Die Gesamtschuld: Versuch einer begrifflichen Erfassung in drei Typen [1 ed.] 9783428427338, 9783428027330

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Die Gesamtschuld: Versuch einer begrifflichen Erfassung in drei Typen [1 ed.]
 9783428427338, 9783428027330

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Horst Ehmann I Die Gesamtschuld

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 7

Die Gesamtschuld V ersuch einer begrifflichen Erfassung in drei Typen

Von

Dr. Horst Ehrnano

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Alle Rechte vorbehalten

@ 1972 Dunelter & Humblot, BerUn

'1

Gedruckt 1972 bei Bartholdy & Klein, Berlin 65 Priated iD Germeny ISBN 3 ~8 02733 7

Herrn Professor Dr. Hermann Weitnauer in Dankbarkeit zugeeignet

Wer sich vor der Idee scheut. hat auch zuletzt den Begriff nicht mehr.

Goethe•

Vorrede Die Dogmatik des Obligationenrechts ist geprägt vom Einzelschuldverhältnis. Dagegen ist die Problematik der Beteiligung mehrerer Personen auf der Aktiv- und/oder auf der Passivseite eines Schuldverhältnisses im BGB- wie auch in anderen Zivilrechtsbüchern- nur in wenigen Vorschriften und recht unvollkommen geregelt. Auch die wissenschaftliche Behandlung dieser Probleme im Recht des BGB ist bislang von fast stiefmütterlicher Art geblieben. So ist seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 1. 1. 1900 - von einigen Dissertationen abgesehen keine einzige umfassende monographische Arbeit zum Begriff der Gesamtschuld erschienen und auch die Bearbeitung der §§ 421 ff. BGB in den sogenannten modernen Lehrbüchern des Allgemeinen Schuldrechts läßt vieles zu wünschen übrig. Das ist in mehrfacher Hinsicht überraschend. Die Problematik der Korreal- bzw. Solidarobligationen bildete eine der meist diskutierten Streitfragen des gemeinen Rechts. Windscheid sah keine Aussicht, "daß eine Einigung der Meinungen wird erzielt werden"1 und wünschte sich am Ende den Zustand von 1829 zurück, in dem geschrieben werden konnte, "es ist nicht leicht über irgend einen anderen Hauptpunkt des röm. Rechts die Literatur so dürftig, wie über diesen"!. Die in der umfangreichen Diskussion durch die Pandektenwissenschaft aufgeworfenen Strukturprobleme sind durch die gesetzgeberische Regelung des BGB nicht gelöst worden. Zutreffend hat Klingmüller die gesetzgeberische Tat als Pyrrhussieg bezeichnet und verglichen mit dem Kampf des Herkules gegen die lernäische Hydra: "Der Kopf der bloßen Solidarschuld sollte abgeschlagen werden und statt einer sprangen zwei Arten von Solidarität, die echte und unechte, hervor." Auch der juristische Wissenschaftsbetrieb seit Inkrafttreten des BGB hat bislang die Probleme nicht zu bewältigen vermocht, er hat sich vielmehr mit der unklaren Unterscheidung zwischen sogenannten echten und • Zitat aus: "Maxilnen und Reflexionen"; gefunden als Motto vor § 4 "Der Begriff des Rechts" in Gustav Radbruchs Rechtsphilosophie. t Pand. II, § 293 N. 1. 2 Pand. II, § 292 (Literaturübersicht). a JherJb 64 (1914), 34.

8

Vorrede

unechten Gesamtschulden begnügt und die Kriterien der Unterscheidung mit Blankettbegriffen wie "Zweckgemeinschaft", "Tilgungsgemeinschaft" etc. mehr zugedeckt als geklärt. War es im gemeinen Recht in erster Linie das dogmatische Bemühen um eine möglichst perfekte - gemäß dem Gesetz vom Nichtwiderspruch- begriffliche Erfassung des Rechtsstoffes gewesen, das die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Gesamtschuld motivierte, so drängt uns heute in hohem Maße die "Interessenseite" (Heck) zur Lösung der Probleme. In der Welt der modernen Kulturstaaten, in welchen die Menschen immer dichter zusammenrücken, in welchen sich die rechtlichen Beziehungen immer mehr verflechten, werden Einzelschuldverhältnisse- von den kleinen Geschäften des täglichen Lebens einmal abgesehen - mehr und mehr zur statistischen Ausnahme. Die großen Verträge werden nur noch selten von Einzelpersonen abgeschlossen; die auftretenden Personenmehrheiten werden, soweit sie nicht zu einer juristischen Person zusammengeschlossen sind, in jedem eingegangenen Schuldverhältnis Gesamtschuldner. Selbst die Mehrzahl aller Mietverhältnisse werden von Eheleuten "samt und sonders" als gleichgründige Gesamtschuldverhältnisse begründet. In der großen Masse der Straßenverkehrsunfälle entstehen die Schadenersatzansprüche der Geschädigten gegen Fahrer, Halter und Versicherer sowie andere Beteiligte zum Schutze der Geschädigten als Gesamtschuldverhältnisse. Schadensersatzansprüche gegen Architekten und Bauhandwerker aus fehlerhafter Erstellung eines Bauwerks sind ebenso grundsätzlich gesamtschuldnerisch verbunden. Nahezu allen Kreditschuldverhältnissen sind schließlich andere Schuldverhältnisse zur Sicherung (gesamtschuldnerisch) zugeordnet. In einer nicht mehr zu überschauenden Fülle ist daher die praktische Rechtspflege tagtäglich mit Problemen der Gesamtschuld befaßt, ohne sich hierbei auf eine hilfreiche wissenschaftliche Vorarbeit stützen zu können. Dennoch ist es dem Bundesgerichtshof gelungen, in einigen bahnbrechenden Urteilen die Dinge entscheidend nach vorne zu entwickeln. Ich denke hierbei insbesondere an die Architektenentscheidung des Großen Senats vom 1. 2. 1965 (BGHZ 43, 227) und das Urteil des VII. Zivilsenats vom 27.3.1969 (BGHZ 52, 39). In diesem Zusammenhang gesehen war es wohl auch kein Zufall, daß die Anregung zu der vorliegenden Arbeit von einem Mitglied des Bundesgerichtshofs ausging. Herr Senatspräsident Dr. Hauss hat mich bei Gelegenheit eines Vortragsabends der Juristischen Studiengesellschaft auf zwei Urteile in Fällen aus dem Bereich sogenannter Teilungsabkommen aufmerksam gemacht. Der Versuch, die Probleme dieser Entscheidungen in einer Urteilsanmerkung aufzuhellen, scheiterte alsbald an der Unmöglichkeit, die Problematik des Gesamtschuldbegriffs in solchem Rahmen zu behandeln.

Vorrede

9

Die Darstellung uferte demzufolge aus, drängte dann andere, bereits weit gediehene Arbeiten in den Hintergrund und führte schließlich zur vorliegenden Arbeit über den Gesamtschuldbegriff, in welcher die Probleme der Teilungsabkommen nur noch in einer einzigen Fußnote (§ 8 Fußn. 97) gestreift werden. Mein "Vorverständnis" des Gesamtschuldbegriffs war von einem Doppelten geprägt: einer tiefgehenden Unsicherheit bezüglich aller mit der Gesamtschuld zusammenhängenden Probleme, entstanden aus dem in allen Ausbildungsabschnitten fehlgeschlagenen Bemühen, die gebräuchlichen Lehrbuchdarstellungen zu diesem Abschnitt zu verstehen und der im Gegensatz dazu stehenden Sicherheit meines akademischen Lehrers Prof. Dr. Hermann Weitnauer, die dieser aus den Lehren seines Meisters Hugo Kreß gewonnen hatte•. Der K ress'sche Denkansatz, auszugehen von den Zweckbeziehungen zwischen dem Gläubiger und den einzelnen Schuldnern5 - nicht einer "Zweckgemeinschaft" zwischen den Schuldnern- erwies sich in der Tat als überaus fruchtbar. Es zeigte sich, daß dieser Gedanke bereits bei Klingmüller aufgetaucht war, dort aber mangels einer durchgeformten Zweck-(causa-)Lehre nicht tragfähig ausgebildet werden konnte. Klingmüller erlag der Versuchung, das die Gesamtschuld bestimmende Element in einem einheitlichen causa-Begriff zu suchen. Die Verschiedenartigkeit von Gesamtschuldverhältnissen, die aus einem gemeinsamen Schuldversprechen mehrerer (§ 427), aus mehreren zum Ersatz desselben Schadens verpflichtenden Ersatzansprüchen (z. B. § 840), aus gesicherter Forderung und Sicherungsforderung gebildet werden, lassen sich in ihren tatbestandliehen Voraussetzungen nicht mehr mit einem brauchbaren einheitlichen Kriterium erfassen, welches zugleich andere - nicht gesamtschuldnerische Schuldnermehrheiten ausschließt. Dennoch ist das Problem nicht - wie viele schon meinen unlösbar. Das Kress'sche Zwecksystem ermöglicht es, drei Fallgruppen begrifflich genau zu bestimmen und gegeneinander sowie gegen kumulierte Schuldverhältnisse scharf abzugrenzen. Damit ist die Lösung gegeben. Der Aufbau der Darstellung ist somit gleichfalls vorgegeben: Das 1. Kapitel (§§ 1 - 4) gibt eine Darstellung der Strukturprobleme der Gesamtschuld und der in Literatur und Rechtsprechung unternommenen Lösungsversuche. Im 2. Kapitel (§§ 5 und 6) werden die Kriterien entwickelt, aus denen die Lö;mng der Probleme erfolgen soll, d. h. es wird ein neuer Versuch unternommen, den Grundriß einer Lehre vom Zweck der Güterbewegung und des Güterschutzes (causa-Lehre) auf der Basis des Kress4

5

Vgl. den Vortrag im Karlsruher Forum 1970 {noch nicht erschienen). ASchuR, S. 608.

Vorrede

10

sehen Systems darzustellen. Im 3. Kapitel werden sodann die drei Typen von Gesamtschulden: Gleichgründige Gesamtschulden (§ 7), Schutzzweckgesamtschulden (§§ 8- 10) und Sicherungsgesamtschulden (§ 11) im einzelnen dargestellt. Die Arbeit ist entstanden auf Grund einer Anregung der Praxis, ich hoffe daher, daß sie auch für die Praxis nützlich sein wird, gemäß dem Satze, daß nichts praktischer ist als eine gute Theorie. Die dabei betriebene Dogmatik ist nicht schöngeistiger Selbstzweck, sondern soll der Rechtsanwendung dienen, soll eine Hilfe sein für praktisches juristisches Handelne. Rechtsprechung und Literatur sind bis März 1972 berücksichtigt worden. Zu danken habe ich vor allem meinem verehrten akademischen Lehrer Professor Dr. Hermann Weitnauer, der mir die Lehren seines Lehrers Hugo Kress nahegebracht und meine wissenschaftliche Ausbildung, die nach dem Assessorexamen damit erst anfing, mit Geduld gefördert und mit Güte bewacht hat. Dank schulde ich ferner der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg für die in der Zuerkennung eines Preises zum Ausdruck gekommene Anerkennung und Förderung meiner Arbeit. Dank sage ich auch Herrn Professor Dr. Wolfgang Hefermehl und dem Verein der Freunde der Universität Heidelberg für die gewährte Unterstützung. Nicht zuletzt habe ich auch meiner Frau, Landgerichtsrätin Katrin Ehmann-Schultze, zu danken, die neben großer eigener Berufsbelastung die Manuskripte und Fahnen. gelesen, die Register gefertigt und manchen guten Rat beigesteuert hat. Heidelberg, im Juli 1972

Horst Ehmann

1 Vgl. Wieacker, Zur praktischen Leistung der Rechtsdogmatik, in: Hermeneutik und Dialektik, Festschrift für Gadamer, Bd. 2, S. 320.

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel

Strukturanalyse

§

23

EinZeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

I. Die Hauptstrukturen der Gesamtschuldregelung des BGB . . . . . . . .

23

II. Die Angst vor den Rechtsfolgen der Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . .

25

III. Die geschichtliche Entwicklung der Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . .

28

A. Im gemeinen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

1

1. Die Unterscheidung zwischen Korreal- und Solidarobliga-

tionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2. Das Regreßproblem

28

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

3. Einheits- und Mehrheitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

B. Die Gesamtschuld im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

1. Ziel der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

2. Die Entwicklung des Gesamtschuldbegriffs im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3. Die Entdeckung anderer Fälle "unächter Correalität" . . . . . . 40 4. Die Lehren aus der geschichtlichen Entwicklung der Korreal41 schuld IV. Methodologischer Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 V. Das sogenannte Wesen der Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

§

2 Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld . . . . . . . .

48

I. Die Suche nach dem einheitlichen Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

Inhaltsverzeichnis

12

II. Das Merkmal der sogenannten Zweckgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . .

50

1. Die vieldeutige Zauberformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

2. Hilfreiche Krücke der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

3. Die Angst vor dem "falschen" Regreß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

4. Die Zweckgemeinschaft als "quasi-konkretes" Rechtsverhältnis 53 5. Der Bedeutungswandel der "Zweckgemeinschaft" von Enneccerus bis Lebmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 6. Das theoretische Fehlverständnis des Zweckbegriffs

..........

57

7. Das Merkmal "Zweckgemeinschaft" in der Rechtsprechung des RG und des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 III. Das Erfordernis der Gleichstuftgkeit (Gleichrangigkeit) der Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Wieder: Die Angst vor dem "falschen" Regreß . . . . . . . . . . . . . . . .

62

2. Die "Studie" Selbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

3. Die Hilfsregel des § 426 Abs. I Satz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

4. Die Bedeutung des Begriffs "zweistuftge Solidarität" bei Rabel 65 5. Die Bedeutung des Begriffs "Gleichstuftgkeit" bei Rud. Schmidt 66 IV. Das Erfordernis einer sogenannten Tilgungs- bzw. Erfüllungsgemeinschaft 67 1. Allgemeines

67

2. Die Funktion der "wechselseitigen Tilgungsgemeinschaft" a) Abgrenzung der Gesamtschuld zu cessio-legis-Fällen . . . . . . b) Abgrenzung zu Fällen des § 255 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68 68 69

3..Voraussetzung und Funktion der "Tilgungsgemeinschaft" bei Leonhard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4. Die Voraussetzungen der "Tilgungsgemeinschaft" bei Larenz . .

73

5. Das Erfordernis der sogenannten Erfüllungsgemeinschaft (Selb, Frotz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

§

Mittilgung und Regreß als Rechtswirkungen der Gesamtschuld . . . .

79

I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

3

II. Die Mittilgung (§ 422) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Die Auffassung des gemeinen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Das Fortwirken der gemeinrechtlichen Auffassung im Recht des BGB ... . . ... . .. .. . .. . ............ . ..... ... . .. . . . . . .... . . . .. . 81

Inhaltsverzeichnis

13

3. Die Erfüllungslehre und der Obligations- und Zweckbegriff Hartmanns 82 III. Der Regreß (§ 426) .......... . . . .... . . , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Savignys Auffassung

........................................

88

2. Das gemeine Recht und die Motive des BGB-Entwurfs . . . . . . . .

90

3. Die Auffassung zum Recht des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

IV. Die Zusammenschau von Voraussetzungen und Wirkungen der Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Die Gesamtschuld als Sicherungssystem für den Gläubiger . . . .

97

2. Das Schuldnerschutzsystem der Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Regreß als notwendiges Korrelat der Mehrfachverpflichtung .................................................... b) Die Mittilgung als notwendiges Korrelat der Mehrfachverpflichtung . . ... ... . ...... .. . . ..... . . . . .. .. . . .. .. . ... .. . . .. c) Das kommunizierende System der §§ 422, 426 II . . . . . . . . . . . .

98 98 100 102

3. Noch einmal: Das Wesen der Gesamtschuld ........ . ....... .. 102 a) Das Rätsel der soweit-Rege! des § 426 I, 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rechtsnatur der Regeln der§§ 422, 426 BGB ...... ...... aa) § 422 im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Regreßanspruch (§ 426) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die cessio legis (§ 426 II) .............................. §

103 106 107 108 111

4 Zusammenfassung des 1. Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

Zweites Kapitel

Die Kriterien zur Untenmeldung der vendliedenen Sdluld- und Gesamtsdluldverhiltnisse §

118

5 Die uneinheitlichen Gründe für die gesamtschuldnerische Verbindung mehrerer Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

I. Warum entstehen Gesamtschuldverhältnisse? .............. . ..... 118 1. Die Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

2. Klingmüllers Denkansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3. Plan der folgenden Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

Inhaltsverzeichnis

14

11. Warum entstehen Einzelschuldverhältnisse? 1. Allgemeines

122 122

2. Erwerbsansprüche und Schutzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3. Die Zwecke der Erwerbsansprüche (Einführung) . . . . . . . . . . . . . . 123 4. Die Schutzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 III. Warum werden mehrere Einzelschuldverhältnisse zu einem Gesamtschuldverhältnis verbunden? ... .. ....... . ............... . . . ..... 125 1. Die Differenzierung der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

2. Die verschiedenen Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 3. Die verschiedenen Antworten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4. Einige Konsequenzen aus der Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Die verschiedene Art der Beteiligung am Schuldverhältnis . . 128 b) Die verschiedenen Kriterien zur Bestimmung des Innenverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

§

6 GTundriß eineT LehTe vom Zweck deT GüteTbewegung und des GüteTschutzes (causa-LehTe) ................. . ... . ...... . ..... .. 130

I. Einführung

130

1. Die juristische Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

2. Die historische Entwicklung der causa-Lehre (Skizze) . . . . . . . . . . 131 3. Die zeitgenössische causa-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4. Hinweis auf ein "vergessenes" System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 li. Grundprinzipien des Schuldrechts (Thesen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

A. Allgemeines

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

B. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1. Unterscheide Schutz- und Erwerbsansprüche ... :. . . . . . . . . . 135

2. Austausch- und Liberalitätszweck . . . .. . . . .. .. .. ... .. . . .. . 135 3. Handgeschäfte und Versprechensverträge . .. .... . . . ........ 135 4. Versprechensvertrag und Abwicklungsgeschäft .. .. . ..... . . 136 5. Der Zweck als Inhaltsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 6. Die Abwicklungszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 7. Die geschlossene Zahl der Grundformen: Austausch-, Liberalitäts- und Abwicklungszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 8. Alle Zwecke bedürfen der Vereinbarung .. ... .. . . . . . .... . . 136 9. Die Mischung der Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

Inhaltsverzeichnis

15

10. Die Staffelung der Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 11. Der Leistungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 12. Die Abhängigkeit der Rechtsgeschäfte von ihrem Zweck . . . . 137 13. Der Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 III. Motiv und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Die Typisierung der Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

2. Die Zweckvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3. Die historischen Abgrenzungsversuche . .. . . ............... . . . . 141 4. Die normative Abgrenzung durch Typisierung und Vereinbarung 142 IV. Formen, Arten und Zwecke der Güterbewegung ......... ... .. .. . . 144 1. Es gibt Realverträge (Handgeschäfte)

................. . . . . . . . 144

2. Die Zwecke der Leistungsversprechen und die Leistungszwecke 147 3. Typische und atypische Zwecke (Beispiele) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 A. Beispiele: a - m . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 B. Weitere Beispiele: a- i ............. ... .............. ... .. . 151 4. Das Abstraktionsprinzip

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

a) Eine unzulässig vereinfachte Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abstrakte und kausale Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die logische Ableitung der Notwendigkeit des Zwecks der Eigentumsübertragung ......... ..... ................... . d) Die Zerstörung des Systems (Stampe, Boehmer) ..... . .. . .. .

152 155 159 163

V. Erfüllungs- und Rechtsgrundbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Die sogenannte "überwiegende Lehre" ... .. ..... . . .. .. . .... . . . 164

2. Die Erfüllungszweckvereinbarung und ihre Funktion . . . . . . . . . . 164 3. Der Rechtsgrundbegriff bei den Leistungskondiktionen (§ 812 I, 1, 1. Alt. BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 4. Der einheitliche Zweckbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 VI. Der Schutzzweck . .. .. . .. . . .. ... . . . . . . . .... . . . .. . .. . . .. ... . .. ... . 168 VII. Angestaffelte und gemischte Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. Der Begriff "gestaffelter" Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

2. Gesetzliche Vertragstypen mit angestaffeltem Zweck . . . . . . . . . . 172 a) Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Vergleich ................... .. ... . ..... . . . . . .. . .. . . .. .... 172 c) Ausstattung u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

Inhaltsverzeichnis

16

3. Atypische Staffelung von Zwecken (Beispiele a - h)

173

4. Die Staffelung von Schuldverhältnissen ............... . ...... 174

5. Fälle von sogenannter "Zweckerreichung, Zweckfortfall und -Verfehlung" (Esser, Schuldrecht, 2. Aufl. 1960, § 85) . . . . . . . . . . . . 175 6. Die Mischung der Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 VIII. Die Abhängigkeit der Schuldverhältnisse von ihrem Zweck ..... ... 177 1. Abgrenzung: Motiv -

Zweck - Bedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

2. Die Verfehlung des Austauschzwecks a) b) c) d)

. ........... . . . . . . . . . . .. 180

bei Versprechensverträgen ........... . . .. ........... . .... ... bei Verfügungsgeschäften .......... . .. . ............ . . .. .... bei abstrakten Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bei angestaffeltem Austauschzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

181 181 182 182

3. Die Verfehlung des Liberalitätszwecks .. . . .... . ...... . . . . .. ... 183 4. Die Verfehlung von Abwicklungszwecken ... . ............. . . . . . 184 A. Die Abhängigkeit der Erfüllungsgeschäfte von ihrem Zweck . . 184 B. Die Abhängigkeit der Sicherungsgeschäfte von ihrem Zweck. . 185 C. Die Abhängigkeit des Vergleichs von seinem Zweck . . . . . . . . . . 186

5. Die Verfehlung angestaffelter atypischer Zwecke . . . . . . . . . . . . . . 186 6. Die Zwecklehre und das BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

Drittes Kapitel Die drei Gesamtschuldtypen §

7 Die gleichgründige Gesamtschuld (ex eadem causa)

193 193

I. Die begriffliche Entwicklung der gleichgrundigen Gesamtschuld . . 193 1. Der historische Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

2. Die Regelung des BGB (Eisele) . . ... . . ... ..... .. ..... . .. . ..... . 194 3. Die Regelung des BGB (Enneccerus) .. . . . . ...... . ... . . . . . . . . .. 195 II. Der Tatbestand der gleichgründigen Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Identität von Zweck und Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

2. §§ 427, 431: Auslegungsregeln oder dispositive Vorschriften? . . . . 198 3. Der Grund der gesamtschuldnerischen Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . 198 4. Die Bedeutung des Grundes der gesamtschuldnerischen Bindung im Außenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

Inhaltsverzeichnis

17

5. Die Bedeutung des Grundes der gesamtschuldnerischen Bindung im Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 6. Miterfüllung und cessio-legis (§§ 422, 426 Il) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 7. Unteilbare Leistungen(§ 431) ......... . . . . .. ................ .. . 203 8. Abwicklungsverbindlichkeiten und Schadensersatzverbindlichkeiten aus einem gemeinsamen Vertrag . . . ............... . . . . .. 206 9. Abgrenzungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Gesamtschuld und kumulierte Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . 209 b) Gleichgründige und Sicherungsgesamtschulden .. . ......... . . 210 III. Der besondere "Rechtsfolgerahmen" der gleichgründigen Gesamtschuld ............... ... ................................ .. . . .. .. 211 1. Mittilgung und Regreß (§§ 422, 426) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

2. Erlaß (§ 423) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Gläubigerverzug

....................................... . .... 211

4. Die Wirkungen anderer Tatsachen (§ 425) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 5. Die Verschiedenartigkeit und Selbständigkeit der verbundenen Einzelforderungen ( Schuldverhältnisse im engeren Sinne) . . . . 213 a) Bedingungen u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Die sogenannten Rechtswohltaten der Teilung und Vorausklage ... . . ..... .. .... . . . . . . . ..... . . . . ... .. . . . . ... .. . . .. .. 213

=

§

8 Schu.tzzweckgesamtschu.lden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 I. Die begriffliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

1. Von der Straf- zur Schutzfunktion der Schadensersatzverpflichtung (keine Mehrfachentschädigung bei mehreren Schädigern) .. 214

2. Der Gläubigervorteil der gesamtschuldnerischen Bindung der Schutzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 a) Die Mithaftung jedes Gesamtschuldners für die Tatbeiträge der anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 b) Die Möglichkeit der Teilhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3. Der anteilsmäßige Regreß als notwendiges Korrelat der vollen Haftung im Außenverhältnis . . . .. . .. . . . . . . . . . .. . .. . . . .. . . . . .. . 217 a) b) c) d) 2 Ehmann

Regreß als ausgleichende Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maßstab des Regresses(§ 254) . ..... ... ..... . ............... Keine Gesamtschuld ohne Regreß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesamtschuld und Vorteilsausgleichung . . . .................

217 218 220 220

18

Inhaltsverzeichnis 4. Die Verallgemeinerung des Gedankens der §§ 830, 840, 421 ff. . . . . 222 a) Die Verkennung des Schutzzwecks ..... . ...... . ... . . . ... . ... b) Die "Krücke" der Analogie und der "Zweckgemeinschaft" . . . . aa) RGZ 77, 317 ................ .... . . . .............. . . .. . bb) BGHZ 43, 227 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) v. Caemmerer und BGHZ 52, 39 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) BGHZ 51, 278 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ansprüche mit "gemeinsamem Schutzzweck" (Lehmann) "Erfolgsschulden" (Leonhard) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Dilchers Kausalansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

222 223 223 223 225 226 226 227

II. Der Tatbestand der Schutzzweck-Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. Die verschiedenen Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Mehrere Deliktsschuldner (§ 840) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutzansprüche aus Gefährdungshaftungstatbeständen . ... c) Schutzansprüche aus Verträgen (positiver Forderungsverletzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schutzversprechen und deliktische Schadensersatzansprüche e) Schadensersatzansprüche und fiktive Gegenleistungsansprüche f) Sonstige Schutzzweckgesamtschulden kraft gesetzlicher Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

230 230 231 233 236 237

2. Der Grund der gesamtschuldnerischen Bindung bei den Schutzzweck-Gesamtschulden und seine Bedeutung im Außen- und Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 III. Der besondere Rechtsfolgerahmen der Schutzzweck-Gesamtschuld . . 241 1. Mittilgung und Regreß (§ 422, 426)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

2. Der Erlaß (§ 423) . .. . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 242 a) Die sogenannte Einzelwirkung des Erlasses (§ 423) . . . . . . . . . . b) Haftungsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesetzlich gestörter Gesamtschuldnerausgleich . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Entscheidung BGHZ 51, 37 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) diligentia quam in suis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Vergleich(§ 779) . . . .......... .. .. . .. ... .. .............

242 244 245 245 246 249 250

3. Der Gläubigerverzug (§ 424) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 4. Die Wirkung anderer Tatsachen (§ 425) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

Inhaltsverzeichnis §

9

19

Schutzzweckgesamtschulden. Fortsetzung I : Lohnfortzahlung und Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

I. Die Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

II. Die Rechtsnatur des Lohnfortzahlungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Der "verschleiernde Wortlaut" (Sieg) des§ 616 II ........... .. . . . 254

2. Sieberts Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 3. Selbs Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 4. Schutzzweck mit angestaffeltem Austauschzweck . . . . . . . . . . . . . . 256 111. Kein Schaden infolge Lohnfortzahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Die Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

2. Der Zeitpunkt der Entstehung des Schadensersatzanspruchs . . . . 262 3. Die Fehlentwicklung der reichsgerichtliehen Rechtsprechung zum Begriff des Schadens . . ................ . .. ·. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Die Rechtslage vor den Lohnfortzahlungsanteilen des BGH . . b) Die Fehlentscheidung RGZ 64, 350 zur Vermeidung einer "Doppelentschädigung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Regreßerschwerung durch die Begründung (kein Schaden) der Fehlentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die erste Regreßentscheidung des RG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) § 12 Abs. 3 TOA und die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

264 265 267 267 268

4. Die Entscheidung BGHZ 7, 30 ff. . . . . . . . .. . . . .. . . . ..... . ....... 269 a) Die Argumente des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 b) Die Kritik an BGHZ 7, 30 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 5. Der sogenannte normative Schadensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 6. Die Vorteilsausgleichung bei Drittleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 a) Schadensentstehung und Schadensbeseitigung . . . . . . . . . . . . . . b) Kausaler Vorteil und zweckbestimmte Zuwendung (Leistung) aa) Oertmanns Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Vordrängen der Adäquanzformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Rechtsprechung des RG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Cantzlers Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Thieles Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Durchbruch des Zweckgedankens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die verschiedenen Zwecke der Drittleistungen . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

275 277 278 279 279 282 284 285 286 287 290

Inhaltsverzeichnis

20

IV. Doppelentschädigung oder Schuldnerausgleich? . ................ ... 290 1. cessio-legis-Fälle

.. .. ............... . .. ... .... . .... . ......... 291

2. Doppelentschädigungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 3. Leistungen und Leistungsversprechen nach dem Schadensfall . . a) Schenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Drittleistung gemäß § 267 .......... .. .. . ............ , ... . . . c) Schadensausgleich unter Regreßvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Andere Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

296 296 296 296 297

4. Die Regreßkonstruktion bei Lohnfortzahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . 298 a) b) c) d)

Drittschadensliquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 683) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bereicherungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zessionskonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

299 300 300 301

§ 10 Schutzzweckgesamtschulden. Fortsetzung II: Unterhalts- und Scha302 densersatzpfiichten

I. Das Problem II. Materialien zu § 843 IV BGB

302

= § 723 II E 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

303

1. Die Regel des § 723 II E 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

2. Die Regel des § 726 I, 4 E 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 3. Die Zusammenfassung von § 723 II und § 726 I, 4 E 1 . . . . . . . . . . . . 307 4. Die Materialien zum Problem der compensatio lucri et damni im Hinblick auf Unterhaltsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 III. Die Entwicklung des Schadensproblems durch Wissenschaft und Praxis .. . ............ .. . .. ...................................... 309 1. Die Linie des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309

2. Der Umschwung mit BGHZ 7, 30 ff.. . . . .. . .. .. .. ... ... ... .... . . 311 IV. Die Regreßmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 1. Rabel: Ausbau oder Verwischung des Systems .............. .. . . 315

2. Die sogenannte moderne Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 3. Die Zessionskonstruktion (Abtretung und Gesamtschuld) . . . . . . . . 319 a) Die allgemeine Meinung: Abtretungskonstruktion . ... .. .. .. 319 b) Gesamtschuldlösung .... .. . . ............... . . .. . . . . .. . .... 319

Inhaltsverzeichnis

21

V. Feststellungsklage und Verjährung ..... . . . ... ................. .. 321 1. Die Feststellungsklage des eventuell Regreßberechtigten . . . . . . . . 321

2. Die Verjährungsfrage . . ....... . ...... . .... . .. . ... . . .. . .. ..... 322

§ 11 Sicherungsgesamtschulden ................ . . . .... . ........... . . . 322 I. Die historische und begriffliche Entwicklung des rechtlich wirksamen Versprechens und seiner Sicherung . . . . . . . . ......... . ..... . 322 1. Die "persönlichen" Schulden (Obligationen, Bürgschaften) .. . . .. 322

2. Die Pfandrechte ("dingliche Schulden", Realobligationen, Verwertungsrechte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 3. Die Korrealobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 II. Der Tatbestand der Sicherungsgesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 1. Die verschiedenen Fallgruppen .... .... . . ... . . . ............. . .. 332 a) b) c) d) e)

Uberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schuldmitübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abstrakte Sicherungsversprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die dinglichen "Verwertungsrechte" (Pfandrecht, Hypothek, Grundschuld) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Sicherungsübereignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Mehrere Verpfänder und andere Sicherungsgeber . . . . . . . . . . . . aa) Mehrere Verpfänder (§ 1222) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gesamthypothek (§ 1132) ...... . . . . ............. . ...... cc) Bürgen und Verpfänder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Sicherungsgesamtschulden kraft gesetzlicher Anordnung (Mitbürgschaft u. a.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mitbürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fälle gesetzlicher Bürgschaft und Schuldmitübernahme ..

332 333 336 337 342 348 351 351 352 353 354 355 356

2. Der Sicherungszweck als Grund der gesamtschuldnerischen Bindung . . .. . ............... . . . .. ... . . .. . . . .. . .... .. . . . .. .. . ... . 357 3. Abgrenzungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 a) Sicherungsgesamtschuld und gleichgrundige Gesamtschuld . . 358 b) Sicherungs- und Schutzzweckgesamtschuld ... ..... .. . . . .. . .. 359

22

Inhaltsverzeichnis

III. Der besondere Rechtsfolgerahmen der Sicherungsgesamtschuld

360

1. Mittilgung und Regreß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360

a) Der Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 b) Abweichende Vereinbarungen .......... . .... . ... . ... . ... ... 360 c) BGHZ 46, 14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 2. Erlaß (§ 423) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 a) Erlaß der gesicherten Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erlaß der sichernden Schuld . . ...... ... ...... . ... ....... . . .. aa) Wirkung gegenüber dem Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wirkung gegenüber den Mitschuldnern . . . . . . . . . . . . . . . . . .

363 363 363 364

3. Gläubigerverzug (§ 424) ........... ... . . . . ........... .. . . .... . 365 4. Wirkung anderer Tatsachen (§ 425) .. . . .. ....... . .. . .. ...... .. . 366

Abkürzungs- und Sdlriftturnsverzeidlnis

367

Entsdleidungsverzeidlnis

378

Sadlverzeidlnis

385

Erstes Kapitel

Strukturanalyse § 1 Einleitung I. Die Hauptstrukturen der Gesamtschuldregelung des BGB Sind mindestens zwei Personen (Schuldner) einem Dritten (Gläubiger) zu einer Leistung derart verpflichtet, daß jeder der Schuldner die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, aber der Gläubiger die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist, so nennt§ 421 BGB eine derartige Rechtsfigur "Gesamtschuldverhältnis". Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen mehrere Schuldner einem Gläubiger in solcher Weise (gesamtschuldnerisch) verpflichtet sind, enthält das BGB keinen Rechtssatz, .der ein allgemeines, einheitliches Prinzip aufstellt. Das Gesetz begnügt sich mit zahlreichen Einzelbestimmungen (z. B. §§ 427, 769, 840, 1833 II u. a.), bei denen jeweils zweifelhaft und streitig ist, inwieweit sie ein allgemeines Prinzip enthalten, erweitert ausgelegt oder analog angewendet werden dürfen. Auch läßt die Regelung der §§ 421 ff. offen, wie im Innenverhältnis zwischen den Gesamtschuldnern die Last der geschuldeten Leistung zu verteilen ist; § 426 enthält nur eine HilfsregeP: "Die Gesamtschuldner sind im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist." Die anderweitige Bestimmung kann kraft Rechtsgeschäfts oder kraft Gesetzes erfolgen oder sich aus jedem anderen Rechtssatz ergeben2 • Die Bestimmung des Beteiligungsverhältnisses an der gemeinsamen Schuld kann im Innenverhältnis auf jeden beliebigen Wert zwischen Null und Eins lauten3 • 1 Die Hilfsregel ist je nach der Natur des Gesamtschuldverhältnisses Auslegungsregeloder dispositives Recht; über den Unterschied vgl. v. Tuhr, AT II,

1, 8.188.

1 Rabel (Ausbau oder Verwischung des Systems?- erstmals erschienen in RheinZ 10 (1919/1920), S. 89 ff.; neu abgedruckt in Ges. Aufsätze, Bd. I, S. 309 ff.) sagt (S. 323 aaO), die Bestimmung brauche nicht durch einen formulierten Gesetzestext zu erfolgen, sondern könne durch alle der "Rechtsordnung innewohnenden Rechtssätze" geschehen. Vgl. auch RGZ 61, 60. 3 So zutreffend Weitnauer, Karlsruher Forum 1970 (noch nicht erschienen); Börnsen (S. 76) formuliert: "Der Ausgleichsmechanismus, der von keinerlei Ausgleich bis zum vollen Regreß reicht, ..."

24

§ 1 Einleitung

Die Abwicklung eines Gesamtschuldverhältnisses, d. h. eines Schuldverhältnisses, durch welches mehrere verpflichtet sind, ohne Rücksicht auf ihren Anteil die ganze Leistung zu bewirken, der Gläubiger die Leistung aber nur einmal erhalten soll, schafft notwendigerweise zwei juristische Probleme: (1) Wie verhindert man, daß der Gläubiger die ihm nur einmal gebührende Leistung mehrfach fordert und erhält? (2) Wie erhält der Schuldner, der über seinen Anteil hinaus geleistet hat, den notwendigen Ausgleich? Das BGB hat diese Probleme auf einfachste Weise gelöst. Soweit ein Gesamtschuldner die gegen ihn gerichtete Forderung erfüllt, w irkt diese Erfüllung dem Gläubiger gegenüber4 auch für die übrigen Schuldner (§ 422). Das soll nach allgemeiner Meinung nicht heißen, daß gemäß § 422 mit der Erfüllung durch S 1 auch die Forderungen des Gläubigers gegen S 2, S 3 usw. i. S. des§ 3'62 erfüllt werden5 ; es bedeutet vielmehr nur, daß die Erfüllungsleistung des S 1 auch die übrigen Schuldner dem Gläubiger gegenüber in Höhe der erbrachten Leistung befreit. Ohne Widerspruch6 kann danach erklärt werden, daß nach§ 426 II die Forderungen des Gläubigers gegen die übrigen Schuldner, soweit die Leistung des S 1 über seinen Anteil hinausging, zur Sicherung des Ausgleichsanspruchs aus § 426 I aufS 1 übergehen. Damit ist auch die Lösung des zweiten Problems bereits angesprochen: Jeder Gesamtschuldner hat gegen seine Mitschuldner kraft Gesetzes (§ 426 I) einen Anspruch auf Mitwirkung an der Tilgung der gemeinsamen Schuld gemäß den jeweiligen Anteilen an der Schuld; bei überanteiligem Leistungsverlangen des Gläubigers gegenüber einem Schuldner entsteht daraus für diesen ein Befreiungsanspruch gemäß dem Anteilsverhältnis gegen die Mitschuldner; nach überanteiliger7 Zahlung ver• Seit Leonhard (ASchuR, Bd. I, § 365, S. 731) versucht man, den gesetzlichen Forderungsübergang gemäß § 426 II mit § 422 durch die Erklärung zu harmonisieren, die Erfüllung gemäß § 422 wirke nur dem Gläubiger, nicht aber dem regreßberechtigten Mitschuldner gegenüber. Ebenso Oertmann, § 426, Anm. 4 f.; vgl. ferner v . Tuhr, AT I, S. 280, Fußn. 41; weitere Nachweise bei HHlenkamp, S. 57 Fußn. 3. Näheres vgl. unten § 3, IV, insbes. 2 c. 5 Nur Selb (Studie, S. 17) und Frotz (JZ 64, 685 und NJW 65, 1260) fordern neuerdings eine Erfüllungsgemeinschaft der Schuldner als Voraussetzung einer Gesamtschuld; vgl. unten§ 2 IV, 5. 8 Demgegenüber meinte v . Tuhr (AT I, S. 280 Fußn. 41), der Ubergang der Forderung auf den zahlenden Gesamtschuldner oder Bürgen sei eine Reminiszenz an die römische cessio actionum und passe nicht in die Struktur des Rechts des BGB. Keine Konstruktionskünste (vgl. Oertmann § 426, 4 d) könnten über den Widerspruch hinweghelfen, daß die Forderung des Gläubigers erloschen ist und dennoch übergehen soll. Vgl. dazu unten§ 3 IV, 2, b. 7 Kreß, ASchuR, S. 613 Fußn. 33; nach BGHZ 23, 361 soll ein Mitbürge Ausgleichung auch dann verlangen können, wenn seine Zahlung den Betrag nicht übersteigt, der auf ihn im Verhältnis der Mitbürgen untereinander bei voller

II. Die Angst vor den Rechtsfolgen der Gesamtschuld

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wandelt sich der Befreiungsanspruch in einen Ausgleichsanspruch, der durch den gesetzlichen Forderungsübergang nach § 426 II, auch mit der Folge des§ 401, noch verstärkt wird.

11. Die Angst vor den Rechtsfolgen der Gesamtschuld Die Angst vor der Gesamtschuld beherrscht nicht nur die Studenten der Jurisprudenz; vielmehr ist sie unbewältigter Juristenkomplex seit vielen Generationeh. Am Anfang war es die Angst, der Gläubiger könnte von den mehreren Schuldnern das doppelt erhalten, was ihm nur einmal gebührt; davor schützt richtig verstanden die Regel des§ 422. Dann war es die Angst, der eigentlich letztlich nicht Verantwortliche könnte "auf dem Schaden sitzen bleiben"; davor schützt richtig verstanden die Regel des § 426 I. Aber durch diese Regeln sind neue Ängste geschaffen worden, welche die Diskussion der neueren Literatur beherrschen und in einer doppelten Gefahr begründet sind: (1) Die Leistung des im Innenverhältnis letztlich nicht Verpflichteten könnte auch den anderen, letztlich Verpflichteten befreien(§ 422); (2) Der im Innenverhältnis letztlich Verpflichtete könnte einen Aus-' gleichsanspruch auf den gleichen Anteil (§ 426 I, 1) gegen den anderen im Innenverhältnis freizustellenden Schuldner erwerben. Die Angst vor solchen "Ungerechtigkeiten'' beherrscht die Diskussion um den Gesamtschuldbegriff, ohne daß aber die wenigstens teilweise durchaus berechtigten Gründe der Besorgnis immer hinreichend klar zum Ausdruck gebracht würden. Weil man das System der§§ 422, 426 verkennt, weil man nicht weiß, wie man die "unbillige" Befreiung des "letztlich Verantwortlichen" oder den "Regreß in der falschen Richtung" bei Annahme einer Gesamtschuld vermeiden kann, wird die "Verteidigungslinie" vorverlegt und mit begriffsjuristischen Argumenten (mangels "Zweckgemeinschaft", "Tilgungsgemeinschaft" o. ä.) das Vorliegen einer Gesamtschuld verneint. In der gesetzlichen Regelung ist - wie gesagt offen geblieben, ob und inwieweit bei der Leistung eines Gesamtschuldners die Forderung gegen die anderen erlischt (§ 422) bzw. auf den Leistenden übergeht (§ 42'6 II). Sie erlischt, soweit sie nicht übergeht, und sie geht über, soweit sie nicht erlischt. Das scheint dem Unvoreingenommenen zunächst klar'!; aber die Bestimmung des Maßes von Erlöschen und Forderungsübergang blieb offen; auch eine Methode zur Bestimmung dieses Maßes wurde nicht angegeben. Es ist nur eine Vermutung aufgestellt: Inanspruchnahme der Bürgschaft entfallen würde. Der BGH begründet seine Entscheidung mit der Besonderheit der Bürgenstellung; vgl. auch Prediger, NJW 70, 125 bes. Fußn. 10; Näheres dazu unten,§ 11, Fußn. 187. s Vgl. aber oben Fußn. 6.

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§

1 Einleitung

"Die Gesamtschuldner sind im Verhältnis zueinander zu gleichen Teilen verpftichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist" (§ 426 I, 1). Wenn nun angenommen wird, daß diese anderweitige Bestimmung nur kraft Gesetzes oder kraft rechtsgeschäftlicher Vereinbarung zwischen den mehreren Schuldnern erfolgen kann, so entsteht in der Tat die Gefahr, daß mangels einer gesetzlichen Bestimmung (etwa§§ 840 II und III, 774) oder mangels ausdrücklicher oder auch stillschweigender Vereinbarung zwischen den Schuldnern (etwa zwischen Brandstifter und Kirchenbaulastpfiichtigem) der letztlich Verpflichtete durch Leistung des anderen zur Hälfte (bei zwei Gesamtschuldnern) frei wird9 oder der letztlich Verpflichtete (bei zwei Gesamtschuldnern) einen Ausgleichsanspruch gegen den anderen erwirbt10• Diese Problemstellung war einer der gedanklichen Ansätze für die Unterscheidung von echten und unechten Gesamtschulden; mangels einer "Zweckgemeinschaft" unter den Schuldnern, woraus sich das Maß der internen Beteiligung ergeben sollte, sollte § 426 nicht anwendbar sein, eine unechte Gesamtschuld vorliegen11 • Diese Problemstellung ist ferner der Ansatz für die in der neueren Literatur verwendeten Formeln von der Notwendigkeit gleichstufigeT bzw. gleichrangiger Verpflichtungen und dem nahezu synonymen11 Postulat der wechselseitigen Tilgungsgemeinschaft 13• Eine Gesamtschuld soll nach dieser Auffassung des neueren Schrifttums nur vorliegen, wenn die zusammentreffenden Verpflichtungen "gleichstufig" oder "gleichrangig" sind, weil nur dann die Leistung des "ferner Stehenden" dem "näher Stehenden" nicht "zugute kommt", weil nur dann die Forderung des Gläubigers gegen den "ferner Stehenden" bei Leistungen des "näher Stehenden" nicht auf letzteren übergeht. Denn die Bestimmung des§ 422 soll in den Gesamtschuldbegriff hineingenommen werden14• Was unter "Gleichstufigkeit" oder "Gleichrangigkeit" zu verstehen ist, soll freilich mit einer einfachen Formel nicht zu beantworten sein15• Vgl. Larenz, SchuR I,§ 37 I, S. 435; ferner Rud. Schmidt, JherJb 72, 54. Vgl. Leonhard, SchuR I, S. 737 und unten um Fußn. 18. 11 Ähnlich Leonhard (SchuR I, S. 738): Was die Unterscheidung zwischen echten und unechten Gesamtschulden veranlaßt hat, "war zum Teil die eben besprochene unbegründete Besorgnis, daß man sonst zu unhaltbaren Ausgleichsansprüchen gelangen würde". Freilich wurde meist umgekehrt argumentiert: Weil eine unechte Gesamtschuld vorliegt, sei § 426 nicht anwendbar; eine unechte Gesamtschuld wurde angenommen, wenn die Verbindlichkeit nicht demselben materiellen Rechtsgrunde entstammten, später (nach Enneccerus) mangels einer "Zweckgemeinschaft" zwischen den Schuldnern. 12 Weil doch wohl bei gleichstufigen Verpftichtungen die Leistungen der Schuldner wechselseitig tilgend wirken. 11 Vgl. auch Rud. Schmidt, JherJb 72, 15. 14 So Selb, Studie, S. 17; Larenz, SchuR I, § 37 I, S. 433. 15 So Larenz, SchuR I, S. 435. 1

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Il. Die Angst vor den Rechtsfolgen der Gesamtschuld

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Jedenfalls soll eine Gesamtschuld dort angenommen werden, wo das Gesetz dies ausdrücklich anordnet, auch dann, wenn im Verhältnis der Gesamtschuldner untereinander "ausnahmsweise nur einer von ihnen allein verpflichtet ist". Larenz nennt dazu die Fälle der§§ 427, 431, 769, 840, 2058 18• Wo das Gesetz dagegen eine cessio legis anordnet oder ein Anspruch auf Abtretung gegeben ist, soll mangels Gleichstufigkeit keine Gesamtschuld vorliegen. Dieser logische salto mortale läuft auf die Feststellung hinaus, eine Gesamtschuld liege wegen der gesetzlich besonders angeordneten cessio legis und der darin liegenden Vemeinung der Gleichstufigkeit da nicht vor, wo eine Verbindung von Schulden vorliegt, deren Rechtsfolge eine spezielle cessio legis ist, die den allgemeinen Tatbestand des § 426 modifiziert und die Hilfsregel des § 426 I, 1 ausfüllt17. Der innere Zwang zu solchem Widerspruch, der eine Gesamtschuld leugnet, wo sogar ein gesetzlicher Spezialtatbestand (z. B. § 67 VVG) den Ausgleich anordnet, läßt sich nur erklären aus der Angst, der Deliktstäter könnte, wenn er zuerst zahlt, aus § 426 einen Ausgleichsanspruch auf die Hälfte gegen den Versicherer haben18• Der naheliegende Gedanke, daß durch die Anordnung der cessio legis eben etwas "anderes bestimmt ist" i. S. des § 426 I, wird nicht erfaßt. Ebenso wird eine Gesamtschuld geleugnet zwischen Kirchenbaulastpfiichtigem und Brandstifter aus Angst, die Leistung des Fiskus könnte dem Brandstifter "zugute kommen", was heißen soll, ihn befreien (§ 422): "Im Dombrand-Fall (oben § 32 II a E} ist die Gleichstuflgkeit der Verpflichtungen des Schädigers und des Kirchenbaulastpfl.ichtigen und damit ein Gesamtschuldverhältnis unter ihnen deshalb zu verneinen, weil es nicht i. S. der Obernahme der Kirchenbaulastpflicht durch den Staat gelegen sein konnte, damit einen evtl. Schädiger zu entlasten. Dieser bleibt endgültig zur Schadenstragung verpflichtet, der kirchenbaulastpftichtige Fiskus braucht nur in Vorlage zu treten... " Daß der Übergang der Schadensforderung gegen den Brandstifter auf den Fiskus gemäß § 42'6 II den einfachsten Regreßweg schafft, ohne Denaturierung des Instituts der GoA, wird einfach übersehen. 18 § 427 ist nun allerdings sicherlich kein Fall einer gesetzlichen Gesamtschuld, sondern eine Gesamtschuld kraft rechtsgeschäftlicher Vereinbarung; in § 427 ist kraft Gesetzes nur angeordnet, daß im Zweifel auch bei teilbaren Leistungen entgegen der Regel des § 420 Gesamtschulden vorliegen, wenn mehrere sich gemeinschaftlich verpflichtet haben. Im Gegensatz hierzu mußte im römischen und im gemeinen Recht die korreale Haftung der mehreren Schuldner ausdrücklich versprochen werden, war also nicht zu vermuten; vgl. unten III, A, 1 um Fußn. 26. 17 Ähnlich schon Rud. Schmidt (JherJb 72, 55) gegen Enneccerus (li, S. 265 Fußn. 13}; vgl. auch Hillenkamp, S. 52 Fußn. 2, S. 58 Fußn. 3 und die dort Genannten. 18 Leonhard (SchuR I, S. 737) : "Aber um diesen ganz unmöglichen Anspruch abzuwehren, dazu brauchte man wahrhaftig nicht eine solche neue Lehre aufzustellen." 1' So Laren;z;, SchuR I, § 37 I, S. 435.

§ 1 Einleitung

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Das Bild von der Gleichstufigkeit der Verbindlichkeiten, das zuerst von Rud. Schmidt in einem ganz anderen Sinne gebraucht wurde2°, ist im .sogenannten modernen Schrifttum ohne Beachtung der Konsequenzen zum Rechtsbegriff hochstilisiert worden, aus welchem dann in einem "quasi-logischen" Prozeß Folgerungen abgeleitet werden, deren Ergebnisse nicht anders als von zufälliger Natur sein können. Im einzelnen wird das unten20 näher dargelegt werden. Hier war einleitend nur zu zeigen, daß die Angst vor einem Regreß "in der falschen Richtung" bzw. einer nicht gerechtfertigten Befreiung des letztlich Verantwortlichen, die begründet ist in der Unsicherheit darüber, wodurch bestimmt ist, wer zu welchem Anteil den Schaden letztlich zu tragen hat, das entscheidende Motiv für alle Versuche einer weitgehenden Einengung des Gesamtschuldbegriffs gewesen ist. Diese "befangene" Entwicklung des Gesamtschuldbegriffs macht die der Wissenschaft gestellte Aufgabe, der sich der Gesetzgeber durch die Formulierung der §§ 421, 426 entzogen hat, deutlich: ein brauchbarer Gesamtschuldbegriff muß u. a. zugleich Aufschluß geben, nach welchen Kriterien die interne Schuldbeteiligung der Gesamtschuldner zu bemessen ist; nur dann kann nämlich auch gesagt werden, in welchem Umfang die Leistung eines Gesamtschuldners die Forderung gegen die anderen tilgt bzw. auf den Leistenden überleitet. Diese Aufgabe ist hier gestellt und soll gelöst werden. 111. Die geschichtliche Entwicklung der Gesamtschuld A. Im gemeinen Recht

Das gemeine Recht kannte keinen einheitlichen Begriff der Gesamtschuld, sondern unterschied zwischen Korrealobligationen und Solidarobligationen21. Insbesondere drei Streitfragen aus dem Problemkomplex, die auch heute noch Bedeutung haben, sind zu nennen: (1) die Unterscheidung zwischenKorreal-und Solidarobligationen; (2) das Regreßproblem; (3) der Streit zwischen Einheits- und Mehrheitstheorie.

1. Die Unterscheidung vonKorreal-und Solidarobligationen Die vom BGB aufgegebene Unterscheidung von Korreal- und Solidarobligationen war schon im gemeinen Recht umstritten22• Der Grund für zo Vgl. unten§ 2, III, 5. 21

zz

Vgl. die Literaturübersicht bei Windscheid, Pand. II, Noten zu §§ 292 ff. Vgl. Mot. II, 154 = Mugdan II, 85.

111. Die geschichtliche Entwicklung der Gesamtschuld

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die Unterscheidung lag allgemein gesagt darin, daß man einige für die Korrealobligationen angeordnete Rechtsfolgen für die Solidarobligationen nicht gelten lassen wollte23; dabei ging es vor allem um die Wirkung der Litiskontestation24 und anderer Schuldtilgungs- und Schuldveränderungsgründe als der Erfüllung und der Erfüllungssurrogate für die übrigen Mitschuldner25• Als Korrealobligationen galten insbesondere die durch einen gemeinsamen Vertrag "zwischen Allen" abgeschlossenen Rechtsbeziehungen eines Gläubigers mit mehreren Schuldnern, aber auch gesetzliche Korrealobligationen wurden anerkannt28 • Als Hauptfall "des bloß solidarischen Rechtsverhältnisses" bezeichnete

Windscheid den, "wo mehrere auf Ersatz eines und desselben Schadens

haften, aus unerlaubtem Verhalten, oder aus Vertrag, oder aus sonstigem Grunde; aber es ist nicht der einzige Fall"27 • Letztlich ist die Abgrenzung von Korreal- und Solidarobligationen nie geklärt worden. Der Grund für das Scheitern dieser Bemühungen wird heute in dem "Trümmerfeld" der Quellen gesehen, welches durch die Interpolationen infolge der justinianischen Gesetze entstanden ist28 • Deswegen war es richtig und gut, daß die Gesetzgeber des BGB entgegen dem Stand der herrschenden Meinung ihrer Zeit diese Unterscheidung aufgegeben haben21 • Das hinter den verschiedenen Bezeichnungen Vgl. Savigny, OR I,§ 20, S. 197 ff. Vgl. Windscheid, Pand. li, § 298 N. 3 und insbes. Eisele, AcP 77, 374 ff. (458). 25 Vgl. Windscheid, Pand. li, § 298 N. 4, 5, 6, 7; Eisele, AcP 77, 480; PlanckSiber, Vorbem.1 b vor§ 420, S. 618. n Windscheid (Pand. li, § 297) gab folgenden Überblick über die Entstehungsgründe einer Korrealobligation: "1. Vertrag. a) Es wird ein Vertrag zwischen Mehreren abgeschlossen - ein und derselbe Vertrag zwischen Allen, nicht für jeden Centrahenten ein besonderer. Dabei wird aber die ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung abgegeben, daß die durch den Vertrag begründete Obligation für alle Cantrahenten ungetheilt bestehen solle. Oder b) es wird ein Vertrag dahin geschlossen, daß in eine durch eine andere Thatsache begründete Obligation ein neuer Gläubiger oder Schuldner hineintreten solle. 2. Letztwillige Verfügung. Auch hier ist erforderlich die Erklärung des Willens, daß jeder der Bedachten oder Beschwerten ungetheilt Gläubiger oder Schuldner sein solle. 3. Das gleiche gilt auch für die richterliche Verfügung. 4. Gesetzliche Bestimmung. Unmittelbar durch gesetzliche Bestimmung tritt eine Cerrealobligation ein in Folge der Erstreckung der Verbindlichkeit der Gewaltunterworfenen auf den Gewalthaber und in den analogen Fällen. Ferner stehen in einer gesetzlichen Cerrealverbindlichkeit die mehreren Eigenthümer eines Schaden anrichtenden Thieres." Weitere Erläuterungen geben die Noten 1 a- 8 zu diesen Textausführungen 23 24

Windscheids. ! 7 So Windscheid, Pand. li, § 298 um N. 15-18 m. w. N. Ahnlieh schon Savigny (OR I, § 21, S. 209 ff.), der diese Gruppe als Fälle "unächter Correalität"

bezeichnete. !B Vgl. unten§ 1 111, B, 2. 21 Vgl. die Begründung in Mot. II, 154 = Mugdan II, 85.

30

§ 1 Einleitung

steckende Problem der unterschiedlichen Strukturenao der als Korrealund Solidarobligation eingeordneten Fälle ist mit der Abschaffung der verschiedenen Bezeichnungen selbstverständlich nicht gelöst worden. Bald nach lokrafttreten des BGB hat Klingmüller31 die gesetzgeberische Tat als Pyrrhussieg bezeichnet und verglichen mit dem Kampf des Herkules gegen die lernäische Hydra: "Der Kopf der bloßen Solidarschuld sollte abgeschlagen werden, und statt einer sprangen zwei Arten von Solidarität, die echte und unechte hervor." So will man bis heute echte von unechten Gesamtschulden unterscheidena2 ebenso wie Savigny33 "ächte" und "unächte Correalität" unterschied. Letztlich geht es eben in dieser Streitfrage um das Problem der Erfassung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld und ihrer Abgrenzung zu anderen Schuldnermehrheiten34• Dieses Problem scheint heute lösbar zu sein; unlösbar war und ist aber das im Streit um die Unterscheidung zwischen Korreal- und Solidarobligationen mitbefangene Problem, alle Rechtsfolgen bei den verschiedenen Fallgruppen (z. B. Tilgungswirkung, Regreß) aus einem einheitlichen Prinzip zu erklären. Auch wenn heute alle Fälle, in denen mehrere eine Leistung in der Weise schulden, "daß jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist", unter den einheitlichen Begriff der Gesamtschuld zusammengejaßt werden, so verbergen sich darunter doch verschiedene Gesamtschuldtypen, für die zwar alle die Rechtsfolgen der §§ 422 - 426 eintreten, aber aus einem nicht einheitlich zu erklärenden Grund35 • 30 Von den "Strukturen" der Gesamtschuld sprach wohl als erster Heck, SchuR, S. 233 ff. st JherJb 64, 34; ähnlich Leonhard, SchuR I,§ 366, S. 732. e Larenz (SchuR I, § 37 I, S. 435 N. 4) meint jetzt entgegen den Vorauflagen (vgl. noch 9. Aufl., § 33 111, S. 389) "die Unterscheidung zwischen echten, unechten und nur scheinbaren Gesamtschulden ist verwirrend und sollte aufgegeben werden". Statt dessen will er im Anschluß an Selb und Esser jetzt zwischen Schuldnermehrheiten, deren Verpflichtungen "gleichstuflg" oder "gleichrangig" sind und darum einer "wechselseitigen Tilgungswirkung" unterliegen, die allein Gesamtschulden sein sollen und anderen Schuldnermehrheiten unterscheiden, auf welche die §§ 421 ff. keine Anwendung finden sollen. Damit ist auch hier das zum Fenster hinausgeworfene Problem schon wieder zur Türe hereingekommen; denn die unterschiedliche Tilgungswirkung des durch einen Schuldner veranlaßten Erlöschens seiner Verpflichtung auf die übrigen Verpflichtungen in den verschiedenen Fällen war doch gerade das Problem, das Savigny zur Unterscheidung von Fällen "ächter" und "unächter" Correalität und Windscheid u . a. zur Unterscheidung von Korreal- und Solidarobligationen bestimmt hatte. Alte Probleme also mit neuen Namen. 33 OR I, § 20, S. 197 ff. 34 Auch Stammler (SchuVerh, S. 247) meinte im Anschluß an die Feststellung, daß die Zerteilung der Gesamtschuld in zwei prinzipiell geschiedene Arten künftighin erledigt sei, es könne sich daher nur darum handeln: "wie dieser, im ganzen einheitlich aufzunehmende Begriff der Gesamtschuldverhältnisse wissenschaftlich näher zu bestimmen ist; und ob eine oder die andere der seitherigen Auffassungen dabei verwertet werden kann?"

III. Die geschichtliche Entwicklung der Gesamtschuld

31

2. Das Regreßprobtem Die zum Recht des BGB von vielen gemachte Unterscheidung zwischen "echten" und "unechten" Gesamtschulden geschieht insbesondere38 im Hinblick auf den Regreßanspruch: § 426 soll bei unechten Gesamtschulden keine Anwendung finden37• Das hat im gemeinen Recht keine Stütze. Es gab keine prinzipielle Unterscheidung dahin, bei Korrealobligationen eine Regreßklage zu gewähren, nicht aber bei Solidarobligationen ("unächten Correalobligationen"). Savigny38 gewährte auch einem Mitvormund, der aufs Ganze verklagt wurde, die Regreßklage gegen den anderen entweder auf Grund erzwungener Zession oder mittels einer utilis actio. Auch bei Verpflichtungen aus einem von mehreren gemeinsam begangenen Delikt wollte Savigny39 entgegen anderen Auffassungen den Regreß entweder mittels der actio pro socio oder mittels der utilis actio zulassen, sofern es sich um culpose Delikte handelte; für dolose Delikte sollte der Regreß grundsätzlich ausgeschlossen sein. Windscheid 40 gewährte gleichfalls den Regreß auch in Fällen "bloßer Solidarität" "für denjenigen, welcher mehr leistet, als er eigentlich zu leisten braucht"41 • Da es bei der Regreßfrage nach der im gemeinen Recht herrschenden Auffassung auf das der Korreal- bzw. Solidarobligation zugrunde liegende materielle Rechtsverhältnis ankommen sollte42, war eben die Unterscheidung von Korreal- und Solidarobligationen für das Regreßproblem nicht von Bedeutung.

3. Einheits- und Mehrheitstheorie Zu einer der unergiebigsten Streitfragen des gemeinen Rechts, die teilweise sogar die ganze Methode dieser großen Epoche der Jurisprudenz

Vgl. unten§ 3 IV, 3 und§ 6 I und 111. Von einigen Autoren (z. B . Esser, SchuR I, § 58 II, S. 434) wird die Unterscheidung auch verstanden als "unkontrolüerte Nachwirkung" der gemeinrechtlichen Unterscheidung von Korreal- und Solidarobligationen. Historisch schwingt diese alte Unterscheidung zwar mit, aber funktionell trifft sie nicht den Kern, denn die Regreßproblematik wurde im gemeinen Recht für Korrealund Solidarobligationen nicht unterschiedlich behandelt. In diesem Punkte ungenau auch Dilcher (JZ 67, 110 um Fußn. 3). Vgl. die Darstellung des Textes. 37 Statt aller vgl. Palandt, § 426 Anm. 1: "§ 426 gilt nur bei echter Gesamtschuld!" Dieser Satz wurde in der 30. Auflage (Heinrichs) gestrichen. aa OR, § 24 I , S. 251 ff. ae S. 256 aaO. 40 Pand. II, § 298 um N. 12, 13. 41 Allerdings heißt es: "So weit die Rechtswohlthat der Vorausklage und der Theilung reicht"; das knüpft an an Savigny, § 23, S. 240. 42 Savigny, OR, § 23, S. 232 ff.; W indscheid, Pand.II, § 294. 35 30

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§ 1 Einleitung

in Mißkredit brachte43 , gehört das Problem, wie die Mehrheit der subjektiven Beteiligungen bei der Korreal- und Solidarobligation zu denken

sei". Die herrschende Meinung verstand die Korrealobligation als eine einheitliche Obligation mit einer Mehrheit der subjektiven Beziehungen, modern ausgedrückt: Dem Gläubiger einer Korrealobligation wurde gegen die mehreren Schuldner nur eine Forderung zugedacht (Einheitsprinzip)45. Bei der Solidarobligation sollte dagegen dem Gläubiger gegen jeden Schuldner ein besonderes Forderungsrecht zustehen (Mehrheitsprinzip)46. Das Problem dieser großen Streitfrage bestand darin, daß man -gebunden an das Gesetz vom Nichtwiderspruch41 - die verschiedenen Rechtsfolgen der Korrealobligation (bzw. Solidarobligation) für die verschiedenen konkreten Rechtsverhältnisse, die unter diesen Begriffen zusammengeiaßt wurden, aus einem- entweder dem Einheits- oder dem Mehrheits-Prinzip widerspruchslos erklären wollte. Manche Rechtsfolgen, z. B. die objektiven Wirkungen der Litiskontestation (prozessualische Konsumption), der Erfüllung und der Erfüllungssurrogate erklärten sich einfacher aus dem Einheitsprinzip, andere Rechtsfolgen, z. B. die bedingte Verpflichtung eines der beiden Schuldner, die Zession der Forderung gegen einen der Korrealschuldner und alle Wirkungen, die nur 48 Vgl. Kaser, § 154, S. 551 ; Eisele, AcP 77,374 ff. ; Klingmüller (JherJb 64, 31) : "Schon die Erwähnung dieses Abschnittes in der gemeinrechtlichen Entwicklung löst auch bei denjenigen, die sich mit der überreichen Spezialliteratur beschäftigt haben, zunächst wenig angenehme Empfindungen aus." 44 Windscheid (Pand. II, § 293 N. 1) bemerkte nach umfangreicher Darstellung des Streitstandes resignierend: "Der geschilderte Zustand der Lehre ist wenig erfreulich. Es ist auch keine Aussicht vorhanden, daß eine Einigung der Meinungen wird erzielt werden." 45 Hauptvertreter: Ribbentrop, Korrealobligation; ebenso Savigny, OR I, §§ 26- 27, Windscheid, Pand. II, § 293. 41 Freilich war auch dies bestritten, vgl. Windscheid, Pand. II, § 298 Note 2 a. 47 Auch Gesetz der systematischen Einheit genannt. Vgl. dazu JheTing (Geist des römischen Rechts, II, 2, 5. Aufl., § 41, S. 374): "Die Jurisprudenz ist wie an das Gesetz so auch an sich selbst gebunden, sie darf bei ihren Constructionen nicht mit sich selbst, mit den Begriffen, Lehrsätzen, die sie anderwärts aufgestellt hat, in Widerspruch treten, ihre Constructionen müssen stimmen, sowohl in sich, als unter einander. Ein Begriff duldet keine Ausnahme, so wenig, wie ein Körper sich verläugnen, ausnahmsweise etwas anderes sein kann, als er ist. Läßt sich also eine Lage des Körpers auffinden, die mit dem aufgestellten Begriff unverträglich ist, so fehlt ihm die wissenschaftliche Lebensfähigkeit und das Recht auf Existenz. Ob diese Lage eine ungewöhnliche und praktisch wenig belangreiche ist, relevirt nichts, denn es handelt sich bei der ganzen Aufgabe nicht um ein praktisches, sondern um ein logisches Problem. Die Probe der Construction besteht darin, daß die Wissenschaft ihren Körper durch alle erdenklichen Lagen hindurchführt, ihn in jede mögliche Verbindung mit anderen Körpern bringt, ihn mit jedem ihrer Lehrsätze vergleicht. Erst wenn alles zusammenstimmt, hat er seine Probe bestanden, ist er ächt und wahr." Die Strenge dieser Begriffsjurisprudenz hat der späte Jhering "im Begriffshimmel" bekanntlich selbst nur noch mit Ironie betrachtet; vgl. dazu Heck, SchuR, Anhang§ 2; ferner Wieacker, Privatrechtsgeschichte, § 23, S. 434 f .

III. Die geschichtliche Entwicklung der Gesamtschuld

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für einen der beiden Schuldner eintreten sollten, erklärten sich leichter aus dem Mehrheitsprinzip48.

Aus der Aufgabe der Unterscheidung zwischenKorreal-und Solidarobligation ist vielfach der Schluß gezogen worden, als sei damit auch der Streit zwischen der Einheits- und der Mehrheitstheorie durch den BGBGesetzgeber entschieden worden49• Abgesehen davon, daß solche Streitentscheidungen nicht in der Macht des Gesetzgebers gestanden hätte60 , ist auch das Gegenteil richtig, wie die Motive beweisen5 1 : .,Indem der Entw. die Vorschriften über die Gesammtschuldverhältnisse auf einheitlicher Grundlage, ohne die Unterscheidung zwischen Korreal- und Solidarobligationen, aufstellt, vermeidet er gleichwohl, prinzipiell sich für ein bestimmtes Prinzip, das Einheits- oder Mehrheitsprinzip, auszusprechen. Bei den einzelnen Bestimmungen war vielmehr die Rücksicht auf die Sachgemäßheit, auf den Zweck des Institutes und die Bedürfnisse des Verkehrs, entscheidend. Es versteht sich übrigens, daß die einzelnen Bestimmungen keine l.eges absolutae sind, also der Abänderung durd!. Parteiwillen unterliegen." Der älteren Literatur war das Problem noch bewußt gewesenu. In der neueren Literatur nimmt man dagegen apodiktisch an, daß dem Gläubiger gegen die mehreren Schuldner je eine Forderung zusteht53• Dafür sind verschiedene Begründungen gegeben worden. 48 Auch die leidige Problematik des § 68 KO hat letztlich in diesem Theorienstreit ihre Wurzel, vgl. Windscheid, Pand. II, § 293 N. 4. 48 In diesem Sinne Siber (SchuR, S. 157): .,Die spät-gemeinrechtliche Unterscheidung zwischen Korrealität als Einheit der Forderung trotz Mehrheit der Schuldner und bloßer Solidarität als Mehrheit von Forderungen mit Einheit des Leistungsgegenstands ist aufgegeben: Der Gläubiger hat gegen jeden Gesamtschuldner eine besondere Forderung, die erlöschen oder sich verändern kann, ohne daß die anderen berührt werden." Ebenso Leonhard, SchuR I, S. 725; diesen Autoren folgend die heute h. M., vgl. Larenz, SchuR I, 9. Aufl., § 33 I, S. 381, um Fußn. 3. 50 Vgl. Staudinger-Kuhl.enbeck, Vorbem. IV, 2 vor § 420, S. 322. Allgemein vgl. Ihering (Geist II, 2, § 41, S. 371): .,Die Konstruktionen des Gesetzgebers besitzen für die Juristen keine verpflichtende Kraft. Der Gesetzgeber soll nicht konstruieren, er greift damit in die Sphäre der Wissenschaft über, entkleidet sich seiner Autorität und Macht als Gesetzgeber und stellt sich mit dem Juristen auf eine Linie." 51 Mot. li, S. 156 = Mugdan Il, S. 86. 52 Vgl. Stau dinger-Kuhlenheck (wie Fußn. 50) ; Planck-Siber, Vorbem. I b vor§ 420, S. 618; Enneccerus, BR 11, § 313, Note 8, S. 263. 53 Statt aller Palandt, § 421, Anm. 1. Eine unmittelbare praktische Bedeutung erhält die dogmatische Streitfrage im Falle der Abtretung einer Gesamtschuldforderung. Etwas unkritisch hält die h. L. die isolierte Abtretung einer Gesamtschuldforderung für möglich (vgl. Larenz, SchuR I, § 37 III, S. 439 Fußn. 1 m. w. N.). Dagegen jedoch neuerdings Esser, SchuR I, §58 III, S. 435}, der jedoch wohl wiederum zu weit geht. wenn er die Abtretung eines einzelnen Anspruchs für nicht möglich hält, weil .,die Natur der Gesamtschuld keine Aufspaltung der Gläubigerstellung" zulasse. Ich würde meinen, daß Leonhard (SchuR I, § 363, S. 724) das Richtige getroffen hat mit folgender Auffassung: .,Wird die Forderung bei einer Gesamtschuld abgetreten, so ist das im Zweifel dahin aufzufassen, daß die Forderung gegen alle Genossen gemeint ist, auch wenn im Vertrage etwa nur der bedeutsamste Schuldner genannt wurde. Ist aber das

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§ 1 Einleitung

Kuhlenbeck54 wollte die germanische Unterscheidung von Schuld und Haftung66 für das Problem fruchtbar machen und glaubte die Lösung darin zu sehen, daß für eine einheitliche Schuld mehrere Haftungen gegeben sind. Der Gedanke erwies sich als wenig tragfähig. Fruchtbar zeigte sich dagegen die Sibersche Unterscheidung zwischen Schuldverhältnis im weiteren Sinne und Schuldverhältnis im engeren Sinne(= Einzelforderung)56; danach kann Siber das Gesamtschuldverhältnis verstehen als ein Schuldverhältnis, dem mehrere Einzelansprüche entspringen57• Jedoch kann- so ist Siber vorsichtig- "je nach Natur und Zweck des betreffenden Verhältnisses in einzelnen Beziehungen eine abweichende Behandlung Platz greifen"58. Diese Einschränkung scheint insbesondere für das Zusammentreffen mehrerer Deliktsobligationen notwendig; denn es fällt schwer, diese, insbesondere bei Nebentätern, als ein einheitliches Schuldverhältnis zu begreifen. Der Streit zwischen Einheits- und Mehrheitstheorie soll jedoch hier nicht neu belebt werden. Es hat sich gezeigt, daß, vor allem nach der Abdrängung der Probleme der Litiskontestation69 ins Prozeßrecht, das Mehrheitsprinzip eine durchaus tragfähige Vorstellung bildet. Das gilt insbesondere für die cessio legis des § 426 II, die eindeutig formuliert Gegenteil vereinbart, so geht tatsädllidl nur die Forderung gegen den einen Sdluldner über, und die andere verbleibt beim ursprünglidlen Gläubiger. Eine soldle Spaltung der Gesamtsdluld ist durmaus möglidl. Dabei steht die eine Forderung dem alten, die andere dem neuen Gläubiger zu: nicht etwa sind beide als Gesamtgläubiger anzusehen." Man muß sidl darüber im klaren sein, daß die Aufspaltung der Gläubigerstellung infolge isolierter Abtretung einer Einzelforderung aus dem Gesamtschuldverhältnis zu "künstlidlen" Problemen führt, wenn die nicht abgetretene Forderung erfüllt wird. Im Ergebnis muß der Zessionar so gestellt werden, als ob er eine Einzelforderung oder alle Forderungen aus dem Gesamtschuldverhältnis erworben hätte, denn die Konstruktionsfrage der Gesamtschuld (Einheits- oder Mehrheitstheorie) darf ihn im Ergebnis nidlt belasten. Aber die Konstruktion ist sdlwierig, § 816 II ist sidler nicht anwendbar, audl § 437 ist unmittelbar nidlt gegeben und die Rechtsmängelhaftung (§ 440) setzt nadl wohl ridltiger Auffassung ein Verschulden (§ 276) voraus, was nidlt immer vorzuliegen braucht. Diese Sdlwierigkeiten lassen es geraten ersdleinen, eine stillschweigende Abtretung der anderen Forderungen aus der Gesamtsdluld im Wege ergänzender Vertragsauslegung (§§ 133, 157) audl dann anzunehmen, wenn der Gläubiger von der Existenz weiterer Sdluldner zum Abtretungszeitpunkt noch nidlts wußte. Im Ergebnis kommt dies der Auffassung Essers nahe, läßt jedodl den ausdrücklidlen "Rückbehalt" einer Forderung zu, vermeidet also den Automatismus des § 401. Gegen die Anwendung des § 401 in solchen Fällen audl Weitnauer, Anm. zu BAG, AP § 67 VVG Nr. 1. " Bei Staudinger (2. Auf!., Vorbem. vor§ 420). 65 Vgl. von Amira, Nordgerm. OR I, S. 22 ff., 171 ff., bes. S. 177 ff. 61 Vgl. Pl.anck-Siber, Vorbem. I, 1 vor§ 241. 57 So audl schon Stammler, SchuVerh, S. 247. 68 Bei Pl.anck, Vorbem. I b vor§ 420, S. 618. 59 Vgl. dazu insbes. Savigny, OR I, § 19, S. 180 ff.; ferner die Nachweise bei Windscheid, Pand. II, § 298 Note 3.

III. Die geschichtliche Entwicklung der Gesamtschuld

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erst durch den zweiten Entwurf ins Gesetz kam60• Anders steht es allerdings mit der Wirkung der Erfüllung und der Erfüllungssurrogate. Unter der Vorstellung einer einzigen Forderung des Gläubigers gegen die mehreren Schuldner (Einheitstheorie) kann die Befreiung der übrigen Schuldner durch die Leistung eines von ihnen zwanglos als Erfüllungswirkung begriffen werden; nicht so aber bei einer Mehrheit von Forderungen (Mehrheitstheorie). Darum wohl erklärte schon Windscheid bei den Solidarobligationen den Untergang der anderen Obligationen aus dem Gedanken der Zweckerledigung, nicht der soZutio: "Die Entstehung des bloß solidarischen Rechtsverhältnisses setzt einerseits eine Mehrheit von Thatsachen voraus, auf der anderen Seite, daß die durch diese mehreren Thatsachen begründeten Forderungsrechte sämmtlich auf denselben Zweck gerichtet sind, so daß, wenn das eine Forderungsrecht erfüllt ist, das andere gegenstandslos geworden ist81 ." Auch Siber waren diese Probleme noch bewußt, wenn er in Beziehung auf die sog. unechte Gesamtschuld schreibt: "Leistet bei unechter Gesamtschuld ein Schuldner, so erlischt nur seine Schuld durch Erfüllung. Über die der anderen werden sich keine einheitlichen Regeln aufstellen lassen; sie können durch Zweckerledigung gleichfalls erlöschen, aber auch für den Gläubiger als Ansprüche auf Ausgleich eines Minderwertes in seiner gesamten Vermögenslage fortbestehen (s. § 362 Erl. 1 c, 10 Die dem § 426 BGB entsprechende Vorschrift des 1. Entw. (§ 337) lautete (Abs. 1 und 2): "Soweit nicht aus Gesetz oder Rechtsgeschäft ein Anderes sich ergiebt, gelten im Verhältnisse zu einander die Gesammtgläubiger als zu gleichen Antheilen berechtigt, die Gesammtschuldner als zu gleichen Antheilen verpßichtet. Ein Gesammtschuldner, welcher mehr als seinen Antheil geleistet hat, kann insoweit, als er Ersatz von den übrigen Gesammtschuldnern zu verlangen berechtigt ist, auch die Rechte des Gläubigers geltend machen. Zum Nachtheile des Gläubigers kann die Übertragung nicht geltend gemacht werden." Der 2. Entw. war als § 369 wie folgt formuliert: "Die Gesammtschuldner sind im Verhältnisse zu einander zu gleichen Antheilen verpflichtet, soweit nicht ein Anderes bestimmt ist. Kann von einem Gesammtschuldner der auf ihn entfallende Beitrag nicht erlangt werden, so ist der Ausfall von den übrigen zur Ausgleichung verpßidlteten Sdluldnern zu tragen. Soweit ein Gesammtschuldner den Gläubiger befriedigt hat und Ausgleichung von den übrigen Schuldnern verlangen kann, geht die Forderung des Gläubigers gegen die übrigen Schuldner auf ihn über. Zum Nachteil des Gläubigers kann der Obergang nicht geltend gemacht werden." Die Zurückhaltung des Gesetzgebers hinsichtlich der dogmatischen Konstruktion wurde allerdings damit nicht ganz gewahrt (vgl. aber StaudingerKuhlenbeck, Vorbem. IV, 2 vor§ 420). 11 Windscheid, Pand. li, § 298 um N. 14. In Note 14 verweist Windscheid auf § 343 a seines Lehrbuchs, wo er den Erlöschungsgrund des concursus duarum causarum lucrativarum behandelt und sich unter anderem in Note 6 mit dem Hartmannsehen Obligationsbegriff auseinandersetzt. Wie verhängnisvoll dieser Obligationsbegriff für die Lehre von der Erfüllung gewesen ist, werde ich an anderer Stelle nachweisen. Wie Windscheid auch Eisele, AcP 77, 480.

3•

§ 1 Einleitung

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S. 471) oder, wie nach§ 426 Abs. 2 bei echten Gesamtschulden, auf den regreß., berechtigten Schuldner übergehen (z. B. VersVG § 67)•z." Die Unklarheiten der modernen Theorie zu diesem Problem, die be., dingt sind durch die systemwidrige Auffassung der sogenannten Theorie deT realen Leistungsbewirkung, haben über die neuere Auffassung, Voraussetzung einer Gesamtschuld sei eine wechselseitige Tilgungs- bzw. Erfüllungsgemeinschaft, wieder Einfluß auf den Begriff der Gesamtschuld bekommen63 • Zur besseren Erhellung dieser "Erfüllungsproblematik" (§ 422) der Gesamtschuld ist es notwendig- ohne daß damit der Streit zwischen Einheits- und Mehrheitstheorie neu belebt werden soll-, den entwicklungsgeschichtlichen Grund dieses Streites zu erkennen. Dazu ist es erforderlich, die Entwicklung des Rechtsinstituts der Gesamtschuld im römischen Recht kurz darzulegen84 • B. Die Gesamtschuld im römischen Recht

1. Ziel der Darstellung Das Institut der Gesamtschuld soll nicht um seiner selbst willen bis ins römische Recht zurückverfolgt werden, auch nicht als Ausweis für besondere historische Kenntnisse oder gar Forschungen des Verfassers; letzteres schon deswegen nicht, weil die folgenden Ausführungen grundsätzlich auf das beschränkt sind, was in den Lehrbüchern von Kaser"s, Kunkel88 und Sohm-Mitteis-Wenger"1 zu finden und dort für jeden Juristen zugänglich dargestellt ist. Die Kenntnis des römischen Rechts ist insoweit bei der Gesamtschuld nicht nur allgemein deswegen von Interesse, weil es Grundlage des gemeinen Rechts und damit mittelbar des BGB ist, Bei Planck, Anm. zu § 422, S. 624. Vgl. unten§ 2 III, 2 und IV, 2; § 3 II, 3. 64 Es reicht eben nicht aus, den Theorienstreit abzutun mit dem Satz, es sei verkannt worden, "daß die Rechtsbegriffe nicht mehr als Versuche sind, die Rechtssätze in möglichst anschaulicher Form wiederzugeben: daß es sich also nicht um eine rechtliche oder gar philosophische Frage, sondern nur um die Ausdrucksform handelt" (so Leonhard, SchuR I, § 361, S. 721); ähnlich Larenz (SchuR I, 9. Aufl., § 33, S. 381): "Wie so oft ist der vermeintliche begriffliche Gegensatz (lies: zwischenKorreal-und Solidarobligation) nicht in der Sache selbst, sondern in einer falschen, isolierenden Denkweise begründet und vielmehr in dem "konkreten Begriff" des Gesamtschuldverhältnisses aufzuheben." Juristisch gedacht, genügt dies eben schon deswegen nicht, weil man z. B. mit der Annahme einer Mehrheit von Forderungen (Mehrheitstheorie) nicht länger ohne logischen Widerspruch das Erlöschen der Forderung auch der nichtleistenden Mitschuldner (§ 422) mit dem Erfüllungsbegriff (Solutio, § 362) erklären kann, der insoweit nur bei Annahme der Einheitstheorie paßt. &5 § 154, s. 548 ff. 62

63

81 87

s. s.

§ 131, 210 ff. § 62, 358 ff.

III. Die geschichtliche Entwicklung der Gesamtschuld

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sondern im besonderen deshalb, weil das gemeine Recht das "Trümmerfeld" der Quellen zu diesem Rechtsinstitut, das erst dieneuere kritische Interpolationstechnik bloßgelegt hat, nicht zu harmonisieren vermochte; aber auch, weil im Laufe der Entwicklung des römischen Rechts und des gemeinen Rechts neue Schuldnermehrheiten als Korreal- bzw. Solidarobligationen anerkannt worden sind, deren Problematik die Begriffsstruktur des klassischen römischen Rechts nicht mehr erfassen konnte. Das mag ein Anlaß sein, auch an dieser Stelle wieder einmal zu bedauern, daß sich in neuerer Zeit die Wissenschaft vom römischen Privatrecht immer weiter von der Zivilrechtswissenschaft weg zu rein historischen und philologischen Forschungen hin entwickelt hat88• So ist verloren gegangen, was Sohm noch in der Vorrede zur 14. Aufl. seiner "Institutionen" als sein Ziel bezeichnet hat: "Immer aber erscheint hinter dem römischen Recht der Fortschritt der Entwicklung zu unserem bürgerlichen Recht. Immer gilt es, das Verhältnis der Grundgedanken des römischen Rechts zu den praktischen Ideen des geltenden Rechts herauszustellen." Die Zivilrechtswissenschaft verlor mit der Preisgabe dieses Zwecks der Pflege des römischen Privatrechts eine integrierende Kraft, die gerade in einer Zeit ohne allgemeinen weltanschaulichen Konsens nicht zu ersetzen ist.

2. Die Entwicklung des Gesamtschuldbegriffs im römischen Recht Am Anfang war die stipulatio89• Der Gläubiger fragte die mehreren Schuldner: "Maevi, quinque dare spondesne; Sei, eosdem quinque dare spondesne"; oder er fragte beide: "spondetis?" Die Schuldner antworteten jeder: "spondeo" oder zusammen: "spondemus" 70 • 71 • es Vgl. Kaser (Studienbuch, S. 9): "Mit der Vorbereitung der neueren Kodifikationen, die das gemeine (und das einheimische) Recht durch die modernen Gesetzbücher ersetzten, wurde jedoch das römische Recht aus seinem Dienst für die Rechtspfiege der Gegenwart entlassen und damit als Gegenstand einer geschichtlichen Erforschung frei . . . Ausgerüstet mit den Erkenntnismitteln der Philologie, der Archäologie und der anderen Zweige der Altertumswissenschaft, ist heutzutage die romanistische Wissenschaft in aller Welt um die Erkenntnis des römischen Rechts in seiner historischen Tiefenschichtung bemüht." Das mag unter dem Gesichtswinkel der historischen Wahrheit ein Vorteil sein, für die Jurisprudenz des geltenden Rechts hat es schwerwiegende negative Folgen gezeitigt. "v. Caemmerer, ZfRV 68, 82: "Die Begründung durch Stipulation ist der Urfall der Gesamtschuld." 1o So Kaser, § 154, S. 550. 71 Die Figur der Korrealobligation ist selbstverständlich nicht von Anfang an fix und fertig vorhanden. Mitteis (Individualisierung, S. 102) schreibt dazu: "So bildet sich allmählich ein Begriff der Korrealobligationen; nicht der erste Jurist hat ihn aufgestellt und nicllt der zweite, sondern an den ersten Rechtssatz

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§ 1 Einleitung

Im justinianischen Recht - Kunkel72 meint, vielleicht schon im klassischen Recht - konnten dann Korrealobligationen auch durch (formlose) Real- und Konsensualkontrakte begründet werden (z. B. ein gemeinsames Darlehen). Ferner wurde die Entstehung einer Korrealobligation anerkannt, wenn ein Erblasser mehrere seiner Erben derart mit einem Damnationsvermächtnis belastete, daß der eine oder der andere von ihnen die Vermächtnisforderung erfüllen sollte72 • Die Rechtswirkungen und Folgen dieser Korrealobligationen waren, abgesehen davon, daß der Gläubiger von jedem der Schuldner die ganze Leistung fordern konnte, von der einer Einzelobligation nicht verschieden. Die Erfüllungsleistung (solutio) eines Schuldners befreite alle Mitschuldner (conrei), die Korrealobligation war damit aufgehoben. Die Korrealobligation allein gewährte dem Leistenden keinen Regreßanspruch gegen seinen Mitschuldner; "denn er war da.s Ganze schuldig gewesen""· Ein selbstverständlich möglicher Regreß setzte ein konkretes Rechtsverhältnis (z. B. societas, mandat etc.) voraus und konnte dann mittels der actio pro socio oder der actio mandati, aber evtl. auch mittels der actio de communi dividundo oder actio negotiorum gestorum geltend gemacht werden. An der theoretisch-konstruktiven Frage nach der Einheit oder der Mehrheit der Forderungen aus dem Korrealschuldverhältnis hatten die Römer offenbar kein Interesse74• Bedeutsam für die spätere Entwicklung war, daß nach klassischer Auffassung auch75 die litis contestatio die Korrealobligation aufhob und durch die eine Prozeßobligation gegen den verklagten Schuldner ersetzte. Mit der litis contestatio wurden also alle nicht verklagten Mitschuldner freF•. Schwierigkeiten bereitete im römischen Recht die Entwicklung der Deliktshaftung mehrerer Mittäter77 • Ursprünglich ist der Deliktstäter nur hat sich der zweite angeschlossen und die sinnende Jurisprudenz hat an die entstehende Begriffsinsel so lange Rechtssatz auf Rechtssatz angeschwemmt, bis sie dastand, als wäre sie aus dem Schoße des Meeres emporgetaucht." Klingmimer (JherJb 64, 50) schreibt mit Bezug auf die zitierte Stelle: "Zwar sind die Rechtssätze des Bürgerlichen Gesetzbuches in den §§ 420 ff. von solchen historisehen und dogmatischen Zufälligkelten nach Möglichkeit freigehalten worden, indessen haben sie die "Eierschalen früherer Entwicklungsperioden" nicht völlig von sich werfen können; auch diese Paragraphen sind nicht der Weisheit letzter Schluß".

Kunkel,§ 131, S. 211. So Kunkel, § 131, S. 212. Ob diese Begründung dem römischen Denken entspricht, bleibt zweüelhaft, sie wird von Kunkel auch nicht als solche aus12 73

gegeben.

" Kaser, § 154, S. 551. Vgl. auch Savigny, OR I,§ 20, S. 198 ff. 75 Neben solutio, acceptilatio, novatio u. a. vgl. Kunkel,§ 131, Fußn. 10. 7• Vgl. Kunkel, aaO; ebenso Kaseru. a. 77 Vgl. insbes. Sohm-Mitteis-Wenger, § 74, S. 453 ff. und § 62, Il, 3, S. 363 ff.

III. Die geschichtliche Entwicklung der Gesamtschuld

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zur Zahlung einer Strafe (Bußgeld) an den Verletzten verpflichtet. Der Gedanke, daß dem Verletzten ein Forderungsrecht auf Ersatz des entstandenen Schadens zusteht, ist dem frühen Recht fremd. Von mehreren Mittätern muß jeder seine Strafe (das duplumoder quadruplum) ganz zahlen. Der Geschädigte erhält also je nach Zahl der Mittäter das Mehrfache der Strafe (kumulative Haftung). Auch nach Anerkennung des Schadensersatzgedankens und der Trennung von Strafe (poena) und Schadensersatzforderung als Deliktsfolgen herrschte jedoch noch die Vorstellung, daß auch die Schadensersatzpflicht zur Strafe auferlegt sei und deswegen auch von mehreren Mittätern (z. B. bei gemeinsamer Sachbeschädigung) mehrmals gezahlt werden müsse78. Im Laufe der Entwicklung78 drang jedoch die Erkenntnis durch, daß auch die Verpflichtung mehrerer zum Ersatz desselben Schadens nur auf einmalige Leistung gerichtet sei80• Mit der Anerkennung der "quasi-korrealen" Natur mehrerer auf Ersatz desselben Schadens gerichteter Deliktsobligationen tritt auch die Idee auf, daß erst die Leistung des Schadensersatzes, nicht schon die Klage (litis contestatio) die übrigen Mittäter von der Ersatzpflicht befreitll1 • Damit war also die erste Fallgruppe einer Schuldnermehrheit geschaffen bzw. gefunden, für welche die Regeln der Korrealität zwar teils paßten, teils aber nicht ("unächte Correalität"81). Die Gesamtwirkung der litis contestatio war jedoch allgemein für den Gläubiger gefährlich: wenn nämlich der verklagte Schuldner sich als zahlungsunfähig erwies. Daher hat Justinian die "Konsumptionskonkurrenz" durch eine "Solutionskonkurrenz" ersetzt, wonach also nicht schon die Litiskontestation, sondern erst die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner die übrigen befreitll8• Diese Reform ist aber im Corpus Juris 78 So Sohm-Mitteis-Wenger, aaO mit Hinweisen auf D. 9, 2, 11; ebenso Kunkel, § 131, 3, S. 212. 71 Nach Kunkel (aaO) kannte jedoch noch das justinianische Recht die Häu-

fung von Ansprüchen. so Vgl. Sohm-Mitteis-Wenger, § 62, II, 3 S. 363f.; auch Savigny, OR I,§ 20, s. 201. ai So Sohm-Mitteis-Wenger, § 62, III, S. 336 mit Hinweis auf D. 4, 3, 17 pr.; ähnlich Kunkel,§ 131, 3, S. 212. Während Sohm-Mitteis-Wenger (§ 62, II, 3, S. 364) jedoch von der Anerkennung der korrealen Natur der mehreren Verpflichtungen sprechen und schreiben: "Die Schadensersatzverbindlichkeit mehrerer Mitdelinquenten wird nach dem Recht der späteren Kaiserzeit durch eine Leistung aufgehoben; der Geschädigte hat jetzt keinen Schaden mehr (vgl. z. B. D. 4, 3, 17; C. 4, 8, 1)", ist Kunkel (aaO) viel vorsichtiger: neben der Häufung der Haftung findet sich bei den Delikten auch der Grundsatz der Gesamthaftung, "jedoch mit einer wichtigen Einschränkung: nur die einmalige Erfüllung, nicht aber die Litiskontestation wirkte gesamtzerstörend. Man bezeichnet dieses Verhältnis in der modernen Literatur als ,bloße Solidarität'." Vgl. dazu auch Savigny, OR I,§ 20, S. 201. II! So nannte Savigny die später als Solidarobligationen bezeichneten Schuldnermehrheiten. RS So Kaser (§ 154, S. 551), der den Umfang dieser Änderung vorsichtig mit

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§ 1 Einleitung

nur unvollkommen durchgeführt worden. Zahlreiche Stellen wurden interpoliert, andere sind im klassischen Rechtszustand unverändert erhalten gebliebenM. Das so entstandene "Trümmerfeld" {Kunkel) dieser Quellen wird heute als Ursache der "ebenso heftigen wie unfruchtbaren Diskussion"85 des gemeinen Rechts um die Abgrenzung von Korreal- und Solidarobligation und um die Frage der Einheit oder Mehrheit der Forderungsrechte angesehen".

3. Die Entdeckung anderer Fälle "unächter CoTTealität" Eine weitere Ursache der bis heute andauernden "ebenso heftigen wie unfruchtbaren Diskussion" über das Rechtsinstitut der Gesamtschuld war die Entdeckung weiterer Schuldnermehrheiten, in denen die Erfüllungsleistung eines Mitschuldners auf die Verpflichtungen der anderen einwirkt, ohne daß das Erlöschen dieser Verpflichtungen durch Erfüiiung {solutio) ernsthaft behauptet werden kann. Nachdem jedoch die Fälle gemeinsamer Verpflichtungen durch "duo rei promittendi" oder "bonae fidei negotia" {z. B. gemeinsamer Kauf, gemeinsames Darlehen usw.) einmal aufgebrochen und die Deliktsobligationen gegen mehrere Mittäter als {"unächte") Korrealobligationen anerkannt worden waren87, in denen zweifellos die Erfüllungsleistung eines Schuldners die anderen Obligationen zwar grundsätzlich nicht durch Erfüllung {solutio), aber in sonstiger Weise, nämlich durch Beseitigung des Schadens (id quod interest) zum Erlöschen bringen konnte, mußten auch andere Fälle von Schuldnermehrheiten als Fälle {unechter) Korrealität bzw. als Solidarobligationen in Betracht gezogen werden. Aufschlußreich ist hierzu die Darstellung von Sohm-Mitteis-Wenger88 , wo als Voraussetzung der Korrealität grundsätzlich gleichgrundige Verpflichtungen gefordert werden. Im Anschluß daran aber heißt es89 : "Möglich, aber keineswegs notwendig ist, daß trotzdem (nämlich bei ungleichgründigen Verpflichtungen) die wirtschaftliche Gleichheit der verschiedenen Leistungen rechtliche Wirkungen übt, falls nämlich durch Erfüllung der Schuld die andere inhaltslos wird, so daß der Inhalt der anderen Schuld zwar nicht befriedigt, aber erledigt ist." "mindestens teilweise" beschreibt; dagegen sagen Sohm-Mitteis-Wenger, Justinian habe durch C. 8, 40, 27 für alle Fälle der passiven Korrealobligation den Grundsatz der Solidarität vorgeschrieben. 84 Kaser, § 154, S. 551; ebenso Sohn-Mitteis-Wenger, § 62 III, S. 366. N So Kaser, § 154, S. 551. 88 Kaser, aaO, S. 551; Sohm-Mitteis-Wenger, § 62 III, S. 366 ff., insbes. mit Hinweisen auf Ribbentrop; ebenso EiseZe, AcP 77, 477. 87 Vgl. auch Savigny, OR II, § 20, S. 198 ff. 88 § 62, s. 360 ff. se Sohm-Mitteis-Wenger, § 621, S. 361.

III. Die geschichtliche Entwicklung der Gesamtschuld

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Dafür werden drei Beispiele gegeben88 : (1) "Ich bin gegen Diebstahl versichert. Ich werde bestohlen. Ich kann Schadensersatz vom Diebe und ebenso von der Versicherungsgesellschaft verlangen. Hat mir der Dieb Schadensersatz geleistet, so wird mein Anspruch gegen die Versicherungsgesellschaft inhaltslos (ich habe keinen Schaden mehr): er ist nicht befriedigt, aber erledigt." (2) "Ich habe einen Auftrag gegeben. Bevor der Auftrag ausgeführt ist, gebe ich denselben Auftrag auch einem anderen (also zwei getrennte Aufträge zu derselben Handlung). Es besteht keine Korrealität, aber wenn der eine Auftrag ausgeführt wird, ist zugleich der andere erledigt." (3) "Es hat mir jemand dieses Pferd zu schenken versprochen. Bevor die Schenkung erfüllt ist, wird mir dasselbe Pferd von einem anderen vermacht. Sobald ich aus der einen ,lukrativen causa' das Pferd erhalten habe, ist auch die andere erledigt; das andere lukrative Schuldverhältnis ist inhaltslos geworden (concursus causarum lucrativarum, vgl. unten§ 78 I, 3)." Die Korrealität wird von Sohm-Mitteis-Wenger für diese Fälle dann doch abgelehnt mit folgender Begründung81 : "In all diesen Fällen wirkt die einmalige Leistung auch auf das andere Schuldverhältnis, aber nicht durch ihre rechtliche Natur als Leistung (als Erfüllung), sondern lediglich zufällig durch ihren tatsächlichen Erfolg; die Handlung ist tatsächlich nicht noch einmal möglich. Man hat daher in solchen Fällen von ,zufälliger' (Mitteis) oder ,unechter' (Eisele) Solidarität gesprochen. Die mehreren Verpflichteten sind in Wahrheit nicht in solidum zu derselben Leistung verpflichtet. Trotz Verschiedenheit der Leistungen (wegen Unverbundenheit der Schuldgründe), d. h. trotz des Mangels der Solidarität wirkt die Erfüllung des einen Schuldverhältnisses (zufällig) auf die des anderen ein. Es besteht keinerlei Korrealität." Das sind zwar keine Ausführungen mehr zum römischen Recht; aber sie sind dem Stil der Sohmschen "Institutionen" gemäß aus dem römischen Recht entwickelt. Wiedergegeben ist die Stelle hier deshalb, weil damit wohl erstmals die gesamtschuldnerische Verbindung mehrerer ungleichgründiger Verpflichtungen, die aber unzweifelhaft den Gläubiger nicht mehrfach befriedigen sollen, mangels- wie Selb90 dann später sagte, einer "Erfüllungsgemeinschaft" - verneint wurde. Das und die Entstehungsgeschichte dieser Auffassung sollten festgehalten werden.

4. Die Lehren aus der geschichtlichen Entwicklung der Korrealschuld Am Anfang konnte eine Gesamtschuld nur durch gemeinsame Verpflichtung begründet werden. Dieses Gesamtschuldverhältnis wurde durch Erfüllung (solutio) aufgehoben wie ein Einzelschuldverhältnis. Ein Regreßanspruch konnte nur auf ein konkretes Rechtsverhältnis (Gesellschaft, Auftrag usw.) zwischen den Schuldnern gestützt werden. Unter 10

Studie, S. 17; vgl. dazu oben § 2 111, 2 und § 3 II, insbes. 3 c.

42

§1

Einleitung

den im Verhältnis zum geltenden Recht sehr eingeschränkten Voraussetzungen der Entstehung eines Gesamtschuldverhältnisses waren auch die beschränkten Reaktionswirkungen (kein Regreß!) tragbar; denn wenn die Gesamtschuld nur durch gemeinsame Verpflichtung zustande kommen kann, dürfte der Fall, daß zwischen den Schuldnern kein konkretes Rechtsverhältnis gegeben ist, sehr selten gewesen sein. Mit der Anerkennung weiterer Schuldnermehrheiten, insbesondere der gesetzlichen Verpflichtung mehrerer Deliktstäter (heute: § 840 BGB) als Gesamtschuldner, ist jedoch ein gesetzlicher Regreßanspruch zwischen den Schuldnern unentbehrlich geworden; ebenso kann das Erlöschen der Verpflichtungen der anderen durch die Erfüllungsleistung eines Schuldners nicht mehr als Erfüllung (solutio, § 362 BGB) begriffen werden81• Letztlich steht auch die Anerkennung einer cessio legis (§ 426 II) zugunsten des Leistenden mit der Vorstellung der gleichzeitig erloschenen Verpflichtungen der anderen Mitschuldner (§ 422) in einem widersprüchlichen Verhältnis". Die angedeutete Problematik ist der Gegenstand der vorliegenden Arbeit. IV. Methodologischer Exkurs

Es ist üblich geworden, in größeren juristischen Darstellungen auch über die eigene Methode zu sprechen. Trotz einiger Skepsis bezüglich des Nutzeffekts solcher methodologischer Bekenntnisse vermag ich nicht ganz darauf zu verzichten. In der vorliegenden Arbeit wird versucht, die Problematik des Gesamtschuldbegriffs aus dem Gesamtgefüge unserer systematisierten und kodifizierten bürgerlichen Rechtsordnung, besonders des Schuldrechts zu begreifen. Das bedingt eine Anknüpfung der Ableitungen an den Quellen dieses Rechtssystems, vor allem also an den Lehren des gemeinen Rechts. Solches Vorgehen birgt natürlich die Gefahr des Vorwurfs in sich, man wolle die längst eingestürzte "Begriffspyramide" Puchtas und Iherings wieder aufbauen. Jedoch das ist nicht das Ziel dieser Arbeit. Die Kritik Hecks83 gegen die Begriffs- und Konstruktionskontroversen der sogenannten naturhistorischen Methode ist bei keiner Streitfrage so berechtigt wie hinsichtlich der gemeinrechtlichen Diskussion um Korreal- und Solidarobligationen. Auf keinem Gebiet ist - um mit Heck zu sprechen - über der Erörterung der "Strukturprobleme" die "Interessenseite" so vernachlässigt worden. 11

tt 11

Anders Selb, Studie, S. 17 und Frotz, JZ 64, 665; vgl. dazu unten§ 2, IV, 5. Vgl. v. Tuhr, AT I,§ 16, S. 280 Fußn. 41 (zitiert oben, Fußn. 6). Vgl. SchuR, Anhang, S. 471 ff. m w. Nachweisen.

IV. Methodologischer Exkurs

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Dennoch ist Hecks Polemik gegen Jhering insofern unberechtigt, als der späte Jhering selbst noch (und schon) darauf hingewiesen hatte, daß wir uns freimachen müssen vom "Blendwerk der juristischen Dialektik", "welche dem Positiven den Nimbus des Logischen zu geben versteht, welche, indem sie das Vorhandene vor unserem Urteil als vernünftig zu rechtfertigen sucht, dabei nicht den Weg einschlägt, daß sie die historische, praktische oder ethische Berechtigung oder Notwendigkeit desselben nachweist, sondern den, daß sie mit Hilfe von Gesichtspunkten, die erst für diesen Zweck erfunden sind, die logische Notwendigkeit desselben darzutun versucht"14•

Jhering ist das Ende der Begriffsjurisprudenz und der Anfang der Interessenjurisprudenz95• Gegen seinen Lehrer Puchta und seine eigenen

früheren Ausführungen forderte er: "Sprengen wir die Fesseln, in denen der Irrwahn uns gefangen hält. Jener ganze Kultus des Logischen, der die Jurisprudenz zu einer Mathematik des Rechts hinaufzuschrauben gedenkt, ist eine Verirrung und beruht auf einer Verkennung des Wesens des Rechts. Das Leben ist nicht der Begriffe, sondern die Begriffe sind des Lebens wegen da. Nicht was die Logik, sondern was das Leben, der Verkehr, das Rechtsgefühl postuliert, hat zu geschehen, möge es logisch deduzierbar oder unmöglich sein"."

Heck und die ihm folgenden Vertreter der Interessenjurisprudenz haben jedoch, wie Wieacker'1 zutreffend ausführt, der "individualisierenden Fallgerechtigkeit" die "objektive Sicherheit und intellegible Einsichtigkeit" geopfert, "die zur Integration der Rechtscrrdnung in einer

rationalen Gesellschaft unerläßlich und daher gleichfalls eine eminent praktische Aufgabe der Dogmatik ist". Dogmatik in solchem Sinne setzt jedoch möglichst festgefügte und

funktionsfähige Rechtsbegriffe voraus, Rechtsbegriffe, die nicht Selbst-

zweck sein sollen, sondern Mittel zum Zweck der Erleichterung der Rechtsfindung im Einzelfall, vorget~ne Arbeit für den in Rechtslehre und Rechtssprechung tätigen Juristen98 •

Jedem Juristen, der nur einmal einen schwierigen praktischen Fall zu bearbeiten hatte, ist es selbstverständlich, daß es unmöglich ist, alle historischen, philosophischen, soziologischen, ökonomischen und sonstigen politischen Bezüge zum Ziel praktischer Entscheidungstindung voll " Jhering, Geist III, S. 318. • 5 Vgl. Wieacker, Festschrift für Gadamer, S. 315. n Jhering, Geist III, S. 321. Jhering (S. 319 aaO) wendet sich im Konkreten

dabei z. B. gegen die Auffassung, daß die Stellvertretung und die Abtretung bei Obligationen ausgeschlossen sei, "weil der Begriff der Obligation sie nicht verstattet". Ebenso wird noch heute häufig ein für billig und gerecht gehaltener Regreß versagt, weil der Begriff der Gesamtschuld ihn nicht verstatte. n Festschrift für Gadamer, S. 326; vgl. dazu auch Esser, Vorverständnis, s. 87 ff. 1' Rechtsbegriffe sind, wie Jhering (Geist III, S. 322) sagt, "Rechenpfennige, Zahlenmarken - ganz geeignet für den Zweck, dem sie dienen sollen, aber nicht wirkliches Geld".

§ 1 Einleitung

44

durchzudiskutieren99 • Die praktische Rechtspflege ist daher zur "Vermeidung ständiger Neuargumentation" 100 auf einen funktionierenden "dogmatischen Apparat" angewiesen. Jedoch - und auch darin ist Esser rechtzugeben-kann eine Dogmatik nur funktionieren "kraft der ,Vernünftigkeit' des ursprünglichen Dogmengehaltes, der seinerseits nicht aus Spekulation, sondern aus Bewährung gewonnen und in ein Begriffssystem transformiert wurde, der aber auch weiterhin aus Erfahrung und entsprechender Neubewährung aufgefüllt und aufgefrischt werden muß"101 •

In genau diesem Sinne, nämlich als Arbeit der Auffüllung und Auffrischung, darüber hinaus aber auch der Kontrolle des Begriffssystems durch das angesammelte Erfahrungswissen, möchte das Bemühen der vorliegenden Schrift verstanden werden. Methodelogisch wäre noch anzumerken, daß die Jurisprudenz von der Naturwissenschaft lernen sollte, daß die Wirkung einer Erscheinung bald besser aus dieser Natur der Erscheinung (z. B. Wellentheorie des Lichtes), bald besser aus jener (Korpuskeltheorie) zu erklären ist102. Das Konstruktionsgesetz der systematischen Einheit (Gesetz vom Nichtwidersproch)103 sollte nicht länger apodiktisch gehandhabt werden. Das bedeutet nicht die Aufgabe der Bemühung um die begriffliche Erfassung des Stoffes überhaupt, sondern eine Einsicht in die beschränkte Kraft aller Vorstellungen (Bilder) von der Natur der Dinge104 •

V. Das sogenannte Wesen der Gesamtschuld

Savigny 105 , der in der Analyse der praktischen Bedeutung eines Rechts-

instituts bisher noch kaum übertroffene Meister, erkannte die "wahre praktische Bedeutung" der passiven Korrealschuld in einem Doppelten:

Zutreffend Esser, Vorverständnis, S. 89. Es'Ser, Vorverständnis, S. 88. 101 Esser, Vorverständnis, S. 90. 102 Vgl. Enneccerus (Rechtsgeschäft, S. 39): "Nur wer die Rechtsprinzipien mit Naturgesetzen verwechselt, kann an sie die Anforderung der Ausnahmslosigkeit stellen." 1oa Vgl. oben Fußn. 47. 10' Ein eindrucksvolles Beispiel aus der Naturwissenschaft ist auch das sog. Kekule-Modell, welches der anorganischen Chemie hervorragende Dienste geleistet hat, aber dennoch viele neue Erkenntnisse nicht erklären kann, ohne daß diese die Vorstellung des Kekule-Modells unbedingt widerlegen. über die begrenzte Möglichkeit begrifflich-systematischer Erfassung des Rechts, insbesondere im Hinblick auf den Extremismus der sog. naturhistorischen Methode vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, § 23, S. 434 m. w. N., ferner Heck. SchuR, Anhang, S. 471 ff. 1os Vgl. OR I,§ 22, S. 215 ff. (216). 88

1oo

V. Das sogenannte Wesen der Gesamtschuld

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"Erstlich, indem er (hier: der Gläubiger) unter mehreren Schuldnern den einzelnen auswählen kann, dessen Vermögen ihm die größte Sicherheit für. die Erfüllung darbietet. Zweitens, indem er seinen Zweck durch eine einzige Klage, also auf leichtere und bequemere Weise, erreichen kann, anstatt daß er außerdem mehrere Klagen gegen verschiedene Schuldner, die vielleicht an zerstreuten Orten wohnen, anstellen müßte, wodurch also Zeit, Mühe, Geld erspart werden kann. Und zwar steht diese besondere Art der Verfolgung ganz in der Willkür des Gläubigers, welcher völlig freie Wahl hat, die Schuld in dieser besonderen Weise, oder vielmehr als eine getheilte Schuld, zu behandeln (§ 18. b)1041." Savigny entwickelte diese Erkenntnis aus einer Zusanunenschau der Wirkungen der Korrealschuld, wobei er eingestand, daß "darin Manches recht auffallend, fast räthselhaft" sei: "Auf der einen Seite erscheint darin eine besondere Macht und Willkür der Gläubiger, auf der anderen Seite aber auch manche Gefahr zufälliger Folgen, die nicht blos die Schuldner, sondern großentheils auch die Gläubiger treffen101." "Es wäre", so schrieb der große Meister, "ein großer Irrthum, diesen möglichen Erfolg als die wahre Absicht, als die praktische Bedeutung des Instituts, anzusehen. Alle Folgen der oben beschriebenen Art liegen blos in der unvermeidlichen juristischen Consequenz, und sind dem wahren Sinn und der Absicht des Instituts fremd. Die Rücksicht auf jene Gefahren kann besondere Vorsicht räthlich machen bei der Einlassung in ein Correalverhältniß, sowie bei der Handhabung der daraus entspringenden Rechte; thells persönliches Vertrauen, theils mancher schützende Nebenvertrag 108, kann die erwähnten Gefahren abwenden oder vermindern1"." Allein in den beiden Zwecken der Sicherheit und Bequemlichkeit in der Rechtsverfolgung sah Savigny also "die wahre Bedeutung des Instituts der Correalschuld" - "und nur allein in diesen", wie er in Sperrdruck hervorhob110• Alles Übrige liege "bloß in der juristischen Consequenz, nicht in der eigentlichen Absicht" 111 und könne, so lange die beiden Zwecke des Instituts beachtet werden, "die lediglich auf den Vortheil der Gläubiger berechnet sind", "aus Gründen der Billigkeit" modifiziert werden, "sey es durch Übereinkunft, sey es durch Anwendung allgemeiner Rechtsregeln" 11!. Diese ausführliche Darstellung der Savignyschen Wesensbestimmung der Gesamtschuld war notwendig, weil er daraus u . a. den Schluß zog,

"daß das abstracte Wesen der Correalschuld an sich, auf eine Ausglei-

S. 217 f. aaO. S. 216 f. aaO. 108 Hervorhebung vom Verfasser. 101 S. 217 aaO. m S. 218 aaO. 111 s. 221 aao. 111 S.219aa0. 10•

1°7

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§ 1 Einleitung

chung nicht führt, daß dieselbe also ;enem Wesen fremd ist" 113• Dies obwohl Savigny auf der anderen Seite durchaus erkannte, daß nur durch den Regreß verhindert wird, "daß die Correalschuld im letzten Erfolg wie ein Glücksspiel wirke, welches ihrem wahren Wesen ohnehin völlig fremd ist" 114• Der merkwürdige Widerspruch einerseits, "die wahre Bedeutung des Instituts der Correalschuld" allein in der "Sicherheit und Bequemlichkeit in der Rechtsverfolgung" sehen zu wollen, andererseits aber einzugestehen, daß nur der Regreß dem "wahren Wesen" der Korrealschuld gerecht wird und ihm den Glücksspielcharakter nimmt, ist, um mit Savignys115 eigenen Worten zu sprechen, nicht in der "Verneinung des Regresses", sondern im bloßen "Mangel eines Grundes, den Regreß zu behaupten", begründet. Das soll mit anderen Worten heißen, auf den Parteiwillen kann sich der Regreß grundsätzlich nicht gründen, wenn nicht ein konkretes Rechtsverhältnis vorliegt, und mangels eines solchen kennt das römische Recht, das für Savigny geltendes Recht war, keinen Regreßanspruch kraftobjektiven Rechts. Die Gesetzgeber des BGB haben dann aus "praktischen Erwägungen"1U1 jedem Gesamtschuldverhältnis einen Regreßanspruch potentiell zugeordnet, unabhängig vom Vorliegen eines konkreten Rechtsverhältnisses zwischen den Schuldnern. Ungeachtet dessen ist jedoch die wissenschaftliche Auffassung zum Recht des BGB bei der Meinung Savignys stehen geblieben und betrachtet die Gesamtschuld weiterhin nur als Institut im GläubigeTinteresse, dessen wirtschaftlicher Sinn allein bestehen soll in der erhöhten Sicherheit für den Gläubiger, die eine Leistung, die ihm mehrere schulden, auch wirklich zu erhalten117• Dieser wirtschaftliche Sinn der Gesamtschuld wird - wie so oft - auch hier als der Zweck118 des Rechtsverhältnisses bezeichnet; so sagt Enneccerns118 : "Die mehreren Schuldner oder Gläubiger sind durch ihren Willen oder nach den Vorschriften der Rechtsordnung zur Erreichung desselben Zwecks miteinua OR I, § 23, S. 227. S.229aa0. 115 s. 228 aao. 118 Mot. II, S. 169 = Mugdan II, S .93. 117 Vgl. Savigny, OR I, 217, 218; Mot. II, S. 156 = Mugdan II, S. 86; Staudinger-Kuhlenbeck, Anm. 2 zu § 421. In der modernen Literatur wird die Gesamtschuldregelung fast nur noch als "Gläubigerprivileg" verstanden, vgl. insbes. Esser, SchuR, 2. Aufl., § 97, 1, S. 443, der sie der für den Gläubiger ungünstigen Teilschuld gegenüberstellt; Larenz, SchuR I, § 36 II, b, S. 430; Palandt-Heinrichs, § 421 Anm. 1, der von sehr starker Sicherung des Gläubigers spricht; Soergel-Schmidt, § 420, Anm. 6; ausgewogener Hillenkamp, insbes. S. 130 f. 118 Esser (SchuR I, § 58 III, S. 435) spricht von der effektiven Einheitlichkeit des Befriedigungszwecks des Gläubigers, welcher die Obligationen wechselseitig aneinander bindet. Vgl. auch Börnsen, S. 79 m. w. N. m BR II, § 313, S. 264. 114

V. Das sogenannte Wesen der Gesamtschuld

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ander verbunden. so daß ihre einzelnen Verpflichtungen und Forderungen als Mittel zur Erreichung dieses Gesamtzwecks erscheinen. Dieser Gesamtzweck ist bei Gesamtschulden die Sicherung und Befriedigung des Gläubigers." Abgesehen von der Nichtberücksichtigung des im Recht des BGB (§ 426 !) auch zum "Wesen einer Gesamtschuld" gehörenden Regreßanspruchs ist eine solche Ausdrucksweise auch deswegen bedenklich, weil die Bezeichnung des wirtschaftlichen Sinns einer Rechtsfigur als ihr Zweck oder Gesamtzweck im Kontext der Untersuchungen Hartmanns über den "Zweck und Bau" der Obligation schnell in den Irrtum verführt, als sei dieser Zweck ein juristischer und Bestandteil des Inhalts des Begriffs der Gesamtschuld120. In solchem Irrtum hat auch die Erklärung des § 422 als Fall der sog. "Zweckerreichung" ihre letzte Wurzel121. Das "Gesamtschuldverhältnis" ist wie das "Schuldverhältnis" oder das "Rechtsgeschäft" ein abstractum, das es "an sich" nicht gibt1 22• Es gibt z. B. Mietverhältnisse, in denen sich Eheleute gemeinsam als Mieter verpflichtet haben (§§ 535, 427); es gibt gesetzliche Gesamtschuldverhältnisse mehrerer deliktischer Mittäter gemäߧ§ 823, 830, 840; es gibt schließlich durch eine gemeinsame Hauptschuld verbundene Bürgschaften (Mitbürgschaften, § 169). Dies sind Beispiele konkreter Gesamtschuldverhältnisse, die es in Wirklichkeit gibt und die sich unter dem abstrakten allgemeinen Oberbegriff Gesamtschuld zusammenfassen lassen; was im Ergebnis bedeutet, daß der jeweilige Gläubiger in den genannten Rechtsverhältnissen nur einmal den Mietzins, nur einmal Schadensersatz, nur einmal die Bürgenleistung fordern kann. Wie in den genannten Beispielen im Innenverhältnis gehaftet wird, bestimmt sich aus der Vereinbarung der Eheleute, dem Verursachungsgrad der Deliktstäter (§§ 254, 17 StVG u. a.) oder§ 840 II und 111 und bei den Mitbürgen, mangels einer Vereinbarung aus der gesetzlichen Vermutung (§§ 774 II, 426 1). Wenn Flume 1~ sagt, neben dem Gemeinsamen aller Rechtsgeschäfte müßte aber auch die Besonderheit des einzelnen Rechtstyps beachtet werden, so gilt dies im besonderen auch für das "Gesamtschuldverhältnis": Hierfür bleibt Raum, wenn das Gesamtschuldverhältnis nicht als Gesamtschuldverhältnis "an sich", sondern als Abstraktion der in der Rechtsordnung anerkannten Gesamtschuldtypen anerkannt wird124. Darum scheint es auch unter juristischen Gesichtspunkten nicht recht ergiebig zu sein, zu sagen: 120 Zur allgemeinen Problematik der Aufnahme des Zwecks eines Rechtsinstituts in seinen Begriff vgl. Jhering, Geist II, 2, S. 364 ff. und Windscheid, Pand. II, § 343 a, Note 6. 1!1 Darüber wird unten § 3, II, 3 noch zu sprechen sein. m Vgl. Flume, AT, § 2, 5, S. 31 f.; dagegen allerdings Larenz, AT, S. 316. Zur Streitfrage vgl. die Glosse in JZ 72, 132. 128 AT, S. 34. m Frei nach Flume, AT, S. 34.

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§ 2 Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld

"Das alle Beteiligten umfassende Gesamtschuldverhältnis stellt sich als ein Schuldverhältnis höherer Ordnung dar, das eine Mehrheit von einzelnen Schuldverhältnissen (niederer Ordnung) in sich schließt, die zwar verschiedener Ausgestaltung fähig, aber durch die Gemeinsamkeit des zu befriedigenden Gläubigerinteresses dauernd miteinander verbunden und von dem Fortbestand des Gesamtschuldverhältnisses abhängig sindlU."

Das Gesamtschuldverhältnis ist kein Schuldverhältnis höherer Art; es ist vielmehr ein abstrakter Rechtsbegriff, welcher ein Rechtsverhältnis erfassen will, auf dessen Passivseite mehrere in der Weise beteiligt sind, "daß jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist". Zur Abwicklung eines derartigen Schuldverhältnisses hat das Gesetz einige Regeln objektiven Rechts aufgestellt (insbesondere §§ 422, 426, aber auch §§ 423, 424, 425). Das einzelne Schuldverhältnis ist demgegenüber nicht von "niederer Ordnung", es ist lediglich einfacher abzuwickeln, weil nur zwei Personen daran beteiligt sind. Allenfalls läßt sich sagen, das Gesamtschuldverhältnis sei ein Schuldverhältnis besonderer Art, weil es, bedingt durch die Beteiligung von mindestens drei Personen, mit gesetzlichen Nebenwirkungen (Reaktionswirkungen) ausgestattet ist (z. B. §§ 422, 426), die das aus zwei Personen bestehende Einzelschuldverhältnis nicht kennt1H.

§ 2 Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld Das Hauptproblem des Rechtsinstituts der Gesamtschuld ist die Bestimmung seiner Voraussetzungen. Im Vordergrund steht dabei das Problem der Abgrenzung der Gesamtschuldverhältnisse von kumulierten Schuldverhältnissen; als Frage formuliert: Unter welchen Voraussetzungen schulden mehrere im Sinne des§ 421 eine Leistung in der Weise, daß der Gläubiger die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist? Aber auch die Abgrenzung der Gesamtschuldverhältnisse zu anderen Fällen der Schuldnermehrheit, insbesondere zu Fällen des§ 255, gehört zu dieser Problematik. I. Die Suche nach dem einheitlichen Begriff Der Gesetzgeber hat die Frage nach den Voraussetzungen und Grenzen des Gesamtschuldbegriffs mit dem Blankett umschrieben: "Schulden 125 So Larenz, SchuR I, § 37 Il, S. 437; BGHZ 46,15; dagegen auch Weitnauer, Karlsruher Forum, 1970, These 11 (noch nicht erschienen). tu Dazu Näheres unten§ 3 IV, 3.

I. Die Suche nach dem einheitlichen Begriff

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mehrere eine Leistung in der Weise ... "; die Frage ist damit offen und, wie es so heißt, der Wissenschaft zur Klärung überlassen geblieben. Die Wissenschaft hat sich in einem vollständig gar nicht mehr zu überblickenden Ausmaß1 bemüht, die gestellte Aufgabe zu erfüllen. Die Bemühungen sind gekennzeichnet durch das Bestreben, ein einheitliches Merkmal zu finden, welches die richtigen Fälle erfaßt und die unrichtigen ausscheidet. Die Versuche, das eine Wort zu finden, das alles klärt, alles aus einem Begriff erklärt, werden jedoch neuerdings allgemein als gescheitert erkannt2. Die ältesten, noch in den historischen Wurzeln des Instituts der Gesamtschuld verfangenen Versuche bestehen darin, die Gesamtschuld zu beschränken auf die Fälle identischer Leistungen (" ... eine Leistung ... ",§ 421) oder die Fälle eines gemeinsamen Rechtsgrundes (gleichgründige Gesamtschulden, § 427). Das Erfordernis der Gleichgründigkeit erwies sich aber von Anfang an als zu eng; es vermochte z. B. weder den Fall des § 769 BGB noch das Zusammentreffen von Vertrags- und Deliktshaftung als Gesamtschuld zu erklären. Das Erfordernis der Identität der geschuldeten Leistung ist dagegen teils zu weit, teils zu eng: Auch meh1 Vgl. das Schrifttumsverzeichnis dieser Arbeit, welches jedoch auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. 1 Vgl. v. Caemmerer, ZffiV 68, 82; Dilcher, JZ 67, 113; Hillenkamp, S. 115, 117 Fußn. 1 und öfters; Thiele, JuS 68, 150; Börnsen, S. 95; Frotz, VersR 1965, 45. Diese Erkenntnis ist freilich nicht neu, Mitteis schrieb bereits im Jahre 1887 in GrünhZ, Bd. 14, S. 476: "In dieser Beziehung wird Niemand verkennen, daß es nicht rätblich ist, alle passiven Solidarschuldverhältnisse als eine durchaus homogene Masse hinzustellen; man muß dieselben vielmehr nach Ursprung und Zweck in verschiedenen Gruppen sondern. Darüber sind denn auch alle, die die hier vertretene Auffassung theilen, einig, es fragt sich nur um das richtigste Eintheilungsprincip." Dieses "richtigste Eintheilungsprincip" konnte Mitteis damals nicht finden, und die folgende Zeit ist nach der Kodifikation der§§ 421 ff. BGB eben doch in den Fehler verfallen, alle Gesamtschuldverhältnisse als eine homogene Masse zu begreifen. Auch Weitnauer (Karlsruher Forum 1970) will die Einheit des Gesamtschuldbegriffsbewahren und mit folgender Formel erfassen: "Mehrere Schuldner desselben Gläubigers sind dann Gesamtschuldner, wenn der Gegenstand der geschuldeten Leistung im wesentlichen der gleiche ist ... und der Zweck der Ansprüche auf Grund gemeinsamer Vereinbarung der Schuldner mit dem Gläubiger oder aus einem sonstigen Grunde aus der Sicht des Gläubigers der gleiche ist." Diese "Zweckgleichheit aus der Sicht des Gläubigers" hält Weitnauer insbes. für gegeben: a) bei gleichgründigen Gesamtschulden, b) bei Schutzzweckgesamtschulden (gemeinsamen Schutzzweck), und c) "auch dann, wenn neben einen Anspruch mit beliebigem Zweck (z. B. Austauschzweck) ein Anspruch mit Sicherungszweck tritt, z. B. Bürgschaft". Auch damit wird anerkannt, daß sich der Begriff der Gesamtschuld nur in den genannten drei Typen konkretisiert. Bei den Sicherungsgesamtschulden ist mit der "Zweckgleichheit aus der Sicht des Gläubigers" dessen einmaliges Interesse an der Leistung und das Bewußtsein von der Abhängigkeit der sichernden Schuld von der gesicherten Schuld (ohne Rücksicht auf deren Zweck) gemeint. Dahinter steckt das Bedürfnis, den einheitlichen Begriff der Gesamtschuld von den Fällen kumulierter Schuldverhältnisse abzugrenzen, was aber von meinem Standpunkt aus dadurch erreicht wird, daß außer den drei genannten Typen andere Fälle von Gesamtschulden nicht anerkannt werden.

4 Ehmann

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§ 2 Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld

rere Gattungsschulden sowie die Forderungen auf Schadensersatz in Geld müssen zu Gesamtschulden verbunden werden können; andererseits kann auch eine Speziessache kumuliert geschuldet werden, obgleich der Gläubiger nur einmal daran ein wirtschaftliches Interesse hat. Enneccerus3 gab dazu folgendes Beispiel: "Wenn ich dieselbe Sache von A zu fordern habe, weil er sie mir, und von B, weil er sie meinem Erblasser verkauft hat, so sind A und B keineswegs Gesamtschuldner." II. Das Merkmal der sog. Zweckgemeinschaft

1. Die vieldeutige Zauberformel Mit dem Merkmal der "Gemeinschaft des Zweckes" oder, wie Enneccerus selbst auch sagte, der "Zweckgemeinschaft" - was schon nicht mehr ganz dasselbe zu sein braucht - hat Enneccerus dann die bedeutendste "Zauberformel" auf diesem Gebiet geprägt, die - wohl insbesondere wegen ihrer Vieldeutigkeit- bald von der Rechtsprechung aufgegriffen und bis in die jüngste Zeit festgehalten wurde. In einer langen Reihe von Entscheidungen sind dabei so verschiedene Bedeutungen unter das Merkmal der "Zweckgemeinschaft" gepreßt worden, daß es zur Leerformel erstarrte4 • Die Rechtsprechung gewann mit der Aushöhlung des Begriffsinhalts zwar die Freiheit, unter dem Mantel dogmatischer Scheinlösungen fallgerechte Entscheidungen zu treffen5 • Andererseits konnte aber eine derart leere Begriffshülle dem wissenschaftlichen Bemühen nach klarer begrifflicher Erfassung des Rechts nicht mehr genügen; das Merkmal wurde fast allgemein aufgegeben6 • Andere Erfordernisse wurden aufgestellt wie "Gleichstufigkeit" oder "Gleichrangigkeit" der Verpflichtungen, "wechselseitige Tilgungsgemeinschaft", "Erfüllungsgemeinschaft", und wurden wieder verworfen und unter etwas anderen Namen mit etwas anderen Bedeutungen wiederaufgestellt. Die unter diesen und ähnlichen Bezeichnungen aufgestellten Theorien laufen mehr oder weniger alle auf die banale Feststellung hinaus: eine Gesamtschuld liege dann vor, wenn die Leistung eines Schuldners die anderen gern. § 422 befreie7 • Die BR Il, § 313, S. 263 Fußn. 9. Vgl. insbes. Hillenkamp, S. 15 ff.; Börnsen, S. 65 ff. jeweils mit umfangreichen Nachweisen; auch die kürzergefaßte Darstellung des folgenden Textes. 6 Zur Methode der Aushöhlung von Begriffen zum Zwecke der Gewinnung dogmatischer Scheinlösungen vgl. insbes. Bydlinski, Probleme, S. 54 ff.; über Leerfonnein im allgemeinen vgl. Topitsch, Festschrift für Kraft, S. 223 ff. e Jetzt (10. Aufl.) auch von Larenz, SchuR I, § 37 I, S. 435 Fußn. 4; ebenso von Esser, SchuR I, § 58, 2. 7 Insbes. Selb, S. 17; Frotz, JZ 64, 668 und NJW 65, 1259; ihnen folgend Larenz, SchuR I, § 37 I, S. 433 ff.; Esser, SchuR I, § 58 I, S. 432 ff.; vgl. ferner die Nachweise bei Hillenkamp, § 5 und § 6, S. 61 ff. S. 78 ff.; auch Börnsen, s. 75 ff. a

4

li. Das Merlanal der sog. Zweckgemeinschaft

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Argumente zur Widerlegung dieser Theorien gipfeln immer wieder in der Feststellung, daß damit eine Rechtsfolge der Gesamtschuld zu ihrer Voraussetzung erklärt wird8 • Wenn aber auch keines der verschiedenen Merkmale, die zur Lösung des Problems der begrifflichen Voraussetzung einer Gesamtschuld aufgestellt wurden, zu einer vollständig überzeugenden Lösung führte, so steckt doch in nahezu all diesen Versuchen ein wenigstens teilweise berechtigtes Anliegen, ein richtiger Kern. Das sollen die folgenden Ausführungen zeigen. 2. Hilfreiche Krücke der Rechtsentwicklung Die an dem Merkmal der "Zweckgemeinschaft" geübte Kritik wird seinem Wert nicht ganz gerecht. Die Fehlbeurteilung liegt begründet in der Methode dieser Kritik' und der damit verbundenen Verkennung der Funktion, die dieses Merkmal in der Diskussion um den Begriff der Gesamtschuld erfüllte. Der methodische Fehler liegt in dem Widerspruch, daß man einerseits erkannte, daß es ein einheitliches, alle Gesamtschuldfälle erfassendes Begriffsmerkmal nicht gibt10, andererseits aber die Unbrauchbarkeit des Merkmals Zweckgemeinschaft daraus folgerte, daß es viele Fälle nicht zu erfassen vermag11 • Es fehlt bei dieser Kritik an der positiven Feststellung, was das Merkmal in der dogmengeschichtlichen Entwicklung geleistet hat. Dabei ist diese Feststellung relativ einfach: Sie ergibt sich ohne weiteres aus der Darstellung im Lehrbuch von Enneccerus11i. Enneccerus sah die Notwendigkeit, den Gesamtschuldbegriff auf der einen Seite zu befreien von der Enge der "identischen Leistungspflicht" oder des "gleichen Entstehungsgrundes" (eadem causa)13 und auf der anderen Seite den so erweiterten Begriff abzugrenzen von auf die gleiche Leistung gerichteten kumulierten Schuldverhältnissen14 • Daß Enneccerus die "Zweckgemeinschaft" mehr verstanden wissen wollte als einen "inneren Zusammenhang" 15 zwischen den Obligationen oder gar zwischen den Schuldnern10, hat wohl verschiedene Gründe: Sicherlich ist das traditionelle Denken in den gemeinrechtlichen Kategorien ein gewichtiger Faktor; denn "Zweckgemeinschaft" soll auch so etwas Ähn8 So insbes. Hillenkamp, S. 55; auch Börnsen, S. 81 f. • Vgl. insbes. Hitlenkamp, S. 27 ff.; auch Börnsen, S. 65 ff. 10 Vgl. oben Fußn. 2. 11 So insbes. Hillenkamp, S. 29 f.; vgl. auch Rud. Schmidt, JherJb 72, 52. u BR li, § 313; jetzt Enneccerus-Lehmann, SchuVerh, § 90, S. 360 ff. Vgl. auch dazu die Kritik von Rud. Schmidt, JherJb 72, 11 ff. 13 Vgl. § 313 Fußn. 10. Obwohl das BGB keine Andeutung des Erfordernisses der eadem causa enthält, hat es auf Grund der Untersuchung Eiseles (AcP 77, 374 ff.) Einzug in Literatur und Rspr. zum BGB gefunden; vgl. die Darstellung dieser Entwicklung bei Rud. Schmidt, JherJb 72, 3 ff. Vgl. auch unten§ 3 Fußn. 8 und§7I, 3. 1• BR II, § 313, S. 263 f., insbes. Fußn. 9. 15 S. 263 aaO. 16 S. 264 aaO.

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§ 2 Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld

liebes bedeuten wie das "konkrete Rechtsverhältnis" 17, aus dem sich der Regreßanspruch ergibt; zum anderen sollte das Merkmal der Zweckgemeinschaft allerdings das Erfordernis des "materiell gleichen Rechts.,. grundes" erweitern, sich aber doch wieder inhaltlich nicht so weit davon entfernen, also doch so etwas Ähnliches sein18 ; und schließlich sollte es als "unechte" Gesamtschulden die Fälle ausscheiden, in denen mangels einer gesetzlichen oder rechtsgeschäftliehen Bestimmung § 426 einen Regreßanspruch "in der falschen Richtung" geben würde. Die Vieldeutigkeit des Begrüfs "Zweckgemeinschaft" erlaubte es, von Fall zu Fall alle diese Notwendigkeiten interpretativ aus dem Merkmal zu entwickeln, je nach Bedarf mehr nach der einen oder mehr nach der anderen Richtung.

3. Die Angst vor dem "falschen" Regreß Wie sehr damit die oben19 umschriebene Angst vor dem Regreß "in der falschen Richtung" auf die Bildung des Gesamtschuldbegriffs zurückwirkte, zeigt die Darstellung der Ausgleichungspflicht durch Enneccerus in§ 318 seines Lehrbuchs, wo er unter li, 1-4 die verschiedenen Regeln zur Bestimmung der Ausgleichspflicht abhandelt und am Ende der Ziff. 4 schreibt:

"Zu beachten ist ferner, daß die Ausgleichungspflicht zu gleichen Teilen in muß, wenn die Voraussetzungen einer anderweitigen Regelung (oben 1 - 3) nicht erwiesen werden können." § 426, 430 als die Regel erscheint, also angenommen werden

Im direkten Anschluß an diesen Satz heißt es dann unter Züf. 5: "Schon früher (§ 313 II 3) ist ausgeführt, daß und weshalb die Vorschriften der §§ 426, 430 auf die sog. unechten Gesamtschulden keine Anwendung finden können."

In§ 313 II 3 heißt es, wörtlich und ungekürzt zitiert: "Wenn aber der Gedanke an eine derartige Zweckgemeinschaft ausgeschlossen ist, die mehreren Personen vielmehr ohne jede Beziehung zueinander (gleichsam zufällig) für dasselbe Interesse des Gläubigers haften, dann ist auch eine Gesamtschuld nicht anzunehmen. So haften zwar der Brandstifter und der Versicherer, ferner der Dieb und der Mieter oder Entleiher, durch dessen Fahrlässigkeit der Diebstahl ermöglicht wurde, nebeneinander für denselben Schaden, aber ohne Gesamtschuldner zu sein. Auf derartige Fälle, die man als unechte Gesamtschulden zu bezeichnen pflegt, sind also die Vorschriften über Gesamtschulden, insbesondere über die Gesamtwirkung der Befriedigung und des Annahmeverzugs (unten §§ 316, 317) nicht ohne weiteres anwendbar, und die Anwendung der Regeln über die Ausgleichung unter Gesamtschuldnern (unten§ 318) wird sogar in der Regel ausgeschlossen sein20." 17

Also z. B. Gesellschaft, Auftrag, Geschäftsführung ohne Auftrag.

1s Vgl. dazu§ 7 I, 3 um Fußn. 23. 1t § 1 II. 20 BR Il, § 313 a. E., S. 264.

li. Das Merkmal der sog. Zweckgemeinschaft

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Der Grund für den regelmäßigen Ausschluß des§ 426 ist im Zusammenhang dieser Zitate unschwer zu erkennen: In § 318 II, 1-3 waren die "Voraussetzungen einer anderweitigen Regelung" der Ausgleichungspflicht zwischen Brandstifter und Versicherer, zwischen Dieb und Mieter (bzw. Entleiher) und allen jenen, die "ohne Beziehung zueinander (gleichsam zufällig) für dasselbe Interesse des Gläubigers haften", nicht erwiesen worden. Darum mußte, so meinte Enneccerus, angenommen werden, daß sie gemäß § 42'6 I Satz 1 zu gleichen Teilen haften. Das aber war zwischen Brandstifter und Versicherer, zwischen Dieb und Verwahrer und in manchen anderen Fällen offenbar untragbar. Also sollte in der Regel § 426 in solchen Fällen nicht anwendbar sein und "unechte Gesam.tschulden" vorliegen. Weil eine anderweitige Bestimmung" in§ 426 I 1 in vielen Fällen, in denen sicherlich eine Haftung nach Kopfteilen unangemessen war, nicht anerkannt wurde, sollte in diesen Fällen die Anwendung des § 426 gänzlich ausgeschlossen werden. Anstatt die anderweitige Bestimmung für § 426 I 1 zu entwickeln, wurde § 426 mittels des Begriffs der sog. "unechten Gesamtschuld" aus dem Gesetz hinausinterpretiert, d. h. der Begriff der Gesamtschuld wurde so eingeschränkt, daß § 426 in solchen Fällen nicht mehr zur Anwendung kommen konnte.

4. Die Zweckgemeinschaft als "quasi-konkretes" Rechtsverhältnis Mit dieser Erkenntnis wird zugleich die unter dem anderen begrifflichen Mantel verborgene Verwandtschaft zur Ausgleichsproblematik des gemeinen Rechts wieder deutlich sichtbar. Savigny 21 und ihm alle folgend bis zu Windscheid wollten einen Regreß nur geben unter der Voraussetzung eines "konkreten" Rechtsverhältnisses unter den Gesamtschuldnern (societas, mandatum, negotiorum gestio etc.). Voraussetzung des Regresses war nach dieser Auffassung entweder eine actio pro socio oder eine actio mandati oder eine actio negotiorum gestorum oder eine condictio etc. Mangels einer derartigen, auf ein "konkretes Rechtsverhältnis" gestützten actio war daher im gemeinen Recht der Regreßweg verschlossen22. Entsprechend verweigerte Enneccerus den Anspruch aus§ 426, wenn er das Ausgleichsprinzip nicht erkennen konnte und ihm die Haftung zu gleichen Teilen unangemessen schien23 • In § 42'6 BGB erschien also unter dem Blankett " ... soweit nicht ein anderes bestimmt ist" das alte Regreßproblem des gemeinen Rechts. Das 21

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OR I, § 23, S. 226 ff.

Vgl. Savigny, OR I, S. 231 ff. aaO. Vgl. oben um Fußn. 19 und 20.

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§ 2 Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld

zeigt sich z. B. deutlich, wenn Enneccerns24 im Falle, daß keine oder keine wirksame rechtsgeschäftliche Regelung vorliegt, eine Ausgleichungspflicht insoweit annimmt, "als durch die Tilgung der Schuld ein Gesamtschuldner auf Kosten des anderen grundlos bereichert ist". Enneccerns24 bildete dazu folgenden Fall: "War z. B. der Gesamtschuldner, der die Schuld getilgt hat, der Schuld des anderen in dem irrigen Glauben, ihm dazu verpflichtet zu sein, beigetreten, so kann er, soweit dieser durch die Zahlung von seiner Verpflichtung befreit ist, also grundlos bereichert ist, Ausgleichung fordern2S." Und Enneccerus erklärt die Lösung so: "Auch hier ist ,ein anderes bestimmt'; denn die Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung enthalten eine von der eventuellen Bestimmung des § 426 abweichende Regelung der Frage11."

Savigny hätte in diesem Beispiel den Regreß als condictio konstruiert. Das Problem der Unterscheidung zwischen echten und unechten Gesamtschulden im Recht des BGB erweist sich also als nichts anderes als das alte Regreßproblem des gemeinen Rechts im neuen Gewand26 •

5. Der Bedeutungswandel der "Zweckgemeinschaft" von Enneccerns bis Lehmann Das Merkmal der Zweckgemeinschaft, das gewissermaßen als Zauberformel das alte Problem lösen sollte, wurde im Laufe der Entwicklung in Rechtsprechung und Literatur mit den verschiedensten Bedeutungen angefüllt27. Der Trend dieses Bedeutungswandels ging dabei eindeutig hin zu einer Objektivierung des Begriffs28 • Von der "subjektiven Zweckgemeinschaft" KlingmülZers2 9 hatte sich Ennecceru.s3° selbst noch distan24 BR II, § 318 II, 2, S. 277 ; entsprechend heute Enneccerus-Lehmann, SchuVerh, § 95 I, 2, S. 373. 25 = Fußn. 24; Rud. Schmidt (NJW 64, 295) will auch § 817 auf das Ausgleichs-(lnnen-)verhältnis zw. den Gesamtschuldnern anwenden. 20 Nicht aber wie oft angenommen wird - als die Fortsetzung der Unterscheidung von Fällen "ächter" und "unächter" Korrealität, welche nämlich für die Regreßproblematik nicht erheblich war. Etwas unklar meint Esser (SchuR I, § 58 II, S. 434) die Unterscheidung zwischen echten und unechten Gesamtschulden sei "eine unkontrollierte Nachwirkung des gemeinen Rechts", wo zwischen sog. Korreal-und Solidarobligationen unterschieden worden sei. 27 Vgl. HiUenkamp, S. 15 ff. mit ausführlicher Darstellung. 28 Das wird deutlich an den Korrekturen Lehmanns im Lehrbuch von Enneccerus (vgl. SchuVerh, § 90 II). 29 K~ingmülter (JherJb 64,62 ff.) fordert als Voraussetzung einer echten Gesamtschuld, daß der Gläubiger bei den mehreren Schuldverhältnissen em und denselben rechtlichen Zweck verfolgt und daß sämtliche Beteiligte sich dieser gemeinsamen causa bewußt sind. Die echten Gesamtschulden sollen in einer subjektiven Zweckgemeinschaft zueinander stehen. Allerdings gelte dies nur für die rechtsgeschäftlich begründete Gesamtschuld. Bei den gesetzlichen Gesamtschulden (z. B. Delikt) werde den Schuldnern mit der gemeinsamen

II. Das Merkmal der sog. Zweckgemeinschaft

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ziert, ohne jedoch seine eigene Auffassung zu präzisieren. Rud. Schmidfl 1 erklärte dann die Auffassung von Enneccerus, eine Zweckgemeinschaft zwischen den mehreren Schuldnern fehle, wenn diese ohne jede Beziehung zueinander (gleichsam zufällig) für dasselbe Interesse des Gläubigers haften, für widersprüchlich; er meinte: "Die Zweckgemeinschaft ist eben darin zu sehen, daß die mehreren Schuldner für dasselbe Interesse des Gläubigers haften; damit ist eine bedeutsame Beziehung zwischen ihnen hergestellt, und es läßt sich also nicht sagen, daß sie ohne Beziehung zueinander haftenst." Auch haften, so schreibt Rud. Schmidt, Brandstifter und Versicherer nicht zufällig für denselben Schaden,

"sondern nach den Vorschriften der Rechtsordnung, die diese Verknüpfung herbeigeführt hat, ebenso wie wenn mehrere Personen dasselbe Delikt begangen haben und nach § 840 als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden"st. Der "Gesamtzweck", zu dessen Erreichung nach Enneccerus die mehreren Verbindlichkeiten verbunden seien, sei auch vorhanden, wenn Brandstifter und Versicherer nebeneinander haftenn. Wohl auf Grund dieser Kritik hat Lehmann in seiner Bearbeitung des Schuldrechts von Enneccerus den von Schmidt als widersprüchlich kritisierten Satz, der eine Beziehung der Schuldner untereinander als Voraussetzung der Zweckgemeinschaft verlangte33, gestrichens•. Lehmann verstand die Zweckgemeinschaft mehr objektiv vom Interesse des Gläubigers her; in diesem Sinne stellt er die Frage, ob "die Verpflichtungen im Dienste desselben Zwecks verbunden sind" 35 • Das aber sollte z. B. geschehen35: Schadensersatzpflicht zugleich die subjektive Zweckgemeinschaft auferlegt. Den einzelnen gesetzlichen Schuldverhältnissen sei der gleiche Richtungspunkt von vornherein nach dem selben Schuldzweck gegeben. Vgl. dazu bes. § 5 I, 2. Rud. Schmidt (JherJb 72, 52) hält die subjektive Zweckgemeinschaft i. S. Klingmüllers für kein brauchbares Merkmal zur Unterscheidung von echten und unechten Gesamtschulden. Das zeige sich insbes. bei gesetzlichen Gesamtschulden aus Delikten; was Klingmüller hier fordere, sei nicht mehr subjektive, sondern objektive Identität: ,.Derselbe Schuldzweck ist die Beseitigung des Schadens; von einer subjektiven Beziehung der Gesamtschuldner untereinander enthält er nichts" (S. 53). Wieder einmal ist im Wege der Kritik der richtige Gedanke (Zweck der Deliktsansprüche ist die Schadensbeseitigung) hervorgetreten! so § 314 Fußn. 11, S. 264. 31 JherJb 72, 51. s2 JherJb 72, 52. 33 Womit Enneccerus trotz seiner Kritik an Klingmüller sich von dessen

Auffassung doch nicht ganz frei gemacht hatte. 34 SchuVerh, § 90 I, 3, S. 363 a. E. Leider geschah diese wesentliche Änderung zu unauffällig und auch ohne die notwendige Neufassung der gesamten Ausführungen über die Gesamtschuld; sie blieb daher, insbes. in der Rspr., weitgehend unbemerkt. · 35 SchuVerh, § 90 Il, 2, S. 362.

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§ 2 Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld

"durch geschäftliche Verbindung in gemeinsamem Vertrag"; "durch Stellung verschiedener Verpflichtungen in den Dienst eines anderen Schuldzwecks, woraus sich die gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Mitbürgen bei getrennter Verbürgung rechtfertigt (§ 769)"; (3) "durch gesetzliche Verbindung, so wenn das Gesetz mehreren Personen Ersatzsatzpflichten aus gemeinsamen Vergehen auferlegt oder sie sogar aus verschiedenen Verletzungshandlungen haftbar macht, wenn nur die verletzten Schutznormen einen gemeinsamen Schutzzweck haben. Man denke an das Zusammentreffen von Vertrags- und Deliktshaftung (der Gehilfe des Vertragsschuldners hat in der Erfüllung ein Delikt begangen) RGZ 77, 333;79,290"36. (1)

(2)

Lehmann hat durch das Verständnis der Zweckgemeinschaft als "Verpflichtung im Dienste desselben Zwecks" die Möglichkeit gefunden, unter Wahrung einer scheinbaren Kontinuität der Rechtsentwicklung Fallgruppen zu bilden, die bei objektiver Beurteilung durch das Merkmal der "Zweckgemeinschaft" nicht mehr zusammengehalten werden. "Derselbe Zweck", der die Obligationen in diesen drei Fallgruppen zu Gesamtschulden verbinden sollte, ist so allgemein, daß er weder zu erklären vermag, warum in anderen Fallgruppen keine oder unechte oder scheinbare Gesamtschulden vorliegen noch warum gerade in diesen Fallgruppen Gesamtschulden gegeben seien, schon gar nicht, woraus sich die Kriterien für den Innenausgleich ergeben sollen. Die Trennung der Gesamtschuldfälle in diese Gruppen beweist im Gegenteil, daß in jeder Gruppe etwas Spezifisches die gesamtschuldnerische Bindung schafft, nämlich der gemeinsame Vertrag {Gruppe 1), d. h. der identische Austauschzweck, Schenkungszweck usw. oder der gemeinsame Sicherungszweck (Gruppe 2) oder der gemeinsame Schutzzweck {Gruppe 3)37 • "Derselbe Zweck" im Lehmannschen Sinne ist nur noch eine Umschreibung für die bereits getroffene Wertung, daß der Gläubiger dieselbe Leistung nur einmal erhalten soll. Erst die Differenzierung der angedeuteten Art erklärt, warum der Gläubiger die Leistung nur einmal erhalten soll: {1) weil sie ihm nur einmal versprochen wurde {um einer Gegenleistung willen - Austauschzweck - oder schenkungshalber oder mortis causa usw.); oder {2) weil die anderen Versprechen {Bürgschaft, Mitbürgschaft, Schuldmitübernahme) nur zur Sicherung einer Hauptschuld gegeben wurden; oder 11 · 17

Enneccerus-Lehmann, SchuVerh, § 90 li, 2, S. 362. Die verschiedenen Typen werden im einzelnen im 3. Kapitel insbes. in

li. Das Merkmal der sog. Zweckgemeinschaft

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(3) weil er für ein und denselben Schaden nur einmal entschädigt werden soll. Die Differenzierungen dieser Art erklären zugleich, nach welchen K riterien die internen Beteiligungsanteile in einem Gesamtschuldverhältnis zu ermitteln sind38, in welchem Umfang also die Leistung des einen die Verpflichtungen der anderen tilgt(§ 422) bzw. auf den Leistenden überleitet(§ 426 II): zu (1): Bei den aus einer gemeinsamen Verpflichtung entstandenen gleichgrundigen Gesamtschulden ergibt sich das Maß der internen Beteiligung aus der ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung der Schuldner; ist auch eine ergänzende Auslegung unergiebig, so gilt die Vermutung des§ 426 I 1; die Schuldner sind zu gleichen Anteilen verpflichtet39 ; zu (2): Schuldner, die sich nur zur Sicherung einer anderen Verbindlichkeit verpflichtet haben, können im Zweifel vom Schuldner der gesicherten Forderung vollen Ausgleich verlangen (Hauptbeispiel: die Bürgschaft mit der Regel des§ 774 I); mehrere zur Sicherung einer gemeinsamen Hauptschuld Verpflichtete haften dagegen im Zweifel zu gleichen Teilen (z. B. § 769).C0 ; zu (3): Unter mehreren zum Ersatz desselben Schadens Verpflichteten entscheidet das Maß der Verursachungf1•

6. Das theoretische Fehlverständnis des Zweckbegriffs Das mangelnde Verständnis für die Lehre vom Zweck (causa-Lehre) verhinderte, daß die richtige Beobachtung dieser Fallgruppen als systematische Erkenntnis begriffen und theoretischerfaßt wurde42 • Das mangelnde Verständnis dieser Art ist begründet in der allgemeinen Verkennung der causa-Lehre43, was eine Teilerscheinung des vernachlässigten Bemühens um die theoretisch-systematische Erfassung des Rechtsstoffes ist, die seit Schaffung des BGB den überwiegenden Teil unserer Zivilrechtswissenschaft kennzeichnet. den §§ 7, 8 und 11 dargestellt; zur Unterscheidung der verschiedenen Zwecke vgl. § 6. as Vgl. auch unten§ 31V, 3 a. a1 Vgl. unten § 7 li, 5. 40 Vgl.unten § 11, li. 41 st. Rspr. (vgl. RGZ 84, 430; 136, 288; 159, 89; BGHZ 17, 214 (222); 43, 178 (187); 51, 275 (279)) in entsprechender Anwendung der für die mitwirkende Verursachung des Verletzten bestehenden Regeln (z. B. §§ 254 BGB, 17 StVG u. a.); vgl. unten § 8 I, 3. 41 Etiam opiniones verae non multi pretü sunt, donec quis illas ratlocinatione a causis ducta liget (Platon, zitiert nach Schopenhauer, Der Satz vom Grunde, §4).

n Vgl.dazu unten§ 6.

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§ 2 Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld

Selbst SibeT" war von diesen Schwächen nicht frei, wenn er zwar schrieb, das entscheidende Merkmal könne nur in der "Einheit oder Verschiedenheit des Leistungszwecks" gefunden werden, auch erkannte, daß die Ersatzansprüche wider den Brandstifter oder den Einbrecher und wider den Versicherer "als einzelne den Zweck der Ausgleichung desselben Schadens haben"45 , aber meinte, die Einheit des Zwecks sei nicht gegeben, weil die Leistung des Versicherers zugleich eine Gegenleistung für die erhaltenen Prämien sei48 • Damit wurde verkannt47 , daß hinter dem Primärzweck einer Leistung oder eines Leistungsversprechens (Forderung) weitere Zwecke "angestaffeZt" 48 sein können. Der Versicherer verspricht den Schutz (durch Ersatzleistung) um einer Gegenleistungwillen (Austauschzweck); theoretisch könnte der Schutz auch unentgeltlich oder zu einem sonstigen (atypischen) Zweck versprochen werden49 • Der Schutzanspruch ist jedoch geprägt vom Schutzzweck50, er entsteht51 , wenn der Schadensfall eintritt, nicht weil die Prämie bezahlt wurde; die Prämienzahlung ist nur der dahinter stehende Grund für das Schutzversprechen. Der Austauschzweck tritt hinter dem Schutzzweck zurück, er ist ihm angestaffelt52• Ähnlich kann eine zur Sicherung (Sicherungszweck) versprochene Bürgenleistung um einer Gegenleistung willen oder gefälligkeits(schenkungs-)halber versprochen werden: Der Austausch- oder Schenkungszweck des Bürgschaftsversprechens tritt hinter dem Sicherungszweck zurück, ist ihm angestaffelt53• Es ist nur zu verständlich, wenn die Rechtsprechung die in der wissenschaftlichen Literatur nicht geklärten Fragen ihrerseits nicht hat lösen können und in der Anwendung des Merkmals der Zweckgemeinschaft - beginnend mit der Entscheidung RGZ 77, 317 - es nicht vermocht hat, eine einheitliche Linie zu entwickeln54. Bei Planck, § 421, Anm. 1 b, S. 623. Im Anschluß an und mit Hinweis auf Reichel, Die Schuldmitübernahme, S. 50 und KlingmülZer, JherJb 64, 111 f. 48 Mit Berufung auf Last, Anspruchskonkurrenz S. 32 f. 47 Auch Rud. Schmidt, der die Ansicht Sibers als Fortschritt preist (JherJb 72, 53), erkennt diesen wesentlichen Mangel der Siberschen Auffassung nicht. " Vgl. Kress, ASchuR, § 5, insbes. S. 37, 44; auch § 6 aaO, S. 71, 75 f., dazu § 6 VII und § 8 II, 1 d. •u Vgl. unten§ 5 II, 4 und§ 6 VI. 50 Vgl. insbes. Kress, ASchuR, § 23, S. 579; auch§ 1 aaO, S. 5. 51 Aus dem unentwickelten negativen Schutzanspruch (Unterlassungspflicht); vgl. § 6VI. 52 Vgl.Kress, ASchuR, § 23, S. 579; dazu unten§ 6 VII. 53 V gl. Kress, ASchuR, § 5, S. 37; dazu unten§ 6 VII, unter 3 c) und d). 54 Was auch Fischer (RGRK, § 421 Anm. 8) weder verkennt noch verschweigt: .,Es ist nicht zu verkennen, daß der Abgrenzung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Zweckgemeinschaft etwas Unklares anhaftet und sie nicht zu völlig gesicherten Ergebnissen führt.'' Jedoch hat schon Rabel (Ges. Aufsätze I, S. 310) aus dem im Text genannten Grunde die Praxis für entschuldigt erklärt, wenn sie darin .,einer gewissen 44 45

II. Das Merkmal der sog. Zweckgemeinschaft

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7. Das Merkmal "Zweckgemeinschaft" in der Rechtsprechung des RG und des BGH

Es soll hier nun keine vollständige Analyse der Rechtsprechung zum Merkmal der Zweckgemeinschaft bei der Gesamtschuld geliefert werden; es seien nur einigen Fälle herausgegriffen, die als pars pro toto zeigen sollen, daß die Rechtsprechung in einigen Fällen mittels der Zauberformel "Zweckgemeinschaft" doch an das richtige Prinzip herangekommen ist, es in anderen dagegen ebenso sehr verfehlt hat. Die wichtigste Funktion des Merkmals für die Rechtsprechung bestand zweifellos in der Befreiung des Gesamtschuldbegriffs von dem zu engen Erfordernis des "gemeinsamen materiellen Schuldgrundes" 55 • Das Reichsgericht hat die Enneccerus-FormeZ erstmals aufgegriffen in einer Entscheidung vom 25. November 19115e und dabei ausgeführt: "Geht man davon aus, daß es einer Gemeinschaft unter den mehreren Schuldnern bedarf, um die Vorschriften über die Gesamtschulden, insbesondere die Ausgleichsregeln des § 426, zur Anwendung zu bringen, so wird man die Gemeinschaft mit Enneccerus, Bürgerl. Recht § 313, als Zweckgemeinschaft aufzufassen haben. Ein gemeinschaftlicher Entstehungsgrund der Schuld ist ebensowenig zu verlangen wie die inhaltliche Gleichheit der Ansprüche. Der erkennende Senat hat sich ferner schon dagegen gewandt, ein wahres Gesamtschuldverhältnis bloß aus dem Grunde zu verneinen, weil der eine der Schuldner ein abstraktes Versprechen gegeben hat (Entsch. RG's in Zivils. Bd. 70S. 410). Auch der Umstand, daß der eine aus Vertrag, der andere aus unerlaubter Handlung haftet, schließt die Gemeinschaft, um die es sich hier handelt, nicht notwendig aus." Damit war anerkannt, daß die wegen desselben Schadens gegen den Vertragspartner und einen drittenSchädigeraus positiver Vertragsverletzung und Delikt bestehenden Schadensersatzansprüche ein "echtes" GeSamtschuldverhältnis bilden und daß nicht- wie das Berufungsgericht gemeint hatte- mangels eines einheitlichen Rechtsgrundes der Haftung kein "echtes" Gesamtschuldverhältnis vorliegt. Schon die erste Entscheidung. des Reichsgerichts, die das Merkmal der Zweckgemeinschaft aufgriff, betraf nach unseren Kategorien also einen Fall des Zusammentreffens mehrer Schadensersatzansprüche mit gemeinsamem Schutzzweck. Schon zuvor in RGZ 70, 410 hatte sich das Reichsgericht in der Fallgruppe "gemeinsamer Sicherungszweck" von der Auffassung distanziert, ein zur Sicherung einer Kaufpreisschuld von einem Dritten abgegebenes Willkür huldigt, die sich übrigens beim RG weniger in einem Wechsel als in einer Inkonsequenz der Prinzipien bekundet". 55 z. B. RGZ 67, 128; vgl. auch die Bemerkungen Rud. Schmidts (JherJb 72, 8 ff.) zu dieser Rechtsprechung. n RGZ 77,317 (323).

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§ 2 Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld

abstraktes Schuldanerkenntnis sei mit der Kaufpreisschuld deswegen nicht gesamtschuldnerisch verbunden, weil die Verpflichtungen "auf verschiedenen, rechtlich voneinander völlig unabhängigen Schuldgründen" 57 beruhten. Auch diese Erkenntnis wurde im Zusammenhang mit der Entscheidung RGZ 77, 317 als obiter dieturn rioch teinmal bestätigt. Dennoch blieb der Rechtsprechung die Erkenntnis, daß der gemeinsame Sicherungszweck verschiedener Leistungsversprechen diese untereinander und mit der Hauptschuld grundsätzlich zu einer Gesamtschuld verbindet, versperrt68 • Das zeigt sich deutlich in der Entscheidung RGZ 96, 13'6, in welcher das Reichsgericht die Fehler der Entscheidung RGZ 67, 128 gegen die Entscheidungen RGZ 70, 405 und 77, 323 wiederholte, indem es eine zur Sicherung einer Darlehensschuld von einem Dritten eingegangene Wechselverpflichtung nicht als mit der Darlehensschuld als Gesamtschuldverhältnis verbunden ansah, mit der Folge, daß die für die Darlehensschuld bestellten Sicherheiten (Grundschulden) des Darlehensschuldners nicht gemäߧ§ 426 II, 401 auf den zahlenden Wechselschuldner übergingen. Auch daß der gemeinsame Schutzzweck verschiedener auf die Wiedergutmachung desselben Schadens gerichteter Ansprüche diese Forderungen zu einem Gesamtschuldverhältnis verbindet, ist zwar im Einzelfall beobachtet, nicht aber als theoretisches Prinzip erkannt worden59• Zu erinnern ist nur an den berühmten Fuldaer Dombrand-Fall60, wo das Reichsgericht das Vorliegen einer Gesamtschuld zwischen dem fahrlässigen Feuerwerker und dem Kirchenbaulastpflichtigen nicht einmal erörterte. Aber auch in der umfangreichen Rechtsprechung zur Problematik der Konkurrenz zwischen Lohnfortzahlungs(Pensions-)ansprüchen und Schadensersatzforderungen gegen den Deliktstäter haben Rechtsprechung und Literatur das Prinzip ständig verkannt61 • Dem richtigen Prinzip die Bahn gebrochen hat in dieser Fallgruppe schließlich die Architekten-Entscheidung des Großen Zivilsenats des Bundesgerichtshofs. Der Große Senat hat das Merkmal der "Zweck:gemeinschaft" "fallgerecht" interpretiert als Gemeinschaft, in welcher jeder auf seine Art für die Beseitigung desselben Schadens einzustehen habe: "Der Zweck dieser Gemeinschaft ist es, daß Architekt und Bauuntemeluner jeder auf seine Art für die Beseitigung desselben Schadens einzustehen haben,

RGZ 67,128. Vgl. dazu unten§ 11. 5e Vgl. dazu unten§ 8, insbes. II, 1. 110 RGZ 82, 206 ; dagegen v. Tuhr, DJZ 14, 337; Rabel, Ges. Aufsätze I, S ..309 ff. ; v. Caemmerer, NJW 63, 1403. 81 Vgl. insbes. die Analyse dieser Rechtsprechung durch v. Marschall, Reflexschäden. 57 58

II. Das Merlanal der sog. Zweckgemeinschaft

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den der Bauherr dadurch erlitten hat, daß jeder von ihnen seine vertraglich geschuldeten Pflichten mangelhaft erfüllt hatG2." Diese Ansätze hat der B-undesgerichtshof dann fortentwickelt in einer Entscheidung vom 27. 3. 196963 , wo die Frage zu entscheiden war, ob der Anspruch des Eigentümers gegen den Dieb auf Schadensersatz gemäß §§ 992, 823 I mit dem Anspruch des Eigentümers gegen den Abnehmer und Veräußerer auf Herausgabe des Verkaufserlöses gemäß § 816 I ein Gesamtschuldverhältnis bildet. Der Senat hielt zwar formeH an dem Merkmal der Zweckgemeinschaft als Voraussetzung einer Gesamtschuld fest, definierte und subsumierte aber wie folgt64 : "Die Gemeinschaft des Zwecks beider Ansprüche besteht darin, daß sie dem Schutz des Eigentums&' dienen und den Eigentümer für den Verlust der Sache entschädigen sollen." Das ist zutreffend erkannt: § 823 dient dem Schutz des Eigentümers, indem er ihm die rechtliche Möglichkeit bietet, die Wiedergutmachung seines Schadens zu verlangen;§ 816 dient dem gleichen Zweck, indem er als Rechtsfortwirkungsanspruch (Wilburg) 06 den aus der Veräußerung des Eigentums erzielten Erlös dem Eigentümer zuordnet. Aber diese Gemeinsamkeit des Zwecks der Ansprüche des Gläubigers hat ·nichts mehr zu tun mit dem von EnnecceTtLS geforderten Merkmal einer Zweckgemeinschaft, welche die mehreren Schuldner verbinden sollte. Indem der VII. Senat aus dem Erfordernis der "Zweckgemeinschaft" das Erfordernis "Gemeinschaft des Zwecks beider Ansprüche" machte, hat er im Anschluß an die Entscheidung des Großen Senats unter dem Schein der Kontinuität der Rechtsprechung für diese Fallgruppe (gemeinsamer Schutzzweck) die begrifflichen Voraussetzungen eines Gesamtschuldverhältnisses verändert - im richtigen Sinne verändert, wie hervorgehoben werden soll. Das gegebene Anschauungsmaterial aus der Rechtsprechung mag an dieser Stelle genügen zum Beweis der obigen Behauptung, daß das Merkmal der Zweckgemeinschaft, obwohl es nicht mit der für einen Rechtsbegriff erforderlichen Klarheit alle Gesamtschuldfälle zu erfassen und alle unechten (gemeint im untechnischen Sinne) auszuscheiden vermag, doch eine jener brauchbaren "Krücken" war, "auf denen die Rechtsentn BGHZ 43, 227; vgl. dazu Raisch, JZ 65, 703; Frotz, NJW 65, 1257; Frotz, VersR 65, 212; Hönn, NJW 65, 1701 und 66, 220; das Urteil BGHZ 43, 227 ist u. a. bestätigt durch BGHZ 51, 275. ta BGHZ 52, 39 = JZ 69, 563 (mit Anm. Kühne); vgl. dazu ferner Reeb, JuS 70, 214; Metzler, JuS 71, 589; Rüssmann, JuS 72,44- alle ohne weiterführende Gedanken. .. BGHZ 52, 44. 15 Hervorhebung vom Verfasser. " WiZbu1"g, Bereicherung.

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§ 2 Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld

wicklung weiterschlich" 87• Zu voreilig ist das Merkmal daher von jenen Kritikern als nichtssagend und entbehrlich angesehen worden, die es durch das Erfordernis der Gleichstuftgkeit oder Gleichrangigkeit der Verpflichtungen oder einer wechselseitigen Tilgungs- oder Erfüllungsgemeinschaft der Schuldner ersetzt haben wollten68• Rabel war auch darin nicht nur der behutsamere Denker; er wollte so lange daran festhalten, "so lange besseres nicht gefunden wird" 68 • lll. Das Erfordernis der Gleicbstufigkeit (Gleicbrangigkeit) der Verpflichtungen

1. Wieder: Die Angst vor "falschem" Regreß Es ist schon mehrfach erwähnt worden, daß das Merkmal der Zweckgemeinschaft im "neueren Schrifttum" aus der Mode gekommen und durch das Erfordernis der Gleichstufigkeit (Gleichrangigkeit) der Verpflichtungen ersetzt worden ist. Einleitend habe ich dazu oben70 behauptet, daß die Forderung der Gleichstufigkeit der Verpflichtungen als Voraussetzung einer Gesamtschuld Ausdruck der Angst ist, der vorrangig Verpflichtete könnte aus§ 426 einen Regreßanspruch auf anteilsgleichen Ausgleich gegen den auf "niederer Stufe" stehenden Schuldner haben bzw. die Leistung des "ferner Stehenden" könnte den vorrangig Verpflichteten ("näher Stehenden") befreien, wenn und weil weder durch Gesetz noch durch rechtsgeschäftliche Vereinbarung "etwas anderes bestimmt" worden ist.

2. Die "Studie" Selbs Liest man freilich die Selbsche "Studie zur Wandlung der Denkformen des Regresses bei Schuldnermehrheiten mit der Veränderung des Schadensbegriffs", auf die Esser11 und Larenz12 ihre neue Darstellung der Gesamtschuld hauptsächlich gründen, so tritt einem dieser Gedanke nicht entgegen. Aber Selb ist überhaupt nur schwer zu verstehen. Unklare Ausdrucksweisen, Widersprüche - Frotz13 spricht von "Ungereimtheiten"- verwirren die ohnehin schon komplizierte Materie in schädlicher Weise. Selb meint, es sei unwirtschaftliche Zeitvergeudung, eine ÜberRabel, Ges. Aufsätze, S. 330. Vgl. dazu unten III und IV. Rabel, Ges. Aufsätze, S. 312; zustimmend Wüst, Interessengemeinschaft, s. 81. 7o § 1, II. 71 SchuR I, § 58, S . 432 ff. 72 SchuR I,§ 37, S. 432 ff. 73 JZ 64, 668 r. Sp. 87

es

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III. Erfordernis der Gleichstuftgkeit

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sichtzur Literatur der Gesamtschuld zu geben7'. Das mag sein; aber leider ist auch seine Beurteilung dieser Literatur nicht immer zutreffend. Wenn Selb z. B. schreibt, eine Lektüre der Gesamtschulddarstellung bei Enneccerus-Lehmann vermittele den Eindruck, als handle es sich bei den Erörterungen über echte, unechte und scheinbare Gesamtschulden um einen reinen "Benennungsstreit", "der nie einen tieferen Sinn gehabt habe" 75, so muß man wenigstens daraus schließen, daß Selb diese Darstellung nicht sorgfältig gelesen hat. Gar nicht zu verstehen ist die Empfehlung Selbs, bei Beurteilung der Kategorien von echten und unechten Gesamtschuldverhältnissen zu beachten, "daß man nicht Gleichstufigkeit und gleiches Maß interner Beteiligung in eines setzt"16• Wenn Gleich.stufigkeit nur bedeuten soll, daß alle Schuldner dem Gläubiger gleichermaßen verpflichtet sind, dann ist das nichts als eine Floskel; denn dies ist in§ 421 bereits viel deutlicher als Voraussetzung genannt; es gilt, was Selb gegen Enneccerus-Lehmann und das Merkmal der Zweckgemeinschaft selbst geschrieben hat77 : ,.Damit hat aber der Betrachter Steine statt Brot bekommen, denn der erstrebte Erfolg des § 421 BGB ist zur Voraussetzung gemacht, er ist in einer Kreisargumentation nur neu und wertlos umschrieben." Widersprüchlich mutet auch die Behauptung an, zur ,.Wesensbestimmung" der Gesamtschuld gehöre ebenso§ 422 BGB, denn hier sei nur die rechtstechnische Form der in§ 421 genannten Einschränkung der Obligationenmehrheit normiert, nämlich die Gesamtwirkung der Erfüllung durch einen Schuldner. Ist damit nicht auch nur eine Rechtsfolge der Gesamtschuld als ihre Voraussetzung behauptet78 ? Inhaltsleer erscheint ferner die aus dieser "Wesenbestimmung" entwickelte "These" Selbs79 , nur die Gesamtwirkung der Erfüllung verhindere bei der Gesamtschuld eine Kumulation der auf dasselbe Ziel gerichteten Obligationen. Das ist doch eine banale Selbstverständlichkeit: Weil der Gläubiger einer Gesamtschuld das von mehreren Geschuldete nur einmal zu fordern berechtigt ist, wird in § 422 angeordnet, daß die Leistung eines Schuldners auch die anderen dem Gläubiger gegenüber befreit. Das ist doch keine These, die zu entwickeln wäre, sondern die gesetzliche Konstruktion der Gesamtschuld. Soweit Selb78 aber diese ,.Gesamtwirkung der Erfüllung" unterscheiden will von der ,.Grundidee von der Tilgungsgemeinschaft" - was heißen soll, Voraussetzung der Gesamtschuld sei, daß die Leistung eines von mehreren Schuldnern die Studie, S. 12. Studie, S. 11. Studie, S. 19. n Studie, S. 14. 78 Vgl. jedoch unten§ 3 IV, 3 b nach Fußn. 154. 18 Studie, S. 17.

1' 76

18

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§ 2 Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld

Verbindlichkeit der anderen nicht nur "mittilge" oder die anderen "mitbefreie", sondern auch die Forderungen des Gläubigers gegen die anderen Schuldner erfülle-, beruht diese These auf einer völligen Verkennung nicht nur der Rechtsnatur der Erfüllung, sondern auch des Erlöscheosgrundes des§ 422 und darüber hinaus der Gesamtschuld überhaupt8°. Auch Esser31 meint nunmehr, wohl im Anschluß an Selb, wenn die Schuldner untereinander nicht gleichrangig leistungspflicht ig seien (z. B. der Dienstherr nach§ 61'6 neben dem Haftpflichtigen [§ 823], die Feuerversicherung neben dem Brandstifter), so trete weder die Wechselwirkun g nach § 422 noch die Ausgleichspflich t nach § 426 ein. Diese Vorschriften seien dann nicht anwendbar; man solle dann nicht von unechter, sondern allenfalls von "scr einbarer Gesamtschuld" sprechen. In diesem Sinne hatte Esser bereits in der 2. Auflage die Fälle des § 840 II und lli für "scheinbare Gesamtschulden " erklärt82 , was Selb 83 veranlaßte, das Erfordernis der Gleichstufigkei t nicht auf das Maß interner Beteiligung bezogen wissen zu wollen.

3. Die Hilfsregel des§ 426 Abs. I Satz 1 Nach all dem dürften Gesamtschulden also nur vorliegen, wenn die Verpflichtungen der Schuldner "gleichstufig" sind, d. h. alle zu gleichen Teilen haften. Damit wird doch aber die Hilfsregel des§ 426: " ... ,soweit nicht ein anderes bestimmt ist ... ", zur Regel ohne Ausnahme gemacht;84. Wenn die für den Zweifelsfall aufgestellte Hilfsregel der Haftung zu gleichen Teilen85 nicht gilt, so soll nicht etwa nur, wie das Gesetz es bestimmt, für das Innenverhältni s etwas anderes gelten, sondern§ 426 überhaupt keine Anwendung finden. Das Kind wird mit dem Bade ausgeschüttet; die durch den BGB-Gesetzgeb er in Fortentwicklun g des gemeinen Rechts geschaffene Regreßnorm des § 426 wird interpretativ beseitigt, und die alte Regreßproblem atik des gemeinen Rechts lebt wieder auf: Der Regreß muß über Geschäftsführu ng ohne Auftrag, Bereicherung oder eine Zession konstruiert werden, wie Savigny es tat. Das ist der "Fortschritt" der sog. modernen Lehre, wie er im Anschluß an Selb insbesondere in den Lehrbüchern von Esse~ und Larenz81 verbreitet wird88 • Näheres hierzu unten§ 3 II, 3. SchuR I, § 58 II, S. 435. 81 SchuR, 2. Aufl., § 98, 4 I, S. 453. 8 ' Studie, S.19; vgl. auch das Zitat oben Fußn. 76. 84 Wenigstens in den Fällen, in denen die Gesamtschuld nicht kraft Gesetzes (z. B. § 840) samt einer das Maß des Ausgleichs bestimmenden Regel (z. B. § 840 II, III; § 17 StVG u. a.) angeordnet ist oder auf Vertrag beruht (§ 427), welcher auch den Innenausgleich regelt. 86 Zur Rechtfertigung dieser Regel vgl. unten§ 3 IV, 3 a. 8e SchuR I, § 58, S. 432 ff. 8r SchuR I,§ 37, S. 432 ff. 88 Gegen Larenz, Esser und die anderen auch schon Hillenkamp, S. 73 f. 80

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III. Erfordernis der Gleichstufigkeit

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Das Bild von der Gleich- oder/bzw. Verschiedenstufi.gkeit der Verpflichtungen ist nun aber nicht von Selb, sondern von Rabel81 und Rud. Schmidt" zuerst gebraucht worden, allerdings in anderem Sinne, und es ist keineswegs "unwirtschaftliche Zeitvergeudung", sondern höchst lehrreich, den Gedanken dieser Gelehrten noch einmal nachzugehen.

4. Die Bedeutung des Begriffs "zweistufige Solidarität" bei Rabel Wohl als erster hat Rabel11 von "Solidarität mit zweistufigem Innenverhältnis" oder, wie er meinte, "unmißverständlich abgekürzt"12, von "zweistufiger Solidarität" gesprochen. Rabel begriff darunter die Fälle, in denen "der eine Schuldner als dem Schaden näher zu betrachten ist, daß es also gerecht erscheint, den Schaden in letzter Reihe auf ihm ,sitzen' zu lassen" 93 • Entgegen der zu seiner Zeit herrschenden Auffassung kam Rabel dabei in der Regreßfrage zu dem Ergebnis, "daß der richtige Weg nicht die Denaturierung des Bereicherungs- und des Geschäftsführungsanspruchs ist" 94 , sondern "der Regreß aus dem Ausgleichsgedanken (lies: der solidarischen Haftung), der auch dem § 426 zugrunde liegt" 95 • Eine Analogie zu den zahlreichen cessio legis-Vorschriften hielt Rabel zwar auch für "untunlich", erklärte aber gleichzeitig ein argurnenturn a contrarioaus jenen Gesetzen zuungunsten des§ 42'6 als unhaltbar": "Sie alle gehen doch nur dem gleichen Ziel entgegen. Angenommen, die unechten Solidarschulden seien in den §§ 421 - 426 nicht mitgeregelt, so ist doch nicht abzusehen, was der analogen Anwendung des§ 426 im Wege stehen soll. Er gibt durch die Worte ,soweit nicht ein anders bestimmt ist' dieselbe Freiheit, wie der schweizerische Art. 51, da ja anerkannterweise das ,Bestimmte' nicht ein formulierter Gesetzestext zu sein braucht. Die (Bestimmung der) der Rechtsordnung innewohnenden Rechtssätze, nach denen die kopfteilige oder ungleiche Lastenverteilung oder die Abbürdung auf den einen Schuldner oder aber auch statt dessen - ... - die gänzliche Beziehungslosigkeit unter den mehreren Beteiligten Platz greift, ist Sache der Wissenschaft." Auf Rabel also kann die Auffassung nicht gestützt werden, es läge keine Gesamtschuld vor, wenn im Innenverhältnis der Schuldner der Schaden überwiegend oder ganz von einem zu tragen ist, weil er dem Schaden RheinZ 10 (1919/20), S. 89 - 121; jetzt in: Ges. Aufsätze I, S. 309 ff. JherJb 72,1 S.1 ff. 91 Ges. Aufsätze I, S. 312. 82 Aber Selb will wie im Text dargelegt wurde - die Gleichstufigkelt eben gerade nur auf das Außenverhältnis beziehen: "Bei der Beurteilung der Kategorien ist zu beachten, daß man nicht Gleichstufigkelt und gleiches Maß interner Beteiligung in eines setzt" (Studie, S. 19). es Ges. Aufsätze I, S. 312. Als Musterbeispiel erörterte Rabel die Fälle des Zusammentreffens von Delikts- und Unterhaltsansprüchen (S. 311 ff.). 84 Ges. Aufsätze I, S. 312. us Ges. Aufsätze I, S. 330. " Ges. Äufsätze I, S. 327. 89

uo

5 Ehmann

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§ 2 Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld

"näher steht", d. h. wenn also die Verpflichtungen auf "verschiedener Stufe" stehen. Der Nachweis des genauen Gegenteils war Rabels Anliegen: Denn daß derjenige, der dem Schaden "näher steht", in letzter Reihe auf ihm "sitzen" bleibt, war für Rabel ein "der Rechtsordnung innewohnender Rechtssatz", der die Hilfsregel des § 426 I 1 hinreichend modifizierte.

5. Die Bedeutung des Begriffs "Gleichstufigkeit" bei Rud. Schmidt Auch Rud. Schmidt91 hat das Bild von der Gleich- oder Verschiedenstufigkeit der Verpflichtungen gebraucht. Gegen die Behauptung, Bürge und Pfandeigentümer könnten keine Gesamtschuldner sein, weil schon Hauptschuldner und Bürge, die doch beide persönlich haften, keine Gesamtschuldner seien, argumentierte er, ein argurnenturn a maiore sei unangebracht, weil "der Hauptschuldner im Verhältnis zum Bürgen die Schuld regelmäßig allein zu tragen hat", "während es sich bei dem Verhältnis zwischen Bürgen und Pfandeigentümer um zwei in gleicher Weise gegenüber dem Hauptschuldner regreßberechtigte Personen handelt": "Hauptschuldner und Bürgen stehen auf verschiedener Stufe, Pfandeigentümer und Bürge stehen auf derselben Stufe98."

Schmidt untersuchte an dieser Stelle die Anwendbarkeit des § 426 auf die verschiedenen Fälle von Schuldnermehrheiten ("echte" und "unechte" Gesamtschulden); dabei ging er von dem Obersatz aus, es sei der Gedanke des§ 426, "daß mehrere Personen, welche dem identischen Interesse eines Gläubigers dienen, hilfsweise, d. h. soweit nicht ein anderes bestimmt ist, zu gleichen Anteilen haften sollen"De. Und dieser Gedanke passe auch auf das Verhältnis von Pfandeigentümer und Bürge und auf das Verhältnis mehrerer Pfänder zueinander. Bei dieser Beweisführung verwendete Schmidt das Bild von der Verschiedenstufigkeit der Verpflichtungen nur, um den Einwand abzuwehren, dann müßten auch Hauptschuldner und Bürge und persönlicher Schuldner und Grundstückseigentümer (§ 1164) Gesamtschuldner sein, und dann müßte aus § 426 im Zweifel ein Ausgleichsanspruch des Hauptschuldners gegen den Bürgen und des persönlichen Schuldners gegen den Eigentümer des belasteten Grundstücks angenommen werden100• Schmidt dagegen: "Auch hier (lies: wie bei Bürgen und Hauptschuldner) ist verkannt, daß der persönliche Schuldner und der Pfandeigentümer auf verschiedener Stufe stehen JherJb 72, 1 ff. JherJb 72, 100. " JherJb 72, 97. 100 JherJb 72, 101. 87 88

IV. Erfordernis einer sog. Tilgungs- bzw. Erfüllungsgemeinschaft

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und daß sich damit ein Regreß des persönlichen Schuldners nach der Hilfsregettot des § 426 verbietettot."

Die an dieser Stelle angesprochene "Hilfsregel des § 426" ist nicht die gesamte Norm des§ 426, sondern nur§ 42'6 I 1: "Die Gesamtschuldner sind im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist."

Schmidt wollte also nur sagen, daß die Verschiedenstufigkeit der Verpflichtung die Haftung der Gesamtschuldner zu gleichen Teilen ausschließt, nicht etwa, was in der Folge dann Selb, Larenz und Esser behaupteten, daß bei Verschiedenstufigkeit der Verpflichtungen überhaupt keine Gesamtschuld vorliege oder § 426 als Anspruchsgrundlage des Regresses nicht anwendbar sei. Es scheint, als ob dieser zugegebenermaßen etwas mißverständliche Satz Schmidts irgendwann auf Grund eines Mißverständnisses so verhängnisvoll "umfunktioniert" worden ist. Rabel und Schmidt haben demnach richtig gesehen, daߧ 426 durch die Worte "soweit nicht ein anderes bestimmt ist", die Freiheit gibt, in der internen Lastenverteilung jeden Wert zwischen Nun und Eins als durch "die der Rechtsordnung innewohnenden Rechtssätze" 103 bestimmt anzusehen104• Diese "der Rechtsordnung innewohnenden Rechtssätze" gilt es zu ermitteln. IV. Das Erfordemis einer sog. Tilgungs- bzw. Erfüllungsgemeinschaft 1. Allgemeines

Im sog. neueren Schrifttum wird ferner häufig behauptet, Voraussetzung einer Gesamtschuld sei eine "wechselseitige Tilgungsgemeinschaft" oder gar "wechselseitige Erfüllungsgemeinschaft" zwischen den mehreren Schuldnern, was - wie z. B. Larenz formuliert - heißen soll, "daß durch die Tilgung der einen (Verpflichtung) die anderen mitgetilgt werden" 105 • Der Sinn solchen Erfordernisses ist wiederum nicht ganz einfach zu durchschauen.

Larenz gewinnt das Erfordernis zunächst dadurch, daß er die Vorschrift des § 422 zu der Begriffsbestimmung der Gesamtschuld "hinzuHervorhebung vom Verfasser. JherJb 72, 101. 1oa Rabel, Ges. Aufsätze, S. 327. 1°4 Weniger gut spricht Wüst (Interessengemeinschaft, S. 84) von einer "Verlegenheitslösung" der hilfsweisen Regelung des§ 426 I, 1, stimmt im Ergebnis aber Rabel und Rud. Schmidt zu. 1os Larenz, SchuR I, § 37 I, S. 433. 101

101

5.

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§ 2 Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld

nimmt" 108• Diese Auffassung ist schon oft als Zirkelschluß bezeichnet worden, der eine Rechtsfolge der Gesamtschuld als ihre Voraussetzung behauptet107. Die Funktion zu verhindern, daß ein "einmaliges Leistungsinteresse" des Gläubigers mehrfach befriedigt wird, kann das Erfordernis der "wechselseitigen Tilgungsgemeinschaft" also nicht haben oder wenigstens nicht besser erfüllen als die Definition des § 421, solange nicht die Voraussetzungen exakt angegeben werden, welche die "wechselseitige Tilgungsgemeinschaft" ausmachen sollen.

2. Die Funktion der "wechselseitigen Tilgungsgemeinschaft" Fragen wir aber zunächst108 , welche Funktion sonst das Erfordernis der "wechselseitigen Tilgungsgemeinschaft" erfüllen soll. Eine Durchsicht der Literatur zeigt, daß Larenz109 und einige andere Autoren110 eine wechselseitige Tilgungsgemeinschaft für erforderlich halten zur Abgrenzung der Gesamtschuldverhältnisse zu jenen Fällen, in denen eine cessio legis angeordnet ist, und jenen, "in denen einer der Verpflichteten, soweit er den Gläubiger befriedigt, nach dem Gesetz (§ 255) oder dem seiner Verpflichtung zugrunde liegenden Vertrag die Abtretung seiner Forderung gegen den oder die anderen Schuldner verlangen kann"lae. a) Abgrenzung der Gesamtschuld zu cessio legis-Fällen Der Versuch, Gesamtschuldverhältnisse abzugrenzen von Fällen mit einer speziell angeordneten cessio legis, erweist sich schon in seinen - von jenen Autoren ungeprüften - Voraussetzungen als falsch, denn Fälle einer gesetzlich angeordneten cessio legis sind grundsätzlich Gesamtschuldverhältnisse, in denen das Gesetz einem der Gesamtschuldner einen vollen Ausgleichsanspruch gewährt, also das Innenverhältnis gesetzlich regelt, d. h. etwas "anderes bestimmt" i. S. des § 426 I 1. Im übri101 Larenz, SchuR I,§ 37 I, S. 433; ebenso Esser, SchuR I,§ 58 I, S. 433; Selb, Studie, S.17; Frotz, JZ 64,667. 107 Rillenkamp (S. 55): "Im Grunde handelt es sich bei dieser Formulierung doch nur darum, daß eine der wesentlichen Folgen des Gesamtschuldverhältnisses - nämlich die Gesamtwirkung der Erfüllung - aufgezeigt wird, so daß der Satz genauso gut lauten könnte: Gesamtschuld, darum Tilgungsgemeinschaft, ohne daß sein Sinn hiermit verändert würde. Daraus wird aber deutlich, daß diese These nicht die Aufgabe erfüllen kann, die ihr zugedacht war nämlich Abgrenzungskriterium zu sein -, weil sie überhaupt nichts aussagt über die Voraussetzungen, unter denen der allseitige Tilgungseffekt eintritt." -Ähnlich Bömsen, S. 80 f.; auch Fischer in RGRK, § 421 Anm. 1. 108 Bevor wir uns der Frage zuwenden, unter welchen Voraussetzungen eine wechselseitige Tilgungsgemeinschaft vorliegt. tot Larenz, SchuR I, § 37 I, S. 434. 110 SeZb, Studie S. 25 und 37 f.; Dilcher, JZ 67, 114; Thiele, JuS 68, 150m. w. N.; Esser, SchuR, 2. Aufl., § 98, 4 I b; vgl. auch Esser, SchuR II, § 58 II.

IV. Erfordernis einer sog. Tilgungs- bzw. Erfüllungsgemeinsdlaft

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gen hat schon Leonhard111 gegen die Behauptung, Schadensversicherer und Deliktstäter seien keine Gesamtschuldner, weil die Zahlung des Versicherers nicht zum Untergang (§ 422}, sondern zum Obergang (§ 67 VVG} der Deliktsforderung führe, treffend bemerkt, dieser Obergang trete auch bei allen Gesamtschulden gemäß § 426 II einm. Nach dieser Theorie wäre also eine Gesamtschuld dann keine Gesamtschuld, wenn und soweit ein "Gesamtschuldner" Ausgleichung verlangen kann, weil insoweit die Forderung gegen den anderen kraft Gesetzes (§ 426 li) auf ihn über- und nicht untergeht; insoweit dürfte also keine Gesamtschuld vorliegen und folglich auch kein Forderungsübergang stattfinden. b} Abgrenzung zu Fällen des§ 255 Nicht besser steht es mit dem Versuch, die wechselseitige Tilgungsgemeinschaft zu begreifen als Abgrenzungskriterium zu den Fällen, in denen eine Zessionskonstruktion (z. B. § 255} für notwendig erachtet wird. Wenn da gesagt wird, "in diesen Fällen soll, falls der bevorrechtigte Schuldner den Gläubiger befriedigt, die Forderung gegen den oder die anderen Schuldner nicht mitgetilgt werden, sondern auf den bevorrechtigten Schuldner übergehen oder, im Wege der Abtretung, übergeleitet werden"m, so wird- soweit der Satz sich auf die Überleitung nach § 255 bezieht wiederum verkannt, daß auch bei Gesamtschulden, soweit der leistende Schuldner Ausgleichung verlangen kann, weder nach dem Willen dieses Schuldners noch nach objektivem Recht die Verpflichtung des anderen Mitschuldners getilgt, sondern auf den Schuldner, der geleistet hat, übergeleitet werden soll, und zwar auf die einfachste Weise: im Wege einer cessio legis (§ 42'6 li). Der Anspruch, der nach § 426 11 übergeleitet wird, muß genauso fortbestehen und darf durch die Leistung des einen Gesamtschuldners ebensowenig getilgt werden wie ein Anspruch, der kraft einer speziell angeordneten cessio legis oder einer Abtretung Grundlage eines Regresses des Leistenden sein soll114• Die richtige Abgrenzung von Gesamtschuldverhältnissen zu Fällen des. § 255 ist einfach, wenn man mit Siber115 , dem auch Rud. Schmidt116 zu-

Leonhard, SchuR I, § 366, S. 736. Neuerdings ebenso HUlenkamp (S. 58 Fußn. 1 m . w. N.), der jedoch seltsamerweise im 2. Teil seiner Arbeit (S. 160) für die Fälle des Zusammentreffens von Versorgungs-(Versicherungs-)ansprüchen mit Schadenersatzansprüchen diesen abwegigen und zuvor allgemein selbst verworfenen Gedanken wieder hervorkehrt. 11a Larenz, SclluR I, § 37 I , S. 434. 114 Vgl auch Hillenkamp, S. 57. 111

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111

Planck-SibeT, § 255, Anm. 2a.

JherJb 72, 18.

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stimmt, den Anwendungsbereich des § 255 richtig begrenzt und "unter den abzutretenden Ansprüchen aus Eigentum gemäß dem Wortlaut des Gesetzes nur Ansprüche auf Herausgabe der noch vorhandenen Sache, nicht auch solche auf Ersatzleistung versteht" 115 • Dann kann es bei dem Satze bleiben, daß eine Anwendung des § 255 grundsätzlich ausscheidet, wenn ein Gesamtschuldverhältnis vorliegt117 • Bei noch vorhandener Sache118 wie im Schulbeispiel Eigentümer - Verwahrer - Dieb ist jedoch die Gesamtschuldregelung durch § 255 ausgeschlossen. Die Herausnahme der "Fälle des Besitzverlustes ohne gleichzeitigen Eigentumsverlust"111 rechtfertigt sich aus den dogmatischen Schwierigkeiten der Legalzession der dinglichen Herausgabeansprüche120• Diese Schwierigkeiten waren wohl der maßgebliche Grund für den BGB-Gesetzgeber, in der Vorschrift des § 255 die cessio legis durch eine Abtretungskonstruktion zu ersetzen1:u. Im ersten Entwurf lautete die dem heutigen § 255 entsprechende Vorschrift des§ 223 E I wie folgt: "Wird in Folge der Entziehung oder der Vorenthaltung einer Sache oder eines Rechtes Schadensersatz für den Verlust der Sache oder des Rechtes selbst von dem Ersatzpflichtigen geleistet, so gehen auf den Letzteren mit der Ersatzleistung die Ansprüche über, welche dem Entschädigten aufgrund des Eigenthumes oder des sonstigen Rechtes gegen Dritte zustehen." Die Beratungskommission ersetzte diese cessio legis-Regel durch die Gesetz gewordene Vorschrift, wobei sie unter anderem erwog12!: "Bei dinglichen Ansprüchen führe die kraft Gesetzes eintretende Übertragung zu dem ganz unzweckmäßigen Ergebnisse, daß, wenn theilweise Ersatz geleistet sei, ein dingliches Gemeinschaftsverhältniß mit Antheilen bestehe, deren Größe sich nach dem Verhältnisse zwischen dem ersetzten und dem nicht ersetzten Theile des Schadens bestimme123." 117 Ebenso Kühne, JZ 69, 566; a. A. Dilcher, JZ 67, 115; offen geblieben in BGHZ 52, 45; vgl. auch Reeb, JuS 70, 214ff.; Metzler, JuS 71,589 (bezüglich des Verhältnisses des§ 255 zur Gesamtschuld völlig verfehlt); Rüssmann, JuS 72, 45. 118 Bei Verlust oder Beschädigung der Sache stehen jedoch die Schadenersatzansprüche gegen mehrere dafür Verantwortliche in einem Gesamtschuldverhältnis; die Ersatzleistung eines Schuldners tilgt daher auch die anderen (§ 422) oder leitet sie auf den Leistenden über (§ 426 II), je nachdem, ob der Leistende im Innenverhältnis Ausgleichung verlangen kann (§§ 840 II, III, 254, 17 StVG u. a.). 118 Planck-Siber, § 255, Anm. 1. 120 Zu denken ist auch an die bei Schaffung des BGB noch ungeklärte und auch heute noch streitige Frage, ob der dingliche Herausgabeanspruch (§ 985) ohne das Eigentum abgetreten werden kann, vgl. hierzu Baur, Sachenrecht, § 51 VI, 1 b, bb, S. 438 m. w. N. 121 Eine Untersuchung meines Heidelberger Kollegen Werner Münchbach wird allerdings zeigen, daß das Verhältnis von § 255 zur Gesamtschuld noch von komplizierterer Art ist; die Regelungssachverhalte liegen auf verschiedenen Ebenen. 12' Mugdan II, S. 519; vgl. auch schon die in den Mot. (II, S. 25 = Mugdan II, · S. 13) geäußerten Bedenken. 123 Wenn die Kommission im übrigen hinzufügte (Mugdan II, 519): "Daß der Beschädigte, wenn er vom Ersatzpflichtigen nur theilweisen Ersatz vedange,

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Aber zur Not hätte man sicherlich auch diese Bedenken überwinden können. Die Hypothese sei als Fragestellung erlaubt: Was wäre, wenn § 233 EI(=§ 255 BGB) als cessio legis Gesetz geworden wäre? Welchen Wert hätte dann die Selbsche Gedankenführung? Seine "Studie" hätte überhaupt nicht geschrieben werden können! Dann aber sind die Rechtsprobleme in dieser "Studie" nicht innerlich erfaßt, sondern künstlich konstruiert auf dem Boden einer nicht vollständig kongruenten gesetzlichen Regelung(§§ 421 ff.- § 255)124• Aber statt diese Inkongruenz interpretativ auszugleichen, haben Selb und die ihm folgenden Autoren sie noch künstlich vergrößert!!&. Das zur Bedeutung des Erfordernisses einer "wechselseitigen Tilgungsgemeinschaft" Gesagte läßt sich dahin zusammenfassen, daß es entweder etwas Selbstverständliches besagt, nämlich daß der Gläubiger die Leistung nur einmal erhalten soll, oder eine überflüssige bzw. fehlerhafte Abgrenzung zu den Fällen mit gesetzlichem Forderungsübergang bzw. zu den Fällen des§ 255 versucht. 3. Voraussetzung und Funktion der "Tilgungsgemeinschaft" bei Leonhard Aber mit dem vorstehend zum Erfordernis der Tilgungsgemeinschaft Ausgeführten kann man sich kaum begnügen; denn wo eine Auffassung von sovielen Autoritäten vertreten wird, muß sie irgendeinen Sinn doch haben oder wenigstens einmal gehabt haben. Wie bei der "Gleichstufigkeit" erweist sich auch hier die Entwicklungsgeschichte der Formel von der "wechselseitigen Tilgungsgemeinschaft" als seine Ansprüche gegen Dritte nur soweit, als Ersatz geleistet werde, abzutreten verpfiichtet sei, dürfe für selbstverständlich erachtet werden. Aber wenn er sich mit dem Ersatzpflichtigen dahin einige, daß er sich mit einer den Schaden nicht vollständig abdeckenden Abfindung begnügen und gegen Leistung derselben seinen ganzen Anspruch gegen den Dritten abtreten wolle, so könne der Dritte daraus, daß der Zessionar nicht vollen Ersatz geleistet habe, einen Einwand nicht herleiten", so bewies sie damit, daß sie die schon im 1. Entwurf enthaltene Gesamtschuldregelung nicht verstanden hatte, denn diese verschließt die erwähnten Gestaltungsmöglichkeiten der Abtretungskonstruktion auch nicht. 124 "Gesetze vergehen als solche. Unvergänglich ist die Kraft des innerlich begründeten Gedankens. Früher oder später wird er stets, auch allen äußeren Hindernissen zum Trotz, seine siegreiche Macht bewähren" (so Hartmann, Die Obligation, 1875, Vorwort). 125 Selb und die ihm folgenden Autoren mißachten nicht nur die richtige Lösung Sibers, sondern auch den Hinweis Reicheis (Schuldmitübernahme, S. 53): "Nach unserer Ansicht nämlich bedurfte es des § 255 schon um deswillen nicht, weil bereits § 426 das Erforderliche bestimmte. Wo bereits eine cessio legis verordnet ist, da bedarf es einerneuen cessio legitima nicht mehr. Wer wird anzünden, was schon brennt!" Aber Reichel hat auch nicht ganz recht, es bleiben für § 255 die bereits in den Materialien und schließlich die von Siber genannten Fälle.

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§2

Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtsclluld

aufschlußreich. Wenn ich richtig sehe, hat Leonhard128 als erster von einer "Tilgungsgemeinschaft" gesprochen. Leonhard bekämpfte die Unterscheidung von echten und unechten Gesamtschulden, und er erkannte dabei zutreffend die Gründe für diese Unterscheidung einmal in der Besorgnis, "daß man sonst zu unhaltbaren Ausgleichsansprüchen gelangen würde" 128, und zum anderen in der "richtigen Erkenntnis, daß häufig zwei dieselbe Leistung schulden und doch nicht Gesamtschuldner sind" 128 : ,,Wenn ich z. B. dieselbe Arbeit bei zwei verschiedenen Handwerkern bestelle, so sind diese nicht als Gesamtschuldner anzusehen und nicht untereinander ausgleichsberechtigt. Hier fehlt es aber eben an dem grundlegenden Merkmal der Gesamtschuld, daß die Leistung des einen den anderen befreit128." Mit diesen wenigen Sätzen erhellt, was das gesamte sog. moderne Schrifttum, welches das Merkmal der Tilgungsgemeinschaft benutzt, geflissentlich übersieht121 , daß nämlich Leonhard das Merkmal ausschließlich und zu nichts anderem als zu der Abgrenzung zwischen Gesamtschuldverhältnissen und kumulierten Schuldverhältnissen verwendet. Das Merkmal der "Tilgungsgemeinschaft" sollte die Funktionen übernehmen, die bei Enneccerus dem Merkmal der "Zweckgemeinschaft" 128 zukommen sollten; gegen EnnecceTUS und die diesem folgende herr· sehende Meinung waren die Ausführungen von Leonhard129 gerichtet. Die Abgrenzung der Gesamtschuldverhältnisse zu kumulierten Schuldverhältnissen ist aber etwas ganz anderes als die Abgrenzung zu Fällen einer cessio legisoder rechtsgeschäftliehen Abtretung(§ 255), wo nur die Regreßkonstruktion anders, nicht aber zweifelhaft ist, daß der Gläubiger die Leistung im Ergebnis nur einmal erhalten soll. Selbstverständlich hat ein Meister wie Leonhard auch erkannt, daß das aufgestellte Merkmal nur brauchbar ist, wenn die Voraussetzungen angegeben werden können, unter denen eine "Tilgungsgemeinschaft" gegeben ist. Er schrieb1so: "Dazu ist zunächst ein Zusammenhang zwischen den Schulden erforderlich: beide Leistungen müssen wiTtschaftlich einen Posten biZdenlst, so daß die ein-

m SchuR I, § 368, S. 738. Vgl. jedoch auch den im Text (oben § 1, III, 4) dargestellten Ansatz bei Sohm-Mitteis-Wenger (§ 62, S. 361 f.) und die historischen Wurzeln des § 422 in der solutio. 127 Mit Ausnahme von Hillenkamp, der in einer Fußnote (S. 49, Fußn. 1) warnt: "Der Ausdruck der Tilgungsgemeinschaft taucht in der Literatur auch sonst hin und wieder auf: Vgl. ETman-WesteTmann, Anm. 1 zu § 421; FTotz JZ 1964, III 3 b, S. 667; Soergel-Schmidt, Anm. 9 zu § 421. Stets ist jedoch zu prüfen, inwieweit er mit der Leonhardschen Vorstellung übereinstimmt." 128 Vgl. oben§ 2, II 2. 1" Vgl. SchuR I, S. 726 und öfters. 180 SchuR I, § 368, S. 738 unten. 131 SchuR I, § 368, S. 739.

IV. Erfordernis einer sog. Tilgungs- bzw. Erfüllungsgemeinschaft

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zeinen Forderungen und Schulden nur verschiedene Wege bedeuten, um denselben Posten beizutreiben. Ob eine solche Einheitlichkeit vorliegt, ist aus der wirtschaftlichen Bedeutung der beiden Leistungen zu beurteilentso." Das ist freilich auch nur eine vage Umschreibung und keine exakte juristische Begrüfsbestimmung, aber Leonhard gab wiederum, mehr wirtschaftlich umschreibend, als juristisch begrifflich erfassend, drei Fallgruppen an, in denen die Leistungen in diesem Sinne "wirtschaftlich einen Posten bilden"tst: a) "Wenn die eine Schuld nur die Erfüllung der anderen sichern soll"; a) ..wenn mehrere gemeinschaftlich eine Arbeit übernehmen, oder einer für den anderen einzustehen verspricht"; c) "ferner bei allen Erfolgsschulden" (wozu Leonhard neben den Schadensersatzansprüchen auch mehrere Unterhaltspftichten rechnete). Auf seinem Wege war Leonhard damit ebenso wie später Lehmann auf anderem Wege mehr intuitiv als konstruktiv zum gleichen Ergebnis gekommen; daß nämlich drei verschiedene Typen von Gesamtschulden zu erkennen sind: die aus gemeinschaftlicher Verpflichtung entstandenen gleichgründigen Gesamtschulden, Gesamtschulden mit gemeinsamem Schutzzweck und Gesamtschulden mit gemeinsamem Sicherungszweck. Richtig bemerkt daher Börnsen132 neuerdings, daß das von Leonhard geforderte Kriterium, die Leistungen müßten "wirtschaftlich einen Posten bilden", weiterer Präzisierung bedurft hätte; aber der Sache nach war auch Leonhard bei einer Betrachtungsweise angelangt, die auf den Zweck des Anspruchs abstellt und die letztlich doch nichts anderes ist als eine Kategorisierung der Ansprüche nach ihrer wirtschaftlichen Funktiontsa.

4. Die Voraussetzungen der "Tilgungsgemeinschaft" bei Larenz Jedoch das sog. moderne Schrifttum ist andere Wege gegangen. Larenz unterscheidet Gesamtschulden von kumulierten Schuldverhältnissen danach, ob sie dazu dienen, "dasselbe Leistungsinteresse des Gläubigers zu 112 133

s. 81.

Die Kategorisierung der Ansprüche nach ihren Zwecken folgt aus der Beobachtung des Wirtschaftsverkehrs: Warum werden Leistungen versprochen, warum werden Leistungen erbracht?! Dennoch ist das rechtsgeschäftliche Wollen der Parteien von rechtlicher, nicht von wirtschaftlicher Art; die abweichende Auffassung der sog. Grundfolgentheorie (vgl. insbes. Lenel, JherJb 19, 154 ff.) verallgemeinert allzusehr das mangelnde Rechtsbewußtsein (den mangelnden Rechtsfolgewillen) des Bürgers bei den Kleingeschäften des täglichen Lebens und verwechselt das letztlich erstrebte wirtschaftliche Ziel mit dem zunächst notwendigerweise gewollten Mittel zur Erreichung des Ziels. Das Rechtsgeschäft ist das notwendige Mittel zur Ingangsetzung, Steuerung, Regelung, Abwicklung des wirtschaftlichen Verkehrs, als selbständiges, der freien Gestaltung offenes Mittel muß es als solches jedoch zuvorderst gewollt sein (vgl. unten § 6).

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§ 2 Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld

befriedigen" 134• Das Merkmal der "Tilgungsgemeinschaft" verwendet er zur Abgrenzung gegenüber den gesetzlichen und den rechtsgeschäftliehen Zessionsfällen. Dieser von der Funktion her gesehen andere Begriff der "Tilgungsgemeinschaft" soll nach Larenz gegeben sein, wenn die mehreren Verpflichtungen "auf derselben Stufe stehen". So kann Larenz einerseits sagen: "Auch wenn die mehreren Schuldner zur Befriedigung desselben Leistungsinteresses des Gläubigers verpflichtet sind, brauchen ihre Verpflichtungen noch nicht in der Weise miteinander verknüpft zu sein, daß auch das zweite Merlanal einer Gesamtschuld, die Mittilgung aller Verpflichtungen durch die Leistung eines von ihnen, gegeben ist135"; und andererseits: "Das neuere Schrifttum verlangt daher durchweg neben der Identität des Leistungsinteresses des Gläubigers, daß die verschiedenen Verpflichtungen ,gleichstuftg' oder ,gleichrangig' sindtse." Das Merkmal der "Tilgungsgemeinschaft" ist bei ihm also identisch mit der Formel der "Gleichstufigkeit" oder "Gleichrangigkeit" der Verpflichtungen. Daß damit der Begriff der Gesamtschuld auf die Fälle beschränkt wird, in denen die mehreren Schuldner zu gleichen Anteilen haften, und daß verkannt wird, daß nach § 426 ein Ausgleich zu jedem Bruchteil zwischen Null und Eins möglich ist, wurde bereits oben187 nachgewiesen. Nun kennt natürlich auch Larenz die Rechtsprechung, die § 254 auf das Innenverhältnis mehrerer Schädiger anwendet: "Mit Recht hat die Rechtsprechung hieraus den weiter gehenden Schluß gezogen, daß der Rechtsgedanke des§ 254- die Verteilung des von mehreren verursachten oder doch zu verantwortenden Schadens je nach dem Maße ihrer Mitwirkung grundsätzlich auch auf das Verhältnis mehrerer Ersatzpflichtiger untereinander anzuwenden ist, die, sei es auch aus verschiedenen Rechtsgründen (z. B. der eine aus Vertrag, etwa nach § 278, der andere aus unerlaubter Handlung), dem Geschädigten für den gleichen Schaden verantwortlich sind. . . . Im einzelnen Fall kann die Abwägung auch dazu führen, daß einer den gesamten Schaden zu tragen hattss." Den Widerspruch dieser Auffassung zu den aufgestellten allgemeinen Voraussetzungen einer Gesamtschuld löst Larenz teilweise 139 • dadurch, daß er die Fälle einer gesetzlich angeordneten Gesamtschuld von dem Erfordernis der "wechselseitigen Tilgungsgemeinschaft" befreit:

ta' SchuR I, § 37 I, S. 433. tu So SchuR I, § 37 I, S. 434. ua SchuR I, § 37 I, S. 435. UT Vgl. § 2 III. 1 " SchuR I, § 37 111, S. 441. 131 Für die Fälle der Konkurrenz mehrerer vertraglicher Schutzansprüche (aus pos. Forderungsverletzung) oder der Konkurrenz von Deliktsansprüchen mit Ansprüchen aus pos. F. gibt es keine dem§ 840 entsprechende gesetzliche Vorschrift! Die Larenzsche Ausnahmeformulierung reicht nicht aus.

IV. Erfordernis einer sog. Tilgungs- bzw. Erfüllungsgemeinschaft

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"Denn wenn es an solcher Gleichstufigkelt fehlt, dann ist - sofern nicht etwa die für die Gesamtschuld charakteristische wechselseitige Tilgungswirkung nicht anzunehmen und das Vorliegen einer Gesamtschuld aus diesem Grunde zu verneinen14t." das Gesetz eine Gesamtschuld ausdrücklich angeordnet hat14o -

Mit diesem letzten Satz aus dem Abschnitt über die "Voraussetzungen der Gesamtschuld" (§ 37 I) gibt Larenz also für die Fälle von gesetzlich angeordneten142 Gesamtschulden mit gemeinsamem Schutzzweck die allgemein aufgestellten Voraussetzungen ("Gleichstufigkeit", "wechselseitige Tilgungsgemeinschaft") auf. Für die Fälle, in denen die Gesamtschuld auf einer gemeinsamen Verpflichtung (§ 427) beruht, passen diese Voraussetzungen offensichtlich auch nicht. Dann bleiben also die, in denen ein gemeinsamer Sicherungszweck die mehreren Verbindlichkeiten zu Gesamtschulden verbindet141 ; und für diese Fälle haben- wie gezeigt wurde - die Erfinder dieser Merkmale (Rud. Schmidt1' ' und Leonhard141) zu Recht (wie noch nachgewiesen werden wird) eine Gesamtschuld angenommen. Darüber hinaus ist auch völlig unklar, woher die methodische Berechtigung kommt, eine ganze Fallgruppe (nicht etwa nur einen Einzelfall) von den aufgestellten allgemeinen dogmatischen Voraussetzungen einer Gesamtschuld zu befreien. Die gesetzliche Anordnung gibt diese Freiheit nicht, weil der Gesetzgeber selbst sie nicht hat. Der Gesetzgeber ist zwar sicherlich berechtigt, in einem Einzelfall im Wege der Fiktion eine fehlende allgemeine Voraussetzung zu ersetzen, aber er kann nicht ganze Fallgruppen unter einen Begriff bringen, die seine Voraussetzungen nicht erfüllen. Wenn dies geschehen würde, wäre der Begriff inhaltlich verändert, und die Wissenschaft müßte seine Voraussetzungen danach neu bestimmen. In Wahrheit ist das aber hinsichtlich der Gesamtschuld auch nicht so, sondern die Fälle des§ 840 sind (echte) Gesamtschulden148 ebenso wie alle Verbindlichkeiten gegen mehrere Schuldner, die den Ersatz desselben Schadens bezwecken. Ein Teil des Schrifttums147 hat lediglich aus Angst vor unberechtigten Regreßansprüchen den Begriff der Gesamtschuld unnötig beschränkt und geglaubt, sich nur dort, wo der Gesetzgeber mit der gesetzlichen Anordnung einer Gesamtschuld zugleich Art Hervorhebung vom Verfasser. SchuR I, § 37 I a. E., S. 436. 142 Vgl. Fußn. 139. 143 Vgl. unten§ 11. 144 Vgl. oben§ 2 III, 5. 145 Vgl. oben§ 2 IV, 3. 146 Anders Esser, SchuR, 2. Aufl., § 98, 4, I, S. 453; auf Grund der Kritik Selbs (Studie S. 19 Fußn. 26) vorsichtiger die Darstellung der 3. Aufl., vgl. § 58). 147 Auch Frotz (JZ 64, 668 r. Sp.), wenn er dort schreibt: "Stehen die mehreren Verpflichteten nicht in einer vertraglich begründeten Erfüllungsgemeinschaft, und sind sie auch nicht kraft Gesetzesanordnung Gesamtschuldner mit der Wirkung der§§ 421 ff. BGB, so fehlen spezielle Rückgriffsregeln." 140

m

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§ 2 Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld

und Umfang des Regresses regelt (z. B. § 840 II, III; § 17 StVG und die Rechtsprechung zu § 254) von dieser Angst und also der selbst gewählten Beschränkung freimachen zu können. 5. Das Erfordernis der sog. Erfüllungsgemeinschaft (Setb, Fratz)

Die Darstellung der Gesamtschuld in den Lehrbüchern von Larenz und auch von Esser ist maßgeblich beeinfiußt durch die Selbsche "Studie zur Wandlung der Denkformen des Regresses bei Schuldnermehrheit mit der Veränderung des Schadensbegriffes". Selb14B meint, ohne es überzeugend begründen zu können141, der Wandel des Schadensbegriffs150 (von der Differenzhypothese zur normativen Auffassung) habe auch "jene Denkfiguren" verändert, "mit deren Hilfe man bislang einen Ausgleich zwischen den zum Schadenersatz Verpflichteten und dritten Ersatz- oder Deckungspflichtigen zu erreichen versucht hat", d. h. auch die Gesamtschuld151• Um seiner Idee, der "gestuften Vorteilsausgleichung", ein breites Anwendungsfeld zu schaffen, schränkt er den Gesamtschuldbegriff ein auf Fälle, in denen "eine gewollte oder gesetzlich angeordnete Erfüllungsgemeinschaft" 151 gegeben ist162• Selb gewinnt, wie oben ausgeführt wurde, dieses Merkmal der "Erfüllungsgemeinschaft" aus einer "Wesensbestimmung" der Gesamtschuld, zu der auch § 422 gehöre1ss. Daraus leitet er dann die "These" ab, daß es nur die "Gesamtwirkung der Erfüllung" sei, "die eine Kumulation der auf dasselbe Ziel gerichteten Obligationen verhindere" 154• Man beachte also: Obwohl Larenz seine Darstellung weitgehend auf Selb stützt, spricht Selb nicht von "Tilgungsgemeinschaft", sondern von "Erfüllungsgemeinschaft", und diese hat auch nicht dieselbe Funktion wie die "Tilgungsgemeinschaft" bei Larenz, sondern wiederum die Funktion des Merkmals "Tilgungsgemeinschaft" i. S. von Leonhard155• Studie, S . 11, 18 f., 20. Selbst Fratz (JZ 64, 667 I. Sp.), der immerhin die These von der "Erfüllungsgemeinschaft" aufgegriffen hat, meint dazu: "Man vermißt zunächst eine - detaillierte oder zumindest die Leitgedanken klar herausstellende -Analyse des ,Wandels in der Bewertung der Schadenskomponenten'. Das Programm verspricht hier mehr, als die Abhandlung hält, obwohl der Verfasser gerade aus diesem Wandel Folgerungen für die Regreßmethoden bei Schuldnermehrheit ziehen will." Gegen die normative Auffassung des Schadensbegriffs durch Selb vgl. insbes. Mertens, Vermögensschaden, S. 80; vgl. ferner die Kritik von Rud. Schmidt in: AcP 163, S. 530 ff. uo Bömsen (S. 88) weist darauf hin, daß es problematisch ist, die Gesamtschuldfrage vom Schadensbegriff her aufzurollen. Klärend dazu jetzt Hagen, Drittschadensliquidation, S. 151 ff. (160); dazu oben § 9 Fußn. 35 und 40. m Studie, S.l7. u2 Vgl. oben § 2 III, 2. 158 Studie, S. 17. Zustimmend Frotz (JZ 64, 667) und Larenz (SchuR I, S. 433). Dagegen Rud. Schmidt, AcP 163, 533; jetzt auch zustimmend Hüffer, AcP 171,477. 154 Studie, S. 17. 148

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IV. Erfordernis einer sog. Tilgungs- bzw. Erfüllungsgemeinschaft

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Es ist notwendig, das zu betonen, weil Selb selbst es nicht tut und man nie ganz sicher sein kann, ob derjenige, welcher die Merkmale "Tilgungsgemeinschaft" bzw. "Erfüllungsgemeinschaft" verwendet, weiß, was er selbst und die anderen damit eigentlichmeinen und wollen150• Noch schwieriger ist jedoch zu verstehen, wo Selb den Unterschied zwischen einer "Erfüllungsgemeinschaft" und einer "Tilgungsgemeinschaft" sehen will. Er schreibt dazu ts7 : "Ursprünglich setzte man jede- einfach als gegeben angenommene- Einwirkung der Erfüllung einer Verbindlichkeit auf die Bestandsvoraussetzungen der konkurrierenden Verbindlichkeit bedenkenlos der Gesamtwirkung der Erfüllung gleich. Man hielt es für dasselbe, wenn der Deliktstäter für sich und den Genossen zahlte und dessen Verbindlichkeit miterfüllte oder, wenn der Versicherer für sich selbst leistete und damit - wir sehen heute gleich die Unterstellung - die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruches gegen den Deliktstäter vernichtete, weil der Schaden entfiel. Diese Gleichsetzung wurde oft hinter neutralen Formulierungen wie mitbefreit, mitgetilgt u. a. m. verborgen. Nur einige Autoren sprechen davon, daß diese Mitbefreiung des anderen nur indirekt oder die Gesamtwirkung der Leistung des einen nur zufällig sei oder daß die Forderungen gegenseitig auflösend bedingt seien. Man könnte nun endlos darüber streiten, ob es nicht dasselbe ist, so der Versicherer für den Schadensstifter miterfüllt oder mit seiner Erfüllungsleistung die Voraussetzungen des Schadenersatzanspruchs gegen den Schädiger beseitigt. Man könnte mir auch sofort entgegnen, daß zumindest die Analogie nicht ausgeschlossen sei und man daher diese Fälle zu Recht als Fälle unechter Gesamtschuld ansprechen oder daß man nur auf den Erfolg des § 421 BGB sehen dürfe. Der Streit erübrigt sich deshalb, weil der Ausgangspunkt jener Lehre entfallen ist, weil es m. E. nach dem einmal eingeschlagenen Weg der Zivilrechtsdogmatik eine indirekte Wechselwirkung der Tilgung, d. h. eine Tilgungsgemeinschaft außerhalb der Erfüllungsgemeinschaft, nicht gibtloS." Rud. Schmidt 159 und HiZZenkamp160 haben das so verstanden, daß Selb eine Gesamtschuld nur annehmen will, wenn durch die Leistung eines Schuldners auch die Verbindlichkeiten der anderen erfüllt (i. S. des § 362) werden. Rud Schmidt hat in seiner Besprechung der Selbschen Schrift dazu ausgeführt181: "Wenn hier A den Schaden ersetzt, so braucht er ebenso wenig den Willen zu haben, die Schuld des B mitzutilgen, wie derjenige, der den Unterhalt leistet, dabei den Willen hat, die Deliktsschuld des anderen zu tilgen. Beide können den Willen zur Mittilgung gar nicht haben, wenn sie von der Mitschuld nichts m Vgl. oben§ 2, IV, 2. und 3. So stimmt z. B. auch FTotz (JZ 64, 667) dem Merkmal der "Erfüllungsgemeinschaft" zu, rechtfertigt es aber nicht wie Selb als Abgrenzungskriterium zu kumulierten Schuldverhältnissen, sondern aus der Regreßproblematik, meint also doch etwas anderes! 157 Studie, S. 17 f. 1ss Selb, Studie, S. 18. 158

ue AcP 163,533. s. 80 f. 181 AcP 163, 533. 180

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§ 2 Die Bestimmung der Voraussetzungen einer Gesamtschuld

wissen. In diesen Fällen erlischt die Mitschuld in gleicher Weise nicht durch Erfüllung, sondern deshalb, weil der Schaden des Gläubigers weggefallen ist."

Bömsentt2 hat dagegen geglaubt, die Setbsche These gegen das Mißverständnis verteidigen zu müssen, Selb und Frotz168 wollten § 422 "subjektiv" statt "objektiv" interpretieren: "Auf einen Miterfüllungswillen stellen jedoch Selb und Frotz genau genommen gar nicht ab. Sie beschränken lediglich die Miterfüllungswirkung des § 422 auf die gewollten oder gesetzlich angeordneten Fälle der GesamtschuldUI'." Was das heißen soll, verstehe ich nicht165• Ernstlich kann ich allerdings auch nicht glauben, Setb und auch Frotz166 meinten, nur wenn die Leistung eines von mehreren Verpflichteten auch die Forderung gegen den anderen i. S. des § 362 erfülle, liege eine Gesamtschuld vor. Denn auch wenn man davon ausgeht, daß Selb und Frotz mit der sog. Theorie der reaten Leistungsbewirkung der Auffassung sind, ein Erfüllungswille des Schuldners sei nicht Voraussetzung der Erfüllung, so können sie doch wohl kaum annehmen, ein Schuldner (Deliktstäter oder Bürge), der von seinem Mitschuldner (Mittäter oder Mitbürge) nichts weiß, erfüUe mit seiner Verbindlichkeit zugleich die Verbindlichkeit des anderen, von der er nichts weiß167• Auch vermag ich nicht einzusehen, wie die Erfüllungsgemeinschaft Voraussetzung der Gesamtschuld sein soll, wenn deren Voraussetzung die Miterfüllung der Verpflichtung der anderen bei Leistung eines Gesamtschuldners sein soll. Dann würde also die Qualität der zur Abwicklung der Gesamtschuld erfolgenden Leistung eines Gesamtschuldners rückwirkend darüber entscheiden, ob eine Gesamtschuld vorgelegen hat. Deutlicher kann dieser Zirkelschluß, der eine Rechtsfolge der Gesamtschuld zur Voraussetzung macht, nicht widerlegt werden168• m Börnsen (S. 87) wendet sich gegen HHlenkamp (S. 80 f.) und übersieht, daß auch Rud. Schmidt Selb so verstanden hat. Auch ist nicht ersichtlich, wodurch Börnsen sich in dieser Auseinandersetzung veranlaßt sieht, selbst zur Erfüllungslehre Stellung zu nehmen (vgl. S. 82). tu JZ 64, 665; siehe aberoben Fußn.156. 1114 Börnsen, S. 87. 1ea Hüffer (AcP 171, 477) schreibt jetzt: "Nach der neueren Lehre ist die Tilgungsgemeinschaft dagegen im Sinne einer Erfüllungsgemeinschaft, also subjektiv zu verstehen; die §§ 421, 422 BGB sollen den Fall der gewollten Miterfüllung betreffen, wobei die wesentliche Aussage über die Tilgungsgemeinschaft in§ 422 BGB enthalten sein soll." Auch das ist nicht zu verstehen. Nach dem 1. Teil des Satzes (bis "wobei") soll eine Gesamtschuld nur vorliegen, wenn bei ihrer Abwicklung (Erfüllung) der eine Schuldner zugleich für den anderen miterfüllt (subjektiv gewollte Miterfüllung); schon das ist unrichtig. Dann aber wird diese Behauptung eingeschränkt durch den "wobei"-Nebensatz: die wesentliche Aussage über die "Tilgungsgemeinschaft" (eigentlich müßte es doch heißen: "Erfüllungsgemeinschaft") soll (nicht etwa: ist!) in§ 422 enthalten sein. Und was ist dort enthalten?! m JZ 64, 665 und NJW 65, 1260. ts7 Richtig daher Rud. Schmidt, AcP 163, 533. 188 Vgl. dazu auch die rätselhafte Wendung bei Fratz (JZ 64, 667 r. Sp. oben), die doch wohl kaum in Einklang steht mit den übrigen dem Merkmal "Erfül-

I. Allgemeines

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Eine genauere Feststellung dessen, was SeZb und FTotz unter dem Merkmal der "Erfüllungsgemeinschaft" verstehen wollen, ist mir nicht möglich gewesen1ee, ich möchte daher die Erörterungen darüber abbrechen. Hillenkamp 110 und BöTnSen171 dürften recht haben: Die "Formel von der Erfüllungsgemeinschaft hat im Grunde nur den Wert einer anderswo gefundenen Entscheidung" 172 ; wo diese Entscheidung allerdings gefunden wird173, bleibt jeweils dem Gefühl dafür überlassen, wer dem Schaden "näher" oder "ferner" steht, was für alle Fälle der Gesamtschuld gewißlich nicht brauchbar und selbst für das Zusammentreffen von Schadensersatzforderungen ein unsichereres Kriterium als die Regeln der §§ 17 StVG, 254 BGB u. a. ist. Immerhin bleibt die große Resonanz beachtenswert, welche die Selbsche Studie in der Fachwelt gefunden hat174•

§ 3 Mittilgung und Regre.& als Rechtswirkungen der Gesamtschuld I. Allgemeines Das BGB ordnet die Mittilgung der anderen Verbindlichkeiten(§ 422) und den Regreßanspruch (§ 426) ·als Rechtsfolgen der Gesamtschuld an. Dogmatisch ist die Rechtsnatur dieser Wirkungen der Gesamtschuld bisher jedoch stets aus den dogmatischen Elementen des Zwei-PersonenSchuldverhältnisses erklärt worden. Den Erlöschensgrund des § 422 hat man entweder als Fall der Erfüllung oder der sogenannten Zweckerreichung begriffen. Der Regreßanspruch wurde entweder als auf dem Willen der Schuldner beruhend (actio pro socio) oder als actio negotiorum gestorum oder als actio de communi dividundo oder condictio o. ä. verlungsgemeinschaft" zustimmenden Äußerungen. Auch die Behauptung von FTotz (JZ 64, 668), es ergebe sich aus der Entwicklungsgeschichte des BGB und den Mot. (er zitiert: Mot. II, 156), daß die Erfüllungsgemeinschaft eine Charakteristik der Gesamtschuld sei, ist ebenso unrichtig (vgl. unten § 3 S. 60 ff.) wie seine diesbezüglichen rechtsvergleichenden Behauptungen, was bereits Hillenkamp (S. 91 ff.) nachgewiesen und Börnsen (S. 86) bestätigt hat. 118 Denkbar ist, daß es sich bei dieser Auffassung um eine Reminiszenz an die Regelung des röm. Rechts (vgl. oben § 1, III, 4) handelt; dann aber hat Selb übersehen, daß das geltende Recht unzweifelhaft Schuldnermehrheiten aus ungleichgründigen Verpflichtungen (z. B. §§ 769, 840 u. a.) als Gesamtschulden anerkennt, für welche die (auch regreßlose) Regelung des röm. Rechts, die auch das Erlöschen der Verpflichtungen der nichtleistenden conrei als solutio erklärte, einfach nicht mehr paßt. Vgl. auch oben Fußn. 165. 170 s. 88 ff. 171 s. 82 ff. m So Börnsen, S. 87. 173 FTotz (JZ 64, 668) meint, in der "Gerechtigkeitsentscheidung". 174 Allerdings ist auch die Zahl und das Gewicht der kritischen Stimmen nicht gering: Rud. Schmidt, AcP 163,530 ff.; Raisch, JZ 65,706 Fußn. 31; DilcheT, JZ 67, 112; Thiele, JuS 68, 150; Hillenkamp, S. 88 ff.; Börnsen, S. 82 ff.

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§ 3 Mittilgung und Regreß als Rechtswirkungen der Gesamtschuld

standen. In neuererZeitwill man den§ 422 bei der Wesensbestimmung der Gesamtschuld hinzunehmen1 : Eine Gesamtschuld liege nur vor bei wechselseitiger Tilgungs-(Erfüllungs-)gemeinschaft. Auch das Gegebensein eines Regreßanspruchs wurde schon als Voraussetzung einer Gesamtschuld behauptet; denn dies genau ist doch der Inhalt jener Theorie, die das Vorliegen einer "Zweckgemeinschaft" als Voraussetzung einer echten Gesamtschuld behauptet und mangels solcher Zweckgemeinschaft nur eine unechte Gesamtschuld annimmt, für welche § 426 keine Anwendung finden soll. Ist es also doch nicht nur ein Zirkelschluß, wenn die gesetzlichen Rechtsfolgen der§§ 422, 42"6 auch als Voraussetzungen einer Gesamtschuld in Betracht gezogen werden2 ? Eine Untersuchung der Rechtsnatur dieser Rechtswirkungen soll darüber Klarheit schaffen.

n. Die Mittilgung (§ 422) 1. Die AuffasstLng des gemeinen Rechts Im gemeinen Recht ist das Erlöschen der Rechte des Gläubigers gegen die übrigen Schuldner eines Gesamtschuldverhältnisses grundsätzlich ebenso als Erfüllung verstanden worden wie das Erlöschen der Verpflichtung des solvendi causaleistenden Schuldners3 • Auf der Basis der Einheitstheorie machte diese Erklärung der Rechtsnatur des Erlöschensgrundes keine Schwierigkeiten, weil man die Korrealobligation noch verstand als eine "einheitliche Obligation mit einer Mehrheit der subjektiven Beziehungen". Auf der Basis der Mehrheitstheorie versagte dieser Erklärungsversuch jedoch; denn es ist und war nicht zu bezweifeln, daß der leistende Schuldner nur den Willen hat, die eigene und nicht zugleich auch die Verbindlichkeit der anderen zu erfüllen, was ganz unmöglich ist, wenn er - etwa bei deliktischen Mittätern oder Mitbürgen - von der Existenz der anderen Schuldner gar nichts weiß. Darum wohl auch hat Windscheid4 bei der Solidarobligation, wo er im Gegensatz zur Korrealobligation ein besonderes Forderungsrecht gegen jeden der mehreren Schuldner annahm, den Erlöschensgrund nicht als Erfüllung verstanden, vielmehr gemeint, sie seien sämtliche auf denselben Zweck gerichtet, "so daß, wenn das eine Forderungsrecht erfüllt ist, das andere gegenstandslos wird" 5• In der diesem Satz angeschlossenen Fußnote6 verwies Wind1 Vgl. § 2 Fußn. 106. : Vgl. § 2 Fußn. 107. 3 Vgl. Windscheid, Pand. II, § 293 um Fußn. 3 und die Ausführungen des Textes oben, § 1 III, A, 3. Die Auffassung entsprach der Oberlieferung des röm. Rechts (vgl. oben § 1, III, B), berücksichtigte aber nicht die inzwischen eingetretene Anerkennung weiterer Schuldnermehrheiten als Gesamtschulden. • Vgl. oben§ liii, A 3. ' Pand. Il, § 298 um Note 14. • Nr. 14, wiedergegeben oben§ 1 Fußn. 62.

li. Die Mittilgung (§ 422)

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scheid auf seine Ausführungen zum Institut des sogenannten concursus

duarum causarum lucrativarum, dessen Problematik heute unter dem Stichwort "Zweckerreichung" erörtert wird7•

2. Das Fortwirken der gemeinrechtlichen Auffassung im Recht des BGB Diese Auffassungen zur Rechtsnatur des Erlöschensgrundes des § 422 wirken bis heute fort8• Dabei wird jedoch außer acht gelassen, daß jene gemeinrechtliche Auffassung basiert auf einer Wesensbestimmung der Gesamtschuld (Korreal- bzw. Solidarobligation), die den Regreß nicht als notwendige Folgewirkung der Abwicklung einer Gesamtschuld versteht, vielmehr der Savignyschen Lehre verhaftet ist, "daß das abstracte Wesen der Cerrealobligation an sich, auf eine Ausgleichung nicht führt, daß dieselbe also jenem Wesen fremd ist" 8 • Mit der gesetzlichen Anerkennung eines Regreßanspruchs (§ 426) mußte diese Betrachtungsweise jedoch relativiert werden, soweit dem Leistenden - auch kraft cessio legis (§ 426 II) - ein Ausgleichsanspruch gegen den oder die übrigen Schuldner gewährt werden soll. Es wird daher neuerdings gesagt, die Erfüllung wirke nur dem Gläubiger gegenüber10• Die dogmatische Konstruktion ist damit aber bereits wieder verlassen, denn es gibt in der Schuldrechtsdogmatik keine Figur der "relativen Erfüllung" oder auch der "relativen Zweckerreichung", die dem einen, aber nicht dem anderen gegenüber "wirkt" 11• Die theoretische Unklarheit bezüglich der Rechtsnatur des Erlöschensgrundes des § 422 hat einen doppelten Grund: einmal in der Regelung des römischen Rechts, welches zunächst nur gleichgründige Gesamtschulden kannte, die, wie ein Einzelschuldverhältnis, durch Erfüllung aufgehoben wurden12• Diese Auffassung ist mit der Anerkennung Vgl. Volker Beuthien, Zweckerreichung, insbesondere S. 27 - 45. Obwohl Eisele (AcP 77, 481) bereits 1891 darauf hingewiesen hatte, daß der Entwurf "eine Bestimmung über Aufhebung der Obligation durch Wegfall des Interesses nicht hat" und darum§ 321 EI (= § 421 BGB), auch wenn er "das Erforderniß der eadem causanicht erwähnt", die Fälle "unechter Solidarität" nicht erfasse, weil diese nicht durch "Zahlung" (Erfüllung) erlöschen, wenn einer der Gesamtschuldner zahlt (erfüllt). 9 Savigny, OR I,§ 23, S. 227. 10 So schon Leonhard, SchuR I, § 365, S. 731; Rud. Schmidt, JherJb 72, 55; Oertmann, § 426, Anm. 4 f.; diesen folgend dieneuere Literatur, Nachweise bei HiHenkamp, S. 57 Fußn. 3. 11 Trotz der Ablehnung eines Gesamtschuldverhältnisses zwischen Lohnfortzahlungs- und Schadensersatzanspruch hatte der BGH in der grundlegenden Entscheidung BGHZ 7, 30 f. mit demselben Bachproblem zu tun. Der BGH hat das durch die Ablehnung einer Gesamtschuld in den Schadensbegriff verlagerte Problem mit dem "Grundsatz der relativen Unabdingbarkeit" (Siebert) des Lohnanspruchs zu lösen versucht. Zu Recht hat Si ebert dagegen ausgeführt, daß unser Recht eine relative Abdingbarkeit dieser Art nicht kennt (Festschr. f. Lehmann, S. 676). Welche Rechtsfiguren auch immer zur Lösung eines Sachproblems gewählt werden, die echten Schwierigkeiten bleiben dieselben. 12 Vgl. oben§ 1, III B 2. 7

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6 Ehmann

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§ 3 Mittilgung und Regreß als Rechtswirkungen der Gesamtschuld

weiterer ungleichgründiger Schuldnermehrheiten als Gesamtschulden wohl schon im späten römischen Recht, jedenfalls aber im gemeinen Recht (Solidarobligationen) überholt worden13• Praktisch bedeutsamer für das geltende Recht dürfte jedoch die Verwirrung der Dogmatik sein, die durch die in den neueren Lehrbüchern "überwiegend" vertretene sog. Theorie der realen Leistungsbewirkung in der Erfüllungsund causa-Lehre angerichtet wurde14• In dieser dogmatischen Verwirrung des Schuldrechtssystems liegen die Gründe für die neuerdings aufgestellte Behauptung, eine Gesamtschuld liege nur vor, wenn die zur Erfüllung erbrachte Leistung eines Gesamtschuldners auch die Verbindlichkeiten des Gläubigers gegen die anderen Gesamtschuldner ,.miterfülle" (Erfordernis einer sog. wechselseitigen Erfüllungsgemeinschaft) 15 • Es ist daher notwendig, auf den Grund jenes Irrtums, der letztlich im Obligationsbegriff Hartmanns und im Erfüllungsbegriff der "Theorie der realen Leistungsbewirkung" liegt, etwas näher einzugehen. 3. Die ErfüllungsZehre und der Obligations- und Zweckbegriff Hartmanns a) Nach der, wie Larenz18 noch in der 9. Auflage seines Lehrbuchs (1968) sagte, jetzt im Schrifttum "überwiegenden" Meinung der sogenannten Theorie der realen Leistungsbewirkung erfordert die Erfüllung i. S. des § 362 "stets17 nur die Herbeiführung des Leistungserfolgs durch eine Leistungshandlung, die in erkennbarer Weise der geschuldeten entspricht". Vgl. oben§ 1, III, B 3. Vgl. Larenz, SchuR I§ 18 Im. w. N.; zu den Gründen dieser Verwirrung vgl. Ehmann, JZ 68, 549 ff. und NJW 69, 1833. u Selb, Studie, S. 17; dazu oben, § 2, IV, 5. 18 SchuR I, 9. Aufl., § 26 I, 3, S. 315. 17 Hervorh. v. Verf. In der 10. Aufl. (§18 I, 4, S. 174) hat Larenz auf Grund meiner Ausführungen (in JZ 68, 549 ff. und NJW 69, 1833 ff.) dieses "stets" ersetzt durch die Einschränkung: " . . . in den meisten Fällen, dann nämlich, wenn der Bezug auf die bestimmte Schuld offenkundig ist ..." Selbstverständlich bedarf es dann, wenn eine Leistung offenkundig zur Erfüllung einer bestimmten Schuld bewirkt und angenommen wird, keiner ausdrücklichen Vereinbarung des Leistungszwecks mehr, diese ergibt sich dann durch Auslegung (§§ 133, 157) als stillschweigend getroffen. Jedoch wird das Grundprinzip der Rechtsgeschäftslehre aufgehoben mit der Erklärung, daß der Schuldner die Leistung normalerweise zum Zwecke der Tilgung seiner Schuld vornehmen werde, aber einer besonderen Erklärung bedürfe es dazu nicht, die Leistung spreche "gleichsam für sich selbst". Wenn sie das tut, ergibt sich die Erklärung eben aus den Umständen der Leistung durch Auslegung, aber dann ist die Erklärung doch vorhanden. Der rechtliche Erfolg der Erfüllungsleistung tritt nach der Rechtsordnung deswegen ein, weil und insoweit er gewollt ist. Das Problem zeigt sich erst, wenn eine Erklärung nicht "offenkundig" und auch durch Auslegung nicht zu ermitteln ist. Schließlich kann die "negative" Tilgungsbestimmung erfüllungshindernde Kraft nur haben, wenn der Erfüllungswille im Erfüllungstatbestand eine Funktion hat, d. h. wenn die Erfüllung Rechtsgeschäft ist. Boehmer, auf den Larenz seine Auffassung stützt, 13

14

II. Die Mittilgung (§ 422)

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Dieser Erfüllungsbegriff, wonach die Erfüllung nicht Rechtsgeschäft, sondern "realer Tilgungsakt" sein soll, ist von Kretschmar18 und Boehmer18 in engster Anlehnung an den Obligationsbegriff Hartmanns20 entwickelt worden~n. Hartmann hatte im Bestreben, das Institut des concursus duarum causarum lucrativarum als Erlöschensgrund der Obligation zu erklärenu, entgegen dem von Jherinff3 aufgestellten Konstruktionsprinzip, das Zweckmoment in den Begriff der Obligation aufgenommen:.• und wie folgt definiert: ,.Der wesentliche Zweck der Obligation, in dessen Erreichung sie begriffsmäßig ihr eigenes Ende anstrebt, ist die Stillung eines bestimmt begrenzten, durch den Entstehungsgrund individualisirten, privaten Interesses einer Person. Ihr wesentliches, begriffsmäßiges Mittel ist die, für jenen Zweck durch besonderen Rechtsgrund erzeugte, Gebundenheit einer speciellen Willens- oder Vermögenssphäre als solcher, so daß irgend welche zwingende Macht gegenüber der letzteren zur Realisirung jenes Zweckes anerkannt ist25." Aus dem so verstandenen Obligationsbegriff heraus26 erklärte Hartmann sodann die Erlöschensgründe des concursus duarum causarum lu-

crativarum27, der Klagenkonkurrenz28, der Gesamtschuld28 ebenso wie die solutio30 als Unterfälle einer "der beiden Hauptkategorien31, unter die war in diesem Punkte konsequenter und erklärte die "Unverfrorenheit" des Schuldners, die geschuldete Leistung zu anderem Zweck anzubieten, für rechtlich bedeutungslos (Erfilllungswille, S. 83). Vgl. auch oben§ 6 V. 18 Kretschmar, Die Erfüllung 1906. 1o Boehmer, Der Erfüllungswille, 1910. 20 Hartmann, Die Obligation, 1875. 11 über die Abhängigkeit dieses Erfüllungsbegriffs vom Obligationsbegriff vgl. Ehmann, JZ 68, 554 um Fußn. 57. " Vor Hartmann war der Erlöschensgrund des edel entweder als Fall der Unmöglichkeit der Leistung (Mommsen) oder als Auslegungsfrage behandelt und erklärt worden. Vgl. die Nachw. bei Hartmann, Die Obligation, §§ 2 und 3, S. 7 ff. und 17 ff. Neuerdings dazu Beuthien, Zweckerreichung, insbes. S. 27 ff. u Geist, II, 2, § 41, S. 347 f. 14 Vgl. insbes. § 5, S. 37 ff. 25 Hartmann, Obligation, S. 37. 28 Wobei Hartmann seinen Obligationsbegriff einseitig aus den Digestenstellen entwickelte, die das Institut des edel und damit Vermächtnis- und Schenkungsobligationen, d. h. einseitige Schuldverhältnisse betreffen. Das so gewonnene Ergebnis hat Hartmann sodann ohne genügende Beachtung der synallagmatischen Probleme auf gegenseitige Schuldverhältnisse übertragen. Zur Kritik vgl. Windscheid, Pand. II, § 343 a N. 6; neuerdings auch Beuthien, Zweckerreichung, insbes. S. 30 ff., der gleichfalls die zu einseitige Ausrichtung des Obligationsbegriffs Hartmanns am Gläubigerinteresse kritisiert. 17 Obligation, S. 69. 28 Obligation, S. 66 ff. 28 Obligation, S. 63 mit Verweis aufS. 56. ao Obligation, S. 63 f . 11 Obligation, S.62. Die andere Hauptkategorie soll die Fälle umfassen, "wo nicht von der Seite des Zweckes her, sondern direct von der des Mittels oder des juristischen Apparates aus die Obligation zu Grunde geht; sei es, daß der Parteiwille auf die Vernichtung der letzteren als solche sich richtete, sei es, daß die Rechtsordnung durch ihre positive Satzung allen Schutz zurückzog, wie z. B. 6'

84

§ 3 Mittilgung und Regreß als Rechtswirkungen der Gesamtschuld

sich die sämtlichen einzelnen Aufhebungsgründe der Obligation deren Begriffe gemäss32 subsumiren lassen müssen". Den Kern dieser Erlöschenskategorie sah Hartmann im folgenden: "Eine Obligation erlischt durch die volle Befriedigung des ihr zugrunde liegenden Interesses und die damit gegebene Erreichung ihres Zweckes selbst dann, wenn dieser Erfolg auch nicht aus ihr und auf auf sie selbst hin eintrat, sondern aus anderem selbständigem Rechtsgrunde33." Daran34 haben Kretschmar3 5 und Boehmer38 angeknüpft und die Erfüllungslehre entwickelt, die Larenz nunmehr "Theorie der realen Leistungsbewirkung" nennt. b) Der Obligationsbegriff Hartmanns kann einem entwickelten Verständnis nur als Fehlkonstruktion erscheinen37• Die Obligation ist ein rechtliches Mittel, das dem Gläubiger die Befriedigung eines Interesses in der Zukunft sichert, welches unmittelbar nicht zu befriedigen ist88• Der Gläubiger nimmt das versprechende Wort für die Leistung in der Hoffnung, daß die moralische Kraft und notfalls der rechtliche Zwang38 den Schuldner zur Einlösung (Erfüllung) des Versprechens zwingen40• Bei der Bestimmung des Zwecks einer Obligation ist zu fragen: Warum hat der Schuldner dieLeistungversprochen? Warum hat derGläubiger akzeptiert? Und bei gesetzlichen Obligationen: Warum verpflichtet das objektive Recht den Schuldner zu solcher Leistung41 ? Aber nicht nur das haben Kretschmar und Boehmer und die ihnen folgenden Vertreter der "Theorie bei der Verjährung, sei es, daß die Kraft des zwingenden Apparates ohnedies von sich aus versagt." 82 Das Ganze ist ein Musterbeispiel jener von Heck als Inversionsmethode gekennzeichneten Begriffsjurisprudenz, die nach Art des Zauberers mit Kaninchen und Zylinder alles in den Begriff hineinsteckte, was sie danach unter großem Brimborium daraus hervorzuzaubern wünschte. Vgl. dazu auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, § 23. aa Obligation, S. 69. 34 Vgl. die Hinweise auf diesolutiobei Hartmann, S. 66. 35 Die Erfüllung, insbes. S. 122; aber auch Kretschmar, .TherJb 85, 203; zur Kritik vgl. Ehmann, JZ 68, 554. 36 Erfüllungswille, insbes. S. 4 ff., auch S. 47; zur Kritik vgl. Ehmann, JZ 68, 554. 37 Vgl. Ktingmüller, JherJb 64, 59 und neuerdings auch Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung, S. 27 ff. 38 Ebenso schon Klingmüller (JherJb 64, 51): "Die Schuldverhältnisse sind -wie alle rechtlichen Formen- nur Mittel zum Zweck; sie sollen das Verhältnis des Menschen zur Sachgüterwelt regeln, nicht in unmittelbarer Weise wie die dinglichen Rechtsverhältnisse, sondern nur mittelbar, insofern dem Schuldner die Pflicht auferlegt wird, erst durch sein Verhalten die gewünschte Veränderung in den Beziehungen des Gläubigers zur Sachgüterwelt herbeizuführen." 38 Vgl. Siber, Rechtszwang; über das Verhältnis von Recht und Macht allgemein vgl. Henkel, Rechtsphilosophie, §§ 12, 13. 40 Vgl. Jhering, Der Zweck I, S. 209 (3. Aufl.; S. 270). 41 Vgl. Windscheid, Pand. Il, § 318, insbes. Note 3; Kress, ASchuR, § 5, S. 35 ff.,

li. Die Mittilgung (§ 422)

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der realen Leistungsbewirkung" verkannt, sondern auch, daß es nicht allein Funktion der Erfüllung ist, den Schuldner für befreit zu erklären: Der Gläubiger will das Erhaltene auch behalten dürfen (§ 812 I), und im gegenseitigen Vertrag will der Schuldner seinerseits die Gegenleistung erhalten (§ 320)42• Mit Vorliebe haben die Begründer dieser Erfüllungslehre ihre Theorie daher auch an Fällen erprobt, in denen die anderen Funktionen der Erfüllung nicht in Frage stehen, z. B. bei tatsächlichen Leistungen auf Grund einseitiger Obligationen. So meint Boehmer43 zu dem von Lehmann44 gebildeten Fall, daß der Entleiher eines Buches dieses beschädigt, den Schaden beseitigen läßt und es darauf dem Verleiher zurückgibt, der von alldem nichts weiß: "Hier tritt Erfüllung46 der Schadensersatzpflicht ein ohne Kenntnis des Gläubigers von der Obligation wie von der Leistung wie von deren Tilgungszwecke46." Daß in solchem Falle die Schadensersatzforderung erloschen ist, ist nicht zu bestreiten, denn ein Vermögensschaden ist Tatbestandsmerkmal des § 823 I und damit Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs; entfällt daher der Schaden, so erlischt der Anspruch. Aber - und das ist der hier bekämpfte Irrtum - dieses Erlöschen geschieht nicht durch Erfüllung gemäß § 362 I. Es ist die Besonderheit eines Schadensersatzanspruchs, daß er nicht nur auf rechtlicher Ebene durch Erfüllung, sondern auch auf tatsächlicher Ebene durch Beseitigung des Schadens zum Erlöschen gebracht werden kann47 • c) Vor dem Hintergrund solcher Auffassungen über die Erfüllung müssen wir die Meinung Selbs48 verstehen, es könne "endlos darüber gestritten werden, ob es nicht dasselbe ist, so der Versicherer für den

ferner Klingmüller (JherJb 64, 59 f.): "Man kann also von den Zwecken der Obligation in ganz natürlicher und auch juristisch verwertbarer Weise reden, wenn man diese Zwecke menschlich-subjektiv auffaßt: auch hier handelt der Mensch, der Gläubiger beim Abschluß der Obligation, nur, um etwas zu erreichen, einen bestimmten vorgestellten Zweck zu verwirklichen; und der Schuldner ist durch Übernahme der Verpflichtung bereit, dem Gläubiger die Erreichung des Zwecks zu ermöglichen. 41 Zu den Funktionen der Erfüllung vgl. Ehmann, NJW 69, 1836. 48 Erfüllungswille, S. 67. u Die Unterlassungspflicht, S. 209. 45 Hervorh. v. Verf. 48 Boehmer, Erfüllungswille, S. 67 mit Hinweis in Fußn. 37, daß auch Lenel in AcP 74, 233 betone, daß eine Kenntnis des Gläubigers in manchen Fällen überflüssig sei. 47 Diese doppelte Möglichkeit des Erlöschens einer Schadensersatzforderung bereitet innerhalb des Instituts der Vorteilsausgleichung, insbes. bei der Anrechnung sog. Drittleistung große Schwierigkeiten; vgl. Oertmann, Die Vorteilsausgleichung, 1901; Cantzler, Die Vorteilsausgleichung beim Schadensersatzanspruch, AcP 156, 29; ThieZe, Gedanken zur Vorteilsausgleichung, AcP 167, 193. Die Verkennung des angeschnittenen Problems hat besonders in den Fällen des Zusammentreffens von Schadensersatz- und Lohnfortzahlungsansprüchen eine unheilvolle Rolle gespielt, vgl. insbes. Marschall v. Bieberstein, Reflexschäden und Regreßrechte; dazu Näheres unten§ 10 III, insbes. 5 und 6. 48 Studie, S. 18.

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§ 3 Mittilgung und Regreß als Rechtswirkungen der Ge~:~amtschuld

Schadeossiliter miterfülltf1 oder mit seiner Erfüllungsleistung die Voraussetzung des Schadensersatzanspruchs gegen den Schädiger beseitigt"'8 • Es wurde bereits oben50 gezeigt, daß die Anerkennung mehrerer auf Ersatz desselben Schadens gerichteter Deliktsobligationen als ("unächte") Korrealobligationen im Zusammenhang mit dem Gedanken erfolgte, daß die Deliktsobligation nicht Straf- sondern Schutz-(Wiedergutmachungs-) funktion hat. Dabei waren sich wohl schon die alten Römer bewußt, daß die Leistung eines Deliktstäters die Verpflichtungen der anderen nicht erfüllte51 ; jedenfalls hat Savigny den Unterschied zwischen Erfüllung und Schadensbeseitigung klar gesehen: "Allein wenn Einer diese Entschädigung bezahlt hat, so werden die übrigen deswegen frei, weil durch die geleistete Zahlung der Begriff eines Schadens, als Bedingung dieser Obligation, gänzlich aufgehoben ist, so daß nunmehr die Obligation keinen Gegenstand mehr hats2," Selb und die ihm folgenden Autoren haben - offensichtlich verhaftet im Denken der Theorie der realen Leistungsbewirkung - den grundsätzlichen Unterschied der verschiedenen Erlöschensgründe (ErfüllungSchadensbeseitigung) nicht hinreichend beachtet. Das ist bedenklich, weil es symptomatisch zu sein scheint für die "Verwischung" 53 unseres Zivilrechtssystems, die nicht zuletzt auf der Zerstörung der causa-Lehre beruht. Auf diese dogmatischen Grundlagen würde man freilich verzichten können, wenn man sich mit Selb54 ein Rechts- und Wirtschaftssystem vorstellt, in welchem dem einzelnen kein konkreter Schaden mehr entstehen kann, weil er "gegen alle Wechselfälle des Lebens durch eine soziale Versorgung gesichert ist, die keine differenzierte Vermögensgestaltung mehr zuläßt" und in welcher der Warenverkehr sich "nurmehr als Ausführung staatlicher Zuteilung erweist".

Vorläufig aber herrscht auf dem Gebiet unseres bürgerlichen Rechts noch das Prinzip der Privatautonomie55 , die uns die Möglichkeit gibt, unsere bürgerlichen Angelegenheiten durch private Rechtsgeschäfte zu regeln. Und solange dies so ist, bestimmt auch ein Schuldner darüber, welchen Rechtserfolg eine von ihm erbrachte Leistung bewirken soll, ob sie eine bestehende Schuld erfüllen, eine neue Schuld begründen oder das Hervorh. v. Verf. § 1 III, B 2 und 3. Vgl. Sohm-Mitteis-Wenger, § 62, li, 3, S. 364 mit Hinweis auf D. 4, 3, 17 und C. 4, 8, 1. st Savigny (OR I, § 20, S. 201) mit folgendem Zusatz: "Auch dieser wichtige Grundsatz wird im Römischen Recht nirgend allgemein ausgesprochen, wohl aber durch eine sehr vollständige Induction außer Zweifel gesetzt." 53 Vgl. Rabet, Ges. Aufsätze I, 309 ff.; oben§ 2 III, 4. " Studie, S. 49. ss Vgl.Merz, Privatautonomie; dazu Weitnauer, NJW 71, 1352. 48

so 51

Il. Die Mittilgung (§ 422)

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Vermögen eines anderen zu einem sonstigen Zweck mit oder ohne Rechtsgrund vermehren soll. Im übrigen ist es an dieser Stelle nicht möglich58, aber auch nicht notwendig57, die richtige Erfüllungslehre zu entwickeln; es sollte hier nur im Zusammenhang der Hintergrund des Fehlverständnisses der modernen Schuldrechtslehre zu § 422 im engeren und den Erlöschensgründen im weiteren Sinne kurz aufgezeigt werden. d) Zu einer Zeit, als die Erfüllungslehre Kretschmars und Boehmers und die damit verbundene Zerstörung der causa-Lehre noch nicht die Grundgedanken der schuldrechtlichen Dogmatik verwischt hatte, war es nicht zweifelhaft gewesen, daß die Leistung eines Gesamtschuldners zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit nicht gleichzeitig die Forderungen gegen die anderen Gesamtschuldner erfüllen kann58, die der Leistende regelmäßig auf sich selbst überleiten will bzw. die das Gesetz ohne seinen Willen auf ihn überleitet (§ 426 Il). So schreibt z. B. Siber68 in bezug auf das Verhältnis eines Bürgen zum Hauptschuldner, welches nach der hier8° vertretenen Auffassung gleichfalls ein Gesamtschuldverhältnis ist: "Die Leistung des Bürgen ist zwar Erfüllung der Bürgschaftsverpflichtung, die damit in der Tat erlischt, aber nicht Erfüllung der Hauptschuld; sie hat einen doppelten Zweck, indem sie sowohl zur Erfüllung der Bürgschaftsschuld wie zum Erwerbe der Hauptschuld dient. Es ist darum streng zu scheiden einerseits die Erfüllung der Hauptschuld, zu der regelmäßig wie jeder Dritte auch der Bürge fähig ist, und die zur Tilgung der Hauptschuld und folgeweise auch der Bürgschaftsschuld führt; andererseits die Erfüllung der Bürgschaftsschuld, die nur diese tilgt und den Obergang der Hauptforderung zur Folge hatn." In bezugauf das Gesamtschuldverhältnis sagt derselbe Autor: "Um den Forderungsübergang zu erklären, hat man also anzunehmen, daß die Leistung des Gesamtschuldners, soweit sein Regreßanspruch reicht, keine Erfüllung ist, sondern Leistung zum Zwecke des Erwerbes, der zum Schuld~• Ich kann hierzu auf meine Aufsätze in JZ 68, 549 ff. und NJW 69, 1833 ff. verweisen und im übrigen auf meine sich in Vorbereitung befindende größere Schrift über die Erfüllungslehre hinweisen. 57 Nicht notwendig schon deswegen, weil wenn es wirklich darauf ankommt, doch von niemandem ernsthaft behauptet wird, daß ein Erfüllungswille des Schuldners entbehrlich sei. Selbst LaTenz (10. Aufl., S. 175) räumt jetzt ein, daß es einer Erfüllungszweckbestimmung immer bedarf, wenn Zweüel bestehen; und wenn keine Zweüel bestehen, liegt der Erfüllungswille eben zweüellos vor (§ 133, 157). ss So sogar Hartmann (Obligation, S. 56): "Wenn hier nämlich Einer zahlt: so thut ·er es doch intentionsgemäß nur auf seine besondere, gegenüber den Obligationen der übrigen Thäter selbständige, Obligation hin. Auf wahre solutio als solche kann also auch nur das Erlöschen dieser besonderer Obligation zurückgeführt werden. Sollen dennoch auch die übrigen Obligationen untergehen: so muß dieser Untergang insofern der solutio gegenüber gestellt und selbständig characterisirt werden, als er ganz unabhängig vom Willen des Leistenden eintritt, ja selbst wenn dieser ausdrücklich dagegen protestirt hätte, daß er außer sich selbst auch noch die Anderen befreien wolle." 50 Siber, Rechtszwang, S. 239. 60 Vgl. unten§ 11.

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§3

Mittilgung und Regreß als Rechtswirkungen der Gesamtschuld

tilgungszweck der Erfüllung im ausschließenden Gegensatz steht; eine solche Leistung ist Gegenstand nicht seiner Verptlichtung, sondern nur einer Lösungsbefugnis81." Die Meinung, der Gesamtschuldner kaufe mit seiner Leistung die Forderungen des Gläubigers gegen die Mitschuldner, ist allerdings antiquiert, sie entspricht der alten und überholten Erklärung der Natur des sogenannten beneficium cedendarum actionum und ist im gemeinen Recht insbesondere für den Fall der Bürgenzahlung vertreten worden82 ; diese Methode ist eine Nachwirkung des römischen Rechts, welche gesetzliche Rechtswirkungen grundsätzlich auf eine tacita conventio zurückführte83. Dennoch tritt in der zitierten Auffassung Sibers deutlich hervor, daß § 422 nicht als Erfüllungstatbestand zu erklären, sondern in Zusammenhang mit dem Regreßanspruch aus § 426 zu setzen ist. Daß § 422 auch nicht aus dem "Zweck der Obligation" heraus als Erlöschensgrund erklärt werden kann, sondern vielmehr aus dem Zweck der Leistung eines Gesamtschuldners (Erfüllung der eigenen Verbindlichkeit) der Fortbestand der anderen Verbindlichkeit zu folgern wäre, hat gleichfalls schon Siber gegen Hartmann klargestellt64• e) Bevor jedoch aus der vorstehenden Analyse heraus eine Klärung der Rechtsnatur des§ 422 gegeben werden kann, ist es erforderlich, die Dogmengeschichte des Gesamtschuldnerregresses, mit welcher der Befreiungsgrund des § 422 in engstem kommunizierendem Zusammenhang steht, noch etwas näher zu betrachten. Auf diesem Wege soll bewiesen werden, daß weder die Rechtsnatur des Befreiungsgrundes des§ 422 noch des Regreßanspruchs des§ 42'6 aus den am Zweipersonenschuldverhältnis entwickelten Grundelementen dogmatisch erklärt werden kann, vielmehr die beiden Rechtswirkungen in engster Wechselbeziehung zueinander stehen und beide nur durch Hinzunahme eines weiteren Elements, welches durch die Beteiligung von mehr als zwei Personen am Schuldverhältnis erforderlich wird, dogmatisch hinreichend erläutert werden können. ßl. Der Begreß (§ 426)

1. Savignys AuffasS'Ung Savigny hatte aus seiner oben66 kurz skizzierten Wesensbestimmung der Korrealobligation heraus bezüglich des Regresses erklärt, "daß das Rechtszwang, S. 248. Vgl. Hasenbalg, Bürgschaft; dagegen klar das RG (RGZ 70, 351): "Nun kann zwar die Ansicht des OLG über den Charakter der geleisteten Zahlung nicht gebilligt werden. Der Erwerb jener Forderung kam nur als gesetzliche Folge der Zahlung in Betracht, war nicht ihr rechtsgeschäftlicher Zweck." ea v. Tuhr, AT II, 1, S. 165 Fußn.l29. " Rechtszwang, S. 250. e1 81

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§ 1, V.

III. Der Regreß (§ 426)

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abstracte Wesen der Correalobligation an sich auf eine Ausgleichung nicht führt, daß dieselbe als jenem Wesen fremd ist"66• Gleichzeitig erkannte Savigny jedoch an, daß allein der Regreß verhüten könnte, "daß die Correalobligation im letzten Erfolg wie ein Glücksspiel wirke, welches ihrem wahren Wesen ohnehin völlig fremd ist"67• Aus dem Widerspruch befreite er sich, indem er den Regreß wohl als "billig und wünschenswert", nicht aber als Rechtssatz anerkannte: "Die Zulassung des Regresses erscheint hiernach nicht eigentlich als eine praktisch gültige Rechtsregel, sondern vielmehr als eine gestellte Aufgabe, die nur durch die consequente Anwendung anderer, selbständiger Rechtsregeln vollständig und befriedigend gelöst werden kann17." Die aufgestellte Ansicht glaubte Savigny auch so ausdrücken zu können: "Der Regreß soll verhüten, daß einer auf Kosten des anderen ohne Grund sich bereichere, welche Regel ja auch wörtliche Anerkennung in unseren Rechtsquellen gefunden hatn." Und diese Rechtsregel werde auch als "iure naturae aequum" bezeichnet, was dahin führe: "Jene Regel als einen leitenden Grundsatz aufzufassen, woraus mehrere wichtige Rechtsinstitute ihr Dasein und ihren besonderen Inhalt ableiten, nicht als einen unmittelbar und unbedingt anzuwendenden praktischen Rechtssatz, welche Auffassung auf die unrichtigsten Folgen führen müßte. Hierin haben manche neueren Schriftsteller gefehlt, indem sie die Regreßfrage unmittelbar aus jener Rechtsregel zu entscheiden versucht haben18."

Savigny sah also in dem leitenden Grundsatz des iure naturae aequum noch nicht den Rechtssatz selbst, sondern nur die Aufgabe, "ein bestimmtes, an sich begründetes Klagerecht aufzuführen, wodurch der Anspruch auf Regreß zu schützen ist"89• Die Lösung dieser Aufgabe programmierte Savigny dahin: "Dieses kann nur dadurch geschehen, daß wir diejenigen Rechtsinstitute, welche mit der Cerrealschuld von außen in Verbindung zu treten geeignet sind (§ 16), der Reihe nach in Erwägung ziehen. Bei jedem dieser Institute soll OR I,§ 23, S. 227. OR I, § 23, S. 229. es OR I, § 23, S. 230. 18 Savigny, OR I,§ 23, S. 231. Der Vergleich zur Entwicklung des allgemeinen Bereicherungsanspruchs ist auch methodisch höchst interessant. In den §§ 812 ff. hat der Gesetzgeber mit § 812 I, 1 einen allgemeinen Tatbestand an die Spitze gestellt, der alle von der derzeitigen Wissenschaft bereits erfaßten Kondiktionstatbestände in sich schließen sollte. Gewissermaßen nur aus Vorsicht hat man dann noch die einzelnen Tatbestände beispielhaft nachgestellt. In einer mühsamen Entwicklung mußte nach einem langen durch diese Gesetzgebung veranlaBten Irrweg der Tatbestand des § 812 I, 1 durch die Wissenschaft wieder aufgelöst werden. Erst diese Auflösung in Leistungskondiktion und Eingriffskondiktion ließ dann die einzelnen Sondertatbestände des Gesetzes klar als Spezialfälle dieser beiden Grundtatbestände erscheinen. Durchaus ähnlich liegen, wie im Text dargestellt wurde, die Dinge beim Regreßtatbestand des § 426, auch hier waren einzelne Regreßtatbestände 88

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§ 3 Mittilgung und Regreß als Rechtswirkungen der Gesamtschuld

die Klage an die Spitze gestellt werden, die in Folge desselben etwa gebraucht werden könnte, um den Anspruch auf Regreß geltend zu machen70." Folgende Klagearten zog er sodann in Betracht71 : actio pro socio- actio communi dividundo - actio mandati - actio negotiorum gestorum freiwillige Zession und erzwungene Zession. Im praktischen Ergebnis dürfte Savigny mit diesem Instrumentarium nahezu in allen Fällen, in denen ein Regreß auch nach heutigem Verständnis berechtigt erscheint, zur Zuerkennung eines Klageanspruchs (actio) gekommen sein, ohne das System72 zu durchbrechen, welches einen Anspruch zwischen den Korrealschuldnern nur auf Grund einer Vereinbarung zwischen ihnen oder einer Zession des oder der mehreren Ansprüche des Gläubigers oder einer anerkannten Regel objektiven Rechts (negotiorum gestorum oder auch condictio) geben konnte, die für Savigny noch nicht unmittelbare Rechtswirkung einer Gesamtschuld, vielmehr deren "abstractem Wesen" fremd war.

2. Das gemeine Recht und die Motive des BGB-EntwuTfs Savignys Auffassung zur Regreßfrage beherrschte, trotz einer umfangreichen Diskussion73 der Korrealschuld, Literatur und Praxis bis zum Entwurf des BGB. Weder sein Schüler Puchta14 noch Jhering15 oder (actio pro socio, actio mandati, actio negotiorum gestorum) und auch das allgemeine oberste Prinzip nam hoc natura aequm est neminem euro alterius detrimento fteri locupletiorem (Pomponius D. 12, 6, 14) bekannt, aber eine systematisch brauchbare begriffliche Erfassung der Grundtatbestände fehlte und fehlt bis heute. Erst die Unterscheidung von schuldrechtlichen Tatbeständen (Ansprüchep), die den Schutz, und solcher, die der Bewegung der Güter dienen, und eine Erneuerung der causa-Lehre ermöglicht auf beiden Gebieten eine systematisch brauchbare begriffliche Erfassung des Stoffes. Vgl. unten§ 6. 1o OR I, § 23, S. 231. 71 OR I, § 23, S. 232 ff. n An der Spitze der "Begriffspyramide" dieses Systems steht der Begriff der "juristischen Handlung", die sich zur nächst unteren Stufe gabelt in rechtsgeschäftliche Handlungen und deliktische Handlungen. Dieses maßgeblich von Heise (System) bestimmte System hat vor allen Dingen Savigny (System III, 5 und 6) ausgebaut: "In den freien Handlungen ... kann der Wille des Handelnden auf eine zweifache Weise tätig sein: a) als unmittelbar gerichtet auf die Entstehung oder Auflösung des Rechtsverhältnisses, wenngleich dieses vielleicht nur das Mittel für andere, auch nicht juristische Zwecke sein mag. Diese Tatsachen heißen Willenserklärung oder Rechtsgeschäfte;

b) oder als unmittelbar gerichtet auf andere, nicht juristische Zwecke, so daß die juristische Wirkung entweder als untergeordnet im Bewußtsein zurücktritt oder entschieden nicht gewollt wird" (System III, 5 und 6). Vgl. dazu auch Flume, AT,§ 2, 4, S. 28 ff.; ferner Coing, bei Staudinger Einleitung zu §§ 104 ff.; insbes. Randnote 2. 7• Vgl. den Überblick bei Windscheid, Pand. li, § 293 Note 1.

III. Der Regreß (§ 426)

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Windscheid1'

womit nur die großen Fürsten des gemeinen Rechts genannt sein :;ollen- haben die Ansätze des Meisters, aus dem konkreten Rechtsverhältnis zwischen den Gesamtschuldnern eine allgemeine gesetzliche Rechtsgrundlage für den Regreßanspruch zu entwickeln, fortgeführt. Folglich waren auch das Sächsische BGB77 und der Dresdner Entwurf8 bei diesem Standpunkt geblieben. Die Gesetzgeber des BGB haben daher mit der Normierung des§ 426 nicht, wie im allgemeinen sonst79 • bereits fertig entwickeltes Recht in Gesetzesform gebracht, sondern selbst das Recht durch Willensentscheidung fortentwickelt. Der mangelnden theoretischen Fundierung des neuen80 Rechtssatzes war man sich dabei wohl bewußt, wollte aber dennoch aus "praktischen Erwägungen" nicht darauf verzichten, wie die diesbezüglichen Ausführungen in den Motiven81 deutlich zeigen: "Die Frage nach dem inneren Verhältnisse der Gesarnmtgläubiger bz. Gesammtschuldner zu einander wird in der gemeinrechtUchen poktrin wie in der Gesetzgebung vorzugsweise in der speziellen Richtung auf die Ausgleichungsund Regreßpfticht behandelt. Nach der für das gemeine Recht herrschenden, 14 Puchta (Pand., § 235, S. 361): "Die Correalobligation ist an sich kein Grund einer Gemeinschaft unter den Correi; ein Anspruch gegen den das Ganze empfangenden Correalgläubiger, ein Regreß des das Ganze zahlenden Correalschuldners gegen die übrigen kann daher nicht schon durch die Existenz einer Correalschuld selbst, sondern nur durch besondere obligatorische Verhältnisse unter ihnen begründet werden, und dasselbe gilt von andern solidarisch Verpflichteten. Doch kann der das Ganze Zahlende (nur mit Ausnahme der auf den Grund einer unerlaubten Handlung Verpftichteten) die Cession der Klage des Gläubigers verlangen, um mit ihr seinen Regreß pro rata gegen seine Mitschuldner zu nehmen." 75 Vgl. seine Jahrbücher, Bd. 10, S. 344 und Bd. 24, S.186. 7' Vgl. Pand. Il, §§ 294, 298 Note 12. 77 1036 Sächs. BGB lautet: "Der Gesarnmtgläubiger, an welchen erfüllt wurde, ist nicht verbunden, das Empfangene den übrigen Gesammtgläubigern mitzutheilen, und der Gesammtschuldner, welcher erfüllt hat, nicht berechtigt, von den übrigen Gesammtschuldnern Ersatz zu fordern, ausgenommen wenn zwischen den mehreren Gesarnmtgläubigern oder Gesammtschuldnern eine Gemeinschaft oder ein Auftragsverhältniß besteht." 78 Art. 16 Dresdner Entwurf lautet: "Vermöge des Gesammtschuldverhältnisses an sich ist der Gesammtgläubiger, an welchen erfüllt wurde, nicht verpflichtet, das Empfangene mit den übrigen Gesarnmtgläubigern zu theilen, und der Gesammtschuldner, welcher erfüllt hat, nicht berechtigt, von den übrigen Gesammtschuldnern Ersatz zu fordern. Eine solche Verpftichtung des Gesammtgläubigers und eine solche Berechtigung des Gesammtschuldners besteht nur dann, wenn sie durch ein zwischen den mehreren Gesarnmtschuldnern oder den mehreren Gesammtgläubigern bestehendes Rechtsverhältniß oder durch gesetzliche Vorschrift begründet ist." 7• Treffend wurde das BGB als "Momentaufnahme" aus der Rechtsentwicklung Ende des 19. Jahrhunderts bezeichnet. se Zwar waren, wie aus dem im folgenden Text wiedergegebenen Auszug aus den Mot. hervorgeht, in den "neueren Gesetzen" entsprechende Vorbilder vorhanden, aber diese ermangelten gleichfalls der theoretischen Fundierung. st Mot. II, 169 = Mugdan II, 93.

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§ 3 Mittilgung und Regreß als Rechtswirkungen der Gesamtschuld

auch in der Praxis schon aufgenommenen Ansicht ist die Frage aus dem konkreten, zwischen den Gläubigern oder den Schuldnern bestehenden Rechtsverhältnisse zu beantworten, nicht aus dem Bestehen eines Gesam.mt!ichuldverhältnisses, da solches (die Korrealobligation) nur die äußeren Beziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner betreffe (Windscheid §§ 294, 298 N. 12). Auf diesem Standpunkte steht auch prinzipiell das sächsGB (§ 1036) und der dresd.Entw. 16. Dagegen sprechen die übrigen neueren Gesetze den Gesammtschuldnern und den Gesammtgläubigern oder doch den Ersteren allgemein den Anspruch auf nachfolgende Ausgleichung zu (ALR. I 5 §§ 436, 443 ff.; öst. GB. §§ 895, 896; Code 1213- 1216; hess. Entw. 11, 12, 13; bayer. Entw. 239; schweiz. ObligR. 168). Die theoretische Betrachtung mag in der That zu dem Ergebnisse führen, daß die Entscheidung der Ausgleichungsfrage lediglich davon abhänge, ob das konkrete zwischen den Gesam.mtgläubigern oder zwischen den Gesam.mtschuldnern bestehende Rechtsverhältniß den Anspruch auf Ausgleichung begründe, dergestalt, daß der Ausgleichung Verlangende das Dasein eines solchen Verhältnisses zu beweisen hätte. Praktische Erwägungen82 erheischen aber, wie auch der Vorgang der erwähnten großen Gesetzgebungen zeigt, eine andere Bestimmung, nämlich, daß, soweit nicht aus Gesetz (z. B. §§ 338, 713, 1696) oder Rechtsgeschäft ein Anderes sich ergiebt, im Verhältnisse zu einander die Gesammtgläubiger als zu gleichen Antheilen berechtigt, die Gesam.mtschuldner als zu gleichen Antheilen verpflichtet gelten. Diese Bestimmung (Abs. 1) hat übrigens eine über das nach empfangener oder bewirkter Leistung in Frage kommende Ausgleichungs- und Regreßrecht hinausgehende Bedeutung. Sie enthält ein Prinzip über das innere Verhältniß überhaupt. Es erhellt hieraus besonders, daß die mehreren Schuldner in Ermangelung gegentbeiliger Bestimmung von vornherein mit der Begründung des Gesam.mtschuldverhältnisses als in einem inneren Schuldverhältnisse stehend anzusehen sind, das sie verpflichtet, so zu handeln, daß es überhaupt zu einem Regresse nicht kommt. Sie sind kraft dieses inneren Schuldverhältnisses einander zu der erforderlichen Mitwirkung und Beitragung bei der Leistung verpflichtet, sofern nidlt nach dem inneren Verhältnisse die Leistung nur von einem oder einigen Genossen zu bewirken ist. Letzterenfalls haben aber die nicht Leistungspflichtigen gegen die Leistungspflichtigen auch einen Anspruch darauf, daß sie selbst vor dem Anspruche des Gläubigers bewahrt bleibenB2."

3. Die Auffassung zum Recht des BGB Mit der Normierung des § 426 BGB war die von Savigny gestellte Aufgabe vom Gesetzgeber gelöst worden wie der Gordische Knoten durch Alexander. Damit hätte eigentlich das Problem der RechtsgrundZage des Regresses dem Streit der Meinungen enthoben sein müssen; denn § 426 gibt auch ohne dahingehende Vereinbarung jedem Gesamtschuldner, der über seinen Anteil hinaus geleistet hat, einen gesetzlichen Anspruch gegen die übrigen Gesamtschuldner. Gerade in der Frage des Gesamtschuldnerregresses hat jedoch die Tradition des gemeinen Rechts, die sonst so leichtfertig zugunsten gesetzlicher Regelungen oder sog. moderner Auffassungen über Bord geworfen wurde, sich als eine erstaunlich beharrende Kraft erwiesen. Die Wissenschaft hat sich aus nicht mehr BI Hervorh. v. Verf.

III. Der Regreß (§ 426)

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aufzuklärenden Gründen nicht bemüht, eine theoretische Begründung für die gesetzgeberische Entscheidung, die mit der Normierung des§ 426 dem theoretischen Entwicklungsstand des Rechts ihrer Zeit einen Schritt vorausgegangen war, nachzureichen. Dabei hätten die bei Savigny83 zu findenden Ansätze, die wohl auch für den BGB-Gesetzgeber ausschlaggebend waren, unschwer schon früh zum Ziele führen können. Im Gegenteil - die Wissenschaft hat vielmehr versucht, die im gemeinen Recht herrschend gewesene Auffassung gegen das Gesetz zu konservieren. Da aber das Gesetz unzweifelhaft für alle Gesamtschuldverhältnisse einen Regreßanspruch gemäß § 426 gab, wurde in Fällen, in denen man einen Regreß gemäß § 426 nicht wollte, schlicht das Vorliegen einer Gesamtschuld geleugnet. So verlangte - wie gezeigt wurde84 - Enneccerus85 eine Zweckgemeinschaft der Schuldner als Voraussetzung einer "echten" Gesamtschuld und damit des Regreßanspruchs aus§ 426; mangels solcher Zweckgemeinschaft sollte eine unechte Gesamtschuld vorliegen, für welche in der Regel die Anwendung des § 42'6 ausgeschlossen sein sollte. Die sogenannte moderne Lehre, welche das Merkmal der Zweckgemeinschaft aufgegeben hat, will eine Gesamtschuld im Ergebnis nur annehmen, wenn die Parteien sie vereinbart haben(§ 427) oder das Gesetz sie anordnet (z. B. § 840); in allen übrigen Fällen soll § 426 keine Anwendung finden und ein Regreß nur über GoA, Bereicherung oder rechtsgeschäftliche Zession erreicht werden können86 •

Damit ist man im Ergebnis und in der Methode81 zum Stand der Entwicklung bei Savigny zurückgekehrt. Ein Musterbeispiel der Fälle, in denen die von der Sache her unbegründete Ablehnung einer Gesamtschuld die rechtliche Konstruktion des im Ergebnis allgemein als richtig und notwendig anerkannten Regreßanspruchs nicht nur unnötigerweise erschwert, sondern auch noch das System anderer Rechtsinstitute verfälscht hat, ist immer noch der berühmte Fuldaer Dombrand-Fall88 • Das Reichsgericht hat den Regreßanspruch damals auf § 683 gestützt und die Konstruktion dadurch ermöglicht, daß es unterstellte, der Geschäftsführer (Baulastpflichtige) habe die Aufwendungen (Zahlung der Wiederherstellungskosten) zugleich in der Absicht gemacht, sich "wegen ihrer bei dem an letzter, endgültiger Stelle verpflichteten Beschädiger wieder zu erholen"88. Diese Geschäftsführung stimme mit dem mutmaßlichen Willen OR I, §§ 23 - 25, S. 226 ff. Oben, § 2 II. 85 BR II, § 313, S. 264 f. 88 Vgl. insbes. Larenz, SchuR I, § 37, S. 432 ff. und Esser, SchuR I, § 58, S. 432 ff.; weitere Nachweise dort und oben§ 2 II. 87 Einen Regreßanspruch gibt es nur kraftVereinbarungoder kraft Gesetzes; § 426 wird hinweginterpretiert. 88 RGZ 82, 206 mit Anm. v. Tuhr in: DJZ 1914, S. 337. 89 RGZ 82,214. 8a

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§

3 Mittilgung und Regreß als Rechtswirkungen der Gesamtschuld

des Feuerwerkers (Schädigers) schon deswegen überein, weil diesen die Beweislast treffe, "daß sein Wille mit diesem Interesse nicht habe übereinstimmen können "•o. Die Verbiegung des Instituts der Geschäftsführung ohne Auftrag genügte nicht, auch die Beweislast mußte noch verdreht werden, um den Regreßanspruch, dessen eigentlichen Grund man richtig darin erkannte, daß "an letzter, endgültiger Stelle" 91 der Beschädiger den Schaden zu ersetzen habe, auf § 683 stützen zu können. Daß das Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag durch solche Konstruktionen mißbraucht wird, hat Rabel92 bereits 1919 so überzeugend nachgewiesen, daß dem hier nichts mehr hinzugefügt zu werden braucht. Auch Esser", der im Anschluß an Selb94 auf Rabel sich berufend, die Regreßkonstruktion über GoA in der 3. Aufl. ablehnt, meint diesbezüglich, wie auch Frotz95 , aber immer noch, "eine dogmatisch saubere und zugleich interessengerechte Regreßkonstruktion" biete "allein das Bereicherungsrecht": "Bei der Zahlung jedes Schuldners wird der andere gegenüber dem Gläubiger frei, mit Rechtsgrund jedoch nur der Fernerstehende bei Zahlung des in erster Linie Verantwortlichen"." Die Verwandtschaft des Gesamtschuldnerregresses mit der condictio als Ausfluß des gemeinsamen "leitenden Grundsatzes" des "iure naturae aequum" war- wie oben97 dargestellt wurde - schon von Savigny erkannt worden98• Und mit der Idee, daß von mehreren Schuldnern einer dem Schaden "näher" ist und "es also gerecht erscheint, den Schaden in letzter Reihe auf ihm ,sitzen' zu lassen", war auch Rabel99 schon vertraut. Dennoch erschien es ihm wenigstens zweifelhaft, "ob es dem natürlichen Wesen des Bereicherungsanspruchs gemäß ist, daß man den Schädiger als grundlos auf Kosten des Unterhaltspflichtigen bereichert denkt" 100• Rabel fürchtete, daß die uferlose actio dein rem verso in diesem Gewande wieder ins Recht des BGB einrückt101 • Seit jedoch, insbesondere durch die Arbeiten Wilburgs 102 und von Caemmerers103 , der Gedanke des "näher dran" in Form der Rückgriffskondiktion als Unterfall der

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RGZ 82, 216. RGZ 82, 214. Ges. Aufsätze I, S. 309 ff.; vgl. auch v. Caemmerer, NJW 63, 1403. SchuR I,§ 59 IV, 3, S. 446 um Fußn. 29. Studie, S. 32. JZ 64, 665.

SchuR I,§ 59 IV, 4, S. 447. § 3, III, 1.

Auch v . Caemmerer, NJW 63, 1403 weist auf diesen Zusammenhang hin. 98 Ges. Aufsätze I, S. 312. 1oo Ges. Aufsätze I, S. 318. 101 Ges. Aufsätze I, S. 319 f. 10! Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung. 10s Vor allem in der Festschr. f. Rabel I, 1954, S. 333, insbes. S. 360 ff.

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III. Der Regreß (§ 426)

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Eingriffskondiktion schärfer erlaßt wurde, sind allerdings die Bedenken Rabels, die Hereinnahme dieses Ausgleichsanspruchs ins Bereicherungsrecht könnte die tatbestandliehen Konturen des Anspruchs aus § 812 I 1 vollends verwischen, weitgehend entfallen. Es ist heute nach Überwindung der Einheitskondiktion sicherlich möglich, den Gedanken des "näher dran" innerhalb der Eingriffskondiktion unterzubringen10'. Jedoch ist das Kriterium des "näher dran" so allgemein und für sich auch nur feststellbar durch genaue Analyse der Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner sowie der Schuldner untereinander, daß ein darauf gestützter Bereicherungsanspruch wohl stets ein "unsicheres" Recht bleibt105• Die alten Bedenken Savignys 106 , daß das Verbot der "Bereicherung auf fremde Kosten" nicht verstanden werden darf "als ein unmittelbar und unbedingt anzuwendender praktischer Rechtssatz", bleiben insoweit bestehen: "Hierin haben mancheneuere Schriftsteller gefehlt, indem sie die Regreßfrage unmittelbar aus jener Rechtsregel zu entscheiden versucht haben107." Ähnlich steht es mit der rechtsgeschäftliehen Zessionskonstruktion, wie sie neuerdings insbesondere von Selb108 durch eine uferlose Ausweitung des § 255 wieder in Mode gebracht worden ist; auch sie ist eine Rückkehr zu Savigny, für den es eine Notkonstruktion war, mangels eines gesetzlichen Anspruchs- den der BGB-Gesetzgeber in § 426 dann geschaffen hat - den notwendigen Regreßweg zu eröffnen, um zu verhindern, daß die Gesamtschuld wie ein Glücksspiet wirke. Gerade der Fuldaer Dombrand-FalP00 zeigt, wieviel einfacher es demgegenüber ist, den aus dem Gedanken des "näher dran" für notwendig erachteten Regreßanspruch als Ausgleichsanspruch unter Gesamtschuldnern (§ 426) zu begreifen. Die Begründung des Bereicherungsanspruchs zugunsten des "Fernerstehenden" aus dem Gedanken des "näher dran" ergibt sich,genau besehen, doch aus folgenden: Ein Gläubiger, dem zum 104 Völlig daneben liegen die Bemerkungen Selbs (Studie, S. 36) zur Bereicherungskonstruktion: "Zahlte der dem Schaden ferner stehende Schuldner an den Gläubiger, so leistete er immer an den anderen Schuldner zu Händen des Gläubigers; zahlte der andere, so leistete er nur an den Gläubiger. Leistungswille, Zuwendung und causa-Begriff gehen ineinander über. Die Untauglichkeit der Konstruktion ist wie bei der Geschäftsführungslehre offenbar geworden." Alle von Selb genannten Merkmale sind nicllt Voraussetzung einer Eingrüfskondiktion. Die Stelle ist aber ein Musterbeispiel Selbscher Argumentations-

technik.

Ähnlich auch Rietschel, Anm. zu BGH LM § 426 Nr. 25 = BGHZ 43, 227. Savigny, OR I,§ 23, S. 230: " . . . ,welche Auffassung auf die unrichtigsten Folgen führen müßte." 107 Savigny, OR I, § 23, S. 231, insbes. gegen Sell, Schröter und Vangerow. Der Fehler der Schrütsteller unserer Zeit (Frotz, Esser) ist angesichts der historischen Erfahrung und der gesetzlichen Regel (§ 426) ungleich schwerwiegender. 108 Studie; aber auch NJW 63, 2056 und Karsroher Forum, 1964, Individualschaden und soziale Sicherung. 10' RGZ 82, 206. 106 1011

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§3

Mittilgung und Regreß als Rechtswirkungen der Gesamtschuld

Ausgleich eines Schadens mehrere Schuldner verpflichtet sind, die ganze Leistung zu bewirken, ohne Rücksicht darauf, zu welchem Anteil sie letztlich für den Schaden verantwortlich sind, nimmt zunächst den "Fernerstehenden", d. h. denjenigen in Anspruch, der den Schaden nicht bzw. nur zum kleineren Teil verursacht hat. Der Ausgleichsanspruch im Innenverhältnis erscheint dann als notwendiges Korrelat der ohne Rücksicht auf den Anteil der Verantwortung erfolgten Inanspruchnahme im Außenverhältnis. Das aber genau sind doch die Kriterien der Gesamtschuld und, was den Ausgleichsanspruch in Fällen eines gemeinsamen Schutzzwecks angeht, die ratio legis des § 426. So ergibt sich, daß auch vom Resultat her die Annahme einer Gesamtschuld im Fuldaer Dombrand-Fall110 und in ähnlichen Fällen, in denen mehrere zum Ersatz desselben Schadens verpflichtet sind (gemeinsamer Schutzzweck), die beste aller denkbaren Konstruktionen darstellt. Diese Auffassung ist auch nicht etwa neu, sondern von tiefer blickenden Autoren wie von von Tuhr111, Rabel112, Rud. Schmidt113, Kress114, Leonhard115, Heck116 und nicht zuletzt auch von H. Lehmann117 schon seit langem vertreten worden118• Aber die Erkenntnisse dieser Autoren werden in den derzeit gängigen Lehrbüchern nicht genügend beachtet und sind daher immer noch nicht zur allgemeinen Meinung geworden. Die beharrende Kraft der "theoretischen Betrachtung", daß "das abstracte Wesen der Cerrealschuld an sich auf eine Ausgleichung nicht führt", erwies sich gegen das Gesetz(§ 426) als stärker, was um so verwunderlicher ist, als die historischen Ursachen und systematischen Gründe dieser Betrachtungsweise kaum mehr bewußt sind. Das römische Recht hat eine allgemeine actio für das Ausgleichsrecht unter Korrealschuldnern nicht überliefert; ein eventuelles Ausgleichsbegehren mußte mittels der actio pro socio oder der actio de communi RGZ 82, 206. DJZ 1914, 337: "Dagegen läßt sich m. E. ein Ersatzanspruch des Fiskus aus § 426 II ableiten: Fiskus und der Brandstifter sind, da beide denselben Schaden zu ersetzen haben, Gesamtschuldner; es ist nicht einzusehen, warum man zum Schaden von Theorie und Praxis solche Fälle unter dem Namen der unechten Solidarität aus dem Begriff der Gesamtschuld ausscheiden will, während doch das Gesetz in§ 426 durch die Worte, ,soweit nicht ein anderes bestimmt ist', die Möglichkeit gibt, den Regreß in einer den Umständen angemessenen Weise zu gestalten, im vorliegenden Falle so, daß der Schuldige den Schaden allein zu tragen hat." 112 Ges. Aufsätze I, S. 309 ff. 113 JherJb 72, S. 51, 73, 93 und öfter; auch in AcP 163, 530 ff. 114 SchuR I, § 24, 4, S. 609. 11s SchuR I, § 368, S. 739, vgl. oben§ 2, IV, 3. 116 AcP 122, 131. 117 SchuVerh, § 90 II, 2, S. 362; vgl. oben§ 2, II, 5. 118 Jetzt auch von Ennan-West ermann, § 421 Anm. 2; Rietschel, Anm. in LM Nr. 9 zu§ 633; Dilcher, JZ 67, 112; Thiele, JuS 68, 149; ferner BGHZ 43, 227 und neuestens BGHZ 52, 39. 11o

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IV. Zusammenschau von Voraussetzungen u. Wirkungen d. Gesamtschuld

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dividundo oder der actio mandati oder der actio negotiorum gestorum oder der condictio geltend gemacht werdenm. Das gemeine Recht konnte sich andererseits auf Grund seines begrifflich systematischen Ansatzes Ansprüche grundsätzlich nur auf der Grundlage rechtsgeschäftliehen oder deliktischen Handeins vorstellen120• Der Zwischenbereich der quasikontraktliehen oder quasideliktischen Ansprüche war problematisch genug, und man wollte offensichtlich über die actio negotiorum gestorum und die condictio hinaus den "systemwidrigen" Raum nicht vergrößern. Das alles ist im historischen Rückblick leicht verständlich; aber nahezu unverständlich bleibt, wie die Schaffung des § 42'6 dieses Problem nicht hat überwinden, sondern sich im Gegenteil als retardierendes Moment für das Verständnis des Gesamtschuldbegriffs hat erweisen können. Das ist nur zu erklären aus der mit der Kodifizierung des BGB nahezu notwendigerweise verbundenen Verengung des dogmatischen Denkens. Was im gemeinen Recht nicht erklärt werden konnte, hat man nicht zu erkläre~ gelernt, weil sich die Wissenschaft auf die Verwendung der zu jener Zeit bekannten dogmatischen Elemente des Systems beschränkte. Da aber § 426 auf diese Weise nicht zu erklären war, wurde er interpretativ auf die Fälle beschränkt, in welchen er aus dem Parteiwillen oder als gesetzlicher Anspruch zu erklären war, d. h . in Fällen der sog. echten Gesamtschuld und der gesetzlichen Anordnung einer Gesamtschuld. Die Rechtsnatur des Gesamtschuldnerregresses - das soll das Fazit des gegebenen Überblicks sein -läßt sich aber nicht aus den Bauelementen des Zweipersonenschuldverhältnisses erklären; vielmehr müssen bei der dogmatischen Erklärung die Eigenheiten des aus mindestens drei Personen bestehenden Mehrpersonenverhältnisses berücksichtigt werden. Das soll im folgenden versucht werden, wobei auch das Zusammenwirken der cessio legis des § 426 II mit § 422 besonders beachtet werden wird. IV. Die Zusammenschau von Voraussetzungen und Wirkungen der Gesamtschuld

1. Die Gesamtschuld als Sicherungssystem für den Gläubiger Was unterscheidet eigentlich ein Gesamtschuldverhältnis von einem einfachen Zweipersonenschuldverhältnis, und welche besonderen Probleme werden dadurch aufgeworfen? So glaube ich die Frage einmal stellen zu müssen, um vordringen zu können zu dem besonderen Wesen 118 Vgl. Savigny, OR I, § 23, S . 231; Siber, RömR, § 103 Il, 5, S . 249; ferner besonders Kunkel, RömR, § 131, Ziff. 4, S. 212. Vgl. oben§ 1 !II, A und B. tlo Vgl. oben§ 3 Fußn. 72.

1 Ehmann

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§ 3 Mittilgung und Regreß als Rechtswirkungen der Gesamtschuld

der Gesamtschuld und der Rechtsnatur ihrer besonderen Rechtswirkungen, insbesondere der §§ 422, 426. Die erste Antwort darauf scheint gar nicht schwierig zu sein und dahin formulierbar: Der Gläubiger hat statt eines zwei oder mehrere Schuldner, soll aber die geschuldete Leistung nur einmal erhalten, wie wenn ihm nur ein Schuldner verpflichtet wäre. Die Verdoppelung bzw. Vervielfachung der Schuld soll im Ergebnis also nur die Sicherheit des Gläubigers erhöhen, ähnlich wie das Versprechen eines Dritten, für die Verbindlichkeit eines Schuldners einzustehen (vgl. § 765 I), die Sicherheit erhöht. Man könnte also auch sagen: die Gesamtschuldner bürgen wechselseitig dem Gläubiger für die Erfüllung ihrer Schuld121 ; was allerdings insbesondere insoweit nicht stimmt, als die Gesamtschuld weit mehr als die streng "akzessorische" Bürgenschuld selbständig ist122 ; aber das kann für diesen groben Vergleich zunächst außer Betracht bleiben123• Mit dieser Antwort ist jedoch, mit etwas anderen Worten, nichts anderes gesagt, als was präziser in§ 421 schon formuliert ist: "Schulden mehrere eine Leistung in der Weise, daß jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist (Gesamtschuldner), so kann der Gläubiger die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder zu einem Teile fordern." Einseitig aus der Sicht des Gläubigers stellt sich somit das Institut der Gesamtschuld ebenso dar, wie Savigny 124 sein Wesen definiert hat, nämlich in der "Sicherheit und Bequemlichkeit" der Rechtsverfolgung des Gläubigers.

2. Das Schuldnerschutzsystem der Gesamtschuld a) Der Regreß als notwendiges Korrelat der Mehrfachverpflichtung Das Institut der Gesamtschuld hat jedoch noch eine andere Seite:

die Schuldnerseite. Die dem Gläubiger jeder aufs Ganze verpflichteten 121 Auch die Haftungstheorie des älteren Rechts (vgl. Brinz, Pand. II, § 210, S. 9, auch§ 207, S. 3) versteht den Obligationsbegriff dahin, daß der Schuldner gewissermaßen für die Erfüllung seines eigenen Versprechens haftet (bürgt) ; d. h. im ältesten Recht, seine Freiheit, seine Person verfällt dem Gläubiger, der ihn "trans Tiberim" in die Sklaverei verkaufen oder in Stücke schneiden kann; der Gläubiger hat Pfandgewalt am Schuldner (vgl. Kaser, § 40, S. 132 ff.). Von dieser Grundvorstellung aus, die in verfeinerter Form bis ins gemeine Recht reicht (vgl. Brinz, aaO) - und bei der dinglichen Schuld (vgl. § 1142 BGB) noch im BGB zu finden ist-, ist es auchmöglich zu sagen, daß zwei Gesamtschuldner für dieselbe Schuld (Leistung) bürgen (haften). Vgl. dazu bes. unten§ 11 I. 122 über die historische Verwandtschaft von Gesamtschuld und Bürgschaft vgl. insbes. Kunkel, § 132, S. 212 und unten§ 11 I. 123 Ähnlich v. Caemmerer, ZfRV 68, 84. 124 OR I, § 22, S. 218.

IV. Zusammenschau von Voraussetzungen u. Wirkungen d. Gesamtschuld

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Schuldner können untereinander zu gleichen Teilen verpflichtet sein, die eine Leistung zu bewirken; es kann im Innenverhältnis aber auch ein Schuldner allein verpflichtet sein, oder die anteilige Verpflichtung kann zu jedem Bruchteil zwischen Null und Eins bestehen. Daraus folgt, daß einem Schuldner, der über den Anteil seiner internen Verpflichtung hinaus den Gläubiger befriedigt, ein Ausgleichsanspruch in Höhe der überanteiligen Leistung gegen seine(n) Mitschuldner zustehen muß. Nur die Zuerkennung eines solchen Ausgleichsanspruchs kann- wie Savigny 125 sagt- verhüten, daß die Gesamtschuld im letzten Erfolg wie ein "Glücksspiel" wirkt, "welches ihrem wahren Wesen ohnehin völlig fremd ist". Die Vermeidung des Glücksspielcharakters der Gesamtschuld darf aber nicht, wie Savigny es noch glaubte vertreten zu können, dem Zufall eines "schützenden Nebenvertrags" 126 der Parteien des Korrealschuldverhältnisses oder dem nicht minderen Zufall der späteren juristischen Konstruktion eines konkreten Rechtsverhältnisses zwischen den Gesamtschuldnern überlassen bleiben. Das ist der harte Kern der "praktischen Erwägungen" des BGB-Gesetzgebers121 , welche die Bestimmung erheischen, "daß, soweit nicht aus dem Gesetz (z. B. §§ 338ua, 713129, 1696130) oder Rechtsgeschäft ein Anderes sich ergiebt, im Verhältnisse zu einander die ... Gesammtschuldner als zu gleichen Antheilen verpflichtet gelten127." Der Gesamtschuldnerregreß ist also zu begreifen als notwendiges Korrelat zu der-- dem Gläubiger gegenüber bestehenden- Verpflichtung jedes Schuldners auf die ganze Leistung. Jedem Schuldner, der über seinen internen Anteil an der Schuld hinaus nach außen (dem Gläubiger gegenüber) verpflichtet ist, muß intern (dem Mitschuldner gegenüber) ein Ausgleichsanspruch in Höhe seiner überanteiligen Verpflichtung gewährt werden. Das erst macht das "wahre Wesen" der Gesamtschuld aus, das nicht abhängig sein darf von einer zufällig getroffenen oder nicht getroffenen Parteiabrede oder dem Gelingen von mehr oder weniger zufälligen Hilfskonstruktionen (actio pro socio, actio de communi dividundo, actio negotiorum gestorum u. a.) oder der gleichfalls mehr oder weniger zufälligen Erfüllung eines konturlosen Blankettbegriffs (Zweckgemeinschaft, wechselseitige Tilgungs-(Erfüllungs-)gemeinschaft, Gleichstufigkeit u . ä.). Ideal vernünftige und redliche Beteiligte OR I,§ 23, S. 227; vgl. § 1 V. OR I,§ 22, S. 217. 127 Mot. Il, 169 = Mugdan II, 93. m § 338 E I lautete: "Haften mehrere als Gesammtschuldner für Schadenersatz aus einer widerrechtlichen Handlung, so steht demjenigen, welcher vorsätzlich gehandelt hat, ein Ersatzanspruch gegen die übrigen Gesammtschuldner nicht zu." Die Vorschrift wurde nicht Gesetz. 128 EI = §840BGB. no EI = § 1833 BGB. 115

tze

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einer Vereinbarung dahin, daß die passiv Beteiligten (Schuldner) dem Gläubiger jeder die ganze Leistung zu erbringen haben, der Gläubiger sie aber nur einmal soll fordern können, würden, wenn sie beim Abschluß einer derartigen Vereinbarung alle Folgen vorhersehen könnten, auch festlegen, daß, falls der Gläubiger einen der Schuldner, welcher im Innenverhältnis die Schuld nicht oder nur zum Teil zu tragen hat, auf die ganze Leistung in Anspruch nimmt, dann dieser Schuldner einen Ausgleichsanspruch gegen den oder die anderen Mitschuldner haben soll. Das ist unmittelbar einsichtiger Ausfluß jenes von Savigny hervorgehobenen "leitenden Grundsatzes" des iure naturae aequum, welcher auch in letzter Linie das Bereicherungsrecht beherrscht. Wenn aber vernünftige und redliche Parteien im Falle einer rechtsgeschäftlich vereinbarten Gesamtschuld (§ 427) eine derartige Vereinbarung {"schützenden Nebenvertrag", Savigny) treffen würden, so ist- wie schon Savigny sah- die Aufgabe gestellt, die Rechtswirkung einer derartigen Vereinbarung als eine Regel objektiven Rechts zu entwickeln. Einmal schon deswegen, weil nicht alle Parteien einer vereinbarten Gesamtschuld vernünftig und redlich zu sein brauchen, und zum anderen, weil es im geltenden Recht131 auch gesetzliche Gesamtschulden gibt, in denen derartige Vereinbarungen naturgemäß nicht möglich sind. Der BGB-Gesetzgeber hat diese Aufgabe mit der Norm des§ 426 BGB gelöst, auch wenn eine diesbezüglich allzu sehr der Tradition des gemeinen Rechts verhaftete Wissenschaft das nicht wahrhaben will. b) Die Mittilgung als notwendiges Korrelat der Mehrfachverpflichtung Auch der Befreiungstatbestand des § 422 hat eine durch die Mehrfachverpflichtung der Gesamtschuldner (§ 421) bedingte "Verhiitungsfunktion". Der Regreß verhütet, daß die Gesamtschuld wie ein Glücksspiel wirkt, d. h. daß derjenige der mehreren Schuldner, den der Gläubiger ohne Rücksicht auf seinen internen Verpflichtungsanteil willkürlich als ersten in Anspruch nimmt, die Last der Schuld "im letzten Erfolg" zu tragen hat. Der Erlöschensgrund des § 422 bewirkt, daß der Gläubiger, soweit er von einem der Schuldner befriedigt wurde, auch die anderen nicht mehr in Anspruch nehmen kann, weil insoweit auch die Verpflichtungen der anderen dem Gläubiger gegenüber erloschen sind. Daß dieses Erlöschen der anderen Verpflichtungen dogmatisch nicht mehr132 als Im Gegensatz zum klass. römischen Recht; vgl. oben§ 1, III, B, 2. m Anders im römischen Recht, wo wirklich die solutio, auch die acceptilatio und bis Justinian auch die litis contestatio die obligatio der conrei ("duo rei promittendi") aufhob, aber die Römer kannten auch keine dem § 426 entsprechende Regel, schon gar keine cessio legis. Vgl. Kaser, RömPrR I, § 154, S. 548 ff. und oben§ 1 III, B. 131

IV. Zusammenschau von Voraussetzungen u. Wirkungen d. Gesamtschuld

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Erfüllung erklärt werden kann, wurde bereits dargelegt; der Erlöscheosgrund des § 422 hat grundsätzlich nur eine Funktion mit der Erfüllung gemeinsam133, nämlich dem Gläubiger den weiteren Zugriff gegen den Schuldner zu verwehren134 ; nicht einmal die endgültige Befreiungsfunktion der Erfüllung ist ihm eigen; denn soweit der Mitschuldner, welcher den Gläubiger befriedigt, Ausgleichung verlangen kann (§ 426 1), geht insoweit die Forderung des Gläubigers gegen den anderen auf diesen Mitschuldner über (§ 426 II). Der andere bleibt also "verhaftet", zwar nicht dem Gläubiger, aber dem zahlenden Mitschuldner gegenüber. Dagegen ist die Erklärung des § 422 als Fall der Zweckerreichung möglich135, weil alles endet, wenn sein Zweck erreicht ist136. Die Frage ist dann nur, was der Zweck der Forderung war. Bestimmt man diesen Zweck dahin, daß er nur die andere Forderung zu sichern habe, so ist er erreicht, wenn die andere Forderung erfüllt wird oder sonst untergeht. Aber ist denn der Zweck jeder Forderung aus einer Gesamtschuld damit ausreichend bestimmt? Doch wohl nicht, und darum geht die Forderung auch in solchen Fällen, wo sie nicht nur vom Sicherungszweck geprägt ist, zur Verstärkung des Regreßanspruchs auf den leistenden Mitschuldner über (§ 426 II). Wenn die Forderung aber auf einen anderen übergeleitet wird, so ist ihr Zweck offensichtlich noch nicht erreicht137. Die sog. "Zweckerreichung" in ihrem herkömmlichen Verständnis erklärt also so lange nichts, als der Zweck, der erreicht werden soll, nicht präzise inhaltZieh bestimmt wird. 1113 über die anderen Funktionen der Erfüllung vgl. Ehmann, NJW 69, 1836 und oben § 3 II, 3 b um Fußn. 42. 134 Als Ausnahme erscheinen die Fälle, in denen gern. § 427 mehrere die Gegenleistung eines Austauschvertrages versprechen; hier wird nach der Leistung eines Schuldners die Gegenleistung für jeden Gläubiger voll fällig; die Gegenleistung kann jedoch verweigert werden, solange nicht die ganze Leistung der Gesamtschuldner bewirkt ist (§ 320 I, 2). 131 V gl. § 3, II, 1. 1118 Cessante causa cessat effectus (zur Geschichte der Ubernahme des scholastischen Grundsatzes in die Jurisprudenz vgl. insbes. SöllneT, SavZ (Röm. Abt.) 77,203 f. 117 Um seine gegensätzliche These (vgl. oben § 3 II, 3) durchzuhalten, erklärte HaTtmann (Die Obligation, S. 51) : .,Denn wenn der Bürge zahlte, so ist zwar dem Interesse des Gläubigers in jeder Hinsicht Genüge geschehen - so daß er selbst schon nach strengem Civilrecht, auch aus der Hauptobligation, nicht mehr klagen kann. Diese Hauptobligation hat auch ihrerseits wenigstens ihren ersten Zweck und ihre principale Bestimmung erfüllt. Aber sie kann deshalb immer noch dem von der Person des ursprünglichen Gläubigers unabhängigen Interesse dienen, die Leistung hinterher dem Resultate nach von dem zunächst zahlenden Nebenschuldner hinüberzuleiten auf den Kopf des Hauptschuldners. Und indem nun die Rechtsordnung diese weitere Bestimmung der Obligation anerkennt, bleibt die letztere in der That nur zu dem Zwecke und nur in der Richtung noch bestehen, um auf die Person des zahlenden Bürgen überzugehen." Der Zweck der Obligation ist, so möchte man demnach definieren, was zur Erklärung der Rechtsfolge als .,Zweckerreichung" gebraucht wird.

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§ 3 Mittilgung und Regreß als Rechtswirkungen der Gesamtschuld

Auch der Erlöschensgrund des§ 422 ist nach der Schaffung des gesetzlichen Regreßanspruchs (§ 426 I) und der cessio legis des § 426 li und der damit138 verbundenen Veränderung der Struktur der Gesamtschuld mit den dogmatischen Bauelementen des Zweipersonenschuldverhältnisses nichtmehr zu erklären, sondern nur, aber auch ausreichend aus den Funktionen des aus mindestens drei Personen bestehenden Gesamtschuldverhältnisses. c) Das kommunizierende System der§§ 422, 426 II Soweit ein Gesamtschuldner den Gläubiger befriedigt und von einem anderen Gesamtschuldner Ausgleichung verlangen kann, erlischt die Forderung des Gläubigers gegen letzteren nicht, sondern geht gemäß § 426 II auf den leistenden Gesamtschuldner über139 • Man kann auch sagen, der andere wird insoweit nur dem Gläubiger gegenüber befreit140• Jedenfalls ist der Befreiungsgrund des § 422 durch die cessio legis des § 426 II relativiert141 ; der Umfang der endgültigen Befreiung eines Gesamtschuldners bei Leistung eines anderen entspricht dem Anteil, den der Leistende letztlich selbst zu tragen hat. Die endgültige Befreiung entspricht der Differenz zwischen dem befriedigten Gläubigeranspruch und dem Regreßanspruch. Das bedeutet, daß § 422 ebenso durch die Hilfsregel des§ 426 I 1 bestimmt wird wie der Regreß- mathematisch formuliert: Höhe der getilgten Forderung des Gläubigers minus Höhe der Regreßforderung = Umfang der Befreiung. Die §§ 422, 42'6 II bilden also ein nach einer einfachen Formel bestimmtes kommunizierendes System. Auch dieser Zusammenhang deutet darauf hin, daß die Rechtsnatur sowohl des Regreßanspruchs als auch des Befreiungsgrundes bei der Gesamtschuld nicht isoliert aus den Bauelementen eines Einzelschuldverhältnises, sondern nur zusammen aus der Natur des Gesamtschuldverhältnisses erklärt werden können.

3. Noch einmal: Das Wesen derGesamtschuld Was ist nun aber die Natur (das Wesen) des Gesamtschuldverhältnisses? Das ist die immer noch nicht beantwortete Frage. Wir haben zwar erkannt, daß sich das Institut der Gesamtschuld nicht erschöpft in der Funktion, dem Gläubiger eine sicherere und bequemere Rechtsverfolgung zu 138 Die Veränderung ist auch dadurch bedingt, daß zu den durch gemeinsame Stipulation (duo rei promittendi), heute durch gemeinsamen Vertrag (§ 427) entstehenden Gesamtschulden (una obligatio, Einheitstheorie), die durch Erfüllung (solutio) als gemeinsam erloschen gedacht werden können, noch andere Arten von Gesamtschulden hinzugekommen sind (z. B. §§ 769, 840 u. a.), vgl. oben§ 1 III B, 3. 1se Ganz klar in diesem Sinne auch Fischer, RGRK, § 421 Anm. 1. uo Vgl. oben um Fußn. 61. 141 Und umgekehrt: soweit die Forderung nicht gern.§ 426 II übergeht, erlischt sie gern.§ 422 (so BGHZ 46, 16).

IV. Zusammenschau von Voraussetzungen u. Wirkungen d. Gesamtschuld 103 garantieren als ein Einzelschuldverhältnis, sondern wesentliche Rechtswirkungen dieses Rechtsinstituts von der Schuldnerseite her begriffen werden müssen. Aber auch damit ist die letzte Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Gesamtschuld noch nicht gegeben. a) Das Rätsel der "soweit-Regel" des§ 426 I 1 Um weiter zu kommen, muß man fragen: Warum erlöschen in einem Fall bei Leistung eines Gesamtschuldners auch die Forderungen gegen die anderen? Warum gehen in einem anderen Fall die Forderungen gegen die anderen vollständig auf den Leistenden über? Warum haften im Zweifel die Gesamtschuldner zu gleichen Teilen, und unter welchen Voraussetzungen haften sie untereinander zu irgendeinem Bruchteil zwischen Null und Eins? Im Rätsel der "soweit-Hilfsregel" des § 426 I 1 scheint die Lösung der Rechtsnatur der Gesamtschuldverhältnisse zu liegen1' 1 • Wie sehr das Mißverständnis der Hilfsregel des § 426 I 1 schon die Erfassung des Gesamtschuldbegriffs erschwert hat, ist im Vorstehenden bereits dargelegt worden. Aus Angst vor einem Regreßanspruch in der "falschen Richtung" wurde die Gleichstufigkeit der mehreren Verpflichtungen verlangt und damit der Gesamtschuldbegriff übermäßig und unnötig eingeschränkt. Allerdings ist die Hilfsregel des § 426 I 1 (im Zweifel nach Kopfteilen) nicht anwendbar in Fällen, in denen "eine Schuld nur die Erfüllung der anderen sichern soll" 143 und auch nicht in Fällen vertraglicher oder gesetzlicher Schutzverpßichtungen, die mit Schadensersatzansprüchen zusammentreffen, aber nicht aus einem rechtswidrigen Verhalten des Verpflichteten entstehen, wie z. B. Versicherungsansprüche, Lohnfortzahlungsansprüche, Unterhaltsansprüche. Dagegen ist die Pro-Kopf-Regel im Zweifel gerechtfertigt bei den aus gemeinsamer Verpflichtung (§ 427) entstandenen "gleichgründigen Gesamtschulden"; die Partner einer gemeinsamen Verpflichtung können Abweichendes vereinbaren; tun sie es nicht, so ist die Vermutung berechtigt, daß sie zu gleichen Teilen verpflichtet sein wollen; das entspricht auch der Regel des § 722. Auch beim Zusammentreffen mehrerer Schadensersatzansprüche, in jener Fallgruppe also, in welcher die Rechtsprechung auf das Innenverhältnis seit der Entscheidung RGZ 75, 251 114 die Regel des § 254145 anwendet, ist die Hilfsregel des § 426 I 1 gerechtfertigt. In diesen Fällen kann jeder von den mehreren, die für den Schaden verantwortlich sind, zu ut Anders Börnsen (S. 76): "Der Ausgleichsmechanismus, der von keinerlei Ausgleich bis zum vollen Regreß reicht, ist zwar eine kennzeichnende Folge der Gesamtschuld, aber als Strukturmerkmal nicht ergiebig." 143 Leonhard, SchuR I, S. 739; vgl. oben§ 2 IV, 3. m Vgl. unten§ 8 I, 3 b (mit Auszug aus der Entsch. RGZ 75, 251). u1 bzw. die speziellen Regeln der§§ 17 StVG, 9 b HaftpflG u. a.

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§ 3 Mittilgung und Regreß als Rechtswirkungen der Gesamtschuld

jedem Bruchteil zwischen Null und Eins verantwortlich sein, und wenn man nichts anderes weiß, ist es daher gerechtfertigt, alle zu gleichen Teilen haften zu lassen1".

In den Fällen, in denen die zusammentreffenden Verpflichtungen nicht "auf einer Stufe stehen" (z. B. sichernde Schuld und gesicherte Schuld; Schadensersatzansprüche und Unterhaltsansprüche oder Lohnfortzahlungsansprüche oder Versicherungsansprüche etc.), ist dagegen- wiegesagt- die Hilfsregel durch den besonderen Zweck dieser Schutzansprüche modifiziert, d. h. die Pro-Kopf-Regel ist ausgeschlossen, es ist etwas anderes bestimmt. Im Zweifel muß der Schuldner der gesicherten Schuld147 bzw. der Schadensersatzschuldner im Innenverhältnis allein haften. Die Alleinhaftung eines Gesamtschuldners im Innenverhältnis kann aber kraftVereinbarungauch bei gleichgründigen Gesamtschulden und kraft Gesetzes (§ 840 Abs. 2 und 3) oder kraft richterlicher Feststellung der Tatbeiträge (§ 254)148 bei Schutzzweckgesamtschulden eintreten. Es gibt weder im BGB noch sonst irgendwo einen Rechtssatz, der bestimmt, daß mehrere Schuldner, die eine Leistung in der Weise schulden, "daß jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger die Leistung aber nur einmal zu fordern berechtigt ist", nur dann Gesamtschuldner sind, wenn sie im Zweifel zu gleichen Teilen schulden. Genau diesen Satz stellen aber jene auf, die das Erfordernis der "Gleichstufigkeit" oder "Gleichrangigkeit" oder wie immer sie es nennen, zur Voraussetzung einer Gesamtschuld machen. Aus diesem unnötigerweise angenomenen "Un-Rechtssatz" entspringt die Angst vor dem "falschen Regreß" und zugleich die Angst vor der unberechtigten Befreiung des letztlich Verantwortlichen. So wurde z. B. eine Gesamtschuld zwischen Brandstifter und Baulastpflichtigem geleugnet aus der Befürchtung, ein letztlich Verantwortlicher könnte zu Unrecht von seiner Verpflichtung gemäß § 422 befreit werden; das Erfordernis der wechselseitigen Tilgungsgemeinschaft sollte solche Fälle aus der Gesamtschuld ausscheiden. Enneccerus 14' verlangte eine Zweckgemeinschaft untu Vgl. auch §§ 742, 748 BGB. Letztlich folgt diese Annahme aus dem Zwang, irgendeine Entscheidung treffen zu müssen. Der Wahrscheinlichkeitstheoretiker, der vor einer Kiste steht, in der sich 100 Millionen Kugeln befinden, rote und weiße, und der wissen möchte, wieviel Prozent rote bzw. weiße es sind, kann die Annahme 50 : 50 entbehren, er kann mischen und eine hinreichende Zahl Stichproben vornehmen. Ist ihm diese Methode aber versperrt und muß er entscheiden, so hat die Annahme 50 : 50 stets die größtmögliche Plausibilität für sich. 147 Vgl. § 774 BGB; die Regel ist jedoch auch kein zwingendes Recht, es kann anderes vereinbart sein oder sich aus den Umständen anderes ergeben; vgl. unten, § 11, Fußn. 64. 148 Der Tatbeitrag eines Gesamtschuldners kann im Verhältnis zu den Mitschuldnern auf den Grenzwert Null festgesetzt werden; vgl. BGHZ 17, 222; 51,279. tco Vgl. oben§ 2 II, 2.

IV. Zusammenschau von Voraussetzungen u. Wirkungen d. Gesamtschuld 105 ter den Schuldnern, Leonhard150 eine Tilgungsgemeinschaft, um zu verhindern, daß von zwei unabhängig voneinander verpflichteten Schuldnern einer durch seine Leistung den anderen gemäß § 422 unberechtigt befreit, wodurch der Gesamtschuldbegriff gleichfalls zu weitgehend eingeschränkt wurde. Alle diese Befürchtungen stammen aus der Unsicherheit darüber, unter welchen Voraussetzungen die Leistung eines Gesamtschuldners den oder die anderen befreit und unter welchen Voraussetzungen in welcher Höhe der Leistende von den anderen Ausgleichung verlangen kann. Das erlaubt die zugespitzte Formulierung: Das Problem der Gesamtschuld liegt in der Hilfsregel des§ 426 I 1: "Die Gesamtschuldner sind im Verhältnis zueinander zu gleichen Teilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist." Prüfen wir im Geiste einmal die Fälle151 durch, in denen wir wissen bzw. zu wissen glauben, daß ein Gesamtschuldverhältnis vorliegt, und auch wissen, welche Wirkungen die Leistung eines Gesamtschuldners in diesem Verhältnis hat, ob also und gegebenenfalls zu welchem Anteil bei seiner Leistung die Verpflichtung(en) des (der) anderen erloschen ist (sind) bzw. auf den Leistenden übergeht(en), so erkennen wir einen Zusammenhang zwischen der Art des Gesamtschuldverhältnisses, dem Zweck der einzelnen Verpflichtung des Gesamtschuldverhältnisses und der Konkretisierung der "soweit-Rege!", d. h. dem Umfang des Regresses bzw. der Befreiung der anderen bei Leistung eines Gesamtschuldners. Ich will die These dieser Vermutung so formulieren: Wenn wir wissen, warum ein Gläubiger zwei oder mehr Schuldner haben soll und warum mehrere Schuldner dasselbe versprechen bzw. kraftGesetzesauf dasselbe verpflichtet sind (z. B. §§ 830, 840), so wissen wir auch, warum dem Leistenden ein Regreß zustehen muß und gegebenenfalls in welcher Höhe oder warum die Leistung eines Gesamtschuldners auch die anderen restlos•befreit. Zur Klärung dieser Frage, der das 2. und 3. Kapitel vorliegender Arbeit gewidmet sein soll, ist es erforderlich, den "Cardinalzweck" der Gesamtschuld, die "Sicherheit und Bequemlichkeit" der Rechtsverfolgung durch den Gläubiger, inhaltlich auszufüllen, zu fragen, warum die Schuldner durch ihre Versprechen den Gläubiger derart begünstigen wollen bzw. das objektive Recht einen Gläubiger derart begünstigt.

uo Vgl. oben§ 2 IV, 3. 161 Eine wertvolle Hilfe sind dabei die Gruppierungen, die schon von Lehmann (vgl. oben,§ 2, II, 5), Leonhard (vgl. oben§ 2, IV, 3), HiUenkamp (Unechte Gesamtschuld, S. 116 ff.) und zuletzt von Thiele (JuS 68, S. 149 ff.) und von Börnsen (S. 98 ff.) versucht wurden.

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§ 3 Mittilgung und Regreß als Rechtswirkungen der Gesamtschuld

b) Die Rechtsnatur der Regeln der§§ 422, 426 BGB Mit der Erkenntnis, daß die Rechtsnatur der Regeln der §§ 422, 42'6 aus den Elementen der Dogmatik der Einzelschuldverhältnisse nicht erklärt werden kann, ist positiv eine hinreichende Erklärung noch nicht gegeben. Hilfreicher ist dagegen schon die gewonnene Einsicht, daß die Wirkungen der §§ 422, 426 nicht außerhalb des Institut der Gesamtschuld stehende Rechtsfolgen sind, die unter bestimmten Voraussetzungen (Zweckgemeinschaft, Tilgungsgemeinschaft etc.) gegeben oder nicht gegeben, sondern notwendige Wirkungen jeder Gesamtschuld sind, die keiner besondeTen Voraussetzungen mehr bedürfen152• Liegt also eine Gesamtschuld vor, so ist nicht das "Ob", sondern nur das "Wie" des Regresses problematisch, denn das kommunizierende System der Rechtswirkungen der §§ 422, 426 kann sich zu jedem Bruchteil zwischen Null und Eins zur Tilgung oder zum Regreß konkretisieren, je nach Art des einzelnen Gesamtschuldverhältnisses. Ob und inwieweit es sich zur Tilgung oder zum Regreß konkretisiert, wird durch die "der Rechtsordnung innewohnenden Rechtssätze"1'3 bestimmt, die, entweder auf Vereinbarung oder objektivem Recht beruhend, die Hilfsregel des § 426 I 1 auszufüllen haben. Die tatsächlichen Voraussetzungen dieser, die Hilfsregel des§ 426 I 1 ausfüllenden, Rechtssätze müssen jedoch nicht etwa zur Begründung des Regreßanspruches hinzukommen, sondern sind bereits in den die Gesamtschuld begründenden Voraussetzungen mitgegeben154• Insofern erweist es sich als richtig, daß § 422 und auch § 426 zur Wesensbestimmung der Gesamtschuld hinzugehören. Es erweist sich auch als richtig, daß das Gesamtschuldverhältnis ein Schuldverhältnis zwar nicht höherer155 , aber doch besonderer Art ist, weil ihm Eigenschaften und

16Z Vgl. Kress (SchuR I, S. 613): "Die Verpflichtung zur Ausgleichung entsteht schon damit, daß die Gesamtschuldner dem Gläubiger verpflichtet werden." Ähnlich Heck, SchuR, S. 236. 15a Rabel, Ges. Aufsätze, S. 327; Selb (Studie, S. 39) erkennt dagegen nur .die innerhalb der Delikts- und Gefährdungshaftung geltenden Regeln der §§ 254, 17 StVG, 9 b HaftpflG, 8 SHaftpßG, 41 LuftVG für brauchbar an: "Nur wirken die wenigen anderen Prinzipien eher prinziplos als prinzipiell." Diese Behauptung, für die nicht einmal der Versuch einer Beweisführung unternommen wird, beweist, daß Selb sich um ein Verständnis der Prinzipien des Gesamtschuldnerausgleichs in Fällen außerhalb der Delikts- und Gefährdungshaftung nicht bemüht hat. Darum will er die Gesamtschuld zugunsten einer uferlosen Ausdehnung des§ 255 zurückdrängen. Vgl. auch Mayer-Maly (ZFA 72, 27), der unter Hinweis auf BGHZ 28, 301 und BGH NJW 63, 2067 zum Gesamtschuldnerausgleich zwischen "Verleiher" und "Entleiher" beim "Leiharbeitsverhältnis" Stellung nimmt und offensichtlich Schwierigkeiten hat, einen Beurteilungsmaßstab ("Natur der Sache") in diesen Fällen zu finden. 1M In diesem Sinne sagt Heck (SchuR, S. 236): "Die Verteilungsvorschrift des § 426 Abs. 1 setzt nichts anderes als das Strukturmerkmal des § 421 voraus." 155 So Larenz, SchuR,§ 37 II, S . 437, vgl. dazu oben§ 1 V um Fußn. 125.

IV. Zusammenschau von Voraussetzungen u. Wirkungen d. Gesamtschuld 107 Wirkungen zukommen, die es im Recht der Einzelschuldverhältnisse nicht gibt.

aa) § 422 im einzelnen Was den Tilgungstatbestand des§ 422 angeht, dürften die obigen Erörterungen158 hinreichend klargestellt haben, daß die Befreiung des bzw. der anderen Schuldner grundsätzlich157 eine Wirkung objektiven Rechts ist. Selbstverständlich könnten die Parteien einer rechtsgeschäftlich vereinbarten Gesamtschuld (§ 427), z. B. mehrere Mieter einer Wohnung, die gemeinschaftlich von ihnen gemietet wurde, auch vereinbaren, daß die Leistung eines Schuldners zugleich auch die Verpflichtungen der anderen erfüllt (antizipierte Erfüllungszweckvereinbarung); aber derartiges wird wohl kaum je vereinbart werden, weil es eben unnötig ist. Das Kriterium der Rechtsnatur dieses Erlöschenstatbestandes liegt jedoch ebenso wie bei der Erfüllung in der Wirksamkeit einer etwaigen negativen Bestimmung. Schuldet z. B. S dem Gaus Darlehen 100 DM und zahlt ihm 100 DM mit der Erklärung, er schenke ihm das Geld zum Geburtstag, so ist die Darlehensschuld nicht erfülltl&B. Schulden S 1 und S 2 dem V 100 DM Mietzins aus einem gemeinschaftlichen Mietvertrag und zahlt S 1 100 DM an V mit der Erklärung, damit nur seine Forderung, nicht aber die Forderung gegen S 2 erfüllen zu wollen, V solle vielmehr die Forderung gegen S 2 noch eintreiben, so liegt entweder keine Gesamtschuld vor oder S 1 hat auch seine Verpflichtung aus der Gesamtschuld nicht erfüllt159, oder die bei der Zahlung gemachte Erklärung ist unwirksam180. Falls S 1 bei der Zahlung einen derartigen Vorbehalt macht, etwa weil er befürchtet, seinen Regreßanspruch gegen S 2 nicht durchsetzen zu können, würde ich annehmen, daß er seine Verpflichtung nicht erfüllt, sondern lediglich zur Sicherheit des G vorabgeleistet hat, mit der Wirkung, daß G zur Rückzahlung verpflichtet ist, falls er die Forderung gegen S 2 eintreiben kann und die Zahlung erst dann als Erfüllung gelten soll (Eintritt der Bedingung), wenn S 2 sich als zahlungsunfähig erweist. Ist S 1 jedoch letztlich der im Innenverhältnis allein oder auch nur teilweise Verpflichtete und will er mit seinem Vorbehalt nur dem S 2 schaden, so hilft ihm der Vorbehalt nicht gegen den Regreßanspruch des S 2. Ist S 2 letztlich allein verpflichtet, so müßte der Vorbehalt des S 1 entweder dahin ausgelegt wer161

§ 3 II, 3.

m Unbenommen bleibt, daß ein Schuldner mit seiner Leistung die Forderung des anderen gemäß § 267 erfüllt, oder insbesondere in den Fällen des § 427 beide (bzw. alle) Forderungen des Gesamtschuldverhältnisses erfüllt. 158 So auch trotz der Theorie der realen Leistungsbewirkungen und gegen Boehmer (Erfüllungswille, S. 83)- Larenz (SchuR I,§ 18 I, S. 176); zur Problematik vgl. Ehmann, JZ 68, 555 und NJW 69, 1834. m Mangels Einigung über den Zweck der Leistung. 1" Als protestatio facto contraria.

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§ 3 Mittilgung und Regreß als Rechtswirkungen der Gesamtschuld

den, daß die Zahlung als Schenkung zu verstehen ist, oder der Vorbehalt wäre unwirksam180 ; jedenfalls kann S 1 nicht wirksam mit G vereinbaren, daß seine Zahlung die Forderung gegen S 2 nicht zum Erlöschen bringen soll, ohne daß er seinen Regreßanspruch gegen S 2 verliert; denn S 2 kann niemals der doppelten Inanspruchnahme durch den Gläubiger und den Mitschuldner ausgesetzt sein181. Daraus folgt, daß bei wirksamer Erfüllungsleistung eines Gesamtschuldners die Befreiung der anderen Gesamtschuldner gemäߧ 422, soweit die Forderung nicht zur Verstärkung des Regreßanspruchs auf den Leistenden übergeleitet wird, als eine zwingende Rechtsfolge objektiven Rechts zu verstehen ist. Selbstverständlich können alle Beteiligten des Gesamtschuldverhältnisses auch etwas anderes vereinbaren, z. B. daß § 422 keine Anwendung finden soll, was zur Vervielfachung der Rechte des Gläubigers führen wird. Aber dann liegt eben keine Gesamtschuld mehr vor, sondern ein Schuld- und Leistungsverhältnis anderer Art.

bb) Regreßanspruch (§ 426) Auch hinsichtlich des Regreßanspruchs fragt es sich, ob er als vertraglicher oder gesetzlicher Anspruch und, falls letzteres, als zwingendes oder dispositives Recht zu verstehen ist162. Eine verbreitete Meinung1413 nimmt an, daß dem leistenden Gesamtschuldner Regreßansprüche aus drei ver.,. schierlenen Gründen zustehen können: (1) Aus einem konkreten Rechtsverhältnis zwischen den Schuldnern (z. B. Gesellschaft, Auftrag, Bereicherung); (2) aus§ 426 I als gesetzlicher Ausgleichspflicht; (3) aus abgeleitetem Recht(§ 42'6 II). Damit wird also stets ein gesetzlicher Ausgleichsanspruch zwischen den Gesamtschuldnern angenommen, der mit einem eventuellen vertraglichen Anspruch konkurrieren kann184. Man könnte auch denken, daß der gesetzliche Ausgleichsanspruch nur subsidiär gegeben ist, sofern keine rechtsgeschäftliche Vereinbarung zwi181 Die Hauptwirkungen (Rechtsfolgen) des "Dreipersonenverhältnisses" der Gesamtschuld können nicht durch "zweiseitige" Vereinbarungen geändert werden. 182 Über die verschiedenen Kategorien der Normen des ergänzenden Rechts vgl. Ehrlich, Zwingendes Recht, insbes. S. 74 ff. 183 Vgl. statt vieler Palandt-Heinrichs, § 426, Anm. 1, anders v. Tuhr (AT I, S. 280), der sogar Gesetzeskonkurrenz zwischen dem kraft Gesetzes übergegangenen (3) und dem Anspruch aus dem internen Verhältnis (1 + 2) annimmt. v. Tuhrs Auffassung scheitert schon daran, daß der Anspruch aus dem internen Verhältnis (§ 426 I) schon vor der Leistung gegeben und auf Befreiung oder Mitwirkung gerichtet ist. 1" Vgl. auch Last. Anspruchskonkurrenz.

IV. Zusammenschau von Voraussetzungen u. Wirkungen d. Gesamtschuld .t 09

sehen den Schuldnern besteht. Der gesetzliche Regreßanspruch müßte dann als dispositives Recht verstanden werden. Gerade dies fällt jedoch schwer, weil eben der Gesamtschuldnerregreß als notwendiges Korrelat der gesamtschuldnerischen Verpflichtung mehrerer Schuldner und daher als wesentlicher Bestandteil des Instituts der Gesamtschuld verstanden werden muß. Als essentiale des Rechtsinstituts der Gesamtschuld ist der Gesamtschuldnerregreß daher nicht abdingbar, ohne daß die entstehende Rechtsfigur den Charakter einer Gesamtschuld verliert. Das will - entsprechend dem oben zu § 422 Gesagten - wiederum nicht heißen, daß mehr als zwei Personen nicht Rechtsbeziehungen vereinbaren könnten, die sich kurz als Gesamtschuld ohne Regreßanspruch beschreiben ließen; aber diese Rechtsbeziehungen wären dann keine Gesamtschulden mehr. Denkbar wäre z. B. der Fall, daß die Studenten S 1 und S 2 zusammen ein Zimmer mieten und miteinander vereinbaren, daß derjenige, von dem die Vermieterio erstmals die jeweils fällige Monatsmietefordert, sie allein zahlen muß, ohne von dem anderen einen Ausgleich fordern zu können. In solchem Fall wäre der von Savigny nicht als zum "wahren Wesen" der Gesamtschuld gehörende Glücksspielcharakter bewußt gewollt. Nimmt man einmal an, daß eine derartige Vereinbarung dennoch nicht wegen Verstoßes gegen das Spielverbot (§ 762) "unverbindlich" ist, so fragt es sich, ob eine (echte) Gesamtschuld vorliegt. Ich möchte das leugnen, will aber einräumen, daß man die Vereinbarung zwischen S 1 und S 2 als nach dem Entstehen einer Gesamtschuld getroffene Verfügung über den gesetzlich entstandenen Regreßanspruch ansehen kann, die wirksam ist, sofern nicht § 7'62 entgegensteht. Praktisch bedeutsam könnte eine derartige Rechtsfigur z. B. werden, wenn zwei Versicherer (etwa Haftpflicht- und Sozialversicherer) nach mehreren Jahresbilanzen der gegenseitigen Regreßansprüche feststellen sollten, daß diese sich nahezu ausgleichen, und daher vereinbaren würden, daß künftig keine Regreßansprüche mehr gegeneinander geltend gemacht werden sollen. Das "Gesetz der großen Zahl" würde in solchem Fall den Glücksspielcharakter aufheben, die Vereinbarung wäre als vorab getroffener Rahmenerlaß über die Regreßforderungen zu qualifizieren. Unmöglich ist dagegen eine rechtsgeschäftliche Beschränkung des Regreßanspruchs durch zwei an einem Gesamtschuldverhältnis Beteiligte zu Lasten anderer Beteiligter. So kann etwaS 1 mit G nicht vereinbaren, daß dem S 2, wenn er die Leistung an G erbringt, kein Regreß gegen S 1 zustehen soll. Das ist selbstverständlich, soll aber zeigen, daß eine die Rechtswirkungen der Gesamtschuld modifizierende Vereinbarung grundsätzlich nur bei Mitwirkung aller am Gesamtschuldverhältnis Beteiligten wirksam möglich ist. Selbst dann aber ist der Rahmen eng, und bei Abbedingung wesentlicher Wirkungen der Gesamtschuld entstehen spezielle Rechtsbeziehungen, die nicht mehr als Gesamtschuld qualifiziert

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§ 3 Mittilgung und Regreß als Rechtswirkungen der Gesamtschuld

werden können mit der Folge, daß die anderen gesetzlichen Rechtsfolgen der Gesamtschuld (z. B. §§ 422, 424, 426) nicht ipso iure eintreten. Noch einmal zurückkommend auf die Frage, ob ein vertraglicher Ausgleichsanspruch aus einem konkreten Rechtsverhältnis zwischen den Schuldnern (Gesellschaft, Auftrag, Bereicherung) den gesetzlichen Ausgleichsanspruchverdrängt oder konkurrierend neben ihn tritt, möchte ich aus den vorstehenden Erwägungen heraus doch der letzteren Auffassung zuneigen165. Die Ansprüche entstehen sozusagen auf verschiedenen Ebenen: der vertragliche aus der Vereinbarungzweier Personen, der gesetzliche als Reaktionswirkung des objektiven Rechts bei gesamtschuldnerischer Beteiligung mehrerer an einem Schuldverhältnis. Praktisch wird die Frage erheblich in Fällen, in denen der Ausgleichsanspruch (z. B. actio pro socio) aus dem konkreten Rechtsverhältnis, welches das Innenverhältnis zwischen den Gesamtschuldner bestimmt, einer kurzen Verjährung unterliegt1'6. In solchem Fall sollte, wie auch in anderen Fällen der Anspruchskonkurrenz, die Verjährungsfrist des gesetzlichen Anspruchs (§ 426 I) der kürzeren Verjährung des vertraglichen Anspruchs angepaßt werden1«~7 • Anders liegt jedoch das Problem der Konkurrenz zwischen dem Anspruch aus§ 426 I und dem kraft cessio legis (§ 426 II) übergegangenen Anspruch; eine etwaige kurze Verjährung des übergegangenen Anspruchs (z. B.

165 Kress (ASchuR, S. 613) sagt: "Im übrigen kann sich eine von der gesetzlichen Regel (§ 426) abweichende Ausgleichsverpflichtung aus einem vertraglichen Verhältnis der Gesamtschuldner ergeben, z. B. aus einem Gesellschaftsverhältnis." Dabei bleibt offen, ob dann ein oder zwei Ansprüche aus dem "internen Verhältnis" (§ 426 I) bestehen. Jedoch ist auch Kress der Auffassung (S. 613), daß die Verpflichtung zur Ausgleichung schon damit entsteht, daß die Gesamtschuldner dem Gläubiger verpflichtet werden. Jedenfalls müssen der vertragliche (1) und der gesetzliche (2) Ausgleichsanspruch (§ 426 I) den gleichen Umfang und Inhalt haben; vgl. auch Weitnauer, Karlsruher Forum, 1970, These5. 188 Auf Grund vereinbarter Abkürzung der Verjährungsfrist im Gesellschaftsvertrag, vgl. § 225, Satz 2 BGB. 187 z. B. verjähren alle Ersatzansprüche des Vermieters gegen den Mieter, auch wenn sie auf Delikt oder anderen Rechtsgründen beruhen, gemäß § 558 (vgl. die Nachweise bei Erman-Schopp, Anm. 1 zu § 558). Auch Schadensersatzansprüche, die anstelle von Lohn- oder Gehaltsansprüche treten, verjähren gern. § 196 Ziff. 8 und 9 (vgl. Erman-Hefermehl, § 196, Anm. 10 und 18 a); die Ansprüche auf Gehalt und Lohn unterliegen auch dann der kurzen Verjährungsfrist, wenn sie auf GoA oder Bereicherung gestützt werden; Entsprechendes gilt für Unterhaltsansprüche (vgl. Erman-Hauss, Anm. 10 zu § 677). Die Beispiele ließen sich vermehren: vgl. zu den Fällen des§ 638 Laufs-Schwenger, NJW 70, 1817 m. w. N. Vgl. zu diesem Fragenkomplex ferner allgemein Georgiades, Anspruchskonkurrenz, insbes. S. 184 f . Georgia.des vertritt die These, ein einheitlicher Anspruch müsse bei Anspruchsnormenkonkurrenz auch einheitlich verjähren: "Bestehen mehrere Vorschriften, die eine unterschiedliche Verjährungsfrist anordnen, dann muß aus dem Sinn der gesamten Regelung entnommen werden, welcher der einander widersprechenden Bestimmungen der Vorrang gebührt" (S. 184).

IV. Zusammenschau von Voraussetzungen u. Wirkungen d. Gesamtschuld 111 §§ 823, 852; 635, 638) läßt die 30jährige Verjährungsfrist des § 426 I grundsätzlich unberührt187a.

cc) Die cessio legis (§ 426 II) Daß die Wirkungen der Gesamtschuld, insbesondere der Tilgungstatbestand des§ 422 und der Regreßanspruch (§ 426 1), als gesetzliche Reaktionswirkungen, die anknüpfen an den Begründungstatbestand der Gesamtschuld, zu begreifen sind und keiner weiteren Voraussetzungen, vor allem nicht eines auf Tilgung oder Regreß gerichteten rechtsgeschäftliehen Willens bedürfen, erweist sich auch an der Rechtsnatur der cessio legis des § 42'6 li. Das "beneficium cedendarom actionum" ist allerdings früher, insbesondere für den Übergang der Hauptforderung auf den zahlenden Bürgen, auch aus dem rechtsgeschäftliehen Willen (Kauf der Hauptforderung) der Parteien des Leistungsgeschäfts erklärt worden. Schon v. Tuhr168 hat jedoch darauf hingewiesen, daß die Fälle der§§ 268,426 li, 774 I, 1143, 1164, 1225 so nicht zu erklären sind: "Bisweilen wird der von den Parteien gewollte Erfolg durch Eingreüen des Gesetzes in anderer Weise erreicht, als sie es beabsichtigten: Wer eine fremde Schuld erfüllt, will die Forderung des Gläubigers beseitigen; in gewissen Fällen bestimmt das Gesetz, daß die Zahlung nicht den Untergang der Forderung, sondern ihren Obergang auf den Zahlenden bewirken soll, wodurch dieser ein Regreßrecht oder eine bessere Sicherung seines schon bestehenden Regreßrechtes erlangt." Die Rechtsfolgen der §§ 268, 426 li, 774 I, 1143, 1164, 1225 könnten selbstverständlich auch durch eine Parteivereinbarung erreicht werden. Da aber die auslösenden Zahlungsgeschäfte in der Erfüllung der eigenen (§§ 426 li, 774 I) oder der fremden Schuld(§ 2'68) bereits einen ausreichenden Rechtsgrund (Zweck) haben, sind derartige Vereinbarungen nicht notwendige Bestandteile1• 11 des auslösenden Zahlungsgeschäfts, obwohl in diesen Fällen die cessio legis zum Schutz des Leistenden stets als notwendig erachtet wird. Die Notwendigkeit ergänzender Schutzvorschriften ergibt sich in all diesen Fällen aus der Beteiligung mehrerer an einem Schuldverhältnis, also aus einer Konstellation, die das nur aus zwei Personen bestehende Einzelschuldverhältnis nicht kennt. Die Beteiligung von mehr als zwei Personen mit divergierenden Eigeninteressen erschwert auch die Lösung der Probleme durch Parteivereinbarung170 und macht es logischerweise 107a Zutreffend BGH NJW 72, 942; vgl. auch Schlechtriem, NJW 72, 1554 (Anm. zu BGHZ 58, 85); ferner unten § 8 III, 4 und § 10 V, 2.

us AT, li 1, S. 164.

Auch von der Vorstellung laienhafter Parteien aus gesehen. Was Savigny mit dem "schützenden Nebenvertrag" den Parteien abforderte und womit er sie überforderte, muß das Gesetz als ergänzendes Recht zur Verfügung stellen. 108 170

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unmöglich, durch Vereinbarung zwischen zwei Personen belastende Rechtswirkungen für die anderen zu schaffen. Daher kann die cessio legis in den genannten Fällen nur als Wirkung objektiven Rechts verstanden werden, die durch die Beteiligung mehrerer an einem Rechtsverhältnis erforderlich wird.

§ 4 Zusammenfassung des 1. Kapitels 1. Am Anfang war die stipulatio ("spondeo"). Das gilt auch für die Gesamtschuld (Korrealobligationen - "spondemus"). Das gemeinsame Versprechen, wofür später auch die (formlosen) Real- und Konsensualkontrakte ausreichten, begründete die Korrealobligation; die Erfüllung (solutio) durch nur einen der Mitschuldner (correi) hob die ganze Obligation auf, ebenso wurden durch die litis contestatio gegen einen Schuldner alle Verpflichtungen aufgehoben und durch die eine · Prozeßobligation ersetzt. Ein Regreß unter den correi setzte ein konkretes Rechtsverhältnis (z. B. societas, mandatum etc.) voraus. Die Problematik des Rechtsinstituts begann mit dem Funktionswandel der Deliktsobligation (vom Strafzweck zum Schutzzweck) und der dem folgenden Anerkennung der "quasikorrealen" Natur ("Solidarität") mehrerer auf den Ersatz desselben Schadens gerichteter Deliktsobligationen. Damit war eine Schuldnermehrheit in den Bereich des Instituts der Korrealobligation getreten, deren Abwicklung durch die überkommenen Rechtsfolgen nicht ausreichend gesichert war. Der Erfüllungsbegriff (solutio) und auch die anderen anerkannten Erlöschensgründe der Obligation konnten bei Leistung eines Schuldners das Erlöschen der Verpflichtungen der anderen Mitschuldner nicht mehr erklären. Ein Regreßanspruch aus objektivem Recht erwies sich als Korrelat der Verpflichtungen mehrerer Schuldner auf die ganze Leistung zur Vermeidung des "Glücksspielcharakters" der Korrealobligation als unbedingt erforderlich.

Das römische Recht hat diese Probleme nicht mehr bewältigt; jedoch wurden auf Grund der Gesetzgebung Justinians (Beseitigung der Konsumptionskonkurrenz) die klassischen Quellen teilweise interpoliert, was dann im gemeinen Recht unheilvolle Verwirrung gestiftet hat. 2. Dieses "Trümmerfeld" der Quellen, verbunden mit dem Bestreben, alle Erscheinungen des Rechts möglichst aus einem Prinzip zu erklären, war die Hauptursache für die zwar umfangreiche und heftige, aber doch fast völlig unfruchtbare Diskussion um den Begriff der Korrealobligation im gemeinen Recht. Hinzu kam, daß weitere Schuldnermehrheiten in den Kreis der Betrachtungen einbezogen wurden, bei denen zwar die Erfüllungsleistung eines Schuldners die Verpflichtungen der anderen nicht erfüllte, aber doch - häufig vom Tatsächlichen her (z. B. Schadensbeseiti-

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gung) - erledigte. Der Streit der Meinungen konzentrierte sich im gemeinen Recht auf die Unterscheidung zwischen Korreal- und Solidarobligationen und die Frage nach der Einheit oder Mehrheit der Verpflichtungen aus der Korrealobligation. Eine Klärung konnte bis zur Schaffung des BGB nicht erzielt werden. 3. Der BGB-Gesetzgeber hat sodann in den§§ 420 ff. BGB, insbesondere mit der weiten Fassung des§ 421, dem objektiven Erlöschenstatbestand des § 422 und der Regreßnorm des § 426 eine nahezu geniale Regelung geschaffen, die -wie die Motive beweisen- bewußt den unfruchtbaren Meinungsstreit des gemeinen Rechts beenden sollte. Die Rechtsprechung und Literatur zum Recht des BGB haben jedoch die Möglichkeit des neuen Gesetzes nicht genutzt; sie beharrten vielmehr lange Zeit mehr oder weniger starr auf den aus dem gemeinen Recht überlieferten Anschauungen. Grundsätzlich wurden nur die ex eadem causaentstandenen Verpflichtungen als "echte" Gesamtschulden anerkannt; alle anderen Schuldnermehrheiten wurden als unechte oder scheinbare Gesamtschulden bezeichnet, bei denen die Rechtsfolgen der Gesamtschuld, insbesondere der §§ 422, 423, 424 und 426 nur sehr bedingt zur Anwendung kommen sollten. 4. Bedeutsam für die Überwindung des zu engen Erfordernisses des gemeinsamen Entstehungsgrundes (eadem causa) wurde das von Enneccerus in die Diskussion eingeführte Merkmal der "Zweckgemeinschaft", welches den erweiterten Gesamtschuldbegriff gleichzeitig abgrenzen sollte von kumulierten Schuldverhältnissen. Die Voraussetzungen des Merkmals "Zweckgemeinschaft" sind jedoch schon von Enneccerns mehrdeutig und auch nicht widerspruchsfrei bestimmt worden. Demzufolge hat das Merkmal dann sowohl in der Rechtsprechung, welche es erstmals in RGZ 77, 323 aufgegriffen hat, als auch in der Literatur eine vielgestaltige inhaltliche Ausformung erhalten. Lehmann hat die Entwicklung mit einer praktischen Preisgabe des einheitlichen Merkmals abgeschlossen, indem er auf eine einheitliche Definition völlig verzichtete und das Merkmal in drei heterogenen Fallgruppen als gegeben ansah: Bei durch gemeinsamen Vertrag(§ 427) entstandenen "gleichgründigen" Gesamtschulden-bei mehreren Schuldverhältnissen zur Sicherung derselben Schuld (gleicher Sicherungszweck) - bei Schuldverhältnissen, die zum Ersatz desselben Schadens verpflichten (gemeinsamer Schutzzweck). Auch der Bundesgerichtshof hat die von Enneccerus geforderte Zweckgemeinschaft, welche die mehreren Schuldner verbinden sollte, schließlich dahin verwandelt: "Die Gemeinschaft des Zwecks beider Ansprüche besteht darin, daß sie dem Schutz des Eigentums dienen und den Eigentümer für den Verlust der Sache entschädigen sollen." 8 Ehmann

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Die Vieldeutigkeit des Merkmals, welches im Laufe der Entwicklung bald von jedem Autor und in jeder Entscheidung inhaltlich anders ausgefüllt wurde, führte schließlich nicht nur zu der Erkenntnis seiner unzureichenden theoretischen Berechtigung, sondern auch zu der Einsicht, daß das Erfordernis einer wie immer gearteten "Zweckgemeinschaft" kein brauchbares Kriterium zur Lösung praktischer Fälle sein kann. Dennoch ist nicht zu bestreiten, daß das Merkmal eine jener "brauchbaren Krükken" war, auf denen die Rechtsentwicklung weiterschlich. Das Hauptverdienst liegt wohl in der vorsichtigen Erweiterung des Gesamtschuldbegriffsüber die Fälle des gemeinsamen Entstehungsgrundes (§ 427) und der gesetzlichen Anordnungen (z. B. § 769, § 840, § 1833 u. a.) hinaus. 5. Die durch die "offene" Regelung des § 421 geschaffene Möglichkeit zur Erweiterung des Gesamtschuldbegriffs über die Fälle der gemeinsamen Verpflichtung hinaus machte insbesondere eine begriffliche Abgrenzung der Gesamtschuldverhältnisse zu den Fällen kumulierter SchuldverhäLtnisse erforderlich. Anders ausgedrückt: der Begriff der Gesamtschuld mußte neu erfaßt werden. Enneccerus glaubte in einer Zweckgemeinschaft der Schuldner die notwendige Erweiterung und Begrenzung des Gesamtschuldbegriffs finden zu können. Dagegen forderte Leonhard eine sog. Tilgungsgemeinschaft, welche vorliegen sollte, wenn mehrere Leistungspflichten "wirtschaftlich einen Posten bilden", was wiederum in drei Fallgruppen gegeben sein sollte: (1) "Wenn die eine Schuld nur die Erfüllung der anderen sichern soll" ; (2) "wenn mehrere gemeinschaftlich eine Arbeit übernehmen, oder einer für den anderen einzustehen verspricht" ; (3) "ferner bei allen Erfolgsschulden" (wozu Leonhard neben den Schadensersatzansprüchen auch mehrere Unterhaltspflichten rechnete). 6. Zuvor schon hatten Rabel und Rud. Schmidt das Bild geprägt von Verpflichtungen, die auf gleicher oder verschiedener "Stufe" ("zweistufige Solidarität") stehen. Beide Autoren hatten in Fällen "verschiedenstufiger Solidarität" ("ungleichrangiger Verpflichtungen") jedoch das Vorliegen eines Gesamtschuldverhältnisses nicht grundsätzlich verneint, vielmehr in solchen Fällen nur die Anwendung der Hilfsregel des§ 426 I 1, d. h. eine Haftung im Innenverhältnis nach Kopfteilen ausgeschlossen. 7. Das ist im späteren Schrifttum mißverstanden worden. Während die Rechtsprechung hartnäckig am Erfordernis einer Zweckgemeinschaft festhielt, das zur Leerformel erstarrte Merkmal aber nach Bedarf von Fall zu Fall interpretierte, begann im Schrifttum die Auffassung zu überwiegen, Voraussetzung einer Gesamtschuld sei eine "wechselseitige Tilgungsgemeinschaft" (oder Erfüllungsgemeinschaft), welche vorliegen soll, wenn die mehreren Verpflichtungen auf derselben Stufe stehen. Die Rabelsche Auffassung war damit in ihr Gegenteil verkehrt worden: Während dieser

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verschiedenstufige Schuldverhältnisse als Gesamtschuldverhältnisse akzeptierte, weil ihm die Regelung des § 426 I 1 beweglich genug erschien, wurde nun in diesen Fällen eine Gesamtschuld, sofern sie nicht vom Gesetz ausdrücklich angeordnet war, grundsätzlich als nicht gegeben erachtet. Auch wurde dem Merkmal der sog. "wechselseitigen Tilgungsgemeinschaft" im neueren Schrifttum eine ganz andere Funktion zugeordnet, als Leonhard ihm beigelegt hatte. Nicht sollte es mehr Abgrenzungsmerkmal sein zu kumulierten Schuldverhältnissen, sondern zu jenen Fällen, in denen eine cessio legis angeordnet ist, und jenen, in welcher einer der Verpflichteten, soweit er den Gläubiger befriedigt, nach dem Gesetz(§ 255) oder dem seiner Verpflichtung zugrunde liegenden Vertrag, die Abtretung der Forderungen gegen den oder die anderen Schuldner verlangen kann. Diese Ansicht beachtet weder, daß auch § 42'6 II eine cessio legis anordnet, noch berücksichtigt sie den Wortlaut des§ 255 und dessen Stellung im System des BGB, die eine uferlose Ausweitung i. S. der Selbschen Thesen verbietet. 8. Selb schließlich will die wechselseitige Tilgungsgemeinschaft durch das Erfordernis einer ErfüUungsgemeinschaft ersetzt wissen; als Gesamtschulden neben den gesetzlich angeordneten also nur die anerkennen, in denen die Erfüllungsleistung eines Schuldners nicht nur auch für die anderen "wirkt", sondern diese "miterfüllt". In seiner einseitig vom Schadensbegriff her bestimmten Abhandlung kehrt Selb damit zu römisch-rechtlichen Vorstellungen zurück, ohne allerdings das Rechtsinstitut auf die Fälle beschränken zu können, für welche die alten Römer diese Vorstellungen entwickelt hatten. Bei Selb hat das Merkmal "Erfüllungsgemeinschaft" wieder die Funktion der Abgrenzung zu kumulierten Schuldverhältnissen; dagegen rechtfertigt Frotz, der es von Selb übernimmt, dasselbe Merkmal aus der Regreßproblematik. Die Begriffsverwirrung ist kaum noch zu durchschauen. 9. In dieser Situation gewinnt die Ansicht an Gewicht, daß keines der abgrenzenden Begriffsmerkmale sich bewährt hat und die Suche nach einem einheitlichen abstrakten Gesamtschuldbegriff endlich aufgegeben werden sollte. Darin steckt eine richtige Erkenntnis; aber es darf auch nicht übersehen werden, daß die Suche nach dem einheitlichen Gesamtschuldbegriff gerade überall dort, wo sie sich als Irrweg erwies, wesentliche Erkenntnisse gebracht hat. Es besteht daher keine Notwendigkeit, den Gesamtschuldbegriff prinziplos in einer vielfältigen Kasuistik aufzulösen1. Lehmann und Leonhard haben jeweils auf verschiedenem Wege 1 z. B. unterscheidet Hillenkamp (S. 116 ff.) 11 Fallgruppen, wovon 7 Gruppen gesetzliche Gesamtschulden und 4 Gruppen durch die Rechtsprechung entwickelt sein sollen; die große Gruppe von Fällen des Zusammentreffens von Versorgungs- (Versicherungs-, Unterhalts-, Lohnfortzahlungs-) mit Schaden-

8'

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§ 4 Zusammenfassung des 1. Kapitels

in Überwindung ihres eigenen einheitlichen Begriffs angedeutet, auf

welche Weise die Vielfalt der Fälle in einer möglichst kleinen Zahl homogener Gruppen erfaßt werden könnte. Es ist damit die Aufgabe gestellt, für jede dieser Gruppen das Prinzip zu finden, das sie zusammenhält und ihre spezifischen Wirkungen (Rechtsfolgen) erklärt. Zur Erfüllung des g.emeinsamen Oberbegriffs "Gesamtschuld" reicht es aus, daß mehrere eine Leistung in der Weise schulden, daß jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist. Aber dieser Oberbegriff "Gesamtschuld" ist nur eine theoretische Vorstellung, eine offene Form, welche, um praktisch verwendbar zu sein, noch der Ausfüllung bedarf.

Der Oberbegriff des§ 421 enthält nämlich kein Merkmal, aus dem sich bestimmen läßt, unter welchen Voraussetzungen mehrere "in der Weise schulden, daß ...". Alle Versuche, ein einheitliches Merkmal zu finden, das alle "echten" Fälle erfaßt und alle "unechten" ausscheidet, sind jedoch gescheitert. Da auch die historische Betrachtung zeigt, daß der Begriff der Korrealobligation erst im Laufe der Rechtsentwicklung andere Fälle als den des gemeinsamen Versprechens ("spondemus", § 427) in sich aufnahm, liegt es nahe, in den verschiedenen Fallgruppen nach dem Prinzip zu forschen, das jeweils dazu führt, daß die mehreren Schuldner "eine Leistung in der Weise" schulden, "daß jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist". Es ist durch keinen gesetzlichen oder logischen Ober-

satz bestimmt, daß dieses Prinzip in den verschiedenen Fallgruppen das gleiche sein müsse. Vielmehr deuten die verschiedenen Strukturen der verschiedenen konkreten Gesamtschuldtypen darauf hin, daß es verschiedene Prinzipien sind, die bei den verschiedenen Typen die gesamtschuldnerische Verbindung bewirken.

Auch die Frage, inwieweit die Leistung eines Schuldners die Verpflichtung der anderen zum Erlöschen bringt oder zur Sicherung der Regreßforderung auf den Leistenden überleitet, inwieweit also die Hilfsregel des § 426 I 1 gilt oder etwas anderes bestimmt ist, kann nur nach den verschiedenen Prinzipien der einzelnen Typen beurteilt werden. Die anderweitige Bestimmung i. S. des § 426 I 1 kann sich dabei aus allen "der Rechtsordnung innewohnenden Rechtssätzen", d. h. aus Parteivereinbarung, aus Gesetz oder aus dem Inhalt und Zweck der jeweiligen Rechtsverhältnisse ergeben. Bei den aus gemeinsamem Vertrag entstandenen Gesamtschulden wird sich das Innenverhältnis entweder aus der Vereinbarung der Parteien, hilfsweise nach der Pro-Kopf-Regel des§ 426 I 1 beersatzansprüchen werden von Billenkamp trotzdem nicht als Gesamtschuldverhältnisse anerkannt. Gegen solche Unterteilung in "Staubteilchen" ohne überzeugende Kriterien zu Recht Börnsen (S. 106 f.).

§ 4 Zusammenfassung des 1. Kapitels

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stimmen. Bei den zum Ersatz desselben Schadens bestimmten Schutzansprüchen wird sich das Innenverhältnis aus dem Maß der Verursachung (§§ 254, 17 StVG u. a.) bestimmen, sofern nicht das Gesetz (z. B. § 840 II, III) etwas anderes angeordnet hat. Bei Schuldverhältnissen, die ein anderes Versprechen sichern, also auf anderer Stufe stehen als das gesicherte Schuldverhältnis, wird grundsätzlich nur die Erfüllung der Hauptschuld die anderen endgültig befreien und die Erfüllung der Sicherungsschuld die Hauptforderung voll überleiten. Der ErZöschenstatbestand des § 422 kann jedenfalls nicht in allen Fällen mit dem Erfüllungsbegriff erfaßt werden. Ebenso kann der Regreßanspruch nicht in allen Fällen aus einem Prinzip erklärt werden. Wegen der cessio legis des § 426 II müssen die Regeln der §§ 422, 426, im Zusammenhang gesehen, als kommunizierendes System begriffen werden.

Zweites Kapitel

Die Kriterien zur Unterscheidung der verschiedenen Schuld· und Gesamtschuldverhältnisse § 5 Die uneinheitlichen Gründe für die gesamtschuldnerische Verhindung mehrerer Schuldverhältnisse I. Warum entstehen Gesamtschuldverhältnisse?

1. Die FragesteLlung Wir wollen wissen, warum, zu welchem Zweck Gesamtschuldverhältnisse begründet werden. Die alte Antwort, "der praktische wirtschaftliche Zweck" der Gesamtschuld bestehe wesentlich darin, "dem Gläubiger die Vortheile größerer Sicherheit und leichterer und bequemerer Verfolgung seines Rechtes zu verschaffen" 1 , ist zwar nicht unrichtig, aber zu allgemein2. Der "Zweck" der Gesamtschuldverhältnisse und zuerst der einzelnen zu einem Gesamtschuldverhältnis verbundenen Einzelschuldverhältnisse soll konkreter als bisher erfaßt werden. Auf diesem Wege sollen die Fragen, wozu bzw. warum mehrere Schuldverhältnisse zu einem Gesamtschuldverhältnis verbunden sind und nicht kumuliert nebeneinander stehen, warum und inwieweit die Erfüllungsleistung eines Gesamtschuldners auch die anderen Mitschuldner befreit und warum und inwieweit der eine von dem anderen oder den anderen Ausgleichung verlangen kann, ihre Antwort finden. Zur Untersuchung der Frage, warum sich mehrere einem Gläubiger gegenüber zur Bewirkung derselben Leistung verpflichten bzw. kraft Gesetzes verpflichtet werden, ist es erforderlich, stufenweise vorzugehen: zuerst ist zu fragen, warum verpflichtet sich ein einzelner (bzw. wird er kraft Gesetzes verpflichtet), dann, warum verpflichten sich der oder die anderen zu derselben Leistung; und letztlich, warum verpflichten sich die mehreren zusammen, bzw. warum werden sie kraftGesetzeszusammen verpflichtet. Mot. II, 156 = Mugdan II, 86. Die Gesamtschuldregelung ist nicht nur "Gläubigerprivileg"; vgl. oben §1 Vund§3IV,2. 1

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I. Warum entstehen Gesamtschuldverhältnisse?

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2. Klingmüllers Denkansatz3 Auch Klingmüller setzte seine Untersuchung der Gesamtschuldproblematik bei der Frage nach dem verbindenden Element an, "durch welches die Einzelschuldverhältnisse zu einer juristischen Gesamtfigur zusammengeschlossen werden" 4 • Er meint, nach dem Wortlaut des§ 421 scheine dieses Element prima facie in der Identität der Leistung zu liegen4 ; in seiner näheren Untersuchung kommt er jedoch zu dem heute allgemein anerkannten Ergebnis, es scheine die "Identität des Leistungsgegenstandes kein ausreichendes Bindemittel zu sein, um mehrere Schuldverhältnisse zu dem Oberbegriff eines Gesamtschuldverhältnisses zu vereinigen"6. Von diesem Ergebnis aus stellt er die Frage, "ob das verbindende Element, welches zwischen den Einzelschuldverhältnissen doch irgendwie vorhanden sein muß, in anderen Umständen gefunden werden kann"' -und findet es unter Berufung auf Last7, BinderS, Reichel8 in der Identität des Schuldzweckes8. Bei dem Versuch, diesen Begriff des "Schuldzweckes" zu bestimmen, verweist Klingmülle.,.O zunächst auf die "vielbeachteten Ausführungen Hartmanns 10 über das Zweckmoment in dem Begriffe der Obligation". Zutreffend lehnt er die Aufassung Hartmanns jedoch mit dem Argument ab, es sei fehlerhaft, das Zweckmoment der Obligation "rein objektiv" zu begreifen, vielmehr seien die Zwecke einer Obligation "in dem die Obligation begründenden Parteiwillen zu suchen"11. Sodann weist Klingmüller auf die Literatur1! zum sog. CausaProblem hin und führt folgendes aus13 : "Nach den umfassenden Vorarbeiten der letzten gemeinrechtlichen Literatur im 19. Jahrhundert erschien der juristisch verwertbare Begriff dercausaals ein psychologischer Vorgang in der Seele des handelnden Subjekts, als die Vorstellung eines Zweckes14, als Motiv14. Ein Motiv ist aber als eine "psychologische Notwendigkeit" bei der Eingebung eines jeden Schuldverhältnisses vorhanden: ich kaufe Kleider, um mich gegen Kälte zu schützen, um dem Händler ein Verdienst zuzuwenden, um geschäftliche Beziehungen anzuknüpfen usw. Aber alle diese- für die Partei vielleicht sehr erheblichen - Zwecke werden grundsätzlich von der Rechtsordnung nicht beachtet; denn wenn sich auch diese Zwecke 3 Unechte Gesamtschuldverhältnisse, in JherJb Bd. 64 (1914), S. 31 -113. • JherJb 64, 50. 5 Jherb 64, 57. s JherJb 64, 58. 7 Last, Anspruchskonkurrenz, S. 16 ff. 8 Binder, Korrealobligationen, S. 38 f., 51 f. 9 Reichel, Schuldmitübernahme, S. 34 f. 10 Hartmann, Obligation, insbes. § 5. 11 JherJb 64,59 f.; vgl. auch oben§ 3 II, 3 b. n Insbes. auf seine eigenen Ausführungen in: Krit. VJSchr. 1904, S. 527 f.; Begriff des Rechtsgrundes, bes. §§ 1 -10; Schuldversprechen und Schuldanerkennung, § 1. Ferner zitiert Klingmiiller: Jung, Bereicherungsansprüche und Brütt, Abstrakte Forderungen, §§ 1 und 2. u JherJb 64, S. 61 f. u Hervorh. v. Verf.

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§ 5 Die uneinheitlichen Gründe der Gesamtschuld

im konkreten Fall nicht verwirklichen, so wird das Geschäft dadurch in keiner Weise berührt. Die Sicherheit des Verkehrs verlangt, daß nicht jeder vorgestellte Zweck beachtet wird, sondern nur der auf den rechtlichena Erfolg des Aktes sich beziehende, der Rechtszwecka, der sich z. B. beim Käufer erschöpft in der Erlangung des Anspruchs auf Obereignung der Kaufsache. Dieser rechtlich erhebliche Zweck ist der Begriff der rechtsgeschäftliehen causats. Auch nach den Ausführungen Jungs ist der obligatorische Zweck immer ein rechtlicher (Gegensatz: tatsächlicher), d. h. es handelt sich um einen nach den Grundsätzen der betreffenden Rechtsordnung als direkte Rechtsfolget• der Leistung mögliche Wirkung. Dieser Begriff des rechtlichen oder speziell obligatorischen Zwecks ist nun für die Identitätsfrage bei den Gesamtschulden von entscheidendem Werte: er ist das bisher gesuchte verbindende Element, welches die Einzelschuldverhältnisse zu einem Gesamtschuldverhältnis vereinigt." Damit hatte Klingmüller den Universalschlüssel zur Lösung der Gesamtschuldproblematik fast schon in der Hand, aber er entglitt ihm wieder, weil er die verschiedenen Zwecke der Schuldverhältnisse nicht genügend unterschied und schließlich ohne weitere Begründung unvermittelt zu dem Erfordernis einer "subjektiven Zweckgemeinschaft" 1• der Gesamtschuldner kam und am Ende alles wieder aus diesem einen Begriff erklären wollte. Die auf diesem Weg gefundene Begriffsbestimmung lautet: "Das Gesamtschuldverhältnis ist eine Mehrheit von Schuldverhältnissen, welche sowohl durch die Identität des Leistungsgegenstands wie auch durch die Identität des obligatorischen Zweckes (der subjektiven causa) miteinander verbunden sindn." Die Gruppe der gleichgründigen Gesamtschulden (ex eadem causa) vermag diese Definition gerade noch zu erfassen, wenn auch ihre Wendung zum Erfordernis der "subjektiven Zweckgemeinschaft" in den folgenden Ausführungen schief ist: "Während in den oben angegebenen Fällen des mehrfachen Kaufs oder Verkaufs derselben Sache die mehreren Schuldner nur durch die zufällige Identität des Leistungsgegenstands sich berührten, im übrigen aber keinerlei Beziehung zueinander oder Kenntnis voneinander zu haben brauchten, und eventuell auch gar nicht haben wollten, stehen hier die Gesamtschuldner in einer sub;ektiven Zweckgemeinschaft zueinander: der eine weiß von der Mithaftung des anderen, wie auch von der Einwirkung, welche die Leistung des geschuldeten Gegenstandes auf die Beziehungen zum Gläubiger ausüben wird: durch einmalige Leistung dieses Gegenstandes wird der bestimmte obligatorische Zweck erreicht, die Beziehung zum Gläubiger erledigt, und somit das ganze Schuldverhältnis aufgehoben werdents." Die richtige Durchführung der im Ansatz richtigen Idee verfehlt Klingmüller jedoch mit der undifferenzierten Übertragung der gewonnenen 15

Klingmüller verweist auf: Klingmüller, Schuldversprechen, S. 3 f., und

ZHR58,155. 18 JherJb 64, 63. 17 JherJb 64, 64. 18 JherJb 64, 63.

I. Warum entstehen Gesamtschuldverhältnisse?

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Formel auf die Fälle des Zusammentrdfens mehrerer gesetzlicher Scha-

densersatzansprüche: "So steht es bei den gewillkürten Gesamtschulden, nicht wesentlich anders ist es bei den gesetzlichen Gesamtschulden. In zahlreichen Fällenn macht das Bürgerliche Gesetzbuch von der Möglichkeit Gebrauch, mehreren Personen von Rechts wegen eine gesamtschuldnerische Haftung aufzuerlegen. Ist der betreffende Tatbestand, z. B. gemeinschaftliches Delikt, eingetreten, so wird den Delinquenten zugleich mit der Schadensersatzverpflichtung die subjektive Zweckgemeinschaft auferlegt; sie werden zu dieser Zweckgemeinschaft hier zwangsläufig vereinigt, die sie sonst bei den gewillkürten Gesamtschulden nur kraft ihres freien Willens eingehen können. Wenn auch in diesen Fällen bei den Gesamtschulden das Bewußtsein von ihrer gegenseitigen Existenz und ihrer gemeinschaftlichen Haftung manchmal nicht vorhanden sein wird und auch nicht vorhanden zu sein braucht, so fallen damit die mehreren Schuldverhältnisse nicht als völlig beziehungslose Rechtsgestaltungen auseinander, sondern die Identität der subjektivencausaist auch hier gegebenzo." Mit dieser Ausweitung wurde der Begriff "subjektive causa" so vielgestaltig wie wertlos. Die Tatbestände, die dieser erweiterte causa-Begriff erfassen soll, sind so verschiedenartig, daß die tabestandliehen Voraussetzungen des Begriffs nicht mehr definiert werden können. Mit dieser Auflösung des causa-(Zweck-)Begriffs war daher der Versuch Klingmüllers, das "verbindende Element" zu finden, gescheitert. Der "subjektive" Gesamtschuldbegriff hat deswegen zu Recht keine Anerkennung gefunden21 • Das heißt aber nicht, daß der Gedanke, vom Zweck auszugehen, nicht im Ansatz richtig gewesen ist.

3. Plan der folgenden Darstellung Letztlich scheiterte der Versuch Klingmüllers an der mangelhaften causa-Lehre seiner Zeit, die auch er selbst nicht hinreichend fortentwikkeln konnte. Da nun auch heute eine durchgeformte causa-Lehre nicht allgemein bekannt, schon gar nicht allgemein anerkannt ist, ist es zur Durchführung des verfolgten Gedankens notwendig, die Grundzüge der als tragfähig erkannten, im wesentlichen von Hugo Kressll2 entwickelten Zweck-(causa-)Lehre im folgenden darzustellen. Da sich der funktionelle Zusammenhang von Zweck-(causa-)Lehre und Gesamtschuldbegriff jedoch erst an dem zum Schluß zu gewinnenden Ergebnis: der Unterscheidung von drei Gruppen von Gesamtschulden nach der Art der Zwecke der Einzelschuldverhältnisse- erweisen wird, so muß in diesem Paragraphen zunächst noch ein diese Ergebnisse vorwegnehmender Überblick über die 11

10 !1

Klingmüller zitiert: §§ 42 II, 53, 431, 774 II, 830, 840, 1833, 2219 II u. a. JherJb 64,63 f. Vgl. Enneccerus-Lehmann, SchuVerh, § 90, Fußn. 3; Kress, ASchuR, § 24

Fußn.5. n ASchuR, insbes. § 5.

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§ 5 Die uneinheitlichen Gründe der Gesamtschuld

Lehre vom Zweck und die daraus für die Gesamtschuld zu ziehenden Folgerungen gegeben werden, um das Verständnis der sonst zu langen Ableitungen zu erleichtern. U. Warum entstehen Einzelschuldverhältnisse?

1. Allgemeines Nihil est sine ratione. Es ist hier nicht über die philosophische Bedeutung dieses Satzes zu handeln23 • Es genügt uns die gesicherte Erfahrung, daß keine menschliche Handlung ist ohne Grund (causa). Dieser Bestimmungsgrund menschlicher Handlung ist stets der mit der Handlung verfolgte Zweck (causa finalis). Das gilt für alle Arten von menschlichen Handlungen, auch für "juristische Handlungen" 24 (Willenserklärungen und Delikte). Nun können allerdings die Gründe für juristische Handlungen, seien es rechtsgeschäftliche (Willenserklärungen) oder unerlaubte Handlungen (Delikte), von so vielfältiger Art sein, daß eine begriffliche Erfassung zunächst unmöglich erscheint. Die Erfahrung lehrt aber, daß sich die Zwecke (Gründe) der juristischen Handlungen in einigen wenigen Typen klassifizieren lassen, deren Kriterien das Wesentliche des eigenen Typus inhaltlich erfassen und zugleich gegen andere abgrenzen. Das ist im folgenden im Anschluß an die Gedanken von Hugo Kress zu zeigen. 2. Erwerbsansprüche und Schutzansprüche Die "juristischen Handlungen" werden herkömmlicherweise geschieden in auf rechtsgeschäftliche Erfolge gerichtete Handlungen (Rechtsgeschäfte) und unerlaubte Handlungen (Delikte). Dazwischen bleibt das Niemandsland der sog. Quasi-Kontrakte und Quasi-Delikte25 • Erkenntnisfördernder ! 3 Vgl. Schopenhauer, über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde; Heidegger, Der Satz vom Grund. u Zum Begriff der "juristischen Handlung" vgl. Savigny, System III, 5 und 6; ferner Puchta (Pand., § 49): "Juristische Handlungen heißen die, welchen als solchen eine rechtliche Wirkung zukommt. Diese Wirkung kann in einem doppelten Verhältniß zur Handlung, und insbesondere zur Absicht des Handelnden stehen: 1. sie liegt in seiner Absicht und setzt diese voraus; solche juristischen Handlungen, deren Absicht auf eine rechtliche Wirkung geht, heißen Rechtsgeschäfte; 2. sie ist von der Absicht des Handelnden unabhängig, also eine unwillkürliche Folge der Handlung. Dieß ist möglich a) bey Rechtsgeschäften, sofern diese außer ihrer beabsichtigten Wirkung noch eine andere haben können, die der Handelnde nicht beabsichtigt zu haben braucht; stets aber ist es der Fall b) beyden unerlaubten, rechtswidrigen Handlungen, deren rechtliche Wirkungen durchweg unabhängig von dem Willen des Handelnden eintreten." 25 Vgl. Puchta, Pand., § 249 und§ 260; Windscheid, Pand. II, § 302; ferner Kunkel (§ 119, S. 193): "Die Kategorien der Quasikontrakte und Quasidelikte sind ohne wissenschaftlichen Wert; sie werden nur als eingebürgerte und bequeme Sammelbezeichnungen gebraucht."

"II. Warum entstehen Einzelschuldverhältnisse?

123

erscheint daher die entsprechende Unterscheidung von Schuldverhältnissen in solche, die der Bewegung der Güter dienen (Erwerbsansprü.che) und solche, die dem Schutz der Güter dienen (Schutzansprilche). Mit die· senbeiden Kategorien von Ansprüchen gibt die Privatrechtsordnung dem Bürger die Macht (das subjektive Recht), fremde Güter zu erwerben und die eigenen Güter zu schützen. Die erste Antwort auf die Frage, warum Schuldverhältnisse entstehen, ist damit bereits gegeben: entweder um Güter zu erwerben (Erwerbsansprüche) oder um Güter zu schützen (Schutzansprüche). Die Durchsetzung beider Ziele wird von unserer Rechtsordnung durch die Verleihung sog. subjektiver Rechte in die Macht und das Belieben des einzelnen gestellt. Diese erste Antwort ist jedoch noch sehr allgemein und bedarf daher weiterer Differenzierungen.

3. Die Zwecke der ErwerbsansprücherEinführung) Kein vernünftiger Mensch überträgt ein Gut ohne Grund an einen anderen, auch verpflichtet er sich nicht ohne Grund, irgendwelche Güter zukünftig an einen anderen zu übertragen, stets verfolgt er mit der Übertragung bzw. Verpflichtung zur Übertragung einen oder mehrere Zwecke. Da Güter grundsätzlich nicht gegen den Willen des Inhabers in den Verkehr gebracht werden können, bedarf es zur Begründung von Erwerbs· ansprüchen eines Rechtsgeschäfts, und zwar, da auch dem Erwerber kein Gut gegen seinen Willen aufgedrängt werden soll, regelmäßig eines Vertrages zwischen Veräußerer und Erwerber (§ 305). Die Einigung über den Zweck der Güterbewegung ist wesentlicher Bestandteil (essentiale negotii) dieser vertraglichen Einigung. In der Regel, d. h. ohne eine ausdrückliche oder den besonderen Umständen (§§ 133, 157) zu entnehmende spezielle Vereinbarung soll das Zustandekommen, wenigstens aber der Fortbestand der als gewollt erklärten Rechtsfolge, zwar nicht von allen und den hintersten Motiven, aber doch von den typischen Motiven (Zwecken}28 dieses Wollens abhängig sein. Diese vertypten Motive (Zwecke) lassen sich wiederum in zwei große Kategorien einteilen: den Austauschzweck (causa acquirendi) - der Schuldner will für seine Leistung bzw. sein Leistungsversprechen eine Gegenleistung oder ein Gegenleistungsversprechen erhalten- und den Liberalitätszweck (causa donandi). Selbstverständlich können auch atypische Zwecke mit der Leistung oder dem Leistungsversprechen verfolgt und durch dahingehende Erklärung und Vereinbarung rechtlich erheblich gemacht werden; auch können die Zwecke gemischt27 oder einem typischen Zweck atypische Zwecke rechtsverbindlich angefügt ("angestaffelt")28 sein. 18 Uber den Vorgang der Typisierung der Motive zu rechtlich erheblichen Zwecken und den Unterschied von Motiv und Zweck vgl. unten, § 6 III. 27 Vgl. unten§ 6 VII, 6. !8 Vgl. unten§ 6 VII, 1 - 3.

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§ 5 Die uneinheitlichen Gründe der Gesamtschuld

Werden die Güter nicht unmittelbar bewegt, sondern ihre Bewegung erst versprochen und dann in Erfüllung dieser Versprechen bewegt, so geschieht die Bewegung unter rechtlichem Aspekt betrachtet zur Abwicklung der bereits geschlossenen Versprechensverträge. Die Kategorie der A'f?wicklungszwecke liegt gewissermaßen auf zweiter Ebene. Sie sind von unselbständiger Art29 • Wichtigster Abwicklungszweck ist der Erfüllungszweck (causa solvendi), aber auch der Sicherungszweck und der Vergleichszweck sind Abwicklungszwecke. Die Entstehungsgründe der Erwerbsansprüche lassen sich also in drei Gruppen einteilen: Erwerbsansprüche a) zum Zwecke des Austausches, b) zum Zwecke der Schenkung, c) zum Zwecke der Abwicklung eines bereits bestehenden Schuldverhältnisses30•

4. Die Schutzansprüche Auch die Ansprüche, die zum Zwecke des Schutzes von Gütern entstehen, sind von vielfältiger Art. Sie können sich auf gesetzlicher oder vertraglicher Grundlage entwickeln, auf negative (Unterlassung) oder positive Leistung gerichtet sein und sich in unentwickeltem oder entwickeltem Zustand befinden91 • Die wichtigste Gruppe der gesetzlichen Schutzansprüche wird durch die deliktischen Schadensersatzansprüche gebildet. Die deliktischen Schadensersatzansprüche entwickeln sich häufig aus der Gefährdung (Unterlassungsanspruch) oder Verletzung {Wiedergutmachungsanspruch) sog. absoluter Rechte. Auch die Eingriffskondiktion und der Anspruch des Geschäftsherrn wegen unberechtigter Geschäftsführung (§ 687 II) sind gesetzliche Schutzansprüche; ferner sind die familienrechtlichen Unterhaltsansprüche als gesetzliche auf positive Leistung gerichtete Schutzansprüche zu begreifen. Auch die vertraglichen Schutzansprüche können auf negative (Unterlassung) oder positive Leistung gerichtet sein. Große Bedeutung haben die vertraglichen Unterlassungspflichten (z. B. Wettbewerbsverbot, Verbot zu bestimmter Zeit Klavier zu spielen), sie sind zunächst auf negative Leistung (Unterlassung) gerichtet; bei Verletzung dieser Unterlassungspflichten können sich daraus auf positive Leistung (Wiedergutmachung) gerichtete Schadenersatzansprüche entwickeln. Unentwickelte Schutzpflichten auf vertraglicher Grundlage sind ferner alle Nebenpflichten (§ 242) eines Vertrags sowie die sog. vorvertragliehen Pflichten, deren Verletzung die sog. Ansprüche aus positiver Forderungsverletzung bzw. aus culpa in contrahendo hervorzubringen32• Auf posi29

3o 31

32

Kress, ASchuR, § 5, 1 d, S. 36. Näheres unten, § 6. Vgl. Kress, ASchuR, § 1, 2 und 3 und§ 23 ; dazu unten§ 6 VI. Vgl. Kress, ASchuR, § 23, S. 590; ferner unten§ 6, VI.

III. Warum werden Einzelschuldverhältnisse verbunden?

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tive Leistung gerichtete vertragliche Schutzansprüche sind z. B. die Versicherungsanspriiche und die Lohnfortzahlungsanspriiche; ihre Eigentümlichkeit besteht darin, daß .dem Schutzzweck grundsätzlich der Austauschzweck angefügt ist, d. h. der Schutz ist in diesen Fällen um einer Gegenleistungwillen versprochen worden33. Stets ist jedoch der Schutzzweck nicht nur bei den gesetzlichen, sondern auch bei den vertraglichen Schutzansprüchen ein zureichender Rechtsgrund, d. h. für die Entstehung und den Fortbestand des Schutzanspruchs genügt nicht nur der gesetzlich anerkannte, sondern auch der vertraglich vereinbarte Schutzzweck; es bedarf nicht unbedingt einer Vereinbarung der Entgeltlichkeit bzw. Unentgeltlichkeit des Schutzversprechens, was selbstverständlich nicht heißt, daß nicht der Austausch- oder Schenkungszweck oder ein anderer atypischer Zweck dem Schutzzweck angestaffelt werden könnte, von dessen Vereinbarung und Erreichung die Rechtswirkung (das Schutzversprechen) abhängig sein soll34 • 111. Warum werden mehrere Einzelschuldverhältnisse zu einem Gesamtschuldverhältnis verbunden?

1. Die Differenzierung der Fragestellung Die gestellte Frage ist nichts als eine andere Formulierung der Frage nach dem "Zweck" des Gesamtschuldverhältnisses. Die übliche Antwort: Sicherheit und Bequemlichkeit der Rechtsverfolgung für den Gläubiger betont einseitig das Gläubigerinteresse in der Gesamtschuld, vernachlässigt die Schuldnerseite35 und ist deswegen nur teilweise richtig, d. h. im ganzen unrichtig. Ebenso wie es unrichtig ist, den Zweck des Einzelschuldverhältnisses einseitig vom Gläubigerinteresse her bestimmen zu wollen36, ist diese Methode beim Gesamtschuldverhältnis verfehlt. Die entscheidende Frage für das Einzelschuldverhältnis ist, warum ein Schuldner sich zu einer Leistung verpflichtet bzw. durch das Gesetz dazu verpflichtet wird. Ebenso ist für das Gesamtschuldverhältnis zu fragen, warum sich ein Schuldner gemeinsam mit einem anderen zu derselben Leistung verpflichtet oder sich selbständig zu derselben Leistung verpflichtet, zu der sich bereits ein anderer verpflichtet hat, obwohl der Gläubiger die Leistung letztlich nur einmal erhalten soll, oder warum das Gesetz mehrere Schuldner zu derselben Leistung verpflichtet, die der Gläubiger nur einmal erhalten soll. Die notwendige Differenzierung dieser Fragestellung aa Vgl. unten§ 6 VI;§ 9 II, insbes. 4; § 9 IV, 2. u Zur Abhängigkeit der Schuldverhältnisse von ihrem Zweck vgl. § 6 VIII. as Vgl. oben§ 3IV, 2. 31 Das ist die Methode Hartmanns (Obligation, insbes. § 5) gewesen, vgl. dazu oben § 3 II, 3 b.

126

§ 5 Die uneinheitlichen Gründe der Gesamtschuld

nach dem Grund der gesamtschuldnerischen Verpflichtung, d. h. nach dem "Zweck" der Gesamtschuld weist bereits darauf hin, daß eine einheitliche Antwort nicht möglich ist, d. h. daß es einen einheitlichen Begriff der

Gesamtschuld nicht gibt.

2. Die verschiedenen Fallgruppen Es gibt keine einheitliche Antwort auf die verschiedenen Fragen, warum Eheleute gemeinsam eine Wohnung mieten, warum sich der SohnS 1 für den Vater verbürgt, warum sich neben S 1 auch S 2 für den Vater verbürgt, warum neben dem Dieb auch der Hehler oder Verwahrer für den Schaden des Eigentümers als Gesamtschuldner haften. Diese Fragen bedürfen aber der jeweils zutreffenden Antwort, wenn wir wissen wollen, ob einem Leistenden ein Regreß zustehen soll und ggf. in welcher Höhe oder ob die Leistung des einen auch die anderen befreit37 • a) Verpflichten sich mehrere durch Vertrag gemeinschaftlich zu einer Leistung(§ 427, 431), so verfolgen sie auch stets damit einen gemeinsamen Zweck, z. B. die Eheleute, die einen Mietvertrag über eine Wohnung gemeinsam abschließen, wollen nicht nur beide - im Interesse des Gläubigers - den Mietzins schulden, sondern auch beide (gemeinsam) das Recht zum Gebrauch der Mietwohnung haben; sie woUen also die gemeinsame Verpflichtung gegen die entsprechende Berechtigung (Verpflichtung des Vermieters zur Gegenleistung) attstauschen38• Die Gesamtschuldner sind in solchem Falle aktiv und passiv Beteiligte desselben Schuldverhältnisses (im weiteren Sinne), das von einem einzigen Zweck, der von beiden Teilen verfolgt wird, getragen ist. Dies hindert nicht die Vorstellung, daß aus diesem Schuldverhältnis (im weiteren Sinne) dem Gläubiger zwei (oder mehrere) Forderungen (=Schuldverhältnisse im engeren Sinne) gegen die Gesamtschuldner zustehen. b) Verbürgt sich dagegen S 1 für seinen Vater, so ist die Bürgschaft zwar ein akzessorisches, aber doch ein von der Hauptschuld verschiedenes Schuldverhältnis, welches seinen Rechtsgrund in dem vom Rechtsgrund der Hauptschuld verschiedenen Sicherungszweck hat39 • Verpflichtet sich auch S 2 für dieselbe Hauptschuld des Vaters, so ist diese Bürgschaft wiederum ein sowohl von der Hauptschuld wie der Bürgschaft des S 1 verschiedenes drittes Schuldverhältnis, mit einem zwar hinsichtlich des Sicherungszwecks gleichen, aber nicht identischen Zweck wie die BürgVgl. oben§ 3 IV, 3 a. Bezüglich der Gegenleistung dürften die Eheleute Gesamtgläubiger (§ 428) sein, andernfalls steht ihnen der Anspruch auf die Mietsache gemeinschaftlich zu (§432). 38 Hauptschuldner und Bürge sind entgegen einer verbreiteten Meinung (vgl. Larenz, SchuR II, § 58 I) - Gesamtschuldner (so richtig Kress, BSchuR, § 29, 3, I); Näheres hierzu unten § 11 II, 1 b. s1

38

III. Warum werden Einzelschuldverhältnisse verbunden?

127

schaftdes S 140 • Den Bürgschaften des S 1 und S 2 können verschiedene weitere Zwecke angefügt sein; so kann z. B. S 1 seine Bürgschaft entgeltlich, S 2 die seine unentgeltlich'1 versprochen haben. c) Schadenersatzansprüche gegen Dieb, Hehler und Verwahrer sind jeweils selbständige Schuldverhältnisse, sie können auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen (§ 823 I, 823 II, positiver Forderungsverletzung) beruhen, und sie sind in ihren Voraussetzungen voneinander weitgehend unabhängig; was ihnen gemeinsam ist, was sie verbindet, ist der Schaden am selben Rechtsgut, dessen Schutz (Wiedergutmachung) der gemeinsame Zweck der Ersatzansprüche ist.

3. Die verschiedenen Antworten Der Grund der gesamtschuldnerischen Bindung ist also offenbar in den verschiedenen Fallgruppen ein verschiedener. a) Bei den durch gemeinsame VeTpflichtung aus einem einheitlichen Schuldverhältnis (im weiteren Sinne) entstandenen mehreren Verpflichtungen ( = Schuldverhältnissen im engeren Sinne) folgt die gesamtschuldnerische Bindung aus dem identischen Zweck (ex eadem causa) der Ansprüche. Die Schuldner wollen sich zwar jeder, aber nur zu einer Leistung zu einem Zweck verpfiichten42 • b) Bei den Fällen der Bürgschaft, Mitbürgschaft und kumulativen Schuldübernahme folgt die Verbindung aus dem Sicherungszweck. Der Sicherungszweck ist Abwicklungszweck und als solcher von unselbständiger Art, angelegt auf die Abwicklung der gesicherten Schuld. Daraus ergibt sich notwendig, daß trotz mehrerer Schuldverhältnisse die Leistung nur einmal geschuldet ist und letztlich im Innenverhältnis der Hauptschuldner grundsätzlich allein verpflichtet ist43. c) Bei den Schadenersatz- und sonstigen Schutzansprüchen folgt die gesamtschuldnerische Bindung aus dem gemeinsamen Schutzzweck der Ansprüche, die zur Erhaltung bzw. Wiedergutmachung desselben Rechtsguts auf Grund desselben tatsächlichen Verletzungstatbestandes bestimmt sind. Der Geschädigte soll den Schaden nur einmal ersetzt bekommen44• Selbst wenn sich ein Versicherungsnehmer mehrere Schutzansprüche "kauft", d. h . ein Interesse gegen dieselbe Gefahr bei mehreren Versicherern versichert (§ 59 VVG), kann er von den mehreren Versicherern ' 0 Mitbürgen sind Gesamtschuldner, "auch wenn sie die Bürgschaft nicht gemeinschaftlich übernehmen" (§ 769). 41 Der Sicherungszweck ist eine für sich ausreichende causa (Blomeyer, SchuR,§ 19,5 a; v. Caemmerer, Festschr. f. Lewald, S. 456). 41 Vgl. unten§ 7. ca Vgl. unten§ 11. « Vgl. unten §§ 8, 9 und 10.

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§ 5 Die uneinheitlichen Gründe der Gesamtschuld

nicht mehr als den Betrag des Schadens ersetzt verlangen(§ 59 I VVG). Die Schadensversicherung ist im Gegensatz zur Summenversicherung (Lebensversicherung) vom Schutzzweck beherrscht und begrenzt, mit welchem eine Überkompensation des Schadens unvereinbar ist45.

4. Einige Konsequenzen aus der Differenzierung a) Die verschiedene Art der Beteiligung am Schuldverhältnis Verpflichten sich mehrere durch Vertrag gemeinsam zu einem Zweck zu einer Leistung, so entsteht daraus ein einziges Schuldverhältnis (im weiteren Sinne), allerdings mit mehreren Einzelansprüchen (Mehrheitstheorie). Die aus solchem "einheitlichen Rechtsgrunde" (ex eadem causa) entspringende Gesamtschuld (z. B. der Eheleute aus einem gemeinsamen Mietvertrag) ist in ihrem Zustandekommen und Fortbestand von diesem gemeinsamen Vertrag ("einheitlichen Rechtsgrund") abhängig, im Bilde gesprochen: der Mietvertrag ist die gemeinsame Quelle beider Mietforderungen und bestimmt deren Schicksal; die Nichtigkeit (z. B. wegen Formmangels) oder Anfechtung (z. B. § 119) des gemeinsamen Vertrages betrifft alle Einzelforderungen. Regelmäßig wird auch der nur in einer Person bestehende Nichtigkeits-, Anfechtungs- oder Aufhebungsgrund das "ganze Schuldverhältnis" (vgl. § 423) ergreifen, weil und insoweit der Gläubiger den Vertrag mit dem (den) übrigen allein nicht aufrechterhalten will48 • Verpflichten sich dagegen mehrere unabhängig voneinander, für die Erfüllung derselben Verbindlichkeit eines Dritten einzustehen (§§ 7'65, 769), so entstehen mehrere Schuldverhältnisse (im weiteren Sinne), die zwar durch den gleichen Sicherungszweck zu Gesamtschulden verbunden sind, aber ansonsten rechtlich voneinander unabhängig sind. Form- oder Willensmängel des einen Bürgschaftsvertrags beeinflussen den anderen Vertrag nicht. Auch mehrere zum Ersatz desselben Schadens verpflichtende Forderungen sind in ihrem Entstehungsgrund voneinander völlig unabhängig. Die Gesamtschuldner bilden eine Zufallsgemeinschaft (communio incidens47); die einzelnen Verpflichtungen solcher Gesamtschuldner gegenüber dem Gläubiger beeinflussen sich gegenseitig nur nach den Regeln §§ 422 bis 426. Gemäß §§ 327, 356 können die gesetzlichen und vertraglichen Rücktrittsrechte bei Gesamtschulden, die auf einem "einheitlichen Schuldverhältnis"48 beruhen, nur von allen und gegen alle ausgeübt werden. Dieser 45

•s 47

Vgl. unten§ 9 IV, 2. Vgl. Kress, ASchuR, § 24, 1 a, S. 596. Wahl, Vertragsansprüche, S . 151 Fußn. 45.

Ill. Warum werden Einzelschuldverhältnisse verbunden?

129

in § 356 zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke beruht auf der. Erwägung, daß grundsätzlich der Vertrag nur zwischen allen ursprünglich Beteiligten fortbestehen soll, sofern nichts anderes vereinbart ist. Der Gedanke des § 356 ist daher auf alle auf Ausführung oder Änderung des Schutzverhältnisses gerichteten Gestaltungsrechte (z. B. Fristsetzung gemäß § 326, Forderung des Differenzinteresses gemäß § 325, 326, Kündigung etc.} zu erstrecken.a. Daß bei Gesamtschulden aus verschiedenen Schuldverhältnissen § 35'6 keine Anwendung finden kann, bedarf keiner besonderen Hervorhebung. Wenn der GläubigerG dem Mitbürgen B 3 die von ihm (dem Gläubiger) für die Bürgschaft versprochene Gegenleistung (Sicherungszweck mit angefügtem Austauschzweck) nicht erbringt, so kann B 3 nach Fristsetzung gemäߧ§ 326, 327, 349 vom Bürgschaftsvertrag zurücktreten, ohne B 1 und B 2 zu fragen50• Ebensowenig beeinfiußt der Rücktritt eines von mehreren Schadensversicherern, z. B. wegen Prämienverzug des Versicherungsnehmers, die anderen Versicherungsverhältnisse. b) Die verschiedenen Kriterien zur Bestimmung des Innenverhältnisses Es ist bereits im ersten Kapitel mehrfach hervorgehoben worden51, daß die Kriterien zur Bestimmung des Innenverhältnisses der Gesamtschuldner, d. h. die Maßstäbe für den Umfang des Regresses und der Mittilgung verschieden sind je nach Art des Gesamtschuldverhältnisses. Bei den durch gemeinsamen Vertrag entstandenen "gleichgründigen" Gesamtschulden wird das Innenverhältnis bestimmt durch die Vereinbarung der Gesamtschuldner, hilfsweise durch die Pro-Kopf-Regel des § 426 I, 152 ; bei den zum Schutz desselben Rechtsguts verbundenen Schadensersatzforderungen wird das Innenverhältnis bestimmt durch das Maß der Verursachung (§§ 254, 17 StVG u. a.} oder die auf diesen Gedanken beruhenden unmittelbaren gesetzlichen Vorschrift~n (z. B. § 840 II und III) 53 ; bei den zur Sicherung derselben Forderung verbundenen Gesamtschulden liegt bereits in dem zwischen Gläubiger und Schuldner vereinbarten Sicherungszweck die Bestimmung, daß der Sicherungsgesamtschuldner sich beim Hauptschuldner erholen kann64 (z. B. § 774}, wodurch die ProKopf-Regel des§ 426 I, 1 ausgeschaltet ist55 ; abweichende Vereinbarungen 48 Vgl. Blomeyer, ASchuR, Oberschrift zu § 49 II im Gegensatz zu der Oberschrift § 49 Ill: "Gesamtschuld aus verschiedenen Schuldverhältnissen." " So zutreffend Kress, ASchuR, § 24 1 c, S. 599. 50 Beachte allerdings § 776. 51 Vgl. insbes. § 3 IV, 3. 51 Vgl. unten§ 7 II, 5 und 6. 53 Vgl. unten§ 8 I, 3 und III, 1. 54 Ähnlich Heck (SchuR, S. 380): "Das Innenverhältnis zwischen den Bürgen und dem Hauptschuldner pflegt in der Regel dem äußeren zu entsprechen." 55 Vgl. oben§ 2 III, 5 und unten§ 11 III, 1.

9 Ehmann

130

§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

sind selbstverständlich möglich und wirksam. Mitbürgen haften im Zweifel zu gleichen Teilen(§§ 769, 426 I, 1)58• Die verschiedenen Kriterien zur Bestimmung des Innenverhältnisses sind eine notwendige Folge des verschiedenen Grundes der gesamtschuldnerischen Verbindung. Sie sind zusammen mit der dargestellten verschiedenartigen Beteiligung an den verschiedenen Arten der Gesamtschulden ein Beweis dafür, daß es einen einheitlichen Begrüf der Gesamtschuld nicht gibt und daher das wissenschaftliche Bemühen, ein einheitliches Merkmal zu seiner Bestimmung zu finden, verfehlt war57 • Allenfalls kann man in der Begriffsbestimmung des§ 421 einen einheitlichen Oberbegriff sehen, dessen Tatbestand aber insofern "offen" ist, als die Entscheidung darüber, ob der Gläubiger die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist, dieser Begriffsbestimmung vorgegeben ist. Darum ist § 421 immer als ergänzungsbedürftig (Zweckgemeinschaft, Tilgungsgemeinschaft etc.) angesehen worden; die in Betracht kommenden Fallgruppen sind jedoch so verschiedenartig, daß sie sich nicht mit einem einheitlichen Begriffsmerkmal erfassen lassen. Es sind vielmehr drei verschiedene Typen von Gesamtschuldverhältnissen zu unterscheiden. Die Kriterien der Unterscheidung sind die zwischen Gläubiger und Schuldner vereinbarten Zwecke der Einzelschuldverhältnisse, welche kraft Gesetzes bzw. kraftParteiwillens zu Gesamtschuldverhältnissen verbunden werden. Daher ist zunächst eine nähere Betrachtung der Zwecke der Schuldverhältnisse erforderlich.

§ 6 Grundri& einer Lehre vom Zweck der Güterbewegung und des Güterschutzes (causa-Lehre) I. Einführung

1. Die juristische Aufgabe Die allgemeinste Unterscheidung der Schuldverhältnisse in Schutz- und Erwerbsansprüche, d. h . danach, ob die Ansprüche den Schutz oder die Bewegung der Güter bezwecken, ist bereits oben1 dargestellt worden und auch für die folgenden Erörterungen grundlegend. Die besondere Problematik der Lehre vom Zweck (causa-Lehre) und daher auch der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen liegt jedoch im Bereich der Bewegung 58

Die Mitbürgen stehen "auf gleicher Stufe", daher tritt die Hilfsregel des

§ 426 I, 1 wieder in Kraft, vgl. auch hierzu die Nachweise in Fußn. 55 und insbes. § 3 IV, 3 a um Fußn. 146.

57 So die inderneueren Literatur überwiegende Meinung, vgl. die Nachweise oben, § 2 I, Fußn. 2. I § 5 II, 2.

I. Einführung

131

der Güter und soll darum in Weiterführung der obigen2 Darstellung hier zunächst behandelt werden. Die Bewegung der Güter geschieht nicht lediglich um der Bewegung wilZen3 • Wer sein Gut aufgibt, um es einem anderen zu übertragen, verfolgt damit stets bestimmte Zwecke, er handelt nicht ohne Grund. Das gilt gleichermaßen, wenn die Güter unmittelbar übertragen werden (z. B. Handkauf, Handtausch, Handschenkung), wie auch wenn die Güterbewegung erst versprochen (Versprechensvertrag) und dann in Erfüllung des Verpflichtungsgeschäfts vollzogen wird. Die Beweggründe (Motive), die einen Menschen veranlassen, ein Rechtsgut einem anderen zu übertragen oder sich dazu zu verpflichten, sind von vielfältiger und oft von gemischter und gestufter Art. Die Trennung und Abschichtung dieser Motivbündel und die Erforschung des "letzten" Beweggrundes, des wirklichen Zieles der Handlung, ist nicht Aufgabe der Juristen, sondern der Psychologen. Die juristische Aufgabe besteht vielmehr darin zu bestimmen, inwieweit der Wille, sein Gut zu übertragen, bzw. sich dazu zu verpflichten, also die Rechtswirkung (z. B. Übereignung, Forderungsbegründung) abhängig sein soll von dem Grund des erklärten Willens, d. h. von dem mit dem Rechtsgeschäft verfolgten rechtlichen Zweck. Es ist also zu klären, inwieweit der von dem rechtsgeschäftlich Handelnden verfolgte Zweck rechtlich erheblich ist für die Wirksamkeit eines Versprechens (d. h. die Begründung einer Verpflichtung) und die Wirksamkeit einer Rechtsübertragung (z. B. Übereignung, Forderungsabtretung) und ferner inwieweit ein Dissens über den Zweck des Rechtsgeschäfts bzw. die Verfehlung des vereinbarten Zwecks sich auf die Begründung (das Zustandekommen) und den Fortbestand des Rechtsgeschäfts auswirkt. Führt eine mangelhafte Zweckvereinbarung (Dissens, Irrtum, mangelnde Geschäftsfähigkeit etc.) oder eine Zweckverfehlung zum Scheitern des Rechtsgeschäfts oder begründet sie einen Rückabwicklungsanspruch (z. B. § 812 I, 1, 1. Alt.)?

2. Die historische Entwicklung der causa-Lehre (Skizze) Diese juristische Aufgabe, herkömmlicherweise unter dem Stichwort causa-Lehre behandelt, hat eine lange Geschichte. Die Entwicklung des römischen Zivilrechts könnte beschrieben werden unter dem Aspekt: von der Herrschaft der Form zur Herrschaft des Willens. Die Abhängigkeit der Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts vom Willen der Parteien trat erst in Erscheinung, als die magische Kraft der Form sich aufzulösen begann•. Denn ursprünglich war es die Magie der solennen Form, nicht I

§ 5 II, 3.

s Nihil est sine ratione; vgl. oben§ 5 II, 1. ' Auf den Zusammenhang zwischen der Anerkennung der nuda pacta und der Entwicklung der causa-Lehre hat schon Wahl hingewiesen (RvgUIWB VI, S. 289 ff., S. 294 ff.); vgl. ferner ReinhaTt, Formnichtigkeit, S. 66 ff. m. w. N. 9'

132

§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

der Wille, welche die Rechtswirkung hervorbrachte5• Erst als die alten Formalgeschäfte ihren ursprünglich materiellen Inhalt verloren und sich in abstrakte Rechtsgeschäfte verwandelten, die jeden zulässigen Inhalt in diese Form aufnehmen konnten, trat die Frage nach dem Zweck (causa) des Rechtsgeschäfts hervor&. Die alten Zahlungsgeschäfte per aes et libram konnten zum Zwecke des Kaufs von Herrschaftsrechten an Sachen und Personen (causa aquirendi), zum Zwecke der Darlehensbegründung (causa credendi), zum Zwecke der Erfüllung (causa soLvendi) und später zum Zwecke der Schenkung (causa donandi) und der Sicherung (causa fiduciae) verwendet werden7 • Immer aber war die Begründung dieser Geschäfte (das Zustandekommen) noch von der Einhaltung der Form und nur der Fortbestand der Rechtswirkung von der Erreichung des Zwecks abhängig. Das bedingte, daß die Bedeutung des Zwecks (causa) nur in der KondiktionenLehre in Erscheinung trat8 • Nur dort, wo auch das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts sich ganz von der Form befreite, wie bei der Übereignungper traditionem, wurde eine wirksame Zweckvereinbarung (justa causa traditionis) zur Voraussetzung des Eintritts der Rechtswirkung9. Diese Entwicklung kam allgemein jedoch im römischen Recht nicht mehr zum Abschluß. Ebensowenig drang das römische Recht zu einer vollständigen Anerkennung formfreier Verträge durch, was nicht ohne Zusammenhang ist10• Der nudus consensuswurde nur in der Beschränkung auf vier festgefügte Vertragstypen (emptio venditio, locatio conductio, societas und mandatum) als rechtsbegründend anerkannt. Das formelle objektive Moment liegt bei diesen Verträgen im Typenzwang und dessen fester dem Parteiwillen weitgehend entzogener Ausprägung11• In der nach der Wiederentdeckung des CORPUS IURIS (Pisana, Kodex Secundus) einsetzenden Renaissance des römischen Rechts12 konnten diese Denkansätze der römischen Juristen nicht weitergeführt werden. Die mittelalterlichen Juristen waren verfangen in den KausaLitätstheorien des ATistoteLes, die insbesondere über Thomas von Aquin die Basis alles Denkens dieser Zeit geworden waren13• Die Versuche der Einordnung der verschiedenen causa-Begriffe der Digesten in das viergeteilte CausaSystem des ATistoteLes14 führte zu unendlicher Verwirrung, die bis heute 5 KunkeL, § 52; die Abhängigkeit des förmlichen, feierlichen Versprechens (stipulatio) von seiner causa (Zweck) setzte sich erst mühsam über die exceptio doli durch; vgl. Wolf, Causa, insbes. § 4 und§ 12. s So Kunkel,§ 53; Kress, AschuR, § 5 Fußn. 28, S. 45. 7 Vgl. Kunkel, RömR, §53, 2 a- c. e Und "die Erörterungen über den Rechtsgrund in einen kaum durchdringbaren Nebel hüllt" (so Schwarz, Grundlage, S. 228m. w. N.); vgl. ferner insbes. Jahr, SZ 80,145, 171; dazu jetzt auch Wolf, Causa, bes. § 9 Fußn. 3. ' Kaser, § 100 IV, S. 351; Kunkel, § 71, 3, S. 127. 10 Vgl. Kunkel,§ 56, 1, S. 97 und§ 117, S.187. 11 Vgl. Kunkel,§§ 139 ff., S. 224 ff. 12 Vgl. Sohm-Mitteis-Wenger, S. 15 und S. 138. 1a Vgl. insbes. Söllner, SZ 77, 182 ff. (184). 14 "Est autem quadruplex genus causae, scilicet finalis, formalis, effl.ciens et

I. Einführung

133

fortwirkt. Es kann jedoch hier im Rahmen einer Arbeit über die Gesamtschuld nicht der Ort sein, eine Dogmengeschichte der causa-Lehre zu liefern15. Die gemachten historischen Andeutungen sollten lediglich darauf hinweisen, daß das im folgenden darzustellende System der causa-Lehre das Ergebnis einer langen mühevollen Entwicklung, nicht etwa eine kühneNeuschöpfung10 ist.

3. Die zeitgenössische causa-Lehre In der neuesten Darstellung der deutschen Literatur über den causaBegriff meint H. P. Westermann 11 , die ganze Lehre sei ungewöhnlich kompliziert und immer verschwommen geblieben. Die Hauptgründe dafür sieht er darin17, "daß das Problem der grundsätzlichen Verschiedenheit der hinter Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäften stehenden Zwecke nicht bewältigt wurde: so beherrscht die causa solvendi Verfügungsgeschäfte, kann aber gelegentlich auch zu Verpflichtungsgeschäften führen; die causa credendi und donandi gehören nur in den Bereich der Verpflichtungsgeschäfte" 18. In solcher Betrachtung stecken in der Tat manche Gründe für viele Unklarheiten in der causa-Lehre. 4. Hinweis auf ein "vergessenes" System

Viele dieser Schwierigkeiten sind jedoch bereits durch Hugo Kress10 in seiner Darstellung des Zwecks der Schuldverhältnisse bewältigt wormaterialis" (Thomas von Aquin, Summa theologica P. I- II Qu. 27 Art. 3; zitiert nach Söllner, SZ 77, 184 Fußn. 7); vgl. dazu auch Schopenhauer, Wurzel, bes. § 6. 15 Neben der Darstellung von Kreß (ASchuR, § 5), den Lehrbüchern des Röm. Privatrechts von Kunkel und Kaser waren mir die Arbeiten von Jahr, SZ 80, 141 ff.: Zur justa causa traditionis; Schwarz, Grundlage der condictio; Söllner, SZ 77,182: "Die causa im Kondiktionen- und Vertragsrechtdes Mittelalters" und Wolf, causa stipulationis- die wertvollsten Erkenntnisquellen. Manches andere habe ich noch gelesen, was mich zu meinem derzeitigen Kenntnisstand in dieser Frage gebracht hat, ohne es hier jetzt im einzelnen zitieren zu können und zu wollen; vieles, was schon geschrieben steht zu dieser Frage, habe ich jedoch noch nicht gelesen - und das wird trotz allen weiteren Bemühens wohl auch immer so bleiben. Vgl. auch die aufschlußreiche Arbeit meines Heidelberger Kollegen Oeckinghaus, Kaufvertrag und Übereignung, unter 1. 18 Einen "Neu-Aufbau" der causa-Lehre hat Stampe (vgl. Causa-Problem, S. 38 f.; Wertbewegungslehre I und II = AcP 108,42 ff. und 110, 119 ff.) versucht, und sein Schüler Boehmer (Erfüllungswille, S. 46) hat behauptet, "das logische Gebäude der gemeinrechtlichen causa-Lehre" niedergerissen zu haben. Leider haben es viele geglaubt (vgl. auch Brandt, Eigentumserwerb, III. Teil, S. 170 ff.: Der Neubau des Systems), und so stehen wir vor den Trümmern dieser Irrlehre, und der Wiederaufbau der causa-Lehre, die über das gemeine Recht hinaus zu den Quellen der europäischen Rechtskultur ins römische Recht zurückreicht, tut not. 17 causa, S. 58. 18 Damit ist z. B. die Funktion der Handgeschäfte im System der Güterbewegung verkannt; vgl. insbes. Jahr, SZ 80, S. 145, 146, 154 f., 156, 158, 163; ferner Kress, ASchuR, § 7; vgl. aber auch Esser, SchuR I,§ 4 I, S. 17. · 10 ASchuR, bes. § 5.

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§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

den. Diese überaus prägnante und geschlossene Darstellung der Lehre vom Zweck ist allerdings nicht zum Gemeingut der deutschen Juristen geworden. Zum Teil mag das darauf beruhen, daß die jede Wiederholung vermeidende, auf äußerste KürzedesAusdrucks bedachte Darstellung nicht gerade leicht "eingängig" ist und jedenfalls dem "flüchtigen Studium" das Verständnis verweigert. Nicht zuletzt beruht der geringe Einfluß des Lehrbuchs auf die Rechtsentwicklung jedoch auf der Ungunst der Zeit seines Erscheinens: die Denkart und Methode des Lehrbuchs paßte nicht in die Zeit, die dem Erscheinungsjahr (1929) folgte2o. ll. Grundprinzipien des Schuldrechts (Thesen) A. Allgemeines Das System des Schuldrechts beruht auf 2 Säulen: der Privatautonomie und der Anerkennung subjektiver Rechte. Auf dieser Grundlage hat der wirtschaftliche Verkehr Formen für die Bewegung und den Schutz der Güter entwickelt, die bei der Kodifikation teilweise gesetzlich sanktioniert wurden, aber auch vorher schon vorhanden waren; einige dieser Formen (z. B. Handkauf) sind nicht in das BGB aufgenommen worden, ohne daß sie deswegen als rechtliche Gestaltungsmöglichkeit ausgeschieden sind (Vertragsfreiheit). Im Zentrum eines derartigen privatautonomen Schuldrechtsystems steht der Begriff der Handlung: Was muß ich tun, um Güter zu erwerben oder zu veräußern (Rechtsgeschäfte); was darf ich nicht tun oder wie muß ich mich sonst verhalten, um Rechte anderer nicht zu verletzen (unerlaubte Handlungen). Die Lehre vom Zweck (causa-Lehre) befaßt sich mit dem subjektiven Bestandteil des Handlungsbegriffs21 • "Menschliche Handlung ist Ausübung der Zwecktätigkeit22." Handlungen, insbesondere rechtsgeschäftliehe Handlungen, Willenserklärungen, Leistungen, Leistungsversprechen sind darum finales auf rechtsgeschäftliche Erfolge gerichtetes, nicht lediglich kausales Geschehen. 20 Zum Geist der Rechtswissenschaft dieser Zeit vgl. jetzt Rüthers, Unbegrenzte Auslegung. 21 Nur in diesem Sinne wird der Zweckbegriff hier verstanden; vgl. auch Klingmütler, JherJb 64, 59 (zitiert oben § 3 Fußn. 41). Eine andere Bedeutung hat der Begriff des Zwecks bei Hartmann (Obligation). Eine vielschichtige und oft wenig faßbare Bedeutung hat der Begriff des Zwecks auch bei Jhering (Zweck im Recht; vgl. dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 452 f. m. w. N.). Auch in der Zwecklehre Essers (SchuR, 2. Aufl., § 14; 4. Aufl., § 4) ist der Zweckbegriff nicht eindeutig bestimmt. Unklar ferner Westermann, causa, § 7; Beuthien, Zweckerreichung u. a. tz So Welzel, Strafrecht,§ 8 I, S. 33.

II. Grundprinzipien des Schuldrechts (Thesen)

135

"Rechtsgeschäft im Sinne des Entw. ist eine Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, der nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt istl3," Nicht etwa sind Rechtsgeschäfte Verhaltensweisen, an welche die Rechtsordnung rechtliche Wirkungen anknüpft2'. Es tritt kraft der Rechtsordnung die Rechtsfolge ein, die erklärtermaßen von den Parteien des Rechtsgeschäftes gewollt, erstrebt wurde: darum ist der Zweck die "Seele des Schuldverhältnisses"15 • Privatautonomie besteht im wesentlichen in

der durch die Freiheit der Zweckbestimung ermöglichten Freiheit der Rechtsgestaltung28• Die Zwecke rechtsgeschäftlicher Handlungen werden

daher durch die am Rechtsverkehr beteiligten Parteien bestimmt, ihre Typisierung erfolgt durch die Verkehrsgebräuche, nicht durch die Rechtsordnung, welche in den Grenzen der §§ 134, 138 die Verfolgung aller Zwecke freigibt2 7. Auf Grund dieser in mehr als 2 Jahrtausenden aus der Beobachtung des wirtschaftlichen Verkehrs und seiner rechtlichen Gestaltungen gewonnenen empirischen Erkenntnisse hat Hugo Kress ein Schuldrechtsystem entwickelt, dessen wesentliche Prinzipien sich in einigen wenigen Thesen zusammenfassen lassen18• B. Thesen

1. Es sind zu unterscheiden Ansprüche, welche den Schutz der Güter (Schutzansprilche) und Ansprüche, welche die Bewegung der Güter (Erwerbsansprilche) bezwecken. 2. Die Zwecke, um derentwillen die Güter bewegt werden, lassen sich im Prinzip in zwei großen Kategorien erfassen: a) entweder erfolgt die Bewegung um einer Gegenleistung willen (Austauschzweck) oder b) ohne daß eine Gegenleistung erstrebt wird (Liberalitätszweck). 3. Die Güter können zu den erwähnten Zwecken unmittelbar bewegt, übertragen, insbesondere ausgetauscht werden (sog. Handgeschäfte); die Bewegung der Güter kann aber auch durch Versprechensverträge vorbereitet werden, in welchen Verpflichtungen (Ansprüche) zu einem

Mot. I, 126 = Mugclan I, 421. In diesem Sinne aber die sog. Grundfolgentheorie, vgl. insbes. Lenel, JherJb 19, 154 ff. und neuerdings Kellmann, NJW 71, 275 ff. m. w. N. 25 Kress, ASchuR, § 5 Fußn. 28 und um Fußn. 56. :e Kress, ASchuR, § 5 um Fußn. 51; richtig auch Hagen, Drittschadensliquidation, S. 177. 27 Kress, AschuR, § 5 um Fußn. 5. 28 Dabei werden, um die Geschlossenheit des Systems ganz deutlich werden zu lassen, einige Wiederholungen bereits früher dargestellter Gedanken bewußt in Kauf genommen. u

24

136

§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

der erwähnten Zwecke begründet werden. Diese Vertragsarten können auch gemischt werden (sog. gemischte Realverträge). 4. Wird die Güterbewegung durch Versprechensverträge eingeleitet, so geschieht die auf diese Versprechensverträge bezogene Güterbewegung zum Zwecke der Abwicklung, regelmäßig zum Zwecke der Erfüllung (causa solvendi) dieser Versprechensverträge. · 5. Der Zweck eines Schuldverhältnisses oder einer realen Güterbewegung (Handgeschäft) bestimmt weiterhin die Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen der Parteien (den Inhalt des Schuldverhältnisses im weiteren Sinne); insbesondere gelten für die auf Austausch gerichteten Schuldverhältnisse die Regeln der§§ 320 ff.; bei unentgelt,. liehen Geschäften (Schenkung, Leihe, unentgeltliche Verwahrung, unverzinsliches Darlehen etc.) ist die Haftung und die Bindungswirkung grundsätzlich abgeschwächt (§ 521; diligentia quam in suis, § 690; § 81'6 I, 2; § 822; § 988; § 32 KO; § 11 II Ziff. 3 AnfG usw.). 6. Abwicklungszwecke sind die Zwecke der Aufhebung (insbesondere Erfüllung), Änderung, Sicherung einer bestehenden Schuld. Die Abwicklungszwecke sind also von unselbständiger Art, ihre Erreichung setzt das Bestehen der Verpflichtungen, welche aufgehoben, geändert, gesichert (abgewickelt) werden sollen, voraus. Die Abwicklungszwecke beherrschen grundsätzlich die Verfügungsgeschäfte; ausnahmsweise können jedoch auch kausale Versprechensverträge zum Zwecke der Abwicklung vorher geschlossener Verpflichtungen getätigt werden. 7. Der Austauschzweck, der Liberalitätszweck und die Abwicklungszwecke (Aufhebung, Sicherung, Änderung) sind typische Zwecke; sie bilden einen numerus clausus insofern, als die Parteien zunächst immer einen solchen Zweck verfolgen. 8. Die typischen (Austauschzweck, Liberalitätszweck und Abwicklungszwecke) und die atypischen Zwecke werden stets bestimmt durch den rechtsgeschäftliehen Willen (die Zweckvereinbarung) der Parteien. Weder das objektive Recht noch ein "Lebenstypus" kann ·den Parteien die Bestimmung der Zwecke ihres Handeins vorschreiben. Jedes Motiv kann - in den Grenzen der Rechtsordnung, insbesondere der §§ 134, 138 - zum Zweck oder zur Bedingung eines Rechtsgeschäfts erhoben werden. Die Unterscheidung Motiv- Zweck - Bedingung ist nicht von psychologischer, sondern von normativer Art; Unterscheidungskriterium ist der erklärte, notfalls der hypothetisch zu ermittelnde Parteiwille (§§ 133, 157 BGB). 9. Die typischen Zwecke können gemischt werden, z. B. kann eine Leistung teils zum Tausch teils als Schenkung oder Erfüllung eiJ).er alten Schuld erfolgen.

II. Grundprinzipien des Schuldrechts (Thesen)

137

10. Eine Leistung kann neben ihrem typischen Zweck noch zu anderen Zwecken (aus anderem Grunde) erfolgen, d. h. die Zwecke können gestaffelt werden; einem typischen Zweck kann ein weiterer typischer oder atypischer Zweck angefügt (angestaffelt) werden. 11. Leistung in diesem Begriffssystem des Schuldrechts ist jede zu einem (typischen oder atypischen) schuldrechtlich erheblichen Zweck bewirkte Güterverschiebung ("Zuwendung"); die Güterverschiebung . kann auch in der Zuwendung einer kausalen oder abstrakten (§ 780) schuldrechtlichen Forderung bestehen(§ 812 II). 12. Die Rechtsgeschäfte und Leistungen können in der verschiedensten Weise von ihren Zwecken abhängig sein. a) Die sogenannten abstrakten Rechtsgeschäfte (z. B. §§ 780, 929) bedürfen zu ihrem Zustandekommen keiner Vereinbarung eines Zwecks, es genügt die bloße Einigung über den Rechtserfolg; bei abstrakten Schuldversprechen eines Nichtkaufmanns (vgl. § 350 HGB) bedarf es noch der Schriftform(§ 780). b) Die sogenannten kausalen Rechtsgeschäfte bedürfen zu ihrem Zustandekommen nicht nur einer Zweckvereinbarung, sondern der Zweck muß auch erreicht werden (genetisches Synallagma). c) Es gibt Zwischenformen, in denen das Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts zwar von der Erreichung, nicht aber vom Konsens über einen Zweck abstrahiert ist (z. B. Übereignung gemäß § 929, str.). d) Auch wenn das Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts von der Zweckerreichung und/oder auch der Zweckvereinbarung abstrahiert ist, so bleibt der Fortbestand dieses Geschäfts doch von der Erreichung des vereinbarten Zwecks abhängig. Besteht ein Dissens über den Zweck des Geschäfts bzw. wird der vereinbarte Zweck nicht erreicht, so kann die bereits bewirkte Güterverschiebung (§§ 780, 929 etc.) rückgängig gemacht, konzidiert (§ 812 I, 1, 1. Alt.) werden. e) Erst Zweckvereinbarung und Zweckerreichung zusammen bil~ den den Behaltensgrund (Rechtsgrund) für eine Leistung. f) Bei Erfüllungsleistungen, seien sie rechtsgeschäftlicher (Übereignung) oder tatsächlicher Art (Dienstleistungen), tritt die Erfüllungswirkung nur ein, wenn die Parteien des Leistungsgeschäfts sich über den Erfüllungszweck einig sind; die Erfüllungsleistung hat Bestand (§ 812 I, 1, 1. Alt.), wenn der vereinbarte Erfüllungszweck erreicht wird, d. h. wenn die zu erfüllende Forderung besteht.

13. Der Schutzzweck kann einem Anspruch kraft Gesetzes beigefügt sein (z. B. bei den Ansprüchen aus unerlaubter Handlung) oder auch

138

§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

Techtsgeschäftlich vereinbart werden (Wettbewerbsverbote, Versicherungsverträge). Der Schutzzweck ist stets ein zureichender Rechtsgrund, jedoch können ihm weitere typische oder atypische Zwecke angestaffelt werden (z. B. angestaffelter Austauschzweck bei Versicherungsverträgen und beim Lohnfortzahlungsanspruch). Die aufgestellten Thesen, die einzeln - wenn auch ohne den notwendigen systematischen Zusammenhang - weithin anerkannt sind, lassen sich zu einem System entfalten, das im folgenden so kurz wie möglich, aber so ausführlich wie zum Verständnis erforderlich, dargestellt werden soll.

m. Motiv und Zweck 1. Die Typisierung der Zwecke Die Motive, Gründe, Zwecke, aus und zu denen die Menschen handeln, Handel treiben, Rechtsgeschäfte abschließen, sind von vielfältiger Art. Diese Vielfalt abschließend zu erfassen ist unmöglich. Aber es ist auch nicht die Aufgabe der Jurisprudenz, den Rechtsstoff in seiner unendlichen Vielfalt zu sammeln, sondern Begriffe, Formen und Kategorien zu entwickeln, in welche dieser Stoff eingefügt und übersichtlich eingeordnet werden kann, so daß die Fülle des Rechtsstoffes mit einer überschaubaren Zahl von Rechtssätzen juristisch erfaßt (begriffen) werden kann29 • In diesem Sinne erweist sich die KategoTisierung der Zwecke eines Rechtsgeschäfts in Austauschzweck, Liberalitätszweck, Abwicklungszwecke und Schutzzweck verbunden mit der Anerkennung der Möglichkeiten der Mischung und Staffelung dieser und atypischer Zwecke als überaus hilfreiche Vorstellung. Diese VoTstellung beruht auf geordnetem Erfah-

rungswissen aus übeT 2000 Jahren rechtsgeschäftlichem Verkehr, sie ist

28 "In der Fülle des Stoffes wollen wir den einheitlichen Gedanken" (Sohm, Institutionen, § 8 II, S. 21). Wenn die Rechtswissenschaft dieses Bemühen um die Bewältigung des Rechtsstoffes aufgibt, gibt sie sich selbst auf, sie geht unter in der Fülle des Stoffes. Frei sind wir allerdings von der begriffsjuristischen Euphorie Sohms, die einheitliche juristische Weltformel finden zu können: "Von den gewonnenen Begriffen begehren wir zu immer höheren Begriffen aufzusteigen. Dabei ergiebt sich aus dem idealen Instincte der Rechtswissenschaft das Suchen nach dem Rechtssystem, d. h. nach einer Form der Darstellung, welche die ganze Masse des Rechts als die freie Entfaltung eines einzigen Begriffes, des Begriffes des Rechts, zur Anschauung bringt. Dann wird der Stoff verschwunden sein, und der Gedanke hat als Sieger das Feld behauptet" (Sohm, Institutionen,§ 8 I, S. 22). Im Zeitalter der Kernspaltung muten solche Sätze an wie das Suchen der Alchimisten nach dem Stein der Weisen. Im Gegenteil glauben heute viele, die Jurisprudenz durch Soziologie, Psychologie, Politilogie -Normen durch Fakten - ersetzen zu können. Sein und Sollen, Rechtstatsache und Rechtssatz sind Scylla und Charybdis der Jurisprudenz, beide müssen im Auge behalten werden, wenn die Durchfahrt gelingen soll.

III. Motiv und Zweck

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empirische Erkenntnis, kein Produkt des objektiven Rechts8°. Hilfreich ist die Kategorisierung der Zwecke insbesondere deswegen, weil nach dem Grundprinzip unseres Zivilrechts (Recht als Willenswerk) das Zustandekommen (die Begründung) und der Fortbestand der rechtsgeschäftliehen Wirkungen (Rechtsfolgen) in mannigfacher Weise von ihren Zwecken abhängig sind und bleiben. 2. Die Zweckvereinbarung Bei der vertraglichen Begründung eines Schuldverhältnisses bildet die Einigung über den Zweck zusammen mit der Vereinbarung der Art des Erwerbsanspruchs (z. B. Geldanspruch, Anspruch auf Übereignung und Besitzverschaffung einer Sache) den wesentlichen Inhalt des Versprechensvertrags (essentialia ;negotii). Beim Schenkungsversprechen ist dies auch in § 516 klar ausgesprochen31: "Eine Zuwendung ... ist Schenkung, wenn beide Teile darüber einig sind, daß die Zuwendung unentgeltlich erfolgt." Die ausführliche Definition der Schenkung wurde angesichts der seinerzeit noch bestehenden Zweifelsfragen, insbesondere der Zweifel hinsichtlich der Vertragsnatur der causa donandi entgegen den sonstigen Gepflogenheiten für erforderlich gehalten32 • Bei den typischen Austauschverträgen (Kauf, Miete, Pacht, Dienst- und Werkvertrag) wurden dagegen in den§§ 433, 535, 611, 631 nur die gegenseitigen Hauptansprüche, nicht aber der Austauschzweck besonders hervorgehoben. Der Grund für die unvollständige Definition dürfte im Bestreben des BGB-Gesetzgebers liegen, Prinzipien nicht zu formulieren, auch und erst recht nicht, wenn sie selbstverständlich sind. Der Austauschzweck gehört jedoch unzweifelhaft33 zum Wesen der genannten typischen Austauschverträge, und die Einigung darüber war somit nach dem 1. Entwurf durch§ 78 EI gefordert, wo es in Abs. 1 hieß: "Solange die Vertragsschließenden über die nach dem Gesetze zum Wesen des zu schließenden Vertragesu gehörenden Teile sich nicht geeinigt haben, ist der Vertrag nicht geschlossen."

38 Vgl. oben II, A und unten 2.- 4. u Darauf weist jetzt (4. Aufl.) auch Esser (SchuR I, § 4 II, 2, S. 18) hin. 32 Vgl. Mot. II, 288 = Mugdan II, 159; Prot. 1615 = Mugdan II, 737; ferner Windscheid, Pand. II, § 365 Note 5 und Burckhard, Schenkungsannahme. 33 Was schon durch die von niemandem bezweifelte Anwendung der §§ 320 ff. auf die genannten Vertragstypen bewiesen wird; berechtigt ist die Anwendung dieser Regeln (funktionelles Synallagma) aber nur, wenn die in den §§ 433, 535, 611, 631 genannten gegenseitigen Verpflichtungen auch eine um der anderen willen, d. h . im Austausch gegeneinander eingegangen wurden (genetisches Synallagma). 34 Hervorh. v. Verf. Ihrem Wesen nach sind Kauf, Miete, Dienst- und Werkvertrag usw. Austauschverträge.

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§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

Auch diese Vorschrift hielt die 2. Kommission jedoch, weil sie keinen Rechtssatz, "sondern ein legislativ-politisches Prinzip ausspreche" für entbehrlich35• Nicht also darf aus der mangelnden Erwähnung des typischen Zwecks der Austauschverträge (Austauschzweck) in den §§ 433, 535, 581, 611, '631 geschlossen werden, der Austauschzweck bedürfe der Vereinbarung nicht, er ergebe sich aus dem objektiven Recht oder dem "Lebenstypus" des Geschäfts36• Das objektive Recht gibt die Verfolgung aller Zwecke bis zur Grenze des Verbotenen (§ 134) und Sittenwidrigen (§ 138) frei und prägt nicht ipso iure dem Parteihandeln nicht gewollte Zwecke aufll7• Der Typus eines Rechtsgeschäfts steht nicht außerhalb des Parteiwillens; indem die Parteien den Typus eines gesetzlich oder durch

den wirtschaftlichen Verkehr vorgeformten Rechtsgeschäfts wählen, vereinbaren sie dessen Zweck notwendigerweise mit38• Daher darf aus

38 Vgl. Prot. in Mugdan I, S. 688 und 695 f.; dazu auch Flume, AT § 34, 6, S.627. 38 Esser schrieb dagegen (SchuR, 2. Aufl., S. 47): "Hinsichtlich der Geschäftszwecke oder Vertragszwecke, die nicht mit den Leistungszwecken (s. u. § 189, 2- 4) verwechselt werden dürfen, sind zu unterscheiden: der Vertragscharakterische Geschäftszweck; der durch den Lebenstypus des Geschäfts bestimmte Zweck; und der besonders vereinbarte Geschäftszweck. Ersterer bedarf keiner Vereinbarung; seine Verfolgung ergibt sich aus der Wahl der Vertragsstruktur (s. u. Ziff. 3). Eine spezielle Zweckvereinbarung erübrigt sich beim Abschluß solcher Verträge, die ihrem Wesen nach (sachtypisch) bereits zweckgebunden sind (s. u. Ziff. 4, a). Wer einen solchen Vertrag schließt, dessen Wille ist notwendig auf das gerichtet, was dem Wesenszweck dieses Vertrags entspricht. Den Parteien steht es jedoch frei, den sachtypischen Zweck einverständlich näher zu fixieren. Schließlich ist es möglich, ihrem Wesen nach zweckneutralen Geschäften (s. u. Ziff. 4, c) durch Parteivereinbarung eine spezifische Zweckausrichtung zu geben." Unter "vertragscharakteristischem Geschäftszweck" versteht Esser nach der hier gewählten Terminologie etwa den spezifischen Austauschzweck (Kaufzweck, Mietzweck etc.) und den Schenkungszweck, allerdings beschränkt auf die kausalen Verpfiichtungsgeschäfte. Keiner "besonderen" Vereinbarung sollen nach Esser auch die "durch den Lebenstypus des Geschäfts" bestimmten Zwecke bedürfen (§ 14, 4, S. 49). Nur die "speziellen Geschäftszwecke" (das sind nach unserer Terminologie im wesentlichen wohl die angestaffelten atypischen Zwecke [vgl. im Text VII, 1- 3] und Austauschzwecke, die nicht durch einen gesetzlichen Vertragstypus vorgeformt sind [Esser, § 14, 2]) sollen der Vereinbarung bedürfen. Die Zwecklehre Essers leidet an der nicht zureichend klaren Bestimmung des Zweckbegriffs. Auch wird nicht ganz klar, welches die tatbestandliehen Voraussetzungen des Zwecks eines Vertrags, Geschäfts oder einer Leistung sind, wenn der Zweck keiner ("besonderen"?!) Vereinbarung bedürfen soll. In der 3. und 4. Auflage des Lehrbuchs ist die Darstellung nicht zuletzt auf Grund der Kritik von Westermann (causa) und Beuthien (Zweckerreichung) auch wesentlich geändert worden, in der 4. Aufl. (§ 4 I, S. 16, 17) heißt es jetzt -freilich auch ziemlich unklar: "Die Sicherheit des rechtsgeschäftliehen Verkehrs gebietet grundsätzlich, daß jede Partei das Risiko der Realisierung ihrer internen (Hervorh. v. Verf.) Zweckvorstellungen selbst zu tragen hat; deshalb müssen klare Kriterien verfügbar sein, unter denen ein Geschäftszweck auch ohne stets beachtliche ausdrückliche (Hervorh. v. Verf.) Vereinbarung Einfluß auf Entstehung und Abwicklung eines Schuldverhältnisses gewinnt." 37 Kress, ASchuR, § 5, 1 c, S. 37. 38 Richtig Flume (AT § 12 I, 5, S. 158): "Causa, d. h. Rechtsgrund dafür, daß für den Verkäufer die Forderung auf Zahlung des Kaufpreises und für den

III. Motiv und Zweck

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der Typizität der von den Parteien verfolgten Zwecke nicht geschlossen werden, diese bedürften keiner Vereinbarung8°; allenfalls bedürfen sie keiner "ausdrücklichen" Vereinbarung. Die Notwendigkeit der Vereinbarung atypischer Zwecke als Voraussetzung ihrer rechtlichen Erheblichkeit wird demgegenüber wohl nirgends bestritten. Nur durch Vereinbarung können also Vorstellungen (Motive) der Vertragspartnerzum Zweck des Rechtsgeschäfts und damit zum Vertragsinhalt erhoben werden40.

3. Die historischen Abgrenzungsversuche Die Schwierigkeiten der Abgrenzung von juristisch unerheblichen Motiven und beachtlichen Zwecken eines Rechtsgeschäfts haben eine lange, insbesondere auf der mittelalterlichen Rechtsgeschäftslehre beruhende Geschichte41 • Bei dem Versuch, die causa-Begriffe der Digesten in das Schema der aristotelischen Kausalitätslehre einzuordnen, sahen sich die mittelalterlichen Juristen vor dem Problem, die causa efficiens (auch causa impulsiva genannt) von der causa finalis abzugrenzen42, weil nur für die causa finalis der juristisch brauchbare Satz dieser philosophischen Theorie galt: cessante causa cessat effectus43 • Lange Zeit galt als Lösung des Abgrenzungsproblems die Vermutung, daß eine causa tacita im Zweifel causa impulsiva, d. h. bloßes Motiv sei". Das wirkt bis heute fort, wenn in den verschiedensten Wendungen gelehrt wird, die Vorstellung (das Motiv) einer Partei sei nur beachtlich, wenn es "ausdrilcklich" zum Vertragsinhalt erhoben worden ist'6. Käufer eine solche auf Lieferung der Ware entsteht, ist, daß jeder die Forderung auf die Gegenleistung erhält" (d. h. daß der vereinbarte Zweck erreicht wird - Zweckerreichung). "Aus welchem weiteren ,Grunde' der Verkäufer oder Käufer das Geschäft abschließen, ist nicht Gegenstand der rechtsgeschäftliehen Regelung des Kaufvertrags, wie er üblicherweise abgeschlossen wird" (d. h. weitere Zwecke der Vertragsparteien sind nicht "geschäftstypisch", können aber dem typischen Austauschzweck angefügt werden). Zutreffend jetzt auch Huber, JuS 72, 57. 39 Teilweise anders Esser (aaO, Fußn. 36); vgl. auch Westennann, causa, s. 90 ff., 101. 40 Ebenso Esser (SchuR, 2. Aufl., § 14, 2 und 4. Aufl., § 4 I) und die wohl allgemeine Meinung. 41 Vgl. insbes. Söllner, SZ 77, 182 ff.; auch Flume, AT§ 12 I, 5. Dagegen meint Esser (SchuR, § 4 1) unter Berufung auf Westennann (causa, S. 57 f.), "der Mangel einer technischen Abgrenzung der Begriffe Zweck, causa, Rechtsgrund ist vor allem der gemeinrechtlichen causa-Lehre anzulasten, die unter dem causa-Begriff sehr heterogene Zweckvorstellungen zusammenfaßte". Jedoch die Gründe liegen- wie insbes. Söllner gezeigt hat- viel tiefer, und die Dreiteilung in causa credendi (acquirendi), causa donandi und causa solvendi ist -wie noch zu zeigen sein wird- ein richtiger Ansatz gewesen. 41 Ausführlich dazu Söllner, SZ 77,197 f!. (203). 43 Formuliert von Thomas von Aquin, Summa theologica, SuppL Qu 55 art. 2 und 1; zitiert nach Söllner, SZ 77, 187. 44 Nach Söllner (SZ 77, 197 f .) beruht diese Auffassung insbes. auf der Ansicht Azos; vgl. auch Flume, AT§ 12 I, 5. 45 Vgl. dazu Ehmann in NJW 69, 1834 Fußn.ll.

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§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

Schon Baldu.s hatte allerdings erklärt, daß auch eine cau.sa tacita als ausdrücklich erklärt (cau.sa expressa) fingiert werden könne, wenn sie dem Wesen des entsprechenden Rechtsgeschäfts entspricht (si cau.sa est de natura actu.s)'8 • Auf die Intensität der Bekundung der Voraussetzung (Motiv, Grund, Zweck} eines Wollens kann es in der Tat nicht ankommen. Die Erfahrung lehrt, daß die Intensität einer Bekundung häufig abhängig ist, und zwar im Verhältnis umgekehrter Proportionalität, von ihrer Selbstverständlichkeit. Die meisten Menschen erklären nur ungern ausdrücklich, was jedermann schon weiß. Das bedeutet für das gestellte Problem, daß die schon im Wesen eines Rechtsgeschäfts liegenden Zwecke (si causa est de natura actus} nicht mehr "ausdrücklich" erklärt zu werden brauchen, um Inhalt (Zweck} des Rechtsgeschäfts zu werden. Was aber sind die zum Wesen eines Rechtsgeschäfts gehörenden typischen Zwecke? In der historischen Entwicklung ist die Frage lange Zeit nicht in Erscheinung getreten. Im römischen Recht war sie zunächst durch die Form, später durch den Typenzwang der Verträge verdeckt47 • In der mittelalterlichen Rechtsgeschäftslehre verhinderte die scholastische Kausalitätslehre den richtigen Denkansatz48 • Die psychologisierenden Versuche des gemeinen Rechts, den Zweck als "erste" Absicht von weiteren dahinter stehenden Absichten (Motiven} und von seinen Voraussetzungen zu unterscheiden, dürften ebenfalls als gescheitert gelten48 • In der heute sogenannten Lehre von der Geschäftsgrundlage spielen aber auch diese Auffassungen immer noch eine Rolle60•

4. Die normative Abgrenzung durch Typisierung und Vereinbarung Eine juristisch brauchbare Abgrenzung zwischen Motiv und Zweck eines Rechtsgeschäfts kann nur auf der Ebene des Normativen und nicht auf der des Psychologischen gefunden werden5 1• Jedes noch so entfernte Motiv kann zum Bestandteil eines Rechtsgeschäfts gemacht werden, wenn ein Vertragspartner es unbedingt will und der andere es akzeptiert, d. h. Zitiert bei Söllner, SZ 77, 208. Vgl. oben I, 2. 48 Vgl. Söllner, SZ 77, 183 ff. '" Vgl. insbes. Windscheid, Voraussetzung und Pand. I,§ 97 m. w. N.; dagegen besonders Lenel (AcP 74, 226), dessen Argument, der Begriff der Voraussetzung lasse sich nicht mit hinreichender Sicherheit vom unbeachtlichen Motiv unterscheiden, allgemein akzeptiert wurde und u. a. zur Umgestaltung des das Bereicherungsrecht regelnden Titels des 1. Entwurfs führte (vgl. Prot., S. 2936 ff. = Mugdan II, 1169 ff. [1174]) und darüber hinaus die auf den Parteiwillen gegründete causa-Lehre für lange Zeit diskriminierte. Vgl. dazu auch Westermann, causa, S. 41 ff.; ferner jetzt: Simshäuser: Windscheids VoraussetzungsIehre redivira, in: AcP 172 (1972), S. 18 ff. so Westermann, causa, S. 107 ff. m. w. N.; ferner Esser, SchuR,§ 4, IV. &1 Ebenso Westermann, causa, S . 100. 48 47

III. Motiv und Zweck

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wenn es als accidentale negotü in die Willenserklärungen aufgenommen wird62.

Die Bedürfnisse eines entwickelten Verkehrs erfordern jedoch einmal möglichst einfache Voraussetzungen für einen Vertragsschluß und zum anderen einen möglichst weitgehenden Schutz des Vertrauens in den Bestand getroffener Vereinbarungen. Wenn und soweit das Zustandekommen und der Fortbestand von vertraglichen Rechtswirkungen nicht nur vom Willen, sondern auch vom Grund des Willens der Parteien abhängig ist, kann diesen Bedürfnissen nur genügt werden durch eine Reduzierung der Vielfalt der individuellen Gründe (causae) auf eine möglichst kleine Zahl typischer Gründe (Zwecke), die einen zureichenden Grund für das Zustandekommen und den Fortbestand einer willentlich erzeugten Rechtswirkung abgeben. Es fällt leicht, sich darüber zu einigen, daß eine Zuwendung unentgeltlich (causa donandi) in das Vermögen des anderen kommen soll. Müßten sich die Parteien noch darüber einigen, daß die Schenkung aus Mitleid, Dankbarkeit für geleistete Dienste, Erwartung von Gegendiensten oder Gegengeschenken, oder aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung erfolgt53, so wäre schon eine Einigung, wenn nicht unmöglich, so doch erschwert und der Fortbestand eines von solchen Gründen abhängigen Geschäfts höchst unsicherll4 • Die Einigung über den Austauschzweck fällt nicht so leicht wie die über die causa donandi, denn in der Frage des Preises stoßen die gegensätzlichen Interessen zusammen. Doch jeder weiß, der eine (Käufer, Dienstberechtigter) will Ware, Dienstleistung, der andere will Geld; das ist berechenbar, darauf läßt sich bauen. Schwer fällt es jedoch dem Käufer, den Bestand eines Kaufvertrags davon abhängig zu machen, daß der Kaufgegenstand als Geschenk verwendbar ist, die Hochzeit stattfindet, das Geschenk gefällt usw. Der Schneider, der einen Anzug für ein bestimmtes Fest zu fertigen hat, will im Zweifel seinen Werklohn nicht davon abhängig machen, ob das Fest auch stattfindet. Aber nicht nur wird es dem anderen Teil oft schwerfallen, weitergehende (angestaffelte) Motive seines Vertragspartners als Zweck des Rechtsgeschäfts zu akzeptieren, weil das Geschäft für ihn nicht mehr kaikullerbar ist, sondern häufig wird auch jeder Teil dem anderen seine hinter dem typischen Zweck liev. Tuhr, AT II, 1, §52 III, S. 199. u Beispiele v. Tuhrs (AT II, 1, S. 198) für Motive, die einer Schenkung zugrunde liegen können. 64 Kraft objektiven Rechts gibt das Gesetz dem Schenker ein Auflösungsrecht bei eigener Verarmung (§§ 519, 528) und grobem Undank (§ 530) des Beschenkten, damit werden die Dankbarkeit des Beschenkten und angemessene Vermögensverhältnisse des Schenkers zur Voraussetzung des Fortbestands der Schenkung gemacht. 52

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§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

genden Motive nur ungern offenbaren wollen. Das dürften die Gründe sein für die He-rausbildung der typischen Verkehrszwecke (Austauschzweck, Liberalitätszweck, Abwicklungszwecke), die in der Regel sich ohne weiteres aus der Rechtsnatur des jeweiligen Rechtsgeschäfts ergeben und deswegen keiner besonderen "ausdrücklichen" Vereinbarung mehr bedürfen55. Wer weitere atypische Zwecke verfolgt, muß das freilich hinreichend deutlich erklären, und der andere Teil muß damit einverstanden sein68• Im Streitfall muß er nicht nur diese Erklärung, sondern auch deren Annahme durch den Gegner beweisen. Das empfiehlt eine "ausdrückliche" Erklärung, heißt aber nicht, daß sich der weitergehende (angestaffelte) Zweck nicht auch aus den besonderen Umständen des Rechtsgeschäfts im Wege der Auslegung(§§ 133, 157) ergeben könnte67 •

IV. Formen, Arten und Zwecke der Güterbewegung 1. Es gibt Realverträge (Handgeschäfte) Für das Verständnis des vorzustellenden schuldrechtlichen Systems wesentlich ist die Erkenntnis, daß die rechtliche Bewegung der Güter sowohl unmittelbar durch Handgeschäfte (Realverträge) als auch eingeleitet durch Versprechensverträge zur Abwicklung dieser Verpflichtungen erfolgen kann. Zwar wäre es denkbar, daß eine Rechtsordnung alle Versprechensverträge für unwirksam erklärt und nur den unmittelbaren Austausch der Güter zuläßt (z. B. Schenkungsrecht ohne § 518) oder umgekehrt für jede Güterbewegung eine vorhergehende Verpflichtung vorschreibt (z. B. Verallgemeinerung des Gedankens des § 925 a auf alle Verfügungsgeschäfte). Eine rechtshistorische und rechtsvergleichende Betrachtung zeigt jedoch, daß kein Gesetzgeber eines entwickelten Kulturstaates die privatrechtliche Gestaltungsmöglichkeit derart einschränken wollte. Solche Betrachtungsweise zeigt lediglich, daß die Realverträge (realer Tausch) am Anfang stehen und im Laufe der Entwicklung die Rechtsordnungen unter dem Sachzwang des Handelsverkehrs die Versprechensverträge als Grundmodell entwick:eln58 und die VerfügungsVgl. oben Fußn. 38. Vgl. unten VII, 3. So jetzt auch Esser, SchuR, § 4 I um Fußn. 2. 58 Vgl. insbes. die klassische Darstellung der Entwicklungsgeschichte des Obligationsbegrüf bei Jhering (Zweck, S. 211 [3. Aufl. S. 272]): 1. Stufe: Das zweiseitige Realgeschäft (mancipatio); 2. Stufe: Das effectiv einseitige Realgeschäft (Darlehen in Form des nexum); 3. Stufe: Das fiktive einseitige Realgeschäft (nexum als Scheingeschäft,Litteralkontrakt); 4. Stufe: Das zweiseitige promissorische Geschäft (die Konsensualkontrakte: Kauf, Miete, Sozietät); und schließlich 5. Stufe: Das einseitige promissorische Geschäft (Schenkungsversprechen). 55 58 57

IV. Formen, Arten und Zwecke der Güterbewegung

145

geschäfte davon abtrennen (Trennungsprinzip) und ihr Zustandekommen mehr oder weniger weitgehend von ihren Zwecken abstrahieren5'. Noch der französische Code Civil geht im Prinzip vom Kauf unter Anwesenden aus (Art. 1582 ff.) und kommt dadurch grundsätzlich zu kausa-

len Verfügungsgeschäften; in Art. 1589 wird jedoch auch der Versprechensvertrag (la promesse de vente) anerkannt und im übrigen auch die Möglichkeit einer vom Versprechensvertrag getrennten, abstrakten Eigentumsübertragung nicht bestritten80• Das ca. 100 Jahre später entstandene BGB geht dagegen vom Grundsatz des Versprechenskaufs (§§ 433 ff.) aus und trennt die Verfügungsgeschäfte als selbständige Rechtsgeschäfte ab (§§ 398, 873, 925, 929). Es kann jedoch keinem Zweifel unterliegen, daß die bürgerliche Rechtsordnung des BGB die Möglichkeit einer Güterverschiebung ohne vorhergehenden Versprechensvertrag nicht ausschließen wollte und ausschließt. Für die Schenkung ist das im Gesetz unzweideutig bestimmt (§§ 516, 518)61 • Für den Kauf war bei den Beratungen des 1. Entwurfs folgender Antrag gestellt worden: "Wird ohne vorherigen Kaufvertrag eine Sache gegen Geld ausgetauscht, so finden die Vorschriften über den Kaufvertrag insoweit Anwendung, als sie sich nicht auf die Verpflichtung der Parteien zur Obergabe der Sache und zur Zahlung des Kaufpreises beziehentl2,"

Mag auch Jhering in seinem Bestreben, die vollständige Parallelität der geschichtlichen und begrifflichen Entwicklung der Obligation zu beweisen (s. S. 209, aaO), mit der geschichtlichen Wirklichkeit zu großzügig umgegangen sein, sicher ist, daß die Entwicklung vom primitiven Tausch zum Versprechensvertrag unter nicht gleichzeitig Anwesenden sclwn im röm. Recht durchlaufen wird. Auch Kunkel (RömR, §56, S. 98) berichtet, daß mit dem Vordringen des Urkundenwesens sowohl der Anwesenheitszwang als auch das Erfordernis der Mündlichkelt bei der Stipulation preisgegeben wird. Damit waren Versprechensverträge als Distanzgeschäfte möglich geworden. Dadurch sind aber die Handgeschäfte (Realverträge) als Gestaltungsform nicht verloren gegangen. Zum Kauf eines Brotes auf dem Markt ist es weder im späten Rom nötig gewesen, noch ist es heute in irgendeinem Kulturstaat der Welt nötig, zuerst einen Versprechensvertrag abzuschließen, der dann eine "logische Sekunde" später erfüllt wird. Jhering (Vermischte Schriften, S. 57): ,,Soll man dem römischen Recht den Satz andichten, der Eigenthümer könne sein Eigenthum nur gegen eine wenigstens als im Moment der Tradition entstehend und sofort wieder untergehend zu denkende Obligation auf einen anderen übertragen?" Darf man dem modernen Recht einen solchen Satz andichten? Vgl. Larenz, SchuR II, § 35 II, a, S. 13; dagegen jedoch Jahr, SZ 80, S. 145, 146, 154 f., 156, 158,163. 68 Zur Entwicklungsgeschichte dieses Vorgangs im deutschen Recht vgl. insbesondere Felgentraeger, Savignys übereignungslehre. Weitere Nachweise zu diesem Vorgang bei Brandt, Eigentumserwerb, §§ 1 - 13 und jetzt auch bei Oeckinghaus, unter 1. 60 Vgl. insbes. Oeckinghaus, bes. unter 3.2 und 3.3. 61 Davon geht bei der Schenkung im Gegensatz zum Handkauf - auch Larenz (SchuR II, § 43 I, S. 122) aus; vgl. auch BGHZ 46, 203 f. u Prot., S.1712 = Mugdan II, 767. 10 Ehmann

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§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

Die Kommission hat den Antrag zwar abgelehnt, dabei unter anderem aber bemerkt: .,Wie bei der Schenkung, so liege auch bei dem Kaufe die Eigenthümlichkeit in der causa, die auf verschiedene Weise realisiert werden könne: Durch vorgängigen Abschluß des obligatorischen Vertrages oder durch bloßes Geben und Nehmen ohne vorgängigen Abschluß eines Kaufvertrags. Der Entwurf, der im § 459 nur den ersteren Weg geregelt habe, habe die übrigen der Analogie überlassen. Es werde einem Zweüel nicht unterliegen, daß die Vorschriften, welche in der vorgängigen obligatorischen Verpflichtung ihren Grund hätten, auf den Handkauf keine Anwendung finden könnten, daß dagegen die Vorschrüten, welche lediglich in der Entgeltlichkeit der causa ihren Grund hätten, wie die Haftung für Entwehrung und Mängel, auch für den Realkauf gelten müßtena." Wissenschaftliche Autoren mit hinreichendem Durchblick haben an dem Realvertrag als selbstverständlicher rechtlicher Gestaltungsmöglichkeit auch nie gezweifelt8'. Verständlich ist die Leugnung der Realkontrakte für das Recht des BGB nur dann, wenn man damit lediglich sagen will, daß die im BGB noch als Realverträge formulierten Vertragstypen Darlehen, Leihe und Verwahrung auch als reine Versprechensverträge abgeschlossen werden können, d. h. zu ihrem Zustandekommen nicht notwendig eines realen Momentes, nämlich der Hingabe des Gutes, bedürfen. Diese "verständliche Auffassung" ist "an sich" richtig, steht aber der rechtlichen Möglichkeit von Realverträgen (Handgeschäften) im geltenden Recht nicht entgegen. Die gegensätzlichen Behauptungen beruhen allein auf der historisch bedingten Doppelbedeutung des Begriffs Realvertrag, der im modernen Sprachgebrauch einmal als Handgeschäft (Realgeschäft) im Gegensatz zum Versprechensvertrag und zum anderen als Realkontrakt im Gegensatz zum Konsensualkontrakt verstanden wird85• Daß unser bürgerliches Recht bei keinem Vertragstypus - auch nicht bei Darlehen, Leihe, Verwahrung - zum Zustandekommen des Rechtsgeschäfts neben der vertraglichen Einigung noch notwendigerweise ein reales Moment fordert, ist heute allgemeine Meinung66• Auch die im BGB noch als Realkontrakte definierten Vertragstypen können als reine Versprechensverträgeabgeschlossen werden; der mühsamen und gekünstelten Konstruktion eines Vorvertrages bedarf es nicht67• Das soll aber nicht heißen, daß bei diesen Vertragstypen - und bei anderen - das Zustandekommen des Vertrages durch den Willen der Parteien nicht von einem realen Moment abhängig gemacht werden könnte, z. B. also die Prot., S. l714 = Mugdan II, 767 f. Vgl. insbes. Jahr, aaO (oben Fußn. 58 a. E.) und die weiteren Nachw. des Verf. in NJW 69, 1834 Fußn. 20 und jetzt auch Oeckinghaus, bes. unter 2.5. 65 Deutlich unterscheidend Heck, SchuR,§ 80,6 und 7, S. 246 f. 66 Eine klare Darstellung bietet: Blomeyer, ASchuR, § 20, III, S. 95 ff., m. w. N. &7 überzeugend Glaub. G3 64

IV. Fonnen, Arten und Zwecke der Güterbewegung

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Zusage des Darlehens zunächst unverbindlich sein und die vertragliche Bindung erst durch die Gewährung der Darlehenssumme eintreten soll68 • Diese Problematik ist aber - wenigstens im geltenden Recht - von der Frage zu trennen, ob eine Vermögensverschiebung (z. B. Forderungsabtretung, Sicherungsübereignung usw.) "ohne vorgängigen Abschluß eines obligatorischen Vertrages" denkbarund rechtlich gestaltbar ist68 • Im Zusammenhang des hier vorgestellten schuldrechtlichen Systems bedeutet Realvertrag stets ein Güterverschiebungsgeschäft ohne vorausgehendes Verpflichtungsgeschäft und in diesem Sinne gibt es Realverträge (Handgeschäfte)1°.

2. Die Zwecke der Leistungsversprechen und die Leistungszwecke In den verschiedensten Wendungen wird gelehrt, die Zwecke der Versprechensverträge ("Geschäftszwecke", "innere causae") seien von anderer Art als die Leistungszwecke ("äußere causae", "causae im subjektiven Sinne")71 . Nicht zu Unrecht führt Westermann12 die in der causa-Lehre bestehende Verwirrung darauf zurück. Wie die Entwicklung der "inhaltlichen Abstraktion"73 geht allem Anschein nach auch diese Unterscheidung auf Savigny14 zurück und steht sogar damit in aller engstem Zusammenhang. Savigny bekämpfte die Auffassung75, auch die Stipulation bedürfe- wie die Tradition- zu ihrer vollen Wirksamkeit einer causa. Bei seinen diesbezüglichen Ausführungen, in denen seine Übereignungslehre76 ihre letzte Formulierung erfahren hat77, entwickelte er seine Auffassung zum Begriff der "causa praecesserit" in der berühmten Stelle D 41, 1, 31 pr. 78• 88 Ebenso Glaub (Realkontrakte) nach Untersuchung der Vertragstypen Darlehen, Leihe und Verwahrung. 11 Im einzelnen vgl. Kress, ASchuR, § 7, S. 83 ff. 70 Aus der Rspr. vgl. u. a. RGZ 111, 152; 119, 12; BGHZ 46, 49. 71 Vgl. Esser, SchuR, 2. Aufl., S. 47 (zitiert oben Fußn. 36). 72 Causa, S. 58 (zitiert oben um Fußn.18). 1a Jahr, SZ 80, 174. 14 OR II, § 78, S. 249 ff. 75 Damals vertreten von Liebe (Die Stipulation, Braunschweig 1840); Unterholzner (Verjährungslehre, Bd. 1, § 108) und Meyerfeld (Die Lehre von den Schenkungen, Bd. 1, S. 29, 425) - alle zitiert bei Savigny, OR, § 78 Noten a, dunde. 78 Zu deren Genesis vgl. Felgentraeger, Savignys übereignungslehre. 77 OR II, S. 256 und 257. 78 OR II, S. 258: "Wenn es bei der Tradition üblich wäre, ausdrücklich zu sagen: durch diese Handlung soll Eigenthum übergehen (oder: nicht übergehen), so bedürfte es keiner weiteren Prüfung, der Obergang (oder Nichtübergang) des Eigenthums wäre dadurch allein völlig und sicher entschieden. Aber gerade ein solcher Ausdruck ist bei uns so wenig üblich, als er es bei den Römern war; man könnte sagen, er sey zu abstract, zu theoretisch für eine so naturale Handlung, wie die Tradition. Um nun in zweifelhaften Fällen eine sichere Entscheidung zu finden, bleibt Nichts übrig, als auf die umgebenden Umstände, Ab-

to·

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§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

Der dabei in Harmonie mit der Gaius-Stelle (D 41, 1, 9, 3)111 definierte causa-Begriff funktionierte in der Tat nicht als causa stipulationis80, und so konnte Savigny den "analogen Schluß von der justa causader Tradition auf die causa der Stipulation" mit scheinbar logischen Gründen ablehnen81 • Alle diesbezüglichen Prämissen Savignys sind von der romasichten, Zwecke zu sehen, auf dasjenige Rechtsgeschäft, mit welchem die Tradition in Verbindung steht, wodurch sie herbeigeführt worden ist. Eben Dieses nun ist die wahre Bedeutung der justa causa, denn hieraus wird sich stets mit Sicherheit erkennen lassen, ob die Absicht auf Obertragung des Eigenthums gerichtet war (wie bei Kauf oder Tausch), oder nicht (wie bei der Miethe und dem Depositum). Von diesem Standpunkt aus läßt sich auch das praecesserit rechtfertigen, ohne daß dabei nothwendig an eine Obligation gedacht zu werden braucht, obgleich eine solche vorhergehende Obligation stets der häufigste und wichtigste Fall sein wird. Bei dem Almosen an einen Bettler geht aus der ganzen äußeren Erscheinung der Handlung die Absicht, zu schenken, klar hervor. Diese Absicht hat der Geber, bevor er giebt; und da diese Absicht, ihrer Natur nach, auf die Uebertragung des Eigenthums gerichtet ist, so dient sie als justa causafür die hier vorliegende Tradition." 79 D 41, 1, 9, 3: "Hae quoque res, quae traditione nostrae ftunt, iure gentium nobis adquiruntur: nihil enim tarn conveniens est naturali aequitati quam voluntatem domini volentis rem suam in alium transferre ratam haberi." 80 Jedenfalls hinsichtlich der Funktion dercausaals Voraussetzung der Entstehung (Begründung) einer wirksamen Stipulation. Daß auch eine Stipulation mangels einer causa kondiziert werden konnte bzw. der Entkräftung durch eine exceptio doli unterlag, räumte Savigny zwar ein (OR li, 262), bezeichnete die daraus zu ziehenden Folgerungen jedoch als ein unlogisches Verfahren: "Bei jedem Rechtsgeschäft lassen sich positive Bedingungen des Daseyns und der Rechtsgültigkeit angeben; diese müssen in der Theorie dargestellt, in der Anwendung auf das wirkliche Leben nachgewiesen werden. Unabhängig davon aber werden sich mehr oder weniger zufällige Mängel oder Hindernisse denken lassen, deren Daseyn, da wo sie sich finden, auch unter Voraussetzung jener positiven Bedingungen, die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts ganz oder theilweise ausschließt. Man könnte die Abwesenheit solcher denkbaren zufälligen Hindernisse als negative Bedingungen der Rechtsgeschäfte bezeichnen. Es würde jedoch unlogisch seyn, und die gründliche Einsicht in die wahre Natur der Rechtsverhältnisse mehr stören als fördern, wenn man diese negativen Bedingungen, die eine ganz exceptionelle Natur haben, mit jenen positiven zusammenstellen, und beide als gleichartig behandeln wollte. Ein solches unlogisches Verfahren muß ich den Vertheidigern der hier vorliegenden Lehre vorwerfen, indem sie die möglichen Condictionen (indebiti u.s.w.) gegen eine Stipulation als Grund geltend machen, weshalb die Stipulation, als ein blos formales Geschäft, nur unter Voraussetzung einer causa als vollständig und vollgültig angesehen werden könne." Ganz sicher ist sich Savigny seiner Beweisführung offenbar selbst nicht gewesen, denn er bescheinigt am Ende seiner Untersuchung "dem Urheber (Liebe) der hier angefochtenen Lehre von der causa ... , daß er durch diese Lehre zu irrigen Rechtsregeln nicht geführt worden ist" (OR U, 266). 81 OR II, S. 260: "Und eben hieraus wird endlich völlig klar, daß ein analoger Schluß von dem Erforderniß der justa causa neben der Tradition, auf das Erforderniß einer causa neben der Stipulation, auf bloßer Täuschung beruht. Bei der Tradition wurde die causa gefordert, weil bei ihr eine ausdrückliche, auf Eigenthum gerichtete, Erklärung meist nicht abgegeben wird. Eben deshalb war neben der Mancipation eine causa nicht erforderlich. Nach dieser Analogie wäre eine causa neben der Stipulation nur dann erforderlich, wenn in der Stipulation die Absicht der Verpflichtung nicht wörtlich ausgedrückt wäre, sondern erst künstlich, durch Schlußfolgerungen, begründet werden müßte.

IV. Formen, Arten und Zwecke der Güterbewegung

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Distischen Forschung inzwischen widerlegt worden82 , aber die Ergebnisse

Savignys sind "stehen geblieben" und wirken fort: Immer noch wird

unterschieden zwischen dem Rechtsgrund eines Verpflichtungsgeschäfts und dem Rechtsgrund der Übereignung, und die "inhaltliche Abstraktion" ist sogar im Gesetz (§ 929) - wenn auch nicht als unabdingbar - festgeschrieben worden.

Savigny war in dieser Frage auf "falscher Spur", das auf seine Lehren aufgebaute System bedarf der Korrektur. Leistungen und Leistungsversprechen können zu allen typischen (Austausch-, Liberalitäts- und Abwicklungszwecken) und zu allen atypischen Zwecken erfolgen. Der Tatbestand dieser Zwecke ist unabhängig davon, ob eine Leistung oder ein Leistungsversprechen zugewendet wird. Das soll für die typischen Zwecke beispielhaft gezeigt werden. a) Zum Zwecke des Austausches (gegen unmittelbare Hingabe von 100 DM oder das Versprechen von 100 DM) kannAdem B seine Uhr unmittelbar übereignen (Handkauf); A kann dem B zu demselben Zwecke (jetzt: "innere" causa) die·Übereignung der Uhr versprechen, ihm also statt der Uhr nur die Forderung auf die Uhr zuwenden (Ver-

sprechenskauf).

b) A kann dem B die Schenkung seiner Uhr versprechen(§ 518) oder ihm die Uhr unmittelbar schenken (§ 516); beim Schenkungsversprechen ist die causa donandi "innere causa" (Geschäftszweck), bei der Handschenkung "äußere causa" (Leistungszweck). c) Auch zum Zwecke der Abwicklung können sowohl Leistungen als auch Leistungsversprechen zugewendet werden. aa) Zum Zwecke der Erfüllung einer Forderung über 1000 DM übereignet A dem Beinen Brillantring(§ 364 I);

Allein die Stipulation enthält in den Worten: centum dare spondes? spondeo jene Absicht ganz ausdrücklich, ja sie enthält überhaupt nichts Anderes. Daher wäre denn das Erfordemiß einer causaneben der Stipulation, als einer nothwendigen positiven Ergänzung derselben, ganz eben so unbegründet wie neben der Mancipation." 82 Die Erhebung der traditio zum dinglichen Vertrag (OR II, 257 Note m) wird schon lange sowohl historisch als auch rechtslogisch und rechtspolitisch für fehlerhaft erklärt (Strohal, JherJb 27, 335 ff.; Siber, JherJb 70, 235 ff.; Kress, ASchuR, § 5 Fußn. 49 m. w. N. aus dem älteren Schrifttum und neuerdings Jahr, SZ 80, 141 ff. m. w. N.). Die Wesensgleichheit der causa stipulationis mit der causa traditionis ist nachgewiesen bei Wolf, causa, insbes. S. 26 Fußn. 12 und S. 34 Fußn. 3. Allerdings geht Wolf nicht direkt auf die Argumente Savignys ein. Schließlich wird das "praecesserit" in D. 41, 1, 31 pr. von Juan Miguel (SZ 80, 237) als "mechanischer Fehler der tlberlieferung" angesehen; wahrscheinlich müsse es "processerit" heißen;dazu jetzt auch Oeckinghaus, unter 1.1.4.1.

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§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

bb) Zum Zwecke der Erfüllung einer Forderung über 1000 DM gibt A dem B einen Wechsel (abstraktes Schuldanerkenntnis) über 2000 DM. Das abstrakte Schuldversprechen wird zur Klarstellung (überflüssigerweise) im Gesetz ausdrücklich als Leistung bezeichnet(§ 812 II). cc) Zur Erfüllung einer Darlehensschuld über 10 000 DM verspricht A, bei B innerhalb von 5 Jahren Waren im Werte von 1 Million DM einzukaufen; dem Austauschzweck des Kaufvertrages ist der Erfüllungszweck angefügt (angestaffelt), die kausale Kaufpreisforderung dient dem weiteren Zweck der Erfüllung des alten Darlehensvertrages. dd) Zum Zwecke der Sicherung kann eine Maschine übereignet(§§ 929, 930, 931) oder eine Forderung abgetreten(§ 398) oder ein abstraktes Schuldanerkenntnis (§ 780) gegeben werden; das zur Sicherung gegebene Bürgschaftsversprechen (§ 765) kommt wie das Pfandrecht (§ 1205) nur zur Entstehung, wenn der vereinbarte Sicherungszweck auch erreicht wird (Akzessorietät).

3. Typische und atypische Zwecke (Beispiele) Die verschiedenen Arten von Gütern (Sachen, Rechte, Forderungen, Geld, Sachgebrauch und Sachnutzung, Dienstes, Werke, Güterschutz usw.) können .zu verschiedenen Zwecken versprochen oder geleistet werden. A. Beispiele

S kann dem G z. B. 100 DM leisten oder versprechen a) damit dieser ihm die Übereignung einer Uhr verspricht; der Zweck des 100-DM-Versprechens (bzw. der 100-DM-Leistung) besteht im Erwerb einer Forderung auf Übereignung einer Uhr (Austauschzweck beim reinen oder gemischten Versprechenskauf); b) als Schenkung, d. h. rechtlich für nichts, als daß dieser ihm keinen groben Undank erweise (Schenkungszweck, §§ 516 bzw. 518); c) als Darlehen (§ 607), wobei das Versprechen entgeltlich (Austauschzweck), d. h. gegen ein Zinsversprechen, oder unentgeltlich (Liberalitätszweck) gegeben werden kann; d) als Pfand oder Bürgschaftsversprechen: das 100-DM-Versprechen kann gegeben werden zum Zwecke der Sicherung (Abwicklungszweck) einer Schuld des D (Bürgschaftsversprechen, § 7'65); der 100-DMSchein kann gegeben werden zur Sicherung einer Forderung des D (Pfandbestellung, § 1205); e) vergleichshalber, zur Erledigung einer streitigen Forderung des G über vermeintliche 200 DM(§ 779);

IV. Formen, Arten und Zwecke der Güterbewegung

151

f) erfüllungshalber (§ 364 II) oder an Erfüllungsstatt (§ 364 I) für eine

g) h) i)

j)

k)

andere eigene oder fremde (§ 267) Forderung; das Versprechen muß dann als abstraktes Versprechen begründet werden (§ 780); damit dieser in einer Versteigerung nicht biete (Austauschzweck); damit dieser ihm für ein Jahr Versicherungsschutz gewähre (Austauschzweck); teils (60 DM) zur Erfüllung einer alten Schuld, teils (40 DM) als Schenkung; auch teils als Kaufpreis, teils als Schenkung (negotium mixtum cum donatione); dieselbe Leistung kann ferner zu gemischten Zwecken anderer Art bzw. in anderen Variationen bewirkt werden; damit auch E eine Leistung verspreche (Austauschzweck) und dadurch "die Erreichung eines gemeinsamen Zweckes" (§ 705) gefördert wird (angestaffelter Gese llschaftszweck); unentgeltlich, aber als Mitgift, d. h. zum Zwecke der Ausstattung (§ 1624);

1) damit dieser ihm seinen Balkon vermiete zum Zwecke der Besichtigung des Karnevalszuges (Austauschzweck mit angestaffeltem atypischen Zweck); m) in der Weise, daß sich S und G bewußt darüber einig sind, daß die Wirksamkeit dieses Versprechens (§ 780) oder der Leistung (§ 929) zunächst von keinem Zwecke abhängig (abstrakt) sein soll; ob G dafür eine Gegenleistung versprechen oder erbringen soll oder die Leistung bzw. das Versprechen schenkungshalber oder darlehnshalber oder erfüllungshalber oder sicherungshalber gegeben sein soll, soll später vereinbart werden. B. W e i t e r e B e i s p i e 1 e a) D kann den E unentgeltlich pflegen, seinen Hof bewirtschaften, damit dieser sie zum Erbe einsetze (Unentgeltlichkeitszweck mit angestaffeltem atypischem Zweck); b) V kann dem P 1000 DM versprechen, damit dieser die Beziehung zu seiner Tochter abbreche (Unentgeltlichkeitszweck mit angestaffeltem atypischem Zweck); c) H kann dem K 10 000 DM versprechen, damit dieser die von H geschwängerte G heirate (Unentgeltlichkeitszweck mit angestaffeltem atypischem Zweck); d) V kann dem G bürgen für eine Schadenersatzforderung wegen Unterschlagungen des S, damit B keine Strafanzeige erstatte (Sicherungszweck mit angestaffeltem atypischem Zweck); ~) B verspricht dem G, für die Verbindlichkeit des H (über 10 000 DM) einztLStehen, damit G ihm dafür 1 000 DM bezahle (Sicherungszweck mit angestaffeltem Austauschzweck);

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§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

f) E hat dem G die Übereignung einer Maschine zur Sicherung einer Darlehensforderung versprochen; jetzt übereignet er die Maschine in Erfüllung dieser Verpflichtung zur Sicherheit {Sicherungszweck mit angestaffeltem Erfüllungszweck); g) V verspricht dem E, im Falle der Beschädigung seines Kraftfahrzeugs diesen Schaden zu ersetzen, damit dieser ihm jährlich 500 DM bezahle {Schutzzweck mit angestaffeltem Austauschzweck); h) K verspricht dem U, im Gebiet des Landes X keinen Wettbewerb zu betreiben, damit dieser ihm jährlich 10 000 DM bezahle {Schutzzweck mit angestaffeltem Austauschzweck); i) B verspricht W ein billiges Darlehen zu 4 Ofo Zinsen, damit dieser sich verpflichtet, 10 Jahre lang mindestens 100 hl Bier im Jahr bei ihm zu kaufen {Staffelung der Austauschzwecke; B gibt entgeltliches Darlehen, damit W Bier kauft).

4. Das Abstraktionsprinzip a) Eine unzulässig vereinfachte Auffassung Eine verbreitete Lehre behauptet, das Abstraktionsprinzip besage, die dinglichen Verfügungsgeschäfte {Eigentumsübertragung, § 929; Forderungsabtretung, § 398 etc.) seien in ihrem Zustandekommen unabhängig davon gültig, ob die zu diesen Verfügungen verpflichtenden Versprechensverträge gültig seien. Die Versprechensverträge seien die causa {der Rechtsgrund) der Verfügungsgeschäfte, hießen darum Kausalgeschäfte. In diesem Sinne schreibt z. B. Larenz83 : ,.Endlich muß zum Verständnis des Bereicherungsrechts immer beachtet werden, daß das dingliche Erfüllungsgeschäft, also das ,Leistungsgeschäft' infolge des vom BGB angenommenen ,Abstraktionsgrundsatzes' (vgl. oben § 35 II) nicht etwa schon deshalb ungültig ist, weil das Grundgeschäft nicht zustande gekommen oder rechtsunwirksam ist." Ähnlich äußert sich Fikentscher84 : ,.Die Übereignung ist abstrakt vom zugrunde liegenden Verpfl.ichtungsgeschäft, z. B. vom einem Kauf oder einer Schenkung. In diesen Fällen bedeutet Abstraktion vor allem, daß Mängel des zugrunde liegenden Kausalgeschä.fts85 das abstrakte Geschäft grundsätzlich nicht beeinflussen." 83 SchuR II, § 62 I, S. 368; in der 10. Aufl. (1972) schreibt Larenz jetzt (S. 402): ,.Er hat das Eigentum aber ohne rechtlichen Grund erlangt, eben weil der von den Parteien als ,.Rechtsgrund" (Hervorh. v. Verf.) angesehene Kaufvertrag (Hervorh. v. Verf.) nichtig ist." Und an anderer Stelle dieser Auflage (S. 407) heißt es: ,.Erfolgt die Leistung zum Zwecke der Tilgung einer Schuld (Hervorh. v. Verf.; der Terminus überrascht, weil doch Larenz die Notwendigkeit eines Erfüllungswillens nicht anerltennt, vgl. oben § 3 Fußn. 17), so ist ihr rechtlicher Grund das Schuldverhältnis, aus dem sich der Anspruch des Leistungsempfanges und damit sein Recht ergibt, die Leistung zu behalten." 84 SchuR, § 13, 2. 85 Hervorh. v. Verf.

IV. Formen, Arten und Zwecke der Güterbewegung

153

Und schließlich sei hier noch BroxBG zitiert: "Die Abtretung ist- wie die "Obereignung- als abstraktes Verfügungsgeschäft in ihrem Bestand unabhängig von dem zugrunde liegenden Kausalgeschäftes. Fehlt ein KausalgeschäftB& oder ist es (z. B. wegen Anfechtung) nichtig, so bleibt davon die Gültigkeit der Abtretung unberührt; jedoch steht in diesen Fällen dem bisherigen Gläubiger gegen denneuenein Bereicherungsanspruch auf Rückabtretung zu." Für diese Auffassung könnten noch weitere Zitate geliefert werden. Aber dennoch kann diese Auffassung nicht als communis opinio doctorum bezeichnet werden, allenfalls überwiegt sie in der für Ausbildungszwecke geschriebenen Literatur und demzufolge bei Studenten und bei jenen "Praktikern", die auf diesem Stand des Verständnisses stehengeblieben sind. Es handelt sich bei dieser Lehre also mehr um eine pädagogische Vereinfachung eines schwierigen Rechtsproblems als um eine wissenschaftlich begründete Meinung zu diesem Problem. Das wird mehr noch als durch zahlreiche andere Darstellungen&? des Abstraktionsprinzips bewiesen durch die differenzierten Ausführungen der oben zitierten Autoren88 an anderen Stellen ihres Werkes, die eindeutig klarstellen, daß diese Autoren sich sehr wohl bewußt sind, daß das Problem von komplizierterer Art ist. So unterscheidet z. B. Larenz89 ausdrücklich zwischen "kausalem Geschäft" 90 und "Kausalgeschäft"91 , zwischen causa einer Verpflichtung ("innere causa" [Siber] = "typischer Geschäftszweck" [EsseT]) und causa einer Leistung92 ; beim Begriff causa (Rechtsgrund) einer Leistung unterscheidet Larenz zwischen "causa im subjektiven Sinne" (= "äußerer Rechtsgrund" [Siber])u und "causa im objektiven Sinne"N. SchuR I, Rdnr. 381. Vgl. insbes. v . Tv.hr, AT Il, 2, § 73; v. Tuhr, Schw. OR, § 26; Kress, ASchuR, § 5, Enneccerv.s-Nipperdey, AT, § 148 I; Enneccerv.s-Lehmann, SchuVerh, § 27, 4; Blomeyer, SchuR, § 19 I; Westermann, SaR, § 4; Flv.me, AT, § 12 mit überzeugender Darstellung und umfangreichen Nachw. Aus der neueren monographischen Literatur sei noch besonders genannt: Jahr, SZ 80, 141 ff.; ferner Oeckinghaus, Kaufvertrag und "Obereignung. 88 Larenz, Fikentscher und BTox. 89 SchuR II, 9. Aufl., § 62 I, S. 367 (in der 10. Aufl. sind diese Ausführungen allerdings gestrichen); auch bei Fikentscher wird an anderer Stelle (§ 13, 5) deutlich, daß er das Problem komplexer sieht. Brox wendet sich (vgl. Vorwort) "vornehmlich an Studenten der Anfangsemester" und glaubt wohl, denen nicht mehr zutrauen zu können. Das entspricht der von den meisten "Grundrissen" (Sibers Grundriß des Schuldrechts [1931] gehört nicht in diese Kategorie) und "Kurzlehrbüchern" eingehaltene Methode, die m. E. verfehlt und schädlich ist. 110 Worunter zutreffend das schon in seinem Zustandekommen von der causa (Zweckvereinbarung, innere causa, typischem Geschäftszweck) abhängige Geschäft verstanden wird. 91 Das soll sein das "Grundgeschäft" (Verpfiichtungsgeschäft) in bezugauf das Verfügungsgeschäft. er Diese Unterscheidung ist abzulehnen, vgl. dazu im Text unten V, 4. e3 Das ist z. B. die causa solvendi. •• Das soll wiederum sein das Kausalgeschäft (= Verpflichtungsgeschäft = Grundgeschäft). 8e 87

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§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

Schließlich bietet Larenz-85 eine differenzierte Darstellung des Trennungs- und Abstraktionsprinzips, die alle Schichten des Problems berührt. Wenn damit auch klargestellt ist, daß die eingangs skizzierte vereinfachte Auffassung wissenschaftlich ernsthaft von niemandem98 vertreten wird, so ist die Auseinandersetzung damit doch nicht nur ein Streit um ein pädagogisches Konzept. Die Jurisprudenz ist Geistes- und zugleich praktische Wissenschaft. Die Rechtslehre beeinfiußt daher - nur verzögert durch das Beharrungsvermögen der Rechtsprechung - in ein bis zwei Generationen die praktische Rechtspflege. Die Konsequenzen sind klar: eine problemvereinfachende Rechtslehre vulgarisiert über kurz oder lang das ganze Recht. "Wer sich vor der Idee scheut, hat auch zuletzt den Begriff nicht mehr" (Goethe). Wenn die Rechtslehre die Dogmatik nicht pflegt, sondern vernachlässigt (bewußt oder unbewußt), so zerfällt sie. Das Recht primitiviert und wird durch ideologisierte, pseudo-wissenschaftliche Techniken (Soziologie, Psychologie) ersetzt. Die causa-Lehre ist der Kernbereich der Zivilistischen Dogmatik: "Der Zweck ist die Seele des Schuldverhältnisses" (Kress). Das wird von der Zivilistischen Wissenschaft seit der Schaffung des BGB nicht hinreichend bedacht97• Der Rechtsgrund-(causa-)begriff wird fast nur durch die Brille des Bereicherungsrechts gesehen und seine viel allgemeinere Bedeutung damit verkannt98• Darin liegt auch die Wurzel für die Auffassung, der Rechtsgrund eines Verfügungsgeschäfts sei das Verpflichtungsgeschäft. Aus der Beobachtung, daß ein zur Erfüllung eines vermeintlich bestehenden Verpflichtungsgeschäfts getätigtes Verfügungsgeschäft der Rückabwicklung (condictio indebiti) unterliegt, hat man verallgemeinernd geschlossen, Rechtsgrund des Verfügungsgeschäfts sei die Verpflichtung, die erfüllt werden sollte. Das könnte richtig nur sein, wenn jedem Verfügungsgeschäftnotwendig ein Verpflichtungsgeschäft vorangehen müßte und es nur den Erfüllungszweck als einzigen Leistungszweck geben würde99 • Erkennt man aber an, daß es Handgeschäfte gibt ohne vorangehende Verpflichtungsgeschäfte100 und eine Leistung noch zu anderem Zweck als zur Erfüllung erbracht werden kann101, so ist die Aussage, die

SchuR Il, § 35 li (10. Aufl., § 39 li); ferner AT,§ 24 li, d. Vielleicht mit Ausnahme von Boehmer, Erfüllungswille, S. 55 und ArchBürgR 38, 314. 97 Nur im Lehrbuch des ASchuR von Kress ist die Lehre vom Zweck der Kern ("die Seele") einer systematischen Darstellung. 98 Was allerdings auch historisch bedingt ist, wie neuerdings Schwarz, Jahr und Wolf nachgewiesen haben, vgl. oben Fußn. 8. 89 So in der Tat Boehmer, ArchBürgR 38, 333 f. 100 Vgl. oben IV, 1. 101 Vgl. oben IV, 2 und 3. 95

96

IV. Formen, Arten und Zwecke der Güterbewegung

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Verpflichtung sei Rechtsgrund der Verfügung i. S. d. § 812 im Ergebnis nur deswegen richtig, weil der Erfüllungszweck von unselbständiger Art ist, d. h . die Erfüllungszweckvereinbarung ("causa im subjektiven Sinne" = "äußere causa") einen tragfähigen Rechtsgrund nur im Falle der Erreichung des vereinbarten Zwecks bildet1oz. Der Erfüllungszweck ist erreicht, wenn eine bestehende Verpflichtung durch die Erfüllungsleistung erlischt (§ 362 I). Die überwiegend verbreitete Lehre vereinfacht also auf zunächst unschädliche Weise den statistisch wohl häufigsten Einzelfall der condictio indebiti und erhebt die Vereinfachung dann auf schädliche Weise zum Prinzip eines notwendigerweise unvollkommenen Systems. Die Grundzüge und Vorzüge eines- wenn auch gleichfalls nicht perfekten, so doch - überlegenen Systems sollen im folgenden gezeigt werden.

b) Abstrakte und kausale Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte Die privatautonome Gestaltungsfreiheit erlaubt es grundsätzlich, alle Güterverschiebungsgeschäfte des bürgerlichen Rechts, seien es Verpflichtungs- oder Verfügungsgeschäfte, in ihrem Zustandekommen von ihrem Rechtsgrund (Zweck, causa) abhängig zu machen oder unabhängig zu lassen, d. h. es ist den Parteien eines Rechtsgeschäfts möglich, ein Gut abstrakt oder kausal zu versprechen, und es ist ihnen auch möglich, ein Gut abstrakt oder kausal zu übertragen (abtreten, übereignen etc.), soweit es zur Güterverschiebung eines Rechtsgeschäfts bedarf103 • aa) A kann sich verpflichten, 1 Million DM zu zahlen zum Zwecke des Erwerbs einer Forderung gegen B auf Erwerb der Geschäftsanteile an der C GmbH. Wenn B damit einverstanden ist (Einigung über Leistungsgegenstand und Zweck), so ist ein Kaufvertrag zustande gekommen. B hat eine kausale Kaufpreisforderung erworben, deren Bestand von der Einigung und Erreichung des vereinbarten Austauschzwecks abhängig ist und bleibt (genetisches und funktionelles Synallagma)10'. bb) A und B können dasselbe Geschäft aber auch in anderer Form abschließen:

Ausführlich hierzu Verj. in NJW 69,398 ff. Bei rein tatsächlichen Leistungen (z.B. Dienstleistungen) und Unterlassungen kann die darin liegende Vermögensverschiebung natürlich nicht vom Zweck der "Leistung" abhängig gemacht werden; darum wird auch insbes. bei solchen Leistungen das ErfQrdernis einer Erfüllungszweckvereinbarung als Voraussetzung der Erfüllung bestritten; vgl. Palandt-Heinrichs, § 362 Anm. 1; Verj., JZ 68,549 ff. (insbes. Fußn. 89); Verj., NJW 69,398 ff. (um Fußn. 52). 1ot Das ist ganz allgemeine Auffassung, vgl. statt aller Blomeyer, SchuR, § 21 III, 1 und 2. 102

1oa

§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

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"Die Parteien sind sich darüber einig, daß das Entgelt für diese ... Übereignung und Abtretung der Geschäftsanteile seitens der Firma Sch dadurch geleistet ist, daß letztere heute der Firma M eine Schuldverschreibung vom heutigen Tag über 1 600 000 M . . . übergeben hat1o&." Das Kammergericht Berlin hat als Berufungsgericht diese Vereinbarung dahin verstanden und das RG hat ihm darin zugestimmt, daß der Klägerin niemals eine kausale Kaufpreisforderung aus einem gegenseitigen Versprechensvertrag zugestanden habe108. Das ist zutreffend erkannt, die Parteien haben in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Geschäft ohne vorhergehenden Versprechensvertrag die Gesellschaftsanteile unmittelbar (Handgeschäft) gegen ein abstraktes Schuldversprechen ausgetauscht. Die Forderung auf 1 '600 000 DM war also in ihrem Zustandekommen unabhängig von der Erreichung des vereinbarten Zwecks und konnte allenfalls kondiziert werden (§ 812 I, 1 1. Alt. i. V. mit § 812 II). Im Unterschied zu dem unter aa) gegebenen Beispiel besteht kein genetisches Synallagma, und das funktionelle Synallagma ist ins Bereicherungsrecht gerückt. cc) H übergibt dem B einen Pkw samt Kraftfahrzeugpapieren und einigt sich mit ihm über den Eigentumsübergang. § 929 läßt diesen

Tatbestand als Voraussetzung des Eigentumsübergangs genügen. Eine Einigung über den Grund (Zweck) der Übereignung ist als Voraussetzung des Eigentumswechsels nicht erforderlich107.

dd) A hat dem B eines Abends ein altes Auto für 300 DM verkauft. B drängt mehrfach auf Erfüllung, aber A weicht aus; deswegen denkt B, A wolle sich an den Vertrag nicht halten und betrachtet diesen als aufgehoben. Einige Wochen später hat A wieder Ärger mit dem Auto und sagt zu B, du kannst das Auto haben, er übergibt ihm Schlüssel und Papiere. A, der sich sehr wohl an den Kaufvertrag erinnert, will mit der Übereignung sein Versprechen erfüllen; B aber denkt, A wolle ihm den Wagen, der inzwischen nicht wertvoller geworden ist, jetzt schenken108. 105 Der Sachverhalt ist entnommen der Entsch. des RG v. 18. 11. 1927, RGZ 119,

5 ff. (12).

108 RGZ 119, 12. 107 über die Entwicklung von der "theoretischen Abstraktion" zu dieser "inhaltlichen Abstraktion" vgl. insbes. Jahr, SZ 80, 162ff., 157, 167, 174 und öfters; aber auch schon Kress, ASchuR, § 5 Fußn. 36: "Die herrschende gemeinrechtliche Lehre (von Savigny, Obligationenrecht, S. 256 gestützt) ... war auf falscher Spur." 108 Das Problem des gegebenen Beispiels ist seit der berühmten Antinomie zw. Ulpian (D. 12, 1, 18 pr.) und Julian (D. 41, 1, 36) eine der bedeutendsten Streitfragen der Privatrechtsgeschichte, vgl. dazu insbes. Strohal, JherJb 27, 343 ff.; Jahr, SZ 80, 141 ff.; auch Flume, AT,§ 12 111, 5 c; Oeckinghaus, unter 1.

IV. Fonnen, Arten und Zwecke der Güterbewegung

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ee) Wie Beispiel dd), jedoch A war am Abend des Kaufvertrags infolge der Einnahme von Medikamenten und Alkohol geschäftsunfähig (§ 105 li) gewesen und hatte- in "dunkler" Erinnerung daranbei der Übergabe der Schlüssel und der Papiere ausdrücklich erklärt, ich übereigne diesen Wagen hiermit zur Erfüllung meines damals gegebenen Versprechens unter der Bedingung, daß ich rechtlich hierzu verpflichtet bin. B akzeptiert dieses Angebot, so wie es gemacht wurde. Zu den Beispielen dd) und ee): Es ist nicht zu bezweifeln, daß im Geltungsbereich des BGB bei beweglichen Sachen (§ 929) die dingliche Einigung (anders § 925 li) unter einer Bedingung (§ 158) geschlossen werden kann, auch unter der der Wirksamkeit des Verpfl.ichtungsgeschäfts, zu dessen Erfüllung die Übereignung vorgenommen werden solP 09 • Wenn das so ist, so ist im gegebenen Beispiel ee) das Eigentum an dem Pkw nicht auf B übergegangen. Das Übereignungsgeschäft (§ 929) ist vom Kaufvertrag zwar getrennt (Trennungsprinzip), aber in seinem Zustandekommen von dessen Wirksamkeit, genauer: der Erreichung des vereinbarten Erfüllungszwecks (causa solvendi) nicht abstrahiert, sondern ausdrücklich abhängig gemacht worden. Die Übereignung ist also kausal, denn Voraussetzung ihrer Wirksamkeit ist die Erreichung des vereinbarten Erfüllungszwecks, d. h. der Bestand des Kaufvertrags110• Im gegebenen Beispiel dd) nimmt dagegen die wohl (noch) überwiegende Meinung111 an, das Eigentum an dem alten Pkw sei übergegangen, 109 Das Institut des Eigenturnsvorbehalts (§ 455) wäre sonst nicht erklärbar: die dingliche Einigung (§ 929) steht dabei unter der aufschiebenden Bedingung (§ 158) der Zahlung des Kaufpreises. Dennoch behauptet Breyhan (Abstrakte Übereignung, S. 79 ff.), die Vereinbarung einer Bedingung sei durch die zwingende Regelung der abstrakten Verfügungsgeschäfte ausgeschlossen. Das klingt unglaublich, entspricht aber einer bei deutschen Juristen weit verbreiteten instinktiven Ablehnung gegen die Möglichkeit einer bedingten Ubereignung (mit Ausnahme des EV, an den man sich gewöhnt hat); so schreibt z. B. Flume (AT,§ 12 111, 4, S. 178): "In Wahrheit wird der Abstraktionsgrundsatz, dessen unabdingbare Geltung (Hervorh. v. Verf.) ein entscheidendes Strukturelement der Regelung des rechtsgeschäftliehen Verkehrs in unserer Rechtsordnung ist, negiert, wenn man ihn über§ 139 auszuschalten versucht." Selbstverständlich ist die .,unabdingbare Geltung" des Abstraktionsgrundsatzes gerade bei Flume nur ein Iapsus linguae (wie der gesamte Zusammenhang in § 12 des Lehrbuches beweist), aber auch als Iapsus ist er ein Symptom für das übertriebene Dogma des Abstraktionsgrundsatzes. Vgl. im übrigen jedoch Westermann (SaR, § 4 IV, 2) und Baur (SaR, § 5, IV, 3 b), die die Möglichkeit auch einer stillschweigend vereinbarten Bedingung bei der dinglichen Einigung durchaus anerkennen, allerdings unter der Voraussetzung, "daß die Parteien über die Gültigkeit des kausalen Geschäfts im Ungewissen waren" (Baur). Vgl. ferner unten um Fußn.l28. 11o Für diesen Fall ebenso Larenz, AT,§ 29 II b, S. 449. 111 Vgl. Planck-Brodmann, § 929 Bem. 3 c a; Staudinger-Berg, § 929 RdN. 24; im übrigen ist es auch kaum möglich, in der zitierfähigen Literatur Nachweise für diese Meinung zu finden; die Meinung wird vorwiegend mündlich verbreitet; wer schreibt, ist oder wird sich des Problems bewußt und klammert es vorsichtig aus.

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§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

weil das "unabdingbare" Abstraktionsprinzip dies gebiete. Anderer Ansicht ist allerdings Flume, der unter Hinweis auf die berühmte Antinomie D 12, 1, 18 und D 41, 1, 36 ausdrücklich sagt: "So ergibt sich auch trotz grundsätzlicher Aufrechterhaltung des Abstraktionsgrundsatzes mit Selbstverständlichkeit, daß in den Fällen, in denen der Empfänger die ihm aufgrund einer bestimmten causa angebotene Sache in Hinsicht auf eine andere causa annimmt, der Eigentumsübergang nicht erfolgt112." Ebenso schrieb Esser in der 2. Auflage seines Lehrbuchs noch: "Das Abstraktionsprinzip besagt nur, daß das Verfügungsgeschäft in seiner sachenrechtliehen Wirkung gültig ist, unabhängig von Mängeln des Schuldverhältnisses als solchem. Hier ist die Bereicherungsklage notwendig. Es besagt aber nicht, daß die Einigung über den Leistungszweck nicht Teil der "dinglichen Einigung" sei ... übereignet der Schuldner darlehensweise (credendi causa), oder zur Erfüllung einer Schuld (solvendi causa), während der Gläubiger die Ware als Geschenk annehmen will (donandi causa), so ist mangels rechtsgeschäftlicher Willensübereinstimmung das Vollzugsgeschäft nicht zustande gekommen, sondern wegen Dissenses nichtigm." Schließlich hat Jahr114 nachgewiesen, daß die Auffassung, die Verfügungsgeschäfte seien im Zweifel nicht nur von der Zweckerreichung ("äußerliche Kausalität"), sondern auch von der Zweckvereinbarung ("inhaltliche Kausalität") abstrahiert, auf einem historischen Fehlverständnis beruht. Ebenso hat Kress115 bereits 1929 ausgeführt: "Die herrschende gemeinrechtliche Lehre (von Savigny, Obligationenrecht S. 256 gestützt), welche die übertragung des Eigentums ohne Einigung über den Zweck zulassen wollte, war auf falscher Spur. ... Wer eine reale Leistung anbietet, verknüpft das Angebot mit dem Zweck, den er erreichen will; nur das so verbundene Angebot kann angenommen werden, die Verfügung also nur zustande kommen, wenn auch über den Zweck Einigung erzielt wird. Die Abstraktion des Angebots von dem Zweck, der Verfügung von dem Zustandekommen der Zweckvereinbarung ist contra naturamue." Die um der "leichteren Erfassung" willen117 teils bewußt in Kauf genommene Vereinfachung mündlicher Lehre und lehrbuchartiger Darstel112

Flume, AT,§ 12 III, 5 c, S. 182.

ua Esser, SchuR, 2. Aufl., § 70, 7 b, S. 301 mit folgendem Satz im Anschluß:

"Daher ist auch nicht erfüllt, ebenso wie umgekehrt nicht erfüllt wäre, wenn der Gläubiger solvendi causa annähme, der Schuldner aber nur credendi causa leistete." In den folgenden Auflagen (3. und 4.) sind diese Sätze nicht mehr enthalten, aber auch nichts direkt Gegenteiliges. uc SZ 80, 141 ff., 157, 167,174 und öfters m. w. N. 115 ASchuR, § 5, Fußn. 36(vgl. auch oben um Fußn. 107) m. w. N. aus dem älteren Schrifttum. us Unabhängig davon ebenso jetzt Jahr, SZ 80, 154 (Fußn. 36), 156 und öfters (vgl. auch Fußn. 114). m Auch die versuchte Erneuerung des Zivilrechts in den dreißiger Jahren (vgl. die Nachweise bei Larenz, § 35 II,S . 18 Fußn. 1) spielt eine große Rolle in diesem Vorgang.

IV. Formen, Arten und Zwecke der Güterbewegung

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Iungen hat diese Erkenntnisse der noch im gemeinen Recht verwurzelten und am römischen Recht erzogenen Juristengeneration bereits weitgehend aus dem allgemeinen juristischen Bewußtsein verschwinden lassen und zu einem derart vereinfachten Verständnis des Abstraktionsprinzips, des Rechtsgrund- und Erfüllungsbegriffs geführt, daß schwierigere Fälle, insbesondere bei Beteiligung mehrerer Personen an Leistungsbeziehungen nur noch mit Schlagworten und "Zauberformeln" ("objektive Erkennbarkeit", "Empfangszuständigkeit", "Empfängerhorizont") gelöst werden können. c) Die logische Ableitung der Notwendigkeit des Zwecks der Eigentumsübertragung Mit der Anerkennung des Satzes, daß das kausale Verpflichtungsgeschäft (Kaufvertrag, Schenkungsversprechen) das Eigentum an der Sache (oder dem Rechte) nicht ipso iure überträgt (Trennungsprinzip), vielmehr etwas weiteres- bei beweglichen Sachen wenigstens die Besitzübergabe (traditio) - hinzukommen muß118, entsteht zur Eigentumsübertragung stufenweise die Notwendigkeit110 folgender Voraussetzungen: (1) der Besitz muß übergeben werden; (2) der Zweck der Besitzübergabe muß bestimmt werden; (3) der Zweck der Eigentumsübertragung muß bestimmt werden. 118 Die Entwicklung der übereignungslehre des deutschen bürgerlichen Rechts geht bekanntlich zurück auf Savigny (vgl. insbes. Felgentraeger, Savignys übereignungslehre). Savigny hat den Begriff der "traditio", der in den Quellen nur Besitzübertragung bedeutete, verwandelt in den "dinglichen Vertrag": "Die Tradition ist ein wahrer Vertrag, nur nicht ein obligatorischer, sondern ein dinglicher; wohl zu unterscheiden von dem obligatorischen Vertrag (Kauf, Tausch u.s.w.), der bei ihr zum Grunde liegen kann, und meist wirklich zum Grunde liegt und vorher zu gehen pflegt" (OR II, 257 Note m). Felgentraeger (S. 34 aaO) hat "dieses erlösende Wort" als "entscheidenden Fortschritt" gepriesen. Unter dem Gesichtspunkt historischer Wahrheit wird das Ergebnis heute fast allgemein abgelehnt (vgl. insbes. Jahr, SZ 80, 141 m. w.N.). Rechts.;. politisch ist das Trennungs- und Abstraktionsprinzip insbes. in den dreißiger Jahren bekämpft worden (vgl. die Nachw. bei Larenz, SchuR II, § 35 II, S. 18 Fußn. 1). Die verschiedenen Probleme werden in dieser Kontroverse nicht immer mit hinreichender Deutlichkeit auseinandergehalten. Die Trennung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft hat beim Distanzgeschäft (Kauf unter Abwesenden), wo notwendigerweise Geschäftsabschluß (Kauf) und Besitzverschaffung auch zeitlich auseinanderfallen, unbezweifelbare Vorzüge. Die "inhaltliche Abstraktion" der Eigentumsübertragung (§ 929) ist dem Verkehr jedoch bis heute fremd geblieben, was nicht bedeutet, daß sie im Einzelfall als bewußte Konstruktion wirtschaftlich nicht sinnvoll bemüht werden kann. Bei Geschäften unter Anwesenden (Handgeschäften) ist schließlich die konstruktive Trennung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft weder sinnvoll noch geboten. Vgl. oben im Text IV, 1; ferner Oeckinghaus, bes. unter 1.5. 119 Die Notwendigkeit ist eine "scheinlogische", denn es wird aus dem Trennungsprinzip nur das deduziert, was Savigny (OR II, 257) hineingegeben hat; vgl. auch die Vorlesungsnachschrift Krauts, zitiert bei Felgentraeger, Savignys übereignungslehre, S. 35.

§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

160

Zu (1) Die Notwendigkeit der Besitzübergabe folgt aus dem Trennungsprinzip. Zu (2) Die Notwendigkeit der Bestimmung des Zwecks der Besitzübergabe folgt aus der Tatsache, daß der Besitz mietweise, leihweise, zum

Zwecke der Übertragung des Eigentums (vgl. § 440 II: "Ist eine bewegliche Sache verkauft und dem Käufer zum Zwecke der Eigentumsübertragung übergeben worden, ...") überlassen werden kann. Da die Parteien die Übergabe und Übernahme nicht nur zum gleichen, sondern auch zu verschiedenen Zwecken wollen können, ist eine Einigung über den Zweck der Besitzübergabe erforderlich: Sie wird in Bezug auf den Tatbestand des § 929 dingliche Einigung120 genannt. Zu (3) Die Notwendigkeit einer Bestimmung des Zwecks der EigentumsübeTtragung folgt aus der Tatsache, daß das Eigentum zu verschiedenen Zwecken übertragen werden kann, mit den Worten des alten

Reichsoberhandelsgerichts12 1 :

"darlehnshalber, schenkungshalber, vergleichshalber, behufs der Bestellung eines Heirathsguts, behufs Tilgung einer dem Empfänger zustehenden Forderungusw.". Auch die Eigentumsübertragung können die Parteien nicht nur zum gleichen, sondern auch zu verschiedenen Zwecken wollen, daher ist eine Einigung über den Zweck der Eigentumsübertragung notwendig; der historische Name dieses Zwecks ist justa causa traditionis. Die justa causa traditionis kann sein ein Austauschzweck, ein Liberalitätszweck, ein Abwicklungszweck; konkreter: Kaufzweck (causa emptionis), Schenkungszweck (causa donandi), Ausstattungszweck (causa dotis), Erfüllungszweck (causa solvendi), Vergleichszweck, Sicherungszweck (causa fiduciae) usw.122 Aus der Möglichkeit, die Übereignung einer Sache in der Weise vorzunehmen, daß der Eigentumsübertragung ein Verpflichtungsgeschäft (Kauf, Schenkungsversprechen) vorgeschaltet wird, welches den Eigentumsübergang noch nicht bewirkt, folgt also zwingend das Erfordernis einer Einigung über den Zweck der Besitzübergabe (dingliche Einigung, § 929); ebenso zwingend folgt daraus - auch ohne daß das Gesetz dies 120 Bei Immobilien (§§ 873, 925) wird von Auflassung gesprochen. Die Auflassung ist die einzige Form, in welcher im praktischen Rechtsverkehr die Parteien sich- veranlaßt vom Notor- abstrakt über den Eigentumsübergang einer Sache einigen; meist wird allerdings die "Auflassung" auch nur vom Notar in die Maschine der Sekretärin diktiert, und die Parteien hören "gläubig" zu (vgl. Beyerle, Festschr. f. Boehmer, S. 165). Bei beweglichen Sachen ist wohl noch nie eine "dingliche Einigung" förmlich ausgesprochen worden (ebenso Planck-Brodmann, § 929; Bem. 3 b, S. 447).

m

ROHG 18, 260.

m Vgl. die weiteren weiteren Beispiele oben IV, 3, A und B.

IV. Formen, Arten und Zwecke der Güterbewegung

161

besonders hervorhebt - die Notwendigkeit einer Einigung über den Zweck der Übereignung (justa causa traditionis). Noch nicht geklärt ist damit aber die Frage, wie die Übereignung von der Zweckvereinbarung und der Erreichung des vereinbarten Zwecks abhängig sein soll. Das hier vorgeführte System und seine begriffliche Apparatur erfaßt alle denkbaren Gestaltungsmöglichkeiten. Das ist sein größter Vorzug vor allen anderen Systemen, die einen typischen Fall zum Prinzip erheben125 und die davon nicht erfaßten Fälle mit Ausnahmesätzen lösen müssen124• Die Übereignung kann gedacht 'Werden125 : (1) als von der Zweckvereinbarung und der Zweckerreichung abhängig, die Erreichung des vereinbarten Zwecks ist dann zur aufschiebenden Bedingung der dinglichen Einigung gemacht; (2) als zwar abhängig von der Zweckvereinbarung ("inhaltliche Kausalität"), nicht aber von der Zweckerreichung (keine "äußerliche Kausalität"); (3) als unabhängig von Zweckvereinbarung und Zweckerreichung1" . Das Gesetz zwingt nicht dazu, wie eine verbreitete Lehre anzunehmen geneigt ist, den Minimaltatbestand des § 929 als zwingendes Recht zu begreifen (auch ein Eigentumsvorbehalt könnte sonst nicht vereinbart werden127; die Parteien sind vielmehr frei, jede der aufgezeigten Gestaltungsmöglichkeiten selbst zu bestimmen. Die entscheidende Frage ist jedoch: was wollen die Parteien im ZweiUnd die Antwort muß m. E.lauten: Wer sein Eigentum zum Zwecke der Erfüllung einer Verpflichtung oder um einer Gegenleistung willen

fel128?

ua Vgl. oben IV, 4 a am Ende (nach Fußn. 102). m Vgl. insbes. die Bsp. (unten V) zum gespaltenen Rechtsgrundbegriff und die Ausnahmen zum Erfüllungsbegriff der Theorie der realen Leistungsbewirkung, wenn der Schuldner (nicht ein Dritter, § 267) nicht "objektiv erkennbar" zur vereinbarten Zeit am vereinbarten Ort genau das an den Gläubiger (nicht an einen Dritten, § 362 II) leistet, was geschuldet ist. 125 Vgl. auch oben II, These 12 und unten VIII, 4 A. 121 Vgl. oben IV, 4 a, bezüglich der Nachweise dieser Lehre gilt allerdings das in Fußn. 111 Gesagte; immerhin behauptet Breyhan (Abstrakte übereignung, S. 79 ff.) ernsthaft, die Vereinbarung einer Bedingung sei durch das zwingende Abstraktionsprinzip ausgeschlossen. m Vgl. oben Fußn. 109. us Ganz deutlich in diesem Sinne auch Westermann (SaR, § 4 IV, 2): "Da aber auch konkludente Erklärung (lies: einer Bedingung bei der dinglichen Einigung) ausreicht, hängt die praktische Tragweite des Abstraktionsprinzips davon ab, in welchem Umfang eine solche Art der Bedingungssetzung angenommen wird." Allgemein meint Westermann, Mindestvoraussetzung einer konkludenten Vereinbarung der Bedingung sei, "daß den Beteiligten die Ungewißheit (lies: des Eintritts der Bedingung) bewußt wird". Im einzelnen schränkt er diese allgemeine Voraussetzung jedoch wesentlich ein, z. B.: "Bei Geschäften des täglichen Lebens können die Umstände darauf schließen lassen, daß der Eigentumsübergang bis zur Zahlung des Kaufpreises bedingt sein soll. 11 Ehmann

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§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

anbietet, will es nicht verlieren, wenn der andere es als Geschenk oder zu anderem Zweck, als es angeboten wurde, annehmen willm. Dagegen hat sich der Verkehr wohl doch an die Unabhängigkeit des Übereignungsgeschäfts vom Bestand des Verpflichtungsgeschäfts, d. h. an die Abstmhierung von der Zweckerreichung gewöhnt, so daß im Zweifel davon auszugehen ist130• Notwendig abstrakt, d. h. notwendig unabhängig sowohl von der Zweckerreichung wie der Zweckvereinbarung, sind dagegen die Übertragung des Grundstückseigentums (§ 925 II) und des Erbbaurechts (§ 11 I , 2 ErbbauV0) 131 • Notwendig kausal sind dagegen die sog. akzessorischen Rechte (Bürgschaft, Fahrnispfand, Hypothek132• Zur Entstehung dieser Rechte muß der Sicherungszweck (causa fiduciae) vereinbart und erreicht werden; Bürgschaft, Pfandrecht und Hypothek kommen nicht zur Entstehung, wenn die zu sichernde Forderung nicht besteht. Pfandrecht- und Hypothekenbestellung sind also- obwohl Verfügungsgeschäfte- notwendig kausal. Es gibt also nicht nur notwendig abstrakte Verpflichtungsgeschäfte (Art. 1 Ziff. 2 WG133), sondern auch notwendig kausale Verfügungsgeschäfte. Diesem Satz, isoliert ausgesprochen, würden bestimmt viele instinktiv widersprechen, weil er in das weitverbreitete Verständnis des Abstraktionsprinzips nicht paßt.

Bei gleichzeitigem Angebot zum Abschluß des Grundgeschäfts und der Verfügung seitens des Veräußernden kann der Empfänger der Erklärungen nur beide zusammen annehmen oder ablehnen: Annahme der Kaufofferte ist Bedingung für das Angebot zur Übereignung. Grund- und Erfüllungsgeschäft stehen im übrigen im üblichen Verhältnis." Im Ergebnis läuft das auf eine freie Auslegung des Parteiwillens (§§ 133, 157) hinaus, wie sie auch im Text vertreten wird. Vgl. ferner v. Tuhr, AT II, 2, § 73 II, 1; Planck-Brodmann, § 929 Bem. 3 c, o, S. 450 (mit Anlehnung an Breyhan, Abstrakte Übereignung und w. N. aus dem älteren Schrifttum; WolffRaiser, SaR, § 66 I, 2, S. 238; Erman-Westermann, § 929, Bem. 3; StaudingerBerg, § 929 RdN 25). 129 Ebenso v. Tuhr, AT, II, 2, § 73 II, 1 um Fußn. 21 ; Kress, ASchuR, § 5, nach Fußn. 33 und Fußn. 36; Esser, SchuR, 2. Aufl., § 70, 7 b; Westermann, SaR, § 4, IV, 2;Ehmann in JZ 68, 551 Fußn. 11. tso Allgem. Meinung.

131 Zweüelhaft ist allerdings, ob eine zu bestimmtem Zweck (Erfüllung des Kaufvertrags) angebotene Auflassung auch ohne diese Zweckbestimmung oder zu anderem Zweck (etwa schenkweise) angenommen werden kann. Jahr (SZ 80, 154 Fußn. 36) sagt im Anschluß an Siber (Festschr. f. Sohm, S. 16 ff.), das mit einer Zweckbestimmung gekoppelte Auflassungsangebot sei keine Bedingung der Auflassung - die § 925 II nur verbiete -, "sondern eine zulässige Modifikation des Übereignungsantrags", der nur mit der Zweckbestimmung oder gar nicht angenommen werden könne. Dagegen aber v. Tuhr (AT, II, 2 § 73 Fußn. 26): "Das Gesetz will m . E. durch Ausschluß der Bedingung die Auflassung völlig von ihrer causa isolieren." m Kress, ASchuR, § 5 nach Fußn. 29, S. 46; allgem. Meinung. 133 Vgl. Baumbach-Hefermehl, WG § 1 RdN 4.

IV. Formen, Arten und Zwecke der Güterbewegung

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d) Die Zerstörung des Systems (Stampe, Boehmer) Ziemlich unbeschwert vom theoretischen Ballast des gemeinen Rechts und dessen tiefgründigen Untersuchungen befaßte sich dagegen Boehmer mit der causa-Lehre. In einem Aufsatz von 1913 über "Realverträge im heutigen Rechte" heißt es z. B.: "Versteht man also unter causa den rechtlichen Zweck einer Vermögenszuwendung, wie es hier geschehen ist und regelmäßig geschieht, so gibt es nur eine causa, die causa solvendi; faßt man aber, wie man es seltener findet, causa als die rechtliche Grundlage derVermögenszuwendung, so gibt es gleichfalls nur eine causa, nämlich den obligatorischen Vertrag selbst, die causa obligandi134." Damit sollte das System zerstört, "das logische Gebäude der gemeinrechtlichen causa-Lehre", wie Boehmer stolz und selbstgefällig schrieb135 , in sich zusammengefallen sein. Eine Erfüllungszweckvereinbarung (causa solvendi) sollte ebensowenig noch notwendig sein wie eine Einigung über den Zweck der Übereignung (justa causa traditionis), da dieser nach jener Lehre stets eine causa solvendi sein soll, die keine rechtsgeschäftliehe Natur habe; denn jedem Verfügungsgeschäft müsse ein Verpflichtungsgeschäft (causa obligandi = causa solvendi) vorangehen. Realverträge, Handgeschäfte gäbe :es nicht: "Es muß demnach als Endergebnis der Satz aufgestellt werden, daß die Vermögenszuwendung stets und überall im Systeme des heutigen Privatrechts in dem obligatorischen Vertrage nur festgesetzt wird, daß ihre tatsächliche Ausführung dagegen stets eine Verwirklichung des Obligationsinhalts und somit Erfüllungsakt ist138."

Boehmer glaubte, damit den Auftrag seines akademischen Lehrers Stampe erfüllt zu haben, welcher lautete137 :

"Es bedarf deshalb der Umkehr und des Neu-Aufbaues der Materie in rechtspolitisch brauchbarer Gliederung.... Das bedeutet freilich eine Riesenarbeit, die die Kraft eines Einzelnen übersteigen dürfte; denn es handelt sich bei der zentralen Bedeutung des causa-Problems um eine formelle und materielle Um~ gestaltung des Zivilrechtssystems in großem Umfange, die namentlich im allgemeinen Teil und Obligationenrecht zu tief einschneidenden Änderungen führen dürfte.... Die alte Dreiteilung in causa credendi solvendi donandi, welche ja längst verlassen ist, erscheint auch von unserem Standpunkt aus selbstverständlich als abwegig.... Die logisch-formelle Auffassung der causa als ,Zweck oder Grund des Rechtsgeschäfts' konnte hierüber natürlich nicht die Augen öffnen, wirkte vielmehr in gerade entgegengesetzter Richtung138." 1a•

ArchBürgR 38,315 ff. (333).

1ss Erfüllungswille, S. 46. us ArchBürgR 38, 126. 1a7 Causa-Problem, S. 38 f.

138 Diese Gedanken wurden von Stampe selbst noch näher ausgeführt in: Grundriß der Wertbewegungslehre I und II (= AcP 108, 42 ff. und AcP 110, 119 ff.). Eine Auseinandersetzung mit diesem Versuch eines neuen Systems der Schuldverhältnisse erscheint heute nicht mehr lohnend, jedenfalls aber in diesem Rahmen nicht geboten zu sein; vgl. dazu jedoch die ablehnende Bemerkung bei Enneccerus-Lehmann, SchuVerh, § 222 Fußn. 3.



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§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

Daß der Boehmersche "Erfüllungswille", der Teil dieser "Riesenarbeit des Neu-Aufbaus der causa-Lehre" sein sollte, dennoch aber ohne Beachtung der Zusammenhänge entwickelt wurde, so großen Einfluß auf die Entwicklung unseres Zivilrechtssystems gewann, ist heute kaum noch zu begreifen. Der Glaube an den Wortlaut des neu geschaffenen Gesetzes (BGB) verbunden mit dem stetigen Verlust des Wissens um den systematischen und begrifflichen Zusammenhang des kodifizierten Normengefüges sind wohl die letzten Gründe dieser Entwicklung139• Hinzu kommen die geistigen Begleiterscheinungen der beiden Weltkriege und vor allem die Ideologisierung des Rechts im sogenannten Dritten Reich140• Und dennoch überrascht das Tempo, in dem die Vulgarisierung der Zivilrechtsdogmatikfortgeschritten ist und das System "verwischt" (Rabel141) wurde. V. Erfüllungs- und Rechtsgrundbegriff

1. Die sogenannte "überwiegende Lehre" Bekanntlich behauptet die "überwiegende Lehre", Rechtsgrund eines Verfügungsgeschäfts sei das Verpflichtungsgeschäft (Kausalgeschäft)142, eine Erfüllungszweckvereinbarung als Voraussetzung der Erfüllung sei "unnötiges Gerede" 143, Erfüllung trete ein, wenn der Schuldner "objektiv erkennbar" das Geschuldete leiste144• Diese Lehre beruht, wie bereits gesagt, auf dem Axiom, es gebe keinen Realvertrag, vielmehr müsse jedem Verfügungsgeschäft ein Verpflichtungsgeschäft vorangehen145• Diese Lehre fällt mit ihrem Axiom und ist daher widerlegt mit der Anerkennung, daß eine Verfügung zu verschiedenen und noch zu anderen Zwecken als zur Erfüllung erfolgen kann146• 2. Die Erfüllungszweckvereinbarung und ihre Funktion

Wenn das aber so ist, so bedarf auch der Erfüllungszweck (causa solvendi) der Vereinbarung der Parteien, und zwar nicht nur als Voraus139 "Daß den VortheBen einer Codifikation die Gefahr der Erstarrung der Wissenschaft gegenüber steht, ist eine zum Gemeinplatz gewordene Erkenntnis" (Lenel, AcP 74. Bd. [1889], S. 213). 140 Vgl. dazu vor allem Rüthers, Unbegrenzte Auslegung. 141 RheinZ 1919, 89 ff.: Ausbau oder Verwischung des Systems? = Ges. Aufsätze I, S. 309 ff. 142 Vgl. oben IV, 4 a und die dortigen Nachw. 143 Boehmer, Erfüllungswille, S. 57. 146 Larenz, SchuR I, § 18 I im Anschluß an Kretschmar, Erfüllung, und Boehmer, Erfüllungswille; genaue Nachweise bei Ehmann, JZ 68, 554 Fußn. 48 bis 52; vgl. ferner Ehmann in NJW 69, 1833 ff. und oben§ 3 II, 3. 145 Vgl. oben IV,l. 14& Vgl. oben IV, 2 und 3.

V. Erfüllungs- und Rechtsgrundbegriff

165

setzung der Erfüllung, sondern auch des Eigentumsübergangsm - denn im Zweifel ist die Übereignung von der Zweckvereinbarung nicht abstrahiert - und zur Schaffung des Rechtsgrunds i. S. des § 812 I, 1 1. Alt. Die Erfüllungszweckvereinbarung hat also nicht nur die Funktion, zusammen mit der Zuwendung des Geschuldeten den Schuldner zu befreien (Befreiungsfunktion), sondern ist auch Voraussetzung des Vollzugs-(Verfügungs-}geschäftes (Bewirkungsfunktion der justa causa traditionis} und schafft darüber hinaus, wenn der Erfüllungszweck erreicht wird, den Behaltensgrund für die bewirkte Leistung (Behaltensfunktion}; im übrigen bewirkt sie noch die Fälligkeit der Gegenleistung (Austauschfunktion,§ 320} u. a. m.14s.

3. Der Rechtsgrundbegriff bei den Leistungskondiktionen (§ 812 I, 11. Alt. BGB) Es bedarf wohl kaum noch einer Hervorhebung, daß auch der vereinfachte Rechtsgrundbegriff jener Lehre zu eng ist. Larenz spürt das in seiner Darstellung des Bereicherungsrechts offenbar selbst, wenn er schreibt: "Ohne rechtlichen Grund ist demnach eine Leistung dann erlangt, wenn zwischen dem Leistenden und Empfänger weder ein Schuldverhältnis bestand, aus dem dieser sie zu verlangen berechtigt war, noch eine gültige Rechtsgrundabrede zwischen ihnen getroffen warut." Larenz spaltet also den Rechtsgrundbegriff, bzw. er erkennt neben dem unzulänglichen Rechtsgrundbegräf der Verpflichtung noch einen weiteren (die Rechtsgrundabrede150} an, der die Unzulänglichkeit des Systems verdecken soll, ebenso wie er neben dem Erfüllungsbegriff der "Theorie der realen Leistungsbewirkung" eine Abrede über den Zweck der Leistung für erforderlich hält, wenn die Beziehung der Leistung zu einer Obligation nicht "offenkundig" ist161 • Das vereinfachte System bedarf überall der Korrektur, wo es über den einfachen Fall hinaus etwas erklären soll. Lehmann hat dagegen in der Bearbeitung des Lehrbuchs von Enneccerus die von letzterem vorgeprägte richtige Spur nie verlassen. Lehmann162 141 Weil ein und dieselbe Leistung auch zu anderem Zweck als zur Erfüllung erbracht werden kann, und weil der Gläubiger sie zu anderem Zweck annehmen kann als der Schuldner leisten wollte (Irrtum und Dissens). 148 Zu den verschiedenen Funktionen der Erfüllungszweckvereinbarung vgl. Verf. in JZ 68, 556 Fußn. 89 und NJW 69, 1836. 1" SchuR li, § 62 I a, S. 366; ähnlich auch in der 10. Aufl., S. 407. 150 In der 10. Aufl. (§ 68 I b, S. 407) spricht Larenz jetzt auch von "Zweckvereinbarung". 161 SchuR I, § 18 I, 4, S. 174. Noch deutlicher erklärte Boehmer (Erfüllungswille, S. 74) : "Sobald der Schuldner in irgend einem Punkte von dem Inhalte seiner Leistungspflicht abweicht, ist eine Zustimmung des Gläubigers und damit ein Erfüllungsvertrag unentbehrlich." Ebenso Kretschmar, Erfüllung, S. 122 und in JherJb 85, 203; dazu Ehmann, JZ 68,554. 152 Enneccerus-Lehmann, SchuVerh, § 222, S. 886 ff.

166

§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

blieb bei der Unterscheidung der Leistungskondiktion von der heute sogenannten Eingriffskondiktion, die bereits Enneccerus153 vorgenommen hatte, und erklärte - darin gleichfalls Enneccerus folgend - den Rechtsgrund der Leistungskondiktion wie folgt : "Beruht die Bereicherung auf dem Willen, mithin einer Leistung des Geschädigten, so liegt eine causa im subjektiven Sinne stets vor; denn vermögensmindernde Willenserklärungen (zu diesen gehören die Leistungen) werden nicht grund- und zwecklos vorgenommen. Hier ist also die Bereicherung nur ausnahmsweise eine ungerechtfertigte, nämlich wenn es 1. gleichwohl an einer gültigen Festsetzung des Zwecks fehlt oder 2. wenn der Zweck zwar gültig gesetzt ist, aber nicht erreicht wird oder 3. zwar erreicht wurde, aber nachträglich wieder weggefallen ist154." Ebenfalls unverändert ließ Lehmann die von Enneccerus getroffene Bestimmung des Zwecks der Leistung: "Die Festsetzung des Zwecks der Leistung erfolgt durch Rechtsgeschäft, und zwar in der Regel durch Vereinbarung zwischen Leistendem und Leistungsempfänger156." Die condictio indebiti wird im folgenden dann so erklärt, die Zweckvereinbarung sei nichtig, weil die Erreichung des Zweckes unmöglich sei. Das beruht·auf der Auffassung, eine Einigung der Parteien über den Zahlungszweck einer Zuwendung sei noch kein Zahlungsgeschäft, sie sei ein solches erst, wenn eine Schuld wirklich vorliegt158. Aber dem kann nicht gefolgt werden, der Rechtssatz des § 306 paßt nicht auf eine Zweck:.. Vereinbarung. Auch die Leistung einer Nichtschuld ist ein zunächst wirksames Leistungsgeschäft151, welches regelmäßig das Eigentum an dem Leistungsgegenstand auf den Empfänger überträgt; die Leistungskondiktion ist in solchem Fall gegeben, weil der vereinbarte Zweck nicht

153 Enneccerus (BR li, § 442, S. 616): "Ich unterscheide drei solcher Hauptkategorien, je nachdem der Bereicherte etwas erlangt hat durch den Willen des Geschädigten, also durch eine Leistung (I), oder ohne dessen Willen, jedoch durch die Handlung einer Person (li), oder ohne die Handlung einer Person nur infolge gesetzlicher Vorschrift (III)." In der Fußnote hierzu bemerkt Enneccerus: "Das Gesetz(§ 812) unterscheidet, ob etwas erlangt ist durch ,die Leistung' des Geschädigten oder ,in sonstiger Weise'; allein die Zusammenfassung aller nicht auf einer Leistung des Geschädigten beruhenden Bereicherungsfälle in einer einzigen Kategorie gewährt keinerlei Aufschluß über deren Wesen. Schon darum ist die Teilung dieser unbestimmten Sammelkategorie in die im Texte gemachten beiden Klassen li u . III geboten, noch mehr aber deshalb, weil die Frage, wann die Bereicherung grundlos sei, bei jeder dieser Klassen anders zu beantworten ist (darüber im Texte unter II u. III)." Lehmann (§ 222) hat diese Kategorisierung beibehalten und die zitierte erklärende Fußnote in den Text gesetzt, um sich in der Fußnote hierzu(§ 222 Note 3) gegen das SystemStampes zu wenden (vgl. oben Fußn. 138). · 1M SchuVerh, § 222 I, S. 877; vgl. dazu RGZ 133, 277. 155 SchuVerh, § 2221,1, S. 888. 158 So in der Tat Kriegsmann (Rechtsgrund, S. 21) gegen Kohler (ArchBürgR 18, 111 f.); wobei Kriegsmann (vgl. S. 54 aaO) sich allerdings selbst widerspricht. 1s1 Richtig schon Kohler, ArchBürgR 18, 111.

V. Erfüllungs- und Rechtsgrundbegriff

167

erreicht wird: Zweckvereinbarung und Zweckerreichung bilden zusammen den rechtlichen Grund einer Leistung i. S. des § 812 1168• Im Falle einer Leistung zur Erfüllung einer nichtigen Verpflichtung mangelt der Rechtsgrund danach also deswegen, weil der mit der Leistung verfolgte Zweck (causa solvendi) nicht erreicht wird. Im Fall des § 817 (condictio ob turpem causam) mangelt der Rechtsgrund, weil die Zweckvereinbarung wegen Sittenwidrigkeit (§ 138) nichtig ist; wenn der Empfänger die zum Zwecke der Erfüllung angebotene Leistung als Schenkung annimmt, fehlt der Rechtsgrund wegen des Dissenses in der Zweckvereinbarung; ebenso fehlt der Rechtsgrund, wenn der Empfänger eine zur Erfüllung eigener Verbindlichkeit (§ 362 I) angebotene Leistung als Erfüllung fremder Schuld(§ 267) annimmt. Die Bestimmung des Rechtsgrundbegriffs durch eine Zusammenfassung von Zweckvereinbarung und Zweckerreichung ist eine notwendige Folge der gestuften Art der Abwicklungszwecke, sie bilden einen zureichenden Behaltensgrund erst durch ihre Erreichung, welche voraussetzt, daß das Schuldverhältnis, welches aufgehoben, geändert oder gesichert werden soll, auch besteht158• Auch die Vereinbarung des Austauschzwecks genügt den Parteien in der Regel nicht; bei den kausalen Versprechensverträgen (Kauf, Miete usw.) setzt sogar das Gesetz die Zweckerreichung als Voraussetzung ihrer Entstehung (sog. genetisches Synallagma)160 • Bei den zum Zwecke des Austauschs getätigten Verfügungsgeschäften (z. B. Handkauf) werden die Parteien regelmäßig die Übereignung nicht nur von der Vereinbarung, d. h. dem Erhalt einer ordnungsgemäßen Gegenleistung abhängig machen wollen181 • Bei den Handgeschäften, insbesondere der Handschenkung, können Zweckvereinbarung und Zweckerreichung jedoch auch zusammenfallen; der Schenkungszweck wird mit seiner Vereinbarung bereits erreicht162• m Kress, ASchuR, § 5, S. 47; Planck-Landois, § 812, Anm. 3 a und ß; PalandtThomas, § 812 Anm. 6; Ehmann, NJW 69, 398 ff. m. w . N. Für EnneccerusLehmann (§ 222 I) ist eine Leistung grundlos; 1. wenn es an einer gültigen

Zwecksetzung fehlt; 2. wenn der durch Rechtsgeschäft festgesetzte Zweck "gleichwohl nicht erreicht wird (Kondiktio wegen Nichterfolg), unten § 224)" ; oder 3. wenn der wirksam festgesetzte Zweck zunächst auch erreicht wird, später aber wieder wegfällt. Der Unterschied zwischen dieser Kategorisierung und der Kressschen Formel beschränkt sich auf die mangelnde begriffliche Erfassung des Prinzips durch

Enneccerus-Lehmann. 1se

Vgl.Kress, ASchuR, § 5, 1 b, S. 36.

uo Vgl. Jahr, SZ 80, 150 Fußn. 32.

161 Zutreffend Kress, ASchuR, § 7, 1; ferner Jahr, SZ 80, 154 f. Das bedeutet, daß die Zweckverfehlung bei Handgeschäften schon den Eigentumsübergang hindert. 162 So Kress, ASchuR, § 5, 2 b, S. 43; Jahr, SZ 80, 157 f .

168

§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

In diesen Fällen ist also die Zweckvereinbarung, die doch wohl identisch ist mit dem, was Larenz163 unter "Rechtsgrundabrede" versteht, für sich allein der Rechtsgrund. Die Fälle der sog. condictio causa data non secuta (§ 812 I, 2, 2. Alt.) werden von dieser Vereinfachung aber wiederum nicht erfaßt, sondern das Gesetz spricht davon, daß "der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bewirkte Erfolg nicht eintritt", d. h. der vereinbarte Leistungszweck nicht erreicht wird184•

4. Der einheitliche Zweckbegriff Was mit der vorstehenden Kurzdarstellung des Erfüllungs- und Rechtsgrundbegriffs im Rahmen dieser Arbeit zu zeigen war, ist die notwendige Einheitlichkeit des Zweckbegriffs auf allen Stufen seiner Erscheinung im System der Güterbewegung. Geschäftszweck (innere causa), Leistungszweck (äußere causa), Erfüllungszweckvereinbarung (causa solvendi), Rechtsgrund i. S. der Leistungskondiktion, Einigung über den Zweck der Verfügung (justa causa traditionis) sind nicht jeweils etwas Verschiedenes, sondern nur verschiedene Namen für einen Zweck je nach der Funktion und dem Ort im System der Bewegung der Güter. Daraus folgt als eine Selbstverständlichkeit, daß dieser Zweck stets nur bestimmt werden kann durch den rechtsgeschäftliehen Willen der Parteien, daß er also zum Inhalt eines Rechtsgeschäfts oder zum Rechtsgrund einer Leistung nur werden kann durch die Vereinbarung der Parteien1115•

VI. Der Schutzzwecktee

Im Gegensatz zu den Zwecken, die der Bewegung der Güter dienen (Verpflichtung, Verfügung), die grundsätzlich durch die Zweckvereinbarung der Parteien bestimmt werden, wird der Zweck der gesetzlichen Vgl. oben um Fußn. 149; deutlich in der 10. Aufl.; vgl. oben Fußn.150. Näheres bei Jahr, SZ 80, 158 f. tas Vgl. oben III, 2, insbes. Fußn. 36. 181 Die Lehre vom Schutzzweck ist maßgeblich von Kress entwickelt (vgl. insbes. ASchuR, § 1, 2 und 3; § 2, § 4, 2; § 5, 4 und insbes. § 23), sie ist eine Fortentwicklung der Theorie, die im absoluten Recht "eine unbegrenzte Vielheit von Ansprüchen gegen Jedermann auf Unterlassen" (Windscheid) annimmt und auf Windscheid zurückgeht (zur Entwicklungsgeschichte dieser Lehre vgl. insbesondere Langheineken, Anspruch und Einrede, S. 8 f., an den auch Kress [vgl. ASchuR, § 1 Fußn. 19] anknüpft). Kress hat mit dieser Lehre die Verbindungslinien zwischen dem Schutzzweck und der herkömmlichen von ihm verfeinerten causa-Lehre sichtbar gemacht und in das System eingefügt. Die neuere Dogmatik hat daran nicht weitergearbeitet, vgl. Larenz, SchuR I, S. 8 f., 89 f., 110 f., 268 f.; ferner Deutsch, Die Zwecke des Haftungsrechts, JZ 71, 244, der aber unter dem Begriff des "Zwecks" etwas anderes versteht. Die folgende Darstellung des Textes begnügt sich im wesentlichen mit einer Darstellung der Grundzüge der Kressschen Lehre. Eine kritische Aufarbeitung der Probleme muß in anderem Rahmen erfolgen. 183

1"

VI. Der Schutzzweck

169

Schuldverhältnisse, die stets dem Schutz der Güter dienen (z. B. §§ 823 I, 1004, 861, 1007, 985, 990), durch das Gesetz bestimmt187• Schutzansprüche können aber auch durch einen Vertrag begründet werden (Wettbewerbsverbot, Versicherungsvertrag), dann ist auch der Schutzzweck durch die Vereinbarung der Parteien bestimmt worden188• Der gesetzliche Schutz ist grundsätzlich168 von absoluter, d. h. gegen jedermann gerichteter, der vertragliche Schutz nur von relativer Wirkung. Die Schutzansprüche können auf positive Leistung (Beseitigung, Schadenersatz) oder auf negative Leistung (Unterlassung) gerichtet sein. Aus den auf negative Leistung (Unterlassung) gerichteten "unentwickelten" Schutzansprüchen (Schutzpflichten) können sich bei Verletzung der Pflichten auf positive Leistung (Wiedergutmachung) gerichtete Schutzansprüche (Schadenersatzansprüche) entwickeln170• Auch die auf positive Leistung gerichteten Schutzansprüche können "unentwickelte" Ansprüche sein171, z. B. wenn erst der Eintritt eines bestimmten Ereignisses den Leistungsanspruch auslöst (z. B. Eintritt des Schadensfalles bei der Schadensversicherung) oder wenn der Eintritt einer Gefahr die Pflicht zur Gefahrenanzeige auslöst (z. B. § 545 BGB). Der Schutzzweck ist unter rechtlichem Aspekt für die auf Güterschutz gerichteten Ansprüche eine stets zureichende causam. Bei den gesetzlichen Schutzansprüchen versteht sich dies fast von selbst, denn der gesetzgeberische Grund des Schutzes eines Gutes ist als Motiv des Gesetzgebers für das Zustandekommen und den Fortbestand eines Rechtsanspruchs ohne Bedeutung. Vertraglicher Schutz wird dagegen selten ohne weiteren Grund (Zweck) versprochen werden. Werden die Schutzansprüche als Hauptleistung (Wettbewerbsverbot, Versicherungsschutz) versprochen, so geschieht dies in aller Regel um einer Gegenleistung willen; der Austauschzweck ist dann dem Schutzzweck angestaffelt173• Häufig ist die Schutzpflicht nur Nebenpflicht (§ 242) eines auf andere Leistung gerichteten Vertrages (Kaufvertrag, Dienstvertrag usw.); sie ist dann weitgehend unabhängig vom Zweck des Hauptvertrages; selbst bei 187

Vgl. Kress, ASchuR, § 5, 4, S. 57 und§ 4, 2, S. 22 f.

1es Vgl. Kress, ASchuR, § 1, 2 b, S. 5.

1" Auch gesetzliche Ansprüche können jedoch nur gegenüber bestimmten Personen gewährt sein, z. B. der Unterhaltsanspruch, aber auch die kraft objektiven Rechts (zwingend oder dispositiv) auf Grund eines Schuldverhältnisses gegebenen Neben- und Schutzpflichten (z. B. Gewährleistungsansprüche, Obhutspftichten, Lohnfortzahlungsansprüche, Pflichten aus § 242) sind von relativer Wirkung. no Kress, ASchuR, § 1, 3; § 23, 2. m Kress, ASchuR, § 23, 1 b, S. 579. m Kress, ASchuR, § 23 um Fußn. 2. na Kress, ASchuR, § 23, 1 b.

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§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

Nichteinigung über den Hauptzweck (z. B. Kauf einer Linoleumrolle) oder im Falle des Rücktritts vom Vertrag kann die Verletzung vertraglicher bzw. vorvertraglicher Schutzpflichten zu Schadensersatzverpflichtungen führen 174• Wird der Schutz eines Gutes unentgeltlich versprochen, so liegt keine Schenkung vor; denn Schenkung setzt eine unentgeltliche Zuwendung voraus (§ 516) und Schutz eines Gutes ist grundsätzlich keine Zuwendung175• Eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung des Güterschutzes kommt jedoch auch ohne Einigung über einen weiteren Grund (Zweck) wirksam zustande und bleibt im Falle einer Ersatzleistung tragfähiger Bestandteil eines Behaltensgrunds (§ 812 1)176. Die gesetzlichen Schutzansprüche sind in der Regel auf negative Leistung (Unterlassung) gerichtet. Häufig entspringen sie aus Verbotsnormen (z. B. § 823 II, § 263 StGB) oder verbergen sich hinter der Hilfsvorstellung des absoluten Rechts (z. B. Eigentum) 177• Das bloße Dasein dieser Normen (die Drohung mit Strafe und Schadensersatz) soll von der Verletzung der geschützten Güter abhalten178 ; mit Verletzung der Schutzpflicht verwanm Kress, ASchuR, § 23,2 b und c, S. 590 ff.; vgl. auch§ 1, 3 b, S. 6 f. 175 · "'ber den Begriff der Zuwendung vgl. insbes. v. Tuhr, AT II, 1, § 71; besonders problematisch ist, ob eine Unterlassung Zuwendung oder Leistung sein kann (vgl. v. Tuhr, aaO, § 72 um Fußn. 25- 27; ferner Kress, ASchuR, § 1 Fußn. 19 und § 23, 1 f., S. 585 m. w. N.); die verschiedenen Arten des Unterlassens entziehen sich wohl einer einheitlichen Beurteilung; vgl. H. Lehmann, Unterlassungspfticht, S. 50 ff. (§ 5, Die Unterlassung als Leistung). Die Problematik der Unterlassungspflichten bedürfte auch im Zivilrecht dringend einer neueren Bearbeitung. Das Gleichstellungsdogma (Unterlassung= Leistung) beweist sich in vielen Einzelerscheinungen (z. B. bei der Erfüllung) als unbrauchbar. Die Zivilrechtsdogmatik hat bezüglich der Handlungsproblematik des Unterlassens nicht nur jeden Anschluß an den Stand der Strafrechtsdogmatik, sondern auch an ihre eigene Tradition verloren, vgl. z. B. Gerhart Husserl, Negatives Sollen im Bürgerlichen Recht, Breslau 1931. 178 Rechtsgrund im Sinne einer Leistungskondiktion ist Zweckvereinbarung und Zweckerreichung (vgl. oben, V, 3). Die Schutzvereinbarung (Schutzzweck) wird bei im Hinblick auf ihre Verletzung erfolgender (zum Zwecke der Erfüllung) Schadenersatzleistung als Zweckerreichung im Behaltensgrund aufgehoben. 177 Kress, ASchuR, § 1, 3 c. Mit solcher Betrachtungsweise wird aus dem Begriff des absoluten Rechts (z. B. Eigentum) nur das wieder herausgeholt und sichtbar gemacht, was insbes. im gemeinen Recht hineingesteckt wurde. Vgl. z. B. Sohm (Institutionen, S. 21) : "So heißt es also z. B. in wissenschaftlicher Darstellung nicht: wenn Dir eine Sache auf Grund eines Kaufes übergeben worden ist, so hast Du das Recht, die Sache zu behalten, jeder Dritte soll sie Dir wieder herausgeben u.s.w. Es heißt: 1. Das Eigentum ist das seinem Inhalt nach unbeschränkte Recht der Herrschaft über eine Sache (Eigentumsbegriff). 2. Das Eigentum wird erworben durch Tradition (Definition der Tradition) oder durch Occupation (Definition) oder durch Usucapion u.s.w." Das Eigentum und die sonstigen absoluten Rechte sind keine metaphysische Institution, sondern definierte Begriffe mit einer bestimmten Funktion im Rechtssystem. 178 Das ist die sog. Abwehr- oder Präventionsfunktion der Schutzpftichten; vgl. Kress, ASchuR, § 1, 3 a, S. 6; ferner Deutsch, JZ 71, 246. Die Schutzpflichten

VII. Angestaffelte und gemischte Zwecke

171

delt sich der "unentwickelte" Schutzanspruch in einen auf positive Leistung gerichteten Schadenersatzanspruch. Auch die vertraglichen (relativen) Schutzansprüche können als Unterlassungsansprüche (unentwickelte Schutzansprüche) begründet werden (z. B. Wettbewerbsverbot); bei Verletzung entwickeln sie sich ebenfalls in auf positive Leistung (Schadensersatz) gerichtete Schutzansprüche. Unentwickelte relative Schutzansprüche sind insbesondere die sog. vorvertragliehen Schutzpflichten und die schuldrechtlichen Nebenpflichten (§ 242), bei deren Verletzung Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo bzw. "positiver Vertragsverletzung" entstehen178 • Insbesondere die relativen Schutzansprüche können jedoch auch auf positive Leistung gerichtet sein. Das gilt für Haupt- wie für Nebenansprüche (z. B. Versicherungsschutz; Obhutspfl.ichten). Zu den relativen Schutzansprüchen gehören auch die "fiktiven" Erfüllungsansprüche, dietrotzWegfall des Austauschzwecks als gesetzliche Reaktionswirkung bestehen bleiben (§§ 324, 447, 552, '616 u. a.); bei diesen Ansprüchen wird der weggefallene Austauschzweck durch den Schutzzweck ersetzt, die Ansprüche werden aber weiterhin als Erfüllungsansprüche behandelt (Fiktion)tso. Auch der Unterhaltsanspruch ist ein gesetzlicher, aber relativer, auf positive Leistung gerichteter Schutzanspruch, der den Unterhaltsberechtigten schützt, soweit dieser bedürftig ist, d. h. des Schutzes bedarf181 • VII. Angestaffelte und gemischte Zwecke

1. Der Begriff "gestaffelter" Zweck Die Vereinbarung und Erreichung eines typischen Zwecks (Austausch-, Liberalitäts-, Abwicklungs- oder Schutzzwecks) ist ein stets zureichend dieser Art werden nicht erfüllt, sondern beachtet; das RG (RGZ 63, 117) sagt im Anschluß an Langheineken (Anspruch und Einrede, S. 99; 246 ff.), sie befinden sich im Zustande der Erfüllung; vgl. Kress, ASchuR, § 1 Fußn; 19 und§23,1 f. 171 Negative Schutzpftichten (Unterlassungspftichten) können nur durch positive Handlungen verletzt werden; auf dem Irrtum Staubs (Positive Vertragsverletzung), es gebe nur negative Schutzpftichten aus Verträgen, beruht der Ausdruck "positive Vertragsverletzung"; es gibt jedoch auch positive Schutzansprüche (z. B. Schaffung sichernder Einrichtungen,§ 618 I, II; Erstattung von Gefahranzeigen, § 545 usw.), so daß es eigentlich auch "negative VertragsverIetzungen" gibt (vgl. dazu Kress, ASchuR, § 23, 2 b), die jedoch auch unter den Begriff "positive Vertragsverletzung" gebracht werden, weil sie weder Verzug noch Unmöglichkeit sind. 180 Vgl. auch§ 8 II, 1 e und§ 9 um Fußn. 28. · 181 Vgl. dazu unten§ 10. Im übrigen ist auch der Lohnfortzahlungsanspruch (§ 616 BGB, § 1 LfortG) gesetzlicher, relativer Schutzanspruch, vgl. dazu unten, §9 II.

112

§ 6 LehrevomZweck (causa-Lehre)

rechtfertigender Grund (causa) eines Rechtsgeschäfts182• Die Parteien verfolgen mit ihren Leistungen und Leistungsversprechen jedoch häufig noch andere typische oder atypische Zwecke, die nicht nur Motiv bleiben sollen, von deren Erreichung die Vermögensverschiebung (Leistung oder Leistungsversprechen) vielmehr in irgendeiner Form auch abhängig sein soll. Wie die typischen Primärzwecke bedürfen auch diese weiteren Zwecke (Gründe), um juristisch erheblich zu werden, der Vereinbarung der Parteien183• Diese Vereinbarung kann zwar wie alle rechtsgeschäftliehen Erklärungen auch stillschweigend erfolgen, braucht also keinesfalls "ausdrücklich" zu sein, aber da der typische Zweck bereits einen zureichenden Rechtsgrund liefert und der Versprechens- oder Leistungsempfänger weitere atypische Zwecke nicht zu vermuten braucht, wird sich eine deutliche und im Zweifel beweisbare Erklärung im Hinblick auf streitige Weiterungen doch regelmäßig empfehlen184•

2. Gesetzliche Vertragstypen mit angestaffeltem Zweck Auch im BGB sind einige Vertragstypen besonders geregelt, deren Tat:.. bestand die Einigung über einen weiteren (angestaffelten) Zweck verlangt. a) Durch den Gesellschaftsvertrag verpflichten sich die Gesellschafter, gegenseitig Beiträge zu leisten (Austauschzweck), um dadurch "die Erreichung eines gemeinsamen Zweckes in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern" (§ 705). Der vereinbarte, zu fördernde Gesellschaftszweck ist ein dem Austauschzweck angestaffelter Zweck, von dessen Erreichung das Gesellschaftsverhältnis abhängig ist und bleibt: "Die Gesellschaft endigt, wenn der vereinbarte Zweck erreicht oder dessen Erreichung unmöglich geworden ist" (§ 726)185• b) In einem Vergleich wollen die Parteien "im Wege gegenseitigen Nachgebens" bestehende oder vermeintlich bestehende Ansprüche endgültig abwickeln, d. h . der eine erläßt einen Teil der zweifelhaften Schuld, damit der andere den Restanteil anerkennt oder sofort leistet (Austauschzweck); beide geben nach (vergleichen sich), um den Streit oder die Ungewißheit über das Rechtsverhältnis zu beseitigen ("angestaffelter Frie181 Das entspricht wenn auch nicht in solcher Formulierung - der allgemeinen Meinung. Streitig ist es allerdings hinsichtlich des Sicherungszwecks, wo häufig- wegen des Abstraktionsprinzips- ein Verpflichtungsgeschäft als notwendig vorgeschaltet gedacht wird; richtig jedoch v . Caemmerer, Festschrift für Lewald, S. 456; Blomeyer, ASchuR, § 19 I, 5 a. Unrichtig aber Larenz (SchuR II, §58 I, S. 320 Fußn. 1) gegen BGHZ 45, 210. 183 Vgl. oben II, 2; zutreffend jetzt auch Huber, JuS 72, 59 unter III. 184 Vgl. oben II, 4 um Fußn. 55; ferner auch Simshäuser, AcP 172, 38. 185 Die Anstaffelung des Gesellschaftszwecks modifiziert das Synallagma der ausgetauschten Verpflichtungen (die Ansprüche auf die Beiträge stehen den Gesellschaftern nur gemeinsam zu, § 432) und schränkt daher die Anwendung der§§ 320 ff. in gewissem Umfang ein; zu Unrecht wird der Austauschcharakter des Gesellschaftsvertrags bestritten (vgl. Larenz, SchuR II, §56 Ibm. w. N.).

VII. Angestaffelte und gemischte Zwecke

113

denszweck"). Der Vergleichszweck ("Friedenzweck") ist ein aus den Elementen des Erfüllungs- und Sicherungszwecks gemischter Abwicklungszweck. Die Wirksamkeit des Vergleichs ist bzw. bleibt von der Erreichung des Vergleichszwecks abhängig, je nachdem die Parteien die ausgetauschten realen Leistungen oder Leistungsversprechen von der Erreichung des Vergleichszwecks abhängig machen wollten; die Regel bildet das kausale WoUen188, dafür spricht auch der Wortlaut des Gesetzes: Der Vergleich ist unwirksam, "wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewißheit bei Unkenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde"(§ 779).

c) Eine unentgeltliche Zuwendung (Liberalitätszweck) an ein Kind zum Zwecke der Ausstattung (angestaffelter Zweck) gilt gemäß § 1624 (d. h. ist an sich auch insoweit keine) "nur insoweit als Schenkung, als die Ausstattung das den Umständen, insbesondere den Vermögensverhältnissen des Vaters oder der Mutter, entsprechende Maß übersteigt". Durch die Anstaffelung eines weiteren Zwecks (hier: causa dotis) wird der Liberalitätszweck zwar eingeschränkt, aber nicht beseitigt; jedoch liegt keine Schenkung i. S. der§§ 516 ff. mehr vor. Die Regeln über die Schenkung, insbesondere die Gewährleistungsrechte sind nur insoweit anwendbar, als § 1624 dies bestimmt. Das gilt auch für andere unentgeltliche Zuwendungen, denen ein weiterer Zweck angestaffelt ist; sie sind, was nicht nur von Studenten häufig übersehen wird, keine Schenkungen mehr und unterliegen als Leistungsversprechen daher nicht der Form des§ 518187•

3. Atypische Staffelung von Zwecken Die Möglichkeiten der Anstaffelung weiterer atypischer Zwecke an typische oder selbst atypische Zwecke der Leistungen oder Leistungsversprechen sind vielfältig und ungezählt. Jedes Motiv kann durch Vereinbarung zum (angestaffelten) Zweck einer Leistung oder eines Leistungsversprechens gemacht, also in den Inhalt des Rechtsgeschäfts aufgenommen (vgl. § 812 I, 2) oder als Bedingung(§ 158) angefügt werden. Einige Beispiele mögen das verdeutlichen: a) "Durch Vertrag vom 4. April 1913 verkaufte die Klägerin von dem ihr gehörigen Gute Adl. N. ein etwa 15 000 qm großes Landstück, dessen Größe später auf 13 783 qm festgestellt wurde, gegen ein Entgelt von rund 25 000 M. ,zur Anlage eines fortifikatorischen Werkes' an den Reichsmilitärfiskus. Auflassung und Eintragung des Erwerbers als Eigentümer im Grundbuch sind Vgl. Kress, BSchuR, § 29 III, um Fußn. 34 und 35. Vgl. z. B. RGZ 62, 273: Ein verheirateter Mann von Stand verspricht einem andereren Manne 3 000 Mark, wenn er das von ihm (dem Versprechenden) geschwängerte Dienstmädchen heiratet. Das Versprechen ist kein Schenkungsversprechen, auch nicht sittenwidrig. Vgl. Kress, ASchuR, § 5, 5 b; ferner Larenz, SchuR II, § 43 I, S. 121. 188 187

174

§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

erfolgt. Der Kaufpreis ist gezahlt worden. Ein Festungswerk wurde jedoch auf diesem Grundstück nicht errichtet ... Die Klägerin macht geltend, daß der Beklagte ihr das durch Vertrag vom 4. April 1913 verkaufte Stück Land zurück-: zugewähren habe, da der Zweck, zu dem es verkauft sei, nämlich die Anlage eines fortifikatorischen Werkes, nach der vom Beklagten nachträglich gewonnenen Erkenntnis und jetzt auch nach den Bestimmungen des Versailler Vertrags nicht mehr zu erreichen sei ... Der Beklagte hat Abweisung der Klage verlangt und hilfsweise beantragt, ihn zur Herausgabe des ihm verkauften Geländestücks nur Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises mit mindestens 18 000 RM zu verurteilentsa." b) "Als letzte Bestimmung eines Grundstückstauschvertrags zwischen d~ Bauern E und der Stadt B fand sich folgender Passus: ,Herr E erhält die ihm aufgelassenen Parzellen zur besseren Bewirtschaftung seines zersplitterten landwirtschaftlichen Grundbesitzes, die Stadt B zum Tausch für Baugelände zur Weiterveräußerung an Personen, die auf den Grundstücken ein Wohnhaus im sozialen Wohnungsbau errichten wollen'189." c) Ein Balkon kann gemietet werden (Austauschzweck) zum Zwecke der Besichtigung des Krönungszuges (angestaffelter atypischer Zweck)tto. d) Unentgeltliche Pflege kann geleistet werden (Liberalitätszweck), um als Erbe eingesetzt zu werden (angestaffelter atypischer Zweck). e) Eine Bürgschaft über 100 000 DM (Sicherungszweck) kann dem Gläubiger versprochen werden, um von ihm (dem Gläubiger) eine Gegenleistung ("Risikoprämie") von 5 000 DM zu erhalten (Sicherungszweck mit angestaffeltem Austauschzweck). f) Eine Bürgschaft kann geleistet werden (Sicherungszweck) zur Vermeidung einer Strafanzeige gegen den Schuldner (angestaffelter atypischer Zweck)ltl. g) Eine Sache kann zu Pfand gegeben werden (Sicherungszweck) zur Erfüllung eines dahingehenden Versprechens (Sicherungszweck mit angestaffeltem Erfüllungszweck) t92. h) Ein Schadensrisiko kann vertraglich übernommen werden (Schutzzweck), um einer Gegenleistung (Prämie) willen (Schutzzweck mit angestaffeltem Austauschzweck)t9S.

4. Die Staffelung von Schuldverhältnissen Zugewendet werden können nicht nur Sachen, Forderungen und sonstige Rechte, sondern auch Schuldverhältnisse im weiteren Sinne können als "Leistungen" erscheinen, die zu einem weiteren als ihrem geschäftstypischen Zweck (innere causa, z. B. Austauschzweck) begründet werden; Sachverhalt der Entsch. RGZ 132, 238. Bsp. von H. P. Westermann, causa, S.l06. Dazu auch Esser, SchuR, 2. Auf!.,§ 85 (Fall c), ferner Huber, JuS 72, 63. 191 Erstattet der Gläubiger dennoch Strafanzeige, so unterliegt die Bürgschaft der Kondiktion (§ 812 I, 2, 2. Alt); die Begründung des Bürgschaftsversprechens ist von der Erreichung des dem Sicherungszweck angestaffelten atypischen Zwecks (Vermeidung der Strafanzeige) zwar abstrahiert, nicht aber der Fortbestand des Bürgschaftsversprechens (so RGZ 118, 358). Dazu auch Esser, SchuR, 2. Aufl., § 85 (Fall d). 192 Entsprechendes gilt für die Sicherungsübereignung. 198 Als weitere Beispiele vgl. den Fall RGZ 132, 238 und das bei Westermann (causa, S. 106) gegebene Beispiel. 188 1&9 190

VII. Angestaffelte und gemischte Zwecke

175

dieser weitere Zweck ("äußere causa") kann wiederum ein typischer Zweck (Austausch- oder Abwicklungszweck) oder ein atypischer Zweck sein 19 ~. Wiederum sollen zwei Beispiele dies verdeutlichen: a) B gibt dem W ein Darlehen gegen Abschluß eines mehrjährigen Bierlieferungsvertrages. b) W verpßichtet sich im Zusammenhang mit einem Darlehensgeschäft gegenüber B, nach Einrichtung einer geplanten Schankwirtschaft einen Bierlieferungsvertrag abzuschließen. Später schließt er zur Erfüllung dieser Verpßichtung, obwohl ihm vom C besseres Bier zu billigerem Preis angeboten wird, den Bierlieferungsvertrag mit B ab (Austauschzweck mit angestaffeltem Erfüllungszweck) 195. 5. Fälle von sog. "Zweckerreichung, Zweckfonfall und -verfehlung" (EsseT, SchuldTecht, 2. Aufl., § 85)

Esser bildet a.a.O. u. a. folgende Fälle: "a) Der Installateur erscheint auf Bestellung zum Auftauen der eingefrorenen Wasserleitung. Diese ist inzwischen bei Wetterumschlag von selbst aufgetaut. Liegt Leistungsstörung vor? Muß etwas bezahlt werden? b) Fräulein Knörrich gibt eine Anzeige auf: ,Zwergpudel entlaufen, hört auf ,Bodo', abzugeben gegen hohe Belohnung ...' Als sie kurz darauf nach Hause kommt, sitzt ,Bodo' vor der Haustür. Sie bestellt sofort die Anzeige ab, doch wird ihr die Rückzahlung des Entgelts verweigert, obwohl die Anzeigen für den nächsten Tag noch nicht zusammengestellt worden sind. Mit Recht?" Zu den Fällen a) und b): Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei klargestellt, daß diese Beispiele keine Fälle mit angestaffeltem weiterem Zweck sind. Der Klempner-Fall (Beispiel a) ist ein schlichter Werkvertrag; der Anspruch auf den versprochenen Leistungserfolg (Auftauen) ist der Zweck des Werklohoversprechens (Austauschzweck) des Bestellers und nicht ein weiterer "angestaffelter Zweck". Dieser Austauschzweck kann nicht mehr erreicht werden, die versprochene Leistung (Auftauen) ist unmöglich geworden; die Rechtsfolgen ergeben sich daher aus§§ 275 I, 323 BGB. Das alte Wortspiel, die Leistung sei in solchem Falle (das Schiff ist durch die Flut wieder flott geworden) nicht unmöglich, sondern "wirklich, also mehr als möglich"196, beachtet nicht den Unterschied von Leistungshandlung und Leistungserfolg197 und verkennt, daß dem Werkunternehmer der Werklohn 194 Vgl. dazu auch Jahr, SZ 80, 159 und Larenz, SchuR II, § 62 I a und neuerdings auch Huber, JuS 72, 59 unter III. 195 Ist der Vorvertrag aus irgendeinem Grunde nichtig oder kann er angefochten werden, so kann W den Bierlieferungsvertrag kondizieren, auch wenn B ordentlich liefert und ein Rücktrittsgrund (§ 326) nicht gegeben wäre (Kress, ASchuR, § 5, 2 d); ebenso Jahr (SZ 80, 159), der zutreffend darauf hinweist, daß die richtige Erfassung der Abhängigkeit des "zur Erfüllung" abgeschlossenen Kaufvertrags von einer "causa" dem Anfänger Schwierigkeiten bereitet. 1118 Planck-Siber, Vorbem. 111, 2 c vor§ 275, S. 207. 197 Vgl. hierzu insbes. Wieacker, Festschr. f. Nipperdey I, S. 783.

176

§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

als Gegenleistung für die zum Erfolg führende Unternehmerleistung

(Handlung) versprochen ist19B.

Auch nicht hierher gehört der Annoncen-Fall (Zwergpudel Bodo gesucht). Daß Fräulein Knörrich die Hoffnung hegt, sie könne mittels der Anzeige ihren Bodo wiedererlangen, ist reines Motiv ihres Annoncenvertrags (Werkvertrag). Das Fräulein könnte mit dieser Annonce auch Zwecke verfolgen, die bis zu der neuesten Strafrechtsreform verboten oder vor der Verbreitung der Sankt-Pauli-Zeitung nicht unverschlüsselt veröffentlicht wurden189• Dem Zeitungsverlag sind solche Motive regelmäßig gleichgültig, er wird sie aber in der Regel nicht als Zwecke akzeptieren und in den Inhalt des Vertrags aufnehmen. Fräulein Knörrich also ist auf die Rechte aus§ 649 BGB zu verweisen2 oo. Die in der 2. Auflage seines Lehrbuchs von Esser vertretene Lehre von der "Zweckerreichung bzw. Zweckfortfall und Zweckverfehlung" leidet an einem unklaren Begriff des Zweckes, der sich nicht mit dem hier vertretenen Zweckbegriff deckt, vielmehr letztlich auf den Zweckbegriff Hartmanns%01 zurückzuführen ist202• Esser hat diese Lehre, insbesondere wohlaufgrundder Arbeit Beuthiens, inzwischen auch stark modifizierttos.

6. Die Mischung der Zwecke Eine Leistung oder ein Leistungsversprechen kann nicht nur noch zu einem weiteren Zweck (aus einem weiteren Grunde), sondern teils zum einen, teils zu einem anderen Zweck zugewendet werden. Die Zwecke werden dann nicht auf verschiedenen Ebenen gestuft (gestaffelt), sondern auf gleicher Ebene gemischt verfolgt. Häufig werden "im Wege vorweggenommener Erbfolge" wertvolle Vermögensgegenstände (Grundstücke) "billig verkauft", d. h. teils geschenkt, teils verkauft (negotium mixtum cum donatione). Für die rechtliche Be188 Vgl. insbes. Beuthien, Zweckerreichung, S. 145 ff. (155); richtig auch schon Klingmüller, JherJb 64, 51 f. und Kress, ASchuR, § 8 1 A Fußn. 11; richtig jetzt auch Huber, JuS 72, 61. m Vgl. § 175 b StGB a. F., aufgehoben durch das 1. StrRG v. 25. 6. 1969 (BGBl I, 645). zoo Nach düferenzierten Überlegungen im Ergebnis ebenso Beuthien, Zweckerreichung, S.190 ff. (200 um Fußn. 9); und jetzt auch Huber, JuS 72, 62. zo1 Obligation. 202 Maßgeblich beeinflußt ist die Essersehe Zwecklehre wie auch Beuthien (S. 151) zutreffend bemerkt- durch die Zweckerreichungslehre Kleins, die aber wiederum auf dem Hartmannsehen Begriff der Obligation beruht (so auch Beuthien, S . 34). toa Vgl. SchuR I, § 35, S. 221 ff. Die Wiedergabe der weitgehend aufgegebenen Auffassung schien notwendig 1. weil sie natürlich bei jenen fortwirkt, die mit diesem Lehrbuch gelernt haben und 2. weil der hier vertretene Zweckbegriff in der Gegenüberstellung zu der dargestellten Essersehen Lehre deutlicher wird.

VIII. Die Abhängigkeit der Schuldverhältnisse von ihrem Zweck

177

handlung (z. B. Pflichtteilsergänzungsanspruch, § 2325) müssen die Leistungen nach dem Maß der Zwecke geschieden werden2°4 • Der Verkehr sieht die Sache als "halbgeschenkt", nicht etwa den Kaufvertrag als geschenkt oder den Schenkungsvertrag als gekauft an205 • Eine Leistung kann auch teils zur Erfüllung, teils für eine Gegenleistung erbracht oder versprochen werden (Mischung von Austausch- und Erfüllungszweck). Auch in solchen und anderen Fällen der Mischung von Zwecken sind für die rechtliche Behandlung die Leistungen nach dem Maße der Zwecke zu teilen206• Vlll. Die Abhängigkeit der Schuld-

verhältnisse von ihrem Zweck

1. Abgrenzung: Motiv- Zweck- Bedingung a) Die Schwierigkeiten der Abgrenzung des juristisch erheblichen Zwecks eines Rechtsgeschäfts vom unerheblichen Motiv einerseits und von der Bedingung(§ 158) andererseits haben die ganze Zweck-(causa-) lehre lange Zeit diskreditiert. In dieser Schwierigkeit liegt wohl die Hauptursache für den im Recht des BGB zu beobachtenden Entwicklungstrend zum "Objektiven", zur Grundfolgentheorie207 , zur sog. Interessenjurisprudenz208, zum Institutionendenken209 , d. h . zur Abwendung vom Parteiwillen als entscheidendem Kriterium zur Bestimmung des Inhalts eines Rechtsgeschäfts. 204 So Planck-Knoke, § 516 Anm. 6; Kress, ASchuR, § 6, 2 C, b um Fußn. 24 gegen Enneccerus, BR II, § 347. 205 So richtig Enneccerus-Lehmann (SchuVerh, § 124, m. w. N. aus Rspr. und Schrifttum), wo die von Enneccerus vertretene "Einheitstheorie" zugunsten der "Trennungstheorie" aufgegeben wird; vgl. auch RGZ 148, 236; 163, 260. 208 Im einzelnen vgl. Kress, ASchuR, § 6, 1 C, b, S. 76 ff. 207 Hauptvertreter Lenel, JherJb 19, 154 ff.; die Theorie hat heute kaum noch Anhänger, vgl. Enneccerus-Nipperdey, AT II, § 145 Note 4 m. w. N. und Flume, AT,§ 4, 5. Vgl. jedoch Kellmann, NJW 71, 265 und JuS 71,609. 208 Hauptvertreter Heck; grundlegend seine Programmschrift, "Das Recht der großen Haverei", Berlin 1889; ferner insbes. "Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz", AcP 112, 1 ff.; Grundriß des Schuldrechts, Anhang: "Begriffsjurisprudenz und Interessenjurisprudenz"; "Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz", Tübingen 1932; "Rechtsphilosophie und Interessenjurisprudenz", AcP 143, 129 ff. Vgl. zu allem Edelmann, Die Entwicklung der Interessenjurisprudenz, mit vollständigen Nachweisen. 209 Als Initialzündung für das neuere Schrifttum wirkte Raiser, Rechtsschutz und Institutionenschutz im Privatrecht, in SUMMUM IUS SUMMA INIURIA, Tübingen 1963; vgl. ferner Werner Knopp, Institutionenschutz im Privatrecht (unveröffentlichte Heidelberger Habilitationsschrift von 1967); Ernst Wolf, Zum Normcharakter der Institutionen, in: Recht und Institution, Stuttgart 1969; Ernst Wolf, Kritik der institutionellen Rechtsauffassung, in: Zur Theorie der Institution (herausgegeben von Ernst Schelsky), Düsseldorf 1970. Über die praktischen Auswirkungen der Rechtsfindung aus "Institutionen" vgl. insbes. Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 270 ff.

12 Ehmann

178

§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

b) Zu den historischen Schwierigkeiten der Abgrenzung des Zwecks (causa) vom Motiv eines Rechtsgeschäfts ist oben210 einiges angedeutet worden. Die vorstehenden Ausführungen dieses Paragraphen sollten im einzelnen und am Beispiel (konkret) zeigen, daß diese Schwierigkeiten theoretisch und auch in praktisch brauchbarer Weise überwunden sind, auch wenn es im Einzelfall oft noch schwierig sein mag zu bestimmen, ob ein weiteres Parteimotiv als Zweck vereinbart wurde oder nicht. Aber das ist eine Tatfrage im jeweils zu entscheidenden Fall, und mehr kann eine Theorie nicht leisten, als praktikable Kriterien zur Lösung der Probleme des praktischen Falles zu liefern. Das immer wieder gebrauchte Argument, der Parteiwille sei ein unsicheres, die Rechtssicherheit gefährdendes Kriterium, ist im Zivilrecht noch weniger ernst zu nehmen als im Strafrecht, wo ernsthaft nicht am Schuldprinzip gezweifelt wird, weil und obwohl es im Einzelfall häufig schwierig ist, dem Mörder den Mordvorsatz, dem Betrüger die Bereicherungsabsicht, dem Dieb die Zueignungsahsicht usw. nachzuweisen. Der Nachweis des zivilrechtlich erheblichen Willens ist schon darum leichter, weil nicht der innere Wille erforscht zu werden braucht, sondern nur der geäußerte, erklärte, also bereits objektivierte Wille. Und die Parteien eines Rechtsgeschäfts pflegen die Spuren dieses Willens auch nicht zu verwischen, bei typischen Geschäften sind sie zumeist ohnehin offensichtlich. Eine Bank, die ein Darlehen in der Meinung, dazu vom Darlehensnehmer beauftragt zu sein, an einen Dritten auszahlt, macht diesen Zweck auf dem Überweisungsträger kenntlich, und der Dritte kann sich nicht darauf berufen, er habe die Zahlung als Erfüllung fremder Schuld(§ 267) angenommen211• Ist der Zweck eines Rechtsgeschäfts nicht ausdrücklich erklärt, so wird er sich grundsätzlich aus dem Typus oder den besonderen Umständen des getätigten Geschäfts im Wege der Auslegung, notfalls der ergänzenden Auslegung(§§ 133, 157) entnehmen lassen. Das Reichsgericht212 hat das im Falle eines Streites über den. Zweck einer Leistung einmal ganz deutlich gemacht: "Richtig ist zwar, daß der Bereicherungskläger, wenn er die condictio indebiti geltend macht, beweisen muß, er habe zur Erfüllung einer Verbindlichkeit geleistet und diese Verbindlichkeit bestehe nicht (vgl. u. a. Enneccerus Lehrbuch 11. Bearbeitung II § 220 II). Aber der Beweis, daß er zur Erfüllung einer bestimmten Verbindlichkeit geleistet habe, ist von ihm erbracht, wenn das nach seiner bei der Leistung abgegebenen, sei es ausdrücklichen, sei es aus den Umständen erkennbaren Erklärung anzunehmen war (§ 157 BGB). Wollte man von ihm auch noch den Beweis seiner inneren Willensrichtung verlangen, so hieße das, die Beweisvorschrift des§ 814 BGB in ihr Gegenteil verkehren212." 210 Vgl. III, 3. Vgl. BGHZ 50, 227 = NJW 68, 1822; dazu Verj. in: NJW 69, 398 ff. RGZ 133,277.

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VIII. Die Abhängigkeit der Schuldverhältnisse von ihrem Zweck

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Auch die Bestimmung des Zwecks einer realen Leistung (Handschenkung) hat das Reichsgericht213 einmal aus den Umständen des Falles durch Auslegung gewonnen: "Eine Ubereignung braucht ihren Rechtsgrund nicht in einem schuldrechtlichen Verpftichtungsgeschäft zu finden. Bei der ohne vorgängiges Versprechen vollzogenen Schenkung, der sog. Hand- oder Realschenkung, übernimmt der Schenker keinerlei Verpftichtung. Aber auch bei ihr liegt in der nach § 516 BGB zum Begriff der Schenkung erforderlichen Einigung der Beteiligten darüber, daß die Zuwendung unentgeltlich erfolge, ein schuldrechtlicher Vertrag in dem Sinne vor, daß die Einigung den Rechtsgrund schafft, ja die durch die Zuwendung bewirkte Bereicherung schuldrechtlich rechtfertigt. Diese Einigung kann beiderseits stilschweigend erklärt werden, insbesondere auch in der Weise, daß, nachdem der eine Teil gegenüber dem anderen seine Absicht bekundet hat, demnächst die Schenkung eines Grundstücks vorzunehmen, beide Teile zum Grundbuchamt gehen und dort, ohne daß von einer Gegenleistung gesprochen wird, die Auflassung erklären und entgegennehmen. Mindestens eine solche stillschweigende Einigung hat nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt zwischen P und der Beklagten stattgefunden." c) Auch die Abgrenzung des Zwecks von der Bedingung eines Rechtsgeschäfts macht, wie ein Blick in die damit befaßte Literatur214 zeigt, Schwierigkeiten. So bezeichnet z. B. H. P. Westermann215 von seiner Auffassung aus es für falsch, daß Kress2 18 sagt, der Austauschzweck werde wohl immer kausal vereinbart, "seine Erreichung also als Bedingung gesetzt". H . P . Westermann meint, Kress übersehe, ähnlich wie Stampe2 11, "daß Bedingung, Befristung und Unterstellung218 viel krasser und einschneidender wirken als die bloße Zwecksetzung". H. P. Westermann weicht allerdings schon im Ausgangspunkt wesentlich von der Kressschen Auffassung ab, indem er den ersten Unterschied zwischen causa (Zweck) und Bedingung darin sieht, daß die causa vereinbart werden kann, die Bedingung aber muß219 • Daß der Zweck (causa) stets der Vereinbarung bedarf, ist demgegenüber bereits oben220 nachgewiesen worden. Im übrigen sieht H. P. Westermann jedoch klar, daß der entscheidende Unterschied zwischen causa (Zweck) und Bedingung bei den Rechtsfolgen liegt221 , und er kommt auch im einzelnen zu durchaus zutreffenden Differenzierungen und richtigen Ergebnissen. Auch Beuthien222 , der sich neuerRGZ 111, 152. Vgl. insbes. Lenel, AcP 74, 213 ff., gerichtet gegen Windscheids Lehre von der Voraussetzung; dazu jetzt H. P. Westermann, causa, S. 107 ff. 215 Causa, S. 103. 21& ASchuR, § 5, 2 d, S. 50. 217 Wertbewegungslehre, S.l3. 218 Ausdruck von HenZe (Unterstellung, S. 20) für die sog. condicio in praesens vel praeteritum collata. 21 D Causa,§ 9 I, Satz 1, S. 101. 220 Vgl. III, 2 und 4. 2!1 Causa, S. 103. 222 Zweckerreichung, S. 181 f. 213 214

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dings ebenfalls um eine Unterscheidung bemüht hat, sieht diese vorwiegend in den Rechtsfolgen, indem er die "Zweckabrede in bezug auf Risikovereinbarung und Preisgefahr als eine Vereinbarung ohne im einzelnen festgelegte Rechtsfolgen" bezeichnet223 • Der Zweckbegriff Beuthiens dürfte sich jedoch ebenfalls nicht ganz mit der hier vertretenen Auffassung decken; insofern ist jede Kritik besagter Unterscheidungskriterien, die nicht den ganzen Ausgangspunkt der jeweils anderen Auffassung akzeptiert, wenig sinnvoll. Eine Behauptung H. P. Westermanns sei jedoch noch aufgegriffen: gegen die Auffassung, die Erreichung des Austauschzwecks ("synallagmatische Verknüpfung") sei Bedingung der kausalen Versprechensverträge, gibt er zu bedenken, "daß die Parteien

ferner keinen ZweifeZ am Entstehen der Gegenforderung hegen, was aber unerZäßZiche Voraussetzung der Bedingung wäre" 224• Daß der Zweifel Voraussetzung der Vereinbarung einer Bedingung ist, ist zwar ein Erfahrungssatz, eine psychologische Erkenntnis, aber kein Rechtssatz. Täglich werden tausendfach Bedingungen vereinbart (z. B. Eigentumsvorbehalt), ohne daß die Parteien irgendwelche diesbezüglichen Zweifel hegen. Das dispositive Recht enthält zum Schutze der Parteien zahlreiche Bedingungen der Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts (z. B. das Entstehen der Gegenforderung im gegenseitigen Vertrag, die Möglichkeit der versprochenen Gegenleistung, der Bestand der durch das Bürgschaftsversprechen zu sichernden Forderung, usw.). Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, dispositive oder auch zwingende Voraussetzungen (Bedingungen) eines Rechtsgeschäfts zu bestimmen. Der genannte Erfahrungssatz ist lediglich eine AuslegungshiZfe, er ist gewissermaßen der psychologische Erkenntnisgrund der bekannten Auslegungsregel: Bedingungen sind nicht zu vermuten. Auch diese Auslegungsregel gilt jedoch nur dort, wo "unbedingtes", d. h. abstraktes Wollen den Grundsatz bildet. Bei Rechtsgeschäften, die grundsätzlich von ihren Bedingungen, ihrem Grund (causa), ihrem Zweck nicht gelöst (abstrahiert) sind, kann dieser Satz nicht gelten; vielmehr herrscht doch auch im Recht des BGB, trotz des Abstraktionsprinzips bei den Verfügungsgeschäften, jedenfalls bei den kausalen Versprechensverträgen225 , das Prinzip des kausalen WolZens22G.

2. Die Verfehlung des Austauschzwecks Der Austausch der Güter wird nach der Vorstellung des BGB regelmäßig durch Versprechensverträge eingeleitet. Diese kausalen Versprem Zweckerreichung, S. 182 unter Berufung auf Kegel, Gutachten zum 40. DJT, S. 147 und Locher, AcP 121, 31; vgl. zum Problem jetzt auch Huber, JuS 72, 57 unter I. 224 Causa, S. 104. 225 Im Zweifel auch bei den Handgeschäften. m Vgl. Kress, ASchuR, § 5, 2 d, S. 49.

VIII. Die Abhängigkeit der Schuldverhältnisse von ihrem Zweck

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chensverträge (Kauf, Miete, Dienstvertrag etc.) sind vom Austauschzweck beherrscht. Der Austausch der Güter kann jedoch auch unmittelbar vollzogen werden (Handgeschäfte); in diesen Fällen (Übereignung, Abtretung) beherrscht der Austauschzweck die Verfügungsgeschäfte. Schließlich kann der Austauschzweck in bestimmten Geschäften auch anderen Zwecken angestaffelt sein. Die Rechtsfolgen der Verfehlung des Austauschzwecks sind daher für alle diese Fälle getrennt zu untersuchen. a) Bei Versprechensverträgen Alle im BGB geregelten Versprechensverträge (Kauf, Miete, Dienstund Werkvertrag usw.) sind notwendig kausal, d. h. ihr Zustandekommen und ihr Fortbestand sind von der Erreichung des vereinbarten Austauschzwecks kraft Gesetzes zwingend abhängig. Herkömmlicherweise wird diese Abhängigkeit als genetisches (das Zustandekommen) und funktionelles (der Fortbestand) Synallagma bezeichnet; man kann aber auch mit Kress sagen: Die Erreichung des Austauschzwecks ist in diesen Verträgen als Bedingung gesetzt, was heißt, daß der Erwerb der Gegenforderung Bedingung der Wirksamkeit der eigenen Verpflichtung und damit des Vertrages ist und der spätereWegfall der Gegenforderung (z. B. § 275) den Vertraghinfällig macht(§§ 323 ff.)227. b) Bei Verfügungsgeschäften Auch auf der Ebene der Verfügungsgeschäfte (Handtausch, Handkauf) ist die Erreichung des Austauschzwecks grundsätzlich Bedingung des Ver~ fügungsgeschäftes, A will sein Eigentum den anderen nur unter der Bedingung übereignen, daß er selbst Eigentums an der Ware (dem Geld) des anderen erhält228• Das Gesetz erlaubt selbstverständlich eine von der Erreichung des Austauschzwecks abstrahierte Übereignung (§ 929); manche meinen sogar, das Gesetz fordere "unabdingbar" eine abstrakte Übereignung228, was jedoch gewiß nicht richtig ist230 • Nimmt man (im Zweifel) an, daß die Parteien beim Handkauf (Handtausch) die Übereignung nicht von der Erreichung des vereinbarten Austauschzwecks abhängig machen wollten, so ist der Zweck jedoch durch die Vereinbarung in den "Inhalt des Rechtsgeschäfts" (Realkauf) aufgenommen worden, und A kann, falls er die Gegenleistung bzw. das Eigentum an der Gegenleistung (z. B. Falschgeld) nicht erhält, seine Leistung kondizieren, denn er hat den mit der Leistung verfolgten Zweck (Erwerb der Gegenleistung) nicht erreicht (§ 812 I, 1, 1. Alt.). 217 Grundlegend hierzu insbes. B!omeyer, Studien, S. 114 ff.; die von Westermann (causa, S. 105) dagegen geäußerten Bedenken überzeugen nicht. 218 Vgl. oben IV, 4 b. n• z. B. Breyhan, Abstrakte Ubereignung, S. 79 ff. no Dazu oben IV, 4 b und c, insbes. Fußn.l11,128.

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Rechtsfolge der Nichterreichung eines vereinbarten, aber nicht zur Bedingung erhobenen Zwecks ist also die Leistungskondiktion. In solchem Falle ist zwar das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts von der Erreichung des vereinbarten Zwecks unabhängig, nicht jedoch sein Fortbestand, die Rechtsfolge (z. B. Eigentumsübergang) unterliegt der Kondiktion. c) Bei abstrakten Forderungen Nicht nur bewegliche Sachen, sondern auch Forderungen können real ausgetauscht werden, und zwar nicht nur bestehende Forderungen im Wege der Abtretung, sondern auch abstrakte Schuldanerkenntnisse (§ 780), deren Rechtswirkung zum Zwecke des Austauschs erst erzeugt wird (vgl. § 812 Il). Zu erinnern ist hier an den bereits oben281 geschilderten Fall RGZ 119, 12, in welchem Geschäftsanteile gegen ein abstraktes Schuldanerkenntnis real getauscht wurden. Das Zustandekommen des abstrakten Schuldversprechens ist notwendig abstrakt, d. h. unabhängig von der Vereinbarung und Erreichung des Zwecks (Grund) des Versprechens, denn sonst ist es seiner Natur nach kein abstraktes Schuldversprechen mehr. Die Klägerin hätte im Falle RGZ 119, 12 die abstrakte Forderung auch dann erworben, wenn die von ihr dafür vorgenommene Übereignung der Gesellschaftsanteile unwirksam gewesen wäre. Die Beklagte hätte wegen Nichterreichung des mit dem abstrakten Versprechens verfolgten Austauschzwecks ihre Leistung (§ 812 Il), nämlich die Zuwendung der Forderung kondizieren können, denn unzweifelhaft war der Austauschzweckdurch die Vereinbarung zum Inhalt des Rechtsgeschäfts gemacht worden. d) Bei angestaffeltem Austauschzweck Der Austauschzweck kann auch- wie bereits dargestellt wurde - 282 hinter einem anderen Zweck durch eine weitere Zweckvereinbarung angefügt (angestaffelt) werden. Auch in solchem Falle kann die Erreichung des angestaffelten Austauschzwecks zur Bedingung erhoben, d. h. in einen synallagmatischen Zusammenhang gestellt werden. Der Dissens über oder die Nichterreichung des angestaffelten Austauschzwecks kann auch bloß zur Kondiktion führen. aa) Im oben angegebenen Beispiel (VII, 3 e) der um einer Gegenleistung willen gegebenen Bürgschaft berechtigt die Nichtgewährung der vom Gläubiger versprochenen Gegenleistung den Bürgen zum Rücktritt gemäß § 32"6, bei Nichtigkeit oder Unmöglichkeit (§ 275) der Gegenleistung ist auch das Bürgschaftsversprechen unwirksam (§ 323); hat der Bürge m Vgl. IV, 4 b, bb um Fußn. 105. Oben VII, 3, Bsp. e) und h).

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bereits an den Gläubiger gezahlt, so kann er in solchem Falle die erbrachte Leistung kondizieren (§ 323 111)238• Wurde die Gegenleistung real zugewendet (Übertragung eines Gegenstands,§§ 398, 929; Leistung eines abstrakten Schuldversprechens, § 780), so kann das Zustandekommen des Bürgschaftsversprechens auch von der Wirksamkeit dieser Gegenleistung, d. h. dem Erreichen des Austauschzwecks abstrahiert sein; im Falle solcher Nichterreichung des angestaffelten Austauschzwecks kann der Bürge seine insoweit abstrakte Bürgschaftserklärung kondizieren. bb) Im Beispiel des dem Schutzzweck angestaffelten Austauschzwecks (oben VII3 h, Schadensversicherung) wird die Gegenleistung regelmäßig versprochen, so daß ein kausaler Versprechensvertrag mit notwendig kausaler Verknüpfung entsteht. Der Versicherer hat bei Unmöglichkeit oder Verzug des Versicherungsnehmers die Rechte aus § 323 ff. cc) Wird ein kausaler Versprechensvertrag gegen einen anderen getauscht (Bierlieferungsvertrag gegen Darlehensvertrag, Beispiel VII 4 a), also dem Austauschzweck ein weiterer Austauschzweck angefügt, so ist gleichfalls ein kausales Wollen zu. vermuten. Das will heißen, wenn der Bierlieferungsvertrag aus irgendeinem Grund (etwa Art. 85 EWGV)23' nichtig ist, so ist auch der Darlehensvertrag ispo iure unwirksam(§ 323); tritt B wegen Zahlungsverzugs des W vom Darlehensvertrag zurück, so löst der Rücktritt im Zweüel auch den Bierlieferungsvertrag auf. Eine abstrakte Ausgestaltung der Abhängigkeit der beiden Verträge mit der Folge der bloßen Kondiktionsmöglichkeit ist denkbar, aber nicht zu vermuten236.

3. Die Verfehlung des Liberalitä.tszwecks Der Liberalitätszweck wird grundsätzlich kausal vereinbart und in der Regel mit der Vereinbarung auch sofort erreicht (Handschenkung, Schenkungsversprechen)llll8. Das schenkweise erteilte abstrakte Schuldversprechen (§ 518 I, 2) dürfte eine seltene Ausnahme sein. Bei Dissens über den Schenkungszweck kommt daher grundsätzlich das Rechtsgeschäft (Handschenkung, Schenkungsversprechen) schon nicht zustande. zaa Der Austauschvertrag ist in solchem Falle zwar nicht reiner Versprechensvertrag (sonst müßte der B die Bürgschaft erst versprechen - und das Bürgschaftsversprechen zur Erfüllung des gegebenen Versprechens abgeben, was auch denkbar ist), sondern gemischter Realvertrag (Versprechen gegen reale Leistung, vgl. Kress, ASchuR, § 7, 2, S. 88 ff.); dennoch gelten für die Leistungsstörungen des G die §§ 320 ff., weil auf dessen Seite ein Versprechensvertrag vorliegt. 28' Vgl. Urt. d. Europ. Ger.Hofes v. 12. 12.67 "Brasserie de Haecht", EuR 1968, 132 = AWD 1968, 17 = JuS 68,237. 235 "Praktiker" werden über§ 139 zum gleichen Ergebnis kommen. ns Vgl. oben V, 3 um Fußn. 162.

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Einem Austauschzweck kann der Schenkungszweck nicht angestaffelt werden237, allenfalls einem Abwicklungszweck, z. B. wenn ein Bürgschaftsversprechen schenkweise erteilt wird; auch dann kommt bei Dissens über den dem Sicherungszweck angestaffelten Schenkungszweck die Bürgschaftserklärung nicht wirksam zustande238.

4. Die Verfehlung von Abwicklungszwecken Die vorrangige Stellung des Erfüllungszwecks unter den Abwicklungszwecken könnte auf den ersten Blick zu der Auffassung verführen, die Abwicklungsgeschäfte seien in der Regel abstrakt ausgestaltet; das gilt. wie eine genaue Betrachtung zeigt, zwar für die Erfüllungsgeschäfte, nicht aber für die anderen Abwicklungsgeschäfte. A. D i e A b h ä n g i g k e i t d e r E r f ü 11 u n g s geschäfte von ihrem Zweck a) Im wesentlichen kann hier auf die Ausführungen zum sog. Abstraktionsprinzip verwiesen werden239. Die Übertragung von Grundstücken und Erbbaurechten ist gemäߧ 925 II, § 11 I, 2 ErbbauVO notwendig von der Vereinbarung und der Erreichung des Erfüllungszwecks abstrahiert. Bei der Übereignung von beweglichen Sachen zum Zwecke der Erfüllung ist im Zweifel von der Zweckerreichung, nicht aber von der Zweckvereinbarung abstrahiert240• Die Übertragung von Forderungen, insbesondere abstrakten Forderungen (Schuldanerkenntnissen, Wechsel) ist regelmäßig von der Vereinbarung und Erreichung aller damit verfolgten Zwecke abstrahiert. b) Ist der Erfüllungszweck einem anderen Zweck angestaffelt (vgl. oben Beispiel VII, 4 b: Bierlieferungsvertrag zur Erfüllung eines Versprechensvertrags), so ist das Geschäft in seinem Zustandekommen regelmäßig von der Erreichung des Erfüllungszwecks abstrahiert. Bei Nichtigkeit des Versprechensvertrags (Vorvertrags) kann der Bierlieferungsvertrag kondiziert werden24t.

KTess, ASchuR, § 5, 1 c um Fußn. 8; vgl. auch oben VII, 5 m. w. N. Der Fall dürfte jedoch rein theoretisch sein, denn der Sicherungszweck ist eine hinreichende causa (v. CaemmeTeT, Festschr. f. Lewald, S. 456), und wenn der Bürge sein Versprechen ansonsten liberalitatis causa gibt, aber der Gläubiger meint, dafür eine Gegenleistung zu sdlulden, so wird sich keiner auf den Dissens berufen. ue Vgl. oben IV, 4. uo Vgl. oben IV, 4 c um Fußn. 128. !u Vgl. oben VII, 4, Fußn. 195. 237

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B. D i e Ab h ä n g i g k e i t d e r Sicherungsgeschäfte von ihrem Zweck a) Die gesetzlich geregelten Sicherungsgeschäfte (Bürgschaft, Hypothek, Pfandrecht; Ausnahme: Grundschuld) sind notwendig kau.sal, d. h. Bedingung ihres Zustandekommens ist die Vereinbarung des Sicherungszwecks (Konsens) und seine Erreichung (d. h. der Bestand der zu sichernden Forderung). Das Prinzip der "strengen Akzessorietät" der Sicherungsgeschäfte ist also dogmatisch gesehen nichts anderes als die gesetzliche Bedingung der Erreichung des Sicherungszwecks als Voraussetzung der Wirksamkeit des Sicherungsgeschäfts2'2. b) Demgegenüber kann die Übertragung von beweglichen Sachen und Grundschulden243 zur Sicherung von Forderungen auch abstrakt erfolgen. Gerade bei der Übereignung von beweglichen Sachen zur Sicherheit wird jedoch häufig der Bestand und das Fortbestehen der zu sichernden Forderung zur Bedingung der dinglichen Einigung gemacht. Das Eigentum an der Sache geht erst mit der Entstehung der zu sichernden Forderung auf den Sicherungsnehmer über (§ 158 I) und fällt mit der Erfüllung der gesicherten Forderung an den Sicherungsgeber ipso iure zurück (§ 158 II). Erfolgt die Übereignung abstrahiert von der Zweckerreichung (.,inhaltliche", aber keine "äußerliche" Kausalität)244, so ist, wenn die zu sichernde Forderung nicht besteht oder später untergeht (erlischt gemäß § 362), mangels Zweckerreichung, bzw. wegen Zweckfortfall, die Leistungskondiktion gegeben245 • War dem Sicherungszweck der Erfüllungszweck angestaffelt, d. h. erfolgte die Sicherungsübereignung zur Erfüllung eines vorher abgeschlossenen ("vorgängigen") Sicherungsvertrags, in welchem die Sicherungsübereignung versprochen war, so dürfte sie in der Regel abstrakt gewollt sein, und die Rückabwicklung richtet sich nach den schuldrechtlichen Vereinbarungen des Sicherungsvertrags. Dies ist jedoch nur für diejenigen die einzige Gestaltungsmöglichkeit, die sich jedem zcz Interessant ist es zu sehen, daß die Bedingung der Erreichung des Sicherungszwecks (Akzessorietät) z. B. bei der Hypothek dort durchbrachen wird, wo der Schutz des Verkehrs dies erfordert. Bekanntlich war das Erfordernis des Verkehrsschutzes ein wesentliches Argument für die abstrakte Ausgestaltung der Obereignung beweglicher Sachen. Ihre Nützlichkeit wird heute insbes. unter Hinweis auf die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs nicht ganz zu Unrecht bestritten. Die Hypothek dient neben ihrer Sicherungsfunktion auch der Kapitalanlage und ist aus diesem Grunde verkehrsfähig ausgestaltet. Zum Schutze dieses Verkehrs bedurfte es bei der Hypothek einer Durchbrechung der kausalen Abhängigkeit (Akzessorietät) von der Erreichung des Sicherungszwecks, was durch die Fiktion des Bestands (bzw. der Einredefreiheit) der gesicherten Forderung im Falle des guten Glaubens des Erwerbers (§§ 1138, 1137) erreicht wurde. Vgl. zum Begriff der Akzessorietät im Zivilrecht auch Medicus (JuS 71, 497), der allerdings von anderen Grundvorstellungen ausgeht. 241 Die akzessorischen Sicherungsrechte (Bürgschaft, Hypothek, Pfandrecht) könnten zwar auch "abstrakt" zur Sicherung anderer Forderung übertragen werden, eignen sich dafür aber nur sehr bedingt. uc JahT, SZ 80, 150. 245 Unrichtig SeTick III, S. 392; richtig dagegen HubeT, JuS 72, 59 um Fußn. 17.

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Verfügungsgeschäft notwendig ein Verpflichtungsgeschäft vorgeschaltet denken2-". Daß das zur Sicherheit angebotene Eigentum nicht auf den Empfänger übergeht, wenn dieser es kaufweise oder gar schenkungsweise annehmen will, dürfte, wenn der Leistungszweck des Sicherungsgebers deutlich zum Ausdruck kam, nicht zu bestreiten sein, auch dann nicht, wenn die Zweckerreichung nicht zur Bedingung erhoben wurde ("inhaltliche Kausalität"). C. D i e A b h ä n g i g k e i t d e s Vergleichs von seinem Zweck Die Erreichung des Vergleichszwecks ist wohl regelmäßig Bedingung der vergleichsweise getätigten Rechtsgeschäfte; es sei denn, diese seien notwendig abstrakt(§ 925 II, Wechsel), in solchem Falle unterliegen sie bei Nichterreichung des Vergleichszwecks der Kondiktion.

5. Die Verfehtung angestaffeUer atypischer Zwecke Die Darstellung dieser Problematik führt in schwierige Abgrenzungsund Auslegungsfragen und letztlich in die Lehre von der Geschäftsgrundlage, was selbstverständlich in diesem Rahmen nur angedeutet werden kann. Die folgenden Ausführungen sind daher auf die Lösung der oben unter VII, 3 gegebenen Beispiele beschränkt. a) Den Fall des Beispiels VII, 3 a 247 hat das Reichsgericht im Urteil vom 30. 3. 1931 entschieden und dabei u. a. ausgeführt: "Die Klägerin verlangt zunächst Rückgabe einer an den Beklagten übereigneten Fläche auf Grund der Behauptung, daß mit der Leistung nach dem Inhalt des Vertrags ein bestimmter Erfolg, nämlich die Verwendung zur Anlage eines fortifikatorischen Werkes bezweckt, dieser Erfolg aber nicht eingetreten sei. Das Berufungsgericht nimmt zwar an, der Beklagte habe diesen Zweck verfolgt; es sei aber nicht dargetan, daß auch die Klägerin diesen Erfolg als Zweck ihrer vertraglichen Leistung gewollt habe. Die Klägerin stützt sich in der Hauptsache auf den Wortlaut des Vertrags. Aber diese Fassung könne ebensogut nur deshalb gewählt sein, um lediglich den Beweggrund zum Abschluß des Vertrags erkennbar zu machen. Andernfalls wäre der Wille der Parteien in der Form der Bedingung deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Die Anlage eines Festungswerkes hätte für die Klägerin nicht nur keinen Vorteil, sondern sogar erhebliche Nachteile mit sich gebracht, wie die Beschattung des Nachbargebäudes, Schneeverwehungen und die Anwendung der Rayonbestimmungen. Daß die Klägerin mit dem Verkauf nur den Belangen der Landesverteidigung habe dienen wollen, habe sie erst nach zweijähriger Prozeßdauer behauptet, nachdem das angefochtene Urteil auf diesen Gesichtspunkt hingewiesen habe. Wahr!40 Vgl. dazu Serick, Eigentumsvorbehalt I, S. 50 ff., 210 ff. und 246; derselbe, AcP 166, 129 ff.; derselbe, Sicherungsübereignung II, S. 44 ff. ; dagegen Weitnauer, JZ 65, 141 und JZ 67, 382; StolZ, ZHR 65, 241 ff.; Carl, Causa der Sicherungsrechte, S. 100 f. Z47 Vgl. Fußn.188; dazu jetzt auch Huber, JuS 72, 64.

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scheinlieh habe bei der Klägerin der Gedanke mitgesprochen, daß die Enteignung zu befürchten sei, bei der sie leicht hätte schlechter gestellt werden können. An diesen Ausführungen ist rechtlich zunächst zu beanstanden, daß das Berufungsgericht anscheinend die Verbindung eines Rechtsgeschäfts mit der Erreichung eines Zweckes nur in der Form der Bedingung zulassen will. Es handelt sich rechtlich um zwei verschiedene Geschäftsformen. Im vorliegenden Falle wollten die Parteien nach den beiderseitigen Erklärungen sich endgültig binden und nicht die Rechtswirksamkeit des Vertrags von einem künftigen ungewissen Ereignis abhängig machen. Damit ist sehr wohl vereinbar, daß beide Parteien die Erreichung eines bestimmten Zweckes beabsichtigt haben. Bei Prüfung dieser Frage hat das Berufungsgericht, wie die Revision mit Recht geltend macht, nicht den gesamten, für die Auslegung des Vertrages zur Verfügung stehenden Stoff berücksichtigt. Die Klägerin hatte sich für ihre Darstellung nicht nur auf den Wortlaut des Vertrags berufen. Sie hatte auch geltend gemacht, daß es sich um einen typischen Fall der condictio causa data causanon secuta handle; der Zweck sei Vertragsinhalt geworden; darüber hätten sich die Parteien nicht nur stillschweigend, sondern sogar schriftlich geeinigt; der Beklagte könne doch nicht ernstlich behaupten, daß sie ihm freiwillig ein Stück Land mitten in ihrem Gut neben der Hofstelle zu irgendeinem beliebigen Zweck hatte verkaufen wollen. Dieser Gesichtspunkt ist so wesentlich und ergibt sich so unmittelbar aus der Sachlage, daß das Berufungsgericht an ihm nicht vorübergehen durfte. Das Berufungsgericht hat die Rechtslage nicht berücksichtigt, die sich ergibt, wenn die Hervorhebung im Vertrag, daß der Verkauf zur Anlage eines fortifikatorischen Werkes erfolge, nur den Beweggrund zum Abschluß des Vertrags bedeuten würde. Der Beklagte wäre dann in der Lage, über die erworbenen Flächen beliebig zu verfügen, sie insbesondere an jeden Dritten zu veräußern und sie nicht nur landwirtschaftlich zu nutzen, wie es jetzt der Fall ist. Daß die Klägerin bei der von ihr geschilderten und aus dem von ihr vorgelegten Plan ersichtlichen Örtlichkeit auf die Art der Verwendung des Geländes Gewicht legen mußte, liegt sehr nahe. Die Erwägung des Berufungsgerichts, daß mit der Herstellung des Befestigungswerkes für die Klägerin kein Vorteil, sondern Nachteile verbunden wären, trifft nicht den Kern der Sache. Es fragt sich, was für Nachteile der Klägerin entständen, wenn die beabsichtigte Verwendung nicht zum Inhalt des Vertrages erhoben worden und der Beklagte in der Lage wäre, nach Belieben über die inmitten des Grundbesitzes der Klägerin belegene Fläche zu verfügen; und die mit der Errichtung verbundenen Nachteile konnte die Klägerin nicht verhindern, wenn ihr, wie das Berufungsgericht feststellt, im Falle der Ablehnung des Verkaufs die Enteignung drohte. Auch aus den Persönlichkeiten der Beteiligten können Schlüsse für die Ermittlung des Vertragswillens gezogen werden. Die Klägerin ist eine Stiftung, deren Vertreter bestrebt sein müssen, das auf die Dauer für die Familie bestimmte Gut dieser so zu erhalten, daß eine Landfläche ihr nicht mit der Wirkung entzogen würde, daß unbekannte Personen über sie verfügen könnten; dagegen wäre sie mit Rücksicht auf den Zweck, den der Reichsfiskus mit dem Erwerb verfolgte, geschützt gewesen, wenn dieser Zweck Vertragsinhalt geworden wäre. Es wird daher erneuter Prüfung durch das Berufungsgericht bedürfen, ob der im Vertrag zum Ausdruck gekommene Verwendungszweck nicht auch Vertragsinhalt geworden und ob der bezweckte Erfolg im Sinne des Vertrags nicht eingetreten ist(§ 812 BGB). Daß ein über den

Anspruch auf die Gegenleistung hinausgehender Erfolg im Sinne des § 812 Abs. 1 auch bei gegenseitigen Verträgen zum Inhalt des Vertrags erhoben werden kann, ist rechtlich unbedenklich (RGZ. Bd. 66 S. 134; WarnRspr. 1917

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Nr. 112). Eine solche Vereinbarung kann auch stillschweigend getroffen werden24B.

Hiernach war das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es den Anspruch auf Herausgabe betrifft." Nach dem in diesem Paragraphen dargestellten System war in dem entschiedenen Fall dem Austauschzweck des Kaufvertrags der "fortifikatorische Zweck", d. h. ein atypischer Zweck angestaffelt. Zur Bedingung war dieser Zweck nicht erhoben worden, er war aber auch nicht bloßes Motiv des Veräußerers oder des Erwerbers geblieben. Das hat die mustergültige Auslegung des Parteiwillens, um deren Willen die Begrüridung so ausführlich und wörtlich hier wiedergegeben wurde, klar ergeben. Auf solche Art und Weise sind Motiv- Zweck- Bedingung am Fall durch Auslegung abzugrenzen; die sog. moderne Schuldrechtslehre ist in Gefahr, diese Kunst (ars boni et aequi) zu verlernen. War somit der angestaffelte "fortifikatorische" Zweck in den Inhalt des Rechtsgeschäfts aufgenommen worden, so blieb nur die Frage, ob bei Nichterreichung bzw. Verfehlung dieses Zwecks die Veräußerungsverpflichtung zu kondizieren (§ 812 I, 1, 1. Alt.) oder gern. § 323 entfallen ist, und da die Leistung bereits erbracht wurde, die Kondiktion über§ 323 III zu erfolgen hat. Da der Reichsmilitärfiskus sich zum Bau der Festungsanlage gegenüber der Klägerin nicht verpflichtet hatte, war der "fortifikatorische Zweck" nicht in die "synallagmatische Verknüpfung" eingebunden, so daß die Veräußerungsverpflichtung unmittelbar kondiziert werden kann, mit der Folge der Auflösung des Kaufvertrags, dies mit der weiteren Folge der Kondiktion der Eigentumsübertragung; aus der Auflösung des Kaufvertrags folgt dann auch die Verpflichtung zur Rückzahlung des Kaufpreises. b) Das Beispiel VII, 3 b24~ stammt von H. P. Westermann, er schreibt dazu250 : "Da die Klausel im praktischen Fall der Erklärung der Auflassung nachfolgte, ist hier die Annahme einer Bedingung wegen § 925 Abs. 2 unwahrscheinlich. Wenn nun aber die Stadt B den Grundbesitz an eine Großgärtnerei, eine chemische Fabrik veräußert, soll dann E keine Rechte haben, weil keine Bedingung vorlag, mit anderen Worten: Soll der Vertragsklausel ein besonderer Sinn nicht beigemessen werden? Hilft der Richter dem E, indem er entgegen der systematischen Stellung und dem Wortlaut der Klausel einen bedingten Kaufvertrag, aber unbedingte Auflassung annimmt, so gelangt er u. U. zur Causalosigkeit der Auflassung und kann § 812 Abs. 1 anwenden. Das ist aber geriau die Lösung, die bei der Deutung der fraglichen Klausel als Zweckvereinbarung herauskommen würde, nur

Hervorh. v. Verf. Vgl. Fußn. 189. 2ao Causa, 106.

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VIII. Die Abhängigkeit der Schuldverhältnisse von ihrem Zweck

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daß jener Lösung wegen der Umgehung des § 925 Abs. 2 etwas Gewaltsames anhaftet, während bei Bejahung einer bloßen Zweckvereinbarung § 925 Abs. 2 nicht im Wege steht, die Lösung also zwangsloser zu finden ist." Nach der hier vertretenen Auffassung ist bei solcher Fallgestaltung gleichfalls der weitere Zweck (sozialer Wohnungsbau) nicht dem Austauschzweck des Kaufvertrags, sondern dem Erfüllungszweck des Verfügungsgeschäftes (Auflassung) angestaffelt worden. Die Erhebung dieses Zwecks zur Bedingung der Auflassung ist nicht zu vermuten, weil sie gern. § 925 II die Auflassung unwirksam machen würde, was jeder Notar weiß. Das hindert aber nicht daran, den weiteren Zweck in den Inhalt des Rechtsgeschäftes (Auflassung) aufzunehmen, mit der Folge der Kondiktion der Auflassung bei Nichterreichung des weiteren Zwecks261 • Die Auflassung ist bedingungsfeindlich (§ 925 II) ausgestaltet, um einen .,Schwebezustand" hinsichtlich der Eigentumslage nicht zuzulassen. Die Abhängigkeit der Auflassung von einer weiteren, regelmäßig dem Erfüllungszweck angestaffelten Zweckabrede führt aber zu keinem derartigen Schwebezustand252 und ist daher zulässig, zumal ein Dissens über diesen Zweck wegen der in § 925 a vorgeschriebenen Vorlage der schuldrechtlichen Urkunde nahezu ausgeschlossen ist253• c) Wird ein Balkon zum Zwecke der Besichtigung eines Festzuges (Beispiel: VII 3 c254) vermietet, so ist mangels einer Schlechtwetterlage und eines dahingehenden Zweifels der Parteien nicht zu vermuten, daß die Erreichung des angestaffelten Zwecks (die Möglichkeit einer Besichtigung des Festzuges) zur Bedingung (§ 158) des Mietvertrags erhoben wurde. Eine vernünftige Auslegung ergibt jedoch, daß dieserangestaffelte Zweck in den Inhalt des Rechtsgeschäfts eingegangen ist, wenn die Vermietung des Balkons zu irgendeinem anderen Zweck völlig sinnlos wäre. Geht man davon aus, so ist es immer noch schwierig zu entscheiden, ob nun der Mietvertrag der Kondiktion unterliegen soll, was seine Abstrahierung von der Erreichung des angestaffelten atypischen Zwecks voraussetzen würde, oder ob nach Unmöglichkeitsgrundsätzen zu verfahren ist. Die Abstrahierung erscheint hier noch lebensfremder als die Vereinbarung einer Bedingung, so wird man annehmen müssen, daß nicht der Balkon vermietet (typischer Vertrag) wurde zu einem weiteren (atypischen) Zwecke, sondern eine vorteilhafte Gelegenheit zur Besichtigung des Fest25 1 Das will nicht heißen, daß die Zweckerreichung zur Bedingung der Auflassung gemacht wird ("äußere Kausalität"), das verbietet§ 925 II; es hat auch nichts zu tun mit der oben (Fußn. 131) erörterten Möglichkeit, das Auflassungsangebot an eine Zweckbestimmung zu koppeln; sondern es heißt nur, daß der Fortbestand der Eigentumsübertragung von der Zweckerreichung abhängig bleiben soll, d. h. daß im Falle der Zweckverfehlung die Kondiktion gegeben ist. 25z So zutreffend Westermann, causa, S. 103. 253 Vgl. Ehmann, JZ 68, 551 Fußn. 11. 25' Vgl. Fußn. 190.

190

§ 6 Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

zuges gewährt werden sollte (atypischer Vertrag), was nun unmöglich ist mit der Rechtsfolge der §§ 323 ff. Wird zum selben Zweck (Besichtigung des Krönungszuges) statt eines Balkons ein Schiff gemietet, das sehr wohl auch zu anderem Zweck vermietet werden kann, so ist dagegen die Aufnahme dieser weiteren Zweckabrede in den Inhalt des Rechtsgeschäfts nicht zu vermuten, auch nicht, wenn der Mieter bei der Anmietung diesen weiteren Zweck genannt hat; anders wiederum, wenn der Vermieter wegen der größeren Nachfrage an diesem Tage einen wesentlich höheren Mietzins als sonst verlangt. Im einzelnen bleibt dies Auslegungsfrage, ohne daß jedoch die Lehre von der Geschäftsgrundlage bemüht zu werden braucht256 • d) Im Falle von Leistungen (Beispiel VII 3 d: Dienstleistungen) zum Zwecke des Erwerbs von Zuwendungen mortis causa hat die condictio causa data non secuta (§ 812 I, 2, 2. Alt.) noch einen nahezu klassischen Anwendungsbereich, da sich der Leistungsempfänger zu der erstrebten Gegenleistung nicht verpflichten kann (§ 2302). Bei tatsächlichen Leistungen ist die Kondiktion stets schon deswegen erforderlich, weil der Übergang der bewirkten Leistung in das Vermögen des Empfängers auch durch eine zur Bedingung erhobene Zweckbestimmung nicht aufgehalten werden kann256 • e) Auch bei rechtsgeschäftliehen Leistungen mit angestaffeltem atypischem Zweck (Beispiel VII 3 f: Bürgschaft zur Vermeidung eines Strafverfahrens) hat die Rechtsprechung zu Recht stets mit der condictio causa data non secuta (§ 812 I, 2, 2. Alt.) gearbeitet257 • Zwar könnte der weitere Zweck auch als Bedingung (§ 158) vereinbart werden, das entspricht wohl aber nicht der Auffassung des Verkehrs und ist nicht zu vermuten. Die Auflösung nach §§ 323 ff. scheidet in diesen Fällen aus, weil die andere Seite sich zu dem erwarteten Verhalten nicht verpflichten kann, ein gegenseitiger Vertrag also nicht vorliegt. ! 55 Vgl. im übrigen zu derartigen Fällen Beuthien, Zweckerreichung, insbes. S.163 ff.; ferner Huber, JuS 72, 63 um Fußn. 65 und 66. 150 Die Praxis hilft regelmäßig mit der Annahme eines "faktischen Arbeitsverhältnisses" (vgl. insbes. BAG, AP § 612 Nr. 20, 22, 23), was nicht immer glücklich ist, nicht nur weil damit als Arbeitsverhältnis qualifiziert ist, was unter Lebenden nicht als solches gemeint war (so Mayer-Maly, Anm. zu Nr. 22), sondern ganz "praktisch" gesehen wegen der unpassenden Verjährungsregel § 196 I, Ziff. 8, wie die Entscheidung AP § 612, Nr. 20 schlagend beweist. Hinter der Verdrängung des Bereicherungsrechts durch den "faktischen Vertrag" steckt auch hier die Angst vor § 818 Abs. 3, wobei § 820 I, 1 regelmäßig übers.e hen wird. Dennoch hat die Figur des faktischen Vertrages im Arbeitsrecht wegen der zahlreichen Nebenrechte (Urlaub, Sozialleistungen usw.) seine Berechtigung. 257 Vgl. RGZ 62, 273; 118, 358; dazu oben Fußn. 187 und 191; weitere Beispiele bei Palandt-Thomas, § 812 Anrn. 6 A, d.

VIII. Die Abhängigkeit der Schuldverhältnisse von ihrem Zweck

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6. Die Zwecklehre und das BGB Die vorstehenden Ausführungen über die Abhängigkeit der Schuldverhältnisse und der Verfügungsgeschäfte von ihrem Zweck sollten zeigen, daß eine einfache begriffliche Abgrenzung von Zweck und Bedingung, d. h. eine stets geltende Bestimmung der Rechtsfolgen der Zweckverfehlung entsprechend den Folgen des Bedingungseintritts und -ausfalls (§ 158), nicht möglich ist. Die Unterscheidung zwischen Zweck und Bedingung erfordert eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen Zwecke auf den jeweils verschiedenen Stufen ihrer Funktion. Das ist einmal darin begründet, daß die Parteien kraft der Privatautonomie den Zweck (Grund) ihres Wollens auf verschiedene Weise zur juristischen Erheblichkeit bringen können. Das Gesetz gibt ihnen nicht nur diese verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten weitgehend frei, sondern stellt auch keine Vermutungsvorschriften für die Zweifelsfälle (wie etwa § 366 II) auf. Das führt zu dem anderen Grund der Schwierigkeit der Bestimmung der Rechtsfolgen der Zweckverfehlung: das BGB ist nicht bewußt nach dem hier vorgestellten System gebaut. Wohl liegen die Grundprinzipien dieses Systems auch dem System des BGB zugrunde, sonst könnten seine Einrichtungen268 nicht so perfekt damit erfaßt werden, aber das System ist im BGB nicht in allen Bereichen und Stufen konsequent durchgeführt. Das ist aber nicht ein Fehler dieser Zwecklehre, sondern ein Mangel des BGB, das eben doch nur eine "Momentaufnahme" aus der Rechtsentwicklung des 19. Jahrhunderts darstellt und von dieser Warte aus gesehen doch einige Jahrzehnte zu früh kodifiziert wurde. Die Juristen müssen, bis die Zeit für eine entsprechende Zivilrechtsreform reif geworden ist, sich damit behelfen, die Rechtsfolgen der Zweckverfehlung mangels eines zu erforschenden wirklichen Parteiwillens auf Grund des nach der Verkehrsüblichkeit hypothetisch zu ermittelnden (§ 157) Willens im Rahmen der dargestellten Möglichkeiten zu bestimmen. Da das dargestellte System versucht, soweit wie möglich dem Parteiwillen und der übung des Verkehrs gerecht zu werden, wird sich der Verkehr mit dem Maße, wie der Maßstab des Systems zur rechtlichen Beurteilung verwendet wird, auch leicht in immer steigendem Maße an seine Kriterien gewöhnen, sie benutzen und so die Rechtsfindung mehr und mehr erleichtern. Das gilt schon heute in großem Umfang für den kaufmännischen Handelsverkehr. Die Kaufleute wählen weitgehend bewußt die verschiedenen Rechtsformen als Mittel zur Verfolgung ihrer wirtschaftlichen Ziele. Ihr "praktisches Handeln" paßt deswegen leichter in den "Raster" der "theoretischen Rechtsordnung". Demgegenüber kümmert sich der rss Die Grundbegriffe des Systems (Zuwendung, Leistung, Zweck, Bedin-

gung)

sind alle im BGB zu finden.

192

§6

Lehre vom Zweck (causa-Lehre)

"Laie" bei seinen "Geschäften des täglichen Lebens" (z. B. Hausfraueneinkauf) nicht um Rechtsformen, nicht um die rechtliche Wertung seiner Handlungen; weitgehend fehlt ihm sogar die "Parallelwertung in der Laiensphäre"; deswegen sind die "Fälle des täglichen Lebens" so schwer rechtlich zu beurteilen. An diesen "Fällen des täglichen Lebens", an dem unbewußten Handeln der Laien, knüpft die sog. "GrundfoLgentheorie" (Lenet) an und darin liegt ihre verführerische Kraft. Jedoch- das Recht ist bewußte Kulturleistung (Willenswerk), und es ist daher die eigentliche Sünde wider den Geist des Rechts, die Kriterien der Rechtsordnung am Unbewußten ausrichten zu wollen. Auf diesem Wege werden die Ersatzgötter ("konkrete Ordnungen", Institutionen) erfunden, die um einer vorgespiegelten "höheren Gerechtigkeit" willen dem Bürger sein (?) "Interesse" geben. Des Menschen Wille aber ist sein Himmelreich, oft auch, wenn er sich gegen sein eigenes Interesse oder vorgegebene "Institutionen" richtet! Denn nicht die Vernunft, sondern das Vermögen der Freiheit ist der höchste Wert. Und darum ist die Freiheit der Grundbegriff des Rechts. Freiheit ist: das Vermögen zwischen verschiedenen MögLichkeiten zu wählen. Die Möglichkeit solcher Entscheidung zwischen dem Richtigen und dem Falschen, dem Guten und dem Bösen ist die Basis des Rechts. Nur auf dieser Basis ist und bleibt der Mensch Subjekt des Rechts259 • Selbst im Gerichtsverfahren fühlen sich die Parteien gerecht beurteilt, wenn ihr Handeln nach ihrem eigenen Wollen beurteilt wird; aber sie fühlen sich "verurteilt", wenn ihnen um "konkreter Ordnungen" willen aus "objektivem Geist" Erklärungen "zugerechnet" werden, die sie nicht abgegeben haben und nicht abgeben wollten. Darum muß der Zweck der Parteien die "Seele des Schuldverhältnisses" sein- und bleiben. Schließlich vermag es die vorgestellte Lehre vom Zweck, die Fülle der Rechtsformen zur Bewegung und zum Schutz der Güter aus wenigen Prinzipien zu erklären und in ein System einzuordnen. Das einzelne wird im Ganzen des Systems leichter verständlich, leichter lehr- und lernbar. Die Fülle des Stoffes wird "aufgehoben" im System.

m Vgl. Puchta, Institutionen, §§ 1 - 4; E. A. Wolff, Kausalität, S. 57 ff.

Drittes Kapitel

Die drei Gesamtschuldtypen § 7 Die gleichgrundige Gesamtschuld (ex eadem causa) Bereits im Jahre 1887 erkannte .Mitteis1 , daß es "nicht räthlich" sei, "alle passiven Solidarschuldverhältnisse als eine durchaus homogene Masse hinzustellen", vielmehr müsse man dieselben "nach Ursprung und Zweck in verschiedene Gruppen sondern". Das "richtigste Einteilungsprinzip", das Mitteis suchte, meine ich im Zweck des rechtsgeschäftliehen Handeins bzw. der gesetzlichen Schutzvorschriften erkannt zu haben. Auf der Basis der im vorstehenden Paragraphen dargestellten Lehre vom Zweck soll daher die "Masse der passiven Solidarschuldverhältnisse" in dTei Gruppen erlaßt werden. Den Besonderheiten der ex eadem causa entstandenen gleichgründigen Gesamtschuld gilt die folgende Darstellung dieses Paragraphen. I. Die begriffliche Entwicklung der gleichgründigen Gesamtschuld

1. DeT historische UTsprung Der historische Ursprung der Gesamtschuld ist der Fall der gemeinsamen Stipulation (spondemus) der Schuldner (duo pluresve rei promittendi}2. Aus der Einheit des Stipulationsaktes folgerte man die Einheit der Obligation (Einheitstheorie) und daraus die Gesamtwirkung der Erfüllung, der Erfüllungssurrogate, der litis contestatio etc. Die Gruppe wurde dann schon im römischen Recht auf die Fälle gemeinsamer Verpflichtung aus Verträgen (auch aus Litteral- und Konsensualkontrakten) erweitert und bildete in dieser Erweiterung die Hauptgruppe der sog. Correalobligationen des gemeinen Rechts3 • Das BGB hat dann alle Fälle von Korrealschulden und Solidarschulden unter dem Begriff "Gesamtschulden" zusammengefaßt, ohne damit die Sachstrukturen der einzelnen Fallgruppen verändern zu können oder auch nur verändern zu wollen. GrünhZ 14, 476 (vgl. das Zitat oben§ 2, Fußn. 2). Vgl. oben§ 1 III, B 2. a Vgl. Savigny, OR I,§ 17, S.144 ff.; Windscheid, Pand. II, § 297.

1

t

13 Ehmann

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§ 7 Die gleichgrundige Gesamtschuld (ex eadem causa}

2. Die Regelung des BGB (Eisele) Trotz des eindeutigen Willens des BGB-Gesetzgebers, alle im gemeinen Recht alsKorreal-und Solidarschuldverhältnisse anerkannten Fälle mit der Regelung der§§ 421 ff. (= §§ 321 ff. EI) zu erfassen', hat Eisele5 gemeint, auch wenn in§ 321 EI(=§ 421 BGB) das Erfordernis der eadem causa nicht erwähnt sei, sei dieses Erfordernis "implicite" enthalten in dem Ausdruck "Gesammtschuldverhältniß"8 • Die Fälle, in denen mehrere Obligationen zwar der Befriedigung desselben Interesses dienen, aber auf verschiedenen causae beruhen, bezeichnet Eisele als Fälle "unechter Solidarität"7. Obwohl nun wirklich die Regelung des BGB das Erfordernis einer eadem causa als notwendige Voraussetzung der Gesamtschuld nicht enthält, ist die Meinung Eiseies von Literatur und Rechtsprechung weitgehend akzeptiert worden. Rudolf Schmidt8 hat diese "Rezeption" völlig zutreffend dargestellt, sie braucht daher hier nicht wiederholt zu werden. Dabei ist freilich zu beachten, was bei Rudolf Schmidt nicht genügend9 und in den in der neueren Literatur fortgeschriebenen Zitaten gar nicht mehr hervortritt10, daß Eisele die Fälle von Korrealität, Solidarität und unechter Solidarität nach dem Kriterium der Gesamtwirkung der litis contestatio unterschied11 und nicht etwa dem der wechselseitigen Tilgungswirkung (§ 422) oder des gesetzlichen Regresses (§ 42'6). Der Unterschied von Korreal- und Solidarobligation ist für Eisele belanglos, weil er für beide Fallgruppen die Mehrheitstheorie vertritt12 ; den Ausdruck Korrealobligation will er daher in die Rechtsgeschichte verweisen oder für die Fälle reservieren, in denen die Solidarität auf Vertragswille beruht13 • Entscheidend ist ihm der Unterschied zwischen den Fällen echter und unechter Solidarität. Als entscheidendes Kriterium gilt ihm dabei der Geltungsbereich des Satzes: bis de eadem re ne sit actio14• Voraussetzung einer "eadem res" ist für Eisele die "Identität der causa obligationis" 15 : • Vgl. Mot. II, 155 = Mugdan II, 85. AcP 77 (1891), 481. • Eisele begründet diese Behauptung u. a. mit dem Argument, der Entwurf enthalte keine "Bestimmung über Aufhebung der Obligation durch Wegfall des Interesses", die für die Fälle der nicht ex eadem causa entstandenen Gesamtschuldverhältnisse erforderlich sei (AcP 77, 481}. Vgl. dazu auch oben § 3 II, 2. 7 AcP 77,479. s JherJb 72, S. 1 - 11. 0 Der kleine Hinweis auf S. 1 (JherJb Bd. 72} wird zu leicht übersehen und in der Bedeutung verkannt. 10 Zutreffend aber neuerdings auch Hüffer, Rückgriff, S. 12 Fußn. 13. u AcP 77,374 f. 12 AcP 77, S . 374 f., 419 und öfters. 13 AcP 77,479. u AcP 77, 411, 417, 419, 432 und öfters. 15 AcP 77,419. 5

I. Die begriffliche Entwicklung der gleichgründigen Gesamtschuld

195

"Im Correalverhältniß kann nun die eadem causa nicht bewirken, daß nur

eine Obligation sei- das ist durch die Mehrheit der Schuldner respektive Gläu-

biger ein für alle mal ausgeschlossen - aber sie bewirkt, daß das Ganze nur einmal geleistet zu werden braucht, und damit, da auch Theilung ausgeschlossen ist, daß trotz der Personenmehrheit eadem res istll>."

Die eadem causa war für Eisele also Voraussetzung der eadem res, d. h. des prozessualischen Rechtssatzes: .,Bis de eadem re ne sit actio." Dann bleibt also die Frage, welche Solidarschuldverhältnisse ex eadem causa entstehen und daher "echte" sind. Jedenfalls sind dies die Fälle gemeinsamer vertraglicher Verpflichtung (Korrealschuldverhältnisse) 18• Bei den Fällen der Verpflichtung ,.Mehrerer auf Ersatz des durch ihr gemeinschaftliches Delikt angerichteten Schadens" 17 will Eisele das römische Recht weiter entwickeln: "Wenn nun die Rechtsordnung die an sichtheilbare Verbindlichkeit, für den Schaden aufzukommen, den mehreren Delinquenten zu Gunstendes Beschädigten in solidum auferlegt; so erscheint die andere Bedingung für correale Haftung: eadem causa obligationis in dem gemeinsamen Delikt ebenso erfüllt, als in gemeinsamem Vertragts." Auch mehrere Fidejussoren, die sich in "getrennten Akten" für dieselbe Schuld verbürgt haben, betrachtet Eisele als im Gesamtschuldverhältnis stehend: "Allerdings fehlt es an der eadem causa, dieselbe wird aber (wie im Verhältniß von Bürgen und Hauptschuldner, oben S. 423, vgl. auch S. 431) ersetzt durch das Accessionsverhältniß, in welchem die Obligationen der Bürgen zu einer und derselben Hauptschuld stehen: sind sie alle dieser in dem Sinne gleich, daß eadem res ist, so sind sie es auch unter sich in demselben SinntB." Nicht auf ex eadem causa beruhend betrachtet Eisele dagegen u. a. die Verpflichtungen eines unsorgfältigen Verwahrersund eines deliktischen Schädigers; die Verpflichtungen aus Beschädigung und Versicherung; die Verpflichtungen mehrerer getrennter Versicherer20•

3. Die Regelung des BGB (Enneccerus) Es versteht sich, daß die Unterscheidungskriterien Eiseles sich nicht ohne weiteres auf die Unterscheidung von Gesamtschulden, auf welche die §§ 421 ff. unbeschränkt oder nur teilweise, insbesondere nicht § 42'6, Anwendung finden, übertragen ließen. Auch der von Eisele im Hinblick auf die Voraussetzung einer eadem res aufgestellte Begriff einer eadem causawar von der causa-Lehre her gesehen stark überdehnt. u AcP 77,479. AcP 77, 464. AcP 77,473. 18 AcP 77, 462. 10 AcP 77, 464. 17 18

13'

196

§ 7 Die gleichgrundige Gesamtschuld (ex eadem causa)

Im Bestreben, einen brauchbaren Gesamtschuldbegriff zu entwickeln, wurde diese Erweiterung des causa-Begriffs von den Autoren, die Eiseie folgend das Erfordernis einer eadem causa als Voraussetzung einer Gesamtschuld behaupteten, noch weiter getrieben. So schreibt zum Beispiel Oertmann21 : "Die Abgrenzung (lies: der Fälle sog. unechter Solidarität) vom Gesamtschuldverhältnis beruht auf der mangelnden Einheit und selbst materiellen Gleichartigkeit des Entstehungsgrundes für die verschiedenen Verpflichtungen. Doch darf man (so richtig Guhl22, S. 185, 192) an diese Einheit nicht so strenge Anforderungen stellen; eine formelle Verschiedenheit der Entstehungsgeschäfte steht einem wahren Gesamtschuldverhältnis nicht im Wege, wenn sie nur materiell auf demselben Schuldgrund beruhen, d. h. wenn der später Hinzutretende sich im Rahmen desselben Schuldverhältnisses verpflichtet wie der erste Schuldner- man denke an den Fall der bestärkenden Schuldübernahme." Gegenüber einem so erweiterten Erfordernis der Gleichgründigkeit bedeutete das dann von Ennecce1'1.Ls23 aufgestellte Merkmal der "Zweckgemeinschaft" inhaltlich kaum noch eine Veränderung. Erst in diesem Zusammenhang versteht man auch, warum Ennecce1'1.Ls23 Verwahrer und Dieb, Brandstifter und Versicherer nicht als eine Zweckgemeinschaft und daher nicht als Gesamtschuldner ansehen wollte, obwohl das doch, von dem von ihm selbst bestimmten Erfordernis dieser Zweckgemeinschaft aus, gar nicht zu begreifen ist: Für Eisele2' waren dies Fälle unechter Solidarität, in denen die Verpflichtungen auf verschiedenen causae beruhen und folglich die litis contestatio keine gesamtbefreiende Wirkung hatte. Diese Abgrenzung hat Enneccerus übernommen und mit ganz anderen Funktionen ausgestattet26, obwohl sie offensichtlich dafür nicht konstruiert war. Die historische Betrachtung zeigt also deutlich, daß sich der Gesamtschuldbegriff aus den Fällen der gemeinsamen Verpflichtung mehrerer ex eadem causa entwickelt hat, daß dann aber mit der Anerkennung weiterer Schuldnermehrheiten als Korreal- bzw. Solidarschuldverhältnisse das Erfordernis der eadem causa nicht aufgegeben, sondern schrittweise erweitert wurde, bis es sich in dem Merkmal Zweckgemeinschaft auflöste. Dabei ist aber zu keinem Zeitpunkt bezweifelt worden, daß jedenfalls die auf Grund einer gemeinsamen Ver pflichtung, ex eadem causa, zu demselben Zwecke gegebenen Versprechen echte Gesamtschulden sind, auf welche die§§ 421 ff. uneingeschränkt Anwendung finden. Recht der Schuldverhältnisse, 5. Aufl., Vorbem. 5 c a vor§ 421, S. 495. Leipziger Diss. 1908. 2a BR II, § 313; vgl. dazu oben§ 2 II, 2. 24 AcP 77,458 ff. (464). 25 Das Vorliegen einer "Zweckgemeinschaft" sollte insbes. die Anwendbarkeit des § 426, d. h. das Regreßproblem entscheiden. 21

22

II. Der Tatbestand der gleichgründigen Gesamtschuld

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Angesichts der gesetzlichen Hervorhebung dieser Fallgruppe in § 427 ist dies auch nicht zu bezweifeln. Daher haben auch Kress28 , Lehmann!7, Leonhard28, Hec'Jc!9 und später Hillenkamp80 , Börnsen31 Dilcher32 und Thiele 33 die aus gemeinsamer Verpflichtung(§ 427) entstandenen (gleicbgründigen) Gesamtschulden als eigenständige Gruppe betrachtet. Schließlich hat Reichel84 bereits im Jahre 1909 die "schiefe" Unterscheidung zwischen echten und unechten Gesamtschulden abgelehnt und auf die Bedeutung der Unterscheidung zwischen homogenen (gleichgründigen) und heterogenen (ungleichgründigen) Gesamtschulden hinsichtlich der Rechtsfolgen hingewiesen. ß. Der Tatbestand der gleichgründigen Gesamtschuld

1. Identität von Zweck und Leistung Das Erfordernis der Gleichgründigkeit ist, wie bereits die vorstehenden Ausführungen zeigten, nicht eindeutig. Wenn verschiedene Juristen sagen, mehrere Forderungen beruhten auf demselben Rechtsgrunde, derselben causa, so können sie damit durchaus Verschiedenes meinen, weil eben bezüglich der Begriffe Rechtsgrund, causa, kein einheitlicher Sprachgebrauch besteht. Im historischen Verständnis kann Rechtsgrund (causa) in diesem Sinne hier nur heißen: vertragliches Schuldverhältnis (im weiteren Sinne). Eadem causa ist also ein Schuldverhältnis, in welchem eine Leistung zu einem Zweck von mehreren versprochen wurde, mehrere Mieter, Käufer versprechen gemeinsam den Mietzins, Kaufpreis, um die Sache zum Gebrauch, zu Eigentum zu erhalten. Die mehrfachen Versprechen begründen ein Schuldverhältnis, aber mehrfache Forderungen (Mehrheitstheorie35), deren Leistungsgegenstand und Leistungszweck jedoch identisch sind. Da es nicht mehr der einheitliche Entstehungsakt (spondemus) ist, welcher die korreale (gesamtschuldnerische) Verpflichtung hervorbringt, sondern die gemeinsame Vereinbarung über Leistung und Zweck, braucht diese gemeinsame Vereinbarung nicht gleichzeitig zu erfolgen, sondern kann auch sukzessive geschehen, z. B. durch späterenBeitritt eines weiteren Mieters (Käufers)36• 28

ASebuR S. 595, 603, 608.

Enneccerus-Lehmann, SchuVerh, § 90 li, 2, S. 362. ts SchuR I, § 368, S. 739. 28 SchuR, § 76, 2, S. 233. 27

Unechte Gesamtschuld, S. 117. Strukturen, S. 131. JZ 67, 113. 33 JuS 68, 152. :• Schuldmitübernalune, S. 58. 35 Vgl. oben§ 1 III, A, 3. 36 RGZ 70, 410; BGH NJW 59, 2160; Kress, ASchuR, S. 595; RGRK-Fischer, §427 Anm.l. 30 31 32

198

§

7 Die gleichgrundige Gesamtschuld (ex eadem causa)

2. §§ 427,431: Auslegungsregeln oder dispositive Vorschriften? In§ 427 heißt es, daß die gemeinsame Verpflichtung mehrerer zu einer teilbaren Leistung "im Zweifel" zur gesamtschuldnerischen Haftung führt. Die Einschränkung "im Zweifel" fehlt dagegen in§ 431 betreffend die Verpflichtungen zu einer unteilbaren Leistung. Die Regelung des § 427 kann allein aus dem Gesetzestext heraus verschieden verstanden werden. Man könnte denken, daß die gemeinsame Verpflichtung mehrerer, d. h. die gemeinsame Vereinbarung von Leistung und Zweck bei teilbaren Leistungen als Voraussetzung einer Gesamtschuld nicht genügt, vielmehr die weitere Vereinbarung zwischen den Schuldnern und dem Gläubiger hinzukommen muß, daß "alle für einen und einer für alle" haften sollen; was z. B. auch durch die Ausdrücke "zu ungeteilter Hand" oder "samt und sonders" oder "solidarisch" oder "korreal" geschehen kann. Daß mehrere Beteiligte in einem auf teilbare Leistung gerichteten Schuldverhältnis nur "im Zweifel" als Gesamtschuldner haften, könnte aber auch heißen: sofern sie nichts anderes vereinbart haben. Dem "Praktiker" mag dieser Unterschied zunächst gering erscheinen, er ist jedoch für die Erkenntnis des wahren Grundes der gesamtschuldnerischen Bindung von allergrößter Bedeutung und dann schließlich auch für die aus dieser Erkenntnis zu ziehenden praktischen Ergebnisse wichtig3 7 •

3. Der Grund der gesamtschuldnerischen Bindung Der 1. Entwurf ging davon aus, "daß die Regel der Getheiltheit der Forderung und der Schuld unter der Voraussetzung der juristischen Theilbarkeit der Leistung (§§ 339, 34