Die Gesellschaft der Aufklärer: zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland 3596243238, 9783596243235

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Die Gesellschaft der Aufklärer: zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland
 3596243238, 9783596243235

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Richard van Dülmen

Die Gesellschaft der Aufklärer Zur bürgerlichen Emanzipation und aufWärerischen Kultur in Deutschland Fischer

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Über dieses Buch Seit dem frühen 18. Jahrhundert wurden immer zahl¬ reichere Vereinigungen, Zirkel und Gesellschaften gegründet, in denen Intel¬ lektuelle dieser Zeit, Gelehrte, aufklärerische Beamte, gebildete Bürger ohne Unterschied nach Konfession, Stand und Herkunft zusammenkamen. Zu¬ nächst handelte es sich um Sprachgesellschaften und gelehrte Akademien, dann kamen Freimaurerlogen und gemeinnützige Gesellschaften hinzu, schließlich bildeten sich verschiedenste Geheimbünde, Lesegesellschaften’ literarische Klubs und dann auch politische Vereinigungen in einer Zahl, die heute kaum noch abschätzbar ist. Man kam in herrschaftsfreiem Raum zusammen, um gelehrt-wissenschaft¬ lichen Interessen nachzugehen, die praktisch-reformerischen Zielen dienten. Man folgte dem Ruf nach intellektueller Bildung und bürgerlich-aufkläre¬ rischer Geselligkeit, nach freier Selbstbestimmung und überständischer Exklusivität. Allen Bemühungen dieser Art war gemeinsam der Versuch einer Gesellschaftsreform mit oder gegen den absolutistischen Staat durch Wissens¬ verbreitung im Prozeß aufklärerisch-emanzipatorischer Selbstfindung und bürgerlich-demokratischer Klassenbildung. Der Autor ist Professor für neuere Geschichte in Saarbrücken. Buchveröffentlichungen (u. a.): Der Geheimbund der Illuminaten (1975, 1977-);^Reformation als Revolution. Soziale Bewegung und religiöser Radika¬ lismus in der deutschen Reformation (1977; erscheint ab November 1986 überarbeitet in zweiter Auflage als Fischer Taschenbuch); Die Utopie einer christlichen Gesellschaft. Johann Valentin Andreae (1586-1654) (1978); Entstehung des frühneuzeitlichen Europa. 1550-1648 (1982); Kultur der ein¬ fachen Leute (1983); zusammen mit Norbert Schindler als Hrsg.: Volkskultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen Alltags (16.-20. Jht.) (1984); Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit (1985).

Richard van Dülmen

Die Gesellschaft der Aufklärer Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland

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Fischer Taschenbuch Verlag

Lektorat: Walter H. Pehle

Originalausgabe Veröffentlicht im Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, Juni 1986 © Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1986 Alle Rechte Vorbehalten Umschlaggestaltung: Jan Buchholz/Reni Hinsch Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany 1280-ISBN-3-596-24323-8

Inhalt

Einleitung.

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I. Aufklärung und traditionale Gesellschaft irn 18. Jahrhundert.

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II. Gelehrt-literarische Sozietäten im 17. Jahrhundert . 1. Die humanistischen Sodalitäten. 2. Sprachgesellschaften. a) Die Fruchtbringende Gesellschaft. b) Pegnesischer Blumenorden . 3. Gelehrte Sozietäten.

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ID. Die Gelehrtenrepublik . 1. Die gelehrte Gesellschaft. a) Leibniz und die gelehrte Gesellschaft. b) Bayerische Akademie der Wissenschaften. 2. Die literarische Gesellschaft . a) Moralisch-patriotische Gesellschaft in Hamburg .... b) Gottsched und die Deutschen Gesellschaften.

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IY. Vereinigung >gesitteter< Männer . 1. Der Orden der Freimaurer. 2. Die patriotisch-gemeinnützigen Gesellschaften a) Patriotische Gesellschaft in Hamburg . . . b) Die Helvetische Gesellschaft. c) Die Sittlich-ökonomische Gesellschaft zu Altötting-Burghausen.

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V. Aufklärerische Klubs und politische Vereinigungen. 1. Bildungsvereinigungen. a) Lesegesellschaften. b) Literarische Freundschaftszirkel. 2. Politische Gesellschaften. a) Geheimbünde: Der Illuminatenorden. b) Volksgesellschaft: Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit in Mainz.

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VI. Aufklärungsgesellschaften als Medien frühbürgerlicher Kultur. Anhang Anmerkungen. Liste der Sozietäten des 17. und 18. Jahrhunderts . Karten. Literatur. Register.

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Einleitung

»Die Geselligkeit der Glieder ist die Seele einer jeden Gesellschaft« Adam Weishaupt

Die Entwicklung der Aufklärung und die Emanzipation des Bürgertums waren miteinander verschränkte Prozesse, die unter den Bedingungen einer zunehmenden staatlichen Machtkonzentration und der Auflösung der ständisch strukturierten Gesellschaft in Deutschland wichtige Voraus¬ setzungen schufen für die Entstehung bürgerlicher Kultur und Gesell¬ schaft. Ein besonderer Kristallisationspunkt und ein wichtiges Forum aufklärerisch-reformerischer Diskurse und Aktivitäten wie bürgerlicher Selbstfin¬ dung und Klassenbildung waren die zahlreichen Vereinigungen, Zirkel und Gesellschaften, wie sie seit dem frühen 18. Jahrhundert entstanden, eine immer größere Zahl von Gelehrten, aufklärerischen Beamten und gebildeten Bürgern erfaßten und schließlich ein >neues Bürgertum< mit einer eigenen Kultur mitkonstituierten, ohne daß es allerdings zu einem Bruch mit der traditionellen Lebenswelt und der staatlichen Ordnung kam. Zweifellos gab es noch andere, sogar wirkkräftigere und leistungs¬ fähigere Medien der Aufklärung, auch war ein Aufklärer zumeist auf ver¬ schiedenen Ebenen aktiv, aber hier in den Aufklärungsgesellschaften fand er die seinen umfassenden Interessen entsprechende Artikulations¬ möglichkeit, hier ist Aufklärung als ein sozio-kultureller Prozeß vielleicht am besten greifbar. Wir kennen eine Fülle derartiger Gesellschaften, die unter heterogenen Bedingungen entstanden, unter den verschiedensten Namen: zunächst waren es Sprachgesellschaften und gelehrte Akademien, dann kamen die Freimaurerei und die gemeinnützigen Gesellschaften hinzu, schließlich bildeten sich verschiedenste Geheimbünde, Lesegesellschaften, literari¬ sche Klubs und sogar politische Vereinigungen, deren Zahl wir heute kaum noch abschätzen können. Entsprechend der jeweiligen Phase der Aufklärung und der sozialen Situation der Aufklärer artikulierten sich in ihnen verschiedenste Interessen: gelehrt-wissenschaftliche wie praktisch-reformerische, Bedürfnisse nach intellektueller Bildung und bür¬ gerlich-aufklärerischer Geselligkeit, nach freier Selbstbestimmung und überständischer Exklusivität. Allen gemeinsam waren aber der Allge-

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meinheitsanspruch der Aufklärung und das Ziel einer Gesellschaftsre¬ form durch Wissensverbreitung und Selbstbildung. Darin unterscheiden sich die aufklärerischen Sozietäten von den traditionellen Standesge¬ meinschaften wie von den bürgerlichen Vereinigungen des 19. Jahrhun¬ derts. Die Aufklärungsgesellschaften sind für die Geschichtsforschung kein un¬ bekannter Gegenstand mehr. Es gibt zahlreiche Darstellungen über ge¬ lehrte Akademien, gemeinnützige Gesellschaften und vor allem über die Freimaurerei, zumal die Vereinigungen vielfältig über das 18. Jahrhun¬ dert hinaus Bestand bis in die Gegenwart haben.1 Aber den älteren wie auch noch neueren Einzeldarstellungen geht es weitgehend nur um eine positivistische Rekonstruktion der geschichtlichen Entwicklung der je¬ weiligen Institutionen. Daß es sich bei der Breite des Sozietätswesens im 18. Jahrhundert um eine einheitliche, von aufklärerisch-emanzipatorischem Geist getragene Bewegung handelte, die einen wichtigen Beitrag zur bürgerlich-demokratischen Ordnung und Kultur leistete, wurde lange nicht erkannt. Es waren dann auch nicht Historiker, sondern Soziologen, die die ersten systematisch angelegten Analysen unternahmen und nach dem speziellen Beitrag der Gesellschaften für die Entstehung der bürger¬ lichen Öffentlichkeit fragten.2 Vor allem ist die Untersuchung von J. Ha¬ bermas zu nennen, die auch unter Historikern große Resonanz fand und eine neue Beschäftigung mit den Aufklärungsgesellschaften einleitete, ohne daß es allerdings bisher zu einer größeren Synthese gekommen wäre. Einen ersten weiterführenden, spezifisch historischen Zugang ver¬ mitteln die grundlegenden Studien von Th. Nipperdey (1972)3 und O. Dann (1976)4, die allerdings das Eigengewicht der Aufklärungsgesell¬ schaften aufgrund ihres vorrangigen Interesses an der Vereinsgeschichte des 19. Jahrhunderts verkennen. Sicherlich zeigen die Aufklärungsgesell¬ schaften viele Elemente des späteren Vereinswesens, doch ihre Bedeu¬ tung liegt wesentlich in der Schaffung einer neuen Elitekultur, die ständi¬ sche Ordnungsvorstellungen in Frage stellte, ohne daß bereits spezifisch bürgerliche Interessen vertreten wurden. Mittlerweile hegt so viel Material vor - so viele Detailstudien5 und Sam¬ melbände6 -, daß ein strukturierter und zusammenfassender Problem¬ abriß gewagt werden kann.7 Unser Interesse richtet sich allerdings weder darauf, alle Gesellschaften zu erfassen und ein vollständiges Bild zu ver¬ mitteln - spezifische nichtaufklärerische Sozietäten wie die Rosenkreuzer oder die Christlichen Gesellschaften wurden nicht berücksichtigt -, noch wird mit diesem Versuch der Anspruch erhoben, mit der Konzentration auf das Sozietätswesen alle Aspekte der aufklärerischen Kommunikation bzw. der Sozialisationsgeschichte der Aufklärer ausreichend zu berück¬ sichtigen. Es gab vielfältige Möglichkeiten für den engagierten Aufklärer, aktiv zu werden und auch seine Geselligkeitsbedürfnisse zu befriedigen,

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aber die große Verbreitung der Sozietäten zeigt, daß diese den Aufklä¬ rern die adäquatesten Betätigungsfelder boten, so daß wir in ihnen wie in einem Brennspiegel die Problemgeschichte der Aufklärung und des ent¬ stehenden Bürgertums erkennen können.8 Zunächst geht es darum, den sozialpolitischen Kontext der Aufklärung, ihren Entfaltungsspielraum im Rahmen des absolutistischen Staates und der traditionalen Ständegesellschaft skizzenhaft zu verdeutüchen. Daran schließt der Versuch an, Genese und Wandel der aufklärerischen Gesell¬ schaften anhand einer verschiedene Phasen unterscheidenden Typologie der Haupterscheinungsformen systematisch zu erfassen. Dabei soll sicht¬ bar gemacht werden, wie abhängig einerseits die Entwicklung der Sozie¬ täten von der äußeren Situation war, andererseits wie die Aufklärungs¬ problematik und das kulturelle Selbstverständnis der Trägerschaft im Sozialprozeß des sich bildenden Mittelstandes miteinander korrespon¬ dieren.

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I. Aufklärung und traditionale Gesellschaft im 18. Jahrhundert

Die Aufklärung entfaltete sich in Deutschland unter den Bedingungen einer noch weitgehend ständisch strukturierten Gesellschaft.1 Bei allen egalisierenden Tendenzen, die der Absolutismus freisetzte, zeigten die staatlichen Systeme des 18. Jahrhunderts insgesamt noch kein Interesse an einer grundlegenden Änderung der Gesellschaftsordnung, auch hat¬ ten sozioökonomische Prozesse diese noch nicht wesentlich gefährdet. Der höchst privilegierte Stand war nach wie vor der Adel, dem Macht und Herrschaft Vorbehalten waren, das ständische Bürgertum betätigte sich monopolhaft in Handwerk und Handel, während der Bauernstand ohne politische Rechte blieb und die notwendige Nahrung für die Bevölkerung produzieren mußte. Daß es dennoch in diesem Rahmen zu einer gesell¬ schaftlichen Erosion kam, eine neue soziale Klasse sich herausbildete, die die ständischen Schranken durchbrach, gründete weniger in der Expan¬ sion einer Handelsbourgeoisie als vielmehr in dem steigenden Bedarf des absolutistischen Staates an ausgebildeten Verwaltungskräften, die die >ökonomische< Effektivität und das Bildungskapital des Staates steigern sollten und dabei zu den treibenden Kräften einer Reform von Staat und Gesellschaft wurden. Die neuen Funktionseliten anderer Sozialbereiche (Kirche, Handel, Militär) schlossen sich erst später an. Im Dienste am Staat, im Versuch, ihm eine neue rationale Grundlage zu geben, eta¬ blierte sich eine neue soziale Klasse, die sich später zu einem >neuen Bürgertum< formierte, nämlich dem gebildeten Mittelstand, der, sosehr seine Mitglieder jeweils noch lange in die traditionale ständische Gesellschaft lebensweltlich eingebunden blieben, doch mit seinem Reformwillen ein neues Bewußtsein schuf, das sich nicht mehr an der ständischen Ehre und Tradition orientierte, sondern auf Nutzen, Moral und Vernunft baute. Im Maße, wie diese Eliten eine akademische Ausbildung zunehmend nachweisen mußten, verstärkte sich dieser Trend. In diesen Kreisen entwickelte sich eine gelehrt-aufklärerische Kultur mit einem hohen Moralanspruch, die zwar noch lange den Charakter einer privaten Angelegenheit an sich hatte, aber dann doch rasch an die Öffent¬ lichkeit trat und ein soziales Handeln erzwang, das politisch und sozial die Basis der traditionellen Gesellschaftsordnung erstmals in Frage stellte. Obwohl der Prozeß der Aufklärung seit dem frühen 18. Jahrhundert zwar mit Brüchen und Sprüngen - unaufhaltsam fortschritt, getragen zu¬ nächst von einer kleinen Gelehrtenschicht, dann von Kreisen von Män-

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nern des öffentlichen Lebens, bis gegen Ende tendenziell alle Gebildeten der Gesellschaft erfaßt waren, so prägte ihn doch, behält man die Ge¬ samtgesellschaft des 18. Jahrhunderts, also die bäuerliche, städtische und adelige Welt im Blick, letztlich nur eine Minderheit der Bevölkerung. Nur eine Minderheit suchte jenseits traditioneller Welten eine neue Identität, und dies zunächst auch, ohne für sich und andere soziale Konsequenzen zu ziehen. >Revolutionäre< Gruppen blieben letztlich von marginaler Bedeutung. Die eigentlichen gesellschaftlichen Mittelpunkte und entscheidenden Machtfaktoren blieben bis weit ins 18. Jahrhundert hinein noch immer der fürstliche Hof, die Kirche, die Stände und das Haus. Sie bildeten die Lebensräume, in denen die meisten Menschen noch aufwuchsen und von denen sie fast ausschließlich geprägt waren. Auch die meisten Aufklärer kamen aus diesen Welten. Der Hof blieb bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die zentrale Macht¬ stelle, zu der letztlich nur der Adel Zugang hatte, wenn auch durch die im 18. Jahrhundert beginnende Trennung von Hof und Verwaltung die Büro¬ kratie sich nicht nur institutionell, sondern auch sozial zusehends außer¬ halb des engeren Hofes etablierte und eine Domäne bürgerlicher Beam¬ ter wurde. Der Hof bildete eine abgeschlossene und abgehobene Welt mit eigener Kultur - zumeist verborgen in den zahlreichen Schlössern, deren Glanz allen Menschen, auch den Beamten, ihre Ausgeschlossenheit von der hohen Welt dokumentierte. Hier pflegte der Adel eine höfische Ge¬ selligkeit mit verfeinerten Sitten und Moden und von relativ freizügigem und weltlichem Lebensduktus. Der Adel definierte sich über herrschaft¬ liche Repräsentation. Er wahrte Distanz zum Bürgertum und orientierte sich auf den Fürsten. Der höfische Adel war hoch privilegiert, lebte ent¬ weder von eigenen Gütern oder hatte einträgliche Staatsämter inne. Das Hofleben hatte zu Ende des Jahrhunderts zwar nicht mehr die gesell¬ schaftliche Dominanz wie zu Anfang des Jahrhunderts, stellte aber immer noch den zentralen Bezugspunkt der Gesellschaft dar. Deswegen strebten viele aufklärerische Literaten nicht nur eine höfisch-staatliche Stellung an, sondern auch den Adelstitel, nicht nur um ein gesichertes Leben füh¬ ren zu können, sondern um die angestrebte soziale Anerkennung zu fin¬ den und um - dies eine dritte wichtige Motivation - im Sinne ihrer Reformanliegen stärker wirksam werden zu können. Der aufgeklärte Ab¬ solutismus hatte viele bürgerliche Akademiker und Intellektuelle angezo¬ gen. Das führte einerseits zu einer Auflockerung der Adelswelt, anderer¬ seits zu sozialen Spannungen zwischen Adel und Bürgerlichen, die auch dadurch nicht aufgehoben wurden, daß der Adel sich der neuen Literatur und Philosophie zuwandte, seine traditionelle Verachtung des Staatsdien¬ stes aufgab und sogar vereint mit Bürgerlichen den Staat reformieren wollte. Die höfisch-staatliche Welt bildete jedenfalls den entschei-

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denden Hintergrund vieler Aufklärer. Die Probleme, die sich aus der Ver¬ einigung von Hofleben und aufklärerisch-bürgerlicher Existenz ergaben, wurden deutlich sichtbar etwa im Lebenswerk Adolph von Knigges, eines führenden Propagators des Sozietätswesens. Eine eigene Welt für sich bildete die Kirche. Obwohl sie in der Auseinan¬ dersetzung mit dem Staat an Macht und Selbständigkeit eingebüßt hatte, war ihre Stellung sozial wie kulturell bis weit ins 18. Jahrhundert hinein unangefochten, das gilt für alle Konfessionen. In ihr hatten allein theolo¬ gisch ausgebildete Kleriker das Wort, Laieneinflüsse waren gering. Das auch staatlich sanktionierte Glaubensmonopol grenzte immer noch alle alternativen Auslegungen aus. Sich kritisch gegen die Kirche zu stellen, hatte nicht zuletzt im Hinblick auf die Karriere noch lange harte Folgen, so wenig obrigkeitliche Kräfte von sich aus ein Interesse zeigten, weltliche Gewalt gegen Häretiker einzusetzen. Aber nicht nur durch das Glaubens¬ monopol reglementierten die Kirchen die Weltanschauungen und Glau¬ bensvorstellungen der Menschen, weitgehend geprägt von der Kirche wa¬ ren auch die öffentliche Moral und das Ausbildungswesen. Sowohl im Volksschul- wie Gymnasial- und Universitätswesen besaßen die Kirchen unbeschränkte Einflußmöglichkeiten, nicht weil sie hier autonome Verfü¬ gungsrechte besaßen, sondern in erster Linie, weil sie >staatliche< Aufga¬ ben erfüllten. Erst im letzten Drittel des Jahrhunderts wurden diese Mo¬ nopole angegriffen, was nicht heißt, daß sie von allen Aufklärern prinzi¬ piell in Frage gestellt wurden. Gegen eine aufgeklärte Kirche hatte keiner etwas einzuwenden. Denn obwohl die Führungspositionen in den Kir¬ chen zumeist adeligen oder ehrbar-bürgerlichen Ständen Vorbehalten blieben, war die Kirche nach unten sozial offen, was heißt, daß im 18. Jahrhundert über untere Ämter erstmals stärker kleinbürgerliche Schichten aufrücken konnten. Für viele Aufklärer bot ja nach wie vor die Kirche, ähnlich wie die staatliche Verwaltung, nicht nur materielle Ver¬ sorgung, sondern eröffnete auch Wirkungschancen. Die Zahl der Geist¬ lichen unter den Gelehrten und Aufklärern war nicht gering; weil sich hier außerhalb des Staatsdienstes intellektuelle Bedürfnisse am stärksten verwirklichen ließen, waren kirchliche Stellen trotz starker Reglementie¬ rung recht begehrt. Ähnlich wie der Hof konnte die Kirche manche auf¬ klärerischen Ideen rezipieren. Eine Grenze wurde allerdings auch hier später offenkundig. Das aufklärerische Engagement von Karl Friedrich Bahrdt spiegelt exemplarisch diesen Tatbestand. Eine weitere in sich geschlossene Welt, in die die Menschen des 18. Jahr¬ hunderts noch weitgehend eingebunden waren, von der jedenfalls auch viele Aufklärer geprägt waren, bildeten die Stände. Auch sie hatten an politischer Macht zwar eingebüßt, aber sozial waren sie noch voll präsent. Der einzelne konnte seinen Stand nicht wählen, er wurde in ihn hineinge¬ boren: sein Leben war dadurch sowohl in privater wie beruflicher Hin-

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sicht kontrolliert und reglementiert. Individuelle Bedürfnisse wurden kollektiven Normen unterworfen. Die Stände waren keine Berufsver¬ bände, sondern Lebensgemeinschaften, die das Leben sowohl in religiö¬ ser wie familiärer und wirtschaftlicher Hinsicht umfassend regelten. Öko¬ nomische Expansion schloß dies ebenso aus wie gruppenübergreifende Kommunikation. Die ständische Welt war eine geschlossene Welt mit einer starken sozialen Differenzierung, wobei den >ehrbaren< Schichten in der Regel bestimmender Einfluß zukam. Dies gilt vor allem für das stän¬ dische Handwerk, aber auch für die Kaufmannschaft. Dabei war das Sy¬ stem der Stände keineswegs starr; ihre Zahl vermehrte sich mit der Zu¬ nahme neuer Tätigkeitsbereiche. Selbst die Gelehrten einer Universität verstanden sich als Stand mit eigener Tradition und eigenem Ehrenkodex und ließen nur bedingt >Extravaganzen< zu. Die Standesstruktur war zwar im 18. Jahrhundert nicht mehr geschlossen; die neue Beamtenschaft wie die neue Geistlichkeit fügten sich zusehends nicht mehr in die vorgegebe¬ nen Muster ein; aber viele Aufklärer blieben trotz ihres überständisch¬ aufklärerischen Selbstverständnisses in ihrem familiären und beruflichen Leben der ständischen Welt noch vielfältig verbunden. Solange sie ihre amtlichen Tätigkeiten noch trennen konnten von ihren privaten aufkläre¬ rischen Interessen, gab es für sie keine persönlichen Probleme. Aber in dem Augenblick, als sie begannen, aus ihrem aufklärerischen Engage¬ ment ihr Selbstbewußtsein zu beziehen, wurden ständische Schranken durchbrochen. Eine vierte, das soziale Leben der Bevölkerung des 18. Jahrhunderts ebenfalls noch maßgeblich bestimmende Welt bildete das Haus, das traditionelle ganze >Hausganze Haus< einem sozialen Wandel im 18. Jahrhundert, war aber grundsätzlich noch im Erfahrungshorizont der Aufklärer präsent. Radi¬ kale Brüche gab es kaum, es kam zu Kompromissen ähnüch wie im Be¬ reich des adeligen Hofes, der Kirche und der Stände. Offiziell lebte man noch lange in der hergebrachten Ordnung, im Pri¬ vatem artikulierte man sich dagegen als Aufklärer mit überständischen Interessen. Zwar war der Ausgangspunkt eines >Ausbruchs< aus der

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traditionellen Ordnung sehr unterschiedlich, aber jedesmal spielte eine schulische Ausbildung und Bekanntschaft mit der neuen Literatur zu¬ meist über die Zeitschriften und das Treffen mit Gleichgesinnten eine entscheidende Rolle. Als dann mit steigendem Selbstbewußtsein höfische Geselligkeitsformen und ständische Lebensgewohnheiten als unbefriedi¬ gend empfunden wurden, konnten sich Gruppen konsolidieren, die sich von der traditionellen Ordnung abhoben und ihre Identität aus der über¬ ständischen Kommunikation bezogen. Die genannten vier traditionellen Ordnungen sind in ihren Konsequen¬ zen für das soziale Leben des einzelnen auch für die Lebenswelt der Aufklärer und Gebildeten voll zu vergegenwärtigen, wenn wir verstehen wollen, wie langsam zum einen der Prozeß der Aufklärung im 18. Jahr¬ hundert vor sich ging und zu einer >sozialen< Kraft erst zu Ende des 18. Jahrhunderts wurde, und wie stark zum anderen die Aufklärung mit ihren Forderungen nach Moral und Vernunft bzw. nach Unterstellung des ganzen gesellschaftlichen Lebens unter das Gebot von Moral und Ver¬ nunft etwas Neues war, das die alte Welt langfristig in Frage stellte. Solange die Forderungen im Bereich des Privaten, damit Sache des ein¬ zelnen blieben, gab es kaum Probleme für den Aufklärer und seine Um¬ welt - die neuen Aktivitäten wurden neben die alten gestellt. Erst als die Selbstbildung zu einer Kritik an Staat und Gesellschaft führte, aufkläreri¬ sche Gruppen zumindest für sich selbst soziale Konsequenzen aus den neuen moralischen und vernünftigen Postulaten zogen und sich von tradi¬ tionellen Lebensbezügen befreiten, entwickelte sich eine Dynamik, die die Gesellschaft langfristig umändern sollte. Dieser Prozeß ist zwar einge¬ bunden in einen gleichzeitig sich vollziehenden ökonomisch-politischen Wandel, besaß aber eine eigene Dimension. Grundsätzliches soziales Un¬ behagen artikulierten im 18. Jahrhundert jedenfalls nicht die Unter¬ schichten, sondern das gebildete Bürgertum, das im Dienste an Staat, Kirche und Wirtschaft mündig geworden war. In keinem Zeitalter spielte literarische und philosophische Beschäftigung und Auseinandersetzung eine so stark emanzipatorische Rolle wie im 18. Jahrhundert: sie war das Medium bürgerlich-intellektueller Selbstfindung. Und ehe bürgerlich¬ vernünftige Ordnungsmuster maßgebend für die ganze Gesellschaft wur¬ den, waren sie zunächst Zielvorstellungen primär von Gelehrten, Intel¬ lektuellen und Gebildeten. Diese Zielvorstellungen berührten nun nicht nur den Bereich der von der konkreten Lebenswelt abgehobenen Weltan¬ schauung, sondern bald auch die Lebensweise des sich intellektuell arti¬ kulierenden Bürgertums selbst und sprengten so erstmals den traditionel¬ len Geselligkeitsrahmen. Es entwickelte sich gewisserweise neben den alten Ordnungswelten von Hof, Kirche, Stand und Haus eine neue Kraft, die zunächst nur eine private Angelegenheit des Bürgertums war, dann aber zum Muster eines generellen gesellschaftlichen Verhaltens wurde.

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Entwicklung des Sozietätswesens im 18. Jahrhundert nach Gründungsdaten

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Weil sich der Emanzipationsprozeß in Deutschland über die Bildung voll¬ zog, bedeutete die Konzentration auf Bildung keinesfalls einen politi¬ schen Rückzug. Bildungsaneignung und Selbstfindung waren soziale Pro¬ zesse. Die traditionelle Ordnung in Frage zu stellen, gemeinsame Reforminteressen auszubilden, sich zu organisieren und gesamtgesell¬ schaftlich auch politisch tätig zu werden, waren grundlegend neue Mo¬ mente in der europäischen Zivilisationsgeschichte. Diesen Prozeß der Ausbildung neuer Kommunikationsformen in der ständisch strukturierten Gesellschaft darzustellen, dem gilt unser Inter¬ esse; er ist verbunden mit der Geschichte bürgerlicher Selbstfindung und Interessenartikulation und -Wahrnehmung. Obwohl der Emanzipations¬ prozeß breitenwirksam erst zu Ende des 18. Jahrhunderts greifbar wird, hat er eine lange Vorgeschichte. Die Aufklärer selbst verwiesen auf sie und verliehen damit ihren Anliegen eine große, weit zurückreichende Tradition. Wichtige Merkmale bildeten sich sogar bereits in den verschie¬ denen Sozietäten des 16. und 17. Jahrhunderts aus.

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II. Gelehrt-literarische Sozietäten im 17. Jahrhundert

1. Die humanistischen Sodalitäten Die ersten freien Vereinigungen entstanden im Zusammenhang mit der Herausbildung einer weltlichen Kultur im Humanismus.1 Ein sich außer¬ halb von Kirche und Universität konstituierender Gelehrtenstand gab sich in den sog. Sodalitäten eine neue, von zünftischen, monastischen und korporativen Bindungen unabhängige, freie Kommunikationsform. Sie kam einmal dem neuen Bedürfnis nach außerständischer Geselligkeit und gelehrtem Gespräch entgegen, zum anderen schuf sie Voraussetzungen und Bedingungen für die Entstehung einer von der Theologie emanzi¬ pierten weltlichen Wissenschaft. Ohne Zweifel handelt es sich nur um erste Ansätze eines freien Vereinigungswesens, die Organisationsstruk¬ tur läßt sich aufgrund der Quellen nur schwach rekonstruieren. Schon vor 1500 hatten sich in Reichs- und Universitätsstädten lockere Zirkel von humanistischen Gelehrten gebildet; sie ergänzten als neue Kommunikationsform die durch das rasch sich verbreitende Verlagswe¬ sen und das Commercium litterarum bestehenden überregionalen Ver¬ bindungen und Zusammenhänge durch persönlichen Kontakt und private Gespräche. Eine Institutionalisierung dieser Zirkel zu Freundschaftsbün¬ den und gelehrten Gesellschaften initiierte aber erst der deutsche Erzhu¬ manist Conrad Celtis (1459-1508), dessen weltlicher Lebensstil und welt¬ liches Selbstverständnis Programm des deutschen Humanismus wurden.2 Die Unterstützung des Kaisers war ihm sicher. Nach dem Vorbild huma¬ nistischen Lebens und humanistischer Gesellschaften Italiens, wie sie die platonische Akademie in Florenz und die literarische Gesellschaft in Rom insbesondere verwirklicht hatten, organisierte Celtis in vielen Städten hu¬ manistische Sodalitäten als Zentren humanistischer Bildung. Aus dem Heidelberger Kreis bildete sich eine >Sodalitas ütteraria RhenanaSodalitas litteraria DanubianaCollegium poetarum et mathematicorum< an der Universität in Wien, das aus führenden Mitgliedern der Donausodalität zusammengesetzt wurde und eine gewisse humanisti¬ sche Konkurrenz zum Traditionalismus der artistischen Fakultät bilden sollte. Im Collegium sollten die modernen Wissenschaften wie Poetik und Mathematik, aber auch Geschichte, Philosophie, Kosmographie, lateini¬ sche wie griechische Sprachkunde gepflegt werden. Doch sowohl die deutschen literarischen Gesellschaften wie das Collegium überlebten Celtis nicht, es fehlte für eine fruchtbare Tätigkeit an gesellschaftlichen Vor¬ aussetzungen, aber auch an einem alle Humanisten einigenden theoreti¬ schen Programm. Die Sodalitäten und bedingt auch das Wiener Collegium verfolgten einen dreifachen Zweck: Einmal verstanden sie sich als Vereinigung von gelehr¬ ten Freunden mit gleichen humanistischen Interessen, die sich privat tra¬ fen und dabei gegenseitig in ihren literarischen Tätigkeiten unterstützten, Lehrstücke ihrer Beredsamkeit vortrugen, selbst Theaterstücke aufführ¬ ten und beim Gastmahl gesellige Stunden verbrachten. Hierdurch sollte ein neuer Gelehrtenhabitus gebildet werden, der sein Gefallen nicht mehr an den großen Schaudisputationen der Scholastiker finden sollte, bei denen es darauf ankam, mit formallogischem Scharfsinn und differen¬ zierter Fachterminologie um ein dialektisches Problem zu streiten, son¬ dern am geselligen Kreis der Gelehrten nach antikem Vorbild. Darüber hinaus waren die Sodalitäten gelehrte Gesellschaften, in denen wissen¬ schaftliche Pläne diskutiert wurden. Celtis erwartete von ihnen Anregun¬ gen für Quellensammlungen und die Herausgabe gemeinsam erstellter Werke. Es sollte ohne gegenseitige Korrektur und ohne Zustimmung der Sodalitas kein Werk publiziert werden. Der einzelne Autor unterwarf sich bei derartigen Unternehmungen der Kritik seiner gleichgesinnten Freunde. Schüeßlich verstand sich die Sodalität auch als Schutzorganisa¬ tion der Humanisten gegen den übermächtigen Scholastizismus der Uni¬ versitäten, sie schuf Zellen, von denen aus die Reform des öffentlich¬ staatlichen Bildungswesens in Angriff genommen werden konnte. Die bekannten Dunkelmännerbriefe entstanden aus dem Kreis der Erfurter Sodalität, und die Gründung des Wiener Kollegiums weist auf die Funk¬ tion der Sodalität, dem neuen humanistischen Programm eine institutio¬ nelle Sicherung zu geben.

2. Sprachgesellschaften Gesellschaftsformen eigener Art bildeten ein Jahrhundert später die sog. Sprachgesellschaften: sie waren zugleich die ersten Vereinigungen, die eine konkrete Gestalt erhielten und z. T. lange existierten.3 Sie unter-

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schieden sich wesentlich von den von Joh. Val. Andreae konzipierten christlichen Gesellschaftern, knüpften in ihren Zielvorstellungen eher an die humanistischen Sodalitäten an und fanden eine gewisse Fortsetzung in den sog. >Deutschen< Gesellschaften des 18. Jahrhunderts. Jedenfalls be¬ riefen diese sich auf die Sprachgesellschaften als ihre Vorgänger. Der Begriff >Sprachgesellschaft< ist etwas irritierend: Zum einen umfaßt er sowohl Gesellschaften mit hohem Organisationsgrad wie auch Literaten¬ gruppierungen mit lockerer Bindung, zum anderen ging es zwar um die deutsche Sprache und Literatur, doch bildeten diese nur ein, wenn auch wichtiges Moment zur Stärkung von tugendhaftem und national-patrioti¬ schem Verhalten. Mit gutem Grund könnten die gleichen Vereinigungen auch Tugendgesellschaften heißen, wie einige von ihnen sich tatsächlich nannten. Zwar war die fruchtbringende Gesellschaft von Fürst Ludwig von Anhalt (1617) die größte und bekannteste Sprachgesellschaft, neben ihr kam aber noch zahlreichen weiteren eine zum Teil beachtenswerte Bedeutung zu, so etwader >Deutschgesinnten Genossenschaft von Philipp von Zesen (1643) in Hamburg,4 dem >Pegnesischen Blumenorden< von Gg. Philipp Harsdörfer (1644) in Nürnberg und dem >Elbschwanenorden< von Johann Rist (1656/60) in Wedel.5 Hinzu kamen die kleineren Gesellschaf¬ ten: die > Aufrichtige Tannengesellschaft von Jesaias Rompier von Löwen¬ halt (1633) in Straßburg, die >Neunständige Hänseschaft ebenfalls von Philipp von Zesen (1643/4), das >Poetische Kleeblatt von Joh. Christoph Becher (1671) in Straßburg, der >Belorbeerte Tauben Ordern (1693), des¬ sen Gründer und Gründungsort unbekannt sind;6 weiter auch die >IsterGesellschaft in Niederösterreich7 und die Jugendliche Gesellschaft in Sachsen, lockere Gesellschaften adeliger Damen.8 Die einflußreichsten und bekanntesten Gesellschaften waren die fruchtbringende Gesell¬ schaft und der fegnesische BlumenordenPalmenordenAnnahmungsbrief< zugeschickt. Der Zusammen¬ halt mit der Gesellschaft war nur durch eine Korrespondenz gegeben. Sie

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konnte zu einem geistigen Austausch führen, in der Regel aber be¬ schränkte sich der Briefwechsel auf die Formalitäten der Aufnahme. Eine weitere Verbindung äußerte sich einzig in der Publikation unter dem Gesellschaftsnamen. Von diesen >korrespondierenden< Mitgliedern unter¬ schieden sich diejenigen, die zur Aufnahme am Gesellschaftsort anwe¬ send waren. In diesem Fall erfolgte ein strenges Aufnahmeritual. Die anwesenden Mitglieder saßen mit dem Oberhaupt um einen Tisch herum. Die Gesetze wurden vorgelesen, auf die der Neuankömmling einge¬ schworen wurde. Dann erhielt er Name, Spruch und Bild. Dem zeremo¬ niellen Teil folgte in der Regel ein geselliger Ausklang. Dem neuen Mitglied wurde ein Glas zum Trunk gereicht, worauf ihm die anderen Mitglieder zutranken. Diese >Hänselung< entsprach der traditionellen Aufnahme in eine Zunft. Die Fruchtbringende Gesellschaft besaß eine einfache Organisations¬ struktur: es gab ein Oberhaupt und einen Erzschreinhalter, der für die Korrespondenz zuständig war und die Mitgliederliste führte. Mit der Er¬ nennung zum Mitglied war in der Regel die Haupttätigkeit der Leitung erschöpft. Das schloß allerdings nicht aus, daß es im Zusammenhang mit der Aufnahme neuer Mitglieder in Köthen oder Weimar zu gemeinsamen Zusammenkünften kam. Aber so sehr gemeinsame Aktionen erwünscht waren, büeben sie doch weitgehend aus. Das Hauptinteresse des leitenden Fürsten war es, Gunst zu erweisen, um dadurch selbst als Fürst Verehrung auch und gerade unter Literaten zu finden, was reichlich geschah. Dichter und Schriftsteller ihrerseits er¬ strebten die Mitgliedschaft, weil diese die Anerkennung ihrer geistigen Leistung in einer höfischen Welt bekundete, auf deren Unterstützung sie angewiesen waren. Obwohl die Gesellschaft selbst kaum etwas unter¬ nahm, um ihre Ziele aktiv zu fördern, durch Gemeinschaftsarbeiten etwa, wie wir sie aus Italien kennen, verschmähte doch kein auch noch so bekannter Autor die Mitgliedschaft. Wir finden hier unter anderen An¬ dreas Gryphius und Gg. Philipp Harsdörfer, Friedrich von Logau und Joh. Michael Moscherosch, Martin Opitz und Caspar Stieler, Johann Rist und Philipp von Zesen. Viele von ihnen waren gleichzeitig noch in ande¬ ren Gesellschaften organisiert. Es ist immer wieder hervorgehoben worden, daß die Sprachgesellschaf¬ ten im 17. Jahrhundert kaum einen Beitrag zur Besserung der deutschen Literatur geleistet hätten, im Gegenteil in eitlem, höfischem Spiel ver¬ blieben wären. In der Tat hat die Gesellschaft selbst unmittelbar produk¬ tiven Einfluß auf die Literatur nicht ausgeübt, sie war mehr an den Hof gebunden, als ihr guttat, doch dies ist nur die eine Seite. Die Tatsache, daß sich Literaten aus ganz Deutschland aus patriotischen und morali¬ schen wie literarischen Gründen vereinigten, ist etwas grundlegend Neues. Hinzu kommt, daß bei aller Einschränkung erstmals kein Unter-

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schied zwischen den Ständen, zwischen Adel und Bürgern, gemacht wurde, wie auch konfessionelle Gegensätze zwischen Reformierten und Lutheranern schwiegen. Dies ist um so bemerkenswerter in einer Zeit, als die konfessionellen Auseinandersetzungen auf dem Höhepunkt standen und der Adel zusehends begann, sich von Bürgerlichen bewußt abzuset¬ zen. Zwar gab es, wie gesagt, kaum gemeinsame Arbeiten, weder an der Satzung noch an gemeinsamen Schriften, noch gab es Großunternehmun¬ gen, aber die Literaten einigten sich doch auf ein allgemeines Programm, das der Ausbildung eines patriotischen Bewußtseins auf der Basis hoch¬ deutscher Barockdichtung zugute kam. Sosehr subjektiv nur individuelle Ehre gewonnen wurde, stärkte die Gesellschaft zugleich doch auch eine nationale protestantische Kultur. b) Pegnesischer Blumenorden Anders als die fruchtbringende Gesellschaft entstand der >Pegnesische Blumenorden< aus einer engeren Dichtervereinigung.12 Anläßlich einer Doppelhochzeit hatten 1644 Gg. Philipp Harsdörfer und Joh. Klai, be¬ kannte Vertreter der Schäferpoesie, gewisserweise als feierliches Gesell¬ schafts- und Auftragsspiel, ein »Pegnesisches Schäfergedicht in den Berinorgischen Gefilden, angestimmt von Strephon und Clajus« verfaßt, aus dem die Idee eines Blumenordens erwuchs. Auch diese Gesellschaft führte Gesellschaftsnamen ein. Das Sinnbild des Ordens war die Panpfeife, die andeuten sollte, »daß gleich wie diese unterschiedlichen Röh¬ ren in einer Pfeiffe vereinigt, zu einem Ton zusammenstimmen, also auch diese Pegnitz-Hirten mit ihren Liedern und Gedichten alle auf einen Zweck, nemlich zu Gottes Ehre, zur Tugend-Lehre und teutschen Spra¬ che und Dichtkunst, Ausübung und Vermehrung abzielen sollen«. In sei¬ ner Organisationsstruktur ist der Dichterkreis schwer zu beschreiben, erst unter dem späteren Vorstand Sigmund von Birken wird er als regel¬ rechte Sprachgesellschaft mit einer klaren Mitgliederpolitik greifbar, die sich ganz auf das Nürnberger Umfeld beschränkte. Es gab zwar früh Ge¬ setze, doch gedruckt liegen sie erst aus dem Jahre 1716 vor.13 Zwar ging es der Dichtervereinigung primär um Förderung der deutschen Sprache, doch gleicherweise stehen Tugend und die Ehre Gottes als mora¬ lisch-sittliche Ziele im Vordergrund. Der »gekrönte Pegnesische Blumen¬ orden« soll »seinen Landleuten« Anlaß geben, »als geborene Teutsche sich der Reinigkeit der deutschen Sprach, so wohl in Reden, als Schreiben zu befleissigen und, wann ja dieser Endzweck, wie er wohl vorausgesehen bey dem gemeinen Volk nicht könnte erhalten werden, doch zum wenig¬ sten diejenige, die durch gute Künste und Wissenschaften sich von dem Pöbel zu unterscheiden pflegen, mit ihm ihre Mutter-Sprache zu verbes¬ sern, sich möchten angelegen seyn lassen, um sich dadurch den Weg zu 23

bahnen, daß sie nachgehends zu dem Eintritt in den Hochlöblichen Pal¬ menorden gelangen können«.14 Einen literarischen Höhepunkt erlebte der Blumenorden in der Frühzeit unter Harsdörfer auf den Friedensfeiern, die 1649-50 in Nürnberg statt¬ fanden und bei denen Harsdörfer, Klai und Birken den Frieden feierüch priesen. Der Westfälische Friede wurde im Kreis der Nürnberger Schäfer als nationales Fest gefeiert. Ihre zu diesen Feiern veröffentlichten Schrif¬ ten zeigten ein geistiges Nationalbewußtsein, in dem die traditionelle Reichsidee verbunden wurde mit einem neuen, sprachlich-kulturellen Begriff der Nation.15 Der >Blumenorden< war weit weniger bekannt als die fruchtbringende Gesellschaft. Seine Mitgliederzahl stieg nur langsam. Harsdörfer nahm bis 1658 nur 14 Mitglieder auf, den stärksten Aufschwung erlebte der Orden unter Birken, der bis 1681 weitere 58 Mitglieder gewinnen konnte. Sie rekrutierten sich weitgehend aus dem bürgerlichen Stand. Ein großer Teil entstammte der Nürnberger Oberschicht, die Mitglieder waren ent¬ weder in Nürnberg geboren oder aufgewachsen, die meisten von ihnen hatten in Altdorf studiert. Außer akademisch Gebildeten, Geistlichen, Juristen und Schulmännern nennt die Mitgliederliste sogar einige Kauf¬ leute. Der Adel war nur schwach vertreten. Die Differenz zur Fruchtbrin¬ genden Gesellschaft in der Mitgliederstruktur wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, daß auch Katholiken Aufnahme fanden und bis 1681 sogar 13 Frauen Mitglieder wurden. Birken war davon überzeugt, »daß die Natur dieses Geschlechte von der Tugend- und Weißheit-Fähigkeit nicht ausschließe«;16 zu den weiblichen Mitgliedern zählte immerhin die be¬ kannteste Romanschriftstellerin des 17. Jahrhunderts Maria Catharina Stockfleth. Der Orden war ganz und gar an die Stadt Nürnberg gebunden, der Präses sollte dort ansässig sein. Zunächst trafen sich die Dichter an der Pegnitz, dann im Garten des Kaufmanns Andreas Ingolstätter, später im eigens eingerichteten >Irrhain< bei Kraftshof. Die Sozietät umfaßte zwar eine beträchtliche Anzahl von bekannten Nürnbergern; es fehlten aber ande¬ rerseits angesehene Schriftsteller und Dichter, wie vor allem der Prediger Joh. M. Dilherr, der auf Harsdörfer einen großen Einfluß ausübte,17 oder auch die in Nürnberg lebende Catharina Regina von Greiffenberg, ob¬ wohl Birken mit ihr befreundet war.18 Zwischen den literarischen und persönlichen Freundschaften Birkens und seinem >OrdensSocietas ereunetica< gab.20 Wir wissen zwar nicht viel von dieser Gesellschaft, doch bekannt ist laut den erhaltenen Gesetzen, daß hier Gelehrte unter der Leitung eines Präsidenten die »Wahrheit der Vernunft und der Erfahrung« erforschen wollten. Instru¬ mente und Geräte sollten gemeinsam angeschafft werden. Jedes Mitglied sollte sich auf ein Gebiet spezialisieren. Bemerkenswert ist die Idee, daß ein Gelehrter das Recht an seinem geistigen Eigentum behielt. Wichtige Beschlüsse sollten von allen gemeinsam getroffen werden, auch der Aus¬ schluß eines Mitglieds sollte der Zustimmung aller bedürfen. Zum Schutz der Forschung und der Forscher sollten die Gesetze nicht öffentlich be¬ kannt werden. Davon überzeugt, »was an einer Person hanget, ist sterb¬ lich, was am ganzen Collegio ist dawerhaft«, propagierte Jungius damit erstmals die Zusammenarbeit der Forscher in einem freien Meinungsaus¬ tausch. Sosehr die Unterordnung unter einen Präsidenten gegeben war, blieben andererseits die Rechte des einzelnen gewahrt. Für diese kühnen Ideen zeigte sich in der engeren Umgebung von Jungius durchaus Inter¬ esse, aber zur Errichtung der Societas kam es wohl wegen der begin¬ nenden Wirren des 30jährigen Krieges nicht. Weit bekannter ist die > Academia Naturae curiosorumLeopoldinaNova Atlantis< jeder Grundlage entbehren. Anfangs handelte es sich ausschließlich um eine Vereinigung von Medizinern »zum Wachstum der Heilkunde, zum Vorteil für den Nächsten und zur Erforschung der Wahrheit«.22 Es sollte keine öffent¬ liche Akademie sein, sondern eine private Vereinigung von Wissenschaft¬ lern, die »Naturae Curiosi seien, Wißbegierige in Sachen Naturge¬ schichte«. Unter Naturforschung verstand die damalige Zeit mehr die Sammlung und Beobachtung von Naturkuriositäten als eine experimen¬ telle Wissenschaft, die Neues entdecken wollte. Die Gesellschaft hatte einen Präsidenten, dessen Wohnort zugleich der Standort der Gesellschaft war, erst im 19. Jahrhundert erhielt die Akade¬ mie in Halle einen ständigen Sitz. Jedes Mitglied sollte sich aus dem Pflan26

zen-, Tier- und Mineralienreich einen Forschungsgegenstand auswählen. Namen und Synonyma, Entstehungsweise, Ort der natürlichen Vorkom¬ men, Unterschiede und Arten waren ebenso zu beschreiben wie die Kräfte des Ganzen und seiner Teile und die Wirkungen der daraus gewon¬ nenen Medikamente. Man sollte sich dabei auf eigene Beobachtungen ebenso stützen wie auf Berichte anderer. Jeder sollte für sich die For¬ schung vorantreiben, gemeinsames Arbeiten gab es ebensowenig wie ge¬ meinsame Sitzungen, die auch aufgrund der weit auseinanderhegenden Wohnorte der Mitglieder kaum realisiert werden konnten: Nur die in Schweinfurt und in der unmittelbaren Umgebung wohnenden Mitglieder trafen sich gelegentlich. Auch diese Gesellschaft gab ihren Mitgliedern Gesellschaftsnamen. Sich als Gemeinschaft kenntlich zu machen, scheint dieser Sozietät wichtig gewesen zu sein. Jedes Mitglied erhielt dazu einen Siegelring mit einem Wappen, auf dem ein offenes Buch dargestellt ist, auf dessen einer Seite eine Pflanze, auf der anderen ein Auge eingraviert ist, das von Strahlen, die aus den Wolken hervorbrechen, beleuchtet wird. Das Buch wird zu beiden Seiten von zwei Schlangen gehalten, die sich mit ihren Leibern und Schwänzen um den Ring winden und das Buch mit dem Maul packen. Als Wahlspruch wählte man »nunquam otiosus«. Obwohl es von Anfang an nicht an ernsthaftem Willen fehlte, hatte die Gelehrte Gesellschaft beträchtliche Probleme, Mitglieder zu gewinnen, Gelder zu erlangen und öffentliche Anerkennung zu finden. Der be¬ kannte Philosoph und Mathematiker Leibniz hat diese Schwierigkeiten für eine Gesellschaft von Naturforschern im 17. Jahrhundert klar er¬ kannt. Im Collegium Naturae Curiosorum sah er mehr »ein Zeichen unsers willens, daß wir (Deutsche) wie junge Vögel gleichsam zu flattern angefangen. Aber auch dabey unsers Unvermögens und daß denen wol¬ lenden nicht unter die arme gegriffen worden.«23 Hier spielte Leibniz auf die fehlende Unterstützung von seiten der Höfe an, bei denen Engländer und Franzosen größeres Interesse fanden. Aber Leibniz weist auch auf die zweite Schwierigkeit der Gesellschaft, sich aktiv zu bewähren, hin: sie würde nur Materialien sammeln und nicht neue Dinge aus »eigener experienz« entdecken wollen. Deswegen sei es kein Wunder, wenn das Colle¬ gium auch keine Aufmerksamkeit wecke. Die Lage änderte sich erst, als dank des Engagements des schlesischen Arztes Philipp Jacob Sachs von Lewenhaimb Kontakte zum Wiener Hof geknüpft wurden und Kaiser Leopold I. die Akademie 1672 bestätigte. Einige Jahre später, 1687, wurde sie zur kaiserlichen Akademie unter dem Titel >Sacri Romani Imperii Academia Caesareo-Leopoldina-Naturae Curiosorum< erhoben, erhielt zahlreiche Privilegien, vor allem das Recht zur Verleihung akademischer Grade und völlige Zensurfreiheit, wodurch der freie wissenschaftliche Meinungsaustausch gegenüber staat27

liehen und kirchlichen Einflüssen gesichert wurde. Es handelte sich um ein Privileg, das im 18. Jahrhundert zum zentralen Anliegen der Gelehr¬ ten wurde. Eine direkte finanzielle Unterstützung war damit allerdings noch nicht gewährt, sie erfolgte erst 1712, als die Gesellschaft sich nun >Academia Caesarea Leopoldino-Carolina Naturae Curiosorum< nennen konnte. Aber nicht allein die öffentliche Anerkennung bedeutete die Si¬ cherung der Gesellschaft, nicht minder entscheidend wurde die von Sachs ebenfalls angeregte Herausgabe eines Publikationsorgans, der >Miscellanae curiosae medico-physicae Academiae Naturae Curiosorum sive Ephemeriden< (seit 1670). Der Titel änderte sich später noch öfter. Hier war nun die Möglichkeit gegeben, wissenschaftliche Ergebnisse einem breiten internationalen Publikum schnell bekannt zu machen. Es war dies die älteste medizinisch-naturwissenschaftliche Fachzeitschrift. Da sie aber in lateinischer Sprache publiziert wurde und entsprechend ihrer Sat¬ zung mehr Curiositäten brachte als wirkliche Forschung im modernen Sinn, wie dies in englischen Akademiepubükationen der Zeit bereits der Fall war, blieb sie lange ohne große Wirkung. Die Leopoldina ist im Vergleich zu den Akademien des 18. Jahrhunderts nie sonderlich bekannt geworden, vorwiegend gelehrte Mediziner, unter ihnen auch bereits einige Ausländer, waren ihre Mitglieder. Gemeinsam¬ keiten gab es nur allgemein im Verständnis der Medizin als polyhistori¬ sche Wissenschaft. Nicht das Wissenschaftsverständnis war also das No¬ vum, sondern die Entstehung eines Zusammengehörigkeitsbewußtseins unter dem Schutz des Kaisers.

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III. Die Gelehrtenrepublik

Das 17. Jahrhundert hatte bereits eine Reihe von Versuchen zu einer Ge¬ sellschaftsgründung gekannt. Im großen und ganzen konzentrierten sie sich bei aller gleichzeitigen moralisch-patriotischen Ausrichtung auf drei Grundmuster, auf eine sprachlich-literarisch orientierte Vereinigung, wie wir sie in den Sprachgesellschaften realisiert finden, auf eine naturphilo¬ sophische Sozietät, wie wir sie in der medizinischen Vereinigung der Leo¬ poldina wiederfinden, und schließlich auf eine christlich-gelehrte Gesell¬ schaft, die aber utopische Projektion blieb. Es waren mehr oder weniger alles private Vereinigungen, Gründungen bzw. Gründungsversuche von Privatpersonen, die zwar außerhalb der bestehenden Ordnungsmächte wie Hof, Kirche und Ständen Interessen organisieren wollten, die bisher nicht institutionalisiert waren, aber einen ständisch-obrigkeitlichen Duk¬ tus beibehielten. Der reformerische Impuls ist unverkennbar, erstrebt wurde entweder eine neue Literatur bzw. gereinigte Sprache, die zur Be¬ lebung des patriotischen Bewußtseins beitrug, oder eine von scholasti¬ schem Gelehrtengezänk befreite Wissenschaft, die zum Nutzen der Men¬ schen dienen sollte. Es waren jeweils Eliten, die sich organisierten, die zumeist aus dem Bürgertum (und dem Adel) kamen und deren Mitglieder als einzelgängerische Gelehrte sich außerhalb der bestehenden gelehrten Institutionen einen Namen gemacht hatten. So sehr dabei alle Vereini¬ gungen christlich-patriotische Ambitionen, also nicht nur ein pragmati¬ sches Ziel vor Augen hatten, hatten doch nur diejenigen Sozietäten eine Chance auf Verwirklichung, die sich am stärksten in die bestehende Ord¬ nung einfügten und außerdem eine konkrete, überschaubare Aufgaben¬ stellung kannten und dadurch obrigkeitlich-öffentliche Anerkennung fanden. Das 17. Jahrhundert überlebte in Deutschland allein die Leopol¬ dina, wenn wir die Gesellschaft der Nürnberger >Schäfer< (Blumenorden) einmal außer acht lassen. Die eigentliche Geschichte der Aufklärungsgesellschaften als Medien frühbürgerlicher Selbstbestimmung und Kultur begann aber nicht mit den Sozietäten des 17. Jahrhunderts und ihren Interessen, so wichtige Bau¬ steine sie auch lieferten. Am Beginn des Prozesses der Selbstorganisation des Bürgertums stehen zwei große Gesellschaftsbewegungen, und zwar die gelehrte Gesellschaft, wie sie Leibniz erstmals in der Berliner Akade¬ mie der Wissenschaften verwirklichen konnte, und die literarische Ge¬ sellschaft, wie sie Gottsched in der Leipziger Deutschen Gesellschaft be29

gründet hat (s. KarteS. 174/5). Sie beriefen sich beide auf ihre Vorgänger, nahmen auch vielfältige ausländische Erfahrungen (Italien, England) auf, stellten aber etwas völlig Neues dar und schufen damit entscheidende Grundlagen für die Entwicklung der Aufklärung in Deutschland.1

1. Die gelehrte Gesellschaft a) Leibniz und die gelehrte Gesellschaft Die zentrale Figur der Sozietätsbewegung zu Ende des 17. bzw. Anfang des 18. Jahrhunderts in Deutschland war der Universalgelehrte und Phi¬ losoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716); zeit seines Lebens setzte er es sich zum Ziel, eine gelehrte Gesellschaft zu gründen, die einerseits den Forderungen der neuen Wissenschaften nach gemeinsamer, praxis¬ relevanter Forschung, andererseits den Erwartungen des Staates an die praktische Wissenschaft zur Mehrung des gemeinen Nutzens entsprach. Theoretische wie politische, philosophische wie einzelwissenschaftliche Interessen flössen hier zusammen. Leibniz hat die umfassendsten Kon¬ zepte vorgelegt, die wir aus dem 18. Jahrhundert kennen. Er kannte die deutsche und ausländische Entwicklung der Organisierung wissenschaft¬ licher Interessen, stellte sich in deren Tradition und wußte sich als ein nicht an einer Universität lehrender, sondern am Hof lebender Gelehrter mehr als andere auf die politische Struktur der Zeit einzustellen. Die Durchsetzung der neuen Wissenschaft, die Erneuerung des Wissen¬ schaftsbetriebes und eine Reform des gesellschaftlichem Lebens aus dem Geist der rationalen Wissenschaft erwartete Leibniz nicht von den tradi¬ tionellen Bildungsinstitutionen, sondern von einer am Hof institutionali¬ sierten Wissenschaftsorganisation.2 Die Idee einer gelehrten Gesellschaft entwickelte Leibniz erstmals wäh¬ rend seiner Mainzer Jahre; während die >Societas philadelphica< (1669), in der er den Zusammenschluß von Gelehrten nach dem Vorbild religiö¬ ser Orden forderte, noch utopische Züge trug, legte er mit seinem >Grundriß eines Bedenckens von Aufrichtung einer Societät in Deutsch¬ land zu Aufnehmen der Künste und Wissenschafften< (1671) einen detail¬ lierten Plan vor, wie durch die Gründung einer gelehrten Gesellschaft theoretische Erkenntnisse vermehrt und praktisch nutzbar gemacht wer¬ den könnten, wodurch allein die Glückseligkeit des menschlichen Ge¬ schlechts gesichert sei. Als er damit am Mainzer Hof wenig Interesse fand, versuchte er nach seinem Pariser Aufenthalt (1672/3) erneut, Ge¬ lehrte zur Gründung einer nun kaiserlichen Gesellschaft aufzurufen. Das Wissen sollte nicht aus Schriften, sondern aus der Natur selbst und der »Schatzkammer« des Verstandes geschöpft werden. 50 Gelehrte soll 30

er damals bereits angesprochen haben. In Hannover verfolgte er zunächst keine weiteren Pläne bis auf die Unterstützung der Gründungsversuche eines historischen Reichskollegs in Wien; großen Erfolg hatte Leibniz erst in Berlin, wo er in Zusammenarbeit mit dem Hofprediger Jabionski den Kurfürsten zur Errichtung eines Observatoriums und dann auch einer Sozietät bewegen konnte. Nachdem Anfang 1700 ein kurfürstlicher Befehl ergangen war, »eine Academie des Sciences und ein Observatorium in Berlin zu etablieren«,3 verfaßte Leibniz die Stiftungsurkunde und wurde auf Lebenszeit Präsi¬ dent der zu errichtenden Akademie. Gemäß der Stiftungsurkunde sollte die Sozietät »dahin trachten, daß vermittels betrachtung der wercke und Wunder Gottes in der Natur, auch anmerckung, Beschreib- und Aus¬ übung derer Erfindungen, Kunstwercke, geschäffte und Lehren, nütz¬ liche Studia, wissenschafften und Künste, auch dienliche Nachrichtun¬ gen, wie die nahmen haben können, excoliret, gebessert, vollgefaßet und recht gebrauchet, und dadurch der Schatz der bisher vorhandenen aber zerstreuten menschlichen Erkäntnissen nicht allein mehr und mehr in Ordnung und in die enge gebracht, sondern auch gemehret und voll ange¬ wendet werden möge«.4 Bis zur feierlichen Eröffnung dauerte es allerdings noch 10 Jahre. Während dieser Zeit blieb Leibniz nicht untätig, sondern versuchte ein ganzes Netz von wissenschaftlichen Sozietäten in verschiedenen Ländern aufzubauen. Die Gespräche und Verhandlungen in Dresden, Petersburg und Wien kamen gut voran, aber trotz der Unter¬ stützung durch Peter den Großen in Rußland und Prinz Eugen in Wien blieben diese Projekte in der Planung stecken. Sie zeigen aber, wie weit¬ räumig Leibniz dachte. Leibniz hat sehr viele Initiativen angeregt, unmit¬ telbaren Erfolg hatte er allerdings nur in Berlin, selbst hier gab es endlose Schwierigkeiten und immer neue Abstriche von seinem Konzept. Was Leibniz beschäftigte, war keine kleine lockere Vereinigung von Ge¬ lehrten, sein letztes Ziel ging auf die staatlich anerkannte und geförderte Akademie der Wissenschaft, wie er sie aus England und Frankreich kannte. Erst von ihr erwartete er den gewünschten systematischen Fort¬ schritt der Wissenschaft, wie auch konkrete Einflußnahme der Wissen¬ schaft auf die staatüche bzw. gesellschaftliche Praxis, womit auch eine soziale Statusbesserung der Gelehrten verbunden sein sollte. Geplant als eine umfassende Wissenschafts-, Wirtschafts- und Kulturbehörde des Staates versprach er sich durch sie die Möglichkeit einer Verbindung von Theorie und Praxis: Es wäre demnach, heißt es bei ihm, »der Zweck, theoriam cum praxi zu vereinigen und nicht allein die Künste und die Wissenschaften, sondern auch Land und Leute, Feldbau, Manufacturen und Commerden, und, mit einem Wort, die Nahrungsmittel zu verbes¬ sern, überdies auch solche Entdeckungen zu thun, dadurch die über¬ schwengliche Ehre Gottes mehr ausgebreitet und dessen Wunder besser 31

als bisher erkannt, mithin die christliche Religion, auch gute Policey, Ordnung und Sitten theils bey heidnischen, theils noch rohen, auch wol gar barbarischen Völkern gepflanzet oder mehr ausgebreitet würde«.5 Allem voran ging es um naturwissenschaftliche Erkenntnisse, um ihre Vermehrung und praktische Anwendung. Damit hoffte Leibniz zugleich wichtige Impulse zur Gestaltung staatlichen, wirtschaftlichen und kultu¬ rellen Lebens im Sinne des Merkantilismus geben zu können. Darüber hinaus sollte durch die Akademie schließlich auch das Ausbildungswe¬ sen, das Buchwesen sowie die Sprach- und Geschichtswissenschaft geför¬ dert werden. Selbst die Fernost-Mission stellte Leibniz in den Dienst der Wissenschaftsbeförderung.

»Aldieweiln Uns nun unterthänigst fürgetragen worden, dass zu sol¬ chen Unsern grossen und Gott ohne Zweifel wollgefälligem Absehen unter andern dienlich seyn würde, eine gewisse Societatem Scientiarum aufzurichten, so ihr Haubt-Stabiliment bey Unser Residentz zu Kölln an der Spree hätte, hin und wieder aber durch die in Unsern Landen, auch dem Befinden nach ausserhalb derselben habende Mitglieder, und sonsten durch unterhaltende Verständniss und Briefwechselung mit andern bequehmen Persohnen und gantzen Societaeten allerhand dienliche Untersuchungen, Berichte, Extracte, Excerpta, Schriften, Instrumenten, Entdeckungen, Demonstrationen, Experimenten, Ob¬ servationen, Proben, Maschinen, Modellen, Exotica und andern Na¬ turalien, Abrisse, Beschreibungen, Vorschläge und Gedanken theils selbst herfür, theils zusammenbringen und überlegen, auch, wo es dien¬ lich, Uns sowoll von selbsten aus schuldigster Devotion, als auch auf gnädigstes Erfordern ihr unterthänigstes Gutachten darüber abstatten und durchgehends auf dasjenige, so zu der Studien und Wissenschaff¬ ten Aufnahme gerichtet und mit einem Wort auf culturam et augmenta scientiarum ein wachsahmes Aufsehen haben könte, So haben Wir Uns solchen Vorschlag nicht allein gefallen lassen, sondern auch aus eigener Bewegung denselben dahin gnädigst verbessert, dass es zugleich eine teutschgesinnete Societaet seyn solle, welche sich den Ruhm, Wollfahrt und Aufnahme der teutschen Nation, Gelehrsamkeit und Sprache vornemüch mit angelegen seyn lasse. Worzu Wir umb so viel mehr veran¬ lasset werden, weil der gütige Gott Unser Teutschland in vielen Stücken sonderlich begabet, auch darin ein solches Licht reiner Lehre angezün¬ det, dass dadurch die Finsternüss der christl. Völcker grossentheils vertrieben und die Warheit, sonderlich im Kirchenwesen und bey de¬ nen Schulen, wieder zu Tage geleget worden; aber dieses auch von niemanden geleugnet werden kan, dass in allen Theilen der Studien, Wissenschafften und Künste viele wichtige Realien, auch selbst die 32

Kunst der Druckerey, wodurch gute Gedancken am Bequehmsten der Nachwelt mitgetheilet werden können, ihren Ursprung aus Teutschland haben; und Uns also als einem aufrichtigen Patrioten aus diesen und vielen andern Bewegnüssen anständig seyn und obliegen will, nicht allein die Besorgung gemeinsahmer Angelegenheiten der evange¬ lischen Mitstände, sondern auch der Erhalt- und Vermehrung des Ruhms und der Würde des Vaterlandes uns nach Vermögen anzuneh¬ men.« (Aus der: General-Instruction für die Societät der Wissenschaften vom 11. Juli 1700 [Berlin]).6

Bis zur Gründung der Berliner Akademie hatte Leibniz sich vor allem mit dem Wissenschaftsprogramm beschäftigt. Zwar differieren die erhalte¬ nen Konzepte: einmal wird die praktisch-realistische Tendenz betont, ein andermal wird die ganze Weite möglicher Aufgaben genannt und dann wieder vor allem der staatliche Nutzen hervorgehoben - aber im Grund¬ muster ähnelten sich alle Pläne. Wie Leibniz den konkreten Aufbau einer gelehrten Akademie dachte, erfahren wir aus der General-Instruktion der Berliner Akademie von 1700.7 Der unmittelbare Protektor der Aka¬ demie ist der Kurfürst. Geleitet wird sie von einem Präsidenten. Mitglied kann jeder unabhängig von Stand und Religion werden, der sich wissen¬ schaftlich ausgewiesen hat. Dabei wird bezeichnenderweise unterschie¬ den zwischen Mitgliedern, die in Berlin anwesend sind und unmittelbar am Gesellschaftsleben teilnehmen, und auswärtigen Mitgliedern, die nur über Korrespondenzen in Kontakt mit der Zentrale stehen, und schlie߬ lich Ehrenmitgliedern, die aufgrund irgendeiner Leistung, meist finan¬ zieller Art, oder weil sie der Akademie in der Öffentlichkeit zur Ehre gereichen, aufgenommen wurden. Damit hatte die Akademie ein Mittel zur Hand, das zwar höfische Anwärter nicht ausschloß, doch die eigent¬ liche wissenschaftliche Arbeit in den Händen der ordentlichen Mitglieder beließ. Dem Präsidenten zur Seite stand das Consilium, das sich aus den Abteilungsdirektoren und dem Sekretär zusammensetzte. Hier in der >Intima Societas< wurden alle wichtigen Entscheidungen getroffen und die Finanzierung geregelt; sie schlug die Mitglieder vor, regelte die wissen¬ schaftlichen Publikationen und verwaltete die Instrumente und Geräte. Alle Monate sollte eine Sitzung jeder Abteilung stattfinden, auf der ein Vortrag gehalten werden sollte, an dem jedes Mitglied teilnehmen konnte. Die Akademie, in diesem Fall die Berliner Akademie, gliederte sich ursprünglich in 4 Klassen: die erste Klasse umfaßte die res physicae, von der Physik bis zur Medizin und Chemie, die 2. die res mathematicae, d. h. die Mathematik, Astronomie und Mechanik, die 3. die deutsche Sprache unter Einschluß der Kirchen- und allgemeinen Geschichte und 33

die 4. die Literatur, insbesondere die orientalische Literatur sowie dieje¬ nige Literatur, die, wie es ausdrücklich heißt, »zur Fortpflanzung, des Evangelii unter den Ungläubigen nützüch anzuwenden seyn möchte«.8 Sosehr Leibniz die Akademie ausschließlich in den Dienst des Staates stellte, die Akademie selbst sich als eine staatliche Institution verstand, bestand nach diesen Organisationsplänen doch ein hohes Maß an Selbst¬ verwaltung der Gelehrten; was und wie alles geregelt wurde, oblag allein der Gelehrtenrepublik. Die gelehrte Gesellschaft, wie sie Leibniz projektierte, hat im 18. Jahrhun¬ dert eine große Konjunktur erlebt. Bereits er selbst schrieb: »Es scheinet, daß anjezo ein seculum sey, da man zu societäten lust hat.«9 Es gab vielfäl¬ tige Versuche an den verschiedensten Orten, zumeist wurden Residenz¬ städte bevorzugt, einmal, um im Mittelpunkt staatlicher Macht zu sein, zum anderen, um eine gewisse Distanz zu den Universitäten zu halten, von deren Wissenschaftspflege sich die Akademie absetzen wollte. Besonde¬ ren Ruhm erlangten die Gelehrten-Akademien in Berlin, Göttingen,10 München und Mannheim.11 Obwohl die Wirklichkeit der Akademien sel¬ ten den hohen Anforderungen ihrer Satzungen entsprach und sie letztlich auch nur bedingt zu kulturell-wissenschaftlichen Zentren wurden, brachte die Akademiemitgliedschaft doch ein großes Prestige mit sich. Sie war nicht selten die höchste Anerkennung einer wissenschaftlichen Leistung und wurde später von fast jedem Aufklärer angestrebt. Die Akademiemit¬ glieder setzten sich zumeist aus Beamten, Geistlichen, Ärzten und Profes¬ soren zusammen; also aus jener gelehrten Elite, die sich zum neuen Wissenschaftsprogramm bekannte. Der Adel wurde zweifellos begünstigt behandelt, nahm aber keine dominante Position ein. Unter Ausklammerung von Theologie, Politik, spekulativer Philosophie und Recht bildeten die Akademien zumeist zwei bis drei Klassen aus, eine mathematisch-naturwissenschaftliche und eine historisch-philologische, wobei sie eindeutig den Schwerpunkt legten auf die praktisch-empiri¬ schen Fächer, von denen man einen Fortschritt erwartete. Spezialwissen galt dabei zusehends mehr als Universalwissen. Obwohl deswegen die Akademien oft zu einer Gesellschaft von Speziaüsten wurden, gab es im¬ mer wieder auch diese Grenzen überschreitende Wissenschaftler, die in einer Akademie ein neues Wirkungsfeld fanden: Im Mittelpunkt der For¬ schung stand allerdings weder die konkrete Zusammenarbeit mehrerer Forscher noch die gemeinsame Diskussion bzw. das Gespräch über wis¬ senschaftliche Probleme - das gab es nur im kleineren Kreis. Die Einzel¬ arbeit blieb im Vordergrund, allerdings eine Einzelarbeit, die sich ein¬ fügte in einen empirischen Wissenskanon und zugleich das Bewußtsein einer Zusammengehörigkeit förderte. Die Formen, in denen das neue Wissen vermittelt wurde, waren zunächst Abhandlungen, die pro Jahr in einem Sammelband erschienen und die Leistungen der Akademiemitglie34

der präsentieren sollten. Ihre wichtigste Aufgabe war die öffentliche Un¬ terstützung gelehrter Arbeit, die bislang schwierig zu finanzieren war. Weiter gab es große Editionsprojekte, die Grundlagen für die histori¬ schen Forschungen schaffen sollten. Von großer Bedeutung waren dann die Vorträge, die in öffentlichen bzw. in geschlossenen Sitzungen von Mitgliedern gehalten wurden. Sie spie¬ geln einmal das Wissenschaftsbewußtsein der einzelnen wider, geben zu¬ gleich aber auch Einblicke in die Problemgeschichte der Wissenschaften und den Wandel ihrer Aufgabenstellung im 18. Jahrhundert insgesamt. Schließlich wurde pro Jahr eine Preisaufgabe gestellt, die jeder Gelehrte beantworten konnte, ob er nun Mitglied einer Akademie war oder nicht, ob er akademisch ausgebildet war oder nicht. Die besten der eingereich¬ ten Preisarbeiten wurden von der Akademie öffentlich preisgekrönt. Da¬ mit hatte die Akademie ein wichtiges Instrument in der Hand, einmal ein weites Publikum zur Mitarbeit an der Akademie bzw. an den Wissen¬ schaften überhaupt anzuregen, zum anderen bisher unbekannte Gelehrte aufgrund einer bahnbrechenden Leistung bekannt zu machen und schließlich, um selbst als Schiedsrichter über die richtige Lösung wissen¬ schaftlicher Probleme hervorzutreten und die Stellung der Akademien in der gelehrten Öffentlichkeit zu sichern.12 Die von einer Akademie gepflegte und gestützte Forschung verstand sich als eine >freie< Forschung, d. h. sie unterlag in der Regel nicht den staat¬ lichen und kirchlichen Zensurbehörden. Wissenschaftler selbst kontrol¬ lierten die Arbeit ihrer Kollegen und unterstützten nur das, was nach ihrer Ansicht von Nutzen für Staat und Gesellschaft war. Solange diese Selektion sich nur auf empirische Einzelforschung erstreckte, stellten sich keine besonderen Probleme. Als aber, vor allem seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, auch Grundsatzfragen diskutiert wurden, erhielt die Arbeit der Akademien eine sozialpolitische Brisanz. Denn es war nicht irgendeine Person oder eine Partei, die mit einer neuen Ansicht hervortrat, sondern eine staatlich geförderte und geschützte Institution, deren Werturteil von politischem Einfluß sein konnte. Zu Ende des Jahr¬ hunderts erlahmten allerdings die Aktivitäten der Akademien. Die Akademien sollten allein dem wissenschaftlichen Fortschritt dienen; sie waren letztlich niemandem verantwortlich außer der Wahrheit und Vernunft, da aber der Anteil der hohen Beamten in den regionalen Aka¬ demien beträchtlich war, sie die Akademien als ihr Sprachrohr betrachte¬ ten, benutzten sie die Akademie und ihre Mitglieder auch, um die Re¬ formvorstellungen des Staates theoretisch zu untermauern und gegen Feinde der staatlichen Politik einzusetzen. In der Auseinandersetzung zwischen dem Staat und den Ständen, zwischen Staat und Kirche spielte der gelehrte Diskurs der Akademie eine beträchtliche Rolle und half ab¬ solutistisch-merkantile Interessen durchzusetzen. 35

Die Akademien waren gelehrte Institutionen, in denen sich die kritische Vernunft anschickte, empirisch-praktische Forschungen zu fördern und damit praktische Probleme der Gesellschaft anzugehen. Die gesell¬ schaftsreformierenden Tendenzen wurden staatlich unterstützt. Kern des Selbstverständnisses der Mitglieder bildete die gelehrte Aufklärung. Auf¬ klärung der Weltzusammenhänge zur besseren Nutzung und staatlichen Planung stand im Vordergrund; menschlich-bürgerliche emanzipatorische Interessen hingegen spielten noch keine Rolle. Ein Umschlag in poli¬ tisch-soziale Grundsatzdiskussion fand weitgehend nicht statt. Die Aka¬ demien waren in diesem Sinne keine eigentlich aufklärerisch-kritischen Institutionen, in denen ein aufgeklärtes Bürgertum seinen politischen Anspruch angemeldet, sich selbst bestimmt und sein Leben nach eigener Vernunft gestaltet hätte; sie blieben stets Institute, in denen nur Gelehrte sprachen und den Fortschritt sichern wollten. Die Möglichkeit und Gren¬ zen einer Akademie werden deutlich an der Geschichte der kurbayeri¬ schen Akademie der Wissenschaften. b) Bayerische Akademie der Wissenschaften Ihr Gründer Georg Lori schrieb am 2. Juli 1759 ganz euphorisch an Gott¬ sched in Leipzig: »E. Hochw. werden eher die Erscheinung ein paar Duzent neuer Cometen als die Stiftung einer Akademie der Wissenschaften in Bayern erwartet haben. Und doch ist dieses Wunderding geschwinder, als man hier selbst vermuthet, in seine Würklichkeit gekommen. Vier Waghälse sind es gewesen, die sich den 12. October verwichenen Jahres, nach art der ersten Schweizer, für die Freyheit der Wissenschaften, ver¬ schworen haben. Es wurde der Entwurf einer Akademie gemachet. Kaum war durch den Beytritt einiger Prälaten und gelehrten auf dem Lande die Parthie verstärket, und die Ministers von unserm Vorhaben unterrichtet worden; so erfolgte an dem geburtstag S. Churf. Durchl. den 28. März die Landesfürstl. genehmhaltung. Die Jesuiten gaben sich alle Mühe, die gesellschaft, so sie nicht mehr trennen konnten, unter ihr Joch zu bringen. Es seyen unter den Mitgliedern ausschweifende Köpfe, die durch die Censur der Hohen Schule in Ingolstadt (das ist durch Jesuiten) im Zaum mussten gehalten werden! Allein unsere Standhaftigkeit schlüge diese Heuchler bald zu Boden. Die Akademie ist aller Jurisdik¬ tion und fremde Censur befreyet worden.«13 Die bayerische Akademie stellt insofern eine Besonderheit dar, als gerade Bayern lange als das unaufgeklärteste, von dunklem Aberglauben be¬ herrschte Land in Deutschland galt.14 Dabei gab es aber auch hier bereits seit Anfang des 18. Jahrhunderts intensive Anstrengungen, eine gelehrte Sozietät zu errichten. Bekannt sind einmal eine >Nutz- und Lusterwekkende Gesellschaft der vertrauten Nachbarn am Isar-Strom< in Mün36

chen, eine mehr höfische Vereinigung von Beamten und Geistlichen, zum anderen ein gelehrter Kreis um die deutschsprachige wissenschaftliche Zeitschrift, den >Parnassus BoicusVorparlamente Indem sie nur ein Forum sein wollte für »wechselsei¬ tige Belehrung und Aufklärung über die natürlichen Rechte des Men¬ schen«, blieb sie eine typische Aufklärungsgesellschaft. Sie wird als ein Ort beschrieben, »wo man den Gemeingeist bildet, wo man unter sich eins wird, und so dem Gesetze vorarbeitet«, d. h. durch Aufklärung des Volkes eine wichtige Vorarbeit zur Konstituierung einer bürgerlichen Verfassung erbringt, die auch die sichtliche »Vervollkommnung des Men¬ schen gewährleistet«.107 In diesen Volksgesellschaften trat damit die Aufklärung erstmalig eindeu¬ tig in den Dienst politischen Änderungswillens. Daß sie in dieser Weise im linksrheinischen Gebiet Wirklichkeit werden konnte, lag an der Voraus¬ setzung der französischen Besatzung. Wie stark sich von hier ihre Funk¬ tion ableitete, beweist der Untergang des Jakobinerklubs. Die Ge¬ schichte der Volksgesellschaft war letztlich nur eine kurze Episode in der Entfaltung demokratischer Bewegungen, sie war das Produkt von Auf¬ klärern, die sich von der Tradition lösten, um Verbreitung von Moral und Vernunft bemühten und in der Französischen Revolution ein Vorbild sa¬ hen. Sie hatte aber keine lange Geschichte. In der letzten Phase der Aufklärungsgesellschaften hat sich insgesamt ihre Anzahl so vermehrt, daß davon ausgegangen werden kann, daß sich die meisten Aufklärungsfreunde des späten 18. Jahrhunderts in Gesell¬ schaften, Vereinigungen und Klubs zusammengeschlossen haben. Die Aufklärung war nicht mehr Sache einer kleinen Bildungselite, sondern einer breiten Schicht eines mündig werdenden Bürgertums, das sich die Ziele der Aufklärung zu seiner Selbstverwirklichung zu eigen gemacht hatte. Auch das Interessenspektrum hatte sich so erweitert, daß es für die verschiedensten Bedürfnisse Angebote gab. Wenn wir nämlich beden¬ ken, daß neben den neuen spätaufklärerischen Geheimbünden, den ver¬ schiedenen Lesegesellschaften und politischen Klubs auch die älteren Formen, d. h. die gelehrte Gesellschaft, die Freimaurerei und die gemein¬ nützigen Sozietäten weiterbestanden, ja ebenfalls expandierten, so liegt

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