Die Haftung des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex und § 161 AktG [1 ed.] 9783428515417, 9783428115419

Mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) und der im Zuge des TransPuG eingeführten Pflicht zur Abgabe der Ent

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Die Haftung des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex und § 161 AktG [1 ed.]
 9783428515417, 9783428115419

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Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 177

Die Haftung des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex und § 161 AktG Von

Helge Bertrams

Duncker & Humblot · Berlin

HELGE BERTRAMS

Die Haftung des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex und § 161 AktG

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 177

Die Haftung des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex und § 161 AktG

Von Helge Bertrams

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Augsburg hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-11541-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die Frage nach der Verantwortlichkeit der Mitglieder des Aufsichtsrats für aufgetretene Missstände wird häufig gestellt. Neben der ethischen und moralischen Komponente, die zur Zeit im strafrechtlichen Gewand des „MannesmannProzesses" mitschwingt, bestimmt der Ruf nach verstärkter zivilrechtlicher Haftung die Diskussion. Im Jahr 2002 wurde der Deutsche Corporate Governance Kodex und die auf die darin enthaltenen Verhaltensgrundsätze bezogene „Entsprechenserklärung" in das System des deutschen Aktienrechts eingefügt. Den damit hinsichtlich der Schadenersatzhaftung von Aufsichtsratsmitgliedern verbundenen rechtlichen Konsequenzen widmet sich die Arbeit. Sie wurde von der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg im Wintersemester 2003/2004 als Dissertationsschrift angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind bis Oktober 2003 berücksichtigt. Prof. Dr. Kort gilt mein Dank für die Betreuung der Arbeit und rasche Fertigung des Erstgutachtens. Dankbar bin ich auch Prof. Dr. Möllers, der das Zweitgutachten erstellt hat. Besonderer Dank gebührt meinen Eltern, die mich stets ermutigten, unterstützten und nicht zuletzt die mühevolle Arbeit des Korrekturlesens auf sich nahmen. Meiner Frau Krike danke ich für ihre Liebe, aber auch ihre mannigfaltigen sprachlichen Anregungen und wertvollen inhaltlichen Überlegungen aus Sicht der Richterin. Ferner danke ich meinen Mitpromovenden und „Skatbrüdern" Michael Gottschalk und Florian Strobel. Die Gummersbacher Kanzlei Bertrams Rechtsanwälte gewährte mir logistische Unterstützung und die zeitlichen Freiräume, um die Arbeit fertigstellen zu können. Für die Unterstützung bei der Formatierung danke ich Frau Kerbs. Gummersbach im März 2004

Helge Bertrams

Inhaltsverzeichnis Einleitung

19 1. Kapitel

DCGK und Entsprechenserklärung A. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex I.

23 23

Bedeutung und Herkunft des Regelungsinstruments „Corporate Governance Kodex"

23

1. Begriff „Corporate Governance"

23

2. Kein global einheitliches Modell von „Corporate Governance"

25

3. Anglo-amerikanische Herkunft des Regelungskonzepts „Verhaltenskodex" 26 a) Rechtstradition

27

b) Externe und interne Corporate Governance

27

c) Anglo-amerikanische Kodizes als Folge des dortigen Regelungssystems 28 II. Neuere Entwicklungen als Anlass für den Deutschen Corporate Governance Kodex und die Entsprechenserklärung 1. Änderung der äußeren Bedingungen

30 30

a) Spektakuläre Unternehmenszusammenbrüche

30

b) Unternehmensfinanzierung

31

c) Zusammensetzung des Aktionärskreises, Globalisierung der Finanzmärkte d) Internationalisierung 2. Wirkung dieser Veränderungen

31 32 33

a) Wettbewerb

33

b) Internationale Regelungsmuster

33

c) Verstärkung des „Prinzipal-Agent"-Konflikts

37

III. Ausarbeitung privater Kodizes in Deutschland

38

IV. DCGK und Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG

40

1. Empfehlungen der Baums-Kommission

40

2. Cromme-Kommission und das Transparenz- und Publizitätsgesetz a) Arbeit der Cromme-Kommission

42 42

b) Transparenz- und Publizitätsgesetz

44

c) Doppelte Zielsetzung des Konzepts

45

aa) Informations- bzw. Kommunikationsfiinktion

45

bb) Ordnungs- bzw. Regulierungsfunktion

46

10

nsverzeichnis V. Beschreibung des weiteren Untersuchungsgegenstands

B. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung I.

Kategorisierung und Aufbau des Kodex

47 47 47

1. Gesetzeswiederholungen

48

2. Empfehlungen

48

3. Anregungen

49

4. Inhaltsübersicht

50

II. Entsprechenserklärung nach § 161 AktG 1. Vergleich der Erklärungspflicht von Kodex und § 161 AktG

51 52

2. Änderungen der Formulierung des § 161 AktG im Gesetzgebungsverfahren

54

3. Übergangsvorschrift des § 15 EGAktG III. Weitere gesetzliche Flankierung

55 56

IV. Adressatenkreis des Deutschen Corporate Governance Kodex und der Entsprechenserklärung

57

1. Kodex

57

a) Unterscheidung börsennotierter und nicht notierter Gesellschaften b) Keine Differenzierung nach der Größe der Gesellschaft 2. Entsprechenserklärung

57 59 59

V. Rechtsnatur des Deutschen Corporate Governance Kodex

61

1. Formelles Gesetz oder Verordnung

61

2. „Mittlere Regelungsebene"

62

3. Vergleich mit Insiderhandels-Richtlinien, Übernahme-Kodex, Vertragsrecht

65

4. Vergleich mit „Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung" (GoB)

67

5. Handelsbrauch i.S.v. § 346 HGB

67

6. Handelsgewohnheitsrecht

72

7. „Soft law"

72

C. Zusammenfassung

74 2. Kapitel

Überblick Uber die Haftungstatbestände A. Unterscheidung von Innen- und Außenhaftung B. Die einzelnen Haftungstatbestände I.

Haftung aus §§93 Abs. 2,116 AktG

II. Erklärungs-und Vertrauenshaftung

75 75 76 76 77

1. Haftung aus § 311 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo)

77

2. Bürgerlichrechtliche Prospekthaftung

77

3. Spezialgesetzliche Prospekthaftung

77

nsverzeichnis III. Haftung aus Tatbeständen des Deliktsrechts

11 78

1. Haftung aus § 117 AktG

78

2. Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB

79

3. Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz

79

4. Haftung aus § 826 BGB

80

IV. Konzernrechtliche Haftungstatbestände

80

C. Zusammenfassende Bewertung der Tatbestände

81

3. Kapitel

Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder

82

A. Einführung zur Haftung aus §§ 93 Abs. 2,116 AktG

82

B. Pflichtverletzung

82

I.

Pflichtverletzung durch Verstoß gegen die Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG

84

1. Zeitlicher Bezugsrahmen der Entsprechenserklärung

84

a) Vergangenheitsbezug

85

b) Zukunftsbezug

85

aa) Argumente gegen einen Zukunftsbezug

85

bb) Argumente für einen Zukunftsbezug

86

cc) Bewertung und Ergebnis

88

2. Kompetenzverteilung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand

90

a) Unterscheidung von Erklärungspflicht und Entscheidungszuständigkeit b) Umfang der Entscheidungszuständigkeit des Aufsichtsrats

91 93

aa) Empfehlungen an den Aufsichtsrat

94

bb) Empfehlungen an einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats

96

cc) Empfehlungen an den Aufsichtsratsvorsitzenden

97

dd) Empfehlungen an den Vorstand ee) Empfehlungen an die Hauptversammlung

99 102

c) Differenzierung nach Vergangenheits- und Zukunftserklärung

103

d) Konsultationspflicht des entscheidungsbefugten Organs

105

e) Zusammenfassung der Entscheidungskompetenzen

106

3. Unterscheidung von Erklärung im Außenverhältnis und interner Beschlussfassung der Verwaltungsorgane

107

a) Keine Pflicht zur gemeinsamen Verlautbarung der Erklärung nach außen b) Keine Pflicht zur gemeinsamen internen Willensbildung

107 111

4. Übertragung der internen Willensbildung des Aufsichtsrats über den Inhalt der Erklärung an einen Ausschuss?

112

a) Meinungsstand

113

12

nsverzeichnis b) Differenzierende Überlegungen c) Schlussfolgerung 5. Verletzung der Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung a) Verstoß gegen formale Voraussetzungen aa) Adressaten der Erklärung

113 114 115 115 117

bb) Äußerliche Form der Erklärung

118

cc) Dauerhaftes Zugänglichmachen gem. § 161 S. 2 AktG

118

b) Verstoß gegen inhaltliche Voraussetzungen

124

aa) Unterlassen jeglicher bzw. nicht rechtzeitige Erklärung

124

bb) Unvollständige Abgabe der Erklärung

129

(1) Keine Prüfungspflicht der rechtlichen Richtigkeit der Kodexformulierung

129

(2) Erklärung über vergangenes und zukünftiges Verhalten

131

(3) Inhalt und Umfang der positiven Entsprechenserklärung

132

(4) Inhalt und Umfang der Negativerklärung cc) Wahrheitswidrige Erklärung

132 135

(1) Verpflichtung aus § 161 AktG zur Abgabe inhaltlich richtiger Erklärung (2) Erklärungspflicht für geringfügige Einzelabweichungen

135 138

(a) Kein Abstellen auf die Häufigkeit einer Abweichung

138

(b) Keine „Wesentlichkeitsschwelle"

138

c) Erforderlichkeit einer Korrekturerklärung aa) Abweichungen von der Zukunftserklärung

140 140

(1) Argumente für und wider eine Korrekturverpflichtung

141

(2) Bewertung und Ergebnis

144

(3) Einzelheiten der Korrekturerklärung

145

(a) Zuständigkeit zur Abgabe der Korrekturerklärung

145

(b) Form der Korrekturerklärung

146

(c) Inhaltliche Anforderungen

147

(d) Zeitspanne zur Abgabe der Korrekturerklärung

150

(aa) Unzulässigkeit einer „Vorab-Korrekturerklärung" durch den Vorstand

152

(bb) Einberufung einer Sondersitzung des Aufsichtsrats .... 155 (cc) Delegation an einen Ausschuss

158

bb) Abweichung von der Vergangenheitserklärung

160

cc) Änderung des Kodexinhalts

161

d) Organisationspflichten als Folge des Auseinanderfallens von Erklärungs-und Entscheidungskompetenz

161

aa) Organisationspflichten in Hinblick auf die turnusgemäße Erklärung

162

(1) Empfehlungen an Aufsichtsrat und Hauptversammlung

163

(2) Empfehlungen an einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats

163

nsverzeichnis

13

(3) Empfehlungen an den Vorstand

165

bb) Organisationspflichten in Hinblick auf unterjährige Korrekturerklärungen 6. Zusammenfassung

166 167

II. Pflichtverletzung durch Verstoß gegen in Satzung oder Geschäftsordnung des Aufsichtsrats konkretisierte Kodexbestimmungen

167

III. Pflichtverletzung durch Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht nach §§ 93 Abs. 1 S. 1, 116 AktG

169

1. Sorgfaltsanforderungen an die Entscheidung über generelle An- oder (teilweise) Nichtanwendung der Kodexempfehlungen

170

a) Unternehmerische Entscheidung

171

b) Ermessensspielraum und dessen Grenzen

172

c) Übertragung auf die Entscheidung über die Kodexbefolgung

173

2. Konkretisierung des allgemeinen Sorgfaltsmaßstabs

177

a) Kein Haftungsausschluss bei tatsächlicher Befolgung der eigenen Entsprechenserklärung

177

b) Konkretisierung von Sorgfaltspflichten unabhängig von der eigenen Entsprechenserklärung

178

aa) Vergleich mit § 342 HGB und den GoB

181

bb) Wiedergabe „tatsächlicher Übung"

186

cc) Vergleich mit technischen Regelwerken privater Sachverständigengremien

190

(1) Ähnlichkeiten und Unterschiede von Kodex-Bestimmungen und DIN-Normen

191

(2) Einfluss von DIN-Normen auf zivilrechtliche Sorgfaltsmaßstäbe

196

(a) Keine Bindung der Gerichte

196

(b) Gründe für die Zuerkennung rechtlicher Relevanz

198

(c) Rechtliche Wirkung von Normbefolgung und Normabweichung (d) Zusammenfassung

198 200

(3) Verfahrensgrundsätze bei Erstellung der DIN-Normen

201

(4) Übertragung auf die Kodexregelungen

202

(a) Fachkompetenz

203

(b) Verfahrensgrundsätze als „prozederale Richtigkeitsgewähr"

203

(aa) Transparenz und Publizität

204

(bb) Repräsentanz

204

(cc) Revisibilität

206

(dd) Zwischenergebnis

208

(c) Ansehen der Kodexregelungen und empirisch nachweisbare Schadensminimierung

209

14

nsverzeichnis (d) Ergebnis des Befundes unter Berücksichtigung der Beweislastregel der §§ 93 Abs. 2, 116 AktG

210

(5) Keine beweisrechtliche Wirkung für Organmitglieder nicht börsennotierter Gesellschaften (6) Exkurs: Verfassungsrechtliche Bedenken

212 213

3. Überwachungspflicht bei (eingeschränkt) positiver Entsprechenserklärung

216

4. Zusammenfassung

219

C. Rechtswidrigkeit

219

D. Verschulden

220

E. Schaden und haftungsausfüllende Kausalität

223

I.

Schadensbegriff und denkbare Schadenspositionen

II. Kausalität

224 229

F. Durchsetzung des Ersatzanspruchs

230

G. Zusammenfassung

232 4. Kapitel

AuOenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder A. Vertrauens-und Prospekthaftung I.

§ 311 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo, c.i.c.)

233 233 235

1. Fallgruppe der „Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens" 235 2. Fallgruppe des „eigenen wirtschaftlichen Interesses" II. Allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung

236 237

1. Prospektbegriff

239

2. Prospektvollständigkeit

241

3. Anwendbarkeit außerhalb des „grauen Kapitalmarktes"?

242

4. Anwendbarkeit auf dem Sekundärmarkt?

244

5. Stellungnahme und Entscheidung

245

III. Haftung für Inanspruchnahme von „Marktvertrauen" B. Deliktische Haftung I. Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB II. Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz 1. Kodex als Schutzgesetz 2. § 161 AktG als Schutzgesetz

250 251 251 254 254 255

3. § 331 Nr. 1, 2 HGB als Schutzgesetz

256

4. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG als Schutzgesetz

258

C. Zusammenfassung und Ausblick

259

Inhaltsverzeichnis

5. Kapitel Ergebnis der Untersuchung Anhang: Empfehlungen mit Bezug zum Aufsichtsrat

15

260 263

Literaturverzeichnis

269

Stichwortverzeichnis

298

Abkürzungsverzeichnis a. Α.

anderer Ansicht

a. a. Ο.

am angegebenen Ort

a. E.

am Ende

AG

Aktiengesellschaft; Die Aktiengesellschaft

AktG

Aktiengesetz

AR

Aufsichtsrat

BB

Betriebs-Berater

BFuP

Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshof in Zivilsachen (Amtliche Samm-

Bl.

Blatt

BT-Drucks.

Bundestags-Drucksache

lung)

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Amtliche Sammlung)

CalPERS

California Public Employees Retirement System

CEO

Chief Executive Officer

DAX

Deutscher Aktienindex

DB

Der Betrieb

DBW

Die Betriebswirtschaft

DCGK

Deutscher Corporate Governance Kodex

ders.

derselbe

dies.

dieselbe

DIN

Deutsches Institut für Normung

Diss.

Dissertation

DSW

Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e. V.

DZWiR

Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

Einl.

Einleitung

EU

Europäische Union

e. V.

eingetragener Verein

EWiR

Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht

f., ff.

und die folgende(n) Seite(n)

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Abkürzungsverzeichnis Fn.

Fußnote

FS

Festschrift

GAAP

Generally Accepted Accounting Principles

GCCG

German Code of Corporate Governance

GG

Grundgesetz

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GmbHG

Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GmbHR

Rundschau für GmbH, Monatsschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Handelsrecht

GoB

17

Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung

grds.

grundsätzlich

GuV

Gewinn- und Verlustrechnung

HGB

Handelsgesetzbuch

h. L.

herrschende Lehre

h. M.

herrschende Meinung

HS

Halbsatz, Halbsätze

i. d. F.

in der Fassung

i. d. R.

in der Regel

i. d. S.

in diesem Sinne

1DW

Institut der Wirtschaftsprüfer

i. e. S.

im engeren Sinne

i. S. v.

im Sinne von

i. V. m.

in Verbindung mit

IWF

Internationaler Währungsfond

i. w. S.

im weiteren Sinne

JA

Juristische Arbeitsblätter

JR

Juristische Rundschau

Jura

Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

KAGG

Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften

KG

Kommanditgesellschaft

KGaA

Kommanditgesellschaft auf Aktien

KonTraG

Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich

KoR

Zeitschrift für kapitalmarktorientierte Rechnungslegung

KWG

Kreditwesengesetz

LG

Landgericht

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

Mio.

Millionen

MitbestG

Mitbestimmungsgesetz

Mrd.

Milliarden

m. w. N.

mit weiterem Nachweis

18

Abkürzungsverzeichnis

η. F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NuR

Natur und Recht, Zeitschrift für das gesamte Recht zum Schutze der natürlichen Lebensgrundlagen und der Umwelt

o. ä.

oder ähnliches

OECD

Organisation for Economic Cooperation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)

o. g.

oben genannt(es)

OHG

Offene Handelsgesellschaft

OLG

Oberlandesgericht

ο. V.

ohne Verfasser

RIW

Recht der Internationalen Wirtschaft — Betriebs-Berater International —

RG

Reichsgericht

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (Amtliche Sammlung)

Rn.

Randnummer

s. a.

siehe auch

s. o.

siehe oben

str.

streitig

st. Rspr.

ständige Rechtsprechung

TransPuG

Transparenz- und Publizitätsgesetz

u. a.

unter anderem

u. U.

unter Umständen

v.

versus

WiSt

Wirtschaftswissenschaftliche Studien

WM

Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht

WpHG

Wertpapierhandelsgesetz

WuW

Wirtschaft und Wettbewerb

ZfB

Zeitschrift für Betriebswirtschaft

ZfbF

Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung

ZfhF

Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung

ZfKrW

Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen

ZGR

Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht (bis Band 123; Zeitschrift für das gesamte Handels- und Konkursrecht)

Ziff.

Ziffer, Ziffern

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis

ZPO

Zivilprozeßordnung

ζ. T.

zum Teil

z. Zt.

zur Zeit

Einleitung Der Aufsichtsrat ist ein zentraler Bestandteil des dualen Verwaltungssystems deutscher Aktiengesellschaften 1. Seine mangelnde Funktionsfähigkeit wird jedoch seit langem und zum Teil heftig beklagt2. Anlass gaben eine Reihe spektakulärer Unternehmenspleiten und Skandale wie zuletzt bei der Bankgesellschaft Berlin, der Philipp Holzmann AG oder der Niedergang des Neuen Marktes3. Der Gesetzgeber reagierte auf die anhaltende Reformdiskussion Anfang der neunziger Jahre durch drei kleinere Reformwerke 4, die in ihrer Zielrichtung überwiegend begrüßt, aber als nicht weitgehend genug kritisiert wurden5. In Nachwirkung des Falls Holzmann berief der Bundeskanzler im Juni 2000 unter Leitung von Baums die Regierungskommission „Corporate Governance: Unternehmensführung — Unternehmenskontrolle — Modernisierung des Aktienrechts"6 (itow/ws-Kommission)7, um mögliche Defizite des deutschen Systems aufzuzeigen und Reformvorschläge auszuarbeiten8.

1

Die Baums-Kommission erkennt im Aufsichtsrat das für „gute Corporate Governance eines Unternehmens zentrale (...) Organ (...)", vgl. Baums, Bericht, Rn 48, S. 91. 2 Vgl. nur Bernhardt, ZHR 159 (1995), 310, 311 ff.; Hommelhoff, in: Picot, Corporate Governance, S. 1, 2 ff.; Lutter , ZGR 2001, 224, 227 ff; ders,, ZHR 159 (1996), 287, 294 ff; ders., NJW 1995, 1133, 1133; Roller, AG 1994, 333, 333. 3 Vgl. zu Skandalen als Anlass von Reformdiskussionen: Bernhardt, ZHR 159 (1995), 310, 311 ff.; Claussen, DB 1998, 177, 177; Götz, AG 1995, 337, 344; Holl, Reform des Aufsichtsrats, S. 31 ff. (Darstellung der Fälle „Metallgesellschaft", „Bremer Vulkan", „Balsam AG"); Lutter, ZHR 159 (1995), 287, 289 ff; Wittkowski., ZHR 167 (2003), 130, 132 ff. 4 „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts" v. 2.8.1994, BGBl. I 1961; Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) v. 27.4.1998 BGBl. I 768; Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (NaStraG) v. 18.01.2001, BGBl. 1123. 5 Zum „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts" Hoffmann-Becking ZIP 1995, 1, 1 ff.; Hommelhoff, AG 1995, 529, 529 ff.; Lutter, AG 1994, 429, 429 ff.; Priester, BB 1996, 333, 333 ff.; zum KonTraG Claussen, DB 1998, 177, 177 ff.; Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 249 ff.; Zimmer, NJW 1998, 3521, 3521 ff.; zum NaStraG Grumann/Soelke, DB 2001, 576, 576 ff.; Noak, ZIP 2001, 57, 57 ff.; Seibert, ZIP 2001, 53, 53 ff. 6 Vgl. dazu den Abschlussbericht der Kommissionsarbeit, Bericht — Unternehmensführung, Unternehmenskontrolle, Modernisierung des Aktienrechts —, Bericht v.

20

Einleitung

Die „Aktienrechtsreform in Permanenz"9 fand nun, basierend auf entsprechenden Empfehlungen der Baums-Kommission 10, mit dem „Transparenz- und Publizitätsgesetz" (TransPuG)11 und der Erstellung des „Deutschen Corporate Governance Kodex"12 (im folgenden Kodex/ DCGK) ihre Fortsetzung. Der Kodex wurde durch eine unter Vorsitz von Cromme eingesetzte Expertenkommission, der Regierungskommission „Deutscher Corporate Governance Kodex" (Cro/wwe-Kommission)13, nach knapp sechsmonatiger Ausarbeitung am 26.02.2002 an die Bundesministerin der Justiz übergeben. Er stellt nach seiner Präambel „wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften (...) dar und enthält international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung". Mit dem TransPuG wurde, u.a., § 161 AktG neu in das Aktiengesetz eingefügt. Danach sind die Verwaltungsorgane der Aktiengesellschaft verpflichtet, die sogenannte „Entsprechenserklärung" 14 abzugeben und sich darin zur Anwendung des Kodex zu äußern. Die Neuregelung steht von ihrer gesetzlichen Ausrichtung her ganz im Zeichen der Förderung von Transparenz und des Anlegervertrauens in die Funktionsfähigkeit des deutschen Systems15. Da die Entsprechenserklärung (neben 10.07.2001, BT-Drucks. 14/7515 v. 14.08.2001, S. 32; in Buchform: Baums, Bericht, Rn. 16 f., S. 61 f.; im Internet abrufbar unter: http://www.otto-schmidt.de oder http:// www.ovs.de (Stand: 15.10.2003). 7 Z.T. auch als „Kommission I" bezeichnet. 8 Vgl. dazu das Einsetzungsschreiben des Bundeskanzlers v. 29.05.2000, zitiert bei Baums, Bericht, S. 1. 9 Zurückgehend wohl mi Zöllner, AG 1994, 336, 336. 10 Baums, Bericht, Rn. 10, S. 54, Rn. 17, S. 61 f. 11 Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität vom 19.07.2002, BGBl. 2002,1, S. 2681 ff.; vgl. auch Regierungsentwurf (RegE TransPuG), abgedruckt in: NZG 2002, 213 ff.; Referentenentwurf (RefE TransPuG), abgedruckt in: NZG 2002, 78 ff. 12 Abgedruckt in: AG 2002, 236 ff. = ZIP 2002, 452 ff. = NZG 2002, 273 ff. (Ursprungsfassung v. 26.02.2002); bisherige Änderungen abgedruckt in: ZIP 2002, 2276 (Fassung vom 7.11.2002); ZIP 2003, 1316 ff. (Fassung vom 21.05.2003); stets aktualisierte Fassung im Internet abrufbar unter: http://www.corporate-governance-code.de; im neuen elektronischen Bundesanzeiger unter: http://www.ebundesanzeiger.de (Stand: 15.10.2003). 13 Z.T. auch als „Kommission II" oder „Kodex-Kommission" bezeichnet. 14 In Anlehnung an das anglo-amerikanischen Vorbild (vgl. nachfolgende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. I. 3.) wird die Erklärung auch als „Compliance-Erklärung" bezeichnet. 15 Vgl. Präambel Abs. 1 S. 2 DCGK; BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21Baums, Bericht, S. 1.

Einleitung

dem Vorstand) vom Aufsichtsrat abzugeben ist und die Verhaltensregeln des Kodex schwerpunktmäßig seinen Aufgabenbereich fokussieren, steht im Falle eines Fehlverhaltens automatisch auch die Frage der persönlichen Haftung der Aufsichtsratsmitglieder im Raum. Die praktische Bedeutung der Aufsichtsratshaftung hat in der jüngeren Vergangenheit merklich zugenommen16, was nicht zuletzt an der zunehmenden Praxis deutscher Aktiengesellschaften deutlich wird, nach anglo-amerikanischem Vorbild Vermögensschadenhaftpflichtversicherungen (D&O-Versicherungen)17 nicht nur für Mitglieder des Vorstands, sondern auch für die Mitglieder des Aufsichtsrats abzuschließen18. Fraglich ist, ob die Haftungsrisiken der Aufsichtsratsmitglieder durch Schaffung des Kodex und korrespondierender Verpflichtung zur Abgabe der Entsprechenserklärung steigen, ob also und gegebenenfalls wie Mitglieder des Aufsichtsrats haften, wenn sie gegen § 161 AktG oder Kodexbestimmungen verstoßen. Die dazu im Vorfeld und nach Veröffentlichung des Kodex vertretenen Meinungen reichen von der Annahme der haftungsrechtlichen Irrelevanz 19 bis hin zur Warnung vor „unglaublichen Haftungsrisiken"20.

16 Vgl. Ihlas, Organhaftung und Haftpflichtversicherung, S. 96, mit umfangreichem Rechtsprechungsverzeichnis (Fn. 96). Vgl. dazu aber das Wort des ehemaligen Vorstandssprechers der Deutschen Bank AG, Herman Josef Abs: „Ein Aufsichtsratsmitglied zur Haftung bringen zu wollen, sei so, wie wenn man versuchte, ein eingeseiftes Schwein am Schwanz festzuhalten!" (zitiert nach Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 982 (dort Fn. 130)). 17 Abgeleitet von „Direktors' and Officers' Liability Insurance". Vgl. zum gesamten Fragenkreis der D&O-Versicherungen Ihlas, Organhaftung und Haftpflichtversicherung; Henssler, in: Henze/Hoffmann-Becking, Gesellschaftsrecht 2001, RWS-Forum 20, S. 131 ff.; Kästner, AG 2000, 113, 113 ff.; Kiethe, BB 2003, 537, 538 ff.; Lange, DStR 2002, 1626, 1626 ff.; Sieg, DB 2002, 1759, 1759 ff. 18 Befürchtet wird teilweise eine mit dem Abschluss einer D&O-Versicherung verbundene Verringerung der mit einer persönlichen Haftung verbundenen Präventivwirkung, vgl. Baums, Bericht, Rn. 75, S. 114 f.; Hopt, GroßkommAktG, §93 Rn. 519; Kästner, AG 2000, 113, 122; a.A. Henssler, in: Henze/Hoffmann-Becking, Gesellschaftsrecht 2001, RWS-Forum 20, S. 131, 141 f.; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 13. Um dem entgegenzuwirken, empfiehlt Ziffer 3.2 Abs. 2 DCGK die Vereinbarung eines angemessenen Selbstbehalts; vgl. zur nur zurückhaltenden Anwendung gerade dieser Empfehlung v. Werder, Executive Summary, S. 2, 4; zur Problematik der Bestimmung der „Angemessenheit" Lange, DB 2003, 1833, 1835 mit dem Hinweis, dass die Versicherungswirtschaft inzwischen wie bereits von vermutet (Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 394 (dort Fn. 592)) mit Entwicklung einer „D&O-Selbstbehalts-Versicherung" auf die Kodexempfehlung reagiert hat. 19 20

Baums, FAΖ v. 23.02.2002, S. 17. Lutter, FAΖ v. 22.02.2002, S. 20.

22

Einleitung

Der Untersuchung soll zunächst in einem einführenden Kapitel eine kurze Darstellung der wesentlichsten Entwicklungslinien, die zur Einführung des Kodex und der Entsprechenserklärung in das deutsche System führten, sowie ein Überblick über Aufbau, Inhalt und der Versuch einer rechtlichen Charakterisierung des neuen Regelungsinstruments vorangestellt werden. Überleitend zum eigentlichen Schwerpunkt der Untersuchung schließt sich ein Abriss über die in Betracht kommenden Haftungstatbestände und ihrer jeweiligen Praxisrelevanz an. Die sich anschließende Untersuchung der Innenhaftungsansprüche konzentriert sich ganz auf die zentrale Haftungsnorm der §§ 93, 116 AktG und dort auf die Ausmessung des objektiven Pflichtenkreises. Es wird zunächst die Frage untersucht, welche Pflichten den Aufsichtsratsmitgliedern durch die gesetzliche Erklärungsverpflichtung gem. § 161 AktG auferlegt werden. Zunächst ist zu klären, auf welchen Zeitraum sie sich bezieht und wie die Kompetenz zwischen den Verwaltungsorganen Aufsichtsrat und Vorstand hinsichtlich der Abgabe und inhaltlichen Bestimmung der Entsprechungserklärung verteilt ist. Neben Überlegungen zu den formalen und inhaltlichen Voraussetzungen der Erklärung kommt der Frage des Bestehens einer Aktualisierungsverpflichtung durch Abgabe einer Korrekturerklärung im Falle zwischenzeitlicher Änderungen hervorgehobene Bedeutung zu. Auch gilt es, sich möglicherweise als Annex aus der Erklärungspflicht ergebende Organisationspflichten herauszuarbeiten. Im Anschluss stellt sich die Frage, ob der Kodex selbst, also unabhängig von § 161 AktG oder gesellschaftsinterner Transformation, Einfluss auf den allgemeinen Sorgfaltsmaßstab der Aufsichtsratsmitglieder haben kann. Unterschieden wird zwischen der Entscheidung über die Abgabe eines bestimmten Erklärungsinhalts und dem späteren tatsächlichen Handeln. Im Rahmen des zweitgenannten Fragenkreises bietet sich ein Vergleich der Kodexregeln mit anderen durch private Gremien erstellten Regelwerken wie den GoB oder DIN-Normen an. Nach Überlegungen zu denkbaren kausalen Schadenspositionen, die aufgrund der Neuartigkeit des Konzepts nur prognostizierender Art sein können, richtet sich der Fokus auf die Untersuchung einer möglichen Außenhaftung der Organmitglieder wegen Abgabe einer unzutreffenden Entsprechenserklärung. In den Blickpunkt rückt dabei wegen der hohen subjektiven Anforderungen bzw. beschränkten Begehungsformen weniger ein deliktischer Anspruch, sondern vor allem der Gesichtspunkt der Vertrauenshaftung, der über die Grundsätze der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung Ansprüche von Anlegern gegen Mitglieder des Aufsichtsrats begründen könnte.

1. Kapitel

DCGK und Entsprechenserklärung A. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex Mit dem Regelungsinstrument eines privat erstellten Kodex und dessen gesetzlicher Anknüpfung durch die Entsprechenserklärung wurde eine seit mehreren Jahren andauernde Debatte um die Verbesserung der Organisation, Zielsetzung, Leitung und Kontrolle der Gesellschaft aufgegriffen. Sie wird etwa seit Mitte der neunziger Jahre in Deutschland unter dem Lehnwort „Corporate Governance" geführt und zielt auf eine Anpassung des deutschen Aktienrechts an neuere Entwicklungen ab1. I. Bedeutung und Herkunft des Regelungsinstruments „Corporate Governance Kodex"

7. Begriff „Corporate Governance " Für den Begriff „Corporate Governance"2 gibt es auch nach mehreren Jahren intensiver Diskussion zu dem unter diesem Titel geführten Thema keine angemessene deutsche Übersetzung3. Er bezeichnet nach internationalem Verständnis Fragestellungen der Unternehmensleitung und -kontrolle4.

1 Vgl. zur Diskussion Hopt, FS Mestmäcker, 1996, S. 909, 910 ff; ZHR-Symposium 1995 mit Beiträgen von Lutter, Bernhardt, Hoffmann-Becking Martens, ZHR 159 (1995), 287 ff. und 567 ff.; Symposium für Hopt zum 60. Geburtstag „Corporate Governance — Europäische Perspektiven" mit Beiträgen von Lutter, Davies, Hommelhoff, Wymeersch, ZGR 2001, 224 ff.; vgl. auch Behrens, FS Drobnig, S.491, 491 („modisches Schlagwort"). 2 Wörtlich übersetzt: Unternehmensführung, Unternehmensleitung, Unternehmensstruktur, auch Herrschafts- oder Verwaltungsstruktur, vgl. Dietl/Lorenz, Wörterbuch, 5. Auflage 1990; dagegen nach intensivierter betriebs- und rechtswissenschaftlicher Diskussion in der nächste Auflage (6. Aufl. 2000) übersetz als: „(angemessene) Unternehmensorganisation (zur Optimierung der Unternehmensführung und -kontrolle).

24

1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

Der Begriff stammt aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum. Dort wird er nicht einheitlich mit einem bestimmten Bedeutungsinhalt verwendet5. So werden mit dem Begriff meist die rechtliche Entscheidungsorganisation im Unternehmen durch Vorgabe der Zuständigkeiten und Aufgaben der obersten Leitungsorgane6, das Beziehungsgeflecht zwischen Unternehmen, Kapitalmarkt und anderen Stakeholdern (Arbeitnehmer, Lieferanten, Kunden und sonstiger Interessengruppen)7, aber auch die Kombination beider Aspekte bezeichnet8. Damit beinhaltet der Begriff mehr als nur die Beschreibung der rechtlichen Strukturen der Entscheidungs- und Überwachungsorganisation im Unternehmen9.

3

Berrar, Corporate Governance, S. 24 f.; Lutter, Jura 2002, 83; v. Werder/Minuth, Internationale Kodizes, S. 1. 4 Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1199. 5 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 2; Peltzer, Deutsche Corporate Governance, Rn. 7; Bassen, ZBB 2002, 430, 430; Schneider, DB 2000, 2413; 2413; Schneider/Strenger, AG 2000. 106, 106. 6 Dieser Ansatz komme im britischen „Cadbury-Report" zum Ausdruck, in dem es heißt: „Corporate Governance is the system by which companies are run. (...) Corporate Governance is the system or matrix of responsibilities of directors and shareholders by which companies are governed and controlled", vgl. Report of the Committee on the Financial Aspects of Corporate Governance (Cadbury Report), London 1992, S. 3 7 Exemplarisch heißt es im britischen „Hampel "-Report: „Good Governance ensures that constituencies (stakeholders) with a relevant interest in the companie 's business are fully taken into account Final Report of the Committee on Corporate Governance, London 1998. Vgl. zur inhaltlichen Anreicherung des Begriffsverständnisses nach US-amerikanischem Verständnis, wenngleich tendenziell stärker auf die Interessen der „shareholder" als Eigentümer der Gesellschaft ausgerichtet Assmann, AG 1995, 289, 289; Hess, in: Feddersen/Hommelhoff/Schneider, Corporate Governance, S. 9, 10; Berrar, Corporate Governance, S. 26. Vgl. zur Auseinandersetzung um die Interessenausrichtung auf „shareholder-" und/ oder „stakeholder-value" Busse von Cölbe, ZGR 1997, 271 ff.; Groh, DB 2000, 2153, 2153 ff.; Hommelhoff, FS Lutter, S. 95, 102 ff.; Kubier, FS Zöllner, S. 321 ff; Mülbert, ZGR 1997, 129, 129 ff; Ulmer, AcP 202 (2002), 142, 155 ff., v. Werder, ZGR 1998, 69, 69 ff.; Zimmermann/Wortmann, DB 2001, 289, 289 ff. 8 Eine umfassende Definition legt die OECD zugrunde: „Die Corporate GovernanceStrukturen umfassen die Wechselbeziehungen zwischen allen unmittelbar und mittelbar an der unternehmerischen Entscheidungsfindung beteiligten Akteuren und werden durch die institutionellen Rahmenbedingungen sowie durch das Regulierungsumfeld geprägt/', OECD, Wirtschaftsberichte, Deutschland, 1995, S. 152; ähnlich dies., Principles Of Corporate Governance, 1999, S. 13; ähnlich Prigge, in: Comparative Corporate Governance, S. 946 f. 9

Schneider/Strenger,

AG 2000, 106, 107.

Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex

25

Das dem anglo-amerikanischen Rechtsraum zu entnehmende Begriffsverständnis findet bei seiner Adaption in die deutsche Rechtssprache ihren Niederschlag10. Auch in Deutschland hat sich keine allgemein gültige Definition von Corporate Governance herausgebildet11. Im Kern geht es um die Setzung möglichst idealer Rahmenbedingungen für effiziente unternehmerische Entscheidungen12. Die Ztow/ws-Kommission legte ihren Untersuchungen ein relativ enges Begriffsverständnis zugrunde und definierte „Corporate Governance" als „Verhaltensmaßstäbe für Unternehmensleitung und Unternehmensüberwachung" in der Aktiengesellschaft 13. Unter Hinzufügung einer bestimmten Zielsetzung versteht die wohl überwiegende Meinung in Deutschland im auch nach internationalem Verständnis akzeptierten Kern unter dem Begriff die Leitung und Kontrolle in Unternehmen, deren Ziel eine langfristige Wertschöpfung im Interesse der Anleger („Shareholder") und der anderen an der Wohlfahrt des Unternehmens Interessierten („Stakeholder") ist14. 2. Kein global einheitliches Modell von „ Corporate Governance " Mit Ausnahme der internationalen Übereinstimmung in den grundsätzlichen Zielen gibt es bei der inhaltlichen Ausgestaltung kein global einheitliches Modell der Corporate Governance. Vielmehr hat jedes Land sein eigenes Modell entwickelt, das den nationalen Besonderheiten Rechnung trägt. Entscheidend für eine effektive Corporate Governance sind nicht nur die rechtlichen Vorgaben, sondern auch das institutionelle Umfeld, die Praxis der Kapitalmärkte und

10 Vgl. zum Einfluss von Anglizismen in der deutschen Rechtssprache im Sinne einer Rückwirkung der mit dem Begriff im Ausland verbundenen juristischen Inhalte: Schulze-Osterloh,, ZIP 2001, 1433 ff; satirisch Hackelmacher, WPg 1995, 147, 147. 11 Peltzer, Deutsche Corporate Governance, Rn. 8; Hucke/Ammann, DStR 2002, 689; Peltzer, NZG2002, 10, 11. n Grundmann/Mülbert, ZGR 2001, 215; ähnlich Fey, DStR 1995, 1320, 1320; Peltzer h. Werder, AG 2001, 1,1. 13 Baums, Bericht, Rn. 5, S. 49. Vgl. zur Kritik am nur auf die Unternehmensverfassung ausgerichtete Begriffsverständnis unter Außerachtlassung des Einflusses weiterer Faktoren (Arbeitnehmermitbestimmung, Verfassung der Arbeitsmärkte, Rolle der Banken, Ausgestaltung der Börsen, Kapitalmärkte und des Marktes allgemein) Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 30. 14 Vgl. Hüffer, AktG, §76 Rn. 15a; Peltzer, Deutsche Corporate Governance, Rn. 9 ff; Claussen/Bröcker, AG 2000, 481, 481; Grundmann/Mülbert, ZGR 2001, 215; Hopt, ZGR 2000, 779, 782; Schneider/Strenger, AG 2000, 106, 107; Schulze-Osterlohe, ZIP 2001, 1433, 1434; Steiger , M & A review 2002, 120, 120 f.; ähnlich Bassen, ZBB 2002, 430, 431; v. Werder, DB 2000, 1573,1573.

26

1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

die jeweilige Unternehmens- und Wirtschaftskultur 15. Aufgrund der von Land zu Land unterschiedlichen Rahmenbedingungen rechtlicher und tatsächlicher Art bedarf die Transformation einzelner Bestandteile der Corporate Governance des einen in das Regelungssystem eines anderen Landes einer sorgsamen Abwägung ihrer Wirkung unter jeweiliger Berücksichtigung nationaler Besonderheiten16. Die Abwägung kann zu dem Ergebnis führen, dass nationale Lösungen guter Corporate Governance so aufeinander und das Umfeld abgestimmt sind17, dass sich eine Änderung durch Übernahme systemfremder ausländischer Komponenten ohne gleichzeitige Änderung anderer Komponenten effizienzmindernd bzw. zumindest nicht effizienzsteigernd auswirkt18. 3. Anglo-amerikanische Herkunft des Regelungskonzepts „ Verhaltenskodex" Der Inhalt des Deutschen Corporate Governance Kodex ist nicht staatlich vorgegeben, sondern stellt ein Mittel der Selbstregulierung des betroffenen Verkehrskreises dar. Das Konzept eines durch private Gremiumsarbeit erstellten Verhaltenskodex anstelle einer gesetzlichen Regelung ist dem angelsächsischen Rechtskreis entnommen19. Die Entstehung von Kodizes20 gerade im angelsächsischen Rechtsraum erklärt sich aus strukturellen Unterschieden der dortigen Rechtsordnung im Vergleich zu den kontinental-europäischen Rechtssystemen. Das spiegelt sich auch im jeweiligen Aktienrecht wieder.

15 Berrar, Corporate Governance, S. 27; Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 30; Schneider/Strenger, AG 2000, 106, 107; vgl. amüsante und treffliche Darstellung der Deutschen Corporate Governance bei Hackelmacher, Gouvernante, S. 15 ff, zum Aufsichtsrat S. 69 ff. 16 Schneider/Strenger, AG 2000, 106, 107; Seibert, AG 2002, 417, 417. 17 Vgl. zu dieser sogenannten Pfadabhängigkeit („path dépendance") der jeweiligen nationalen Corporate Governance, also des Zusammenspiels der historischen, rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen: Hommelhoff, ZGR 2001, 238, 263. 18 Grundmann/Mülbert, ZGR 2001, 215, 218; vgl. zum Konfliktpotential des internationalen und europäischen Konvergenzprozesses mit dem deutschen System Wiesner, BB 2003, 213, 213 ff. 19 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 18. 20 Vgl. von Beseler/Jacobs-Wüstefeld, Law Dictionary: (engl.) codex = Gesetzes-, Handschriftensammlung.

Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex

27

a) Rechtstradition Das anglo-amerikanische Recht basiert stark auf allgemeinen Rechtsprinzipien wie Fairness, Treuepflicht und Loyalität, ohne dass die aus diesen Prinzipien erwachsenden Rechte und Pflichten im einzelnen gesetzlich festgelegt sind. Die Konkretisierung einzelner Verhaltenspflichten erfolgt nach der angelsächsischen Rechtstradition durch Richterrecht und damit maßgeblich aus der ex postPerspektive21. Der Tradition des Fehlens gesetzlicher Vorgaben folgend genießen die Kapitalgesellschaften im anglo-amerikanischen Rechtsraum bei der Ausgestaltung ihrer Unternehmensleitung und -kontrolle weitgehende Satzungsfreiheit 22 und sind nur wenigen staatlichen Vorgaben unterworfen 23. Demgegenüber bestehen in Kontinentaleuropa, geprägt durch die römisch-rechtliche Rechtstradition, umfassend kodifizierte Regelwerke, die den Unternehmen häufig bis ins einzelne die Ausgestaltung der Corporate Governance großteils zwingend (vgl. § 25 AktG) vorgeben24. Die Konkretisierung einzelner Verhaltenspflichten ist damit in ungleich höherem Maße durch staatliche Vorgaben bestimmt. b) Externe und interne Corporate Governance Entsprechend der unterschiedlichen Regelungsdichte lässt sich eine unterschiedliche Ausrichtung der jeweiligen Corporate Governance-Grundkonzepte gegenüberstellen25. Die USA und Großbritannien vertrauen weitgehend auf eine externe Steuerung der Unternehmenskontrolle durch den Kapitalmarkt. Dieser 21

Erhard/Nowak, AG 2002, 336, 337. Berg/Stöcker, W M 2002, 1569; Davies, ZGR 2001, 268, 276; Fiuta, WPgSonderhefi 2001, 114; Schneider, DB 2000, 2413, 2415; Schneider/Strenger, AG 2000, 106, 107; Seibert, BB 2002, 581. 23 Berrar, Corporate Governance, S. 117 f.; Hess, in: Feddersen/Hommelhoff/ Schneider, Corporate Governance, S. 9, 11 f.; Schneider/Strenger, AG 2000, 106, 107. Insbesondere das Gesellschaftsrecht des US-Bundesstaates Delaware ist sehr wenig restriktiv und gibt den Unternehmen ohne weitere Regelungen lediglich vor, dass ein board die Angelegenheiten der Gesellschaft regeln soll. Diese weitgehende Gestaltungsfreiheit ist Grund für die Eintragung einer sehr großen Zahl an Publikumsgesellschaften in diesem Bundesstaat. Vgl. aber zur Zunahme der Regelungsintensität durch den Sarbanes-Oxley Act Gruson/Kubicek, AG 2003, 337 ff, 393 ff 24 Schneider, DB 2000, 2413, 2415; vgl. zum darauf fußenden unterschiedlichen Bedürfnis nach Kodizes Kronke, FS Lutter, S. 1449, 1460. 25 Berrar, Corporate Governance, S. 38 f.; Hopt., ZGR 2000, 779, 780 ff.; Lutter, Jura 2002, 83, 86; Schmidt/Grohs, in: Grundmann, Systembildung, S. 145, 149; Teichmann, ZGR 2001 645, 646; kritisch hinsichtlich der Unterschiedlichkeit der Systeme in der gelebten Praxis Seibert, AG 2002, 417. 22

28

1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

Ansatz setzt auf die Marktkräfte. Er zielt damit in erster Linie auf die Unternehmen, die an der Börse gehandelt werden, wo verschiedene Steuerungsmechanismen (Aktienoptionsprogramme, Übernahmedrohung u.a.) Wirkung entfalten 26. Demgegenüber haben die meisten kontinentaleuropäischen Länder gesetzliche Systeme einer unternehmensinternen Struktur der „checks and balance" geschaffen 27. Die Kontrolle der UnternehmensfÜhrung ist weniger auf einen gut funktionierenden Kapitalmarkt als vielmehr auf interne Mechanismen, insbesondere Großaktionäre, Hausbanken und andere personelle Verflechtungen angewiesen28. In Deutschland fußt das interne System maßgeblich auf der zwingenden Existenz des Aufsichtsrats, der die Interessen der Anteilseigner und anderen „stakeholder" gegenüber der Geschäftsleitung zu wahren hat29. c) Anglo-amerikanische Kodizes als Folge des dortigen Regelungssystems Mangels gesetzlicher Vorgaben im anglo-amerikanischen Rechtsraum und der damit gewonnen Flexibilität fehlt es an konkreten Vorgaben für die Leitungs- und Kontrollfunktionen im einstufigen „board of directors". Es muss eine anderweitige Regelung der Aufgabenverteilung getroffen werden; zugleich erscheint aus Sicht der Anleger eine gewisse (Selbst-)Bindung zweckmäßig30. Um den Unternehmen detailliertere Anleitungen für die Ausgestaltung ihrer Corporate Governance an die Hand zu geben, wurden Verhaltenskodizes durch private Gremien aus dem betroffenen Verkehrskreis selbst erstellt31. In einem System 26 Berrar, Corporate Governance, S. 38; Mülbert/Birke, W M 2001, 705, 707; Teichmann, ZGR 2001, 645, 647. 27 Vgl. aber zu der zunehmenden Ausrichtung des deutschen Gesellschaftsrechts hin auf ein Kapitalmarktrecht Möllers, AG 1999, 433, 434 ff.; ausführliche Darstellung der Entwicklungslinien ders, ZGR 1997, 334 ff. 28 Berrar, Corporate Governance, S. 38. 29 Teichmann, ZGR 2001, 645, 647. 30 Schulze-Osterloh, ZIP 2001, 1433, 1436. 31 Vgl. mit Blick auf Großbritannien: „Cadbury-Report" (Report of the Committee on the Financial Aspekts of Corporate Governance, London, 1992); „Hampel-Report" (Final Report of the Committee on Corporate Governance, London, 1998); „TurnbullReport" (Institute of Chartered Accountants in England and Wales, Internal Control: Guidance for Direktors on the Combined Code, London, 1999), im Intenet abrufbar unter: http://www.icaew.co.uk/internalcontrol (Stand: 15.10.2003); zuletzt auf Vorschlag des „Hampel-Reports" der die Ergebnisse des „Cadbury-" und „Greenbuny-Reports" zusammenfassende „Combined Code" (The Combined Code: Principles of Good Governance and Code of best Practice derived on the Committe on Corporate Governance from the Commitee's Final Report and from the Cadbury and Greenbuny-Reports, London, June 1998). Vgl. dazu Davies, ZGR 2001, 268, 269 ff.; Pohle/von Werder, in:

Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex

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mit weitgehend dispositivem Gesellschaftsrecht besteht also ein strukturbedingt größeres Bedürfnis nach mehr oder weniger verbindlichen Vorgaben guter Corporate Governance32, als es aufgrund der höheren Regelungsdichte in Kontinentaleuropa der Fall ist33. Die auf eine externe Kontrolle ausgerichtete Corporate GovernancePhilosopie des anglo-amerikanischen Rechtsraumes begünstigt die dortige Entwicklung privat erstellter Verhaltenskodizes als wirksames Regelungsinstitut. Der in den USA und Großbritannien traditionell stark entwickelte Kapitalmarkt sanktioniert ein Verhalten, dass nach Auffassung der Anleger gegen Grundsätze einer erfolgversprechenden Corporate Governance verstößt34. Diese Sanktion, die auf dem freien Entschluss der Anleger hinsichtlich des Erwerbs oder der Veräußerung von Anteilen basiert, erfolgt unabhängig davon, ob die Grundsätze auf staatlich vorgegebenen Gesetzen oder privat erstellten Regelwerken beruhen. Ausschlaggebend ist allein die Akzeptanz des Regelwerkes als Verhaltenskanon „guter" Corporate Governance auf dem Kapitalmarkt. Findet ein privat erstellter Verhaltenskodex bei den Anlegern die gleiche oder sogar noch höhere Akzeptanz als gesetzliche Vorgaben, ist ein solcher Kodex als Regelungsinstitut ebenso gut bzw. sogar besser geeignet. Sind die Strukturen eines funktionierenden Kapitalmarktes demgegenüber nicht so gut entwickelt wie in den USA und Großbritannien, vermag der Kapitalmarkt bei Verstößen gegen private Kodizes keinen entsprechenden Druck zur Einhaltung der Verhaltenspflichten auf die Unternehmen auszuüben35.

Fuffner, Corporate Governance, S. 735, 741 f. Vgl. zur Erstellung der Regelwerke als Reaktion auf aufgetretene Missstände Davies, ZGR 2001, 268, 270; vgl. mit Blick auf die USA als Reaktion auf die Fälle Enron und WordlCom Erstellung des „SarbanesOxley Act" v. 30.07.2002, im Internet abrufbar unter: http://www.thomas.loc.gov.com (Stand: 15.10.2003); dazu und zu den Auswirkungen für deutsche Aktiengesellschaften eingehend Gruson/Kubicek, AG 2003, 337 ff., 393 ff. 32 Baums, Bericht, Rn 5, S. 50; Schulze-Osterloh, ZIP 2001, 1433, 1436. 33 Erhardt/Nowak, AG 2000, 336, 337; Sünner, AG 2000, 492, 492; einen Verhaltenskodex für das deutsche Rechtssystem deshalb ablehnend Hüffer, AktG, § 76 Rn. 15b. 34 Vgl. etwa Kronke, FS Lutter, S. 1449, 1459. 35 Vgl. dazu beispielhaft die unterschiedlichen Erfahrungen Deutschlands und Großbritanniens mit den (jeweils freiwilligen) Übernahmekodizes: Während das Konzept in GB fruchtete, wurde es hierzulande mit dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen „ Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen" und dem in dessen Art. 1 enthaltenen Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) durch eine gesetzliche Regelung ersetzt, BGBl. I, S. 3822 ff., vgl. dazu Hirte, in: KölnKommWpÜG, Einleitung, Rn. 42 ff.

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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung II. Neuere Entwicklungen als Anlass für den Deutschen Corporate Governance Kodex und die Entsprechenserklärung

Lässt sich die Entstehung privater Kodizes im anglo-amerikanischen Rechtsraum mit den dortigen Rahmenbedingungen erklären, ist eine Übernahme des Regelungsinstruments in das System der deutschen Corporate Governance nur dann angeraten und erfolgversprechend, wenn es auch hierzulande positive Wirkung zu entfalten vermag. Das gilt insbesondere auch für die viel kritisierte Tätigkeit der Aufsichtsräte. Das deutsche System der aktienrechtlichen Unternehmensverfassung hat sich unter landesspezifischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen herausgebildet. Unter diesen Bedingungen wurden in der Vergangenheit mit dem Konzept weitgehend zwingenden Gesetzesrechts beachtliche Erfolge erzielt. In den letzten Jahren ist jedoch ein Wandel der bisherigen Rahmenbedingungen zu verzeichnen, der nicht ohne Einfluss auf die deutsche Corporate Governance ist. 7. Änderung der äußeren Bedingungen Bei genauerer Betrachtung der rechtstatsächlichen äußeren Bedingungen zeichnet sich eine Reihe von teilweise kurzfristigen Einflüssen, teilweise jedoch auch langfristigen Veränderungen ab, die den Ruf nach weiteren Reformen nicht verstummen lassen. a) Spektakuläre Unternehmenszusammenbrüche Auslöser36 für die intensivierte Diskussion um eine Verbesserung der Corporate Governance waren die einleitend erwähnten spektakulären Unternehmenszusammenbrüche. Man mag es bedauern, dass Reformen im Gesellschaftsrecht meist skandalgetrieben sind. Dieser Befund deckt sich aber mit internationalen Erfahrungen, wie die Entstehungsgeschichten des „Cadbuiy Report" 37 in Großbritannien ausweislich seiner ausdrücklichen Bezugnahme auf die Max-

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Huecke/Ammann, DStR 2002, 689; Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 292. Report of the Committee on the Financial Aspects of Corporate Governance (Cadbury Report), London 1992, Preface. 37

Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex

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well-Affäre oder des „Sarbanes-Oxley Act" 38 in den USA aus Anlass der Pleiten von Enron und WorldCom illustrieren. b) Unternehmensfinanzierung Mit Blick auf hintergründigere Entwicklungen lässt sich feststellen, dass zuletzt in Deutschland ein Wandel in der Unternehmensfinanzierung zu verzeichnen ist. Fremdfinanzierung und Innenwachstum verlieren, Eigenkapitalbeschaffung über die Kapitalmärkte gewinnt an Bedeutung39. In den zurückliegenden Jahrzehnten wurden Eigenkapitalemissionen selten und allenfalls von einigen wenigen, sehr großen und etablierten Gesellschaften durchgeführt. Die Finanzierung erfolgte im wesentlichen über einbehaltene Gewinne oder über die Hausbanken durch Fremdkapital. Anfang der 90er Jahre setzte ein Umdenken ein. Der Kapitalbedarf wurde mehr und mehr durch Aktienemissionen bestehender Aktiengesellschaften, vermehrt auch Neuemissionen befriedigt 40. Diese Entwicklung wird nicht zuletzt durch den starken zahlenmäßigen Zuwachs der Gesellschaftsform Aktiengesellschaft dokumentiert. Deren Zahl belief sich jahrzehntelang stabil bei etwa zweitausendfünfhundert bis dreitausend Gesellschaften und hat sich ab Mitte der 90er Jahre auf nunmehr etwa zehntausend Gesellschaften erhöht41. c) Zusammensetzung des Aktionärskreises, Globalisierung der Finanzmärkte Das Bedürfnis der Gesellschaften nach Kapital korrespondiert angesichts sinkender Inflationsraten und fallender Zinsen mit einem erhöhten Interesse an Aktieninvestitionen auf Seiten der Anleger und führte zu einem starken Anstieg der Anzahl an Aktionären42. Insbesondere steigt der von institutionellen Investoren wie Versicherungsund Kapitalanlagegesellschaften, Pensions- und Investmentfonds gehaltene 38 Vgl. dazu etwa Gruson/Kubicek, AG 2003, 337 ff., 393 ff.; Lanfermann/Maul, DB 2002, 1725 ff. 39 Peltzer, Deutsche Corporate Governance, Rn. 7; Lutter, Jura 2002, 83, 85; Seibert, AG 2002,417,418; ders. W M 1997, 1, 1. 40 Lutter, Jura 2002, 83, 85. 41 Hansen, AG-Report 2001,67, 67. 42 Seibert, AG 2002,417, 418.

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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

Anteil am Aktienbesitz stark an43. So belief sich Ende 1999 der Anteil institutioneller Anleger an den Aktien inländischer börsennotierter Gesellschaften auf durchschnittlich ca. 45 %, bei DAX-Gesellschaften sogar auf ca. 60 bis 80 Gleichzeitig ging der Anteil der in Deutschland traditionell vorherrschenden Großaktionäre (sog. „blockholder") wie Familien, Banken, Versicherungen und wechselseitige Beteiligungen tendenziell zurück45. Durch diese Entwicklung hat sich die Zusammensetzung der Anteilseigner deutlich verändert. Die Folge ist eine sehr viel stärkere Streuung des Aktienbesitzes, wie es in den USA und Großbritannien traditionell schon immer der Fall war 46. d) Internationalisierung Der Aktionärskreis wird im Zuge der Globalisierung der Finanzmärkte immer internationaler. Der Auslandsbesitz an deutschen börsennotierten Aktiengesellschaften, insbesondere DAX-Gesellschaften, erreicht häufig Werte von 30 bis über 50 % 47 . Gerade anglo-amerikanische Publikums- und Pensionsfonds48 verfügen über für den deutschen Kapitalmarkt kaum vorstellbare Kapitalmen-

43 Vgl. zu den Folgen der Institutionalisierung Schneider, AG 1990, 317, 318 ff; Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 322. 44 Deutsches Aktieninstitut, DAI-Factbook 2000, TZ. 09.1-3-b und Tz. 08.5-1, S. 33 ff. 45 Deutsches Aktieninstitut, DAI-Factbook 2000, Tz. 08.1-3-c. Vgl. zu den Gründen wie Relativierung des Vollmachtsstimmrechts der Banken durch das NaStraG, Umstrukturierungsprozesse der Unternehmen mit Konzentration auf das Kerngeschäft und einhergehender Veräußerung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften, zunehmende Betonung des „Shareholder-Value"-Konzepts; Drohpotential feindlicher Übernahmestrategien für Vorstandsmitglieder der Zielgesellschaft, u.a. Grumann/Soelke, DB 2001, 576, 576; Kronke, FS Lutter, S. 1449, 1460; MulbertlBirke , W M 2001, 705, 707; Noak, ZIP 2001, 57, 57; Seibert, ZIP 2001, 53, 53; Teichmann, ZGR 2001, 645, 647; Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 145; Wymeersch, ZGR 2001, 294, 299. 46 Teichmann, ZGR 2001, 645, 651. Nach einer dort wiedergegebenen Untersuchung der „European Corporate Governance Network" vereint in Großbritannien der bedeutendste Aktionär nur selten mehr als 10 %, in den USA sogar nur selten mehr als 6 % der Stimmen auf sich. Vgl. Gegenüberstellung der Struktur des Anteilsbesitzes verschiedener europäischer Länder bei Wymeersch, AG 1995, 299, 302 ff. 47 DAI-Factbook 2000, Tz. 08.5-1 S. 33 ff. (Deutsches Aktieninstitut). 48 Genannt seien an dieser Stelle US-amerikanische Pensionsfonds wie CalPERS (California Public Retirement System) oder TIAACREF (Teachers Insurance and Annuity Association College Retirement Equities Fund). Vgl. dazu Monks, in: Feddersen/HommelhoflySchneider, Corporate Governance, S. 331,334 ff.

Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex

33

gen und damit über herausragenden Einfluss auf die internationalen Kapitalströme49. 2. Wirkung dieser Veränderungen a) Wettbewerb Die deutschen Gesellschaften stehen in ihrer Nachfrage nach Kapital im weltweiten Wettbewerb mit alternativen Anlageformen. Sie müssen nicht nur die deutschen Anleger, die wesentlich weiter international streuen und stärker diversizifieren alsfrüher, von Investitionen in inländische Gesellschaften überzeugen, sondern auch die infolge ihrer Finanzkraft besonders interessanten internationalen institutionellen Anleger. Letztere sind allerdings die international üblichen anglo-amerikanischen Standards und Regelungsmuster gewohnt. Die nach Auffassung dieser Anleger wichtigen Faktoren gewinnen im Wettbewerb der Unternehmen um Risikokapital deshalb besonderes Gewicht50. b) Internationale Regelungsmuster Es lässt sich feststellen, dass ausländische Investoren sich nicht stets die Mühe machen, das durch positive Normen stark kodifizierte und über mehrere Gesetze verteilte deutsche Aktienrecht zu studieren, um das System der deutschen „Corporate Governance" zu verstehen. Das vom anglo-amerikanischen System mit einstufigem „board of directors" und Darstellung der firmeneigenen Unternehmensverfassung in Kodizes abweichende deutsche Regelungsmodell der Zweistufigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat („two tier system")51, ausgeprägter gesetzlicher Kodifizierung mit hoher Abstraktion, echter Mitbestimmung durch das MitbestG 1976 und weitgehender Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG) erscheint fremd. Dem deutschen System wird teilweise mit Misstrauen, teilweise mit Desinteresse begegnet52. Weiter ist die Praxis gerade der großen 49 Im Jahr 2000 wurde das weltweite Anlagevolumen der Publikumsfonds auf ca. 12,2 Billionen Dollar (Quelle: Investment Company Institute, 1. Quartal 2000), das der Pensionsfonds auf rund 14 Billionen Dollar (Quelle: Studie der Dresdner Bank, Bedeutung von Pensionsfonds — ein internationaler Vergleich, 2000) geschätzt (zitiert nach Schneider, DB 2000, 2414). 50 Claussen/Bröcker, AG 2000, 481, 481; Lutter, Jura 2002, 83, 85; Strenger, Die Mitbestimmung 6/2002, 17, 17 f. 51 Vgl. dazu Kort, in: GroßkommAktG, § 76 Rn. 21 ff. 52 Schneider, DB 2000, 2413, 2415; Schneider/Strenger, AG 2000, 106, 108; Schuppen, DB 2002, 1117, 1117; Seibert, BB 2002, 581; ders. AG 2002,417, 418.

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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

amerikanischen Pensions- und Kapitalanlagefonds zu berücksichtigen, ihre Anlageentscheidung nicht ausschließlich von guten Finanzergebnissen abhängig zu machen, sondern zunehmend im Rahmen einer „ganzheitlichen Betrachtung" auf „soft factors" wie die Umsetzung einer anspruchsvollen „Corporate Governance" abzustellen53. Danach wird die Corporate Governance für (ausländische) institutionelle Investoren ein wesentliches Kriterium bei der Auswahl eines Unternehmens im Rahmen der Investitionsentscheidung54. Nach den im anglo-amerikanischen Rechtskreis bekannten Regelungsmuster ist eine gute Corporate Governance in einem entsprechenden Kodex der Gesellschaft niedergelegt55. Deren Umsetzung zahlt sich für die Gesellschaft insoweit aus, als dass nach Studien von McKinsey56 Marktteilnehmer dann bereit sind, höhere

53

Kort, in: GroßkommAktG, vor § 76 Rn. 35; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 18; Baums, Bericht, Fn. 5, S. 49; Breuer, Die Bank 2001, 544, 545; Davies, ZGR 2001, 268, 279 (in Bezug auf den „Combined Code"); Köstler/Müller, Die Mitbestimmung 3/2002, 50, 50; Schneider, DB 2000, 2413, 2415; Schwarz/Holland, ZIP 2002, 1661, 1661; Strenger, Die Mitbestimmung 6/2002, 17, 17 f.; Volk, DStR 2001, 412, 416. 54 In den USA erachten nach einer Umfrage bei über 200 institutionellen Anlegern 50 % der Befragten eine transparente Unternehmensführung, die über einen entsprechenden Kodex erzeugt wird, bei der Anlageentscheidung als genau so wichtig wie die Unternehmenszahlen; für 7 % ist die Corporate Governance sogar wichtiger als eine gute Performance, in Westeuropa sei das sogar bei 15 % der Investoren der Fall (zitiert nach WirtschaflsWoche Nr. 30 v. 18.07.2002, „Corporate Governance — Gute Unternehmensführung zahlt sich aus", S. 77); zu einer nationalen Studie vgl. Bassen, ZBB 2002, 430, 430 ff. 55 In den USA gibt es zwar keinen allgemein anerkannten „Corporate Governance Kodex", doch haben etwa die unternehmenseigenen Kodizes von General Moters oder Campbell Soup einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht, vgl. Peltzer, Deutsche Corporate Governance, Rn. 12. 56 Vgl. Studie McKinsey & Company (Ed.), Global Investor Option Survey on Corporate Governance, July 2002, im Internet abrufbar unter: http://www.mckinsey.com/ practices/CoφOΓateGovernance/index.asp (Stand: 15.10.2003), sowie Studie aus Juni 2000, im Internet abrufbar unter: http://www.207.237.113.94/features /investoroptionindex.html (Stand: 15.10.2003); vgl. zu ältere Untersuchungen, nach denen Investoren zwischen 11 % und 16 % mehr zu zahlen bereit waren Felten/Hutnut/Van Heeckeren, in: The McKinsey Quarterley, 1996, Nr. 4, S. 170; vgl. auch Studie der US-Universitäten Harvard und Wharton von 24 Corporate Governance-Elementen bei 1500 Unternehmen über einen Zeitraum von 10 Jahren, wonach Gesellschaften mit „sehr guter" gegenüber denen mit schlechter Governance um 8,5 % besser abschnitten, vgl. Gompers, Paul A./Ishii, Joy L./Metrick, Andrew, Corporate Governance and Equity Prices, NBER Working Paper No. 8449, August 2001 (zitiert nach Strenger, Die Mitbestimmung 6/2002, 17, 17 (dort Fn. 3).

Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex

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Preise zu zahlen, was sich in Prämien auf den Aktienkurs von bis zu 20 % 5 7 niederschlage58. Wegweisend in Europa war Großbritannien, wo aufbauend auf den CadburyReport 1992 im Jahr 2000 von einem privaten Gremium der „Combined Code" als von den an der Londoner Börse notierten Unternehmen zu beachtender Mindeststandard veröffentlicht wurde59. Dem Beispiel folgend wurden in vielen anderen europäischen Ländern, so in Frankreich 60, Belgien, Spanien, den Niederlanden und Italien61 ebenfalls Verhaltenskodizes entwickelt62. Zudem legte die OECD63 im Jahr 1999 ihren Bericht 64 über Grundsätze der Corporate Governance vor, der die Auffassung der Mitgliedstaaten über gute Corporate Governance-Praktiken wiedergibt65. Aus der Unkenntnis internationaler Investoren über den eigentlichen Inhalt des deutschen Systems und deren Erwartung, dass es sich in einem Kodex wiederfindet, resultiert ein Wettbewerbsnachteil deutscher Unternehmen bei der Nachfrage nach Kapital zur Eigenfinanzierung. Der Nachteil ist rein faktischer Art und besteht unabhängig davon, ob nun das kontinentale deutsche oder das anglo-amerikanische System der Corporate Gov-

57

Vorzitierte Studie aus Juni 2000, S. 16. Vgl. zur Entwicklung Fey, WPg 2000, 1097, 1100; Schwarz/Holland, ZIP 2002, 1661; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150,169. 59 Vgl. Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 18; Schneider, DB 2000, 2413, 2415. 60 Hellebuyck Commission on Corporate Governence, „Recommendations on Corporate Governance" (AFG), Association Française de la Gestion Francière: Paris, June 1998, ergänzt 2001, im Internet abrufbar unter:: http://www.ecgi.org/codes/countiy _documents/france/afg_asfff_amendet_2001.pdf (Stand: 15.10.2003); dazu Thüsing, ZGR 2003, 450, 461 ff. 61 „Code of Conduct", Oktober 1999. 62 Baums, in: Bericht, Rn. 5, S. 50; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 18; Vgl. Liste der weltweiten Projekte vgl. Veröffentlichung der European Corporate Governance Network unter: http://www.ecgn.ulb.ac.be/ecgn/codes.htp (Stand: 15.10.2003); Überblick über weltweit bestehende „Principles of Best Practice" vgl. Veröffentlichung der Weltbank unter: http://www.worldbank.org/html/fpd/privatesector/cg/codes.htm . (Stand: 15.10.2003). 63 Organisation for Ecomomic Cooperation and Developement. 64 Abgedruckt in: AG 1999, 340 ff.; dazu Hommelhoff, ZGR 2001, 238 ff.; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1,4; Seibert, AG 1999, 337, 337 ff. 65 Diese „OECD-Principes of Corporate Governance" richten sich dabei weniger an die westlichen Industrienationen, sondern vorrangig an die aufstrebenden Länder in Asien, Osteuropa und Lateinamerika, vgl. dazu Hommelhoff, ZGR 2001, 238, 239; Schneider/Strenger, DB 2000, 2413, 2414; Seibert, AG 1999, 337, 339; Pohle/v. Werder, in: Ruffher, Corporate Governance, 735, 740 f. 58

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. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

ernance „besser" oder „effektiver" ist66. Um das Risiko voneinander abweichender Regelungssysteme67 zu reduzieren, fordern internationale Investoren die Befolgung der von den führenden Finanzmärkten gesetzten Standards und lehnen andere Konzepte allein wegen ihrer Abweichung zunehmend ab. Aufgrund der Dominanz der nordamerikanischen Märkte gewinnt die Erfüllung der dort herrschenden Standards im Gesamtsystem der internationalen Investitionen mehr und mehr an Bedeutung68. Eine „gute" Corporate Governance beeinflusst über die vorstehend dargelegten Wirkungsmechanismen hinaus nicht nur die Eigen-69, sondern zunehmend auch die Fremdkapitalkosten der Unternehmen, nachdem die führenden anglo-amerikanischen Rating-Agenturen wie Standart & Poor's , Moodey und Finch die Analyse der Corporate Governance von Unternehmen zu einem Teil des Bewertungsprozesses gemacht haben70. Diese Entwicklung dürfte durch die Verabschiedung der neuen Eigenkapitalvereinbarung des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht („Basel II") verstärkt werden. Danach sind Kredite nicht mehr wie bisher nur mit acht Prozent Eigenkapital zu unterlegen, sondern die Eigenkapitalanforderungen richten sich stärker an der Bonität des jeweiligen Kreditkunden aus71. Die Banken werden deshalb bei jeder Kreditvergabe zur Einschätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit ein Rating durchführen. Offen ist,

66 Nach überwiegender Ansicht hat sich keines der Organisationssysteme für Unternehmen als signifikant besser erwiesen. Beide Modelle haben ihre jeweiligen Vor- und Nachteile, illustriert durch die in beiden Systemen aufgetretenen spektakulären Unternehmenszusammenbrüche. Vgl. dazu Berrar, Corporate Governance, S. 50 f. ; Davies, ZGR 2001, 268, 289 f.; Dörner/Oser, DB 1995, 1085, 1088; Lutter, ZHR 1995, 287, 297; ders., AG 1994, 176, 176; Möllers, ZIP 1995, 1725, 1727; Roller, AG 1994, 333, 333; Schiessel, AG 2002, 593, 593; Seibert, W M 1997, 1, 2; Teichmann,, ZGR 2001, 645, 650; a A. Kaplan, Corporate Governance 1996, 195, 203 (leichte Bevorzugung des US-amerikanischen Modells); ausführlicher Systemvergleich bei Potthoff, BFuP 1996, 253, 253 ff. 67 Vgl. zu Schaffung der „Societas Europaea" als gemeinschaftsrechtlicher Rechtsform der EU Hirte, NZG 2002, 1, 1 ff. 68 Wymeersch, ZGR 2001, 294, 312. 69 Vgl. zu entsprechenden statistisch abgesicherten Erkenntnissen die in Kooperation mit der Deutschen Börse AG erstellte Studie der WHU — Otto-Beisheim-Hochschule — (zitiert nach Drobetz/Schillhofer, FAΖ v. 13. Januar 2003, Nr. 10, S. 20). 70 Däubler, NJW 2003, 1096 f. Strenger, FAΖ v. 26.10.2002, Nr. 249, S. 21; vgl. zur Art und Weise der Durchführung des Rating-Verfahrens und den rechtlichen Rahmenbedingungen Depenbrock, BB 2003, 1849, 1849 f.; Everling/Heinke, in: Gerke/Steiner, HWF, S. 1757 ff. 71 Vgl. umfassend Paul/Stein, Rating, passim.

Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex

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inwieweit dabei eine „gute" Corporate Governance Berücksichtigung finden wird 72. c) Verstärkung des „Prinzipal-Agent"-Konflikts Folge der weiter gefächerten Streuung der Aktien auf eine Vielzahl von Privatanlegern mit kleinerem Beteiligungsbesitz bzw. auf institutionelle Anleger mit oft sehr kurzfristigen Investitionen ist eine zunehmende Fluktuation der Anleger und ein Rückgang langfristigen Beteiligungsbesitzes. Das deutsche Kontrollsystem basiert jedoch maßgeblich auf dem Vorhandensein einflussreicher Großaktionäre und Banken, die ihren Einfluss über einen längeren Zeitraum über Ämter im Aufsichtsrat oder Stimmen in der Hauptversammlung geltend machen und so den Vorstand überwachen können73. Befinden sich mehr und mehr Aktienanteile in (internationalem) Streubesitz, hat die geringere Bündelung der Verfügungsmacht der Anteilseigner einen Verlust an Einfluss zur Folge. Es kommt zu einer Vergrößerung der Distanz zwischen Eigentum und Verfügungsmacht („Principal-Agent-Konflikt") 74 mit dem Risiko eines Überwachungs-Freiraums75. Die Kontrolllücke wird auch nicht durch den großen Anteilsbesitz und daraus resultierenden Einfluss institutioneller Anleger wettgemacht, da trotz des faktisch hohen Stimmgewichts in der Hauptversammlung die Verbindung zu Vorstand und Aufsichtsrat nicht so eng ist wie bei Innehabung eines Sitzes im Aufsichtsrat. Eine Mitgliedschaft im Kontrollgremium Aufsichtsrat wird von institutionellen Anlegern aus sehr verschiedenen Gründen (Einsatz von Mitteln76,

72

Kritisch zur Berücksichtigung des Kodex beim Rating Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 17. So ist der Beitrag der Corporate Governance auf den Gesamtertrag einer Aktie streitig, vgl. Kort, in: GroßkommAktG, vor § 76 Rn. 36; Wymeersch, ZRG 2001, 294, 314 m.w.N. 73 Berrar, Corporate Governance, S. 38; Davies, ZGR 2001, 268, 290 f., 293; Teichmann, ZGR 2001, 645, 653. 74 Der Begriff bezeichnet die Konfliktsituation, in der das Unternehmen nicht vom Eigentümer („principal"), sondern durch externe Geschäftsführer („agents") geleitet wird, die zwar rechtlich auf das Unternehmensinteresse verpflichtet sind, faktisch aber auch zum Teil divergierende eigene Interessen verfolgen. Vgl. grundlegend Jensen/Meckling, in: Journal of Financial Economics, 3 (1976), S. 305, 308, 312 ff; dazu Kort, in: GroßkommAktG, vor § 76 Rn. 37; Berrar, Corporate Governance, S. 28 f. m.w.N.; Teichmann, ZGR 2001, 645, 646. 75

Seibert, AG 2002, 417, 418; ders. W M 1997, 1, 2. Davies, ZGR 2001, 268, 279; Hopt, in: Comparitive Corporate Governance, S. 227, 252. 76

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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

rechtliche77 und politische Risiken, Problem von Interessenkonflikten) ebenso wie eine allzu aktive Einflussnahme auf den Gang der Hauptversammlung durch Ausübung von Stimmrechten nicht angestrebt78. Der Einfluss institutioneller Anleger vollzieht sich eher indirekt und kann hinsichtlich seiner Relevanz als Kontrollinstrument nur schwer eingeschätzt werden79. I I I . Ausarbeitung privater Kodizes in Deutschland

Als Reaktion auf die vorstehend dargestellten, unter den Oberbegriffen Globalisierung und Internationalisierung geführten Veränderungen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, setzte sich in Deutschland die Auffassung durch, die bei grundsätzlicher Beibehaltung des deutschen Systems für eine Formulierung ergänzender Corporate-Governance-Standards plädierte 80 . Die erarbeiteten privaten Kodex-Konzepte nahmen sich zum einen zum Ziel, die aus Sicht ausländischer Investoren unübersichtliche deutsche Gesetzeslage in verständlicher Form zusammenzufassen und damit den Zugang zum Verständnis des bestehenden deutschen Corporate Governance Systems zu erleichtern. Zugleich sollte der internationalen — zunehmend auch nationalen — Erwartung der Existenz eines Kodex als Zeichen guter Corporate Governance entsprochen werden81. Den Anfang machte im Januar 2000 die Grundsatzkommission Corporate Governance 82 (abgeleitet vom Sitz der Universität des Vorsitzenden Baums im 77 Z.B. könnten die gesetzlichen Vorschriften zum Insiderhandel die Freiheit der institutionellen Anleger zum Handel mit den Anteilen beschränken, vgl. Davies, ZGR 2001, 268, 280; Teichmann, ZGR 2001, 645, 655; Wymeersch, ZGR 2001, 294, 317. 78 Davies, ZGR 2001, 268, 279, 290; 79 Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 322. 80 Lutter, ZGR 2000, S. 1, 18; Potthoff, DB 1995, 163, 163 f.; Sünner, AG 2000, 492, 498; Wiese, DB 2000, 1901, 1903; zur Entwicklung in Deutschland Kort, in: GroßkommAktG, vor § 76 Rn. 38. 81 Breuer, Die Bank 2001, 544, 546. 82 Der Kommission gehörten an (Unterstreichung bei späterer Mitgliedschaft in der ßawms-Kommission; kursiv bei späterer Mitgliedschaft in der Kodex-Kommission): Prof. Dr. Theodor Baums (Universität Osnabrück); Prof. Dr. Dieter Feddersen (Rechtsanwalt und Notar); Dr. Ulrich Hartmann (Vorsitzender des Vorstands VEBA AG, jetzt E.on AG); Robert Köhler (Vorsitzender des Vorstands SGL Carbon AG); Ulrich Hocker (Hauptgeschäftsführer Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz); Prof. Dr. Dieter Nonnenmacher (Mitglied Vorstand KPMG Deutsche Treuhand-Gesellschaft); Prof. Dr. Rüdiger von Rosen (Geschäftsführendes Vorstandsmitglied Deutsches Aktieninstitut e.V.); Kim Schindelhauer (Kaufmännischer Vorstand AIXTRON AG); Prof. Dr. Uwe H. Schneider (Universität Darmstadt/ Mainz); Christian Stren ger (Mitglied des Aufsichtsrats DWS-Investment GmbH).

Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex

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folgenden bezeichnet als Frankfurter Grundsatzkommission) mit den von ihr erarbeiteten „Corporate Governance Grundsätzen (Code of best practice) für börsennotierte Gesellschaften" 83. Im Juni des selben Jahres folgte der „German Code of Corporate Governance (GCCG)"84 des Berliner Initiativkreises* 5. Beiden Konzepten gemeinsam war die Zielvorstellung, mit den erarbeiteten Kodizes als „Marketing-Instrument" die Wettbewerbsfähigkeit deutscher börsennotierter Gesellschaften bei der Nachfrage nach Risikokapital an den internationalen Märkten zu verbessern86. Sie unterscheiden sich aber in ihrem Detaillierungsgrad und der schwerpunktmäßigen Ausrichtung auf unterschiedliche Organe der Aktiengesellschaft. So ging der Berliner Initiativkreis weit über die Vorschläge der Frankfurter Grundsatzkommission hinaus und formuliert eine Vielzahl sehr konkreter Verhaltenspflichten. Zudem sah der Berliner Initiativkreis das Problem der deutschen Corporate Governance eher auf Seiten des Vorstands und war primär betriebswirtschaftlich ausgerichtet87. Demgegenüber problematisierte die Frankfurter Grundsatzkommission vorrangig die Rolle des Aufsichtsrats 88. Nachfolgend veröffentlichten einige Gesellschaften wie Deutsche Bank AG 89 , SAP AG 90 , Metro AG 91 und MLP AG 92 speziell für das eigene 83 Abgedruckt in: AG 2000, 109 ff.; dazu Kort, in: GroßKommAktG, vor §76 Rn. 38; Berrar, Corporate Governance in Deutschland, S. 178 ff.; Claussen/Bröcker, AG 2000, 481, 586; v. Rosen, in: Ruffner, Corporate Governance, S. 589, 603 ff.; Schneider, DB 2000, 2413, 2413 ff.; Schneider/Strenger, AG 2000, 106, 106 ff.; Volk, DStR 2001,412,413,415. 84 Abgedruckt, in: AG 2000, 6 ff.; dazu Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 38; Bernhardt/v. Werder, ZfB 2000, 1269, 1269 ff.; Berrar, Entwicklung der Corporate Governance in Deutschland, S. 197 f.; Peltzer/v. Werder, AG 2000, 1, 1 ff.; Pohle/v. Werder, DB 2001, 1101, 1102 ff.; Volk, DStR 2001, 412, 414 ff.; Wiese, DB 2000, 1901, 1904. 85 Dem Initiativkreis gehörten an (kursiv bei späterer Mitgliedschaft in der KodexKommission): Prof. Dr. Axel von Werder (Sprecher; Technische Universität Berlin); Prof. Dr. Wolfgang Bernhard (Industrieberater und Honorarprofessor an der Universität Leipzig); Heinz Dürr (Vorsitzender des Aufsichtsrats der Dürr AG); Dr. Clemens Grosche (Geschäftsführender Vorstand der Matrix Gesellschaft für Unternehmensentwicklung mbH); Heinrich Augustinus Graf Henkel von Donnersmarck (Unicom Consultants GmbH); Norbert Nelles (Vorstandsmitglied Karstadt/ Quelle Holding AG); Dr. Martin Peltzer (Rechtsanwalt und Notar); Prof. Dr. Klaus Pohle (Stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der Scherung AG und Honorarprofessor an der Technischen Universität Berlin); Dr. Ernst Schröder (persönlich haftender Gesellschafter der Dr. Oetker AG); Dr. Alfons Titzrath (Vorsitzender des Aufsichtsrats der Dresdner Bank AG). 86 Vgl. Ziffer I des Code of Best Practice; Präambel des GCCG. 87 Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 38. 88 Baums, in: Bericht, Fn. 6, S. 51; Volk, DStR 2001, 412, 415; Pellens/Hillebrandt/Ulmer, BB 2001,1243, 1245. 89 Im Internet unter: http://ircontent.db.coπl/ir/data/coφgovernance_de.pdf, dazu: Breuer, Die Bank 2001, 544, 546 ff.

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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

Unternehmen erarbeitete Verhaltensgrundsätze93. Zudem legte die Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Assetmanagement (DVFA) ihre sogenannte „Scorecard for German Corporate Governance"94 vor. IV. DCGK und Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG

1. Empfehlungen der Baums-Kommission Die Entwicklung privater Kodizes beeinflusste 95 auch die Arbeit der BaumsKommission96. Die Kommission befragte mittels eines Fragebogens Experten und Verbände zum Bedürfiiis nach einem deutschen „Code of practice"97 und

90 Im Internet unter: http://www.sap.com/germany/aboutSAP/cgovernance/ cgdocumente.asp (Stand: 15.10.2003). 91 Im Internet unter: http://www.metro.de/servlet/PB/show/1002808/UnternCorpgover-02-06-1 l.dtpdf (Stand: 15.10.2003). 92 Im Internet unter: http://www.mlp.de/de/untemehmen/investor/berichte/CGG_ d_030402.pdf (Stand: 15.10.2003). 93 Vgl. zu Vorteilen unternehmenseigener Codizes nach Veröffentlichung des DCGK Hütten,, BB 2002, 1740, 1740 ff.; dagegen Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1278; differenzierend Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 139 f 94 Im Internet unter: http://www.dvfa.de/pdf/scorecard.pdf (Stand: 15.10.2003). 95 Baums, Bericht, Rn. 6, 7, S. 50 f. 96 Der (23-) 22-köpfigen Kommission gehörten neben (unterstr./kursiv vgl. Fn. 82) Prof Dr. Dr. h.c. Theodor Baums als Vorsitzendem an (Unterstreichung bei späterer Angehörigkeit der Kodex-Kommission): Dr. Paul Achleitne r (Finanzvorstand Allianz AG); Hans Martin Bury (Staatsminister beim Bundeskanzler); Dr. Karl Georg Eick (Finanzvorstand Deutsche Telekom AG); Andrea Fischer (MdB, Bundesministerin a.D. seit 19.04.2001); Dr. Hansjörg Geiger (Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz); Dr. h.c. Hartmann (Vorsitzender des Vorstands E.on AG); Prof Dr. Herbert Henzler (Chairman Europe, McKinsey); Ulrich Hocke r (Hauptgeschäftsflihrer Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz); Ciao Κ. Koch-Weser (Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen); Hilmar Kopper (Vorsitzender des Aufsichtsrats Deutsche Bank AG); Prof. em. Dr. Dr. h.c. Marcus Lutte r (Zentrum für europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Bonn); Prof Dr. Rolf Nonnenmacher (Vorstandmitglied KPMG Deutsche Treuhandgesellschaft); Heinz Putzhamme r (Mitglied des geschäftsführenden DGB-Bundesvorstands); Kim Schindelhauer (Kaufmännischer Vorstand Aixtron AG); Gerhard Schmidt (Vorstandsvorsitzender MobilCom AG); Hubertus Schmold (Vorsitzender des geschäftsführenden Hauptvorstands der IGBCE); Dr. Werner G. Seifert (Vorstandsvorsitzender Deutsche Börse AG); Ludwig Stiegler (MdB); Christian Strenger (Mitglied des Aufsichtsrats DWS Investment GmbH); Dr. Alfred Tacke (Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie); Margareta Wolf (MdB, bis Februar 2001); Klaus Zwickel (1. Vorsitzender der IG Metall). 97

regeln.

Vgl. zum Begriff Dietl/Lorenz,

Dictionary: (engl.) code of practice = Verhaltens-

Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex

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erhielt nahezu ausnahmslos Stellungnahmen, die sich — in unterschiedlicher Intensität — für einen Kodex aussprachen. Mehrheitlich wurde die Existenz nur eines einzigen Kodex befürwortet, da die gewünschte „Marketingfunktion" eines Kodex durch die nachteilige Konkurrenz verschiedener Kodizes konterkariert werde98. Der Kodex solle allerdings als „Modellkatalog" den einzelnen Unternehmen ausreichenden Spielraum zur Darstellung ihrer eigenen Verhältnisse belasse99. Unter Berufung auf das Ergebnis der Befragung sprach sich die ßaw/ws-Kommission für einen deutschen Corporate-Governance-Kodex für börsennotierte Gesellschaften aus, der zum einen das bereits bestehende gesetzliche Regelungssystem wiedergebe („Kommunikationsfunktion") 100 und zugleich darüber hinausgehende, unverbindliche Verhaltens-"Empfehlungen" formuliere („Ordnungsfunktion"), von denen die Gesellschaften abweichen können sollten101. Die Gesellschaften müssten den Kapitalmarkt allerdings jährlich über die Kodexeinhaltung informieren 102 und Abweichungen begründen („comply or explain")103. Der Vorteil einer solchen Regelung liege in einer Deregulierung und Flexibilisierung des deutschen Governance-Systems und biete die Chance des zukünftigen Abbaus bestehender bzw. zumindest der Vermeidung neuer zwingender aktienrechtlicher Vorschriften 104. Die itawtfw-Kommission erachtete eine gesetzliche Erklärungspflicht gegenüber dem Kapitalmarkt als ausreichende Sicherstellung der Kodexeinhaltung105. 98

Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 47; Seibert, in Henze/Hoffinann-Becking, Gesellschaftsrecht 2001, RWS-Forum 20, S. 361, 381 f.; v. Wartenberg, W M 2001, 2239, 2139; dagegen Bernhardt, DB 2002, 1841 unter Verweis auf die Existenz einer Vielzahl verschiedener (Firmen-)Kodizes in den USA als Ausdruck des freien Spiels der Marktkräfte und harscher Kritik am „Einheitskodex" der „Deutschland AG". 99

Baums, Bericht, Rn. 6, 8, S. 51, 53. Baums, Bericht, Rn. 6, S. 51 f. 101 Baums, Bericht, Rn. 7, S. 52. Im Gegensatz zur nahezu einhellig begrüßten „Kommunikationsfunktion" waren die Stellungnahmen zur „Ordnungsfunktion", die von völliger Unverbindlichkeit bis zu strikter Verbindlichkeit reichten, sehr viel widersprüchlicher, vgl. Baums, Bericht, Rn. 8, S. 53. 102 Baums, Bericht, Rn. 8, S. 53. 103 Baums, Bericht, Rn. 10, S. 54: „Bei der Abgabe der Entsprechenserklärung sind Abweichungen von den im Corporate Governance Kodex enthaltenen Empfehlungen zu begründen". 104 Baums, Bericht, Rn. 7, S. 51; BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 105 So sei eine Anbindung an die Börsenzulassung nach dem Vorbild der Zulassungsregeln der britischen Börsenaufsicht (UKLA) nicht angezeigt und ließe sich darüber hinaus strukturbedingt auch nur schwerlich durchführen: Die Zulassungsregeln in Deutschland (abgesehen von wenigen privaten Marktsegmenten) seien öffentlichrechtlich organisiert, die Börsenzulassungsbehörden für Kontrollen weder personell noch sachlich gerüstet und ein Entzug der Börsenzulassung als Sanktion letztlich unver100

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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

Entscheidend sei, dass sich Vorstand und Aufsichtsrat aufgrund ihrer Verpflichtung zur Abgabe der Entsprechenserklärung mit den Empfehlungen des Kodex inhaltlich auseinander setzten und der Kapitalmarkt — bei unterstellter Richtigkeit der Erklärung — über die Kodexeinhaltung informiert werde 106. Für die inhaltliche Ausarbeitung des Kodex empfahl die itow/ws-Kommission die Einsetzung einer weiteren Kommission107. Deren Besetzung dürfe nicht privater Initiative überlassen bleiben. Dem vorgeschlagenen einheitlichen Kodex komme „weitreichende Wirkung" zu und seine Regeln seien mit einer gesetzlichen Erklärungspflicht verknüpft. Der „ausgewogenen und repräsentativen Besetzung" und „Legitimation des Gremiums" sei deshalb erhebliche Bedeutung beizumessen108. 2. Cromme-Kommission und das Transparenz- und Publizitätsgesetz a) Arbeit der Crom/we-Kommission Unter Bezugnahme auf die Empfehlung der itaw/ws-Kommission wurde am 06. September 2001 die Cro/w/we-Kommission109 zur Ausarbeitung eines einhältnismäßig, weil nur gerechtfertigt, wenn ein ordnungsgemäßer Börsenhandel auf Dauer nicht mehr gewährleistet sei und sich i.E. zu Lasten der Anleger auswirkte, deren Interessen der Kodex gerade dienen soll, weil sie der Handelbarkeit ihrer Anteile beraubt und damit erst recht geschädigt wären, Baums, Bericht, Rn. 9, S. 54. Vgl. auch Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 53 f.; Tielmann, WPg-Sonderheft 2001, S. 25, 28. 106 Baums, Bericht, Rn. 9, 12, S. 54, 56; zustimmend Schiessl, AG 2002, 593, 594; ebenso Schneider, DB 2002, 2413, 2416 mit weiteren Argumenten. 107 Hinsichtlich der Besetzung des Gremiums fordert die /toi/ms-Kommission die Mitgliedschaft „anerkannt(er) und fachlich geeignet(er)" Personen, insbesondere Personen mit „Erfahrungen und Kenntnissen in der Unternehmensleitung und -Überwachung in- und ausländischer börsennotierter Gesellschaften, (...) institutionelle und private Anleger, Arbeitnehmervertreter, Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, (...) Unternehmensberater und Wissenschaftler", Baums, Bericht, Rn. 17, S. 61 f. 108 Baums, Bericht, Rn. 16, S. 59 f. 109 Der Kommission gehören an (Unterstreichung bei vorheriger Angehörigkeit der Baums-Kommission): Dr. Gerhard Cromme (Vorsitzender der Kommission; Aufsichtsratsvorsitzender der ThyssenKrupp AG), Dr. Paul Achleitne r (Finanzvorstand Allianz AG), Dr. Rolf -Ε. Breuer (Sprecher Deutsche Bank AG), Dr. Hans Friedrich Gelhausen (Vorstand PwC Deutsche Revision AG), Ulrich Hocke r (Hauptgeschäftsführer Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz), Max Dietrich Klei (Stv. Vorsitzender BASF AG). Prof. Dr. Dr. h.c. Marcus Lutte r (Universität Bonn), Volker Potthoff (Vorstand Deutsche Börse AG), Heinz Putzhamme r (Mitglied Geschäftsführender Vorstand DGB), Peer Michael Schatz (Finanzvorstand Quiagen AG), Christian Strenge r (Aufsichtsrat DWS Investment GmbH;, Prof. Dr. Axel v. Werder (Technische Universität Berlin), Dr. Wendelin Wiedeking (Vorstandsvorsitzender Porsche AG).

Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex

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heitlichen Kodex guter Corporate Governance eingesetzt. Anders als die ßawtfw-Kommission war sie nicht mit Mitgliedern aus Bundesministerien, Bundestag oder anderen Politikern besetzt110. Sie arbeitete nach eigenem Bekunden weitgehend unabhängig vom Bundesjustizministerium, das sich auf die „Vorgabe des rechtlichen Rahmens beschränkt" habe111 und stellte so „in einem Akt der Selbstorganisation" Verhaltensregeln guter Corporate Governance „von der Wirtschaft für die Wirtschaft" auf 112. Inhaltlich folgte die Cromme-Kommission weitgehend den Empfehlungen der /taw/ws-Kommission und bezog auch die Vorarbeiten der Frankfurter Grundsatzkommission und — wenngleich in geringerem Maße — des Berliner Initiativkreises in seine Überlegungen mit ein 113 . Nach Veröffentlichung eines ersten Diskussionsentwurfs am 18. Dezember 2001114 — mit Stellungnahmefrist für jedermann bis zum 18.01.2002 — wurde am 26. Februar 2002 der Deutsche Corporate Governance Kodex der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Cro/wwe-Kommission ist als Standing Commission eingesetzt und wird den Kodex in regelmäßigen Abständen aktuellen Entwicklungen der deutschen Corporate Governance in Gesetzgebung und Praxis anpas0

115

sen Die erste Fassung wurde inzwischen bereits zweimal verändert. So erfolgte wegen der neuen gesetzlichen Vorschrift § 15a WpHG eine Umformulierung der zuvor noch in Ermangelung gesetzlicher Regelung als Empfehlung formulierten „Direktor s Dealings", Ziffer 6.6 Abs. 1 DCGK (Fassung v. 07.11.2002) und anlässlich der ersten jährlichen Evaluierung des Kodexinhalts erfolgten um-

110 Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 39. Das wird von Seibert, ZIP 2001, 2192, 2192 als „besonders bemerkenswert" hervorgehoben. 111 Cromme, Veröffentlichung Kodexentwurf, S. 3; Seibert, DB 2002, 581, 582. 112 Cromme, Übergabe Kodex, S. 2. 113 Cromme, Veröffentlichung Kodexentwurf, S. 4. Dies erklärt sich ersichtlich nicht zuletzt aus der Mitgliedschaft von fünf vorherigen Mitgliedern der Ztaw/ws-Kommission (Achleitner, Hocker, Lutter, Putzhammer, Strenger), zwei davon zuvor ebenfalls Mitglieder der Frankfurter Grundsatzkommission (Hoclœr, Strenger), und eines ehemaligen Mitglieds des Berliner Initiativkreises (v. Werder). Zudem erzielte der Kodex der Frankfurter Grundsatzkommission gegenüber den Grundsätzen des Berliner Initiativkreises nach einer vor Erstellung des DCGK durchgeführten Umfrage ungleich höhere Akzeptanzwerte, vgl. Pellens/Hillebrandt/Ulmer, BB 2001, 1243, 1250. 1,4

Abgedruckt in: NZG 2002, 75 ff.; dazu: Peltzer, NZG 2002, 10 ff. Präambel, Abs. 9 DCGK; vgl. Kort, in: GroßkommAktG, vor § 76 Rn. 39; Ringleb, in: Ringleb/ Kremer/Lutter/v. Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 33; Seibt, AG 2003, 465, 465. 115

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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

fangreichere weitere Änderungen, insbesondere zur Vergütung, Ziffer 4.2 DCGK (Fassung v. 21.05.2003)116. b) Transparenz- und Publizitätsgesetz Durch das inhaltlich ebenfalls weitgehend auf Empfehlungen der BaumsKommission basierende117 Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG) wurde, u.a.118, der Deutschen Corporate Governance Kodex gesetzlich mit dem Aktienrecht verknüpft. Der neu in das AktG eingefügte § 161 verpflichtet Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Aktiengesellschaften zur Abgabe der sogenannten „Entsprechenserklärung" („Compliance-Erklärung"). Inhalt der Erklärung ist die Einhaltung bzw. Nichteinhaltung der Empfehlungen des Kodex. Als Veröffentlichungsplattform des Kodex dient der Bundesanzeiger für die Bekanntmachung von Unternehmensmitteilungen119. Er wird nunmehr nach Modifizierung von § 25 S. 1 AktG durch seine bloße Erwähnung im Gesetz nicht mehr in Papier-, sondern in elektronischer Form geführt 120. Das TransPuG ist weitestgehend am 26. Juli 2002 in Kraft getreten121. Der elektronische Bundesanzeiger steht ab 30. August 2002 zur Verfügung 122.

116

Vgl. dazu Dokumentation unter Hervorhebung der Änderungen in: ZIP 2003,

1316 ff. 117 Baums, Bericht, Rn. 10, S. 54; vgl. auch Hirte, NJW 2003, 1090, 1092; vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 1. 118 Vgl. Übersicht über den Inhalt bei Schiessl, AG 2002, 593, 593. 1,9 Im Internet abrufbar unter: http://www.ebundesanzeiger.de (Stand: 15.10.2003). 120 Nach § 25 S. 1 AktG-RefE, abgedruckt in: NZG 2002, 78, 78 f., sollte zunächst eine Wahlmöglichkeit von „Papier-" und „elektronischem" Bundesanzeiger bestehen. Die Alternativität wurde nach Kritik am Nebeneinander zweier Medien, die zur Folge hätte, dass die Lektüre eines Mediums nicht mehr mit Sicherheit die vollständige Information vermittelt hätte, zugunsten der Einheitlichkeit des Bekanntmachungsinstituts „Bundesanzeiger" nicht in den späteren Regierungsentwurf übernommen, vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 11; zustimmend Noak, AG 2003, 537, 538; für ein Nebeneinander Mimberg, ZGR 2003, 21, 27; Zöllner, NZG 2003, 354, 358. Damit bleibt der Bundesanzeiger — bei Änderung der Darstellungsform, nicht des Inhalts oder Umfangs — das amtliche Bekanntmachungsorgan der Bundesrepublik Deutschland (Gesetz über Bekanntmachungen vom 17.05.1950, BGBl. I, 183). Vgl. dazu Heckscher, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 3. Kapitel, Rn. 18; Seibert, NZG 2002, 608, 609.

Α. Entstehung des Deutschen Corporate Governance Kodex

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c) Doppelte Zielsetzung des Konzepts Mit dem Kodex und der Entsprechenserklärung wird das Konzept der doppelten Zielsetzung von Kommunikations- und Ordnungsfunktion aufgegriffen, das schon Grundlage der aus privater Initiative heraus erstellten Kodizes (Frankfurter Grundsatzkommission, Berliner Initiativkreis, unternehmenseigene Kodizes) und des Vorschlags der Azw/ws-Kommission war. Anleger sollen über die nach deutschem Aktienrecht geltenden Grundsätze der Corporate Governance informiert und darüber hinaus soll der gesetzliche Zustand durch „best practice" Verhaltensregeln in Erwartung deren Befolgung aufgrund entsprechenden Kapitalmarktdrucks verbessert werden123. Mit dieser Zielsetzung wird ein weiterer Schritt hin zu einer zunehmenden Verzahnung von Gesellschaftsrecht und Kapitalmarktrecht getan124. aa) Informations- bzw. Kommunikationsfunktion In Praxis und Wissenschaft wird der Kodex als „Marketinginstrument" zur Information der Anleger 125 weitgehend übereinstimmend begrüßt126. Teilweise

121 Vgl. BGBl. Teil I Nr. 50 vom 25. Juli 2002, S. 2681 ff. Um dem Bundesanzeiger und den betroffenen Kreisen eine ausreichende Übergangszeit einzuräumen, ist die Änderung des § 25 S. 1 AktG allerdings neben einigen wenigen anderen Änderungen erst am 01. Januar 2003 in Kraft getreten, vgl. dazu BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 11). 122 Im Internet unter: http://www.ebundesanzeiger.de (Stand: 15.10.2003). Das in Art. 1 Ziff 1 i.V.m. Art. 5 TransPuG genannte Datum des Inkrafttretens erst am 01 01.2003 bezieht sich erkennbar auf die in § 25 AktG genannten Fallgestaltungen, vgl. Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 968. 123 Baums, Bericht, Rn. 7, S. 51 f.; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 5 f.; Schüppen, DB 2002, 1117, 1117; Seibt, AG 2002, 249, 250; Seibert, BB 2002, 581, 581; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 151; ders., AcP 202 (2002), 143, 167. Das Konzept begrüßend Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 48. 124 Vgl. allg. zu der Tendenz zunehmender Ausrichtung des Gesellschaftsrechts hin auf ein Kapitalmarktrecht Möllers, AG 1999, 433, 434 ff.; ders., ZGR 1997, 334, 336 ff. 125 Diesem Zweck dienend liegt der Kodex in englischer, französischer, italienischer und spanischer Übersetzung vor und dient damit als „Verständigungspapier", Cromme, Übergabe Kodex, S. 3.; vgl. Berg/Stöcker, W M 2001, 1569, 1579; Seibt, AG 2002, 249, 250; Seibert, BB 2002, 581, 581; Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 167; v. Werder, DB 2002, 801,801 f. 126 Vgl. Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 36, 45; Bundesverband deutscher Banken, W M 2001, 1737, 1738.

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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

wird allerdings kritisch angemerkt, als Konsequenz der angestrebten leichten Verständlichkeit und einhergehender Komprimierung 127 resultierten Ungenauigkeiten in der Darstellung und dadurch Zweifel bei der Abgrenzung zwischen zwingenden gesetzlichen und freiwilligen privaten Regeln128. bb) Ordnungs- bzw. Regulierungsfunktion Die Meinungen über den Erfolg der zweiten Zielsetzung des Kodex als neues regulierendes Element des deutschen Corporate Governance Systems gehen deutlich auseinander129. Tatsächlich ist festzustellen, dass die bisherigen deutschen Erfahrungen mit selbstregulierenden Kodizes wenig erfolgreich waren 130. Die vormaligen Insiderrichtlinien 131 und der Übernahmekodex132 sind in der Praxis gescheitert und wurden durch gesetzliche Regelungen ersetzt133. Jedenfalls wurde mit dem Kodex und dem Prinzip des „comply or explain" ein Schritt in Richtung der „externen" Kontrollstruktur der anglo-amerikanischen Länder und ihres Vertrauens auf die regulierende Kraft der Kapitalmärkte gemacht. Ob die kapitalmarktorientierte Systemkomponente auch unter den speziellen nationalen Besonderheiten Deutschlands die erhoffte positive Wirkung entfaltet oder

127 Vgl. Cromme, Vorwort zum Deutschen Corporate Governance Kodex: „Auch dort, wo der Kodex geltendes Recht beschreibt, gibt er dem Ziel leichter Verständlichkeit den Vorrang vor juristischer Präzision. Er erhebt nicht den Anspruch, die geltenden Gesetze umfassend und in allen relevanten Facetten darzustellen.", vgl. Seibert, BB 2002, 581, 582. 128 Hüffer, AktG, § 76 Rn. 15 c; Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 46. 129 Ablehnend Hüffer, AktG, § 76 Rn. 15 b, c; Bernhardt, DB 2002, 1841, 1841 ff.; kritisch Baumbach/Hueck, GmbHG, vor §35 Rn. 11 („mit viel Wasser gekocht"); Großfeld, NZG 2003, 841, 843 („Leider bietet der Kodex namentlich Juristen die Chance, vor der ihnen oft fremden Rechnungslegung auszuweichen und weitere Einzelheiten in Randbereichen zu vertiefen"); kritisch gegenüber der Kontrolle durch den Kapitalmarkt Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1 Rn.13; zurückhaltend auch Claussen/Ürbcker, DB 2002, 1199, 1200 f.; a.A. Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 37, 45; Schneider, DB 2002, 1413, 2413. 130

Hierzu Hopt, ZGR 2000, 779, 788; ders., Beiheft ZHR 71, S. 27, 47 f. Insiderhandels-Richtlinien i.d.F von Juni 1998, abgedruckt bei: Baumbach/H opt, HGB, 29. Auflage 1995, unter (16) Insiderhandel-Ri. 132 Übernahmekodex der Sachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen vom 14. Juli 1995 i.d.F vom 28.11. 1997, abgedruckt bei: Baumbach/Hopt, HGB, unter (18) Übernahmekodex. 133 Vgl. zur unterschiedlichen Ausgangslage des Kodex gegenüber diesen gescheiterten Regelwerken Erhardt/Nowak, AG 2002, 336, 343 f.; Schneider, DB 2002, 2413, 2416. 131

Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung

47

sich als „path dependend" herausstellt, wird sich mit einiger Gewissheit erst in Zukunft beurteilen lassen. Erste empirische Untersuchungen in der Praxis deuten zumindest auf eine nicht unerhebliche Anwendung der Kodexempfehlungen hin 134 . V. Beschreibung des weiteren Untersuchungsgegenstands

Ohne auf das für und wider der Auswirkungen des Kodex auf das gesamte System der deutschen Corporate Governance weiter eingehen zu wollen135, soll nachfolgend allein die Rolle des Aufsichtsrats herausgegriffen werden. Dabei beschränkt sich die Untersuchung auf die Frage der mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex und der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG verbundenen Haftungsrisiken für Mitglieder des Aufsichtsrats.

B. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung Die rechtliche Bedeutung des Kodex und der Entsprechenserklärung für die Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats hängt davon ab, welchen Inhalt der Kodex hat und worauf sich die Erklärung bezieht. I. Kategorisierung und Aufbau des Kodex

Der Kodex ist in drei Kategorien unterteilt. Diese sind nicht systematisch oder drucktechnisch, sondern sprachlich voneinander getrennt136. Die sprachliche Differenzierung wird in der Präambel des Kodex erläutert 137.

134 Vgl. V. Werder, Executive Summary, S. 2 ff.; Oser/Orth/Wader, DB 2003, 1337, 1338 ff.; Towers/Perrin, Corporate Governance 2003, S. 16 ff. 135 Nach einer vereinfachenden Zusammenstellung von Seibert, AG 2002, 417, 418 besteht das deutsche System im Wesentlichen aus den Komponenten Vorstand, Aufsichtsrat, Mitbestimmung, Abschlussprüfer, Aktionäre in der Hauptversammlung, Großaktionäre, Depotbanken, Aktionärsvereinigungen, institutionelle Anleger, Kleinaktionäre, Analysten, Rating-Agenturen und Wirtschaftsjournalisten. 136 Vgl. zur Kritik an der teils nicht hinreichend deutlichen Trennung der Regelungsarten Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 56. 137 Präambel Abs. 6 S. 1, 5, 6 DCGK; vgl. entsprechende Empfehlung der BaumsKommission, Baums, Bericht, Rn. 8, S. 53.

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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

1. Gesetzeswiederholungen Die erste Kategorie bilden Hinweise auf das unabhängig vom Kodex geltende und schon deshalb für die Gesellschaften obligatorische Gesetzesrecht138. Die gesetzeswiederholenden Passagen des Kodex, die mit Blick auf dessen „Kommunikationsfunktion" der verständlichen Darstellung des bereits bestehenden deutschen Corporate Governance Systems dienen und insoweit als bloßer „Informationsteil" 139 bezeichnet werden können, sind im Indikativ formuliert und ansonsten sprachlich nicht hervorgehoben 140. 2. Empfehlungen Die zweite Kategorie der sogenannten „Empfehlungen" stellt das eigentliche Zentrum des Kodex dar. Die Empfehlungen sind durch Verwendung des Wortes „soll" kenntlich gemacht. Anders als die gesetzlichen aktienrechtlichen Bestimmungen sind sie nicht zwingend, sondern es kann von ihnen abgewichen werden. Die Gesellschaft ist jedoch nach der Präambel des Kodex „verpflichtet, dies jährlich offenzulegen" 141. Ergänzt wird die Offenlegungspflicht durch die „Empfehlung" der Ziffer 3.10 DCGK, wonach ,,eventuelle(...) Abweichungen von den Empfehlungen" der „Erläuterung" bedürfen 142. Damit werden die „Empfehlungen" dem System des von der /taa/ws-Kommission vorgeschlagenen und dem britischen Combined Code entliehenen „entsprich oder erkläre" („comply or explain") unterworfen 143.

138 Lutter , FS Druey, 463, 465; Schuppen, DB 2002, 1117, 1117; Semler/Wagner, NZG 2002, 553, 553; Seibert,, BB 2002, 581, 582; v. Werder, DB 2002, 801, 802; vgl. auch BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 139 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 153; vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 2. c) aa). 140 Vgl. Präambel Abs. 6 S. 6 DCGK. 141 Vgl. Präambel Abs. 6 S. 1,2 DCGK; vgl. dazu auch Wortlaut des § 161 AktG. 142 Vgl. Ziffer 3.10 S. 1, 2 DCGK: „Vorstand und Aufsichtsrat sollen jährlich im Geschäftsbericht über die Corporate Governance des Unternehmens berichten. Hierzu gehört auch die Erläuterung eventueller Abweichungen von den Empfehlungen dieses Kodex." 143 Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 39, 42; Baums, Bericht, Rn. 8 ff., S. 53 f.

Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung

49

3. Anregungen Die dritte Kategorie bilden die sogenannten „Anregungen". Die Anregungen sind durch Verwendung der Begriffe „sollte" oder „kann" gekennzeichnet144. Von ihnen kann ohne jede Offenlegung oder Erläuterung abgewichen werden145, so dass an ihre Befolgung die geringsten Anforderungen gestellt werden146. Die beiden Kategorien „Empfehlungen" und „Anregungen" sollen gemäß der mit dem Kodex verfolgten doppelten Zielsetzung dessen „Ordnungsfunktion" erfüllen und in einem Akt der „Flexibilisierung und Selbstregulierung" auf die Anerkennung über den gesetzlichen Zustand hinausgehender, anerkannter Standards guter Corporate Governance hinwirken 147. Wie am Fehlen einer Offenlegungs- oder Begründungspflicht für Abweichungen von Anregungen erkennbar, gilt das für beide Regelungsarten nicht in gleichem Maße148. Diese „feinsinnige" 149 Differenzierung zwischen Empfehlungen und Anregungen, die im Rahmen des Vorschlags der Ztaw/ws-Kommission, der insgesamt nicht drei, sondern nur zwei Arten von Regelungen vorsah150, nicht getroffen worden war, verdeutlicht die intensive Diskussion innerhalb der CrommeKommission über die Bedeutung der einzelnen Verhaltensstandards für eine gute Corporate Governance. In den „Anregungen" können proaktive Anstöße für die weitere Entwicklung der Corporate Governance in Deutschland gesehen werden, die sich im Gegensatz zu den „Empfehlungen" in der Praxis bzw. bei den Mitgliedern der Cro/w/we-Kommission noch nicht auf breiter Front als „best practice" Standards durchgesetzt haben151. Erst wenn das der Fall sei, kommt nach Auffassung der Cromme-Kommission anlässlich der nach der Präambel 144 145 146

Vgl. Präambel Abs. 6 S. 5 HS. 2 DCGK. Vgl. Präambel Abs. 6 S. 5 Halbs. 1 DCGK.

Lutter, FS Druey, 463,465 f.; v. Werder, DB 2002, 801, 802. Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 2. c) bb). 148 Vgl. aber die Erweiterung der Ziffer 3.10 DCGK um Satz 3 (Fassung vom 21.05.2003), der nunmehr i.S.d. des terminus technicus anregt, dass anlässlich der empfohlenen Erläuterung der Abweichung von Kodexempfehlungen nach S. 2 auch zu den Anregungen Stellung genommen werden „kann". Damit erfährt die Regelungskategorie der Anregungen eine gewisse Aufwertung. Dennoch bleiben beide Kategorien in ihrer „Wertigkeit" als Regulierungsinstrument deutlich abgestuft. 149 Schuppen, DB 2002, 1117, 1117. 150 Baums, Bericht, Rn. 8, S. 53. 151 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21; Cromme, Übergabe Kodex, S. 4; vgl. auch Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1201; Schuppen, DB 2002, 1117, 1117; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 152; v. Werder, DB 2002, 801, 802 f. 147

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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

Abs. 9 DCGK geplanten jährlichen Überprüfung des Kodexinhalts eine Aufnahme von Anregungen in den Katalog der Empfehlungen in Betracht152. 4. Inhaltsübersicht Die Kategorien der Empfehlungen und Gesetzeswiederholungen (Informationsteil) machen gegenüber den Anregungen vom Umfang her den mit großem Abstand überwiegenden Teil des Kodextextes aus. Nach der hier vorgenommenen Zählweise153 beinhaltet der Kodex154 66 Gesetzesdarstellungen, 67 Empfehlungen sowie 17 Anregungen155. Augenfällig ist dabei, dass sich dabei 42 Empfehlungen 156 auf den Aufsichtsrat beziehen. Zwei Drittel 157 der die „Ordnungsfunktion" des Kodex ausmachenden Empfehlungen beschäftigen sich mit der Verbesserung der Aufgabenerfüllung des Aufsichtsrats 158. Damit ist der Kodex klar auf den Aufsichtsrat fokussiert; die Verbesserung seiner Überwachungsaufgaben steht im Zentrum der Empfehlungen des Kodex159. Hieran wird 152 Vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. Vgl. dazu erste Evaluierung des DCGK zum 21.05.2003, unter Hervorhebung der Änderungen dokumentiert in ZIP 2003, 1316 ff. 153 Eigenständige Charakterisierung jedes einzelnen sprachlich selbständigen Satzes. Keine inhaltliche Bündelung mehrerer sprachlich selbständiger Sätze zu nur einer „Regelung". 154 Kodex in der Fassung vom 21.05.2003 (2. Fassung). 155 Bezogen auf die erste Fassung des Kodex v. 28.02.2002 erkennen „rund 60 Empfehlungen" v. Werder, DB 2002, 801, 810 und Peltzer, DB 2002, 2580, 2580; ders., Deutsche Corporate Governance, Rn. 325 (dort 58 Empfehlungen, mit Auflistung im Anhang, a.a.O., S. 125 ff.). Lutter, ZHR 166 (2002) 523, 525; Seibert, BB 2002, 581, 583; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 151 zählen dagegen „rund 50 Empfehlungen". Nach Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1199; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 6; Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 2 beinhalte der Kodex zu 50 % wiederholendes Gesetzesrecht, zu 40 % Empfehlungen und zu 10 % Anregungen. Nach Ruhnke, AG 2003, 371, 372 beinhaltet der Kodex unter Verweis auf IDW, EPS 345. Anhang 1 59 Gesetzeswiederholungen, 61 Empfehlungen und 17 Anregungen. Bezogen auf den Kodex in der Fassung v. 07.11.2002 zählt Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 249 f. 63 Empfehlungen, davon 34 an den Aufsichtsrat gerichtet, und 17 Anregungen. 156

Vgl. tabellarische Zusammenstellung im Anhang. Nach anderer Zählart ist der Quotient nicht ganz so hoch, in jedem Fall aber überwiegt der Anteil der den Aufsichtsrat betreffenden Empfehlungen mit großem Abstand. 158 Da die ,»Anregungen" i m Rahmen der Arbeit keine nennenswerte Rolle spielen, kann auf eine genauere Zuordnung ihres Inhalts unterbleiben. Auch sie beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit Fragen, die mit der Tätigkeit des Aufsichtsrats zusammenhängen. 159 Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1202; Ulmer, ZHR 166 (2002) 150, 155. 157

Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung

51

wiederum deutlich, dass Defizite im System der deutschen Corporate Governance vornehmlich im Zusammenhang mit der Stellung des Aufsichtsrats gesehen werden160. Inhaltlich ist der Kodex — in erster Linie der besseren Übersichtlichkeit wegen161 — in sieben Abschnitte untergliedert: (1) Präambel, (2) Aktionäre und Hauptversammlung, (3) Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat, (4) Vorstand, (5) Aufsichtsrat, (6) Transparenz, (7) Rechnungslegung und Abschlussprüfung 162. Dabei sind die an den Aufsichtsrat gerichteten Empfehlungen großteils (rund 20), aber nicht ausschließlich in dem diesem Organ gewidmeten fünften Abschnitt verortet. Siefinden sich mit Ausnahme des zweiten in sämtlichen Abschnitten des Kodex, wobei insbesondere dem siebten Abschnitt mit rund zehn Empfehlungen besonderes Gewicht zukommt163. II. Entsprechenserklärung nach § 161 AktG

Die Regelung des Kodex wird vor allem durch § 161 AktG gesetzlich „flankiert". Nach § 161 AktG haben Vorstand und Aufsichtsrat jährlich zu „erklären", dass den „vom Bundesministerium der Justiz im amtlichen Teil des elektronischen Bundesanzeigers164 bekannt gemachten" Verhaltensempfehlungen des Kodex „entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden" 165. Nach dem eindeutigen Wortlaut ist damit einzig maßgebliche Grundlage der Erklärung die im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichte Fassung des Kodex. So hat das Bundesministerium der 160 Baums, in: Bericht, Fn. 6, S. 51; Volk, DStR 2001, 412, 415; Pellens/Hillebrandt/Ulmer, BB 2001, 1243, 1245. 161 Ulmer, ZHR 166 (2002) 150, 153. 162 Vgl. dazu im einzelnen Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 44; Semler, in: MünchKommAktG, §161 Rn. 247 ff; Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, KodexKommentar, passim; Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1201 ff.; v. Werder, DB 2002, 801, 803 ff. 163 Ulmer, ZHR 166 (2002) S. 150, 155. 164 Einsehbar unter: http://www.ebundesanzeiger.de (Stand: 15.10.2003); vgl. zu ersten praktischen Erfahrungen mit dem elektronischen Bundesanzeiger Deilmann/Messerschmidt, NZG 2003, 616, 616 ff. 165 Vgl. die mit § 3 Nr. 5 BGB-InfoV bereits Anfang des Jahres 2002 in das deutsche Zivilrecht eingefügte und der Entsprechenserklärung ähnliche Erklärungspflicht von Unternehmern gegenüber ihren Kunden im elektronischen Geschäftsverkehr bezüglich Informationen nach § 312e Abs. 1 S.l Nr. 2 BGB i.V.m. Art. 241 EGBGB. Danach hat der Unternehmer den Kunden „über sämtliche einschlägigen Verhaltenskodizes, denen (er) sich unterwirft", zu informieren, „sowie die Möglichkeit eines elektronischen Zugangs zu diesen Regelwerken" zu gewährleisten.

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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

Justiz am 30.08.2002 den DCGK in der Ursprungsfassung vom 26.02.2002, am 14.11.2002 den DCGK i.d.F. vom 07.11.2002 und am 04.07.2003 den DCGK i.d.F. vom 21.05.2003 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht 166. Angesichts der dynamischen jährlichen Weiterentwicklung des Kodexinhalts167 stellt sich die Frage, ob sich die Erklärung auf den Kodex in der jeweils aktuell (dynamische Verweisung) oder zum Zeitpunkt der Abgabe (statische Verweisung) geltenden Fassung bezieht. Die erstgenannte Auslegungsalternative würde aber die gesetzlich geforderte jährliche Abgabe einer neuen Erklärung überflüssig machen168. Zudem bezweckt die Erklärungspflicht, dass sich die Organmitglieder inhaltlich mit den einzelnen Kodexempfehlungen auseinandersetzen169. Das wird mit einer nur nach einmaliger Beschäftigung mit dem Kodex erklärten dynamischen Verweisung auf den Kodex gleich welchen Inhalts und anschließender unreflektierten Umsetzung nicht erreicht. Die Entsprechenserklärung bezieht sich deshalb nicht auf nach ihrer Abgabe vorgenommene Änderungen des Kodexinhalts170. /. Vergleich der Erklärungspflicht

von Kodex und § 161 AktG

Mit der gesetzlichen Verankerung wird die mit dem Kodex und der Empfehlung der Ztow/ws-Kommission verfolgte Linie des „comply or explain" nicht vollständig aufgegriffen 171. Der Kodex, Präambel Abs. 6 S. 2 DCGK, und § 161 AktG stimmen darin überein, dass nur Abweichungen von Empfehlungen offenzulegen sind. Abweichungen von Anregungen sind übereinstimmend nicht offenzulegen und die gesetzeswiederholenden Passagen sind ohnehin nicht dispositiv. Demgegenüber verlangt die Formulierung des § 161 AktG anders als der Kodex mit der Empfehlung in Ziffer 3.10 S. 2 keine Begründung für Abwei-

166

Aktualisierte Fassung einsehbar unter http://www.ebundesanzeiger.de (Stand: 15.10.2003); Ursprungsversion abgedruckt etwa in ZIP 2002, 452 ff.; erste Änderung abgedruckt in ZIP 2002, 2276; Fassung v. 21.05.2003 unter Hervorhebung der Änderungen abgedruckt in ZIP 2003, 1316 ff. 167 Vgl. zur jährlichen Evaluierung des Kodexinhalts Präambel Abs. 9 DCGK. 168 Gelhausen/Hönsch, AG 2003, 367, 368. 169 BegrRegE TransPuG, BT- Drucks. 14/8769, S. 21. 170 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 64; BMJ, ZIP 2003, 1176; Gelhausen/Hönsch, AG 2003, 367, 369; vgl. zur Formulierung der Erklärung zur Vermeidung von Missverständnissen nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 5. a) cc). 171 Ihrig/Wagner, BB 2002, 791; Lutter, FS Druey, 463, 466; v. Werder/Ringleb, Ringleb/Kremer/ Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 413.

in:

Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung

53

chungen172. Der Gesetzgeber verzichtete damit bewusst auf eine zusätzliche Erläuterungspflicht, wie sie noch von der 2taw/ws-Kommission in ihrem Abschlussbericht vorgesehen worden war 173. Auch die CVowwe-Kommission verstand die gesetzliche „Erklärungspflicht" ohne das eigentliche „explain"Erfordernis 174, da Ziffer 3.10 S. 2 DCGK anderenfalls als Gesetzeswiederholung im bloßen Indikativ ohne „soll"-Form formuliert worden wäre. Insoweit kann bei § 161 AktG begrifflich eher von einem Modell des „comply or declare/disclose" 115 gesprochen werden, also einer reinen Offenlegungspflicht ohne das dem Modell des „comply or explain' " eigentlich immanente Begründungselement176. Zur Begründung wurde angeführt, die Gesellschaften müssten nicht durch Gesetz zu etwas gezwungen werden, was ohnehin aus Eigeninteresse getan werde 177. Von einem Interesse der Gesellschaft, die Kapitalmarktteilnehmer von der Vernünftigkeit eventueller Abweichungen zu überzeugen, kann ausgegangen werden178. Über die gesetzliche Entsprechenserklärung ist sichergestellt, dass die von den Gesellschaften umworbenen Kapitalmarktteilnehmer über Abweichungen von den als Maßstäbe „guter" Corporate Governance anerkannten Kodexempfehlungen unterrichtet werden. Die anknüpfende Erwartung, dass Abweichungen, insbesondere solche ohne inhaltliche Darlegung der dafür ausschlaggebenden, unternehmensspezifischen Beweggründe, das Marktvertrauen in die Corporate Governance der Gesellschaft erschüttern und zu negati172 Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 492 (zumindest missverständlich unter Rn. 55: ,,(...)ob sie den Empfehlungen des Kodex gefolgt sind, folgen werden und wo und warum sie abgewichen sind"); Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 353; Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 4; Seibt, AG 2002, 249, 252; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 171 f.; vgl. BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21: „Eine gesetzliche Begründungspflicht besteht nicht."; undeutlich Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 19: „Grund und (Dauer-) Charakter der Abweichung sind ebenso offenzulegen wie die (möglichst zu beziffernde) Konkrete Kodexbestimmung, von der abgewichen wurde." bzw. dann zutreffend deutlich unter 1, Rn. 21: „Nach dem Gesetz nicht geschuldet ist eine Begründung, warum man eine einzelne Empfehlung nicht befolgt." 173 174 175

Baums, Bericht, Rn. 10, S. 54. Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 172. Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1572; zustimmend Lutter, ZHR 166 (2002), 523,

531. 176

Das deutsche Modell unterscheidet sich insoweit von dem britischen Vorbild, wo nach den Zulassungsregeln der britischen Börsenaufsicht (UKLA) Abweichungen vom „i Combined Code" zu begründen sind. 177 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21; zustimmend Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791; Seibert, BB 2002, 581, 583. 178 Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1573; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 531; Seibt, AG 2002, 249, 252; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 172; v. Werder/Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 413.

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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

ven Reaktionen führen werden 179, ist unausgesprochene Voraussetzung des Modells180. Unter dieser Prämisse reicht es zur Sicherstellung der ausreichenden Informationsversorgung des Marktes aus, dass nur der Kodex selbst unter Ziffer 3.10 S. 2 eine Begründung „empfiehlt". Durch diese „Empfehlung" wird eine abweichende Praxis Gegenstand der gesetzlichen Entsprechenserklärung des § 161 AktG: Wer eine Abweichung von Empfehlungen nicht begründet, weicht — gem. § 161 AktG offenlegungspflichtig — von einer weiteren Empfehlung (Ziffer 3.10 S. 2 DCGK) ab 181 . Überdies weist Ulmer zu Recht daraufhin, dass eine gesetzlich verankerte Begründungspflicht eine die Schlüssigkeit der Begründung überprüfende Instanz erfordert hätte182. 2. Änderungen der Formulierung des § 161 AktG im Gesetzgebungsverfahren Die Formulierung des § 161 AktG wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens mehrfach abgeändert183. So unterscheidet sich § 161 AktG vom Wortlaut des Referenten- und Regierungsentwurfs (§§ 161 AktG-RefE 184 bzw. AktG-

179 Vgl. zur Bedeutung der Corporate Governance für die Kursentwicklung vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. II. 1. b); teilweise wird deshalb auch von einer „faktischen Bindungs- bzw. Zwangswirkung" der Kodexempfehlungen gesprochen, vgl. Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 172; Wolf ZRP 2002, 59, 60. m Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1271. 181 Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791; Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1271 (dort F. 21); Pfitzer/Oser/Wader, DB 2002, 1120, 1121; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 172; a.A. Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 21, der dies für einen „Zirkelschluss" erachtet. Eine Abweichung von der Empfehlung der Ziffer 3.10 S. 2 DCGK, also das Unterlassen einer Begründung anderer Abweichungen, ist selbstverständlich nicht ihrerseits zu erläutern, da für eine Begründungspflicht nach Nichtbefolgung der entsprechenden Empfehlung keine Grundlage mehr besteht. Eine „Begründung für die Nichtbegründung" muss also nicht abgegeben werden, vgl. Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791 (dort Fn. 26). 182 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 171; zustimmend Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 531; zu den insoweit bestehenden Unterschieden zwischen Deutschland und Großbritannien vgl. Baums, Bericht, Rn. 9, S. 54. 183 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 11 ff. 184 „Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaft erklären jährlich, dass den im Bundesanzeiger elektronisch bekannt gemachten Verhaltensregeln der Kodex-Kommission zur Unternehmensleitung und -Überwachung entsprochen wurde und wird oder welche Verhaltensregeln nicht angewendet werden. Die Erklärung ist den Aktionären zugänglich zu machen.", (Hervorhebung der Abweichungen vom verabschiedeten Wortlaut durch den Verfasser), abgedruckt in: NZG 2002, 78, 79.

Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung

55

RegE185) insoweit, als dass es dort noch übereinstimmend hieß, Vorstand und Aufsichtsrat hätten zu erklären, dass den Verhaltensempfehlungen des Kodex „entsprochen wurde und wird oder welche Verhaltensregeln nicht angewendet werden." Anders als die Entwürfe stellt der Wortlaut von § 161 AktG jetzt durch die Formulierung „(...) oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden" 186 eindeutig klar, dass auch in der Vergangenheit liegende Abweichungen von den Verhaltensempfehlungen des Kodex offenzulegen sind. Ebenso erst in der verabschiedeten Fassung des § 161 AktG wurde klargestellt, dass die Bekanntmachung des Kodex durch das Bundesministerium der Justiz erfolgt, und zwar im amtlichen Teil des durch seine gesetzliche Erwähnung ins Leben gerufenen 187 elektronischen Bundesanzeigers188. Bereits mit § 161 S. 2 AktG-RegE wurde in Abänderung der Formulierung des entsprechenden Referentenentwurfs ausdrücklich bestimmt, dass die Erklärung den Aktionären nicht nur zugänglich, sondern dauerhaft zugänglich zu machen ist. 3. Übergangsvorschrift

des § 15 EGAktG

Zu erwähnen ist noch die Übergangsvorschrift § 15 EGAktG189. Danach konnte sich die im Jahr 2002 abzugebende Entsprechenserklärung darauf beschränken, dass den Empfehlungen des Kodex „entsprochen wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet werden" 190. Folglich unterschied sich der inhaltliche Umfang der erstmaligen Entsprechenserklärung von den Erklärungen der Folgezeit, da die Verwaltungsorgane nicht erklären mussten, dass den Empfehlungen entsprochen wurde oder welche Empfehlungen nicht angewendet

185

Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaft erklären jährlich, dass den im elektronischen Bundesanzeiger bekannt gemachten Verhaltensempfehlungen Kodex-Kommission zur Unternehmensleitung und -Überwachung entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet werden. Die Erklärung ist den Aktionären dauerhaft zugänglich zu machen.", (Hervorhebung der Abweichungen vom verabschiedeten Wortlaut durch den Verfasser), BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21. 186 Hervorhebung durch Verfasser. 187 Vgl. Seibert, NZG 2002, 608, 611. 188 So auch schon nach § 161 AktG-RegE. 189 Die Übergangsvorschrift ist auf eine Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zurückzuführen, vgl. BT-Drucks. 14/9079, 13 ff. 190 Ohne diese Übergangsvorschrift hätte eine vollständige Entsprechenserklärung erstmals zum 01.01.2003 abgegeben werden müssen, weil der elektronische Bundesanzeiger (§ 25 AktG), auf den das Gesetz Bezug nimmt, gemäß Art. 5 TransPuG an diesem Tag den Betrieb aufnimmt, vgl. Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 5.

der

56

1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

wurden. Abweichungen der Vergangenheit mussten demnach in der ersten Entsprechenserklärung nicht offengelegt werden191. Diese Befreiung von der Erklärungspflicht über die Einhaltung der Empfehlungen in der Vergangenheit war nicht daran gebunden, dass die Gesellschaft die Empfehlungen zum Zeitpunkt der ersten Erklärung vollständig einhielt und deshalb eine positive Entsprechenserklärung abgeben konnte. Die entgegenstehende Auffassung, die Befreiung von der Offenlegungspflicht über zurückliegende Abweichungen sei an die Bedingung geknüpft, dass sich die Gesellschaft bis zur Abgabe der ersten Entsprechenserklärung auf die Befolgung des Kodex eingestellt habe192, findet im Wortlaut keine Stütze . Die erstmalige Erklärungsverpflichtung ist gleichermaßen bezüglich der An- wie der Nichtanwendung der Kodexempfehlungen nur im Präsens formuliert und lässt die Vergangenheit damit außer Betracht. Anderes ist auch nach Sinn und Zweck der Übergangsvorschrift nicht geboten. Sie sollte es den Gesellschaften ermöglichen, durch möglichst weitgehende Umstellungen ihrer internen Strukturen bis zum Zeitpunkt der ersten Erklärung eine möglichst positive Entsprechenserklärung abgeben zu können194. Werden nun von einer Gesellschaft bis zur ersten Erklärung die Empfehlungen immerhin größtenteils angewendet, einige wenige, womöglich als besonders problematisch erachtete Empfehlungen aber nicht195, müssten nach der Gegenauffassung auch alle zurückliegenden Abweichungen, obwohl inzwischen befolgt, offengelegt werden. Das ist mit Sinn und Zweck der Vorschrift nicht zu vereinbaren. I I I . Weitere gesetzliche Flankierung

Als weitere gesetzliche Begleitmaßnahmen des Kodex dienen die ebenfalls im Rahmen des TransPuG196 neu in das HGB eingefügten Verpflichtungen, im Anhang zum Jahres- bzw. Konzernabschluss Angaben zur Abgabe der Entspre191

Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 46; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 244; Seibert, NZG 2002, 608, 611. 192 Ihrig/Wagner,, BB 2002, 2509, 2509. 193 I.E. ebenso Seibert, NZG 2002, 608, 611. 194 So auch Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2509. 195 Vgl. hierzu eine erste empirische Untersuchung zur Anwendung der Kodexempfehlungen, nach der zum Zeitpunkt der Erhebung (14.02.2003) nur vier DAX 30- und drei der (alten) M D A X 70-Unternehmen alle Empfehlungen einhielten, v. Werder, Executive Summary, S. 2 f. Eine andere Studie stellt hingegen eine geringere geringeren Befolgungsquote von nur 35-46 % fest, vgl. Towers/Perrin, Corporate Governance 2003, S. 16 ff. 196

Art. 2 TransPuG v. 19.07.2002, BGBl. I S. 2681.

Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung

57

chenserklärung zu machen (§ 285 Nr. 16 HGB, § 314 Abs. 1 Nr. 8 HGB) und die Erklärung zum Handelsregister einzureichen (§ 325 Abs. 1 S. 1 HGB). Auch diese Vorschriften stehen im Zeichen der gesetzgeberischen Intention, dem Kodex mittelbar durch die Pflicht zur Offenlegung von Abweichungen gegenüber den Aktionären und der Öffentlichkeit Nachdruck zu verleihen197. IV. Adressatenkreis des Deutschen Corporate Governance Kodex und der Entsprechenserklärung

Haftungsrelevante Wirkungen gegenüber den Mitgliedern des Aufsichtsrats können den Kodexbestimmungen oder der Verpflichtung zur Abgabe der Entsprechenserklärung nur dann zukommen, wenn die Mitglieder des Aufsichtsrats Adressaten der jeweiligen Verhaltensanforderungen sind, da durch den Adressatenkreis gleichzeitig der Kreis der potentiellen Haftungsverpflichteten umgrenzt wird. 1. Kodex a) Unterscheidung börsennotierter und nicht notierter Gesellschaften Hinsichtlich der Adressaten des Kodex ist zwischen börsennotierten und nicht börsennotierten Aktiengesellschaften 198 zu differenzieren. Der Kodex richtet sich nach seiner Präambel „in erster Linie an börsennotierte Gesellschaften", stellt wesentliche gesetzliche Vorschriften „deutscher börsennotierter Gesellschaften" zusammen und will das Vertrauen in die Leitung und Überwachung „deutscher börsennotierter Aktiengesellschaften" fördern 199. Unzweifelhaft sind deutsche börsennotierte Aktiengesellschaften also Adressaten der Verhaltensregeln des Kodex. Auf der anderen Seite enthält der Kodex „anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung", die demnach für alle Gesellschaften unabhängig von ihrer Börsenno-

197

BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21; Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1271; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 157. 198 Darüber hinaus betreffen diejenigen Regeln des Kodex, die den Begriff „Unternehmen" anstelle von „Gesellschaft" verwenden, nicht nur die Gesellschaften selbst, sondern auch ihre Konzernunternehmen (vgl. Präambel des DCGK, S. 2). Der Konzernbezug des Kodex und die sich daraus ergebenden Auswirkungen sollen dabei an dieser Stelle nur kurz erwähnt werden, ohne im Rahmen der weiteren Bearbeitung weiter problematisiert zu werden. 199

Präambel Abs. 1 DCGK.

1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

58

tierung gelten, weshalb seine Beachtung auch den nicht notierten Gesellschaften nahegelegt wird 200 . Daraus folgert, dass sich der Kodex grundsätzlich an alle Gesellschaften richtet, in der Gewichtung jedoch deutlich zwischen börsennotierten („in erster Linie") und nicht börsennotierten Gesellschaften unterscheidet201. In der klar abgestuften Ausrichtung auf notierte und nicht notierte Gesellschaften ist die verfolgte Kompromisslinie zwischen der jeweiligen Gestaltung der Frankfurter Grundsatz- und der Empfehlung der Baums-Kommission auf der einen sowie derjenigen des Berliner Initiativkreises auf der anderen Seite deutlich zu erkennen. Während sich erstere ausschließlich an börsennotierte Aktiengesellschaften wendeten202, schloss der Berliner Initiativkreis geschlossene Gesellschaften, denen ein eigener Abschnitt mit Verhaltensgrundsätzen gewidmet wurde 203, als Adressaten seiner Empfehlungen mit ein. Die (vorrangige) Ausrichtung auf börsennotierte Gesellschaften wird mit der unterschiedlichen Interessenlage der jeweiligen Anteilseigner begründet. Bei geschlossenen Gesellschaften, insbesondere bei personalistischen oder konzernangehörigen Gesellschaften, bestünden andere Möglichkeiten der Informationsversorgung der Anteilseigner als in börsennotierten Unternehmen mit der dortigen Besonderheit der Kommunikation zwischen kapitalnachfragendem Unternehmen und anonymer Anlegerschaft. Zudem würden viele auf große Unternehmen zugeschnittene Regelungen gerade bei kleineren, nicht börsennotierten Gesellschaften nicht passen und deshalb zu vermeidbaren Kostenbelastungen führen 204. Allerdings empfehle sich aufgrund entsprechender Erwartungen des Kapitalmarktes gerade für die einen Börsengang planenden Gesellschaften bzw. wegen der Anforderungen vieler Rating-Agenturen bei der Kreditvergabe 205 auch für nicht vor einem Börsengang stehende Gesellschaften eine Kodexanwendung.

200

Präambel Abs. 8 DCGK. Vgl. dazu Baums, Bericht, Rn. 13, S. 57; diese „Binnendifferenzierung" begrüßend Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 42; kritisch Hawreliuk/StraussWieczorek, Die Mitbestimmung 6/2002, 20, 21 f.; vgl. zu Auswirkungen des Kodex auf die Haftung nicht börsennotierter Gesellschaften nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. b) cc) (5). 202 Baums, Bericht, Rn. 13, S. 57. 203 Vgl. Ziffer VII. des German Code of Corporate Governance, abgedruckt bei: Peltzer/v. Werder, AG 2001, 6, 13. 204 Baums, Bericht, Rn. 13, S. 57; ähnlich Ziffer VII. 1., 2. des German Code of Corporate Governance, abgedruckt bei: Ρeitzer fa. Werder, AG 2001, S. 6, 13. 205 Vgl. diesbezüglich vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. II. 2. a). Vgl. auch Stichwort „Basel II". 201

Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung

59

Deshalb sei eine faktische „Ausstrahlungswirkung" der Kodexregeln auch auf nicht notierte Gesellschaften zu erwarten 206. b) Keine Differenzierung nach der Größe der Gesellschaft Nicht zu unterscheiden ist zwischen den großen DAX-Gesellschafien einerseits sowie kleineren und mittleren Aktiengesellschaften andererseits, wenngleich die Gleichsetzung aller börsennotierten Gesellschaften verschiedentlich kritisiert wird 207 . Den kritischen Stimmen ist zuzugeben, dass die ausweislich des umfangreichen Informationsteils und der Entwicklungsgeschichte zum Ausdruck kommende Auslandsorientierung 208 des Kodex für kleinere Aktiengesellschaften, die nicht im Portefeuille amerikanischer Pensionsfonds enthalten sind, weniger bedeutsam ist. Auch liegen die Kosten neuer Regelwerke für diese Aktiengesellschaften prozentual sehr viel höher als für große (Dax-)Gesellschaften und die im Kodex enthaltenen Regelungen behandeln keine ausgesprochenen mittelstandstypischen209 Probleme210. Andererseits stellt eine Notierung etwa am NASDAQ-Markt auch für kleinere Aktiengesellschaften eine wichtige Alternative zur Deckung von Eigenkapitallücken dar. Angesichts des stark geschwundenen Vertrauens der inländischen Kapitalmarktteilnehmer nach den Kurszusammenbrüchen gerade am Neuen Markt wird der Corporate Governance auch im Inland immer größere Bedeutung zugemessen211. Die nicht vorgenommene Differenzierung erscheint deshalb letztlich gerechtfertigt. 2. Entsprechenserklärung Die Entsprechenserklärung richtet sich ausschließlich an Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften i. S. d. Legaldefinition des § 3 Abs. 2 AktG. Aus dem Wortlaut ergibt sich, dass die Erklärungspflicht nicht die Gesellschaft, sondern die Verwaltungsorgane als solche trifft und damit, wie z.B. 206

Baums, Bericht, Rn. 13, S. 57 f.; Berg/Stöcker, Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1, S. 1, 16 ff. 207 Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1200. 208

W M 2001, 1569, 1571; ähnlich

Vgl. vorstehende Ausführungen zu Ziffer 1. Kapitel, Α. II. 1. c), d). Als solche erscheinen nach Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1200 eher fehlendes Managementwissen, fehlendes Eigenkapital, überpositive Unternehmensbewertung, fehlende Kredite, fehlende Marktakzeptanz etc. 210 Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1200; Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1,S. 1, 16. 211 Kollmann, W M 2003, Sonderbeil. Nr. 1,S. 1, 16 f.; i.E. ebenso Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1200; vgl. auch vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. II. 2. a). 209

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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

die Rechnungslegungs- (§ 264 Abs. 1 HGB) oder die Insolvenzantragspflicht (§ 92 Abs. 2 AktG), eine persönliche Pflicht der Organmitglieder darstellt 212. Organe von Gesellschaften, deren Aktien im Freiverkehr gehandelt werden, sind nicht erfasst 213. Teilweise wird vertreten, bei Bestehen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages (§ 291 Abs. 1 AktG) „infiziere" ein börsennotiertes Tochterunternehmen seine beherrschende Muttergesellschaft dergestalt, dass diese ihrerseits auch dann eine Entsprechenserklärung abgeben müsse, wenn sie selbst nicht an der Börse notiert oder nicht einmal in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft geführt sei214. Es mag zwar zutreffen, dass wegen des Ausgleichsanspruchs nach § 304 Abs. 1 AktG die wirtschaftliche Lage des herrschenden Unternehmens auch auf den Börsenkurs der Tochter abstahlt. Gegen eine solche Ausweitung der Erklärungspflicht spricht jedoch nicht nur der klare Wortlaut des § 161 AktG. Auch hat der Gesetzgeber den Konzernbezug erkannt und durch die Angabepflicht nach § 314 Abs. 1 Nr. 8 HGB gelöst. Zuletzt ist der Kodex in vielerlei Hinsicht allein auf börsennotierte Aktiengesellschaften zugeschnitten, so dass eine Erklärungspflicht anders geführter Muttergesellschaften keinen Sinn machte. Auch Gedanken an eine teleologische Reduktion der Erklärungspflicht nach Beschluss einer börsennotierten Gesellschaft über den Ausschluss von Minderheitsaktionären gemäß § 327a Abs. 1 S. 1 AktG (squeeze out) 215 ist eine Absage zu erteilen. Allein der zum Ausdruck gebrachte Wille, sich der „Kontrolle des Kapitalmarktes" entziehen zu wollen216, kann bei Fortbestehen der Börsennotie-

212

Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 22; Lutter/ Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 491; Semler, in: MtinchKommAktG, § 161 Rn. 73; Sc hie ssl, AG 2002, 593, 594; Ρ eitzer, NZG 2002, 593, 595; Seibt, AG 2002, 249, 252 f.; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554. Vgl. zu der damit verbundenen Kompetenzproblematik nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel Β. I. 2. 213 Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 27; Schuppen, in: Hirte, Transparenz- und Kapitalmarktrecht, 2, Rn. 4; Pfitzer/Oser/Wader, DB 2002, 753, 755; zur Kritik und Anregung, § 3 Abs. 2 de lege ferenda auszuweiten, Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, S. 9 f., Rn. 27. Den nicht notierten Gesellschaften (oder auch GmbHs) steht es aber frei, sich — etwa in Hinblick auf einen geplanten Börsengang — freiwillig zur Einhaltung zu äußern, Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 28 f.; Schuppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 5. 214 So Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 33. 215 So Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 31. 216 So Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 31.

Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung

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rung angesichts des klaren Wortlauts des § 161 AktG die gesetzliche Erklärungspflicht nicht aushebeln217. Da es sich bei § 161 AktG um eine Vorschrift des Aktienrechts handelt, trifft die Erklärungspflicht mangels Verortung in das BörsG nur die Organe deutscher börsennotierter Gesellschaften 218, nicht auch die einer an einer deutschen Börse zugelassenen ausländischen Kapitalgesellschaft. Anderenfalls machte die Darstellung des geltenden Aktienrechts im Kodex auch keinen Sinn219. V. Rechtsnatur des Deutschen Corporate Governance Kodex

Die Haftungsrelevanz von Verhaltensregeln hängt nicht zuletzt von deren Rechtscharakter ab. Bei dem Kodex und seiner gesetzlichen Anbindung über §161 AktG handelt es sich allerdings um ein dem bisherigen deutschen Rechtssystem weitgehend unbekanntes Regelungsinstitut. Ließen sich aber Parallelen und Ähnlichkeiten zu bereits bekannten Rechtskategorien herausarbeiten, könnte die Beurteilung potentieller Haftungsrisiken auf gesicherterer dogmatischer Grundlage vorgenommen werden. 7. Formelles Gesetz oder Verordnung Es handelt sich bei dem Kodex nicht um ein formelles Gesetz oder eine Rechtsverordnung220. Es fehlen sämtliche dafür erforderlichen formellen Voraussetzungen221 und die Entwicklung gerade nicht-gesetzlicher Verhaltensmaßstäbe als nichtstaatliches, selbst geschaffenes „Recht" der Wirtschaft war bestimmendes Motiv für die Ausarbeitung des Kodex222. Das gilt für den Inhalt 217 Vgl. zur nicht fortbestehenden Erklärungsverpflichtung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zutreffend Hirte, in: ders., Transparenz- und Publizitätsgesetz, 1. Kapitel, Rn. 32. 218 Anders demgegenüber der US-amerikanische Sarbanes-Oxley Act (SO Act), der in Aufkündigung der bislang geübten internationalen Anerkennung der verschiedenen Corporate Governance Systeme des jeweils ausländischen Emittenten diese nun über die weite Definition „issuer" des § 2 (a) (7) SO Act dem nationalen Recht unterwirft, vgl. dazu Gruson/Kubicek, AG 2003, 337, 339. 219 Lutter , in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 972; vorausgesetzt bei Seibt, AG 2003, 465, 466; a.A. Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1204. 220 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 29; Abram, NZG 2003, 307, 308; Claussen/Bröcker, DB 2002, 199, 1199; Seibt, AG 2002, 249, 250; ders., AG 2003, 465, 470; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 158; ders., AcP 202 (2002), 143, 168; Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1278; Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 2. 221 Vgl. dazu nur Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 7 ff. 222 Baums, Bericht, Rn. 5 ff., S. 49 ff.

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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

des Kodex insgesamt, betrifft also nicht nur die Empfehlungen und Anregungen, sondern gleichermaßen die das Gesetz wiedergebenden Passagen. Stimmen diese inhaltlich mit dem Gesetz überein, haben sie ausschließlich wiederholenden Charakter. Weichen sie ab, bleiben sie ohne Relevanz. 2. „Mittlere Regelungsebene" Im Rahmen der Diskussion über Reformmöglichkeiten des deutschen Corporate Governance Rahmens sprach sich Hommelhoff für die Einführung einer „mittleren Regelungsebene" in das deutsche aktienrechtliche System aus223. Das Modell sei zwischen zwingendem staatlichen Gesetzesrecht und unverbindlicher Satzungskompetenz der Gesellschaften zu verorten 224. Die Entscheidung über die inhaltliche Ausformung der Corporate Governance der Gesellschaften bliebe nach diesem Regelungsmodell nicht mehr nur „zweistufig" dem Gesetzgeber auf der einen und innerhalb des so gesetzten gesetzlichen Rahmens den Gesellschaften auf der anderen Seite vorbehalten, sondern es käme ein dritter „Regulator" hinzu. Diesem könne der Gesetzgeber einen Teil seiner Regelungsverantwortung — insoweit auf eine mittlere Ebene zwischen eigener zwingender Gesetzgebung und der Überantwortung in die Satzungsautonomie der Gesellschaften — übertragen 225. So könne imperatives Staatshandeln durch kooperatives Staatshandeln in Form des Zusammenwirkens von Staat und in privaten Gremien gebündelten gesellschaftlichen Kräften ersetzt werden, wie es teilweise schon in anderen Bereichen der gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Steuerung, insbesondere dem Umwelt- und Technikrecht226, praktiziert werde 227. Allerdings dürfe sich der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen228 seiner Verantwortung für die ihm anvertraute Rechtsmaterie nicht begeben. Er müsse sicherstellen, dass die der „mittleren Regelungsebene" überantwortete 223

Hommelhoff, ZGR 2001, 238, 245; zustimmend Lutter, ZGR 2001, 224, 237. Vgl. Hommelhoff, ZGR 2001, 238, 244 f.; Lutter, ZGR 2001, 224, 237; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 158. 225 Hommelhoff, ZGR 2001, 238, 245. 226 Vgl. Marburger, Regeln der Technik, S. 195 ff.; Denninger, Normsetzung, Rn. 67 ff. 227 Hommelhoff/Schwab, FS Kruse, 693, 694 f.; Brennecke, Normsetzung durch private Verbände, S. 24, 117 ff.; Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 303; HoffmannRiem, DÖV 1997, 433, 435, 440 f. 228 Vgl. entsprechende Erwägungen zum Bilanzrecht: Hommelhoff/Schwab, BFuP 1998, 38, 42 ff; Hommelhoff, FS Odersky, 1996, 779, 790 ff; Hellermann, NZG 2000, 1097, 1100 ff; zu § 292a HGB Heintzen, BB 1999, 1050 ff; aus öffentlich-rechtlicher Sicht Kirchhoff, ZGR 2000, 681, 682 ff; ders., NJW 2001, 1332, 1333; Moxter, DB 2001, 605, 606. 224

Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung

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Regelungsmaterie nicht gänzlich seinem Zugriff entzogen sei229. Erforderlich sei ein staatliches Anerkennungsverfahren 230, dessen Ausarbeitung und Durchführung in den Händen der demokratisch legitimierten Ministerialbürokratie liege231, wenn nicht sogar darüber hinaus ein auf Anerkennung gerichtetes Tätigwerden des Bundestages (Parlamentsvorbehalt)232. Nur staatliche Anerkennung könne die von privater dritter Seite erstellten Regeln in Rechtssätze „härten" 233 . Der Kodex mit seiner gesetzlichen Anbindung über § 161 AktG könnte mit diesem im Vorfeld seiner Entstehung angedachten Modell vergleichbar ist. Die Erstellung des Kodex durch ein privates, jedoch staatlich eingesetztes Gremium und die gesetzliche Bezugnahme auf diesen Kodex durch § 161 AktG lässt zumindest Parallelen erkennen. Als „Anerkennungsakt" des Normgebers könnte die Veröffentlichung des Kodex im elektronischen Bundesanzeiger234 angesehen werden. Der Bereich des rein Privaten ist aufgrund dieser staatlichoffiziellen „Absegnung" sicherlich überschritten 235. Nach Ulmer verbiete sich jedoch unabhängig von den aus staatsrechtlichen Erwägungen an eine formell und materiell rechtmäßige Rechtssetzung des Gesetzgebers zu stellenden Anforderungen 236 jede Charakterisierung des Kodex

229 Vgl. Di Fabio , NuR 1991, 353, 355; Denninger, Normsetzung, Rn. 121; ders., DÖV 1997, 433, 435 f.; Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, S. 177; SchmidtPreuß, VVDStRL 56 (1997), 160, 176; Voelzkow, Private Regierungen, S. 68. 230 Vgl. zur weiteren Anforderungen an eine solche Rechtssetzung bei: Hommelhoff/Schwab, FS Kruse, 693, 700 ff. (Verantwortlichkeit des Gesetzgebers für die Besetzung des Gremiums, das von diesem anzuwendende Verfahren und die Finanzierung der Gremiumsarbeit). 231 Vgl. unter Verweis auf Ausführungen der EU-Kommission (EU-Dokument K O M (2000) 359 vom 13.06.2000) zur internationalen Rechnungslegung Hommelhoff, ZGR 2001,238, 246. 232 Hommelhoff, ZGR 2001, 238, 246. Vgl. vertiefend zur angedachten staatliche Anerkennung zur Wahrung der staatsrechtlichen Vorgaben für eine rechtmäßige Rechtssetzung Hommelhoff/Schwab, FS Kruse, S. 693, 712; Schuppert, in: König/Benz, Privatisierung, S. 539, 550 ff; König/Benz, in: Benz/König., Privatisierung, S. 606, 610 ff; Schwab, Politikberatung, S. 425 ff. 233 Hommelhoff, ZGR 2001, 238, 246. 234 Bundesanzeiger v. 30.08.2002, S. 1-8. 235 Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1278; Wolf ZRP 2002, 59, 60. 236 Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1199, verneinen aus verfassungsrechtlichen Gründen generell die Zulässigkeit einer Ebene zwischen Gesetz und Unverbindlichkeit. Auf die öffentlich-rechtliche Problematik der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Modells der „mittleren Regelungsebene" soll jedoch an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.

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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

als Regelung „mittlerer Ebene"237. Das hätte vorausgesetzt, dass es sich bei den Kodexempfehlungen letztlich um staatlich gesetztes Recht mit allerdings nicht zwingendem Charakter handele. Notwendige Voraussetzung einer solchen Einordnung sei jedoch, dass der Gesetzgeber überhaupt den Willen gehabt habe, mit den Verhaltensregeln des Kodex über die bloße Erklärungspflicht hinaus staatliches Recht zu setzen. Anhaltspunkte hierfür gebe es aber nirgends238. Vielmehr unterscheide sich der Kodex von einem Regelwerk „mittlerer Ebene" durch seinen bloßen Empfehlungscharakter 239. In der Tat verfolgte der Normgeber nicht das Ziel, der Cro/w/we-Kommission die Formulierung materiell-rechtlicher Rechtssätze zu überantworten. So kann selbstverständlich nicht bereits in der Einsetzung der Kommission zur Ausarbeitung des Kodex der gesetzgeberische Wille erblickt werden, das Ergebnis der Kommissionsarbeit als staatliches Recht zu billigen240. Auch dem Inhalt des Kodex selbst ist kein Hinweis auf ein solches Funktionsverständnis zu entnehmen241. Im Gegenteil wird von Seiten des zuständigen Referenten des Bundesjustizministeriums wie der CVö/w/we-Kommission von „echter Selbstorganisation der Wirtschaft" 242 bzw. „Regeln der Wirtschaft für die Wirtschaft" 2 4 3 gesprochen. Insbesondere bezieht § 161 AktG nicht im Sinne einer dynamischen Verweisung den Inhalt des Kodex mit ein, sondern es wird nur die Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung — gerade ohne Verpflichtung zur inhaltlichen Erfüllung des Kodex — gesetzlich festgeschrieben 244. Damit billigt der in § 161 AktG zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille dem Kodex lediglich die Funktion zu, den Umfang der gesetzlichen Erklärungspflicht zu bestimmen. Allein in der Aufgabenübertragung an die Cromme-Kommission, den Katalog derjenigen Verhaltensempfehlungen zusammenzustellen, der anschließend im Bundesanzeiger veröffentlicht wird und Grundlage der gesetzlichen Entsprechenserklärung ist, ist nicht ein Wille zur Übertragung tatsächlicher Regelungs237 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 159; ders., AcP 202 (2002), 143, 169; zustimmend Bachmann, W M 2002, 2137, 2138. 238 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 159; vgl. auch Ausführung der BaumsKommission: „Die Setzung von Verhaltensstandards, von denen abgewichen werden kann, ist auch nicht etwa mit der Setzung dispositiven Gesetzesrechts zu vergleichen", Baums, Bericht, Rn. 17, S. 60 f. 239 Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 169. 240 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 159. 241 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 159; weitere Überlegungen über die anderenfalls anzunehmende Unbeachtlichkeit solcher Kodexpassagen erübrigen sich deshalb. 242 Seibert, ZIP 2001, 2192,2192. 243 Cromme, Übergabe Kodex, S. 2. 244 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 159.

Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung

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Verantwortung zu sehen, der dem Modell der „mittleren Regelungsebene" zugrunde liegt. Deren Grundidee war es, den „Regulator der mittleren Regelungsebene" anstelle des Gesetzgebers materiellrechtliche Bestimmungen entwerfen zu lassen und den Gesetzgeber diesbezüglich auf eine „Überwachung durch Verfahren" zu beschränken245, um notfalls die Regelungsverantwortung wieder an sich ziehen zu können. Damit ist weder dem Kodex selbst noch § 161 AktG der gesetzgeberische Wille zu entnehmen, die Verhaltensvorschriften des Kodex in Rechtssätze „härten" zu wollen. Diesem Befund steht auch nicht entgegen, dass der Staat an der Entstehung des Kodexinhalts selbst wie auch bei dessen Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger mitwirkt(e), selbst wenn diese Mitwirkung den Anforderungen entspräche, die von einem Teil der Literatur an eine aus staatsrechtlicher Sicht rechtmäßige Übertragung von Rechtssetzungskompetenzen an Private gestellt werden246. Nur weil die Voraussetzungen eines nach dem Modell der „mittleren Regelungsebene" erforderlichen Anerkennungsakts (möglicherweise) erfüllt wären, folgt nicht im Umkehrschluss, dass es sich deshalb bei der staatlichen Mitwirkung auch um einen solchen Anerkennungsakt handelt. Ausschlaggebend ist der — nicht vorhandene — entsprechende Wille des Gesetzgebers247. Die Verhaltensempfehlungen werden somit auch über das Denkmodell einer „mittleren Regelungsebene" nicht zu staatlichem Recht. 5. Vergleich mit Insiderhandels-Richtlinien, Übernahme-Kodex, Vertragsrecht Allein die Bezeichnung als Deutscher Corporate Governance Kodex drängt einen Vergleich mit den früher in Deutschland bekannt gewordenen Kodizes wie Insiderhandels-Richtlinien248 und Übernahme-Kodex249 auf. Inhaltlich haben der DCGK und die beiden vorgenannten Regelwerke jedoch nichts gemein. 245

Hommelhoff, ZGR 2001, 238, 248. Vgl. Nachweise zu vorstehenden Fn. 248 ff. 247 Ähnlich Bachmann, W M 2002, 2137, 2138 beim Vergleich mit § 342 HGB. I.E. ebenso Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 29. 248 Insiderhandels-Richtlinien in der Fassung von Juni 1988, abgedruckt bei Baumbach/Hopt!Duden, HGB, 29. Aufl. 1995, unter (16) Insiderhandels-Ri. 249 Übernahmekodex der Sachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen vom 14. Juli 1995 in der Fassung vom 28. November 1997, abgedruckt bei Baumbach/Hopt, HGB, unter (18) Übernahmekodex; ersetzt durch das am 1. Januar in Kraft getretene „ Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen" und dem in dessen Art. 1 enthaltenen Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG), BGB. I, S. 3822 ff. 246

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1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

So unterscheidet sich der Kodex als umfassendes Regelwerk von den beiden vorherigen „punktuellen" Kodizes250. Deren freiwillige Verhaltensregeln erlangten nur dann Rechtswirkungen251, wenn Unternehmen sie durch private Verträge anerkannten bzw. diese sich ihnen durch Unterzeichnung unterworfen hatten252. Das ist beim Kodex nicht der Fall 253 . Eine Einordnung des Kodex als Vertragsrecht (Anerkennung) scheidet schon mangels Vertragsparteien aus254. Die zivilrechtliche Anerkennung bzw. Unterwerfung in toto ist für den DCGK auch nicht vorgesehen. Im Gegenteil ist die Möglichkeit der Abweichung von Empfehlungen und Anregungen ausdrücklich in der Präambel, Abs. 6 S. 2, 5 DCGK hervorgehoben. Auch die nach § 161 AktG abzugebende Erklärung ist nicht auf die generelle Anwendung der Kodexbestimmungen gerichtet, sondern erlaubt die Nichtbefolgung einzelner oder auch aller Empfehlungen; das gilt erst recht für die nicht erwähnten Anregungen255. Insoweit kann zur begrifflichen Unterscheidung nicht wie bei Insiderhandels-Richtlinie und Übernahmekodex von einer „Opt in"-, sondern eher einer „Opt out"-Lösung gesprochen werden256. Der Kodex gibt keinen Inhalt vor, zu dessen Einhaltung sich die Gesellschaften verpflichten bzw. dem sie sich unterwerfen sollen. Er erlangt durch einen Verzicht von Vorstand und Aufsichtsrat auf ein mit der Entsprechenserklärung offengelegtes „Opt-out" seine — wie auch immer geartete und nachfolgend zu untersuchende — Maßgeblichkeit257.

250

Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1278 (Fn. 85). Vgl. für die Insiderhandels-Richtlinien Baumbach/Hopt/Duden, 29. Aufl., (16) Einl. Rn. 4; für den Übernahmekodex Baumbach/Hopt, 30. Aufl., (18) Einl. 4; eingehend zu darin begründeten Funktionsdefiziten Kirchner/Ehricke, AG 1998, 105, 105 ff. 252 Vgl. zum früheren Streitstand in Bezug auf den Übernahmekodex: für vertragliche Anerkennung und damit gerichtliche Durchsetzbarkeit Assmann, AG 1995, 563, 564; Thoma, ZIP 1996, 1725, 1725 f.; abwägend Hopt, ZHR 161 (1997), 368, 400 ff.; für Unterwerfung und damit mangels schuldrechtlicher Pflichten nicht justiziablen „Satz von Spielregeln" Groß, DB 1996, 1909, 1909 f.; Kirchner/Ehricke, AG 1998, 105, 107 m.w.N. 253 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 34. 254 Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1199; Seibt, AG 2003, 465, 470. 255 Vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Β. I. 256 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 159; ders., AcP 202 (2002), 143, 168; a.A. Bachmann, W M 2002, 2137, 2138 (dort Fn. 12). 257 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 34; Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 168. 251

Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung

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4. Vergleich mit „ Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung" (GoB) Parallelen lassen sich auch zwischen den Kodexregelungen und den „Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung" (GoB) erkennen258, doch ließen sich aus einem Vergleich keine weiteren Hinweise über die Rechtsnatur des Kodex bzw. seiner Empfehlungen gewinnen, da auch die Rechtsnatur der GoB nicht abschließend geklärt ist. Vertreten wird deren Einordnung als Gewohnheitsrecht, Handelsbrauch, Verkehrssitte oder auch als Normbefehl in Form unbestimmter Rechtsbegriffe 259. Näheren Aufschluss über den Rechtscharakter des Kodex kann deshalb nur sein Vergleich mit diesen Rechtskategorien bieten. 5. Handelsbrauch /.S.v. § 346 HGB In Betracht kommt weiterhin eine Charakterisierung der Kodexempfehlungen als „im Handelsverkehr geltende Gewohnheiten und Gebräuche", auf die gemäß § 346 HGB Rücksicht zu nehmen ist und im Verkehr unter Kaufleuten eine das Gesetz ergänzende Rechtsquelle für die Beurteilung der Rechtsfolgen von Handlungen und Unterlassungen darstellen260. Handelsbräuche sind im Kapitalmarktrecht ebenso wie in anderen Rechtsgebieten zu beachten261. Wäre der Kodex als Handelsbrauch zu charakterisieren, besäße sein Inhalt über § 346 HGB rechtliche Bedeutung für das Handeln der Aufsichtsräte aller börsennotierten Gesellschaften, ohne dass es darauf ankäme, ob die einzelne Gesellschaft gemäß § 161 AktG eine positive oder negative Entsprechenserklärung abgäbe262 oder die Regeln sogar durch Übertragung in Satzung oder Geschäftsordnung verankerte 263. 258 Vgl. nachfolgend zu Parallelen und Unterschieden von Kodex und Entsprechenserklärung zu § 342 HGB und den GoB nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, B. III. 2. b) aa). Vgl. zu den betriebswirtschaftlich entwickelten Grundsätzen ordnungsgemäßer Unternehmensführung (GoF), Unternehmensleitung (GoU), Überwachung (GoÜ), Abschlussprüfung (GoA) und Datenverarbeitung (GoDV) Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 37 m.w.N. 259 Vgl. dazu Baumbach/Hopt, HGB, § 238 Rn. 11; Κ Schmidt, Handelsrecht, § 15 I 4a) m.w.N.; W. Müller, FS Claussen, S. 707, 709, 711; Semler, FS Peltzer 2001, S. 489, 493. 260 Baumbach/Hopt, HGB, § 346 Rn. 1; Kort, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 346 Rn. 1; K. Schmidt, in: MünchKommHGB, § 346 Rn. 6; Wagner, in: Röhrich/Graf v. Westphalen, HGB, § 346 Rn. 5; BGH BB 1973, 635, 636; NJW 1966, 502, 502 f. 261 Bachmann, W M 2001, 1793, 1796, 1798. 262 263

Vgl. dazu nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. Vgl. dazu nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. II.

1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

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Während Hopt es als „nicht ganz ausgeschlossen" erachtet, dass sich ein rechtlich unverbindlicher Kodex zu einem Handelsbrauch entwickeln könne264, scheint Peltzer schon zum jetzigen Zeitpunkt davon auszugehen, dass der Kodex als „Quelle kaufmännischer Übung, also als Handelsbrauch" heranzuziehen sei, da er bereits den vor seiner Veröffentlichung erstellten und in Konkurrenz zueinander stehenden Kodizes265 eine solche Wirkung zusprach. Dabei komme demjenigen der verschiedenen Kodizes „besondere Autorität" zu, dessen Verhaltensregeln von „mehrere(n) oder gar eine Vielzahl" börsennotierter Gesellschaften eingehalten werde 266. Damit hinge die Charakterisierung des Kodexinhalts als Handelsbrauch lediglich vom Ergebnis einer entsprechenden empirischen Untersuchung des Verhaltens der börsennotierten Gesellschaften nach Veröffentlichung des Deutschen Corporate Governance Kodex ab 267 . Es dürfte aber davon auszugehen sein, dass Peltzer zur Bejahung eines Handelsbrauchs nicht ausschließlich auf den Grad der Einhaltung des Kodex abstellen wollte268. Er dürfte eher dahingehend zu verstehen sein, dass den Vorgängern bzw. dem Kodex eine faktische Standardsetzung innewohne, die möglicherweise in der Zukunft zur Herausbildung eines entsprechenden Handelsbrauchs führen kann. Schließlich bedarf es zur Begründung eines Handelsbrauchs nach ständiger Rechtsprechung269 und allgemeiner Meinung in der Literatur 270 nicht nur einer tatsächlichen Übung im Verkehr der beteiligten Kreise (Verkehrssitte), sondern Handelsbräuche sind nur solche Sitten, die „seit alters her" unter Kaufleuten gelten271. Erforderlich ist also nicht nur eine tatsächliche Übung, sondern zusätzlich eine längere, gleichförmige Ausübung derselben und 264

Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 52; Seibt, AG 2003,465,470. Angesprochen sind der „Code of best practice" der Frankfurter Grundsatzkommission (abgedruckt in: AG 2000, 109 ff.), der „German Code of Corporate Governance" des Berliner Initiativkreises (abgedruckt in: AG 2000, 6 ff.) sowie die OECDGrundsätze (abgedruckt in: AG 1999, 340 ff.). 266 Peltzer, NZG 2001, 10, 11. 267 Vgl. Studien bei v. Werder, Executive Summary, S. 2 ff.; Oser/Orth/Wader, DB 2003, 13371338 ff.; Towers/Perrin, Corporate Governance 2003, S. 16 ff. 268 So verstanden aber von Bachmann, W M 2002, 2137, 2138 (dort Fn. 14); ähnlich Seibt, AG 249, 251 (dort Fn. 16); Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 52 (dort Fn. 106). 269 RGZ 110, 47, 48; BGH NJW 1952, 257, 257; W M 1973, 677, 678; W M 1984, 1000, 1002; NJW 1994, 659, 660. 27 0 Baumbach/Hopt, § 346 Rn.l; Achilles/Schmidt, in: Ernsthaler, GK-HGB § 346 HGB Rn. 10; Hefermehl, in: Schlegelberger, HGB, § 346 Rn.l; Horn, in: Heymann, HGB, § 346 Rn. 1; Kort, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 346 Rn.l; Ruß, in: HKHGB, § 346 Rn. 3; Κ Schmidt, in: MünchKommHGB, § 346 Rn. 1; Wagner, in: Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, § 346 Rn. 1,11 ff. 27 1 Wagner, in: Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, § 346 Rn. 1. 265

Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung

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weiterhin eine Zustimmung des betroffenen Verkehrskreises, sich dieser Übung unterwerfen zu wollen272. Selbst wenn unterstellt wird, dass die Verhaltensregeln des Kodex auf weitestgehende Zustimmung stoßen und entsprechend umgesetzt werden sollten und damit das Merkmal der tatsächlichen kaufmännischen Übung vorläge 273, könnte der erst im Februar 2002 veröffentlichte Kodex dem für eine Anerkennung als Handelsbrauch erforderlichen Zeitmoment keinesfalls gerecht werden. Zwar gelten für Dauer und Beständigkeit der Ausübung keine festen Maßstäbe, doch ist in jedem Fall eine gewisse Kontinuität erforderlich 274. Liegen nicht ausnahmsweise gänzlich ungewöhnliche Umstände275 vor, setzt die Ausprägung eines Handelsbrauchs eine gleichmäßige Übung über einen längeren Zeitraum voraus276. Ein Einfluss des Kodex als nach § 346 HGB zu beachtender Handelsbrauch auf die Haftung des Aufsichtsrats scheidet somit jedenfalls zur Zeit bis auf weiteres aus277. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob zu erwarten ist, dass der Kodexinhalt in Zukunft, also bei Erreichen der notwendigen Zeitspanne, zu einem Handelsbrauch erstarken könnte. Dazu wäre zunächst erforderlich, dass sich das im Kodex niedergelegte Verhalten zu einer tatsächlichen Übung der Gesellschaften verfestigt, also gleichmäßig und einheitlich praktiziert wird.

27 2 Baumbach/Hopt, § 346 Rn.l; Hefermehl, in: Schlegelberger, HGB, § 346 Rn.l; Horn, in: Heymann, HGB, § 346 Rn. 22; Kort, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 346 Rn.8; Κ Schmidt, Handelsrecht, § 1 III 3. a). 27 3 Bachmann,, W M 2002, 2137, 2138; Ulmer, ZHR 166 ( 2002), 150, 159 f.; vgl. zum Grad der Kodexbefolgung nach ersten empirischen Untersuchungen v. Werder, Executive Summary, S. 2 ff. sowie Towers/Perrin, Corporate Governance 2003, S. 16 ff.; vgl. auch Seibt, AG 2003, 465,465 f. 27 4 Kort, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 346 Rn. 8; Κ Schmidt, in: MünchKommHGB, § 346 Rn.13; Wagner, in: Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, §346 Rn. 11. 275 Beispielsweise Krisen- oder Notsituationen, vgl. Hefermehl, in: Schlegelberger, HGB, § 346 Rn. 9; Kort, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 346 Rn. 8; Κ Schmidt, in: MünchKommHGB, §346 Rn.13; Wagner, in: Röhrich/Graf v. Westphalen, HGB, § 346 Rn. 12. Die Veröffentlichung des Kodex stellt keine solche Ausnahmesituation dar. 276 BGH NJW 1952, 257, 257; RGZ 110, 47, 48; 118, 139, 140; nach Wagner, NJW 1969, 1282, 1283, handelt es sich dagegen bei dem Zeitmoment nur um eine „Beweiserleichterung" für das Vorliegen der beiden anderen genannten Voraussetzungen. 27 7 Fischer zu Cramburg, in: AnwK-AktienR, Kap. 5 Rn. 3; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 33; Bachmann, W M 2002, 2137, 2138; Seibt, AG 2002, 249, 251; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 160.

70

1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

Die Herausbildung einer einheitlichen Übung erscheint allenfalls für den Empfehlungsteil des Kodex denkbar. Der nur angeregte Teil der Regelungsmaterie wird momentan auch nach Auffassung der aus Mitgliedern des angesprochenen Verkehrskreises gebildeten Cromme-Kommission noch nicht als allgemein akzeptierte „Best Practice" angesehen278. Es ist deshalb nicht zu erwarten, dass dieses Verhalten von den Gesellschaften einheitlich umgesetzt werden wird, zumal der über § 161 AktG erzeugte Marktdruck mangels Erklärungspflicht das nur angeregte Verhalten nicht erfasst. Bei den Empfehlungen deutet die mit Kodexerstellung und Verpflichtung zur Abgabe der Entsprechenserklärung verfolgte Zielvorstellung, die Gesellschaften über den Druck des Kapitalmarktes zur weitgehenden Einhaltung des empfohlenen Verhaltens zu bewegen, auf die Herausbildung einer darauf bezogenen einheitlichen Übung hin. Teilweise wird sogar von einer „faktischen Zwangslage" der Gesellschaften zur Einhaltung des Kodex gesprochen279. Andererseits wird den Gesellschaften ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, von den Kodex-Regeln abzuweichen, wenn sie das für sinnvoll und geboten halten280. Da, soweit ersichtlich, abschließende empirische Erkenntnisse noch nicht vorliegen, sind Mutmaßungen über die künftige Einhaltung des Kodex notwendigerweise spekulativ. Erste Untersuchungen weisen zwar auf eine nicht unerhebliche Einhaltung der Kodexempfehlungen hin 281 . Erfasst sind aber zum einen nur die DAX-30 und MDAX-70 Unternehmen282 und nur in einem Fall auch kleinere börsennotierte Unternehmen283 und damit nicht der ganze maßgebliche Verkehrskreis aller börsennotierten Gesellschaften. Außerdem geht aus der Untersuchung hervor, dass gerade bestimmte Empfehlungen von sehr vielen Gesellschaften nicht angewendet werden284.

27 8

Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1576; vgl. Regierungsbegründung zum TransPuG, abgedruckt bei: NZG 2002, 213, 225. 27 9 Wolf, ZRP 2002, 59, 60; a.A. Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Kodex-Kommentar, Rn. 45. 415. 280 BegrRegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 21 f. 281 Vgl. Oser/Orth/Wader, DB 2003, 1337, 1338 ff.; Towers/ Ρerrin, Corporate Governance 2003, S. 16 ff. v. Werder, Executive Summary, S. 2 ff. 282 Oser/Orth/Wader, DB 2003, 13371338 ff; Towers/ Perrin, Corporate Governance 2003, S. 16 ff; ν. Werder, Executive Summary, S. 2 ff. 283 Vgl. Berücksichtigung von 42 an der Frankfurter Wertpapierbörse notierte Gesellschaften, die innerhalb der letzten 12 Monate vor der Untersuchung den geringsten Börsenumsatz hatten („AGM-42") Oser/Orth/Wader, DB 2003, 1337, 1338 ff 284 So insbesondere Selbstbehalt von Vorstand und Aufsichtsrat bei D&OVersicherungen, Berücksichtigung von Vorsitz und Mitgliedschaft in Ausschüssen bei der Aufsichtsratsvergütung; erfolgsorientierte Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder,

Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung

71

Selbst wenn sich jedoch eine einheitliche Übung der Gesellschaften zur Befolgung der Empfehlungen herausstellte, spricht die konzeptionelle Ausrichtung des Kodex als flexibles Instrument der Corporate Governance gegen die Erwartung einer zukünftigen Kontinuität der Praktizierung. Die Flexibilität manifestiert sich eben nicht nur in der Abweichungsmöglichkeit von Regelungen des Kodex, sondern gerade auch in der Flexibilität seines Inhalts. Die gegenüber einer gesetzlichen Regelung ungleich einfachere Modifizierbarkeit des Regelungsinhalts war vor dem Hintergrund der dynamischen Entwicklung der Regelungsmaterie tragender Gesichtspunkt für die Schaffung des Kodex285. Dementsprechend heißt es im Kodex, er werde „in der Regel einmal jährlich vor dem Hintergrund nationaler und internationaler Entwicklungen überprüft und bei Bedarf angepasst", Präambel Abs. 9 DCGK. Es ist also zu erwarten, dass der Kodexinhalt sich im Rahmen der jährlichen Revisionen durch Umschreibung bisheriger Anregungen zu Empfehlungen oder Einfügung gänzlich neuer Verhaltensempfehlungen verändern wird 286 . Damit ist dem Kodex als zusammenhängendes Regelwerk eine inhaltliche Kontinuität abzusprechen. Folglich ist eine Verhaltensübung, die sich am sich veränderndem Inhalt des Kodex ausrichtet, ebenfalls nicht als andauernde und beständige Ausübung eines bestimmten Verhaltens287 anzusehen. Damit ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass sich einzelne Verhaltensvorgaben, die im Kodex — sei es als Anregung oder Empfehlung — enthalten sind, nach den allgemeinen Regeln zur Bestimmung eines Handelsbrauchs zu einem solchen herausbilden. Maßgeblich ist dann jedoch nur das — womöglich durch den Kodex motivierte — Einzelverhalten, ohne dass die Existenz des Kodex als zusammenfassendes Regelwerk in die Überlegungen mit einzubeziehen wäre 288. Im Ergebnis wird der Kodex deshalb in toto, also als Regelwerk in seiner Gesamtheit, auch in Zukunft keinen direkten rechtlichen Einfluss über den Umweg des § 346 HBG auf die Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats ausüben.

Veröffentlichung des Konzernabschlusses binnen 90 Tage nach Geschäftsjahresende, Veröffentlichung von Zwischenberichten binnen 45 Tagen. Bei den meist kleineren Unternehmen des M D A X 70 kommen weitere nur selten angewendete Empfehlungen hinzu; vgl. v. Werder, Executive Summary, S. 2 ff. 285

Baums, Bericht, S. 62, Rn. 17; Cromme, Veröffentlichung Kodexentwurf, S. 3. Vgl. entsprechende Änderung des DCGK zum 21.05.2003. 287 Kort, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 346 Rn. 8; Wagner, in: Röhrich/Graf v. Westphalen, HGB, § 346 Rn. 11 f. 288 I.E. ebenso Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 33. 286

72

1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

6. Handelsgewohnheitsrecht Eine Einordnung des Kodex als handelsrechtliches Gewohnheitsrecht scheidet nach Verneinung der Charakterisierung als Handelsbrauch erst recht aus289. Zusätzlich zu den vorstehend dargestellten und nicht erfüllten Voraussetzungen von Handelsbräuchen setzt das Handelsgewohnheitsrecht über die freiwillige Billigung als das im Handelsverkehr Übliche hinaus einen Rechtsgeltungswillen voraus und wird erst damit zu einer Rechtsquelle wie das geschriebene Recht (Art. 2 EGBGB)290. Tragender Gesichtspunkt für die Schaffimg des Kodex war hingegen, mit diesem flexiblen, gerade nicht zwingendem Regelungsinstrument den Gesellschaften weitgehenden Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung ihrer Corporate Governance zu belassen und gesetzliche Regelungen entbehrlich zu machen. Ausweislich dieser Zielvorstellung sind die Gesellschaften weder davon überzeugt, dass es sich bei den Empfehlungen, noch weniger den Anregungen des Kodex, um „Recht" handelt, noch gewillt, sie als geltendes Recht anzuwenden291. 7. „Soft law" In der Literatur besteht im Ergebnis letztlich Einigkeit, dass es sich bei dem Kodex und seiner gesetzlichen Anbindung über § 161 AktG um ein der deutschen Rechtsquellenlehre292 bisher unbekanntes Regelungsinstitut handelt293. In Ermangelung anderer Bezeichnungen wird häufig der terminus technicus „soft

289 So auch Claussen/Bröcker, DB 1199, 1199, ohne dabei zwischen Handelsbräuchen und Handelsgewohnheitsrecht zu unterscheiden; zustimmend Steiner, in: AnwKAktienR, Kap. 1 § 161 Rn. 2. 290 Achilles/Schmidt, in: Ernsthaler, GK-HGB § 346 Rn.5; Hefermehl, in: Schlegelberger, HGB, § 346 Rn.l; Horn, in: Heymann, HGB, § 346 Rn. 15 f.; Kort, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, §346 Rn. 4; K. Schmidt, in: MünchKommHGB, §346 Rn. 16; ders., Handelsrecht, § 1 III 3 a). 291 Vgl. Baums, Bericht, Rn. 8, S. 53, wonach sich nur eine Minderheit der vor Ausarbeitung des Kodex eingeholten Stellungnahmen für eine Verbindlichkeit eines Kodex aussprach. 292 Vgl. dazu Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhoff, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, § 61 Rn. 5 ff., 19 ff.; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, §§ 64 — 66. 293 Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 28; Hopt, Beiheft ZHR 71, S. 27, 52, 67; Lutter, ZUR 166 (2002), 523, 525; Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1278; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 160; auf die Parallele zu § 3 Nr. 5 BGB-InfoV verweisend Abram, NZG 2003, 307, 307; ders., ZBB 2003, 41, 42.

Β. Aufbau und Inhalt von DCGK und Entsprechenserklärung

73

law" verwandt294. Wie Ulmer zutreffend hervorhebt, ist eine nähere rechtliche Eingrenzung mit dieser Begrifflichkeit nicht erreicht 295. Vielmehr verdeutlicht der seinerseits interpretationsbedürftige Anglizismus die bestehende Unsicherheit bei der rechtlichen Charakterisierung des aus dem anglo-amerikanischen neu in den Deutschen Rechtsraum eingefügten Rechtsinstituts des „comply or explain" im Zusammenhang mit einem privat erstellten Verhaltenskodex. Obwohl dem Kodex keine rechtliche Verbindlichkeit, sondern nur ein Empfehlungscharakter zugedacht ist und seine Nichtanerkennung gemäß Vorschlag der itaw/ws-Kommission auch nicht etwa durch Ausschluss vom amtlichen Börsenhandel zu ahnden sein sollte296, scheidet eine Einordnung des Kodex als bloße Information über die deutsche Corporate Governance aus. Dem steht die doppelte Zielsetzung des Kodex entgegen, nicht nur eine Kommunikations-, sondern auch eine Ordnungsfunktion zu erfüllen, die sich in der Verschiedenartigkeit seiner Regelungen manifestiert 297. Der gesetzeswiederholende Teil ist sicherlich als bloße Information über die für deutsche Unternehmen geltende gesetzliche Lage einzuordnen298. Zumindest der Empfehlungsteil des Kodex — mit Abstrichen auch der Anregungsteil — geht aber über ein rein beschreibendes Moment hinaus, da er gerade auf eine Verbesserung und damit Veränderung der bestehenden Corporate Governance abzielt299. Dass sich eine Nichtbefolgung des Kodex negativ auf eine Gesellschaft auswirken kann, dürfte außer Frage stehen300. Der prognostizierte Erwartungsdruck des Marktes wird sich

294

Vgl. Fischer zu Cramburg, in: AnwK-AktienR, Kap. 5 Rn. 3; Kort, in: GroßKommAktG, vor § 76 Rn. 37; Semler, in: MünchKommAktG, § 161 Rn. 28; Steiner, in: AnwK-AktienR, Kap. 1, § 161 Rn. 1; Hommelhoff ZGR 2001, 238, 246 (vor Kodexerstellung zur „mittleren Regulierungsebene"); Kronke, FS Lutter, 2000, S: 1449, 1458 f. (zu Beispielen in den USA); Lutter, ZGR 2000, 1, 18 (zu den OECD-Principles); ders., ZGR 2001, 224, 225; Schuppen, ZIP 2002, 1269, 1278; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 554; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 161; ders., AcP 202 (2002), 143, 168; v. Wartenberg, W M 2001,2239, 2139; bereits zuvor Kronke, FS Lutter, S. 1449, 1450. 295 296

Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 161. Baums, Bericht, Rn. 9, S. 54; vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, A.

IV. 1. 297

Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 167; ders., ZHR 166 (2002), 150, 153; vgl. vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. IV. 2. c). 298 Lutter, FS Druey, 463, 465; Seibert, BB 2002, 581, 582; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 153; vgl. auch Präambel Abs. 1 S. 1, Abs. 6 S. 6 DCGK. 299 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 151, 160. 300 Baums, Bericht, Rn. 17, S. 61; Davies, ZGR 2001, 268, 278 f.; Wymeersch, ZGR 2001, 294, 314 f.; vgl. auch vorstehende Ausführungen unter 1. Kapitel, Α. II. 2.

1. Kapitel: DCGK und Entsprechenserklärung

74

umso deutlicher auswirken, je mehr sich eine Befolgung des Kodex und allgemeine Anerkennung der Gewichtigkeit seines Inhalts durchsetzt301.

C. Zusammenfassung Der privat erstellte Kodex nicht zwingender Verhaltenspflichten wurde als Konsequenz der Globalisierung der Kapitalmärkte zur Information der Anleger und als dem deutschen System neues, flexibles, auf die mittelbar sanktionierende Kraft des Marktes vertrauendes Regelungsinstrument geschaffen. Die Regelungsfunktion des Kodex soll durch die über die gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe der Entsprechenserklärung erzeugte Publizität erfüllt werden. Börsennotierte Gesellschaften müssen mit der Erklärung Abweichungen von den als „Empfehlungen" formulierten Verhaltensstandards des Kodex offen legen.

301

Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 170.

2. Kapitel

Überblick über die Haftungstatbestände Stehen im Zusammenhang mit dem Kodex und der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG negative Folgen für die Gesellschaften im Raum, stellt sich die Frage nach den Konsequenzen für die dafür verantwortlichen Personen. Pflichtverletzungen von Aufsichtsratsmitgliedern können eine Reihe unterschiedliche Sanktionen nach sich ziehen. So kann ihnen gesellschaftsintern die Entlastung verweigert werden (§ 120 AktG)1, sie können durch das jeweilige Wahlorgan (§ 103 Abs. 1 u. 2 AktG, §23 MitbestG, § 11 MontanMitbestG, § 10m MitbestErgG) oder gerichtlich (§ 103 Abs. 3 AktG) aus dem Amt abberufen werden2 oder sich gegenüber der Gesellschaft oder Dritten schadensersatzpflichtig machen. Nur letzteres soll im Anschluss untersucht werden.

A. Unterscheidung von Innen- und Außenhaftung Bei der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder ist zwischen der Innenhaftung und der Außenhaftung zu unterscheiden. Bei der Innenhaftung geht es um gesellschaftsinterne Ansprüche, also die Schadensersatzpflicht einzelner Mitglieder des Organs Aufsichtsrat gegenüber der Gesellschaft3. Die Außenhaftung betrifft hingegen die persönliche Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern gegenüber Dritten. Während dabei eine Haftung gegenüber Gesellschaftsgläubigern, Wettbewerbern oder Arbeitnehmern von geringer praktischer Relevanz ist4, besitzt die Frage einer Schadenersatzpflicht gegenüber Aktionären der Gesell1

Schüppen, in: Hirte, Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2. Kapitel, Rn. 6. Mit der Abberufung ist insbesondere die „politische Verantwortlichkeit" des Aufsichtsrats angesprochen. Abgesehen vom Gesichtspunkt des persönlichen Reputationsverlusts ist die Sanktion aus finanzieller Sicht für das betroffene Aufsichtsratsmitglied wenig gravierend (vergleichsweise geringe Vergütung; Abführungspflichten der Arbeitnehmerseite); vgl. zur Neuordnung der Aufsichtsratsvergütung Ziff. 5.4 DCGK; vgl. auch v. Rosen, BB 2003, Heft 31, S. I. 3 Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, Rn. 11. 4 Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, Rn. 17; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 865. 2

2. Kapitel: Überblick über die Haftungstatbestände

76

schafl oder dem anlagewilligen Publikum — zumal im untersuchten Zusammenhang — hervorgehobene Bedeutung5.

B. Die einzelnen Haftungstatbestände I. Haftung aus §§ 93 Abs. 2,116 AktG Unmittelbar mit der Organstellung des Aufsichtsrats verbunden ist der zentrale aktienrechtliche Haftungstatbestand der §§93 Abs. 2, 116 AktG. Nach § 116 AktG ist der für den Vorstand geltende § 93 AktG sinngemäß auf den Aufsichtsrat anzuwenden, so dass Aufsichtsratsmitglieder unter den Voraussetzungen des § 93 Abs. 2 AktG der Gesellschaft gegenüber schadensersatzpflichtig sind6. Danach haften Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft als Gesamtschuldner, wenn sie schuldhaft ihre Pflichten verletzen und daraus der Gesellschaft ein Schaden entsteht7. Dabei liegt gemäß §§93 Abs. 2 S. 2, 116 AktG die Beweislast für die angewendete Sorgfalt und das Verschulden nicht bei der Aktiengesellschaft, sondern beim Aufsichtsrat 8. Nach dieser Haftungsgrundlage könnte eine Verletzung der Erklärungspflicht nach § 161 AktG Schadenersatzansprüche der Gesellschaft zur Folge haben9 oder auch der Kodexinhalt selbst Pflichten des Aufsichtsrats im Sinne der §§ 93, 116 AktG begründen, konkretisieren oder anderweitig beeinflussen 10.

5

Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 862, 864. Allg. Meinung, statt aller Hüffer, AktG, § 116 Rn. 8, § 93 Rn. 11 ff. 7 Die in Bezug auf die Vorstandshaftung aufgrund eines unterschiedlichen dogmatischen Verständnisses des Haftungsgrundes des § 93 Abs. 2 AktG umstrittene Frage, ob neben § 93 Abs. 2 AktG ein Anspruch aus positiver Forderungsverletzung nach § 280 BGB des Anstellungsvertrages in Betracht kommt (vgl. zum Meinungsstand statt aller Hüffer, AktG, § 93 Rn. 11 m.w.N), spielt für den Auftichtsrat, dessen Tätigwerden gerade nicht von einem Nebeneinander organschaftlicher Bestellung und schuldrechtlichem Anstellungsverhältnis geprägt ist (vgl. zum Streitstand statt aller Hüffer, AktG, § 101 Rn. 2 m.w.N.), mangels Anstellungsverhältnis keine Rolle. 6

8

Vgl. zum Streitstand, ob die Beweislastregelung nur das Verschulden oder auch das Vorliegen einer objektiven Pflichtverletzung erfasst, statt aller Hüffer, AktG, § 93 Rn. 16 m.w.N. 9 Vgl. dazu nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. I. 10 Vgl. dazu nachfolgende Ausführungen unter 3. Kapitel, Β. II., III.

Β. Die einzelnen Haftungstatbestände

77

II. Ërklârungs- und Vertrauenshaftung 1. Haftung aus §311 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo) Nach den nun in § 311 Abs. 2 BGB gesetzlich niedergelegten Grundsätzen der culpa in contrahendo wäre eine Haftung von Mitgliedern des Aufsichtsrats auch gegenüber den Anlegern der Aktiengesellschaft für schuldhaft in Anspruch genommenes enttäuschtes Vertrauen durch Abgabe einer fehlerhaften Entsprechenserklärung denkbar. Nach den von der Rechtsprechung zur Vertrauenshaftung entwickelten Fallgruppen erfordert eine Haftung dabei ein besonderes wirtschaftliches Interesse an einem Vertragsschluss11 oder die Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens12. 2. Bürgerlichrechtliche

Prospekthaftung

Nicht an ein persönliches, sondern an ein „typisiertes" Vertrauen anknüpfend hat die Rechtsprechung für verschiedene Anlageformen zu Gunsten der Anleger eine Haftung für Vollständigkeit und Richtigkeit von Werbeprospekten entwickelt, die Gründer, Gestalter und Initiatoren einer Gesellschaft persönlich trifft, die diese Prospekte wissentlich in den Verkehr gebracht haben13. Auch diese Haftungsgründe sind möglicherweise auf die Abgabe der Entsprechenserklärung durch den Aufsichtsrat übertragbar, was eine Außenhaftung der Mitglieder des Organs zur Folge haben könnte14. 3. Spezialgesetzliche Prospekthaftung Nicht zu vergessen sind die verschiedenen spezialgesetzliche Tatbestände, die eine Haftung gegenüber Anlegern für die Veröffentlichung unzutreffender Prospekte oder Unternehmensberichte begründen können, §§44 ff., 55 BörsG, §20 KAGG, § 12 AuslInvestmG und § 13 VerkProspG 15. In den einzelnen

11

Vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB, § 311 Rn. 61 f. Vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB, § 311 Rn. 63 f. 13 Vgl. umfassend Assmann, in: Assmann/Schütze, Hdb-KapitalmarktR, § 7 Rn. 1 ff; Eyles, in: Vortmann, Prospekthaftung, § 2; Palandt/Heinrichs, § 280 Rn. 54 ff; Hopt, in: 50 Jahre BGH, Festgabe aus der Wissenschaft, 2000, S. 497, 525 ff.; ders., in: Baumbach/Hopt, HGB, Anhang nach § 177a Rn. 59 ff. 14 Vgl. nachfolgende Ausführungen unter 4. Kapitel, Α. I., II. 15 Vgl. zur spezialgesetzlichen Prospekthaftung etwa Hauptmann, in: Vortmann, Prospekthaftung, § 3 Rn. 1 ff.; Groß, Kapitalmarktrecht, §§ 45, 46 BörsG, § 13 Verk12

78

2. Kapitel: Überblick über die Haftungstatbestände

Spezialgesetzen sind jedoch die den Haftungstatbeständen unterliegenden Prospekte bzw. Berichte explizit im Einzelnen aufgeführt 16. Eine Haftung nach den Spezialgesetzen kommt damit nur in Betracht, wenn die Entsprechenserklärung Bestandteil einer der gelisteten Unterlagen wäre. Das ist allenfalls auf freiwilliger Basis bei Neuemissionen denkbar17. Aufsichtsratsmitglieder, die dann im Prospekt als Verantwortung übernehmende Personen aufgeführt wären, hafteten gem. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BörsG, § 14 BörsZulVO. Die Haftung wäre dann nicht weiter problematisch18, so dass sich eine weitere Erörterung der Vorschriften erübrigt.

III. Haftung aus Tatbeständen des Deliktsrechts 1. Haftung aus § 117 AktG Der Haftungstatbestand des § 117 AktG ist bereits den deliktischen Anspruchsgrundlagen zuzurechnen19. Eine Haftung kommt zum einen in Betracht, wenn ein Aufsichtsrat den mit dem Mandat verbundenen Einfluss zu einer vorsätzlichen Schädigung benutzt, § 117 Abs. 1 AktG 20 , zum anderen, wenn sich ein Aufsichtsratsmitglied, kumulativ zu den Voraussetzungen der §§93 Abs. 2, 116 AktG, pflichtwidrig schädigenden Einflüssen Dritter beugt, § 117 Abs. 2 AktG 21 . Die Bedeutung der Vorschrift liegt darin, dass Aufsichtsratsmitglieder nicht nur der Aktiengesellschaft, sondern unter den Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 S. 2 AktG auch den Aktionären verpflichtet sein können. Aufgrund des erforderlichen Schädigungsvorsatzes betrifft die Norm jedoch nur äußerst krasse Fälle des Fehlverhaltens von Aufsichtsratsmitgliedern 22; der praktische AnProspG; Baur, InvestmentG, Bd. 1, Teil 2 § 20 KAAG, Bd. 2, Teil 3 § 12 AusllnvestmG; Hopt, in: FG 50 Jahre BGH, S. 497, 525 ff; Kort, AG 1999, 9 ff 16 §§ 13 ff BörsZulV; § 1 VerkProspG; ; § 3 KAGG; § 19 AuslInvestmG. 17 Abram, ZBB 2003, 41, 43; Berg/Stöcker, W M 2002, 1569, 1582; Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353, 357. 18 Bachmann, W M 2002, 2137, 2140. Vgl. dazu den auf dieser Unkompliziertheit basierenden Vorschlag de jure ferenda, eine spezialgesetzliche Haftung für den Verstoß von Organmitgliedern gegen Publizitätspflichten mit Kursrelevanz, u.a. § 161 AktG, in Anlehnung an §§ 44 ff. BörsG zu schaffen, Abram, NZG 2003,309, 311 f. 19 Vgl. BGH W M 1992, 1812, 1819; Kropff, in: Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, § 117 Rn. 5; Mertens, in: KölnKommAktG, § 117 Rn. 9. 20 Vgl. BGH NJW 1980, 1629, 1629 f.(„Schaffgotsch"); Hüjfer, AktG, §117 Rn. 3 ff; Ulmer, NJW 1980, 1603, 1606; eingehend Brüggemeier, AG 1988, 93, 94 ff. 21 Hüffer, AktG, § 117 Rn. 10. 22 Vgl. BGH ZIP 1985, 607, 607 ff; BGH NJW 1980, 1629, 1629 f. („Schaffgotsch"); Wiesner, in: MünchHdbAG, § 27 Rn. 1; Hübner, Managerhaftung, S. 16.

Β. Die einzelnen Haftungstatbestände

79

Wendungsbereich der Norm ist gering23. In Betracht kommen könnte bei Vorliegen eines Schädigungsvorsatzes eine Haftung wegen Abgabe einer falschen Entsprechenserklärung oder Nichtbeachtung des Kodexinhalts ohne Grund. Solche Fälle sind — bei Nachweisbarkeit des Schädigungsvorsatzes — juristisch jedoch nicht problematisch und eine Haftung weder unbillig noch unkalkulierbar 24. Die Anspruchsgrundlage soll deshalb bei der weiteren Untersuchung außer Betracht bleiben. 2. Haftung aus § 823 Abs. 7 BGB Da § 823 Abs. 1 BGB nicht das Vermögen als Ganzes schützt, ist der Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1 BGB beschränkt auf Verletzungen absoluter Rechtsgüter25 der Aktiengesellschaft durch den Aufsichtsrat. Allgemein anerkannt ist, dass die Mitgliedschaft in einer Kapitalgesellschaft als absolutes Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anzusehen ist26. Ob Aktionäre der Aktiengesellschaft jedoch bei pflichtwidrigem Verhalten des Aufsichtsrats Schadenersatz wegen Verletzung ihres Mitgliedschaftsrechts geltend machen können, ist umstritten27. Nur soweit das bejaht werden kann, wäre eine Schadensersatzverpflichtung wegen Verstoß gegen § 161 AktG oder den Kodex vorstellbar. 3. Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V.m. einem Schutzgesetz Im Gegensatz zu Abs. 1 der Vorschrift schützt § 823 Abs. 2 BGB bei Verletzung eines Schutzgesetzes das Vermögen als Ganzes28, auch gegenüber Aktionären oder Anlegern der Gesellschaft. Als Schutzgesetze in Betracht kommen der Kodex selbst, § 161 AktG oder § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG bzw. 331 Nr. 1 HGB29. 23

Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 823. Bachmann, W M 2002, 2137, 2141; Seibert, BB, 2002, 581, 584. 25 Vgl. nur Palandt/77*omas, BGB, § 823 Rn. 1. 26 BGH NJW 1990, 2877, 2878 (Verein); Hopt, in: GroßkommAktG, §93 Rn. 440 ff.; Pa\