Die gottesdienstliche Trauansprache: Inhalte und Entwicklung in Theorie und Praxis 9783666623592, 3525623593, 9783525623596

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Die gottesdienstliche Trauansprache: Inhalte und Entwicklung in Theorie und Praxis
 9783666623592, 3525623593, 9783525623596

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V&R

Arbeiten zur Pastoraltheologie

Herausgegeben von Peter Cornehl und Friedrich Wintzer

Band 36

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Die gottesdienstliche Trauansprache Inhalte und Entwicklung in Theorie und Praxis

Von Detlev Prößdorf

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufrahme

Prößdorf, Detlev: Die gottesdienstliche Trauansprache : Inhalte und Entwicklung in Theorie und Praxis / von Detlev Prößdorf. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1999 (Arbeiten zur Pastoraltheologie ; Bd. 36) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1997/1998 ISBN 3-525-62359-3

© 1999 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Printed in Germany. — Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Diese Arbeit wurde im Wintersemester 1997/98 vom Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Bonn als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie geringfügig überarbeitet. Mein Dank gilt allen, die zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen haben. An erster Stelle sei hier Prof. Dr. Friedrich Wintzer genannt, der als mein Doktorvater die Arbeit von den ersten Überlegungen bis zur Drucklegung mit großem Einsatz begleitet hat. Herrn Prof. Dr. Eberhard Hauschildt sei für das Zweitgutachten gedankt, Herrn Prof. Dr. Peter Cornehl für die Aufnahme der Arbeit in diese Reihe. Zahlreichen Freunden und Kollegen danke ich für anregende Diskussionen; ihre Namen sind hier nicht einzeln aufgeführt, sie werden sich jedoch zwischen den Zeilen in manchen Formulierungen wiedererkennen. Die Veröffentlichung wurde erst ermöglicht durch großzügige Druckkostenzuschüsse. Dafür danke herzlich der Evangelischen Gemeinde Köln, der Kreuzkirchengemeinde Bonn, dem Kirchenkreis Köln-Mitte, der Evangelischen Kirche im Rheinland und der Evangelischen Kirche der Union. Gewidmet sei das Buch meiner Frau Kirsten Prößdorf. Sie hat nicht nur die mühselige Aufgabe des Korrekturlesens auf sich genommen, sondern mir auch immer den nötigen Beistand gegeben, wenn es einmal nicht so klappen wollte wie gedacht. Ohne ihre Liebe würde es dieses Buch nicht geben. Köln, im Mai 1999

Detlev Prößdorf

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Inhalt Vorwort I.

Umleitung

II. Die gottesdienstliche Trauansprache im Kontext von Ehe und Eheschließung 1. Die biblischen Aussagen zu Ehe und Eheschließung 2. Die Eheschließung im geschichtlichen Wandel 3. Zum Verständnis und zur Gestalt der evangelischen Trauung in der Gegenwart 4. Die kirchliche Trauung im Spannungsfeld zwischen rituellen Bedürfnissen, christlicher Tradition und sich wandelnder Eheauffassung Exkurs: Die Diskussion um die Segnung nichtehelicher bzw. homosexueller Gemeinschaften 5. Die gottesdienstliche Trauansprache als Ausdruck evangelischen Eheverständnisses III. Die theoretische Auseinandersetzung mit der gottesdienstlichen Trauansprache 1. Terminologisches: Die Vermischung der Begriffe „Rede", „Ansprache" und „Predigt" 2. Geschichtlicher Überblick über die wesentlichen Arbeiten seit Mitte des 19. Jahrhunderts 2.1. Bis zum 1. Weltkrieg 2.2. Nach dem 1. Weltkrieg bis in die 50er Jahre 2.3. Die Neuansätze der 60er und 70er Jahre 2.4. Die jüngsten Entwicklungen 3. Elemente und Schwerpunkte der theoretischen Auseinandersetzung mit der Trauansprache

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IV. Die Gestaltung der gottesdienstlichen Trauansprache in der Praxis

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1. Allgemeines 1.1. Kriterien für eine Untersuchung von Trauansprachen 1.2. Predigtsammlungen, Predigthilfen und Textsammlungen 1.3. Die Besonderheiten gedruckter Trauansprachen 1.4. Die Abhängigkeit der Trauansprache von Adressat, Umfeld und Predigerin und die damit verbundenen hermeneutischen Probleme 2. Formale Aspekte 2.1. Der äußere und liturgische Rahmen 2.2. Die zeitliche Länge 2.3. Die Textgrundlage 2.4. Der Bezug zur Textgrundlage 2.5. Stilistische Möglichkeiten 2.5.1. Anfang und Ende 2.5.2. Bilder, Beispiele, Erzählungen und Symbole 2.5.3. Der Umgang mit Zitaten 2.5.4. Ermahnungen und Aufforderungen 2.5.5. Wünsche und Bitten 3. Inhaltliche Aspekte 3.1. Aussagen zur hochzeitlichen Situation 3.1.1. Das Beschreiben der hochzeitlichen Situation 3.1.2. Das Erklären der kirchlichen Trauung 3.1.3. Die Ablösung von den Eltern 3.1.4. Der gemeinsam zu gehende Weg 3.1.5. Das Eingehen auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft 3.2. Anthropologisch-soziologische Aussagen in Bezug auf die Ehe und ihre religiöse Dimension 3.2.1. Die Freiheit als Voraussetzung der Ehe 3.2.2. Die Liebe als Grundlage der Ehe 3.2.3. Das eheliche Glück als Ziel der Ehe 3.2.4. Leitlinien für eine partnerschaftliche Beziehung 3.2.5. Gefahren in der und für die Ehe 3.2.6. Gesellschaftliche Normvorstellungen 3.3. Theologische Aussagen in Bezug auf die Ehe 3.3.1. Gottes Segen in und für die Ehe 3.3.2. Das Zusammenfügen durch Gott 3.3.3. Die Ehe als lebenslange Gemeinschaft und die Unauflösbarkeit der Ehe 4. Die Trauansprache in Korrelation zur individuellen Lebenssituation 4.1. Der sog. „allgemeine Fall"

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4.2. Vom sog. „allgemeinen Fall" abweichende Situationen 4.2.1. Konfessionsverschiedene Paare 4.2.2. Religionsverschiedene Paare 4.2.3. Verwitwete 4.2.4. Geschiedene 4.2.5. Paare, die ein Kind erwarten 4.2.6. Paare mit Kindern 4.2.7. Trauung und Taufe 4.2.8. Die sog. „Nachtrauung" 4.2.9. Ältere und sehr junge Paare 4.2.10. Trauungen gegen den Willen der Eltern bzw. der Angehörigen 4.2.11. Ein lockeres oder distanziertes Verhältnis zur Kirche 4.2.12. Trauungen, an denen „besondere" Personen bzw. Personengruppen teilnehmen 5. Drei unterschiedliche Beispiele für Trauansprachen aus der Praxis 5.1. Dietrich Bonhoeffer: Trauansprache in Magdeburg (1936) 5.2. Wilhelm Tesch: Voller Erwartung (1983) 5.3. Klaus Zillessen: „Das bißchen Weisheit, auf das es ankommt" (1995)

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V. Zur seelsorglichen Dimension der gottesdienstlichen Trauansprache

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1. Das Traugespräch als Basis fiir die Seelsorge 2. Zur Seelsorge am Hochzeitspaar 3. Zur Seelsorge an Eltern, Angehörigen und Freunden

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VI. Dergeschichtliche Wandel der gottesdienstlichen Trauansprache

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VII. Die gegenwärtige Pluralität als Herausforderung fiir die gottesdienstliche Trauansprache

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1. Herausforderungen für die „Theorie der Trauansprache" 2. Herausforderungen für die Praxis

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Kurghesen

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Inhalt und Funktion dergottesdienstlichen Trauansprache

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Chronologisches Verzeichnis von Trauansprachensammlungen und Trauansprachenhilfen

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1. Von evangelischen Autoren 2. Von katholischen Autoren (seit 1970) 3. Textver2eichnisse

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Alphabetisches Literaturverzeichnis

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1. Monographien und Aufsätze zur Kasual- und Traupredigt sowie zum Themenkomplex Trauung, Partnerschaft und Ehe in Auswahl 2. Ausgewählte Traureden, Trauansprachen und Traupredigten

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„Die Rede übrigens, die Traurede hat ihre besonderen vielfältigen Schwierigkeiten und eine gan^ vornehmliche Schwierigkeit hat es, eine halten, die christlich ist."1 Claus Harms

I. Einleitung Eigentlich sollte man meinen, dass das Schreiben einer Trauansprache Pfarrerinnen nicht übermäßig schwer fallt, ist doch der Anlass meist ein durchaus erfreulicher und ihr Gegenstand das für das Christentum zentrale Thema der Liebe. Doch dieser Eindruck täuscht. Viele Pfarrerinnen haben gerade anlässlich des Kasus Trauung ihre Probleme, eine für das Paar geeignete Ansprache zu verfassen. Denn die Trauansprache hat „ihre besonderen vielfältigen Schwierigkeiten", wie Claus Harms schon vor über 150 Jahren feststellte. Aus gegenwärtiger Perspektive betrachtet gründen sich diese Schwierigkeiten auf verschiedene und vielfältige Umstände. Zunächst einmal hat es die Trauansprache nicht immer einfach, sich innerhalb des Traugottesdienstes Aufmerksamkeit zu verschaffen. Auf dem Weg zum gemeinsamen Jawort scheinen viele andere Elemente eher geeignet, die Sinne zu vereinnahmen, angefangen vom würdevollen Einzug, über die Festkleidung des exponiert sitzenden Hochzeitspaares, bis hin zum zwischen Prunk und Ergriffenheit schwelgenden Orgelspiel. Hinzu kommen oft noch individuelle Extras wie eine besonders geschmückte Kirche, Trompetenklänge, Sologesang oder das Verlesen von Texten und Fürbitten durch Freunde und/oder Verwandte. Die Trauansprache erscheint angesichts dieser „Konkurrenz" geradezu von einer erschreckenden optischen und akustischen Schlichtheit. Ganz und gar nicht schlicht ist dagegen die Materie, auf die sich die Trauansprache primär bezieht, nämlich der Themenkomplex Partnerschaft, Sexualität, Ehe, Eheschließung, Heirat und Trauung. Das öffent1 Harms (1888) 114. Zur Zitations- und Schreibweise sei Folgendes angemerkt: (1.) In den Fußnoten ist die theologische Fachliteratur abgekürzt und nur durch Autorenname, Erscheinungsjahr und Seitenzahl gekennzeichnet; den vollständigen Titel bitte ich dem Literaturverzeichnis zu entnehmen. Titel mit dem Kürzel „Prd." vor der Jahreszahl finden sich im Predigtverzeichnis. (2.) Aufgrund unterschiedlicher Traditionen sind einige biblische Bücher verschieden bezeichnet und abgekürzt. Eine Vereinheitlichung erschien mir diesbezüglich nicht sinnvoll. (3.) Ich bitte um Nachsicht, wenn die duale Schreibweise in einigen Passagen nicht ganz konsequent durchgehalten wurde. Der Schaden an Grammatik und Lesefluss erschien mir in diesen Fällen größer als der Verlust an Eindeutigkeit. V. a. weibliche Leser mögen diesen Pragmatismus an den betreffenden Stellen entschuldigen.

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liehe Interesse an diesem Themenkomplex boomt weiterhin und es wird vielfältiger denn je darüber kommuniziert. Medial beschäftigen sich zahlreiche Bücher, Zeitungen, Illustrierten und Magazine in regelmäßigen Abständen mit diesem Themenkomplex; das Fernsehen nimmt sich ihm in Game-Shows, Spielfilmen und Serien an, und im Internet gibt es am Ende des 20. Jahrhunderts über 10 000 deutschsprachige Web-Pages, die zu den Stichworten „Hochzeit" und „Trauung" abgerufen werden können. Kommerziell wird die Hochzeit wie noch nie zuvor vermarktet und hat sich mitderweile als eigenständiger Wirtschaftsfaktor etabliert.2 Auch in kirchlichen Kreisen ist in den letzten Jahren eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex zu beobachten, v. a. unter der Fragestellung, welche Aussagen und Positionen sich heutzutage noch christlicherseits und evangeliumsgemäß vertreten lassen. Dabei haben verschiedene Positionspapiere und Synodenbeschlüsse in den einzelnen Landeskirchen und Gemeinden zu äußerst kontroversen Auseinandersetzungen geführt, insbesondere bezüglich der Frage nach einer theologischen Bewertung nichtehelicher und gleichgeschlechtlicher Partnerschaften.3 Kurzum: gesellschaftlich und theologisch ist die Bewertung des Themenkomplexes Partnerschaft, Ehe etc. schon seit vielen Jahrzehnten stark umstritten; er befindet sich in einem in dieser Form noch nicht da gewesenen Wandel, dessen Ende und Ausgang weder absehbar noch voraussehbar ist. Innerhalb dieses Wandels in einer Trauansprache zeit- und evangeliumsgemäße Aussagen zu vertreten, bereitet vielen Pfarrerlnnen sichtlich Probleme. Probleme bereitet zudem, dass die Trauansprache in der Erwartungshaltung von Hochzeitspaar und Hochzeitsgemeinde möglichst stilvoll und persönlich sein soll. Da die Trauung ohnehin unter dem nicht unbegründeten Verdacht steht, nicht rein aus christlicher Frömmigkeit gewünscht zu werden, sondern aus dem Bedürfnis nach einer nicht näher zu bestimmenden Mischung von festlicher Umrahmung, Erlebnissteigerung und Tradition, fühlen sich Pfarrerinnen zuweilen in ihrem Redeauftrag funktionalisiert und beengt. Entspricht eine Ansprache nicht den Erwartungen, indem sie zu kirchlich, zu nachdenklich oder in Einzelpas2 Nach Schätzungen der Zeitschrift „Braut & Bräutigam" 2/1996 werden in Deutschland jährlich ca. 600 Millionen D-Mark allein für die Hochzeitsgarderobe ausgegeben. Dass die Grenze zwischen medialer Information und kommerziellen Interessen oft dünn ist, zeigen zahlreiche „Themenseiten" in Zeitungen und Illustrierten, in denen neben informativen Artikeln über Hochzeit und Heirat auch entsprechende Werbeangebote stehen. Auch der Sachbuchmarkt trägt dem gesteigerten Interesse Rechnung, siehe Claudia Lück / Linda de Mol (Hg.): Traumhochzeit. Heiraten mit Phantasie. Tips, Ideen, Adressen, Preise, Düsseldorf 1993 oder Tina Kuckelmann: Heiraten. Das Fest Ihrer Träume, so klappt es perfekt! München 1997. 3 Vgl. das Thesenpapier der Rheinischen Landeskirche über „Sexualität und Lebensformen sowie Trauung und Segnung" (1996).

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sagen zu kritisch gerät, haben Pfarrerinnen leicht mit dem Ruf eines miesepetrigen „Stimmungstöters" zu kämpfen. Angesichts dieser hier nur angedeuteten Probleme ist es daher nicht verwunderlich, wenn einige Theologen der Trauansprache mit einer gewissen kritischen Reserviertheit gegenüberstehen. So meint z. B. Leonhard Fendt: „Vielleicht ist keine Stunde so ungeeignet für eine Rede als das kurze Verweilen eines Brautpaares in der Kirche" 4 .

Noch extremer drückt sich Paul Schempp aus: „Nirgends tritt die völlige Überflüssigkeit der kirchlichen Begleitmusik zum weltlichen Dasein so deutlich in Erscheinung wie bei den Trauungen und nirgends wird die Kirche so selbstverständlich zur Dienstleistung als Festredenlieferantin herangezogen als hier"5.

Jedoch übersieht eine einseitig negative Betrachtung der Trauansprache die eminent wichtige Funktion, die diese Rede innerhalb des Gottesdienstes und womöglich auch innerhalb des Eheschließungsprozesses haben kann. Denn innerhalb des oft gleichbleibenden liturgischen Ablaufs ist die Trauansprache der Ort, an dem Pfarrerinnen die größte Freiheit besitzen, die christliche Sichtweise über die Verbindung zweier Menschen darzulegen und die Verheißungen des Evangeliums auf die individuelle Situation des Hochzeitspaares und deren Angehörige zu beziehen. Sie kommt damit der Aufgabe nach, das feststehende Ritual der Eheschließung auf die individuellen Lebenszusammenhänge abzustimmen, also die generellen Aspekte des Ritus mit den individuellen Bedürfnissen des Paares in Einklang zu bringen. In Trauansprachen geschieht dies konkret durch die Erörterung von Fragen nach einer gemeinsamen religiösen Sinndeutung, nach dem Grund der Wirklichkeit, nach erfülltem Leben, nach dem Woher und Wohin oder nach der Gestaltung der Partnerschaft in der Ehe. Überblickt man die theologische Literatur, so ist festzustellen, dass das Thema Trauansprache in der evangelischen Theologie insgesamt eher stiefmütterlich behandelt wurde und wird. Es gibt zwar ein großes Potential an Trauansprachen und Predigthilfen, das sowohl positive als auch negative Beispiele und Anregungen aus der und für die alltägliche Praxis bietet - praktisch-theologische Untersuchungen jedoch, die sich dezidiert mit den speziellen Schwierigkeiten dieser Gattung auseinander setzen, gibt es nur relativ wenige; wenn eine Auseinandersetzung mit der 4 Fendt (1936) 352. 5 Schempp (21951) 3.

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gottesdienstlichen Trauansprache stattfindet, geschieht dies oftmals unter der Rubrik der „Kasualpredigt", wodurch die der Trauansprache eigenen Spezifika zu kurz kommen. Diese Arbeit konzentriert sich daher nur auf die Gattung Trauansprache und gibt einen Überblick über ihre Entwicklung und ihre Inhalte in Theorie und Praxis. Dabei werden die thematisch verwandten Gattungen wie die Ehestandspredigten oder die Ansprachen bei Jubiläumshochzeiten (Silberne, Goldene oder Diamant-Hochzeit) nur marginal behandelt, weil der Kasus dort ein anderer ist. Die Vorgehensweise besteht darin, die Spannweite des reichhaltigen Spektrums der Trauansprache in ihrer Geschichte und gegenwärtigen Gestalt phänomenologisch und heuristisch wahrzunehmen. Dabei lassen sich anhand einzelner Ausformungen und Bestandteile deutliche Entwicklungslinien verfolgen, die den Einfluss der sich wandelnden Eheauffassung auf die Trauansprache deutlich machen. Die vorfindliche Pluralität wird schließlich zum Ausgangspunkt für weiterführende Überlegungen, welche Herausforderungen und Aufgaben sich gegenwärtig für die Trauansprache ergeben.

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II. Die gottesdienstliche Trauansprache im Kontext von Ehe und Eheschließung Die gottesdienstliche Trauansprache ist eine spezielle Form kirchlichreligiöser Rede. Als Gattung hat sie ihren Sitz im Leben in der liturgischen Feier, die anlässlich einer Eheschließung begangen wird. Ihr Bezug zum Kasus ist zweifach: sie bezieht sich einerseits auf die bereits vollzogene Eheschließung und andererseits auf die zukünftige Gestaltung der Ehe. Ehe und Eheschließung bilden somit für die Trauansprache den unabdingbaren Kontext, ohne den diese Gattung nicht denkbar wäre. Nun sind allerdings weder Ehe noch Eheschließung genuin christliche Erscheinungen, sondern vielmehr allgemein anthropologische Phänomene, die sich dem kosmischen Gegenüber von Männlich und Weiblich verdanken.1 Formen von Ehe und Eheschließung lassen sich in allen Kulturen der Erde finden, wobei sich die rituellen Handlungen zu Beginn der Ehe und die Arten des Vollzugs der Ehe je nach Kulturkreis voneinander unterscheiden. Über den Ursprung der Ehe oder das Aufkommen ritueller Handlungen zu Beginn der Ehe lässt sich dabei nur wenig in Erfahrung bringen. In der Regel findet man Ehe und Eheschließung als selbstverständliche Bestandteile menschlichen Zusammenlebens einfach vor, ohne dass sie einer weit reichenden Begründung bedürften.2 So haben auch das Judentum und das Christentum Ehe und Eheschließung nicht erfunden, sondern nur vorgefunden und gestaltet. Die religiösen Elemente, die im Zusammenhang mit den anthropologischen Phänomenen Ehe und Eheschließung stehen, sind dabei unterschiedlich stark ausgeprägt. Es gab und gibt Kulturen, in denen Ehe und Eheschließung keinerlei religiöse Legitimation oder Zeremonien erkennen lassen. Auf der anderen Seite gab und gibt es aber auch Kulturen, in denen Ehe und Eheschließung ohne religiöse Legitimation und Zeremonien gar nicht denkbar sind. Das Christentum und insbesondere das christliche Abendland sind in dieser Hinsicht ständig ein „corpus permixtum" gewesen. Weltliche und religiöse Legitimation von Ehe und Eheschließung haben sich abgewechselt bzw. sind parallel mit- und zueinander verlaufen. Die Kirche hat dazu das ihrige beigetragen, indem sie 1 Vgl. Ratschow (1982) 309. 2 Zur Entwicklung der Ehe allgemein vgl. Westermarck ( 5 1922) und die dortige Literatur. 3 Vgl. Delling (1959) und Rizer ( 2 1981).

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keinen einheitlichen Standpunkt zu Ehe und Eheschließung vertreten hat und sich auch nicht gegen das vielfältige regionale Brauchtum hat durchsetzen können. Bis dato changieren im Christentum die Meinungen und Definitionen für die Ehe zwischen „weltlich Ding", „Institution", „Schöpfungsordnung" und „Sakrament" und sind angesichts der soziologischen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte um zahlreiche Facetten erweitert worden. Selbiges gilt für die Eheschließung, die nicht minder viele weltliche und religiöse Interpretationen erfahren hat. Eine einheitliche Position oder eine abschließende Klärung sind aufgrund der mannigfachen biblischen und kirchengeschichtlichen Traditionen auch in Zukunft nicht zu erwarten. Ebenso wenig ist zu erwarten, dass die Kirche trotz der Uneinheitlichkeit der Meinungen und vereinzelter Kritik aus den eigenen Reihen den Kasus Trauung aus dem Kanon ihrer Handlungen im Lebenszyklus verbannt. Von daher wird die gottesdienstliche Trauansprache weiterhin ihre Daseinsberechtigung im Kontext von Ehe und Eheschließung behalten. Sie wird auch künftig - trotz aller Problematik des Kasus Trauung - als Indikator fungieren, wie Predigerinnen Ehe und Eheschließung aus christlicher Sicht verstehen. 1. Die biblischen Aussagen

Ehe und Eheschließung

Wo Ehe und Eheschließung aus christlicher Sicht behandelt werden, geschieht dies unter Bezugnahme auf biblische Überlieferung. Die Selbstverständlichkeit, mit der in vielen Trauansprachen biblische Aussagen auf die Ehe bezogen werden, lässt den Eindruck entstehen, als ob sich aus der Bibel eine eindeutige Lehre für die Ehe und die Eheschließung ergebe. Dies ist aber nicht der Fall, wie Alfred Niebergall in seiner umfangreichen Darstellung über Ehe und Eheschließung in der Bibel und in der Geschichte der alten Kirche noch einmal deutlich gemacht hat.4 Sowohl das Alte Testament wie auch das Neue Testament geben nur unzureichende Angaben darüber, wie zu biblischer Zeit die Ehe geschlossen wurde bzw. was über das Wesen und den Sinn der Ehe gedacht wurde. Dies gilt in besonderem Maße für die kultischen, religiösen und theologischen Vorstellungen und Vollzüge, über die sich nur fragmentarische und über Jahrhunderte verstreute Spuren finden lassen. Daher besteht relative Einigkeit, dass Fragen bezüglich Ehe und Eheschließung in der Bibel einen sekundären Rang haben; sie sind weder im Rahmen des Jahweglaubens noch im Bewusstsein der Christuswirklichkeit von zentraler oder gar heilsgeschichtlicher Bedeutung.

4 A. Niebergall (1985) 1-99. Dort finden sich zahlreiche Literaturhinweise zu Einzelaspekten, ebenso bei Scharbert (1982) 313 und Reicke (1982) 324f.

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Im Alten Testament (AI") sorgt bereits die Terminologie für Unklarheiten, da die hebräische Sprache keine eigenen Begriffe fiir „Ehe" und „Eheschließung" kennt, sondern diese Vorgänge stets verbal umschreibt.5 Deswegen kann nur behutsam von Ehe und Eheschließung im AT gesprochen werden, will man den alttestamentarischen Aussagen keine falsche begriffliche Abstraktion unterschieben. Der Beginn der Ehe ist im AT - ähnlich den Gepflogenheiten der umliegenden Nachbarvölker - durch ein weltliches Rechtsgeschäft zwischen zwei Familien gekennzeichnet. Dabei wurde i. d. R. zwischen dem Bräutigam und dem Brautvater ein Brautpreis (mohar) ausgehandelt, nach dessen Entrichtung die Braut in den Besitz des Mannes überging (vgl. Gen 29). Nach Abschluss dieses meist vertraglich geregelten Rechtsgeschäfts folgte die Hochzeitsnacht, nach der die Ehe als vollzogen galt. Üblicherweise wurde die Hochzeit dann durch aufwendige Feierlichkeiten abgeschlossen, die je nach Brauch unterschiedlich ausfielen (vgl. Ri 14,10ff; Ps 45; Tob 8,10; 10,7). Nach ausgeprägteren religiösen Handlungen oder gar einem Gottesdienst während dieses weltlichen Rechtsgeschäfts sucht man in den wenigen Texten des AT's jedoch vergeblich.6 So lassen weder die Hochzeit Jakobs (Gen 29,20-30), die Hochzeit Simsons (Ri 14; vgl. auch 16,4), die Erzählung von Boas und Ruth (Rut 2-4) noch die symbolträchtige Heirat Hoseas (Hos l,2f; 3) besondere religiöse Riten bei der Eheschließung erkennen; lediglich bei der Hochzeit Isaaks mit Rebekka (Gen 24,60) und im Tobitbuch (Tob 7,13; 11,17) wird eine Segenshandlung im Zusammenhang mit der Eheschließung erwähnt, die aber nicht ohne weiteres als „Brautsegen" o.ä. verstanden werden darf.7 Eine Ausnahme bezüglich der religiösen Handlung während der Eheschließung stellt die im späten Diasporajudentum anzusiedelnde und mit Märchenmotiven durchzogene Erzählung von Tobias und Sarah (Tob 7f) dar, in der Tobias und Sarah vor der Hochzeitsnacht Gottes Segen für die Ehe erbitten und ihre Eheschlie5 Für diese Vorgänge benutzt das AT verschiedene Verben („x nimmt y zur Frau"; „y wird dem x zur Frau gegeben"; „x ist Mann von y" usw.). Das NT und die hellenistische Welt kennen zwar Termini für „heiraten" und „Heirat" bzw. „Ehe", allerdings sind auch diese nicht gänzlich mit der deutschen Terminologie von Ehe und Eheschließung gleichzusetzen. Zu den Problemen der Terminologie des AT's vgl. Scharbert (1982) 311 und Pkutz (1964) 311 ff; zum NT vgl. Kurt Niederwimmer, EWNT, Bd. 1 (1980), 564—571. Dass diese terminologischen Fragen auch systematischtheologisch relevant sind, zeigt die jüngste Diskussion, vgl. die Stellungnahme (1996) 3ff. 6 Anderer Meinung diesbezüglich ist Jenssen (1995) 393. 7 So bezeichnet Winkler (1995) 126 Tob 7 etwas undifferenziert als die „älteste Trauungsliturgie im jüdisch-christlichen Raum". Ebenso darf in Prov 2,17 nicht vorschnell auf eine religiöse Zeremonie geschlossen werden. Die Anhaltspunkte sind dazu nicht stichhaltig genug.

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ßung ausdrücklich in einen der Frömmigkeit des Tobitbuches entsprechenden religiösen Kontext stellen (Tob 8,4-9). Abgesehen von dieser einzigen Ausnahme gilt aber für das AT wie auch für das spätere Judentum, was ein rabbinischer Grundsatz in aller Kürze zusammenfasst: „Durch drei Dinge wird die Ehe geschlossen: Geld, Urkunde, Beischlaf' 8 .

Als Formen der Ehe sind im AT Polygamie und Monogamie üblich. Bei den Erzvätern und Königen war die Polygamie gängige Praxis, die auch im AT nicht prinzipiell kritisiert wird; einige Texte mahnen lediglich eine gleiche Behandlung der Ehefrauen an (Ex 21,10; Dtn 21,15-17). Mit Blick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Großteils der Bevölkerung darf die Polygamie aber als Ausnahme gelten, während die Monogamie die Regel gewesen sein wird. Nur marginal beschäftigt sich das alttestamentliche Recht mit der Ehe. Die wenigen zur Ehe vorliegenden Gesetzestexte reglementieren zumeist bestimmte Problemfälle, wie die Ehe unter Verwandten (vgl. Lev 18,6-18), die Mischehe (Ex 34,16; Dtn 7,3), die Leviratsehe (Dtn 25,5-10) oder den Ehebruch (Lev 20,10; Dtn 22,22). Sie tragen in einem nicht unwesentlichen Maß zum Schutz der Frauen bei (vgl. Dtn 24,1-5) und grenzen sich damit gegenüber den Praktiken der Nachbarvölker ab, wenngleich das Handeln zentraler biblischer Personen zuweilen in auffallendem Widerspruch zu einzelnen Gesetzesvorschriften steht. Erst in nachexilischer Zeit wird die Ehe besonders thematisiert und Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen, da nach der Heimkehr der Exulanten v. a. Fragen bezüglich der Mischehe und der Ehescheidung (vgl. Esr 9f; Neh 13,23-27) virulent waren. Ab dieser Zeit lässt sich nicht nur ein verstärktes rechtliches Interesse an der Ehe erkennen, sondern es kommt auch vermehrt zu einer differenzierten theologischen Betrachtung der Ehe (vgl. Mal 2,14-16), die sich allerdings weniger im AT selbst, sondern hauptsächlich in außerbiblischen Schriften des Spätjudentums vollzieht. Die primäre Funktion der Ehe bestand zweifelsohne in der Zeugung von Nachkommen. Für die gesamte orientalische Gesellschaft ist die Ehe ein Wirtschafts- und Sozialfaktor, der sowohl die materielle Existenz als auch den Fortbestand der Sippe sichert. Darüber hinaus kann aber auch — unter Ausnutzung idealistischer Interpretationsspielräume - die Ehe als Lebensgemeinschaft in ganzheitlicher Liebe, gegenseitiger Ergänzung und Ehrfurcht verstanden werden (vgl. Gen 1,27; 2,21-24 oder auch Cant). In Bezug auf theologische Deutungen der Ehe ist das AT gleichwohl bemerkenswert zurückhaltend. Alfred Niebergall führt dies in Anschluss an J. Hempel auf ein „Prinzip der Abgrenzung" gegenüber den kanaanäischen und später hellenistischen Praktiken zurück, bei denen Ehe und Eheschließung gerade 8 Mischna Kidduschin 1,1. 18

mit kultischen Akten verbunden wurden.9 Auf mythologische oder naturrechtliche Erklärungen der Ehe kann das AT verzichten, da es die Ehe in den allgemeinen Kontext des Gehorsams gegenüber Jahwe und seiner Geschichte mit Israel stellt. Dadurch wahrt sich das alttestamentliche Eheverständnis eine auffallende Profanität.10 Die Anschauung des Neuen Testaments (NT) zum Thema Ehe stellt sich noch komplizierter dar: „Überblickt man die Geschichte des Urchristentums im Blick auf die Einstellung zur Ehe, so läßt sich insgesamt eine gewisse, bisweilen tief greifende Unsicherheit in Anschauung und Verhalten nicht übersehen" 11 .

Die Auskünfte und Anweisungen, die das NT gibt, reichen „von einer unproblematischen Bejahung der Ehe bis zu einer Empfehlung, ehelos zu bleiben, ja bis zu einer Warnung vor der Ehe"12. Dies lässt sich damit erklären, dass in Anbetracht des Anbruchs der Gottesherrschaft Fragen bezüglich Eheschließung und Ehe einerseits als zweitrangig galten, da sie den gegenwärtigen und vergehenden Aon betreffen, aber nicht für den zukünftigen Aon von Relevanz sind (vgl. Mk 12,25 par). Andererseits drängte jedoch die Parusieverzögerung zu einer Klärung dieser Fragen gerade in Hinblick auf die Christusnachfolge. Generell wurde es als normal vorausgesetzt, an einen Ehepartner und eine Familie gebunden zu sein, auch wenn Johannes der Täufer, Jesus und Paulus - im Gegensatz zu den meisten von der Evangeliumsbotschaft Angesprochenen - ohne Bindung an Frau und Familie lebten. Allerdings wurde die Bedeutung der Ehe angesichts des beginnenden Reiches Gottes und der Anforderungen der Nachfolge sehr differenziert gesehen. Jesus qualifizierte die Ehe einerseits als ursprüngliche Ordnung Gottes (vgl. Mt 19,4-6) und wandte sich radikal gegen Ehebruch und Ehescheidung, da er sie als Störung dieser Ordnung empfand (vgl. Mt 5,27ff; 19,3ff). Andererseits fasste Jesus die Ehe nur als Interimsordnung für diese Welt auf, die im künftigen Aon keine Rolle spielt (Mt 22,23-29 par). Nicht familiäre Bindungen, sondern die Nachfolge sollte für die Jünger Jesu im Vordergrund stehen (Mt 10,37; Lk 14,26; Mt 19,29); dennoch forderte Jesus nicht ausdrücklich die Ehelosigkeit, sondern mutete sie höchstens einigen Begabten zu (vgl. Mt 19,10-12). Das paulinische Verständnis ist ähnlich, jedoch wird die Befürwortung der Ehelosigkeit stärker unterstrichen als in der synoptischen Tradition. Angesichts der — im Verhältnis zur Christusherrschaft 9 A. Niebergall (1985) 31 ff. 10 Der profane Charakter der Eheschließung ist nicht unumstritten. Anderer Meinung sind R. Schäfer (1973) 484,Jenssen (1995) 392 oder Winkler (1995) 125. 11 A. Niebergall (1985) 53. 12 A. Niebergall (1985) 57.

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- Vorläufigkeit des Ehestandes empfiehlt Paulus, seinem Beispiel zu folgen und ehelos zu bleiben (1. Kor 7,7ff). In Blick auf die Kürze der verbleibenden Zeit wirbt Paulus für einen freiwilligen Verzicht auf die Ehe (1. Kor 7,26.29), verallgemeinert dies jedoch nicht, da es ihm ratsamer erscheint zu heiraten, als sich vor Begierde zu verzehren oder in Unzucht zu leben (1. Kor 7,2.9). Wer heiratet, sündigt nach paulinischem Verständnis nicht, wer aber nicht heiratet, wählt das Bessere (1. Kor 7,38). Wer sich allerdings in einer bestehenden Ordnung befindet, soll sich nicht scheiden lassen, sondern seinen Zivilstand wahren; denn die Ehescheidung lehnt Paulus ebenso wie Jesus strikt ab (1. Kor 7,10ff).13 Im Gegensatz zum synoptischen und paulinischen Eheverständnis ist in den sog. „Haustafeln" der eschatologische Horizont deutlich abgemildert (Kol 3,18ff; Eph 5,22ff; 1. Tim 2,9ff; Tit 2,1 ff; 1. Petr 3,1 ff). Die Empfehlung der Ehelosigkeit tritt zurück zugunsten von Ratschlägen, wie christliche Männer und Frauen sich zueinander verhalten sollen. Dabei steht ohne Zweifel das Wissen um die Abhängigkeit des christlichen Ehelebens von der Christuswirklichkeit im Vordergrund. Aus ihr soll das Leben in liebender Fürsorge und gegenseitiger Verehrung gestaltet werden, da die Liebe im Rahmen der Ehe eine Fortsetzung der Liebe Christi zur Kirche bedeutet (vgl. Eph 5,22-33). Die in diesem Zusammenhang getroffenen Aussagen über die Unterordnung der Frauen unter ihre Männer spiegeln indes die im Orient und in der Antike gängigen patriarchalen Familienstrukturen wider. Über den Ablauf der Eheschließung findet sich im NT weder eine Empfehlung noch ein ausführlicher Bericht. Jedoch wird das Motiv der Hochzeit gerne zur Veranschaulichung theologischer Sachverhalte gebraucht, wobei die an den Hochzeitsfeierlichkeiten beteiligten Personen (Braut, Bräutigam, Brautjungfern) gewöhnlich eine besondere Rolle spielen (vgl. Mt 22,1-10 par; 25,1-13; Joh 2,1-11 u. a.). Aus diesen Andeutungen lässt sich schließen, dass sich die Eheschließung im Rahmen der jüdisch-hellenistischen Traditionen14 vollzog und keinen Anlass zu umfassender Kritik an den Eheschließungssitten gab. Die Problematik der heutigen Bewertung der Ehe und Eheschließung aus christlicher Sicht liegt nun darin, dass der biblische Befund nicht einheitlich und ergiebig genug ist, als dass sich daraus eine geschlossene oder gar gesetzliche Lehre ableiten ließe, wie die Ehe zu schließen und zu führen ist. Aus den Belegstellen lassen sich zwar einige gewichtige und markante Aussagen für eine christliche Eheethik fruchtbar machen - wie 13 Eine Ausnahme besteht, wenn ein ungläubiger Ehepartner die Scheidung wünscht (vgl. 1. Kor 7,15). Zu der ganzen Reichweite von 1. Kor 7 vgl. Wolfgang Schräge: Der erste Brief an die Korinther, Bd. 2, Neukirchen 1995, 4 8 - 2 1 1 . 14 Zu den im NT vorhandenen Traditionen vgl. Hermann L. Strack / Paul Billerbeck: Kommentar zum Neuen Testament, Bd. 2, München 1924, 384-393.

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das Scheidungsverbot, die Mahnung zur gegenseitigen Achtung in Liebe etc. eine ausgesprochen theologische Dimension ist aber nur an wenigen Stellen zu erkennen. Welche Position letztlich zu Ehe und Eheschließung vertreten wird, hängt wesentlich von der Gewichtung einzelner Bibelverse ab. Hierbei haben einzelne biblische Aussagen eine bewegte Auslegungstradition vorzuweisen, so Gen 2,24, Mk 10,9 par oder Eph 5,22. Jedoch entscheidet sich gerade an der Bewertung solcher schwierigen und zum Teil widersprüchlichen Aussagen, ob und wie ein christlicher Anspruch für die Ehe und für die Eheschließung geltend gemacht werden kann. Bei der Trauung und der Trauansprache schwingt die Problematik der Pluralität biblischer Aussagen immer mit - wenn sie auch nicht jedem allezeit bewusst sein mag. Sie ist ein Ärgernis, weil sie allen Bestrebungen nach Eindeutigkeit zuwider läuft. Aber sie ist auch eine Chance, weil sie eine Gestaltung der Ehe und Eheschließung in christlicher Freiheit zulässt. 2. Die Eheschließung im geschichtlichen Wandel Die Kirche hat seit einigen Jahrhunderten die Trauung fest in den Kanon ihrer Kasualien bzw. Amtshandlungen integriert und kann dabei auf eine äußerst wechselvolle Geschichte zurückblicken.15 Nicht aus biblischer Notwendigkeit, sondern als Folge dieser Geschichte werden bis heute Gottesdienste anlässlich von Eheschließungen begangen. Und nicht aus biblisch belegter Tradition, sondern als Folge dieser Geschichte des Christentums werden bis heute Trauansprachen während der kirchlichen Feier gehalten. Ohne diese Geschichte ist das heutige evangelische Trauritual mit den dort enthaltenen liturgischen Elementen nicht erklärbar und ohne Kenntnis der Historie der Eheschließung bleibt das gegenwärtige kirchliche Handeln bei der Eheschließung missverständlich. Da es auch unter Christen keine aus dem Wesen der Ehe sich ergebende Norm für die Eheschließung gibt, ist der Eintritt in die Ehe jeweils so begangen worden, wie es Recht, Sitte und Gewohnheit vorgaben. Für die frühchristliche Kirche war dies zunächst der römische Brauch, bei dem der partnerschaftliche Aspekt der Willensübereinstimmung - der sog. Konsens - das ausschlaggebende Element war („consensus facit nuptias"). Einen staatlichen Akt oder kirchlichen Ritus gab es vorerst nicht. Allerdings wünschten einige Gemeinden eine öffentliche

15 Ausfuhrliche Rückblicke auf die Entwicklung der Eheschließung bieten Rietschel f l 9 5 1 ) 678-756, Mahrenholz (1959) 1 1 - 2 7 sowie Dombois (1974). Ältere Klassiker sind Friedberg (1865) und Sohm (1875).

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Bekanntmachung des Eheentschlusses16 oder sogar eine Befragung des Bischofs, um Eheschließungen zu vermeiden, die nach christlicher Anschauung unzulässig waren. Daraus entwickelte sich der Brauch, dass das Ehepaar nach der Eheschließung den allgemeinen Gemeindegottesdienst besuchte. In manchen Gegenden empfing das Paar dann dort den Segen des Bischofs.17 Durch den Einfluss germanischer Rechtsbräuche kam im Mittelalter zu dem partnerschaftlichen Element des Konsens noch das eher besitzrechtliche Element der Übergabe der Braut an den Bräutigam hinzu. Ein Sippenvertreter, meist der Vater oder ein Vormund, übergab die Braut in den Herrschaftsbereich des Bräutigams und sprach das Paar als Mann und Frau zusammen („Ego pronuntio vos conjunges"). Diese Ubergabe mit dem Zusammensprechen des Paares — die sog. Kopulation — hatte den Charakter eines Initiationsritus in den Ehestand, wobei dieser Ritus in seiner Gestaltung und Ausformung regional verschieden war. Die deutschrechtliche Eheschließung bestand demnach aus zwei Elementen: dem Konsens, durch den die Ehe rechtsgültig geschlossen wurde, und der Kopulation, durch die die Ehe zum Vollzug gebracht wurde. Im rechtlichen Sprachgebrauch verfestigte sich seit dem 12. Jahrhundert die Bezeichnung „Verlöbnis" für den Konsens, während die Kopulation als „Trauung" bezeichnet wurde.18 An beiden Akten, Konsens und Kopulation, war die Kirche ursprünglich nicht beteiligt; der ganze Prozess der Eheschließung war eine rein weltliche Angelegenheit zwischen zwei Sippen. Jedoch gewann die Kirche im Laufe der Zeit stärker an Einfluss. War die kirchliche Feier bis zur Zeit Karls des Großen nur freie Sitte, so wurde sie ab dieser Zeit verbindlich. Das führte dazu, dass Konsens und Kopulation zeitlich und räumlich näher an die kirchliche Benediktion rückten. Die Trauung wurde immer häufiger vor der Kirchentür geschlossen, worauf im Anschluss direkt der Kirchgang mit dem Verlesen der Brautmesse folgte. Der Priester war zunächst bei der Trauung nur anwesend, um sicherzustellen, dass keine Ehehindernisse vorlagen. Ab dem 13. Jahrhundert trat er aber zunehmend selbst an die Stelle des Muntwalts, häufig auf ausdrücklichen Wunsch des Brautpaares. Dadurch wurde die Kirche mehr und mehr in den Prozess der Eheschließung ein-

16 Aus der öffentlichen Bekanntgabe des Eheentschlusses entwickelte sich das Aufgebot, das allerdings erst durch das IV. Laterankonzil (1215) verbindlich eingeführt wurde. Das Aufgebot wurde von der weltlichen Rechtsprechung übernommen und in Deutschland erst 1996 abgeschafft. 17 Die Eheschließung in der Früh- und Altkatholischen Kirche beschreibt ausführlich A. Niebergall (1985) 101-170. Ein kürzerer Überblick findet sich bei Crouzel (1982). 18 Das Verlöbnis hatte allerdings im Gegensatz zu unserem heutigen Sprachgebrauch rechtsverbindlichen Charakter. Heutzutage meint Verlöbnis nur einen unverbindlichen „Vorvertrag", der einem privaten Versprechen entspricht.

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gebunden.19 Der gesteigerte Einfluss der Kirche machte die Eheschließung nicht zuletzt zu einer öffentlichen Angelegenheit, wodurch auch dem jahrhundertelang virulenten Problem der „heimlichen" (clandestinen) Ehe begegnet wurde. Trotz Beteiligung des Priesters blieb im christlichen Abendland der generelle Ablauf bestehen: weltlicher Konsens, weltliche Kopulation und erst nach der Eheschließung die kirchliche Benediktion.2 Parallel zu dieser Entwicklung wurde der Ehe seit dem 12. Jahrhundert - v. a. durch Hugo von St. Victor - ein sakramentaler Charakter beigelegt, der nachhaltigen Einfluss auf das katholische Verständnis von Ehe und Eheschließung hatte und hat. Danach wird die durch Konsens geschlossene Ehe (matrimonium ratum) zweier Getaufter unter der Assistenz eines Priesters zum Sakrament, das die Eheleute sich wechselseitig spenden. Kanonisiert wurde das sakramentale Verständnis allerdings erst im Tridentinum.21 In der Reformationszeit änderte sich an dem generellen Ablauf der Trauung wenig. Luthers Interesse galt weniger der weltlichen Trauhandlung, als vielmehr der der Eheschließung folgenden kirchlichen Segenshandlung, fiir die er mit dem Traubüchlein von 1529 einen Gestaltungsvorschlag vorlegte. Wie die katholische Kirche seiner Zeit ließ Luther die Eheschließung vor der Kirchentür stattfinden, wobei ihm v. a. die Betonung der Öffentlichkeit der Eheschließung wichtig war. Ein sakramentales Verständnis der Ehe lehnte Luther als unbiblisch ab; Ehe und Eheschließung sind für ihn ein „äußerlich weltlich Ding ... wie Kleider und Speise, Haus und Hof, weltlicher Obrigkeit unterworfen22, was allerdings nicht ausschließt, dass Luther die Ehe — um der mönchisch-asketischen Abwertung der Ehe entgegenzutreten - auch als „göttlich, seligen Stand" verteidigen konnte.23 Die frühen Kirchenordnungen hielten zunächst an der Trennung der weltlichen Elemente Konsens und Kopulation einerseits und der kirchlichen Benediktion andererseits fest. Dabei gab es regional vielfältige Besonderheiten, die der kommenden Verschmelzung der weltlichen und kirchlichen Akte den Weg bahnten. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts wurde die Kopulation zunehmend in den Kirchraum 19 Zum Prozess der zunehmenden Christianisierung der Institution Ehe vgl. Duby (1993) 12ff; zur Ausbildung der kirchlichen Trauung siehe Schröter (1985). 20 Im Staatskirchentum Ost-Roms dagegen wurden der weltliche Akt und die kirchliche Feier ab der Mitte des 9. Jahrhunderts verbunden und der kirchliche, durch den Priester gespendete Segen zur zwingenden Vorschrift fiir das Zustandekommen der Ehe gemacht. Dies weckte jedoch Widerspruch aus Rom. Vgl. Rietschel (21951) 692f. 21 Vgl. das Decretum Tametsi von 1563, in: Heinrich Denzinger / Adolf Schönmetzer: Enchiridion symbolorum, Barcelona / Freiburg / Rom 1976,1812ff. 22 Vgl. Luther (1530) 205. 23 Zu weiteren Aspekten des lutherischen Eheverständnisses siehe Peters (1994) 119-155.

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verlegt und allmählich mit der kirchlichen Segnung verbunden. Diese Entwicklung fand ihren Abschluss darin, dass im 18. Jahrhundert die kirchliche Handlung alleiniger Bestandteil der rechtlichen Eheschließung wurde. „Die beiden weltlichen Stationen des Eheschließungsvorgangs früherer Zeiten, der Konsens und die Kopulation, und die kirchliche Segenshandlung sind jetzt in einem Akt zusammengefasst, der nunmehr den Beginn des Ehestandes nach der rechtlichen wie nach der tatsächlichen, nach der weltlichen wie nach der kirchlichen Seite hin regelt"24. Sprachlich wurden die in eins gefassten Vorgänge nun mit dem einen Wort „Trauung" bezeichnet.25 Die Obrigkeit ließ diese Verschmelzung ohne größeren Widerspruch zu, da auch sie daraus Nutzen zog: es kam ihrem Streben nach einer einheitlichen Rechtsprechung entgegen, dass die Eheschließung nunmehr unter institutioneller Aufsicht stand und die große Zahl der Eheschließungssitten weitgehend reduziert wurde. Für manche Paare hingegen, denen aus irgendeinem Grund die kirchliche Trauung versagt wurde, war es nun zuweilen unmöglich, überhaupt zu heiraten. Gegen diesen enormen Einfluss der Kirche wandte sich die Kritik des aufstrebenden Bürgertums, zunächst allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Während in Frankreich und in den zeitweise zu Frankreich gehörenden Territorien ab 1793 die obligatorische Zivilehe eingeführt wurde, genehmigte Preußen lediglich eine Notzivilehe. Bestimmend und rechtlich verbindlich blieb indessen die Regelung, dass „eine vollgültige Ehe durch die priesterliche Trauung vollzogen" wird.26 Erst die Zivilstandsgesetzgebung des Deutschen Reiches von 1875 führte nach den heftigen Auseinandersetzungen des Kulturkampfes die pflichtmäßige Zivilehe zum 1.1.1876 im ganzen Reichsgebiet ein.27 Seitdem nimmt der Staat den Konsens der Braudeute entgegen und spricht die Kopulation aus. Die Kirche hingegen wurde wieder auf ihre ursprüngliche Funktion der Segnung zurückverwiesen. Gegen diese Entscheidung kam noch Jahrzehnte später aus weiten Kreisen der Evangelischen Kirche heftiger Wider-

24 Mahrenholz (1959) 23. 25 Etymologisch gehört das Wort „Trauung" zu der Wortgruppe „Treue". Aus dem ursprünglichen Wortgebrauch im Sinne von „glauben, hoffen, zutrauen" entwickelte sich die Bedeutung „Vertrauen schenken" und aus dem reflexiven „sich trauen" die Bedeutung „wagen". Unsere heutige Bezeichnung „Trauung" hat seine Wurzeln in dem spätmittelhochdeutschen Wort „Vertrauung". Ausfuhrliche Informationen dazu siehe Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 11, Leipzig 1935,1326ff und 1559ff. 26 So die Gesetzgebung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, zitiert nach Mahrenholz (1959) 23. 27 Die wesentlichen geschichtlichen Daten zur Einführung der Zivilehe in Deutschland und seinen Nachbarländern fasst Jenssen (1995) 403f kurz zusammen.

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Spruch, der eine intensive Auseinandersetzung über Gehalt und Funktion der evangelischen Trauung bewirkte.28 Obwohl der standesamtliche und der kirchliche Akt nun seit über 120 Jahren rechtlich voneinander getrennt sind, überschattet die Eheschließung eine bis heute anhaltende Unsicherheit, welche Institution welche Funktion übernimmt.29 Sowohl innerhalb der theologischen Diskussion als auch aus der Sicht der Paare, die die kirchliche Trauung wünschen, stehen unterschiedliche Interpretationen im Raum, die nur unter Berücksichtigung der jahrhundertelangen Vermischung der weltlichen und kirchlichen Elemente verständlich sind. Daher soll im Folgenden näher auf das Verständnis und die Gestalt der evangelischen Trauung in der Gegenwart eingegangen werden. 3. Zum Verständnis und %ur Gestalt der evangelischen Trauung in der Gegenwart Seit Einfuhrung der pflichtmäßigen Zivilehe hat es eine Fülle systematischer Lösungsvorschläge und Positionen gegeben, deren oftmals komplizierte Argumentationsgänge nur unterstreichen, wie problematisch die theologische Einordnung und Auseinandersetzung mit dem Kasus Trauung ist. Starke Differenzen gab es v. a. bei der Zuordnung und Bewertung von Konsens und Kopulation. Nach Karl-Heinrich Lütcke lassen sich aus den verschiedenen Positionen hauptsächlich vier Richtungen bzw. Konzeptionen ableiten30: 1) Das Verständnis der kirchlichen Trauung als Ergänzung und Vervollständigung der standesamtlichen Eheschließung. Hiernach nimmt das Standesamt zwar formell den Konsens des Brautpaares - im Sinne der alten Verlobung - entgegen, dieser rechtliche Akt bedarf jedoch noch der Ergänzung durch das kirchliche Handeln. Erst in der Kirche wird der unvollständige Akt des Standesamtes durch die kirchlich ausgeprägten Elemente der Kopulation und Benediktion vervollständigt.31 28 Vgl. Rietschel (21951) 730-736. 29 Diese Unsicherheit schlägt sich auch im Sprachgebrauch nieder, in dem oft nicht deutlich wird, ob unterschiedliche Inhalte mit den Begriffen Eheschließung und Trauung verbunden sind. Letzlich ist es nur eine Sprachregelung, wenn das Wort „Trauung" — v. a. von Theologen - vorwiegend für die kirchliche Handlung verwendet wird. Im heutigen Sprachgebrauch werden die Begriffe „Hochzeit", „Heirat", „Trauung" und „Eheschließung" weitgehend synonym gebraucht, ohne Rücksicht auf ihre unterschiedliche Herkunft. 30 Lütcke (1978) 70ff. Weitere kurze und prägnante Überblicke finden sich bei Fischer (1976) 24ff, Josuttis ( 3 1990) 54ff und Jenssen (1995) 404-408. 31 Für dieses Verständnis plädiert Dombois (1953) 9 9 - 1 1 1 .

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Folglich ist erst die kirchliche Trauung als die eigentliche Trauung anzusehen, was zweifelsohne dem Empfinden mancher Christen entspricht, erst nach der kirchlichen Trauung „richtig" verheiratet zu sein. 2) Das Verständnis der kirchlichen Trauung als eine Wiederholung der standesamtlichen Eheschließung unter anderen Vorzeichen. Das Ja der Eheleute vor dem Pfarrer wird dabei als der gleiche Konsens angesehen wie der auf dem Standesamt. Die Aufgabe der kirchlichen Trauung besteht nun darin, die schon bei der standesamtlichen Eheschließung implizit enthaltenen religiösen Momente zu explizieren und in einen christlich-kirchlichen Interpretationshorizont zu stellen.32 3) Das Verständnis der kirchlichen Trauung als Bekenntnis %u einer im christlichen Glauben geführten Ehe. In der Kirche wird nicht einfach das Jawort vom Standesamt wiederholt, sondern das Jawort wird umformuliert zu einem Bekenntnis zum christlichen Glauben.33 Durch diese Akzentverschiebung soll die Doppelung der Konsensfrage umgangen werden. 4) Das Verständnis der kirchlichen Trauung als liturgische und/ oder diakonische Feier anlässlich der standesamtlichen Eheschließung. Die Kirche ist hier nicht an der Eheschließung beteiligt, sondern begleitet die weltliche Handlung seelsorglich mit einem Dank-, Bitt- und Segensgottesdienst, bei dem genügend Raum für individuelle religiöse Ausdrucksformen und Interpretationen bleibt.34 Alle vier Richtungen sind im 20. Jahrhundert praktiziert und in ihren Vor- und Nachteilen ausführlich diskutiert worden. In eine oder mehrere dieser Richtungen lassen sich denn auch die zahlreichen Schlagwörter einordnen, die die Literatur für die kirchliche Trauung bereithält: Trauung als „Diensdeistung im Namen Jesus", als „Ordination", als „Hilfestellung während der Aufbauphase einer personalen Ehe", als „Verkündigung des Wortes Gottes", als „Bekenntnis der Eheleute zur Ehe und Fürbitte für die Ehe", als „Gottesdienst am Beginn einer totalen Lebensgemeinschaft", als „Eingliederung in die Diakonie der Gemeinde" u. a. m.35 In der theologischen Diskussion der letzten Jahre und Jahrzehnte hat sich zunehmend das Verständnis der kirchlichen Trauung als liturgische und/oder diakonische Feier durchgesetzt, eine Auffassung, die zum Teil 32 Vgl. zu dieser Position die Ausführungen bei R. Schäfer (1973) 487f. 33 Für dieses Verständnis engagieren sich v. a. lutherische Theologen, vgl. Seitz (1978) 47 oder Winkler (1995) 135. 34 Vgl. Lange (1981) 144ff, Lütcke (1978) 72ff oder T. Müller (1988) 112. 35 Vgl. Lütcke (1978) 78 und Jenssen (1995) 406-408; dort finden sich die genauen Fundorte der Belegstellen.

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mit der Forderung nach einem ausdrücklichen Bekenntnis zu einer im christlichen Glauben geführten Ehe verbunden wird.36 Das Verständnis der Trauung als Feier kommt zweifelsohne dem biblischen, urchristlichen und reformatorischen Handeln am Nächsten, da hier die weltliche Eheschließung nirgends in Frage gestellt oder durch eine kirchliche Handlung als ergänzungsbedürftig angesehen wurde. In der Forderung nach einem ausdrücklichen Bekenntnis drückt sich der Wunsch aus, neben dem Festcharakter auch das spezifisch Christliche stärker zu betonen. Im Rahmen eines solchen Verständnisses gilt es gegenwärtig als nahezu unbestritten, dass sich das kirchliche Handeln bei der Eheschließung möglichst in einer dreigegliederten Gestalt vollziehen sollte: erstens in (mindestens) einem Vorgespräch bzw. „Traugespräch", zweitens in einem Gottesdienst und drittens in der sog. „nachgehenden Seelsorge".37 Die dem Traugottesdienst vorausgehenden Gespräche zwischen Pfarrerin und Paar sollten neben den notwendigerweise abzuklärenden Formalia zwei Schwerpunkte haben: zum einen die Klärung und Betonung der Aussagen des christlichen Glaubens zur Ehe und zum anderen die Erläuterung des liturgischen Ablaufs des Gottesdienstes. In diesen Gesprächen sollte die Chance zu einer wechselseitigen Kommunikation über eine im christlichen Sinn geführte Ehe genutzt werden, aber letztlich die Meinungs- und Entscheidungsfreiheit von Pfarrerin und Brautpaar nicht eingeschränkt werden.38 Der zwischen Paar und Pfarrerin vereinbarte Gottesdienst anlässlich der Eheschließung wird normalerweise als selbständige Feier gehalten, wenngleich die Traufeier selbstverständlich auch innerhalb eines Hauptoder Familiengottesdienstes stattfinden kann. Dabei können das Ehepaar, Familienangehörige und/oder Gemeindemitglieder an der Gestaltung des Gottesdienstes nach Absprache beteiligt werden, wovon in den letzten Jahrzehnten auch schon vielfältig Gebrauch gemacht wurde. Der liturgische Ablauf lässt sich in fünf Hauptabschnitte gliedern: in einen Eröffnungsteil, den zentralen Wortverkündigungsteil, das Trauversprechen mit evt. anschließendem Ringwechsel, die Segnung des Ehepaares und den abschließenden Dank- und Fürbittengebetsteil. Diese einzelnen Abschnitte stellen die in jedem evangelischen Traugottesdienst 36 Mit unterschiedlichen Akzenten bei Lange (1981) 144ff, Barczay (21975) 597ff, Lütcke (1978) 72ff, Krusche (1982) 73ff, T. Müller (1988) 112 oder Josuttis (M990) 60. 37 Vgl. zu den folgenden Abschnitten die Ausführungen in Trauung (1983) 26ff und im Arbeitsbuch zur Trauung (1990) 28ff. 38 Ausführlicheres zum Traugespräch mit seinen Inhalten und Zielsetzungen bei Metzger (1962), Ziegner (1970) 45-108, Thüo (1971) 152-194, Lubkoll (1975) 153-155, „Das Traugespräch" (1975), Seitz (1975) 25ff, Lütcke (1978) 7 8 - 1 0 6 und Zwanger (1991) 123-136. Siehe auch in diesem Buch S. 208ff.

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anzutreffenden Grundelemente dar, die allerdings aufgrund unterschiedlicher (regionaler) Traditionen verschieden gestaltet werden. Am Beginn des Gottesdienstes, dem Eröffnungsteil, steht die Begrüßung. Manche Pfarrerinnen begrüßen das Paar und den Hochzeitszug vor der Kirche und führen sie dann gemeinsam in die Kirche, andere begrüßen nur das Paar an der Kirchentür und führen es dann in die Kirche, eine dritte Möglichkeit besteht darin, das Hochzeitspaar am Altar zu erwarten und dann zu begrüßen.39 Die Begrüßung dient dazu, das Paar und dessen Angehörige auf den Gottesdienst einzustimmen und mit dem, was sie an diesem Tag bewegt, gewissermaßen „abzuholen", indem die Bedeutung des Festtages hervorgehoben und die Intention des Gottesdienstes verdeutlicht wird. Die Begrüßung mündet meist in die Anrufung Gottes durch ein Lied und ein (kurzes) Eingangsgebet, das die Hochzeitssituation aufnimmt und die Freude und den Dank für den Tag ebenso zum Ausdruck bringt wie die Bitte um Gottes Geleit für den gemeinsamen Weg des Paares. Für den zentralen Wortverkündigungsteil gibt es zwei Varianten: die eine, die sich auf die Tradition der Mehrzahl der reformatorischen Ordnungen gründet, beginnt mit einer Predigt über ein freigewähltes Schriftwort (meist über den Trauspruch). Nach einer Liedstrophe oder einer der Besinnung dienenden Musik folgt dann als Schriftlesung eine Zusammenstellung von Schriftworten zur Ehe. Die andere Variante beginnt mit Schrifdesungen zur Ehe und lässt nach dem anschließenden Gesang der Gemeinde oder entsprechender Kirchenmusik eine Predigt folgen, der — wie im sonntäglichen Gottesdienst — eine vollständige Perikope zugrunde liegt. Für beide Varianten gilt, dass die Schrifdesung und Auslegung als biblische Wegweisung für den gemeinsamen Weg zu verstehen sind. Als Lesungen schlagen die älteren Agenden überwiegend die „klassischen" Perikopen vor, die Luther in seinem Traubüchlein vorsieht und die mit einem direkten Bezug auf die Ehe gesehen wurden, also Gen l,27f.31; 2,18.21-24; 3,16-19, Eph 5,22-24.25-29 und Spr 18,22; die Abgrenzungen dieser Perikopen kann dabei variieren. In den neueren Agenden und Hilfsbüchern zur Trauung sind aus diesen Lesungen die Passagen, in denen ein patriarchales und/oder agrarisches Weltbild zum Ausdruck kommt, aufgrund ihrer Missverständlichkeit vielfach gekürzt oder abgeschwächt.40 Stattdessen ist der Kanon möglicher Lesungen um Perikopen erweitert worden, in denen die Liebe (Gottes) in besonderer

39 Zuweilen stellt auch der Brautvater dem am Altar wartenden Ehemann die „Braut" an die Seite, was ein Anknüpfen an altgermanische Ubergabesitten ist. Dieser Brauch ist insofern problematisch, als zum einen das Paar ja schon verheiratet ist und zum anderen der Gottesdienst dadurch wieder eine kopulierende Funktion bekommt. 40 Siehe zur Wortwahl die poimenischen Erwägungen bei Thilo (1980) 392ff.

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Weise zum Ausdruck kommt, so um 1. Kor 13 oder 1. Joh 4,7-l2. 41 Bezüglich der Auswahl der einzelnen Texte hat es sich als seelsorglich hilfreich herausgestellt, Schriftlesung und Trauspruch in Absprache mit dem Paar auszuwählen, da so besser auf die individuelle Lebenssituation Rücksicht genommen werden kann. Auf die Verkündigung folgt das Trauversprechen, für das es auch wieder zwei Formen gibt: die Erste sieht vor, dass das Ehepaar einzeln oder gemeinsam auf die entsprechenden Fragen des Pfarrers mit seinem Ja antwortet - und die Zweite, dass sich die Eheleute wechselseitig oder gemeinsam vor der Gemeinde als Christen zu ihrer Ehe bekennen. Beide Formen sind als gleichwertige Formen des Bekenntnisses zueinander anzusehen. Das Trauversprechen, für das unterschiedliche Textfassungen angeboten werden, sollte so formuliert sein, dass damit nicht eine einfache Wiederholung der standesamtlichen Konsenserklärung assoziiert wird, sondern die spezifisch christliche Dimension des Versprechens zum Ausdruck kommt, die ein partnerschaftliches Leben in Glaube und Liebe, Vertrauen und Hoffnung als Ideal hat.42 Der Ringwechsel kann sich dem Trauversprechen als Zeichenhandlung anschließen. Ob und wie dies geschieht, ist mit dem Paar im Voraus abzusprechen, da der Ringwechsel bereits schon auf dem Standesamt erfolgt ist. Daher muss der Handlung — um falsche Konkurrenz auszuschließen — eine andere bzw. weitere Bedeutung gegeben werden, nämlich dass der Ring nicht ein Zeichen des rechtlichen „Besitzes" aneinander ist, sondern ein Symbol der Liebe und Treue der Eheleute zueinander. Außer dem Ringwechsel sind im Anschluss an das Treueversprechen noch andere Gesten möglich, die die liebende Verbundenheit des Paares zum Ausdruck bringen, wie eine Umarmung, ein Kuss und/oder ein Friedensgruß. Es folgt die Segnung des Ehepaares, bei der die Eheleute i. d. R. niederknien. Als Formen sind hierbei ein Segensgebet unter Handauflegung möglich (Gebet als Segen), ein Segensgebet, das durch eine Segensformel unter Handauflegung abschließt (Gebet mit Segnung) oder ein mehrteiliger Segen unter Mithilfe von Verwandten und Freunden (entfalteter Segen). Für alle drei Formen finden sich in der Literatur vielfältige Textbeispiele.43 Im Zusammenhang mit der Segnung kann auch - in der Tradition von Luthers Ordinationsformular - das Vaterunser gesprochen werden, das jedoch gewöhnlich seinen Platz nach dem Fürbittengebet hat. Im Anschluss an die Segnung sollte möglichst nicht nur eine solistische Musikdarbietung erklingen, sondern tatsächlich von der Ge41 Weitere Vorschläge für Lesungen finden sich im Arbeitsbuch zur Trauung (1990) 47ff. 42 Siehe dazu die liturgiegeschichtliche Dokumentation in Trauung (1983) 83ff. 43 Siehe dazu die Vorschläge in den Trauansprachenhilfen der letzten Jahre, bei Domay (1989 Trauung), Mybes (1991) oder Fellechner / Votava (1995).

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meinde ein Danklied gesungen werden, das dann auch zum nächsten abschließenden Teil des Gottesdienstes überleitet, dem Dank- und Fürbittengebet.44 Der gemeindliche Charakter der Trauung kann gerade bei diesem Teil des Gottesdienstes besonders hervorgehoben werden, wenn sich die Gemeinde aktiv am Gebet beteiligt, sei es durch eigene formulierte und/oder vorgetragene Bitten oder durch die Beantwortung der Bitten durch einen Antwortruf oder -gesang. Mit dem Vaterunser, dem Segen und eventuell noch einem Lied endet der Gottesdienst dann gewöhnlich, es sei denn, dass die Trauung noch mit einer Abendmahlsfeier verbunden wird. In diesem Fall folgt auf das Fürbittengebet die Präfation mit den ihr vorausgehenden Versikeln und das Vaterunser fügt sich in die gewohnte Abendmahlsliturgie ein. Den Abschluss des Gottesdienstes bildet der Auszug des Hochzeitspaares und der Gemeinde. Der dritte Aspekt des kirchlichen Handelns bei der Eheschließung, die nachgehende Seelsorge, ist am wenigsten konkret umrissen und gestaltet sich in der Praxis auch am schwierigsten. Intention ist es, dass die begleitende Seelsorge der Gemeinde nicht mit dem Traugottesdienst endet, sondern der Kontakt zu dem Paar aufrecht erhalten wird. Die sich hier bietenden Möglichkeiten sind allerdings sowohl von der Bereitschaft des Paares zu weiterem Kontakt abhängig als auch von den Angebotsmöglichkeiten der jeweiligen Gemeinden und den zeitlichen Möglichkeiten der Pfarrerinnen. Als gute Gelegenheiten, nach einiger Zeit wieder Kontakt aufzunehmen, bieten sich neben Geburt und/oder Taufe von Kindern auch Hochzeitstage oder Geburtstage an. Reges Interesse finden auch separate Nachmittags- oder Abendveranstaltungen, die sich an die Zielgruppe „Junge Paare" oder „Junge Eltern" richten, sofern diese dafür persönlich eingeladen werden. 45 Für das Gesamtverständnis der evangelischen Trauung und auch mit Blick auf die Trauansprache bleibt festzuhalten, dass es einerseits einen abgesteckten Rahmen gibt, der das kirchliche Handeln bei der Eheschließung — auch agendarisch — definiert, dass es aber andererseits innerhalb dieses Rahmens große Spielräume für unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Die derzeitige Gestaltung der Trauung nimmt Rücksicht auf historisch gewachsene Traditionen, bleibt aber in ihren einzelnen Elementen offen für Innovationen.

44 Liedvorschläge finden sich im Arbeitsbuch zur Trauung (1990) 33. 45 Zu weiteren Möglichkeiten siehe Trauung (1982) 28f.

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4. Die kirchliche Trauung im Spannungsfeld %wischen rituellen Bedürfnissen, christlicher Tradition und sich wandelnder Eheauffassung Die Eheschließung gehört seit alters her zu den biographischen Wendepunkten im menschlichen Lebenszyklus — ebenso wie der gleitende Eintritt ins Erwachsenenalter, die Geburt eines Kindes oder der Tod eines Lebenspartners. An diesen Punkten sind Menschen mit richtungsweisenden Veränderungen konfrontiert, bei denen sich verschiedenartige Gefühle artikulieren. Als Hilfe zur Bewältigung dieser Grenz- oder Schwellensituationen gibt es in nahezu allen Kulturen Übergangsriten (rites de passage), welche die ambivalenten Gefühle mittels festgelegter Rituale kanalisieren und dadurch den Beginn einer neuen Lebensphase stabilisieren.46 Im christlichen Abendland wurden die durch Geburt, Pubertät, Heirat und Tod initiierten Lebensphasen durch die kirchlichen Kasualien Taufe, Konfirmation, Trauung und Bestattung rituell begleitet.47 Dass sich gerade auch mit der Eheschließung rituelle Handlungen verbinden, ist angesichts der weit reichenden Dimension von Sexualität und Ehe nicht verwunderlich. Denn Sexualität und Ehe sind einerseits etwas Alltägliches, „Natürliches", zum Menschsein Gehörendes, aber andererseits auch etwas, was den Menschen an die Grenzen seines eigenen Verfugens stoßen lässt.48 Eine harmonische Partnerschaft in Form einer leibseelisch-geistigen Gemeinschaft von Mann und Frau lässt sich trotz fortschreitender Kultur und Technik ebenso wenig berechnen wie sich Kinder aus einer leiblichen Gemeinschaft erzwingen lassen. Beides sind dem Menschen unverfügbare Dinge, die ihn an die Grenzen seiner Schöpferkraft und seines Wollens führen und ihm damit seine Schicksalsabhängigkeit und Geschöpflichkeit vor Augen führen. Insofern birgt die Eheschließung ein großes religiöses Potential, das mit einem häufig nicht zu artikulierenden Gemisch aus Dank, Hoffnung und Sorge verbunden ist. Das Bewusstsein um die Tragweite und Bedeutung der Eheschließung findet seinen Ausdruck in den mannigfachen Hochzeitsritualen, die den Beginn einer Ehe begleiten.49 V. a. ausgiebige, vom Alltag unterschiedene Festivitäten haben seit jeher die besondere Bedeutung der Hochzeit unterstrichen. Biblische Festlichkeiten von mehreren Tagen (vgl. Gen 29,27; Ri 14,10ff; Joh 2,1-11) sind in unserem Kulturkreis zwar nicht 46 Man kann die Schwellensituationen auch noch weiter fassen und Schulanfang, Berufseintritt, Berufsaustritt u. a. m. dazurechnen. Schwellensituationen werden auch als „Torsituationen" bezeichnet, durch die Menschen einen neuen Lebensraum betreten, vgl. Seitz (1978) 44ff oder Winkler (1995). 47 Vgl. Cornehl (1975). Zu Umfang, Entstehung und Funktion der einzelnen Kasualien sei auf Cornehl (1985) und die dort angegebene weiterfuhrende Literatur verwiesen. 48 Vgl. Jenssen (1995) 392. 49 Zahlreiche Hochzeitsrituale finden sich bei Berg (1995). 31

üblich, dennoch ist der Aufwand für die Festivitäten zuweilen äußerst groß und nicht zuletzt eine Demonstration von Prestige. Diese Festivitäten entsprechen dem Bedürfnis nach gesellschaftlicher Akzeptanz und ritueller Selbstdarstellung des gewandelten Status.50 Die Phase des Übergangs von der einen in die andere Lebensform soll im wahrsten Sinne des Wortes eine Hoch-Zeit sein und als außergewöhnliches Erlebnis lebenslang in positiver Erinnerung bleiben.51 Dazu werden weder Mühen noch Kosten gescheut. War das Ritual der kirchlichen Trauung innerhalb des gesamten Hochzeitsablaufs jahrhundertelang nahezu selbstverständliche Pflicht und Sitte, so hat sich die Einstellung zum Kasus Trauung seit Einführung der Zivilehe stark verändert. Von allen Kasualhandlungen hat die kirchliche Trauung insgesamt die stärksten Einbußen hinnehmen müssen.52 Gerade unter den eigenen Kirchenmitgliedern ist die Akzeptanz des Kasus Trauung gesunken, frei nach dem Motto: „Beerdigung muss sein, Taufe soll sein, Trauung kann sein"53.

Die von der Kirche vermittelten christlichen Traditionen bezüglich Sexualität und Ehe haben vielfältige, überwiegend berechtigte Kritik erfahren müssen, da in ihnen allzu oft Evangelium und Moral verwechselt wurden. Theophil Müller ist zuzustimmen, dass bei keinem Problemfeld der Kasualien so wie im Bereich der Ehe kritisch nachzufragen ist, „in welchem Verhältnis die theologische Reflexion einerseits zur gesellschaftlichen Realität, andererseits aber zum gesellschaftlichen Werte- und Normensystem steht"54. Denn sowohl die gesellschaftliche Realität als auch das Werte- und Normensystem ist seit Jahrzehnten in einem fundamentalen Wandel begriffen, deren Entwicklung weder vorhersehbar war noch absehbar ist.55 So hat die Ehe im 20. Jahrhundert innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraumes ihre über Jahrhunderte währende Monopolstellung als ausschließliche partnerschaftliche Lebensform in unserem westlichen Kulturkreis verloren. Neben der gesellschaftlichen Institution der Ehe 50 Dies hat Lindemann (1993) 213ff besonders deutlich herausgestellt. 51 Vgl. dazu die Überlegungen von Josuttis ( 3 1990) 62ff, wonach die Hochzeit das Fest des Lebens ist, wenn auch das Leben nicht immer nur ein Fest ist. 52 Statistisch gesehen ist dabei die Zahl der kirchlichen Trauungen stärker zurückgegangen als die Zahl der standesamtlichen Eheschließungen, v. a. in den 1960er und 70er Jahren. Zur Lage in den Jahrzehnten nach 1876 siehe Thomas Nipperdey: Religion im Umbruch, München 1988,118ff. 53 Zitiert nach Leudesdorff bei M. Schäfer (1973) 33. 54 T. Müller (1988) 103. 55 Ab den 60er Jahren wurde dieser Normenwandel mit den Schlagworten „alte und neue Moral" versehen. Zu den Inhalten und Auseinandersetzungen vgl. Thilo (1978) 79ff.

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haben sich auch nichteheliche Formen des partnerschaftlichen Zusammenlebens etabliert, die größtenteils rechtlich zulässig und auch gesellschaftlich akzeptiert sind. Die Zahl der Ehen ist statistisch gesehen rückläufig, die Zahl der Scheidungen hingegen steigend.56 Eine Reihe sozial- und kulturgeschichtlicher Faktoren - von denen im Folgenden die wesentlichen genannt seien — haben diese Entwicklung begünstigt: Seit dem 19. Jahrhundert ist das partnerschaftliche Zusammenleben von wirtschaftlichen Überlegungen weitgehend befreit worden. Die in vorindustrieller Zeit noch häufig als (groß-) familiäre Produktions- und Hausgemeinschaft verstandene Ehe ist durch ein Verständnis der Partnerschaft als Erfüllung individueller Bedürfnisse abgelöst worden. Als Folge eines individualistischen und romantischen Liebesideals stehen weniger ökonomische Überlegungen, sondern die persönliche Beziehung und Neigung der Partner zueinander im Vordergrund. Die Ehe aus Vernunftsgründen ist von der Liebesehe überflügelt worden.57 Des Weiteren hat sich die Rolle der Frau in der Gesellschaft mit fortschreitender Emanzipation gewandelt. Die zunehmende (bezahlte) Berufstätigkeit von Frauen, bessere Bildung sowie eine verbesserte rechtliche Situation haben die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau gestärkt und führten zu einer weitgehenden Gleichberechtigung in Bezug auf Partnerschaft, Ehe und Ehescheidung; für die Mehrzahl der Frauen bedeutete dies die Befreiung aus einer über Generationen hinweg als selbstverständlich geltenden patriarchalen Vormundschaft.58 Auch die Einstellung zur Sexualität hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Durch die Einführung und vermehrte Verwendung von Verhütungsmitteln wurde die Zeugung von Kindern weitgehend regulierbar. Dies ermöglichte eine Befriedigung sexueller Bedürfnisse, ohne dass sich daraus insbesondere für die Frau - weit reichende Konsequenzen ergaben, so dass Sexualkontakte auch zunehmend vor der Ehe praktiziert und - zum Teil unter heftigen Protesten einiger Gesellschaftsgruppen - enttabuisiert wurden.59 Schließlich bewirkte die Abschaffung strafrechtlicher Verbote und die weitgehende gesellschaftliche Tolerierung des partnerschaftlichen Zusammenlebens und -wohnens auch ohne Trauschein, dass immer mehr Menschen die Möglichkeit nutzen, ein gemeinsames Zusammenleben erst einmal auszuprobieren und sich noch näher kennen zu lernen, bevor sie sich für oder gegen eine eheliche Bindung entscheiden. 56 Vgl. das Statistische Jahrbuch (1996) 7 0 - 7 3 und den Fünften Familienbericht (1995) 47-53. 57 Vgl. dazu Schenk (1987) 67ff und Niklas Luhmann: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt 1984,163ff. 58 Siehe dazu die Ausführungen bei Ulrich Beck / Elisabeth Beck-Gernsheim: Das ganz normale Chaos der Liebe, Frankfurt a. M. 1990, 20ff. 59 Vgl. Thilo (1978) 101 ff.

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Viele Bereiche, die sich durch wirtschaftliche Notwendigkeit und gesellschaftliche Konvention jahrhundertelang mit der Ehe verbanden, verlagerten sich binnen eines äußerst kurzen Zeitraums auf Bereiche vor, außerhalb oder neben der Ehe. Fielen früher mit der Heirat meistenteils auch die gemeinsame Wohnung, der Beginn der Sexualität mit eventueller Kinderfolge und das Zusammenspiel der Rollen von Mann und Frau zusammen, so sind diese Bereiche heutzutage voneinander weitgehend unabhängig.60 Die Ehe hat dadurch nicht mehr die zentrale soziale Bedeutung früherer Zeiten. Dennoch ist die Ehe kein Auslaufmodell wie dies pessimistische Stimmen der 70er und 80er Jahre prophezeit haben. Trotz der steigenden Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften steht die klassische Ehe weiterhin hoch im Kurs. Die Frage, ob die Ehe überholt sei, verneinten 1990 in den alten Bundesländern 72% und in den neuen 77% der Bevölkerung.61 Auch die Heiratsstatistiken lassen den prognostizierten Tod der Ehe nicht erkennen.62 Nach Rosemarie Nave-Herz heiraten derzeit in Deutschland noch 82% eines Geburtsjahrgangs zumindest einmal in ihrem Leben.63 Mit Blick auf die 90er Jahre ist der stetige Rückgang der standesamtlichen Eheschließungsziffern „weit weniger gravierend als häufig unterstellt wird" 64 , was mit dem Eindruck korrespondiert, dass die Eheschließung in den letzten Jahren geradezu eine Renaissance erfahren hat, betrachtet man ihre öffentliche Beachtung in Fernsehsendungen65, die Zahl der Artikel in Zeitungen und Illustrierten sowie den regen Zulauf von immer umfangreicher werdenden kommerziellen Hochzeitsmessen. Hochzeit und Ehe werden auch weiterhin mit der Sehnsucht nach partnerschaftlicher Zweisamkeit und dem Wunsch nach Lebenserfullung verbunden. Die Kirche steht nun mit ihrer Amtshandlung Trauung in einem Spannungsfeld zwischen rituellen Bedürfnissen innerhalb der Gesellschaft, der sich wandelnden Eheauffassung und der eigenen christlichen Tradition. Das von der Kirche angebotene traditionelle Ambiente mit Orgelmusik, festlichem Kirchraum, Pfarrerin im Talar usw. wird durchaus noch von der Mehrzahl der Bundesbürger geschätzt; Literatur, 60 Vgl. T. Müller (1988) 97. 61 Siehe das Allensbacher Jahrbuch für Demoskopie 1984-1992,1993, Bd 9,110. 62 Vgl. das Statistische Jahrbuch (1996) 70f. Gründe legt Guggenbühl-Craig (1990) dar. Schon der Titel seines Buches „Die Ehe ist tot - lang lebe die Ehe" ist programmatisch. 63 Nave-Herz (1997) 19. Die Berechnung erfolgt kohortenspezifisch und ist ab dem Geburtsjahrgang 1955 berechnet. 64 Nave-Herz (1997) 20. 65 Die Sendungen „Traumhochzeit" auf RTL oder „Flitterabend" in der ARD sind bzw. waren ausgesprochene Quotenrenner; vgl. dazu J o Reichertz: „Traumhochzeit" - Magie und Religion im Fernsehen, in: PTh 88 (1999), 2-15.

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Presse und Film dokumentieren dies hinreichend und fördern damit auch gewisse Klischees. Allerdings kann sich die Mehrzahl der Paare offensichtlich nicht mehr mit der in der Kirche vermittelten religiösen Sinndeutung identifizieren. Die Gründe für eine Ablehnung des kirchlichen Rituals sind dabei nicht minder vielfaltig als die Gründe für die Inanspruchnahme der Trauung.66 Oft lässt sich der Eindruck nicht verhehlen, dass die kirchliche Trauung nur in Anspruch genommen wird, um den Erlebnischarakter67 der Hochzeit zu steigern, nicht aber, um einem religiösen Bedürfnis nach christlicher Sinngebung Ausdruck zu verleihen.68 Wie sehr der Fest- und Familiencharakter der Trauung dabei im Vordergrund steht wird daran deutlich, dass sich nicht wenige Paare nur aus Rücksicht auf die Wünsche der Eltern, Großeltern etc. kirchlich trauen lassen. Plausibel erscheint hier die Ansicht von Ferdinand Ahuis, der im Anschluss an Rainer Albertz darauf hinweist, dass die Trauung eigentlich in der „Familienreligion" angesiedelt ist und dass - religionssoziologisch betrachtet - bei der kirchlichen Trauung ein Vertreter der offiziellen Religion sozusagen im Gottesdienst der Familie agiert69; dies mag zum Teil die Vorbehalte vieler Paare gegen die Einmischung der Kirche in die „private" Angelegenheit Ehe erklären. Die Vorstellungen der Kirche über die Funktion der Trauung stehen mit den Vorstellungen der breiten Öffentlichkeit über die bei der Trauung vermittelten Inhalte in Spannung. Das Nichtwissen um und auch die Vorurteile gegen das christliche Ehebild entsprechen einerseits der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft, zeigen aber andererseits, dass es der Kirche nicht gelingt, auf die sich verändernden Bedürfnisse adäquat zu reagieren. Gerade bei dem äußerst sensiblen Thema Partnerschaft, Sexualität und Ehe schwankt die Kirche angesichts des rasanten Tempos, in dem sich die Wandlungen vollziehen, zwischen Festhalten an traditionellen Positionen und einer vorsichtigen Öffnung. 70 Kredit hat sie 66 Vgl. die empirische Studie von Nave-Herz (1997) 54ff und 59ff. 67 Vgl. Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt / New York 1992, 417ff. 68 Schon Dehn (1950) 82f ist in seiner Beschreibung der Gründe für die Inanspruchnahme der kirchlichen Trauung sehr nüchtern: Rücksichtnahme auf die Tradition und oberflächlicher Prunk, aber nicht religiöses Bedürfnis. Für Nave-Herz (1997) 70ff basiert die Entscheidung für eine kirchliche Trauung hauptsächlich auf a) einem religiösen Bedürfnis, b) einem Bedürfnis nach Erhalt und Weitergabe der Traditionen, c) einem Bedürfnis nach Konformismus im privaten Bereich und/oder d) einem Bedürfnis nach Demonstration und Selbstdarstellung. 69 Vgl. Ahuis (1985) 23ff. Ahuis nimmt Bezug auf das Buch von Rainer Albertz: Persönliche Frömmigkeit und offizielle Religion. Religionsinterner Pluralismus in Israel und Babylon, Stuttgart 1978. 70 Dies dokumentiert sich auch in der Auseinandersetzung um die zahlreichen landeskirchlichen Diskussionspapiere, vgl. Sexualität und Lebensformen sowie Trauung und Segnung (1996) und die Stellungnahme (1996).

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dabei sowohl durch ihr Festhalten als auch durch ihre Öffnung verloren; obwohl ursprünglich kein zentrales chrisdiches Thema hat sich die Einstellung zur Ehe fast zu einem „status confessionis" entwickelt. Die kirchliche Trauung ist mit dieser Problematik vielfältig konfrontiert. Sie muss versuchen, zwischen den zahlreichen Fronten zu vermitteln, die es nicht nur zwischen Kirche und Gesellschaft gibt, sondern auch innerkirchlich, wie auch am Beispiel der Ökumene deutlich wird.71 Sie muss sowohl den rituellen Bedürfnissen als auch der gewandelten Eheauffassung gerecht werden, ohne dabei ihre Tradition, das biblische Zeugnis und den christlichen Standpunkt zu verleugnen. Im Blick auf die stetig anwachsende Zahl der Ansichten und Konzepte sowie die sich permanent wandelnde Gesellschaftswirklichkeit ist die Trauung daher aus theologischer Sicht eine immense Herausforderung. In diesem Spannungsfeld steckt auch die Trauansprache mittendrin. Gerade an ihr lässt sich ablesen, ob und wie zwischen biblischem Zeugnis, Tradition und den sich ändernden Werten und Normen vermittelt wird. Als immer wieder neu zu konzipierende eheliche „Christenlehre" muss die Trauansprache diese Vermittlungsaufgabe stetig neu leisten. Exkurs: Die Diskussion um die Segnung nichtehelicher b%w. homosexueller Gemeinschaften Im Zuge der veränderten Auffassung und der Neubewertung von Partnerschaft und Sexualität ist seit etwa Anfang der 80er Jahre eine lebhafte Diskussion in Gang gekommen, ob die kirchliche Trauung die einzige Form kirchlichen Handelns bezüglich Partnerschaft sein sollte. Ausgelöst wurde diese Diskussion durch die stetig steigende Zahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften bei einem gleichzeitigen Rückgang der kirchlichen Trauungen. Durch die etwa gleichzeitig beginnende Auseinandersetzung mit dem Thema Homosexualität und Kirche erhielt die Diskussion eine zusätzliche Dimension und auch eine besondere Brisanz. Schlagworte wie „Schwülen-Hochzeit in der Kirche" und „Homosexuellen-Trauung" erregten nicht nur das Kirchenvolk, sondern erfreuten sich auch großer öffentlicher Beachtung. Die Flut der bis dato veröffentlichten und laufend erscheinenden Stellungnahmen und Publikationen lässt sich kaum überschauen.72 Besondere Aufmerksamkeit hat in diesem Zusammen71 Siehe dazu die Anmerkungen der Stellungnahme (1996) 11. 72 Hier nur eine kleine Auswahl, in der sich auch weiterfuhrende Literatur finden lässt: Karl Ernst Nipkow: Ehe und nichteheliche Lebensgemeinschaften, in: PTh 80 (1991), 375-396; Friedrich Winter: Eheähnliche Formen des Zusammenlebens in Gesellschaft und Kirche, Chi. 37 (1984), 334-342. Zur Homosexualität: Horst Balz: Biblische Aussagen zur Homosexualität, ZEE 31 (1987), 60-72; Helmut Dopffel: Die

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hang das Buch von Helga Frisch „Wilde Ehe' mit kirchlichem Segen?"73 gefunden. Frisch hält darin im Anschluss an eine ausgiebige Situationsanalyse ein Plädoyer für Segnungsgottesdienste für nicht standesamtlich verheiratete Paare. Rainer Stuhlmann hat sich dieser Position unter besonderer Berücksichtigung der Problematik homosexueller Paare angeschlossen.74 Stuhlmann verweist dabei auf die ursprüngliche Bedeutung der kirchlichen Trauung als Segnung und fordert, dass die kirchliche Segnung nicht ausschließlich der Lebensform Ehe vorbehalten sein darf. Wird die Trauung als reine Segenshandlung — im Sinne eines Zuspruchs des Beistands Gottes für das Paar - aufgefasst, ermögliche dies auch eine Erweiterung auf andere Lebensgemeinschaften, wobei diese Segenshandlungen nicht notwendigerweise in Konkurrenz zu der Amtshandlung Trauung stehen müssten. Die Kirche würde dadurch aufhören, nichteheliche Gemeinschaften aus ihrer Mitte auszugrenzen und ihnen eine Möglichkeit bieten, ihre Partnerschaft in ein liturgisches Gemeindegeschehen einzubinden. Ansichten wie diese blieben jedoch nicht unwidersprochen. In der sehr emotional geführten Auseinandersetzung wird v. a. von Seiten pietistischer, evangelikaler und charismatischer Christen das biblische Zeugnis entgegengehalten, wonach weder Homosexualität noch nichteheliche Partnerschaftsformen dem göttlichen Willen entsprechen. Von lutherischen Theologen wird zudem betont, dass nur die Institution und Schöpfüngsordnung Ehe der Ort ist, an dem sich Partnerschaft verantwortungsvoll gestaltet. Kern dieser theologischen, rechtlichen und gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung ist die stark umstrittene Frage, ob nichteheliche Lebensformen — so auch homosexuelle Partnerschaften — eine der Ehe gleichberechtigte Stellung erlangen sollen und dürfen.75 Dabei gehen auf allen Seiten humanwissenschaftliche, biblische und moralische Argumentation häufig ineinander über. Bibel im kirchlichen Streit um Homosexualität, in: PTh 87 (1998), 1 3 1 - 1 5 4 ; Martin Honecker: Kirche und Homosexualität. Ein theologischer Beitrag im Auftrag des Männerwerkes der EKiR, Düsseldorf / Wuppertal 1994; Hans Georg Wiedemann: Homosexuelle Liebe. Für eine Neuorientierung in der christlichen Ethik, Stuttgart 2 1989; Ders.: Homosexuell. Das Buch für homosexuell Liebende, ihre Angehörigen und ihre Gegner, Stuttgart 1995; „Mit Spannungen leben. Eine Orientierungshilfe der EKD zum Thema 'Homosexualität und Kirche'", EKD-Texte 57, Hannover 1996. 73 Frisch (1990). Deutliche Kritik an Frisch bei Winkler (1995) 137ff. 74 Stuhlmann (1995). Ähnlich schon Bernhard von Issendorff ZGP 6,5 (1988), 21f, der auch einen Vorschlag für die liturgische Gestaltung eines Segnungsgottesdienstes für ein homosexuelles Paar anfügt. Siehe auch ders.: „Laß deine grenzenlose Liebe an uns wahr werden!" Kommentierte Ordnung einer Segnung für ein homosexuelles Paar, in: Domay (1995 Trauung) 48-50. 75 Vgl. dazu den Diskurs über das Konkubinat von Schmidt / Seitz (1985) 465-467.

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Eine befriedigende Lösung in dieser breitflächig geführten Diskussion, die in den letzten Jahren Gegenstand zahlreicher Landessynoden und Positionspapiere war76, ist derzeit nicht abzusehen. Gefragt ist nach einer Position, die mit einer schlüssigen exegetischen Argumentation der gewandelten Gesellschaftssituation Rechnung trägt. Es ist zu erwarten, dass der Balanceakt zwischen der Akzeptanz nichtehelicher Lebensgemeinschaften und dem Anspruch einer „Höchstgeltung" der heterosexuellen Ehe als Grundlage der Familie77 noch genug Anlass für heftige Diskussionen bieten wird. Die gottesdienstliche Trauansprache ist von dieser Problematik insofern noch nicht betroffen, da sie sich auf den Kasus Trauung bezieht, der gegenwärtig noch rechtlich klar umrissen ist und sich auf andersgeschlechtliche, standesamtlich getraute Paare bezieht.78 Sollte sich die staatliche und kirchliche Rechtslage ändern und auch eine gottesdienstliche Feier für andere Gemeinschaften möglich werden, so wird dies auch von Relevanz für die dort gehaltene Ansprache sein — sofern die dortige Liturgie eine Ansprache vorsieht.79 Es würde dann eine neue Gattung entstehen, die in enger Verwandtschaft zur gottesdienstlichen Trauansprache steht, jedoch nicht vollkommen mit ihr identisch ist. 5. Die gottesdienstliche Trauansprache als Ausdruck evangelischen Eheverständnisses Die Trauansprache ist für viele Paare nicht unbedingt das Element, an das sie sich im Rückblick auf ihre Trauung vornehmlich erinnern; es 76 Besonders im Blickpunkt steht dabei die Auseinandersetzung in der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, die auf ihrer Synode am 23.3.1996 eine Stellungnahme zu der Handreichung „Ehe, Familie und andere Lebensformen" verabschiedete, in der u. a. die Anerkennung eheähnlicher Partnerschaften gefordert wird. Dies zog einen Einspruch des Bischofskollegium der Nordelbischen Kirchen nach sich, zu dem die VELKD gutachterlich Stellung nahm (abgedruckt in: ZEvKR 42 (1997), 183-250). Siehe auch Reinhard Brandt: Die Ehe als Leitbild christlicher Orientierung. Der Einspruch des Bischofskollegiums gegen einen Beschluss der Synode der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche zur Frage eheähnlicher Partnerschaften - und ein theologisches Gutachten dazu, in: ZEE 42 (1998), 294-307. 77 Vgl. Hermann Ringeling: Homosexualität - Zur ethischen Urteilsfindung, ZEE 30 (1987), lOOf. 78 Uber die Zahl der Gottesdienste, in denen eine Segnung nichtehelicher oder homosexueller Gemeinschaften vollzogen wurde, liegen keine Zahlen vor. Gehalten wurden Segnungsgottesdienste von Helga Frisch, Bernhard von Issendorff oder Hans Mörtter. 79 Vgl. dazu den Entwurf von Bernhard von Issendorff ZGP 6,5 (1988), 21 f, in dessen Segnungsgottesdienst für ein homosexuelles Paar anstelle einer Ansprache lediglich die Schriftgebote etwas ausführlicher kommentiert werden.

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bleibt normalerweise höchstens ein Eindruck haften, ob die Ansprache gut oder schlecht, spannend oder langweilig war. Jedoch ist die gottesdienstliche Ansprache das Element, das wesentlich den Eindruck der Anwesenden bezüglich des christlichen Eheverständnisses prägt bzw. prägen kann. Als durchschnittlich 7-13 minütiger Monolog kann die Trauansprache in sehr unterschiedlicher Weise zur Sprache bringen, was Pfarrerinnen in Bezug auf den Kasus und auf die jeweilige Lebenssituation von Hochzeitspaar und Angehörigen auf dem Herzen liegt. Stärker noch als andere Teile des Traugottesdienstes lässt die Ansprache Raum für systematische Erläuterungen, persönliche Aussagen und individuelle Interpretationen. Gerade in der Trauansprache haben Pfarrerinnen eine große Gestaltungsfreiheit, mit der sie die Situation der Eheschließung und der zukünftigen Ehe in einer kleinen Rede kommentieren können. Grenzen dieser Freiheit sind schwer zu definieren. Weder formal noch inhaltlich lässt sich eindeutig bestimmen, was notwendigerweise in der gottesdienstlichen Trauansprache gesagt werden muss oder was nicht gesagt werden darf.80 Bei der Auswahl von Form und Inhalt können die Predigerinnen von ihrer evangelischen Freiheit weitgehendst Gebrauch machen, so dass Trauansprachen zuweilen höchst individuelle Züge aufweisen. Trotz dieser individuellen Verschiedenheit ist allen Ansprachen gleich, dass sie in irgendeiner Weise Bezug auf den Kasus Trauung nehmen. Damit beinhaltet jede Trauansprache - ob bewusst oder unbewusst - auch ein ganz bestimmtes Bild von Partnerschaft und Ehe, auch wenn dieses Bild häufig nur angedeutet und nicht methodisch ausgeführt ist. Da Pfarrerinnen im Rahmen des Traugottesdienstes nun nicht als Privatpersonen, sondern als kirchliche Vertreter agieren und sprechen, legt sich für die anwesenden Hörer die Anschauung nahe, dass dieses in der Trauansprache vermittelte Bild von der Ehe die kirchlicherseits vertretene Eheauffassung darstellt. Andeutungen oder Bezugnahmen auf bestimmte Bibelverse verstärken den Eindruck, dass die Trauansprache die biblisch-christliche Auffassung von der Ehe — unter Berücksichtigung der besonderen Lebens Situation - widerspiegelt. Die Trauansprache kann somit - abseits großer dogmatisch-ethischer Entwürfe und Lehrbücher über die Ehe — als unmittelbarer und situationsbezogener Ausdruck evangelischen Eheverständnisses gelten. Es wäre jedoch ein Missverständnis, anzunehmen, dass das momentane evangelische Eheverständnis als eine einheitliche Größe betrachtet werden könnte. So vielseitig die Aussagen in den Trauansprachen sind, so vielschichtig ist auch das in ihnen zum Ausdruck kommende evangelische Eheverständnis. Gerade im 20. Jahrhundert hat es im Bereich der akademischen Theologie eine große Zahl an Versuchen gegeben, das 80 Dennoch gibt es m. E. einige Leitlinien, mehr dazu S. 239ff.

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evangelische Eheverständnis zu umfassen. Mit zum Teil groß angelegten Konzeptionen haben Werner Eiert, Paul Althaus, Helmut Thielicke, Walter Künneth oder Emil Brunner versucht, die Ehe von der göttlichen Schöpfungsordnung her zu begründen und sich damit der aufkommenden Liberalisierung von Normen zu erwehren. Einen anderen Weg hat Karl Barth beschritten, indem er nicht die ordnungstheologischen, sondern die gemeindetheologischen Aspekte in den Vordergrund rückte.81 Wiederum andere Akzente setzen unterschiedliche Entwürfe der letzten beiden Jahrzehnte - von Hans-Joachim Thilo, Helmut Fritzsche oder Bernd Wannenwetsch die von der Wirklichkeit der Ehe in der modernen Gesellschaft ausgehen und weniger die institutionellen als die interaktionellen Aspekte in den Vordergrund rücken.82 Bei den Entwürfen bis in die 60er Jahre hinein steht das Bemühen im Vordergrund, biblische Aussagen mit theologischen Systemen zu verbinden und von daher ein allgemein gültiges Leitbild für die Ehe zu entwickeln. Als Beispiel, welche konkreten Inhalte mit einem evangelischen Eheverständnis verbunden sein können, sei (auszugsweise) die Ethik von Wolfgang Trillhaas angeführt, die zum Zeitpunkt ihres Erscheinens als fortschrittlich galt.83 Für Trillhaas ist die Ehe „eine wandlungsreiche Institution, aber sie ist in allem Wandel immer Institution, und zwar in dem doppelten Sinne: sie ist 'Stiftung Gottes', von Gott dem Schöpfer 'eingesetzt' als die von ihm gewollte Weise der Verbindung von Mann und Frau, als 'Stand' der Ehegatten, und sie ist auch in dem Sinne Stiftung, daß sie eine göttliche Gründung der konkreten Ehe in jedem einzelnen Falle bedeutet"84. Hinsichtlich des biblischen Befundes und des geschichtlichen Wandels ist Trillhaas der Meinung, dass es „bei aller Differenzierung im einzelnen, sowohl im Blick auf den exegetischen Befund als auch im Blick auf die kirchengeschichtliche Mannigfaltigkeit, ein grundlegendes Einverständnis der Christenheit über die Ehe" 8 gibt und legt dies in sechs Sätzen dar, die „so etwas wie eine Quintessenz biblischer Aussagen über die Ehe, zugleich aber auch den Kern eines allgemeinen christlichen Leitbildes" 86 darstellen. Danach ist (1.) die Monogamie die ursprünglich von Gott gemeinte Eheordnung; Adam und Eva sind das Urbild der Ehe und die Geschichte ihrer Zweisamkeit ist „Gesetz". Der Zweck der Ehe ist (2.) die gegenseitige Hilfe und die Erhaltung des Menschengeschlechts. Der Mann hat (3.) in der Ehe eine Prio81 Vgl. dazujosuttis ( 3 1990) 54ff. 82 Ein knapper Überblick über die unterschiedlichen Entwürfe findet sich bei Thilo (1978) 46ff oder im Arbeitsbuch zur Trauung (1990) 18ff. 83 Siehe die Würdigung, aber auch die Kritik bei Thilo (1978) 52ff. 84 Trillhaas ( 3 1970) 316. 85 Trillhaas ( 3 1970) 320. 86 Trillhaas ( 3 1970) 322. Die Sätze selbst - jeweils mit kleinen Kommentaren versehen — finden sich 320ff.

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rität, aus der sich aber eher Pflichten denn Rechte ableiten lassen; diese Priorität deutet innere Maße an, die das Zusammenleben von Mann und Frau in der Ehe und das Bestehen der Ehe selbst leiten sollen. Die Ehe ist (4.) unauflöslich und hat (5.) den Vorrang vor allen Verwandtschaftsgraden. Dennoch ist die Ehe (6.) nur eine irdische und keine himmlische, eine zeitliche und keine ewige Verbindung von Mann und Frau. Neben diesem „Minimum" fuhrt Trillhaas noch weitere christliche Einsichten an, die sich aus der Heiligen Schrift nahe legen, die sich aber vorwiegend auf die innere Einstellung des Glaubens zur Ehe beziehen. Als wichtige und hilfreiche Einsichten nennt er folgende: Die Ehe ist eine Quelle irdischer Freuden und irdischen Segens. Gottes Güte und Freundlichkeit begegnet uns in ihr in sichtbarer Weise. Die Ehe ist eine Schule der Liebe (Eph 5,33), sie ist zur Bewahrung der Keuschheit geordnet (1 K o r 7,1—9) ... Schließlich hat die Ehe auch ihre besondere Trübsal (Gen 3,16ff), von der Paulus die Seinen gerne verschont wissen wollte (1 Kor 7,25-40)" 8 7 .

Derartige Versuche einer christlichen Standortbestimmung, die weltlichen Legitimationsmodellen ebenso wie gesellschaftlichen Auflösungstendenzen der Ehe entgegentreten wollten, haben harte Kritik hinnehmen müssen. Das hier skizzierte Eheverständnis von Trillhaas spiegelt das Eheverständnis einer bestimmten (kirchen)geschichtlichen Periode und/oder gesellschaftlichen Gruppe wider, es kann aber im Einzelnen weder zum Zeitpunkt der Abfassung noch 30 Jahre später als „ein grundlegendes Einverständnis der Christenheit" gelten. Kritik wird nicht allein inhaltlichen Punkten entgegengebracht - wie der Priorität des Mannes - , sondern auch dem Absolutheitsanspruch und der Hermeneutik zur Gewinnung der dargelegten Einsichten. Die neueren Entwürfe versuchen daher in zunehmendem Maße, nicht nur die (ordnungs-) theologischen Kriterien weiterzudenken, sondern auch verstärkt individual- und sozialpsychologische Fragestellungen zu berücksichtigen. So gibt Thilo in seinem aus der Eheberatung erwachsenen Buch „Ehe ohne Norm?"89 einen Überblick über die ethischen Aspekte der Ehe v. a. unter dem Gesichtspunkt der Partnerschaft oder versucht Wannenwetsch90 die Ehe unter dem Begriff der Freiheit zu entfalten. Dies fuhrt zu einer differenzierteren Sichtweise des gegenwärtigen Problemstandes, ohne dass jedoch dadurch ein Konsens in der gegenwärtigen Diskussion geschaffen würde. Die Bemühungen um ein geschlossenes evangelisches Eheverständnis, das sowohl theologischen als auch sich wandelnden ge87 Trillhaas ( 3 1970) 322f. 88 Dabei ist allerdings anzumerken, dass die Konzeptionen früherer Generationen sich in diesen zentralen Aussagen eher ähnelten denn modernere Versuche. 89 Thilo (1978). 90 Wannenwetsch (1993).

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sellschaftlichen Kriterien standhält, erscheinen angesichts der im Zuge der Säkularisierung einhergehenden Liberalisierung zwischenmenschlicher Beziehungen und nach einer differenzierten Betrachtung des biblischen Befundes nahezu aussichtslos. Die vielfach anzutreffende momentane Resignation christlicher Eheethiker ist von daher nachvollziehbar. Die gegenwärtige Pluralität der christlichen Eheauffassungen spiegelt sich auch in der Pluralität der Trauansprachen wider. Die dort herrschenden Eheauffassungen reichen von konservativ bis progressiv, von christlich fundamentalistisch bis humanistisch liberal - um nur einige Pole zu nennen. Ein eindeutiges Profil mit klar umrissenen Konturen lässt sich zwar für einzelne Predigten behaupten, jedoch nicht für die Gesamtheit der Trauansprachen. Es lassen sich lediglich viele einzelne Bausteine finden, die das Inventar von Trauansprachen bilden und die je nach Situation unterschiedlich ausgewählt und kombiniert werden, wie in Kapitel IV näher dargelegt wird. Was als Charakteristikum der gottesdienstlichen Trauansprache - im Gegensatz zur standesamtlichen Trauansprache oder der Festrede an der Hochzeitstafel - festzuhalten ist, ist ein mehr oder minder ausgeprägtes religiöses Element, das die gottesdienstliche Trauansprache enthält und welches das Eheverständnis wesentlich prägt. Dieses religiöse Element ist jedoch nicht pauschal zu spezifizieren, sondern stellt sich gerade in jüngerer Zeit vielgesichtig dar. Ob dieses religiöse Element als Minimalkonsens eines evangelischen Eheverständnisses ausreichend ist, bleibt zu diskutieren - sowohl innerkirchlich als auch in Bezug auf den ökumenischen Dialog. Damit verbunden ist die Frage, was die Evangelische Kirche überhaupt an christlich-biblisch motiviertem Eheverständnis vermitteln will, welche Aussagen dieses enthält und inwieweit es sich abgrenzt bzw. vermischt mit säkularen Eheverständnissen.91 Die gottesdienstliche Trauansprache wird dabei ein Testfall ersten Ranges bleiben, an dem sich ablesen lässt, ob und wie sich theologische Überlegungen mit gesellschaftlichen Wandlungen versöhnen lassen.

91 Zu fragen wäre nicht nur, was das christliche Einverständnis enthält, sondern auch, wie es vermittelt wird. Säkulare Eheverständnisse haben es dort einfacher, da sie vornehmlich durch Zeitungen, Illustrierte etc. verbreitet werden, die kurz und bündig und optisch ansprechend ihre Eherezepte verkünden können, siehe die Titelschlagzeile der Zeitschrift „Psychologie heute" Heft 2, Februar 1996: „Die 9 Geheimnisse der guten Ehe" und den dazugehörigen Artikel (20-27), der mit „Das Einmalneun des Eheglücks" betitelt ist.

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III. Die theoretische Auseinandersetzung mit der gottesdienstlichen Trauansprache „Eine gute Theorie ist doch immer die beste Hilfe für die Praxis; nur muß die Theorie auf die Praxis berechnet sein ..."'.

Diese von Friedrich Niebergall geschriebenen Zeilen drücken treffend aus, in welcher wechselseitigen Beziehung Theorie und Praxis häufig zueinander stehen. Für das komplexe Feld der Kasualien hat dieser Satz besondere Gültigkeit, denn hier muss sich die Theorie stets von neuem auf die Situation und die Veränderungen der Praxis einstellen, und umgekehrt erhält die Praxis aus den prinzipiellen Betrachtungen immer wieder neue Impulse. Auch die gottesdienstliche Trauansprache unterliegt letztlich diesem Wechselspiel, das sich in jeder Generation unter Hinzufügung neuer und alter Aspekte stetig wiederholt. Der Ort der theoretischen Auseinandersetzung mit der gottesdienstlichen Trauansprache lässt sich allerdings nicht eindeutig bestimmen, da die Trauansprache keinen ausgewiesenen Ort hat, an dem sie ausschließlich bearbeitet wird, sondern da sie je nach Funktionsbestimmung auf verschiedenen Feldern der Praktischen Theologie behandelt wird. Das Spektrum der Reflexionen und Publikationen zur Trauansprache erstreckt sich von der Homiletik, Katechetik, Liturgik und Poimenik bis hin zur Theorie des Gemeindeaufbaus und bleibt dabei stets offen für die Aufnahme in anderen Disziplinen. Die Trauansprache führt innerhalb der Praktischen Theologie gewissermaßen ein „Nomadendasein", was einen vollständigen Überblick erschwert. Umfangreichere Beiträge zur gottesdienstlichen Trauansprache finden sich hauptsächlich an folgenden Stellen: 1) In Monographien zur Ehe und Eheschließung bzw. Trauung. 2) In Monographien zu den Amtshandlungen bzw. Kasualien. 3) In Lehrbüchern zur Homiletik, zur Liturgik und zur Poimenik. 1 F. Niebergall (31917) 3. Der Satz wird fortgeführt: „... und die Leute, die sie sich aneignen, müssen das Zeug haben, sie in ihre Praxis zu übertragen". 2 Dieses Schicksal teilt die Trauansprache mit dem gesamten Komplex der Kasualien. Es ist oft mit einer gewissen Radosigkeit konstatiert worden, dass den Kasualien der eigentliche Ort innerhalb der Praktischen Theologie fehlt, vgl. Saft (1990) 305f.

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4) In Lehrbüchern der Praktischen Theologie bzw. in Pastoraltheologien. 5) In Predigtsammlungen und Predigthilfen. 6) In Agenden. 7) In Abhandlungen und Artikeln, die sich in Aufsatzbänden, Festschriften, Lexika, Zeitschriften u. ä. befinden. Nur in Ausnahmefällen ist die Trauansprache in diesen Beiträgen und Büchern Hauptgegenstand der Untersuchung. Meistens ist sie nur ein Abschnitt innerhalb einer größeren Untersuchung, z. B. ein Unterpunkt bei der kirchlichen Trauung, bei den Amtshandlungen oder bei der Kasualpredigt. Dort findet sich viel Allgemeines zur Trauung, aber nur wenig Spezielles zur Trauansprache. Dem breiten Spektrum des Vorkommens entspricht die Vielfalt der Beiträge. Diese reicht von der wissenschaftlichen Untersuchung bis zur pastoraltheologischen Hilfe, von empirischer Forschung bis zum speziellen Ratschlag. Die Grenze zwischen Theorie und Praxis ist dabei keineswegs statisch, sondern Theorie und Praxis stehen in der oben angedeuteten Wechselbeziehung. Eine prinzipielle Abgrenzung, was der Theorie zugerechnet werden darf und was nicht, ist daher grundsätzlich problematisch. Wenn in diesem Kapitel die theoretischen Ansätze der gottesdienstlichen Trauansprache behandelt werden, so geschieht dies vornehmlich in phänomenologischer Wahrnehmung. Die sich hieraus kristallisierenden Verwandtschaften, Unterschiede und Besonderheiten dienen als Ausgangspunkt, um nach der Funktion und Bedeutung der Trauansprache in der Theorie zu fragen.

1. Terminologisches: Die Vermischung der Begriffe „Rede", ,^Ansprache " und „Predigt"

Bevor auf die einzelnen Ansätze näher eingegangen werden kann, sind noch einige Eigenheiten der Terminologie zu erwähnen. In Predigten, Predigtsammlungen und in der Sekundärliteratur findet sich eine breit gefächerte Ansammlung von Bezeichnungen, die alle den an das Hochzeitspaar gerichteten monologischen3 Sprechakt des Pfarrers während der kirchlichen Trauung umschreiben. Die geläufigsten Bezeichnungen sind dabei „Rede", „Traurede", „Hochzeitsrede", „Ansprache", „Trauansprache", „Trauungsansprache", „Ansprache während einer Trauung", 3 Dialogische Trauansprachen in dem Sinne, dass zwei Predigerinnen ein Zwiegespräch über einen bestimmten Text führen, gibt es m. W. nicht; ein Ansatz zu einer ¿alogischen Trauansprache findet sich bei Nagel (Prd. 1993) 30-32, wo sich zwei Prediger bei der Ansprache abwechseln. Die monologische Struktur ist dadurch aber nur auflockert, nicht aufgehoben.

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„Predigt", „Traupredigt", „Hochzeitspredigt" oder „Predigt bei einer Trauung".4 Versucht man, die verschiedenen Bezeichnungen begrifflich zu präzisieren, so fällt auf, dass sich alle Bezeichnungen unter einen der drei Grundbegriffe „Rede", „Ansprache" oder „Predigt" subsumieren lassen. Die Angabe des Kasus (hier also der Trauung bzw. Hochzeit) ist lediglich Attribut zu diesen drei Begriffen und es ist eine Eigenart der deutschen Sprache, dass sich daraus eine stattliche Anzahl an Kombinations- und Variationsmöglichkeiten ergibt.5 Eine nähere Präzisierung dieser Grundbegriffe ist allerdings problematisch, da die Begriffe „Rede", „Ansprache" und „Predigt" nicht eindeutig definierbar und zudem noch untereinander sinnverwandt sind; die Ansprache ist lediglich eine „meist kürzere Rede", die Predigt eine „während eines Gottesdienstes gehaltene religiöse Ansprache", somit also auch eine Form der Rede6. Eine Festlegung von bestimmten Parametern, die nur für einen der drei Begriffe ausschließliche Gültigkeit haben, ist wenig Erfolg versprechend, da sich in Theorie und Praxis immer wieder Beispiele finden lassen, die einer derartigen Festlegung zuwiderlaufen. Dennoch hat es v. a. im Zuge der Wort-Gottes Theologie vereinzelte Versuche gegeben, die verschiedenen Begriffe mit unterschiedlichen Inhalten zu verbinden. Heinrich Vogel z. B. urteilt hart über die kirchlichen Ttmreden seiner Zeit, die er für zu weltlich hält, und fordert stattdessen eine wahre, an Gottes Wort, Befehl und Verheißung gebundene TtmpredigtJ Hier wird Rede mit weltlich und Predigt mit „Verkündigung des ewigen, unverbrüchlichen Wortes Gottes" gleichgesetzt. Auch Schempp möchte seine Traureden lieber als Traupredigten verstanden wissen, um an der religiösen Absicht seiner Reden keinen Zweifel aufkommen zu lassen.8 Trotz solcher Unterscheidungsversuche lässt sich aus der unterschiedlichen Verwendung der Begriffe keine generelle inhaltliche oder 4 Beispiele für diese Bezeichnungen finden sich im Predigtverzeichnis. Die Begriffe „Hochzeits-" oder „Traumeditation" sind nicht geläufig, wenngleich einige Ansprachen sehr meditativen Charakter haben. Vor 1876 finden sich auch noch Begriffe wie „Kopulationsrede" und „Kopulationspredigt", vgl. Harms (1888) 11 Off, oder auch „Trauungs-Sermon", siehe Michaelis (1716). 5 Bei den anderen Kasualien ist die Sachlage ähnlich. Auch hier sind mehrere Bezeichnung möglich und in Gebrauch, wie Grabrede, Beerdigungsansprache, Trauerpredigt etc. Die zur Kennzeichnung der Trauungssituation auch möglichen Termini „Eheschließung" oder „Heirat" werden in Kombination mit den Begriffen „Rede", „Ansprache" und „Predigt" nur selten verwendet. 6 Zu den einzelnen Definitionen und der Sinnverwandtschaft der Begriffe „Rede", „Ansprache" und „Predigt" vgl. Duden, Bd. 10: Bedeutungswörterbuch, hrsg. von Wolfgang Müller, Mannheim / Wien / Zürich 2 1985. 7 Siehe Vogel (1933) 51 ff. 8 Vgl. Schempp ( 2 1951) 9. In ähnlicher Weise versucht auch Mezger (21963) 72f der „Predigt" eine stärkere Aussagekraft zukommen zu lassen als der „Rede".

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formale Präzisierung ableiten. Ob der Sprechakt als „Rede", „Ansprache" oder „Predigt" bezeichnet wird, ist aufs Ganze gesehen lediglich eine sprachliche Konvention. Diese Konvention unterliegt regionalen und zeitgeschichtlichen Verschiebungen und Vorlieben, wie ein Blick in die jüngere Predigtgeschichte beweist. Dennoch kann im Einzelfall, wie bei Vogel, in der bewussten Verwendung des einen oder anderen Begriffs auch eine Wertung liegen. Dies ist im wesentlichen davon abhängig, welche formalen und inhaltlichen Parameter mit den verschiedenen Begriffen verbunden werden; immerhin ist die Bezeichnung ja auch Bestandteil der Überschrift zu einem längeren Text und gibt die grobe Aussagerichtung des Textes vor. So mag der Ausdruck „An-sprache" andere Assoziationen wecken und mit anderen Botschaften verbunden sein als die Bezeichnung „Predigt". An solche Begrifflichkeiten können sich praktisch-theologische Fragen anknüpfen9, deren positioneile Abgrenzungen allerdings nur unter der Prämisse bestimmter theologischer Denkvoraussetzungen nachvollziehbar sind. Alle wohlgemeinten Versuche, von der Begrifflichkeit auf den Inhalt - und umgekehrt - zu schließen, werden durch die bunte Palette des vorliegenden Materials relativiert. Sprachgeschichtlich ist zu beobachten, dass der früher häufig verwendete Begriff „Rede" in den letzten Jahrzehnten weniger verwendet wird.10 Wurde bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein noch die Mehrzahl der Trauansprachen „Traureden" genannt, so findet sich diese Bezeichnung heute nur noch vereinzelt11. Mit dem sukzessiven Wegfall der Bezeichnung „Traurede" korrespondiert die kontinuierliche Zunahme der Bezeichnung „Trauansprache". Es hat zuweilen fast den Anschein, als ob der Terminus „Traurede" durch den Terminus „Trauansprache" regelrecht abgelöst worden wäre. Der Terminus „Traupredigt" hat sich hingegen verhältnismäßig konstant gehalten, wenngleich er nicht ganz so häufig verwendet wird wie die Bezeichnungen „Trauansprache" bzw. früher „Traurede"; er kommt eher als „Predigt" vor, also ohne die nähere Attributsbestimmung. Da es keine eindeutigen Richtlinien gibt, stehen in der Predigtpraxis und in der Sekundärliteratur die verschiedenen Begriffe häufig Undefiniert nebeneinander. Größtenteils werden die Begriffe „Rede", „Ansprache" und „Predigt" als Synonyme verwendet. Bei Horst Nitschke werden die Trauansprachen im Inhaltsverzeichnis „Predigten" genannt, dann aber als „Ansprachen" analysiert.12 Bei Fritz Mybes wird das Kapitel mit 9 Darauf weist schon F. Niebergall ( 3 1917) 5ff und 9ff in der Diskussion um die Bezeichnung „Kasualrede" hin. 10 Vgl. dazu die Titel der Predigtsammlungen und -hilfen S. 253ff. 11 Eine Ausnahme ist die „Traurede" von Siegel (Prd. 1993) 28-29. 12 Vgl. Nitschke (1975) 5 und 40.

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den Ansprachen mit „Traupredigten und -ansprachen" betitelt, ohne dass bei den folgenden Beispielen eine Unterscheidung erkennbar wäre.13 Selbst Schempp, der eigentlich Hochzeits-Predigten und keine Reden halten will, betitelt seine Ansprachen letztlich als „Reden".14 Als Fazit lässt sich daher nur festhalten, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema „Trauansprache" von einer gewissen terminologischen Unschärfe durchzogen bleibt, die ihre Ursache in regional verschiedenen Sprachkonventionen und -traditionen hat. Persönliche Vorlieben werden bei der Verwendung des ein oder anderen Begriffs immer ein größeres Gewicht haben als systematische Einheitsbestrebungen.15 Generell zu unterscheiden von der Traurede, -ansprache bzw. -predigt sind zum einen die sog. „Trauvermahnungen" und zum anderen die sog. „Ehestandspredigten". Die Trauvermahnungen sind in Kirchenordnungen, Agenden und Trauformularen zu finden und können im Traugottesdienst im Anschluss an die Lesung(en) anstelle einer eigens für das Paar formulierten Ansprache verlesen werden.16 Sie fassen in meist knapper Form einige wesentliche theologische Kernaussagen des Kasus zusammen und haben einen dogmatisch-objektiven Charakter. Was ihnen als entscheidendes Merkmal im Unterschied zur Traurede, -ansprache bzw. -predigt fehlt, ist die Berücksichtigung der individuellen Situation, und zwar sowohl bezüglich der Lebenssituation des Hochzeitspaares selbst als auch bezüglich des für dieses Paar ausgewählten Trauspruchs.17 Die mittlerweile nahezu ausgestorbene Gattung der Ehestandspredigten - die sich auch zuweilen innerhalb der Gattung der „Hausstandspredigten" finden lässt — hat ihren Sitz im Leben nicht im Traugottesdienst, sondern in einem separaten (Sonntags-) Gottesdienst. Regional war es teilweise Sitte, zukünftige oder frisch vermählte Hochzeitspaare zum Hören dieser Predigten zu verpflichten18; sie sind allerdings nicht an ein einzelnes und spezielles Paar gerichtet, sondern an die ganze Gemeinde. 13 Siehe Mybes (1991) 19ff. 14 Siehe Schempp (21951) 9ff. 15 Selbiges gilt für die Begriffe „Hochzeit", „Heirat", „Trauung" und „Eheschließung". In dieser Arbeit wird überwiegend der Begriff „Trauansprache" gebraucht, denn mit „Traupredigt" assoziiere ich eine religiöse Dimension, die längst nicht in allen Traupredigten gegeben ist. Ansprache entspricht als Begriff eher dem uneinheitlichen Predigt- bzw. Ansprachenmaterial. 16 Vgl. die Agende für die EKU, Bd. 2, Bielefeld 3 1987, 76 und 79. 17 Zu den Trauvermahnungen siehe auch S. 218ff. 18 So ordnet beispielsweise die Lauenburger Kirchenordnung im 17. Jahrhundert an, dass das Hochzeitspaar samt der Hochzeitsgesellschaft am Tage nach der Hochzeit in die Kirche zu kommen hat, um dort eine Predigt vom Ehestand zu hören, „was er sei und wozu er von Gott gestiftet und wie Eheleute christlich beieinander leben und sich im Ehestande verhalten sollen" (zitiert nach Uhlhorn (1896) 18).

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Den Ehestandspredigten fehlt daher - wie auch den Trauvermahnungen - das individuelle situationsbezogene Element. Sie sind meist gelehrte und systematische Traktate über die Herkunft und Entstehung des Ehestandes, das eheliche Leben der Patriarchen und Propheten, die Ehe im AT und NT sowie die ehelichen Aufgaben von Mann und Frau.19 2. Geschichtlicher Überblick über die wesentlichen Arbeiten seit Mitte des 19. Jahrhunderts Die theoretische Auseinandersetzung mit der Kasualrede im Allgemeinen und der Trauansprache im Besonderen ist weder sonderlich alt noch sehr umfangreich. Im Verhältnis zu der beträchtlichen Anzahl von Trauansprachen, die sich in Predigtsammlungen und -hilfen finden lassen, mutet die Zahl der theoretischen Abhandlungen eher klein an - sieht man einmal von den nahezu unzähligen Vorworten und Miszellen in Predigtsammlungen, Agenden, Lehrbüchern zur Homiletik und Praktischen Theologie etc. ab.20 Die Gründe für das verhältnismäßig geringe Interesse an einer gesonderten theoretischen Erörterung der Trauansprache sind in der Überschneidung der in der protestantischen Theologie traditionell mit großer Aufmerksamkeit behandelten Disziplin der Homiletik einerseits und dem lange Zeit vernachlässigten Gebiet der Kasualien andererseits zu suchen. Während die Homiletik im 19. Jahrhundert eine bis weit in das 20. Jahrhundert hineinstrahlende Blüte erlebte und sich ihren festen Platz im Kanon der neubegründeten Disziplin der Praktischen Theologie sicherte, hatten und haben die Kasualien bis dato nie so recht ihren eigentlichen Ort gefunden.21 Wurde der Verkündigung seit der Reformation eine Hauptbedeutung für den evangelischen Gottesdienst zugesprochen und die Predigt dementsprechend durchdacht und wissenschaftlich beachtet, so bestand gegenüber den Kasualien eine tief verwurzelte kritische Einstellung, die ihre Ursache in der reformatorischen Kritik an der ausufernden rituellen Praxis der römisch-katholischen Kirche hatte.22 19 Die bekanntesten Ehestandspredigten sind zweifelsohne die beiden ersten Predigten in den Hausstandspredigten von Schleiermacher (1826); weitere Beispiele finden sich bei Meister (1777) oder Ahlfeld ( 5 1897). Moderne, den Ehestandspredigten vergleichbare „Predigten und Reden über Liebe und Ehe" finden sich in der ZGP 14,5 (1996), 28-36. 20 Auf katholischer Seite ist die Beschäftigung mit der Kasualpredigt noch weniger ausgeprägt als evangelischerseits. Bedeutung erlangten in jüngerer Zeit lediglich die Arbeiten von Bommer (1977) und ders. (1982), in denen sich aber bezeichnenderweise hauptsächlich mit protestantischen Entwürfen auseinander gesetzt wird. 21 Vgl. dazu Saft (1990) 305f. 22 Vgl. Steck (1988) 677f.

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Dementsprechend wurden Kasualgottesdienste mit einer gewissen Reserviertheit betrachtet und vollzogen, auch dann noch, als sich der Kasualgottesdienst seit der Aufklärung zunehmend als eigenständige Gottesdienstform etablierte. Das praktisch-theologische und damit auch wissenschaftliche Interesse an den Kasualhandlungen wuchs erst, als sich vor allem gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Erkenntnis um die eigenständige, vom Gemeindegottesdienst unterschiedene, familiär und lebenszyklisch geprägte Bedeutung der Kasualien Bahn brach und das Wissen um die Wichtigkeit der konkreten Situation eine deutliche Aufwertung erfuhr. Im Zuge dieser Einsichten erlangte die (persönlich formulierte) Trauansprache auch erst ihren Rang und ihre Bedeutung als fester Bestandteil des Kasualgottesdienstes.23 Dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der gottesdienstlichen Trauansprache nur ziemlich zaghaft und relativ spät einsetzte, ist auch durch die ungünstigen Voraussetzungen dieses Predigttyps bedingt: Von der Disziplin der Homiletik wurde die Trauansprache vernachlässigt, weil sie nicht Gemeinde-, sondern Ka-w^redigt war. Hingegen an den Orten, an denen sich mit der Trauung auseinander gesetzt wurde, wurde die Trauansprache vernachlässigt, weil sie als Kasualpredigt große Übereinstimmung mit der allgemeinen Homiletik hatte und dort eigentlich als ein Unterpunkt zu vermuten wäre. Dabei kann natürlich nicht geleugnet werden, dass bei der Beschäftigung mit der Trauansprache viele der aufgeworfenen Fragen mit Fragen der allgemeinen Homiletik übereinstimmen. Fragen, wie z. B. nach dem Verhältnis Text-Hörer, dem Vorverständnis des Predigers etc., finden sich selbstverständlich in modifizierter Form in jeder allgemeinen Homiletik. Worauf es allerdings ankommt und was den entscheidenden Unterschied der allgemeinen Predigt zur Kasualrede bzw. Trauansprache ausmacht, ist die Analyse, Bewertung und Stellung zur ganz konkreten Situation und ihr Bezug zur Homiletik. Es ist der Kasus Trauung, der in einer für die Trauansprache konzipierten Theorie eine deutlich stärkere Aufmerksamkeit bekommt als innerhalb einer allgemeinen Homiletik. Und gerade dieser Kasus, die Trauung mit ihren Inhalten und Bedeutungen, hat sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts kontinuierlich geändert und ändert sich fortlaufend weiter. Die fortwährend neue Konstellation zwischen dem gottesdienstlichen Anlass für die Predigt (Kasus) und der Frage nach dem „Was" und „Wie" der Predigt (materiale und formale Homiletik) ist der Kern aller wissenschaftlichen Untersuchungen zur gottesdienstlichen Trauansprache und das rechte Mischungsverhältnis innerhalb dieser Konstellation ist die grundlegende Frage, die stets zu 23 Die Auseinandersetzung mit der Trauansprache schien auch deswegen nicht so dringlich, weil der Bedarf und auch der Originalitätszwang vorher längst nicht so hoch war. Zur Entwicklung der Trauansprachc als persönliche Rede siehe S. 220ff.

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neuen Abhandlungen drängt. Insofern ist die Entwicklung der theoretischen Beschäftigung mit der Trauansprache natürlich nicht von der Entwicklung der Homiletik im Allgemeinen abzutrennen, obwohl sie sich auch wegen der speziellen Situation eine gewisse Eigenständigkeit wahren muss. Die Verwandtschaft zwischen allgemeiner Homiletik und spezieller Trauansprachenhomiletik ist am offensichtlichsten bei der Frage, ob und inwieweit Abhandlungen zur Trauansprache Auswirkungen auf die gedruckte Trauansprache bzw. auf die allgemeine Homiletik hatten. Angesichts ihres relativ geringen Bekanntheitsgrades darf nur bei wenigen Abhandlungen zur Trauansprache angenommen werden, dass sie normativen und progressiven Charakter für Trauansprachen hatten.24 Die Mehrzahl der Abhandlungen — so hat es den Anschein — dient eher der Zusammenfassung bereits vorhandener Entwürfe und Trends, ohne dabei ersichtlichen und direkt abzuleitenden Einfluss auf die Entwicklung der jeweiligen Zeit zu haben. Es ist daher prinzipiell davon auszugehen, dass die meisten Trauansprachen nicht eine spezielle Trauansprachenhomiletik als Grundlage haben, sondern eine allgemeine Homiletik. Der folgende Durchgang durch die Geschichte mit der Darstellung der Hauptaussagen aus verschiedenen Schriften zur Kasual- und Trauansprache gibt einen knappen Überblick, wo und wann an dem Thema Trauansprache gearbeitet wurde. Angesichts der zahlreichen Gedanken und Wiederholungen kann dabei nicht auf alle Einzelheiten eingegangen werden, sondern es können nur die Hauptlinien und Tendenzen der Schriften aufgezeigt werden, an denen maßgebliche Umdenkungsprozesse stattfanden oder sich neue Einflüsse bemerkbar machten. Alle Einflüsse - v. a. auf dem Gebiet der allgemeinen Homiletik25 - kann dieser Überblick nicht berücksichtigen und er kann schon gar nicht das Fehlen einer Kasualredengeschichte ersetzen. Viele einzelne in dem Überblick nur angedeutete Themen werden aber in späteren Kapiteln noch einmal aufgenommen. 2.1. Bis %um 1. Weltkrieg Ausgangspunkt meines Überblicks ist die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. In Bezug auf die Ehe stehen in der Literatur dieser Zeit überwiegend ethische und moralische Aspekte im Vordergrund, im Zusam24 Eine Ausnahme bildet hier F. Niebergall (M917); ansonsten aber erreichen Bücher über die Kasualien — und noch viel weniger über die Trauansprache — nur selten eine zweite Auflage. 25 Als Überblick über die Entwicklungen in der Homiletik sei verwiesen auf Wintzer (1969), H. M. Müller (1986) und ders. (1996) 99ff.

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menhang mit der Einführung der Zivilehe dann auch rechtliche. Die Erörterung von Fragen bezüglich der Rede bei den Kasualien wird zwar in Pastoraltheologien vereinzelt unternommen, nimmt dort aber nur spärlichen Raum ein und beschränkt sich auf vereinzelte, eher allgemein gehaltene praktische Hinweise. Gelegentliche Streiflichter einer Auseinandersetzung - wie das Vorwort bei Eduard Niemann „Reden aus dem geistlichen Amte" (1875) oder bei Victor Friedrich Ohler „Evangelische Casualrede. Ein Beitrag zur Predigt der Gegenwart" (1876/77) - können nicht darüber hinwegtäuschen, dass aufs Ganze gesehen die Kasualrede und insbesondere die Traurede nur eine der Vollständigkeit halber behandelte Randerscheinung in der (Predigt-) Literatur des 19. Jahrhunderts ist. Die Liste der Autoren und Bücher, die kaum oder nur marginal auf die Traurede eingehen, ist lang. Als Beispiele aus den verschiedenen Bereichen (Pastoraltheologien, Liturgik, Homiletik etc.) seien Christian Palmer,,Evangelische Homiletik" (51867) 289-291 und 337-340, Alfred Krauss „Lehrbuch der Praktischen Theologie" (1890) 261 f, Eduard Meuß „Die gottesdienstlichen Handlungen von individueller Beziehung in der evangelischen Kirche" (1892), 194-226 und Christian Achelis „Lehrbuch der Praktischen Theologie" Bd. 1 (21898) 720f genannt.26 Erst am Ausgang des 19. Jahrhunderts, nachdem sich das Bewusstsein um die Wichtigkeit der Kasualrede zunehmend mehr Raum verschafft hatte, ist auch ein gesteigertes wissenschaftliches Interesse an der Traurede zu beobachten. Die theoretische Auseinandersetzung mit der Trauansprache profitierte dabei weniger von den Impulsen aus den Streitigkeiten um die Einführung der Zivilehe als vielmehr von dem allgemein gesteigerten Interesse an den Kasualien und den dort zu haltenden Reden. In diesem Zusammenhang haben zwei binnen eines Jahrzehnts erschienene Monographien eine besondere Stellung, da sie sich erstmals ausschließlich der Kasualrede widmen und diese zum Hauptgegenstand wissenschaftlicher Untersuchung machen: das 1896 von Friedrich Uhlhorn in Hannover erschienene Buch „Die Kasualrede" und das von Friedrich Niebergall in erster Auflage 1905 in Göttingen erschienene Buch gleichen Titels. Das Buch von Friedrich Uhlhorn versteht sich als „Handweiser", damit man sich für das wichtige Gebiet der Kasualrede nicht „erst mühsam aus den Lehrbüchern der Homiletik das Nöthige zusammensuchen" muss27, 26 Zuweilen begegnet einem in der Literatur des 19. Jahrhunderts sogar eine dezidierte Ablehnung der Kasualansprache, vgl. Theodosius Harnack: Praktische Theologie, Bd. 2, Erlangen 1878, 543, der es für besser hält, „sich auf einen rein liturgischen Akt zu beschränken". 27 So das Vorwort bei Uhlhorn (1896). Die hinter den Zitaten in Klammern gesetzten Seitenzahlen beziehen sich während des gesamten Kapitels auf das im jeweiligen Abschnitt zuerst genannte und durch eine Fußnote gekennzeichnete Buch.

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und bietet einen über 200 Seiten starken kompakten Überblick über das ganze Gebiet der Kasualrede. Nach einigen Überlegungen zum Begriff der Kasualrede28 zeichnet Uhlhorn in groben Zügen die wechselvolle Geschichte der Kasualrede von der Reformation bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nach. Die Kasualrede bezeichnet Uhlhorn als „Frucht des Protestantismus" (15), da sie ihre ursprüngliche Funktion dem erzieherischen Interesse verdankt, das liturgische Geschehen nicht ohne katechetische Belehrung zu vollziehen. Die Geschichte der Trauansprache ist in diesen Überblick immer wieder eingeflochten und mit Beispielen belegt. Das systematische Herzstück des Kompendiums bildet die Frage nach „Zweck und Aufgabe der Kasualrede". Demnach hat die Kasualrede ihren Zweck „scharf und bestimmt ins Auge zu fassen" (35), d. h. sie soll „das Wesen der jeweiligen kirchlichen Handlung ins rechte Licht stellen, und ihren Werth und ihre Bedeutung für das christliche Leben erörtern" (36). Unter dieser Prämisse lehnt Uhlhorn eine Trennung zwischen dem allgemeinen Gotteswort und dem besonderen Fall ab und behandelt ausfuhrlich Themen wie die Problematik der persönlichen Zuwendung („... es wird mehr über die Personen geredet als zu ihnen ..." (37)), die seelsorgerliche Verantwortung des Pfarrers oder die Schwierigkeit bei offensichtlichen Spannungen zwischen dem Lebenswandel der Braudeute und der kirchlichen Handlung. Bevor Uhlhorn diese für alle Kasualien geltenden Einsichten an den einzelnen Kasualien näher expliziert, gibt er noch umfangreiche Hinweise zum „Text der Kasualrede". Speziell bei der Trauung sind für Uhlhorn - sofern christlich getraut wird - gerade bei der Rede die christlichen Gedanken über die Ehe in den Vordergrund zu stellen. Sein Ziel der Traurede formuliert er in dreifacher Form: die Traurede hat zunächst auf die göttliche Stiftung und auf die göttlich geordnete Heiligkeit der Ehe hinzuweisen; sodann hat sie den Segen der Ehe darzulegen, der nicht nur in der engsten Lebens- und

28 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es lange Auseinandersetzungen, was der Begriff der „Kasualrede" umfasst und wie er zu präzisieren sei, angesichts der Tatsache, dass vielerorts die Reden bei besonderen Anlässen (z. B. Geburtstag des Landesherrn, Jahresfeste, Jubiläen etc.) ebenfalls als Kasualreden bezeichnet wurden. Zahlreiche Stimmen befürworteten, die an explizit kirchliche Handlungen gebundenen Reden als „liturgische Reden" zu bezeichnen. Uhlhorn - wie auch viele nach ihm — will hingegen an dem Begriff der Kasualrede festhalten, sofern sie nicht eine selbständige Rede ist, sondern in enger Verbindung mit einer kirchlichen Handlung steht, zu der sie eine dienende Stellung einnimmt und die sie erläuternd begleitet. Diese Position hat sich in modifizierter Form auch durchgesetzt. Für die Entwicklung der Trauansprache hatten diese Streitigkeiten nur eine untergeordnete Bedeutung, da die Trauung - wie auch Taufe, Konfirmation und Beerdigung — seit jeher zu den Kasualien im engeren Sinne gehörte und die Trauansprache als Kasuakedc nie zur Disposition stand. Näheres dazu bei Uhlhorn (1896) lff, F. Niebergall (31917) 8ff und Mezger ( 2 1963) 39ff.

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Berufsgemeinschaft liegt, sondern auch darin, dass die Ehe eine Schule für die Ewigkeit ist; und schließlich hat sie zu ermahnen, dass dieser Segen nur im Glauben und in selbstverleugnender Liebe zu erlangen ist: „Die religiös-sittliche Betrachtung der Ehe im Lichte des Christenglaubens ist die Hauptsache für eine rechte Traurede, die selbstverständlich nach den Personen wieder individualisierend, seelsorgerlich zu gestalten ist" (133).

Wie dies im Allgemeinen und besonders an „sog. gefallenen Paaren" (134) zu geschehen hat, wird weiträumig ausgeführt. Mit einer von Uhlhorn unterschiedenen Konzeption und anderen inhaltlichen Akzenten nimmt sich nur neun Jahre später Friedrich Niebergall in seinem erstmals 1905 erschienenen Klassiker „Die Kasualrede" des gleichen Themas an.29 Niebergalls Absicht ist es nicht, „die theoretische und prinzipielle Besinnung über ihre Aufgabe zu fördern", sondern eine „Anleitung für die wirkliche Praxis des Anfängers" (Vorwort, VI) zu geben. Diese Zielsetzung mutet - ähnlich wie bei Uhlhorn - als falsche Bescheidenheit an, denn sein Buch hat starken Einfluss ausgeübt und die theoretische Besinnung weit reichend befruchtet. Für Niebergall besteht die Aufgabe der Kasualrede vornehmlich darin, „die stumme Symbolik reden zu machen und dem objektiven Inhalt des Glaubens, wie er in den Zeremonien liegt, ein Tor in die Herzen der Menschen zu brechen" (22). Deswegen ist die Aufgabe des Pfarrers in der Kasualrede dreifach (22ff): Er hat erstens zu erklären, was die Dinge, die er vollzieht, bedeuten; sodann hat er seelsorglich den Anschluss an die Einzelnen herzustellen, um die Wirkung der Feier zu ermöglichen und zu vertiefen; schließlich hat er auch die apologetisch-evangelisatorische Möglichkeit der Kasualien wahrzunehmen, denn die Kasualreden sind für ihn „vorgeschobene Posten der Kirche, vorgeschoben in das zu erobernde Land der Gleichgültigkeit und Gegnerschaft" (25). Ein eigenes Kapitel widmet Niebergall den (inneren) Voraussetzungen, die die Pfarrer für eine gründliche Unterweisung haben sollten: die Einsicht in das Wesen der Handlungen, die seelsorgerliche Befähigung und Treue, das volkskundliche Wissen und das rechte Verhalten bei Festlichkeiten. Diese genannten Momente sollen den Stoff liefern für die homiletische Arbeit, die sowohl durch die richtige Textwahl als auch in Form, Vorbereitung und Vortrag dem Fall dienen soll. Auf dem Hintergrund dieser für alle Kasualreden verbindlichen Sätze entfaltet Niebergall die besonderen Voraussetzungen der Traurede (119ff). Unter Berücksichtigung geschichtlicher Einflüsse und ethischer

29 F. Niebergall (1905). Die Zahlenangaben beziehen sich auf die dritte Auflage von 1917. 53

Überlegungen über den Zweck der Ehe30 fragt Niebergall auf der Basis einer Analyse der empirischen Wirklichkeit nach dem Gedankeninhalt der Traurede. Besonders wichtig ist ihm dabei die konkrete Lebenswelt der angesprochenen Brautleute, weswegen der Pfarrer möglichst gut über die Motive, die zum Eheschluss fuhren, informiert sein sollte. Als Schicksalsfrage einer jeden Ehe empfindet Niebergall, ob die zu Beginn häufig überschwänglich idealisierte Liebe bleibt oder nicht. Die Liebe bleibt und eine glückliche Ehe entsteht dann, wenn sich beide Gatten auf den Boden des Guten und des Göttlichen stellen. Daher sollte der Höhepunkt des Ehelebens das gemeinsame Gebet am Anfang und am Ende des Tages sein. Aus der Sicht seiner empirischen Wirklichkeit heraus entwickelt Niebergall sodann seine Gedankeninhalte der Traurede. Die Traurede muss v. a. darauf zielen, „dem jungen Paar ... ein ernstes und stärkendes Wort zuzurufen" (130). Der Inhalt ergibt sich prinzipiell aus dem, was über das Ideal der Ehe und der empirischen Wirklichkeit gesagt werden kann. Stichwortartig geht Niebergall dabei auf folgende Punkte ein: Treue, Geduld, Glück, Unglück, treuer Gott und Tempel des heiligen Geistes. An die inhaltlichen Aussagen fügt Niebergall noch einige praktische Hinweise an, ob die Rede mit „festlichen Ornamenten" zu schmücken sei, welche Anrede zu wählen ist und wie bei besonderen Situationen verfahren werden soll. Einige kurze Bemerkungen zur Textwahl schließen seine Ausführungen ab. Die beiden Bücher von Uhlhorn und Niebergall markieren für die theoretische Erörterung der Kasualrede und Trauansprache einen vorläufigen Höhepunkt. Denn in ihnen wird erstmalig — wenn auch in zum Teil ganz unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlichen Antworten - die eigenständige Bedeutung der Kasualrede umfassend gewürdigt und ausführlich im Einzelnen behandelt. Die Trauansprache erhält dadurch eine deutliche Aufwertung, da sie nicht als fakultatives Beiwerk zur liturgischen Handlung verstanden wird, sondern als wesentlicher und wichtiger Bestandteil des Gottesdienstes.31 In Bezug auf die Trauansprache sind in beiden Büchern die Eckpfeiler markiert, innerhalb derer sich im Großen und Ganzen auch alle weitere theoretische Erörterung um die Trauansprache bewegt. Dazu gehört zum einen die kritische Reflexion darüber, was die Trauansprache zu leisten hat, welche Inhalte sie zum Thema haben soll und warum sie in der 30 Hier pflichtet Niebergall Herrmann und Kaftan bei, dass die Ehe nicht allein dem Aufziehen von Kindern dient, sondern die Aufgabe hat, sich gegenseitig fiir das Reich Gottes zu erziehen. 31 Allerdings lässt sich bei Friedrich Niebergall: Praktische Theologie, Bd. 2, Tübingen 1919, 238 auch die Aussage finden, dass die (Kasual-) Rede entbehrlich sei, „sie wird aber von den meisten Teilnehmern als die Hauptsache empfunden". Einen kleinen Überblick über die Streitigkeiten, ob eine Predigt bei den Kasualien notwendig ist oder nicht, bietet Mezger ( 2 1963) 69f.

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Pfarramtspraxis so schwer erscheint. Des Weiteren wird die zentrale, die Kasualrede überschattende Problematik zwischen Kasus und Verkündigung in ihrer ekklesiologischen und theologischen Reichweite entfaltet; die ganze Ambivalenz, die zwischen den durch die Situation gestellten Erwartungen und dem Zuspruch und Anspruch des Wortes Gottes entsteht, wird als Grundproblem der Kasualien diskutiert. Ferner wird die Notwendigkeit erkannt, die Wirklichkeit so realitätsnah wie nur möglich zu fassen, um nicht eine Theorie für eine nicht vorhandene Praxis zu entwickeln; die Theorie wird somit dem Kasus angepasst und nicht umgekehrt. Und schließlich wird überlegt, wie Inhalt und Aufbau der Trauansprache zu gestalten sind, damit sie ihren größten seelsorglichen Nutzen hat und nicht als belanglose Schönrederei verkommt. Die Tatsache, dass die beiden Bücher von Uhlhorn und Niebergall bis 1973 - nämlich bis zum Erscheinen der Contentanalyse der Homiletischen Arbeitsgruppe Frankfurt - die einzigen sich ausschließlich mit der Kasualrede befassenden Monographien in der deutschsprachigen Theologie bleiben, spricht einerseits für die umfassende Aufarbeitung des Themas durch diese beiden Autoren, zeigt aber andererseits auch die später zu Recht angeklagte Vernachlässigung der theoretischen Auseinandersetzung mit der Kasualrede in der Folgezeit. Beide Bücher haben eine vielfältige und über Jahrzehnte anhaltende Rezeption erfahren. Oft zitiert, gelten sie als die Standardwerke der sog. „Vermittlungstheologie" bzw. der sog. „Liberalen Theologie" zur Kasualrede und somit auch zur Trauansprache. 2.2. Nach dem 1. Weltkrieg bis in die 50er Jahre Nach dem 1. Weltkrieg sind für die theoretische Erörterung der Trauansprache zunächst keine relevanten Neuerungen zu registrieren. Von den gewaltigen Umdenkungsbewegungen, die in der Theologie zu dieser Zeit stattfinden, bleibt die Trauansprache, wie die Kasualrede allgemein, zunächst noch verschont.32 In den 20er Jahren wird die Trauansprache weiterhin als ein kleiner Ausschnitt aus dem Feld der Homiletik oder der Kasualien behandelt, ohne dass ein Einfluss der aufkommenden sog. „Dialektischen Theologie" besonders spürbar wäre. Lehrbücher, wie z. B. Martin Schian „Grundriß der Praktischen Theologie" (21928) 200-206, nehmen nur minimal Bezug auf die Traurede. Äußerst seltene kleinere Abhandlungen - wie z. B. A. Fröhlich „Die Gestaltung der Traurede in der Gegenwart" (1926/27) 501-508 oder E. Rotermund „Gedanken für Kasualreden" (21925) 37-41 - sowie Vorworte in Traureden32 Dies gilt in gewissem Maße für die ganze Homiletik, vgl. H. M. Müller (1986) 543f.

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Sammlungen orientieren sich hauptsächlich an älteren Vorlagen und Einsichten. Eine neue Sichtweise der Trauansprache eröffnet erst der 1932 gehaltene und 1933 gedruckte Vortrag „Die Traupredigt" von Heinrich VogeP, der sich mit den Konsequenzen auseinander setzt, die das Denken der Dialektischen Theologie gerade auch für die Trauansprache hat. Vogels Bestandsaufnahme der Traureden seiner Zeit kommt einer vernichtenden Kritik gleich. Die Traureden seiner Zeit34 sind für ihn eine „höhere Weihe des Profanen", keine wahren christlichen Predigten, sondern „Weihereden"35, die anstatt Gott zu ehren das menschliche Selbst in religiöser bzw. „christlicher" Weise verklären und überhöhen. Die Verkündigung des wahren Evangeliums, das doch denen gilt, „die geängsteten Geistes und zerschlagenen Herzens sind" (52), liege völlig brach. Stattdessen werde Gottes frohe Botschaft den „mutmaßlich ganz unangefochtenen Brautleuten" (52) preisgegeben und der nach Romantisierung und Idealisierung trachtenden Hochzeitssituation angeglichen. Die menschliche Liebe wird religiös verklärt und dabei wird einer auf Fortschritt und Entwicklung der Persönlichkeit bedachten Ethik gehuldigt. Gegen dieses seiner Meinung nach humanistisch-idealistische Verständnis der Traurede setzt Vogel eine radikal christozentrische Traupredigtkonzeption. Die Traupredigt hat nicht in unzulässiger Weise Selbstliebe und Gottesliebe miteinander zu vermischen, sondern allein Gottes heiligen Ehestand zu bezeugen. Nicht die auf Feierlichkeit bedachte Hochzeitsgemeinde ist Adressat der Traupredigt, sondern der „Mensch der Absonderung" (59), der in Schuld vor Gott und dem Nächsten verhaftet ist. Erst durch die Botschaft des Evangeliums wird unser Dasein als vom Todesfluch behaftete Menschen der Absonderung offenbar. Und nur in „der Auferstehung des Gekreuzigten ist der Fluch unserer Absonderung verschlungen in Gottes Segen" (60). Allein diesem Evangelium ist die Traupredigt — wie alle andere Predigt auch — verhaftet; alles andere ist „das Pseudoevangelium der religiösen, christlich getünchten Weiherede" (60). Die Traupredigt kommt ihrem Auftrag nur nach, wenn sie den Ehestand christozentrisch und allein vom Wort Gottes her begründet. Deswegen ist in Bezug auf den heiligen Ehestand deutlich von Gottes Fügung, von der Anfechtung, dem Erbarmen des Schöpfers über uns Sünder, von ehelichem Gehorsam und dem Glaubensgehorsam sowie von Gottes Trost und Hoffnung zu sprechen.

33 Vogel (1933). 34 Damit meint Vogel z. B. einzelne Traureden aus der Sammlung von Goesch ( 2 1929) oder von Schowalter (1926). 35 Schowalter spricht in der Tat im Zusammenhang mit der Trauung zuweilen von einer „Weihung des Lebensbundes", vgl. Schowalter (Prd. 2 1927) 124.

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Vogels Ansäte zur Traupredigt ist in seiner kontinuierlich von der Christuswirklichkeit gedachten Radikalität in dieser Form einzigartig.36 Er kommt einem Frontalangriff auf alle früher da gewesenen Theorien gleich, insbesondere — wenn auch unausgesprochen — auf Niebergall, in dessen Entwurf sich beispielsweise christologische Aussagen nur sporadisch finden.37 Vogels Tendenz, jegliche Form von idealisierender Traurede abzuweisen, geht einher mit dem Anspruch, eine fundamentale Rückbesinnung auf Gottes Wort zu bieten, die sich der Versuchung erwehrt, das Evangelium an die Situation preiszugeben. Doch sind auch Vogels Ausfuhrungen - trotz gegenteiliger Beteuerung - nicht frei von „moralischem Rauhreif (74) und engen die Freiheit des Evangeliums zuweilen sehr gesetzlich ein. In ihrer Konsequenz sind sie ein entschiedenes Festhalten an alten (patriarchalen) Ehestrukturen und -bildern.38 Vogels Forderung nach einer explizit christozentrisch ausgerichteten Traupredigt ist in vielen Predigten verwirklicht worden39 und in vielen Arbeiten aufgenommen und weitergedacht worden. Für die Homiletik der nächsten Jahrzehnte sind die von Vogel angesprochenen Themen — Christuswirklichkeit, Mensch der Absonderung etc. - die zentralen Inhalte. Allerdings gibt es in den 30er Jahren auch andere Arbeiten zur Trauansprache, die im Gegensatz zu Vogel noch in der liberalen Tradition von Niebergall oder auch in der vermittlungstheologischen Tradition von Uhlhorn stehen. Beispiele dafür sind die Ausführungen von Hugo Flemming „Der Pastor und die Amtshandlungen" (1933) oder von Hans Georg Haack „Die Amtshandlungen in der evangelischen Kirche" (1935; 21952). Für Haack40 unterliegt die Traurede der Gefahr, „entweder zu persönlich-familiär, d. h. unkirchlich zu werden, oder sich in banalen allgemeinen Redensarten zu erschöpfen" (110). Die eigentliche Schwierigkeit der Traurede bestehe darin, „die Darstellung der allgemeinen evangelischchristlichen Grundsätze über Ehe und Trauung mit dem Eingehen auf die persönlich-individuelle Art des Brautpaares zu verflechten" (111). Uhlhorns dreifache Zielvorstellung - Aufweis der göttlichen Stiftung der Ehe, Darlegung des Segens in der Ehe und Ermahnung zu Glauben und

36 Vogel weitet seine Kritik auch auf andere Kasualreden aus, vgl. Vogel (1936). 37 Vgl. F. Niebergall (-M917) 130ff, wo die Christologie bei den Gedankeninhalten für die Predigt völlig fehlt. 38 Vgl. dazu auch Vogels Aufsatz „Die ideale Ehe und der heilige Ehestand", ZdZ 9 (1931), 221-239. 39 Als eine Art Umsetzung der Forderungen Vogels können die Predigten von Schempp (1940) gelten. Schempp argumentiert in seinem Vorwort ähnlich wie Vogel und führt in seinen Predigten den christozentrischen Ansatz mit einer fast schon penetranten Gleichmäßigkeit durch. 40 Haack (1935).

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Liebe - möchte Haack v. a. durch den Hinweis auf die „besonderen Schwierigkeiten, Hemmungen und Leiden des Ehestandes und die Wege zu ihrer Uberwindung" (111) ergänzt wissen. „Die Wege hierzu, die tatsächliche Wirklichkeit dem Ideal immer mehr zu nähern, müssen klar aufgezeigt werden: Treue, Liebe, Geduld, gegenseitiges Vergeben, stetes Suchen nach gemeinsamer Fortentwicklung, Zusammenhalten auch im Unglück und vor allem ein Zurückstellen des eigenen Ich um der heute geschlossenen Gemeinschaft willen" (112).

Die Art der Darstellung und die praktischen Hinweise zu Anfang, Schluss, Textwahl sowie zum Vortrag der Traurede unterscheiden sich nicht wesentlich von den Arbeiten vor dem 1. Weltkrieg, außer vielleicht, dass dem Persönlichen - angefangen vom Traugespräch bis zur ausgeführten Rede - besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. In ähnlicher Form, also hauptsächlich die Einsichten Uhlhorns variierend und die Impulse der Dialektischen Theologie unberücksichtigt lassend, sind auch die Ausfuhrungen bei Alfred Uckelej „Die Traurede als kirchliche Handlung" (1938). Eher vermittelnden Charakter haben hingegen die Ausführungen bei Leonhard Fendt „Die Kasualrede" (1936).41 Für Fendt hat die Traurede „ihre eigentümliche Schwierigkeit darin, daß sie sich in das volle, ja in das gegipfelte Alltagsleben hineinwagen muß, um dort, gerade dort, für Gott zu werben" (351). Der Ausweg aus der Gefahr, sich zu sehr den Wünschen der Hochzeitsgesellschaft zu unterwerfen, ist für Fendt folgender: „Nicht den Kasus predigen, sondern vom Kasus sich den Text nahe legen lassen, und den Text auslegen für die Leute, deren Herz vom Kasus völlig in Besitz genommen ist. Also: Nicht die Ehrung der Braut- und Bräutigamseltern, nicht die Ehrung des Brautpaares, auch nicht die Verherrlichung der Ehe und Liebe, wie sie an diesem Tage alles zu hören wünscht, auch nicht den Ausblick auf viele Jahre des Glückes, auch nicht die Kämpfe und Unglücksmöglichkeiten predigt der Trauprediger, sondern das Vorhandensein all dieser Wünsche und Erwartungen veranlaßt ihn, einen Text zu suchen, in welchem die Heilige Schrift den Hochzeitsleuten und Hochzeitsgästen Antwort auf diese ihre Erwartungen gibt - und diesen Text legt der Trauprediger aus nicht wie in einem exegetischen Seminar, auch nicht wie in einer Sonntagspredigt, sondern geradewegs hin auf die Erwartungen und Wünsche der Hochzeitsleute und der Hochzeitsgesellschaft" (352).

41 Fendt (1936). Fendts Ausführungen zur Kasualrede sind über 10 Hefte der MPTh der Jahrgänge 1936/37 verstreut. Ein Beitrag (MPTh 32 (1936) 351ff) widmet sich dabei ausschließlich der Trauansprache.

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Dabei muss bei der Auslegung der Texte - egal ob sie von Freude, Leid, Liebe oder Glaube handeln - stets das „In Christo" berücksichtigt werden, ohne das jegliches Reden bei der Trauung nicht geschehen sollte.42 Weitere Veröffentlichungen in dieser Zeit gehen in ihrer Substanz nicht über die dargestellten Aussagen hinaus. Die Mitte der 30er Jahre erscheinenden Homiletiken z. B. von Wolfgang Trillhaas „Evangelische Predigtlehre" (1935) oder von Helmuth Schreiner „Die Verkündigung des Wortes Gottes" (1936) weisen den Weg für eine Neubesinnung in der Homiletik auf der Basis der Dialektischen Theologie43, in die die Trauansprache miteinbezogen wird, ohne allerdings besonders ausführlich expliziert zu werden. Besondere Einflüsse nationalsozialistischen Denkens sind in der Theorie der Trauansprache nicht zu finden, was angesichts der Blüten, die das nationalsozialistische Eherecht gerade in den letzten Kriegsjahren trieb, bemerkenswert ist.44 In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg macht sich ein zunehmendes Interesse an den Kasualien bemerkbar. Dies ist sowohl durch die systematisch-praktischen Streitigkeiten um die Taufe bedingt - erinnert sei an die Kontrovese zwischen Karl Barth und Kurt Aland - als auch durch die sich verändernde kirchliche Situation mit ihrem allmählichen Rückgang an gewünschten Amtshandlungen. Deutlich spürbar wird eine zunehmend apologetische Haltung gegenüber den sich immer deutlicher abzeichnenden soziologischen Wandlungen bezüglich Partnerschaft und Ehe. Eine zunehmend realistische und nüchterne Einschätzung von Ehe und kirchlicher Trauung bahnt sich an, die sich auch auf die Theorie der Trauansprache auswirkt. Die Ausführungen, die Günther Dehn 1950 zu „Ehe und Trauung"45 macht, sind ein erstes Beispiel für die illusionslose Einschätzung der kirchlichen Praxis bei der Amtshandlung Trauung. Die Hauptgründe für eine Trauung sind nach Dehn die Tradition und die feierliche Atmosphäre. Die meisten Traureden entsprechen denn auch den Erwartungen, „daß der Pastor durch seine Ansprache diese Stunde zu einer Feierstunde macht, die einen verklärenden Glanz himmlischen Lichtes auf die Mit42 In Fendts Homiletik (1949) 74ff sind diese Grundgedanken noch einmal aufgenommen. 43 Bei dieser Neubesinnung werden v. a. auch Einsichten der systematischen Theologie fruchtbar gemacht. Die Aufwertung der Homiletik kommt deutlich in Karl Barths Ausspruch zum Tragen, „daß Theologie als Wissenschaft der Kirche in ihren sämtlichen Disziplinen nichts anderes sein soll als Predigtvorbereitung, im weitesten Wortsinn genommen" (Karl Barth: Homiletik. Wesen und Vorbereitung der Predigt, Zürich 1966, 7). 44 Vgl. dazu Cornelia Essner / Edouard Conte: „Fernehe", „Leichentrauung" und „Totenscheidung". Metamorphosen des Eherechts im Dritten Reich, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 44 (1996), Heft 2, 201-227. 45 Dehn (1950) 65-89.

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tagshöhe des Lebens, auf der Bräutigam und Braut sich an diesem Tage befinden, wirft" (83). So leitet Dehn aus gedruckten Traureden ein Schema der Trauansprache ab und konstruiert mit Hilfe einzelner Versatzstücke eine Art Durchschnittsansprache. Gegen diese mit beißendem Spott (und karikierendem Witz) gezeichnete Negativfolie der Trauansprache richtet sich nun seine Kritik: Zum einen sieht Dehn in solchen Traureden eine zu schnellfertige Kooperation zwischen Gott und Mensch; Gott wird zum „Akkumulator", der alles wieder in Ordnung bringt. Die Eheexistenz ist ins "Harmlos-Idyllische verkitscht", während „die Herrlichkeit der Gabe Gottes, der in der Ehe den Gnadenbund Christi mit seiner Gemeinde bezeichnet hat" (86), verdunkelt worden ist. Zum anderen hält Dehn die von ihm beobachtete Verkündigung am Traualtar für Gesetzespredigt, die Forderungen stellt, ohne dass eine Aussicht auf deren Einhaltung bestünde. Dehn fragt deshalb grundsätzlich, ob das ganze Anlageschema der üblichen Traurede nicht verfehlt ist, „weil es mit der falschen Voraussetzung des glückerfüllten jungen Paares rechnet" (87) und nicht auf deren Sorgen und Ängste eingeht. Für ihn gilt es, an die wirkliche Situation anzuknüpfen „und nicht an die einer verlogenen offiziellen Glückseligkeit" (88). Dagegen ruft die christliche Traupredigt „zum Glauben auf, indem sie Gottes Verheißung und Zusage vor Augen malt" (88f). Wichtig ist es, den Glauben zu stärken — „wenn sie glauben, werden sie bleiben" (89) - sowie Treue und Vergebung zu üben. Dehn zeigt ein starkes Bemühen, sich wieder mehr der tatsächlichen Situation zuzuwenden. Dabei mahnt er in scharfer Weise die negativ erfahrene Praxis an, gibt aber leider selbst nur wenige Impulse, wie eine gute Traurede auszusehen und welche Inhalte sie zu behandeln hat. Das von Dehn erstellte Schema der Trauansprache und die kritische Auseinandersetzung mit diesem Schema mag spätere Arbeiten wie die von Leudesdorff und der Homiletischen Arbeitsgruppe inspiriert haben. Von Bedeutung ist auch das noch ganz in der Tradition der WortGottes Theologie stehende Buch von Manfred Me^ger „Die Amtshandlungen der Kirche als Verkündigung" (1957;21963)4