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German Pages 162 [164] Year 1989
Eüropåjsche Hochschulschriften
Ursula Maier-Eichhorn
Die Gestikulation in Quintilians Rhetorik
Peter Lang
Frankfurt am Main Bem • New York •Paris
Europäische Hochschulschriften Publications Universitaires Européennes European University Studies
Reihe XV Klassische Sprachen und Literaturen Série XV Series XV Philologie et littératureclassiques Classics
Bd./Vol. 41
PETER LANG
Frankfurt am Main •Bern •New York •Paris
Ursula Maier-Eichhorn
Die Gestikulation in Quintilians Rhetorik
PETER LANG
Frankfurt am Main •Bern •New York •Paris
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Maier-Eichhorn, Ursula: Die Gestikulation in Quintilians Rhetorik / Ursula MaierEichhorn. - Frankfurtam Main ; Bern ; New York ; Paris •
Lang, 1989 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 15, Klassische Sprachen und Literaturen ; Bd. 41)
Zugl.: München, Univ., Diss., 1986 ISBN 3-631-40504-9 NE: Europäische Hochschulschriften / 15
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1985/86 an der
Philosophischen Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaft der Ludwig-Maximilians-UniversitätMünchen als Dissertation eingereicht.
D 91
ISSN 0721-3433
ISBN 3-631-40504-9 O Verlag Peter Lang GmbH, Frankfurt am Main 1989 Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertungaußerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzesist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany
INHALTSÜBERSICHT
Seite
Vorbemerkung 1
Zur Terminologie.
7
Die Begriffe C)Tt6RPtatg,
actio / pronuntiatio t in der Rhetorik 2
Die
actio/pronuntiatio I—Lehren
11
in der
römischen Rhetorik vor Quintilian
15
2.1
Die Herennius—Rhetorik
15
2.2
Verlorene Schriften
21
2.3
Cicero
22
3
Quintilians Lehre von der Gestikulation
29
3.1
Allgemeines zu Quintilians tiatio'—Lehre
29
3.2
actio/pronun—
Zur Einordnung der Lehre von der
Gesti—
kulation
31
3.3
Zur Lage der Forschung
35
3.4
Kommentar zu inst.11,3,84—124
48
Anhang I: Abbildungen zu den Fingerstellungen nach Quintilian
137
Anhang II: Die Bedeutung der Terenzminiaturen für die Erklärung Literaturverzeichnis
Quintilians
145 155
5
VORBEMERKUNG
Die
Rhetorik theorie
antike
nennt
fünf Aufgaben,
bekanntlich
die
C/inuentio (das Auffinden des der Redner zu leisten hat: Stoffes, T&tug/dispositio (die wirkungsvolle Anordnung und Glie— XCE,tc/elocutio
derung),
(die
Einprägen
memoria
(das
Aufgabe
ist schließlich
stilistische Ausarbeitung),
der die
Rede
ins Gedächtnis);
Ört6ycpLOLC/actio
bzw.
gvf)PLT)
die fünfte
pronuntiatio,
und Vortrag, zu dem der ausdrucksvolle der passende d.h. kunstgerechte Einsatz von Stimme, Mienenspiel und Gebärdenspra— che gehört. in der Antike geschätzt wurde, Wie hoch gerade diese kommt vor allem in zwei Anekdoten zum Ausdruck, die in Texte zur Rhetoriktheorie immer wieder eingeflochten worden sind. In der ersten heißt es über Demosthenes, er habe auf die Frage, was denn das Wichtigste sei beim Reden, die Antwort gegeben: der Vortrag; auf die Frage nach dem Zweitwichtigsten habe er geantwortet: der Vortrag; auf die Frage nach dem Drittwichtig— sten wiederum: der Vortrag, und dies solange, bis der Frager aufgehört habe zu fragen. [1] Die zweite berichtet, daß Aischines, der nach dem Prozeß gegen
Ktesiphon nach Rhodos gegangen war, von den Rhodiern gebeten worden
sei, seine Klage
Demosthenes gerichtetwar
gegen
die eigentlich gegen
Ktesiphon
vorzutragen. Am nächsten Tag woll—
ten die Rhodier auch Demosthenes t Gegenrede für Ktesiphon hö— ren. Als Aischines geendet hatte und sah, daß die Rhodier vol— waren, 1er Begeisterung sagte er: wenn ihr ihn selbst gehört hättet!
Leider
entsprechen
deren Rangordnung turns nicht völlig.
"Wie würdet
ihr erst staunen,
die überlieferten Textzeugnisse der
"Hypokrisis l' in
der
dieser beson—
Rhetorik
des
Alter—
Im Bereich der griechischen Rhetorik liegen uns nur fragmenta— risch erhaltene Zeugnisse vor, die zum Teil heillos korrupt
1
Cic.de
orat.3,213;
or.56;
und
viele weitere
Stellen .
2
Cic.de orat.3,213; Quint.inst.11,3,7 u.v.a. 7
sind. [3] In der römischen Rhetorik sieht die Situation immerhin insofern besser aus, als wir dort drei vollständige Schriften sitzen, die u.a. eine systematische Darstellung der Gebärden¯ enthalten: die Herennius—Rhetorik, Cicero und Quinti¯ sprache die meisten Details weitem bietet. bei lian, der Die Philologie hat bislang wenig Interesse für die grundlegende gezeigt. Diese ist Lehre Quintilians über die Gebärdensprache
dagegen von verschiedenen modernen Disziplinen, darunter der
Ausdruckspsychologie und Schauspiel theorie, durchaus zur Kennt— worden. Hier zeigen sich dann aber auch gleich nis genommen philologischen Aufarbeitung: ein pro— die Folgen der mangelnden blematisch überlieferter Text, oft unverständlich und unverstan—
den, wird unbefragt zur Grundlage genommen
für darauf auf—
Gerade die Philologie ist also aufgerufen, bauende Gedanken. durch sprachliche und sachbezogene Basisarbeit die notwendigen Grundlagen zu schaffen für das Verständnis des Quintiliantextes,
der ja erst dann von den anderen Spezialdisziplinenverwendet werden kann.
3
Meist sind wir dabei auf indirekte Überlieferung angewiesen. der Hypokrisis So wissen wir von der frühesten Behandlung nur (in den heute verlorenen "Eleoilt des Thrasymachos) Aristoteles (rhet. 1404 a 12). Von Aristo— durch eine Notiz des Anregung, die die Hypokrisis systematisch stammt teles selbst auszuarbeiten (rhet.1403 b 20—23); er weiß um ihre enorme auf die Zuhörer (rhet.1386 a 32; 1404 a 15f., 1413 Wirkung s. auch 1414 a 14—16). Das Werk seines Schülers b 8 ff.; Theophrast
,
Ttcpi
das
im
Schriftenverzeichnis
bei Diog. Laertios aufgeführt wird (5,48 Long), ist verloren. Eine Stelle bei Athanasios (Walz Rhet.VI 35,28ff.; vgl. dazu auch Walz II 1) bezeugt, daß Theophrast die Hypokrisis mit der Affektenlehre in Beziehung setzt und eine Zweiteilung der Hypokrisis in Körper bewegung und Stimmführung zugrunde
legt; daß er überhaupt sehr ins Detail gegangen sein muß, ist Cic.de orat.3,221 zu entnehmen. Die Haltung des Theo— phrast—Schülers Demetrios von
Phaleron
zur Hypokrisis bele— gen zwei Textzeugnisse, bei Dionys von Hal. (Dem. 53 244 Us.—R.) und bei Philodern (1 197,24ff. Sudh.). Chrysipps In— teresse für den Stoff bezeugt Plutarch (de Stoic.rep .1047 a SV F II 297); wie wichtig Athenaios die Hypokrisis nahm,
erfahren wir wieder von Philodem (1 193,12ff.Sudh.). Von
Longin
gibt es einen
direkt überlieferten Text:
HG
1 194—197
sp .-H .; zu RG 1 194, 21-24 Sp.-H. (z IX 567 Walz) vgl. auch Schol.in Dion .Thr. 172, 2—5 Hilg. (Hinweis bei Calboli—Monte—
fusco zu Fort.rhet.3,15). 8
In
der
folgenden
Arbeit
versuche
ich
daher,
die Lehre
Quint i—
Die Fülle lians philologisch anzugehen zu kommentieren. und des Materials wurde dabei auf unseren heutigen Begriff von im engeren Wort— Gestikulation eingeschränkt, also auf Gebärden hierbei manche sinn. Wenn Schwierigkeit nicht gelöst werden
konnte, liegt das auch am Gegenstand selbst. Gebärden sind in sehr hohem Maß zeitgebunden und konventionell; in einer ande— ren Epoche, in einem anderen Lebensraum sind sie daher nicht immer unmittelbar verständlich. Hinzu kommt unsere im ganzen doch veränderte Einstellung zur Rhetorik
überhaupt
und
nicht
zuletzt die andersartige
Mentalität
von Süd- und Nordländern, die sich auf die jeweilige "Körper— sprache il erheblich auswirken kann.
Zu diesen Schwierigkeiten,die den sachlichen Zugang zum Thema
betreffen, kommen wie die Tatsache,
aber auch einfach sprachliche Hindernisse so— daß der Text stellenweise sehr unsicher über—
liefert ist.
Um zusätzlich zu der detaillierten Übersetzung und Kommentie— rung des Gestikulationskapitels bei Quintilian auch ein Gefühl für die Tradition des Stoffes in der römischen Rhetorik zu ver— mitteln und zu zeigen, wie unabhängig Quintilian zum Teil von seinen Vorgängern ist, wurden die jeweiligen Konzeptionen der gesamten actio/pronuntiatio -Lehre in der Herennius— sowohl Rhetorik
dem
und
bei
Cicero
als auch
eigentlichen Text kommentar
bei Quinilian
in einem
Umriß
vorangestellt.
9
1
ZUR TERMINOLOGIE.DIE BEGRIFFE YTIOKPIEIE UND I IN DER RHETORIK tACTIO / PRONVNTIATIO
Die Gebärdensprache ergibt zusammen
mit dem
anderen Teil,
der Lehre von der Stimme, die allgemeine "Vortragskunst" , für herausgebildet die sich im Griechischen der Begriff die sich über verschiedene Kunstgathat. Diese Vortragskunst, ist z.B. für Rhapsoden, Schauspieler und für tungen erstreckt,
Redner von entscheidenderWichtigkeit.
des Wortes 1.3Tt6xptauc sind weit gefächert; Auch die Bedeutungen können ein nicht weiter differenziertes "Deuten Nuancen seine aber "Heuchelei, Verstellung" mei— auch umfassen , daneben nen.[l]
Hier soll jedoch nur der rhetorische t.t. für "Vortragskunst" des Redners untersucht werden.
"Ausdruck"
bzw.
Zu welchem Zeitpunkt der Ausdruck 13rt6xptacq in die Terminolo— wurde, läßt sich nicht mehr zwei— gie der Rhetorik übernommen felsfrei klären. [2]
1
"Hypokrisis und H. Koller versucht, in seiner Abhandlung Hypokrites tl (Mus. Helv. 14,1957,100—107) die verschiedenen Ent— wicklungsstränge der Bedeutung nachzuzeichnen und in einem darzustellen. Er geht dabei Schema der Wendung von pov
UTtonp
verstehen
ist. Davon
seits das ionische f)
,
Tépctc aus,
leitet er dann
die
als
"Deutung"
zwei Stränge
ab,
zu
einer—
ÖTtexpCvato (Pythia "antwortet")
und andererseits den Ausdruck UTtoxpCVEØ19at pa4)Qöt'av (Ho— Koller kommt zu dem Schluß, diese mer "deuten, erklären sei die erste Form einer "Kunstprosa" und führt Homerdeutung darauf zurück, nicht auf die die rhetorische Terminologie des Theaters. Diese Ansicht ist aber nicht sehr überzeugend (s. auch
2
unten,
Anm. 6)
Zucchelli nimmt an, dies sei am Ende des 5.Jh. geschehen, als durch den Einfluß des Theaters eine lebhaftere und be— wegtere Vortragsweise begonnen habe sich durchzusetzen ; 65f.) diese Vermutung (HYPOKRITES erscheint durchaus ein— leuchtend . 11
Bei Aristoteles jedenfalls
ist der Begriff bereits
als feststehendefr
er ihA rhetorischer t.t. verwendet ;[3] zugleich aber gebraucht auch in der Bedeutung, die von der Bühne stammt: als "Schaumv
spielkunst
Daß
tt.[4]
die Rhetorik ihren Terminus
vorn Theater bereich entlehnt hat A
z.B. heißt iro Thv Mf)öEtav leuchtet sofort ein; ÖrtOEPCveOfrcu liegi spielen Hier attischen Dialekt[5J "die Rolle der Medea beide Male kornrnt eh die Nahtstelle zur rhetorischen Hypokrisis: auf die "Darstellung" an. [6]
Die Übernahme des Begriffs erklärt sich aus der Wesensverwandta schaft zwischen Schauspieler und Redner; da über das Schauspiel
schon früher Reflexionen angestelltwurden, konnte die vorhana dene Terminologie ohne große Schwierigkeiten auf die neue, ähna
liche Erscheinung übertragen werden.
Im Lateinischen finden wir für die griechische "Hypokrisisll zwei gleichwertige Begriffe, die beide ohne Unterschied für den aug Terminus stehen körvy der griechischen Tradition übernommenen nen,
nämlich
actiol und
Ipronuntiatiol .
Daß die in der rhetorischen Theorie schließlich synonym verwerv doch verschiedene Bedeutung deten Wörter ursprünglich gehabt haben, vermutet Quintilian: pronuntiatio a plerisque actio dicv tur, sed prius nomen a uoce, sequens a gestu uidetur accipeu re.[7] Demnach hätten wir hier die beiden Teile der Ausdrucksv kunst vor uns, in der Ipronuntiatiol die stimmliche Artikulati0nt des Körpers, die Gestikulation. in der Iactioll die Bewegungen
3
Z.B.
rhet.1386
a
32;
1403 b
1404 a
22;
18; 1413 b
18; 1414
a 15. Z.B.
5
Im Ionischen findet sich dagegen so z.B. bei Herodot (1,116; 9,9) Orakel (1,90).
6
Dagegen spricht auch nicht, daß es Hypokrisis lange vor dem Schauspieler gegeben hat, wie Koller einwendet (Hypokrisis 104f.), denn hier geht es lediglich um die Übernahme eines theoretischen Begriffs. Daß die Tätigkeit eines Homer—Rhaps0— den ähnliche Merkmale aufweist, und das in einer weitaus früheren Zeit, steht dazu nicht im Widerspruch.
7
Nic.Eth.1118
a 8; rhet.1404
a 13.
4
die Bedeutung "Antwort" ; auch speziell von einem
inst.11,3,I.
Der Ausdruck uideturl deutet vielleicht darauf Quintilian in diesem Punkt nicht sicher ist. 12
hin, daß
sich
Martianus Capella[8] dagegen deutet lactio! als den älteren Aus— druck, der später durch 'pronuntiatiol ersetzt worden sei: actio—
nem apud ueteres appellabant, quam dici non
nescio.[9]
Das
leuchtet
nunc pronuntiationemuulgo
ein, da
ja das
Wort
actor
die wörtlicheCbersetzung von ist; beide Begriffemei— nen zunächst den Schauspieler, können aber später auch vom
Redner
gebraucht
werden. [ 10]
Ein Bedürfnis nach
einer neuen
Vokabel ergab sich daraus,
actiol nicht eindeutig ist: es kann allgemein daß das Wort die "Handlung" heißen, daneben aber auch "Prozeß, Gerichtsverhand— lungtt bedeuten. So brauchte man wohl eine neue Bezeichnung,
mit der man die "Vortragskunst" zweifelsfreivon den anderen Bedeutungen abgrenzen konnte. Im Sinne von "Vortragskunst ist Ipronuntiatiol zum ersten Mal (1,3; 3,19) und in Ciceros in der Herennius—Rhetorik Jugend—
schrift "de
inuentionel! (1,9) belegt.
Der
erste Beleg
für
Iactiol
in dieser speziellen Bedeutung findet sich ebenfalls in "de Überhaupt (1,99). zeigt inuentionelt Cicero in seinen rhetorischen eine auffällige Vorliebe für das Wort Iactiol, Schriften durchweg das er bereits in "de inuentionetl neben Ipronuntiatiol verwen— det.
In
oratore l', "orator 'l, "Brutus"
"de
oratoriae'l kommt Ipronuntiatiot
es
sogar
weiterhin
actio l ist jedoch
der
und
ausschließlich
als
häufiger
Synonym
zu
gebrauchte
in den
"partitiones
vor. [11] Später actiot
wird
verwendet, [ 12]
Begriff. [13]
8
5,540.
9
von Calboli—Montefusco (zu Fort.rhet.3, 15) ist Nach Meinung pronuntiatiot der ältere Begriff; sie leitet diesen Schluß aus der Tatsache ab, daß bei Cicero Ipronuntiatiol nur im
vorkommt, außerdem noch in der Jugendwerk "de inuentionelt (wohl gleichzeitig entstandenen) Herennius—Rhetorik. verwendet aber dort auch bereits actiol, so daß Argument nicht sehr schlagend erscheint.
10
z.B. Philodem 1 197,26 (Sudh.); Quint
II
Wie
auch
Calboli—Montefusco an
merkt. 12
z.B.
Val.Max.8,10
2, 19,4;
13
pr.;
Cicero dieses
der genannten Stelle an—
Sen. contr.3
pr.3;
Plin.ep.2,14,12
Suet.Ca1.53,1.
Die Stellen sind gesammelt
von Klotz (im ThlL
1 440, 18ff.)
13
actus l in gleicher Be— actio l auch Seit Ovid[ 14] gibt es für Iactus l ebenfalls mehrmals, [16] Quintilian benutzt deutung.[15]
doch
überwiegt
lactiol.
14
in seinen Ausführungen
felices quibus
haec
ipso cognoscere
bei weitem
der
in actu / et tam
Begriff
facun—
do contigit ore frui (Pont. 3,5, 15).
15
S. Klotz (im Th1L
16
2,12, 10;
11, 1,48;
14
2, 13,8;
1 450,48ff.).
2, 13,9;
140; 144; 145.
9,3, 101;
2
DIE JACTIO/PRONVNTIATIO I-LEHREN IN DER RÖMISCHEN RHETORIK VOR QUINTILIAN
Im Bereich der römischen Rhetorik sind uns drei systematische Behandlungen der Ipronuntiatio/actiol überliefert: im sog. "Auc— tor ad
Herenniurn tt, bei Cicero
und
am
ausführlichsten
bei Quin—
tilian.
2.1 Die Herennius—Rhetorik Dies
Werk
wurde
bis
ins
15.Jh.
Cicero
zugeschrieben;[l]
heute
ist man sich darüber einig, daß es nicht von Cicero stammt. Die Datierung der Schrift ist allerdings umstritten. Die traditionelle Ansicht über die Entstehungszeit geht von den exempla l aus, die der Autor aus der römischen Zeitgeschichte anführt und kommt so auf einen Zeitraum zwischen ca. 86 und 82 v.Chr. [2] für die Abfassung.
Dagegen hat Douglas[3] an Hand von sprachrhythmischen Unter— Suchungen den Nachweis zu erbringen versucht, daß eben diese 'exempla l einer
deutlich
früheren
Sprachschicht
entstammen
als
der Rest des Werkes. Sie seien nicht in derselben Häufigkeit mit Klauseln[4] versehen wie die übrigen Passagen des Textes; die Iexempla t habe der Autor aus einer früheren Quelle entnom— rnen, die sonstigen Formulierungen aber nach eigenem Gutdünken gestaltet, d.h. eben rhythmisch strukturiert. Douglas gelangt so zu einer erheblich späteren Datierung, die
um 50 v.Chr. liegt.
1
1491 konnte
der Humanist
nachweisen;
sein Plädoyer
R. Regius für
diese Annahme
die Autorschaft
als falsch
des Cornificius
ist aber ebenfalls unhaltbar; Cornificius gehört der Augu— steischen Zeit an. Vgl. die Prolegomena von zur Ausgabe (1894), Capian (1954) Marx und Calboli (1969). 2
Der terrninus post quem ist damit stillschweigend als terminus haud multo post quem gedeutet. (Douglas)
3
Clausulae
4
Es
in the Rhetoric
handelt
sich
dabei
ad
um
Her. , CQ
N.S.IO,
die beiden
1969, 65-78.
folgenden.• —v—v
und
15
Dieser Datierung schließt sich Calboli[5] aus zwei Gründen nichk an: (1) die Iexempla r seien nicht so deutlich ärmer an Klauseln wie Douglas es behauptet; (2) die Ähnlichkeit mit Ciceros JIMS berücksichtigts de inuentione" werde nicht genügend gendschrift ll So scheint auch mir die frühe Datierung wahrscheinlicher. Im
(3, 19ff.); die Definition
behandelt
des
Beginn
ersten Buchs:
moderat io cum
einer
uenustate
Dreiteilung
corporis
diuiditur igitur motum (3,19).
pronuntiatio
bereits
est uocis, uultus, arbeitet
Autor
Der
Stoffs; daneben
des
jedoch
findet sich
pronuntiatio (1,3) .[6]
lactio/pronuntiatio
die
wird
der Herennius—Rhetorik
3. Buch
aber in
steht
uocis
die
figuram
gestU3
hier
(flit
Zweitei h'
in
Die Bedeutung dieses Iofficiurn oratorist steht außer Frage: pro— nuntiationern multi rnaxime utilem oratori dixerunt esse ad
persuadendum
plurirnurnualere. nos quidem unum
de quinque
rebus plurirnum posse non facile dixerimus, egregie mag— nam esse utilitatem in pronuntiatione audacter confirmauerimus. nam commodae inuentiones et concinnae uerborurn elocutiones et partium causae artificiosae dispositiones horum omnium di— non plus, quarn sine his re— ligens memoria sine pronuntiatione bus pronuntiatio sola ualere poterit (3,19). Zum ersten Mal der actiO/ begegnen wir hier also der expliziten Einordnung pronuntiatiol in das fünfteilige rhetorische System. habe sich bisher des Thema; niemand Es folgt die Bemerkung, quare, «et > quia nerno de mit der nötigen Sorgfalt angenommen:
ea
re
nam
scripsit
diligenter
onmes uix posse putarunt de
uoce et uultu et gestu dilucide scribi, cum eae res ad sensuS «ea pars> a nobis ad et quia magnopere nostros pertinerent est, non neglegenter uidetur tota res con— dicendum conparanda Idiligenterl deutet wohl darauf sideranda. (3,19) Der Ausdruck hin, daß der Autor noch keine detaillierte und systematische,
alle Aspekte umfassende Behandlung des Gegenstandes vorgefun—
den hat.
Den Grund dafür sieht unser Autor in den Schwierigkeiten, die im Stoff selbst liegen: Stimme, Mienenspiel und Gestikulation
5
Introduzione
6
Der
Begriff
12—17; dort auch der
luenustas l ist in diesem
in den griechischen 7
Diese
von
Zweiteilung
Zeugnissen geht
auf
TOÜ 06gatoc
hat. (Walz Rhet.V1
16
reiche Literaturangaben.
Theophrast
und
35,28ff.).
ist davon
T6vog
Zusammenhang
neu;
nicht die Rede. zurück,
der
bereits
cpovØc gesprochen
sprechen die sinnliche Wahrnehmung
an und
lassen sich nur
schwer anschaulich darstellen. In
der
lung in
Herennius—Rhetorik
wird
der drei Stimmlagen
Imagnitudo,
schmeidigkeit
die Gestikulation
eingefügt;
firmitudo,
figura uocis t gliedert sich
mollitudo t (3,20);
der Stimme)
in die Behand—
Imollitudo l (die Ge—
bildet den Ausgangspunkt
für das fol—
gende Einteilungsschema: Imollitudo
uocis l
contentio serrno l ist die
unterteilt
sich
entspannte,
der Alltagssprache tirna cotidianae
am
nicht
nächsten
locutioni;
in
Iserrno l
amplificatio
angestrengte
l
Sprechweise,
und
die
steht (sermo est remissa et fini—
S 23). Dagegen
ist Icontentio l die an—
gespannte Redeweise, die zum Behaupten bzw. Widerlegen paßt (contentiost
oratio
acris
adcomrnodata; S 23). liegt die Dazwischen
et
ad
confirmandurn
et ad
Iamplificatio t (Übertreibung);
confutandum sie dient da—
zu, Zorn oder Mitleid beim Zuhörer zu erwecken (amplificatio est oratio, quae aut in iracundiam inducit aut ad misericordiam trahit auditoris
animum;
sermo l zerfällt
in vier
S 23).
Unterabteilungen,
die sich
auf
den
In—
halt des Gesagten beziehen: (l) dignitas erst oratio cum ali grauitate «et uocis remis— sione> (die würdevolle Besprechung der Gegenstände); est orati0>, quae docet , quo— (2) tpuacc, Rh. 1971, 146-158
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Ernst:
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Wilhelm:
The
t', RE
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Völkerpsychologie
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161
Textsammlungen C. Halm:
rhetorischer Schriften:
Rhetores Latini minores,
E. Malcovati: Oratorum H.
Rabe:
Prolegomenon
Romanorum sylloge
Leipzig 1863 (repr. 1964) Fragmenta, (Rhetores
Turin
Graeci
41979
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/ C. Hammer:
Chr.
Rhetores Graeci, Stuttgart, Tübingen
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Rhetores Graeci, Leipzig 1853—1856 1832—1836
Die Zitate aus Ciceros Ide oratore t sind der Ausgabe von K. F. Kumaniecki, Leipzig 1969, entnommen, die aus Ciceros sonstigen rhetorischen Schriften der Ausgabe von A.S. Wilkins, M. Tulli Ciceronis Rhetorica, Oxford 1902/1903.
162
Im Gegensatz zur griechischen Rhetorik liegt im Bereich der römischen Rhetorik durch Quintilian eine systematische Darstellung der Gebärdensprache vor, die zahlreiche interessante Details enthält. Indessen hat sich die Philologie, anders als z.B. die Ausdruckspsychologieoder die Schauspieltheorie, bisher nur wenig mit Quintilians grundlegender Lehre beschäftigt. In der vorliegenden Arbeit werden daher durch philologische Basisarbeit die notwendigen Grundlagen für das Verständnis des Quintiliantextes geschaffen, damit er auch von anderen Spezialdisziplinen sinnvoll verwendet werden kann.
Ursula Maier-Eichhornwurde 1957 in München geboren. 1976-1986 Studium der Klass. Philologie und der Germanistik an der Universität München. 1983 Magisterprüfung,1986 Promotion. Seit 1985 Kulturamtsleiterin in Unterhaching.