Die Gottesfrage in der Philosophie der Neuzeit: Aus dem Italienischen übersetzt und herausgegeben von Christian Göbel [1 ed.] 9783428525935, 9783428125937

Der Essay Leonardo Messineses bietet zugleich eine Einführung in die philosophische Theologie – indem er insbesondere ih

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Die Gottesfrage in der Philosophie der Neuzeit: Aus dem Italienischen übersetzt und herausgegeben von Christian Göbel [1 ed.]
 9783428525935, 9783428125937

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Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 45

LEONARDO MESSINESE

Die Gottesfrage in der Philosophie der Neuzeit Aus dem Italienischen übersetzt und herausgegeben von Christian Göbel

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

LEONARDO MESSINESE

Die Gottesfrage in der Philosophie der Neuzeit

Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 45

Die Gottesfrage in der Philosophie der Neuzeit Von

Leonardo Messinese Aus dem Italienischen übersetzt und herausgegeben von Christian Göbel

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die italienische Ausgabe erschien 2001 unter dem Titel „Il problema di Dio nella filosofia moderna“ beim Verlag Lateran University Press, Vatikanstadt

Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5200 ISBN 978-3-428-12593-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 * Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorbemerkung des Herausgebers Im Zentrum der vorliegenden Publikation steht ein Essay, der in seinem Kern auf die Antrittsvorlesung des Autors als Ordinarius für Geschichte der Philosophie der Neuzeit an der Päpstlichen Lateran-Universität in Rom zurückgeht; der ursprüngliche Text wurde – ohne seinen ,programmatischen‘ Charakter zu verlieren – schon für die italienische Buchfassung (Il problema di Dio nella filosofia moderna. Roma: Lateran University Press, 2001) erweitert und ist für die Übersetzung noch einmal überarbeitet worden. Im Anhang beigefügt sind zwei kleinere Arbeiten des Autors, die die Ausführungen des Haupttextes ergänzen.1 Leonardo Messinese hat sich nicht nur auf dem Gebiet der Metaphysik und Religionsphilosophie sowie der Erforschung der Geschichte der neuzeitlichen Philosophie einen Namen gemacht, sondern vor allem auch als profunder Kenner der italienischen und deutschen Gegenwartsphilosophie sowie als reger Teilnehmer an der philosophischen Debatte seines Heimatlandes. So ist er u. a. mit Buchpublikationen zu R. Descartes, K. Jaspers, M. Heidegger, G. Bontadini und E. Severino hervorgetreten. Der Übersetzung wert war der vorliegende Text aus mehreren Gründen, die ihn interessant machen für interessierte Laien wie für Fachleute: er bietet eine knappe Einführung für 1 Anhang 1, „Die philosophische Theologie Descartes’ als ,neue Apologetik‘“, stellt eine gekürzte Fassung der Einleitung zu einer von Messinese herausgegebenen Textauswahl aus Werken und Briefen Descartes’ dar (Cartesio. Invito alla Lettura. Cinisello Balsamo : San Paolo, 2001); Anhang 2, „Modernes Denken und die Suche nach Gott“, erschien zuerst in: Aquinas 41 (1998), 329 – 337.

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Vorbemerkung des Herausgebers

alle, die sich mit der Thematik der Gottesfrage (unter besonderer Berücksichtigung ihrer Behandlung in der Neuzeit) grundsätzlich vertraut machen wollen; man wird aber auch einen originellen eigenen Denkansatz des Verfassers finden; schließlich vermittelt der Text dem deutschen Leser einen Zugang zur philosophischen Diskussion im Italien der Gegenwart (wo, wie es zuweilen scheint, auch die spekulative Philosophie mit ihren Fragen noch eine größere Öffentlichkeit erreicht als anderswo). In Verweisen und expliziten Diskussionen stellt das Werk einige, für die Religionsphilosophie und Metaphysik bedeutende Denker vor, die im deutschen Sprachraum noch wenig bekannt sind, z. B. G. Bontadini, C. Fabro, A. Del Noce, S. Nicolosi, A. Molinaro, P. Faggiotto (und schließlich L. Messinese selbst). Ein weiterer, A. Rigobello, gibt in seinem Vorwort zu Teil I eine inhaltliche Einführung. Die Übersetzung war bemüht, einen Mittelweg zwischen der notwendigen Texttreue und dem Bewusstsein der unterschiedlichen akademischen Sprachtraditionen zu finden; die gefälligere Lesbarkeit im Deutschen bewahrt aber stets den Sinn des Originaltextes. – Drei Bemerkungen: 1. Da im Deutschen üblicher, wurde der Begriff „Gottesfrage“ für „problema di Dio“ verwandt. Der „problematische“ Charakter ist darin bewahrt, wenn er auch im Original prägnanter, bis in den äußeren Gleichlaut und manches Sprachspiel, zum Ausdruck gebracht wird. 2. Der Begriff „moderne Philosophie“ („filosofia moderna“) ist im Sinn der philosophiegeschichtlichen Epoche gebraucht und gleichbedeutend mit „Philosophie der Neuzeit (oder: der Moderne)“. 3. Der Begriff „Beweis / beweisen“ umfasst zwei Bedeutungen: den wissenschaftlichen Beweis (auch: „demonstrieren, dimostrare, demonstrare“) – der sich im Kontext der Metaphysik durch Kants Kritik als unangemessen erwiesen hat – sowie eine denkerische „Erhebung“ im Sinne Hegels. Zitate aus fremdsprachigen Werken wurden, sofern keine deutsche Standardübersetzung vorliegt, von mir übersetzt.

Vorbemerkung des Herausgebers

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Autor und Übersetzer danken Herrn Dr. F. Simon für die Aufnahme in sein Verlagsprogramm sowie Herrn Prof. Dr. F.-W. v. Herrmann für die freundliche Vermittlung. Boston / Rom, im November 2006

Christian Göbel

Inhalt Teil I: Die Gottesfrage in der Philosophie der Neuzeit Vorwort von Armando Rigobello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung: Was ist die moderne Philosophie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 1:

Die moderne Philosophie und die Gottesfrage . . . . . . . . . .

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Kapitel 2:

Die Gottesfrage im Blick von Rationalismus und Empirismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Kapitel 3:

Kants Kritik und Hegels Lösung der Gottesfrage . . . . . . .

Kapitel 4:

Philosophische Theologie und der ,Beweis‘ der Existenz Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

Schluss:

Anfrage an die ,immanentistische‘ Interpretation der modernen Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

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Teil II: Anhänge Anhang 1:

Die philosophische Theologie Descartes’ als ,neue Apologetik‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Einige Grundzüge des Descartes’schen Philosophierens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Gottesbeweise in Descartes’ Schriften . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Die cartesischen Beweise als ,neue Apologetik‘ des Christentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Anhang 2:

Modernes Denken und die Suche nach Gott . . . . . . . . . . . .

Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil I: Die Gottesfrage in der Philosophie der Neuzeit

Vorwort Von Armando Rigobello Die Rede von Gott ist immer aktuell; es gibt aber Momente, ob in der Geschichte eines Menschen oder in einer Epoche der Geschichte, in denen sie sich besonders aufzudrängen scheint. Es sind Momente tiefer Krise, sehr häufig beeinflusst von Ereignissen, die uns dazu zwingen, über das Wesentliche nachzudenken. Leonardo Messineses Essay macht aber auch deutlich, wie wenig man heute über dieses Thema (und vielleicht über alle Themen der Philosophie) sprechen kann, ohne die theoretischen Aspekte mit der historischen Situation zu verbinden. Insbesondere zeigt er, dass nach Descartes die Rede von Gott nicht bloß ein Thema ist, sondern ein Problem, das sich aus einer kritischen Position heraus entwickelt, nämlich aus der Grundfrage nach der menschlichen Erkenntnis und ihrem Wert. Kants Denken etwa nimmt – obwohl es zu anderen Ergebnissen als Descartes kommt – einen ähnlichen Weg, der bei der Frage nach den Möglichkeitsbedingungen der Erkenntnis, besonders auf dem Gebiet der Theologie und Existenz Gottes, beginnt. Kant kommt dann zu einer Lösung des Problems, die nicht mehr theoretisch, sondern praktisch ist, allerdings eine Lösung der praktischen Vernunft bleibt. Analog gilt für die Behandlung der Frage im Empirismus: Thema ist die Idee Gottes, nicht Gott selbst. Gegenstand der empiristischen Untersuchungen ist der Inhalt der Gottesidee, weniger die Existenz Gottes. Wirklich Innovatives kommt dagegen mit Hegel, der zwar vom kritischen Weg der kantischen Philosophie beeinflusst ist,

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Vorwort

sich aber radikal davon absetzt; in seinem System weitet sich die menschliche Erkenntnis auf das Absolute hin, und das Ganze wird das Wirkliche. So führt der Weg vom anthropologischen Problem des Erkennens und der Gewissheit zum ontologischen und metaphysischen Thema der Wahrheit. Hegel ist damit weniger Vollender des cartesischen Weges der modernen Philosophie; er unterbricht ihn eher, oder besser: er kehrt zurück zu den klassischen Themen des Seins und des Absoluten, allerdings nun im Problembewusstsein der kritischen Erkenntnislehre, die am Beginn des modernen Denkens steht und dessen Entwicklungsstränge geprägt hat, die bis heute reichen. Damit sind wir beim spekulativen Kern von Messineses Ausführungen. Er stellt folgende These auf: „Bei genauerer Lektüre erscheint es schwer, die Philosophie Hegels in demselben Sinn zur modernen Philosophie zu rechnen, in dem das für die zuvor betrachteten Philosophen legitim ist [Messinese bezieht sich auf Descartes, Locke, Hume und Kant]. Man könnte sagen, dass es Hegel nicht so sehr darum geht, das moderne Prinzip des Philosophierens herauszustellen als vielmehr das Prinzip des Philosophierens, das heißt die Fähigkeit der Philosophie, zum Gehalt ihres Wissens nichts weniger als das Absolute zu haben“ (S. 37). Man kann den Interpretationsvorschlag Messineses anhand dreier Begriffspaare zusammenfassen, die mehrfach wiederkehren: Gewissheit und Wahrheit, Form und Inhalt, Glaube und Wissen. Gewissheit und Wahrheit sind typisch augustinische Begriffe, die von Descartes aufgenommen wurden: die Gewissheit ist Überwindung des Zweifels, insofern sie kritisch fundierte Wahrheit ist. Form meint hier das idealistische Wissen, welches das Absolute zum Inhalt hat. Die Gewissheit ist zunächst leere Form, dann füllt sie sich mit Inhalten und wird Wahrheit. Das ist die Reife der Position Hegels, in dessen Denken Form und Inhalt untrennbar sind. Innerhalb dieser Position kommt es zur letzten Unterscheidung zwischen Glaube und Wissen, wo das Wissen, das seinen

Vorwort

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Ausdruck nicht in der leer-rationalen Formalisierung der Aufklärung findet, konkretes Wissen ist. Innerhalb dieses dichten, konkreten Wissens kommt es erneut zur dialektischen Spannung zwischen Glaube und Vernunft, wobei aber die Vernunft nicht mehr der bloße Intellekt der Aufklärung ist, sondern konkretes Denken; und der Glaube ist der christliche Glaube, der nicht mehr nur vom Heil erzählt und eschatologisches Zeugnis ist, sondern die Form vollendeter Erkenntnis annimmt, also von Wahrheit. Ein letztes Problem – von Messinese als ausstehende Aufgabe angezeigt – ist die innere Klärung dieser dialektischen Spannung zwischen absolutem, konkretem Wissen und dem Glauben als Inhalt der christlichen Botschaft. Die problematische Spannung zwischen Glaube und Vernunft ist damit in die Philosophie selbst überführt. Es geht darum, „eine Art philosophischer Übersetzung der ,christlichen Religion‘ zu finden, in der die Geschichte der Metaphysik auch eine Geschichte der christlichen Theologie wird, die mit der christlichen Definition Gottes als Geist abschließt“ (S. 40). Ist es möglich, in der Reife des Hegel’schen Denkens eine göttliche Wirklichkeit zu erfassen, den Geist, der der Welt Leben gibt, sie aber auch transzendiert? Das System Hegels stellt sicher einen Gewinn gegenüber den früheren Positionen dar; es bleibt aber ein Risiko: „dass die unreduzierbare Differenz zwischen Philosophie und (christlicher) Religion und mithin zwischen Philosophie und Theologie ausradiert wird, dass also das nicht anerkannt wird, was wir die ,religiöse Transzendenz‘ der ,philosophischen Transzendenz‘ nennen können“ (S. 40). Dieses Risiko, das Messinese anspricht, öffnet eine Reihe von Fragen und ist Anregung zur weiteren Forschung. Ursprünglich Antrittsvorlesung, ist der vorliegende Essay notwendigerweise zum einen schematisch, zum anderen programmatisch. Sein Ziel ist es im Wesentlichen, die Grundlinien des Problems herauszustellen und eine Arbeitshypothese zu seiner Lösung anzuzeigen, nachdem zunächst der philoso-

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Vorwort

phiegeschichtliche Kontext umrissen wird, in dem sich die Gottesfrage dem modernen Denken stellt. Überlegt diskutiert Messinese in diesem Kontext den Begriff der Moderne selbst und nimmt Stellung zu den ,antimodernen‘ Aspekten im Denken Hegels und dessen Rückkehr zur ontologisch-metaphysischen Dimension, welche die „anthropologische Wende“ und die kritische Erkenntnislehre hinter sich ließen. Natürlich bleiben Fragen, die noch auf Klärung warten, die aber vielleicht auch Grenzen anzeigen, die schwer zu überwinden sind: die Rechtfertigung des Endlichen, das in der Totalität erfahren wird; die Verinnerlichung und Reinigung des Denkens, das einen Übergang zur Transzendenz durch die Immanenz bereiten soll. Von besonderem Interesse scheint mir auch die Auseinandersetzung mit der Kritik Kants an den neuzeitlichen Gottesbeweisen zu sein, die einen Weg von den zurückgewiesenen Beweisen zu einer „Erhebung des menschlichen Geistes zu Gott“ eröffnen soll (S. 44, 46). Der Sinn dieser Perspektive erschließt sich aus den Seiten des vierten Kapitels – „Philosophische Theologie und der ,Beweis‘ der Existenz Gottes“ –, in dem „Beweis“ und „Vermittlung“ gegenübergestellt werden. Die traditionellen Beweise sind demnach Demonstrationen und damit immer im Bereich der Erkenntnis angesiedelt, während – so Messinese – ein geeigneter Weg zu Gott mehr Vermittlung als Beweis sei, das heißt: eine dialektische Gegenüberstellung, die zu einer Aufhebung [dt. i. Orig., C.G.] führt, also zu einer Überwindung in Analogie zum System Hegels. Die philosophische Theologie ist der Ort dieser Vermittlung, die zu jener Erhebung führt. Die Ausführungen des vierten Kapitels beginnen mit der Prämisse, dass „Gott, per definitionem, nicht nur ein Objekt (wenn auch das höchste) der Philosophie ist, sondern das Ganze des Seins und des Denkens“. Daraus folgt, dass es in gewissem Sinn eher darum geht, über das Denken die Existenz Gottes (an)zuerkennen, und weniger darum, sie zu beweisen; es muss also zwischen „(philosophischer) Vermittlung“ und „(wissenschaftlicher) Demons-

Vorwort

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tration“ unterschieden werden (S. 44). Messinese bietet scharfsinnige und originelle Betrachtungen, deren Ziel die Begründung des Primats der Vermittlung als Instrument der philosophischen Theologie ist.

Einführung: Was ist die moderne Philosophie? Eine überblickartige Darstellung der Philosophie einer bestimmten Epoche wird heute immer schwieriger, insbesondere angesichts der stets zunehmenden Einzelkenntnisse. Wenn es dabei noch um die in sich so vielschichtige Philosophie der Neuzeit geht, so sind Zweifel vorprogrammiert: ist nicht schon der Versuch eines solchen Unterfangens Ausdruck eines unkritischen Vertrauens in die Kräfte des begrifflichen Denkens, eines Vertrauens, das selbst als Ursünde der neuzeitlichen Philosophie – zumindest in ihrem ,rationalistischen‘ Zweig – gilt? Andererseits sind Gesamtdeutungen der neuzeitlichen Philosophie durchaus verbreitet, auch in nicht explizit philosophischem Kontext. Von diesen möchte ich einleitend zwei sehr populäre – und für unseren Zweck relevante – Sichtweisen der modernen Philosophie vorstellen. Die eine sieht als wesentliches Konstitutivum der mit Descartes’ ,Rationalismus‘ eingeläuteten Philosophie – auch aufgrund seines ,mathematischen‘ Verständnisses des Seins – einen Systemcharakter, den das vorhergehende Denken nicht kannte und der seine Vollendung im ,panlogistischen‘ System Hegels findet. Die Philosophie nach Hegel, die wir unter dem Stichwort der „anthropologischen Wende“ zusammenfassen können, habe dann dafür gesorgt, dass dieser übermäßige Anspruch an das Vermögen der menschlichen Vernunft wieder zurechtgerückt wurde. Das habe Denkwegen das Tor geöffnet, die – bei aller Verschiedenheit und Widersprüchlichkeit untereinander – insgesamt dem Menschen angemessener seien. Die zweite Interpretationslinie, die ich erwähnen möchte, sieht in der modernen Philosophie ein Unternehmen, dessen

Einführung

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logische Erfüllung man im Nihilismus erkennen müsse, dessen größter Diagnostiker Nietzsche sei und der inzwischen (in seinen verschiedenen Schattierungen) die – wenn auch nicht immer bewusste – gemeinsame Basis des Gegenwartsdenkens in all seinen Bereichen darstelle. Dabei wird der „nihilistische“ Ausgang der Philosophie der Moderne ihrem Anspruch zugeschrieben, Gott durch den Menschen als Fundament des Seins ersetzen zu wollen.1 Jenseits der Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Interpretationen – in beiden wird das moderne Denken in einer radikalen Opposition zum ,christlich-mittelalterlichen‘ Denken gesehen – zeigt sich folgender Unterschied: in der ersten Sicht hat die moderne Philosophie zuviel von der menschlichen Vernunft verlangt; das Echo der Forderung einer ,starken‘ Vernunft ist – in einer neuaufklärerischen Variante – in der These zu erahnen, die nach der „Legitimität“ der Neuzeit fragt.2 Nach der zweiten Deutungsweise ist die „moderne“ Vernunft scheinbar stark in ihrer „Autonomie“, trägt aber in Wirklichkeit in sich selbst die Wurzel ihrer Schwäche und ihrer Entwicklung zum Nihilismus, da ihr das eigentliche Fundament entzogen ist: Gott. In dieser Perspektive muss die Moderne als „Säkularisation“ des Christentums verstanden werden und offen anerkennen, dass sie Ausdruck eines impliziten Nihilismus ist und dass sie dort, wo das nicht erkannt wird, inkonsequent bleibt.3 Nun ist aber auch eine weniger „radikale“ Interpretation des modernen Denkens möglich, im Hinblick sowohl auf 1 In M. Heideggers Deutung der Geschichte der modernen Philosophie ist ein Zusammenlaufen dieser beiden unterschiedlichen Interpretationslinien zu sehen. Hier sei nur auf M. Heidegger: Nietzsche. Frankfurt am Main 1996 und 1997 (Gesamtausgabe Bd. 6.1 / 2) verwiesen. 2 Zur These der „Legitimität“ des Modernen vgl. H. Blumenberg: Die Legitimität der Neuzeit. Frankfurt am Main 1966. 3 Zur Deutung der Moderne als Resultat eines Prozesses der „Säkularisation“ des Christentums vgl. K. Löwith: Weltgeschiche und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie. Stuttgart, Neuausgabe 2004.

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Einführung

seine Anfänge als auch auf seine Vollendung; dabei ist es erforderlich, sich an einer Gesamtschau der Geschichte der Philosophie zu orientieren, in der die Betonung des ,Neuen‘ nicht hindern darf, das über die verschiedenen geschichtlichen Epochen hinaus Bleibende zu erkennen. Im Licht dieses VorVerständnisses sind die folgenden Reflexionen zu sehen.

Kapitel 1

Die moderne Philosophie und die Gottesfrage Der Titel des vorliegenden Essays – Die Gottesfrage in der Philosophie der Neuzeit – enthält einige Begriffe und Bezüge, deren Klärung am Beginn aller weiteren Ausführungen stehen muss. Zunächst ist das hier behandelte philosophische Problem in einem genau definierten historischen Kontext angesiedelt, der den Rahmen unserer Reflexionen bildet. Freilich ist der besondere geschichtliche Zusammenhang nicht ein leeres Gehäuse, das mit einem in sich ,un-geschichtlichen‘ Inhalt gefüllt würde, nämlich der Gottesfrage. Vielmehr widmen wir uns dem Problem unter der besonderen Berücksichtigung der Bedeutung, die es darin erhält, dass die Gottesfrage im modernen Denken gestellt worden ist. Das gibt ihr einen historischen Sinn. Zugleich erhellt damit, dass die Form der „Gottesfrage“ – nämlich „Frage“ oder „Problem“ zu sein – von der Form bzw. den „Formen“ abhängt, in denen sich die moderne Philosophie bei ihren verschiedenen Vertretern konstituiert hat. Die Grundeinsicht, dass das Denken der Philosophie immer ein „Denken im Akt“ oder „denkendes Denken“ ist, gilt nicht nur für das systematisch-theoretische Philosophieren, sondern auch für die Philosophiegeschichte. Methodisch ergibt sich daraus die Forderung, auch in der Philosophiegeschichte eine strenge Einheit von „Philologie“ und „Theorie“ zu bewahren, von dem Verständnis der spekulativen Fragen und der kritischen Kenntnis der Unterschiede zwischen den verschiedenen Epochen und einzelnen Philosophen, z. B. in den je eigenen

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Kap. 1: Die moderne Philosophie und die Gottesfrage

Semantiken (also den unterschiedlichen Bedeutungen, die mit gleichen Begriffen verbunden sein können), in den spezifischen Vor-Verständnissen oder in den begrifflichen Neuheiten. Trotz der fachspezifisch notwendigen Unterscheidung wäre aber eine klare Trennung zwischen Philosophie und Philosophiegeschichte wohl rein abstrakt. Nur wo eine solche Trennung angenommen wird, kann zum einen gegen die Philosophie der Vorwurf redundanter Spekulation erhoben werden, weil sie z. B. Fragen neu zu stellen wage, die längst beantwortet seien. Zum anderen kann auf der Grundlage einer solchen Trennung die Geschichte der Philosophie auf eine vage – höchstens ,interessante‘ – „Ideengeschichte“ reduziert werden oder auch auf eine sterile, bloß philologische Analyse der verschiedenen Denker und ihrer Lehren. Eine weitere Fehldeutung dieser Art zeichnet schließlich die Geschichte der Philosophie als starren Querschnitt und listet am Maßstab einer als „wahr“ angenommenen Philosophie eine lange Reihe von Irrtümern oder „irrigen Philosophien“ auf; ein solches Urteil wird dabei vollkommen abstrakt gefällt, d. h. ohne in eine wahrhaft ,dialektische‘ Beziehung mit den kritisierten Philosophien zu treten. Nun versteht es sich wohl von selbst, dass, wer wirklich erschöpfend unser Thema – die Gottesfrage in der Philosophie der Neuzeit – behandeln und dabei versuchen wollte, alle Hindernisse und Gefahren zu vermeiden, ein solches Unterfangen gleich wieder aufgeben müsste. Und doch kann der methodische Rahmen, den wir in Andeutungen skizziert haben, eine Art „regulative Idee“ für den vorliegenden Essay, aber vor allem auch für eine spätere, vertiefte Wiederaufnahme des Themas darstellen. Die Frage lautet, ob es möglich ist, etwas über Gott auf eine solche Weise zu sagen, dass damit zugleich etwas zur Charakterisierung der neuzeitlichen Philosophie gesagt ist. Ich möchte dazu die folgende Behauptung aufstellen: das, was die moderne Philosophie charakterisiert, ist – in Bezug auf Gott – genau die Tatsache, dass sich in ihr die ,Frage‘ nach Gott stellt.

Kap. 1: Die moderne Philosophie und die Gottesfrage

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Was ist damit gemeint? Natürlich soll nicht behauptet werden, dass nur in der Neuzeit die Philosophie von Gott handelt oder dass von Gott nur in der Neuzeit auf streng rationale Weise gehandelt würde. Vielmehr soll unterstrichen werden, dass es für die moderne Philosophie charakteristisch ist, ihre ,Gegenstände‘ im Modus der ,Problematisierung‘ anzugehen, d. h. damit zu beginnen, die Möglichkeit selbst ,in Frage zu stellen‘, dass eine solche Untersuchung erfolgreich durchgeführt werden könne. Wesentlicher – und in den philosophiegeschichtlichen Untersuchungen oft behandelter – Bezugspunkt für eine solche Denkweise ist das Erkenntnisproblem. Die Erkenntnis wird in der Neuzeit insofern zum Problem, als man beginnt, radikal an ihrer Grundlage zu zweifeln. Bekanntermaßen ist es Descartes, der dieser Frage ihre erste und bedeutendste Form gibt. In genau diesem Sinn, in dem man im Blick auf die moderne Philosophie gewöhnlich davon spricht, dass sich in ihr das „Problem“ oder die Frage der Erkenntnis stellt, sprechen wir vom „Problem der Metaphysik“ oder von der „Gottesfrage“. P. Faggiotto, ein scharfsinniger Analytiker der neuzeitlichen Metaphysik, bemerkt treffend: „Das metaphysische Problem besteht in der Untersuchung des Seins als Sein, seiner Ursachen und ersten Prinzipien; das Problem der Metaphysik hingegen ist die Infragestellung einer solchen Untersuchung: es ist die Frage der Möglichkeit und Grenzen der metaphysischen Forschung und schließlich ihrer möglichen Negation“.1

Wo natürlich der Begriff des „Problems“ mit der wesentlich ,diesseitig‘ verstandenen Haltung eines Vor-dem-Objekt-der-Untersuchung-Stehens verbunden wird, ist jeder Zugang zur metaphysischen Untersuchung als solcher versperrt. Musterbeispiel eines solchen methodischen Rahmens der Philosophie ist die cartesische Position, in der die Kant’sche Negation der „theoreti1 P. Faggiotto: Il problema della metafisica nel pensiero moderno. Parte I. Padova : Cedam, 1969, 15.

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Kap. 1: Die moderne Philosophie und die Gottesfrage

schen“ Metaphysik schon ideell vorenthalten ist.2 Es ist offensichtlich, dass damit vor allem die Gottesfrage betroffen ist, denn das höchste Objekt der Metaphysik ist Gott.

Nun ist es aber auch möglich, im Begriff des „Problems“ einen anderen Sinn zu entdecken, wenn man sich davon freimacht, das Denken als wesentlich diesseitiges „Vor-dem-Objekt-Sein“ zu verstehen, als ein „Gegenüber“ in Bezug auf das Objekt. Dann kann das Denken als immer schon bei der Sache begriffen werden, womit zumindest die prinzipielle Unmöglichkeit eines positiven Resultats der metaphysischen Untersuchung aufgehoben wird. Aber ein solches Verständnis impliziert noch mehr: die Tatsache, dass auch das höchste Objekt des Denkens Gegenstand der Forschung werden kann, sollte als Ausdruck der ,Ehrerbietung‘ vor ihm gesehen werden können: wenn man sich mit dem Denken zu Gott erhebt, wird dieser auch mit der Vernunft geehrt, und nicht nur mit dem Glauben. Dieses andere Verständnis soll uns leiten, wenn wir auf den von Descartes zu Hegel führenden Weg blicken und eine neue Wertung des charakteristischen Elements der modernen Philosophie vornehmen (darin wird die ,philosophiehistorische‘ Perspektive um einen ,theoretischen‘ Aspekt ergänzt), das – kurz gesagt – genau darin besteht, dem Denken den Vorzug zu geben in der Bestimmung ,dessen, was ist‘. Ein erstes Ergebnis unserer philosophiegeschichtlichen Rekonstruktion ist aber bereits klar: die Philosophien Kants und Hegels [auf welche die beiden skizzierten Möglichkeiten, das Denken zu verstehen, zulaufen] stehen auch ,spekulativ‘ am Ende oder sind Vollendung der neuzeitlichen Epoche der 2 Ich hebe das Attribut „theoretisch“ hervor, um Sinn und Reichweite der Kant’schen „Negation“ zu präzisieren. P. Faggiotto freilich hat auch den Versuch unternommen, in der Aufwertung einer „Metaphysik der Analogie“ einen kantischen Weg zur Metaphysik aufzuzeigen, als Alternative zum stark theoretischen Rationalismus und im Unterschied vom bekannteren „moralischen“ Weg Kants über die Postulate der „praktischen Vernunft“, vgl.: Introduzione alla metafisica kantiana della analogia. Milano : Massimo, 1989, v.a. 127 – 158.

Kap. 1: Die moderne Philosophie und die Gottesfrage

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Philosophie, deren Wesen schon in ihren cartesischen Anfängen aufscheint – die in sich beide Möglichkeiten bergen. Das spekulative Resultat wird unterschiedlich sein, abhängig davon, ob man dem ,kritischen‘ oder negativen Moment im Problembegriff folgt oder sein ,positives‘ oder affirmatives Moment aufnimmt. Im ersten Fall kommt man zum kantischen Ergebnis, wonach es prinzipiell unmöglich ist, theoretisch das Sein, das die Erfahrung übersteigt, affirmativ zu erfassen; im zweiten Fall ergibt sich die Lösung Hegels, die – wenn auch mit einer bleibenden und vielleicht unauflösbaren Restambivalenz – eine notwendige Ungleichung zwischen der Erfahrung, deren Inhalt das Endliche ist, und der Totalität des Seins annimmt.

Kapitel 2

Die Gottesfrage im Blick von Rationalismus und Empirismus Die Geschichte der neuzeitlichen Philosophie ist von ihrem Anfang bei Descartes bis zu ihrem Ausgang – einerseits bei Kant, andererseits bei Hegel – reich an Versuchen, das „Diesseits“ des Denkens zu überwinden, und zwar durch den Entwurf von Beweisen (bzw. „Demonstrationen“) des Daseins Gottes, die im Wesentlichen den bei Descartes (v. a. in den Meditationes de prima philosophia) vorgezeichneten Gedanken folgen.1 Freilich erheben auf der anderen Seite die empiristischen Philosophen zunehmend Einwände gegen die rationalistische Metaphysik – obwohl es auch bei ihnen weiterhin eine philosophische Theologie gibt. Tatsächlich findet sich bei Locke noch ein a posteriori-Beweis der Existenz Gottes,2 und 1 Descartes’ Gedanken zur Gotteslehre sind so komplex, dass an dieser Stelle nur auf die relevanten Texte verwiesen werden kann, insbesondere die Dritte und Fünfte der Meditationen über die Grundlagen der Philosophie (in: R. Descartes: Philosophische Schriften in einem Band. Hamburg 1996, 61 – 97 bzw. 115 – 129). Einige Hinweise zur Grundstruktur der philosophischen Theologie bei Descartes gibt im vorliegenden Band der Anhang 1 (s. u.). 2 Vgl. J. Locke: Über den menschlichen Verstand. Bd. 2. Hamburg 1962, 295 ff. (Kap. IV 10: „Über unser Wissen von der Existenz Gottes“). Das zentrale Argument Lockes führt von der Unbezweifelbarkeit der eigenen Existenz zu einem ewigen Wesen als deren Grund: „Um [ . . . ] zu zeigen, dass wir imstande sind zu wissen, das heißt dessen gewiss zu sein, dass es einen Gott gibt, und wie wir zu dieser Gewissheit gelangen können, brauchen wir meines Erachtens nicht weiter zu gehen als bis zu uns selbst und zu dem unzweifelbaren Wissen, das wir von unserer eigenen Existenz haben [ . . . ] Ferner weiß der Mensch durch intuitive Gewissheit, dass das reine Nichts kein reales Sein hervorbringen [ . . . ] kann [ . . . ] Wenn wir demnach wissen, dass es ein reales Dasein gibt, und ferner, dass das

Kap. 2: Rationalismus und Empirismus

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bei Berkeley wird Gott sogar als unendlicher Geist eingeführt, um die Passivität der Erfahrung zu erklären, so dass schließlich die Materialität der Welt als Ursache der Ideen des menschlichen Geistes verneint werden kann.3 Erst bei Hume wird das „empiristische Prinzip“ in seiner größten Strenge formuliert, einschließlich der Konsequenzen für die Gottesbeweise4 (im allgemeineren Horizont einer schärferen Kritik des metaphysischen Wissens).5 Diese KonNichtsein ein solches nicht hervorbringen kann, so ist es offensichtlich bewiesen, dass von Ewigkeit her irgend etwas bestanden hat; denn was nicht von Ewigkeit her dagewesen ist, hat einen Anfang gehabt; was aber einen Anfang gehabt hat, muss durch etwas anderes hervorgebracht sein“ (ebd., 295 – 296). Nachdem er im Folgenden zur Erkenntnis kommt, dass ein solches Wesen allmächtig und allwissend sei, beschließt Locke den ersten Teil des Kapitels mit der Folgerung, „dass wir von der Existenz Gottes eine gewissere Erkenntnis besitzen als von irgendeinem anderen Ding, das uns unsere Sinne nicht unmittelbar enthüllt haben. Ja, ich glaube behaupten zu dürfen, dass wir mit größerer Sicherheit wissen, dass es einen Gott gibt, als dass irgendetwas außer uns existiert“ (ebd., 298). 3 Vgl. G. Berkeley: Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis. Hamburg 2004, §§ 28 – 32, insbesondere § 29: „Aber welche Macht ich auch über meine eigenen Gedanken haben mag, so kann ich doch nicht umhin zu bemerken, dass die Ideen, die ich gegenwärtig durch die Sinne wahrnehme, nicht in gleicher Weise von meinem Willen abhängen [wie jene, die aus der Phantasie stammen] [ . . . ] die ihnen eingeprägten Ideen sind nicht Geschöpfe meines Willens. Es gibt daher einen anderen Willen oder Geist, der sie hervorbringt“ (S. 39). 4 Vgl. besonders D. Hume: Dialoge über natürliche Religion. Hamburg 1968, wo drei Typen von Argumenten für die Existenz Gottes der Kritik unterzogen werden: das Argument „a posteriori“, das Argument „a priori“ und die „moralischen“ Argumente. Zu beachten ist allerdings, dass in den Dialogen unter dem Argument a priori das verstanden wird, nach dem „alles, was ist, eine Ursache oder einen Grund seines Daseins haben muss, da es unmöglich ist, dass etwas sich selbst hervorbringt oder selbst die Ursache seines Daseins sei“ (ebd., Neunter Teil, 73), d. i. also das „kosmologische“ Argument, das im Kausalitätsprinzip gründet. Das Argument a posteriori meint dort den Gedanken der „Ordnung des Universums“ (vgl. ebd., Zweiter Teil, 19 ff.). 5 Das „schärfer“ versteht sich in Bezug auf die Prämissen des modernen Empirismus, nicht in einem absoluten Sinn. Zu „Gewinn“ und „Grenzen“ des Empirismus Humes – dem es in Wirklichkeit nicht gelingt, vollendeter Empirist zu sein, frei von außer-empirischen Voraussetzungen – vgl. die unübertroffene Abhandlung von G. Bontadini: Empirismo e gnoseolo-

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Kap. 2: Rationalismus und Empirismus

sequenzen werden in der transzendentalen Philosophie Kants eine signifikante Aufnahme, aber auch eine entscheidende Neuformulierung erfahren. Kant kommt deswegen das Verdienst zu, die verschiedenen Fäden des ihm vorausgehenden Denkens der Neuzeit in seiner ganzen Komplexität zusammengeführt zu haben. Im Folgenden blicken wir auf einige, für unser Thema bedeutsame Aspekte im Denken dieser beiden Grundrichtungen, die sich in der neuzeitlichen Philosophie gegenüberstehen. Eine erste Bemerkung vorweg: wer zu Beginn der Neuzeit die Gottesfrage innerhalb der Philosophie stellt, gibt damit schon eine Antwort auf den Skeptizismus und Atheismus seiner Zeit (und man bediente sich dabei oft der ,Waffen‘ des Gegners). Inbegriff dessen ist der philosophische Denkweg Descartes’, der scheinbar das Argument des Skeptizismus annimmt, aber nur, um es von seinem Inneren her zu überwinden und auf diese Weise – in einer Neuausrichtung der Metaphysik und der philosophischen Theologie – eine einzigartige ,Apologetik‘ des christlichen Glaubens vorzulegen.6 Descartes, der sich bewusst weitgehend von im engeren Sinn theologischen Fragen ferngehalten hat, hat doch zugleich versucht, einen persönlichen Beitrag zur Rettung des christgismo in Hume, heute in: Ders.: Studi di filosofia moderna. Milano : Vita e pensiero, 1996, 221 – 279. 6 Descartes erklärt seine Beziehung zum zeitgenössischen Skeptizismus folgendermaßen: „Ich habe niemals gelehrt, ,dass man Gott leugnen müsse oder dass er uns täuschen könne oder dass man an allem zweifeln müsse oder dass man den Sinnen in nichts trauen dürfe oder dass der Schlaf vom Wachen nicht zu unterscheiden sei‘, und ähnliche Dinge, die mir bisweilen von unwissenden Verleumdern entgegengehalten worden sind [ . . . ] zu Beginn meiner ,Meditationen‘ habe ich alle diese Dinge als zweifelhaft hingestellt, denn ich habe doch nicht als erster diese Zweifel erfunden, sondern sie werden von den Skeptikern seit langem hergeleiert. Was gibt es aber Unbilligeres, als einem Autor Meinungen zuzuschreiben, die er nur zu dem Zweck anführt, um sie zu widerlegen?“ (R. Descartes: Bemerkungen über ein gewisses . . . Programm, veröffentlicht als Anhang in: Ders.: Prinzipien der Philosophie. Hamburg 1955, 301).

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lichen Glaubens vor den Attacken der zunehmend „mechanistisch“ werdenden Wissenschaft zu leisten. Seiner Überzeugung nach war das möglich, indem er innerhalb der traditionellen Wissenschaft das Schicksal der philosophischen Gotteserkenntnis von jenem der alten, aristotelischen Naturwissenschaft abtrennte, die von der neuen Wissenschaft als inakzeptabel abgelehnt wurde.7 An Descartes – und die rationalistischen Philosophen generell – ist freilich die Frage zu stellen, ob der Mensch wirklich die Möglichkeit hat, die Erfahrung mit der Vernunft zu übersteigen – so, wie sie von ihnen in ihrem Bezug zum Sein gesehen wurde – oder ob nicht eher eine solche Vernunft nur eine „subjektive“ Demonstration des transzendenten Seienden leisten kann, also innerhalb des Denkens bleibt und deshalb nur zur „Möglichkeit“ Gottes kommt. Die Frage nach dem tatsächlichen Vermögen der menschlichen Vernunft wird noch drängender und umfassender, wenn es um alle Bestimmungen des Denkens geht (einschließlich der „geistigen Substanz“), die das übersteigen, was D. Hume „matter of fact“ nannte, also Erfahrungsdaten. In Humes empiristischer Kritik der philosophischen Theologie konzentriert sich die Gottesfrage damit vor allem auf die Kritik an den Beweisen der Existenz Gottes und steht im Kontext des allgemeineren, für Hume zentralen Problems der Berechtigung von Aussagen, die über empirische Daten hinausgehen.8 7 Vgl. R. Lenoble: Mersenne ou la naissance du mécanisme. Paris : Vrin, 1971, 610 ff. 8 „Ziel Humes war es, im Hinblick auf die Religion Folgendes herauszuarbeiten: die natürlichen Gründe, die ihre Entwicklung erklären können, ihre verschiedenen Formen in der Geschichte der Menschheit sowie die Konsequenzen ihrer Annahme. Zu diesem Programm gehört an erster Stelle seine Kritik der Möglichkeit, religiösen Glauben auf Vernunft zurückzuführen, in Analogie zur skeptischen Kritik an den Versuchen, dem natürlichen Glauben ein vernünftiges Fundament zu geben“ (E. Lecaldano: Hume, in: P. Rossi / C. A. Viano [Hg.]: Storia della filosofia. Vol. 4.: Il Settecento. Bari : Laterza, 1996, 277).

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Wenn man Descartes und Hume als Muster der beiden gegensätzlichen Lösungen des Problems nimmt, scheint es, als bestehe eine wirkliche Kluft zwischen Rationalismus und Empirismus. Allerdings nur, weil bisher noch nicht der gemeinsame Grundzug beider zur Sprache gekommen ist; es handelt sich dabei zugleich um das charakteristisch Moderne in der Behandlung unseres Themas, das Descartes und Hume eint, den Rationalisten und den Empiristen, den Erneuerer der Metaphysik und ihren Zerstörer. Dieser gemeinsame Zug zeigt sich im primären Gegenstand des Erkennens, es ist ein mentaler Gehalt: die Idee – sei es die klare und distinkte Idee Descartes’ (also eine nicht-empirische Idee) oder der Eindruck Humes (als Modifikation der Fakultät der Sinne), der Ursprung der anderen Ideen ist. In beiden Fällen bewegt man sich innerhalb der „Subjektivität“ – ob rational bzw. a priori (Descartes) oder empirisch bzw. a posteriori (Hume). So ist es zumindest diskutabel, ob die „prima veritas“ des Descartes, das „cogito“, wirklich eine „res“ ist, also ein Sein, das nicht auf den Zweifel reduzierbar ist und auf dem die cartesische Rekonstruktion des Wissens ruht; oder ist es nur die Denkordnung, der „Horizont des aktuellen Zweifelns“ selbst, aus dem sich als solchem nicht einmal die Subjektivität des empirischen Ich ergeben würde? Von diesem Standpunkt aus ist die Erkenntnislehre Kants in der Entdeckung des transzendentalen Ich Vollendung der modernen Perspektive, die bei Descartes beginnt; sie stellt den Versuch dar, wirklich philosophisch (gleichsam „de jure“) den Wert der menschlichen Erkenntnis zu retten. Während allerdings Descartes meinte, dass die gerettete Sache vor allem die – neuformulierte und neustrukturierte – „traditionelle Metaphysik“ sei (zum Beleg dieser Feststellung sei nur an den Untertitel der Meditationes erinnert9), glaubt Kant, die vom 9 Der Untertitel der ersten lateinischen Ausgabe der Meditationes de prima philosophia von 1641 war: „in denen das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele bewiesen werden“; in der zweiten lateinischen Ausgabe (1642) wird daraus: „in denen das Dasein Gottes und die Ver-

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philosophischen Wissen gerettete Sache sei die „neue Wissenschaft“. Eine eingehendere Untersuchung der rationalistischen Beweise des Daseins Gottes – auch der, die den klassischen Entwürfen näher stehen – müsste das unterschiedliche Verständnis von „Beweisen“ in Rechnung stellen sowie die ,gnoseologistische‘ Trennung des Denkens vom Sein, die a priori eine zuverlässige ,Schlussfolgerung‘ auf der Erfahrungsebene verhindert. Der Kritik Kants an den Gottesbeweisen kommt gerade das Verdienst zu, diese Ursünde der philosophischen Theologie des Rationalismus erfasst zu haben – wenn er dann auch nicht fähig war, die Reichweite seiner Kritik geschichtlich zu kontextualisieren, weil er selbst Opfer der gnoseologistischen Voraussetzungen wurde.10

schiedenheit der menschlichen Seele vom Körper bewiesen werden“ (ohne Zweifel korrekter im Hinblick darauf, was tatsächlich ,bewiesen‘ wird). Dieser letzte Beweis war für Descartes die nötige Voraussetzung für einen geglückten Beweis der Unsterblichkeit der Seele. 10 Zum „Gnoseologismus“, der die Philosophie der Neuzeit kennzeichnet und darin besteht, eine Andersheit des Seins in Bezug auf das Denken vorauszusetzen, vgl. den inzwischen klassischen Text von G. Bontadini: Studi di filosofia moderna, a. a. O.

Kapitel 3

Kants Kritik und Hegels Lösung der Gottesfrage Wir können uns nun einer weiteren Fassung der Gottesfrage in der Neuzeit zuwenden, im Blick auf die neue Situation, die sich im Gefolge der kantischen Kritik ergab.1 Kant selbst zeigt in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft klar den neuen philosophischen Horizont der Rede von Gott an: „Ich musste also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen“.2 1 Bevor Kant seine Kritik der rationalen Theologie beginnt, präzisiert er den Weg, den er einzuschlagen gedenkt, und stellt klar: „Alle Wege, die man in dieser Absicht einschlagen mag, fangen entweder von der bestimmten Erfahrung und der dadurch erkannten besonderen Beschaffenheit unserer Sinnenwelt an, und steigen von ihr nach Gesetzen der Kausalität bis zur höchsten Ursache außer der Welt hinauf; oder sie legen nur unbestimmte Erfahrung, d. i. irgend ein Dasein, empirisch zum Gunde; oder sie abstrahieren endlich von aller Erfahrung und schließen gänzlich a priori aus bloßen Begriffen auf das Dasein einer höchsten Ursache. Der erste Beweis ist der physikotheologische, der zweite der kosmologische, der dritte der ontologische Beweis. Mehr gibt es ihrer nicht, und mehr kann es auch nicht geben“ (I. Kant: Kritik der reinen Vernunft = KrV, B 618 f.). Er fügt dann an: „Ich werde dartun: dass die Vernunft, auf dem einen Wege (dem empirischen) so wenig als auf dem anderen (dem transzendentalen) etwas ausrichte und dass sie vergeblich ihre Flügel ausspanne, um über die Sinnenwelt durch die bloße Macht der Spekulation hinaus zu kommen“ (KrV, B 619). 2 KrV, B XXX. Um die Gründe dieser notwendigen Aufhebung des „Wissens“ zu verstehen, kann zusammenfassend auf das zurückgegriffen werden, was Kant am Schluss seiner Kritik an der spekulativen Theologie bemerkt: Hinsichtlich der (kosmologischen) Argumentation a posteriori muss man erkennen, dass „alle synthetischen Grundsätze des Verstandes [ . . . ] von immanentem Gebrauch [sind]; zu der Erkenntnis eines höchsten Wesens aber wird ein transzendentaler Gebrauch derselben erfordert, wozu unser Verstand gar nicht ausgerüstet ist. Soll das empirischgültige

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Der höchste Gegenstand des Denkens – das ist das Ergebnis der transzendentalen Philosophie – wird nun Objekt eines vernünftigen Glaubens, der vom dritten „Postulat“ der praktischen Vernunft umrissen wird.3 Zumindest unter diesem Aspekt ist die theoretische Philosophie nicht mehr der höchste Ausdruck des menschlichen Denkens,4 so dass der Mensch Gesetz der Kausalität zu dem Urwesen führen, so müsste dieses in die Kette der Gegenstände der Erfahrung mitgehören; alsdenn wäre es aber, wie alle Erscheinungen, selbst wiederum bedingt“ (KrV, B 664). Hinsichtlich der (ontologischen) Argumentation a priori erkennt Kant an, dass Überlegungen, die auf a priori-Begriffen gründen, dem – seiner Natur nach nicht empirischen – Untersuchungsgegenstand am angemessensten sind. Was jedoch Existenzaussagen über Gott aus seinem bloßen Begriff angeht, so ist „die Frage [ . . . ] hier aber offenbar synthetisch [nicht „analytisch“, L.M.] und verlangt eine Erweiterung unserer Erkenntnis über alle Grenzen der Erfahrung hinaus, nämlich zu dem Dasein eines Wesens, das unserer bloßen Idee entsprechen soll, der niemals irgend eine Erfahrung gleichkommen kann“. Im Folgenden erinnert Kant, nach den in der transzendentalen Analytik entwickelten Grundsätzen, daran, dass „alle synthetische Erkenntnis a priori nur dadurch möglich [ist], dass sie die formalen Bedingungen einer möglichen Erfahrung ausdrückt, und alle Grundsätze sind also nur von immanenter Gültigkeit, d. i. sie beziehen sich lediglich auf Gegenstände empirischer Erkenntnis oder Erscheinung“. So dass man erkennen muss: „Also wird auch durch transzendentales Verfahren [über die Entwicklung reiner Begriffe, L.M.] in Absicht auf die Theologie einer bloß spekulativen Vernunft nichts ausgerichtet“ (KrV, B 666). 3 Vgl. I. Kant: Kritik der praktischen Vernunft = KpV, A 223 – 237. Der zentrale Argumentationsgang, der eine „oberste Ursache der Natur“ (Gott) postuliert, die dem Menschen das „höchste Gut“ garantieren kann, das heißt die zur „Moral“ proportionale „Glückseligkeit“, wird ab A 224 entwickelt. 4 Auch hier muss präzisiert werden. Denn die theoretische Philosophie bleibt unter anderer Rücksicht auch für Kant bestimmend, wenn es um den philosophischen Diskurs über Gott geht – um nämlich den wahren Begriff Gottes zu bestimmen und nicht in Anthropomorphismen zu verfallen: „das höchste Wesen bleibt also für den bloß spekulativen Gebrauch der Vernunft ein bloßes, aber doch fehlerfreies Ideal, ein Begriff, welcher die ganze menschliche Erkenntnis schließt und krönet, dessen objektive Realität auf diesem Wege zwar nicht bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden kann, und, wenn es eine Moraltheologie geben sollte, die diesen Mangel ergänzen kann, so beweiset alsdenn die vorher nur problematische transzendentale Theologie ihre Unentbehrlichkeit, durch Bestimmung ihres Begriffs [ . . . ]. Die Notwendigkeit, die Unendlichkeit, die Einheit,

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seine höchste Würde im moralischen Tun findet, worüber er zum Postulat eines gerechten Richters seiner Taten gelangt, der ihm in einem anderen Leben die vollkommene Glückseligkeit zusichert. Andererseits ist Kant überzeugt, dass seine Kritik „bloß die arroganten Ansprüche der Schulen“ trifft, nicht den Volksglauben an einen „Welturheber“; er vertritt sogar die Ansicht, dass nur durch seine „Kritik“ Materialismus, Atheismus und der Unglaube der Freidenker radikal ausgelöscht werden können.5 Kants Kategorie des „Glaubens“ in dem eben genannten Sinn kann einen Zugang zu einem besseren Verständnis von Hegels Denkweg und dessen Grundmotiv und Resultat bieten. Das Begriffspaar „Glaube und Wissen“ dient als Chiffre, mit der wir in die ,theologische Philosophie‘ Hegels eindringen können. Es ist aber zu unseren Zwecken – insbesondere zur Annäherung an Hegels Wissensbegriff – nötig, zunächst einen Schritt zurück zu machen und noch einmal über den cartesischen Beginn der modernen Philosophie nachzudenken. Eine mögliche Darstellung der Geschichte der modernen Philosophie, die es sicher erlaubt, ihr Wesen zu erfassen, stellt das Dasein außer der Welt (nicht als Weltseele), die Ewigkeit, ohne Bedingungen der Zeit, die Allgegenwart, ohne Bedingungen des Raumes, die Allmacht etc. sind lauter transzendentale Prädikate, und daher kann der gereinigte Begriff derselben, den eine jede Theologie so sehr nötig hat, bloß aus der transzendentalen Theologie gezogen werden“ (KrV, B 669 f., letzte Hervorhebungen L.M.). 5 Vgl. KrV, B XXXIII ff. In diesem Kontext ist der Zusatz interessant, den Hume in der letzten Überarbeitung seinen schon zitierten Dialogen über natürliche Religion beifügt: „Ein Mensch, der eine richtige Empfindung für die Unvollkommenheiten der natürlichen Vernunft hat, wird sich mit der größten Begierde der offenbarten Wahrheit in die Arme werfen, während der hochmütige Dogmatiker, überzeugt, dass er ein vollkommenes System der Theologie durch bloße Hilfe der Philosophie errichten kann, weitere Hilfsmittel verachtet und diese dazukommende Quelle der Belehrung verwirft. Philosophischer Skeptiker zu sein, ist bei einem Gelehrten der erste und wesentlichste Schritt auf dem Weg zu einem echten gläubigen Christen“ (Zwölfter Teil, S. 121).

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eine andere ihrer Grundfragen in den Mittelpunkt der Reflexion: die von Beginn der Neuzeit an gestellte Frage nach dem Status der Wahrheit. Eine erste positive Antwort auf diese Frage war die Antwort Descartes’, und sie war zweifellos geeignet, den „Skeptizismus“ gegenüber dem Wahrheitsanspruch, den die Philosophie schon immer gestellt hatte, zu überwinden. Der Preis jedoch, den die philosophische Wahrheit bei Descartes zahlen muss, ist der einer prekären Balance zwischen dem als „prima veritas“ entdeckten ego cogito, als archimedischer Punkt, von dem aus das Wissen zu rekonstruieren ist, und dem Deus als Garant der Wahrheit für ein „Ich“, das strukturell in die Evidenz der klaren und distinkten Ideen ,eingeschlossen‘ ist, ohne dass es von sich selbst her das Sein der Dinge erreichen könnte; und zwar gilt das ganz gleich, ob es sich um die physische Welt handelt, die eine dem „Denken“ äußerliche res ist,6 oder um das Reich der Mathematik, das ebenfalls eine solche ,Garantie‘ erfordert, da sonst Zweifel bliebe nicht nur an der Sicherheit (die unbezweifelbar im Akt des Erkennens gegeben ist), sondern auch an der Wahrheit – wenn nämlich einmal die Logik der mathematischen Beweise aus dem Blick geraten ist.7 Was ich als „prekäre Balance“ in der cartesischen Antwort auf die Wahrheitsfrage bezeichnet habe, führt dazu, dass man philosophiegeschichtlich zweierlei in Descartes sehen kann: Das ist das Thema der Sechsten Meditation des Descartes. Ich beziehe mich hier auf Descartes’ Hypothese vom „täuschenden“ Gott in der Ersten Meditation (Kap. 12, S. 39 – 41). In der Fünften Meditation erklärt Descartes: „Wenn ich z. B. die Natur des Dreiecks betrachte, so leuchtet es mir, der ich mit den Prinzipien der Geometrie vertraut bin, allerdings ganz klar ein, dass seine drei Winkel gleich zwei rechten sind, auch kann ich nicht umhin, dies für wahr zu halten, solange ich auf den Beweis dieses Satzes achte; sobald ich aber mein Augenmerk einmal hiervon abgewandt habe, kann es leicht vorkommen – wenn ich mich auch noch erinnere, es ganz klar durchschaut zu haben – dass ich an der Wahrheit des Satzes zweifle, wenn ich Gott [der wahrhaftig ist, L.M.] nicht kennen würde. Denn ich kann mir einreden, ich sei von der Natur so geschaffen, dass ich mich zuweilen selbst in dem täusche, was ich am klarsten einzusehen meine“ (Kap. 14, S. 125 – 127). 6 7

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entweder den Philosophen am Beginn der Vorherrschaft des „Subjekts“, das sich selbst als „Wahrheit“ des Seins setzt (das ist die These Heideggers8), oder den Denker, der die (subjektive) Gewissheit von der (objektiven) Wahrheit trennt (das ist die von Hegel vertretene These) – es sei denn, wie gesagt, man setzt Gott als Überwinder der Trennung von Gewissheit und Wahrheit. Es ist überaus beachtenswert, wie Hegel – obwohl er Descartes als „Anfänger der Philosophie in der neuen Welt“ preist, insofern sein Denken nicht von der „bloßen Autorität“ der Kirche ausgeht9 – sofort die intrinsischen Grenzen der cartesischen Philosophie erfasst. Der in sich richtige Grundsatz, dass die philosophische Erkenntnis Sache des „Denkens“ ist, wird dort durch ein abstraktes Verständnis dieses „Denkens“ verarmt und letztlich verfälscht. Grund dafür ist einerseits die Tatsache, dass das Denken als bar aller Inhalte verstanden wird, die es „von außerhalb“ empfängt und daher in ihrer einfachen empirischen Unmittelbarkeit annimmt (es handelt sich um ein Denken, das, mit Hegel, nicht von „Begriffen“, sondern von empirischen „Anschauungen“ bestimmt ist); andererseits ist dieses Denken auf den abstrakten Intellekt reduziert, ohne dass es sich auf die Ebene der Vernunft zu erheben wüsste, die auf die systematische Einheit der Begriffe und mithin das spekulative Ganze gerichtet ist.10 Diese Gegenüberstellung mit Descartes ist aufschlussreich für das Verständnis von Hegels eigener Position. Hegels Darstellung der „Geschichte der Philosophie“ und besonders der neuzeitlichen Philosophie wird – auch wenn man einige Verdienste anerkennt – gewöhnlich als extrem unausgewogen zugunsten der eigenen philosophischen Position angesehen; es 8 Vgl. dazu L. Messinese: Heidegger e la filosofia dell’epoca moderna. L’ „inizio“ della soggettività: Descartes. Mit einem Vorwort von A. Molinaro. Roma: Lateran University Press, 2004, 157 – 238. 9 Vgl. G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, 2 = Vorlesungen. Bd. 9. Hamburg 1986, 90. 10 Vgl. ebd.

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gehe ihm einzig darum, die fortschreitende Manifestation des modernen, d. h. „idealistischen“, Prinzips herauszustellen. Solche Interpretationen hätten ein näheres Hinsehen nötig, um z. B. die kritischen Bemerkungen zu Descartes oder Kant zu lesen oder allgemeiner zu dem, was Hegel die „aufklärende Vernunft“11 nennt, und so auch eine gewisse ,Unzeitgemäßheit‘ Hegels gegenüber seiner Zeit sowie – im Horizont unseres Themas – gegenüber der modernen Philosophie insgesamt zu erkennen. Damit nähern wir uns dem Verständnis der Besonderheit der Hegel’schen Philosophie im Hinblick auf eine Wiederaufnahme der „philosophischen Theologie“ innerhalb der modernen Philosophie; nur ein letzter Schritt steht noch aus. Ich möchte folgende These vertreten: bei genauerer Lektüre erscheint es schwer, die Philosophie Hegels in demselben Sinn zur modernen Philosophie zu rechnen, in dem das für die zuvor betrachteten Philosophen legitim ist. Man könnte sagen, dass es Hegel nicht so sehr darum geht, das moderne Prinzip des Philosophierens herauszustellen als vielmehr das Prinzip des Philosophierens, das heißt die Fähigkeit der Philosophie, zum Gehalt ihres Wissens nichts weniger als das Absolute zu haben.12 Natürlich verlangt Hegel eine „wissenschaftliche Behandlung“ des Absoluten, d. h. die Aussage und Bestimmung des Absoluten unter dem Zeichen der Unbestreitbarkeit; in dieser Hinsicht garantiert der von ihm so genannte „Idealismus“ dem philosophischen Wissen, auf einer „methodisch“ zu nen11 Vgl. G.W.F. Hegel: Glauben und Wissen, in: Werke. Bd. 2. Frankfurt am Main 1970 (Theorie-Werkausgabe), 288. Mit „aufklärende Vernunft“ meint Hegel die Denkweise, die einerseits „Religion nur als etwas Positives“ versteht, d. h. als dem Denken rein äußerlich, während andererseits das Denken auf den bloßen „Verstand“ reduziert wird; das Absolute wird verstanden als „ein Jenseits in einem Glauben außer und über sich“ (ebd.). 12 „Die Philosophie hat eben den Zweck, die Wahrheit zu erkennen, Gott zu erkennen, denn er ist die absolute Wahrheit; insofern ist nichts anderes der Mühe wert gegen Gott und seine Explikation“ (G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Bd. 3. Hamburg 1995, 175).

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nenden Ebene, einen größeren Wert, als man ihn der alten Metaphysik zugestehen kann.13 Allerdings können die beiden Seiten des Wissens – die der „Form“ (d. i. das idealistische Wissen) und die des „Inhalts“ (d. i. das Absolute) – nicht getrennt werden, so dass der Idealismus Hegels seinem Wesen nach fast von dem philosophischen Inhalt abzusehen scheint, den er als unbezweifelbar zu setzen meint. Im Licht der Position des idealistischen Wissens ist herauszustellen: den Beginn der neuzeitlichen Philosophie rekonstruiert Hegel mit den Begriffen „Gewissheit“ und „Wahrheit“ (das sind das des eigenen Gegenstands entleerte Wissen bzw. das mit dem Objekt vereinte Wissen), während er die letzte Phase der Moderne, die ihm am nächsten ist, über das Problem des Verhältnisses zwischen „Glaube“ und „Wissen“ darstellt; wenn dort die Vernunft zum aufklärenden Intellekt erniedrigt wird, so wird damit eine Art „Dialektik der Aufklärung“ in Gang gesetzt, aufgrund derer ein neuer Widerspruch zwischen Vernunft und Glaube entsteht, diesmal innerhalb der Philosophie selbst. Für uns ist es entscheidend, diese zweite Kritik Hegels an den Ergebnissen der neuzeitlichen Philosophie zu verstehen, auch weil wir auf diese Weise in deren Zentrum wieder auf die Gottesfrage stoßen. Nach den verschiedenen Versuchen einer philosophischen Theologie bei den rationalistischen Philosophen, nach der Kritik Kants und – wie wir ergänzen können – nach Jacobis Vor13 Damit bezieht sich Hegel zuweilen auf die griechische Metaphysik, zuweilen auf die rationalistisch-vorkantische Metaphysik. In Bezug auf letztere bemerkt er in der Enzyklopädie zu ihren spekulativen Grenzen: „Ihre Gegenstände waren zwar Totalitäten, welche an und für sich der Vernunft, dem Denken des in sich konkreten Allgemeinen angehören; – Seele, Welt, Gott – aber die Metaphysik nahm sie aus der Vorstellung auf, legte sie als fertige gegebene Subjekte, bei der Anwendung der Verstandesbestimmungen darauf, zu Grunde und hatte nur an jener Vorstellung den Maßstab, ob die Prädikate passend und genügend seien oder nicht“ (G.W.F. Hegel: Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften im Grundrisse [1827], § 30 = Gesammelte Werke. Bd. 19. Hamburg 1989, 52 [Orthographie angeglichen]).

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schlag einer Philosophie, die den Begriff des „Glaubens“ (der zuweilen auch „Vernunft“ genannt wird) zum zentralen Prinzip machte,14 schien es prinzipiell unmöglich, eine rein „spekulative“ Lösung der Gottesfrage zu finden. Die philosophische Theologie Hegels ist m. E. gekennzeichnet: auf der einen Seite durch eine Wiederaufnahme der Perspektive Spinozas in der Diskussion des Absoluten15 (für Spinoza stellt sich keine „Gottesfrage“, vielmehr wird ihm die „Welt“ zum Problem, so dass das Endliche nicht als ,Sprungbrett‘ zum Unendlichen angesehen werden kann) und auf der anderen Seite dadurch, dass Hegel eine Aufgabe angeht, die ihn über den Spinozismus hinausführt.16 14 Aufschlussreich in dieser Hinsicht ist die folgende Stelle: „Späterhin ward in allen meinen philosophischen Schriften dargetan, dass der Philosoph, welcher unter seinen Forschungen den geahndeten Gott verliert, notwendig das Nichts findet [ . . . ] dabei [muss] ausgegangen werden von Gefühl und Anschauung, es gibt durchaus keinen bloß spekulativen Weg zum Innewerden Gottes, die Spekulation mag bloß hinzutreten und durch ihre eigene Beschaffenheit erhärten, dass sie für sich leer ist ohne jene Offenbarungen und sie nur bestätigen, nicht begründen kann. Weil sie aus sich selbst nur zu einer geistlosen Notwendigkeit, einer Substanz, gelangt, so ist nur über sie vermittels eines Sprunges, den ich Salto mortale genannt habe, hinwegzukommen“ (F.H. Jacobi: Über die Lehre des Spinoza in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn = Werke. Bd. 4. Darmstadt 1968, XXXVIII ff. [Orthographie angeglichen]). Und weiter: „Die Überzeugung durch Beweise ist eine Gewissheit aus der zweiten Hand, beruht auf Vergleichung und kann nie recht sicher und vollkommen sein. Wenn nun jedes Fürwahrhalten, welches nicht aus Vernunftgründen entspringt, Glaube ist, so muss die Überzeugung aus Vernunftgründen selbst aus dem Glauben kommen und ihre Kraft von ihm allein empfangen“ (ebd., 210 f. [Brief vom 21. 4. 1785]). 15 Spinoza schreibt: „Denn die göttliche Natur, die vor allen anderen Dingen hätte betrachtet werden sollen, weil sie sowohl der Erkenntnis wie der Natur nach die erste ist, hielten sie für das letzte in der Ordnung der Erkenntnis, und die Dinge, die man Objekte der Sinne nennt, glaubten sie, gingen allen anderen Dingen voran“ (B. de Spinoza: Ethik, II. Teil, Lehrsatz 10 = Sämtliche Werke. Bd. 2. Hamburg 1976, 59). 16 Hegel bringt sein Verhältnis zu Spinoza folgendermaßen zum Ausdruck: „Es ist eine absolute Substanz; diese ist das Wahre. Aber das ist noch nicht das ganze Wahre, sondern die Substanz muss auch als in sich tätig und lebendig gedacht werden und eben dadurch sich als Geist bestimmen. Die spinozistische Substanz ist die allgemeine und so die abstrakte

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Diese Aufgabe besteht darin, eine Art philosophischer Übersetzung der „christlichen Religion“ zu finden, in der die Geschichte der Metaphysik auch eine Geschichte der christlichen Theologie wird, die mit der christlichen Definition Gottes als Geist abschließt.17 Diese Annahme des ,christlichen Paradigmas‘ für den Fortgang des philosophischen Wissens enthält zugleich ein Verdienst und ein Risiko. Das Verdienst besteht darin, Aspekte des Gottesbegriffs und der Beziehung zwischen Gott und Mensch herauszuheben, die zuvor auf der Ebene purae rationis nicht beachtet worden waren.18 Das – mögliche – Risiko besteht darin, dass die unreduzierbare Differenz zwischen Philosophie und (christlicher) Religion und mithin zwischen Philosophie und Theologie ausradiert wird, dass also nicht anerkannt wird, was wir die ,religiöse Transzendenz‘ der ,philosophischen Transzendenz‘ nennen können.19 Bestimmung [ . . . ] des Geistes [ . . . ] Der Unterschied von der eleatischen Philosophie ist nur dieser, dass durch das Christentum in der modernen Welt im Geiste durchaus konkrete Individualität vorhanden ist. Bei dieser unendlichen Forderung des ganz Konkreten ist nun aber die Substanz nicht bestimmt als konkret in sich. Da das Konkrete so nicht im Inhalt der Substanz ist, so fällt es hiermit nur in das reflektierende Denken“ (G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, 105). 17 „Dem philosophischen Begriff nach ist Gott Geist, konkret“ (G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Bd. 1. Hamburg 1993, 73). Vgl. dazu W. Weischedel: Der Gott der Philosophen. Darmstadt 1986, 301 – 304 (§ 51). 18 Man darf nicht vergessen, dass Hegel in Bezug auf die christliche Religion sagt: „Durch die Philosophie erhält, empfängt die Religion ihre Rechtfertigung vom denkenden Bewusstsein aus“ (G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Bd. 3, 268). 19 Zum Abschluss seiner Kritik an der Interpretation der Hegel’schen „Philosophie“ als „Theologie“ im Sinn der „Offenbarungstheologie“ sagt A. Molinaro, dass das erreichte Ergebnis „jedenfalls sowohl die Frage des Verhältnisses zwischen Hegel und dem Christentum sowie zwischen der Hegel’schen Philosophie und der christlichen Theologie als auch die Frage offen lässt, wie diese Theologie der Hegel’schen Philosophie als solcher begegnen kann und muss“ (Frammenti di una metafisica. Roma : Edizioni romane di cultura, 2000, 116); diese Fragen sind also nicht nur in Molinaros Analyse nicht behandelt worden, sondern als solche noch nicht erschöpfend behandelt (vgl. ebd., 112).

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Während man gewöhnlich die „Trennung“ von Glaube und Philosophie bzw. von Philosophie und Theologie als ein negatives Kennzeichen der „modernen Vernunft“ gegenüber der Einheit, die im „mittelalterlichen Denken“ bestand, hervorhebt, sei hier betont, dass eine solche Trennung auch einen positiven Aspekt hat, nämlich im Blick auf eine mögliche, spätere – wenn auch andersartige – (Wieder)Vereinigung. Vielleicht sollte man anstatt von einer bloßen Trennung von Vernunft und Glaube von einer Innenwendung des Denkens sprechen, im Sinne eines ,Sich-selbst-innerlich-Werdens‘ und eines Sich-Erkennens in der eigenen ,Reinheit‘ – freilich ohne a priori festzusetzen, dass dieses erneuerte Selbstbewusstsein das Denken zum Ende jeder Beziehung mit dem religiösen Glauben führen müsste; nehmen wir die Position Hegels ein, so handelt es sich vielmehr um das genaue Gegenteil.20 Im Licht dieser Überlegungen, sowohl zum Verhältnis zwischen „Gewissheit und Wahrheit“ als auch zum Verhältnis zwischen „Glaube und Vernunft“, lassen sich in der modernen Philosophie verschiedene Deklinationen der „Gottesfrage“ er20 „Man hat gesagt und sagt noch, positive Religion ist für sich, ihre Lehren lassen wir dahingestellt sein, respektieren und achten sie; auf der anderen Seite stehe die Vernunft, begreifendes Denken, und diese beiden sollen nicht in Berührung kommen, die Vernunft sich auf jene Lehren der geoffenbarten Religion nicht beziehen. Vormals hat man sich so die Freiheit der philosophischen Untersuchung vorbehalten wollen. Man hat gesagt, es sei eine Sache für sich, welche der positiven Religion keinen Eintrag tun sollte; ihr Resultat aber hat man der Lehre der positiven Religion unterworfen. Diese Stellung wollen wir unserer Untersuchung nicht geben. Es ist an und für sich nur als eine Ausrede anzusehen, es ist etwas Falsches, dass beides – der Glaube, das Stehen in der positiven Religion, und die freie Untersuchung – ruhig nebeneinander bestehen kann. Es ist unbegründet, dass der Glaube an den Inhalt, an die Lehre der positiven Religion, noch bestehen kann, wenn die Vernunft sich von dem Gegenteil überzeugt hat; konsequent und richtig hat die Kirche diese Vergleichung nicht aufkommen lassen. Der menschliche Geist ist in seinem Innersten, in seiner Überzeugung von der Natur Gottes, ist im Innersten, in diesem Gewissen, nicht ein so Geteiltes, in dem zweierlei bestehen könnte, was sich widerspricht – Glaube und von der anderen Seite eine Vernunft, die abweichende Resultate hätte von dieser Lehre der positiven Religion“ (G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Bd. 1, 49 f., Hervorhebungen L.M.).

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Kap. 3: Kants Kritik und Hegels Lösung der Gottesfrage

kennen. Diese gehen zusammen auf der einen Seite mit den unterschiedlichen Ausprägungen der „Frage der Wahrheit“ (d. h., ob diese ein ,Endpunkt‘ der philosophischen Reflexion sei oder eher das ihr ,eigene Terrain‘) und auf der anderen Seite mit den verschiedenen Weisen, das Verhältnis zwischen Philosophie und christlicher Religion zu sehen. Für Descartes zum Beispiel ist die Philosophie eine Art äußerlicher ,Apologetik‘ des Christentums,21 während sie im Fall Hegels seine „Bewahrheitung“ wird (wobei im Begriff der „Bewahrheitung“ die beiden oben genannten Aspekte des „Verdienstes“ und des „Risikos“ präsent bleiben).

21 Diese Sicht der cartesischen Position kann sich auf den offensichtlichsten und auch programmatischsten Aspekt seiner Philosophie stützen. Es ist aber auch eine Bemerkung von J.-L. Marion zu beachten, wonach „Descartes, vielleicht zum ersten Mal, einige der in der christlichen Theologie des Mittelalters erarbeiteten Gottesnamen in die prinzipiell systematische Metaphysik der Neuzeit übersetzt“ (Sur le prisme métaphysique de Descartes: Constitution et limites de l’onto-théo-logie dans la pensée cartésienne. Paris : Presses Universitaires de France, 1986, 286).

Kapitel 4

Philosophische Theologie und der ,Beweis‘ der Existenz Gottes In den folgenden Überlegungen geht es um den Sinn des „Beweisens“ innerhalb der philosophischen Theologie. Man hat sich oft angewöhnt, in den ,Beweisen‘ der Existenz Gottes eine Vernunft-Übung zu sehen, die uns 1.), im Fall des kosmologischen Arguments, über die Erfahrung hinausführt, die als der feste Grund gilt, von dem der Beweis seinen Anfang nimmt, und 2.), im Fall des ontologischen Arguments, vom bloßen „Begriff“ Gottes zum transbegrifflichen Gott bringt, der nicht nicht als seiend gedacht werden kann. Der Unterschied bestünde demnach in der größeren oder kleineren vis probandi der beiden Beweisstrukturen. In Wirklichkeit ist die Art und Weise, wie Gott in die Philosophie kommt, nicht nur eine Frage des demonstrativen Werts der von ihr hervorgebrachten Argumente, sondern vielmehr Index des Gesamtsinns dieser oder jener philosophischen Position. Anders könnte es auch gar nicht sein, da Gott, per definitionem, nicht nur ein Objekt (wenn auch das höchste) der Philosophie ist, sondern das Ganze des Seins und des Denkens. Der Begriff des „Beweises“ oder der „Demonstration“ selbst beinhaltet, auf die Existenz Gottes bezogen, insofern Missverständlichkeiten, als er dazu verführt, aus Gott ein Objekt der Vernunftfähigkeiten zu machen und zugleich vom Bereich der Philosophie in den der Wissenschaft zu wechseln. So ist es wohl kein Zufall, dass Thomas von Aquin von „Wegen“ zur Versicherung der Existenz Gottes spricht und

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Kap. 4: Philosophische Theologie

Hegel es vorzieht, von einer „Erhebung“ des menschlichen Geistes zu Gott zu reden. In gewissem Sinn geht es mehr darum, mittels des Denkens, das Dasein Gottes „(an)zuerkennen“, und weniger darum, es zu „de-monstrieren“; es muss also unterschieden werden zwischen (philosophischer) „Vermittlung“ und (wissenschaftlicher) „Demonstration“ (Beweis). Die neuzeitliche Philosophie, die mit Descartes und seinem Programm der Rekonstruktion des ganzen Gebäudes der Philosophie von den Fundamenten an begann, verstand ihre „Beweise“, die der Widerlegung des aufkommenden (philosophischen und religiösen) Skeptizismus dienten, als Hommage an die Wahrheit. In der Entwicklung des modernen Denkens haben Descartes’ Bemühungen und weitere Versuche der Vollendung eines solchen Programms (man denke an das Werk Leibniz’) Widersprüche und Kritik an den verwendeten ,Instrumenten‘ auf sich gezogen bis hin zum klaren Aufweis der Unangemessenheit des Instruments der menschlichen Erkenntnis bei Kant. Die sicher diskutable Rückführung der Philosophie auf die Wissenschaft – also das Ansinnen, philosophische Spekulation auf die Methode wissenschaftlicher Erkenntnis zu gründen – ist vielleicht, mehr noch als im unbezweifelbaren „Mathematismus“ (wenngleich sich der in vielen spekulativen Entwürfen der Moderne findet), im Verständnis der philosophischen Erkenntnis als ,de-monstrative‘ Tätigkeit erkennbar, die also unmittelbar nur mit endlichen Dingen zu tun hat, die sich aber mit dem Anspruch verbindet, dank des demonstrativen Prozesses dann auch zum authentisch Absoluten gelangen zu können.1 1 In der Enzyklopädie bringt Hegel kurz, aber präzise seine Kritik am „Beweisen“ im Bereich der philosophischen Gotteslehre zum Ausdruck: „Das Beweisen des endlichen Erkennens enthält entweder die verkehrte Stellung, dass ein objektiver Grund von Gottes Sein angegeben werden soll und dasselbe somit sich als ein Vermitteltes darstellt. Dies Beweisen, das die Verstandes-Identität der Bestimmtheiten zur Regel hat, ist von der Schwierigkeit befangen, den Übergang vom Endlichen zum Unendlichen zu machen. So konnte es entweder Gott von der positiv bleibenden End-

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So kann die Kritik Kants als eine Kritik an den modernen Beweisen oder „De-monstrationen“ der Existenz Gottes verstanden werden, aber nicht als eine Kritik am Einzug Gottes in die Philosophie, die transzendentalen, also absoluten, Wert hätte. Deshalb stellt die ,Wiederaufnahme‘ der philosophischen Theologie bei Hegel nicht einen Schritt zurück hinter Kant dar, sondern in gewissem Maß rezipiert sie die kantische Kritik an einer bestimmten Weise des metaempirischen Schließens.2 lichkeit der daseienden Welt nicht befreien, so dass er sich als die unmittelbare Substanz derselben bestimmen musste (Pantheismus); – oder er blieb als ein Objekt dem Subjekt gegenüber, somit auf diese Weise ein Endliches (Dualismus)“ (§ 36, S. 55). 2 Hier muss eine weiteres Hegel-Zitat angeführt werden, das von Bedeutung im Hinblick sowohl auf die ,Logik’ der philosophischen Theologie als auch auf das Verhältnis von Hegel zu Kant ist: „Hier ist sich an das zu erinnern, was wir einleitend gesagt haben, dass die Religion überhaupt die höchste, letzte Sphäre des menschlichen Bewusstseins ist, es sei Gefühl, Wille, Vorstellung, Wissen, Erkennen – das absolute Resultat, diese Region, worein der Mensch übergeht als in die Region der absoluten Wahrheit. Um dieser allgemeinen Bestimmung willen muss es bereits geschehen sein, dass sich das Bewusstsein in dieser Sphäre über das Endliche überhaupt erhoben habe, über die endliche Existenz, Bedingungen, Zwecke, Interessen, im Speziellen über alle endlichen Gedanken, endlichen Verhältnisse aller Art; um in der Religion zu sein, muss man diese abgetan, vergessen haben. Gegen diese Grundbestimmung aber geschieht es sehr häufig, wenn gegen die Philosophie überhaupt, insbesondere gegen die Philosophie über Gott gesprochen wird, dass zum Behufe dieses Sprechens endliche Gedanken, Verhältnisse der Beschränktheit, Kategorien, Formen des Endlichen beigebracht werden. Aus solchen Formen des Endlichen wird opponiert gegen die Philosophie überhaupt, besonders gegen die höchste, die Philosophie der Religion insbesondere. Zu solchen endlichen Formen gehört die Unmittelbarkeit des Wissens, Tatsache des Bewusstseins; solche Kategorien sind die Gegensätze des Endlichen und Unendlichen, Subjekt und Objekt – abstrakte Formen, die in diesem absolut reichen Inhalt, wie die Religion ist, nicht mehr am Platz sind. Sie müssen allerdings in unserer Wissenschaft vorkommen, da sie Momente des wesentlichen Verhältnisses sind, das der Religion zugrunde liegt; aber die Hauptsache ist, dass ihre Natur längst vorher untersucht und erkannt sein muss. Diese zunächst logische Erkenntnis muss im Rücken liegen, wenn wir es mit Religion wissenschaftlich zu tun haben; mit solchen Kategorien muss man längst fertig geworden sein. Das Gewöhnliche aber ist, dass man aus ihnen gegen den Begriff, die Idee, das vernünftige Erkennen opponiert. Man gebraucht jene Kategorien ohne alle Kritik, auf ganz unbefangene Weise, gerade als ob die Kantische Kritik der reinen Vernunft

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Damit erhält sie den Sinn des Übergangs von der „De-monstration“ zur „Erhebung“ des menschlichen Geistes zu Gott.3

nicht vorhanden sei, die sie angefochten und auf ihre Weise das Resultat gehabt hat, dass sie nur zum Erkennen der Erscheinungen und nicht der Wahrheit dienen können. In der Religion aber hat man es nicht mit den Erscheinungen, sondern mit dem absoluten Inhalt zu tun“ (G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Bd. 1, 79 f.). Schon in Glauben und Wissen, 340 hatte Hegel bemerkt: „Es ist hier wohl zu unterscheiden, dass nur darin, dass Kant das Vernünftige als solches verkennt, sein erkenntnisleerer Glaube liegt, nicht aber in seiner großen Theorie, dass der Verstand nichts an sich erkennt“. 3 Zuweilen wird der Ausdruck „Erhebung“ des Denkens zu Gott von Hegel den a posteriori-Beweisen des Daseins Gottes gegenübergestellt, in denen der Fehler gemacht wird, den Ausgangspunkt des Beweises, das weltliche Sein (d. i. das Endliche) als festes Fundament beizubehalten, um zu Gott (d. i. das Unendliche) gelangen zu können, also als bloß affirmative Größe, ohne auch den negativen Aspekt herauszuarbeiten, also den Wandel, den dieses Sein in der Beziehung zum „wahrhaften Sein“ erfährt, welches Gott ist. Deshalb wird, außerhalb der Form des de-monstrativen Prozesses, in der durch das Denken erwirkten Erhebung das, was auf den ersten Blick die Vermittlung der Demonstration darstellt, also die Welt, selbst vermittelt, d. h. als absolutes Sein in sich beseitigt (vgl. Enzyklopädie, § 50, a. a. O., 65 f.).

Schluss: Anfrage an die ,immanentistische‘ Interpretation der modernen Philosophie Die folgenden, abschließenden Überlegungen nehmen ihren Ausgang bei zwei bedeutenden italienischen Denkern der Gegenwart und ihrer Deutung des neuzeitlichen Atheismus. 1. Nach Cornelio Fabro gibt es eine Kontinuität und Kohärenz, keine Unterbrechung im Fortgang des modernen Denkens, in dem der Atheismus „wesentlich die negative Formel ist, die die positive Formel der ,Freiheit des Seins‘ garantiert, welche dem Menschen – im cogito neuer Wesenskern des Seins – zukommt, und außerdem den neuen Begriff von Freiheit“1. Aus dieser Perspektive ist der theoretische Atheismus der notwendige Zielpunkt des Immanenzprinzips der Moderne, d. h. des Primats des ,menschlichen‘ Denkens vom Sein. Die folgenden Bemerkungen bringen Fabros Position deutlich zum Ausdruck: „Wer vom Denken als Fundament des Seins ausgeht, schließt a priori jede wirkliche Transzendenz aus, egal welchen Standpunkt er im Hinblick auf das Sein des Bewusstseins einnimmt: den empiristischen, rationalistischen, idealistischen, phänomenistischen, materialistischen, intuitionistischen, usw. Es ist also ein überlegt gewähltes Prinzip, die Akzeptanz des [cartesischen] cogito, das der natürlichen Neigung zum Absoluten von Grund auf den Weg verbaut und das Bewusstsein in eine vollkommen gegensätzliche Richtung weist: zur Überzeugung, dass sicher zu erschließen sei, dass es Gott als transzendentes Prinzip nicht gebe, dass also das Problem des Absoluten ohne Sinn sei, dass es sogar besser sei, Gott zu verneinen, um die Freiheit des Menschen zu garantieren usw.“.2 1 2

C. Fabro: Introduzione all’ateismo moderno. Roma : Studium, 1969, 21. Ebd., 37.

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Für Fabro bleiben die Gotteslehren, die sich (wenn auch sehr unterschiedlich) bei Descartes, Malebranche, Leibniz, Kant, Schelling, Hegel finden, illusorisch, so dass er schließlich feststellt: „Es ist wahr, dass der Materialismus in der atheistischen Auflösung des cogito einen evidenten Fehler und offensichtlichen Widerspruch auszudrücken scheint; und deshalb haben der rationalistische und idealistische Flügel immer mit Verachtung die Bezeichnung ,Atheismus‘ abgelehnt. Aber mit den Werken Feuerbachs, Nietzsches und Sartres wurde diese Verachtung immer rarer [ . . . ]: man muss zugeben, dass darin ein bemerkenswerter Beitrag zur Ehrlichkeit und Klarheit im Bereich des spekulativen Denkens liegt“.3

2. Für Augusto Del Noce ist der Atheismus „der Abschluss, an den der Rationalismus [den Del Noce als „Ausschluss“ des Übernatürlichen versteht, L.M.] notwendig kommen muss: am Extrempunkt seiner eigenen Kohärenz, der zugleich Punkt seiner Krise ist, nämlich der Übergang vom metaphysischen Rationalismus zum skeptischen Rationalismus, zum storizistischen Rationalismus oder zum Irrationalismus (letzterer ist eine Position, als deren Initiator niemand anders als Nietzsche anzusehen ist)“.4

Del Noce nimmt in seinen Reflexionen über den modernen Atheismus die Ambiguität, die sich in der cartesischen Philosophie zeigt, zum Ausgangspunkt und versucht im Folgenden, neben der immanentistischen Bahn des Denkens, die von Descartes zu Hegel führt, eine transzendente Linie aufzuzeigen, die von Descartes zu Malebranche, Vico und Rosmini geht.5

3. Gegenüber diesen Deutungsversuchen, v.a. gegenüber Del Noces These (der zumindest das Verdienst zukommt, zum Überdenken allzu einfacher philosophiegeschichtlicher Schemata anzuregen), besteht die hier vertretene Hypothese zur Interpretation des neuzeitlichen Denkens in einer Relecture dessen, was Del Noce den „ersten“ Denkweg der moderEbd., 83. A. Del Noce: Il problema dell’ateismo. Bologna : Il Mulino, 1965, 14. 5 Vgl. Ders.: Riforma cattolica e filosofia moderna. Bd. 1. Bologna : Il Mulino, 1965. 3 4

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nen Philosophie nennt (er bleibt in jedem Fall in spekulativer Hinsicht der konsistenteste), aber auf eine weniger voreingenommen „immanentistische“ Weise. Unsere Betrachtungen waren insgesamt auf die Hegel’sche Vollendung der modernen Philosophie ausgerichtet; ihr seien abschließend einige letzte Erwägungen gewidmet. Für Hegel ist die Philosophie „Denken“ des Absoluten oder absolutes Wissen (Form) des Absoluten (Inhalt), und das nicht einfach als in sich geschlossenes „natürliches Wissen“, das sich nicht in Bezug zur „geoffenbarten Erkenntnis“ setzt, sondern als ein neues Verständnis der geoffenbarten Erkenntnis als absolutes Wissen. Das Philosophische, um das es in einer solchen Philosophie geht (sowohl in Bezug auf sich selbst, d. h. auf ihren Wert, als auch in Bezug auf die christliche Religion und deren Theologie, d. h. auf den Beitrag, den sie jener anbieten kann), liegt ganz in diesem „als“. Im Folgenden seien einige Leitlinien skizziert, an denen sich eine detailliertere Untersuchung zu orientieren hätte. A. Die Frage, die an die Philosophie Hegels gestellt werden muss, ist die, ob in dem „neuen Verständnis“ die christliche Religion vollkommen aufgelöst wird, ob die Umformung der religiösen Anschauung in den „Begriff“ total ist – oder ob die Philosophie eine unhintergehbare Grenze anerkennen muss, die einem anderen Wissen den Weg öffnet, das „Theologie“ genannt werden darf. Es scheint mir offensichtlich, dass der geeignete Ort für eine solche Klärung die Religionsphilosophie Hegels ist. B. Die Frage, die sich umgekehrt fortwährend vom innersten Kern der Hegel’schen Philosophie her an uns stellt, als den Erben der „anthropologischen Wende“ der Philosophie, durch welche die verschiedenen Denkformen nach Hegel charakterisiert sind,6 ist die, welche Gültigkeit heute noch ein authen6 Die anthropologische Wende „bestimmt die Grundlage, auf der sich die verschiedensten philosophischen Richtungen bis auf den heutigen Tag

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tisch philosophisches Wissen hat, das Hegel „absolut“ nannte: nicht im Sinn seiner „Totalität“, sondern seiner formalen Absolutheit, seines Werts als unbezweifelbares Wissen, in einem der episteme der griechischen Philosophie analogen Sinn. C. In Bezug auf unser Thema lässt sich sagen, dass bei Hegel die „philosophische Theologie“ – ungeachtet der Bemerkungen unter Buchstabe A. – den höchsten Ausdruck des absoluten Wissens darstellt, seine perfekte Erfüllung. Sie bleibt damit eine Art Einwand ante litteram gegen den ,humanistischen‘ Verlauf der anthropologischen Wende;7 hier nämlich wird unterstrichen, dass sich der Mensch in seinem Sich-Erheben zu Gott nicht selbst verliert, sondern in seinem tiefsten Sein erkennt, welches in seinem metaphysischen Bezug zu Gott gründet. D. In der Philosophie Hegels findet die „Gottesfrage“ als „Problem der neuzeitlichen Philosophie“ eine Antwort, die in dialektischem Sinn die Form des „Problematischen“ sowohl der philosophischen Theologie als auch der modernen Philosophie annimmt. In ihr werden gleichermaßen die Autonomierechte des „Denkens“ anerkannt, für die die moderne Philosophie kämpft, wie der Wert der „Metaphysik“, welche das erste Wissen der Philosophie tout-court darstellt. Für Hegel ist Gott nicht anders ,als das‘ Denken, diesem vor-gesetzt bzw. nicht von ihm erreichbar. Gott ist das Andere entwickelt haben. Nicht mehr Gott oder das Absolute wird als grundlegend für das Verständnis der Welt und der menschlichen Gesellschaft betrachtet, sondern der Mensch selbst. Es geht dabei nicht mehr nur darum, dass der Mensch Ausgangspunkt für das Bewusstsein von Gott ist, sondern Gott wird reduziert darauf, ein Gedanke des Menschen zu sein. Sogar die Gegenbewegung gegen diese Tendenz, wie sie schon bei Kierkegaard erfolgte, musste sich noch auf dem Boden der Maßgeblichkeit des anthropologischen Ansatzes rechtfertigen“ (W. Pannenberg: Theologie und Philosophie. Ihr Verhältnis im Lichte ihrer gemeinsamen Geschichte. Göttingen 1996, 294). 7 Damit sei nicht gesagt, dass die gegenwärtige Philosophie keine gültigen Beiträge zum Verständnis des Menschen geleistet hätte, sondern nur, dass sie von einer meines Erachtens einseitigen Kritik des Hegel’schen Begriffs des „Endlichen“ ausgeht.

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,im‘ Denken (oder ,des‘ Denkens, das ihn erkennt) und daher niemals absolut ,anders‘, sondern vielmehr Erfüllung des Denkens, seine Vollendung, also – auf nicht widersprüchliche Weise – ,immanente Transzendenz‘. E. Die Erhebung des Menschen zu Gott, also die Hegel’sche Fassung des ,Beweises der Existenz‘ Gottes, ist der philosophische Beweis, zu dem man innerhalb einer neuen Wertung des christlichen ,Vor-Verständnisses‘ vom Menschen und von Gott im Licht des Dogmas der Inkarnation kommt, das die Einheit von Gott und Mensch zum Ausdruck bringt.8 Denkerisch hat die christliche Religion in Patristik und Mittelalter vor allem eine ,Theologie‘ hervorgebracht, damit aber zugleich einer typisch philosophischen Fortentwicklung den Boden bereitet.9 Und auch in der Moderne zeigen sich bei genauerem Hinsehen, jenseits einer bestimmten Auffassung von Philosophie als „getrennt“ von der Religion, andere Formen, in denen das Christentum erneut seine Fähigkeit gezeigt hat, die Entwicklung einer authentischen ,Philosophie‘ zu befördern, besonders in der Aufwertung des Wegs ,der Innerlichkeit‘ im Verhältnis des Menschen zu Gott und darin, dass es ein Nachdenken über Gott möglich gemacht hat, mit dem auch rein rational ein ,reicherer‘ Gottesbegriff entwickelt werden konnte. Dessen höchstes Zeugnis ist wohl die philosophische Wertschöpfung aus dem Trinitätsdogma und dem Dogma der Inkarnation durch Hegel in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Religion. 8 Eine ähnliche Position, wenn auch anders gefasst, lässt sich in A. Molinaros Interpretation der Hegel’schen Wiederaufnahme und Transformation des ontologischen Arguments erkennen: „die Mitte dieses Arguments – wie jener Erhebung – wird durch das authentische Denken gebildet, durch das Wesen des Denkens als Aktualität des Denkens. Und da diese Aktualität des Denkens die Innerlichkeit des menschlichen Geistes selbst ist, die sein intimstes Wesen darstellt, zeigen das Argument sowie die Erhebung die Authentizität des Menschseins; mit anderen Worten: das Argument bringt das authentische Sein des Menschen zum Ausdruck“ (Frammenti di una metafisica, 70). 9 Das expliziert z. B. Pannenberg, Theologie und Philosophie, 107 – 111 näher.

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F. Freilich: so sehr Gott in gewisser Hinsicht dem Denken ,immanent‘ ist, in den Grenzen, in denen er erkannt wird, – so transzendiert Gott doch auf ursprüngliche Weise jeden Versuch, ihn definitiv zu ,erfassen‘; er transzendiert also auch die „immanente Transzendenz“, die im philosophischen Denken stattfindet. Den Weg von der immanenten Transzendenz des „Gottes der Philosophen“ zur Transzendenz des „Gottes des Glaubens“ nachzuzeichnen, ist die Aufgabe, die der christlichen Theologie als Erbin dessen bleibt, was mir das authentischste Ergebnis des neuzeitlichen Gott-Denkens zu sein scheint.

Teil II: Anhänge

Anhang 1

Die philosophische Theologie Descartes’ als ,neue Apologetik‘ 1. Einige Grundzüge des Descartes’schen Philosophierens1 1. In seiner Descartes-Biographie gibt Adrien Baillet das Zeugnis des Gesandten Chanut wieder, der beim Tod des Philosophen zugegen war. In seinen Augen schien der ganze Lebensweg eines Mannes auf, dem nun die Begegnung mit Gott bevorstand: „Der Gesandte, der jenen Blick zu deuten wusste und im Herzen seines Freundes zu lesen verstand, sagte zu den Anwesenden, dass der Sterbende zufrieden aus dem Leben schied, zufrieden mit den Menschen, voller Vertrauen in die göttliche Barmherzigkeit und in gespannter Erwartung auf den unverhüllten Anblick und Besitz der Wahrheit, die er sein ganzes Leben hindurch gesucht hatte“.2 Von ernsthafter Religiosität, war der Philosoph Descartes ein Suchender der Wahrheit, der er seine ganze Existenz widmete. Es wird erzählt, dass Descartes einmal eine brillante öffentliche Widerlegung der philosophischen Thesen eines Arztes namens Chaudoux hielt, in Gegenwart des Kardinals de Bérulle, Gründer des französischen Oratoriums. Als dieser 1 Anmerkung des Herausgebers: Der folgende Text gibt eine Einführung zu Descartes und seiner Philosophie vor allem im Hinblick auf ihre theologische bzw. ,religiöse‘ Bedeutung; das Werk, aus dem er entnommen ist (vgl. Vorbemerkung), erschien in der Reihe „Scrittori di Dio“. 2 A. Baillet: Vita di Monsieur Descartes. Hg. L. Pezzillo. Milano : Adelphi, 1996, 259 (orig. frz., Paris 1691). Vgl. J.-M. Beyssade: La mort de Descartes selon Baillet. Du récit édifiant à ses composantes philosophiques, in: Revue des Sciences Philosophiques et Théologiques 76 (1992), 14 – 28.

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Descartes hörte, drängte er ihn mit Macht, sich ganz der Philosophie zu widmen, habe er doch von Gott so große Gaben erhalten, über deren Gebrauch er ihm einst Rechenschaft ablegen müsse.3 Descartes gehört einer Zeit an, in der die Philosophie noch mit den Wissenschaften verbunden ist. Sein Discours de la méthode wird als ,Einführung‘ zu drei wissenschaftlichen Abhandlungen publiziert, und die Principia philosophiae enthalten nicht nur eine systematische Darstellung der cartesischen Metaphysik, sondern auch allgemeine Prinzipien der Physik nebst einer Behandlung verschiedener Naturphänomene. Die Einheit des theoretischen und praktischen Wissens wird von Descartes klar herausgestellt: „Die gesamte Philosophie ist also einem Baume vergleichbar, dessen Wurzel die Metaphysik, dessen Stamm die Physik und dessen Zweige die übrigen Wissenschaften sind, die sich auf drei hauptsächliche zurückführen lassen, nämlich auf die Medizin, die Mechanik und die Ethik [ . . . ], die [ . . . ] die letzte und höchste Stufe der Weisheit bildet“.4 Descartes’ Epoche ist aber zugleich darum bemüht, eine Philosophie und Wissenschaft zu überwinden, die antiken Doktrinen folgt, ohne sie der Überprüfung durch die Vernunft zu unterziehen. Dieses Bestreben hat Descartes so sehr verinnerlicht, dass er äußert: „Wer am wenigsten von dem studiert hat, was bisher alles Philosophie genannt wurde, ist am ehesten befähigt, die wahre Philosophie zu studieren“.5 So wird Descartes durch die Unzufriedenheit mit der Situation der Philosophie und der Wissenschaften sowie durch seine Ablehnung der Wissenschaften von zweifelhaftem Wert – wie Alchemie, Astrologie und Magie – angetrieben, nach der wahren Erkenntnis „in mir selbst oder im großen Buche der Welt“ zu suchen.6 Vgl. Baillet, 71 – 74. R. Descartes: Die Prinzipien der Philosophie. Hg. A. Buchenau. Hamburg 81992, XLII (Vorwort zur französischen Ausgabe). 5 Ebd. 3 4

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Augustinus folgend, sucht er die Wahrheit zunehmend in sich selbst, gibt dabei aber dieser Innerlichkeit eine neue Betonung, wenn nicht sogar eine neue Bedeutung, so dass zum cartesischen Menschen – dessen erste, unzweifelhafte Gewissheit selbstbezüglich ist – der Prozess der „Reduktion“ der Welt auf eine rein quantitative und vollkommen manipulierbare Dimension gehört. Diese komplexe Thematik kann hier nicht weiterverfolgt werden. Es sei an dieser Stelle nur die Bitterkeit des Philosophen in Erinnerung gerufen, die er angesichts des Unverständnisses empfand, das ihm entgegengebracht wurde und das bis zu offenen Anklagen des Atheismus reichte,7 und die sich auch an dem Rat entzündete, von weiterer schriftstellerischer Tätigkeit, besonders auf dem Gebiet der Moral, abzusehen.8 2. Seine Reflexionen über Gott präsentiert Descartes vor allem in den metaphysischen Schriften sowie einigen bedeutenden Briefen. 6 R. Descartes: Discours de la méthode I 14, zit. nach: Philosophische Schriften, 17. 7 Berühmt ist die Polemik mit dem calvinistischen Theologen Gisbert Voët von der Universität Utrecht, der Descartes an die Seite des 1619 in Toulouse als Häretiker verbrannten L. Vanini stellte, dem Voët vorwarf, seinem Publikum ,hinterlistig das Gift des Atheismus einzuimpfen‘. Nicht weniger stark und verbittert war der Widerstand von Jaques de Reves, Rektor des Collegium theologicum et philosophicum zu Leiden, der Descartes des Pelagianismus bezichtigte. 8 In einem Brief an Chanut vom 1. 11. 1646 schreibt Descartes: „Denn da ein Pater Bourdin genügend Veranlassung zu haben geglaubt hat, mich als Skeptiker zu beschuldigen, weil ich die Skeptiker widerlegt habe, und da ein Prediger es unternommen hat, die Leute zu überreden, dass ich Atheist wäre, ohne einen anderen Grund dafür anzuführen, als dass ich es versucht habe, die Existenz Gottes zu beweisen, was würden sie dann erst sagen, wenn ich es unternähme zu prüfen, welches der richtige Wert der Dinge ist, die man wünschen oder fürchten kann, welches der Zustand der Seele nach dem Tode sein würde, bis wieweit wir das Leben lieben müssen, und wie wir sein müssen, um keinen Anlass zu haben, seinen Verlust zu fürchten?“ (R. Descartes: Briefe. Hg. M. Bense. Köln / Krefeld 1949, 358).

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Descartes’ Werke sind von der Entschiedenheit gekennzeichnet, sich von einer Erkenntnisweise zu befreien, die sich der Sinnlichkeit bedient oder zumindest nicht von ihr loskommt, und so zu einer authentisch intellektuellen Erkenntnis zu gelangen. Nachdrücklich wird das von Descartes v.a. im Blick auf die „metaphysische“ Erkenntnis betont, deren Wert oft nur deshalb negiert werde, weil man Ideen für Begriffe halte, die aber in Wirklichkeit nicht aus dem „Verstand“ kämen, sondern nur Produkt der an die „Sinnlichkeit“ gebundenen „Vorstellung“ seien. Genau hier liegt für Descartes die Wurzel des Irrtums der Skeptiker und Atheisten. Freilich findet sich bei Descartes neben dieser richtigen Überlegung eine kaum gerechtfertigte Distanznahme von der Welt, die er für nicht unmittelbar gegeben hält, nur auf zwiespältige Weise in der obskuren „Idealität“ der Sinneserkenntnis einerseits sowie der klaren „Idealität“ der Verstandeserkenntnis (= Evidenz) und der Vernunfterkenntnis (= Beweise) andererseits. Die cartesische Innerlichkeit – jene unbezweifelbare Selbstgegenwart, die das Cogito, ergo sum zum Ausdruck bringt – ist deshalb der sichere Weg zu Gott, im Angesicht der Unmöglichkeit, den Ausgang eines solchen Beweisprozesses bei der Welt zu nehmen; vielmehr bedarf die Welt selbst erst einer Garantie ihrer ontologischen Grundlage. Diese Innerlichkeit erfährt aber die Grenze ihrer Aussagekraft im Hinblick auf das Sein in ihrem ,Verschlossen-Sein‘, im Getrennt-Sein nicht nur von der Sinneserkenntnis, sondern auch von dem, was diese zeigt. 2. Gottesbeweise in Descartes’ Schriften Die erste, von Descartes veröffentlichte, umfassende Behandlung der Existenz Gottes unternimmt er im Vierten Teil des Discours de la méthode,9 der ursprünglich als „Einfüh9 In einem Brief vom 18. Juli 1629 hatte Descartes gegenüber dem Oratorianer-Pater Gibieuf verlauten lassen, dass er mit der Abfassung eines „kleinen Traktats zur Metaphysik“ begonnen habe, und in einem Brief an

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rung“ zu drei wissenschaftlichen Abhandlungen – über das Studium der Dioptrik und der Meteore sowie eine Darstellung der Geometrie – fungierte. Schon hierin werden die drei verschiedenen ,Beweise‘ Descartes’ präsentiert, in deren argumentativem Zentrum stets die Idee Gottes steht. Sie unterscheiden sich durch die Tatsache, dass der Beweisgang in den ersten beiden a posteriori ist, dass man also von einem Effekt – d. i. die Idee von Gott (1. Beweis) bzw. die Existenz meiner selbst, der ich unvollkommen bin, aber die Idee von Gott, dem vollkommenen Sein, in mir habe (2. Beweis) – zu seiner Ursache gelangt, nämlich der Existenz Gottes, die Ursache der Idee Gottes bzw. der Idee Gottes in mir sowie meines Seins ist. Im 3. Beweis ist das Vorgehen a priori, d. h., man kommt von der Idee Gottes, die in sich alle Perfektionen umfasst, zur Existenz des vollkommenen Seienden. Die metaphysischen Meditationen nehmen die verschiedenen Argumentationen in vertiefter Form auf, indem sie einige Prinzipien explizieren, die sie stützen, die aber im Discours unklar geblieben waren.10 Über die zahlreichen Briefe an Mersenne zwischen 1639 und 1641 ist es möglich, die einzelnen Schritte und Begleitumstände der Abfassung und Veröffentlichung des Werks zu verfolgen, z. B. den Wunsch Descartes’, es möge v. a. die Aufmerksamkeit von Pater Gibieuf erlangen und einiger anderer Gelehrter, deren Auswahl er Mersenne überließ, sowie den Wunsch, die Dozenten der Sorbonne mögen ihm „bei der Sache Gottes beistehen“.11 Mersenne vom 15. April 1630 teilte er mit, dass er in den „ersten neun Monaten“ in Holland „an nichts anderem gearbeitet“ habe (Briefe, 48). Wenig später unterbricht er die Arbeit jedoch; das Manuskript ist uns nicht überliefert. Aus jener Zeit bleiben uns aber einige Briefe an Mersenne (vom 15. 4., 6. 5. und 27. 5. 1630, vgl. Briefe, 42 – 55), in denen Descartes seine Theorie der „ewigen Wahrheiten“ darlegt, die selbst auch von Gott geschaffen seien, da sie sonst, wenn sie von ihm unabhängig wären, seine Absolutheit kompromittieren würden und Gott wie Jupiter wäre, selbst noch dem Schicksal unterworfen. 10 Vgl. Brief an Pater Vatier vom 22. Februar 1638, in: Briefe, 98 ff. 11 Vgl. Briefe an Mersenne vom 30.9. und 11. 11. 1640, s. Briefe, 209.

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Ein Brief vom 21. Januar 1641 gibt Aufschluss über das Bewusstsein Descartes’ vom Wert seiner metaphysischen Überlegungen. Gegenüber Mersenne erklärt er, dass die Unsagbarkeit Gottes, von der der hl. Augustinus spreche, nicht ausschließe, dass es „viele Dinge in Gott oder in Bezug auf Gott“ gebe, „die wir mit unserem Geist erkennen und mit Worten ausdrücken können“.12 In seiner Metaphysik präsentiere er sogar ausdrücklich nur, was er „entweder für durch das lumen naturale höchst bekannt oder perfekt bewiesen hält“ – wenn letztlich auch, um zu einer solchen Überzeugung zu gelangen, eine persönliche „Meditation“ der behandelten Gegenstände nötig sei.13 Die Meditationes de prima philosophia werden im August 1641 veröffentlicht. Wenn auch die Beweise für die Existenz Gottes in der Dritten und Fünften Meditation entwickelt werden,14 durchdringen Gottesbezüge das ganze Werk: sei es, weil zunächst die Hypothese vom „täuschenden Gott“ (Erste Meditation) eingeführt, dann aber auf dem Wege metaphysischer Überlegungen ausgeschlossen wird, dass Gott Grund unserer theoretischen Fehler sein könne (Vierte Meditation) – sei es, weil Gott als „Garant“ der Übereinstimmung zwischen unseren klaren und distinkten Ideen von der Welt und der Realität der letzteren gesetzt wird (Sechste Meditation). Die Principia philosophiae von 1644 nehmen, im Ersten Buch, erneut die bestehenden Argumente auf. Bemerkenswert ist allerdings, dass die Anordnung der drei Beweise modifiziert wird, insofern als Descartes im neuen Werk von einer Darstellung der Schritte zur ,Entdeckung‘ der Wahrheit zu einer Darstellung übergeht, die die Ordnung der ,lehrhaften‘ Vermittlung des Wahren bevorzugt.15 12 Hier zit. nach R. Descartes: Opere filosofiche I. Hg. E. Lojacono. Torino : Utet, 1994, 619. 13 Vgl. ebd. 14 Es sei allerdings daran erinnert, dass Descartes in den Erwiderungen auf die Zweiten Einwände auch einen Beweis präsentiert, der nicht nach der Erkenntnisordnung, sondern „modo geometrico“ für das Dasein Gottes argumentiert.

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3. Die cartesischen Beweise als ,neue Apologetik‘ des Christentums 1. Man kann wohl sagen, dass die von Pascal eröffnete16 anticartesische Polemik einen großen Anteil an einigen sehr kritischen Interpretationen der cartesischen Philosophie hat, v. a. seiner philosophischen Theologie. Dabei ist besonders an die Vorbehalte gegen Descartes’ Art zu denken, Philosophie und Religion in Beziehung zu setzen, sowie an die Analysen, die einseitig die „rationalistische“ Dimension seines Denkens hervorheben, und jene, die sogar die Reichweite seiner „Metaphysik“ auf bloße Unterstützungsleistungen für die „Physik“ reduzieren. Darüber hinaus hat die berühmte erste Äußerung der Cogitationes privatae – „Ich trete maskiert auf“ – zu oft die Rolle einer Chiffre angenommen, die Zweifel an der Ernsthaftigkeit der religiösen Dimension bei Descartes wecken soll. Wenn es aber um das Denken eines Philosophen geht, so muss die Aufmerksamkeit für die ,Psychologie‘ des Autors unbedingt hinter die Analyse seines Werkes zurücktreten, um das darin enthaltene Verhältnis zwischen Philosophie und christlicher Religion zu bestimmen. Ein bemerkenswerter Beitrag in diese Richtung ist in der Forschung des 20. Jahrhunderts von Henry Gouhier und seiner Studie La pensée religieuse de Descartes vorgelegt worden.17 15 Vgl. R. Descartes: Gespräch mit Burman. Hg. H.W. Arndt. Hamburg 1982, 72 ff. 16 Dafür mag das Wort stehen: „Ich kann Descartes nicht vergeben. In seiner ganzen Philosophie wäre er gern ohne Gott ausgekommen; aber er musste ihn einen Anstoß geben lassen, um die Welt in Bewegung zu setzen; darüber hinaus hat er keine Verwendung für ihn“ (B. Pascal, Pensées, Fr. 1001 [77], in: Œuvres Complètes. Paris : Éditions du Seuil, 1961, 640). Zum gedanklichen Verhältnis zwischen Pascal und Descartes vgl. z. B. J.-L. Marion: Sur le prisme métaphysique de Descartes, ital.: Il prisma metafisico di Descartes. Milano : Guerini e Associati, 1998, 283 – 357. 17 H. Gouhier: La pensée religieuse de Descartes. Paris : Vrin, 1924. Über dieses Werk ist geschrieben worden: „Die Originalität Gouhiers liegt darin, eine vollkommen andere Perspektive anzubieten: wenn Des-

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Wir können wohl seiner These einer wirklichen „Lebendigkeit“ des Christentums im cartesischen Denken zustimmen, denn es ist eine These, die vollkommen mit der uns überlieferten ,Botschaft‘ des französischen Philosophen übereinstimmt und die auch für unsere Zeit bedeutsam sein kann. Obwohl die cartesische Philosophie sehr zurückhaltend in der Behandlung religiöser Thematiken ist – vor allem, wenn man sie mit einem so ,leidenschaftlichen‘ Autoren wie Pascal vergleicht –, so muss sie deswegen nicht des „Rationalismus“ angeklagt werden. Im Gegenteil: sie hat in ihrer Zeit, dem 17. Jahrhundert, gegenüber den aufkommenden philosophischen Strömungen innerhalb der christlichen Welt, die Skeptizismus und Atheismus verfochten, ein wahrhaft apologetisches Denken entwickelt. Die ,Apologetik‘ Descartes’ stellt aber keine besondere Dimension seines Denkens dar, die zu seiner Philosophie hinzukäme, sondern sie fällt vielmehr mit der „neuen Metaphysik“ der Meditationes zusammen. Für ihn kann sogar nur diese neue Gestalt der Metaphysik auf der Ebene rationaler Reflexion die Wahrheit des Christentums bewahren, die von den Angriffen des Skeptizismus und des Atheismus zur Diskussion gestellt worden war; denn sie verhindert, dass sich das neue wissenschaftliche Denken – das zu Recht die alte, aristotelische Physik verworfen hatte – zur einzigen Bestimmung des „natürlichen“ Erkenntnishorizonts erhebt. Zur weiteren Präzisierung unserer Deutung Descartes’ kann ein ausführliches Zitat eines anderen großen französischen cartes, insofern (in Bezug auf das Verhältnis zwischen Vernunft und Glaube) Thomist, religiöser Philosoph ist, so versteht man, wie er nicht weniger Metaphysiker und Apologetiker als Physiker gewesen ist und wie er eine von der Religion autonome Metaphysik entworfen hat“ (A. Del Noce: Riforma Cattolica e filosofia moderna. Vol. I: Cartesio. Bologna : Il Mulino, 1965, 302). Eine Übersicht über die wichtigsten Zeugnisse im Hinblick auf eine ,religiöse’ und nichtreligiöse Deutung Descartes’ gibt G. Temporin: R. Descartes – Testimonianze sulla sua religiosità. Una filosofia religiosa o l’inizio dell’ateismo moderno?, in: Studia Patavina 44 (1997), 703 – 721.

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Philosophie- und Wissenschaftshistorikers dienen, Robert Lenoble. Dieser macht am Schluss seiner gründlichen und bis heute in vielem unübertroffenen Monografie zu Mersenne18 – dem Minimitenpater, der eine so bemerkenswerte Rolle im kulturellen Leben des 17. Jahrhunderts innehatte – einige Bemerkungen zu den „zwei großen Genies des 17. Jahrhunderts“, Descartes und Pascal: „Descartes ist uns als ein sehr viel metaphysischerer und religiöserer Geist erschienen, als andernorts gesagt worden ist. Sicher liebt er die Wissenschaft. Aber er liebt nicht weniger die Religion. Wenn er, wie Laberthonnière behauptet, nur deswegen eine Metaphysik konstruiert hätte, um seine Physik zu begründen, so ist kaum einzusehen, warum er sich solche Mühe gegeben haben sollte. Er hätte sich, wie Mersenne, in die Menge der Mechanisten einreihen können, für die die Metaphysik am Ende des Denkens stand [ . . . ]. Er bleibt aber, wenn auch wenig ,sentimental‘, so doch mit Leidenschaft den wesentlichen Werten des Spiritualismus verbunden – im besten Sinn des Begriffs – und will keine Philosophie, die ganz auf eine Wissenschaft von den Phänomenen reduziert wäre. Er will – und er ist darin der Einzige –, dass die ,neue Philosophie‘ ihre eigene Metaphysik habe, dass sie auf neuen Grundlagen die von der mechanistischen Phänomenologie schwer beschädigte Ontologie wieder aufnehme [ . . . ]. Oft zitiert man den Satz von Bossuet, dass im Namen der cartesischen Philosophie eine große Schlacht gegen das Christentum beginne. Man vergisst zu sagen (oder weiß es nicht), dass der Erste, der diese Warnung ausrief, Descartes selbst war. Nur ist es nicht seine Philosophie, die sich dem Christentum entgegenstellt, sondern es ist der agnostische Mechanizismus, der zur Zeit Bossuets seine Auswirkungen zeigte – und man vergaß, dass den schon Descartes vorgefunden und mit ganzem Herzen bekämpft hatte“.19 18 R. Lenoble: Mersenne ou la naissance du mécanisme. Paris : Vrin, 1971 (11943). 19 Ebd., 610 f. Ganz anders hingegen lautet Blondels Einschätzung in einem Aufsatz von 1896: „Der große Fehler seines Christentums besteht darin, zu trennen zwischen dem absoluten Geheimnis auf der einen Seite, das nur der Wille durch Gnade erreicht, und der absoluten Klarheit des Denkens auf der anderen, das sich behauptet, ganz Herr seiner selbst. Der Fehler besteht darin, jede rationale Vorbereitung des Glaubens, jedes Arbeiten der Vernunft im Glauben, jegliche Intelligenz des Glaubens zu unterdrücken“ (M. Blondel: Il Cristianesimo di Descartes, heute in: Ders.: Cartesio, Malebranche, Spinoza, Pascal. Saggi di storia della filosofia. Hg. O. Arcuno. Firenze : La Nuova Italia, 1975, hier 34).

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Mit anderen Worten, es war Descartes’ Absicht, mit seiner neuen Ontologie die antike Metaphysik, die mit dem Christentum gut vereinbar war, in ihrer Substanz zu retten. So setzte er einerseits das Werk des Aristoteles fort, ersetzte es aber andererseits auch, weil sich die neue mechanistische Physik nicht einfach neben die aristotelische Metaphysik stellen konnte, sondern eine Neuformulierung der Thesen zum Dasein Gottes und zur Unsterblichkeit der Seele erforderte. 2. Unser Vorschlag, dass sich die ,philosophische Theologie‘ Descartes’ als eine neue Art christlicher ,Apologetik‘ darbietet, heißt nicht, dass man keine Kritik an den Voraussetzungen, Prinzipien und am konkreten Aufbau der cartesischen Metaphysik vorbringen dürfte. Man braucht nur an das problematische Verhältnis zwischen der Dimension des „Denkens“ und jener des „Seins“ zu denken – das die gesamte cartesische Philosophie durchzieht –, mitsamt der daraus folgenden Schwierigkeit, von der Idee Gottes zu seinem Sein überzugehen; oder an das prekäre Gleichgewicht, das im cartesischen System zwischen der Zentralität des „cogito“ – also des menschlichen Subjekts – und der Zentralität Gottes besteht. Hier ist allerdings nicht der Ort für eine Diskussion dieser Problematik. Hier ist – noch einmal – die ,religiöse‘ Bedeutung der cartesischen Metaphysik zu unterstreichen; das ist der erste und grundlegende Aspekt jeder Reflexion über die religiöse Dimension im Werk des französischen Philosophen; und zwar nicht nur aufgrund der Rolle, die die Metaphysik in der Ökonomie seines Denkens einnimmt, sondern auch wegen ihrer Strukturierung selbst, mit der Idee Gottes, die ihr Licht gleichermaßen auf die Seele wirft, die jene in sich findet und daraus die Existenz ihres Schöpfers ableitet, wie auf die Welt, deren ontologische Grundlage aus der Wahrhaftigkeit Gottes gesichert wird.20 20 Die Frage der „Präsenz Gottes“ im cartesischen System hat zuletzt S. Nicolosi: Modernità e ricerca di Dio. Filosofia ed esistenza di Dio da Cartesio agli Enciclopedisti. Roma : Seam, 1997 vertieft [s. dazu Anhang 2].

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Man könnte darüber hinaus anmerken, dass Descartes in den Meditationes zuweilen auch seine grundsätzliche ,Nüchternheit‘ aufgibt und durchaus Andeutungen von Bewegtheit über die ,theologischen‘ Resultate seiner „Meditation“ zeigt;21 und in dem Widmungsbrief an den Dekan und die Dozenten der theologischen Fakultät der Sorbonne stellt er explizit den Dienst an dem „Ruhm Gottes“ ins Zentrum seines Unterfangens einer Rekonstruktion der Metaphysik. Auch fehlen keineswegs – obwohl es sich Descartes wiederholt zum Grundsatz macht, nicht an theologischen Diskussionen teilzunehmen – klare Belege für die Einheit zwischen der natürlichen und der übernatürlichen Erkenntnisebene, d. h. zwischen „scientia“ und „charitas“.22 Eine neue Lektüre der Werke Descartes’ im Licht der einzigartigen, auf seinem ganzen Denkweg präsenten ,Apologetik‘ könnte deutlich machen, dass wir es hier wahrscheinlich nicht, wie oft behauptet, mit einer vom „Glauben“ getrennten „Vernunft“ zu tun haben, sondern vielmehr mit einer Vernunft, die einen neuen Weg sucht, dem Glauben ein „rationabile obsequium“ entgegenzubringen. Um diesen neuen cartesischen Weg, Vernunft und Glaube zusammenzuhalten, richtig zu verstehen, muss man beachten, wer ihm gegenüber stand: es waren jene, die begannen, einen Graben zu ziehen zwischen der „Weisheit der Welt“ der neuen experimentellen Wissen21 Zum Abschluss der Dritten Meditation, in der er die beiden Gottesbeweise a posteriori entwickelt hat, schreibt Descartes: „[ . . . ] ich will hier eine Zeit lang bei der Betrachtung Gottes verweilen, seine Eigenschaften bei mir erwägen und die Schönheit dieses unermesslichen Lichtes [ . . . ] anschauen, bewundern und anbeten. Denn wie der Glaube uns lehrt, dass einzig und allein in dieser Schau der göttlichen Majestät die höchste Seligkeit des anderen Lebens besteht, so machen wir auch jetzt schon die Erfahrung, dass wir aus der gegenwärtigen, freilich viel unvollkommeneren Betrachtung die höchste Lust schöpfen können, zu der wir in unserem Leben fähig sind“ (Meditationes III 39, zit. nach: Philosophische Schriften, 95 – 97). Zum cartesischen Gott vgl. auch die Überlegungen von J. Delesalle: Le Dieu des philosophes et des savents, in: Mélanges de Sciences religieuses 50 (1993), 259 – 289. 22 Vgl. Erwiderungen auf die Sechsten Einwände, Nr. 5, wo ein Absatz aus Paulus’ Erstem Brief an die Korinther zitiert und kommentiert wird.

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schaft und der „göttlichen Weisheit“ der antiken, theologischchristlichen Tradition. Descartes war überzeugt, dass die einzige Art, einen solchen Bruch zu vermeiden, darin bestand, die der „natürlichen Vernunft“ eigenen Vermögen neu zu überdenken, auch im Hinblick auf typisch theologische Themen wie die „Liebe Gottes“.23 Wenn die „Theologie“ der Schulen fast immer hintangestellt wurde von einem Philosophen, der auf diesem Feld die Theologie der einfachen Gläubigen für ausreichend hielt, so hat Descartes nicht deshalb an eine selbstreferentielle, ,getrennte‘ Vernunft gedacht. Ihm ist der Unterschied sehr klar, der zwischen einer fleischgewordenen Vernunft, der es schwer fällt, zu lang bei der „metaphysischen Meditation“ zu verweilen, und der „seligmachenden Schau“ besteht, in welcher der Mensch ohne Unterlass die Dinge wahrnehmen wird, die ihm Gott dereinst zeigen will,24 – so dass einst diese „intuitive“ Gotteserkenntnis den Platz der „rationalen“, also diskursiven, Erkenntnis sowie der Erkenntnis „durch Glauben“ einnehmen wird, die – im Vergleich zu jener Schau – „dunkel“ ist.

Vgl. Brief an Chanut vom 1. Februar 1647, in: Briefe, 368 ff. Vgl. dazu den Brief an Cavendish vom März oder April 1648, in: Briefe, 412 ff. 23 24

Anhang 2

Modernes Denken und die Suche nach Gott Ein vor nicht allzu langer Zeit erschienenes Werk von Salvatore Nicolosi: Modernità e ricerca di Dio. Roma : Seam, 1997 (Seitenangaben im Folgenden im Text) – gibt noch einmal Gelegenheit, über den Umgang mit der Gottesfrage in der neuzeitlichen Philosophie nachzudenken. Freilich endet die Untersuchung Nicolosis an der Schwelle der kantischen Philosophie; doch der von ihm betrachtete Zeitraum ist, wie sich zeigen wird, bereits höchst aufschlussreich im Blick auf die Gottesfrage. 1. Ziel der Untersuchung Nicolosis ist nicht eine handbuchartige Darstellung, sie beleuchtet vielmehr die „Logik“ der von Philosophen der Neuzeit benutzten Methoden zum Beweis der Existenz Gottes (vgl. S. 11). Die Tatsache, dass hier von „Logik“ die Rede ist, verdeutlicht gleich zu Beginn zwei wesentliche Aspekte: a) Die Untersuchung folgt der Bahn der Vernunft, und zwar in einem zweifachen Sinn: es ist die Vernunft, die die Geschichte der Antwortversuche auf die Frage nach Gott leitet, und es sind Vernunfterwägungen, denen die Rekonstruktion dieser Antworten durch Nicolosi folgt. b) Das Interesse Nicolosis gilt sicher der Sachfrage, der Existenz Gottes, aber mit einer besonderen Aufmerksamkeit auf der Denkstruktur, die auf verschiedene Weise in den untersuchten Philosophien zum Ausdruck kommt. In der konkreten Reflexion über die möglichen Wege – oder „Methoden“ –, denen die Philosophie im Blick auf Gott ge-

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folgt ist, erkennt Nicolosi, mit Bezug auf Kant, zwei Hauptrichtungen: „Die erste entwickelt die traditionelle, antike und mittelalterliche, Problematik, worin die Frage des notwendigen Seins als Ziel der Untersuchung des Seins (die Gegenstand des Denkens ist) erörtert wird“ (S. 13 f.). „Die zweite hingegen sieht von jeder Erfahrung ab, da sie vom reinen Begriff des perfekten Seins ausgeht, der im Geist gegenwärtig ist“ (S. 14).

Der ersten Richtung folgen bekanntermaßen die „a posteriori“ genannten Argumentationen, der zweiten die Beweise „a priori“. Zwei weitere Elemente sind in Erinnerung zu behalten: a) Bei Thomas sind es fünf Wege, die vom Endlichen zum Unendlichen führen, während in der kantischen Rekonstruktion nur zwei Argumente – das „kosmologische“ und das „physikotheologische“ – vom Kontingenten ausgehen und glauben, zum notwendigen Sein gelangen zu können. b) In Kants kritischer Analyse der Gottesbeweise wird das „ontologische“ Argument als Fundament der anderen beiden Beweisgänge angesehen. 2. Nicolosi beginnt mit einigen grundsätzlichen Reflexionen über die beiden fundamentalen Beweisstrukturen: a) Beiträge zum Beweis „a posteriori“ kommen nicht nur von den „Metaphysikern“ (Thomas, Leibniz), sondern auch von „Naturwissenschaftlern (Physikern)“ (Diderot, Newton). Der Beweis „a priori“ hingegen steht – da er sich auf einer „streng logisch-metaphysischen“ Ebene bewegt – ganz in der Kompetenz der Philosophie. b) Der Beweis „a posteriori“, der von der Welt ausgeht, ist bedingt durch die Unterschiede der wissenschaftlichen Weltbilder. Das Argument „a priori“ ist gegen eine solche Bedingtheit immun. c) In der neuzeitlichen Philosophie kommt es zu einer Wiederaufnahme des ontologischen Beweises, und wenn es auch

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an bedeutenden Beispielen für die andere Argumentationsart nicht fehlt, so kann man doch sagen, dass er charakteristisch für diese Epoche ist. Der Grund für eine solche „logische“ Verlagerung wird in der „Krise der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt“ gesehen (S. 15), d. h. im „ontologischen Verschwinden“ der Welt (S. 16) – man denke an Descartes und mehr noch an Malebranche –, die somit nicht mehr den Ausgangspunkt für die Beweise a posteriori darstellen kann. 3. Die beiden Argumentationsweisen haben denselben „Inhalt“ (es sei nur daran erinnert, wie Descartes in seinen Meditationen überzeugt ist, die Grundaussagen der Metaphysik auf eine sicherere Grundlage gestellt zu haben). Und doch verfolgt das „ontologische“ Argumentieren einen Weg, der dem Charakter des kosmologischen Beweises entgegengesetzt ist. Dort schreitet man von der Welt zu Gott; hier ist es hingegen die Gewissheit von Gott, die Gewissheit über die Welt garantiert. Das Denken, das den Begriff Gottes denkt und daraus seine Existenz erschließt, ist anders bestimmt als das Denken, das aus der Reflexion über verschiedene Aspekte der Welt zur Erkenntnis des notwendigen Seins geführt wird. Gewöhnlich wird das Verhältnis zwischen diesen beiden Denkweisen folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: „Die Argumentation a posteriori nimmt die Priorität des Seins gegenüber dem Denken an, die Argumentation a priori dagegen jene des Denkens gegenüber dem Sein“ (S. 18).

Für Fichte implizieren diese entgegengesetzten Wege eine ursprüngliche Grundentscheidung, die nicht aus einem unbedingt gültigen Argument für den einen oder den anderen Weg kommen kann: entweder Realismus (den er „Dogmatismus“ nennt) oder Idealismus. Nun hebt Nicolosi allerdings einen interessanten Punkt hervor. Die gewöhnliche Darstellung der beiden Denkweisen beinhaltet ein „Missverständnis“, wenn sie von der Priorität des Denkens gegenüber dem Sein spricht, denn auch das Denken,

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als ein Nicht-Nichts, ist, ist „Sein“. Deshalb müsste man eher von einer Priorität des „Idealen“ gegenüber dem „Realen“ sprechen. Die Betonung dieses Punktes ist höchst relevant und gibt Gelegenheit zu einigen Reflexionen zum „Idealismus“ im Zusammenhang mit dem ontologischen Argument. Man müsste unterscheiden zwischen der cartesischen „Idee“, von der die Existenz Gottes abgeleitet wird, und der „Idee“ Hegels, die ein ontologisches Gewicht hat und nicht einfach, wie bei Descartes, zur Denkordnung gehört, bevor daraus ihre Existenz demonstriert wird. Auf diese Weise ist es möglich, eine Differenz innerhalb des „analytischen“ Charakters aufzuzeigen, den Nicolosi dem ontologischen Argument zuschreibt, in dem Sinn, dass der Beweis nicht so sehr „demonstriert“ (Synthese), sondern eher „zeigt“ (Analyse). Der Wert dieses analytischen Charakters ist nämlich dort, wo es keinen Bruch zwischen Denk- und Seinsordnung gibt (Anselm, Hegel), ganz anders als im Argumentieren Descartes’; es ist zwar wahr, dass in der Fünften Meditation „Existenz“ nicht einfach zur Idee Gottes hinzugefügt wird, sondern aus der Analyse seiner Perfektionen erkannt wird; die so entdeckte Existenz ist aber noch eine bloße Idee, das heißt etwas, das nur zur Denkordnung gehört. So, wie die Gewissheit des cartesischen „cogito“ nicht die des empirischen Ich sein kann, sondern vielmehr des Ich, das transzendental genannt werden wird – denn im Fall des ersteren bleibt die Schranke zwischen „objektivem Sein“ oder Idee und „formalem Sein“ bestehen –, so bleibt auch die „Existenz“, die als Prädikat des Subjekts „Gott“ fungiert, diesseits des formalen Seins. Wenn die Idee (von Gott) nur „Idee“ ist, etwas Geistiges, so wird die Analyse nichts anderes als einen der Denkordnung zugehörigen Aspekt zeigen können, ohne wirklich das Sein zu berühren. 4. Wir haben gesehen, dass es für Nicolosi ein Missverständnis ist, im Blick auf die moderne Philosophie von einer Um-

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kehrung des Prioritätsverhältnisses zwischen Denken und Sein zu sprechen. Mir scheint allerdings, dass auch hier ein gewisses Missverständnis zumindest nahe liegt, wenn es, sehr synthetisch, heißt, dass das ontologische Argument „den Vorschlag einer – gegenüber der klassischen Erkenntnislehre – neuen Art [darstelle], das Verhältnis zwischen Sein und Denken, zwischen Ontologie und Logik zu bestimmen“ (S. 271).

Und weiter: „die explizit ,realistische‘ und ,transzendentistische‘ Intention des Verfassers der Meditationes de prima philosophia prallte auf die methodologische Anlage eines Systems von idealistischer ,Intonation‘“ (ebd.).

Denn offenbar geht es Nicolosi hier nicht um das bedenkliche Verhältnis zwischen Form (idealistisch) und Inhalt (realistisch) im Text Descartes’, sondern, wie zuvor bemerkt, um den Unterschied zwischen den verschiedenen Formen des Idealismus, z. B. bei Descartes und Hegel. Meiner Ansicht nach ist es nicht die Fokussierung auf die Aktivität des „Denkens“ (worauf Nicolosi anzuspielen scheint, wenn er von „idealistischer Intonation“ spricht), die eine Diskrepanz in der methodologischen Position Descartes’ im Hinblick auf seine realistische und transzendentistische Intention verursacht, also eine Aktivität, die hinsichtlich des „Seins“ produktiv würde, sondern die Fokussierung auf ein auf sich selbst zurückgerichtetes Denken, das das Sein in keinem Punkt ,berührt‘, weder kosmologisch (die Welt) noch psychologisch (das Ich) noch theologisch (Gott). Das heißt nun nicht, dass hier die Differenz zwischen der „Logik“ der a posteriori-Argumente und jener der a prioriArgumente geleugnet werden sollte; vielmehr wird an der Differenz festgehalten, die Nicolosi selbst zwischen den „vielen ontologischen Beweisen“ feststellt (vgl. S. 135). 5. Nennenswert ist eine weitere Reflexion Nicolosis über das ontologische Argument: „Von dem Moment an, da die Existenz der sichtbaren Welt in Zweifel gezogen wird, und zwar nicht nur als geordneter Kosmos, sondern so-

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Anhang 2: Modernes Denken und die Suche nach Gott gar als einfaches Aggregat ausgedehnter Materie, das mit den Sinnen wahrnehmbar ist, schwindet die Beweiskraft jedes Arguments mit kosmologischem Charakter. Man kann nicht die Erfahrung der Welt als ursprüngliche Gewissheit nehmen, wenn nicht nur deren geordnete Struktur, sondern ihre Existenz selbst zweifelhaft ist“ (S. 271).

Diese Beobachtung trifft zu, ist aber im Wesentlichen an der cartesischen Perspektive orientiert. Denn so wahr es ist, dass es nicht mehr möglich ist, von der Welt auszugehen, um Gottes Existenz zu erforschen, wenn die Gewissheit der Welt verloren ist, so macht nicht allein eine solche Situation einen Beweis der Existenz Gottes möglich, der nicht von der Welt ausgeht.

Das Denken des Seins könnte vor allem vom absoluten Sein, von Gott, sprechen, nicht zweifelnd an der weltlichen Realität (in dem Sinn, dass das Erscheinen einen „Traum“ zum Inhalt haben könnte), sondern überzeugt, dass die „ontologische“ Konsistenz der Welt vermittelt werden muss, und zwar vom Sein in seiner Fülle. Überhaupt ist ja die „Welt“, derer sich die Argumente a posteriori bedienen, Ausgangspunkt als materiales Objekt; das formale Objekt aber ist immer noch das „Sein“ (ein besonderes Sein), zumindest in der ,metaphysischen‘ Version des Beweises. Auf diesem Hintergrund ist auch eine andere Bemerkung Nicolosis zur „Umkehrung“ in der modernen Philosophie zu bewerten, die nicht das Risiko beinhaltet, zu Missverständnissen zu führen, anders also als die oben genannte Bemerkung zum Verhältnis zwischen Denken und Sein. Er schreibt: „Die Notwendigkeit, den Anfangszweifel zu überwinden, der in der Hypothese des genius malignus auf die Spitze getrieben wird, und der darauf folgende ,Fall aus der Rationalität‘ zwingen Descartes dazu, das gnoseologische Verhältnis umzukehren: nicht nur zwischen Subjekt und Objekt in der Frage der Grundlegung der Evidenz, sondern auch zwischen Endlichem und Unendlichem in der Suche nach dem Ausgangspunkt des Weges der Vernunft“ (S. 270, Hervorhebung L.M.).

Aus den oben genannten Gründen übergehe ich die Umkehrung des Verhältnisses Subjekt – Objekt. Die von mir hervorgehobene Zeile spricht von einer Umkehrung zwischen „Endlichem“ und

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„Unendlichem“ im Hinblick auf den Ausgangspunkt des philosophischen Weges. Das nun scheint mir die Grunddifferenz zwischen den beiden Argumentationsstrukturen der Metaphysik zu sein: Ist das ursprünglich gegenwärtige Sein das Sein Gottes oder das Sein der Welt? Muss die Feststellung Gottes oder die der Welt vermittelt werden?

Wird die Frage so gestellt, kann man der Bemerkung Nicolosis zustimmen: „die Existenz Gottes erhält im Werk Descartes’ eine methodische Zentralität, die sie vielleicht nie zuvor in der Geschichte des westlichen Denkens gehabt hatte, auch nicht in der platonisch-augustinischen Tradition selbst“ (S. 30).

6. Die methodische Zentralstellung der Existenz Gottes scheint mit einem Begriff des Seins zu harmonieren, der sich radikal von dem Seinsbegriff der klassischen Metaphysik unterscheidet. So stellt Nicolosi heraus, dass „der Gegensatz zwischen dem ontologischen und dem kosmologischen Argument nicht ein marginaler oder episodischer Widerspruch in verschiedenen, aber gleichzeitig möglichen Denksystemen ist, sondern Ausdruck der spekulativen Distanz zwischen zwei verschiedenen Arten, das Sein zu begreifen“ (S. 117 ff.).

Das allerdings, meine ich, lässt sich nur aus dem Rückblick auf den Ausgang der modernen Philosophie sagen. So bemerkt auch Nicolosi selbst, dass – wenigstens bei Leibniz – das ontologische Argument nicht den Dreh- und Angelpunkt des methodischen Aufbaus der Metaphysik darstellt. Leibniz – der bekanntermaßen ein erneuertes „kosmologisches“ Argument vorschlägt – „macht auch, als er, in den Jahren der Reife, das ontologische Argument annimmt und perfektioniert, dieses nicht zum Ausgangspunkt oder Schlussstein seines Systems. Er rezipiert in diesem fundamentalen Punkt die cartesische Lehre, aber überarbeitet und integriert und unter erneuter Bestätigung seiner Treue zur systematischen Struktur der vorcartesischen Metaphysik“ (S. 193).

Nicolosi ergänzt, dass die methodische „Revolution“ Descartes’, um Geltung zu haben,

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Anhang 2: Modernes Denken und die Suche nach Gott „die ,intuitive Schau‘ des göttlichen Wesens erforderte, also einen Ontologismus, der sich in seiner radikalsten Form präsentieren konnte und deshalb weit entfernt war vom Denken Leibniz’ und der klassischen Metaphysik“ (S. 195).

Wenn also die spekulative Distanz zwischen zwei verschiedenen Arten, das Sein zu begreifen, Resultat eines ,Setzungsprozesses‘ der philosophischen Reflexion ist, dann, so scheint mir, kann man durchaus diskutieren, ob die enge Verwandtschaft zwischen „ontologischem Argument“ und „idealistischem Sein“, die sich am Ausgang des neuzeitlichen Denkens ergibt, eine notwendige Gültigkeit hat, die mithin eine Bestimmung der Transzendenz des ,theologischen Seins‘ außerhalb des Arguments a posteriori ausschlösse. 7. Bisher sind wir vor allem der „ontologischen“ Richtung der Suche nach Gott gefolgt. Im Folgenden einige Reflexionen zur „kosmologischen“ Richtung. Wie eingangs gesagt, unterscheidet Nicolosi innerhalb des „kosmologischen“ Arguments zwischen einem authentisch metaphysischen und einem nur physischen Zugang (vgl. S. 14). Nicolosi konzentriert nun seine Aufmerksamkeit – mit Ausnahme des bemerkenswerten Blicks auf die Philosophie Leibniz’ (S. 137 – 165), der ,spinozistischen‘ Wiederaufnahme des Arguments a posteriori durch Descartes in der Dritten Meditation (S. 127 – 130) und der Behandlung des Themas durch Clarke (S. 257 – 262) – auf den „physisch“ genannten Zugang, der im 18. Jahrhundert sowohl bei Philosophen (Voltaire) als auch bei Wissenschaftlern (Newton) dominiert. Der Zugang zum Argument ist physisch, insofern als es hier zu einer „Identifikation zwischen Naturwissenschaft oder Naturphilosophie und Metaphysik“ kommt (S. 258). Die Grenzen, die Nicolosi in diesen Argumentationsgängen aufzeigt, sind genau dieser Identifikation verschuldet. Zugleich ist im 18. Jahrhundert eine Art Paradox zu beobachten. Einerseits ist, im Kielwasser Newtons,

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„vielleicht keine Epoche der Geschichte der modernen Philosophie so reich an Interesse für Gott und so von der Unwiderlegbarkeit seiner Existenz überzeugt“,

während zugleich „keine Zeit so viele überzeugte und erklärte Atheisten gesehen hat, die Gott im Namen der Wissenschaft negiert haben“ (S. 257 f.).

Wie kommt es zu diesem Paradox? Es entsteht daraus, dass sich die genannten Positionen im Ausgang von einer Grundoption bestimmen: für oder gegen die „volle Autonomie“ der Materie. Nicolosi schreibt: „In dieser Spannung zwischen der vollen Autonomie und ontologischen Suffizienz der Materie auf der einen Seite und eines immateriellen Seins, das der Materie Bewegung, Ordnung, Leben gibt, auf der anderen Seite liegt die ganze Problematik, die das 18. Jahrhundert mit der Gottesfrage oder, wenn wir so wollen, mit dem ,Prinzip‘ der Dinge verbindet“ (S. 258).

Warum habe ich von einer Option gesprochen? Weil weder von den „Deisten“ noch von den „Atheisten“ das metaphysische Thema schlechthin, das „Sein“, behandelt wird, sondern nur die „Materie“. Sie ist Gegenstand der Erfahrung; auf dieser Ebene – der einzigen, die hier betreten wird – kann aber weder für noch gegen die metaphysische Abhängigkeit der Materie von Gott argumentiert werden.

Gott wird also nicht als „Schöpfer“ der Welt bewiesen, sondern als der, der am Ursprung der „Ordnung“ der Welt steht. Soweit einige Grundüberlegungen zum kosmologischen Argument. Nicolosi geht dann zu einzelnen Denkern über. Im Hinblick auf Newton bemerkt er: „Dem ,mathematischen‘ (und nicht ,metaphysischen‘) Geist [ . . . ] erschien die Komplexität der Kalkulation der Koordinaten aller möglichen Bahnen der Himmelskörper, die so zusammengefügt sind, dass keiner den anderen berührt und dass ein Rückfall des Kosmos ins Chaos durch dauernde Kollisionen zwischen den Körpern im Raum verhindert wird, nicht weniger wunderbar und grandios als das Wunder des Schöpferaktes Gottes“ (S. 218).

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Aber die Notwendigkeit des ,Weltenordners‘ ist, in dieser Sicht, an das Weltbild der Newton’schen Wissenschaft gebunden. Darin liegt der Grund für die Schwäche des Arguments.

Im Hinblick auf Voltaire und die empiristischen Voraussetzungen seiner Position, die es ihm unmöglich machen, ein universell gültiges Urteil zu formulieren – obwohl sich bei ihm nicht nur das Argument aus der Ordnung des Kosmos findet (vgl. S. 238 – 240), sondern auch das metaphysische Argument „a contingentia mundi“ (vgl. S. 240 – 242) – schreibt Nicolosi: „Um der Idee einer Ablehnung jeglicher Erkenntnis ,vor‘ oder ,ohne‘ Erfahrung treu zu bleiben, findet sich Voltaire vor der Alternative, als Grundgewissheit des Denkens zwischen folgenden Argumentationen zu wählen: Gott existiert notwendig, folglich existiert die Welt als von Gott geschaffen; oder: Es existiert die Materie, auf notwendige Weise und aus sich selbst, und deshalb existiert Gott, der reine Geist, nicht“ (S. 244).

Man sieht, wie klar der Unterschied zwischen der Entwicklung des Arguments a posteriori in der Perspektive von Newton und Voltaire und in der klassischen Metaphysik ist. 8. Mit philosophiegeschichtlichem Scharfblick präsentiert uns Nicolosi in seinem Buch die wesentlichen Momente der Gottsuche in der modernen Philosophie vor der großen Frage Kants nach der Möglichkeit der „Metaphysik als Wissenschaft“. Es war unvermeidlich, dass meine Darstellung und Reflexion wesentliche Abschnitte seines Wegs auslassen musste, auch um nicht zu einer reinen Auflistung von Fragen, Positionen und Autoren zu werden. Zum Abschluss meiner Anmerkungen ein Wort zu dem Horizont, innerhalb dessen sich die ganze Untersuchung bewegt. Der Verfasser vertritt die These, dass die Frage nach Gott zum Menschsein als solchem gehöre, dass das dauernde Fragen folglich erst mit dem „Ende der Geschichte“ ein Ende haben werde. Das ist nicht Ausdruck eines „Skeptizismus“, sondern der Überzeugung, dass „die Vernunft nicht einfach passiv ein vorgeformtes ,Erbe‘ annimmt“ (S. 12) und dass des-

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halb jeder Mensch von sich aus, über sein Denken, zur Antwort auf die Gottesfrage kommen möchte – sei diese letztlich positiv, negativ oder auch agnostisch. In diesem Licht kann die berühmte Äußerung Pascals – eines Denkers, der Nicolosi sehr teuer ist und dessen Einfluss im vorliegenden Band stets gegenwärtig ist – von ihrem antimetaphysischen Ton befreit werden, die da lautet: „Und selbst wenn [die metaphysischen Beweise für Gott] einigen von Nutzen wären, so wären sie nur während des Augenblicks von Nutzen, da sie die Beweisführung vor sich sehen; aber eine Stunde später würden sie fürchten, sich getäuscht zu haben“ (Pensées, Nr. 543, zitiert auf S. 74).

Nicolosi bemerkt dazu, dass Pascal sich eines cartesischen Arguments bedient – ohne die Gewissheit der Existenz Gottes hätten auch die Beweise der Geometrie nur in dem Moment Wert, in dem ihre Evidenz gegenwärtig ist –, um zu einem anticartesischen Schluss zu kommen (vgl. S. 75).

Man könnte anmerken, dass die Aussage Pascals eine Mahnung ist, sich nicht mit den Beweisen anderer zufrieden zu geben oder mit der bloßen Erinnerung, einmal einen Beweis erbracht zu haben, sondern immer den Bezug zu wahren zwischen dem behaupteten „Inhalt“ – in diesem Fall ist das die Existenz Gottes – und der „Logik“, die diese Behauptung erlaubt. Dass sich Nicolosi insgesamt von Pascal leiten lässt, scheint nicht nur auf den Schlussseiten auf, wo er explizit zitiert wird, sondern es ist im ganzen Buch evident. Ein Pascal aber, der – wie gesagt – von einer allzu leichten, antimetaphysischen Interpretation gereinigt ist. Deshalb gehöre das letzte Wort der Pascal-Paraphrase Nicolosis, mit der er seine Untersuchung beschließt: „Jedes denkende Seiende möchte seinen ,Weg‘ finden und beschreiten, um zu einer Antwort auf die Grundfrage zu kommen [ . . . ], d. i. die nach dem notwendigen oder unmöglichen Verhältnis zum notwendigen Seienden. Je nachdem, wie dieser Weg beschritten wird, steht man vor einem ,enthüllten‘ und ,geoffenbarten‘ Gott oder vor einem ,verhüllten‘

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Anhang 2: Modernes Denken und die Suche nach Gott und ,verborgenen‘ Gott. Die ,radikale‘ Frage wird eine positive Antwort finden, wenn es gelingt, mit den Augen der Seele zu schauen und so den Dingen den Schleier zu nehmen, der das Licht des Unendlichen vor dem getrübten Blick verbirgt, der unserem ,Sein in der Welt‘ eigen ist, nie ganz aufhebbar, aber doch durchdringbar“ (S. 274 f.).

Personen- und Sachregister (Personen sind kursiv gesetzt; nicht aufgeführt sind stets wiederkehrende Begriffe wie Gott, Neuzeit / Moderne, Philosophie, Sein) Absolutes / absolutes Sein / absolute Substanz 14 f., 37 – 40, 44 – 46, 47, 49 f., 59, 72 absolutes Wissen 49 Anselm v. Canterbury 70 Apologetik 5, 9, 28, 55, 61 ff. Arcuno, O. 63 Arndt, H.W. 61 Atheismus / atheistisch 28, 34, 47 f., 57 f., 62, 75 Aufklärung 15, 19, 37 f. Augustinus /augustinisch 14, 57, 60, 73 Baillet, A. 55 f. Begriff (philos.) 18, 32 ff., 36, 45, 49, 58, 68 Bense, M. 57 Berkeley, G. 27 Bérulle, P. de 55 Beweis / Gottesbeweis 6, 9, 16, 26 f., 29, 31, 32, 35, 39, 43 ff., 51, 57 ff., 67 ff. – Beweis /Argument a priori / ontologisches Argument 27, 30, 32 f., 59, 67 ff. – Beweis /Argument a posteriori / kosmologisches Argument 27, 30, 32, 59, 67 ff. Beyssade, J.-M. 55 Blondel, M. 63 Blumenberg, H. 19 Bontadini, G. 5 f., 27, 31

Bossuet, J.B. 63 Bourdin, P. 57 Buchenau, A. 56 Burman, F. 61 Cavendish, W. 66 Christentum / christlich 9, 15, 19, 28 f., 34, 40, 42, 49, 51 f., 61 ff. Cogito / ego cogito 30, 35 Chanut, P. 55, 57, 66 Clarke, S. 74 Delesalle, J. 65 Del Noce, A. 6, 48, 62 Demonstration 16, 26, 29, 43 f., 46 Denken (philos.) 15 f., 18, 21, 24, 26, 29, 31, 33, 35 ff., 47, 49 ff., 63 f., 68 ff. Descartes, R. / cartesisch / Cartesio 5, 9, 13 ff., 18, 23 ff., 26 ff., 34 ff., 42, 44, 47 f., 55 – 66, 69 ff. dialektisch 15 f., 22, 38, 50 Diderot, D. 68 empirisch 27, 29 – 31, 32 f., 36 f., 45, 70 Empirismus 9, 13, 26 ff. Endliches / endlich 16, 25, 39, 44 – 46, 50, 68, 72 Erfahrung 25, 27, 29, 31, 32 f., 43, 65, 68, 72, 75 f. Erhebung 6, 16, 44, 46, 51

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Personen- und Sachregister

Erkenntnis 13 ff., 23, 27, 30, 32 f., 36, 39, 44 ff., 49, 56, 58, 60, 62, 65 f., 69, 76 Erkenntnislehre 14, 16, 30, 71 Fabro, C. 6, 47 f. Faggiotto, P. 6, 23 f. Feuerbach, L. 48 Fichte, J.G. 69 Form (philos.) 14, 38, 49, 71 Geist 15, 27, 40 f., 60, 63, 68, 75 f. Gewissheit 14, 26, 36, 38 f., 41, 57, 69 f., 72, 77 Gibieuf, G. 58 f. Glaube 14 f., 28 f., 32 ff., 37 ff., 41, 46, 52, 62 f., 65 f. Gnoseologismus / gnoseologistisch 31 Göbel, Ch. 7 Gouhier, H. 61 Hegel, G.W.F. 6, 9, 13 ff., 18, 24 f., 26, 32 ff., 44 ff., 48 ff., 70 f. Heidegger, M. 5, 19, 36 Herrmann, F.-W. v. 7 Hume, D. 14, 27 ff., 34 Ich (philos.) 30, 35, 70 f. Idealismus / idealistisch 14, 37 f., 47 f., 69 ff., 74 Idee (philos.) 13, 22, 27, 30, 33, 35, 45, 58 ff., 64, 70 immanentistisch 9, 47 – 49 Immanenz / immanent 16, 32 f., 47, 51 f. Inhalt (philos.) 14, 25, 38, 40, 45 f., 49, 71, 77 Innerlichkeit 51, 57 f. Intellekt 15, 36, 38 intuitiv 26, 66, 74 Jacobi, F.H. 38 f. Jaspers, K. 5

Kant, I. 9, 13 ff., 23 ff., 28, 30 f., 32 ff., 44 – 46, 48, 67 f., 76 Kierkegaard, S. 50 Kosmos 71, 75 f. Laberthonnière, L. 63 Lecaldano, E. 29 Leibniz, G.W. 44, 48, 68, 73 f. Lenoble, R. 29, 63 Locke, J. 14, 26 f. Löwith, K. 19 Logik 35, 45, 67, 71, 77 Lojacono, E. 60 Malebranche, N. 48, 63, 69 Marion, J.-L. 42, 61 Materialismus 34, 48 Mendelssohn, M. 39 Mersenne, M. 29, 59 f., 63 Messinese, L. 5 f., 13 ff., 36 Metaphysik / metaphysisch 5 f., 14 ff., 23 ff., 30, 38, 40, 44 f., 56 – 66, 68 f., 73 ff. Molinaro, A. 6, 36, 40, 51 Newton, I. 68, 74 ff. Nicolosi, S. 6, 64, 67 ff. Nietzsche, F. 19, 48 Nihilismus / nihilistisch 19 Objekt 16, 23 f., 33, 38 f., 43, 45, 69, 72 Pannenberg, W. 50 f. Pascal, B. 61 ff., 77 Paulus (Apostel) 65 Pezzillo, L. 55 Physik 56, 61 ff. Platon / platonisch 73 Problem / problematisch 6, 13 ff., 21 ff., 29 f., 33, 38 f., 47, 50, 64

Personen- und Sachregister rational 15, 23, 32, 51, 62, 66, 72 Rationalismus / rationalistisch 9, 21, 24, 26 ff., 38, 47 f., 61 f. Realismus / realistisch 69, 71 Realität 33, 60, 72 Religion 15, 29, 37, 40 – 42, 45 f., 49, 51, 61 – 63 Reves, J. de 57 Rigobello, A. 6, 9, 13 Rosmini, A. 48 Rossi, P. 29 Sartre, J.-P. 48 Schelling, F.W.J. 48 Schöpfer 64 Severino, E. 5 Simon, F.R. 7 Skeptiker / skeptisch 28 f., 34, 48, 57 f. Skeptizismus 28, 35, 44, 62, 76 Spinoza, B. de 39, 63, 74 Subjekt 36, 38, 45, 64, 69 f., 72 Subjektivität / subjektiv 29 f., 36 Substanz (philos.) 29, 39 f., 45 System 14 f., 18, 34, 64, 71, 73 Temporin, G. 62 Theologie / (philosophische) Gotteslehre 5, 9, 13 ff., 26 ff., 32 ff., 43 ff., 49 ff., 55, 61, 66

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Thomas v. Aquin 43, 68 transzendental 28, 30, 32 ff., 45, 70 Transzendenz / transzendent 15 f., 29, 40, 47 f., 51 f., 74 Unendliches 27, 34, 39, 44 – 46, 68, 72 f., 78 Vanini, L. 57 Vatier, A. 59 Vermittlung (philos.) 16 f., 44, 46 Vernunft 18 f., 29, 32 ff., 43, 45, 56, 58, 62 f., 65 ff., 72, 76 Verstand 26, 32, 37, 46, 58 Viano, C.A. 29 Vico, G. 48 Voët, G. 57 Voltaire 74, 76 Wahrheit 14 f., 34 ff., 38, 41 f., 44 – 46, 55, 57, 59 f., 62 Weischedel, W. 40 Welt 27, 32 f., 35 f., 38 – 40, 46, 50, 56 ff., 60 ff., 66, 68 f. Wissen 14 f., 26 f., 30 f., 32, 34 f., 37 f., 40, 45, 49 f., 56 Wissenschaft 29, 31, 43 ff., 56, 63, 75 ff. Zweifel (philos.) 14, 23, 28, 30 f., 35, 61, 71 f.