Die Geschäftsführung ohne Auftrag: Theorie und Rechtsprechung [1 ed.] 9783428437825, 9783428037827

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Die Geschäftsführung ohne Auftrag: Theorie und Rechtsprechung [1 ed.]
 9783428437825, 9783428037827

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CHRISTIAN WOLLSCHLXGER

Die Geschäftsführung ohne Auftrag

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 34

Die Geschäftsführung ohne Auftrag Theorie und Rechtsprechung

Von

Christian Wollschläger

DUNCKER &

HUMBLOT I

BERLIN

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Wollschläger, Christian Die Geschäftsführung ohne Auftrag : Theorie u. Rechtsprechung.- 1. Aufl.- Berlin : Duncker und Humblot, 1976. (Schriften zum Bürgerlichen Recht ; Bd. 34) ISBN 3-428-03782-0

Alle Rechte vorbehalten

@ 1976 Duncker & Humblot, Berlln 41

Gedruckt 1976 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 03782 0

Vorwort Die Arbeit wurde im Herbst 1974 abgeschlossen und der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen als Habilitationsschrift vorgelegt. Später erschienene Rechtsprechung wurde bis zum August 1976 berücksichtigt. Aufrichtigen Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. jur., Dr. h. c., LL. D. h. c. Franz Wieacker für seine stetige Anteilnahme und die sachliche Förderung des Vorhabens. Für viele Gespräche bin ich Okko Behrends, Karl-Heinz Gursky und Hermann Nehlsen dankbar verbunden. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Göttingen, im August 1976

Christian Wollschläger

Obersicht Einleitung § 1. Gegenstand und Plan der Untersuchung

15

Erstes Kapitel

Theorie der Gesrhäftsführung ohne Auftrag § 2. Die Theorie der Menschenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 § 3. Kritik anderer Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 § 4. Die Zuständigkeitstheorie des fremden Geschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Zweites Kapitel § § § § §

5. 6. 7. 8. 9.

§ 10.

Die Erfüllung fremder Pflichten Die Zahlung fremder Schulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Rückgriff bei mehrfacher Sicherung einer Forderung . . . . . . . . Der Rückgriff gegen den Schadensersatzpflichtigen ..... .... . .... Der Unterhaltsrückgriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Rückgriff zwischen Privatpersonen wegen der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten .................... .. ............ . .. . ... . Selbsthilfeaufwendungen des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76 104 113 128 150 163

Drittes Kapitel

Die Förderung fremden Nutzens § 11. Verwendungen auf fremde Sachen ... ... . . .. . .. . .. . ... . . .... .... 177 § 12. Der Empfang von Unterhaltsleistungen . .... .............. .. ..... 219 § 13. Die Förderung sonstigen Nutzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Viertes Kapitel

Der treuhänderische Eingriff in fremde Rechte § 14. Herausgabe und Rechnungslegung .. . . . . . ..... . ...... ... . ... .... .. 241 Fünftes Kapitel § 15. § 16. § 17. § 18. § 19.

Das Tätigkeitsverhältnis Die Schadensersatzpflicht des Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtfertigung .......... ... . . .. . .......... . ...... . ...... ... ..... Die Haftungsminderung bei Notgeschäftsführung .... . .. .. . ... ... Der Entschädigungsanspruch für Nothilfeschäden .... . ...... . .... Die Vergütung für Dienstleistungen .................. . ......... . .

§ 20. Ergebnisse

Srhluß

Abkfirzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register der ausgewerteten Zeitschriften und Entsdaeidungssammlungen des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entsdaeidungsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Samregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

262 271 277 284 311 319 325 329 334 353

Inhaltsverzeichnis Einleitung § 1. Gegenstand und Plan der Untersuchung

15

Erstes Kapitel

Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag § 2. Die Theorie der Menschenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

I. Der Menschenfreund im Lehrbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Präzisierung der herrschenden Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 24 25

II. Der wirkliche Anwendungsbereich der Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Uneigennützige Hilfeleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Gerichtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28 28 32 33

III. Die Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Teilentwurf des Schuldrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Erste Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Zweite Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34 34 34 36 37

IV. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Kohlers Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Kohlers rechtspolitisches Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 § 3. Kritik anderer Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

I. Das justinianische Quasikontraktssystem .... .. . . . ... . . :. . . II. Die objektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Die pandektische Quasikontraktstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Parallelität zweier Willen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einfluß auf das BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Lehre von der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Geschäftsführungswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41 43 44 44 45

IV. Die realgeschäftliche Theorie der Geschäftsbesorgung . . . . . . 1. Entwicklung der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Fortschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48 48 49 51

§ 4. Die Zuständigkeitstheorie des fremden Geschäfts . . . . . . . . . . . . . . . .

52 52

I . Der Grundtatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 47

Inhaltsverzeichnis

9

Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Gesetzeswortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Fremdheit bei Geschäftsbesorgungkraft Bestellung . . Die Fremdheit bei Geschäftsführung "ohne Auftrag" . . . . . .

52 53 54 54

11. Geschäftsbesorgung als mittelbare Vertretung . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschäftsbesorgung als Vertretung i. w. S. . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Zurechnung des Handeins auf einen anderen . . . . . . . .

56 56 56

III. Die Folgenzurechnung auf den Zuständigen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff der Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Personale und objektbezogene Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . 3. Fortwirkung der Zuständigkeit an Rechten und Pflichten

57 57 58

1. 2. 3. 4.

59

IV. Das haftungsbegründende Interesse als Güter- und Lastenzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigenes und fremdes Geschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ungenauigkeit des Interessebegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das subj. Recht als Grundlage des Herausgabeanspruchs . . 4. Die Lastenzuständigkeit für Verwendungsersatzansprüche 5. Die Pflichtenstellung als Grundlage des Rückgriffsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Egoistisches und idealistisches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Reflexvorteil und haftungsbegründendes Interesse . . . . . .

60 60 61

V. Entscheidungszuständigkeit und Schutz vor Einmischung . . . . 1. Die Entscheidungszuständigkeit des Geschäftsherrn . . . . . . 2. Der Eingriff in die Entscheidungszuständigkeit . . . . . . . . . .

63 63 64

VI. Mehrfache Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Fremdheit des Geschäfts als Rangfolge von Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Abwicklungsweg bei sukzessiver Zuständigkeit . . . . . . 3. Das gemeinschaftliche Geschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gegenständlich geteilte Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

VII. Das Tätigkeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Negative Abgrenzung zum Vertretungsverhältnis . . . . . . . . 2. Übereinstimmungen mit Dienst- oder Arbeitsverhältnissen 3. Dogmatische Trennung von Vertretungs- und Tätigkeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

VIII. Der Geschäftsführungswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das subjektiv fremde Geschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Funktion des Geschäftsführungswillens . . . . . . . . . . . . . . 3. Kognitives und finales Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72 72 73 73

59 59

61 62 62

66 66 67 68 69 69

71

Zweites Kapitel Die Erfüllung fremder Pflichten § 5. Die Zahlung fremder Schulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

I. Allgemeine Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76 77 77

II. Das Interesse des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Ausgleichsprinzip als Grundlage der Judikatur . . . . . .

10

Inhaltsverzeichnis 2. 3. 4. 5. 6.

Gründe der Fortw irkung im 19. Jh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Interessegemäßheit der Tilgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stundungs- und Erlaßmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verjährung der Rückgriffsforderung . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis .... ................. .................. .......

78 79 82 82 86

III. Der Wille des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 683 BGB als Rückgriffsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vermutung der Willensgemäßheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zahlung trotz Verbots des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86 86 87 88

IV. Die Tilgung als Voraussetzung des fremden Geschäfts . . . . . . 1. Leistung a uf eigenes Schuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kauf der Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Irrtümliche Zahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zahlung auf nicht bestehende fremde Schuld . . . . . . . . . . . .

89 89 90 91 92

V. Die Zahlung einer materiell fremden Schuld als fremdes Geschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Befreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Stufenverhältnis mehrerer Verbindlichkeiten . . . . . . . . 3. Der Empfang eines Äquivalents . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eigenes Interesse des Zahlenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abgrenzung zur Leistungskondiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92 93 93 94 96 97 99

VI. Der Geschäftsführungswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Finales Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Rückgriffskondiktion bei irrtümlicher Zahlung . . . . . . . . . . 100 VII. Zahlung aus fremden Mitteln und in fremdem Auftrag . . . . . . 101 § 6. Der Rückgriff bei mehrfacher Sicherung einer Forderung .. .. ...... 104

I. Tatbestand und Ausgleichsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Rechtsprechung .. . ........... .. . . ... . . . . . . . . . . .. . . . .. . . 1. Miterben eines Bürgen ..... . ........ . . ....... ... ........ 2. Wechselindossanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mithaftende Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104 105 105 106 107 108

111. Der Rückgriff aus § 683 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Zulässigkeit des Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mitbürgen und Schuldmitübernehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dingliche Haftungen, Sicherungseigentum ...... . ... . . . . .. 4. Stufenfolge verschiedener Sicherungsgeber . . . . . . . . . . . . . .

108 108 110 111 112

§ 7. Der Rückgriff gegen den Schadensersatzpflichtigen .... .. . .... . .... 113

I. Tatbestand und Ausgleichsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Das dogmatische Problem .......... . ................... 113 2. Sachfragen des Rückgriffs ..... . .... . . . . . . .. . .. ........ . 114 II. Die Anwendbarkeit des § 683 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Das Interesse des Schädigers .. . ....... . . .. . . . . . ......... 116 2. Der mutmaßliche Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

Inhaltsverzeichnis

11

3. § 679 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4. Das fremde Geschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 5. Der Geschäftsführungswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 III. Die Stellung des § 683 BGB unter den Regreßwegen . . . . . . . . 1. Der Abwicklungsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundlagen des Direktrückgriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123 124 126 128

§ 8. Der Unterhaltsrückgriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Voraussetzungen der §§ 683 S. 2, 679 BGB ....... . .. .... 111. Der Rückgriff gegen den nichtehelichen Vater ........... ... 1. Der Anwendungsbereich der §§ 683 S. 2, 679 BGB . . . . . . . . 2. Die Entwicklung im 19. Jh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128 130 135 135 136

IV. Unterhaltsleistung an eheliche Verwandte und Ehegatten .... 1. Rückgriffskondiktion .. . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . 2. Legalzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. §§ 679, 683 S. 2, BGB ... ..... ... ...... . ...... . . .. .. . .. . ..

138 139 139 140

V. Der Regreßverfall bei rechtswidriger Vorenthaltung von Kindern .................................. .. ................ .. 141 VI. Die Haftung für Vertragsleistungen ..... . ...... . ...... .. . . . 1. Der Bereich privilegierter Leistungen .. . . .... . . . .... .. . .. 2. Die Haftung der verdienenden Ehefrau . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unterhaltsgewähr an sonstige Berechtigte .. . .. . . . .. .... ..

143 144 145 146

§ 9. Der Rückgriff zwischen Privatpersonen wegen der Erfüllung öffent-

lich-rechtlicher Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 I. Der gesetzgeberische Zweck des § 679 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Tilgung fremder Steuerschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Ausgleichsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

150 152 152 153

Il1. Die Erfüllung fremder Polizeipflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Rückgriff aus Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . 2. Der Rückgriff nach Bereicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Abwicklungsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Befreiung von Erschließungslasten .. ...... . .. . ..... ...

154 155 157 159 162

§ 10. Selbsthilfeaufwendungen des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 I. Tatbestand und Ausgleichsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

1. Die unmittelbare Rechtsbeziehung zum Geschäftsherrn . . 163 2. Qualifikation als Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . . . 164 3. Das Konkurrenzproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

11. Selbsthilfeaufwendungen in Vertragsbeziehungen ..... . .... 167 1. Werkvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Mietverhältnis .. . .. .. .. .. . . . . . .. . . . .. . .. . .. ...... . ... . .. 168 Il1. Vorbeugende Schadensabwehr und Schadensbeseitigung .... 170 1. Die Eigentumsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

12

Inhaltsverzeichnis 2. Schadensersatzansprüche ....... .. ................ .... .. . 173 3. Abmahnungskosten im Wettbewerbsrecht ................ 174 4. Unterhaltsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Drittes Kapitel

Die Förderung fremden Nutzens § 11. Verwendungen auf fremde Sachen ........ .. ...................... 177

I. Verwendungsbegriff und Untersuchungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Träger des Verwendungsrisikos als Geschäftsherr . . . . . . 1. Verwendungen bei Eigentumsübergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwendungen auf Sicherungsgut ... ... .............. .. 3. Die Haftung des Sachversicherers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

177 179 179 181 184

III. Eigentümerinteresse und fremde Verwendungspflicht ...... 187 IV. Gemeinschaftliches Geschäft und Reflexvorteil . . . . . . . . . . . . . . 1. Erlangung gleichwertiger Vorteile ... ... ... . .. . . .. ...... 2. Erlangung Ungleichwertiger Vorteile . . .................. 3. Dogmatische Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189 190 191 192

V. Aufwendungen des Mieters und Pächters . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 547 II BGB als Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung ............................................ . ....... 2. Vertragliche oder gesetzliche Regelung .................. 3. Freiwillige Verwendungen ..... .. ................ . ...... 4. Das Geschäft des Vermieters ..................... . ... . ..

197 197 198 199 201

VI. Der Abwicklungsweg bei Verwendungen aufgrund Vertrages mit einem Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 VII. Der Geschäftsführungswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenständliche Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Irrtum über die eigene Verwendungspflicht . . . . . . . . . . . . . . a) Abgrenzung zu § 817 S. 2 BGB .... . ....... .. .. . ... . . b) Abgrenzung zu § 814 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

206 206 207 207 208

VIII. Das Verwendungsrisiko aus interesse- und willensgemäß übernommener Geschäftsführung .......................... 1. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Normative und individuell-typische Zurechnung . . . . . . . . 3. Die spezifische Funktion des § 683 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . .

210 210 213 214

§ 12. Der Empfang von Unterhaltsleistungen .......................... 219 I. Der Tatbestand der Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . . . 219 1. Führung eines fremden Geschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

2. Auftraglosigkeit ................ . .............. . . .. ..... 221 3. Erwartung testamentarischer Belohnung . . . . . . . . . . . . . . . . 222 4. Arztbehandlung der Ehefrau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

II. Die Ersparnis als Voraussetzung der Erstattungspflicht .. .... 223 § 13. Die Förderung sonstigen Nutzens ..... . ..... .. ...... . ...... ... ... 225 I. Tatbestände und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Inhaltsverzeichnis II. III. IV. V.

Aufwendungen auf unkörperliche Vermögensobjekte Die Erstattung von Prozeßkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Förderung ideeller Interessen ... . ............... . . . . . ..... . Erwerb in unmittelbarer und mittelbarer Stellvertretung (subjektiv fremdes Geschäft) .... . .... .. .......... . ...... .. VI. Geschäftsführung ohne Auftrag für eine zukünftige juristische Person ................................ . ................ .. .

13 226 227 231 233 238

Viertes Kapitel

Der treuhänderische Eingriff in fremde Rechte § 14. Herausgabe und Rechnungslegung ...... . ...................... .. . 241

"!:. Das objektiv fremde Geschäft als Eingriffserwerb . . . . . . . . . . 1. Einziehung einer fremden Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Veräußerung einer fremden Sache ... ....... . ...... .. . . . 3. Verwaltung eines fremden Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schuldurkunde und Quittung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Versicherung für fremde Rechnung .. ...... .. . . ..... .. . . . 6. Sonstige vertragliche Drittbegünstigung . . . . . . . . . . . . . . . .

242 242 243 243 244 244 248

II. Herausgabepflicht aus subjektiv fremdem Geschäft .. .. .... 1. Lotteriegewinn .. . ................. ... .............. .. ... 2. Erwerb aufgrund unwirksamen Auftrags . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Geschäftsführungswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Erwerb im Auftrag eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Auskunft und Rechnungslegung ... ... ................ . .....

249 249 250 253 255 258

Fünftes Kapitel

Das Tätigkeitsverhältnis § 15. Die Schadensersatzpflicht des Geschäftsführers

I. Tatbestände und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Spontan übernommene Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . III. Angebahnte oder begründete Vertragsbeziehungen . . ........ 1. Positive Vertragsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Überschrittenes Geschäftsbesorgungsverhältnis ....... ... 3. Fortsetzung einer Geschäftsbesorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Culpa in contrahendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unwirksames Geschäftsbesorgungsverhältnis . . . . . . . . . . . . 6. Geschäftsführung im Auftrag eines Dritten .. . . ........ . . 7. Notarshaftung .. . . ....... .. ............ . .. . . ... . . ... ... . 8. Amtshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

262 262 264 266 266 267 267 267 267 268 269 269

IV. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 § 16. Rechtfertigung

271

I. Die Entwicklung der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 II. Rechtsprechung zum Strafrecht .. ... .. . . ... . . . . .... . . . . .. .. 273 Ill. Rechtsprechung zum Privatrecht .. .. .. ....... ... . . ..... . .... 274

Jnhaltsverzeichnis

14

IV. Kritik 274 1. Einwände gegen Zitelmann ...................... . . ...... 274 2. Die interne Güter- und Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . 275 § 17. Die Haftungsminderung bei Notgeschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

I. Das Vorhandensein einer wirklichen Gefahr ........ . . . .. . .. 1. Das Problem der überholenden Kausalität . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtfertigungslehre Dernburgs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis: Die Risikozurechnung auf den Träger des geförderten Interesses ......................................

278 278 280 281 282

II. Haftungsminderung für professionelle Nothelfer? . . . . . . . . . . 283 1. Private Nothelfer ...................................... 283 2. Behörden der Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 § 18. Der Entschädigungsanspruch für Nothilfeschäden ........ .. ...... 284

I. Tatbestände und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Rechtsgrundlage der Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Entwicklung ......... ............ . ......... . 2. Schaden und Aufwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Positivrechtliche Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Risikohaftung bei Tätigkeit in fremdem Interesse? ......

284 286 287 290 292 293

III. Persönliche Ansprüche des Unfallhelfers gegen den Gefährdeten .............. . .. . ........... .. ........ . ...... .. ...... IV. Die Haftung nicht gefährdeter Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der Regreß gegen den Gefährdeten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Selbstopferung im Straßenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Maßstäbe der Schadenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

295 299 303 305 309

§ 19. Die Vergütung für Dienstleistungen ............................ .. 311

I. Die gesetzliche Grundlage des Vergütungsanspruchs ...... .. 1. Herrschende Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Reaktionsversehen bei der Abfassung der §§ 683, 670 BGB .... ................ .......................... .. 3. Praktisches Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

311 311 314 316

II. Dienstleistung als Führung eines fremden Geschäfts . . . . . . . . 317

Schluß § 20. Ergebnisse

319

I. Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelne Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bereicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register der ausgewerteten Zeitschriften und Entscheidungssammlungen des 19. Jahrhunderts ........ . ........ .. ...... . .. . ... .. ... ... . ... .... Entscheidungsregister Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319 321 324 325 329 334 353

Einleitung § 1. Gegenstand und Plan der Untersuchung

Die vorliegende Arbeit will zu einem besseren Verständnis der Geschäftsführung ohne Auftrag durch eine umfassende Bestandsaufnahme, Analyse und Kritik der Rechtsprechung beitragen. Sie verwertet alle erreichbaren Urteile, die nach dem Inkrafttreten des BGB zu den§§ 677 ff. und den hierauf verweisenden Vorschriften veröffentlicht wurden, sowie die ab 1829 erschienene Judikatur zu den im wesentlichen übereinstimmenden gemein- und partikularrechtliehen Rechtssätzen der negotiorum gestio. Der Inhalt dieser weitgehend unbestimmten und flexiblen Normen soll anhand der Entscheidungen konkretisiert werden, welche die Gerichte als die zur verbindlichen Rechtsanwendung berufenen Organe getroffen haben. I. Das vorhandene Schrifttum genügt diesem Grundbedürfnis einer jeden Gesetzesinterpretation einmal deshalb nicht, weil es keinen Zugang zu Sachgesichtspunkten vermittelt, nach denen einzelne Probleme mit Hilfe der §§ 677 ff. BGB zu lösen sind. Das Bereicherungsrecht war Gegenstand intensiver Bemühungen, den offenen Tatbestand des rechtsgrundlosen Erlangens in § 812 BGB mit materialen Entscheidungskriterien - dem Verfehlen des Leistungszwecks, dem Eingriff in fremde Rechte u. a. - aufzufüllen und eine Systematik oder wenigstens eine Typologie der Kondiktionstatbestände zu entwickeln1• Für den durch die §§ 677 ff. BGB umrissenen Teil der gesetzlichen Ausgleichsordnungist diese Aufgabe noch zu erfüllen2 •

Das Vorhaben, ein bekanntes Rechtsinstitut im ganzen neu zu durcharbeiten, erhielt seinen entscheidenden Anstoß durch ein auffälliges Spannungsverhältnis zwischen der akademischen Rechtslehre einerseits und der Praxis der Gerichte und der Gesetzesverfasser andererseits. Nipperdey bemängelte, der Aufbau der §§ 677 ff. BGB sei unübersichtlich und hindere das Verständnis, weil er die Unterscheidung von berechtigter und unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag 1 Vgl. F. Schulz, System der Rechte auf den Eingriffserwerb, AcP 105 (1909) 1; Wilburg, Bereicherung (1934); von Caemmerer, Festschr. Rabel I (1954) 333; Jakobs, Eingriffserwerb (1964); Kaehler, Bereicherungsrecht (1972). 2 Eine Typenbildung haben angeregt Diederichsen MDR 1964, 890; Laufs NJW 1967, 2294, 2295.

16

Einleitung

nicht zum Ausdruck bringt8 . Träfe diese Kritik zu, dann enthielte das Gesetz, an dem immerhin zwei Jahrzehnte gearbeitet wurde, einen schweren Konstruktionsfehler. Andernfalls hätte ein einflußreicher Kommentator das Gesetz in einem elementaren Punkt mißverstanden. Rabel hielt 1919 der Rechtsprechung vor, sie lasse das Rechtsinstitut "denaturieren" und "ausufern" 4 • Hinter diesem seitdem immer wieder erhobenen Vorwurf5 steht die Vorstellung, "Natur" der Geschäftsführung ohne Auftrag sei Menschenhilfe. Das Rechtsinstitut bezweckt nach heute einhelliger Lehre, uneigennütziges Handeln anzuerkennen und zu fördern, es jedoch zugleich durch Schutz vor aufdringlicher Einmischung zu begrenzen6 • Vom Standpunkt dieser "Theorie der Menschenhilfe", wie sie im folgenden heißen soll, müssen in der Tat weite Teile der Judikatur als verfehlt erscheinen. So ist es mit dem Leitbild eines Menschenfreundes nicht zu vereinbaren, einen unterhaltspflichtigen Vater, der sein unfallverletztes Kind ärztlich versorgen läßt, als unbeauftragten Geschäftsführer des haftpflichtigen Verletzers anzusehen7. Folgerichtig müßte eine restriktive Theorie entwickelt werden, welche diesen und andere Fälle, in denen der Kläger aus eigenem Interesse und aufgrund eigener Pflicht handelt, aus dem Anwendungsbereich der §§ 677 ff. BGB ausscheidet. Das Rechtsinstitut müßte so auf seine "gesunde Gestalt" im Sinne Raheis begrenzt werdens. Diese dogmatische Arbeitshypothese, die bei der ersten Durcharbeitung des Fallmaterials auch verfolgt wurde, setzt voraus, daß sie von richtigen tatsächlichen Annahmen ausgeht. Nur wenn uneigennützige Hilfeleistung wirklich die für die Gerichtspraxis und den Gesetzgeber relevante Regelungsmaterie wäre, könnte eine gesetzesinterpretierende Lehre Inhalt und Anwendungsbereich der Vorschriften danach bestimmen. Die Theorie der Menschenhilfe hielt indessen historischempirischer Überprüfung an den Gesetzesmaterialien und an der Judikatur der vergangenen eineinhalb Jahrhunderte nicht stand. Die Behauptung, der Anwendungsbereich der Geschäftsführung ohne Auf8 StaudingeT I Nipperdey Rn. 13 ff. vor § 677 im Anschluß an Isete, Geschäftsbesorgung (1935) 171; Lent, Wille und Interesse (1938) 7. Zust. Erman I Hauß Rn. 20 vor§ 677; Soergel I Müht Rn. 2 vor § 677; RGRK I Steffen Rn. 3, 80 ff. vor§ 677; Larenz SehR II 268. 4 RheinZ 10 (1919/20) 89, 91 ff., 112 ff. 5 von CaemmereT Festschr. Rabel I (1954) 333, 374; NJW 1963, 1403 ; Fratz JZ 1964, 665, 669; Laufs NJW 1967, 2294, 2297; Zeiss FamRZ 1967, 532; Sinn NJW 1968, 1857, 1859; Gursky, "Die Ausweitung des Anwendungsbereichs der GoA i. d. neueren Rspr." Jur. Analysen 1969, 103, 113, 118; Erman I Hauß Rn. 10 vor§ 677. 6 Nachweise der über 30 Autoren unten S. 24 Fußn. 1- 5, 7. 7 So zuerst RG Gruchot 53, 1028 (14. 1. 1908, VI); näheres unten S. 113 ff. 8 Dies forderte Rabel Studi Bonfante IV (1930) 279, 295; zust. Wahl, Vertragsansprüche Dritter (1935) 189.

§ 1. Gegenstand und Plan der Untersuchung

17

trag sei ursprünglich auf altruistisches Verhalten beschränkt gewesen und später in der Rechtsprechung zum BGB ausgeufert, erwies sich als falsch. Sie ließe sich vielleicht halten, wenn man die Ausformung der negotiorum gestio in der römischen Republik, wo wechselseitige Solidarität unter Bürgern erwartet und geübt wurde, zu einem noch für unsere Zeit verbindlichen Modell erklären wollte9 • Dann müßte man freilich schon die Fortbildung der Rechtssätze in der klassischen römischen Jurisprudenz - namentlich ihre Ausdehnung auf die irrtümliche Führung eines fremden Geschäfts als eigenem und die Geschäftsanmaßung (§ 687 Abs. 1 u. 2 BGB)1° - sowie die spätere Entwicklung in der neueren Privatrechtsgeschichte11 mit Rabel als "Verwilderung" abtun. Dieser Weg ist nicht gangbar. In Wahrheit, so lautet die These der Arbeit, vermag die Theorie der Menschenhilfe das Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht zu erklären. Sie muß folglich ersetzt werden. li. Um diese Aufgabe zu bewältigen, waren in mehrfacher Hinsicht neue Wege einzuschlagen. 1. Zunächst wurde angestrebt, die ausgewerteten Urteile vollständig zu erfassen, um eine möglichst verläßliche Grundlage für empirische Feststellungen über das Vorkommen bestimmter Sachverhaltstypen, vor allem den der Hilfeleistung, zu schaffen. Dies soll vor allem auch negative Aussagen darüber, daß bestimmte in der Literatur erörterte Probleme in der Gerichtspraxis nicht erscheinen, stützen. Die Urteile wurden anhand von Rechtsprechungsnachweisen und Registern zu Entscheidungssammlungen und Zeitschriften ermittelt. Aufgenommen wurden alle Entscheidungen zu den Stichworten "Geschäftsführung ohne Auftrag" oder "negotiorum gestio" bzw. zu den §§ 677- 687, 670, 256 BGB und den darauf verweisenden Vorschriften12• Im einzelnen wurden benutzt: a) Für die Zeit von 1945 bis 1975: NJW-Fundhefte für Zivilrecht, Arbeitsrecht und öffentliches Recht; Register zu BGHZ, BAG und BVerwG. b) Für die Zeit von 1900 bis 1944: Neumanns Jahrbuch des Deutschen Rechts (1904 -1942); Soergels Rechtsprechung (1900 -1941); Warneyers Jahrbuch (1900- 1938); Register zu RGZ. 9 Älteste Fälle sind: Prozeßvertretung für abwesende Bürger, bestellte Vermögensverwaltung (procurator omnium rerum) und Pflegschaft für Geisteskranke (cura furiosi); Seiler, Neg. Gestio 314 ff. Davon ist nur der erste spontane Hilfe. Altruismus hatte in der Antike außerdem eine andere soziale Funktion als heute; Jhering, Der Zweck im Recht I (3. Aufl. 1893) 115 ff. 1o Africanus D. 3, 5, 48 (49) (unten S. 43); Labeo I Iulian D. 3, 5, 5, 5 (6, 3). u Eine umfassende Darstellung fehlt. Die Geschichte des negotium alienum seit dem Mittelalter behandelt Aarons, Beiträge zur negotiorum gestio (1860). Einen eingehenden Überblick über die Literatur des 19. Jahrhunderts vermittelt von KübeL in der Begründung zum Teilentwurf GoA. 12 §§ 450 II, 547 II, 601 II 1, 994 II, 1049 I, 1216, 1959 I, 1978, 1991, 2125.

2 Wollschläger

18

Einleitung

c) Für das 19. Jahrhundert: die im Anhang (S. 329) angeführten Zeitschriften und Entscheidungssammlungen. Hier bestehen einige bibliothekarisch bedingte Lücken; doch konnten 90 v. H. des Bestandes der Reichsgerichts-Bibliothek ausgewertet werden13• Bei diesem Verfahren hängt die Vollständigkeit des Urteilsmaterials vom Ermessen der Verfasser von Registern ab, ein Urteil als einschlägig unter die Geschäftsführung ohne Auftrag zu rubrizieren. Da aus Literaturangaben nur wenige zusätzliche Fälle zu gewinnen waren (max. 5 v. H. nach 1900), kann davon ausgegangen werden, daß alle Entscheidungen erfaßt sind, die ein nicht unwesentliches Problem dieser Vorschriften behandeln14• 2. Aus diesem Rohmaterial von über 1100 Fällen wurden nur solche Veröffentlichungen ausgewertet, die den abgeurteilten Sachverhalt und das Ergebnis der Entscheidung hinreichend sicher erkennen ließen15 • Danach blieben 912 genügend dokumentierte Sachverhalte16, die von den Gerichten unter negotiorum gestio subsumiert wurden. Die Urteilsbegründungen als solche, insbesondere ihre abstrakten Leit- und Lehrsätze zur Geschäftsführung ohne Auftrag waren dagegen nicht primär von Interesse. Beide Beschränkungen folgen aus dem Ziel der Arbeit, auf der Basis des praktizierten Richterrechts Sachgesichtspunkte zu ermitteln, nach denen reale vermögensrechtliche Probleme mit Hilfe dieses Rechtsinstituts zu lösen sind. Bei der Analyse der Urteile war darum für jeden einzelnen Fall die ratio decidendi als der tragende rechtliche Grund der richterlichen Ja- oder Nein-Reaktion auf das Klagebegehren auszumachen. Über diese wirklichen Entscheidungskriterien schweigen die Urteilsbegründungen häufig und decken 1s Die Angabe beruht auf einem Vergleich der Büchermenge an zivilrechtlichen Publikationsorganen nach der Zahl der ausgewerteten Bände. Aus den Beständen der Nieders. Staats- u. Universitätsbibliothek Göttingen wurden 68 Reihen mit 1142 Bänden benutzt. Der Katalog der RG-Bibliothek verzeichnet weitere 10 Reihen mit 134 Bänden. 14 Unvollständig aufgenommen wurden einzig Urteile des 19. Jh., in denen von negotiorum gestio im Sinne von Stellvertretung ohne Vertretungsmacht die Rede ist. 15 Der unvollständige Abdruck von Urteilen bildet einen schweren Mangel des derzeitigen Systems der juristischen Dokumentation, weil er den selbständigen Nachvollzug der Entscheidung oft verhindert. Vgl. BGH, Urt. v. 2. 3. 1972 - Az. VII ZR 143/70: Bau einer Kläranlage aufgrund eines Werkvertrages, der wegen fehlender Vertretungsmacht des Organs der bekl. Gemeinde unwirksam war. Der Abdruck in NJW 1972, 940 erweckt den Anschein, als sei die Klage deshalb abgewiesen worden. In DVBl 1972, 778, 780 berichtet wenigstens eine redaktionelle Notiz, daß sie aus GoA durchdrang. Der entscheidende und zudem unrichtige Teil der Urteilsbegründung ist nur aus WM 1972, 616, 618 zugänglich. Die seitenlangen Ausführungen über Vertretungsmacht sind irrelevant, weil die Werklohnklage jedenfalls aus §§ 812, 818 II, III BGB Erfolg haben mußte. 18 Vorinstanzliehe Entscheidungen desselben Rechtsstreits wurden nicht mitgezählt.

§ 1. Gegenstand und Plan der Untersuchung

19

den sozial gestaltenden und rechtspolitischen Kern des Richterspruchs mit formelhaften Wendungen und dogmatischen Pflichtübungen zu. Er muß darum stets durch selbständigen Vergleich von Sachverhalt, Klagebegehren und Urteilsergebnis kontrolliert oder ganz unabhängig von den Urteilsgründen ermittelt werden. 3. Im ganzen wurde das Urteilsmaterial zunächst unter der rechtstatsächlichen Fragestellung überprüft, inwieweit sich die Gerichte mit Fällen von Hilfeleistung befassen, an denen die von der herrschenden Lehre behauptete ratio legis der Förderung und Anerkennung von Menschenhilfe erscheint. Das negative Ergebnis dieser Suche nach dem angeblich "natürlichen" Anwendungsbereich der Geschäftsführung ohne Auftrag führte auf die Frage, worin dann der Gegenstand der Gerichtspraxis besteht. Hier zeigte sich eine Fülle von vermögensrechtlichen Ausgleichsproblemen, die seit dem 19. Jahrhundert in ungebrochener Kontinuität mit Hilfe der negotiorum gestio entschieden wurden: Rückgriffsfragen im Schuldrecht, Haftpflichtrecht, Unterhaltsrecht, Privat- und Sozialversicherungsrecht sowie im öffentlichen Recht der Gefahrenabwehr und der Leistungsgewährung; Probleme des Verwendungsersatzes, des Eingriffserwerbs, der Prozeßkostenerstattung, um die wichtigsten zu nennen. 4. Die zeitliche Erstreckung des Untersuchungszeitraums auf das 19. Jahrhundert, aus dem immerhin ca. 40 v. H. der Fälle stammen, dient vor allem dazu, die realen, historisch greifbaren Vorstellungen der Verfasser des BGB über den Anwendungsbereich der §§ 677 ff. aufzuhellen. Diese Judikatur wird im heutigen Schrifttum, das gern ausländische Rechtsprechung rechtsvergleichend heranzieht, ganz zu Unrecht vernachlässigt. Sie fördert die Interpretation des BGB wesentlich, weil sie ein anschauliches Bild derjenigen konkreten Probleme vermittelt, welche die Gesetzesverfasser in ihrer meist blutleer abstrakten Sprache regeln wollten. Die Gesetzgebungskommissionen bestanden zum größten Teil aus Praktikern17. Der Redaktor des Teilentwurfs zum Schuldrecht, von Kübel, hatte eine lange Richterlaufbahn absolviert18• Seine Begründung arbeitete zwar die Spezialliteratur zur negotiorum gestio sorgfältig auf. Ob er aber darüber anders dachte als Windscheid, der die ganzen Konstruktionsversuche der Lehre als "verfehlt und unnötig" abkanzelte18, muß bezweifelt werden. Nicht 17 Planck BGB I (1. Aufl. 1898) Einl.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit 469. 18 Franz Friedrich Ph. von Kübel, geb. 1819, gest. 1884, mit 22 Jahren promoviert und Gerichtsaktuar, mit 27 Jahren Zivilrichter, mit 42 Richter am Obertribunal Stuttgart, 1863 Mitglied des Dresdener Kommission zur Ausarbeitung eines Obligationenrechts. - Nekrolog in: Schwäbischer Merkur, Beil. Schwäbische Chronik v. 16. 1. 1884. 19 Pandekten II § 430 N. 17.

20

Einleitung

das römische Recht und dessen pandektistische Exegese bildet den "natürlichen" Anwendungsbereich der Geschäftsführung ohne Auftrag, von dem das BGB ausgeht, sondern die Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts. 5. Bei der Klassifikation des Fallmaterials erwies es sich als undurchführbar, tatbestandlieh gleichliegende Sachverhalte eines engeren Lebensbereichs zu Realtypen zusammenzufassen, etwa die Hilfeleistung in Gefahr oder das Thema "Arzt und§§ 677 ff. BGB"20 • Dies ist mit der Begrenzung der Untersuchung auf ein einzelnes positives Rechtsinstitut nicht zu vereinbaren, weil die Gerichte wirtschaftlich gleichliegende Regelungsprobleme, wie etwa den Rückgriff oder den Verwendungsersatz, mit den verschiedensten rechtstechnischen Mitteln lösen. Statt dessen ging die Gliederung von den begehrten Rechtsfolgen und damit von normativen Kriterien aus: Aufwendungsersatz, Herausgabe, Rechnungslegung, Vergütung und Schadensersatz. Innerhalb dieser Bereiche wurde weiter nach denjenigen Zurechnungsgründen, welche das "Geschäft" von Kläger oder Beklagtem ausmachen, unterschieden: rechtsgeschäftliche Schulden, Schadensersatz- und Unterhaltspflicht, Steuer- und Polizeipflicht, Empfang von Verwendungen auf eine Sache oder von Leistungen in Person, Eingriff in fremde Forderungen und fremdes Eigentum. 6. Die konkreten Entscheidungsprinzipien, die aus der Analyse der einzelnen Fallgruppen hervorgehen, führen schließlich auf die Frage, ob sie insgesamt eine dogmatisch faßbare innere Einheit bilden. Oder sind die einzelnen Anwendungsbereiche und ihre Regeln so heterogen, daß sich hinter der Fassade eines vom Gesetz als Einheit vorgegebenen Rechtsinstituts in Wahrheit mehrere material verschiedene Regelungskomplexe verbergen, wie es etwa für das Bereicherungsrecht mit der Trennung von Leistungs- und Eingriffskondiktion angenommen wird21? Löst man sich von dem falschen Modell eines Sonderrechts der Hilfeleistung, so läßt sich die vermögensrechtliche Grundstruktur der Geschäftsführung ohne Auftrag kennzeichnen als vollmachtloses treuhänderisch-vertretungsweises Handeln für den höherrangigen Träger einer Güter- und Lastenzuständigkeit Die Funktion des Anspruches auf Ersatz von Aufwendungen i. e. S. besteht darin, Kosten als vermögensmindernde Handlungsfolgen auf denjenigen zu überwälzen, der dafür endgültig zuständig ist. Der Herausgabeanspruch des Geschäftsherrn bewirkt diesen Transfer für einen Vermögenszuwachs, der dem Handelnden nicht zusteht. Von diesem "Vertretungsverhältnis", wie das in Kap. 2- 4 behandelte treuhänderisch-verwaltende Handeln zu nennen 20 21

So Erman I Hauß Rn. 12 vor§ 677. Grundlegend Wilburg, Bereicherung (1934) passim.

§ 1.

Gegenstand und Plan der Untersuchung

21

ist, ist das "Tätigkeitsverhältnis" als eigener tatbestandlicher Aspekt der Geschäftsführung ohne Auftrag zu sondern. Als dessen spezifische Rechtsfolgen, die mit denen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses übereinstimmen, werden in Kap. 5 behandelt: die Haftung für Schäden einschließlich der Rechtfertigung und Haftungsminderung, die Entschädigung für Nothilfeschäden und die Vergütung für berufliche und gewerbliche Dienste. 7. Diese vermögensrechtliche Konzeption der Geschäftsführung ohne Auftrag, die aus der Durcharbeitung der Kasuistik hervorgegangen ist, wird der Analyse der einzelnen Fallgruppen zwecks leichterer theoretischer Orientierung vorangestellt. Dies darf nicht davon ablenken, daß die Untersuchung auf die Erkenntnis des von den Gerichten praktizierten und darum effektiv geltenden Rechts zielt, so wie es sich oft praeter und contra legem und ohne Rücksicht auf dogmatische Postulate entwickelt hat. Keineswegs soll die Judikatur bloß als Beweisstück für die Richtigkeit der vorgelegten Theorie herhalten. Die Dogmatik hat vielmehr die dienende Aufgabe, als intellektuelles Hilfsmittel die rationale Entscheidung realer sozialer Konflikte zu fördern. Das schließt es ein, die Gerichtspraxis auf ihre innere Folgerichtigkeit und ihre Vereinbarkeit mit den Zielen des Gesetzes und anderer Rechtsnormen zu kontrollieren und zu kritisieren. Dieser methodische Ansatz, der dem Richterrecht den Vorrang vor rein dogmatisch-deduktiver Gesetzesinterpretation einräumt, versucht mit dazu beizutragen, die Entfremdung zwischen juristischer Theorie und Praxis in Deutschland, als deren deutlichstes Krisensymptom die unlängst eingeleitete Erprobung der einstufigen Juristenausbildung anzusehen ist, zu überwinden. Die Geschäftsführung ohne Auftrag zeigt, wie beide recht beziehungslos nebeneinander herlaufen. Die Gerichte hielten unbeirrt an Entscheidungen fest, die von Anfang an heftiger akademischer Kritik ausgesetzt waren, wie etwa am Regreß des unterhaltspflichtigen Vaters gegen den Schädiger des Kindes22 • Die Rechtslehre befaßt sich anderseits mit manchem Problem, das keinerlei praktische Relevanz hat. Die ganze Diskussion um die rechtsgeschäftliehe Natur der Geschäftsführung ohne Auftrag hat in der veröffentlichten Judikatur nichts weiter bewirkt, als daß sie einem im Ergebnis richtigen Urteil zur falschen Begründung verhalf23 • Für die Kategorie des subjektiv fremden Geschäfts, die zum eisernen Bestand der Dogmatik des Rechtsinstituts gehört, sind kaum abgeurteilte Fälle zu fin22 Zuerst RG Gruchot 53, 1028 (14. 1. 1908, VI). Krit. Oertmann Festschr. Giercke (1911) 1, 14 f. Zuletzt OLG Köln MDR 1963, 677; OLG Frankfurt VersR 1970, 73. Näheres unten S. 113 ff. 23 LG Aachen NJW 1963, 1252. Dazu unten S. 303 Fußn. 104.

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Einleitung

den24 • Sie bildet in Wahrheit totes Recht, das von einer realitätsorientierten Theorie höchstens als solches zu kennzeichnen ist. Die Diskussion beschränkt sich darum auf die von den Gerichten wirklich entschiedenen Sachverhalte und verzichtet bewußt darauf, neue Problemkonstellationen zu konstruieren, die sich aus der freien Kombination gesetzlicher Tatbestandselemente und dogmatischer Postulate ergeben könnten25• Die Argumentation versucht, soweit irgend möglich, ohne Schulfälle auszukommen. Dogmatik hat keinen Selbstzweck als l'art pour l'art. Sie muß realitätsbezogen sein, um wirtschaftliche und gesellschaftliche Gegenwartsprobleme besser lösen zu helfen. III. Um den Umfang des Buches nicht über Gebühr anwachsen zu lassen, mußten einzelne Teile der Untersuchung getrennt veröffentlicht werden. Die rechtstatsächliche Auswertung des Fallmaterials über den "Anwendungsbereich der Geschäftsführung ohne Auftrag" wurde abgesondert, weil ihr Schwerpunkt in empirischen Fragestellungen liegt26 • Im folgenden werden nur ihre Ergebnisse einbezogen. Außerdem wurde die "Geschäftsführung ohne Auftrag im öffentlichen Recht" abgeteilt, weil diese entgegen der im zivilrechtliehen Schrifttum noch herrschenden Meinung27 insgesamt als durch den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch überholt angesehen werden muß. Die Judikatur zur Gewinnhaftung wurde späterer Untersuchung vorbehalten, weil es die auf diesem Gebiet herrschende dogmatische Unsicherheit nicht ratsam erscheinen ließ, die überwiegend immaterialgüterrechtliehen Probleme unter Ausklammerung des Schadensersatz- und Bereicherungsrechts zu behandeln. Die im 19. Jahrhundert noch häufig anzutreffenden Fragen der Vertretung ohne Vertretungsmacht wurden ganz ausgeschieden, weil diese Rechtsfolge der negotiorum gestio heute in den §§ 177 ff. BGB geregelt ist. Gegenstand dieses Buches ist demnach die privatrechtliche sog. "echte" Geschäftsführung ohne Auftrag, d. h. diejenige, die mit redlichem Geschäftsführungswillen erfolgt. Das Konkurrenzverhältnis der §§ 677 ff. BGB zu anderen Ausgleichsschuldverhältnissen, namentlich zum Bereicherungsrecht, wird nicht Dazu unten S. 233 ff., 249 ff. z. B. Batsch AcP 171 (1971) 218, 232 zur Anwendbarkeit des § 678 BGB beim subjektiv fremden Geschäft: Der Freund GF des Briefmarkensammlers GH kauft für diesen eine Marke, obwohl GH, was GF hätte wissen können, nicht mehr sammelt. Als GF dem GH die Marke bringt, beschädigt er schuldlos eine Zierpflanze in dessen Haus. 28 Erscheint demnächst. 27 Staudinger I Nipperdey Rn. 64 vor § 677; Erman I H auß Rn. 23 ff. vor § 677; RGRK I Steffen Rn. 106 vor § 677; Soergel I Mühl Rn. 4 ff. vor § 677; Palandt I Thomas § 677 Anm. 2 a. 24

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§ 1. Gegenstand und Plan der Untersuchung

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generell behandelt28 • Um die spezifische Funktion der Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag zu klären, wird zwar jeweils geprüft, inwieweit die Probleme einzelner Fallgruppen nach Bereicherungsrecht zu lösen wären. Allgemeine Konkurrenzregeln verlangen jedoch eine allseitige Klärung der tatbestandliehen Struktur sämtlicher konkurrierender Normen, was vor allem für das Bereicherungsrecht noch nicht als abgeschlossen gelten kann29•

28 Dazu vom Standpunkt der h. L.: Mellulis, Diss. 1972; Köbl, Das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis im Anspruchssystem des BGB (1971) 181 ff. 29 Vgl. zuletzt Koppensteiner I Kramer, Ungerechtf. Bereicherung (1975) 114 ff.; Medicus BürgR (7. Aufl. 1976) Rdnr. 686.

Erstes Kapitel

Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag § 2. Die Theorie der Menschenhilfe I. Der Menschenfreund im Lehrbuch

1. Die Geschäftsführung ohne Auftrag hat nach Fikentscher "ihre praktische Bedeutung ... vor allem bei Hilfeleistungen, von denen der Begünstigte zunächst nichts weiß" 1• Larenz zeigt als unbeauftragten Geschäftsführer einen Hausbewohner, der ein Paket für den verreisten Nachbarn in Empfang nimmt oder einen Brand in dessen Wohnung löscht2 • Außerdem nennt er den Standard-Schulfan des Briefmarkensammlers, für den ein Freund die von diesem lang gesuchte Briefmarke kauft3• Medicus, der im übrigen tatsächlich abgeurteilte Fälle behandelt, verzichtet nicht auf einen Menschenfreund, der ein weinendes Kind von der Straße mit nach Hause nimmt4 • Heck, der Begründer der Interessenjurisprudenz, dem man doch einen Blick für reale Probleme zutrauen sollte, erläutert § 678 BGB an folgender Szene: Der Bauer GH, "ein Tüftler", sät eine unkrautähnliche Frucht unter sein Getreide aus; sein Nachbar GF jätet sie als vermeintliches Unkraut aus5• Beispiele für unerwünschte aufdringliche Geschäftsführung haben die juristische Phantasie seit jeher zur Groteske beflügelt6 • 1 SehR § 83 I 3. Ähnl. Gursky Jur. Analysen 1969, 103, 113 f.; GoA ist "typischerweise Menschenhilfe". 2 SehR II § 57 I a S. 270. So bereits in: Vertrag und Unrecht II (1937) 126 f. 3 Oft variiert: Enneccerus I Lehmann SehR § 162 II 2 b; Heck SehR § 120, 7 b; Esser SehR II § 98 IV 1 a; Fikentscher aaO.; Medicus BürgR § 17 li 2; Batsch, AcP 171 (1971) 218, 232; RGRK I Denecke (11. Aufl.) Anm. 2 vor 2 zu § 677. 4 BürgR § 17 I 2; nach Kohler JherJb 25 (1887) 48; Oertmann § 677 Anm. 1; Enneccerus I Lehmann SehR§ 166 I 1. 5 SehR § 120, 4; ähnl. Medi cus, BürgR § 18 II 2 a. Ferner: GF füttert den Hund eines Verstorbenen (Weimar, JR 1972, 455, 456; ähnl. M . Wolf AcP 166 (1966) 188, 215; Titze, Recht der Schuldverh. (3. Aufl. 1928) 116); Nachbar deckt das sturmgeschädigte Dach eines Stalls (M. Wolf, JZ 1966, 467, 469). Vater bürgt für verschuldeten Sohn ohne dessen Wissen (Weimar JR 1972, 285). 8 Standard-Fall im 19. Jh.: Während der Abwesenheit des Eigentümers wandelt GF einen kostbaren Ziergarten in einen nützlichen Kartoffelacker um; Zemer, Commentar über das ABGB (1812) § 1038 Anm. 2; Wächter AcP 20 (1834) 355 N. 26; Ruhstrat AcP (1849) 180: Dernburg, BürgR II

§ 2.

Die Theorie der Menschenhilfe

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Für das Schrifttum steht außer Zweifel, daß die§§ 677 ff. BGB uneigennützige Hilfeleistung der geschilderten Art fördern und regeln wollen7• Nach Erman ist die "notmäßige Anwendung auf andere Lebenssachverhalte ... fast schon nicht im Gesetz verankert" 8 • Jakobs glaubt sogar, die Beschränkung auf Menschenhilfe sei im geltenden Recht "ein Faktum"D. 2. Um die herrschende Lehre auf ihre Richtigkeit überprüfen zu können, müssen ihre Aussagen präzisiert werden. a) Sie enthält zunächst eine Tatsachenbehauptung über "die praktische Bedeutung" und damit über den Anwendungsbereich der Geschäftsführung ohne Auftrag, wie er ist. Insofern muß sie an der Rechtswirklichkeit dadurch zu verifizieren sein, daß die Durchsetzung und Befolgung dieser Normen im täglichen Leben, in der anwaltliehen Praxis und vor allem bei Gericht nachgewiesen wird. Als empirische Aussage muß sich die Theorie der Menschenhilfe empirischer Überprüfung stellen. b) Als Rechtslehre bildet sie zudem eine normative Aussage über den Gesetzeszweck und damit über den Anwendungsbereich der §§ 677 ff. BGB, wie er nach geltendem Recht sein soll. Gewöhnlich ist der Gesetzeszweck im Wege der historischen Auslegung10 aus den konkreten Regelungsabsichten des Gesetzgebers zu ermitteln. Die von der herrschenden Lehre implizierte rechtshistorische Behauptung ist insoweit, bezogen auf das BGB, an den Gesetzesmaterialien zu kontrollieren. Im Kern endlich will die Theorie der Menschenhilfe den objektiven Gesetzessinn bestimmen, so wie er sich ihr aufgrund eigenen Verständnisses und selbständiger rechtspolitischer Wertung darstellt. Diese Aus2 (1901) § 301 II. Ähnlich Kohler JherJb 25 (1887) 63: Am begonnenen Renaissance-Palast des GH baut GF flankierende gotische Türmchen an. Ruhstrat (aaO.): GF kauft juristische Bibliothek für Bauern, Schweineherde für Offizier. Noch Siber, SehR (1931) 368 f.: Eine Kunsttante malt während der Abwesenheit des Wohnungsinhabers die Türen mit Stilleben aus. 7 Außer den genannten: Planck I Lobe Anm. 2 vor § 677; Staudinger I Nipperdey Rn. 3 vor § 677; Erman I Hauß Rn. 1 vor § 677; RGRK I Denecke § 677 Anm. 3; von Caemmerer Festschr. Rabel I 374 N. 162; Canaris JZ 1963, 655, 659 N. 40; Dieckmann JuS 1969, 101, 104; Hagen NJW 1966, 1893, 1894; Jakobs, Eingriffserwerb (1964) 93; H. H. Klein DVBl 1968, 166; Köbl, Das Eigentümer-Besitzerverhältnis (1971) 189; Maurer JuS 1970, 561, 563; Melullis, Das Verb. von GoA u. ungerechtfertigter Bereicherung (Diss. Harnburg 1972) 3 ff.; Rabel RheinZ 10, 89, 91 ff.; Schlechtriem NJW 1966, 1795; Stolterfoht FamRZ 1971, 341, 343; Wilburg, Bereicherung (1934) 24; AcP 163 (1963) 346, 361; Zeiss FamRZ 1967, 532. Hinweise auf Menschenhilfe ferner bei: Titze, aaO. 117; Cosack, Lb. d. dt. BürgR (5. Aufl. 1910) § 155, I 5; Heck, SehR § 120, 3. -Anders einzig Rother, Diss. Leipzig 1941, 12 ff., 37 ff. 8 NJW 1965, 421. Ähnl. Frotz JZ 1965, 663, 669; Rabel aaO. 97. 9 Eingriffserwerb 93. 10 Dazu Larenz, Methodenlehre (3. Aufl. 1975) 302 ff.

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

sage könnte ganz unabhängig von den empirischen und rechtshistorischen Behauptungen im spezifisch normativen Sinne "richtig" sein. Die heute mit den §§ 677 ff. BGB zu verfolgenden Regelungsziele könnten sich ja unter dem Einfluß des verfassungsrechtlichen und gesellschaftlichen Wandels seit dem Inkrafttreten des BGB von den Vorstellungen der Gesetzesverfasser entfernt haben. Wenn die Gerichtspraxis einen dem Modell der Menschenhilfe nicht entsprechenden Anwendungsbereich ausweisen würde, so bliebe es rechtswissenschaftlicher Kritik immer unbenommen, diesen für falsch und "denaturiert" zu erklären. Auf dieser rein normativen Ebene ist die herrschende Lehre nicht mehr empirisch, sondern mit den Mitteln professioneller juristischer Argumentation zu kontrollieren. Am konkreten Sachproblem muß sich ihre Vereinbarkeit mit dem Gesetzesinhalt und dem effektiv geltenden Recht erweisen. In dem weiten Bereich von Zweifelsfällen, den der Gesetzeswortlaut offen läßt, muß eine gesetzesinterpretierende Theorie ein nützliches Instrument dafür bilden, die Sachprobleme zivilrechtlicher Konflikte bewußt zu machen und sie überzeugend zu lösen. c) Um die herrschende Lehre an der Gerichtspraxis überprüfen zu können, ist weiterhin der von ihr nirgends definitiv festgelegte Grundtatbestand der Menschenhilfe zu präzisieren. Dies macht vor allem Kohlers grundlegende Abhandlung über "Die Menschenhülfe im Privatrecht" von 188711 erforderlich. Ihr liegt ein ambivalentes Verständnis von Altruismus zugrunde, das erheblich von den freundlichen Szenen heutiger Lehrbücher abweicht. Zunächst wird als Voraussetzung jeder "echten" negotiorum gestio "Hilfsbedürftigkeit" angenommen; ein Notstand braucht jedoch nicht vorzuliegen (S. 47 f.). Dieser Bereich der Hilfeleistung wird aber überschritten, als der Aufsatz zu Detailfragen vordringt. Als Altruismus faßt Kahler jede Förderung eines fremden Interesses auf, auch wenn ein eigenes Interesse des Handelnden mit berührt ist; "caritativ" braucht das Handeln nicht zu sein (S. 115 Anm. 2). Ein Handeln aufgrund eigener Pflicht schließt die negotiorum gestio nicht mehr aus (S. 75 ff.). Die Rettung einer schadensversicherten Sache wird als Hilfeleistung für den Versicherer (!) betrachtet (S. 73 f.). Kahler rechnet staatliche "Wohltaten" wie die Armenunterstützung und die Arbeiterversicherung zur Menschenhilfe (S. 79). Schließlich billigt er gar einem Bauhandwerker ungeachtet der Vertragsbindung an den Bauunternehmer einen direkten Vergütungsanspruch aus negotiorum gestio gegen den Bauherrn zu (S. 83). Der Ausgangspunkt uneigennütziger Hilfe ist damit verlassen.

Kohlers Auffassung von Altruismus ist so unscharf wie die Schlagworte der damaligen nationalökonomischen Debatte um Egoismus und Altruismus als Triebfedern wirtschaftenden Handelns, durch die sein 11

JherJb 25 (1887) 1, 42 ff.

§ 2. Die Theorie der Menschenhilfe

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Aufsatz ersichtlich angeregt und geprägt ist1 2 • Wenn die Tätigkeit des Bauhandwerkers und der öffentlichen Verwaltung als Menschenhilfe erfaßt wird, so steht dahinter das sozialromantische Wunschbild einer brüderlichen Menschengemeinschaft, die sich in all ihrer vielfältigen Kooperation wechselseitig hilft. Nüchtern betrachtet, ist solche fremdnützige Tätigkeit, so wesentlich und umfassend sie eine arbeitsteilige Gesellschaft prägt, nicht als sittlich ausgezeichneter Altruismus zu verstehen. Eine Bank als Freund und Helfer ihrer Kunden zu kennzeichnen, dient der juristischen Analyse nicht; sie muß vielmehr als Geschäftsbesorger und Verwalter fremden Vermögens mit spezifisch rechtlichen Kategorien beschrieben werden.

Rabel rückte 1919 deutlich von Kohlers weitherziger Vorstellung ab. Jede Erstreckung der negotiorum gestio über "mitleidiges und aufopferndes Handeln" hinaus erschien ihm als "von Übel" 13 • Ebenso meinte Lent 1938 mit Hilfeleistung sittlich anerkennenswertes Handeln, wenn er forderte: "Auch im Recht muß es heißen: ,Hoch klingt das Lied vom braven Mann14 .' " Diese Stimmen dürften die heute herrschende Lehre zutreffend repräsentieren, während bei ihrem Begründer Kohler ein stimmiger und konsequent durchgehaltener Grundbegriff zu vermissen ist. Danach lassen sich Uneigennützigkeit und Freiwilligkeit auf Seiten des Helfers als Geschäftsführer und Hilfsbedürftigkeit auf Seiten des Geschäftsherrn als Merkmale des von der herrschenden Lehre postulierten Modelltatbestandes auftragloser Geschäftsführung bestimmen.

t 2 Der Einfluß ist zu folgern aus den zust. Zitaten von Dargun, Egoismus und Altruismus in der Nationalökonomie, 1885 (aaO. 4, 5, 107, 115, 129). Kohler übernahm die gegen Adam Smith, Ricardo u. a. gerichtete Grundthese pro Altruismus (dazu allg. Dietzel, Art. Selbstinteresse und Methodenstreit in der Wirtschaftstheorie in Hdwb. d. Staatswiss. VII, 3. Aufl. 1911, 435 ff.; Dargun Bd. I 429 ff.). Im Detail stammt von Dargun die These, altruistisches Handeln werde durch ein Entgelt nicht ausgeschlossen (aaO. 129 Fußn. 2), ferner die Unterscheidung von "prävalierendem" und nur "per consequentiam" gefördertem Interesse (aaO. 113 ff.). Der wirtschaftstheoretische Streit bildet das Grundthema von Jhering, Der Zweck im Recht I (1. Aufl. 1877, im folg. 3. Aufl. 1893), wo der Egoismus als Triebfeder des menschlichen Willens der "Selbstverleugnung" gegenübergestellt wird (37 ff., 47 ff.). Jh. stimmte aber ein "Loblied auf Egoismus" an (117). Er stellte bereits vor Kohler die neg. gestio den "egoistischen" Verträgen gegenüber (57, 101), so daß K. auch hiervon angeregt sein könnte. ta RheinZ 10 (1919/20) 97. u Wille und Interesse 12.

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

II. Der wirkliche Anwenduugsbereicll. der Geschäftsführung ohne Auftragts

1. a) Die Frage, ob uneigennützige Hilfeleistung wirklich Gegenstand der Rechtsprechung zu den §§ 677 ff. BGB ist, dürfte von jedem, dem der Ersatz von Nothilfeschäden aus § 683 BGB geläufig ist, ohne weiteres bejaht werden. Dem bekannten Reichsgerichtsurteil RGZ 167, 85 lag die Rettung eines Ertrinkenden zugrunde. Die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs zur Selbstopferung im Straßenverkehr, BGHZ 38, 270, entschied über die Schäden eines Kraftfahrers, der sein Fahrzeug in den Straßengraben gelenkt hatte, um einen in seine Fahrbahn geratenen Radfahrer zu retten. Mit einem Siebtel der nach 1945 veröffentlichten Urteile scheint diese Fallgruppe auch zahlenmäßig schon einen Beweis dafür zu bilden, daß die Förderung von Menschenhilfe ein Hauptanwendungsgebiet der Geschäftsführung ohne Auftrag bildet.

Dieser erste Eindruck muß sofort berichtigt werden, wenn man näher zusieht, wer jeweils Kläger und Beklagter war. Sucht man nach einem Urteil, das dem Retter selbst einen Ersatzanspruch gegen einen Geretteten gab, so ist aus einem Rohmaterial von über 1100 Fällen aus nahezu 150 Jahren keine einzige Entscheidung beizubringen, welche diesen einfachsten Bedingungen eines Modellfalls der Förderung von Hilfeleistung in jeder Hinsicht genügt! Vor dem Bundesgerichtshof klagte der Sozialversicherungsträger des aufopferungsbereiten Kraftfahrers. Dort war zu entscheiden, ob die Kosten der Rettung von der Versichertengemeinschaft oder dem jugendlichen Radfahrer zu tragen waren. Bei der Lösung dieses Regreßproblems ist der Gedanke der Förderung von Altruismus, wie später im einzelnen zu zeigen ist, fehl am Platze16• Das Reichsgericht gewährte den Hinterbliebenen des Lebensretters Ersatzansprüche gegen den Geretteten. Weil diese Verschiedenheit der Personen die ratio decidendi nicht wesentlich berührt, erfüllt das Urteil zusammen mit einem ähnlichen zweiten17 die Bedingungen des Modellfalls. Mithin bleiben zwei abgeurteilte Sachverhalte, an denen die von der herrschenden Lehre behauptete ratio legis verwirklicht ist. Die Anerkennung von Altruismus wird damit nicht als Hauptanwendungsgebiet der Geschäftsführung ohne Auftrag bewiesen. Dieses erstaunliche Ergebnis rechtstatsächlicher Kontrolle der Dogmatik ist hauptsächlich dadurch bedingt, daß aus Anlaß von Not- und Unglücksfällen andere Personen als der Retter, nämlich dessen Versicherungsträger, 15 Im folgenden werden die Ergebnisse der rechtstatsächlichen Untersuchung des Verf. (oben S. 22 Fußn. 26) wiedergegeben. Zahlenangaben dort im Anhang Tabellen 4-6. l & Unten S . 303 f. 17 OLG Tübingen MDR 1950, 160.

§ 2. Die Theorie der Menschenhilfe

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Arbeitgeber oder Dienstherr, klagen oder daß andere als der Gerettete Eltern und Arbeitgeber - verklagt werden. Dadurch verschiebt sich die Ausgleichsproblematik wesentlich, weil die Schadensabnahme nicht mehr vom Gedanken der Anerkennung des Retters und die Haftung nicht mehr vom Empfang der Hilfe getragen werden18• - Der Sachverhalt von BGHZ 52, 115 ist nicht einschlägig, weil der Kläger nicht zur Hilfeleistung sondern zur Verbrechensbekämpfung tätig war: Er wurde beim Raubüberfall auf eine Bar verletzt, als er den Tätern den Rückzug versperren wollte. Ein weiteres Urteil ist inkorrekt auf § 683 BGB gestützt19• Abgesehen von dem dürftigen Ergebnis der Statistik kann die Judikatur zum Ersatz von Nothilfeschäden einen ursprünglich vom BGB intendierten Gesetzeszweck schon deshalb nicht bestätigen, weil sie erst seit 1940, nämlich seit dem leading case RGZ 167, 85, existiert. Die ihr zugrunde liegende Gleichsetzung von Aufwendung und Schaden ist eine Rechtsfortbildung, die allenfalls ihrerseits als Erfolg der kurz zuvor von Lent wieder stark propagierten Theorie der Menschenhilfe gelten kann193 • b) Die Rechtsprechung zur Haftungsminderung des Notgeschäftsführers nach § 680 BGB bietet prima facie ebenso einleuchtende Beispiele: Ein Kraftfahrer hält nachts auf dunkler Landstraße, um den Fahrer einer unbeleuchteten Strohpresse auf die Gefahr aufmerksam zu machen2o. Ein Zechgenosse drängt den volltrunkenen Kraftfahrer vom Steuer, um selbst die Heimfahrt in dessen Kraftwagen zu übernehmen21. Bei näherer Prüfung können die dazu ergangenen Entscheidungen indessen den von den Verfassern des BGB selbst stammenden Gedanken, Nothilfe durch Minderung des Haftungsmaßstabs zu fördern22, nicht als ratio decidendi ausweisen. Überall ging es nämlich um den Schadensausgleich zwischen einem fahrlässigen Helfer und einem Gefährdeten, der selbst schuldhaft die Gefahrenlage geschaffen hatte, aus der ihn der Helfer befreien wollte. Der Fahrer der vorschriftswidrig unbeleuchteten Strohpresse und der vom Steuer gedrängte volltrunkene Kraftfahrer hatten beide durch ihr rechtswidrig-schuldhaftes Verhalten einen Zurechnungsgrund gesetzt, der sie bei Abwä18 Deshalb nicht einschlägig BGH LM Nr. 14 zu § 677 BGB: Rettung eines Seglers auf dem Rhein. Kläger war jedenfalls nicht der hilfreiche Schiffer sondern wahrscheinlich der Eigner des dabei beschädigten Beiboots. 19 OLG Braunschweig MDR 1948, 112: Auf der Flucht aus Schlesien rettet GF fremdes in Verwahrung genommenes Gut. Die Verurteilung ist alternativ auf Vertrag (§§ 693, 242 BGB) und § 683 BGB gestützt. GoA liegt nicht vor, weil ein Vertrag bestand. 19a Zur Entwicklung der Rspr. unten 288 ff.

BGHZ 43, 188. BGH NJW 1972, 475. Ferner BGH VersR 1970, 620; GF räumt das auf die Autobahn gefallene Reserverad eines Lkw fort. BGH LM Nr. 14 zu § 677 (Fußn. 18). 22 Prot. I. Komm. 1608 = Mot. li 858 = Mugdan II 479. 20 21

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

gung nach § 254 BGB den Schaden allein tragen ließ23. Ein Urteil zur Haftungsminderung bei Rettung aus einer wirklich vorhandenen unverschuldeten Gefahr ist überhaupt nicht veröffentlicht. Der einzige Fall, in dem die Hilfe einem schuldlos in scheinbare Gefahr geratenen Verkehrsteilnehmer galt, wurde zuungunsten des Helfers entschieden. Hier hatte ein Kraftfahrer einen anderen vor einer vereisten Fahrhahnstelle warnen wollen und erst dadurch den Unfall verursacht. Seine gute Absicht wurde (mit Recht) nicht als haftungsmindernd honoriert24. Der Rechtsprechung zu § 680 BGB liegen demnach in Wahrheit andere entscheidungserhebliche Gesichtspunkte als die bloße Anerkennung von Altruismus zugrunde. c) Die Judikatur zum Aufwendungsersatz (im eigentlichen Sinn freiwilliger Vermögensminderung) bietet zwar einige Beispiele von Altruismus, die sämtlich aus dem 19. Jahrhundert stammen, jedoch keinen zweifelsfrei dokumentierten Fall auftragloser Geschäftsführung für den Empfänger der Hilfe25 • Das möglicherweise uneigennützige Motiv, das einigen korrekt als negotiorum gestio eingeordneten Sachverhalten zugrunde liegt, war im gemeinen Recht nicht relevant und wurde in den Urteilsgründen nicht erwähnt. d) Die Urteile zur Schadensersatzhaftung des Geschäftsführers enthalten noch am ehesten Sachverhalte, die der Vorstellung "gesunder" Geschäftsführung ohne Auftrag entsprechen, z. B. die unbeauftragte Übernahme einer Hausverwaltung26. Daran läßt sich die behauptete ratio legis freilich gerade nicht zeigen, weil die Haftung für leichte Fahrlässigkeit freiwillige Hilfe eher hemmt als fördert. Im Bereich der Haftung des Geschäftsführers aus §§ 677, 276 BGB wäre der Gesetzeszweck deshalb bestenfalls als "Regelung" von Menschenhilfe zu deuten. Gleiches gilt für den Herausgabeanspruch aus §§ 681 S. 2, 667 BGB, weil er sich ebenfalls gegen den Handelnden richtet. e) Erst wenn man die Anforderungen an einen Modellfall lockert, insbesondere auf das Erfordernis verzichtet, daß der Altruismus dem Geschäftsherrn selbst gilt, ist uneigennütziges Handeln in vermehrtem Umfang zu beobachten. Aber auch dann bildet er keineswegs einen dominierenden Zug des Fallmaterials. 2s Ebenso der Lkw-Halter in BGH VersR 1970, 620; ob die Beseitigung des Hindernisses GoA für die schuldlos gefährdeten nachfolgenden Verkehrsteilnehmer war, ließ der BGH offen. - Ferner BGH LM Nr. 14 zu § 677 BGB: Der gefährdete Segler GH verschuldete die Schiffskollision. 24 OLG Koblenz NJW 1962, 1515. 25 Dazu im einzelnen Verf., Anwendungsbereich d. GoA. 26 RG Recht 1921, 1614. Ferner RG JW 1910, 233: freiwillige Fortführung der Vormundschaft über eine Waise; RG WarnRspr 1922 Nr. 12: redlicher Finder.

§ 2. Die Theorie der Menschenhilfe

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Im Bereich des Unterhaltsrückgriffs gern. §§ 683 S. 2, 679 BGB erscheinen mehrere freiwillige Helfer, meist nicht unterhaltspflichtige Verwandte, die Kinder oder Ehefrauen versorgten27• Deren Erstattungsanspruch ließe sich aus ihrer Sicht vielleicht als Anerkennung ihrer Hilfsbereitschaft rechtfertigen. Dieser Gesichtspunkt trägt aber die Haftung des säumigen Unterhaltspflichtigen nicht. Diese beruht vielmehr auf seiner Pflichtenstellung28 • Die Verfasser des BGB privilegierten den Unterhaltsrückgriff, der keine Rücksicht auf den entgegenstehenden Willen des Geschäftsherrn nimmt, vor allem auch im "öffentlichen Interesse", d. h., um das öffentliche Unterstützungswesen zu entlasten29• Zwei ältere Urteile gaben Helfern in Seegefahr und Feuersgefahr Ansprüche gegen die Schadensversicherer der geretteten Güter30• Weil die Helfer die letzteren wohl kaum hatten unterstützen wollen, bestätigen diese Entscheidungen den von der h. L. behaupteten Gesetzeszweck nur in Verbindung mit der Erweiterungsregel des § 686 BGB, daß ein Irrtum über die Person des Geschäftsherrn unschädlich ist. f) Zusammenfassend ist festzustellen, daß die veröffentlichte Judikatur aus nahezu 150 Jahren nicht mehr als zwei Fälle bietet, die den von der Theorie der Menschenhilfe behaupteten Zweck der §§ 677 ff. BGB illustrieren können. Selbst wenn sämtliche unter a) bis d) vorgebrachten Bedenken gegen die Eignung der Sachverhalte, die herrschende Lehre zu stützen, fallen gelassen werden, kommen aus dem ausgewerteten Urteilsmaterial maximal 5 v. H. einschlägiger Fälle uneigennütziger und freiwilliger Geschäftsführung ohne Auftrag zusammen. Nimmt man schließlich noch die Fälle hinzu, in denen einem anderen als dem Geschäftsherrn geholfen wurde, bleibt höchstens ein Zehntel der veröffentlichten Judikatur, an dem altruistisches Handeln zu beobachten ist. Zwar fehlt es im übrigen nicht an Gefahrensituationen, in denen schnelle Hilfe gewährt wurde. Als Kläger finden sich aber immer Personen und Institutionen, die mit der Rettung aus Gefahr berufsmäßig oder amtlich befaßt waren und die in Erwartung eines Entgelts oder in Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgaben tätig wurden: Ärzte und Krankenhausträger, Bergungs- und Abschleppunternehmen, Behörden der Gefahrenabwehr. Eigenes und fremdes Interesse sind hier unlöslich verquickt. Der statistisch häufigste Fall, d. h. der Normalfall der Geschäftsführung ohne Auftrag in der Rechtswirklichkeit, wird vom Handeln aufgrund eigenen Interesses und eigener Pflicht geprägt, also gerade von dem Anwendungsbereich, den die Theorie der Menschenhilfe als "Denaturierung" bekämpft. Insg. 18 Fälle. Nachw. in: Verj., Anwendungsbereich d. GoA. Gl. A. Rother, Diss. 1941, 20 f. 20 Mot. li 864 = Mugdan II 483. Näheres unten S. 128 ff. 30 OLG Hamburg SeuffArch 46 Nr. 186 (16. 1. 1891); OLG Hamburg SeuffArch 50 Nr. 15 (2. 7. 1894). 27

2B

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

2. Wer ein positives Bild des wirklichen Anwendungsbereichs der §§ 677 ff. BGB zu gewinnen sucht, muß sich zunächst von der Erwartung lösen, einen einheitlichen Lebenssachverhalt, einen Realtypus, wie ihn die herrschende Lehre postuliert, zu finden. Im vorklassischen römischen Recht mochte sich die negotiorum gestio vor über zwei Jahrtausenden auf wenige überschaubare Fälle konzentriert habensl. Seitdem hat sich ihr Anwendungsbereich weit ausgedehnt, so daß er sich ebensowenig wie der des Bereicherungsrechts, des Rechts der Willenserklärung oder der Stellvertretung mit einem einzigen griffigen Schlagwort anschaulich machen läßt. Die einzelnen Fallgruppen lassen sich nach normativen Kriterien ordnen, nämlich nach dem Gegenstand und dem Grund der mit Hilfe der Ansprüche aus den §§ 677 ff. BGB gelösten Ausgleichsprobleme. Zusammengeiaßt vermittelt die statistische Auswertung des Fallmaterials folgende Ergebnisse: a) Die Praxis der Geschäftsführung ohne Auftrag wird vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart wesentlich durch den Aufwendungsersatzanspruch des Geschäftsführers (einschließlich des Ersatzes von Nothilfeschäden) bestimmt, auf den 70- 80 v. H. aller Urteile entfallen. § 683 BGB ist also die praktisch wichtigste Norm des ganzen Rechtsinstituts. Darin liegt eine erhebliche Funktionsverschiebung gegenüber dem römischen Recht, wo als "Hauptklage" noch die gegen den Geschäftsführer gerichtete "actio directa" bezeichnet wurde. Haftungs- und Aufwendungsersatzklage erscheinen gleich häufig in den Quellen, so daß auf eine gleichmäßige Anwendung in der römischen Praxis zu schließen ist. Getreu dieser historischen Herkunft regelt das BGB zuerst die Pflichten des Geschäftsführers, dann dessen Rechte. Teilt man die Judikatur danach ein, ob der Geschäftsherr aufgrund einer Pflichtenstellung oder aufgrund eines (egoistischen) Interesses an der Erhaltung und Mehrung seiner Güter einschließlich seiner Person haftet 32 , so dominiert die Pflicht als haftungsbegründendes Moment. Vor 1880 gehörten dazu vier Fünftel aller Urteile zum Aufwendungsersatz, heute etwa zwei Drittel. Diese Fälle des Rückgriffs wegen der Erfüllung einer fremden Verbindlichkeit sind von den Gerichten von Anbeginn des Untersuchungszeitraums - und gewiß schon früher - kontinuierlich mit Hilfe der negotiorum gestio gelöst worden. Dieses Rechtsinstitut lieferte den Gerichten zuallererst eine Regreßformel. Gerade die von der herrschenden Lehre immer wieder angegriffenen Entscheidungen zum Rückgriff 33 bilden den 31

32 33

Oben S. 17 Fußn. 9. Zur Begründung unten S. 62. Insb. zum Haftpflichtregreß, unten S. 113 ff.

§ 2. Die Theorie der Menschenhilfe

33

Hauptanwendungsbereich der Geschäftsführung ohne Auftrag in der Gerichtspraxis der vergangenen eineinhalb Jahrhunderte. Im einzelnen sind innerhalb dieses Gebiets unterschiedliche Entwicklungen festzustellen. Die Rechtsprechung zur Zahlung fremder Schulden ist von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute stark geschrumpft. Der Rückgriff im öffentlichen Recht ist dagegen mit dem Ausbau der öffentlichen Verwaltung stetig angewachsen, in jüngster Zeit allerdings wieder zurückgegangen. Kontinuierlich haben sich die Gerichte in etwa konstantem Umfang mit Fragen des Unterhaltsrückgriffs befaßt. Als neue Entwicklungen sind der Regreß gegen den Schadensersatzpflichtigen (ab 1908) sowie die Rechtsprechung zum Ersatz von Nothilfeschäden (ab 1940) zu verzeichnen. b) Von den Klagen gegen den Geschäftsführer auf Schadensersatz, Herausgabe und Rechnungslegung entfällt heute mehr als die Hälfte auf die Geschäftsanmaßung des § 687 li BGB, die nach Zahl und Anteil ständig zugenommen hat. Für diese Anspruchsgrundlage, deren Tatbestand mit Menschenhilfe schlechterdings nicht zu vereinbaren ist3 4, war augenscheinlich ein stetig wachsender Bedarf vorhanden, weil sie in Gestalt der Gewinnhaftung eine aus Schadensersatz- und Bereicherungsrecht nicht begründbare Sanktion für Rechtsverletzungen bietet. Der Anteil der Klagen gegen redliche Geschäftsführer wurde dadurch zurückgedrängt. Die nach 1900 stark angewandte Schadensersatzhaftung des Geschäftsführers aus §§ 677, 276 ist heute fast vergessen wahrscheinlich aus dem Grunde, daß die Haftung für Verletzung außervertraglicher Schutz- und Obhutspflichten sie entbehrlich machte.

3. Im Ergebnis wiederlegt die rechtstatsächliche Untersuchung der Gerichtspraxis anband der veröffentlichten Urteile die empirische Behauptung der herrschenden Lehre über den Anwendungsbereich der Geschäftsführung ohne Auftrag. Uneigennütziges und freiwilliges Handeln bildet mit maximal 10 v . H. einen untergeordneten Anwendungsfall. Streng genommen erfüllt kein einziges von über 1100 ausgewerteten Urteilen die Bedingung eines Modellsachverhalts, daß ein Empfänger von Hilfe zum Aufwendungsersatz im eigentlichen Sinne an den Helfer verurteilt wurde. Selbst die Ausweitung des Aufwendungsbegriffs auf den Ersatz von Nothilfeschäden fügte nicht mehr als zwei abgeurteilte Sachverhalte hinzu, die den von der Theorie der Menschenhilfe behaupteten Gesetzeszweck bestätigen. Die Vorstellung einer "Ausuferung" des Anwendungsbereichs der Geschäftsführung ohne Auftrag geht fehl, weil die negotiorum gestio in den vergangenen eineinhalb Jahrhunderten keinen einheitlichen Lebenssachverhalt- schon gar nicht den altruistischen Verhaltens- abgedeckt hat. 34

Vgl. Kahler JherJb 25, 122 f .: "Ausläufer" des Instituts.

3 Wollschläger

34

1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

111. Die Gesetzesmaterialien

Das zeitliche Zusammentreffen der Entstehung der Theorie der Menschenhilfe und der Arbeiten am BGB ermöglicht es, den Einfluß dieser Lehre auf die Gesetzesverfasser historisch zuverlässig zu bestimmen. Kohlers Abhandlung erschien 1887, nachdem der Erste Entwurf zum BGB bereits abgeschlossen war35. In der Zweiten Kommission, die 1892 über die Geschäftsführung ohne Auftrag beriet, standen seine Thesen in Gestalt mehrerer Abänderungsanträge indirekt selbst zur Abstimmung36. Die Stellungnahme der Gesetzesverfasser zur Theorie der Menschenhilfe ist damit quellenmäßig greifbar. Zweifelsfrei war altruistisches Handeln bei der Arbeit an den§§ 677 ff. BGB als Anwendungsfall bewußt, wie die Privilegierung der Notgeschäftsführung in § 680 BGB ausweist. Die Frage nach den konkreten gesetzgebensehen Zielen kann sich folglich nur darauf richten, ob Hilfeleistung als typischer, häufiger oder gar alleiniger Tatbestand auftragloser Geschäftsführung vorausgesetzt wurde, ob davon ausgegangen wurde, daß sich der Anwendungsbereich darauf beschränkt, und welchen Stellenwert die Förderung von Altruismus unter mehreren legislativen Motiven hatte. 1. In der Begründung zum Teilentwurf des Schuldrechts stellte der Redaktor von Kübel einleitend fest, die Rechtsordnung begünstige freiwillig Hilfe37 • Damit meinte er indessen, wie alsbald zu lesen ist, allein die Begünstigung des Geschäftsherrn: "Das ganze Institut der neg. gestio (dient) dem Interesse des Geschäftsherrn, sie ist gegeben, um Diesem freiwillige Hilfe ... zu sichern38." Der neuartige und dem heutigen sozialstaatliehen Denken so einleuchtende Gedanke Kohlers, auftraglose Geschäftsführung um des sittlichen Eigenwerts altruistischen Verhaltens und im öffentlichen Interesse anzuerkennen, fehlt hier. Statt dessen erscheint das dem dominierenden liberalistisch-egoistischen Denken des vergangenen Jahrhunderts gemäße Anliegen, den Geschäftsherrn als denjenigen zu begünstigen, dem Vermögen und andere Rechtsgüter gehören und für den andere arbeiten.

2. Im Ersten Entwurf wurden die Vorschriften unter dem offenkundigen Einfluß Windscheids völlig neu gefaßt39• Er hielt überhaupt nichts 35 Die GoA wurde von der I. Kommission in 1. Lesung in 16 Sitzungen vom 18. 12. 1882 bis zum 31. 1. 1883 unter Beteiligung Windscheids und des Redaktors von Kübel behandelt. Kommission z. Ausarbeitung d. Entw. eines BGB, Protokolle (metallographiert, Berlin 1881- 1889) S. 1485 ff.; im folgenden zit. "Prot. I. Komm.". 38 Prot. II 729 ff. = Mugdan li 1195 ff. Die GoA wurde in der 164. bis 166. Sitzung vom 28. bis 30. 11. 1892 behandelt; Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs eines BGB, Protokolle (metallographiert, Berlin 1890 95) s. 3026 - 3063. 37 Teilentwurf GoA, Begr. S. 1. 38 aaO. 34. Vgl. ferner S. 46 zur Entgeltlichkeit der GoA.

§ 2. Die Theorie der Menschenhilfe

35

von einem "höheren Prinzip" der negotiorum gestio und fand dieses durch das römische und gemeine Recht vorgegebene Institut "ganz positiv" 40 • Die Erste Kommission sprach von Hilfeleistung nur im Zusammenhang des § 680 BGB, den sie für geeignet hielt, zum Eingreifen im Interesse des Gefährdeten zu ermutigen 41 • Wie die Mehrheit wirklich über Altruismus dachte, ergibt sich aus einer Abstimmung über die Geschäftsführung im eigenen Interesse, deren Verlauf aus den unveröffentlichten Beratungsprotokollen der Ersten Kommission hervorgeht42. Eine Meinung wollte es überhaupt nicht als negotiorum gestio anerkennen, wenn ein fremdes Geschäft zwar mit Geschäftsführungswillen besorgt wird, der Geschäftsführer hierzu aber "ausschließlich durch ein eigenes Interesse bestimmt worden ist". Das Rechtsinstitut sei nicht eingeführt, "um die Besorgung fremder Geschäfte in egoistischer Absicht zu erleichtern". Die Mehrheit lehnte den Antrag ab, weil sie es für "verfehlt" hielt, "dem inneren Motive" solche Bedeutung beizumessen. Weiter heißt es in den Beratungsprotokollen: "Meist werde nämlich der Fall von der Beschaffenheit sein, daß der Geschäftsführer sowohl sein eigenes als das Interesse des Geschäftsherm im Auge habe; ja, es könne bezweifelt werden, ob das Gegenteil ... im praktischen Leben auch nur vorkommen werde." Wollte man auftragslose Geschäftsführung im eigenen Interesse nicht zulassen, "so würden nur wenige Fälle der negotiorum gestio noch übrig bleiben". Demgemäß bestimmte der Erste Entwurf, daß die Verfolgung eines eigenen Interesses die Anwendung der Vorschriften nicht ausschließt43 • Die Zweite Kommission strich das als entbehrlich, weil ihr der Beweggrund des Handeins ebenfalls unerheblich erschien44 • Dennoch blieb die Regel als unverzichtbare Voraussetzung jeder angeblich "denaturierten" Anwendung der §§ 677 ff. BGB von Bestand45• Die Mehrheitsmeinung der Ersten Kommission wird von den Ergebnissen der rechtstatsächlichen Untersuchung vollkommen bestätigt. Näheres unten S. 43, Fußn. 11. Pandekten II § 430 N. 17. So bereits in der 1. Aufl. 1865, die im Text der §§ 430, 431 nur unwesentlich von der im folg. zit. 9. Auf!. 1906 abweicht. 41 Oben Fußn. 22. 42 Prot. I. Komm. 1661 f. zu Buchst. H. Entgegen der heute noch üblichen unkritischen Benutzung der Materialien des BGB ist zu betonen, daß die gedruckten amtlichen Motive keine ausreichende Quellengrundlage bilden, um die gesetzgeberische Motivation im Detail zu dokumentieren (vgl. hier Mot. II 856 = Mugdan II 478). Die Motive sind von der Kommission nicht autorisiert, sie bilden nur eine (im allg. zuverlässige) Zusammenfassung der Protokolle unter Hinzufügung von Gesetzes- und Literaturmaterialien, die aus der Begründung der Teilentwürfe stammen. Ebenso Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung (1966) 35; Kögler, Arbeiterbewegung und Vereinsrecht (1974) 61, vgl. 39

40

56 f . 43

EI§ 759. Prot. II 741

= Mugdan II 1202. Staudinger I Nipperdey § 677 Rn. 9; RGRK I Denecke § 677 Anm. 2; Erman I Hauß Rn. 4 vor§ 677; Palandt I Thomas § 677 Anm. 2 d. 44

45

3•

36

1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

Altruistisches Handeln blieb ein Randgebiet der Geschäftsführung ohne Auftrag und bestimmt keineswegs deren "praktische Bedeutung". Die Gesetzesverfasser kannten die Praxis ihrer Zeit gut genug, um sich über die Motive des gewöhnlichen auftraglosen Geschäftsführers keine Illusionen zu machen. Sie lehnten eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der §§ 677 ff. BGB auf uneigennütziges Handeln ausdrücklich ab. 3. In der Zweiten Kommission, in der rechtspolitische Gesichtspunkte erheblich stärker zur Geltung kamen46, führte die genaue Bestimmung der Voraussetzungen des Aufwendungsersatzes gern. § 683 BGB zu einer noch deutlicheren Stellungnahme. Die wohl ausgedehnteste gemeinrechtliche Kontroverse über den Begriff des "utiliter gestum" hatte darum gestritten, ob die Nützlichkeit der Geschäftsführung als Voraussetzung des Aufwendungsersatzes nach objektiven oder subjektiven Maßstäben zu beurteilen sei47• Der Erste Entwurf war streng dem "subjektiven Prinzip" gefolgt, wonach der Geschäftsführer Ersatz nur für Aufwendungen erhielt, die der Geschäftsherr bei Kenntnis der Sachlage gebilligt hätte48• Die Regelung diente ganz dem Ziel, den Geschäftsherrn vor aufgedrängter Bereicherung zu schützen, wenn sie dessen hypothetischen Willen, so launenhaft und zweckwidrig er sein mochte, für allein maßgeblich erklärte. Hiergegen richtete sich das "Gutachten aus dem Anwaltsstand"48, dem Otto von Gierke beitrat. Dem Ersten Entwurf wurde eine "wenig freundliche Stellung" gegenüber der auftraglosen Geschäftsführung bescheinigt. Unter Hinweis auf Kahler hieß es, die Geschäftsführung ohne Auftrag sei in der Mehrheit der Fälle Ausdruck menschlicher Hilfsbereitschaft, die Rechtsordnung dürfe "werktätiger Menschenhilfe" nicht entgegenwirken. Z. B. müsse der Arzt für die Rettung eines Selbstmörders Honorar erhalten, was nach dem Entwurf ausgeschlossen sei. Gierke rügte, im Ersten Entwurf bliebe "die Kulturbedeutung des Eintretens für den Mitmenschen unbeachtet" 5o. Beide Kritiker traten nach dem Vorbild älterer Gesetze für ein stärker "objektives Prinzip" ein51 • Das Gutachten übernahm ferner Kohlers Forderung, dem Geschäftsführer einen Ausgleich für Nothilfeschäden zu geben52 • 48 Sie nahm z. B. unter Zurücksetzung doktrinärer Bedenken die Geschäftsanmaßung des § 687 II BGB wieder auf, Prot. II 742 f. = Mugdan II 1202 f.; anders Mot. II 870 f. = Mugdan II 486 f. 47 Übersicht bei v. Kübel, Teilentwurf GoA Begr. 36 ff.; Windscheid aaO. (Fußn. 40); Ernst AcP 96 (1905) 440, 466 ff.

EI§ 753. Hartmann in: Gutachten aus dem Anwaltsstande üb. d. 1. Lesung d. Entw. eines BGB (1890) Heft 5 (1888) 338 ff. 60 Der Entwurf eines BGB und das deutsche Recht (1889) 274 f. 61 Vgl. art. 1375 Code civil (1804) "depenses utiles ou necessaires" bzw. BadLRS 1375 (1811) "alle aus Notwendigkeit oder zum Nutzen gemachte Aus48

49

lagen".

62 KohleT JherJb 25 (1887) 1, 138 ff. forderte allerdings nur eine Belohnung, keinen Schadensersatz.

§ 2. Die Theorie der Menschenhilfe

37

Das Gutachten aus dem Anwaltsstand und Gierke hatten damit Kohlers Idee, die negotiorum gestio als Anerkennung sittlicher und kultureller Werte durch das Recht zu begreifen, in konkrete rechtspolitische Forderungen umgesetzt. Ihre Kritik wurde in der Zweiten Kommission in Gestalt mehrerer Änderungsanträge aufgenommen53 • Die Alternative, zwischen der Förderung gemeinnütziger Hilfe und dem Schutz vor Einmischung zu wählen, wurde klar zum Ausdruck gebracht54• Die liberalistische Furcht vor aufgedrängter Bereicherung behielt indessen nach wie vor die Oberhand. Die Mehrheit stimmte nur der Gesetz gewordenen mildesten Änderung zu. Dem Geschäftsführer wurde zwar wie einem Beauftragten ein Ermessensspielraum für die Durchführung der Geschäftsführung gewährt. Für die Kernfrage aber, ob das Eingreifen des Geschäftsführers überhaupt zum Aufwendungsersatz berechtigt, gilt unverändert das "subjektive Prinzip": Die Obernahme der Geschäftsführung muß dem Interesse und dem Willen des individuellen Geschäftsherrn entsprechen. So billigenswert die Rettung eines Selbstmörders ist, - Aufwendungsersatz ist von ihm nach § 683 BGB nicht zu erlangen55 • Die Haftung für Nothilfeschäden kam überhaupt nicht auf die Tagesordnung, weil sie schon im Auftragsrecht keine Mehrheit gefunden hatte 56• 4. Zusammengejaßt zeigen die Gesetzesmaterialien zweifelsfrei, daß die Verfasser des BGB die Anwendung der Geschäftsführung ohne Auftrag nirgends auf uneigennütziges Handeln beschränken wollten. Sie gingen vielmehr davon aus, daß der normale Geschäftsführer zugleich oder gar ausschließlich im eigenen Interesse tätig ist. Altruismus war für sie ein rechtlich unerhebliches Motiv. Die Konzeption der Menschenhilfe liegt dem BGB, entgegen dem, was im Schrifttum voreilig aus den Materialien gefolgert wird, nicht zugrunde57 • Kohlers 53 Prot. II 729 ff. = Mugdan II 1195 ff. Der weitestgehende Antrag 1 gab Ersatz, wenn der GF die Genehmigung des GH erwarten durfte, die Gfg also dem vermuteten Willen entsprach (nicht dem "mutmaßlichen"!). Andere sahen entsprechend dem Gutachten aus dem Anwaltsstand (Fußn. 49, S. 343) wenigstens für Fälle der Notgeschäftsführung eine Erleichterung vor; wie z. B. ALR I 13 § 235 "zur Verhütung des Schadens nützlich aufgewendete Kosten"; ABGB § 1036. 54 So der Antragsteller zu 3; Prot. II 732 = Mugdan II 1196. 55 BayObLG VersR 1968, 951 begründet die Haftung mit der h. L. aus § 679 BGB, als ob eine Pflicht zur Unterlassung des Selbstmords bestünde. Dagegen unten S. 310 f. so Prot. II 367 ff. = Mugdan II 951. 57 Rother, Diss. 1941, 10 meint, Menschenhilfe habe "die Richtung gewiesen". R. übersieht, daß sein Zitat die Begründung des abgelehnten Antrags bildet. - Irreführend ferner der Hinweis auf Mot. II 854 bei Köbl, Das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (1971) 189 Fußn. 39. Dort ist von ALR und ABGB die Rede. Beide folgen mit der Begrenzung der risikoüberwälzenden GoA auf Schadensabwehr einem engeren Konzept als das BGB, das insoweit

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

Lehre fand zwar entschiedene Befürworter. Die Mehrheit reagierte jedoch auf die darauf gestützten rechtspolitischen Forderungen, das "subjektive Prinzip" abzuschwächen und Ersatz für Nothilfeschäden zu gewähren, nur mit einer praktisch folgenlosen Konzession5 8 • IV. Kritik

Die rechtstatsächliche und die rechtshistorische Überprüfung ergeben klar, daß die Theorie der Menschenhilfe sowohl den Absichten der Verfasser des BGB wie dem seit mindestens eineinhalb Jahrhunderten von den Gerichten praktizierten Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag widerspricht. Um so mehr muß die einhellige Billigung dieser Lehre im heutigen Schrifttum erstaunen. Dieser Erfolg Kohlers verlangt nach einer Klärung der Gründe und nach der eigenen Stellungnahme. 1. a) Die Überzeugungskraft der Abhandlung über "Die Menschenhülfe im Privatrecht" liegt einmal in ihrem methodischen Ansatz begründet. Was die Arbeit wohltuend von zahlreichen pandektistischen Schriften zur negotiorum gestio abhebt, ist der Versuch, ein soziales Phänomen ungeachtet der Grenzen positivrechtlicher Institute zu beschreiben. Sie faßt unter dem Aspekt des Altruismus im Recht zusammen: a) Die Pflicht zur Hilfeleistung (früher § 360 Ziff. 10 RStGB, 1935 erweitert in § 330 c StGB) ; b) die Gültigkeit der in einer Notlage geschlossenen Geschäfte, die heute nach §§ 123, 138 BGB zu beurteilen wäre; c) die negotiorum gestio als Recht des Aufwendungsersatzes für Hilfeleistung und d) die Belohnung für Hilfe vor allem im Seerecht der Bergung59• Ihre These richtet sich gegen das realitätsfremde Verfahren der Quasikontraktstheorie, die negotiorum gestio aus der "Verschränkung mehrerer einzelner Willen" zu konstruieren. Kohler forderte statt dessen, "die Rechtsgeschäfte nach den socialen Zwecken und Zielen der Rechtsordnung zu characterisieren" 60 •

Weil diese neue Sicht dem wissenschaftlichen Positivismus ihrer Zeit fremd war, fand die Theorie der Menschenhilfe bei den ersten exegetischen Interpreten der §§ 677 ff. BGB keinen Anklang 61 • Um so eher ganz das weitergehende römische und gemeine Recht fortführt. Nachw. unten S. 79, Fußn. 15. 58 Zur geringen praktischen Bedeutung unten S. 211, 216. 59 JherJb 25 (1887) 5 ff., 9 ff., 42 ff., 129 ff. 80 aaO. 122. Ähnl. bereits Sturm, Das negotium utiliter gestum. Ein Beitrag zur Beseitigung der Construction der Rechtsinstitute aus Fictionen (1878) Vorw., 9, 28 f.; Dernburg, Pandekten li (1. Aufl. 1882) § 122 N. 16. 81 Abi. Isay, Geschäftsführung (1900) 26. Brückmann, Die Rechte des GFoA (1903) zitiert Kohler nur zu Spezialfragen (56, 63, 65). Lent, Begriff d. GoA (1909) nennt ihn überhaupt nicht; gegen die Relevanz des von Kohler so betonten Motivs (S. 42).

§ 2. Die Theorie der Menschenhilfe

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konnte sie die Zustimmung des Rechtshistorikers und Rechtsvergleichers Rabel (1919) finden. Zu einem Durchbruch gelangte sie erst im Zeichen der nationalsozialistischen Rechtserneuerung. Auf dem von Carl Schmitt 1934 bereiteten Boden des "konkreten Ordnungsdenkens"62 mußte der Versuch, soziale Regelungsmaterien ungeachtet ihrer positiven rechtssystematischen Einordnung als eigene "Gestalt" anzuschauen, geradezu wegweisend wirken. Kohlers Arbeit lieferte einen willkommenen Baustein für das Vorhaben, die formale Begrifflichkeit des liberalen BGB durch das geplante Volksgesetzbuch abzulösen. Folgerichtig wurde die Theorie der Menschenhilfe in Lents 1938 erschienener Schrift über "Wille und Interesse", welche die Neuregelung der Geschäftsführung ohne Auftrag theoretisch vorzubereiten hatte, voll aufgenommen und ausgebaut63 • Unter ihrem Einfluß verfaßte Nipperdey, der unmittelbar federführend an den Gesetzesvorbereitungen beteiligt war, die 1941 erschienene Neubearbeitung der Materie in Staudingers Kommentar64 • Die personelle und methodische Kontinuität der Rechtswissenschaft in der Nachkriegszeit dürfte die Fortwirkung der Kohlersehen Lehre in der Gegenwart erklären, wo sie dem Bedürfnis nach anschaulicher Regelung realer sozialer Zusammenhänge entgegenkommt. b) Dennoch ist die Theorie der Menschenhilfe gerade unter den Prämissen ihres eigenen rechtsmethodischen Ansatzes abzulehnen. Anders als zu Kohlers Zeiten kann sich nämlich eine Rechtsdogmatik nicht mehr mit der unbewiesenen oder höchstens an den römischen Quellen orientierten Behauptung begnügen, daß eine Norm diesen oder jenen Anwendungsbereich habe. Sie muß sich - abgesehen von der rein normativen Argumentation - im Zeichen empirischer Sozialforschung auch an den Richtigkeitsmaßstäben dieser Wissenschaft bewähren. Eine restriktive Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag müßte also empirisch wenigstens in dem schwachen Maße zutreffen, daß sie plau82 Über die drei Arten des rechtswissenschaftliehen Denkens (1934) 11 ff., 54 ff. Dazu Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung (1968) 277 ff., 293 ff., 91 ff.; Überblick zum Privatrecht der NS-Zeit bei Ramm, Einführung in das Privatrecht I Allg. Teil Bd. I (2. Aufl. 1974) § 16. 83 Die mit einem Gesetzesvorschlag endende Schrift entstand auf eine Aufforderung der Akademie für Deutsches Recht; Heinrich Lange, Die Entwicklung der Wissenschaft vom bürgerl. Recht seit 1933 (1941) 19 Fußn. 1. Lent gehörte zu einem Kreis von Rechtslehrern, die so für die Ziele der NSRechtserneuerung gewonnen wurden. Er paßte sich zwar in der Phraseologie an, vertrat aber inhaltlich rechtsstaatliche Ansichten: Trennung von geltendem und künftigem Recht (60); gegen die Einbeziehung sittlicher Pflichten in § 679 BGB (34 ff.); gegen die Pflicht zur Unterlassung des Selbstmordes (40 ff.); gegen ärztliche Zwangsbehandlung (42 ff.). 64 Die 11. Aufl. (1958) wurde bloß ergänzt. Nipperdey war mit Hueck und Nikisch Redaktor des Arbeitsgesetzbuchs; Entwurf eines Ges. üb. d. Arbeitsverb. (1938) Vorwort.

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

sibel macht, daß wirklich allein der postulierte engere Lebenssachverhalt Gegenstand des effektiv geltenden Rechts ist. Dieser Nachweis ist beim gegenwärtigen Stande der juristischen Dokumentation nicht zu führen. Die rechtstatsächliche Untersuchung deutet gerade auf das Gegenteil. Die herrschende Lehre ist deshalb allein schon aus dem Grunde abzulehnen, daß sie die Rechtswirklichkeit der Geschäftsführung ohne Auftrag falsch darstellt. 2. a) Der Hauptgrund für den Erfolg Kohlers dürfte sein rechtspolitisches Eintreten für den Altruismus und gegen den Egoismus im Recht sein, d. h., seine darin implizierte Kritik an der ausschließlichen Vorherrschaft individualistischer Wertungsgesichtspunkte in dem daran so reichen bürgerlichen Recht. Auch insoweit war seine Arbeit zukunftsweisend und zugleich ihrer Zeit voraus, wie die kühle Aufnahme bei der Mehrheit der Gesetzesverfasser und im Schrifttum nach 1900 zeigen. Wiederum ist es kein Zufall, daß sich die Theorie der Menschenhilfe im Nationalsozialismus durchsetzte, wo der Liberalismus des BGB bekämpft und statt dessen Solidarität und Opferbereitschaft vom Volksgenossen erwartet wurden. Weil diese rechtspolitischen Strömungen unabhängig von den rassistischen und faschistischen Elementen der Gewaltherrschaft wirksam wurden und blieben, konnten sie nach 1945 in den sozialen Rechtsstaat des Grundgesetzes übergehen65 • b) Unter rechtspolitischem Aspekt ist die herrschende Lehre zunächst deshalb zu kritisieren, weil sie die Verschiedenheit ihres eigenen Standpunkts von dem der Verfasser des BGB verschweigt. Die Theorie der Menschenhilfe ist heute richtig nur zu verstehen als ein Versuch, den Zweck der§§ 677 ff. BGB umzudeuten. Der Mehrheit der Verfasser des BGB galt das "egoistische" Prinzip des Schutzes vor aufgedrängter Einmischung mehr als die Förderung von Hilfe, wie das rigorose "subjektive Prinzip" des § 683 BGB zeigt. Lents maßgebliche Schrift von 1938 diente hingegen konkret dazu, eben diese Vorschriften abzuschaffen und durch neue zu ersetzen. Gewiß ist solche Uminterpretation zulässig und nicht selten sogar erforderlich, um historisch überkommene Normen funktionstüchtig zu erhalten. Intellektuelle Redlichkeit verlangt dann aber, den zugrunde liegenden rechtspolitischen Wandel bewußt zu machen. Gegen das Ziel selbst, Hilfeleistung anzuerkennen und zu fördern, ist natürlich nichts einzuwenden. Als verfehlt ist es jedoch anzusehen, das gesamte Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag unter dieos Das am 1. 1. 1976 in Kraft getretene Zivilgesetzbuch der DDR führt den Gedanken der Regelung "gegenseitiger Hilfe" in den §§ 274 ff. fort. Dort sind Auftrag und GoA mit anderen unentgeltlichen Geschäften zusammengefaßt, die "sozialistische Verhaltensweisen" fördern sollen (§ 274).

§ 3. Kritik anderer Lehren

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sem Gesichtswinkel zu deuten. Die herrschende Lehre verabsolutiert einen Teilaspekt der römischen negotiorum gestio, nämlich die Unentgeltlichkeit von Freundeshilfe. Sie vernachlässigt die vermögenszuordnenden und -transferierenden Funktionen der daraus entspringenden Klagen bzw. Ansprüche, welche die Gerichtspraxis prägen. Rechtsdogmatik muß sich am effektiv geltenden Recht bewähren, wenn sie ihre didaktische Aufgabe, den Lernenden über den Norminhalt zu informieren, und ihre praktische Aufgabe, dem Rechtsanwender relevante Entscheidungskriterien zu vermitteln, erfüllen will. Die Theorie der Menschenhilfe verfehlt beides, weil sie den allergrößten Teil der kontinuierlichen Judikatur als "notmäßig" verfälschte Gesetzesanwendung hinstellt. § 3. Kritik anderer Lehren

Neben der Theorie der Menschenhilfe wirken im heutigen Schrifttum und in vielen Urteilsbegründungen Elemente anderer Lehren nach, die im folgenden zu umreißen und auf ihre dogmatische Brauchbarkeit zu überprüfen sind. Insbesondere die Quasikontraktstheorie hat noch erheblichen Einfluß, weil dem Willen, für einen anderen zu handeln, große Bedeutung dafür beigemessen wird, eine Tätigkeit zu einem fremden Geschäft zu machen. I. Das justinianische Quasikontraktssystem

Die Institutionen Justinians reihen die negotiorum gestio unter die obZigationes quasi ex contractu ein, wo sie u. a. zusammen mit der Gemeinschaft (communio incidens) und der Leistungskondiktion (condictio indebiti) erscheinen1• Diese Klassifikation besagt inhaltlich in der Abgrenzung gegen die beiden anderen Glieder der Vierteilung der Obligationen, daß es sich nicht um eine obligatio ex delicto oder quasi ex delicto handelt. Positiv stellt sie fest, daß die negotiorum gestio auf rechtmäßigem, billigenswertem Tun beruht. Die in dem Worte "quasi" ausgedrückte Ähnlichkeit mit den Verträgen beruht auf der Übereinstimmung mit den Rechtsfolgen des Auftrags. Im Tatbestand decken sich beide Rechtsinstitute darin, daß es sich um Geschäftsbesorgung mit Geschäftsführungswillen handelt. Das Fehlen vertraglicher Bestellung zum Geschäftsbesorger macht die spezifische Besonderheit der Geschäftsführung "ohne Auftrag" aus. Die unglückliche Wirkung dieser systematischen Einordnung bestand darin, spätere Generationen gemeinrechtlicher Juristen, die in der Neuzeit aus Justinians Lehrbuch ihre ersten Rechtskenntnisse erhielten, immer wieder dazu zu verleiten, nach Übereinstimmungen mit 1

lnst. J. 3, 27. Vgl. Mayer-Maty Festschr. Wilburg (1965) 129, 131 ff.

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

dem Vertrag und zwar mit dessen konsensualem Element zu suchen. Ihr wesentliches Übel dürfte darin liegen, daß sich Juristen mit der trügerischen Feststellung eines "quasi", einer bloßen Ähnlichkeit mit dem Vertrag zufriedengeben, wobei sie sich insgeheim eingestehen, daß in der Jurisprudenz eben doch nicht alles zu erklären sei. Die eigentliche dogmatische Aufgabe, die Ähnlichkeitsbeziehung aufzulösen und die übereinstimmenden und differierenden Merkmale bewußt zu artikulieren, bleibt dann unerledigt. Nimmt man die schlichten Aussagen, die sich aus der Einteilung eines Oberbegriffs der Obligation in zwei Klassen mit je zwei Unterklassen ergeben, so anspruchslos, wie sie bei Justinian stehen, sind sie heute noch als brauchbarer Ansatz dafür zu verwenden, das Rechtsinstitut systematisch einzuordnen. Sie machen nämlich deutlich, daß letzteres auf zweierlei Weise geschehen kann. Justinian, die Lehren des Usus Modemus und die jenem entwachsenen Kodifikationendes Bayerischen Landrechts und des Code Civil sahen das wesentliche Merkmal im Fehlen des Vertrages und fügten die Geschäftsführung ohne Auftrag unter die Quasikontrakte ein2 • Obwohl jene Kategorie gegen Ende des 19. Jahrhunderts als unwissenschaftlich überwunden galt3, hielt noch der Erste Entwurf zum BGB im Anschluß an Windscheid daran fest4 • Heute folgt Esser dieser Systematik5 • Seit dem preußischen Allgemeinen Landrecht betonen die Kodifikationen hingegen die Übereinstimmung mit dem Auftrag und stellen die auftraglose Geschäftsbesorgung dahinter6 • Die meisten heutigen Lehrbücher verfahren ebenso 7 • Beide Lösungen sind korrekt; es wäre sinnlos, die eine oder die andere für richtig oder falsch zu erklären. Die ältere ist freilich die ungewohntere und wichtigere, weil sie den Blick von dem geheimnisvollen Quasi-Vertrags-Band löst und bewußt macht, daß die Geschäftsführung ohne Auftrag mit Bereicherungsrecht und Gemeinschaft ein Teil der außerdeliktischen gesetzlichen Ausgleichsordnung ist. Die §§ 677 ff. BGB bilden das spezielle Ausgleichsschuldverhältnis der Geschäftsbesorgung. 2 BayLR IV 13 §§ 1 f.; Code Civil artt. 1370 ff. Zur Vorgeschichte des ABGB Mayer-Maly aaO. 133 f. 3 So insb. Ramm, Der Quasikontrakt (1882) 100: "Fort mit dem Quasikontrakt aus Wissenschaft und Gesetzgebung!" Ferner Sturm, Kohler oben S. 38, Fußn. 60. 4 Buch II 4. Abschn. "Einzelne Schuldverhältnisse aus anderen Gründen" stellt die GoA zwischen Bereicherung und Gemeinschaft. Ebenso Windscheid, Pandekten II §§ 421 ff. : "Forderungsrechte aus vertragsähnlichen Gründen." Die heutige Reihenfolge wurde erst vom Reichsjustizamt "aus Zweckmäßigkeitsgründen" hergestellt (Denkschrift 40 = Mugdan II 1232). • SehR II § 98 II 1. 8 ALR I 13 Auftrag GoA - Versionsklage; ABGB §§ 1022 ff.; SächsBGB §§ 1295 ff., 1339 ff.; SchweizOR 1911 Tit. 13, 14. 7

Enneccerus I Lehmann, Heck, Larenz, Fikentscher.

§ 3. Kritik anderer Lehren

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II. Die objektive Theorie

Viele ältere Pandektenlehrbücher lehrten, daß Rechtsfolgen der negotiorum gestio bereits bei objektiver Führung eines fremden Geschäfts (ohne Geschäftsführungswillen) eintreten8 • Diese objektive Theorie, die eine Digestenstelle des Africanus generalisiert9, wurde freilich als Interpretation des ganzen Rechtsinstituts, soweit ersichtlich, in der Literatur des 19. Jahrhunderts nirgends voll entfaltet. Klar formuliert erscheint sie in von Kübels Teilentwurf zum Schuldrecht. Danach haftet derjenige, der ein fremdes Geschäft irrtümlich als eigenes besorgt hat, auf Herausgabe, jedoch beschränkt auf die Bereicherung. Ihm steht Aufwendungsersatz zu, soweit der Geschäftsherr bereichert ist10. Dieser Lehre erteilte die Erste Kommission unter dem offenkundigen Einfluß ihres Mitglieds Windscheid eine recht brüske Absage, deren Ergebnis § 687 I BGB ist11 • Zur vollständigen Interpretation der §§ 677 ff. BGB ist die objektive Theorie daher nicht geeignet. Dennoch fördert sie die dogmatische Analyse entscheidend dadurch, daß sie den objektiven Tatbestand der Führung eines fremden Geschäfts zu bestimmen hilft. Nach der ihr zugrunde liegenden Digestenstelle D. 3, 5, 48 (49) haftet der gutgläubige Veräußerer einer fremden Sache mit der Herausgabeklage auf den Erlös. Hier liegt ein Tatbestand des Eingriffserwerbs vor, der heute dem § 816 I 1 BGB unterfiele12. Der Verkauf ist fremdes Geschäft, weil er in fremdes Eigentum eingreift und dessen Gegenwert nicht dem Handelnden gebührt. Die zweite Entscheidung jener Stelle gibt dem gutgläubigen Erbschaftsbesitzer, der eine Nachlaßschuld getilgt hat, die Aufwendungsersatzklage gegen den wahren Erben. Dieser Fall ist in § 2022 II BGB speziell ge8 Überblick bei von Kübel, Teilentwurf GoA, Begr. 10 ff.; R. Moser, Die Herausgabe des widerrechtl. erzielten Gewinns (Diss. Zürich 1940) 105 ff.; Jakobs, Eingriffserwerb 92 ff. - GWck, Pandekten 5 (1798) 345 ; Thibaut, Pandekten II (1. Aufl. 1803) § 1156 zu N. 18; Seuffert, Pract. Pandektenrecht (2. Aufl. 1848- 49) § 342 N. 18; Sintenis, Pract. Gern. Civilrecht II (1. Aufl. 1847) § 114 S. 584 zu N. 17; Vangerow, Pandekten III (3. Aufl. 1847) § 664 S. 482; Puchta, Pandekten (9. Aufl. 1863) § 327; Arndts, Pandekten (5. Aufl. 1865) §§ 297, 298. 9 D. 3, 5, 48 (49). 10 Teilentwurf GoA § 236, § 243 i. V. m. § 242 111. 11 Die Beratung folgte nicht der Vorlage des Redaktors. Vielmehr wurde zu Beginn der Grundsatzbeschluß gefaßt, zuerst den Fall zu behandeln, daß "jemand ein Geschäft für einen Anderen in der Absicht, d essen Interesse zu wahren und mit dem Willen, sich und den Anderen dadurch zu verpflichten, besorgt" (Prot. I. Komm. 1601). Die anormalen Fälle wurden dann entsprechend der Aufteilung der §§ 430, 431 in Windscheids Pandekten im Anschluß an die "echte" GoA behandelt (aaO. 1647 ff., aus den Motiven nicht erkennbar). 12 Das BGB weicht von der Digestenstelle in der Beschränkung der Haftung auf die Bereicherung ab. Außerdem gab es im röm. Recht keinen sofortigen gutgl. Erwerb vom Nichtberechtigten, doch kurze Ersitzungsfristen.

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

regelt und wäre im übrigen mit Hilfe der Rückgriffskondiktion zu lösen. Fremdes Geschäft ist die Tilgung einer fremden Schuld insofern, als der Zahlende nicht selbst Schuldner ist und die diesem obliegende Last nicht zu tragen hat. Im ersten Fall des Eingriffserwerbs steht dem unbeauftragt Handelnden der vermögensmehrende Erfolg seines Handeins nicht zu; im zweiten Fall des Rückgriffs ist ihm der vermögensmindernde Erfolg nicht zugewiesen. Diese Digestenstelle ist von der pandektistischen Quasikontraktstheorie bis hin zur jüngsten romanistischen Untersuchung als exzeptionelle Besonderheit aus dem Bereich der von einer stimmigen Theorie zu verarbeitenden Fälle verdrängt worden13• Sie weicht durch den Verzicht auf den Geschäftsführungswillen in der Tat von fast allen anderen Quellen der negotiorum gestio ab. Dafür ist der Gedanke, der den römischen Juristen zur Ausweitung der Klage bewogen haben mag, um so fruchtbarer. Variiert man das Willenselement der beiden Sachverhalte dergestalt, daß einmal mit, einmal ohne Geschäftsführungswillen gehandelt wird, tritt der tragende materiale Grund der Entscheidung zutage. Der Eigentümer hat den Verkaufserlös zu beanspruchen, weil ihm der Geldwert der Sache kraft seines Eigentums zugewiesen ist. Der Umstand, daß der Handelnde "für" ihn handeln, d. h., den Erlös an ihn abführen will, darf an diesem Ergebnis im Grundsatz nichts ändern. Das Willenselement ist daher für den Grund der Herausgabepflicht nicht relevant. Gleichermaßen muß der Schuldner die verauslagte Schuldsumme erstatten, eben weil er Schuldner ist und nicht etwa allein deshalb, weil der Tilgende gegen ihn Regreß nehmen will. Die objektive Theorie kommt damit einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise, die auf das konkrete Ergebnis von Rechtsfolgen schaut, entgegen. Sie lenkt den Blick auf die güter- und lastenzuweisenden Normen der Rechtsordnung, während die gegnerische Quasikontraktstheorie die Rechtswirkungen aus dem privatautonomen Willen abzuleiten sucht. 111. Die pandektistische Quasikontraktstheorie

1. Die Quasikontraktstheorie der negotiorum gestio wurde in ihrer für die pandektistische Spezialliteratur vorbildlichen Form von dem Oldenburger Richter Ruhstrat (1849) formuliert 14• Sie postulierte den 13 Seiler, Neg. Gestio (1968) 26 f. m. w. Nachw. Seiler erklärt die Stelle für interpoliert, hilfsweise für einflußlos auf die Lehren der Klassiker. Allein letzteres ist zu akzeptieren, da keine dem neueren Stand der Textkritik genügenden Beweise für Unechtheit beigebracht werden. 14 AcP 32 (1849) 173, 184 ff. Zur Quasikontraktstheorie der Glosse Aarons, Beiträge zur Lehre von der neg. gestio (1860) 8 ff. Gegen die Fiktion eines Konsenses noch Chambon, Neg. gestio (1848) 50 ff., der aber eine Genehmigung fingiert (aaO. 60).

§ 3. Kritik anderer Lehren

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Geschäftsführungswillen als unverzichtbares Element der Obligation und forderte dazu den übereinstimmenden Willen des Geschäftsherrn, daß der Geschäftsführer für ihn tätig wurde. Die Entstehung des Schuldverhältnisses beruht danach auf der Parallelität zweier Willen, deren fehlende vertragliche Vereinigung durch das Gesetz ersetzt wird15. Andere sprachen von einer "Willensgemeinschaft" 16, und schließlich verstieg man sich zu der Behauptung: "Was die römische Jurisprudenz . . . schüchtern als einen quasi-contractus bezeichnete, entfaltet sich heute gewiß nur als ein vollkommener Vertrag17." 2. Diese Lehre hat das BGB insofern beeinflußt, als nur die "echte" Geschäftsführung ohne Auftrag anerkannt wurde und die Geschäftsanmaßung des § 687 II BGB ursprünglich von der Ersten Kommission ganz verworfen und später lediglich als Sondertatbestand akzeptiert wurde18. Das rechtspolitische Ziel der Quasikontraktstheorie, mit dem Erfordernis vollständiger Willensübereinstimmung mit dem Geschäftsherrn einen maximalen Schutz vor aufgedrängter Bereicherung zu bieten, wirkt außerdem in Gestalt des "subjektiven Prinzips" in § 683 BGB nach19. Dagegen hat das BGB ihre spezifische praktische Konsequenz, nämlich die Ansprüche des Geschäftsführers von den gleichen Bedingungen wie die des Geschäftsherrn abhängig zu machen, gerade nicht übernommen. Die Motive heben ausdrücklich hervor, daß Herausgabe- und Aufwendungsersatz verschiedene Voraussetzungen haben20. Erst § 683 BGB verlangt die für die Quasikontraktstheorie unerläßliche Übereinstimmung mit dem Willen des Geschäftsherrn. Dieses Postulat der Quasikontraktstheorie wurde bereits 1860 von Aarons, einem ihrer wenigen Kritiker, als quellenwidrig gerügt21 . Windscheid erklärte die ganzen Konstruktionsversuche der monographischen Literatur pauschal für verfehlt und unnötig22. In der Tat ist die Fiktion der Willensgemeinschaft nicht nachvollziehbar.

3. Um so erstaunlicher ist es, daß die Quasikontraktstheorie in Gestalt der Lehre von der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag ungebrochen fortlebt23 • Wenn danach das ganze Schuldverhältnis der 15 aaO. 187 f. Ebenso Brinkmann, Das Verhältnis der actio communi dividundo und der actio n egotiorum gestorum zueinander (1855) 15 ff. 18 von Monroy, Die vollmachtlose Ausübung fremder Vermögensrechte (1878) 34 f. 17 Ogonowski, Die Geschäftsführung ohne Auftrag (1877) 104. 1B Prot. II 743 = Mugdan Il 1203. 19 Oben S. 36. 2o Mot. II 861 = Mugdan II 481. 21 Beiträge zur neg. gestio (1860) 257 ff., 259: Erfordernis der utilitas auf die actio directa übertragen. 22 Pandekten II § 430 N. 17.

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

§§ 677 ff. BGB nur bei interesse- und willensgemäßer Übernahme der Geschäftsführung oder bei Genehmigung entsteht, werden die Voraussetzungen des Aufwendungsersatzes gegen den unmißverständlichen Gesetzeswortlaut auf die §§ 677 f., 681 BGB übertragen24 • Erstmals engte Lent (1912) die Geschäftsführungsansprüche ein, um im Zusammenhang seiner rigiden Konkurrenzlehre eine Gesetzeskonkurrenz zwischen Delikt und §§ 677 f. BGB in der Weise zu eliminieren, daß die auftraglose Geschäftsführung als rechtmäßiges Handeln vom Tatbestand des § 823 I BGB ausgenommen wurde25 • Er folgerte den Ausschluß des Herausgabeanspruchs bei interessewidriger Geschäftsführung aus § 684 S. 1 BGB. Er hielt es für unsinnig, wenn erst der Geschäftsführer gemäß §§ 681, 667 BGB an den Geschäftsherrn herausgeben müßte und das Ergebnis durch § 684 S. 1 BGB wieder rückgängig gemacht würde. Die in der Tat mißglückte Formulierung dieser Vorschrift besagt indessen sinnvollerweise bloß, daß Aufwendungsersatz nach Bereicherungsgrundsätzen zu gewähren ist26 • Lents These, bei willenswidriger Übernahme der Geschäftsführung werde allein nach § 678 BGB gehaftet, ist offenbar unrichtig. Die Lehre von der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag kann § 678 BGB nur als "Sondertatbestand" auffassen27 , womit er als systemwidriges Störelement dogmatisch unverarbeitet bleibt. Sie leidet ferner an dem rechtslogischen Widerspruch, daß die Befugnis des Geschäftsherrn, eine willens- oder interessewidrige Geschäftsführung zu genehmigen und sich deren Ergebnisse anzueignen, voraussetzt, daß schon ein Schuldverhältnis besteht, aus dem sich diese Befugnis ergibt28• Der Aufbau des BGB, der die Unterscheidung von berechtigter und unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag nicht erkennen läßt, weil es diese Konzeption inhaltlich verworfen hat, muß dieser weit verbreiteten Lehre zwangsläufig als unübersichtlich und dem Verständnis hinderlich erscheinen29 • In Wahrheit sind nicht die §§ 677 ff. BGB falsch aufgebaut; falsch ist vielmehr die Lehre von der berechtigten Ge23 Lent, Wille und Interesse 7 f.; Staudi nger I Nipperdey Rn. 7- 19 vor, Rn. 19 zu § 677; Erman I Hauß Rn. 16 vor § 677; Soerget I Müht Rn. 1 vor § 677; Larenz SehR II § 57 II a; Enneccerus I Lehmann SehR § 165 II 2; Esser SchRII § 98 IV 2; Batsch AcP 171 (1971) 218 ff. 24 Anders zutr. Patandt I Thomas § 677 Anm. 4 b; Fikentscher SehR § 83 II 1, 3; Ptanck I Lobe § 677 Anm. 3 b; Oertmann § 677 1 d. - Medicus BürgR § 18 I 2 behandelt die Unterscheidung nur als Frage des Aufwen-

dungsersatzes. 25 Gesetzeskonkurrenz I (1912) 307 f. Gegen seine Lehre zuletzt Georgiades, Anspruchskonkurrenz (1968) 74 ff. m. w. Nachw. Fußn. 30. 26 So F. Schulz AcP 105 (1909) 469 f.: "Aboluter Unsinn", der korrektarisch zu interpretieren ist; Staudinger I Nipperdey § 687 Rn. 22. 27 Batsch AcP 171, 218, 229. 28 Ganz widersprüchlich behandelt Staudinger I Nipperdey § 681 Rn. 2 den Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch gegen den interessewidrig handelnden GF. Er wird erst aus dem Anwendungsbereich der §§ 681, 666 ausgeschieden, dann aber wieder aus "allgemeinen Grundsätzen" abgeleitet. 29 Isele, Lent, Nipperdey u. a.; oben S. 16 Fußn. 3.

§ 3. Kritik anderer Lehren

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schäftsführung ohne Auftrag. Diese führt unbekümmert die in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts herrschende akademische Interpretation der negotiorum gestio fort, ohne sich um die abweichende originale Konzeption der Gesetzesverfasser zu bemühen. Das BGB fußt auf der im Ersten Entwurf noch in reiner Form ausgeführten Lehre Windscheids. Diese nimmt eine vermittelnde Position ein zwischen der älteren objektiven Theorie, welcher der Teilentwurf von Kübels gefolgt war, und der in der monographischen Literatur dominierenden Quasikontraktstheorie. Im Anschluß an die herrschende Meinung unter den römischen Juristen verlangt sie nämlich den animus negotia aliena gerendi des Geschäftsführers als notwendige, aber auch ausreichende Voraussetzung für die Entstehung der Obligation. Die von Windscheid verworfene Quasikontraktstheorie entsprach dem römischen Recht überhaupt nicht, weil dort das utiliter gestum, welches sie als Willensübereinstimmung mit dem Geschäftsherrn interpretierte, lediglich Voraussetzung der Aufwendungsersatzklage war. Die Systematik der §§ 677 ff. BGB folgt also konsequent dem klassischen römischen Recht, aus dem einzig die Sondermeinung des Africanus in D. 3, 5, 48 (49) nicht übernommen wurde(§ 687 I). 4. Zu den besonders verunklarenden Hinterlassenschaften der Quasikontraktstheorie gehört es, den Geschäftsführungswillen zum wesentlichen obligationsbegründenden Element zu machen und auf die Erarbeitung objektiver haftungsbegründender Kriterien zu verzichten30 • In über 90 v . H. aller Urteilssachverhalte handelt der Geschäftsführer aufgrund eines eigenen Interesses oder einer eigenen Pflicht. Weil die herrschende Lehre das fremde Geschäft schwammig als jede fremde Angelegenheit bestimmt3 1, wird im praktischen Normalfall immer zugleich ein eigenes und "auch" ein fremdes Geschäft geführt. Dieser ärgerliche Tatbestand der "Auch-Gestion" wirft die Frage auf, wieso nur einer der Beteiligten zahlen muß, obwohl es sich doch um die Angelegenheit von beiden handelt. Aus dieser theoretischen Sackgasse soll die Regel führen, daß die erkennbare Willensrichtung des Geschäftsführers den Ausschlag gibt32 • Dieser Satz erscheint in vielen Urteilen und ist doch nichts weiter als eine inhaltsleere dogmatische Pflichtübung33• Denn der Handelnde kann sinnvollerweise nicht selbst 30 So insb. Jakobs, Eingriffserwerb (1964) 94: ,.Der Wille des Handelnden macht (die einem fremden Interessenkreis angehörige) Handlung . .. zu einem ... fremden Geschäft." at Nachw. unten S. 52 Fußn. 1 - 6. 32 Staudinger I Nipperdey § 677 Rn. 5; Palandt I Thomas § 677 Anm. 2 b; Erman I Hauß Rn. 4 vor§ 677. 33 z. B. RGZ 130, 310, 311; BGHZ 40, 28, 30; BVerfG 18, 429; zuletzt BGH NJW 1976, 748.

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

darüber bestimmen, ob er überhaupt Aufwendungsersatz erhält oder nicht. Dies muß sich vielmehr aus den objektiven lastenverteilenden Normen ergeben. Erst durch Schenkungs- oder Verzichtswillen hat es der Handelnde in der Hand, einen ihm zustehenden Ersatzanspruch gern. § 685 BGB fallen zu lassen. Ansonsten wünscht sich ja ein jeder, daß ihm seine Kosten ersetzt werden, so daß stets ein fremdes Geschäft geführt werden müßte. Richtig gesehen sind diesbezügliche Urteilsfeststellungen über einen Willen meist fiktiv und verdecken die tragenden Zurechnungsgründe. Dieses Erbe des 19. Jahrhunderts zu überwinden, ist eine Hauptaufgabe der Einzelanalyse der Rechtsprechung. IV. Die realgeschäftliche Theorie der Geschäftsbesorgung

1. Aus der Gegenbewegung gegen die pandektistische Quasikontraktstheorie erwuchs einmal die bereits behandelte Theorie der Menschenhilfe. Mit der gleichen Zielrichtung gegen die Willensfiktionen der Pandektenwissenschaft entstand aber auch die realgeschäftliche Theorie der Geschäftsbesorgung. Ihr methodisches Interesse ging wie das Kohlers über die Grenzen eines positiven Rechtsinstituts hinaus. Während jedoch für Kahler die Menschenhilfe als anschauliches soziales Phänomen das verbindende Merkmal bildete, knüpfte diese Lehre an ein normatives Strukturelement an, nämlich den Tatbestand der Geschäftsbesorgung als Führung eines fremden Geschäfts mit Geschäftsführungswillen. Sie blieb damit in den Bahnen des formal-konstruktiven Denkens der Pandektenwissenschaft und führte es auf eine neue Ebene dogmatisch abstrahierender Synthese, die im "System der Rechte auf den Eingriffserwerb" von Fritz Schulz (1909) einen Höhepunkt erreichte.

Die realgeschäftliche Theorie der Geschäftsbesorgung verdankt ihren entscheidenden Anstoß der These Wlassaks (1879), in Rom hätten sich aus der negotiorum gestio als Ur- und Sammeltatbestand differenzierend die speziellen Klagen für Auftrag, Vormundschaft und Protutel entwickelt34 • Diese Annahme wird zwar heute als historisch unrichtig verworfen35. Doch bildete sie einen dogmatisch fruchtbaren Irrtum insofern, als sie die gemeinsame Struktur dieser Rechtsinstitute bewußt machte. Von Tuhr (1896) untersuchte den Aufwendungsersatzanspruch verschiedener Geschäftsbesorger und fand ihren einheitlichen Zweck darin, eine aus der Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen entstandene Vermögensverschiebung auszugleichen36 • Isay (1900) projizierte Wlassaks These in vollem Umfang in das geltende Recht, indem Zur Geschichte der negotiorum gestio (1879) 24 ff., passim, 198. Kaser, Röm. Privatrecht I § 137 II; Seiler, Neg. Gestio 147. ss Actio dein rem verso (1896) 19 ff. 34 35

§ 3. Kritik anderer Lehren

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er den Auftrag und weitere Geschäftsbesorgungsverhältnisse aufgrund Dienst- und Werkvertrags sowie im Vereins- und Gesellschaftsrecht, im Familien- und Erbrecht, im Handelsrecht auf einen gemeinsamen Nenner brachte. In seinem System nimmt die negotiorum gestio insofern eine zentrale Stellung ein, als der Realakt bewußten geschäftsbesorgenden Handeins die Obligation ohne Willensübereinkunft oder anderweiten Bestellungsakt entstehen läßt37• Iseles Kritik wandte sich 1935 gegen die Starrheit der postulierten Rechtsfolgen. Er konzipierte statt dessen ein "bewegliches System", welches unterschiedliche Typen von Geschäftsbesorgern mit eigenen Rechtsgrundlagen, Befugnissen und Pflichten umfaßt38• In seiner Lehre nimmt die Geschäftsführung ohne Auftrag eine Randstellung ein, weil ihr der Akt der Bestellung zum Geschäftsbesorger fehlt, welcher die Macht zum Handeln mit Wirkung für einen anderen begründet. Sie gerät darum an den Übergang zum Bereich der Einwirkung auf einen fremden Rechtskreis durch rechtswidriges Handeln nämlich zum Bereicherungs- und Deliktsrecht39• Die Theorie der Geschäftsbesorgung wurde endlich durch H. J . Wolff (1933/34) in das öffentliche Recht ausgedehnt. Er verstand die Tätigkeit des Staates als Geschäftsbesorgung bzw. Vertretung für den Bürger, wie das Handeln der Organe einer privaten juristischen Person Vertretung und Geschäftsbesorgung für deren Mitglieder ist40 • Regierungsund Verwaltungstätigkeit ist Verfolgung fremder Interessen, nämlich solcher, die nicht der handelnde Funktionär, sondern der als Individuum oder Teil der Allgemeinheit betroffene Bürger hat. Bereits Schloßmann (1900) hatte Vertretung und Geschäftsbesorgung als einheitlichen Tatbestand aufgefaßt und seine wirtschaftliche Seite als Arbeiten für andere, als Handeln auf fremde Rechnung und Gefahr beschrieben41 • 2. Diese z. T. unabhängig voneinander entstandenen Lehren42 bilden einen dogmatischen Fortschritt gegenüber der Theorie der Menschenhilfe zunächst deshalb, weil sie die enorme Spannweite .der Lebensvorgänge, die vom Begriff der Besorgung eines fremden Geschäfts abgedeckt werden, verdeutlichen. Geschäftsbesorger sind der freundliche 37 Geschäftsführung 1 ff., 12, 19 f., 27. Zur Abhängigkeit von Wlassak vgl. 29 ff. 38 Geschäftsbesorgung 3. Zur Methode Larenz, Methodenlehre 443 ff. Vgl. WHburg AcP 163 (1963) 346. 39 Geschäftsbesorgung 166 ff., 173 und das Schema nach 174. 4 0 Organschaft und Juristische Person Bd. 1. Juristische Person und Staatsperson (1933) 88 ff., 120 ff., 229 f . 41 Stellvertretung I 42, 48 ff., 51, 81 ff. Ebenso Isay, Geschäftsführung 166 ff., 175 N . 2. 42 Siehe den Hinweis auf Schlossmann bei Isay, Geschäftsführung 186 Fußn. 4; Isele berücksichtigte H. J. Wolff nicht.

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

Nachbar, der als Beauftragter einen Brief zur Post mitnimmt, die mit Wirtschaftsgeld arbeitende Haushälterin als Arbeitnehmer, der aufgrund Dienstvertrages tätige Anwalt, der Handelsvertreter, die Eltern, der Konkursverwalter, im öffentlichen Recht endlich Beamte, Minister und Staatsoberhaupt. Geschäftsbesorgung und Vertretung (im weitesten Sinn) erfassen eine elementare soziale Rollenbeziehung in einer funktions- und arbeitsteiligen Gesellschaft, nämlich die des ausführenden Organs zum Träger des handlungsleitenden Interesses. Erst diese weite Sicht öffnet den Blick für die Vielfalt der Sachverhalte, die in der Judikatur zur Geschäftsführung ohne Auftrag erscheinen. Wer dort nur nach Menschenhilfe sucht, wird immer wieder auf "Denaturierung" stoßen. Die Komplexität der zu diesem Tatbestand gehörigen Rechtsfolgen und die Uneinheitlichkeit und Lückenhaftigkeit der gesetzlichen Regelung sind insbesondere von Isele aufgewiesen worden43. So sind in den §§ 677 ff. BGB u . a. die vollmachtlose Stellvertretung, der Vergütungsanspruch, die Haftung für Nothilfeschäden und die Rechtfertigung unbeauftragten Eingreifens nicht geregelt und werden mit mehr oder minder gewagten Konstruktionen aus dem Gesetz abgeleitet44. Isele bezweifelt mit Recht, daß es möglich wäre, alle diese Rechtsfolgen nach einheitlichen Voraussetzungen eintreten zu lassen. Die wirtschaftliche Seite der Geschäftsführung ist treffend von Isay und Schlossmann herausgekehrt worden. Geschäftsherr ist das Wirtschaftssubjekt45, d. h. derjenige, der den Erfolg fremder Arbeit beanspruchen kann und das Risiko ihres zufälligen Mißerfolges trägt: der Unternehmer im Verhältnis zum Arbeitnehmer, das Kind gegenüber den Eltern, der Gemeinschuldner gegenüber dem Konkursverwalter, der Bürger gegenüber dem Staat. H. J. Wolff brachte diesen Sachverhalt in rechtstheoretische Form, indem er Vertretung, die er mit Geschäftsbesorgung identifizierte, anhand der beiden Aspekte des subjektiven Rechts beschrieb46 . Jenes schützt einmal das Gebiet der Willensherrschaft und dient damit der autonomen Selbstverwirklichung der Person. Zum andern schützt es materielle Güter als Konsumobjekt, Produktions- und UmsatzmitteL Das subjektive Recht hat als Mittel zur Befriedigung autonomer Interessen eine Macht- und eine Genußfunktion. Der Tatbestand der Ver43 Ise!e, Geschäftsbesorgung 5 versteht seine Arbeit als Beitrag zu einem fehlenden "Allgemeinen Teil" des Besonderen Schuldrechts. Vgl. Larenz SehR II § 56 I. 4' Näheres unten S. 271 ff., 284 ff., 311 ff. 45 Isay, Geschäftsbesorgung 6 f. 46 Oben Fußn. 40.

§ 3. Kritik anderer Lehren

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tretung bzw. Geschäftsbesorgung ist dadurch gekennzeichnet, daß die Genußfunktion als Innehabung des geschützten Interesses in der Person des Rechtsträgers von der Ausübung der Machtfunktion durch den "Rechtswalter" getrennt ist: Der Vertreter entscheidet über fremdes Gut, ihm sind dabei aber die materiellen Interessen als die Handlungsziele des Rechtsträgers vorgegeben. Diese für die theoretische Erfassung privater Geschäftsbesorgung und öffentlicher Verwaltung gleichermaßen wichtige Beobachtung stammt von Jhering selbst, dem Entdecker der Genußfunktion des subjektiven Rechts. Am Beispiel des Verhältnisses von Aktionären und Vorstand der AG beschrieb er Stellvertretung (i. w. S.) als Trennung von Interesse und Verfügung. Der Geschäftsbesorger ist "Verwalter", weil er fremde Verfügungsgewalt ausübt. Seine Stellung wird gekennzeichnet durch "die Verfügungsgewalt über ein fremdes Recht und die Verpflichtung, sich desselben lediglich im Interesse des Vertretenen zu bedienen" 47 • 3. Die Beschränkungen der realgeschäftlichen Theorie der Geschäftsbesorgung treten namentlich bei Isele in der überscharfen Eingrenzung des Systembereichs auf die bewußte und "gerechtfertigte" Geschäftsbesorgung zutage. Dadurch werden die Querverbindungen zu anderen Formen der Einwirkung auf einen fremden Rechtskreis abgeschnitten. So kann Isele die in vielen Verweisungen auf die §§ 677 ff. BGB anzutreffende sog. "angewandte Geschäftsführung ohne Auftrag" bloß als gesetzestechnische Notlösung deuten48 • Was es innerlich rechtfertigt, etwa den Vorerben als Geschäftsbesorger des Nacherben anzusehen (§ 2125 I BGB), entgeht ihm wie der herrschenden Lehre49• Es ist dies die Tatsache, daß der Vorerbe lediglich Verwalter einer materiell fremden Vermögenssubstanz ist. Er ist zwar als Eigentümer, Gläubiger der Nachlaßforderungen u. a. Träger des Vermögens. Doch ist diese Rechtsstellung nur eine formelle oder treuhänderisch verwaltende, eben die eines Geschäftsbesorgers. Der Vorerbe darf nämlich nicht unentgeltlich verfügen (§ 2113 II BGB). Seine Rechtsmacht ist dadurch beschränkt, daß dem Nachlaß wieder Geldwerte zufließen. Letzten Endes muß er die Vermögenssubstanz an den Nacherben herausgeben, wobei er wie ein Verwalter abzurechnen hat (§§ 2130 ff. BGB). Einzig die Nutzungen des Vermögens stehen dem Vorerben wie einem Nießbraucher als materiell eigenes Vermögen zu (§§ 2133, 1030 BGB). Dementsprechend sind Verwendungsersatz und Lastentragung geregeaso. Aus dem gleichen Grunde, den Jherings und H. J. Wolffs Theorie der Vertretung präzis erfaßt, liegt ein Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen Der Zweck im Recht I 220 f. Geschäftsbesorgung 22. 49 So Medi cus BürgR § 17 I 3: obj. eigene Angelegenheit des Vorerben. so Dazu unten S. 68.

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

dem Erben eines überschuldeten Nachlasses und den Gläubigern vor (§ 1978 BGB). Obwohl der Erbe formeller Inhaber des Vermögens ist, ist dieses für ihn ein materiell fremdes, weil es den Gläubigern zur Verwertung im Nachlaßkonkurs gebührt. Vor allem läßt Isele die Übereinstimmung von Herausgabe- und Aufwendungsersatzanspruch im Recht der Geschäftsbesorgung mit den bereicherungsrechtlichen Tatbeständen der Eingriffs-, Rückgriffs- und Verwendungskondiktion im Dunkeln, weil er den Systembereich mit Hilfe der von der Quasikontraktstheorie übernommenen subjektiven Kriterien definiert. Auch seine Einengung auf die entweder durch Auftrag oder interesse- und willensgemäßes Handeln "berechtigte" Geschäftsbesorgung widerspricht der Konzeption des BGB.

§ 4. Die Zuständigkeitstheorie des fremden Geschäfts I. Der Grundtatbestand 1. Das gesetzliche Schuldverhältnis der §§ 677 ff. BGB entsteht nach deren klarem Wortlaut mit der unbeauftragten Übernahme der Geschäftsführung für einen anderen. Ein Blick auf die verschwommenen Begriffe, mit denen dieser Grundtatbestand im Schrifttum umschrieben wird, zeigt die Notwendigkeit, ihn dogmatisch zu präzisieren. Auftragslose Geschäftsführung im ganzen wird gekennzeichnet als "bewußtes Handeln für einen anderen", als fremdnützige Tätigkeit, als Wahrnehmung fremder Interessen durch freiwilliges Handeln1• "Geschäft" kann jede "Angelegenheit" sein2 • "Der Kreis der Geschäfte ist weit zu ziehen" und umfaßt Rechtsgeschäfte wie tatsächliche Handlungen3. Das "fremde" Geschäft wird durch die Zugehörigkeit zu einem fremden "Rechtskreis" 4 oder "Interessenkreis" 5 oder schlicht als "Angelegenheit eines anderen" 6 bestimmt. Kommentare bevorzugen die reichsgerichtliche Formel, Geschäftsbesorgung sei eine "Tätigkeit, die der Sorge eines anderen obliegt" 7 • Die Autoren beeilen sich festzustel1 Fikentscher SehR § 83 I 3; Larenz SehR II § 56 I; Esser SehR II § 98 I; Soergetl Milhl Rn. 1 vor§ 677. · 2 Staudinger I Nipperdey § 677 Rn. 4; Enneccerus I Lehmann § 165 vor I; Medicus BürgR § 17 I; Fikentscher SehR § 83 II 1 a ("Arbeit im weitesten Sinn"); RGRK I Steffen Rn. 7 vor§ 677. 3 Palandt I Thomas § 677 Anm. 2 a; Erman I Hauß Rn. 2 vor§ 677. 4 Palandt I Thomas § 677 Anm. 2 b wohl nach Isele, Geschäftsbesorgung

(1939) 7: "Tätigkeit zu Gunsten und zu Lasten eines anderen in dessen Rechtskreis." Ferner Lent, Begriff d. GoA (1909) 76 f.: Einwirkung auf fremde Rechte. 5 Esser SehR II § 98 IV 1 a. 6 Larenz SehR II §57 I a; Lent, Wille und Interesse 3. 7 RGZ 97, 64, 66 (29. 10. 1919, 1). Staudinger I Nipperdey § 677 Rn. 5; 'Soergell Milhl § 677 Rn. 3; Erman I Hauß Rn. 3 vor§ 677.

§ 4.

Die Zuständigkeitstheorie des fremden Geschäfts

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len, die Fremdheit könne objektiv und subjektiv bestimmt werden8, und reihen dann unvermittelt und ungeordnet Kasuistik an Kasuistik. Derartige Formeln mögen als solche nicht zu beanstanden sein, weil sie abstrakt sein müssen, um viele Tatbestände erfassen zu können. Zur Lösung konkreter Fälle taugen sie freilich nicht, weil sie keine weiteren Kriterien, Ziele und Verfahren der Interpretation angeben, mit deren Hilfe sie weiter zu konkretisieren sind. Vor allem fehlt die Abgrenzung von eigenen und fremden Angelegenheiten. Jedes rechtlich relevante Tun eines Menschen berührt Interessen seiner Mitmenschen -eben darum ist es ja rechtlich relevant. Nun wäre es augenscheinlich sinnlos, jede Tätigkeit zur Führung eines fremden Geschäfts zu erklären. Die bei der Ausfüllung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs zu vollziehende Wertung bleibt im Dunkeln, weil die herrschende Lehre nicht sagt, worauf es eigentlich ankommt. Ihr fehlt jener von einer Dogmatik zu schaffende Mittelbau an explikativen Sätzen, welche die Brücke zwischen der Abstraktheit des Gesetzes und der Komplexität der Kasuistik schlagen und beide auf ein überschaubares Maß reduzieren. 2. Aus dem Wortlaut der §§ 677 ff. BGB ist wenig mehr zu entnehmen, als daß es entscheidend auf den Begriff der Fremdheit des Geschäfts ankommt. Wohl haben die aus dem Schuldverhältnis entspringenden Einzelansprüche ihre eigenen zusätzlichen Voraussetzungen. Diese bestimmen zunächst den Anspruchsgegenstand und gleichzeitig die auszugleichende Vermögensveränderung: Schaden und Schadensersatz, das Erlangen eines Vermögenszuwachses und Herausgabe, Aufwendung und Aufwendungsersatz. Als besondere haftungsbegründende Umstände kommen dazu u. a. das Verschulden des Geschäftsführers in den §§ 677, 276 BGB oder die Übereinstimmung mit Interesse und Willen des Geschäftsherrn in § 683 BGB. Stets bleibt aber zu prüfen, ob die Vermögensveränderung zur Geschäftsbesorgung gehört, ob insbesondere das Erlangte aus der Führung fremder Geschäfte stammt oder ob eine Aufwendung eigenes oder fremdes Geschäft ist. Die grundsätzliche Entscheidung, ob der vermögensmindernde oder -mehrende Erfolg einer Tätigkeit überhaupt auf einen anderen überwälzt werden kann, fällt bei der Subsumption unter das Tatbestandsmerkmal der Führung eines Geschäfts für einen anderen. Dieser Tatbestand des § 677 BGB muß zunächst in sein objektives und sein subjektives Element aufgelöst werden. Die komprimierte Formulierung "ein Geschäft für einen anderen besorgen" ist gleichbedeutend mit: "ein fremdes Geschäft mit Geschäftsführungswillen be8 Palandt I Thomas § 677 Anm. 2 b; Staudinger I Nipperdey § 677 Rn. 5; PZanck I Lobe § 677 Anm. 2 b.

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

sorgen", was sich erst aus der Gegenüberstellung mit § 687 BGB ergibt9. "Geschäft" meint in seiner umgangssprachlichen Bedeutung das, "was man zu schaffen hat", die Aufgabe oder Obliegenheit, ferner die kaufmännische Unternehmung und den Gewinn als deren Ergebnis10• Im Sinne der Aufgabe bezeichnet "Geschäft" einen Tätigkeitsbereich, für dessen Erledigung jemand zuständig ist, z. B. in dem Ausdruck "Geschäftsverteilungsplan". Ein Geschäft "besorgen" heißt dann nichts weiter als handeln oder tun, womit gerade Unterlassen oder passives Dulden ausgeschieden ist11 • Als entscheidendes und sprachlich nicht weiter aufzuschlüsselndes Begriffselement bleibt die Fremdheit des Geschäfts übrig. 3. Im Bereich der auf Bestellung beruhenden Geschäftsbesorgung läßt sich i. d. R. unschwer feststellen, was jeweils fremdes Geschäft ist. Dort wird der Tätigkeitsbereich durch Rechtsgeschäft, gerichtlichen oder öffentlich-rechtlichen Akt oder unmittelbar durch Gesetze festgelegt, z. B. durch Auftrag, Erteilung von Prokura, Ernennung zum Konkursverwalter oder Einweisung eines Beamten in eine Amtsstelle (im organisationsrechtlichen Sinn) 12• Für den Geschäftsbesorger ist alles fremdes Geschäft, was er im Hinblick auf die ihm übertragene Rolle zur Verwirklichung der gestellten Aufgaben übernimmt. Was der Prokurist "für die Firma", der Beamte "im Dienst" tut, wird normalerweise gegen das, was er "privat" tut, durch die Finalität des Handeins abgegrenzt. Dabei kommt es letztlich nicht auf den Willen sondern auf die objektive Zuordnung durch den Handlungserfolg oder mindestens die Handlungstendenz an. Dies zeigt sich am irregulären Fall des ungetreuen Geschäftsbesorgers, wo beides auseinanderfällt. Wenn ein Prokurist ein günstiges "Geschäft" auf eigene Rechnung ausführt, muß er den Gewinn gemäß § 61 HGB, der dem § 687 II BGB entspricht, an den Prinzipal abführen - ungeachtet seines Willens, das Geschäft "als eigenes" zu führen. Denn der gegen das Wettbewerbsverbot verstoßende Abschluß auf eigene Rechnung gehört in denjenigen Tätigkeitsbereich, dessen wirtschaftlicher Erfolg- das "Geschäft" als Gewinndem Prinzipal vertraglich zugewiesen ist. 4. Bei der Geschäftsführung "ohne Auftrag" fehlt definitionsgemäß die positiv festgelegte Zuordnung des Geschäfts, weil es keine Kommunikation zwischen den Beteiligten gibt. Die Fremdheit muß hier aus der Tätigkeit als solcher und zwar aus ihrem erreichten oder min9 Brückmann, Die Rechte des GFoA 40 f.; Lent, Begriff d. GoA 115 f. Vgl. Mot. II 855 f. = Mugdan II 477. 10 Wörterbuch d. dt. Gegenwartssprache (1961 ff.); Kluge, Etymol. Wörterbuch d. dt. Sprache (20. Aufl. 1976) Art. Geschäft. 11 Soergel/ Mühl § 677 Rn. 2. Vgl. dazu BVerfG 17, 253, 274 f. 12 H. J. Wolff VerwR III § 109 I b 2.

§ 4.

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destens angestrebten Erfolg bestimmt werden. Das Gesetz sagt dazu nichts. Spezielle Regeln über die Zugehörigkeit von Geschäften, die etwa den Vorschriften über den Erwerb von Eigentum, Forderungen, Schulden und anderen Vermögensbestandteilen entsprächen, gibt es ja nicht. Dennoch geht das Gesetz davon aus, daß es eine solche Zuordnung von Handlungen und deren Erfolgen ohne vorherige vertragliche, gerichtliche, öffentlich-rechtliche oder gesetzliche Übertragung eines Tätigkeitsbereichs gibt. Aufgabe der Dogmatik ist es folglich, solche gewissermaßen in der Sache selbst liegenden Zuordnungen von Geschäften aufzufinden. a) Dazu ist der Begriff des fremden Geschäfts zunächst in formaler Hinsicht als normatives Tatbestandsmerkmal zu kennzeichnen. Er ist vom Wortsinn her offen, beliebige Zuordnungen aufzunehmen; doch verlangt eine in sich widerspruchsfreie Rechtsordnung, daß nur solche anerkannt werden, die mit ihren allgemeinen Wertungen übereinstimmen. Insofern gleicht das fremde Geschäft zwei Grundbegriffen der gesetzlichen Ausgleichsordnung: der Widerrechtlichkeit des Deliktsrechts und der Rechtsgrundlosigkeit des Bereicherungsrechts. Beide drücken das Werturteil aus, daß ein Verhalten und der daraus resultierende Erfolg des Schadens oder der Vermögensmehrung unrechtmäßig und daher auszugleichen sind. Die Gründe der Unrechtmäßigkeit erscheinen - abgesehen von einzelnen Rechtfertigungsgründen - nicht im Gesetz sondern werden als bekannt vorausgesetzt. Außerdem ermöglicht es der Blankettbegriff, neue Rechtfertigungs- und Behaltensgründe anzuerkennen. b) Methodisch ist der Sinn eines erklärungsbedürftigen Begriffs am einfachsten durch Exemplifikationen an solchen Sachverhalten zu gewinnen, die in der maßgeblichen Anwendung damit bezeichnet worden sind. Dies soll im folgenden für einige Fälle geschehen, die seit dem römischen Recht zum unproblematischen Anwendungsbereich der negotiorum gestio gehören: Die Einziehung einer fremden Forderung und der Verkauf einer fremden Sache als Tatbestände des Herausgabeanspruchs sowie die Zahlung einer fremden Schuld und die Erhaltung einer fremden Sache als Tatbestände des Verwendungsersatzes13. An ihnen sind einige generelle Merkmale aufzuweisen, welche die Funktion des Tatbestandes unbeauftragter Geschäftsführung im Hinblick auf die davon abhängigen Rechtsfolgen kennzeichnen. Die so gewonnenen Thesen sind im Rahmen der theoretischen Grundlegung nur an den 13 Überblick über die häufigsten Quellensachverhalte bei Seiler, Neg. Gestio (1968) 11 ff.

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evidenten Fällen zu demonstrieren, während sich ihre Verallgemeinerungsfähigkeit in der Analyse der einzelnen Fallgruppen der Rechtsprechung bewähren muß. Die genannten Beispiele illustrieren nur Rechtsfolgen, die für die Geschäftsbesorgung insofern spezifisch sind, als sie nicht mit denen des Dienstvertrags übereinstimmen, nämlich Herausgabe und Aufwendungsersatz. Ausweislich von § 675 BGB geht das Gesetz davon aus, daß es besondere Dienstverhältnisse gibt, deren Gegenstand eine Geschäftsbesorgung ist. Auftrag und Dienstvertrag decken sich demnach tatbestandlich, weil beide eine Tätigkeit voraussetzen. Gleiches gilt für die Geschäftsführung ohne Auftrag, weil sie auch vertragslose Tätigkeit ist. Dieser Aspekt der §§ 677 ff. BGB ist als "Tätigkeitsverhältnis" gesondert zu betrachten. II. Geschäftsbesorgung als mittelbare Vertretung

1. Ganz allgemein ist Geschäftsbesorgung (in ihrem spezifischen Bereich) im Anschluß an Schlossmann und H . J. Wolff als Vertretung in jenem untechnischen weiten Sinn zu verstehen, daß eine Person "an Stelle" einer anderen handelt. Sie tut etwas, was eigentlich jene andere tun müßte oder dürfte oder getan hätte 14 • So handeln die Eltern "für" das Kind oder der Konkursverwalter "für" den Gemeinschuldner; selbst ein Beauftragter, der einen Brief zur Post mitnimmt, tut, was Sache des Absenders ist. Gleiches gilt für den unbeauftragten Geschäftsführer. Wer eine fremde Schuld tilgt, führt das aus, was dem Schuldner oblegen hätte. Wer einen Brand in der Wohnung des verreisten Nachbarn löscht, verhält sich so, wie jener sich polizeirechtlich hätte verhalten müssen und aus Eigeninteresse auch freiwillig verhalten hätte, wenn er anwesend gewesen wäre. Wer eine fremde Sache verkauft oder eine fremde Forderung einzieht, handelt, als wäre er selbst Eigentümer oder Gläubiger. Dieser Vertretungsaspekt der Geschäftsführung ohne Auftrag ist historisch dadurch bedingt, daß bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zwischen Innen- und Außenverhältnis der Geschäftsbesorgung noch nicht scharf unterschieden wurde. Er schlug sich deutlich in einem vom BGB nicht verwirklichten Vorschlag nieder, den Grundtatbestand "Handeln ohne Vertretungsmacht" zu nennen. Die Gesetzesverfasser lehnten ihn nicht als unrichtig, doch als zu eng ab, weil die Geschäftsführung ohne Auftrag auch tatsächliches Handeln umfasse15• Für den weiten Bereich rechtsgeschäftlicher Tätigkeit gibt er also ihr Verständnis des Rechtsinstituts zutreffend wieder. 2. Wenn man sich eine Person als "an Stelle" einer anderen handelnd vorstellt, gebraucht man eine sprachliche Kurzformel für eine komplexe soziale Sinngebung, nämlich die Zurechnung des Handeins auf 14 15

Schlossmann, Stellvertretung I 20; H. J. Wolff, Vertretung 2 ff.

Prot. II 727

=

Mugdan II 1193.

§ 4.

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einen anderen als den Handelnden16• Ein Familienmitglied, das bei einer Zusammenkunft seine Familie "vertritt", vermittelt den Anwesenden den Sinn, als wäre diese insgesamt beteiligt oder gar anwesend. Der Prokurist vertritt den Prinzipal nach der bekannten Formel als dessen "alter ego". Nun ist freilich das reale Handeln ebensowenig wie die Person auswechselbar. Folglich muß die Vorstellung der Identifikation rechtsdogmatisch korrekt in eine Zurechnung der Wirkungen des Vertreterhandeins auf den Vertretenen umgesetzt werden. Bei der Vertretung im engeren technischen Sinn der §§ 164 ff. BGB und des Rechts der juristischen Personen geschieht dies rechtlich unmittelbar, indem Rechtsgeschäfte ipso iure als solche des Vertretenen gelten. Herausgabe- und Aufwendungsersatzanspruch aus Auftrag und auftragloser Geschäftsführung bewirken die Zurechnung der vermögensmehrenden oder -mindernden Handlungsfolgen dagegen mittelbar, weil die letzteren vorübergehend dem Vermögen des Geschäftsbesorgers angehören. Der Verkäufer einer fremden Sache wird Eigentümer des Erlöses; wer eine fremde Forderung einzieht, erwirbt das Eigentum am Geld; wer eine fremde Schuld tilgt oder Feuerlöschmaterial verbraucht, verringert sein Vermögen. Erst ein zusätzlicher Übertragungsoder Ausgleichsanspruch stellt den rechtmäßigen Zustand her. Er stellt den Geschäftsherrn so, als hätte er selbst seine Sache verkauft, seine Forderung einkassiert, seine Schuld getilgt oder Löschmaterial verbraucht. Der Geschäftsbesorger wird andererseits so gestellt, als hätte er nicht gehandelt. Die ihm abzunehmenden Aktiva und Passiva bilden in seinem Vermögen lediglich durchlaufende Posten. 111. Die Folgenzurechnung auf den Zuständigen

1. Werden die Beispiele verallgemeinert, so besteht die Funktion des Begriffs "fremdes Geschäft" darin, die vermögensmehrenden und -mindernden Folgen vertretungsweisen Handeins auf denjenigen zu übertragen, der endgültig dafür zuständig ist. Der Begriff der Zuständigkeit, der hier im Anschluß an die organisationsrechtliche Konzeption von Vertretung bzw. Geschäftsbesorgung bei H. J. Wolff übernommen wird17, erscheint am besten geeignet, die rechtliche Zuordnung der Handlungsfolgen auszudrücken. Er erfaßt verschiedene Gegenstände der Zuordnung, die schwer in einen anderen gemeinsamen Oberbegriff eingehen: das aktive Haben von Gütern, also subjektive Rechte, ferner die passive Belastung mit Pflichten und den zu ihrer Erfüllung

Dazu H. J. Wolff, Vertretung 203 ff., vgl. 107 ff. H. J. Wolff, Vertretung 237: "Geschäft" als Gegenstand der Kompetenz; allg. 163 ff., 166, 170, 175. Beiläufig sprechen von Zuständigkeit Rother, Diss. 1941, 83; Medicus BürgR § 17 II 1; Gursky Jur. Analysen 1969, 103, 117. 16

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nötigen Kosten und schließlich die mit diesen Rechtsstellungen verbundenen Befugnisse zum eigenen Handeln und Entscheiden. Anders als die verschwommenen gängigen Ausdrücke wie "Angelegenheit", "Geschäfts- und Interessenkreis" macht dieser erkennbar rechtstechnische Begriff deutlich, daß eine rechtlich zu fixierende Zuordnung gemeint ist. Allenfalls der Begriff des Vermögens hat eine vergleichbare umfassende Bedeutung. Seine Verwendung empfiehlt sich jedoch nicht, weil er im BGB mehrdeutig im Hinblick darauf erscheint, ob nur das Aktivvermögen gemeint ist (§§ 419, 1365, 1922) oder die Passiva eingeschlossen sind (Gesamtgut, Kindesvermögen). Außerdem erfaßt er persönliche Rechtsgüter ohne Geldwert nicht (§ 253 BGB). 2. Im ganzen bewirken die Rechtsfolgen der Fremdheit des Geschäfts eine personale Zurechnung der Handlungsfolgen. Der gesetzliche Begriff ist an der Person orientiert, nicht an dem einzelnen Tätigkeitsobjekt. Dies wird in der Formulierung des § 677 BGB, ein Geschäft "für einen anderen" besorgen, betont. Sie würde im Bereich der auf Bestellung beruhenden Geschäftsbesorgung die dort überwiegende Gesamtgeschäftsführung in einer bestimmten personalen Rolle - als Elternteil, Vereinsvorstand oder Amtsträger-adäquat erfassen. Diese bildet aber im Bereich der auftraglosen Geschäftsführung eine ganz seltene Ausnahme unter den fast ausschließlich vorkommenden Fällen der Einzelgeschäftsführung18• Ein wichtiger Schritt zur Konkretisierung des Grundtatbestandes besteht demnach darin, die personale Zurechnung in eine objektbezogene zu übertragen. Wenn eine fremde Schuld getilgt wird, so ist der Rückgriff anschaulich nur aus diesem Vorgang selbst zu begründen; die Vorstellung einer globalen Folgenzurechnung oder gar der Identifikation von Drittzahlendem und Schuldner fällt hier schwer. Der Schritt von der Gesamt- zur Einzelgeschäftsführung ist korrekt mit Hilfe des Begriffs der Zuständigkeit zu vollziehen, indem man ihn auf seine jeweiligen Gegenstände bezieht: auf die Aktiva aus Eigentum, Forderungen und Rechten, auf die Passiva aus rechtsgeschäftliehen und gesetzlichen Schulden und Lasten sowie auf die Entscheidungsbefugnisse. Wenn die Person des Geschäftsherrn zu bestimmen ist, so ist folglich jeweils zu fragen nach der Zuständigkeit an dem Erlangten, an der Schuld, an der Verwendung, an der Befugnis, ein Geschäft zu genehmigen oder in eine Rechtsverletzung einzuwilligen, je nachdem, welche Rechtsfolge aus dem Tatbestand der Führung eines 18 Fälle zur Herausgabe- und Rechnungslegungspflicht des GF unten S. 244 Fußn. 10, S. 258 Fußn. 60, zur Schadensersatzpflicht des GF unten S. 267 Fußn. 21, 22. Im Bereich des Anwendungsersatzes fehlt die Gesamtgeschäftsführung ganz.

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fremden Geschäfts abgeleitet werden soll. Die Zuständigkeit am Geschäft muß nach dem Gesamtzusammenhang aller Normen bestimmt werden, welche Güter und Lasten mit den zugehörigen Risiken und Befugnissen zuweisen. Die Zahlung einer fremden Schuld ist demnach fremdes Geschäft, weil die Schuldenlast dem Schuldner als demjenigen zugewiesen ist, der ihren Gegenwert - die Darlehensvaluta oder die bezahlte Ware oder Dienstleistung - empfangen hat. Der Verkauf einer fremden Sache ist fremdes Geschäft, weil die das Eigentum schützende Norm den in der Sache verkörperten Tauschwert mit umfaßt. 3. Herausgabe- und Aufwendungsersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag lassen sich so als Fortwirkung der Zuständigkeit des Geschäftsherrn auffassen. Der Anspruch auf den Erlös der verkauften Sache setzt das Eigentum an der Sache an dem Geldsurrogat fort; er ist Rechtsfortwirkung in dem namentlich von Wilburg aufgewiesenen Sinn19• Der Rückgriff wegen der Erfüllung einer fremden Schuld hält den Geschäftsherrn an seiner Pflichtenstellung fest; er ist Pflichtenfortwirkung, so wie Fritz Schulz den Regreß aus der getilgten Forderung hergeleitet hat20 • Ein Verwendungsersatzanspruch trifft den Eigentümer als denjenigen, der aufgrund seiner Rechtsstellung und des in ihr geschützten Eigeninteresses dafür zuständig ist, die Sache zu erhalten oder zu verbessern. IV. Das haftungsbegündende Interesse als Güter- und Lastenzuständigkeit

Die Fremdheit des Geschäfts, deren normative Merkmale im vorhergehenden im Vordergrund standen, ist nunmehr nach ihrer realen wirtschaftlichen Seite hin zu beschreiben. 1. Die herrschende Lehre weist zutreffend das Interesse als materiales Kriterium eines fremden Geschäfts aus, indem sie Geschäftsbesorgung als Tätigkeit in fremdem Interesse kennzeichnet. Ein eigenes Geschäft führt ja zunächst derjenige, der in der Eigenwirtschaft tätig ist: der Bauer, der sein Land bestellt, der in seinem Büro arbeitende Unternehmer. Ferner sind alle Austauschgeschäfte - Kauf, Miete, Werkvertrag - eigenes Geschäft2t, weil der Sachleistende einen Gegenwert erhält und das Risiko trägt, ob und mit welchem Kostenaufwand er einen Gewinn erwirtschaftet. Nach Jhering beruhen diese Bereicherung (1934) 27 ff. Rückgriff und Weitergriff (1907) 74 ff. Dort (109 ff.) auch der Sache nach bereits der Gedanke der Rechtsfortwirkung als "Weitergriff" auf das Produkt der Rechtsverletzung. 21 Lent, Begriff d. GoA 76 f. 19 20

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synallagmatischen Schuldverhältnisse auf "beiderseitigem Egoismus" 22 • Beyerle kennzeichnete sie treffend als "gegenläufig-eigennützige" Interessenwahrung, weil jeder seinen Vorteil wahrt23 • Die Geschäftsbesorgung, von ihm mit dem der deutschen Rechtsgeschichte entstammenden Begriff der Treuhand bezeichnet, ist davon als "vertretungsweise uneigennützige" Interessenwahrung unterschieden24 • Gesellschaft und Gemeinschaft bilden Formen gemeinschaftlicher Interessenverfolgung; in der römisch-rechtlichen Terminologie des BGB liegt ihnen die Führung gemeinschaftlicher Geschäfte zugrunde. Diese drei Grundtypen, die im Rahmen der Vertragsfreiheit zu Mischformen kombinierbar sind, unterscheiden sich wesentlich durch die Zuordnung des Wirtschaftsrisikos. Eine Tätigkeit ist Geschäft desjenigen, der den Gewinn aus ihr zieht und das Risiko des Mißerfolgs trägt25 • 2. Obwohl der Interessebegriff auf den richtigen Weg führt, ist er wegen seines verschwommenen Inhalts besser zu vermeiden. Mit dem Bedeutungsspektrum von "Anteilnahme", Neigung, Motiv, Nutzen, Vorteil, ideeller Wert, Geldwert, Schadensersatz, versichertes Interesse und Zinsen deckt er zuviele verschiedene Dinge ab, von denen die meisten irrelevant sind. Zu bevorzugen sind statt dessen die Ausdrücke Güterund Lastenzuständigkeit. Wer den Interessebegriff weiter verwenden will, sollte mindestens das rechtlich relevante Interesse als "haftungsbegründendes Interesse" von solchen Formen der Beteiligung oder "Anteilnahme" an einem Geschäft abgrenzen, welche die Zuständigkeit nicht berühren. Wer darauf verzichtet, wird mit der herrschenden Lehre immer wieder in die Sackgasse des eigenen und "auch" fremden Geschäfts geraten. 3. Zur Begründung des Herausgabeanspruchs reicht grundsätzlich ein Interesse nicht aus. Der Geschäftsherr muß vielmehr eine vor der Übernahme der Geschäftsführung bestehende Rechtsposition - das Eigentum, die Forderung - haben, um daraus Ansprüche herleiten zu können. Der Herausgabeanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag ist deshalb strukturell ein Anspruch auf den Eingriffserwerb. Der aus dem Schulfall bekannte Briefmarkensammler kann die von seinem Freund für ihn erworbene Briefmarke ja keineswegs deshalb herausverlangen, weil sie in seine Sammlung paßt, sondern allenfalls aus dem Grund, daß ihm der Erwerb von dem Verkäufer oder dem Freund Der Zweck im Recht I 123. Die Treuhand im Grundriß des dt. Privatrechts (1932) 16 ff. Beyerle spricht deutschtümelnd von "Belangwahrung". Zust. H. J. Wolff, Vertretung 5 f . 24 aaO. 19. Beyerle gibt als Motto: "tua res a me quasi mea agitur." 25 So bereits Jhering Abh. aus d. röm. Recht I (1844) 5, 73 ff. Zust. Isay, Geschäftsführung 64 f. 22

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verbindlich zugewendet oder mindestens angeboten ist. In diesem Fall des subjektiv fremden Geschäfts wäre die Rechtsstellung des Geschäftsherrn gleichzeitig mit der Übernahme der Geschäftsführung begründet worden. Ob der Erwerb jeweils nützlich ist oder nicht, ist rechtlich irrelevant, weil der Geschäftsherr selbst darüber befindet, ob er den Herausgabeanspruch geltend macht. Dabei ist allerdings zu betonen, daß der Herausgabeanspruch nicht von der formellen Innehabung eines Rechts sondern von der Innehabung des darin rechtlich geschützten Interesses abhängt. Das Treuhandeigentum illustriert ein solches Auseinanderfallen von formeller und materieller Rechtsstellung. Wenn ein mit der Verwaltung Beauftragter die ihm zu Eigentum übertragene Sache veräußert, so ist das für ihn fremdes Geschäft, weil ihm der Erlös nicht gebührt. Der Geschäftsbesorger ist zwar zur Geltendmachung der Abwehr- und Herausgabeansprüche aus dem Eigentum und zur dinglichen Verfügung berechtigt. Er übt damit, wie bereits Jhering und H. J. Wolff sahen26, die im subjektiven Recht enthaltene Machtfunktion aus. Dennoch ist die Genußfunktion, der wirtschaftliche Aspekt der Güterzuständigkeit, beim Geschäftsherrn verblieben. Sie wird von diesem als dem "wirtschaftlichen Eigentümer" (im Sinne des Steuerrechts) mittels des Herausgabeanspruchs aus § 667 BGB geltend gemacht. 4. Aus dem gleichen Grund richten sich Verwendungsersatzansprüche gegen den wirtschaftlichen Eigentümer. Obwohl der Treugeber nicht bürgerlich-rechtlicher Eigentümer ist, trägt er gemäß §§ 667, 275 BGB das Risiko des Zufallsuntergangs und ist folglich daran interessiert, die Sache zu erhalten und zu verbessern. Seine Lastenzuständigkeit beruht auf der Innehabung des Wirtschaftsrisikos. Sie ist der negative, haftungsbegründende Aspekt des geschützten Interesses. 5. Auch der Rückgriffsanspruch wegen der Tilgung einer fremden Schuld zeigt die Notwendigkeit, zwischen formeller und materieller Rechtsstellung zu unterscheiden. Die Drittzahlung tilgt die Forderung gemäß §§ 267, 362 BGB und hebt so die formelle Pflichtenstellung des Schuldners auf. Wenn die Zahlung dennoch als sein Geschäft gilt, dann nur deshalb, weil die Befreiung keine endgültige ist. Die wirtschaftlich relevante Lastenzuständigkeit ist gerade nicht erloschen, so daß der Schuldner daran festgehalten werden kann. Diese Einsicht trägt wesentlich den heute allseits abgelehnten Rückgriff unter sog. unechten Gesamtschuldnern aus § 683 BGB. Hier ist unter mehreren im Außenverhältnis zum Gläubiger Pflichtigen der endgültig Lastenzuständige zu bestimmen27 • Völlig korrekt konnte deshalb ein Urteil die Tilgung 26 27

Oben S. 50 f., Fußn. 46, 47. Unten S. 93, 120.

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sogar als Geschäft eines Beklagten ansehen, der im Zeitpunkt der Zahlung noch gar nicht Schuldner war, sondern sich lediglich zur Schuldübernahme verpflichtet hatte2s. Der Begriff der Schuldenlast, der generell zur Klärung von Rückgriffsproblemen beiträgt, ist dem BGB nicht unbekannt. Er erscheint als "Pflichtteilslast" in § 2318 BGB, um die endgültige Verteilung der zur Erfüllung von Pflichtteilsschulden nötigen Geldausgaben zwischen Erbe und Vermächtnisnehmer im Innenverhältnis zu bezeichnen. 6. Im Fall der Erfüllung einer fremden Pflicht kann überdies von einem Interesse des Schuldners nur in einem idealistischen Sinn gesprochen werden, der von der üblichen Bedeutung eines egoistischen Interesses zu trennen ist. Da jede Schuldentilgung das frei verfügbare Geldvermögen verringert, kann der Schuldner einen wirtschaftlichen Vorteil davon nur haben, wenn er entweder eine für ihn wertvollere Gegenleistung erhält oder haftungsverschärfende Nachteile, die sein Vermögen über den Schuldbetrag hinaus mindern, vermeidet, etwa Prozeßkosten oder die Ersatzpflicht für Verzugsschäden. Ein Interesse an der Erfüllung der Verbindlichkeit um ihrer selbst willen ließe sich nur von einem Schuldner annehmen, der die ihm auferlegten Pflichten aus eigenem sittlichen Antrieb erfüllt, der folglich seine persönlichen Interessen mit denen der Rechtsordnung identifiziert. Dies wird für die Mehrzahl der planmäßig abgewickelten Rechtsverhältnisse zutreffen. Diese Annahme ist jedoch gerade in den Fällen, die vor Gericht kommen, meist lebensfremd, weil hier der Schuldner seinen Gläubiger hinzuhalten sucht, um sein Geld, so lange es geht, zu behalten. Zu einer idealisierenden Betrachtungsweise neigen indessen gern Richter, die dem Beklagten unterstellen, er hätte freiwillig all das gewollt, was sie für Recht erklären29• Diese Sicht liegt auch dem von § 683 BGB gemeinten Sinn von Interesse zugrunde. Das ergibt sich aus der Regelung der im öffentlichen Inter esse liegenden Erfüllung fremder Pflichten insbesondere der Unterhaltspflicht in §§ 679, 683 S. 2 BGB. Wenn das Gesetz dort allein den entgegenstehenden Willen des Geschäftsherrn für unbeachtlich erklärt, geht es augenscheinlich davon aus, daß die Erfüllung der Pflicht ohne weiteres dem Interesse des Schuldners entspricht. Da das BGB also selbst diese doppelte Bedeutung gebraucht, kann man zwar auf den Interessebegriff im Zusammenhang des Rückgriffs nicht verzichten . Doch ist es unerläßlich, egoistisches und idealistisches Interesse auseinanderzuhalten. 7. Das haftungsbegründende Interesse ist ferner gegen den Reflexvorteil abzugrenzen, aus dem keine Pflicht zur Bezahlung von Auf28

29

OLG Karlsruhe BadRpr 1929, 117; Sachverhalt unten S. 94 Fußn. 88. Beispiele zum "mutmaßlichen Willen" des GH unten S. 117.

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wendungen erwächst30• Wenn der Hauptschuldner zahlt, nützt das dem Bürgen. Aber dessen Interesse an der Schuldbefreiung berechtigt den ersteren ja keineswegs zum Rückgriff. Der Abriß eines einsturzgefährdeten Gebäudes ist nicht von dem gefährdeten Grundstücksnachbam zu bezahlen, sondem von dem polizeipflichtigen Eigentümer. Allgemein dürfen andere umsonst von Aufwendungen profitieren, zu denen bestimmte Personen rechtlich verpflichtet sind. Wessen Geschäft die Aufwendung ist, ergibt sich allein aus der Pflichtenstellung. Schwieriger ist zwischen mehreren egoistisch interessierten Nutznießern einer Verwendung zu unterscheiden. Wenn eine verpfändete oder zur Sicherung übereignete Sache vor dem Untergang bewahrt wird, wird das Interesse von Sicherungsgeber und -nehmer gefördert. Hier läßt es sich aus dem Kriterium des wirtschaftlichen Eigentums und zusätzlichen rechtlichen Erwägungen ableiten, daß nur der erstere haftet31. In anderen Fällen ist dieses Problem, das hier bloß als solches darzulegen ist, mit Hilfe der Verkehrsanschauung über die Entgeltlichkeit von Vorteilen zu lösen. V. Entscheidungszuständigkeit und Schutz vor Einmischung

Die Rechtsstellung einer Person umfaßt gewöhnlich neben der Güterund Lastenzuständigkeit die Befugnis, über die Ausübung der subj ektiven Rechte und die Erfüllung von Pflichten zu entscheiden und dies selbst zu vollziehen oder durch andere vollziehen zu lassen. Dieser Aspekt der Zuständigkeit, der im Organisations- und Verfahrensrecht vorherrscht, wirft einmal die Frage auf, inwieweit er sich dazu eignet, die Zuordnung von Geschäften zu bestimmen. Außerdem ist zu klären, wie die Entscheidungszuständigkeit als wesentlicher Ausdruck privatautonomer Entfaltungsfreiheit gegen unbefugte Einmischung zu sichern ist. 1. Das Gesetz geht augenscheinlich davon aus, daß der Geschäftsherr zu Entscheidungen befugt ist: Der unbeauftragte Geschäftsführer hat sich gemäß § 677 BGB nach dessen Willen zu richten; nach § 681 S. 1 BGB hat er, falls tunlich, dessen Weisungen abzuwarten. § 665 BGB setzt das Weisungsrecht des Geschäftsherm für die Geschäftsbesorgung kraft Auftrags voraus. In § 687 II BGB heißt es, der Eingreifer müsse wissen, daß er "nicht berechtigt" ist, das fremde Geschäft als eigenes zu behandeln. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß der Geschäftsherr jemand ist, der einen Eingriff verbieten darf. 3o 3t

Näheres unten S. 189 ff. Unten S. 181 ff.

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Im Regelfall trifft diese Annahme auch zu. Dennoch kommt es für die Begründung von Herausgabe- und Aufwendungsersatzansprüchen entscheidend allein auf die Güter- und Lastenzuständigkeit an. Dies ergibt sich aus solchen Geschäftsbesorgungsverhältnissen, bei denen Entscheidungszuständigkeit und Güter- und Lastenzuständigkeit bei verschiedenen Personen liegen. Im Verhältnis der Eltern zu ihrem vermögenden Kind ist letzteres Geschäftsherr, obwohl es nicht oder nicht voll geschäftsfähig ist, wie der Aufwendungsersatzanspruch der Eltern aus § 1648 BGB zeigt. Der Erbe ist Geschäftsherr des Testamentsvollstreckers nach § 2218 BGB, obwohl allein der letztere über den Nachlaß verfügen darf (§§ 2205, 2211 BGB). Auslagen und Vergütung des Konkursverwalters fallen nach § 85 KO der Masse und damit dem Gemeinschuldner als Vermögensinhaber zur Last, obwohl dieser das Verwaltungs- und Verfügungsrecht nach§ 6 KO verloren hat.

In all diesen Fällen sind beispielsweise die Kosten der Rettung einer zum verwalteten Vermögen gehörigen Sache vom Träger der Güterzuständigkeit zu bezahlen, die somit die Passivlegitimation des Aufwendungsersatzanspruchs bestimmt. Das personelle Auseinanderfallen von Macht- und Genußfunktion des Vermögens hat jedoch die Besonderheit zur Folge, daß es bei der Feststellung des nach§ 683 BGB maßgeblichen Willens des Geschäftsherrn nicht auf diesen selbst sondern auf den des Entscheidungsbefugten ankommt, z. B. auf den Willen der Eltern bei auftragsloser Geschäftsführung für das Kind32• 2. Jede Geschäftsführung ohne Auftrag bildet notwendig einen Eingriff in die Entscheidungszuständigkeit, weil die Tätigkeit des Geschäftsführers nicht vom Geschäftsherrn autorisiert oder aufgrund anderweiter Bestellung "berechtigt" i. S. d. § 677 BGB ist. Die herrschende Lehre sieht darin das Grundproblem des ganzen Rechtsinstituts, nämlich die Abgrenzung zwischen förderungswürdiger Menschenhilfe und aufgedrängter Einmischung 33• Gewiß bildet dies ein wichtiges Anliegen des Gesetzes, wie besonders die Beratungen der Zweiten Kommission um die Formulierung des späteren § 683 BGB zeigen34 • Freilich dient allein diese Vorschrift jenem Zweck, keineswegs das ganze Rechtsinstitut. Dessen Hauptaufgabe ist vielmehr in der Verwirklichung einer richtigen Güter-, Lasten- und Risikoverteilung bei vertragsloser Tätigkeit für andere zu sehen, wohingegen der Schutz vor Einmischung zwar ein beachtlicher aber kein dominierender Regelungszweck ist. 32 Mot. II 865 = Mugdan II 484; Staudinger I Nipperdey § 682 Rn. 11; BGH NJW 1971, 609, 612. Vgl. BGH Warn 1971 Nr. 140. 33 Lent, Wille und Interesse 12; Staudinger I Nipperdey Rn. 2 ff.; Larenz SehR II § 57 vor I. 34

Oben S. 37 Fußn. 53.

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Die herrschende Lehre übergeht nämlich den Umstand, daß dem aufdringlichen Geschäftsführer Aufwendungsersatz keineswegs versagt wird. Vielmehr steht ihm gemäß §§ 684 S. 1, 812, 818 III BGB ein auf die Bereicherung des Geschäftsherrn beschränkter Aufwendungsersatzanspruch zu. Das BGB hat einen Kompromiß zwischen dem Freiheitsschutz des Geschäftsherrn, dessen konsequente Verwirklichung den Ausschluß von Ersatz fordern würde, und dem Vermögensausgleichsinteresse des Geschäftsführers, der sein Vermögen für fremde Belange gemindert hat, geschlossen. Die Regel des gemeinen Rechts, nach der bei Zahlung entgegen einem Verbot des Geschäftsherrn keinerlei Ersatz gewährt wurde, ist von § 684 S. 1 BGB außer Kraft gesetzt wordenas. Allgemein muß vorläufig der Hinweis genügen, daß die rechtliche Reaktion auf den Eingriff in die Entscheidungszuständigkeit unterschiedlich ausfällt. Die schwerste Sanktion besteht darin, den Ausgleichsanspruchganz verfallen zu lassen, wie es z. B. für nützliche Verwendungen des bösgläubigen Besitzers in § 996 BGB angeordnet ist. In den Fällen der §§ 679, 683 S. 2 BGB bleibt der Eingriff dagegen ganz ohne Auswirkung auf den Rückgriff. Als mittlere Lösung, die für den Normalfall auftragloser Geschäftsführung gilt, bleibt die Begrenzung des Ersatzanspruchs auf die Bereicherung gemäß §§ 684 S. 1, 812, 818 III BGB, wobei sich keineswegs immer eine Minderung ergibt. Welche Rechtsfolge jeweils eingreift, kann erst die Analyse einzelner Fallgruppen der Judikatur zeigen. VI. Mehrfache Zuständigkeiten

In über 90 v. H. aller veröffentlichten Urteilssachverhalte handelt der Geschäftsführer aufgrund einer eigenen Pflicht oder eines eigenen Interesses36• Eine Interessenverknüpfung der beiden Beteiligten gehört somit zum statistischen Normalfall der Geschäftsführung ohne Auftrag. Dieser Sachverhalt bedarf daher besonderer dogmatischer Klärung. Die Theorie der Menschenhilfe bewältigt ihn recht hilflos in der Weise, daß sie uneigennütziges Handeln als Idealfall hinstellt und die Rechtsprechung als mehr oder minder notmäßige oder gar unzulässige Anwendung von Normen auffaßt, die eigentlich ganz anderen Zwecken dienen37• Die Gerichtspraxis wird so als Behelfslösung hybrider Fälle disqualifiziert, welche die Richter eben recht und schlecht mit dem positiven Recht in den Griff zu bekommen suchen. ss Dazu unten S. 88. 38 Nachweise in: Verf., Der Anwendungsbereich der GoA. 37 So zuerst Rab el, RheinZ 10 (1919/20) 91, 97: "Verlegenheitslösung". Weitere Nachw. oben S. 25 Fußn. 8. 5 Wollschlä ger

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

1. Die Interessenverknüpfung ist dogmatisch korrekt mit Hilfe der Einsicht aufzulösen, daß die Fremdheit des Geschäfts eine Rangfolge der Zuständigkeiten ausdrückt3s. Das Geschäft ist kein Rechtsobjekt wie das Eigentum, das normalerweise als ganzes nur einer Person unter Ausschluß anderer zusteht. Die Fremdheit des Geschäfts ist vielmehr ein relativer Begriff, welcher besagt, daß der eine "näher daran" ist, Güter und Lasten zu haben, als der andere. Jeder Geschäftsführer ist nämlich notwendig mit seiner Person und seinem Vermögen an der Geschäftsbesorgung beteiligt, indem er handelt, Geld auslegt, Gegenstände erwirbt, einen Schaden erleidet oder eine Vergütung erhält. Auch der uneigennützigste Retter riskiert seine eigene Haut. H. J. Wolff konnte deshalb zutreffend behaupten, jede Geschäftsbesorgung sei zugleich Führung eines eigenen Geschäfts39 • Dies ist nicht die Sicht des BGB bzw. des römischen Rechts, aus dem der Begriff des negotium alienum stammt. Eine Aufwendung ist allein Geschäft desjenigen, der sie endgültig zu bezahlen hat; der Erwerb ist Geschäft desjenigen, dem er endgültig gebührt. Herausgabe- und Aufwendungsersatzanspruch transferieren Güter und Lasten von dem vorläufig, subsidiär, niederrangig oder niederstufig Zuständigen auf den endgültig, höherrangig oder höherstufig Zuständigen. Der Geschäftsbesorger hat eine eigene aber niedere Zuständigkeit an den Gegenständen seiner Tätigkeit. Handelt er z. B. kraft Auftrags, so handelt er zwar rechtmäßig, aber wiederum nicht "so" rechtmäßig, daß er das Produkt seiner Arbeit behalten dürfte. Es handelt sich um eine eigentümliche Mittellage der Berechtigung, die am besten mit Hilfe der aus dem Organisations- und Verfahrensrecht geläufigen Betrachtungsweise einer Rangfolge von Zuständigkeiten zu erfassen ist. 2. Praktische Bedeutung gewinnt diese Sicht für den Abwicklungsweg bei sukzessiver Zuständigkeit, wenn mehrere Gesclläftsbesorgungsverhältnisse zusammentreffen. Beauftragt ein Rechtsanwalt den bei ihm tätigen Referendar, einen auswärtigen Termin wahrzunehmen, ist es sein Geschäft, ihm die Fahrtkosten zu erstatten. Im Verhältnis zur vertretenen Partei ist das wiederum fremdes Geschäft, weil diese zum Aufwendungsersatz verpflichtet ist. Der Mandant mag dann den Betrag letztlich vom unterlegenen Gegner liquidieren. In dieser Kette passiver Zuständigkeiten wandert die Kostenlast vom ersten Träger, bei dem sie angefallen ist, zum nächsten. Der letztere muß sie im Verhältnis zum vorhergehenden endgültig tragen und zusehen, wie er sie vom folgenden wieder hereinbekommt. as Ähnl. Schlossmann, Stellvertretung I 21: Vertretung ist kein absolut sondern nur ein relativ bestimmbarer Begriff. Vgl. Müller-Freienfels, Die Vertretung beim Rechtsgeschäft (1955) 101: rangniedere, relative Zuständigkeit des Vertreters. au Vertretung 170.

§ 4. Die Zuständigkeitstheorie des fremden Geschäfts

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Durch die Vertrags- und Prozeßrechtsbeziehungen ist hier ein Abwicklungsweg vorgeschrieben, der es dem Referendar verwehrt, über den Kopf seines Vertragspartners hinweg direkt den Mandanten oder die unterlegene Gegenpartei zu belangen. Der Grund dieser nirgends im BGB normierten Regel kann nicht darin liegen, daß der Mandant die Kosten nicht zu tragen hätte, also nicht höherrangig passiv zuständig ist. Er darf die direkte Forderung des ersten Lastenträgers abwehren, weil sein überwiegendes Interesse anerkannt wird, allein mit dem Vertragspartner nach den Modalitäten der Vertragsbeziehung abzurechnen und zu prozessieren. Dem ersten Lastenträger ist damit das Insolvenzrisiko seines Vertragspartners zugewiesen. Obwohl also eine unrechtmäßige Vermögenslage als materieller Haftungsgrund vorhanden ist, wird dem verfahrensmäßigen Interesse an der Einhaltung eines bestimmten Abwicklungsweges der Vorzug gegeben. Dieses Sachproblem wird seit dem römischen Recht in Gestalt der Frage erörtert, ob der negotiorum gestor zugleich im Auftrage eines Dritten handeln darf40 • Die neuere Bereicherungsdogmatik sucht seine Lösung aus dem Leistungsbegriff herauszupressen, was Canaris berechtigter Kritik unterzogen hat41 • Medicus hat angeregt, die in der Bereicherungsdogmatik gewonnenen Gesichtspunkte in die Geschäftsführung ohne Auftrag zu übernehmen42 • In der Tat liegen hier übereinstimmende Probleme vor. Vorzuziehen ist es aber, ihnen einen eigenen Namen zu geben und nach differenzierten Sachentscheidungen zu suchen, anstatt den Anschein zu erwecken, als seien sie schon durch das Gesetz fixiert. Dogmatisch ergibt sich aus der Relativität des Begriffs "fremdes Geschäft" nur soviel, daß die Frage des Abwicklungsweges hier ihren gesetzlichen Standort hat. Den Geschäftsführungswillen hierüber entscheiden zu lassen, wäre ganz verfehlt43 • Denn die Zuweisung des Prozeß- und Insolvenzrisikos, um die es hier in der Sache geht, kann nicht dem Belieben des Geschäftsführers überlassen bleiben. Der Abwicklungsweg muß vielmehr wie die Güter- und Lastenzuständigkeit nach objektiven Kriterien bestimmt werden. 3. Ein zugleich eigenes und fremdes Geschäft in dem vom BGB gemeinten Sinn liegt nur bei einem gemeinschaftlichen Geschäft vor. In der hier vorgeschlagenen Terminologie handelt es sich um eine gleichrangige quotenmäßig geteilte Güter- und Lastenzuständigkeit, etwa bei Gemeinschaften, echten Gesamtschuldnern und Gesamtgläubigern. Hier ist der Handelnde Geschäftsführer und Geschäftsherr in einer 40 41 42

43

Dazu Seiler, Neg. Gestio 114 ff. Festschr. Larenz (1973) 799.

JZ 1967, 65.

So aber Lent, Begriff d. GoA 149. Näheres unten S. 201 ff.

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1. Kap.:

Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

Person. Produkt und Kosten wirtschaftender Tätigkeit sind zu teilen. Da diese Rechtsverhältnisse hauptsächlich durch die §§ 420 ff., 741 ff. BGB geregelt sind, hat die Geschäftsführung ohne Auftrag in diesem Bereich bloß eine Ergänzungsfunktion44 • 4. Die in vielen Verweisungen auf die §§ 677 ff. BGB anzutreffende "angewandte Geschäftsführung ohne Auftrag" bietet endlich eine Form der Interessenverknüpfung, die als gegenständlich geteilte Zuständigkeit zu kennzeichnen ist. Ein Mieter, der nützliche Verwendungen auf die Mietsache vornimmt, erschien den Gesetzesverfassern "unleugbar" als unbeauftragter Geschäftsführer des Vermieters45 • Der Umstand, daß er als Benutzer ein Eigeninteresse an der Verbesserung der Mietsache hat, war danach ohne Einfluß auf die Fremdheit des Geschäfts. Tatsächlich steht dem Mieter allein der Gebrauchsnutzen zu; insoweit handelt er auf eigene Rechnung und Gefahr. Der Vermieter ist als Eigentümer Inhaber der Sachsubstanz oder nimmt zumindest dessen Stelle ein, falls er seinerseits nur Mieter oder Nießbraucher ist. Insoweit führt der Mieter ein fremdes Geschäft, wenn er Verwendungen auf die Sachsubstanz vornimmt. Hier unterliegt er Obhuts- und Anzeigepflichten (§ 545 BGB) wie ein Geschäftsbesorger. Der Mietvertrag ist also, insofern er die Überlassung einer fremden Sache enthält, ein mit Elementen der Geschäftsbesorgung gemischter Vertrag. Ähnliches gilt für den Verwendungsersatzanspruch des Vorerben, der zum Nacherben in dem bereits früher gekennzeichneten Geschäftsbesorgungsverhältnis steht48• Dem Vorerben steht die Nutzung des Sondervermögens zu, so daß er gemäß § 2124 I BGB die gewöhnlichen Erhaltungskosten trägt. Insofern führt er ein eigenes Geschäft, weil er das Risiko trägt, ob diese aus den Einkünften des Nachlasses gedeckt sind und ob er das Vermögen wirklich in gleichem Maße nutzen kann. Verwendungen auf die Substanz des Nachlasses sind dagegen Geschäft des Nacherben, weil dieser das Risiko des Zufallsuntergangs trägt. Der Nacherbe hat daher das Substanzerhaltungsinteresse und insoweit die Güter- und Lastenzuständigkeit. VII. Das Tätigkeitsverhältnis

Mit Herausgabe und Aufwendungsersatz wurden bislang die spezifischen und zugleich praktisch wichtigsten Rechtsfolgen der Geschäftsführung ohne Auftrag untersucht. Nunmehr sind diejenigen Wirkungen darzustellen, in denen das Rechtsverhältnis einem Dienst- oder Arbeitsvertrag ähnlich ist: Die Pflicht des Geschäftsführers zu sorgfältiger Tätigkeit sowie die aus ihrer Verletzung entspringende Schadensersatzhaftung; ferner Rechtfertigung und Haftungsminderung als 44 Näheres unten S. 189 ff. •s Mot. II 394 = Mugdan II 219. 48 Oben S. 51.

§ 4. Die Zuständigkeitstheorie des fremden Geschäfts

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Haftungsausschlußgründe; außerdem ist die Vergütung des Geschäftsführers dazu zu rechnen und schließlich die Entschädigung für Nothilfeschäden als Zufallsschäden aus tätigkeitsspezifischen Gefahren. 1. Gegen Herausgabe und Aufwendungsersatz sind diese Rechtsfolgen zunächst negativ dadurch abgegrenzt, daß sie als Folgenzurechnung kraft vertretungsweisen Handeins nicht adäquat zu erfassen sind. Schon die Vorstellung, eine rein tatsächliche Einwirkung auf eine Sache, etwa das Feuerlöschen beim verreisten Wohnungsnachbarn, geschehe "an Stelle" des abwesenden Geschäftsherrn, wirkt gekünstelt. Immerhin gebraucht man ein korrektes Bild hinsichtlich der vermögensmindernden Folgen dieser Tätigkeit, etwa des Verbrauchs von Löschmaterial, wenn der für diese Last vorläufig zuständige Geschäftsführer durch den Aufwendungsersatz von dem endgültig zuständigen Geschäftsherrn abgelöst wird. Bei Tätigkeiten an einer Person ist diese Betrachtungsweise überstrapaziert. Ein Arzt, der einen Bewußtlosen versorgt, tut nicht etwas, was der Verunglückte selbst hätte tun können. Er handelt zwar "für" ihn, jedoch ausschließlich in dem Sinn, daß er "an" ihn als Empfänger von Diensten leistet. Die Geschäftsführung ohne Auftrag bildet insoweit nichts anderes als eine vertragslose Dienst- oder Arbeitsleistung.

2. Das positive Merkmal, welches das "Tätigkeitsverhältnis" zu mehr als einem Auffangbecken theoretisch unverarbeiteter Restprobleme macht, liegt in der Obereinstimmung mit dem Dienst- oder Arbeitsverhältnis. Dadurch werden sämtliche hier zusammengefaßten Rechtsfolgen wesentlich gekennzeichnet und zu einem eigenen, vom "Vertretungsverhältnis" unterschiedenen Strukturmerkmal der Geschäftsführung ohne Auftrag vereinigt. Diese ungewohnte Sicht, die stark von überkommenen Lehren abweicht, ist im Rahmen der theoretischen Orientierung zunächst an den einzelnen Rechtsfolgen zu umreißen und bei der Analyse der Rechtsprechung ausführlich zu begründen. a) Ist der auftraglose Geschäftsführer mangels vertraglicher Bindung auch frei, ob er überhaupt tätig werden will, so verpflichtet ihn doch die Übernahme der Geschäftsführung nach § 677 BGB zu sorgfältiger Tätigkeit gemäß dem Interesse und Willen des Geschäftsherrn, nicht anders als Arbeitnehmer und andere Dienstverpflichtete sowie Beamte sorgfältig für ihren Dienstherrn tätig sein müssen. Die aus einer Pflichtverletzung resultierende Schadensersatzpflicht überwälzt einen Verlust des Geschäftsherrn auf den Geschäftsführer. Sie bewirkt damit eine Folgenzurechnung in umgekehrter Richtung wie Herausgabe- und Aufwendungsersatzanspruch. b) Dienstverpflichtete, die weisungsgemäß auf Sachen oder die Person des Dienstherrn einwirken, handeln kraft dessen Einwilligung nicht

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

rechtswidrig. Nach herrschender Lehre soll die interesse- und willen-

gemäße Geschäftsführung ohne Auftrag die gleiche Wirkung haben, Schadensersatz und Strafe auszuschließen.

c) Die Haftungsminderung des Notgeschäftsführers auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit gemäß § 680 BGB hat eine überraschende Parallele im Arbeitsrecht, auf die Canaris treffend hingewiesen hat: die Haftungsminderung bei schadensgeneigter Arbeit47 • Sie bewirkt eine Risikozurechnung auf den Unternehmer als Träger des vom Arbeitnehmer geförderten Interesses. Sie kompensiert zugleich das Fehlen eines Entgelts, das vom privaten Nothelfer nicht beansprucht wird. Wer gewerbs- und berufsmäßig in Notlagen tätig ist und dafür eine Vergütung erhält, kann sich, wie später zu zeigen ist, nicht auf § 680 BGB berufen: Im Operationssaal darf nicht mit verschiedenen Sargfaltsmaßstäben operiert werden je nachdem, ob ein Verunglückter mit oder ohne Bewußtsein und Krankenhausaufnahmevertrag eingeliefert worden ist. d) Die Vergütung beruflicher oder gewerblicher Dienste des unbeauftragten Geschäftsführers stellt die augenfälligste Parallele zum Dienst- oder Arbeitsvertrag her. Sie ist entgegen der herrschenden Lehre nicht mit dem Aufwendungsersatz zu vermengen, weil sie keinen Ausgleich für eine Vermögensminderung sondern das Entgelt für geleistete Arbeit bildet48• Sie verschafft dem Geschäftsführer einen endgültigen Vermögenszuwachs, während Aufwendungen (im korrekten Sinn) durchlaufende Rechnungsposten bilden. Die Vergütung bildet darum eine selbständige Rechtsfolge der Geschäftsführung ohne Auftrag. Als solche war sie noch in den Entwürfen zum BGB vorgesehen und ging in der Gesetzesfassung durch ein grobes Redaktionsversehen verloren. e) Auch die Entschädigung für Nothilfeschäden muß entgegen der herrschenden Lehre als selbständige Rechtsfolge der Geschäftsführung ohne Auftrag herausgekehrt werden48 • Hier geht es um den Ausgleich für unfreiwillig erlittene Einbußen, während der Aufwendungsersatz im einzig korrekten Sinn bewußte zielgerichtete Vermögensminderungen betrifft. Diese gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtsfolge hat ihre nächste Parallele in der gesetzlichen Unfallversicherung der Arbeitnehmer und in der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge, weil der Personenschaden des Nothelfers wie der Arbeits- oder Dienstunfall aus einer für die Tätigkeit spezifischen Gefahr entsteht. 47 RdA 1966, 41, 43, 45 gegen die h. M., welche die Haftungsbeschränkung überwiegend auf die Fürsorgepflicht stützt. Näheres unten S. 282. 48 Dazu unten S. 311 ff. 49 Dazu unten S. 284 ff.

§ 4. Die Zuständigkeitstheorie des fremden Geschäfts

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f) Im ganzen stimmt die auftraglose Geschäftsführung mit einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis schließlich darin überein, daß sie Tätigkeit auf fremdes Risiko ist. Ihre Rechtsfolgen treten auch dann ein, wenn der Geschäftsführer den angestrebten Erfolg nicht erreicht50• Nach dem gleichen Kriterium sind Dienst- und Werkvertrag vonein~ ander abgegrenzt. Allgemein sind die Umsatz- und Kreditgeschäfte also die "eigenen" Geschäfte - dadurch gekennzeichnet, daß Verkäufer, Vermieter, Werkunternehmer und Darlehensgeber das Wirtschaftsrisiko Unternehmerischen Erfolgs selbst tragen. 3. Die Parallelen zum Dienst- und Arbeitsvertrag sind in der Dogmatik ansatzweise bereits von Haupt erkannt worden, der die Geschäftsführung ohne Auftrag im Sinne seiner durchaus problematischen Lehre als "faktischen Vertrag" kennzeichnete51 • Dorn hat im einzelnen dargelegt, daß die meisten Fragen, die mit Hilfe dieser der Rechtsgeschäftskonzeption des BGB widerstreitenden Figur gelöst werden, aufgrund der §§ 677 ff. BGB zu bewältigen sind52 • Die Auseinandersetzung mit dieser angefochtenen Lehre53 und eine allgemeine Klärung des Verhältnisses von Geschäftsbesorgung und Dienst- und Arbeitsverhältnis würden den Rahmen der vorliegenden Untersuchung überschreiten. Hier muß der grundsätzliche Hinweis auf die Übereinstimmung mit diesen Schuldverhältnissen und auf den Doppelcharakter der Geschäftsführung ohne Auftrag selbst genügen. Eine ähnliche Aufgliederung ist für einige auf Bestellung beruhende Geschäftsbesorgungsverhältnisse bereits anerkannt. Für die Vertreter von juristischen Personen wird schon gesetzlich zwischen der Organstellung und dem Anstellungsverhältnis unterschieden54 • Auch die Verwaltungsrechtslehre hält die organisationsrechtliche Amtsstellung und das Dienstverhältnis von Beamten auseinander55• Damit wird die Regelung der persönlichen Belange des Geschäftsbesorgers - Entgelt, Ausgleich für eigene und Haftung für fremde Schäden - abgegrenzt gegen diejenigen Bereiche, in denen er als Funktionär einer Organisation mit dieser zu identifizieren ist. Innerhalb der Geschäftsführung ohne Auftrag sind dazu Herausgabe und Aufwendungsersatz zu rechnen, weil sie Produkt und Kosten der fremdnützigen Tätigkeit betreffen und als durchlaufende VerStaudinger I Nipperdey § 683 Rn. 5; näheres unten S. 216 ff. Über faktische Vertragsverhältnisse. In: Festschr. Siber II (1943) 1, 27 N. 68. 52 NJW 1964, 799. Abl. Erman NJW 1965, 421. 53 Kritisch Palandt I Heinrichs Vorbem. 5 vor § 145; Fikentscher SehR § 18 III; Medicus BürgR § 9 Im. w. Nachw. 64 AktG § 84 Abs. 1 S. 1, 5, Abs. 3 S. 5; Geßler I Hefermehl AktG (1974) § 84 Rn. 5 f. m. w. Nachw. 55 H. J. Wolff, Vertretung 230 ff.; VerwR III § 109 I b. 50

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

mögensposten den Geschäftsbesorger letztlich nichts angehen. Terminologisch empfiehlt es sich, diesen Bereich als "Vertretungsverhältnis" oder Geschäftsführungsverhältnis im engeren Sinne von dem "Tätigkeitsverhältnis" zu unterscheiden. VIII. Der Geschäftsführungswille

Die Bedeutung des Geschäftsführungswillens wird heute unter dem fortwirkenden Einfluß der pandektistischen Quasikontraktstheorie generell überschätzt56• Nach der oben entwickelten Zuständigkeitstheorie, welche die Fremdheit des Geschäfts aus objektiven normativen Gesichtspunkten bestimmt, muß ihm die obligationsbegründende Kraft, ein Geschäft zum fremden zu machen, abgesprochen werden. Der Geschäftsführungswille ist vielmehr ein abhängiges TatbestandsmerkmaL 1. Das subjektiv fremde Geschäft, insbesondere der Erwerb in mittelbarer Stellvertretung57, ist mit dieser Auffassung nicht ohne weiteres zu erfassen. Eine objektive rechtliche oder faktische Beziehung zum Geschäftsherrn fehlt ja, wenn z. B. der Freund des Briefmarkensammlers die von diesem gesuchte Marke in eigenem Namen erwirbt, denn Briefmarkensammeln begründet keine Dritten gegenüber wirksame Erwerbszuständigkeit. Diese wird erst durch den Geschäftsführer geschaffen, indem er den Erwerb dem Empfänger willentlich zuwendet. Im Bewußtsein der Besonderheit dieses Falles fordert die Lehre mit Recht, daß der Geschäftsführungswille hier besonders deutlich erkennbar gemacht werden müsse58• Richtig gesehen handelt es sich um eine (nicht empfangsbedürftige) Willenserklärung, weil der Wille zur Selbstbindung in einer Form geäußert werden muß, daß der Erklärende daran festgehalten werden kannssa. Bei der unmittelbaren Stellvertretung i. S. d. §§ 177 ff. BGB ergibt sich die Erwerbszuständigkeit des vollmachtlos Vertretenen ebenfalls aus der Erklärung des Vertreters, in fremdem Namen zu handeln. Der nicht nach außen erkennbare Vertretungswille gibt dem Vertretenen gemäß § 164 II BGB noch nicht die Möglichkeit, ein Geschäft durch Genehmigung an sich zu ziehen. Die Fremdheit des Geschäfts beruht mithin beim Erwerb in mittelbarer Stellvertretung auf der Erklärung des Zuwendungswillens. Beim objektiv fremden Geschäft ist sie entbehrlich, weil die Zuordnung der püter und Lasten unabhängig vom Willen des Handelnden besteht. 58 Ebenso Dawson, Unjust Enrichment (1951) 55 ff.; Kaehler, Bereicherungsrecht 267 f. N. 412. 57 Dazu unten S. 249 ff. 58 Medicus BürgR § 17 li 2 verlangt "besondere Anzeichen"; Palandt I Thomas § 677 Anm. 2 c Anzeige an GH. 58a Nach a. A. läge bloß Willensbetätigung vor, da keine Kundgabe bezweckt ist. Vgl. Larenz, Allg. Teil§ 18 Im. w. Nachw.

§ 4. Die Zuständigkeitstheorit. des fremden Geschäfts

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Obwohl das subjektiv fremde Geschäft als eine vom Gesetz gewollte Möglichkeit auftragloser Geschäftsführung hinzunehmen ist, wäre es verfehlt, dieses mit der Quasikontraktstheorie zum Ausgangspunkt einer Theorie der negotiorum gestio zu machen. Denn der Erwerb in mittelbarer Stellvertretung hat heute keine praktische Bedeutung mehr. Der Fall erscheint oft in den römischen Quellen, weil die unmittelbare Stellvertretung im römischen Recht auf dem Boden des Prinzips der Höchstpersönlichkeit rechtsgeschärtlieher Akte noch nicht anerkannt war. Die Regelung der §§ 177 ff. BGB hat das Bedürfnis für solche negotiorum gestio ersichtlich entfallen lassen. Das subjektiv fremde Geschäft ist zwar vom Gesetz gedeckt, aber totes Recht, das zudem im Widerspruch zu den Wertungen der§§ 177 ff. BGB steht. Eine Theorie, die der Rechtswirklichkeit entsprechen will, kann diesen Fall nicht zum Angelpunkt erheben. 2. Die wirkliche Funktion des Geschäftsführungswillens ist rechtstechnischer Natur. Er grenzt den Anwendungsbereich der§§ 677 ff. BGB von denjenigen Ausgleichsschuldverhältnissen ab, denen gleichermaßen der objektive Tatbestand der Führung eines fremden Geschäfts zugrunde liegt: Eingriffs-, Rückgriffs- und Verwendungskondiktion sowie das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis. Nachdem das BGB die objektive Theorie der negotiorum gestio verworfen hat, ist der Geschäftsführungswille zwar unverzichtbare Voraussetzung der "echten" Geschäftsführung ohne Auftrag. Ob daraus aber unterschiedliche Ergebnisse der einzelnen Entscheidungen folgen, wird bei der Rechtsprechungsanalyse im einzelnen zu prüfen sein. 3. a) Inhaltlich verlangt § 687 I BGB zunächst das Geschäftsführungsbewußtsein als kognitives Element des Geschäftsführungswillens. Der Geschäftsführer muß wissen, daß der erreichte oder angestrebte Erfolg seines Handeins endgültig einem anderen zusteht. Eine Vorstellung, wer dieser andere konkret ist, - die gemeinrechtliche contemplatio domini59 - , braucht der Geschäftsführer ausweislich von § 686 BGB nicht zu haben. Eine positive Gewißheit von der fremden Zuständigkeit läßt sich nicht fordern, wenn die Fremdheit des Geschäfts von offenen Wertungen abhängt. Wie bei jedem Vorsatz, der auf unbestimmte Tatbestandsmerkmale bezogen ist, muß eine "Parallelwertung in der Laiensphäre" genügen. Der Geschäftsführer muß die wesentlichen Umstände kennen, welche die fremde Zuständigkeit ausmachen: das fremde Eigentum, die Existenz eines anderen Verpflichteten und den faktischen Empfang von Diensten in der Person eines anderen. Er muß daraus folgern, etwas Erlangtes nicht behalten zu dürfen und für Kosten Ersatz verlangen zu dürfen. b) Das finale Element des Geschäftsführungswillens wird durch den Umkehrschluß aus § 687 li BGB dahingehend bestimmt, daß das 69

Chambon, Neg. Gestio (1848) 43.

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1. Kap.: Theorie der Geschäftsführung ohne Auftrag

fremde Geschäft nicht "als eigenes" geführt werden darf. Das bedeutet für den Herausgabeanspruch, daß der Geschäftsführer bereit sein muß, das Erlangte weiter an den Berechtigten abzuführen. Allgemein muß der Wille darauf gehen, den Erfolg der Tätigkeit einem anderen zu verschaffen. Bei Aufwendungen ist er regelmäßig mit dem Bewußtsein von der Fremdheit des Geschäfts gegeben. Wer eine fremde Schuld bewußt tilgt, will diesen Erfolg. "Als eigenes" wird ein solches Geschäft erst besorgt, wenn die Aufwendung Mittel zu einem weiteren rechtswidrigen Zweck ist, so, wenn der (bewußt) bösgläubige Besitzer Verwendungen auf eine fremde Sache macht oder der bösgläubige Erbschaftsbesitzer eine Nachlaßschuld tilgt, um die angemaßte Erbenstellung insgesamt zu erhalten60 • c) Die Absicht, Aufwendungsersatz zu verlangen, der gemeinrechtliche animus obligandi, wird vom BGB nicht verlangt61 • Der Schenkungs- oder Verzichtswille schließt zwar nach § 685 I BGB die Erstattung aus. Dennoch bleibt der Freigiebige nach dem Wortlaut "Geschäftsführer", indem er ein fremdes Geschäft schenkungsweise führt; er kann folglich nach §§ 677, 681, 666 f. BGB haften. d) Zum Geschäftsführungswillen gehört schließlich nicht das uneigennützige Motiv. Hier hat die Theorie der Menschenhilfe erhebliche Verwirrung gestiftet, indem sie die Anerkennung sittlich wertvollen Verhaltens zum tragenden rechtspolitischen Grund des Rechtsinstituts erklärte. Die herrschende Lehre schwächt das zwar erheblich ab, indem sie die gleichzeitige Verfolgung eines eigenen Interesses für unerheblich erklärt. Doch lehnt sie die Anwendung des § 683 BGB ab, wenn der Geschäftsführer ausschließlich aus eigenem Interesse handelt62 • Sofern damit das haftungsbegründende Interesse i. S. d. Zuständigkeit gemeint ist, ist das richtig. Versteht man unter dem Interesse jedoch das Motiv, führt dieser Satz in die Irre. Wenn der ablösungsberechtigte Eigentümer einer verpfändeten Sache die Forderung einzig aus dem Grunde tilgt, um sein Eigentum vor der Verwertung zu bewahren, greift § 683 BGB entgegen der herrschenden Lehre63 ein. Denn allein der Schuldner ist zuständig an der Kostenlast; die Enthaftung der Pfandsache steht dem Sicherungsgeber als Reflexvorteil zu. Generell ist daher der Wille, einen Reflexvorteil zu erlangen, also das Motiv, unbeachtlich. Die Abgrenzung zwischen Motiv und Geschäftsführungswille muß anhand ihres Gegenstandes nach objektiven Kriterien erfolgen. 60 Als einziges praktisches Beispiel aus der Rspr. kommt die Unterhaltsgewähr an ein Kind, das den Eltern rechtswidrig vorenthalten wird, in Betracht. Dazu unten S. 141 ff. 61 Mot. II 863 = Mugdan II 482 gegen die Quasikontraktstheorie. 62 Palandt I Thomas § 677 Anm. 2 d; Soergel I Mii.hl § 677 Rn. 4. 63 Larenz SehR II § 68 III c 1. Dazu unten S. 96.

Zweites Kapitel

Die Erfüllung fremder Pflichten Die Analyse der Rechtsprechung beginnt mit allen Klagen, die Aufwendungsersatz geltend machten mit der Begründung, der Kläger hätte eine dem Beklagten obliegende Pflicht ohne Auftrag erfüllt. Gemeinsames Merkmal der zugrunde liegenden Sachverhalte ist die ausdrücklich oder inzident behauptete Pflichtenstellung des Geschäftsherrn. Sie bildet den tragenden Grund der Haftung und begründet zugleich die rechtliche Qualifikation der Aufwendung als fremdes Geschäft. Von den später zu untersuchenden Fällen des Ersatzes von Nothilfeschäden unterscheiden sich die jetzt behandelten dadurch, daß Ersatz von Aufwendungen im eigentlichen, korrekten Sinn begehrt wurde. Dort geht es um Schäden als unfreiwillig erlittene Einbußen; hier sind wirtschaftliche Mittel, die zur Erreichung bestimmter Ziele eingesetzt werden, zu erstatten. Innerhalb der Haftung aufgrund einer Pflichtenstellung sind zwei unterschiedlich strukturierte Tatbestände zu unterscheiden. In den Fällen des Rückgriffs(§§ 5-9) hat ein Kläger, der selbst nicht oder nicht vorrangig Verpflichteter ist, unbeauftragt eine dem Beklagten obliegende Leistung an dessen Gläubiger bewirkt. Der Grundtatbestand ist ein Dreiecksverhältnis, bei dem zwischen dem Drittleistenden und dem Schuldner keine vertragliche oder anderweite Rechtsbeziehung besteht, wie es§ 677 BGB voraussetzt. Anders sind die in§ 10 behandelten Fälle der "Selbsthilfeaufwendungen" gelagert. Hier steht einem Gläubiger ein Anspruch auf Beseitigung einer Störung oder auf eine Leistung zu. Wenn dieser die geschuldete Maßnahme selbst ausführt, kann er vom Störer oder Schuldner Ersatz mit der Begründung verlangen, er habe dessen Geschäft als unbeauftragter Geschäftsführer geführt. Geschäftsführer und Geschäftsherr sind Gläubiger und Schuldner einer Forderung. Weil hier die§§ 677 ff. BGB dazu benutzt werden, die Wirkungen von Leistungsstörungen zu regeln, sind diese Fälle anders als im ganzen Schrifttum von den Rückgriffstatbeständen deutlich zu trennen.

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2. Kap.: Die Erfüllung fremder Pflichten

§ 5. Die Zahlung fremder Schulden I. Allgemeine Bedeutung

Die Rechtsprechung zum Rückgriff wegen der Zahlung fremder Schulden ist in ihrem Umfang stark geschrumpft. In den Jahren 1861 bis 1870 gehörte dazu fast jedes zweite veröffentlichte Urteil zur Geschäftsführung ohne Auftrag, heute nur noch jedes zwanzigste1• Zwei Drittel der im folgenden zu betrachtenden ca. 100 Urteile stammen daher aus der Zeit vor 1900. Dennoch sind sie von Interesse, weil sie Sachverhalte bieten, die den Verfassern des BGB als ganz selbstverständliches und typisches, ja dominantes Anwendungsgebiet der negotiorum gestio erscheinen mußten2 • Diese Fallgruppe liefert zudem das Grundmuster für weitere Regreßtatbestände, die sich im wesentlichen nur durch den Grund der vom Geschäftsführer erfüllten Verbindlichkeit (Schadensersatz-, Unterhalts-, Polizeipflicht) und die jeweils entsprechenden Leistungen als Aufwendung unterscheiden. Die Tilgung fremder Schulden bildet somit den Modellfall für mindestens die Hälfte aller veröffentlichten Urteile zur Geschäftsführung ohne Auftrag. Heute gelten die §§ 683, 670 BGB anerkanntermaßen als das ungeeignetste unter den verschiedenen rechtstechnischen Mitteln, einen Rückgriff mit Hilfe des BGB zu begründen3 • Das Bedürfnis nach einer "Flurbereinigung" des verworrenen Regreßrechts richtet sich gerade darauf, die Geschäftsführung ohne Auftrag auszuscheiden4 • Den Intentionen des BGB würde dies direkt zuwiderlaufen. Schon die Häufigkeit dieser Sachverhalte in der früheren Gerichtspraxis legt den Schluß nahe, daß die negotiorum gestio den Verfassern des BGB als Rückgriffsnorm par excellence für den Fall der bewußten Erfüllung einer fremden Verbindlichkeit erscheinen mußte. Tatsächlich wird sie in den Gesetzesmaterialien immer wieder als einschlägige oder mindestens zusätzliche Ausgleichsgrundlage erwähnt5• Die frühere Judikatur zum Zahlungsrückgriff beansprucht darum besonderes Interesse, weil sie Nachw. bei Verj., Anwendungsbereich d. GoA Tabellen 4 u. 6. Auszunehmen ist das Geltungsgebiet des ALR, das den Zahlungsrückgriff speziell durch Legalzession regelte (ALR I 16 § 46, ebenso ABGB § 1358). 3 So insbesondere zum Schadensersatzregreß Selb, Schadensbegriff und Regreßmethode (1963) 30 ff.; Marschall von Bieberstein, Reflexschäden und Regreßrechte (1967) 194 ff. mit allg. Überblick der Regreßmittel und w. Nachw. 196 Fußn. 9; Esser, SehR I§ 59 IV 3. 4 Erman I Hauß Anm. 10 a. E. vor§ 677. 5 Zahlungsrückgriff: Mot. II 861, f., 864 = Mugdan II 481, 483; Bürgenregreß: Mot. II 672 f. = Mugdan li 376; vgl. § 775 BGB; Unterhaltsrückgriff gegen den nichtehel. Vater: Mot. IV 900 = Mugdan IV 478, gegen den ehel. Vater: Mot. IV 695 = Mugdan IV 369; Regreß gegen den Polizeipflichtigen: Mot. li 865 = Mugdan li 483; vgl. Prot. li 737 f. = Mugdan Il 1199 (Steuerschuldner). 1

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§ 5. Die Zahlung fremder Schulden

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am einfachsten Fall zeigt, wie die negotiorum gestio als Regreßmittel praktiziert wurde und in dieser Funktion von den Gesetzesverfassern vorausgesetzt wurde. Dem gemeinen Recht war die actio negotiorum gestorum contraria als zuständige Klage bei wissentlicher Tilgung einer fremden Schuld durch das römische Recht vorgeschrieben. Die einschlägige "Gesetzes"Stelle der Digesten gewährte sie demjenigen, der eine fremde Geldschuld ohne Auftrag des Schuldners in dessen Namen getilgt hatte, ausgenommen den Fall, daß der Schuldner ein Interesse daran hatte, daß nicht gezahlt wurde6 • Diese Grundregel verlangte also im wesentlichen die Tilgung einer fremden Schuld durch Zahlung "im Namen" des Schuldners als das erklärtermaßen bewußt geführte fremde Geschäft sowie das Fehlen eines entgegenstehenden Interesses des Schuldners, also die Nützlichkeit der Geschäftsführung. Unter dem letzten Gesichtspunkt ist zunächst zu prüfen, wie sich die Judikatur zu dem Grundproblem der ungebetenen Einmischung eines zahlenden Dritten verhalten hat. II. Das Interesse des Schuldners

1. Ein 1866 ergangenes Urteil des Handelsappellationsgerichts Nürnberg zeigt, wie wenig die römischrechtliche Regel den Interessen des Handelsstandes entsprach7 • Die ungebetene Tilgung einer Kaufmannschuld wurde grundsätzlich nicht als nützliche Geschäftsführung anerkannt. Der Zahlende mußte folglich einen Auftrag des Schuldners beweisen. Andernfalls hatte er sein Geld verloren, denn vom Gläubiger war es nicht wiederzuerlangen8 • Die "technischen Beisitzer" des Gerichts, selbst Kaufleute, meinten, der Kaufmann müsse über seine liquiden Mittel selbst disponieren dürfen und brauche sich die Einmischung eines Dritten nicht gefallen zu lassen. Die Freiheit des Schuldners, seine Gläubiger hinzuhalten, galt ihnen also mehr als seine Zahlungspflicht. Ihnen erschien es verständlicherweise wichtiger, wen der Kaufmann als Gläubiger hatte, als daß er überhaupt Schulden hatte, denn ein Unternehmen ohne Fremdfinanzierung wird es damals wie heute selten gegeben haben.

Angesichts dieser Abwehrhaltung gegen aufgedrängte Bereicherung überrascht es, wie geschlossen die ordentlichen Gerichte und das 8 Labeo D. 3, 5, 42 (43): Cum pecuniam eius nomine solveres, qui tibi nihil mandaverat, negotiorum gesterum actio tibi competit, cum ea solutione debitor a creditore liberatus sit: nisi quid debitoris interfuit eam pecuniam non solvi. 7 HAG Nii.rnberg SeuffArch 20 Nr. 161 (29. 9. 1866). 8 Eine condictio indebiti gegen den Gläubiger war ausgeschlossen, da der Zahlende irrtumsfrei geleistet hatte (vgl. § 814 BGB). Es galt D. 12, 6, 44: Repetitio nulla est ab eo qui suum recepit; ferner arg. e contrario aus D. 12,

6, 65, 9.

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2. Kap.: Die Erfüllung fremder Pflichten

Reichsoberhandelsgericht9 am entgegenstehenden römischen Recht festhielten. Vielen Urteilen war es eine nicht näher begründete Selbstverständlichkeit, daß der unbeauftragt zahlende Dritte Rückgriff mit Hilfe der actio negotiorum gestorum nehmen konnte10• Häufig benutzte man diese Klage, um dem Kläger den Nachweis eines Auftrags zu ersparen11. Ein Interesse des Schuldners, ausschließlich mit seinem Gläubiger zu prozessieren, wurde nicht anerkannt12• Das Inkrafttreten des BGB hat daran nichts geändert. Die Zahlung fremder Schulden gilt weiter als interessegemäße Geschäftsführung ohne Auftrag, ohne daß die Gerichte jemals einen allgemeinen Zweifel geäußert hätten13 • 2. Die Gründe dieser ausgleichsfreundlichen Haltung der Judikatur des 19. Jahrhunderts sind nur indirekt zu erschließen, weil die Urteile selbst durch die eindeutigen römischen Quellen positivrechtlich hinreichend begründet waren. Die unangefochtene Fortgeltung dieser Regeln im Bereich der ordentlichen Gerichte beruht wohl vor allem auf dem naturrechtliehen Ausgleichsprinzip, niemand dürfe sich zum Schaden eines anderen bereichern14• Mochte man die unerbetene Drittzahlung auch nicht für wünschenswert halten, so wäre es dennoch mit u ROHG 15, 245, 246 f. (23. 12. 1874); ROHG 16, 327, 328 (18. 3. 1875); ROHG 20, 54, 58 (10. 3. 1876); ROHG 24, 126, 127 (18. 12. 1878). 1o OAG Jena SeuffArch 3 Nr. 52 (14. 12. 1837); OAG Cassel, Strippelmann 7, 138, 146 (1838); OAG Dresden Wochenbl. 6, 172, 175 (9.10.1843); ObTrib Stuttgart SeuffArch 9 Nr. 209 (14. 4. 1855); OAG Jena ThürBl 10, 325, 327 (1863); OAG Dresden AnnSächsOAG NF 4, 288 (21. 11. 1867); AnnSächsOAG NF 7, 210 (22. 10. 1869); OG Waltenbüttel SeuffArch 24 Nr. 105 (26. 10. 1869); OG Mainz PucheltsZ 2, 420 (29.12. 1870); BayObLGZ 2, 459 (11. 11. 1872); BayObLGZ SeuffArch 43 Nr. 100 (20. 10. 1887); RG JW 1895, 19 Nr. 52 (4. 12. 1894, III). 11 OAG Jena (1837 Fußn. 10); OAG Dresden (1843 Fußn. 10); ROHG 20, 54; OAG Dresden Wengier 1879, 137 (28. 11. 1877). Zum BGB OLG Celle OLGRspr 22, 327 (17. 3. 1909); OLG Rostock OLGRspr 22, 236 (26. 10. 1909). 12 AppG Celle SeuffArch 27 Nr. 27 (28. 11. 1871; Sachverhalt SeuffArch 26 Nr. 217). 13 RG Recht 1908 Nr. 1177 f. (6. 2.1908, VI); OLG Harnburg OLGRspr 20, 243 (19.1. 1909); OLG Celle OLGRspr 22, 327 (17. 3.1909); OLG Rostock OLGRspr 22, 326 (26. 10. 1909); RG WamRspr 1910 Nr. 116 (31. 1. 1910, IV); RGZ 88, 21, 28 f. (12. 1. 1916, V); OLG Darmstadt HessRspr 1921, 6 (9.12. 1919); OLG Harnburg HansGZ 1922 H 167 (9. 5.1922); RG SeuffArch 82 Nr. 121 (16. 3.1928); BGHZ 7, 346, 355 (24.10.1952, V); BGH NJW 1963, 2067, 2068 (4. 7. 1963, VII); BGHZ 41, 30 (22.1.1964, V); BGHZ 47, 370, 372 (20. 4.1967, VII); BGH WM 1968, 1201 (20. 6.1968, VII); BGH Warn 1971 Nr. 140 (26. 5. 1971). u Grundlage ist die Sentenz des Pomponius: "natura aequum est, neminem cum alterius damno fieri locupletiorem", D. 12, 6, 14 und D. 50, 17, 106. Im Usus Modemus galt sie als Rechtsprinzip; die historische Schule des 19.

Jhs. wertete sie als unverbindliche Billigkeitsmaxime. Über den Wandel Förster, Theorie und Praxis des heutigen gemeinen preußischen Privatrechts II (3. Auf!. 1873) § 147 m. w. Nachw. Vgl. Windscheid, Pandekten II § 421 N. 1.

§ 5. Die Zahlung fremder Schulden

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einem allgemeinen Bereicherungsverbot unvereinbar gewesen, den Zahlenden mit dem Verlust seines Geldes zu bestrafen und dem Schuldner eine unverdiente Bereicherung zukommen zu lassen. Der Einfluß des Bereicherungsverbots zeigt sich klar in den partikularen Gesetzgebungen, die sämtlich subsidiär nach dem normalen vollen Aufwendungsersatzanspruch einen auf die Bereicherung des Geschäftsherrn beschränkten Ausgleich vorsahen, falls die Geschäftsführung im heutigen Sinn keine "berechtigte" war15• Nach römischem Recht war dagegen jeder Ersatz ausgeschlossen, wenn kein utiliter gestum vorlag18• Hier hatte das Vernunftrecht einen Erfolg erzielt, der heute in § 684 S. 1 BGB verankert ist. Der Ausgleich einer ungerechtfertigten Vermögenslage hat danach grundsätzlich den Vorrang vor dem Schutz gegen aufgedrängte Bereicherung. Hinzu kommt die in § 267 BGB fortgeführte Regel des römischen Rechts, daß Geldschulden ohne Wissen und selbst gegen den Willen des Schuldners von einem Dritten getilgt werden dürfen 17• Ein Interesse des Schuldners, in Person zu leisten, ist danach nur bei höchstpersönlichen Leistungen anzuerkennen. Gerade bei Geldschulden werden die Interessen des Gläubigers bevorzugt: Er darf sein Geld von jedermann annehmen, der es ihm zu geben bereit ist. Schließlich erklärt die Härte des römischen Vollstreckungsrechts, warum die unerbetene Drittzahlung in Rom zulässig war und als nützliche Geschäftsführung galt. In früher Zeit drohten dem Schuldner Tod oder Versklavung und noch zur Zeit der klassischen Juristen bedeutete die Zwangsvollstreckung im Regelfall Konkurs und Infamie18• Da die ganze wirtschaftliche Existenz auf dem Spiele stand, wenn Schulden nicht bezahlt wurden, war das Interesse des Schuldners und des ganzen Gemeinwesens am Eingreifen Dritter offenkundig19• 3. Dementsprechend war die Grundregel des Zahlungsrückgriffs in den Digesten so formuliert, daß die actio negotiorum gestorum schon wegen der Befreiung des Schuldners gegeben wurde; ein Verstoß gegen seine Interessen bildete die Ausnahme20• Für die Gerichte des 19. 15 ALR I 13 §§ 234 ff. und ABGB § 1036 privilegieren allein die der Schadensabwehr dienende GoA durch vollen Aufwendungsersatz. Im übrigen muß der GH nur bei Erlangung eines wirklichen Vorteils bezahlen; ALR I 13 §§ 240 ff., ABGB §§ 1038 f. Wie§ 684 S. 1 BGB: BadLRS 1375 a; SächsBGB

§ 1352 s. 2.

18 Ein subsidiärer Bereicherungsausgleich fehlt in den Quellen (so noch Code Civil art. 1375). Er war jedoch im gemeinen Recht gestützt auf den Sonderfall D. 3, 5, 5, 5 (6, 3) ( = § 687 Il BGB) außer bei verbotswidriger Gfg. anerkannt. Dernburg, Pandekten II § 123, 4 b N. 34; Windscheid, Pandekten Il § 430 N. 24. 17 Gaius D. 46, 3, 53; Solvere pro ignorante et invito cuique licet. 18 Kaser, Zivilprozeß § 20 VIII, §§ 57 f. 19 Ulpian D. 3, 5, 1 sieht den Zweck der negotiorum gestio insgesamt darin, die rigorosen Folgen des Prozeßverlusts für einen abwesenden Bürger zu vermeiden. Ferner Gaius D. 44, 7, 5 pr. 2o Text oben Fußn. 6.

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2. Kap.: Die Erfüllung fremder Pflichten

Jahrhunderts war deshalb die Nützlichkeit der Geschäftsführung in der Regel allein durch die Tilgung der Schuld gegeben21 . Noch der Bundesgerichtshof hat dieses Verhältnis von Regel und Ausnahme, wenngleich mit spürbarer Reserve, anerkannt22 ; in der Literatur finden sich nur wenige Gegenstimmen23. Prozessual folgte daraus im gemeinen Recht die Beweislastverteilung, daß der zahlende Dritte nur die Entstehung und Tilgung der Schuld zu beweisen hatte24. Die vom beklagten Schuldner zu beweisende Interessewidrigkeit wurde in den meisten Urteilen allein unter dem Gesichtspunkt geprüft, ob der Forderung Einreden (i. w. S.)25 entgegenstanden, etwa ob die Forderung im Zeitpunkt der Zahlung bereits erfüllt26 oder verjährt27 war, oder durch Aufrechnung bequemer hätte getilgt werden können28. In dem auf negotiorum gestio gestützten Regreßprozeß wurde folglich zwischen dem zahlenden Dritten und dem Schuldner unter den gleichen Bedingungen gestritten wie zwischen Gläubiger und Schuldner. Die Klagevoraussetzung der Nützlichkeit der Geschäftsführung bedeutete im praktischen Ergebnis, daß der Schuldner seine Einwendungen gegen den Zahlenden als faktisch neuen Gläubiger geltend machen konnte. Der Zahlungsregreß aus negotiorum gestio wurde prozessual nicht anders abgewickelt als ein Forderungsübergang, für den der Einwendungsübergang heute in den §§ 404, 412 BGB festgesetzt ist. 21 Jur. Fakultät Rostock SeuffArch 19 Nr. 43 (26. 10. 1840, Sachverhalt SeuffArch 19 Nrn. 41 u. 42); OAG Dresden AnnSächs OAG NF 4, 288 (21. 11. 1867); ROHG 16, 327, 328; ROHG 20, 54, 58; OG Wolfenbüttel SeuffArch 35 Nr. 76 (10. 6. 1879); RGZ 9, 136, 137 (18.10. 1881, I); OLG Colmar PucheltsZ 21, 146 (28. 1. 1889); OLG Dresden SächsArch 1, 136 (30. 10. 1890). Ferner die in Fußn. 24 genannten Urteile. 22 BGH WM 1968, 1201: Drittzahlung entspricht "meist" dem Interesse u. dem Willen des GH, da er befreit wird. Ein weitergehendes Interesse prüfen BGHZ 47, 370 (Stundung, Aufrechnungsmöglichkeit; unten S. 84) und BGH Warn 1971 Nr. 140 (Betriebsfortführung, unten S. 183). - Früher: OLG CeHe, Rostock (1909 Fußn. 11). 23 Josef, Gruchot 50 (1906) 215, 224 ff.; Soergel I Mühl § 683 Rn. 3; Selb, Schadensbegriff S. 34. Anders: Staudinger I Nipperdey § 683 Rn. 6; Palandt I Thomas § 683 Anm. 2; Enneccerus I Lehmann SehR § 167, 1 a; Lorenz in: Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung (1967) 267, 271. Vgl. Oertmann § 683 Anm. 1. 24 AppG Eisenach SeuffArch 15 Nr. 25 (um 1861); OAG Jena ThürBl 8, 375 (gleiche Sache); AppG Celle (1871 Fußn. 12); BayObLGZ 6, 186 (12. 7.1876); PrObTrib SeuffArch 35 Nr. 75 (25. 2. 1879); BayObLG SeuffArch 48 Nr. 93 (23. 4. 1892). 25 Einschließlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden "Einwendungen" im heutigen Sinn. Dieser ältere Sprachgebrauch noch in § 274 ZPO. 26 BayObLGZ 6, 186. 27 PrObTrib SeuffArch 35 Nr. 75; OLG Darmstadt HessRspr 121, 6; RGZ 86, 96, 97; OLG Düsseldorf NJW 1961, 608 f. 28 RG SeuffArch 37 Nr. 112 (14. 10. 1881, III). GI. A. Mot. II 681 f. = Mugdan II 481.

§ 5. Die Zahlung fremder Schulden

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Diese Praxis stützt die These, daß der Aufwendungsersatzanspruch als Fortwirkung der Pflichtenstellung des Schuldners zu begründen ist29 • Ungeachtet der rechtstechnischen Gestalt als selbständiger Anspruch oder als gesetzlich übergangene Forderung ist die Rückgriffsforderung im Sinne der Schulz'schen strukturellen Konzeption mit der getilgten Forderung materiell identisch. Dieses Ergebnis wirft die Kontrollfrage auf, ob die Prüfung des Schuldnerinteresses darauf beschränkt ist, den einredefreien Bestand der Forderung festzustellen. Kommt es auf einen konkreten wirtschaftlichen Vorteil für den Schuldner nicht mehr an? Oder muß die Einmischung in die Entscheidungszuständigkeit des Schuldners durch ein zusätzliches Interesse gerechtfertigt werden, z. B. daran, daß der Gläubiger von einem Prozeß oder von der Verwertung von Sicherheiten abgehalten wird? In der älteren Judikatur erscheint das Problem in Gestalt der Frage, ob der Schuldner abwesend, d. h. an eigener Zahlung verhindert sein muß30• Teils wurde das generell verneint31 , teils begnügten sich die Gerichte mit der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners32 • Eine einzige Klagabweisung wurde darauf gestützt, daß der Zahlende den Beklagten unschwer hätte fragen können33 • Hier war aber der Bestand der Forderung streitig, so daß nicht auszuschließen ist, daß das Gericht dem Beklagten glaubte und mit dieser Begründung den Prozeß ohne Beweisaufnahme beenden wollte. Als allein tragender Grund eines Urteils ist das Erfordernis einer Verhinderung des Schuldners nicht nachzuweisen. Diese Haltung der Gerichte ist ohne weiteres für den Fall zu billigen, daß der Rückgriffnehmer nicht mehr und nichts anderes verlangt, als es der Gläubiger hätte tun können. Wo die Stellung des Schuldners nicht verschlechtert wird, besteht kein Grund, den Rückgriff durch zusätzliche Erfordernisse zu erschweren. Die Prüfung des Interesses des Schuldners kann sich demnach normalerweise darauf beschränken, die Tilgung und den einredefreien Bestand der Forderung festzustellen. Wie verhält es sich aber, wenn der Schuldner durch den Rückgriff zusätzlich belastet wird? Das ist an einem Reichsgerichtsurteil zur Tilgung trotz Stundungs- und Erlaßmöglichkeit und an der Judikatur zur Verjährung des Regreßanspruchs zu klären. Oben S. 59. Zu den zugrunde liegenden röm. Quellen Seiler, Negotiorum Gestio 47 ff. 31 Jur. Fakultät Rostock SeuffArch 19 Nr. 42; ROHG 20, 54, 56. 32 AppG Eisenach ThürBl 8, 373 (um 1861); OAG Jena ThürBl 10, 325, 327 (um 1863). 33 OAG München SeuffBl 16, 377 (16. 1. 1851). 29

30

6 Wollschläger

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2. Kap.: Die Erfüllung fremder Pflichten

4. Die Tilgung durch einen Dritten nimmt dem Schuldner die Mög-

lichkeit, Stundung oder Erlaß zu erlangen, weil sie die im Zeitpunkt

der Zahlung noch einredefreie Forderung erlöschen läßt. Wollte man ein schutzwürdiges Interesse an der Erhaltung dieser Chance anerkennen, wäre jede Drittzahlung grundsätzlich interessewidrig, weil sie den Schuldner über das nicht geschützte Interesse, in Person an einen bestimmten Gläubiger zu leisten, hinaus vermögensmäßig benachteiligt34 • So betrachtete das Reichsgericht die Tilgung einer Steuerschuld als interessewidrig, weil letztere dem Schuldner wegen seiner schlechten wirtschaftlichen Lage hätte erlassen oder gestundet werden können35• Das ist zu billigen, aber nicht vorschnell zu verallgemeinern. Natürlich kann kein Schuldner daran interessiert sein, einem Dritten etwas zu erstatten, was er seinem Gläubiger nicht oder noch nicht hätte zahlen müssen. Fraglich ist nur, ob das als Regel oder Ausnahme anzusehen ist. Hier war ein gesetzlicher Tatbestand36 erfüllt, aufgrund dessen die Steuerbehörde nach pflichtmäßigem Ermessen über die Milderung der Schuld hätte entscheiden müssen. Darum konnte der Fall so behandelt werden, als hätte die Einrede bereits im Zeitpunkt der Tilgung bestanden. Wo Stundung und Erlaß im Belieben eines privaten Gläubigers stehen, ist dem Schuldner die Beweislast dafür aufzuerlegen, daß er nicht oder noch nicht vom Gläubiger in Anspruch genommen worden wäre, falls der Dritte nicht gezahlt hätte. Die Rechtsordnung muß es als normalen Verlauf betrachten, daß bestehende Rechte durchgesetzt werden; die Milde des Gläubigers darf nicht vermutet werden37• Die Gerichtsregel, daß die Tilgung einer einredefrei bestehenden Schuld interessegemäß ist, gilt folglich nicht ohne Ausnahme. Die bloße Möglichkeit, eine Forderung nicht geltend zu machen, hindert den Regreß aus § 683 BGB nicht; entscheidend für die Interessegemäßheit einer Drittzahlung ist, ob der Schuldner den gezahlten Betrag tatsächlich erspart hat oder nicht. 5. Die Judikatur zur Verjährung der Rückgriffsforderung aus § 683 BGB bewirkt eine empfindliche Schlechterstellung des Schuldners. Seit dem 19. Jahrhundert haben die Gerichte ohne Ausnahme entschieden, daß die Tilgung einer kurz verjährenden gewöhnlichen Schuld einen selbständigen Erstattungsanspruch hervorbringt, der normal verjährt38• 34

Ausdrücklich dagegen die in Fußn. 21 u. 24 genannten Urteile; ferner

Lorenz (Fußn. 23).

RGZ 147, 228, 231. Heute§§ 222, 227 AO 1977. 37 Gl. A. Oertmann AcP 82, 367, 485 ; Kaehler, Bereicherungsrecht 263 f. 3B In BadAnn 4 (1836) 55 wird von einem Streit bei einem Untergericht berichtet, ob der Sohn die für den Vater gezahlten Arztkosten aus übergeas

38

§ 5. Die Zahlung fremder Schulden

83

Freilich ist nach 1900 nur eine einschlägige Entscheidung zur Tilgung einer kurz verjährenden Schuld aus gewerblichen Leistungen (§ 196 BGB) veröffentlicht39• Das Reichsgericht ließ die Regreßforderung gegen die schadensersatzpflichtigen Verursacher des Fuldaer Dombrands lang verjähren40 • Die frühere Rechtsprechung zum Regreß gegen den Unterhaltspflichtigen ist dagegen aufgegeben worden. Heute gilt der Rückgriffsanspruch wie die Unterhaltsforderung als auf eine "regelmäßig wiederkehrende Leistung" gerichtet, so daß sie nach § 197 BGB in vier Jahren verjährt41 • Ferner wurden Entgeltsansprüche aus § 683 BGB für auftragslos erbrachte berufliche Leistungen der kurzen Verjährung nach § 196 unterworfen42 • Die früher ganz einheitliche Praxis, alle Ansprüche aus negotiorum gestio normal verjähren zu lassen, ist also weitgehend durchbrochen. Das Problem stellt sich heute im wesentlichen nur noch für die Tilgung von Schadensersatz- und gewöhnlichen Geldforderungen. Die Gesetzesverfasser gingen von der langen Verjährung der Rückgriffsforderung aus, überließen es aber der richterlichen Prüfung im Einzelfall, ob die Tilgung einer kurz verjährenden Schuld nützliche Geschäftsführung sei43 • Die Literatur folgt dem fast einhellig44 • Vom Standpunkt der herrschenden Meinung wäre ein Rückgriff aus § 683 BGB mit Sicherheit wohl nur zu verneinen, wenn der Gläubiger ohne das Dazwischentreten des Dritten die Forderung hätte verjähren lassen. Denn dem Interesse des Schuldners müßte es immer widersprechen, zur Erstattung eines Betrages verpflichtet zu werden, den er sonst gangenem Recht (dann kurze Verjährung) oder aus neg. gestio (dann lange Verjährung) zu fordern hatte.- OAG Dresden AnnSächsOAG NF 8, 258 (9. 12.1869); PrObTrib Fenner u. Mecke 4, 55, 59 (16. 7.1872): lange Verj. sogar zugunsten eines zahlenden Putativschuldners. - OLG Colmar PucheltsZ 21, 146 (28.1. 1889); OLG Braunschweig SeuffArch 52 Nr. 217 (13. 4.1896). au BGHZ 47, 370. 40 RGZ 86, 96, 97; obiter dieturn in RGZ 69, 422, 429 (16. 11. 1908, VI). 41 RGZ 170, 252 (22.12.1942, VI); zuletzt BGH NJW 1963, 2315 (19. 9. 1963, VII). Näheres unten S. 137 f. 42 BAG NJW 1964, 2178 (31. 7. 1964); w . Nachw. b. Berg MDR 1968, 717, 718. Ebenso für auf §§ 683, 812 BGB gestützte Ansprüche aus Miete (§ 558): BGH ZMR 1974, 382 (13. 2. 1974, VIII). - Die in § 196 I Nm. 1 u . 7 BGB vorgesehene kurze Verjährung der eigentlichen Auslagenerstattungsansprüche kaufmännischer u. sonst. gewerblicher Geschäftsbesorger gilt nach Wortlaut und Sinn auch bei unbeauftragter Tätigkeit. 43 Mot. II 864 = Mugdan II 483. 44 Palandt I Danekelmann § 195 Anm. 2; Erman I Hauß § 677 Rn. 27; Staudinger I Nipperdey Rn. 52 ff. vor § 677; Soergel I Augustin § 196 Rn. 6; Soergel I Müht § 683 Rn. 10; RGRK I Steffen Rn. 65, 88 vor § 677; von Caemmerer NJW 1963, 1402, 1403; Festschr. Dölle I (1963) 135, 154 N. 56; Selb Schadensbegriff 79; NJW 1963, 2056, 2058; Reini cke VersR 1967, 1, 2; Berg MDR 1968,717.- Anders Lorenz (Fußn. 23) 271. ß•

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2. Kap.: Die Erfüllung fremder Pflichten

nicht gezahlt hätte. Als regelmäßiger Verlauf dürfte dies jedoch nicht angesehen werden, so daß dem Schuldner die Beweislast obläge. Die von den Gesetzesverfassern angeregte konkrete Interesseprüfung könnte darüber hinaus so hohe Maßstäbe anlegen, daß die Tilgung einer kurz verjährenden Schuld nur in Ausnahmefällen interessegemäß wäre, etwa wenn der Gläubiger von einem kostspieligen Prozeß abgehalten wird. In der älteren Judikatur ist nichts davon zu bemerken, daß solche über die Tilgung hinausreichende Vorteile gefordert wurden. Auch die Entscheidung BGHZ 47, 370 begnügt sich in Wahrheit mit einem "prima-facie-Beweis" der Nützlichkeit45 , obwohl die Urteilsbegründung solche zusätzlichen Umstände für das Interesse des Schuldners an der Drittzahlung darzutun sucht. Die früher erhobene Forderung, es müsse "dringend geboten" sein, vom normalen Weg der Selbsterledigung des Geschäfts abzuweichen 46 , wurde sogar ausdrücklich abgeschwächt47 und tatsächlich fallengelassen. Das bedenkliche Ergebnis spricht für sich. Ein Verband von Schiffern klagte gegen einen Spediteur auf Bezahlung der von seinen Mitgliedern ausgeführten Frachten. Wie üblich und dem Spediteur bekannt, hatte der Verband die Frachten abgerechnet und den Schiffern Zahlungen auf die ihnen zustehenden Frachtlohnforderungen geleistet. Letztere waren bei Klagerhebung nach § 196 I Nr. 3 BGB verjährt. Der BGH gab einen normal verjähr enden Erstattungsanspruch aus § 683 BGB, weil er die Zahlungen des Verbandes als Tilgung durch einen Dritten i. S. d. § 267 BGB und als interessegemäße GoA ansah. Das Interesse des Spediteurs wurde vor allem aus seinem Einverständnis mit diesem Abrechnungsweg gefolgert. Gerade dem ist zu widersprechen, weil der Gläubiger die Verjährungsvorschriften nicht durch die regelmäßige Einschaltung eines vorschußleistenden Dritten umgehen darf. Solche Finanzierungsmaßnahmen auf der Gläubigerseite gehen den Schuldner nichts an, weil er darauf keinen Einfluß nehmen kann. Folglich ist sein Einverständnis irrelevant. Wenn § 196 I Nr. 3 BGB die Schiffer zur zügigen Geltendmachung ihrer Außenstände zwingt, kann für den Verband nichts anderes gelten.Der BGH sah in der Zahlung ferner eine Stundung, ohne darzulegen, daß die Schiffer selbst früher geklagt hätten. Wahrscheinlich ist das Urteil schon deshalb unzutreffend, weil ihre Forderung verjährt wäre, wenn der Verband nicht gezahlt hätte, denn die Schiffer hatten ja die kaufmännische Abwicklung ihres Betriebs dem säumigen Verband überlassen. Die zusätzlich für das Interesse angeführte Aufrechnungsmöglichkeit des Spediteurs mit dem Verband wäre ein besonderer Vorteil nur, falls der Verband illiquide und seine Gegenforderung schwer durchsetzbar gewesen wäre48• 43

So allg. Rietschel, Anm. zu BGHZ 47, 370 in LM Nr. 26 zu§ 683 BGB.

BGH LM 17 zu§ 683 BGB (20. 6. 1963- Az.: VII ZR 85/62) im Anschluß an Staudinger I Nipperdey § 683 Rn. 4. 47 BGHZ 47, 370, 372: Die Gfg. muß dem GH bei obj. Betrachtung "nur 4&

erwünscht" sein. Ferner 375 f.: Die Gfg. darf nicht aufgedrängt sein.

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An dem abgeurteilten Sachverhalt wird deutlich, daß die Rückgriffsforderung und die getilgte Forderung den gleichen materiellen Grund haben und daher der gleichen Verjährung unterliegen müssen. Die unerbetene Drittzahlung darf dem Zahlenden nicht mehr Rechte als dem Gläubiger geben. In diesem Sinne vertritt Lorenz auf der Grundlage der Schulz'schen Rückgriffskonzeption die Ansicht, der Regreß aus § 683 BGB sei Surrogat der getilgten Forderung und dürfe daher nicht bestandskräftiger sein als jene49 • Einige Autoren lassen diesen Gedanken nur für den Rückgriff aus § 812 BGB gelten50• So meint von Caemmerer, der bereicherungsrechtliche Rückgriff dürfe nicht stärker sein als ein Zessionsregreß, der nach § 404 BGB den Rückgriffnehmer der Verjährungseinrede aussetzt. Doch müsse der Rückgriff aus § 683 BGB normal verjähren, weil die Drittzahlung dem mutmaßlichen Willen des Schuldners entspricht51 • Diese Auffassung wird dem Zweck der Verjährungsvorschriften nicht gerecht. Sie dienen der Rechtssicherheit und machen deshalb materiell bestehende Rechte undurchsetzbar. Dem Vertrauen des Schuldners in den Zeitablauf wird der Vorrang vor dem Gläubigerinteresse eingeräumt. Dies verlangt besonders im Bereich der gewöhnlichen Umsatzgeschäfte des § 196 BGB feste Termine, nach denen der Geschäftspartner die Bücher schließen kann. Von einer ungewissen Interessenahwägung darf der Eintritt der Verjährung nicht abhängen. Die herrschende Meinung mißt der Zahlung eines unbeauftragten Geschäftsführers die gleiche Wirkung bei wie eine verjährungsunterbrechende Klageerhebung oder die Erteilung eines Auftrags, der aus dem Rechtsgeschäft eine neue Forderung nach § 670 BGB entstehen läßt. Die interesse- und willensgemäße auftraglose Zahlung ist aber kein Umstand, der wie jene geeignet wäre, das Vertrauen des Schuldners in die Erledigung einer zweifelhaften Rechtslage aufzuheben. Die Übereinstimmung mit dem mutmaßlichen Willen des Schuldners ist etwas anderes als eine Willenserklärung, weil die zurechenbare Veranlassung fehlt. Auch wenn man die Tilgung einer kurz verjährenden Schuld ausnahmsweise als interessegemäße Geschäftsführung anerkennen wollte, 48 Ebenso Berg aaO. 720 f., der aber dem Urteil zustimmt, weil die Drittzahlung regelmäßig erfolgte. 49 aaO. (Fußn. 23). Bereits von Tuhr, Allg. Teil I (1910) 274 N. 21 befürwortete die ursprüngliche Verjährung für Surrogatansprüche in Analogie zu § 224 BGB. Kaehter, Bereicherungsrecht 67 Fußn. 212 betrachtet sie als allgemeines Restitutionsprinzip. 50 von Caemmerer Festschr. Dölle I 154; Reinicke VersR 1967, 1, 4 f.; dahingestellt in BGHZ 47, 370, 375. - Anders die h. M.: BGHZ 32, 13, 16 (14. 1. 1960, Il); RGZ 86, 96, 97 ; Soergetl Müht § 812 Rn. 188; Staudinger I Coing § 195 Anm. 4; Patandt I Danekelmann § 195 Anm. 2. 51 Festschr. Dölle I 154 Fußn. 56.

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läuft folglich die Verjährung des getilgten Anspruchs für die Rückgriffsforderung weiter. Im System des BGB ist dieses Ergebnis damit zu begründen, daß zwischen § 683 BGB als Rückgriffsnorm und den Verjährungsvorschriften ein Wertungswiderspruch besteht, der im Interesse der Rechtssicherheit zugunsten des Vorrangs der Verjährung aufzulösen ist. 6. Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Judikatur zum Zahlungsrückgriff aus Geschäftsführung ohne Auftrag der ungebetenen Einmischung des zahlenden Dritten im Ergebnis keine Wirkung beigemessen hat. Das Interesse des Schuldners wird in der Praxis - trotz anderslautender Urteilsbegründungen - rein normativ in dem Sinne verstanden, daß es schon mit der Tilgung einer einredefrei bestehenden Forderung gegeben ist. Dem Schuldner steht jedoch der Nachweis offen, daß der Gläubiger seine Forderung nicht durchgesetzt hätte. Das Interesse ist also rein vermögensmäßig danach zu bestimmen, daß er den geschuldeten Betrag erspart hat. Diese Praxis ist allgemein zu billigen. Sie entspricht dem aus § 267 BGB zu folgernden Prinzip, daß ein Interesse des Schuldners, in Person zu leisten, außer bei höchstpersönlichen Leistungen nicht geschützt ist. Das BGB erkennt auch ein Interesse, an einen bestimmten Gläubiger zu leisten, nicht an, da Forderungen grundsätzlich abtretbar sind. Der Gläubiger hätte es bei einem Widerspruch des Schuldners in der Hand, die Drittleistung nach § 267 II BGB zurückzuweisen. Letztlich ist es also Ausfluß legitimer Gläubigermacht, daß dem Schuldner ein neuer Gläubiger, sei es durch eine selbständige Regreßforderung, sei es durch Zession, aufgedrängt wird. Dieser Faktor darf folglich bei der Bestimmung des Interesses i. S. d. § 683 BGB nicht berücksichtigt werden. 111. Der Wille des Schuldners

1. Der Rückgriff nach § 683 BGB setzt weiter voraus, daß die Zahlung dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Schuldners entspricht. Dennoch bleibt ein Verstoß des Zahlenden gegen den Schuldnerwillen ohne Konsequenz, weil der befreite Schuldner nach §§ 684 S. 1, 812 BGB immer mit der Rückgriffskondiktion haftet, da er durch Ersparnis des getilgten Betrages bereichert ist52• Die Vorschrift zeigt einen gesetzestechnisch bedingten Leerlauf der Subsumtion. Da die willentliche Tilgung einer einredefrei bestehenden Schuld interessegemäße Geschäftsführung ist, was den Verfassern des BGB nach der Praxis ihrer Zeit und nach den Digesten selbstverständlich sein mußte, führt 52 von Caemmerer Festschr. Rabe! 333, 360 ff.; Palandt I Thomas § 812 Anm. 4 c; Erman I Seiler § 812 Rn. 31 m. w. Nachw.-

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die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen auf ein überflüssiges Tatbestandsmerkmal53. Das BGB ist hier überkompliziert, weil es zunächst strengere Anforderungen stellt, als für den Rückgriff sachlich geboten ist. Die einfache Regel, daß derjenige, der eine einredefreie fremde Schuld tilgt, vom Schuldner Erstattung verlangen kann, ergibt sich erst aus dem Zusammenspiel der durch die Verweisung verbundenen §§ 683, 812, 818 III BGB. Die von § 683 BGB geforderte Übereinstimmung mit dem Willen des Geschäftsherrn macht darum die Geschäftsführung ohne Auftrag nicht zu einem inhaltlich ungeeigneten Regreßmittel. Die Kritik meint zwar mit Recht, der Rückgriff könne doch unmöglich davon abhängen, ob der Schuldner leisten wolle oder nicht54• Sie verweist auf ein Urteil zum Schadensersatzregreß, das in der Tat dem Vater eines verletzten Kindes die Erstattung seiner Heilungsaufwendungen von dem Tag an verweigerte, an dem der Schädiger seine Ersatzpflicht ausdrücklich bestritten hatte55• Eine andere Entscheidung lehnte die Erstattung einer Steuerzahlung ab, die dem Willen des Steuerpflichtigen widersprach56 • Beide Urteile zeigen jedoch keinen sachlichen Mangel des Gesetzes. Ihr Fehler besteht nicht darin, daß sie die Drittleistung als Geschäftsführung ohne Auftrag qualifizieren; vielmehr verkennen sie die Anwendung des Bereicherungsrechts, auf das doch ausdrücklich verwiesen wirds7. 2. Der gleiche gesetzestechnische Mangel des § 683 BGB ist an allen Urteilen abzulesen, die den Rückgriff wegen der Zahlung einer fremden Schuld aufgrund dieser Vorschrift bejahen. Überall wurde nämlich der mutmaßliche Wille des Schuldners im Wege der Vermutung aus der objektiven Interessegemäßheit der Zahlung gefolgert, die man ja ihrerseits wieder aus der Befreiung des Schuldners abgeleitet hatte58. Diese anerkannte Regel wird der Lebenserfahrung meistens entsprechen, wenn der Schuldner einen Gegenwert erlangt hat oder an der Fortsetzung der Geschäftsverbindung mit dem Gläubiger oder an der Aufrechterhaltung seines allgemeinen Kredits interessiert ist. Bei der Tilgung gegenwertloser Verbindlichkeiten, wie Steuerschulden und 53 Das illustriert RGZ 88, 21, 28 f. (12. 1. 1916, V): GF zahlte trotz Widerspruch d. Schu. auf eine nichtige Hypothek, daher weder § 683 BGB noch § 812 BGB mangels Ersparnis. 54 Selb, Schadensbegriff 34; Esser SehR I § 59 IV 3. 55 OLG Düsseldorf NJW 1961, 608 (25. 10. 1960). 58 OLG Harnburg HansRGZ 1933 B 139 (13. 12. 1932). 57 OLG Harnburg erörtert § 812 BGB nicht, OLG Düsseldorf verneint § 812 BGB wegen fehlender Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung. Das widerspricht der heutigen Anerkennung der Rückgriffskondiktion. 58 OLG Celle OLGRspr 22, 327; OLG Rostock OLGRspr 22, 326; BGHZ 47,370, 374; BGH WM 1968, 1201; BGH Warn 1971 Nr. 140.

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insbesondere Schadensersatzverbindlichkeiten, dürfte der empirische Wille der meisten Schuldner dagegen eher auf ein Bestreiten der Schuld gerichtet sein59• Für den Regreß wegen der Erfüllung von Unterhaltsund Polizeipflichten hat § 679 BGB ohnehin auf das Willenserfordernis verzichtet. Überhaupt war in unserem ganzen Material kein einziges Urteil zu finden, welches mit regulären Beweismitteln festgestellt hätte, daß der Geschäftsherr bei Kenntnis der Sachlage das Eingreifen des Geschäftsführers gebilligt hätte. Die Praxis verlangt nicht mehr als die Interessegemäßheit der Geschäftsführung und nimmt damit dem überspitzt formulierten Tatbestandsmerkmal der Willensgemäßheit seine Schärfe. § 683 BGB scheidet de facto nur bei nachgewiesenem Widerspruch des Geschäftsherrn als Anspruchsgrundlage aus. 3. a) Die Judikatur des 19. Jahrhunderts zur Zahlung trotz Verbots des Schuldners ist durch § 684 S. 1 BGB gegenstandslos geworden° 0 • Das gemeine Recht ist insofern jedoch als Kontrast zum geltenden Recht interessant, weil es den rechtspolitischen Gehalt dieser Vorschrift deutlich werden läßt. Nach einer Konstitution Justinians war nämlich der Aufwendungsersatz auch bei objektiv nützlicher Geschäftsführung ausgeschlossen, wenn der Geschäftsführer entgegen einem ihm erteilten Verbot des Geschäftsherrn tätig geworden war61 • Da die Befreiung von einer einredefrei bestehenden Schuld immer ein utiliter gestum war, wurde der verbotswidrig Zahlende mit einem Verlust bestraft, denn vom Gläubiger war das verauslagte Geld wegen der eingetretenen Tilgungswirkung nicht wiederzuerlangen62 • Diese Verfallsbuße für eine kraß aufdringliche Einmischung ist vom BGB abgeschafft worden. Auf dem Hintergrund des gemeinen Rechts enthält § 684 S. 1 BGB somit eine Grundsatzentscheidung für das Ausgleichsprinzip. Die Vorschrift ist daher keineswegs überflüssig, wie selbst Planck meinte, dem die Aufgabe der Verfallsregel wohl selbstverständlich erschien63 • Sie schließt es entgegen vielen heutigen Ansichten zur aufgedrängten Bereicherung aus, das gleiche Ergebnis durch Interpretation zu gewinnen. Unmittelbar bedeutet § 684 S. 1 BGB, daß die§§ 677 ff. BGB nicht zur abschließenSo zutr. BGHZ 4, 153, 161. F erner unten S. 116 f. Von ihrer Darstellung wir d daher abgesehen. Beispiele: ROHG 20, 54; RGZ 9, 136 (18. 10. 1881, I). 61 C. 2, 18 (19), 24, 1: Sancimus, si contradixerit dominus et eum res suas administrare prohibuerit .. . nullam esse adversus eum contrariam actionem ... licet res bene ab eo gestae sint. Die Fortgeltung der Regel bezeugen Windscheid, Pandekten II § 430 N. 19; Dernburg, Pandekten II 122 N. 8. Anders Oertmann AcP 82 (1894) 367, 495 ff. m. w. Nachw. Heute noch in § 1040 ABGB. 62 Oben Fußn. 8. 63 Planck (2. Aufl. 1900) § 684 Anm. 1; desgl. Brückmann, Die Rechte d. GFoA 221 f. 59

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den Regelung im Verhältnis zu den §§ 812 ff. BGB erklärt werden können (anders z. B. als die §§ 987 ff. BGB). Mit der darin enthaltenen Wertung ist Fikentschers Vorschlag, einem nicht interessegemäß zahlenden Dritten den Rückgriff durch entsprechende Anwendung des § 814 BGB abzuschneiden64, nicht zu vereinbaren. Essers Ansicht, der bewußt interessewidrig tätige Geschäftsführer verliere seinen Erstattungsanspruch nach dieser als zu eng empfundenen Vorschrift, geht an der ratio legis des § 684 S. 1 BGB vorbei65 • IV. Die Tilgung als Voraussetzung des fremden Geschäfts

Der Zahlungsrückgriff aus negotiorum gestio setzte nach gemeinem Recht neben der Interessegemäßheit voraus, daß "im Namen" des Schuldners geleistet wurde. Diese Bezugnahme auf die fremde Schuld und die gemäß § 267 BGB eintretende Tilgungswirkung bilden auch nach geltendem Recht eine notwendige Bedingung dafür, daß eine Zahlung als fremdes Geschäft dem Rechtskreis des Schuldners zugerechnet werden kann66, 67. 1. Die Tilgungsbestimmung grenzt eine Zahlung, die der Schuldner nach § 683 BGB zu erstatten hat, von der Leistung auf ein selbständiges Schuldverhältnis des Zahlenden ab. Wer dem Gläubiger ein Darlehen gibt, um ihm aus einem durch die Säumnis seines Schuldners entstandenen Geldmangel zu helfen, führt ein eigenes Geschäft. Er leistet "gelegentlich" des Bestehens der fremden Schuld und nicht "auf" diese. Fremdes Geschäft ist die Zahlung also, wenn er dem Schuldner Kredit gewährt, eigenes, wenn er dem Empfänger Kredit gewährt. Gleiches gilt für den Fall, daß der Zahlende sein Geld verschenken will: Entweder wendet er es dem Empfänger als Handschenkung zu oder dem Schuldner, indem er dessen Geschäft ohne die Absicht, Ersatz zu verlangen(§ 685 BGB), führt.

Welche der vier Rechtsfolgen eintreten soll, muß durch Rechtsgeschäft der Beteiligten festgelegt werden. Denn die bloße Übergabe der Zahlungsmittel kann als rein faktischer Vorgang nichts darüber aussagen, ob und wem der Betrag in Zukunft wieder erstattet werden soll68. Die Fremdheit des Geschäfts hängt deshalb im Falle der Zahlung fremder Schulden vom Inhalt und Bestand einer Willenserklärung ab 69 • SehR § 99 V 1 a. SehR li § 103 I 4 a. Dagegen zutr. Medicus BürgR § 33 IV 4. Zu § 814 BGB unten S. 208 ff. 66 , 07 So zutr. Selb, Sch