Die Gewissensfreiheit in Frankreich vom Edikt von Nantes bis zur Gegenwart [Reprint 2021 ed.] 9783112491485, 9783112491478

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Die Gewissensfreiheit in Frankreich vom Edikt von Nantes bis zur Gegenwart [Reprint 2021 ed.]
 9783112491485, 9783112491478

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Die Gewissensfreiheit in Frankreich vom Edikt von Nantes bis zur Gegenwart von

Gaston Lonel-Maury Correspondant de Flmtitut Professeur ä la Faeulte libre de Theologie proteetante de Paris

Deutsche Ausgabe unter Mitwirkung des Verfassers bearbeitet von

A. Reinecke und 8. von Meder Mit einem Vorwort von Friedrich Nippold

Ctipzlg 3- . Umgekehrt hatte der gelehrte Professor von Saumur die Äbte Masclef und Houbigant und den Oratorianer Richard Simon, den man mit Recht den „Vater der Bibelkritik"1 * genannt * * * * * 8 hat, zu Schülern. Simon stand auch in freundschaftlichem Verkehr mit Juden, so z. B. mit Jonas Salvador, der ihn für die Revision des Prozesses Raphael L6vy interessierte, ferner mit Reformierten, unter denen sich der Prediger Claude und Främont d'Ablancourt befanden,' er arbeitete sogar mit den letzten Pastoren von Charenton an einer Bibelübersetzung. So wetteiferten die Theologen beider Bekennt­ nisse nicht nur für die Wissenschaft der heiligen Schriften, sondern unterstützten einander auch gegen die Unduldsamkeit ihrer beider­ seitigen Glaubensgenossen. Es fehlte in Paris nicht an Salons, in denen Theologen und Gelehrte ohne Unterschied der Religion zusammentrafen. Bei Frau von Rambouillet verkehrten Conrart und Gombauld. Bei Conrart, dessen Salon am berühmtesten war, trafen sich Katho­ liken und Protestanten wie auf neutralem Boden. Dieser Mäzen „mit dem kleinen Fuß" war ein begabter Jurist, hatte aber nichts von „Sektengeist" an sich. In seinem Pariser Hause oder auf seinem Landgut Athis bei Ablon empfing er regelmäßig die be­ rühmten Schriftsteller seiner Zeit?. Das waren sein Verwandter Godeau, der spätere Bischof von Vence, der sittenreine, schroffe Gombauld, Chapelain, der gelehrte Abt von Cerisy, und andere. 1 Dank der Unterstützung der Patres Petau, Morin und Mersennc wurde die Critica sacra von Cappel, die in den Augen der strengen Kalvinisten der Ketzerei verdächtig schien, 1650 veröffentlicht. Als dagegen R. Simons „Kritische Geschichte des Alten Testaments" von Bossuet als gefährlich für die katholische Strenggläubigkeit bezeichnet und die Auflage auf Befehl Ludwigs XIV. fast vernichtet worden mar, ließen die Protestanten das Werk in Holland wieder drucken. (Vergleiche den Artikel von Auguste Sabatier in der Revue internationale de l’enseignement. 15. November 1898.) 8 Siehe Paul Albert: La Littärature franpaise des origines au XVI. siede. — L’hötel de Rambouillet.

32 Kardinal Richelieu hielt viel von dem Geiste und Takte Conrarts, und als sich unter seinem Protektorat aus diesen Zusammen­ künften die französische Akademie entwickelte, bestätigte er die Wahl Conrarts zu deren ständigem Sekretär. Perrot d'Ablancourt sowie Pellisson traten trotz ihres reformierten Glaubensbekennt­ nisses einige Jahre später der Akademie bei. So wurde unter dem Schutz der Edikte von Nantes und Nimes die Gewissensfreiheit 60 Jahre lang gewahrt, und unter dem Einfluß einiger auserlesenen Männer und Frauen brach sich die Toleranz Bahn. Um diese Freiheit dauernd zu sichern, hätte es nur einiger Staatsmänner bedurft, die vom Geiste Heinrichs IV., Richelieus und Mazarins beseelt gewesen wären. Aber leider gewannen Herrschsucht und Intoleranz, jene bösen Geister der Kirche, die Oberhand in der Regierung.

Zweites Kapitel.

Die Gemssenssrrlheit in Frankreich oom Tode Mazmns bis zum Toleranzedikt Kadmgs XVI. (1661—1787). 8.

Der Charakter des neuen Zeitabschnittes. Die Ursachen der Unterdrückung der Gewissensfreiheit.

Während der ersten 60 Jahre nach dem Edikt von Nantes erfreute sich Frankreich, mit Ausnahme der kurzen Unterbrechung durch die beiden letzten Bürgerkriege (1617—28), einer gewissen Religionsfreiheit,' von einer unbeschränkten Freiheit in religiösen Dingen konnte ja bei der ungleichen Wertung der beiden Kon­ fessionen keine Rede sein. Nur der Katholizismus konnte von einer freien Ausübung seines Kultus in ganz Frankreich sprechen, während Protestantismus und Judentum darin auf bestimmte Orte beschränkt waren und ein Verbot ihnen jeden Bekehrungs­ versuch untersagte. Unter der festen Hand Heinrichs IV., Richelieus und Mazarins hatte die katholische Geistlichkeit noch den Schein gewahrt, als wolle sie die Ketzer allein durch Belehrung, durch das Vorbild der Tugenden ihrer Priester, durch den Eifer ihrer Missionare, allenfalls noch durch Versprechungen von Geld­ unterstützung an Pastoren, Predigtamtskandidaten und andere hervorragende Bekehrte zurückgewinnen k Mit dem Regierungsantritt Ludwigs XIV. änderte die Geistlichkeit ihre Kampfesweise und forderte ohne Bedenken die Anwendung strenger Maßregeln. Die Ansprache des Bischofs von Lavaur an den König, am 8. Februar 1661, ist bereits ein Zeichen dieser Schwenkung. „Majestät", sagte er, „die wahre Kirche sieht sich täglich unterdrückt durch die Unternehmungen der vorgeblich Reformierten, die sich Kirchen erbauen, und außer­ dem durch das überhandnehmen jener falschen Propheten, welche die Sittenstrenge unserer Klöster verachten." Er schloß mit der 1 Der sogenannte Fonds der „Pensionen für die übergetretenen protestantischen Pfarrer" wurde von der Kletikerversammlung vom Jahre 1660 auf 36000 Frank erhöht. 3 Bonet-Mauru, Gewissensfreiheit

34 Bitte, der König möge wie ein neuer Konstantin „alle seine Unter­ tanen der Autorität der Kirche unterwerfen und alle Ketzer vernichten". Mutet eS nicht wie eine seltsame Ironie an, daß die katho­ lische Kirche, nur weil sie selbst nicht alle Gewissen unumschränkt leitet, sich über Unterdrückung beklagt und jeden ihrer Lehre Widersprechenden als falschen Propheten hinstellt! Fünf Jahre hindurch kehrten diese Beschwerden des französischen Klerus regel­ mäßig wieder. Nur die Tonart wechselte, das Thema blieb das gleiche. Die Klerikerversammlung vom Jahre 1665 ließ Ludwig XIV. durch den Bischof von Uzds die Freude der Katholiken über die allmähliche Zerstörung der „Satanssynagogen" (so nannten sie die protestantischen Kirchen) in der Provence, der Picardie, dem Languedoc und Gex aussprechen und forderte die Beschränkung der protestantischen Gotteshäuser in B6arn auf zwei. Ferner verlangte sie für die Katholiken das Verbot des Übertritts zum Protestantismus. „Wo ist die Grundlage dieser Gewissensfreiheit, die man allen unseren Untertanen gleich­ mäßig, ohne Unterschied des Bekenntnisses, geben will? Was ist das für eine Vergünstigung, deren Ursprung in dem Unglück der Zeit und in den Wirren der Bürgerkriege wurzelt, die gleich­ zeitig Lüge und Wahrheit gutheißt? Es ist durch die protestanten­ freundlichen Erlasse erwiesen, daß diese Religionsfreiheit, von der die Edikte sprechen, nur für die Protestanten da ist. Es ist also Zeit, Majestät, zu verhindern, daß die Protestanten ihre Freiheit auf Kosten der Katholiken erweitern." Die Klerikerversammlung von 1670 untersagte die, nach Unterzeichnung des Ehekontraktes vor einem Notar, von einem Priester eingesegneten Mischehen, obgleich solche Ehen im Elsaß durch einen königlichen Erlaß ausdrücklich gestattet waren. Außer­ dem forderte sie die Aufhebung der Akademie von Saumur und die Zerstörung der protestantischen Kirchen in Charenton, Marseille und Saumur. Der Erzbischof von Arles bat im Namen der Versammlung vom Jahre 1675, es möge den katholischen Geistlichen gestattet werden, ungerufen in die Häuser kranker Hugenotten zu gehen, und verlangte dringend ein Verbot des Glaubenswechsels für Katholiken. 1680 entsandte die Versammlung zum Könige den Bischof Colbert von Auxerre, der in seiner Ansprache (10. Juli) die Siege pries, die Ludwig XIV. durch Zerstörung protestantischer

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Gotteshäuser und durch Ausschließung der Reformierten von allen Zivil- und Militärämtern über das Ketzertum errungen hätte. Ermutigt durch das Anwachsen der Zahl der wieder bekehrten Protestanten auf 25000, erhöhte dieselbe Versammlung den Unterstützungsfonds für die Bekehrten auf 65625 Pfund. Nachdem in einem Rundschreiben an die Bischöfe die Einführung von Predigten und vertraulichen Unterredungen zur Bekehrung der „Irrenden" gutgeheißen war, wandte sich die Versammlung vom Jahre 1681—82 in ihrer „pastoralen Verwarnung" an die „vorgeblich Reformierten" mit den drohenden Worten: „Wenn ihr nicht den flehentlichen Bitten der Gnade nachgebt, wird die Gnade des Friedens, die wir euch darbieten, zu uns zurück­ kehren, und da dieser Irrtum sich so schwer straft wie kein andrer, müßt ihr euch auf Schicksalsschläge gefaßt machen, die schrecklicher sein werden als alles, was euch seit der Kirchen­ spaltung betroffen hat!" • Schließlich erklärte auf der Versammlung vom Jahre 1685 (Mai—Juli) der Vorsitzende, der Erzbischof von Paris, Mgr. de Harlay, „daß das Edikt von Nantes wegen der Abänderungen und Auslegungen, die es bei verschiedenen Anlässen erfahren habe ’, nicht als allgemeines Gesetz gelten könne". So ertrug der gallikanische Klerus nur widerwillig die Gewissensfreiheit, die er seinen eigenen „Schäfchen" versagte, und wünschte dringend, die Abtrünnigen mit Sanftmut oder Gewalt in den Schoß der Kirche zurückzuführen. War die Stellung des Weltklerus schon so feindlich, wie mußten sich erst die Ordensgeistlichen, deren Eifer doch noch viel größer war, zur Frage der Religionsfreiheit stellen! Jesuiten sowohl wie Kapuziner kannten kein Maß in ihrem erbitterten Kampf gegen die Protestanten. Man braucht nur die Schriften der Patres Arnoux, Coöffeteau, Meynier und Maimbourg zu lesen. Die beiden letztgenannten empfahlen die Protestanten, als gefährliche Umstürzler, der Strenge des Königs und behaupteten, daß „der König die protestantischen Gotteshäuser zerstören und die Ausübung jeder anderen Religion als der seinigen unter­ sagen könne, ohne daß die Protestanten sich darüber beklagen dürften". Die Mönche waren nicht die einzigen, die den Protestantismus mit Gewalt ausgerottct haben wollten; im Juli 1630 hatte sich 1 Vergleiche P. Maimbourg: Histoire du Lutherianisme (1687), Histoire du Calvinisme (1682).

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eine geheime Gesellschaft von Laien gebildet, die Compagnie du Saint-Sacrement, deren Ziel die Belebung der katholischen Moral­ werke und die Ausrottung der hugenottischen Ketzerei war1. Diese Gesellschaft, der sich Geistliche wie der Oratorianer-Pater Condren, der Abt Bossuet und der Abt Ollier von Saint-Sulpice anschlossen, arbeitete zu diesem Zweck Hand in Hand mit den Klerikerversammlungen und beeinträchigte die Protestanten durch kleinliche Prozesse Md inquisitorische Überwachung. Sie wurde bald berühmt unter dem Namen Cabale des Ddvots, flößte jedoch Ludwig XIV. Mißtrauen ein und wurde 1668 von ihm auf­ gelöst. Ihre Verfolgungstätigkeit wurde aber fortgesetzt von einer neuen Gesellschaft, der Congr^gation pour la propagation de la Foi, die 1632 durch den Kapuzinerpater Hyacinthe ins Leben gerufen worden war. Auch die Massen der Handwerker und Kaufleute waren durchaus Gegner der Duldung nichtkatholischer Religionen,' bei vielen von ihnen diente allerdings der religiöse Eifer nur als Maske für kaufmännisches Interesse. Die katholischen Städte, unter anderen Lyon und Paris, waren eifersüchtig auf Mmes und die protestantischen Handelszentren im Languedoc, wo die Industrie billiger arbeitete2 Diese Eifersucht war schon 1623 bei dem Aufstand in der Vorstadt Saint-Marceau hervorgetreten, wo die Bevölkerung besonders die Häuser protestantischer Hand­ werker plünderte. 1645 schloß die Innung der Pariser Wäsche­ näherinnen die Frauen und Mädchen der „vorgeblich reformierten Religion" aus. 19 Jahre später wurden alle Meisterdiplome, die nicht den Zusatz „römisch-katholisch-apostolisch" trugen, für ungültig erklärt. Auch den Juden, die in Metz und Bordeaux den Neid der katholischen Kaufleute erregten, erging es nicht besser. Ihre katholischen Konkurrenten ließen kein Mittel unversucht, scheuten nicht einmal vor Verleumdungen und böswilliger Ver­ breitung falscher ehrenrühriger Gerüchte zurück, um ihre Aus­ weisung durchzusetzen. Die Parlamente waren auch nicht toleranter,' hatten sie 1 Vergleiche den Artikel von Rabbe in der Revue historique, Nov.Dez. 1899; ebenso R. Allier: La Cabale des Devote, Paris 1904. 2 Das ist einwandfrei nachgewiescn von Gachon in seinem Buche: Quelques prdliminairea de la Revocation de l’tidit de Nantes en Languedoc,

Toulouse 1899. „Der Anstoß kam von unten," sagt er, „von den Zünften, den städtischen Werkstätten wie von der Dorfstraße und von deren Vertre­ tern in den Provinzialständen." S. 9 und 106.

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doch vom Generalprokurator die Weisung empfangen, die Edikte, welche den reformierten Kultus betrafen, im allerengsten Sinne auszulegen und anzuwenden *. Trotz der Einrichtung der geteilten Kammern oder Ediktkammern hatten die Reformierten Mühe, den ihnen in den Kammern zukommenden Platz zu behaupten. Im Parlament von Rouen z. B. versuchte man durch alle erdenk­ lichen Bedrückungen, den reformierten Räten ihr Amt zu ver­ leiden und sie zur Einreichung ihrer Entlassung zu treiben. Das Parlament in Metz war genau so intolerant gegen die dortige JudenKolonie und forderte nach Vollzug eines ungeheuren Justizirrtums deren Ausweisung-. Tatsächlich war die große Mehrheit der Justizbeamten durchdrungen von dem Gedanken der katholischen Religionseinheit. Das Pariser Parlament war gerechter als die anderen. Allerdings erst nachdem es durch die jansenistische Bewegung mit dem Erzbischof von Paris und einem Teil der Geistlichkeit in Streit geraten war, erkannte es — wenn auch spät — die Gefahren einer Staatsreligion und verlangte für die Jansenisten die Frei­ heit der Sakramentes War es aber nicht inkonsequent, für die Jansenisten die Gewissensfreiheit zu beanspruchen und sie den Protestanten zu verweigern? Waren die Jesuiten nicht viel logischer, wenn sie mit gleichem Eifer Jansenisten, Hugenotten und Juden verfolgten? Wenn man dem Prinzip absoluter Auto­ rität in Glaubenssachen beipflichtet, muß man es auch bis zu den äußersten Konsequenzen durchführen. Indessen bestand in Frankreich um die Mitte des 17. Jahr­ hunderts eine Macht, die stärker war als die öffentliche Meinung, die damals nur in bescheidenem Maße sich Geltung zu verschaffen vermochte, stärker als die Stimme der Geistlichkeit, so einflußreich diese auch sonst durch ihren Reichtum an irdischem Gut und durch die Beherrschung der Gewissen roar; stärker sogar als die Parlamentsbeschlüsse — das war der Wille des Königs! In der Regierungszeit Ludwigs XIII. und zu Anfang der 'Regierung Ludwigs XIV. war die persönliche Macht des Herr­ schers gemäßigt und sozusagen im Gleichgewicht gehalten durch die Weisheit eines Richelieu, eines Mazarin, die noch von den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Freiheit im Sinne Heinrichs IV. 1 Vgl. Anmerkung S. 27, Auszug aus dem discoura d’Omer Talon ;aux Grands-Jours de Poitiers. (1634). 9 Vgl. S. 39 die Angelegenheit des Raphael Levy. 8 Vgl. Elie Benoit: Histoire de l’tidit de Nantes, Buch XXI.

38 beseelt waren. Als jedoch Ludwig XIV. allein regierte, da war eS der, nur durch einen scheinbaren Ministerrat kontrollierte, persönliche Wille des Königs, der über alle juristischen unb sogar kirchlichen Staatsgewalten triumphierte. Nach Mazarins Tode war es eine der ersten Taten Ludwigs XIV., die sogenannten unumschränkten Gerichtshöfe an die hohen Rechte der königlichen Gerichtsbarkeit zu erinnern und an den Gehorsam, den sie dem Ministerrat des Königs, d. h. dem König selbst schuldig waren. So war die Frage der Kultusfreiheit im letzten Grunde in das Belieben des Königs gestellt. Welchen Weg würde den Herrscher wählen? Hegte er den wohl überlegten Plan, alle Bürgschaften, die den Nichtkatholiken durch die Edikte gewährt waren, aufzuheben? Oder würde er wie Richelieu die Nicht­ katholiken in der beschränkten Ausübung ihrer Religion und dem Genuß der bürgerlichen Rechte unterstützen, mit dem Vorbehalt, sie allmählich durch Gewährung von Vergünstigungen zur Rückkehr zum katholischen Glauben zu bewegen? Wenn man die für den Dauphin geschriebenen Memoiren Ludwigs XIV. aus dem Jahre 1661 nachliest, erfährt man, daß der junge König entschlossen war, „die Protestanten keineswegs durch neue Härten zu bedrücken, vielmehr die von seinen Vorgängern erlassenen Edikte aufs gewissenhafteste zu respektieren, aber ihnen seinerseits keine neuen Vergünstigungen zu gewähren, um sie zum Nachdenken über die Vorteile einer Bekehrung zu führen". So war Ludwig XIV. zu Anfang seiner Regierung, trotz seines Lieblingsgedankens von einer Wiedervereinigung der gespaltenen Kirche, allen Gewaltmitteln durchaus abgeneigt, da sie ihm nicht als ein passendes Mittel zur Heilung des Übels erschienen.

Später indessen ließ sich der König irremachen durch die Versicherung gewisser Minister und Ratgeber, daß die Bekehrung der Hugenotten zu drei Vierteln vollendet sei. Seine Beichtväter und andere Prälaten lenkten unter der Vorspiegelung, er tue ein Gott wohlgefälliges Werk, sein von Natur gerecht empfindendes Gewissen in falsche Bahnen. Trotz alledem bleibt Ludwig XIV., als unumschränkter Herrscher, der Hauptschuldige an dem Frevel, der gegen die Gewissensfreiheit sich vorbereitete und vollzog. 9.

Verfassung der andersgläubigen Kulte unter Ludwig XIV. (1661—1715).

Ludwig XIV. hatte es mit drei Gruppen von Dissidenten zu tun, die an Zahl und sozialer Bedeutung sehr verschieden

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waren: Israeliten, Jansenisten und Reformierte. Er war gerecht und wohlwollend gegen die ersten, ungerecht und gewalttätig gegen die beiden anderen. Ludwigs XIII. Ausweisungsbefehl gegen die Juden (1615) war nicht überall im Reiche streng ausgeführt worden: man hatte Ausnahmen gemacht, die sich teils auf frühere, nicht aufgehobene Vorrechte, teils auf Verträge mit fremden Fürsten bezogen. So waren die „Maranen", die Gemeinschaften der spanischen und portugiesischen Juden, welche seit der Regierungszeit Heinrichs II. in Bordeaux und Bayonne angesiedelt waren und Seehandel trieben, geduldet und feierten, zuerst heimlich und schließlich in voller Öffentlichkeit, ihre Gottesdienste. Noch zahlreichere jüdische

Kolonien gab es in der freien Grafschaft Venaissin, wo sie den Schutz der päpstlichen Vizelegaten genossen, und im Elsaß, wo sie unter gewissen Gesetzen des deutschen Kaiserreichs standen, die Ludwig XIV. bei der Einverleibung des Landes zu halten ver­ sprochen hatte. Dank der Freibriefe Heinrichs IV. (1603) und der persönlichen Verwaltung des Marschalls Schömberg übten die Juden in Metz ihren Kultus frei aus und trieben Handel mit „den Erzeugnissen der Goldschmiedekunst, mit Silberwaren und altem Trödel". Sie waren nur einer ziemlich hohen persön­ lichen Steuer unterworfen und den Scherereien der eifersüchtigen Zünfte ausgesetzt. Ludwig XIV. besuchte auf einer Reise nach Metz (18. Sept. 1657) die Synagoge in Begleitung des Kardinals Mazarin, seines Bruders und einer großen Anzahl Edelleute. Ohne Zweifel hatte der König diesen Besuch in guter Erinnerung behalten, denn, als dreizehn Jahre später die Prozeßakten des Raphael Lövy, eines Juden aus Boulay, der vom Parlament in Metz wegen Kindesmordes zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war, seinem Ministerrat vorgelegt wurden, zog Ludwig die Sache vor den königlichen Gerichtshof. Vergebens versuchte die Metzer Kaufmannsinnung durch eine Flugschrift den alten Judenhaß wieder anzufachen. Richard Simon ergriff die Verteidigung der Juden, und der König, von der Falschheit der Anklage in Kennt­ nis gesetzt, weigerte sich, den Anträgen des Oberstaatsanwaltes in Metz Folge zu geben. Er unterstützte die Juden dieser Stadt in den Vorrechten, die er ihnen 1657 gewährt hatte \ und bis zum Ende seiner Regierung schützte der König sie beharrlich gegen

1 Joseph Reinach: Raphael Levy, une erreur judiciaire bous Louis XIV. Paris 1898.

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alle Verfolgungsversuche des Parlaments. Wir müssen jedoch hinzufügen, daß Ludwig XIV. am 30. Nov. 1683 einen Befehl erließ, welcher den Juden ausdrücklich gebot, die französischen Kolonien zu verlassen. Leider rächte sich das Parlament in Metz für die im Judenprozeß erlittene Niederlage an den Reformierten: als eines der ersten ließ dies Parlament die Aufhebung des Edikts von Nantes in Kraft treten. Ludwig XIV. hatte anfangs nicht Partei gegen die Jansenisten ergriffen. In ihren Reihen waren so viele hervorragende Juristen und Edelleute, daß sie kaum in den Verdacht republi­ kanischer oder ketzerischer Gesinnung kommen konnten. In Port Royal des Champs und später in Paris gründeten sie Schulen, die in der Erziehung der Söhne des Adels mit den Jesuiten­ schulen wetteiferten, und das wurde ihr Unglück. Der weitere Verlauf ist bekannt: 1. die Verurteilung der fünf aus Augustin entlehnten Thesen Jansens durch die Sorbonne und die Be­ stätigung dieses Urteils durch die Bulle „Cum occasione“ Innozenz' X. (31. Mai 1653); 2. die Unterzeichnung des For­ mulars de Wtarca *, die allen Geistlichen, Welt- wie Ordensgeist­ lichen, aufgezwungen wurde (1656), und 3. Pascals wütender Angriff auf die Jesuiten in seinen Lettres ä un Provincial. Dazu kam noch, daß einige Jansenisten durch die Intrigen des Prinzen Cond6 und des Kardinals de Retz bloßgestellt wurden. Alles das kam zusammen, um in dem Kardinal Mazarin Verdacht gegen die Herren von Port Royal zu erwecken. Sterbend hatte er dem König von der Duldung der Sekte der Jansenisten und ihres bloßen Namens abgeraten. Außerdem glaubte Lud­ wig XIV. es seiner Ehre und seinem Gewissen schuldig zu sein, die Jansenisten zum Gehorsam zu zwingen. Auf den Rat des Konzils der Erzbischöfe verlangte er von ihnen eine klare und einfache Unterzeichnung der Bulle Innozenz' X., und das wurde der Anfang der Verfolgung. Die Anhänger von Saint-Cyran, die Freunde von Arnauld und Singlin und eine große Anzahl Mitglieder des Pariser Parlaments leisteten den ausdrücklichen Anordnungen des Erz­ bischofs von Paris, der sich auf die Befehle des Königs stützte, juristischen Widerstand. In der ganzen gallikanisch-katholischen Kirche fanden nur vier Bischöfe den Mut, sich Ludwig XIV. zu 1 Die Bischöfe sollten alle das vom Erzbischof de Marca (von Toulouse) verfaßte Beitrittsformular unterzeichnen.

41 widersetzen. Ihre Namen verdienen, der Vergessenheit entrissen zu werden. Es waren: Arnauld, Bischof von Angers, Buzenval, Bischof von Beauvais, Caulet, Bischof von Pamiers, und Pavillon, Bischof von Alet. Diese vier weigerten sich, das Formular de Marca zu unterzeichnen. Das Bemerkenswerteste jedoch in diesem Kampfe, der durch den Despotismus Ludwigs XIV. gegen die Gewissensfreiheit der Jansenisten entbrannt war, war die Haltung der Nonnen von Port Royal. Während die adligen Herren schließlich ihren An­ hängern rieten, das Formular unter geheimem, innerlichem Vor­ behalt zu unterzeichnen, ließen sich diese armen Frauen lieber in andere Klöster überführen, mit dem Kirchenbann belegen oder einsperren, als daß sie eine Lüge und Ungerechtigkeit durch ihre Unterschrift gutgeheißen hätten. „Ich weiß wohl", schrieb Jac­ queline Pascall, „daß es Jungfrauen nicht zukommt, die Wahr­ heit zu verteidigen,' da aber traurigerweise die Bischöfe nur den Mut von Jungfrauen haben, müssen die Jungfrauen den Mut der Bischöfe haben und nötigenfalls für die Wahrheit sterben. — Ich bin mir der Achtung, die ich den hochwürdigen Bischöfen schuldig bin, wohl bewußt, aber mein Gewissen erlaubt mir nicht, etwas zu unterzeichnen, was in einem Buche steht, welches ich nicht gelesen habe. Was haben wir denn zu fürchten? Ver­ bannung und Zerstreuung für die Nonnen? Meinetwegen auch Gefängnis und Tod! Aber wäre das nicht Ehre und Glück für uns? Vielleicht wird man uns aus der Kirche ausstoßen? Aber jeder weiß doch, daß niemand gegen seinen Willen ausgestoßen werden kann, solange er den Geist Christi bewahrt." Was für bewunderungswürdige Worte! Das war der eindringliche Mahn­ ruf eines unverdorbenen Gewissens, das sich empört gegen die Gewalt, die man ihm antut! Die Fortsetzung des Streites zwischen den Jansenisten und Ludwig XIV. ist allgemein bekannt. Die durch die Weisheit Clemens' IX. aufgezwungene Pax Clementina war nur ein poli­ tischer Waffenstillstand, der niemand befriedigte, vor allem nicht die Jesuiten, die untröstlich darüber waren. Indessen fing der Kampf 1679 noch erbitterter als vorher wieder an. Arnauld wurde verbannt und flüchtete nach Belgien, wohin ihm bald Nicole, Pater Quesnel und einige Freunde folgten. Sie legten dort den ersten Grund zur Utrechter Kirche. 1 Brief vom 22. Juni 1661 an die Schwester Angelika von Saint-Jean.

42 Die Fälle, wo die „Gewissensfrage" an Katholiken oder katholische Geistliche herantrat, gaben 1701 Veranlassung zu den heftigsten Verfolgungen und Konflikten, welche erst 1705 durch die Bulle Vineam Domini gemildert wurden,' denn in der Pönitenziar-Kammer verweigerte man jedem Absolution, der nicht anerkennen wollte, daß die fünf verurteilten Thesen sich tatsächlich in dem Buche Jansens befanden. In einigen Fällen verurteilte der König sogar die Widerstrebenden zur Bastille. Trotz der Bemühungen des Erzbischofs von Paris, Mgr. de Noailles, welcher fühlte, wie widerwärtig diese Gewissensinquisition der sittlich Hochstehenden seiner Gemeinde und der Nonnen seines Kirchsprengels war, erlangte schließlich der Pater Le Tellier (von der Gesellschaft Jesu) vom König einen Erlaß, welcher das Nonnen­ kloster Port-Royal des Champs aufhob (29. Okt. 1709). Es ist genugsam bekannt, wie diese Maßnahme ausgeführt wurde, ja, daß der König sogar mit Waffengewalt die Nonnen vertreiben und die Gräber vor Entweihung nicht schützen ließ. Die Streitig­ keiten zogen sich dann weiter bis zur Mitte des 18. Jahr­ hunderts hin. Nach den Jansenisten kamen die Quietisten an die Reihe. Bossuet nahm leidenschaftlich Stellung zu dieser Sache und schonte nicht einmal seinen Amtsbruder Fönelon. Frau von Guyon büßte in einer Zelle der Bastille das Verbrechen, sich zu den An­ sichten des Priesters Molinos und des Paters La Combe bekannt zu haben. Wenn schon Katholiken, deren einziges Unrecht die Unab­ hängigkeit ihrer Überzeugung war, so behandelt wurden, wie hätten da die Reformierten vor dem König, dem Verteidiger der Strenggläubigkeit, Gnade finden sollen? Ludwig XIV. schien zu Beginn seiner Regierung geneigt, die von seinen Vorgängern zu­ gunsten der protestantischen Religion erlassenen Edikte einzuhalten. 1661 ließ er in der Tat durch Stimmenmehrheit zwei Kommissare ernennen, einen Katholiken und einen Protestanten, um über etwaige Verletzungen des Edikts von Nantes auf dem laufenden zu bleiben und im Notfälle Abhilfe zu schaffen. Das erste Mittel, das er anwandte, um die Protestanten zur römischen Kirche zurückzuführen, war das Versagen jeglicher Beförderung. Das widersprach schon dem Edikt von Nantes, demzufolge Ämter und Würden allen Franzosen ohne Unterschied zugänglich sein sollten, und barg im Keim schon viele Rechts­ beugungen in sich. Mancher Protestant zeichnete sich in der

43 Armee aus; Männer wie Duquesne, Turenne, Schömberg und Gassion gehörten zu den angesehensten Heerführern, und doch gelang es Duquesne nie, von Ludwig XIV. die höchste Stellung in der Marine zu erlangen; seine Treue zum reformierten Be­ kenntnis stand ihm im Wege. Ludwig empfand diese Ungerechtig­ keit wohl, und es ist Tatsache, daß er eines Tages aus Ge­ wissensbissen für nötig hielt, sich deswegen bei dem Seeoffizier zu entschuldigen. Die systematische Ausschließung der Reformierten von jedem Gnadenbeweis, von allen Ehren war gleichzeitig eine Beschränkung der religiösen Freiheit, und die Geldunterstützungen, welche man den zum Katholizismus Wiederbekehrten gewährte, waren ein tiefe Schmach für die Würde des Gewissens. Wir haben vorher gesehen, daß die Klerikerversammlungen seit der Regierung Heinrichs IV. diesen zweideutigen Weg einschlugen durch Gründung eines Fonds zur Unterhaltung der übergetretenen pro­ testantischen Pfarrer. Dieser Fonds hatte nach und nach die Höhe von 36 000 und später von 65 000 Fr. erreicht. Ludwig XIV. folgte diesem Beispiel der Geistlichkeit in der Annahme, daß die Gewissen seiner reformierten Untertanen käuflich wären! Er gründete eine sogenannte „Bekehrungskasse", die durch die Einkünfte des dritten Teiles sämtlicher unbesetzten Pfründen erhalten wurde. Die Hilfsquellen dieser Kasse wurden noch verstärkt durch Verlängerung der Pfründenvakanzl. Die Kassenverwaltung übertrug er Pellisson, einem abtrünnigen Pro­ testanten, der aus ihr eine wahre Bank mit Tarifen, Wechseln und Spekulationen machte. Dieser legte Listen von 600—800 Bekehrten vor, deren Empfangsbescheinigungen über das erhaltene Geld in der Gazette de France veröffentlicht wurden. Diese Kasse gab wohl Anlaß zu allerlei Mißbrauch, führte jedoch nicht zu einem Verzicht auf dies unwürdige Mittel; durch Beschlüsse aus den Jahren 1680 und 1681 gewährte man allen Neubekehrten einen Aufschub von drei Jahren zur Bezahlung ihrer Haupt­ schulden und befreite sie für zwei Jahre von Einquartierung und anderen militärischen Steuern. Nach Ausschließung der hartnäckigen Dissidenten von Gnaden­ beweisen und Geldprämien für die Neubekehrten ging der König weiter zur allmählichen Zurücknahme aller gewährleisteten Rechte und aller Freiheiten in Kultus und Unterricht und zur Auf1 Es handelte sich dabei um vakante Pfründen, deren Einkünfte dem König zufielen.

44 Hebung der Bürgschaften für Gerechtigkeit und persönliche Sicher­ heit, welche durch das Edikt von Nantes und von allen Vor­ gängern des Königs seit Heinrich IV. bestätigt worden waren. Und diesmal konnte man nicht, wie zu Anfang der Regierung Ludwigs Xin., die politischen und militärischen Eingriffe der Hugenotten als Grund dieser Beschränkungen vorschieben. Ihre Ruhe und Fügsamkeit, ihre Treue zum Königshause, die sie seit dem Edikt von Nimes nie außer acht gelassen hatten, werden von allen Geschichtsschreibern bestätigt und ausdrücklich in einer Erklärung des großjährigen Ludwigs XIV. anerkannt L Der Hauptgrund zu diesem scharfen Vorgehen des Königs, welches den Grundsätzen der ersten Jahre seiner Regierung so sehr zuwiderlief, war, wie Guizot sehr richtig sagt, „der Hoch­ mut Ludwigs XIV., der sich verletzt sah durch die still­ schweigende Halsstarrigkeit der Hugenotten, die seine Gunst gering achteten im Vergleich zu ihrer Gewissensruhe"*2. * 4 Auf Anraten der Jesuiten begann der König mit der stückweisen Aufhebung des Edikts von Nantes, dieses politischen Meister­ werkes seines Großvaters, das Frankreich ein halbes Jahrhundert lang Frieden und Toleranz gesichert hatte. Von 1663—1686 folgen dicht aufeinander, Jahr für Jahr, bisweilen sogar Monat für Monat, Beschlüsse des Ministerrats und Erlasse des Königs. Jeder von diesen nimmt einer wichtigen Minderheit der Nation ein Stück ihrer Freiheit, ihrer Sicherheit und ihrer bürgerlichen Rechte. Man kann diese zahlreichen Edikte nach fünf oder sechs Gesichtspunkten gruppieren. Der erste betrifft die Gewissens- und Kultusfreiheit. Der königliche Gesetzgeber hatte sich die seltsame Theorie der Klerikerversammlungen angeeignet und untersagte den Katholiken bei Androhung strengster Strafen den Übertritt zur reformierten Kirche und behandelte die neubekehrten Katho­ liken, die wieder zum Protestantismus zurückkehren wollten, als rückfällige Ketzers Den Reformierten war verboten, sich außer­ halb der Kirchen zu versammeln, und dabei hatte man ihnen mehr als 250 Kirchenzerstört; in jeder Kirche mußte eine Bank * Berg!.: Lettre de Louis XIV. ä l’tilecteur de Brandebourg (1665). 2 Guizot: Histoire de France. IV, S. 394. 8 Beschluß des Staatsrats, 3. November 1664. Edikt von Bellegarde für den Staatsrat im Elsaß. — Erlasse gegen die Rückfälligen von 1663, 1665, 1679 und 1685. 4 Erlasse aus den Jahren 1669 und 1679.

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für die Katholiken freigehalten werden, damit diese die Predigt überwachen konnten. Die Pastoren durften nicht länger als drei Jahre an demselben Ort bleibenl. 2 Die zweite Gruppe umfaßt die Beschlüsse, durch welche den Reformierten die öffentlichen Ämter entzogen und die ihnen durch das Edikt von Nantes verbürgten Rechtsgarantien verletzt wurden. Ein Beschluß vom 6. November 1679 verbot allen Gerichtsherren, auf ihren Gütern nichtkatholische Beamte zu beschäftigen. Der Beschluß vom 11. Juni 1681 und das Edikt vom 29. September 1682, welche von Colbert gegengezeichnet sind, schlossen die Reformierten von der Leitung und allen Ämtern der Finanzverwaltung aus. Die protestantischen Kanzlisten, Notare, Prokuratoren und Gerichtsvollzieher wurden, gezwungen, ihr Amt niederzulegen 2. Die reformierten Justiz­ beamten waren schon hart getroffen durch die Erlasse des Königs vom 29. Januar 1669 und vom Juli 1679 über die Aufhebung der Ediktkammern, die Heinrich IV. in den Parlamenten von. Paris, Rouen und Rennes gegründet hatte, und durch Schließung der geteilten Kammern in Castres, Bordeaux und Grenoble. Die dritte Erlaßgruppe wandte sich gegen die Gewissensfreiheit in Familie und Schule. Ludwig XIV. nahm keinen Anstand, die Autorität der Eltern zu erschüttern, indem er zwölfjährigen, alsbald sogar siebenjährigen protestantischen Kindern das Recht gab, ohne Ansehen der väterlichen Gewalt zum Katholizismus überzutreten. Ja, die Eltern wurden sogar gezwungen, die über­ getretenen Kinder in ihrem Hause aufzunehmen und zu erhalten, oder, wenn diese einen anderen Aufenthaltsort vorziehen sollten^ ihnen eine ihren Verhältnissen angemessene Pension zu zahlen3. Auch die Ehe- und Schulgesetze verletzten die Gewissensfreiheit. So untersagten zwei Beschlüsse (1662 und 1664) den Anhängern der „vorgeblich reformierten Religion", Hochzeiten zu feiern zu den Zeiten, wo dies in der römisch-katholischen Kirche verboten roar; und ein anderer, vom 9. November 1670, verbot die Versamm­ lung von mehr als 12 Personen einschließlich der Eltern zu Hochzeitund Tauffeierlichkeiten. Die Vorschriften für gemischte Ehen waren noch strenger: jede Heirat zwischen Katholiken und Protestanten war untersagt, sogar im Elsaß. 1 Edikte vom März 1683 und August 1684. 2 Märzedikt von 1683 und Augustedikt von 1684. 3 Beschluß vom 2. Dezember 1680. Erlaß vom 16. Juni 1682.

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Schließlich befahl Ludwig XIV. durch ein Edikt vom 13. Dezember 1698 allen seinen Untertanen, sich in Heirats­ angelegenheiten den Gesetzen der Kirche und den Vorschriften im Königreich unterzuordnen, und behielt sich vor, für die bürgerlichen Rechte der seit 1685 geschlossenen Ehen zu sorgen. Aber da der König diese Fürsorge vernachlässigte, so war die Folge davon, daß alle Protestanten, die sich nicht in der Ge­ meinde katholisch trauen ließen, ein Jahrhundert hindurch außer­ halb des Gesetzes standen,' ihre Kinder wurden als Bastarde behandelt, und ihre Hinterlassenschaft fiel habgierigen Seiten­ linien in die Hände. Das Abscheulichste in diesem allmählichen Erwürgen der Gewissensfreiheit sind die Gesetze, welche die an der reformierten Religion festhaltenden Kranken, Armen und Sterbenden betrafen. Durch eine Reihe von Beschlüssen.* machte die Regierung es den Geistlichen, den Richtern und Ärzten zur Pflicht, die schwer­ kranken Reformierten aufzusuchen, um sich zu erkundigen, in welcher Religion sie sterben wollten, und die Neubekehrten auf­ zufordern, sich mit den Sterbesakramenten zu versehen. Sonst war es „jeder Privatperson, von welchem Stande und Rang sie auch sein mochte, verboten gewesen, unter dem Vorwande der Nächstenliebe irgendeinen Kranken der „vorgeblich reformierten Religion" in ihrem Hause aufzunehmen" (Beschluß vom 4. Sept. 1684). Nun aber waren die armen Kranken gezwungen, in ein Krankenhaus1 2 zu gehen, wo sie den Bekehrungsversuchen der Nonnen ausgesetzt waren. Andererseits wurden Legate für die „Armen der reformierten Kirche" diesen katholischen Krankenhäusern überwiesen. (Erlaß vom 15. Januar 1683.) Man ließ den Reformierten nicht einmal nach ihrem Tode Ruhe,' ein Er­ laß vom 9. Juli 1685 hob die Kirchhöfe für die Reformierten an allen Orten auf, wo die Ausübung ihres Kultus abgeschafft war. Wozu sollte man ihnen auch Kirchhöfe erhalten, da 'ja häufig ihre Leichen auf den Schindanger geworfen wurden? Es scheint fast unglaublich, daß diese vielfachen Mittel, die Gewissen zu zwingen, nur geringen Erfolg hatten. Alle diese Schläge nutzten nur die Hämmer an dem hugenottischen Amboß ab. Ludwig XIV., aufgehetzt durch die Geistlichkeit und durch sie bestärkt in dem Glauben, daß die Ausrottung der Protestanten 1 Beschlüsse vom 12. Mai 1665, 19. November 1680, 7. April 1681, März 1712. Vergl. die Erklärung von 1712. ’ Damals Hospize oder Klöster, religiöse Anstalten.

47 das größte Werk seiner Regierungszeit sei, geriet über diesen langsamen Fortschritt außer sich. Da er andrerseits, durch seine Entzweiung mit dem Papst, beinahe die Rolle eines Summus episcopus der gallikanischen Kirche spielte, glaubte er durch seine Unerbittlichkeit gegen die Ketzer den Verdacht der Abtrünnigkeit von sich zu wälzen, und als unumschränkter König sah er sich unmerklich von indirekten Mitteln zu Gewaltmaßregeln fortgerissen. Auf den Rat der Gouverneure der Provinzen und des Marquis de Louvois be­ fahl er, alle diejenigen Reformierten, die sich bekehrt hatten oder sich vom 1. Januar 1682 an bekehren würden', von Ein­ quartierung und militärischen Abgaben zu befreien. Die Folge, die in dem Erlaß nicht erwähnt wird, die aber logisch daraus hervorgeht, war, daß man die bei ihrem Glauben Beharrenden um so mehr mit Einquatierung belegte. Das war der Ursprung der „Dragonaden"3. Wir wollen uns hier nicht über diese Schrecken verbreiten, sondern uns begnügen, einen Auszug aus Louvois' Instruktionen der Verachtung aller Freunde der Gewissensfreiheit preiszugeben. Der Minister schrieb an den Gouverneur von Poitou, Marillac, daß „S. M. mit großer Freude die hohe Zahl der Bekehrten vernommen hätte, und es für gut halte, den Widerspenstigen möglichst viele Reiter und Offiziere ins Quartier zu legen. Wenn nach gerechter Einteilung auf jeden Glaubenstreuen zehn Leute kämen, können Sie den anderen zwanzig zuweisen". Darauf empfahl er allerdings dem Gouverneur, den Bürgermeistern und Bischöfen, „die Befehle nicht schriftlich, sondern mündlich auszu­ teilen, damit man nicht sagen könne, der König tue den Huge­ notten Gewalt an"3. So hatten die Verfolger nicht einmal den Mut, ihre Grausamkeit offen zu vertreten. Übrigens blieb, wie schon vorher gezeigt, im Jahre 1685 von dem Edikt von Nantes kaum ein Artikel übrig, der nicht aufgehoben oder umgangen worden wäre; nur ein letzter Axthieb war nötig, um das von allen Seiten untergrabene Gebäude zum Einsturz zu bringen. Ein erster Vorschlag, das Edikt von 1 Erlaß vom 11. April 1681. * Elie Benoit: Histoire de l’tidit de Nantes. Buch^ XVII, Seite 474, 479, 480; und Saint-Simon: Mdmoires, Buch VIII. 8 Briefe von Louvois an den Gouverneur Marillac, Mai 1681.

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Nantes zu widerrufen, war im Jahre 1669 als die Kirche mit den Jansenisten Frieden schloß, gemacht, aber zurückgewiesen worden. Als er sechzehn Jahre später wieder auftauchte, wurde er angenommen. Colbert (gest. 1683) war nicht mehr da, um den Maßnahmen der Intoleranz cntgegenzutreten. Außerdem fühlte sich Louvois in seinem Ehrgeiz als Kriegsminister enttäuscht durch den 20jährigen Waffenstillstand, der soeben abgeschlossen war. Er sowohl als Frau von Maintenon, die heimlich angetraute Gemahlin Ludwigs XIV., der Erzbischof von Paris und die große Mehrheit der Geistlichen, endlich auch der Beichtvater des Königs, Pdre La Chaise, drängten den König, „ein zweifaches Meisterwerk der Religion und der Politik zu vollenden, durch welches die wahre, alleinseligmachende Religion über jede andere triumphieren sollte, und welches den König zum unumschränkten Herrscher durch Befreiung von den hugenottischen Fesseln machen würde" (Saint-Simon). Die Widerrufungsurkunde wurde wirklich am 17. Oktober 1685 von Ludwig XIV. unterzeichnet und vom Kanzler Le Tellier gegengezeichnet. „Da die überwiegende Mehrzahl der angeblich Reformierten katholisch geworden sei", wurden die Edikte von Nantes und Ninies als überflüssig widerrufen und die Ausübung des reformierten Kultus im ganzen Königreich abgeschafft. Die reformierten Geistlichen mußten binnen vierzehn Tagen das Land verlassen und sich bei Galeerenstrafe jeder Amtshandlung enthalten2. Den übertretenden wurde eine Rente versprochen, die ihr früheres Gehalt um ein Drittel überstieg. Den­ jenigen, die zur juristischen Laufbahn übergehen wollten, sollte das Rechtsstudium erlassen werden. Man „verbot den Eltern von der „vorgeblich reformierten Religion", ihre Kinder in der besagten Religion zu unterrichten", und sie waren verpflichtet, „sie durch katholische Priester taufen und dann unterweisen zu lassen". Alle Protestanten, die ins Ausland geflüchtet waren, wurden unter Androhung der Einziehung ihrer Güter aufgefordert, inner­ halb von vier Monaten nach Frankreich zurückzukehren. Allen Reformierten war es verboten auszuwandem, den Männern bei Galeerenstrafe, den Frauen bei lebenslänglicher Zuchthausstrafe. Da die Bekehrung der Hugenotten nicht schnell genug ging, 1 Rulhiöres: Sclaircissements historiquos, I, S. 113. 1 Den reformierten Geistlichen, die ans französischem Gebiet angetroffen würden, drohte Todesstrafe (Erlasse vom 20. November 1686, 29. April und 7. Mai 1686 und andere von 1699, 1705, 1711 und 1713).

49 führte Louvois mit der Erlaubnis Ludwigs XIV. die Dragonaden wieder ein, die von Foucault, dem Gouverneur von B4arn, und Noailles, dem Kommandanten von Languedoc, mit empörender Grausamkeit gehandhabt wurden. Man kann wohl sagen, daß beim Tode Ludwigs XIV. jegliche Kultusfreiheit in Frankreich erstickt war; Port-Royal des Champs war zerstört, die Jansenisten waren verdächtigt oder verbannt, die Protestanten rechtlos und geächtet. Kaum wurden die elsässischen Lutheraner oder Kalvinisten und die vereinzelten jüdischen Familien in Bordeaux, Bayonne und Metz geduldet. Mit dem Edikt von Nantes war die Bürgschaft für die Gewis­ sensfreiheit verschwunden. 10. Gegner und Verteidiger der Gewissensfreiheit.

Das Schmerzlichste war jedoch, daß alle Verfolgungen, die sich Ludwig XIV. gegen die Gewissen seiner Untertanen zu­ schulden kommen ließ, mit allgemeinem Beifall ausgenommen wurden. Von den Kanzeln der Jesuiten und Missionare tönte das Halleluja. War es nicht der Triumph der Anschauungen, welche die katholischen Glaubensstreiter entwickelt und die Beich­ tiger dem königlichen Sünder anempfohlen hatten? War das nicht volle Genugtuung für die Wünsche, welche der französische Klerus alle fünf Jahre auf seinen Versammlungen wiederholt hatte? In demselben Jahr, als das Edikt von Nantes zurück­ genommen wurde, erschien ein anonymes Buch unter dem Titel: Conformit6 de la conduite de l’Eglise de France, pour ramener les protestants, avec celle de l’tiglise d’Afrique, pour ramener les Donatistes ä l’jjglise catholique. Der Verfasser, ohne Zweifel ein Geistlicher, stützte sich auf Aussprüche des heiligen Augustinus um die Verfolgung der Reformierten zu rechtfertigen, und stellte folgende sich selbst widersprechende These auf: daß dieses Verfahren, das auf feiten der katholischen Kirche als „heilig und rechtmäßig" gelte, zu einer „tyrannischen Unterdrückung" werden würde, wenn die Protestanten sich ein­ fallen lassen sollten, die Katholiken zu verfolgen. Bossuet, welcher bis dahin zur Bekehrung der Protestanten nur die rechtmäßigen Waffen des Glaubenskampfes gebraucht hatte, gab dem all­ gemeinen Zuge nach und sang Loblieder auf den Urheber der 1 S. Augustins Briefe an Bonifaz, Gomes von Afrika, und an Vinzenz, einen Donatistenbtschof. Bonet-Maury, Gewissensfreiheit.

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50 Aufhebung des Edikts von Nantes: „Wir wollen diesem neuen Konstantin sagen", ruft er aus, „diesem neuen Theodosius, diesem Karl dem Großen: Du hast den Glauben gestärkt, die Ketzer ausgerottet, das ist ein würdiges Werk deiner Regierung"l. Madame de Sövignö hat wie ihre jansenistischen Freunde die Aufhebung gebilligt, obgleich ihre Anschauungen denen der Pro­ testanten nicht fernstanden. Am 28. Oktober 1686 schrieb sie an Bussy-Rabutin: „Pater Bourdaloue geht auf Befehl des Königs als Prediger nach Montpellier und in die Provinzen, wo sich viele bekehrt haben, ohne zu wissen, warum. Er wird sie über den Grund aufklären und gute Katholiken aus ihnen machen. Die Dragoner sind bis jetzt sehr gute Missionare gewesen, und die hingesandten Prediger werden das Werk vollenden". Bossuet und Madame de Sövignö irrten sich. Die Aufhebung war eine Tat, die der katholischen Kirche, des Königs und des christlichen Namens unwürdig war. Sie rief in ganz Europa einstimmige Entrüstung, Mitleid und Protest hervor und führte in mehreren Ländern zu gegenteiligen Maßregeln. Daß die meisten Proteste zugunsten der Toleranz aus den Reihen der Opfer kamen, wird niemand verwundern. Diejenigen, die den Mut haben, das verletzte Recht der Minderzahl zu verteidigen, sind zu allen Zeiten selten. Außerdem erschien der Toleranzgedanke als gefährliche Neuerung und als „Fahnenflucht von der Sache Gottes und des Königs". Der erste Schriftsteller, welcher die Sache der Toleranz aus dem Staube hob, war D'Huisseau, ein reformierter Pastor in Saumur. In einem Buche La Reunion du Christianisme (1669)2 äußert er folgenden Wunsch: „Warum soll man nicht milde Duldsamkeit üben in Dingen, die noch nicht aufgeklärt sind. Wenn wir doch alle zusammen wie Brüder arbeiten wollten, einig in dem Ruhm des gemeinsamen Vaters der großen Familie, deren Haupt Jesus Christus ist!" Aber die Ehre, im Zeitalter Ludwigs XIV. den Gedanken der Toleranz rückhaltlos verkündet zu haben und zwischen den beiden feindlichen Lagern für die Sache der Gewissensfreiheit ein­ getreten zu sein, gebührt unstreitig Pierre Bayle. Er hat zuerst 1 Leichenrede auf Michel le Tellier (25. Januar 1686). ’ Dies Buch wurde von Jurieu widerlegt und trug dem Verfasser seitens der reformierten Synode in Anjou die Entsetzung von seinen geist­ lichen Ämtern ein. Vgl. das Buch von Basnage de Beauval: De la told-

rance des religions.

Haag 1684.

51 Len klaren und weitherzigen Ausspruch getan: „Jeder, der ehrlich seine Vernunft anwendet, ist rechtgläubig in seiner Beziehung zu Gott". Bayle1 unternahm im Jahre 1683 seinen Feldzug gegen die Intoleranz und verfolgte sie mehrere Jahre hindurch nach der Aufhebung. In seiner Zurückgezogenheit in Rotterdam ver­ öffentlichte er unter einem durchsichtigen Anonym Streitschriften, welche Meisterwerke an Dialektik und Ironie sind2. Er wider­ legte darin die oben angeführte Abhandlung De la conformitd de la conduite de l’Eglise de France avec celle de l’Jjlglise d’Afrique und bewies, daß der Zwang erbärmlich sei, da daraus nur heuchlerische und scheinheilige Bekehrungen hervorgingen. Er forderte im Namen der Toleranz einen Platz in der bürger­ lichen Gesellschaft für alle Nichtkatholiken, Juden, Mohammedaner und sogar für Atheisten, „unter der Bedingung, daß diese leben, als ob sie an Gott glauben". Niemand vor Voltaire hat schärfere Pfeile gegen den Fanatismus entsandt als Bayle. Der Erfolg seiner Schriften bezeichnet den Fortschritt der Toleranzidee, aber es muß zugegeben werden, daß er im protestantischen Lager auf nicht minder entschlossene Gegner stieß, als bei den Katholiken. Nach Bayles Beispiel entwickelte eine ganze Gruppe von Schriftstellern zweiten Grades die Grundsätze der Duldsamkeit und Kultusfreiheit weiter und trat hier und dort mit einigen neuen Beweisgründen hervor. Erwähnt zu werden verdienen Jurieu, der trotz seines Zugeständnisses, daß die Polizei dem Ketzer Schweigen gebieten könne, Gewaltmittel verwarf, Elie Benoit und besonders Jean Claude, der Pastor von Charenton, welcher in seiner Röponse au livre de 1’ eveque de Meaux die Gewissensfreiheit verteidigte3. Die Verteidiger der Toleranz sind allerdings im katholischen Lager weniger zahlreich, aber zum Ruhm der gallikanischen Kirche sei es gesagt, daß sich auch aus ihrem Schoß Stimmen der Gelehrten und hervorragenden Denker erhoben, um gegen den

1 CH. Lenient: Etüde snr Bayle. Paris 1855. 1 Vgl. Pensöes diverses öcrites ä un Docteur en Sorbonne ä l’occasion de la comete qui parut en döcembre (1680). — Ce que c’est que la France tonte catholique sous le regne de Louis le Grand (1685) und besonders: Commentaire philosophique sur ces paroles de J.-C. „contrainsles d’entrer“ (1686). 3 Siehe: Les Prdcurseurs fran^ais de la tolörance au XVIIieme siöcle. Dole 1880, eine gerechte und wohl begründete Abhandlung von Frank Puaux!

52 Gewissenszwang zu protestieren. Ich erinnere an Richard Simon, welcher sich zugunsten der Metzer Juden verwandte, die vor dem Parlamente eines schweren Verbrechens angeklagt und mit Aus­ weisung bedroht waren, und an seine freundschaftlichen Beziehungen zu mehreren protestantischen Geistlichen. Ein Doktor der Sorbonne „von angesehenem Rang in der Kirche" überreichte 1668 dem König eine anonyme Denkschrift über die Angelegenheiten der „vorgeblich reformierten Religion" *. Er bewies darin, daß durch Zwang nur Scheinbekehrung erreicht würde, und folgerte, daß „der König mit gutem Gewissen die Strenge seiner früheren Edikte mildern könnte zugunsten seiner mangelhaft bekehrten Unter­ tanen von der „vorgeblich reformierten Religion" und ihnen im Königreich eine begrenzte Ausübung ihrer Religion gestatten könnte, ja, daß er es als guter Politiker sogar müßte". Gehörte FLnelon zu der Zahl jener toleranten Bischöfe, von denen Saint-Simon spricht? Wir möchten es wohl glauben, und es entspräche auch der Milde seines Charakters und dem Scharfsinn seiner politischen Ansichten. Leider stellen kürzlich veröffentlichte, einwandfreie Dokumente fest, daß der Abt Fönelon, bevor er Erzbischof von Cambrai war, gegen die Reformierten, die sogenannten „Neubekehrten", Zivangsmaßregeln ergriff, die eines Dieners Jesu Christi unwürdig sind1 2. Auch geht aus dem Entwurf seiner VII. dissertation sur la Tolörance hervor, daß seiner Ansicht nach die Duldsamkeit zur Gleichgültigkeit führe, und daß die Kirche sie vernünftigerweise gegen die Protestanten nicht anwenden dürfe. Auch Pascal möchten wir gern bedingungslos unter die Verteidiger der Toleranz stellen. Wir haben vorher von dem beredten Protest seiner Schwester Jacqueline gegen die Unter­ zeichnung des Formulars de Marca gesprochen, aber, fragt man sich mit Recht, würde er in dem heftigen Streit von Arnauld und Nicole gegen die reformierten Gelehrten den 1 Vgl. Charles Read: Le Marechal de Vauban et ses mömoiree (1689-93). Sollte es Lefebvre sein (gest, in Brüssel 1694), von dem Sainte-Beuve in seiner Histoire de Port-Royal (Band V, S. 165) spricht, und der die Verteidigung der Protestanten aufnahm? 2 O. Douen: L’ Intolerance de Fdnelon. Paris 1880:1. Der Superior des Klosters der „Neuen Katholikinnen" in Paris (1676—1685). — II. Der Missionar von Poitou und Saintonge (1686). Vergleiche (Euvres completee de Fdnelon, Versailles 1820, Band III, S. 467. In einem Brief an Madame de Guyon sagt Fenelon, daß er sie mit eigener Hand verbrennen würde, wenn er sie nicht für strenggläubig hielte.

53 letzteren dieselbe Gewissensfreiheit zugestanden haben, wie er sie für seine jansenistischen Glaubensgenossen forderte? Man lese folgende Stelle: „Das Schweigen ist die ärgste Verfolgung; niemals haben die Heiligen geschwiegen ; nun, nachdem Rom gesprochen hat, und die Wahrheit verdammt, und die Bücher, die das Gegenteil gesagt haben, unter Zensur gestellt hat, muß man nur um so lauter schreien, daß das freie Wort gewaltsam erstickt werben soll. Während meine Briefe (an einen Provinzialen) in Rom verdammt werden, wird, was ich darin verdamme, im Himmel verdammt werden: Ad tuum, Domine Jesu, tribunal appello!“ Die zum Galgen geführten reformierten Geistlichen und die zur Galeere oder Verbannung verurteilten Protestanten sprachen wie Pascal; wenn sie um ihres Gewissens willen leiden mußten, legten sie bei ihrer Verurteilung durch die königlichen Gerichte Berufung bei dem Richterstuhl Jesu Christi ein! Von dem Protest der einfacheren Leute weiß man wenig, aber viele Katholiken, sogar Geistliche entrüsteten sich oder waren von Mitleid bewegt beim Anblick der Dragonaden und der strengen Maßregeln, die gegen die fliehenden Protestanten ergriffen wurden. Pierre Baudry, der Pfarrer von St. Pierre d'Oläron, den P. Loti in seinem Drama Judith Peuaudiu verherrlicht hat, war kein vereinzelt dastehender Fall. Von allen gutgesinnten und großmütigen Katholiken hat ohne Zweifel der Marschall de Vauban am ausdrücklichsten seine Mißbilligung gegen die angewandten Gewaltmaßregeln ausge­ sprochen. Sein Name führt uns zur Untersuchung der Folgen, welche die Aufhebung des Edikts von Nantes für den öffent­ lichen Wohlstand gehabt hat.

11. Wirkungen der Aufhebung der Kultusfreiheit auf den öffentlichen Wohlstand.

Vaubans Zeugnis ist von größter Bedeutung, denn er hat nicht nur vom sittlichen oder staatsmännischen Standpunkte aus gesprochen wie Saint-Simon, sondern auch vom national­ ökonomischen. In der Denkschrift Pour le rappel des huguenots \ die er Louvois im Oktober 1689 überreichte, stellt er fest, daß der Plan, alle Reformierten in der römisch-katholisch-apostolischen Kirche zu vereinigen, mißglückt sei, und daß das Aufhebungs1 Vgl. Charles Read: Le marechal de Vauban et ses mdmoires.

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edikt nicht im entferntesten den erwarteten Erfolg gehabt, sondern folgende Übelstände gezeitigt habe: 1. Verarmung von Kunst, Gewerbe und Industrie, 2. Untergang des größten Teiles des Handels, durch Auswanderung von 80000—100000 Personen, die mehr als 30 Millionen Pfund an Geld mitnahmen, 3. Anwachsen fremder Heere durch Übertritt von 500—600 Offizieren und 10000—12000 Soldaten, die außerdem kriegsgewohnter waren, in fremde Dienste. Nach Vaubans Ansicht hat die Anwendung von Zwang nur dazu geführt, Ungläubige zu schaffen, die Sakramente zu entweihen und die Reihe der reformierten Märtyrer zu ver­ größern,' und das Blut der Märtyrer ist immer das unfehlbarste Mittel zur Ausbreitung einer verfolgten Religion gewesen. „Die Macht der Könige", fährt er fort, „erstreckt sich wohl auf Leben und Gut ihrer Untertanen, aber niemals auf ihre Überzeugungen, denn die inneren Gefühle entziehen sich ihrer Gewalt, und Gott allein kann sie lenken, wie es ihm gefällt." Vauban kam zu dem Schluß, daß „wenn Seine Majestät niemand in seiner Religion Zwang auferlegen wolle, das Edikt von Nantes rein und einfach wiederhergestellt werden müsse und allen Unter­ tanen, die ihren Glauben nur unter Zwang abgeschworen haben, gestattet werde, sich zu derjenigen der beiden Religionen zu be­ kennen, die ihnen zusage". Diese klugen Ratschläge wurden leider nicht befolgt. Der Kriegsminister beschränkte sich auf folgende trockene Antwort an den Marschall: „Ich habe Ihre Denkschrift, in der ich viel Gutes gefunden habe, gelesen,' aber, unter uns gesagt, es ist alles etwas übertrieben". Vauban hatte jedoch die verhängnisvollen Wirkungen der Aufhebung nicht übertrieben. Die Mömoires sur l’&at des G6n6ralit