgetrennte Körperteile durch die Eigentumsdelikte geschützt. Andererseits lässt sich eine Körperverletzung aufgrund der späteren Auswirkungen des Verhaltens auf den Gesamtorganismus begründen, vgl. eingehend Otto, Jura 1996 220; Taupitz, NJW 1995 747. 131 Vgl. Freund/Heubel, MedR 1995 198. 132 Auch die Lagerung von Blutkonserven geschieht zum Zweck der Verwendung bei einem abstrakt bestimmten Empfängerkreis (nach der Blutgruppe). Die Abgrenzung von Freund und Heubel führt dagegen zu kaum nachvollziehbaren Ergebnissen, denn es soll keine Körperverletzung sein, wenn die Blutkonserven auf dem Transport zur Einlagerung vernichtet werden. Dagegen müsste es wohl Körperverletzung sein, wenn die Blutkonserven dringend benötigt würden, denn es soll auch Körperverletzung sein, wenn eine Niere in der Interimsphase bis zur Implantation zerstört wird, der Empfänger demnach feststeht. Bei der Vernichtung von künstlichen Körperteilen ist die Bestimmung der „Schwere“ des Eingriffs kaum nachvollziehbar, denn je nachdem, wie schwerhörig etwa jemand ist, würde ein Eingriff in das Freiheitspotential vorliegen. 133 Vgl. Freund/Heubel, MedR 1995 198.

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4. Kap.: Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte

B. Die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund Entgegen der – missverständlichen – Darstellung bei Kuhlen wird bei der Konstruktion der Rechtsprechung, die in jedem ärztlichen Heileingriff eine Körperverletzung sieht, der zu seiner Rechtfertigung der ärztlich aufgeklärten Einwilligung bedarf, die „Selbstbestimmung“ des Berechtigten nicht zum geschützten Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte. Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte ist die „körperliche Unversehrtheit des Menschen“.134 Eine ganz andere Problematik ist dagegen die Einwilligung des Berechtigten in die Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts. Über deren „Wesen“ besteht insoweit Einigkeit, wonach mit der Einwilligung der „Verzicht auf Rechtsschutz“ gemeint sein soll.135 Dem Berechtigten soll der autonome Umgang mit „seinen“ Individualrechtsgütern ermöglicht werden. Hingegen herrscht durchweg Streit über die dogmatischen Konsequenzen des Rechtsschutzverzichts.136 Aus der inhaltlichen Beschreibung des geschützten Rechtsguts ergibt sich, dass die Einwilligung auf dem Prinzip des „überwiegenden Interesses“ beruht und ihr Vorliegen der Rechtswidrigkeit des die „körperliche Unversehrtheit“ beeinträchtigenden Verhaltens entgegensteht.137 Die „Selbstbestimmung“ des Berechtigten ist damit aber kein eigenständig geschütztes Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte. Die Beschreibung dieses Sachverhaltes als „Kollisionslage“ – die Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit des Menschen“ und die Ausübung der „Selbstbestimmung“ als Einwilligung – ist durchaus zutreffend. Von dieser „Kollisionslage“ ist die ganz andere Problematik zu trennen, dass die Entscheidung des Berechtigten, wirksam auf Rechtsschutz über das geschützte Rechtsgut zu verzichten, nur anerkannt werden kann, wenn sie zugleich Ausdruck der Autonomie ist. Das hinter der Einwilligung stehende materielle Prinzip ist die Autonomie des Berechtigten.138 Im Grundgesetz ist das Selbstbestimmungsrecht des Einwilligenden in der Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) verankert.139 Bei der Bestimmung desjenigen Wissens, das der Berechtigte für eine autonome Ent134

Vgl. 3. Kap. § 1 IV. Vgl. anders Ohly, in: FS für Jakobs 454 für das Zivilrecht mwN. 136 Vgl. 3. Kap. § 2. 137 Vgl. 3. Kap. § 2 D. III. 138 Vgl. etwa Göbel, Einwilligung 21 f.; Ohly, in: FS für Jakobs 453; Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 108; ders., in: FS für Geerds 608; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn 146. 139 Vgl. etwa Geppert, ZStW 83 (1971) 953; Göbel, Einwilligung 22; Maurach/ Zipf, Strafrecht AT Tb. 1 § 17 Rdn. 36; Otto, in: FS für Geerds 608; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 12; Zipf, Einwilligung 32. 135

§ 4 Beschreibung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte 165

scheidung benötigt, ist im Arzt-Patienten-Verhältnis die Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht zu berücksichtigen. Trotz deren Entwicklung und Ausgestaltung besteht aber kein Konsens darüber, welches Wissen der Berechtigte besitzen muss, um eine autonome Entscheidung treffen zu können. Über die Bedeutung der ärztlichen Aufklärungspflicht herrscht durchweg Streit: Ihre Bedeutung für die Einwilligung in den in die „körperliche Unversehrtheit“ eingreifenden Heileingriff und damit für die Körperverletzungsdelikte wird zum Teil für relativ bzw. praktisch gering gehalten. Ein über „Art“ und „Umfang“ des Eingriffs hinausreichendes Wissen des Berechtigten sei für eine autonom getroffene Einwilligung in die Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ nicht erforderlich. Die Grenzen der ärztlichen Aufklärungspflicht werden heute im Rahmen der Körperverletzungsdelikte allerdings erheblich weiter gezogen. Daher lässt sich daran denken, dass die Erweiterung der ärztlichen Aufklärungspflicht über die „Art“, den „Umfang“ und das „Risiko“ des Rechtsgütereingriffs hinaus nicht mehr aus dem Schutz der „körperlichen Unversehrtheit“ begründet werden kann, sondern aus dem Schutz der davon zu trennenden „Selbstbestimmung“ des Berechtigten. Allerdings führt auch diese weite Interpretation der ärztlichen Aufklärungspflicht nicht dazu, die „Selbstbestimmung“ zum geschützten Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte zu erheben. Die Einwilligung meint „Rechtsschutzverzicht“, der der Rechtsgutsbeeinträchtigung gegenübersteht. Es lässt sich allenfalls erwägen, ob die Grenzen der ärztlichen Aufklärungspflicht zu weit gesteckt sind.140 Es ist daher unzutreffend, wenn die Konstruktion der Rechtsprechung dahin verstanden wird, die „Selbstbestimmung“ des Berechtigten zum geschützten Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte zu rechnen.

C. Die bedenklichen Konsequenzen der Umgestaltung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte bei der „hypothetischen Einwilligung“ Die Erweiterung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte, bei denen neben der „körperlichen Integrität“ und der „Gesundheit“ auch die „Selbstbestimmung“ des Berechtigten geschützt sein sollen, bleibt nicht folgenlos für den Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“. Die sich hieraus ergebenden Missverständnisse kommen an verschiedenen Stellen zum Vorschein. 140

Vgl. hierzu eingehend 11. Kap. § 2.

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4. Kap.: Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte

1. Die vor allem im Zivilrecht aufgeworfene Problematik der Unterscheidung von positiven Tun und Unterlassen kann bei der „hypothetischen Einwilligung“ nicht entstehen. Das Schneiden, Stechen, Schießen usw. ist nicht deshalb in eine „Unterlassung der gebotenen Aufklärung“ „umzudeuten“, weil der ärztliche Heileingriff unsachgemäß aufgeklärt worden ist. Das Abheben auf die Beeinträchtigung der „Selbstbestimmung“ des Patienten durch fehlerhafte Aufklärung kommt bei der „Abgrenzungsproblematik“ nach dem „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ des Verhaltens ersichtlich nicht Betracht, weil sie das geschützte Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ nicht beeinträchtigen kann.141 2. Die bedenkliche Rechtsgutsbeschreibung begünstigt ähnlich zweifelhafte Ergebnisse bei den Konstruktionen der „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinn“ und des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“. Trotz der abenteuerlichsten Verfehlung der ärztlichen Aufklärungspflicht begründet der Arzt hierdurch keine Gefahr für das geschützte Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“. Erst das Schneiden, Stechen, Schießen usw. führt zu einer körperlichen Beeinträchtigung. „Aufklärungsmängel“ können den „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“ weder verursachen noch wird hierdurch eine Gefahr für das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte begründet oder erhöht.142

§ 5 Weitere vorläufige Feststellungen zur „hypothetischen Einwilligung“ 1. Für die Anerkennung des Rechtsgedankens der „hypothetischen Einwilligung“ soll es von entscheidender Bedeutung sein, ob die ärztliche Heilbehandlung als „Körperverletzung“ oder als Beeinträchtigung der „Selbstbestimmung“ zu erfassen ist. Die ärztliche Heilbehandlung beeinträchtigt allerdings das Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“. Sie ist Körperverletzung. Der abweichende Standpunkt von Kleinewerfers und Wilts, die in der ärztlichen Heilbehandlung eine Beeinträchtigung des „Tatbestandes der eigenmächtigen Heilbehandlung“ – de lege ferenda –, mithin eines Freiheitsdelikts sehen, ist bereits in seinem Ausgangspunkt nicht überzeugend.143 Die „hypothetische Einwilligung“ scheitert nicht schon an dem überwiegend vertretenen Gedanken, dass ein hypothetischer Umstand an 141

Vgl. 4. Kap. § 3 C. II. 3. Vgl. 5. Kap. § 3 B. I. 143 Vgl. eingehend zu den weiteren Kritikpunkten an dieser Auffassung 5. Kap. § 3 B. 142

§ 5 Weitere Feststellungen zur „hypothetischen Einwilligung“

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der tatsächlichen Verletzung des „Selbstbestimmungsrechts“ durch unzureichende Aufklärung oder gar Täuschung nichts ändern kann.144 2. Die Beschreibung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte gibt Anlass zu Missverständnissen, die sich bei den verschiedenen Konstruktionen der „hypothetischen Einwilligung“ in einer „Rechtsgutsvertauschung“ auswirken. Die fehlerhafte ärztliche Aufklärung ist kein tatbestandsmäßiges Verhalten der Körperverletzungsdelikte.

144

Vgl. etwa Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442; Rönnau, JZ 2004 802.

Fünftes Kapitel

Die „hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes § 1 Einführung in den Streitstand Bei dem Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ soll es sich um ein Problem der Kausalität handeln. Die Vertreter der „Kausalitätslösung“ stimmen im Ausgangspunkt überein, nicht aber in der Begründung. 1. Einigkeit besteht darüber, dass der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“ im Rahmen der objektiven Erfolgszurechnung zu entfalten sei. 2. Begründet wird der Ausschluss der objektiven Erfolgszurechnung mit dem Fehlen des Erfolgsunrechts, nicht weil die Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung vorliegen, sondern weil „ausnahmsweise“ einer – tatsächlich an Aufklärungsmängeln leidenden – Einwilligung unrechtskompensierende Kraft zukommen soll, wenn eine wirksame Einwilligung bei „rechtmäßigen Alternativverhalten“ erteilt worden wäre. „Eine unwirksame Einwilligung kann die Tat nicht rechtfertigen, jedoch das Unrecht eines vollendeten Delikts ausschließen.“ Hätte der konkrete Patient bei pflichtgemäßer ärztlicher Aufklärung in die konkrete Operation durch den konkret behandelnden Arzt eingewilligt, so soll der eingetretene Erfolg nicht als Unrechtserfolg qualifiziert werden.1 3. Die im Detail sehr ausdifferenzierten „Kausalitätslösungen“ sehen in dem Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ – im Gegensatz zu den „Wertungslösungen“ – eine Kausalproblematik. Sie schließen daher in der Sache übereinstimmend die objektive Zurechnung des Erfolgs zum „objektiven Tatbestand der [fahrlässigen] Körperverletzung“ aus.2 Die weitere Begründung der „Kausalitätslösungen“ fällt sodann aber sehr unterschiedlich aus. 1 Vgl. etwa Kuhlen, JR 2004 227 f., 229; Rönnau, JZ 2004 802; Stratenwerth/ Kuhlen, Strafrecht AT I § 9 Rdn. 28. 2 Dagegen will Kuhlen, JR 2004 229 die objektive Zurechnung zur „Rechtswidrigkeit“, dass heißt das objektive Unrecht einer vollendeten Tat ausschließen. Auf die „Wertungslösungen“ wird im 6. Kap. eingegangen.

§ 2 Ursächlichkeit und „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“

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§ 2 Die Ursächlichkeit und die „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“ A. Die Darstellung der „Kausalitätslösungen“ I. Die Lösung des Fünften Strafsenats des Bundesgerichtshofs im „O-Bein“-Fall Zuerst hatte der Fünfte Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Bestrafung des fehlerhaft aufklärenden Arztes aus einem fahrlässigen Körperverletzungsdelikt in der „O-Bein“-Entscheidung vom 25. September 19903 unter Berufung auf eine „hypothetische Einwilligung“ des Patienten abgelehnt. Der Arzt hat den Patienten nicht über die speziellen Eingriffsrisiken der Osteomyelitis sowie Pseudarthrose aufgeklärt. Das „hält das Landgericht zu Recht für pflichtwidrig.“ Der Fünfte Strafsenat des Bundesgerichtshofs folgte dem Landgericht weiter in der Annahme, der Angeklagte habe an die Ordnungsgemäßheit der Aufklärung durch seine Stationsärztin geglaubt und sei deshalb in einem den Vorsatz ausschließenden Irrtum befangen gewesen. Er habe aber nicht darauf vertrauen dürfen, dass die mit der Aufklärung beauftragte Stationsärztin, die zudem ohne chirurgische oder orthopädischeoperative Erfahrung und gerade ein gutes halbes Jahr als Assistenzärztin in der Abteilung des Angeklagten tätig gewesen sei, den Patienten ordnungsgemäß aufgeklärt habe. Das sei fahrlässig gewesen. Die Verurteilung des Arztes wegen einer fahrlässigen Körperverletzung verneint der Fünfte Strafsenat allerdings damit, dass diese „Pflichtwidrigkeit für die Körperverletzung nicht ursächlich gewesen ist.“4 Die Strafkammer habe festgestellt, dass der Patient in dem Angeklagten endlich einen Arzt gefunden habe, der seinem „dringenden Wunsch“ nachgekommen sei, die störende Fehlstellung der Beine operativ zu korrigieren und dass er ein „weitgehend bedingungsloses Vertrauen“ in das ärztliche Können und die operative Kunst des Angeklagten gehabt habe. Für ihn sei der Angeklagte damals der „Größte“ gewesen. Deshalb hätte er in die Operation auch dann eingewilligt, wenn er über alle damit verbundenen Risiken aufgeklärt worden wäre.5 Der Fünfte Strafsenat des Bundesgerichtshofs fordert danach einen „Ursachenzusammenhang“ zwischen der „fehlerhaften ärztlichen Aufklärung“ und dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“. 3 4 5

Vgl. Einl. § 1 I. Vgl. BGH BGHR § 223 Abs. 1 StGB Heileingriff 2, 3. Vgl. BGH BGHR § 223 Abs. 1 StGB Heileingriff 2, 3.

170

5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

II. Die Lösung der anderen Strafsenate des Bundesgerichtshofs sowie des Oberlandesgerichts Hamm 1. Auch der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs macht die Verurteilung des fehlerhaft aufklärenden Arztes aus einem fahrlässigen Körperverletzungsdelikt im „Surgibone“-Dübelfall vom 29. Juni 19956 von der „hypothetischen Einwilligung“ abhängig. Der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs lehnt die Wirksamkeit der Einwilligung der Patienten in die Behandlung mit „Surgibone“-Dübeln ab. Die Einwilligung könne nur dann wirksam erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden sei. Im konkreten Fall habe es der behandelnde Arzt versäumt, die Patienten darüber aufzuklären, dass die von ihm bei der Operation verwendeten „Surgibone“-Dübel ein zulassungspflichtiges, aber nicht zugelassenes Arzneimittel seien (§ 40 Abs. 1 Nr. 2 AMG). Die Wahl der Behandlungsmethode – möglich war die Verwendung von Eigenknochen- oder Kunststoffimplantaten sowie der verwendeten „Surgibone“-Dübel (Rinderknochenimplantate) – sei zwar primär Sache des Arztes. Doch gelte das unter anderem dann nicht mehr, wenn die angewendete Therapie nicht dem medizinischen Standard entspreche oder ernsthaft umstritten sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Patienten über die fehlende Zulassung aus anderer Quelle informiert gewesen seien. Hieraus ergebe sich die Unwirksamkeit der Einwilligungen. Der Angeklagte kannte dabei die fehlende arzneimittelrechtliche Zulassung der „Surgibone“-Dübel durch das Bundesgesundheitsamt nicht. Er vertraute auf deren Zulassung, weil er sie über die Klinikapotheke bezogen hatte. Der Angeklagte stellte sich daher einen Sachverhalt vor, bei dem unter dem Gesichtspunkt einer Aufklärungspflichtverletzung wegen der fehlenden arzneimittelrechtlichen Zulassung eine Unterrichtung der Patienten über die Möglichkeit der Verwendung anderer Interponate nicht geboten war. Zur „hypothetischen Einwilligung“ führt der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs aus: Aus dem Grundansatz der Rechtsprechung, wonach jeder in die körperliche Unversehrtheit eingreifende ärztliche Heileingriff ohne Rücksicht darauf, ob er erfolgreich verlaufe, den Tatbestand der Körperverletzung erfülle, der zu seiner Rechtfertigung der Einwilligung des Patienten bedürfe, folge allerdings nicht, dass der Arzt sich mit jedem nach einer mangelhaften Aufklärung und folglich aufgrund unwirksamer Einwilligung vorgenommenen Eingriff wegen Körperverletzung strafbar mache. 6

Vgl. Einl. § 1 III.

§ 2 Ursächlichkeit und „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“

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„Aufklärungsmängel können eine Strafbarkeit des Arztes wegen Körperverletzung nur begründen, wenn der Patient bei einer den Anforderungen genügenden Aufklärung in den Eingriff nicht eingewilligt hätte. Dies ist dem Arzt – anders als im Zivilrecht – nachzuweisen. Verbleiben Zweifel, so ist davon auszugehen, dass die Einwilligung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung erteilt worden wäre.“7 Der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs fordert danach einen „Zusammenhang“ zwischen der „fehlerhaften ärztlichen Aufklärung“ und der „Einwilligung“. 2. Auch der Bandscheibenfall vom 15. Oktober 20038 und der Bohrerfall vom 20. Januar 20049 des Ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs werden trotz „missverständlicher Äußerungen“ wegen ihrer Begründung zu den „Kausalitätslösungen“ gerechnet.10 Beide Entscheidungen betreffen allerdings die vorsätzlich fehlerhafte ärztliche Aufklärung des Patienten. a) Im Bandscheibenfall geht der Erste Strafsenat im Ausgangspunkt davon aus, dass ärztliche Heileingriffe nur durch eine von Willensmängeln nicht beeinflusste Einwilligung des Patienten gemäß § 228 StGB gerechtfertigt seien. Die im konkreten Fall durch Täuschung herbeigeführte Einwilligung über die Ursache der notwendig gewordenen zweiten Operation sei unwirksam gewesen. Eine mutmaßliche Einwilligung komme nicht in Betracht. Um einen ärztlichen Eingriff, der dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspreche, der nicht befragt werden könne, gehe es hier erkennbar nicht. Der Angeklagte sei nicht von einer „hypothetischen Einwilligung“ der Patientin in die konkret durchgeführte Operation durch die Oberärztin bei wahrheitsgemäßer Aufklärung ausgegangen. Für die subjektive Tatseite sei damit aber lediglich belegt, dass der Angeklagte zu einer vorsätzlichen rechtswidrigen Tat anstiften wollte. „Die Rechtswidrigkeit entfällt aber, wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte. Der nachgewiesene Aufklärungsmangel kann nur dann zur Strafbarkeit wegen Körperverletzung und wegen Akzessorietät auch nur dann zur Strafbarkeit der Anstiftung zu dieser Tat führen, wenn bei ordnungsgemäßer Aufklärung die Einwilligung unterblieben wäre [. . .]. Dies ist dem Arzt 7

Vgl. BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71. Vgl. Einl. § 1 V. 9 Vgl. Einl. § 1 VI. 10 Vgl. Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230; ders., JZ 2004 801 f.; vgl. weiter Eisele, JA 2005 253; Kuhlen, JR 2004 227 f. 8

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

nachzuweisen. Verbleiben Zweifel, so sei nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ zu Gunsten des Arztes davon auszugehen, dass die Einwilligung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung erfolgt wäre [. . .].“11 Bei der „Kausalitätsprüfung“ sei auf das konkrete Entscheidungsergebnis des jeweiligen Patienten abzuheben. Es komme nicht darauf an, dass er sich ohnehin hätte operieren lassen müssen oder dass ein vernünftiger Patient eingewilligt hätte. Es dürfe auch nicht offenbleiben, ob die Nebenklägerin in Kenntnis des wahren Sachverhalts möglicherweise auch in eine Operation durch Frau Dr. K eingewilligt hätte, möglicherweise aber auch darauf bestanden hätte, von einem anderen Arzt operiert zu werden. Es dürfe zudem nicht offengelassen werden, ob die Nebenklägerin der zuvor beschlossenen Entfernung des Wirbelhalbbogens zugestimmt hätte, selbst wenn diese Entfernung medizinisch indiziert gewesen sein sollte. Dass die zweite Operation im Ergebnis ihrem Willen und Interesse entspreche, reiche nicht aus. Der Erste Strafsenat verlangt die persönliche Befragung der Patientin. Deren Äußerung und Begründung müssen einer Würdigung unterzogen werden. Diese müsse erkennen lassen, dass die Entscheidung der Patientin zum damaligen Zeitpunkt aus ihrer Sicht bei Aufdeckung des wahren Sachverhalts eine nachvollziehbare und mögliche Schlussfolgerung sei.12 Die „Kausalitätsprüfung“ soll sich demzufolge auf einen „Kausalzusammenhang“ zwischen der „Verletzung der Aufklärungspflicht“ („Aufklärungsmangel“) und der „Einwilligung“ beziehen. b) Im Bohrerfall heißt es in den Gründen, dass im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen worden sei, dass ärztliche Heileingriffe nur durch eine von Willensmängeln nicht beeinflusste Einwilligung des Patienten gemäß § 228 StGB gerechtfertigt seien. Der Operation zur Bergung der Bohrerspitze habe keine Einwilligung zugrunde gelegen, weil der Angeklagte in den Aufklärungsgesprächen dem Patienten und seinen Eltern die Notwendigkeit der zweiten Operation zur Kapselraffung der Schulter vorgetäuscht und die abgebrochene Bohrerspitze bewusst nicht erwähnt habe. Auf Grund der eindeutigen Feststellung, nach der der Patient E. zur Entfernung der abgebrochenen Bohrerspitze keine Einwilligung gegeben hätte, war für die Annahme kein Raum, die Rechtswidrigkeit habe deshalb entfallen können, weil der Eingriff de lege artis durchgeführt und der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die durchgeführte Operation eingewilligt hätte.13 11 12 13

Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. Vgl. BGH NStZ 2004 442 = JR 2004 469.

§ 2 Ursächlichkeit und „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“

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3. Der Dritte Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm macht die Bestrafung einer fehlerhaft aufklärenden Ärztin aus einem fahrlässigen Körperverletzungsdelikt in der Cignolin-Entscheidung vom 11. Dezember 199014 von der „hypothetischen Einwilligung“ abhängig. Der Dritte Strafsenat geht nicht von einem Behandlungsfehler, aber doch von einem Aufklärungsfehler aus. Die Einwilligung des Patienten in die Cignolinbehandlung sei unwirksam gewesen. Die Ärztin habe den Patienten nur unzureichend über die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten, einmal eine aggressive Methode mit cignolinhaltigen Präparaten, demgegenüber die dämpfend wirkende Methode mit cortisonhaltigen Mitteln, sowie die jeweiligen Folgen und Risiken in Kenntnis gesetzt. Dagegen sei der Hinweis auf die möglichen Hautreizungen der Cignolinverabreichung keinesfalls ausreichend gewesen. Das Oberlandesgericht hält weiter dafür, dass der Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung „nur dann verwirklicht [ist], wenn feststeht, dass der Aufklärungsmangel für die – im Fall ordnungsgemäßer Aufklärung verweigerte – Einwilligung kausal ist [. . .].“ Eine umfassende Aufklärung müsse nicht denknotwendig zur Versagung der Einwilligung führen, zumal der Zeuge eine Behandlung mit cortisonhaltigen Präparaten abgelehnt und eine solche mit cignolinhaltigen Präparaten gewünscht und auf den Hinweis, dass möglicherweise Hautreizungen entstehen könnten, seine Einwilligung nicht versagt habe.15 Der Dritte Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm fordert hiernach einen „Kausalzusammenhang“ zwischen der „fehlerhaften ärztlichen Aufklärung“ und der „Einwilligung“. III. Die Lösung des Sechsten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs sowie einiger Oberlandesgerichte In der zivilrechtlichen Rechtsprechung der Obergerichte verzweigt sich die konstruktive Begründung der „hypothetischen Einwilligung“ weitaus mehr. Anstelle der häufig fehlenden konstruktiven Würdigung verweist der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf die „gefestigten Grundsätze“ zur „hypothetischen Einwilligung“. Unter Einbeziehung der Entscheidungen der Oberlandesgerichte lassen sich gleichwohl in der Mehrzahl Entscheidungen nachweisen, in denen die hypothetische Zustimmung des Patienten als Kausalproblematik behandelt wird. Die zivilrechtliche Praxis unterscheidet weiterhin danach, ob in der fehlerhaften Belehrung des Patienten ein 14 15

Vgl. Einl. § 1 II. Vgl. OLG Hamm 3 Ss 742/90.

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

positives Tun, die „Übermittlung unvollständiger bzw. falscher Informationen“, oder ein Unterlassen, die „Unterlassung der gebotenen Aufklärung“, zu sehen ist.16 Während der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs eher der ersten Betrachtung zuneigt, verhält es sich bei den Oberlandesgerichten umgekehrt.17 Einige Entscheidungen des Sechsten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs enthalten ausdrückliche Ausführungen dazu, dass die „hypothetische Einwilligung“ ein Problem der Ursächlichkeit sein soll. In der grundlegenden Entscheidung vom 7. Februar 1984 (BGHZ 90 103) wurde es vermieden, die „Ursächlichkeit des Aufklärungsversäumnisses für den Einwilligungsentschluss“ mit Erfahrungen zum gesamten Patientengut abzulehnen.18 Es wird erinnert, dass die Einstandspflicht des Beklagten für das Aufklärungsversäumnis nicht wegen „fehlender Ursächlichkeit für die Einwilligungsentschließung“ der Eltern des Klägers verneint werden könne.19 Rechtliche Bedenken soll die Begründung erwecken, mit der das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt sei, „die unzureichende Aufklärung sei ursächlich für die Einwilligung der Klägerin in den operativen Eingriff gewesen.“20 Auch das Oberlandesgericht Köln lehnte es ab, der Klägerin einen Schadensersatzanspruch wegen nicht erfolgter Aufklärung zuzusprechen, weil es jedenfalls an dem erforderlichen „Kausalzusammenhang“ fehle: Es sei davon auszugehen, dass sich die Klägerin zu der Operation entschlossen haben würde, wenn sie auf das sehr geringe Risiko einer Armplexusparese hingewiesen worden wäre.21 Das Oberlandesgericht Stuttgart folgt der Berufung nicht darin, die „Ursächlichkeit“ der Aufklärungspflichtverletzung unter dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens abzulehnen.22

16 Vgl. etwa BGH NJW 1982 697, 698; OLG Bamberg VersR 1998 1025, 1026; OLG Bremen VersR 1954 63, 64; OLG Karlsruhe NJW 1966 399, 402; OLG München 1992 835; OLG Nürnberg VersR 1995 1057, 1058; OLG Zweibrücken VersR 1987 108. 17 Vgl. dazu § 3. 18 Vgl. BGH NJW 1980 1333, 1334. 19 Vgl. BGH NJW 1991 2344, 2345. 20 Vgl. BGH NJW 1992 2351, 2353. 21 Vgl. OLG Köln VersR 1987 514, 515. 22 Vgl. OLG Stuttgart VersR 1987 515, 517.

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IV. Die „Kausalitätslösungen“ in der Lehre Ein beachtlicher Teil des zivil- und strafrechtlichen Schrifttums teilt den konstruktiven Ansatz der Rechtsprechung. Aus dem älteren Schrifttum verlangen König und Köstlin für die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes, dass zwischen der schuldhaften Verletzung der Aufklärungspflicht und der Einwilligung des Patienten ein „ursächlicher Zusammenhang“ bestehe.23 Als „besonders schwieriges Problem der Kausalität“ behandelt auch Weitnauer die „hypothetische Einwilligung“ („Kausalität des Fehlens der Einwilligung“). Es gehe um den Haftungsgrund, indem verneint werde, dass das Fehlen der Aufklärung und damit einer beachtlichen Einwilligung überhaupt für den Schaden ursächlich gewesen sei.24 Im jüngeren Schrifttum beherrschen Schlagworte wie die „Kausalität der Nichtaufklärung“ oder die „Kausalität des Aufklärungsmangels“ die Problematik der „hypothetischen Einwilligung“. Engisch bestätigte anhand einer Besprechung des zivilrechtlichen Strahlenfalls (BGHZ 29 46) die „Kausalitätslösung“. Die „Kausalität der Nichtaufklärung“ müsse eigens geprüft werden. Der Arzt könne ja wohl nur dann verantwortlich sein, wenn bei genügender Aufklärung der Patient sich anders entschieden hätte, also die Einwilligung verweigert hätte.25 Von der 21. bis zur 26. Auflage des Schönke/Schröder forderte auch Eser für eine Strafbarkeit des Arztes wegen Körperverletzung die „Kausalität des Aufklärungsmangels“ für die sonst verweigerte Einwilligung.26 In einigen Stellungnahmen wird auch die Unterscheidung des Reichsgerichts in RGZ 163 12927 deutlich. Die Tatsache, dass die Einwilligung fehle oder mangels genügender Aufklärung nicht wirksam sei, soll nach Petersen „nicht ursächlich“ sein, wenn der Arzt nachweisen könne, dass der Patient eingewilligt hätte, wenn er darauf angegangen oder aufgeklärt worden wäre.28 Für die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes der fahrlässigen Körperverletzung erhebt auch Ulsenheimer die Forderung nach der „Kausalität des Aufklärungsmangels“:29 Die fehlende oder unzureichende Aufklärung des Patienten müsse für die Unwirksamkeit seiner Einwilligung 23

Vgl. König/Köstlin, Haftpflicht des Arztes 41 f. Vgl. Weitnauer, DB 1961 Beilage Nr. 21 8. 25 Vgl. Engisch/Hallermann, Ärztliche Aufklärungspflicht 32. 26 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 40 (21. bis 26. Aufl.). Vgl. auch Geppert, JZ 1988 1025 Fn. 8, der den Nachweis der „Kausalität [der] Aufklärungsmängel“ verlangte; vgl. anders aber ders., JK 12/04 § 223/3 StGB. 27 Vgl. Einl. § 2 C. I, 1. Kap. § 1 B. 28 Vgl. Petersen, DRiZ 1962 237. 29 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132; ders., NStZ 1996 133. 24

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

„kausal“ sein.30 Dagegen verlangt Bauer eine „Kausalität“ des Aufklärungsmangels für den bewilligten Eingriff.31

B. Einordnung der „hypothetischen Einwilligung“ in bekannte Strukturen der Rechtsprechung I. Vorläufige Feststellungen zu den „Kausalitätslösungen“ 1. Die hier dargestellten „Kausalitätslösungen“ lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass mit der „hypothetischen Einwilligung“ konstruktiv die Problematik der Kausalität berührt sein soll. Vor allem die Rechtsprechung in Zivil- und Strafsachen behandelt die „hypothetische Einwilligung“ – im Wesentlichen32 – als Kausalitätsproblem. Die einzelnen Senate des Bundesgerichtshofs weichen im Detail allerdings deutlich voneinander ab. Während der Fünfte Strafsenat konstruktiv einen „Ursachenzusammenhang“ zwischen der „fehlerhaften ärztlichen Aufklärung“ und dem „Körperverletzungserfolg“ verlangt, distanzieren sich der Erste und der Vierte Strafsenat seit der „Surgibone“-Dübelentscheidung davon mit der Konstruktion eines „ursächlichen Zusammenhangs“ zwischen der „pflichtwidrigen Aufklärung“ und der „Einwilligung“. Dagegen konstruiert der Sechste Zivilsenat häufiger einen „ursächlichen Zusammenhang“ zwischen der „fehlerhaften ärztlichen Aufklärung“ und der „Einwilligungsentschließung“. 2. Von der „Kausalität der Nichtaufklärung“ oder der „Kausalität des Aufklärungsmangels“ soll in der Sache sodann wieder übereinstimmend nicht die rechtliche (Un-)Wirksamkeit der Einwilligung, sondern die Verwirklichung des „objektiven Tatbestandes der fahrlässigen Körperverletzung“ abhängen. Der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“ entscheide über die objektive Zurechnung des tatbestandlichen Körperverletzungserfolgs. Bei einer „hypothetischen Einwilligung“ des konkreten Patienten in den konkret durchgeführten ärztlichen Heileingriff fehle es an dem „Kausalzusammenhang“ zwischen der „fehlerhaften ärztlichen Aufklärung“ und der „Einwilligungsentschließung“, der „Einwilligung“ oder dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“ nicht. Der Körperverletzungs30 Vgl. Ulsenheimer, NStZ 1996 133. Er betonte jedoch mehrfach, dass es rechtlich bedeutungslos sei, ob es sich in diesen Fallgestaltungen um ein „Kausalitätsproblem“ oder um den Gedanken des rechtmäßigen Alternativverhaltens handele, vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132. 31 Vgl. Bauer, Ärztlicher Heileingriff 175 wohl auch für die Vorsatzdelikte ders., aaO. Fn. 628. 32 Vgl. etwa BGH NJW 1989 1533, 1534: „rechtmäßiges Alternativverhalten“.

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erfolg sei objektiv zuzurechnen, wenn der Patient in die Heilbehandlung hypothetisch nicht eingewilligt hätte. II. Der „Ursachenzusammenhang im strafrechtlichen Sinn“ in der Radfahrerentscheidung 1. Das wissenschaftliche Schrifttum macht auf eine gewisse Parallele zwischen der „hypothetischen Einwilligung“ und dem von der Rechtsprechung in der Radfahrerentscheidung (BGHSt 11 1) entwickelten „Ursachenzusammenhang im strafrechtlichen Sinn“ aufmerksam. Zum Sachverhalt: Der Angeklagte lenkte einen Lastzug und überholte auf gerader und übersichtlicher Strecke einen auf dem rechten Seitenstreifen fahrenden Radfahrer, der in die gleiche Richtung unterwegs war. Der Seitenabstand vom Anhänger zum linken Ellbogen des Radfahrers betrug dabei 75 cm. Während des Überholvorgangs geriet der Radfahrer mit dem Kopf unter die rechten Hinterreifen des Anhängers. Er war auf der Stelle tot. Eine später der Leiche entnommene Blutprobe ergab einen Blutalkoholgehalt von 1,96 Promille für den Zeitpunkt des Unfalls. Der tödliche Unfall hätte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dann ereignet, wenn der LKW Fahrer den erforderlichen Seitenabstand eingehalten hätte.

In der Radfahrerentscheidung hat der Bundesgerichtshof für die fahrlässigen Erfolgsdelikte den Gedanken entwickelt, dass die Zurechnung des tatbestandlichen Erfolgs nicht allein von der „mechanisch-naturwissenschaftlichen“ Kausalität abhängen könne, sondern aus verschiedenen Gründen daneben ein weiterer „Ursachenzusammenhang“ gefordert werden müsse: Gerade die in dem Verhalten steckende Sorgfaltspflichtwidrigkeit müsse den Erfolg nach rechtlichen Bewertungsmaßstäben verwirklicht haben. Neben den „mechanisch-naturwissenschaftlichen“ Ursachenzusammenhang soll additiv ein „Ursachenzusammenhang im strafrechtlichen Sinne“ treten.33 Um diesen weiteren „Ursachenzusammenhang“ zu erforschen, sei entscheidend, wie das Geschehen hypothetisch abgelaufen wäre, wenn der Täter sich rechtlich einwandfrei verhalten hätte. Wäre der gleiche Erfolg eingetreten oder lasse sich das auf Grund von erheblichen Tatsachen nach der Überzeugung des Tatrichters nicht ausschließen, so sei die von dem Angeklagten gesetzte Bedingung für die Würdigung des Erfolges ohne strafrechtliche Bedeutung. Im Radfahrerfall wäre der Radfahrer mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei einem pflichtgemäßen Überholmanöver unter Einhaltung des erforderlichen Seitenabstandes zu Tode gekommen. Der „ursächliche Zusammenhang“ im „strafrechtlichen Sinne“ könnte nicht be33 Vgl. BGHSt 11 1, 7. Terminologisch wird zudem von „strafrechtlicher“, „rechtlicher“ oder „juristischer Kausalität“ gesprochen.

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

jaht werden. Jüngst hat der Bundesgerichtshof seinen Standpunkt im Klinikinsassenfall (BGHSt 49 1) in ähnlicher Form wiederholt.34 2. Der Ausschluss der objektiven Erfolgszurechnung durch eine „hypothetische Einwilligung“ soll anscheinend, wovon die „O-Bein“-Entscheidung35 am nachhaltigsten Zeugnis gibt, konstruktiv ähnlich wie im Radfahrerfall mit der dort entwickelten Zurechnungsvoraussetzung eines „Ursachenzusammenhanges im strafrechtlichen Sinne“ zwischen der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens und dem tatbestandlichen Erfolg begründet werden. Die „Pflichtwidrigkeit [scil. Aufklärungspflichtverletzung] [soll] für die Körperverletzung [. . .] ursächlich“ sein.36 Es ist allerdings sehr fraglich, ob sich der Bundesgerichtshof in seinen weiteren Entscheidungen zur „hypothetischen Einwilligung“ von dieser Parallele nicht entfernen wollte. Wenn überhaupt noch ein „Kausalzusammenhang“ angedeutet wird, woran besonders im Bandscheibenfall,37 im Bohrerfall38 und im Liposuktionsfall39 zu zweifeln ist, dann allenfalls im Verhältnis der „fehlerhaften ärztlichen Aufklärung“ zur „Einwilligung“.40 In der „Surgibone“-Dübelentscheidung41 wird zudem nur noch daran erinnert, dass „Aufklärungsmängel [. . .] eine Strafbarkeit des Arztes wegen Körperverletzung nur begründen [können], wenn der Patient bei einer den Anforderungen genügenden Aufklärung in den Eingriff nicht eingewilligt hätte.“42 34 Er fordert einen Kausalzusammenhang im Sinne der Bedingungstheorie. Daneben entfalle bei „fahrlässigen Erfolgsdelikten“ der „ursächliche Zusammenhang zwischen dem verkehrswidrigen Verhalten [. . .] und dem [. . .] Verletzungserfolg“, wenn der gleiche Erfolg auch bei verkehrsgerechten Verhalten des Angeklagten eingetreten wäre oder wenn sich dies auf Grund erheblicher Tatsachen nach der Überzeugung des Tatrichters nicht ausschließen lasse, vgl. BGHSt 49 1, 4 = NJW 2004 237, 238. Vgl. auch BGHSt 30 228, 230; 33 61, 63; BGH JR 1989 382 f. 35 Vgl. Einl. § 1 I. 36 Vgl. BGH BGHR § 223 Abs. 1 StGB Heileingriff 2. 37 Vgl. Einl. § 1 V. 38 Vgl. Einl. § 1 VI. 39 Vgl. Einl. § 1 VII. 40 Am ehesten lässt sich noch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm 3 Ss 742/90 dahin interpretieren, die in der Radfahrerentscheidung entwickelten Grundsätze auch auf die Aufklärungsrüge anzuwenden: Es soll der Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung nur dann verwirklicht sein, wenn feststehe, dass der „Aufklärungsmangel“ für die – im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung verweigerte – Einwilligung „kausal“ gewesen sei. 41 Vgl. Einl. § 1 III. 42 Vgl. BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71; OLG Hamm 3 Ss 742/90; vgl. auch BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252; BGH NStZ 2004 442 = JR 2004 469.

§ 2 Ursächlichkeit und „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“

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Der Vierte Strafsenat vermeidet die Bezeichnung des geforderten Zusammenhangs als „Kausal-“ bzw. „Ursachenzusammenhang“, doch scheint er damit keine andere rechtliche Behandlung des Rechtsgedankens bezweckt zu haben.43 Allein die abstrakte Formel der „Ursächlichkeit“ der „Pflichtwidrigkeit für die Körperverletzung“ im „O-Bein“-Fall44 wird inhaltlich weiter präzisiert. Ob die „Pflichtwidrigkeit für die Körperverletzung [. . .] ursächlich“ ist, bestimmt sich auch nach Ansicht des Fünften Strafsenats danach, ob der Patient bei pflichtgemäßer Aufklärung den Eingriff eingewilligt hätte.45 Noch weiter entfernt sich der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs im Bandscheibenfall46 und im Bohrerfall47 von dem „Kausalitätserfordernis“. Zwar ist im Bandscheibenfall ein Hinweis auf eine vorzunehmende „Kausalitätsprüfung“ vorhanden48 und auch die Formel des Vierten Strafsenats („Aufklärungsmängel können nur . . .“) wird in ähnlicher Form wiederholt. Gleichwohl soll neuerdings die „Rechtswidrigkeit“ entfallen, wenn der Patient eingewilligt hätte. Das zeigt konstruktiv in die Richtung einer hypothetischen Rechtfertigung durch „hypothetische Einwilligung“, obwohl diese Einordnung in der Wissenschaft nicht unumstritten ist. Jedenfalls die besagten Entscheidungsgründe im Bandscheibenfall weisen für Kühl – neben weiteren dogmatischen Gründen – in die Richtung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“.49 Zu beachten ist hier allerdings, dass der Erste Strafsenat im Bandscheibenfall und im Bohrerfall über Fälle der vorsätzlichen Verletzung der Aufklärungspflicht entscheiden musste, wobei der Bundesgerichtshof die Grundsätze der Radfahrerentscheidung (BGHSt 11 1), wie in der Klinikinsassenentscheidung (BGHSt 49 1) nochmals wiederholt wurde, für das fahrlässige Erfolgsdelikt entwickelt hatte. Dem Ersten Strafsenat scheinen 43 In diesem Sinne versteht die Entscheidung auch Ulsenheimer, NStZ 1996 133: Die Tatbestandsmäßigkeit der fahrlässigen Körperverletzung lasse sich nur bejahen, wenn die fehlende oder unzureichende Aufklärung des Patienten für die Unwirksamkeit „kausal“ gewesen sei. Fehle es an der „Kausalität des Aufklärungsmangels“, so sei der objektive Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung nicht erfüllt. Ulsenheimer beschreibt auch in seinem Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132, 202 ff. die Rechtsfigur der „hypothetischen Einwilligung“ ähnlich im Verhältnis zu der von den Fahrlässigkeitsdelikten sonst bekannten Problematik der „Kausalität zwischen Sorgfaltspflichtverletzung und Erfolg“. 44 Vgl. Einl. § 1 I. 45 Vgl. BGH BGHR § 223 Abs. 1 StGB Heileingriff 2, 3. 46 Vgl. Einl. § 1 V. 47 Vgl. Einl. § 1 VI. 48 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. 49 Vgl. Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a.

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daher Bedenken gekommen zu sein, ob die bisher für die Fahrlässigkeitsdelikte herangezogene Konstruktion bei den Vorsatzdelikten überhaupt einschlägig sein kann. Aus diesen Gründen müssen die Vorsatzentscheidungen des Ersten Strafsenats keineswegs zwingend als Fortsetzung der bisherigen Linie verstanden werden. Der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs lässt im Liposuktionsfall,50 einem weiteren Fall vorsätzlicher Falschaufklärung des Patienten, sogar jeden Hinweis auf eine etwaige „Kausalitätsprüfung“ vermissen.51 Hieran fehlt es auch im Turboentzugsfall des Ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs.52 Noch mehr als im Bandscheibenfall und im Bohrerfall verdichtet sich hier der Eindruck, dass die „hypothetische Einwilligung“ bei vorsätzlicher ärztlicher Eigenmacht auf eine andere Konstruktion gestützt werden soll. III. Prüfungsgegenstand Die Würdigung der „hypothetischen Einwilligung“ konzentriert sich in diesem Abschnitt auf die Behauptung, dass die Verwirklichung des „objektiven Tatbestandes des Körperverletzungstatbestandes“ von der „hypothetischen Einwilligung“ abhängen soll. Die „hypothetische Einwilligung“ soll den geforderten „Ursachenzusammenhang“ zwischen der „fehlerhaften ärztlichen Aufklärung“ und der „Einwilligungsentschließung“,53 der „Einwilligung“ oder dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“ ausschließen.

C. Die Auseinandersetzung mit der „Kausalitätslösung“ I. Die Ursächlichkeit bei der „hypothetischen Einwilligung“ 1. Die Bedingungstheorie

Zur Ermittlung des Kausalzusammenhangs zwischen Verhalten und tatbestandlichem Erfolg bedient sich die Rechtsprechung54 der Bedingungs50

Vgl. Einl. § 1 VII. Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340, 341. 52 Vgl. Einl. § 1 VIII. 53 Vgl. kritisch hierzu 6. Kap. § 3 B. II. 2. 54 Vgl. RGSt 1 373, 374; 44 230, 244; 54 349; 77 17, 18; BGHSt 1 332, 333; 2 20, 24; 7 112, 114; 11 1, 3; 24 31, 34; 31 96, 98; 33 322; 45 270, 294 f.; BGH NJW 2004 237, 238; weitere Nachweise bei Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 73. 51

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theorie55 in der Form der Äquivalenztheorie.56 Nach der Bedingungstheorie ist eine Ursache im Sinne des Strafrechts jede Bedingung eines Erfolgs, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg „in seiner konkreten Gestalt“ „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ entfiele. Die Ursache muss condicio (conditio) sine qua non für den tatbestandlichen Erfolg sein.57 Die Anwendung der Bedingungstheorie in der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ ist jedoch aus mehreren Gründen sehr problematisch. a) Die Ermittlung der Kausalität In der strukturellen Situation der („hypothetischen“) Einwilligung fehlt es nach der Bedingungsformel an der Ursächlichkeit des ärztlichen Handelns für den Körperverletzungserfolg nicht. Der ärztliche Heileingriff hat den Patienten in seinem Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ tatsächlich beeinträchtigt: Der Arzt hat den Patienten mit dem Skalpell geschnitten, mit der Nadel gestochen, mit Strahlen beschossen, mit Elektroschock behandelt usw. Das Reichsgericht hat in seiner Entscheidung vom 8. März 1940 (RGZ 163 129) die Ursächlichkeit der ärztlichen Maßnahme nach der Bedingungsformel festgestellt: „Da die schadensstiftende Handlung eben die Vornahme des Eingriffs selbst ist, so würde es, wenn der Be55 Zurückgeführt wird die Bedingungstheorie auf Stübel, Thatbestand der Verbrechen §§ 96, 137, 153; Glaser, Abhandlungen 298; v. Buri, Über Causalität 1; ders., Die Causalität 1; vgl. zur Dogmengeschichte Knoche, Entwicklung 23 ff., 128 ff., 179 ff. 56 Vgl. zur Äquivalenztheorie („Gleichheit aller Bedingungen“) etwa Baumann/ Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 14 Rdn. 19; Gropp, Strafrecht AT § 5 Rdn. 13; vgl. weiter etwa Haft, Strafrecht AT 51; B. Heinrich, Strafrecht – AT I § 10 Rdn. 222; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 28 II 1 279; Lorz, Schönheitsoperation 153; Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 15; Krey, Deutsches Strafrecht AT Bd. 1 § 9 Rdn. 262; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 5; R. Schmidt, Strafrecht AT 6. Kap. Rdn. 148. 57 Vgl. etwa Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 14 Rdn. 8; Fischer, Vor § 13 StGB Rdn. 21; Frister, Strafrecht AT 9. Kapitel Rdn. 5; Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 413; Gropp, Strafrecht AT § 5 Rdn. 15; Haft, Strafrecht AT 51; B. Heinrich, Strafrecht – AT I § 10 Rdn. 222; Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 8; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 28 II 2 279 f.; Kindhäuser, Strafrecht AT § 10 Rdn. 9; Krey, Deutsches Strafrecht AT Bd. 1 § 9 Rdn. 262; Kühl, Strafrecht AT § 4 Rdn. 9; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 73; Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 13; Puppe, Strafrecht AT Bd. 1 § 2 Rdn. 64; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 5 f.; Schlüchter, JuS 1976 313; R. Schmidt, Strafrecht AT 6. Kap. Rdn. 148; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT § 8 Rdn. 17; Toepel, Kausalität 52; Welzel, Lehrbuch § 9 II 46.

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

klagte sie unterlassen hätte, nicht zu dem geltend gemachten Schaden gekommen sein.“58 Auch der Bundesgerichtshof geht in der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ von der Kausalität der ärztlichen Heilbehandlung für den Körperverletzungserfolg aus.59 Der maßgebliche Grund, weshalb es bei der „hypothetischen Einwilligung“ nach der Bedingungstheorie nicht an der Kausalität fehlt, liegt darin, dass die Kausalität tatsächlich besteht. b) Rechtliche (Un-)Beachtlichkeit des „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willens“ des Berechtigten aa) Die Irrelevanz „hypothetischer Ersatzursachen“ für die Kausalität Die Bedingungstheorie ist aus mehreren Gründen immer wieder angegriffen worden.60 In Rechtsprechung61 und Wissenschaft62 herrscht eine ganz 58

Vgl. RGZ 163 129, 138 = DR 1940 1288, 1290. Vgl. BGH BGHR § 223 StGB Heileingriff 2; NStZ 1996 34 = JR 1996 69; NStZ-RR 2004 16 = JR 2004 251; NStZ 2004 442 = JR 2004 469; NStZ-RR 2007 340; StV 2008 464; vgl. auch OLG Hamm 3 Ss 742/90. 60 Am nachhaltigsten hat an der Bedingungstheorie gewiss der Einwand der „Zirkelhaftigkeit“ gewirkt, denn ob ein Verhalten kausal ist für einen bestimmten Erfolg, kann nur beantwortet werden, wenn die Kausalität des Verhaltens bereits feststeht. Mit der Bedingungsformel kann die Kausalität gerade nicht ermittelt werden. Diese Einsicht gehört seit dem Contergan-Verfahren zum „Allgemeingut strafrechtlichen Schrifttums“, vgl. Maiwald, Kausalität 5. Vgl. eingehend Engisch, Kausalität 18 ff.; vgl. weiter Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 412; Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 210; Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 22 ff.; Schultz, VersR 1990 811. Daneben wird die „Reichweite“ der Bedingungsformel als Mangel wahrgenommen („regressus ad infinitum“), vgl. Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 17. Vgl. auch Frister, Strafrecht AT 9. Kap. Rdn. 6; Gropp, Strafrecht AT § 5 Rdn. 18; Haft, Strafrecht AT 51 f.; B. Heinrich, Strafrecht – AT § 10 Rdn. 222; Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. 8 ff.; Kindhäuser, Strafrecht AT § 10 Rdn. 11; Lackner/ Kühl, Vor § 13 StGB Rdn. 10. 61 Vgl. RGSt 1 373, 374; 44 137, 139; BGHSt 1 332, 333; 2 20, 24; 7 1, 2; 10 369; 13 13; 30 228, 231 f.; 39 195, 197 f.; 45 270, 294 f. 62 Die Formel führt zu unbrauchbaren Ergebnissen bei „hypothetischer“ und „alternativer Kausalität“ („Mehrfachkausalität“). Vgl. Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 207 ff.; Blei, Strafrecht AT § 28 II 1; Engisch, Kausalität 13 ff.; ders., in: FS für Weber 250 f.; Freund, in: MüKo Vor § 13 StGB Rdn. 309; Frister, Strafrecht AT 9. Kap. Rdn. 14 ff.; Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 412, 415 ff.; Gropp, Strafrecht AT § 5 Rdn. 30 ff.; Haft, Strafrecht AT 53 f.; Heinitz, JR 1959 387; Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 10; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 28 II 4 282; Kindhäuser, Strafrecht AT § 10 Rdn. 18 f.; ders., ZStW 120 (2008) 485 ff.; Krey, Deutsches Strafrecht AT Bd. 1 § 9 Rdn. 264; Kühl, Strafrecht AT § 4 Rdn. 11 ff.; Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 18; Prinzing, NJW 59

§ 2 Ursächlichkeit und „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“

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überwiegende Einigkeit, dass die Bedingungstheorie in bestimmten Sachgestaltungen, die unter dem Stichwort „hypothetische Kausalität“ behandelt werden, in die Irre führt. In dieser Fallgruppe wird deutlich, dass die Bedingungstheorie eigentlich keine „Kausaltheorie“ ist, die „Kausalität“ beschreibt, sondern eine „Bedingungstheorie“, die ein bestimmtes „Bedingungsverhältnis“ angibt.63 Daher bezeichnet die Bedingungstheorie ein Verhalten für einen Erfolg unzutreffend als nicht kausal, bloß weil beim Wegdenken des Verhaltens der Erfolg trotzdem eingetreten wäre, aber nicht weil das Verhalten für den Erfolg nicht kausal gewesen wäre, sondern weil andere Ursachen in dem Geschehen so angelegt waren, dass sie den Erfolg, wenn sie durch das kausale Verhalten nicht verdrängt worden wären, an dessen Stelle herbeigeführt hätten.64 Obwohl der tatbestandliche Erfolg auch bei Eliminierung der fehlerhaften Täterhandlung eingetreten wäre, ist an der Kausalität der Handlung für den Erfolg jedoch nicht zu zweifeln, weil nichtwirkende „hypothetische Ersatzursachen“ keinen Einfluss auf den „realen Kausalverlauf“ haben können. „Das sollte über jeden Zweifel erhaben sein“.65 Unter Kausalität wird nämlich die Vermittlung einer Ursache mit der Folge durch eine Art „dynamischer, erfolgsverursachender Wirkkraft“66 verstanden.67 Abweichend davon beschreibt Engischs Lehre der (natur-)gesetzmäßigen Bedingung die Kausalität als (Natur-)„Gesetzlichkeit, die sich auf 1960 952; Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 87 ff., 90 ff.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 22; R. Schmidt, Strafrecht AT 6. Kap. Rdn. 158; Spendel, Kausalität 31 ff.; Welzel, Lehrbuch § 9 II c, d 44 f.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 6 Rdn. 161. Anders hat das zuletzt Dencker, Kausalität 115 gesehen, der aus dem condicio (conditio) sine qua non Erfordernis – nach dem Wortlaut der Bedingungsformel zutreffend – die Konsequenz gezogen hat, – allerdings nur bestimmte – hypothetische Verläufe („Intensivierungsprinzip“) zu berücksichtigen und die Kausalität zu verneinen. An der Ermittlung von Kausalität geht das vorbei, vgl. unten c). Es werden zugleich normative Zurechnungserwägungen berücksichtigt. 63 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 14. 64 Üblicherweise wird nach Fallgruppen differenziert. Es kann so liegen, dass eine andere Ursache den gleichen Erfolg zur gleichen Zeit („hypothetische Kausalität“) oder später bewirkt hätte („überholende Kausalität“), vgl. etwa Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 28 II 4 282; zutreffend kritisch zu den hier mitunter verwendeten Begriffen Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 14 Rdn. 30. 65 Vgl. Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 207. 66 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 14 Rdn. 21. 67 Hardwig, Zurechnung 90 ff. verstand unter einer Ursache im strengen Sinn nur die „wirkende Ursache, die causa effeciens“, nicht dagegen die „causa defeciens“. Der Kausalverlauf sei ein naturgesetzmäßig notwendiges Abrollen von Ereignissen, die bei einer konkreten Situationsgegebenheit durch die wirkenden Ursachen hervorgebracht werden. Zum metaphysischen Kausalbegriff vgl. Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 84.

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

Vorgänge in der Zeit“ beziehe, „und zwar auf zeitlich aufeinanderfolgende, aneinander anschließende Vorgänge („Ereignisse“).68 Unabhängig von der Problematik, wie der Begriff der „Kausalität“ positiv zu bestimmen ist, geht es bei der Ermittlung eines Kausalzusammenhangs doch immer um die Beschreibung eines „tatsächlichen Wirkzusammenhangs“, einer „effektiven Kausalität“ bzw. einer „realen Kausalität“. Es ist festzustellen, ob eine Ursache eine bestimmte Kraft „real“ entfaltet oder mit dem Erfolg durch eine Reihe zeitlich aufeinanderfolgender Ereignisse „naturgesetzlich“ verbunden ist. Wenn ein Kausalzusammenhang ermittelt werden soll, dann ist damit die Realität gemeint, die sich in der Gegenwart abspielt, in der Vergangenheit abgespielt hat oder in der Zukunft abspielen wird und die zwei bestimmte Ereignisse, nämlich die Handlung des Täters mit dem strafrechtlich relevanten, im Tatbestand des Strafgesetzbuches beschriebenen Erfolg verbindet. Für diese Realität sind hypothetische Bedingungen, die den Erfolg im Sinne einer „Wirkkraft“ hypothetisch hätten bewirken, die in einem „naturgesetzlichen Zusammenhang“ zu einem weiteren Ereignis in der Zeit hätten stehen können, vollkommen belanglos.69 Für die Bedingungstheorie sind „hypothetische Ersatzursachen“ allerdings relevant, weil sie methodisch mit einer Hypothesenbildung arbeitet. Für die Feststellung der Kausalität ist aber nicht entscheidend, ob „der Erfolg auch ohne die Handlung eingetreten wäre, wenn . . .“, sondern ob die konkrete Handlung im konkreten Erfolg tatsächlich wirksam geworden ist.70 „Eine 68 Vgl. Engisch, Kausalität 21; vgl. eingehend hierzu und zu den Konsequenzen für die „hypothetische Einwilligung“ unten 2. 69 Vgl. auch Schlüchter, JuS 1976 381. 70 Vgl. Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt; vgl. auch Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 74. Vgl. eingehend Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 11, der den theoretischen Grund für die Berücksichtigung bereitstehender Ersatzursachen durch die Bedingungstheorie in der Arbeit mit einer Hypothese überhaupt sieht. Eine solche Vorgehensweise sei nur angebracht, wenn das Verhältnis von Input und Output in einem System zu prüfen und der gesamte Input (und der Output) kontrollierbar sei, sodass im Falle des Ausbleibens des Inputs nichts an dessen Stelle treten könne. Sei aber unbekannt, was in das System an Ersatzbedingungen einfließen könne, so lasse sich an dem Output allenfalls ablesen, ob die Bedingung notwendig war, nicht aber dass sie nicht hinreichend gewesen wäre (nicht gewirkt hätte). Dagegen hält Toepel, Kausalität 65 diese Aussage für unrichtig, denn wenn A dem B keinen Faustschlag versetzt hätte, dann lasse sich mit Bestimmtheit sagen, dass die Körperverletzung bei Tatenlosigkeit des A ausgeblieben wäre. Hätte hingegen gleichzeitig eine Schlägertruppe auf B eingeschlagen, so müsse das im Sachverhalt ausdrücklich mitgeteilt werden, denn die Welt gleiche nicht einem derart wilden Chaos, dass man solche Umstände ohne weitere Angaben in Betracht ziehen müsse. Mit diesem Vortrag bestreitet Toepel richtig verstanden allein die praktische Seite der Methodenkritik. In theoretischer Hinsicht hat er sie nicht widerlegt.

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Ursache hört nicht dadurch auf, eine Ursache für den Erfolg zu sein, bloß weil eine andere Ursache bereitsteht, die den Erfolg genauso hätte bewirken können, aber nicht bewirkt hat.“71 bb) Das Missverständnis in der Fallgruppe der „geistigen Vorgänge im Innern des Menschen“ (1) Die „Formulierungsschwäche“ der Bedingungstheorie führt auch bei der Ermittlung der Kausalität in der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ zu angreifbaren Ergebnissen. Allerdings scheint das „hypothetische Eliminationsverfahren“ zur Ermittlung des „Kausalzusammenhangs“ zwischen der „fehlerhaften ärztlichen Aufklärung“ („Aufklärungsmangel“) und der „Einwilligung“ oder dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“ problemlos weiterzuführen; das ist verführerisch: Bei dem geforderten Wegdenken der fehlerhaften Aufklärung als die zu isolierende Bedingung deutet vieles auf die Beachtlichkeit des „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willens“ des Patienten hin72 und auf dessen Entscheidung, die er bei pflichtgemäßer ärztlicher Aufklärung getroffen hätte. Die „Einwilligung“ oder der „tatbestandsmäßige Körperverletzungserfolg“ sollen angeblich nicht „verursacht“ worden sein, bloß weil bei pflichtgemäßen Verhalten des Arztes die Einwilligung hypothetisch erteilt oder der Körperverletzungserfolg hypothetisch herbeigeführt worden wäre. Damit bewertet die Bedingungstheorie einen irrealen Geschehensverlauf. Erst die Erweiterung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.) um die „Selbstbestimmung“ des Patienten kann zu einer Anwendung der Bedingungstheorie auch im Verhältnis zwischen dem „Aufklärungsfehler“ und dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“ führen. Der Gedanke der „fehlenden Kausalität“ ist allerdings nicht überzeugend. Eine „fehlerhafte ärztliche Aufklärung“ beeinträchtigt die „Selbstbestimmung“ des Menschen, sie beeinträchtigt keineswegs die „körperliche Unversehrtheit“. Hinter dem Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ steht demzufolge keine Kausalproblematik. (2) Es ist aber nicht allein die Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“, in der methodisch derart vorgegangen wird. Einige weitere dem Schrifttum entnommene Beispiele insbesondere aus dem Bereich der sog. „psychischen Kausalität“ beim Betrugstatbestand (§ 263 StGB) bestätigen das. 71

Vgl. BGHSt 2 20, 24. Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 106, der von einem wenigstens heuristisch mit der Kausalformel übereinstimmenden, hypothetischen Vergleich spricht. 72

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

Hierzu die Referendarentscheidung (BGHSt 13 13): Ein Referendar erschwindelte sich im Dienstzimmer eines Richters von dem Großkaufmann A. ein Darlehen durch die Behauptung, das Darlehen bald zurückzahlen zu können. Der A. vertraute diesen Angaben und erklärte sich bereit, dem Referendar das Darlehen zu geben. Hinterher erklärte der A., er würde das Geld auch ohne diese Vorspiegelung herausgegeben haben. Für ihn hätte allein die Tatsache genügt, dass der Angeklagte auf einem Richterstuhl gesessen hätte, um ihm aus einer augenblicklichen Geldverlegenheit zu helfen, selbst wenn er kein Richter, sondern nur Referendar gewesen wäre.

Den zur Zeit der Referendarentscheidung (BGHSt 13 13) herrschenden Standpunkt in der Wissenschaft vollzieht Maurach nach: Der Irrtum müsse für die Vermögensverfügung ursächlich sein. Die Kausalität fehle, wenn der Verfügende die Disposition auch dann vorgenommen hätte, wenn er nicht irrtumsbefangen gewesen wäre.73 In diesem Sinne argumentieren auch Busch74 und Klauser.75 Schließlich erinnert Toepel die Relevanz der hypothetischen Entscheidung einer Person im Rahmen der Kausalitätsermittlung. Er hat die Bedingungstheorie im Referendarfall (BGHSt 13 13) derart angewendet, dass die Kausalität zwischen Irrtum und Vermögensverfügung zu verneinen sei, wenn das Opfer auch ohne die Täuschung des Täters die schädigende Vermögensverfügung vorgenommen hätte.76 cc) Die Rettungsversuche bei der Bedingungstheorie Bei der näheren Begründung dieses Ergebnisses gehen die Ansichten auseinander.77 Es ist „außerordentlich viel Scharfsinn“ aufgewendet worden, um die Einsicht von der Unbeachtlichkeit „hypothetischer Ersatzursachen“ 73

Vgl. Maurach, Strafrecht BT 1. Aufl. § 38 245. Vgl. Busch, NJW 1960 951: Bei der Ermittlung des der wirklichen Sachlage entsprechenden Willens kann aber auf die der Bedingungstheorie eigene hypothetische Betrachtung der fraglichen Vorgänge nicht verzichtet werden. Es sei zu fragen, was geschehen wäre, wenn der Täter die Täuschungen nicht verübt hätte. Es sei zu prüfen, zu welchen Vorstellungen und Motiven eine Beeinflussung ohne Täuschungshandlung geführt hätte und ob dann die Gewissheit bestehe, dass der Verfügende die fragliche Verfügung auch ohne Täuschungshandlung vorgenommen hätte. 75 „Freispruch oder allenfalls Verurteilung wegen versuchten Betrugs“ „mangels Kausalität zwischen Irrtum und Vermögensverfügung“ kommt für Klauser, NJW 1959 2245 mwN in Betracht, wenn der Zeuge die Frage bejahe, oder – was häufiger vorkomme – keine eindeutige Antwort geben könne, dass er bei Kenntnis der wahren Sachlage auch nicht anders gehandelt hätte, dass er die Vermögensverfügung auch dann vorgenommen hätte, wenn er nicht irrtumsbefangen gewesen wäre. Erst das genüge der Bedingungstheorie für die Bejahung der Kausalität. 76 Vgl. Toepel, Kausalität 93. 77 Vgl. hierzu Schlüchter, JuS 1976 382. 74

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für die Ermittlung des tatsächlichen Kausalzusammenhangs in die Bedingungstheorie einzubringen.78 Bei der „hypothetischen Einwilligung“ greift man auf einige dieser Vorschläge erneut zurück: (1) Intuitiver Ausschluss „hypothetischer Ersatzursachen“ So wird die Unbeachtlichkeit hypothetischer Ersatzursachen im Rahmen der Bedingungstheorie bisweilen ohne nähere Begründung schlechtweg postuliert.79 Intuitiv wird das richtige Ergebnis der theoretischen Begründung vorweggenommen. (2) Die Lehre vom Erfolg in seiner (ganz) konkreten Gestalt Um mit der Bedingungstheorie zu richtigen Ergebnissen zu gelangen,80 ist sie um die Lehre vom „Erfolg in seiner (ganz) konkreten Gestalt“ ergänzt worden.81 Nach der Bedingungstheorie ist hiernach eine Ursache im Sinne des Strafrechts jede Bedingung eines Erfolgs, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der „Erfolg in seiner (ganz) konkreten Gestalt“ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele.82 Der Erfolg soll in bestimmter Hinsicht nach seiner „individuellen, zeitlichräumlichen Gestalt“ konkretisiert werden.83 Mit der konkreten Erfolgs78

Vgl. Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 208. Vgl. Welzel, Lehrbuch § 9 II c 44. 80 Vgl. etwa Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 48; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 79; Puppe, ZStW 99 (1987) 596; dies., in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 90 ff. Zuletzt hat Toepel, Kausalität 77 ff., 79 die einzig legitime Funktion des „Konkretisierungsverfahrens“ in der Ausschaltung von irrelevanten Ersatzursachen und der Erhaltung der Bedingungstheorie erblickt: Es dürfe „nur“ konkretisiert werden, wenn eine Ersatzursache bereitstehe. 81 Zur endgültigen Durchsetzung der Lehre vom Erfolg in seiner (ganz) konkreten Gestalt verhalfen ihr Müller, Kausalzusammenhang 11 und Engisch, Kausalität 11. Vgl. zur Dogmengeschichte Samson, Hypothetische Kausalverläufe 26 ff.; vgl. auch Puppe, ZStW 90 (1982) 872 Fn. 11. 82 Vgl. etwa Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 14 Rdn. 8; Fischer, Vor § 13 StGB Rdn. 21; Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 419; Gropp, Strafrecht AT § 5 Rdn. 15; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 73, 79; Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 8; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 28 II 2 279 f.; Kindhäuser, Strafrecht AT § 10 Rdn. 75; Krey, Deutsches Strafrecht AT § 9 Rdn. 263; Kühl, Strafrecht AT § 4 Rdn. 9; Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 13; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 8 Rdn. 17; Welzel, Lehrbuch § 9 II 43; die Lehre vom Erfolg in seiner konkreten Gestalt ablehnend Frister, Strafrecht AT 9. Kap. Rdn. 21 ff. 83 Vgl. etwa Schlüchter, JuS 1976 381; vgl. auch Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 419; Puppe, ZStW 90 (1982) 871. 79

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

beschreibung kann erklärt werden, dass der „Erfolg in seiner (ganz) konkreten Gestalt“ ohne den kausalen Beitrag des Täters nicht eingetreten wäre, sondern ein ganz anderer Erfolg. Mit der Erhöhung der Anzahl an Tatsachen der „konkreten Erfolgsgestalt“ verringert sich die Zahl der möglichen Bedingungen, die diesen „konkreten Erfolg“ erklären. Der Erfolg wäre bei einer ganz konsequenten Konkretisierung hypothetisch ein jeweils anderer gewesen.84 Mit dieser Lehre versucht Schultz bei der „hypothetischen Einwilligung“ die Konsequenz der Bedingungsformel zu vermeiden, dass der „Aufklärungsmangel“ die „Einwilligung“ oder den „Körperverletzungserfolg“ nicht („kausal“) verursacht haben soll, wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte.85 Die Gedankengänge des Patienten sollen sich immer unterscheiden, je nachdem, ob ihm durch die Aufklärung etwas Neues bekannt werde oder nicht. Erlange er durch die Aufklärung eine neue Information, werde er diese bei seiner Willensentschließung berücksichtigen. Wie seine Entscheidung im Ergebnis ausfalle, sei damit noch nicht gesagt. Die Entscheidung könne allerdings „im Ergebnis identisch“ sein. Wegen der Verarbeitung einer neuen Information durch den später Geschädigten werde dessen – wenn auch im Ergebnis identische – Entscheidung zu einem „geringfügig anderen Zeitpunkt“ getroffen, so dass auch die schädliche Folge entsprechend „später“ oder „früher“ eintrete. Selbst wenn der schädliche Erfolg „exakt zur selben Zeit“ eingetreten wäre, wäre eine andere und nur im Ergebnis gleiche Entscheidung des Geschädigten dafür „ursächlich“. Der „naturgesetzliche Zusammenhang“ wäre mithin selbst dann ein anderer. Der „Kausalverlauf wäre nur teilweise identisch“. Hilft die Konkretisierung des Körperverletzungserfolgs in zeitlicher Hinsicht nicht weiter, so konkretisiert Schultz den „Erfolg in seiner ganz konkreten Gestalt“ unter Rückgriff auf den „naturgesetzlichen Kausalverlauf“ der Entscheidung des Patienten selbst.86 Obwohl Schultz zutreffende Ergebnisse erzielt, ist seine theoretische Begründung nicht überzeugend. Bei Schultz ist zunächst ungeklärt, was die „konkrete Erfolgsgestalt“ ausmacht.87 Er schwankt zwischen der „Willensentschließung des Patienten“ und dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“.88 Das kann Konsequenzen zeitigen. 84

Vgl. Vgl. 86 Vgl. § 2 D. II. 87 Vgl. Rdn. 71. 88 Vgl. 85

Schlüchter, JuS 1976 518. so auch die Ausgangsüberlegung von Schultz, VersR 1990 811. Schultz, VersR 1990 811; zum „universellen Determinismus“ vgl. 5. Kap. 4. zum Begriff Puppe, ZStW 92 (1980) 873; dies., in: NK Vor § 13 StGB Schultz, VersR 1990 811.

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Die Konkretisierung des tatbestandlichen Körperverletzungserfolgs in „zeitlich-räumlicher“ Dimension muss nicht immer nachvollziehbare Ergebnisse begründen.89 Beim Abstellen auf die Willensentschließung des Patienten wird zwar regelmäßig keine Differenz „im Ergebnis“ der Entschließung feststellbar sein, die die Zurechnung begründet, weil der Patient die medizinisch vernünftige Entscheidung nachvollziehen wird. Allerdings ließe sich theoretisch eine „zeitliche“ Differenz zwischen der tatsächlichen und hypothetischen Entschließung ausmachen. Die Entscheidung des Patienten für den Eingriff werde „früher“ oder „später“ getroffen.90 Das trägt das „Kausalurteil“ in den identischen Fällen, bloß weil sich der Bezugspunkt ändert. Allerdings wird die Lehre vom „Erfolg in seiner konkreten Gestalt“ so wohl missverstanden. Mit dem „Erfolg“ wird gemeinhin der tatbestandliche Erfolg gemeint.91 Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte ist die „körperliche Unversehrtheit“, nicht die Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit des Patienten („Selbstbestimmung“). Die Bedenken gegen diesen „Erfolgsbegriff“ lassen sich zerstreuen. Eine möglichst weitgehende „Erfolgskonkretisierung“ scheint am ehesten geeignet, den Zweck der Elimination hypothetischer Ersatzursachen zu erreichen. Die maßgeblichen Beispiele, u. a. der Scharfrichterfall, entstammen der Feder Engischs:92 Der Vater des ermordeten Opfers schafft es, sich während der Hinrichtung in die Nähe des Schafotts zu schleichen und im entscheidenden Augenblick an Stelle des von ihm uno actu zurückgestoßenen Scharfrichters auf den Knopf zu drücken.

Die Irrelevanz der „hypothetischen Ersatzursachen“ lässt sich in Sachgestaltungen dieser Art mit der Bedingungsformel nur darlegen, wenn die „Art und Weise“ der Entstehung mit zur „konkreten Erfolgsgestalt“ gezählt wird („Genese des Erfolgs“).93 Ansonsten führt das Verfahren in derartigen 89 Die Operation wäre auch bei hypothetisch wahrheitsgemäßer Aufklärung nach einem festbestimmten Operationsplan zur gleichen Zeit, am gleichen Ort, in der gleichen Weise ausgeführt worden. Das dürfte sogar der Regelfall im Krankenhausbetrieb sein. Durch eine „zeitlich-räumliche“ Konkretisierung des tatbestandlichen Körperverletzungserfolgs lässt sich eine Erfolgsdifferenz oftmals nicht darlegen. 90 Vgl. Schultz, VersR 1990 811. 91 Das erkennt auch Schultz, VersR 1990 811 r. Sp. a. E. an; er prüft, ob die „schädliche Folge“ (scil. die Körperverletzung) wegen der zu einem anderen Zeitpunkt getroffenen „Willensentschließung“ des Patienten auch etwas „früher“ oder „später“ eingetreten wäre. 92 Vgl. Engisch, Kausalität 15 f. 93 Vgl. Blei, Strafrecht AT § 28 II 1 100 f., 102; Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 50 f.; Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 15 f.; Ranft, NJW 1984 1426; Schultz, VersR 1990 811; Schlüchter, JuS 1987 518 f.; dies., JA 1984 673;

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

Extremfällen in den „Grenzen menschlichen Unterscheidungsvermögens“, in denen der Erfolg genau so, wie er ohne das Verhalten des Vaters eingetreten wäre,94 auch nicht weiter. Es ist unbrauchbar.95 Unter dieser Voraussetzung vermag die Lehre vom „konkreten Kausalverlauf“96 im Scharfrichterfall, im Knüppelfall,97 auch bei der „hypothetischen Einwilligung“ zu richtigen Ergebnissen zu führen. Hieraus ergibt sich die geringe Bedeutung des unterschiedlichen „Erfolgsbegriffs“: Die Irrelevanz der „hypothetischen Entschließung“ kann bei einem Abstellen auf den tatbestandlichen Körperverletzungserfolg noch immer mit seiner Genese erklärt werden, die die tatsächliche „Willensentschließung“ des Patienten mit umfasst. Die Ansichten haben insofern einen gemeinsamen Bestandteil. Dann verschlägt die Argumentation von Schultz. Jedenfalls wäre bei der Berücksichtigung neuer Informationen der „hypothetische Willensbildungsprozess“ – unterstellt – nicht identisch mit dem „tatsächlichen Willensbildungsprozess“ gewesen. Unabhängig davon, ob die tatsächliche und die hypothetische Entscheidung „im Ergebnis“ übereinstimmen würden, wann der – wie auch immer zu verstehende – „Erfolg“ (Willensentschließung, Körperverletzungserfolg) „exakt“ eingetreten wäre,98 immer würde die verschiedene Genese des Erfolgs das „Kausalurteil“ tragen.99 Die Kausalität würde durch den „hypothetischen, ohne Irrtum gebildeten Willen“ nicht in Zweifel gezogen. Der „Erfolg“ wäre bei einer ganz konsequenten Konkretisierung hypothetisch ein jeweils anderer gewesen.

Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 6 Rdn. 161. Weitere Nachweise bei Puppe, ZStW 99 (1987) 597. 94 Im Scharfrichterfall will Toepel, Kausalität 76 mit einer „genauen Fallanalyse“ die „Gleichzeitigkeit“ von Ursache und Ersatzursache – die „logische Möglichkeit“ im gegebenen Kontext, dass der Vater „genau“ in dem Zeitpunkt, in dem der Scharfrichter tätig geworden wäre, den Knopf betätigt – bestreiten und damit die Lehre von der konkreten Erfolgsgestalt retten. Aber dieser Umstand war für Engischs Kritik an der Bedingungsformel als „Kausalformel“ vollkommen nebensächlich („in den Grenzen menschlichen Unterscheidungsvermögens“). 95 Vgl. eingehend Engisch, Kausalität 15 ff.; Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 91. 96 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 15. 97 A, der den D verprügeln will, schreit B und C an, ihm dazu einen in der Ecke stehenden Stock zu reichen. B und C gehen, um diesen zu holen. B erreicht ihn zuerst und bringt ihn dem ungeduldig wartenden A, der sich alsdann zu D begibt und auf diesen einschlägt. Hätte C statt des B den Stock ergriffen, so wäre D zur gleichen Zeit in genau gleicher Weise und sogar mit dem gleichen Stock verletzt worden, vgl. Engisch, Kausalität 15 f.; vgl. auch Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 91. 98 Die praktisch schwierig umzusetzende Vorgabe, den exakten Zeitpunkt der Willensentschließung und des Eintretens des tatbestandlichen Körperverletzungserfolgs feststellen zu müssen, bedarf daher keiner weiteren Beachtung. In dieser Hinsicht muss sich auch Toepel, Kausalität 76 im Scharfrichterfall angreifen lassen. 99 Vgl. Schultz, VersR 1990 811.

§ 2 Ursächlichkeit und „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“

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Die Lehre vom „Erfolg in seiner (ganz) konkreten Gestalt“ wird nachhaltig von Puppe in Zweifel gezogen. Es gebe keine „Vorgegebenheit“ der „konkreten Erfolgsgestalt“, es handele sich um einen „Scheinbegriff“. Es können beliebig wahre Sachverhalte zu Bestandteilen des konkreten Erfolgs gemacht werden, wie gerade die Auseinandersetzung um die Anerkennung der „abstrahierenden Kausaltheorien“ gezeigt habe. Mit einer besonders konsequenten Erfolgsbeschreibung100 können alle weiteren Tatsachen beschrieben werden, die mit der betreffenden Tatsache in Zusammenhang gebracht werden können. Im Endeffekt könne der „gesamte Zustand der Welt“ im Zeitpunkt des Erfolgs beschrieben werden, sogar „alle früheren Zustände der gesamten Welt“, wenn auch der „Kausalverlauf“ in den zu erklärenden Erfolg einbezogen werde.101 Theoretisch wäre es möglich, jede Person, die irgendwie auf die Außenwelt eingewirkt habe, mit jedem Erfolg in Kausalbeziehung zu setzen.102 Das Kausalitätserfordernis verfehle seinen Zweck. Es werde nur undeutlich begründet,103 weshalb „bloße Begleiterscheinungen des tatbestandsmäßigen Erfolgs“ wie das Be- statt des Unbemaltseins einer zerstörten Vase im Vasenfall unbeachtlich seien,104 während umgekehrt zum konkreten Erfolg des Totschlags gehöre, dass das Opfer seitlich am Kopf getroffen werde, sodass derjenige, der es durch einen Zuruf zu einer Kopfwendung veranlasse, für den Todeserfolg in seiner ganz konkreten Gestalt kausal werde.105

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Vgl. Schlüchter, JuS 1976 518. Vgl. Puppe, ZStW 92 (1980) 872 f.; dies., ZStW 99 (1987) 596; dies., in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 73. Für Schlüchter, JuS 1976 518 mwN. ist es nur „konsequent“, dass auch die den Erfolg erklärende „Art und Weise“ seiner Entstehung mit zur „konkreten Erfolgsgestalt“ gerechnet werde. In der Tat fehlt es an dem Grund, weshalb die Erfolgsbeschreibung auf einer „mittleren Abstraktionshöhe“ enden sollte. Gegen eine besonders „konsequente“ Konkretisierung wendeten sich die „abstrahierenden Kausaltheorien“, welche den Erfolg anders als die „konkretisierenden Kausaltheorien“ unter dem Eindruck von „Wertungsgesichtspunkten des Tatbestandes“ hinsichtlich bestimmter Tatsachen der Erfolgsbeschreibung für irrelevant erklärt, von ihnen „abstrahiert“ haben. Sie haben sich nicht durchsetzen können. Die Etablierung eines „besonderen Kausalbegriffs“ ließe sich allein damit begründen, dass ein bestimmtes erwünschtes Ergebnis aus ihm ableitbar sei. Das ist dogmatisch unzutreffend, vgl. Schlüchter, JuS 1977 106. 102 Vgl. Puppe, ZStW 92 (1980) 872 f. 103 Vgl. Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 49; Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 16; vgl. kritisch auch Frister, Strafrecht AT 9. Kap. Rdn. 21 f. 104 Vgl. Engisch, Kausalität 11. Es soll auch im Truhenfall unerheblich sein, dass die Truhe, bevor sie im Feuer verbrennt, zuerst noch gedreht wurde, sodass sie von rechts nach links statt umgekehrt verbrennt, vgl. Beispiel bei Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 16 mit weiteren Bsp. 105 Vgl. das Beispiel von Puppe, ZStW 92 (1980) 873, die meint, dass der Totschlagserfolg auch anders beschrieben werden könnte. Wenn der Erfolg als „Kopf101

192

5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

Das Fehlen genauer Kriterien zur Präzisierung der „konkreten Erfolgsgestalt“ wird auch gar nicht bestritten.106 Dem Zweck des Verfahrens soll aber genügt werden, wenn nur bestimmte Umstände in die Betrachtung eingestellt werden, die eine trennscharfe Unterscheidung tatsächlicher und gedachter Ereignisse ermöglichen.107 Daran zeigt sich die Manipulierbarkeit des Verfahrens.108 Es unterliegt einem Zirkelschluss: Man nimmt eine Tatsache in die Erfolgsbeschreibung immer dann auf, wenn man denjenigen, der für diese Tatsache eine notwendige Bedingung gesetzt hat, als kausal für den Erfolg ansehen will.109 Das „woran“ die Ursache als Ersatzursache erkannt worden ist, bleibt demnach unklar.110 In erfrischender Offenheit erläutert Hilgendorf das hier tragende Prinzip: Konkretisieren müsse man immer dann, wenn das Verhalten einer Person als strafrechtlich relevant empfunden werde, dagegen könne darauf verzichtet werden, etwa weil von vornherein offensichtlich sei, dass es ohnehin am Vorsatz oder der Fahrlässigkeit in Bezug auf die Rechtsgutsverletzung fehle.111 Hier ist jemand kausal für einen Erfolg, weil derjenige, der sich der Bedingungstheorie bedient, es so will: Aber schon das ist ein fehlerhafter Ansatz, denn Kausalität besteht unabhängig vom Willen desjenigen, der die Sachgestaltung untersucht. Abgesehen davon wiederholt sich hier die grundlegende Kritik, dass die Formel „ganz überflüssiger Ballast“ ist, wenn der Charakter einer Bedingung als Ersatzursache bereits bekannt ist.112 „Besonders deutlich“ wird dieser „Zirkel“, wenn die „Art und Weise“ der Entstehung des Erfolgs in die Erfolgsbeschreibung aufgenommen wird. Das hat Engisch anhand des Scharfrichterfalls eingehend dargelegt: Bei einer solchen Begründung der Kausalität werde aber gerade das bereits als kausal vorausgesetzt, was als kausal allererst erwiesen werden soll.113

wunde durch Schädelfraktur“ beschrieben werde, sei die genaue Lage der Wunde vollkommen unerheblich, sodass der Zurufer keinen kausalen Beitrag geleistet hätte. 106 Vgl. so auch Kühl, Strafrecht AT § 4 Rdn. 15. 107 Vgl. Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 48. 108 Vgl. auch Hilgendorf, GA 1995 531. 109 Vgl. Puppe, ZStW 92 (1980) 873 f.; dies., ZStW 99 (1987) 596. 110 Vgl. Puppe, ZStW 99 (1987) 596. 111 Vgl. Hilgendorf, GA 1995 531. 112 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 10. 113 Vgl. eingehend Engisch, Kausalität 16; vgl. so auch Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 51 Fn. 77; Puppe, ZStW 92 (1980) 873 f.; dies., in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 93; dies., Strafrecht AT Bd. I § 1 Rdn. 8 f.; Toepel, Kausalität 76. Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 76 f. versucht diesen „Zirkelschluss“ zu umgehen und die Erfolgsbeschreibung mittels der Genese des Erfolgs zu erhalten, indem er die die Erfolgsgestalt konkretisierenden Fakten nicht nach ihrer „Kausalität“ auswählt, sondern unter dem Gesichtspunkt, ob sie „in Wirklichkeit gegeben“ waren.

§ 2 Ursächlichkeit und „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“

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Die jüngsten Versuche, mit der Lehre vom (ganz) konkreten Erfolg die Bedingungsformel zu erhalten, wie sie etwa auch Toepel unternommen hat,114 erweitern die Reihe an Einwendungen, die gegen diese Formel vorgetragen werden können. Hieran scheitert u. a. auch der Vorschlag von Schultz. (3) Die „verbesserte“ Variante der Bedingungstheorie Die Mängel der Lehre vom konkreten Erfolg veranlassten Spendel zu einer Weiterentwicklung der Bedingungstheorie. Nach seiner „verbesserten Bedingungstheorie“, die das Postulat der Unbeachtlichkeit „hypothetischer Ersatzursachen“ inhaltlich in die Bedingungsformel integriert, ist eine Handlung kausal, wenn ohne sie – unter Außerachtlassung aller wahrscheinlich oder sicher ersatzweise eintretenden oder auch nur verhinderten, tatsächlich jedoch nicht verwirklichten Umstände – der „konkrete Erfolg“ entfiele oder der „konkrete juristische Erfolg“ nicht eingetreten wäre.115 Die Anwendung der Bedingungstheorie bei der „hypothetischen Einwilligung“ lässt sich mit dem „Verbot des Hinzudenkens“ von Umständen nicht mehr vereinbaren. Zutreffend erinnert Gropp, dass die Bedingungsformel gar nicht ihrem Wortlaut entsprechend, sondern modifiziert angewendet werde.116 In der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ wird nicht untersucht, ob „die Bedingung [scil. die fehlerhafte ärztliche Aufklärung oder der fehlerhafte Wille] nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg [scil. die „Einwilligung“ oder der „tatbestandliche Körperverletzungserfolg“] entfiele.“ Vielmehr wird entgegen dem Wortlaut der Bedingungstheorie die zu isolierende Bedingung nicht nur hinweggedacht, sondern durch eine andere hinzugedachte Bedingung ersetzt: Der Strafrechtler vergewissere sich über „Kausalität“ aber allein durch „Wegdenken“ der mangelhaften Aufklärung, nicht durch „Hinzudenken“ einer mangelfreien Aufklärung117 oder des als „irrtumsfrei“ gedachten Willens des Patienten. Man müsse strenggenommen von einer „Konkretisierung der als Zwischenursachen in Frage kommenden Ereignisse“ sprechen. 114 Vgl. Toepel, Kausalität 75 ff. 115 Vgl. Spendel, Kausalität 38, 92; ders., JuS 1964 15; vgl. weiter Frister, Strafrecht AT 9. Kap. Rdn. 27 ff.; B. Heinrich, Strafrecht – AT I § 10 Rdn. 20 f.; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 74 mwN. 116 Das Hinzudenken von Umständen soll nach der Bedingungsformel allenfalls dann möglich sein, wenn es um die Ermittlung der „Unterlassungskausalität“ für den Erfolg geht, vgl. Gropp, in: FS für Schroeder 202. Von daher wird das Interesse verständlich, in den Sachgestaltungen der „hypothetischen Einwilligung“ eine „Unterlassung“ der gebotenen Aufklärung zu sehen, vgl. § 3. 117 Vgl. Mitsch, JZ 2005 281.

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

Obwohl die „verbesserte Formel“ Spendels ganz offenbar gegen die Berücksichtigung des Verlaufes spricht, wie er sich bei „Hinzudenken“ pflichtgemäßer Aufklärung entwickelt hätte, vielmehr die „Ursächlichkeit der wahrheitswidrigen Aufklärung für die tatsächliche Einwilligung“ hierdurch nicht in Frage gestellt wird,118 und damit das bisherige Ergebnis stützt, ist auch an dieser Variante der Kausalformel Kritik zu üben. Es liegt auf der Hand, dass in der „verbesserten Bedingungsformel“ eine „partielle Preisgabe der Formel“ von der condicio (conditio) sine qua non zu sehen ist.119 Spendels Rettungsversuch ist darüberhinaus in logischer Hinsicht zweifelhaft. Sind die Eigenschaften der Ursachen, ob sie den Erfolg bewirkt oder nicht bewirkt haben, vollends bekannt, bedarf es der Folgeüberlegungen nach der verbesserten Bedingungsformel, sich das Geschehen ohne Ersatzursachen vorzustellen, nicht mehr. Der gesuchte Kausalzusammenhang ist bereits offengelegt. Die Theorie erweist sich als ganz „überflüssiger Ballast“.120 Die Befolgung der „verbesserten Bedingungsformel“ führt zudem zu nicht überzeugenden Konsequenzen121 und versagt auch in Fallgestaltungen der alternativen Kausalität.122 2. Die Lehre von der (natur-)gesetzmäßigen Bedingung

a) Abweichend von der Bedingungstheorie soll nach Engischs Lehre von der (natur-)gesetzmäßigen Bedingung ein Verhalten dann ursächlich für einen bestimmten im strafgesetzlichen Tatbestand abgegrenzten konkreten positiven Erfolg sein, wenn sich an jenes Verhalten als zeitlich nachfolgend Veränderungen in der Außenwelt angeschlossen haben, die mit dem Verhalten und untereinander in ihrer Aufeinanderfolge (natur-)gesetzmäßig verbunden waren und die ausgemündet sind in irgendeinen Bestandteil des konkreten Sachverhalts, der dem Strafgesetze gemäß als Erfolg abgegrenzt 118

Vgl. so auch Mitsch, JZ 2005 281. Vgl. Engisch, Weltbild 131 Fn. 288; vgl. weiter Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 209; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 28 II 4; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 74. 120 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 10. 121 Sollte nämlich der Mörder, der sein Opfer mit einem Messerstich ins Herz niedersticht, nicht kausal sein für den Tod des Opfers, das den Verletzungen der Wunde erliegt? Spendels „verbesserte“ Bedingungstheorie hat hier den entscheidenden Nachteil, die Kausalität verneinen zu müssen, denn bei „Wegdenken“ des Messerstichs kann der Mensch nur dann als lebendig gedacht werden, wenn sein Herzschlag wieder „hinzugedacht“ wird. Das Ergebnis ist angreifbar, vgl. Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 10. 122 Vgl. etwa Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 28 II 4 282. 119

§ 2 Ursächlichkeit und „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“

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ist.123 Ein Verhalten ist für einen Erfolg kausal, wenn dieser Erfolg mit dem Verhalten durch eine Reihe von zeitlich nachfolgenden Veränderungen in der Außenwelt gesetzmäßig verbunden ist.124 Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung führt in der Fallgestaltung der („hypothetischen“) Einwilligung zu keinen anderen Resultaten als die Bedingungstheorie. Bekannt ist ein Naturgesetz, wonach eine Wunde am Körper eines Menschen immer dadurch entsteht, wenn mit einem spitzen Gegenstand im weitesten Sinne (scil. Skalpell, Nadel, . . .) auf den menschlichen Körper in einer bestimmten Weise (scil. Schneiden, Stechen, . . .) von außen eingewirkt wird. In der tatsächlichen Situation der („hypothetischen“) Einwilligung fehlt es auch nach dieser Theorie an der Kausalität nicht. b) Mit der „hypothetischen Einwilligung“ ergibt sich zudem die Problematik, wie „geistige Vorgänge im Innern des Menschen“ (BGHSt 13 13) zu behandeln sind. Bei der „Kausalität des Aufklärungsmangels“ geht es um den Prozess der Entscheidungsfindung des Einwilligenden. Engisch setzte allerdings auch im „seelischen Bereich“ und insbesondere im Bereich der „Motivation von Willenshandlungen“ einen „gewissen ‚Determinismus‘ “ voraus.125 Er erklärte sein deduktiv-nomologisches Modell der Kausalerklärung für die physische und psychische Kausalität „universell gültig“.126 Das Kriterium für die Feststellung der „allgemeinen“ Kausalität sei die Gesetzlichkeit der Aufeinanderfolge von realen Ereignissen in der Zeit nach den Gesetzen der physischen und psychischen Natur.127 Die universelle Gültigkeit von Engischs Theorie auch bei „geistigen Vorgängen im Innern des Menschen“ (BGHSt 13 13) trifft jedoch überwiegend auf Ablehnung.128 Immerhin legt Schultz in seinen Ausführungen zur „hypothetischen Einwilligung“ offen, dass er dem „universellen Determinismus“ zuneigt.129 123

Vgl. Engisch, Kausalität 21. Vgl. beispielsweise Freund, in: MüKo Vor § 13 StGB Rdn. 313; Frister, Strafrecht AT 9. Kap. Rdn. 6 f.; Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 412; Gropp, Strafrecht AT § 5 Rdn. 33; B. Heinrich, Strafrecht – AT I § 10 Rdn. 226; Hilgendorf, Jura 1995 514; Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 5 ff., 8 ff., 12; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 28 II 4 281 f.; Kindhäuser, Strafrecht AT § 10 Rdn. 12; Krey, Deutsches Strafrecht AT § 9 Rdn. 274; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 75; Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 31; ders., Jura 1992 93 ff.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 24; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 8 Rdn. 19. 125 Vgl. Engisch, in: FS für von Weber 269. 126 Vgl. Hansen, Jura 1990 515. 127 Vgl. Engisch, in: FS für von Weber 264. 128 Vgl. jüngst anerkennend etwa Dencker, Kausalität 29 ff. 129 Vgl. Schultz, VersR 1990 812, der von der Unterschiedlichkeit der „(naturgesetzlichen) Kausalverläufe“ mit oder ohne neue Informationen auch bei im Ergebnis identischer Entscheidung spricht. 124

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

Die Theorie der gesetzmäßigen Bedingung erklärt auch im Bereich der „geistigen Vorgänge im Innern des Menschen“ aus sich heraus die Unbeachtlichkeit des „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willens“ des Patienten für die festgestellte „effektive“ „innere“ Kausalität. Mit der „hypothetischen Einwilligung“ verbindet sich daher keine Kausalproblematik. 3. Das Motivationsmodell in der Referendarentscheidung

a) Die Anwendbarkeit der Bedingungstheorie bei „geistigen Vorgängen im Innern des Menschen“ Im Bereich der sog. „psychischen Kausalität“130 ermittelt die Rechtsprechung schon lange nicht mehr einen Kausalzusammenhang nach der Bedingungstheorie, sondern einen Motivationszusammenhang.131 Damit trägt sie den Bedenken derer Rechnung, die anders als Engisch von einer gedanklichen Trennung von „Ursachen“ für „kausal erklärbare Erfolge“ und „verstehbaren Gründen“ für menschliches Verhalten ausgehen. Sie folgt damit nicht dem „wissenschaftlichen Einheitsmodell“ Engischs, sondern dem „dualistischen System“ von Natur- und Geisteswissenschaften, das auf einer Trennung von „Erklären“ und „Verstehen“ beruht.132 Das Modell zur Ermittlung des Motivationszusammenhangs hat der Bundesgerichtshof zuerst im Wohnungsmaklerfall133 entfaltet und später im Referendarfall (BGHSt 13 13) wiederholt.134 Der Bundesgerichtshof hat die Irrelevanz von „hypothetischen Ersatzursachen“ nicht nur für den Bereich der „Ursachenzusammenhänge in der äußeren Natur“ bekräftigt, sondern speziell auch für die „geistigen Vorgänge im Inneren des Menschen“ (BGHSt 13 13). „Es kommt allein auf den tatsächlichen Verlauf der Willensbildung an, der sein Dasein und seine rechtliche Bedeutung nicht dadurch verliert, dass an seine Stelle ein anderer getreten wäre, aber nicht getreten ist. Er bleibt die wirkliche Grundlage der Vermögensverfügung.“ Die innere Verknüpfung zwischen dem Irrtum und der von ihm veranlassten oder mitveranlassten Vermögensverfügung werde nicht dadurch aufgehoben, dass der Getäuschte sonst andere Erwägungen angestellt hätte, die er in Wirklichkeit nicht angestellt habe. Ob für den A. der Grund ausgereicht hätte, dass der Referendar auf einem Richterstuhl ge130 Der Begriff der sog. „psychischen Kausalität“ ist sachlich nur vom Standpunkt eines „Universaldeterminismus“ aus haltbar. 131 Die Begrifflichkeit findet sich etwa bei Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 38. 132 Vgl. Bernsmann, ARSP 1982 538. 133 Vgl. BGH MDR 1958 140 mitgeteilt von Dallinger. 134 Vgl. Sachverhalt oben 1. b) bb) (2).

§ 2 Ursächlichkeit und „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“

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sessen hätte, sei nicht entscheidend, solange er das Geld tatsächlich deshalb gegeben habe, weil er den falschen Angaben vertraute. Hiernach wäre der Referendar wegen vollendeten Betrugs zu verurteilen. b) Die Übertragbarkeit und Übertragung des Motivationsmodells auf die „hypothetische Einwilligung“ Es ist im Grunde nichts dagegen einzuwenden, die in der Referendarentscheidung (BGHSt 13 13) entwickelten theoretischen Grundsätze auch auf sonstige Bereiche der „geistigen Vorgänge im Innern des Menschen“ zu übertragen. Bei der „hypothetischen Einwilligung“ hält Puppe diese Grundsätze für anwendbar.135 In dieser Fallgestaltung, in der ein „Kausalzusammenhang“ zwischen der „fehlerhaften ärztlichen Aufklärung“ und der „Einwilligung“ oder dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“ behauptet wird, aber nicht besteht, können sie aber nur ergänzend herangezogen werden.136 Immerhin betrifft auch der geforderte „Kausalzusammenhang“ die Motivationsbildung des Patienten für die Einwilligung. Hierbei handelt es sich um einen „geistigen Vorgang im Innern des Menschen“ (Entscheidungsfindung). Sachlich geht es ganz allgemein um die Bewältigung der Problematik, wie die „geistigen Vorgänge im Innern des Menschen“ (BGHSt 13 13) zu behandeln sind. Unter diesem Blickwinkel ist aus prinzipiellen Gründen kein Unterschied zwischen den Sachgestaltungen anzuerkennen, in denen es um die Bildung einer Motivation zur Vornahme einer Vermögensverfügung (Wohnungsmaklerfall, Referendarfall) oder zur Abgabe einer Einwilligung – wie in den hier zu behandelnden Fällen – geht. Die Heranziehung dieser Grundsätze ist insoweit nützlich, als damit die Bedeutung des „tatsächlichen Verlaufs der Willensbildung“ besonders eindringlich vor Augen geführt wird.137 Das Abstellen des Bundesgerichtshofs auf den „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willen“ des Patienten entgegen seinen Grundsätzen zur „Kausalität“ erscheint daher widersprüchlich. Die entsprechende Anwendung dieser Grundsätze hätte für die Sachgestal135

Vgl. Puppe, JR 2004 471; andeutungsweise dies., GA 2003 770 ff. Sie können nur ergänzend herangezogen werden, weil strukturell keine wie beim Tatbestand des Betrugs (§ 263 StGB) geforderte „Irrtumskausalität“ ermittelt wird, denn die „Kausalität“ ist in den Fällen der „hypothetischen Einwilligung“ immer gegeben. An der Übertragbarkeit dieser Grundsätze zweifeln auch Jäger, in: FS für Jung 352 Fn. 31 und Schwartz, Hypothetische Einwilligung 53 f. 137 Die Relevanz des tatsächlichen Willens bei der Ermittlung der Wirksamkeit der Einwilligung, insbesondere bei eventuell vorhandenen Willensmängeln, folgt unmittelbar aus der Einwilligung und dem hinter ihr stehenden Prinzip der Autonomie. Die Einwilligung kann nur rechtfertigen, wenn sie tatsächlich willensmangelfrei vorliegt, vgl. auch 6. Kap. § 1 A. 136

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

tung der „hypothetischen Einwilligung“ bedeutet, dass es bei dem Patienten allein auf den tatsächlichen Verlauf der Willensbildung ankommt, der sein Dasein und seine rechtliche Bedeutung nicht dadurch verliert, dass an seine Stelle ein anderer getreten wäre, aber nicht getreten ist. Die innere Verknüpfung zwischen dem Irrtum und der von ihm veranlassten oder mitveranlassten Entscheidung [scil. die „Einwilligung“] über den ärztlichen Eingriff wird nicht dadurch aufgehoben, dass der Getäuschte sonst andere Erwägungen angestellt hätte, die er in Wirklichkeit nicht angestellt hat. Selbst wenn theoretisch mit völliger Gewissheit die „hypothetische Einwilligung“ festgestellt werden könnte, so steht doch immerhin fest, dass der Patient eine solche Entscheidung nicht getroffen und der Arzt sich über dessen Selbstbestimmungsrecht tatsächlich hinweggesetzt hat.138 An der „kausalen Verursachung“ des Willensentschlusses durch die fehlerhafte ärztliche Aufklärung kann es in bestimmten, noch zu behandelnden Fallgruppen fehlen.139 Hierzu ist aber das Wissen über den „tatsächlich“ inneren Verlauf der Willensbildung entscheidend, nicht dagegen das Wissen über das hypothetische Entscheidungsverhalten („was wäre geschehen, wenn . . .“).140 Der Bundesgerichtshof hat seine eigenen, durch das Motivationsmodell beschriebenen Grundsätze bei der Ermittlung der sog. „psychischen Kausalität“ nicht für beachtlich gehalten.141 Es wäre angezeigt gewesen, die „hypothetische Einwilligung“ des Patienten im Rahmen der von ihm auch im Bereich der ärztlichen Aufklärungsrüge geforderten „Kausalität der Pflichtwidrigkeit“ nicht zu berücksichtigen. Er hätte allein das tatsächliche Entscheidungsverhalten des Patienten erforschen müssen. II. Die „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“ Allerdings beruft sich die Rechtsprechung in der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ nicht auf die „Ursächlichkeit im mechanisch-naturwissenschaftlichen Sinne“, sondern auf die Rechtsfigur des „Ursachenzusammenhangs im strafrechtlichen Sinn“. Das Schrifttum lehnt diese Rechtsfigur hingegen überwiegend ab.142 138

Vgl. Puppe, JR 2004 471. Vgl. 6. Kap. § 1 A. II. 3. b). 140 Vgl. so auch Puppe, JR 2004 471. 141 Der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat hier ein größeres Fingerspitzengefühl bewiesen, obwohl auch er die „hypothetische Einwilligung“ berücksichtigt. Darauf soll im Zusammenhang eingegangen werden, vgl. 8. Kap. § 2 II. 142 Vgl. Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 220; Spendel, Kausalität 52; ders., in: FS für Eb. Schmidt 183 ff.; ders., JuS 1964 14 ff.; vgl. etwa weiter Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 14 Rdn. 84 mwN; Bockelmann/Volk, Strafrecht AT § 13 V 63 f.; Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 32 ff.; Exner, 139

§ 2 Ursächlichkeit und „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“

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1. Logische Widersprüchlichkeit der Aussagen

a) Die Abhängigkeit der objektiven Erfolgszurechnung von der „Addition“ zweier Kausalurteile führt zu dem logisch unzutreffenden Ergebnis, ein Verhalten als ursächlich „im mechanisch-naturwissenschaftlichen Sinn“ für den tatbestandlichen Erfolg festzustellen, um anschließend dessen Ursächlichkeit „im strafrechtlichen Sinne“ im Ergebnis wieder zu verneinen, bloß weil bei pflichtgemäßen Verhalten der Erfolg genauso eingetreten wäre. Auch in solchen Fallgestaltungen war das Verhalten für den tatbestandlichen Erfolg kausal. Spendel bemerkt zutreffend, dass mit dem erbrachten Nachweis des Ursachenverhältnisses eine jede Verneinung eines solchen logisch unmöglich sei und sich jede weitere Frage nach dem Ausschluss des Kausalzusammenhanges erübrige.143 Diese Einsicht kann nicht folgenlos für die „hypothetische Einwilligung“ bleiben. In dieser Fallgestaltung kann die einmal nachgewiesene Kausalität des ärztlichen Handelns für den Körperverletzungserfolg nicht mehr bestritten werden, bloß weil der Erfolg auch bei pflichtgemäßen Verhalten des Arztes hypothetisch eingetreten wäre: Entweder besteht ein ursächlicher Zusammenhang oder er besteht nicht.144 Das Infragestellen der Ursächlichkeit des ärztlichen Handelns für den Körperverletzungserfolg bei einer „hypothetischen Einwilligung“ des Patienten erweist sich aus logischen Gründen als unhaltbar. b) Die „Doppelverwendung eines Begriffs“ für Kausalität ist darüberhinaus „verwirrend“:145 Wenn eine getrennte naturwissenschaftliche Kausain: FG für Frank Bd. I 583 f.; Frister, Strafrecht AT 10. Kap. Rdn. 20; Gotzler, Rechtmäßiges Alternativverhalten 78 f.; Gropp, Strafrecht AT § 5 Rdn. 46; Hardwig, JZ 1968 289; B. Heinrich, Strafrecht-AT II § 28 Rdn. 1042; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 28 IV 5 288 f.; Kindhäuser, Strafrecht AT § 33 Rdn. 42; ders., JR 1985 481; Krey, Deutsches Strafrecht AT Bd. 1 § 9 III Rdn. 261, Bd. 2 § 52 I Rdn. 545; Krümpelmann, GA 1984 491; Kühl, Strafrecht AT § 17 Rdn. 47; ders., JR 1983 32 f.; Küper, in: FS für Lackner 247 muwN; Lenckner/Eisele, in: Schönke/ Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 75, 81; Otto, NJW 1980 420; Roxin, Strafrecht AT Bd. I Rdn. 67 ff.; Schatz, NStZ 2000 581 ff.; R. Schmidt, Strafrecht AT 6. Kap. Rdn. 173; Schlüchter, JuS 1977 105; dies., JA 1984 673 ff.; Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 103 ff.; ders., Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 205; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 15 Rdn. 678. 143 Vgl. Spendel, Kausalität 52, 54 f.; vgl. auch Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 217; Krey, Deutsches Strafrecht AT Bd. 2 § 52 Rdn. 545; Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 104; ders., Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 205. 144 Vgl. Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 218; Kindhäuser, JR 1985 482 Fn. 9; Spendel, in: FS für Eb. Schmidt 186; Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 109. 145 Vgl. Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 32 f.; vgl. auch Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 336; Gotzler, Rechtmäßiges Alternativverhalten 78 f.; Otto, NJW 1980 420.

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

litätsbetrachtung für erforderlich gehalten wird, so ist es „unzweckmäßig“, die völlig anders gelagerte Prüfung des Zusammenhangs zwischen Pflichtwidrigkeit und Erfolg unbedingt mit der gleichen Bezeichnung zu belegen.146 Das birgt die Gefahr, dass die Lösung bestimmter Fallkonstellationen147 mit Erwägungen zur Kausalität vorbelastet werden,148 obwohl die Aufstellung eigenständiger Wertungen angezeigt ist.149 2. Vermischung von „wertfreier Kausalität“ und „Wertung“

Die Anerkennung einer „juristischen Kausalität“ hängt entscheidend von dem zugrundegelegten Begriffsverständnis von Kausalität ab.150 Es stehen sich ein „naturwissenschaftlicher“ und ein „normativer Kausalitätsbegriff“ gegenüber, bei dem Wertungsfragen in den Kausalbegriff einfließen.151 Der Kausalbegriff ist eine „naturwissenschaftliche Kategorie“. Ausdrücklich nennt Hardwig die Kausalität einen „bloßen physikalischen Vorgang“. Er falle außerhalb der Kategorie des Rechts.152 Dem pflichtet auch Welzel bei, der den Kausalbegriff nicht für einen juristischen Begriff, sondern für eine Seinskategorie hält.153 Selbst die Kritiker eines naturwissenschaftlichen Kausalverständnisses wie Puppe sehen in der „Kausalität der Sorgfaltspflichtverletzung“ eine „arge Stufenkonfusion“, wenn mit „Sorgfaltspflichtverletzung“ der Widerspruch des Verhaltens zur Rechtsordnung gemeint sei.154 Das Strukturdenken155 gebe uns eine Ordnung vor, bei der beliebige 146

Vgl. Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 32 f. Vgl. für das „rechtmäßige Alternativverhalten“, dass nur „wahrscheinlich“, nicht aber „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ den tatbestandlichen Erfolg bewirkt hätte, vgl. 8. Kap. § 2 D. III. Sodann stellt sich die Frage nach dem zu berücksichtigenden „hypothetischen“ Geschehen, vgl. § 2. 148 Vgl. auch Gotzler, Rechtmäßiges Alternativverhalten 79; Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 191. 149 Vgl. auch Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 33, der die Gefahr sieht, dass ohne eine eingehende Erörterung der sachlichen Gründe, weshalb das „rechtmäßige Alternativverhalten“ berücksichtigt werden müsse, evidente Ergebnisse angestrebt werden. Es komme zu einer Verschleierung der „Wertungsfragen“ unter dem Gesichtspunkt der Kausalität. 150 Vgl. völlig zutreffend Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 32. 151 Vgl. Puppe, ZStW 99 (1987) 599 ff.; dies., in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 189, 195 ff.; dies., Jura 1997 513 ff. Zur weiteren Kritik an diesem „Kausalverständnis“ Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 33 ff. 152 Vgl. Hardwig, JZ 1968 290. 153 Vgl. Welzel, Lehrbuch § 9 I 2 43; vgl. auch Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 218: „ontologische Gegebenheit“; vgl. weiter Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 413, 424; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 28 I 2 279 f.; Kühl, Strafrecht AT § 4 Rdn. 6; Krey, Deutsches Strafrecht AT § 9 Rdn. 261; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 75, 99a. 147

§ 2 Ursächlichkeit und „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“

201

Gegenstände im weitesten Sinne des Wortes in einer Klasse zusammengefasst werden dürfen, wenn sie sich auf der gleichen sprachlichen Konstitutionsstufe befinden.156 Außerhalb dieser Stufe stehende Gegenstände fallen aus der Klasse heraus. Aus dem naturwissenschaftlichen Begriffsverständnis von Kausalität zog Arth. Kaufmann den Schluss: Kausal könne immer nur das konkrete und reale Verhalten des Täters sein, nicht aber etwas so Abstraktes und Irreales wie die „Rechtswidrigkeit“, die „Fahrlässigkeit“, die „Pflichtverletzung“, die „Verkehrswidrigkeit“ oder dergleichen.157 Eine „Wertung“ könne keine Ursache der Veränderung in der physischen Natur sein. Vielmehr entsteht mit der „strafrechtlichen Kausalität“ ein „Unbegriff“ (Otto), der die Klasse wertfreier Kausalität mit derjenigen einer wertbehafteten Stellungnahme der Rechtsordnung vermischt, obwohl die Klassen nebeneinander stehen und aufeinander bezogen sind.158 3. Zerstreuung der Bedenken durch die Rechtsprechung

Bisweilen werden die Bedenken gegen einen derartigen „Ursachenzusammenhang im strafrechtlichen Sinne“ für praktisch bedeutungslos gehalten und zu zerstreuen versucht, weil in der Sache ein ähnliches, allerdings normatives Zurechnungserfordernis anerkannt wird.159 Auch der Bundesgerichtshof hat im Massenkarambolagefall (BGHSt 30 228), bei dem sich die Problematik des „Ursachenzusammenhangs im strafrechtlichen Sinne“ stellte, an dem von ihm entwickelten Rechtsgedanken gezweifelt. Sachverhalt: Der K. fuhr auf der Autobahn bei dichtem Nebel mit seinem Fahrzeug auf einen auf der rechten Fahrspur stehenden Lastzug des B. auf, wobei sein 154 Vgl. Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 190. Deshalb stellt sie einen Zusammenhang nicht zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung als Wertung oder des logischen Urteils des Widerspruchs zwischen Pflicht und Verhalten und dem Erfolg auf. Man müsse dagegen auf diejenigen deskriptiven Eigenschaften des Täterverhaltens abstellen, auf denen dieses Urteil beruhe, demgemäß das Fahren mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h, denn eine Eigenschaft eines Verhaltens könne Ursache eines Erfolgs sein, sofern man unter einer Einzelursache jeden notwendigen Bestandteil einer wahren gesetzmäßigen Bedingung verstehe. 155 Vgl. etwa Otto, ARSP 55 (1969) 504 ff.; ders., Struktur 87 ff., 338 ff. 156 Vgl. Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 59. 157 Vgl. Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 220; vgl. weiter etwa Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 32; Exner, in: FG für Frank Bd. I 583 f.; Gotzler, Rechtmäßiges Alternativverhalten 78; Hardwig, JZ 1968 289; Mezger, JZ 1958 282; Otto, NJW 1980 420; Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 194; Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 107. 158 Vgl. Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 108 f. 159 Vgl. dazu Bindokat, JuS 1985 32; Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 32 f.; Gotzler, Rechtmäßiges Alternativverhalten 78 f.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 205 f.

202

5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

Fahrzeug umstürzte und auf der Überholspur liegen blieb. K. konnte mit Hilfe von B. unverletzt das Fahrzeug verlassen. Beide überquerten vor dem Fahrzeug des K. die Straße, als der Angeklagte auf das umgestürzte Fahrzeug des K. auffuhr und es so weit vorwärts schob, dass K. und B. von dem Fahrzeug erfasst und verletzt wurden. Im nächsten Augenblick fuhr M. auf das Fahrzeug des Angeklagten auf und schob die ganze Kolonne noch ein Stück weiter nach vorne.

Der Bundesgerichthof umgeht die Auseinandersetzung über die rechtliche Behandlung des Rechtsgedankens der „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“, weil es „rechtlich ohne Bedeutung“ sei, ob die Problematik, dass die Pflichtwidrigkeit zu dem tatbestandsmäßigen Erfolg geführt haben müsse, der nach menschlichem Ermessen auch ohne diese Pflichtwidrigkeit eingetreten wäre, unter dem Gesichtspunkt der „Kausalität“ oder der „Zurechenbarkeit im weiteren Sinne“ behandelt werde.160 Damit pflichtet er der Kritik an dem „Ursachenzusammenhang im strafrechtlichen Sinne“ letztlich bei. Die „juristische Kausalität“ ist aus theoretischen bzw. logischen Gründen nicht überzeugend. Bei der Distanzierung von der „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“ handelt es sich um „heute wohl endgültig Geklärtes.“161 III. Die Konsequenzen für die „hypothetische Einwilligung“ Der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“ kann womöglich Ausdruck einer normativ zu lösenden Problematik sein, doch ist „sicherlich“ zu bezweifeln, meinen auch Geilen und Kullmann, dass es sich bei der „hypothetischen Einwilligung“ um ein „Kausalproblem“ handelt.162 Vielfach wird zwar behauptet, dass die Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht nur dann eine Haftpflicht [und Strafe] des Arztes begründe, wenn sie für die Verletzung der Rechtsgüter Leben, Körper oder Gesundheit „kausal“ und die Rechtsgutsverletzung der Aufklärungspflichtverletzung zuzurechnen sei.163 Hiergegen wendet Deutsch zutreffend ein, dass bei der „hypothetischen Einwilligung“ häufig unkritisch von einem „Kausalzusammenhang“ gesprochen werde.164 Der maßgebliche Grund, weshalb der vielfach gebrauchte Gedanke der fehlenden „Kausalität“ bei der („hypothetischen“) Einwil160

Vgl. BGHSt 30 228, 230. Vgl. Küper, in: FS für Lackner 247. 162 Vgl. Geilen, in: Medizinrecht Rdn. 452. Vgl. Kullmann, PHi 1997 80 f.: Bei der „hypothetischen Einwilligung“ handele es sich jedenfalls nicht um Fragen der Kausalität. Vgl. Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 336, 387. 163 Vgl. etwa Lorz, Schönheitsoperation 153. Ergänzung vom Verf. 164 Vgl. Deutsch, Medizinrecht Rdn. 160. 161

§ 2 Ursächlichkeit und „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“

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ligung nicht trägt, ist schlechtweg der, dass in dieser strukturellen Situation die Kausalität gegeben ist. Nüßgens und Schwartz165 ist zuzustimmen, dass es bei der „hypothetischen Einwilligung“ „nicht um [. . .] Kausalität“ gehen könne, denn der Arzt habe den Patienten nicht wie geboten aufgeklärt und damit ohne dessen Willen in seiner körperlichen Integrität verletzt.166 Der eigenmächtige, ggfs. mit einem hypothetischen Willen des Patienten handelnde Arzt hat geschnitten, gestochen, geschossen usw. Von dem tatsächlichen Vorliegen der „Ursächlichkeit im mechanisch-naturwissenschaftlichen Sinn“ geht auch die Rechtsprechung aus. Darüberhinaus erinnern die Befürworter der „hypothetischen Einwilligung“, allen voran Kuhlen, dass der von ihnen geforderte „Zusammenhang“ kein „Kausal-“, sondern ein „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ sei.167 Anhand der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ lässt sich weiterhin belegen, wie die hier fälschlich für anwendbar gehaltene168 Bedingungsformel methodisch zu fehlerhaften Ergebnissen verleitet. Diese Methode zur Ermittlung der Kausalität ist abzulehnen. Ob jemand eine Entscheidung in Kenntnis anderer als den tatsächlich bekannten Umständen getroffen hätte („hypothetischer, ohne Irrtum gedachter Wille“), gibt keine Auskunft darüber, ob seine fehlerhafte Vorstellung wirklich „kausal“ war für seinen tatsächlichen Entschluss. Das hat der Bundesgerichtshof in der Referendarentscheidung (BGHSt 13 13) deutlich erkannt.169 Insofern ist es unzutreffend, wenn die Methodik bei der „hypothetischen Einwilligung“ etwas anderes suggeriert: Entgegen dem Wortlaut der Bedingungstheorie wird aus dem Lebenssachverhalt („kausales Feld“) nicht eine Bedingung hinweg-, sondern hinzugedacht („Verbot des Hinzudenkens“). Die Kausalanalyse stützt sich auf einen vollkommen anderen Lebenssachverhalt. Wenn die Einwilligung hypothetisch erteilt worden wäre, dann weil der Patient einen anderen als den tatsächlichen Willen gebildet hätte: Dieser Wille ist „nichts als eine unbeachtliche Ersatzursache“, mag dessen hypothetisches Vorliegen in dem schwerlich denkbaren, aber theoretisch unterstellten Fall mit hundertprozentiger Gewissheit angenommen werden. Es ist Puppe darin 165

Vgl. Schwartz, Hypothetische Einwilligung 140. Vgl. Nüßgens, in: FS für Nirk 750. 167 Vgl. Kuhlen, JR 2004 228; ders., in: FS für Müller-Dietz 436. Hierher gehören des weiteren sämtliche Stimmen, die die Rechtsfigur der „hypothetischen Einwilligung“ mit einen normativen Zurechnungszusammenhang in Verbindung bringen, vgl. Übersicht 6. Kap. § 2 A. I., III. 168 Vgl. § 1: Bei der („hypothetischen“) Einwilligung geht es nicht um Kausalität! 169 Es soll allerdings nicht vernachlässigt werden, dass auch die Referendarentscheidung (BGHSt 13 13) problematisch ist, denn sie öffnet der Manipulation Tür und Tor; vgl. Engisch, in: FS für Weber 267 ff.; Puppe, NK Vor § 13 StGB Rdn. 118. 166

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

zuzustimmen, dass der Arzt sich über das Selbstbestimmungsrecht des Patienten tatsächlich hinweggesetzt hat.170 Der Bundesgerichtshof hätte daraus und im Einklang mit den ergänzend heranziehbaren Grundsätzen der Referendarentscheidung (BGHSt 13 13) die Konsequenzen für den von ihm behaupteten „Ursachenzusammenhang“ im Innern des Menschen ziehen müssen. Denn obgleich sich die Ergebnisse der Entscheidungen des Patienten zu dem ärztlichen Heileingriff, ob nun fehlerhaft oder fehlerfrei aufgeklärt, decken mögen, ändert es nichts an der einmal festgestellten „Verursachung“ des Willensentschlusses.171 „Hypothetische Ersatzursachen“ sind für den tatsächlichen „effektiven Kausalverlauf“ ganz belanglos. Es ist ganz naiv zu glauben,172 das ein Erfolg ohne entsprechende Ursache vorkommen kann: Das tatsächlich rechtswidrige Verhalten soll nicht ursächlich sein, weil die Bedingungstheorie das vorgibt. Das hypothetisch rechtmäßige Verhalten kann nicht ursächlich sein, weil es keinen Einfluss auf die Realität hat.173 Das zeigt besonders eindrucksvoll, dass die Kausalität nicht deshalb in Abrede gestellt werden kann, weil bei pflichtgemäßen Verhalten des Täters der Erfolg genauso eingetreten wäre. „Die Frage der Berücksichtigung hypothetischer Erfolgsursachen ist kein Kausalitätsproblem.“174 Auch der Gedanke des fehlenden „Ursachenzusammenhangs im strafrechtlichen Sinn“ trägt bei der „hypothetischen Einwilligung“ nicht. Die Kausalität ist vielmehr gegeben. Der Arzt hat geschnitten, gestochen, geschossen usw. Die Rechtsfigur des „Ursachenzusammenhangs im strafrechtlichen Sinne“ ist aus theoretischen bzw. logischen Gründen nicht anzuerkennen. Mit der „Kausalitätslösung“ kann der Ausschluss der objektiven Zurechnung des Körperverletzungserfolgs zur pflichtwidrigen Handlung infolge einer „hypothetischen Einwilligung“ des Patienten daher nicht begründet werden. Die Verwirklichung des „objektiven Tatbestandes der [fahrlässigen] Körperverletzung“ wird von der Feststellung der Voraussetzungen der „hypothetischen Einwilligung“ nicht berührt.

170

Vgl. auch Puppe, JR 2004 471. Vgl. Schultz, VersR 1990 811. 172 Vgl. Niederländer, JZ 1959 617. 173 Vgl. Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 208; Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 102 f. 174 Vgl. Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 207. „Nicht zweifelnd“ auch Oetker, in: MüKo § 249 BGB Rdn. 202 mwuN aus dem Zivilrecht. Vgl. auch Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 336. 171

§ 3 „(Quasi-)Kausalität“ der Unterlassung der ärztlichen Aufklärung

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§ 3 Die „(Quasi-)Kausalität“ der Unterlassung der gebotenen ärztlichen Aufklärung A. Die Darstellung der „Unterlassungslösungen“ I. Hinführung zum Streitstand In der Rechtsprechung, die in der „hypothetischen Einwilligung“ hauptsächlich eine Kausalproblematik begründet sieht, besteht keine Einigkeit darüber, ob die fehlerhafte ärztliche Belehrung des Patienten als ein positives Tun – die „Übermittlung unvollständiger bzw. falscher Informationen“ – oder als ein Unterlassen – die „Unterlassung der gebotenen Aufklärung“ – zu bewerten ist. Im Wesentlichen sind es die Oberlandesgerichte, die in den Fallgestaltungen der „hypothetischen Einwilligung“ in – ausnahmslos – zivilrechtlichen Entscheidungen zu einer „Unterlassung der gebotenen ärztlichen Aufklärung“ tendieren.175 Für eine Haftung des eigenmächtig handelnden Arztes fordern sie die „Ursächlichkeit“ („Quasikausalität“) der „unterlassenen“ ordnungsgemäßen ärztlichen Aufklärung für die „Einwilligung“ oder den „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“. Eine nähere Auseinandersetzung mit der Abgrenzung von Tun und Unterlassen erfolgt allerdings nicht. Es wird gleichsam unterstellt, dass in der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ die Verhaltensform einer Unterlassung anzunehmen ist. Keinerlei Resonanz hat die „Unterlassungslösung“ in der strafrechtlichen Rechtsprechung hervorgerufen. In der bisherigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung spielte sie immerhin eine wenn auch insgesamt eher untergeordnete Rolle. Im strafrechtlichen Schrifttum klingt sie allenfalls „in Reserve“ an. II. Die Darstellung der „Unterlassungslösungen“ im Zivilrecht 1. Die Lösung des Sechsten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs sowie einiger Oberlandesgerichte

In einer vereinzelt gebliebenen Entscheidung wies der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Beweislast den beklagten Ärzten dafür zu, dass 175 Vgl. etwa BGH NJW 1982 697, 698; OLG Bamberg VersR 1998 1025, 1026; OLG Bremen VersR 1954 63, 64; OLG Karlsruhe NJW 1966 399, 402; OLG München 1992 835; OLG Nürnberg VersR 1995 1057, 1058; OLG Zweibrücken VersR 1987 108.

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

die „unterlassene“ Aufklärung für den Entschluss des Klägers, in die vorgeschlagene Behandlung einzuwilligen, nicht „ursächlich“ gewesen sei.176 Das Oberlandesgericht Bremen nahm zwischen der „Unterlassung“ der Aufklärung, der nicht wirksamen Einwilligungserklärung des Klägers und seiner Gesundheitsbeschädigung einen „Kausalzusammenhang“ an. Dieser entfalle nicht dadurch, dass der Kläger bei einer Aufklärung möglicherweise die Einwilligung in die Elektroschockbehandlung erteilt hätte. Eine „Unterbrechung des Kausalzusammenhangs“ würde dann vorliegen, wenn auch bei erfolgter Aufklärung der Kläger mit Sicherheit seine Einwilligung erteilt hätte.177 Die Tatsache, dass die Einwilligung fehle oder mangels genügender Aufklärung nicht wirksam sei, meinte das Oberlandesgericht Karlsruhe, sei dann nicht „ursächlich“, wenn der Arzt nachweisen könne, dass der Patient eingewilligt hätte, wenn er darauf angegangen oder aufgeklärt worden wäre. Die Möglichkeit, dass sich die Klägerin auf die Aufklärung hin zur Ablehnung einer Operation entschlossen haben könnte, stehe nicht entgegen, um den „ursächlichen Zusammenhang“ zwischen der „unterlassenen Aufklärung“ und der Gesundheitsbeschädigung entfallen zu lassen. Eine „Unterbrechung des ursächlichen Zusammenhangs“ bzw. des „Kausalzusammenhangs“ könne nur dann gegeben sein, wenn auch bei erfolgter Aufklärung die Klägerin mit Sicherheit ihre Einwilligung erteilt hätte. Es genüge nicht, dass sie nur möglicherweise eingewilligt hätte.178 Der beklagte Arzt hafte trotz der „unterlassenen“ Aufklärung nicht, weil das Oberlandesgericht Zweibrücken davon überzeugt war, dass die Klägerin in die Bestrahlung selbst dann eingewilligt hätte, wenn sie auf das Risiko eines Plexusschadens aufmerksam gemacht worden wäre.179 Nach Auffassung des Oberlandesgerichts München war die „unterlassene“ Aufklärung „nicht ursächlich“ für den behaupteten Schaden. Auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte sich der Kläger für das operative Vorgehen entschieden.180 Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Bamberg wirkte sich die „unterlassene“ ordnungsgemäße Aufklärung der Patientin nicht „ursächlich“ aus, weil sie einen Entscheidungskonflikt nicht plausibel machen konnte.181

176 177 178 179 180 181

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

BGH NJW 1982 697, 698. OLG Bremen VersR 1954 63, 64. OLG Karlsruhe NJW 1966 399, 401 f. OLG Zweibrücken VersR 1987 108. OLG München VersR 1992 834, 835. OLG Bamberg VersR 1998 1025, 1026.

§ 3 „(Quasi-)Kausalität“ der Unterlassung der ärztlichen Aufklärung

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2. Die „Unterlassungslösungen“ in der Wissenschaft

Die „Unterlassungslösung“ wird im Schrifttum eher verhalten befürwortet. Kleinewerfers und Wilts, die diesen Gedanken eingehend behandeln, halten dafür, dass die Subsumtion des „eigenmächtigen, kunstgemäßen, aber zum gesundheitsverschlechternden Misserfolg führenden Heileingriffs“ als Körperverletzung zu einer starken Zurückdrängung der „hypothetischen Einwilligung“ habe führen müssen. Die sachliche Prüfung ihrer Zulässigkeit werde „kaum noch“ zugelassen, wenn man dem Arzt eine Körperverletzung und damit ein positives Tun vorwerfe: Die Frage, ob der Schaden bzw. der Misserfolg der ärztlichen Maßnahme auch ohne die Heilbehandlung eingetreten wäre, müsse nämlich „stets“ verneint werden. Würde man dagegen dem Arzt eine rechtswidrige Verletzung des Selbstbestimmungsrechts zur Last legen, so könne die Antwort auf die Frage, ob die Heilbehandlung ohne die Beeinträchtigung des Selbstbestimmungsrechts unterblieben wäre, von Fall zu Fall durchaus unterschiedlich beantwortet werden.182 Dagegen übernimmt Weber-Steinhaus im Ausgangspunkt den Standpunkt der Rechtsprechung zur ärztlichen Heilbehandlung. Er konzipiert die Aufklärungshaftung des Arztes auf der Basis eines Verhaltenspflichtansatzes als „Einstandspflicht für pflichtwidriges Unterlassen“. Der „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ liege „eindeutig“ im Versäumnis ordnungsgemäßer Belehrung. Deshalb soll dieser Umstand auch zum Anknüpfungspunkt der Haftung genommen werden.183 Kritisch steht Hofmann der „hypothetischen Einwilligung“ gegenüber, über die er im Zusammenhang mit der „Ursächlichkeit der unterlassenen Aufklärung des Patienten“ bzw. der „Ursächlichkeit der Unterlassung“ referiert.184 III. Die „Unterlassungslösung“ im Strafrecht Während die strafrechtliche Rechtsprechung die „hypothetische Einwilligung“ ersichtlich nicht auf die „Unterlassungslösung“ stützt, klingt sie im strafrechtlichen Schrifttum immerhin „in Reserve“ an. Am ehesten scheint Arzt den Sachverhalt der „hypothetischen Einwilligung“ als „Unterlassung“ bewerten zu wollen. Für ihn wird bei der „hypothetischen Einwilligung“ die „juristische Kausalität zwischen unterbliebener 182

Vgl. Kleinewerfers/Wilts, in: Die juristische Problematik der Medizin Bd. III

54. 183 184

Vgl. Weber-Steinhaus, Ärztliche Berufshaftung 253 Fn. 886 a. E. Vgl. Hofmann, NJW 1974 1643.

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

Aufklärung und der Körperverletzung als Erfolg“ in Abrede gestellt und gegen Verurteilungen wegen „unterlassener Aufklärung“ ein nahezu unüberwindbares Beweishindernis geschaffen.185 Ansonsten wird es im strafrechtlichen Schrifttum nicht von vornherein für undenkbar gehalten, in der Fallgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ auf ein unechtes Unterlassungsdelikt abzustellen.186 Es könne an der „(Quasi-)Kausalität“ zwischen der „Unterlassung der gebotenen Aufklärung [. . .] und der Einwilligung“ in den Fällen fehlen, meinen Gropp187 und Rönnau,188 in denen der Patient auch bei hinreichender Aufklärung der medizinischen Behandlung zugestimmt hätte. IV. Die Berücksichtigung des hypothetischen Verhaltens im Rahmen der „Quasikausalitätsformel“ An den maßgeblichen Grund, weshalb die „Unterlassungslösungen“ bei der „hypothetischen Einwilligung“ immer wieder in Betracht gezogen wird, erinnert Gropp. Anders als beim positiven Tun, bei dem das Handeln des Arztes nach der Bedingungstheorie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Körperverletzungserfolg „in seiner ganz konkreten Gestalt“ entfiele, nimmt die „Unterlassungslösung“ nämlich für sich in Anspruch, das hypothetische pflichtgemäße Verhalten des Täters und dessen Folgen im Rahmen der „Unterlassungskausalität“ („Quasikausalität“)189 berücksichti185

Vgl. Arzt, in: Medizin und Recht 57. Vgl. Gropp, in: FS für Schroeder 202. 187 Vgl. Gropp, in: FS für Schroeder 202. 188 Vgl. Rönnau, JZ 2004 801. 189 Mit der inhaltlichen Bestimmung dessen, was Kausalität ausmacht, ist eine Vorentscheidung getroffen, ob eine Unterlassung für einen bestimmten Erfolg „kausal“ sein kann, vgl. zur Differenzierung oben § 1 B. III. Mit der „Quasikausalität“ soll terminologisch der Unterschied zur Kausalität beim positiven Tun deutlich gemacht werden, weil in der Sache anerkannt wird, dass eine Unterlassung im naturwissenschaftlich-physikalischen Sinne für nichts „kausal“ sein kann. Zwischen einem Nichtstun (also etwas Nicht-Realem) und einem Ereignis in der Wirklichkeit könne kein Kausalzusammenhang bestehen, vgl. Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 213 ff., 214; vgl. eingehend Hardwig, Zurechnung 100, 156 ff. Vgl. BGHSt 48 77, 93; vgl. weiter Frister, Strafrecht AT 22. Kap. Rdn. 18; B. Heinrich, Strafrecht-AT II § 26 Rdn. 887; Jakobs, Strafrecht AT 29. Abschn. Rdn. 15 f.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 59 III 3 618 f.; Krey, Deutsches Strafrecht AT Bd. 2 § 36 Rdn. 328; Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 96; Stree, in: Schönke/Schröder § 13 StGB Rdn. 61; Welzel, Lehrbuch § 28 A 3 c 212; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 16 Rdn. 711. Vgl. gegen dieses Verständnis von Kausalität im Sinne von „Wirkkraft“ etwa Engisch, Kausalität 29 ff.; ders., in: FS für Weber 265 Fn. 31, dem es mit seiner Theorie der (natur-)gesetzmäßigen Bedingung gelingt, eine „Kausalität“ der Unterlassung für den tatbestandlichen Erfolg anzuerkennen. 186

§ 3 „(Quasi-)Kausalität“ der Unterlassung der ärztlichen Aufklärung

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gen zu können.190 Das beruht auf der weit verbreiteten Auffassung, die „Quasikausalität“ nach der – einmal mehr – modifizierten Bedingungstheorie zu ermitteln: Die „Unterlassung“ der gebotenen Handlung soll nach der gebräuchlichen Formulierung der „Quasikausalitätsformel“191 dann „kausal“ sein, wenn die Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne das der tatbestandliche Erfolg mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ entfiele.192 Zweifel am Ausbleiben des tatbestandlichen Erfolgs wirken im Straf- anders als im Zivilrecht „in dubio pro reo“ zugunsten des Täters. An der „Quasikausalität“ der unterlassenen Aufklärung für die Einwilligung oder den tatbestandlichen Körperverletzungserfolg würde es hiernach immer fehlen, wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in den Eingriff „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ eingewilligt hätte oder dies nicht „zweifelsfrei“ auszuschließen ist. Es fehlt der Nachweis der Handlungspflicht des Garanten. Der Körperverletzungs- oder der Unrechtserfolg ist dann nicht objektiv zuzurechnen.193 V. Prüfungsgegenstand Über die „Unterlassungslösungen“ kann allerdings nur sinnvoll nachgedacht werden, wenn in der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ die Verhaltensform der „Unterlassung der gebotenen ärztlichen Aufklärung“ nachzuweisen ist. In der Begründung dieser These gehen die Ansichten auseinander. 190

Vgl. Gropp, in: FS für Schroeder 202. Vgl. zum Begriff der „Quasi-Kausalität“ bzw. „Quasi-Kausalitätsformel“ Gropp, in: FS für Schroeder 202; ders., Strafrecht AT § 11 Rdn. 71; Wessels/ Beulke, Strafrecht AT § 16 Rdn. 711. 192 Vgl. schon so RGSt 15 151, 153; 58 130, 131; 75 373, 374; vgl. ferner BGHSt 6 1, 2; 7 211, 214; 37 106, 126 f.; BGH NJW 1987 2940; 2000 2754, 2757; 2004 237, 238; NStZ 1985 26, 27; NStZ-RR 2002 303; vgl. auch Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 15 Rdn. 24; Fischer, Vor § 13 StGB Rdn. 39; Frister, Strafrecht AT 22. Kap. Rdn. 18; Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 427; Gropp, Strafrecht AT § 11 Rdn. 71; ders., in: FS für Schroeder 202; B. Heinrich, StrafrechtAT II § 26 Rdn. 887; Jakobs, Strafrecht AT 29. Abschn. Rdn. 20; Jescheck, in: LK § 13 StGB Rdn. 15; ders./Weigend, Strafrecht AT § 59 III 4 619; Kindhäuser, Strafrecht AT § 36 Rdn. 12; Köhler, Strafrecht AT 229; Krey, Deutsches Strafrecht AT Bd. 2 § 36 Rdn. 328; Kühl, Strafrecht AT § 18 Rdn. 36; Lackner/Kühl, StGB Vor § 13 StGB Rdn. 11 ff.; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 73; Stree, in: Schönke/Schröder § 13 StGB Rdn. 61; Seelmann, in: NK § 13 StGB Rdn. 61; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 16 Rdn. 711. Vgl. die weiteren Nachweise zur Rechtsprechung bei Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 44, 45. 193 Vgl. so für den Fall der „hypothetischen Einwilligung“ Gropp, in: FS für Schroeder 202, der allerdings eine „Unterlassung“ ablehnt. Vgl. auch Rönnau, JZ 2004 801. 191

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

B. Die Auseinandersetzung mit den Gedanken von Kleinwerfers und Wilts Kleinewerfers und Wilts194 wollen dem Arzt eine rechtswidrige Verletzung des Selbstbestimmungsrechts zur Last legen, weil dann die Antwort auf die Frage, ob die Heilbehandlung ohne die Beeinträchtigung des Selbstbestimmungsrechts unterblieben wäre, von Fall zu Fall durchaus unterschiedlich beantwortet werden könne. Dieser Standpunkt erklärt sich aus seiner unmittelbaren Nähe zu der in den 70er Jahren ihren Höhepunkt erreichenden Diskussion über die rechtliche Behandlung des ärztlichen Heileingriffs.195 Im Kern ging es darum, die ärztliche Heilbehandlung nicht mehr als Körperverletzung (§§ 223 StGB ff.), sondern als Selbstbestimmungsverletzung zu behandeln, die eigenständig durch einen Tatbestand der „Eigenmächtigen Heilbehandlung“ geregelt werden sollte. Unter Rückgriff auf ein personales Rechtsgutsverständnis ist die These, die ärztliche Heilbehandlung allein als Beeinträchtigung des Rechtsguts der „Selbstbestimmung“ zu erfassen, jedoch bereits in ihrem Ausgangspunkt verfehlt: Der ärztliche Heileingriff ist eine durch positives Tun begangene Körperverletzung.196 An der Kausalität der Heilbehandlung für die Körperverletzung haben unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt auch Kleinewerfers und Wilts keine Zweifel.197 Da die schadensstiftende Handlung eben die Vornahme des Eingriffs selbst ist, so würde es, wenn der Beklagte sie unterlassen hätte, nicht zu dem geltend gemachten Schaden gekommen sein.198 Gegen eine „isolierte-zivilistische Betrachtung“, bei der unabhängig vom Strafrecht der eigenmächtige Heileingriff als Verletzung des „allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ behandelt würde, dessen Schutz bei § 823 Abs. 1 BGB als „sonstiges Recht“ neben dem „Körper“, der „Gesundheit“, der „Freiheit“ durchaus anerkannt ist, wenden sich auch Kleinewerfers und Wilts. Das würde im Strafrecht unter der Voraussetzung der Übernahme der 194

Vgl. ausführlich § 3 A. II. Vgl. aus den vielen Veröffentlichungen dieser Zeit etwa Bockelmann, Strafrecht des Arztes 50 ff.; ders., NJW 1961 945; ders., JZ 1962 525; Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 31 ff.; ders., in: Juristische Problematik der Medizin Bd. II 11 ff.; Grünwald, ZStW Bd. 73 (1961) 5; ders., in: Arzt und Recht 125 mwN; Hardwig, GA 1965 161; Arth. Kaufmann, ZStW Bd. 73 (1961) 341; Eb. Schmidt, in: Gutachten zum 44. DJT Bd. I Anm. 31; Schröder, NJW 1961 951; Steindorff, JZ 1960 139; Schwalm, Ärztliche Aufklärungspflicht 21. 196 Vgl. eingehend 4. Kap. § 3. 197 Vgl. Kleinewerfers/Wilts, in: Die juristische Problematik der Medizin Bd. III 54. 198 Vgl. RGZ 163 129, 138 = DR 1940 1288, 1290. 195

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im Zivilrecht aufgestellten Prämisse („Einheit der Rechtsordnung“) zu der Konsequenz führen, dass das eigenmächtige ärztliche Handeln jedenfalls nach der bestehenden Rechtslage „von ganz wenigen Ausnahmefällen [. . .] einmal abgesehen“ weitgehend straflos gestellt würde. Diese bedenklichen Konsequenzen ließen sich allenfalls mit einem Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung zerstreuen.199

C. Die Unterscheidung von Tun und Unterlassen Die Oberlandesgerichte, die an der rechtlichen Würdigung des ärztlichen Heileingriffs als Körperverletzung durchweg festhalten, scheinen die „Unterlassungslösung“ auf andere Weise begründen zu wollen. Zur Erläuterung dieses konstruktiven Ansatzes bedarf es des Eingehens auf die Unterscheidung von Tun und Unterlassen. An dieser Stelle bleibt allerdings vieles vage, denn eine Begründung, weshalb in den Fallgestaltungen der „hypothetischen Einwilligung“ eine Unterlassung anzunehmen ist, wird ersichtlich nicht mitgeteilt. I. Die Unterscheidung von Tun und Unterlassen in „einfach“ und „mehrdeutig“ gelagerten Fällen Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen erfolgt nach einer weit verbreiteten Ansicht nicht einheitlich, sondern in Abhängigkeit von der Art der jeweiligen Sachgestaltung. 1. In den „einfach gelagerten (Regel-)Fällen“ wird das „äußere Erscheinungsbild“ des Verhaltens für maßgeblich gehalten. Die Unterscheidung von Tun und Unterlassen beruht auf verschiedenen Kriterien. Wegen seiner „begrenzten Differenzierungskraft“ wird heute nur noch vereinzelt auf das Begriffspaar der „Körperbewegung“ bzw. der „Körperruhe“ zurückgegriffen.200 Stattdessen haben sich andere Begriffspaare durchgesetzt: Entscheidend soll es auf die „Veränderung der Außenwelt“ bzw. „den Dingen ihren 199 Vgl. Kleinewerfers/Wilts, in: Die juristische Problematik der Medizin Bd. III 55. Vgl. zu dieser Forderung auch Krey/Heinrich, Strafrecht BT Bd. 1 § 3 Rdn. 219; Lilie, in: LK Vor § 223 StGB Rdn. 6. 200 Vgl. die früher ganz überwiegende Abgrenzungstheorie wird zurückgeführt auf von Lizst, umfangreiche Literaturnachweise hierzu bei Stoffers, Schwerpunktformel 70 ff.; vgl. weiter Frister, Strafrecht AT 22. Kap. Rdn. 6; Gössel, ZStW 96 (1984) 326 f.; Kindhäuser, Strafrecht AT § 35 Rdn. 3: „Aktivität“-„Passivität“; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT Tb. 2 § 45 Rdn. 20 ff.; Struensee, in: FS für Stree/Wessels 143 ff. mit weiteren Nachweis zu der früher herrschenden Meinung Fn. 50. Zur Kritik an dieser Auffassung, vgl. Brammsen, GA 2002 200; Stoffers, Schwerpunktformel 96.

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

Lauf lassen“ ankommen.201 Weiterhin soll die „kausale Verursachung eines konkreten Erfolgs“ bzw. das „nicht kausal sein für einen konkreten Erfolg“ ausschlaggebend sein.202 Sehr häufig bedient man sich der klassischen Energieformel Engischs, die auf das Begriffspaar des „Einsatzes“ bzw. des „Nichteinsatzes von Energie in eine bestimmte Richtung“ abstellt.203 Dabei werden naturalistische, aber auch normative204 Ausdeutungen des Energiebegriffs vertreten.205 Im Schrifttum wird die Energieformel vielfach auch mit dem Abgrenzungskriterium der Kausalität zu einer doppeldeutigen Abgrenzungslehre kombiniert.206 2. Anders soll die Unterscheidung in „ambivalenten Sachgestaltungen“207 erfolgen.208 Eine stark vertretene Auffassung hält die für die „einfach gela201

Vgl. Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts 428. Vgl. begründet von Arm. Kaufmann, Unterlassungsdelikte 61 ff.; vgl. weiter Bockelmann/Volk, Strafrecht AT 147 f.; Grünwald, GA 1959 110, 122; Jescheck/ Weigend, Strafrecht AT § 58 II 2 603; Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 214; ders./Hassemer, JuS 1964 156; Kühl, Strafrecht AT § 18 Rdn. 15 f.; Roxin, ZStW 74 (1962) 415; Stoffers, Schwerpunktformel 107 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 13 Rdn. 3; Welzel, Lehrbuch § 26 II 3 203. Vgl. weitere umfangreiche Nachweise bei Stoffers, Schwerpunktformel 93. Eine modifizierte Form dieser Abgrenzungslehre findet sich bei Jakobs, Strafrecht AT 28. Abschn. Rdn. 2 f. sowie Samson, in: FS für Welzel 587, die das Abgrenzungskriterium der „Kausalität“ mit der Motivation verbinden. Die Kritik zusammenfassend vgl. Brammsen, GA 2002 203 ff.; zur Auseinandersetzung vgl. Stoffers, Schwerpunktformel 113. 203 Vgl. Engisch, Kausalität 29; ders., in: FS für Gallas 173; vgl. weiter B. Heinrich, Strafrecht-AT II § 25 Rdn. 864; Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 2; Schlüchter, JuS 1976 795; Seelmann, JuS 1987 34 f. Vgl. die weiteren Nachweise bei Brammsen, GA 2002 201 Fn. 58 und Stoffers, Schwerpunktformel 75 f. Zur Auseinandersetzung vgl. Brammsen, GA 2002 201 ff.; Stoffers, Schwerpunktformel 97 ff. 204 Die „normative“ Bestimmung des Energiebegriffs sollte nach Engisch im alltäglichen Sinne von willkürlichem menschlichen Krafteinsatz als „Leistung“ oder „Anstrengung“ verstanden werden. Deshalb war auch die nach innen gerichtete Energie im Sinne eines Sichzusammennehmens, Gespanntseins, Nachdenkens u. ä., obwohl äußerlich nicht bemerkbar, als positives Tun zu verstehen, vgl. Engisch, MSchrKrimPsych Bd. 24 (1933) 240; zusammenfassend Stoffers, Schwerpunktformel 72 ff.; vgl. auch Brammsen, GA 2002 201. 205 Vgl. die Nachweise bei Brammsen, GA 2002 201 Fn. 58; Kindhäuser, Strafrecht AT § 35 Rdn. 4 „kausaler (bzw. sozial-sinnhafter Energieeinsatz)“. 206 Vgl. Kindhäuser, Strafrecht AT § 35 Rdn. 4; Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 2; ders./Brammsen, Jura 1985 531; Roxin, ZStW 74 (1962) 415 ff.; ders., in: FS für Engisch 380; Rudolphi, in: SK Vor § 13 StGB Rdn. 6; Samson, in: FS für Welzel 589 ff.; Seelmann, in: NK § 13 StGB Rdn. 28; Sieber, JZ 1983 434 f., 437; Stoffers, Schwerpunktformel 107 ff.; ders., GA 1993 262 ff.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 16 Rdn. 699. Vgl. weitere Nachweise bei Stoffers, Schwerpunktformel 78 ff. 207 Vgl. die Übersicht über die hier relevanten Fallgruppen Brammsen, GA 2002 209 ff.; vgl. auch Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 4 ff. 208 Die Terminologie ist uneinheitlich. Häufig werden die hier gemeinten Sachgestaltungen auch als „zweideutige“, „doppeldeutige“ oder „mehrdeutige“ Fälle be202

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gerten Fälle“ entwickelten Abgrenzungskriterien hier für irrelevant und weicht zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen auf normative Erwägungen aus. Die „ambivalenten Sachgestaltungen“ sollen sich dadurch auszeichnen, dass ihnen Elemente sowohl eines positiven Tuns als auch Unterlassens zugeschrieben werden können. Die „Mehrdeutigkeit“ des Geschehens soll „erhebliche [Abgrenzungs-]Schwierigkeiten“ provozieren, die einer eindeutigen Zuordnung des Verhaltens im Weg stehen.209 Weniger häufig findet sich die Gliederung der „mehrdeutigen Fälle“ in solche der „Koinzidenz“ sowie der „Sukzession“.210 In den „ambivalenten Sachgestaltungen“ behauptet sich die „Schwerpunktformel“ als Abgrenzungsformel von Tun und Unterlassen am nachhaltigsten. Sie wird vor allem in der Rechtsprechung vertreten.211 Das Schrifttum kombiniert sie häufiger mit dem Kriterium des „sozialen Sinngehalts des Geschehens“.212 Entscheidend soll es darauf ankommen, wo bei „normativer Betrachtung“ und bei Berücksichtigung des „sozialen Handlungssinns“ der „Schwerpunkt des strafrechtlich relevanten Verhaltens“ liege. Dagegen seien „äußere Befindlichkeiten“ wie der Energieeinsatz in eine bestimmte Richtung oder die Kausalität bei der Abgrenzung nicht entscheidend. Die Abgrenzung sei vielmehr eine Wertungsfrage.213 Der „soziale zeichnet. Vgl. zu den Begrifflichkeiten Stoffers, Schwerpunktformel 28; vgl. auch Brammsen, GA 2002 195; Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 2; ders., Jura 2000 549; Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 73; Struensee, in: FS für Stree/Wessels 137 Fn. 24; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 16 Rdn. 699. 209 Vgl. etwa Haft, Strafrecht AT 176 f.; B. Heinrich, Strafrecht-AT II § 25 Rdn. 865 f.; Kühl, Strafrecht AT § 18 Rdn. 14; Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 2; ders., Jura 2000 549; Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 69 ff.; Stoffers, Schwerpunktformel 28 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 13 Rdn. 1. 210 Vgl. Stoffers, Schwerpunktformel 126, 136; vgl. auch Brammsen, GA 2002 195; B. Heinrich, Strafrecht-AT II § 25 Rdn. 867 ff. Es wird danach differenziert, ob Tun und Unterlassen bezogen auf dieselbe Außenweltveränderung zeitlich zusammenfallen („Koinzidenz“, „Gleichzeitigkeit von Tun und Unterlassen“) oder ob sich das Unterlassen zeitlich dem positiven Tun anschließt („Sukzession“). Stoffers, aaO. 141 meint, noch eine weitere Fallgruppe einführen zu dürfen, die er als „falsches statt des richtigen Handelns“ bezeichnet. 211 Vgl. BGHSt 6 46, 59; 40 257, 266. 212 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 15 Rdn. 27; Blei, Strafrecht AT I 310; Ebert, Strafrecht AT 173 f.; Fischer, Vor § 13 StGB Rdn. 17, § 13 StGB Rdn. 5; Geilen, Strafrecht AT 233; ders., in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 428; Gropp, Strafrecht AT § 11 Rdn. 60; Haft, Strafrecht AT 177; B. Heinrich, Strafrecht-AT II § 25 Rdn. 866; Krey, Deutsches Strafrecht AT Bd. 2 Rdn. 321 f.; ders., JuS 1971 239; Ranft, JuS 1963 340; ders., JZ 1987 862, 916; Stree, in: Schönke/ Schröder Vor 13 StGB Rdn. 158; Tiedemann, Jura 1982 379; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 16 Rdn. 700. Vgl. weitere umfangreiche Nachweise bei Stoffers, Schwerpunktformel 23 f. 213 Vgl. nur Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 16 Rdn. 700.

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

Sinngehalt“ des Verhaltens wird auch als eigenständige Abgrenzungslehre interpretiert, erfährt aber anders als die kombinierende Auffassung nur wenig Zuspruch.214 Daneben gibt es noch verschiedene Varianten der „Präferenzlehre“ („Vorrang-“215 und „Zweifelslösung“).216 II. Die „Schwerpunktformel“ 1. Der Sachverhalt der „hypothetischen Einwilligung“ als „ambivalente“ (?) Fallgestaltung

Allein eine wertende Betrachtung kann dem – angeblich „uneindeutigen“ – Geschehen bei der „hypothetischen Einwilligung“, das sich nicht ausschließlich durch phänotypisches Handeln auszeichnen soll, noch eine andere Wendung geben.217 Die Oberlandesgerichte haben in dem durch „hypothetische Einwilligung“ beschriebenen Lebenssachverhalt ein „ambivalentes Verhalten“ gesehen, weil sie nicht allein den ärztlichen Heileingriff mit seinem Schneiden, Stechen, Schießen usw., sondern darüberhinaus das Fehlen einer ordnungsgemäß aufgeklärten und wirksam erteilten Einwilligung bewertet haben. Die fehlerhafte Aufklärung und die fehlende Einwilligung des Kranken sollen ein „Unterlassungselement“ beschreiben, dass den Sachverhalt zu einem „ambivalenten Geschehen“ macht. Die These der „Unterlassung“ der gebotenen ärztlichen Aufklärung wird vor allem mittels der – von den Oberlandesgerichten218 genauso wie vom Bundesgerichtshof219 verwendeten – „Schwerpunkttheorie“ dargetan.220 214 Vgl. begründet von Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht 78 f.; vgl. auch Dahm, ZStW 59 (1940) 160; Hall, in: Erinnerungsgabe für Grünhut 228; Müller, JuS 1981 257; Triffterer, JuS 1971 182. Vgl. die weiteren Nachweise bei Stoffers, Schwerpunktformel 84. 215 Vgl. Kienapfel, Einführung in das österreichische Strafrecht 461; ders., Strafrecht AT 476 f.; ders., Strafrecht AT Z 28 Rdn. 25; ders., Jura 1989 147; wohl auch Frister, Strafrecht AT 22. Kap. Rdn. 9 ff. („Vorrang des Handelns“); Gropp, Strafrecht AT § 11 Rdn. 62; Haft, Strafrecht AT 176 f. Vgl. die weiteren Nachweise bei Stoffers, Schwerpunktformel 238 ff. 216 Vgl. Schröder, in: Schönke/Schröder 9. Aufl. Vor V Anm. 3; vgl. weiter Haft, Strafrecht AT 2. Aufl. 163; ders., JA 1982 474; Spendel, in: FS für Eb. Schmidt 183, 194; ders., JuS 1964 15; Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 212. 217 Bei der Verwendung von Kriterien wie „Körperbewegung“-„Körperruhe“, „Kausalität“ oder „Energieeinsatz“ wird man in der Handlung des Schneidens, Stechens, Schießens usw. den Anknüpfungspunkt für die weitere Deliktsprüfung sehen. 218 Vgl. OLG Düsseldorf JMBlNW 1983 199, 200; DAR 1986 149; OLG Frankfurt GA 1987 549, 551; OLG Karlsruhe NJW 1980 1859; OLG Köln JR 1991 523, 525; OLG Saarbrücken NJW 1991 3045, 3046; OLG Stuttgart FamRZ 1959 74; wistra 2000 392 f. 219 Vgl. BGHSt 6 46, 59; 40 257, 266.

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Im zivilrechtlichen Schrifttum sieht insbesondere Weber-Steinhaus den „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ „eindeutig“ im Versäumnis ordnungsgemäßer Belehrung. Das sei der Ausgangspunkt der Haftung.221 In der Tat scheint man in der Fallgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ den „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ nachvollziehbar auf die ärztliche Eigenmacht legen zu können. Das ärztliche Handeln fällt im „sozialen Kontext“ nicht als strafrechtlich relevantes Verhalten auf, solange sich der Arzt im Rahmen der rein medizinisch-technisch zu verstehenden Regeln der ärztlichen Kunst bewegt. Mit ganzer Kraft wirkt hier die tradierte Vorstellung mit, dass ein kunstgemäßes, medizinisch womöglich sogar gelingendes ärztliches Handeln, dass zu einer Verbesserung des Wohlbefindens des Patienten führt, keine tatbestandliche Körperverletzung darstellen kann. Angreifbar ist hier allenfalls die Eigenmacht des Arztes, nicht aber dessen kunstgemäßes und erfolgreiches Tätigwerden überhaupt. Der „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ kann daher nur auf der Erfassung der Eigenmächtigkeit des Arztes, nicht aber auf dem technisch-medizinischen einwandfreien und gelingenden Handeln des Arztes liegen. Die Wertungen des Grundgesetzes vertiefen schließlich diesen Eindruck. Das leuchtet ein, wenn die Einwilligung und die ärztliche Aufklärungspflicht nicht aus dem formalen Rechtswidrigkeits-, sondern aus dem materiellen Selbstbestimmungskonzept der Rechtsprechung hergeleitet werden. Der Patient ist „Subjekt der Behandlung“ (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG). Der Freiheit zur Entscheidung des Berechtigten wird eine überragende Bedeutung gegenüber der auf Heilung angelegten Tätigkeit des Arztes gegeben. Eine nähere Beschäftigung mit der „Schwerpunktformel“ zeigt allerdings die Schwächen dieser Wertung auf. 2. Die Auseinandersetzung mit der „Schwerpunktformel“ i. V. m. dem Kriterium des „sozialen Handlungssinns“

a) Bewertungsgegenstand bei der „hypothetischen Einwilligung“ aa) Die „Schwerpunkttheorie“ wird in der Wissenschaft vielfach angegriffen. In der Hauptsache222 wird ihre Ablehnung darauf gestützt, dass sie 220 Die „Präferenzlösungen“ sollten eher in die entgegengesetzte Richtung tendieren: Wenn das aktive Handeln kausal war für den Erfolg, so wie das ärztliche Eingreifen, das Schneiden, das Stechen, das Schießen usw., für den Körperverletzungserfolg, dann ist dieses Handeln gegenüber dem „Unterlassungsmoment“, dem „Unterlassen“ der gebotenen ärztlichen Aufklärung „vorrangig“ bzw. sei bei den zur Auswahl stehenden Verhaltensweisen „im Zweifel“ das positive Tun ausschlaggebend. 221 Vgl. Weber-Steinhaus, Ärztliche Berufshaftung 253 Fn. 886 a. E.

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

die Abgrenzbarkeit des zu bewertenden Gegenstandes voraussetzt, nicht aber selbst leisten kann.223 Es bedarf der vorhergehenden Klärung, ob das, wogegen sich der „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ richtet, Tun oder Unterlassen ist. Der Formel ist die Bezeichnung eines diesbezüglichen Unterscheidungsmerkmals aber nicht zu entnehmen. Die fehlende Bezeichnung der maßstabsbildenden Normen kann auch nicht mit dem Hinweis darauf entkräftet werden, dass die „Schwerpunkttheorie“ in „ambivalenten Sachverhalten“ nur als Konkurrenzregel gedacht ist.224 Gerade hier bedarf es der Klarstellung, was der Gegenstand der Bewertung sein soll, wenn die Formel nicht auch bloße fiktive Mehrdeutigkeiten in die Würdigung einstellen soll: Tun und Unterlassen müssen als gleichzeitig gegeben festgestellt werden.225 Gegen die „Schwerpunkttheorie“ werden daher die mangelnden konkreten und rational nachvollziehbaren Wertungsgesichtspunkte bzw. Wertmaßstäbe eingewendet, anhand derer auf den „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ eines bestimmten Tuns und Unterlassens geschlossen werden kann.226 Die strafrechtliche Würdigung des Sachverhalts wird stattdessen durch „irrationale Gefühlsurteile“ vorbelastet, die zu „beliebigen“ Ergebnissen führt.227 „Diese Theorie verweist statt auf eine rational nachvollziehbare Begründung in tiefes dogmatisches Dunkel.“228 Die Kombination der „Schwerpunktformel“ mit dem Kriterium des „sozialen Handlungssinns“ vermag aus diesem „Sumpf“ nicht herauszuhelfen, denn es fehlen auch hier konkrete, einer rationalen Nachprüfung zugängliche Maßstäbe. Der „soziale Handlungssinn“ selbst besitzt nur eine „geringe Prägnanz und Aussagekraft“.229 222 Vgl. auf die weiteren Kritikpunkte an der „Schwerpunktformel“ eingehend Stoffers, Schwerpunktformel 54 ff. 223 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 15 Rdn. 27: „zirkuläre und nichtssagende Leerformel“; Brammsen, GA 2002 199; Gössel, ZStW 96 (1984) 325; Sieber, JZ 1983 433; Stoffers, Schwerpunktformel 55, 58 f. 224 Vgl. dazu Stoffers, Schwerpunktformel 28 ff., 53 f., 55. 225 Vgl. Brammsen, GA 2002 199. 226 Vgl. etwa Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 15 Rdn. 27; Brammsen, GA 2002 199; Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 2; ders., Jura 2000 549; Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 78, 80; ders., ZStW 74 (1962) 418; Spendel, in: FS für Eb. Schmidt 193; Stoffers, Schwerpunktformel 59. 227 Vgl. Brammsen, GA 2002 199; Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 80. 228 Vgl. Brammsen, GA 2002 199. Das zeigt etwa Frister, Strafrecht AT 22. Kap. Rdn. 9, der im Ziegenhaarfall (RGSt 63 211) meint, den „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ (wohl) entgegen dem Reichsgericht (RGSt 63 211, 213 f.) in einem Handeln sehen zu dürfen. Die „ohnehin gewichtigere Vorgehensweise“ sei das positive Tun, vgl. Kindhäuser, Strafrecht AT § 35 Rdn. 4. Die unterschiedlichen Ergebnisse sind rational nicht überprüfbar. 229 Vgl. Roxin, Strafrecht AT § 31 Rdn. 80; ausführlicher Brammsen, GA 2002 196 f.; Stoffers, Vermeidbarkeitsformel 103.

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bb) Das Fehlen von Wertmaßstäben macht sich vor allem in einer bedenklichen Vorauswahl der in der Fallgruppe der „hypothetischen Einwilligung“ in den Bewertungsgegenstand eingestellten Umstände bemerkbar. Die Formel steht in Gefahr, ein unklares Bewertungsobjekt der Analyse zuzuführen.230 In den praktisch bedeutungslosen Sachgestaltungen des ärztlichen Handelns „gegen“ den erklärten Willen des Berechtigten führt die „Schwerpunktformel“ freilich nicht zu unzutreffenden Ergebnissen. Die ärztliche Eigenmacht ist gegenüber der „körperlichen Misshandlung“ von untergeordneter Bedeutung. Eine „klare Ablehnung“ des ärztlichen Heileingriffs entziehe hypothetischen Erwägungen den Boden.231 Kritisch sind dagegen die Fallgestaltungen eines „ohne“ und „mit fehlerhaft aufgeklärter“ Einwilligung des Patienten vorgenommenen Heileingriffs. Die „Schwerpunktformel“ sieht in dem „Unterlassen“ der gebotenen ärztlichen Aufklärung den „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“.232 (1) Die Fragwürdigkeit der „Schwerpunktformel“ wird in der Wissenschaft anhand eines anderen Sachverhalts offengelegt. Zum Sachverhalt des Ziegenhaarfalls (RGSt 63 211): Der Leiter einer Pinselfabrik hatte von einer Händlerfirma chinesische Ziegenhaare bezogen und diese an seine Arbeiterinnen zur Verarbeitung herausgegeben, ohne sie, wie es vorgeschrieben war, vorher desinfizieren zu lassen. Vier Arbeiterinnen wurden durch Milzbrandbazillen infiziert und starben.

Für den Ziegenhaarfall (RGSt 63 211), bei dem Mezger ein Unterlassen angenommen hatte,233 wirft Roxin die Frage auf, ob die „Unterlassung der Desinfektion“ der Ziegenhaare neben der Ausgabe der nicht desinfizierten Ziegenhaare an die Arbeiterinnen, die daraufhin an Milzbranderregern erkrankt seien, eine eigenständige rechtliche Relevanz besitze, was im Schrifttum unterschiedlich beantwortet werde.234 Heute sieht die ganz herr230

Vgl. Brammsen, GA 2002 199. Die „Schwerpunktformel“ ist ohnehin nur als Konkurrenzregel in den Fällen „ambivalenten Verhaltens“ gedacht. Es ist aber fraglich, ob sie in diesen Fallgestaltungen überhaupt herangezogen würde. Der „gegen“ den Willen eingreifende Arzt ist wegen vollendeter Körperverletzung zu bestrafen. Das stimmt mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in BGH NJW 1991 2342, 2343 sowie dem ganz überwiegenden Teil der Literatur zur „hypothetischen Einwilligung“ überein. 232 Zu den möglichen Gedanken, die bei der Vorauswahl des Verhaltens tragend sein könnten, vgl. oben Fn. 204. 233 Vgl. Mezger, Lehrbuch 3. Aufl. Vorwort XIX. Das Reichsgericht beantwortet die Frage nicht eindeutig, vgl. auch Spendel, Kausalität 58: eher Unterlassung. 234 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 86. Dabei geht es um die Frage, ob neben der Begehungstat ein der selbständigen Würdigung zugängliches Unterlassen vorliegt. Das wird dann relevant, wenn die Strafbarkeit wegen der Begehungstat 231

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schende Lehre im Ziegenhaarfall in der Herausgabe der nicht desinfizierten Ziegenhaare den strafrechtlichen Anknüpfungspunkt.235 Auch die „Schwerpunktheorie“ soll in diesem Fall zu einem positiven Tun gelangen. Die Herausgabe der Ziegenhaare ist der „naturwissenschaftlich-physikalisch“236 zu verstehende „positive Energieeinsatz“ in Richtung auf die Rechtsgüter „Leben“ und „Gesundheit“ der Arbeiterinnen.237 Dieses Ergebnis wird auch durch die Überlegung bestätigt, dass zu der Zeit, zu der die Desinfektion hätte durchgeführt werden müssen, noch gar keine tatbestandsmäßige Situation, keine „reale Gefahrenlage“ bestand,238 die eine Erfolgsabwendungspflicht hätte begründen können. Damit fehlt es allerdings auch an einer „tatbestandsmäßigen Unterlassung.“ Diese Gefahrenlage musste erst durch die Herausgabe der nicht desinfizierten Ziegenhaare an die Arbeiterinnen geschaffen werden. Die Unterlassung lag „im Vorfeld einer noch gar nicht gefährdenden Handlung.“239 (2) Nicht folgenlos können solche Überlegungen für die „hypothetische Einwilligung“ sein. Die Sachverhalte weisen insoweit strukturelle Ähnlichkeiten auf. Zu einer Gefahr, dass das Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ beeinträchtigt wird, kommt es nämlich erst in dem Zeitpunkt, in dem der Arzt schneidet, sticht, schießt usw. Erst hiermit erlangt die fehlerhafte ärztliche Aufklärung im Rahmen der Körperverletzungsdelikte die für den Arzt verhängnisvolle Bedeutung. Umgekehrt kommt ihr insoweit keine Bedeutung zu, wenn der ärztliche Heileingriff ausbleibt. Das tatbestandsmäßige Verhalten der Körperverletzungsdelikte ist das Schneiden, Stechen, Schießen usw., nicht aber die fehlerhafte oder gar fehlende Aufklärung. Der Arzt hat für das geschützte Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ mit der fehlerhaften ärztlichen Aufklärung – in der Formulierung der Lehre der objektiven Zurechnung – keine Gefahr begründet oder erhöht. nicht begründet werden kann, zum Beispiel weil der Täter bei Ausgabe der Ziegenhaare schuldunfähig war, vgl. auch Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 15 Rdn. 27 mwN. Abgelehnt wird das etwa von Wessels, JZ 1967 450 f.; dagegen differenzierend Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 85 ff. 235 Vgl. nur Brammsen, GA 2002 209; Gropp, Strafrecht AT § 11 Rdn. 62; B. Heinrich, Strafrecht-AT II § 25 Rdn. 867; Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 2; Kühl, Strafrecht AT § 18 Rdn. 24; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 16 Rdn. 700. 236 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 2. „Normative“ Ausdeutungen des „Energiebegriffs“ sind ähnlichen Bedenken ausgesetzt wie die rational wenig nachvollziehbaren und emotional vorbelasteten sozialen Abgrenzungslehren von Tun und Unterlassen. 237 Vgl. auch Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 2. 238 Vgl. Brammsen, GA 2002 209 Fn. 108; Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 86. 239 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 86; vgl. auch Brammsen, GA 2002 209 Fn. 108; Otto, Jura 2000 550.

§ 3 „(Quasi-)Kausalität“ der Unterlassung der ärztlichen Aufklärung

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Der Arzt kann die ärztliche Aufklärungspflicht in noch so abenteuerlicher Weise verletzen. Die „körperliche Unversehrtheit“ des Patienten beeinträchtigt allein das Schneiden, Stechen, Schießen usw. Die Aufklärungspflichtverletzung liegt „im Vorfeld“ einer noch gar nicht bestehenden „realen Gefahrenlage“ für das in den Körperverletzungsdelikten geschützte Rechtsgut der „körperliche Unversehrtheit des Menschen“.240 Die Vernachlässigung der ärztlichen Aufklärungspflicht beeinträchtigt indessen die Selbstbestimmung des Patienten. Der strafrechtliche relevante Sachverhalt wird durch die unzutreffende Auswahl der im Bewertungsgegenstand einzustellenden Alternativen („ärztlicher Heileingriff“-„fehlerhafte ärztliche Aufklärung“) verfälscht.241 Es ist mit Otto dagegen einzuwenden, dass der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit nicht auf dem nicht tatbestandsmäßigen Unterlassen [scil. der gebotenen ärztlichen Aufklärung] liegen könne, weil ein sozialgefährliches, sozialschädliches Verhalten [scil. das Eingreifen des Arztes ohne rechtlich wirksamen Willen des Patienten] unter strafrechtlichen Wertungsaspekten stets schwerer wiege als ein nicht sozialgefährliches, sozialschädliches Verhalten.242 Zu weiteren Missverständnissen über die in den Bewertungsgegenstand einzustellenden Umstände kommt es wegen der zweifelhaften Beschreibung des in den Körperverletzungsdelikten (§§ 223 StGB ff.) geschützten Rechtsguts. Mit der Entwicklung der ärztlichen Aufklärungspflicht wird die „Selbstbestimmung“ des Patienten zum Teil in das geschützte Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ einbezogen. Die Prämissen provozieren weitere unnötige Fehlerquellen. Insbesondere im Rahmen der Abgrenzung von positiven Tun und Unterlassen nach der „Schwerpunktformel“ überlagert die Beeinträchtigung der „Selbstbestimmung“ des Patienten durch die fehlerhafte ärztliche Aufklärung normativ diejenige der das Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ beeinträchtigende Handlung des Arztes (Schneiden, Stechen, Schießen usw.). Das ist unzutreffend. Alles andere als „eindeutig“ (Weber-Steinhaus) ist daher auch in der Sachkonstellation der „hypothetischen Einwilligung“ die Annahme einer „Unterlassung“. Zu solchen Aussagen können u. a. die Unbestimmtheit der Wertungsmaßstäbe der „Schwerpunktformel“ und die unklare Formulierung des in den Körperverletzungsdelikten geschützten Rechtsguts verleiten. 240

Vgl. so ausdrücklich Gropp, in: FS für Schroeder 202. Vgl. auch Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 409. 241 Dieser Vorwurf trifft auch die „Präferenzlösungen“, die zwar zu zutreffenden Ergebnissen führen sollten, doch wird auch hier ein strafrechtlich relevanter mit einem strafrechtlich irrelevanten Sachverhalt verglichen, vgl. Otto, Jura 2000 550. 242 Vgl. Otto, Jura 2000 550.

220

5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

b) „Umdeutung“ in ein Unterlassen Hinter der „Unterlassungslösung“ hat im Zivilrecht seinerzeit wohl nur der Zweck gestanden, bei einer sehr restriktiven Grundhaltung gegenüber der „hypothetischen Einwilligung“ – Stichwort: „strenge bis strengste Anforderungen an die Beweislast des Arztes“ – sich wenigstens theoretisch eine Möglichkeit offenzuhalten, das fehlerhafte ärztliche Handeln mittels der „Quasikausalitätsformel“ in ganz bestimmten Fallkonstellationen von einer Haftung auszunehmen.243 Dieses Anliegen kommt für den Entwicklungsstand der „hypothetischen Einwilligung“ Anfang der 70er Jahre deutlich bei Kleinewerfers und Wilts zum Ausdruck.244 Sie legten dar, dass die Subsumtion des „eigenmächtigen, kunstgemäßen, aber zum gesundheitsverschlechternden Misserfolg führenden Heileingriffs“ als eine durch positives Tun begangene Körperverletzung zu einer starken Zurückdrängung der „hypothetischen Einwilligung“ geführt habe: Die Frage, ob der Schaden bzw. der Misserfolg der ärztlichen Maßnahme auch ohne die Heilbehandlung eingetreten wäre, müsse nämlich „stets“ verneint werden.245 Dieses Ziel wird auch im Strafrecht verfolgt: Die Unbestimmtheit der Wertungen bei der „Schwerpunktformel“ legt den Verdacht nahe, dass mitunter ein ganz anderer Zweck verfolgt wird als die sachgerechte Verhaltensbestimmung, nämlich die Erzielung eines bestimmten (Zwischen-)Ergebnisses.246 Die Gerichte haben bei der Anwendung der „normativen Abgrenzungslehren“ den „Schwerpunkt des Verhaltens“ „bemerkenswerterweise [. . .] fast immer in einem Unterlassen gesehen“.247 Das hatte häufig den Hintergrund, dass solche Fallgestaltungen entschieden worden sind, bei denen der Erfolg möglicherweise auch bei Vornahme der unterlassenen Handlung eingetreten wäre.248 Auch das Schrifttum besitzt beim ärztlichen Handeln bisweilen die Neigung,249 ein phänotypisches Handeln unter Verwen243 244

Vgl. oben A. IV. Vgl. Kleinewerfers/Wilts, in: Die juristische Problematik der Medizin Bd. III

54. 245

Vgl. Kleinewerfers/Wilts, in: Die juristische Problematik der Medizin Bd. III

54. 246 Vgl. Brammsen, GA 2002 199; Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 82 f.; Stoffers, Schwerpunktformel 59; Struensee, in: FS für Stree/Wessels 138; vgl. auch Otto, Jura 2000 549 f., der einzelne Fälle aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung nennt: den Ziegenhaarfall (RGSt 63 211); RGSt 63 392; den Respirator- oder Reanimatorfall (vgl. sogleich unten) sowie BGH NStZ 1999 607; vgl. auch Otto, Jura 2001 276 f. 247 Vgl. Brammsen, GA 2002 198. 248 Vgl. so auch Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 83. 249 Vgl. neben den bereits im Text genannten noch etwa B. Heinrich, StrafrechtAT II § 25 Rdn. 870 ff. („Sonderproblem Arztstrafrecht“).

§ 3 „(Quasi-)Kausalität“ der Unterlassung der ärztlichen Aufklärung

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dung des „Kriteriums des sozialen Handlungssinns“ in ein Unterlassen „umzudeuten“. Nachhaltig wird dieses Vorgehen im Respiratorfall offengelegt: So meint Struensee, dass bestimmte Fälle des aktiven Abbruchs medizinisch-technischer Intensivbehandlung zweckmäßig straffrei gestellt werden sollen, die nach herkömmlicher Auffassung alle Voraussetzungen eines Begehungsdelikts erfüllen würden.250 Paradigmatisch ist die Argumentation Hafts: „Würde man dagegen Tun annehmen, wäre der Arzt wegen Totschlages strafbar (Fall der aktiven Euthanasie), was ersichtlich nicht sachgerecht wäre.“ In der Grenzsituation am Rande des menschlichen Lebens, bei der ein „hoffnungslos schwerkranker Patient“, der „keine Chance mehr [hat], dass [er] jemals wieder aus dem Koma erwacht“, an den Respirator angeschlossen werde, ende die Lebenserhaltungspflicht des Arztes mangels Zumutbarkeit weiterer Behandlung (passive Euthanasie).251 Sobald sich der „gute Wille“ und der Heilauftrag des Arztes in der Person eines beliebigen Dritten verliert, der das Gerät „aus purer Böswilligkeit“ abschaltet, erhält das Geschehen einen anderen „sozialen Sinngehalt“: Hier sei positives Tun anzunehmen.252 Diesem theoretisch bedenklichen Zweck würden im Arztstrafrecht auch die Bestrebungen dienen, in der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ wertend eine Unterlassung zu sehen. Verläuft die Subsumtion des ärztlichen Heileingriffs mit seinem Schneiden, Stechen, Schießen usw. unter die tatbestandlichen Voraussetzungen der Körperverletzung erfolgreich, kann jedoch nicht die Strafbarkeit des Arztes wegen eines Begehungsdelikts womöglich dadurch wegdisputiert werden, indem ein eindeutiges phänotypisches Handeln in ein Unterlassen umgeformt wird.253 Gegen die „Schwerpunkttheorie“ ist insoweit eingewendet worden, sie unterliege nicht nur einem Zirkelschluss, denn der „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ werde wesentlich durch das jeweilige Empfinden der Strafwürdigkeit des Verhaltens mitgeprägt, die Abgrenzung dadurch präjudiziert, welche Faktoren dem angepeilten Schwerpunkt jeweils im voraus zugeschlagen würden,254 sondern sie verstoße auch gegen Art. 103 Abs. 2 GG, indem sie ein eigentlich strafbares positives Tun durch die „Umformung“ in ein Unterlassen straffrei stelle.255 Die Formel vom „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ führe zu ungerechtfertigten Strafbarkeitslücken.256 Das muss in Fallgestaltungen rele250 Vgl. Struensee, in: FS für Stree/Wessels 138; vgl. auch Brammsen, GA 2002 199, 210. 251 Vgl. Haft, Strafrecht AT 177. 252 Vgl. Haft, Strafrecht AT 177. 253 Vgl. ähnlich Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 82. 254 Vgl. etwa Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 15 Rdn. 27; Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 79; Stoffers, Schwerpunktformel 57 f. 255 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 82.

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5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

vant werden, in denen es an einer Garantenpflicht (Grenzen der Reichweite der Erfolgsvermeidepflicht) fehlt. Die Neigung, eine Unterlassung anzunehmen, wird auch auszumachen sein, wenn nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit, nicht aber eine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ dafür spricht, dass bei Vornahme der gebotenen Handlung der Erfolg ausgeblieben wäre. Das ist die bedenkliche Situation bei der „hypothetischen Einwilligung“, die in den allerseltensten Fällen einmal nachgewiesen werden kann.257 Im Strafrecht wirkt die Unerweislichkeit der „Quasikausalität“ „in dubio pro reo“ zugunsten des Arztes. Die Straffreiheit mag in bestimmten Fällen ein durchaus überzeugendes Ergebnis sein. Allein die Begründung ist bedenklich. Im Respiratorfall, ein weiteres Beispiel für eine ähnlich schwierige Beweissituation, wird auch zunehmend nicht die Abgrenzung von Tun und Unterlassen, sondern für entscheidend gehalten, wann die Rechtspflicht des Arztes endet, eine Behandlung aufrechtzuerhalten, auch wenn für den Patienten ein bewusstes Erleben der Umwelt endgültig ausgeschlossen ist.258 Diese Problematik stehe außerhalb der Abgrenzung von Tun und Unterlassen und sei bei beiden Verhaltensformen gleichermaßen zu berücksichtigen:259 Wenn die Aktivität des Begehungstäters und das Unterlassen des Garanten identische Risikofaktoren zum Gegenstand haben, dann müsse auch die strafrechtliche Haftung identisch sein, da Begehungs- und Unterlassungsalternative demselben Unrechtstatbestand unterfallen. Eine Differenzierung im Haftungsrahmen nach Tun und Unterlassen widerstreite der Normlogik.260 Es ist eben die sachlich vornehmliche Frage, ob der außerhalb der Abgrenzungsproblematik von Tun und Unterlassen stehende, durch die „hypothetische Einwilligung“ beschriebene Sachverhalt eine Berechtigung besitzt und dementsprechend nach anderen Wertungen ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Arztes ausschließen kann.261 Der Rechtsgedanke ist aber nicht deswegen beachtlich, weil man ein „Unterlassen“ annehmen zu können glaubt, während er umgekehrt für unbeachtlich gehalten werden müsste, wenn die strafrechtliche Würdigung an die ärztliche Heilbehandlung als ein positives Tun anknüpfen würde.

256

Vgl. Stoffers, Schwerpunktformel 58. Der lehrende Seitenblick ins Zivilrecht erweist das hinlänglich, vgl. 8. Kap. 2. Abschn. II. 1. 258 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 5; ders., Jura 2000 550; vgl. auch Kühl, Strafrecht AT § 18 Rdn. 19 mwN; vgl. auch Stoffers, MDR 1992 623 f. 259 Vgl. Brammsen, GA 2002 210 Fn. 116; Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 5. 260 Vgl. Otto, Jura 2001 277. 261 Vgl. 11. Kap. 257

§ 3 „(Quasi-)Kausalität“ der Unterlassung der ärztlichen Aufklärung

223

III. Die geringe Resonanz der „Unterlassungslösungen“ Bei der „hypothetischen Einwilligung“ konnte an die „Unterlassungslösung“ in den 70er Jahren vor allem deswegen gedacht werden, weil die konstruktive Begründung des ohnehin noch nicht anerkannten Rechtsgedankens völlig offen war.262 Die Bedeutung der „Unterlassungslösung“ ist in Rechtsprechung und Literatur jedoch relativ gering geblieben. Das kann auf zwei Erwägungen zurückgeführt werden. 1. Die rechtliche Würdigung der Strafbarkeit des Verhaltens muss sich in den Sachgestaltungen der „hypothetischen Einwilligung“ auf ein positives Tun konzentrieren. Der ärztliche Heileingriff mit seinem Schneiden, Stechen, Schießen usw. ist der „positive Einsatz von Energie“ in Richtung auf das Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit des Menschen“. Der Energiebegriff ist „naturwissenschaftlich-physikalisch“ auszudeuten. Die Rechtsprechung, die in jeder ärztlichen Heilbehandlung eine Körperverletzung sieht, knüpft zu einem großen Teil die rechtliche Bewertung sachgerecht an den ärztlichen Eingriff in das Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ an. Sie begründet die „hypothetische Einwilligung“ in der überwiegenden Zahl der Entscheidungen folgerichtig auch nicht mit Erwägungen zur „Unterlassung“ der gebotenen ärztlichen Aufklärung. Der Begründung der „Unterlassungslösung“ mit der „Schwerpunktformel“ in Verbindung mit dem Kriterium des „sozialen Handlungssinns“, mit der allenfalls möglich gewesen wäre,263 dass phänotypische Handeln des Arztes normativ in eine „Unterlassung“ der gebotenen ärztlichen Aufklärung „umzudeuten“ – „Sonderstrafrecht für Ärzte“ –, fehlt es an Überzeugungskraft. Von einer „Eindeutigkeit“ (Weber-Steinhaus) des „Schwerpunktes der Vorwerfbarkeit“ der „Unterlassung“ der gebotenen Aufklärung kann nach dieser Formel nur wegen der Unbestimmtheit ihrer Begriffe die Rede sein. Die Fehldeutung des bei der „hypothetischen Einwilligung“ zugrundeliegenden Lebenssachverhaltes beruht auf den Prämissen in der Rechtsgutslehre: Die „Selbstbestimmung“ ist allerdings kein eigenständiges Schutzgut der Körperverletzungsdelikte. Die Anerkennung einer „Beziehungsstruktur“ im geschützten Rechtsgut und die Erweiterung des geschützten Rechtsguts der „körperlichen Unversehrtheit des Menschen“ um die „Selbstbestimmung“ des Berechtigten sind völlig verschiedene Sachverhalte. Der 262

Vgl. 2. Kap. § 2. A. Auf die verbleibenden Abgrenzungstheorien muss nicht näher eingegangen werden, weil sie anders als die „Schwerpunktformel“ in Verbindung mit dem Kriterium des „sozialen Handlungssinns“ ohnehin nicht in der Gefahr stehen, in den Sachverhaltskonstellationen der „hypothetischen Einwilligung“ ein Unterlassen anzunehmen. 263

224

5. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene des Tatbestandes

„Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ des Verhaltens kann nicht in der „Unterlassung“ der gebotenen ärztlichen Aufklärung gesehen werden, weil es sich nicht um ein tatbestandsmäßiges, das Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ beeinträchtigendes Verhalten handelt. Die fehlerhafte ärztliche Aufklärung beeinträchtigt die „Selbstbestimmung“ des Patienten, sie beeinträchtigt dagegen keinesfalls dessen „körperlichen Unversehrtheit“. In der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ ist keine Unterlassungsproblematik begründet. Der Rechtsgedanke kann womöglich über eine Haftpflicht und Strafe entscheiden, allerdings nicht im Rahmen der „Unterlassungskausalität“ („Quasikausalität“), sondern davon unabhängig nach anderen Gesichtspunkten. 2. Auf die „Unterlassungslösung“ ist die „hypothetische Einwilligung“ im Zivilrecht auch deshalb gestützt worden, weil konkurrierende Erklärungsmodelle wie das „rechtmäßige Alternativverhalten“ noch in der Entwicklung begriffen waren. Das galt besonders zu der Zeit der Entscheidungen des Oberlandesgerichts Bremen264 sowie Karlsruhe.265 Die Begründung der „hypothetischen Einwilligung“ mit anderen Konstruktionen hat die Erforderlichkeit der „Unterlassungslösung“ wohl zusätzlich in Frage gestellt. Das schlägt sich in der geringen Zahl an einschlägigen obergerichtlichen Entscheidungen und der beinahe fehlenden Resonanz in der Wissenschaft266 nieder. Die Unterlassungslösung ist aus den genannten Gründen daher nicht überzeugend.

264 265 266

Vgl. OLG Bremen VersR 1954 63. Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1966 399. Vgl. exemplarisch Rönnau, JZ 2004 801 f.

Sechstes Kapitel

Die „hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene der Rechtswidrigkeit § 1 Einführung in den Streitstand Bei der „hypothetischen Einwilligung“ soll es sich um eine Rechtfertigungsproblematik handeln. Die „Rechtfertigungslösungen“ unterscheiden sich konstruktiv allerdings erheblich voneinander. I. In dem Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ wird eine normative Zurechnungsproblematik gesehen. Diese „Wertungslösungen“ stimmen im Ausgangspunkt überein, nicht aber in der Begründung. Einigkeit herrscht bei den „Wertungslösungen“ in der Sache darüber, dass der Ausschluss der objektiven Erfolgszurechnung zum „Körperverletzungsunrecht“1 bzw. zur „Rechtswidrigkeit“, dass heißt zum objektiven Unrecht einer vollendeten Tat, erfolgt.2 Die „hypothetische Einwilligung“ wird übereinstimmend, jedoch mit unterschiedlicher Argumentationsrichtung auf den Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ zurückgeführt. II. Allerdings verbindet man die Problematik der „hypothetischen Einwilligung“ auch mit einem „echten“ Rechtfertigungsgrund.

1 2

Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. 1 § 13 Rdn. 122 Fn. 197. Vgl. Kuhlen, JR 2004 229.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“ A. Der Gedanke des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ I. Die Darstellung der „normativen“ „Zusammenhangslösungen“ 1. Der „normative Zusammenhang“ zwischen dem „Aufklärungsmangel“ und dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“

a) Die Übertragung der Lehre der objektiven Zurechnung auf die Rechtswidrigkeitsebene aa) Kuhlen Die „grundlegenden Abhandlungen in der [jüngeren] Literatur“ zur „hypothetischen Einwilligung“ liefert Kuhlen.3 Kuhlen spricht sich für eine „Übertragung“ der Lehre der objektiven Zurechnung von der Tatbestands- auf die Rechtfertigungsebene aus.4 Das sei „geboten“, weil sich die Funktion der Lehre der objektiven Zurechnung in der strafrechtlichen Unrechtslehre, nämlich die „Einschränkung der Erfolgszurechnung“, hier genauso verwirklichen lasse, wenn „die Normbefolgung keinen Beitrag zum bezweckten Rechtsgüterschutz geleistet hätte.“5 Damit geht Kuhlen weit über die Forderungen der Rechtsprechung und der Wissenschaft hinaus. Kuhlen beschränkt seine Konstruktion nicht auf das Arztstrafrecht oder die rechtfertigende Einwilligung. Die überwiegende Meinung steht dieser Erweiterung des Zurechnungsgedankens jedoch eher fragend bis skeptisch gegenüber: Sie spricht sich allenfalls für eine Übertragung des Gedankens des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ auf die Einwilligung, nicht aber weitergehend für eine Übertragung der Lehre der objektiven Zurechnung – zudem auf andere Rechtfertigungsgründe und andere Lebenssachverhalte (v. a. Vermögensdelikte) – aus.6 Aus diesem abweichenden Ausgangspunkt in der Konstruk3

Vgl. auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 120 Fn. 196. Kuhlen, in: FS für Roxin 331; ders., in: FS für Müller-Dietz 433 Fn. 7 und Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 14 Rdn. 113 ff. verfolgen einen von Puppe, in JZ 1989 728, 729 entwickelten Gedanken weiter. Freilich darf an dieser Stelle auch Krauß, in: FS für Bockelmann 557 ff., 573 ff. nicht vergessen werden, der einen der „modernen“ „hypothetischen Einwilligung“ durchaus ähnlichen Vorschlag bereits einige Zeit vorher ausformuliert hat. 4 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 432; ders., in: FS für Roxin 331; ders., JR 2004 227; vgl. auch Eisele, JA 2005 253 Fn. 13. 5 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 331; ders., JR 2004 228.

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“

227

tion Kuhlens resultiert ein durchaus anderes Verständnis des bei der „hypothetischen Einwilligung“ geforderten „Zusammenhangs“. In der Forderung eines „Zusammenhangs“ zwischen dem – abstrakt verstandenen – „Rechtfertigungsdefizit“ bzw. „-mangel“ und dem „tatbestandlichen Erfolg“ weicht Kuhlen dogmatisch von der überwiegenden Auffassung ab.7 Die Lehre der objektiven Zurechnung könne auf die Rechtfertigungsebene übertragen werden. Es stelle sich erneut die „im Kern identische Zurechnungsproblematik“, sodass in „struktureller Analogie“ zu den Kriterien auf Tatbestandsebene ein derartiger „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ gefordert werden müsse.8 Folge man der tradierten Trennung von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit, so spalte man das ex ante Urteil über die strafrechtlich relevante Normwidrigkeit des Verhaltens auf und müsse es in zwei Teilschritten begründen: zunächst als „prima facie pflichtwidriges“ (scil. sorgfaltswidriges, tatbestandsmäßiges), sodann als „definitiv pflichtwidriges“, da nicht gerechtfertigtes Verhalten. Dann müsse aber auch die Möglichkeit einer ex post erfolgenden Unrechtseinschränkung durch Verneinung der objektiven Zurechnung zweimal gegeben sein: erstens nach der Feststellung des tatbestandsmäßigen Verhaltens im Rahmen des objektiven Tatbestandes, zweitens wenn feststehe, dass das tatbestandsmäßige Verhalten objektiv nicht gerechtfertigt9 und damit „definitiv normwidrig“ sei, im Rahmen der objektiven Rechtswidrigkeit.10 An die Stelle der „spezifisch rechtlich missbilligten und in diesem Sinne tatbestandsmäßigen Handlung“ trete die „tatbestandsmäßige und nicht durch einen bestimmten Rechtfertigungsgrund objektiv gerechtfertigte Handlung“. Es gehe auf der Tatbestands- und der Rechtswidrigkeitsebene um die „Zurechnung des tatbestandlichen Erfolges“.11 Für die praktische Fallbearbeitung entwickelt Kuhlen folgendes abstrakte Schema: Der tatbestandliche Erfolg müsse auf dem „prima facie pflichtwidrigen“ Verhalten objektiv zurechenbar beruhen („Pflichtwidrigkeitszusammenhang“).12 6

Vgl. die Übersicht Einl. § 2 B. Vgl. auch Eisele, JA 2005 252 Fn. 13; Rönnau, JZ 2004 801 Fn. 12; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230 Fn. 923. 8 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 337. 9 Sei das Verhalten hingegen objektiv gerechtfertigt, seien also die objektiven Voraussetzungen eines Erlaubnissatzes dargetan, so fehle es am objektiven Unrecht der Tat, ohne das es eines Eingehens auf die objektive Zurechnung bedürfe, vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 338. 10 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 332, 338 f. 11 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 339. 12 Vgl. Kuhlen, JR 2004 227 f. 7

228

6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Der tatbestandliche Erfolg müsse auf dem „definitiv pflichtwidrigen“ Verhalten objektiv zurechenbar beruhen, also darauf, dass kein Rechtfertigungsgrund eingreife, was nur der Fall sei, wenn das jeweilige „zurechnungsrelevante“13 Rechtfertigungsdefizit („bloßer Rechtfertigungsmangel“),14 das gerade zur Unwirksamkeit des Rechtfertigungsgrundes geführt habe, mit dem Erfolg durch einen „Pflichtwidrigkeits-“ und „Risikozusammenhang“ verbunden sei.15 Diese Frage sei aus der Perspektive „ex post“ zu beantworten.16 Sollten mehrere „bloße Rechtfertigungsmängel“ vorliegen, so genüge für die vollendete Tat, wenn der Erfolg auf einem dieser Rechtfertigungsmängel beruhe.17 Der „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ sei dem Täter mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nachzuweisen.18 „Zweifel“, ob der Erfolg bei pflichtgemäßen Verhalten genauso eingetreten wäre, wirken sich „in dubio pro reo“ zugunsten des Täters aus.19

Die Lehre der objektiven Zurechnung komme auf der Rechtswidrigkeitsebene als haftungseinschränkendes Korrektiv nicht generell, sondern in Abhängigkeit von der Art des jeweiligen „Rechtfertigungsdefizites“ in Betracht. Der negativen Voraussetzung, „nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt zu sein“, genügen nämlich auch solche tatbestandsmäßigen Handlungen, für deren Rechtfertigung jeder Anhaltspunkt fehle. Bei den „zurechnungsirrelevanten tiefgreifenden Rechtfertigungsdefiziten“ in Abgrenzung zu den „zurechnungsrelevanten bloßen Rechtfertigungsmängeln“ komme ein Ausschluss der objektiven Zurechnung nicht in Frage: Eine gegen den erklärten Willen vorgenommene Körperverletzung bleibe immer vollendetes Unrecht.20 Die genaue Abgrenzung der „Zurechnungsdefizite“ bzw. „-mängel“ könne aber nicht abstrakt, sondern allein im Hinblick auf den konkreten Rechtfertigungsgrund geleistet werden.21 Für die Einwilligung22 und die „mutmaßliche Einwilligung“ hat Kuhlen die Ausarbeitung selbst geleistet:23 Wenn die Einwilligung gerade wegen 13

Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz FS 433 f., 440 ff.; ders., in: FS für Roxin 339 f. 14 Die Lehre der objektiven Zurechnung komme nicht als haftungseinschränkendes Korrektiv bei „zurechnungsirrelevanten tiefgreifenden Rechtfertigungsdefiziten“ in Betracht, vgl. zur Terminologie Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 434; vgl. auch Rönnau, JZ 2004 803: „zurechnungsrelevante Mängel“. 15 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 332; ders., JR 2004 227 f. 16 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 346; ders., JR 2004 227. 17 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 340 Fn. 55. 18 Vgl. Kuhlen, JR 2004 229. 19 Vgl. Kuhlen, JR 2004 229. 20 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 339; vgl. auch ders., in: FS für Müller-Dietz 434, 439 ff., 447 ff. 21 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 340. 22 Irrelevant seien das Fehlen der wirklichen Zustimmung (vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 440), die fehlende Dispositionsbefugnis des Zustimmenden (vgl.

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“

229

eines Mangels der ärztlichen Aufklärung unwirksam sei (scil. „bloßer Einwilligungsmangel“ oder konkreter: „Aufklärungsmangel“), dann könne die objektive Zurechnung erneut geprüft werden. Die in der Rechtsprechung erörterte Rechtsfigur der „hypothetischen Einwilligung“ sei nur eine Ausprägung des in der Tatbestandslehre anerkannten Zurechnungsausschlusses bei fehlendem „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“. Sie sei ein Anwendungsfall des Gedankens des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“, der auf die Einwilligung übertragen werde: Es gehe um den Ausschluss der objektiven Erfolgszurechnung bei dem für „zurechnungsrelevant“ gehaltenen „bloßen Rechtfertigungsmangel“ der fehlenden Information des Einwilligenden über die Bedeutung und die Tragweite seiner Einwilligung (scil. „bloßer Einwilligungsmangel“).24 Die objektive Zurechnung des Erfolgsunrechts begründet Kuhlen mit einem „Zusammenhang“ zwischen dem „Aufklärungsmangel“ und dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“. Dieser „Zusammenhang“ sei kein „Kausal-“,25 sondern ein „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ („objektiver Zurechnungszusammenhang“).26 Der Erfolg könne dem Täter nicht zugerechnet werden, wenn die Annahme ex post begründet sei, dass der Patient, dessen Einwilligung in den Heileingriff wegen eines Aufklärungsmangels unwirksam gewesen sei („ex ante Perspektive“), auch bei einer fiktiv ordnungsgemäßen Aufklärung in den Eingriff – und dann: wirksam – eingewilligt hätte („hypothetische Einwilligung“).27 Dann nämlich beruhe der tatbestandliche Körperverletzungserfolg nicht objektiv zurechenbar auf der endgültig pflichtwidrigen („definitiv pflichtwidrigen“), weil nicht durch die objektiven Voraussetzungen der Einwilligung gerechtfertigten Handlung (scil. dem zurechnungsrelevanten „Einwilligungs-“ oder konkreter: „Aufklärungsmangel“): Es werde nicht „unspezifisch“ die „Strafbarkeit“ ausgeschlossen,28 sondern es fehle an der Rechtswidrigkeit, dass heiße am „objektiven Unrecht einer vollendeten Tat“.29 „Eine unwirksame Einwilligung ders., aaO. 440) und die fehlende Einsichtsfähigkeit des Einwilligenden (vgl. ders., aaO. 440 f). Die fehlerhafte Information des Erklärenden sei dagegen der wichtigste Fall des relevanten Rechtfertigungsmangels (vgl. ders., aaO. 441). Differenziert seien die durch Drohung und Zwang herbeigeführte (vgl. ders., aaO. 444 f) sowie die gegen die guten Sitten verstoßende Einwilligung zu betrachten (§ 228 StGB) (vgl. ders., aaO. 445). 23 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 439 ff., 447 ff. 24 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 441 ff.; ders., in: FS für Roxin 334. 25 Vgl. Kuhlen, JR 2004 228. 26 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 436. 27 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 333; ders., JR 2004 227. 28 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 346. 29 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 436, 442; ders., in: FS für Roxin 340: „objektives Tatunrecht“; ders., JR 2004 228 f., 230.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

kann die Tat nicht rechtfertigen,30 jedoch das Unrecht eines vollendeten Delikts ausschließen.“31 Die ärztliche Aufklärungspflicht könne den Patienten „ex post“ betrachtet nicht vor Schaden bewahren. Das wird anhand des in den Körperverletzungsdelikten (§§ 223 StGB ff.) geschützten Rechtsguts näher erläutert:32 Das geschützte Rechtsgut wäre bei einem normgemäßen Verhalten „nicht weniger“ oder „doch nur zufällig [. . .] weniger beeinträchtigt worden.“ Das liege für die Rechtsgüter der „körperlichen Integrität“ und der „Gesundheit“ „auf der Hand“.33 Der Gedanke der „hypothetischen Einwilligung“ wird von Kuhlen im Hinblick auf bereitstehende mögliche Behandlungsalternativen zu dem tatsächlich ausgeführten ärztlichen Heileingriff sogar weiterentwickelt. Im „Surgibone“-Dübelfall,34 bei dem es verschiedene Alternativen zu der Verwendung von Rinderknochenimplantaten gab, die ebenfalls einen Eingriff beim Kranken erforderlich gemacht hätten, aber wegen der ungenügenden Aufklärung nicht in Anspruch genommen werden konnten, hätte auch die „hypothetische Einwilligung“ des Patienten in eine dieser Behandlungsalternativen den Ausschluss einer vollendeten Körperverletzung wegen Gleichwertigkeit der Beeinträchtigungen der „körperlichen Unversehrtheit“ zur Folge.35 Nichts anderes gelte für die „Selbstbestimmung“ des Patienten, die von den Körperverletzungstatbeständen ebenfalls geschützt werde. Die Verletzung der Aufklärungspflicht mache dem Patienten die wirkliche Ausübung seiner Selbstbestimmung zwar unmöglich. An dieser Verletzung könne der Umstand der „hypothetischen Einwilligung“ nichts ändern. Es gehe aber nicht um den Schutz der so verstandenen „Selbstbestimmung“, sondern um die Wahrung der „Maßgeblichkeit der auf die Rechtsgüter Gesundheit und körperliche Integrität bezogenen Interessendefinition des Patienten“ und diese „Interessendefinition“ werde hinreichend durch die „hypothetische Einwilligung“ des Patienten respektiert.36

30 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 436; ders., in: FS für Roxin 333 f.; ders., JR 2004 227. 31 Vgl. Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 9 Rdn. 28. 32 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442. 33 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442. 34 Vgl. Einl. § 1 III. 35 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 342. Damit geht Kuhlen über die in der Rechtsprechung entwickelte Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ hinaus, denn es kommt nicht mehr auf die „hypothetische Einwilligung“ in den „konkreten Eingriff“ an. Vgl. zu dieser Problematik eingehend § 3 A. I., B. I. 1. c). 36 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442; ders., JR 2004 227.

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“

231

bb) Dreher Die Lehre der objektiven Zurechnung überträgt auch Dreher auf die Rechtfertigungsebene. Ausgegangen wird von der These, dass der Tatbestand keine eigenständige abschließende Wertungsstufe sei, sondern nur eine generell-vorläufige Wertung über das Verhalten als Unrecht bringe („Indizwirkung des Tatbestandes“).37 Über das endgültige Unrecht der Tat könne nur in Verbindung mit der Feststellung der Rechtswidrigkeit entschieden werden. Erst nach der Prüfung beider Stufen stehe fest, ob der Täter endgültig Handlungs- und Erfolgsunrecht verwirklicht habe. Der Grundgedanke der objektiven Zurechnung sei dagegen keineswegs tatbestandsspezifisch, sondern ziele auf eine Einschränkung der strafrechtlichen Erfolgshaftung insgesamt. Der Lehre der objektiven Zurechnung gehe es um das materielle Problem des Erfolgsunrechts. Sie sei nicht Teil des Tatbestandes als Unrechtstypus, wolle nicht lediglich an einer vorläufigen Beurteilung des Verhaltens mitwirken, sondern abschließend zu einem Ausschluss des Erfolgsunrechts führen.38 Für die objektive Erfolgszurechnung „im engeren Sinne“39 müsse daher allgemein gefordert werden, dass der eingetretene tatbestandliche Erfolg gerade auf der rechtlich missbilligten Risikoschaffung beruhe, was insbesondere dann nicht der Fall sei, wenn der Erfolg auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten des Täters eingetreten wäre.40

Der Prüfung der „objektiven Zurechnung im engeren Sinne“ auf der Tatbestandsebene liege nur eine vorläufige Betrachtung zugrunde: Es werden nur solche rechtmäßigen Verhaltensweisen herangezogen, die nicht gegen die tatbestandlichen Verhaltensanforderungen verstoßen hätten. Damit sei aber noch nicht endgültig entschieden, ob der tatbestandliche Erfolg auf einer rechtlich missbilligten Risikoschaffung beruhe. Es wird von Dreher auf der Ebene der Rechtswidrigkeit ein weiterer „normativer Zurechnungszusammenhang“, den er als „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ bezeichnet,41 zwischen dem rechtlich missbilligten, aber endgültig nicht gerechtfertigten Verhalten und dem tatbestandlichen Erfolg verlangt.42 37

Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 39 ff. Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 46. 39 Unter „objektiver Zurechnung im weiteren Sinne“ versteht Dreher, Objektive Zurechnung 48 als „strafbarkeitseinschränkendes Korrektiv der weiten Kausalhaftung“ die Notwendigkeit der Begründung oder Erhöhung einer rechtlich missbilligten Gefahr des Erfolgseintritts. 40 Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 52. 41 Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 105, 106. 42 Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 56. 38

232

6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Wenn die Tat objektiv gerechtfertigt sei, dann scheide die erneute Prüfung der objektiven Zurechnung auf der Rechtswidrigkeitsebene genauso wie in den Fällen einer endgültig rechtswidrigen Täterhandlung aus, in denen es an einer Rechtfertigungslage überhaupt fehle.43 Nach der Prüfung der objektiven Rechtswidrigkeit verbleiben für die objektive Zurechnung allein solche Fälle, in denen eine Rechtfertigungslage bestanden, der Täter aber gegen die Anforderungen des einschlägigen Rechtfertigungsgrundes verstoßen habe. In diesen Fällen bestehe eine Rechtfertigungslage, die die Handlungsmöglichkeiten des Täters erweitere. Wer die „objektive Zurechnung im engeren Sinne“ „ernst“ nehme, der müsse ein Alternativverhalten nicht nur dann als rechtmäßig berücksichtigen, wenn es schon gar nicht den jeweiligen Tatbestand erfülle, sondern auch dann, wenn es allen Anforderungen des Rechtfertigungsgrundes entspreche (scil. „gerechtfertigtes rechtmäßiges Alternativverhalten“). Es sei nicht zu begründen, weshalb in diesen Fallgestaltungen als rechtmäßiges Alternativverhalten nicht auch ein „hypothetisch gerechtfertigtes Handeln“ herangezogen werden könne.44 Anhand der Einwilligung wird diese Zurechnungslehre exemplifiziert. Der ohne Einwilligung handelnde Arzt habe tatbestandsmäßig und endgültig rechtswidrig gehandelt. Es stehe allerdings nicht fest, ob der eingetretene Körperverletzungserfolg gerade auch auf dem vom Arzt geschaffenen, rechtlich missbilligten Risiko beruhe, weil der Tatbestand nur eine vorläufige Betrachtung der Tat erlaube. Die Erfolgszurechnung scheitere aufgrund fehlenden „Pflichtwidrigkeitszusammenhangs“, wenn der Erfolg selbst bei einem richtigen Verhalten des Täters im konkreten Fall eingetreten wäre: Der Arzt hätte sich auch dann rechtmäßig verhalten, wenn er die wirksame Einwilligung des Patienten eingeholt hätte. Die Einwilligung erweitere daher die beim „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ zu berücksichtigenden Alternativen rechtmäßigen Verhaltens: Das typisiert-abstrakte tatbestandliche Verletzungsverbot wandele sich im konkreten Fall in das Verbot um, das Rechtsgut ohne eine wirksame Einwilligung des Rechtsgutsinhabers zu verletzen.45 Die Zurechnung des Erfolges scheitert nach Dreher wegen fehlenden „Pflichtwidrigkeitszusammenhangs“, wenn der Patient selbst bei ausreichender ärztlicher Aufklärung eingewilligt hätte, denn es wäre der „gleiche Körperverletzungserfolg“ eingetreten.46 Es fehle an der Vollendungsstrafbarkeit mangels zurechenbaren Erfolgsunrechts.47 43 44 45 46 47

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Dreher, Dreher, Dreher, Dreher, Dreher,

Objektive Objektive Objektive Objektive Objektive

Zurechnung Zurechnung Zurechnung Zurechnung Zurechnung

54 f. 55 f. 116. 106. 110.

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“

233

Abweichend von Kuhlen sei die „hypothetische Einwilligung“ nicht nur in den Fällen einer wegen Aufklärungsmängeln unwirksamen Einwilligung anzuerkennen, sondern auch bei einem Fehlen der Einwilligung überhaupt.48 Kein Raum für die objektive Zurechnung sei dagegen bei der mangelnden Dispositionsbefugnis des Einwilligenden oder dessen Einwilligungsunfähigkeit.49 Dreher hält den Zurechnungsgedanken darüberhinaus auch bei der „behördlichen Genehmigung“ für tragfähig. Handele der Täter ohne eine behördliche Genehmigung, hätte die Behörde diese Genehmigung bei einer entsprechenden Antragstellung jedoch erteilt, soll die objektive Zurechnung des Erfolges scheitern. Der Täter könne nicht aus einem vollendeten Delikt bestraft werden.50 b) Der bei der Einwilligung von Geppert geforderte „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ In Übereinstimmung mit Kuhlen ist auch Geppert der Ansicht, dass es bei dem Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ der Sache nach um einen „Ausschluss normativer Zurechnung“ gehe, der allerdings nicht auf der Tatbestands-, sondern auf der Rechtswidrigkeitsebene zu verorten sei.51 Bei der Pflichtwidrigkeit der Handlung bleibe es mangels einer wirksamen echten Einwilligung, doch fehle der beim vollendeten Delikt erforderliche „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ zu einem tatsächlich eingetretenen Unrechtserfolg. Daher scheide eine Strafbarkeit wegen eines vollendeten Delikts aus.52 c) Die Parallele zum Kokainfall bei G. Hirsch und Weißauer Den Rechtsgedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ erkennen auch G. Hirsch und Weißauer bei der strafrechtlichen Beurteilung eines ärztlichen Eingriffs ohne wirksame Einwilligung an. Aufgrund der Äußerung, dass die Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung den „Rechtswidrigkeitszusammenhang“ voraussetze, der entfalle, wenn die Verletzung auch bei pflichtgemäßen Verhalten eingetreten wäre,53 kann unterstellt werden, dass sie – ähnlich wie später Kuhlen – einen „Zusammen48 49 50 51 52 53

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Dreher, Objektive Zurechnung 110, 116. Dreher, Objektive Zurechnung 114. Dreher, Objektive Zurechnung 156. Geppert, JK 12/04 § 223/3 StGB 3c. Geppert, JK 12/04 § 223/3 StGB 3c. G. Hirsch/Weißauer, MedR 1983 44.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

hang“ zwischen der „fehlerhaften ärztlichen Aufklärung“ und dem „tatbestandlichen Verletzungserfolg“ fordern. Ihre Auffassung begründen sie damit, dass das gleiche wie im Kokainfall54 auch in einem Strafverfahren gegen Ärzte wegen unzureichender Aufklärung gelten müsse, wenn sich der Patient auch in Kenntnis des unaufgeklärt gebliebenen Umstandes für den Eingriff entschieden hätte.55 2. Der „normative Zusammenhang“ zwischen dem „Aufklärungsmangel“ und der „Einwilligung“

Der wohl überwiegende Teil des strafrechtlichen Schrifttums konstruiert die „hypothetische Einwilligung“ anders. a) Rönnau Einen in Detailfragen abweichenden Gegenstandpunkt zu Kuhlen vertritt Rönnau. Er ist der Meinung, dass mit der „hypothetischen Einwilligung“ eine Rechtsfigur fruchtbar gemacht werde, die dogmatisch in den Anwendungsbereich der Lehre der objektiven Zurechnung falle. Mit der „hypothetischen Einwilligung“ des Arzt(straf)rechts werde eine Haftungseinschränkung auf der Rechtswidrigkeitsebene eingeführt, mit der die Bedeutung der objektiven Zurechnung bei den Rechtfertigungsgründen angesprochen sei.56 Insofern werden die von der Tatbestandsebene geläufigen Regeln der Lehre der objektiven Zurechnung auch auf die Rechtswidrigkeitsebene angewendet. Konkret handele es sich hierbei um den Ausschluss der normativen Erfolgszurechnung unter Rückgriff auf die Grundsätze des rechtmäßigen Alternativverhaltens.57 Hier wird Rönnaus Abweichen von seinen eigenen Prämissen offensichtlich, nach denen die Einwilligung kein Rechtfertigungs-, sondern ein Tatbestandsausschließungsgrund sein soll.58 54 Vgl. RG HRR 1926 Nr. 2302: Im Kokainfall ist ein Arzt, der den Tod des Patienten dadurch herbeigeführt hatte, dass er irrtümlich Kokain statt Novocain verwendet hatte, mit der Begründung freigesprochen worden, dass der Patient infolge einer nicht erkennbaren Überempfindlichkeit gegen jede Art von Narkotika möglicherweise auch bei Anwendung von Novocain gestorben wäre. 55 Vgl. G. Hirsch/Weißauer, MedR 1983 44. Die „hypothetische Einwilligung“ wird anders als bei Kuhlen offenbar auf die Fälle der fahrlässigen Aufklärungspflichtverletzung beschränkt. Hierfür spricht auch die behauptete Parallele zum Kokainfall. 56 Vgl. Rönnau, JZ 2004 801. 57 Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230; ders., in: FS für Tiedemann 719; noch offengelassen in ders., Willensmängel 429.

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“

235

Konstruktiv weicht er neuerdings59 von der Lösung Kuhlens ab. Rönnau hält es „zumindest [für] überflüssig“, wenn bei der „hypothetischen Einwilligung“ ein „Kausalzusammenhang“ auch zwischen den „Rechtfertigungsmängeln“ und der „tatbestandlichen Körperverletzung“ gefordert wird. Der „normative Zurechnungszusammenhang“, den er „genauer: [als] Pflichtwidrigkeitszusammenhang“60 oder „Rechtswidrigkeitszusammenhang“61 bezeichnet, sei zwischen dem „pflichtwidrigen Verhalten“, der Übermittlung unvollständiger bzw. falscher Informationen, und der „Einwilligung“ angesiedelt. Unter Unrechtsgesichtspunkten sei allein bedeutsam, dass bei dem Vorliegen der objektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes das Erfolgsunrecht entfalle.62 Der tatbestandsmäßige Erfolg werde daher nicht zugerechnet, weil es am Erfolgsunwert fehle, obwohl dieser herkömmlich allein durch das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes ausgeschlossen werde. Ausnahmsweise soll jedoch der tatsächlich an Aufklärungsmängeln leidenden Einwilligung unrechtskompensierende Kraft zukommen, wenn sie auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten bei einer Beurteilung ex post erteilt worden wäre. Hier fehle es an dem geforderten „normativen Zurechnungszusammenhang“ zwischen der „fehlerhaften Aufklärung“ und der „Einwilligung“. Der eingetretene Erfolg könne hier wertungsmäßig nicht als haftungsrelevanter Unrechtserfolg qualifiziert werden.63 Diese Grundüberlegung erscheint Rönnau vor dem Hintergrund des „ultima-ratioCharakters des Strafrechts“ sowie der mit der „Kriminalstrafe verfolgten Zwecke“ für eine Einschränkung der Strafbarkeit auf Tatbestands- und Rechtswidrigkeitsebene sinnvoll.64 Die sachliche Reichweite der Konstruktion wird auch von Rönnau eingeschränkt. Nicht jeder „Einwilligungsmangel“ könne durch rechtmäßiges Alternativverhalten beseitigt werden, sondern allein „zurechnungsrelevante Mängel“. Er folgt damit dem Vorschlag Kuhlens. Sicher seien rechtsguts58 Vgl. eingehende Darstellung seiner Rechtsgutsbeschreibung im 3. Kap. § 2 D. II. Zum „hypothetischen Einverständnis“ bei der Untreue (§ 266 StGB) vgl. Rönnau, ZStW 119 (2007) 908 Fn. 84; ders., in: FS für Tiedemann 719. 59 Vgl. Rönnau, Willensmängel 429: Bei der „hypothetischen Einwilligung“ entfalle die Erfolgszurechnung unter dem Gesichtspunkt, dass rechtmäßiges Alternativverhalten „zu dem gleichen Körperschaden geführt hätte.“ Damit scheint der „Zusammenhang“ zwischen dem „Aufklärungsmangel“ und dem „tatbestandlichen Erfolg“ gemeint zu sein. 60 Vgl. Rönnau, JZ 2004 801 Fn. 12. 61 Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230. 62 Vgl. Rönnau, JZ 2004 801 Fn. 12; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230. 63 Vgl. Rönnau, JZ 2004 802; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230. 64 Vgl. Rönnau, JZ 2004 802.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

relevante Informationsdefizite beim Einwilligenden zurechnungsrelevant.65 Zu würdigen bleibe, ob die durch den Ersten Strafsenat des Bundesgerichtshofs an die „hypothetische Einwilligung“ herangetragenen Einschränkungen überzeugen können.66 b) Eisele Einen „Zusammenhang“ zwischen der „fehlerhaften Aufklärung“ und der „Einwilligung“ fordert auch Eisele. Bei „genauer dogmatischer Betrachtung“ handele es sich bei der von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsfigur um den „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ zwischen dem „Aufklärungsmangel“ und der „Einwilligung“. Man könne hier von einem „rechtmäßigen Alternativverhalten“ sprechen, das auf der Tatbestandsebene in der objektiven Zurechnung diskutiert werde, hier jedoch die „Einwilligungsproblematik“ auf der Rechtfertigungsebene betreffe.67 c) Ulsenheimer Bei Ulsenheimer ist die Zugehörigkeit in das eine oder andere Lager schon zweifelhafter. Nur wenn die „fehlende oder unzureichende Aufklärung“ des Patienten für die Unwirksamkeit seiner Einwilligung „kausal“ gewesen sei, fehle es an der „objektiven Tatbestandsmäßigkeit der fahrlässigen Körperverletzung“. Hätte der Patient bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung in den Eingriff eingewilligt, so fehle es an der „Kausalität des Aufklärungsmangels“ (scil. „Zusammenhang“) und sei der „objektive Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung“ nicht erfüllt.68 Die unterlassene Aufklärung müsse für die Durchführung des Eingriffs relevant („kausal“) geworden sein.69 Ulsenheimer wird allerdings, wenn seine früheren Arbeiten mitberücksichtigt werden, in denen er die Konstruktion der „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“ abgelehnt hatte,70 dahingehend zu verstehen sein, dass 65

Vgl. Rönnau, JZ 2004 802. Wie sei zu entscheiden, wenn sich der Patient nicht in einem Belegkrankenhaus, sondern in einer renommierten Klinik hätte operieren lassen oder wenn der Eingriff um Tage hinausgezögert worden wäre, vgl. Rönnau, JZ 2004 803. 67 Vgl. Eisele, JA 2005 253. Dem wird bewusst die Konstruktion Kuhlens gegenübergestellt: Dieser möchte „hingegen“ die Rechtsfigur der objektiven Zurechnung auch auf die Rechtfertigungsebene übertragen, vgl. Eisele, JA 2005 253 Fn. 13. 68 Vgl. Ulsenheimer, NStZ 1996 133. 69 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132. 70 Vgl. Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 75 ff. 66

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“

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es an dem „normativen Zurechnungszusammenhang“ fehlen soll, wenn der Patient bei pflichtgemäßer Aufklärung in den Eingriff hypothetisch eingewilligt hätte. 3. Nicht klar zuzuordnende Stimmen

Die nachfolgenden Auffassungen lassen sich in die bisher verwendete Ordnung nach dem geforderten „Zusammenhang“ zwischen dem „Aufklärungsmangel“ und der „Einwilligung“ oder dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“ nicht ohne weiteres einfügen. a) Amelung Bei einem Irrtum des Einwilligenden über die Erforderlichkeit eines ärztlichen Eingriffs, etwa weil eine mildere Behandlungsalternative nicht aufgeklärt worden ist, will Amelung mit dem Gesichtspunkt der objektiven Zurechnung helfen. Eine Haftung des Arztes entfalle, wenn sich der Patient auch bei der Erteilung der erforderlichen Information nicht anders entschieden hätte. Die Erfolgszurechnung entfalle unter dem Gesichtspunkt, dass „rechtmäßiges Alternativverhalten“ zu dem gleichen Schaden geführt hätte.71 Mit der objektiven Zurechnung könne auch bei einer vorsätzlichen Täuschung über Behandlungsalternativen geholfen werden. Wenn über das Nichtbestehen von Behandlungsalternativen getäuscht werde, obwohl solche Behandlungsalternativen mit gleichartigen Risiken tatsächlich bereitstehen, dann könne dem Täuschenden im Hinblick auf die Folgen „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ keine Körperverletzung vorgeworfen werden.72 b) Kühl Positiv eröffnet sich für Kühl mit der „hypothetischen Einwilligung“ eine weitere Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit in Fällen auszuschließen, in denen weder eine Einwilligung noch eine mutmaßliche Einwilligung zur Rechtfertigung führen.73 Die Rechtsfigur könne mit dem Fehlen der objektiven Zurechnung bei rechtmäßigen Alternativverhalten („Pflichtwidrigkeitszusammenhang“) allerdings auf der Rechtswidrigkeitsebene begründet werden. Dem Zurechnungsausschluss sei zuzustimmen, weil bei einer „hypothetischen Einwilligung“ die korrekte Aufklärung „nichts gebracht“ hätte.74 71 72 73

Vgl. Amelung, Willensmängel 55 f., 69 f. Vgl. Amelung, Willensmängel 77. Vgl. Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

c) Rengier Die „hypothetische Einwilligung“ sei Rengier zufolge ein „strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund“. Man übertrage das von der objektiven Zurechnung bekannte Kriterium des „Pflichtwidrigkeitszusammenhangs“ auf die Rechtfertigungsebene.75 II. Die Darstellung der „Risikoerhöhungslösung“ von Roxin Ein großer Teil des Schrifttums bedient sich zur Lösung der Fallgestaltungen, in denen der Erfolg bei „rechtmäßigen Alternativverhalten“ des Täters – „sicher“ oder – wie in den praktisch meisten Fällen – wahrscheinlich – eingetreten wäre, der „Risikoerhöhungslehre“. Der Gegenstand des Beweises ist nicht ein bestimmter „Zurechnungszusammenhang“, sondern die Begründung oder Erhöhung der Gefahr, die sich im Erfolg verwirklicht hat. In der Fallgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ findet die „Risikoerhöhungstheorie“ jedoch nur wenig Anklang. Bisher schlägt allein Roxin die Übertragung der „Risikoerhöhungslehre“ auf den Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ vor. Bei der „hypothetischen Einwilligung“ handele es sich um die „Übertragung der [. . .] Lehre von der objektiven Zurechnung auf die Einwilligung“, die ihm im Prinzip einleuchtet.76 Für „bedenklich“ hält er die neue Konstruktion allerdings insoweit, als dem Arzt nachzuweisen sei, dass der Patient bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung seine Zustimmung verweigert hätte.77 Entgegen der insoweit konsequenten Linie der Rechtsprechung und herrschenden Auffassung im strafrechtlichen Schrifttum („Zusammenhangslösungen“)78 will Roxin im Wege der „Übertragung [seiner]79 Risikoerhöhungstheorie“ eine Strafbarkeit des Arztes schon 74 Vgl. Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a; vgl. auch Lackner/Kühl, Vor § 32 StGB Rdn. 21a, § 228 StGB Rdn. 17a. 75 Vgl. Rengier, Strafrecht BT II § 13 Rdn. 18. 76 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 120. 77 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 123. 78 Gleichwohl hält Kuhlen, in: Stratenwerth/Kuhlen Strafrecht AT I § 9 Rdn. 28; ders., JR 2004 228 prinzipiell für möglich, die Risikoerhöhungslehre auch auf die „hypothetische Einwilligung“ anzuwenden. Auch Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a ist der Auffassung, dass sich der vom Pflichtwidrigkeitszusammenhang bekannte Streit hier wiederhole. 79 Unter den Anhängern der Risikoerhöhungslehre besteht keine Konsens über die Behandlung der Fallgestaltungen, in denen nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen ist, dass der Täter durch sein Verhalten eine über das erlaubte

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“

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dann annehmen, wenn auch nur die „konkrete Möglichkeit“ bestehe, dass der Patient bei sachgerechter Aufklärung dem Eingriff nicht zugestimmt hätte. Das Risiko eines eigenmächtigen Eingriffs habe sich dann erhöht.80 Die „Risikoerhöhungstheorie“ entspreche dem Schutzzweck der Aufklärungspflicht auch theoretisch weitaus besser: Die Aufklärungspflicht soll die ordnungsgemäße Information des Patienten über die Tragweite und die Risiken des ärztlichen Eingriffs sicherstellen. Das sei schon dann nicht mehr Fall, wenn bei einer sachgerechten Aufklärung nur eine konkrete Möglichkeit der Eingriffsverweigerung bestanden hätte. Erst wenn bei einer ex post Betrachtung die Einwilligung mit Sicherheit erteilt worden wäre, könne eine Zurechnung wegen Irrelevanz des Aufklärungsmangels unterbleiben.81 „Zweifel“ sollen jedenfalls zu Lasten des Arztes gehen: Nur so könne einer weitgehenden praktischen Aufhebung der Aufklärungspflicht vorgebeugt werden.82 Praktisch sollen die Unterschiede zwischen den verschiedenen Standpunkten bei der „hypothetischen Einwilligung“ allerdings nicht groß sein.83 Die „Einwilligung“ behandelt Roxin nach seinem Rechtsgutsmodell als einen Tatbestandsausschließungsgrund.84 Der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“ leuchtet ihm trotz abweichender Prämissen „im Prinzip“ gleichwohl ein. Er vertritt allerdings die Auffassung, dass in den Fällen der „hypothetischen Einwilligung“ wie in sonstigen Fällen fehlenden Pflichtwidrigkeitszusammenhangs die Zurechnung „zum Tatbestand der Körperverletzung“85 ausgeschlossen sei.86 Es fehle an der Zurechenbarkeit des Erfolges.87 Hierin ist eine sprachliche, keine sachliche Besonderheit zu den übrigen Stimmen im Schrifttum zu sehen.88

Maß hinausgehende Gefahr „begründet“ oder „erhöht“ hat, vgl. eingehend zu dieser Problematik 8. Kap. § 2 C. 2. b). 80 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 124. 81 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 125. 82 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 134. 83 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 126 ff. 84 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 12 ff., 120 Fn. 196. 85 Behandele man die Einwilligung dagegen als einen Rechtfertigungsgrund, sei die „Zurechnung zum Körperverletzungsunrecht“ ausgeschlossen, vgl. Roxin, Strafrecht AT § 13 Rdn. 122 Fn. 197. 86 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 120. 87 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122. 88 Vgl. 3. Kap. § 1 II., III. und § 3.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

III. Die Darstellung der Lösung von Mitsch Auf einem „neuen [. . .] Verständnis von hypothetischer Einwilligung und Erfolgsrechtfertigung“ beruht ein erster89 Vorschlag von Mitsch.90 Im Ausgangspunkt teilt Mitsch den Standpunkt, dass die ärztliche Heilbehandlung eine tatbestandliche Körperverletzung (§§ 223 StGB ff.) sei, die zu ihrer Rechtfertigung der Einwilligung bedürfe. Gegen die bisher dargestellten Lösungsversuche wendet Mitsch allerdings ein, dass die Lehre der objektiven Zurechnung nicht „zu früh“ eingesetzt werden dürfe und damit einen Erfolg erörtere, der kein Erfolgsunrecht sei.91 Die objektive Zurechnung könne erst einsetzen, nachdem die unrechtsbegründende Qualität des zuzurechnenden Erfolges festgestellt werde. Sie komme nur bei solchen Erfolgen in Betracht, die einen Erfolgsunwert aufweisen, der das Unrechtsurteil über die vollendete Tat mittrage. Bei Erfolgen ohne Erfolgsunwert sei die objektive Zurechnung kein Thema, weil bereits die Qualität des Erfolges einer Bewertung der Tat als Erfolgsdelikt entgegenstehe.92 Mit der Übertragung der objektiven Zurechnung auf die Rechtswidrigkeitsebene müsse von einer anderen „Definition des Erfolges“ als auf der Tatbestandsebene ausgegangen werden. Aus der Erfolgsdefinition auf der Tatbestandsebene seien nämlich naturgemäß alle Aspekte ausgeklammert, die straftatsystematisch erst auf der Stufe der Rechtswidrigkeit relevant werden. Bei der durch den ärztlichen Eingriff begangenen Körperverletzung sei das „vor allem“ der „Aspekt der Heilungschance“ (scil. die „Heilungschance“ und der „Heileffekt“). Dieser Aspekt lasse den Körperverletzungserfolg in einem anderen Licht erscheinen. Er sei „per Saldo“ kein Erfolg mehr, der im Widerspruch zur Rechtsordnung stehe. Vor der Prüfung der Rechtswidrigkeit sei das Erfolgsunrecht des objektiv tatbestandsmäßigen Erfolges ebenso nur eine vorläufige Bewertung wie das Gesamturteil über die tatbestandsmäßige Tat: Beide Urteile sollen unter dem Vorbehalt der Aufhebung auf der Ebene der Rechtfertigungsgründe stehen. Wenn nun die Lehre der objektiven Zurechnung im Bereich der Rechtfertigungsgründe angewendet werden soll, müsse zuvor die Wertigkeit des zuzurechnenden Erfolges unter Berücksichtigung der „erfolgsbezogenen Rechtfertigungselemente“ bestimmt worden sein. Mitsch sucht eine Lösung der Problematik in der Berücksichtigung „erfolgsbezogener Rechtfertigungs-Fragmente“. Die 89

Vgl. den weiteren Vorschlag Mitsch, JZ 2005 718. Vgl. Kuhlen, JZ 2005 713 ff.; vgl. auch Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231. 91 Vgl. Mitsch, JZ 2005 283. 92 Vgl. Mitsch, JZ 2005 283. 90

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“

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gleiche Wertstruktur wie in dem Fall des Fehlens des subjektiven Rechtfertigungselements bei gleichzeitig gegebener objektiver Rechtfertigung zeichne sich in einer Tat ab, die die objektiven Rechtfertigungsmerkmale erfülle, durch die der Unwert des tatbestandsmäßigen Erfolges ausgeschlossen oder aufgehoben werde, die aber die Rechtfertigungsmerkmale nicht erfülle, durch die der Unwert der diesen Erfolg herbeiführenden tatbestandsmäßigen Handlung ausgeschlossen würde.93 Nur ein Erfolg, der „endgültig“ – also nach Prüfung der in Betracht kommenden Rechtfertigungsgründe – von der Rechtsordnung nicht gebilligt werde und deshalb Erfolgsunrecht sei, gebe Anlass zur Prüfung der objektiven Zurechnung. Es gehe daher anders als bei Kuhlen nicht mehr um die Zurechnung des tatbestandlichen Erfolges, sondern um die Zurechnung des tatbestandsmäßigen und nicht gerechtfertigten Erfolges.94 Diese abstrakte Beschreibung soll anhand eines von Mitsch herangezogenen Beispiels, einer Abwandlung des Zahnextraktionsfalls,95 verdeutlicht werden. Zum Sachverhalt: Die P. litt ständig unter Kopfschmerzen. Sie war der Meinung, zwischen ihrem Leiden und ihren Zähnen bestehe ein Zusammenhang. Obwohl ärztliche Untersuchungen keine Anhaltspunkte für diesen Zusammenhang erbrachten, bestand sie auf die Entfernung ihrer Zähne. Der A. zog ihr 16 Zähne. Der Sachverhalt ist dahingehend abzuwandeln, dass dem dringend geäußerten Behandlungswunsch der P. eine fehlerhafte ärztliche Aufklärung vorausging.96

1. Wäre die ärztliche Maßnahme anders als im Zahnextraktionsfall erfolgreich gewesen, allgemeiner: hätte sie eine „Heilungschance“ – noch präziser: einen „Heileffekt“ – gebracht, dann hätte sie ex post den Schluss auf eine „hypothetische Einwilligung“ der Patientin zugelassen. Ein ärztlicher Heileingriff, der – wie sich ex post herausstelle – die „Heilungschance“ erhöhe und deshalb von dem Patienten gebilligt worden wäre, sei zwar eine tatbestandsmäßige Körperverletzung und wegen der fehlenden Einwilligung auch nicht vollständig gerechtfertigt. Ihm fehle aber wegen des Vorliegens von erfolgsbezogenen Rechtfertigungselementen der Erfolgsunwert. Da im Zeitpunkt des Erfolgseintritts Umstände vorliegen, aus denen auf eine „hypothetische Einwilligung“ der Patientin geschlossen werden könne, habe der Erfolg die Qualität, deren ex ante Prognostizierbarkeit für eine Rechtfertigung wegen mutmaßlicher Einwilligung ausgereicht hätte. Die Tat sei rückblickend wegen des erreichten Erfolges „einwilligungsfähig“. Bei einem derartigen Erfolg könne die Frage nach der objektiven 93 94 95 96

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Mitsch, JZ 2005 284. Mitsch, JZ 2005 283. BGH NJW 1978 1206. Mitsch, JZ 2005 284.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Zurechnung nicht mehr sinnvoll gestellt werden.97 Es fehle an einer vollendeten Körperverletzung, weil ohne ein Erfolgsunrecht kein Vollendungsunrecht vorstellbar sei.98 In dieser Fallvariante würde Mitsch dem Vorschlag Kuhlens daher entgegenhalten, dass über die objektive Zurechnung eines Erfolges gesprochen werde, dem der Erfolgsunwert fehle. Schon deshalb fehle es an dem Erfolgsunrecht eines vollendeten Delikts, nicht erst bedürfe es des Ausschlusses des Erfolgsunrechts mittels objektiver Zurechnung.99 Für die objektive Zurechnung bleiben daher allein „Eingriffe ohne Heilungschance und ohne Heileffekt“. 2. Im Zahnextraktionsfall war die ärztliche Behandlung jedoch „ohne Heilungschance und ohne Heileffekt“. Hätte die Patientin vorher gewusst, dass der Eingriff, der voraussehbar ein Misserfolg war, nicht die erhoffte Befreiung von den Kopfschmerzen bringe (ex post Tatsache), hätte sie in den Eingriff nicht eingewilligt: Der Erfolg sei also nicht „einwilligungsfähig“ und nicht geeignet, das Erfolgsunrechtsindiz der Tatbestandsmäßigkeit zu entkräften. Das vorläufige Unrechtsurteil würde sich nach der Rechtfertigungsprüfung endgültig als Erfolgsunrecht darstellen. Wenn der Erfolg wegen des Fehlens der erfolgsbezogenen Rechtfertigungsmerkmale endgültig Erfolgsunrecht (scil. Eingriffe „ohne Heilungschance und ohne Heileffekt“) sei, so könne noch erörtert werden – hier gelangt Mitsch auf die bereits dargestellte Linie des Schrifttums zurück –, ob das Unrecht einer vollendeten Tat wegen des fehlenden „Pflichtwidrigkeitszusammenhangs“ ausgeschlossen sei. An diesem „Zusammenhang“ fehle es, wenn der Patient im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung wirksam eingewilligt hätte.100 Im Zahnextraktionsfall habe die Patientin in den Eingriff eingewilligt, weil sie sich ex ante eine Heilungschance ausgerechnet habe. In dem hier abgewandelten Fall der unzulänglichen Aufklärung wäre das eine hypothetische wirksame Einwilligung. Der Aufklärungsmangel hätte sich nicht ausgewirkt, denn auch die korrekte Aufklärung hätte die Patientin nicht davon abgehalten, das Risiko der fehlgeschlagenen Operation zu übernehmen. Das Risiko der mangelhaften Aufklärung hätte sich nicht im Erfolgsunrecht verwirklicht.101 IV. Vorläufige Feststellungen zu den „Wertungslösungen“ Die hier dargestellten Ansichten lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass die „hypothetische Einwilligung“ nichts an der rechtlichen Un97

Vgl. Mitsch, JZ 2005 283. Vgl. Mitsch, JZ 2005 283 f. 99 Vgl. Mitsch, JZ 2005 283. 100 Vgl. Mitsch, JZ 2005 284. 101 Vgl. Mitsch, JZ 2005 284. 98

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“

243

wirksamkeit der Einwilligung ändere. Sie habe auch keinen Einfluss auf die festgestellte Kausalität des ärztlichen Verhaltens für den tatbestandlichen Erfolg. 1. Konstruktiv sei mit der „hypothetischen Einwilligung“ bei „genauer dogmatischer Betrachtung“ die „Wertungsproblematik“ des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ bei der Einwilligung berührt. Hinter dieser Beschreibung steht die Problematik, ob eine Übertragung des Gedankens des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ auf die Einwilligung oder darüberhinausgehend der Lehre der objektiven Zurechnung auf die Rechtfertigungsgründe anzuerkennen sei. Ein sehr differenziertes Meinungsbild ergibt sich hinsichtlich der aus diesen Prämissen gezogenen Konsequenzen. Die überwiegend in der Lehre vertretenen „Zusammenhangslösungen“ fordern einen „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“.102 Erörtert wird zudem ein „normativer Zurechnungszusammenhang“, der auch als „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“103 oder „Rechtswidrigkeitszusammenhang“ bezeichnet wird.104 Über die inhaltliche Beschreibung dieses „Zusammenhangs“ besteht bei den „Wertungslösungen“ allerdings erhebliche Unsicherheit. Der in der strafrechtlichen Literatur geforderte „Zurechnungszusammenhang“ zwischen dem „Rechtfertigungsmangel“ (scil. dem „Einwilligungsmangel“, dem „Aufklärungsmangel“) und dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“ beruht auf der Überlegung, dass die Lehre der objektiven Zurechnung auf die Rechtfertigungsebene übertragen werden könne. Es stelle sich damit auch die „im Kern identische Zurechnungsproblematik“ erneut, sodass in „struktureller Analogie“ zu den Kriterien auf Tatbestandsebene ein derartiger „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ erneut gefordert werden müsse. Es gehe um die Zurechnung des „tatbestandlichen Erfolges“.105 Im Zivilrecht referieren Geiß und Greiner über den „Zusammenhang“ „Aufklärung-Einwilligung-Behandlungsmaßnahme“.106 Die Verletzung der 102 Vgl. Eisele, JA 2005 252; vgl. auch Geppert, JK 12/04 § 223/3 StGB 3c; Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a; Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 436; ders., in: FS für Roxin 337; ders., JR 2004 227; Mitsch, JZ 2005 284; Rengier, Strafrecht BT II § 13 Rdn. 18. 103 Vgl. Rönnau, JZ 2004 801. 104 Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230; vgl. auch G. Hirsch/Weißauer, MedR 1983 44; Krauß, in: FS für Bockelmann 573. 105 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 337, 339; ders., JR 2004 228. Vgl. darüberhinaus Krauß, in: FS für Bockelmann 573. 106 Vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht Rdn. 121.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

ärztlichen Aufklärungspflicht könne auch Lorz zufolge nur dann eine Haftung des Arztes begründen, wenn sie für die Verletzung der Rechtsgüter Leben, Körper oder Gesundheit „kausal“ und die Rechtsgutsverletzung der Aufklärungspflichtverletzung zuzurechnen sei.107 Demgegenüber wird von einem Teil der Vertreter der „Wertungslösung“ „zumindest [für] überflüssig“ gehalten, einen „normativen Zurechnungszusammenhang“ auch zwischen den „Rechtfertigungsmängeln“ und der „tatbestandlichen Körperverletzung“ zu fordern. Der „normative Zurechnungszusammenhang“ sei zwischen der „Übermittlung unvollständiger bzw. falscher Informationen“ und der „Einwilligung“ angesiedelt, weil unter Unrechtsgesichtspunkten allein bedeutsam sei, dass bei dem Vorliegen der objektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes das Erfolgsunrecht entfalle.108 Der Erfolgsunwert der Tatbestandsverwirklichung werde herkömmlich allein durch das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes aufgehoben. Ausnahmsweise soll jedoch der tatsächlich an Aufklärungsmängeln leidenden Einwilligung dann unrechtskompensierende Kraft zukommen, wenn sie auch bei „rechtmäßigen Alternativverhalten“ erteilt worden wäre. Der eingetretene Erfolg könne hier wertungsmäßig nicht als haftungsrelevanter Unrechtserfolg qualifiziert werden.109 Das Meinungsbild ist damit ähnlich kompliziert wie bei den „Kausalitätslösungen“. Einen „Zusammenhang“ zwischen der „Pflichtwidrigkeit“ und dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“, der allerdings ein „Ursachenzusammenhang“ sein soll, deutet der Fünfte Strafsenat des Bundesgerichtshofs im „O-Bein“-Fall an.110 Demgegenüber beruht die übrige strafrechtliche Rechtsprechung zumeist auf dem Grundsatz, dass Aufklärungsmängel eine Strafbarkeit des Arztes wegen Körperverletzung nur begründen können, wenn der Patient bei einer den Anforderungen genügenden Aufklärung in den Eingriff nicht eingewilligt hätte.111 Abweichend hiervon überträgt Roxin seine „Risikoerhöhungslehre“ auf die Problematik der „hypothetischen Einwilligung“. 2. Von dem auf die Einwilligung übertragenen Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ soll in der Sache wieder übereinstimmend die objektive Zurechnung des „Körperverletzungsunrechts“ abhängen. Die hier zum Teil vertretene Auffassung, bei einer „hypothetischen Einwilligung“ 107 108 109 110 111

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Lorz, Schönheitsoperation 153. Rönnau, JZ 2004 801 Fn. 12. Rönnau, JZ 2004 802. Einl. § 1 I.; vgl. zur Lösung 5. Kap. § 2 A. I. § 2 B. II. 2.

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“

245

sei stattdessen die Zurechnung „zum Tatbestand der Körperverletzung“ ausgeschlossen, beruht lediglich auf sprachlichen Besonderheiten.112 Der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“ entscheide über die objektive Zurechnung des Körperverletzungserfolgs. Bei einer „mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ festgestellten „hypothetischen Einwilligung“ des Patienten in den ärztlichen Heileingriff soll der „normative Zurechnungszusammenhang“ zwischen der „fehlerhaften ärztlichen Aufklärung“ und der „Einwilligung“ oder dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“ fehlen. Der Körperverletzungserfolg werde dagegen objektiv zugerechnet, wenn der Patient in die Heilbehandlung hypothetisch „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nicht eingewilligt hätte. Im Unterschied zu den „Zusammenhangslösungen“ rechnet die „Risikoerhöhungslehre“ den Körperverletzungserfolg objektiv allerdings auch dann zu, wenn auch nur die „konkrete Möglichkeit“ bestehe, dass der Patient bei einer sachgerechten Aufklärung dem Eingriff nicht zugestimmt hätte. Das Risiko eines eigenmächtigen Eingriffs habe sich dann erhöht. Die „Zusammenhangslösungen“ müssen indessen die „hypothetische Einwilligung“ „in dubio pro reo“ zugunsten des Arztes unterstellen. 3. Die Übertragung der Lehre der objektiven Zurechnung oder des Gedankens des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ auf die Einwilligung ist auf ihre Sachgerechtigkeit zu prüfen. Dabei ist zu würdigen, ob von der „hypothetischen Einwilligung“ die objektive Zurechnung des „Körperverletzungsunrechts“ abhängen kann, indem sie den geforderten „normativen Zurechnungszusammenhang“ zwischen der „fehlerhaften ärztlichen Aufklärung“ und der „Einwilligung“ oder dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“ ausschließt.

B. Die „Rechtfertigungslösungen“ (i. e. S.) I. Der Gedanke der „Irrtumsrelevanz“ bei der Einwilligung 1. Die Entscheidung des Reichsgerichts vom 8. März 1940

Bereits das Reichsgericht hat in seiner Entscheidung vom 8. März 1940 auf die Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ zurückgegriffen:113 Der Arzt versicherte sich der Zustimmung der Kl. zur Entfernung einer harten Stelle an der rechten Brust durch Einschnitt. Bei der Operation entfernte der Bekl. die ganze rechte Brust. Die Geschwulst war, wie sich in einer späteren Unter112 113

Vgl. 3. Kap. § 1 II., III. und § 3. Vgl. RGZ 163 129 = DR 1940 1288 mit Anm. Kallfelz.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

suchung herausstellte, ohne bösartiges zerstörendes Wachstum. Der Bekl. verteidigte sich damit, dass vor dem Eingriff die Umstände durchaus auf Brustkrebs hingewiesen hätten. Er habe der Kl. nichts davon gesagt, um sie, die noch unter dem Eindruck des gerade eingetretenen Todes ihrer Mutter infolge der gleichen Krankheit gestanden habe, zu schonen. Bei dem Eingriff selbst habe er, wozu ihm der weitere Befund ausreichenden Anlass gegeben habe, seinen Verdacht bestätigt gefunden. Eine größere Gewissheit habe er sich nicht verschaffen können. Er habe es für notwendig halten dürfen, sofort die ganze Brust zu entfernen, um das Leben der Klägerin zu retten.

Der Beklagte, so führt der Dritte Zivilsenat in den Entscheidungsgründen aus, habe „ohne Zustimmung der Patientin“ die ganze rechte Brust entfernt und damit die „Grenzen des rechtlich und vertraglich Zulässigen“ überschritten. Das begründe den Schadensersatzanspruch der Klägerin. Der „kausale Zusammenhang“ wäre allerdings nicht gegeben, falls der Schaden auch eingetreten sein würde, wenn das schadensstiftende Ereignis unterblieben wäre. Da die schadensstiftende Handlung eben die Vornahme des Eingriffs selbst sei, so würde es, wenn der Beklagte sie unterlassen hätte, nicht zu dem geltend gemachten Schaden gekommen sein. Es sei nicht so, dass der Beklagte die Zustimmung der Klägerin zur Abnahme der ganzen Brust gehabt hätte und es sich nur darum handelte, dass diese Zustimmung auf Grund einer unzureichenden Belehrung erteilt worden wäre. „Nur dann könnte die Frage aufgeworfen werden, ob die Klägerin die Einwilligung nicht auch bei sachgemäßer Beratung gegeben haben würde, so dass es unter allen Umständen zu dem Eingriff und damit zu den durch diesen herbeigeführten Nachteilen gekommen wäre.“114 2. Der Famulusfall

Im Famulusfall vom 1. Februar 1961115 hatte der Zweite Strafsenat des Bundesgerichtshofs durchgreifende Bedenken gegen die Ausführungen des Landgerichts Kassel zu den Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes der Einwilligung. Die beiden Angeklagten P. und M. – damals Studenten der Medizin – waren von August bei Oktober 1958 als Famuli im Landkrankenhaus A. tätig. Während dieser Zeit behandelten sie selbständig Verletzungen und machten Eingriffe bei Patienten, von denen sie für Ärzte gehalten wurden.

Das Landgericht sprach der Einwilligung in die Heilbehandlung angesichts des Irrtums der Patienten über die Arzteigenschaft der Angeklagten jede rechtliche Wirkung ab. 114 115

Vgl. RGZ 163 129, 139 = DR 1940 1288, 1291. Vgl. BGHSt 16 309.

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“

247

Jedoch könne es Fälle geben, in denen die Vorstellung des Patienten, der ihn behandelnde Arzt sei ein approbierter Arzt, „für seine Einwilligung nicht von entscheidender Bedeutung“ sei. Weil jeder „vernünftige Patient“ wisse und damit rechne, dass ungefährliche, leichte und routinemäßige Eingriffe häufig oder gar meistens von einem erfahrenen Heilgehilfen vorgenommen werden, sofern dieser das Vertrauen des Arztes genieße, werde er im allgemeinen auch mit einem derartigen Eingriff durch einen Nichtarzt einverstanden sein. In solchen Fällen müsse nachträglich festgestellt werden, was der Patient gedacht haben würde, wenn er vorher erfahren hätte, dass ihn kein approbierter Arzt behandele. Die Strafkammer konnte keine klare Stellungnahme der Patienten zu dieser Frage ermitteln und ließ die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes unentschieden.116 Der Bundesgerichtshof, der dieses Urteil aufhob, soll mit den Auszügen aus der Famulusentscheidung, die für die Problematik der „hypothetischen Einwilligung“ von Bedeutung sind, wiedergegeben werden: Es komme nicht darauf an, dass der Patient nachträglich erkläre, er hätte bei Kenntnis trotz der Geringfügigkeit seiner Verletzung die Versorgung durch einen Nichtarzt abgelehnt. Indem die Strafkammer hierüber gleichwohl durch die Vernehmung aller Patienten Beweis erhoben habe, wollte sie möglicherweise auf den Rechtfertigungsgrund der „mutmaßlichen Einwilligung“ abstellen. Dieser betreffe jedoch nur notstandsähnliche Fälle, in denen die Einholung der Einwilligung entweder unmöglich oder zwecklos sei. Davon könne hier keine Rede sein. Die Angeklagten hätten die Patienten ohne weiteres vor der Behandlung über die Sachlage unterrichten und ihre ausdrückliche Entscheidung herbeiführen können. Der Bundesgerichtshof lehnte im Famulusfall die rechtliche Erheblichkeit der „hypothetischen Einwilligung“ mit Entschiedenheit ab.117 3. Das Schrifttum

a) Geilen In eine ähnliche Richtung zeigen auch die Ausführungen Geilens. Die Unwirksamkeit einer irrtümlich erteilten Einwilligung bindet er an die „Ursächlichkeit“ der unterlassenen Aufklärung.118 An anderer Stelle verweist er hingegen auf die „Kausalität des Irrtums“.119 Allein die Feststellung der 116 117 118 119

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

BGHSt BGHSt Geilen, Geilen,

16 309, 310. 16 309, 311 f. Ärztliche Aufklärungspflicht 106. Ärztliche Aufklärungspflicht 107.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Aufklärungspflichtverletzung trage das Urteil über die Unwirksamkeit der Einwilligung nicht. Die Einwilligung sei vielmehr auch dann wirksam, wenn zwar eine fehlerhafte Aufklärung nachgewiesen werde, der Irrtum des Patienten sich im Einwilligungsergebnis aber nicht „kausal“ ausgewirkt habe. Von der „Kausalbetrachtung“ bei einer „qua Aufklärungspflichtverletzung unwirksamen Einwilligung“ sei aber die ganz andere Problematik einer „a limine fehlenden Einwilligung“ scharf zu trennen. Hier gehe es um die Frage, ob die „überhaupt nicht erklärte (oder sogar verweigerte) Einwilligung“ durch eine nur „hypothetische Einwilligung“ ersetzt werden dürfe.120 Hier beginne der Bereich der eigentlichen „hypothetischen Rechtfertigung“. Dabei gehe es nämlich um die Ersetzbarkeit einer fehlenden durch eine nur gedachte Einwilligung.121 Diese werde im Zivilrecht meistens im Rahmen der „überholenden Kausalität“ diskutiert122 und sei skeptisch zu beurteilen.123 Jedenfalls wäre die Problematik einer „hypothetischen Rechtfertigung“ auf diesen engen Bereich beschränkt.124 Geilen übernimmt damit die rechtliche Differenzierung des Reichsgerichts in RGZ 163 129.125 Er versucht diese Differenzierung durch eine Parallelbetrachtung zu der von Zitelmann entwickelten Rechtsgeschäftstheorie abzusichern.126 Von der irrtümlich erteilten Einwilligung hätte sich der Berechtigte nur nach den Regeln der Anfechtung von Willenserklärungen lösen können, die an die Ursächlichkeit der Irrtums gebunden wäre (§ 119 Abs. 1 BGB). Dieser Gedanke soll aber unabhängig von der Einordnung der Einwilligung als Rechtsgeschäft gelten. Das Erfordernis der „Kausalität“ des Irrtums dürfe nicht dadurch präjudiziert sein, dass man sich entweder für die Rechtsgeschäfts- oder die Rechtshandlungstheorie entscheide.127 Geilen kommt zu dem Ergebnis, dass die Unkenntnis des Patienten über die „Risiken“ und die „Diagnose“ nicht mehr mit der Problematik einer [eigentlichen] „hypothetischen Rechtfertigung“ belastet wäre.128 120

Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 106 f. Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 107, 113. 122 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 107 Fn. 279. 123 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 107, 113. 124 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 107. 125 Vgl. RGZ 163 129, 138 f. = DR 1940 1288, 1291 mit Anm. Kallfelz. 126 Vgl. Zitelmann, AcP 99 (1906) 1 ff. 127 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 107 f. Bei einer fehlenden Einwilligung und natürlich bei einem Handeln wider Willen des Patienten existiert schlicht keine irrtümliche Erklärung, bei der die Kausalität des Irrtums relevant werden könnte. 128 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 107 f. 121

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“

249

Eine Parallele zu der heute diskutierten Rechtsfigur der „hypothetischen Einwilligung“ ergibt sich im Hinblick auf die „kausale Frage“. Für die Ermittlung der „Ursächlichkeit“ der unterlassenen Aufklärung sei auf den „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willen“ des Patienten abzustellen.129 Aus dem jedenfalls „heuristisch mit der Kausalformel übereinstimmenden, hypothetischen Vergleich“, ob der Patient auch im Falle der Aufklärung eingewilligt hätte, soll sich die Unwirksamkeit der Einwilligung ergeben.130 Entscheidend komme es für die „kausale Fragestellung“ nicht auf die „subjektiv-nachträgliche Prognose“ an, die Sicht post festum, der Blickwinkel des bereits realisierten Risikos, sondern auf die hypothetische auf den Zeitpunkt ex ante zurückverlegte Motivation, in dem das Risiko trotz Aufklärung eine noch entfernte und deshalb vom Patienten gar nicht so schwer genommene Möglichkeit sei.131 „Kausal relevant“ sei der Bereich, bei dem der „vernünftige Patient“ im Ergebnis von der medizinischen Indikation abgewichen wäre.132 Die „Irrtumsrelevanz“ wird daher weitergeführt bis zu der objektiven Vergleichsfigur des „verständigen Patienten“. Einer „Subjektivierung oder besser Individualisierung der Irrtumskausalität“, die ja jegliche subjektive Weigerung akzeptieren müsste, zieht Geilen damit unter erneuter Anlehnung an die Parallele zur Rechtsgeschäftstheorie (§ 119 Abs. 1 BGB), wonach der Irrtum auch „bei verständiger Würdigung“ tragfähig sein müsste, eine normative Grenze. Die Relevanz der Aufklärungspflichtverletzung werde dementsprechend eingeengt auf Fälle eines medizinisch inkommensurablen133 oder eines sonst verständiger Willensbildung auch außerhalb der medizi129

Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 106, 108. Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 106 f. 131 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 110. 132 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 112. 133 Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 109 f. nennt beispielhaft als Fall eines inkommensurablen Risikos die Kropfoperation, welche zwar medizinisch indiziert ist, aber wegen der für die persönliche Lebensführung folgenschweren Gefahr einer Lähmung der Stimmbänder einen „rational nicht aufzulösende[n] Entschließungsspielraum“ offen lässt. Diesen Spielraum könne ausschließlich der Patient ausfüllen. Dagegen war im Strahlenfall (BGHZ 29 46) eine solche Wahlmöglichkeit nicht vorhanden, denn die Patienten hätte sich nicht für die Operation anstelle der Strahlenbehandlung entscheiden können. Daher war hier die Kausalfrage nicht zuzulassen, vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 109 Fn. 284. Es werde auch Fälle absolut indizierter Eingriffe geben, in denen die Nichtbehandlung eine objektiv vernünftige Entscheidung darstelle und somit eine objektive Wahlmöglichkeit offen lasse, so wenn die Alternative für den Patienten unter Umständen mit Belastungen verbunden wäre, die er unter keinen Umständen mehr ertragen möchte, beispielsweise eine Querschnittslähmung. 130

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

nischen Indikation noch Raum lassenden Risikos.134 Der Vorschlag Geilens führt zu einer „praktische[n] Neutralisierung der Aufklärungspflicht für die Mehrzahl der Fälle“.135 b) Merkel Die Rechtsfigur der „hypothetischen Einwilligung“ hält Merkel auch beim Schwangerschaftsabbruch (§ 218a StGB) in bestimmten Grenzen für plausibel. Dabei mache es im Ausgangspunkt keinen „prinzipiellen Unterschied“ in den Zurechnungskriterien, ob die Zustimmung der Berechtigten zum Schwangerschaftsabbruch den Tatbestand (§ 218a Abs. 1 StGB) oder die Rechtswidrigkeit (§ 218a Abs. 2, 3 StGB) ausschließe. Verlange man nur in § 218a Abs. 1 StGB nach den allgemeinen Regeln einen „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ dieses Fehlers, nicht aber in § 218a Abs. 2, 3 StGB, so wäre der abbrechende Arzt im Hinblick auf die Zurechenbarkeit der fehlerhaften Einwilligung und damit auch des Abtreibungserfolges deutlich besser gestellt, wenn er eine Abtreibung nach § 218a Abs. 1 StGB, als wenn er eine nach § 218a Abs. 2, 3 StGB vornehme, obwohl das Gesetz gerade bei diesem den Abbruch grundsätzlich gutheiße, bei jenem aber nicht.136 Mit seiner Differenzierung zwischen „einwilligungsvernichtenden“ und den lediglich „einwilligungshemmenden Aufklärungsfehlern“ wird in der Sache jedoch nur die Konstruktion des Reichsgerichts wiederbelebt. Dabei verlaufe diese Trennlinie zwischen der Aufklärungspflicht über Verletzungsbestandteile und der Aufklärungspflicht über Risikofolgen und nichtverletzende Nebenumstände der Abtreibung.137 Bei „einwilligungsvernichtenden Aufklärungsfehlern“ fehle es stets an einer wirksamen Einwilligung. Eine Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ ignoriere hier die „Besonderheit des Rechtfertigungsgrundes [der] Einwilligung“: Die Einwilligung garantiere den Schutz der Autonomie und beziehe ihre Legitimationskraft deshalb nicht aus objektiven Umständen der Welt, sondern aus dem subjektiven Willen des Einwilligenden. Daher werde der herbeigeführte Erfolg, sofern eine zur Rechtfertigung erforderliche Einwilligung gänzlich fehle, immer als rechtswidriger zugerechnet. Denn der Anknüpfungspunkt sei nicht das Unterlassen des Einholens einer Einwil134

Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 109 ff., 112. Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 110. 136 Vgl. Merkel, in: NK § 218a StGB Rdn. 38; ders., in: Handbuch des Medizinstrafrechts 195 f. 137 Vgl. Merkel, in: NK § 218a StGB Rdn. 42; ders., in: Handbuch des Medizinstrafrechts 197 f. 135

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“

251

ligung, ggf. mit der anschließenden Frage nach dem Zurechnungszusammenhang dieses Unterlassens mit dem Erfolg, sondern einfach dessen aktives Herbeiführen ohne Rechtfertigung.138 Wenn der Aufklärungsmangel der Schwangeren also die Einsicht vorenthalte, was während des Eingriffs mit ihrem Körper und mit dem Ungeborenen tatsächlich geschehen soll, dann sei ein solcher Eingriffsakt nicht etwa bloß Gegenstand einer mangelhaften, sondern überhaupt nicht Gegenstand der erteilten Einwilligung. In seine Vornahme habe die Schwangere daher nicht eingewilligt, weil sie das „Ob“ der konkret verletzenden Handlung nicht gekannt habe.139 Anders verhalte es sich, wenn die Schwangere über alle unmittelbaren Eingriffsfolgen umfassend aufgeklärt worden sei, nicht aber über bestimmte mögliche „rechtsgutsbezogene“ Folgen. Die Einwilligung decke das gesamte Abbruchsgeschehen. Ein „rechtsgutsbezogener Aufklärungsmangel“ dürfe aber nicht schlechthin zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen. Bei „einwilligungshemmenden Aufklärungsfehlern“ sei vielmehr die Feststellung eines „Kausalzusammenhangs“ zwischen dem pflichtwidrigen Unterlassen der gebotenen Information und der dann erteilten Einwilligung (und deshalb auch mit der Abtreibung) erforderlich. Fehle es an diesem Zusammenhang, weil die Einwilligung jedenfalls erteilt worden wäre, sei die wirklich erteilte Einwilligung wirksam. Der Schwangerschaftsabbruch sei objektiv rechtmäßig bzw. tatbestandslos.140 Kläre der Arzt nach ordnungsgemäßem Ablauf des Beratungsverfahrens (§ 219 StGB) bei der Verschreibung des oralen Abortivmittels Mifegyne die Schwangere pflichtwidrig nicht darüber auf, dass die Einnahme möglicherweise auch mehrtägige Magen-Darm-Beschwerden verursache, so wäre es einigermaßen abwegig, den Arzt wegen vollendeter Abtreibung zu bestrafen, wenn die Schwangere nachträglich bekunde, auch diese rechtsgutsbezogene Information hätte sie ganz gewiss nicht von der Einnahme des Mittels zum Zweck des Abbruchs abgehalten.141 c) Müller-Dietz Darüberhinaus ist auch Müller-Dietz der Ansicht, dass selbst ein „rechtsgutsbezogener Aufklärungsmangel“ nur dann zur „Unwirksamkeit der Ein138 Vgl. Merkel, strafrechts 196. 139 Vgl. Merkel, strafrechts 196. 140 Vgl. Merkel, zinstrafrechts 198. 141 Vgl. Merkel, strafrechts 197.

in: NK § 218a StGB Rdn. 39; ders., in: Handbuch des Medizinin: NK § 218a StGB Rdn. 40; ders., in: Handbuch des Medizinin: NK § 218a StGB Rdn. 41 f.; ders., in: Handbuch des Mediin: NK § 218a StGB Rdn. 41; ders., in: Handbuch des Medizin-

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

willigung“ führe, wenn diese bei ordnungsgemäßer Aufklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht erteilt worden wäre.142 II. Der Gedanke eines „echten Rechtfertigungsgrundes“ 1. Die Gleichsetzung von „mutmaßlicher“ und „hypothetischer Einwilligung“

Es scheint bisweilen einige Unsicherheit über das Verhältnis der Rechtsfiguren der „mutmaßlichen“ und der „hypothetischen Einwilligung“ zu herrschen. Die „hypothetische Einwilligung“ wird zum Teil als „mutmaßliche Einwilligung“ erfasst. In der Mehrzahl gehen Rechtsprechung und Wissenschaft aber davon aus, dass beide Rechtsfiguren strikt auseinanderzuhalten seien.143 2. Der eigenständige Rechtfertigungsgrund der „hypothetischen Einwilligung“

Die „hypothetische Einwilligung“ wird auch als ein „weiterer“ eigenständiger Rechtfertigungsgrund neben der wirklichen, der gemutmaßten und der „mutmaßlichen Einwilligung“ anerkannt. Inhaltlich wird dieser „neue“ Rechtfertigungsgrund sehr unterschiedlich ausgestaltet. Hier gibt es zwei Ansätze. a) Die Rechtsprechung aa) Die Lösung des Ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Bandscheibenfall und im Bohrerfall Im Bandscheibenfall vom 15. Oktober 2003144 entsteht der Eindruck, dass der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs neben der wirklichen, der 142

Vgl. Müller-Dietz, JuS 1989 281. Wie der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs im Bandscheibenfall (NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252) berichtet, ging das Landgericht Ravensburg von einer derartigen Übereinstimmung von der „mutmaßlichen“ und der „hypothetischen Einwilligung“ aus. Vgl. dazu auch Fischer, § 223 StGB Rdn. 16a; Jäger, Examens-Repetitorium Strafrecht AT § 4 Rdn. 146a; Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a; Kuhlen, in: FS für Roxin 333 f.; ders., in: FS für Müller-Dietz 442 f., 447 ff.; ders., JR 2004 227; ders. JZ 2005 713 ff.; Mitsch, JZ 2005 281 f.; Rengier, Strafrecht BT II § 13 Rdn. 18; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230; ders., JZ 2004 802 f.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 132; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 9 Rdn. 381b. 144 Vgl. Einl. § 1 V. 143

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“

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gemutmaßten und der „mutmaßlichen Einwilligung“ einen weiteren eigenständigen Rechtfertigungsgrund der „hypothetischen Einwilligung“ anerkennen will. Unabhängig von dieser anschaulichen Begriffsbeschreibung stellt er auch in seinen Entscheidungsgründen klar, dass trotz einer rechtlichen unwirksamen Einwilligung die „Rechtswidrigkeit entfällt [. . .], wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte. Der nachgewiesene Aufklärungsmangel kann nur dann zur Strafbarkeit wegen Körperverletzung [. . .] führen, wenn bei ordnungsgemäßer Aufklärung die Einwilligung unterblieben wäre.“145 Diesen Standpunkt bestätigte der Senat auch in der Bohrerentscheidung vom 20. Januar 2004:146 „Auf Grund der eindeutigen Feststellungen [. . .] war für die Annahme kein Raum, die Rechtswidrigkeit habe deshalb entfallen können, weil der Eingriff de lege artis durchgeführt und der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die durchgeführte Operation eingewilligt hätte.“147 Der Erste Strafsenat stellt sich offenbar unter der „hypothetischen Einwilligung“ angesichts solcher unmissverständlicher148 Äußerungen, wonach die „Rechtswidrigkeit entfällt“,149 einen weiteren ggfs. auch „körperverletzungsspezifischen“ Rechtfertigungsgrund vor.150 Der Senat ist davon überzeugt, dass die weiteren Erklärungsmodelle der „hypothetischen Einwilligung“ bei einer vorsätzlichen Körperverletzung, nämlich die Konstruktion der „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinn“ oder, wovon die Wissenschaft überwiegend ausgeht, der Gedanke des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“, aus theoretischen Gründen nicht einschlägig sind.151 Der Erste Strafsenat habe der „hypothetischen Einwilligung“ daher „uneingeschränkt rechtfertigende Wirkung“ zuerkennen wollen.152

145

Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. Vgl. Einl. § 1 VI. 147 Vgl. BGH NStZ 2004 442 = JR 2004 469. 148 Vgl. entgegen Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230; zweifelnd Schwartz, Hypothetische Einwilligung 30 f. 149 Vgl. dazu Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 4. Die Formulierung ist ungenau, denn die Rechtswidrigkeit „entfällt“ nicht, sie kann nicht positiv festgestellt werden, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, vgl. Otto, Grundkurs AT § 5 Rdn. 15 f. 150 Vgl. zur Terminologie Kuhlen, JZ 2005 717. 151 Vgl. eingehend auch 5. Kap. § 2 A. II. 1. Vgl. in diesem Sinne auch Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 134; ders., Jura 2004 683; vgl. auch Böcker, JZ 2005 927, 929. 152 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 134; ders., Jura 2004 682 f. 146

254

6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

bb) Die Lösung des Vierten Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Liposuktionsfall Die Formulierung der Entscheidungsgründe soll auf einen Rechtfertigungsgrund, die Begründung der „hypothetischen Einwilligung“ allerdings eher auf den Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ hinweisen.153 Diese letzten Zweifel an der Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ als eigenständiger Rechtfertigungsgrund zerstreut schließlich der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs im Liposuktionsfall vom 5. Juli 2007.154 Hier werden die leitenden Gedanken des Ersten Strafsenats wiederholt, wobei in den Entscheidungsgründen von einer bei der Einwilligung durchzuführenden „Kausalitätsprüfung“ anders als noch im Bandscheibenfall allerdings keine Rede mehr ist. Die Rechtsprechung scheint daher in der Tat einen eigenständigen – „körperverletzungsspezifischen“ – Rechtfertigungsgrund der „hypothetischen Einwilligung“ einführen zu wollen. Das Landgericht hat eine vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge mit der Begründung abgelehnt, dass der an der Operation verstorbene Patient A. in die Heilbehandlung „hypothetisch eingewilligt“ hätte. Der Vierte Strafsenat wendet sich gegen die Annahme des Landgerichts, die zweite bei A. durchgeführte Liposuktion sei „durch eine (hypothetische) Einwilligung des Patienten gerechtfertigt gewesen“. Das halte sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.155 Ärztliche Heileingriffe seien vorsätzliche Körperverletzungen, die der Einwilligung des Patienten bedürfen, um rechtmäßig zu sein. Diese Einwilligung könne aber nur wirksam erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise aufgeklärt worden sei. Das sei hier aber nicht geschehen. Es könne aber die „Rechtswidrigkeit auch dann entfallen“, wenn im Falle eines Aufklärungsmangels der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte.156 Das Gericht ist mit der Frage konfrontiert, wie die „hypothetische Einwilligung“ festgestellt werden soll, wenn der Patient verstorben ist. Das 153 Vgl. Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a. Vgl. eingehend auch 5. Kap. § 2 A. II. 1. Vgl. die Zweifel auch bei Duttge, in: FS für Schroeder 184; Geppert, JK 12/04 StGB § 223/3 3b: „[. . .] ob es sich dogmatisch wirklich um einen (neuen) Rechtfertigungsgrund handelt, was der Senat zu bejahen scheint“; Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a; Kuhlen, in: FS für Roxin 333 f.; ders., in: FS für Müller-Dietz 436; ders., JR 2004 227; Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 134; ders., Jura 2004 683; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122. 154 Vgl. Einl. § 1 VII. 155 Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340, 341. 156 Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340, 341.

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“

255

Landgericht begründet die „hypothetische Einwilligung“ in die zweite Operation mit der Erwägung, dass der Angeklagte den Patienten jedenfalls nicht vor der verfahrensgegenständlichen, jedoch vor einer zuvor durchgeführten ersten Operation über alle Risiken einer Fettabsaugung unterrichtet habe. A. sei damals mit dem Eingriff einverstanden gewesen und hätte deshalb selbst bei einer nochmaligen Aufklärung auch dem zweiten Eingriff zugestimmt. Der Vierte Senat hält dem entgegen, dass sich eine Einwilligung in einen ärztlichen Heileingriff, jedenfalls bei Fehlen einer weitergehenden Aufklärung, nur auf eine lege artis, d.h. nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft durchgeführte Heilbehandlung beziehe. Die Durchführung der zweiten Operation sei jedoch vom Angeklagten von vornherein so angelegt gewesen, dass sie nicht dem medizinischen Stand entsprochen habe.157 Es hätte nicht lediglich auf die Umstände der ersten, kunstgerecht durchgeführten Operation abgestellt werden dürfen, sondern darauf, ob A. auch in Kenntnis der von der ersten Operation abweichenden Umstände in den Eingriff eingewilligt hätte. Dies dürfte allerdings schon in Anbetracht dessen, dass es sich weder um eine eilbedürftige, noch um eine medizinisch indizierte, sondern lediglich um eine kosmetische Behandlung gehandelt habe, die ohnehin erheblich genaueren Aufklärungsanforderungen unterliege, „kaum anzunehmen sein.“ „Im Falle des Fehlens einer (hypothetischen) Einwilligung stelle sich der operative Eingriff des Angeklagten jedoch als tatbestandsmäßige und rechtswidrige Körperverletzung dar.“158 Eine vorsätzliche Tat könnte dem Angeklagten nur dann nicht vorgeworfen werden, wenn er irrig vom Vorliegen eines rechtfertigenden Sachverhalts ausgegangen wäre.159

157 Dem Angeklagten wurden mehrere Verstöße gegen die ärztliche Behandlungsfehler vorgehalten. Die auf vier Liter Absaugmenge angelegte Liposuktion sei, statt – regelgerecht – in Vollnarkose, nur in lokaler Anästhesie vorgenommen worden. Die Durchführung der Operation erfolgte ohne geschultes Personal, so dass ein kontinuierliches Patientenmonitoring nicht gewährleistet gewesen sei. Die Verabreichung einer Medikamentenkombination sei fehlerhaft gewesen, ohne sich über die hierdurch erhöhte Gefährdung des Patienten im Klaren gewesen zu sein. Die Nichterkennung der frühen Hinweise auf eine Überdosierung der Medikamente und den Beginn der Atemdepression habe zu einer Versäumung der rechtzeitigen Einleitung von Gegenmaßnahmen geführt. Der Arzt sei unzureichend auf die Notfallsituation vorbereitet gewesen. 158 Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340, 341. 159 Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340, 341.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

cc) Die Lösung des Ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Turboentzugsfall Im Turboentzugsfall vom 23. Oktober 2007,160 einer weiteren Entscheidung des Ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs zur „hypothetischen Einwilligung“, ging es um einen tödlich verlaufenden, nicht lege artis durchgeführten Opiat- und Arzneimittelentzug („Turboentzug“). Es wird nicht auf die Voraussetzungen einer „hypothetischen Einwilligung“ erkannt. Unter dem Gesichtspunkt der „hypothetischen Einwilligung“ sei nämlich zu beachten, dass sich eine Einwilligung in einen ärztlichen Heileingriff – jedenfalls bei Fehlen einer weitergehenden Aufklärung – nur auf eine nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft („lege artis“) durchgeführte Heilbehandlung beziehe. Die Prüfung einer „hypothetischen Einwilligung“ in den Turboentzug gerade am 15. Januar 1999 habe daher zu unterstellen, K. hätte um die unzureichende Überwachung durch den Angeklagten am Folgetag ab 2.00 Uhr gewusst. Dann hätte er aber zumindest auf „eine weitere Verschiebung (des Termins) . . . Wert gelegt.“ dd) Die zivilrechtliche Rechtsprechung Der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs führt in einer Entscheidung vom 9. November 1993 aus, dass das Berufungsgericht der Auffassung sei, eine mangelnde Aufklärung durch den Beklagten führe nicht zur Rechtswidrigkeit des vorgenommenen Eingriffs, da der Kläger nicht plausibel gemacht habe, dass er im Falle der Aufklärung in einen relevanten Entscheidungskonflikt geraten wäre. Vielmehr sei von seiner hypothetischen Einwilligung auszugehen.161 Obwohl der Beklagte die Eltern der Klägerin mithin nicht ordnungsgemäß über das Risiko der Angiographie aufgeklärt habe, meint das Oberlandesgericht Oldenburg in einer Entscheidung vom 11. Juni 1982, habe der Beklagte diesen Eingriff mit wirksamer Einwilligung der Eltern der Klägerin vorgenommen. Die Klägerin hat im Verhandlungstermin nämlich ausdrücklich erklärt, dass ihre Eltern in die Vornahme der Angiographie auch dann eingewilligt hätten, wenn sie von dem Beklagten auf die damit verbundenen Risiken hingewiesen worden wären.162 Ansonsten kann mitunter den Leitsätzen die umstrittene These entnommen werden, wonach die „hypothetische Einwilligung“ ein weiterer Recht160 161 162

Vgl. Einl. § 1 VIII. Vgl. BGH NJW 1994 799, 801. Vgl. OLG Oldenburg MedR 1983 192, 193.

§ 2 Die Darstellung der „Rechtfertigungslösungen“

257

fertigungsgrund sein soll. Bejahe das Berufungsgericht bei der verspäteten Aufklärung eine „hypothetische Einwilligung“, sei damit der tatsächlich durchgeführte Eingriff infolge wirksamer (wenn auch hypothetischer) Einwilligung gerechtfertigt.163 Das Oberlandesgericht Köln hat in einer Entscheidung vom 27. November 2002 die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten der „hypothetischen Einwilligung“ aufgelistet. Es lässt offen, ob die „hypothetische Einwilligung“ (wie die tatsächliche) unmittelbar als Rechtfertigungsgrund anzusehen sei.164 b) Das Schrifttum aa) Böcker Am eingehendsten hat Böcker den Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ als eigenständigen Rechtfertigungsgrund beleuchtet.165 Unter Hinweis auf die Konsequenzen in der Fallgruppe des „umgekehrten Erlaubnistatbestandsirrtums“ (scil. Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements) hat er problematisiert, ob die „hypothetische Einwilligung“, wie sie in den einschlägigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs entwickelt werde, von der anerkannten Dogmatik bei den Rechtfertigungsgründen nicht sogar insoweit abweichen könne, als sie „gesamtrechtfertigende Wirkung“ besitze und per definitionem nur aus objektiven Rechtfertigungsmerkmalen bestehe.166 Theoretisch wäre ein Versuchsunrecht auch dann nicht denkbar, wenn es am subjektiven Rechtfertigungselement fehlen würde. Hieraus versucht Böcker zu erklären, dass im Bandscheibenfall die „Rechtswidrigkeit [insgesamt] entfällt“, wenn der Patient eingewilligt hätte, wobei die Ärzte in dem konkreten Fall subjektiv von einer „hypothetischen Einwilligung“ der Patientin gerade nicht ausgegangen seien. bb) Beulke Beulke unterscheidet zwischen einer „mutmaßlichen“ und einer „hypothetischen Einwilligung“. „Beide werden [allerdings] im Ergebnis gleich behandelt.“167 Das kann in dem Sinne ausgelegt werden, dass die „hypotheti163 164 165 166 167

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

OLG Bamberg VersR 2001 860. OLG Köln NJOZ 2003 1771, 1772. Böcker, JZ 2005 927. Böcker, JZ 2005 929. Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 9 Rdn. 381b.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

sche Einwilligung“ die Gesamttat rechtfertigt. Sie wäre somit am ehesten als eigenständiger Rechtfertigungsgrund zu erfassen.168 cc) Jahn In diese Richtung ist Jahn zu verstehen. Er erörtert die Problematik einer wirksamen, gegebenenfalls auch nur „hypothetischen Einwilligung“ bei ärztlichen Heileingriffen und stellt sie systematisch im Rahmen der Prüfung der Rechtswidrigkeit neben die Einwilligung und die „(mutmaßliche) Einwilligung“.169

III. Vorläufige Feststellungen zu den „Rechtfertigungslösungen“ (i. e. S.) Die „hypothetische Einwilligung“ wird auch als „echter Rechtfertigungsgrund“ behandelt. Im Einzelnen sind allerdings erhebliche konstruktive Unterschiede unter diesen Lösungen auszumachen. 1. Von der „kausalen Frage“ soll die Wirksamkeit der Einwilligung abhängig sein. Diese Konstruktion berührt die Problematik der „Irrtumsrelevanz“ bei der Einwilligung. Die „hypothetische Einwilligung“ sei demgegenüber als „eigentliche“ „hypothetische Rechtfertigung“ zu verstehen. Die Fälle müssten scharf getrennt werden. 2. Die „hypothetische Einwilligung“ wird auch zu den anerkannten Rechtfertigungsgründen gerechnet. a) Konstruktiv sei die „hypothetische Einwilligung“ nur die Reformulierung eines bereits anerkannten Rechtfertigungsgrundes. Das zielt auf die Gleichstellung der „hypothetischen“ mit der „mutmaßlichen Einwilligung“. b) Die „hypothetische Einwilligung“ wird allerdings auch als ein weiterer eigenständiger Rechtfertigungsgrund neben der wirklichen, der gemutmaßten und der „mutmaßlichen Einwilligung“ anerkannt. Der Erste und der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs deuten nachhaltig in diese Richtung. Infolge der „hypothetischen Einwilligung“ soll die „Rechtswidrigkeit entfallen“ bzw. „auch dann entfallen“, wenn im Falle eines Aufklärungsmangels der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte. Der Heileingriff sei dann „gerechtfertigt gewesen“. Im Falle „des Fehlens einer (hypothetischen) Ein168 169

Vgl. auch Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230 Rdn. 926. Vgl. Jahn, JuS 2007 1146.

§ 3 Auseinandersetzung mit dem „rechtmäßigen Alternativverhalten“

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willigung“ stelle sich der operative Eingriff dagegen als tatbestandsmäßige und rechtswidrige Körperverletzung dar. c) In der Wissenschaft wird die von den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs entwickelte „hypothetische Einwilligung“ sogar als ein gesamtrechtfertigender Rechtfertigungsgrund betrachtet, der per definitionem nur aus objektiven Rechtfertigungsmerkmalen bestehe.

§ 3 Die Auseinandersetzung mit dem Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ A. Die Anerkennung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ I. Die Unterscheidung der strukturellen Situationen beim „rechtmäßigen Alternativverhalten“ 1. Dem Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ wird – auch nach der Thematisierung der Lehre der objektiven Zurechnung bei der Einwilligung – keine klare Gestalt gegeben. Das beruht auf der sachlichen Verschiedenheit der darunter gefassten Fälle.170 Überdies fallen die Begriffe im Zivil- und Strafrecht auch noch auseinander. Die zivilrechtliche Beschreibung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ verdeutlicht die Problematik: Bei dem Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ beruft sich der Schädiger darauf, er habe sich zwar rechtswidrig verhalten, doch hätte er den Schaden entweder durch normgerechtes Verhalten herbeiführen dürfen oder wäre dieser auch bei ordnungsgemäßen Verhalten eingetreten.171 Unter dem Begriff des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ werden daher ganz unterschiedliche Fallgestaltungen zusammengefasst: In der zuerst genannten Fallgruppe des „gerechtfertigten rechtmäßigen Alternativverhaltens“172 lässt sich die Struktur des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ so beschreiben, dass sich der tatsächlich rechtswidrig handelnde Täter darauf beruft, er hätte das Recht gar nicht zu brechen brauchen, um den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. Er hätte den Erfolg 170

Vgl. Gotzler, Rechtmäßiges Alternativverhalten 7; Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 2 200 f. 171 Vgl. Grunsky, in: MüKo 3. Aufl. Vor § 249 BGB Rdn. 87; Oetker, in: MüKo § 249 BGB Rdn. 211. Vgl. weiter vor allem Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 1 199. Noch weiter Medicus, in: Staudinger 12. Aufl. § 249 BGB Rdn. 107, der auch das „entschuldigte Verhalten“ miterfassen will; vgl. auch Schiemann, in: Staudinger § 249 BGB Rdn. 102. 172 Vgl. zu diesem Begriff etwa Dreher, Objektive Zurechnung 55 f.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

auch hypothetisch rechtmäßig herbeiführen können. Er hat sich um die Rechte des anderen allerdings nicht gekümmert.173 Eine andere Struktur weist demgegenüber das „rechtmäßige Alternativverhalten“ auf, für das der Radfahrerfall (BGHSt 11 1) bezeichnend ist.174 Der Täter befindet sich hier in einer Situation, in der er den tatbestandlichen Erfolg im entscheidungserheblichen Zeitpunkt tatsächlich unmöglich vermeiden kann. Er hätte ihn allerdings – unterstellt – auch dann nicht vermeiden können, wenn er den rechtlichen Anforderungen an sein Verhalten, die er rechtswidrig vernachlässigt hat, nachgekommen wäre. Der Erfolg wäre auch bei ordnungsgemäßen Verhalten eingetreten. 2. Im Strafrecht bemühte man sich bisher um eine engere Handhabung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“. Mit dem Rechtsgedanken sollte gemeinhin175 der strukturell dem Radfahrerfall (BGHSt 11 1) zugrundeliegende Sachverhalt gelößt werden. Diese Zurückhaltung wird aber mit der Übertragung der Lehre der objektiven Zurechnung auf die Rechtfertigungsebene oder des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ auf die Einwilligung aufgegeben. Dreher, bei dem diese Entwicklung am deutlichsten in Erscheinung tritt, differenziert bei der Lehre der objektiven Erfolgszurechnung, die er als „strafbarkeitseinschränkendes Korrektiv der weiten Kausalhaftung“ versteht, zwischen der „objektiven Zurechnung im weiteren“176 und „im engeren Sinne“. Auf die objektive Zurechnung „im engeren Sinne“ stützt er konstruktiv die „hypothetische Einwilligung“: „Allgemein“ werde für die Erfolgszurechnung nämlich gefordert, dass der eingetretene Erfolg gerade auf der rechtlich missbilligten Risikoschaffung beruhe: Das soll insbesondere dann nicht der Fall sein, wenn der Erfolg auch bei „rechtmäßigem Alternativverhalten des Täters“ eingetreten wäre, selbst dann also, „wenn der Täter sich richtig verhalten hätte.“177 173 Vgl. Coing, SJZ 1950 871; Hanau, Kausalität 67; Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 5 206; Niederländer, JZ 1959 621; Oetker, in: MüKo § 249 BGB Rdn. 213 muN aus der Rspr. 174 Vgl. zum Sachverhalt 5. Kap. § 2 B. II. 1. 175 Vgl. etwa Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 3 Rdn. 106 f.; Duttge, in: MüKo § 15 StGB Rdn. 162 ff., 166; Hardtung, in: MüKo § 222 StGB Rdn. 40, 45; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 99; Otto, Grundkurs AT § 10 Rdn. 23; Puppe, Strafrecht Bd. 1 § 3 Rdn. 3. 176 Hierunter versteht Dreher, Objektive Erfolgszurechnung 18 ff., 48 ein „einschränkendes Korrektiv“, dass bereits solche Verhaltensweisen aus dem Tatbestand ausscheide, die die Gefahr eines Erfolgseintritts nicht in rechtlich missbilligter Weise erhöht haben („strafbarkeitseinschränkendes Korrektiv der weiten Kausalhaftung“). 177 Vgl. Dreher, Objektive Erfolgszurechnung 22 ff., 52.

§ 3 Auseinandersetzung mit dem „rechtmäßigen Alternativverhalten“

261

Hieraus erklärt sich auch die Weiterentwicklung der „hypothetischen Einwilligung“ auf Fälle der ärztlichen Heilbehandlung, bei denen bereitstehende mögliche Behandlungsalternativen unsachgemäß nicht aufgeklärt werden. Kuhlen vertritt für den „Surgibone“-Dübelfall,178 bei dem es verschiedene Alternativen zu der Verwendung von Rinderknochenimplantaten gab, die ebenfalls einen Eingriff beim Kranken erforderlich gemacht hätten, aber wegen der ungenügenden Aufklärung nicht in Anspruch genommen werden konnten, die Ansicht, dass auch eine „hypothetische Einwilligung“ des Patienten in eine dieser Behandlungsalternativen zum Ausschluss einer vollendeten Körperverletzung wegen Gleichwertigkeit der Beeinträchtigungen der „körperlichen Unversehrtheit“ führe.179 In dieser Beschreibung kommt zunächst das Missverständnis über die Lehre der objektiven Zurechnung zum Vorschein, wonach diese ein „strafbarkeitseinschränkendes Korrektiv der weiten Kausalhaftung“ sein soll. Die einzelnen Fallgruppen der objektiven Zurechnung, über die zudem kein allgemeiner Konsens besteht, werden als „Ausnahmetatbestände“ an die „Kausalhaftung“ herangetragen. Die geläufige Methode besteht darin, die Zurechenbarkeit des tatbestandlichen Geschehens nicht positiv zu begründen, sondern nur anhand bestimmter Kriterien auszuschließen oder einzuschränken.180 Diese Betrachtung mag vom Ergebnis her durchaus einleuchtend sein. Sie geht am Zweck der objektiven Zurechnung jedoch vorbei: Die objektive Zurechnung wirkt nicht „haftungseinschränkend“, sondern im Gegenteil haftungsbegründend. Die Kausalität und die objektive Erfolgszurechnung stehen sich nicht im Sinne von „Regel und Ausnahme“ gegenüber, sondern die objektive Erfolgszurechnung beruht auf der Haftung für die steuerbare Verursachung von Erfolgen. Die objektive Erfolgszurechnung konstituiert sich aus einem „faktischen“ und einem „normativen Zusammenhang“. Erst beide Elemente zusammen begründen die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges.181 Weiterhin kann aber Drehers Beschreibung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ nicht unkritisch gefolgt werden. Ähnlich wie im Zivilrecht erfasst er mit seiner Definition ganz verschiedene strukturelle Sachverhalte. 178

Vgl. Einl. § 1 III. Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 342. Damit geht Kuhlen über die in der Rechtsprechung entwickelte Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ hinaus, denn es kommt nicht mehr auf die „hypothetische Einwilligung“ in den „konkreten Eingriff“ an. Vgl. zu dieser Problematik eingehend § 3 A. I., B. I. 1. c). 180 Vgl. Kindhäuser, in: FS für Rudolphi 140. 181 Vgl. eingehend zu diesem weit verbreiteten Missverständnis über die Lehre der objektiven Erfolgszurechnung Otto, Jura 1992 91. 179

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Die Berechtigung eines derart weiten Begriffsverständnisses des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ ist allerdings dahingehend zu würdigen, ob die Wertungen, auf die das „rechtmäßige Alternativverhalten“ im Radfahrerfall (BGHSt 11 1) gestützt wird, auch in dem strukturell anders liegenden Sachverhalt des „gerechtfertigten rechtmäßigen Alternativverhaltens“ überzeugen können. II. Begründung des Zurechnungserfordernisses Im überwiegenden Schrifttum wird nicht die sachliche Berechtigung der im Radfahrerfall (BGHSt 11 1) für die Fahrlässigkeitsdelikte entwickelten Konstruktion der „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinne“ angezweifelt, sondern deren theoretische Qualifikation. Entgegen Spendel,182 Binavince,183 Bindokat,184 Kirschbaum185 sowie Reinelt186 wird dieses Zurechnungserfordernis heute in der Sache daher „fast allgemein anerkannt“.187 Neben die im naturwissenschaftlichen Sinn zu verstehende Kausalität tritt demzufolge eine normative Zurechnungsvoraussetzung, über deren Begründung, demzufolge auch über deren dogmatische Einordnung im Deliktsaufbau und schließlich über deren inhaltliche Ausgestaltung allerdings noch immer erhebliche Unsi182

Vgl. Spendel, in: FS für Eb. Schmidt 186 ff.; ders., JuS 1964 15 ff., der den Rechtsgedanken des rechtmäßigen Alternativverhaltens im Zusammenhang mit der „Kausalität“ ablehnt. Hypothetische Ersatzursachen seien im Rahmen der Kausalität unbeachtlich. Für die Unterlassungsdelikte erkennt Spendel dagegen die Beachtlichkeit des hypothetischen Geschehens an, vgl. ders., in: FS für Eb. Schmidt 187 f.; ders., JuS 1964 15. Damit wird der Abgrenzung von Tun und Unterlassen (vor-)entscheidende Bedeutung beigemessen. In dem conditio (condicio) sine qua non-Gedanken könne nur ein Strafmilderungsgrund gesehen werden: Das rechtmäßige Alternativverhalten sei in Wahrheit ein Problem der richterlichen Strafzumessung und Strafmaßbegründung, vgl. Spendel, in: FS für Eb. Schmidt 198; ders., JuS 1964 17; ders., in: FS für Engisch 509 ff.; ders., JZ 1999 1186 ff.; vgl. weiter 7. Kap. § 2. 183 Vgl. Binavince, Momente 221. 184 Vgl. Bindokat, JZ 1977 551 f.; ders., JuS 1985 34 befürwortet eine Haftung nach dem Zurechnungsprinzip „versari in re illicita“. 185 Vgl. Kirschbaum, Vertrauensgrundsatz 144 ff., der für die Nichtberücksichtigung des rechtmäßigen Alternativverhaltens im Straßenverkehrsrecht aus Gründen der Generalprävention plädiert. Es geht ihm sachlich um eine allgemeine „Hebung der Verkehrsgesittung“. Die Berücksichtigung rechtmäßigen Alternativverhaltens würde dem Vertrauensschutz des sich rechtmäßig verhaltenden Verkehrsteilnehmers als „Prämie für eigenes Wohlwollen“ zuwiderlaufen. Zur Auseinandersetzung vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 75 ff.; Niewenhuis, Verkehr 9 f.; vgl. auch Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 66. 186 Vgl. die Frage letztlich offenlassend Reinelt, NJW 1968 2152 f. 187 Vgl. etwa Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 68 Fn. 135.

§ 3 Auseinandersetzung mit dem „rechtmäßigen Alternativverhalten“

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cherheit herrscht.188 Die Zweifel an der „Natur des Zurechnungszusammenhangs“ wirken in der Terminologie fort.189 Keine vorentscheidende Stellungnahme zur rechtlichen Einordnung des Rechtsgedankens190 ist der neutralen Formulierung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ zu entnehmen. 1. Zur Begründung vorgetragene Gedanken

a) Neben den Behauptungen über die Notwendigkeit einer Berücksichtigung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ bei den Fahrlässigkeitsdelikten191 soll sich das Zurechnungserfordernis aus dem Gesetzeswortlaut der 188 Vgl. für den seinerzeitigen Stand der Auseinandersetzung bietet etwa Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 28 ff. eine umfangreiche Darstellung. 189 Vgl. Übersicht etwa bei Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 70; Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 183; Schlüchter, JuS 1977 105; Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 28 ff.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 15 Rdn. 677 ff. Sehr gebräuchlich ist die Verwendung des Begriffs „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“, vgl. etwa Duttge, in: MüKo § 15 Rdn. 161; Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 477; Lackner/Kühl, § 15 StGB Rdn. 41; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 99; Schlüchter, JA 1984 684, aber auch „Rechtswidrigkeitszusammenhang“, vgl. etwa Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 70; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder § 15 StGB Rdn. 156 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 55 II 2 584; Samson, Hypothetische Kausalverläufe 34; aus dem Zivilrecht von Caemmerer, Überholende Kausalität 30 ff.; Deutsch, in: FS für Larenz 899 ff.; Gotzler, Rechtmäßiges Alternativverhalten 24 ff. Bisweilen wird auch von einem „Schuldzusammenhang“ ausgegangen, vgl. G. Baumann, DAR 1955 210 ff. Häufiger wird auch auf den „Realisierungszusammenhang“ abgestellt, vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten 55 ff. Sodann finden sich Begriffe wie die „Risikoverwirklichung“, der „Risikozusammenhang“ oder die „Verwirklichung des unerlaubten Risikos im Erfolg“, vgl. Jakobs, in: FS für Lackner 60, oder die „Relevanz der Ursache“, vgl. Mezger, JZ 1958 282 und schließlich der „Zurechnungszusammenhang im weiteren Sinne“ (vgl. dazu BGHSt 30 228, 230) oder der „Zusammenhang“ zwischen der Vermeidepflichtverletzung und dem tatbestandlichen Erfolg, vgl. Otto, Grundkurs AT § 10 Rdn. 17. 190 Eine nähere Auseinandersetzung mit den verschiedenen Theorien bleibt Spezialabhandlungen vorbehalten, vgl. etwa Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 146 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten 529 ff.; Jordan, GA 1997 361 ff.; Kindhäuser, GA 1994 197; Krümpelmann, in: FS für Jescheck Bd. I 331 ff.; ders., GA 1984 491 ff.; Küper, in: FS für Lackner 247 ff.; Niewenhuis, Verkehr 2 ff.; Otto, in: FS für Schlüchter 86 ff., 96; Puppe, ZStW 99 (1987) 599 ff.; Ranft, NJW 1984 1429; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 67 ff., 76 ff.; ders., ZStW 74 (1962) 437 f.; Schlüchter, JA 1984 673 ff.; Toepel, Kausalität 197 ff.; Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 75 ff. 191 Hierher gehört das oft zu lesende Zitat G. Baumanns, DAR 1955 211: „Fahrlässige Verursachung ist nicht gleich Verursachung plus Fahrlässigkeit.“ Die Forderung, dass beim Fahrlässigkeitsdelikt der Erfolg und die Pflichtwidrigkeit „nicht beziehungslos“ gegenüberstehen dürfen, versteht sich nur als eine Variation des Zitats, vgl. Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 144; ders., JZ 1969 367.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

§§ 222, 229 StGB ableiten lassen: Der Erfolg müsse „durch Fahrlässigkeit [. . .] verursacht“ sein.192 Zuletzt hat Niewenhuis in dieser Begründung aber nichts als eine bloße Unterstellung des historischen Willens des Gesetzgebers gesehen, der in der „zufällige[n] sprachliche[n] Wendung“ des Gesetzes keinen Ausdruck finde. Er beruft sich dafür auf den Wortlaut des § 315c StGB, denn anders als bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten habe der Gesetzgeber hier durch die bewusste Wortwahl („dadurch . . . gefährdet“) das besondere Verhältnis der Verkehrswidrigkeit zur konkreten Gefährdung von Leib und Leben zum Ausdruck gebracht.193 Der womöglich fehlende Wille des historischen Gesetzgebers steht der mit dem Wortlaut allerdings durchaus noch zu vereinbarenden Auslegung des Gesetzes im Sinne einer solchen Zurechnungsvoraussetzung jedoch nicht im Weg.194 Die Argumentation aus dem Wortlaut ist daher eines von vielen „unterstützenden“ Argumenten.195 Ohnehin sollten im Recht vornehmlich Wertungen entscheiden, die den Wortlaut untermauern. Das Recht gründet primär auf Wertungen.196 b) Die Berücksichtigung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ bei den Fahrlässigkeitsdelikten beruht zudem auf einem theoretisch allerdings wenig aussagekräftigen „unreflektierte[n] Evidenzerlebnis“,197 über dessen 192 Vgl. Schlüchter, JuS 1977 105 f., die darin die gesetzlich begründete Notwendigkeit der Berücksichtigung rechtmäßigen Alternativverhaltens sieht. Verhaltener Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 144; ders., JZ 1969 367: Das Erfordernis sei sprachlich eher „verunglückt“, trotzdem bringe es „klar die Forderung zum Ausdruck“, dass es eines solchen Zusammenhangs bedürfe. In diesem Sinne auch Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 477. 193 Vgl. Niewenhuis, Verkehr 6. 194 In dem alten Schulenstreit über das Ziel der Gesetzesauslegung, die Ermittlung entweder des Gesetzeswillens des historischen Gesetzgebers („subjektive Theorie“, „Willenstheorie“) oder des normativen Sinns des Gesetzes, ist man sich heute einig, dass es nur um den aus dem „Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang“ herzuleitenden „objektivierte[n] Wille[n] des Gesetzgebers“ gehen kann, allerdings, und dies ist die verbleibende Anleihe der historischen Auslegung, nicht über die erkennbare Regelungsabsicht und die bewusst getroffenen Wertentscheidungen des Gesetzgebers hinaus, vgl. BVerfGE 1 299, 312; Larenz, Methodenlehre 316 ff. mwN, 328. 195 Vgl. so aber Niewenhuis, Verkehr 7. 196 Vgl. eingehend Niewenhuis, Verkehr 5 Fn. 9 zu Gesetzesentwürfen, die von einem derartigen Erfordernis ausgehen. 197 Vgl. Roxin, ZStW 1974 (1962) 422; vgl. auch Kühl, Strafrecht AT § 17 Rdn. 50; Niewenhuis, Verkehr 3; Welzel, Verkehr 21 „alles nicht so schlimm [. . .], wenn es noch einmal gut gegangen ist“. Die Richtigkeit des Rechtsempfindens be-

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Reichweite überdies wenig Einigkeit herrscht.198 Mehr als ein Eindruck, dass hier ein spezifisch rechtliches Problem liegen müsse,199 kann dieser Begründung nicht entnommen werden. Gerechtigkeitserwägungen bergen häufig auch die Gefahr von Missverständnissen.200 c) Möglicherweise sprechen zu einem erheblichen Teil „Praktikabilitätsgründe“ für einen derartigen Zusammenhang, denn die folgenlose Sorgfaltsverletzung ist gewiss weniger fassbar als die erfolgreiche.201 d) Das häufige Argument,202 das bei einem Verzicht auf den geforderten Zusammenhang das gemeinrechtliche Zurechnungsprinzip „versanti in re illicita imputantur omnia, quae sequuntur“203 bzw. „versari in re illicita“ wiederbelebt werde, ist in dieser Pauschalität zweifelhaft.204 Selbst bei einer Ablehnung der Zurechnungsvoraussetzung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ folgt die Erfolgszurechnung selbstverständlich nicht dem frühen (12./13. Jahrhundert) Zurechnungsprinzip einer Haftung für sämtliche Zufallserfolge, allein weil sie die Folge der unerlaubten Tat sind (Kausalität als alleiniges Zurechnungsprinzip), jedoch ganz unabhängig von deren Vorhersehbarkeit. Das wäre ein Verstoß gegen das stätigen Rechtsprechung und Schrifttum mit der grundsätzlichen Anerkennung des rechtmäßigen Alternativverhaltens seit der Radfahrerentscheidung (BGHSt 11 1). 198 Der Konsens über die Gerechtigkeit der Ergebnisse endet spätestens bei der „mehr oder minder hohen Wahrscheinlichkeit“ des Ausbleibens des Erfolges bei rechtmäßigen Alternativverhalten. Hier will die Risikoerhöhungslehre zu einer Bestrafung gelangen. 199 Vgl. Engisch, Kausalität 18 Fn. 1. Auch Spendel räumt dem hypothetischen Sachverhalt Bedeutung ein, allerdings erst auf der Ebene der Strafzumessung, vgl. oben Fn. 188. Damit verweist Spendel wieder auf den Anfang des Problems, zwar nicht auf das „ob“, doch das „wie“ der dogmatischen Berücksichtigung des hypothetischen Verhaltens. 200 In gefühlsmäßigen Wertung ruht zudem die Gefahr, dass in ähnlichen, aber nicht identisch gelagerten Sachgestaltungen sogleich „strukturelle Analogien“ erkannt werden, vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 338, wie es denn bei der „hypothetischen Einwilligung“ geschehen ist, vgl. § 3 C. I. Vgl. kritisch auch Böcker, JZ 2005 931: Es bestehe der Verdacht, dass mit der „hypothetischen Einwilligung“ nur eine „sprachliche Lösung [gefunden worden sei], um ein konstruktiv und dogmatisch nicht sauber in den Griff zu bekommendes Problem“ zu lösen. 201 Vgl. Welzel, Verkehr 21. 202 Vgl. Küper, in: FS für Lackner 253; Niewenhuis, Verkehr 3; Puppe, Strafrecht AT Bd. 1 § 3 Rdn. 2; dies., JuS 1982 661; Roxin, ZStW 74 (1962) 431; Rudolphi, JuS 1969 551 f.; Schünemann, JA 1975 167; Spendel, JuS 1964 19; Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 144; ders., JZ 1964 367. 203 Vgl. Boldt, ZStW 55 (1936) 46. „Wer sich ins Unrecht setzt, dem wird alles zugerechnet, was daraus folgt.“, vgl. Puppe, JuS 1982 661. 204 Vgl. so auch Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 67; Küper, in: FS für Lackner 253; Schünemann, JA 1975 167.

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Schuldprinzip. Es wird stattdessen auch die Vorhersehbarkeit des Erfolgs verlangt, wobei es sich dann mit der Erfolgszurechnung im Grunde so verhält, wie es die späte, modifizierte Form dieses Zurechnungsprinzips (17. Jahrhundert) vorsah, indem das verbotene vorausgehende Handeln nur das sein konnte, was seiner Natur oder den Tatumständen nach auf den Erfolg hin tendierte und den Erfolg wegen einer derartigen Gefährlichkeit voraussehbar machte. Insofern ist das Argument zutreffend.205 e) Ebensowenig zwingend ist der Hinweis Schlüchters auf die mangelnden Korrektive bei der Fahrlässigkeits- im Vergleich zur Vorsatzstrafbarkeit, bei der die „innere Tatseite“ als Korrektiv zu der weiten Erfolgshaftung für die Kausalität in Betracht komme. Die Schlechterstellung des Fahrlässigkeitstäters gegenüber dem Vorsatztäter sei „sicher nicht das Anliegen des Gesetzes“.206 Das ist zutreffend, doch bleibt hier offen, weshalb es gerade das Zurechnungserfordernis sein soll, das bei den Fahrlässigkeitsdelikten als „Korrektiv“ in Betracht kommt. f) Gewiss gibt es eine verbreitete Vorstellung, dass den Normen zum Schutz der Rechtsgüter eine Eignung zur Vermeidung unerwünschter Erfolge innewohnt207 („zweckhafte Vermeidbarkeit“).208 Wenn der Erfolg bei rechtmäßigen Verhalten des Täters eingetreten wäre, so sieht der zur Differenzierung fähige Betrachter in dem Erfolgseintritt eher ein „Unglück“ als ein sanktionswürdiges „Unrecht“.209 Das wenig aussagekräftige210 Argument verfängt aber bereits in den praktisch viel häufigeren Fällen nicht mehr, in denen das „rechtmäßige Al205

Vgl. Boldt, ZStW 55 (1936) 47; Kollmann, ZStW 34 (1914) 105. Vgl. Schlüchter, JuS 1977 106. 207 Vgl. besonders Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 145; ders., JZ 1969 367; vgl. auch Kühl, Strafrecht AT § 17 Rdn. 50; Niewenhuis, Verkehr 5; Schatz, NStZ 2003 583. Dass dem Argument bei unbefangener Betrachtung gewisse Gefahren immanent sind, die den Inhalt des Begriffs der „Vermeidbarkeit“ betreffen, soll hier nur erwähnt werden. Geht es inhaltlich um einen „relativen“ oder „absoluten“ Vermeidbarkeitsbegriff („Lehre vom Chancensaldo“). Es bedarf daher einer erheblichen Präzisierung, will man nicht beim oft zitierten Prinzip enden, „was fällt, darf gestoßen werden“. 208 Vgl. Welzel, ZStW 58 (1939) 558. Vgl. auch Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 477. Der Vortrag Kühls, der Richter müsse dem Angeklagten vor einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung erklären können, dass die Einhaltung gehöriger Sorgfalt für das Leben des Opfers „etwas gebracht“ hätte, beruht auf diesem Gedanken, vgl. Kühl, Strafrecht AT § 17 Rdn. 50; Schatz, NStZ 2003 583. 209 Vgl. Niewenhuis, Verkehr 5. 210 Dass der Strafrichter auf „Unverständnis beim Bürger stoßen“ würde, wenn der Erfolg sicher ausgeblieben wäre, mag in bestimmten Sachgestaltungen zutreffend sein, dürfte allerdings auf einer Verkürzung der Aufgabe des Strafrechts beru206

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ternativverhalten“ das Risiko der Erfolgsrealisierung nur vermindert hätte. Hier hätte die Normbefolgung unter Umständen geholfen.211 g) Das Zurechnungserfordernis wird häufig der „Grundformel der objektiven Zurechnung“ entnommen: Im tatbestandlichen Erfolg müsse sich die Sorgfaltswidrigkeit, das sorgfaltswidrige Verhalten oder die sorgfaltswidrige Gefährdung „realisiert“ haben. Die objektive Zurechnung sei daher ausgeschlossen, wenn der Erfolg selbst bei pflichtgemäßen Verhalten eingetreten wäre.212 An der Realisierung der sorgfaltswidrigen Gefahr im Erfolg fehlt es jedoch definitiv nicht, denn sonst wäre der Erfolg tatsächlich nicht eingetreten.213 h) Weiterzuführen scheint der Hinweis auf den „Normbefehl der fahrlässigen Erfolgsdelikte“,214 den „Grundgedanken“,215 das „Wesen der Fahrlässigkeitstatbestände“216 oder die ihnen eigentümliche „Struktur“. hen, eingehend 7. Kap. § 2 C. III. Ggfs. kann dem „Unverständnis“ insgesamt auch damit genügt werden, dass es zu keiner Bestrafung kommt. Die Begründung und die Ausgestaltung des geforderten Zurechnungserfordernisses bleiben offen. Genügen könnte eine Lösung im Bereich der „kriminalpolitischen Billigkeit oder Zweckmäßigkeit“, wie sie Spendel vorgeschlagen hatte, vgl. Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 76; Küper, in: FS für Lackner 262. Gerade diese Gedanken setzen sich in den Forderungen Arzts und Mitschs bei der „hypothetischen Einwilligung“ nahtlos fort, vgl. 9. Kap. § 2. 211 Vgl. auch Kühl, Strafrecht AT § 17 Rdn. 50. 212 Vgl. etwa Cramer, in: Schönke/Schröder 26. Aufl. § 15 StGB Rdn. 161 ff.; Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 478. 213 Vgl. Kühl, Strafrecht AT § 4 Rdn. 73 Fn. 83, § 17 Rdn. 55; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 99a; eingehend die Kritik bei Küper, in: FS für Lackner 254 f., der sich gegen die „Verquickung“ der wertenden Beurteilung des realen Verhaltens (verbotene Gefahrbegründung) mit der Bewertung eines hypothetisch-fiktiven Geschehens (erlaubte Gefährdung) zu einer unstimmigen Seinsaussage wendet. Es ist auch aus logischen Gründen keine Abspaltung des erlaubten Gefahrenanteils aus dem sorgfaltswidrigen Verhalten vorstellbar. Der tatsächliche Erfolg ist immer das Produkt einer tatsächlichen Gefahr, nicht eines nur denkbaren Teils davon. 214 Vgl. Niewenhuis, Verkehr 2: Es gehe nicht um die Vermeidung sämtlicher Gefahren für die geschützten Rechtsgüter anderer, sondern nur um die Vermeidung derjenigen Gefahren, die sich aus dem unsachgemäßen Umgang mit den nach den Regeln des erlaubten Risikos rechtmäßig hervorgerufenen Gefahren ergeben. Daher ergebe sich die Verbindung zwischen dem normbefehlswidrigen Verhalten und dem Erfolgseinritt noch nicht durch die Überlegung, ob der Erfolg ohne das gefährliche Verhalten nicht eingetreten wäre, sondern erst durch die Frage, ob gerade das unsachgemäße Umgehen mit der Gefahr für den Erfolgseintritt relevant gewesen sei. Es steht allerdings fest, dass sich im Erfolg das „unsachgemäße Verhalten“ des Täters realisiert hat, sonst wäre der Erfolg nicht eingetreten. 215 Vgl. Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 144. 216 Vgl. Ulsenheimer, JZ 1969 367 f.

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Der Gesetzgeber habe sich grundsätzlich für die Betätigungsfreiheit auch bei gefahrbringenden Verhaltensweisen entschieden.217 Die allgemeinen und die gesetzlich fixierten Sorgfaltspflichten seien als Korrektiv zum Zwecke der Vermeidung tatbestandsmäßiger Erfolge aufgestellt und dazu im Regelfall auch geeignet. Die Sorgfaltspflichtverletzung sei mit dem Erfolg durch das Kriterium der „Schutzwirkung“ derart verbunden, dass aus der Pflichtbefolgung der Schutz des Rechtsguts resultiere bzw. umgekehrt aus der Pflichtverletzung die Rechtsgutsbeeinträchtigung („Fehlen der Schutzwirkung“). Die ex ante begründete Vermutung für die „Schutzwirkung der Norm“ hält Ulsenheimer für widerlegbar: Ergebe sich aus den ex post sichtbaren Umständen die Unwirksamkeit des Rechtsgüterschutzes gerade durch Einhaltung der Sorgfaltsregeln, so sei die Befolgung der Sorgfaltsnorm in diesem Einzelfall nicht geeignet gewesen, das zu schützende Rechtsgut vor Schaden zu bewahren. Die Befolgung der Pflicht sei für den Schutz des Rechtsguts „gegenstandslos“ bzw. „erfolgsneutral“ gewesen. Eine Bestrafung aus dem Erfolgstatbestand müsse entfallen, da der Gesetzgeber die Strafe nicht wegen einer Rechtsgutsverletzung mit der Missachtung einer Norm begründen könne, von der eine Schutzwirkung im speziellen Fall nicht ausgegangen sei.218 Doch hält Küper dem entgegen, wenn das tatsächliche Fehlen der Schutzwirkung im konkreten Fall nichts an der Verbindlichkeit der Sorgfaltsnorm ändere, aus welchem Grund soll dann die Nichtzurechnung des sorgfaltswidrig herbeigeführten Erfolgs ausgeschlossen sein?219 i) Verbreitet ist die Begründung des Zurechnungserfordernisses aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).220 Wenn das Geschehen völlig dem entspreche, dass auch bei erlaubten Risiko eingetreten wäre, so könne die Erfolgszurechnung auch nicht anders gehandhabt werden, weil sonst eine Verletzung einer Pflicht bestraft würde, deren Verletzung nutzlos gewesen wäre („tatbestandsirrelevante Pflichtverletzung“).221 Die das erlaubte Risiko nicht steigernde Handlung sei in ihrer Beziehung zum Erfolg „gerechterweise“ ebenso zu beurteilen wie das unverbotene Verhalten. Das gebiete „zwingend“ der Gleichheitssatz, sonst gerate man in die Willkür einer ungleichen Behandlung.222 Überschreite der Täter das erlaubte Risiko 217

Vgl. Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 144. Vgl. Ulsenheimer, JZ 1969 368. 219 Vgl. Küper, in: FS für Lackner 258; vgl. auch Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 76; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten 533. Vgl. kritisch auch Otto, MSchrKrim 1967 96. 220 Begründet von Roxin, ZStW 74 431 f.; ders., Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 68; vgl. auch Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 99a. 221 Vgl. ausführlich Roxin, ZStW 74 431 f.; ders., Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 68, 76 ff. 218

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und trete der Erfolg als Auswirkung dieser Gefahr ein, so sei der Erfolg als Realisierung der verbotenen Gefahr zuzurechnen („tatbestandserfüllende Pflichtverletzung“). Die äußerste Grenze des tolerierbaren Risikos werde durch das erlaubte Risiko gezogen. Jede Erhöhung dieses Risikos lasse die Folgen über den Täter kommen.223 Kritisiert wird hieran das Hin- und Herschwanken zwischen der „Pflichtverletzung“ und der „Erfolgszurechnung“. Entweder gehe es bei der Nichtsteigerung des erlaubten Risikos um das Ausscheiden von „tatbestandsirrelevanten Pflichtverletzungen“ oder um die Verneinung der objektiven Zurechnung bestimmter Erfolge zum Verhalten.224 An einer Pflichtverletzung müsste es überhaupt fehlen, wenn die Nichtsteigerung des erlaubten Risikos durch das pflichtwidrige Verhalten ebenso zu beurteilen wäre wie das erlaubte Risiko. Das will Roxin gewiss nicht, denn eine Pflichtverletzung wird nicht bestritten („tatbestandsirrelevante“ Pflichtverletzung). Die Gleichstellung der „tatbestandsirrelevanten Pflichtverletzung“ mit dem erlaubten Risiko wenigstens „im Verhältnis zum Erfolg“ wird nur als „zwingende Konsequenz“ des Gleichheitssatzes behauptet: Die Handlungen werden durchaus verschieden bewertet.225 Darüberhinaus verstößt diese Variante der Risikoerhöhungslehre gegen den Grundsatz „in dubio pro reo“, denn nicht jede Begründung oder Erhöhung des Risikos lässt die Folgen über den Täter kommen, sondern nur die nachgewiesene Begründung oder Erhöhung einer Gefahr, die sich im Erfolg realisiert hat.226 j) Neben den vorstehenden sind viele weitere Begründungen entwickelt worden.227 Schünemann begründet den „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ 222

Vgl. Roxin, ZStW 74 (1962) 432. Vgl. Roxin, ZStW 74 (1962) 431 f.; ders., Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 76 ff. 224 Vgl. Preuß, Erlaubtes Risiko 115 f.; Küper, in: FS für Lackner 256. 225 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten 533; vgl. auch Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 125; Küper, in: FS für Lackner 256. 226 Vgl. 8. Kap. § 2 B. II. 2. b). 227 Vgl. etwa Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten 516 ff., 534, der im Rahmen seiner funktionalen Zurechnungslehre mit dem Leittopos der „Rationes des Erfolgserfordernisses“ begründet, warum der Erfolg nicht zurechnet werden könne. Hier beherrschen die Gedanken der „Störung des Rechtsfriedens“ sowie der „Normverdeutlichung“ die Argumentation. Vgl. weiter Krümpelmann, in: FS für Bockelmann 443 ff.; ders., GA 1984 491 ff.; ders., in: FS für Jescheck Bd. I 313 ff.; vgl. auch Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 153 ff. Mit dem Kriterium der „normativen Korrespondenz“ zwischen Verhalten und Erfolg soll bei Fahrlässigkeitsdelikten bestimmt werden, ob der Täter zu einem Verhalten, das den Erfolg vermieden hätte („Schutzanspruch“), verpflichtet war („Zweck der Pflicht“). 223

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kriminalpolitisch. Aus einer wertenden Betrachtung leitet er ab,228 dass die Abhängigkeit der Bestrafung wegen eines Erfolgsdelikts von der Befolgung einer konkret sinnlosen Norm bedeute, ein „kriminalpolitisch zweckloses Exempel“ zu statuieren.229 Aus dieser Erklärung lässt sich zur Vermeidung „zweckloser Exempel“ ein kriminalpolitisch motivierter Grund für die Nichtbestrafung des Täters ableiten. Offen bleibt allerdings, weshalb es sich um das gesuchte Zurechnungserfordernis handeln soll.230 k) Puppe weist darauf hin, dass die Abhängigkeit der Zurechnung des objektiven Erfolges allein von der Kausalität und der Sorgfaltswidrigkeit dem Täter das „Benefiz des erlaubten Risikos“ entziehe, dass auch in seiner Handlung stecken könne, nur weil er sich nicht im Rahmen des Erlaubten gehalten habe.231 Hierbei bleibt offen, wieso der Täter noch einen Anspruch auf das „Benefiz“ des erlaubten Risikos hat, obwohl er sich doch gerade außerhalb der Erlaubnis bewegt und wie man sich vorzustellen hat, dass das „Benefiz“ gewissermaßen auch in der sorgfaltswidrigen Handlung „steckt“.232 2. Die Behandlung nach den eigenen Prämissen

Die positive Begründung des Zurechnungserfordernisses soll anhand der eigenen Prämissen dargestellt werden, nachdem die vorhandenen Begründungen spezifisch richtige, aber nicht vollauf überzeugende Gedanken enthalten. Um die Problematik des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ im Bereich des Unrechtstatbestandes entfalten zu können, bedarf es einer Darstellung der Rechtsfigur des „erlaubten Risikos“ und der Prämissen im Unrechtsaufbau.

228 Spendels Auffassung im Radfahrerfall (BGHSt 11 1) begründe die Wertung, dass bei ex ante unerkennbaren Gefahrenmomenten in der Person des Opfers ein zusätzliches Schutzpotential geschaffen werden soll, vgl. ders., JuS 1964 19 f. Dieser Schutzgedanke sei allerdings kriminalpolitisch ungereimt, weil er Strafe legitimieren würde, wenn das rechtmäßige gegenüber dem pflichtwidrigen Verhalten sogar zu einer Verschlechterung der Lage des Opfers geführt hätte. Wieso etwas anderes gelten soll, wenn das hypothetische Verhalten die Rettungschancen gänzlich unberührt gelassen hätte, bleibe offen. 229 Vgl. Schünemann, JA 1975 168. 230 Vgl. so ganz richtig Küper, in: FS für Lackner 259. 231 Vgl. Puppe, JuS 1982 661; dies., JZ 1985 295. 232 Vgl. Küper, in: FS für Lackner 261; vgl. auch Puppe, ZStW 99 (1987) 601.

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a) Die Behandlung des „erlaubten Risikos“ Hinter dem unscharfen Begriff des „erlaubten Risikos“ verbergen sich „freilich recht unterschiedliche Fallgruppen“.233 Zur Illustration des hier Gemeinten dient folgender Beispielsfall: Der Kraftfahrer K. nahm mit der vorgeschriebenen Geschwindigkeit von 50 km/h innerorts am Straßenverkehr teil, als ihm vollkommen unerwartet ein Fußgänger direkt vor das Fahrzeug sprang. Der Fußgänger wurde von dem Fahrzeug erfasst und schwer verletzt.

aa) Beschreibung des „erlaubten Risikos“ Strukturell wird dem „erlaubten“ (scil. „maßvolle, unerlaubte Risiken“)234 auch das „erlaubte Risiko im strengen Sinne“ gegenübergestellt.235 Hierbei soll es sich nicht um generell erlaubte, sondern um generell unerlaubte, im konkreten Einzelfall infolge eines Rechtfertigungsgrundes gestattete Verhaltensweisen handeln.236 In der Begründung der evident erscheinenden Straflosigkeit des Kraftfahrers im Ausgangsfall aufgrund des „erlaubten Risikos“ (ieS.) gehen die Ansichten auseinander. Entweder wird der „Tatbestand“ oder die „Rechtswidrigkeit“ verneint.237 (1) Der Bundesgerichtshof hat in BGHZ 24 21 ausgesprochen, „dass bei verkehrsrichtigem (ordnungsgemäßen) Verhalten eines Teilnehmers am Straßen- oder Eisenbahnverkehr eine rechtswidrige Schädigung nicht vorliegt.“238 Im strafrechtlichen Schrifttum wird die Einhaltung der im Verkehr 233

Vgl. etwa Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 107b. Vgl. zum terminologischen Vorschlag von Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 30. 235 Vgl. Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 30; Lenckner, in: Schönke/ Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 94, 100. Ob es sich bei dem rechtfertigenden „erlaubten Risiko“ um ein „gemeinsames Strukturprinzip“ für verschiedene, hinsichtlich ihrer Voraussetzungen festgelegter Rechtfertigungsgründe handelt oder um einen „eigenständigen“, für weitere Fälle offen stehenden allgemeinen Rechtfertigungsgrund“, vgl. Hirsch, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 33 mwN. 236 Vgl. Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 30, 33; Schürer-Mohr, Erlaubtes Risiko 28. Fälle der angesprochenen Art sind vor allen Dingen § 193 StGB, die riskanten Rettungshandlungen, sowie die Vornahme von gefährlichen, aber nicht schlechthin untersagten Spekulationsgeschäften (§ 266 StGB), vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 18 Rdn. 1 ff.: „Rechtfertigungsgründe aus erlaubtem Risiko“. 237 Zu den Ansichten, die sich erst für eine Verneinung der „Tatverantwortung“ oder einen „bloßen Schuldausschließungsgrund“ aussprechen, Hirsch, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 49 mwN; Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 40 Fn. 67. 238 Vgl. BGHZ 24 21, 26. 234

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erforderlichen Sorgfalt deshalb bisweilen als „fahrlässigkeitsspezifischer Rechtfertigungsgrund (des verkehrsrichtigen Verhaltens)“ erfasst.239 Aus der Erlaubnis zu einem bestimmten Handeln kann jedoch schlechterdings nicht die Befugnis erwachsen, einen anderen zu töten.240 Bei den Rechtfertigungsgründen stehen sich Erlaubnis- und Verbotsnorm gegenüber, wobei die Erlaubnisnorm der Verbotsnorm vorgeht. Die Deliktsverwirklichung ist erlaubt. Anders aber verhält es sich bei dem „erlaubten Risiko“: Der Erlaubnis auf Seiten des Täters zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges korrespondiert auf Seiten des Opfers keine Pflicht zur Duldung der Verletzung. Weil die der Verbotsnorm korrespondierende Garantienorm unverändert zu Gunsten des Opfers fortbesteht, kann es zwar nicht Notwehr (§ 32 StGB),241 aber doch immerhin Notstand (§ 34 StGB) geltend machen.242 Das „erlaubte Risiko“ soll auch von der „konkreten Einzelfallabwägung“ des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) klar abgrenzbar sein.243 Die „klassische Frage“244 des „erlaubten Risikos“ betrifft das Verhältnis zwi239 Vgl. Baumann, MDR 1957 646; Oehler, in: FS für Eb. Schmidt 243 ff.; Rigizahn, JR 1996 74; Schmidhäuser, Lehrbuch 9. Abschn. Rdn. 31 f.; ders., Studienbuch 6. Abschn. Rdn. 192; Spendel, in: FS für Eb. Schmidt 195; Weber, in: Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT Rdn. 21, 34 f. mwN. 240 Vgl. Kindhäuser, GA 1994 198; vgl. auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 59. 241 Jedenfalls solange man dem herrschenden Verständnis folgt, wonach die „Rechtswidrigkeit“ des Angriffs aus der Perspektive des Täters zu bestimmen ist, denn dieser hat sich innerhalb des rechtlich Erlaubten gehalten, vgl. dazu Kühl, Strafrecht AT § 7 Rdn. 54 ff.; Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 25 ff.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 15 Rdn. 14. Wenn es allerdings danach geht, was das Opfer „zu dulden“ hat, dann wäre die Rechtswidrigkeit des Angriffs zu bejahen und Notwehr gegeben. Die Bestimmung der „Rechtswidrigkeit“ würde systemwidrig erfolgen. 242 Einen entsprechenden Beispielsfall bildet Kindhäuser, Strafrecht AT § 33 Rdn. 30, 34: Wenn der ordnungsgemäß fahrende C für ihn unerkennbar Kinder zu überfahren droht, könnte D, der das sieht, den C noch dadurch aufhalten, dass er das Fahrzeug des C in letzter Sekunde mit seinem Fahrzeug rammt. 243 Vgl. die Abgrenzung des „erlaubten Risikos“ zur „Pflichtenkollision“ Kindhäuser, GA 1994 217; vgl. zur – nicht rechtfertigenden – Pflichtenkollision Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 199 ff. 244 Die Entstehung des Rechtsinstituts des „erlaubten Risikos“ wird vielfach mit der Zeit der beginnenden Industrialisierung verbunden. Binding, Normen IV 436 schreibt dem Begriff eine noch viel ältere Geschichte zu (Wettkämpfe im Alten Rom; Wahlspruch der Hanse im Spätmittelalter „navigare necesse est, vivere non necesse!“), vgl. hierzu Schürer-Mohr, Erlaubtes Risiko 29 ff. mit einem umfangreichen geschichtlichen Abriss; ausführlich auf Bindings Thesen eingehend Prittwitz, Risiko 268 f.

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schen dem Umgang mit bestimmten lebensnotwendigen, aber gefährlichen Unternehmungen im weitesten Sinne und dem Grundsatz des allgemeinen Gefährdungsverbots.245 Der Gestattung von gefährlichen Verhaltensweisen geht eine abstrakte „Globalabwägung“ (Roxin) von Nutzen und Risiken des gefährlichen Verhaltens voraus. Wenn die Entfaltungschancen für die Rechtsgenossen höher gewichtet werden als die mit der Zulassung des gefährlichen Verhaltens verbundenen Freiheitseinbußen, so wird das Verhalten akzeptiert. Die „Globalabwägung“ geht nicht in den Bereich der konkreten Güterabwägung im Einzelfall hinein. Das Verhalten wird nicht erst zu einem erlaubten Verhalten, indem es in einen „speziellen Zweckzusammenhang“ gestellt wird.246 Es kommt nicht auf die Abwägung konkreter widerstreitender Interessen an, die nach den betroffenen Rechtsgütern und dem Grad der ihnen drohenden Gefahren gewichtet werden (§ 34 Satz 1 StGB). Bei der Tolerierbarkeit des gefährlichen Verhaltens („erlaubtes Risiko“) bleiben ganz konkrete Gefahren für die Rechtsgenossen immer außen vor.247 Die rechtliche Qualifikation des „erlaubten Risikos“ als Rechtfertigungsgrund trifft heute daher überwiegend auf Ablehnung.248 Bei dem „erlaubten Risiko“ handelt es sich stattdessen um eine an den Grenzen der „Globalabwägung“ endende „Handlungserlaubnis“: Wenn sich ex ante eine konkrete Gefahrenlage für die Rechtsgüter herauskristallisiert, wenn also erkennbar wird, dass die Sicherheitsvorkehrungen oder die Beachtung be245

Der Betreiber eines solchen Unternehmens sollte trotz Vorhersehbarkeit des Erfolges und Vermeidbarkeit der Gefahren nicht für die sich aus dem Betrieb ergebenden Unfälle haften, wenn er eine bestimmte Sorgfalt eingehalten hat (Prinzip). Enttäuschungen müssen zur Erhaltung eines differenzierten Angebots an Möglichkeiten sozialen Kontakts hingenommen werden. Risiken (Atomkraft, Massenverkehr, Genforschung usw.) werden um des technischen Fortschritts und der damit verbundenen Vorteile willen in Kauf genommen („Risikogesellschaft“), vgl. Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 35; Prittwitz, Risiko 272. 246 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 41. 247 Vgl. Kindhäuser, GA 1994 218, der zu Recht fragt, was einer Tötung eines Fußgängers im „erlaubten Risiko“ entgegenhalten werden soll, etwa die konkreten Zwecke des Kraftfahrers (etwa die aus Langeweile unternommene Spritztour, vgl. Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 41; Kindhäuser, GA 1994 218, Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 60), der Nutzen, aber auch die Nachteile der Zulassung des Straßenverkehrs für die Menschheit usw.? 248 Vgl. etwa Hirsch, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 30 f.; Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 39; Kindhäuser, Strafrecht AT § 33 Rdn. 33; ders., GA 1994 197 f.; Kühl, Strafrecht AT § 17 Rdn. 80; Otto, in: GS für Schlüchter 96; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 59; Schürer-Mohr, Erlaubtes Risiko 162 f. Eine eigenständige Kategorie des „erlaubten Risikos“ würde allerdings nicht benötigt, wenn darin nichts als die Ausprägung von bestimmten Rechtfertigungsgründen gesehen würde, vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 59.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

stimmter Kunstregeln nicht ausreichen, um Schäden von den Rechtsgütern anderer abzuwenden, dann endet auch das „erlaubte Risiko“.249 Wer außerhalb der durch die „Globalabwägung“ gezogenen Grenzen handelt, mag sich im Einzelfall auf einen sein konkret gefährliches Verhalten gestattenden Rechtfertigungsgrund berufen dürfen. Auf die Handlungsbefugnis kann er sich nicht mehr berufen. (2) Eine andere Konstruktion vertritt Küper: Im „erlaubten Risiko“ sei nicht allein eine „verhaltensbezogene“, sondern eine primär „erfolgsorientierte Struktur“ auszumachen.250 Der „primäre Aspekt“ der Risikoerlaubnis sei nicht das „fehlende Verhaltensunrecht (Sorgfaltsbeachtung)“, sondern den Sorgfaltspflichten liege eine „objektiv-generelle Risikoabwägung (Interessenabwägung)“ voraus, die sich im Inhalt der jeweiligen Pflichtanforderungen sekundär niederschlage: Die Begrenzung der Sorgfaltspflicht auf ein bestimmtes Maß von erlaubter Gefährlichkeit sei nur der „Reflex einer primär-generellen Abwägung“, die entsprechende Gefahren rechtlich als allgemein tolerabel („erlaubt“) bewerte. Die Bestimmung der Sorgfaltspflichten für gefahrgeneigtes Handeln sei ein Instrument, die zugrundeliegende Gefahrenabwägung in korrespondierende Verhaltensregeln umzusetzen.251 Vom „erlaubten Risiko“ als „toleriert-riskantem Verhalten“ lasse sich daher eine „spezifische Erfolgskomponente („erlaubter Risikoerfolg“)“ isolieren. Die „Erlaubtheit“ der Gefährdung sei nicht notwendig an einen sorgfältigen Handlungsvollzug gebunden. Der „erlaubte Risikoerfolg“ werde durch diejenigen Gefahrenlagen repräsentiert, die in der vorgängigen Basisabwägung als „akzeptierte Gefahrenzustände“ hingenommen werden.252 Der „primäre Zweck“ von Sorgfaltsanforderungen, die auf „erlaubte Risiken“ abgestimmt seien, sei demnach nicht die Verhinderung von Rechtsgutsverletzungen, sondern vielmehr die Begrenzung von Gefahren auf das in der Interessenabwägung ausgewiesene tolerierte Risiko.253 Schließlich ergebe sich aus dieser Zweckbestimmung der Sorgfaltsnormen, dass die Unvermeidbarkeit von Erfolgen bei beachteter Sorgfalt zum Inhalt des erlaubten Risikos gehöre: Die Sorgfaltspflicht könne ihren Zweck der Risikominderung auch dann „erreichen“, wenn der Erfolgseintritt nicht vermeidbar sei.254 249 Vgl. Cramer, in: Schönke/Schröder § 15 StGB Rdn. 147; vgl. auch Otto, in: GS für Schlüchter 90. 250 Vgl. Küper, in: FS für Lackner 272 ff. 251 Vgl. Küper, in: FS für Lackner 273. 252 Vgl. Küper, in: FS für Lackner 273. 253 Vgl. Küper, in: FS für Lackner 274: Die Vermeidung von Schäden sei nur das Motiv der Sorgfaltsnorm, nicht ihr eigentlicher Zweck: Ziel einer Sorgfaltspflicht sei die Vermeidung nicht mehr akzeptabler Risiken. 254 Vgl. Küper, in: FS für Lackner 274 f.

§ 3 Auseinandersetzung mit dem „rechtmäßigen Alternativverhalten“

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Küper erkennt eine Änderung der „Struktur der Gewährleistungsnorm“ an („Grenzen der normativen Garantie für die Integrität des Rechtsgutes“). Die Geltung („Reichweite“) der Gewährleistungsnorm ende nämlich dort, wo das erlaubte Risiko beginne: Gefahren und Verletzungen im Bereich dieses Risikos werden von ihr toleriert.255 Der Zweck der Sorgfaltspflicht in der Begründung einer von der Garantienorm tolerierten Risikolage könne unter Umständen auch bei Verletzung der Verhaltensnorm (sorgfaltswidriges Verhalten) erreicht werden, wenn nämlich die pflichtwidrig geschaffene Gefahr im konkreten Fall mit dem aus dem pflichtgemäßen Verhalten resultierenden Risiko übereinstimme und damit ein im Ergebnis „erlaubtes Gefahrenmaß“ eingehalten werde.256 Die Zurechnung des Erfolgs scheitere daran, dass die Erfolgsseite der Fahrlässigkeitstat nicht die für das Vollendungsunrecht erforderlichen Unwertqualitäten aufweise, also kein ausreichender „Erfolgsunwert“ vorhanden sei. Geht mit dem „erlaubten Risiko“ zugleich eine Änderung der „Struktur der Gewährleistungsnorm“ einher, kann es kein Erfolgsunrecht geben, wenn im „erlaubten Risiko“ ein Erfolg herbeiführt wird, denn es gibt keine Erfolgsvermeidepflicht, die verletzt werden kann. Tritt damit die „Garantienorm (Schutz- und Gewährleistungsnorm)“ hinter das „erlaubte Risiko“ zurück, entspricht das der Situation, als ob das „erlaubte Risiko“ ein echter Rechtfertigungsgrund wäre. Auch Küper will jedoch dem im „erlaubten Risiko“ handelnden Täter kein „echtes Eingriffsrecht“ geben.257 Aber die Begründung dieses Sachverhalts bleibt im Grunde unklar.258 Wenn es an dem Schutzanspruch der „Garantienorm“ fehlt, dann ist ein Eingriff in das ungeschützte Rechtsgut kein Unrecht. Dem fehlenden Abwehranspruch korrespondiert notwendig eine Duldungspflicht auf Seiten des Opfers, das den Eingriff hinzunehmen hat. Ihm stehen weder Notwehr (§ 32 StGB), noch Notstand (§ 34 StGB) zur Seite. Stattdessen bleibt aber die „Garantienorm“ für das Opfer uneingeschränkt bestehen. Das „erlaubte Risiko“ führt nicht zu einer Änderung der „Struktur der Gewährleistungsnorm“. Das „erlaubte Risiko“ gibt lediglich eine Handlungsbefugnis, nicht aber weitergehend auch ein Eingriffsrecht. Weil die Erfolgsvermeidepflicht nicht hinter die aus dem „erlaubten Risiko“ folgende Handlungserlaubnis zurücktritt, sondern bestehen bleibt, ist daher auch Küpers Auffassung nicht frei von Bedenken.

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Vgl. Küper, in: FS für Lackner 275. Vgl. Küper, in: FS für Lackner 275. 257 Vgl. Küper, in: FS für Lackner 280. 258 Vgl. kritisch auch Kindhäuser, GA 1994 223 Fn. 84. Zweifel an Küpers Lösung äußert auch Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten 533 Fn. 97. 256

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

bb) Konkretisierung der Rechtspflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden Das „erlaubte Risiko“ wird daher von Hirsch als Konkretisierung von bestimmten anderen, schon bereitstehenden Deliktserfordernissen gesehen, dem eine selbständige Funktion abgesprochen wird. Es sei „systematisch entbehrlich“.259 Definitorisch wird als „erlaubtes Risiko“ die sozialinadäquate,260 generell – unabhängig vom Einzelfall – erlaubte Gefahr verstanden, die bei Einhaltung bestimmter Sicherheitsvorkehrungen bzw. Sorgfaltsnormen übrig bleibt.261 Solche Erfolge, die auch bei der Beachtung von Verhaltensanforderungen eintreten, sind „erlaubte Erfolge“ (scil. „erfolgsorientierte Struktur“ des „erlaubten Risikos“). Die Einhaltung des „erlaubten Risikos“ soll die als „selbstständiges Erfordernis des Fahrlässigkeitsdelikts“262 verstandene Sorgfaltspflichtverlet259 Vgl. Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 32; vgl. auch Küper, in: FS für Lackner 270 f.; Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 160; ders., in: GS für Schlüchter 91, 95 f. 260 Das „erlaubte Risiko“ wird bisweilen mit dem seinerseits unscharfen Begriff der Sozialadäquanz identifiziert, vgl. Cramer, in: Schönke/Schröder § 15 StGB Rdn. 146; Engisch, in: FS für den DJT Bd. I 417 ff.; Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 30. Zur eigenständigen Bedeutung des „erlaubten Risikos“ vor dem Hintergrund der älteren Unrechtslehren, vgl. Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 Rdn. 32. Meistens wird mit der Sozialadäquanz ein „restriktives Auslegungsprinzip“ auf der objektiven Tatbestandsebene gemeint, vgl. nur Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 71 mwN; a. A. Rechtfertigungsgrund der „Sozialadäquanz“ etwa Klug, in: FS für Eb. Schmidt 262; Schmidhäuser, Lehrbuch 9. Abschn. Rdn. 26. Es ist aber fraglich, ob ein bestimmtes Verhalten nicht als rechtsgutsbedrohlich auffällt und sich von dem allgemein üblichen Sozialverhalten nicht unterscheidet, vgl. Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 71. In der Tötung liege gerade die deliktsspezifische Rechtsgutsverletzung und dies könne niemals sozialadäquat sein, vgl. Kindhäuser, GA 1994 198. Die Schaffung von Sicherheitsvorkehrungen (etwa die Straßenverkehrsordnung usw.) dokumentiert gerade das Ausscheiden des „erlaubte Risiko“ aus dem Bereich sozialadäquater, rechtlich gar nicht beachtlicher Verhaltensweisen, vgl. auch Roxin, Strafrecht AT § 11 Rdn. 61. Solches Verhalten fällt als abstrakt rechtsgutsbedrohlich auf. Die Abgrenzung hat nur geringe Bedeutung, denn auch die „Handlungserlaubnis“ schließt den Tatbestand aus. 261 Vgl. Küper, in: FS für Lackner 270; vgl. auch Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 30; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 60. 262 Eine „Selbstständigkeit“ der Sorgfaltspflichtverletzung neben der allgemeinen, aus dem Tatbestand kommenden Erfolgsvermeidepflicht ist nicht anzuerkennen. Vielmehr konkretisiere die Sorgfaltspflicht das Maß der aufzuwendenden Sorgfalt bei der Erfüllung der Erfolgsvermeidepflicht des Fahrlässigkeitsdelikts, vgl. Otto, in: GS für Schlüchter 91, 95 f.; vgl. auch Jakobs, Strafrecht AT 9. Abschn. Rdn. 6. Es gibt keine widersprüchlichen Aussagen des Inhalts eines „sorgfaltspflichtwidrigen, aber rechtmäßigen Verhaltens“, zu denen der überkommene Aufbau des Fahr-

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zung ausschließen (scil. Tatbestandsausschluss):263 Das „erlaubte Risiko“ konkretisiert damit des Maß der vom Täter zu erbringenden Sorgfalt.264 Erst bei einer Überschreitung des „erlaubten Risikos“ handelt der Täter sorgfaltspflichtwidrig. Die Freiheit der Betätigung gilt aber nicht uneingeschränkt, sondern findet ihre Grenze in „allgemeinen und gesetzlich fixierten Sorgfaltspflichten“,265 die ihrerseits das mit der Tätigkeit verbundene Risiko auf ein akzeptables Maß (scil. „erlaubtes Risiko“) minimieren und damit einen „Mittelweg“ zwischen Risiko und Versagung der Gestattung beschreiten.266 Das „erlaubte Risiko“ wird heute konstruktiv auch in die Lehre der objektiven Zurechnung integriert: Der Täter habe ein rechtlich relevantes – sozialinadäquates –, jedoch nur abstraktes – erlaubtes – Risiko geschaffen, dass sich im Erfolg realisiert hat.267 b) Die Prämissen im Unrechtsaufbau Die Rechtsfigur des „erlaubten Risikos“ als Maßstab zur Konkretisierung der Sorgfaltspflicht soll nunmehr in den Unrechtsaufbau des Erfolgsdelikts eingefügt werden. Der Unrechtsaufbau bedarf somit der inhaltlichen Beschreibung.268 Den Unrechtstatbestand des Erfolgsdelikts konstituiert die festgestellte – gedachte – Verletzung der Rechtspflicht („Erfolgsvermeidepflichtverletzung“), einen bestimmten tatbestandlichen Erfolg (Rechtsgutsbeeinträchtigung) zu vermeiden („Erfolgsvermeidepflicht“). aa) Die Rechtspflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden, die dem jeweiligen als Imperativ („Du sollst nicht . . .“)269 zu verstehenden Gesetzestatbestand zu entnehmen ist, existiert nicht isoliert. Sie richtet sich vielmehr lässigkeitsdelikts der herrschenden Meinung führen müsste. Entweder ist das Verhalten sorgfaltspflichtwidrig bzw. rechtswidrig oder es ist sorgfaltsgemäß bzw. rechtmäßig. 263 Vgl. etwa Herzberg, JR 1986 7; Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 32; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 60. 264 Vgl. zum risikodefinierenden Verhaltensstandard Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 36 Fn. 63 (aktuelle Risikoabwägung, „erlaubtes Risiko per historischer Legitimation“) 265 Vgl. Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 145. 266 Vgl. Kindhäuser, Strafrecht AT § 33 Rdn. 31. 267 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 160; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 60. 268 Gefolgt wird dem Unrechtstatbestand, wie ihn Otto, in: FS für Maurach 91 ff., 105 verwendet hat; ders., in: GS für Schlüchter 89 f.; ders., Grundkurs AT § 5 Rdn. 6 ff., § 10 Rdn. 2 ff.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

an den Normadressaten in seiner spezifischen Situation.270 Aus dieser Situationsbezogenheit, die der Entwicklung einer willkürlichen Rechtspflicht vorbeugt,271 ergeben sich die Grenzen der Rechtspflicht: Die Rechtspflicht kann von vornherein nur auf die faktische Möglichkeit des Verpflichteten in der konkreten Situation (scil. „tatsächliches Können“) gerichtet sein, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden. Ein darüberhinausgehendes Pflichtansinnen ist willkürlich. Es kann nicht Gegenstand einer Rechtspflicht sein. Unverbindlich ist daher die Norm für den Verpflichteten, wenn sie vom ihm in tatsächlicher Hinsicht gar nicht erfüllt werden kann.272 Die Rechtspflicht kann in der konkreten Situation unterhalb des faktisch Möglichen aus normativen Gründen273 (scil. „rechtliches Sollen“) weiter begrenzt sein. Die Rechtsordnung verlangt die Einhaltung der Pflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden, nämlich nicht immer. Sie verpflichtet den Normadressaten nicht zu jedem menschenmöglichen Verhalten.274 Erst die faktische Möglichkeit („Können“) und die rechtlichen Pflicht („Sollen“) erschöpfen den Inhalt der Rechtspflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden. bb) Aus der Beschreibung der Rechtspflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden, lässt sich die gedankliche Folgerung entwickeln, ob die Pflicht in der konkreten Situation objektiv und subjektiv verletzt worden ist („Rechtspflichtverletzung“).275 c) Die Anwendung der Prämissen aa) Behandlung der Fälle, in denen das „erlaubte Risiko“ eingehalten wurde Im Ausgangsbeispiel kann dem Täter der Körperverletzungserfolg nur zugerechnet werden, wenn er die aus dem Körperverletzungstatbestand zu ent269 Der Gesetzestatbestand ist nicht allein Bewertungs-, sondern auch Bestimmungsnorm, vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 23. 270 Vgl. Otto, in: FS für Maurach 92; ders., Grundkurs AT § 5 Rdn. 12. 271 Vgl. Otto, in: FS für Maurach 92. 272 Vgl. Otto, in: FS für Maurach 92; vgl. ders., Grundkurs AT § 5 Rdn. 12. 273 Solche normativen Gründe sind etwa die Garantenpflicht, das „erlaubtes Risiko“ in dem hier besprochenen Sinne, Rechtfertigungsgründe, die Pflichtenkollision usw. 274 Vgl. Otto, in: FS für Maurach 101; ders., in: GS für Schlüchter 89 f.; ders., Grundkurs AT § 5 Rdn. 13. 275 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 5 Rdn. 14.

§ 3 Auseinandersetzung mit dem „rechtmäßigen Alternativverhalten“

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nehmende Rechtspflicht verletzt hat, einen bestimmten Körperverletzungserfolg zu vermeiden. Der Täter hatte in der geschilderten situativen Umgebung nicht die faktische Möglichkeit, den tatbestandlichen Körperverletzungserfolg zu vermeiden, denn er konnte das Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig vor dem Opfer zum Stehen bringen. Gleichwohl war der Erfolg nicht absolut unvermeidbar, denn der Täter hätte gar nicht fahren müssen. Der Erfolg war faktisch nicht unvermeidbar. Der nächste Gedankenschritt führt aber auf das „erlaubte Risiko“. Die Rechtsordnung verpflichtet den Täter nicht zu jedem faktisch möglichen Verhalten. Die Rechtspflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden, kann unterhalb des faktisch Möglichen normativ begrenzt sein. Die Rechtsordnung verpflichtet nicht, sämtliche Gefahren für die Rechtsgüter anderer zu vermeiden, sondern sie gestattet die Wahrnehmung bestimmter gefährlicher Verhaltensweisen, wenn die damit einhergehenden Sorgfaltsregeln beachtet werden. Die Teilnahme am Straßenverkehr war dem Täter nach der Straßenverkehrsordnung gestattet, deren Vorschriften er beachtet hat. Ein tatbestandlicher Erfolg, der sich damit als das Resultat der Erlaubnis eines abstrakt gefährlichen Verhaltens darstellt, kann dem Täter aber nur um den Preis der Widersprüchlichkeit zugerechnet werden. Dem Täter war es nach der Rechtsordnung gerade „erlaubt“, in der konkreten Situation „relativ“ unfähig zu sein, den tatbestandlichen Erfolg zu vermeiden.276 Der Normadressat hat seine Rechtspflicht, einen Erfolg zu vermeiden, deshalb nicht verletzt. Es fehlt an einem Handlungsunrecht.277 Das rechtliche „Sollen“ (Rechtspflicht) war nicht auf die Vermeidung sämtlicher faktisch vermeidbarer Gefahren gerichtet, die mit dem Verhalten verbunden sind, sondern auf die Vermeidung solcher Gefahren, die sich aus dem unsachgemäßen Umgehen mit der Erlaubnis ergeben. Die Rechtspflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden, ging dahin, „die Fähigkeit zur Erfüllung der Tatbestandsverwirklichung [. . .] nicht sorgfaltswidrig zu mindern“.278

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Vgl. Kindhäuser, GA 1994 215 ff. Das Handlungsunrecht ist der Unwert des Verhaltens, mit dem der Täter das verbotene Ziel anstrebt. Das Erfolgsunrecht reicht weiter: Es umfasst die Rechtsgutsbeeinträchtigung auf Grund dieses unwerten Verhaltens. Damit geht das Erfolgsunrecht inhaltlich über die Erfassung des Erfolgs weit hinaus, vgl. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 218 f.; vgl. auch Kindhäuser, GA 1994 198. Beide Begriffe haben im Deliktsaufbau allerdings keine eigenständige Bedeutung, vgl. auch Kuhlen, JZ 2005 716. Zur Struktur des Unrechts als „Verhaltensunrecht, [. . .] dessen strafrechtliche Relevanz jedoch vom Erfolg her mitbestimmt wird“, vgl. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 221; Rudolphi, in: FS für Maurach 51 ff. 277

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

bb) Behandlung der Fälle, in denen das „erlaubte Risiko“ nicht eingehalten wurde Diese Gedanken setzen sich bei der Anerkennung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ im Unrechtstatbestand fort. Abwandlung des Ausgangsfalls: Der Kraftfahrer K. überschritt nachweislich die innerorts zugelassene Höchstgeschwindigkeit. Im Übrigen blieb es bei dem Unfall mit dem nachlässigen Fußgänger, der am Körper verletzt wurde.

Hält sich der Täter nicht mehr im Rahmen der an ihn adressierten Sorgfaltsregeln, so verwirklicht er ein Handlungsunrecht. Über die Zurechnung des tatbestandlichen Körperverletzungserfolgs ist damit noch nicht entschieden. Erforderlich ist hierzu vielmehr der Nachweis, dass der Täter die aus dem Körperverletzungstatbestand zu entnehmende Rechtspflicht verletzt hat, einen bestimmten Körperverletzungserfolg zu vermeiden. Wenn der Täter den Erfolg auch bei einer ordnungsgemäßen Fahrweise nicht hätte vermeiden können („rechtmäßiges Alternativverhalten“), weil er das Fahrzeug auch dann nicht rechtzeitig vor dem Opfer hätte zum Stehen bringen können, ist damit erwiesen, dass er der Rechtspflicht, einen bestimmten Körperverletzungserfolg zu vermeiden, in der konkreten Situation nicht hätte genügen können (Hypothese). Der Normverpflichtete hat in der konkreten Situation seine Unfähigkeit, dem Normansinnen der Erfolgsvermeidung Rechnung zu tragen, durch die Nichtbeachtung der Sorgfaltsnormen daher nicht weiter gesteigert.279 Das tatsächliche und das bei „rechtmäßigen Alternativverhalten“ gedachte Gefahrenurteil sind in Relation zu dem geschützten Rechtsgut identisch. Der Täter hat ein Handlungsunrecht verwirklicht. Er hat rechtswidrig gehandelt und kann hierfür aus den einschlägigen Tatbeständen (StVO, OWiG usw.) zur Verantwortung gezogen werden. Eine Erfolgszurechnung aus dem eigenständig zu bewertenden Erfolgsdelikt würde allerdings der Verpflichtung des Täters zur Erfolgsvermeidung über das „rechtlich erwartete Können“ hinaus entsprechen: Der Normadressat kann aber nur innerhalb des „faktisch Möglichen“ und des „rechtlich Gesollten“ an die Norm gebunden sein. Alles andere wäre willkürlich. Daraus ergibt sich, dass der Täter tatsächlich keine über das erlaubte Maß hinausgehende Gefahr für das geschützte Rechtsgut geschaffen hat, 278 Vgl. Kindhäuser, GA 1994 217. Dagegen schränkt das „erlaubte Risiko“ entgegen Küper die „Garantienorm“ nicht ein, die unverändert fortbesteht. Daher kann ggfs. Notstand (§ 34 StGB) gegen die verletzende Handlung geübt werden. 279 Vgl. Kindhäuser, GA 1994 219 f.

§ 3 Auseinandersetzung mit dem „rechtmäßigen Alternativverhalten“

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die sich im Erfolg realisiert hat.280 Die von ihm begründete abstrakte Gefahr ist nicht in eine konkrete Gefahr umgeschlagen. Die „rechtswidrige“ Gefahr gehört „materiell“ nicht zu den konkreten Gefahren, vor denen der entsprechende Erfolgstatbestand schützen will. Der Normadressat hat die an ihn gerichtete, aus dem Körperverletzungstatbestand herrührende Rechtspflicht („rechtliches Sollen“), einen bestimmten Erfolg zu vermeiden, trotz Überschreitung der Sorgfaltsregeln nicht verletzt: Es fehlt am Erfolgsunrecht des Fahrlässigkeitsdelikts. Damit bleiben dem Opfer sämtliche Abwehrrechte erhalten (§§ 32, 34 StGB). Wenn der Täter bei einer ordnungsgemäßen Fahrweise den Erfolg allerdings hätte vermeiden können, so hätte er dem Normansinnen in der konkreten Situation Rechnung tragen und den Erfolg vermeiden können. Die Erfolgszurechnung wäre dann begründet, weil der Täter nicht über das „rechtlich erwartete Können“ hinaus verpflichtet würde. Er hätte konkret gefährlich gehandelt. Mit der nachweisbaren281 Schaffung einer konkreten Gefahr „über das erlaubte Risiko hinaus“, die sich im Erfolg verwirklicht hat, ist ihm der Erfolg zuzurechnen.

B. Die Übertragbarkeit des Gedankens des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ auf die Einwilligung I. Der „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ 1. Der strukturelle Unterschied zwischen dem „rechtmäßigen Alternativverhalten“ und der „hypothetischen Einwilligung“

a) Bei der Würdigung der „hypothetischen Einwilligung“ ist von der sich aus den Körperverletzungsdelikten (§§ 223 StGB ff.) ergebenden Rechtspflicht auszugehen, einen bestimmten Körperverletzungserfolg zu vermeiden. Der Arzt, der mit dem Skalpell schneidet, mit der Nadel sticht, mit Strahlen schießt usw. kann die an ihn gerichtete Rechtspflicht, einen bestimmten Körperverletzungserfolg zu vermeiden, immer dadurch erfüllen, dass er die rechtsgutsbeeinträchtigende Heilbehandlung schlicht unterlässt. Er hat in den „Körper“ des Patienten eingegriffen, obwohl er das faktisch vermeiden konnte. 280

Vgl. Otto, Grundkurs AT § 10 Rdn. 18 ff.; ders., in: GS für Schlüchter 96. Dazwischen liegen die Sachgestaltungen, in denen es möglich oder wahrscheinlich ist, dass der Täter eine „über das erlaubte Maß hinausgehende Gefahr“ geschaffen hat. Eine Risikosteigerung ist möglich oder wahrscheinlich, vgl. hierzu 8. Kap. § 2 C. II. 2. b). 281

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Diese Rechtspflicht ist unterhalb des faktisch Möglichen normativ nicht beschränkt. Der Arzt kann sich gerade nicht auf eine rechtfertigende wirksame Einwilligung des Patienten berufen. Die „hypothetische Einwilligung“ ist dagegen ein „bloßes fiktives Potential“ einer Einwilligung, die hypothetisch hätte vorliegen können, aber tatsächlich nicht vorgelegen hat. Die „hypothetische Einwilligung“ kann nicht rechtfertigen.282 Der Arzt hat mit dem Schneiden, Stechen, Schießen usw. daher auch eine über das erlaubte Maß hinausgehende Gefahr für das geschützte Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit des Menschen“ geschaffen, die sich im Erfolg der Körperverletzung verwirklicht hat. Der Arzt handelt rechtspflichtwidrig. Der maßgebliche Grund für die Unergiebigkeit des Gedankens des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ bei der „hypothetischen Einwilligung“ liegt darin, dass der eigenmächtig handelnde Arzt gerade eine „über das erlaubte Maß“ hinausgehende Gefahr geschaffen hat, die sich im Erfolg realisiert hat: Sein ärztliches Wirken ist nicht durch eine rechtfertigende wirksame Einwilligung legitimiert. Das begründet die objektive Erfolgszurechnung. Die Situation, in der der Täter für das geschützte Rechtsgut keine über das erlaubte Maß hinausgehende Gefahr begründet oder erhöht hat (scil. Gedanke des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“), liegt im Eingriffszeitpunkt gerade nicht vor. Der Eingriff ohne wirksame Einwilligung stellt die rechtspflichtwidrige Rechtsgutsbeeinträchtigung dar.283 b) Anders als die „erlaubten“ sind daher die „generell unerlaubten Risiken“ zu behandeln, bei denen der Täter im „entscheidungsrelevanten Zeitpunkt“ gerade in vermeidbarer Weise in die Rechtsgüter anderer eingreift. Der Täter verwirklicht hier ein „gerechtfertigtes Risiko“ (Puppe). Dabei handelt es sich um ein tatbestandsmäßiges, generell unerlaubtes Risiko,284 das zu seiner Rechtmäßigkeit eines Rechtfertigungsgrundes (i. e. S.) bedarf.285 Der wesentliche Unterschied zu den „erlaubten Risiken“ liegt darin, dass „gerechtfertigte Risiken“ von vornherein nicht generell erlaubt sind und nur durch die Überschreitung bestimmter Sorgfaltsanforderungen oder Kunstregeln zu unerlaubten Risiken werden, sondern sie sind von vornherein generell unerlaubt und bedürfen der Rechtfertigung im Einzelfall. Dogmatisch ist eine andere Behandlung von „erlaubten“ und „generell unerlaubten (gerechtfertigten) Risiken“ angezeigt. Das ergibt sich aus der 282

Vgl. eingehender § 5 A. Vgl. Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 134; ders., Jura 2004 683; vgl. weiter Jäger, Examens-Repetitorium § 4 Rdn. 146c: Der Eingriff ohne wirksame Einwilligung begründe als solcher die „rechtspflichtwidrige Rechtsgutsbeeinträchtigung.“ Siehe auch Sternberg-Lieben, StV 2008 191. 284 Vgl. auch Puppe, Strafrecht AT Bd. 1 § 22 Rdn. 6. 285 Vgl. Hirsch, in: FS für Bockelmann 100. 283

§ 3 Auseinandersetzung mit dem „rechtmäßigen Alternativverhalten“

283

Rechtspflicht, einen bestimmten tatbestandlichen Erfolg zu vermeiden. Bei den „generell unerlaubten (gerechtfertigten) Risiken“ ist die objektive Zurechnung immer dann begründet, wenn sie sich im Erfolg realisieren.286 Der Täter hat dann die Rechtspflicht verletzt, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden. Die Erfüllung der an den Verpflichteten gerichteten Rechtspflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden, ist in der konkreten Fallsituation faktisch möglich und rechtlich verlangt. Es entsteht nicht die Problematik wie bei den „erlaubten Risiken“, ob der Täter dem Normansinnen in der konkreten Situation hätte genügen können, wenn er sich nicht über die Sorgfaltsregeln hinweggesetzt hätte. Der Täter hat stattdessen der Rechtspflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden, bei „gerechtfertigten Risiken“ im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt immer genügen können, indem er das rechtsgutsbeeinträchtigende Verhalten schlicht unterlassen hätte. Liegt hingegen ein wirksamer Rechtfertigungsgrund vor, so hat der Normadressat die Rechtspflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden, nicht verletzt, denn die Rechtspflicht ist unterhalb des faktisch Möglichen normativ begrenzt. Die Garantienorm tritt dann hinter die Erlaubnis zurück. c) Strukturell gehört der Sachverhalt der „hypothetischen Einwilligung“ in die Fallgruppe des „gerechtfertigten rechtmäßigen Alternativverhaltens“, bei der der Täter rechtswidrig gehandelt hat, sich aber im Nachhinein darauf beruft, dass er den tatbestandlichen Erfolg auch rechtmäßig hätte herbeiführen können.287 Eine Gleichbehandlung dieser Situation mit derjenigen des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“, die dem Radfahrerfall (BGHSt 11 1) entspricht, verbietet sich aber wegen der strukturellen Verschiedenheit der Sachverhalte. Anders als in der Fallgruppe des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“, in der es dem Täter im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt vor dem Erfolgseintritt faktisch unmöglich ist, den tatbestandlichen Erfolg zu vermeiden, er hierzu ggfs. auch normativ gar nicht in der Lage sein musste, ist es dem Arzt dagegen faktisch immer möglich, den tatbestandlichen Erfolg zu vermeiden, und wird die Erfolgsvermeidung von ihm auch normativ verlangt. Der Gedanke des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ trägt hier nicht.

286 287

Vgl. Puppe, Strafrecht AT Bd. 1 § 22 Rdn. 6. Vgl. hierzu die Übersicht im C. I.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit 2. Die Vermeidbarkeitstheorie

a) Rechtliche (Un-)Beachtlichkeit des „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willens“ des Berechtigten aa) Der Korrekturversuch der Vermeidbarkeitsformel (1) In der Rechtsprechung und einem Teil der Wissenschaft wird der „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ nach der „Vermeidbarkeitsformel“ ermittelt. Hiernach soll der tatbestandliche Erfolg zugerechnet werden, wenn er bei hypothetisch alternativ pflichtgemäß gedachten Verhalten des Täters „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nicht eingetreten wäre.288 Dies ist dem Täter – anders als im Zivilrecht – nachzuweisen. Verbleiben Zweifel, so ist davon auszugehen, dass der tatbestandliche Erfolg auch bei ordnungsgemäßen Verhalten nicht „vermieden“ worden wäre. Den Wortlaut dieser Formel hält Hardtung allerdings für „schwach“: Er treffe nicht das „Gemeinte“.289 Die „Vermeidbarkeitslehre“ arbeitet – ähnlich wie die Bedingungstheorie – mit einem Vergleich zwischen Wirklichkeit und Hypothese. Deshalb ergeben sich auch ähnliche Probleme wie bei der Bedingungstheorie. Würde an dem Wortlaut der Vermeidbarkeitsformel festgehalten, so könnte sich der Täter mit jeder Ersatzursache (Täter-, Opferverhalten, Naturereignisse) entlasten, die den tatbestandlichen Erfolg an seiner Statt herbeigeführt hätte.290 Diese Konsequenz wird aus der Vermeidbarkeitslehre aber überwiegend nicht gezogen. Die Rechtsprechung hat zuerst im Kreuzungsfall (BGHSt 33 61)291 den Wortlaut der „Vermeidbarkeitsformel“ eingeschränkt. Zum Sachverhalt: Der Angeklagte befuhr eine bevorrechtigte Landstraße mit einer Geschwindigkeit von 140 km/h. An einer Kreuzung näherte sich von links ein anderes Fahrzeug, das der frühere Mitangeklagte St. steuerte. St. verringerte vor der Kreuzung zunächst seine Geschwindigkeit. Da er das herankommende Fahrzeug des Angeklagten nicht sah, beschleunigte er an der Haltelinie und fuhr mit 55 km/h in die Kreuzung hinein. Als der Angeklagte dies bemerkte, leitete er aus einer Entfernung von 35 m eine Vollbremsung ein. Beide Fahrzeuge stießen auf der rechten Fahrbahnhälfte des Angeklagten zusammen. St. erlitt schwere Verletzungen. Vor dem Zusammenstoß zeichnete der Wagen des Angeklagten noch eine Bremsspur von 2 m auf. Hätte sich der Angeklagte der Kreuzung mit der hier zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h genähert, hätte sein Anhalteweg mindestens 77 m betragen. 288 289 290 291

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

etwa Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 15 Rdn. 676. Hardtung, in: MüKo § 222 StGB Rdn. 37. hierzu eingehend Schatz, NStZ 2003 584; Otto, MSchKrim 1967 96. auch Niewenhuis, Verkehr 57 ff. mwN.

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Er hätte dann aus einer Entfernung von 35 m, aus der er die Missachtung seines Vorfahrtsrechts wahrnahm, ebenfalls nicht mehr zum Stehen kommen können. Er wäre aber 0,3 Sekunden später am Ort des Zusammenstoßes angelangt. In dieser Zeitspanne hätte St. die Fahrspur des Angeklagten gänzlich überquert gehabt, so dass es nicht zu einer Kollision gekommen wäre.292

Die abstrakten Kriterien werden auch im Klinikinsassenfall,293 jedoch in allgemeiner Form, wiederholt. Zum Sachverhalt: Der S. wurde nach einer langjährigen Haft in eine psychiatrische Anstalt aufgenommen. Er beging am 15. November 1997 und 20. Dezember 1997 Fluchtversuche, indem er marode Gitterstäbe vor den Fenstern auseinanderdrückte und sich mit einer zusammengeknoteten Bettwäsche abseilte. Später kehrte der S. von einem gewährten Ausgang am 7. Februar 1998 nicht mehr zurück. Die Fahndungsmaßnahmen führten zu seiner Festnahme und Rückführung. Die angeklagten Ärzte gewährten dem S. am 4. Oktober 1998 erneut Ausgang. Dahingestellt blieb, ob dies pflichtwidrig war. Von diesem Ausgang kehrte der S. nicht mehr zurück. Er beging in der Zeit vom 28. Dezember 1998 bis 7. Juni 1999 mehrere Straftaten (gefährliche Körperverletzung, teils mit sexueller Nötigung einhergehende Raubüberfälle, Morde).

Die Prüfung des „ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem verkehrswidrigen Verhalten und dem Unfall“ habe mit dem Eintritt der – einer kritischen Verkehrslage vergleichbaren – konkreten Tatsituation einzusetzen, die unmittelbar zu dem schädlichen Erfolg geführt habe. Die Frage, welches Verhalten pflichtgemäß gewesen wäre, sei im Hinblick auf den Pflichtenverstoß zu beantworten, der als unmittelbare Schadensursache in Betracht komme. Im Übrigen sei der Prüfung „der tatsächliche Geschehensablauf“ zu Grunde zulegen. Hinwegzudenken und durch das korrespondierende sorgfaltsgemäße Verhalten zu ersetzen sei daher nur der dem Täter vorgeworfene Tatumstand. „Darüber hinaus darf von der konkreten Tatsituation nichts weggelassen, ihr nichts hinzugedacht und an ihr nichts verändert werden.“ Im Klinikinsassenfall hätte der gedachte gewaltsame Ausbruch des S. aus der Klinik der festgestellten „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinn“ daher nicht entgegengestanden.294 Der einschränkenden Auslegung der Vermeidbarkeitsformel sind weite Teile des Schrifttums gefolgt.295 Hierher gehören diejenigen, die an der Zu292

Vgl. hierzu eingehend Puppe, Strafrecht AT Bd. 1 § 4 Rdn. 35. Vgl. BGHSt 49 1 = NJW 2004 237. 294 Vgl. BGHSt 49 1, 4 = NJW 2004 237, 238. 295 Vgl. etwa Duttge, in: MüKo § 15 StGB Rdn. 165; Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 380; Jäger, in: FS für Jung 350; Otto, Grundkurs AT § 10 Rdn. 20; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231 Fn. 929; Schatz, NStZ 2003 584 f.; Schlüchter, JA 1984 677; Toepel, Kausalität 114 f. 293

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rechnungsformel festhalten, aber auch diejenigen, die ihr immerhin einen „heuristischen Wert“ zur Auffindung der Zurechnungsvoraussetzung der „Risikoerhöhung“ zuschreiben.296 Es gibt jedoch auch andere Ansätze zur Einschränkung der Vermeidbarkeitsformel.297 (2) Die einschränkende Auslegung der Vermeidbarkeitsformel bleibt nicht folgenlos für die „hypothetische Einwilligung“. Die Anwendung der Vermeidbarkeitstheorie scheint in der Fallgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ allerdings zu dem Ergebnis zu führen, dass die Zurechnung des tatbestandlichen Körperverletzungserfolgs oder Erfolgsunrechts nicht stattfinden kann, wenn der Patient nach einer pflichtgemäßen ärztlichen Aufklärung seine „hypothetische Einwilligung“ in die Heilbehandlung gegeben hätte, weil dann der Körperverletzungserfolg genauso eingetreten wäre. Der Schaden wäre auch bei ordnungsgemäßen Verhalten nicht geringer ausgefallen oder die Normbefolgung hätte keinen Beitrag zum bezweckten Rechtsgüterschutz geleistet. Nach der Vermeidbarkeitsformel hat es den Anschein, dass der „hypothetische, ohne Irrtum gedachte Wille“ des Patienten maßgeblich ist. Nicht nur die Bedingungstheorie, sondern auch die Vermeidbarkeitsformel behauptet die Beachtlichkeit der „hypothetischen Einwilligung“ des Patienten. Die Anwendung der Vermeidbarkeitsformel überzeugt bei der Ermittlung des behaupteten „Pflichtwidrigkeitszusammenhangs“ zwischen der „fehlerhaften ärztlichen Aufklärung“ („Aufklärungsmangel“) und der „Einwilligung“ oder dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“ jedoch nicht. Die Prüfung hat auch in der Fallgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ mit der Bestimmung der – einer kritischen Verkehrslage vergleichbaren – „konkreten Tatsituation“ zu beginnen, die unmittelbar zu dem „schädlichen Erfolg“ geführt hat. In der Bestimmung des „schädlichen Erfolgs“ liegt zu einem guten Teil die Problematik der Übertragung der Lehre der objektiven Zurechnung oder des Gedankens des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ auf die Einwilligung. Der „schädliche Erfolg“ eines nicht ordnungsgemäß aufgeklärten oder nicht eingewilligten Heileingriffs ist nämlich die Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit des Menschen“. Daraus ergibt sich aber die Konsequenz, dass die fehlerhafte ärzt296 Vgl. hierzu Küper, in: FS für Lackner 283; Otto, Grundkurs AT § 10 Rdn. 19; Roxin, ZStW 74 441; ders., StV 2004 486; Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 67. 297 Hardtung, in: MüKo § 222 StGB Rdn. 37 will die „Formulierungsschwäche“ der Vermeidbarkeitstheorie umgehen, indem nicht danach gefragt werden dürfe, ob der Erfolg, sondern ob die Erfolgsverursachung durch den Täter bei sorgfaltsgemäßen Verhalten ausgeblieben wäre. Vgl. zur Kritik an der Reformulierung der „Lehre vom Erfolg in seiner ganz konkreten Gestalt“ bzw. der „konkreten Erfolgsverursachung“ 5. Kap. § 1 B. III. 2.

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liche Aufklärung zu keiner solchen Beeinträchtigung führen kann, weil sie ausschließlich die „Selbstbestimmung“ des Berechtigten berührt. Die weitere Prüfung nach der Vermeidbarkeitsformel hat zu berücksichtigen, dass allein der „tatsächliche Geschehensablauf“ zu Grunde zulegen ist. Hinwegzudenken und durch das korrespondierende sorgfaltsgemäße Verhalten zu ersetzen ist nur der dem Täter „vorwerfbare Tatumstand“. „Vorwerfbar“ ist das (eigenmächtige) ärztliche Handeln. Allein dieser „vorwerfbare Tatumstand“ ist durch das pflichtgemäße ärztliche Handeln zu ersetzen. In Betracht kommt daher ausschließlich das „Nicht operieren“! Es wäre nicht zu einer Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ gekommen, wenn der Arzt das Schneiden, Stechen, Schießen usw. unterlassen hätte. „Darüber hinaus darf von der konkreten Tatsituation nichts weggelassen, ihr nichts hinzugedacht und an ihr nichts verändert werden.“ Die Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ ignoriert das. Die fehlerhafte ärztliche Aufklärung, die unwirksame, ggfs. auch gar nicht erteilte Einwilligung des Patienten in die Heilbehandlung ist ein Bestandteil der „konkreten Tatsituation“ bei der „hypothetischen Einwilligung“, an der „nichts verändert“ werden darf. Dass der Körperverletzungserfolg auch eingetreten wäre, wenn der Patient „hypothetisch eingewilligt“ hätte, ist vollkommen bedeutungslos, weil der „konkreten Tatsituation“ „nichts [Hypothetisches] hinzugedacht“ werden darf. Das „rechtmäßige Alternativverhalten“ des Arztes in der Situation der „hypothetischen Einwilligung“ kann nach der einschränkenden Auslegung der Vermeidbarkeitsformel nur lauten: „Nicht operieren!“298 Der maßgebliche Mangel, der zu einer Übertragung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ auf die Einwilligung zu berechtigen scheint, besteht in der ungenauen Beschreibung bzw. in der Erweiterung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.). Erst die Erweiterung des Rechtsguts der „körperlichen Unversehrtheit des Menschen“ um dessen „Selbstbestimmung“ kann zu einer derartigen Ausweitung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ beitragen.299 Hiernach kann die unzutreffende Behauptung aufgestellt werden, dass die „fehlerhafte ärztliche Aufklärung“ zu dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“ führen könne.300 Die fehlerhafte ärztliche Aufklärung betrifft allerdings ausschließ298

Vgl. Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 410; Jäger, in: FS für Jung 350; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 218 ff. 299 Vgl. auch Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 404, 407 f.; Jäger, in: FS für Jung 350; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 218 ff.; vgl. eingehend 3. Kap. § 3. 300 Vgl. eingehend auch unten II. 1. a).

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lich die „Selbstbestimmung“, nicht dagegen die „körperliche Unversehrtheit des Menschen“. Die Wissenschaft, die der in der Klinikinsassenentscheidung (BGHSt 49 1) mitgeteilten Einschränkung der Vermeidbarkeitsformel überwiegend gefolgt ist, hätte den „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ in der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ unabhängig von dem „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willen“ des Patienten konsequent bejahen müssen.

bb) Die Unterscheidung zwischen dem „hypothetischen Denkverfahren“ bei der Vermeidbarkeitsformel und der Beachtlichkeit „hypothetischer Ersatzursachen“ (1) Es gibt keine strukturelle Übereinstimmung der tatsächlichen Situationen des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ und der „hypothetischen Einwilligung“. In den Fällen des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“, für die exemplarisch der Radfahrerfall (BGHSt 11 1), der Klinikinsassenfall (BGHSt 49 1) stehen, existiert im Tatzeitpunkt eine Handlungserlaubnis für das abstrakt gefährliche Handeln des Täters. Allein der Täter überschreitet diese Handlungserlaubnis und verhält sich unsorgfältig (Handlungsunrecht). In dem „hypothetischen Denkverfahren“ des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ wird die Begründung oder Erhöhung der vom Täter zu verantwortenden Gefahr über das erlaubte Maß hinaus gewürdigt. Der normative Bezugspunkt des Vergleiches zur Ermittlung dieser Zurechnungsvoraussetzung ist die real existierende Handlungserlaubnis im Tatzeitpunkt. Hingegen kann sich der Arzt bei der „hypothetischen Einwilligung“ auf eine tatsächlich existente Erlaubnis im Tatzeitpunkt des Schneides, Stechens, Schießens usw. nicht berufen. Die Einwilligung des Patienten in die Heilmaßnahme ist wegen der Versäumung der ordnungsgemäßen ärztlichen Aufklärung rechtlich unbeachtlich. Der Arzt hat eigenmächtig gehandelt. Der normative Bezugspunkt der „Vermeidbarkeitstheorie“ – in ihrer nicht eingeschränkten Form –, wenn sie auf die Einwilligung abstellt, ist nicht eine tatsächlich im Tatzeitpunkt existente Erlaubnis (scil. die Einwilligung), sondern eine gedachte, eine nicht existente Erlaubnis (scil. die „hypothetische Einwilligung“). Die „hypothetische Einwilligung“ ist ein „bloßes fiktives Potential“ einer Einwilligung, die hypothetisch hätte vorliegen können, aber tatsächlich nicht vorgelegen hat. Das sind vollkommen unterschiedliche tatsächliche Situationen, die eine abweichende rechtliche Beurteilung erfordern. Das „hypothetische Denkverfahren“ des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ – auch als „heuristisches Prinzip“ zur Ermittlung der „Risikoerhö-

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hung“ – und die Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei der objektiven Erfolgszurechnung sind streng auseinanderzuhalten. Das „hypothetische Denkverfahren“ legitimiert keineswegs die Berücksichtigung „hypothetischer Ersatzursachen“. Dieses Missverständnis beruht auf der „Formulierungsschwäche“ der „Vermeidbarkeitsformel“. Mit der „hypothetischen Frage“ bei „rechtmäßigen Alternativverhalten“ ist jedoch, wie etwa Ulsenheimer zutreffend referiert, keine grundsätzliche Anerkennung der Relevanz hypothetischer Ersatzursachen im Strafrecht verbunden, sondern lediglich der Notwendigkeit Rechnung getragen, aus dem hypothetischen Vergleich mit der pflichtgemäßen Handlung zu ermitteln, ob die Pflichtverletzung „erfolgsrelevant“ war.301 Das „hypothetische Denkverfahren“ würdigt die Begründung oder Erhöhung einer Gefahr für das geschützte Rechtsgut über das tatsächlich erlaubte Maß hinaus, die sich im Erfolg realisiert hat. Das Denkverfahren kommt ohne eine hypothetische Betrachtung nicht aus, es erklärt dagegen nicht die Beachtlichkeit „hypothetischer Ersatzursachen“. Eine einprägsame sprachliche Differenzierung zwischen diesen verschiedenen Sachverhalten schlägt Jäger vor, der vor einer unzulässigen Umwandlung eines „rechtmäßigen Alternativverhaltens des Täters“ in einen „rechtmäßigen Alterativverlauf“ warnt.302 Mit der „hypothetischen Einwilligung“ wird dagegen eine ganz anders gelagerte Problematik berührt. Die „hypothetische Einwilligung“ ist ein „bloßes fiktives Potential“ einer Einwilligung, die hypothetisch hätte vorliegen können, aber tatsächlich nicht vorgelegen hat. Es wird daher die Frage aufgeworfen, ob die „hypothetische Einwilligung“ im Rahmen der objektiven Erfolgszurechnung zu beachten ist, wenn eine Einwilligung des Patienten im Tatzeitpunkt tatsächlich nicht vorhanden war. Im Unterschied zu dem „rechtmäßigen Alternativverhalten“ berührt die Anerkennung von „hypothetischen Ersatzursachen“ bei der objektiven Erfolgszurechnung die „Funktionsbestimmung strafrechtlicher Gewährleistungsnormen“.303 (2) Die herausgearbeitete Differenzierung zwischen dem „rechtmäßigen Alternativverhalten“ und der Anerkennung von „hypothetischen Ersatzursachen“ bei der objektiven Erfolgszurechnung übersieht Rönnau. Er wendet 301 Vgl. auch Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 148, der allerdings seine eigenen Grundsätze konsequent nicht beachtet, wenn er sich für die Anerkennung „hypothetischer Einwilligung“ ausspricht. Das von ihm entwickelte Kriterium der „Schutzwirkung der Sorgfaltspflicht“ leidet an demselben Mangel wie die Vermeidbarkeitslehren, vgl. auch Otto, MSchKrim 1967 96. Beide Verfahren erkennen die Relevanz „hypothetischer Ersatzursachen“ an. 302 Vgl. Jäger, in: FS für Jung 350 ff., 353. Vgl. auch Sternberg-Lieben, StV 2008 191. 303 Vgl. eingehend 7. Kap. § 3 B.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

sich gegen einen in der Wissenschaft gegen die „hypothetische Einwilligung“ vorgetragenen Beispielsfall: Genauso wenig wie der Dieb gerechtfertigt sei, wenn der Bestohlene nachträglich erkläre, er hätte den Dieb die gestohlene Sache geschenkt, wenn dieser ihn vorher gefragt hätte, sei ein unter Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erfolgter Eingriff gerechtfertigt, wenn der Patient nachträglich erkläre, er hätte dem Eingriff zugestimmt, wenn er ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre.304 Das Beispiel soll problematisch sein, weil als „rechtmäßiges Alternativverhalten“ eine vollständig andere Handlung ausgewählt und damit der Kreis möglicher rechtmäßiger Alternativhandlungen über Gebühr ausgedehnt werde.305 Für seinen Standpunkt zieht Rönnau zusätzlich die Klinikinsassenentscheidung (BGHSt 49 1) heran: Es dürfe nicht auf „irgendein hypothetisches Geschehen“ abgestellt werden, sondern nur auf ein solches, das „in der konkreten Tatsituation“ angelegt sei. Es sei daher unzutreffend, von einem Schenken statt von einem Stehlen auszugehen.306 Die Bedenken Rönnaus berühren die auf die Verkehrsrechtsprechung zurückgehende307 exakte Bestimmung der Vergleichshypothese beim „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ nicht. Der Rückgriff auf die Grundsätze der Klinikinsassenentscheidung (BGHSt 49 1) führt gerade nicht weiter.308 Stattdessen wird die objektive Erfolgszurechnung mit zwei scharf auseinanderzuhaltenden Wertungsfragen zugleich belastet. Die Beachtlichkeit von „hypothetischen Ersatzursachen“ (Ersatztäterhandeln, Opferverhalten, Naturkausalität) bei der objektiven Erfolgszurechnung weist aber über den Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ hinaus. So wie aber die „hypothetische Einwilligung“ den Arzt allenfalls nach den Grundsätzen eines „Chancenmodells“, nicht aber nach denen des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ entlasten kann, weil er den Körperverletzungserfolg ohne Einwilligung des Patienten rechtswidrig herbeigeführt hat, genauso kann den Dieb allenfalls ein „Chancenmodell“ vom Vorwurf des vollendeten 304

Vgl. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 134; ders., Jura 2004 683. Ein sachlich ähnlich liegendes Beispiel trägt Duttge, in: FS für Schroeder 188 vor: Der Vergewaltiger könne seine Verurteilung nicht dadurch in Frage stellen, dass das Opfer seinem unwiderstehlichen Charme ohnehin erlegen wäre. 305 Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231. 306 Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231 Rdn. 929. 307 Vgl. zum Sachverhalt des Kreuzungsfalls (BGHSt 33 61, 63 f) oben; vgl. auch Niewenhuis, Verkehr 57 ff. mwN. 308 Der Bundesgerichtshof, der die Wertungsfragen dadurch zu trennen versucht, indem er die Vergleichshypothese bei „rechtmäßigen Alternativverhalten“ auf die „konkrete Tatsituation“ beschränkt, erliegt freilich demselben Irrtum wie Rönnau. In der „konkreten Tatsituation“ ist das rechtmäßige Alternativverhalten bei dem ohne Einwilligung handelnden Arzt allein das „Nicht operieren“!, vgl. oben 2. a) bb).

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Diebstahls befreien, wenn er tatsächlich gestohlen hat, der Bestohlene aber auf vorheriges Bitten des Diebes die Sache geschenkt hätte. Die Wertungsfragen in den verschiedenen Beispielsfällen sind sachlich vergleichbar. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass die Ablehnung der „Chancenlehre“ im Falle des Diebstahls dem Rechtsempfinden unmittelbar einleuchtet, während sich bei der „hypothetischen Einwilligung“ durchaus Zweifel ergeben können, ob die Strafbarkeit des eigenmächtig handelnden Arztes wegen einer Körperverletzung eingeschränkt werden kann.309 b) Die „Gleichstellung“ von ärztlichen „Behandlungs-“ und „Aufklärungsfehlern“ Die dogmatisch unterschiedliche Behandlung von „erlaubten“ und „gerechtfertigten Risiken“ führt zu dem in der Tat wenig einleuchtenden Ergebnis, dass der Arzt für „Aufklärungsfehler“ (scil. „gerechtfertigtes Risiko“) „strenger“ haftet als für „Behandlungsfehler“310 (scil. „erlaubtes Risiko“). Bei einem „ärztlichen Behandlungsfehler“ macht die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre die objektive Erfolgszurechnung nämlich davon abhängig, ob der tatbestandliche Todes- oder Körperverletzungserfolg mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ausgeblieben wäre, wenn der Patient medizinisch pflichtgemäß behandelt worden wäre. Während der Nachweis dieser – ungenau: – „Vermeidekausalität“311 bei einem „ärztlichen Behandlungsfehler“ in der Praxis kaum gelingt und gelingen kann,312 weil über den Verlauf von Heilungsprozessen nur Wahrscheinlichkeitsaussagen getroffen werden können, bedingt ein nachgewiesener Aufklärungsfehler regelmäßig die Unwirksamkeit der Einwilligung des Patienten.313 Das führt nach dem Konzept der Rechtsprechung, gleichgültig ob von dem „formellen Rechtswidrigkeits-“ oder dem „materiellen Selbstbestimmungskonzept“ ausgegangen wird, zur Zurechnung des Todes- oder Körperverletzungserfolgs. Der Arzt ist aus einem vollendeten Delikt zu bestrafen. Bei einem „Aufklärungsfehler“ steht der Arzt daher sachlich „schlechter“ als bei einem „Behandlungsfehler“.314 309 Hieran lässt sich durchaus ablesen, dass die „Zweifel“ an der Bestrafung des Arztes in dem Fall der „hypothetischen Einwilligung“ auf gefühlsmäßigen Wertungen beruht. Zu diesem Evidenzerlebnis vgl. eingehend 7. Kap. § 3 A. I. 310 Vgl. kritisch zum Begriff des „Kunstfehlers“ Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 Rdn. 39. 311 Vgl. zur Ablehnung dieses normativen Begriffsverständnisses der „Kausalität“ 5. Kap. § 2 B. II. 312 Vgl. Puppe, GA 2003 775; dies., JZ 1994 517; vgl. auch dies., Strafrecht AT Bd. 1 § 22 Rdn. 2. 313 Vgl. dazu § 4 A.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Daraus ergibt sich die schwer nachvollziehbare Wertung, dass der Arzt die größere Sorgfalt bei der Aufklärung des Patienten als bei dem für ungleich wesentlicher zu haltenden Heilauftrag aufwenden muss. Der Patient wird allerdings einen fachgerechten Eingriff um den Preis einer mitunter fehlerhaften ärztlichen Aufklärung eher hinzunehmen bereit sein, um Linderung von seinen Leiden zu erfahren, als sich umgekehrt nach einer ordnungsgemäßen Belehrung der „Kurpfuscherei“ zu überantworten, die sein Leiden nur verschlimmert. Für die „hypothetische Einwilligung“ spricht nicht zuletzt der durchaus berechtigte Gedanke einer „Gleichstellung“ von „Behandlungs-“ und „Aufklärungsfehlern“ im Arztstrafrecht.315 Eine „Gleichstellung“ von „erlaubten“ und „gerechtfertigten Risiken“ kann es nach den hier gesetzten Prämissen aber nicht geben. Bei einem „ärztlichen Behandlungsfehler“ ist das „rechtmäßige Alternativverhalten“ zu beachten. Die „hypothetische Einwilligung“ berührt dagegen die arztstrafrechtliche Problematik der Anerkennung einer bestimmten „hypothetischen Ersatzursache“. Das sind rechtlich zu trennende Wertungsfragen. Wer von den Anforderungen an die ärztliche Aufklärungspflicht allerdings entlasten will, der wird sich zwar für eine „faktische Gleichbehandlung“ in Richtung des ärztlichen Behandlungsfehlers „vom Ergebnis her“ aussprechen, indem die hinter der „hypothetischen Einwilligung“ stehende Wertung bei der objektiven Erfolgszurechnung anerkannt wird.316 Es ist allerdings fraglich, ob die Erschwerung der objektiven Zurechnung über den Bereich des ärztlichen Behandlungsfehlerprozesses hinaus wünschenswert ist. Immerhin wird dieser Standpunkt durch die Forderung nach einer Einführung der „Risikoerhöhungstheorie“ auch für den Behandlungsfehler bereits in erheblichem Maße relativiert.317 314 Die Schwierigkeiten des Nachweises der „Behandlungsfehlerkausalität“ haben in der zivilrechtlichen Praxis dazu geführt, dass sich der für den Patienten rechtlich günstiger auswirkende „Aufklärungsfehler“ zu einer Art „Auffangtatbestand“ entwickelt hat, mit dem die Voraussetzungen des Behandlungsfehlers umgangen werden. Im Zivilprozess hat der Arzt die Darlegungs- und Beweislast für den Rechtfertigungsgrund der Einwilligung des Patienten. 315 Vgl. zutreffend Puppe, JZ 1994 518; dies., GA 2003 777; vgl. auch dies., Strafrecht AT Bd. 1 § 22 Rdn. 7; vgl. auch Ohly, in: FS für Jakobs 458. 316 Vgl. eingehend 7. Kap. § 3. 317 Vielfach werden die hier entstehenden Nachweisschwierigkeiten mit der „Risikoerhöhungslehre“ eingeschränkt: Dem Arzt soll der tatbestandliche Todes- oder Körperverletzungserfolg bereits bei nachweisbarer Begründung oder Erhöhung der Gefahr, die sich im Todes- oder Körperverletzungserfolg verwirklicht hat, aus Gründen eines effektiven Rechtsschutzes des Patienten vor Rechtsgutsbeeinträchtigungen zugerechnet werden. Damit wird dieser Standpunkt bereits in erheblichem Maße relativiert. Die Risikoerhöhungstheorie wird auch bei der „hypothetischen Einwilligung“ neuerdings anerkannt, vgl. hierauf eingehend 8. Kap. § 2. C.

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Zudem ist die Beachtlichkeit „hypothetischer Reserveursachen“ nach einem „Chancenmodell“ dogmatisch nur schwer begründbar.318 Die gedankliche Möglichkeit einer Haftungseinschränkung durch eine „hypothetische Einwilligung“ zerrinnt zusehends. Die „Ungleichbehandlung“ der verschiedenen ärztlichen Fehler ist dogmatisch dagegen ohne weiteres begründbar. Ein „gerechtfertigtes Risiko“ („Aufklärungsfehler“) ist im Gegensatz zu einem „erlaubten Risiko“ generell unerlaubt. Die Rechtfertigung dieses Risikos bedeutet stets eine Entscheidung der Rechtsordnung in einem Konflikt, der eigentlich nicht sein soll.319 Das Arztstrafrecht hat dabei de lege lata keine dogmatische Sonderrolle im Verhältnis zur allgemeinen Dogmatik. Es gibt kein „Sonderstrafrecht für Ärzte“. II. Der bei der „hypothetischen Einwilligung“ geforderte „Zusammenhang“ 1. Der „Zusammenhang“ zwischen dem „Aufklärungsmangel“ und dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“

a) Der „Zusammenhang“ auf der Tatbestandsebene Puppe sieht den Fehler in der Forderung eines „Zusammenhangs“ auf der Rechtswidrigkeitsebene darin, dass man nach einer „Kausalität“ zwischen dem Rechtfertigungsmangel und dem Erfolgseintritt suche. Der Zusammenhang, der die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes mit dem Erfolg verknüpfe, sei gar kein Kausalzusammenhang. Die tatsächlichen Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes verursachen den Erfolg nicht.320 Auch Kuhlen pflichtet der Kritik insoweit bei, als der von ihm postulierte Zusammenhang kein Kausalzusammenhang sei.321 Mit seiner Forderung eines „Pflichtwidrigkeitszusammenhangs“ bleibt er jedoch hinter der Kritik Puppes zurück, die inhaltlich dahingehend zu verstehen ist, dass zwischen der auf der Ebene des Tatbestands angesiedelten faktischen Erfolgsverursachung (i. w. S.) und den auf der Ebene der Rechtswidrigkeit liegenden Wertungsfragen strikt zu differenzieren ist. 318

Vgl. eingehend 7. Kap. § 3. Vgl. Puppe, Strafrecht AT Bd. 1 § 22 Rdn. 7. 320 Vgl. Puppe, GA 2003 770; vgl. auch Otto, Jura 2004 683; Paeffgen, in: FS für Rudolphi 208 Fn. 89. Vgl. auch Duttge, in: FS für Schroeder 185 f.; SternbergLieben, StV 2008 191. 321 Vgl. Kuhlen, JR 2004 228. 319

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Die „geschlagene Brücke von der Pflichtwidrigkeit („Aufklärungsfehler“) via Rechtswidrigkeit („Einwilligung“) zum tatbestandsmäßigen Erfolg“ (Duttge) ist aber abzulehnen, weil ein nicht tatbestandsmäßiges Verhalten („Voraussetzung eines Rechtfertigungsgrundes“), auf dem die Unwirksamkeit eines Rechtfertigungsgrundes beruht (scil. die „fehlerhafte ärztliche Aufklärung“), unmöglich den tatbestandlichen Verletzungserfolg „verursachen“ (i. w. S.) kann. Der Zusammenhang „Aufklärung-Einwilligung-Behandlungsmaßnahme“ ist ein bloßer „Scheinzusammenhang“, der vielleicht von der zeitlichen Abfolge der Geschehnisse mitgetragen wird,322 den es aber sachlich nicht geben kann, wenn die Problematik aus dem geschützten Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.) entwickelt wird. Die Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ beim ärztlichen Heileingriff ist eben nicht das Ergebnis der Nichteinhaltung der ärztlichen Aufklärungspflicht (Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes der Einwilligung), sondern das Ergebnis des realen Eingriffs des Arztes in das Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ des Patienten. Das Schneiden, Stechen, Schießen usw. verursacht den Körperverletzungserfolg. Die noch so abenteuerlich fehlerhafte ärztliche Aufklärung („Aufklärungsmangel“) kann keinesfalls zu einer Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts der „körperlichen Unversehrtheit“ führen. Sie berührt ausschließlich die „Selbstbestimmung“ des Patienten. Weder besteht zwischen den benannten Eckpunkten der geforderten „Zurechnungsvoraussetzung“ ein Kausalzusammenhang, noch begründet der Arzt durch die fehlerhafte ärztliche Aufklärung eine Gefahr für das geschützte Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“. Erst die Erweiterung des in den Körperverletzungsdelikten (§§ 223 StGB ff.) geschützten Rechtsguts der „körperlichen Unversehrtheit des Menschen“ um die „Selbstbestimmung“ des Patienten führt zu dem Missverständnis, dass ein „Aufklärungsmangel“ mit dem Körperverletzungserfolg durch einen „kausalen“ oder „normativen Zusammenhang“ verbunden sein kann. Es ist die „fehlende Trennung von Aufklärungsfehlern und rechtsgutsverletzenden Verhalten“, die zu einer unangemessenen Ausweitung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ beiträgt.323 322 Die „geschlagene Brücke von der Pflichtwidrigkeit („Aufklärungsfehler“) via Rechtswidrigkeit („Einwilligung“) zum tatbestandsmäßigen Erfolg“ (Duttge) scheint in der wichtigsten Fallgruppe der übertragenen Lehre der objektiven Zurechnung auf die Rechtfertigungsgründe (scil. „hypothetische Einwilligung“) mehr als bei anderen „Rechtfertigungsmängeln“ ausgeprägt zu sein. Das liegt vor allem daran, weil die ärztliche Aufklärungspflicht dem Eingriff in den Körper zeitlich vorausgeht. So kann nicht nur in dieser abstrakten Fallgestaltung, sondern etwa auch bei der Abgrenzung von Tun und Unterlassen der Eindruck entstehen, an die Verletzung der Aufklärungspflicht anknüpfen zu können. 323 Vgl. zutreffend Jäger, in: FS für Jung 351.

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b) Das Verhältnis zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit aa) Das Verhältnis zwischen „Tatbestand“ und „Rechtswidrigkeit“ ist auch kein „faktisches“, sondern ein „normatives“ Verhältnis. Paeffgen bezeichnet den Zusammenhang zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit als einen rein „normativ gesteuerten Zurechnungszusammenhang“:324 Inhaltlich geht es um die Zurechnung der erlaubnisbegründenden Umstände. Auf der Ebene der Rechtswidrigkeit wird die Tat rechtlich dahin bewertet, ob sie im „konkreten Einzelfall“ mit der Gesamtrechtsordnung in Einklang steht. Die Tat wird daraufhin bewertet, ob sie Recht oder Unrecht darstellt. Mit den gegebenen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes ist ein Erlaubnissatz dargetan, der über die Tat die Wertung fällt, dass sie mit der Gesamtrechtsordnung übereinstimmt.325 Die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes „verursachen“ nicht den tatbestandlichen Erfolg, sondern den „Erfolgswert“ eines Erlaubnissatzes (Wertung), der es logisch nicht zulässt, dass ein Erfolgsunwert der Tat festgestellt werden kann.326 Unrecht kann nicht sein, wenn Unrecht ausgeschlossen ist. Rechtfertigungsgründe stehen außerhalb des „Kausal-Nexus“.327 Die strukturellen Unterschiede zwischen der Einwilligung und der „hypothetischen Einwilligung“ stehen einer „strukturellen Analogie“ entgegen, die es zulassen würde, die Sachverhalte gleich zu behandeln. Die behauptete Zurechenbarkeit des tatbestandlichen Körperverletzungserfolgs zu einem nur gedachten, tatsächlich nicht existenten Rechtfertigungsgrund ist „logisch unmöglich“. Das „hypothetische Denkverfahren“ des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ wird missverstanden. Die Zurechenbarkeit des tatbestandlichen Erfolges erfolgt hier nicht zu einer im Tatzeitpunkt nur gedachten, sondern zu einer tatsächlich existenten Handlungserlaubnis. Hingegen ist die „hypothetische Einwilligung“ rechtlich unwirksam. Sie ist ein „bloßes fiktives Potential“ einer Einwilligung, die hypothetisch hätte vorliegen können, aber tatsächlich nicht vorgelegen hat. Wegen des Fehlens eines Anknüpfungspunktes ist die Zurechnung des Verhaltens zu einem nur gedachten Rechtfertigungsgrund „logisch unmöglich“.328 bb) Es widerspricht überdies den Denkgesetzen der Logik, dass Wertungen tatsächliche Erfolge sollen „bewirken“ (i. w. S.) können. Das gilt auch 324

Vgl. Paeffgen, in: FS für Rudolphi 208 Fn. 89. Vgl. etwa Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 6, 10; Paeffgen, in: FS für Rudolphi 208 Fn. 89; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 105. 326 Vgl. Paeffgen, in: FS für Rudolphi 208 Fn. 89; Puppe, GA 2003 770 f.; vgl. auch Sternberg-Lieben, StV 2008 191. 327 Vgl. Gropp, in: FS für Schroeder 200, 205 f. 328 Vgl. zutreffend Duttge, in: FS für Schroeder 187. 325

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

im Falle der fehlerhaften ärztlichen Aufklärung. Die Tat ist rechtswidrig (Wertung), wenn eine wirksame Einwilligung fehlt. Die „geschlagene Brücke von der Pflichtwidrigkeit („Aufklärungsfehler“) via Rechtswidrigkeit („Einwilligung“) zum tatbestandsmäßigen Erfolg“ (Duttge) ist nicht haltbar. Auf der Tatbestands- und auf der Rechtswidrigkeitsebene stellt sich entgegen Kuhlen nicht die „im Kern identische Zurechnungsproblematik“. Mit einer „strukturellen Analogie“ zu den Kriterien auf der Tatbestandsebene kann der „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ auf der Rechtfertigungsebene nicht nachvollziehbar begründet werden.329 2. Der „Zusammenhang“ zwischen dem „Aufklärungsmangel“ und der „Einwilligung“

Bei der „hypothetischen Einwilligung“ wird jedoch auch ein „einwilligungspezifischer Zurechnungszusammenhang“ anerkannt, über dessen genaue Bestimmung allerdings erhebliche Unsicherheit besteht. a) Ohnehin liegt die Überlegung nahe, dass der zwischen der „fehlerhaften ärztlichen Aufklärung“ („Aufklärungsmangel“) und der „Einwilligung“ geforderte – „verkappte“ – „Zusammenhang“ sachlich der in Zweifel gezogenen Konstruktion einer „Brücke von der Pflichtwidrigkeit („Aufklärungsfehler“) via Rechtswidrigkeit („Einwilligung“) zum tatbestandsmäßigen Erfolg“ (Duttge) entspricht. Rönnau gelangt so durchaus zu der Überzeugung, dass ein über diesen „Zurechnungszusammenhang“ hinausgehender „Zusammenhang“ zum „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“ „zumindest überflüssig“ sei.330 b) Diese Konstruktion droht zudem die „Bodenhaftung“ zu verlieren. Was mit dem „Erfolg“ gemeint ist, um dessen Ausschluss durch objektive Zurechnung es gehen soll, bleibt weithin dunkel. Während der Erfolg auf der Tatbestandsebene nämlich beschrieben ist, wird es auf der Rechtswidrigkeitsebene erforderlich, dem „Erfolgsbegriff“ eine Gestalt zu geben.331 In Rechtsprechung und Schrifttum besteht über die Vielzahl der konstruktiven Ansätze aber keine Einigkeit. So ergibt sich die Problematik, dass die „Einwilligungsentschließung“, die „Einwilligungserklärung“, die „Einwilligung“ als Rechtfertigungsgrund oder dessen „rechtliche Wirkung“ als das „Ergebnis des Rechtfertigungssachverhaltes“332 als relevanter „Erfolg“ an329

Vgl. auch Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 394 ff., 397. Vgl. Rönnau, JZ 2004 801. 331 Vgl. Gropp, in: FS für Schroeder 206; vgl. eingehend Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 405 ff.; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 181; Sickor, JR 2008 179. 332 Vgl. Gropp, in: FS für Schroeder 206. 330

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gegeben wird, der auf der „Aufklärungspflichtverletzung“ („Aufklärungsmangel“) beruhen soll. aa) Schon gar nicht die „Einwilligungsentschließung“, auch nicht die „Einwilligungserklärung“,333 wohl aber die „Einwilligung“ kann die Forderung Rönnaus erfüllen, dass objektive Erfolgsunrecht auszuschließen.334 Erst die rechtlich wirksame Einwilligung des Patienten bekräftigt die Übereinstimmung des ärztlichen Handelns mit der Gesamtrechtsordnung. Kein prinzipieller Unterschied ist zu erkennen, wenn auf die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund mit der hieran gebundenen rechtlichen Wertung abgestellt wird.335 Die „erweiterte“ Lehre der objektiven Zurechnung beschäftigt sich sachlich daher mit der Zurechnung der rechtfertigenden Wirkung der Einwilligung als dem „Erfolg“.336 bb) Infolge der mangelhaften ärztlichen Aufklärung fehlt es aber an einer wirksamen Einwilligung im Tatzeitpunkt. Die unwirksame Einwilligung, die vor dem Recht objektiv nicht existiert, kann daher logisch nicht der „Erfolg“ sein, der mit der ärztlichen Aufklärung in einen „Zusammenhang“ gebracht werden soll.337 Um zu vermeiden, dass der „Zusammenhang“ „ins Leere“ läuft, weil ein „rechtliches Nichts“ nicht objektiv zugerechnet werden kann, ist es sinnvoll, auf die faktische Einwilligungserklärung abzustellen. Eine Einwilligungserklärung allein kann das Erfolgsunrecht der Tat aber nicht ausschließen. 333 Die faktische „Einwilligungserklärung“ kann nicht der im Text gemeinte „Erfolg“ sein. Bei der Einwilligungserklärung handelt es sich ebenso um eine Voraussetzung der Einwilligung, vgl. Gropp, in: FS für Schroeder 206; Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 405 f.; Sickor, JR 2008 181. Nach Rönnaus Ausführungen soll es auf einen Ausschluss des objektiven Erfolgsunrechts ankommen. Diese Wirkung entfaltet die faktische Einwilligungserklärung nicht. Sie allein ist nicht die Gesamtzahl aller Voraussetzungen der Einwilligung. Erst bei Vorliegen aller notwendigen Voraussetzungen der Einwilligung kann die Einwilligung ihre rechtliche Wirkung entfalten bzw. die Vereinbarkeit des ärztlichen Wirkens mit der Rechtsordnung bekräftigen. Im Übrigen ist die „Einwilligungserklärung“, um deren Zurechnung es hiernach ginge, wie die „hypothetische Einwilligung“ nur ein „bloßes fiktives Potential“ und daher logisch unmöglich zuzurechnen. 334 Vgl. Rönnau, JZ 2004 802. 335 Vgl. Gropp, in: FS für Schroeder 206. Ob die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund oder die rechtfertigende Wirkung, die mit der Einwilligung verbunden ist, betrachtet wird, sollte irrelevant sein. 336 Vgl. auch Schwartz, Hypothetische Einwilligung 182. 337 In dieser Richtung hat sich auch Puppe, GA 2003 771 geäußert. Es bleibe unklar, wie das Beruhenserfordernis bestimmt werden könne, wenn der „Rechtfertigungsmangel ein totaler ist, also kein einziges Element irgendeines Rechtfertigungsgrundes in Wirklichkeit erfüllt ist.“ Vgl. auch Schwartz, Hypothetische Einwilligung 183.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Andererseits kann es nicht um die objektive Zurechnung einer „hypothetischen Einwilligung“ als Rechtfertigungsgrund gehen. Die „hypothetische Einwilligung“ ist ein „bloßes fiktives Potential“ einer Einwilligung, die hypothetisch hätte vorliegen können, aber tatsächlich nicht vorgelegen hat. Sie entfaltet keinerlei rechtliche Wirkung. Wegen des Fehlens eines tatsächlichen Anknüpfungspunktes ist die objektive Zurechnung „logisch unmöglich“.338 Es bleibt damit unbegründet, wie einer tatsächlich an Aufklärungsmängeln leidenden rechtlich unwirksamen Einwilligung unrechtskompensierende Kraft zukommen kann, wenn sie bei „rechtmäßigen Alternativverhalten“ erteilt worden wäre.339 cc) Ungereimt ist diese Vorstellung eines derartigen „Zusammenhangs“ aus logischen Gründen auch deshalb, weil der „Zurechnungszusammenhang“ zwischen den faktischen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes und der Rechtfertigung durch Einwilligung als einer Wertung konstruiert wird. Die rechtfertigende Wirkung der Einwilligung ist ein Urteil, das Ergebnis der Bewertung eines rechtfertigenden Sachverhalts.340 Der „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ wird dagegen zwischen tatsächlichen Umständen – Verhalten und tatbestandlicher Erfolg – konstruiert. Es kommt wieder das logische Missverständnis zum Vorschein, die Falschdarstellung der für den Eingriff relevanten Fakten kann eine normative Wertung „verursachen“. Es wird nicht hinreichend differenziert zwischen den Kategorien „Erfolg eines realen Lebenssachverhalts“ und „Rechtfertigung als Wertung, als Ergebnis eines Wertungsvorgangs“.341 dd) Der hier zugrundegelegte „Erfolgsbegriff“ ist unbestimmt und läuft letztlich Gefahr, die Zurechnung zum vollendeten Delikt unmöglich zu machen. Weil es an einem Anknüpfungspunkt für das Zurechnungserfordernis fehlt, bleibt offen, welcher Rechtfertigungsgrund im Verhältnis zu seinen Voraussetzungen auf den geforderten „Zusammenhang“ zum Ausschluss des objektiven Erfolgsunrechts geprüft werden soll. Zwar wird die Prüfung auf die („hypothetische“) Einwilligung begrenzt. So scheint man dem Einwand entgehen zu können, doch zwingend ist das gerade nicht. Es wird nur vorgetäuscht, dass ein bestimmter Rechtfertigungsgrund darauf zu prüfen ist, ob „er“ oder der „tatbestandliche Verletzungserfolg“ (Kuhlen) auf einem „Rechtfertigungsmangel“ beruht. Das ist dann plausibel, wenn ein bestimmter 338 Vgl. Duttge, in: FS für Schroeder 187; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 185. Angreifbar dagegen Sickor, JR 2008 180, der eine Zurechnung einer „rechtlich wirksamen, rechtfertigenden Einwilligung“ bei einem alternativ gedachten, hypothetisch rechtmäßigen Verhalten des Arztes erwägt. Die „hypothetische Einwilligung“ ist aber lediglich eine Fiktion. 339 Vgl. Rönnau, JZ 2004 802. 340 Vgl. Gropp, in: FS für Schroeder 206. 341 Vgl. zu Recht Gropp, in: FS für Schroeder 206.

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Rechtfertigungsgrund wie in den Fallgestaltungen der „hypothetischen Einwilligung“ besonders naheliegt. Theoretisch steht der beliebigen Annahme von Rechtfertigungsgründen, ob „sie“ auf einem „Rechtfertigungsmangel“ beruhen, jedoch nichts im Weg. Für jede Rechtsgutsverletzung lässt sich mindestens eine Notwehrsituation fingieren, die sie gerechtfertigt hätte.342 Auch die Konstruktion eines „einwilligungsspezifischen Zusammenhangs“ ist daher keineswegs überzeugend. Rönnau bleibt eine nachvollziehbare Begründung schuldig, wie einer tatsächlich an Aufklärungsmängeln leidenden rechtlich unwirksamen Einwilligung unrechtskompensierende Kraft zukommen kann, wenn sie bei „rechtmäßigen Alternativverhalten“ erteilt worden wäre.343 III. Die Übertragung des Gedankens des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ auf die Vorsatzdelikte Seit dem Bandscheibenfall344 berührt die „hypothetische Einwilligung“ eines der „am meisten diskutierten Themen der Zurechnungslehre“. Der Bundesgerichtshof stellt im Liposuktionsfall345 ausdrücklich klar, dass ärztliche Heileingriffe vorsätzliche Körperverletzungshandlungen sind.346 In der Tat bedarf es daher der Würdigung, ob die in der Fahrlässigkeitsdogmatik anerkannten Rechtsfiguren, insbesondere der Gedanke des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“, auf das Vorsatzdelikt übertragen werden können.347 1. Die Darstellung des Meinungsstandes

a) Von einer Identität der Zurechnungsregeln bei Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten geht Roxin aus.348 In der Erfüllung des objektiven Tatbestandes realisiere sich stets schon eine fahrlässige Erfolgsherbeiführung, so dass in jedem vorsätzlichen Delikt ein fahrlässiges darin stecke.349 342

Vgl. Puppe, GA 2003 771. Vgl. Rönnau, JZ 2004 802. 344 Vgl. Einl. § 1 IV. 345 Vgl. Einl. § 1 VI. 346 Vgl. BGH NStZ 2007 340, 341. 347 Vgl. Rönnau, Willensmängel 435; ders., ähnlich JZ 2004 801 Fn. 9, der diese Frage später nicht mehr aufwirft, vgl. ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230 ff. Vgl. auch Arm. Kaufmann, in: FS für Jescheck Bd. I 258. Vgl. zum Streitstand Einl. § 2 D. 348 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 44; vgl. dazu Hirsch, in: FS für Lampe 516, 518; Schünemann, GA 1999 219 f. 349 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 44; vgl. auch Herzberg, JuS 1996 381. 343

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Umgebildeter Ziegenhaarfall (RGSt 63 211):350 Der Leiter einer Pinselfabrik gab seinen Arbeiterinnen chinesische Ziegenhaare zur Verarbeitung aus, ohne sie, wie es vorgeschrieben war, vorher desinfizieren zu lassen. Der Fabrikant unterließ die Desinfektion aus Zeitgründen trotz seines Wissens um die Gefahren der Ansteckung mit Milzbrandbakterien. Vier Arbeiterinnen wurden durch Milzbrandbakterien infiziert und starben. Eine spätere Untersuchung ergab, dass das vorgeschriebene Desinfektionsmittel gegenüber dem in Europa bisher unbekannten Bazillus unwirksam geblieben wäre.

Die objektive Zurechnung des Erfolges sei ausgeschlossen, weil sich der Fabrikant darauf berufen könne, dass der Erfolg bei rechtmäßigen Alternativverhalten genauso eingetreten wäre. Habe der Fabrikant die Desinfektion sogar absichtlich unterlassen, um auf diese Weise einen ihm missliebigen Arbeiter aus dem Weg zu räumen, könne er bei nachträglicher Feststellung einer fehlenden Risikoerhöhung nur wegen eines versuchten Tötungsdelikts bestraft werden.351 b) Der Lösung im umgebildeten Ziegenhaarfall wird zum Teil widersprochen. Der Gedanke des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ sei ausschließlich bei den Fahrlässigkeitsdelikten anzuerkennen. aa) Der Bundesgerichtshof hat im Radfahrerfall (BGHSt 11 1)352 den „Ursachenzusammenhang im strafrechtlichen Sinne“ nur für die Fahrlässigkeitsdelikte entwickelt. Das steht einer Ausdehnung dieser Rechtsfigur auf die Vorsatzdelikte entgegen. bb) Wer im „erlaubten Risiko“ im Anschluss an BGHZ 24 21 einen „fahrlässigkeitsspezifischen Rechtfertigungsgrund (des verkehrsrichtigen Verhaltens)“ sehen zu können glaubt,353 kann dieser Rechtsfigur konsequenterweise keine Bedeutung bei Vorsatzfällen zumessen. cc) Die Finalisten leiten den Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ aus dem „Wesen des Fahrlässigkeitsdelikts“ her.354 Die „unterschiedliche tatbestandliche Struktur“ von Fahrlässigkeits- und Vorsatzdelikten stehe einer Ausdehnung des Gedankens auf die Vorsatzdelikte entgegen.355 350

Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 68. Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 84; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 180. 352 Vgl. 5. Kap. § 2 B. II. 353 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 22 Rdn. 21, 34 f.; vgl. auch Rigizahn, JR 1996 74 Fn. 10. 354 Vgl. Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 144 f., 157; ders., JZ 1969 367; ders., Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 205; Welzel, Verkehr 20 ff. 355 Vgl. Hirsch, in: FS für Lenckner 406; ders., in: FG 600 Jahre Uni Köln 127; ders., in: FS für Lampe 522. 351

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Beim Fahrlässigkeitsdelikt könne im Unterschied zum Vorsatzdelikt nämlich davon gesprochen werden, dass ein Erfolg zugerechnet werde, der nicht Vollendung einer vom Willen umspannten Handlung, sondern erst deren Auswirkung sei („mittelbares Unrecht“).356 Die verbotene Handlung erschöpfe sich beim fahrlässigen Delikt in dem als sorgfaltswidrig einzustufenden willentlichen Handeln. Das „mittelbare Unrecht“ sei beim fahrlässigen Delikt mit dem Handlungsunrecht durch ein Zurechnungserfordernis verbunden, das als Pflichtwidrigkeitszusammenhang bezeichnet werde.357 Die Art der Beziehung zwischen dem sorgfaltswidrigen Handeln und dem Erfolg ergebe sich aus der „Eigenheit des fahrlässigen Erfolgsdelikts“, bei dem sich im Erfolg gerade die betreffende Sorgfaltswidrigkeit realisiert haben müsse.358 Aus der unterschiedlichen Konstruktion von Vorsatz- und Fahrlässigkeitstaten ergibt sich auch für Ulsenheimer, dass das diskutierte Problem des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs „überhaupt nur im Bereich fahrlässiger Delikte“ relevant werde, da bei diesen erst das „spezifische Verhältnis“ zwischen Handlungs- und Erfolgsunwert die Strafbarkeit des Täters begründe.359 Bei Fahrlässigkeitstaten müsse der Erfolgsunwert zum Handlungsunwert hinzukommen, um eine Strafbarkeit zu begründen, während bei den Vorsatzdelikten schon der Handlungsunwert allein Strafe nach sich ziehe.360 dd) Wird demgegenüber eine „allgemeine Lehre und Systemkategorie der objektiven Zurechnung“ gebildet, soll die „völlige Identität der Zurechnungsregeln beim Vorsatz- wie beim Fahrlässigkeitsdelikt“ keineswegs zwingend vorgegeben sein.361 Bei Vorsatzdelikten soll sich die Problematik des „erlaubten Risikos“ und des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ nicht stellen: „Vorsatz schließt erlaubtes Risiko aus“. „Erlaubtes Risiko schließt Vorsatz aus.“362 Schünemann ist darüberhinaus der Auffassung, dass die Zurechnungsmaßstäbe beim Vorsatzdelikt „strengere“ seien als beim Fahrlässigkeits356 Als „unmittelbares Unrecht“ bezeichnet Hirsch, in: FS für Lampe 522 das Unrecht der Begehung der normwidrigen verbotswidrigen willentlichen Handlung, während die Auswirkungen, die zwar ungewollt seien, in denen sich aber das Risiko der Handlung niederschlage, als zuzurechnendes „mittelbares Unrecht“ zu erfassen seien. 357 Vgl. Hirsch, in: FS für Lampe 522. 358 Vgl. Hirsch, in: FS 600 Jahre Uni Köln 127; vgl. auch ders., in: FS für Lenckner 406. 359 Vgl. Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 157. 360 Vgl. Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 156. 361 Vgl. Schünemann, GA 1999 219 f., vgl. auch Kindhäuser, GA 1994 221. 362 Vgl. Kindhäuser, GA 1994 221.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

delikt.363 Bei Fahrlässigkeit reiche die Auslösung einer inadäquaten Gefahr nicht aus, weil dadurch die Handlungsfreiheit unangemessen eingeschränkt werde. Beim Vorsatzdelikt sei das erlaubte Risiko jedoch zumindest dann erheblich enger zu bestimmen, wenn der Täter in Verletzungsabsicht handele, die Auslösung des Risikos allein beherrsche und dem Opfer auch keine Selbstschutzmöglichkeiten lasse. Der Vorsatztäter habe keinen beachtenswerten Grund für sein Handeln. Beim Vorsatzdelikt soll auch die Auslösung geringster Risiken unterbunden werden, solange sich das Opfer dagegen nicht selbst schützen könne.364 2. Vorsatz schließt den Gedanken „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ aus

a) Nach den hier gesetzten Prämissen ist eine Anerkennung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ im Vorsatzbereich wegen der strukturellen Unterschiede abzulehnen. Vorsatz bedeutet im Unterschied zur Fahrlässigkeit – grob – die realisierte Vorhersehbarkeit, das heißt die Kenntnis der möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigung und die bewusste Steuerung des Geschehens auf diese Verletzung. Dagegen setzt Fahrlässigkeit nur die Vorhersehbarkeit der Rechtsgutsbeeinträchtigung und die Möglichkeit der Steuerung des Geschehens voraus.365 Der Vorsatztäter erkennt im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt im Unterschied zum fahrlässig handelnden Täter, dass er eine konkrete Gefahr für die Rechtsgüter anderer begründet oder erhöht. Er ist zur Vermeidung des tatbestandlichen Erfolgs in der Lage, wenigstens hält er sich zur Erfolgsvermeidung immer für fähig (§ 22 StGB). Das „erlaubte Risiko“ ist jedoch strukturell die faktische Unvermeidbarkeit des tatbestandlichen Erfolgs im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt 363

Vgl. Schünemann, GA 1999 220. Vgl. Schünemann, GA 1999 220 f., der folgenden Beispielsfall bildet: Der Jäger gibt einen Schuss aus so großer Entfernung in Richtung auf das Opfer ab, dass es zwar möglich, aber extrem unwahrscheinlich sei, das Opfer damit zu treffen. Im Fahrlässigkeitsbereich, also etwa auf der Jagd, könne man ohne Bedenken von einem „erlaubten Risiko“ sprechen. Wer dagegen den gleichen Schuss in Tötungsabsicht auf das Opfer abgebe, könne sich nicht auf „erlaubtes Risiko“ berufen. Wenn ein Täter dagegen am Straßenverkehr völlig korrekt teilnehme und die ganze Zeit über hoffe, dass ihm ein unvorsichtiger Fußgänger vor das Fahrzeug laufe, dass er nicht mehr bremsen könne, so ist Schünemann der Überzeugung, hier könne und müsse sich das Opfer im Gegensatz zum oben genannten Beispielsfall selbst schützen. Hier sei die objektive Zurechnung nicht geboten. 365 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 7 Rdn. 27. 364

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(„Können“), wobei der Täter zur Vermeidung des Erfolgs nach der Rechtsordnung nicht in der Lage sein musste („Sollen“). Er durfte „abstrakte Gefahren“ für die geschützten Rechtsgüter anderer schaffen, aus denen sich „konkrete Gefahren“ entwickeln können. Ist jedoch eine „konkrete Gefahrenlage“ erkennbar, in der es zur Realisierung eines bestimmten Erfolges kommen kann, so verlangt die Rechtsordnung vom Täter gebieterisch, sein Verhalten an der Rechtspflicht auszurichten, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden.366 Die „konkreten Gefahrenlagen“ gehören keineswegs zu der „Globalabwägung“ des „erlaubten Risikos“. Sie sind Gegenstand der „Einzelfallabwägung“ bei den Rechtfertigungsgründen. Dagegen „kann“ und „soll“ der Vorsatztäter im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt den Erfolg vermeiden. Er „kann“ und „soll“ die Begründung oder Erhöhung der konkreten Gefahren unterlassen, die sich im Erfolg realisieren. Bei Erkennbarkeit einer „konkreten Gefahrenlage“ bleibt es beim „allgemeinen Gefährdungsverbot“: Die Schaffung generell unerlaubter Risiken bedarf der Legitimation durch einen Rechtfertigungsgrund („gerechtfertigtes Risiko“). Das „erlaubte Risiko“ gibt keine Befugnis zur Schaffung einer „konkreten Gefahr“ für die Rechtsgüter anderer.367 Die Schaffung solcher Gefahren ist allenfalls durch Rechtfertigungsgründe, d.h. Eingriffsrechte erlaubt. Aus diesen strukturellen Unterschieden ergibt sich, dass sich Vorsatz und „erlaubtes Risiko“ gegenseitig ausschließen.368 Dem vorsätzlich handelnden Fabrikanten im abgewandelten Ziegenhaarfall kann die Handlungsbefugnis, auf die sich der Fahrlässigkeitstäter berufen kann, daher auch nicht zugutekommen. Er gibt die nicht desinfizierten Ziegenhaare im Bewusstsein ihrer Gefährlichkeit an die Arbeiterinnen heraus und schafft für sie eine konkrete Todesgefahr, die sich im Todeserfolg realisiert. Der Todeserfolg ist dem Fabrikanten objektiv zur vorsätzlich vollendeten Tötung zuzurechnen, weil er den Tod der Arbeiterinnen im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt objektiv und subjektiv hat vermeiden „können“ und „sollen“. Die Entlastung damit, dass bei der Befolgung der Desinfektionsvorschriften der Tod der Arbeiterinnen eingetreten wäre, ist hier eine „hypothetische Reserveursache“. Die Konstruktion des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ ist auf die Vorsatzdelikte nicht übertragbar. b) Das bleibt nicht folgenlos für die „hypothetische Einwilligung“, bei der die Zurechnungsregel des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ bei den Vorsatzdelikten „theoretisch [nicht] dieselbe Gültigkeit“ wie bei den Fahr366 367 368

Vgl. Otto, in: GS für Schlüchter 90. Vgl. Kindhäuser, GA 1994 223; Otto, in: GS für Schlüchter 90. Vgl. Kindhäuser, GA 1994 221.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

lässigkeitsdelikten haben kann. Die den Unrechtsausschluss legitimierenden Wertungsgesichtspunkte gelten hier nicht gleichermaßen.369 Eine Übertragung der von der Fahrlässigkeitsdogmatik anerkannten Rechtsfigur des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ auf die Vorsatzdelikte ist – nach den hier gesetzten Prämissen – nicht möglich. Das beruht auf der „strukturellen Unvereinbarkeit“ zwischen dem „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ und der „hypothetischen Einwilligung“, sofern der Arzt vorsätzlich ohne Einwilligung handelt und irrtümlich auch keine rechtfertigende Situation annimmt.370 Das „rechtmäßige Alternativverhalten“ beschäftigt sich eben nicht mit der Problematik, ob der Erfolg auch bei einem alternativ rechtmäßig gedachten Verhalten eingetreten wäre,371 sondern es ist die Frage danach, ob der Täter eine über das erlaubte Maß hinausgehende Gefahr für das geschützte Rechtsgut begründet oder erhöht hat, die sich im Erfolg verwirklicht hat. Diese über das erlaubte Maß hinausgehende Gefahr hat der Arzt allerdings geschaffen, indem er ohne eine wirksame Einwilligung des Patienten geschnitten, gestochen, geschossen hat. c) Auch der Bundesgerichtshof berücksichtigt jenseits des Radfahrerfalls (BGHSt 11 1) – entgegen der überwiegenden Meinung im strafrechtlichen Schrifttum372 – die unterschiedliche Struktur von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten. Er geht gerade nicht von einer Übertragbarkeit des Gedankens des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ auf die Vorsatzdelikte aus. Seit dem Bandscheibenfall373 deutet er bei vorsätzlichem Handeln des Arztes für die „hypothetische Einwilligung“ deshalb auch eine andere Konstruktion an, indem die „Rechtswidrigkeit entfällt“, wenn der Patient hypothetisch eingewilligt hätte. Die Lehre der objektiven Zurechnung bei den Rechtfertigungsgründen (Kuhlen) oder der Gedanke des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ bei der Einwilligung zeigen von vornherein in eine ganz andere Richtung als die Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ des Ersten und Vierten Strafsenats des Bundesgerichtshofs. 369

Vgl. so aber Rönnau, JZ 2004 802. Vgl. Gropp, in: FS für Schroeder 205. 371 Vgl. so aber ausdrücklich Dreher, Objektive Erfolgszurechnung 22 ff., 52. 372 Vgl. etwa Eisele, JA 2005 254 Fn. 15; Fischer, § 223 StGB Rdn. 16a; Geppert, JK 12/04 § 223/3 StGB 3c; Kühl, Strafrecht AT § 17 Rdn. 47a; Kuhlen, JR 2004 229 f.; Rönnau, JZ 2004 801, 802; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230; Rengier, Strafrecht BT II § 13 Rdn. 18; Lackner/Kühl, § 228 StGB Rdn. 17a; Mitsch, JZ 2005 284 f.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122, 128; Wessels/ Beulke, Strafrecht AT § 9 Rdn. 381b. Vorher schon für eine Anwendung der Rechtsfigur auch im Vorsatzbereich Amelung, Willensmängel 77 f.; Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 433; Tag, Körperverletzungstatbestand 399 Fn. 1981; zurückhaltender Rönnau, Willensmängel 436. 373 Vgl. Einl. § 1 IV. 370

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IV. Die Lösung von Mitsch Von einem anderen Verständnis der „hypothetischen Einwilligung“ geht Mitsch aus. Er schlägt eine zweistufige Prüfung des „Ausschlusses des Erfolgsunrechts“ bei einer fehlerhaften Einwilligung des Patienten in den ärztlichen Heileingriff vor. 1. Den Ausschluss des Erfolgsunrechts stützt Mitsch zunächst auf das „Vorliegen von erfolgsbezogenen Rechtfertigungsmerkmalen“.374 Ein ärztlicher Heileingriff, der die „Heilungschancen“ erhöht, wäre „deshalb von dem Patienten gebilligt worden“. Die Patientin hätte sich von der korrekten Aufklärung nicht abhalten lassen, das Risiko des fehlgeschlagenen Eingriffs zu übernehmen.375 Entgegen Mitsch fehlt es im Tatzeitpunkt allerdings an den objektiven Voraussetzungen eines Erlaubnissatzes. Der Arzt hätte eine „wirkliche Einwilligung“ des Patienten einholen können, die er tatsächlich nicht oder nicht fehlerfrei eingeholt hat.376 Mitsch begründet die Rechtfertigung der Tat durch einen „Ausschluss des Erfolgsunrechts“ stattdessen mit rein „hypothetischen Umständen“ („gebilligt worden wäre“). Die Tat wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass die „erfolgsbezogenen Rechtfertigungsmerkmale“ 374 Der Text wird missverstanden, wenn von dem „Heileffekt“ auf das Vorliegen „erfolgsbezogener Rechtfertigungsmerkmale“ geschlossen wird, vgl. auch Kuhlen, JZ 2005 717. Es wird jedoch nicht vom „Heileffekt“ auf den „Ausschluss des Erfolgsunrechts“ geschlossen, sondern von dem Begriff der weiterreichenden „Heilungschance“ (scil. die „Heilungschance“ und der „Heileffekt“) darauf, dass der Eingriff „deshalb“ von dem Patienten „gebilligt worden wäre“. Immerhin erhält der „Heilerfolg“ die Wertigkeit eines „sehr starken“ Indizes, dass die „hypothetische Einwilligung“ erklärt worden wäre, vgl. auch Kuhlen, JZ 2005 716. Insofern wäre zwar regelmäßig davon auszugehen, dass der Patient bei Erhöhung der „Heilungschance“ dem Eingriff zugestimmt hätte, doch zwingend ist das nicht, vgl. zutreffend Kuhlen, JZ 2005 716, 717 mit Beispielen. Es lässt sich hier von einer „erfolgsorientierten“ „hypothetischen Einwilligung“ sprechen, vgl. zur Terminologie Kuhlen, JZ 2005 715. Das „Selbstbestimmungsrecht“ des Patienten ist hier im Wesentlichen den ähnlichen Einschränkungen wie bei der „Erfolgstheorie“ ausgesetzt, vgl. auch Kuhlen, JZ 2005 715 f., 717; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231. 375 Vgl. Mitsch, JZ 2005 283 f. 376 Die Rechtfertigung der Tat würde mit einem Sachverhalt begründet (vom „Heileffekt“ maßgeblich beeinflusste „hypothetische Einwilligung“), der notwendig erst nach der „Tat“ eintreten kann (§ 8 StGB) (ex post-Tatsache). Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass die Rechtmäßig- bzw. Rechtswidrigkeit der Tat aus Umständen allein im Tatzeitpunkt abzuleiten ist. Die auf den nachträglichen Erfolgseintritt gegründete „hypothetische Einwilligung“ des Patienten ist hierfür nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen unbeachtlich, vgl. auch Mitsch, JZ 2005 718; eingehend § 5 C.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

eines Erlaubnissatzes im Tatzeitpunkt hätten vorliegen können, aber tatsächlich nicht vorgelegen haben.377 2. Wegen der Einbeziehung eines „anderen Erfolgsbegriffs“ auf der Rechtfertigungsebene setzt Mitsch die Lehre der objektiven Zurechnung (scil. den „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“) im Verhältnis zu den bisherigen Lösungsvorschlägen nicht so „früh“ an. Die gegen die „hypothetische Einwilligung“ vorgebrachten Bedenken sind jedoch auch in diesem eingeschränkten Anwendungsbereich einschlägig. Im Übrigen wird das „erfolgsbezogene Konzept“ dieser „hypothetischen Einwilligung“ nicht konsequent durchgehalten.378 Im Zahnextraktionsfall soll die objektive Erfolgszurechnung bei einem Heileingriff „ohne Heilungschance und ohne Heileffekt“, der von der Patientin nicht gebilligt worden wäre („erfolgsbezogene Betrachtung“), ausscheiden,379 wenn „auch die korrekte Aufklärung“, die ihr das Nichtbestehen einer Heilungschance eindringlich zu Bewusstsein gebracht hätte, sie „nicht davon abgehalten [hätte], das Risiko des fehlgeschlagenen Eingriffs zu übernehmen“, weil sie sich ex ante unvernünftigerweise eine Heilungschance ausgerechnet hätte. Entscheidend wird für die objektive Zurechnung nunmehr auf das Wissen der Patientin vor dem Eingriff ex ante abgestellt, das notwendig unvollständig sein muss („entscheidungsbezogene Betrachtung“). Der sehr komplexe Vorschlag von Mitsch weicht von dem bisherigen Verständnis der „hypothetischen Einwilligung“ ab.380 Diese Abweichungen vermögen den Rechtsgedanken aber ebensowenig zu tragen. Der Vorschlag leidet vielmehr an demselben grundsätzlichen Mangel: Hypothesen können den Täter nicht entlasten. Neuerdings räumt Mitsch eigene Bedenken gegen seinen Vorschlag ein381 und gibt ihn zugunsten einer Lösung der Problematik auf der Ebene der Strafzumessung auf.382 377 Vgl. auch Duttge, in: FS für Schroeder 187 Fn. 71: Der Erfolgsunwert der Tat werde „nicht tangiert“. 378 Vgl. zutreffend Kuhlen, JZ 2005 716; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231. 379 Die „hypothetische Einwilligung“ soll „an die ausgeführte Tat und den durch sie herbeigeführten Erfolg [anknüpfen]. Sie fingiere einen Rechtsgutsinhaber, der den Erfolgseintritt koinzident miterlebt“ habe und deshalb in der Lage sei, „auf der Basis des wahrgenommenen realen Erfolges [. . .] eine voluntative Einstellung zu der Tat zu bilden.“ 380 Vgl. kritisch auch Lackner/Kühl, § 228 StGB Rdn. 17a. 381 Vgl. Mitsch, JZ 2005 718. 382 Vgl. eingehend 9. Kap. § 1 B. I.

§ 3 Auseinandersetzung mit dem „rechtmäßigen Alternativverhalten“

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C. Zusammenfassung Der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“ soll nach der überwiegenden Auffassung im Schrifttum eine normative Zurechnungsproblematik sein. Der Hinweis der konstruktiv durchaus verschiedenen „Wertungslösungen“ auf die Einschlägigkeit der Lehre der objektiven Zurechnung oder des Gedankens des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ bei der Einwilligung geht jedoch fehl. Mit der Lehre der Wahrung der „Maßgeblichkeit der auf die Rechtsgüter Gesundheit und körperliche Integrität bezogenen Interessendefinition“, die bei einer „hypothetischen Einwilligung“ des Patienten bei vollständiger und richtiger Aufklärung hinreichend respektiert werde,383 wird über den Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ hinausgegangen. 1. Der maßgebliche Grund für die Unergiebigkeit des Gedankens des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ bei der „hypothetischen Einwilligung“ liegt darin, dass der eigenmächtig handelnde Arzt gerade eine über das erlaubte Maß hinausgehende Gefahr geschaffen hat, die sich im Erfolg realisiert hat: Sein ärztliches Wirken ist nicht durch eine wirksame Einwilligung legitimiert. Die Situation, in der der Täter für das geschützte Rechtsgut keine über das erlaubte Maß hinausgehende Gefahr begründet oder erhöht hat (scil. Gedanke „rechtmäßigen Alternativverhaltens“), liegt im Eingriffszeitpunkt gerade nicht vor. Der Eingriff ohne wirksame Einwilligung stellt die rechtspflichtwidrige Rechtsgutsbeeinträchtigung dar.384 Die objektive Erfolgszurechnung ist damit begründet. Aus diesem Grund weisen der Erste Strafsenat seit dem Bandscheibenfall385 und der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs im Liposuktionsfall386 stets ausdrücklich darauf hin, dass die „Rechtswidrigkeit entfällt“387 bzw. „Rechtswidrigkeit auch dann entfallen“ kann,388 wenn der Patient hypothetisch eingewilligt hätte. Der Bundesgerichtshof ist sich der strukturellen Unterschiede zwischen dem „rechtmäßigen Alternativverhalten“ und der „hypothetischen Einwilligung“ bewusst. Er überträgt daher keineswegs die Lehre der objektiven Zurechnung auf die Rechtfertigungsgründe (Kuhlen) oder den Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ auf die Einwilligung, sondern er interpretiert die „hypothetische Ein383

Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442; ders., JR 2004 227. Vgl. Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 134; ders., Jura 2004 683; vgl. weiter Jäger, Examens-Repetitorium § 4 Rdn. 146c. 385 Vgl. Einl. § 1 V. 386 Vgl. Einl. § 1 VII. 387 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 469. 388 Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340, 341. 384

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

willigung“ als einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund im Arzt-Patienten-Verhältnis, der in ganz bestimmten Fallgestaltungen zum Tragen kommt. Über die relevanten Fallgruppen besteht allerdings seit den Entscheidungen des Reichsgerichts keine Klarheit.389 2. Die „Wertungslösungen“ machen dagegen den Geschehensablauf, wie er sich bei einem „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willen des Patienten“ entwickelt hätte, zum Beweisgegenstand der Vermeidbarkeitsformel. Hiermit verkennen sie, dass die Vermeidbarkeitsformel – auch als heuristisches Prinzip zum Auffinden der Zurechnungsvoraussetzung der „Risikoerhöhung“ – an einer „Formulierungsschwäche“ leidet und nicht das „Gemeinte“ trifft: Es geht bei der Vermeidbarkeitsformel nicht um die Frage, ob der Erfolg auch bei einem alternativ rechtmäßig gedachten Verhalten eingetreten wäre.390 Mit dem „hypothetischen Denkverfahren“ bei „rechtmäßigen Alternativverhalten“ ist keine grundsätzliche Anerkennung von „hypothetischen Ersatzursachen“ im Strafrecht verbunden, sondern lediglich der Notwendigkeit Rechnung getragen, aus dem hypothetischen Vergleich mit der pflichtgemäßen Handlung zu ermitteln, ob der Täter eine über das erlaubte Maß hinausgehende Gefahr für das geschützte Rechtsgut begründet oder erhöht hat, die sich im Erfolg realisiert hat. Diesem Anliegen dient die Einschränkung des problematischen Wortlauts der Vermeidbarkeitsformel. Bei der Anwendung dieser auch in der Wissenschaft – jenseits des Topos der „hypothetischen Einwilligung“ – weithin anerkannten „modifizierten Vermeidbarkeitsformel“ der Rechtsprechung, die auch in der Klinikinsassenentscheidung (BGHSt 49 1) wiederholt wird, wäre der Geschehensablauf, wie er sich bei einem „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willen des Patienten“ entwickelt hätte, gerade unbeachtlich gewesen. Das „rechtmäßige Alternativverhalten“ könnte nach dieser „korrigierten Vermeidbarkeitsformel“ nur lauten: Nicht operieren! Erst die Erweiterung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.), wonach neben der „körperlichen Unversehrtheit“ auch die „Selbstbestimmung“ des Berechtigten geschützt sein soll, kann dabei zu der nicht überzeugenden Übertragung des Gedankens des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ auf die Rechtswidrigkeitsebene führen. Eine noch so abenteuerlich fehlerhafte ärztliche Aufklärung beeinträchtigt aber nicht die „körperliche Unversehrtheit“. Sie berührt die „Selbstbestimmung“ des Berechtigten. Vor diesem Hintergrund erklären sich die höchst angreifbaren Forderungen nach einem scheinbaren „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ zwischen dem 389 390

Vgl. Einl. § 2 C. Vgl. so aber ausdrücklich Dreher, Objektive Zurechnung 22 ff., 52.

§ 4 Auseinandersetzung mit der „Irrtumskausalität“

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„Aufklärungsmangel“ und der „Einwilligung“ oder dem „tatbestandlichen Körperverletzungserfolg“. 3. Mit dem Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ kann die objektive Zurechnung des „Körperverletzungsunrechts“ bei der „hypothetischen Einwilligung“ daher nicht ausgeschlossen werden. Der „normative Zurechnungszusammenhang“, der „Rechtswidrigkeitszusammenhang“ oder der „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ liegt bei einem eigenmächtigen ärztlichen Handeln im Gegenteil vor. Hinter dem bei der „hypothetischen Einwilligung“ für einschlägig gehaltenen Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ verbirgt sich tatsächlich die Problematik einer sachgerechten „Funktionsbestimmung strafrechtlicher Gewährleistungsnormen“ speziell im Arzt-Patienten-Verhältnis, wenn der Arzt seine Aufklärungspflicht vernachlässigt, „ohne“ oder sogar „gegen“ den Willen des Patienten in dessen „körperliche Unversehrtheit“ eingreift. Wenn hier die objektive Erfolgszurechnung bei einer „hypothetischen Einwilligung“ ausgeschlossen sein soll, dann geht es der Wissenschaft tatsächlich nicht mehr um den Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ bei der Einwilligung, der nicht nachvollziehbar ist, sondern um eine Berücksichtigung bestimmter „hypothetischer Ersatzursachen“ bei der objektiven Erfolgszurechnung.

§ 4 Die Auseinandersetzung mit dem Gedanken der „Irrtumskausalität“ A. Die „Irrtumskausalität“ bei der Einwilligung I. Die Einordnungsproblematik der „Irrtumskausalität“ Die verschiedenen Konstruktionen bei der „hypothetischen Einwilligung“, die unter dem Begriff der „Irrtumskausalität“ zusammengefasst werden sollen, zeigen in eine andere Richtung als die „Kausalitäts-“ und die „Wertungslösungen“. Die Einwilligung ist danach nicht schon wegen der fehlerhaften ärztlichen Aufklärung unwirksam, sondern erst bei dem Nachweis der „Irrtumskausalität“ für die Einwilligung: Die Wirksamkeit einer irrtümlich erteilten Einwilligung wird an die „Kausalität des Irrtums“ gebunden.391 Demgegenüber besteht die Problematik bei den „Kausalitäts-“ und „Wertungslösungen“ in der Übertragung des Gedankens des „Ursachenzusammenhangs im strafrechtlichen Sinn“ (BGHSt 11 1) oder des Gedankens des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ auf die unwirksame Einwilligung. 391

Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 106 f.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Hierin unterscheidet sich die Konstruktion der „Irrtumsrelevanz“ gedanklich auch von der heutigen „Rechtfertigungslösung“ (i. e. S.) bei der „hypothetischen Einwilligung“. Die „Rechtfertigungslösung“ beruht auf der Erwägung, „dass der Arzt sich [nicht] mit jedem nach einer mangelhaften Aufklärung (und folglich aufgrund unwirksamer Einwilligung) vorgenommenen Eingriff wegen Körperverletzung strafbar macht [. . .].“392 „Die Rechtswidrigkeit entfällt [auch dann], wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte.“393 II. Der strukturelle Unterschied zwischen der Kausalität und der „Irrtumskausalität“ bei der („hypothetischen“) Einwilligung Aus strukturellen Gründen ist eine „Irrtumskausalität“ oder eine „Kausalität des Irrtums bei der Einwilligung“ abzulehnen. Der maßgebliche Grund für die Unbeachtlichkeit der „Irrtumskausalität“ liegt darin, dass die Kausalität in der Sachgestaltung der („hypothetischen“) Einwilligung tatsächlich vorliegt. Der Arzt hat durch das Schneiden, Stechen, Schießen usw. den tatbestandlichen Körperverletzungserfolg tatsächlich verursacht.394 Die „Irrtumskausalität“ bei der Einwilligung ist sachlich dem in der Rechtsprechung geforderten „Ursachenzusammenhang im strafrechtlichen Sinn“ durchaus vergleichbar: Mit der „Kausalität des Irrtums“ für die Einwilligung wird eine spezifisch „juristische Kausalität“ verlangt,395 mit der über die faktische Kausalität „im mechanisch-naturwissenschaftlichen Sinn“ bei der „tatbestandlichen Verursachung des Erfolgs“ hinausgegangen wird. Eine Normativierung der Kausalität in der hier dargestellten Weise ist jedoch abzulehnen.396 Die Begriffe der Kausalität oder der Ursächlichkeit werden bei der Einwilligung allerdings häufiger verwendet:397 Jeder Irrtum, der für die erklärte Einwilligung „kausal“ sei, stehe der Wirksamkeit der Einwilligung entgegen.398 Diese Beschreibung ist grob irreführend. Der gemeinte Sachver392

Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 71. Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 1996 251, 252. 394 Vgl. eingehend 5. Kap. § 2 B. I. 395 Die Einwilligung ist wirksam, wenn die „Irrtumskausalität“ nicht gegeben ist: Die Einwilligung ist wirksam, wenn die Wertung begründet ist, dass der Patient bei pflichtgemäßer ärztlicher Aufklärung hypothetisch eingewilligt hätte. 396 Vgl. eingehend 5. Kap. § 2 C. II. 397 Vgl. etwa Puppe, JR 2004 471: „Kausalität der Falschaufklärung“ für die Einwilligung. Vgl. auch Rönnau, Willensmängel 428, 434: Die Täuschung müsse für die Einwilligung „kausal“ geworden sein. 398 Vgl. Mitsch, Rechtfertigung 508, 523 Fn. 103; ders., in: Baumann/Weber/ Mitsch, Strafrecht AT § 17 Rdn. 111; ders., JZ 2005 281. Zur Darstellung der An393

§ 4 Auseinandersetzung mit der „Irrtumskausalität“

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halt wird mit Begriffen wie der „Wesentlichkeit“,399 der „Bedeutung“,400 der „Relevanz“ des Irrtums für die Einwilligung401 weitaus besser veranschaulicht. Bereits solche Begriffe wie „Beeinflussung“, „Veranlassung“, „Beruhen“402 usw. scheinen geeignet, über das Gemeinte hinaus im Sinne von Kausalität interpretiert zu werden. Das ist unschädlich, sofern die Sachverhalte auseinandergehalten werden. III. Der Zweck der „Irrtumskausalität“ und dessen Umsetzung 1. Der Zweck der „Irrtumskausalität“

Gleichwohl liegt der Wiederbelebung der „Irrtumskausalität“ bei der Einwilligung ein legitimes Anliegen zugrunde.403 Hinter dem angreifbaren Begriff der „Irrtumskausalität“ steht die Problematik, ob die Einwilligung an einem einwilligungsschädlichen Autonomiedefizit leidet.404 Die Einwilligung beruht auf dem Prinzip der Autonomie des Berechtigten. Verfassungsrechtlich ist dieses Prinzip in Art. 2 Abs. 1 GG abgesichert. Willensmängel in Form von Drohung oder Zwang, Täuschung oder Irrtum, stehen dem materiellen Grundgedanken der Einwilligung entgegen. Bestimmte Willensmängel nehmen der Einwilligung daher ihre rechtfertigende Kraft. 2. Die methodische Umsetzung dieses Zwecks

a) Rechtliche (Un-)Beachtlichkeit des „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willens“ des Berechtigten Bei der Prüfung, ob die Einwilligung an einem einwilligungsschädlichen Autonomiedefizit leidet, gehen die Ansichten auseinander. Das beruht auf der verbreiteten Vorstellung, die Kausalität nach der Bedingungsformel zu ermitteln. Heuristisch stimme der zur Ermittlung der „Irrtumskausalität“ anzustellende „hypothetische Vergleich“ mit der Kausalformel überein.405 Geisichten über die Beachtlichkeit von „Täuschung“ und „Irrtum“ bei der Einwilligung vgl. 11. Kap. § 1 B. I. 399 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 110. 400 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 113. 401 Vgl. OLG Köln NJW 1998 3422; NJW-RR 1998 1324, 1325. 402 Vgl. Mitsch, JZ 2005 281; Rönnau, Willensmängel 424. 403 Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 71; vgl. aus der Literatur etwa Mitsch, Rechtfertigung 508, 523 Fn. 103; ders., in: Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 17 Rdn. 111; ders., JZ 2005 281; Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 110, 113; Puppe, JR 2004 471; Rönnau, Willensmängel 428, 434. 404 Vgl. auch Puppe, GA 2003 770.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

len stellt entsprechend dem Wortlaut der Bedingungstheorie („was geschehen wäre, wenn . . .“) ausdrücklich auf den „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willen“ des Patienten ab. Für die Feststellung, ob ein einwilligungsschädliches Willensdefizit beim Berechtigten vorliegt, dass einer autonom getroffenen Einwilligung entgegensteht, ist jedoch nicht in Anlehnung an den Wortlaut der „berühmt, berüchtigten Kausalformel“ (Puppe) auf den „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willen“ des Einwilligenden zurückzugreifen. Der methodische Ansatz der Bedingungstheorie, auf Hypothesen abzustellen, ist unzutreffend.406 Die Konstruktion der „Irrtumskausalität“ erklärt den „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willen“ des Berechtigten zum Rechtfertigungsgrund. Ob ein Autonomiedefizit vorliegt, von der die Wirksamkeit der Einwilligung abhängt, ergibt sich hiernach erst aus dem „hypothetischen Vergleich“. Damit erlangt der „hypothetische, ohne Irrtum gedachte Wille“ des Patienten über die Einwilligung mittelbar rechtfertigende Kraft. Das ist grundlegenden Bedenken ausgesetzt. Die „hypothetische, ohne Irrtum gedachte Einwilligung“ des Berechtigten ist ein „bloßes fiktives Potential“ einer Einwilligung, die hypothetisch hätte vorliegen können, aber tatsächlich nicht vorgelegen hat. Aus strukturellen Gründen ist die „hypothetische Einwilligung“ nicht geeignet, die eigenmächtige Heilbehandlung zu rechtfertigen.407 b) Die Darstellung der Methode zur Ermittlung eines Autonomiedefizits bei der Einwilligung Ausschlaggebend für die Ermittlung eines bei der Einwilligung vorhandenen Autonomiedefizits ist nicht der „hypothetische, ohne Irrtum gedachten Wille“, sondern allein der tatsächliche Wille des Berechtigten. Allein die tatsächlich frei von Willensmängeln gebildete Einwilligung des Berechtigten kann rechtfertigen, nicht aber die in einem gedachten Fall eines hypothetisch alternativ rechtmäßigen Verhaltens des Arztes angenommene Einwilligung. Bei der Prüfung, ob die Einwilligung tatsächlich an einem Willensdefizit leidet, ist daher die tatsächlich erklärte Einwilligung des Berechtigten der alleinige Prüfungsgegenstand. Daneben ist ein „hypothetischer, ohne Irrtum gedachter Wille“ des Berechtigten vollkommen belanglos.

405 406 407

Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 106. Vgl. 5. Kap. § 2 C. I. 1. b). Vgl. eingehend § 5 A.

§ 4 Auseinandersetzung mit der „Irrtumskausalität“

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aa) Die Darstellung der Methode Einwilligungsschädlich ist der durch eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht „hervorgerufene“ Irrtum des Einwilligenden („Irrtumsrelevanz“), der auch tatsächlich in der Einwilligung wirksam wird. Der Mangel in der Ausübung der Erlaubnis auf Seiten des Täters dürfe keinen Mangel der objektiven Voraussetzungen der Rechtfertigung „verursachen“.408 Stehen „infolge“ der fehlerhaften ärztlichen Aufklärung beim Berechtigten notwendige Informationen für die Einwilligung nicht zur Verfügung, ist seine Informationsbasis tatsächlich verkürzt. Die Aufklärungspflicht zielt auch409 auf die Verschaffung der Informationen, die eine autonome Entscheidung ermöglichen sollen. Damit wird der Grundgedanke der Einwilligung unmittelbar berührt. Die Autonomie verlangt aber die Freiheit der Entscheidung von Willensmängeln. Die tatsächlich an einem Willensmangel leidende Einwilligung ist keine autonome, sondern eine heteronome Entscheidung. Der Grund, weshalb der „hypothetische, ohne Irrtum gedachte Wille“ des Berechtigten („kausale Frage“) bei der ungenau als „Irrtumskausalität“ bezeichneten Problematik bedeutungslos ist, besteht bei der „hypothetischen Einwilligung“ darin, dass tatsächlich eine Verletzung der Selbstbestimmung des Berechtigten vorliegt, die die Unwirksamkeit der Einwilligung nach sich zieht. Das hinter der Einwilligung stehende Prinzip der Autonomie ist nicht erst dann berührt, wenn der Patient den Eingriff hypothetisch willensmangelfrei abgelehnt hätte („kausale Relevanz“), sondern bereits dann, wenn „infolge“ der fehlerhaften ärztlichen Aufklärung eine Wissenslücke beim Berechtigten vorhanden ist.410 Kuhlen legt zutreffend dar, dass mit der Verletzung der Aufklärungspflicht dem Patienten die wirkliche Ausübung seiner Selbstbestimmung unmöglich gemacht werde.411 Daneben sieht auch Nüßgens keine Möglichkeit, dass die Überspielung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ihrer Bedeutung durch eine nur gedachte „hypothetische Einwilligung“ enthoben werden könne.412 Die „Ursächlichkeit“ der wahrheitswidrigen Aufklärung für die tatsächliche Einwilligung 408

Vgl. Puppe, GA 2003 770. Vgl. eingehend zu den Zwecken 3. Kap. § 3 B. III. 2. 410 Vgl. Böcker, JZ 2005 927; Eisele, JA 2005 254; Geppert, JK 12/2004 § 223/3 StGB; Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 134; Paeffgen, in: FS für Rudolphi 208 Fn. 89; Puppe, GA 2003 773; dies., JR 2004 471; Rönnau, Willensmängel 429; ders., JZ 2004 801; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122; Tag, Körperverletzungstatbestand 399. 411 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442. 412 Vgl. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 154; ders., in: FS für Hauß 292 f.; ders., in: FS für Nirk 750 f. Vgl. auch Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442. 409

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

wird durch die „hypothetische Einwilligung“ nicht beseitigt.413 Der heuristisch mit der Kausalformel übereinstimmende „hypothetische Vergleich“ ignoriert die tatsächliche Verletzung der Selbstbestimmung des Patienten dagegen in ganz besonderer Weise, indem suggeriert wird, dass es an einer Verletzung der Selbstbestimmung gerade fehlt, weil bei einem „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willen“ die Einwilligung erteilt worden wäre. Auch die Anwendung der im Referendarfall (BGHSt 13 13)414 offengelegten Methode zur Ermittlung der Irrtumsrelevanz beim Betrug (§ 263 StGB) führt zu einer tatsächlichen Verletzung der Selbstbestimmung des Berechtigten. Die Heranziehung der Grundsätze zur Ermittlung des Motivationszusammenhangs ist insoweit nützlich, als noch einmal besonders hervorgehoben wird, dass der „tatsächliche Verlauf der Willensbildung [. . .] sein Dasein und seine rechtliche Bedeutung nicht dadurch [verliert], dass an seine Stelle ein anderer getreten wäre, aber nicht getreten ist.“415 Selbst wenn mit hundertprozentiger Gewissheit festgestellt werden könnte, dass der Patient auch bei richtiger und vollständiger Aufklärung eingewilligt hätte, steht doch fest, dass er tatsächlich eine solche Entscheidung nicht getroffen und der Arzt sich über das Selbstbestimmungsrecht hinweggesetzt hat. Die „hypothetische Einwilligung“ wäre, selbst wenn sie wirklich objektiv feststünde, nichts als eine unbeachtliche Ersatzursache.416 Die Grundsätze zur Ermittlung von „Kausalität“ bei „geistigen Vorgängen im Innern des Menschen“ (BGHSt 13 13) müssen nicht notwendig herangezogen werden.417 Der ergänzende Rückgriff darauf ist allerdings denkbar, weil es sich auch bei der „hypothetischen Einwilligung“ um einen „Vorgang der Entscheidungsfindung“ handelt. Die Relevanz des tatsächlichen Willens bei der Ermittlung des Wissensdefizits folgt jedoch unmittelbar aus dem Grundgedanken der Einwilligung (Autonomie), die nur rechtfertigen kann, wenn sie tatsächlich willensmängelfrei vorliegt.

413

Vgl. Mitsch, JZ 2005 281. Vgl. 5. Kap. § 2 C. I. 3. 415 Vgl. BGHSt 13 13, 14 f.; Puppe, JR 2004 471. 416 Vgl. Puppe, JR 2004 471. 417 Vgl. aber Puppe, JR 2004 471, wonach die im Referendarfall (BGHSt 13 13) niedergelegten Grundsätze „auch für die erschlichene Einwilligung in einen ärztlichen Heileingriff“ gelten sollen. Wenngleich keine „(Irrtums-)Kausalität“ ermittelt werden soll wie beim Betrug (§ 263 StGB), denn „Kausalität“ ist in den Fällen der („hypothetischen“) Einwilligung immer gegeben (Schneiden, Stechen, Schießen usw.), so handelt es sich bei „Irrtumsrelevanz“ für die Einwilligung doch auch um einen Vorgang der Entscheidungsfindung. Eingehend dazu 5. Kap. § 2 C. I. 3. 414

§ 4 Auseinandersetzung mit der „Irrtumskausalität“

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bb) Die beachtlichen Sachverhalte eines „Abbruchs der Irrtumskausalität“ (Rönnau) In zwei Sachgestaltungen, die unter dem Stichwort des „Abbruchs des [Irrtums-]Kausalität“ (Rönnau) zusammengefasst werden, ist die Einwilligung – trotz erheblicher Mängel der ärztlichen Aufklärungspflicht – rechtlich wirksam, weil es tatsächlich nicht an deren Voraussetzungen fehlt. (1) Anderweitige Beschaffung der Informationen In der ersten Fallgruppe wird das auf der fehlerhaften ärztlichen Aufklärung „beruhende“ Wissensdefizit des Berechtigten in anderer Weise als durch die ärztliche Aufklärung adäquat ausgeglichen.418 Dieser wichtige Gedanke erscheint im „Surgibone“-Dübelfall:419 „Es ist auch nicht ersichtlich, dass sie [scil. die Patienten] über die fehlende [arzneimittelrechtliche] Zulassung [der verwendeten „Surgibone“-Dübel] aus anderer Quelle informiert waren.“420 Der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs stellt zutreffend auf den „tatsächlichen Verlauf der Willensbildung“ (BGHSt 13 13) ab. Ein Aufklärungsmangel führe nur dann zur Zurechnung der Behandlung als Körperverletzung, wenn er einen inhaltlichen Mangel der Einwilligung des Patienten zur Folge habe. Das sei beispielsweise dann nicht der Fall, wenn der Patient sich die fehlende Information anderweitig verschafft habe.421 Die durch fehlerhafte Aufklärung hervorgerufene prinzipiell einwilligungsschädliche Fehlvorstellung des Berechtigten, die „Surgibone“-Dübel seien arzneimittelrechtlich zugelassen, wäre in seiner Entscheidung für die Einwilligung nicht mehr „relevant“ geworden, wenn er von der fehlenden Zulassung erfahren, seine Einwilligung aber trotzdem gegeben hätte. Zwar wurde der Berechtigte nur unzureichend informiert, er hätte bei diesem Kenntnisstand keine rechtlich beachtliche Einwilligung erklären können, doch wäre dieser Irrtum „untergegangen“, indem der Berechtigte die fehlende Information zufällig aus einer anderen Quelle erlangt hätte. Er hätte seine Einwilligung in die Verwendung der „Surgibone“-Dübel dann tatsächlich vollinformiert erklärt. Die autonome Entscheidung des Berechtigten stand zwar in Gefahr, durch eine Versäumung der ärztlichen Aufklärungspflicht beeinträchtigt zu werden, doch hat sich diese Gefahr wegen der anderweitigen Verschaffung der 418 419 420 421

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Puppe, GA 2003 771; Rönnau, Willensmängel 428. Einl. § 1 III. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 71. Puppe, GA 2003 772 f.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Informationen nicht realisiert. Der aus der Aufklärungspflicht „herrührende“ Irrtum ist in der Einwilligung nicht wirksam geworden. Bei der „anderweitigen Beschaffung“ des fehlenden Wissens kommt es zu einem „Abbruch der Irrtumskausalität“ (Rönnau). (2) Keinerlei Berücksichtigung des Irrtums bei der Entscheidungsfindung In der zweiten Fallgruppe lässt sich die „Irrtumskausalität“ bei der Einwilligung theoretisch auch dann verneinen, wenn der Arzt seine Aufklärungspflicht verletzt, der Irrtum des Patienten aber keinerlei Bedeutung für dessen Einwilligung hat. Immerhin verlangt auch der Bundesgerichtshof in der Referendarentscheidung (BGHSt 13 13),422 dass die fehlerhafte Vorstellung des Betroffenen bei der tatsächlichen Entscheidungsfindung „wenigstens mitbestimmend“ gewesen sein müsse.423 Mit Puppe soll auch in dieser Sachgestaltung von der Wirksamkeit der Einwilligung ausgegangen werden, aber nicht deshalb, weil der Patient auch „hypothetisch“ eingewilligt hätte,424 sondern weil der vom Arzt zu verantwortende Irrtum bei der wirklichen Entscheidungsfindung des Patienten keinerlei rechtliche „Relevanz“ hat. Hier fehlt es an der „Kausalität“ der Falschaufklärung für die Einwilligung.425 Es ist allerdings durchaus vertretbar, die rechtliche Wirksamkeit der Einwilligung in dieser Fallgruppe mit einem Willensmangel des Berechtigten in Zweifel zu ziehen, denn tatsächlich ist die ärztliche Aufklärungspflicht verletzt worden. Die Einwilligung ist aber auch hier noch immer Ausdruck des hinter ihr stehenden Prinzips der Autonomie. Sie beruht auf keinem Willensmangel, wenn der Patient bei seiner Entscheidung gerade nicht die irrtumsbehafteten Informationen, sondern andere, frei von Willensmängeln gebildete Informationen zugrundelegt. So mag es etwa in dem Fall einer Schönheitsoperation liegen, wenn vereinzelte Risiken falsch aufgeklärt werden, der Patient allerdings aus völlig anderen Gründen einwilligt.426 422

Vgl. 5. Kap. § 2 C. I. 3. Vgl. BGHSt 13 13, 14. 424 Geilen würde hier von der rechtlichen Wirksamkeit der Einwilligung ausgehen, weil der Berechtigte auf der Grundlage eines „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willens“ dem Eingriff zugestimmt hätte. Aber das ist zurückzuweisen, denn bei der Ermittlung der „Kausalität“ spielt der „hypothetische Wille“ keine tragende Rolle, sondern entscheidend ist allein der „tatsächliche Willensverlauf“, vgl. A. II. 3. 425 Vgl. Puppe, JR 2004 471. 426 Veranschaulichen lässt sich das an dem vom Fünften Strafsenat des Bundesgerichtshofs entschiedenen „O-Bein“-Fall (BGH BGHR § 223 Abs. 1 StGB Heilein423

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Diese „theoretische“ Sachgestaltung hat praktisch jedoch nur eine geringe Bedeutung. Die Vorstellung von bestimmten Risiken eines Eingriffs wird grundsätzlich in der Einwilligung „relevant“, auch wenn der Patient sie bei der Entscheidungsfindung vermeintlich nicht berücksichtigt. Sobald der Patient die aufklärungsbedürftigen „Risiken“ der Behandlung als für sich nicht weiter beachtlich zurückstellt, weil sie derart gering sind, dass sie ihn bei seiner Einwilligung nicht interessieren, sind sie auch für die Einwilligung „relevant“ geworden. Das führt zur rechtlichen Unwirksamkeit der Einwilligung. In diesen Fallgruppen zeigt sich jedoch, dass nicht jede Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht zu einer Haftpflicht und Strafe des Arztes wegen einer vollendeten Körperverletzung führen muss.

B. Die Beschränkungen der „hypothetischen Einwilligung“ Die Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ wird in der strafrechtlichen Wissenschaft zum Teil durchaus begrüßt, wenn es gelänge, die zu weitläufigen Kriterien enger zu fassen.427 Hierbei sind verschiedene Gedanken zu unterscheiden: I. Die Unterscheidung des Reichsgerichts in der Entscheidung vom 8. März 1940 Die Fallgruppen einer „qua Aufklärungspflichtverletzung“ irrtümlich erteilten Einwilligung und die Ersetzung einer „a limine fehlenden [überhaupt nicht erklärten oder sogar verweigerten] Einwilligung“ durch eine nur gedachte Einwilligung sollen konstruktiv unterschiedlich behandelt werden. Merkel weist für die Fallgruppe einer „fehlenden Einwilligung“ auf die „Besonderheit des Rechtfertigungsgrundes [der] Einwilligung“ hin: Die Eingriff 2): Es ist zu unterstellen, dass der „intensive Wunsch“ des Patienten nach einer operativen Korrektur seiner O-Beine das einzige für ihn bestimmende Motiv bei der Gestattung der Schönheitsoperation war. Die fehlerhafte Vorstellung von den Eingriffsrisiken soll dagegen gar keine Rolle gespielt haben: Sie hätte den Entschluss – das wird unterstellt: feststellbar – nicht wahrscheinlicher gemacht. Der Irrtum wäre nach dieser Ansicht nicht „kausal“ für die Einwilligung geworden. Die Einwilligung wäre objektiv wirksam gewesen. Sie wäre selbstbestimmt getroffen worden und hätte damit dem „wahren Willen“ des Betroffenen entsprochen, obwohl die Entscheidungsgrundlage des Patienten nachweislich rechtlich unvollständig gewesen wäre, vgl. so auch Puppe, JR 2004 471. Aber darauf kommt es nach dem konkreten Willensbildungsprozess eben nicht an, denn die Eingriffsrisiken haben den Patienten überhaupt nicht beeinflusst. 427 Vgl. Sickor, JA 2008 16.

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willigung garantiere die Autonomie und beziehe ihre Legitimationskraft nicht aus objektiven Umständen der Welt, sondern aus dem subjektiven Willen des Einwilligenden.428 Bei einer fehlerhaften Aufklärung schließt aber auch Geilen nicht ohne weiteres auf die rechtliche Unwirksamkeit der Einwilligung.429 Die in dieser Fallgruppe angezeigte Prüfung der „Irrtumskausalität“ bei der Einwilligung kann in der anderen Fallgestaltung notwendig keine Bedeutung erlangen, weil es an einem Irrtum für die Einwilligung überhaupt fehlen muss, wenn die Einwilligung gar nicht erteilt oder sogar verweigert wurde. Nicht grundsätzlich anders verhält es sich mit der Begründung des Reichsgerichts in seiner Entscheidung vom 8. März 1940 (RGZ 163 129) für diese differenzierende Betrachtung. Nur wenn der Beklagte die Zustimmung der Klägerin zur Abnahme der ganzen Brust gehabt hätte und es sich nur darum handelte, dass die Zustimmung auf Grund einer unzureichenden Belehrung erteilt worden wäre, könnte die Frage aufgeworfen werden, ob die Klägerin die Einwilligung nicht auch bei sachgemäßer Beratung gegeben haben würde, so dass es unter allen Umständen zu dem Eingriff und damit zu den durch diesen herbeigeführten Nachteilen gekommen wäre. Der Täter habe allerdings die Zustimmung zu dem Eingriff überhaupt nicht gehabt. Er habe den Eingriff demnach nicht vornehmen dürfen. „Tat er es dennoch, so überschritt er damit die Grenzen des rechtlich und vertraglich Zulässigen [. . .].“430 In ihrer Umkehrung vermittelt die Begründung des Reichsgerichts den Eindruck, als ob der Arzt sich noch im Rahmen des „rechtlich und vertraglich Zulässigen“ gehalten hätte, wenn nur eine fehlerhaft aufgeklärte Einwilligung vorhanden gewesen wäre und der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte. Allerdings ist Hanau darin zuzustimmen, dass die Einwilligung nach den Prämissen des Reichsgerichts nur dann rechtlich wirksam ist, wenn sie sich auf die „Art“ und den „Umfang des Eingriffs“ („Behandlungseinwilligung“) sowie auf die für die Selbstbestimmung des Patienten relevanten Risiken bezieht („Selbstbestimmungsaufklärung“).431 Deshalb ist auch der Rückgriff Merkels auf die Autonomie des Berechtigten, die bei einer an einem „einwilligungshemmenden Aufklärungsfehler“ leidenden Einwilligung tatsächlich nicht berührt sein soll, wenn eingewilligt worden wäre, in hohem Maße widersprüchlich. 428 Vgl. Merkel, in: NK § 218a StGB Rdn. 39; ders., in: Handbuch des Medizinstrafrechts 196. 429 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 106 ff.; Merkel, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 197. 430 Vgl. RGZ 163 129, 139 = DR 1940 1288, 1291. 431 Vgl. Hanau, Kausalität 48.

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Im Hinblick auf das der Einwilligung zugrundeliegende Prinzip der Autonomie ist es rechtlich vielmehr belanglos, ob die Einwilligung nicht frei von „relevanten“ einwilligungsschädlichen Irrtümern erklärt, gar nicht erklärt oder sogar ausdrücklich verweigert wurde. Der Arzt hat die Grenzen des „rechtlich und vertraglich Zulässigen“ immer überschritten, egal ob die Einwilligung fehlerhaft erteilt worden ist oder vollkommen fehlt.432 Dann wird aber auch in der Fallgruppe der „qua Aufklärungspflichtverletzung“ irrtümlich erteilten Einwilligung eine wegen eines Aufklärungsfehlers rechtlich unwirksame Einwilligung durch eine nur gedachte „hypothetische Einwilligung“ des Patienten ersetzt. Einer „hypothetischen Rechtfertigung“ stehen das Reichsgericht und Geilen allerdings mit Recht skeptisch gegenüber.433 II. Die Parallele zur Rechtsgeschäftstheorie Die vergleichsweise Heranziehung der auf Zitelmann zurückgehenden434 Rechtsgeschäftstheorie trägt die Auffassung Geilens ebenso wenig. An der hierfür erforderlichen strukturellen Vergleichbarkeit der Sachverhalte Einwilligung und Rechtsgeschäft fehlt es. Die Einwilligung ist keine Willenserklärung435 in Sinne der §§ 104 ff. BGB,436 sondern eine Rechtshandlung.437 Die Ablehnung der Rechtsgeschäftstheorie erfolgt mit dem Hinweis auf die Rechtsgutsqualität der Einwilligungsobjekte, die nicht Gegenstand eines 432 Vgl. von Caemmerer, Überholende Kausalität 450; Hanau, Kausalität 48; Kahrs, Überholende Kausalität 90. 433 Vgl. RGZ 163 129, 139 = DR 1940 1288, 1291; Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 107, 113. 434 Vgl. Zitelmann, AcP 99 (1906) 51 ff.; übersichtlich zum Einfluss dieser Lehre auf das Strafrecht Ohly, in: FS für Jakobs 451 f. 435 Die Qualifizierung der Einwilligung als Willenserklärung im Sinne von §§ 104 ff. BGB hätte den unbestreitbaren Vorteil der klaren Ausformulierung von Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches für sich, etwa die Anwendung von § 119 Abs. 1 BGB; vgl. auch Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 106: „unbestreitbare Konsequenz“. Gerade bei der durch Täuschung bedingten Einwilligung zeigt sich die Schwäche der Konstruktion besonders deutlich: Die Einwilligung ist unwirksam, ohne dass es einer Anfechtung bedarf, vgl. eingehend Ohly, in: FS für Jakobs 464 ff. 436 Vgl. RGSt 41 392, 395 ff.; BGHZ 29 33, 36 ff.; zur ausführlichen Begründung Amelung, Willensmängel 13 ff.; ders., ZStW 104 (1992) 526 f.; ders./Eymann, Jus 2001 937 f.; vgl. weiter Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 110; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 42 f.; Schroth, in: FS für Volk 732; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 9 Rdn. 14. 437 Vgl. Lenckner, ZStW 72 (1960) 455.

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Rechts seien und über die daher auch nicht „verfügt“ werden könne.438 In der Tat meint die Einwilligung keine „Verfügung“ über ein Rechtsgut, sondern allein den Verzicht über den ihnen zukommenden Rechtsschutz.439 Zweifelhaft ist die Abgrenzung von Willenserklärung440 und Einwilligung nach dem Rechtsfolgewillen. Auf einen rechtlichen Erfolg sei die Willenserklärung, auf einen tatsächlichen Erfolg dagegen die Einwilligung gerichtet.441 Gerade der ärztliche Heileingriff belegt aber, dass es um die Begründung von subjektiven Erlaubnissen und deren Reichweite für den Arzt geht.442 Mit Blick auf das Wesen von Willenserklärung und Einwilligung lässt sich eine nachvollziehbare Differenzierung begründen. Willenserklärungen beziehen sich auf „konstitutive Normen“. Sie wollen eine Vertrauensgrundlage für den Rechtsverkehr zur weiteren Gestaltung von Rechtsverhältnissen schaffen, indem sie den Erklärenden für die Zukunft binden. Die Einwilligung hingegen bezieht sich auf „regulative Normen“, die einen vorhandenen Bestand an Gütern des Einwilligenden sichern. Mit der Einwilligung wird umgekehrt gegenüber dem Erklärungsempfänger keine für die Zukunft bindende Vertrauensgrundlage geschaffen, sondern lediglich Auskunft gegeben über die Außerkraftsetzung eines bestimmten Verbots, in die Rechtsgüter des Einwilligenden einzugreifen. Die Einwilligung ist daher ein rechtlich anerkanntes Informationsmittel. Sie gewährt im Unterschied zur Willenserklärung wegen ihrer jederzeitigen freien Widerruflichkeit ohne Angabe von Gründen keinen bindenden Vertrauensschutz für die Zukunft. Willenserklärungen erzeugen enttäuschungsfeste Erwartungen, Einwilligung heben diese auf.443 Der wissentlich oder fahrlässig fehlerhaft aufklärende Arzt verdient keinen Schutz des Vertrauens auf den Bestand der Einwilligung.444 Im Übrigen ist anzumerken, dass die Rechtsgeschäftstheorie auf den „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willen“ des Patienten abstellen würde. 438 Vgl. RGSt 41 392, 395 ff.; BGHZ 29 33, 36 ff.; vgl. auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 42; Schroth, in: FS für Volk 732. Allerdings sind eben auch Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit anerkannt (Art. 2 Abs. 2 GG), vgl. Amelung, Willensmängel 12. 439 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 609 ff., 612. 440 Eine Willenserklärung ist ein privates Rechtsgeschäft, gerichtet auf die Herbeiführung eines Rechtserfolgs, der eintritt, weil er gewollt ist und von der Rechtsordnung anerkannt wird, vgl. Mugdan Bd. 1 421. 441 Vgl. Lenckner, ZStW 72 (1960) 455; vgl. auch Leistner, Vertrag 543. 442 Vgl. dazu ausführlich Kohte, AcP 195 (1985) 116 ff. 443 Vgl. Amelung, Willensmängel 14 ff.; vgl. auch Hanau, Pflichtwidrigkeit 48 Fn. 84: „Vertrauensschutz“; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 42; Schroth, in: FS für Volk 732. 444 Vgl. Hanau, Pflichtwidrigkeit 48 Fn. 84 a. E.; Otto, in: FS für Geerds 615; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 80.

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Zu den Voraussetzungen der Anfechtung gehört es, dass anzunehmen ist, dass der Anfechtende die Erklärung „bei Kenntnis der Sachlage [. . .] nicht abgegeben haben würde“ (§ 119 Abs. 1 BGB). Die „hypothetische Einwilligung“ kann allerdings nicht rechtfertigen.445 III. Die Unterscheidungsversuche in der heutigen Diskussion 1. Der Gedanke des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“

Die Notwendigkeit einer restriktiven Handhabung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ bei den Rechtfertigungsgründen wird überwiegend anerkannt. Der Versuch einer Beschränkung der Lehre der objektiven Zurechnung bei den Rechtfertigungsgründen wird auf der Grundlage des Gedankens des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ unternommen. Abgesehen von der Einigkeit über den „wichtigsten Fall“ bei der Einwilligung, nämlich die „fehlerhafte ärztliche Aufklärung“, bestreitet Kuhlen jedoch einen allgemeingültigen Maßstab zur Abgrenzung von „zurechnungsirrelevanten“ und „zurechnungsrelevanten“ Sachverhalten. Es bedürfe vielmehr der jeweiligen Ausarbeitung mit Blick auf die einzelnen Rechtfertigungsgründe.446 Es existiert auch tatsächlich keinerlei Einigkeit über die Abgrenzung von „tiefgreifenden Rechtfertigungsdefiziten“ und „bloßen Rechtfertigungsmängeln“. Bereits Dreher, ein Schüler Kuhlens, gelangt nach der Ausarbeitung ähnlicher Zurechnungsgedanken zu abweichenden Ergebnissen.447 Nicht zuletzt der Blick in die umstrittene Rechtsprechung untermauert diesen Eindruck.448 Die Abgrenzung nach dem Maßstab des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ ist aber nicht nur ungeklärt,449 bislang noch nicht ersichtlich450 oder „schwierig“,451 sondern sie zeigt schlechtweg in die falsche Richtung. Der Maßstab des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ scheidet als Abgrenzungskriterium überhaupt aus.452 445

Vgl. eingehend § 5 A. Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 340; ders., in: FS für Müller-Dietz 439 ff.; vgl. auch Rönnau, JZ 2004 803. 447 Vgl. 1. Kap. § 1 A. I., § 2 A. I. 2. 448 Vgl. RGZ 163 129, 138 = DR 1940 1288, 1291; aber BGH NJW 1991 2342, 2343 (Handeln „ohne“ Einwilligung). Gegen eine derartige Ausdehnung auch Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 106 f. 449 Vgl. offenlassend Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231; ders., JZ 2004 803; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 134, § 14 Rdn. 115. 450 Vgl. Sickor, JA 2008 15. 451 Vgl. Böcker, JZ 2005 930. 452 Vgl. § 3 B. 446

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit 2. Die „Funktionsbestimmung strafrechtlicher Gewährleistungsnormen“

Der Maßstab, anhand dessen bei der „hypothetischen Einwilligung“ tatsächlich zwischen „zurechnungsirrelevanten“ und „zurechnungsrelevanten Sachverhalten“ differenziert wird, berührt dagegen unmittelbar die „Funktionsbestimmung strafrechtlicher Gewährleistungsnormen“.453 Es werden nur bestimmte „hypothetische Reserveursachen“ bei der objektiven Zurechnung anerkannt. Es wird daher nicht mehr die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Berechtigten in seinen Rechtsgütern, sondern vornehmlich der „materielle Wert“ des „Guts“ geschützt. a) Die Beachtlichkeit der „hypothetischen Einwilligung“ kann in bestimmten Fallgruppen intuitiv durchaus einleuchten. Sie wird in der Fallgruppe der ärztlichen „Aufklärungsmängel“ schlechtweg postuliert. b) Es bleibt daher theoretisch offen, weshalb einzelne Fallgruppen von dem allgemeinen Prinzip ausgeschlossen werden, wenn der Gedanke der Beachtlichkeit „hypothetischer Ersatzursachen“ das normative Fundament der „hypothetischen Einwilligung“ bildet. aa) In der Tat ist es normativ kaum zu begründen, weshalb eine in einem Belegkrankenhaus durchgeführte Operation, die bei einer fehlerfreien Aufklärung wahrscheinlich in einer renommierten Klinik durchgeführt worden wäre, von vornherein nicht von einer „hypothetischen Einwilligung“ gedeckt sein soll.454 Außerdem erscheint das bloße Hinauszögern der Operation um wenige Minuten, Stunden oder Tage nicht relevant, wenn es darauf ankommen soll, dass der Schaden ohnehin eingetreten wäre oder die Normbefolgung keinen Beitrag zum bezweckten Rechtsgüterschutz geleistet hätte. In diesen Fällen wäre die „Maßgeblichkeit der auf die Rechtsgüter Gesundheit und körperliche Integrität bezogenen Interessendefinition des Patienten“ bei einer „hypothetischen Einwilligung“ „im Ergebnis“ immer gewährleistet. Entscheidend ist auch hier die „Funktionsbestimmung strafrechtlicher Gewährleistungsnormen“. Es bleibt damit allerdings unbegründet, weshalb gerade bestimmte Gewährleistungen an die „Objekts-Auffassung“ des geschützten Rechtsguts „von außen angestückt“ werden.455 bb) Über die Abgrenzung von „tiefgreifenden Rechtfertigungsdefiziten“ und „bloßen Rechtfertigungsmängeln“ besteht zwischen Dreher, Krauß und Kuhlen keinerlei Einigkeit.456 Wieso „offenbar das Unrecht einer Körperver453

Vgl. eingehend 7. Kap. § 3 B. Vgl. Rönnau, JZ 2004 803. 455 Vgl. zu diesen Gründen eingehend 7. Kap. § 3. 456 Vgl. Dreher, Objektive Zurechnung 110, 116, der entgegen Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 440 die Lehre der objektiven Zurechnung auch bei einem ärztlichen Handeln „ohne Willen“ des Patienten für denkbar hält. 454

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letzung, die gegen den erklärten Willen des Betroffenen [. . .] erfolgt, nicht durch die hypothetische Überlegung beseitigt [wird], dass bei Vorliegen einer Einwilligung [. . .] ‚die gleiche‘ Verletzung rechtmäßig erfolgt wäre“, belegt Kuhlen allein mit Hinweis auf das nicht einschlägige „rechtmäßige Alternativverhalten“ nicht überzeugend. Bei dem veränderten normativen Ausgangspunkt wäre es ganz im Gegenteil gerade statthaft, die „hypothetische Einwilligung“ bei einem Handeln nicht nur „ohne den Willen“, sondern sogar „gegen den Willen“ des Berechtigten anzuwenden.457 Das einschlägige „rechtmäßige Verhalten“ wäre die ärztliche Heilbehandlung mit rechtlich wirksamer Einwilligung. Die „Maßgeblichkeit der auf die Rechtsgüter Gesundheit und körperliche Integrität bezogenen Interessendefinition des Patienten“ wird „im Ergebnis“ auch in diesen Situationen gewahrt, wenn der Patient hypothetisch eingewilligt hätte;458 vorausgesetzt immer der „Wert“ des geschützten Rechtsguts der „körperlichen Integrität“, nicht seine freie Entfaltung im geschützten Rechtsgut als „Subjekt der Behandlung“ (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG) wird gewährleistet. Eine bestimmte andere Qualität des vorhergehenden Handelns als diejenige, gerade „rechtswidrig“ zu sein, ist nicht erforderlich. Wenn sie notwendig sein soll, dann bedarf das einer Abstufung nach den Graden der Rechtswidrigkeit des ärztlichen Handelns, die es nicht gibt, oder nach den Graden des Unrechts, die bisher nicht ersichtlich ist. Eine derart weitgehende Lehre, bei der jede rechtswidrige „körperliche Misshandlung“ durch Hypothesen prinzipiell in Frage gestellt werden kann, vertritt fast459 niemand. Der normative Grund bleibt jedoch unklar. Er liegt natürlich darin, dass in der Fallgruppe der „a limine fehlenden [überhaupt nicht erklärten oder sogar verweigerten] Einwilligung“ eine tatsächlich rechtspflichtwidrige Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit des Menschen“ vorliegt, die durch Hypothesen nicht beseitigt werden kann. IV. Die Aufgabe der restriktiven Behandlung der „hypothetischen Einwilligung“ Die bisher dargestellten Begründungen für die differenzierende Betrachtung der verschiedenen Fallgruppen eines ärztlichen Handelns „gegen“, „ohne“ und mit „fehlerhaft gebildeten Willen“ sind nicht überzeugend. Das begründet die Gefahr einer Aufgabe der restriktiven Behandlung des Rechtsgedankens.460 457

Vgl. auch Böcker, JZ 2005 930. Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442. 459 Vgl. aber Krauß, in: FS für Bockelmann 573. 460 Vgl. etwa auch Oetker, in: MüKo § 249 BGB Rdn. 216; Schiemann, in: Staudinger § 249 BGB Rdn. 108. 458

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Der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in seiner Entscheidung vom 5. Februar 1991 bereits angedeutet, dass er die Rechtsfigur auch dann für denkbar hält, wenn es nicht schon an der Aufklärung, sondern erst an der Einwilligung fehle. Für hypothetische Erwägungen könne aber etwa Raum sein, wenn der Patient, nachdem er aufgeklärt worden sei, in einen nicht mehr erklärungsfähigen Zustand gerate, aber auch, wenn in Betracht kommende Erweiterungen der Operation zwar mit ihren Risiken erörtert worden seien, jedoch eine hinreichend klare Verständigung zwischen Arzt und Patient nicht zustande gekommen oder nicht nachweisbar sei.461 Wenn es an einer wirksamen Einwilligung in beiden Sachgestaltungen fehlt, helfen jedoch die Rechtsfiguren der gemutmaßten und der „mutmaßlichen Einwilligung“ weiter.462 Der Rückgriff auf die „hypothetische Einwilligung“ ist unnötig. Ihre Ausdehnung schränkt andere anerkannte Rechtsfiguren unangemessen ein. V. Die Berechtigung der differenzierenden Betrachtung des Reichsgerichts Natürlich hat das Reichsgericht seine Prämissen nicht verkannt und gesehen, dass der Arzt „die Grenzen des rechtlich und vertraglich Zulässigen [. . .]“463 bei einer „qua Aufklärungspflichtverletzung“ irrtümlich erteilten Einwilligung überschreitet. Wenn es gleichwohl auf diese rechtlichen und vertraglichen Grenzen hinweist, die bei einer „qua Aufklärungspflichtverletzung“ irrtümlich erteilten Einwilligung anders zu ziehen seien als bei einer „a limine fehlenden [überhaupt nicht erklärten oder sogar verweigerten] Einwilligung“, dann beruht das vielmehr auf dem Gedanken, dass sich mit der Anerkennung der Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht nicht gleichsam die Verantwortlichkeit des Arztes wegen einer mit der ärztlichen Heilbehandlung verbundenen Körperverletzung erweitert. Die Konstruktion der „Irrtumsrelevanz“ ist in der Sache daher eine Irrtumslehre bei der Einwilligung. Bei einer Aufklärungspflichtverletzung darf nicht zwingend auf die rechtliche Unwirksamkeit der Einwilligung geschlossen werden.464 Hier ist aber nicht dem „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willen des Patienten“, sondern vielmehr der Frage nachzugehen, „ob etwaige Lücken der Aufklärung bei verständiger Beurteilung des Sinnes der Aufklärungspflicht ein solches Gewicht haben, dass die daraufhin erteilte Einwilligung zur Rechtfertigung des ärztlichen Vorgehens nicht mehr 461 462 463 464

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

BGH NJW 1991 2342, 2343. zutreffend Hager, in: Staudinger § 823 BGB I Rdn. 122. RGZ 163 129, 139 = DR 1940 1288, 1291. ausdrücklich Merkel, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 197.

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ausreicht.“465 Im Kern geht es bei dieser differenzierenden Betrachtung daher um eine Einschränkung der Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht.466

C. Die verschiedenen Maßstabsfiguren bei der „hypothetischen Einwilligung“ I. Die Parallele zur Rechtsgeschäftstheorie Die Kunst- oder Maßstabsfigur des „verständigen Patienten“, die Geilen einer so weitgehenden Subjektivierung der „Irrtumskausalität“ vorzieht,467 begründet er erneut mit einer Parallele zur Rechtsgeschäftstheorie.468 Der Irrtum müsse nach § 119 Abs. 1 BGB auch „bei verständiger Würdigung“ objektiv tragfähig sein. Die Parallele trägt jedoch nicht.469 II. Der „verständige“ (objektive) Patient 1. Die Verletzung der Autonomie des Einwilligenden

Auf den Gedanken der Autonomie, dem hinter der Einwilligung stehenden Prinzip, lässt sich eine („hypothetische“) Einwilligung, bei der auf die Maßstabsfigur des „verständigen Patienten“ abgestellt wird, nicht mehr zurückführen. Der „individuelle Patient“ muss entscheiden, ob und inwieweit er seine „körperliche Unversehrtheit“ aufwendet. Der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs befürchtet daher, dass durch eine „verständige“ („hypothetische“) Einwilligung „die Freiheit des Patienten, sich eben anders, vielleicht nach Meinung anderer gar unvernünftig zu entscheiden, rechtswidrig unterlaufen“ werde.470 „Das Erfordernis der Einwilligung [. . .] hat seine normative Wurzel in den grundlegenden Verfassungsprinzipien, die zu Achtung und Schutz der Würde und der Freiheit des Menschen und seines Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit verpflichten, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 465

Vgl. von Caemmerer, Gesammelte Schriften Bd. I 450. Vgl. zur Einschränkung der Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht 11. Kap. 467 Das Bemühen um eine Individualisierung der „hypothetischen Einwilligung“ führt sachlich nicht über den Standpunkt Geilens hinaus. Allein die Akzente werden verschoben, vgl. III. 468 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 110. 469 Vgl. B. II. 470 Vgl. BGHZ 90 103, 111 f. = NJW 1980 1333, 1334. 466

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Satz 1 GG.“471 „Im Lichte des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist das Institut der Einwilligung [. . .] inhaltlich so zu bestimmen, dass das Recht des Patienten gewahrt bleibt, entsprechend seinen ureigensten Maßstäben seine Einwilligung zu erteilen oder zu verweigern; hierüber ist er von Verfassungs wegen allenfalls sich selbst, nicht aber dritten Personen und ihren Maßstäben Rechenschaft schuldig.“472 Der „Anspruch des Patienten auf eine angemessene Aufklärung über die Gefahren des Eingriffs [ist] Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts über seine Person [. . .]. Er soll ihn davor schützen, dass sich der Arzt ein ihm nicht zustehendes Bevormundungsrecht anmaßt [. . .], und auch sein Recht gewährleisten, bezüglich seines Körpers und seiner Gesundheit wissentlich sogar Entscheidungen zu treffen, die nach allgemeiner oder wenigstens herrschender ärztlicher Meinung verfehlt sind.“473 „Niemand darf sich zum Richter in der Frage aufwerfen, unter welchen Umständen ein anderer vernünftigerweise bereit sein sollte, seine körperliche Unversehrtheit zu opfern, um dadurch wieder gesund zu werden. Diese Richtlinie ist auch für den Arzt verbindlich.“474 2. Die Ersetzung der Einwilligung

Mit der „hypothetischen Einwilligung“ wird daher die höchstpersönliche Entscheidung des Patienten durch diejenige des Gerichts ersetzt.475 Das Gericht dürfe aber nicht seine eigene, vielleicht auf einen verständigen Patienten abgestellte oder nach einem ärztlichen Gutachten über die Zweckmäßigkeit der Behandlung erlangte Auffassung anstelle der des Patienten maßgebend sein lassen. Das würde gegen die fundamentale Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts verstoßen.476 Hier üben medizinischer und forensischer Paternalismus den Schulterschluss.477 Dabei habe im rechtlichen Diskurs die hohe Wertigkeit der Patientenautonomie und ihrer lebensprakti471

Vgl. BVerfGE 52 131, 173. Vgl. BVerfGE 52 131, 178 473 Vgl. BGHZ 90 103, 111 f. = NJW 1980 1333, 1334. 474 Vgl. BGHSt 11 111, 113 f. (Myomfall). 475 Vgl. von Caemmerer, Überholende Kausalität 450; Frank/Löffler, JuS 1985 693 f.; Giesen, Arzthaftungsrecht 119; ders., JZ 1993 318; Koziol, Haftpflichtrecht 165 f.; H. Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 5 207; Medicus, in: Staudinger 12. Aufl. § 249 BGB Rdn. 114; in diesem Sinne wohl auch Deutsch, NJW 1965 1989: „die Entscheidungsfreiheit würde tangiert“. Das Argument findet sich auch bei Befürwortern der „hypothetischen Einwilligung“, die aber auf die Entscheidung des „konkreten“, nicht des „vernünftigen“ oder „verständigen“ Patienten abstellen. 476 Vgl. Kleinewerfers, VersR 1963 303. 477 Vgl. Giesen, Arzthaftungsrecht 119; ders., JZ 1993 318; H. Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 5 207. 472

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schen Basis des „informed consent“ nicht nur in abstracto längst fraglose rechtliche Verbindlichkeit erlangt.478 III. Der „konkrete“ individuelle (subjektive) Patient 1. Der Schutz der „spezifischen Lage vor dem Eingriff“

Richtet sich die „hypothetische Einwilligung“ dagegen nach der Entscheidung des „konkreten Patienten“, soll dessen Freiheit, nach „ureigensten Maßstäben seine Einwilligung zu erteilen oder zu verweigern“, beachtet werden: Das Gericht „setze sich nicht [mehr] an die Stelle“ des Patienten und „verdränge nicht“ sein Selbstbestimmungsrecht. Vielmehr stelle das Gericht lediglich fest, ob dieser Patient mit seinen Besonderheiten und Eigenheiten damals in der konkreten Lage eingewilligt hätte.479 Hinter dieser Konstruktion steht der Gedanke, die Gewährleistung des ungestörten Genusses bestimmter Güter sei dem jeweiligen Augenblick nicht verhaftet und daher unabhängig von der „spezifischen Lage [des Berechtigten] vor dem Eingriff“. Mit einem Schutz des Patienten als „Subjekt der Behandlung“ (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG) ist das aber nicht mehr konsequent zu vereinbaren. Auf die Autonomie des Berechtigten lässt sich auch diese Konstruktion nicht mehr zurückführen. Bei der Einwilligung gehe es um eine allein vom Patienten „in seiner spezifischen Lage vor dem Eingriff“ zu treffende, höchstpersönliche Entscheidung über seine körperliche Integrität.480 Bei einer rechtlich unwirksamen oder fehlenden Einwilligung fehlt es aber gerade an der „freien Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen“ durch willentliche Einbindung des Patienten in die ärztliche Heilbehandlung. Der Patient hat tatsächlich niemals vor der Wahl gestanden, ob er den konkreten Eingriff gestattet. Er muss aber entscheiden, ob und inwieweit er seine „körperliche Unversehrtheit“ aufwendet. Nur so werde gewährleistet, dass der Patient entsprechend seinen „ureigensten Maßstäben“ seine Einwilligung erteilen oder verweigern könne.481 Die Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ führt daher immer dazu, dass nicht mehr der individuelle „konkrete“ Patient „in seiner spezi478

Vgl. Duttge, in: FS für Schroeder 180. Vgl. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 154; ders., in: FS für Hauß 293; ders., in: FS für Nirk 752; vgl. auch Katzenmeier, Arzthaftungsrecht 368 f. 480 Vgl. von Caemmerer, Gesammelte Schriften Bd. I 449 f.; Giesen, Arzthaftungsrecht 119; H. Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 6 209; Medicus, in: v. Staudinger 12. Aufl. § 249 BGB Rdn. 114. 481 Vgl. BVerfGE 52 131, 178 479

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

fischen Lage“ über die ärztliche Heilbehandlung entscheidet, sondern das Gericht. Damit werden allerdings wichtige Grundelemente einer Entfaltung der Person in Freiheit übergangen. Ohnehin sind Rückschlüsse auf die Entscheidung des Berechtigten in der „spezifischen Lage vor dem Eingriff“, in der er hätte stehen können, aber tatsächlich nicht gestanden hat, nur möglich, wenn diese Situation überhaupt rekonstruierbar ist. Die „spezifische Lage vor dem Eingriff“ lässt sich aber nicht nur schwerlich, sondern gar nicht rekonstruieren.482 Der Patient – wenn er zur Rekonstruktion der „spezifischen Lage vor dem Eingriff“ noch bereitsteht – befindet sich „vor“ und „nach der Operation“ in einer vollkommen unterschiedlichen Sachlage.483 Es fehlt nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch ein einigermaßen sicherer Maßstab für die Beurteilung der „hypothetischen Einwilligung“.484 Der Patient müsse aber die Gelegenheit zum ruhigen Überdenken haben,485 die Möglichkeit, seine Lage mit den nächsten Angehörigen zu besprechen,486 sich darüberhinaus mit dem Arzt auszusprechen,487 einen weiteren Arzt, gegebenenfalls einen Spezialisten zu konsultieren,488 und danach seine Entscheidung zu treffen. Der Patient muss auch nicht wie ein „fiktivrationaler Maßstabs-Homunculus“ zur Einwilligung gelangen, sondern er kann durchaus auf der „Basis von gefühlsbeherrschten bis irrationalen Aspekten“ entscheiden. Bei Entscheidungen in eigener Sache zähle es zu dem „Grundelement individueller Selbstverantwortung“, eine „Bauchentscheidung“ treffen zu können.489 Es bleibt allerdings offen, wie solche Umstände, deren Einfluss auf die Einwilligung nicht annähernd sicher offengelegt werden kann, nunmehr bei der „hypothetischen Einwilligung“ berücksichtigt werden sollen. Es ist aber in höchstem Maße inkonsequent, solche bisweilen „irrationalen“ Elemente 482 Vgl. Giesen, Arzthaftungsrecht 119; H. Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 6 209; Medicus, in: Staudinger 12. Aufl. § 249 BGB Rdn. 114; Otto, JK 2/05 § 228/4 StGB 2; Puppe, GA 2003 769; Sternberg-Lieben, StV 2008 192. 483 Vgl. Otto, JK 2/05 § 228/4 StGB 2. 484 Vgl. Bosch, JA 2008 71. 485 Vgl. H. Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 5 207. 486 Vgl. H. Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 5 207. 487 Das OLG Karlsruhe VersR 2001 860, 861 hat die Einflussnahme von dritter Seite (Hausarzt) als zu berücksichtigenden Faktor anerkannt. Vgl. hierzu auch kritisch von Caemmerer, Gesammelte Schriften Bd. I 449 f.; Giesen, Arzthaftungsrecht 119; H. Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 6 209. 488 Vgl. von Caemmerer, Gesammelte Schriften Bd. I 449 f.; H. Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 5 207. 489 Vgl. Paeffgen, in: FS für Rudolphi 209.

§ 4 Auseinandersetzung mit der „Irrtumskausalität“

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nicht zu berücksichtigen, obwohl auch die „Bauchentscheidung“ des Einwilligenden im Ausgangspunkt garantiert wird (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG). Eine „hypothetische Einwilligung“, auch wenn sie auf den „konkreten Patienten“ abstellt, birgt daher die Gefahr, wichtige Grundelemente der „freien Entfaltung des Berechtigten“ in seinem Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ zu überspielen. 2. Die plausible Schilderung eines „echten Entscheidungskonflikts“

Der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, dem sich auch der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs im Bandscheibenfall angeschlossen hat,490 verlangt nicht, dass der Patient seine mutmaßliche Entscheidung offenlege. Das würde den Patienten nicht selten überfordern.491 Die Angaben seiner persönlichen Gründe müssen lediglich erkennen lassen, dass er „aus seiner Sicht“ vor einem „echten Entscheidungskonflikt“ gestanden hätte, aus dem heraus die behauptete Ablehnung der Behandlung im damaligen Zeitpunkt verständlich werde:492 Einsichtig machen könne und soll der Patient nur, dass ihn die vollständige Aufklärung über das Für und Wider des ärztlichen Eingriffs ernsthaft vor die Frage gestellt hätte, ob er zustimmen solle oder nicht.493 Mit der Gewährleistung der Freiheit, nach „ureigensten Maßstäben“ zu entscheiden, ist aber auch die „Plausibilitätskontrolle“, bei der der Vortrag des Patienten ausschließlich auf seine Glaubwürdigkeit geprüft wird, nicht mehr zu vereinbaren. Es ist sachlich belanglos, in welchem Maß man dem Patienten zumutet, nach den „Maßstäben Dritter“ vernünftig zu sein.494 Die „Mehrzahl der Patienten“ seien mit der „Plausibilitätsproblematik“ ohnehin „hoffnungslos“ überfordert.495 Es bleibe offen, ob der (Durchschnitts-)Patient mit dem Begriff des „Entscheidungskonflikts“ überhaupt konkrete Vorstellungen verbinde.496 Die persönliche Tragweite solcher Erklärung angesichts dreier schwarzgewandeter Richter über innerste, höchstpersönliche Überlegungen, Kümmernisse, Alpträume, Befürchtungen, Zweifel, Hoffnungen und Erwartungen überfordere fast jeden Betroffenen.497 490 491 492 493 494 495 496 497

29.

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. ausdrücklich BGH NJW 1991 1543, 1544. BGHZ 90 103, 111 f. = NJW 1984 1397, 1399. ausdrücklich BGH NJW 1991 1543, 1544. Weber-Steinhaus, Ärztliche Berufshaftung 261. Schlund, VersR 1991 815. Gehrlein, in: Arzthaftungsprozess 29. Schlund, VersR 1991 815; vgl. auch Gehrlein, in: Arzthaftungsprozess

330

6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Die fehlende Gerichtserfahrung der Betroffenen, die Kommunikationsschwierigkeiten bei Gericht (unterschiedliche Vorbildung, Sprachniveaus usw.) sind darüberhinaus zu berücksichtigen. Auf diesem Wege gehen solche Grundelemente freiheitlicher Entfaltung, die nur höchst bedingt einem rationalen Nachvollziehen zugänglich sind. Die prinzipiell für „notwendig“498 gehaltene Befragung des Patienten durch das Gericht kann bisweilen auch gar nicht mehr möglich sein. Der wichtigste Grund ist derjenige des zwischenzeitlichen Todes des Patienten499 womöglich infolge des Heileingriffs oder des kosmetischen Eingriffs500. Die Einführung der „hypothetischen Einwilligung“ führe namentlich bei tödlich endenden Behandlungen zu dem für den Arzt angenehmen Nebeneffekt, ihn trotz eines u. U. abenteuerlichen Aufklärungsmangels von einer strafrechtlichen Haftung freizustellen, weil der Patientenvertreter/ Staatsanwaltschaft nicht mehr plausibel machen könne, dass jener bei korrekter Aufklärung sich anders entschieden hätte.501 Damit ist der vorläufige Eckpunkt der Objektivierung des „individuellen Willens“ des Berechtigten durch die forensische Feststellung erreicht. Mit dieser Problematik beschäftigte sich das Oberlandesgericht Bamberg in seiner Entscheidung vom 5. Mai 1997. Die Nichtdarlegung eines plausiblen Entscheidungskonflikts ging in diesem Fall zu Lasten der Patientin.502 Die Entscheidungsfreiheit des Patienten wird daher auch dann angetastet, wenn bei dem Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ auf den „individuellen Patienten“ abgestellt wird. Das Gericht setzt immer seine Auffassung über die Einwilligung an die Stelle des Patienten und verdrängt damit sein Selbstbestimmungsrecht.503

D. Die Beweislast bei der „hypothetischen Einwilligung“ Die Beweislast für die „kausale Frage“, dass sich der Patient gegen den Eingriff entschieden hätte, hat für Geilen bei der zivilrechtlichen Schadensersatzpflicht eine Bedeutung.504 Dagegen sei im Strafrecht dem Arzt nach498

Vgl. BGH NJW 1990 2928, 2929. Vgl. etwa OLG Bamberg VersR 1998 1025, 1026. 500 Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340. 501 Vgl. Paeffgen, in: FS für Rudolphi 208. 502 Vgl. OLG Bamberg VersR 1998 1025, 1026. 503 Vgl. anders aber Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 154; ders., in: FS für Hauß 293; ders., in: FS für Nirk 752; vgl. auch Katzenmeier, Arzthaftungsrecht 368 f. 504 Im Zivilrecht soll die Beweislast für die hypothetische Ablehnung des Eingriffs bei dem Patienten liegen, vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 112 f.; 499

§ 5 Auseinandersetzung mit der hypothetischen Rechtfertigung

331

zuweisen, dass der Patient die „kausale Frage“ verneint hätte.505 Das stimmt völlig überein mit der heute geübten Praxis der Strafgerichte.506

§ 5 Die Auseinandersetzung mit dem Gedanken der hypothetischen Rechtfertigung A. Strukturelle Unterschiede zwischen den Rechtfertigungsgründen und der „hypothetischen Einwilligung“ I. Der strukturelle Unterschied zwischen der Einwilligung und der „hypothetischen Einwilligung“ 1. Die Ermittlung der Rechtspflichtwidrigkeit des ärztlichen Handelns

Die Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ als weiterer Rechtfertigungsgrund neben der wirklichen Einwilligung scheitert an den strukturellen Unterschieden der jeweils beschriebenen Situationen. Auszugehen ist von der Beschreibung des geschützten Rechtsguts: Das Rechtsgut ist „eine bestimmte, in den einzelnen Tatbeständen näher beschriebene, reale Beziehung des Rechtssubjekts zu konkreten von der Rechtsgesellschaft anerkannten Werten (‚soziale Funktionseinheiten‘), in der sich das Rechtssubjekt mit Billigung durch die Rechtsordnung personal entfaltet“.507 Das Rechtsgut ist daher abstrakt als „schutzwürdige Bezievgl. so auch Engisch/Hallermann, Ärztliche Aufklärungspflicht 32 f. Das sei durch die Parallele zur bürgerlich-rechtlichen Anfechtung (Stichwort: Rechtsgeschäftstheorie) vorgezeichnet. Ebenso ergebe sich das aus der vertragsrechtlichen Parallele, der Sanktion der Aufklärungspflicht unter dem Gesichtspunkt der positiven Forderungsverletzung. Es wäre einigermaßen merkwürdig, wenn das Deliktsrecht in der Verteilung der Beweislast günstiger wäre. Auch bei der Beweislastverteilung unterscheidet Geilen Ärztliche Aufklärungspflicht 113 wieder zwischen der „Irrtumskausalität“ und der Ersetzung der fehlenden Einwilligung durch eine nur gedachte Einwilligung („hypothetische Rechtfertigung“). Hier sei die Beweislast gerade umgekehrt beim Arzt und müsse beachtet werden, dass diese nicht rückwärts in den Anwendungsbereich des Einwilligungsirrtums hinein erweitert werde. Mit diesem Standpunkt weicht Geilen erheblich von der heute anerkannten zivilrechtlichen Beweislastverteilung ab, wie sie der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit der Grundsatzentscheidung BGHZ 90 103, 111 f. eingerichtet hat. 505 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 105. 506 Vgl. BGH NStZ 1996 33, 34 = JR 1996 69, 71; NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252; vgl. auch OLG Hamm 3 Ss 742/90. 507 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 32; ders., Struktur 33; ders., in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 8; ders., in: FS für Geerds 610.

332

6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

hung“ zu verstehen. Es ist vom jeweiligen Rechtsgutsinhaber abstrahiert. Doch haben auch individuelle Rechtsgüter (Individualrechtsgüter), die vorrangig der Entfaltung der Persönlichkeit einzelner dienen, noch soziale Bezüge: Der Allgemeinheit bzw. dem sozialen Ganzen wird die Mitinhaberschaft an den Individualrechtsgütern eingeräumt. Der Wille des einzelnen konkreten Rechtsgenossen kann daher nicht „konstitutives Element“ des Rechtsgutsbegriffs sein. Wohl aber kann der Berechtigte über die ihm zugehörigen Rechtsgutsobjekte (scil. Handlungs-, Angriffsobjekte) „verfügen“ und damit auf konkrete Rechtsgutsbeziehungen Einfluss nehmen. Die Einwilligung des Berechtigten in die Verletzung seines Handlungs- bzw. Angriffsobjekts kann daher den rechtlichen Schutz der Beziehung nicht aufheben, doch ist der „Verzicht“ des Berechtigten auf den „strafrechtlichen Schutz“ dieser Beziehung auch nicht irrelevant. Die Selbstbestimmung des Berechtigten (Einwilligung) wird in dem hier relevanten Konflikt zwischen „Selbstbestimmungsrecht“ und „Rechtsgüterschutz“ von der Rechtsordnung regelmäßig als das „höherrangige Interesse“ anerkannt, weil der gewährte Rechtsschutz bei dem Schutz individueller Rechtsgüter vorrangig dem Interesse des Betroffenen zu dienen bestimmt ist. Das verbleibende gesellschaftliche soziale Interesse rechtfertigt im Regelfall keine strafrechtliche Absicherung mehr.508 Strukturell anders verhält es sich bei der „hypothetischen Einwilligung“. An einer Einwilligung des Berechtigten in die Verletzung des Rechtsgutsobjekts (scil. Handlungs-, Angriffsobjekt) fehlt es, weil diese wegen eines Willensmangels des Einwilligenden unwirksam ist. Die „hypothetische Einwilligung“ ist dagegen ein „bloßes fiktives Potential“ einer Einwilligung, die in dem gedachten Fall des alternativ rechtmäßigen Verhaltens des Arztes wirksam hätte vorliegen können, aber tatsächlich nicht vorgelegen hat. Der Berechtigte hat daher im Tatzeitpunkt gerade keinen Einfluss auf die Rechtsgutsbeziehung genommen. Es fehlt an dem „Verzicht“ des Berechtigten auf „Strafrechtsschutz“. In der „Interessenabwägung“ zwischen dem „Selbstbestimmungsrecht“ und dem „Rechtsgüterschutz“ kann sich der „hypothetische Wille“ des Berechtigten demnach nicht als das „höherrangige Interesse“ durchsetzen. Der Rechtsgüterschutz kollidiert gerade nicht mit einem „tatsächlichen Willen“ des Berechtigten, sondern mit einem tatsächlich nicht vorhandenen, bloß „hypothetischen Willen“. Der entscheidende Grund, weshalb die „hypothetische Einwilligung“ kein „Rechtfertigungsgrund“ ist, der die Rechtswidrigkeit der ärztlichen Heilbehandlung ausschließt, besteht darin, dass ohne eine tatsächlich wirksame Einwilligung des Berechtigten in die Verletzung des Rechtsgutsobjekts (scil. 508

Vgl. eingehend 3. Kap. § 3 B. III.

§ 5 Auseinandersetzung mit der hypothetischen Rechtfertigung

333

Handlungs-, Angriffsobjekt) eine rechtspflichtwidrige Rechtsgutsbeeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ vorliegt.509 Die „hypothetische Einwilligung“ ist eine bloße Fiktion einer Einwilligung, die hypothetisch hätte vorliegen können, aber tatsächlich nicht vorgelegen hat. Sie kann an der Rechtspflichtwidrigkeit der Rechtsgutsbeeinträchtigung nichts ändern. 2. Die Impfentscheidung des Dritten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs

a) Diese Auffassung bestätigt auch der Dritte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in der Impfentscheidung vom 26. Januar 1959, in der er es ablehnt, einen Rechtfertigungsgrund der „hypothetischen Einwilligung“ anzuerkennen.510 Verkürzter Sachverhalt: Ein Amtsarzt des Staatlichen Gesundheitsamts impfte 1951 an der Volksschule die Schüler gegen Diphterie und Scharlach. Er unterließ es, die Eltern der zu impfenden Schüler darüber zu informieren, dass die Impfung freiwillig ist. Die Eltern gingen in der Folge von einer Zwangsimpfung aus.

Der Umstand, dass die Impfung in jedem Fall durchgeführt worden wäre, weil der Vater des Klägers der Impfung auch bei Kenntnis von deren Freiwilligkeit zugestimmt hätte, könne vielleicht Bedeutung haben für die selbstständig gewertete Amtspflichtverletzung des Dr. S., er habe durch eine mangelhafte Vorbereitung und Organisation der Impfung die Eltern der Schulkinder nicht vollständig über den freiwilligen Charakter der Impfung unterrichtet. Dagegen habe dieser Umstand keine Bedeutung für die andere Amtspflichtverletzung des Arztes, dass er wegen der Nichtzustimmung der Eltern des Klägers unzulässigerweise und amtspflichtwidrig geimpft habe. „Die Frage, ob der Vater des Kl. bei Kenntnis der Freiwilligkeit der Impfung seine Zustimmung erteilt hätte, ist in diesem Zusammenhang nicht eine solche der Kausalität. Die Rechtswidrigkeit einer Handlung – und nur um dieses Problem kann es hier gehen – kann aber durch eine hypothetische Zustimmung des Berechtigten nicht beseitigt werden.“511 b) Diese Überzeugung teilt darüberhinaus Schäfer. Habe der Arzt ohne die erforderliche Einwilligung – also rechtswidrig – den Eingriff vorgenommen, so könne er sich gegen über einem Schadensersatzanspruch nicht darauf berufen, dass der Patient seine Zustimmung erteilt hätte.512 Die „hypo509

Vgl. auch Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 365; Jäger, in: FS für Jung

350. 510

Vgl. BGH VersR 1959 355, 356. Vgl. BGH VersR 1959 355, 356. 512 Vgl. Schäfer, in: Staudinger 10./11. Aufl. § 823 BGB Rdn. 414. In der 12. Aufl. § 823 BGB Rdn. 486 hat Schäfer seinen Standpunkt allerdings relativiert, denn ein Berufen auf „hypothetische Einwilligung“ sei „in der Regel“ ausgeschlossen. 511

334

6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

thetische Einwilligung“ lasse die Rechtswidrigkeit des der Einwilligung ermangelnden Vorgehens unberührt.513 II. Der Gedanke eines „mutmaßlichen“514 und „hypothetischen Einverständnisses“ als Exkurs 1. Der Übertragung des Rechtsgedankens der „hypothetischen Einwilligung“ auf das Einverständnis widerspricht Schwartz. Er beruft sich auf die unterschiedliche Rechtsnatur von Einverständnis und Einwilligung: Das tatbestandliche Einverständnis erfordere einzig, dass der fragliche Wille des Opfers im Zeitpunkt der Tat tatsächlich vorgelegen habe, da der Tatbestand ein Handeln des Täters gegen den Willen des Opfers verlange. Auf den „wahren Willen“ des Berechtigten, wie er in Kenntnis der wahren Sachlage getroffen worden wäre, komme es anders als bei der Einwilligung nicht an. Das faktische Einverständnis sei bei Willensmängeln in Form von Täuschung oder Irrtum wirksam, die Einwilligung als Rechtschutzverzicht dagegen nicht.515 Aus der unterschiedlichen Rechtsnatur von Einverständnis und Einwilligung lässt sich aber keine prinzipielle Einschränkung des Rechtsgedankens der „hypothetischen Einwilligung“ herleiten,516 wenn dieser Rechtsgedanke von seinem ursprünglichen Ausgangspunkt, der Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht, losgelößt wird.517 2. Zutreffend erinnert dagegen Marlie, dass ein Einverständnis mit einem „mutmaßlichen Einverständnis“ „systematisch nicht vergleichbar“ sei. Die Grundlage für eine tatbestandsausschließende Wirkung des zustimmenden Willens – unabhängig von der dogmatischen Begründung – liege in der Erkenntnis, dass im Falle der Disposition das Rechtsgut nicht beeinträchtigt und damit schon kein typisches Unrecht verwirklicht werde. Dieser Gesichtspunkt treffe indes auf die mutmaßliche Zustimmung gerade nicht zu. Denn hier habe der Träger des geschützten Rechtsguts eben nicht disponiert. Deshalb bleibe hier ein Eingriff auch immer ein Eingriff in delikts513

Vgl. Spickhoff, in: Soergel § 823 BGB Anh. I Rdn. 155. Parallele Erwägungen zur „hypothetischen Einwilligung“ stellt Disput, Die (mutmaßliche) Zustimmung 149 ff. mwN, 200 mit einem tatbestandsausschließenden (aaO. 158) „mutmaßlichen Einverständnis“ an. 515 Vgl. Schwartz, Hypothetische Einwilligung 169 f. 516 Vgl. hierzu die Beispiele Einl. § 2 B. II. 3. 517 Gleichwohl legt Schwartz, hier und aaO. 244 ein richtigen Gedanken offen, nämlich dass hinter der „hypothetischen Einwilligung“ im Ausgangspunkt ein anderer Zweck als derjenige der bloßen „Unrechtseinschränkung“ gestanden hat. Vgl. hierzu eingehend 11. Kap. § 1 A. 514

§ 5 Auseinandersetzung mit der hypothetischen Rechtfertigung

335

typischer Weise. Das geschützte Rechtsgut werde beeinträchtigt, ein Ausschluss des Tatbestandes mangels Verwirklichung des typischen Unrechts komme nicht in Betracht.518 Dem ist für das „mutmaßliche Einverständnis“ aus dem von Marlie mitgeteilten Grund, der fehlenden Vergleichbarkeit der Situationen eines wirklichen und eines „mutmaßlichen Einverständnisses“, vorbehaltlos zuzustimmen. III. Der Gedanke einer „hypothetischen Rechtfertigung“ 1. Der strukturelle Unterschied zwischen der Rechtfertigung und der „hypothetischen Rechtfertigung“

Im Zusammenhang mit der „hypothetischen Einwilligung“ haben das Reichsgericht in seiner Entscheidung vom 8. März 1940,519 der Dritte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in der Impfentscheidung vom 26. Januar 1959,520 aber auch Geilen,521 Kuckuk,522 Mertens523 und Nüßgens524 auf den Gedanken einer eigentlichen „hypothetischen Rechtfertigung“ aufmerksam gemacht, den sie allerdings mit Skepsis behandelten. Der Gedanke einer „hypothetischen Rechtfertigung“ ist aus den gleichen Gründen abzulehnen wie die „hypothetische Einwilligung“. Die Anerkennung einer „hypothetischen Rechtfertigung“ scheitert an den strukturellen Unterschieden zwischen einer tatsächlichen und einer „hypothetischen Rechtfertigung“. Die Wertung der „Rechtmäßigkeit“ der Tat beruht auf der positiven Feststellung einer anerkannten Kollisionsregel (scil. wirkliche, gemutmaßte und „mutmaßliche Einwilligung“, Notwehr, Notstand usw.) im Tatzeitpunkt. Die Tat ist – vorbehaltlich der Pflichtenkollision525 – rechtswidrig, wenn tatsächlich kein anerkannter Rechtfertigungsgrund vorliegt. Die Rechtmäßigkeit eines Verhaltens beruht auf dem Vorhandensein der tatsächlichen Voraussetzungen eines Erlaubnissatzes in der konkreten Situation im Tatzeitpunkt. Bei dem Gedanken der „hypothetischen Rechtfertigung“ verhält es sich aber strukturell anders. Hypothesen sind bloße gedankliche Vorstellungen, 518

Vgl. Marlie, JA 2007 116 mwN. Vgl. auch Otto, Grundkurs BT § 35 Rdn. 9. Vgl. RGZ 163 129, 138 f. = DR 1940 1288, 1291. 520 Vgl. BGH VersR 1959 355, 356. 521 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 107, 113. 522 Vgl. Kuckuk, in: Erman Vor § 249 BGB Rdn. 88. 523 Vgl. Mertens, in: Soergel Vor § 249 BGB Rdn. 166. 524 Vgl. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 152. 525 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 199 ff.; vgl. auch Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 16 ff. 519

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

die keinen Einfluss auf die Wertung der Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit haben. Der tatsächliche Eingriff in die Rechtsgüter eines anderen ist nur dann gerechtfertigt, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes im Tatzeitpunkt vorliegen, nicht aber nur hypothetisch hätten vorliegen können. Scheitert die positive Feststellung der Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes, so hilft es dem Täter nicht, wenn die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes hypothetisch hätten vorliegen können, aber tatsächlich nicht vorgelegen haben. Der maßgebliche Grund für die Unbeachtlichkeit des Gedankens einer „hypothetischen Rechtfertigung“ besteht darin, dass ein anerkannter Rechtfertigungsgrund im Tatzeitpunkt tatsächlich gerade nicht vorliegt. 2. Das fehlende „subjektive Rechtfertigungselement“ in dem Notwehrbeispiel von Ulsenheimer

Das wissenschaftliche Schrifttum hat sich mit dem Gedanken einer „hypothetischen Rechtfertigung“ zum Teil im Zusammenhang mit der Fallgruppe des Fehlens des „subjektiven Rechtfertigungselements“ beschäftigt. Ein von Ulsenheimer gebildeter Beispielsfall zur Notwehr soll das veranschaulichen: Jemand verletzt einen anderen und beruft sich im Prozess darauf, es habe objektiv eine Notwehrsituation bestanden, sodass er auch „rechtmäßig“ hätte verletzen dürfen.526

Ulsenheimer lehnt es ab, dass sich der in Unkenntnis der rechtfertigenden Umstände handelnde Täter darauf berufen dürfe, dass er den Erfolg auch rechtmäßig hätte herbeiführen können, wenn er den rechtfertigenden Sachverhalt erkannt hätte. Die Verteidigung des Täters mit dem Gedanken der „hypothetischen Rechtfertigung“ sei unbeachtlich. Der Täter soll wegen eines vollendeten Delikts bestraft werden.527 Diese Auffassung beruht auf der Lehre vom „dreistufigen Verbrechensaufbau“. „Tatbestand“, „Rechtswidrigkeit“ und „Schuld“ seien sachlich voneinander getrennte, völlig abgeschlossene und je eigener Wertung unterliegende Komplexe.528 Indem der Tatbestand „das verbotene Verhalten beschreibt [. . .] [scil. „Verbotsmaterie“ oder „Unrechtstypus“] und [. . .] somit angibt, dass die Merkmale des betreffenden generellen Verbots verwirklicht 526

Vgl. Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 155. Vgl. Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 155; vgl. auch Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 107, 113. 528 Vgl. Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 5; Otto, Grundkurs AT § 5 Rdn. 25; Welzel, Lehrbuch § 10. 527

§ 5 Auseinandersetzung mit der hypothetischen Rechtfertigung

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sind, handelt es sich um die erste Wertungsstufe im Unrechtsbereich.“ Die „Tatbestandsmäßigkeit“ besage, dass das Täterverhalten objektiv und subjektiv in Widerspruch zum einzelnen „abstrakten Verbot resp. Gebot (deshalb Tatbestandsmäßigkeit = Normwidrigkeit)“ stehe. Die „Rechtswidrigkeit“ gebe darüberhinaus Auskunft über den „Widerspruch zur Rechtsordnung im ganzen“ und beschreibe das Verhalten daher nicht nur als „abstrakt“, sondern „konkret pflichtwidrig“. Welzel entwickelte mit Augenmerk auch529 auf die Fallgestaltung des „fehlenden subjektiven Rechtfertigungsmerkmals“ den Lehrsatz: „Der Tatbestand indiziert die Rechtswidrigkeit, wenn kein Rechtfertigungsgrund vorliegt.“530 Die „Indizfunktion“ des Tatbestandes könne nur durch einen „ausnahmsweise“ eingreifenden Erlaubnissatz entkräftet werden, der verhindere, dass die „abstrakte“ Norm zur „konkreten Rechtspflicht“ werde. „Da die Tatbestandsverwirklichung normwidrig ist und da der Verstoß gegen eine Verbotsnorm rechtswidrig ist, falls nicht ein Erlaubnissatz eingreift, so folgt, dass mit der vollen Verwirklichung des Tatbestandes einer Verbotsnorm die Handlung rechtswidrig ist, wenn kein Erlaubnissatz Anwendung findet.“ Demgemäß erfolge die Feststellung des zweiten – obwohl positiven – Verbrechensmerkmals in einem „rein negativen Verfahren“, nämlich in der Prüfung, dass kein Rechtfertigungsgrund vorliege.531 Ausgehend von den Prämissen eines „dreistufigen Verbrechensaufbaus“ kann die Tat daher nur gerechtfertigt sein, wenn die objektiven und die subjektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes gleichermaßen vorliegen.532 Demnach ist die Tatbestandsverwirklichung in dem Notwehrbeispiel Ulsenheimers vollendet und rechtswidrig, weil die subjektiven Voraussetzungen eines Erlaubnissatzes fehlen. Wenn die „objektive Unrechtsauffassung“, für die sich das Unrecht ausschließlich in objektiv-außenweltlichen Merkmalen der Handlung erschöpfe, die subjektiv-seelischen Momente aber die Schuld ausmachen sollen,533 es 529

Vgl. Welzel, Lehrbuch § 22 III 1 f. 168 ff. Vgl. Welzel, Lehrbuch § 10 III 53; § 14 I 80. Dieser heute vielfach gebrauchte Lehrsatz hat statistisch verstanden durchaus eine gewisse Berechtigung. Allerdings ist das Strafrecht keine statistische, sondern eine normative Materie. Die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens ist darüberhinaus positiv anhand der Gesamtrechtsordnung zu bestimmen, denn nicht alle Rechtfertigungsgründe sind gesetzlich vertypt, vgl. hierzu eingehend Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 3. 531 Vgl. eingehend Welzel, Lehrbuch § 14 I 80; Hirsch, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 6. 532 Vgl. Welzel, Lehrbuch § 14 I 80 f., 83 f., für die Einwilligung § 14 VII 2b 97; vgl. auch Geerds, GA 1954 264; Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 51. Anders dagegen Stratenwerth Strafrecht AT I § 9 Rdn. 147; vgl. nunmehr auch Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 9 Rdn. 152. 530

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

in dem Beispielsfall anders sehe und deshalb den Täter trotz seiner Unkenntnis von der objektiv rechtfertigenden Situation bisweilen sogar für „gerechtfertigt und straflos“ halte,534 dann stütze sie, wie Hirsch,535 Paeffgen536 und Ulsenheimer537 meinen, die Rechtfertigung sachwidrig bereits darauf, dass ein aus krimineller Intention handelnder Täter, wenn er den Angriff gekannt haben würde, sich befugtermaßen hätte verteidigen können. Die Rechtfertigung werde auf ein „hypothetisches Alternativverhalten“ gestützt.538 Ein „fiktives Potential“ würde damit zur Grundlage eines „tatsächlichen Unrechts-Ausschlusses“ gemacht werden.539 Die Lehre von den „subjektiven Rechtfertigungselementen“ hält Ulsenheimer daher für den Grund, dass im Laufe der Zeit die Berufung auf ein alternativ rechtmäßiges Verhalten des Täters zurückgedrängt worden sei.540 Auf den in der Sache überzeugenden Gedanken, dass ein „fiktives Potential“ nicht zur Grundlage eines „tatsächlichen Unrechts-Ausschlusses“ gemacht werden kann, kommt es hier allerdings nicht an. In dem Notwehrbeispiel von Ulsenheimer besteht keine Übereinstimmung zu der völlig anders liegenden Situation, bei der sich der tatsächlich rechtswidrig handelnde Täter darauf beruft, er hätte das Recht gar nicht zu brechen brauchen, um den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. Er hätte den Erfolg auch hypothetisch rechtmäßig herbeiführen können. Er hat sich um die Rechte des anderen allerdings nicht gekümmert.541 Der Täter handelte in dem Notwehrbeispiel zwar in Unkenntnis, aber im Rahmen eines tatsächlich vorliegenden, 533 Vgl. Welzel, Lehrbuch § 11 I 1 59 f.; vgl. auch Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 82. 534 Vgl. Spendel, in: LK 11. Aufl. § 32 StGB Rdn. 60 ff., 138 mwuN; ders., in: FS für Bockelmann 258 f.; ders., in: FS für Oehler 197 ff.; ders., DRiZ 1978 330 f.; vgl. weiter Oehler, Zweckmoment 165 ff.; Rohrer, JA 1986 368 f.; Runte, Rechtfertigungsgründe 307 f. Einen anderen Standpunkt hat etwa von Hippel, Strafrecht Bd. II § 16 IV 3 195 Fn. 3, vertreten, der in diesem Beispiel wenigstens wegen eines untauglichen Versuchs bestrafen wollte. Zur eingehenden Auseinandersetzung über die Herleitung des „subjektiven Rechtfertigungselementes“ vgl. vor allem Frisch, in: FS für Lackner 115 ff.; vgl. eingehend weiter Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 51; Paeffgen, in: NK Vor § 32 StGB Rdn. 89; Rath, Subjektives Rechtfertigungselement 77 ff.; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 82 muwN; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 14 Rdn. 96. 535 Vgl. Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 51. 536 Vgl. Paeffgen, in: NK Vor § 32 StGB Rdn. 88. 537 Vgl. Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 155. 538 Vgl. Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 51. 539 Vgl. Paeffgen, in: NK Vor § 32 StGB Rdn. 88. 540 Vgl. Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 155. 541 Vgl. Coing, SJZ 1950 871; Hanau, Kausalität 67; Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 5 206; Niederländer, JZ 1959 621; Oetker, in: MüKo § 249 BGB Rdn. 213 muN aus der Rspr.

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objektiv rechtfertigenden Sachverhaltes.542 Die tatsächlichen Sachverhalte sind daher nicht miteinander vergleichbar.543 Die Prämisse, wonach der Gesetzestatbestand die „Verbotsmaterie“ beschreibe,544 weshalb das Delikt vollendet sei, wenn kein Rechtfertigungsgrund vorliege, halten viele Anhänger der „dreistufigen Verbrechenslehre“545 für die Fälle des „fehlenden subjektiven Rechtfertigungselementes“ jedoch nicht konsequent durch. Mit dem Hinweis auf den „im Wesentlichen“ übereinstimmenden „Unrechtsgehalt der Tat“ mit dem eines Versuchs, der mit einem Fehlen des „Erfolgsunwertes“ beschrieben wird, gelangen sie vielmehr zur unmittelbaren546 oder – allerdings nicht täterbegünstigenden547 – analogen548 Anwendung der Regeln über den Versuch. Weil aber der „Tatbestand“ und die „Rechtswidrigkeit“ keine sich gegenüberstehenden eigenständigen Rechtskreise sind, sondern in einem („Gesamt-“)Unrechtstatbestand eine einheitliche Wertungsstufe bilden, entspricht die Situation in der Tat derjenigen des Versuchs:549 Der Täter verletzt die 542

Vgl. auch Freund, Strafrecht AT § 3 Rdn. 44c. Daher ist es auch abzulehnen, in der späten Anerkennung der „Willenserklärungstheorie“ bei der Einwilligung den maßgeblichen Grund dafür zu sehen, dass sich die Ablehnung einer „hypothetischen Einwilligung“ im Gegensatz zu der Ablehnung einer „hypothetischen Rechtfertigung“ nur zögerlich durchsetzte. Vgl. zu diesem Gedanken Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 155. Bei der „Willensrichtungstheorie“ rechtfertigte scheinbar die dem Täter unbekannte Einwilligung, vgl. KG JR 1954 428. Ihre Anhänger gaben ihre Ausgangsposition allerdings auf, indem sie gleichwohl wegen untauglichen Versuchs bestraften. Die dem Täter unbekannte Einwilligung beseitigte auch hiernach den Handlungsunwert nicht. 544 Vgl. eingehend Otto, Jura 1995 469 ff.; Herzberg, JA 1986 191 f. 545 Vgl. eingehend etwa Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 5; Otto, Grundkurs AT § 5 Rdn. 25; Welzel, Lehrbuch § 10. 546 Vgl. etwa KG GA 1975 215; Frisch, in: FS für Lackner 138 ff.; Herzberg, JA 1986 191 f.; Prittwitz, JURA 1984 76; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 14 Rdn. 101. 547 Vgl. eingehend Rath, Subjektives Rechtfertigungselement 275 f.; Schünemann, GA 1985 373. Vgl. auch Jakobs, Strafrecht AT 11. Abschn. Rdn. 23. 548 Vgl. Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 31 IV 2 330; Kühl, Strafrecht AT § 6 Rdn. 16; Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 15; Stratenwerth/ Kuhlen, Strafrecht AT I § 9 Rdn. 152 f.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 8 Rdn. 279. Die Versuchsregeln sollen analog angewendet werden, weil der „Erfolg“ im Gegensatz zu der strukturellen Situation des Versuchs tatsächlich eingetreten sei, vgl. zu diesem Einwand etwa Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 61; Jakobs, Strafrecht AT 11. Abschn. Rdn. 23; Spendel, in: LK 11. Aufl. § 32 StGB Rdn. 140. Vgl. kritisch hierzu Herzberg, JA 1986 193; Frisch, in: FS für Lackner 140; Rath, Subjektives Rechtfertigungselement 256 f., 281. 549 Vgl. eingehend Otto, Grundkurs AT § 18 Rdn. 49; ders., Jura 1995 475. Allerdings bedarf es für diese Argumentation keines Rückgriffs auf die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen. Vgl. zur Ablehnung dieser „konstruktiven Krücke“ eingehend Otto, Grundkurs AT § 5 Rdn. 17 f. 543

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Rechtspflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden, objektiv nicht rechtspflichtwidrig, denn er hält sich im Rahmen des objektiv Erlaubten. Subjektiv handelt er jedoch rechtspflichtwidrig, denn er will den Erfolg objektiv rechtspflichtwidrig herbeiführen, setzt hierzu unmittelbar an, schafft es aber nicht. Aufgrund dieser subjektiven Rechtspflichtverletzung (Handlungsunrecht) bleibt daher eine Strafbarkeit wegen Versuchs übrig.550 IV. Der Gedanke und die Bedeutung des „mutmaßlichen Willens“ des Berechtigten Der Grund für die Entlastung des Täters, der sich auf einen „hypothetischen Willen“ des Berechtigten beruft, ist auch ein ganz anderer als derjenige der „hypothetischen Einwilligung“. Nicht die „hypothetische Einwilligung“ entlastet den Täter, sondern die tatsächliche Rechtfertigung durch die Rechtsfigur der „mutmaßlichen Einwilligung.“ 1. Die Begriffsbestimmung der „mutmaßlichen Einwilligung“

Die „mutmaßliche Einwilligung“ wird gemeinhin als ein eigenständiger, gewohnheitsrechtlich anerkannter Rechtfertigungsgrund verstanden. Er soll sachlich zwischen der wirklichen Einwilligung551 und dem rechtfertigendem Notstand (§ 34 StGB) angesiedelt sein.552 Diese inhaltliche Bestimmung des Begriffs ist jedoch problematisch, da sich hinter diesem Rechtfertigungsgrund zwei strukturell verschiedene tatsächliche Sachverhalte mit jeweils anderem Beurteilungsmaßstab verbergen, die strikt auseinanderzuhalten sind.553 Bei der tatsächlichen Situation der gemutmaßten („indizierten“) Einwilligung soll der nicht ausdrücklich oder konkludent geäußerte reale, individuelle Wille des konkreten Berechtigten, dessen Befragung nicht möglich 550 Vgl. etwa Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 13 ff. muwN; Otto, Grundkurs AT § 18 Rdn. 49 nuwN. 551 Vgl. zur umstrittenen Einordnung der Einwilligung als Tatbestandsausschlussoder Rechtfertigungsgrund 3. Kap. § 3 B. II., III. Zur weiteren Abgrenzung zwischen wirklicher Einwilligung und „mutmaßlicher Einwilligung“, vgl. etwa Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 18 Rdn. 4. 552 Vgl. etwa Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 17 Rdn. 114; Jescheck/ Weigend, Strafrecht AT § 34 VII 385 ff.; Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 46; Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 54; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 214; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 18 Rdn. 4, 8; ders., in: FS für Welzel 448 ff.; Fischer, Vor § 32 StGB Rdn. 4. 553 Vgl. kritisch zur Vermengung der verschiedenen Situationen Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 130 ff.; ders., Jura 1999 435 f.; ders., Jura 2004 681 f.; ders., NJW 2006 2219 f.

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ist, anhand von Indizien554 ermittelt werden. Der Beurteilungsmaßstab der gemutmaßten Einwilligung ist der „ureigenste Wille“ des Berechtigten.555 Eine davon abweichende tatsächliche Situation beschreibt die „mutmaßliche Einwilligung“, bei der es an Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Berechtigten fehlt und sich nicht aus Indizien auf den tatsächlichen, individuellen Willen des konkreten Berechtigten schließen lässt. Ermittelt wird – angeblich – der „hypothetische Wille“ eines „vernünftigen Berechtigten“. Dieser Wechsel des Beurteilungsmaßstabs ist in Rechtsprechung und Lehre durchweg anerkannt: Lassen sich auch bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung konkrete Umstände für die Feststellung des individuellen mutmaßlichen Willens des Kranken nicht finden, so könne und müsse auf Kriterien zurückgegriffen werden, die allgemeinen Wertvorstellungen der Rechtsgesellschaft entsprechen.556 Der Beurteilungsmaßstab ist derjenige eines „verständigen“ oder „vernünftigen Rechtsgenossen“.557 Zurückgegriffen wird auf allgemeine Wertvorstellungen in der Rechtsgesellschaft, wie sie in dem allgemeinen Prinzip der Güter- und Interessenabwägung im Sinne des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) zum Ausdruck gekommen sind. Die Rechtfertigung beruht darauf, dass die Einwilligung des Berechtigten in der konkreten Situation nach objektiven Maßstäben der Entscheidung eines „vernünftigen Rechtsgenossen“ entsprechen würde.558 Der „mutmaßlichen Einwilligung“ kommt insofern559 keine eigenständige Bedeutung zu. Sie ist ein Unterfall des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB).560 554 Vgl. Otto, Jura 1999 436. Zu erschließen sei der Wille des Betroffenen aus seinen persönlichen Umständen, aus seinen individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen. Objektive Kriterien, insbesondere die Beurteilung einer Maßnahme als gemeinhin „vernünftig“ oder „normal“ sowie den Interessen eines verständigen Patienten üblicherweise entsprechend, haben keine eigenständige Bedeutung. Sie können lediglich Anhaltspunkte für die Ermittlung des individuellen hypothetischen Willens sein, vgl. BGHSt 35 246, 249 f.; 40 257, 263; vgl. auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 18 Rdn. 5. 555 In dieser tatsächlichen Situation kann der reale, individuelle Wille des Berechtigten, der weder ausdrücklich noch konkludent erklärt worden ist, aus Indizien erschlossen werden (scil. gemutmaßte („indizierte“) Einwilligung), vgl. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 130; ders., NJW 2006 2219 f.; ders., Jura 2004 682; ders., Jura 1999 435 f.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 18 Rdn. 13. Der Einwilligung ist dieser Sachverhalt zuzuordnen, weil sie weder ausdrücklich noch konkludent erklärt werden muss. Der durch Mutmaßung festgestellte Wille sei in gleicher Weise Ausdruck der Autonomie des Betroffenen wie der ausdrückliche erklärte Wille, vgl. Otto, NJW 2006 2220. 556 Vgl. BGHSt 40 257, 263; vgl. auch schon BGHSt 35 246, 249. 557 Vgl. Otto, Jura 1999 435. 558 Vgl. Otto, Jura 1999 436. 559 Große eigenständige Bedeutung würde der mutmaßlichen Einwilligung hingegen zukommen, wenn die Interessenabwägung im Rahmen des rechtfertigenden

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit 2. Die behauptete Ähnlichkeit zwischen der „mutmaßlichen“ und der „hypothetischen Einwilligung“

a) Der „mutmaßlichen“ und der „hypothetischen Einwilligung“ wird eine „gewisse“ oder sogar „erhebliche“ bis „starke Ähnlichkeit“561 zugeschrieben. Dieser höchst ungenaue Eindruck ist darauf zurückzuführen, dass es in beiden Sachgestaltungen nicht um die Ermittlung des wirklichen, sondern des „hypothetischen Willens“ des Berechtigten gehen soll. Auch bei der rechtfertigenden „mutmaßlichen Einwilligung“ wird häufig ein „(mutmaßlicher) Wille des Patienten“, dessen „individueller hypothetischer Wille“ oder schlicht sein „hypothetischer Wille“ ermittelt.562 Bei beiden Rechtsfiguren lässt sich daher höchst ungenau formulieren, dass der Patient dem Eingriff „mutmaßlich“ oder „hypothetisch“ zugestimmt hätte, wenn er gefragt worden wäre. Eisele weist allerdings darauf hin, dass die „mutmaßliche“ nicht mit der „hypothetischen Einwilligung“ verwechselt werden dürfe.563 In Anbetracht dieser „gewissen Ähnlichkeit“ werden die beiden Rechtsfiguren in Rechtsprechung und Lehre begrifflich scharf gegeneinander abzugrenzen versucht. b) Diese „Parallele“ scheint gelegentlich zu Unsicherheiten auch in den (Vor-)Instanzen geführt zu haben.564 Sogar eine „Gleichsetzung“ der beiden Rechtsfiguren ist daher nicht ausgeblieben: Die Praxis versteht mitunter die „hypothetische Einwilligung“ als „mutmaßliche Einwilligung“. Dabei dürfte auch der Bundesgerichtshof in Strafsachen vor der Gefahr begrifflicher Verwechslung nicht immer gefeit gewesen sein.565 aa) So zeigte bereits das Landgericht Kassel im Famulusfall (BGHSt 16 309) eine deutliche Tendenz zur „hypothetischen Einwilligung“.566 Der Zweite Strafsenat des Bundesgerichtshofs wies diesen Gedanken seinerzeit zurück: Es komme nicht darauf an, dass der Patient etwa nachträglich erNotstands allein „objektiv“ zu verstehen wäre. Hierauf wird die Eigenständigkeit der mutmaßlichen Einwilligung gegenüber dem rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) zurückgeführt, vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 18 Rdn. 5. 560 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 131 („überwiegendes Interesse“; monistische Lehre); Welzel, Lehrbuch § 14 V 92; Zipf, Einwilligung 52 f. Andere Ansicht vgl. Fn. 129. 561 Vgl. Schwartz, Hypothetische Einwilligung 131, 135. 562 Vgl. etwa BGHSt 35 246, 250; vgl. auch Eisele, JA 2005 253 Fn. 11; Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 18 Rdn. 5; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 131, 135; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 9 Rdn. 381. 563 Vgl. Eisele, JA 2005 253 Fn. 11; ders., Strafrecht BT § 11 Rdn. 301. 564 Vgl. LG Ravensburg als Vorinstanz zu BGH NStZ-RR 2004 16 = JR 2004 251. 565 Vgl. BGHSt 16 309, 312. 566 Vgl. zum Sachverhalt § 1 A. I.

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kläre, er hätte bei Kenntnis trotz der Geringfügigkeit seiner Verletzung die Versorgung durch einen Nichtarzt abgelehnt. Indem die Strafkammer hierüber gleichwohl durch Vernehmung des Patienten Beweis erhoben habe, wollte sie möglicherweise auf den Rechtfertigungsgrund der „mutmaßlichen Einwilligung“ abstellen. Dieser betreffe jedoch nur notstandsähnliche Fälle, in denen die Einholung der Einwilligung entweder unmöglich oder zwecklos sei. Davon könne hier keine Rede sein.567 bb) Auch das Landgericht Ravensburg hat den Sachverhalt im Bandscheibenfall in die Richtung einer „mutmaßlichen Einwilligung“ aufgeklärt.568 Dass das Landgericht „offenkundig“ eine „hypothetische Einwilligung“ gemeint haben soll, wie der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs annahm,569 hat Kuhlen allein mit einer „stark normativen Verwendung“ des Begriffs der „mutmaßlichen Einwilligung“ zu rechtfertigen versucht.570 Erneut wird der Unterschied zwischen beiden Rechtsfiguren darin gefunden, dass es nicht erkennbar um einen ärztlichen Eingriff gehe, der dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspreche, der nicht befragt werden könne.571 3. Die Unterscheidung von „mutmaßlicher“ und „hypothetischer Einwilligung“

Trotz ihrer „gewissen Ähnlichkeit“ sollen die „mutmaßliche“ und die „hypothetische Einwilligung“ „strikt“ voneinander zu trennen sein.572 Die 567

Vgl. BGHSt 16 309, 311 f. Vgl. Einl. § 1 V. 569 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. 570 Vgl. Kuhlen, JR 2004 227. 571 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. 572 Die jüngere Rechtsprechung ist hingegen konsequent bei der scharfen Trennung von „mutmaßlicher“ und „hypothetischer Einwilligung“ geblieben, vgl. BGHR § 223 StGB Heileingriff 2, 3; BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71; NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252; NStZ 2004 442 = JR 2004 469; StV 2008 464; OLG Hamm 3 Ss 742/90. Auch im strafrechtlichen Schrifttum teilen diesen Standpunkt Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 3 Rdn. 106c; Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 183 ff.; Eisele, JA 2005 253 Fn. 11; Eser, in: Schönke/ Schröder Vor § 223 StGB Rdn. 40e; Fischer, § 223 StGB Rdn. 16a; Geppert, JK 12/04 § 223/3 StGB 1; Jäger, Examens-Repetitorium Strafrecht AT § 4 Rdn. 146a; Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a; Kindhäuser, Strafrecht AT § 19 Rdn. 15; Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 54; Mitsch, JZ 2005 281 f.; Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 134; ders., Jura 2004 682 f.; Puppe, JR 2004 472; Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 82, 85 Fn. 339; Rengier, Strafrecht BT II § 13 Rdn. 18; Rönnau, JZ 2004 802 f.; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 132; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 131 ff.; Taupitz, in: 50 Jahre BGH FG 498. Die Unterschiede zwischen „mutmaßlicher“ und 568

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Abgrenzung soll sich nicht nur in den Begriffen, in den unterschiedlich weit verstandenen Anwendungsbereichen,573 sondern in sachlichen Gründen ausdrücken:574 Die „hypothetische Einwilligung“ sei im Gegensatz zur „mutmaßlichen Einwilligung“ kein Rechtfertigungsgrund. Um das zu begründen, stellen Rechtsprechung575 und Lehre576 beide Rechtsfiguren gegenüber: a) Der strukturelle Unterschied von „mutmaßlicher“ und „hypothetischer Einwilligung“ Der eigentliche Sachgrund, weshalb die „hypothetische Einwilligung“ kein Rechtfertigungsgrund ist, wird hierbei allerdings häufig nicht erkannt. Der maßgebliche Grund für die Entlastung des Täters, wenn er sich auf den „mutmaßlichen Willen“ des Berechtigten beruft, ist nicht eine Rechtfertigung durch eine nur gedachte, bloß „hypothetische Einwilligung“. Es ist die strukturell ganz anders gelagerte Situation einer tatsächlich rechtfertigenden Interessenabwägung im Rahmen des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB). In dieser Interessenabwägung entlastet den Täter nicht eine Hypothese (scil. Gedanke der „hypothetischen Rechtfertigung“), sondern die tatsächliche Sachlage. Daher ist die Redeweise von der Ermittlung eines „hypothetischen Willens“ bei der „mutmaßlichen Einwilligung“ auch in hohem Maße irreführend, denn auf einen „hypothetischen Willen“ des Berechtigten kommt es hier gerade nicht an, sondern auf eine Interessenabwägung nach § 34 StGB. Der Unterschied zwischen der Interessenabwägung bei der „mutmaßlichen Einwilligung“ und dem Abstellen auf den „hypothetischen „hypothetischer Einwilligung“ hat zum Teil Kuhlen, in: FS für Roxin 333 f.; Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442 f., 447 f.; ders., JR 2004 227; ders., JZ 2004 713 ff. offengelegt. Im zivilrechtlichen Schrifttum wird ebenfalls von dieser Unterscheidung ausgegangen, vgl. etwa Hager, in: Staudinger § 823 BGB Abschn. I Rdn. 122. 573 Die „hypothetische Einwilligung“ soll nach Auffassung der Rechtsprechung, weniger jedoch nach derjenigen der Wissenschaft einen sachlich erheblich beschränkten Anwendungsbereich besitzen. Im Mittelpunkt steht vornehmlich die Lösung von Fallgestaltungen eines medizinisch indizierten, lege artis durchgeführten, eigenmächtigen ärztlichen Heileingriffs. Die „mutmaßliche Einwilligung“ soll einen weitergehenden Anwendungsbereich haben. 574 Vgl. in der Sache Eisele, JA 2005 253 Fn. 11; vgl. auch Rönnau, JZ 2004 802; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 131. 575 Vgl. oben II. 2. 576 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 3 Rdn. 106c; Eisele, JA 2005 253; Kuhlen, in: FS für Roxin 333; ders., in: FS für Müller-Dietz 442 f.; ders., JR 2004 227, 229 f.; ders., JZ 2005 713 ff.; Mitsch, JZ 2005 281 f.; Rönnau, JZ 2004 802 f.; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 131; Taupitz, in: 50 Jahre BGH FG 498.

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Willen“ bei der „hypothetischen Einwilligung“ ist der wesentliche Unterschied beider Rechtsfiguren, sogar der wesentliche Grund, weshalb eine Rechtfertigung durch „hypothetische Einwilligung“ nicht anerkannt werden kann. Der strukturelle Unterschied wird aber weder in der Rechtsprechung noch in der Wissenschaft immer klar genug herausgearbeitet. Die weiteren Differenzierungskriterien mögen in der Sache durchaus einleuchtend sein, doch verblasst ihre Bedeutung – entgegen der Auffassung Kuhlens – neben diesen strukturellen Unterschieden zwischen beiden Rechtsfiguren. b) Der Subsidiaritätsgedanke bei der „mutmaßlichen Einwilligung“ aa) Die Beschreibung des Subsidiaritätsgedankens Demgegenüber berufen sich Rechtsprechung577 und Wissenschaft zur Unterscheidung darauf, dass beide Rechtsfiguren in einem jeweils anderen rechtlichen Verhältnis zur wirklichen Einwilligung stehen: Nur die „mutmaßliche“, nicht aber die „hypothetische Einwilligung“ sei „subsidiär“ zur Einwilligung.578 Damit wird letztlich auf die Konsequenzen für die anerkannten Rechtfertigungsgründe angespielt, die mit der Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ als Rechtfertigungsgrund verbunden sind. Es ist allerdings nur nachvollziehbar, in der „Subsidiarität der mutmaßlichen Einwilligung“ gegenüber der wirklichen Einwilligung den „praktisch bedeutsamste[n] Unterschied“ zur „hypothetischen Einwilligung“ zu sehen,579 wenn man eine „hypothetische Rechtfertigung“ überhaupt anerkannt. Dieser häufig thematisierte Gedanke der „Subsidiarität“ der „mutmaßlichen Einwilligung“ ist daher neben der Sache. Die „mutmaßliche Einwilligung“ sei demzufolge beschränkt auf „notstandsähnliche Fälle“, in denen die Einholung der Einwilligung entweder unmöglich oder zwecklos sei.580 Der materiell-rechtlich581 zu verstehende 577

Vgl. etwa BGHSt 16 309, 312; BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251,

252. 578 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 334 Fn. 14; ders., in: FS für Müller-Dietz 447; ders., JR 2004 227, 229 f.; ders., JZ 2005 713 f.; vgl. auch Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 184 ff.; Rönnau, JZ 2004 802 f.; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 214, 221 f., Rdn. 230; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 132, § 18 Rdn. 10; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 132 ff.; Taupitz, in: 50 Jahre BGH FG 498. 579 Vgl. Kuhlen, JR 2004 227. 580 Vgl. etwa BGHSt 16 309, 312; BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. 581 Dagegen bevorzugt Mitsch, JZ 2005 282 eine konkurrenzrechtliche Lösung, bei der er eine „Sperrwirkung“ der wirklichen gegenüber der mutmaßlichen Einwil-

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Gedanke der „Subsidiarität der mutmaßlichen Einwilligung“ gegenüber der Einwilligung meint damit die Unmöglichkeit der rechtzeitigen Einholung der Einwilligung des Berechtigten im Tatzeitpunkt. Der Zweck, sich vorrangig der Einwilligung des Berechtigten zu versichern, besteht darin, dass der „wahre Wille“ des Berechtigten im Umgang mit seinen „eigenen“ Rechtsgütern auf rechtmäßigen Weg nicht verfehlt werden soll, indem es von vornherein nicht gestattet wird, ein Risiko für die Rechtsgüter des Berechtigten zu setzen.582 Die „mutmaßliche Einwilligung“ führt nämlich auch dann zu einer Rechtfertigung, wenn der individuelle, nicht aber der objektivierte Wille im konkreten Einzelfall verfehlt wird, aber das „ex ante“ nicht erkennbar war.583 Dem Berechtigten wird aber prinzipiell garantiert, eigenverantwortlich mit seinen Rechtsgütern umzugehen. bb) Die Konsequenzen aus der rechtlichen Gestattung bei der „hypothetischen Einwilligung“ (1) Die „hypothetische Einwilligung“ als Rechtfertigungsgrund muss diesen mit dem „Subsidiaritätsgedanken“ verfolgten Zweck in der Tat offen infrage stellen, denn nach ihrem eindeutigen Wortlaut584 gibt es keine einschränkenden Tatbestandsvoraussetzungen, die ihre Anwendung sperren. Sie gilt – anders als die „mutmaßliche Einwilligung“ – prinzipiell uneingeschränkt. Sie kann auch in der Situation rechtfertigen, in der eine Einwilligung hätte herbeigeführt werden können, aber tatsächlich nicht herbeigeführt worden ist. Es bedarf daher keines Grundes, weshalb die Einwilligung des Berechtigten in dem konkreten Fall vernachlässigt werden darf. Eine Grenze, die den Täter von einer Überspielung der Einwilligung des Berechtigten abhalten könnte, bildet allein die Gefahr, dass die „hypothetische Einwilligung“ endgültig verfehlt wird. Der normative Mangel der „hypothetischen Einwilligung“, würde sie als eigenständiger Rechtfertigungsgrund anerkannt, bestünde nicht allein in einer weitgehenden faktischen Aufgabe der hinter der wirklichen, der gemutmaßten und der „mutmaßlichen Einwilligung“ stehenden Wertung der „Subligung postuliert, wenn eine wirksame rechtfertigende Einwilligung noch nicht vorliegt, eine die Tat billigende oder ablehnende Äußerung des Rechtsgutsinhabers aber noch rechtzeitig – ohne Gefahr im Verzug – erwirkt werden könnte. Vgl. kritisch dazu Kuhlen, JZ 2004 713 f. 582 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 18 Rdn. 10. 583 Vgl. etwa Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 18 Rdn. 20; vgl. auch Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 217, 230. 584 Vgl. Einl. § 1.

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sidiarität“, sondern in der Einführung einer Erlaubnis zur „Ersetzung“ der Einwilligung des Berechtigten durch „Spekulationen“ des Eingreifenden darüber, wie sich der Berechtigte bei Kenntnis aller relevanten Entscheidungsvoraussetzungen hypothetisch entschieden hätte.585 Die „hypothetische Einwilligung“ wäre eine uneingeschränkte rechtliche Gestattung, die Einwilligung des Berechtigten „zu verdrängen“ und seine mitunter, aber nicht ausschließlich „wohlmeinende“, sehr häufig freilich auch „vernünftige“ Auffassung „an seine Stelle zu setzen“,586 obwohl die Einholung der Einwilligung ohne weiteres möglich gewesen wäre. Bei der „hypothetischen Einwilligung“ würde es demnach an einer Verletzung der Rechtspflicht fehlen, einen bestimmten tatbestandlichen Erfolg zu vermeiden, sofern die „hypothetische Einwilligung“ des Berechtigten im konkreten Einzelfall zufällig der unter dem Vorbehalt der späteren Nachprüfung stehenden „vorläufigen“ „Vernunfthoheit des Arztes“ entspricht oder das „zweifelhaft“ bleibt („in dubio pro reo“). Der „Vorrang der wirklichen (und die ihn sichernde Subsidiarität der mutmaßlichen) Einwilligung“ würde „weitgehend“ beseitigt. Diese Konsequenz und die mit ihr verbundene Bevormundung ließen sich nicht begründen.587 (2) Dabei zeichnet sich die Gefahr der „hypothetischen Einwilligung“, anderen Rechtfertigungsgründen jede eigenständige Bedeutung zu nehmen,588 bereits sehr deutlich in einer Entscheidung des Sechsten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 5. Februar 1991 ab.589 Die „hypothetische Einwilligung“ wird bereits jetzt in dem legitimen Anwendungsbereich der gemutmaßten und der „mutmaßlichen Einwilligung“ für denkbar gehalten.590 585

Vgl. Puppe, GA 2003 769. Vgl. auch Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 154; ders., in: FS für Hauß 293; ders., in FS für Nirk 752. 587 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 334 Fn. 14; ders., in: FS für Müller-Dietz 443; ders., JR 2004 227, der hingegen die völlige Ablehnung der Rechtsfigur für unnötig hält. Die „hypothetische Einwilligung“ könne jedenfalls im Sinne eines objektiven Ausschlusses der Zurechnung verstanden werden. Vgl. auch Geppert, JK 12/04 § 223/3 StGB 3b; Rönnau, JZ 2004 802 f.; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 31. Ein eigenständiger Rechtfertigungsgrund neben der wirklichen und der „mutmaßlichen Einwilligung“, meint Duttge, in: FS für Schroeder 184, würde „in der Tat“ das unabdingbare Gebot einer Befragung des Betroffenen bei gegebener Einwilligungsfähigkeit gänzlich unterlaufen. 588 Vgl. etwa Kuhlen, in: FS für Roxin 333 f. Einschränkend aber Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 186, 191; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 133 ff. 589 Vgl. BGH NJW 1991 2342, 2343. Vgl. hierzu oben § 4 B. IV. 590 Vgl. hierzu auch Hager, in: Staudinger § 823 BGB Abschn. I Rdn. 122. 586

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

(3) Beulke erkennt die Differenzierung zwischen der „mutmaßlichen“ und der „hypothetischen Einwilligung“ an. „Im Ergebnis“ sollen beide Rechtsfiguren allerdings gleich behandelt werden.591 Das kann in dem Sinne interpretiert werden, dass der eigenmächtige Eingriff des Arztes in die Rechtsgüter des Berechtigten insgesamt gerechtfertigt sein soll, wenn die Voraussetzungen einer rechtfertigenden „hypothetischen Einwilligung“ vorliegen,592 so wie die Gesamttat gerechtfertigt gewesen wäre, wenn die Voraussetzungen der wirklichen, der gemutmaßten oder der „mutmaßlichen Einwilligung“ vorgelegen hätten. Für nicht korrekt hält es Roxin daher, in der „hypothetischen Einwilligung“ einen Rechtfertigungsgrund zu sehen, weil der Arzt auch bei einer hypothetischen Billigung der Heilbehandlung seine Aufklärungspflicht in „rechtswidriger Weise“ verletzt habe.593 Mit der Anerkennung der rechtfertigenden „hypothetischen Einwilligung“ wäre die Gesamttat nicht nur rechtmäßig, es wäre, wie Roxin zutreffend erinnert, bei Vorliegen der Voraussetzungen eines derartigen Rechtfertigungsgrundes theoretisch nicht einmal ein Versuchsunrecht denkbar.594 Aus diesem Grunde soll eine rechtfertigende „hypothetische Einwilligung“ ausscheiden. „Vor allem“595 legitimiere sich die Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ bei der objektiven Zurechnung aus deren „unterschiedliche[n] Einfluss auf die Strafbarkeit“ des Arztes.596 c) Zeitpunkt und Maßstab der Willensermittlung aa) Ein weiterer Unterschied der beiden Rechtsfiguren wird von Kuhlen darin gesehen, dass bei der „mutmaßlichen Einwilligung“ „ex ante“ die An591

Vgl. Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 9 Rdn. 381b. Vgl. auch Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 132, beide für die Abgrenzung von wirklicher und mutmaßlicher zur „hypothetischer Einwilligung“; vgl. auch Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 9 Rdn. 381b. 593 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122. 594 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 132; vgl. auch Kuhlen, JR 2004 229; Rönnau, JZ 2004 803; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230. Diese Form würde weit über die Forderungen der Wissenschaft hinausgehen, die bei Vorliegen der Voraussetzungen der „hypothetischen Einwilligung“ lediglich einen objektiven Unrechtsausschluss anerkennen wollen, im übrigen aber ein Versuchsunrecht theoretisch und praktisch für möglich halten, vgl. 5. Kap. § 2 D. 595 Vgl. die weiteren Strukturwidersprüche zu den Rechtfertigungsgründen A., C. 596 Vgl. Rönnau, JZ 2004 803. Vgl. dagegen Riedelmeier, Ärztliche Heileingriff 85 Fn. 339. Vgl. eingehend zur Versuchsstrafbarkeit bei einer die objektive Erfolgszurechnung hindernden „hypothetischen Einwilligung“ 8. Kap. § 3 B. 592

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nahme begründet sein müsse, dass der Betroffene, wenn er selbst entscheiden könnte, in den Eingriff eingewilligt hätte. Bei der „hypothetischen Einwilligung“ sei die Begründetheit der Annahme „ex post“ erforderlich, dass der Betroffene, wenn er selbst entschieden hätte, dem Eingriff wirksam zugestimmt hätte.597 Die „mutmaßliche Einwilligung“ beruhe auf einer Beurteilung „ex ante“, während auf die „hypothetische Einwilligung“ im Wege einer „ex post“ Beurteilung abzustellen sei.598 Die Vereinbarkeit der „nachträglichen Hypothesenbildung“ bei der „hypothetischen Einwilligung“ mit anerkannten „Regeln der Rechtfertigungsdogmatik“ ist allerdings nicht herzustellen.599 bb) Auch die für die Erforschung des „hypothetischen Willens“ entscheidende Maßstabsperson soll bei der „mutmaßlichen“ und der „hypothetischen Einwilligung“ nicht identisch sein.600 Bei der „mutmaßlichen Einwilligung“ wird auf die allgemeinen Wertvorstellungen in der Rechtsgesellschaft abgestellt. Die Maßstabsfigur des „verständigen Patienten“ ist der Rechtsprechung und Wissenschaft bei der „hypothetischen Einwilligung“ allerdings auch nicht fremd. Jedoch ist – wenigstens theoretisch – ein allgemeiner Wechsel hin zum „individuellen Willen“ des „konkreten Patienten“ vollzogen worden. V. Vorläufige Zusammenfassung Bei einer durch die „hypothetische Einwilligung“ fingierten Zustimmung des Berechtigten in die Verletzung des geschützten Rechtsguts „entfällt“ auf keinen Fall die Rechtswidrigkeit der Tat.601 Ein „fiktives Potential“ kann nicht zur Grundlage eines „tatsächlichen Unrechts-Ausschlusses“ gemacht werden. Fiktionen ändern nichts an der Wirklichkeit. Der entscheidende Mangel der „hypothetischen Einwilligung“ liegt demzufolge darin, dass in dieser Situation keine Einwilligung des Berechtigten vorhanden ist, die die Rechtsgutsbeeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ rechtfertigt. 597 Vgl. etwa Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 447; ders., JR 2004 227; ders., JZ 2005 715; Rönnau, JZ 2004 803; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230; vgl. auch Jäger, Examens-Repetitorium Strafrecht AT § 4 Rdn. 146a; Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 132; ders., Jura 2004 683; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 132. Kuhlen, JR 2004 227 Fn. 5 hält diese Differenzierung für weniger wesentlich. Sie trete hinter die bedeutsamere Unterscheidung des subsidiären Charakters der mutmaßlichen, nicht aber der „hypothetischen Einwilligung“ gegenüber der wirklichen Einwilligung zurück. 598 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 132. 599 Vgl. C. 600 Vgl. so wohl auch Eisele, JA 2005 253 Fn. 10. 601 Vgl. unzutreffend u. a. auch Schwartz, Hypothetische Einwilligung 31, 93.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

In diesem strukturellen Unterschied zur Einwilligung liegt entgegen Kuhlen der maßgeblichste Mangel der „hypothetischen Einwilligung“. Die Befürworter der „hypothetischen Einwilligung“, aber nicht nur diese übersehen oder ignorieren diesen strukturellen Unterschied: Zwar lehnen sie den echten Rechtfertigungsgrund der „hypothetischen Einwilligung“ ab.602 Bei der Behandlung der „hypothetischen Einwilligung“ im Zusammenhang mit dem Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ legen sie jedoch offen, das „bloße fiktive Potentiale“ durchaus eine rechtliche relevante „Handlungserlaubnis“ sollen begründen können: Die fiktive Einwilligung wird in die Vergleichshypothese hypothetisch alternativ rechtmäßigen Verhaltens eingestellt, obwohl ihr tatsächliches Fehlen im Tatzeitpunkt eindeutig feststeht. Das ist genauso wenig für das „rechtmäßige Alternativverhalten“ zutreffend, bei dem nur „hypothetisch geprüft“, aber eben keine „hypothetischen Ersatzursachen“ unterstellt werden, wie es für die Anerkennung eines echten Rechtfertigungsgrundes zutreffend ist. Hieran zeigt sich die Problematik. Die sachlich zu begrüßende Ablehnung der „eigentlichen“ „hypothetischen Einwilligung“ oder der „eigentlichen“ „hypothetischen Rechtfertigung“ lässt den maßgeblichen Sachgrund für diese Ablehnung vermissen. Er wird sogleich wieder bei anderen Konstruktionen („Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinn“, „rechtmäßiges Alternativverhalten“) übersehen. Wegen dieser strukturellen Unterschiede ist der Gedanke einer rechtfertigenden „hypothetischen Einwilligung“, auch der Gedanke einer „hypothetischen Rechtfertigung“ verfehlt. Die „hypothetische Einwilligung“ ist deswegen auch keinesfalls mit dem Rechtfertigungsgrund der „mutmaßlichen Einwilligung“ zu verwechseln. Eine darüberhinaus gehende Abgrenzung dieser beiden Rechtsgedanken nach anderen als den strukturellen Unterschieden ist neben der Sache.

B. Die Problematik der nachträglichen Befragung des Patienten bei der „hypothetischen Einwilligung“ I. Der Grundsatz der unbedingten Rechtswidrigkeit Die „hypothetische Einwilligung“, wird sie als „Zurechnungsausschluss“ oder als „echter Rechtfertigungsgrund“ anerkannt, muss sich in die „allgemeinen Regeln der Rechtfertigungsdogmatik“ einordnen lassen.603 Die Problematik besteht allerdings darin, dass die Voraussetzungen der „hypo602 603

Vgl. § 1 A. III. 2. a). Vgl. zutreffend Mitsch, JZ 2005 718.

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thetischen Einwilligung“ im Tatzeitpunkt gerade nicht vorliegen. Deren Voraussetzungen werden erst „nach der Tat“ festgestellt. Im Strafrecht gab es wenigstens in der Vergangenheit keinen unumstößlichen Grundsatz einer „unbedingten Rechtswidrigkeit“. Vielmehr wurde die angebliche Rückbeziehung des Willens, wie sie im Zivilrecht bei der Anfechtung von Willenserklärungen (§ 142 Abs. 1 BGB) und bei der nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“) (§ 184 Abs. 1 BGB) in Erscheinung treten, auch im Strafrecht anerkannt. Der Wille sollte hiernach „zurückwirken“, indem er die Rechtswidrigkeit beseitigte (Anfechtung) oder begründete (Genehmigung).604 So trat Zitelmann in seiner Abhandlung über die Einwilligung, die er als bürgerlich-rechtliche Willenserklärung qualifizierte, konsequent dafür ein, die Regeln über die Anfechtung von Rechtsgeschäften (§§ 119 BGB ff.) auch bei der Einwilligung zu berücksichtigen. Daher sollte die gesetzliche Regel, das Rechtsgeschäft im Fall einer wirksamen Anfechtung „als von Anfang an nichtig anzusehen“ (§ 142 Abs. 1 BGB), auch bei der Einwilligung gelten: Da „die Anfechtung rückwärts wirkt, wird mit ihr die Handlung rückwärts zu einer objektiv rechtswidrigen.“605 Von einer Tilgung der Strafbarkeit durch eine „nachträgliche Wiederaufhebung der Rechtswidrigkeit“ war auch bei Binding die Rede.606 Es gebe nicht nur eine „bedingte Strafbarkeit, sondern auch eine bedingte Rechtswidrigkeit“.607 Eine heute „allgemein anerkannte Regel der Rechtfertigungsdogmatik“ lautet jedoch, dass die Bewertung der Tat als „rechtmäßig“ oder „rechtswidrig“ auf den Tatzeitpunkt bezogen ist. Die Wertung der „Rechtmäßigkeit“ oder „Rechtswidrigkeit“ gilt immer nur attributiv als Beschreibung einer Eigenschaft des tatbestandsmäßigen Verhaltens. Es kann daher für die Feststellung der Eigenschaft eines Verhaltens, ob es mit der Rechtsordnung übereinstimmt, allein auf den Zeitpunkt ankommen, zu welchem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassen hätte handeln müssen. Daneben ist ein weiterer Zeitpunkt, insbesondere der des eintretenden Erfolgs, nicht maßgebend (§ 8 StGB).608 Eine einmal erfolgte Bewertung des Verhaltens wird durch Veränderungen in der Zeit nicht mehr beeinflusst. Es gibt keine „bedingte Rechtswidrigkeit“!609 Nachträgliche Ereignisse wandeln eine nicht 604

Vgl. Binding, Abhandlungen Bd. I 113. Vgl. Zitelmann, AcP 99 (1906) 62. 606 Vgl. Binding, Abhandlungen Bd. I 125. 607 Vgl. Binding, Abhandlungen Bd. I 98 Fn. 2. 608 Vgl. Mezger, in: LK 8. Aufl. Vor § 51 StGB Bem. 9d; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 44. 605

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

widerrechtliche Handlung nicht zu einer widerrechtlichen oder eine zur Tatzeit widerrechtliche Handlung nicht zu einer nicht widerrechtlichen.610 II. Die „Rückwirkungsfiktion“ bei der „hypothetischen Einwilligung“ 1. Die „Konstruktion einer Rückwirkungsfiktion“ bei der „hypothetischen Einwilligung“

a) Die Darstellung der „Rückwirkungsfiktion“ An einer Verletzung der Rechtspflicht, den Körperverletzungserfolg zu vermeiden, fehlt es tatsächlich nicht, wenn der Arzt ohne eine wirksame Einwilligung des Berechtigten im Tatzeitpunkt in „dessen“ Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ eingreift.611 Mit dem „ersten Messerschnitt“, den der Arzt „gegen den Körper“ ohne Einwilligung des Patienten ausführt, ist das Delikt als rechtswidriges vollendet.612 Die Verletzung der Rechtspflicht wird nicht durch eine „hypothetische Einwilligung“ ausgeschlossen, denn sie ist eine „bloßes fiktives Potential“ einer Einwilligung, die im Tatzeitpunkt hypothetisch hätte vorliegen können, aber tatsächlich nicht vorgelegen hat. Ohne eine Konstruktion, bei der die „hypothetische Einwilligung“ auf die Vergangenheit „zurückwirkt“, wäre ohnehin eine andere Bewertung der rechtswidrigen Tat schon logisch gar nicht vorstellbar. Die „Konstruktion einer Rückwirkung“ ist bei der „hypothetischen Einwilligung“ eine notwendige Voraussetzung für die Bewertung der Tat im Tatzeitpunkt als rechtmäßig. Ein tatsächliches Geschehen in der Vergangenheit kann aber nicht durch nachträgliche Ereignisse mit Wirkung für die Vergangenheit beeinflusst werden. Das ist naturgesetzlich ausgeschlossen.613 Gleichwohl soll es theoretisch möglich sein, dass „nach der Tat“ liegende Umstände auf das Urteil der Rechtmäßigkeit bzw. der Rechtswidrigkeit im Tatzeitpunkt einen Einfluss haben können. Das theoretische Instrument hierfür ist die „Konstruktion einer Rückwirkungsfiktion“.614 Der „hypotheti609

Vgl. Vgl. 611 Vgl. 612 Vgl. 613 Vgl. 614 Vgl. Grundsatz 610

Mezger, in: LK 8. Aufl. Vor § 51 StGB Bem. 9d. Mezger, in: LK 8. Aufl. Vor § 51 StGB Bem. 9d. eingehend A. auch RGSt 25 375, 383. eingehend auch unten b) bb. auch Jäger, in: FS für Jung 354. Fiktionen ermöglichen es, an dem festzuhalten, indem Ausnahmen formal an die Regel angepasst werden.

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schen Einwilligung“ wird dieser Inhalt zu geben versucht.615 Die Rechtmäßigkeit des ärztlichen Handelns stützt sich demnach auf eine auf den Tatzeitpunkt fiktiv zurückwirkende „hypothetische Einwilligung“ des Berechtigten. b) Die Problematik der „Rückwirkung“ aa) Die Ablehnung der „Rückwirkung“ aus normativen Gründen Die strafrechtliche Auseinandersetzung mit der Problematik einer „Rückwirkung“ erfolgte im Zusammenhang mit den Vermögensdelikten vor allem anhand der zivilrechtlichen Anfechtung und deren Ausstrahlungswirkung auf das Strafrecht.616 Hierbei ging man im Ausgangspunkt von dem durchaus umstrittenen Grundsatz aus, dass die Wirksamkeit der Einwilligung nicht zivilrechtlichen, sondern eigenständigen strafrechtlichen Wertungen folgt.617 Mezger warf die Fragen auf, ob die Anfechtung des durch Betrug herbeigeführten Eigentumsübergangs die durch den Eigentumswechsel herbeigeführte Schädigung rückwirkend wieder beseitige und damit dem Betrugsvorgang wieder die Rechtswidrigkeit nehme oder ob einer diesbezüglichen Aneignung der Sache durch den betrogenen Anfechtenden vor der Anfechtung rückwirkend der Widerrechtlichkeit entkleidet werde?618 Diese Möglichkeit wird heute aus normativen Gründen einhellig abgelehnt. Die „Rückwirkung“ der Anfechtung soll im Strafrecht ganz bedeutungslos sein.619 Zur Begründung wird vorgetragen, dass der Täter mit einer bürgerlich-rechtlich notwendigen, strafrechtlich aber unerträglichen RückSo könnte formuliert werden, dass die „hypothetische Einwilligung“ keine vor der Tat erklärte Einwilligung ist, denn sie wird erst nachträglich als Hypothese gebildet: Doch kann mit der Fiktion erreicht werden, dass sie wie eine vor der Tat erklärte Einwilligung behandelt wird. Auf diese Weise bleibt es bei dem formalen Grundsatz, dass allein die vor der Tat erklärte Einwilligung des Berechtigten dem ärztlichen Eingriff seine Rechtmäßigkeit geben kann. Die („hypothetische“) Einwilligung wäre keine vor der Tat erklärte Einwilligung, sie würde nur wie eine solche behandelt. 615 Deutlich wird diese „Rückwirkungsfiktion“ bei der Problematik des Wissenshorizontes des Berechtigten, vgl. hierzu unten 3. 616 Vgl. KG JW 1930 943; Eser, in: Schönke/Schröder § 246 StGB Rdn. 4; Kudlich/Roy, JA 2001 772; Lenckner, ZStW 62 (1960) 456 Fn. 31; Mezger, in: LK 8. Aufl. Vor § 51 StGB Bem. 9d; Hirsch, in: Vor § 32 StGB Rdn. 44; Ruß, in: LK § 246 StGB Rdn. 4; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT Tb. 1 § 34 Rdn. 14; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT Bd. 2 § 2 Rdn. 70. 617 Vgl. Weber, in: FS für Baur 141 mwN. 618 Vgl. Mezger, in: LK 8. Aufl. Vor § 51 StGB Bem. 9d. 619 Vgl. Ruß, in: LK § 246 StGB Rdn. 4.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

wirkung nicht belastet werden dürfe („Rechtssicherheit“)620 und dass darüberhinaus die Rückwirkung den Zielsetzungen des Zivilrechts nicht widerspreche (scil. „gerechter Vermögensausgleich“), dem Strafrecht hingegen absolut wesensfremd sei,621 weil die Bedingungen der Strafe nach Inhalt und Umfang bereits zum Zeitpunkt der Tat feststehen müssen, da anderenfalls der strafrechtliche Normapell der Disposition des Einzelnen unterliegen würde.622 bb) Die Problematik der „Rückwirkung“ in der Zeit (1) Die Unterscheidung zwischen der „Rückwirkung einer Rechtsfolge“ und der „Ersetzung eines früheren Zustandes für die Gegenwart und Zukunft“ Die Behauptung der „fiktiven Rückwirkung“ einer Rechtsfolge, die in der Vergangenheit geschehene Sachverhalte berühren soll, ist auch in hohem Maße ungenau: In der Vergangenheit liegende Ereignisse und Zustände können, wie Lobe klargestellt hat, rückwärts naturgemäß überhaupt nicht geändert werden. Sie bleiben geschehen, wie sie geschehen seien. Das gelte selbstverständlich für Tatsachen, gleichermaßen aber auch für Rechte und Rechtszustände, denn die Tatsache, dass in der Vergangenheit Rechte entstanden seien, infolge damals geltenden Rechts ein bestimmter Rechtszustand bestanden habe, könne nicht aus Welt geschafft werden. Das sei nur mit Wirkung für die Gegenwart und Zukunft möglich.623 In Wahrheit könne es daher gar keine Rückwirkung einer Rechtsfolge geben. Solange das Provisorium bis zur Rechtsänderung als gültige Rechtslage bestehe, wirke es in vollem Umfang.624 Allein möglich sei die Herstellung eines Rechtszustandes, die Begründung eines Rechtes für die Gegenwart und Zukunft von solcher Art und solchem Umfange, wie es jetzt sein würde, wenn der frühere und abgeänderte Zustand überhaupt nicht bestanden hätte. Das aber sei nicht Rückwirkung, sondern die Ersetzung des früheren Zustandes für die Gegenwart 620 Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT Tb. 1 § 34 Rdn. 14. Vgl. eingehend unten III. 621 Vgl. Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT Bd. 2 § 2 Rdn. 70; vgl. auch Schwartz, Hypothetische Einwilligung 240. 622 Vgl. auch Jäger, in: FS für Jung 355; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 240 f.; Sternberg-Lieben, StV 2008 192. 623 Vgl. Lobe, in: FG für Frank Bd. I 45. 624 Vgl. Lobe, in: FG für Frank Bd. I 45.

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und Zukunft durch einen anderen rechtlichen Zustand bestimmter Art und bestimmten Inhalts. Die Begründung dieses neuen rechtlichen Zustandes sei aber keine Fiktion, sondern die Schaffung eines wirklichen Rechts. Lediglich die Bestimmung des Inhalts und des Umfanges des neuen Rechtszustandes werde im Wege der Fiktion vorgenommen als Mittel der Gesetzestechnik.625 (2) Keine „Rückwirkung“ auch im Zivilrecht Auch das Zivilrecht geht ersichtlich nicht soweit, dass die nicht berechtigte Verfügung infolge einer Genehmigung (§ 184 Abs. 1 BGB) rückwirkend rechtmäßig wird. Das erschließt sich aus § 816 Abs. 1 BGB. Der Verfügende bleibt „Nichtberechtigter“ im Sinne von § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn der Berechtigte nachträglich genehmigt (§§ 185 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB, 184 Abs. 1 BGB).626 Wegen des – trotz Genehmigung – rechtswidrigen Eingriffs in das Eigentum steht dem Berechtigten auch ein Schadensersatzanspruch zu.627 Eine „eigentliche Rückwirkung“ in der Zeit kennt auch das Zivilrecht nicht. Ein „nach der Tat“ erfolgender Ausschluss der Rechtswidrigkeit ist daher unvereinbar mit dem im Strafrecht geltenden „Grundsatz der unbedingten Rechtswidrigkeit“. Der maßgebliche Grund besteht in der Erkenntnis, dass es keine „Rückwirkung“ in der Zeit geben kann. 2. Die Vereinbarkeit der „hypothetischen Einwilligung“ als Zurechnungsausschluss und als „echter Rechtfertigungsgrund“ mit dem Grundsatz der unbedingten Rechtswidrigkeit

In der Sache lassen sich drei verschiedene Konstruktionen bei der „hypothetischen Einwilligung“ unterscheiden, deren Vereinbarkeit mit den „allgemeinen Regeln der Rechtfertigungsdogmatik“ zu würdigen ist:

625

Vgl. Lobe, in: FG für Frank Bd. I 45 f. Vgl. BGHZ 29 157; 56 131, 134; vgl. weiter etwa Schramm, in: MüKo § 185 BGB Rdn. 56. 627 Vgl. BGH NJW 1991 695, 696; vgl. weiter etwa Schramm, in: MüKo § 185 Rdn. 56. 626

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

a) Die Unterscheidung zwischen der nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“) und der „hypothetischen Einwilligung“ aa) Die Bedeutungslosigkeit der nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“) im Strafrecht Im Schrifttum wird die „hypothetische Einwilligung“ zum Teil in der Nähe der nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“) gesehen: Die ex post Betrachtung (scil. nachträgliche Befragung des Patienten) bei der „hypothetischen Einwilligung“ hält Eisele für problematisch, weil eine nachträgliche Zustimmung („Genehmigung“) im Strafrecht grundsätzlich keine rechtfertigende Wirkung haben könne.628 Eine nachträgliche Zustimmung des Patienten ist auch für Bosch strafrechtlich irrelevant.629 Im Strafrecht ist die nachträgliche Zustimmung („Genehmigung“) des Berechtigten für das Urteil „Rechtmäßigkeit“ und „Rechtswidrigkeit“ der Tat allerdings bedeutungslos.630 Bereits das Reichsgericht hat in RGSt 25 375 die Möglichkeit einer Rückwirkung des Willens in der Zeit auch aus naturgesetzlichen Gründen abgelehnt: Zu wirken vermöge der Wille des Menschen nämlich nur auf gegenwärtige und zukünftige, nicht auf vergangene Dinge. Ob der in der Narkose seiner Fußknochen oder des ganzen Fußes beraubte Patient nachträglich die Amputation billige oder missbillige, könne Geschehenes weder in seiner objektiven, noch in seiner subjektiven Gestalt ungeschehen machen.631 Von der Bedeutungslosigkeit der nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“) wird auch allgemein für die Ermittlung des „hypothetischen Willens“ bei dem Rechtfertigungsgrund der „mutmaßlichen Einwilligung“ ausgegangen. Weil die „urteilsrelevanten Tatsachen“ die „mutmaßliche Einwilligung“ im Zeitpunkt der Tat tragen müssen („ex ante“), hat die nachträgliche Zustimmung („Genehmigung“) des Berechtigten keinen Einfluss auf diese Beurteilung.632 Auch die nachträgliche richterliche Beurteilung darf sich nicht von Äußerungen des Rechtsgutsinhabers nach der Tat dazu leiten lassen, Rückschlüsse auf den „mutmaßlichen Willen“ im Zeitpunkt der Tat zu ziehen.633 628

Vgl. Eisele, JA 2005 254. Vgl. Bosch, JA 2008 72. 630 Vgl. nur RGSt 25 375, 383 f.; vgl. Ohly, in: FS für Jakobs 464 ff. Allein außerhalb von Unrecht und Schuld erscheint der Gedanke in Form eines Strafaufhebungsgrundes wieder, vgl. 9. Kap. 631 Vgl. die weitergehenden Bedenken des Reichsgerichts gegen die Anerkennung der nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“) im Strafrecht unten III. 632 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 17 Rdn. 122; Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 54; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 18 Rdn. 4. 629

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Fraglich erscheint auch Lenckner, ob sich etwas an der Unbeachtlichkeit einer späteren Genehmigung des Patienten für den mutmaßlichen Willen („mutmaßliche Einwilligung“) gerade bei der „hypothetischen Einwilligung“ ändern solle.634 Hier ist in der Tat einheitlich zu entscheiden. In beiden Fällen werden „nach der Tat“ liegende Umstände für die Bewertung der Tat herangezogen. bb) Die strukturellen Unterschiede zwischen der nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“) und der „hypothetischen Einwilligung“ Eine Gleichsetzung der „hypothetischen Einwilligung“ mit einer „echten“ nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“) führt jedoch zu weit. Zwischen beiden Rechtsfiguren gibt es nicht allein begriffliche, sondern vor allem strukturelle Unterschiede: Bei der nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“) handelt es sich um eine tatsächliche Zustimmung des Berechtigten zur Tat. Sie wird erst „nach der Tat“ erklärt und soll den Täter nachträglich rechtfertigen. Demgegenüber ist die „hypothetische Einwilligung“ eine „fiktive“ in einem hypothetischen Sachverhalt angenommene Einwilligung des Berechtigten in die Tat. Die „hypothetische Einwilligung“ ist ein „bloßes fiktives Potential“ einer Einwilligung, die in dem gedachten Fall eines alternativ rechtmäßigen Verhaltens hätte existieren können, aber tatsächlich nicht existiert hat. Die „hypothetische Einwilligung“ hätte den Täter im Tatzeitpunkt hypothetisch gerechtfertigt. Im Ergebnis soll die Tat im Tatzeitpunkt nach der Feststellung einer nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“) oder einer „hypothetischen Einwilligung“ rechtmäßig sein. Strukturell sind die beiden Sachverhalte jedoch scharf auseinanderzuhalten. Ein weiterer struktureller Unterschied zwischen der nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“) und der „hypothetischen Einwilligung“ ergibt sich daraus, dass die „hypothetische Einwilligung“ gedanklich auf der Einwilligung aufbaut:635 Die nachträgliche Zustimmung („Genehmigung“) bezieht sich nicht nur auf den Eingriffserfolg, also die Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“, sondern vor allem auch auf den Miss- bzw. Erfolg der Heilbehandlung (scil. Heilerfolg), wegen dem u. a. „genehmigt“ wird. Kein „vernünftiger“ Patient genehmigt eine eigenmächtige Heilbehandlung, die im Ergebnis zu keinem Heilerfolg geführt hat. Die „hypothe633

Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 17 Rdn. 122. Vgl. Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 54; vgl. auch Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 132; ders., Jura 2004 683. 635 Vgl. in der Sache auch Schwartz, Hypothetische Einwilligung 239. 634

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

tische Einwilligung“ hingegen bezieht sich – wie die Einwilligung – auf den Eingriff „ex ante“. Ermittelt wird, ob der konkrete Patient der Heilbehandlung zugestimmt haben würde, wenn er ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre, wobei der Heilerfolg der Heilbehandlung außer Betracht zu bleiben hat. Dieser strukturelle Unterschied wird nicht immer anerkannt.636 Die nachträgliche Zustimmung („Genehmigung“) wird unmittelbar akzeptiert. Die in ihrem Ausgangspunkt subjektiv zu verstehende „hypothetische Einwilligung“ unterliegt der Objektivierung dagegen insoweit, als „die Entscheidung [. . .] eine nachvollziehbare und mögliche Schlussfolgerung“ sein müsse.637 Die „hypothetische Einwilligung“ ist daher keine „echte“ nachträgliche Zustimmung („Genehmigung“). b) Die „hypothetische Einwilligung“ oder die „nachträgliche Hypothesenbildung“ als eine „Art von Genehmigungstatbestand“ aa) Der Begriff der „nachträglichen Hypothesenbildung“ Ungeachtet dieser Differenzierungen ist die „hypothetische Einwilligung“ gleichwohl eine „Art von Genehmigungstatbestand“.638 Jäger bewertet sie ganz zutreffend als „ein[en] Fall der rückwirkenden juristischen Heilung in der Medizin“.639 Die „hypothetische Einwilligung“ ist der nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“) in der Tat in gewisser Hinsicht durchaus ähnlich: Gropp sieht den Mangel der „hypothetischen Einwilligung“ zutreffend darin, dass sich die Frage danach immer „erst hinterher“ stelle.640 „Im Ergebnis“ werde damit ein Rechtfertigungsgrund der „Genehmigung“ rechtswidriger Heileingriffe durch den Patienten geschaffen.641 Die Voraussetzungen der „hypothetischen Einwilligung“ werden erst „nach der Tat“ ermittelt. Dabei sind zwei hintereinander liegende Akte zu unterscheiden: Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung soll der Patient im Ausgangspunkt „nach der Tat“ auf seine „hypothetische Einwilligung“ befragt wer636

Vgl. zur „erfolgsbezogenen Konzeption“ der „hypothetischen Einwilligung“ c)

aa). 637

Vgl. BGH NStZ – RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. Vgl. so Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 3 Rdn. 106g; Gropp, in: FS für Schroeder 205; Jäger, in: FS für Jung 354 f.; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 240. 639 Vgl. Jäger, in: FS für Jung 355. 640 Vgl. Gropp, in: FS für Schroeder 205. 641 Vgl. Gropp, in: FS für Schroder 207. 638

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den.642 Der Patient gibt dabei nicht Auskunft über im Tatzeitpunkt tatsächlich Geschehenes (Einwilligung), sondern er stellt vielmehr erst „nach der Tat“ Mutmaßungen darüber an, ob er „in seiner spezifischen Lage vor dem Eingriff“ in die tatsächlich durchgeführte Heilbehandlung auch dann eingewilligt hätte, wenn er hypothetisch pflichtgemäß aufgeklärt worden wäre. Er stellt sich den tatsächlich geschehenen Sachverhalt „nach der Tat“ gedanklich als Hypothese vor, wobei von einem „rechtmäßigen Alternativverhalten“ des Arztes auszugehen ist. Danach mutmaßt der Patient über seine „hypothetische Einwilligung“. Die Tatsachen, aus denen der Patient auf seine „hypothetische Einwilligung“ schließt, liegen im Tatzeitpunkt daher tatsächlich nicht vor. Die Mutmaßung über seine „hypothetische Einwilligung“ entwickelt der Patient vielmehr in dem „nach der Tat“ liegenden Denkvorgang bei unterstellt hypothetisch pflichtgemäßen ärztlichen Verhalten. Danach werden die Äußerung und Begründung des Patienten einer gerichtlichen Würdigung unterzogen. Diese „muss erkennen lassen, dass die Entscheidung der Patientin zum damaligen Zeitpunkt aus ihrer Sicht bei Aufdeckung des wahren Sachverhalts eine nachvollziehbare und mögliche Schlussfolgerung ist“.643 Bei der „hypothetischen Einwilligung“ wird der geäußerte Wille des Berechtigten nicht unmittelbar akzeptiert. Die nachträgliche Befragung des Berechtigten ist nur einer von verschiedenen Anhaltspunkten für die Ermittlung der „hypothetischen Einwilligung“. Die Äußerung des Patienten kann durch eine objektivierende Betrachtung korrigiert werden. Keine andere Bewertung des Sachverhalts ergibt sich, wenn eine „nachträgliche Befragung“ des Berechtigten nicht stattfinden kann. Auch dann entwickelt das Gericht die „hypothetische Einwilligung“ in einer „nachträglichen Hypothese“. Die Mutmaßungen des Gerichts beruhen nicht auf einer Bewertung der zur Tatzeit vorhandenen Tatsachen, sondern sie sind die nachträgliche Bewertung der eigenmächtigen Heilbehandlung aufgrund einer „nach der Tat“ gebildeten Hypothese alternativ pflichtgemäßen ärztlichen Verhaltens, ob der Patient „hypothetisch“ in den ordnungsgemäß aufgeklärten Heileingriff „eingewilligt“ hätte. Dieser Sachverhalt entspricht weniger dem einer „hypothetischen Einwilligung“, als vielmehr dem einer „nachträglichen Hypothesenbildung“ über den „hypothetischen Willen“ des Berechtigten.644

642

Vgl. aus dem Zivilrecht etwa BGH NJW 1990 2928, 2929; NJW 1994 2414, 2415; aus dem Strafrecht BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. 643 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. 644 Vgl. auch Jäger, in: FS für Jung 254.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

bb) Die Ablehnung dieser Konstruktion (1) Die „hypothetische Einwilligung“ als „echter Rechtfertigungsgrund“ Die „Art von Genehmigungstatbestand“ einer mittels „Fiktion“ in der Zeit „zurückwirkenden“ rechtfertigenden „hypothetischen Einwilligung“ ist mit den „allgemeinen Regeln der Rechtfertigungsdogmatik“ aber nicht zu vereinbaren. Es gibt tatsächlich keine „Rückwirkung“ in der Zeit.645 Auch das Arbeiten mit Hypothesen ändert daran nichts. Der Patient und das Gericht mögen „nach der Tat“ zu der begründeten Mutmaßung gelangen, dass in dem gedachten Fall alternativ rechtmäßigen Verhaltens des Arztes eine Einwilligung des Patienten hypothetisch wahrscheinlich gewesen wäre. Dieser vorgestellte Sachverhalt kann aber nichts mehr an der Bewertung des eigenmächtigen Schneidens, Stechens, Schießens usw. im Tatzeitpunkt ändern. Bereits die gedankliche Vorstellung eines anderen hypothetischen Sachverhalts hat keinen Einfluss auf die Wirklichkeit. Die „hypothetische Einwilligung“ ist schon deswegen bedeutungslos, weil eine Einwilligung des Berechtigten im Tatzeitpunkt gerade nicht vorliegt.646 Aber genausowenig wie eine tatsächlich „nach der Tat“ erklärte Einwilligung des Berechtigten „Geschehenes weder in seiner objektiven, noch in seiner subjektiven Gestalt ungeschehen machen“ kann, genausowenig kann die bloße gedankliche Vorstellung einer „hypothetischen Einwilligung“ etwas an der Vergangenheit ändern. Zutreffend wendet Otto ein, dass der Achtungsanspruch des geschützten Rechtsguts im Zeitpunkt der Beeinträchtigung nicht dadurch verloren gehe, dass der Rechtsgutsberechtigte zu einem späteren Zeitpunkt auf den Rechtsschutz verzichtet hätte.647 Der Arzt hat auch in der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ seine Aufklärungspflicht in rechtswidriger Weise verletzt. Er hat ohne eine wirksame Einwilligung des Berechtigten geschnitten, gestochen, geschossen usw. An der einmal festgestellten „Rechtswidrigkeit des Eingriffs“ ändert die neue Rechtsfigur nichts.648 645 Vgl. unzutreffend Schwartz, Hypothetische Einwilligung 239, denn durch die „nachträgliche Erteilung der hypothetischen Einwilligung entfällt rückwirkend die Rechtswidrigkeit der Tat“ in keinem Fall. Die Tat wird auch nicht „von Anfang an rechtmäßig“, sondern sie ist rechtswidrig! Allenfalls lässt sich dieses Urteil für die Gegenwart und Zukunft durch das Urteil der „Rechtmäßigkeit“ ersetzen. Das ist allerdings keine Rückwirkung. 646 Vgl. A. I. 647 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 134; ders., Jura 2004 683. 648 Vgl. so auch Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 416 f.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122.

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Allenfalls ist die „Ersetzung des früheren Zustandes für die Gegenwart und Zukunft durch einen anderen rechtlichen Zustand bestimmter Art und bestimmten Inhalts“ denkbar.649 Es bleibt dann aber unabänderlich bei der Widerrechtlichkeit der eigenmächtigen ärztlichen Heilbehandlung im Tatzeitpunkt. (2) Die „hypothetische Einwilligung“ als „Zurechnungsausschluss“ Die Begründung einer Rechtfertigung „ex tunc“ hält auch Mitsch für „unmöglich“.650 Diese Problematik ist allerdings nicht allein bei einer „hypothetischen Einwilligung“ als „echter Rechtfertigungsgrund, sondern auch dann zu beachten, wenn die „hypothetische Einwilligung“ konstruktiv mit einem Zurechnungsausschluss („Ursachenzusammenhang im strafrechtlichen Sinn“, Gedanke des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“, Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“) begründet wird. Zutreffend lehnt Eser daher auch einen „Zurechnungs- oder Rechtswidrigkeitsausschluss“ durch eine Art „Heilung“ mittels „hypothetischer Einwilligung“ bei willensbeeinträchtigenden Aufklärungsmängeln ab.651

c) Die Umgehung dieser Bedenken durch eine Einschränkung des „Wissenshorizontes“ aa) Der „Wissenshorizont“ Die Rechtsprechung und Wissenschaft sind sich dieser Bedenken gegen die Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ durchaus bewusst. Theoretisch sind diese Bedenken gegen die „hypothetische Einwilligung“ als eine „Art von Genehmigungstatbestand“ nicht auszuräumen. Die Problematik besteht für die Rechtsprechung und Wissenschaft vielmehr darin, die „hypothetische Einwilligung“ gegen die im Strafrecht verpönte Sichtweise „ex post“ so weit als möglich abzuschirmen: Im Mittelpunkt dieser Auffassung steht die Beschreibung des bei der Entscheidungsfindung des Berechtigten zu berücksichtigenden „Wissenshorizontes“. Der „Wissenshorizont“, die für die Entscheidungsfindung des Berechtigten in die „urteilsrelevante Tatsachenbasis“ einzustellenden Faktoren, wird bei der „hypothetischen Einwilligung“ allerdings sehr unterschiedlich beschrieben.652 649

Vgl. Lobe, in: FG für Frank Bd. I 45 f. Vgl. eingehend dann die Kritik unten

III. 650 651

Vgl. Mitsch, JZ 2005 718. Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 40e.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

In Erscheinung getreten ist die Problematik der „urteilsrelevanten Tatsachenbasis“ ganz unsachgemäß653 bei der Abgrenzung von „mutmaßlicher“ und „hypothetischer Einwilligung“. Die „mutmaßliche Einwilligung“ soll auf der Beurteilung „ex ante“, die „hypothetische Einwilligung“ dagegen auf der Beurteilung „ex post“ beruhen.654 Für Mitsch ist mit der Gegenüberstellung „ex ante“ und „ex post“ eine differenzierende Auswahl der für die Entscheidung erforderlichen „urteilsrelevanten Tatsachen“ – besonders die Relevanz des Eintritts des Heilerfolgs655 – verbunden. Nicht hingegen sei damit der „ex post“ Standpunkt richterlicher Beurteilung gemeint.656 (1) „Erfolgsorientierte“ Sichtweise bei der „hypothetischen Einwilligung“ Die „ex post“ Beurteilung bei der „hypothetischen Einwilligung“ soll bedeuten, das von der Beurteilung des Erfolges retrospektiv eine individuelle Willensentscheidung zu der dem Erfolg vorausgehenden und ihn verursachenden Tatausführung getroffen werde.657 Der fiktive Rechtsgutsinhaber, der den Erfolgseintritt koinzident miterlebt habe und deshalb in der Lage sei, auf der Basis des wahrgenommenen realen Erfolges eine voluntative Einstellung zu der Tat zu bilden, blicke nach Kenntnisnahme vom Erfolg zurück und möge sagen, dass er „wegen dieses Erfolgs [. . .] in die Tat eingewilligt/nicht eingewilligt“ hätte.658 Den relevante Unterschied zwischen beiden Rechtsfiguren charakterisiert Mitsch dergestalt, dass der Rechtsgutsinhaber bei der „hypothetischen Einwilligung“ sehe, bei der „mutmaßlichen Einwilligung“ dagegen voraussehe, besser gesagt: versuche, vorauszusehen.659 Es soll demnach bei der Entscheidungsfindung des Patienten 652 In der Wissenschaft wird die Auseinandersetzung darüber unter dem Stichworten der Erfolgs- bzw. Entscheidungsbezogenheit der „hypothetischen Einwilligung“ geführt, vgl. zur Terminologie Kuhlen, JZ 2005 716 f. 653 Die Problematik an dieser Stelle liegt nicht in der Abgrenzung der „mutmaßlichen“ und der „hypothetischen Einwilligung“, sondern in der Vergleichbarkeit von Einwilligung und „hypothetischer Einwilligung“. 654 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 132. 655 Vgl. Mitsch, JZ 2005 281. 656 Zutreffend erinnert Mitsch, JZ 2005 281, dass über die Anwendung des Strafrechts auf konkrete Fälle immer „ex post“, aus einer der Tat nachfolgenden Sicht geurteilt werde, vgl. auch Kuhlen, JZ 2005 715. Das gilt für mutmaßliche und „hypothetische Einwilligung“ gleichermaßen, vgl. auch Kuhlen, JZ 2005 715. 657 Vgl. Mitsch, JZ 2005 281. 658 Vgl. Mitsch, JZ 2005 281. 659 Vgl. Mitsch, JZ 2005 281. Über die Relevanz des Erfolgseintritts könne bei der mutmaßlichen Einwilligung dagegen vor der Tat logisch nur prognostizierend geurteilt werden.

§ 5 Auseinandersetzung mit der hypothetischen Rechtfertigung

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auch auf den tatsächlichen Ausgang des Eingriffs ankommen.660 Der Patient müsse dann mit seinem Erfahrungswissen nach dem ge- bzw. missglückten Heileingriff zuzüglich einer ordnungsgemäßen ärztlichen Aufklärung eine hypothetische Entscheidung bezogen auf den Zeitpunkt seinerzeit vor dem Eingriff treffen („ex ante“). Bei der „erfolgsorientierten Konzeption“661 hänge es regelmäßig vom Ausgang der Heilbehandlung und der Nicht- bzw. der Realisierung der Eingriffsrisiken ab, ob der Patient seine „hypothetische Einwilligung“ erteile. (2) „Entscheidungsbezogene“ Sichtweise bei der „hypothetischen Einwilligung“ Die „erfolgsorientierte“ Perspektive der „hypothetischen Einwilligung“ wird theoretisch überwiegend abgelehnt. Die strafrechtliche,662 mit einigen Ausnahmen auch die zivilrechtliche663 Rechtsprechung und die überwiegende Lehre interpretieren die „hypothetische Einwilligung“ in einer „entscheidungsbezogenen“ Weise (Kuhlen).664 Der Patient wird nach dem Eingriff „ex post“ befragt. Er soll sich aber in seine „spezifische Lage vor dem Eingriff“ („ex ante“) hineinversetzen. Bei der Beurteilung seines vermutlichen Entscheidungsverhaltens soll er dasjenige Wissen zugrundelegen, das er seinerzeit aus einer vollständigen ärztlichen Aufklärung hätte erlangen müssen. Zu den „urteilsrelevanten Tatsachen“ gehört daher nicht der Ausgang des konkreten Heileingriffs (scil. Heilerfolg). Der Patient soll nicht ausführen, ob er „wegen“ dieses Missbzw. Erfolgs in den Heileingriff eingewilligt hätte.

660

Vgl. auch diese Interpretation der „hypothetischen Einwilligung“ Mitschs bei Kuhlen, JZ 2005 715. 661 Vgl. Kuhlen, JZ 2005 715. 662 Vgl. etwa BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252, wonach die Äußerung und Begründung der Patientin erkennen lassen müsse, dass die Entscheidung „zum damaligen Zeitpunkt aus ihrer Sicht“ bei Aufdeckung des wahren Sachverhalts eine nachvollziehbare und mögliche Schlussfolgerung sei. 663 Vgl. besonders deutlich etwa OLG Köln NJW 1998 3422; OLG Stuttgart VersR 1998 1111, 1114; OLG Karlsruhe VersR 2001 860, 861. 664 Vgl. besonders Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 109; Kuhlen, JZ 2005 715.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

bb) Die Schwächen der „erfolgsorientierten“ und der „entscheidungsbezogenen“ Konzeptionen der „hypothetischen Einwilligung“ (1) Mit der „entscheidungsbezogenen“ Konzeption der „hypothetischen Einwilligung“ soll praktisch eine Umgestaltung der („hypothetischen“) Einwilligung in eine Art von nachträglicher Zustimmung („Genehmigung“) verhindert werden. Die „hypothetische Einwilligung“ soll daher nicht bereits an den für die strafrechtliche „Genehmigung“ entwickelten Wertungen scheitern: Die Billigung des Eingriffs in Kenntnis des Heilerfolgs, von der die „erfolgsbezogene“ Konzeption der „hypothetischen Einwilligung“ ausgeht, dürfte „im wahren Rechtssinne“ sachlich „nicht über die Bedeutung einer nachträglichen Verzeihung einer einmal verübten Rechtsverletzung“ hinausführen.665 Eine Verzeihung hat im Strafrecht bei der Beurteilung der Tat keine Bedeutung.666 Für Kuhlen folgt die Nichtberücksichtigung des Ausgangs des ärztlichen Heileingriffs aus der Qualifikation der „hypothetischen Einwilligung“ als „rechtmäßiges Alternativverhalten“.667 Der eigentliche Grund für die „entscheidungsbezogene“ Sichtweise wird nicht offengelegt. Dieser liegt darin, dass die „hypothetische Einwilligung“ gedanklich auf der Einwilligung beruht. Die „hypothetische Einwilligung“ ist nur ein „bloßes fiktives Potential“ einer Einwilligung, die in dem gedachten Fall eines alternativ rechtmäßigen Verhaltens des Arztes hätte vorliegen können, aber tatsächlich nicht vorgelegen hat. Die Einwilligung bezieht sich anerkanntermaßen auf die finalen Eingriffsfolgen (scil. Schneiden, Stechen, Schießen usw.), aber eben nicht auf den weitergehenden Heilerfolg.668 Die Rechtsprechung und das überwiegende Schrifttum gehen daher im Grundsatz davon aus, dass sich der „Wissenshorizont“ bei der Einwilligung und bei der „hypothetischen Einwilligung“ durchweg entsprechen. (2) Allenfalls die „entscheidungsbezogene“ Konzeption der „hypothetischen Einwilligung“ vermeidet die theoretische Konsequenz, dass ggfs. bei einem tödlichen endenden Heileingriff eine („hypothetische“) Einwilligung in den „Todeserfolg“ denkbar wäre. Die strafbefreiende „hypothetische Ein665

Vgl. RGSt 25 375, 383. Vgl. auch Kuhlen, JZ 2005 715 Fn. 35. 667 Vgl. Kuhlen, JZ 2005 715. Wäre diese Einordnung zutreffend, dann ließe sich daraus herleiten, dass nur dasjenige Wissen des Patienten für die Entscheidung berücksichtigungsfähig sein könnte, dass er bei „rechtmäßigen Verhalten“ des Arztes erlangt hätte. Dazu gehört die Aufklärung über den Ausgang der Maßnahme notwendig nicht, sondern allein über den Eingriff als solchen, seine Risiken, Chancen usw. 668 Vgl. 11. Kap. § 2 A. I. 666

§ 5 Auseinandersetzung mit der hypothetischen Rechtfertigung

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willigung“ in den Todeserfolg erscheint angesichts der gesetzgeberischen Wertung (§ 216 StGB) nicht mehr nachvollziehbar. (3) Trotz der „Entscheidungsbezogenheit“ der „hypothetischen Einwilligung“ werden die Mutmaßungen über die „hypothetische Einwilligung“ tatsächlich immer noch „nach der Tat“ angestellt („nachträgliche Hypothesenbildung“). Die Normativierungen der „hypothetischen Einwilligung“ können diesen Sachverhalt kaschieren, theoretisch aber nicht überwinden.669 (4) Es ist allerdings auch in praktischer Hinsicht sehr bedenklich, welche Anforderungen an den bemitleidenswerten Patienten, der im Zivil- und Strafrecht um sein Recht gegen den immerhin fehlerhaft aufklärenden Arzt nachsucht, gerichtet werden. Von dem Patienten, der mit den schlimmen Folgen einer fehlgeschlagenen Operation leben muss, wird im Prozess verlangt, ganz unter Außerachtlassung dieser Folgen über sein zurückliegendes Entscheidungsverhalten zu mutmaßen. Dabei wird der Heilerfolg der Maßnahme jedenfalls für einen „normalen“ Patienten eine ganz ausschlaggebende Bedeutung für seine hypothetische Entscheidung haben.670 Niemand würde ohne einen gewichtigen Sachgrund einem ärztlichen Heileingriff nachträglich die Rechtswidrigkeit nehmen, der sich als vollkommen nutzlos oder sogar nachteilig herausgestellt hat. Auch die Praxis wird nicht immer gefeit sein gegenüber der verpönten Betrachtungsweise ex tunc.671 Eine „erfolgsbezogene“ Konzeption schließt eine „hypothetische Einwilligung“ in vielen Fällen von Erfolglosigkeit der Heilbehandlung von vornherein aus. Die „hypothetische Einwilligung“ wäre in diesen Fällen vollkommen bedeutungslos. Bei der „entscheidungsbezogenen“ Perspektive ist sicher zutreffend, dass die möglichen Risiken und Nebenwirkungen vor einer Operation „eher verdrängt beziehungsweise geringer“ eingeschätzt, bisweilen vor allem im kosmetischen Bereich672 auch unterschätzt werden.673 669 Nicht weit genug geht Böcker, JZ 2005 930. Er beschränkt seine Kritik darauf, dass auch in einer u. U. zufälligen, ggf. durch Entschädigung erkauften, nachträglichen Zustimmung wertend eine Nichtverwirklichung des Risikos liege („hypothetische Einwilligung“). „An diesem [. . .] Beispiel“ werde deutlich, dass bei der Beurteilung der Strafbarkeit nicht mehr an die Tatzeit angeknüpft werde. Die rechtliche Konstruktion der Rückwirkung kaschiere dies. Daher werde zwischen „erfolgsbezogener“ und „entscheidungsbezogener“ Konzeption unterschieden. Prinzipiell ist zwischen den genannten Varianten der Einwilligung kein Unterschied anzuerkennen. Auch bei der „entscheidungsbezogenen“ Konzeption wird die Hypothese „nach der Tat“ gebildet. 670 Vgl. die weiteren nachträglichen Umstände, die Einfluss auf die „hypothetische Einwilligung“ haben können III. 2. b) bb). 671 Vgl. zutreffend Kallfelz, DR 1940 1292.

366

6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Die Anforderungen an den Patienten, solche Umstände auszublenden, die „nach der Tat“ liegen, sind auch aus menschlich vollkommen nachvollziehbaren Gründen praktisch nicht erfüllbar. Niemand kann es der Klägerin in dem Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe zum Vorwurf machen,674 dass sie die schlimme Folge der infolge der Operation eingetretenen Erblindung auf dem rechten Auge bei der Beschreibung ihres Entscheidungskonflikts nicht vernachlässigen konnte. Die Rechtsprechung verlangt bei der „hypothetischen Einwilligung“ idealerweise den „fiktiven Maßstabs-Homunculus“ eines rational denkenden Menschen, der sein „innerstes Seelenleben“ bei der Beschreibung seines Entscheidungsverhaltens außen vor lässt. Diese Anforderungen der Rechtsprechung sind mit der Praxis nicht mehr in Einklang zu bringen. Die Aufforderungen des Gerichts, der Patient habe von einem beschränkten „Wissenshorizont“ auszugehen, dass räumen selbst einige bemerkenswert offene Richter ein,675 sind hier genauso nutzlos wie die Beteuerungen des „normalen“ Patienten, er werde diesen Vorgaben bei der Beschreibung seiner damaligen Entscheidungssituation nachkommen. Auch der insofern überforderte Richter kann nicht das persönliche Seelenleben des nicht idealtypischen Patienten auf seine Übereinstimmung mit diesen theoretischen Anforderungen nachprüfen. Die Abgrenzung von „hypothetischer Einwilligung“ als eine „Art von Genehmigungstatbestand“ und nachträglicher Zustimmung („Genehmigung“) durch eine Vorauswahl der in die „urteilsrelevante Tatsachenbasis“ einzustellenden Faktoren ist daher praktisch unzureichend. Dieser theoretische Unterschied zwischen beiden Rechtsfiguren wird häufig nicht vorhanden sein. Der Berechtigte mutmaßt über den Sachverhalt der „hypothetischen Einwilligung“ ähnlich wie über denjenigen einer („hypothetischen“) nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“). Mit der Verfälschung der fiktiven Entscheidung des Berechtigten wird der Unterschied zwischen beiden Rechtsfiguren illusorisch.676

672

Vgl. etwa die BGH BGHR § 223 StGB Heileingriff 2. Vgl. OLG Bamberg Vers 1998 1025, 1026; vgl. auch Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 110. 674 Vgl. OLG Karlsruhe VersR 2001 860, 861. 675 Vgl. Schlund, VersR 1991 815. 676 Vgl. auch Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 80; wohl auch Schwartz, Hypothetische Einwilligung 225, 227. 673

§ 5 Auseinandersetzung mit der hypothetischen Rechtfertigung

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III. Die Problematik des Schwebezustandes 1. Die Schaffung eines Schwebezustandes durch die „nachträgliche Hypothesenbildung“

Mit dem „ersten Messerschnitt“, den der Arzt „gegen den Körper“ ohne Einwilligung des Patienten ausführt, ist das Delikt als rechtswidriges vollendet.677 Die Rechtswidrigkeit der eigenmächtigen Heilbehandlung im Tatzeitpunkt ist positiv festgestellt und kann aus den angegebenen Gründen – „Hypothese“, „keine Rückwirkung“ der „nachträglichen Hypothesenbildung“ – nicht wieder nachträglich aufgehoben werden. Mit der Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ als Rechtfertigungsgrund wird demgegenüber die Rechtssicherheit gefährdet. Bei der „hypothetischen Einwilligung“ lässt sich das Urteil der „Rechtmäßigkeit“ und „Rechtswidrigkeit“ der ärztlichen Heilbehandlung erst weit „nach der Tat“ fällen. In der Zeit zwischen dem Tatzeitpunkt und dem Zeitpunkt der „nachträglichen Hypothesenbildung“ entsteht damit ein „Schwebezustand“, während dessen Dauer unklar ist, ob der Arzt durch sein eigenmächtiges Handeln „rechtswidrig“ oder „rechtmäßig“ gehandelt hat. Die Problematik der Schaffung eines „Schwebezustandes“ ist keineswegs neu. Weil auch die Voraussetzungen der „hypothetischen Einwilligung“ tatsächlich erst „nach der Tat“ festgestellt werden, wiederholen sich bei ihr die Bedenken, die gegen die nachträgliche Zustimmung („Genehmigung“) vorgetragen werden.678 Gewisse679 Parallelen lassen sich auch zur Erfolgstheorie feststellen.680

677

Vgl. auch RGSt 25 375, 383. Das Reichsgericht hatte die Rechtsfigur der nachträglichen Zustimmung („Genehmigung“) in RGSt 25 375, 383 u. a. deshalb abgelehnt, weil während des Zeitpunkts der Tat und der nachträglichen Billigung durch den Berechtigten ein „Schwebezustand“ geschaffen würde, über dessen Dauer allein der Verletzte befände. 679 Es überwiegen die strukturellen Unterschiede. Der Erfolg der Heilbehandlung liegt tatsächlich, nicht nur fiktiv vor. Dagegen würde der „Erfolg“ bei der „hypothetischen Einwilligung“, nämlich die „Einwilligung“ im Gegensatz zu dem tatsächlichen Heilerfolg, allenfalls fiktiv vorliegen. 680 Aus ähnlichen Gründen wird die (modifizierte) Erfolgstheorie angezweifelt. In der Zeit zwischen dem Eingriff und dem Eintritt des Heilerfolgs werde ein mitunter sehr langer „Schwebezustand“ geschaffen, während dessen es zweifelhaft bleibt, ob durch den ärztlichen Eingriff Recht oder Unrecht geschehen sei, vgl. Behr, GerS 62. Bd. (1903) 401 f.; vgl. auch Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 40. „Unhaltbare Rechtsunsicherheit“ wäre die Folge, vgl. Behr, GerS 62. Bd. (1903) 402. 678

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit 2. Verstoß gegen das Offizialprinzip bei der „hypothetischen Einwilligung“

Aus formaler Sicht wird die nachträgliche Zustimmung („Genehmigung“) des Berechtigten abgelehnt, weil der Staat mit dem „ersten Messerschnitt“, den der Arzt „gegen den Körper [. . .] ausführt, auch das Delikt vollendet, und der Strafanspruch des Staates begründet“ sei. Der Strafanspruch sei auch eine „öffentlich-rechtliche Tatsache“, die von einer Privatperson in Person des Verletzten nicht mehr „aus der Welt geschafft werden“ könne.681 Es soll außerdem nicht im Belieben des Verletzten („Privatwillkür“) stehen, ob der Täter strafrechtlich verfolgt werde. Das könne zu einer „willkürlichen Ungleichbehandlung ähnlicher Sachverhalte“ führen. Dem stehe das Offizialprinzip im Strafrecht entgegen.682 Diese Gedanken können für die „hypothetische Einwilligung“ nicht folgenlos bleiben. Immerhin ist sie eine „Art von Genehmigungstatbestand“. Die Kritik leuchtet bei den Offizialdelikten unmittelbar ein, doch gilt das Offizialprinzip mit der Anerkennung von Antragsdelikten683 nicht uneingeschränkt (§§ 77 ff. StGB). Gleichwohl stellt auch hier der Gesetzgeber die Veranlassung der Strafverfolgung (§ 77 b Abs. 1 StGB) häufig nicht allein in das Belieben des Verletzten,684 wie die Anerkennung der bedingten Antragsdelikte zeigt.685 Der Strafantrag soll aber auch bei den bedingten Antragsdelikten die „Regel“, die Strafverfolgung von Amts wegen die „Ausnahme“ bleiben. Mit dem bedingten Antragserfordernis bei der einfachen vorsätzlichen und der fahrlässigen Körperverletzung (§ 230 Abs. 1 StGB) werden die Bedenken gegen eine Einräumung von „Privatwillkür“ über den staatlichen Strafanspruch und die „willkürliche Ungleichbehandlung“ von vornherein relativiert, aber nicht beseitigt. Gerade in den Fällen einer vorsätzlichen 681

Vgl. RGSt 25 375, 383. Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 50. 683 Vgl. zur Rechtsnatur des Strafantrags Paeffgen, in: NK § 230 StGB Rdn. 10 ff. muwN. 684 Vgl. etwa § 247 StGB, der allein das Antragserfordernis verlangt (scil. unbedingtes Antragsdelikt). Zu den verschiedenen Zwecken hinter den Antragserfordernissen, vgl. Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 85 I 1 905 f.; Paeffgen, in: NK § 230 StGB Rdn. 3 ff. 685 Einige bedeutsame Antragsdelikte werden um den Zusatz ergänzt, dass die Staatsanwaltschaft bei einem Verstreichenlassen der Antragsfrist durch den Antragsberechtigten (§ 77 b StGB) oder bei der Zurücknahme des Antrages (§ 77 d StGB) oder bei einem Verzicht durch die Bejahung des „besonderen öffentlichen Interesses“ ein Einschreiten von Amts wegen unabhängig vom und sogar gegen Willen des Verletzten anordnen kann („Vorrang des besonderen öffentlichen Interesses“). 682

§ 5 Auseinandersetzung mit der hypothetischen Rechtfertigung

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Tatbegehung, bei besonderer Leichtfertigkeit des Täters, wenn die Tat Folgen zeitigt, bei einem Handeln aus niedriger Gesinnung, der Verletzung besonderer Berufspflichten oder der einschlägigen Vorbestrafung des Täters,686 kann das „besondere öffentliche Interesse“ bejaht werden. Die „hypothetische Einwilligung“ ist im Ergebnis daher ein ins Gewand des materiellen Rechts gekleideter Strafantrag: In den Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft ein „besonderes öffentliches Interesse“ bejaht, wird als weitere Voraussetzung für die Bestrafung des Arztes die „hypothetische Nichtzustimmung“ des konkreten Patienten gefordert. Sachlich entsteht damit ein „wenigstens modifiziertes Antragsdelikt“,687 weil es nach den Grundsätzen der Rechtsprechung zur „hypothetischen Einwilligung“ auf die Entscheidung nicht der „verständigen“ Maßstabsperson, sondern auf diejenige des individuellen Patienten ankommt, der grundsätzlich persönlich zu befragen ist. Es hängt im Wesentlichen von der „Willkür“ des Verletzten ab, ob der eigenmächtig handelnde Arzt wegen Körperverletzung (§§ 223 StGB ff.) bestraft wird. Das Strafrecht kennt allerdings keine „modifizierten Antragsdelikte“. Dieser – auch in der Rechtsprechung erkannten – Gefahr wird allerdings nur unzureichend begegnet. Bei der „nachträglichen Hypothesenbildung“ besteht zwar die Möglichkeit zur Objektivierung durch eine „Plausibilitätskontrolle“: Die Äußerung und Begründung des Patienten sei einer „Würdigung“ zu unterziehen, die erkennen lasse, dass die Entscheidung „zum damaligen Zeitpunkt“ aus Sicht des Patienten eine „nachvollziehbare und mögliche Schlussfolgerung“ sei.688 Vor allem sollen nach der „entscheidungsbezogenen“ Konzeption der „hypothetischen Einwilligung“ die „nach der Tat“ liegenden Umstände strikt ausgeblendet werden. Die praktische Überzeugungskraft dieser einschränkenden Kriterien ist jedoch gering. Der Wahrheitsgehalt der Aussagen des Berechtigten über seine mutmaßliche Entscheidung ist der theoretischen und der praktischen Nachprüfbarkeit entrückt.689 Theoretisch fehlt es an der Möglichkeit zur Nachprüfung der nicht strikt determinierten höchstpersönlichen Entscheidung des Patienten.690 Praktisch ist die Beeinflussung des bei der „hypothetischen Einwilligung“ zugrundezulegenden restriktiven „Wissenshorizontes“ „ex ante“ durch die strafrechtlich verpönte Sichtweise „ex post“ – Bedeutung des Heilerfolgs, der Realisierung von schweren bis schwersten Risiken, die 686

Vgl. Paeffgen, in: NK § 230 StGB Rdn. 30. Vgl. zur Terminologie Jäger, in: FS für Jung 355 f. Vgl. auch Schwartz, Hypothetische Einwilligung 231. 688 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. 689 Vgl. Gropp, in: FS für Schroeder 200. 690 Vgl. eingehend 8. Kap. § 2 B. IV. 687

370

6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

persönliche Entfremdung von Arzt und Patient, die vielfältigsten Arten der Einmischung von dritter Seite in die Entscheidungsfindung (wissenschaftliche Diskussionen, Überredung oder Überzeugung691 bis hin zur kommerziellen Verhandlung über den Strafanspruch692 oder der kriminellen Beeinflussung des Zeugen),693 die persönliche Tragweite der Schilderung der Entscheidung vor Gericht,694 sonstige Möglichkeiten der Manipulation – für das erkennende Gericht häufig gar nicht zu entdecken. Der Berechtigte allein kann hier Rechenschaft ablegen, ob und inwieweit er den theoretischen Vorgaben für die „hypothetische Einwilligung“ gefolgt ist. Die Rechtsfigur ist deshalb erheblichen kriminalpolitischen Zweifeln ausgesetzt. Sie macht die Strafbarkeit des Arztes nicht von objektiv nachprüfbaren Umständen abhängig, sondern von der höchstpersönlichen Entscheidung des Berechtigten. Hier besteht das Missbrauchspotential in der mitunter unwiderlegbaren Einlassung des Patienten vor Gericht. Praktisch ist die „Plausibilitätskontrolle“ eine Illusion, die der „Privatwillkür“ in der Vielzahl der Fälle keine Schranken setzen kann. c) Im Zivilrecht haben derartige Überlegungen grundsätzlich keinen Raum. Hier geht es um einen gerechten Ausgleich von Vermögensschäden, nicht um den Strafanspruch des Staates.695 Die zivilrechtliche Genehmigung (§ 184 BGB) hat den Sinn, dem Berechtigten die Entscheidungsfreiheit einzuräumen, ob er das ohne seinen Willen abgeschlossene Rechtsgeschäft mit allen sich daraus ergebenden Vor- und Nachteilen „an sich ziehen“ will. Die Erteilung einer Genehmigung wird wesentlich von dem Saldo des Rechtsgeschäfts für den Berechtigten mitbestimmt. Er wird regelmäßig das Rechtsgeschäft unter dem Eindruck der ökonomischen Vorteilhaftigkeit genehmigen. Daneben kann die Genehmigung auch von anderen persönlichen Motiven getragen werden. Dem Genehmigenden wird die Möglichkeit der Manipulation zugestanden. Diese Dispositionsmöglichkeit hat im Zivilrecht daher ihre volle Berechtigung. Sie ist dem Strafrecht jedoch wesensfremd.696

691

Vgl. RGSt 25 375, 283. Vgl. Böcker, JZ 2005 930: Auch in der unter Umständen zufälligen, ggf. durch Entschädigung erkauften, nachträglichen Zustimmung läge wertend eine Nichtverwirklichung des Risikos. Vgl. auch Gropp, in: FS für Schroeder 200: Der „clevere Patient“ hätte es in der Hand, sich die „hypothetische Einwilligung“ „abkaufen“ zu lassen. Vgl. auch Jäger, in: FS für Jung 356. 693 Vgl. im Allgemeinen etwa Paeffgen, in: NK § 230 StGB Rdn. 6; Schroeder, Strafprozessrecht § 8 Rdn. 61. 694 Vgl. eingehend Schlund, VersR 1991 815. 695 Vgl. eingehend 8. Kap. § 3 A. 696 Vgl. auch Ohly, in: FS für Jakobs 468. 692

§ 5 Auseinandersetzung mit der hypothetischen Rechtfertigung

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3. Einfluss der „hypothetischen Einwilligung“ auf Gegenrechte

a) Liegen die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes (Notwehr, Notstand, Einwilligung usw.) im Tatzeitpunkt tatsächlich vor, ist die Tat auch rechtmäßig697 und dem Täter steht deshalb ein Eingriffsrecht zur Seite. Die Verletzung des Angriffsobjekts stellt keinen Erfolgsunwert dar, weil es in der konkreten Situation nicht mehr schutzwürdig ist. Der Schutz des Gutes tritt nach dem Prinzip des überwiegenden Interesses zurück (monistische Lehre). Die Suspendierung nicht allein der Bestimmungs- (Handlungserlaubnis), sondern auch der Gewährleistungsnorm führt in diesen Fällen dazu, dass die Verletzung des Angriffsobjekts auch im Ergebnis gebilligt wird und von Rechts wegen herbeigeführt werden darf.698 Dem auf Seiten des Täters eingeräumten Eingriffsrechts korrespondiert umgekehrt auf Seiten des Opfers eine Duldungspflicht, die Gegenrechte, § 32 StGB („rechtswidriger“ Angriff), aber auch § 34 StGB, abschneidet.699 b) Die „hypothetische Einwilligung“ als eigenständiger Rechtfertigungsgrund würde, wie Kuhlen zutreffend erinnert, Gegenrechte anderer aber nicht bestehen lassen.700 Die ärztliche Heilbehandlung würde nachträglich mit der Gesamtrechtsordnung übereinstimmen.701 aa) Ob Nothilfe gegen den fehlerhaft aufklärenden Arzt wenigstens vorläufig geltend gemacht werden kann, etwa weil einem mitbehandelnden Arzt wegen der ihm bekannten Täuschung des Patienten Skrupel gekommen sind und er die Vornahme der eigenmächtigen Heilbehandlung unterbinden will, kann nicht zweifelhaft sein. Der Täter übt zugunsten des Patienten, der bereits bewusstlos auf dem Operationstisch liegt, im Tatzeitpunkt Nothilfe (§ 32 Abs. 2 StGB), wenn er den eigenmächtig handelnden Arzt von der Operation abhält. Er erwirbt mit Verwirklichung der Norm (§ 32 Abs. 2 StGB) einen „Anspruch“ gegenüber dem Staat auf eine ihn günstig kommende Rechtsfolge, nämlich die Bewertung seiner Tat als rechtmäßig. 697

Vgl. Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 64; Kühl, Strafrecht AT § 6 Rdn. 1; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 31 VI 1; Lenckner, in: Schönke/ Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 9; Otto, Grundkurs AT § 5 Rdn. 13, § 8 Rdn. 2; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 105; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 14 Rdn. 1, 104. 698 Vgl. Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 10. 699 Vgl. zum ganzen Graul, JuS 1995 1051; Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 65; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 31 VI 1 331; Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 10; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 107; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 14 Rdn. 105. 700 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 443. 701 Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 105.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Würde im weiteren Verlauf auf die Voraussetzungen der „hypothetischen Einwilligung“ erkannt, so würde dem Nothelfer diese Bewertung „nach der Tat“ genommen. Er hätte rechtswidrig gehandelt, obwohl er im Tatzeitpunkt tatsächlich rechtmäßig gehandelt hat. Aus demselben Grund, weshalb von einer Privatperson der mit dem ersten, gegen den Körper geführten Messerschnitt begründete Strafanspruch des Staates („öffentlich-rechtliche Tatsache“) nicht willkürlich „aus der Welt geschafft“ werden kann, aus demselben Grund vermag auch die „Privatwillkür“ einem dem Nothelfer zustehenden Anspruch auf Bewertung seiner Tat als „rechtmäßig“ nicht aus der Hand zu schlagen. Die „nachträgliche Hypothesenbildung“ entfaltet keine Rückwirkung“. Sie ändert nichts an der Rechtswidrigkeit der eigenmächtigen Heilbehandlung. bb) Die Rechtfertigungslösung wird angegriffen, weil der Täter mit der „hypothetischen Einwilligung“ nicht so „gut“ stehen dürfe wie bei einer eigentlichen Rechtfertigung.702 In der Tat ist der Schutz des Berechtigten vor eigenmächtigen Eingriffen kaum noch adäquat zu gewährleisten, wenn die „hypothetischen Einwilligung“ anerkannt wird. Die Möglichkeit eines Widerspruchs des Berechtigten gegen den handelnden Arzt, sodass er sich bei Vornahme der Heilbehandlung „gegen“ den Willen des Berechtigten durchsetzen müsste, was jeglichen „hypothetischen Erwägungen“ den Boden entziehen soll,703 hat praktisch keine und theoretisch fast704 keine Bedeutung.705 702

Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 443. Bei dem Vorliegen der Voraussetzungen der „hypothetischen Einwilligung“ soll allenfalls das Erfolgs-, nicht aber das Handlungsunrecht ausgeschlossen werden. Eine Rechtfertigung der Gesamttat – wie bei einem Rechtfertigungsgrund – ist nicht vorgesehen, vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 443; ders., JR 2004 227, 229 f.; Rönnau, JZ 2004 802 f.; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122. Konsequenterweise werden Gegenrechte für möglich gehalten. Allerdings entfällt auch das Handlungsunrecht, wenn der Täter die hypothetische Zustimmung des Patienten für „sicher“ hält bzw. ihm seine Aussagen, er habe auf diese vertraut, nicht widerlegt werden können, vgl. eingehend 5. Kap. § 2 E. III. 2. Die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Arztes kann nach Kuhlen dann nicht positiv festgestellt werden. Auch in diesem Fall sollen Gegenrechte ausscheiden. Das provoziert die hier dargestellten Einwände. 703 Vgl. BGH NJW 1991 2342, 2343. 704 Vgl. aber Krauß, in: FS für Bockelmann 573. 705 Der Widerspruch des Berechtigten wird regelmäßig ausbleiben, wenn die Einsicht in die Fehlerhaftigkeit der Belehrung nicht offengelegt werden kann. Der Patient lässt die Eigenmacht des Arztes unentdeckt gewähren. Weil er sich dessen Urteil zudem häufig vertrauensvoll anschließen wird, fehlt es ihm an dem Grund, das Urteil des „wohlmeinenden“ Arztes kritisch zu hinterfragen. Für den Berechtigten kommt der Schutz vor der Tat regelmäßig zu kurz; er ist allenfalls von höchst zufälliger Natur.

§ 5 Auseinandersetzung mit der hypothetischen Rechtfertigung

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Andererseits ist die Bereitschaft zur Nothilfe vernünftigerweise eher gering, wenn das Risiko besteht, dass die im Tatzeitpunkt tatsächlich immerhin rechtmäßig ausgeübte Nothilfe nachträglich rechtswidrig würde. Auch die Irrtumslehren bieten dem Nothelfer, der bei „nachträglicher Bewertung“ in einem Erlaubnistatbestandsirrtum gehandelt hätte,706 kaum adäquaten Schutz (Versuchsunrecht). Um einen ausreichenden Schutz des Patienten vor der Eigenmacht des Arztes zu gewährleisten, bedarf es deshalb auch der Erhaltung der Gegenrechte des Dritten in ihrem Bestand. Allein auf das Widerspruchsrecht kann ein adäquater Schutz des Einwilligenden nicht gestützt werden. cc) In anderem Zusammenhang, wenn nämlich der Gesetzgeber nach der Tat, aber vor der Entscheidung des Gerichts den Umfang der Rechtfertigung (§ 2 Abs. 3 StGB) erweitert, wird bestätigt, dass Gegenrechte nicht nachträglich aufgehoben werden dürfen. Nach Hirsch, Lenckner,707 Paeffgen708 und Rönnau709 soll zwar nicht die Rechtswidrigkeit der Tat zur Tatzeit aufgehoben werden (Grundsatz der unbedingten Rechtswidrigkeit), doch soll in bezug auf die Bestrafung des Täters so zu entscheiden sein, als habe der Rechtfertigungsgrund schon gegolten („nachträgliche Neubewertung“).710 Während dem Täter die gesetzgeberische Entscheidung in Form der Anwendung des milderen Gesetzes zugutekommt (§ 2 Abs. 3 StGB), wird Dritten gegenüber die tatsächliche Rechtslage im Tatzeitpunkt in ihrem Bestand gewährleistet. Damit wird die aufgezeigte Konsequenz vermieden, dass die rechtmäßige Ausübung von Gegenrechten nachträglich für rechtswidrig erklärt wird. Für den Bestand der Notrechte könnte bei der „hypothetischen Einwilligung“ ebenso argumentiert werden. Dann könnte das Vertrauen des Nothelfers auf sein Recht erhalten werden.

C. Das subjektive Rechtfertigungselement bei der „hypothetischen Einwilligung“ „Im Falle des Fehlens einer (hypothetischen) Einwilligung stellt sich der operative Eingriff [. . .] als tatbestandsmäßige und rechtswidrige Körperverletzung dar. Eine vorsätzliche Tat könnte [. . .] nur dann nicht vorgeworfen 706 Entfiele nachträglich der Rechtfertigungsgrund, so hätte sich der Täter im Tatzeitpunkt tatsächlich immerhin Umstände vorgestellt, die lägen sie objektiv vor, sein Handeln gerechtfertigt hätten. Aber die „nachträgliche Hypothesenbildung“ vermag auch die subjektive Seite nicht zu beeinflussen, vgl. D. I. 707 Vgl. Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 26. 708 Vgl. Paeffgen, in: NK Vor § 32 StGB Rdn. 77. 709 Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 76. 710 Vgl. Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 45.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

werden, wenn [der Täter] irrig vom Vorliegen eines rechtfertigenden Sachverhalts ausgegangen wäre [. . .].“711 In ihren subjektiven Voraussetzungen ist die „hypothetische Einwilligung“ weiteren Bedenken ausgesetzt. Es ist bereits nicht unumstritten, ob bei der „hypothetischen Einwilligung“ subjektive Voraussetzungen überhaupt anzuerkennen sind. I. Die Anerkennung eines subjektiven Rechtfertigungselements bei der „hypothetischen Einwilligung“ 1. Die Beschreibung des subjektiven Rechtfertigungselements bei der „hypothetischen Einwilligung“

Zu den inhaltlichen Voraussetzungen des subjektiven Rechtfertigungselements, wenn es überhaupt anerkannt wird,712 zählt die Kenntnis des Täters von den objektiven Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes.713 Der Täter stellt sich eine konkrete Sachlage vor, in der sein Handeln objektiv mit den Geboten der Rechtsordnung übereinstimmt. Er handelt im Bewusstsein, die Rechtsgüter anderer in der konkreten Situation nicht in rechtswidriger Weise zu beeinträchtigen. Ein subjektives Rechtfertigungselement wird von der Rechtsprechung wohl auch bei der „hypothetischen Einwilligung“ anerkannt. Diesen Sachverhalt beschreibt der Erste Strafsenat im Bandscheibenfall,714 wonach die Ärzte nicht von der Vorstellung einer „Einwilligung der Patientin in die konkret durchgeführte Operation durch die Oberärztin bei wahrheitsgemäßer Aufklärung“ ausgegangen seien. Auch im Bohrerfall715 hätte der Arzt sonst keinen Grund zur Vertuschung der wahren Sachlage gehabt.716 Als eher fernliegend bezeichnete der Vierte Strafsenat im Turboentzugsfall717 die irrige Vorstellung eines rechtfertigenden Sachverhalts.718 Das „subjektive Rechtfertigungselement“ wäre bei der „hypothetischen Einwilligung“ inhaltlich demnach zu bestimmen als das Wissen des Täters, dass der Berechtigte in die konkret durchgeführte Heilbehandlung durch den konkret handelnden Arzt bei wahrheitsgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte.719 711

Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340, 341. Vgl. die Nachweise zur „objektiven Unrechtslehre“ unten Fn. 734. 713 Vgl. etwa BGH NStZ-RR 2007 340, 341; vgl. weiter etwa Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 52, 117, § 18 Rdn. 46; Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 14. 714 Vgl. Einl. § 1 V. 715 Vgl. Einl. § 1 VI. 716 Vgl. auch Böcker, JZ 2005 927. 717 Vgl. Einl. § 1 VII. 718 Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340, 341. 712

§ 5 Auseinandersetzung mit der hypothetischen Rechtfertigung

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2. Der strukturelle Unterschied zwischen der subjektiven Vorstellung bei der Einwilligung und der „hypothetischen Einwilligung“

a) Die Ermittlung des Vorsatzes In der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ fehlt es nicht an dem Vorsatz des Arztes, in das Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ des Patienten einzugreifen. Das subjektive Vorstellungsbild des Täters beschreibt bei der „hypothetischen Einwilligung“ im Tatzeitpunkt anders als bei der Einwilligung gerade nicht die tatsächlich rechtfertigende Sachlage einer Einwilligung, sondern den bloß gedachten Sachverhalt einer Einwilligung. Bei der „hypothetischen Einwilligung“ fehlt es an einem „tatsächlichen, sachverhaltsbezogenen Bezugspunkt“,720 der das Handeln des Täters tatsächlich rechtfertigt. Der maßgebliche Grund, weshalb es in der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ am Vorsatz des Arztes, in das Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ des Patienten einzugreifen, nicht fehlt, besteht darin, dass der Vorsatz des Arztes gerade vorliegt. Der Arzt greift bei der „hypothetischen Einwilligung“ gerade in dem Bewusstsein der fehlenden tatsächlichen Legitimation in das Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ des Patienten ein. Er stellt sich eben nicht vor, dass seinem Schneiden, Stechen, Schießen usw. eine Einwilligung des Berechtigten oder ein sonstiger Rechtfertigungsgrund zugrundeliegt. Er handelt lediglich in dem Bewusstsein, dass sein Verhalten durch eine Einwilligung des Berechtigten gerechtfertigt sein könnte, wenn er sich der wahrheitsgemäß aufgeklärten Zustimmung versichert hätte. Er stellt sich im Tatzeitpunkt nicht die tatsächlichen Voraussetzungen einer Einwilligung vor, sondern ausschließlich das „bloße fiktive Potential“, bei einer hypothetisch erteilten Einwilligung gerechtfertigt handeln zu können. Das sind strukturell verschiedene Sachverhalte, die eine andere rechtliche Bewertung erfordern. b) Keine Anerkennung eines Erlaubnistatbestandsirrtums Aus der abweichenden Struktur bei der Beschreibung des subjektiven Vorstellungsbildes des Arztes bei der Einwilligung und bei der „hypothetischen Einwilligung“ ergibt sich außerdem, dass ein den Arzt entlastender Erlaubnistatbestandsirrtum nicht vorliegt. 719 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252; vgl. weiter Böcker, JZ 2005 927. 720 Vgl. jüngst auch Bosch, JA 2008 72.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Der Begriff des Irrtums erschließt sich aus der inhaltlichen Bestimmung des Vorsatzes. Der Vorsatz erschöpft sich nicht in einer „intellektuellen Seite“ („Wissenselement“), die sich auf den objektiven Deliktstatbestand bezieht (Umkehrschluss aus § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB). Er konstituiert sich auch aus einem „voluntativen Element“. Fehlt es an der Kenntnis des objektiven Tatbestandes und/oder ihres Bedeutungsgehaltes, so fehlt es an der „intellektuellen Seite“ des Vorsatzes. Bei einem Irrtum nimmt der Täter subjektiv einen anderen als den tatsächlichen objektiven Sachverhalt an (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB) (Tatbestandsirrtum). Das Abweichen der subjektiven Kenntnis von der objektiven Tatsachenbasis führt auch dann zu einem irrtumsbedingten Ausschluss des Vorsatzes, wenn der Täter einen tatsächlichen Sachverhalt annimmt, der, läge er objektiv vor, ihn rechtfertigen würde (Erlaubnistatbestandsirrtum).721 Ein Irrtum ist daher die „fehlende Übereinstimmung“ der subjektiven Kenntnis des Täters und der objektiven Tatsachenbasis. Nicht die Rechtsgemeinschaft bewertet einen tatsächlichen Sachverhalt unzutreffend (objektive Tatsachenbasis), sondern der Täter (subjektive Bewertung). Aus dieser Strukturbeschreibung des Irrtums lassen sich die Unterschiede zur „hypothetischen Einwilligung“ aufzeigen. Bei der „hypothetischen Einwilligung“ stimmen die objektive Bewertung der tatsächlichen Sachlage durch die Rechtsordnung und die subjektive Bewertung durch den Arzt gerade überein. Die Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ des Patienten durch die ärztliche Heilbehandlung, darüberhinaus die nicht fehlerfrei aufgeklärte Einwilligung, sind dem Arzt und der Rechtsgemeinschaft bewusst. Beide vermuten eine „hypothetische Einwilligung“ des Patienten in die Heilbehandlung, wenn er gefragt worden wäre. Die „hypothetische Einwilligung“ ist nicht real, sie ist irreal („bloßes fiktives Potential“). In dieser Sachlage fehlt es gerade an einem Irrtum des Täters, an einem Abweichen der subjektiven Kenntnis von der objektiven Tatsachenbasis. Sowohl der Täter als auch die Rechtsordnung stimmen im Gegenteil gerade darin überein, dass die Versicherung einer ordnungsgemäß aufgeklärten Einwilligung des Patienten tatsächlich möglich und rechtlich erforderlich ist. Die tatsächliche Sachlage gestattet den Schluss auf einen Erlaubnistatbestandsirrtum des Täters nicht. Der Vorsatz des Arztes wird von der irrtümlichen Vorstellung einer „hypothetischen Einwilligung“ nicht berührt.

721

Vgl. etwa Böcker, JZ 2005 927; Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 21; eingehend Otto, Grundkurs AT § 15 Rdn. 6, 18 ff. muwN; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 95 muwN.

§ 5 Auseinandersetzung mit der hypothetischen Rechtfertigung

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3. Der eigentliche Inhalt des Glaubens an die „hypothetische Einwilligung“

Die strukturelle Verschiedenheit der Einwilligung und der „hypothetischen Einwilligung“ bekräftigt sich in dem verwirklichten personalen Unrecht. Der Arzt handelt bei der „hypothetischen Einwilligung“ objektiv und subjektiv nicht in Übereinstimmung mit den Geboten der Rechtsordnung. Er will nicht in Übereinstimmung mit deren objektiven Geboten handeln. Der Glaube an eine „hypothetische Einwilligung“ des Berechtigten ist „in Wahrheit“ nicht der Glaube des Arztes an sein Recht zur Vornahme der ärztlichen Heilbehandlung (Einwilligung), sondern seine Überzeugung, dass leibliche Wohl des kranken Patienten besser zu verstehen, als dieser selbst, für die Operation nicht nur die vernünftigeren Gründe,722 sondern in „der spezifischen Lage des Patienten“ die einzigen Gründe zu besitzen. Der sachkundige Arzt überhebt sich über den medizinischen Laienverstand des Patienten. Er achtet dessen willentliche Beteiligung am ärztlichen Heileingriff für entbehrlich, weil es nach seinem überlegenen medizinischen Standpunkt keinen ernstzunehmenden Widerspruch des Kranken gegen die Heilbehandlung geben kann. Er nimmt nicht einen rechtfertigenden Sachverhalt an, der, läge er objektiv vor, ihn rechtfertigen würde. Der Täter stellt sich lediglich einen bloß gedachten Sachverhalt vor, der, läge er objektiv vor, ihn gleichwohl nur „hypothetisch“ hätte „rechtfertigen“ können. Die „hypothetische Einwilligung“ kann auch dann niemals tatsächlich rechtfertigen, wenn sie objektiv unterstellt würde. Sie ist ein „bloßes fiktives Potential“. Das Berufen des Arztes auf eine „hypothetische Einwilligung“ beschreibt nicht einen Irrtum über rechtfertigende Umstände (Erlaubnistatbestandsirrtum), sondern die längst überwunden geglaubte paternalistische Sichtweise, auch ohne eine Einwilligung des Patienten zur Heilbehandlung berechtigt zu sein und damit das Wohl des Patienten besser einschätzen zu können als dieser selbst. Über die Vermeidbarkeit dieses strafrechtlich unbeachtlichen Verbotsirrtums (§ 17 StGB) besteht unter Medizinern und Juristen ersichtlich kein Streit.723 Zutreffend erinnert nämlich der Vierte Strafsenat in der „Surgibone“-Dübelentscheidung,724 dass es der „ständigen Rechtsprechung des BGH [entspricht] und [. . .] im Grundsatz heute auch in der Ärzteschaft unumstritten [ist], dass ärztliche Heileingriffe grundsätzlich der Einwilligung bedürfen, um rechtmäßig zu sein [. . .].“725 722

Das liefe auf eine „hypothetische nachträgliche Zustimmung (Genehmigung)“ hinaus, bei der auch entscheidend wäre, dass sich der Arzt an Argumenten bei nachträglicher Diskussion über den Heileingriff für überlegen hält, vgl. RGSt 25 375, 384. 723 Vgl. diese Einschätzung teilend Bosch, JA 2008 72. 724 Vgl. Einl. § 1 III.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Es ist aber weder „medizinisch gerechtfertigt und menschlich in höchsten Maße entschuldbar“, den Patienten, der eine Beteiligung an der Heilbehandlung nicht allein zum Schutz seiner „Integrität“ verlangen kann, aus seiner Rolle als „Subjekt der Behandlung“ zu verdrängen.726 „Strafrechtlich hat Angeklagter normwidrig gehandelt [. . .].“727 Die willentliche Versäumung der dem Arzt aufgegebenen Pflicht, die Rechte des Patienten zu achten, auch wenn eine hypothetische Ablehnung des Eingriffs „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nicht zu erwarten ist, eine Möglichkeit der Wahl für den Patienten gegen die Heilbehandlung anscheinend nicht besteht, verstrickt ihn in Strafe wegen eines vorsätzlich begangenen, vollendeten Körperverletzungsdelikts. II. Die Überlegungen Böckers hinsichtlich einer „gesamtrechtfertigenden“ „hypothetischen Einwilligung“ bei Nichtvorliegen des subjektiven Rechtfertigungselements 1. Das Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements

Die Übertragung der Ergebnisse der bei Rechtfertigungsgründen höchst umstrittenen Fallgruppe des „umgekehrten Erlaubnistatbestandsirrtums“ (scil. „Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements“)728 auf die „hypothetische Einwilligung“ wird von Böcker in Betracht gezogen.729 Das betrifft den Bandscheibenfall730 und den Bohrerfall.731 Dieser Vorschlag soll nicht weiter vertieft werden, denn die Anerkennung eines eigenständigen Rechtfertigungsgrundes der „hypothetischen Einwilligung“ scheitert bereits im objektiven Bereich. Mehr als das „bloße fiktive Potential“, das eine Rechtfertigung hätte tragen können, tatsächlich aber nicht tragen kann, stellt die „hypothetische Einwilligung“ nicht dar. Bei ärztlicher Eigenmacht fehlt es an einer vollendeten rechtswidrigen Körperverletzung (§§ 223 StGB ff.) nicht. Die „nachträgliche Hypothesenbildung“ ändert aus logischen und rechtlichen Gründen daran nichts mehr.

725 726 727 728 729 730 731

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70. Steffen, in: Verhandlungen zum 52. DJT Bd. II I 26. RGSt 25 375, 384. übersichtlich A. III. 2. den Überblick bei Böcker, JZ 2005 927 ff. Einl. § 1 V. Einl. § 1 VI.

§ 5 Auseinandersetzung mit der hypothetischen Rechtfertigung

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2. Ein „körperverletzungsspezifischer Rechtfertigungsgrund“ mit „gesamtrechtfertigender Wirkung“

Aus diesen Gründen erübrigt sich auch ein näheres Eingehen auf den anderen Vorschlag Böckers, wonach die „hypothetische Einwilligung“ ein eigenständiger „gesamtrechtfertigender“ Rechtfertigungsgrund sein könnte, der per definitionem nur aus objektiven Voraussetzungen bestehe.732 Für diese Lösung scheint allerdings der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs eine gewisse Sympathie entwickelt zu haben. Das meinen jedenfalls auch einige Stimmen aus der Lehre („Rechtswidrigkeit entfällt“). Immerhin müssten die weiteren theoretischen Spannungen eines derartigen „körperverletzungsspezifischen Rechtfertigungsgrundes“ zu der heute weithin anerkannten733 „personalen Unrechtslehre“ erklärt werden. Ein nur aus objektiven Voraussetzungen bestehender Rechtfertigungsgrund lässt sich konsequent mit den Prämissen einer „objektiven Unrechtslehre“ begründen.734 Vor allem provoziert eine „körperverletzungsspezifische“ „gesamtrechtfertigende hypothetische Einwilligung“ kriminalpolitisch unangemessene Ergebnisse. Die „hypothetische Einwilligung“ würde entweder zur „Straflosigkeit“ oder zur „Strafbarkeit wegen eines vollendeten Delikts“ unter Beachtung von „in dubio pro reo“ führen. Dem Strafrecht ist eine derartige „Alles-oder-nichts-Lösung“ allerdings fremd. Die bei einem Fehlen des „subjektiven Rechtfertigungselementes“ immerhin theoretisch denkbare Versuchsstrafbarkeit wäre nämlich von vornherein ausgeschlossen. Die „Gleichbehandlung“ von Aufklärungsmängeln bei Vorsatz und Fahrlässigkeit ginge auch weit über die bekundeten Forderungen der Rechtslehre hinaus. Es ist eine schwer haltbare Wertung, wonach allein der „bloße Zufall“, ob eine objektiv rechtfertigende Situation besteht, über die Strafe des Arztes entscheiden soll. Der „bloße Zufall“ kann die Betätigung der rechtsfeindlichen Gesinnung nicht überspielen.735 Die „verschämte Zufallshaftung“ entlastet nicht immer den richtigen Arzt,736 dessen Strafbarkeit hauptsächlich von der Einlassung des Patienten vor Gericht abhinge. 732

Vgl. Böcker, JZ 2005 929. Vgl. nur Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 52. 734 Vgl. Spendel, in: LK 11. Aufl. § 32 StGB Rdn. 60 ff., 64 ff., 138; ders., in: FS für Oehler 197 ff.; vgl. weiter Oehler, Zweckmoment 165 ff.; Rohrer, JA 1986 368 f.; Runte, Rechtfertigungsgründe 307 f. Zur eingehenden Auseinandersetzung über die Herleitung eines „subjektiven Rechtfertigungselementes“ vgl. vor allem Frisch, in: FS für Lackner 115 ff.; vgl. eingehend weiter Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 51; Paeffgen, in: NK Vor § 32 StGB Rdn. 89; Rath, Subjektives Rechtfertigungselement 77 ff.; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 82 muwN; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 14 Rdn. 96. 735 Vgl. Paeffgen, in: NK Vor § 32 StGB Rdn. 89. 736 Vgl. Puppe, GA 2003 776. 733

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

D. Zusammenfassung In der „Surgibone“-Dübelentscheidung737 erinnert der Vierte Strafsenat daran, dass es der „ständigen Rechtsprechung des BGH [entspricht] und [. . .] im Grundsatz heute auch in der Ärzteschaft unumstritten [ist], dass ärztliche Heileingriffe grundsätzlich der Einwilligung bedürfen, um rechtmäßig zu sein, und dass diese Einwilligung nur wirksam erteilt werden kann, wenn der Patient in der gebotenen Weise [. . .] aufgeklärt worden ist.“738 Damit wird entgegen einer früher stark vertretenen Auffassung anerkannt, dass die Wirksamkeit der Einwilligung nicht von der „hypothetischen Frage“ abhängt, ob der Patient zugestimmt hätte, wenn er gefragt worden wäre. Stattdessen nimmt die „Surgibone“-Dübelentscheidung739 ausdrücklich Bezug auf die tatsächliche Freiheit der Einwilligung von Willensmängeln. Nicht jeder Mangel in der Ausübung der Erlaubnis auf Seiten des Täters muss daher einen Mangel der objektiven Voraussetzungen der Rechtfertigung zur Folge haben,740 doch ist die Autonomie bei der Einwilligung immer dann berührt, wenn sich „infolge“ der fehlerhaften ärztlichen Aufklärung eine im Einwilligungszeitpunkt aktuell vorhandene Wissenslücke beim Patienten einstellt, nicht dagegen erst dann, wenn der Patient den Eingriff hypothetisch willensmangelfrei abgelehnt hätte. Der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs ist im Bandscheibenfall741 und im Bohrerfall742 vielmehr der Auffassung, dass die „Rechtswidrigkeit [des ohne ordnungsgemäße Aufklärung und demnach wirksame Einwilligung durchgeführten ärztlichen Eingriffs] entfällt [. . .], wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte.“743 Auch der Vierte Strafsenat äußert sich im Liposuktionsfall744 dahingehend, dass sich „im Falle des Fehlens einer (hypothetischen) Einwilligung [. . .] der operative Eingriff des Angekl. [. . .] als tatbestandsmäßige und rechtswidrige Körperverletzung [darstellt].“745 Die „hypothetische Einwilligung“ ist aber auch kein „körperverletzungsspezifischer Rechtfertigungsgrund“ im Arzt-Patienten-Verhältnis, der den 737 738 739 740 741 742 743 744 745

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Einl. § 1 III. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70. Einl. § 1 III. Puppe, GA 2003 770. Einl. § 1 V. Einl. § 1 VI. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. Einl. § 1 VII. BGH NStZ-RR 2007 340, 341.

§ 5 Auseinandersetzung mit der hypothetischen Rechtfertigung

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Arzt rechtfertigt, wenn er den Patienten ohne eine wirksame Einwilligung mit dem Skalpell schneidet, mit der Nadel sticht, mit Strahlen beschießt usw. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ansichten sind jedoch gering, denn es ist von untergeordneter Bedeutung, ob der „hypothetische, ohne Irrtum gedachte Wille“ des Berechtigten mittelbar über die Einwilligung oder unmittelbar als „hypothetische Einwilligung“ rechtfertigt. 1. Den maßgeblichen Grund, weshalb eine rechtfertigende „körperverletzungsspezifische“ „hypothetische Einwilligung“ nicht anzuerkennen ist, hat der Dritte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in der Impfentscheidung vom 26. Januar 1959 zutreffend in den strukturellen Unterschieden zwischen der wirklichen Einwilligung und der „hypothetischen Einwilligung“ gesehen: „Die Rechtswidrigkeit einer Handlung [. . .] kann [. . .] durch eine hypothetische Zustimmung des Berechtigten nicht beseitigt werden.“746 Die „hypothetische Einwilligung“ ist ein „bloßes fiktives Potential“ einer Einwilligung, die in dem gedachten Fall eines alternativ rechtmäßigen Verhaltens des Arztes hätte vorliegen können, aber tatsächlich nicht vorgelegen hat. Der Berechtigte hat gerade nicht auf Rechtsschutz „verzichtet“, denn seine Einwilligung war entweder gar nicht vorhanden oder unwirksam. In der Interessenabwägung zwischen dem „Selbstbestimmungsrecht“ und dem „Rechtsgüterschutz“ kann sich der „hypothetische Wille“ des Berechtigten nicht als das „höherrangige Interesse“ durchsetzen. Der Rechtsgüterschutz bleibt vollumfänglich erhalten, denn in der Interessenabwägung kollidiert der „Rechtsgüterschutz“ gerade nicht mit einem „tatsächlichen Willen“ des Berechtigten, sondern mit einem tatsächlich nicht vorhandenen, bloß „hypothetischen Willen“. Wegen der strukturellen Unterschiede ist auch der Gedanke einer „hypothetischen Rechtfertigung“ nicht überzeugend. Die „hypothetische Einwilligung“ ist deswegen auch keinesfalls mit dem Rechtfertigungsgrund der „mutmaßlichen Einwilligung“ zu verwechseln. 2. Obwohl die „hypothetische Einwilligung“ nicht als eine „echte“ nachträgliche Zustimmung („Genehmigung“) des Berechtigten bezeichnet werden kann, ist sie doch eine „Art von Genehmigungstatbestand“, weil tatsächlich erst „hinterher“ feststeht, ob der Arzt „rechtmäßig“ oder „rechtswidrig“ gehandelt hat. Die „hypothetische Einwilligung“ ist in der Tat „ein Fall der rückwirkenden juristischen Heilung in der Medizin“.747 746 747

Vgl. BGH VersR 1959 355, 356. Vgl. Jäger, in: FS für Jung 355.

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6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

a) Mit dem „ersten Messerschnitt“, den der Arzt „gegen den Körper“ ohne Einwilligung des Patienten ausführt, ist das Delikt jedoch als rechtswidriges vollendet.748 Die bei der „hypothetischen Einwilligung“ verwendete Konstruktion einer „Rückwirkung“, ohne die eine andere Bewertung der rechtswidrigen Tat des Arztes schon logisch gar nicht vorstellbar wäre, ist demgegenüber abzulehnen. Die Tatsache, dass in der Vergangenheit Rechte entstanden sind, infolge damals geltenden Rechts ein bestimmter Rechtszustand bestanden hat, kann nicht nachträglich aus Welt geschafft werden.749 Der Achtungsanspruch des geschützten Rechtsguts im Zeitpunkt der Beeinträchtigung geht nicht dadurch verloren, dass der Rechtsgutsberechtigte zu einem späteren Zeitpunkt auf den Rechtsschutz verzichtet hätte.750 Allenfalls ist die „Ersetzung des früheren Zustandes für die Gegenwart und Zukunft durch einen anderen rechtlichen Zustand bestimmter Art und bestimmten Inhalts“ denkbar.751 Es bleibt dann aber unabänderlich bei der Widerrechtlichkeit der eigenmächtigen ärztlichen Heilbehandlung im Tatzeitpunkt. Die „hypothetische Einwilligung“ ist daher unvereinbar mit den „allgemeinen Regeln der Rechtfertigungsdogmatik“: Eine verpönte nachträgliche Rechtfertigung ist nicht anzuerkennen. b) Die „hypothetische Einwilligung“ führt, weil erst „nach der Tat“ festgestellt werden kann, ob der Arzt „rechtmäßig“ oder „rechtswidrig“ gehandelt hat, zu einem „Schwebezustand“. Sie gefährdet damit die Rechtssicherheit. Die „hypothetische Einwilligung“ ist im Ergebnis ein ins Gewand des materiellen Rechts gekleideter Strafantrag.752 Sachlich entsteht damit ein „wenigstens modifiziertes Antragsdelikt“,753 bei dem es im Wesentlichen von der Privatwillkür des Betroffenen abhängt, ob der Arzt bestraft wird. Das Strafrecht kennt allerdings keine „modifizierten Antragsdelikte“. Bei der „hypothetischen Einwilligung“ bleibt darüberhinaus unklar, welchen Einfluss sie auf betätigte Notrechte hat, wenn nachträglich auf ihre Voraussetzungen erkannt wird. 3. „Im Falle des Fehlens einer (hypothetischen) Einwilligung stellt sich der operative Eingriff [. . .] als tatbestandsmäßige und rechtswidrige Körper748 749 750 751

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

auch RGSt 25 375, 383. Lobe, in: FG für Frank Bd. I 45. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 134; ders., Jura 2004 683. Lobe, in: FG für Frank Bd. I 45 f. Vgl. eingehend dann die Kritik unten

III. 752 753

Vgl. zutreffend Jäger, in: FS für Jung 355 f. Vgl. zur Terminologie Jäger, in: FS für Jung 355 f.

§ 5 Auseinandersetzung mit der hypothetischen Rechtfertigung

383

verletzung dar. Eine vorsätzliche Tat könnte [. . .] nur dann nicht vorgeworfen werden, wenn [der Täter] irrig vom Vorliegen eines rechtfertigenden Sachverhalts ausgegangen wäre [. . .].“754 Von geringerer Bedeutung ist die umstrittene Problematik, ob die Strafsenate mit der „hypothetischen Einwilligung“ von der anerkannten Dogmatik bei den Rechtfertigungsgründen nicht sogar insoweit abweichen, als die Rechtsfigur „gesamtrechtfertigend“ wirken soll. Die „hypothetische Einwilligung“ würde per definitionem nur aus objektiven Rechtfertigungsmerkmalen bestehen.755 Eine so verstandene „hypothetische Einwilligung“, bei der die Spannungen zu dem heute anerkannten personalen Unrechtsverständnis zu entkräften wären, ist wegen der strukturellen Unterschiede zur Einwilligung bereits objektiv kein Rechtfertigungsgrund. Wird bei der „hypothetischen Einwilligung“ gleichwohl ein subjektives Rechtfertigungselement anerkannt, fehlt es an dem Vorsatz des Arztes, in das Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ des Patienten einzugreifen, auch dann nicht, wenn sich der Arzt vorstellt, „hypothetisch“ durch eine Einwilligung gerechtfertigt zu sein. Das subjektive Vorstellungsbild des Täters beschreibt bei der „hypothetischen Einwilligung“ im Tatzeitpunkt anders als bei der Einwilligung gerade nicht die tatsächlich rechtfertigende Sachlage einer Einwilligung, sondern den bloß gedachten Sachverhalt einer Einwilligung. Bei der „hypothetischen Einwilligung“ fehlt es an einem „tatsächlichen, sachverhaltsbezogenen Bezugspunkt“,756 der das Handeln des Täters tatsächlich rechtfertigt. Der Glaube an eine „hypothetische Einwilligung“ des Berechtigten ist „in Wahrheit“ auch nicht der Glaube des Arztes an sein Recht zur Vornahme der ärztlichen Heilbehandlung (Einwilligung), sondern seine Überzeugung, dass leibliche Wohl des kranken Patienten besser zu verstehen, als dieser selbst, für die Operation nicht nur die vernünftigeren Gründe, sondern in „der spezifischen Lage des Patienten“ die einzigen Gründe zu besitzen. Das Berufen des Arztes auf eine „hypothetische Einwilligung“ beschreibt nicht einen Irrtum über rechtfertigende Umstände (Erlaubnistatbestandsirrtum), sondern die längst überwunden geglaubte paternalistische Sichtweise, auch ohne eine Einwilligung des Patienten zur Heilbehandlung berechtigt zu sein. Über die Vermeidbarkeit dieses strafrechtlich unbeachtlichen Verbotsirrtums (§ 17 StGB) besteht unter Medizinern und Juristen ersichtlich kein Streit.757 754 755 756 757

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

BGH NStZ-RR 2007 340, 341. Böcker, JZ 2005 929. jüngst auch Bosch, JA 2008 72. diese Einschätzung teilend Bosch, JA 2008 72.

384

6. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Zutreffend erinnert nämlich der Vierte Strafsenat in der „Surgibone“-Dübelentscheidung,758 dass es der „ständigen Rechtsprechung des BGH [entspricht] und [. . .] im Grundsatz heute auch in der Ärzteschaft unumstritten [ist], dass ärztliche Heileingriffe grundsätzlich der Einwilligung bedürfen, um rechtmäßig zu sein [. . .].“759

758 759

Vgl. Einl. § 1 III. Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70.

Siebentes Kapitel

Die „hypothetische Einwilligung“ und die Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ im Rahmen der objektiven Erfolgszurechnung § 1 Hinführung zur Problematik Der Rechtsgedanke des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ hat den „eigentlichen“ Inhalt des für die objektive Erfolgszurechnung geforderten normativen Zurechnungserfordernisses der „hypothetischen Einwilligung“ verdeckt. Die „hypothetische Einwilligung“ berührt die Problematik der „Rechtsgutschancenlehre“ („Saldomodell“).1 Über die objektive Erfolgszurechnung entscheidet eine „hypothetische Ersatzursache“ in der konkreten Gestalt der „hypothetischen Einwilligung“. Eine eingehende Begründung für die Beachtlichkeit von „hypothetischen Ersatzursachen“ bei der objektiven Erfolgszurechnung speziell in Gestalt der „hypothetischen Einwilligung“ im Arzt-Patienten-Verhältnis fehlt daher weitestgehend.2 Es kann aber für die Würdigung der „hypothetischen Einwilligung“ auf die umfangreichen Bearbeitungen über die Anerkennung von „hypothetischen Ersatzursachen“ zurückgegriffen werden.3

1 Vgl. zu den Begriffen bei Jakobs, in: FS für Lackner 60; ders., Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 74; vgl. auch Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 136. Für die weitere Erörterung wird an den Begriffen der Lehre vom Chancensaldo, „Chancenlehre“ oder „Saldomodell“ als neutralste Bezeichnung festgehalten. 2 Vgl. aber Dreher, Objektive Erfolgszurechnung 84 ff.; Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 415 f.; Jäger, in: FS für Jung 350 ff.; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 186 ff. 3 Vgl. Jakobs, Studien 24; Kahrs, Vermeidbarkeitsprinzip 78 ff.; Kindhäuser, ZStW 120 (2008) 482 f., 499 ff.; Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 60; Samson, Hypothetische Kausalverläufe 98 f.; Stratenwerth, Strafrecht AT I 3. Aufl. Rdn. 228 f.; Würfel, Rechtmäßiges Alternativverhalten 112 ff.

386 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

§ 2 Die Lehre vom „Chancensaldo“ A. Übersicht über die Beachtlichkeit von hypothetischen Ersatzursachen I. Die verschiedenen Fallgruppen und Konstruktionen Der Blick in die Rechtsprechung und Literatur offenbart zu der Problematik der Beachtlichkeit von „hypothetischen Ersatzursachen“ bei der objektiven Erfolgszurechnung ein diffuses Meinungsbild. 1. In der Hauptsache wird nach Fallgruppen gegliedert. Der Erfolg wäre hypothetisch auch infolge des rechtswidrigen4 oder rechtmäßigen5 Verhaltens eines Dritten, des pflichtwidrigen oder pflichtgemäßen Opferverhaltens6 oder 4

Für die „wichtigste Fallgruppe“ (Roxin) wird die Beachtlichkeit hypothetischer Ersatzursachen nahezu einhellig abgelehnt, vgl. BGHSt 2 20, 24; Massenkarambolagefall (BGHSt 30 228, 232); Klinikinsassenfall (BGHSt 49 1, 4 = NJW 2004 237, 238); OLG Köln VRS 77 (1989) 231, 232 f.; vgl. die Formulierung des tragenden Gedankens bei Samson, Hypothetische Kausalverläufe 137 ff.; vgl. weiter Baumann/ Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 14 Rdn. 17; Burgstaller, in: FS für Moos 64; Duttge, in: MüKo § 15 StGB Rdn. 162; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten 563; Hardtung, in: MüKo § 222 StGB Rdn. 41; Jäger, in: FS für Jung 350 f.; Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 90; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 28 V 5 283; Joecks, Studienkommentar Vor § 13 StGB Rdn. 45; Kahrs, Vermeidbarkeitsprinzip 76 f.; Kindhäuser, ZStW 120 (2008) 487; Kühl, Strafrecht AT § 4 Rdn. 80; ders., JR 1983 34 f.; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 98; Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 66, § 10 Rdn. 26; ders., in: FS für Maurach 103 f.; Puppe, JuS 1982 662; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 52 f., der noch klarstellend hinzugefügt, dass diese Wertung für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsfälle gleichermaßen gelte; ders., StV 2004 486; Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 59 f.; Schatz, NStZ 2003 585; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 8 Rdn. 42; Würfel, Rechtmäßiges Alternativverhalten 113. Vgl. anders nur Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 231. 5 Vgl. generell anerkennend Samson, Hypothetische Kausalverläufe 143; vgl. weiter Kahrs, Vermeidbarkeitsprinzip 80; Würfel, Rechtmäßiges Alternativverhalten 120; differenzierend Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 61. Ablehnend Baumann/ Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 14 Rdn. 17 f.; Duttge, in: MüKo § 15 StGB Rdn. 162 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten 566 f.; Hardtung, in: MüKo § 222 StGB Rdn. 40 ff.; Jescheck, in: LK Vor § 13 StGB Rdn. 70; ders./Weigend, Strafrecht AT § 28 VII 5: keine „Ausnahme“; Joecks, Studienkommentar Vor § 13 StGB Rdn. 46; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 98; Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 66; Roxin, Strafrecht AT Bd. I Rdn. 54; Welzel, Lehrbuch § 9 II a, c 43 f.; ders., in: FS für Kohlrausch 109; zweifelnd Kühl, Strafrecht AT § 4 Rdn. 80. 6 Vgl. anerkennend BGH MDR 1953 20 mitgeteilt von Dallinger; vgl. etwa Kahrs, Vermeidbarkeitsprinzip 91 ff. (auch für die hypothetischen Selbstmordfälle), 139 f.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 15 Rdn. 676; Würfel, Rechtmäßiges Alter-

§ 2 Die Lehre vom „Chancensaldo“

387

einer – wegen der Eigenart der „hypothetischen Einwilligung“ hier eher zu vernachlässigenden – in der Natur angelegten Kausalität7 eingetreten. 2. Die Konstruktionen8 bei der „Chancenlehre“ weichen erheblich voneinander ab. Sie haben sich alle nicht durchsetzen können. Das „Zurechnungsprinzip“ der Lehre vom „Keim des Schadens“ erkennt „hypothetische Reserveursachen“ am weitgehendsten an.9 Dahinter bleibt die rechtspolitisch motivierte Berücksichtigung von Reserveursachen,10 noch weiter aber das „Intensivierungsprinzip“ zurück.11 nativverhalten 119; wohl auch Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 22 Rdn. 49; Blei, Strafrecht AT § 82 269; Bockelmann/Volk, Strafrecht AT § 20 162; Cramer, in: Schönke/Schröder § 15 StGB Rdn. 164; Geilen, Strafrecht AT § 35 222; Joecks, Studienkommentar § 222 StGB Rdn. 20; Tiedemann, Anfängerübung 156 f. Ablehnend dagegen der BGH im Wohnungsmaklerfall MDR 1959 139 f. mitgeteilt bei Dallinger; Referendarfall (BGHSt 13 13, 14 f); vgl. weiter Duttge, in: MüKo § 15 StGB Rdn. 162 ff.; Hardtung, in: MüKo § 222 StGB Rdn. 42; Jakobs, in: FS für Lackner 56 ff.; Otto, Grundkurs AT § 10 Rdn. 25; Puppe, JuS 1982 662; Roxin, ZStW 74 (1962) 424 f.; ders., StV 2004 486; Schatz, NStZ 2003 585. 7 Vgl. anerkennend Samson, Hypothetische Kausalverläufe 98 ff., 110 ff.; Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 60; vgl. weiter Jakobs, Studien 24; Kahrs, Vermeidbarkeitsprinzip 87; Stratenwerth, Strafrecht AT I 3. Aufl. § 8 Rdn. 228, anders Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 8 Rdn. Rdn. 42; Würfel, Rechtmäßiges Alternativverhalten 120. Differenzierend nach der „Modifikation von Kausalverläufen“ (Triebwagenfall, vgl. Samson, Hypothetische Kausalverläufe 98) und der „Ersetzung von Kausalverläufen“ (vgl. Samson, Hypothetische Kausalverläufe 110) die herrschende Ansicht. Für die erste Fallgruppe soll Kühl, Strafrecht AT § 4 Rdn. 81 zufolge die Zurechnungsregel [überwiegend] „anerkannt“ sein, vgl. etwa Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 98; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 55; anders wohl Jescheck, in: LK Vor § 13 StGB Rdn. 70; ders./Weigend, Strafrecht AT § 28 IV 5 289. In der zweiten Fallgruppe wird an der Erfolgszurechnung festgehalten, vgl. Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 14 Rdn. 17 f.; Duttge, in: MüKo § 15 StGB Rdn. 163; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten 567 f.; Hardtung, in: MüKo § 222 StGB Rdn. 42; Jakobs, in: FS für Lackner 62; ders., Strafrecht AT 7. Abschn. 74, 90 f.; Jescheck, in: LK Vor § 13 StGB Rdn. 70; ders./Weigend, AT § 28 IV 5; Kühl, Strafrecht AT § 4 Rdn. 82; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 98; Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 66; Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 136 f.; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 8 Rdn. 42. 8 Vgl. eingehend Samson, Hypothetische Kausalverläufe 23 ff.; übersichtlich Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 136. 9 Vgl. Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 227 ff. zu den verschiedenen Fallgruppen 229 ff. Diese Lehre trifft am nachhaltigsten auf Ablehnung, vgl. Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten 61 ff.; Kindhäuser, ZStW 120 (2008) 501; Roxin, ZStW 74 427 ff.; Ulsenheimer, Pflichtwidrigkeit 128 ff. 10 Vgl. Kahrs, Vermeidbarkeitsprinzip 74 ff., 87 ff.; Würfel, Rechtmäßiges Alternativverhalten 120. 11 Vgl. eingehend Samson, Hypothetische Kausalverläufe 96 ff. Einschränkend Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 59 ff. Arth. Kaufmanns Lehre weicht deutlich

388 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

3. Zudem wird die Anerkennung von „hypothetischen Reserveursachen“ bisweilen nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit des hypothetischen Erfolgseintritts geordnet. In der heutigen12 Auseinandersetzung beschränkt sich die Problematik dabei auf das „Vermeidbarkeits-“13 und das „Risikoerhöhungsprinzip“14 in seinen verschiedenen Varianten. II. Der verschiedenen Begriffe des Unrechtserfolges Die „Chancenlehre“ – unabhängig von ihrer jeweiligen Ausgestaltung – beruht auf einem anderen Begriff des strafrechtlichen Unrechtserfolges. Gemeinhin beschreibt man den Unrechtserfolg als Verletzungserfolg, der ein „wirkliches, objektiv feststehendes Ereignis“ sein soll („feststehender Schadenseintritt“, „absoluter Unrechtsbegriff“). Demgegenüber erkennt die „Chancenlehre“ in der Verschlechterung des Bestandschancensaldos des jeweiligen Rechtsgutobjekts den maßgebenden Unrechtserfolg („Unrecht als Differenzbegriff“, „relativer Unrechtsbegriff“).15

B. Einordnung der „hypothetischen Einwilligung“ in die Lehre vom „Chancensaldo“ I. Die „Lehre von der Wahrung der Interessendefinition“ des Berechtigten Der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“, der bisher – im Wesentlichen – auf bestimmte Fälle der Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht beschränkt wird, führt im Arzt-Patienten-Verhältnis dazu, dass vom „Intensivierungsprinzip“ ab: Nicht wegen der weitgehenden Entwicklung der Schadensanlage („Keim des Schadens“) werde der Erfolg nicht zugerechnet, sondern weil die Befolgung der Norm keine Verschlechterung des Rechtsguts bewirkt habe. Daher folge auch nicht aus der drohenden Vernichtung des Rechtsguts seine Schutzlosigkeit, sondern jeder Angriff, der die Situation des Rechtsguts verschlechtere, führe zur strafrechtlichen Haftung, vgl. Samson, Hypothetische Kausalverläufe 103. Daher würde das „Intensivierungsprinzip“ in den von Arth. Kaufmann geschilderten Fällen zur Zurechnung führen. Es stellt sich als eine noch weitergehende Einschränkung der Berücksichtigung von „hypothetischen Ersatzursachen“ dar. 12 Die „Beweislastumkehr“ im Steinbruchfall BGH MDR 1953 20 mitgeteilt bei Dallinger stößt einhellig auf Ablehnung; vgl. hierzu 8. Kap. § 2 B. II. 13 Vgl. Samson, Hypothetische Kausalverläufe 152 ff. 14 Vgl. Stratenwerth, Strafrecht AT 3. Aufl. § 8 Rdn. 229. 15 Vgl. zu dieser Unterscheidung Jakobs, Studien 24; Kindhäuser, ZStW 120 (2008) 482 f.; Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 134; Stratenwerth, Strafrecht AT I § 8 Rdn. 228.

§ 2 Die Lehre vom „Chancensaldo“

389

es auf die Wahrung der „Maßgeblichkeit der auf die Rechtsgüter Gesundheit und körperliche Integrität bezogenen Interessendefinition des Patienten“ ankommen soll. Erst eine Verletzung des Berechtigten in seiner „Interessendefinition“ dürfe als „Unrechtserfolg“ zugerechnet werden.16 Für die Ermittlung dieses „relativen“ Unrechtserfolges sei vergleichend auf den tatsächlich, aber fehlerhaft gebildeten Willen und auf den „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willen“ des Berechtigten bei pflichtgemäßer ärztlicher Aufklärung abzustellen. Die „Maßgeblichkeit der [. . .] Interessendefinition“ werde „im Ergebnis“ auch dann respektiert, wenn der Patient zwar keine rechtliche wirksame Einwilligung, aber doch eine „hypothetische Einwilligung“ in die Heilbehandlung gegeben hätte. Bei normgemäßen Verhalten des Arztes wäre das geschützte Rechtsgut nämlich nicht oder doch nur zufällig weniger beeinträchtigt worden.17 Bei „Zweifeln“ soll die „hypothetische Einwilligung“ zu Gunsten des Arztes unterstellt werden. Die „Interessenlehre“ ist damit der eigentliche normative Inhalt des mit der „hypothetischen Einwilligung“ gemeinten Rechtsgedankens auf der Ebene der objektiven Erfolgszurechnung. II. Strukturelle Vergleichbarkeit der vorhandenen Fallgruppen und Zurechnungsprinzipien mit der „Interessenlehre“ 1. Die Struktur der „hypothetischen Einwilligung“ lässt sich danach abstrakt dergestalt beschreiben, dass sich der rechtswidrig handelnde Täter darauf beruft, er hätte das Recht tatsächlich gar nicht zu brechen brauchen, um den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. Er hätte den Erfolg auch hypothetisch rechtmäßig herbeiführen können. Er hat sich um die Rechte des anderen aber nicht gekümmert.18 2. Die tatsächliche Situation bei der „hypothetischen Einwilligung“ weist kaum Übereinstimmungen mit den vorhandenen Fallgruppen auf, in denen über die Beachtlichkeit von „hypothetischen Ersatzursachen“ nachgedacht wird. 16

Vgl. Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 136. Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442 und eingehend 6. Kap. § 2 A. I. 1. Ähnlich argumentiert auch Rönnau, JZ 2004 802, der darauf abstellt, ob der Tatbestand des § 223 StGB primär die Selbstbestimmung des Patienten oder die Körperintegrität schütze, darin eingeschlossen aber auch die gutsbezogene Dispositionsfreiheit. Hier entfalle unter Wertungsgesichtspunkten das Erfolgsunrecht, wenn bei ordnungsgemäßer Aufklärung aufgrund wirksamer Einwilligung der gleiche Eingriff herbeigeführt worden wäre. 18 Vgl. Coing, SJZ 1950 871; Hanau, Kausalität 67; Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 5 206; Niederländer, JZ 1959 621; Oetker, in: MüKo § 249 BGB Rdn. 213 muN aus der Rspr. 17

390 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

Die „hypothetische Einwilligung“ ist auch nicht repräsentativ für die Fallgruppe der „hypothetischen Eigenschädigung“.19 Hiervon geht jedoch Frister anscheinend aus.20 Als Beispiel für diese Fallgruppe dient der Steinbruchfall:21 Ein siebenjähriger Junge stürzte eine über 20 m hohe Steilwand des vom Angeklagten betriebenen Steinbruchs hinab und verunglückte tödlich. Der Junge hatte den Rand des Steilhangs, ohne ein Hindernis überwinden zu müssen, durch eine schadhafte Stelle des stark vermorschten Zaunes erreicht, zu dessen Instandsetzung der Angeklagte rechtlich verpflichtet war. Der Angeklagte verteidigte sich damit, dass die Möglichkeit bestanden hätte, dass der Junge zum Spiel in dem Steinbruch auch über einen vorhandenen Zaun gestiegen wäre.

Der Täter hat hiernach einen bestimmten tatbestandlichen Verletzungserfolg tatsächlich rechtswidrig herbeigeführt.22 Dieser Erfolg wäre – möglicherweise, wahrscheinlich oder mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ – auch eingetreten, wenn der Täter nicht rechtswidrig, sondern hypothetisch rechtmäßig gehandelt hätte, weil dann das Opfer ihn hypothetisch bewirkt hätte. Hieran zeigt sich der strukturelle Unterschied zur „hypothetischen Einwilligung“. Der tatsächlich rechtswidrig in die „körperliche Unversehrtheit“ des Patienten eingreifende Arzt hätte die Beeinträchtigung auch hypothetisch rechtmäßig herbeiführen können. Die vom Patienten hypothetisch gegebene Einwilligung allein ist nicht die „körperliche Beeinträchtigung“. Es geht nicht um eine wertende Gewichtung einzelner Teilakte des hypothetischen Sachverhalts („Schwerpunkttheorie“). Die Einwilligung verursacht niemals die Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“. Allein maßgeblich ist der hypothetisch rechtmäßige körperliche Eingriff des Arztes selbst. Eine strukturelle Parallele zu Sachverhalten wie dem Steinbruchfall oder dem Selbstmordfall23 besteht nicht. Die „hypothetische Einwilligung“ beschreibt eine strukturell eigene Fallgruppe.24 19

Vgl. Kahrs, Kausalität 33. Vgl. Frister, Strafrecht AT 15. Kap. Rdn. 33: So wie „hypothetisch gebliebene Selbstschädigungen“, so müsse auch eine „hypothetisch gebliebene Einwilligung“ des Betroffenen in die Verletzung seines Rechtsguts aus normativen Gründen außer Betracht bleiben. Vgl. anders Jäger, in: FS für Jung 352: Der ärztliche Heileingriff entspreche „strukturell der frei verantwortlichen Selbstgefährdung.“ 21 Vgl. BGH MDR 1953 20 mitgeteilt von Dallinger. 22 Vgl. nur Otto, Grundkurs AT § 10 Rdn. 25. 23 Vgl. zum Sachverhalt § 3 B. II. 2. a) bb) (1). 24 Hierher gehört auch der von Roxin abgewandelte Ziegenhaarfall, vgl. 6. Kap. § 3 B. III. 1: Der tatsächlich rechtswidrig handelnde Fabrikant beruft sich darauf, dass er bei hypothetisch fahrlässiger Versäumung der Desinfektionsvorschriften im „erlaubten Risiko“ gehandelt hätte. 20

§ 2 Die Lehre vom „Chancensaldo“

391

3. Deutlich abzugrenzen ist die „hypothetische Einwilligung“ vom „Intensivierungsprinzip“. Die strafrechtliche Haftung wird hiernach ausgeschlossen, weil im Vergleich zu dem tatsächlichen Geschehen die Unterlassung der schädigenden Handlung keinen Vorteil für das Tatobjekt gebracht hätte.25 Strafrechtliche Normen haben nach dem „Intensivierungsprinzip“ nur dort einen Sinn und eine Berechtigung, wo durch ihre Befolgung die zu schützenden Rechtsgüter tatsächlich vor Schaden bewahrt werden können.26 Nicht das „Ob“ und der „Zeitpunkt“, sondern nur das „Wie“ des konkreten Erfolgseintritts hängen von der Handlung des Täters ab.27 Daher kann Samson auch einen strukturellen Unterschied zwischen dem „rechtmäßigen Alternativverhalten“ und seinem „Intensivierungsprinzip“ begründen. Maßgebend ist der Unterschied (Ersatztäterhandeln, Naturkausalität), wonach im Tatzeitpunkt tatsächlich, nicht nur hypothetisch eine Reserveursache bereitstand, die den tatbestandlichen Verletzungserfolg auch ohne die rechtswidrige Handlung des Täters herbeigeführt hätte.28 Allenfalls29 lässt sich eine strukturelle Parallele der „hypothetischen Einwilligung“ zu dem freilich viel umfassenderen Zurechnungsprinzip von Arth. Kaufmanns Lehre vom „Keim des Schadens“ erkennen. Die hypothetische „Einwilligungsbereitschaft“ des Patienten kann als „schadensstiftende Ursache“, die dem Patienten innewohnt, bewertet werden. Ähnliche Beispiele hat auch Arth. Kaufmann gebildet: Im Radfahrerfall war das Leben des Radfahrers infolge seiner Trunkenheit „so oder so verwirkt“.30 4. Die „hypothetische Einwilligung“ soll nach der überwiegenden Zahl der Stimmen nach dem „Vermeidbarkeitsgedanken“ behandelt werden. Erst neuerdings wird vereinzelt auch die „Risikoerhöhungslehre“ berücksichtigt. III. Prüfungsgegenstand Der geforderte „normative Zurechnungszusammenhang“ bei der „Interessenlehre“, auch der behauptete „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ in der 25 Vgl. Samson, Hypothetische Kausalverläufe 103; Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 59 f. 26 Vgl. Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 60. 27 Vgl. Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 59. 28 Vgl. auch Samson, Hypothetische Kausalverläufe 152 Rdn. 2; vgl. auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 99. 29 Eine Parallele lässt sich auch zu dem rechtspolitisch motivierten Verzicht auf Erfolgszurechnung bei Kahrs und Würfel erkennen. Eine rechtspolitisch motivierte Begründung entzieht sich allerdings dogmatischer Würdigung und soll hier nicht weiter verfolgt werden. 30 Vgl. Arth. Kaufmann, in: FS für Eb. Schmidt 229 ff.

392 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

Form, die ihm die „hypothetische Einwilligung“ gibt, wird in seiner endgültigen Fassung von den ihn beherrschenden Wertungen getragen.31 Sehr schön hat Hardtung die Problematik beschrieben als den Einfluss „rechtsgutsbezogener Erwägungen“,32 dass das Rechtsgut so oder so verloren gewesen sei, auf die „personenbezogene Verantwortung“ des Täters.33 Die Wertungen können je nach der Eigenart der jeweiligen Fallgruppe variieren. Gleichwohl ist das hinter der Anerkennung von „hypothetischen Ersatzursachen“ bei der objektiven Erfolgszurechnung stehende Prinzip durchaus vergleichbar. Ein tatbestandlicher Erfolg soll dem Täter objektiv nicht zugerechnet werden, wenn der Erfolg – im weitesten Sinne formuliert – auch hypothetisch eingetreten wäre. Das Grundverständnis über diesen Unrechtsbegriff ermöglicht es, die Sachgerechtigkeit des „Chancenmodells“ als Prinzip, nicht aber nur die einer spezifischen Fallgruppe zu würdigen. Die Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ ist nämlich durchaus bedenklich, wenn die Berücksichtigung von Ersatzursachen nach der „Chancenlehre“ aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen ist.34 Das hätte den Beigeschmack einer von den Prämissen abweichenden, inkonsequenten Einzelfalllösung (Toposdenken). Es sind daher allgemein Wertungen zu entwickeln, „ob“ – und gegebenenfalls „welche“ – hypothetische(n) Ersatzursachen den Täter im Rahmen der „Chancenlehre“ entlasten können. Nunmehr ist die „Chancenlehre“ insbesondere in der Form, die ihr die „hypothetische Einwilligung“ gibt, zu würdigen.

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“ als „hypothetische Ersatzursache“ im Rahmen der objektiven Erfolgszurechnung A. Nicht zwingende Argumente I. Das Evidenzerlebnis ungerechter Bestrafung Der „Chancenlehre“ soll bereits das theoretisch allerdings wenig aussagekräftige „Evidenzerlebnis der Ungerechtigkeit“ entgegenstehen.35 Nicht aus31 Vgl. für den „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ etwa Hardtung, in: MüKo § 222 StGB Rdn. 40. 32 Das lässt sich sachgerecht auch als „Erfolgsrelevanz“ beschreiben, vgl. Jakobs, Studien 24. 33 Vgl. Hardtung, in: MüKo § 222 StGB Rdn. 42. 34 Vgl. so aber von der Idee her Gropp, in: FS für Schroeder 201.

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“

393

schließbare Ersatzursachen lassen sich nämlich in ziemlicher Beliebigkeit denken,36 sobald „rechtsgutsbezogene Erwägungen“ Eingang in die objektive Erfolgszurechnung finden.37 Das „gefühlsmäßige Erleben“ von Strafbarkeit beginnt jedoch jenseits der gemeinhin als „eindeutig“ empfundenen Fallgruppen zu wanken,38 insbesondere wenn die Rechtsordnung den Schaden offenbar nicht vermeiden will („rechtmäßiges Handeln“) oder kann („Opferverhalten“, „Naturkausalität“). Das Evidenzerlebnis ungerechter Bestrafung trägt von vornherein nur in ganz bestimmten Fallgruppen. Es ist die abwegigste Vorstellung nicht, wenn Würfel dem „Erfolgsprinzip“ den Inhalt gibt, es müsse „etwas passiert“ sein, um Zurechnung begründen zu können.39 Zutreffend erinnert er das Wesentliche, dass man in jedem dieser Punkte anderer Ansicht sein könne, dass es kein „schlechthin richtig oder falsch“ gebe.40 Die „hypothetische Einwilligung“ ist der nachhaltigste Beweis, wie höchst „unsicher“ herrschende Überzeugungen in einem zudem strafrechtlich äußerst umstrittenen Lebensbereich wie dem Arztstrafrecht sind.41 Hierbei scheint es sich um eine Art von „Sonderrecht“ zu handeln, dass in ganz besonderem Maße eigenen Regeln folgt: Nicht jeder Lebensbereich lässt sich in Gesetzesparagraphen einfangen. Je weiter die „hypothetische Einwilligung“ von ihrem höchst unsicher definierten42 Anwendungsbereich entfernt wird, je schwankender werden 35

Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten 568; Kühl, JR 1983 34. Das gilt vor allem dann, wenn nicht tatsächlich bereitstehende Ersatzursachen berücksichtigt werden sollen, sondern hypothetisch gebliebene Ersatzursachen. 37 Vgl. Roxin, StV 2004 486. 38 So sollte sich der rechtswidrig handelnde Täter nicht unter Hinweis auf bereitstehende rechtswidrig handelnde Ersatztäter von Strafe befreien können: Ein „offenbar unsinniges Ergebnis“, vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 53. Auf das dieses Ergebnis „ohne weiteres“ tragende „Rechtsgefühl“ wird auch im Klinikinsassenfall (BGHSt 49 1) hingewiesen, vgl. Roxin, StV 2004 486. Man kann dieses Evidenzerlebnis für die übrigen Fallgruppen mit der gleichen Überzeugung teilen, denn wieso es einen Unterschied machen soll, dass sich der rechtswidrig handelnde Täter mit dem Hinweis auf ein hypothetisch rechtmäßiges Ersatztäterverhalten, ein fehlerhaftes Opferverhalten oder Naturkausalität soll entlasten dürfen, bleibt offen. 39 Vgl. Würfel, Rechtmäßiges Alternativverhalten 122. 40 Vgl. Würfel, Rechtmäßiges Alternativverhalten 121. 41 Vgl. einerseits Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 6 Rdn. 106 f., andererseits aber die Nachweise in 1. Kap. § 2 B. II. 2. 42 Die für die „hypothetische Einwilligung“ entwickelten Einschränkungen werden bisweilen von einem unsicheren mehr oder minder reflektierten „Evidenzerlebnis“ getragen. Deutlich wird das an den Vorbehalten gegen den Rechtsgedanken bei der vorsätzlichen Aufklärungspflichtverletzung: Kleinewerfers, VersR 1963 303 hält eine Einschränkung der „hypothetischen Einwilligung“ in Hinblick auf diese Fälle 36

394 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

jedoch die Überzeugungen.43 In der allgemeinsten Form widerstrebt der Gedanke dem Rechtsempfinden, weshalb ein Täter, der nachweislich das Recht gebrochen hat, sich damit soll entlasten können, dass er das Recht gar nicht hätte brechen müssen, um den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. Der Täter hat sich um die Rechte des anderen gerade nicht gekümmert, mag er hierfür auch die Konsequenzen tragen.44 Die Entlastung des Täters nach diesem „oft vorgetragenen Rechtsgedanken“ soll „rechtlich überhaupt unerträglich“45 oder unbeachtlich sein.46 In dieser Fallgruppe lässt sich auch eine Steigerung des Unrechtsgehalts gegenüber anderen Fällen bereitstehender Ersatzursachen ausmachen. Der Eintritt des Erfolgs liegt bei der „hypothetischen Einwilligung“ allein „in der Hand“ des Täters, der die Wahl hat zwischen dem rechtmäßigen und dem rechtswidrigen Handeln. Demgegenüber ist der endgültige Erfolgseinfür eine „billige und daher richtige Berücksichtigung der Interessen des Arztes und der des Patienten“. Früher zweifelnd auch Rönnau, Willensmängel 436. Auch der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs zweifelt in diesen Fallgestaltungen, vgl. etwa Bohrerfall (BGH NStZ 2004 442 = JR 2004 469). Diese Zweifel teilen etwa auch Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 40 e; Otto, JK 2/05 § 228/4 StGB 2; Sickor, JA 2008 16: „rechtspolitisch [nicht] wünschenswert“; vgl. in der Sache auch Kuhlen, JR 2004 229. In den grenzüberschreitenden Bereichen der Medizin wird die Verfehltheit der Rechtsfigur der Sache nach anerkannt. Die „hypothetische Einwilligung“ wird zu einer Vergünstigung lege artis (i. e. S.) handelnder Ärzte, vgl. 11. Kap. § 2 A. II. 3. Auch die Beschränkung der „hypothetischen Einwilligung“ nach der vom Reichsgericht RGZ 163 129 entwickelten Differenzierung wird von Steffen, in: FS für Medicus 640 als „Kompromiss“ verstanden. 43 Die Abstrahierung der „hypothetischen Einwilligung“ vom ehrenwerten Berufsstand der Ärzte hat die ganze Fragwürdigkeit der Rechtsfigur offengelegt. An einigen in der Wissenschaft gebildeten, der „hypothetischen Einwilligung“ verwandten Beispielsfällen zweifeln selbst Befürworter dieser Rechtsfigur. Hier ist das von Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 134; ders., Jura 2004 683 gebildete Beispiel des nachsichtigen Ladeninhabers zu nennen, der dem Dieb die Sache auch geschenkt hätte, wenn dieser ihn gefragt hätte. An diesem Beispiel zweifeln auch Böcker, JZ 2005 932; Eisele, JA 2005 254; Gropp, in: FS für Schroeder 201; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 134; Sickor, JA 2008 16. Sehr zweifelhafte Ergebnisse beschreibt Duttge, in: FS für Schroeder 188, der dem Vergewaltiger das Berufen auf „hypothetische Einwilligung“ mit Recht abschneiden will. Vgl. auch Frister, Strafrecht AT 13. Kap. Rdn. 33; Jäger, in: FS für Jung 352 f. Hingegen setzt sich Rönnau, ZStW 119 (2007) 908 Fn. 84; ders., in: FS für Tiedemann 719 – sehr überraschend – für eine Übertragung der Rechtsfigur auf die Untreue (§ 266 StGB) ein, obwohl er diese beim Diebstahl (§ 242 StGB) ablehnt. 44 Vgl. Coing, SJZ 1950 871; vgl. auch Niederländer, JZ 1959 621; Werner, NJW 1957 1860. 45 Vgl. Hanau, Kausalität 66 f., der die Bedenken überwindet, indem der Ursachenbegriff gewechselt wird, also nicht an die „Kausalität“, sondern an die „Kausalität der Pflichtwidrigkeit“ angeknüpft wird. 46 Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 5 206.

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tritt in den Fällen einer tatsächlich bereitstehenden Reserveursache dem Einfluss des Täters entrückt, denn der Erfolg wäre auch ohne das rechtswidrige Handeln des Täters eingetreten. Wer allein rechtspolitisch argumentiert, kann in der Fallgruppe der „hypothetischen Einwilligung“ durchaus eine Steigerung des Unrechts gegenüber den anderen Fallgruppen begründen, in denen Ersatzursachen tatsächlich bereitstehen. Das rechtfertigt auch eine strengere Behandlung des Täters. Evidenzerlebnisse sind einer rational nachprüfbaren Argumentation jedoch von vornherein verschlossen und schon deswegen höchst unsicher. Sie können nicht die letzte Wahrheit sein, sondern allenfalls der Ausgangspunkt der Problemlösung. II. Der Wortlaut der Erfolgsdelikte Der Wortlaut der Erfolgsdelikte47 soll gegen eine „Chancenlehre“ überhaupt sprechen.48 Das Erfolgsdelikt sei nämlich erst mit dem Erfolg im Sinne eines „wirklichen, objektiv feststehenden Ereignisses“, nicht schon mit der Zerstörung einer „Bestandschance“ vollendet.49 Dem „Erfolgsprinzip“ hat Würfel den Inhalt gegeben, dass „etwas passiert“ sein müsse.50 Es soll auch der „Natur eines Erfolgsdelikts“ nicht entsprechen, dass der Erfolg durch saldierende Betrachtung festgestellt werde.51 Das ist eine naheliegende, aber nicht die einzige Interpretationsmöglichkeit des Wortlauts. Ob der Täter den „wirklichen, objektiv feststehenden“ Tod des Opfers bewirkt hat, wird, wenn nicht allein von der Verursachung auf die objektive Erfolgszurechnung geschlossen wird, häufig anhand eines Relationsbegriffes ermittelt (Beschleunigung des Todes, Intensivierung der Rechtsgutsverletzung).52 Relationsbegriffe können einige Bedeutung erlan47 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 32 f.; Würfel, Rechtmäßiges Alternativverhalten 121 f. 48 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 6 Rdn. 100 Fn. 106; Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 74; ders., in: FS für Lackner 62; Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 136. 49 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 74; vgl. auch Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 136. 50 Vgl. Würfel, Rechtmäßiges Alternativverhalten 122. 51 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 6 Rdn. 100 Fn. 106. 52 Vgl. Samson, Hypothetische Kausalverläufe 98, 101, der im Triebwagenfall mit einigem Recht behauptet, dass der Täter durch ein Umstellen der Weichen zu keiner Lebensverkürzung beigetragen und damit den Tod nach normativen Gesichtspunkten bewirkt hat.

396 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

gen, wie sich bei der Auseinandersetzung um die rechtliche Qualifikation des ärztlichen Heileingriffs zeigt.53 Dieses Argument ist eher wenig überzeugend, denn der Begriffshof des „Erfolges“ muss beide Interpretationsmöglichkeiten immerhin tragen können (Art. 103 Abs. 2 GG). In einem von Wertungen beherrschten Recht sind diese allerdings wichtiger als der Wortlaut. Es bleibt auch offen, wie sonst etwa die „Risikoverringerung“54 oder die „Modifikation des Kausalverlaufes“55 erfasst werden sollen.56 III. Zufälligkeiten bestimmen die Erfolgszurechnung Mit der „Chancenlehre“ werden noch mehr Zufallsmomente in das Erfolgsdelikt transportiert. Die objektive Erfolgszurechnung interessiert sich neben dem „zufälligen“ tatsächlichen Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs auch noch für die dem Täter zudem selten vorhersehbaren „hypothetischen Reserveursachen“.57 Der Zufall muss die Gesamtsituation freilich nicht immer beherrschen.58 Die möglichst weitgehende Isolierung des Zufalls im Erfolgsdelikt ist jedoch rational nachvollziehbar. Zufälle begünstigen nicht immer den Richtigen.59 Sie sind kein freiwilliger Verdienst des jeweiligen Täters, den er sich anerkennenswerterweise entlastend zuschreiben kann. Zufälle haben damit einen fragwürdigen Charakter, den sie entlasten den rechtswidrig handelnden Täter. Einen aufschlussreichen Beleg gibt gerade das Beispiel der „hypothetischen Einwilligung“. Im Bohrerfall60 kann es – auch nach der insoweit begrüßenswerten Auffassung aller Befürworter der „hypothetischen Einwilligung“61 – keine Milde mit dem Arzt geben, der seinen Kunstfehler ver53 Vgl. auch Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 6 Rdn. 100 Fn. 106. 54 Vgl. hierzu Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 47. 55 Vgl. die Meinungsübersicht Fn. 7. 56 Vgl. nur Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 47, 57. 57 Vgl. Jakobs, in: FS für Lackner 62. 58 Von Zufall ist nicht mehr auszugehen, wenn der Täter die Gesamtsituation (eigener Tatbeitrag, bereitstehende Reserveursache) überblickt. In einer solchen Sachgestaltung ergibt sich für den Täter kein vernünftiger Handlungsanlass, es sei denn, er ist sich über die Erfolgsaussichten der Reserveursache im Ungewissen ist und hält den eigenen Tatbeitrag zur Erfolgsherbeiführung für erforderlich („sicher ist sicher“), vgl. Samson, Hypothetische Kausalverläufe 110. 59 Vgl. auch Puppe, GA 2003 776. 60 Vgl. Einl. § 1 VI. 61 Vgl. nur Kuhlen, JR 2004 229.

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tuschen will, indem er sich die Einwilligung zu einer medizinisch nicht indizierten Operationen erschleicht. Dieser Arzt sollte allerdings auch dann nicht entlastet werden, wenn dem Patienten die in seiner Schulter sitzende Bohrerspitze „unheimlich“ gewesen wäre und er auf deren Entfernung bestanden hätte. Das Zufallsargument wird jedoch dadurch relativiert, dass sich aus dem Erfolgsdelikt ein gewisses Maß an Zufälligkeit von vornherein nicht isolieren lässt.62 Zudem hängt dieser Einwand zu stark von den subjektiven Präferenzen des Betrachters ab.63 Seine Bedeutung zerrinnt schließlich mit der Ablehnung der Überbetonung der „Erfolgsseite“ kriminellen Verhaltens. Das nicht beanstandenswerte positive, aber allein „zufällige“ Handlungsergebnis „im konkreten Einzelfall“ ist im Verhältnis zu der Wahrung der „beständig positiven Gesinnung“ der Rechtsgenossen von ganz untergeordneter Bedeutung.64 IV. Die positivrechtliche Argumentation Die Anerkennung einer „Chancenlehre“ ist auch deshalb bedenklich, weil der Konflikt zwischen Ursache und „Ersatzursache“ in speziellen Fallgruppen nach dem Willen des Gesetzgebers gerade anderweitig gelößt werden soll.65 1. Das betrifft die Fallgruppe des „rechtmäßigen Ersatztäterverhaltens“. Bei „personengebundenen oder besser funktionsbezogenen Rechtfertigungs62

Vgl. auch Jakobs, in: FS für Lackner 62. Gleichwohl ist der Zufall bei der „Chancenlehre“ qualitativ von anderer Art. Damit erheben sich Bedenken. Der Täter beherrscht nicht den Geschehensablauf bis hin zum Erfolg, sondern er beherrscht die Begründung oder Erhöhung der Gefahren, die sich im Erfolgseintritt realisieren, vgl. Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 45. Deshalb ist im Anschluss an Stratenwerth, in: FS für Gallas 238 die „Haftung für die Rechtsgutsbeeinträchtigung [. . .] immer vermittelt durch die Haftung für die Gefahr, auf der sie beruht.“ Von einer Beherrschung hypothetischer Reserveursachen bzw. -gefahren ((rechtmäßig oder rechtswidrig) handelnder Ersatztäter, Opferverhalten, Naturkausalität) durch den potentiellen Täter kann nämlich keine Rede sein. Es steht in der Macht des Ersatztäters oder des Opfers oder ist in der Natur angelegt, ob es zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung gekommen wäre. 63 Da sich die „hypothetische Einwilligung“ bisher allein auf das Arzt(straf-)recht konzentriert, ergibt sich hier eine Parallele zur „Erfolgstheorie“, die vom Eintreten des „Heilungserfolges“ abhängig machen will, ob der Heileingriff die Voraussetzungen einer Körperverletzung erfüllt: Auch hier wird es für zufällig gehalten, ob der Heilerfolg eintritt. Die Vertreter dieser Ansicht nehmen auch diese Konsequenz in Kauf, vgl. 4. Kap. § 3 C. 64 Vgl. B. 65 Vgl. auch Jakobs, in: FS für Lackner 63.

398 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

gründen“ wird eine Berücksichtigung „rechtmäßigen Ersatztäterverhaltens“ ohnehin häufig in Zweifel gezogen.66 Bei „situationsgebundenen Erlaubnissen“, bei denen dagegen eine Berücksichtigung zum Teil für möglich gehalten wird, ist jedoch die Entscheidung des Gesetzgebers zu beachten. Der Täter kann sich bei „situationsgebundenen Erlaubnissen“ nämlich „in der Regel“ auf den Rechtfertigungsgrund berufen, auf den sich auch der Ersatztäter hätte berufen können.67 Der Täter kann Nothilfe geltend machen, wenn der Ersatztäter in Notwehr gehandelt hätte (§ 32 Abs. 2 StGB).68 Der Gesetzgeber hat die hier entstehenden Konflikte zwischen Täter- und Ersatztäterverhalten nicht schon bei der objektiven Erfolgszurechnung, sondern erst auf der Rechtfertigungsebene gelößt. Rechtsgutsbeeinträchtigungen sollen prinzipiell strafbar bleiben, wenn ihnen nicht ausdrücklich ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht.69 Darüberhinaus bemesse sich bei der Notwehrhilfe das Maß der erforderlichen Verteidigung nach den Möglichkeiten des Nothelfers und nicht nach denen des Angegriffenen, weshalb jener bei Überschreitung dieser Grenzen nicht deshalb schon nicht tatbestandsmäßig handele, weil in der Person des Angegriffenen dieselbe Handlung als erforderliche Verteidigung gerechtfertigt gewesen wäre.70 Der Täter verwirklicht eben nicht ein Recht des Ersatztäters, sondern ein eigenes Recht. Bei „situationsgebundenen Rechtfertigungsgründen“ bedarf es der Lösung über die „hypothetischen Ersatzursachen“ daher nicht.71 2. Darüberhinaus ist auch in der Fallgruppe der „hypothetischen Eigen-/ Opferschädigung“ dem Gesetz in § 216 StGB eine partielle Regelung von Ursache und Ersatzursache zu entnehmen.72 Aus systematischen Gründen scheint eine Übertragbarkeit der positivrechtlichen Argumentation auf andere Sachgestaltungen durchaus naheliegend. Zwingend ist das allerdings nicht, denn es ist möglich, dass diese par66

Vgl. eingehend B. II. 2. b). Vgl. auch Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 61. 68 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten 564; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 54. 69 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 56; vgl. auch Jakobs, in: FS für Lackner 63; Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 136. 70 Vgl. Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 98: Er nennt das Beispiel eines Armamputierten, der sich gegen den Angriff nur mittels einer Waffe zur Wehr setzen könnte, während der Notwehrhelfer auf seine Fähigkeiten als geübter Boxer zurückgreifen könnte. Zu der umgekehrten Situation vgl. Jakobs, Strafrecht AT 12. Abschn. Rdn. 59; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder § 32 StGB Rdn. 42; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 15 Rdn. 101. 71 Vgl. so wohl auch Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 61. 72 Vgl. eingehend B. II. 2. a) aa). 67

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“

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tiellen Teilregelungen eine andere Behandlung von „hypothetischen Ersatzursachen“ in anderen Sachgestaltungen nicht ausschließen.

B. Die „Grundentscheidung zur Funktion strafrechtlicher Normen“ I. Die Gegenüberstellung der verschiedenen Ansichten Die Anerkennung von „hypothetischen Ersatzursachen“ im Rahmen der objektiven Erfolgszurechnung beruht, wie es Stratenwerth am treffendsten beschrieben hat, auf einer „Grundentscheidung zur Funktion strafrechtlicher Normen“.73 Soll die Verbotsnorm inhaltlich mit einem Tabuieren der Einmischung in die Erfolgsherbeiführung beschrieben werden, indem die Einmischung in die „Genesis eines Erfolges“ zum Anknüpfungspunkt der strafrechtlichen Erfolgszurechnung gemacht wird, bei der an die Stelle der „Erfolgsmächtigkeit [. . .] das Unreine des Aktes“ tritt,74 oder soll der Zweck der „endgültigen“ Erhaltung der Rechtsgüter für maßgeblich erklärt werden.75 Die „Grundentscheidung zur Funktion strafrechtlicher Normen“ hat sich mit zwei Problemen auseinanderzusetzen. 1. Samson spricht dem Verletzten ein „schutzwürdiges Interesse“ an seinem ihm zugedachten Schicksal in der Verderben bringenden Situation bereitstehender Ersatzursachen ab, dass es seinen Lauf nehme und der Verletzte in dieser Situation nicht „zum Gegenstand willkürlicher Manipulationen“ gemacht werde. Selbst wenn ein solches Interesse anerkannt werde, so lasse sich seine Verletzung nicht mit dem Tatbestand des Totschlages, der Körperverletzung usw. erfassen. Der Unwert, nämlich die „Degradierung des Opfers“ in „manchen Fällen“ an der „Grenze des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes“, werde „normalerweise“ vom Tatbestand miterfasst. Es sei ein von vielen Tatbeständen mitberücksichtigtes formales Element, das die entscheidende materielle Färbung der Tatbestände nicht mitbestimme.76 2. Darüberhinaus trägt Samson für sein Intensivierungsprinzip vor, dass korrumpierende Wirkungen für die Rechtsgenossen bei eingreifenden Handlungen, die zu keiner Verschlechterung des Rechtsguts im Sinne dieses Prinzips geführt haben, nicht zu besorgen seien.77 73 74 75 76 77

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Stratenwerth, Strafrecht AT I 3. Aufl. § 8 Rdn. 227. Jakobs, Studien 24. Stratenwerth, Strafrecht AT I 3. Aufl. § 8 Rdn. 227. Samson, Hypothetische Kausalverläufe 106. Samson, Hypothetische Kausalverläufe 104 f.

400 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

Die Entscheidung über die „Funktion strafrechtlicher Normen“ ist „im Kern“ die hinter der Anerkennung von „hypothetischen Ersatzursachen“ stehende Wertungsfrage. Diese Problematik verbirgt sich auch hinter der „hypothetischen Einwilligung“. Daher bedarf es eines Eingehens auf diese „Grundentscheidung zur Funktion strafrechtlicher Normen“, wobei im Mittelpunkt der Betrachtung weniger die „Chancenlehre“ im Allgemeinen, als vielmehr die „hypothetische Einwilligung“ im Besonderen stehen wird. II. Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte („Erfolgsseite“) Über die „Grundentscheidung zur Funktion strafrechtlicher Normen“ kann nur unter Bezugnahme auf das geschützte Rechtsgut geurteilt werden. Der Zweck der strafrechtlichen Gewährleistungs- bzw. Garantienormen ist der Rechtsgüterschutz.78 Die inhaltliche Ausformulierung des geschützten Rechtsguts ist damit von entscheidender Bedeutung für diese Zweckbestimmung. 1. Der Schutz des Patienten als „Subjekt der Behandlung“

a) Das konkrete Rechtsgutsverständnis bei der „hypothetischen Einwilligung“ Die „engere“ Begriffsbestimmung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.), bei der nicht die „wirkliche Ausübung“ der Selbstbestimmung, sondern die Wahrung der „Maßgeblichkeit der auf die Rechtsgüter Gesundheit und körperliche Integrität bezogenen Interessendefinition des Patienten“ geschützt sein soll,79 legt das Schwergewicht des Schutzes auf die subjektive Anerkennung bzw. die Ablehnung der bevormundenden Entscheidung des Arztes über die „körperliche Unversehrtheit“ des Patienten. Es geht diesem „konkreten“ Rechtsgutsverständnis um die Gewährleistung des „materiellen Guts“ der „körperlichen Unversehrtheit“. Es ist konsequent, in einem Eingriff in die „körperliche Unversehrtheit“ kein Unrecht zu sehen, wenn infolge der vorhergehenden ärztlichen Einmischung in die Entscheidungsfindung des Patienten kein „Interesseverlust“ entstanden ist. Hätte sich der Patient für den Eingriff auch bei einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Aufklärung entschieden, müsste 78 Vgl. Hassemer, in: NK Vor § 1 StGB Rdn. 255; Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 22; ders., in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 1: „allgemein anerkannter Sachverhalt“; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 2 Rdn. 7; ders., JuS 1966 377 ff.; Rudolphi, in: FS für Honig 151; Stratenwerth, in: FS für Lenckner 377. 79 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442.

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diese Auffassung einen Unrechtserfolg, der allein die Einmischung in die Entscheidungsfindung betrifft, sich aber nicht in dem „materielle Gut“ der „körperlichen Unversehrtheit“ niederschlägt, in der Tat ablehnen. b) Das hier zugrundegelegte Rechtsgutsverständnis Das geschützte Rechtsgut kann aber nicht derart verkürzt werden. Es meint nicht ein „concretes Etwas“, nicht ein „materielles Gut“, sondern es meint einen über die „Objekts-Auffassung“ hinausgehenden anderen Sachverhalt.80 Das Rechtsgut ist „eine bestimmte, in den einzelnen Tatbeständen näher beschriebene, reale Beziehung des Rechtssubjekts zu konkreten von der Rechtsgesellschaft anerkannten Werten (‚soziale Funktionseinheiten‘)“, „in der sich das Rechtssubjekt mit Billigung durch die Rechtsordnung personal entfaltet“.81 Am prägnantesten kommt dieser „abstrakte Wert“ des personalen Rechtsgutsverständnisses bei den Körperverletzungsdelikten (§§ 223 StGB ff.) in einer auf Steffen zurückgehenden Formulierung zum Ausdruck. Der Patient könne nicht nur den „Schutz seiner Integrität“, sondern [den Schutz] als Subjekt der Behandlung“ verlangen.82 Verfassungsrechtlich wird das moderne Leitbild der Rechtsprechung vom Patienten als „Subjekt der Behandlung“ in Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG abgesichert („Selbstbestimmungskonzept“).83 aa) Dieses Grundverständnis vom Patienten als „Subjekt der Behandlung“ entspricht dem veränderten Bild des Arzt-Patienten-Verhältnisses in der heutigen sozialen Gesellschaft. (1) Die Übernahme der Verantwortung für die Heilbehandlung und deren Risiken84 steht schon lange nicht mehr allein im Vordergrund des Arzt-Patienten-Verhältnisses. Die Einwilligung ist natürlich auch eine positive Entscheidung des Patienten für die Heilbehandlung, deren Risiken und den den Heileingriff durchführenden Arzt. Sie schützt insoweit auch die „körperliche Unversehrtheit“ des Patienten. Der Arzt darf dem Patienten nicht ungefragt jedes Risiko aufzwingen, das die lex artis noch deckt, bis an die Grenze des medizinisch Machbaren.85 80

Vgl. eingehend 3. Kap. § 2 C., D. Vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 32; ders., Struktur 33; ders., in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 8; ders., in: FS für Geerds 610. 82 Vgl. Steffen, in: Verhandlungen 52. DJT Bd. II 26. 83 Vgl. BVerfGE 52 131, 173. 84 Vgl. Jäger, in: FS für Jung 352 f. 85 Überschreitet der Arzt die lex artis, so setzt er sich dem Vorwurf eines Behandlungsfehlers aus, vgl. dazu Puppe, Strafrecht Bd. I § 23 Rdn. 7; dies., GA 2003 770; dies., JR 2004 471. 81

402 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

Die Einwilligung verbürgt darüberhinaus auch die Garantie für die Durchführung eines bestimmten Verfahrens. Insoweit kann abgekürzt von einem „Schutz durch Verfahren“ gesprochen werden. Die ärztliche Aufklärungspflicht, zu der hier nur die „Selbstbestimmungsaufklärung“ gerechnet werden soll, ermöglicht es dem „in der [rechtlich] gebotenen Weise“ aufgeklärten Patienten, eine eigenverantwortliche Entscheidung über die konkrete Heilbehandlung durch einen bestimmten Arzt zu treffen. Mit der nicht ordnungsgemäßen Durchführung des „Verfahrens“ zur Erlangung einer eigenverantwortlich getroffenen Entscheidung ist das Verbot des Rechtsgütereingriffs dem Arzt gegenüber nicht wirksam außer Kraft gesetzt.86 Für den Heileingriff trägt er die strafrechtlichen Folgen, wenn er ihn trotzdem durchführt. In dem „Schutz durch Verfahren“ wird häufiger in der zivilrechtlichen Wissenschaft bei von Caemmerer, Giesen und Lange der maßgebliche Grund für die Unbeachtlichkeit der „hypothetischen Einwilligung“ gesehen. Von Cammerer zieht die „hypothetische Einwilligung“ hauptsächlich mit Erwägungen zum „Schutzzweck der Aufklärungspflicht“ in Zweifel.87 Der „Sinn der Aufklärung“ sei es,88 die „persönliche Entscheidungsfreiheit“ des Patienten „in seiner spezifischen Lage vor dem Eingriff“89 zu gewährleisten.90 Die Aufklärungspflicht soll dem Patienten Gelegenheit zum ruhigen Überdenken geben. Dabei gehöre es zu den „Grundelementen individueller Selbstverantwortung in einem freiheitlichen Staat“, dass sich der Berechtigte auch auf der Basis von durchaus gefühlsbeherrschten bis irrationalen Aspekten – „aus dem Bauch heraus“ – entschließen könne.91 Die Aufklärungspflicht soll ihm aber auch die Möglichkeit eröffnen, seine Lage mit den nächsten Angehörigen zu besprechen.92 Er müsse den Wunsch nach der 86

Vgl. Jäger, in: FS für Jung 352 f. Vgl. von Caemmerer, in: Gesammelte Schriften Bd. I 411, 448 ff. Vgl. auch Giesen, Arzthaftungsrecht 119 f. 88 Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 207. 89 Vgl. Giesen, Arzthaftungsrecht 119 f.: Der Patient soll aus seiner individuellen Sicht im Einwilligungszeitpunkt, dass heiße in angemessener Zeit vor dem Eingriff, freiverantwortlich über den Eingriff befinden können, um in Ruhe überlegen und abwägen zu können. Die Einwilligung dürfe nicht „nachgeholt“ werden, weil es um eine allein vom Patienten „in seiner spezifischen Lage vor dem Eingriff“ zu treffende, höchstpersönliche Entscheidung über seine körperliche Integrität gehe. Vgl. auch ders., International Medical Malpractice Law § 26 Rdn. 689 Fn. 73. Auf den „Sinn der ärztlichen Aufklärungspflicht“ stützen die Unbeachtlichkeit der „hypothetischen Einwilligung“ in jüngerer Zeit auch Frank/Löffler, JuS 1985 693. 90 Vgl. auch früher Deutsch, NJW 1965 1989, der die Entscheidungsfreiheit selbst tangiert gesehen hat, wenn die „hypothetische Einwilligung“ zugelassen würde. 91 Vgl. Paeffgen, in: FS für Rudolphi 209. 92 Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 207. 87

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“

403

Meinung eines weiteren Arztes äußern dürfen, er müsse andere Ärzte seines Vertrauens um ihr Urteil bitten können.93 Ärztlicher, familiärer, auch religiöser Beistand sind allerdings nur Ausschnitte einer viel umfassenderen Gewährleistung. Würde die „hypothetische Einwilligung“ dagegen berücksichtigt, so würden „grundlegende Verfahrensvorschriften ihre schadensersatzrechtliche Bedeutung verlieren“.94 (2) Das Grundverständnis vom Arzt-Patienten-Verhältnis in der heutigen sozialen Gesellschaft ist jedoch ein anderes. Arzt und Patient stehen sich eben nicht mehr in einem Über-/Unterordnungsverhältnis („Subordinationsverhältnis“) gegenüber, sondern vielmehr als gleichberechtigte Partner der Heilbehandlung („Kooperationsverhältnis“). Die Bedeutung der willentlichen Einbindung des Patienten in den Heilungsprozess wird besonders von medizinischer Seite hervorgehoben. Die medizinische Wissenschaft weist in neuester Zeit zunehmend auf die Wichtigkeit der Rolle des Patienten als einer aktiven, an der Heilung mitwirkenden Persönlichkeit, nicht hingegen derjenigen des in Passivität verweilenden Empfängers ärztlicher Wohltaten hin. Der erfolgreiche Verlauf von – nicht strikt nach Naturgesetzen determinierten95 – Heilmaßnahmen soll nicht zuletzt auch von der inneren Einstellung des Patienten zum Heilprozess beeinflusst werden können.96 Erst die Ernstnahme der ärztlichen Aufklärungspflicht ermöglicht die willentliche Beteiligung des Patienten als Partner an der Heilbehandlung. Das Arzt-Patienten-Verhältnis wird darüberhinaus nicht von gegenseitigem Misstrauen beherrscht, sondern von beiderseitigem Vertrauen der daran beteiligten Personen getragen. Erst die ernstliche Erfüllung der wahrheitsgemäßen und vollständigen Kommunikation zwischen Arzt und Patient entspricht auch dem in der Rechtsprechung immer wieder betonten rechtlichen Leitbild des Patienten als „Subjekt der Behandlung“ (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG)97 („Selbstbestimmungskonzept“). Das „Werthafte“ der freien „Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen“ in seinem Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ ist vornehmlich nicht die „Verantwortungsübernahme“ für die Heilbehandlung und deren Risiken, sondern die aus medizinischer und rechtlicher Sicht erforderliche Beteiligung des Patienten daran als „Subjekt der Behandlung“. In diesem Anspruch wird er durch den medizinischen Paternalismus endgültig missachtet. Der Reflex der Art von „Selbstbestimmung“ in der Form der „hypotheti93 94 95 96 97

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

von Caemmerer, in: Gesammelte Schriften Bd. I 450. Medicus, in: Staudinger 12. Aufl. § 249 BGB Rdn. 114. D. II. 3. b). auch Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 123. BVerfGE 52 131, 173.

404 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

schen Einwilligung“ taugt nicht als Äquivalent. Der Patient steht nicht mehr vor der Frage, ob er seine „körperliche Unversehrtheit“ aufopfern soll, um Heilung zu erfahren. Er ist zum „Objekt“ ärztlicher Vernunfthoheit gemacht worden und wird nun mit diesen vollendeten Tatsachen konfrontiert. Gegen die „hypothetische Einwilligung“ sprechen daher nicht allein rechtliche, sondern vor allem auch medizinische Gründe. bb) Aus dieser Bestimmung des geschützten Rechtsguts wird ersichtlich, dass sich der Schutz des Patienten als „Subjekt der Behandlung“ (Steffen) auch nicht auf bestimmte Fallgestaltungen eines „echten Entscheidungskonflikts“ verkürzen lässt. Bisweilen sind in diese Richtung gehende Gedanken bei Puppe und Roxin nachweisbar.98 cc) Von der Beachtlichkeit „hypothetischer Ersatzursachen“ wird jedoch zum Teil in der Fallgruppe des staatlichen Handelns ausgegangen. Der Hinweis auf die Möglichkeit einer rechtmäßigen Schädigung durch eine andere Ermessensentscheidung des Staates soll allenfalls entlasten, wenn die zur Entlastung vorgetragene hypothetische Ermessensentscheidung der ständigen Übung der betroffenen Behörde entspreche oder sich das Ermessen angesichts der Umstände des Einzelfalls auf Null reduziere.99 Das ist nicht unbestritten.100 Hinter der ablehnenden Haltung steht der Gedanke eines „Schutzes durch Verfahren“. Solche Überlegungen können jedoch nicht auf die „hypothetische Einwilligung“ übertragen werden. Hier liegt es nämlich insofern anders, als der „Subjektanspruch“ des Patienten betroffen ist, selbst wenn die „hypothetische Einwilligung“ mit einer – unterstellten – völligen Gewissheit feststehen würde. Die Ablehnung der „hypothetischen Einwilligung“ beruht auf einem tieferen Grund als demjenigen der Erhaltung bestimmter Verfahrensgarantien. Sie beruht auf dem „Subjektanspruch“ des Patienten (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG).101 98 Vgl. Puppe, GA 2003 774; Roxin, Strafrecht AT § 13 Rdn. 125; vgl. 8. Kap. § 2 C. II. 2. a). 99 Vgl. RGZ 169 353, 358; BGHZ 77 223, 226; 120 281, 288; BGH NJW 1959 1125; einschränkend BGHZ 143 362. Vgl. eingehend Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 5 206 f. 100 Vgl. eingehend Schiemann, in: Staudinger § 249 BGB Rdn. 106 mit ähnlichen Argumenten wie bei der „hypothetischen Einwilligung“. Wie das Ermessen ausgeübt worden wäre, lasse sich kaum jemals feststellen. Zudem könne das Ermessen durch das Gericht nicht ersetzt werden. Vgl. auch Medicus, in: Staudinger 12. Aufl. § 249 BGB Rdn. 114; Niederländer, AcP 153 (1954) 71. 101 Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 5 207, die die „hypothetische Einwilligung“ dagegen überhaupt ablehnen. Sie liegen auf der hier vertretenen Linie, indem sie die Zustimmung des Patienten als „höchstpersönliche Entscheidung“ behandeln.

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“

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dd) Das „Werthafte“ des geschützten Rechtsguts ist die freie Entfaltung des Patienten in seiner „körperlichen Unversehrtheit“. Es wäre eine Verletzung der Freiheit des Menschen, wenn die erforderliche wirkliche Entscheidung durch Spekulationen ersetzt werde.102 Die Einwilligung und die ärztliche Aufklärungspflicht sollen vielmehr als „Institutionen“ ernst genommen werden.103 Im Mittelpunkt dieser abstrakten personalen Rechtsgutsinterpretation steht der Mensch, der von ihm ausgehende Achtungsanspruch, nicht so sehr das materielle „Substrat“, um dessen Schutz sich das „engere“ Rechtsgutsverständnis bemüht. Die Anerkennung einer abstrakten „Beziehungsstruktur“ muss vielmehr zum Zweck des Rechtsgüterschutzes im Sinne eines prinzipiellen Ausschlusses der Einmischung in die Entscheidungsfindung des Berechtigten führen. 2. Die Unbeachtlichkeit „hypothetischer Ersatzursachen“ in anderen Fallgruppen

Der maßgebliche Grund für die Unbeachtlichkeit von „hypothetischen Ersatzursachen“ nach irgendeinem „Chancenmodell“ wird allgemein für alle oder speziell für ganz bestimmte Fallgruppen gleichermaßen referiert: Dem geschützten Rechtsgut soll die „normative Garantie“ erhalten bleiben. In der „wichtigsten“ Fallgruppe, nämlich derjenigen des hypothetisch „rechtswidrig handelnden Ersatztäters“, ist es „nahezu allgemein“104 oder „durchweg anerkannt“,105 dass der Achtungsanspruch, den eine Person für ihr Rechtsgut einfordern kann, nicht in Folge der Gefährdung dieses Rechtsguts durch einen rechtswidrig handelnden Rechtsgenossen für alle Rechtsgenossen nivelliert wird.106 Ob dieser Wertung, die Erhaltung „wirkungs102

Vgl. Puppe, GA 2003 770. Vgl. zutreffend Weber-Steinhaus, Ärztliche Berufshaftung 268 f. 104 Vgl. Hardtung, in: MüKo § 222 StGB Rdn. 41. 105 Vgl. Jakobs, in: FS für Lackner oder Lenckner 58 Fn. 8. 106 Vgl. Fn. 4, 38. Aus „teleologisch zwingenden“ Gründen bzw. aus dem „Sinn und Zweck strafrechtlicher Gewährleistungsnormen“ müsse die Bestrafung erfolgen, weil die Rechtsordnung ihre Verbote nicht deshalb zurücknehmen könne, weil auch ein anderer zu ihrer Überwindung bereit war („quantitative Verschlechterung“ der Lage des Rechtsguts). Täter und Ersatztäter müssen ihr geplantes Verhalten insgesamt zurückstellen. Es wäre ein „offenbar unsinniges Ergebnis“, die Straflosigkeit nur deshalb eintreten zu lassen, weil anstelle eines Tatentschlossenen mehrere vorhanden waren, vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rd. 53. Die Formulierung des Gedankens geht auf Samson, Hypothetische Kausalverläufe 137 ff., 139 zurück, der für diese Fallgruppe mit der „Konstruktion der Doppelverpflichtung“ („Übernahmeprinzip“) durchaus inkonsequent Abstand zu dem tragenden Gedanken seines Intensivierungsprinzips nimmt. Hiernach wäre die Einhaltung der für den Rechtsgüterschutz bestimmten konkreten Verhaltenspflicht nur sinnvoll, wenn sie tatsächlich auch geeignet sei, diesem Schutz zu dienen, vgl. ders., aaO. 136. Daran mangelt es 103

406 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

mächtiger normativer Garantien“, auch außerhalb der „wichtigsten“ Fallgruppe wirkliche Überzeugungskraft zukommt, ergibt sich erst dann, wenn die „normative Garantie“ in den jeweiligen Fallgruppen offengelegt wird. a) Die Fallgruppe der „hypothetischen Eigen-/Opferschädigung“ aa) Die positivrechtliche Wertung In der Fallgruppe der „hypothetischen Eigenschädigung“ ist für das wichtigste Individualrechtsgut bereits dem Gesetz eine Wertung gegen die „Chancenlehre“ zu entnehmen. In der Bestrafung der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) sieht Hardtung – im Anschluss an Niese107 – den Gedanken positiviert, dass die Rechtsordnung niemanden aus seiner Verantwortung wegen der Tötung eines anderen entlasse, bloß weil dieser sich sonst selber umgebracht hätte.108 Aus dem in der Regel fehlenden Strafbedürfnis der Rechtsordnung für die tatsächlich verübte Selbstgefährdung und -verletzung folge nicht, dass andere auf den Rechtsgutsträger verletzend einwirken dürfen.109 bei dem bereitstehenden rechtswidrigen Ersatztäterverhalten. Zu dieser Inkonsequenz auch Kindhäuser, ZStW 120 (2008) 487 Fn. 18. 107 Vgl. Fn. 138. 108 Vgl. Hardtung, in: MüKo § 222 StGB Rdn. 42. Die Freistellung der Strafbarkeit nach § 216 StGB wird auf das Fehlen einer Rechtsgutsverletzung gestützt, vgl. R. Schmitt, in: FS für Maurach 113 ff. Das ist zweifelhaft, wenn das Rechtsgut als „abstrakte“ Beziehung eines Objekts im weitesten Sinne zum Menschen anerkannt wird, vgl. 3. Kap. 3. Abschn. 2. UAbschn. III. Begründet wird der von § 216 StGB bezweckte „Schutz vor sich selbst“ zudem mit der „prinzipiellen Tabuierung fremden Lebens“ als „höchstem Rechtsgut“, vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 2 Rdn. 18, § 13 Rdn. 35. Die Verpönung einer Ausnahme zum Lebensschutz soll die Achtung vor dem menschlichen Leben überhaupt stärken. Auf diesen überzeugenden Ansatz, der auch Welzels Theorie von der Stärkung der „Aktwerte rechtlicher Gesinnung“ als primäre Aufgabe des Strafrechts zugrundeliegt, wird im Zusammenhang mit der „körperlichen Unversehrtheit des Menschen“ zurückgekommen, vgl. unten C. Wegen des „irreparablen Schadens“ sei darüberhinaus schwer nachvollziehbar, ob der Betroffene eine „eigenverantwortliche Entscheidung“ getroffen habe. Indem die Rechtsordnung ihm die Ausführung der „letzten Entscheidung“ selbst überantworte, versuche sie die Nachweisschwierigkeiten zu umgehen: Allenfalls in den Fällen einer eigenhändigen Selbsttötung, nicht aber bei dem Tätigwerden eines Dritten, könne zweifelsfrei dargetan werden, dass der Betroffene eine autonome Entscheidung getroffen habe, vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 2 Rdn. 18. Über die hier angedeuteten Nachweisschwierigkeiten wird bei der „hypothetischen Einwilligung“ selbst dann „in dubio pro reo“ hinweggegangen, wenn der Einwilligende nach dem Eingriff nicht mehr befragt werden kann, weil er etwa infolge der Operation verstorben ist, vgl. 8. Kap. § 2 A. II. 2. b) bb). 109 Vgl. Duttge, in: MüKo § 15 StGB Rdn. 163.

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“

407

Zweifelhaft ist hieran jedoch, ob diese Wertung auch bei den übrigen Individualrechtsgütern gegen die „Chancenlehre“ spricht. Davon scheint Hardtung auszugehen. Das spräche gegen die Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ bei den Körperverletzungsdelikten (§§ 223 StGB ff.). bb) Die (Un-)Beachtlichkeit der „hypothetischen Eigen-/Opferschädigung“ in der Wissenschaft Im strafrechtlichen Schrifttum wird überwiegend die „hypothetisch gebliebene Selbstschädigung“ des Opfers bei der Beurteilung der „Kausalität“,110 der „Risikobegründung“ oder „-erhöhung“111 sowie des „Pflichtwidrigkeitszusammenhangs“ aus „normativen Gründen“ außer Betracht gelassen.112 (1) Das leuchtet bei den hypothetischen Selbstmordfällen113 ein. Es entspricht dem überwiegenden114 Standpunkt, dass es dem Täter nicht zugute kommen soll, dass die Rechtsgutsbeeinträchtigung durch den Täter bei dessen unterstellt hypothetisch alternativ rechtmäßigem Verhalten zwar „vermieden“ worden wäre, das Opfer, dessen Selbstmordabsichten bisher noch unrealisiert waren, sich nunmehr aber selbst umgebracht hätte.115 (2) Eine rechtmäßige Reservehandlung soll nach Frister überhaupt nur dann beachtlich sein, wenn die betreffende Handlung nicht nur erlaubt, sondern sogar rechtlich geboten sei.116 Ohne eine rechtliche Verpflichtung müsse auch einem rechtmäßig Handelnden „die Möglichkeit offen gehalten werden“, sich bis zuletzt gegen die in Frage stehende Rechtsgutsbeeinträchtigung zu entscheiden. Das betreffe insbesondere die hypothetisch gebliebene Selbstschädigung. Wer einem politischen Fanatiker, der sich bereits mit Benzin übergossen habe, um sich aus Protest gegen die Zustände in seinem Land öffentlich zu verbrennen, das Streichholz aus der Hand nehme, um damit selbst das Benzin zu entzünden, sei für die daraus resultierende 110

Vgl. gegen diese Möglichkeit überhaupt 5. Kap. § 2 C. I. 1. b). Vgl. eingehend Kindhäuser, ZStW 120 (2008) 500 ff. 112 Vgl. vor allem Duttge, in: MüKo § 15 StGB Rdn. 163; Hardtung, in: MüKo § 222 StGB Rdn. 42; vgl. weiter Frister, Strafrecht AT 15. Kap. Rdn. 33. 113 Vgl. auch das in diese Richtung gehende Beispiel bei Frister, Strafrecht AT 9. Kap. Rdn. 31. 114 Vgl. anders beispielsweise Kahrs, Vermeidepflicht 88 ff., 92 f. 115 Vgl. etwa Duttge, in: MüKo § 15 StGB Rdn. 163; Puppe, JZ 1982 662; Hardtung, in: MüKo § 222 StGB Rdn. 42; Roxin, ZStW 74 (1962) 425. 116 Vgl. Frister, Strafrecht AT 9. Kap. Rdn. 31 Fn. 34, der noch weiter einschränkt: Die Begrenzung von Eingriffsrechten auf bestimmte Personen, insbesondere Amtsträger dürfe nicht unterlaufen werden. 111

408 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

Verletzung oder Tötung verantwortlich, obwohl der Betreffende sich allem Anschein nach zum gleichen Zeitpunkt selbst angezündet hätte.117 Frister überträgt diesen Gedanken auf die „hypothetische Einwilligung“: So wie eine „hypothetisch gebliebene Selbstschädigung“, so müsse auch eine „hypothetisch gebliebene Einwilligung“ des Betroffenen in die Verletzung seines Rechtsguts aus normativen Gründen118 außer Betracht bleiben.119 Die Situation der „hypothetischen Einwilligung“ und die der „hypothetischen Eigen-/Opferschädigung“ sind jedoch strukturell verschieden. Im Unterschied zur „hypothetischen Einwilligung“ schädigt sich das Opfer in der Fallgruppe der „hypothetischen Eigen-/Opferschädigung“ hypothetisch selbst, während es bei der „hypothetischen Einwilligung“ durch den Arzt hypothetisch „geschädigt“ wird.120 Gleichwohl ist eine Heranziehung der in der Fallgruppe der „hypothetischen Eigen-/Opferschädigung“ tragenden Wertungen auch bei der „hypothetischen Einwilligung“ sachlich angemessen, wenn Bezug genommen wird auf das geschützte Rechtsgut. Zutreffend beschreibt Frister die „normative Garantie“, die gegen eine Berücksichtigung der „hypothetischen Eigen-/Opferschädigung“ bei der objektiven Erfolgszurechnung spricht: Dem Opfer soll die „Möglichkeit“ offengehalten werden, sich bis zuletzt gegen die in Frage stehende Rechtsgutsbeeinträchtigung zu entscheiden.121 Damit meint Frister jedoch keinen anderen Sachverhalt als die Erhaltung des „unbedingten Achtungsanspruches der Person“, sich in seinen Rechtsgütern frei zu entfalten. Der normative Grund für die Gewährleistung der „selbstbestimmten Entfaltung der Person“ in den eigenen Rechtsgütern beruht auf der inhaltlichen Beschreibung des geschützten Rechtsguts.122 Die Erhaltung dieser „normativen Garantie“ ist allerdings nicht allein in den Fallgestaltungen angezeigt, in denen eine „hypothetische Eigen-/Opferschädigung“ bevorsteht. Sie ist auch angezeigt in der Fallgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“, bei der eine Beeinträchtigung der eigenen Rechtsgüter durch einen anderen erst nach einer erteilten Einwilligung erfolgen soll. Die Einwilligung ist ein Gestaltungsmittel in der Hand des Rechtsgutsinhabers, mit dem er bestimmen kann, „ob“ und durch „wen“ seine Rechtsgüter beeinträchtigt werden sollen. Das Opfer kann sich auch 117 118 119 120 121 122

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Frister, Strafrecht AT 9. Kap. Rdn. 31. oben bb). Frister, Strafrecht AT 15. Kap. Rdn. 33. schon oben § 2 B. II. 2. Frister, Strafrecht AT 15. Kap. Rdn. 33. 3. Kap. § 2 D. III.

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“

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selbst „schädigen“, doch wird es hierzu häufig nicht in der Lage sein. Dann bedarf es der Möglichkeit, sich fremder Hilfe zu bedienen.123 Solange dem Rechtsgutsinhaber aber die „Möglichkeit“ offenzuhalten ist, sich bis zuletzt gegen die in Frage stehende Rechtsgutsbeeinträchtigung zu entscheiden, solange ist sie ihm auch offenzuhalten, wenn es an einer Einwilligung des Rechtsgutsinhabers in die Rechtsgutsbeeinträchtigung fehlt. Bei der „hypothetischen Einwilligung“ liegt gerade keine wirksame Einwilligung des Berechtigten vor. Eine Entscheidung des „Rechtsgutsinhabers“ für oder gegen die Rechtsgutsbeeinträchtigung steht unverändert aus. b) Die Fallgruppe der „personengebundenen Rechtfertigungsgründe“ aa) Die Herausarbeitung des Schutzgedankens Bei der „hypothetischen Einwilligung“ wird nicht unberücksichtigt bleiben können, dass eine Rechtsgutsbeeinträchtigung durch einen bereitstehenden „rechtmäßig handelnden Ersatztäter“ nach überwiegender Ansicht bei der objektiven Erfolgszurechnung unbeachtet bleiben soll. Rudolphi hat den „Gedanken der Rechtsgutsverlorenheit“, auf dem das Intensivierungsprinzip beruht,124 bei einem hypothetisch „rechtmäßig handelnden Ersatztäter“ mit Erwägungen zum „Schutzzweck der Norm“ eingeschränkt:125 Ein Großteil der strafrechtlichen Erlaubnissätze gestatte die Verletzung eines geschützten Rechtsguts nämlich nicht allen, sondern nur bestimmten Personen. Hier bestehe gerade die Gefahr, die auf bestimmte Funktionsträger begrenzte rechtfertigende Wirkung zahlreicher Erlaubnisse 123 Den Rechtsgutsinhaber können gute Gründe motiviert haben, die Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter nicht eigenhändig durchzuführen, sondern auf eine andere Person zu übertragen. Der ärztliche Heileingriff ist ein besonders plastisches Beispiel, in dem es dem Rechtsgutsinhaber häufig gar nicht möglich ist, die eigene Beeinträchtigung selbst vorzunehmen. 124 Neben der „Rechtsgutsverlorenheit“ – die auch bei einem rechtswidrig handelnden Ersatztäter zu gegenwärtigen ist – werden weitere Wertungen zum Ausschluss der objektiven Erfolgszurechnung herangezogen. Das kann letztlich nur aus Gründen erwogen werden, die beispielsweise bei Kahrs, Vermeidbarkeitsprinzip 79 – allerdings rechtspolitisch motiviert – anklingen: Die objektive Zurechnung soll ausgeschlossen werden, wenn die Rechtsordnung den Schaden „rügelos“ hingenommen hätte oder wenn sie ihn sogar „gewünscht“ bzw. „mit Mitteln des Zwangs durchgesetzt hätte“. Die Rechtsordnung „will“ und „kann“ (Naturkausalität) den objektiven Schaden nicht in allen denkbaren Fällen verhindern. 125 Hieran wird erneut eine „Ausnahme zur Regel“ des Intensivierungsprinzips offengelegt, vgl. auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 54. Das Intensivierungsprinzip muss konsequenterweise der Zurechnung in dieser Fallgruppe entgegenstehen.

410 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

„praktisch“ aufzuheben. Um eine dem Schutzzweck zuwiderlaufende Ausweitung einzelner Erlaubnisse zu verhindern, müsse zwischen „situationsgebundenen“126 und „personenbezogenen oder besser funktionsgebundenen Rechtsfertigungsgründen (wie vor allem Amtsrechte)“ unterschieden werden.127 Die „normative Garantie“ besteht hiernach in dem Schutz des Rechtsguts nicht vor jeder „erwünschten“, gegebenenfalls sogar „mit den Mitteln des Zwangs durchgesetzten“ Rechtsgutsbeeinträchtigung (rechtmäßiges Handeln), sondern in dem Schutz des Rechtsguts in einer bestimmten „Funktionsbeziehung“ zu einem rechtmäßig eingreifenden Funktionsträger. In der allgemeinsten Formulierung geht es um die „normative Garantie“ der Erhaltung des geschützten Rechtsguts, wenn eine andere Person bereitsteht, der gegenüber die Rechtsgutsbeeinträchtigung erlaubt ist. Es ist auch keineswegs überzeugend, dass es in der Fallgestaltung, in der der Eigentümer allein seinem Kind gestattet, eine Rakete abzubrennen, und ein Dritter das Feuerwerk zuvor abbrennt, am Erfolgsunwert der Tat fehlen soll, bloß weil der Berechtigte das Abbrennen des Feuerwerks „an sich“ gewollt hat.128 Nicht jedem soll die Befugnis zur straflosen Verhaftung anderer gegeben sein, bloß weil die Polizei aufgrund eines richterlichen Haftbefehls die Befugnis hat.129 Sein Ende soll der Hinzurichtende im Scharfrichterfall130 allein aus der Hand des Scharfrichters hinnehmen müssen. Es wird daher ein „Recht auf Hinrichtung durch eine bestimmte Person“ anerkannt.131 In den sensibelsten Bereichen der höchstpersönlichen Rechtsgüter kann die „Chancenlehre“ schlechthin keine dem Rechtsempfinden eingänglichen Ergebnisse liefern.132 126

Selbst die einschränkende Berücksichtigung rechtmäßiger Ersatzursachen von der Art „situationsgebundener Rechtfertigungsgründe“ kann nicht mit dem Willen des Gesetzgebers in Einklang gebracht werden, vgl. oben A. IV. Dem Rechtsgenossen wird die Konfliktlösung im Verhältnis von Ursache und Ersatzursache durch die gesetzliche Regelung von Rechtfertigungsgründen garantiert. Das wirft aber die Frage auf, ob nicht hinter dieser Entscheidung für die Konfliktregelung in den Fällen der „situationsgebundenen Rechtfertigungsgründe“ ein allgemeiner Gedanke steht, der die „personengebundenen Rechtfertigungsgründe“ gleichfalls erfasst. Damit enthielte auch die Einwilligung eine abschließende Konfliktentscheidung. 127 Vgl. Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 61. 128 Vgl. Arzt, Willensmängel 46; vgl. auch Weigend, ZStW 98 (1986) 60 Fn. 56. 129 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 54. 130 Vgl. 5. Kap. § 2 C. I. 1. b) cc) (2). 131 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 94. 132 Hierher gehören die „körperliche Unversehrtheit“, vor allem auch die „sexuelle Selbstbestimmung“ einer Person usw.

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“

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Die „Chancenlehre“ läuft damit auf eine gefährliche Ausweitung („praktische Aufhebung“) nur ganz bestimmten Personen gegebenen Legitimationen zur Rechtsgutsbeeinträchtigung hinaus. An der Sachgerechtigkeit des von Rudolphi vorgeschlagenen einschränkenden Kriteriums sollten angesichts der rechtspolitischen Konsequenzen keine ernsthaften Zweifel aufkommen. Die Vorstellung einer rechtmäßigen Selbst- oder Lynchjustiz ist unserer Rechtsordnung fremd.133 Inhaltlich erschöpft sich die „normative Garantie“ jedoch nicht in dem „Recht auf Beeinträchtigung durch eine bestimmte Person“. Treffender sollte daher von dem „Schutz einer bestimmten Funktionsbeziehung“ zwischen dem geschützten Rechtsgut und dem rechtmäßig eingreifenden Funktionsträger gesprochen werden. Mit dem „Schutz einer bestimmen Funktionsbeziehung“ ist der auf Seiten des Eingreifenden zu beachtende rechtsstaatliche Verfahrensablauf gemeint, dessen Einhaltung die Handlung erst zu einer rechtmäßigen macht. Funktionsträger dürfen nur in Ausübung ihrer Funktion unter Einhaltung eines bestimmten vorgeschriebenen Verfahrens in die Rechtsgüter des Berechtigten eingreifen. Die „normative Garantie“ bei dem Rechtsgutseingriff umschließt die Einhaltung eines bestimmten vorgeschriebenen Verfahrens, ohne dessen Einhaltung die Maßnahme rechtswidrig ist. Abgekürzt ließe sich auch von einem dem Berechtigten garantierten „Schutz durch Verfahren“ sprechen. Die Unbeachtlichkeit des „hypothetisch rechtmäßigen Ersatztäterverhaltens“ wenigstens bei den „personengebundenen oder besser funktionsbezogenen Rechtfertigungsgründen“ erklärt sich aus der Gewährleistung der Entscheidung des Einwilligenden für die Rechtsgutsbeeinträchtigung gerade durch eine bestimmte Person. Sachlich ist damit kein anderer Sachverhalt als die Erhaltung des „unbedingten Achtungsanspruches der Person“ vor der Beeinträchtigung durch eine nicht legitimierte Person gemeint. Der normative Grund für die Garantie der selbstbestimmten Entfaltung in den eigenen Rechtsgütern beruht auf der inhaltlichen Beschreibung des geschützten Rechtsguts. Die Reduzierung des „unbedingten Achtungsanspruches“ auf diese beschränkte Gewährleistung gerade bei „personengebundenen Rechtfertigungsgründen“ erschöpft das geschützte Rechtsgut allerdings nicht. Erneut ist es eine inkonsequente „Objekts-Auffassung“, die eine abweichende Aufgabenbestimmung der strafrechtlichen Gewährleistungsnormen ermöglicht.

133 Vgl. auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 54; Rudolphi, in: SK § 1 StGB Rdn. 61.

412 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

bb) Auseinandersetzung (1) Kritik an der Unterscheidung Bereits die Differenzierung zwischen „personengebundenen oder besser funktionsbezogenen“ und „lagegebundenen Rechtfertigungsgründen“ ist angreifbar. Auch bei lagegebundenen – „sachlichen“ – Rechtfertigungsnormen ist ein „subjektiver Einschlag“ auszumachen: Die Nothilfe soll nicht „gegen den Willen“, sondern nur vorbehaltlich des ausdrücklich oder aus den Umständen des Einzelfalls zu erschließenden Willens des Angegriffenen geübt werden dürfen.134 Dieses „Bestimmungsrecht“ des Angegriffenen ergibt sich aus der Betroffenheit seines Individualrechtsguts, was ihm die Entscheidung für die Verteidigung, deren Umfang, das Mittel und die Person seiner Wahl einräumt. Wenn die grundsätzliche Berechtigung der von Rudolphi entwickelten sinnvollen Beschränkung des Intensivierungsprinzips hinsichtlich der Erlaubnisse nach dem „Schutzzweck der Norm“ nicht in Zweifel gezogen werden soll, dann reicht die Unbeachtlichkeit von „hypothetischen Ersatzursachen“ jedenfalls weiter als bisher. „Bestimmungsrechte“ dürfen in keinem Sachverhalt überspielt werden. (2) Wertungswiderspruch Die Behandlung der Fallgruppe des „hypothetisch rechtmäßigen Ersatztäterverhaltens“ kann für den größeren Sachzusammenhang der „hypothetischen Einwilligung“ nicht unberücksichtigt bleiben. Die Einwilligung ist gerade ein „personenbezogener Rechtfertigungsgrund“.135 In ganz besonderem Maße ist die Einwilligung im jeweiligen Arzt-Patienten-Verhältnis ein „Vertrauensbeweis“, durch den der Patient einer bestimmten Person die Befugnis einräumt („Bestimmungsfunktion“), in seine Rechtsgüter einzugreifen. Sie ist nicht einfachstes Mittel eines sachlich zu verstehenden Objektschutzes vor Verletzungen durch einen offenen Personenkreis. Den Berechtigten mögen triftige Gründe geleitet haben, gerade einer bestimmten Person gegenüber eine Einwilligung zu erteilen, etwa weil er in jahre-/jahrzehntelanger vertrauensvoller Verbindung zu dem Arzt steht („Hausarzt“), weil er sich Fachkenntnisse und/oder ganz spezielle Fähigkeiten von der Person im Umgang mit seinen Rechtsgütern verspricht (Spezialisten), die eine besondere Schonung seiner Rechtsgüter erwarten lassen.136 „Bloß weil 134 Vgl. etwa Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 54 f.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 15 Rdn. 118. 135 Vgl. Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 98.

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“

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ein Rechtsgut gegenüber demjenigen, dem die Verletzung durch Einwilligung gestattet worden ist, keinen Schutz mehr genießt, bedeutet das [aber] nicht, dass es auch gegenüber anderen schutzlos ist.“137 Denkbar ist dieser Vertrauensbeweis bzw. diese Verantwortungszuweisung nur unter der Voraussetzung einer ordnungsgemäß aufgeklärten wirksamen Einwilligung des Patienten. Zwischen den Fallgruppen des „rechtmäßig handelnden Ersatztäters“ und der „hypothetischen Einwilligung“ ergibt sich ein Wertungswiderspruch. Nach dem „Schutzzweck der Norm“ (Einwilligung) ist es für den rechtswidrig handelnden Arzt unbeachtlich, dass einem anderen Arzt gegenüber eine rechtlich beachtliche Einwilligung tatsächlich erteilt wurde („rechtmäßiges Ersatztäterhandeln“). Immerhin liegt eine wirksame Einwilligung vor. Das geschützte Rechtsgut war dem Zugriff einer wenn auch anderen Person freigegeben. Allein der rechtswidrig handelnde Arzt kann sich nicht auf die im Tatzeitpunkt tatsächlich vorliegende, rechtlich wirksame Einwilligung des Patienten berufen. Demgegenüber ist die „hypothetische Einwilligung“ nur ein „bloßes fiktives Potential“ einer Einwilligung, die im Tatzeitpunkt hypothetisch hätte vorliegen können, aber tatsächlich nicht vorgelegen hat. Das geschützte Rechtsgut ist gar nicht freigegeben worden. Der rechtswidrig handelnde Arzt stützt sich nur darauf, dass der Patient seine Einwilligung im Tatzeitpunkt hypothetisch gegeben hätte, wenn er gefragt worden wäre. Er hat ihn nicht befragt; mag er deshalb auch die Konsequenzen tragen. Wenn aber schon das Berufen des rechtswidrig eingreifenden Täters auf eine im Tatzeitpunkt tatsächlich vorhandene, rechtliche wirksame Einwilligung unbeachtlich sein soll, das geschützte Rechtsgut wenigstens einer anderen Person gegenüber freigegeben ist, dann kann es demgegenüber nicht ohne Widerspruch für beachtlich gehalten werden, dass sich der rechtswidrig handelnde Arzt auf eine im Tatzeitpunkt nur „hypothetische Einwilligung“ berufen darf, bei der das geschützte Rechtsgut gegenüber niemanden freigegeben ist. Er darf es „erst-recht“ nicht. Die „hypothetische Einwilligung“, bei der das missachtet wird, behandelt den Patienten im Vergleich der jeweils rechtswidrig eingreifenden Ärzte schlechter, wenn es an der Erteilung einer wirksamen Einwilligung überhaupt fehlt. Wenn aber die „Rechtsgutsverlorenheit“ das ausschlaggebende Kriterium sein soll, dass bei der objektiven Erfolgszurechnung zu berücksichtigen ist, dann ist es weitaus konsequenter, die „tatsächliche Preisgabe des Rechtsschutzes“ schwerer zu gewichten als die nur „hypothetische Preisgabe“. Dann aber 136 137

Vgl. auch Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 5 207. Vgl. Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 98.

414 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

wäre dem Berufen des Arztes auf einen bereitstehenden rechtmäßig handelnden Arzt eher stattzugeben als wenn es überhaupt an der Erteilung einer wirksamen Einwilligung fehlt. Aber das harmoniert nicht mit dem von Rudolphi entwickelten Gedanken des „Schutzzwecks der Norm“. Es ist daher umgekehrt nur konsequent, den rechtswidrig handelnden Ärzten das Berufen auf eine Einwilligung abzuschneiden, die ihnen gegenüber überhaupt nicht erklärt worden ist. In beiden Fällen beruht die Ablehnung auf der Erhaltung des „unbedingten Achtungsanspruches“ des Berechtigten, dessen selbstbestimmter Umgang mit seinen Rechtsgütern gewährleistet werden soll. c) Vorläufige Zusammenfassung In anderen Fallgruppen werden „hypothetische Ersatzursachen“ bei der objektiven Erfolgszurechnung überwiegend für unbeachtlich gehalten. Der maßgebliche Grund hierfür liegt in der Erhaltung der „normativen Garantie“ des geschützten Rechtsguts. Das steht im Widerspruch zur „hypothetischen Einwilligung“, bei der am nachhaltigsten für die Beachtlichkeit einer ganz bestimmten „hypothetischen Ersatzursache“ eingetreten wird. Aus dem Vergleich mit den Fallgruppen der „hypothetischen Eigen-/Opferschädigung“ und des „hypothetisch rechtmäßigen Ersatztäterverhaltens“ bei „personengebundenen Rechtfertigungsgründen“ ergibt sich aber, dass die „hypothetische Einwilligung“ eine durchaus inkonsequente Einzelfalllösung ist, bei der grundsätzlich anerkannte Wertungen, die gegen eine Berücksichtigung „hypothetischer Ersatzursachen“ sprechen, zugunsten eines unsystematischen Toposdenkens im Arztstrafrecht aufgegeben werden. Auch bei der „hypothetischen Einwilligung“ geht es um die Erhaltung der normativen Garantie, den Patienten als „Subjekt der Behandlung“ (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG) ernst zu nehmen. III. Die Bewahrung der „Aktwerte rechtlicher Gesinnung“ als „tiefere Aufgabenbestimmung“ des Strafrechts („Handlungsseite“) Die inhaltliche Beschreibung des geschützten Rechtsguts erschöpft die Problematik der „Grundentscheidung zur Funktion strafrechtlicher Normen“ jedoch nicht. Die Kritik an der „hypothetischen Einwilligung“ beginnt mit der inhaltlichen Beschreibung des geschützten Rechtsguts („Erfolgsseite“). Sie wird erst mit der „Erhaltung der Aktwerte rechtlicher Gesinnung“ vollendet („Handlungsseite“).

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“

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1. Der Schutz der „Aktwerte rechtlicher Gesinnung“ bei Welzel

a) Welzel hat über die Zielbestimmung des Strafrechts als „bloßer Rechtsgüterschutz“ hinausgewiesen.138 Der materielle Gehalt der Strafrechtssätze sei nicht der „bloße Rechtsgüterschutz“, sondern der „zentrale Orientierungspunkt“ sei die „Erhaltung der rechtlichen Gesinnungswerte“. In ihnen sei der Güterschutz als bedingtes Teilmoment wesensmäßig mitenthalten.139 Welzel richtete sich gegen eine „Überbetonung der Erfolgsbetrachtung“ im Strafrecht, gegen den „bloßen Zweck“ des allgemein anerkannten Rechtsgüterschutzes, indem er die nach seinem Dafürhalten nur ungenügend beachtete „eigenständige Bedeutung“ der „sozialethischen Funktion des Strafrechts“ an deren Seite stellte. Welzel bestimmte die „primäre“, die „zentrale“ oder die „tiefste Aufgabe“ des Strafrechts dahin, durch Strafdrohung und Strafe für den „wirklich betätigten Abfall“ von den Grundwerten rechtlichen Handelns die „unverbrüchliche Geltung dieser Aktwerte“ sicherzustellen.140 Sie seien das „stärkste Fundament“, das den Staat und die Gemeinschaft trage. „Bloßer Rechtsgüterschutz“ habe nur eine negativ-vorbeugende, polizeilich-präventive Zielsetzung. Die „tiefste Aufgabe“ des Strafrechts sei dagegen positiv-sozialethischer Natur: Indem es den wirklich betätigten Abfall von den Grundwerten rechtlicher Gesinnung verfeme und bestrafe, offenbare es in der eindrucksvollsten Weise, die dem Staat zur Verfügung stehe, die unverbrüchliche Geltung dieser positiven Aktwerte, 138 Vgl. zudem Gallas, Beiträge 12 ff. Auch Niese, JZ 1956 463 ist der Überzeugung, dass sich das Strafrecht „in erster Linie“ gegen den in der Straftat enthaltenden „gesinnungsmäßigen Handlungsunwert“ richte. Hinter § 216 StGB stehe die Einsicht der Bestrafung auch desjenigen, der einen Todkranken von seinen Leiden befreie, weil er das „Gebot der absoluten Achtung menschlichen Lebens“ missachtet habe. Auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 35 betont die hohe Bedeutung des „menschlichen Lebens“. Das rechtfertige die „prinzipielle“ Tabuierung dieses höchstpersönlichen Rechtsguts. Es werden auch keine ausnahmsweisen Zugeständnisse gemacht (§ 216 StGB). Dadurch soll die Achtung vor dem „menschlichen Leben“ schlechthin gestärkt werden. Genauso werde der Sachbeschädiger und der Brandstifter bestraft, der ein fremdes Wohnhaus anzünde, obgleich es am nächsten Tage von einem Bombenvolltreffer vollkommen zerstört worden wäre, denn das Strafrecht ahnde allein die „sozialethisch verwerfliche Sachbeschädigungshandlung“, vgl. Niese, JZ 1956 463. Sehr eindrucksvoll außerdem Peters, Kriminalpädagogik 17: Im Strafrecht liegen „ethische Grundnormen“ verborgen, die nicht nur nicht übertreten, sondern auch bejaht sein sollen. In dem Augenblick, in dem gegen die Strafrechtsnormen verstoßen worden sei, haben sie im Grunde schon versagt, da sie jedenfalls in dem Einzelfall ihre sittenbildende Aufgabe nicht erfüllt haben. Das Strafgesetz wolle nicht, dass niemand ermordet werde, sondern dass das Leben geachtet werde. Der positive Anspruch, der in den Strafrechtsnormen enthalten sei, sei sogar der wesentliche Inhalt. 139 Vgl. Welzel, in: FS für Kohlrausch 106 f.; ders., Lehrbuch 4. 140 Vgl. Welzel, Lehrbuch 2 f.; ders., in: FS für Kohlrausch 106.

416 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

forme das sozialethische Urteil der Bürger und stärke ihre bleibende rechtstreue Gesinnung.141 Welzel war der Auffassung, dass es dem Strafrecht weniger auf das „aktuelle positive Ergebnis der Handlung“ als auf die „bleibende positive Handlungstendenz der Rechtsgenossen“ ankomme. Die Achtung vor den Rechtsgütern zu sichern, sei wichtiger, als im aktuellen Einzelfall ein [zufälliges] positives Ergebnis zu erreichen. Nur über die Sicherung der elementaren sozialethischen Handlungswerte sei ein wirklich dauerhafter und durchgreifender Schutz der Rechtsgüter zu erreichen. Durch die umfassendere sozialethische Funktion des Strafrechts werde der Rechtsgüterschutz tiefer und stärker gewährleistet als durch den alleinigen Güterschutzgedanken.142 Zusammenfassend bestimmte Welzel die Aufgabe des Strafrechts als den Schutz der elementaren sozialethischen Gesinnungswerte und erst darin eingeschlossen der Schutz der einzelnen Rechtsgüter.143 Die praktische Bedeutung dieser Lehre wird am Beispiel des Scharfrichterfalls144 exemplifiziert, wenn also ein zum Tode verurteilter Verbrecher eigenmächtig getötet wird.145 Hinter dem Tötungsverbot stehe nicht der 141

Vgl. Welzel, Lehrbuch 3. Vgl. Welzel, Lehrbuch 4. 143 Vgl. Welzel, Lehrbuch 4. 144 Vgl. 5. Kap. § 2 C. I. 1. b) cc) (2). 145 Schon der rechtshistorische Rückblick bestätigt die lang andauernde, nunmehr durch die „hypothetische Einwilligung“ um einen weiteren Fall ergänzte Auseinandersetzung über den Zweck des Strafrechts, die Rechtsgenossen in der „Erhaltung ihrer beständigen Gesinnung“ zu bestärken. Es ist keineswegs ein erst in jüngerer Zeit aufkeimender Versuch, hypothetische Ersatzursachen für das Strafrecht verwertbar zu machen. Nicht ausschließlich, aber doch in seinen wesentlichen Teilen hat sich die Problematik um die Todesstrafe gedreht. „Nicht selten“ ist die Ansicht vertreten worden, „die Tödtung eines zum Tode Verurteilten von Seiten desjenigen, der hiezu durch keinen Auftrag des Staats ermächtigt sei, [ist] kein Verbrechen, kein Mord [. . .], weil dadurch nicht wider das Recht des Anderen auf Leben gehandelt werde“, vgl. Abegg, ArchCrimR NF 11. Bd. (1827) 628. Eine Bestrafung sollte nach den Angaben Feuerbachs allein aus dem Eingriff in staatliche Hoheitsrechte („Polizeiübertretung“) erfolgen, vgl. ders. Lehrbuch § 34, man vielmehr, worauf etwa auch Würfel, Rechtmäßiges Alternativverhalten 119 hinweist, von einem „Eingriff in die Rollenverteilung unserer Rechtsordnung“ sprechen könne, weil nicht jeder alles tun dürfe. Abegg, ArchCrimR NF 11. Bd. (1827) 634 hat auf einen entscheidenden Mangel der Lehre Grolmans, CrimRW § 259 und Feuerbachs, Lehrbuch § 34 hingewiesen: Es seien die „Grundprincipien des Strafrechts, welche wesentlich auch eine ethische Seite haben. Das zeigt auch die Erfahrung, dass, wo ein Volk oder Einzelne das Sittliche verkennen, vergebens das bloße Gesetz sie auf dem Wege des Rechts erhalten will, und so ist auch überhaupt das Recht eines Volks mit seiner Sitte in wesentlicher Verbindung.“ Diese Einsichten haben zu einer allgemeinen Aufgabe der Grolman-Feuerbach’schen Ansicht und zu der durchgängigen Regel geführt, dass „an einem zum Tode Verurtheilten, eben so wie an einem 142

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“

417

nackte Güterschutzgedanke, der reine Zweck, der eine Verurteilung des Täters bei einem am Rechtsgüterschutz ausgerichteten Strafrecht aus §§ 212, 211 StGB ganz sinnlos erscheinen lassen müsse, wenn das Leben des Opfers bereits hinfällig oder sozial wertlos gewesen sei. Die Sinnlosigkeit des Rechtsgüterschutzes trete immer dort hervor, wo das geschützte Gut unwichtig oder bedeutungslos werde.146 Dagegen gehe es dem Tötungsverbot um die „Aufrechterhaltung eines Aktwertes“, der „Erhaltung der beständigen Gesinnung“, nämlich der uneingeschränkten „Achtung vor fremden Leben“ „unabhängig von der Bedeutung des einzelnen Gutes“. Deshalb müsse auch der Täter, welcher hinfälliges Leben vernichte, aus einem Tötungsdelikt bestraft werden. Ansonsten könnte, worauf schon Feuerbach hinauswollte, der Täter im Schafrichterfall allenfalls wegen eines unerlaubten Eingriffs in staatliche Hoheitsrechte verantwortlich gemacht werden. Der Gedanke der erlaubten Lynchjustiz oder gar der Privatrache erschien Welzel ebenso unerträglich wie in höchstem Maße gefährlich.147 Welzel kämpfte gegen eine „Utilitarisierung des Strafrechts“, bei der Recht bzw. Unrecht einer Handlung nach dem Grad der Sozialnützlichkeit bzw. Sozialschädlichkeit bestimmt werden. Ein „bloßer Rechtsgüterschutz“ habe eine starke Utilitarisierung und Aktualisierung der Wertbeurteilung zur Folge. Die Funktionalisierung von nicht verrechenbaren Werten sollte verhindert werden, etwa die Achtung vor der Menschenwürde, vor dem Leben usw.148 b) aa) Eine „Ethisierung des Strafrechts“, bei der die „üble Gesinnung“ schlechthin bestraft wird, ist mit der von Welzel angedeuteten Aufgabenbestimmung nicht verbunden,149 wenn es bei einer Bestrafung der auf eine tatbestandliche Rechtsgutsbeeinträchtigung gerichteten Gesinnung bleibt. Der Unterschied zwischen Ethik und Recht bleibt unangetastet.150 Todkranken, das Verbrechen der Tödtung begangen werden könne“, vgl. Geib, Beiträge 579 mwN, der die Grolman-Feuerbach’sche Ansicht weniger auf Quellen des positiven Rechts als vielmehr allgemeine Prinzipien zurückführte. Er glaubte diese Ansicht bis ins Römische Recht zurückverfolgen zu können, vgl. eingehend ders., aaO. 580 ff. 146 Vgl. Welzel, in: FS für Kohlrausch 110. 147 Vgl. Welzel, in: FS für Kohlrausch 109 f.; vgl. auch ders., Lehrbuch 4. 148 Vgl. Welzel, in: FS für Kohlrausch 108 ff.; vgl. deutlich ders., Lehrbuch 3 f.; vgl. eingehend Hassemer, in: NK Vor § 1 StGB Rdn. 250 mwN. 149 Vgl. zu diesem Vorwurf Hassemer, Theorie 89 ff.; ders., in: NK Vor § 1 StGB Rdn. 249; Lampe, Unrecht 93 f.: Die eigentliche Aufgabe sei nicht mehr der Rechtsgüter-, sondern der Aktwertschutz. Vgl. auch Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 2. 150 Vgl. vor allem so auch Welzel, Lehrbuch Einl. 2: „wirklich betätigter Abfall“ von den Werten rechtlichen Handelns; vgl. weiter Hassemer, in: NK Vor § 1 StGB Rdn. 252; Otto, ZStW 87 (1975) 559; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 2 Rdn. 106.

418 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

Welzel war vielmehr darum bemüht, den Rechtsgüterschutz in ein viel umfassenderes System zu stellen. Sachlich wird der Gehalt dieser Aufgabenbestimmung heute zum Teil ausdrücklich anerkannt. Es sei der „Weg eines wirksamen, wenn nicht sogar der einzig effektive Weg des Rechtsgüterschutzes gewiesen.“151 In der Beförderung der „sozialethischen Gesinnungswerte“ soll das Dogma vom Rechtsgüterschutz erst vollendet werden.152 Es wird anerkannt, dass der Rechtsgüterschutz über sich hinausweise, die Geltung sozialethischer Gesinnungswerte vielmehr die Bedingung der Möglichkeit des Rechtsgüterschutzes sei.153 Hassemer ist der Überzeugung, dass sich in einer „Welt von Teufeln [. . .] Rechtsgüter auch durch extremen Rechtszwang nicht schützen lassen“.154 Wenn der Rechtsgüterschutz nicht erreichbar sei ohne die Sicherung der sozialethischen Handlungswerte, dann sei die erste Aufgabe des Strafrechts in der Tat die Verteidigung dieser Werte. Ohne sie wäre die Hoffnung auf den Schutz der Rechtsgüter trügerisch.155 bb) Welzel hält man allenfalls die Verwechslung des „Mittels“ mit dem „Zweck“ vor.156 Der „Zweck“ des Strafrechts sei der Rechtsgüterschutz. Die „Erhaltung der Aktwerte der rechtlichen Gesinnung“ sei mit den „Mitteln“ des Strafrechts zu erreichen. Damit ist die general- und spezialpräventive Funktion des Strafrechts gemeint.157 In positiver Hinsicht soll die Strafe eine abschreckende Wirkung auf andere entfalten, die in dem Fall sind, gleiches Unrecht zu tun. In negativer Hinsicht soll sie der Erhaltung und Stärkung des Vertrauens in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung dienen. Eine wesentliche Teilfunktion der positiven Generalprävention ist der „sozialpädagogisch motivierte Lerneffekt“,158 die „Einübung der Rechtstreue“159 der Rechtsgenossen, eben in Welzels Worten: die „Erhaltung der Aktwerte rechtlicher Gesinnung“.

151

Vgl. Otto, ZStW 87 (1975) 559. Vgl. Hassemer, in: NK Vor § 1 StGB Rdn. 251; vgl. auch schon Abegg, Fn. 145. 153 Vgl. Hassemer, Theorie 91; ders., in: NK Vor § 1 SGB Rdn. 251. Vgl. auch das Konzept der „Einübung in Normanerkennung“ bei Jakobs, Strafrecht AT 1. Abschn. Rdn. 15 mwN zu ähnlichen Modellen. 154 Vgl. Hassemer, in: NK Vor § 1 StGB Rdn. 251. 155 Vgl. Hassemer, Theorie 91 f. 156 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 2 Rdn. 106. 157 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 2 Rdn. 106; vgl. auch Hardtung, in: MüKo § 222 StGB Rdn. 41. 158 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 3 Rdn. 27. 159 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT 1. Abschn. Rdn. 15. 152

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“

419

2. Die Übertragung dieses Gedankens auf die „hypothetische Einwilligung“

a) Strafrecht als Vertypung von real existierenden Erwartungshaltungen Mit der „hypothetischen Einwilligung“ nimmt das Strafrecht auf das real existierende Erwartungsverhältnis im Arzt-Patienten-Verhältnis Einfluss. Um diesen Einfluss des Strafrechts als Schutzrecht offenzulegen, dass durch die Aufstellung von Pflichten zu einem bestimmten Verhalten, einen bestimmten tatbestandlichen Erfolg zu vermeiden, anleiten soll,160 bedarf es eines Blickes auf die hinter den Straftatbeständen stehenden real existierenden Verhaltenserwartungen. Strafnormen sind die Vertypung („Vertatbestandlichung“) von real existierenden Verhaltenserwartungen in der Gesellschaft,161 deren Nichtbefolgung durch den Gesetzgeber nicht nur als negativ, sondern sozialschädlich bewertet wird.162 Der Inhalt der real existierenden Verhaltenserwartung, deren Nichtbeachtung die strafrechtliche Verantwortung als pflichtwidriges Verhalten begründet, ist aus den tatsächlichen Verhältnissen in der speziellen Situation im sozialen Miteinander zu entwickeln.163 b) Die real existierende Erwartungshaltung bei der ärztlichen Aufklärungspflicht Im Arzt-Patienten-Verhältnis ist die Pflicht des Arztes näher zu betrachten, sich vor der ärztlichen Behandlung einer ordnungsgemäß aufgeklärten Einwilligung des Patienten zu versichern. Im „Surgibone“-Dübelfall164 geht der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs von folgendem Grundsatz aus: „Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und ist im Grundsatz heute auch in der Ärzteschaft unumstritten, dass ärztliche Heileingriffe grundsätzlich der Einwilligung bedürfen und dass diese Einwilligung nur wirksam erteilt werden könne, wenn der Patient in der gebotenen Weise [. . .] aufgeklärt worden ist.“165 In der Sache teilt auch die Wissenschaft diesen Standpunkt, 160

Vgl. Brammsen, Garantenpflichten 98; Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 23. Vgl. Brammsen, Garantenpflichten 99 muwN: „generalisierte normative (enttäuschungsfeste) Verhaltenserwartungen, welche stets aufgrund von Tatsachen gebildet werden“. 162 Vgl. Brammsen, Garantenpflichten 99 f.; Gössel, ZStW 96 (1984) 322. 163 Vgl. Brammsen, MDR 1989 124. 164 Vgl. Einl. § 1 III. 165 Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70; vgl. auch BGH BGHR § 223 StGB Heileingriff 2 3; NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252; NStZ 2004 442 = JR 469, 470; BGH NStZ-RR 2007 340, 341. 161

420 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

denn die „hypothetische Einwilligung“ soll nichts an der Pflichtwidrigkeit des Eingriffs ändern.166 Der Eingriff hätte nur nach sachgerechter Aufklärung stattfinden dürfen.167 Erwartet wird daher die Einholung einer rechtlich wirksamen Einwilligung durch eine gewissenhafte, vollständige und wahrheitsgemäße Aufklärung des Patienten. Von diesem Grundsatz macht der Bundesgerichtshof ersichtlich keine Ausnahmen. Die Selbstbestimmungsaufklärung168 soll erwartungsgemäß daher jedem Patienten zuteil werden, der sich vertrauensvoll in ärztliche Behandlung begibt. Erst die Vermittlung der erforderlichen Informationen gewährleistet, dass jeder Patient eine eigenverantwortliche Einwilligung geben kann, und wird dem modernen Leitbild der Rechtsprechung vom Patienten gerecht, ihn als „Subjekt der Behandlung“ ernst zu nehmen („Selbstbestimmungskonzept“). „Das Erfordernis der Einwilligung [. . .] hat seine normative Wurzel in den grundlegenden Verfassungsprinzipien, die zu Achtung und Schutz der Würde und der Freiheit des Menschen und seines Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit verpflichten, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG.“169 c) Die praktische Wirkung des Strafrechts auf diese Erwartungshaltung aa) Der Schutz des Strafrechts nach der Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ Mit der Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ wird dieser Ausgangspunkt allerdings inkonsequent aufgegeben. Das Strafrecht bleibt hinter dieser real existierenden Erwartungshaltung zurück, indem es mit seinen general- und spezialpräventiven Mitteln die ärztliche Aufklärung „in der [rechtlich] gebotenen Weise“ nach dem „Vermeidbarkeitsgedanken“ nicht mehr in allen Fällen der Heilbehandlung garantiert, sondern vornehmlich in solchen der „sicheren“ Voraussicht der Nichteinwilligung des Berechtigten. Wäre hingegen die „hypothetische Einwilligung“ „sicher“ voraussehbar oder bliebe das, was der praktisch häufigste Fall sein dürfte, ex ante „zweifelhaft“, so könnte der Arzt „praktisch“ straflos gegen die Pflicht verstoßen, den Patienten in ordnungsgemäßer Weise aufzuklären. Objektiv ließe sich das strafbarkeitsbegründende Erfordernis des „an Sicher166

Vgl. etwa Kuhlen, JR 2004 227 Fn. 6. Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122. 168 Zum Begriff der Aufklärungspflicht (ieS.), die für die Wirksamkeit der Einwilligung bedeutsam ist vgl. 11. Kap. § 1 B. II. 169 Vgl. BVerfG 52 131, 173. 167

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“

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heit grenzenden“ Nachweises der Nichteinwilligung des Berechtigten bei pflichtgemäßer, fiktiver Aufklärung nicht erbringen. Der strafrechtliche Schutz soll allerdings bei der Bestrafung des Handlungsunrechts (Versuch) beginnen. Diesem (Irr-)Glauben ist aber zu begegnen.170 Bei Fahrlässigkeit hat der Gesetzgeber ein verbleibendes Handlungsunrecht ohnehin nicht unter Strafe gestellt. Würde das Zurechnungserfordernis ernsthaft umgesetzt, so würde sich die strafrechtliche Garantie der ärztlichen Aufklärung „in der (rechtlich) gebotenen Weise“ praktisch auf die Fälle einer „sicher“ vorhersehbaren Nichteinwilligung des Berechtigten beschränken. bb) Die (Un-)Beachtlichkeit der Berufspflicht Weil der Rechtsgüterschutz nicht mehr absolut, sondern relativ in Abhängigkeit von der „hypothetischen Einwilligung“ des Berechtigten gewährleistet wird, sind auch Spekulationen über die Aussichten der „körperlichen Unversehrtheit des Menschen“ gestattet. Das Strafrecht hindert die Ärzteschaft abgesehen von Fällen „sicher“ vorhersehbarer Nichteinwilligung des Berechtigten nicht, diese Spekulationen fakultativ zur Grundlage ihres Handelns zu machen. Das „Ob“ und das „Wie“ der Wahrnehmung der ärztlichen Aufklärungspflicht ist nicht mehr verbindliche Berufspflicht, sondern steht vielmehr im Belieben der selbstinterpretierten Berufsauffassung des jeweiligen Arztes. Die „verbindliche“ Berufspflicht des Arztes, die Achtung des Patienten als „Subjekt der Behandlung“ (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG) wird praktisch zur „freiwilligen Berufspflicht“ umgestaltet. Der Arzt kann sich von dieser Pflicht leiten lassen, er kann dem Patienten allerdings auch jede Heilmethode oder jedes Risiko aufzwingen, das die lex artis noch deckt, bis an die Grenze des Machbaren.171 cc) Zusammenfassende Bewertung Von der Aufklärung des Berechtigten soll aber auch dann nicht abgesehen werden dürfen, wenn der Berechtigte mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ eingewilligt hätte oder wenn das „in dubio pro reo“ zu Gunsten des Arztes zu unterstellen ist. Von der ärztlichen Aufklärung soll, 170

Vgl. E. Oberhalb dieser Grenze beginnt der Bereich des nicht weniger schwierig zu beurteilenden Behandlungsfehlers bzw. Kunstfehlers. Vgl. Puppe, GA 2003 769; dies., Strafrecht AT Bd. 1 § 22 Rdn. 4; dies., JR 2004 471; vgl. auch Otto, Jura 2004 683. 171

422 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

wie es theoretisch immer wieder zutreffend erinnert wird, bis auf ganz wenige Ausnahmekonstellationen des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB)172 prinzipiell gar nicht abgesehen werden dürfen. Hinter den Körperverletzungsdelikten (§§ 223 StGB ff.) steht nicht allein der Zweck der bloßen Erhaltung der „Körperintegrität“, sondern der Zweck der Erhaltung des Achtungsanspruches des Patienten in seinen Rechtsgütern als „Subjekt der Behandlung“ („Erfolgsseite“). Darüberhinaus ist die Erhaltung gerade der „beständigen Gesinnung“ der Ärzte vor dem Achtungsanspruch des Berechtigten das Anliegen („Mittel zum Zweck des Rechtsgüterschutzes“) der Körperverletzungsdelikte („Aktseite“). Mit der Unverbrüchlichkeit des Rechtsgüterschutzes soll nicht allein das zufällige positive Ergebnis einer Übereinstimmung mit dem „wirklichen Willen“ des Patienten im Einzelfall bezweckt werden, sondern die bleibende positive rechtliche Gesinnung, die positive sozialpsychologische Wirkung auf die Ärzte für die große Vielzahl der zukünftigen Fälle der ärztlichen Aufklärung. Der Rechtsgemeinschaft soll das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und die daraus abgeleitete Aufklärungspflicht als eine, wie Weber-Steinhaus zutreffend erinnert, „Institution“ ernst nehmen müssen und achten.173 Diesem Anliegen ist eine Relativierung der „körperlichen Unversehrtheit“ abträglich.174 Diese Kritik wird in der Wissenschaft zum Teil auch für Fälle außerhalb des Arztstrafrechts vorgetragen, bei denen der Tabuierungsgedanke („Verbot der Ausnahme“) bisweilen die allein tragende Wertung gegen eine Anerkennung „hypothetischer Reserveursachen“ ist.175 IV. Die Gegeneinwände Samsons für sein Intensivierungsprinzip 1. Gegen den Korrumpierungsgedanken wird von Samson zur Legitimation seines Intensivierungsprinzips eingewendet, dass die Behauptung, die 172

Vgl. hierzu Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 63, 89, 127. Vgl. Weber-Steinhaus, Ärztliche Berufshaftung 268. 174 Sinngemäß stellt auch Puppe, GA 2003 769 f., 776; dies., Strafrecht AT Bd. 1 § 22 Rdn. 4; dies., JR 2004 470 ff. für die konkrete Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ klar, dass es bei den Verfahren gegen fehlerhaft aufklärende Ärzte nicht ausschließlich um deren Bestrafung gehen könne, sondern um eine „Verdeutlichung“ des problematischen Sachverhalts „durch ein öffentliches Verfahren“. Die Pflicht des Arztes, der Entscheidung des Patienten nicht eigenmächtig zuvorzukommen, sondern durch Einhaltung der ärztlichen Aufklärungspflicht eine ordnungsgemäße Entscheidung zu ermöglichen, soll ins Bewusstsein gebracht werden. 175 Vgl. Sternberg-Lieben, Objektive Schranken 146 ff. für § 216 StGB. 173

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“

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reinen Eingriffe ohne Schädigungserfolg bewirken eine Korrumpierung der allgemeinen Achtung vor der Unantastbarkeit der Rechtsgüter, nur richtig sein könne, wenn die Rechtsgemeinschaft nicht in der Lage wäre, zwischen den neutralen und solchen Eingriffen zu unterscheiden, die die Lage des konkreten Tatobjekts verschlechtern. Gerade das „unverbildete Rechtsgefühl“ berücksichtige aber sehr deutlich die Tatsache, dass ein Erfolg genau gleicher Intensität eingetreten wäre. Von einer korrumpierenden Wirkung der Eingriffe ohne Schädigungserfolg könne daher nicht gesprochen werden.176 Mit der Differenzierungsleistung der Rechtsgenossen, die zwischen Eingriffen „mit“ und „ohne“ Schädigungserfolg unterscheiden, ist die „korrumpierende Wirkung“ abgeschlossen. In der Vorstellung der Rechtsgenossen ist die Absolutheit des Wertes eben nicht mehr vorhanden, sondern nur vorbehaltlich „spezieller Fallgruppen“. Dem Rechtsgenossen ist die Relativität des Wertes umso bewusster, je genauer die Fallgruppe in dem Konglomerat der denkbaren Sachgestaltungen beschrieben werden kann. Der Gedanke einer „Chancenlehre“ ist als allgemeines Prinzip zu vage, um dem Rechtsgenossen als Orientierung zu dienen.177 Er wäre abgeschreckt, das Risiko einer möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigung und Bestrafung auf sich zu nehmen. Auch die Voraussetzungen des Intensivierungsprinzips sind überaus eng gesteckt. Von dieser Wirkung bleibt aber bei der „hypothetischen Einwilligung“ nichts übrig. Bei dieser Rechtsfigur werden bestimmte Sätze in klar definierbaren Strukturen beschrieben: Ärztliche „Aufklärungsmängel [können] nur dann zur Strafbarkeit wegen Körperverletzung [. . .] führen, wenn die Einwilligung . . .“. Die „hypothetische Einwilligung“ ist bereits derart „konkret“, dass sie, statt in dem allgemeinen Prinzip der „Chancenlehre“ „unterzugehen“, vielmehr scharf konturiert hervortritt. 2. Nicht grundsätzlich anders ist der Einwand zu behandeln, dass eine Korrumpierung der Rechtsgenossen nicht zu besorgen sei, weil die im Rahmen des Saldomodells erörterten Fallgestaltungen praktisch selten seien.178 Aber das ist eben jenseits „abenteuerlichster Fallgestaltungen“ nicht mehr zutreffend, wenn sich aus dem Konglomerat der möglichen Fälle des Saldo176

Vgl. Samson, Hypothetische Kausalverläufe 105. Wenig hilfreich sind dem Rechtsgenossen die Beispielsfälle, in denen er einen anderen Menschen in dem Augenblick soll straflos töten dürfen, in dem dieser sonst auf einem unrettbar verlorenen Schiff mitversunken, von einem Blitz getroffen worden wäre usw. 178 Von Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten 563 Fn. 199, 564, 567 wird mehrfach auf den exzeptionellen Charakter der hier behandelten Fallgestaltungen hingewiesen; vgl. auch Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 102: „praktisch ohne Bedeutung“; Stratenwerth, Strafrecht AT I, 3. Aufl. § 8 Rdn. 228. 177

424 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

modells ganz konkrete Fallgruppen herauskristallisieren lassen. Hierzu gehört die „hypothetische Einwilligung“. Hier liegt die Einwilligung des Berechtigten nicht derart fern, dass sie als ein ganz außergewöhnlicher Umstand gewertet werden müsste. In der Wissenschaft wird die „Chancenlehre“ mit dem hier beschriebenen „Sinn der Erfolgsdelikte“ vielfach abgelehnt. Hierher gehören etwa Frisch,179 Hardtung180 und Jakobs.181,182 Die „hypothetische Einwilligung“ ist ein weiteres Beispiel einer verpönten Überbetonung des „bloßen Rechtsgüterschutzes“ vor der vernachlässigten Einübung, Bestärkung und Verfestigung der beständigen positiven rechtlichen Gesinnung der Rechtsgenossen („Aktwert“).

C. Die Bedeutung der „hypothetischen Einwilligung“ für das Arzt-Patienten-Verhältnis I. Die Verkennung des Sinns der ärztlichen Aufklärungspflicht Die „hypothetische Einwilligung“ beruht auf einem prinzipiell abzulehnenden Sinnverständnis der Einwilligung und der ärztlichen Aufklärungspflicht. Am Schutz des Patienten als „Subjekt der Behandlung“ (Steffen) 179

Auf die „negativen sozialpsychologischen Auswirkungen für das Gut insgesamt“ weist auch Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten 564 hin. Das „sozialpädagogische Konzept des Strafrechts“ intendiere für den Bereich der Erfolgsdelikte die Hervorhebung der auf ihrer Erfolgsfähigkeit beruhenden Unwertigkeit bestimmter Verhaltenstypen, nicht dagegen will es die Zweckmäßigkeit und werterhaltende Effizienz des Strafrechts im konkreten Fall überhaupt demonstrieren, vgl. ders., aaO. 567. 180 Jüngst hat Hardtung, in: MüKo § 222 StGB Rdn. 41 neben dem hypothetisch rechtswidrigen Verhalten eines Dritten auch andere Ersatzursachen im Rahmen des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs für unbeachtlich gehalten. Das folge aus der „Aufgabe des Strafrechts“ und den dafür vorgesehenen Mitteln der General- und Spezialprävention. Zutreffend wird an die „personenbezogene Verantwortung“ des Rechtsgenossen vor dem Strafrecht erinnert, denn das Strafrecht könne und soll das Verhalten eines jeden einzelnen Rechtsunterworfenen durch Strafandrohung und Strafverhängung steuern. Diese Verhaltenssteuerung könne nur über die Verantwortung einer Person für ihr eigenes (Fehl-)Verhalten verwirklicht werden. 181 Das „Prinzip vom tatsächlich zu leistenden Schutz“ leidet auch Jakobs zufolge an der Schwäche, die Bedeutung eines Verhalten zu einseitig aus dem Saldo der Effekte herauszulesen, dabei aber die Handlungsgestalt zu vernachlässigen, vgl. Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 91 Rdn. 144; ders., in: FS für Lackner 60 Fn. 11. Es gehe auch um die „Tabuierung von Handlungen“, vgl. ders., in: FS für Lackner 62 Fn. 13. Durch die Chancenlehre werde die „Eindeutigkeit des Verbots“ geschwächt, vgl. ders., in: FS für Lackner 62. 182 Vgl. auch Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 136.

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“

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(Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG) führt es prinzipiell vorbei, wenn von einem Sinnverständnis der ärztlichen Aufklärung ausgegangen wird, bei der „die durch Aufklärung geschärfte Wachsamkeit des Patienten“ der „vermeintlichen Unvernunft des Arztes“ gegenübertritt. Hierbei wird grundsätzlich verkannt, dass es bei der ärztlichen Aufklärung nicht um die „Verhinderung einer unvernünftigen ärztlichen Entscheidung“ geht, sodass bei einer hypothetisch ordnungsgemäßen Aufklärung eine Einwilligung nicht erteilt worden wäre. Der ärztlichen Aufklärungspflicht geht es stattdessen um die Ermöglichung einer eigenverantwortlichen Entscheidung des Patienten im Umgang mit seiner „körperlichen Unversehrtheit“, bei der eine bereits aus der Sicht der medizinischen Indikation als vernünftig ausgewiesene Entscheidung nachvollzogen werden soll.183 II. Die negativen Entwicklungen im Medizinsystem 1. Mit der „hypothetischen Einwilligung“ wird die ärztliche Aufklärungspflicht zu einer mehr oder minder unverbindlichen Richtlinie für den ärztlichen Berufsstand umgestaltet.184 Damit begibt sich die Rechtsprechung selbst der Möglichkeit, steuernd auf den zur Wahrung der Selbstbestimmung für erforderlich gehaltenen Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht für die Zukunft Einfluss zu nehmen, weil die Rechtsfigur der „hypothetischen Einwilligung“ weitestgehend jeden korrigierenden Versuch im Nachhinein „niederwalzt“. Das Interesse der Ärzte an der Kenntnis der Reichweite der ärztlichen Aufklärungspflicht aus juristischer Perspektive wird eher verloren gehen, solange sie sich der „helfenden“ „hypothetischen Einwilligung“, die zudem „in dubio pro reo“ zu unterstellen ist, „gewiss“ sein können. 2. Patienten werden bei Anerkennung dieses Rechtsgedankens in die Hände von „Kurpfuschern“ getrieben, die „gewissenlos sichere Heilung“ versprechen, während mitunter mehrere „gewissenhafte“ Ärzte aus gutem Grund von einer angedachten Operation abgeraten haben. Dem besonders unbeholfenen, dem naiven, dem verängstigten (Durchschnitts-)Patienten wird gegenüber solchen Ärzten, die sich nicht mehr oder gerade noch im Rahmen des medizinisch Vertretbaren halten, nur noch bedingt strafrechtlicher Schutz der Selbstbestimmung garantiert. 3. Das Arzt-Patienten-Verhältnis nimmt mit der „hypothetischen Einwilligung“ eine negative Entwicklung. Der „gewissenhafte“ Berufsstand der Ärzte, der nach wie vor das allerhöchste Ansehen unter den freien Berufen genießt, befürchtet einen weiteren nicht abzuschätzenden Achtungsverlust 183 184

Vgl. eingehend 3. Kap. § 3 B. III. 2. Vgl. B. III. 2. b) bb).

426 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

in der Gesellschaft mit allen seinen negativen Konsequenzen. Haftungsprivilegien braucht der „gewissenhafte“ Berufsstand nicht, denn er hat weder Haftpflicht noch Strafe zu fürchten. Wenn er von der Aufklärungspflicht abweicht, dann werden ihn aus medizinischer Sicht höchst nachvollziehbare („Fürsorgepflicht“) und rechtlich ausreichend zu würdigende Gründe leiten. Er wird diese Gründe dem Patienten auch nachher mitteilen können, ohne sogleich das Vertrauensverhältnis in Gefahr zu bringen. Für fehlerhaftes Berufsverhalten steht er hingegen eher ein, als sich „schüchtern“ auf Haftungsprivilegien zu berufen. Haftungsprivilegien kommen vornehmlich der mehr oder minder großen Nachlässigkeit oder dem zweckfremden Verständnis vom Berufsbild zugute. Beides ist nicht von strafrechtlicher Verantwortung freizustellen. Der zu befürchtende Ansehensverlust beruht zu einem guten Teil darauf, dass sich Patienten der ärztlichen Aufklärung und Behandlung nicht mehr ohne eine von ihnen gewählte und vom behandelnden Arzt unabhängige Kontrollinstanz („Vertrauensärzte“) „anvertrauen“ werden. Vorteilhaft an diesem System ist gewiss die Optimierung des Wissens der Patienten. Dem stehen jedoch kaum absehbaren Konsequenzen gegenüber. Die Patienten sehen sich in der mitunter sehr unangenehmen Lage, ihr persönliches Leiden weiteren Personen offenlegen zu müssen, damit ihre Interessen bestmöglich gewahrt werden können. Im Arzt-Patienten-Verhältnis stehen sich auch nicht „Vertragsparteien“, die „unterschiedliche Zwecke“ verfolgen, unter unabhängiger Beratung durch einen „Vertrauensarzt“ gegenüber. Das Arzt-Patienten-Verhältnis wird durch ein reines Schuldverhältnis auch nicht annähernd sachgerecht erfasst. An die Stelle von Vertrauen und Verantwortung treten dann von vornherein Misstrauen, Argwohn, Bevormundung, Kontrolle. Schutzmechanismen sind darüberhinaus mit Finanzierungsaufwand verbunden, den nicht jeder leisten kann. Der Achtungsverlust vor dem Arzt bedingt und wird bedingt durch die zunehmende Neigung zur nachträglichen gerichtlichen Kontrolle von Misserfolgen. Das Arzt-Patienten-Verhältnis wird im anschließenden Verfahren noch weiter gestört. Für die Öffentlichkeit ist ein solches Strafverfahren ohne näheres Eingehen auf die einzelnen Umstände ein weiterer Beleg für „Kurpfuscherei“. Mitleid bringt die Gesellschaft eher dem in seiner Lebensführung mitunter schwer getroffenen Kranken entgegen und vernachlässigt, dass die Gründe für den Misserfolg häufig nicht im Verhalten des Arztes, sondern in der Unberechenbarkeit des menschlichen Körpers zu suchen sind. Über den nachhaltigen Ansehensverlust unberechtigt erhobener Vorwürfe gegen den konkret betroffenen Arzt bedarf es kaum der Worte.

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“

427

Diese möglichen Entwicklungen des Medizinsystems sind neben der Sache. Hier droht die real existierende Verhaltenserwartung in der Gesellschaft gegenüber Ärzten verloren zu gehen, indem das Vertrauensverhältnis im Arzt-Patienten-Verhältnis durch die „hypothetische Einwilligung“ gestört wird.

D. Zusammenfassung 1. Gegen den Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ als eine Ausprägung der „Chancenlehre“ spricht maßgeblich die „Grundentscheidung zur Funktion strafrechtlicher Normen“. Der Zweck der Verbotsnormen ist nicht die „endgültige“ Erhaltung der Rechtsgüter, was schon deshalb wenig überzeugend ist, weil Rechtsgüter nicht dauerhaft, sondern endlich sind. Die „Funktion strafrechtlicher Normen“ besteht in dem prinzipiellen Tabuieren der Einmischung in die Erfolgsherbeiführung, indem die Einmischung in die „Genesis eines Erfolges“ zum Anknüpfungspunkt der strafrechtlichen Erfolgszurechnung gemacht wird. Eine Stellungnahme über die „Grundentscheidung zur Funktion strafrechtlicher Normen“ berührt zwei Probleme. Die „Grundentscheidung“ über die Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ kann abschließend nur unter Berücksichtigung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte („Erfolgsseite“) und der Bedeutung der „Aktwerte rechtlicher Gesinnung“ („Handlungsseite“) getroffen werden. a) Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.), nämlich die „körperliche Unversehrtheit“, lässt sich aber nicht auf das „materielle Gut“ verkürzen.185 Daher geht es beim Rechtsgüterschutz um mehr als um den bloßen Schutz eines „konkret“ verstandenen Guts. Das Rechtsgut ist „eine bestimmte, in den einzelnen Tatbeständen näher beschriebene, reale Beziehung des Rechtssubjekts zu konkreten von der Rechtsgesellschaft anerkannten Werten (‚soziale Funktionseinheiten‘)“, „in der sich das Rechtssubjekt mit Billigung durch die Rechtsordnung personal entfaltet“.186 In der Sache bedeutet das einen Schutz des Patienten nicht allein in „seiner Integrität, sondern als Subjekt der Behandlung“ (Steffen).187 In diesem Anspruch wird er durch den medizinischen Paternalismus – die ärztliche Heilbehandlung ohne eine vorhergehend aufgeklärte Einwilligung – 185

Vgl. eingehend 3. Kap. § 2 D. III. Vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 32; ders., Struktur 33; ders., in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 8; ders., in: FS für Geerds 610. 187 Vgl. Steffen, in: Verhandlungen 52. DJT Bd. II 26. 186

428 7. Kap.: Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“ bei Erfolgszurechnung

endgültig missachtet. Der Patient ist zum „Objekt“ ärztlicher Vernunfthoheit gemacht worden. Der Anspruch des Patienten, als „Subjekt der Behandlung“ wahrgenommen zu werden, beruht auf medizinischen und rechtlichen Erwägungen. Es ist höchst ungenau, den „Subjektanspruch“ des Patienten vornehmlich aus rechtlichen Erwägungen zu begründen, indem Bezug genommen wird auf die inhaltliche Beschreibung des geschützten Rechtsguts der „körperlichen Unversehrtheit“, während die medizinische Wissenschaft zunehmend die medizinische Bedeutung der willentlichen Einbindung des Patienten in dem naturgesetzlich nicht determinierten Heilungsprozess hervorhebt. b) Der „bloße Rechtsgüterschutz“ erschöpft jedoch den vollen Gehalt der „Funktion strafrechtlicher Normen“ nicht. Die „hypothetische Einwilligung“ ist vor allem deshalb abzulehnen, weil sie die Bedeutung der „Aktseite“ („Handlungsseite“) der strafrechtlichen Normen vernachlässigt. Auch mit der „hypothetischen Einwilligung“ kommt es wie im Rahmen jedes „Chancenmodells“ zu einer Relativierung das „Ansehens“188 oder der „Achtung der Rechtsgüter“.189 Mit der „Chancenlehre“, die auf einem „relativen Unrechtserfolgsbegriff“ aufbaut, wird jedoch die „Eindeutigkeit des Verbots“, nämlich die Rechtspflicht, einen bestimmten tatbestandlichen Erfolg zu vermeiden, nachhaltig geschwächt.190 Die prinzipielle Ablehnung einer jeden Relativierung des geschützten Rechtsguts im Rahmen der „objektiven Erfolgszurechnung“ – gleich ob bei der Kausalität oder der objektiven Erfolgszurechnung –, wie sie die „hypothetische Einwilligung“ bestreitet, verfolgt den „tieferen Sinn“, dass Bewusstsein der Rechtsgenossen vor der Unantastbarkeit der Rechtsgüter des Berechtigten einzuüben, zu erhalten und noch weiter zu verfestigen. Das Strafrecht verfolgt nicht den Zweck eines „bloßen Rechtsgüterschutzes“, der nur eine negativ-vorbeugende, polizeilich-präventive Zielsetzung hat. Die „tiefste Aufgabe“ des Strafrechts ist positiv-sozialethischer Natur: Die Verfemung und Bestrafung des wirklich betätigten Abfalls von den Grundwerten rechtlicher Gesinnung offenbart am eindrucksvollsten die unverbrüchliche Geltung dieser positiven Aktwerte, formt das sozialethische Urteil der Bürger und stärker ihre bleibende rechtstreue Gesinnung.191 Erst mit dieser umfassenderen sozialethischen Funktion des Strafrechts wird der Rechtsgüterschutz „tiefer und stärker gewährleistet“ als durch den alleinigen Güterschutzgedanken.192

188 189 190 191 192

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Jakobs, in: FS für Lackner 63. Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 136. Jakobs, in: FS für Lackner 62. Welzel, Lehrbuch 3. Welzel, Lehrbuch 4.

§ 3 Die rechtliche Bewertung der „hypothetischen Einwilligung“

429

Gegen die Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ im Rahmen der objektiven Erfolgszurechnung spricht ein konsequentes personales Rechtsgutsverständnis und die „Funktion strafrechtlicher Normen“. 2. Die „hypothetische Einwilligung“ beruht darüberhinaus auf einem prinzipiell abzulehnenden Sinnverständnis der Einwilligung und der ärztlichen Aufklärungspflicht. 3. Mit der Anerkennung dieses Rechtsgedankens droht dem Arzt-Patienten-Verhältnis langfristig erheblicher Schaden.

Achtes Kapitel

Die Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“ § 1 Hinführung zur Problematik Die verschiedenen Konstruktionen der „hypothetischen Einwilligung“, die in Wahrheit auf der „Lehre vom Chancensaldo“ beruhen, sind allerdings nicht nur materiell-rechtlich, sondern auch formell-rechtlich problematisch. Mit ihnen geht objektive und subjektive Zurechnung „verloren“, denn die Herbeiführung einer nicht durch eine Einwilligung gerechtfertigten Rechtsgutsbeeinträchtigung soll kein Unrecht sein, wenn das Rechtsgut auch bei einer „hypothetischen Einwilligung“ beeinträchtigt worden wäre. Die „hypothetische Einwilligung“ verlangt ein weiteres „in dubio pro reo“ zu entscheidendes Beweisthema, das eine Lehre vom Unrecht als „wirkliches, objektiv feststehendes Ereignis“ nicht anerkennt. Bei der „hypothetischen Einwilligung“ werden daher – wie bei jeder „Chancenlehre“ – grundsätzlich und besonders dann Nachteile bei der Sicherung des Bestandes des Rechtsguts in Kauf genommen, wenn sich mit dem Beweisthema der „hypothetischen Einwilligung“ gerade typischerweise objektive und/oder subjektive Nachweisschwierigkeiten einstellen.1 Diese sind aber nicht nur nach materiellem Recht vollkommen unnötig.2 Vielmehr kommt es hierdurch auch zu einer problematischen „Verschiebung von Zurechnung“:3 Ein Vollendungs1 Vgl. zur „Chancenlehre“ im allgemeinen Jakobs, in: FS für Lackner 62; Kindhäuser, ZStW 120 (2008) 483, 499 ff.; Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 136. 2 Vgl. Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 136. 3 Kein Argument gegen das Saldomodell ist das bei der „Hypothesenbildung“ immer zu gegenwärtigende Problem, was auch im Rahmen der Bedingungsformel kritisch angemerkt worden ist, wonach Zurechnung „verschoben“ wird und unter Umständen weder Täter noch Ersatztäter für den Erfolg verantwortlich gemacht werden können: Der Täter befreit sich etwa mit dem Hinweis auf den Ersatztäter und dieser wiederrum kann nicht verantwortlich gemacht werden, weil er den Erfolg tatsächlich nicht herbeigeführt hat, vgl. etwa Kühl, JR 1983 34. Es könnte unter Umständen niemand für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, vgl. auch Baumann/ Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 14 Rdn. 17; Würfel, Rechtmäßiges Alternativverhalten 113. Wiederholt wird das Argument auch von Weber für die Fallgruppe des hypothetischen rechtmäßigen Handelns, wonach ein Abwälzen der Haftung auf von einem auf den anderen Täter nicht zugelassen werden dürfe, vgl. Baumann/Weber/

§ 2 Das Beweisthema und seine Einschränkungen

431

wird – bestenfalls – zu einem Versuchsunrecht zurückgestuft,4 doch kann das unter Umständen sogar zur völligen Straflosigkeit – fehlende Strafbarkeit des Versuchs (§ 23 Abs. 1 StGB), problematischer Nachweis der subjektiven Tatseite und Fahrlässigkeit – führen. Darüberhinaus provozieren Nachweisschwierigkeiten immer auch Gefahren der Manipulation. In diesen befürchteten, typischerweise eintretenden Nachweisschwierigkeiten liegt auch der Grund für die vielfältigen Versuche, die Anforderungen an den Nachweis der „hypothetischen Einwilligung“ herabzusetzen oder mit der Risikoerhöhungslehre das Beweisthema zu verändern.

§ 2 Das Beweisthema der „hypothetischen Einwilligung“ und seine Einschränkung A. Der geforderte „Zusammenhang“ als Beweisthema I. Die Einschränkung der freien richterlichen Überzeugungsbildung bei der „hypothetischen Einwilligung“ 1. Die „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ nach der Vermeidbarkeitstheorie

Der Bundesgerichtshof sieht die Unschuldsvermutung des Arztes nur widerlegt, wenn die „hypothetische Nichteinwilligung“ des Patienten zur vollen Überzeugung des Gerichts festgestellt ist (§ 261 StPO). Als Beweismaßpunkt wird nach allgemeinen strafprozessualen Grundsätzen der Nachweis der „hypothetischen Nichteinwilligung“ mit „Sicherheit“5 oder mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verlangt.6 Das hat Kuhlen in seinen früheren Schriften zur „hypothetischen Einwilligung“ unterstützt.7 Mit Mitsch, Strafrecht AT § 14 Rdn. 17 f. Unabhängig von der Art der Reserveursache hat Jakobs, in: FS für Lackner 60 zutreffend das grundsätzliche Problem im Verhältnis von wirkenden zu hypothetischen Risiken beschrieben: Für das hypothetische Geschehen sei nicht zu haften, hingegen scheiden wirkliche Risiken aus, da ein Risiko in Reserve stehe. Von der Überzeugungskraft dieses Einwands bleibt allerdings nichts, denn das Saldomodell gibt keine Erklärung für den Erfolg als „wirkliches, objektiv feststehendes Ereignis“, sondern für den „relativen Unrechtserfolg“. Der Topos vom „Chancensaldo“ tritt als unrechtsbegründendes Merkmal neben die zu erklärende Wirklichkeit, vgl. zutreffend Jakobs, in: FS für Lackner 60. 4 Vgl. Mitsch, JZ 2005 284; vgl. auch Jakobs, in: FS für Lackner 62. 5 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 125. 6 Vgl. auch Duttge, in: FS für Schroeder 184; Kühne, Strafprozessrecht § 56 Rdn. 947; Ranft, Strafprozessrecht § 60 Rdn. 1638. 7 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 342 Fn. 62: „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“.

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

dem objektiven Beweismaßpunkt der „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ ist die „objektive“, die „materielle Wahrheit“ oder „Gewissheit“ noch nicht erreicht, doch begibt man sich damit „in den Grenzbereich“ zwischen Wahrscheinlichkeit und Wahrheit.8 Für die richterliche Überzeugungsbildung ist diese objektive Bestätigungsgrad jedoch nicht zu verlangen.9 Über die Vergangenheit ist logisch immer nur ein Wahrscheinlichkeitsurteil aufgrund induktiven Schlusses aus Indizien denkbar.10 In den vielen denkbaren Vorgängen, die im „geistigen Bereich des Innern des Menschen“ ab- oder die über die Psyche eines Menschen verlaufen, könnte dem objektiven Beweismaß der „Sicherheit“ oder der „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ nicht mehr genügt werden.11 Bei der „hypothetischen Einwilligung“ ist immer eine „spontane“, „aus dem Bauch heraus“ getroffene Einwilligung des Berechtigten vorstellbar.12 Das Tatgericht könnte wohl nur in den allerseltensten Fällen eine Verweigerung der Einwilligung als objektiv gegeben annehmen und müsste zusätzlich noch jenseits jedes „leisesten“ oder „fernliegendsten Zweifels“ subjektiv davon überzeugt sein. In diesem Sinne warnt Duttge für die Fallgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ zu Recht vor einem regelmäßig zu erwartenden non-liquet.13 Dieser objektive Bestätigungsgrad verlangt daher zu viel. 2. Der „hohe Grad an Wahrscheinlichkeit“

In der Rechtsprechung wird die Formel von der „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ tatsächlich auch nicht „ernst genommen“.14 Heute15 muss neben die subjektive Überzeugung im Sinne einer „subjekti8

Vgl. Herdegen, StV 1992 533. Vgl. BGH NJW 1988 3273; NJW 1992 921, 923; StV 1990 439; StV 1990 533; StV 1990 534; StV 1991 452; NStZ 1990 402. Vgl. grundlegend Herdegen, StV 1992 533; vgl. weiter Gollwitzer, in: Löwe/Rosenberg § 261 StPO Rdn. 7; Kuhlen, JR 2004 229; Schlüchter, in: SK § 261 StPO Rdn. 53; Stuckenberg, in: KMR Vor § 261 StPO Rdn. 26; vgl. auch Kühne, Strafprozessrecht § 56 Rdn. 947 f.: „Sicherheit“, die es ohnehin nicht geben wird und kann. 10 Vgl. Stuckenberg, in: KMR § 261 StPO Rdn. 17; enger Herdegen, StV 1992 532: „nur selten“. 11 Vgl. so auch Duttge, in: FS für Schroeder 184; Herdegen, StV 1992 532, der auch die subjektive Tatseite zu dem mit diesem objektiven Bestätigungsgrad kaum noch zu handhabenden Bereich rechnet. Vgl. auch insgesamt kritisch zur „materiellen Wahrheit“ Krauß, in: FS für Schaffstein 427; Schünemann, in: FS für Pfeiffer 481. 12 Vgl. Paeffgen, in: FS für Rudolphi 209; Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 84 Fn. 337. 13 Vgl. Duttge, in: FS für Schroeder 184. 14 Vgl. Herdegen, StV 1992 533. 9

§ 2 Das Beweisthema und seine Einschränkungen

433

ven Gewissheit von der Existenz“, nämlich einem „Fürwahrhalten“, nicht nur einem „Fürwahrscheinlichhalten“, die „hohe objektive“, das heißt die „hochgradige Wahrscheinlichkeit“ des zugrundeliegenden objektiven Geschehens als objektives Beweismaß treten.16 a) Notwendig ist die Festlegung eines objektiven Kriteriums, dass der Nachprüfung zugänglich ist, damit aus „Überzeugung“ nicht „Überredung“ wird:17 Mit der „hohen Wahrscheinlichkeit“ sei ein Grad der Bestätigung der Sachverhaltsannahmen erreicht, der das Ergebnis einer „intersubjektiv akzeptablen, das heißt für jedermann, sofern er den erforderlichen Sachverstand besitzt, kritisch diskutierbaren, in hohem Maße plausiblen, rationalen Argumentation“ sei.18 Das objektive Kriterium soll einen Ausgleich zwischen der „Effektivität des Strafrechts“ und der „Nähe zur Wahrheit“ ermöglichen.19 Es geht um den Interessenkonflikt zwischen der „Verhängung von Strafe als notwendiges Mittel zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung“ und dem „Schutz des Rechtsgenossen vor Fehlurteilen“. Quantifizieren lässt sich die „hohe Wahrscheinlichkeit“ jedoch nicht.20 Sie ist vielmehr als „Ausdruck rationaler Argumentation“ zu erfassen, als deren Folge sich der intersubjektive Eindruck von der hohen Wahrscheinlichkeit des Beweisergebnisses „zwangsläufig“ einstellt.21 15 Nach der früheren „extrem subjektivistischen Position“ des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs war für die Überzeugungsbildung im Sinne von § 261 StPO nach einer eingehenden Formulierung die „persönliche Gewissheit [des Richters] [. . .] für die Verurteilung notwendig, aber auch genügend“, vgl. BGHSt 10 208, 209, 211. Zur eingehenden Kritik an dieser subjektiven Beweiswürdigungstheorie Herdegen, NStZ 1987 197 ff.; ders., StV 1992 528 ff. 16 Vgl. BGH NJW 1988 3273; NJW 1992 921, 923; StV 1990 439; StV 1990 533; 1990 534; StV 1992 7; NStZ 1990 402; vgl. besonders Herdegen, StV 1992 532 f. mwN; anerkennend auch Gollwitzer, in: Löwe/Rosenberg § 261 StPO Rdn. 7; Schlüchter, in: SK § 261 StPO Rdn 53; Stuckenberg, in: KMR § 261 StPO Rdn. 26 f. muwN. 17 Vgl. Stuckenberg, in: KMR § 261 StPO Rdn. 27. 18 Vgl. Herdegen, StV 1992 533. Dabei soll nur die Sachverhaltsannahme als bewiesen gelten, die nach den Methoden des Faches, in dem der Beweis zu führen sei, wenn nicht exakt nachprüfbar, so doch für diejenigen, die diese Methoden beherrschen, die also sachkundig sind, kritisch diskutierbar und nach ihrem Urteil adäquat erklärt worden seien. Annahmen, die nicht nach fachspezifischen Kriterien intersubjektiver rationaler Diskussion und Kontrolle unterworfen werden können, die nur „aus der Eigenart des Urteilenden erklärbar“ seien, haben lediglich die Bedeutung eines psychischen Phänomens, vgl. dazu Herdegen, StV 1992 530; vgl. kritisch Peters, Strafprozessrecht § 37 XI 299. 19 Vgl. Herdegen, StV 1992 533; vgl. auch Stree, In dubio pro reo 13. Ungenügend ist daher die „einfache Wahrscheinlichkeit“. 20 Vgl. auch Kühne, Strafprozessrecht § 57 Rdn. 957. 21 Vgl. Herdegen, StV 1992 533; Schoreit, in: KK § 261 StPO Rdn. 4; Stuckenberg, in: KMR § 261 StPO Rdn. 28.

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

b) Das objektive Beweismaß hat nur eine Schutzfunktion „nach unten“, es belässt dem erkennenden Gericht jedoch Raum zur „gewissenhaften Entscheidung“ innerhalb dieses objektiven Rahmens.22 Ein Sachverhalt ist erst erwiesen, wenn das „für wahr gehalten“ wird, was mindestens in hohem Maße wahrscheinlich ist.23,24 Da nur ein „hoher Grad an Wahrscheinlichkeit“ verlangt wird, bedarf es der inneren Überzeugung gerade des Gerichts, dass heißt eines „Gewissheitserlebnisses“, dass es den Sachverhalt für „wahr“ hält. Hat das Gericht demnach den „leisesten“ oder den „fernliegendsten Zweifel“, so ist es nicht überzeugt.25 Das „Fürwahrscheinlichhalten“ ersetzt das „Fürwahrhalten“ nicht.26 Der subjektive Zweifel kann jedoch nur beachtlich sein, wenn er nicht „unvernünftig“ ist. Er muss auf Fakten gestützt oder aus ihnen abgeleitet werden können. Der „vernünftige Zweifel“ habe seine Grundlage in rationaler Argumentation. Er sei nicht Privatsache.27 Neben den „objektiven“ kann somit der „subjektive“ Zweifel treten. Sie sind nicht identisch.28 Die „hypothetische Nichteinwilligung“ hält das Gericht auch dann nicht „für wahr“, wenn es trotz Erreichens des objektiven Bestätigungsgrades subjektiv den „leisesten“ oder „fernliegendsten Zweifel“ hegt, sofern der Zweifel „vernünftig“ ist, also auf Fakten – „konkrete Anhaltspunkte“ – gestützt und rational begründet werden kann. Der objektive „vernünftige Zweifel“ beginnt hiernach unterhalb des „hohen Grades der Wahrscheinlichkeit“, wenn ein intersubjektives, rationales Nachvollziehen nicht mehr möglich ist,29 der subjektive „vernünftige Zweifel“ beginnt unterhalb des Beweismaßes des „Fürwahrhaltens“. 22 Vgl. zur Verantwortungsfunktion der subjektiven Überzeugung Gollwitzer, in: Löwe/Rosenberg § 261 StPO Rdn. 7; Herdegen, StV 1992 533; Stuckenberg, in: KMR § 261 StPO Rdn. 21. 23 Vgl. Fezer, StV 1995 99. Zum Einfluss von verstandesmäßigen Erwägungen sowie des Gefühls auf die innere Überzeugung, vgl. Gollwitzer, in: Löwe/Rosenberg § 261 StPO Rdn. 7 muwN. 24 Vgl. Herdegen, StV 1992 533; vgl. auch Gollwitzer, in: Löwe/Rosenberg § 261 StPO Rdn. 7; Kühne, Strafprozessrecht Rdn. 947; Peters, Strafprozessrecht § 37 XI 298; Schlüchter, in: SK § 261 StPO Rdn. 53; Schoreit, in: KK § 261 StPO Rdn. 2; Stuckenberg, in: KMR § 261 StPO Rdn. 20 ff. 25 Ist dagegen der Sachverhalt derart eindeutig, dass es er subjektive Zweifel nicht mehr zulässt, dann ist zu verurteilen, vgl. BGH NStZ 1982 478, 479; 1990 28; Fezer, StV 1995 100. 26 Vgl. Gollwitzer, in: Löwe/Rosenberg § 261 StPO Rdn. 9; Schlüchter, in: SK § 261 StPO Rdn. 53; Schoreit, in: KK § 261 StPO Rdn. 2; Stuckenberg, in: KMR § 261 StPO Rdn. 24. 27 Vgl. Herdegen, StV 1992 534; vgl. auch Gollwitzer, in: Löwe/Rosenberg § 261 StPO Rdn. 8; Schlüchter, in: SK § 261 StPO Rdn. 53; Schoreit, in: KK § 261 StPO Rdn. 4; Stuckenberg, in: KMR § 261 StPO Rdn. 23 mwN. 28 Vgl. Herdegen, StV 1992 534. 29 Vgl. Herdegen, StV 1992 532.

§ 2 Das Beweisthema und seine Einschränkungen

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3. Die restriktive Handhabung des „Zweifelsgrundsatzes“ in der Wissenschaft

In der Wissenschaft schlagen Kuhlen und Rönnau eine restriktive oder „enge Handhabung“ des Grundsatzes „in dubio pro reo“ bei der „hypothetischen Einwilligung“ vor. Damit soll den Bedenken derer Rechnung getragen werden, die mit dem Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ erhebliche Beweisschwierigkeiten und die mit ihr einhergehenden negativen Konsequenzen für die Geltung des Strafrechts befürchten. a) Die Formel der „Plausibilität“ Es wird allerdings zu wenig an objektiver Bestätigung verlangt, wenn die „hypothetische Nichteinwilligung“ des Berechtigten nur „mehr oder weniger plausibel“ dargelegt werden müsste.30 Der Beweismaßpunkt würde zugegeben die objektive Zurechnung nicht hindern, selbst wenn die hypothetische Verweigerung der Einwilligung nur eine mögliche Schlussfolgerung ist, die von dem erkennenden Gericht gleichwohl für „relativ wahr“ gehalten werden müsste. Die Annäherung an die „relative (subjektive) Wahrheit“ ist unverkennbar. Ein solcher Beweismaßpunkt überzeugt jedoch nicht. Die Plausibilität im Sinne von „Annehmbarkeit“ oder das etwas „einleuchtet“ scheint weniger der „Möglichkeit“ oder der „einfachen Wahrscheinlichkeit“ als vielmehr der „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ nahezukommen. In der Rechtsprechung des Reichsgerichts31 und des Bundesgerichtshofs ist ein derartiger Beweismaßpunkt durchaus nachzuweisen.32 Ein „mehr oder weniger“ an Plausibilität ist allerdings kein rational nachvollziehbarer, weil bereits in der Definition des Begriffs unklarer objektiver Beweismaßpunkt. Das „Fürwahrhalten“ wäre eher ein „Fürwahrscheinlichhalten“. Die intersubjektive, fachspezifisch kritisch diskutierbare, in hohem Maße plausible, rational nachvollziehende Argumentation wäre nicht mehr möglich, vielmehr wäre lediglich eine „relative“, von dem erkennenden Gericht abhängige „Wahrheit“ erforderlich. Zur „Wahrheit“ wird ein Sachver30 Vgl. Kuhlen, JR 2004 228, der die Frage nach der „hypothetischen Einwilligung“ zwar nicht nach strikten Gesetzen, aber doch „mehr oder weniger plausibel“ entscheiden will. 31 Vgl. RGSt 61 202, 206. 32 Der Tatrichter sei nicht gehindert, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen, vgl. BGH GA 1954 152, 153; vgl. auch Schoreit, in: KK § 261 StPO Rdn. 2. Das Revisionsgericht sei an nur mögliche Schlussfolgerungen des Tatgerichts gebunden, vgl. BGH StV 1992 261, 262.

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

halt aber nicht deshalb, weil „jemand von der Wahrheit durchdrungen“ ist, sondern weil er von der Person, die über den Sachverhalt befindet, abstrahiert werden kann, ohne etwas von seiner objektiven Überzeugungskraft einzubüßen.33 „Überzeugung und Bestätigung bilden keine Korrelation“.34 b) Die Formel der „bloßen Wahrscheinlichkeit“ Wenig weiterführend ist die andere Formel, wonach der Ausschluss der objektiven Zurechnung durch eine „hypothetische Einwilligung“ [. . .] „konkreter Anhaltspunkte“ bedürfe, dass der ordnungsgemäß aufgeklärte Patient seine Zustimmung erteilt hätte.35 Die Widerlegung der Unschuldsvermutung erfolgt nicht mehr durch den zweifelsfreien Nachweis einer „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ der Nichteinwilligung, sondern nur noch durch ein „Art von (faktengestützter) Wahrscheinlichkeit“.36 aa) Die Formel genügt den Anforderungen an die freie richterliche Überzeugungsbildung nicht, wenn sie im Sinne einer „bloßen (auch hohen) Wahrscheinlichkeit“ der Nichteinwilligung des Berechtigten als – womöglich ausschließlich37 – objektiven Bestätigungsgrad interpretiert wird.38 Die Unschuldsvermutung wäre widerlegt, wenn das Gericht die Nichteinwil33

Vgl. Herdegen, StV 1992 530. Vgl. Herdegen, StV 1992 532. 35 Vgl. Kuhlen, JR 2004 229. 36 Vgl. Duttge, in: FS für Schroeder 189. 37 Fraglich ist die in der Wissenschaft geäußerte Ansicht zur Anwendbarkeit des „Zweifelssatzes“ in der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ deshalb, weil sie immerhin den Anschein erweckt, dass das erkennende Gericht auf einen Sachverhalt erkennen müsse, wenn er „wahrscheinlich“, „hochwahrscheinlich“ oder sogar mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ vorliegt. So interpretiert wohl auch Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 81 Fn. 321 die Auffassung in der Wissenschaft, wonach nur „vernünftige Zweifel“ die Anwendung des „Zweifelsgrundsatzes“ ermöglichen. Bei Kuhlen, JR 2004 229; vgl. auch Rönnau, JZ 2004 804; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122 heißt es missverständlich, dass der Ausschluss [objektiver Erfolgszurechnung] [. . .] konkreter Anhaltspunkte bedürfe. Das ist entgegen Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 81, die (wohl) jeden subjektiven Zweifel genügen lassen will, dann vollauf zutreffend, wenn „unvernünftige“ (theoretische) Zweifel ausgeschlossen werden sollen, die nicht einmal auf Fakten gestützt werden können, denn absolute (objektive) Wahrheit kann nicht erzielt werden. Jedenfalls darf nicht das subjektive „Gewissheitserlebnis“ (Fezer, StV 1995 99) vernachlässigt werden, dessen Nichtvorliegen der inneren Überzeugung des erkennenden Gerichts entgegensteht, vgl. ablehnend auch Gollwitzer, in: Löwe/Rosenberg § 261 StPO Rdn. 9; Schlüchter, in: SK § 261 StPO Rdn. 53; Stuckenberg, in: KMR § 261 StPO Rdn. 24. Erst dann hält das Gericht den Sachverhalt für wahr („volle subjektive Gewissheit“). 38 Vgl. auch Schlüchter, in: SK § 261 StPO Rdn. 53. 34

§ 2 Das Beweisthema und seine Einschränkungen

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ligung des Patienten abgesichert durch bestimmte Indizien für wahrscheinlich, eventuell für hochwahrscheinlich halten würde. Eine nähere Definition des objektiven Bestätigungsgrades lässt die Formel wegen ihrer Unbestimmtheit nicht zu.39 Mit der Formel der „faktengestützten Wahrscheinlichkeit“ nähert man sich zudem an die für die freie richterliche Überzeugungsbildung nicht ausreichende „relative Wahrheit“ an. Unvereinbar wäre die Formel auch mit dem vom Bundesgerichtshof bei der „hypothetischen Einwilligung“ zugrundegelegten Beweismaß, denn nicht die bloße Wahrscheinlichkeit der Nichteinwilligung, sondern der Nachweis der Nichteinwilligung soll die Unschuldsvermutung widerlegen.40 Die Abkehr von den allgemeinen Anforderungen an die Widerlegung der Unschuldsvermutung wird auch nicht dadurch legitimiert, dass „geistige Vorgänge im Innern des Menschen“ (BGHSt 13 13) mehr als Wahrscheinlichkeitsaussagen nicht zulassen.41 bb) Soll die Formel hingegen aussagen, dass die „rein theoretische Möglichkeit“ einer Zustimmung den geforderten Zusammenhang nie ausschließen kann, sondern allein „vernünftige“, einer intersubjektiv nachvollziehbaren Argumentation zugängliche, auf „konkrete Anhaltspunkte“ gestützte Zweifel,42 so besteht in der Sache volle Übereinstimmung mit den Anforderungen an die freie richterliche Überzeugungsbildung (§ 261 StPO).43 Für die Bildung der richterlichen Überzeugung im Sinne von § 261 StPO wird nicht die Überwindung jedes „bloß abstrakt denkbaren“, jedes „philosophischen Zweifels“ verlangt.44 Eine „absolute denknotwendige Sicherheit“ – „objektive Wahrheit“ – könne der menschliche Geist nie erzielen.45 Für 39 Vgl. daher die berechtigten Zweifel an der Formel bei Böcker, JZ 2005 930; Duttge, in: FS für Schroeder 189. 40 Vgl. BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71; NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. 41 Vgl. zutreffend Duttge, in: FS für Schroeder 189; vgl. eingehend B. IV. 42 Vgl. so vor allem Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 126. 43 Vgl. so wohl Duttge, in: FS für Schroeder 189; Puppe, JR 2004 472. Der Text bei Kuhlen, JR 2004 229 dürfte missverständlich sein. 44 Vgl. BGH VRS 24 207, 210; BayObLG GA 1970 186; Gollwitzer, in: Löwe/ Rosenberg § 261 StPO Rdn. 8; Herdegen, StV 1992 532 ff.; Kühne, Strafprozessrecht § 56 Rdn. 947; Meyer-Goßner, § 261 StPO Rdn. 2; Peters, Strafprozessrecht § 37 XI 299; Ranft, Strafprozessrecht § 60 Rdn. 1638; Schlüchter, in: SK § 261 StPO Rdn. 53; Schoreit, in: KK § 261 StPO § 261 StPO Rdn. 4; Stuckenberg, in: KMR § 261 StPO Rdn. 23. 45 Vgl. BGHSt 11 1, 4: „nur eine der menschlichen Erkenntniskraft mögliche, dagegen keine unumstößliche Gewissheit“; vgl. Schoreit, in: KK § 261 StPO Rdn. 4;

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

die richterliche Überzeugungsbildung ist ein solcher Grad von objektiver Bestätigung so wenig zu fordern wie umgekehrt der „theoretische Zweifel“ dem Täter „in dubio pro reo“ zugutekommt. Die „bloß abstrakte Denkmöglichkeit“ oder die „rein theoretische Möglichkeit“ einer „hypothetischen Einwilligung“ des Berechtigten soll auch nach der Wissenschaft eine Anwendung des „Zweifelsgrundsatzes“ nicht legitimieren. Insgesamt wird vor einer Überspannung der Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung gewarnt.46 Erst Gründe, die zu „vernünftigen Zweifeln“ Anlass geben, dass heißt intersubjektiv vermittelbare, tatsachengestützte rationale Gründe, schließen die richterlicher Überzeugungsbildung aus. Sie bedürfen realer, mitzuteilender Anknüpfungspunkte.47 Der Zweifel ist nicht Privatsache. Ein ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber „vernünftige Zweifel“ nicht mehr laut werden können, genüge als Grundlage der Überzeugung.48 Nicht eine nicht näher konkretisierte „Art von (faktengestützter) Wahrscheinlichkeit“ ist das objektive rationale Fundament der Überzeugungsbildung, sondern der in „hohem Maße“ wahrscheinliche Sachverhalt.49 Unterhalb dieses objektiven Bestätigungsgrades bleibt der Sachverhalt, wenn „vernünftige Zweifel“ die Einwilligung des Patienten nicht als „in hohem Maße“ unwahrscheinlich erscheinen lassen. Hier gilt „in dubio pro reo“.50 II. Beweisgegenstand Der „hypothetische, ohne Irrtum gedachte Wille des [konkreten]51 Patienten“ ist das Beweisthema bei der „hypothetischen Einwilligung“. Der „fiktive Wille“ des Patienten, der tatsächlich nicht vorhanden ist, soll anhand von Indizien ermittelt werden. Als „konkrete Anhaltspunkte“ dienen innerhalb des „situativen Kontextes“, in dem der Patient seinerzeit vor dem Eingriff gestanden hat, seine damalige „Interessenlage“ und seine – auch nachträglichen – „Willensbekundungen“.52 Kühne, Strafprozessrecht § 56 Rdn. 947: „jedenfalls nur in den seltensten Fällen“; vgl. auch BGH NJW 1951 122 Nr. 16: „undenkbar“. 46 Vgl. Herdegen, StV 1992 532. 47 Vgl. Schoreit, in: KK § 261 StPO Rdn. 4. 48 Vgl. Gollwitzer, in: Löwe/Rosenberg § 261 StPO Rdn. 8 muwN aus der Rechtsprechung. 49 In der Tat weicht Kuhlen mit einem derartigen objektiven Bestätigungsgrad von den Forderungen der Rechtsprechung zur Vermeidbarkeitstheorie ab, vgl. Duttge, in: FS für Schroeder 189. Die Rechtsprechung nimmt die Formel von der „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ allerdings nicht ernst, vgl. oben 1. a). 50 Vgl. BGH NJW 1988 3273; StV 1991 452; StV 1992 6, 7; StV 1992 149; NStZ 1990 402; Herdegen, StV 1992 532; Schoreit, in: KK § 261 StPO Rdn. 4. 51 Vgl. hierzu 9. Kap. § 2 C.

§ 2 Das Beweisthema und seine Einschränkungen

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1. Objektive Umstände

Bei der Beurteilung der damaligen „Interessenlage“ sind die Umstände zu berücksichtigen, die außerhalb der konkreten Person des Einwilligenden objektiviert werden können. In diesem „situativen Kontext“ ist etwa seine berufliche Tätigkeit, sein privates Lebensumfeld, sein nach dem Heileingriff gezeigtes Verhalten usw. zu beachten. Von Bedeutung ist dabei auch die „medizinische Indikation“ des Heileingriffs,53 obwohl nach den Grundsätzen zur „hypothetischen Einwilligung“ im Ausgangspunkt nicht die „Erfahrungen mit dem gesamten Patientengut“, sondern die Entscheidung des konkreten Patienten mit seinen Besonderheiten und Eigenheiten in seiner „konkreten spezifischen Lage vor dem Eingriff“ die Grundlage für die Ermittlung des „hypothetischen Willens“ bilden. Daneben sind objektive Kriterien wie die Schwere und die Langwierigkeit der Erkrankung, die Heilungschancen (Erfolgsprognose) und „diskutable Behandlungsalternativen“ ebenfalls zu berücksichtigen.54 Diese Kriterien lassen jedoch keinen annähernd sicheren Rückschluss auf eine Verweigerung der „hypothetischen Einwilligung“ des „konkreten Patienten“ zu. Mit der Darlegung der medizinischen Indikation des Eingriffs ist jener objektive Grad der Wahrscheinlichkeit erreicht, der das Gericht „vernünftigerweise“ zweifeln lassen kann. Es kann nicht mehr rational nachvollziehbar begründet werden, dass der Patient seine Einwilligung angesichts der Vernünftigkeit des Eingriffs verweigert hätte. Eine wirkliche Einschränkung des „Zweifelsgrundsatzes“ bietet sich hier nicht, weil der ärztliche Heileingriff regelmäßig medizinisch indiziert und de lege artis durchgeführt sein wird. In den übrigen Fällen, wie sich anhand des Bohrerfalls, des Liposuktionsfalls und des Turboentzugsfalls nachweisen lässt, hilft die „hypothetische Einwilligung“ ohnehin nicht weiter.55 52 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 434; ders., JR 2004 229; vgl. auch Dreher, Objektive Zurechnung 83 f. 53 Vgl. Kuhlen, JR 2004 229, der zutreffend darauf hinweist, dass es auf die Entscheidung des „individuellen Patienten“ zu dem konkreten Eingriff ankomme. Andererseits bleibt er in der weiteren Begründung des Bandscheibenfalls vage, denn selbst nach der Offenlegung des Kunstfehlers spreche „viel dafür, dass die Patientin in Kenntnis der Umstände jedenfalls der Operation durch diese Ärztin nicht zugestimmt hätte.“ Trotzdem wird der „hohe Grad an Wahrscheinlichkeit“ bereits erreicht sein, der eine Anwendung des „Zweifelsgrundsatzes“ auch nach Kuhlens eigener Darstellung rechtfertigen würde. 54 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132. Auch Kuhlen, JR 2004 229 stellt unter anderem auf die „Interessenlage“ ab. Damit dürfte im Wesentlichen die medizinische Indikation gemeint sein. Vgl. auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 127. 55 Vgl. BGH NStZ 2004 442 = JR 2004 469; NStZ-RR 2007 340, 341; StV 2008 464, 465.

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“ 2. Willensbekundungen des Berechtigten

Der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs ist sich dieser Schwierigkeiten bewusst.56 Um die „besondere persönliche Situation des Patienten und seiner Einstellung“ zu erfassen, verlangt er eine nachträgliche Befragung des Patienten.57 Bei dieser nachträglichen Befragung ist man sich einig: Sie soll zu „eindeutigen“, „sicheren und glaubhaften“ Ergebnissen führen.58 a) Das regelmäßige Fehlen früherer Äußerungen des Patienten An früheren Äußerungen der Person zu einer Heilbehandlung mit ihren Chancen und Risiken, die sie nicht gekannt hat, aber hätte kennen können, wird es in der Wirklichkeit allerdings fehlen.59 Ohnehin kann dieser Sachverhalt bei Vorliegen von Anhaltspunkten für den tatsächlichen Willen des Patienten mit der Rechtsfigur der gemutmaßten („indizierten“) Einwilligung sachgerecht erfasst werden, sodass es der „hypothetischen Einwilligung“ gar nicht bedarf. b) Die nachträgliche Befragung des Patienten aa) Die im Strafrecht verpönte Betrachtung „ex post“ Der Patient kann auf seinen „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willen“ erst „nach der Tat“ befragt werden. Die „nachträgliche Hypothesenbildung“ scheidet aber als verwertbarer Faktor für die richterliche Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) wegen der im Strafrecht verpönten Betrachtung „ex post“ ohnehin aus.60

56 Vgl. etwa BGH NJW 1990 1238, 1240; 1990 2928, 2929; 1993 2378, 2379; 1998 2734, 2735. 57 Vgl. grundlegend BGH NJW 1990 2928, 2929. 58 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 442 = JR 2004 469; vgl. auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 126. 59 Vgl. zutreffend Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 80. Eine solche Ausnahme ist der „Surgibone“-Dübelfall: Der Patientin war die Möglichkeit der Verwendung von Eigenknochen-Dübeln bei HWS-Disc-Ektomien bekannt. Sie hatte sich später darauf berufen, dass sie eine grundsätzliche Abneigung gegen Fremdkörper habe. Daher war nicht einleuchtend, dass sie in den Eingriff tatsächlich unwirksam eingewilligt hatte, vgl. nur abgedruckt in BGH JR 1996 69, 71 f. 60 Vgl. 6. Kap. § 5 B.

§ 2 Das Beweisthema und seine Einschränkungen

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bb) Fehlende Rekonstruierbarkeit der „spezifischen Lage vor dem Eingriff“ Die Rechtsprechung und Lehre, die dies ignorieren, verlangen allerdings zu viel, indem sie den Patienten in seine „spezifische Lage vor dem Eingriff“ zurückversetzen wollen, aber unmöglich zurückversetzen können.61 Die „spezifische Lage vor dem Eingriff“ lässt sich theoretisch schlicht nicht rekonstruieren.62 Auch in tatsächlicher Hinsicht ist die Aussage überzogen, eine nachträgliche Befragung des Patienten führe „in vielen Fällen zu eindeutigen und glaubhaften Ergebnissen“. Für die Rekonstruktion der „spezifischen Lage vor dem Eingriff“ muss der Patient aus vielen vorstellbaren Gründen63 nicht immer zur Verfügung stehen. Ohne einen Rückgriff auf diese wesentliche Zeugenaussage im „Beweisbündel“ wird es praktisch nur noch anhand des Nachweises von „äußeren Umständen“ möglich sein, die hinreichend „hohe Wahrscheinlichkeit“ einer Verweigerung der Einwilligung zu erzielen. Das wird nur in den allerseltensten Fällen gelingen, ohne dass Restzweifel bleiben.64 Es ist einigermaßen bedenklich, den Arzt trotz eines unter Umständen „abenteuerlichen Aufklärungsmangels“ von der strafrechtlichen Verantwortung freizustellen, weil die „hypothetische Nichteinwilligung“ als „angenehmer Nebeneffekt“ des Todes des Patienten von dem Patientenvertreter oder der Staatsanwaltschaft nicht mehr plausibel gemacht werden kann.65 Beruhigend wirkt hier auch nicht das zufällige Vorliegen von aussagekräftigen Umständen im Einzelfall, denn der Zufall bleibt oft aus.66 Bezeichnenderweise wird auf die Schwierigkeiten in dieser Fallgruppe nicht weiter eingegangen. Die eindeutigen und glaubhaften Ergebnisse werden auch bei einer nachträglichen Befragung des Patienten „in vielen Fällen“ gerade ausbleiben. Bei der nachträglichen Befragung des Patienten soll es nämlich auf den „Wissenshorizont“ des Patienten ankommen, den er seinerzeit „in seiner spezifischen Situation vor dem Eingriff“ besessen hätte.67 Es ist aber beinahe ausgeschlossen, dass der Patient eine einigermaßen verlässliche Aussage 61

Vgl. Giesen, Arzthaftungsrecht 119. Vgl. Nachweise 6. Kap. § 3 C. III. 3. a) und 8. Kap. § 2 B. IV. 63 Die Diskussion konzentriert sich auf den Fall des Vorverstorbenseins des Patienten ggfs. infolge der Operation, vgl. gerade BGH NStZ-RR 2007 340; vgl. auch von Caemmerer, in: Gesammelte Schriften Bd. I 450; Otto, JK 2/05 § 228/4 StGB 1; Paeffgen, in: FS für Rudolphi 208; Sternberg-Lieben, StV 2008 192. 64 Vgl. von Caemmerer, in: Gesammelte Schriften Bd. I 450; Otto, JK 2/05 § 228/4 StGB 1; Paeffgen, in: FS für Rudolphi 208; Sternberg-Lieben, StV 2008 192. 65 Vgl. Paeffgen, in: FS für Rudolphi 208. 66 Vgl. OLG Bamberg VersR 1998 1025, 1026. 67 Vgl. eingehend 3. Kap. § 3 C. III. 62

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

über eine Sachlage machen kann, in der er nie gestanden hat. Allenfalls sind „mehr oder weniger plausible“ Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich, ob er in Kenntnis aller aufklärungsbedürftigen Umstände und unter – konsequenter – Berücksichtigung seiner damaligen Stimmungen, Anschauungen und inneren Überzeugungen (religiöse Überzeugung, sonstige persönliche Wertvorstellungen usw.) – sowie der Kenntnis über einen vorangegangenen Behandlungsfehler68 – eine Einwilligung in die ärztliche Heilbehandlung gegeben hätte. Nur in Ausnahmefällen wird die Erklärung eines Patienten aus ganz bestimmten Gründen „einigermaßen“ überzeugend sein. Dabei kann der Gefahr der Verfälschung der hypothetischen Entscheidung durch die im Strafrecht verpönte Betrachtungsweise „ex post“ nicht in ausreichendem Maße begegnet werden. Die Rechtsprechung fordert – insoweit69 – einen fiktiven, rational denkenden „Maßstabs-Homunculus“, den es tatsächlich gar nicht gibt. Die – „ex post“ beeinflusste und beeinflussbare70 – Selbsteinschätzung einer Person, wie sie sich in einer bestimmten Situation verhalten hätte, in der sie tatsächlich niemals gestanden hat, ist höchst problematisch.71 Die persönliche Tragweite einer solchen Erklärung – die meisten Patienten oder deren Eltern haben dazu überhaupt keine Gerichtserfahrung – angesichts dreier schwarzgewandeter Richter über innerste, höchstpersönliche Überlegungen, Kümmernisse, Alpträume, Befürchtungen, Zweifel, Überlegungen und Erwartungen – noch dazu verständlich artikuliert – überfordert fast jeden Beteiligten72 und ist der Nachprüfbarkeit theoretisch und praktisch entrückt.73 III. Zusammenfassung 1. Die „hypothetische Einwilligung“ und das mit ihr zusammenhängende Beweisthema des „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willens des Patienten“ ist weitaus problematischer als die übrigen bei der „Chancenlehre“ 68

Vgl. Kuhlen, JR 2004 229; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 127. Hingegen soll der Patient sich in seine „spezifische Lage vor dem Eingriff“ zurückversetzen und Stimmungen, Anschauungen und Gefühle konsequenterweise mitberücksichtigen. Das ist kein rational-denkender Maßstabs-Homunculus mehr. Eine durchaus widersprüchliche Sichtweise. 70 Vgl. 6. Kap. § 4 B. II. 2. c) bb) (4). 71 Vgl. Puppe, JR 1994 516; dies., JR 2004 470; Sternberg-Lieben, StV 2008 192; vgl. auch Engisch, in: FS für Weber 267 f., der aus diesem Grund für den Nachweis der sog. „psychischen Kausalität“ auch auf Erfahrungswerte zurückgreifen wollte. Hierin kommt das Misstrauen gegenüber der Selbsteinschätzung zum Ausdruck. 72 Vgl. Schlund, VersR 1991 815. 73 Vgl. Gropp, in: FS für Schroeder 200; vgl. eingehend 8. Kap. § 2 B. IV. 69

§ 2 Das Beweisthema und seine Einschränkungen

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erörterten Fallgestaltungen. Ob nämlich das von den Buben niedergetrampelte Feld auch durch einen Gewitterregen zerstört worden wäre,74 lässt sich durchaus rekonstruieren. Der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“ provoziert stattdessen erhebliche Nachweisprobleme, die auch in der – wenn überhaupt möglichen – Kommunikation mit anderen Personen begründet sind. Die in hohem Maße bestehende Unsicherheit beruht auf den Schwierigkeiten des beiderseitigen Verstehens, der un- bzw. bewussten, vielfältig denkbaren Beeinflussung der Aussagen und der beinahe fehlenden Möglichkeit zur Nachprüfung. 2. Man wird Kuhlen zwar insoweit zustimmen müssen, dass es praktisch nicht vollkommen ausgeschlossen ist, aus „konkreten Anhaltspunkten“ auf die „hypothetische Nichteinwilligung“ oder „Einwilligung“ zu schließen. Es treffe [wenigstens] „praktisch nicht zu“, dass die Anerkennung eines Zurechnungsausschlusses bei der „hypothetischen Einwilligung“ zu einem „unüberwindlichen Zurechnungshindernis“ führe.75 Das wird mit Riedelmeier insbesondere dann anzunehmen sein, wenn bestimmte frühere Äußerungen des Patienten zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden können, die eine Ablehnung „praktisch“ nahelegen.76 In umgekehrter Richtung nennt Lange einen Fall, wonach Patienten bei vital indizierten oder aus sonstigen Gründen notwendigen Eingriffen kaum Glauben geschenkt werden kann mit der Behauptung einer „hypothetische Nichteinwilligung“.77 Das gilt besonders bei einer nur geringen Risikorate des Eingriffs.78 Die „praktisch“ eindeutigen Fallgestaltungen der „hochgradig wahrscheinlichen“ Feststellung einer „hypothetischen Einwilligung“ sind im Wesentlichen solche, bei denen ein „echter Entscheidungskonflikt“ des Berechtigten nicht plausibel dargelegt werden kann.79 An den beiden Eckpunkten der Skala werden derart hohe Wahrscheinlichkeiten beschrieben, die die innere Überzeugungsbildung des Richters im Sinne eines „Fürwahrhaltens“ der „hypothetischen Einwilligung“ oder „Nichteinwilligung“ des Berechtigten in den konkreten Eingriff tragen können. Zwingend ist das freilich nicht, denn das subjektive „Gewissheitserlebnis“ muss noch hinzutreten; „leiseste“ oder „fernliegendeste Zweifel“ schließen es aus.80 74

Vgl. Jakobs, Studien 24. Vgl. Kuhlen, JR 2004 229 Fn. 30. 76 Vgl. Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 81. 77 Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 6 210. Ein solcher Fall lag der Grundsatzentscheidung BGHZ 90 103 zugrunde. 78 Vgl. in diese Richtung auch Puppe, GA 2003 774. 79 Vgl. zutreffend Puppe, GA 2003 774. 80 Vgl. auch Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 81. 75

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

3. Doch behaupten auch Kritiker wie von Caemmerer,81 Giesen,82 Lange,83 Medicus,84 Paeffgen,85 Puppe,86 Riedelmeier87 und Sternberg-Lieben88 nicht die „praktische Unmöglichkeit“ der Feststellung der „hypothetischen Einwilligung“. Sie weisen allerdings darauf hin, dass in den zwischen diesen beiden Sachgestaltungen liegenden Fällen das Gericht keineswegs leicht die Feststellung treffen kann,89 dass der Patient seine Einwilligung verweigert hätte. Die Problematik liegt in diesen typischerweise unter Ungewissheit zu entscheidenden Fällen. Als „konkrete Anhaltspunkte“ zur Ermittlung des „hypothetischen Willens“ dienen dabei die damalige „Interessenlage“ und die – auch nachträglichen – „Willensbekundungen“ des Patienten. Die genannten Kriterien sind allerdings nicht in besonderem Maße geeignet, eine „enge Handhabung“ des „Zweifelsgrundsatzes“ zu ermöglichen. In der Mehrzahl der Fälle, in denen die Behandlung nicht „praktisch“ gewiss oder doch mit einer „hohen Wahrscheinlichkeit“ abgelehnt worden wäre, werden mehr als ungenaue Wahrscheinlichkeitsangaben unterhalb der objektiv „hohen Wahrscheinlichkeit“ kaum jemals zu ermitteln sein.90 Bei einer solchen „Ungewissheit“ fordert der im Strafrecht zu beachtende „Zweifelsgrundsatz“ gebieterisch, die „hypothetische Einwilligung“ zu Gunsten des Arztes zu unterstellen. In diesen Fällen ist die „hypothetische Einwilligung“ aber nicht sinnvoll, denn immerhin hat der Arzt den Patienten tatsächlich fehlerhaft aufgeklärt und sein Selbstbestimmungsrecht verletzt, nicht etwa ist das bloß „zweifelhaft“.

81 Vgl. von Caemmerer, Gesammelte Schriften Bd. I 449; vgl. so auch Kleinewerfers, VersR 1963 303. 82 Vgl. Giesen, Arzthaftungsrecht 119. 83 Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz § 4 XII 6 210. 84 Vgl. Medicus, in: Staudinger 12. Aufl. § 249 BGB Rdn. 114. 85 Vgl. Paeffgen, in: FS für Rudolphi 208: „bisweilen“, allerdings eingeschränkt auf die Fallgruppe, in der der Patient nachträgliche Auskunft geben kann. 86 Vgl. Puppe, JR 2004 471: „praktisch“, wenn es keine „plausiblen Gründe“ für die Durchführung des Heileingriffs überhaupt gibt. 87 Vgl. Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 81. 88 Vgl. Sternberg-Lieben, StV 2008 192. 89 Vgl. von Caemmerer, Gesammelte Schriften Bd. I 449; Duttge, in: FS für Schroeder 189; Kleinewerfers, VersR 1963 303. 90 Vgl. auch Duttge, in: FS für Schroeder 184; Paeffgen, in: FS für Rudolphi 208; Puppe, GA 2003 769; dies., JR 2004 471.

§ 2 Das Beweisthema und seine Einschränkungen

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B. Die Zurückdrängung des „Zweifelsgrundsatzes“ Es ist daher sehr fraglich, ob die abweichende „Beweislastregelung“ des Strafrechts gegenüber der ausgeklügelten Behauptungs-, Substantiierungsund Beweislastregelung im Zivilrecht nicht „überschätzt werden sollte“.91 Das Prozessrecht hält darüberhinaus nur sehr bedingt Lösungen bereit, die über eine „enge Handhabung“ von „in dubio pro reo“ hinausgehen. I. Opportunitätsmechanismen Prinzipiell erlaubt das Prozessrecht eine Zurückdrängung des „Zweifelsgrundsatzes“ im Rahmen von Opportunitätsmechanismen. Die aus dem Zivilrecht bekannte vergleichsweise Erledigung vieler Arzthaftungsfälle kann im Strafrecht ebenso nutzbar gemacht werden. Hieran ist mit Rönnau jedoch zu kritisieren, dass es sich um einen dogmatisch höchst „unwägbaren Bereich“ handelt.92 II. „Beweislastumkehr“ im Strafrecht Die regelmäßig eintretende Ungewissheit über die „hypothetische Einwilligung“ wäre erträglich, wenn sie „in dubio contra reum“ – zu Lasten des immerhin fehlerhaft aufklärenden Arztes – ginge. Den Nachweis einer „hypothetischen Einwilligung“ hat der Arzt im Zivilrecht bis auf einen veröffentlichen Fall bisher nicht erbringen können.93 Im Strafrecht scheinen Überlegungen, mit der die „Kausalitäts-“ oder „Zurechnungsproblematik“ der „hypothetischen Einwilligung“ – ähnlich wie im Zivilrecht – in das Beweisrecht verlagert wird, indem es zu einer „Beweislastumkehr“94 zu Lasten des Arztes kommt, jedoch schon im Grunde unstatthaft. Der Grundsatz „in dubio pro reo“95 fordert im Straf91

Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 435; Rönnau, JZ 2004 804. Vgl. hierzu Puppe, GA 2003 776; dagegen Rönnau, JZ 2004 802. 93 Vgl. 8. Kap. § 2. II. 94 Wenn die Redeweise von einer „Beweislastverteilung“ oder „Beweislastumkehr“ im Strafrecht sachlich unrichtig ist, weil es eine „Beweislastverteilung“ unter den Prozessträgern im Strafprozess nicht gibt, die „umgekehrt“ werden könnte, allenfalls von der materiellen Beweislast des Staates gesprochen werden könnte, wird der Gedanke doch treffend veranschaulicht, vgl. Heine, JZ 1995 651; Peters, Strafprozessrecht § 38 I 305; Kühne, Strafprozessrecht § 17 II Rdn. 301; Roxin, Strafprozessrecht § 15 Rdn. 34. 95 Vgl. Übersicht zur Herleitung des Prinzips aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung, § 261 StPO, aus dem Instruktionsprinzip, aus dem Rechtsstaatsprin92

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

recht gebieterisch, die regelmäßig eintretende Ungewissheit über die „hypothetische Einwilligung“ zu Gunsten des Arztes zu entscheiden.96 Damit wird der im Strafrecht nicht immer unumstößlichen Geltung des „Zweifelsgrundsatzes“ bei „hypothetischen Geschehensverläufen“ in der Rechtsprechung des Reichsgerichts (Apothekerfall,97 Kokainfall,98 Ziegenhaarfall),99 des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in Strafsachen100 und des Bundesgerichtshofs (Steinbruchfall)101 eine eindeutige Ablehnung erteilt. Jenseits bestimmter typischerweise unter Ungewissheit zu entscheidender Fallgestaltungen von Wirtschaftskriminalität, Organisations- und Organisierzip oder Art. 6 Abs. 2 EMRK bei Kühne, Strafprozessrecht § 57 I Rdn. 956; Roxin, Strafprozessrecht § 15 Rdn. 31; Stree, In dubio pro reo 12 ff. Das Bundesverfassungsgericht hat in NJW 1988 477 offengelassen, ob dem Grundsatz Verfassungsrang zukommt. 96 Bei dem „Zweifelsgrundsatz“ soll es sich um eine „Entscheidungsregel“, nicht dagegen um eine „Beweis-“ oder „Beweiswürdigungsregel“ handeln, denn der „Zweifelsgrundsatz“ findet erst nach der Beweiswürdigung Anwendung. Vgl. Schlüchter, in: SK § 261 StPO Rdn. 69; Stuckenberg, in: KMR § 261 StPO Rdn. 83. 97 Vgl. RGSt 15 151, 153. 98 Vgl. RG Urteil vom 15. Oktober 1926 1 D 555/26. Vgl. dazu Spendel, Kausalitätsformel 67 f. 99 Vgl. RGSt 63 211, 213 f. 100 Es ist früher gelegentlich die Ansicht vertreten worden, wonach Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe nur bei zweifelsfreien Vorliegen der sie begründeten Tatsachen anwendbar seien. Vgl. OGH 1 321, 337; 2 117, 126; LG Karlsruhe Urteil vom 3. Februar 1960 (II. KLs 33/59) bei Uibel, NJW 1960 1893; vgl. dagegen Stree, In dubio pro reo 22 f. mwN., 29 f.; vgl. auch Kühne, Strafprozessrecht § 57 III Rdn. 963; Peters, Strafprozessrecht § 37 III 289; Roxin, Strafprozessrecht § 15 Rdn. 32. Vgl. zum Alibibeweis einerseits BGHSt 25 285, wonach „in dubio pro reo“ nicht gelten soll und klarstellend BGH NStZ 1983 422; vgl. aus der Literatur Peters, Strafprozessrecht § 37 III 290; Roxin, Strafprozessrecht § 15 Rdn. 32 mwN. 101 Vgl. BGH MDR 1953 20 mitgeteilt von Dallinger: Da es sich bei dem ordnungsgemäßen Zaun, den der Junge hätte überwinden müssen, um einen nur vorgestellten Umstand handele, könne dem Ergebnis einer solchen Würdigung, die notwendigerweise den Boden der Wirklichkeit verlassen müsse, nicht dasselbe Gewicht zukommen, wie der an Hand der gegebenen Tatsachen festgestellte Sachverhalt. Beweisrechtlich sollte deshalb die bloße, auf gewisse Wahrscheinlichkeitserwägungen gegründete Möglichkeit, dass ein ordnungsgemäßer Zaun den Eintritt des tödlichen Erfolgs nicht verhindert hätte, eine Verneinung des ursächlichen Zusammenhangs nicht zu rechtfertigen vermögen. Erst bei einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit wäre der ursächliche Zusammenhang zwischen der Pflichtwidrigkeit und dem Erfolg nicht dargetan. Die Entscheidung verstößt nach einhelliger Auffassung in der Wissenschaft gegen den „in dubio pro reo“ Grundsatz, vgl. etwa Dallinger, MDR 1953 20; Kahrs, Vermeidbarkeitsprinzip 139 f.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 85; Spendel, Kausalitätsformel 59, 64.

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ter Kriminalität, Umweltzerstörung und Geldwäsche102 wird an eine „Beweislastumkehr“ im Strafrecht auch ersichtlich nicht gedacht. Es bleibt damit bei den Bedenken des Bundesgerichtshofs, die ihn im Steinbruchfall zu einer Beweislastumkehr bewogen haben, dass es nämlich auf die Straflosigkeit einer jeden strafwürdigen Unterlassung hinauslaufe, wolle man schon eine nicht unwahrscheinliche Möglichkeit ausreichen lassen, um die Ursachenbeziehung in Frage zu stellen.103 Mit der einhelligen Auffassung in der strafrechtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum ist eine Übernahme der zivilrechtlichen Beweislastverteilung auf die „hypothetische Einwilligung“ im Strafrecht nicht denkbar.104 III. Der strukturelle Unterschied zwischen dem „Zweifelsgrundsatz“ und der Situation bei der „hypothetischen Einwilligung“ Die strukturellen Unterschiede zwischen der Einwilligung und der „hypothetischen Einwilligung“ stehen einer Anwendung des „Zweifelsgrundsatzes“ ohnehin entgegen. Es ist eben nicht zweifelhaft, ob in der Fallgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ eine Einwilligung vorliegt. Bliebe deren Vorliegen hingegen zweifelhaft, so müsste „in dubio pro reo“ zu Gunsten des Arztes die Einwilligung angenommen werden. Anders aber verhält es sich bei der „hypothetischen Einwilligung“. Sie ist ein „bloßes fiktives Potential“. Die „hypothetische Einwilligung“ ist eine nur gedachte Einwilligung, die in dem gedachten Fall alternativ rechtmäßigen Verhaltens des Arztes hätte vorliegen können, aber tatsächlich nicht 102 In jüngerer Zeit wird bisweilen für diese Fallgestaltungen die prozessuale „Beweislastumkehr“ als legitimes Mittel bezeichnet, um den auftretenden Nachweisschwierigkeiten zu begegnen, vgl. Feigen, Beweislastumkehr 133 ff.; Heine, JZ 1995 651; Kühne, Strafprozessrecht § 17 II Rdn. 301. Diese Frage führt über die Umformulierung des materiellen Rechts zugunsten von Beweiserleichterungen hinaus (etwa bei §§ 259, 261 StGB), vgl. Stree, in: Schönke/Schröder § 261 StGB Rdn. 4. Jenseits dieses Bereichs, in denen die gewandelten Aufgaben des Strafrechts im Sinne einer Steuerung kollektiver Strukturen mit dem „Zweifelsgrundsatz“ in Konflikt geraten können, soll die klassische Garantie bei dem individuellen Schuldvorwurf gegen den eigenverantwortlichen handelnden Täter, dem Verantwortung für eine unvertretbare, sittlich fehlerhafte Entscheidung zugeschrieben werden soll, die mit unvertretbarer, die Persönlichkeit einschränkender Strafe belegt wird, jedoch unverändert fortbestehen, vgl. Heine, JZ 1995 656. 103 Vgl. BGH MDR 1953 20 mitgeteilt von Dallinger. 104 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 40e; Puppe, GA 2003 773 f.; dies., JR 2004 471; Sternberg-Lieben, StV 2008 192.

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vorgelegen hat. Es ist nicht „zweifelhaft“, ob sie vorgelegen hat, sie hat unzweifelhaft nicht vorgelegen. Aus diesem strukturellen Unterschied zieht Paeffgen die in der Sache richtige Konsequenz: Bei der „hypothetischen Einwilligung“ handele es sich um eine „bloße Mutmaßung“ und nicht um eine Tatsache, bezüglich derer allein der In-dubio-Satz zum Zuge kommen dürfte.105 Wegen dieses strukturellen Unterschiedes106 ist allerdings durchaus schärfer zu formulieren. Der „Zweifelsgrundsatz“ kann nicht zur Anwendung gebracht werden, denn das Nichtvorliegen der „hypothetischen Einwilligung“ ist nicht „zweifelhaft“, sondern vollkommen gewiss. Dem Gericht liegen alle „entscheidungserheblichen Tatsachen“ vor und lediglich zweifelhaft ist, ob sie den rechtlichen Schluss auf eine „hypothetische Einwilligung“ zulassen.107 Das hat mit „in dubio pro reo“ nichts zu tun. IV. Der „Zweifelsgrundsatz“ und die Problematik bei nicht strikt determinierten „hypothetischen Geschehensabläufen“ 1. Die Unterscheidung von Tatsachenzweifeln und der Ungewissheit prinzipieller Art bei „hypothetischen Geschehensabläufen“

Für „hypothetische Geschehensabläufe“ wird vielfach aus anderen theoretischen Gründen die Geltung des Satzes „in dubio pro reo“ in Zweifel gezogen. Stratenwerth differenziert zwischen den „Tatsachenzweifeln“ und der Ungewissheit „prinzipieller Art“ über „hypothetische Geschehensabläufe“. Bei einem „Zweifel über Tatsachen“ könne nachträglich im Einzelfall nicht aufklärbar sein, ob die Tatsache vorhanden gewesen sei.108 Es lassen sich aber prinzipiell Mittel und Methoden angeben, die Tatsachenzweifel zu beheben, nur mögen diese Mittel dem Richter im konkreten Einzelfall nicht zu Gebote stehen.109 Die Ungewissheit in den „Grenzen kriminalistischer Sachverhaltsaufklärung“ müsse „in dubio pro reo“ entschieden werden.110 105

Vgl. Paeffgen, in: FS für Rudolphi 208. Jedenfalls ist die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ konsequent, wenn der strukturelle Unterschied geleugnet und ein „normativer Zusammenhang“ zwischen der pflichtwidrigen ärztlichen Aufklärung und der „Einwilligung“ oder dem „tatbestandlichen Verletzungserfolg“ als Voraussetzung der Strafbarkeit gefordert wird. Ein rationaler Grund, weshalb im Unterschied zu sonstigen strafbegründenden Umständen von dem Grundsatz „in dubio pro reo“ abgewichen werden sollte, ist nicht anzuerkennen, vgl. zutreffend Puppe, JR 2004 471 Fn. 18. 107 Vgl. auch Bosch, JA 2008 72. 108 Vgl. Stratenwerth, in: FS für Gallas 231 f. 109 Vgl. Puppe, in: FS für Roxin 302. 110 Vgl. Stratenwerth, in: FS für Gallas 231; vgl. auch Puppe, in: FS für Roxin 302. 106

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Keine derartige Ungewissheit liege den „hypothetischen Geschehensabläufen“ zugrunde, in denen selbst „ex post“ nach Aufklärung aller überhaupt aufklärbaren Umstände niemals andere als Wahrscheinlichkeitsurteile möglich seien. Welchen Verlauf entsprechende „Prozesse“ im Bereich des organischen Lebens unter bestimmten Bedingungen nehmen werden, lasse sich auf weite Strecken, wenn überhaupt generell, so nur in statistischen Größen sagen. Die Ungewissheit sei hier „prinzipieller“ Art.111 Der Laplace’sche Weltgeist habe mit der beginnenden Aufdeckung der höchst komplexen Steuerungs- und Regelungsvorgänge des organischen Lebens grundsätzlich abgedankt. Es gebe keinen „allwissenden Beobachter“, für den angesichts zwingender kausalgesetzlicher Verknüpfung nichts wahrscheinlich oder riskant sei, für den es vielmehr nur Sicherheit gebe.112 Um zu Wahrscheinlichkeiten zu gelangen, bedürfe es keiner Verkürzung der Urteilsbasis mehr. Es genüge bereits, wenn diejenigen Faktoren außer Betracht bleiben, über die es praktische Gewissheit nicht nur im Einzelfalle nicht, sondern nach dem Stand unseres Wissens überhaupt nicht geben könne. Stratenwerth zieht hieraus die Konsequenz, dass eine Umkehrung des Satzes „in dubio pro reo“ nicht stattfinden könne, wenn die Zurechnung bei solchen „Prozessen“ auf das „Risikoerhöhungsprinzip“ gegründet werde.113 Im wissenschaftlichen Schrifttum ist die Unterscheidung Stratenwerths vielfach aufgegriffen worden.114 Für die „hypothetische Einwilligung“ hat das folgende Konsequenzen: Ob ein bestimmter Patient auch bei einer vollständigen Aufklärung in die vom Arzt gewählte Heilmethode eingewilligt hätte, sei nicht „zweifelhaft“, sondern „sinnlos“ bzw. „im strengen Sinne des Wortes unsinnig“.115 „Unsinnig“ sei die Frage, wie sich eine Person in einer fiktiven Situation verhalten hätte, weil es für „existentielle menschliche Entscheidungen“ keine strikt determinierten Gesetze (scil. Naturge111

Vgl. Stratenwerth, in: FS für Gallas 234. Vgl. Samson, Hypothetische Kausalverläufe 47. 113 Vgl. Stratenwerth, in: FS für Gallas 233. 114 Vgl. Duttge, in: FS für Schroeder 189; Gollwitzer, in: Löwe/Rosenberg § 261 StPO Rdn. 106; Otto, Jura 2004 683; Paeffgen, in: FS für Rudolphi 208; Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 130 ff.; dies., Strafrecht Bd. 1 § 22 Rdn. 4 f.; dies., in: FS für Roxin 303; dies., GA 2003 769; dies., JR 2004 470; dies., Analysen 157 ff.; dies., JR 1994 515 f.; Schlüchter, in: SK § 261 StPO Rdn. 73; dies., JR 1985 520; Walder, SchZStr 159 f. 115 Vgl. Puppe, GA 2003 769. Mit „sinnlos“ im strengsten Sinne des Wortes meint Puppe, JR 2004 470 einen Begriff aus der Wissenschaftstheorie, wonach ein Aussagesatz als „sinnlos“ bezeichnet werde, wenn unter keinen Umständen eindeutig entschieden werden könne, ob er wahr oder falsch sei. Eine darauf zielende Frage, die mit solchen Aussagen beantwortet werde, sei „unsinnig“. Vgl. auch Duttge, in: FS für Schroeder 189; Otto, Jura 2004 683; ders., JK 2/05 § 228/4 StGB 1. 112

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setze) gebe.116 Wenn menschliche Entscheidungen frei, also in einem noch so bescheidenen Sinne nicht vollständig determiniert seien, so gebe es auch auf diese Frage keine Antwort. Indem man annehme, dass die Antwort auf eine solche Frage objektiv feststehe, behandele man die betreffende Person als unfrei. Indem man ihren Rechtsschutz von einer bewiesenen Antwort auf die Frage abhängig mache, nehme man ihr das Selbstbestimmungsrecht.117 2. Die Auseinandersetzung mit den Einwänden Rönnaus

Auf diese theoretische Unterscheidung wird bei den Befürwortern der „hypothetischen Einwilligung“ nicht118 oder allenfalls oberflächlich eingegangen.119 Rönnau wiederholt in Teilen einen Einwand von Jakobs:120 Nur derjenige Zweifel soll den Täter im Sinne der Risikoerhöhungstheorie belasten, der nicht allein im Einzelfall, sondern „überhaupt nicht“ aufklärbar sei. Ob diese „prinzipiell“ nicht aufklärbaren Risiken überhaupt ausgrenzbar seien, könne dahinstehen, jedenfalls sei das behauptete Prinzipielle der Unaufklärbarkeit kein Grund, einen Zweifel contra reum wirken zu lassen.121 a) Die Abgrenzbarkeit von „Tatsachenzweifeln“ und der Ungewissheit prinzipieller Art bei „hypothetischen Geschehensabläufen“ In der Wissenschaft wird die behauptete Abgrenzbarkeit in Abrede gestellt: Die Unterscheidung von „prinzipiell“ und nur nicht jetzt aufklärbaren „Umständen“ sei möglicherweise nicht nur jetzt, sondern „prinzipiell“ unmöglich.122 Die abstrakte Begrenzung der unbestimmbaren „Tatsachen“ lasse sich nicht sauber oder nicht überzeugend durchführen.123 Sie laufe nicht auf eine Rettung der Risikoerhöhungstheorie, sondern auf ihre Kompromittierung durch naturalistische Versatzstücke hinaus.124 116

Vgl. Puppe, GA 2003 769; dies., JR 2004 470. Vgl. Puppe, JR 2004 470. 118 Vgl. etwa Amelung, Willensmängel 69 f., 77; Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 79 f.; Tag, Körperverletzungstatbestand 399; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 132; ders., NStZ 1996 134. 119 Vgl. Kuhlen, JR 2004 228; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231. 120 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 101. 121 Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231. Auch wenn der Laplace’sche Weltgeist abgedankt haben mag, so ergeben sich daraus noch nicht die die Abdankung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ für prinzipiell nicht aufklärbare „Umstände“, vgl. Samson, in: FS für Welzel 593 Fn. 68. 122 Vgl. Samson, in: FS für Welzel 593 Fn. 68. 123 Vgl. Krümpelmann, GA 1984 499 ff. 124 Vgl. B. Schünemann, StV 1985 230. 117

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Für Stratenwerth sind nicht „Umstände“ oder noch missverständlicher: „Tatsachen“, sondern „hypothetische Geschehensabläufe“ in der organischen Welt nicht „zweifelhaft“. Die theoretischen Wissenslücken125 sind aus mehreren Gründen auch praktisch nicht bedenklich. Auf eine Prognose, ob die Ausgrenzungsproblematik der „prinzipiellen Ungewissheit“ jemals geleistet werden kann, kommt es gar nicht an, weil sich die Entscheidung wissenschaftlicher Fragen immer nach den aktuellen, nicht nach den in einigen Jahrzehnten möglicherweise vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnissen richtet.126 Das gilt konsequent in die eine wie in die andere Richtung.127 Die „zufällige“128 Abgrenzung der Ungewissheitslagen kann und muss ausschließlich nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufgelöst werden. Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand lassen sich aber durchaus Bereiche isolieren, in denen das Fehlen strikt determinierender Gesetze zwar nicht unbestritten ist, aber doch naheliegt. Deshalb kann wenigstens praktisch in bestimmten Bereichen der Versuch einer Abgrenzung der Ungewissheitslagen erfolgen.129 Für die Fallgestaltung der „hypo125 Stratenwerth, in: FS für Gallas 239 hält hier theoretisch „vorerst noch manche Frage“ für „offen“; Puppe, in: FS für Roxin 303 räumt ein, es lasse sich endgültig nie beantworten, ob die Ungewissheit auf dem Fehlen tatsächlicher Informationen oder darauf beruhe, dass der Prozess nicht strikt determiniert sei, weil nie auszuschließen sei, dass die Kenntnisse der einschlägigen empirischen Gesetze unvollständig sei. 126 Vgl. etwa Bernsmann, ARSP 1982 545 f.; Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 37; ders., Jura 1992 95; Puppe, in: FS für Roxin 303. Sachgerecht schreibt Hansen, Jura 1990 515 von der Belanglosigkeit der zukünftigen wissenschaftlichen Entwicklung für die heutige Rechtsanwendung bei der sog. „psychischen Kausalität“, vgl. unten Fn. 148. 127 Das gilt konsequent in die eine wie in die andere Richtung, denn durch nichts ist umgekehrt die unerwartete zukünftige Entlarvung eines vermeintlich als determiniert behandelnden Gesetzes ausgeschlossen. Auch bei strikt determinierten Kausalgesetzen kann der letzte Zweifel für die Zukunft an der Determiniertheit des Prozesses nicht vollkommen ausgeschlossen werden, vgl. auch Puppe, in: FS für Roxin 303. Trotzdem ist das erkennende Gericht nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse an die Erfahrungsregeln gebunden (§ 261 StPO). 128 Vgl. Samson, in: SK Anh. zu § 16 StGB Rdn. 27a. Das materielle Urteil über die Erfolgszurechnung werde vom durchaus zufälligen Zeitpunkt der Urteilsfindung abhängig gemacht, wenn kurze Zeit nach dem Urteil der dann vorhandene Stand der Wissenschaft die sichere Aussage der Verursachung des gleichen Erfolges ermöglichen würde. Das würde allerdings die Wiederaufnahme des Falles propter nova zugunsten des Verurteilten begründen. 129 Stratenwerth, in: FS für Gallas 233 hat die höchst komplexen Regelungs- und Steuerungsvorgänge des organischen Lebens herausgegriffen, die von der anorganischen („äußeren“) Natur zu trennen seien; differenzierter ist die Übersicht bei Puppe, die nach dem heutigen Stand der theoretischen Erkenntnisse mikrophysika-

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thetischen Einwilligung“ ist der Bereich der „geistigen Vorgänge im Innern des Menschen“ (BGHSt 13 13) von Interesse.130 Bei der „hypothetischen Einwilligung“ stellt sich die Frage nach einer fiktiven Entscheidung einer Person in einer Lage, in der sie nie gestanden hat. aa) Engischs „wissenschaftliches Einheitsmodell“, das von einem universellen Determinismus ausgeht, konnte sich nicht durchsetzen.131 Demgegenüber wird die Trennung von „Ursachen“ für „kausal erklärbare“ Erfolge und „verstehbaren“ „Gründen“ für menschliches Verhalten behauptet. Damit folgt man einem „dualistischen System“ von Natur- und Geisteswissenschaften, der Trennung von „Erklären“ und „Verstehen“.132 Während die Vorgänge im physischen Bereich Naturgesetzen unterworfen seien, folge das menschliche Verhalten keinen Naturgesetzen, sondern bestimmten Regeln.133 Menschliches Verhalten lasse sich nicht mit dem Kausalmodell der Naturwissenschaften „erklären“, wie es für die Vorgänge in der äußeren Natur gelte, es beruhe vielmehr auf einer eigenen Logik. Für das menschliche Verhalten als der Zusammenhang von „Motiven“, „Zwecken“, „Gründen“ und den äußerlich wahrnehmbaren Erfolgen lassen sich nämlich keine „kausalen Ursachen“ angeben. Man könne es demgemäß nicht „kausal erklären“, sondern es beruhe auf bestimmten „Motiven“, „Zwecken“, „Gründen“, die lische (vgl. Puppe, ZStW 95 (1983) 293; dies., Analysen 149: „atomare, subatomare und molekulare Prozesse“; vgl. zustimmend auch B. Schünemann, StV 1985 232) und mikrobiologische Prozesse, Krankheits- (vgl. Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 123; dies., JR 1994 515; dies., in: FS für Roxin 303: nach heutigen wissenschaftlichen Stand „so gut wie bestätigt“; nicht zweifelnd jüngst etwa Schiemann, in: FS für Canaris 1162 f) und Heilungsprozesse sowie menschliche Leistungen unter gesteigerten Anforderungen unterscheidet, vgl. Puppe, Strafrecht AT Bd. 1 § 2 Rdn. 30; dies., in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 132. Die Nachweisschwierigkeiten nicht beim Behandlungsfehler, sondern bei der „Behandlungsfehlerkausalität“ sind der Grund für die Verlagerung des Arzthaftungsprozesses auf den Aufklärungsfehler. 130 Vgl. Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 120, 132; dies., GA 2003 769; dies., in: FS für Roxin 303; dies., JR 1994 515. Samson, in: FS für Welzel 593 Fn. 68 nennt hier die „psychische Kausalität“ beim Betrug (§ 263 StGB), die Anstiftung oder die psychische Beihilfe usw. 131 Vgl. Engisch, Kausalität 28; ders., in: FS für von Weber 269; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 30; wohl auch Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 27; vgl. vor allem zuletzt Dencker, Kausalität 29 ff.; vgl. für die „hypothetische Einwilligung“ wohl Schultz, VersR 1990 812, der von der Unterschiedlichkeit der „(naturgesetzlichen) Kausalverläufe“ mit oder ohne neue Informationen auch bei im Ergebnis identischer Entscheidung spricht. 132 Vgl. Bernsmann, ARSP 1982 538; Hansen, Jura 1990 515; Hilgendorf, Jura 1995 520; Kahlo, GA 1987 69 ff.; Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 37; ders., Jura 1992 94 f.; Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 111; dies., ZStW 95 (1983) 293 ff.; dies., in: FS für Roxin 301; dies., GA 2003 769; dies., JR 2004 469; B. Schünemann, StV 1985 232. 133 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 37.

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man nachvollziehend „verstehen“ müsse. Jeder Mensch erkenne „Gründe“ für sein eigenes Verhalten an, die ihn motivieren.134 Er könne diese „Gründe“ benennen und damit dem „verstehenden“ Nachvollziehen zugänglich machen, indem er sie im Gespräch mit anderen offenlege und erläutere.135 bb) Ob die Problematik der „Willensfreiheit des Menschen“ für die Entscheidung dieser Streitfrage ergiebig ist,136 was durchaus angezweifelt wird,137 kann unentschieden bleiben. Die außerjuristische einigermaßen überzeugende Einsicht spricht gegen eine strikte Determiniertheit menschlicher Entscheidungen durch Naturgesetze. Die Erfahrungswissenschaften sehen sich nämlich mit der Forderung nach einer Formulierung von Naturgesetzen im psychischen Bereich nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft schlechtweg praktisch „überfordert“ und daher mit einer „unlösbaren“ Fragestellung konfrontiert.138 Die Motivationspsychologie, die sich inhaltlich mit der Erklärung psychischer Phänomene auseinandersetzt, sei Bernsmann zufolge, abgesehen von ihrer gegenwärtigen Zerrissenheit in eine Vielzahl kaum übersehbarer Forschungsansätze,139 kaum über die Beschreibung signifikanter, im kontrollierten Experiment gewonnener Korrelationen auf statistischer Grundlage hinausgekommen. Wegen der „Komplexität psychischer Vorgänge“140 und der „fehlenden Möglichkeit objektivierbarer Messungen“141 dürfte sich der Psy134

Vgl. Puppe, GA 1984 109. Vgl. Bernsmann, ARSP 1982 552 ff. 136 Das Strafrecht postuliere bei der Schuldfrage gerade, dass der Täter nicht naturgesetzlich determiniert sei: Der Jurist könne solche behaupteten Gesetze nicht akzeptieren, solange er am Postulat der Willensfreiheit festhalte. Vgl. hierzu Bernsmann, ARSP 1980 543 f. mwN; Hilgendorf, Jura 1995 520; Kahrs, Vermeidbarkeitsprinzip 23 f.; Puppe, in: FS für Roxin 301; dies., ZStW 92 (1980) 902 Fn. 59. 137 Vgl. Bernsmann, ARSP 1980 543 Fn. 39; Krümpelmann, GA 1984 500. 138 Vgl. Bernsmann, ARSP 1980 545; Hansen, Jura 1990 515; Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 37. 139 Vgl. Bernsmann, ARSP 1980 544. 140 Vgl. auch Krümpelmann, GA 1985 500, der hier den eigentlichen Grund für die Abstandnahme von dem kausalen Erklären im psychischen Bereich sieht, nicht aber in dem Postulat der Willensfreiheit des Menschen. 141 Bernsmann, ARSP 1980 545 Fn. 50, spricht hier von der Illusion der praktischen Beweisbarkeit derartiger Naturgesetze: Wegen der hochkomplizierten funktionellen Organisation des Menschen müsse die Frage erlaubt sein, in welchem Zeitraum ein solches Experiment und die darauf beruhenden Berechnungen erfolgen können, wenn man einmal davon ausgehen wollte, dass die Handlung einer Person exakt kausal-erklärend abgebildet werden könne? Die theoretische Behandlung des Problems steht auch hier unter dem Vorbehalt praktischer Handhabbarkeit, denn solange man für optimale Programme zur Beschreibung hinreichend exakter Aussagen die Dauer von Jahren oder – der Komplexität des menschlichen Organismus ge135

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chologe außerstande sehen, eine „Warum“-Frage unter Benennung eines allgemeinen Naturgesetzes und der Subsumtion des „Falles“ unter dieses Gesetz zu beantworten. Er möge statistisch wahrscheinliche Abläufe beschreiben können, einen den Ansprüchen der Erfahrungswissenschaften gerecht werdende Antwort, bezogen auf den konkreten Fall, werde er aber nicht geben können.142 Das vorhandene wissenschaftliche Instrumentarium reiche nicht annähernd aus, um diese angeblichen Regelmäßigkeiten offenzulegen. cc) In der Sache räumen die Deterministen auch ein, keine Prognosen über Abläufe im „geistigen Bereich im Innern des Menschen“ geben zu können.143 Der Mensch nimmt sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung144 auch als frei in seinen Entscheidungen wahr. Von hieraus lehnt man die Existenz von strikt determinierenden Naturgesetzen im psychischen Bereich ab, die ein bestimmtes menschliches Verhalten beim Vorhandensein bestimmter Reize auslösen.145 Wegen des Fehlens von Möglichkeiten zur Ermittlung der generellen Kausalgesetze sind daher prozessuale Beweisnotstände vorprogrammiert.146 Das ist ein sich gerade bei der Fallgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ abzeichnendes, von Deterministen eher verdrängtes Problem.147 Zutreffend erinnert Hansen an den entscheidenden Gedanken: Auch wenn die Wissenschaft in unbestimmter Zukunft psychische Ereignisse und Zustände als Stoffwechselvorgänge im schuldet – sogar Jahrhunderten für möglich hält, solange erledigt sich eine solche Behandlung des Problems von selbst. 142 Vgl. Bernsmann, ARSP 1980 545. Es dürfte kaum einen Unterschied zwischen der auf Sachverhaltsrekonstruktion durch einen sachverständigen Psychologen (abgesehen von dem verwendeten wissenschaftlichen Instrumentarium) und der richterlichen Laienpsychologie anzuerkennen sein. Unglaubwürdig würde die Forderung von gesetzmäßigen Bedingungen auch deshalb, weil psychologische Sachverständige zu „normalpsychologischer Kausalität“ im Prozess so gut wie nie gehört werden. 143 Vgl. beispielsweise Dencker, Kausalität 32 ff., obwohl auch er Gesetzmäßigkeiten im Psychischen erkannt haben will. 144 Zu Recht weist auch Hilgendorf, Jura 1995 520 darauf hin, dass wir uns „als frei“ erfahren. 145 Schön veranschaulicht wird das von Hilgendorf, Jura 1995 520, der für kaum zutreffend hält, dass sich ein deterministisches Gesetz formulieren lasse, wonach immer wenn eine bestimmte Täuschungshandlung vorkommt, dieser bestimmte Irrtum erregt werde. Es hängt sehr von der Person des Getäuschten ab, seinem Erfahrungsschatz, seiner Vorsicht anderen gegenüber, seinen persönlichen Befindlichkeiten im Zeitpunkt der Täuschung und so weiter, ob er einer Täuschung aufsitzt oder sie als solche entlarvt. Weitere Beispiele lassen sich viele bilden: Ob jemand morgens aufsteht, wird wohl kaum das Ergebnis einer deterministisch vorbestimmten Entscheidung sein, sondern die freie Leistung des Individuums. 146 Vgl. Bernsmann, ARSP 1980 544. 147 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 127, der die typischerweise provozierten Ungewissheitslagen mit einer sehr weitgehenden, gegen „in dubio pro reo“ verstoßenden Anwendung der Risikoerhöhungslehre aufzufangen versucht.

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menschlichen Gehirn naturgesetzmäßig darstellen könne oder die Psychologie über die Behauptung von statistisch signifikanten Zusammenhängen hinauskäme, selbst bei unterstellter Existenz solcher Naturgesetzmäßigkeiten im psychischen Bereich, bleibe ohne den Nachweis eines solchen Naturgesetzes die Theorie der gesetzmäßigen Bedingung bei der sog. „psychischen Kausalität“ in der heutigen Anwendung theoretisch unbefriedigend.148 Die sog. „psychische Kausalität“ werde auf „bloße Unterstellungen“ gegründet.149 Die Abgrenzbarkeit der objektiven „prinzipiellen Ungewissheit“ kann ausgehend von dem heutigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse wenigstens praktisch geleistet werden. An der klaren inhaltlichen Umrissenheit der Fallgruppe der sog. „psychischen Kausalität“ zweifelt auch Krümpelmann nicht. Menschliches Verhalten gehöre dem praktisch unbestimmbaren Bereich der Komplextatsachen an und sei praktisch der wichtigste Anwendungsbereich der „prinzipiellen Ungewissheit“.150 b) Rönnaus zweiter Einwand Aus den Einsichten außerjuristischer Disziplinen sind die rechtlichen Konsequenzen zu ziehen. Daher verfängt der weitere Einwand Rönnaus nicht, dass jedenfalls das behauptete Prinzipielle der Unaufklärbarkeit kein Grund sei, einen Zweifel contra reum wirken zu lassen.151 Rönnau verlangt damit eine Aussage über einen indeterminierten Kausalverlauf im „geistigen Bereich des Innern des Menschen“ (BGHSt 13 13), als ob er determiniert wäre.152 Nicht anders verhält es sich bei Kuhlen, der die „hypothetische Frage“ wegen des Fehlens determinierender Gesetzmäßigkeiten nicht strikt, sondern mehr oder weniger plausibel entscheiden,153 allerdings inkonsequent nur dann die mutmaßliche Verweigerung des Patienten akzeptieren will, wenn sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht.154 Bei der „hypothetischen Einwilligung“ wer148

Vgl. Hansen, Jura 1990 515. Vgl. Bernsmann, ARSP 1980 546 Fn. 52; Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 37. 150 Vgl. Krümpelmann, GA 1984 500, der hingegen die anderen von Puppe genannten Bereiche „prinzipieller Ungewissheit“ keineswegs überzeugend in Zweifel zieht. In der Sache ähnlich B. Schünemann, StV 1985 232. 151 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 101; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231. 152 Vgl. so auch Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 102, der eine Aussage verlangt, wie der Krankheitsverlauf im „konkreten Fall“ angelegt war; vgl. Puppe, in: FS für Roxin 302 Fn. 54. 153 Vgl. Kuhlen, JR 2004 228. 154 Vgl. Kuhlen, in: FS für Roxin 342 Fn. 62. 149

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den zwar strikt determinierende Gesetzlichkeiten bestritten, gleichwohl und inkonsequent die Anwendung des „Zweifelsgrundsatzes“ gefordert, wenn unklar bleibt, wie sich der Patient hypothetisch entschieden hätte. Solange allerdings nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis psychische Vorgänge als nicht determiniert behandelt werden müssen, solange ist es aus theoretischen Gründen ganz unzutreffend, die „Ungewissheit“ über den Entscheidungsprozess einer Person wie einen „Tatsachenzweifel“ zu behandeln. V. Zusammenfassung Bei der „hypothetischen Einwilligung“ liegt ein typischerweise unter Ungewissheit zu entscheidender „hypothetischer Geschehensablauf“ vor. Der Patient wird keine Auskunft darüber geben können, ob er bei hypothetisch alternativ rechtmäßigen Verhalten des Arztes seine Einwilligung in die Heilbehandlung gegeben hätte. Wenn das „zweifelhaft“ bleibt, soll die „hypothetische Einwilligung“ „in dubio pro reo“ zu Gunsten des Arztes zu unterstellen sein. Das ist aus mehreren Gründen angreifbar. 1. Der „Zweifelsgrundsatz“ kann auf das Zurechnungserfordernis der „hypothetischen Einwilligung“ nicht angewendet werden. Das Nichtvorliegen der „hypothetischen Einwilligung“ ist nicht etwa „zweifelhaft“, sondern vollkommen gewiss. Dem Gericht liegen alle „entscheidungserheblichen Tatsachen“ vor und lediglich zweifelhaft ist, ob sie den rechtlichen Schluss auf eine „hypothetische Einwilligung“ zulassen. 2. Das Festhalten am Zurechnungserfordernis der „hypothetischen Einwilligung“, auf das noch der „Zweifelssatz“ angewendet werden soll, macht die objektive Erfolgszurechnung theoretisch unmöglich. Wegen des Fehlens strikt determinierender Naturgesetze gäbe es immer eine objektive Ungewissheit („Wahrscheinlichkeit“), die dem Richter aufgeben würde, „in dubio pro reo“ zu Gunsten des Arztes zu entscheiden. Der Arzt müsste „stets“ gehört werden, es sei theoretisch nicht ausgeschlossen (weil nicht undenkbar), dass der Patient bei vollständiger und richtiger Aufklärung die Behandlung gewählt hätte.155 Der Arzt wäre daher konsequenterweise „aus Mangel an Beweisen“ theoretisch nie [. . .] wegen vollendeter Körperverletzung zu verurteilen.156 155 Vgl. Puppe, Strafrecht AT Bd. 1 § 22 Rdn. 4; vgl. wohl auch Riedelmeiner, Ärztlicher Heileingriff 81. 156 Vgl. Puppe, JR 2004 471. Damit wäre eine Parallele zu dem theoretisch ähnlich gelagerten Bereich der komplexen Krankheitsverläufe hergestellt, bei dem der Bundesgerichtshof „in dubio pro reo“ zu Gunsten des Arztes entscheidet. Vgl. BGH GA 1988 184: Nach einer Krebsoperation kann eine Bestrahlung die Bildung von

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Die theoretische Unmöglichkeit der Begründung der objektiven Erfolgszurechnung zieht auch Konsequenzen bei der subjektiven Zurechnung nach sich. Die Versuchsstrafbarkeit scheidet praktisch157 aus, solange sich der subjektive Versuchstatbestand (Tatentschluss), der dem Vorsatz beim vollendeten Delikt entspricht, auf das objektive Zurechnungserfordernis beziehen muss. Wenn bei nicht determinierten Geschehensabläufen keine zurechnungsrelevante Ursache gesetzt werden kann, dann fehlt es an der Pflicht, einen bestimmten tatbestandlichen Erfolg zu vermeiden, gegen die der Täter verstoßen kann.158 Daher kann der Arzt ungestraft dem Patienten jedes Risiko aufzwingen, das die lex artis noch deckt, bis an die Grenze des medizinisch Machbaren.159 Theoretisch ist die Abkehr von dem „in dubio pro reo“ Grundsatz für die Fallgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ angezeigt. 3. Die „praktische Sicht“ beherrscht allerdings die Argumentation bei der „hypothetischen Einwilligung“ im Arztstrafrecht.160 Die theoretischen Bedenken wirken sich daher weit weniger aus. Jedoch überzeugt auch diese Einschränkung nicht. a) Es wird unterstellt,161 dass die „innere Willensbildung“ des Berechtigten strikt determinierten Naturgesetzen unterworfen ist. Diese Problematik der „Theorie vom universellen Determinismus“ wird auch schlechtweg ignoriert. Kuhlen, der das Fehlen deterministischer Gesetzlichkeiten im psychischen Bereich nicht bestreitet, legt am nachhaltigsten offen, dass die „hypothetische Frage“ wegen des Fehlens von strikt determinierenden Gesetzen zwar „nicht strikt, aber doch mehr oder weniger plausibel“ beantwortet werden könne.162 Dass die Beantwortung der „hypothetischen Frage“ möglich sei, zeige nicht nur die juristische, sondern auch die alltägliche Praxis, in der die hypothetische Frage nach in Wahrheit nicht getroffenen Entscheidungen von Personen häufig gestellt und keineswegs als unbeantMetastasen in 90 Prozent der Fälle verhindern. Interpretiert man einen Krankheitsverlauf als „strikt determiniert“, so kann der Arzt, der die Bestrahlung pflichtwidrig unterlassen hat, immer unwiderlegbar behaupten, das der Patient zu den 10 Prozent gehört habe, bei denen die Bestrahlung keinen Erfolg gehabt hätte, vgl. auch Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 123 f.; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 13 Rdn. 56. 157 Vgl. etwa Puppe, in: FS für Roxin 305; vgl. eingehend 5. UAbschn. III. 2. 158 Vgl. auch Brammsen, MDR 1989 125; Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 101; Puppe, in: FS für Roxin 305; Stratenwerth, Strafrecht AT I, (4. Aufl.) § 13 Rdn. 55. 159 Vgl. Puppe, Strafrecht AT Bd. 1 § 22 Rdn. 4; dies., GA 2003 769; dies., JR 2004 471. 160 Vgl. Kuhlen, JR 2004 228; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231. 161 Vgl. Kuhlen, JR 2004 228; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231. 162 Vgl. Kuhlen, JR 2004 228.

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

wortbar angesehen werde.163 Zu dieser praktischen Sichtweise fühlt man sich wohl berechtigt, weil die Feststellung einer „hypothetischen Einwilligung“ zur Überzeugung des Gerichts nicht einmal von den Kritikern gänzlich bezweifelt wird. Die Existenz bestimmter Fallgestaltungen – in Abhängigkeit v. a. von der medizinischen Indikation –, in denen die Verweigerung der Einwilligung naheliegt, berechtigt zu dem (Irr-)Glauben, dass die „hypothetische Frage“ insgesamt in plausibler Weise gehandhabt werden könnte. b) Schließlich gipfelt das „hypothetische Rätselraten“ (Bosch) im Aufstellen von „Vermutungen“. Damit wird der Rechtsgedanke praktisch handhabbar: Werde die Aufklärung absichtlich unterlassen, um nicht eine Ablehnung des Eingriffs durch den Patienten zu provozieren, könne eine konkrete Möglichkeit der Einwilligung für den Fall der Aufklärung „in der Regel“ ausgeschlossen werden.164 Das dürfte insbesondere bei der Vertuschung von Kunstfehlern wie in der Bohrerentscheidung165 besonders naheliegend sein, wenn zudem die medizinische Indikation des Eingriffs nicht vorliegt. c) Die praktische Übung mag die theoretischen Zweifel in Teilen überwinden helfen. Das ist der Grund, weshalb die „hypothetische Frage“ eine solche Bedeutung erlangen konnte. Trotzdem ist es eine Illusion davon auszugehen, denn das Ergebnis kann theoretisch nicht nachvollziehbar begründet werden, weil die Sätze, die es zu dessen Begründung braucht, nicht offengelegt sind. Das Ergebnis beruht auf Mutmaßungen über „Prozesse“ in der Psyche des Menschen, die nicht nachgewiesen sind und vielleicht niemals nachgewiesen werden können. Eine solche praktische Übung ist dogmatisch „unehrlich“ und auch allenfalls dann akzeptabel, wenn sie zu angemessenen Ergebnissen führt, was aber nicht der Fall ist. Aus diesem „Sumpf“ vermag auch nicht die Aufstellung von Vermutungen herauszuhelfen. Sie sind letztlich das Eingeständnis dessen, was überzeugend nicht wiederlegt werden kann: Niemand kann einigermaßen zuverlässig eine Aussage über seine mutmaßliche mitunter existenzielle Entscheidung in einer Situation treffen, in der er niemals gestanden hat. 163 Vgl. Kuhlen, JR 2004 228: Zum wissenschaftlichen Prüfstein der Auseinandersetzung werden die Verhandlungen über die Vertragsverlängerung eines Fußballers. Es sei eine „sinnvolle“ Frage, ob ein bestimmter Fußballer seinen Vertrag bei einem Verein verlängert hätte, wenn die Gehaltszahlungen höher gewesen wären als bei einem anderen Verein. Das sei höchst plausibel und bei entsprechender Stellungnahme des Spielers würden das fast alle Befragten als zutreffend akzeptieren. Hierzu kritisch Puppe, JR 2004 472 und Jäger, in: FS für Jung 353 Fn. 36: Ob dieser Vergleich der vielfach existentiellen Patientenentscheidung gerecht werde, dürfe bezweifelt werden. 164 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 127. 165 Vgl. Einl. § 1 VI.

§ 2 Das Beweisthema und seine Einschränkungen

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d) Es ist zu befürchten, dass die Zurückstufung des Vollendungs- in Versuchsunrecht in völlige Straflosigkeit ausmündet.166 Jenseits der angeblich „eindeutigen“ Fälle einer „hypothetischen Einwilligung“ oder „Nichteinwilligung“ kann es in den praktisch vielen anderen Fällen, in denen es angesichts fehlender „konkreter (eindeutiger) Anhaltspunkte“ allenfalls möglich oder – ggfs. sehr – wahrscheinlich ist, dass die „hypothetische Frage“ verneint worden wäre, eine Verurteilung wegen eines vollendeten Delikts nicht geben. Das ist das oben dargestellte Ergebnis, wenn ein nicht determinierter Prozess als determiniert behandelt wird: Dem Täter ist „in dubio pro reo“ in den meisten Fällen nicht zu widerlegen, dass die Person gerade in die Gruppe derer gehört, die die „hypothetische Frage“ bejaht hätten. Die Korrektur dieses Ergebnisses durch die Möglichkeit der Versuchsbestrafung erscheint nur bedingt geeignet.167 Bei Fahrlässigkeit soll das Handlungsunrecht eine Strafe grundsätzlich nicht begründen können;168 Straflosigkeit ist hier die Folge. Dabei ist die fahrlässige Versäumung der ärztlichen Aufklärung der praktisch wichtigste Bereich der Aufklärungspflichtverletzung,169 denn Ärzte werden die Aufklärungspflicht durchaus ernstnehmen, mitunter allerdings mehr oder minder fahrlässig verfehlen.

C. Die Risikoerhöhungslehre I. Die weitere Zurückdrängung von „in dubio pro reo“ Roxin überträgt seine Variante der Risikoerhöhungslehre auf die „hypothetische Einwilligung“,170 um hierdurch deren fragwürdige Ergebnisse abzumildern. Die Risikoerhöhungslehre macht die objektive Erfolgszurechnung statt – von einem „normativen Zurechnungszusammenhang“171 – von einem Vergleich zweier Wahrscheinlichkeitsaussagen (scil. „Risikover166

Vgl. Mitsch, JZ 2004 284. Vgl. E. III. 168 Vgl. eingehend Duttge, in: MüKo § 15 Rdn. 209 ff. 169 Die jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 10. Oktober 2003 (Bandscheibenfall) und 19. Januar 2004 (Bohrerfall), in denen die Ärzte sich die Einwilligung erschlichen haben, sollten nicht verallgemeinert werden. 170 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 124 ff. Dieser Vorschlag ist keineswegs neu, sondern wurde bereits von Kuhlen, JR 2004 228; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 9 Rdn. 28 und Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 82 zur Diskussion gestellt. Joecks, Studienkommentar Vor § 32 StGB Rdn. 36 b hält bei der „hypothetischen Einwilligung“ „allenfalls“ die Lösung Roxins für vertretbar. 171 Bei der Risikoerhöhungstheorie wird kein Nachweis eines „normativen Zusammenhangs“ zwischen der Pflichtwidrigkeit und dem tatbestandlichen Erfolg gefordert. Das schließt ihn konstruktiv als Beweisthema daher aus. Vgl. Roxin, ZStW 74 (1962) 432; vgl. auch Schlüchter, JA 1984 676. 167

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

gleich“) abhängig:172 Die Wahrscheinlichkeitsaussage über den tatsächlichen Verlauf bei pflichtwidrigen Verhalten in Bezug auf das geschützte Rechtsgut wird mit der Wahrscheinlichkeitsaussage über den hypothetischen Verlauf bei alternativ pflichtgemäßen Verhalten in Bezug auf das geschützte Rechtsgut verglichen.173 Jede nachweisbare Begründung oder Erhöhung einer Gefahr über das erlaubte Maß für das geschützte Rechtsgut begründet die objektive Zurechnung des Erfolgs.174 Wie sich das Geschehen hypothetisch entwickelt hätte, ob der Erfolg bei normgemäßen Verhalten tatsächlich ausgeblieben wäre, stehe außerhalb des Risikovergleichs. Das könne man meist nicht wissen.175 Mit der Risikoerhöhungslehre wird die Entscheidung „in dubio pro reo“ daher weiter zurückgedrängt. II. Die Auseinandersetzung mit der „Risikoerhöhungslösung“ 1. Die Ermittlung der Risikoerhöhung

Gegen diese Konstruktion, bei der der Gedanke des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ in den Fällen der „hypothetischen Einwilligung“ mit dem Zurechnungsprinzip der Risikoerhöhungslehre ausgestaltet wird, erheben sich Bedenken. Der Gedanke des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ trägt nicht. Der Eingriff als solcher begründet die rechtspflichtwidrige Rechtsgutsbeeinträchtigung.176 Tatsächlich liegt die Risikoerhöhung daher vor, denn abzustellen ist auf den ärztlichen Heileingriff in die „körperliche Unversehrtheit“, nicht auf die Beeinträchtigung des in den Körperverletzungsdelikten (§§ 223 StGB ff.) nicht geschützten Rechtsguts der „Selbstbestimmung“. Die Risikoerhöhungslehre legitimiert auch keine Anerkennung „hypothetischer Ersatzursachen“. Sie haben bei der Durchführung des Risikoverglei172

Vgl. etwa Küper, in: FS für Lackner 283; Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 69. 173 Vgl. Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 82; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 124 f. 174 Vgl. Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 55 II 2 585; Küper, in: FS für Lackner 283; Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 45; Puppe, JuS 1982 663; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 77; ders., ZStW 74 (1966) 433; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 8 Rdn. 37; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 6 Rdn. 198. 175 Vgl. etwa Küper, in: FS für Lackner 282 f.; Roxin, ZStW 74 (1962) 433 f. Zum heuristischen Wert der Frage für die Risikoerhöhungslehre, ob der Erfolg bei pflichtgemäßen Verhalten eingetreten wäre Küper, in: FS für Lackner 283; Otto, Grundkurs AT § 10 Rdn. 19 f.; Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 67. Vorsichtiger formuliert Roxin, ZStW 74 (1962) 441, der darin bestenfalls ein „widerlegliches Indiz“ sieht. 176 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 134; ders., Jura 2004 683.

§ 2 Das Beweisthema und seine Einschränkungen

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ches außer Betracht zu bleiben. Daher ist die „hypothetische Einwilligung“ des Patienten belanglos. Der maßgebliche Grund, weshalb auch die Risikoerhöhungslehre bei der „hypothetischen Einwilligung“ nicht weiterführt, besteht darin, dass eine Risikoerhöhung vorliegt, die die objektive Erfolgszurechnung trägt. 2. Die Probleme der Risikoerhöhungslehre bei der „hypothetischen Einwilligung“

Nach Stratenwerth soll die Risikoerhöhungslehre die Berücksichtigung von „hypothetischen Ersatzursachen“ in ihren praktischen Konsequenzen erträglich machen.177 Hierher gehört die „hypothetische Einwilligung“ tatsächlich. Es ist eine normative Frage, ob „hypothetische Ersatzursachen“ schon bei der „Möglichkeit ihres Vorliegens“ oder erst bei der „fehlenden Risikoerhöhung“ durch das Täterverhalten berücksichtigt werden sollen. a) Die Verfehlung des mit der Einwilligung und der ärztlichen Aufklärungspflicht verfolgten Zwecks Der Wechsel des Zurechnungsprinzips verdeckt die Schwächen der „hypothetischen Einwilligung“, beseitigt sie aber nicht. Auch mit der Risikoerhöhungslehre wird der eigentliche Zweck der Einwilligung und der ärztlichen Aufklärungspflicht missachtet. Der Sinn der ärztlichen Aufklärungspflicht, wonach ärztliche Eingriffe nur bei einer ausreichenden Information des Patienten erfolgen sollen, wird nicht erst dann verfehlt, wenn „konkrete Möglichkeiten“ der Behandlungsverweigerung „verschüttet“ werden.178 Der Zweck der Einwilligung und der ärztlichen Aufklärungspflicht ist nicht nur die möglichst weitgehende Erhaltung von „konkreten Entscheidungsmöglichkeiten“ des Patienten, sondern die Erhaltung des Anspruchs des Patienten, als „Subjekt der Behandlung“ (Steffen) ernst genommen zu werden. Hinter dem aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG folgenden „Subjektanspruch“ bleibt auch diese Konstruktion zurück, wenngleich sie ihn möglichst weitgehend aufrechtzuerhalten versucht.

177 Vgl. Stratenwerth, Strafrecht AT I (bis zur 3. Aufl.) § 8 Rdn. 229; vgl. auch Würfel, Rechtmäßiges Alternativverhalten 122. Auf die strukturellen Unterschiede der Fallgruppen weist zudem Samson, Hypothetische Kausalverläufe 152 hin, lehnt aber eine Korrektur des Intensivierungsprinzips anhand der Risikoerhöhungslehre ab. 178 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 125.

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

b) Umkehrung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ Seine Risikoerhöhungslehre hat Roxin im Zusammenhang mit der bei den Fahrlässigkeitsdelikten erörterten Problematik des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ entwickelt. Das Zurechnungserfordernis wird aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) begründet.179 Unter Bezugnahme auf den Gleichheitssatz sollen auch die problematische Fälle sachgerecht gelöst werden können, in denen es „zweifelhaft“ bleibt, ob durch die Überschreitung des „erlaubten Risikos“ ex ante eine Gefahr für das geschützte Rechtsgut erhöht worden ist: Eine Entscheidung „in dubio pro reo“ sei jedenfalls nicht richtig. Wenn nach dem jeweils gegenwärtigen Stand der Wissenschaft nicht „mit Sicherheit“ auszumachen sei, ob ein Tun die vom Gesetzgeber in Kauf genommene Gefahr erhöhe oder nicht, stehen diese Fälle denen des „erlaubten Risikos“ eben nicht gleich. Der Handelnde werde zu Recht bestraft, wenn ein solches Verhalten zu einer Rechtsgutsverletzung führe. Die Sorgfaltsregeln erheischen nämlich Bedeutung auch dort, wo ihre Vernachlässigung nicht mit Sicherheit, aber doch wahrscheinlich oder möglicherweise die Gefahren für das Opfer erhöhen.180 In dieser Ausprägung kehrt die Risikoerhöhungslehre den Grundsatz „in dubio pro reo“ um.181 Wird die Zurechnung des Erfolges an einem Risikovergleich ausgerichtet, bei dem erst eine messbare Erhöhung des Risikos die Zurechnung begründet, bedarf dieses Merkmal wie jedes andere strafbarkeitsbegründende Merkmal des vollen Nachweises seines wirklichen Vorliegens.182 Es ist kein rationaler Grund für die Umkehrung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ ersichtlich. Die Unschuldsvermutung ist bei der Ungewissheit über die strafbarkeitsbegründende Voraussetzung der Risikoerhöhung nicht widerlegt. Dem Täter kann „in dubio pro reo“ nicht die Verletzung der Rechtspflicht, einen bestimmten tatbestandlichen Erfolg zu vermeiden, vorgehalten werden.183 Die materiell-rechtliche Frage der Risikoerhöhung wird von der prozess-rechtlichen Überzeugungsbildung nicht 179 Vgl. so zuerst Roxin, ZStW 74 431 f.; ders., Strafrecht AT § 11 Rdn. 68; vgl. auch Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 99a. Vgl. hierzu 6. Kap. § 3 A. II. 1. 180 Vgl. Roxin, ZStW 74 (1962) 434; ders., ZStW 78 (1966) 218 f.; ders., Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 83. 181 Vgl. Stratenwerth, in: FS für Gallas 235 f.; vgl. auch Küper, in: FS für Lackner 283 f. („selbstverständlich“); Otto, Grundkurs AT § 10 Rdn. 24; ders., in: GS für Schlüchter 88, 96; Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 69; Schlüchter, JA 1984 676 Fn. 49; Schünemann, JA 1975 650 f.; Ulsenheimer, JZ 1969 367. 182 Vgl. auch Stree, In dubio pro reo 19. 183 Vgl. auch Küper, in: FS für Lackner 283 f.; Otto, Grundkurs AT § 10 Rdn. 24; ders., GS für Schlüchter 88, 96.

§ 2 Das Beweisthema und seine Einschränkungen

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hinreichend scharf getrennt.184 Der Täter soll nicht wegen „unbestimmter Möglichkeiten“, sondern wegen der „klaren Begünstigung“ des eingetretenen Erfolgs bzw. der wirklichen Verschlechterung der Lage des betroffenen Rechtsguts zur Rechenschaft gezogen werden.185 An der zentralen Frage der Risikoerhöhungslehre führt der Vorschlag Roxins daher vorbei, denn das Geschehen wird nicht mehr auf die Begründung oder Erhöhung einer „konkreten Gefahr“ für das geschützte Rechtsgut hin gewürdigt, die sich im tatbestandlichen Erfolg realisiert hat, sondern auf die Begründung oder Erhöhung einer für die Erfolgszurechnung jedenfalls nicht genügenden „abstrakten Gefahr“, wenn sie sich im Erfolg kausal ausgewirkt hat.186 Die strafbarkeitsbegründende Voraussetzung bleibt gerade zweifelhaft, ob nämlich die „abstrakte Gefahr“ für das geschützte Rechtsgut in eine „konkrete Gefahr“ umgeschlagen ist. Dem Vorschlag Roxins kann daher auch in der Fallgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ nicht gefolgt werden. c) Die Problematik des Nachweises der Risikoerhöhung Wird die objektive Erfolgszurechnung von der „hypothetischen Einwilligung“ abhängig gemacht in der Form, die ihr die Risikoerhöhungslehre gibt, kann eine Verurteilung wegen eines vollendeten Delikts jedenfalls erst erfolgen, wenn der volle Nachweis der „Verschüttung“ einer „konkreten Möglichkeit“, sich anders zu entscheiden, dargetan ist. Ansonsten muss die Strafbarkeit wegen eines vollendeten Delikts „in dubio pro reo“ entfallen; übrig bliebe ggfs. ein Handlungsunrecht.187 Hieran zeigen sich die Schwierigkeiten, denen selbst die in ihren Voraussetzungen weniger weit greifende Risikoerhöhungslehre bei der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ ausgesetzt ist. Unproblematisch sind solche Fälle, in denen eine praktische Gewissheit über die „hypothetische Nichteinwilligung“ in die Heilbehandlung besteht. Für die typischerweise eintretenden „Ungewissheitslagen“ liegt die Behauptung, dass sich die Nachweisschwierigkeiten, wie sie bei der Vermeidbarkeitstheorie auftreten, auch bei der Risikoerhöhungslehre in zugegeben abgeschwächter Form wiederholen, durchaus nahe.188 Die Risikoerhöhung wird schlechtweg nicht nachgewiesen werden können.

184 185 186 187 188

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

auch Arth. Kaufmann, in: FS für Jescheck Bd. I 282. Stratenwerth, in: FS für Gallas 236. Otto, Grundkurs AT § 10 Rdn. 24; ders., in: GS für Schlüchter 88, 96. Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122. auch Riedelmeier, Ärztlicher Heileingriff 82.

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

§ 3 Die „Versuchslösung“ bei der „hypothetischen Einwilligung“ Mit der „hypothetischen Einwilligung“ soll ein Ausschluss der objektiven Erfolgszurechnung verbunden sein. Theoretisch liegt hierin der Vorteil dieser Konstruktion gegenüber der Lösung der „hypothetischen Einwilligung“ als eigentlicher Rechtfertigungsgrund,189 nämlich die Behauptung eines Ausschlusses allein des objektiven Erfolgsunrechts, nicht aber des Handlungsunrechts. Die Problematik besteht jedoch darin, dass aus der theoretischen, als bloße Rückstufung von der Vollendungs- auf die Versuchsebene gedachten Strafbarkeitsreduzierung praktisch alsbald ein völliger Strafbarkeitsausschluss werden könnte.190 Damit wird die Befürchtung bestätigt, dass mit der „Chancenlehre“ der Bestand der Rechtsgüter gegenüber einer Lehre, bei der der Unrechtserfolg als „wirkliches, objektiv feststehendes Ereignis“ definiert wird, nicht ausreichend gesichert werden kann.191

A. Die Gründe für die Versuchsstrafbarkeit bei der „hypothetischen Einwilligung“ I. Viel von der Überzeugungskraft der „hypothetischen Einwilligung“ soll allerdings von der Möglichkeit der Bestrafung des Handlungsunrechts abhängen.192 Sie sei aus verschiedenen Gründen „wichtig“.193 1. Als Grund für die Bestrafung des Handlungsunrechts wird die dogmatische Einordnung des Rechtsgedankens der „hypothetischen Einwilligung“ in die Lehre der objektiven Zurechnung angeführt. „Wie bei jedem Ausschluss der objektiven Zurechnung“ bewirke die „hypothetische Einwilligung“ allein einen Ausschluss des Erfolgsunrechts des vollendeten Delikts.194 Der normative Bezugspunkt des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ scheidet jedoch aus. Hingegen ist die tatsächliche Parallele durchaus geeignet, diese Behauptung zu tragen. Die Berücksichtigung von „hypothetischen Ersatzursachen“ bei der objektiven Erfolgszurechnung soll sich nicht auf al189

Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230 Fn. 926. Vgl. Mitsch, JZ 2005 284; vgl. weiter Kuhlen, JR 2004 229 f.; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230. 191 Vgl. Jakobs, in: FS für Lackner 62; Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 136. 192 Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231. 193 Vgl. Kuhlen, JR 2004 229. 194 Vgl. Geppert, JK 12/04 § 223/3 StGB 3c; Kuhlen, JR 2004 230; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 122 f. 190

§ 3 „Versuchslösung“ bei der „hypothetischen Einwilligung“

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lein Fahrlässigkeitsdelikte beschränken.195 Dementsprechend hält auch die „Chancenlehre“ eine Bestrafung wegen Versuchs bei Vorsatzdelikten prinzipiell für möglich.196 2. Die Strafbarkeit wegen Versuchs bei der „hypothetischen Einwilligung“ beruht überdies auf dem Gedanken einer Abgrenzung dieses Rechtsgedankens von den Rechtfertigungsgründen. Inhaltlich sollen der Einwilligung, der „mutmaßlichen Einwilligung“ und der „hypothetischen Einwilligung“ eigenständige Anwendungsbereiche gegeben werden. Die Möglichkeit der Bestrafung wegen Versuchs würde bei einem vollständigen Vorliegen der Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe gar nicht mehr offengelassen.197 Der dogmatische Unterschied zwischen Rechtfertigung und bloßen Zurechnungsausschluss bliebe praktisch folgenlos.198 Damit werde aber die „Subsidiarität der mutmaßlichen Einwilligung“ fast völlig entwertet, da es bei einer zu vermutenden Zustimmung des Betroffenen in der Regel gar nicht mehr darauf ankäme, ob man dessen wirklichen Entscheidung einhole und nicht.199 3. Der Arzt soll darüberhinaus auf dem „rechten Pfad“ mit den generalund spezialpräventiven Mitteln des Strafrechts gehalten, dem Patienten dagegen seine „Selbstbestimmung“ garantiert werden. Mit der „hypothetischen Einwilligung“ geht die „Gefahr des Unterlaufens der Aufklärungspflicht“ einher.200 Würden nämlich „unter Umständen gravierende Aufklärungspflichtverstöße des Arztes sanktionslos“ bleiben,201 fehlte es an einer einleuchtenden Motivation für den – wenig gewissenhaften – Arzt,202 den Pa195 Vgl. ausdrücklich etwa Würfel, Rechtmäßiges Alternativverhalten 119. Das wird schon an den diskutierten Beispielsfällen deutlich, bei denen es ausschließlich um vorsätzliche Tatbegehung geht; vgl. etwa den Scharfrichterfall (5. Kap. § 2 C. I. 1. b) cc) (2)), den abgewandelten Ziegenhaarfall (6. Kap. § 3 B. III. 1.) usw. 196 Vgl. Samson, Hypothetische Kausalverläufe 110, 115, der eine Bestrafung wegen Versuchs für möglich hält, wenn der Täter „Zweifel an der Zuverlässigkeit“ der Ersatzursache habe und wenn er die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts sicherer machen wolle; vgl. auch Jakobs, Studien 24; Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 60; vgl. auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 55 für den Fall, dass dem Täter nur eine unschädliche Erfolgsmodifikation gelinge, wobei er das Rechtsgut zusätzlich hat schädigen wollen. 197 Vgl. Rönnau, JZ 2004 803; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230 Rdn. 926; vgl. auch Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 443; ders., JR 2004 229 f.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 132. 198 Vgl. Kuhlen, JR 2004 229. 199 Vgl. Kuhlen, JR 2004 227, 229; ders., in: FS für Roxin 334 Fn. 14; ders., in: FS für Müller-Dietz 443; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231. 200 Vgl. Mitsch, JZ 2005 284; Rönnau, JZ 2004 804. 201 Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231. 202 Vgl. Kuhlen, JR 2004 230.

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

tienten als „Subjekt der Behandlung“ (Steffen) ernst zu nehmen. Die Versicherung des wirklichen Willens des Berechtigten wäre statt rechtlich bewehrte „Pflicht“ eine vielmehr medizinisch und rechtlich wünschenswerte, letztlich aber folgenlos verletzbare Richtlinie. Der Arzt könnte sogar absichtlich die ärztliche Aufklärungspflicht vernachlässigen und dem Patienten praktisch jedes Risiko aufzwingen, dass die lex artis deckt, bis an die Grenze des Machbaren.203 II. Bei der Untreue (§ 266 StGB) soll die – fehlende – Möglichkeit einer Versuchsstrafbarkeit aber offenbar nicht diese Bedeutung haben.204 Für diese überraschende Differenzierung bleibt Rönnau jede Begründung schuldig. Die behauptete theoretische Vorteilhaftigkeit der Lösung der „hypothetischen Einwilligung“ auf der Zurechnungsebene gegenüber der Lösung auf der Rechtfertigungsebene ist jedoch aus theoretischen und praktischen Gründen angreifbar.

B. Die Auseinandersetzung mit der „Versuchslösung“ I. Die Ermittlung des Vorsatzes bei der „hypothetischen Einwilligung“ In der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ liegt der Vorsatz des Arztes tatsächlich vor. Der Arzt stellt sich die Rechtsgutsbeeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ seines Patienten durch die ärztliche Heilbehandlung vor. Er stellt sich gerade nicht das tatsächliche Vorhandensein der Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes vor. Das ist für die Einwilligung des Patienten offensichtlich: Der Arzt handelt in Kenntnis ihrer rechtlichen Unwirksamkeit. Er ist sich bewusst, dass der Patient infolge der fehlerhaften ärztlichen Aufklärung regelmäßig keine rechtlich wirksame Einwilligung erklären kann. Die tatsächliche Vorstellung des Täters wird nicht beeinflusst durch Mutmaßungen darüber, ob er den Erfolg auch hypothetisch rechtmäßig hätte herbeiführen können. Der Täter weiß, dass er die Rechte des anderen tatsächlich missachtet. Die tatsächliche Vorstellung des bewusst ohne Einwilligung handelnden Arztes, er hätte die Einwilligung hypothetisch erlangen 203 Vgl. Puppe, Strafrecht AT Bd. 1 § 22 Rdn. 4; dies., GA 2003 769; dies., JR 2004 471. 204 Vgl. Rönnau, in: FS für Tiedemann 719.

§ 3 „Versuchslösung“ bei der „hypothetischen Einwilligung“

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können, wenn er hypothetisch alternativ rechtmäßig gehandelt hätte, berührt seinen Vorsatz nicht. Der Arzt weiß genau, dass er die „körperliche Unversehrtheit“ des Patienten rechtswidrig beeinträchtigt. In den Sachgestaltungen der „hypothetischen Einwilligung“ stellt sich der Arzt keinen tatsächlichen Sachverhalt vor, der ihn rechtfertigt (scil. Einwilligung), sondern einen hypothetischen Sachverhalt, der ihn hätte rechtfertigen können (scil. „hypothetische Einwilligung“). Die Behauptung von Hypothesen hat keine Bedeutung für den objektiven, sie hat notwendig auch keine für den subjektiven Tatbestand. Der Vorsatz des Arztes wird von der Vorstellung allein einer „hypothetisch“ gebliebenen Einwilligung nicht berührt.205 II. Das Übergehen der theoretischen Bedenken 1. Theoretisch beinahe vollständiger Ausschluss der Versuchsstrafbarkeit

Theoretisch überwiegen die Bedenken gegen das geforderte Zurechnungserfordernis der „hypothetischen Einwilligung“, wenn ernsthaft an der Prämisse festgehalten wird, dass „geistige Vorgänge im Innern des Menschen“ keinen strikt determinierenden (Natur-)Gesetzen unterworfen sind. Diese Prämisse liegt der Referendarentscheidung (BGHSt 13 13)206 zugrunde. Der Bezugspunkt von Vorsatz und subjektiven Versuchstatbestand, nämlich der vorbehaltlose (unbedingte) Tatentschluss, die sich grundsätzlich entsprechen,207 ist der objektive Tatbestand. Das ergibt sich aus einem Umkehrschluss aus § 16 Abs. 1 StGB.208 Hiernach wäre in der subjektiven Vorstellung notwendig auch209 der geforderte „Zusammenhang“ zwischen der „fehlerhaften ärztlichen Aufklärung“ und der „Einwilligung“ oder dem „tatbestandlichen Verletzungserfolg“ (scil. „hypothetische Einwilligung“) abzubilden. Nach Ausschöpfung aller derzeit vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisquellen können aber wegen des Fehlens von strikt determinierenden Naturgesetzen theoretisch unmöglich andere als Wahrschein205

Auf die weiteren Abweichungen bei den Irrtumskonstellationen soll im Zusammenhang mit den Rechtfertigungsgründen hingewiesen werden, vgl. 6. Kap. § 5. D. 206 Vgl. 5. Kap. § 2 C. 3. 207 Vgl. Brammsen, MDR 1989 125; Otto, Grundkurs AT § 18 Rdn. 16. 208 Vgl. Brammsen, MDR 1989 125; Otto, Grundkurs AT § 18 Rdn. 16; ders., Jura 2001 277; Puppe, JR 2004 471. 209 Vgl. etwa Brammsen, MDR 1989 125; Otto, Grundkurs AT § 18 Rdn. 16; ders. Jura 2001 277; Puppe, JR 2004 471. Daher müssen Vorsatz und subjektiver Versuchstatbestand (Tatentschluss), die einander grundsätzlich entsprechen sollen, auch die Modalitäten der objektiven Erfolgszurechnung umfassen.

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

lichkeitsaussagen darüber getroffen werden, ob eine bestimmte Information für die Entscheidung eines Menschen notwendig war.210 Der „Zweifelsgrundsatz“ würde dem Richter noch aufgeben, diese objektiv bestehende Ungewissheit stets im Sinne des Täters zu entscheiden.211 Theoretisch besteht für den Arzt daher keine Pflicht mehr, den Patienten ordnungsgemäß aufzuklären, denn objektiv ist das Zurechnungserfordernis, die „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ der „hypothetischen Nichteinwilligung“ des Patienten, schlechtweg unerweislich. Der Arzt kann demnach objektiv in rechtswidriger Weise keine Pflicht verletzen. Das bedeutet aber auch, dass er sich auch keine rechtswidrige Verletzung einer Pflicht vorstellen und deshalb auch nicht den subjektiven Versuchstatbestand erfüllen kann. Die Versuchsstrafbarkeit wäre nicht nur „praktisch“, sondern sogar theoretisch – beinahe212 – ausgeschlossen.213 Das führt theoretisch zu den unannehmbaren kriminalpolitischen Konsequenzen, um deren Vermeidung es der Wissenschaft durch die Behauptung der Versuchsstrafbarkeit bei der „hypothetischen Einwilligung“ gerade geht.214 2. Praktisch erheblich eingeschränkter Bereich der Versuchsstrafbarkeit

In der Wissenschaft, die diese theoretischen Konsequenzen vernachlässigt, wird die „hypothetische Frage“ so behandelt, als ob sie sich wegen des Fehlens von strikt determinierenden Naturgesetzen zwar „nicht strikt, aber mehr oder weniger plausibel“ entscheiden ließe.215 Diese ganz „praktische Sichtweise“ soll ausreichenden Raum für eine Strafbarkeit wegen Versuchs offen lassen, denn in diesem „bescheidenen“ Sinne lässt sich in der Tat behaupten, dass sich der Arzt die „Behandlungsverweigerung“ oder „-einwilligung“ als „sicher“ oder – praktisch viel wichtiger – als „möglich“ vorgestellt hat. 210

Vgl. zur Problematik der „prinzipiellen Ungewissheit“ oben § B. IV. Vgl. Puppe, in: FS für Roxin 302; dies., JR 2004 470; vgl. auch Duttge, in: FS für Schroeder 189 Fn. 87. 212 Eine Versuchsstrafbarkeit könnte allenfalls dann begründet werden, wenn sich der Arzt den „hypothetischen Entscheidungsprozess“ des Patienten nach strikten Naturgesetzen determiniert vorstellen würde. Diese Fälle haben praktisch vermutlich keine Bedeutung („Dummenfalle“), vgl. auch Puppe, in: FS für Roxin 305. Doch ist auch das für Versuchsstrafbarkeit keineswegs ausreichend, vgl. unten 2. b) bb). Immerhin müsste sich der Täter dann vorstellen, dass der Patient die Einwilligung möglicherweise oder „sicher“ nicht gegeben hätte. 213 Vgl. Puppe, in: FS für Roxin 305; dies., GA 2003 769; dies., JR 2004 471. 214 Vgl. A. 215 Vgl. Kuhlen, JR 2004 228. 211

§ 3 „Versuchslösung“ bei der „hypothetischen Einwilligung“

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a) Die „sichere“ Voraussicht der „hypothetischen Einwilligung“ und die Irrtumsfälle Jenseits der möglichen216 Einschränkungen, besonders des problematischen Zusammenwirkens einerseits des tatsächlichen Erlaubnistatbestandsirrtums über die Einwilligung und andererseits des für die objektive Erfolgszurechnung für relevant gehaltenen Rechtsgedankens der „hypothetischen Einwilligung“,217 verbleibt grundsätzlich ein Bereich nachweislich vorsätzlich eigenmächtigen ärztlichen Handelns. Bei der „sicheren“ Vorhersicht der „hypothetischen Nichteinwilligung“ des Patienten wäre der Vorsatz des Arztes jedenfalls zu bejahen. Allein die praktische Relevanz dieser Fallgruppe erscheint überaus gering, denn der Arzt wird die Heilbehandlung hier eher unterlassen218 oder eine andere subjektive Vorstellung behaupten. Die „hypothetische Einwilligung“ wird unter diesen Bedingungen zu einer „Dummenfalle“. Die praktisch nicht zu vernachlässigenden Irrtumsfälle sind vielmehr diejenigen, in denen der Arzt die „hypothetische Einwilligung“ – unterstellt nachweisbar – als „praktisch“ „sicher“ vorhersieht. Eine Strafbarkeit wegen Versuchs kann mangels subjektiven Versuchstatbestandes (Tatentschluss) 216 Jedenfalls nimmt die Rechtsfigur der „hypothetischen Einwilligung“ eine erste Hürde, seitdem der Versuch der Körperverletzung durch das Sechste Strafrechtsreformgesetz vom 26. Januar 1998 für strafbar erklärt wurde (§§ 223 Abs. 2, 23 Abs. 1 StGB). Mit der grundsätzlichen Einschränkung des straflosen Bereiches ärztlicher Eigenmacht um eine wesentliche Fallgruppe wird ein ganz entscheidender Einwand gegen die Rechtsfigur entwertet, die von den Ergebnissen her sonst eher nicht gehalten werden könnte. 217 Zu bereinigen ist der für eine Strafbarkeit wegen Versuchs relevante Bereich um jene Fälle eines Erlaubnistatbestandsirrtums über einen anerkannten Rechtfertigungsgrund. Im „Surgibone“-Dübelfall (BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71) hatte sich der Arzt etwa die Voraussetzungen der Einwilligung vorgestellt. Die irrige Vorstellung eines Sachverhalts, der, wenn er zutreffend wäre, den Täter rechtfertigen würde, soll die Strafbarkeit wegen einer vorsätzlichen Tat ausschließen. Im Fahrlässigkeitsbereich steht die Feststellung einer „hypothetischen Einwilligung“, die eine objektive Zurechnung des tatbestandlichen Verletzungserfolgs zum Tatoder Unrechtstatbestand verhindern soll, der Strafbarkeit überhaupt entgegen, denn ein Handlungsunrecht soll hier nach der Entscheidung des Gesetzgebers allein keine Strafbarkeit wegen Versuchs begründen können, vgl. etwa Duttge, in: MüKo § 15 StGB Rdn. 209 ff. 218 Das „sichere“ Voraussehen bzw. die Befürchtung einer Behandlungsverweigerung hat die Ärzte im Bandscheibenfall (BGH NStZ – RR 2004 16 = JR 2004 251) und im Bohrerfall (BGH NStZ 2004 442 = 2004 469) veranlasst, die Einwilligung zu erschleichen. Die Strafbarkeit wenigstens wegen Versuchs, wenn die „hypothetische Einwilligung“ objektiv wider Erwarten oder „in dubio pro reo“ festgestellt wird, zeigt in die richtige Richtung. Praktisch dürfte der ärztliche Berufsethos dieser Fallgruppe allerdings die Bedeutung nehmen.

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

nicht angenommen werden.219 Der Arzt kann sich wissentlich von der Aufklärungspflicht entfernen, ohne sich strafbar zu machen. Dem Arzt wird neben dem tatsächlichen Erlaubnistatbestandsirrtum ein weiterer für beachtlich erklärter Irrtumstatbestand eingeräumt. Die Voraussetzungen der „hypothetischen Einwilligung“ kann sich der Arzt im Tatzeitpunkt in der Tat irrtümlich vorstellen. Es genügt allerdings auch die nachträgliche Behauptung dieser subjektiven Vorstellung vor Gericht, die es ihm in beiden Fälle tatsächlich ermöglicht, von der Aufklärungspflicht abzusehen. Ein in der Tat „nicht ganz unproblematisch[es]“ Ergebnis.220 b) Das „Fürmöglichhalten“ der „hypothetischen Einwilligung“ Praktisch weitaus wichtiger für die Versuchsstrafbarkeit ist der „Regelfall“ des „Fürmöglichhaltens“ einer „hypothetischen Einwilligung“.221 In der Wissenschaft wird die Möglichkeitsvorstellung von der „hypothetischen Einwilligung“ für den subjektiven Versuchstatbestand (Tatentschluss) des Arztes als ausreichend erachtet, denn von seinem bedingten Vorsatz (scil. dolus eventualis) sei umfasst, dass der Berechtigte möglicherweise nicht zustimmen würde.222 Es wird selbst von den Befürwortern der Rechtsfigur keineswegs verkannt, dass dieses Ergebnis überaus problematisch ist.223 Die „hypothetische Einwilligung“ soll objektiv „sicher“ oder „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nachzuweisen sein. Für den subjektiven Versuchstatbestand (Tatentschluss) soll hingegen die Möglichkeitsvorstellung genügen, dass diese Voraussetzung bestehen könnte („hypothetische Nichteinwilligung“). Mit dem Hinweis auf die Übertragbarkeit der von den unechten Unterlassungsdelikten bekannten Lösung auf die Fallgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ soll die Problematik allerdings sachgerecht zu bewältigen sein.224

219 Vgl. Gropp, in: FS für Schroeder 199; Kuhlen, JR 2004 230; Mitsch, JZ 2005 284; Puppe, JR 2004 471. 220 Vgl. einräumend auch Kuhlen, JR 2004 230. 221 Vgl. zutreffend Kuhlen, JR 2004 230. 222 Vgl. Kuhlen, JR 2004 230. 223 Vgl. besonders Kuhlen, JR 2004 230. 224 Vgl. Kuhlen, JR 2004 230.

§ 3 „Versuchslösung“ bei der „hypothetischen Einwilligung“

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aa) Die Problematik bei den unechten Unterlassungsdelikten (1) Die mögliche Interpretation der herrschenden Meinung Ob die Strafbarkeit wegen Versuchs bei den unechten Unterlassungsdelikten225 so „fraglos“ sei, wenn das im objektiven Tatbestand verlangte Vermeidbarkeitserfordernis gelte,226 ist zu bezweifeln. Auszugehen ist von der grundsätzlichen Übereinstimmung von Unterlassungsvorsatz und subjektiven Versuchstatbestand (Tatentschluss).227 Der Bezugspunkt des Vorsatzes ist bei Begehungs- und bei Unterlassungsdelikten gleichermaßen der objektive Tatbestand.228 Wegen der spiegelbildlichen Abbildung des objektiven Tatbestandes im Unterlassungsvorsatz erstreckt sich dieser auch auf die geforderten Modalitäten der Zurechnung des Erfolges. Dann müsste der Unterlassungsvorsatz die von der Rechtsprechung und der Wissenschaft verlangte „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ der Erfolgsabwendung abbilden. Stratenwerth hat auf die „unannehmbare Konsequenz“229 dieser Konstruktion hingewiesen. Nimmt man diese Konstruktion wirklich ernst, so müsste der Versuch, ein bedrohtes Rechtsgut zu retten, nur unternommen werden, wenn am Erfolg praktisch nicht gezweifelt werden könnte, nicht aber dann, wenn dies seine Rettungschancen „nur“ erhöhen würde.230 In letzter Konsequenz wird damit das Versuchsunrecht praktisch231 beseitigt. Im Unterlassungsbereich würde die Garantenpflicht zur Erfolgsvermeidung 225 Damit wird auf einen ähnlich liegenden Sachverhalt verwiesen, bei der die Wahrnehmung der Rettungshandlung den Erfolg nicht „sicher“, sondern nur „wahrscheinlich“ abgewendet hätte und der Täter dies erkennt. Ihren Standpunkt zur „(Quasi-)Kausalität“ bei den unechten Unterlassungsdelikten hat die Rechtsprechung jüngst wiederholt zum Ausdruck gebracht. Nach dem Dritten Strafsenat des Bundesgerichtshofs soll dem Täter die Unterlassung nur angelastet werden, wenn der strafrechtlich relevante Erfolg bei pflichtgemäßen Verhalten mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verhindert worden wäre, vgl. BGH NJW 2000 2754, 2757. Für den Fünften Strafsenat des Bundesgerichthofs soll eine Unterlassung dann „quasi-ursächlich“ sein, wenn die gebotene Handlung den Erfolg verhindert hätte, vgl. BGHSt 48 77, 93. 226 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT 29. Abschn. Rdn. 20. 227 Vgl. Brammsen, MDR 1989 125; Otto, Grundkurs AT § 18 Rdn. 16. 228 Vgl. Brammsen, MDR 1989 125; Otto, Grundkurs AT § 18 Rdn. 16; ders., Jura 2001 277; Puppe, JR 2004 471. Vgl. auch oben B. II. 1. 229 Vgl. Brammsen, MDR 1989 125; Herzberg, MDR 1971 883; Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 99; Ulsenheimer, JuS 1972 253. 230 Vgl. Stratenwerth, Strafrecht AT I 4. Aufl. § 13 Rdn. 55. 231 Entweder ist der Beitrag des Täters notwendig, um die Rechtsgutsbeeinträchtigung abzuwenden, dann kommt vollendetes Delikt in Betracht, wenn der Versuch der Rettung nicht unternommen wird, oder der Täter hält seinen Beitrag „irrtüm-

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

objektiv allein dann bestehen, wenn die Rettungshandlung den Erfolg mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ vermieden hätte, ansonsten existierte keine Pflicht für den Garanten, die Rechtsgutsbeeinträchtigung durch Wahrnehmung einer die Erfolgsabwendung nur wahrscheinlicher machende Handlung abzuwenden. Wegen des Fehlens einer in der genannten Situation bestehenden Rechtspflicht, einen bestimmten tatbestandlichen Erfolg abzuwenden, könnte der Täter nicht einmal den Tatentschluss gegenwärtigen, ein rechtswidriges Verhalten zu verwirklichen.232 Um diesem „absurden Ergebnis“ zu entgehen, hat die Rechtsprechung statt auf die Rettungschance auf die „an Sicherheit grenzende Chance“ einer geringfügigen Verzögerung des Todeseintritts abgestellt.233 Diese Konstruktion setzt allerdings voraus, dass sich das geschützte Rechtsgut von seiner Qualität her so interpretieren lässt, also eine zeitliche Dimension besitzt. Das ist bei der „körperlichen Unversehrtheit“ allerdings nicht der Fall.234 (2) Die Interpretation durch den Zweiten Strafsenat des Bundesgerichtshofs Der drohenden Beseitigung des Versuchsunrechts versuchen Rechtsprechung und Wissenschaft235 konstruktiv durch eine Trennung von Garantenpflicht und Erfolgszurechnung zu begegnen. Der Zweite Strafsenat des Bundesgerichtshofs stellt darauf ab, dass „nur“ die sicher voraussehbare Erfolglosigkeit eines Rettungsbemühens die Handlungspflicht des Garanten entfallen lasse.236 Somit ist der Garant umgekehrt lich“ für notwendig, was die Versuchsstrafbarkeit zu einer Art „Dummenfalle“ machen würde. 232 Vgl. auch Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 99; vgl. weiter Brammsen, MDR 1989 125; Stratenwerth, Strafrecht AT I 4. Aufl. § 13 Rdn. 55; vgl. auch B. Schünemann, StV 1985 232. Nunmehr anders Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 13 Rdn. 55. 233 Vgl. Stratenwerth, Strafrecht AT I 4. Aufl. § 13 Rdn. 55; vgl. auch Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 49. 234 Vgl. Samson, Hypothetische Kausalverläufe 108; vgl. auch Rudolphi, in: SK Vor § 1 StGB Rdn. 59. Das eingängigste Beispiel bezieht sich auf das Rechtsgut „Leben“ (§§ 211, 212 StGB ff). 235 Die „Kausalität“ müsse zwar im objektiven Tatbestand des vollendeten Delikts erwiesen sein, dass heiße im Falle der Unterlassung, es müsse gewiss sein, dass die unterlassene Handlung den Erfolg verhindert hätte. Für den Vorsatz genüge es aber, dass der Täter die Kausalität, dass heiße die Abwendung des Erfolgs durch Vornahme der gebotenen Handlung als möglich erfasse, vgl. Herzberg, MDR 1971 883; vgl. weiter Jakobs, Strafrecht AT 29. Abschn. Rdn. 20; Kühl, Strafrecht AT § 18 Rdn. 39. 236 Vgl. BGH NStZ 2000 414, 415.

§ 3 „Versuchslösung“ bei der „hypothetischen Einwilligung“

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zur Wahrnehmung jeder möglichen Rettungschance verpflichtet. Seine Pflicht ist nicht auf die Wahrnehmung solcher Rettungsbemühungen beschränkt, die den Erfolg mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verhindert hätten. Von der Garantenpflichtebene wird die Ebene der Erfolgszurechnung getrennt. Trotzdem soll die Tat als vollendete „nur“ strafbar sein, wenn der Täter durch das Ergreifen solcher Maßnahmen den Erfolg mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ hätte verhindern können.237 In den übrigen Fällen soll „in dubio pro reo“ entschieden werden. In dieser Entscheidung wird der Wechsel des Haftungsmaßstabs offenbar.238 Während der Zweite Strafsenat für das Vollendungsunrecht an der „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ der Erfolgsverhinderung festhält (Vermeidbarkeitserfordernis), lässt er beim Versuch bereits die Möglichkeit einer Gefahrverringerung genügen (Risikoerhöhungstheorie).239 In einer weiter zurückliegenden Entscheidung hatte der Bundesgerichtshof auch klargestellt, dass der Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht so weit gehe, dass er auch die Bestrafung wegen Versuchs ausschließe. Denn beim Versuch komme es ja auf den Kausal- bzw. Denkzusammenhang zwischen dem erwarteten Handeln und dem Erfolg nicht an.240 (3) Bruch zwischen Vorsatz und subjektivem Versuchstatbestand (Tatentschluss) Mit dem Hin- und Herschwanken des Haftungsmaßstabs zwischen dem Vermeidbarkeits- und dem Risikoerhöhungserfordernis gelingt es zwar, den Versuch des unechten Unterlassungsdelikts zu erhalten. Das beruht jedoch auf dem Zugeständnis eines unauflösbaren systematischen Bruchs in den Voraussetzungen zwischen Vollendungs- und Versuchsunrecht. Es sind einschränkende Korrekturen beim Vorsatz erforderlich, wenn an dem Grundsatz der Übereinstimmung von Vorsatz und subjektiven Versuchstatbestand (Tatentschluss) festgehalten werden soll. Weil aber der Bezugsgegenstand von Vorsatz und subjektiven Versuchstatbestand (Tatentschluss) bei den Begehungs- und Unterlassungsdelikten gleichermaßen der objektive Tatbestand ist, müsste der Vorsatz konsequenterweise die „an 237

Vgl. BGH NStZ 2000 414, 415. Vgl. schon BGH MDR 1966 24 mitgeteilt bei Dallinger; BGHSt 14 282, 284; BGH GA 1968 336, 337; StV 1985 229. 239 Vgl. Brammsen, MDR 1989 125; Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 100; ders., Jura 2001 277. 240 Vgl. BGH MDR 1966 24 mitgeteilt bei Dallinger. Das ist inkonsequent, vgl. oben (1). 238

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ der Erfolgsabwendung abbilden. Das hätte „unannehmbare“ kriminalpolitische Konsequenzen zur Folge. Hieran würde die fehlende Übereinstimmung von Vorsatz und Tatentschluss endgültig offenbar.241 Mit der Übertragung der Rechtsfigur des bedingten Vorsatzes (scil. dolus eventualis) von den Begehungs- auf die unechten Unterlassungsdelikte soll von dieser Unstimmigkeit abgelenkt werden, dass das Erfordernis der „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ im Vorsatz und im subjektiven Versuchstatbestand (Tatentschluss) kein Gegenstück mehr findet. Für den Vorsatz und den subjektiven Versuchstatbestand (Tatentschluss) soll es gleichermaßen ausreichend sein, wenn der Täter sich der Möglichkeit bewusst ist, durch die von ihm erwartete Handlung die bevorstehende Rechtsgutsbeeinträchtigung verhindern zu können.242 Der bedingte Vorsatz kann allerdings „zweifellos nicht ausreichen“, um die Kenntnis der unterlassenen Risikoverminderung subjektiv als Kausalitätsvorsatz zu qualifizieren, wenn der gleiche Sachverhalt objektiv für die Kausalitätsfeststellung nicht genügt.243 In der Wissenschaft wird die Versuchsbestrafung bei einer Möglichkeitsvorstellung von der Abwendung der Rechtsgutsbeeinträchtigung beim unechten Unterlassungsdelikt mitunter durch eine gedankliche Umformulierung der Möglichkeitsvorstellung zu halten versucht. Das gelingt aber nicht.244 241

Vgl. Brammsen, MDR 1989 126. Vgl. Arzt, in: GS für Schlüchter 171 f.; Engländer, JuS 2001 960 f.; Jakobs, Strafrecht AT 29. Abschn. Rdn. 20; Jescheck, in: LK 11. Aufl. Vor § 13 StGB Rdn. 89; Kuhlen, JR 2004 230; Puppe, ZStW 95 (1983) 303; dies., Analysen 158; Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 48; Spendel, JZ 1973 142 f.; Stratenwerth/ Kuhlen, Strafrecht AT I § 13 Rdn. 55; Ulsenheimer, JuS 1972 253; Vogel, Norm und Pflicht 163 f. 243 Vgl. B. Schünemann, StV 1985 232. Daher dürften neben den Ausführungen Herzbergs (vgl. oben Fn. 237) auch diejenigen Roxins, Strafrecht AT Bd. II § 31 Rdn. 48, dass der Unterlassende bei einer 50-prozentigen Rettungschance den durch das Unterlassen bedingten Erfolgseintritt mit eben dieser Wahrscheinlichkeit in Kauf nehme, nicht überzeugend sein. 244 Auch der Täter könne den genauen Kausalprozess nicht kennen. Er erbringe seinen Beitrag gerade für den Fall der Notwendigkeit, vgl. Puppe, ZStW 95 (1983) 303; dies., Analysen 158; vgl. auch B. Schünemann, StV 1985 232; vgl. wohl auch Jakobs, Strafrecht AT 29. Abschn. Rdn. 20, denn der sich normtreu Verhaltende versuche den Erfolg wirklich und nicht etwa mehr oder weniger wahrscheinlich abzuwenden. Die Vorstellung des Wahrscheinlichkeitsurteils soll so interpretiert werden, dass mit einer Wahrscheinlichkeit angegeben werden könne, dass im gegebenen Fall alle diejenigen Randbedingungen vorliegen, kraft derer gemäß den Naturgesetzen die Rettungshandlung den Erfolg (scil. mit Sicherheit) abwenden werde, vgl. B. Schünemann, StV 1985 232. Der Unterlassungsvorsatz wird umgedeutet in einen Vorsatz 242

§ 3 „Versuchslösung“ bei der „hypothetischen Einwilligung“

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Weil „nur“ bei einer sicher voraussehbaren Erfolglosigkeit eines Rettungsbemühens die Handlungspflicht entfallen soll, verpflichtet der Zweite Strafsenat des Bundesgerichtshofs den Garanten – nach seinen theoretischen Prämissen im objektiven Bereich nicht erklärbar, aber in der Sache überzeugend – zur Wahrnehmung jeder möglichen Rettungschance, die den Erfolg abgewendet hätte. Unterlassungsvorsatz und subjektiver Versuchstatbestand (Tatentschluss) werden im folgenden auf die Risikoerhöhungslehre gegründet, weshalb ein Versuch möglich bleibt bei der Nichtwahrnehmung einer als solchen erkannten, den Erfolg nur wahrscheinlich, aber nicht „sicher“ abwendenden Rettungschance. Bei der Ausdehnung der Pflicht bleibt der Bundesgerichtshof jedoch im Bezugsgegenstand des objektiven Tatbestandes auf halben Weg zur Risikoerhöhungslehre stehen: Ein vollendetes Delikt soll erst vorliegen, wenn die Rettungshandlung den Erfolg mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verhindert hätte. Dieses intrasystematisch inkonsequente Zurechnungsmodell führt bei dem Bestehen einer Rettungschance, die den Erfolg nur wahrscheinlich abgewendet hätte, zur Straflosigkeit in Fällen, in denen der Versuch nicht unter Strafe steht (§§ 22, 23 Abs. 1 StGB) sowie in Fällen von Fahrlässigkeit, bei denen Handlungsunrecht allein das Unrecht des Fahrlässigkeitsdelikt nicht soll begründen können.245 Wenn eine Begründung vollendeten Unrechts durch ein Ausweichen auf die Hilfskonstruktion der „geringen Lebensverkürzung“ nicht möglich ist, folgt daraus ein unterschiedlicher Haftungsrahmen zwischen Begehungs- und unechten Unterlassungsdelikten.246 Das Haftungsmodell dürfte sachlich zwischen dem konsequent umgesetzten Vermeidbarkeits- und dem Risikoerhöhungserfordernis stehen. Unterschiedliche Haftungsrahmen bei Begehungs- und Unterlassungsdelikten erklären auch heute die große Affinität, ein bestimmtes positives Tun, dessen strafrechtliche Nichtsanktionierung dem Rechtsgefühl entspricht, „im Zweifel“ normativ in ein Unterlassen „umzudeuten“. Der Normlogik entspricht das freilich nicht, denn die „identischen Risikofaktoren“ bei Begehungs- und Unterlassungsdelikt unterfallen demselben Straftatbestand bei sicherer Rettungschance, vgl. Brammsen, MDR 1989 126 Fn. 27. Diese Fiktion, dass die Kenntnis der Rettungschance durch den Unterlassungstäter „normalerweise seine Bereitschaft implizieren“ werde, ersetzt jedenfalls den Nachweis des – „wie“ zu ermittelnden, gerade so beschaffenen – Vorstellungsinhaltes nicht. 245 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 101; Puppe, ZStW 95 (1983) 303; dies., Analysen 158; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 13 Rdn. 55. 246 Beim unechten Unterlassungsdelikt soll die Wahrnehmung eines risikoärmeren Verhaltens „im Zweifel“ nicht nachweisbar sein (Versuch), während beim Begehungsdelikt jede Begründung oder Erhöhung der Gefahr, die sich im Erfolg realisiert, mittels der Lehre vom Erfolg in seiner (ganz) konkreten Gestalt zugerechnet wird (vollendetes Delikt), vgl. Otto, Grundkurs AT § 9 Rdn. 101; ders., Jura 2001 277.

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8. Kap.: Manipulationsgefahren bei der „hypothetischen Einwilligung“

und sind dementsprechend – grundsätzlich mit der Einschränkung einer fakultativen Strafmilderung nach §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB – gleich zu bestrafen.247 bb) Die Wiederholung dieser Problematik bei der „hypothetischen Einwilligung“ Die Verweisung auf die Tragfähigkeit der Konstruktion bei den unechten Unterlassungsdelikten, die der „hypothetischen Einwilligung“ durchaus vergleichbar ist, beruht auf einem Trugschluss. Stattdessen wiederholen sich die von den unechten Unterlassungsdelikten bekannten Schwächen auch in der Fallgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“.248 Werden die dogmatischen Schwächen dieser Konstruktion vernachlässigt, bleibt von der angeblichen Strafbarkeit bei bedingtem Tatentschluss in den Fallgestaltungen der „hypothetischen Einwilligung“ faktisch wenig übrig. So sind Böcker249 und Kuhlen250 zwar der Auffassung, dass „in der Regel“ der bedingte Tatentschluss anzunehmen sei, weil sonst der Arzt den Patienten umfassend aufgeklärt hätte. Das mag theoretisch zutreffend sein. Tatsächlich wird der Nachweis des bedingten Körperverletzungsvorsatzes jedoch regelmäßig scheitern.251 Mit der Schaffung der entlastenden Zurechnungsvoraussetzung der „hypothetischen Einwilligung“ wird der manipulativen Beeinflussung Tür und Tor aufgestoßen. Gründlich arbeitende Strafverteidiger werden dem Gericht die urteilserheblichen Zweifel an dem versuchsunrechtsbegründenden Vorsatz ihrer Mandanten „einzuimpfen“ vermögen.252 Der wenig gewissenhafte Arzt wird unter Umständen nach Aufklärung über die Rechtslage durch seinen Verteidiger beteuern, dass er keinen „Zweifel“ an der „hypothetischen Einwilligung“ gehabt habe.253 Die 247

Vgl. Otto, Jura 2001 277. Bedenklich sind Formulierungen, dass der nachgewiesene Aufklärungsmangel „nur“ dann zur Strafbarkeit wegen Körperverletzung führen könne, wenn bei ordnungsgemäßer Aufklärung die Einwilligung unterblieben wäre, vgl. etwa der Bandscheibenfall (BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252). Methodisch wird das Versuchsunrecht erneut durch einen Wechsel des Haftungsmaßstabs gehalten. Entgegen den Prämissen bei der vollendeten Tat (der „an Sicherheit grenzende Nachweis“ der Nichteinwilligung des Patienten) genügt beim Versuch bereits die Möglichkeit, dass der Patient bei pflichtgemäßer Aufklärung die Einwilligung verweigert hätte (Risikoerhöhungslehre). 249 Vgl. Böcker, JZ 2005 928. 250 Vgl. Kuhlen, JR 2004 230. 251 Vgl. Jäger, Examens-Repetitorium Strafrecht AT § 4 Rdn. 146c. 252 Vgl. Mitsch, JZ 2005 284. 253 Vgl. Gropp, in: FS für Schroeder 199. 248

§ 3 „Versuchslösung“ bei der „hypothetischen Einwilligung“

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erheblichen Nachweisschwierigkeiten bei der angeblichen „Tatsache“ der „hypothetischen Einwilligung“ sorgen dafür, dass die Behauptungen des Arztes nur schwer oder gar nicht254 zu widerlegen sein werden. Resignierend fragt Mitsch, was dem Vortrag des Angeklagten auch entgegengesetzt werden soll außer der Erwiderung, dass man ihm diese Schutzbehauptung nicht abnehme?255 Der Behauptung eines Erlaubnistatbestandsirrtums kann bisweilen wie im „Surgibone“-Dübelfall256 noch begegnet werden. Das gilt bei der „hypothetischen Einwilligung“ nicht gleichermaßen. 3. Zusammenfassung

Die „hypothetische Einwilligung“ erweist sich als ein in höchstem Maße manipulativer Rechtsgedanke, der dem Arzt über die immerhin noch hinterfragbare Behauptung eines Erlaubnistatbestandsirrtums hinaus einen weiteren entlastenden, allerdings kaum oder gar nicht zu widerlegenden Rechtsgedanken einräumt, der es „in die Hände“ des geschickten Arztes legt, ob er bestraft wird oder nicht. Der wenig gewissenhafte Arzt hat vorsätzlich die Einhaltung der Aufklärungspflicht und damit die Wahrung des Achtungsanspruches des Patienten verabsäumt, er wird im Nachhinein vermutlich einige Energie im Ringen um seine eigene Person aufbringen. Der Vortrag der „sicheren“ Vorhersicht der Einwilligung mag mitunter scheitern, es mag der bedingte Vorsatz bisweilen auch eingestanden werden. In vielen anderen Fällen, in denen sachlich eine Strafe wegen tatsächlichen Vorliegens der Voraussetzungen angezeigt wäre, werden die Voraussetzungen dafür nicht nachgewiesen werden können. Ein bedenkliches Ergebnis der „hypothetischen Einwilligung“. Von der theoretisch möglichen Versuchsstrafbarkeit bleibt insgesamt wenig übrig. Aus der als „bloße Rückstufung von Vollendungs- auf Versuchsebene gedachten Strafbarkeitsreduzierung“ wird tatsächlich ein vollständiger Strafbarkeitsausschluss. Die Einwände gegen die „hypothetische Einwilligung“ sind daher eher „übermächtig“.257

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Vgl. Puppe, JR 2004 471. Vgl. Mitsch, JZ 2005 284 f. 256 Vgl. BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71. 257 Vgl. anders Kuhlen, JR 2004 230; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231; vgl. auch B. Schünemann, StV 1985 232. 255

Neuntes Kapitel

Die „hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene der Strafbarkeit § 1 Einführung in den Streitstand I. Die Darstellung der „Strafbarkeitslösungen“ 1. Die verschiedenen „Konstruktionen eines Strafaufhebungsgrundes“

a) Die „hypothetische Einwilligung“ als Strafaufhebungsgrund bei Böcker Auf die Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ als „Strafbarkeitsausschluss oder Strafaufhebungsgrund“ weist Böcker hin.1 Hiernach entfällt die Strafbarkeit des Arztes bei einem vorsätzlichen oder fahrlässigen ärztlichen Heileingriff vollständig, wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte. b) Die „nachträgliche Billigung“ als „besonderer Strafaufhebungsgrund“ bei Mitsch und Weber Für inspirierend hat es Mitsch hingegen gehalten, die „nachträgliche Billigung“ der eigenmächtigen Heilbehandlung durch den Patienten,2 nicht aber dessen „hypothetische Einwilligung“ mit einem „besonderen Strafaufhebungsgrund“ zu verknüpfen.3 Auch sei es denkbar, hierfür allein auf den „zeitversetzt eintretenden Heilerfolg“ abzustellen.4 Hinsichtlich dieses Vor1

Vgl. Böcker, JZ 2005 929. Damit meint Mitsch inhaltlich keinen anderen Sachverhalt als die nachträgliche Zustimmung („Genehmigung“) des Berechtigten. 3 Vgl. Mitsch, JZ 2005 718; vgl. auch Böcker, JZ 2005 929. Mitsch ist damit Weber, in: FS für Baur 143 ff.; ders., in: GS für Schlüchter 250 ff. gefolgt; vgl. auch Arzt/Weber, Strafrecht BT 1. Aufl. § 41 Rdn. 26 mwN. 4 Vgl. Mitsch, JZ 2005 718. Dieser Vorschlag ist aus der Kritik Kuhlens gegen Mitschs Vorschlag eines neuartigen Erklärungsversuchs der „hypothetischen Einwilligung“ hervorgegangen, vgl. Kuhlen, JZ 2005 717; Mitsch, JZ 2005 718. Eine Rechtfertigung der ärztlichen Heilbehandlung über „Erfolg oder Misserfolg des 2

§ 1 Einführung in den Streitstand

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schlages ist Weber, der diesen Gedanken, die nachträgliche Genehmigung als „objektiven Strafaufhebungsgrund“ anzuerkennen, ursprünglich entwickelt hat,5 weitaus skeptischer.6 2. Die „hypothetische Einwilligung“ als „Strafmilderungsgrund“ bei Arzt und Schwartz

In die Richtung einer fakultativen Strafmilderung zeigen dagegen die anders gelagerten Versuche, bei denen die „hypothetischen Reserveursachen“ – jenseits von Unrecht und Schuld – schließlich die Bedeutung eines besonderen Strafmilderungsgrundes – de lege lata oder de lege ferenda – haben sollen. Arzt hält die Frage, ob bei einer angemessenen Aufklärung der Kranke in die Heilbehandlung eingewilligt hätte, „in der Regel erst bei der Strafzumessung“ für relevant.7 Auch Schwartz sieht hier eine Möglichkeit zur Erzielung gerechter Ergebnisse.8 Damit wird die Bedeutung der „hypothetischen Einwilligung“ im Rahmen des § 46 Abs. 2 StGB thematisiert. Auch der Bundesgerichtshof berichtet in den Entscheidungsgründen des Bandscheibenfalls9 darüber, dass das Landgericht Ravensburg „im Rahmen der Strafzumessung“ festgestellt habe, ob die Nebenklägerin in Kenntnis des wahren Sachverhalts in den Eingriff eingewilligt hätte.10 II. Vorläufige Feststellung zu den „Strafbarkeitslösungen“ In Rechtsprechung und Schrifttum setzen sich die Bedenken gegen die Tragfähigkeit der verschiedenen Konstruktionen bei der „hypothetischen Einwilligung“ – Lehre der objektiven Erfolgszurechnung (i. w. S.), Rechtfertigungsgrund – langsam durch. Aus diesem Grund werden verschiedene Lösungsvorschläge für nach der Tat liegende Ereignisse jenseits des Unrechtstatbestandes und der Schuld erörtert. Die „hypothetische Einwilligung“ soll wenigstens ein besonderer körperverletzungsspezifischer Strafausschließungs- oder wenigstens Strafmilderungsgrund sein. Heileingriffs“ lasse sich nur „ex tunc“ begründen, doch hält Mitsch, JZ 2005 718 auf Grundlage der allgemeinen Rechtfertigungsdogmatik für „unmöglich“. „Etwas anderes“ wäre das bei einem „besonderen Strafaufhebungsgrund“. 5 Vgl. Fn. 3. 6 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 3 Rdn. 106g. 7 Vgl. Arzt, in: Arzt und Recht 58 Fn. 24. 8 Vgl. Schwartz, Hypothetische Einwilligung 245. 9 Vgl. Einl. § 1 V. 10 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16 = JR 2004 251.

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9. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene der Strafbarkeit

Die Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ als „Strafbarkeitsausschluss oder Strafaufhebungsgrund“ wird aber nur am Rande vertreten. Noch weiter distanziert sich hiervon der Vorschlag von Mitsch, der die „hypothetische Einwilligung“ in einen „besonderen Strafaufhebungsgrund“ der „nachträglichen Billigung“ oder des „Heilerfolges“ „umdeutet“. Häufiger wird die Problematik, „ob“ und „wie“ die „hypothetische Einwilligung“ im Strafrecht zu berücksichtigen ist, auch auf die Ebene die Strafzumessung verlagert.

§ 2 Die „hypothetische Einwilligung“ oder die „besondere (körperverletzungsspezifische) nachträgliche Billigung“ als Strafausschließungsgrund (i. w. S.) A. Der strukturelle Unterschied zwischen den Strafausschließungsgründen (i. w. S.) und der „hypothetischen Einwilligung“ Die „hypothetische Einwilligung“ lässt sich wegen ihrer Struktur nicht in das System der Strafausschließungsgründe (i. w. S.) einordnen. Sie ist kein Strafausschließungsgrund (i. e. S.) und auch kein Strafaufhebungsgrund.11 Bei der „hypothetischen Einwilligung“ lässt sich zwar immerhin eine sehr bedingte Parallele zu einem Strafaufhebungsgrund erwägen, während ein Strafausschließungsgrund (i. e. S.) von vornherein eher fernliegt.12 Strafaufhebungsgründe sind Sachverhalte, die erst nach der Tatbegehung eintreten und die bereits begründete Strafbarkeit rückwirkend wieder beseitigen, 11

Vgl. kritisch zur Terminologie Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 225; Paeffgen, in: NK Vor § 32 StGB Rdn. 298; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 376; Volk, ZStW 97 (1985) 882 f. Die Unterscheidung soll „wenig ergiebig“ sein, weil es nur darauf ankomme, ob im Zeitpunkt der rechtlichen Beurteilung eine Strafbarkeit gegeben sei oder nicht. 12 Strafausschließungsgründe (i. e. S.) sind Sachverhalte, die zur Zeit der Tatbegehung vorliegen und eine Strafbarkeit aus kriminalpolitischen Gründen nicht entstehen lassen. Vgl. hierzu etwa Otto, Grundkurs AT § 20 Rdn. 1. Eine gewisse Ähnlichkeit zur „hypothetischen Einwilligung“ lässt sich damit begründen, dass sich der Berechtigte oder das Gericht bei der Ermittlung der „hypothetischen Einwilligung“ in die „spezifische Lage [des Patienten] vor den Eingriff“ zurückversetzen sollen. Die „hypothetische Einwilligung“ knüpft gedanklich an die Einwilligung an. Allerdings steht einer Gleichbehandlung der Sachverhalte entgegen, dass die Voraussetzungen eines Strafausschließungsgrundes (i. e. S.), wie beispielsweise § 36 StGB zeigt, im Tatzeitpunkt tatsächlich vorliegen müssen, während die Voraussetzungen einer „hypothetischen Einwilligung“ im Tatzeitpunkt tatsächlich nicht vorliegen. Die „Hypothesenbildung“ erfolgt tatsächlich auch erst „nach der Tat“.

§ 2 „Besondere nachträgliche Billigung“ als Strafausschließungsgrund

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weil die einmal vorhandene Strafbedürftigkeit der Tat nachträglich wieder entfällt.13 Das passt sachlich zur Situation bei der „hypothetischen Einwilligung“, bei der eine Strafbarkeit wegen eines rechtswidrigen eigenmächtigen Heileingriffs entfallen soll, wenn die Voraussetzungen der „hypothetischen Einwilligung“ nach der Tat festgestellt werden können.14 Eine strukturelle Parallele der „hypothetischen Einwilligung“ zu den Strafaufhebungsgründen ist dennoch nicht nachzuweisen, denn auch die Voraussetzungen eines Strafaufhebungsgrundes liegen nach der Tat tatsächlich,15 nicht nur hypothetisch vor. Das steht einer Gleichstellung der Sachverhalte entgegen.

B. Der Strafaufhebungsgrund der „besonderen (körperverletzungsspezifischen) nachträglichen Billigung“ I. Die „Umdeutung“ der „hypothetischen Einwilligung“ in einen Strafaufhebungsgrund der „besonderen (körperverletzungsspezifischen) nachträglichen Billigung“ Von dieser fehlenden strukturellen Parallele zwischen den Strafaufhebungsgründen (i. w. S.) und der „hypothetischen Einwilligung“ gehen in der Sache auch Mitsch und Weber aus. Sie haben daher folgerichtig vorgeschlagen, die „hypothetische Einwilligung“ in einen objektiven Strafaufhebungsgrund umzudeuten (Rechtsgedanke des § 140 BGB), bei dem auf die „nachträgliche Billigung“ des Patienten16 oder den „nachträglichen Heilerfolg“ der ärztliche Maßnahme abzustellen sei.17 Die nachträgliche Zustimmung („Genehmigung“) des Berechtigten oder der Heilerfolg der ärztlichen Heilbehandlung liegen tatsächlich, nicht nur hypothetisch vor. Daher lässt sich auch nicht mehr einwenden, dass dieser Strafaufhebungsgrund nur hypothetisch vorliegt. Anders als bei den Rechtfertigungsgründen ist das Abstellen auf die tatsächlich erst nach der Tat festgestellten Umstände auch prinzipiell statthaft.18 13 Vgl. etwa Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 225, 228; Jescheck/ Weigend, Strafrecht AT § 52 II 1, 2 552 f.; Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 133; Otto, Grundkurs AT § 20 Rdn. 2; Paeffgen, in: NK Vor § 32 StGB Rdn. 291; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 376; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 23 Rdn. 4. 14 Das gilt auch für die von Mitsch angedachte Variante, bei der auf den zeitversetzt zur Tat eintretenden Heilerfolg abzustellen sei, vgl. § 1 I. 15 Vgl. etwa die Voraussetzungen des Rücktritts (§§ 24, 31, 306e Abs. 2 StGB). 16 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 3 Rdn. 106g. 17 Vgl. zu beiden Möglichkeiten Mitsch, JZ 2005 718. 18 Vgl. auch Mitsch, JZ 2005 718.

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9. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene der Strafbarkeit

Der Sachverhalt einer „besonderen (körperverletzungsspezifischen) nachträglichen Billigung“ hat jedoch ersichtlich nichts mehr mit der „hypothetischen Einwilligung“ gemein. Die Problematik, ob eine „besondere (körperverletzungsspezifische) nachträgliche Billigung“ im Arzt-Patienten-Verhältnis, oder noch weitergehender, eine „nachträgliche Billigung“ im Strafrecht überhaupt anerkannt werden können, mag daher „Thema für eine neue Serie von strafrechtlichen Abhandlungen“ sein. Dabei wird man zu berücksichtigen haben: II. Die Auseinandersetzung mit der „besonderen (körperverletzungsspezifischen) nachträglichen Billigung“ 1. Die Berücksichtigung der nachträglichen Genehmigung als Strafausschließungsgrund (i. w. S.) bei Weber

Mit der Umdeutung der „hypothetischen Einwilligung“ in eine „besondere (körperverletzungsspezifische) nachträgliche Billigung“ greift Mitsch in der Sache auf einen ganz ähnlich gelagerten Vorschlag von Weber zurück. Weber kann nämlich eine „gewisse Parallele“ bei der Berücksichtigung von „nachfolgenden Ereignissen“, etwa die „nachträgliche Billigung“ einer – nach §§ 246, 266 StGB tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen – rechtsgeschäftlichen Verfügung des Nichtberechtigten durch den Berechtigten zum strafbefreienden Rücktritt von der bereits vollendeten Tat19 nicht von der Hand weisen. Hierbei handele es sich um Fälle, in denen trotz voller Tatbestandserfüllung eine eigentlich gravierende Rechtsgutsverletzung nicht eingetreten sei und in denen überdies auf das subjektive Merkmal der Freiwilligkeit des Zurücktretenden verzichtet werde.20 Es liege deshalb nahe, wenn mit der heute überwiegenden Meinung der Grund für die strafbefreiende Wirkung des Rücktritts in der Wiederaufhebung des rechtserschütternden Eindrucks der Tat bei der Gemeinschaft erblickt werde, der „nachträglichen Billigung“ der „rechtsgeschäftlichen Verfügung des Nichtberechtigten“ durch den Berechtigten dieselbe Wirkung beizulegen, denn auch in diesem Falle könne von einer Beunruhigung der Rechtsgemeinschaft nicht mehr gesprochen werden.21

19 Vgl. etwa §§ 158, 310 (a. F.) StGB. Sachlich entspricht § 306e StGB dem früheren § 310 StGB. § 306e Abs. 1 StGB macht die Wirkungen der Tätigen Reue anders als § 310 StGB (a. F.) allerdings von der Freiwilligkeit des Handelns des Täters abhängig. § 310 StGB (a. F.) lautete: „Hat der Täter den Brand, bevor derselbe entdeckt und ein weiterer als der durch die bloße Inbrandsetzung bewirkte Schaden entstanden war, wieder gelöscht, so wird er nicht wegen Brandstiftung bestraft.“ 20 Vgl. Weber, in: FS für Baur 144.

§ 2 „Besondere nachträgliche Billigung“ als Strafausschließungsgrund

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2. Das Fehlen der „versuchsähnlichen Struktur“ bei den Körperverletzungsdelikten

Die Übertragung dieses Gedankens auf die „besondere (körperverletzungsspezifische) nachträgliche Billigung“ ist jedoch „gewagt“. Ohnehin ist das Dogma der Unbeachtlichkeit von der strafbefreienden Berücksichtigung von Nachtatereignissen – abgesehen vom Rücktritt – kaum erschüttert worden.22 Die besonderen Rücktrittsvorschriften hält das Gesetz neben den allgemeinen Rücktrittsvorschriften des § 24 StGB bei ganz bestimmten, nicht aber ausnahmslos allen Deliktstatbeständen bereit, bei denen es zur Stärkung des Rechtsgüterschutzes den Zeitpunkt der tatbestandlichen Vollendung des Delikts vor den Zeitpunkt der Schädigung des Rechtsgutsobjekts vorverlegt.23 Hierher gehören die abstrakten und die konkreten Gefährdungsdelikte, die „echten“ (§ 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB)24 und die „unechten Unternehmensdelikte“25 sowie die Vorbereitungshandlungen (§§ 30, 31 StGB).26 Die besonderen Rücktrittsvorschriften sind bei allen Abweichun21

Vgl. Weber, in: FS für Baur 144 f.; vgl. auch ders., in: GS für Schlüchter 250 ff. Für einen Strafaufhebungsgrund der nachträglichen behördlichen Genehmigung im Umweltstrafrecht (§§ 324 StGB ff) vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 6 Rdn. 106g, § 41 Rdn. 26; Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder Vor § 324 StGB Rdn. 21 muwN; Weber, in: GS für Schlüchter 252. Daneben wird noch auf die unbefugte, später vom Urheber genehmigte urheberrechtliche Verwertungshandlung nach § 106 UrhG hingewiesen, vgl. Weber, in: GS für Schlüchter 250 f. 22 Vgl. Weber, in: GS für Schlüchter 243; die weiteren Ausnahmen sind in Fn. 20 genannt. 23 Vgl. Berz, in: FS für Stree und Wessels 331; Kühl, in: Lackner/Kühl § 24 StGB Rdn. 29; Schröder, in: FS für Kern 457, 459. 24 Vgl. zum Zweck der echten Unternehmensdelikte Schröder, in: FS für Kern 457, 459 f.: Vorverlegung des Strafrechtsschutzes (Gleichstellung von Vollendung und Versuch) durch Ausschluss der seinerzeit obligatorischen Strafmilderung beim Versuch. 25 Als „unechte“ Unternehmensdelikte werden im Anschluss an Schröder, in: FS für Kern 464 solche Tatbestände bezeichnet, die ähnliche Strukturprinzipien zu den echten Unternehmensdelikten aufweisen, ohne dass der Begriff des „Unternehmens“ (§ 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB) verwendet wird. Inhaltlich sind es Tatbestände objektiv ambivalenten Handelns, bei denen der Gesetzgeber die Betätigung einer bestimmten Tendenz des Täters unter Strafe stellt, ohne dass diese einen tatsächlichen Erfolg gehabt zu haben braucht, vgl. § 113 („angreifen“), § 257 („Hilfe leisten“), § 292 StGB („nachstellen“). Weitere Beispiele bei Schröder, aaO. Fn. 23; siehe auch Eser, in: Schönke/Schröder § 11 StGB Rdn. 52; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 26 II 7 267. Die zentrale Frage geht dahin, inwieweit die „unechten“ den echten Unternehmensdelikten gleichzustellen sind. 26 Vgl. Berz, in: FS für Stree und Wessels 331; Kühl, in: Lackner/Kühl § 24 StGB Rdn. 29.

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9. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene der Strafbarkeit

gen im Detail27 zumeist der „Tätigen Reue“ (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB) (scil. Rücktritt vom beendeten Versuch)28 nachempfunden.29 Hiernach wird ein Täterverhalten privilegiert, das den Tatbestand formell vollendet, aber noch nicht zu der eigentlichen materiellen Vollendung – Rechtsgutsbeeinträchtigung – geführt hat.30 Die Situation entspricht formell der Deliktsvollendung, bei der materiell ein bloßes Versuchsunrecht verwirklicht wird.31 Hier stellt sich die Frage nach der Bildung einer täterbegünstigenden Analogie zu den Rücktrittsvorschriften, wenn eine entsprechende Rücktrittsregelung fehlt, weil schwerlich einzusehen ist, weshalb der Straferlass nicht davon abhängt, dass der Täter den eigentlichen Unrechtserfolg verhindert hat, sondern davon, dass er vor dem oft willkürlich festgesetzten Zeitpunkt der formellen Vollendung zurücktritt.32 Eine analoge Anwendung der allgemeinen Rücktrittsvorschriften (§ 24 StGB) wird jedenfalls abgelehnt,33 denn der Gesetzgeber hat für eine Vielzahl der genannten Deliktstatbestände (Gefährdungs-, Unternehmensdelikte, Vorbereitungshandlungen) – nach keinem erkennbaren Muster34 – Sonderregelungen für den Rücktritt eingerichtet.35 Zur Ermöglichung einer einheitlichen Rechtsanwendung wird daher eine wegen der Gestaltung der Rechtsfolgenseite höchst umstrittene36 „allgemeine Rechtsanalogie“ zu den positivrechtlich geregelten besonderen Rücktrittsvorschriften gefordert.37 27 Vgl. etwa §§ 158, 310 (a. F.) StGB, bei denen auf die „Freiwilligkeit“ des Rücktritts verzichtet wurde. 28 Vgl. zum Begriff Kühl, in: Lackner/Kühl § 24 StGB Rdn. 19. 29 Vgl. Kühl, in: Lackner/Kühl § 24 StGB Rdn. 29. 30 Vgl. Köhler, Strafrecht AT 8. Kap. II 4 483; Kühl, in: Lackner/Kühl § 24 StGB Rdn. 29. 31 Vgl. Köhler, Strafrecht AT 8. Kap. II 4 483; Schröder, in: FS für Kern 462 f.; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 11 Rdn. 99. 32 Vgl. Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 11 Rdn. 98. 33 Vgl. hierzu aber Kohlrausch/Lange, 43. Aufl. § 46 StGB Anm. IV 1 für die Unternehmenstatbestände. 34 Vgl. Schröder, in: FS für Kern 462 f.; vgl. auch Eser, in: Schönke/Schröder § 24 StGB Rdn. 116. 35 Die wenig einleuchtende Konsequenz wäre die teilweise analoge Anwendung der allgemeinen Rücktrittsvorschriften (§ 24 StGB), wenn Sondervorschriften nicht existieren. Diese bleiben in der Rechtsfolge regelmäßig hinter denen der allgemeinen Rücktrittsvorschriften (§ 24 StGB) zurück. Neben dem zwingenden Entfallen der Strafbarkeit („so wird er nicht bestraft“) ist dem Gericht ein weiter Ermessensspielraum bei der Straffestsetzung gegeben: Es kann „die Strafe nach seinem Ermessen mildern“ (§ 49 Abs. 2 StGB) oder „von Strafe absehen“ (§ 60 StGB). Das weite Spektrum an Möglichkeiten enthalten etwa §§ 84 Abs. 5, 129 Abs. 6, 129a Abs. 5, 314a, 320, 330b StGB.

§ 2 „Besondere nachträgliche Billigung“ als Strafausschließungsgrund

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Die strukturellen Unterschiede zwischen den besonderen Rücktrittsvorschriften und der Konstellation der „besonderen (körperverletzungsspezifischen) nachträglichen Billigung“ des Patienten stehen jedoch einer Weiterentwicklung dieser „allgemeinen Rechtsanalogie“ im Weg. Beim ärztlichen Heileingriff in die „körperliche Unversehrtheit“ des Rechtsgutsberechtigten ist die bezeichnende „versuchsähnliche Struktur“ gerade nicht vorhanden. Das Körperverletzungsdelikt ist in formeller und materieller Hinsicht mit der Vornahme des eigenmächtigen Heileingriffs vollendet. Zu der „gravierenden Rechtsgutsverletzung“ kommt es mit dem Schneiden, Stechen, Schießen usw., nicht aber erst dann, wenn ein „Interesseverlust“ auf Seiten des Einwilligenden nicht festgestellt werden kann. Diese Interpretation beruht inhaltlich wieder auf der kritisch hinterfragten Bestimmung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte.38 Für diese Konstellation können die besonderen Rücktrittsvorschriften daher nicht herangezogen werden, weil es um des Rechtsgüterschutzes willen nichts mehr effektiv zu verhindern gibt, was nicht schon längst durch den körperlichen Eingriff eingetreten ist. Wegen der Eigenart des Körperverletzungsdelikts als Verletzungsdelikt ist eine Weiterentwicklung der Rechtsanalogie auf die „besondere nachträgliche Billigung“ im Arzt-Patienten-Verhältnis nicht sachgerecht. 3. Strukturelle Unterschiede zwischen den besonderen Rücktrittsvorschriften und der „nachträglichen Billigung“

Es sind jedoch weitere strukturelle Unterschiede zwischen den besonderen Rücktrittsvorschriften und der „besonderen (körperverletzungsspezifischen) nachträglichen Billigung“ auszumachen. Das Wesen des Rücktritts39 wird auf den Grundgedanken zurückgeführt, dass es der Strafe nicht bedarf, wenn der Täter mit seinem Verhalten demonstriert, dass er auch ohne Strafe von seinem rechtsgutsbedrohlichen Verhalten Abstand nimmt, sofern das rechtsgutsbedrohliche Verhalten nicht in eine Rechtsgutsbeeinträchtigung umgeschlagen ist.40 Dem straffälligen 36 Zu den Schwierigkeiten dieser Rechtsanalogie vgl. Berz, in: FS für Stree und Wessels 331 f.; vgl. auch Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 11 Rdn. 100: „zumindest“ sei eine Milderung der Strafdrohung im Wege der Analogie geboten. 37 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder § 24 StGB Rdn. 116; Köhler, Strafrecht AT 8. Kap. II 4 483 f.; Kühl, in: Lackner/Kühl § 24 StGB Rdn. 29; Schröder, in: FS für Kern 462 f., 467 f.; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 11 Rdn. 98 f. 38 Über die Form des Strafausschließungsgrundes (i. w. S.) würde sie auf das tatbestandlich umschriebene Rechtsgut ausstrahlen. 39 Vgl. eingehend Lilie/D. Albrecht, in: LK § 24 StGB Rdn. 5 ff. 40 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 19 Rdn. 2.

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9. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene der Strafbarkeit

Täter soll die „goldene Brücke“41 zur Rückkehr in die Legalität gebaut werden.42 Er habe sich die Straffreiheit „verdient“ („Prämien-“, „Gnaden-“, „Verdienstlichkeitstheorie“).43 Die Strafe sei allenfalls bedingt oder gar nicht erforderlich (Strafzwecktheorie), wobei je nachdem, die Schuld des Täters wegen der Rücktrittshandlung wenigstens gemindert oder sogar getilgt (Schulderfüllungstheorie),44 der rechtserschütternde Eindruck der Tat bei der Rechtsgemeinschaft wenigstens geringer oder aufgehoben (Pendant zur Eindruckstheorie beim Versuch),45 der verbrecherische Wille des Täters nicht hinreichend stark gewesen sei, um die Tat materiell zu vollenden (Indiztheorie).46 Die Gedanken werden bisweilen auch kombiniert.47 Das Wesen der Rücktrittsvorschriften wird auch in der zurechenbaren Gefährdungsumkehr gesehen.48 Zudem soll der neuerdings in Abhängigkeit von der Art des geschützten Rechtsguts in sehr unterschiedlichem Umfang betonte49 Gedanke des „Opferschutzes“ eine Bestrafung nicht verlangen.50 Für den vollen Straferlass erinnert Stratenwerth schließlich an das „kriminalpolitische Kalkül“, dass die volle Straflosigkeit dem Täter am ehesten eine Antriebsfeder zur Rückkehr in die Legalität sein könne.51 41 Vgl. von Liszt, Lehrbuch 1. Aufl. 143 f.; vgl. weiter etwa von Liszt/Schmidt, Lehrbuch § 48 I 305; Mezger, Lehrbuch § 56 I 2 403. 42 Zugeschrieben wird die Theorie von der goldenen Brücke Feuerbach, Kritik 102 ff.; vgl. RGSt 6 341; 17 243, 244; 39 37, 39; 63 158, 159; 72 349, 350; 73 53, 60; vgl. auch BGHSt 6 85, 87. Zur Kritik etwa Eser, in: Schönke/Schröder § 24 StGB Rdn. 2; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 51 I 2 538 f.; Otto, GA 1967 150; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 11 Rdn. 69; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 14 Rdn. 626. 43 Vgl. etwa Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 27 Rdn. 7; Bockelmann/ Volk, Strafrecht AT § 27 V 4 214; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 51 I 3 539; Otto, GA 1967 150; Welzel, Lehrbuch § 25 196; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 14 Rdn. 626. Zur Kritik etwa Eser, in: Schönke/Schröder § 24 StGB Rdn. 2a; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 11 Rdn. 69; Ulsenheimer, Rücktritt 74 ff. 44 Vgl. Herzberg, in: FS für Lackner 349; ders., NStZ 1989 49; ders., NStZ 1990 172; ders., NJW 1991 1634. 45 Vgl. Freund, Strafrecht AT § 9 Rdn. 15 ff.; vgl. auch Jakobs, Strafrecht AT 26. Abschn. Rdn. 2; Köhler, Strafrecht AT 8. Kap. II 2 471. 46 Vgl. BGHSt 9 48, 52; 14 75, 80. 47 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder § 24 StGB Rdn. 2b; Jakobs, Strafrecht AT 26. Abschn. Rdn. 2; Krauß, JuS 1981 888; Kühl, Strafrecht AT § 16 Rdn. 5 f.; Roxin, Strafrecht AT Bd. II § 30 Rdn. 4 ff.; Rudolphi, NStZ 1983 363; Schmidhäuser, Lehrbuch 15. Abschn. Rdn. 69; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 11 Rdn. 70; Streng, ZStrW 101 (1989) 323 ff. Zur Kritik an den Strafzwecktheorien Jescheck/ Weigend, Strafrecht AT § 51 I 4 539; Ulsenheimer, Rücktritt 78 ff. 48 Vgl. Jäger, Rücktritt 65; ders., NStZ 1998 162. 49 Vgl. etwa Rudolphi, JR 1981 385. 50 Vgl. GrS BGHSt 39 221, 232; BGH NStZ 1989 317; Eser, in: Schönke/Schröder § 24 StGB Rdn. 2b; Otto, Grundkurs AT § 19 Rdn. 2.

§ 2 „Besondere nachträgliche Billigung“ als Strafausschließungsgrund

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Diese Situation ist bei der „besonderen nachträglichen Billigung“ jedoch nicht nachweisbar. Mit der Behauptung von strukturellen Parallelen zwischen den besonderen Rücktrittsvorschriften und der „besonderen“ „nachträglichen Billigung“ kann ggfs. die Un- bzw. Freiwilligkeit der Rücktrittshandlung, nicht aber die tatsächliche Rücktrittshandlung des Täters überhaupt überspielt werden.52 An einem tatsächlichen Handeln des Täters fehlt es, nicht einmal ist sein „freiwilliges und ernsthaftes Bemühen“ feststellbar, die Rechtsgutsbeeinträchtigung zu verhindern.53 Es fehlt daher an einem einleuchtenden Grund, weshalb die Rechtsgemeinschaft bei einer eigenmächtigen Heilbehandlung von einer Bestrafung des Arztes absehen sollte: Die Rechtsgemeinschaft wäre bei einer „besonderen (körperverletzungsspezifischen) nachträglichen Billigung“ des Patienten allenfalls deshalb beruhigt,54 weil zufällig ein positives Handlungsergebnis im konkreten Einzelfall eingetreten ist, das dem „Interesse“ des Patienten an seiner „körperlichen Integrität“ entspricht, nicht aber deshalb, weil der Täter mit seinem Verhalten demonstriert hat, dass es keiner Strafe bedarf, um seine Aktwerte einer beständigen positiven Gesinnung wiederherzustellen, zu erhalten und zu verfestigen.55 Dieser Strafaufhebungsgrund (i. w. S.) vernachlässigt daher ganz entscheidende Elemente des geschützten Rechtsguts und verkennt darüberhinaus grundlegend die „Funktionsbestimmung strafrechtlicher Normen“. Der Gedanke des Opferschutzes verlangt aber gerade im Gegenteil gebieterisch nach einem wirksamen Schutz des Patienten vor jeder ärztlicher Eigenmacht, damit seine „körperliche Integrität“ gewahrt, vor allem aber sein Anspruch als „Subjekt der Behandlung“ (Steffen) dauerhaft ernstgenommen wird (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG).56 51 Vgl. Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 11 Rdn. 70; vgl. kritisch auch Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 51 I 2 538 f., der negativ formuliert, dass dem Täter der Rückweg nicht durch die Vorstellung abgeschnitten werden soll, er werde auf jeden Fall bestraft. 52 Auch bei Tatbeständen von der Art des § 310 StGB a. F. wurde für die Straffreiheit immerhin das „Löschen des Brandes“ in Abhängigkeit von dem Willen des Täters verlangt. Lediglich die Motive des Täters waren unerheblich, vgl. etwa Wolff, in: LK 10. Aufl. § 310 StGB Rdn. 5. 53 Vgl. etwa § 306e Abs. 3 StGB. Das „freiwillige und ernsthafte Bemühen“ des Täters, wenn der Brand ohne sein Zutun gelöscht worden ist, ist für den früheren § 310 StGB (a. F.) in Analogie zu § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB ebenso behauptet worden, vgl. Eser, in: Schönke/Schröder 25. Aufl. § 310 StGB Rdn. 5. 54 Vgl. etwa Weber, in: FS für Baur 144 f. für die „nachträgliche Billigung“ einer rechtsgeschäftlichen Verfügung eines Nichtberechtigten. 55 Vgl. hierzu eingehend 7. Kap. § 3 B. III. 56 Aus diesem Grund zweifelt auch Weber, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 3 Rdn. 106g an der Anerkennung einer „hypothetischen Einwilligung“ in ärztliche Heileingriffe.

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9. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene der Strafbarkeit

Die besonderen Rücktrittsvorschriften sind der Konstellation der „besonderen nachträglichen Billigung“ daher nicht derart vergleichbar, dass sie eine täterbegünstigende allgemeine Analogielösung tragen können.

C. Die Bewertung des „besonderen Strafaufhebungsgrundes“ de lege ferenda Die Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ als Strafausschließungsgrund (i. w. S.) ist von vornherein problematisch, weil es sich „nur“ um eine gesetzgeberische Wertentscheidung handeln kann, ob ein strafwürdiges Verhalten ausnahmsweise nicht bestraft wird.57 Hierzu bekennt man sich auch aus dem Grund, weil Strafausschließungsgründe (i. w. S.) keinem allgemeinen Prinzip folgen.58 Nachdem sich die bisherigen Vorschläge, die „hypothetische Einwilligung“ als einen Strafausschließungsgrund (i. w. S.) zu erfassen oder in einen solchen der „nachträglichen Billigung“ oder des „Heilerfolges“ „umzudeuten“, als nicht überzeugend erwiesen haben, bleibt es allein bei der Forderung nach einem übergesetzlichen Strafaufhebungsgrund,59 die allein durch eine gesetzgeberische Wertentscheidung de lege ferenda erfüllt werden kann. I. Die Vorteile dieses Strafausschließungsgrundes Einem Strafausschließungsgrund (i. w. S.) der „hypothetischen Einwilligung“ de lege ferenda sind dabei unbestreitbar Vorteile zuzuschreiben. Es wird anerkannt, dass die eigenmächtige ärztliche Heilbehandlung eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Körperverletzung ist, auch wenn der Patient „hypothetisch eingewilligt“ hätte. Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld sind nicht mehr mit der Problematik der „hypothetischen Ersatzursachen“ belastet. Die strukturellen Unterschiede zwischen der „hypothetischen Einwilligung“ und den bisher erörterten Konstruktionen werden in vollem Umfang bestätigt. Die Rückwirkung der „hypothetischen Einwilligung“ ist bei einem Strafausschließungsgrund (i. w. S.) prinzipiell unbeachtlich. Sie hat auf der Ebene der Strafzumessung keine Bedeutung.60 57 Vgl. Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 225; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 376; Roxin, JuS 1988 432; ders., JuS 2004 180; Spendel, in: FS für Engisch 523; kritisch Paeffgen, in: NK Vor 32 StGB Rdn. 298. 58 Vgl. etwa Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 376. 59 Vgl. auch Spendel, in: FS für Engisch 523, der über einen „übergesetzlichen, sprich: ungesetzlichen Strafaufhebungsgrund“ nachdenkt. 60 Vgl. auch Mitsch, JZ 2005 718; vgl. aber Fn. 54.

§ 2 „Besondere nachträgliche Billigung“ als Strafausschließungsgrund

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Da die Rechtswidrigkeit der ärztlichen Heilbehandlung nicht berührt wird, bleiben Gegenrechte bestehen.61 Die Schwierigkeiten des Nachweises der „hypothetischen Einwilligung“ ergeben sich von vornherein nur im objektiven Bereich.62 Jede Abstrahierung der „hypothetischen Einwilligung“ von bestimmten Fällen im Arzt-Patienten-Verhältnis kann aus kriminalpolitischen Gründen abgeschnitten werden. II. Die Nachteile dieses Strafausschließungsgrundes Mit der „hypothetischen Einwilligung“ sind jedoch Nachteile verbunden, die in ihrer Gesamtheit gegen einer Anerkennung eines derartigen Strafausschließungsgrundes (i. w. S.) sprechen. Strafausschließungsgründe (i. w. S.) lassen die Strafbedürftigkeit des strafwürdigen Verhaltens entfallen, wenn ihre objektiven Voraussetzungen festgestellt werden.63 Ein Pendant zu der im Schrifttum für „wichtig“ gehaltenen Versuchsstrafbarkeit, die den Arzt von einer Vernachlässigung der Einwilligung des Patienten abhalten soll, bietet die völlige Strafaufhebung dagegen nicht.64 Über die Strafbarkeit des Arztes entscheidet allein der Patient.65 Die „hypothetische Einwilligung“ nimmt wieder teil an „in dubio pro reo“.66 61

Vgl. dazu 9. Kap. § 3 C. III. 3. Strafausschließungsgründe (i. w. S.), die dem Unrechtstatbestand und der Schuld nachgelagert sind, lassen die Strafbedürftigkeit des strafwürdigen Verhaltens entfallen, wenn ihre objektiven Voraussetzungen festgestellt werden. Der Irrtum, ebenso die Behauptung eines Irrtums über das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen eines Strafaufhebungsgrundes ist als „bloßer Irrtum über die Strafbarkeit“ rechtlich unbeachtlich, vgl. Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 24 Rdn. 6; Hirsch, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 228; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 52 III 553 f.; Otto, Grundkurs AT § 20 Rdn. 4; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 379; differenzierend etwa Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 12 Rdn. 498 ff. Umgekehrt kommt in den Genuss der „strafbefreienden“ „hypothetischen Einwilligung“ auch derjenige, der in Unkenntnis der strafbefreienden Voraussetzungen handelt. 63 Vgl. etwa Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 228; Otto, Grundkurs AT § 20 Rdn. 4; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 379. 64 Aus diesem Grund ist eine Strafmilderung naheliegender, vgl. § 3. 65 Vgl. 9. Kap. § 3 C. III. 2. 66 Da die „hypothetische Einwilligung“ das Beweisthema wäre, das auch als Strafausschließungsgrund (i. w. S.) uneingeschränkt am Grundsatz „in dubio pro reo“ teilnehmen würde, wäre „im Zweifel“ zu Gunsten des Arztes darauf zu erkennen, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte, vgl. hierzu „in dubio pro reo“ und zu den Nachweisschwierigkeiten 8. Kap. 62

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9. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene der Strafbarkeit

Mit der Nichtanerkennung einer „hypothetischen Einwilligung“ als Strafausschließungsgrund (i. w. S.) sind auch die negativen Konsequenzen auf das Medizinsystem nicht zu besorgen. In einem von Wertungen beherrschten Recht richtet sich die Anerkennung der „hypothetischen Einwilligung“ aber vornehmlich nach Wertungen, weniger nach Konstruktionen. Die Ablehnung eines derartigen Strafaufhebungsgrundes de lege ferenda ist vor allem aus dem geschützten Rechtsgut zu begründen. Wie wertvoll die „körperliche Unversehrtheit“ des Patienten im Sinne eines Schutzes nicht nur seiner „körperlichen Integrität“, sondern als „Subjekt der Behandlung“ (Steffen) (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG) ist, erweist sich nicht allein in Zwischenschritten, sondern vor allem im Ergebnis der rechtlichen Bewertung des einschlägigen Sachverhalts. Eine sachlich angemessene Beschreibung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.), bei der eine „Beziehungsstruktur“ anerkannt wird, steht der „hypothetischen Einwilligung“ auch dann entgegen, wenn sie auf der Strafzumessungsebene anerkannt wird. Auf dieser Rechtsgutsbestimmung beruht eine „Funktionsbestimmung strafrechtlicher Normen“, die über den „bloßen Rechtsgüterschutz“ des Patienten in seiner körperlichen „Integrität“ hinaus zeigt. Sie hält vor allem die Einübung, Erhaltung und Verfestigung der positiven rechtlichen Gesinnung der Ärzte für wesentlich, den Anspruch des Patienten „als Subjekt der Behandlung“ (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG) und die Einwilligung als „Institutionen“ „ernst zu nehmen“. Die Erreichung eines „zufälligen“ positiven Handlungsergebnisses, nämlich die „hypothetische Einwilligung“ des Patienten, bewertet sie dagegen geringer. Der Arzt hat sich die Strafbefreiung zudem mitnichten durch eine eigene honorierbare Leistung verdient. Das ursprüngliche Strafbedürfnis gegenüber dem eigenmächtigen handelnden Arzt ist in keiner Weise nachträglich untergegangen. Aus diesen Gründen ist der Forderung nach einem Strafausschließungsgrund (i. w. S.) der „hypothetischen Einwilligung“ de lege ferenda nicht zu folgen.

§ 3 Die „hypothetische Einwilligung“ als Strafmilderungsgrund

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§ 3 Die „hypothetische Einwilligung“ als Strafmilderungsgrund A. Die Darstellung des Meinungsstandes I. Der allgemeine Diskussionsstand 1. Engisch war bereits der Auffassung, dass sich „mitunter“ aus dem Gedanken, dass ein „sowieso der Verletzung geweihte[s] Tatobjekt im Werte herabgemindert“ sei, ein „vielleicht de lege ferenda“ bedeutungsvoller Strafmilderungsgrund ergeben könne. „Keineswegs“ dürfe aber ein auf dem Gedanken beruhender Strafmilderungsgrund, wonach wahrscheinlich das gleiche oder ein im Wesentlichen gleichartiges Unheil auch ohne das verbrecherische Verhalten des Täters eingetreten wäre, allgemein befürwortet werden.67 2. Die Bedeutung „hypothetische Reserveursachen“ im Rahmen der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ (§ 46 Abs. 2 StGB) de lege lata ist dagegen hoch umstritten. a) Nach Lackner erscheinen die „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ einschließlich des Deliktserfolgs nicht allein deshalb in einem milderen Licht, weil sie wegen bereitstehender Ersatzursachen ohnehin gewiss oder wahrscheinlich gewesen seien.68 Die Tat soll nicht geringer bewertet werden, bloß weil das konkrete Tatobjekt den „Keim des Schadens“ bereits in sich getragen hat oder der Verletzung geweiht und im Werte herabgemindert war. b) Für Hirsch,69 Roxin,70 Schröder71 und Theune72 soll demgegenüber der Gedanke, dass bestimmte Rechtsgüter durch „hypothetische Erfolgsursachen“ im Wert gemindert seien, zwar nicht für das Unrecht der Tat, wohl aber für die Schuld im Rahmen der Strafzumessung von Bedeutung sein. Allerdings können nur bestimmte, einer Wertabstufung zugängliche Rechtsgüter, insbesondere „Vermögenswerte“, nicht aber das „Leben“,73 durch 67

Vgl. Engisch, Kausalität 18 Fn. 1. Vgl. Lackner, in: Lackner/Kühl § 46 StGB Rdn. 34; vgl. auch Spendel, JZ 1997 1188; vgl. weiter Bruns, Strafzumessungsrecht 402; ders., Strafzumessung 154. 69 Vgl. Hirsch, in: LK 11. Aufl. § 46 StGB Rdn. 53. 70 Vgl. Roxin, ZStW 74 (1962) 429. 71 Vgl. Schröder, NJW 1974 251. 72 Vgl. Theune, in: LK § 46 StGB Rdn. 144. 73 Vgl. eingehend Roxin, ZStW 74 (1962) 427 ff., 429. Vgl. auch eingehend Spendel, JZ 1997 1187 f. 68

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9. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene der Strafbarkeit

„hypothetische Erfolgsursachen“ im Wert gemindert sein.74 Zu Gunsten des Diebes soll daher berücksichtigt werden, dass der gestohlene Gegenstand kurze Zeit nach der Tat mit dem Haus des Eigentümers verbrannt wäre.75 Diese Erwägungen sollen aber allein die „Erfolgs-“, nicht dagegen die „Handlungsseite“ betreffen: Das Handlungsunrecht vermindere sich nicht dadurch, weil dem Täter im Tatzeitpunkt die künftige Vernichtung des Gegenstandes durch den Brand bekannt sei.76 c) Einen denkbar weitgehenden Standpunkt hat der Bundesgerichtshof eingenommen. Dabei hat er die Problematik, „ob“ und „wie“ es zu berücksichtigen ist, dass ein bestimmter Erfolg auch ohne die Handlung des Täters eingetreten wäre, von der Zurechnungs- auf die Strafzumessungsebene verlagert. Im Ausgangspunkt ist dazu auf die Zurechnungsproblematik im Gummihammerfall77 hinzuweisen. Hierzu folgender Sachverhalt: Der Angeklagte hatte dem M. mehrfach mit einem 550 g schweren Hartgummihammer auf den Kopf geschlagen, so dass dieser stürzte, bewusstlos liegen blieb und von A. für tot gehalten wurde. A. entfernte sich. Er traf seinen Vetter B., dem er das Geschehen schilderte. Dieser glaubte dem A. nicht, begab sich in die Wohnung des M. und hängte diesen zur Vortäuschung eines Selbstmords an der Türklinke auf.

Die spätere Obduktion ergab, dass die Kopfverletzungen zwar absolut tödlich gewesen wären, so dass der Tod des M. nicht mehr zu verhindern gewesen wäre, dass aber der Tod durch die Strangulation an der Türklinke eingetreten war. Der Bundesgerichtshof hat den Angeklagten wegen einer vollendeten Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gesprochen.78 Das Dazwischentreten des B., der freiverantwortlich eine selbstständige Gefahr begründet, die sich im Todeserfolg realisiert, schließt aber die Erfolgszurechnung für die Begründung der Ausgangsgefahr durch den Angeklagten aus. Daher war der Angeklagte wegen eines versuchten Tötungsdelikts, der B. wegen eines vollendeten Tötungsdelikts schuldig zu sprechen.79 Die gegenteilige Position hat der Bundesgerichtshof aufgegeben.80 74 Vgl. Hirsch, in: LK 11. Aufl. § 46 StGB Rdn. 53; Spendel, JZ 1997 1188; Theune, in: LK § 46 StGB Rdn. 144. 75 Vgl. Hirsch, in: LK 11. Aufl. § 46 StGB Rdn. 53; Theune, in: LK § 46 StGB Rdn. 144; vgl. auch das ähnliche Beispiel bei Spendel, in: FS für Engisch 526: Der „bereits vor dem Diebstahl“ ausgebrochene Brand hätte das Bild zerstört. 76 Vgl. Theune, in: LK § 46 StGB Rdn. 144; vgl. auch Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten 567 f. 77 Vgl. BGH NStZ 1992 333; vgl. weiter auch BGH NStZ 2001 29. 78 Vgl. BGH NStZ 1992 333, 334. 79 Vgl. eingehend dazu Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 56; ders., in: FS für Lampe 493 ff. muwN.

§ 3 Die „hypothetische Einwilligung“ als Strafmilderungsgrund

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Die Problematik, dass ein bestimmter Erfolg auch ohne die Handlung des Täters eingetreten wäre, erscheint nunmehr auf der Strafzumessungsebene. In dem Beschluss vom 29. April 1997 hat der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einem Fall, bei dem die Angeklagte einen Tötungsversuch an einem todkranken Krankenhauspatienten verübt hatte, zu bedenken gegeben, dass unter dem Gesichtspunkt der „Auswirkungen der Tat“ (§ 46 Abs. 2 StGB) nicht unberücksichtigt werde bleiben können, dass das Tatopfer „ohnedies“ einen Tag später verstorben wäre.81 Einige Stimmen aus der Wissenschaft sind diesem Standpunkt durchaus gefolgt. Auch Schroeder und Stree wollen vor der Tatsache nicht die Augen verschließen, dass in „Extremfällen“, bei denen dem Opfer nur noch ein kurzer Lebenszeitraum zur Verfügung stehe, der Unrechtsgehalt offensichtlich geringer erscheine als bei der Tötung eines Menschen, dessen Ende noch nicht abzusehen sei. Die Strafzumessung könne und müsse es beeinflussen, dass ein Todeskandidat kurz vor der Hinrichtung (Scharfrichterfall) oder ein bereits auf dem Sterbebett Liegender getötet werde.82 Auch Frisch hält eine Strafmilderung in Fällen für „diskutabel“, in denen das Opfer auch sonst „zur selben Zeit“ gestorben wäre, wenn nicht der Täter es getötet hätte: Das Ausmaß der Rechtsfriedensstörung sei hier relativiert, aber natürlich nicht grundsätzlich beseitigt.83 II. Sonderansichten von Spendel und Jakobs 1. Dieser objektbezogenen Betrachtung stellt Spendel84 ein aus dem „conditio-sine-qua-non“-Gedanken entwickelten „besonderen Strafmilderungsgrund“ für „zwiespältige Taten“ von der Art des Irrenanstalten-Falles oder des Euthanasiefalles85 gegenüber, der für die „hypothetische Einwilligung“ wegen ihrer andersartigen Struktur aber keine Bedeutung haben kann.86 80

Vgl. BGH NStZ 2002 253, 254. Vgl. BGH JZ 1997 1185. 82 Vgl. Schröder, NJW 1974 251; Stree, in: Schönke/Schröder § 46 StGB Rdn. 20; vgl. unklar Hirsch, in: LK 11. Aufl. § 46 StGB Rdn. 53. Offen will Schroeder, NJW 1974 251 die Behandlung der Fälle lassen, in denen das Ende das Opfers nicht unmittelbar bevorstehe, aber bereits absehbar sei. 83 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten 568 Fn. 220. 84 Vgl. Spendel, JuS 1964 20; ders., in: FS für Eb. Schmidt 198; ders., in: FS für Engisch 525; ders., in: FS für Bruns 254; ders., JZ 1997 1187. 85 Vgl. auch die gegenteilige Beurteilung Spendels, in: FS für Bruns 255 ff. für den Giftgaslieferungsfall. 86 Vgl. Bruns, Strafzumessungsrecht 402; ders., Strafzumessung 154 ist Spendel in der Sache gefolgt. 81

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9. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene der Strafbarkeit

Sachverhalt des Irrenanstalten-Falles: Während des Zweiten Weltkrieges haben sich einige Ärzte an den Morden in den Irrenanstalten unter dem NS-Regime nur deshalb beteiligt und 1000 Geisteskranke geopfert, weil ohne ihre Mitwirkung willfährige Nachfolger alle 5000 Anstaltsinsassen umgebracht hätten. Es wäre nicht nur derselbe, sondern sogar ein noch schlimmerer Erfolg eingetreten.87 Sachverhalt des Euthanasiefalles: Ein Arzt gibt einem unheilbar Leidenden die diesen von seinen Qualen erlösende tödliche Spritze, weil der Kranke ohnedies sterben musste.88

Der Arzt hätte sich bei der Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ für das Recht entscheiden können und müssen, doch hat er das Unrecht gewählt. Er hat damit kein schlimmeres Unrecht verhindert. Es gibt keine objektive „Distanz“ zwischen dem bewirktem und dem verhütetem Unrecht. Genausowenig war der Täter subjektiv zu schwach, dem Unrecht zu widerstehen, aber zu anständig, um ihm uneingeschränkt nachzugeben.89 2. Jakobs90 sieht bei ganz bestimmten Fällen von bereitstehenden „hypothetischen Ersatzursachen“ eine Ähnlichkeit mit der „abstrakten Gefährdung“91 oder dem „Versuch“.92 In diesen Fällen gleiche die Situation derjenigen Lage beim rechtfertigenden Notstand.93 Die Ähnlichkeit sei Jakobs zufolge aber dann nicht feststellbar, wenn der hypothetische Verlauf seinerseits zum Täter, zu einem anderen Täter oder zum Opfer selbst zurechen87 Vgl. hierzu die Fälle in OGHSt 1 321; 2 117; SchwurG Köln NJW 1952 358. Eingehend Spendel, in: FS für Engisch 509 ff. 88 Vgl. eingehend Spendel, in: FS für Engisch 509 ff. 89 Vgl. zuletzt Spendel, JZ 1997 1187. 90 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 92 ff.; vgl. auch ders., in: FS für Lackner 62 Fn. 13; vgl. auch Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder Vor § 13 StGB Rdn. 97. 91 Verdränge der Täter durch sein Verhalten einen hypothetischen Schadensverlauf, so hafte er für den Verlauf zum Erfolg und für die Art und Weise des Erfolgseintritts, ohne dass von ihm der Bestand des Erfolgs abhinge. Ohne den Beitrag des Täters wäre der Erfolg zwar auf Grund eines anderen Risikos eingetreten, hätte aber gleichfalls Bestand. Das nähere trotz der eingetretenen Vollendung das Verhalten des Täters, der die Lage überblicke, insoweit abstrakter Gefährdung an, als dem Täter der dauernde Verlust des Guts nicht anzulasten sei. Als Rechtsfolge hält Jakobs auch ohne positivrechtlichen Hinweis die Unrechtsminderung nach § 49 Abs. 2 StGB für angemessen, vgl. Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 92, 97. 92 Überblicke der Täter die Lage nicht, so werde er vermeintlich – oder bei Fahrlässigkeit: erkennbar – auch für die Dauer des Verlusts ursächlich, nicht aber objektiv: Sein Verhalten werde versuchsähnlich. Das führe zur Kann-Milderung nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB, vgl. Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 92, 97; vgl. auch ders., in: FS für Lackner 62 Fn. 13. 93 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 95.

§ 3 Die „hypothetische Einwilligung“ als Strafmilderungsgrund

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bar gewesen wäre. Normative Garantien dürfen dem Gut nie genommen werden.94 Das passt wieder nicht zur Struktur der „hypothetischen Einwilligung“. Die „normative Garantie“ der „körperlichen Unversehrtheit“ soll dem Patienten als „Subjekt der Behandlung“ (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG) nicht verloren gehen, bloß weil der Arzt auch rechtmäßig hätte handeln können. Die Sondermeinungen von Spendel und Jakobs können – positiv – für die Sachgestaltung der „hypothetischen Einwilligung“ daher nicht herangezogen werden.

B. Die Erheblichkeit von „hypothetischen Ersatzursachen“ im Rahmen der Strafzumessungsgründe Die Berücksichtigung von „hypothetischen Reserveursachen“ auf der Ebene der Strafzumessung beruht auf der Prämisse, dass es Differenzen auf der „Erfolgsseite“ gibt,95 die einer Gleichbehandlung der Situationen, in denen Reserveursachen nicht berücksichtigt bzw. berücksichtigt werden, entgegenstehen. Die Berücksichtigung von „hypothetischen Reserveursachen“ bei der Strafzumessung wird damit auf das geschützte Rechtsgut zurückgeführt. Die „Unwertdifferenzen“ der verschiedenen Sachverhalte müssen aus dem geschützten Rechtsgut heraus begründet werden können. Ohne die Anerkennung der Relativierbarkeit des geschützten Rechtsguts bleiben „Unwertdifferenzen“ eine bloße Behauptung, weil die verschiedenen Sachverhalte nach dem geschützten Rechtsgut gleich behandelt werden sollen. Bei den höchstpersönlichen Rechtsgütern ist es sehr fraglich, ob „hypothetische Ersatzursachen“ bei der Strafzumessung berücksichtigt werden können. Notwendig ist eine differenzierende Betrachtung nach dem jeweils geschützten Rechtsgut.96 1. Für das höchstpersönliche Rechtsgut „Leben“ wird die Auffassung des Bundesgerichtshofs überwiegend auch nicht geteilt, bei einem Tötungsversuch an einem todkranken Krankenhauspatienten müsse bedacht werden, dass unter dem Gesichtspunkt der „Auswirkungen der Tat“ (§ 46 Abs. 2 StGB) nicht unberücksichtigt werde bleiben können, dass das Tatopfer „ohnedies“ einen Tag später verstorben wäre.97 94 95 96 97

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 93. hierzu Samson, Hypothetische Kausalverläufe 106 f. Samson, Hypothetische Kausalverläufe 142 f. BGH JZ 1997 1185.

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9. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene der Strafbarkeit

Das Leben habe einen „unendlichen Wert“, der der „quantitativen Messung“ entzogen sei.98 Damit geht es um den Schutz eines jeden „Lebensaugenblicks“. Der Mensch ist nicht „wie eine Sache“ zu behandeln,99 bei der eine Wertabstufung zum Teil für möglich gehalten wird. Der Bundesgerichtshof lehnt es andererseits auch ab, in dem „Alter des Getöteten“ einen beachtlichen Strafzumessungsgesichtspunkt zu sehen.100 Die Vernichtung eines „alten“, eines „verbrauchten“, eines „sterbenden“ Lebens ist aber kein Strafmilderungsgrund, so wie die Vernichtung eines „blühenden Lebens“ kein Strafschärfungsgrund ist.101 2. Hinsichtlich des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.) ist die Berücksichtigung von „hypothetischen Ersatzursachen“ auf der Strafzumessungsebene weitaus weniger vorgegeben.102 Die Konsequenzen, zu denen eine Relativierung der „körperlichen Unversehrtheit“ führen muss, sind allerdings bedenklich. Der „Schwerstkranke“, der um sein Leben ringt, ist aber nicht weniger schutzwürdig, bloß weil er dringend auf ärztlichen Beistand angewiesen ist. Er genießt in demselben Maße den Schutz unserer Rechtsordnung wie der „Gesunde“. Dabei kann in der Tat auch einmal feststehen, dass ihm durch den eigenmächtigen Heileingriff mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ keine Möglichkeit entzogen wurde, sich in „seiner spezifischen Lage vor dem Eingriff“ gegen die Heilbehandlung zu entscheiden. Jede Verkürzung seiner Entscheidungsmöglichkeiten um eine „echte Entscheidungsalternative“ führt dagegen ohnehin zum einem Entfallen der Strafmilderung. Der Mensch ist aber nicht „wie eine Sache“ zu behandeln, bei der es durchaus einleuchten kann, dass der „Erfolgsunwert“ in einem milderen Licht erscheint, wenn durch die zeitliche Vorverlagerung der Rechtsgutsbeeinträchtigung keine „echte Entscheidungsalternative“ des Rechtsgutsberechtigten, mit der Sache umzugehen, verschüttet worden ist.103 Das 98

Vgl. Roxin, ZStW 74 (1962) 427 ff., 429. Vgl. Hirsch, in: LK 11. Aufl. § 46 StGB Rdn. 53; Spendel, JZ 1997 1188; Theune, in: LK § 46 StGB Rdn. 144. 100 Vgl. BGH VRS 5 213; StV 95 634; StV 96 148; BayObLG NJW 54 1211; NJW 1974 250; OLG Köln DAR 63 306; OLG Frankfurt JR 1980 76; vgl. auch Bruns, JR 1980 77; Jähnke, in: LK § 212 StGB Rdn. 45, § 222 StGB Rdn. 25; Stree, in: Schönke/Schröder § 46 Rdn. 20. 101 Vgl. eingehend Spendel, JZ 1997 1187 f. Der abweichende Standpunkt des Bundesgerichtshofs ist schlechtweg inkonsequent; vgl. ähnlich auch Spendel, JZ 1997 1188 Fn. 20. 102 Das Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit des Menschen“ verfügt nicht über eine „zeitliche Dimension“, die jeder „quantitativen Messung“ entzogen ist. Es ist nicht bedeutungsvoll, „wann“, sondern vielmehr „ob“ die Unversehrtheit aufgeopfert worden wäre. Vgl. Samson, Hypothetische Kausalverläufe 142 f. 99

§ 3 Die „hypothetische Einwilligung“ als Strafmilderungsgrund

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Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ schützt aber nicht die der Relativierung zugängliche „körperliche Integrität“ als „materiellen Wert“, der die „hypothetische Einwilligung“ entgegengehalten werden kann, sondern vornehmlich den Patienten in seinem Anspruch als „Subjekt der Behandlung“ (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG) (Steffen). Dieser Wert ist unabhängig von der Bereitwilligkeit des Berechtigten, seine „körperliche Unversehrtheit“ um den Preis der Heilung aufzuopfern, stets gleichwertig. Die Beeinträchtigung dieses Wertes wird von der „hypothetischen Einwilligung“ nicht berührt. Die „hypothetische Einwilligung“ scheidet als Strafmilderungsgrund aus, denn das geschützte Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ bewertet das Unrecht in den verschiedenen Sachverhalten – unabhängig von dem sogar „sicher“ festgestellten „Vorliegen“ der „hypothetischen Einwilligung“ – gleich.

C. Die Bewertung der „Strafzumessungslösung“ 1. Von der Flexibilität bei der Ausgestaltung der Rechtsfolgenseite hängt viel „von der Überzeugungskraft“ der „hypothetischen Einwilligung“ ab.104 Mit der Strafmilderung könnte das „Gewicht“ der zweifelhaften theoretischen Wertungen dieser Rechtsfigur gesteuert werden. Sie wäre umso bedenklicher, je weiter man sich der Straffreiheit annäherte, während sie umgekehrt trotz grundsätzlicher Übernahme der sachlich unzutreffenden Wertungen umso eher nachvollzogen werden könnte, je geringer die Reduzierung des Strafmaßes ausfiele.105 Selbst die für „wichtig“ gehaltene „Versuchsstrafbarkeit“ könnte über das Strafmaß gesteuert werden. Bei der Fahrlässigkeit wäre eine völlige Straffreiheit nicht unbedingt angezeigt, sondern eine Strafmilderung denkbar. 2. Die „hypothetische Einwilligung“ ist als Strafzumessungsgesichtspunkt nicht deshalb problematisch, weil sie dem Richter einen breiten Ermessensspielraum einräumt.106 Auch sonst wird die Rechtssicherheit nicht 103 Dieser Gedanke scheint bei nicht höchstpersönlichen Rechtsgütern zu gelten, vgl. das Beispiel oben Fn. 75. Vgl. auch Samson, Hypothetische Kausalverläufe 143 Fn. 1. 104 Vgl. in der Sache zutreffend Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 231, der diese Einsicht nur auf die Effektivität der Versuchsstrafbarkeit bei der objektiven Erfolgszurechnung beschränkt. 105 Es ist aber zweifelhaft, ob mit der „fakultativen Strafmilderung“ die „hypothetische Einwilligung“ im Sinne der Rechtsprechung interpretiert wird. Eher scheint die Rechtsprechung die Alternativen „Straflosigkeit“ und „Strafbarkeit“ des eigenmächtig handelnden Arztes im Auge gehabt zu haben, vgl. 6. Kap. § 2 B. II. 2. 106 Vgl. aber so im allgemeinen Samson, Hypothetische Kausalverläufe 107.

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9. Kap.: „Hypothetische Einwilligung“ auf der Ebene der Strafbarkeit

dadurch gefährdet, dass das Gericht über Ermessensspielräume verfügt. Die Strafmilderungsvariante der „hypothetischen Einwilligung“ könnte vor allem auch Einzelfallgerechtigkeit verwirklichen. Theoretisch verlieren diese Vorteile einer auf der Strafzumessungsebene zu berücksichtigenden „hypothetischen Einwilligung“ wegen der Betroffenheit des geschützten Rechtsguts der „körperlichen Unversehrtheit“ ihr Gewicht. Die „hypothetische Einwilligung“ empfiehlt sich auch nicht als ggfs. de lege ferenda zu fordernder Strafmilderungsgrund.

Dritter Teil

Zusammenfassung und Entwicklung einer Lösungsmöglichkeit Zehntes Kapitel

Zusammenfassung der Zwischenergebnisse I. Die Rechtsgutslehre bei der „hypothetischen Einwilligung“ 1. Das Rechtsgutsverständnis bei der „hypothetischen Einwilligung“

Die „hypothetische Einwilligung“ beruht auf einem sehr konkreten Rechtsgutsverständnis. Die „engere“ Begriffsbestimmung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.), bei der nicht die „wirkliche Ausübung“ der Selbstbestimmung, sondern die Wahrung der „Maßgeblichkeit der auf die Rechtsgüter Gesundheit und körperliche Integrität bezogenen Interessendefinition des Patienten“ geschützt sein soll,1 legt das Schwergewicht des Schutzes auf die subjektive Anerkennung bzw. die Ablehnung der bevormundenden Entscheidung des Arztes über die „körperliche Unversehrtheit“ des Patienten. Es geht diesem „konkreten“ Rechtsgutsverständnis um die Gewährleistung des „materiellen Guts“ der „körperlichen Unversehrtheit“. Es ist konsequent, in einem Eingriff in die „körperliche Unversehrtheit“ kein Unrecht zu sehen, wenn infolge der vorhergehenden ärztlichen Einmischung in die Entscheidungsfindung des Patienten kein „Interesseverlust“ entstanden ist. Hätte sich der Patient für den Eingriff auch bei einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Aufklärung entschieden, müsste diese Auffassung einen Unrechtserfolg, der allein die Einmischung in die Entscheidungsfindung betrifft, sich aber nicht in dem „materiellen Gut“ der „körperlichen Unversehrtheit“ niederschlägt, in der Tat ablehnen. Das geschützte Rechtsgut kann aber nicht derart verkürzt werden. Es meint nicht ein „concretes Etwas“, nicht ein „materielles Gut“, sondern es meint einen über die „Objekts-Auffassung“ hinausgehenden anderen Sachverhalt. Mit der Anerkennung einer „Beziehungsstruktur“ im geschützten 1

Vgl. etwa Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442.

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10. Kap.: Zusammenfassung der Zwischenergebnisse

Rechtsgut ist das materielle Rechtsgutsverständnis theoretisch überwunden worden. Das Rechtsgut ist „eine bestimmte, in den einzelnen Tatbeständen näher beschriebene, reale Beziehung des Rechtssubjekts zu konkreten von der Rechtsgesellschaft anerkannten Werten (‚soziale Funktionseinheiten‘)“, „in der sich das Rechtssubjekt mit Billigung durch die Rechtsordnung personal entfaltet“.2 Am prägnantesten kommt dieser „abstrakte Wert“ des personalen Rechtsgutsverständnisses insbesondere bei den Körperverletzungsdelikten (§§ 223 StGB ff.) in einer auf Steffen zurückgehenden Formulierung zum Ausdruck. Der Patient könne nicht nur den „Schutz seiner Integrität, sondern [den Schutz] als Subjekt der Behandlung“ verlangen.3 Verfassungsrechtlich wird das moderne Leitbild der Rechtsprechung vom Patienten als „Subjekt der Behandlung“ in Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG abgesichert („Selbstbestimmungskonzept“).4 Dieses Grundverständnis vom Patienten als „Subjekt der Behandlung“ entspricht dem veränderten Bild des Arzt-Patienten-Verhältnisses in der heutigen sozialen Gesellschaft. a) Die Übernahme der Verantwortung für die Heilbehandlung und deren Risiken steht schon lange nicht mehr allein im Vordergrund des Arzt-Patienten-Verhältnisses. Die Einwilligung schützt natürlich auch die „körperliche Unversehrtheit“ des Patienten. Die Einwilligung verbürgt darüberhinaus aber auch die Garantie für die Durchführung eines bestimmten Verfahrens. Insoweit kann abgekürzt von einem „Schutz durch Verfahren“ gesprochen werden. Die ärztliche Aufklärungspflicht, zu der hier nur die „Selbstbestimmungsaufklärung“ gerechnet werden soll, ermöglicht es dem „in der rechtlich gebotenen Weise“ aufgeklärten Patienten, eine eigenverantwortliche Entscheidung über die konkrete Heilbehandlung durch einen Arzt zu treffen. Mit der nicht ordnungsgemäßen Durchführung des „Verfahrens“ zur Erlangung einer eigenverantwortlich getroffenen Entscheidung ist das Verbot des Rechtsgütereingriffs dem Arzt gegenüber nicht wirksam außer Kraft gesetzt. Für den Heileingriff trägt er die strafrechtlichen Folgen, wenn er ihn trotzdem durchführt. b) Das Grundverständnis vom Arzt-Patienten-Verhältnis in der heutigen sozialen Gesellschaft ist jedoch ein anderes. Arzt und Patient stehen sich eben nicht mehr in einem Über-/Unterordnungsverhältnis („Subordinationsverhältnis“) gegenüber, sondern vielmehr als gleichberechtigte Partner der Heilbehandlung („Kooperationsverhältnis“). Die Bedeutung der willentli2

Vgl. Otto, Grundkurs AT § 1 Rdn. 32; ders., Struktur 33; ders., in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik 8; ders., in: FS für Geerds 610. 3 Vgl. Steffen, in: Verhandlungen 52. DJT Bd. II 26. 4 Vgl. BVerfGE 52 131, 173; vgl. auch 11. Kap. § 1 B. III.

10. Kap.: Zusammenfassung der Zwischenergebnisse

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chen Einbindung des Patienten in den Heilungsprozess wird besonders von medizinischer Seite hervorgehoben. Die medizinische Wissenschaft weist in neuester Zeit zunehmend auf die Wichtigkeit der Rolle des Patienten als einer aktiven, an der Heilung mitwirkenden Persönlichkeit, nicht hingegen derjenigen des in Passivität verweilenden Empfängers ärztlicher Wohltaten hin. Der erfolgreiche Verlauf von – nicht strikt nach Naturgesetzen determinierten – Heilmaßnahmen soll nicht zuletzt auch von der inneren Einstellung des Patienten zum Heilprozess beeinflusst werden.5 Erst die Ernstnahme der ärztlichen Aufklärungspflicht ermöglicht die willentliche Beteiligung des Patienten als Partner an der Heilbehandlung. Das Arzt-Patienten-Verhältnis wird darüberhinaus nicht von gegenseitigem Misstrauen beherrscht, sondern von beiderseitigem Vertrauen der daran beteiligten Personen. Erst die ernstliche Erfüllung der wahrheitsgemäßen und vollständigen Kommunikation zwischen Arzt und Patient entspricht auch dem in der Rechtsprechung immer wieder betonten rechtlichen Leitbild des Patienten als „Subjekt der Behandlung“ (Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG)6 („Selbstbestimmungskonzept“). Das „Werthafte“ der freien Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen in seinem Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ ist vornehmlich nicht die Verantwortungsübernahme für die Heilbehandlung und deren Risiken, sondern die aus medizinischer und rechtlicher Sicht erforderliche Beteiligung des Patienten daran als „Subjekt der Behandlung“. In diesem Anspruch wird er durch den medizinischen Paternalismus endgültig missachtet. Der Reflex der Art von „Selbstbestimmung“ in der Form der „hypothetischen Einwilligung“ taugt nicht als Äquivalent. Der Patient steht nicht mehr vor der Frage, ob er seine „körperliche Unversehrtheit“ aufopfern soll, um Heilung zu erfahren. Er ist zum „Objekt“ ärztlicher Vernunfthoheit gemacht worden und wird nun mit diesen vollendeten Tatsachen konfrontiert. Gegen die „hypothetische Einwilligung“ sprechen daher nicht allein rechtliche, sondern vor allem auch medizinische Gründe. Die Ablehnung der „hypothetischen Einwilligung“ beruht wesentlich auf normativen Erwägungen. Sie geht über den im tatsächlichen Bereich bereitgehaltenen Schutz – „echter Entscheidungskonflikt“ und Risikoerhöhungslehre – weit hinaus.

5 6

Vgl. auch Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 123. Vgl. BVerfGE 52 131, 173.

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10. Kap.: Zusammenfassung der Zwischenergebnisse 2. Die Konkretisierung des geschützten Rechtsguts der „körperlichen Unversehrtheit des Menschen“

Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.) ist die „körperliche Unversehrtheit des Menschen“. Die ärztliche Heilbehandlung wird seit RGSt 25 375 vom 31. Mai 1894 sachgerecht auch als „Körperverletzung“ erfasst. Die Beschreibung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.), wie sie der „hypothetischen Einwilligung“ vorausliegt, ist aber auch deshalb problematisch, weil über den Schutz der „körperlichen Unversehrtheit des Menschen“ hinausgegangen wird. Das bestätigt der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs im „Surgibone“-Dübelfall: Die Einwilligung könne nur wirksam erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden sei. Nur so werden sein „Selbstbestimmungsrecht und sein Recht auf körperliche Unversehrtheit gewahrt.“7 Auch Kuhlen schützt die „körperliche Integrität“, wobei die „Selbstbestimmung“ des Patienten ebenfalls geschützt werden soll.8 Ein derartiger Schutz ist in den Körperverletzungsdelikten keineswegs angelegt (Art. 103 Abs. 2 GG). Die personale Rechtsgutslehre, von der hier ausgegangen wird, erweitert das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte nicht um die „Selbstbestimmung“ des Menschen, sondern sie „subjektiviert“ die „körperliche Unversehrtheit“ („Beziehungsstruktur“). Das sind scharf voneinander zu trennende Sachverhalte.9 Die Verkennung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte ist der Ausgangspunkt einer Reihe von Missverständnissen: a) Die Abgrenzung von positiven Tun und Unterlassen kann bei der „hypothetischen Einwilligung“ nicht ernsthaft aufgeworfen werden. Das Schneiden, Stechen, Schießen usw. ist nicht deshalb in eine Unterlassung „umzudeuten“, weil der Patient über den ärztlichen Heileingriff unsachgemäß aufgeklärt worden ist. Das Abstellen auf die Beeinträchtigung der „Selbstbestimmung“ des Patienten durch die fehlerhafte ärztliche Aufklärung kommt bei der Abgrenzungsproblematik („Schwerpunktformel“) nicht in Betracht, weil die fehlerhafte ärztliche Aufklärung das geschützte Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ unmöglich beeinträchtigen kann.10 7

Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70. Vgl. etwa Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442. 9 Vgl. 3. Kap. § 1 A., § 2. B. 10 Vgl. 5. Kap. § 2 C. II. 3. 8

10. Kap.: Zusammenfassung der Zwischenergebnisse

503

b) Das kritisierte Rechtsgutsverständnis begünstigt auch zweifelhafte Ergebnisse im Rahmen der im Radfahrerfall (BGHSt 11 1) entwickelten „Ursächlichkeit im strafrechtlichen Sinn“ sowie des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“. Trotz der abenteuerlichsten Verfehlung der ärztlichen Aufklärungspflicht begründet der Arzt hierdurch keine Gefahr für das geschützte Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“. Erst das Schneiden, Stechen, Schießen usw. führt zu einer Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“. „Aufklärungsmängel“ können den tatbestandlichen Körperverletzungserfolg nicht verursachen, sie berühren die „Selbstbestimmung“ des Patienten.11 Es ist die „fehlende Trennung von Aufklärungsfehlern und rechtsgutsverletzenden Verhalten“, die zu einer unangemessenen Ausweitung des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ beiträgt.12 II. Hypothesen entlasten den Täter nicht Der Rechtsgedanke der „hypothetischen Einwilligung“ ist auch deshalb abzulehnen, weil die strukturellen Unterschiede einer Gleichbehandlung der „hypothetischen Einwilligung“ mit den in der Rechtsprechung und der Wissenschaft aufgezeigten Rechtsfiguren entgegenstehen. Ungenau ist die Beschreibung der „hypothetischen Einwilligung“, wenn von einem „nicht bekannt[en], jedenfalls nicht einwandfrei ermittelt[en]“ Willen des Berechtigten im Zeitpunkt des Eingriffs in „seine“ Rechtsgüter ausgegangen wird.13 Eine wirksame Einwilligung des Berechtigten ist im Tatzeitpunkt tatsächlich nicht vorhanden. Der Wille kann daher nicht bloß unbekannt sein. Die „hypothetische Einwilligung“ ist ein bloßes „fiktives Potential“ einer Einwilligung, die in dem gedachten Fall rechtmäßigen Alternativverhaltens des Arztes hypothetisch hätte vorliegen können, aber tatsächlich nicht vorgelegen hat. Hypothetische Ersatzursachen haben keinen Einfluss auf die im mechanisch-naturwissenschaftlichen Sinn zu verstehende Kausalität. Der Arzt hat mit dem Skalpell geschnitten, mit der Nadel gestochen, mit Strahlen geschossen usw. Er hat die „körperliche Unversehrtheit“ des Menschen tatsächlich beeinträchtigt.14 Auf die „Quasikausalität“ kann nicht ausgewichen werden, weil ein positives Tun vorliegt.15 11 12 13 14 15

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

6. Kap. § 3 C. I., II. zutreffend Jäger, in: FS für Jung 351. so aber Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT § 3 Rdn. 106c. 5. Kap. § 1 B. I. oben I. 2. b).

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10. Kap.: Zusammenfassung der Zwischenergebnisse

Der Gedanke des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ ist nicht einschlägig. Der Eingriff in die „körperliche Unversehrtheit“ ohne wirksame Einwilligung stellt als solcher die rechtspflichtwidrige Rechtsgutsbeeinträchtigung dar.16 „Die unwirksame Einwilligung kann die Tat nicht rechtfertigen, [sie kann auch nicht] das Unrecht des vollendeten Delikts ausschließen“.17 Das „hypothetische Denkverfahren“ des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“, wie es die Vermeidbarkeitsformel nahelegt, legitimiert aber nicht die Berücksichtigung „hypothetischer Ersatzursachen“.18 Jenseits des Topos der „hypothetischen Einwilligung“ ist das in Rechtsprechung und Wissenschaft durchaus anerkannt. In der Klinikinsassenentscheidung (BGHSt 49 1) wird auf die Unbeachtlichkeit „hypothetischer Ersatzursachen“ bei dem „rechtmäßigen Alternativverhalten“ erneut hingewiesen. Ein Sonderstrafrecht für Ärzte, das auf einem inkonsequenten topischen Denken beruht, ist jedoch abzulehnen. Die „hypothetische Einwilligung“ gehört strukturell vielmehr in die Fallgruppe, in der sich der rechtswidrig handelnde Täter darauf beruft, dass er auch rechtmäßig hätte handeln können, um den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. Er hat sich um die Rechte des anderen aber gerade nicht gekümmert. Diese vom „rechtmäßigen Alternativverhalten“ (Radfahrerfall, BGHSt 11 1) zu unterscheidende Fallgruppe berührt unmittelbar die vielfach mit Skepsis behandelte Problematik der Anerkennung von „hypothetischen Ersatzursachen“ bei der objektiven Erfolgszurechnung („rechtmäßiger Alternativverlauf“).19 Gegen diesen Gedanken spricht die „Grundentscheidung zur Funktion strafrechtlicher Normen“. Erneut kann auf das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.) zurückgegriffen werden. Das geschützte Rechtsgut schützt eben nicht allein das „materielle Körpersubstrat“, sondern den Patienten in seinem Wertanspruch als „Subjekt der Behandlung“. Die Verpönung jeglicher Relativierung dieses Achtungsanspruches beruht zudem auf dem von Welzel herausgearbeiteten Gedanken der Einübung, Erhaltung und Verfestigung der „Aktwerte rechtlicher Gesinnung“.20 Der Berufsstand der Ärzte soll die Einwilligung des Patienten und die ärztliche Aufklärungspflicht als „Institutionen“ ernst nehmen und achten müssen.21 16 Vgl. etwa Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 134; ders., Jura 2004 683; vgl. auch Jäger, in: FS für Jung 349 f.; ders., Examens-Repetitorium Strafrecht AT § 4 Rdn. 146c; Sternberg-Lieben, StV 2008 191 f. 17 Vgl. dagegen Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I § 9 Rdn. 28; Rönnau, JR 2004 802. Ergänzung vom Verf. 18 Vgl. 6. Kap. § 3 C. I. 2. 19 Vgl. zur Unterscheidung zwischen „rechtmäßigen Alternativverhalten“ und „rechtmäßigen Alternativverlauf“ Jäger, in: FS für Jung 350 f.; vgl. 6. Kap. § 3 B. I., § 2. Abschn. B. 20 Vgl. 7. Kap. § 2 C. III.

10. Kap.: Zusammenfassung der Zwischenergebnisse

505

Eine „hypothetische Rechtfertigung“, die Ersetzbarkeit einer im Rechtssinne fehlenden durch eine nur gedachte Einwilligung, wird mit Skepsis behandelt. Den Rechtfertigungsgrund einer „hypothetischen Einwilligung“ hatte bereits der Dritte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in der Impfentscheidung abgelehnt: Die „Rechtswidrigkeit einer Handlung [. . .] kann [. . .] durch eine hypothetische Zustimmung des Berechtigten nicht beseitigt werden.“22 Der Grund für die Unbeachtlichkeit der „hypothetischen Einwilligung“ liegt darin, dass eine wirkliche Einwilligung des Berechtigten gerade nicht vorliegt. Hypothesen entlasten den Täter nicht. Daher ist auch der seit dem Bandscheibenfall23 geltende Satz des Ersten und Vierten Strafsenats des Bundesgerichtshofs abzulehnen, dass die „Rechtswidrigkeit [auch dann] entfällt“, wenn im Falle eines Aufklärungsmangels der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation hypothetisch eingewilligt hätte. „Strukturelle Parallelen“ (Kuhlen) sind daher nicht ersichtlich. Diese Einsicht setzt sich zunehmend durch – im Zusammenhang mit dem Gedanken des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“, dem Zweifelsgrundsatz und der subjektiven Tatseite –, ohne dass hierin ein übergeordnetes Prinzip gesehen wird, das den verschiedenen Konstruktionen der „hypothetischen Einwilligung“ gleichsam überall entgegensteht. Wegen dieser Bedenken werden daher am Rande auch neue Konstruktionen vorgeschlagen. Ein körperverletzungsspezifischer Strafaufhebungsgrund oder Strafmilderungsgrund der „hypothetischen Einwilligung“ ist allerdings ebenso wenig anzuerkennen. Strafaufhebungsgründe liegen tatsächlich, nicht nur hypothetisch vor.24 Der Forderung nach der Beachtlichkeit von „hypothetischen Ersatzursachen“ im Rahmen der Strafzumessung sollte nicht gefolgt werden, obwohl hier sicherlich der größte Spielraum für Argumentation verbleibt. Welchen Wert das geschützte Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ hat, bestimmt sich jedoch nicht allein in Zwischenschritten der strafrechtlichen Deliktsprüfung, sondern vor allem auch im Ergebnis.25 Die Gleichbehandlung der „hypothetischen Einwilligung“ mit den vorgeschlagenen Rechtsfiguren ist daher insgesamt verfehlt: Die „hypothetische Einwilligung“ liegt tatsächlich nicht vor. Der maßgebliche Grund für die Unbeachtlichkeit der „hypothetischen Einwilligung“ besteht also darin, 21 22 23 24 25

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

vollkommen sachgerecht Weber-Steinhaus, Ärztliche Berufshaftung 268 f. BGH VersR 1959 355, 356. Einl. § 1 V. 9. Kap. § 1 A. 9. Kap. § 2 B.

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10. Kap.: Zusammenfassung der Zwischenergebnisse

dass Hypothesen den Täter von seiner strafrechtlichen Verantwortung nicht entlasten können. Verfehlt sind auch die bei den „formellen Willensbruchdelikten“ erörterten Rechtsfiguren eines „mutmaßlichen“ und „hypothetischen Einverständnisses“: Das „mutmaßliche“ und das „hypothetische Einverständnis“ liegen tatsächlich nicht vor.26 III. Eine „nachträgliche Hypothesenbildung“ entlastet den Täter nicht Die Hypothese einer Einwilligung wird darüberhinaus aus Umständen gebildet, die zur Tatzeit nicht vorhanden sind. Die „nachträgliche Befragung“ des Patienten, die besser als „nachträgliche Hypothesenbildung“ durch das Gericht zu charakterisieren ist, lässt sich deshalb nicht mehr mit den allgemeinen Regeln der Rechtfertigungsdogmatik vereinbaren. Hiernach müssen die Umstände, die die Tat rechtfertigen, im Tatzeitpunkt vielmehr tatsächlich vorliegen.27

26 27

Vgl. 6. Kap. § 5 A. II. Vgl. 6. Kap. § 5 C.

Elftes Kapitel

Die Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht § 1 Vorüberlegungen zur Entwicklung einer eigenen Lösung A. Der Zweck der „hypothetischen Einwilligung“ Der Satz der Rechtsprechung, wonach „Aufklärungsmängel [. . .] eine Strafbarkeit des Arztes wegen Körperverletzung nur begründen [können], wenn der Patient bei einer den Anforderungen genügenden Aufklärung in den Eingriff [hypothetisch] nicht eingewilligt hätte [. . .]“, ist nicht überzeugend. Um eine Lösung entwickeln zu können, ist es daher notwendig, die hinter der „hypothetischen Einwilligung“ stehende Problematik zu erkennen. Über den Zweck dieses Rechtsgedankens besteht jedoch keine Einigkeit. I. Der ursprüngliche Zweck der „hypothetischen Einwilligung“ Die ursprüngliche Entwicklungslinie der „hypothetischen Einwilligung“ führt zu der Entscheidung des Reichsgerichts vom 8. März 1940 zurück.1 Die Konstruktion des Reichsgerichts für das Arzt-Patienten-Verhältnis wird auch von Geilen wieder aufgegriffen: Inhaltlich sei die „Kausalbetrachtung“ bei einer „qua Aufklärungspflichtverletzung unwirksamen Einwilligung“ von der ganz anderen Problematik einer „a limine fehlenden Einwilligung“ scharf zu trennen.2 In der ersten Fallgruppe der Aufklärungspflichtverletzung, die den Diagnose-, im Wesentlichen aber den Risikoirrtum betreffe,3 gehe es um die Feststellung, ob die irrtümlich erteilte Einwilligung des Berechtigten rechtlich wirksam sei. Diese Feststellung soll von der „Ursächlichkeit der unter1

Vgl. Vgl. noch Fn. 3 Vgl. 2

RGZ 163 129, 139 = DR 1940 1288, 1291 mit Anm. Kallfelz. Ärztliche Aufklärungspflicht 105 ff.; vgl. i. Ü. 6. Kap. § 4 A. Vgl. auch 8. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 107, 109.

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

lassenen Aufklärung“4 oder der „Kausalität des Irrtums“ abhängen.5 Zur Prüfung sei daher auf den jedenfalls heuristisch mit der Kausalformel übereinstimmenden, hypothetischen Vergleich abzustellen, ob der Patient auch im Falle der Aufklärung eingewilligt hätte? Die Einwilligung muss Ausdruck des hinter der Einwilligung stehenden Prinzips der Autonomie des Betroffenen sein. Die Konstruktion der „Irrtumsrelevanz“ beschäftigt sich daher sachlich mit der Beachtlichkeit von Irrtümern bei der Einwilligung in den Fällen der Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht. Hieran wird aber ersichtlich, dass die „Irrtumsrelevanz“ mit der „hypothetischen Einwilligung“ in der Sache nichts zu tun hat. „Erforderlich bleibt stets, dass die (Irrtums-)Beeinträchtigung und die Willensentschließung untereinander in einem ursächlichen Zusammenhang stehen.“6 Dagegen berührt die zweite Fallgruppe die nachgelagerte Frage, ob die „fehlerhafte“ und damit rechtlich unwirksame, die „überhaupt nicht erklärte (oder sogar verweigerte) Einwilligung“ durch eine nur gedachte Einwilligung des Patienten ersetzt werden dürfe.7 Hier beginne der Bereich der eigentlichen „hypothetischen Rechtfertigung“. Die Lehre der „Irrtumsrelevanz“, die allerdings unzutreffend auf den „hypothetischen, ohne Irrtum gedachten Willen des Patienten“ abstellt und hiermit die „eher mit Skepsis zu behandelnde“ Problematik einer „hypothetischen Einwilligung“ erst aufwirft,8 ist die eigentliche Problematik bei dem Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“. Es geht in der Sache um die Beachtlichkeit von Irrtümern bei der Einwilligung im Arzt-Patienten-Verhältnis.

4

Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 106. Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 107. 6 Vgl. RGSt 41 392, 296. 7 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 106 f., 113. 8 Vgl. RGZ 163 129, 139 = DR 1940 1288, 1291 mit Anm. Kallfelz; Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 107 Fn. 279; Merkel, in: NK § 218a StGB Rdn. 41. Aus dem zivilrechtlichen Schrifttum vertreten namentlich auch Kuckuk, in: Erman Vor § 249 BGB Rdn. 88 und Mertens, in: Soergel Vor § 249 BGB Rdn. 166 die Ansicht, dass die „hypothetische Einwilligung“ nur in den Fällen anzuerkennen sei, in denen die ärztliche Aufklärung überhaupt stattgefunden habe, doch lückenhaft oder ungenügend war, aber nicht dann, wenn die Aufklärung ganz gefehlt habe. Den Unterschied der Fallgruppen deutet auch Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 152 an. Er meint, das Reichsgericht hätte in RGZ 163 129 wohl anders entschieden, wenn ein „Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht“, nicht aber eines Eingriffs „ohne Einwilligung“ zu beurteilen gewesen wäre. 5

§ 1 Vorüberlegungen zur Entwicklung einer eigenen Lösung

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II. Die „hypothetische Einwilligung“ als Korrektiv für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes wegen einer Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht 1. Der Standpunkt des Bundesgerichtshofs

Auf einer anderen Entwicklungslinie der „hypothetischen Einwilligung“ beruhen die Entscheidungen des Ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Bandscheibenfall,9 im Bohrerfall10 und im Turboentzugsfall11 und des Vierten Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Liposuktionsfall:12 „Ärztliche Heileingriffe [stellen] (vorsätzliche) Körperverletzungshandlungen [dar] und [bedürfen] deshalb grundsätzlich der Einwilligung des Patienten [. . .], um rechtmäßig zu sein.“13 Das „entspricht der ständigen Rechtsprechung des BGH und ist im Grundsatz heute auch in der Ärzteschaft unumstritten [. . .].“14 „Diese Einwilligung kann aber wirksam nur erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise [. . .] aufgeklärt worden ist.“15 „Nur so werden sein Selbstbestimmungsrecht und sein Recht auf körperliche Unversehrtheit gewahrt.“16 „Aus diesem Grundsatz der Rechtsprechung folgt aber nicht, dass der Arzt sich mit jedem nach einer mangelhaften Aufklärung (und folglich aufgrund unwirksamer Einwilligung) vorgenommenen Eingriff wegen Körperverletzung strafbar macht [. . .].“17 „Die Rechtswidrigkeit entfällt [auch dann], wenn der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte. Der nachgewiesene Aufklärungsmangel kann nur dann zur Strafbarkeit wegen Körperverletzung [. . .] führen, wenn bei ordnungsgemäßer Aufklärung die Einwilligung unterblieben wäre [. . .].“18 „Im Falle des Fehlens einer (hypothetischen) Einwilligung stellt sich operative Eingriff [. . .] jedoch als tatbestandsmäßige und rechtswidrige Körperverletzung dar.“19

Mit dem Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ wird – anders als noch beim Reichsgericht – nicht mehr die Problematik der Beachtlichkeit von Irrtümern bei der Einwilligung erfasst. Die Rechtsprechung ent9

Vgl. Einl. § 1 V. Vgl. Einl. § 1 VI. 11 Vgl. Einl. § 1 VIII. 12 Vgl. Einl. § 1 VII. 13 Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340, 341. 14 Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70. 15 Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340, 341; vgl. auch BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70; NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. 16 Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70. 17 Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 72. 18 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. 19 Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340, 341. 10

510

11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

wickelt mit der „hypothetischen Einwilligung“ vielmehr einen eigenständigen körperverletzungsspezifischen Rechtfertigungsgrund für bestimmte Fälle von ärztlicher Eigenmacht im Arzt-Patienten-Verhältnis. Die „hypothetische Einwilligung“ berührt hier unmittelbar die Problematik der Unrechtseinschränkung20 durch eine eigentliche „hypothetische Rechtfertigung“. 2. Der Standpunkt der strafrechtlichen Wissenschaft

Die jüngeren Stellungnahmen im strafrechtlichen Schrifttum geben der „hypothetischen Einwilligung“ überwiegend den Sinn einer „Unrechtseinschränkung“, wenn die Normbefolgung ex post betrachtet keinen Beitrag zum bezweckten Rechtsgüterschutz geleistet hätte21 oder das geschützte Rechtsgut bei normgemäßen Verhalten nicht oder doch nur zufällig geringer beeinträchtigt worden wäre.22 Die korrekte Aufklärung hätte „nichts gebracht“.23 Die Lösungen im Bereich der objektiven Zurechnung (i. w. S.) zeigen daher in eine ähnliche Richtung wie die „Rechtfertigungslösung“, obwohl die Konstruktionsversuche theoretisch klar voneinander zu trennen sind. Der Zweck der „hypothetischen Einwilligung“ besteht auch hiernach in einer Einschränkung der „ausufernden Haftung“24 im Arzt-Patienten-Verhältnis. Dieser Bezug auf das Arztstrafrecht wird allerdings zunehmend mit der Entwicklung eines eigenständigen allgemeinen Rechtsgedankens der „hypothetischen Einwilligung“ – vor allem im Bereich des strafrechtlichen Vermögensschutzes – aufgegeben.25 3. Die Gründe für die „hypothetische Einwilligung“

a) Einschränkung der Strafbarkeit des Arztes wegen einer Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht Mit dem Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ werden daher die eigenen Prämissen in den einschlägigen Fällen aufgegeben, weil sie 20 Vgl. zu den Gründen für die Entwicklung der „hypothetischen Einwilligung“ unten 3. 21 Vgl. etwa Kuhlen, in: FS für Roxin 331 f.; ders., in: FS für Müller-Dietz 431 f.; ders., JR 2004 227; vgl. auch Dreher, Objektive Zurechnung 52 ff., 103 f.; Mitsch, JZ 2005 282; Rönnau, JZ 2004 801 f.; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230. 22 Vgl. Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 442. 23 Vgl. Kühl, Strafrecht AT § 9 Rdn. 47a. 24 Vgl. etwa Eisele, JA 2005 253; Sickor, JA 2008 12; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 134. 25 Vgl. Nachweise in Einl. § 2 B. II. 3.

§ 1 Vorüberlegungen zur Entwicklung einer eigenen Lösung

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als problematisch angesehen werden: Der richterrechtlich ohne jedwede dogmatische Einbettung in die Welt des Rechts geworfenen „hypothetischen Einwilligung“ sei nurmehr die Zwecksetzung eigen, „angesichts ausufernder Aufklärungspflichten“26 die Strafbarkeit des Arztes auf ein angemessenes Maß zurückzuführen.27 Die „hypothetische Einwilligung“ sei „vor dem Hintergrund fortlaufend erweiterter Aufklärungspflichten“ entwickelt worden und diene dazu, die „Haftungssituation [des Arztes] erträglich zu gestalten.“28 b) Umgehung der Voraussetzungen des Behandlungsfehlerprozesses Der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs warnt29 vor einem nachträglichen Missbrauch des dem Patienten eingeräumten Aufklärungsrechts allein für Haftungszwecke.30 Die Aufklärungsrüge steht in Gefahr, zu einem „Auffangtatbestand“ für den Behandlungsfehlerprozess zu werden, weil die Haftungsvoraussetzungen bei einem Behandlungsfehlerprozess ungleich höher liegen als bei einem Aufklärungsfehlerprozess.31 Damit werden jedoch die Voraussetzungen für eine Verantwortlichkeit des Arztes wegen eines Behandlungsfehlers „umgangen“. Zusammenfassend lässt sich damit festhalten: Der Sitz der Problematik bei der „hypothetischen Einwilligung“ ist die Einwilligung des Patienten in eine ärztliche Heilbehandlung, die eine Körperverletzung darstellt, und die Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht als Voraussetzung für eine rechtlich wirksame Einwilligung.

26 Vgl. Eisele, JA 2005 253; Sickor, JA 2008 12; eingehend Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 53. 27 Vgl. Duttge, in: FS für Schroeder 195; Kuhlen, in: FS für Müller-Dietz 437 f.; ders., in: FS für Roxin 343; Mitsch, JZ 2005 285; Rönnau, JZ 2004 801. 28 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 134; so auch Schwartz, Hypothetische Einwilligung 244. 29 Eine Verurteilung des Arztes trotz festgestellter „hypothetischer Einwilligung“ liefe auch auf eine dem Zivilrecht fremde Strafe hinaus, vgl. BGH VersR 1982 168. 30 Vgl. BGHZ 90 103, 111 = NJW 1984 1397, 1399. 31 Vgl. etwa Puppe, GA 2003 775; Sickor, JA 2008 12; eingehend 6. Kap. § 3 B. I. 2. b).

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

B. Einordnung der ärztlichen Aufklärungspflicht I. Die allgemeinen Lehren 1. Die Täuschung und der Irrtum bei der Einwilligung32

a) Nach einer hergebrachten Lehre soll jede Täuschung33 der Einwilligung ihre rechtfertigende Kraft nehmen, wenn sie für die Einwilligung wesentliche Bedeutung habe.34 Hiergegen wendet sich eine von Arzt begründete Lehre, die eine Einwilligung allein für unwirksam hält, wenn die Täuschung zu einem „rechtsgutsbezogenen“ Irrtum des Einwilligenden geführt habe. Rechtsgutsbezogene Fehlvorstellungen des Einwilligenden seien solche, in denen er über das betroffene Objekt, die Art, Schwere oder Gefährlichkeit des Rechtsgütereingriffs irre.35 Die Täuschung über „nicht rechtsgutsbezogene“ Umstände wie die Täuschung über eine Gegenleistung, den außertatbestandlichen Zweck der Rechtsgutsbeeinträchtigung sowie das Motiv seien dagegen unbeachtlich.36 b) Seltener wird die Ansicht vertreten, dass jeder für die Einwilligung „kausale“ Irrtum zur Unwirksamkeit der Einwilligung führe.37 Hiervon wer32 Die bisher entschiedenen Fälle zur „hypothetischen Einwilligung“ berühren dabei ausschließlich die Problematik der Täuschung und des Irrtums. Vgl. zu diesen Willensmängeln allgemein Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor 32 StGB Rdn. 119 ff.; Mitsch, Rechtfertigung §§ 34, 35; ders., in: Baumann/Weber/Mitsch § 17 Rdn. 109; Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 110 ff.; ders., in: FS für Geerds 615 ff.; Rönnau, Willensmängel 410 ff.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 97 ff.; Schroth, in: FS für Volk 731 ff. 33 Täuschen kann auch ein Dritter. Die Einwilligung ist unwirksam, wenn der Täter erkennt, dass die Einwilligung auf einer Täuschung beruht. Er weiß dann, dass die Einwilligung nicht auf der Autonomie des Berechtigten beruht, vgl. etwa Otto, Grundkurs Strafrecht AT § 8 Rdn. 134. 34 Vgl. OLG Stuttgart 1982 2266, 2267; BGH NStZ-RR 2004 16, 17= JR 2004 251, 252; NStZ 2004 442 = JR 2004 469; Amelung, Willensmängel 40 ff.; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 17 Rdn. 109; Fischer, Vor § 32 StGB Rdn. 3b; Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 121 mwN; Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 110; ders., in: FS für Geerds 615; Rönnau, Willensmängel 430 ff.; ders., in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 206; Schroth, in: FS für Volk 735 f. 35 Vgl. Arzt, Willensmängel 18 ff. 36 Vgl. etwa Bichlmeier, JZ 1980 55; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 34 IV 5 382 f.; Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 47; Merkel, in: NK § 218a StGB Rdn. 36, 40; Rudolphi, ZStW 86 (1974) 82; Schmidhäuser, Studienbuch 5. Abschn. Rdn. 129; Wessels/Beulke, Strafrecht AT § 9 Rdn. 376. Eine einschränkende Variante dieser Ansicht vertritt Roxin, in: GS für Noll 279 ff.; ders., Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 99 ff. Er nimmt die Fallgruppen des Handelns wegen eines „altruistischen Zwecks“ sowie in einer „notstandsähnlichen Lage“ von der Unbeachtlichkeit der nicht rechtsgutsbezogenen Irrtümer aus.

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den allerdings die für unbeachtlich gehaltenen Motivirrtümer im Gegensatz zu den beachtlichen Erklärungs- und Inhaltsirrtümern auszunehmen versucht, wobei die Abgrenzung erhebliche Schwierigkeiten bereitet.38 Eine andere Ansicht behandelt dagegen allein die „rechtsgutsbezogenen“ Irrtümer als einwilligungsschädlich.39 Die Täuschung scheint unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Autonomie nur ein Unterfall der auf einem Irrtum beruhenden Einwilligung zu sein. Gleichwohl ist bei einem Irrtum zu differenzieren: Die Einwilligung sei kein das Individuum allein betreffender Sachverhalt, sondern ein soziales Ereignis. Sie sei daher nicht allein ein seelischer Vorgang des Einwilligenden, sondern ein nach außen kundgetanes Ereignis im sozialen Raum. Die Einwilligung müsse ausdrücklich oder konkludent erklärt werden. Als Erklärung im sozialen Raum unterliege die Einwilligung aber auch den Regeln der Auslegung in diesem Bereich. Erklärt sei, was sich bei objektiver Auslegung aus dem Empfängerhorizont ergebe. Diese Bindung des Einwilligenden an seine Erklärung erfordere die im sozialen Bereich notwendig zu beachtende Rechtssicherheit. Der nicht auf einer Täuschung beruhende bloße Irrtum sei daher grundsätzlich unbeachtlich, wenn er nicht in der Äußerung der Einwilligung seinen Ausdruck gefunden habe.40 Aus der Kollision zwischen dem Schutz der Autonomie und der Rechtssicherheit, die zugunsten der Rechtssicherheit entschieden werde, ergeben sich für den Grundsatz der Unbeachtlichkeit des Irrtums allerdings „Ausnahmen“:41 Der 37 Vgl. vor allem Amelung, Willensmängel 40 ff.; Mitsch, Rechtfertigung 507 ff.; ders., in: Baumann/Weber/Mitsch § 17 Rdn. 109 f., 111 a. E.; ders., JZ 2005 281. 38 Vgl. etwa Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 121; Stratenwerth/ Kuhlen, Strafrecht AT I § 9 Rdn. 27; Fischer, Vor § 32 StGB Rdn. 3b. 39 Vgl. etwa Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 46; Merkel, in: NK § 218a StGB Rdn. 36, 40; Schmidhäuser, Studienbuch 5. Abschn. Rdn. 129. Nach Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 204 soll bei rechtgutsbezogenen Irrtümern die Einwilligung nicht bloß unwirksam sein, sondern sie soll überhaupt fehlen. Nicht rechtsgutsbezogene Irrtümer stünden der Wirksamkeit der Einwilligung dagegen nicht im Weg. 40 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 617 f.; ders., Grundkurs AT § 8 Rdn. 114; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 106. 41 Zum anderen sei der Irrtum auch dann beachtlich, wenn der Erklärungsempfänger den Irrtum des Einwilligenden erkenne. Hier wisse der Erklärungsempfänger, dass er den Rechtsschutzverzicht des Erklärenden zu einer Schädigung ausnutze, obwohl dessen Erklärung nicht Ausdruck seiner Autonomie sei. Der Erklärungsempfänger handelt hier rechtsmissbräuchlich, weil er bewusst eine Erklärung ausnutze, von der er wisse, dass der Erklärende sie in dieser Weise nicht abgegeben hätte. Die Einwilligung sei damit nicht nichtig oder unwirksam, sondern dem Erklärungsempfänger sei die Berufung auf die Einwilligung zu seinen Gunsten versagt. Vgl. Otto, in: FS für Geerds 617 f.; ders., Grundkurs AT § 8 Rdn. 114; anders wohl Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 106.

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Irrtum sei u. a. beachtlich, wenn der Erklärungsempfänger die rechtliche Pflicht habe, die Fehlvorstellungen des Erklärenden aufgrund seines überlegenen Sachwissens durch Aufklärung zu beseitigen. Das ist der Fall der ärztlichen Aufklärungspflicht.42 Auch der Bundesgerichtshof ist der Auffassung, dass die „Einwilligung aber wirksam nur erteilt werden [kann], wenn der Patient in der gebotenen Weise [. . .] aufgeklärt worden ist.“43 „Nur so werden sein Selbstbestimmungsrecht und sein Recht auf körperliche Unversehrtheit gewahrt.“44 2. Die Konsequenzen aus der Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht

Aus der Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht ergeben sich im Arzt-Patienten-Verhältnis abweichend von der allgemeinen Dogmatik damit wichtige Besonderheiten für die Beachtlichkeit von Irrtümern: Der Arzt trägt als Sonderpflichtiger (Garant)45 die Verantwortung für jeden innerhalb des Schutzbereiches der ärztlichen Aufklärungspflicht liegenden Irrtum des Einwilligenden. Diese Irrtümer nehmen seiner Einwilligung grundsätzlich46 ihre rechtfertigende Kraft, weil sie den Einwilligenden außerstande setzen, eine eigenverantwortliche Einwilligung abzugeben. Die ärztliche Aufklärungspflicht erklärt bestimmte „rechtsgutsbezogene“47 Irrtümer48 des Einwilligenden – unabhängig von einer Täuschung – daher für beachtlich. Der bloße Irrtum49 soll für die Einwilligung dagegen folgenlos bleiben. Hieran zeigt sich die Sonderstellung der Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht im Verhältnis zur allgemeinen Dogmatik besonders eindrucksvoll, denn diese hält Irrtümer bei der Einwilligung überwiegend für unbeachtlich.

42

Vgl. Otto, in: FS für Geerds 617 f.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 106. Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340 34; vgl. auch BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70; NStZ-RR 2004 16, 17 = JR 2004 251, 252. 44 Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70. 45 Vgl. etwa Rönnau, Willensmängel 424: „Beschützergarant“. 46 Vgl. aber BGH NStZ 1996 34 f. = JR 1996 69, 70; vgl. zum „Abbruch der Irrtumskausalität“ 6. Kap. § 4 A. 47 Vgl. etwa Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 80; vgl. weiter Merkel, in: NK § 218a StGB Rdn. 40; ders., in: Handbuch des Medizinrechts 195, 197; Schöch, in: Handbuch des Medizinrechts 50. 48 Im Wesentlichen sind der Diagnose- und der Risikoirrtum beachtlich. Vgl. aber zu allen Irrtümern II. 2. 49 Hierher gehört etwa der Irrtum des Patienten über die Kosten der Heilbehandlung. 43

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II. Der Begriff der ärztlichen Aufklärungspflicht50 1. Die „therapeutische Aufklärung“

Mit dem Begriff der ärztlichen Aufklärungspflicht werden aber ganz verschiedene Sachverhalte erfasst, die nicht alle für die rechtliche Wirksamkeit der Einwilligung von Bedeutung sind. Bei der „therapeutischen Aufklärung“ werden dem Patienten therapeutische Verhaltensregeln mitgeteilt. Diese „Sicherungsaufklärung“ ist damit ein Teil der ärztlichen Behandlung. Hier geht es nicht um die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten, sondern um den Aspekt der Schadensabwehr durch Hinweise, Ratschläge, Anweisungen und Empfehlungen, nach denen sich der Patient zu richten hat, um einen möglichst ungestörten Therapieverlauf zu gewährleisten und Komplikationen zu vermeiden.51 Ein Fehler bei der „therapeutischen Aufklärung“ ist deshalb auch kein Aufklärungsfehler, der zur Unwirksamkeit der Einwilligung des Patienten führt. Fehler bei der „therapeutischen Aufklärung“ führen zu einem Behandlungsfehler.52 2. Die „Selbstbestimmungsaufklärung“

a) Die verschiedenen Ausprägungen der „Selbstbestimmungsaufklärung“ Die Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht betrifft „Selbstbestimmungsaufklärung“.53 Der Begriff ist allerdings recht unscharf.54 Es sind dabei verschiedene Ausprägungen bestimmungsaufklärung“ anerkannt:55 Im allgemeinen wird 50

dagegen die noch immer der „Selbstdavon aus-

Vgl. erstmals zur nachfolgend verwendeten Terminologie und Problemstrukturierung Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 80 ff.; ders., in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 433. 51 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 62. 52 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 62. 53 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 40; Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 80 ff.; Rönnau, Willensmängel 424; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 61. 54 Neuerdings gewinnt die „wirtschaftliche Kostenaufklärung“ zunehmend an Bedeutung, die jedoch kein Gegenstand der ärztlichen Aufklärungspflicht ist. Eine Fehlvorstellung des Patienten über die Kosten der Behandlung berührt die rechtliche Wirksamkeit der Einwilligung nicht. Bei einer Täuschung über die Kosten ist allerdings die Einwilligung rechtlich unwirksam. Vgl. zur wirtschaftlichen Kostenaufklärung eingehend etwa Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 41; Lorz, Schönheitsoperation 190 ff.; Schelling, MedR 2004 422 ff.

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gegangen, dass die Einwilligung wirksam nur erteilt werden könne, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, insbesondere dessen Art und Umfang („Behandlungseinwilligung“), seinen Verlauf („Verlaufsaufklärung“), seine Erfolgsaussichten, seine Risiken, mögliche Behandlungsalternativen („Risikoaufklärung“) sowie die Diagnose („Diagnoseaufklärung“) aufgeklärt worden sei.56 Bei der „Selbstbestimmungsaufklärung“ ist daher noch einmal zu differenzieren: Die „Selbstbestimmungsaufklärung“ soll den Patienten in die Lage versetzen, eine „Behandlungseinwilligung“ in die konkrete Rechtsgutsbeeinträchtigung geben zu können. Der Patient muss hierzu eine zutreffende Vorstellung über die „Art und [die] Folgen des Eingriffs“ haben, um in den ärztlichen Eingriff einwilligen zu können.57 Eine ganz andere Zielrichtung hat dagegen die über die „Behandlungseinwilligung“ hinausgehende Aufklärung. Sie soll dem Patienten das erforderliche Wissen vermitteln, damit er das medizinische „Für und Wider“ der ärztlichen Heilbehandlung abwägen kann. Die „Behandlungseinwilligung“ ist nur dann rechtlich wirksam, wenn sie auch genügend fundiert ist. Für den Umfang der „Selbstbestimmungsaufklärung“ hat die Rechtsprechung im Hinblick auf die „Diagnoseaufklärung“, die „Verlaufsaufklärung“ und die „Risikoaufklärung“ einige Leitlinien aufgestellt: b) Die „Diagnoseaufklärung“ Bei der „Diagnoseaufklärung“58 gehe es um die Information des Patienten über den ärztlichen Befund.59 Die „Diagnoseaufklärung“ rechtfertige sich daraus, dass der Patient ohne Kenntnis des Befundes den Verlauf der Heilmaßnahme nicht verstehen werde und auch nicht die Notwendigkeit abschätzen könne, ein bestimmtes Risiko auf sich zu nehmen.60 55 Für die Differenzierung soll sprechen, dass auf diese Weise der Grund und die Zielrichtung der jeweiligen Art der „Selbstbestimmungsaufklärung“ bewusster gemacht werden. Vgl. Dunz, Praxis der zivilrechtlichen Arzthaftung 9. 56 Vgl. etwa BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70; siehe etwa auch Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 40 f.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 112; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 61 ff. 57 Vgl. RGZ 163 129, 138 = DR 1940 1288, 1291; BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70. 58 Die Diagnoseaufklärung ist nicht mit der Aufklärung vor einem Eingriff zu diagnostischen Zwecken zu verwechseln, vgl. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 108; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 63. 59 Vgl. Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 439; Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 108; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 63. 60 Vgl. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 108.

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Die Rechtsprechung geht von dem Grundsatz aus, dass der Arzt auch bei schwerwiegenden, tödlich verlaufenden Erkrankungen verpflichtet sei, seinem Patienten „die ganze Wahrheit“ über seine Krankheit zu eröffnen. Von der Pflicht zur „Diagnoseaufklärung“ dürfe selbst bei „zwingenden therapeutischen Erwägungen“ nicht abgesehen werden. An die „Unzumutbarkeit“ der Aufklärung seien strenge Anforderungen zu stellen. Nur „in dem besonderen Fall“, dass Leben oder Gesundheit des Patienten ernstlich durch die Mitteilung des schwerwiegenden Befundes gefährdet werden und eine „nicht behebbare Gesundheitsschädigung“ drohe, dürfe die „Diagnoseaufklärung“ aus therapeutischen Erwägungen eingeschränkt werden oder sogar ganz entfallen. Es wird allerdings auch vor einer „Überbetonung des Selbstbestimmungsrechts“ gewarnt. Bei der ärztlichen Aufklärungspflicht seien „nicht nur unbehebbare gesundheitliche Dauerschäden, sondern auch psychische Schäden (insbesondere seelische Zusammenbrüche) in Rechnung zu stellen.“61 c) Die „Verlaufsaufklärung“ Bei der „Verlaufsaufklärung“ wird dem Patienten „in groben Zügen“ erläutert, was mit ihm geschehen soll. Aufzuklären seien daher die Art, die Schwere, der Umfang, die Durchführung und die Schmerzhaftigkeit des Eingriffs.62 Zur „Verlaufsaufklärung“ soll der Arzt unabhängig vom Risiko des Eingriffs verpflichtet sein.63 Vornehmlich gehe es um die Information über die Art des Eingriffs. Die Rechtsprechung verlangt von dem Arzt, dass er dem Patienten den Eingriff „im großen und ganzen“ mitteile.64 Es sei nicht erforderlich, dass der Arzt den Patienten mit sämtlichen Einzelheiten, insbesondere des technischen Ablaufs der Heilbehandlung, vertraut mache.65 Der Patient müsse eine Vorstellung davon haben, zu welchem konkreten Eingriff er seine Zustimmung erteile. Von der „Verlaufsaufklärung“ dürfe der Arzt nicht absehen.66 Es genüge allerdings, wenn bereits die übliche Bezeichnung eines bestimmten Ein61 Vgl. Bockelmann, Strafrecht des Arztes 62; Geilen, in: Die juristische Problematik in der Medizin Bd. II 37 ff.; Grünwald, in: Arzt und Recht 147; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 63. 62 Vgl. Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 434; Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 109; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 64. 63 Vgl. Dunz, Aktuelle Fragen 1980 40. 64 Vgl. BGH VersR 1971 929, 933; 79 1012. 65 Vgl. BGH VersR 1954 98, 99; NJW 65 2065. 66 Vgl. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 109.

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griffs dem unkundigen Patienten eine hinreichend klare Vorstellung von der Heilbehandlung vermittle.67 Dem Patienten sei darüberhinaus mitzuteilen, wie sich sein Gesundheitszustand bei Vornahme oder ohne den Eingriff voraussichtlich entwickeln werde. Es seien daher auch die Folgen, die voraussehbaren Nebenfolgen, die Erfolgschancen, die Gefahr eines Misserfolgs offenzulegen.68 d) Die „Risikoaufklärung“ Der Patient sei im Rahmen der „Risikoaufklärung“ auf die sicheren oder möglichen Folgen der geplanten ärztlichen Maßnahme, etwaige Nebenwirkungen, die u. U. konkrete Gefahr des Fehlschlags, mögliche Behandlungsalternativen mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen, Spezialkliniken mit besonderer personeller und apparativer Ausstattung sowie Spezialisten für bestimmte Fachgebiete, nicht jedoch auf die Namen oder das Können des jeweils handelnden Arztes hinzuweisen.69 Die „Risikoaufklärung“ ist der medizinisch und juristisch umstrittenste Teilbereich der ärztlichen Aufklärungspflicht.70 Die Rechtsprechung ist bezüglich des Umfangs der ärztlichen Risikoaufklärungspflicht über „generalklauselartige Maßstäbe und Kriterien“ nicht hinausgekommen.71 aa) Von herausragender Bedeutung für die Bemessung des Umfangs der ärztlichen Aufklärungspflicht ist dabei die vom Bundesgerichtshof in der Zweiten Elektroschockentscheidung vom 9. Dezember 1958 entwickelte Kunstfigur des „verständigen Patienten“.72 Die Kunst- und Leitfigur des „verständigen Patienten“ ist dabei eine bildliche Umschreibung eines juristischen Orientierungsmodells, dass das im Rechtsverkehr Verlangte objektivieren und anschaulich machen soll.73 Die Rechtsprechung hat den allgemeinen Grundsatz entwickelt, dass die Grenze der Aufklärungspflicht 67

Vgl. BGH VersR 1978 1022; NJW 1980 633. Vgl. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 109; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 64. 69 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 65. 70 Vgl. Geilen, in: Die juristische Problematik in der Medizin Bd. II 26 f.; ders., in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 435; Tröndle, MDR 1981 881. 71 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 65. Den Katalog an möglichen Orientierungspunkten der ärztlichen Risikoaufklärungspflicht beschreiben eingehend Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 435 und Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 111 ff. 72 Vgl. BGHZ 29 46, 60 = NJW 1959 811, 814. 73 Vgl. Steffen, MedR 1983 89. 68

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über das „Ob“ und „Inwieweit“ der Aufklärung dort liege, wo ein „verständiger Patient“ eine Aufklärung nicht mehr erwarten dürfe.74 Mit der Leitfigur des „verständigen Patienten“ soll die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten allerdings nur erleichtert, nicht aber sein Recht ersetzt werden.75 Während der „mündige Patient“ der ärztlichen Aufklärung Tür und Tor öffnen soll, zeigt die Kunstfigur des „verständigen Patienten“ dagegen die Grenzen der ärztlichen Aufklärungspflicht auf.76 bb) Der „verständige Patient“ existiere daher nicht unabhängig von den Aufklärungswünschen und Informationsbedürfnissen gerade des individuellen Patienten. Der „individuelle Patient“ gehe dem „verständigen Patienten“ vielmehr immer vor.77 Der „verständige Patient“ sei immer nur ein „Standard“, der zunächst den Umfang der ärztlichen Aufklärung mangels besonderer Umstände in der Person des individuellen Patienten festlege. Die erkennbaren besonderen physischen und psychischen Umstände des individuellen Patienten seien bei dem Umfang der aufklärungsbedürftigen Umstände stets zu berücksichtigen. Entscheidend sei nicht die abstrakte Behandlung, der sich ein Patient unterwerfe, sondern gerade die „spezifische Situation des jeweiligen Patienten vor der Eingriff“. Für den Umfang der Aufklärungspflicht seien daher vor allem die „Komplikationsdichte“,78 der „Grad der Dinglichkeit“79 und die „Schwere des Eingriffs“80 von Bedeutung. Darüberhinaus sei auch ein erkennbares oder ausdrücklich geäußertes besonderes Informationsbedürfnis des individuellen Patienten immer zu berücksichtigen.81 Der individuelle Patient könne den ausdrücklichen Wunsch nach einer uneingeschränkten Aufklärung äußern. Er könne sich aber auch vertrauensvoll in die Hände des Arztes begeben und auf Aufklärung verzichten.

74 75 76 77 78 79 80 81

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

hierzu ganz allgemein Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 110. Steffen, MedR 1983 89. Steffen, MedR 1983 89. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 112. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 115. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 117. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 77. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 112.

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III. Die Gründe für die Erweiterung der ärztlichen Aufklärungspflicht Die sehr strenge zivilrechtliche Rechtsprechung zur ärztlichen Aufklärungspflicht beruht auf einer zunehmenden Gewichtung des „Selbstbestimmungsrechts“ des Patienten. Hierfür sind mehrere Umstände maßgeblich gewesen: 1. Früher hatte die Rechtsprechung die ärztliche Aufklärungspflicht aus der von ihr entwickelten Konstruktion der ärztlichen Heilbehandlung als Körperverletzung (§§ 223 StGB ff.) hergeleitet, die zu ihrer Rechtfertigung grundsätzlich einer – aufgeklärten – Einwilligung des Patienten bedürfe.82 Bei diesem formalen „Rechtswidrigkeitskonzept“ war die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Einwilligenden im konkreten Fall der Sitz der ärztlichen Aufklärungspflicht.83 Der Einwilligende müsse nach seiner geistigen und sittlichen Reife in der Lage sein, die Tragweite seiner Entscheidung zu erkennen und zu beurteilen. Er müsse das Wesen, deren Bedeutung und Tragweite der gegen ihn gerichteten Tat erkennen. Irrtümer seien dagegen im Falle der Pflicht des Arztes zur Aufklärung beachtlich.84 Das Leitbild von der ärztlichen Heilbehandlung ist hiernach das einer „sinnleer“ gedachten Körperverletzung (scil. Arzt als „Schädiger“).85 Die Rechtsprechung ging bei der Herleitung der ärztlichen Aufklärungspflicht in der Ersten Elektroschockentscheidung vom 10. Juni 1954 daher auch von einer Parallele zu der Problematik der Teilnahme an einer Wagenfahrt aus. Bei der Rechtsfigur der „eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“ geht es aber um eine objektive Zurechnungsfrage, bei der sich das Tatopfer frei verantwortlich und in voller Kenntnis des Risikos einer Gefahr für die eigenen Rechtsgüter aussetzt und damit Dritte von der strafrechtlichen Verantwortung ausschließt, wenn sich die Risiken realisieren.86 Die Grundsätze des „Handelns auf eigene Gefahr“ seien nach der Rechtsprechung auch bei der ärztlichen Aufklärungspflicht zugrundezulegen.87 82

Vgl. grundlegend RGSt 25 375. Vgl. Geilen, in: Die juristische Problematik in der Medizin Bd. II 28. 84 Vgl. etwa Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 115; ders., Grundkurs BT § 15 Rdn. 18. 85 Vgl. ausdrücklich etwa OLG Stuttgart VersR 1954 310, 311. 86 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 60 f.; ders., Grundkurs BT § 15 Rdn. 17; ders., in: FS für Geerds 621; vgl. auch Göbel, Einwilligung 26. So können die Abgrenzungsschwierigkeiten vermieden werden, zu denen die Differenzierung in eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung und eine einverständliche Fremdgefährdung führen müssen, vgl. eingehend auch Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 167. 87 Vgl. BGH NJW 1956 1106, 1107. 83

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Diese Parallele ist jedoch angreifbar. Eine Vergleichbarkeit der Situationen bei einer „Gefälligkeitsfahrt“ und bei einem ärztlichen Heileingriff ist nicht gegeben. Es ist in der Tat konsequent, an das Wissen des sich selbst Gefährdenden bei einer unerlaubten Wagenfahrt strengste Anforderungen zu stellen. Bei einem ärztlichen Eingriff geht es dagegen um eine „Einwilligung“, aber nicht in einen sinnlosen, sondern in einen bereits durch die medizinische Indikation als sinnvoll ausgewiesenen Eingriff in die „körperliche Unversehrtheit“.88 Die Rechtsprechung erkennt eine solche Subjektivierung der Einwilligung eindeutig auch nicht an. Sie geht vielmehr von einer „Relativität der Einwilligung“ im medizinischen Zweckzusammenhang der ärztlichen Heilbehandlung aus.89 Das formale „Rechtswidrigkeitskonzept“ und die Herleitung der ärztlichen Aufklärungspflicht aus der „Gefälligkeitsfahrt“ haben zu ihrer Verschärfung beigetragen. 2. Die Rechtsprechung hat das „Rechtswidrigkeitskonzept“ konstruktiv zwar nicht aufgegeben. Sie leitet die ärztliche Aufklärungspflicht vielmehr aus dem modernen Leitbild des Patienten als „Subjekt der Behandlung“ (Steffen)90 her. Das ärztliche Wirken müsse über sein medizinisches Anliegen hinaus auch dem personalen Anspruch des Patienten gerecht werden. Nach diesem „Selbstbestimmungskonzept“ trifft den Arzt die verfassungsrechtlich aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitete rechtliche91 88 Vgl. BGH NJW 1956 1106, 1107; Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 37 ff.; ders., in: Die juristische Problematik der Medizin Bd. II 28. 89 Der Grundsatz der „Relativität der Einwilligung“ ist verfassungsgemäß, wenn mit der zunehmenden Dringlichkeit des Eingriffs die Anforderungen an die Aufklärung sinken, während umgekehrt mit der abnehmenden Dringlichkeit des Eingriffs die Anforderungen an die Aufklärungspflicht steigen, vgl. BVerfGE 52 131 = NJW 1979 1925, 1929. Zu den einzelnen Fallgruppen vgl. etwa Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 118 ff.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 72 ff. Es wird allerdings auch die Ansicht vertreten, wonach dieser Grundsatz nur insoweit verfassungsgemäß sei, soweit er bei nicht besonders dringlichen Eingriffen eine Ausdehnung der Aufklärung bejahe, dagegen für verfassungswidrig, soweit er bei Dringlichkeit des Eingriffs den Umfang der Aufklärung verkürze, vgl. BVerfGE 52 171, 182 = NJW 1979 1930, 1932. 90 Die Formulierung, dass der Patient nicht Objekt, sondern „Subjekt der Behandlung“ sei, geht auf Steffen zurück. Vgl. Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht Rdn. 321; vgl. ders., in: Verhandlungen zum 52. DJT. Bd. II 26. 91 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 618; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 80. Auf die überkommene dogmatische Herleitung der ärztlichen Aufklärungspflicht aus dem Einwilligungserfordernis ist es zurückzuführen, dass die früher herrschende Lehre in dieser Pflicht keine Rechts-, sondern ein unselbständige Pflicht gesehen hat, vgl. noch heute in diesem Sinne etwa Amelung, Willensmängel 65. Die Aufklärungspflicht wurde von Steindorff, JZ 1963 370 als „Aufklärungslast“ empfunden; vgl. auch Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 121.

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

Garantiefunktion, den Patienten in der gebotenen Weise aufzuklären.92 Der Sitz der ärztlichen Aufklärungspflicht ist demnach die Autonomie des Einwilligenden.93 In der Rechtsprechung wird dieser Gedanke erstmals in der Ersten Elektroschockentscheidung vom 10. Juni 1954 angesprochen.94 Der Arzt hat sich seit der Ersten Elektroschockentscheidung vom 10. Juni 1954 daher nicht mehr allein vor den Normen des einfachen Rechts (scil. Vertrags- und Deliktsrecht) zu behaupten. Der „grundgesetzliche Schutz des Persönlichkeitsrechtes“ habe der Einwilligung des Patienten eine „noch schärfer als bisher betonte Bedeutung“ gegeben.95 Der Wille des Kranken sei es, der das „an und für sich überhaupt verfassungs- weil grundrechtswidriges Wirken“ der Ärzte auf die Ebene des Rechts zurückzuretten vermöge. Die Verfassungsnorm erwecke wegen ihres geschichtlichen Entstehungshintergrundes der zweckhaften Abschirmung nationalsozialistischen Gedankenguts Assoziationen, „die ärztliches Wirken einem grundsätzlichen Misstrauen aussetzen und – mehr irrational als rational – die Justiz zu ständiger Steigerung“ der Ansprüche an das ärztliche Handeln ansporne.96 Das rechtsstaatliche Gewissen habe in der Bundesrepublik die Gewohnheit, gegen die Ärzte auszuschlagen.97 An der Konstruktion des „Selbstbestimmungskonzepts“ wird die Unabhängigkeit der Einwilligung vom „Heilzweck“ als problematisch angesehen.98 Das Reichsgericht hatte noch in der Entscheidung vom 15. November 1880 einer Einwilligung in eine Körperverletzung „eine rechtliche Wirksamkeit nicht beigelegt“,99 da man auf die „körperliche Integrität, als auf ein unveräußerliches Gut, überhaupt nicht verzichten könne“.100 Die „präsumtive Zustimmung“ des Patienten stellte dagegen in seiner Entschei92 Vgl. etwa BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70; siehe etwa auch Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 40 f.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 112; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 61 ff. 93 Vgl. Geilen, in: Die juristische Problematik in der Medizin 29; Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 109 ff. 94 Vgl. etwa BGH NJW 1956 1106, 1107; vgl. weiter BGHSt 11 111, 113 f.; BGHZ 29 46, 49, 54 f.; 29 176, 179, 181; Kullmann, PHi 1997 78; ders., VersR 1999 1190. 95 Vgl. Eb. Schmidt, in: Gutachten zum 44. DJT Bd. I Anm. 31. 96 Vgl. Eb. Schmidt, in: Gutachten zum 44. DJT Bd. I Anm. 35, 105, der die Herleitung des Einwilligungserfordernisses aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG als „politisch verfehlt und unnötig“, aber auch im Hinblick auf den Sinn des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sowie des ärztlichen Handelns als „sachlich“ verfehlt angreift. Vgl. dagegen BVerfGE 52 131 174 f. 97 Vgl. Tröndle, MDR 1981 881. 98 Vgl. Geilen, in: Die juristische Problematik der Medizin Bd. II 29 f. 99 Vgl. etwa RGSt 2 442, 443; 6 61, 63. 100 Vgl. etwa RGSt 2 442.

§ 1 Vorüberlegungen zur Entwicklung einer eigenen Lösung

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dung vom 31. Mai 1894 den wesentlichen Rechtfertigungsgrund des ärztlichen Heileingriffs dar.101 Tatsächlich rechtfertigt daher der „Zweckzusammenhang“, in dem die „Heileinwilligung“ steht, nicht aber die Einwilligung in eine Körperverletzung als solche. Diese „Relativität der Einwilligung“ im medizinischen Zweckzusammenhang der ärztlichen Heilbehandlung wird eindeutig auch in der heutigen Rechtsprechung anerkannt. Durch das „Selbstbestimmungskonzept“ bei der Einwilligung sind die Wirksamkeitsvoraussetzungen daher weitgehend psychologisiert worden und die objektiven medizinischen Aspekte dagegen zurückgetreten. Das „Selbstbestimmungskonzept“ verleitet darüberhinaus zu einer Erweiterung des geschützten Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.). „Nur so werden sein Selbstbestimmungsrecht und sein Recht auf körperliche Unversehrtheit gewahrt.“102 Im Strafrecht ist das problematisch. 3. Die ständige Verschärfung der ärztlichen Aufklärungspflicht hat ihren Grund im Wesentlichen aber im Zivilrecht.103 Die Aufklärungspflicht ist maßgeblich in Fällen einer fehlgeschlagenen Heilbehandlung weiterentwickelt worden.104 In diesen Fällen zeigt sich besonders deutlich, dass mit dem Wechsel des Klagegrundes von einem Behandlungsfehler zu einem Aufklärungsfehler das Zivilrecht die Haftungsvoraussetzungen korrigiert, die bei einem Behandlungsfehlerprozess ungleich höher liegen105 als bei einem Aufklärungsfehlerprozess.106 Vor der mit der Aufklärungsrüge beabsichtigten „Umgehung“ der Voraussetzungen des Behandlungsfehlers und des mit ihr verbundenen nachträglichen Missbrauchs des Aufklärungsrechts 101

Vgl. RGSt 25 375, 381 f. Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70. 103 Vgl. auch Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 472; Schöch, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 51. 104 Es ist natürlich nachvollziehbar, dass der Misserfolg einer Heilbehandlung bei der nachträglichen rechtlichen Bewertung eines Sachverhaltes in unwägbarer Weise mitschwingt. Auch Schöch, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 51 meint, die Aufklärungspflichten seien aus „Mitgefühl mit dem armen Patienten“ entstanden. Das mag in der Tat auch zu einer Verschärfung der Anforderungen der ex post zu beurteilenden Aufklärungspflicht geführt haben. 105 Tröndle, MDR 1981 882 weist auch auf den Argwohn hin, der von juristischer Seite den medizinischen Sachverständigengutachten entgegengebracht wird. Es ist allerdings sehr fraglich, ob sich medizinische Sachverständige der Kollegialität mehr verpflichtet fühlen als der Objektivität. Die Problematik liegt in der Praxis nicht darin, den Behandlungsfehler nachzuweisen, sondern vielmehr die „Behandlungsfehlerkausalität“. Über diesen „nicht strikt determinierten Bereich“ sind sachverständige Aussagen jedoch nur schwer zu treffen. 106 Vgl. etwa Puppe, GA 2003 775; Schöch, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 51; Sickor, JA 2008 12; eingehend 6. Kap. § 3 B. I. 2. b). 102

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

allein für Haftungszwecke warnt nachdrücklich auch der Sechste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs.107 Die Betonung der ärztlichen Aufklärungspflicht beruht darüberhinaus auf einem tatsächlichen Wandel des Sinnverständnisses des Arzt-Patienten-Verhältnisses. Das Leitbild des mitunter über Generationen mit einer Familie verbundenen Hausarztes ist überaltert. Katzenmeier weist in diesem Zusammenhang auf die „Verwissenschaftlichung der Medizin“,108 den Einfluss insbesondere des kassenärztlichen Systems,109 die zunehmende Erwartungshaltung der Patienten110 und die „Verrechtlichung der Arzt-Patienten-Beziehung“ hin.111 Das „Einfangen“ des Arzt-Patienten-Verhältnisses „in den Normen des Rechts“ führt zu einem Herausfallen des Arztes aus seiner althergebrachten absoluten Autoritätsperson als „Halbgott in Weiß“. Er ist vielmehr ein Berufsträger, der sich wie andere Berufsträger auch vor den Normen des einfachen Rechts zu verantworten hat. Zudem ist es sehr fraglich, ob wirklich, wie es nach der auf die Autonomie Bezug nehmenden Begründung zunächst den Anschein hat, der „Freiheitsgedanke“ oder stattdessen bestimmte „gesellschaftspolitische Tendenzen wie der Versuch einer möglichst weitgehenden Schadenskollektivierung“ hinter der zivilrechtlichen Rechtsprechung zur ärztlichen Aufklärungspflicht stehen. Schicksalhaft erlittene Komplikationen werden – unter Berufung auf das Rechtsgefühl – ganz „legitim“112 auf den zahlungskräftigen Arzt, auf den Krankenhausträger oder auf Versicherungen übergewälzt.113 107

Vgl. BGHZ 90 103, 111 = NJW 1984 1397, 1399. Die ärztliche Tätigkeit erschöpft sich anders als zu Beginn des 20. Jhr. nicht mehr in „Naturerkenntnis, Menschenkenntnis und Kunstfertigkeit“. Die Medizin hat sich neue Aufgaben-, aber auch Haftungsfelder geschaffen, völlig neue Heilmethoden mit neuen Chancen, aber auch Risiken entwickelt. Die zunehmende Spezialisierung der Ärzte konfrontiert den Kranken nunmehr mit einer Vielzahl von Ärzten, die den Kranken nur noch nach seinem somatologischen Krankheitsverständnis auf die erfassbare Körperlichkeit und damit das Krankheitsbild als solches „reduzieren“. 109 Es gibt auch nicht mehr das Bild des allein am Wohle des Patienten orientierten Arztes. In das vertrauensvolle Miteinander von Arzt und Patient mischt sich vielmehr das Krankenkassensystem ein. Der Arzt ist nunmehr in doppelter Hinsicht zur Loyalität verpflichtet. 110 Tröndle, MDR 1981 883 warnt vor einer ins Unrealistische gesteigerten Erwartungshaltung in der Gesellschaft, dass im Sozialstaat alle Körperschäden, gleichgültig ob sie die Folge eines Behandlungsfehlers oder eines Schicksalsschlags seien, stets Ersatz- und Rentenansprüche begründeten. Statt der Bereitschaft, mit dem Ausbleiben des Erfolgs als einer schicksalhaften Vorsehung umzugehen, verschiebt sich die Grenze zwischen Unglück und Unrecht. 111 Vgl. eingehend Katzenmeier, Arzthaftungsrecht 11 ff. 112 Vgl. Tröndle, MDR 1981 883; vgl. auch Schöch, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 51: „noch vertretbar“. 108

§ 1 Vorüberlegungen zur Entwicklung einer eigenen Lösung

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Hieran wird die unterschiedliche Funktionsbestimmung von Zivil- und Strafrecht sichtbar.114 In dem Streben nach billigenswerten Ergebnissen komme die leichter beweisbare Aufklärungspflichtverletzung dem Zivilrecht durchaus zupass.115

C. Die Unterscheidung der mit der „hypothetischen Einwilligung“ verbundenen Probleme I. Einschränkung des „Selbstbestimmungsrechts“ des Patienten bei der ärztlichen Heilbehandlung als Körperverletzung An der „hypothetischen Einwilligung“ lässt sich eine Trendwende hinsichtlich der Bedeutung des „Selbstbestimmungsrechts“ des Patienten nachweisen. Der Bundesgerichtshof ist mit der Verwendung des Rechtsgedankens der „hypothetischen Einwilligung“ bemüht, die Bedeutung des „Selbstbestimmungsrechts“ des Patienten bei der ärztlichen Heilbehandlung als Körperverletzung entgegen der seit der Ersten Elektroschrockentscheidung vom 10. Juni 1954116 vorangetriebenen Entwicklung der ärztlichen Aufklärungspflicht wieder einzuschränken. II. Keine Unrechtseinschränkung durch eine „hypothetische Einwilligung“ Die mit den verschiedenen Konstruktionen der „hypothetischen Einwilligung“ bezweckte Einschränkung der Haftung aus einem Körperverletzungsdelikt „angesichts ausufernder Aufklärungspflichten“ zeigt in dieser Form allerdings in die falsche Richtung. Der Bundesgerichtshof in Strafsachen fühlt sich im Ausgangspunkt einer einheitlichen Einwilligungslehre in Zivil- und Strafrecht anscheinend weitaus mehr verpflichtet117 als eigenständigen, spezifisch strafrechtlichen Kriterien. Die Problematik bei dem Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“ kann allerdings nicht darin bestehen, die eigenen Prämissen für bestimmte Fälle aufzugeben und eine einmal begründete Verantwortlichkeit des Arztes mit Hypothesen zu beseitigen. „Aus [dem „Rechtswidrigkeits-“ oder dem „Selbstbestimmungskonzept“] der Rechtsprechung folgt [gerade], dass der Arzt sich mit jedem 113 Vgl. Geilen, in: Die juristische Problematik in der Medizin Bd. II 27 f.; Schöch, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 51; Tröndle, MDR 1981 883. 114 Vgl. hierzu § 2 B. III. 115 Vgl. Tröndle, MDR 1981 882. 116 Vgl. BGH NJW 1956 1106. 117 Vgl. § 2 C. III.

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

nach einer mangelhaften Aufklärung (und folglich aufgrund unwirksamer Einwilligung) vorgenommenen Eingriff wegen Körperverletzung strafbar macht [. . .].“118 Eine solchermaßen rechtlich unwirksame, darüberhinaus aber auch eine fehlende oder sogar verweigerte Einwilligung kann nicht durch eine nur gedachte Einwilligung des Patienten ersetzt werden. III. Das zentrale Problem Es geht daher nicht um eine Einschränkung der Verantwortlichkeit des Arztes durch eine „hypothetische Einwilligung“, sondern vielmehr um die Frage, ob dem Arzt eine rechtswidrige Körperverletzung vorgeworfen werden kann, weil er eigenmächtig gehandelt hat.119 IV. Die Unterscheidung des Reichsgerichts in seiner Entscheidung vom 8. März 1940 Für diese Problematik ist es aber nicht von ausschlaggebender Bedeutung, ob die Einwilligung nur bei „rechtsgutsbezogenen Irrtümern“ unwirksam ist, oder ob mit der Einwilligung vielmehr der Verzicht auf Rechtsschutz über das geschützte Rechtsgut gemeint ist, der auf die Autonomie des Verfügenden zurückgeführt werden muss, um wirksam zu sein.120 Ob der Arzt eigenmächtig gehandelt hat, berührt vielmehr die Problematik, wo bei der Einwilligung in eine ärztliche Heilbehandlung die Grenze zwischen der Selbstbestimmung des Patienten und der Rechtssicherheit für den Arzt gezogen werden kann. Vor diesem Hintergrund ist die Reichweite der Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht zu bestimmen:121 Für eine sachgerechte Grenzziehung ist dabei im Ausgangspunkt die Differenzierung des Reichsgerichts in seiner Entscheidung vom 8. März 1940122 zwischen einer „a limine fehlenden Einwilligung“ und einer „qua Aufklärungspflichtverletzung [irrtümlich erteilten] Einwilligung“ durchaus aufzugreifen. Im Fall einer „fehlenden Einwilligung“, einer „sogar verweigerten“ oder einer „gewaltsam erzwungenen Einwilligung“ des Patienten kommt eine Rechtfertigung einer ärztlichen Heilbehandlung durch Einwilligung nicht in Betracht. 118

Vgl. BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71. Vgl. Edlbauer, Hypothetische Einwilligung 471 ff.; in der Sache auch Freund, Strafrecht AT § 3 Rdn. 44b; Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 452. 120 Vgl. aber hierzu § 2 A. I. 121 Vgl. hierzu B. I. 1. b), 2. 122 Vgl. RGZ 163 129, 139 = DR 1940 1288, 1291. 119

§ 1 Vorüberlegungen zur Entwicklung einer eigenen Lösung

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Bei einer „qua Aufklärungspflichtverletzung [irrtümlich erteilten] Einwilligung“ stellt sich dagegen eine ganz andere Frage. Wie das Reichsgericht in seiner Entscheidung vom 8. März 1940 ist zwar auch der Bundesgerichtshof durchaus der Überzeugung, „dass der Arzt sich [nicht] mit jedem nach einer mangelhaften Aufklärung (und folglich aufgrund unwirksamer Einwilligung) vorgenommenen Eingriff wegen Körperverletzung strafbar macht [. . .].“123 Mit der Anerkennung und der im Zivilrecht ständig vorangetriebenen Entwicklung der ärztlichen Aufklärungspflicht soll nicht zugleich eine Ausdehnung der Strafbarkeit des Arztes wegen der ärztlichen Heilbehandlung aus einem Körperverletzungsdelikt (§§ 223 StGB ff.) verbunden sein, sondern hier müsse differenziert werden: „Das Abwägungsproblem liegt [bei der fehlerhaften ärztlichen Aufklärung allerdings nicht in der Berücksichtigung von unnötigen Hypothesen, wovon noch das Reichsgericht überzeugt war, sondern allein] in der Frage, ob etwaige Lücken der Aufklärung bei verständiger Beurteilung des Sinnes der Aufklärungspflicht ein solches Gewicht haben, dass die daraufhin erteilte Einwilligung zur Rechtfertigung des ärztlichen Vorgehens nicht mehr ausreicht.“124 Die Einwilligung ist nicht ein das Individuum allein betreffender Sachverhalt, sondern ein soziales Ereignis. Sie ist daher nicht allein ein seelischer Vorgang des Einwilligenden, sondern ein nach außen kundgetanes Ereignis im sozialen Bereich. Die Einwilligung unterliegt damit auch der im sozialen Bereich notwendig zu beachtenden Rechtssicherheit.125 Der Selbstbestimmung korrespondiert immer auch die Selbstverantwortung des Einwilligenden. Daraus folgt aber nicht allein die Bindung des Einwilligenden an seine Einwilligung, wenn der nicht auf einer Täuschung beruhende Irrtum des Einwilligenden in der Äußerung der Erklärung keinen Ausdruck gefunden hat, sondern es sind darüberhinaus gehend die Konsequenzen für die Konstruktion der ärztlichen Aufklärung zu ziehen: Zwar tritt die Selbstverantwortung hinter die Selbstbestimmung zurück, wenn der Erklärungsempfänger den Irrtum des Einwilligenden kennt oder die rechtliche Pflicht hat, die Fehlvorstellungen des Einwilligenden aufgrund seines überlegenen Sachwissens durch Aufklärung zu beseitigen.126 Allerdings ist auch bei der Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht die im sozialen Bereich notwendige Rechtssicherheit nicht bedeutungslos. Die Rechtssicherheit erfordert es vielmehr, dass die im Zivilrecht ständig vorangetriebene ärztliche 123

Vgl. BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71. Vgl. von Caemmerer, Gesammelte Schriften Bd. I 450. Vgl. auch Freund, Strafrecht AT § 3 Rdn. 44b. 125 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 617 f.; ders., Grundkurs AT § 8 Rdn. 114; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 106. 126 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 617 f.; ders., Grundkurs AT § 8 Rdn. 114; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 106. 124

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

Aufklärungspflicht nicht unbesehen hingenommen werden kann, wo es um die Frage geht, ob der Aufklärungsmangel ein solches Gewicht hat, dass er die schwerwiegende Folge einer Kriminalstrafe rechtfertigt. Im Strafrecht ist nachhaltig vor einer Überspannung der ärztlichen Aufklärungspflicht zu warnen.127 Der Ausgangspunkt des Reichsgerichts, die Auseinandersetzung mit der Problematik der Beachtlichkeit von Irrtümern bei der fehlerhaft aufgeklärten Einwilligung, ist in der Sache daher durchaus nachvollziehbar. Für diese Abwägungsproblematik zwischen der Selbstbestimmung und der Rechtssicherheit bei der Einwilligung ist damit ein Differenzierungskriterium zu entwickeln, anhand dessen die beachtlichen von den unbeachtlichen Fehlvorstellungen des Patienten abgegrenzt werden können.

§ 2 Die Unterscheidung zwischen der Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ und der „Selbstbestimmung“ A. Die Kenntnis des „konkreten Risikos“ der Rechtsgutsbeeinträchtigung I. Die Täuschung Über die Konsequenzen einer Täuschung für die Einwilligung besteht zwar Streit. Allerdings geht es bei der Einwilligung nicht um einen Bestandsschutz für bestimmte, als statisch Rechtsgüter. Mit einem Rechtsgüterschutz, der als Rechtsgut die stets dynamische Beziehung der Person zu bestimmten Werten bestimme, sei die Lehre von Arzt daher nicht mehr vereinbar.128 Individualrechtsgüter seien nicht bloßer Besitzstand, sondern auch Handlungsgrundlage ihres Inhabers129 und damit immer „in Funktion“.130 Die Einwilligung meint vielmehr einen Verzicht auf Rechtsschutz. Sie wird auch einhellig auf das Prinzip der Autonomie zurückgeführt. Eine autonome Einwilligung erklärt der Berechtigte aber nur unter der Voraussetzung, dass er sich bewusst ist, „worin“ er einwilligt und auch „warum“ er 127 Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70; Tröndle, MDR 1983 883; vgl. auch Schöch, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 51; Taupitz, NJW 1986 2853; Ulsenheimer, NStZ 1996 132. 128 Vgl. Otto, Grundkurs AT § 8 Rdn. 112. Die Lehre von Arzt, Willensmängel 17 f. wendet sich zutreffend gegen bestimmte Rechtsgutsauffassungen, bei denen das tatbestandlich geschützte Rechtsgut um die Selbstbestimmung des Individuums erweitert wird. 129 Vgl. eingehend Amelung, Willensmängel 20 ff. 130 Vgl. Welzel, ZStW 58 (1939) 515.

§ 2 Unterscheidung „körperliche Unversehrtheit“/„Selbstbestimmung“

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einwilligt. Eine Täuschung über das Ausmaß der Rechtsgutsbeeinträchtigung ist genauso wie eine Täuschung über den Grund der Aufopferung des geschützten Rechtsguts einwilligungsschädlich. Jede Täuschung nimmt der Behandlungseinwilligung daher ihre rechtfertigende Kraft.131 Mit der „hypothetischen Einwilligung“ gibt der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs seine einleuchtenden Prämissen im Bandscheibenfall aber auf, indem er eine Täuschung einer Patientin über die Reichweite und auch den Grund ihrer Einwilligung für unbeachtlich hält. An dem Schutz der Autonomie führt diese Konstruktion daher vorbei.132 II. Der Irrtum 1. Der Gegenstand der Einwilligung

Die Problematik bei einer irrtümlichen Behandlungseinwilligung in eine ärztliche Heilbehandlung besteht im Ausgangspunkt in der unklaren Formulierung des Einwilligungsgegenstandes. Es wird zwar anerkannt, dass der notwendige Gegenstand der (direkten) Einwilligung133 nicht ausschließlich,134 sondern auch135 ein bestimmtes gefährliches Verhalten des Täters und der tatbestandliche Erfolg ist. Dieses Erfolges muss sich der Einwilligende mindestens im Sinne von bedingtem Vorsatz bewusst sein.136 Die psychische Situation bei der Einwilligung lässt sich daher als „innerliche Billigung des Erfolges“ charakterisieren.137 Diesen Sinngehalt hat eine bloße Einwilligung in eine gefährliche Handlung keineswegs zwingend.138 131 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 615; ders., Grundkurs Strafrecht AT § 8 Rdn. 110 ff., 134. 132 Vgl. 12. Kap. IV. 133 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 137; Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 223 StGB Rdn. 107; vgl. auch Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 125, der von der „Finalitätseinwilligung“ spricht. 134 Eine verbreitete Auffassung will nur in der „Handlung“ den Gegenstand der Einwilligung sehen, vgl. etwa Paeffgen, in: NK § 228 StGB Rdn. 12; Stratenwerth/ Kuhlen, Strafrecht AT I § 8 Rdn. 14. 135 Nur auf den Erfolg will etwa Zipf, die Einwilligung beziehen; vgl. Maurach/ Gössel/Zipf, Strafrecht AT § 17 Rdn. 55 f. 136 Vgl. Otto, Grundkurs BT § 15 Rdn. 16; ders., in: FS für Geerds 621; vgl. weiter Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT § 17 Rdn. 104; Geppert, ZStW 83 (1971) 974 ff.; Göbel, Einwilligung 25 f.; Hirsch, in: LK 11. Aufl. Vor § 32 StGB Rdn. 106; Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 125; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 34 IV 3 382; Lenckner, in: Schönke/Schröder Vor § 32 StGB Rdn. 34; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 164; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 78. 137 Vgl. Göbel, Einwilligung 25. 138 Anders als bei einer Einwilligung vertraut der Berechtigte bei einer „Einwilligung in eine Gefährdung“ gerade auf das Ausbleiben einer Beeinträchtigung des

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

Um auf Rechtsschutz über ein bestimmtes Rechtsgut verzichten zu können, bedarf es der Bezeichnung des Gegenstandes, auf den sich der Verzichtswille des Einwilligenden bezieht. Dementsprechend ist die Kenntnis des bestimmten Rechtsguts erforderlich, dessen Rechtsschutz durch den Verzichtswillen betroffen wird. Der Rechtsschutzverzicht ist ohne einschlägige Kenntnis des Beziehungsgegenstandes daher unbeachtlich. Die Notwendigkeit des Erfolgsbezugs der Einwilligung ist auf den materiellen Grundgedanken der Einwilligung zurückzuführen. Von einer autonomen Entscheidung des Einwilligenden für den Rechtsschutzverzicht kann nur die Rede sein, wenn er das einschlägige Wissen von der Rechtsgutsbeeinträchtigung besitzt (Art. 2 Abs. 1 GG).139 Zu beachten ist allerdings, dass sich die Einwilligung nicht auf den intendierten Erfolg der Handlung (ex post), also das Ziel des Eingriffs, sondern auf den Eingriff und seine Folgen ex ante erstreckt. Im Arzt-Patienten-Verhältnis leuchtet es unmittelbar ein, dass zwar der Eingriffs-, nicht aber der Heilungserfolg zum Gegenstand der Einwilligung gehört.140 Ob der Heilungserfolg eintritt, ist wegen der Unberechenbarkeit des menschlichen Organismus141 dem Einwilligenden, nicht aber dem Arzt als Risiko zugewiesen. Der „Selbstbestimmung“ korrespondiert die „Selbstverantwortung“ des Einwilligenden. Damit der Verzicht auf Rechtsschutz als eine autonome Entscheidung des Berechtigten erfasst werden kann, ist es daher erforderlich, dass er eine hinreichende Kenntnis des „konkreten Risikos“ der Rechtsgutsbeeinträchtigung hat. geschützten Rechtsguts. Er will die Rechtsgutsbeeinträchtigung nicht herbeiführen, sondern gerade vermeiden. Das Handeln in einer gefährlichen Sachlage bedeutet daher nicht automatisch einen Verzicht auf den gewährten Rechtsschutz. Die Autonomie verlangt vielmehr die bewusste und freie Entscheidung für die Rechtsgutsbeeinträchtigung, doch fehlt es an diesem psychischen Tatbestand bei der „Risikoeinwilligung“. Strukturell sind die Sachverhalte der „Einwilligung“ in eine Rechtsgutsbeeinträchtigung und der „Einwilligung in eine Gefährdung“ daher nicht vergleichbar. Vgl. hierzu Göbel, Einwilligung 25 f.; Jakobs, Strafrecht AT 7. Abschn. Rdn. 126; Otto, Grundkurs AT § 6 Rdn. 61; ders., Grundkurs BT § 15 Rdn. 17; ders., in: FS für Geerds 621; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 165 mwuN. Vielmehr liefe die „Umdeutung“ der psychischen Sachlage bei der „eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“ in eine Einwilligung in den tatbestandlichen Erfolg auf eine „bloße Einwilligungsfiktion“ hinaus. Vgl. hierzu etwa Göbel, Einwilligung 26; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 168. 139 Vgl. Göbel, Einwilligung 25; Otto, Grundkurs BT § 15 Rdn. 16; ders., in: FS für Geerds 621; Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 164. 140 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 35. 141 Die Heilungsprozesse sind nach dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht determinierte Geschehensabläufe, vgl. auch Puppe, in: NK Vor § 13 StGB Rdn. 132; dies., Analysen 149.

§ 2 Unterscheidung „körperliche Unversehrtheit“/„Selbstbestimmung“

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2. Die Konkretisierung der ärztlichen Aufklärungspflicht

Bei der Schutzrichtung der ärztlichen Aufklärungspflicht zeigt sich aber die Problematik der („hypothetischen“) Einwilligung in eine ärztliche Heilbehandlung. Die strenge Rechtsprechung zur ärztlichen Aufklärungspflicht beruht ausdrücklich darauf, dass nur „so [. . .] sein Selbstbestimmungsrecht und sein Recht auf körperliche Unversehrtheit gewahrt“ werden.142 Mit dieser Schutzrichtung verwischen allerdings die Grenzen zwischen dem Schutz der „körperlichen Unversehrtheit“ und dem Schutz des „Selbstbestimmungsrechtes“. Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte (§§ 223 StGB ff.) ist die „körperliche Unversehrtheit des Menschen“.143 Für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes ist deshalb – anders als bei seiner weitergehenden zivilrechtlichen Verantwortlichkeit144 – nicht der medizinisch und juristisch hoch umstrittene Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht entscheidend,145 sondern vielmehr die Frage, ob der Patient eine hinreichende Vorstellung von dem „konkreten Risiko“ der mit der ärztlichen Heilbehandlung verbundenen Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ besitzt. Mit der Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht soll ausschließlich gewährleistet werden, dass sich der Patient im Klaren darüber ist, in eine Körperverletzung einzuwilligen. Die Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht ist deshalb in ihrer „rechtsgutsbezogenen“ Schutzrichtung normativ anhand der Kenntnis des „konkreten Risikos“ zu konkretisieren. Das „konkrete Risiko“ der ärztlichen Heilbehandlung kann der Patient aber nur erfassen, wenn er über die „Art“ und den „Umfang“ der ärztlichen Heilbehandlung („Behandlungseinwilligung“) informiert ist. Dabei hat sich das Bild von der Medizin seit der Entscheidung des Reichsgerichts vom 8. März 1940146 allerdings nachhaltig verändert. Jede ärztliche Heilbehandlung ist auch mit gewissen Gefahren verbunden. Die Autonomie des Patienten erfordert es, dass er auch über bestimmte mit der ärztlichen Heilbehandlung verbundene „konkrete Eingriffsrisiken“ („Risikoeinwilligung“) informiert ist. Die Einwilligung ist daher trotz etwaiger Lücken in der Vorstellung des Einwilligenden, die demzufolge nur sein „Selbstbestimmungsrecht“ berühren können, objektiv rechtlich wirksam.147 142

Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70. Vgl. eingehend zu der Abgrenzungsproblematik 3. Kap. 144 Vgl. hierzu C. III. 145 Vgl. Geilen, in: Die juristische Problematik in der Medizin Bd. II 26 f.; Tröndle, MDR 1983 881. 146 Vgl. RGZ 163 129, 139 = DR 1940 1288, 1291 mit Anm. Kallfelz. 143

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht 3. Die Unterscheidung des Bundesgerichtshofs im „O-Bein“-Fall, im Bohrerfall und im Liposuktionsfall

Im „O-Bein“-Fall,148 im Bohrerfall149 und im Liposuktionsfall150 vertritt in der Sache auch der Bundesgerichtshof die Auffassung, dass der Arzt seine strafrechtliche Verantwortung für die ärztliche Heilbehandlung überträgt und nur übertragen kann, wenn der Einwilligende eine hinreichend klare Vorstellung des „konkreten Risikos“ der mit der ärztlichen Heilbehandlung verbundenen Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ hat. a) An der in der „O-Bein“-Entscheidung sogar festgestellten „hypothetischen Einwilligung“ des Patienten, der ein volles und uneingeschränktes Vertrauen zu dem Arzt besaß und in seiner damaligen Situation und Stimmung allem zugestimmt hätte, was dieser operationsmäßig vorgeschlagen hätte, lässt sich in der Sache belegen, dass die angeblich einwilligungsschädliche Nichtkenntnis des Patienten von den mit der Osteotomie verbundenen „speziellen Operationsrisiken“ wie Osteomyelitis und Pseudarthrose die strafrechtliche Wirksamkeit seiner Einwilligung auch nach der Ansicht des Fünften Strafsenats des Bundesgerichtshofs doch nicht berührt. Der Patient besaß vielmehr eine konkrete Vorstellung des mit der Osteotomie verbundenen Risikos. Er wurde hierüber in einer „allgemeinen Form“ aufgeklärt. Der Fünfte Strafsenat des Bundesgerichtshofs, der im „O-Bein“-Fall seine eigenen Prämissen mit der Konstruktion der „hypothetischen Einwilligung“ für diese bestimmte Fallgestaltung allerdings höchst inkonsequent wieder aufgibt, vertritt damit jedenfalls im Ergebnis die Auffassung, dass es im Strafrecht für die Rechtswirksamkeit der Einwilligung ausschließlich auf die Kenntnis des „konkreten Risikos“ der Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ ankommt. Eine darüberhinausgehende Aufklärung hält er dagegen für nicht erforderlich. b) Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Weiterentwicklung der „hypothetischen Einwilligung“ im Bohrerfall und im Liposuktionsfall. Die „hypothetische Einwilligung“ wird in der jüngeren Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs auch als ein Privileg verstanden, dass dem Arzt von vornherein nur in ganz bestimmten Sachverhalten helfen kann. Im Bohrerfall sind dem Ersten Strafsenat offenbar Bedenken dagegen gekommen, dass dem Arzt die „hypothetische Einwilligung“ allein bei der 147 148 149 150

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

hierzu auch BGHSt 16 309, 313. Einl. § 1 I. Einl. § 1 VI. Einl. § 1 VII.

§ 2 Unterscheidung „körperliche Unversehrtheit“/„Selbstbestimmung“

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Vertuschung von ärztlichen Kunstfehlern helfen soll: Die von dem Arzt durchgeführte obere Kapselraffung durch Anbringung von Raffnähten war im Vergleich zu einer lehrbuchmäßig durchgeführten dorsalen Kapselraffung wenig effektiv und diente in erster Linie der Rechtfertigung des durchgeführten Eingriffs gegenüber dem Patienten. Die dorsale Kapselraffung war daher medizinisch nicht indiziert. „Auf Grund der eindeutigen Feststellungen, nach denen der Patient zur Entfernung der abgebrochenen Bohrerspitze keine Einwilligung gegeben hätte, war für die Annahme [einer „hypothetischen Einwilligung“] kein Raum [. . .]“.151 Diese Bedenken teilt im Liposuktionsfall auch der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs für Sachverhalte, in denen die durchgeführte Liposuktion „von vornherein so angelegt war, dass sie nicht dem medizinischen Standard entsprach.“ Eine „hypothetische Einwilligung“ dürfte allerdings schon in Anbetracht dessen, dass es sich weder um eine eilbedürftige, noch um eine medizinisch indizierte, sondern lediglich um eine kosmetische Behandlung handelte, die ohnehin erheblich genaueren Aufklärungsanforderungen unterliegt, „kaum anzunehmen sein“.152 Im Mittelpunkt dieser Entscheidungen steht nicht die problematische Ermittlung von Anhaltspunkten für eine „hypothetische Einwilligung“ des Patienten.153 Der Rückgriff auf diesen Rechtsgedanken wird vielmehr überhaupt ausgeschlossen.154 Mit dieser Einschränkung der „hypothetischen Einwilligung“ hat der Bundesgerichtshof ein differenzierendes Kriterium entwickelt, mit dem er den Gegenstand der wirklichen Einwilligung im Strafrecht umschreibt: Die „hypothetische Einwilligung“ soll überhaupt bedeutungslos sein, wenn das „konkrete Risiko“, von dem der Patient bei seiner Einwilligung in die ärztliche Behandlung ausgegangen ist, tatsächlich ein „wesentlich“ anderes ist. Der Patient war sich im Bohrerfall und im Liposuktionsfall des „konkreten Risikos“ der Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ nicht annähernd bewusst, weil er von einem völlig anderen medizinischen Sachverhalt ausgegangen ist. Das Risiko der durchgeführten Behandlung lag in Wahrheit „wesentlich“ höher, als es der Arzt tatsächlich aufgeklärt hat. Die Vorstellung des Patienten von der ärztlichen Behandlung war daher in ihren „wesentlichen“ Teilen fehlerhaft und kann aus diesem Grund durch eine „hypothetische Einwilligung“ auch nicht mehr nachträglich „geheilt“ werden. 151

Vgl. BGH NStZ 2004 442 = JR 2004 469, 470. Vgl. BGH NStZ-RR 2007 340, 341. 153 Vgl. aber Sternberg-Lieben, StV 2008 191, der im Liposuktionsfall „keine Anhaltspunkte“ dafür erkennt, dass der Patient in die Operation eingewilligt hätte. 154 Vgl. in der Sache auch Bosch, JA 2008 71. 152

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

Aus dem Bohrerfall und dem Liposuktionsfall ergibt sich daher eine zusätzliche Voraussetzung für den Rechtsgedanken der „hypothetischen Einwilligung“. Diese Einschränkung wird inhaltlich allerdings nicht hinreichend genau mit einer Verkürzung des Anwendungsbereiches der „hypothetischen Einwilligung“ getroffen, wonach sie sich natürlich immer nur auf eine lege artis durchgeführte Heilbehandlung beziehen könne.155 In der Sache erkennt der Bundesgerichtshof vielmehr an, dass der Patient bei der Erklärung seiner wirklichen, aber unwirksamen Einwilligung eine hinreichend klare Vorstellung von dem „konkreten Risiko“ der mit der ärztlichen Heilbehandlung verbundenen Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ haben muss. Bei „wesentlichen“ Fehlvorstellungen hierüber ist die „hypothetische Einwilligung“ von vornherein ausgeschlossen. Die Vorspiegelung der medizinischen Indikation betrifft allerdings einen derartigen Sachverhalt, bei dem das „konkrete Risiko“ der Behandlung in Wahrheit „wesentlich“ höher ist.156 In der Sache wird damit allerdings nur belegt, dass die wirkliche Einwilligung des Berechtigten das „konkrete Risiko“ der ärztlichen Heilbehandlung zutreffend erfassen muss, um strafrechtlich wirksam zu sein. Diese Einschränkung ist sachgerecht.157 Der Bundesgerichtshof, der im Ausgangspunkt an einer einheitlichen Einwilligungslehre im Zivil- und Strafrecht festhält, will die Einwilligungslehre im Strafrecht mit der konstruktiv allerdings angreifbaren „hypothetischen Einwilligung“ offenbar doch eigenständigen Regeln unterwerfen.158

155 Vgl. Geppert, JK 4/08 StGB § 223/4, der den Sachverhalt nicht ganz trifft. Der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs schließt es nicht völlig aus, die „hypothetische Einwilligung“ auch auf einen nicht lege artis durchgeführten Heileingriff zu erstrecken: Das setzt allerdings eine „weitergehende Aufklärung“ voraus. Vgl. so wohl auch Jäger, Examens-Repetitorium Strafrecht AT § 4 Rdn. 146c. 156 Vgl. auch für diesen Sachverhalt Sternberg-Lieben, StV 2008 191: „drastisch erhöht“. Für den Liposuktionsfall ist auch Bosch, JA 2008 71 der Ansicht, dass für den Patienten durch die unzureichenden Notfallvorbereitungen das Risiko „erheblich erhöht wurde“. Er geht aber zutreffend über diesen Sachverhalt hinaus und wirft die Frage auf, weshalb es des Rückgriffs auf eine „hypothetische Einwilligung“ bedürfe, wenn ein Eingriff ohnehin kunstgerecht erfolgen müsse? 157 Vgl. auch Geppert, JK 4/08 StGB § 223/4; Sternberg-Lieben, StV 2008 191. 158 Vgl. C. III.

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B. Die Übertragung des Kriteriums auf die „Heileinwilligung“ I. Die „Behandlungseinwilligung“ 1. Die „Behandlungseinwilligung“159 im Arzt-Patienten-Verhältnis meint das Einverstandensein des Patienten mit dem „konkreten Risiko“ der ärztlichen Heilbehandlung. Das Reichsgericht hatte in seiner Entscheidung vom 8. März 1940 daher verlangt, dass sich der Arzt vor jedem Eingriff der klaren, auf einer zutreffenden Vorstellung über „Art und Folgen des Eingriffs“ beruhenden, wenn auch naturgemäß nicht die sämtlichen Einzelheiten des Eingriffs umfassenden Einwilligung des Kranken zu versichern habe.160 Die „Behandlungseinwilligung“ erfasst daher die geplante ärztliche Behandlung (scil. „Art der Behandlung“) und die mit dem Eingriff verbundenen Folgen.161 Auch der Bundesgerichtshof verlangt die Aufklärung des Patienten über die „Art“ und den „Umfang“ des Eingriffs.162 Der Patient muss natürlich wissen, dass ihm nicht ein Zahn entfernt wird, sondern Gallen- oder Nierensteine. Das erfordert seine Autonomie (Art. 2 Abs. 1 GG). Fehlt es an diesem Wissen des Patienten, erfolgt die ärztliche Heilbehandlung ohne „Behandlungseinwilligung“. Die „Behandlungseinwilligung“ ist hier tatsächlich gegenstandslos.163 Die ärztliche Eigenmacht kann daher in einem Handeln „gegen“164 oder „ohne“ den Willen des Patienten bestehen.165 Hier handelt der Arzt trotz 159 Vgl. zur Terminologie Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 136 f. Der Begriff der „Heileinwilligung“ soll als Oberbegriff gebraucht werden, der die „Behandlungs-“ und die „Risikoeinwilligung“ (ieS.) umfasst. 160 Vgl. RGZ 163 129, 138 = DR 1940 1288, 1291. 161 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 136; Grünwald, in: Arzt und Recht 143; ders. ZStW 73 (1961) 12. 162 Vgl. etwa BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70; siehe etwa auch Eser, in: Schönke/Schröder § 223 StGB Rdn. 40 f.; Merkel, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 196 ff.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 112; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 61 ff. 163 Vgl. auch Merkel, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 196 ff. 164 Der eindeutigste Fall der strafbaren ärztlichen Eigenmacht ist das Handeln des Arztes „gegen“ den ausdrücklich oder konkludent erklärten Willen des Berechtigten. Es liegt eine vollendete Körperverletzung vor. Dabei wird die Rechtsprechung mit dem Handeln „gegen“ den Willen nicht nur den Fall erfassen wollen, dass der entgegenstehende Wille gebrochen, der Patient misshandelt wird, sondern auch den Fall, dass der klar erklärte ablehnende Wille in anderer Weise vom Arzt missachtet wird. Das berührt den Fall des Reichsgerichts RGSt 25 375. Aus Haftung und Strafe soll sich der über den erklärten Willen des Patienten erhebende Arzt nicht einmal mit der „hypothetischen Einwilligung“ befreien können, vgl. BGH NJW 1991 2342, 2343; vgl. auch Kuhlen, in: FS für Roxin 339. Allein Krauß, in: FS für Bockelmann

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

einer „überhaupt nicht erklärte[n] (oder sogar verweigerte[n]) Einwilligung“:166 Ein täuschungsbedingter Irrtum über die „Art“ und den „Umfang“ der ärztlichen Heilbehandlung nimmt der „Behandlungseinwilligung“ des Einwilligenden ihre rechtfertigende Wirkung. Allerdings ist auch ein Irrtum hierüber in Abweichung von der allgemeinen Dogmatik – Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht – beachtlich. Das sind die Sachverhalte, in denen das Reichsgericht in seiner Entscheidung vom 8. Mai 1940 den Rechtsgedanken einer „hypothetischen Einwilligung“ von vornherein apodiktisch abgelehnt hatte.167 2. Der Bereich der Einwilligung ist für die Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht allerdings von denkbar geringster Bedeutung: „Jeder, auch der Dümmste, hat eine mehr oder weniger dunkle Vorstellung von seiner Anatomie.“ Mit der Bezeichnung der Operation wird der Gegenstand der Einwilligung genügend trennscharf umrissen. Der Patient weiß daher, was mit ihm geschieht. Die Aufklärungspflicht erlangt nur da eine Bedeutung, wo die Benennung der Operation einen ausreichenden Vorstellungsinhalt ausnahmsweise einmal nicht vermittelt.168 II. Der strafrechtlich relevante Teil der „Risikoeinwilligung“ 1. Die Konkretisierung des Rahmens der „Risikoaufklärung“

Dabei kann der Rahmen der ärztlichen Aufklärungspflicht, innerhalb dessen sie korrigiert werden soll, noch weiter konkretisiert werden: a) Die ärztliche Aufklärungspflicht befindet sich in einem Spannungsverhältnis. Sie soll die Entscheidungsfreiheit des Patienten gewährleisten. Sie ist jedoch kein „medizinisches Fachkolleg“, das dem Patienten ein medizinisch exaktes Einzelwissen sichern soll, was ihn nur psychisch überfordern würde.169 Der Patient ist regelmäßig ein medizinischer Laie, dem lediglich ein „allgemeines Bild“ von der Heilbehandlung zu zeichnen ist, das ihm vor Augen führt, was die Heilbehandlung für seine persönliche Situation 573 stellt diese Fälle unter den Vorbehalt eines objektivierten „Interesseverlustes“ (scil. „hypothetische Einwilligung“). 165 Vgl. hierzu RGZ 163 129 = DR 1940 1288, 1291; vgl. die Bandscheibenentscheidung (BGH NStZ-RR 2004 16 = JR 2004 251). 166 Vgl. Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 107. 167 Vgl. RGZ 163 129, 139 = DR 1940 1288, 1291 mit Anm. Kallfelz. 168 Vgl. zutreffend Geilen, Ärztliche Aufklärungspflicht 139, der das Beispiel von einer landläufig noch unbekannten, vielleicht ausgefallenen oder doch neuartigen Operation nennt, die sich noch nicht herumgesprochen hat. 169 Vgl. Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 445.

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bedeuten kann.170 Die Rechtsprechung ist in dieser restriktiven Grundhaltung nach wie vor171 eindeutig. Der Patient sei vielmehr nur „über die Bedeutung des Eingriffs im großen und ganzen und die damit verbundenen Risiken in verständlicher Form zu informieren.“172 b) Die ärztliche Aufklärungspflicht kann aber nur verletzt werden, wenn die aufklärungsbedürftigen Umstände zum Zeitpunkt der Behandlung nach medizinischer Erfahrung bekannt sind. Das medizinisch bekannte Erfahrungswissen bildet daher die oberste Grenze der ärztlichen Aufklärungspflicht. Dem steht der Fall gleich, dass dem behandelnden Arzt aufgrund von Veröffentlichungen im Fachschrifttum das Risiko des Eingriffs hätte bekannt sein müssen.173 c) Im „Surgibone“-Dübelfall lehnt der Bundesgerichtshof die Notwendigkeit einer Aufklärung ab, wenn der Patient den aufklärungsbedürftigen Umstand bereits tatsächlich kennt. Die Aufklärung ist dann entbehrlich, weil der Patient „aus anderer Quelle informiert“ ist.174 Er kann eine laienhafte Vorstellung von der Heilbehandlung besitzen, bereits wegen der Konsultation anderer Ärzte ins Bild gesetzt worden sein oder auch eigene medizinische Sachkenntnis mitbringen. In diesen Fällen kann die ärztliche Aufklärungspflicht ihren Sinn nicht mehr erreichen. Die Aufklärung des Patienten ist deshalb nicht erforderlich, wenn zu vermuten ist, dass er die erforderliche Kenntnis tatsächlich besitzt. d) Die ärztliche Aufklärungspflicht soll die Entscheidungsfreiheit des individuellen, nicht irgendeines „verständigen Patienten“ sicherstellen. Die ärztliche Aufklärungspflicht orientiert sich an dem individuellen Patienten. Daher steigen die Anforderungen an die ärztliche Aufklärung durch ein erkennbares oder ausdrücklich geäußertes und ernstlich gemeintes besonderes Informationsbedürfnis des individuellen Patienten.175 Die dem Arzt bekann170

Vgl. Geilen, in: Die juristische Problematik in der Medizin Bd. II 30; Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 108; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 66. 171 Das Reichsgericht hatte in RGZ 78 432 bereits „eine Verpflichtung des Arztes [abgelehnt], den Kranken auf alle nachteiligen Folgen aufmerksam zu machen, die möglicherweise bei einer Operation entstehen können.“ Darüberhinaus hatte es seiner Entscheidung vom 8. März 1940 (RGZ 163 129, 138) nur verlangt, dass sich der Arzt vor jedem Eingriff der klaren, auf einer zutreffenden Vorstellung über „Art und Folgen des Eingriffs“ beruhenden, wenn auch naturgemäß nicht die sämtlichen Einzelheiten des Eingriffs umfassenden Einwilligung des Kranken zu versichern habe. 172 Vgl. OLG Oldenburg NJW 1997 1642. 173 Vgl. OLG Düsseldorf VersR 1996 377, 378. 174 Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70; vgl. hierzu auch Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 446.

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

ten, die ihm erkennbaren oder durch Nachfrage zu ermittelnden Gegebenheiten des individuellen Patienten sind bei der Bemessung der ärztlichen Aufklärungspflicht daher stets zu berücksichtigen. Da es auf die persönliche Entscheidungsfreiheit des individuellen Patienten ankommt, ist darüberhinaus seinem Wunsch nach einer Vollaufklärung sowie seinen gezielten Fragen im Grundsatz immer zu entsprechen. e) Der Patient kann sich dagegen auch „vertrauensvoll in die Hände des Arztes begeben“. Hierin kommt ein ausdrücklich oder konkludent geäußerter, mehr oder minder weit reichender Verzicht des Patienten auf die ärztliche Aufklärung zum Ausdruck.176 Alles Weitere wird dem Geschick des Arztes überlassen. Die Problematik besteht jedoch darin, dass die Einwilligung in eine Heilbehandlung eine höchstpersönliche Entscheidung des Patienten darstellt. Die Autonomie des Einwilligenden gebietet nur die Anerkennung der Möglichkeit eines Verzichts überhaupt. Der Patient muss immer eine ungefähre Vorstellung von dem Eingriff besitzen, sonst bleibt die Einwilligung gegenstandslos. Ein Verzicht auf die „Behandlungseinwilligung“ ist nur insoweit zulässig, soweit dem Arzt die näheren Einzelheiten des Eingriffs überlassen werden. Ein „Blankoverzicht“ ist dagegen unwirksam.177 Großzügiger ist bei der „Motivationsaufklärung“ zu verfahren. Der Patient kann auf eine „nähere Aufklärung“ verzichten.178 Er muss lediglich wissen, dass der Eingriff nicht ohne jedes Risiko ist. Das Für und Wider des Eingriffs ist jedoch verzichtbar.179 f) Die ärztliche Aufklärung kann kontraindiziert sein.180 In der Interessenabwägung können eine „ernstliche Gesundheits- oder Lebensgefahr“181 oder „zwingende therapeutische Erwägungen“182 das „Selbstbestimmungs175 Vgl. Geilen, in: Die juristische Problematik in der Medizin Bd. II 33; Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 112. 176 Vgl. Geilen, in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 447. 177 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 126. 178 Vgl. BGH NJW 1959 811, 813. 179 Vgl. Geilen, in: Die juristische Problematik in der Medizin Bd. II 32; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 126. 180 Vgl. Geilen, in: Die juristische Problematik in der Medizin Bd. II 33; ders., in: Handbuch des Medizinrechts Rdn. 448; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 127. 181 Vgl. eingehend Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 63, 89. 182 Vgl. eingehend zu dieser problematischen Fallgruppe Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 89.

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recht“ des Patienten ausnahmsweise überwiegen. Die ärztliche Aufklärung hat dann insoweit zu unterbleiben. Innerhalb dieses Rahmens sind nunmehr die Konsequenzen aus der vorgeschlagenen Konstruktion für die ärztliche Aufklärungspflicht zu ziehen: 2. Die „Komplikationsdichte“

a) Die Prozentzahl der „Komplikationsdichte“ eines Risikos ist „für die Frage der Aufklärungspflicht grundsätzlich von nur geringem Wert“.183 Die zivilrechtliche Rechtsprechung gibt daher der „Komplikationsdichte“ – die Wahrscheinlichkeitsrate von schädlichen Risiken in der spezifischen Behandlungssituation184 in der konkreten Klinik im Hinblick auf das Können und die Erfahrung der dort tätigen Ärzte, nicht aber die statistischen Durchschnittswerte von Spezialkliniken185 – für sich allein betrachtet keine entscheidende Bedeutung mehr.186 Allerdings sei sie auch nicht bedeutungslos, sondern habe ihren Platz im Zusammenhang mit den übrigen Umständen des konkreten Falles.187 Für das subjektive Aufklärungsinteresse des Patienten über Risiken kommt es aber ohnehin nicht entscheidend auf die „Komplikationsdichte“ 183 Vgl. BGH NJW 1994 3012. Eine solche Bestimmung der Intensität der ärztlichen Aufklärungspflicht nach der „Zwischenfallsdichte“ wäre allerdings einfach und praktikabel. Hieraus erklärt sich der Versuch, die Aufklärungspflicht nach der „Zwischenfallsdichte“ einzuschränken. Die Problematik bestand in der Vergangenheit allerdings in der Festlegung des Wahrscheinlichkeitsgrades, der ein Risiko zu einem aufklärungsbedürfigen macht. Hierüber ist keine Einigkeit erzielt worden. Es fehlt darüberhinaus weithin an wissenschaftlich abgesicherten statistischen Erkenntnissen, die allenfalls in bestimmten Bereichen vorliegen. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass es gerade auf die „Zwischenfallshäufigkeit“ in dieser Behandlungssituation entscheidend ankommt und damit auf Faktoren, die in einer Durchschnittsstatistik nicht in Erscheinung treten. Daher gibt es auch keine einheitliche Bewertung von „Komplikationsdichten“. Vermutlich war auch das „Versuchsmaterial“ ungleich, vgl. BGH VersR 1982 278; VersR 1982 1142; vgl. weiter Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 114 mwN. Die Risiken werden darüberhinaus zu eng nach den medizinischen Verwirklichungsfolgen und -graden aufgeschlüsselt, wobei nicht zwischen vermeidbaren und nicht vermeidbaren Risiken differenziert wird, vgl. BGH VersR 1982 278; vgl. weiter Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 114. 184 Vgl. auch Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 116. 185 Vgl. BGH VersR 1961 1039; 71 929; NJW 1980 1907; VersR 1981 456 f. 186 Vgl. BGH NJW 1980 1905. Vgl. auch Ulsenheimer, NStZ 1996 132. 187 Die „Komplikationsdichte“ wird daher in eine Gesamtabwägung eingestellt. In dieser ist besonders das Verhältnis zur „medizinischen Indikation“ zu beachten. Die Aufklärungsbedürftigkeit der Risiken in Abhängigkeit gerade von der „medizinischen Indikation“ entspreche dem „richtig verstandenen Willen des [verständigen] Patienten“. Vgl. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 114 f.

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

an. Für den Patienten ist nicht irgendein Wahrscheinlichkeitsgrad eines Risikos relevant, sondern die Bedeutung des Risikos, die es für seine Entschließung haben kann.188 b) Die Kenntnis des Patienten von dem „konkreten Risiko“ der mit der medizinischen Heilbehandlung verbundenen Rechtsgutsbeeinträchtigung muss sich auch auf die „konkrete Gefährlichkeit der Handlung“ beziehen. Diesen Standpunkt nimmt auch der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs ein, der in der „Surgibone“-Dübelentscheidung fragt, „wie groß das Risiko solcher Komplikationen überhaupt ist.“189 Hieran zeigt sich durchaus, dass die „Komplikationsdichte“ im Strafrecht – anders als im Zivilrecht – eine höhere Bedeutung haben soll. Gleichwohl verlangt der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs im Ausgangspunkt aber nur die Mitteilung einer gewissen „Grundaufklärung“ über „die Art sowie den Schweregrad des Eingriffs [. . .] und auch über die schwerstmögliche Beeinträchtigung“.190 Diese „Grundaufklärung“ soll dem Patienten aufzeigen, was der Eingriff gerade für seine persönliche Situation – berufliche Stellung, private Lebensführung – bedeuten kann. Daher muss dem Patienten lediglich ein Eindruck von der Art und der Schwere des Eingriffs, nicht aber müssen die Risiken medizinisch exakt „in allen denkbaren Erscheinungsformen vorgeführt werden“. Vielmehr sei ihm nur „im großen und ganzen“ ein allgemeines „Bild von der Schwere und Richtung des konkreten Risikospektrums zu vermitteln“.191 Fehle es an dieser Grundaufklärung, dann habe der Arzt dem Patienten die Möglichkeit genommen, sich gegen den Eingriff zu entscheiden und dessen Folgen zu vermeiden. Er müsse nach Sinn und Zweck der verletzten Verhaltensnorm dann für alle Schäden aus dem Eingriff haften, auch wenn sich dabei ein äußerst seltenes, nicht aufklärungspflichtiges Risiko verwirklicht habe.192 Der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs lehnt eine Strafbarkeit des Arztes wegen Körperverletzung allerdings ab, wenn die Grundaufklärung ordnungsgemäß war und der Arzt lediglich einen Hinweis auf Behandlungs188 Vgl. BGHZ 90 103, 107; Geilen, in: Die juristische Problematik in der Medizin Bd. II 35; Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 124. 189 Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70. 190 Vgl. BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71; vgl. auch BGH NJW 1989 1533, 1535; vgl. auch Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 66. 191 Vgl. OLG Oldenburg VersR 1992 1005; vgl. auch BGH NJW 1989 1533, 1535; JZ 1991 983, 984. 192 Vgl. BGH NJW 1989 1533, 1535.

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alternativen unterlassen hat.193 In der Sache wird damit bestätigt, dass eine Verletzung der über diese Grundaufklärung hinausgehenden Aufklärung von Risiken die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes wegen einer Körperverletzung nicht mehr berührt. Zwar wird auch von der zivilrechtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass der Arzt bei seinen Erläuterungen solche „ganz fernliegenden“ Umstände oder Komplikationen aussparen dürfe, „die sich so selten verwirklichen“ und auch im Falle des betreffenden Patienten „so wenig wahrscheinlich“ seien, „dass sie bei einem verständigen Patienten“ für die Entscheidungsfindung „nicht ernsthaft ins Gewicht fallen“.194 „Eine Pflicht zur Aufklärung der Operationsfolgen besteht nur insoweit, als eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass diese sich verwirklichen können.“195 Hiervon macht die zivilrechtliche Rechtsprechung jedoch eine Ausnahme für solche Komplikationen, deren Eintritt für den Patienten „überraschend und in seinen besonderen Lebensverhältnissen erkennbar besonders schwerwiegend sind“. Diese Risiken seien grundsätzlich auch dann aufzuklären, „wenn sie sich nur selten verwirklichen“.196 Bei „eingriffsspezifischen“ Risiken197 ist die ärztliche Aufklärungspflicht noch strenger. „Eingriffsspezifische“ Risiken sind dabei solche Risiken, die mit der in Rede stehenden ärztlichen Maßnahme „typischerweise“ verbunden sind.198 Diese Risiken wohnen gerade dem jeweiligen Eingriff aus abstrakt-medizinischer Sicht inne.199 Sie seien auch bei extremer Seltenheit stets aufklärungspflichtig, wenn sich deren Verwirklichung auf die beruflichen und privaten Lebensumstände des Patienten erkennbar besonders belastend auswirken könne200 und für den Patienten erkennbar überraschend sei.201 Das gelte selbst dann, wenn der Patient ein besonderes Interesse an der Beseitigung seiner Beschwerden habe.202

193

Vgl. BGH NStZ 1996 34, 35 = JR 1996 69, 71. Vgl. BGH NJW 1963 393. 195 Vgl. OLG Köln AHRS 1987 4475/3. 196 Vgl. BGH NJW 1994 793. 197 Vgl. BGHZ 90 103, 107 = NJW 1984 1397, 1398. Früher wurden diese Risiken als „typische“ Risiken bezeichnet, vgl. etwa OLG Bremen VersR 1954 63; BGH NJW 1956 1106, 1107 (Erstes Elektroschockurteil). 198 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 67. 199 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 68. 200 Vgl. BGH MDR 1996 1015, 1016; NJW 1994 793; 1994 3012 f.; OLG Hamm VersR 1995 47, 48. 201 Vgl. BGH NJW 1980 633; NJW 1980 1905, 1907. 202 Vgl. BGH VersR 1993 228. 194

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

Die Ausdehnung der Grundaufklärung auch auf diese „abstrakten Risiken“ berührt aber unmittelbar die „Selbstbestimmung“ des Patienten und kann eine strafrechtliche – anders als eine zivilrechtliche – Verantwortlichkeit des Arztes aus einer Körperverletzung nicht mehr begründen, weil der Patient eine hinreichende Vorstellung über das „konkrete Risiko“ der Heileingriffs informiert ist. Seine Einwilligung ist strafrechtlich wirksam. Nicht aufklärungsbedürftig sind dagegen auch nach der derzeitigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die „allgemeinen“ Risiken der Behandlung. Hierbei handelt es sich „um Risiken, die mit jeder größeren, unter Narkose vorgenommenen Operation verbunden sind und mit denen ein Patient im allgemeinen rechnet“. Zu diesem medizinischen „Basiswissen“ gehören beispielsweise Wundinfektionen, Narbenbrüche, Embolien.203 3. Die Existenz von Behandlungsalternativen204

Die Wahl der Behandlungsmethode ist „primär Sache des Arztes“. Der Arzt brauche den Patienten im Allgemeinen nicht ungefragt zu erläutern, welche Behandlungsmethoden in Betracht kommen und was für und gegen die eine oder andere Methode spreche.205 Die Kenntnis des „konkreten Risikos“ der ärztlichen Heilbehandlung setzt das Wissen des Patienten über vorhandene Behandlungsalternativen nur voraus, wenn zwischen den Alternativen eine „echte Wahlmöglichkeit“ besteht.206 Hier muss es der Autonomie des Patienten allein überlassen bleiben, „ob“ und „welches“ „konkrete Risiko“ er auf sich nehmen will. Die Existenz von nur „unwesentlichen“ Unterschieden zwischen den Behandlungsalternativen berührt dagegen nicht die Problematik, ob der Patient in hinreichender Kenntnis eines zwar unterschiedlichen, aber im „wesentlichen“ durchaus vergleichbaren „konkreten Risikos“ tatsächlich auf Rechtsschutz über die „körperliche Unversehrtheit“ überhaupt verzichtet, sondern ob sein „Selbstbestimmungsrecht“ beachtet wird. Das geschützte Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ ist stattdessen erst betroffen, wenn es unterschiedlichen Risiken ausgesetzt werden kann, die im „Wesentlichen“ nicht mehr miteinander vergleichbar sind (scil. „echte Entscheidungsalternative“).

203

Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 68. Vgl. zur Lösung des „Surgibone“-Dübelfalls 12. Kap. III. 205 Vgl. BGHZ 102 17, 22; 116 379, 385; vgl. auch BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70 mwN. 206 Vgl. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 127 ff. 204

§ 2 Unterscheidung „körperliche Unversehrtheit“/„Selbstbestimmung“

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Eine „echte Entscheidungsalternative“ ergibt sich, wenn der Arzt eine „Außenseitermethode“ dem medizinischen Standard der Schulmedizin vorzieht. Grundsätzlich ist der Arzt gehalten, die Behandlungsalternative mit den größten Heilungsaussichten und den geringsten Risiken zu wählen.207 Einer Aufklärung bedarf es ferner, wenn die Behandlungsmethode ernsthaft umstritten ist208 oder ernstzunehmend auf Gefahren einer hergebrachten und bisher anerkannten Methode hingewiesen wird.209 Eine Aufklärung ist darüberhinaus erforderlich, wenn die gleichermaßen anerkannten Behandlungsalternativen zu unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten. Allerdings sind hier nur Behandlungsalternativen mit einem „Unterschied von Gewicht“ bedeutsam.210 Einschränkend ist jedoch zu beachten, dass die Nichtaufklärung einer risikoreicheren Behandlungsmethode die rechtliche Wirksamkeit der Einwilligung in die Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ nicht berührt, wenn der Arzt sich für die risikoärmere Alternative entscheidet.211 Die „hypothetische Einwilligung“ des Patienten, das geschützte Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ einer noch größeren Gefahr auszusetzen, wenn er sie gekannt hätte, ist unbeachtlich. Der Patient war sich der „konkreten Gefährdung“ des geschützten Rechtsguts tatsächlich vollumfänglich bewusst. Bei der Entscheidung des Arztes bleibt es daher, wenn mehrere anerkannte gleich erfolgversprechende Behandlungsmethoden ohne „Unterschiede von Gewicht“212 im Risikobereich bestehen oder wenn es zur gewählten Methode keine echte Alternative gibt.213

207 Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70; vgl. auch Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 127. 208 Vgl. BGHZ 102 17, 22; BGH NJW 1978 587; vgl. auch BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70. 209 Vgl. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 129 mwN. 210 Vgl. BGHZ 102 17, 27; vgl. auch BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70: Eine nur geringfügig niedrigere Komplikationsrate einer anderen Behandlungsmethode begründe die Hinweispflicht des Arztes nicht. 211 Vgl. so auch Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 128. 212 Vgl. BGHZ 102 17, 27; vgl. auch BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70. 213 Vgl. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 130.

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht 4. Der Famulusfall

Der Irrtum des Patienten über die Arzteigenschaft des ihn behandelnden „konkreten Arztes“ muss der Einwilligung nicht zwingend ihre rechtfertigende Kraft nehmen. Die beiden Angeklagten P. und M. – damals Studenten der Medizin – waren von August bei Oktober 1958 als Famuli im Landkrankenhaus A. tätig. Während dieser Zeit behandelten sie selbständig Verletzungen und machten Eingriffe bei Patienten, von denen sie für Ärzte gehalten wurden.

Im Ausgangspunkt sollen Willensmängel der Einwilligung „regelmäßig“ ihre rechtfertigende Kraft nehmen. Der Irrtum der Patienten, von denen die sie behandelten Famuli für Ärzte gehalten wurden, wird allerdings für unbeachtlich erklärt: Nicht alle Heileingriffe erforderten die besonderen Kenntnisse des Arztes. In medizinisch ganz einfach liegenden Fällen, zum Beispiel bei geringfügigen Schnitt- und Stoßverletzungen, bei der äußerlichen Versorgung einer Wunde oder bei der Anlegung eines Verbandes könne ein anderer Sachkundiger, ein Heilgehilfe oder eine Krankenschwester die erforderliche Hilfe genau so gut und sicher wie ein Arzt leisten.214 Der Bundesgerichtshof legt dar, dass die Fehlvorstellung der Patienten über die ärztliche Approbation des Behandelnden in bestimmten Fällen von „Geringfügigkeit“ ganz in den Hintergrund trete und „unwesentlich“ bleibe.215 Der strafrechtliche Schutz der „körperlichen Unversehrtheit“ gebietet es in der Tat nicht, der Einwilligung der Patienten ihre rechtfertigende Kraft zu nehmen. Der Patient hat das „konkrete Risiko“ des Rechtsgütereingriffs in diesen Fällen von „Geringfügigkeit“ tatsächlich zutreffend eingeschätzt.216 Die „hypothetische Einwilligung“ des Patienten, er hätte nachträglich erklärt, bei Kenntnis trotz der Geringfügigkeit seiner Verletzung die Versorgung durch einen Nichtarzt nicht abgelehnt zu haben, ist daneben bedeutungslos.217 In diesen Fällen ist das „Selbstbestimmungsrecht“ des Patienten betroffen, nicht aber der strafrechtliche Schutz der „körperlichen Unversehrtheit“.

214

Vgl. BGHSt 16 309, 311. Vgl. BGHSt 16 309, 311. 216 Vgl. in der Sache übereinstimmend Arzt, Willensmängel 22 Fn. 29; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 101. 217 Vgl. BGHSt 16 309, 311 f. 215

§ 2 Unterscheidung „körperliche Unversehrtheit“/„Selbstbestimmung“

545

C. Zusammenfassung der Konstruktion Hinter der „hypothetischen Einwilligung“ steht in Wahrheit die Problematik, ob dem Arzt eine rechtswidrige Körperverletzung vorgeworfen werden kann, weil er eigenmächtig gehandelt hat. Ärztliche Heileingriffe bedürfen, um rechtmäßig zu sein, grundsätzlich der Einwilligung. Diese Einwilligung kann aber nur wirksam erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise aufgeklärt worden ist: Der Gegenstand der Einwilligung ist ein bestimmtes gefährliches Verhalten des Täters und der tatbestandliche Erfolg. Damit der Verzicht auf Rechtsschutz als eine autonome Entscheidung des Berechtigten erfasst werden kann, ist es daher erforderlich, dass er eine hinreichende Kenntnis des „konkreten Risikos“ der Rechtsgutsbeeinträchtigung hat. Für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes ist deshalb – anders als bei seiner weitergehenden zivilrechtlichen Verantwortlichkeit – nicht der medizinisch und juristisch hoch umstrittene Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht entscheidend, sondern vielmehr die Frage, ob der Patient eine hinreichende Vorstellung von dem „konkreten Risiko“ der mit der ärztlichen Heilbehandlung verbundenen Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ besitzt. Mit der Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht soll ausschließlich gewährleistet werden, dass sich der Patient im Klaren darüber ist, in eine Körperverletzung einzuwilligen. Die dem Eingriff aus abstrakt-medizinischer Sicht innewohnenden Risiken sind dagegen nicht von vornherein aufklärungsbedürftig. Ihre Nichtaufklärung berührt die Wirksamkeit der Einwilligung im Strafrecht deshalb nicht. Für eine wirksame Einwilligung bedarf es daher der zutreffenden Vorstellung des Patienten über das „konkrete Risiko“ der mit dem ärztlichen Heileingriff verbundenen Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“: 1. Jede Täuschung nimmt der Einwilligung allerdings ihre rechtfertigende Kraft. Bei der Einwilligung geht es nicht um den Bestandsschutz bestimmter, als statisch gedachter Rechtsgüter, sondern um die hiervon zu trennende Problematik, ob der Verzicht auf Rechtsschutz über das geschützte Rechtsgut seine Grundlage in der Autonomie des Verfügenden hat. Eine Einwilligung, die täuschungsbedingt erteilt wird, ist aber nicht mehr Ausdruck dieser Autonomie. 2. Bei einer durch Irrtum beeinflussten Einwilligung ist dagegen zu differenzieren. Die Einwilligung ist nicht ein das Individuum allein betreffender Sachverhalt, sondern ein soziales Ereignis. Sie ist daher nicht allein ein seelischer Vorgang des Einwilligenden, sondern ein nach außen kundgetanes Ereignis im sozialen Bereich. Die Einwilligung unterliegt damit auch der

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

im sozialen Bereich notwendig zu beachtenden Rechtssicherheit.218 Der Selbstbestimmung korrespondiert immer auch die Selbstverantwortung des Einwilligenden. Daraus folgt aber nicht allein die Bindung des Einwilligenden an seine Einwilligung, wenn der nicht auf einer Täuschung beruhende Irrtum des Einwilligenden in der Äußerung der Erklärung keinen Ausdruck gefunden hat,219 sondern es sind darüberhinaus gehend die Konsequenzen für die Konstruktion der ärztlichen Aufklärung zu ziehen: Zwar tritt die Selbstverantwortung hinter die Selbstbestimmung zurück, wenn der Erklärungsempfänger den Irrtum des Einwilligenden kennt oder die rechtliche Pflicht hat, die Fehlvorstellungen des Einwilligenden aufgrund seines überlegenen Sachwissens durch Aufklärung zu beseitigen.220 Allerdings ist auch bei der Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht die im sozialen Bereich notwendig zu beachtende Rechtssicherheit nicht bedeutungslos. Die im Zivilrecht ständig vorangetriebene ärztliche Aufklärungspflicht kann nicht unbesehen hingenommen werden, wo es um die Frage geht, ob der Aufklärungsmangel ein solches Gewicht hat, dass er die schwerwiegende Folge einer Kriminalstrafe rechtfertigt.221 „Das Abwägungsproblem liegt [hier] in der Frage, ob etwaige Lücken der Aufklärung bei verständiger Beurteilung des Sinnes der Aufklärungspflicht ein solches Gewicht haben, dass die daraufhin erteilte Einwilligung zur Rechtfertigung des ärztlichen Vorgehens nicht mehr ausreicht.“222 Für diese Abwägungsproblematik zwischen der Selbstbestimmung und der Rechtssicherheit ist bei der ärztlichen Aufklärungspflicht auf die Differenzierung zwischen dem „konkreten“ mit der ärztlichen Heilbehandlung verbundenen „Risiko“ für die „körperliche Unversehrtheit“ und die dem Eingriff bloß aus „abstrakt-medizinischer Sicht“ innewohnenden „Risiken“ abzustellen. Die Konstruktion der ärztlichen Aufklärungspflicht ist daher in ihrer „rechtsgutsbezogenen Schutzrichtung“ normativ anhand der Kenntnis des „konkreten Risikos“ zu konkretisieren: a) Das „konkrete Risiko“ der ärztlichen Heilbehandlung kann der Patient aber nur erfassen, wenn er über die „Art“ und den „Umfang“ der ärztlichen Heilbehandlung („Behandlungseinwilligung“) informiert ist. Der Patient 218 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 617 f.; ders., Grundkurs AT § 8 Rdn. 114; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 106. 219 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 617 f.; ders., Grundkurs AT § 8 Rdn. 114; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 106. 220 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 617 f.; ders., Grundkurs AT § 8 Rdn. 114; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 106. 221 Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70; Tröndle, MDR 1983 883; vgl. auch Schöch, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 51; Taupitz, NJW 1986 2853; Ulsenheimer, NStZ 1996 132. 222 Vgl. von Caemmerer, Gesammelte Schriften Bd. I 450.

§ 2 Unterscheidung „körperliche Unversehrtheit“/„Selbstbestimmung“

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muss natürlich wissen, dass ihm nicht ein Zahn entfernt wird, sondern Gallen- oder Nierensteine. Das erfordert seine Autonomie. Im Falle einer „fehlenden Einwilligung“ oder einer „sogar verweigerten Einwilligung“ kommt eine Rechtfertigung durch Einwilligung daher nicht in Betracht. b) Dabei hat sich das Bild von der Medizin seit der Entscheidung des Reichsgerichts vom 8. März 1940223 allerdings nachhaltig verändert. Jede ärztliche Heilbehandlung ist auch mit gewissen Gefahren verbunden. Die Autonomie des Patienten erfordert es daher, dass er auch über bestimmte mit der ärztlichen Heilbehandlung verbundene „konkrete Eingriffsrisiken“ („Risikoeinwilligung“) informiert ist: Dem Patienten ist eine „Grundaufklärung“ mitzuteilen, die ihm aufzeigen soll, was der Eingriff gerade für seine persönliche Situation – berufliche Stellung, private Lebensführung – bedeuten kann. Daher muss ihm lediglich ein Eindruck von der Art und der Schwere des Eingriffs, nicht aber müssen die Risiken medizinisch exakt „in allen denkbaren Erscheinungsformen vorgeführt werden“. Die dem Eingriff bloß aus abstrakt-medizinischer Sicht innewohnenden Risiken sind nicht aufklärungsbedürftig. Vielmehr sei dem Patienten nur „im großen und ganzen“ ein allgemeines „Bild von der Schwere und Richtung des konkreten Risikospektrums zu vermitteln“.224 Die Kenntnis des „konkreten Risikos“ der ärztlichen Heilbehandlung setzt das Wissen des Patienten über vorhandene Behandlungsalternativen nur voraus, wenn zwischen den Alternativen eine „echte Wahlmöglichkeit“ besteht. Eine „echte Entscheidungsalternative“ ergibt sich aber erst, wenn das geschützte Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ unterschiedlichen Risiken ausgesetzt werden kann, die im „Wesentlichen“ nicht mehr miteinander vergleichbar sind. Hier muss es der Autonomie des Patienten allein überlassen bleiben, „ob“ und „welches“ „konkrete Risiko“ er auf sich nehmen will. Bei der Entscheidung des Arztes bleibt es daher, wenn mehrere anerkannte gleich erfolgversprechende Behandlungsmethoden ohne „Unterschiede von Gewicht“225 im Risikobereich bestehen oder wenn es zur gewählten Methode keine echte Alternative gibt.226 Einschränkend ist aber zu beachten, dass auch eine Nichtaufklärung einer risikoreicheren Behandlungsmethode die rechtliche Wirksamkeit der Einwilligung in die Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ nicht berührt, wenn der 223

Vgl. RGZ 163 129, 139 = DR 1940 1288, 1291 mit Anm. Kallfelz. Vgl. OLG Oldenburg VersR 1992 1005; vgl. auch BGH NJW 1989 1533, 1535; JZ 1991 983, 984. 225 Vgl. BGHZ 102 17, 27; vgl. auch BGH NStZ 1996 34. 226 Vgl. Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 130. 224

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

Arzt sich für die risikoärmere Alternative entscheidet.227 Der Patient war sich der „konkreten Gefährdung“ des geschützten Rechtsguts tatsächlich vollumfänglich bewusst. Eine Fehlvorstellung des Patienten über die ärztliche Approbation des Behandelnden tritt in bestimmten Fällen von „Geringfügigkeit“ ganz in den Hintergrund und bleibt „unwesentlich“.228 Der Patient hat das „konkrete Risiko“ des Rechtsgütereingriffs in diesen Fällen von „Geringfügigkeit“ tatsächlich zutreffend eingeschätzt. In diesen Fällen, in denen der Patient eine hinreichende Kenntnis des „konkreten Risikos“ der mit der ärztlichen Heilbehandlung verbundenen Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ hat, ist die Einwilligung des Patienten trotz etwaiger Lücken in seiner Vorstellung objektiv rechtlich wirksam.229 Diese Fehlvorstellungen berühren das „Selbstbestimmungsrecht“ des Patienten. Ein strafrechtlicher Schutz vor dieser Beeinträchtigung der Selbstbestimmung ist im Strafgesetzbuch aber nur in sehr beschränktem Maße angelegt. Bei dieser Entscheidung des Gesetzgebers muss es bleiben (Art. 103 Abs. 2 GG).

D. Die Überzeugungskraft dieser Konstruktion I. Der Sinn der ärztlichen Aufklärungspflicht Mit dieser Konstruktion tritt das Leitbild des Patienten als „Subjekt der Behandlung“ und der Zweck der ärztlichen Aufklärungspflicht wieder deutlicher in den Vordergrund. Der Nachteil einer zu weitreichenden Aufklärung besteht in der Gefahr der Überflutung des Patienten mit Fakten, die die Grenzen der psychischen Belastbarkeit und der intellektuellen Aufnahmefähigkeit eines „normalen“ Menschen in der Ausnahmesituation vor einem operativen Eingriff bei weitem sprengt.230 Damit kann der Zweck der Aufklärungspflicht durchaus verfehlt werden. Der Patient ist nicht mehr „Subjekt der Behandlung“, weil ihn die Überfülle an Fakten nur verwirrt und letztlich unfähig macht, Chancen und Risiken zu gewichten und gegeneinander abzuwägen.231 Die Mitteilung der Fakten erfolgt hier vornehmlich im Interesse des Arztes, der bestehende Haftungsrisiken vermeiden will. 227

Vgl. so auch Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 128. Vgl. BGHSt 16 309, 311. 229 Vgl. hierzu auch BGHSt 16 309, 313. 230 Vgl. Laufs, Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 1994 960; vgl. weiter etwa Geilen, in: Die juristische Problematik in der Medizin Bd. II 30; Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 70. 231 Vgl. Weißauer, Informationen des BDC 1996 69. 228

§ 2 Unterscheidung „körperliche Unversehrtheit“/„Selbstbestimmung“

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II. Die Übereinstimmung mit der allgemeinen Dogmatik Diese Konstruktion führt im Strafrecht zu einer Einschränkung der in ihrer Zielrichtung „rechtsgutsbezogenen“ „Selbstbestimmungsaufklärung“ und passt sich damit in die allgemeine Dogmatik ein, die – infolge der Abkehr von der „Willensrichtungstheorie“ – eine zu weitgehende Subjektivierung der Einwilligung – und des Einverständnisses (scil. formale Willensbruchdelikte) – nicht anerkannt und Irrtümer232 weitgehend für unbeachtlich hält: Die Einwilligung sei nicht allein ein seelischer Vorgang des Einwilligenden, sondern eine Erklärung im sozialen Raum, die erklärt und ausgelegt werden müsse.233 Der nicht auf einer Täuschung beruhende Irrtum wird daher grundsätzlich für unbeachtlich gehalten, wenn er nicht in der Äußerung der Einwilligung seinen Ausdruck gefunden habe.234 Das erfordert die im sozialen Bereich notwendig zu beachtende Rechtssicherheit. III. Die unterschiedliche Behandlung der ärztlichen Eigenmacht im Zivil- und Strafrecht 1. Die Einheit der Rechtsordnung235

Das Strafrecht als Schutzrecht wird als ein „akzessorischer Rechtsteil“ bezeichnet.236 Inhaltlich ist damit die Abhängigkeit des Strafrechts von anderen Rechtsgebieten und deren Begriffsbildung gemeint.237 Dieser Gedanke mag ein Grund für die Übertragung der zivilrechtlichen Rechtsfigur der „hypothetischen Einwilligung“ ins Strafrecht gewesen sein.238 Die „Einheit der Rechtsordnung“ beherrscht gerade die Rechtfertigungsdogmatik:239 Rechtfertigungsgründe seien aus der Gesamtheit der Rechtsordnung ableitbar und könnten Geltung für sämtliche Teilrechtsgebiete beanspruchen.240 Die Problematik besteht in der Tat darin, dass die Rechtsprechung im Arzt(straf)recht einen Gleichlauf der Einwilligungsdogmatik anstrebt. Sie 232 Der bloße Ausschluss von Motivirrtümern trifft den Sachverhalt nicht hinreichend genau, vgl. Otto, in: FS für Geerds 617 Fn. 46. 233 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 617 f.; ders., Grundkurs AT § 8 Rdn. 114; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 106. 234 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 617 f.; ders., Grundkurs AT § 8 Rdn. 114; Roxin, Strafrecht AT Bd. I § 13 Rdn. 106. 235 Vgl. hierzu eingehend Knauf, Mutmaßliche Einwilligung 154 ff. 236 Vgl. Binding, Handbuch 9 f. 237 Vgl. etwa Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 7 II 53. 238 Vgl. 1. Kap. § 2 B. II. 1. 239 Vgl. Ohly, in: FS für Jakobs 455. 240 Vgl. Knauf, Mutmaßliche Einwilligung 154 f. muwN.

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

unterwirft die Einwilligung im Zivil- und Strafrecht im Ausgangspunkt deshalb grundsätzlich den gleichen Regeln.241 Eine Harmonisierung wird hier sogar für wünschenswert gehalten.242 Die „unklar“ gebliebene „Faustformel“243 von der „Einheit der Rechtsordnung“ darf aber nicht dazu verführen, die möglichen Abweichungen beider Rechtsdisziplinen zu übersehen oder vorschnell zu nivellieren.244 Die unterschiedliche Reichweite der ärztlichen Aufklärungspflicht im Zivil- und Strafrecht hat dabei ihre volle Berechtigung: 2. Der Schutz des Angeklagten vor Kriminalstrafe

a) Die Zweckbestimmung von Zivil- und Strafrecht Der Grund hierfür besteht in der unterschiedlichen Zweckrichtung der Rechtsgebiete. Zivil- und Strafrecht gehören unterschiedlichen Rechtskreisen an.245 Das Zivilrecht dient der Regelung von Privatrechtsverhältnissen. Es bezweckt nach dem traditionellen Verständnis vorrangig den Ausgleich „gütermäßig identifizierbarer Einbußen“ beim Geschädigten und legt dem Schädiger eine entsprechende Schadensersatzverpflichtung auf.246 241

Vgl. BGHZ 29 33. Vgl. Ohly, in: FS für Jakobs 457. Vgl. zu Recht kritisch Sternberg-Lieben, StV 2008 193; Taupitz, NJW 1986 2853; Tröndle, MDR 1981 883; Ulsenheimer, NStZ 1996 132. 243 Vgl. kritisch Jescheck/Weigend, Strafrecht AT § 7 II 53; Ohly, in: FS für Jakobs 457. Zutreffend wird diese Formel aus „ungenau“ bezeichnet, denn das Strafrecht regelt viele Lebensbereiche in völliger Eigenständigkeit. Auffallendstes Beispiel ist der Schutz des Lebens, der im Zivilrecht mit der „Vollendung der Geburt“ einsetzt (§ 1 BGB), im Strafrecht dagegen schon nach der „Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter“ beginnt (§§ 212, 211, 218 ff. StGB). Vor der Geburt erlangt der „nasciturus“ im Zivilrecht bestimmte Rechtspositionen im Hinblick auf seine Geburt (etwa §§ 844 Abs. 2 Satz 2, 1923 Abs. 2, 2178 BGB), vgl. etwa Jauernig, in: Jauernig § 1 BGB Rdn. 4. Andererseits gibt es auch strafrechtsakzessorische Bereiche, in denen das Strafrecht seine Schutzfunktion nach den Gegebenheiten des anderen Rechtsgebiets ausrichten muss. 244 Vgl. Ohly, in: FS für Jakobs 457. Eine eingehende Darstellung der Kriterien, aus denen sich ergebe, weshalb die zivilrechtliche Rechtsfigur der „hypothetischen Einwilligung“ nicht auch im Strafrecht anerkannt werden könne, liefern Böcker, JZ 2005 928 f.; Jäger, in: FS für Jung 353 ff.; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 155 ff.; Sternberg-Lieben, StV 2008 192 f. Diesen Ansatz greift auch Puppe, GA 2003 772 ff.; dies., JZ 2004 471 auf. 245 Vgl. Kuhlen, Strafrechtliche Produkthaftung 176; Pichardt, DLR 2002 53; Vogel, GA 1990 257. 246 Vgl. Kuhlen, Strafrechtliche Produkthaftung 176; vgl. auch Isele, in: Problematik der Medizin Bd. III 11; Pichardt, DLR 2002 53; Schöch, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 51. 242

§ 2 Unterscheidung „körperliche Unversehrtheit“/„Selbstbestimmung“

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Das Strafrecht gehört dagegen in den öffentlichen Rechtskreis. Es ist eine Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger. Das Strafrecht orientiert sich nicht am Geschädigten,247 sondern an der Person des Täters und des Teilnehmers. Es strebt inhaltlich nach einer Stabilisierung von sozialethischen Verhaltensnormen.248 Es bringt einen Strafausspruch über den Täter und den Teilnehmer.249 Die Anforderungen hierfür sind jedoch hoch, um zu verhindern, dass dem Angeklagten mit der Kriminalstrafe ein schweres Unrecht widerfährt. In aller Kürze wird daher gelehrt, dass das Zivilrecht Störungen in der Güterordnung, nicht hingegen in der Normenordnung beseitigt. Das Strafrecht ist dagegen ein Mittel der Sozialkontrolle.250 Die ärztliche Aufklärungspflicht beruht ersichtlich auf der strengen Rechtsprechung im Zivilrecht.251 Sie könne nicht unbesehen hingenommen werden, wo es um die Frage gehe, ob der Aufklärungsmangel ein solches Gewicht habe, dass er die schwerwiegende Folge einer Kriminalstrafe rechtfertige. Hieraus erkläre sich, dass in der Frage der Aufklärungspflicht, die eigentlich einheitlich zu beurteilen sei, die Zivilrichter strenger urteilen als die Strafrichter, die vor einer Überspannung der ärztlichen Aufklärungspflicht warnen.252 In der Tat prüft der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs in der „Surgibone“-Dübelentscheidung eingehend, „ob die [Strafkammer] die Anforderung an die vom Arzt geschuldete Aufklärung überspannt hat“.253 Er lehnt insoweit eine „Akzessorietät des Strafrechts“ gegenüber der sehr weitgehenden zivilrechtlichen Rechtsprechung zur ärztlichen Aufklärungspflicht eindeutig ab. Diese Argumentationsrichtung hat er im Liposuktionsfall254 durchaus beibehalten. Die Strafsenate des Bundesgerichtshofs behandeln diese Problematik allerdings nur noch im Rahmen der konstruktiv angreifbaren „hypothetischen Einwilligung“.255 Rechtlich vorzugs-

247 Einen Geschädigten muss es nicht immer geben, wie sich anhand des „Versuchs“ oder der „Gefährdungsdelikte“ nachweisen lässt, vgl. Kuhlen, Strafrechtliche Produkthaftung 176. 248 Vgl. eingehend 7. Kap. § 2 B. II., III. 249 Vgl. BVerfGE 96 245, 249. 250 Vgl. Vogel, GA 1990 217; vgl. auch Schöch, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 51. 251 Vgl. eingehend zu den Gründen § 1 B. III. 252 Vgl. Tröndle, MDR 1983 883; vgl. auch Schöch, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 51; Taupitz, NJW 1986 2853; Ulsenheimer, NStZ 1996 132. 253 Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70. Vgl. hierzu Schöch, in: Handbuch des Medizinstrafrechts 51 f. 254 Vgl. Einl. § 1 VII. 255 Vgl. A. I. 2.

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11. Kap.: Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht im Strafrecht

würdig ist dagegen vielmehr der Weg, die Anforderungen an die ärztliche Aufklärungspflicht im Strafrecht abzusenken.256 b) Die Vorhersehbarkeit der Rechtspflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden Mit dem Erfordernis der hinreichenden Kenntnis des „konkreten Risikos“ des Eingriffs als Wirksamkeitsvoraussetzung für die Einwilligung erledigt sich die rechtsstaatlich bedenkliche Problematik, dass wegen der Fülle an Einzelfallentscheidungen inzwischen „weder der erfahrenste Arzt noch der in diesem Metier spezialisierte Jurist“ auch nur mit einiger Sicherheit vorhersagen könne, wie die Gerichte in diesem oder jenem Fall – ex post – über den Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht wohl entscheiden werden.257 Die bisherige strafrechtliche Praxis zur ärztlichen Aufklärungspflicht steht in einem durchaus zweifelhaften Verhältnis zu der Forderung des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 103 Abs. 2 GG),258 die Vorhersehbarkeit der Rechtspflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden, zu gewährleisten. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes wegen Körperverletzung lässt sich vielmehr unabhängig von „generalklauselartigen Maßstäben und Kriterien“ bei der ärztlichen Aufklärungspflicht bestimmen.259 Mit der Notwendigkeit der Kenntnis des Patienten vom „konkreten Risikos“ des Eingriffs wird dem Arzt nunmehr die Möglichkeit gegeben, den Umfang der Aufklärungspflicht nach einer greifbaren Richtlinie bestimmen zu können. c) Das geschützte Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte Die Einschränkung der „Selbstbestimmungsaufklärung“ im Strafrecht rechtfertigt sich aus der Abgrenzung des geschützten Rechtsguts der mit der ärztlichen Heilbehandlung verbundenen Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“. Ein strafrechtlicher Schutz des Patienten vor einer Beeinträchtigung seines „Selbstbestimmungsrechtes“ ist im Strafgesetzbuch nur in sehr beschränktem Maße angelegt. Bei dieser Entscheidung des Gesetzgebers muss es bleiben (Art. 103 Abs. 2 GG).260 256

Vgl. auch Sternberg-Lieben, StV 2008 193. In der Sache wohl auch Bosch, JA 2008 71. 257 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 60. 258 Vgl. hierzu etwa Otto, Grundkurs Strafrecht AT § 2 Rdn. 2. Vgl. eingehend zur Problematik, ob die Forderungen des Art. 103 Abs. 2 GG auch für Rechtfertigungsgründe Bedeutung haben können: Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 62 muwN. 259 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 65. 260 Vgl. eingehend 4. Kap.

§ 2 Unterscheidung „körperliche Unversehrtheit“/„Selbstbestimmung“

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Das Zivilrecht unterliegt diesen Beschränkungen nicht. Es kann den Schutz der „Selbstbestimmung“ auch mit den ihm eigenen Mitteln leisten und dabei die Interessen im Arzt-Patienten-Verhältnis angemessen berücksichtigen. Die „hypothetische Einwilligung“ mag trotz der zweifelhaften Konstruktionsversuche261 im Zivilrecht ihre Berechtigung haben. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Entwicklung einer „Entschädigung für zugefügte immaterielle Schäden wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ (§ 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG), auf die der Patient trotz einer erteilten „hypothetischen Einwilligung“ einen Anspruch haben soll.262 Im Strafrecht bedarf es der „hypothetischen Einwilligung“ dagegen nicht.

261

Vgl. 1. Kap. § 2 B. I. 2. Anerkennend OLG Jena MDR 1998 536, 537; Böcker, JZ 2005 929, 931; Dunz, Zivilrechtliche Arzthaftung 18; Hager, in: Staudinger § 823 Abschn. I Rdn. 121; Schwartz, Hypothetische Einwilligung 146 ff.; Nüßgens, in: RGRK § 823 BGB Anh. II Rdn. 154; ders., in FS für Hauß 292 f.; ders., in FS für Nirk 751; Sprau, in: Palandt § 823 Rdn. 157. Ablehnend OLG Dresden NJW 2004 298, 299; OLG Koblenz MedR 2004 501, 502; Kullmann, VersR 1999 1190; Wagner, in: MüKo § 823 BGB Rdn. 748. Eingehend zum Streitstand Kullmann, VersR 1999 1190 ff. Das OLG Jena geht in MDR 1998 537 über ein „zeichenhaftes“ Schmerzensgeld sogar weit hinaus, denn Schmerzensgeld sei immer auch „Sanktion für die Verletzung der Rechte auf Wahrung der körperlichen Integrität und der Persönlichkeit als solche.“ Den Standpunkt von Dunz, Zivilrechtliche Arzthaftung 18, der dagegen nur ein „symbolisches“ Schmerzensgeld anerkennt, modifiziert Weber-Steinhaus, Ärztliche Berufshaftung 81: Ein nur „zeichenhaftes“ Schmerzensgeld zu Genugtuungszwecken sei dann zuzubilligen, wenn das Ausmaß und die Schwere der vom Arzt herbeigeführten Persönlichkeitsbeeinträchtigung oder schweres Verschulden es erfordern. Dem steht Mertens, in: MüKo 3. Aufl. § 823 BGB Rdn. 453, 457 nahe, obgleich er in der Höhe über ein symbolhaftes Schmerzensgeld hinausgehen zu wollen scheint. Nur ein „grober Verstoß gegen die Aufklärungspflicht“, die die Entscheidungsgrundlage des Patienten unvertretbar reduziert habe, könne einen Schmerzensgeldanspruch rechtfertigen, und nur dann, wenn der eigenmächtige Eingriff zu erheblichen Beeinträchtigungen des Patienten geführt habe, wie sie gleichwohl auch bei im Ergebnis erfolgreichen Operationen möglich seien. Ähnlich wohl Katzenmeier, Arzthaftung 369: Das „Schmerzensgeld“ sorge für Ausgleich und Genugtuung in „groben Fällen“. 262

Zwölftes Kapitel

Die Lösung der Beispielsfälle I. Der „O-Bein“-Fall1 Die Frage bei der „O-Bein“-Entscheidung vom 25. September 1990 besteht darin, ob die Behandlungseinwilligung des Patienten in die Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ rechtlich wirksam war. Für eine wirksame Behandlungseinwilligung bedarf es der zutreffenden Vorstellung des Patienten über das „konkrete Risiko“ der mit dem ärztlichen Heileingriff verbundenen Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“. Fraglich ist hier allerdings, ob dem Berechtigten eine „Grundaufklärung“ über das „konkrete Risiko“ der Operation erteilt wurde. Der Patient wurde von dem Angeklagten über die Operationsrisiken und die möglichen Komplikationen in einer allgemeinen Form aufgeklärt. Die spätere Aufklärung durch die Stationsärztin umfasste die Operationsrisiken in der Form der Wundheilungs-, Durchblutungs- und Sensibilitätsstörungen sowie Schmerzen. Hingegen wurden über die mit der Osteotomie verbundenen „speziellen Risiken“ wie Osteomyelitis und Pseudarthrose nicht aufgeklärt. Das ist nach Auffassung des Fünften Strafsenats des Bundesgerichtshofs fehlerhaft. Es ist anerkannt, dass die „höchsten Ansprüche an eine minutiöse Aufklärung [. . .] jene Eingriffe [stellen], bei denen, ohne dass Schmerzen bestehen und ohne dass ein Funktionsverlust vorliegt, Fehlformen des Körpers, Sattelnasen, Deformitäten der weiblichen Brust, X-Beine, O-Beine, Wirbelsäulenabweichungen korrigiert werden sollen. Mit all diesen Deformitäten kann man leben.“2 Die Forderung nach einer möglichst weitgehenden Aufklärung der Operationsrisiken berührt die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes wegen Körperverletzung aber nicht. Im Zivilrecht hat eine möglichst weitgehende Aufklärung ihre volle Berechtigung. Die strafrechtliche Problematik besteht hingegen darin, ob der Patient gerade in die Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ eingewilligt hat. Dazu ist das Wissen über das „konkrete Risiko“ der mit dem ärztlichen Heileingriff verbundenen Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ erforderlich. Die Operations1 2

Vgl. Einl. § 1 I. Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht § 1 I Rdn. 72.

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risiken und die möglichen Komplikationen sind ihm in allgemeiner Form allerdings mitgeteilt worden. Es berührt die Wirksamkeit der Behandlungseinwilligung in die „körperliche Unversehrtheit“ dagegen nicht, wenn der Patient hinsichtlich der mit der Osteotomie verbundenen „speziellen Risiken“ wie Osteomyelitis und Pseudarthrose nicht aufgeklärt wurde. Solche dem Eingriff aus abstrakt-medizinischer Sicht innewohnenden Risiken sind nicht aufklärungsbedürftig, solange sie sich nicht derart verdichtet haben, dass mit ihrem Eintritt bei der Durchführung der Behandlung ernsthaft zu rechnen ist. Hiervon kann nicht ausgegangen werden. Der Patient hat deshalb eine ausreichende „Grundaufklärung“ erhalten. Ihm war bewusst, in welchem Umfang er seine „körperliche Unversehrtheit“ preisgab. Die Einwilligung des Patienten war infolge der Nichtaufklärung dieser „speziellen Operationsrisiken“ objektiv durchaus lückenhaft. Hiervon wird allerdings nur das „Selbstbestimmungsrecht“ des Patienten beeinträchtigt. Diese Beeinträchtigung kann die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes begründen. Strafrechtlich wäre sie jedoch nur über einen Tatbestand der Eigenmächtigen Heilbehandlung erfassbar. In der „O-Bein“-Entscheidung war die Behandlungseinwilligung des Patienten in die Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ rechtlich wirksam. Der Arzt war daher freizusprechen. Auf eine „hypothetische Einwilligung“ des Patienten kommt es dagegen nicht an. An der in diesem Fall sogar festgestellten „hypothetischen Einwilligung“ des Patienten, der ein volles und uneingeschränktes Vertrauen zu dem Arzt hatte und somit allem zugestimmt hätte, was dieser operationsmäßig vorgeschlagen hätte, lässt sich in der Sache allerdings belegen, dass die Nichtkenntnis des Patienten von den mit der Osteotomie verbundenen „speziellen Operationsrisiken“ wie Osteomyelitis und Pseudarthrose die strafrechtliche Wirksamkeit seiner Einwilligung auch nach der Ansicht des Fünften Strafsenats des Bundesgerichtshofs ersichtlich nicht berührt. Der Fünfte Strafsenat des Bundesgerichtshofs vertritt jedenfalls im Ergebnis die Auffassung, dass es im Strafrecht für die Rechtswirksamkeit der Einwilligung ausschließlich auf die Kenntnis des „konkreten Risikos“ der Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ ankommt. Eine darüberhinausgehende Aufklärung hält er dagegen für grundsätzlich nicht erforderlich. II. Der Cignolinfall3 Auch in der Cignolinentscheidung vom 11. Dezember 1990 ist zu prüfen, ob die Behandlungseinwilligung des Patienten in die Beeinträchtigung sei3

Vgl. Einl. § 1 II.

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ner „körperlichen Unversehrtheit“ rechtlich wirksam war. Für eine wirksame Behandlungseinwilligung bedarf es der zutreffenden Vorstellung des Patienten über das „konkrete Risiko“ der mit dem ärztlichen Heileingriff verbundenen Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“. Es ist jedoch fraglich, ob der Patient eine ausreichende „Grundaufklärung“ über das „konkrete Risiko“ des cignolinhaltigen Präparats erhalten hat. Dabei war zu berücksichtigen, dass zwei gleichermaßen indizierte Behandlungsalternativen mit allerdings unterschiedlichen Chancen und Risiken zur Auswahl standen: Der aggressiven Behandlungsmethode mit cignolinhaltigen Präparaten, bei der der Zellabstoß beschleunigt wird, steht die dämpfend wirkende Behandlungsmethode mit cortisonhaltigen Mitteln gegenüber. Die Angeklagte setzte den Patienten in Kenntnis beider Behandlungsalternativen. Der Patient wünschte jedoch das cortisonhaltige Präparat nicht, weil er das cignolinhaltige Präparat bereits von seinem Hausarzt erhalten und gut vertragen hat. Es hat zuletzt aber nicht mehr so gut gewirkt. Dem Dritten Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm war allerdings der erteilte Hinweis auf die Gefahr „möglicher Hautreizungen“, nicht aber darüberhinaus auf die im Zusammenhang mit der Verwendung des cignolinhaltigen Präparats bestehende typische Gefahr einer „bullösen“ Reaktion unzureichend. In der Entscheidung bleibt dabei offen, ob der Patient bereits bei den von seinem Hausarzt vorgenommenen Cignolinbehandlungen über diese Gefahr aufgeklärt worden war. Die strafrechtliche Problematik besteht allerdings darin, ob der Patient in hinreichender Kenntnis des „konkreten Risikos“ der Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ in den Heileingriff eingewilligt hat. Die Gefährlichkeit des cignolinhaltigen Präparats, nämlich das Auftreten von „möglichen Hautreizungen“, wurde dem Patienten aber mitgeteilt. Damit wusste der Patient durchaus um die in Betracht zu ziehenden Risiken der Cignolinbehandlung. Die mit cignolinhaltigen Präparaten verbundene typische Gefahr einer „bullösen“ Reaktion verhält sich hierzu nur als eine Variante dieser allgemein beschriebenen Gefahr. Sie ist aber nur eine dem Eingriff aus abstrakt-medizinischer Sicht innewohnende Gefahr. Für deren Aufklärungsbedürftigkeit fehlt es an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Risikos. Bloß abstrakte Risiken sind nicht aufklärungsbedürftig. Sie spielen bei der Einschätzung des „konkreten Risikos“ der Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ keine entscheidende Rolle. Diese Aufklärung über die Gefahr einer „bullösen“ Reaktion war aber auch nicht notwendig. Die Einwilligung des Patienten war insoweit objektiv lückenhaft. Hier wird allerdings nicht mehr die „körperliche Unversehrtheit“, sondern die „Selbstbestimmung“ des Patienten geschützt. Die Behandlungseinwilligung

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des Patienten in die Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ im Cignolinfall war rechtlich wirksam. Die Ärztin war freizusprechen. Auf eine „hypothetische Einwilligung“ des Patienten in die Gabe eines cignolinhaltigen Präparats kommt es dagegen nicht an. III. Der „Surgibone“-Dübelfall4 Die rechtliche Wirksamkeit der Behandlungseinwilligung des Patienten in die Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ im „Surgibone“-Dübelfall vom 29. Juni 1995 ist auch hier davon abhängig, ob der Patient eine zutreffende Vorstellung über das „konkrete Risiko“ der mit dem ärztlichen Heileingriff verbundenen Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ besaß. Vor den Eingriffen wurden die Patienten jeweils über die Risiken der Operationen – auch über die Möglichkeit ihrer Erfolglosigkeit – aufgeklärt. Die Wahl der Behandlungsmethode ist dabei primär Sache des Arztes. Die Wahl des Arztes fiel auf die Abstandhalter aus „Surgibone“-Dübel, nicht dagegen auf Eigenknochen oder Kunststoffdübel. Auf Anweisung des Angeklagten sah man von einer umfassenden Aufklärung über die unterschiedlichen Materialien der gebräuchlichen Interponate sowie ihre spezifischen Vor- und Nachteile ab, um die Patienten nicht zu verunsichern. Der Bundesgerichtshofs ist jedoch der Auffassung, dass es einer Aufklärung über die Behandlungsalternativen bedürfe, wenn sich diese durch Verwendung verschiedener Interponate unterscheiden und es sich bei dem vom Arzt verwendeten Interponat um ein zulassungspflichtiges, aber nicht zugelassenes Arzneimittel handele (vgl. auch § 40 Abs. 1 Nr. 2 AMG). Unter diesen Umständen fehle dem eingesetzten Interponat, mag seine Verwendung auch einem international anerkannten Standard genügen, gleichsam ein Gütesiegel, das – unabhängig von dessen tatsächlicher Qualität oder Sicherheit – für die Entscheidung des einzelnen Patienten im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes wesentlich sein könne, über das er mithin auch informiert sein müsse.5 Die Überlegungen des Bundesgerichtshofs mögen im Zivilrecht ihre volle Berechtigung haben. Hiervon ist allerdings die strafrechtliche Problematik zu trennen, ob die Patienten rechtswirksam in die Beeinträchtigung ihrer „körperlichen Unversehrtheit“ eingewilligt haben. Dafür ist die Kenntnis des „konkreten Risikos“ der körperlichen Beeinträchtigung notwendig. Über die Risiken der Operation – auch über die Möglichkeit der Erfolglosigkeit – wa4 5

Vgl. Einl. § 1 III. Vgl. BGH NStZ 1996 34 = JR 1996 69, 70.

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ren die Patienten allerdings vollumfänglich aufgeklärt worden. Die Kenntnis dieses „konkreten Risikos“ wird aber nicht dadurch berührt, dass dem Interponat nur ein „Gütesiegel“ fehlt, welches gerade nichts über die tatsächliche Qualität oder Sicherheit des Interponats aussagt. Geschützt wird hier nicht mehr die „körperliche Unversehrtheit“, sondern – wie der Bundesgerichtshof zutreffend darlegt – die „Entscheidung des einzelnen Patienten“ im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes. Strafrechtlich ist aber allein von Interesse, dass der Patient in Kenntnis des „konkreten Risikos“ in die Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ eingewilligt hat. Die Patienten besaßen damit eine hinreichende Vorstellung von dem „konkreten Risiko“ der bei den HWSDisc-Ektomien verwendeten „Surgibone“-Dübel. Im „Surgibone“-Dübelfall war die Behandlungseinwilligung des Patienten in die Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ rechtlich wirksam. Der Arzt war freizusprechen. Auf eine „hypothetische Einwilligung“ der Patienten in die Verwendung der „Surgibone“-Dübel kommt es dagegen nicht an. IV. Der Gebärmutterfall6 Zu der Problematik der „hypothetischen Einwilligung“ soll auch die Entscheidung des Vierten Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 28. Oktober 19607 gehören. Die Einwilligung der Patientin L. erstreckte sich nur auf die Entfernung eines in der Voruntersuchung festgestellten Myomknotens, nicht dagegen auf die teilweise Entfernung großer Teile ihrer Gebärmutter. Der Arzt handelte deshalb „ohne“ Einwilligung.8 Allerdings verlangt der Vierte Strafsenat für eine fahrlässige Körperverletzung die zusätzliche Voraussetzung, dass der Arzt hätte „erkennen können und müssen“, dass die Patientin, „falls sie hinlänglich aufgeklärt worden wäre und dann jene Erkenntnis gewonnen hätte, in die Operation dieses Umfangs nicht einwillige.“ Diese Erkenntnis musste bei ihr zum Tatzeitpunkt aber nicht denknotwendig die Versagung ihrer Einwilligung zur Folge haben, so dass auch der Angekl. sie hätte annehmen müssen: Die Patientin war 45 Jahre alt. Sie trug sich zwar mit Heiratsabsichten, eine Erstempfängnis war jedoch auch eine ohne Operation in ihrem Alter unwahrscheinlich. Die Myome hätten entweder eine Befruchtung oder ein Austragen der 6

Vgl. Einl. § 1 IV. Vgl. BGH 4 StR 375/60, die materiell-rechtlichen Gründe der Entscheidung sind insoweit unveröffentlicht. 8 Vgl. Rönnau, in: LK Vor § 32 StGB Rdn. 230. 7

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Frucht verhindert. Die Operation brachte, abgesehen von dem Verlust wesentlicher Teile der Gebärmutter, keine weiteren nennenswerten physischen Veränderung zu ihrem Nachteil, zumal die Eierstöcke bestehen blieben und Patientin den Geschlechtsverkehr noch ausüben konnte.9 Diese Lösung hat mit der Problematik einer „hypothetischen Einwilligung“ jedoch nichts zu tun. Diese Rechtsfigur beruht auf einer „nach der Tat“ gebildeten Hypothese. Sie ist ein „bloßes fiktives Potential“ im objektiven Bereich.10 Dagegen ermittelt der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs nicht die objektiven Voraussetzungen einer „hypothetischen Einwilligung“ in der Person der Patientin. Er bewertet vielmehr die tatsächliche Vorstellung des Arztes auf Grund der tatsächlichen Sachlage dahin, ob sie den gegen ihn gerichteten subjektiven Vorwurf der fahrlässigen Annahme einer Einwilligung der Patientin in die teilweise Entfernung ihrer Gebärmutter und damit der tatbestandlichen Körperverletzung trägt. Der Arzt ging aber ohne Fahrlässigkeit von einer tatsächlichen Einwilligung, nicht von einer „hypothetischen Einwilligung“ der Patientin aus. Er musste angesichts des tatsächlichen Sachverhaltes keine Zweifel an der Erteilung der wirksamen Einwilligung auch in die teilweise Entfernung des Gebärmutterorgans haben. Eine „hypothetische Einwilligung“ der Patientin L. in die teilweise Entfernung ihrer Gebärmutter hatte der Vierte Strafsenat ersichtlich nicht diskutiert. Die Sachverhalte berühren sich abgesehen von der Ähnlichkeit der Formulierungen daher nicht. Die Lösung des Vierten Strafsenats ist völlig sachgerecht. Auch in der Entscheidung vom 28. Juni 1963 beruft sich der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs hilfsweise auf diese Argumentation.11 V. Der Bandscheibenfall12 Im Bandscheibenfall vom 15. Oktober 2003 geht es um die Problematik der Täuschung einer Patientin über die Behandlungseinwilligung in die Beeinträchtigung ihrer „körperlichen Unversehrtheit“. Die behandelnde Oberärztin Dr. K. täuschte ihre Patientin über den Eingriff. Nach dem Auftreten von Lähmungserscheinung der unteren Extremitäten wurde der Patientin wahrheitswidrig die Notwendigkeit einer nochmaligen Operation im tatsächlich nicht operierten Fach L 4/L 5 mit einem Frührezidiv erklärt. Tatsächlich wurde bei der zweiten Operation der 9

Vgl. 4 StR 375/60 7. Vgl. eingehend 6. Kap. § 5 C. 11 Vgl. BGH JZ 1964 231, 232. 12 Vgl. Einl. § 1 V. 10

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schwere Bandscheibenvorfall erstmals beseitigt und außerdem der rechte Wirbelhalbbogen am darunter liegenden Lendenwirbel L 5 entfernt. Der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs hält die durch Täuschung herbeigeführte Einwilligung der Patientin über die Ursache der notwendig gewordenen zweiten Operation für rechtlich unwirksam, weil ärztliche Heileingriffe nur durch eine von Willensmängeln nicht beeinflusste Einwilligung gerechtfertigt seien. Die Behandlungseinwilligung der Patientin in die Beeinträchtigung ihrer „körperlichen Unversehrtheit“ im Bandscheibenfall ist rechtlich unwirksam. Die Patientin wurde zwar nicht über die Behebung des schweren Bandscheibenvorfalls im Fach L 4/L 5 getäuscht, sondern lediglich über den Grund für die Notwendigkeit der zweiten Operation, die ihr mit einem Frührezidiv erklärt wurde. Die Entfernung des rechten Wirbelhalbbogens war ihr dagegen unbekannt. Die Patientin hatte daher keine genaue Kenntnis über die Reichweite ihrer Behandlungseinwilligung. Ihr war das „konkrete Risiko“ der mit dem Eingriff verbundenen Beeinträchtigung der „körperlichen Unversehrtheit“ nicht bewusst. Die Einwilligung ist aber nicht nur bei der „rechtsgutsbezogenen“ Täuschung hinsichtlich der Entfernung des rechten Wirbelhalbbogens unwirksam. Sie ist auch unwirksam bei einer Täuschung über den Grund der Einwilligung. Die Einwilligung beruht auch dann nicht mehr auf dem Prinzip der Autonomie des Einzelnen.13 Auf eine „hypothetische Einwilligung“ der Patientin in die zweite Operation kommt es dagegen nicht an. Der angeklagte Chefarzt war wegen Anstiftung zu einer vorsätzlichen rechtswidrigen Körperverletzung zu verurteilen (§§ 223 Abs. 1, 26 StGB). VI. Der Bohrerfall14 Bei der Prüfung,15 ob im Bohrerfall vom 20. Januar 2004 die Behandlungseinwilligung des Patienten in die Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ rechtlich wirksam war, ist folgendes zu berücksichtigen: Der Arzt täuschte den Patienten und seine Eltern über die medizinische Indikation der Kapselraffung zur Beseitigung der hinteren Schulterinstabili13 Vgl. Otto, in: FS für Geerds 615 f.; ders., Grundkurs Strafrecht AT § 8 Rdn. 134. 14 Vgl. Einl. § 1 VI. 15 Vgl. ausführliche Lösungshinweise bei Jäger, Examens-Repetitorium Strafrecht AT § 4 Rdn. 146c.

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tät. Der zweite Eingriff diente dabei in erster Linie der Bergung einer im Acromion abgebrochenen Bohrerspitze. Der Arzt wollte nicht, dass der Patient von dem Abbruch des Bohrers erfährt. Die von dem Arzt durchgeführte obere Kapselraffung durch Anbringung von Raffnähten dagegen war im Vergleich zu einer lehrbuchmäßig durchgeführten dorsalen Kapselraffung wenig effektiv und diente in erster Linie der Rechtfertigung des durchgeführten Eingriffs gegenüber dem Patienten. Die dorsale Kapselraffung war deshalb medizinisch nicht indiziert.16 Dem Ersten Strafsenat des Bundesgerichtshofs ist darin zu folgen, dass die Behandlungseinwilligung des Patienten in die Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ im Bohrerfall rechtlich unwirksam war. In der Sache lehnt auch der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs die „hypothetische Einwilligung“ in diesen Fallgestaltungen apodiktisch ab. Für eine „hypothetische Einwilligung“ sah er nämlich nach den „eindeutigen17 Feststellungen der Kammer“, nach denen der Patient für eine Entfernung der Bohrerspitze keine Einwilligung gegeben hätte, „keinen Raum“. Der Sinn dieser Einschränkung bei der „hypothetischen Einwilligung“ besteht darin, den notwendigen Gegenstand der Einwilligung in eine ärztliche Heilbehandlung festzulegen. Dem Patienten war bei der Erklärung seiner Einwilligung das „konkrete Risiko“ der Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ allerdings nicht annähernd bewusst. Der Arzt entfernte tatsächlich eine abgebrochene Bohrerspitze aus dem Acromion. Die Einwilligung des Patienten zielte allerdings auf die lehrbuchmäßige Beseitigung der hinteren Schulterinstabilität. Der in Wahrheit durchgeführten oberen Kapselraffung durch Anbringung von Raffnähten fehlte dagegen jede medizinische Indikation, weil sie in erster Linie der Rechtfertigung des durchgeführten Eingriffs diente. Das Risiko des Eingriffs war daher tatsächlich ein „wesentlich“ anderes, als dem Patienten mitgeteilt wurde. In diesen Fallgestaltungen kann die „hypothetische Einwilligung“ von vornherein nicht helfen. Auf eine „hypothetische Einwilligung“ kommt es daher auch dann nicht an, wenn dem Patienten die in seinem Körper befindliche Bohrerspitze unheimlich gewesen wäre und er seine Einwilligung gegeben hätte. Der Arzt war wegen einer vorsätzlichen vollendeten Körperverletzung zu bestrafen (§ 223 StGB). 16 Schon aus diesem Grund ist die Einwilligung der Eltern bedeutungslos gewesen. Sie bezog sich nicht auf einen medizinisch indizierten, lex artis durchgeführten Heileingriff, vgl. auch Otto, JK 2/05 § 228/4 StGB 2. 17 Allerdings ist es zweifelhaft, ob die Feststellung über die „hypothetische Einwilligung“ tatsächlich „eindeutig“ sein kann. Psychische Verläufe im Innern des Menschen sind nicht strikt determiniert, vgl. hierzu 8. Kap. § 2 B. IV.

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VII. Der Liposuktionsfall18 Im Liposuktionsfall vom 5. Juli 2007 geht der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs zu Recht von der rechtlichen Unwirksamkeit der Behandlungseinwilligung des Patienten in die Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ aus. Die durchgeführte Liposuktion erfolgte ohne Wissen des Patienten nicht de lege artis. Sie war von vornherein so angelegt, dass sie dem medizinischen Standard nicht entsprach. Der Arzt stellte kein kontinuierliches Patientenmonitoring während des Eingriffs sicher. Die angewandte Narkosemethode war unter den gegebenen Umständen nicht sachgerecht gewählt. Eine Einwilligung in diese nicht de lege artis durchgeführte Liposuktion hat der Patient nicht erklärt, weil er das „konkrete Risiko“ nicht kannte. Von einer rechtlich wirksamen Einwilligung in eine nicht dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung kann überhaupt nur bei einer weitergehenden Aufklärung ausgegangen werden. Die „hypothetische Einwilligung“ wird zwar nunmehr auch bei „rein kosmetischen Eingriffen“ wie der vorliegenden Liposuktion prinzipiell für denkbar gehalten. Ähnlich wie der Erste Strafsenat teilt allerdings auch der Vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs in derartigen Fallkonstellationen die grundsätzlichen Bedenken gegen eine „hypothetische Einwilligung“: Eine „hypothetische Einwilligung“ dürfte allerdings schon in Anbetracht dessen, dass es sich weder um eine eilbedürftige, noch um eine medizinisch indizierte, sondern lediglich um eine kosmetische Behandlung handelte, die ohnehin erheblich genaueren Aufklärungsanforderungen unterliegt, „kaum anzunehmen sein“. Dem Patienten war bei der Abgabe seiner Einwilligung das „konkrete Risiko“ der Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ nicht bekannt. Zwar waren ihm die mit einer Liposuktion überhaupt verbundenen Risiken aus einer bereits vorangegangen Fettabsaugung durchaus bewusst. Unbekannt war ihm dagegen, dass die verfahrensgegenständliche Fettabsaugung von vornherein nicht auf die Einhaltung des medizinischen Standards angelegt war. In Wahrheit lag damit das „konkrete Risiko“ der durchgeführten Behandlung daher „wesentlich“ höher, als der Patient infolge der unterlassenen Aufklärung über die zweite Fettabsaugung tatsächlich annahm. Eine „hypothetische Einwilligung“ soll dem Arzt hier nicht zugute kommen. Das ist sachgerecht. Auch eine erklärte Einwilligung in Unkenntnis dieses „konkreten Risikos“ kann den Arzt nicht von seiner strafrechtlichen Verantwortung befreien. Der Arzt war wegen vorsätzlicher vollendeter Körperverletzung mit Todesfolge zu verurteilen (§§ 223, 227 StGB). 18

Vgl. Einl. § 1 VII.

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VIII. Der Turboentzugsfall19 Auch im Turboentzugsfall vom 23. Oktober 2007 war die Behandlungseinwilligung des Patienten in die Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ rechtlich unwirksam. Der Arzt hat dabei mehrfach gegen die ärztliche Aufklärungspflicht verstoßen: Ob das Risiko des Todes bereits aufklärungsbedürftig ist, richtet sich danach, ob es dem Turboentzug hinreichend „konkret“ anhaftet. Eine Entscheidung hierüber kann allerdings dahinstehen, weil der Arzt auf die ausdrückliche Frage immer wahrheitsgemäß antworten muss, ob es in seinen Praxisräumen bei der Durchführung des Turboentzugs in der Vergangenheit auch zu Todesfällen gekommen sei. Abgesehen hiervon vertrat der Arzt unter den Anhängern dieser Außenseitermethode auch noch eine Mindermeinung, der zufolge eine sichere Einstellung des Patienten auf ein Opiat nicht für notwendig gehalten wird. Dieser von der Schulmedizin abweichende medizinische Standpunkt ist dem Patienten zu schildern, denn er berührt das „konkrete Risiko“ des Heileingriffs. Schließlich war auch ähnlich wie im Liposuktionsfall die Behandlung von vornherein nicht auf die Einhaltung des medizinischen Standards angelegt. Während der Behandlung stellte der Arzt keine ausreichende Überwachung sicher. Diese beiden Punkte sind aufklärungsbedürftig, weil der Patient ohne eine hinreichende Vorstellung hierüber das „konkrete Risiko“ der Beeinträchtigung seiner „körperlichen Unversehrtheit“ nicht zutreffend einschätzen kann. Tatsächlich hat er sich daher auch in eine „wesentlich“ gefährlichere Behandlung begeben. In diese Behandlung hat er aber nicht eingewilligt. Der Arzt war wegen einer vorsätzlichen vollendeten Körperverletzung zu verurteilen (§§ 223 StGB). Über den „gefahrspezifischen Zusammenhang“ (§ 227 StGB) gibt es keine hinreichend klaren Feststellungen. Auf eine „hypothetische Einwilligung“ des Patienten in den Turboentzug, die er auch nicht mehr geben kann, weil er infolge der Behandlung verstorben ist, kommt es dagegen nicht an. Damit kann auch nicht das Gericht seine Einwilligung in die Behandlung an die Stelle des Patienten setzen.

19

Vgl. Einl. § 1 VIII.

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Stichwortverzeichnis Akzessorietät des Strafrechts 549 f. Anhörung, nachträgliche ~ des Patienten 58, 440 ff. Äquivalenztheorie 180 f. Aufgabe – des Strafrechts 399 ff., 414 ff., 550 ff. – des Zivilrechts 370 f., 550 ff. Aufklärung – als Grundaufklärung 540 – als Selbstbestimmungsaufklärung 515 ff. – therapeutische 515 – über Art und Umfang der Behandlung 516, 535 – über Außenseitermethoden 69, 543 – über Behandlungsalternativen 542 f. – über das konkrete Risiko 529 ff. – über den Verlauf 517 f. – über die Diagnose 516 f. – über die Komplikationsdichte 539 ff. – über die Kosten der Behandlung 515 – über Risiken 518 f., 549 ff. Aufklärungspflicht – ärztliche ~ als Garantenpflicht 514 f. – Begriff der ärztlichen ~ 515 ff. – Entwicklung der ärztlichen ~ 69, 74, 82 f., 520 ff. – Ermessen des Arztes bei der ärztlichen ~ 69, 74 – Erwartungshaltung bei der ärztlichen ~ 419 f. – Erweiterung der ärztlichen ~ 520 ff. – Grenzen der ärztlichen ~ 531, 536 ff.

– Herleitung der ~ aus dem Rechtswidrigkeitskonzept 146, 520 f. – Herleitung der ~ aus dem Selbstbestimmungskonzept 133 ff., 146, 521 ff. – Sinn der ärztlichen ~ 133 ff., 400 ff., 424 f., 461, 499 ff., 548 Autonomie 325 f. Bandscheibenfall 38 ff., 50, 171 f., 252 f., 559 f. Bedingungstheorie 180 ff. – bei geistigen Vorgängen im Innern des Menschen 196 f. – bei Unterlassungen 208 f. – hypothetische Ersatzursachen 182 ff. – verbesserte 193 f. Behandlungsfehler, Verhältnis ~ und Aufklärungsfehler 291 ff. Bestimmtheitsgrundsatz 552 Beweis 431 ff. – der hypothetischen Einwilligung im Zivilrecht 60, 64 f., 70 f., 75 f., 79, 330 f. – Gegenstand des Beweises bei der hypothetischen Einwilligung 438 ff. – Umkehr der Beweislast 64 f., 445 f. Bohrerfall 40 f., 51 f., 172, 253, 532 f., 560 f. Cignolinfall 35 f., 173, 555 f. Einverständnis 47 f., 119, 334 f. – hypothetisches 334 f. – mutmaßliches 334 f. Einwilligung – als Rechtfertigungsgrund 101, 107, 113 ff., 129 ff.

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Stichwortverzeichnis

– als Tatbestandsausschließungsgrund 101 f., 107, 119 ff., 127 ff. – Auslegung der ~ nach dem objektiven Empfängerhorizont 512 f. – Begriff 106 f., 361 ff., 529 f. – Begriff der hypothetischen ~ 44 ff., 81 f., 503, 507 ff., 525 ff. – durch Täuschung beeinflusste ~ 512, 528 f. – Einfluss der hypothetischen ~ auf das Medizinsystem 425 ff. – Entwicklung der hypothetischen ~ 63 ff. – gemutmaßte 340 f. – hypothetische ~ bei Aufklärungspflichtverletzungen 48 ff., 67 f. – hypothetische ~ im Zivilrecht 63 ff., 81 f., 84 ff. – hypothetische ~ in eine Sachbeschädigung 47 – hypothetische ~ in eine Vergewaltigung 47 – hypothetische ~ in einen Schwangerschaftsabbruch 47, 250 ff. – hypothetische ~ in Fahrlässigkeitsdelikte 52 – hypothetische ~ in Vermögensdelikte 47 – hypothetische ~ in Vorsatzdelikte 52 ff., 299 ff. – in das konkrete Risiko der Behandlung 516, 535 ff. – irrtümlich erteilte ~ 512 f., 529 ff., 532 ff., 544 f. – Kausalitätslösungen bei der hypothetischen ~ 169 ff., 180 ff. – Lehre der objektiven Zurechnung bei der hypothetischen ~ 226 ff., 259 ff., 281 ff. – mutmaßliche 340 ff. – nachträgliche 356 ff., 478 f., 481 ff., 506 – Rechtfertigungslösungen bei der hypothetischen ~ 226 ff., 245 ff., 252 ff., 259 ff., 309 ff., 331 f.

– Rechtsgeschäftstheorie 248, 319 ff., 351 – Relativität der ~ 521, 522 – Risikoerhöhungslehre bei der hypothetischen ~ 62, 238 f., 459 ff. – Strafaufhebungsgrund der hypothetischen ~ 478, 480 ff. – Strafausschließungsgrund der hypothetischen ~ 480 – Strafzumessungslösung bei der hypothetischen ~ 479, 491 ff. – Tatbestandsausschließungsgrund der hypothetischen ~ 101 ff., 132 ff., 169 ff. – Unterlassungslösungen bei der hypothetischen ~ 205 ff., 214 ff. – Versuchslösung bei der hypothetischen ~ 464 ff. – Wertungslösungen bei der hypothetischen ~ 103 ff., 226 ff. – Zusammenhangslösungen bei der hypothetischen ~ 103 ff., 226 ff. Energieformel 211 f., 218, 223 Entscheidungsalternative, echte 542 f. Entscheidungskonflikt, echter 79 f., 329 ff. Erfolgsunrecht 279 erlaubtes Risiko 271 ff., 302 f. Ersatzursachen – hypothetische 392 ff. – hypothetische Eigenschädigung 406 ff. – Intensivierungsprinzip 387, 391, 409 ff., 422 ff. – Lehre vom Keim des Schadens 387, 391 – rechtspolitisch motivierter Verzicht auf Zurechnung 387 Euthanasiefall 494 Famulusfall 246, 342 f., 544 Gebärmutterfall 37 f., 73 f., 558 f.

Stichwortverzeichnis Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 81, 553 Gummihammerfall 492 Handlungsunrecht 279 Heilbehandlung – als Gesundheitsschädigung 154 – als körperliche Misshandlung 153 – Begriff 145 ff. – Erfolgstheorie 149 f., 157 ff. – Gefahrverringerungstheorie 152 f. – Intentionstheorie 151, 155 – Körperinteressentheorie 152 – limitiertes Kombinationsdelikt 161 f. – modifizierte Erfolgstheorie 150, 157 – objektive Zurechnung 148 f., 156 f. – rechtliche Einordnung der ~ 146 ff., 153 ff. – Seins- und Bestimmungsfeld der Persönlichkeit 162 f. – und der Wandel des Sinnverständnisses 523 ff. – Zwecktheorie 151 f., 157 ff. – zweispurige Lösung 148 f., 161 Hypothesenbildung, nachträgliche 358 ff. Impfentscheidung 72, 333 In dubio pro reo – Anwendbarkeit von ~ bei der hypothetischen Einwilligung 60 f., 447 f. – Anwendbarkeit von ~ bei nicht strikt determinierten Geschehensabläufen 448 ff. – restriktive Handhabung von ~ 60 f., 435 ff. – Zurückdrängung von ~ 61 f., 445, 458, 459 ff. Individueller Schadenseinschlag 117 f.

593

Indizfunktion des Tatbestandes 131, 155, 227, 231, 337, 339 Irrenanstaltenfall 494 Kausalität – Begriff 181 f., 183 f. – der Unterlassung 208 f. – des Irrtums bei der Einwilligung 245 ff., 309 ff. – hypothetische 182 ff. – im strafrechtlichen Sinn 177 f., 198 ff. – „psychische ~“ beim Betrug 185 Klinikinsassenfall 178, 285 Knüppelfall 190 Kokainfall 234 Kraftfahrerfall 271, 280 Kreuzungsfall 284 f. Lehre der objektiven Zurechnung 226 ff. Lehre vom Erfolg in seiner konkreten Gestalt 187 ff. Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung 183, 194 ff., 452 ff. Lex artis 147 f. Liposuktionsfall 41 f., 51 f., 254 f., 533 f., 562 Massenkarambolagefall 201 f. Maßstabsfiguren bei der hypothetischen Einwilligung 56 ff., 64, 78, 325 ff. Materielle Wertlehre 115 f. Medizinische Indikation 136, 151 Motivationszusammenhang 196 „O-Bein“-Fall 34 f., 169, 532, 554 f. Offizialprinzip 368 f. Radfahrerfall 177 f., 260 Rechtfertigung, hypothetische 48 f., 67 f., 248, 335 ff.

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Stichwortverzeichnis

Rechtmäßiges Alternativverhalten – Begriff 259 ff., 262 ff. – bei Vorsatzdelikten 299 ff. – gerechtfertigtes 259 f., 282 f. – und hypothetische Ersatzursachen 288 ff., 386 ff. – und Vermeidbarkeitstheorie 284 ff. Rechtsgut – Beeinträchtigung des ~s 112 – Begriff 110 ff., 129 f. – der Körperverletzungsdelikte 143 f., 499 ff., 552 f. – Entwicklung des ~s 108 ff. – Handlungspotential als ~ 127 ff. – individuelles 130 – Interesse als ~ 110 – objektive Rechtsgutslehren 113 ff. – überindividuelles 130 – und Angriffsobjekt 108 f. – Verfügungsbefugnis als ~ 119 ff. Rechtsordnung, Einheit der ~ 549 ff. Referendarfall 186 Respiratorfall 221 Risikoerhöhungslehre 238 f., 268 f., 459 ff. – Begründung der ~ aus dem Gleichheitssatz 268 f., 459 ff. – Umkehrung des Zweifelsgrundsatzes durch die ~ 462 f. Rücktritt – Grundgedanke des ~s 485 f. – vom vollendeten Delikt 482 ff. Rückwirkung 350 ff. – der Rechtfertigung 352 ff. – Gegenrechte 371 ff. – Schwebezustand 367 ff.

Sachbeschädigung, Ersetzung schadhafter Dielung als ~ 118 Scharfrichterfall 189 f. Schutz durch Verfahren 402 ff. Schutzwirkung der Sorgfaltsnorm 267 f. Schwerpunktformel 212 ff., 214 ff. – in Verbindung mit dem sozialen Handlungssinn 213 Sozialadäquanz 276 Steinbruchfall 390, 446 Strafaufhebungsgrund 480 f. – der nachträglichen Billigung 481 ff. Strafausschließungsgrund 480 Strafmilderungsgrund 491 ff. subjektives Rechtfertigungselement 374 – bei der hypothetischen Einwilligung 374 ff. – Irrtum 375 „Surgibone“-Dübelfall 36 f., 170 f., 557 ff. Truhenfall 191 Turboentzugsfall 42 ff., 51, 256, 563 Unrechtsaufbau 277 f., 336 f. Unterlassen, Abgrenzung von Tun und ~ 211 ff. Vorsatz 375, 466 f. Zahnarztfall 241 Ziegenhaarfall 217 f., 300