Die Freiheit des Gewissens [1 ed.] 9783428413652, 9783428013654

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Die Freiheit des Gewissens [1 ed.]
 9783428413652, 9783428013654

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 2

Die Freiheit des Gewissens

Von

Heinrich J. Scholler

Duncker & Humblot · Berlin

H. Scholl er / Die Freiheit des Gewissens

Schriften zum ö f f e n t l i c h e n Band 2

Recht

Die Freiheit des Gewissens

Von

Dr. H e i n r i c h J. Scholler

DUNCKER

& HIMBLOT

/

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten ©

1958 Duncker & Humblot, Berlin

Gedruckt 1958 bei Buch- und Kunstdruckerei Gustav Ahrens, Berlin N 65 Printed in Germany

Vorwort Die vorliegende Arbeit unternimmt den bemerkenswerten Versuch, das Grundrecht der Gewissensfreiheit i n neuer Weise zu deuten. Ausgehend von einer selbständigen Betrachtung der ideengeschichtlichen Grundlagen w i r d i n der fundierten Darstellung des Verfassers i n dankenswerter Weise die innere Verbindung zwischen der persönlichen Geheimsphäre und der Freiheitssphäre i n den Mittelpunkt gerückt. Es ist daher sehr begrüßenswert, daß sich der Verfasser entschlossen hat, seine Arbeit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sein Bemühen w i r d gewiß das verdiente Interesse finden — sei es zustimmend, sei es kritisch —, zumal dem Thema bisher nur selten größere Aufmerksamkeit gewidmet worden ist. Aktualität und inneres Gewicht des Grundrechts der Gewissensfreiheit aber werden gerade durch die Ergebnisse dieser Arbeit i n vielfältigen Beziehungen vor Augen geführt. Professor

Dr. Maunz

Inhalt

K a p i t e l l : Gewissen und Gewissensfreiheit als Problem der antiken Welt 13 1. Das Gewissensphänomen in Griechenland und Ägypten 13 2. Gewissensfreiheit als Ausdruck des gestörten Verhältnisses von Individuum und Staat 10 3. Die innere Geistesfreiheit, das Christentum und der römische Kaiserkult 22 K a p i t e l I I : Gewissensfreiheit als rechtliche und verfassungsrechtliche Garantie in der Antike und im Mittelalter 26 1. Keine wohlklausulierten Verfassungsrechte in der Antike 26 2. Gewissensfreiheit als kollektives Freiheitsrecht der Ecclesia im Mittelalter 27 3. Sekten, religiöse und politische Geheimbünde als Träger kollektiver Freiheitsrechte 29 4. Hausfreiheit und Asylrecht als germanische Wurzeln der Gewissensfreiheit 31 K a p i t e l I I I : Das Grundrecht der Gewissensfreiheit in der angelsächsischen Welt 34 1. Die englische Reformation und die Puritaner 34 2. Gewissensfreiheit in den amerikanischen Kolonien 36 3. Gewissensfreiheit als Menschenrecht der Konstitutionen der nordamerikanischen Bundesstaaten nach der Unabhängigkeitserklärung 38 K a p i t e l I V : Die französische die Gewissensfreiheit

Erklärung

der Menschenrechte und 43

K a p i t e l V : Die Reformation und der Augsburger Religionsfrieden 1. Gewissensfreiheit als Freiheit „in den Kammern anzubeten1' — 46 2. Der Gewissensbegriii bei Luther 47 3. Gewissensfreiheit als Fürsten-Individualrecht 48 K a p i t e l V I : Von der reichsrechtlichen Regelung der „spaltigen Religion* 4 durch den Westfälischen Frieden bis zum Reichsdeputationshauptschluß 51 1. Die Beligionsregelung des Westfälischen Friedens im allgemeinen 51 2. Gewissensfreiheit als Hecht auf devotio domestica simplex 53 K a p i t e l V I I : Gewissensfreiheit Hohenzollern in Preußen

als Programm und Grundrecht

der 55

46

Inhalt

8

1. Gewissensfreiheit als Programm der Religionspolitik in Preußen 2. Gewissensfreiheit als Grundrecht des „inneren Gottesdienstes" im allgemeinen Landrecht 3. Die religiöse Bekenntnisfreiheit des Art. 12 der preuß. Verfassung und ihr Verhältnis zum Grundrecht der Gewissensfreiheit Kapitel V I I I :

Die Gewissensfreiheit

deren deutschen Territorialstaaten

als Grundrecht

Gewissensfreiheit in den Verfassungen und der Schweizer Eidgenossenschaft

Entwicklung

in der Weimarer

Interpretation

68 71

der

Ge-

Reichsverfassung

1. Die Gewissensfreiheit des Art. 135 S. 1 der Weimarer Reichsverfassung 2. Gewissensfreiheit als Programm in den Ländern und im Reich .. K a p i t e l X I I : Die spiritualisierende freiheit durch die Rechtswissenschaft

64

des Kaiser-

1. Die Gewissensfreiheit im Grundrechtsentwurf der Paulskirche .. 2. Gewissensfreiheit im Deutschen Kaiserreich als natürliches Recht des Deutschen K a p i t e l X I : Gewissensfreiheit und in den Ländern

59 64

1. Gewissensfreiheit in Österreich im Sinne der ersten Protestanten 2. Die helvetische Gewissensfreiheit als Recht auf Freiheit des Kultus K a p i t e l X : Die reichsverfassungsrechtliche wissensfreiheit zur Denk- und Geistesfreiheit

56

in den an-

1. Gewissensfreiheit als Recht auf einfache Hausandacht in Bayern 2. Gewissensfreiheit als Grundrecht in den Landesverfassungen der Königreiche Württemberg und Hannover und in den Kurfürstentümern Hessen und Sachsen Kapitel IX: reichs Österreich

55

der Gewissens-

1. Die Spiritualisierung der Freiheit der Hausandacht in Geistesfreiheit 2. Die Leugnung des Rechtscharakters des Grundrechts der Gewissensfreiheit 3. Versuche einer neuen Sinngebung der Gewissensfreiheit durch ihre Interpretation als Bekenntnis- oder Meinungsfreiheit 4. Der Einfluß der Weimarer Verfassung auf die Interpretation der Gewissensfreiheit durch die Rechtswissenschaft a) Gewissensfreiheit und Gedankenfreiheit b) Gewissensfreiheit als sittliche Freiheit oder als Freiheit der Persönlichkeit c) Gewissensfreiheit als Weltanschauungsfreiheit 5. Die Abhängigkeit der rechtswissenschaftlichen Interpretation vom Staatsbegriff K a p i t e l X I I I : Der Zusammenbruch des Weimarer Grundrechtssystems und die Wiederverankerung rechtsstaatlicher Grundrechte in den deutschen Ländern

71 74 77

77 78 81

81 83 87

87 89 91 93 93 93 95 96

97

Inhalt 1. Die Gewissensfreiheit nach 1933 97 2. Das Menschenrecht der Gewissensfreiheit in den internationalen Deklarationen der westlichen Welt 99 3. Die westdeutschen Länderverfassungen 101 4. Gewissensfreiheit in der Verfassung der DDR 106 5. Zusammenfassung 107 K a p i t e l X I V : Das Grundrecht Grundgesetz für die Bundesrepublik

der Freiheit Deutschland

des Gewissens im

1. Die Entstehungsgeschichte des Art. 4 GG 2. Die Interpretation des Art. 4 Abs. 1 GG a) Die Interpretation der „Freiheit des Gewissens" als volle Glaubens» und Gewissensfreiheit b) Die Freiheit des Gewissens als Freiheit des forum internum .. c) Die Freiheit des Gewissens als Bekenntnisfreiheit d) die Freiheit des Gewissens als Gedanken- und Meinungsfreiheit e) Restriktive oder extensive Interpretation der Gewissensfreiheit Kapitel

XV:

Gewissen und Geheimsphäre

1. Das Gewissen als Persongeheimnis 2. Die Geheimsphäre als Schutzbereich des Religionsgeheimnisses .. Kapitel Eingriffen

X V I : Der Schutz des Persongeheimnisses bei staatlichen in die persönliche Geheimsphäre

1. Somatische Eingriffe: Impf- und Röntgenzwang 2. Psychische Eingriffe: Narkoanalyse und Hypnose 3. Der Schutz des Art. 4 Abs. 1 GG gegen Gesetzgebung und Verwaltung an Hand der jüngeren Rechtsprechung a) Gewissensfreiheit und Meldewesen b) Verkehrssünderkartei und erkennungsdienstliche Unterlagen .. c) Verletzung des Persongeheimnisses durch Versagen eines Verwaltungsaktes oder durch Entziehung von Rechten auf Grund eines Verwaltungsaktes d) Symbole politischer und weltanschaulicher Art: Propaganda in der Schule e) Friedhofsrecht f) Wahrsagen und Kartenlegen K a p i t e l X V I I : Grenzfälle des Art 4 Abs. 1 GG 1. Die Geheimsphäre und die Tonaufnahmen 2. Bekenntnisschule und Art. 4 Abs. 1 GG a) Verhältnis von Elternrecht und Gewissensfreiheit in bezug auf die Schulreform b) Art. 4 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Geheimnisschutz innerhalb der Schule 3. Art. 4 Abs. 1 GG im Verhältnis zu § 67 PStG: Rentenkonkubinat und Gewissensehe a) Die bisherige Rechtsprechung und Literatur b) Öffentlichkeit oder Heimlichkeit der Ehe nach bürgerlichem und nach canonischem Recht 4. Das richterliche Gewissen

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10

Inhalt

K a p i t e l X V I I I : Die Rechtsnatur der Gewissensfreiheit , insbesondere ihre Drittwirkung 179 1. Die Rechtsnatur: Das Freiheitsrecht als negatives Statutsrecht .. 179 2. Die Drittwirkung der Grundrechte im allgemeinen 180 3. Die Drittwirkung des Art. 4 Abs. 1 GG 182 a) Die Freiheit des Gewissens als allgemeine Unzumutbarkeitsklausel 183 b) Herkömmliche Drittwirkung der Gewissensfreiheit 185 4. Probleme der Drittwirkung an Hand von aktuellen Rechtsfällen 187 a) Des Arbeitsrechts 187 b) Des Sachenrechts 189 c) Des Familienrechts 190 5. Die sogenannte übermittelbare Drittwirkung des Art. 4 Abs. 1 GG 191 a) Das Gesetz über die religiöse Kindererziehung 191 b) § 51 des Betriebsverfassungsgesetzes 192 6. Das Grundrecht der Gewissensfreiheit im Verhältnis zur Gewissensklausel 193 K a p i t e l X I X : Die Schranken der Freiheit des Gewissens 1. Die soziologischen und immanenten Gewährleistungsschranken .. a) Allgemeine soziologische Voraussetzungen b) Gewissenslosigkeit und Uberzeugungstäter c) Das Unbewußtsein und die Anspannimg des Gewissens d) Die sachlich immanente Schranke der Geheimsphäre und die soziologische Schranke der Grundanschauung des abendländischen Kulturkreises 2. Die verfassungsrechtlichen Vorbehaltsschranken des Art. 4 Absatz 1 GG a) Die Vorbehaltsschranke der verfassungsmäßigen Ordnung b) Die Schranke der allgemeinen Gesetze aus Art. 5 Abs. 2 GG .. K a p i t e l X X : Zusammenfassende Betrachtung 1. Der systematische Primat des Art. 4 Abs. 1 GG 2. Versuch einer Neu-Formulierung des durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützten Rechtsgutes a) Philologische Begründung b) Philosophische Identität von Anschauung und Gewissen c) Die Anschauung als philosophische Methode d) Die rechtliche und verfassungsrechtliche Begründung der Neuformulierung 3. Die Freiheit des Gewissens als Freiheit der Anschauung im Bereich der Geheimsphäre

195 195 195 196 198 202 203 203 205 207 207 210 212 213 214 215 217

Anhang Ergänzende Zusammenstellung der Garantie der Freiheit des Gewissens in den wichtigsten aktuellen Verfassungen der Erde — 219 Literaturverzeichnis

224

Abkürzungsverzeichnis ACP ArdiGesPs AP AöR ARSPh BAG BayVerfGH BB BGBl BGH BDH BK BVerfG BVerwG BV BayVBl DöV DRZ DVB1 FamRZ RGewO GG GVB1 HBdDStR HBdPo HZ JöR JZ KG LAG LVG MdR NJW ÖArchKiR ObLG OVG Pr.VBl Pr.OVG RdA RG RGG HSW SchJZ VG VGH WV ZBR ZeK ZGesStR ZGesStW

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Kapitel

I

Gewissen und Gewissensfreiheit als Problem der antiken Welt 1. Das Gewissensphänomen in Griechenland und Ägypten Es ist eine noch ungelöste Frage, inwieweit der A n t i k e Gewissen und Gewissensfreiheit i m christlich-abendländischen Sinn bekannt gewesen sind. Kulturhistorisch läßt sich feststellen, daß der Begriff des Gewissens nur i n Griechenland und Rom i n einem uns vertrauten Sinne formuliert wurde. Aber auch i n Griechenland ist dies erst das Ergebnis einer späten sophistischen Entwicklung, so daß w i r von der griechischen Syneidesis nicht wie von einem Urphänomen sprechen dürfen 1 . Der erste Beleg bei Demokrit spricht vom Gewissen i m Sinne des Bewußtseins 2 . I n der Tragödie beginnt dann die Umdeutung der m y t i schen Vorstellungen i n intellektualistische und psychologische Bilder. Hier w i r d aus den Erinyen das Böse, aus den Eumeniden das gute Gewissen — diese mythologischen Gestalten, die ursprünglich die Seelen Verstorbener als Rächer oder Schutzgeister darstellten und auf Grund der eidetischen Veranlagung des griechischen Menschen Fleisch und B l u t annahmen, werden wieder i n psychische Vorgänge umgedeutet und damit i n das Innere des Menschen zurückverlegt, aus dem sie einst hervorgetreten waren 3 . Seine fons remota hatte das Gewissen i n der Kainstat, des Zeus an Chronos, aus dessen vergossenem B l u t die Erinys entsteht, ähnlich wie das B l u t des unschuldigen Abel zu Gott schrie und K a i n verfolgte 4 . 1 Zucker: Syneidesis und Conscientia, ein Versuch zur Geschichte des sittlichen Bewußtseins im griechischen und römischen Altertum, Jenaer akademische Reden, Heft 6,1928, S. 4. 2

3

Zucker, a. a. O. S. 4, Anm. 4.

Euripides, Orest, v. 396: f H ovveaiç fm avvoiba ôeîv' elçYaqiévoç. Zucker, a. a. O., S. 7. 4 Wolf, E.: Griechisches Rechtsdenken I, 1950, S. 53 ff., bes. S. 61, Anm. 3; S. 58, Anm. 9, Hesiod Theog. 185, Wolf lehnt es allerdings ab die Erinys als reine poena naturalis verstehen zu wollen. Die Erinyen können in Eumeniden umgewandelt werden und werden als solche als Heilbringende der Polis „eingestiftet". Eine Art Institutionalisierung des Individualgewissens im öffentlichen Gewissen und damit im Staat. Victor Hugo: La Conscience: „II (kain) vit un œil, tout grand ouvert dans les ténèbres, et qui le regardait dans l'ombre fixement". Genesis 4, 14.

14

Gewissen und Gewissensfreiheit in der Antike

Die verhältnismäßig späte Formulierung der Syneidesis, aus der über die Stoa das lateinische Conscientia und das deutsche Gewissen entstanden ist, beweist also nicht, daß der Tatbestand des Gewissensphänomens der A n t i k e imbekannt war oder doch erst sehr spät bekannt wurde 6 . Wesentlich älter als die Syneidesis sind die mythologischen Figuren der Erinyen und Eumeniden der Keren, der Nemesis und der M o i r a 6 . Bei Plato trifft man auch eine andere Interpretation i n seiner Lehre von „Scham" und „Furcht" (Aidos), die allen Menschen zum Unterschied von den Tieren eingepflanzt wurden und durch die die Menschen i n die Lage versetzt werden, Poleis zu gründen. Es war also ganz unrichtig anzunehmen, daß das Gewissensphänomen i n der A n t i k e imbekannt gewesen sei und daß es nur bei Griechen und Römern ein spätes Aufleben erfahren hat. Auch i n Ägypten w a r das sittliche Bewußtsein i n seiner sozialen und individuellen Gestalt nicht unbekannt gewesen. C. Clemens 7 abweichende Meinung dürfte durch J. H. Breasted 8 widerlegt worden sein, der i n seinem Buch „Die Geb u r t des Gewissens" nachzuweisen versuchte, daß auch i n Ägypten nicht nur das Sozial- sondern auch das Individualgewissen reiche Ausgestaltung erfahren hat. I n Ägypten w i r d das Gewissensphänomen „ i m Herz" erlebt, das als Träger des sittlichen Bewußtseins gilt. Ursprünglich w i r d das Gewissen aus der Verantwortung vor jenseitigen Mächten empfunden: „Wer Jenseits ist, soll als lebender Gott den Schuldigen erreichen". I m Zwiegespräch des Menschenfeindes m i t seiner Seele w i r d das Gewissen (Herz) als höchste Instanz empfunden, „vor welche man die menschliche Gesellschaft laden kann". „So komm denn mein Herz auf daß ich zu D i r rede und D u m i r A n t w o r t gibst auf meine Worte und m i r erklärst, was i m Lande geschieht" Ebenso w i r d i n der Rede des Bauern an Rensi der staatliche und gesellschaftliche Zustand vor das Gericht des sittlichen Bewußtseins gezogen und so i n der doppelten Katastrophe, die u m 2000 v. Chr. Ägypten i n religiöse und staatliche Anarchie stürzte, das Gewissen als anklagende und klagende Instanz gegenüber den sozialen Gewalten empfunden 1 0 . So übernimmt 6 Jung, G.: Syneidesis Conscientia, Bewußtsein. In: Arch. f. d. ges. Psychologie, 1933, Bd. 89, S. 525 ff., S. 533. • Wolf , E.: a. a. O. I, S. 63. 7 Clemen , C.: In: RGG II, Sp. 1164,1. Clemen wirft dem Buch von Flinders Petrie: „Religion and Conscience in Ancient Egypt" 1898, Ungenauigkeit des Titels vor, weil es ein Gewissen in diesem Sinne bei den Ägyptern nicht gegeben habe. 8 Breasted, J. H.: „Die Geburt des Gewissens", 1950. Breasted stützt sich auf MacDougall, An introduction to the sozial psychology", Boston 1926, S. 74, der die Entstehung des sittlichen Bewußtseins in Zorn und Entrüstung des Familienvaters zu finden glaubt — und darauf Gerechtigkeit und öffentl. Recht zurückführt, a. a. O., S. 128 f. • Breasted, a. a. O., S. 179. 10 Breasted. a. a. O.. S. 178.

Gewissensphönomen in Griechenland und Ägypten

15

das Gewissen bereits i n der Feudalzeit eine über die bloße Lenkung individuellen Verhaltens hinausgehende Funktion. „Es wurde zum ersten M a l i n der Menschheitsgeschichte zu einem machtvollen sozialen Faktor erhoben" 1 1 . U n d damit begann nach Breasted die Periode des „sozialen Gewissens". Von Ptahhotep w a r i n einer Maxime das Wesen des Gewissensphänomens i n ägyptischer Schau treffend festgehalten worden: „ E i n Hinhörender ist einer, den der Gott liebt und wer nicht hinhört, den haßt Gott . . . es ist das Verständnis (Herz), das den Menschen zu einem Hinhörenden oder Nichthinhörenden macht 1 2 ." I m Gegensatz zum Griechen empfindet der Ägypter ähnlich wie später die Semiten den sittlichen Imperativ als auditiven Anspruch, nicht als eidetisches B i l d und greift deshalb zu den Vokabeln des Hörens, des Wortes, des Verstehens, des Verständnisses und des Herzens, u m die Phänomene des Gewissens sinngemäß zum Ausdruck bringen zu können. „So wurde bei dieser neuen Erkenntnis, daß der Mensch die Fähigkeit zu sittlichen Werturteilen oder kurz gesagt, daß er ein Gewissen hat, dieses Organ m i t dem Wort Herz bezeichnet; unter diesem Namen begann das neugeborene Gewissen seine Laufbahn als eine soziale K r a f t und setzte sich viertausend Jahre bis auf unsere Tage unter demselben Namen f o r t " 1 3 . I m Nilland hat diese „Geburt des Gewissens" eine neue Gesellschaftsordnung unter dem Wort „Maad", d. h. eine nach Recht, Redlichkeit, Gerechtigkeit und Wahrheit ausgerichtete Ordnung heraufführen wollen. Dabei ist der doppelte Ursprung der Gewissensphänomene zu beachten, der eine, der i n der Familie i m Zorn des Familienvaters gelegene, der später auch vom Staat usurpiert wird, sowie der andere i n der Verantwortung vor dem jenseitigen Gericht des Totengottes, das den Sterbenden veranlaßte zum Totenkult und später auch zur Magie Zuflucht zu nehmen. So kann man sagen, daß das Gewissen i n der Geheimsphäre des Menschen wurzelt, nämlich 11 Breasted, a. a. O., S. 210. In der Epoche des sozialen Gewissens genügt es nach Breasted nicht mehr, wenn die Lebensführung des einzelnen von Eltern und Geschwistern gebilligt wird. In der Zeit des Pyramidenbaues setzt sich die Vorstellung durch, daß jeder einzelne selbst der Pharao im Jenseits Rechenschaft über sein sittliches Verhalten ablegen muß. Dies kommt in der Ermahnung des Merikere zum Ausdrude. Breasted, a. a. O., S. 245. „Ein Mann lebt fort nach dem Tod und seine Taten werden wie Berge neben ihn gesetzt". Die soziale Funktion des Gewissens in der ägyptischen Feudalzeit steht im Widerspruch zur Interpretation, die A. Rüstow der Feudalzeit als einer Herrschaft über Gewissen und Verstand gibt. Rüstow, A.: Ortsbestimmung der Gegenwart Bd. 2, S. 231/32. 12 Breasted, a. a. O., S. 166, S. 248/49. Ptahhotep Vesier der Pyramidenzeit „der glückbringende Besitz eines Mannes ist sein Herz". Palastherold des Thutmosis I I I , „es war mein Herz, das midi so tuen hieß..Unbekannter Toter: „das Herz eines Menschen ist sein eigener Gott". 18 Breasted. a. a. O.. S. 379.

16

Gewissen und Gewissensfreiheit in der Antike

i n seiner biologisch-psychischen Beziehung zum D u des Vaters und i n seiner religiösen Beziehung zum D u der richtenden Gottheit. Der Zorn des Vaters und der Zorn des Gottes rufen das Mysterium tremendum hervor, das als numinose Scheu zum Gewissenserlebnis f ü h r t 1 4 . I m A l t e n Testament w i r d ebenfalls das Herz (leb) als Mittelpunkt des Gewissenserlebnisses bezeichnet 15 . I n der Septuaginta w i r d an zwei Stellen der hebräische Ausdruck m i t dem griechischen Synesis wiedergegeben l ö . Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß selbstverständlich auch der israelitischen Glaubenswelt das Gewissensphänomen bekannt war, auch wenn das entsprechende hebräische Wort für Gewissen fehlt. Der „emat Jahveh", der Schrecken Jahwehs, gehört zu den urtümlichsten Gewissensphänomenen, die der Israelit i n seinem Herzen i n heiliger Scheu erlebt 1 7 . Der Prophet, der Nabi, erlebt i m Wort den Gewissensanspruch Gottes und w i r d so zum „Künder" dessen, was er i n seinem Inneren i m göttlichen Auftrag erfährt. Der Israelit geht ähnlich wie der Ägypter vom Wort und damit von den Organen des Hörens (Ohr) oder Verstehens (Herz) aus, u m den A k t des Gewissensimpulses zu verdeutlichen.

2. Gewissensfreiheit als Ausdruck des gestörten Verhältnisses von Individuum und Staat Ebenso irrtümlich wie die Leugnung des Gewissens i n der außerhellenistischen und römischen Antike ist die Leugnung des sittlichen Konflikts zwischen Individuum und Gemeinschaft i n der antiken Welt. Die i n transzendenten Vorstellungen wurzelnden Empfindungen heiliger Scheu, die als Quelle der Gewissensakte angesehen werden müssen, mußten da verletzt werden, wo die Gemeinschaft für sich diesen 14 Otto, R.: Das Heilige, 1936, 23. bis 25. Aufl., S. 13. Otto sieht im numinosen tremor (mysterium tremendum), den er als numinose Scheu bezeichnet, den Ursprung aller Religion. Das Gefühl der Unheimlichkeit vor dem Numinosen, ist ein Gefühl, das nur gegenüber dem Gott aufkommen darf, nicht aber gegenüber Staat und Kaiser. Im „sebastos" des römischen Kaisers lag der Anspruch auf numinose Verehrung. 15 Köhler, L.: Lexikon in: veteris testamenti libros, ed. Köhler 1953, sub voce „leb". S. 470. Hauptbedeutung ist Herz, als Gewissen in Liber Samuelis I, 24,6. 16 Köhler, L.: Theolog. d. Alten Test. 3. Aufl., 1953, S. 191. Kohelet, 10, 20. Luther übersetzte diese Stelle mit: „Fluche dem Könige nicht in deinem Herzen". Sapientia 17, 10. Jung, G.: a. a. O., S. 529. 17 Otto, a. a. O., S. 15: Eine Sache „heiligen in seinem Herzen" heißt, sie durch Gefühle einer eigentümlichen mit anderen Scheuen nicht zu verwechselnden Scheu auszeichnen, heißt, sie bewerten durch die Kategorie des Numinosen.

Gewissenskonflikt: Individuum und Staat

17

Anspruch zu erheben versuchte. Treitschke hat i n seinen Vorlesungen behauptet, daß die griechische Welt den Konflikt zwischen Individualgewissen und Polis nicht gekannt habe, ja nicht habe kennen können, w e i l der totale Stadtstaat als K u l t - und Bürgergemeinde das I n d i v i duum i n seiner Totalität erfasse und dadurch keinen Raum mehr für eine jenseits des Staates gelegene religiöse Geheimsphäre lasse. Die Einheit von Politik und Moral, die Treitschke für die Antike behauptet hat, bestand i n Wirklichkeit nicht, und der Gewissenskonflikt war dem Polites bekannt, der i h n vor die Wahl stellte, seiner eigenen Überzeugung oder der Sache des Staates zu dienen 1 8 . W. Jaeger v e r t r i t t ebenfalls die Ansicht Treitschkes und behauptet, daß Staatsmoral und Individualethik für den griechischen Menschen nur eine tautologische Bedeutung haben können, da die Polis der einzige K u l t u r - und Erziehungsträger des Griechen gewesen sei 1 9 . Von dem persönlichen Gewissen i n unserem Sinne müsse man dabei ganz absehen. Dieser Auffassung hat W. Nestle widersprochen und nachgewiesen, daß sowohl i m griechischen Stadtstaat wie später i m römischen Imperium Staatsmoral und Individualethik i n Widerspruch geraten konnten und daß der einzelne diesen Hiatus sehr wohl schmerzlich zu spüren bekommen konnte 2 0 . Die „Unentrinnbarkeit" der Polis, wie dies J. Burckhardt formuliert hat, d. h. die Totalität der Polis als sakraler und terrenischer Gemeinde, mußte den Gewissenskonflikt nur noch übersteigern und ihn zur Unerträglichkeit akkumulieren 2 1 . Dieser doch unübersehbare Konflikt zwischen Staatsgewalt und Individualgewissen darf nun andererseits nicht den Blick dafür nehmen, daß sowohl die griechische Polis als auch die römische Republik Pflanzstätten persönlicher und politischer Freiheit gewesen sind. Rüstow sieht i n dieser Entfaltung griechischer Freiheit eine der drei Hochkulturen, i n denen es zum Durchbruch der Geistesfreiheit gekommen ist 2 2 . Entscheidend dafür sei einmal die jonische Wanderung, die eine Auflösung aller Traditionen, des Königtums und der Priesterherrschaft m i t sich 18 Treitschke , H. v.: Politik 1918,1 § 3 S. 87. „Der antike Heide, wie der Jude, ist, christlich gesprochen, gewissenlos, insofern als er kein individuelles Gewissen hat". S. 88. Dieser Konflikt ist nach Treitschke erst durch das Christentum und seiner transzendenten Verankerung der persönlichen Verantwortlichkeit heraufgerufen worden. 19 Jaeger, W.: Paideia, Bd. 1, 1934, S. 412: „Wir müssen von unserem Begriff des persönlichen Gewissens hier ganz absehen". 20 Nestle, W.: Griechische Weltanschauung in ihrer Bedeutung für die Gegenwart, 1946, S. 138ff. Ders.: „Griechische Geistesgeschichte", 1944. 21 Burckhardt, J.: Griechische Kulturgeschichte, Kröner-Ausgabe 1950, II. S. 88: „Die Polis war unentrinnbar, nicht einmal in die Religion konnte der einzelne vor ihr fliehen, denn auch diese gehörte dem Staat". 22 Rüstow, A.: Ortsbestimmung der Gegenwart II, Weg der Freiheit; eine universalgeschichtliche Kritik, 1952, S. 11. Der Durchbruch zur Geistesfreiheit erfolgte nach Rüstow außer in Griechenland noch in China und Indien. Scholler.

Die Freiheit.

2

18

Gewissen und Gewissensfreiheit in der Antike

brachte, so daß sich Stadtstaaten ohne priesterliche und dynastische Bindungen entwickeln konnten, i n denen Freiheit des Denkens und Handelns zu Hause war; andererseits der jonische Fernhandel, der gleichsam den ökonomischen Unterbau zum Oberbau jonischer Geistesfreiheit darstellte 2 8 . I m perikleischen Athen haben die Schlagworte Gleichheit u n d Freiheit zum ersten M a l i n der Geschichte ihre faszinierende W i r k u n g gehabt, „ehe sie auf dem Wege über die französische Revolution zum beherrschenden Element des modernen politischen Denkens geworden sind" 2 4 . Das Wesen des hellenistischen Menschen sieht M. Pohlenz i m „Selbstbestimmungsdrang" und den seelischen Grund, auf dem diese griechische Freiheitsidee erwachen konnte, i n dem Umstand, daß der griechische Mensch, selbst wenn er am äußeren Ablauf des Geschehens nichts zu ändern vermochte, doch i m Inneren Herr seiner Entschlüsse bleibt 2 5 . Auch Lübtow bezeichnet es als eine starke Übertreibung, daß der einzelne i n der Polis keine Freiheit gehabt hätte 2 8 . E r wendet sich dam i t auch gegen O. Spengler, der den Sklavengeist des römischen Rechts als seelenlos gegenüber dem germanischen Weltempfinden dargestellt hat 2 7 . Auch die römische Republik war i n ihrem Ursprung auf die freie Selbstbestimmung gegründet. Die Machtfülle und Machtvollkommenheit, die das römische Recht dem pater familias m i t dem jus vitae et necis eingeräumt hat, zeigt deutlich genug, daß u m der Freiheit w i l l e n der Staat an der Schwelle des römischen Hauses haltmacht und den Frieden der Hausgemeinschaft achtet 28 . A u d i der servus wurde M i t glied der Hausgemeinschaft, nahm an den gemeinsamen Gebeten und Festen teil und stand unter dem Schutz der Hausgötter wie jedes andere Familienmitglied 2 9 . Die Wurzeln der disciplina romana liegen i m 23

Rüstow, A.: a. a. O., II, 1952, S. 36, 39 u. 60. Rüstow spricht davon, daß „das haargenaue Gegenteil" des Burckhardt'schen Bildes der griechischen Polis als einer Art Staatsmoloch der Fall ist. Burckhardt, J.: Griechische Kulturgeschichte I., S. 70. Rüstow, A.: a. a. O., S. 39, Anm. 12 weitere Belege. 24 Pohlenz, M.: Griechische Freiheit, Wesen und Wert eines Lebensideals, 1955, S. 28. 25 Pohlenz, M.: a. a. O. Dennoch räumt er ein, daß es in der griechischen Polis kein Recht auf Privatleben gab. Pohlenz, a. a. O., S. 25. Aristoteles pol. I 3 p 1253 b 32 (Sklaverei). 26 Lübtow, U.V.: „Blüte und Verfall der römischen Freiheit" Breviarium Litterarum, Bd. 5, 1953, S. 26. Anderer Ansicht: Hildenbrand: Geschichte und System der Rechts- und Staatsphilosophie, I., S. 26ff. Jellinek, G.: Allgemeine Staatslehre, 1922, 3. Aufl., S. 292. 17 Lübtow, U. v.: a. a. O., S. 63. 28 Ihering, R. v.: Vom Geist des röm. Rechts, II., 1, S. 186: „Um der Freiheit willen macht der Staat an der Schwelle des röm. Hauses Halt und achtet seinen Frieden". Lübtow, a. a. O., S. 54. 99 Lübtow . U. v.: Das römische Volk, sein Staat und sein Recht 1955, S. 115.

Gewissenskonflikt: Individuum und Staat

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römischen Haus, das von dem pater familias wie von einem Familienkönig regiert und so gleichsam zu einem Symbol der Konzentration der Hausgewalt auch i m Staate w i r d 3 0 . Der Schwerpunkt des römischen Gemeinwesens liegt also i m Heimbereich, der familia, und selbst der oberste Staatsbeamte, der Konsul, unterstand weiterhin der manus des pater familias. Der Sippe u n d dem Staat war eine Einmischung i n die Hausgewalt des Hausvaters wegen überwiegender Härte oder Nachsicht i n der Form des Zensorenamtes, der nota censoria, eingeräumt 3 1 . Der Zensor w a r so die „lebendige Verkörperung" des „Gewissens der Gemeinschaft" und zog den zur Rechenschaft, der sich gemeinschaftsw i d r i g und sittenwidrig verhielt 8 3 . M i t dem Zerfall der Sitte fällt dieses Zensorenamt weg und das kaiserliche Reskript greift nun direkter i n die ebenfalls zerfallende familia ein. So erhält Augustus 12 v. Chr. das Zensorenamt und zehn Jahre später w i r d i h m das A m t des pontifex maxismus übertragen. Als väterliche Imaginierung, gleichsam alsVaterimago 8 8 , beherrscht seitdem der princeps und dominus als pater patriae jede einzelne Familie, so daß, u m der entstehenden Staatssklaverei zu entgehen, nur die innere Emigration, oder die Auswanderung i n die Wüste oder der Zusammenschluß zu Räuberbanden übrigblieb 8 4 . M i t dem Zerfall der römischen Ordnung zerfällt auch folgerichtig die römische Freiheit. W. Nestle hat i n seiner Darstellung der griechischen Weltanschauung i n ihrer Bedeutung für die Gegenwart gezeigt, daß nicht erst das Christentum den Konflikt zwischen Recht und Moral heraufbeschworen hat. Dieser Konflikt ist i n der ersten Zeit auf ein engeres Gebiet, nämlich auf den Bereich der Politik und Moral beschränkt. Erst später erfaßt der Konflikt auch die Innenpolitik und damit das ganze Recht. Letzteres erscheint nur noch als Vorteil des Stärkeren und dient deshalb zur Unterdrückung und Versklavung der Schwachen. Ganz abgesehen vom Konflikt zwischen Politik und Religion i n der Antigone des Sophokles, finden sich zahllose weitere Belege, die den Konflikt zwischen Recht und Moral i n der griechischen Polis beweisen. Ursprünglich ist der Konflikt auf die Staatsspitze und ihr Verhältnis zu den äußeren Feinden beschränkt: „Muß Unrecht sein, so sei es u m eine Krone — i n allem anderen sei man tugendhaft" 8 5 . So hat Athen das Recht als den 30

Lilbtow, U. v.: Das römische Volk, a. a. O., S. 143 u. 240. Lübtow, U. v.: Das römische Volk, a. a. O., S. 625 u. S. 395, Anm. 1631. Zum letztenmal wurde das Zensorenamt 22 v. Chr. besetzt. 33 Lübtow, U. v.: Römisches Volk, a. a.O., S. 626 f. 83 Jung, C. G.: Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewußten, 1925, S. 205. 34 Rüstow, a. a. O. II, S. 188, Lübtow, U. v.: Blüte, a. a. O., S. 86. 35 Cicero de off. I I I , 21,82. 81

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Gewissen und Gewissensfreiheit in der Antike

Vorteil des Stärkeren i m Kampf gegen Melos gehandhabt 36 . Die außerpolitische Praxis ließ sich leicht auch auf die Verwaltung des Staatswesens übertragen und die Parteigegner wurden zu Feinden der Polis gemacht. Das Recht w i r d auch innerstaatlich zum Vorteil des Stärkeren, so daß die innere Emigration einsetzt und die Besseren, die den Gewissensdruck nicht ertragen, ziehen sich von der Politik, ja vom Staate selbst zurück. So sagt Sokrates, daß der, der für das Recht kämpft, Privatmann sein muß, denn Politik und Moral vertragen sich nicht 8 7 . Ebenso steht sein Schüler Plato abseits vom Staate; seine Staatstheorie, i n den Gesetzen und dem Staat entworfen, läßt sich i n Syrakus nicht v e r w i r k lichen 8 8 . So t r i t t auch er zurück vom Staat wie von einem Unwetter: „Wer alles das begriffen hat, der hält sich still bei seiner Sache und t r i t t , wie bei einem Unwetter, wenn der W i n d Staubmassen und Regen vor sich hertreibt, i n einen stillen W i n k e l . . . er ist zufrieden, wenn er selbst unbefleckt vom Unrecht und von den Werken des Frevels durch dies Erdenleben wandelt und endlich heiter und wohlgemut die Bürde niedersetzen d a r f " 8 9 . Die Asebieprozesse gegen Anaximander, gegen Aspasia, die Frau des Perikles und gegen Sokrates verschärfen die Situation, sie unterdrücken die Freiheit des Wissens und Gewissens. Die entstehende Ochlokratie schließlich unterdrückt jeden politischen Gegner durch politische Prozesse und Terror. Das Unwesen der Sykophanten, der Staatsdenunzianten, begründet einen Zustand allgemeiner Unsicherheit und die durch die Bespitzelung erzeugte Furcht raubt innere Freiheit und innere Ruhe. Das Popularklagerecht der Sykophanten und der Ostrakismös w i r k t e n zusammen, u m die Besten Athens zum Schweigen zu bringen oder zu verbannen. Selbst Aristoteles mußte, durch einen Asebieprozeß bedroht, fliehen und starb 322 v. Chr. auf Chalkis i n der Verbannung. Die entstehenden Schulen der K y n i k e r und Kyrenaiker lehnten auf ihre Weise die Polis ab: Die Kyniker, indem sie die Vaterlandsliebe zu Gunsten des Kosmopolitismus verwarfen, die Kyrenaiker, indem sie das „Unbehagen i n der K u l t u r " durch hemmungslose Triebhaftigkeit und des „late biosas" Epikurs vorwegnahmen. I n der Stoa w i r d der kosmopolitische Zug fortgeführt und eine Beteiligung am Staat nur dann empfohlen, wenn er einen Fortschritt i n Richtung auf den Welt88

Thukydides V, 84; Nestle, W.: a. a. O., S. 142 ff. Plato-Apol. 32 A; Nestle, W.: a. a. O., S. 146. 38 Ramm, Thilo: Die großen Sozialisten, 1955, S. 39: „Die vollausgebildete Individualität kann nicht in den platonischen Staat eingegliedert werden; sie zerstört seinen Aufbau, indem sie seine Grundlage angreift". Ramm, a. a. O., S. 43. 89 Plato-Pol. 496 DE: Barion: Recht und Macht, eine Piatonstudie, 1947, S. 64. 57

Gewissenskonflikt: Individuum und Staat

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Staat aufweist (Chrysippos) . Die mittlere Stoa unternimmt noch einm a l den Versuch, moralisches und politisches Verhalten i n Einklang zu bringen. Sie wendet sich aber unter Polybios von der griechischen Polis ab und dem römschen Staate zu, i n welchem sie die Verwirklichung eines kosmopolitischen Ideals annähernd erfüllt glaubt. Der rasche Zerfall der römischen Republik und der Caesarismus des Principats erschütterten die staatsbejahende Einstellung der römischen Stoa. Der jüngere Cato, der gegen Caesar i m Senat einen Auslieferungsantrag wegen „Kriegsverbrechen an den Tenkterern" gestellt hatte, nahm sich das Leben (victrix causa diis placuit, victa Catoni). Cicero fällt dem zweiten Triumvirat zum Opfer. Seneca folgt dem stoischen Grundsatz: „porta patet" und verläßt durch diese Türe des Freitodes das Leben und damit auch den Staat. Der Rückzug der Philosophie aus dem Staate beginnt. Musonius Rufus, der m i t anderen Gesinnungsgenossen den Kriegsdienst verweigerte, w i r d von Vespasian verbannt. Epiktet unternimmt es, die stoische Philosophie gegen den V o r w u r f der Illoyal i t ä t zu verteidigen. Aber auch er lehnt den Eid und die Beteiligung am Kriege ab. Die innere Emigration der Philosophie zeigt sich deutlich i m Neuplatonismus, dessen mystisches Gebäude die äußere Realität des Staates nicht mehr empfinden kann. Der Myste schließt j a das Auge, das auf die Welt blickt, u m m i t dem anderen Auge das Reich des Geistes schauen zu können. Die Welt des Staates w i r d nicht mehr als real, nicht mehr als Aufgabe empfunden und ist damit dem Gewissen völlig entrückt. Die i n den Neuplatonismus abgewanderte griechische Philosophie findet i m Staat keinen Gegenstand der Betätigung mehr. Auch die letzten Vertreter der Stoa hatten sich mehr und mehr vom Staate abgewandt und Aurelius, der Stoiker auf dem Throne, hat die Gewalt des Staates den Christen fühlen lassen. Das Christentum schien die apolitische Einstellung des Neuplatonismus zunächst zu teilen, denn Tertulian, der sich zum A n w a l t der verfolgten Kirche macht, kann sagen: „Nichts liegt uns ferner als der Staat: w i r kennen n u r einen Staat, die Welt." So zeichnet sich ganz deutlich i n der gesamten hellenistischen römischen Welt ein apolitischer mystischer Zug ab, der Hand i n Hand m i t der Vergröberung der kaiserlichen Potestas i n D i k t a t u r und Terror die Freiheitsidee aus dem politischen Raum i n das Innere verlegt. Eine Zeit, die zwar keine juristische Grundrechtsformulierung kennt, aber v o l l von Gewissenskonflikten und schwersten inneren Kämpfen ist, zeigt einen Vorgang auf, der sich später an den verfassungsrechtlich formulierten Grundrechten i m gesamten Abendland stärker oder schwächer wiederholen soll: Die Verflüchtigung von Freiheit und Recht 40 Pohlenz, M.: Die Stoa, Geschichte einer geistigen Bewegung, I. 1948, II, 1955: Nestle. W.: a. a. O.. S. 155 Ä.

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Gewissen und Gewissensfreiheit in der Antike

in den unzugänglichen Raum innerer Geistesfreiheit. „Der Philosoph, der Weise, der Gebildete, zieht sich auf sich selbst zurück, die Philosophie w i r d weltflüchtig und weltverachtend,, eine idiodike sophia, das Ideal der inneren Freiheit setzt sich durch". Dieses Ideal der innneren Freiheit verzichtet auf die Autonomie der Polis, „introvertiert sich, flüchtet nach innen, verschanzt sich unangreifbar i m Reich des Geistes" 4 1 .

3. Die innere Geistesfreiheit, das Christentum und der römische Kaiserkult Aber gerade das Christentum n i m m t nicht an dieser allgemeinen sich introvertierenden Geisteshaltung Anteil. Es stemmt sich vornehmlich gegen die Teilnahme am Kaiserkult und w i l l nicht für angeblich innere Freiheit das Bestimmungsrecht über das äußere Verhalten des Menschen aufgeben. Während i n Rom Denk- und Redefreiheit erstirbt und m i t dem Principat die disputatio f o r i 4 2 der Rechtgelehrten dahinsinkt, wehrt es sich gegen die zunehmende Umklammerung des totalen I m periums, die gerade auf dem Gebiet des Kaiserkultes immer „unentrinnbarer" 43 wurde. So war die Verleihung des römischen Bürgerrechts durch Caracalla lim 212 n. Chr. ein A k t staatlicher Religionspolitik, u m alte und neue Reichsuntertanen zu einem gemeinsamen Anbetungs- und Dankkultus vor die alten Götter zu führen, damit sie für die Erhaltung des Kaisers, der soeben seinen Bruder Geta ermordet hatte, opferten. Papinian, der die Rechtfertigung dieses Mordes ablehnte, fiel der D i k t a t u r zum Opfer. I m Unterschied zu allen anderen orientalischen Kulten, die gleichzeitig oder schon vor dem Christentum i n Rom eingedrungen waren, wehrt sich das Christentum gegen die Beugung unter die Majestas des dominus et deus des Kaisers. Es zieht sich nicht i n den „stillen Winkel" vor dem Ungewitter zurück, es predigt kein „lebe verborgen" Epikurs und beschränkt sich nicht auf die Wahrung innerer Freiheit als Ausdruck einer apolitischen reservatio mentalis, sondern wagt den furchtbaren Zusammenstoß m i t dem römischen Imperium. T e r t u l l i a n 4 4 und Lac41

Rüstow, A.: a. a. O. II, S. 116; ebenso Anmerkimg 14 z. S. 160. Lübtow, U. v.: Blüte und Verfall, a. a. O., S. 149. 48 Burdchardt, J.: Griechische Kulturgeschichte, Kröner-Ausgabe II. 1950. 44 Tertullian (in einem Brief Tertullians an Kaiser Severus) „humani iuris, et naturalis potestatis est unicuique, quod putaverit, colere; nec alii obest aut prodest, alterius religio. Sed nec religionis est cogere religionem, quae sponte suscipi debeat, non vicum et hostiae ab animo libente expostulentur. Ita etsi nos compuleritis ad sacrificandum, nihil..., ab invitis enim sacrificia non desiderabunt; nisi si contentiosi sunt; contentiosus autem deus non est". Tertullian, üb. ad Scapulam, c. 2, Patr. lat. I, ed. Migne S. 699. 43

Innere Freiheit, Christentum und römischer Kaiserkult

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tanz 4 5 haben die Freiheit der Religion als Freiheit des Kultus verstanden und sie als unabdingbares Recht des Menschen vom Staat gefordert. Freiheit des Kultes bedeutet also für die Kirchenväter Freiheit einer äußeren Sphäre, eines Bereiches, i n dem der Mensch sich seiner religiösen Bestimmung bewußt, seinem Gewissen i n der Anbetung Gottes folgen kann. Dabei hat das Wort, das Lactantius von der einzig wahren Religion ausspricht, eine tiefe Bedeutung, w e i l die Freiheit n u r dort ein „domicilium" aufschlagen kann, wo es eine innerste Sphäre des Menschen gibt, eine geheime Sphäre, i n der er weder dem Staate noch dem Kaiser, noch dem Staatskult sich i n Devotion 4 6 beugen muß. Die Durchbrechung dieser Geheimsphäre wurde durch den Zwang zur Teilnahme am Kaiserkult und an der göttlichen Verehrung des Kaisers als einem „numen", der für sich die Prädikate „soter" u n d „sebastos" i n Anspruch nahm, zu einem unerträglichen Gewissenskonflikt. Den „stillen Winkel", die unantastbare Geheimsphäre i n die sich Plato noch vor dem Unwetter eines stürmisch gewordenen Stadtstaates zurückziehen konnte, gab es i m Imperium nicht mehr. Gerade die orientalischen Religionen förderten den Kaiserkult und die göttliche Verehrung des Kaisers und schufen den späteren „sol invictus" K u l t , der m i t dem schwarzen Stein aus Emesa des Kaisers Heliogabal begann und keineswegs m i t dem Siege des Christentums überwunden war, sondern vielmehr unter der Decke des byzantinischen Cäsaropapismus weiter wucherte 4 7 . Das M a r t y r i u m der jungen Kirche galt also soziologisch gesprochen der Wahrung der Geheimsphäre gegen die sich ins Unheimliche steigernde Staatsomnipotenz des römischen Imperiums. Die Lebenshingabe i m Martyrium, „bei dem der Märtyrer als letztes Wort triumphierend ausruft: „ W e i l ich Sklave wurde, erhalte ich heute die Freiheit", wurde Ausdruck dieses Freiheitsverlangens des vorkonstantinischen Christentums 4 8 . Das Toleranzedikt 4 9 Konstantin des Großen gewährte den Christen 45 Lactantii Epit. c. 54 „religio sola est, in qua libertas domicilium collocavit. Lactantius, epit. divinarum inst. c. 54, Patr. Patr. lat (ed Migne) 6, S. 1001. Weitere Literatur bei Hamel, W.: Die Bekenntnisfreiheit. In: Zeitschr. f. d. gesamte Staatswissenschaft, Tübingen 1053, 100. Bd., H. 1, S. 54 ff. 46 devotio ist im römischen Recht die Ergebenheit gegenüber dem Staate „devotio, quae Romano debetur imperio". (I. 6 C. Th. 12, 13); „principibus offerre devotionem". (I. un. C. 12, 48). Heumann-Seckel: Handlexikon zu den Quellen des röm. Rechts, 1007, S. 144. 47 Cumont: Die orientalischen Religionen im römischen Heidentum. 1031, S. 104. Schneider, Carl: Geistesgeschichte des antiken Christentums I I , 1054, S. 257. 44 Schneider, C.: a. a. 0.1,1054, S. 103. 49 Abgedruckt bei Mirbt, Quellen zur Geschichte des Papsttums und des röm. Katholizismus. 1011.

Gewissen und Gewissensfreiheit in der Antike

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Duldung und Schutz ihres Glaubens. Dennoch ist es unrichtig zu glauben, daß damit die Intoleranz des römischen Imperiums beendet gewesen wäre. Man sieht i m allgemeinen das vierte und fünfte Jahrhundert viel zu einseitig i m Lichte der Kirchengeschichte, „staats- und geistesgeschichtlich bringen diese Jahrhunderte vielmehr einen Sieg des Kaisers als einen Sieg der Kirche" ö 0 . So steigern sich auch die Verfolgungen gegen die Manichäer, die schon unter Diokletian begonnen hatten, unter Theodosius I, Arkadius und Theodosius I I i m Osten bis sie unter Justinian zu unerhörter Schärfe anwachsen 51 . Damit verbindet sich auch die Verfolgung aller anderen Haeretiker, z.B. der Donatisten i n Nord-Afrika. Augustins Stellungnahme zum Problem der Gewissensfreiheit ist nicht restlos geklärt, w e i l es unklar bleibt, inwieweit er die Gewaltanwendung gegen die Donatisten nur als M i t t e l zur Wiederherstellung der gestörten pax angewandt sehen w i l l 5 2 . Bei Augustinus steht das „sie et non", steht Aussage gegen Aussage über Gewissensfreiheit oder Gewissensleitung schroff gegenüber. Einmal das bekannte „coge intrare i n ecclesiam" und dagegen der Satz: „credere non potest nisi volens" 5 3 . Es ist nicht möglich i n nuce den Abriß einer Ideengeschichte zum Recht der Gewissensfreiheit zu geben. Auch muß i m Folgenden auf die Untersuchung der geistesgeschichtlichen Strömungen verzichtet werden, deren verschiedene Abfolge dem 60

Schneider, C.: a. a. O. I I , S. 258.

61

Kaden, E. H.: Die Edikte gegen die Manichäer von Diokletian bis Justinian, in: Festschrift Hans Lewald, 1953, S. 55 ff., besonders S. 61, Anm. 54. Wegnahme der Grundstücke und Einkerkerung ihrer Besitzer, auf denen die execrabiles conventus der Manichäer stattfanden. 62 Hamel, W.: a.a.O., S. 56, Anm. 1; zur Aufrechterhaltung der pax atque unitas Christi will Augustinus gegen Donatisten einschreiten. Joh. Ev. tract.

26, §2. 63

Intrare quisquam ecclesiam potest nolens, accedere ad altarem potest nolens, aeeipere potest sacramentum nolens; credere non potest nisi volens. Joh. Ev. tract. 26, § 2. Hamel erklärt diese Antinomie damit, daß Augustinus nur versucht habe, die Intoleranz der Donatisten abzuwehren, nicht aber die Toleranz als solche aufzuheben. Thomas v. Aquin dogmatisiert schließlich die Haltung der kath. Kirche: „aeeipere fidem est voluntatis, sed tenere eam aeeeptam est necessitatis". Summa Theologica, p. II, 2 q. 10, a. 8. Das vierte Concilium von Toledo i. J. 633 hatte sich gegen die Zwangstaufe von Juden durch den westgotischen König Sisebut ausgesprochen; ebenso Papst Clemens III, 1190: Juden, die schon das Sakrament der Taufe empfangen hatten, sollten aber zum Glauben gezwungen werden: „fidem tenere cogantur". Decretum Gratiani I. dist 45 c. 5. Über den neuesten Stand unterrichtet Lent ner, L.: Der Christ und der Staat. 1952.

Innere Freiheit, Christentum und römischer Kaiserkult

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Abendland bald Toleranz, bald Intoleranz brachten . Es handelt sich vielmehr darum, nach der rechtlich greifbaren Verbriefung der Gewissensfreiheit zu suchen. Diese i m juristischen Vorfeld liegende U n t e r suchung hatte dabei die Aufgabe zu zeigen, daß das Phänomen des Gewissens u n d der Gewissenskonflikte der A n t i k e bekannt w a r u n d fernerhin, daß Gewissensfreiheit dort endet, w o das Persongeheimnis des Menschen verletzt w i r d . Dieses Persongeheimnis des Menschen ist n u r dann gegenüber religiösen, sozialen oder staatlichen Herrschaftsverbänden gesichert, w e n n der Mensch m i t seinem Glauben, Wissen oder Schauen göttlicher Dinge wenigstens i n einer vor jeder menschlichen Instanz geschützten Geheimsphäre bleiben kann. Umfang dieser Geheimsphäre ist zugleich Maßstab für das Ausmaß der bürgerlichen u n d politischen Freiheit.

54 Bates , S.: Glaubensfreiheit, 1944, übers, v. Honig, 1947. Neben dieser neueren Darstellung muß auf die Werke von Ruffini: Religious Liberty, 1912, Ruggiero: The History of European Liberalism. London 1917, Jordan: The Development of Religious Tolerations in England, 1932—1940, 4 Bde. verwiesen werden.

Kapitel

II

Gewissensfreiheit als rechtliche und verfassungsrechtliche Garantie in der Antike und im Mittelalter 1. Keine wohlklausulierten Verfassungsrechte in der Antike Eine verfassungsrechtliche Garantie der Gewissensfreiheit kannte die A n t i k e nicht. Es fehlten dafür drei wesentliche Voraussetzungen: zum ersten w a r der Begriff Gewissen und Gewissensfreiheit kein j u r i stisches Topos 1 und w a r deshalb rechtlich nicht faßbar; zum zweiten waren allgemeine Menschenrechte 2 völlig unbekannt und zum dritten schließlich fehlte der Begriff der subjektiven öffentlichen Rechte 8 selbst i m System des so vorbildlichen römischen Rechts. Dennoch finden sich bereits i n der A n t i k e die ersten Ansätze zu allgemeinen Menschenrechten. Besonders hat die Stoa i n ihrer Ablehnung der Sklaverei und der Verkündung der Gleichheit aller Menschen die unentrinnbare Polis zu sprengen versucht 4 . Verfassungsmäßig formulierte Menschenrechte gab es aber weder i n der griechischen Polis noch i m römischen Imperium. Eine Ausnahme davon klingt i n den utopischen Staatsverfassungen an, die die zerrütteten Poleis durch teils kommunistische, teils mehr liberale Verfassungsreformen retten wollten. Von Gewissensfreiheit, vom Schutz der Geheimsphäre als einem kollektiven oder individuellen Menschenrecht konnte nicht die Rede sein, wenn der Staat als Ganzes vor seinen Teilen den Individuen bestehend, zu denken war®. 1

Kipp, H.: Menschenrechte in Geschichte und Philosophie in: Wimmer: Die Menschenrechte in christlicher Sicht, 1953, S.22. Conscientia ist also Mitwisserschaft (caedis), z. B. in 1 § 30 D 29, 5 als böses Gewissen, z. B. „mala conscientia manus sibi conferre" 1.11 § 3 D 3, 2. 2 Burckhardt, J.: Griechische Kulturgeschichte I S. 78: „Menschenrechte gibt es im Altertum überhaupt nicht und auch bei Aristoteles nicht...". 3 Lübtow, U. v.: Blüte, a. a. O., S. 47f.: es gab keine subjektiven öfftl. Rechte. Ders.: Römisches Volk, S. 510; keine wohlklausulierten Verfassungsbestimmungen. 4 Planitz: Naturrecht u. Menschenrecht, in: Nipperdey: Die Grundrechte und Grundpflichten der RV, 1930, III, S. 508; ebenso: Verdross-Trossberg: Grundlinien der antiken Rechts- und Staatsphilosophie, 1048, S. 11. 6 Aristoteles pol. 1 1 — Burckhardt, J.: a. a. O. I., S. 81.

Gewissensfreiheit: Kollektives Freiheitsrecht der Ecclesia

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2. Gewissensfreiheit als kollektives Freiheitsrecht der Ecclesia im Mittelalter Auch die christliche A n t i k e und das christliche Mittelalter, die dem römischen Imperium Toleranz abgerungen hatten, kannte noch keine verfassungsmäßige Festlegung der Gewissensfreiheit als Grund- und Menschenrecht; Rüstöw kann aber m i t Recht die Kirche i m Mittelalter als das Gewissen des Staates bezeichnen, w e i l sich die Kirche dem Staate gegenüber als Wahrerin eines göttlichen Auftrages und i h r A m t gegen den Staat zu verteidigen verstand 6 . So findet sich also i m christlichen Mittelalter Gewissensfreiheit i n der Form eines korporativen Rechtes der Ecclesia gegenüber dem Staate. Dem einzelnen Staatsbürger fließen aus diesem Kollektivrecht, aus der libertas ecclesiae, Rechtsreflexe zu, die i h m bezüglich des Glaubens der Kirche dem Staat gegenüber völlige Glaubensfreiheit sichern. Die Glaubensfreiheit findet sich also schon lange vor den amerikanischen Menschenrechten als Kollektivrecht der Kirche vor. Sie unterscheidet sich von der Gewissensfreiheit der amerikanischen Verfassung dadurch, daß es sich bei der libertas ecclesiae u m ein Kollektivrecht handelt, dessen Rechtsreflexe nur den katholischen Gliedern des mystischen Leibes zustehen, während es sich bei der Gewissensfreiheit der amerikanischen Verfassungen u m Rechte des Individuums (des Menschen tel quel) handelt, die jedem Menschen ein subjektives Recht auf freie Gottesverehrung gewähren. Das Mittelalter kannte auf Grund seiner universalistischen Einstellung nur kollektive Rechte von Verbänden, Gilden, Zünften, Genossenschaften, nicht dagegen subjektiv öffentliche Rechte des Untertan oder des Staatsbürgers. Erst Blackstone formuliert 1754 die Grundrechte als subjektiv öffentliches "Recht, die bis dahin auf dem europäischen Naturrecht basierten ürid überstaatliches und überindividuelles (übersubjektives) Recht darstellten 7 . Es ist vermutet worden, daß die Grundrechte ihren Ursprung i m Züriftgeheimnis gehabt haben. Sir John Fortescue und Sir Edward Coke haben diese Vermutimg ausgesprochen und damit das Entstehen der Grund- und Menschenrechte aus der kollektiven Geheimsphäre zu erklären versucht 8 . Es werden wohl nicht die wirtschaftlichen Verbände der Gilden und Zünfte, sondern w o h l eher die religiösen Geheimbünde maßgeblich an der Entwicklung kollektiver Grundrechte beteie

Rilstow, A.: Ortsbestimmung der Gegenwart, Bd. II: a. a. O., S. 227. „Die Kircheblieb das Gewissen des Staates, der Staat die Kritik der Kirche, sicherlich zum Heile der abendländischen Menschheit". 1 Planitz in: Nipperdey, H. C., a. a. O., S. 604. 8 Neumann, F.: Zum Begriff der politischen Freiheit in: ZGesStW, Bd. 109, 1953, S. 28, Anm. 2. F. Neumann will aber die Grundrechte nicht auf das Zunftgeheimnis, sondern auf angelsächsische Volksrechte zurückgeführt sehen.

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Verfassungsrechtliche Garantie in Antike und Mittelalter

ligt gewesen sein, die sich i m historischen Augenblick des Individualismus zu subjektiven Menschenrechten umformten. Bei der Gewissensfreiheit ist die Entstehung aus dem Recht religiöser Geheimbünde noch nachweisbar. Ihre spätere neuzeitliche staatliche Garantie stellt aber gerade das Recht auf Zusammenschluß zu solchen Kollektiven i n A b rede und beschränkt jedenfalls i n Deutschland das Recht auf die häusliche Geheimsphäre und verbietet jede heimliche Zusammenkunft unter dem Vorwand religiöser Kulthandlungen als Geheimbündelei 9 . Die eingehende Arbeit von H. Keller hat die große Bedeutung des M i t telalters für die Freiheitsgarantien für Person und Eigentum nachgewiesen und dadurch auch neues Licht auf die Frage nach den W u r zeln der Menschenrechte geworfen. Er hat gezeigt, daß auch dem M i t telalter das subjektive Recht nicht unbekannt war, sondern daß die subjektive Kollektivität des Rechts schon lange vorhanden war, ehe M. Haie und Blackstone dazu die Theorie des subjektiv-öffentlichen Rechts geschaffen haben 1 0 . Keller kommt zu dem Schluß, daß die Grundrechte ihre Wurzeln i n der germanischen Staatsauffassung und der christlichen Sittenlehre haben 1 1 . Hatte G. Jellinek i n dieser Frage auf die Verfassungen der Kolonien Nord-Amerikas verwiesen und den Ursprung der Menschenrechte i n der Gewissensfreiheit zu sehen geglaubt, so hat Keller auf das M i t t e l alter zurückgedeutet, u m zu zeigen, daß alle Elemente der Grund- und Menschenrechte schon i m Mittelalter i m reichlichen Maße vorhanden waren 1 2 . Neuere Forschungen, wie die Arbeiten von H. Keller, haben so gezeigt, daß sowohl das mittelalterliche Recht, das angelsächsische Ständerecht, wie auch das Naturrecht i n weit stärkerer Weise die Formulierung der Menschenrechte vorbereitet hatten, als dies von G. Jellinek angenommen worden war. Besonders hat G. Jellinik die Bedeutung der Magna Charta verkannt, von der er erklärte, daß er i n i h r wie i n den übrigen b i l l of rights keinen Ansatz zur Entwicklung von Menschenrechten gefunden hätte. Und doch war schon die Gewissensfreiheit i n der mittelalterlichen Verkleidung eines Kollektivrechtes der Kirche i n i h r zu finden gewesen. So erklärt A r t . 1 der Magna Charta 9 Schuster, G.: Die geheimen Gesellschaften, Verbindungen und Orden. 1906. Das ALR hat in 11 I I § 0 solche heimliche Zusammenkünfte verboten. 10 Keller, H.: Freiheitsgarantien für Person und Eigentum im Mittelalter, Heidelberg 1933, S. 298/99; Jellinek: Staatslehre, S. 410; Laim: Menschenrechte, S. 10; Hossbach: Menschenrechte 1048; Härtung: Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte von 1776 bis 1046, Einleitung. 11 Keller, H.: a.a.O., S. 303; Fehr: „Von den germanischen Wurzeln der europ. Rechtskultur" in: Arch. f. Rechts- u. Sozialphilosophie. 1050/51, S. 165. 12 Jellinek, G.: Völkerrechtliche Beiträge, Bd. I, H. 3 in: Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 1010.

Sekten, Geheimbünde als Träger kollektiver Freiheitsrechte

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libertatis v. 15. 6. 1215: „ I n primus concessisse Deo et hac presenti Charta nostra confirmasse pro nobis et heredibus nostris i n perpetuum, quod anglicana e c c l e s i a l i b e r a sit, et habeat j u r a sua integra et libertates suas illaesas: quod apparet ex eo, quod libertatem electionum, quae^maxima et magis necessaria repudatur ecclesiae anglic a n a e . . . " * . Während der Landadel durch die Magna Charta Träger der ständischen Freiheitsrechte wurde, war die anglikanische Kirche Träger der „Kirchenfreiheit" und ihre Immunitäten gewährten die ungestörte Ausübimg der christlichen Religion für alle Glieder der Kirche. Diese „anglikanische" Freiheit hat dann ihre Fortsetzung i m Gallikanismus und i m Febronianismus gefunden.

3. Sekten, religiöse und politische Geheimbünde als Träger kollektiver Freiheitsrechte Da die Kirche ursprünglich als Garant der Gewissensfreiheit gegenüber dem Staate auftrat, w a r es nur folgerichtig, daß es zuerst ebenfalls Kollektive waren, die den Schutz der Gewissensfreiheit der Kirche abnehmen und gegen sie zu behaupten versuchten. Z u diesen Kollektiven gehören die Nationalkirchen, die anglikanische und gallikanische Kirche. Daneben aber sind die heretischen und schismatischen Bewegungen innerhalb der römischen Kirche zu nennen, die geheime Gemeinden bildend sich demokratisch aufbauten und i n ihrer ganzen Struktur i n Opposition zur hierarchischen Gliederung der Kirche traten. Diese religiösen Bewegungen waren deshalb auch meist von Laien gegründet und geführt; sie unterwanderten große Teile der römischen Kirche — blieben meist geheim und nur dort, wo sie entdeckt wurden, kam es zu scharfen und blutigen Verfolgungen, die jahrzehntelang währten. Z u diesen geheimen Gemeinden gehören die Bogomilen und Paulicianer, die sich durch das ganze Mittelalter i n kleinen Gemeinden i m Hämus Thal erhielten, die „Brüder und Schwestern des freien Geistes" m i t ihren Nachzüglern, den „Wilhelmiten" und „Joachiten", welche die Gütergemeinschaft für ein christliches Institut erklärten, die „Ortlieber" i m Elsaß, die „Apostelbrüder" i n Italien, die i n freiem Gehorsam, ohne Gelübde und äußeren Zwang, die geistige Erneuerung der Welt anstrebten, die Gottesfreunde, die Begharden und Waldenser, die Fraticellen und Lollharden 1 4 . Diese Bewegungen lebten i m Ver18 Günther, F.: Staatsverfassungen, 1950; ebenso Art. 60 der Magna Charta: „quare volumus et firmiter volomus et firmiter praecipimus, quod Anglicana Ecclesia l i b e r a sit, et quod homines in regno nostro habeant et teneant omnes privatas libertates, jura et concessiones, a. a. O., S. 250. 14 Schuster: Die geheimen Gesellschaften, Verbindungen und Orden, I., 1906,

S. 465 ff.

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Verfassungsrechtliche Garantie in Antike und Mittelalter

borgenen bis sie da und dort offen hervortraten und der Kampf m i t der offiziellen Kirche unvermeidlich wurde. I n Böhmen vermengten sich diese Strömungen u n d bildeten den Hussitismus, der religiöse, politische und soziale Gedanken i n einer Bewegung verband. Daß diese Bewegungen Gewissensfreiheit f ü r sich verlangten, ist schon i n der Natur ihres Bestehens begründet, ob sie aber gewillt waren, sie auch zu gewähren, kann nicht beantwortet werden. A u d i entzieht sich der historischen Prüfung, welche Statuten und Satzungen oder Ordnungen diese Verbindungen sich gaben, da dort, wo sie geheim blieben, nichts an die Öffentlichkeit trat, dort, wo sie ausgehoben wurden, alles der Vernichtung anheim fiel. Auch der „Bundschuh" und der „arme K o n rad" waren ähnliche geheime Bewegungen, die aber ins Politische tendierten. Eine andere mehr politische Freiheitsbewegung brach sich i n den Städten und Kolonisationen einen legitimen Weg.: Unter den Gilden und Zünften der Städte, die zusammentraten u m Zunftgeheimnis und Freiheit zu verteidigen, ist die Bauhütte von besonderer Bedeutung. Sie hatte die Geheimnisse der Baukunst, des Kirchenbaüs; des Glockengusses, der Glasmalerei, die bis dahin den Klöstern vorbehalten waten, den Laien zugänglich gemacht. Die geistige Selbständigkeit u n d Freiheit der Angehörigen der Bauhütte beweist schon der Umstand, daß sie sich lange Zeit hindurch den selbständigen Gebrauch der Bibel bewahrt haben. I n der Wahrung des Kunstgeheimnisses war ihre Macht und ihre geistige Freiheit begründet. I n demokratischer Weise wurde jährlich aus der Zahl der leitenden Baumeister der Vorsitzende gewählt. Es ist verständlich, wenn die Bauhütten sich immer miehr von der Tradition und Struktur der offiziellen Kirche lösten und von vorreformatorischen Gedanken beeinflußt wurden. Möglicherweise ist dieser Zug der Hüttenleute erst durch die Unterwanderung durch die Waldenser entstanden, die i n der Bauhütte Schutz ihres geistigen Gutes und ihrer Freiheit suchten und zu finden wußten 1 5 . Die Auffassung, daß die Grundrechte ihre Entstehung i m Zunftgeheimnis gehabt haben, läßt sich i m Hinblick auf die Gewissensfreiheit nicht ohne weiteres verneinen, da die geheimen Gemeinschaften unter dem Deckmantel des Zunftgeheimnisses i h r Gewissensgeheimnis zu verbergen wußten und andererseits i n den Zusammenkünften der Bauleute u n d Zunftgenossen Hilfe und Unterstützimg Gleichgesinnter finden konnten. Die Natur dieser Geheimverbindungen bringt es m i t sich, daß nicht sehr viel überliefert wurde und daß deshalb von diesen Gruppen keine 15

Schuster: a. a. O., S. 406/407, Anmerkung. — Keller, L.: Die Reformation und die älteren Reformparteien, Leipzig 1885.

Hausfreiheit, Asylrecht: Wurzeln der Gewissensfreiheit

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bleibenden Wirkungen auf das Staatsrecht ausgegangen sind. Sie veranlaßten i m Gegenteil eine Verschärfung staatlicher u n d kirchlicher Kontrolle und führten so i m 13. Jahrhundert zur Einführung der Todesstrafe für Ketzerei.

4. Hausfreiheit und Asylrecht als germanische Wurzeln der Gewissensfreiheit Zunächst ist für die spätere Durchsetzung der Gewissensfreiheit als Recht auf Hausandacht noch von Bedeutung, daß das mittelalterliche Recht Hausasyl und Hausfreiheit kannte. Dieses Recht bedeutete Freiheit u n d Gastung und Beherbergung von königlichen oder adligen Beamten, sowie die Freiheit von Strafverfolgung. Dabei spielte der religiöse Charakter des Hauses eine Rolle. Dieses aus der fränkischen Zeit stammende Recht erreichte i n der Lex Frisionum eine besondere Verankerimg 1 ®. Hier ist das kirchliche Asylrecht und das häusliche i n einem Rechtssatz erwähnt. I n anderen Freiheiten zeigt sich, wie die persönliche Freiheit, wie der Satz: „Stadtluft macht frei" aus diesem Asylrecht hervorgehen. Dennoch waren diese Ansätze nicht stark genug, u m den Einbruch der Inquisition bis i n die häusliche Geborgenheit und i n die innerste Anschauung zu verhindern. Peter II. aus Aragonien hat auf Anraten seiner Theologen i n Spanien die Verbrennung der Ketzer zum Gesetz erhoben 1 7 , der Hohenstaufe Friedrich I I . führte dieselbe Strafe durch die Konstitutionen von 1220, 1232, 1238 i n Deutschland ein: „Haeretici v i v i i n conspectu hominum comburantur flammarum commissi indicio, ut animarum incendia patiantur et infernum haec vita ad huc subeant". Der Sachsenspiegel bestimmt ebenfalls die Todesstrafe durch Feuer für die Ketzer 1 8 . Die Bamberger Halsgerichtsordung schreibt vor, daß 16 „Homo faidosus pacem habeat in ecclesia, in domo sua, ad ecclesiam eundo, de ecclesia redeundo, ad placitum eundo, de placito redeundo. Qui hanc pacem effregerit et hominem occiderit, novies X X X . sol. componet ad partem regis", zitiert nach R. von Keller: Freiheitsgarantien für Person und Eigentum im Mittelalter, 1933, S. 216. 17 Nigg, W.: Das Buch der Ketzer, 1949, S. 240. Mit Hinweisen auf die neuere Literatur. Nigg erklärt, daß der Ketzerprozeß nicht eine Erscheinung ist, welche nur einer Konfession bekannt ist und betont die Mitschuld der Christenheit an Ketzerverfolgungen, S. 227. Im Jahre 385 fand in Trier die erste Hinrichtung des Gnostikers Priscillian und seiner gnostischen Anhänger statt. 18 Sachsenspiegel II, 13, 4, 7: „svelk kersten man oder wiv ungelobich ist unde mit tovere umne gat oder mit vergiftnisse unde des verwunnen wird, den soll man ubehört brennen". Plunschli: Deutsches Staatswörterbuch I., 770.

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Verfassungsrechtliche Garantie in Antike und Mittelalter

wer durch den ordentlichen geistlichen Richter für einen Ketzer erkannt und dafür den weltlichen Richtern geantwortet wurde „der sol m i t dem fewer vom leben zum tode gestraft werden". Die geheimen Gemeinden und revolutionären Kollektive verstärkten also nur den Gegendruck von Imperium und Sacerdotium und führten somit zur Verschärfung der Intolerenz. Dennoch bereiteten sie den Boden vor, auf dem die Reformation Fuß fassen konnte, die, wenn sie auch nicht Gewissensfreiheit und Glaubensfreiheit unmittelbar errungen hat, doch ein wichtiger Schritt dazu war. Der wichtige Schritt zu Individualrechten w i r d aber durch die Reformation deshalb eingeleitet, da m i t dem Wegfall der Rechtskirche jeder Träger der „libertas ecclesiae" fehlt. Die unsichtbare Kirche Luthers und die Geistkirche der Sekten, Widertäufer und Spiritualisten sind nicht Rechtssubjekt, nicht Träger von Rechten und Pflichten und können deshalb auch nicht Träger der ecclesiastischen Freiheit sein. N u r noch das I n d i v i d u u m hat die Fähigkeit Rechtssubjekt zu sein, da es ja als Bürger zweier Reiche immer noch dem weltlichen Reiche angehört, so daß es befähigt ist, als Bürger des weltlichen Reiches Träger von Freiheitsrechten zu sein 1 9 . Diese Freiheitsrechte fordert es u m seines Gewissens w i l l e n vom weltlichen Regiment. Aus der libertas ecclesiae ist die libertas christiana geworden und diese Freiheit eines Christenmenschen hat ihren rechtlichen Ausdruck i n den sogenannten „Christenrechten" der amerikanischen Freiheitsverbriefungen gefunden, deren Erklärung die meisten modernen Verfassungen einleiten. Ganz ähnlich hat es sich auch m i t der Freiheit der Wissenschaft und Lehre verhalten, die ursprünglich nur eine corporative Freiheit, eine libertas academica der Universitäten gewesen ist, ehe sie zu einem subjektiv öffentlichen Recht umgeprägt wurde. Die einzelnen Gläubigen sind der letzte sichtbare Teil der Kirche und vertreten deshalb auch ihre Freiheit gegenüber dem Staate. A n spruch auf Glaubensfreiheit haben n u r diejenigen, die den christlichen Glauben festhalten. Menschenrechte i m technischen Sinne kannte das Mittelalter nicht, denn die Rechtsfähigkeit war abhängig von der Zuge19 Sohm, Kirchenrecht, 2 Bde., München 1892, 1923, I., S. 471/72, Anm. 27; II., S. 145. Wenn Sohm der lutherischen Kirche als der communio sanctorum somit die Rechtsfähigkeit abspricht, bleibt nur noch das Individuum als Rechtsträger zurück, das dem Staat damit alleine gegenüber steht. Törnvall, G.: Geistliches und weltliches Regiment bei Luther, 1947, S. 135. Heckel, Naturrecht und christliche Verantwortung im öffentlichen Leben nach der Lehre Martin Luthers, in: Zur politischen Predigt aus der Vorbereitungsarbeit des Evang.-Luth. Dekanats München zur Tagung des Lutherischen Weltbundes in Hannover 1952, S. 57.

Hausfreiheit, Asylrecht: Wurzeln der Gewissensfreiheit

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hörigkeit zur Kirche und der K e t z e r 2 0 war nicht nur seines Lebens, sondern zuvor schon seiner Rechtsfähigkeit verlustig gegangen 21 . U n d dennoch lagen i m mittelalterlichen Menschenbild alle Ansatzpunkte zur Entfaltung einer rechtlich geschützten Sphäre, die das Persongeheimnis zu umschließen vermochte und das Gewissen des einzelnen gegenüber dem Anspruch kollektiver Verbände abzuheben wußte 2 2 .

30 Radolfzeller HGO: Präambel, Art. 9: „Kirchenprüchl/Prenner/Kätzer Velscher der Müntz Silbers oder Golds mit dem Prandt". — Art. 18: „Welcher oder Welche Person I m selber den Tod tuet / seinen Herrn verrat Christlichen glauben velaugnet / oder sein Vater und Muetter umbprint / umb das Er die Erb / sie sind leib und gut verfallen / " abgedruckt in: Die Maximilianischen Halsgerichtsordnungen für Tirol (1499) und Radolfzell (1506), herausgeg. v. E. Schmidt, 1949, S. 219 ff. 21 Planitz: Grundzüge des deutschen Privatrechts, 1949, S. 34. 22 Kipp, H.: a. a. O., S. 23.

Scboller. Die Freiheit 3

Kapitel

II

Das Grundrecht der Gewissensfreiheit in der angelsächsischen Welt 1. Die englische Reformation und die Puritaner Die Reformation der anglikanischen Kirche durch Heinrich V I I I . und die Regierung der Queen Elizabeth brachten England und Schottland keine verfassungsrechtliche Garantie der Gewissensfreiheit. Die H i n richtungen, die Elizabeth unter katholischen Priestern und protestantischen Dissenters vornehmen ließ, zeigen die intolerante Haltung, sowohl der High Church als auch der Königin. Über die Intoleranz unter der elizabethanischen Ä r a gibt das Buch von A r t h u r Jay K l e i n Ausk u n f t 1 . I n England sind vor allem zwei Ereignisse von Bedeutung, die später zur verfassungsrechtlichen Verankerung der Gewissensfreiheit als einem Menschenrecht führen sollten. Die erste Bewegung, geführt von Brown, bringt eine Gruppe entschlossener Puritaner zuerst nach Holland und von dort m i t der Mayflower 1620 an die Küste von Nordamerika, wo sie i n der Gegend von New Plymouth eine Niederlassung gründen 2 . I n den folgenden Jahren n i m m t die Auswanderung von Puritanern und später auch von Katholiken i n die Kolonien immer mehr zu, wo von den Auswanderern, den Pilgrimfathers, die sieben Neuenglandstaaten gegründet werden. Währenddessen entsteht i n England selbst eine radikale Glaubensbewegung, die sich revolutionär, sowohl gegen die katholische Krone der Stuarts als auch die anglikanische High Church wendet. Sie führt zur bekannten englischen Revolution unter Cromwells Führung. Aus den Reihen der Revolutionäre wurde von den Levellers ein Verfassungsentwurf vorgelegt, der unter anderem die Verankerung des parlamentarischen Systems und des Grundrechts der Gewissensfreiheit vorsah. Diese Urkunde, unter dem Titel „the Agreement of the People" bekannt geworden, ist allerdings nur Verfassungsentwurf geblieben und hat niemals Verfassungskraft erhalten. Dennoch sind die i n diesem E n t w u r f gebrauchten Formulierungen für die weitere Ent1

Klein, Arthur Jay: Intolerance in the Reign of Elizabeth, Queen of England, 1917. 2 Strzelewicz, W.: Der Kampf um die Menschenrechte, 1948, S. 14.

Englische Reformation und Puritaner

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Wicklung des Grundrechts der Gewissensfreiheit i n den Kolonien von ausschlaggebender Bedeutung geworden. I n diesem Verfassungsentwurf von 1647 wurde garantiert: „That matters of religion and the ways of God's worship are not at all entrusted by us to any human power, because therein we cannot remit or exceed a t i t l e of what pur consciences dictate to be the m i n d of God without w i l f u l s i n " 8 . I n diesen Sätzen ist von besonderer Bedeutung, daß „the ways of God's worship" jedem einzelnen überlassen bleiben muß und daß dieses Recht nicht etwa aus dem englischen Bürgerrecht noch aus dem Naturrecht, sondern aus dem Gewissen begründet wird. Es ist bekannt, welche bedeutende Stellung das Gewissen bei den Reformierten, Puritanern oder Quäkern i n ihren verschiedenen religiösen Systemen einnimmt4. I n Deutschland hatte der lutherische Theologe Thamer 5 eine ähnliche übersteigerte Auffassung von der Bedeutung des Gewissens, so daß er auch die Bibel ablehnte. Bei den Täufern, besonders i n England und später i n den amerikanischen Kolonien t r i t t dieser Zug noch stärker hervor: Die Bibel verliert ihre alleingültige Stellung an das Gewissen des einzelnen auf Grund des Dogmas der sich fortsetzenden Offenbarung Gottes. Diese Offenbarung Gottes vollzieht sich i m Gewissen i m innern Licht oder i n der Vernunft. Die W i r k u n g dieses Dogmas, die täüferische Hauptlehre, wie sie Weber genannt hat, bedeutet, daß das Gewissen die individuelle Offenbarung Gottes wird®. I n dem Verfassungsentwurf der Levellers von 1647 zeigt sich dieser dogmatische Hintergrund recht deutlich i n den Worten: „because therei n we cannot remit or exceed a title of what our consciences dictate to be the mind of God". „The dictate of the consciences" w i r d dann zum typischen stets wiederkehrenden Verfassungsbegriff der nordamerikanischeri Kolonien. Gegenstand dieses Diktates des Gewissens ist „the way of God's worship", also der gesamte Gottesdienst, der den häuslichen, privaten und öffentlichen K u l t umfaßt. Damit ist hier bereits der wesentliche Unterschied zum Begriff der Gewissensfreiheit des westfälischen Friedens und der späteren deutschen Landesverfassungen aufgezeigt, die, wie sich später zeigen wird, unter Freiheit des Gewissens bzw. vollkommener Gewissensfreiheit nur das Recht auf einfache Hausandacht verstehen. 3

The Agreement of the People v. 28. Okt. 1647, abgedruckt b. Jellinek, G., a. 4a. O. Mausbach-Ermecke, Katholische Moraltheologie I., die allgemeine Moral, 8. Aufl., 1954, S. 160. Das Gewissen als judicium ultimum practicum; in der reformierten Kirche ist das Gewissen die vox Dei. * Koehler, W., in: Religion, Geschichte und Gegenwart, 1031, V., Sp. 1083. 6 Weber, M.: Religionssoziologie, I. Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1020, S. 155 und 160. Gleicher Ansicht ist Troeltsch gewesen. 3«

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Gewissensfreiheit in der angelsächsischen Welt

2. Gewissensfreiheit in den amerikanischen Kolonien Es ist eine fable convenue, daß die Verfassung von Virginia von 1776 Ausgangspunkt der Menschenrechte gewesen sei. Es handelt sich dabei u m einen grundlegenden Irrtum, der durch seine häufige Wiederholung nicht berichtigt w i r d 7 . Salander hatte nachgewiesen, daß der die Gewissensfreiheit enthaltende A r t . 16 der Verfassung von Virginia erst nachträglich eingeführt wurde und glaubte dadurch die These G. Jellineks von der Gewissensfreiheit als dem Ursprung der Menschenrechte gestürzt zu haben 8 . Die Gründung Virginias w a r einerseits rein w i r t schaftlicher Natur, andererseits war gerade i n Virginia die anglikanische Kirche zu einer starken Herrschaft gelangt, so daß sie sich Intoleranz leisten konnte. S. Bates hat die Verfassung von Virginia einen Versuch genannt, sich auf Kosten der geschichtlichen Wahrheit ganz besonders für die Freiheit zu ereifern 9 . Virginia gehört zu den bekehrten Staaten und nicht zu den ursprünglichen Trägern der Freiheitsrechte. Z u den Staaten, die die Freiheitsidee und d. h. vor allem die religiöse Freiheit zuerst zu ihrem Prinzip gemacht haben, gehört vor allem Rhode Island 1 0 . Dort hatte Roger Williams die Stadt Providence gegründet und i n ihr den Grundsatz absoluter Toleranz auch gegenüber Nicht-Christen v e r w i r k l i c h t 1 1 . I n der Charta of Rhode Island and Providence Plantation von 1663 heißt es: „ b u t that a l l and everye person and persons may from tyme to tyme and at all tymes hereaffer freelye and fullye have and everye his and theire owne judgements and consciences, i n matters of religious concernements ..." 1 2 . Rhode Island gewährt damit „ o w n judgements and conscience" für jedermann i n religiösen Angelegenheiten und hat damit als erster Staat das Menschenrecht der Gewissensfreiheit i n seiner gültigsten Formulierung verfassungsrechtlich verankert. 7 Koellreutter, O.: Dtsch. Staatsrecht, 1953, S.48. * Salander , Vom Werden der Menschenrechte, in „Leipziger rechtswissenschaftliche Studien", 1926, S. 67: „Denn an und für sich entwickelten sich die Freiheitsrechte ohne daß überhaupt ein Gedanke an Glaubensfreiheit auftauchte." Der von Salander zum Beweis dafür zitierte Satz von Milton: „Give me the liberty to know to utter and to argue freely according to conscience above all liberties" (works II., S. 97) beweist aber gerade das Gegenteil, weil das Gewissen und seine Freiheit mit dieser Freiheit gemeint ist. Salander möchte für die allgemeine Betrachtung den Einfluß der Religion als einer metaphysischen Umkleidung ausgeschaltet wissen. S. 85, a. a. O. 9

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Bates, S.: a. a. O., S. 788.

Lord Lindsay , Macht, Freiheit und Wissenschaft, 1949, S. 21. Roger Williams 1605—1684 gründet 1636 Providence und verfaßt 1644 seine bekannte Schrift: „The Bloody Tenet of Persecution for Cause of Conscience". Providence war ein Asyl für Menschen aller Bekenntnisse. 12 Giacometti, Z.: Quellen zur Geschichte der Trennung von Staat und Kirche, Tübingen 1926, S. 688. 11

Gewissensfreiheit in den amerikanischen K o o n e n

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1680 gibt sich New Hamshire ebenfalls eine Verfassung. I n dieser Verfassung w i r d garantiert: „we do hereby require and comand y t liberty of conscience shall be allowed unto all Protestants..." 1S . Dieser Garantie fehlt noch der naturrechtliche Charakter. I n einer späteren Verfassung w i r d dieser Fehler korrigiert und i n A r t . V garantiert: „Every individual has a natural and unalienable right to worship God according to the dictates of his own conscience and reason and no subject shall be hurt, molested or restrained i n his person, liberty or estate for worshipping God i n the manner and season most agreeable to the dictates of his own conscience, or for his religious profession sentiments or persuasion". 1681 gibt sich Pennsylvanien eine Verfassung. I n ihr heißt es i n A r t . X X X V I I : „because no People can be t r u l y happy, though under the greatest Enjoyment of Civil Liberties, i f abridged of the Freedom of their Consciences, as to their Religious Profession and Worship: A n d Almighty God being the only Lord of Conscience, Father of Lights and S p i r i t s . . . " 1 4 . William Penn hat i n seinem Staate Pennsylvanien die Toleranzidee der „Freunde" zu verwirklichen gesucht und die Verfassung seines Landes gibt i n ihren Worten die Auffassung der Quäker wieder, die Gott als einzigen Herrn des Gewissens (only Lord of conscience) und „Vater der Lichter und Geister" (father of lights and spirits) bezeichnen. Das innere Licht — die innere Stimme — sind die Organe der Gewissenswahrnehmimg und die Gebote des Gewissens (dictates of conscience) sind unbedingt zu befolgen 15 . I n Delaware w i r d 1701 dieser Wortlaut ganz gleichlautend übernommen 1 6 . Auch die Verfassung von Massachusetts Bay 1691 garantiert Gewissensfreiheit: „there shall be a liberty of Conscience allowed i n the Worship of God to all Christians (Except Papists)" 1 7 . Massachusetts gewährt erst 1780 i n einer neuen Verfassung uneingeschränkte Gewissensfreiheit (Art. I I : „ . . and no subject shall be h u r t . . or restrained i n his person, liberty or estate for worshipping God i n the manner and season most agreeable to the dictates of his own conscience..."). Es bleibt damit m i t Virginia zurück hinter dem Stand der anderen Kolo13

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Giacometti, a. a. O., S. 683.

Giacometti, a. a. O., S. 686. Die Charta for the province of Pennsylvania 1681, Art. 37/8: „but because the Happiness of Mankind depends so much upon the Enjoying of Liberty of their Consciences...". „that the First Article relating to Liberty of Conscience and every Part ... shall be kept and remain, without any Alteration inviolably for ever", a. a. O., S. 687. 18 Das „innere Licht" ist schon bei den Mystikern als Seelenfunken (Funkilin des Meister Eckhard) Ausdruck für das Gewissenserlebnis. Underhill, E.: Mystik, 1928. S. 72. 18 Charta of Delawara, 1701, I; Giacometti, a. a. O., S. 678. 17 Charta of Massachusetts Bay 1691; Giacometti, a. a. O., S. 682. Die constitution of Massachusetts dehnt in der declaration of rights die liberty of conscience auf alle Bewohner aus. Bates, S. a. a. O., S. 269.

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Gewissensfreiheit in der angelsächsischen Welt

nien, die schon früher vollkommene Gewissensfreiheit gewährten. So hat auch Georgia i n der Charta von 1732 bereits die liberty of conscience allen Einwohnern gewährt 1 8 , aber die Katholiken (Papists) von dieser Freiheit ausgeschlossen.

3. Gewissensfreiheit als Menschenrecht der Konstitutionen der nordamerikanischen Bundesstaaten nach der Unabhängigkeitserklärung Die Verfassungen des Jahres 1776, die der Unabhängigkeitserklärung folgende Freiheitsrechte für die Gliedstaaten aufstellen, übernehmen fast durchwegs die Garantie der liberty of conscience, indem sie dieses Recht entweder m i t dem Wort umschreiben „to worship God according to the dictates of the own conscience", oder indem sie verbieten „no Subject shall be hurt, molested, or restrained, i n his Person, Liberty or Estate, for worshipping God i n the manner and season most agreeable to the Dictates of his own conscience, or for his religious Profession or sentiments" 1 9 . I n New Jersey lautet die einschlägige Bestimmung der constitution of 1776 i n A r t . 18: „that no person shall ever, w i t h i n this Colony be deprived of the inestimable privilege of worshipping A l m i g h t y God i n a manner agreeable to the dictates of his own conscience" 20 . Die Verfassung von Vermont von 1777 räumt i n Kap. 1 I I I ein „that all men have a natural and unalienable right to worship A l m i g h t y God, according to the dictates of their own consciences and understandings as i n their opinions shall be regulated by the word of G o d " 2 1 . I n der Verfassung von Maryland, einer katholischen Kolonie, lautet der die Gewissensfreiheit enthaltende Passus interessanterweise anders; sie gebraucht die Worte liberty of conscience nicht und ersetzt sie durch den Begriff der „religious liberty", der i n den Verfassungen der amerikanischen Gliedstaaten ebenso selten zu finden ist, wie der Ausdruck „liberty" oder „Freedom of f a i t h " 2 2 . 18

Charta of Georgia 1732: „... we do by these presents, for us, our heirs and successors grant, establish and ordain, that forever hereafter, there shall be a liberty of conscience allowed in the Worship of God, to all persons... Except papists". Giacometti a. a. O., S. 680. 19 Constitution of Massachusetts 1780; Declaration of the rights of the inhabitants of the Commonwealth of Massachusetts I I ; Giacometti, a. a. O., S. 682. 20 Constitution of New Jersey 1776, Art X V I I I Giacometti, a. a. O., S. 684. 21 Constitution of Vermont 1777, Kap. 1, I I I ; Giacometti, a. a. O., S. 688. 22 Constitution of Maryland, 1776: „ail persons, professing the christian religion, are equally entitled to protection in this religious liberty". Giacometti,, a. a. O., S. 680; Maryland ist eine Gründung des zum Katholizismus übergetretenen Lord Baltimore.

Gewissensfreiheit in den nordamerikanischen Konstitutionen

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Die b i l l of rights von Virginia vom 12. J u n i 1776 gewährt ebenfalls i n A r t 16 „free exercise of religion according to the dictates of conscience" 2 8 . Dieser A r t . 16, der, wie Salander nachgewiesen hat, erst durch eine nachträgliche Redaktion i n die b i l l of rights aufgenommen wurde, steht aber i n einem historischen Zusammenhang m i t den anderen Verfassungsurkunden, seien sie vor der Unabhängigkeitserklärung durch die englische Krone gewährt, oder seien sie erst i n den Jahren nach 1776 beschlossen und i n K r a f t gesetzt worden. Gerade der Kampf um die Teesteuer und die anderen englischen taxes, die zur Unabhängigkeitserklärung und damit mittelbar zu den Verfassungen von 1776 geführt haben, verschleiern das B i l d und erklären ein so irrtümliches Urteil, das die Gewissensfreiheit und damit die Religion überhaupt als Triebkraft ausgeschaltet wissen w i l l 2 4 . G. Jellinek hat aber auch nicht die Verfassungen der amerikanischen Gliedstaaten von 1776 als Ausgangspunkt der Menschenrechte bezeichnet, sondern hat m i t Erfolg nachgewiesen, daß die Pflanzungsverträge und Charten des 17. und 18. Jahrhunderts ein Ergebnis des Kampfes u m die liberty of conscience waren 2 5 . Diese alten Verfassungsurkunden waren das Vorbild für die Väter der Verfassungen von 1776, i h r M o t i v — die liberty of conscience — mag wohl nicht mehr i m Vordergrund gestanden und politischen und wirtschaftlichen Erwägungen Platz gemacht haben. So schreibt G. Jellinek von den Motiven und Anschauungen der Männer von 1776: „Die politischen Anschauungen, von denen die Männer von 1776 beseelt sind, scheinen daher einem Geschlechte, das solche staatliche Anfänge aufzuweisen hat, ihre Gewißheit i n sich selbst zu tragen, sie sind „self-evident", wie es i n der Unabhängigkeitserklärung heißt" 2 8 . Bei der Redaktion der b i l l of rights von Virginia lagen zu A r t . 16 zwei Entschließungen vor, die eine von Mason, die andere von Madi23

bill of rights of Virginia v. 12. Juni 1776, Art. 16: „That religion, or the duty which we owe to our Creator, and the manner of discharging it, can be directed only by reason and conviction, not by force or violence; and therefore aü men are equally entitled to the free exercise of religion, according to the dictates of conscience; and that it is the mutual duty of all to practise Christian forbearance, love, and charity towards each other". Die Charter von Virginia von 1609 enthielt keine diesbezügliche Bestimmung. Giacometti, a. a. O., S. 689. 34 Salander , a. a. O., S. 85. 35 Jellinek, G.: Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 1010, S. 42—57. Gegen Jellineks These haben sich aber ohne besondere Gründe anzugeben Härtung, F.: Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte von 1776 bis zur Gegenwart, 1054, Gre we, W.: Buchbesprechung in: AöR, Bd. 74, S. 260 und Scheuner, U.: Recht, Staat und Wirtschaft IV, S. 88 Anm. 2 neuerdings ausgesprochen. Wie Salander a. a. O., S. 67 hat auch H. Welzel die Abhängigkeit der amerik. Menschenrechtsdeklaration von den Gedanken Pufendorfs über John Wise nachzuweisen versucht. H. Welzel: Ein Kapitel aus der Erklärung der Menschenrechte in: Festschrift für R. Smend, 1052, S. 387. 26 Jellinek. G.: a. a. O.. S. 50.

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Gewissensfreiheit in der angelsächsischen Welt

son 2 7 . Masons Formulierung wollte „vollste Toleranz i n der Ausübung der Religion" garantiert sehen, während Madison „ f u l l and free exercise of religion" beantragte. Der von Salander zwischen beiden Formulierungen aufgezeigte Unterschied scheint nicht so groß zu sein. Denn beide Anträge schließen i m Nachsatz die bekannte Formulierung an „according to the dictates of conscience". Die Interpretation der Gewissensfreiheit i n den amerikanischen Charten und Verfassungen darf weder vom Verständnis der déclaration des droits de l'homme von 1789 noch vom Verständnis anderer kontinentaler Staaten her versucht werden. Z u beachten ist einmal, daß die amerikanischen Formulierungen niemals abstrakt gefaßt sind und sich niemals darauf beschränken, i n einem lapidaren Satz allen Menschen Gewissensfreiheit zu gewähren. Sie enthalten vielmehr ausnahmslos Verfassungsnormen, die einen deskriptiven Tatbestand umschreiben, dessen Freiheit von staatlicher Intervention gesichert sein soll. Darum heißt es i n den einschlägigen Verfassungsbestimmungen meist „to worship A l m i g h t y God according to the dictates of conscience", oder „to worship A l m i g h t y God i n a manner or season most agreeable to their own consciences". Der Gottesdienst, „the ways of God's worship", wie der E n t w u r f der Levellers es ausdrückte, die Anbetung Gottes, ist Gegenstand des Schutzes i n dem Umfang, i n welchem das Gewissen die Gottesverehrung gebietet. Es treten die Formulierungen religious liberty (Maryland) oder free exercise of religion (Virginia) demgegenüber stark zurück und sind interessanterweise gerade dort zu Hause, wo eine stärkere Bindung geistiger oder politischer A r t an die kontinentalen Verhältnisse vorhanden ist. Das katholische Maryland und das anglikanische Virginia zeigen i n diesen Formulierungen Überreste europäischer Vorstellungen und Formulierungen. Jedoch kennen auch sie und alle anderen Verfassungen nicht den Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Gottesdienst und Kultus, der dem kontinentalen Recht als Erbe römisch-rechtlicher Überlieferung durchwegs bekannt ist. So unterscheiden sie nicht zwischen privatum exercitium religionis und publicum exercitium religionis, sondern gewähren die Freiheit to worship God according to the dictates of conscience oder „the f u l l and free exercise of religion". Dem angelsächsischen Rechtsbereich ist eben die Unterscheidung i n öffentliches und privates Recht unbekannt, die 27 Masons Antrag lautete: „All men should enjoy the fullest toleration in the exercise of religion according to the dictates of conscience, unpunished and unrestrained ..Madison beantragte demgegenüber: „that all men are equally entitled to the full and free exercise of religion according to the dictates of conscience." Salander: a. a. O.. S. 72—74.

Gewissensfreiheit in den nordamerikanischen K o n s t i t u t i o n e n 4 1 dem k o n t i n e n t a l e n R e c h t s e l b s t v e r s t ä n d l i c h erscheint 98 . Deshalb t r i t t uns i n den englischen und amerikanischen Urkunden ein so anderer Begriff der Gewissensfreiheit entgegen, w e i l hier eine andere Rechts- und Staatsauffassimg herrscht, die sehr viel weniger berührt vom römischen Rechtsbewußtsein ihre Wurzeln i n der germanischen Freiheitsidee weiß 3 9 . Hinzu t r i t t das christliche Verständnis des Menschen und das protestantische Berufungsbewußtsein, die zusammen m i t der germanischen Staatsauffassung an der Wiege dessen standen, was als Menschenrecht der Gewissensfreiheit als liberty of conscience Eingang i n alle Verfassungen gefunden hat. Die liberty of conscience i n den amerikanischen Verfassungen ist also i m Grunde genommen eine Kultfreiheit der Kirche. Sie ist ein Individualrecht, das allen Menschen zusteht, und das allen Menschen das Recht gibt, Gott zu verehren, wie es das Gewissen gebietet. Die Trennung von Staat und Kirche, wie sie dann i n der Folge eintrat, ist nicht ohne weiteres i n dem Begriff der liberty of conscience enthalten, wie das i n Frankreich der Fall gewesen i s t 8 0 . Wenn z.B. i n Virginia 1786 unter Jefferson diese Trennung vollzogen wird, so steht dieser Schritt i n keinem ursächlichen Zusammenhang mehr m i t der Garantie der Gewissensfreiheit i n der b i l l of rights 1776. Über den Umfang und die Ausdehnung, die das Recht der liberty of conscience i n den Vereinigten Staaten angenommen hat, unterrichten Carl Zollmann „American Church-Law" und S. Bates „Glaubensfreiheit" eingehender 81 . Auch i n Amerika ist die Berufung auf die Freiheit des Gewissens Schranken unterworfen, die die polizeiliche Sicherheit, die öffentliche Ordnung und die öffentliche Gesundheit ziehen. Eine schrankenlose Gewissensfreiheit gibt es auch i m G e b u r t s l a n d d e r l i b e r t y o f c o n s c i e n c e n i c h t 8 2 . Sich auf die Freiheit des Gewissens zu berufen, ist dann ausgeschlossen, wenn das Allgemeinwohl auf Grund überwiegender Interessen den Vorrang verdient 8 8 . So wurden i n Amerika Anarchisten ausgewiesen, der Verkauf von fälschlich als koscher bezeichnetem Fleisch verboten, der Vertrieb 28

ius privatum = „quod ad singulorum utilitatem spectat" I., 1 § 2 D. 1,1. Fehr: „von den germanischen Wurzeln der europ. Rechtskultur" in: Arch. f. Rechts- u. Sozialphilosophie, 1950, 1951, S. 164—177. Fehr ist der Ansicht, daß sich wissenschaftlich nicht mehr feststellen läßt, wo die Wurzeln der Menschenrechte liegen: in der Antike, in der Scholastik oder im positiven germanischen Recht. 80 Rothenbücher: Die Trennung von Staat und Kirche, München 1008. S1 Zollmann, Carl: American Church-Law, 1033, S. 18 f., eine Überarbeitung der unter dem Titel American Civil-Church-Law erschienenen älteren Auflage. 82 Bates, S.: a. a. O., S. 705. M Bates. S.: a. a. O- S. 705. 29

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Gewissensfreiheit in der angelsächsischen Welt

¿hipfängnisverhütender: M i t t e l untersagt, Schulkinder ärztlich untersucht Und geimpft K Brautleuten die Genehmigung zur Heirat von einer ärztlichen Bescheinigimg abhängig gemacht, die das Nichtvorhanden?sein von Geschlechtskrankheiten bestätigte. Heilpraktiker wurden verurteilt, wenn ihre Tätigkeit ins medizinische Gebiet fiel, Eltern wurden bestraft, die sich auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur Christian Science weigerten, ihre K i n d e r ärztlich behandeln zu lassen. Der amerikanische oberste Gerichtshof stellte fest, daß das Grundrecht der Gewissensfreiheit nicht dadurch...verletzt werde, daß gewisse Festtage staatlich festgesetzt werden, daß Kaplane i n der Armee ernannt werden, daß die Legislaturperioden m i t religiösen Gebeten eröffnet werden, daß die Abschlußfeiern i n Schulen m i t allgemeinen Gebeten begangen werden und daß das KircherivermQgen steuerfrei ist* 4 . Abschließend läßt sich sagen, daß das Grundrecht der liberty of conscience i n den amerikanischen Verfassungen nicht nur älter und ursprünglicher, sondern auch weiter war als die Freiheit des Gewiss sens, die auf dem Kontinent gewährt wurde und besonders i n den deutschen Ländern nur das Recht auf Hausandacht bedeutete. Aber auch diesem sehr v i e l weiteren amerikanischen Recht, das „the ways of God's worship" von staatlicher Einflußnahme freistellte und „according to the dictates of the own conscience" gestalten ließ, sind Schrank e n gezogen, die aus der allgemeinen öffentlichen Ordnimg resultieren.

M Bates, S.: a. a. O., S. 791; zu den Gesetzen gegen die Entwicklungslehre Bates. a. a. O.. S. 793.

Kapitel

I

Die französische Erklärung der Menschenrechte und die Gewissensfreiheit Vom Standpunkt der Gewissensfreiheit aus bringt die déclaration des droits de Thomrie et du citoyen vom 26. 8. 1789 keinen Fortschritt. Die Heftigen Debatten i n d e r Assemblée Nationale vom 22; und 23. August Ï789, i n denen der Bischof Clairmont dè là Borde, Miràbêati und vor allem Rabaùt-de-Saint-Ëtienne das Wort zur Gewissensfreiheit ergriffen, waren die stürmischsten Auseinandersetzungen der'Nationälversammlung 1 . Die Nomenklatur der französischen E r k l ä r und der Diskussionen l i m das Grundredit der Religionsfreiheit ist sehr verschieden von der der amerikanischen Verfassungen, ¿o daß es verständlich erscheint, wenn Itabaut sich bei seinem Hinweis auf die Vereinigten Staaten geradezu entschuldigt 3 . I n den Cahiers fand sich sporadisch die Aufforderung zur vollen Religionsfreiheit âuch den Nichtkatholikën gegenüber und hier ist es auch, wo w i r den Begriff der liberté de conscience i n der Vorgeschichte der französischen Menischenrechtserklärung begegnen 8 . Demgegenüber kennt die Verfassung vom 3. 9. 1791, i n die die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. 8. 1789 A u f nahme fand i n A r t . 10 nur ein Redit der „religiösen Meinungsfreiheit": „Personne ne doit être inquiété pour ses opinions, même religieuses, pourvu que leur manifestation ne trouble pas Tordre public établi par la l o i " 4 . I n A r t . 7 der Verfassung vom 24. 6.1793 findet eine weitere Verengung: des Artikels der Glaubensfreiheit zugunsten dér neutralen Meinungsfreiheit statt. Schließlich fällt i n der Verfassung vom 22. 8. 1795 der letzte Rest der Gewissensfreiheit fort, den noch die vorangehende Verfassung irh Recht des libre exercise des cultes hatte. Die 1 Rees: Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte v. 1789, Beiträge zu. ihrer Entstehungsgeschichte in: Beiträge zur Kultur- üiid Universalgeschichte, herausg. v. Lamprecht, Léipzig 1012, S. 135 ff. * Ree?; a. a. 0.,S.~Ï53. 9 Rees, a. a. O., S. 95: Die Wähler von Montignardgues: „d'accorder la liberté de conscience aux non-catholiques de son royaume". 4 Klatt: Die Menschenrechte, Hagen 1950, S. 32.

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Erklärung der Menschenrechte und Gewissensfreiheit

Charte vom 4. J u n i 1814, die das Königstum restauriert, erklärt sich i n A r t . 5 für Religions- und Kultfreiheit: „Chacun professe sa religion avec la même liberté et profite de la même protection pour son culte" 5 . I n gleicher Weise formulieren die Charten vom 14.8.1830 und die Constitution de la République Française vom 4.11.1848*. Die französische Verfassungsentwicklung kennt also bis zur M i t t e des 19. Jahrhunderts nur die Freiheit der religiösen Gedanken, der Religion und des Kultes. Dies mag die These von Rees rechtfertigen, da eine substantielle E i n w i r k u n g der amerikanischen Verfassungen auch i n der Begriffssprache zum Ausdruck hätte kommen müssen. Der Begriff der liberté de conscience findet sich verfassungsrechtlich erstmals i n einem Dekret der Stadt Paris vom 2. A p r i l 18717. I n den Trennungsgesetzen vom 9. 12. 1905 w i r d dann die „liberté de conscience" verfassungsrechtlich verankert, nachdem sie schon i n einem Gesetzesvorschlag von Aristide Briand als Ausgangspunkt der neuen Regelung so formuliert worden w a r 8 . I n der französischen Verfassungsentwicklung ist also die liberté de conscience nicht der Anfang, sondern das Ende der Entwicklung der Menschenrechte. Der état laïque trennt sich von der Kirche so vollkommen, daß er sich scheut, das Wort Religion oder Glaube i n Verbindung m i t einem natürlichen Menschenrechte auszusprechen 9 . Die Trennimg von Staat und Kirche i n Nord-Amerika, die auch u m der Gewissensfreiheit w i l l e n durchgeführt wurde, war doch wesentlich anders verlaufen, denn i n Frankreich w a r wohl, u m ein Wort Kahls zu zitieren, der Staat von der Kirche, nicht aber die Kirche vom Staat getrennt worden. K a h l beschreibt die Situation i n Frankreich, wie sie durch das Trennungsgesetz vom 9. 12. 1905 geschaffen wurde, treffend: „Der französische Staat hat i m Gesetz vom 9. 12. 1905 zwar sich von der Kirche, nicht aber die Kirche von sich getrennt" 1 0 . K a h l warnt vor einer systematischen Übertragung solcher Trennung auf die Verhält• Klatt, a. a. O., S. 47. • Giacometti, a. a. O., S. 65 und 79. 7

Décret de la commune relatif à la séparation du 2. 4. 1871: „La commune de Paris considérant, que le premier des principes de la République Française est la liberté; considérant que la liberté de conscience est la première des libertés ..zitiert nach Z. Giacometti. Quellen S. 97. 8 Loi relative à la séparation des églises et de l'état du 9.12.1905: „la république assure la liberté de conscience. Elle garantit le libré exercise des cultes sous les seules restrictions ci-après dans l'intérêt de l'ordre publique" zitiert nach Giacometti, a. a. O., S. 272; vgl. dazu den fast gleichlautenden Gesetzesvorschlag von Aristide Briand, abgedruckt bei Z. Giacometti, a. a. O., S. 215. 9 Vgl. dazu den Runderlaß des franz. Unterrichts- und Kultusministers: „Circulaire du ministre de l'instruction publique et de culte du premier Dec. 1906: „La loi du 9. Decembre 1905 concernant la séparation des églises et de l'état est tout entière dominée par le principe de la liberté de conscience cToù dérive le libre exercice de culte". 10 In HB der Politik 1 1920. S. 143.

Erklärung der Menschenrechte und Gewissensfreiheit nisse i n Deutschland, da das System, das zwischen Kirche und Staat bestehen soll, nicht „gemacht werden" könne. Gewissensfreiheit kann also nach ihrem Vorzeichen etwas sehr verschiedenes bedeuten und dies muß eine Untersuchimg außerordentlich erschweren, die sich zum Ziele gemacht hat, den Gang dieses Menschenrechts zu untersuchen. Festzuhalten bleibt, daß der Begriff der Gewissensfreiheit i n den Trennungsgesetzen nicht mehr m i t Glaubensfreiheit identisch ist und daß er aber andererseits auch nicht die Bedeutung hat, deren er sich i n NordAmerika erfreut. Liberté de conscience ist j a vielmehr das Bekenntnis des laizistischen Staates, der auch i m Unterrichtswesen jeden Einfluß der Kirchen auf die Gestaltung des Religionsunterrichtes beseitigt, ja diesen selbst aus dem Schulprogramm streicht.

Kapitel

V

Die Reformation und der Augsburger Religionsfrieden 1. Gewissensfreiheit als Freiheit „in den Kammern anzubeten" I n dem Brief vom 30. November 1525 regte Luther beim Kurfürsten von Sachsen die Einrichtung von u m die Gemeinden des Kurfürstentums Sachsen dort m i t Predigern zu versehen, wo ein solcher Wunsch geäußert wurde. Ob der Landesfürst als „Vormund der Jugend" auch gegen den Willen einer Gemeinde einen evangelischen Prediger einsetzen könne, ist zwar behauptet worden, wurde aber von K . H o l l bestritten 1 . Jedenfalls räumt Luther der katholischen Minderheit einer sich dem evangelischen Glauben zuwendenden Gemeinde ein: „ i n ihren Kammern" anbeten und dienen zu können, wem und wie sie w o l l e n " 3 . I n diesen Worten w i r d i m Grunde genommen das Recht auf Gewissensfreiheit formuliert, wie es später i m westfälischen Frieden zum Ausdruck kam, nämlich das Recht negativ gesehen, sich nicht an dem bestehenden öffentlichen K u l t beteiligen zu müssen, positiv gesehen, das Recht innerhalb seiner „Kammer" dienen und anbeten zu können, welchen und wie vielen Göttern man w i l l . Ganz abgesehen davon, daß für Luther der Katholik kein Ketzer war, zeigt sich i n dieser Beurteilung ein neues, nämlich ein rein rechtliches Moment: das des Ärgernisses. Die „publica flagitia", die der öffentliche Kultus Andersgläubiger m i t sich brachte, sollten gewissermaßen aus polizeirechtlichen Gesichtspunkten beseitigt werden, ohne daß dem Andersgläubigen der Übertritt aufgezwungen wurde. 1 Holl, K.: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. 1, 1921, S. 314: „Nur dann, wenn bei der Visitation keinerlei Druck auf das Gewissen geübt werden sollte, versteht es sich auch, wie Luther hoffen konnte, daß sie ihm die „christliche Versammlung", das heißt die Bekenntnisgemeinde brächte". 2 E. A. 53, 369: „Damit sie aber nicht sagen, man zwinge sie zum Glauben, ist das nicht die Meinung; sondern man verbaut ihnen nur das öffentliche Ärgernis.... Sie lassen ihnen daran begnügen, daß man sie bei Leib und Gut, bei Schutz und Ehren (!) läßt im Lande und daß sie in ihren Kammern mögen anbeten und dienen, wem sie wollen und wie viel Götter sie wollen; öffentlich sollen sie den rechten Gott nicht so lästern". Zitiert nach Holl, K., a. a. O., S. 313. Anm. 5.

GewiäBensbegriif hei Luther Solche Andersgläubige behielten eben das Recht auf den „inneren Gottesdienst", wie es später das preußische A L E i m § 2 I I 11 ausger drückt hat, wobei man zur Zeit Luthers damit aber noch eine räumliche Voretellung verknüpfte. Das Dienen und Anbeten i n den „ K a m mern" ist also der reformatorischeAnsatzpunkt, an dem sich später die Garantie der Gewissensfreiheit entwickeln sollte 8 .

2. Der Gewissensbegriff bei Luther Luther ist überhaupt der Auffassimg, daß Gott dem Kirchenwesen das Recht versagt hat. Befehle zu erteilen, denen als solche eine i m Gewissen verpflichtende VerbindÜchkeit zukäme 4 . Andererseits kann Luther davon sprechen, daß das weltliche Gebot i m Gewissen verpflichtet 5 . Das Gewissen n i m m t bei Luther eine besondere Stellung ein, da er i m Gewissen den Ansturm der lex mortis irae et peccati erlebt, ist es i h m nicht so sehr u m die libertas cortscientiae, sondern vielmehr u m die „libertatis conscientia" zu tun®. Das „Gewissen als Freiheit" w i r d dem Menschen durch die rechtferlügende Gnade geschenkt,: die den Menschen von „pavdr et hprror conscienftae ia / fäcie üdici B e i " befreit \ . L u t h e r erlebt das Gewissen, alß Angst, als „angustia i n insuperabilis et inevitabilis'^ als i r a versa dei facies", als „terror et timor", so wie nach i h m Kierkegaard das böse Gewissen als Verzweiflung und Angst, als „Krankheit zum Tode" durchlebt hat. Wenn dieser ursprüngliche Horror i n den Lobpreis des Gewissens umschlägt; so deshalb, weil Luther durch deä rechtfertigenden Glauben zur „bona conscientia" durchdringt und so Gewissensfreiheit als Gewissensbefreiung erfährt 8 . 8 Vgl. auch Enders V 272* 37: Interim nihil congentes, siye credant ilji sive non, qui prohibentur, neque si clam maledicant sive non. Zitiert nach Holl, K.: a. a. O., S. 313, Anm. 5. 4 Hecket, J.: „Initia juris ecclesiastici prötestantium", Sitzungsbericht der Bayer. Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., 1949, Heft 5, München 1950, S. 50.. 5 „Es yerpfliditet im Gewissen und droht dem Übeltäter mit dem Wort Gottes, in dessen Auftrag die weltliche Obrigkeit gebietet0. Meckel, a. a. Q,, S. 50, Anm. 213. 6 Heckel, J., lex charitatis, Abhandig. d. Bayer. Akademie der Wissensdiaft, phil.-hist. Kl. N.F., H. 3, 1953, eine juristische Untersuchung über das Recht Martin Luthers, S. 61, Anm. 416, de captivitate babyl. W. A. VI, 537/15. 7 Heckel, J.: Lex charitatis, a. a. O., S. 26, Anm. 111 operationes in psalmos 1519/21 W.A. V, S. 203,1; S. 217,27; S. 388, 24, Holl I S. 172. 8 Jacob, G.: Der Gewissensbegriff in der Theologie Luthers, Beiträge zur historischen Theologie 4, Tübingen 1929, S. 11. Luther spricht vom Zappelndes Gewissens. S. 30: Das Gewissen als Angst, als „tenerrima res des in den carcer theologicus" eingeschlossenen Menschen. Hecket, Lex Charitatis, ä. a. O., S. 26. Anm. 111.

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Reformation und Augsburger Religionsfrieden

Wirkliche Freiheit ist nur da, wo jemand „einen Gott" h a t f . „Fides n i h i l alius est, quam bona conscientia" 10 . Der Glaube also, das „In-Sein i m Wort" wie G. Jacob es formuliert hat, ist die Befreiung von der Enge und Angst des Gewissens, ist die „libertas christiana (conscientiae)" 1 1 . So versteht Luther die „libertas christiana" ursprünglich als eine „evangelica libertas conscientiae qua solvitur conscientia ab operibus, non ut nulla fiant, sed u t ' i n nullis c o n f i d a t " u . Diese „Gewissensfreiheit" liegt i m theologischen Vorfelde des verfassungsrechtlichen Grundrechts der Gewissensfreiheit. Da Luther sehr wohl u m Not und Gnade des Gewissens weiß, w i l l er auch den Andersgläubigen den Raum nicht nehmen, i n dem der Mensch seinen Gott anbeten und i h m dienen kann. Die Beschränkung auf die „Kammer" erfolgt dabei aus dem Gesichtspunkt der öffentlichen Ordnung, die ein öffentliches Ärgernisgeben durch Gotteslästerung verbietet. Die Freiheit des öffentlichen Kultus soll also dem ärgernisgebenden Andersgläubigen nicht gewährt werden, aber die Freiheit seines Gewissens als Freiheit i n den Kammern „anzubeten und zu dienen", also als Recht auf Hausandacht soll i h m belassen werden, mag er, wie Luther sagt, wen oder wieviele Götter anbeten, wie er w i l l .

3. Gewissensfreiheit als Fürsten-Individualrecht Der Augsburger Friede vom 25. 9. 1555, dessen 400ste Widerkehr begangen werden konnte, kannte allerdings ein solches Recht auf Gewissensfreiheit als Hausandachtsrecht nicht. M i t Ausnahme der freien Reichsstädte entscheidet grundsätzlich der Landesherr über die Konfession u n d dieses ius reformandi, das i n der Formulierung cuius regio eius religio seinen Ausdruck gefunden hat, bestimmte dergestalt auch die innnere Gewissenszugehörigkeit des Untertan, daß i h m n u r die Auswanderung blieb, wollte er sein Gewissen nicht durch die Entscheidung des Fürsten binden lassen. Gewissensfreiheit als Recht auf Hausandacht hat dagegen der sich von der Konfession des Fürsten dissentierende Untertan nicht. • Holl, K.: a. a. O., I, S. 186. w Hechel, J.: Lex Charitatis, a. a. O., S. 134. 11 Jacob, G.: a. a. O., S. 49. " Hechel. J.: Lex Charitatis. a. a. O.. S. 130.

Gewissensfreiheit als Fürsten-Individualrecht

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Wo der Augburger Frieden die Conscienz und ihre Freiheit erwähnt, spricht er nur von Ständen und Fürsten, die diese Freiheit genießen 13 . Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist aber noch i n der Richtung beschränkt, daß der Augsburger Religionsfriede nur die Augsburgische Konfession, nicht aber andere Glaubensgruppen oder Sekten schützt. Der Augsburger Friede ist also weit davon entfernt 1 4 , Gewissensfreiheit als Menschenrechte dergestalt zu gewähren, daß jeder einzelne berechtigt ist, die Religionsübung innerhalb seines befriedeten Besitztums so zu halten, wie es i h m sein Gewissen gebietet. W i l l der Untertan dieses Recht i n Anspruch nehmen, so muß er auswandern, dorthin, wo er einen Landesherrn findet, der seine Religionsübung öffentlich gestattet 1 5 . Der Augsburger Religionsfriede bringt also auch i n protestantischen Territorien eine sehr viel weitergehende Einschränkung, j a einen Ausschluß der Gewissensfreiheit als Hausandacht, als dies Luther vorgeschlagen hatte. M a n hat auch davon gesprochen, daß der Augsburger Religionsfriede die Untertanen der Gewissenstyrannei des Landes13 Reichstagsabschied § 14, Allgemeine Landfriede. Und damit solcher friet auch der spaltigen religion halben wie aus hievor vermelten und angezogenen Ursachen die hohe notturft des heil, reichs teutscher nation erfordert, desto bestendiger zwischen der Rom. Kai Mt, uns, auch den curfürsten, fürsten und Stenden des hl. reichs teutscher nation angestelt, aufgericht und erhalten werden möchten, so sollen die Kai Mt, wir, auch curfürsten, fürsten und stende des heil, reichs keinen stand des reichs von wegen der Augspurgischen confession und derselbigen 1er, religion und glaubens halb mit der tat gewaltiger weis überziehen, beschedigen, vergewaltigen oder in andere wege wider sein conscienz, gewissen und willen von dieser Augspurgischen confession, religion, glauben, kirchengebreuchen, Ordnungen und ceremonien, so sie aufgericht oder nochmals aufrichten möchten in iren fürstentumben, landen und herschaften, tringen oder derhalben durch mandat oder in einiger anderer gestalt beschwören oder verachten, sonder bei solcher religion, glauben, kirchengebreuchen, Ordnungen und ceremonien, auch iren hab (und) gütern, liegent und farent, lant, leuten, herschaften, Obrigkeiten, herlichkeiten und gerechtigkeiten ruiglich und friedlich bleiben lassen, und sol die streitig religion nicht änderst, dan durch christliche, freuntlihe, friedliche mittel und wege zu einhelligem christlichem verstand und vergleichung gepracht werden... Artikel des Religionsfriedens aus dem Augsburger Reichstagsabschied (25. Sept. 1555). In: Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus von C. Mirbt, 1911. S. 206, 17, Nr. 15. 14 (16) Dagegen sollen die stende, so der Augspurgischen confession verwant . . . des hl. reichs stende, der alten religion . . . unbeschwert pleiben... lassen. Mirbt, a. a. O., S. 206, 34 (17) Doch sollen alle andere, so obgemelten beden religionen nit anhengig, in diesem frieden nit gemeint sondern genzlich ausgeschlossen sein. Mirbt, a. a. O., S. 206, 37. 15 (24) wo aber unsere . . . undertonen, der alten religion oder Augspurgischen confession anhengig, von solcher irer religion wegen aus unseren... landen.. mit iren weib und kindern an andere ort ziehen und sich nider tun wolten, denen sol solcher ab- und zuzug, auch verkaufung irer hab und güter gegen zimblichen billichen abtrag der leibeigenschaft und nachsteuer . . . unverhindert menniklichs zugelassen und bewilligt, auch an ihren eren und pflichten allerding unentgolten sein. Mirbt, a. a. O., S. 207, 9.

Scholler. Die Freiheit. 4

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Reformation und Augsburger Religionsfrieden

herrn ausgeliefert hat, der durch das ius reformandi öffentlichen und privaten Kultus der Untertanen bestimmen konnte. Nehmen w i r Gewissensfreiheit i m Sinne älterer Verfassungen als Recht auf häusliche Religionsübung, so gab es dieses Recht i m Augsburger Religionsfrieden allerdings nicht. Doch w a r ein Anfang gemacht worden, der den späteren Ausbau verfassungsrechtlicher Garantien ermöglichte. Führend i n der Entwicklung waren zunächst die Reichsstädte, für die Parität festgelegt wurde, so daß katholische und evangelische Religionsübung nebeneinander bestehen konnte 1 6 . Weiterhin wurde die geistliche Gerichtsbarkeit i n protestantischen Territorien suspendiert 17 . M a n hat diesen Zustand i m Reich m i t dem Begriff der Glaubenszweiheit zu kennzeichnen versucht, u m darzutun, daß es sich keineswegs u m Glaubens- u n d Gewissensfreiheit handelte, die durch den Augsburger Religionsfrieden gewährt w u r d e n 1 8 . Eine kirchenrechtliche Untersuchung ist nicht Gegenstand dieser Arbeit, so daß dieser P u n k t nicht weiter erörtert werden kann.

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Simon, M.: Der Augsburger Religionsfrieden, Augsburg 1055, S. 88, S. 85. (20) Damit auch obberürte bederseits religions verwante so vil mer in bestendigem frieden und gutter Sicherheit gegen und beieinander sitzen und pleiben mögen, so sol die geistlich Jurisdiction.. wider der Augspurgischen confessions religion, glauben, bestellung der ministerien, kirchengepreuchen, Ordnungen und ceremonien, so sie ufgericht oder ufrichten möchten, bis zu entlicher vergleichung der religion nicht exerciert, gepraucht oder geübt werden, sondern derselbigen religion, glauben, kirchengepreuchen, Ordnungen, ceremonien und bestellung der ministerien . . . iren gang lassen und kein hindernus oder eintrag dardurch bescheen und also hierauf, wie obgemelt bis zu entlicher christlicher vergleichung der religion, die geistliche jurisdiction ruhen, eingestelt und suspendiert sein und pleiben. Mirbt, a. a. O., S. 206, 47, Nr. 20. 18 Ansdiütz in: Anschütz-Thoma HBdDStR 1932, II. S. 675. 17

Kapitel

VI

Von der reichsrechtlichen Regelung der „spaltigen Religion" durch den Westfälischen Frieden bis zum Reichsdeputationshauptschluß 1. Die Religionsregelung des Westfälischen Friedens im allgemeinen Der Westfälische Frieden hat den bestehenden Zustand i m wesentt liehen nicht verändert. Die Fülle staats- und kirchenrechtlicher Bestimmungen kann hier außer Ansatz bleiben. Der staatsrechtliche Zustand strebte auf Parität der „spaltigen Religion" hin, verankerte die aequalitas exaeta mutuaque i m Reich und seinen Organen und verbot i n Religionssachen jede Mehrheitsentscheidung durch itio i n partes des corpus catholicorum und des corpus evangelicorum 1 . Durch eine „amicabilis compositio" sollte i m Reich alle religiöse Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der gespaltenen Religion bereinigt werden 3 . Dagegen wollte man neue Sekten und neue Religionsparteien keinesfalls zulassen. V o n Gewissensfreiheit als einem Menschenreeht konnte also bei dieser Beschränkung der Paritätsvorschriften auf die „spaltige Religion", zu der man allerdings n u n auch die Reformierten zählte, noch keine Rede sein. U n d dennoch beginnt der Rechtsbegriff Gewissensfreiheit i m Westfälischen Frieden. Gewissensfreiheit „conscientia libera" wurde durch A r t , 5 § 34 des instrumentum pacis Osnabr. den katholischen bzw. den Äugsburger Konfessionsverwandten gewährt, soweit sie i n einem evangelischen bzw. katholischen Territorium erst nach dem Normaljahr (1. Jan. 1624) 1 Der Westfälische Frieden v. 24. Okt. 1648. 1. Bestätigung des Augsburger Religionsfriedens; Rechtsgleichheit der beiden Religionsparteien im Deutschen Reich. In reliquis omnibus autem inter utriusque religionis electores, principes, status omnes et singulos sit a e q u a l i t a s e x a e t a m u t u a q u e , quatenus formae reipublicae, constitutionibus imperii et praesenti Convention! conformis est, ita ut quod uni parti iustum est, alteri quoque sit justum, violentia omni et via facti, ut alias, ita et hic inter utramque partem perpetuo prohibita. Articulus V. § 1. Transactio a 1552 Passavii inita et hanc a. 1555 secuta pax religionis, Mirbt: a. a. O., S. 291, 430, 21. 2 § 52: In Causis religionis omnibusque aliis negotiis, ubi status tamquem corus considerari nequeunt, ut etiam catholicis et Augustanae confessionis statibus in duas partes euntibus, sola a m i c a b i l i s c o m p o s i t i o lites dirimat, non attenta votorum pluralitate. Mirbt, a. a. O., S. 291, 26, § 52.

4*

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Vom Westfälischen Frieden zum Reichsdeputationshauptschluß

das „publicum vel privatum exercitium suae religionis" ausgeübt haben. Gleichzeitig sieht diese Bestimmung des Westfälischen Friedens eine Ausdehnung dieser Duldung andersgläubiger Untertanen auch auf alle die Katholiken und Augsburger Religionsverwandten vor, die nach Abschluß des Westfälischen Friedens i n einem evangelischen bzw. katholischen Territorium, also unter einem andersgläubigen Landesherrn ihren Wohnsitz haben werden „nec non qui post pacem publicatam deinceps futuro tempore diversam a territorii domino religionem profitebuntur et amplectentur, patienter tolerentur" s . Diesen beiden Gruppen w i r d nun i n A r t . 5 § 34 I. P. O. ein doppeltes Recht eingeräumt: 1. Gewissensfreiheit als conscientia libera und 2. freie Teilnahme am öffentlichen oder privaten Gottesdienst ihrer Religion außerhalb der Landesgrenzen als auch privater Unterricht ihrer Kinder i m Hause durch Lehrer der eigenen Konfession. Dieses jElecht auf Gewissensfreiheit w i r d i m Westfälischen Frieden als Recht auf ungestörte Hausandacht bezeichnet, die den andersgläubigen Untertanen, solange es sich u m Katholiken oder Augsburger Konfessionsverwandte handelt, nach freiem Gewissen zu Hause ohne Störung oder Inquisition offensteht. Dieses Recht: „et conscientia libera domi devotioni suae sine inquisitione aut turbatione p r i v a t i m v a c a r e . . . non prohibeantur" ist der Ausgangspunkt für die späteren verfassungsrechtlichen Garantien der Gewissensfreiheit 4 . Wie sich später zeigen wird, bedeutet Gewissensfreiheit für eine lange Zeit das Recht auf freie Hausandacht. Auch der Begriff der „ungestörten Gewissensfreiheit", wie er später i n einigen Verfassungen auftaucht, ist hier bereits i n den Worten „sine inquisitione et turbatione" zum Ausdruck vorgebildet und w i r d i n der Übersetzung und Nachbildung durch spätere Verfassungs8 8 34. 5. Schutz der Religionsausübung unter einem andersgläubigen Landesherrn. Placuit porro, ut illi catholicorum subditi Augustane confessioni addicti, ut et catholici Augustanae confessionis statuum subditi, qui a. 1624 publicum vel etiam privatum religionis suae exercitium nulla anni parte habuerunt, nec non qui post pacem publicatam deinceps futuro tempore diversam a territorii domino religionem profitebuntur et amplectentur, patienter tolerentur e t c o n s c i e n t i a l i b e r a d o m i d e v o t i o n i s u a e s i n e i n q u i s i t i o n e a u t t u r b a t i o n e p r i v a t i m v a c a r e , in vicinia vero ubi et quoties voluerint, publico religionis exercitio Interesse vel liberos suos exteris suae religionis scholis aut privatis domi praeceptoribus instruendos committere non prohibeantur. Mirbt, a. a. O., Art. V § 34, S. 292, 434. 4 Conscientia libera ist hier als ablativus cum adjectivo von dem Verbum „non prohibeantur" abhängig, dessen Subjekt Katholiken und Augsburger Religionsverwandte sind. Von prohibeantur ist dann der Infinitiv „vacare" abhängig, so daß man diesen Satzteil am besten wiedergibt: „sie sollen nicht gehindert werden, nach freiem Gewissen ihrer Andacht zuhause zu obliegen oder sie sollen nicht gehindert sein ihrer häuslichen Andacht nach freiem Gewissen nachzukommen. Vacare kann im römischen Recht auch die Bedeutung haben von einer öffentlichen Pflicht (Militärpflicht) befreit zu sein. HeumannSeckel. Handwörterbuch zum römischen Recht, 1907, sub voce vacare, S. 611.

Gewissensfreiheit als Redit auf devotio domestica simplex

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urkunden als Recht auf ungestörte Gewissensfreiheit wiedergegebea I n dieser ursprünglichen Gestalt ist Gewissensfreiheit ein Verbot an den Landesherrn als „dominus terrae" als „Eigentümer eines Landes" nicht auch den Innbereich des häuslichen religiösen Lebens bestimmen zu wollen. Dieses Freiheitsrecht kommt als status negativus i m Verbum „prohibeantur" zum Ausdruck. Die so geschaffene Freiheitssphäre w i r d durch das an „conscientia" angefügte A d j e k t i v „libera" und durch das „vacare" hervorgehoben. Dieses „Vacüum", das der Staat dem andersgläubigen Untertan läßt, w i r d durch seine Devotion i m häuslichen Bereich „domi" nach freiem Gewissen „conscientia libera" ausgefüllt. Der Staat läßt Raum, gibt Freiheit, geistliche Bewegungsfreiheit und verzichtet damit auf sein Recht, den andersgläubigen Untertan zur Auswanderung zu zwingen 5 . Damit ist der erste wirkliche Schritt zu einer geistlichen und damit auch zu einer geistigen Freiheitssphäre getan.

2. Gewissensfreiheit alt Recht auf devotio domestica simples Gewissensfreiheit i n dieser Gestalt ist also die geringste Stufe der Kultusfreiheit und läßt sich als devotio domestica Simplex vom „ p r i vatum vel publicum exercitium religionis" unterscheiden 6 . U n d während letzteres nur ein Kollektivrecht darstellt, ist das Recht auf Hausandacht ein ursprüngliches Individualrecht. Die Ähnlichkeit m i t der etwa gleichzeitig entstehenden amerikanischen Fassung der Gewissensfreiheit läßt sich nicht leugnen. Das Recht „to worship God according to the dictates of the conscience" umfaßt freedom oder liberty of conscience allerdings als Kultushandlungen, häusliche, private und öffentliche. Ein weiterer Unterschied liegt darin, daß die Verfassungen der nordamerikanischen Kolonien auch das Recht auf Kultusfreiheit, das sie Gewissensfreiheit nennen, als Individual- und Menschenrecht einräumen. Es steht also jedem zu, unabhängig von Nationalität, Herkunft und Konfession. Der Westfälische Frieden beschränkt dagegen Gewis5 Gai institutionum commentarii quattuor I I 73: „superficies solo cedit". Das sich aus dem „dominium" des röm. Rechts herleitende Eigentum des Landesherrn als dem „dominus terrae" erstreckte sich auch auf das Recht, die äußeren Kulthandlungen und das religiöse Leben zu bestimmen. Die als „ius reformandi" bezeichnete Befugnis hängt also mit dem mittelalterlichen Verständnis des römisch-rechtlichen Eigentums zusammen. Sohm-Mittei$-Wen~ ger: Institutionen, Geschichte und System des römischen Privatrechts, 1929, 14. Aufl.; auch P. de Lagarde: Deutsche Schriften, 1937,1. S. 111 erkennt diesen Zusammenhang. 6 Eine weitere Unterscheidung zwischen conscientiae libertas plena (liberum publicumque religionis exercitium) und conscientiae libertas minus plena (devotio domestica) bringt J. H. Boehmer, dissert, praelim, de iure circa libertatem conscientiae (Ius eccl. Protest. Vol. II.) § 37. zit. nach Wilda: Erörterungen und Betrachtungen über Gewissensfreiheit, Zeitschr. f. dt. Recht und dt. Rechtswissenschaft. 1847. Bd. 11. S. 165. Anm. 5.

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Vom Westfälischen Frieden zum Reichsdeputationshauptschluß

sensfreiheit nicht n u r auf das Recht der Hausandacht, sondern auch auf die beiden Teile der „spaltigen Religion" zu denen nur die Kathol i k e n und die Augsburger Konfessionsverwandten gehören. Bei diesem Umfang und dieser Bedeutung des Grundrechts der Gewissensfreiheit ist es bis zum Ende des Reichs geblieben. Der Reichsdeputationshauptschluß hat 1803 i n A r t . 63 das Reformationsrecht der Fürsten auch auf das Recht der Anerkennung anderer Religionsparteien ausgedehnt 7 . A u d i durch A r t . 16 Abs. 1 der Bundesakte des deutschen Bundes wurde dieser Zustand rechtlich nicht verändert. Die Gleichstellung der christlichen Religionsparteien, der römisch-katholischen, der lutherischen und der reformierten Religionspartei hinsichtlich aller bürgerlichen und politischen Rechte beinhaltete nicht das Recht auf Kultusfreiheit für die Mitglieder dieser drei Konfessionen 8 . Denn nur die devotio domestica simplex, das Recht auf einfache Hausandacht, gehörte zu diesen Individualrechten, die unter der Bezeichnung der bürgerlichen und politischen Rechte umfaßt w u r d e 9 . Bundesrechtlich hat sich an dieser Lage und diesem Stande der Bedeutung des Grundrechts der Gewissensfreiheit nichts mehr geändert. A r t . 16 Abs. 2 der Bundesakte stellte nur eine Regelung der Verhältnisse der Bekenner des jüdischen Glaubens i n Aussicht. Bis zum Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 3. 7. 1869 ist verfassungsrechtlich Gewissensfreiheit das Recht der einfachen Hausandacht geblieben, was die Verfassung des Kaiserreiches der Habsburger Monarchie betrifft und ebenso ihren Nachfolger, den Deutschen Bund. N u r über den Weg der Duldung, Anerkennung, Privilegierung oder Rezeption neuer Religionsgesellschaften wurde diese Härte umgangen, ein Verfahren, das aber i m offenen Widerspruch zum Sektenverbot des Westfälischen Friedens stand und erst durch A r t . 63 des Reichsdeputationshauptschlusses sanktioniert wurde. 7

Reichsdeputationshauptschluß v. 25. 2.1803, § 63: „Die bisherige Religionsübung eines jeden Landes soll gegen Aufhebung und Kränkung aller Art geschützt sein; insbesondere jeder Religion der Besitz und ungestörte Genuß ihres eigentümlichen Kirchenguts auch Schulfonds nach der Vorschrift des Westfälischen Friedens ungestört verbleiben; dem Landesherrn steht jedoch frei, andere Religionsverwandte zu dulden, und ihnen den vollen Genuß bürgerlicher Rechte zu gestatten". Mirbt, a. a. O., S. 329. • Deutsche Bundesakte, vom 8. Juni 1815, Art. 16: „Die Verschiedenheit der christlichen Religionsparteien kann in den Ländern ünd Gebieten des deutschen Bundes keinen Unterschied in dem Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte begründen." Mirbt, a. a. O., S. 332,472. • Fürstenau, W.: Das Grundrecht der Religionsfreiheit, 1891, S. 117. Wilda, a. a. O., S. 199, S. 201 ff. Wilda kommt im Jahr 1847 zur folgenden Beurteilung: „Daß wir deshalb die unmittelbare praktische Bedeutung einer Gewissensfreiheit, mit welcher bloß Staatsschutz und Hausandacht verbunden ist, nicht sehr hoch anzuschlagen vermögen, bedarf . . . keiner weiteren Erörterimg". Wilda, a. a. O., 9 15, S. 215.

Kapitel

VII

Gewissensfreiheit als Programm und Grundrecht der Hohenzollern in Preuflen 1. Gewissensfreiheit als Programm der Religionspolitik in Preufien Preußen n i m m t i m Gegensatz zu den anderen deutschen Territorien, die sich alle konfessionell abschließen, eine führende Stellung auf dem Gebiet der Gewissensfreiheit ein. Kurfürst Johann Sigismund macht bei seinem Übertritt zum reformierten Bekenntnis i m Jahre 1613 keinen Gebrauch von seinem Reformationsrecht. Damit war, so beurteilt Zorn, dieses Ereignis „das schauervolle fürstliche Reformationsrecht über das religiöse Gewissen seiner Untertanen zu verfügen wie über einen R o c k . . . zum ersten M a l i n Deutschland aufgehoben" 1 . I n einem Erlaß des Großen Kurfürsten vom 26. Nov. 1645 heißt es: „ w i r sind gottlob des Verstandes, daß w i r uns über die Gewissen unserer Untertanen keines Imperii anmaßen, sondern dasselbige Gott allein anheimstellen 3 . — Außerdem w i r d Preußen aus politischen Gründen i n den jülischen Erblanden wegen Pfalz-Neuburg und i m ehemaligen Ordensland wegen Polen zu einer Politik der Toleranz bestimmt. Der Neuerwerb von katholischen Territorien i m Wege der Erbfolge hatte i n Preußen einen ähnlichen Erfolg wie die gemeinsame Landnahme von Nord-Amerika, die i n England das Königshaus zu einem toleranten Verhalten gegenüber den kolonisierenden Andersgläubigen veranlaßte. Dennoch ist nicht zu verkennen, daß bei den Hohenzollern eine innere Überzeugung Ursache für die Toleranzpolitik w a r 8 . Friedrich Wilhelm I. führt diese tolerante Politik, die dem bestehenden Staatskirchenrecht widerspricht, weiter fort u n d es waren nur äußere Gründe, die i h n an einer völligen Verwirklichimg der Toleranzidee und einer Ausdehnung derselben auf Brandenburg und Pommern hinderten 4 . Wenn Friedrich der Große durch seine Politik der Toleranz 1

Zorn, Ph.: Die Hohenzollern und die Religionsfreiheit 1896, S. 13. Lehmann, Preußen und die katholische Kirche, I, 54, Nr. 4, zitiert nach Zorn, a. a. O., S. 14. * Testament Friedrich I., 18. 3. 1707 „Weilen wir auch jederzeit an allen Religionsverfolgungen und Gewissenszwang einen besonderen Abscheu gehabt .. . M 4 Zorn. a. a. O.. S. 28. 2

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Gewissensfreiheit als Programm der Hohenzollern

i n Preußen, durch die Abschaffung der Folter drei Tage nach Regierungsantritt, durch die Duldung des Jesuitenordens trotz päpstlichen Verbotes, durch den Bau einer katholischen Kirche i n Berlin, zu dem er den Bauplatz selbst schenkte (durch Patent vom 22. 11. 1746, Lehmann I V Nr. 436, Zorn, a. a. O., S. 29), weit über die Grenzen seines Landes berühmt wurde, so war er damit n u r der Vollstrecker eines väterlich-fürstlichen Vermächtnisses, daß er, der Freund Voltaires, i m Sinne französischer Aufklärung verstand. Der Grundsatz, daß jeder nach seiner Fasson selig werden solle, zeigt die Veräußerlichung, die das Innerste, das Gewissen, zu einem Äußerlichen, zu einer Form macht 5 .

Z. Gewissensfreiheit als Grundrecht des „inneren Gottesdienstes" im allgemeinen Landredit Dennoch handelt es sich bei dem Grundrecht der Gewissensfreiheit i m eigentlichen Sinn des Wortes u m „Fasson", nämlich u m die Form i n welcher man die Gottesverehrung i m Hause vornahm. Wenn das Wöllnersche Religionsedikt von 1788 sich zu der i n Preußen üblichen Toleranz und Duldung bekennt, so brachte es zum Ausdruck, daß der preuß. Staat abweichend vom Westfälischen Frieden jedem Einwohner, Lutheraner, Katholik, Menonit oder Quäker gestattete, die häusliche Andacht nach eigenem Gewissen zu gestalten. Damit hat das Edikt kein neues Recht geschaffen, sondern nur eine bestehende Übung rechtlich sanktioniert. Unter dem Verbot, keinen Einwohner dem mindesten Gewissenszwang auszusetzen, verstand es die Gewährung der einfachen Hausandacht. Daß diese Formulierung nicht präziser getroffen wurde, ist wohl unter anderem auch i n dem Umstand zu erblicken, daß damit gegen den Westfälischen Frieden und dessen generelles Sektenverbot verstoßen wurde®. Gleichzeitig wurde aber jedes Proselytenmachen verboten und jedem Einwohner auferlegt, der sich zu einer Sekte hielt, seine jedesmalige ö ) Randbemerkung Friedrich des Großen, 20. 6. 1740: „Die Religionen Müsen alle Tolerieret werden und Mus der Fiskal nur das Auge darauf haben, das keine der anderen abtrug tuhe, den hier mus ein jeder nach seiner Fasson Seiich werden". Glungler, Theorie der Politik, 1939, S. 383. 6 Das Wöllnersche Religionsedikt 1788, § 2: „Daneben aber soll die den Preußischen Staaten von jeher eigentümlich gewesene Toleranz der übrigen Secten und Religions-Parteyen, ferner aufrechterhalten und Niemanden der mindeste Gewissenszwang zu keiner Zeit angetan ...". Mirbt, a. a. O., S. 323,462. öffentlich aufgenommene Sekten sind in Preußen nur die böhmische Brudergemeinde und die Menoniten. Sie haben natürlich Kultusfreiheit und sind nicht auf Hausandacht beschränkt.

Gewissensfreiheit: „innerer Gottesdienst" des ALR

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besondere M e i n u n g f ü r sich zu behalten u n d sich sorgfältig davor zu hüten, „solche nicht auszubreiten oder andere dazu zu überreden, u m ihren Glauben w a n k e n d zu machen". Es wäre verfehlt i n diesem E d i k t eine Garantie der Bekenntnisfreiheit zu erblicken, w i e das W. H a m e l getan hat, da gerade das öffentliche Bekenntnis dem Sektenanhänger verboten i s t 7 . Der Ausschluß des Gewissenszwanges besagt i m W ö l l nerschen Religionsedikt nur, daß alle Einwohner, zu welchem Glauben sie sich auch bekennen mögen, das Recht auf häusliche Religionsübung haben, w e i l dies der preuß. Toleranztradition entspräche. Die Beurteilung des Wöllnerschen Religionsediktes ist sehr unterschiedlich gewesen u n d m a n hat das E d i k t als Schlag gegen A u f k l ä r u n g u n d Liberalismus, geradezu als „ e i n Zeugnis der A b w e n d u n g des preußischen Staates v o m Aufklärerischen u n d eine Wendung gegen den beginnenden Liberalismus am Vorabend großer Ereignisse bezeichnet" 8 . Das Preuß. A L R hat wenige Jahre später (1794) i n T i t . 11 T H I I §§ 1, 2 ff. die Materie der Glaubens- u n d Gewissensfreiheit neu zu regeln versucht 9 . I n 11, I I , § 1 garantiert es, daß die Begriffe der Einwohner des Staates von Gott u n d göttlichen Dingen, der Glaube u n d der innere Gottesdienst nicht Gegenstand v o n Zwangsgesetzen sein dürfen. I n dieser Bestimmung w i r d der Glaube durch die vorangestellten Worte „Begriffe der Einwohner von Gott u n d göttlichen Dingen" näher erläutert. M i t der K o p u l a „ u n d " verbindet 11 I I § 1 A L R den so erläuterten Begriff des Glaubens m i t dem des „inneren Gottesdienstes". Die Frage erhebt sich sofort, was der Gesetzgeber m i t dieser etwas mystischen Formulierung „innerer Gottesdienst" gemeint haben mag. Zunächst liegt es nahe, i m „inneren Gottesdienst" die innere A n d a c h t 1 0 , das r e l i giöse Gefühl u n d die religiöse Schau wieder zu erkennen, die diese Bestimmung des A L R dem aus Begriffen über Gott u n d göttliche Dinge zusammengesetzten rationalen Gebäude eines orthodoxen Glaubens oder einer Vernunftreligion gleichwertig an die Seite stellt. Eine solche Interpretation w ü r d e aber am Eigentlichen vorübersehen, denn die 7 Hamel, W.: Das Bekenntnis als Gestalt der Freiheit, in: Archiv f. Rechtsu. Sozialphilosophie, Bd. XL, H. 4, S. 465 if. 8 Valjavec, F.: Das Wöllnersche Religionsedikt in: Festgabe für Schreiber, S. 391 ff. 9 ALR 11 II, § 1: „Die Begriffe der Einwohner des Staats von Gott und göttlichen Dingen, der Glaube und der innere Gottesdienst können kein Gegenstand von Zwangsgesetzen sein." § 2: „Jedem Einwohner im Staat muß eine vollkommene Glaubens- u. Gewissensfreiheit gestattet werden". § 4: „Niemand soll wegen seiner Religionsmeinungen beunruhigt, zur Rechenschaft gezogen, verspottet oder gar verfolgt werden". Koch, C.: Allgem. Landrecht f. d. preuß. Staaten I I c. Bd. 4 Tit. 11, Abschn. 1, S. 137ff., 5. Aufl., 1876. 10 Hirsch in: Religion in Geschichte und Gegenwart, 1927,1, Sp. 325. Der Begriff Andacht ist ebenso doppeldeutig wie der des inneren Gottesdienstes.

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Gewissensfreiheit als Programm der Hohenzollern

wirkliche Bedeutung dieses Begriffes ist sehr v i e l immittelbarer. Es handelt sich beim inneren Gottesdienst u m nichts anderes, als die i n 11 I I 2 garantierte Gewissensfreiheit. A u d i § 2 ist zweigliedrig aufgebaut und garantiert allen Einwohnern volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Garantie der Glaubensfreiheit ist also eine Wiederholung des i n § 1 formulierten Grundsatzes, daß der Glaube, der als Begriff von Gott und göttlichen Dingen bezeichnet wird, nicht Gegenstand von Zwangsgesetzen sein darf. Dasselbe liegt bei der Garantie der Gewissensfreiheit vor. Sie wiederholt m i t anderen Worten die schon i n 11 I I 1 A L E 1 1 enthaltene Garantie, daß der „innere Gottesdienst" nicht Gegenstand von Zwangsgesetzen sein kann. Die Freiheit des inneren Gottesdienstes ist also gleichbedeutend m i t Gewissensfreiheit und beide bedeuten ursprünglich das Recht auf devotio domestica simplex. Hier aber hat bereits der Spiritualisierungsprozeß eingesetzt, der die Gewissensfreiheit von dem Recht auf häuslichen Gottesdienst umdeutet. Der innere Gottesdienst hat ursprünglich n u r eine Gegensatzbedeutung gehabt und bezeichnete die häusliche Religionsübung, die i m Gegensatz zum äußeren Gottesdienst stand, der das „publicum vel privatum exercitium religionis" umfaßte 1 3 . Z u m selben Ergebnis kommt man, wenn man vom soziologischen Standpunkt aus die Lage der Sektenanhänger untersucht. Abgesehen von möglicher Duldung ihrer Gottesdienste oder Anerkennung ihrer Gemeinden stand ihnen nur die Hausandacht zu. 11 I I 7 A L R bringt dies noch ganz klar zum Ausdruck, indem jedem Hausvater das Recht zuerkannt wird, nach Gutbeñnden den häuslichen Gottesdienst stattfinden zu lassen 13 . Dieser häusliche Gottesdienst ist i n 11 I I 1 A L R i n den „inneren Gottesdienst" verflüchtigt worden. Eine solche Tendenz ist dem Protestantismus inhaerent und es ist richtig erkannt worden, daß dem Grundsatz der Unsichtbarkeit der Kirche jener der Unsicht11 Koch: Kommentar zum allgemeinen Landrecht für die Preuss. Staaten I I Bd. 4 S. 145, 5. Aufl., 1876, Anm. 2 zu § 1. 12 Meyer-Anschütz: Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1919, S. 1000. „Das allgemeine Landrecht gewährt einem jeden Einwohner volle Glaubens- u. Gewissensfreiheit, sowie das Recht des häuslichen Gottesdienstes. ALR II, 11 § 1—6 u. § 40". Das Grundrecht der „vollen Glaubens- u. Gewissensfreiheit" bestand soziologisch im Recht auf Hausandacht — so in Bayern noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts — begrifflich trennen sich Gewissensfreiheit u. Hausandacht und wurden letztere zur Kultusfreiheit, erstere zur geistigen Bewegungsfreiheit (Meinungs- u. Pressefreiheit) gezählt. Geistige Bewegungsfreiheit bei Meyer-Anschütz, S. 963. 18 ALR 11 I I § 7: „Jeder Hausvater kann seinen häusl. Gottesdienst nach seinem Gutbefinden anordnen". ALR 11 I I § 7 setzt das „Gutbefinden" an die Stelle der „conscientia libera" V, 34 I.P.O. u. trennt damit die Gewissensfreiheit aus dem Recht auf einfache Hausandacht u. stellt sie als Staatsprinzip an die Spitze des kirchenrechtlichen Normensystems.

Gewissensfreiheit: Bekenntnisfreiheit der preuß. Verfassung

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barkeit der Religion und der religiösen Kulthandlung folgen m u ß 1 4 . Soziologisch gesehen beinhaltet das Recht der Gewissensfreiheit nach den Vorschriften des preuß. A L R das Recht auf Hausandacht. Daneben aber hat der preuß. Staat eine Reihe von Toleranzbedingungen verankert, die zu diesem Recht hinzutreten, sei es, daß es sich dabei u m das Verbot der Verspottung, den freien A u s t r i t t aus einer Religionsgesellschaft usw. handelt. I m Endergebnis haben dann diese rechtlichen Niederschläge einer sich ausweitenden Toleranzpolitik das Grundrecht der Gewissensfreiheit von seiner ursprünglichen Bedeutung als dem Recht auf einfache Hausandacht gelöst und schließlich spiritualisiert.

3. Die religiöse Bekenntnisfreiheit des Art. 12 der preuß. Verfassung und ihr Verhältnis zum Grundrecht der Gewissensfreiheit n Durch A r t . 12 der preuß. Verfassung vom 31. Jan. 1850 w i r d das ganze bisherige System kirchenrechtlicher Normen, das die Gewissensfreiheit als Recht auf einfache Hausandacht zur Basis hatte, umgestoßen. Der Spiritualisierungsvorgang hatte schon lange vorher eingesetzt und hatte schon i m A L R seinen ersten Niederschlag gefunden. Bezeichnenderweise spricht A r t . 12 der preuß. Verfassung n u r noch von religiöser Bekenntnisfreiheit und von der Freiheit der gemeinsamen, häuslichen und öffentlichen Religionsübung 1 8 . Der Begriff der Gewissensfreiheit w i r d für diese Rechte nicht gebraucht, da er noch zu eng m i t dem Recht auf einfache Hausandacht verbunden zu sein scheint 1 6 . A u d i die gemeinsame häusliche Hausandacht ist nicht identisch m i t der u r sprünglichen Form der Gewissensfreiheit, die nur die devotio domestica simplex, nicht aber die devotio domestica qualificata oder gar das privatum exercitium religionis umfaßte. Die A r t i k e l 14 und 15 der 14

P. de Lagarde, Deutsche Schriften 1936,1 S. 55. Art. 12 der preuß. Verfassung v. 31. 1. 1850: „Die Freiheit des relig. Bekenntnisses, der Vereinigung zu Religionsgesellschaften und der gemeinsamen häuslichen u. öffentl. Religionsübung wird gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen u. staatsbürgerl. Rechte ist unabhängig von dem relig. Bekenntnis. Den bürgerlichen u. staatsbürgerlichen Pflichten darf durch die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen. 16 Es ist allerdings im Urentwurf der preuß. Verfassung, der mit Bericht v. 15. 5. 1848 v. preuß. Staatsminister vorgelegt wurde, in 5 10 noch enthalten: „Die Ausübung der staatsbürgerl. Rechte ist unabhängig von dem relig. Glaubensbekenntnisse. Allen Staatsbürgern ist die Glaubens- u. Gewissensfreiheit, sowie die Freiheit gemeinsamer Religionsausübung gestattet, soweit dadurch weder ein Strafgesetz verletzt oder gefährdet wird." (ohne Anmerkung des Königs) Anschütz. preuß. Verfassung, S. 597. Die Regierungsvorlage v. 20. 5. 1848 hatte in Art. 10 bei fast gleichbleibendem Wortlaut gerade die Garantie der Glaubens- u. Gewissensfreiheit fallen gelassen. Ebenso fehlen sie in Art. 18 des Kommissionsentwurfes der Nationalversammig. u. in Art. 11 der oktroyierten Verfassung v. Dez. 1848. Anschütz, Verfassungsurkunde des preuß. Staates. S. 608. 614. 624. 18

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Gewissensfreiheit als Programm der Hohenzollern

belgischen Verfassung, denen A r t . 12 ff. der preuß. Verfassung nachgebildet ist, kennen den Begriff der Gewissensfreiheit nicht. Sie sprechen n u r v o n der liberté des cultes, der liberté de manifester ses opinions 1 7 . A b 1850 k a n n man i n Preußen nicht mehr v o n Gewissensfreiheit i m eigentlichen Rechtssinne sprechen, sondern müßte von religiöser Bekenntnisfreiheit, Freiheit der gemeinsamen häuslichen Religionsübung u n d Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften sprechen. Es scheint somit die religiöse Bekenntnisfreiheit an die Stelle der Gewissensfreiheit getreten zu sein. Diese Auffassung w i r d besonders auch späterhin u n d auch heute noch vertreten, obwohl die Weimarer Verfassung u n d das Bonner Grundgesetz die Gewissensfreiheit als Rechtsbegriff u n d Verfassungsnorm wieder aufgenommen haben 1 8 . F ü r die preuß. Verfassung v. 1850 ist also der Verfassungsbegriff der Gewissensfreiheit verschwunden u n d auch die Sache selbst, das Recht auf einfache Hausandacht, findet man nicht mehr i n den Verbriefungen des Grundrechtsteils der Verfassungsurkunde. Schon i m preuß. A L R zeigten sich deutlich Tendenzen zur Spiritualisierung, i n der Verfassung v. 1850 ist ihre vollständige Verflüchtigung eingetreten. Die W i r k u n g des A r t . 12 der preuß. Verfassung war, daß keine Genehmigung mehr zu privaten oder öffentlichen Religionsübungen eingeholt werden mußte, die 11 I I § 10 des preuß. A L R noch vorschrieb, so daß k e i n E i n wohner mehr auf die häusliche Religionsübung beschränkt war. Es konnte vielmehr jeder an jeder Religionsübung, häuslicher, privater oder öffentlicher N a t u r teilnehmen. Dadurch w a r es verfassungsrechtlich nicht mehr erforderlich, die einfache Hausandacht, die ein Minus gegenüber privaten u n d öffentlichen Religionsübungen bildet, deren Freiheit jedermann garantiert war, verfassungsrechtlich zu verankern u n d zu schützen 1 9 . Wenn Treitschke i n seinen Vorlesungen über P o l i t i k Gewissensfreiheit als Freiheit des Denkens von Gott u n d göttlichen Dingen lehrte, so w a r ihm, dem großen Historiker des preuß. Staatswesens, offenbar die tiefgreifende W a n d l u n g nicht recht bewußt ge17 Constitutions-Belege 1831 Art. 14 „la liberté des cultes, celle de leur exercice public, ainsi que la liberté de manifester ses opinions en toute manière sont garanties, sauf la repression des délits commis à l'occasion de l'usage de ces libertés." 18 So vor allem Kahl, W.: Lehrsystem des Kirchenrechts u. der Kirchenpolitik 1894, I, 289; neuerdings Scharnagel in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft I, Sp. 725; ebenso Nawiasky, Bayer. Verfassungsrecht, 1923, S. 247; Nawaisky-Lenser, Kommentar z. Bayer. Verfassg. 1948 zu Art. 107; Hamel, Die Bekenntnisfreiheit in: Zeitschr. f. die ges. Staatswissenschaft, Bd. 109, 1953, H. 1, S. 54; derselbe: Das Bekenntnis als Gestalt d. Freiheit, in: Arch. f. Rechtsu. Sozialphilos., Bd. 40, H. 4, S. 465. Das Patent v. 30. 3. 1847 wiederholt die wichtigsten Bestimmungen des ALR die Religionsfreiheit betreffend. 19 Erkenntnis des preuß. OVG v. 3. 12. 1887 Entscheidungssammlung 16, S. 387; Arndt, Preuß. Verfassungsurkunde, 1904, S. 112.

Gewissensfreiheit: Bekenntnisfreiheit der preuß. Verfassung

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worden, die durch die Revolution 1848 u n d durch die auf sie folgende Verfassungsurkunde des preuß. Staates v. 31. 1. 1850 eingetreten w a r . Es w a r nicht mehr Gewissensfreiheit als Freiheit des inneren Gottesdienstes, als Freiheit der Begriffe von Gott u n d göttlichen Dingen, sondern es w a r religiöse Bekenntnisfreiheit, die der preuß. Staat gewährte oder gewähren m u ß t e 2 0 , 2 1 . Die Rechtsprechung des preuß. Verwaltungsgerichts zu A r t . 12 f. der Preuß. Verfassungsurkunde geht auch ganz folgerichtig nicht mehr v o m Begriff der Gewissensfreiheit, sondern von dem der Religionsoder religiösen Bekenntnisfreiheit aus. I n den ergangenen Entscheidungen w i r d A r t . 12 bald auf Einzelpersonen, also als Individualrecht, bald aber auch auf Religionsgemeinschaften, also als Kollektivrecht angewandt. So w i r d i n einer Entscheidung einem Jesuitenpater gegenüber ein Verbot, das auf G r u n d des Reichsgesetzes v o m 4. 7. 1872 § 1 Abs. 1 das Halten eines Vortrages gegen den Atheismus untersagte, aufrechterhalten, w e i l das O V G i n dieser Betätigung eine verbotene Ordenstätigkeit erblickte, obwohl es sich hierbei u m einen I n d i v i d u a l a k t u n d nicht u m eine Kultausübung handelte 2 2 . Andererseits w i r d i n einer früheren Entscheidung die V e r sagung des Abhaltens einer Ansprache bei einem Leichenbegängnis durch einen Laien aufgehoben unter Hinweis darauf, daß die „ B e schränkung geduldeter Religionsgemeinschaften auf gottesdienstliche Zusammenkünfte i n gewissen dazu bestimmten Gebäuden u n d auf die Ausübung der ihren Religionsgrundsätzen gemäßen Gebräuche..." nicht mehr m i t A r t . 12 der Pr. Verfassung v o n 1850 i n E i n k l a n g zu bringen sei 2 3 . Auch i n der Entscheidung des ersten Senates des preuß. O V G v. 23. 1. 1903, i n der ausgesprochen w i r d , daß eine Genehmigung religiöser Versammlungen einer größeren A n z a h l v o n nicht korporierten Personen nicht erforderlich ist, geht das O V G v o m K o l l e k t i v des 20 Treitschke , H. v.: Politik, Vorlesungen, gehalten a. d. Univ. Berlin I, Einleitung S. 2. Treitschke spricht von dem Recht des Bürgers, von Gott u. göttlichen Dingen frei zu denken u. sieht darin die Garantie, daß der einzelne nie mehr nur Glied des Staates sein könne. Uber Gewissensfreiheit im Sinne ethischer Handlungsfreiheit u. ihr Verhältnis zur persönl. u. polit. Freiheit: Persönl. Freiheit, in: Ges. Schriften 1907, 1, S. 23. 31 Daß man unter Gewissensfreiheit nun auch alle nur erdenklichen Forderungen erhob, zeigt die Denkschrift des Ministers Ladenberg v. 15. 12. 1848; S. 7, der darin betonen mußte, daß Gewissensfreiheit nicht das Recht beinhalte, gewissenlos zu handeln und gegen Verfassung und Sittlichkeit zu verstoßen,

Arndt , a. a. O., S. 114. aa M

Pr. OVG, Bd. 37, S. 430, bes. S. 437 ü Pr. OVG. Urteil des 1. Senats v. 3. 12.1887. Bd. 16. S. 386 ff. S. 389.

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Gewissensfreiheit als Programm der Hohenzollern

religiösen Vereins, nicht aber von der Einzelperson ans 2 4 . Obwohl also A r t . 12 der preuß. Verfassung als von einem Individualrecht eines jeden einzelnen hinsichtlich seines religiösen Bekenntnisses spricht, entwickelt sich eine ständige Rechtsprechung des preuß. Oberverwaltungsgerichts, die die Religionsfreiheit i m Sinne der Kultusfreiheit als Kollektivrecht behandelt. Jedenfalls w i r d der Religionsfreiheit — und es w i r d i n den einschlägigen Entscheidungen n u r von Religionsfreiheit, nie aber von Gewissensfreiheit gehandelt, da letztere keinen Rechtsboden i n der Verfassung mehr hat — auch dort, wo sie als Individualrecht i n der Rechtssprechung Anerkennimg findet, die Qualität eines subjektiv-öffentlichen Rechtes genommen und i h r sogar der Charakter eines m i t positivem Rechtsinhalt gefüllten Begriffes abgesprochen. I n diesem Sinne umreißt der zweite Senat des preuß. OVGs. i n seinem U r t e i l v. 27. J u n i 1903 das Wesen der Religionsfreiheit i n einer zur Frage des Schächtverbotes ergangenen Entscheidung m i t folgenden Worten: „Der Kläger verkennt das Wesen der Freiheit; (Religionsfreiheit). Sie ist ähnlich wie die Gewerbefreiheit kein Begriff von positivem Rechtsinhalt, und noch viel weniger ein subjektives Recht, sondern nur die Negation gesetzlicher Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit i m Bezug auf die religiöse Betätigimg" 3 5 . Hier w i r d nicht nur der Charakter des subjektiv-öffentlichen Rechts geleugnet, sondern darüber hinaus die Religionsfreiheit als Unterfall der allgemeinen Handlungsfreiheit, die wiederum keine rechtliche Präzisierung erlaubt, verstanden. Ganz ähnlich w i e man heute A r t . 4 ff. des Grundgesetzes als Unterfälle des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit A r t . 2, Abs. 1 GG. verstehen w i l l , wollte schon das Pr. OVG. eine Auflösung der Eigenständigkeit und darüber hinaus des Rechtscharakters der Freiheitsrechte durchsetzen. Es hat auch die scharfe Trennungslinie zwischen Individualrecht (Gewissens- oder Bekenntnisfreiheit) und dem Kollektivrecht (Kultus- oder Religionsfreiheit) verschwimmen lassen und dadurch wesentlich beigetragen, das Grundrecht der Gewissensfreiheit nicht n u r aus dem grundrechtlichen Vokabular, sondern auch aus dem Bestandsverzeichnis eigenständiger Grundrechte zu verdrängen. I n der genannten Entscheidung fügt das Pr. OVG. noch folgende Bemerkung an die schon zitierte Stelle hinzu: „Sie (Religionsfreiheit) geht keineswegs den sonst begründeten Rechten anderer vor und keineswegs ist, wie schon angedeutet, eine Pflicht von privaten oder öffentlichen Korporationen und Behörden dahin abzu24 Pr. OVG, Bd. 42, S. 412 ff.; in Bd. 37, S. 339 wird unter Berufung auf die Religionsfreiheit ausgeführt, daß zur Errichtung eines Gebäudes für religiöse Versammlungen durch eine freie Gemeinde keine Genehmigung erforderlich ist. Über das Recht gottesdienstliche Gebäude mit dem Wort „Kirche" zu bezeichnen: Pr. OVG, Bd. 43, S. 164, Urteil des 1. Senats vom 27. 3.1903. 25 Pr. OVG. Urteil des zweiten Senats v. 27. Juni 1903, Bd. 44, S. 68, S. 70.

Gewissensfreiheit: Bekenntnisfreiheit der preuß. Verfassung

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leiten, daß sie jeden Gebrauch ihrer Rechte unterlassen, der einer m i t der Religionsübung i m Zusammenhang stehenden Handlung Erschwernisse bereitet, geschweige, daß sie durch eine positive Berechtigung die Bedingungen für ein völlig unbeschränktes Handeln schaffen" 36 . Schließlich ist a i i d i der Begriff „Religionsfreiheit" von Interesse, w e i l Religion, wie Lagarde* 7 festgestellt hat, seit 1750 i n Deutschland i m Sinne der deistischen englischen und französischen Philosophen zu verstehen ist. Die Auflösung der christlichen Gewissensfreiheit i n deistische Religionsfreiheit i m Sinne negativer Handlungs- und Gewerbefreiheit ohne subjektiven Rechtscharakter ist also i m vollen Gange.

18

Pr. OVG, Bd. 44, S. 71/72. Zur Frage der Schladithausordnung und eines darin event. enthaltenen Schächtverbotes auch Pr. OVG, Bd. 38, S. 58: Die Gemeinde ist grundsätzlich zu einem solchen Verbot berechtigt; sie darf aber bei einer Erlaubnis den Gleichberechtigungsgrundsatz nicht verletzen. 27 Lagarde, Paul de: Deutsche Schriften 1,1936, S. 55.

Kapitel

VIII

Die Gewissensfreiheit als Grundrecht in den anderen deutschen Territorialstaaten 1. Gewissensfreiheit ab Recht auf einfache Hausandacht in Bayern B a y e r n . Das Kurfürstentum Bayern war bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts konfessionell völlig abgeschlossen. Erst durch die Verordnung v. 10. 1. 1803, die i m Sinne des Reichsdeputationshauptschlusses formuliert ist, w i r d Gewissensfreiheit und einfache Hausandacht, die beide als Einheit aufgefaßt werden, jedermann gewährt, gleiche bürgerliche und politische Rechte nur nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Ermächtigung. I n Bayern ist damit Gewissensfreiheit noch i m alten Sinne verstanden worden, obwohl man auch hier von der Beschränkung des Westfälischen Friedens auf Lutheraner und Augsburger Konfessionsverwandte abrückte. I m gleichen Sinne w i r d i m Verfassungsentwurf von 1808 Tit. 1 § 7 Gewissensfreiheit gewährt und i n dem Edikt v. 24. März 1809 wiederholt. Diese Bestimmungen werden dann i n der Verfassung des Königreichs Bayern v. 26. M a i 1818 Tit. 4 § 9 aufgenommen und erscheinen i n der 2. Verfassungsbeilage zu Tit. I V § 9 der Verfassungsurkunde des Reichs als „ E d i k t über die äußeren Rechtsverhältnisse der Einwohner des Königreichs Bayern, i n Beziehung auf Religion und Kirchengesellschaften". Während nun Tit. I V § 9 I bestimmt: „Jedem Einwohner des Reichs w i r d vollkommene Gewissensfreiheit gesichert; die einfache Hausandacht darf daher niemandem, zu welcher Religion er sich bekennen mag, untersagt werden" 1 und damit die einfache Hausandacht als die inhaltsgemäße Folgerung der Gewissensfreiheit hinstellt, trennt das Religionsedikt i n § 1 1 Verfassung des Königreich Bayern, IV, § 9: „Jedem Einwohner des Reichs wird vollkommene Gewissens-Freyheit gesichert; die einfache Haus-Andacht darf daher Niemanden, zu welcher Religion er sich bekennen mag, untersagt werden. Die in dem Königsreich bestehenden drey christlichen Kirchen-Gesellschaften genießen gleiche bürgerliche und politische Rechte. Die nicht christlichen Glaubens-Genoßen haben zwar vollkommene Gewissens-Freyheit; sie erhalten aber an den Staatsbürgerlichen Rechten nur in dem Maße einen Antheil, wie ihnen derselbe in den organischen Edicten über ihre Aufnahme in die Staatsgesellschaft zugesichert ist."

Gewissensfreiheit in Bayern: Einfache Hausandacht

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und § 2 Gewissensfreiheit und Hausandacht 2 . Beide, die Verfassungsurkunde und das Staatsgrundgesetz (Religionsedikt) sind am gleichen Tag erlassen (26. M a i 1818) und weisen dennoch diese Verschiedenheit der Formulierung auf. Immerhin zeigt sich auch noch i m Religionsedikt die enge Verbindung von Gewissensfreiheit und einfacher Hausandacht dadurch, daß § 2 die einfache Hausandacht m i t dem Wort „demnach" aus dem hervorgehenden § 1 herleitet, der die Gewissensfreiheit für Bayern garantiert. § 4 des Ediktes zeigt das Recht der Gewissensfreiheit von seiner Schranke her, indem er alle heimlichen Zusammenkünfte unter dem Vorwand des häuslichen Gottesdienstes verbietet 3 . Auch A r t . 87 des Edikts weist noch die enge Verbindung von Gewissensfreiheit und Hausandacht auf und ordnet für den F a l l der Einverleibung einer andersgläubigen Gemeinde i n eine Ortspfarrei zur seelsorgerischen Betreuung an, daß „nichts auferlegt werde, was ihrem Gewissen oder der jedem Staatseinwohner garantierten Hausandacht entgegen i s t " 4 . Schließlich führt § 103 Abs. 2 des Religionsediktes abschließend noch einmal die Garantie der Gewissensfreiheit und Religionsausübung an 5 . Das, was jedem Einwohner des Königreichs Bayern unter dem Begriff der Gewissensfreiheit gewährt war, stellt sich somit als das Recht auf einfache Hausandacht dar, deren Gestaltung i n das Gewissen jedes einzelnen Einwohners des Königreichs gestellt war. Das Recht auf Wechsel des Religionsbekenntnisses, das Kapitel 2 § 5 jedem Einwohner gewährt, w i r d bezeichnenderweise nicht auf das Ge2 Beilage 2 zu Tit. IV § 9 der VU des Reichs. Edict über die äußeren Rechtsverhältnisse der Einwohner des Königreichs Bayern in Beziehung auf Religion und Kirchengesellschaften. (Allgemein. Staatsgrundgesetz v. 26. Mai 1818) § 1: „Jedem Einwohner des Reichs ist durch den 9. Paragraphen des 4. Teils der Verfassung eine vollkommene Gewissensfreiheit gesichert." § 2: „Es darf d e m n a c h in Gegenständen des Glaubens und Gewissens keinem Zwang unterworfen, auch darf niemandem, zu welcher Religion er sich bekennen mag, die einfache Hausandacht untersagt werden." Die Verfassungsurkunde d. Königreichs Bayern mit den hierauf bezüglichen Gesetzen und sonstigen Bestimmungen, Landtagsarchivariat München 1909, S. 71. 3 § 4 des Religionsedikts v. 26. Mai 1818 „alle heimlichen Zusammenkünfte unter dem Vorwand des häuslichen Gottesdienstes sind verboten." Ganz ähnlich lautet die entsprechende Bestimmung des 11 I I § 9 des preuß. ALR. Die somit garantierte Geheimsphäre beschränkte sich also auf die häusliche Andacht der Familienmitglieder. 4 § 87 d. Religionsedikts: „Diesen, auf solche Weise der Ortspfarrei einverleibten fremden Religionsverwandten, darf jedoch nichts auferlegt werden, was ihrem Gewissen oder der jedem Staatseinwohner garantierten Hausandacht entgegen ist." 5 § 103, Abs. 2, a. a. O.: „Dieses allgem. Staatsgrundgesetz bestimmt in Ansehung der Religionsverhältnisse der verschiedenen Kirchengesellschaften ihre Rechte u. Verbindlichkeiten gegen den Staat, die unveräußerlichen Majestätsrechte des Regenten und die jedem Untertan zugesicherte Gewissensfreiheit und Religionsübung". Sc&oller. Die Freiheit.

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Gewissensfreiheit in den deutschen Territorialstaaten

wissen und die Gewissensfreiheit gestützt, sondern vielmehr aus der freien Überzeugung hergeleitet 6 . Es ist also nicht zutreffend m i t Mayer-Maly 7 , den Inhalt der Gewissensfreiheit dahingehend bestimmen zu wollen, daß sie das Hecht der Wahl des Glaubensbekenntnisses bedeutet. Dies trifft weder für Österreich noch für Bayern zu und ist vielmehr erst ein sekundäres, aus dem Recht auf einfache Hausandacht hergeleitetes spezielles Recht. Oeschey hat Tit. 4 § 9 Abs. 1 d. Bayer. Verfass.-Urkunde v. 1818 so interpretieren wollen, daß sie das Recht der Freiheit der Weltanschauung und des Bekenntnisses für jedermann garantiere 8 . Er ist sich dabei durchaus bewußt, daß bei dieser Auslegung des Begriffes der Gewissensfreiheit eine Divergenz zwischen Recht auf Gewissensfreiheit (als Recht der Freiheit der Weltanschauung) und dem Recht auf Hausandacht entsteht. Denn das Recht auf Hausandacht kann definitionsgemäß nur den Glaubensgenossen einer Religion zustehen, die einen persönlichen Gott anerkennt, während Weltanschauung jeder Staatseinwohner hat. Es ist also unrichtig, die Gewissensfreiheit der Verfassungsurkunde von 1818 als Freiheit der Weltanschauung aufzufassen und diesen modernen Begriff der alten Verfassungsurkunde zu unterstellen. Auch bei Oeschey zeigt sich somit die Tendenz der Sublimierung des Rechts der Gewissensfreiheit i n Richtung auf die Gewährung eines freien forum internum, das Oeschey aber ganz modern als ein weltanschauliches Forum kennzeichnet 9 . Bei M. v. Seydel ist diese Tendenz auch bemerkbar, wenn er das Recht der Gewissensfreiheit unter die Formel zu bringen sucht „der Staat läßt jeden glauben, was er w i l l , aber er läßt nicht jeden handeln wie er w i l l " 1 0 . Die Gewissensfreiheit war ursprünglich eine Garantie 6

2. Kap., § 5 Religionsedikt 1818: „Die Wahl des Glaubensbekenntnisses ist jedem Staatseinwohner nach seiner eigenen freien Überzeugung überlassen". 9 6 bestimmt hierfür die Volljährigkeit als das erforderliche Unterscheidungsalter. 7 Mayer-Maly: österr. Archiv f. Kirchenrecht, 1954, Bd. 5, S. 2. 8 Oeschey, R.: „Die Bayer. Verfassimg v. 26. 5. 1818 und die Charta Ludwig XVIII. v. 4. Juni 1814, ein Beitrag zur Lehre vom monarchischen Prinzip", 1914, S. 143. Die Weltanschauungsfreiheit ist erst durch Art. 137 Abs. 7 WV hinsichtlich der GleichsteUung von Weltanschauungs- u. Religionsgemeinschaften Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Norm geworden. Für Art. 135 WV war eine solche Gleichstellung bestritten. Weltanschauungsfreiheit als Individualrecht ist erst durch Art. 4 Abs. 1 GG gewährt worden. 9 Oeschey kommt zu dieser falschen Schlußfolgerung, weil er die Gewissensfreiheit der Bayer. Verfassung nicht aus der deutschen Verfassungsgeschichte, sondern aus Art. 5 der Charta Ludwig X V I I I . verstehen will, die aber von Bekenntnisfreiheit, nicht von Gewissensfreiheit redet. 10 Seydel, Max von: Das Staatsrecht des Königsreichs Bayern 1903, S. 340; Seydel überschreibt den diese Materie abhandelnden 8 120 mit „Gewissensfreiheit u. Hausandacht".

Gewissensfreiheit in Bayern: Einfache Hausandacht

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eines freien Handlungsbereiches und gewährleistete ungestörte Ausübung der häuslichen Religionsübung. I n der Rechtsprechung des königlich Bayer. VGHs. ist noch i n zwei Entscheidungen Gewissensfreiheit als das Recht auf einfache Hausandacht bezeichnet worden. I n der Entscheidung des zweiten Senats des V G H v. 5. 8. 1881 w i r d ausgesprochen, daß die i n § 23 des Judenedikts v. 10.7.1813 den jüdischen Glaubensgenossen gewährte vollkommene Gewissensfreiheit gleichbedeutend ist m i t häuslicher Gottesverehrung i m Kreise der Familie 1 1 . ' I n gleicher Weise entscheidet der 1. Senat zur Frage, ob auf Grund der Gewissensfreiheit jedem Einwohner das Recht zustehe, Bibelstunden abzuhalten. Einem gewissen Georg W i l l war i n Zweibrücken das Recht auf Abhaltung von Bibelstunden versagt worden und der Bayer. V G H wies die Beschwerde zurück, indem er als Begründung seiner Entscheidung darauf verwies, daß die gewährleistete vollkommene Gewissensfreiheit sich darin erschöpft, daß „niemandem, zu welcher Religion er sich bekennen mag, die einfache Hausandacht versagt werden d a r f " 1 2 . Es hat sich also gezeigt, daß der Verfassungsbegriif der vollkommenen Gewissensfreiheit i n Bayern sehr viel länger i m ursprünglichen Sinne verwendet wurde, als dies i n Preußen der F a l l war. Das Königreich Bayern hielt als katholisches Land begreiflicherweise sehr viel länger an den durch den Westfälischen Frieden geschaffenen Verfassungsinstitutionen fest und w a r weder tatsächlich noch rechtlich einer so starken Umwandlung wie Preußen ausgesetzt 13 . 11 Entscheide ds. kgl. Bayer. VGH v. 5. 8.1881, Entscheidungssammlung I I I , S. 222. Die Entscheidimg versagt den sich im Hause Herz-Lichtenstein versammelten Juden das Recht zur Abhaltung von Separatgottesdiensten mit der Begründung, daß Gewissensfreiheit nur die einfache Hausandacht bedeute. Die sich von der Kultusgemeinde in Aschaifenburg getrennt haltenden Juden hatten also auf Grund des Judenedikts u. der Bayer. Verfassung v. 1818 vollkommene Gewissensfreiheit, die sich aber im Recht auf einfache Hausandacht erschöpfte. " Entscheidung des kgl. Bayer. VGHs. vom 16. 10. 1885, Entscheidungssammlung XVII, S. 72. 13 Der Ausdruck vollkommene Gewissensfreiheit hat auch in den übrigen Verfassungstexten nur den Sinn der Garantie der Hausandacht, so Wilda, a. a. O. S. 212: „Die Bezeichnung ,vollkommen4 kann... nur den Sinn haben, daß es jedem freistehen soll, nicht etwa nur zwischen diesem und jenem zugelassenen Bekenntnis zu wählen, von dem einem zum anderen überzugehen, — in welchem beschränkten Umfang der Westfälische Frieden Glaubensfreiheit gesichert hatte, — sondern daß jeder sein Bekenntnis frei bestimmen, und in seinem Hause darnach ohne irgend eine Einmischung Gott verehren könne.*4



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Gewissensfreiheit in den deutschen Territorialstaaten

2. Gewissensfreiheit als Grundrecht in den Landesverfassungen der Königreiche Württemberg und Hannover und in den Kurfürstentümern Hessen und Sachsen Auch i n den übrigen Ländern des deutschen Bundes, die sich i n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Verfassung gaben, findet sich das Grundrecht der Gewissensfreiheit. Auch dort w i r d es mehr oder weniger deutlich als verfassungsrechtliche Gewährleistung des Rechts auf einfache Hausandacht verstanden. Der Zusammenhang m i t diesem Recht zeigt sich teilweise noch darin, daß die Verfassungsurkunden die „ungestörte Gewissensfreiheit" gewähren. Damit knüpfen sie an die Gewährleistungen des Westfälischen Friedens an, der Gewissensfreiheit als Recht auf einfache Hausandacht „sine inquisitione vel turbatione" gewährte. Gleichzeitig ist i n dem Begriff der ungestörten Gewissensfreiheit noch das Bewußtsein wach, daß es sich bei der Gewissensfreiheit u m Handlungen religiöser A r t handelt, deren Versagen oder Störung verboten ist. So bestimmt die Verfassung von Baden vom 22. A p r i l 1818 i n A r t . 18: „Jeder Landeseinwohner genießt der ungestörten Gewissensfreiheit und i n der Ansehung der A r t seines Gottesdienstes des gleichen Schutzes" 14 . Grundsätzlich w i r d aber der Genuß der politischen Rechte den drei christlichen Konfessionen vorbehalten. Auch die Verfassung des Königreichs Württemberg vom 25. September 1819 garantiert i n A r t . 24 allen Bürgern Freiheit der Person, Gewissens- und Denkfreiheit, Freiheit des Eigentums und Auswanderungsfreiheit 1 6 . Der Begriff der Gewissensfreiheit erscheint hier bereits sehr abstrakt, wie i h n eigentlich nur das 20. Jahrhundert später kennt, nennt i h n i n einem Atemzug m i t Denkfreiheit und stellt dieses Recht i n die Mitte zwischen Freiheit der Person und Freiheit des Eigentums. Zur Erläuterung w i r d aber i n § 27 der Verfassung davon gesprochen, daß jeder ohne Unterschied der Religion der ungestörten Gewissensfreiheit genießt. M a n könnte also fast von einer doppelten Gewissensfreiheit sprechen, nämlich der Gewissensfreiheit als ungestörte Hausandacht und i n ihrer sublimierten Form als Gewissens- und Denkfreiheit. §§ 24 und 27 der Verfassung des Königreichs Württemberg enthalten also selbst ein Stück des Spiritualisierungsprozesses, der die Gewissensfreiheit als das Recht auf einfache Hausandacht i n das Recht der Denkfreiheit verwandelte. Die Verfassung des Königreichs Hannover 14 Altmann , W.: Ausgewählte Urkunden zur deutschen Verfassungsgeschichte seit 1806, 1. Teil. 1806—1866, Berlin 1898, S. 35/36. 15 Altmann , W.: a.a.O., S. 48. Verfassung des Königreichs Württemberg: „Jeder, ohne Unterschied der Religion genießt im Königreich ungestörte Gewissensfreiheit" .

Gewissensfreiheit in: Württemberg, Hannover, Hessen, Sachsen

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vom 26. September 1833 bestimmte i n gleicher Weise i n A r t . 30: „ A l l e n Landeseinwohnern gebührt völlige Glaubens- und Gewissensfreiheit, daher ist auch jeder zur Religionsübung m i t den Seinen i n seinem Hause berechtigt" 1 6 . I m Kurfürstentum Hessen w i r d m i t der Verfassung vom 5. Januar 1831 allen Landeseinwohnern vollkommene Freiheit des Gewissens und der Religionsübung zugesichert 17 . I m Königreich Sachsen ergeht am 4. September 1831 eine Verfassung, die jedem Landeseinwohner völlige Gewissensfreiheit gewährt 1 8 . I n beiden Fällen haben aber nur die Glaubensgenossen der drei Religionsparteien vollen A n t e i l an den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechten und nur sie genießen volle Kultusfreiheit. Dieser kurze Überblick über die Verfassimg der deutschen Länder i n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigt noch m i t hinreichender Deutlichkeit, daß sich die Gewissensfreiheit von der bisherigen Rechtsposition löst und aus einem Recht auf einfache Hausandacht zu einem Recht auf innere Freiheit wird. Gewissensfreiheit verflüchtigt so zur Denkfreiheit. Sie w i r d also spiritualistisch u n d aufklärerisch als Freiheit des vernünftigen mündigen Denkens verstanden, das als Wesensmerkmal des sich aus selbstverschuldeter Unmündigkeit lösenden aufgeklärten Menschen g i l t 1 9 . Sie muß aber dabei notwendig auf das forum internum beschränkt werden, u m nicht die Grundlagen des Staates aufzulösen. Es ist deshalb verständlich, daß gleichzeitig m i t dem Prozeß der Spiritualisierung der Gewissensfreiheit und m i t ihrer Verwandlung aus dem Recht auf Hausandacht i n ein Recht auf Freiheit von jeglicher Bevormundung neue Schranken i n die Verfassungsurkunden Eingang finden, die dazu bestimmt sind, den Mißbrauch der Gewissensfreiheit zu verhindern. Da16 Altmann, W.: a. a. O., S. 146; auch Landesverfassungsgesetz f. das Königreich Hannover v. 6. 8.1840 wiederholt in § 32 dies Recht mit gleichem Wortlaut: „Jeder Landeseinwohner genießt völlige Glaubens- u. Gewissensfreiheit und ist zu Religionsübungen mit den Seinen in seinem Hause berechtigt." 17 Altmann, W.: a.a.O., S. 90, Art. 30: „Jedem Einwohner steht vollkommene Freiheit des Gewissens und der Religionsübungen zu...". 18 Altmann, W.: a. a. O., S. 119, Art. 32: „Jedem Landeseinwohner wird völlige Gewissensfreiheit und in der bisherigen und dem künftigen gesetzlich festzusetzenden Maße Schutz in der Gottesverehrung seines Glaubens gewährt." 19 Kant bezeichnet die Aufklärung als den Ausgang des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit. Bei Kant läßt sich ganz deutlich die Tendenz feststellen, den theologischpsychologischen Begriff des Gewissens durch den philosophischen der praktischen Vernunft zu ersetzen. So spricht Kant von der Vernunft als der alleinigen Richtschnur in Glaubenssachen. Auch Holl hat im Sprachgebrauch Luthers nachgewiesen, daß Vernunft häufig für sittliche Einsicht oder Gewissen verwendet wird. Holl, a. a. O., I, S. 209.

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Gewissensfreiheit in den deutschen Territorialstaaten

bei w i r d die Grenze nicht mehr so gezogen, wie i n der franz. Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 oder i n der belgischen Verfassung von 1831, die beide eine Störung der öffentlichen Ordnung durch Ausübung der Religionsfreiheit untersagen. Vielmehr beinhalten die neuen Schranken das Verbot, sich den Bürgerpflichten unter Berufung auf Gewissen oder Religion zu entziehen. Dies bestimmt z.B. § 30 der Verfassung des Kurfürstentums Hessen von 1831: „Jedoch darf die Religion nie zum Vorwand gebraucht werden, u m sich irgend einer gesetzlichen Verbindlichkeit zu entziehen." Die preußische Verfassimg vom 31. Januar 1850, die den Schritt zur religiösen Bekenntnisfreiheit tut, hat i n A r t . 12, Satz 3 i n gleicher Weise festgelegt, daß den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten bei der Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen darf. Die schon erwähnte Schrift des Ministers Ladenberg erklärt dazu, daß Gewissensfreiheit nicht das Recht auf Gewissenlosigkeit bedeute. Die belgische Verfassung hatte demgegenüber n u r eine Einschränkung strafrechtlicher Natur ausgeführt und Straftaten verboten, die i n Ausübung der Religionsfreiheit begangen werden. Der Bedeutungswandel des Grundrechts der Gewissensfreiheit zeigt sich also am deutlichsten i n der diesem Grundrecht gezogenen Schranke. Das ursprüngliche unbeschränkte Recht auf einfache Hausandacht w i r d so schließlich zu einem durch alle oder nur alle allgemeinen Gesetze beschränkten Recht auf „Geistesfreiheit". Der Widerspruch, der darin liegt, daß man ein rein inneres geistiges Freiheitsrecht äußeren Schranken unterwirft, ist nur damit zu erklären, daß das Grundrecht der Gewissensfreiheit sich i n doppelter Richtung entfaltet hat: einerseits i n einer sich verflüchtigenden Richtung zur Denkfreiheit (hier braucht man dann keine Schranken) andererseits i n einer anarchistischen Richtung zur Negation jeder staatlichen Ordnung, zu einem desordre du coeur.

Kapitel

I

Gewissensfreiheit in den Verfassungen des Kaiserreichs Österreichs und der Schweizer Eidgenossenschaft 1. Gewissensfreiheit in Österreich im Sinne der ersten Protestanten Die Pillersdorfer'sche Verfassung vom 25. A p r i l 1848 hatte, ganz ähnlich wie die Bestimmung des A r t . 144 der Grundrechte der Frankfurter RV, i n A r t . 17 niedergelegt: „ A l l e n Staatsbürgern ist die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die persönliche Freiheit gewährleistet". Aus der Zusammenziehung von zwei , so verschiedenen Grundrechten wie Freiheit des Gewissens und Freiheit der Person (nicht der Persönlichkeit) w i r d klar, daß die Pillersdorfer Verfassung dem Grundrecht der Gewissensfreiheit einen neuen Sinn subsumieren wollte. Diese Permutation wurde noch dadurch unterstrichen, daß sich die übrigen Freiheitsrechte des religiösen Lebens verstreut i n der M i t t e und am Ende der Verfassimg befanden. Damit wurde i n Österreich der Versuch unternommen, Gewissensfreiheit als spiritualisiertes, rein psychisches Recht zu rezipieren. Diese neue Auffassung des Verfassungsgebers von dem Grundrecht der Gewissensfreiheit blieb nicht unwidersprochen. Ignaz Beidtel schrieb: „Was ist n u n ethymologisch betrachtet Glaubens- und Gewissensfreiheit anderes, daß man das oder jenes glauben oder für erlaubt halten dürfe, also etwas, was die unnützigste Bewilligung von der Welt wäre, da der Mensch ohnehin, ohne daß der Staat es zu hindern imstande ist, glauben und für erlaubt halten kann, was er w i l l " 1 . Ignaz Beidtel führt i n dieser Untersuchung richtig aus 8 : „Es ist zu vermuten, daß die Urheber dieser Verfassungsurkunde Glaubens* und Gewissensfreiheit anders genommen haben, nämlich i m Sinne der ersten Protestanten, welche unter der Glaubens- und Gewissensfreiheit das Recht verstanden, ihren Glauben öffentlich zu bekennen und seinen Forderungen entsprechende Institute zu haben." Ob die Pillersdorf sehe Verfassung dieses „Protestantenrecht" rezipieren wollte, wie es verfassungsrechtlich n u r i n den Unionstaaten von 1 Beidtel, Ignaz: Untersuchungen ü. d. kirchl. Zustände i. d. kaiserl., österr. Staaten, Wien 1849, S. 215, zit. nach Mayer-Maly, Die Grundrechte des rel. Lebens i. d. österr. Verfassungsgeschichte des 19. Jahrh., in: österr. Archiv f. Kirchenrecht, 1954, Bd. 5, S. 51, Anm. 26. 2

Beidtel. I.: a. a. O.. S. 26.

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Gewissensfreiheit in Österreich und Schweiz

Nordamerika als „liberty of conscience" verankert wurde, muß offen bleiben. Der deutsch-preußische Verfassungsbegriff der Gewissensfreiheit meint n u r das Recht auf ungestörte Hausandacht. Die Pillersdorfer'sche Verfassung hat wie die Frankfurter RV einen bereits spiritualisierten Begriff der Gewissensfreiheit annehmen wollen 3 . Der Zusammenhang m i t dem ursprünglichen Sinn der Gewissensfreiheit als dem Recht auf einfache Hausandacht ist aber noch erkennbar, er w i r d besonders deutlich i n dem Kremsiererentwurf, i n A r t . 78 des Entwurfes einer Verfassung für den Kaiserstaat Österreich von Mühlenfeld und Egger, Frankfurt/M. 1849 und i n § 1 und § 2 des kaiserlichen Patentes vom 4. März 18494, die i n der bekannten Garantieformel „volle Glaubens- und Gewissensfreiheit" die Gewissensfreiheit durch das Recht auf Hausandacht substituieren. Das Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 regelte die Materie der Freiheit des religiösen Lebens i n A r t . 14 und 16 B . Diese sogenannte Dezemberverfassung zerreißt nun Gewissensfreiheit und Hausandacht und macht beide zu selbständigen Rechten. Während sie i n A r t . 14 die Glaubens- und Gewissensfreiheit als ein auf das forum internum reduziertes Recht gewährleistet, spricht sie i n A r t . 16 allen Anhängern eines gesetzlich nicht anerkannten Religionsbekenntnisses das Recht auf häusliche Religionsübung zu, insofern diese weder rechtswidrig noch sittenverletzend ist 6 . Dadurch w i r d der Weg freigegeben für die Spiritualisierung des Grundrechts der Gewissensfreiheit. Sozilogisch betrachtet, bedeutete A r t . 14 des Staatsgrundgesetzes von 1867 eben doch nur die Gewährleistung der häuslichen Religionsübung i m Sinne von A r t . 16, wenn man davon absieht, daß i n A r t . 14 3

Die Texte zusammengestellt bei Mayer-Maly, a. a. O., S. 37. Mayer-Maly glaubt, daß man die Gewissensfreiheit nur aus sprachlichen Gründen habe fortfallen lassen, weil sie mit der Glaubensfreiheit identisch sei. Mayer-Maly, a. a. O. S. 52: Die Auffassung ist nicht überzeugend, weil es sich bei dem Begriffspaar um Verfassungsgut von Tradition handelt. Auch hat die Dezemberverfassung sich wieder dieser Formulierung angeschlossen. 4 §§ 1 und 2 des kaiserl. Patentes „volle Glaubensfreiheit und das Recht der häuslichen Ausübung des Religionsbekenntnisses ist jedermann gewährleistet ...". 5 Art. 14 der Dezemberverfassung lautet: Abs. 1 „Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist jedermann gewährleistet". Abs. 2: „Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist vom Religionsbekenntnis unabhängig; doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnis kein Abbruch geschehen". Abs. 3: „Niemand kann zu einer kirchlichen Handlung oder zur Teilnahme an einer kirchlichen Feierlichkeit gezwungen werden, insofern er nicht...". 6 Art. 16 der Dezemberverfassung lautet: „Den Anhängern eines gesetzlich nicht anerkannten Religionsbekenntnisses ist die häusliche Religionsübung gestattet, sofern diese weder rechtswidrig noch sittenverletzend ist". Art. 15 dagegen behandelt die Rechte der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften auf öffentliche Religionsübung usw.

Gewissensfreiheit im Sinne der ersten Protestanten

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Abs. 2 und 3 bereits Ausstrahlungen der Gewissensfreiheit aufgenommen wurden, die die Unabhängigkeit des Genusses der bürgerlichen und politischen Rechte vom religiösen Bekenntnis und die Unerzwingbarkeit kirchlicher Handlungen betrafen. Letztere Garantien sind aber nur sekundär aus dem Prinzip der Gewissensfreiheit entnommen und stehen m i t dem Grundrecht der Gewissensfreiheit als dem Recht auf einfache Hausandacht nicht i n notwendiger Verbindimg. Der Rechtszustand i n Österreich war also nicht viel anders als i n Bayern, obwohl man begriffsjuristisch Gewissensfreiheit und Recht auf häusliche Religionsübung gemäß dem Staatsgrundgesetz von 1867 trennen konnte. Soziologisch aber bedeutete Gewissensfreiheit nicht mehr als bisher, nämlich das Recht auf den häuslichen Kultus, und zwar als individuales Menschenrecht, denn § 22 des Staatsgrundgesetzes dehnte diese Rechte auch auf Fremde aus. Erst durch den Vertrag von Saint Germain wurde die Einschränkung der Anhänger nicht anerkannter Religionsbekenntnisse auf die häusliche Religionsübung aufgehoben 7 . I n einer Entscheidung des Reichsgerichts vom 30. März 1914 w i r d noch der Satz ausgesprochen, daß es sich bei den religiösen Rechten der Anhänger nicht anerkannter Bekenntnisse nur u m die häusliche Religionsübung handelt. I n dem durch das Reichsgericht entschiedenen F a l l war die Frage aufgeworfen worden, ob der Religionsunterricht nur i n den öffentlichen Bekenntnissen erfolgen dürfe. Dies wurde bejaht und folgendermaßen begründet: „ W e i l die Anhänger nicht anerkannter Bekenntnisse, nichts anderes als das Recht der häuslichen Religionsübung genießen, daher einen Unterricht nicht erteilen dürfen" 8 . Vergleicht man die von Adamowich i n seinem Vortrag vom 19. Januar 1951 i n der österr. Gesellschaft für Kirchenrecht vorgetragenen Entscheidungen der österr. Judikatur zum Grundrecht der Glaubensund Gewissensfreiheit m i t der deutschen Rechtsprechung, so stellt man überrascht fest, daß für den österreichischen Begriff der Glaubens- und Gewissensfreiheit andere Maßstäbe zu gelten haben 9 . 7 Mayer-Maly, a. a. O., 1954, S. 54; Mayer-Maly: Zur Sinngebung von Glaubens- und Gewissensfreiheit in der Verfassungsgeschichte der Neuzeit Österreichs, in österr. Arch. f. Kirchenrecht, Bd. 5, 1954, S. 238; S. 251: Aus dem Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit fließt nach Mayer-Maly das Recht auf freie Religionsübung. Diese heute wohl herrschende Ansicht ist historisch weder f. Österreich noch f. Deutschland richtig, da das Grundrecht d. Gewissensfreiheit ursprünglich Recht auf Religionsübung war, so daß man den Satz umdrehen kann. 8 Entscheidung v. 30. März 1914, Hye-Hugelmann, Sammlung 2050, zitiert nach Adamowich in: österr. Arch. f. Kirchenrecht, Bd. 2, 1951, S. 3 ff., S. 7 u. S. 13. 9 Adamowich: „Das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit im Licht der Judikatur des Reichsgerichts und des Verfassungsgerichtshofs", Vortrag am 19. Jänner 1951 in der österr. Gesellschaft f. Kirchenrecht, in: österr. Archiv f. Kirchenrecht. Bd. 2,1951, S. 3 ff; Bd. 2,1951, S. 16.

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Gewissensfreiheit in Österreich und Schweiz

Dies läßt sich n u r damit erklären, daß Gewissensfreiheit, die u r sprünglich als Grundrecht nur einfache Hausandacht bedeutete, später als Toleranzprinzip verstanden wurde und nun je nach der Entwicklung und Positivierung des Toleranzgedankens verschiedene Bedeutung, Gestalt und Umfang annahm. So folgten ursprünglich i n Österreich trotz Gewissensfreiheit die Kinder bei Religionswechsel der Eltern nicht dem neuen Bekenntnis der Letzteren. So war jeder Lehrer zur Erteilung des Religionsunterrichts verpflichtet, so war jedes K i n d an der Teilnahme des Religionsunterrichtes i n den öffentlichen Bekenntnissen pflichtig, obwohl Gewissensfreiheit als Grundrecht g a l t 1 0 . Wenn ungefähr zur gleichen Zeit die Grundrechte der Frankfurter Nationalversammlung das Grundrecht der Gewissensfreiheit i n § 144 von dem Recht auf gemeinsame häusliche und öffentliche Religionsübung trennen, so zeigt sich, daß i n Deutschland und Österreich gleichzeitig der Verfassungsbegriff der Gewissensfreiheit der Spiritualisierung verfällt. I n den Frankfurter Grundrechten ist m i t der Gewährung der Gewissensfreiheit i n V § 144 nicht mehr an die Garantie der häuslichen Religionsübung gedacht, obwohl eine solche neben § 145 noch durchaus sinnvoll wäre, da letztere Bestimmung nur die gemeinsame häusliche und öffentliche Religionsübung schützt.

2. Die helvetische Gewissensfreiheit als Recht auf Freiheit des Kultus Die helvetische Verfassung vom 12. A p r i l 1798 bestimmte i n A r t . 6: „Die Gewissensfreiheit ist uneingeschränkt, jedoch muß die öffentliche Äußerung von Religionsmeinungen den Gesinnungen der Eintracht und des Friedens untergeordnet sein" n . Aus dieser Bestimmung geht hervor, daß i n den Kantonen der Schweizer Eidgenossenschaft auch zwischen Gewissensfreiheit als interner u n d Kultusfreiheit (öffentliche Äußerung der Religionsmeinung) als äußerer Kulthandlung unterschieden wurde. Die Kultusfreiheit und die Bekenntnisfreiheit als öffentliche Äußerung des Gewissens standen unter den Schranken des öffentlichen Friedens. Bis 1848 w a r darüber hinaus die Kultusfreiheit n u r i n den drei christlichen Konfessionen gewährt. A r t . 44 der Bundesverfassung von 1848 gewährte ebenfalls n u r den drei anerkannten christlichen Konfessionen Kultusfreiheit 1 3 . Der Antrag des Kantons Argau, 10 Plöchl, W.: Konkubinat, Gewissensehe, Zwangs-Zivilehe, Religionsfreiheit: dass. Bd. 1, 1950, S. 10 ff. 11 Burckhardt, W.: Kommentar der Schweiz. Bundesverfassg. v. 19. Mai 1874, 5. Aufl., Bern 1931, S. 437. 12 Art. 44 der Schweiz. Bundesverfassg. 1848: „Die freie Ausübung der anerkannten Christlichen Konfessionen im ganzen Umfang der Eidgenossenschaft ist gewährleistet."

Helvetische Gewissensfreiheit als Kultusfreiheit

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der eine Garantie der Gewissensfreiheit vorsah, wurde abgelehnt M . Sachlich wollte auch er nur den drei christlichen Konfessionen Kultusfreiheit einräumen, so daß die Gewissensfreiheit auch hier nichts anderes bedeuten konnte, als das Recht der häuslichen Religionsübung. Wenn der Begriff der Gewissensfreiheit i n A r t . 44 also nicht aufgenommen wurde, so hatte dies keine sachliche Bedeutung. I n der Botschaft des Bundesrats v. 1. J u l i 1865 w i r d angekündigt, daß die freie Ausübimg gottesdienstlicher Handlungen nicht nur den anerkannten christlichen Konfessionen, sondern auch jeder anderen Religionsgenossenschaft innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der staatlichen Ordnung gewährleistet werden soll. Die zuerst vorgeschlagene Formulierung beschränkt die freie Ausübimg des Gottesdienstes aber wiederum auf die anerkannten christlichen Konfessionen und w i r d deshalb abgelehnt. A m 17. J u n i 1870 wurde dann eine Neufassung vorgelegt, die innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung jeder Religionsgenossenschaft i m ganzen Umfange der Eidgenossenschaft volle Freiheit i n der Ausübung des Gottesdienstes gewährte. Diesem Recht wurde der lapidare Satz vorausgeschickt: „Die Gewissensfreiheit ist gewährleistet". Diese Formulierung wurde dann i n die Bundesverfassung vom 29. M a i 1874 übernommen. Die Gewährung der Gewissensfreiheit hatte aber auch i n der Schweiz m i t der Freigabe des öffentlichen Kultus an alle Religionsgenossenschaften ihren ursprünglichen Sinn verloren. So wurde sie auch hier i n den unzulänglichen inneren Bereich verflüchtigt. Burckhardt definiert Glaubens- und Gewissensfreiheit als das „Recht des einzelnen gegenüber dem Staate keinen Zwang i n seiner religiösen Überzeugung zu erleiden; sie bezieht sich auf die Überzeugung i n religiösen Dingen, . . . positiv oder negativ, aber immer bezogen auf die Religion; die religiöse Überzeugung betrifft das Verhältnis des Menschen zu Gott als eine A r t des Denkens und Fühlens und ist daher ihrer Natur nach dem direkten äußeren Zwang entzogen" 1 4 . Auch hier ist Gewissensfreiheit i n den Innenraum des Menschen, i n Denken und Fühlen sublimiert worden. I n einer Entscheidung von 1887 hat der BR zwar ausgesprochen, „die Glaubens- u n d Gewissensfreiheit könne nicht gedacht werden, ohne das Recht des Individuums äußerlich durch Wort 18 Der in der Tagsatzung vom Kanton Argau beantragte Wortlaut: „Die Gewissens- u. Glaubensfreiheit sowie die Ausübung des konfessionellen Gottesdienstes im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft ist gewährleistet". Dieser Antrag weist eine große Übereinstimmung mit den Verfassungsbestimmungen auf, die etwa gleichzeitig in den deutschen Ländern in Geltung waren.

Burckhardt, 14

a. a. O., S. 437.

Burckhardt, a. a. O., S. 442. Nach Z. Giacometti: Schweiz. Bundesstaatsrecht, 1949, S. 315 gehört auch die religiöse Äußerung zum Recht der Gewissensfreiheit. „Die Religion ist in das Gewissen des Einzelnen verwiesen."

Gewissensfreiheit in Österreich und Schweiz

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und Handlungen seine religiösen Meinungen zu offenbaren und insofern eine Handlung ihren Grund i m religiösen Glauben des Individuums habe, könne sie als eine gottesdienstliche gelten" 1 5 . Burckhardt erklärt, daß beide Gründe anfechtbar seien. Hat man einmal die ursprüngliche Bedeutung der Gewissensfreiheit aus dem Auge verloren, so verfällt die Rechtssprechung und die Rechtslehre i n die beiden Aporien: die der Verinnerlichung der Gewissensfreiheit, und damit das Wegdividieren des Gewissens aus dem äußeren Bereich des menschlichen Lebens, oder diejenige der extensiven Interpretation der Gewissensfreiheit, die Freiheit aller Handlungen und Unterlassungen fordert, sofern sie nur m i t der religiösen Überzeugung i n Verbindung stehen. So muß Burckhardt eine ganze Reihe uneigentliche Kultushandlungen wie Religionsunterricht, Gesundbeten, Schächten unter § 50 der Schweiz. Bundesverfassung zählen, w e i l sie nach dieser Definition nicht unter die rein innerliche Glaubens- und Gewissensfreiheit des A r t . 49 fallen können 1 6 .

15 Burckhardt, a.a.O., S. 443; es handelte sich um einen Rekurs gegen ein strafrechtliches Erkenntnis wegen Abhaltung eines Lehrvortrages über die Mormonen von einem Anhänger dieser Sekte. lf l

Burckhardt

a. a. O.. S. 458.

Kapitel

Die reichsverfassungsrechtliche Entwicklung der Gewissensfreiheit zur Denk- und Geistesfreiheit 1. Die Gewissensfreiheit im Grundrechtsentwurf der Paulskirche Der Grundrechtsteil der Verfassungsurkunde der Frankfurter Nationalversammlung enthält i n § 144 ff. eingehende Regelungen über das Verhältnis von Staat und Kirche, die durch den an die Spitze gesetzten Satz der Gewährleistung der Glaubens- und Gewissensfreiheit eingeleitet werden: „Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit." „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren", w i r d i n den Frankfurter Grundrechten das Recht der Glaubens- und Gewissensfreiheit umschrieben 1 . Diese Formulierung läßt zwei Fragen offen: einerseits, ob es sich dabei u m Menschenrecht oder u m deutsches Staatsbürgerrecht handelt, andererseits, ob das Grundrecht der Gewissensfreiheit der Frankfurter Grundrechtsurkunde identisch ist m i t dem i m zweiten Satz angeführten Recht der Verschweigung der religiösen Überzeugung 2 . Die Frage, ob es sich bei dem Grundrecht des 19. Jahrhunderts um Menschenrechte handelt, ist i n einer bekannten Entscheidung des Reichsgerichts verneint worden. Diese Entscheidung bezog sich allerdings nur auf die das gleiche Problem enthaltende Bestimmung der preuß. Verfassung und später der Reichsverfassung. Die Gewissensfreiheit der Frankfurter Grundrechte beinhaltet nicht mehr das Recht auf einfache Hausandacht. Eine solche Garantie fehlt zwar i m Grundrechtsteil, ist aber nicht mehr erforderlich, da A r t . 145 der Frankfurter Verfassung jedem Deutschen die Unbeschränktheit i n der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Übung seiner Religion gewährleistet. Da die gemeinsame häusliche Religionsübung — also die devotio domestica qualificata, oder sogar das exercitium privatum religionis — damit gewährleistet ist, ist ein Schutz der einfachen Haus1 Die Verfassimg des Deutschen Reiches verkündet von der verfassungsgebenden Nationalversammlung in Frankfurt a. M. am 28. April 1849. Klatt, Rudolf: Die Menschenrechte, 1950. 2 Der A r t 145 der Frankfurter Grundrechte: „Jeder Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Übung seiner Religion."

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Entwicklung zur Denk- und Geistesfreiheit

andacht — devotio domestica simplex — gar nicht mehr erforderlich 8 . Die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Frankfurter Grundrechte ist also nicht n u r äußerlich, sondern auch wesentlich vom Grundrecht auf einfache Hausandacht gelöst. Sie nähert sich sehr der Garantie des Schweigerechts hinsichtlich der religiösen Überzeugimg und sinkt damit i n die allem Rechte, w e i l rein innerlich, entzogene Sphäre des forum internum ab. M i t dieser Spiritualisierung der Gewissensfreiheit verbindet sie das zweite Moment: nämlich die programmatische Natur dieser Bestimmung. Gewissensfreiheit der Frankfurter Grundrechte ist gegen die Kirche und nicht gegen den Staat gerichtet 4 ; sie ist vornehmlich wie auch später i n Frankreich der Begriif der liberté de conscience rechtspolitischer Ausdruck der Trennung von Kirche und Staat 5 .

2. Gewissensfreiheit im Deutschen Kaiserreich als natürliches Recht des Deutschen Die Reichsverfassung von 1871 w a r ohne Grundrechtsteil geblieben, w e i l diese Materie den Landesverfassungen zur Regelung überlassen bleiben sollte. Dennoch hat das Reich hinsichtlich der Gewissensfreiheit eine Bestimmung des norddeutschen Bundes übernommen, die i m Gesetz v. 3. 7. 1869® vorsah, daß durch das religiöse Bekenntnis kein Reichsbürger irgendwelcher bürgerlicher oder politischer Rechte verlustig gehen sollte. I m Wortlaut schließt sich diese Bestimmung an A r t . 12 der Preuß. Verfassung von 1851 an und substituiert folgedessen ebenfalls den Begriff der Gewissensfreiheit durch die Freiheit des religiösen Bekenntnisses. I n den Mittelpunkt rückt dabei die Frage nach der Berechtigung des Staatsbürgers hinsichtlich aller bürgerlichen und politischen Rechte. Die Gewissensfreiheit als Recht auf einfache Hausandacht vertrug sich noch durchaus m i t Beschränkungen bürgerlichrechtlicher und öffentlich-rechtlicher A r t . Das Wesen der religiösen Bekenntnisfreiheit w i r d aber gerade nicht i n der Freiheit des Bekenntnisses, sondern i n der Freiheit zu allen bürgerlichen und politischen 3 Der Begriff der gemeinsamen häusl. Andacht umschließt Hausandacht und Privatgottesdienst, die damit durch Art. 145 neben dem Recht auf öffentlichen Kultus für jeden Deutschen gewährt werden. 4 Mayer-Maly: österr. Arch. f. Kirchenrecht, 1954, Bd. 5, S. 56: Der Liberalismus konnte die individualrechtliche Gewissensfreiheit rechtlich verankern, ist aber außerstande gewesen, die Selbstverwaltung der Kirche oder ein freiheitliches Staatskirchenrecht zu schaffen. Er denkt vom Individualrecht der Gewissensfreiheit her, auch alle Kollektivrechte. 6 Rothenbücher: Die Trennung von Staat und Kirche, 1908, S. 209. 6 Gesetz d. Norddtsch. Bundes v. 3. Juli 1869: BGBl. 1869, S. 292, ReichsG. v. 22. April 1871: RGBl. 1871, S. 87: „alle noch bestehenden aus der Verschiedenheit des relig. Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerl. u. staatsbürgerl. Rechte werden hierdurch aufgehoben. Insbes. soll die Befähigung zur Teilnahme an d. Gemeinde- und Landesvertretung u. zur Bekleidung öffentl. Ämter vom relig. Bekenntnis unabhängig sein". Mirbt, a. a. O., S. 429. 577.

Gewissensfreiheit als natürliches Recht des Deutschen

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Rechten unabhängig vom religiösen Bekenntnis gesehen. Religiöse Bekenntnisfreiheit versteht sich also nicht als erste Stufe der K u l t u s freiheit, an die sich andere Freiheitsrechte, wie das Recht auf gemeinsamen und öffentlichen Gottesdienst anschließen, sondern als I n d i v i dualrecht, das vom Staat Unabhängigkeit aller privaten und öffentlichen Rechte vom Religionsbekenntnis verlangt. Religiöse Bekenntnisfreiheit t r i t t somit i n Gegensatz zur Garantie der Freiheit der christlichen Bekenntnisse. Sie gewährt allen, nicht nur den Anhängern christlicher Bekenntnisse, volle Bewegungsfreiheit i m Staate. M i r b t kennzeichnet diese Entwicklung der Gewissensfreiheit zur religiösen Bekenntnisfreiheit treffend damit, daß i m 19. Jahrhundert u m die Religionsfreiheit u m der Juden w i l l e n gekämpft wird, die dem Bundesgesetz von 1869 unterworfen waren 7 . Dadurch seien die Beschränkungen des Preuß. Gesetzes v. 23. 7. 1847 aufgehoben worden, die die Niederlassung der ausländischen Juden vor der Erteilimg der Naturalisierungsurkunde von einer besonderen Genehmigung abhängig machte®. Es zeigt sich also, daß die religiöse Bekenntnisfreiheit Probleme ganz eigener A r t zu bewältigen suchte, die m i t der ursprünglichen Bedeutung der Gewissensfreiheit als dem Recht auf einfache Hausandacht i n keinem Zusammenhang mehr stehen. Aus diesem Grunde verschwindet auch wenigstens vorübergehend der Begriff der Gewissensfreiheit aus der Preuß. Verfassung, aus den preußischen Gesetzen und aus den Reichsgesetzen und macht der Formulierung der religiösen Bekenntnisfreiheit Platz. I n den Kongo-Akten findet sich die Garantie der Gewissensfreiheit neben der Freiheit der öffentlichen Ausübung aller K u l t e wieder. Hier ist aber Gewissensfreiheit gleichbedeutend m i t dem Prinzip der religiösen Duldung und stellt kein besonderes Individualrecht mehr dar®. 7

Mirbt , Karl: in H. C. Nipperdey: Die Grundrechte und Grundpflichten II, 1930, S. 326. • § 71 des Preuß. Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Juden v. 23. 7. 1847: „Zur Niederlassung von ausländischen Juden bedarf es vor der Erteil lung der Naturalisierungsurkunde d. Genehmigimg des Ministers des Innern." Anschütz war der Ansicht, daß nur Abs. 2 des § 71 mit dem Bundesgesetz unvereinbar sei, während der angef. Abs. 1 fortbestehen müsse. Anschütz, Preuß. Verfassg., S. 225. Mirbt hält § 71 schon mit Art. 12 der Preuß. Verfassg. v. 1850 in beiden Absätzen für unvereinbar. Dazu auch § 41 GewO. Landmann Rohmer, Kommentar zur Gewerbeordnung, S. 536. 9 Die Kongo-Akte 1885 Art. 6: „... Gewissensfreiheit und religiöse Duldung werden sowohl den Eingeborenen wie den Landesangehörigen und Fremden ausdrücklich gewährleistet. Die freie und öffentliche Ausübung aller Kulte, das Recht der Erbauung gottesdienstlicher Gebäude und der Errichtung von Missionen, welcher Art Kultus dieselben angehören mögen, soll keinerlei Beschränkung noch Hinderung unterliegen". Hinsichtlich der barbarischen Kulte fand eine Einschränkung des Art. 6 der Kongo-Akte durch Art. 2 der Anti.-Akte in den deutschen Schutzgebieten, 1890, statt. Mirbt, Mission und Kolonialpolitik in den deutschen Schutzgebieten, 1910, S. 258. Uber Religionsfreiheit in den deutschen Schutzgebieten: ibidem, S. 3, 72, 264.

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Entwicklung zur Denk- und Geistesfreiheit

Gewissensfreiheit w i r d zum Programmsatz, aus dessen Realisierung durch den Gesetzgeber erst Individualrechte als Menschenrechte zur Entstehimg gelangen. Aus dem Bundesgesetz von 1869 hat man auf dem Umweg über die Unabhängigkeit der privaten und öffentlichen Rechte vom religiösen Bekenntnis ein Individualrecht auf Gewissens- oder Bekenntnisfreiheit hergeleitet. Denn die individuelle Religionsfreiheit gehört zu den Subjektv-öff entlichen Rechten, die ebenfalls zu den bürgerlichen Rechten gehören, deren Unabhängigkeit vom religiösen Bekenntnis jedem garantiert i s t 1 0 . Die Formel: Unabhängigkeit der bürgerlichen und politischen Rechte ist insofern unrichtig, als auch die öffentlichen Rechte von den bürgerlichen umfaßt werden müssen, w e i l zu den politischen Rechten nur die staatsbürgerlichen Rechte gehören 1 1 . Die Auslegung des Bundesgesetzes von 1869 ist umstritten geblieben. Vor allem hat Laband behauptet, daß das Recht auf Freiheit des Glaubens und Gewissens dem Deutschen nicht durch das Reich gewährt werde, sondern, daß er es schon von Natur besitze 12 . Nach Labands Auffassung hat das Bundesgesetz von 1869 nur die Bedeutung gehabt, die noch i n den Gliedstaaten bestehende Beschränkung derjenigen Volksteile aufzuheben, die sich nicht zu den drei christlichen Konfessionsparteien zählten. Betrachtet man das Bismarck-Reich als eine völlige Neuschöpfung und sieht man von einer historischen Sukzession ab, so ist der Auffassung Labands beizupflichten, daß das Reich nicht Gewissensfreiheit gewährt hat, w e i l es diese nicht gewähren mußte. M e r k w ü r d i g mutet dabei der Rückgriff auf das Naturrecht an, w e i l dem Positivismus ein solches Argument schlecht zu Gesichte steht. Abgesehen vom Toleranzantrag des Zentrums i m Reichstag und dem Erlaß des Reichsvereinsgesetzes 1908 hat sich i m Reich die Lage bis zum Ende des 1. Weltkrieges nicht wesentlich verändert. I n den beiden Mecklenburg, die an der ständischen Verfassung festgehalten hatten, w a r noch bis dahin die religiöse Bekenntnisfreiheit nicht i n vollem Umfange verankert worden. 10

Mirbt in: Nipperdey, a. a. O. II, 1930, S. 333. Ebenda: S. 333, Anm. 19. 12 Durch das Reichsgesetz v. 3. 7. 1869 ist nach der Ansicht Labands das Reichsbürgerrecht nicht betroffen worden: „Im Norddeutschen Bund und im Reich hat es Beschränkungen der bürgerlichen Rechte wegen irgendeines religiösen Bekenntnisses niemals gegeben. Ein Recht des Glaubens oder der Bekenntnisfreiheit, das durch das Reichsindigenat begründet und durch dieses Gesetz gewährleistet worden sei, ist ein juristisches Unding, denn der Deutsche hat die Fähigkeit seine eigene religiöse Überzeugung zu haben und zu bekennen von der Natur, nicht vom Recht. Um zu glauben, was man will, bedarf man des Reiches nicht." Laband: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. 1911. I. S. 161. 11

Kapitel

I

Gewissensfreiheit in der Weimarer Reichsverfassung und in den Landerverfassungen 1. Die Gewissensfreiheit des Art. 135 S. 1 der Weimarer Reichsverfassung Durch den A u f r u f der 7 Volksbeauftragten vom 12. Nov. 1918 wurde auch hinsichtlich der Religionsfreiheit eine Neuregelung angekündigt 1 . Die Weimarer Nationalversammlung, der diese Aufgabe oblag, hat sich auch m i t der Frage der Gewissensfreiheit beschäftigt und i m dritten Abschnitt des zweiten Hauptteils der Verfassung, die das Verhältnis des Staates zu den Religionsgesellschaften betrifft, dieses Grundrecht verankert. Diese Normen werden i n A r t . 135 durch die Garantie der vollkommenen Glaubens- und Gewissensfreiheit eingeleitet 2 . Die vier Entwürfe, die der endgültigen Formulierung vorausgingen, enthielten alle die Garantie der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Wesentlich unterschieden sie sich von A r t . 135 hauptsächlich i n dem Punkt, daß sie die Schranken, innerhalb derer die Kultusfreiheit gewährt wurde, i n der öffentlichen Ordnung und nicht i n den allgemeinen Gesetzen zogen. Einen weiteren Unterschied brachte der vierte Entwurf, der neben der Glaubens- und Gewissensfreiheit auch die Gedankenfreiheit zu garantieren vorschlug 3 . Dieser vierte E n t w u r f ist deshalb von Bedeutung, w e i l er zum Verständnis der Glaubens- und Gewissensfreiheit beiträgt und eine Interpretationsgrundlage dieses Grundrechts an die Hand gibt. Schon i n der Landesverfassung des Königreichs Württem1

Aufruf der 7 Volksbeauftragten v. 12. Nov. 1918, Nr. 5: „Die Freiheit der Religionsausübung wird gewährleistet. Niemand kann zu einer relig. Handlung gezwungen werden." Abgedr. in Sammlung i. d. Praxis oft angewandter Verfassungs- und Verwaltungsgesetze des Dtsch. Reiches mit Preuß. Ausführungsgesetzen und Verordnungen v. F. Stier-Somlo, 1923. 2 Apelt, W.: Geschichte der Weimarer Verfassung, 1946, S. 323: „Ältestes vielleicht, sicher aber das wirksamste Element im Ringen des Menschen gegenüber der gesellschaftlichen Bevormundung, ist das Ringen des Menschen nach Glaubens- und Gewissensfreiheit; nach Berechtigung sich öffentlich zu bekennen und Kultus auszuüben. Diese drei strömen in der Religionsfreiheit zusammen." 8 Entwurf 4, Art. 132, S. 1: „Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens», Gewissens- und Gedankenfreiheit." Gebhard , a.a.O., Anm. 1 zu Art. 135 WV. Scholler, Die Freiheit.

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Gewissensfreiheit in der Weimarer Reichsverfassung

berg war i m 19. Jahrhundert zur Glaubens- und Gewissensfreiheit auch die Garantie der Denkfreiheit getreten. Man kann darin m i t Recht eine Auflösung der Gewissensfreiheit i n Richtimg auf ein spiritualistisches und rationalistisches Recht rein inneren Charakters erblicken. Dieser Prozeß zeigt sich n u n auch i m Reichsrecht und findet i n der Weimarer Verfassung seinen deutlichsten Niederschlag. Wenn auch auf Antrag Kahls die Gedankenfreiheit aus der Verfassung gestrichen wurde, so darf man doch aus ihrer Verbindung m i t der Gewissensfreiheit und Glaubensfreiheit i m vierten E n t w u r f Rückschlüsse auf das Wesen der Gewissensfreiheit ziehen 4 . Die Begründimg, die W . K a h l seinem Antrag auf Streichung gab, zeigt die Sdiwäche seines Arguments. Wenn er darauf hinwies, daß die Gedankenfreiheit ein reines Internum darstelle, das dem Recht entzogen sei und daß Marquis Posa i n Schillers Don Carlos m i t Gedankenfreiheit auch Gewissensfreiheit gemeint habe, so hebt er seinen Antrag damit selbst auf. Denn sind Gedankenfreiheit und Gewissensfreiheit identisch, so sind sie beide rechtlichem Zugriff und rechtlichem Schutz entzogen und eine Garantie der Gewissensfreiheit wäre ebenso überflüssig wie eine solche der Gedankenfreiheit. K a h l hat darauf hingewiesen, daß die Gedankenfreiheit schon durch A r t . 117 und A r t . 118 W V garantiert werde, so daß auch deshalb eine besondere Formulierung i n A r t . 132 (Endfassung 135) nicht erforderlich sei. Die Gewissensfreiheit versteht K a h l als Freiheit des einzelnen oder einer Gemeinschaft religiöse Überzeugungen zu äußern. Damit stellt K a h l nicht nur die Gedankenfreiheit, sondern auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit unter die Meinungsäußerungsfreiheit. Hier zeigt sich deutlich die Entäußerung, die das Grundrecht der Gewissensfreiheit durchlaufen hat, bis es schließlich als Recht auf religiöse Meinungsäußerungsfreiheit auftrat. Es soll hier daran erinnert werden, daß noch das Wöllnersche Religionsedikt von 1788 jedem Anhänger i m Preuß. Staate die Äußerung seiner jeweiligen Meinung i n Sachen der Religion untersagte und dennoch gleichzeitig bestrebt war, den mindesten Gewissenszwang auszuschließen. I n A r t . 136 bringt die Weimarer Verfassung weitere Individualrechte, deren Stellung zu A r t . 135, Satz 1, ungeklärt ist. Es handelt sich dabei u m das Recht der Unabhängigkeit aller bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte vom religiösen Bekenntnis (Art. 136 Abs. 1 und 2), u m das religiöse Schweigerecht (136 I I I ) und u m das Verbot der Erzwingung eines religiösen Eides oder der Teilnahme an religiösen Handlungen oder Feierlichkeiten. Ursprünglich sind diese Rechte weder syste4

Die deutsche Nationalversammlung i. J. 1919 von Ed. Heilfron, 6. Bd., 1919, S. 4009—10; der Antrag wurde in der 59. Sitzung am 17. Juli 1919 gestellt. Kahl begründete die Streichung der Gedankenfreiheit mit dem Hinweis, daß die „Gedanken vom Körper verhüllt" werden. Der Abgeordnete Katzensteiii entgegnete daraufhin: „und der Glaube?"

Gewissensfreiheit als Programm in den Ländern und im Reich

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matisch noch historisch aus der Gewissensfreiheit direkt hervorgegangen. Sie gehören vielmehr zum Katalog der Toleranzbestimmungen, die über unser ganzes Recht verstreut sind. Dieser K a t a l o g 6 ließe sich auch noch beliebig erweitern: so z. B. durch das Recht auf freie Religionswahl, auf Ein- und A u s t r i t t i n oder aus Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, durch das Recht auf Freiheit von Steuerleistungen für Religionsgemeinschaften nach erfolgtem Austritt, durch das Recht auf Ziviltrauung usw. I m gleichen Augenblick, i n dem nicht nur freie Hausandacht, sondern öffentlicher Kultus allen Einwohnern gewährt wurde, verstand man unter Gewissensfreiheit bald diese oder jene Forderung der Toleranz. Aber schon der Umstand, daß sich diese Rechte noch neben der Garantie der Gewissensfreiheit finden, beweist deutlich genug, daß sie nicht m i t i h r identisch gewesen sind.

2• Gewissensfreiheit als Programm in den Ländern und im Reich Auch die Länder verankerten i n ihren Verfassungsurkunden das Grundrecht der Gewissensfreiheit; dabei kam noch der ursprüngliche Sinn der Gewissensfreiheit stärker zum Ausdruck, denn wenn z. B. die Verfassung von Baden vom 21. 3. 1919 i n A r t . 18 bestimmt, daß jeder Landeseinwohner die ungestörte Gewissensfreiheit genießt, so k l i n g t damit noch das alte Verfassungsrecht auf Hausandacht m i t an, deren Störung durch die Verfassimg untersagt w i r d 6 . Denn störbar i n diesem Sinne ist nicht das Gewissen als „innerer Gottesdienst" als reservatio mentalis, sondern nur das Gewissen als „innerer Grottesdienst", soweit er ein äußeres religiöses Verhalten dokumentiert. Dieses äußere religiöse Verhalten, die einfache Hausandacht, kann jedenfalls gestört werden und zur Abwehr solcher Störungen w a r ursprünglich jene verfassungsrechtliche Garantie der Gewissensfreiheit gedacht. Die Bamberger Verfassung des Freistaates Bayern vom 14. 8. 1919 kannte i n § 17 ebenfalls die Garantie der Gewissensfreiheit. Da die Weimarer Verfassung schon i m Wortlaut vorlag, schloß sich der Bayer. Verfassungsgeber dem Weimarer Vorbild an und bestimmte i n A r t . 17 Abs. 1: „Jedermann ist volle Glaubens- u n d Gewissensfreiheit gewähr5

Hatscheck: Deutsches u. Preuß. Staatsrecht, 1922, S. 222 ff. HinschiusSmend in: Fleischmann und Stengels, Wörterbuch des deutschen Staats- u. Verwaltungsrechts, 1913, S. 285—87. 6 Art. 18 der Verfassung von Baden v. 21. 3.1919: „Jeder Landeseinwohner genießt der ungestörten Gewissensfreiheit und in Ansehung der Art seiner Gottesverehrung des gleichen Schutzes"; abgedr. bei Ruthenberger, Verfassungsgesetze des deutschen Reichs u. d. deutschen Länder, 1926, S. 54. 6*

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Gewissensfreiheit in der Weimarer Reichsverfassung

leistet". A r t . 18 fügte erläuternd h i n z u 7 : „Die Vereinigung von Religionsgenossen zu gemeinsamer Hausandacht oder zu öffentlichen K u l t handlungen oder zu Religionsgesellschaften ist innerhalb der Schranken des Gesetzes freigegeben." Auch i n Bayern trennt sich damit die ursprüngliche Verbindung von Gewissensfreiheit und einfacher Hausandacht, diese i n A r t . 17 w i r d völlig abstrakt gewährt, jene i n A r t . 18 zusammen m i t der Kultusfreiheit erwähnt 8 . Auch i n der Verfassung von Braunschweig vom 6. 1. 1922®, sowie i n der Verfassung der Stadt Danzig findet sich der Schutz der Gewissensfreiheit. Allerdings ist nur i n der Danziger Verfassung die traditionelle Formel „Glaubens- und Gewissensfreiheit" aufgenommen worden, während i n der Verfassung von Braunschweig nur freie Religionsübung i n direktem Zusammenhang m i t freier Meinungsäußerung gewährleistet wird. So heißt es i n der Verfassung der Stadt Danzig 1 0 : „Es besteht volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsübung w i r d gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz". Die Länderverfassungen führen also i m Grunde die gleiche Sprache wie die Weimarer Verfassung. Als besonders interessant ist die Verfassung von Baden, da sie, die zeitlich vor der Weimarer Verfassung liegt, noch einen gewissen Anknüpfungspunkt an den früheren Rechtszustand zeigt, indem sie vom Begriff der ungestörten Gewissensfreiheit ausgeht. Hier liegt noch eine späte Auswirkung des Westfälischen Friedens vor, dessen Formulierung „sine turbatione" i m Begriff der „ungestörten" Gewissensfreiheit einen letzten Nachklang gefunden hat. I m übrigen aber teilen sich Reich und Länder i m Verdienst u m die Umprägung der Gewissensfreiheit i n ein säkularisiertes und spiritualisiertes Recht einer verschwommenen inneren Geistesfreiheit. Weder i n den Länderverfassungen noch i n der Reichsverfassung ist trotz mancher historischen Reminiszenzen etwas von der ursprünglichen Gewissensfreiheit als dem Recht auf einfache Hausandacht übriggeblieben. I n der Weimarer Verfassung ist die Gewissensfreiheit mehr i n einen reinen Programmsatz abgeglitten, dessen Realisierung, die Trennung von Staat und Kirche durch A r t . 137 W V vorgenommen werden sollte. 7

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Ruthenberger,

a. a. O., S. 66.

Vgl. dazu H. Nawiasky, Bayer. Verfassungsrecht 1923, S. 247. Nawiasky interpretiert Art. 17 im Sinne von Bekenntnisfreiheit. 9 Verfassung von Braunschweig v. 6. 1. 1922, Art. 4: „Freie Religionsübung u. freie Meinungsäußerung wird gewährleistet". Braunschweiger Gesetz- u. Verordnungsblatt Nr. 6, S. 55; abgedr. bei Ruthenberger, a.a.O., S. 84. 10 Verfassung der Stadt Danzig, Art. 96: „Es besteht volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsübung wird gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz...". „Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis". Ruthenberger, a. a. O., S. 238.

Gewissensfreiheit als Programm in den Ländern und im Reich

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Während A r t . 135, S. 1, von allen Seiten des Hauses widerspruchslos angenommen wurde, gab es jedoch hinsichtlich des Verständnisses u n d der Bedeutung dieser Verfassungsbestimmung schwere Konflikte 1 1 . Sie w a r doch mehr ein Programmsatz für die L i n k e der Nationalversammlung, aus der heraus die Trennung von Kirche und Staat, die Einführung der weltlichen Schule und die Abschaffung des Religionsunterrichts i n den Schulen gefordert wurden. So spricht der Abgeordnete Hellmann i n diesem Zusammenhang von der „seelischen Mißhandlung der Dissidentenkinder" und von der „Gewissensnot", die dadurch verursacht worden sei, daß weite Kreise, die nicht mehr dem Christentum anhangen, dennoch dem Zwang zum Religionsunterricht unterworfen w u r d e n 1 2 . Ganz ähnlich begründete auch die Abgeordnete Frau Z i e t z 1 8 von den unabhängigen Sozialdemokraten i n der 24. Sitzung am 11. 3. 1919 ihren Antrag, daß die Gewissensfreiheit nicht angetastet werden dürfe und daß zu diesem Zwecke die olbigatorische weltliche Schule eingeführt werden müsse. Der Abgeordnete Hellmann, nach dessen Ansicht die „versinkende Kirche" i n der Frage des Religionsunterrichtes u m i h r Dasein kämpfe, stellte unter Berufung auf Gewissenfreiheit i n der Schule den Antrag auf Abschaffung des obligatorischen Religionsunterrichts m i t folgenden Worten: „ . . . w e i l w i r darum nicht herumkommen, müssen w i r uns, u m völlige Gewissensfreiheit i n der Schule zu haben, müssen w i r uns entschließen, den Religionsunterricht als gesonderten Unterricht aus der Schule vollständig (zu) entfernen" 1 4 . Dieses Verständnis der Gewissensfreiheit als dem Prinzip der Trennung von Staat und Kirche und der damit verbundenen Trennung von Schule und Kirche liegt auch der Verfassung der UdSSR v. 5. 12. 1936 zugrunde. I n A r t . 124 dieser Verfassung w i r d zum Zwecke der Gewährleistung der Gewissensfreiheit die Kirche vom Staat und die Schule von der Kirche getrennt. Die Problematik einer solchen Interpretation der Gewissensfreiheit liegt auf der Hand. Die historische Bedeutung dieses Grundrechts war längst aus dem Bewußtsein geschwunden. Aber der Begriff der Gewissensfreiheit hatte sich i n seiner abstrakten Gestalt der Geister bemächtigt und gerade 11 Apelt, W., a.a.O., S. 325: „Glaubens- und Gewissensfreiheit brachten keine Konflikte, anders liegt es auf dem Gebiet der Bildung und Schule", vgl. S. 329 ff; vgl. dazu den Abgeordneten Grüber: „An der Spitze steht der Grundsatz (Gewissensfreiheit), den wir unsererseits durchaus billigen". 6. Sitzung, 13. 2. 1919; Heilfron , die deutsche Nationalversammlung, 1919, Bd. 1, S. 113. 13 25. Sitzung, 11. 3.1919, Heilfron, a. a. O., Bd. 3, S. 1656/57. 13

14

Heilfron, a. a. O., Bd. 3, S. 1708.

Heilfron, a. a. O., Bd. 3, S. 1657. Die Erwiderung von Dr. Runkel DFP bei Heilfron. Bd. 3. S. 1700.

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Gewissensfreiheit in der Weimarer Reichsverfassung

die i n seinen Bann gezogen, welche auf der dem Glauben abgewandten Seite standen. Es sei hier an die Worte M. Schelers von dem „mannigfaltigen Abendrot" eines untergehenden Glaubens erinnert, zu dem auch noch die Vorstellung vom Gewissen i m Menschen zählt: „Das Gewissen i n diesem Sinne gehört so durchaus zu dem mannigfaltigen Abendrot der untergegangenen Sonne eines religiösen Glaubens. Erhält sich daher das Prinzip der Gewissensfreiheit — ohne diese Deutung — wie i n der neueren Zeit, wo sich z. B. die Atheisten auf dasselbe stellen und berufen und i n seinem Namen Forderungen erheben, so muß es naturgemäß zum Prinzip der sittlichen Anarchie w e r d e n " 1 5 .

15

Scheler, M.: Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 1921. S. 336.

Kapitel

II

Die spiritualisierende Interpretation der Gewissensfreiheit durch die Rechtswissenschaft 1. Die Spiritualisierung der Freiheit der Hausandacht in Geistesfreiheit Tatsächlich ist es die Rechtswissenschaft gewesen, die den Begriff der Gewissensfreiheit aus der Bedeutung der einfachen Hausandacht gelöst u n d i h n zum übergeordneten Begriff der religiösen Freiheit erk l ä r t hat. Es lassen sich dabei hauptsächlich drei Richtungen unterscheiden: Die erste Richtung behandelt Gewissensfreiheit, religiöse Bekenntnisfreiheit oder Religionsfreiheit gleich und entscheidet sich je nach Geschmack bald für den einen, bald für den anderen Begriff. Sie unterscheidet grundsätzlich drei Grade dieser Freiheit: die Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit i m engeren Sinne als Freiheit des Denkens, des inneren religiösen Vorganges. Die zweite Stufe der Glaubensfreiheit bildet die Kultusfreiheit, die Freiheit der Religionsübung, wozu auch zum Teil die Bekenntnisfreiheit gezählt wird. Die dritte Stufe der Glaubens-, Gewissens- oder Religionsfreiheit bildet dann die religiöse Assoziationsfreiheit. Es ließe sich n u n noch eine vierte Stufe anfügen: nämlich die Gewissensfreiheit als Freiheit den Kriegsdienst m i t der Waffe aus Gewissensgründen ablehnen zu dürfen. Die Dreiteilung hat G. Anschütz 1 vorgeschlagen u n d i h m folgend wurde es üblich, die Glaubensfreiheit i n den inneren Bereich der Bekenntnis* und Gewissensfreiheit und die beiden äußeren Bereiche der Kultus- und Vereinigungsfreiheit zu teilen. Diese Verinnerlichung und Spiritualisierung der Gewissensfreiheit, die weder historisch noch systematisch gerechtfertigt war, wurde dann der Anlaß, die Gewissensfreiheit als Grundrecht zu leugnen. Deshalb ist es verständlich, w a r u m die Vertreter der ersten Richtung, die die Gewissens- und Bekenntnisfreiheit gleichwertig behandeln und als Glaubensfreiheit i m weitesten Sinne n u r auf das forum internum bezogen wissen wollen, gleichzeitig auch zur zweiten Richtimg gezählt werden können, die der Gewissensfreiheit jeden Rechts- u n d Grund1 Anschütz, G.: in Handbuch des Dt. Staatsrechts, hrsgg. v. G. Anschütz und R. Thoma. 1932. II. S. 683.

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Spiritualisierung durch die Rechtswissenschaft

rechtscharakter abspricht 2 . Gegenüber der Trichotomie von Anschütz hatte W. K a h l eine Zweiteilung vertreten: Er ordnet den Begriff der Bekenntnisfreiheit, die Freiheit des Gewissens und die Freiheit des Kultus als zwei Erscheinungsformen des gleichen Rechtes unter. „Die Bekenntnisfreiheit hat ihre zweifache Erscheinungsform: I n der i n d i v i duellen Gewissensfreiheit und i n der gesellschaftlichen Kultusfreih e i t " 3 . Sowohl G. Anschütz wie W. K a h l legen die Gewissensfreiheit nicht historisch aus, sondern versuchen auf Grund der veränderten verfassungsrechtlichen Lage die Gewissensfreiheit als Teil der Bekenntnisfreiheit (Kahl) oder Gewissensfreiheit u n d Bekenntnisfreiheit als Teil der Religionsfreiheit oder Glaubensfreiheit i m weiteren Sinne zu begreifen (Anschütz). Da neben der Bekenntnis- und Kultusfreiheit eine Freiheit der Hausandacht ungereimt wäre, w i r d die Gewissensfreiheit i n das rein Innere abgedrängt. Anschütz gibt für die Gewissensfreiheit keine eigene Definition, sie ist für i h n n u r ein Teil der Glaubensfreiheit und Religionsfreiheit und letztere w i r d von i h m wie folgt definiert: „Religionsfreiheit ist die dem I n d i v i d u u m gewährleistete rechtliche Möglichkeit, sein Verhältnis zu allen religiösen Fragen nach Belieben gestalten, seiner religiösen, irreligiösen, antireligiösen Überzeugungen gemäß leben zu dürfen, alles t u n zu dürfen, was diese Überzeugungen fordern, alles unterlassen zu dürfen, was sie verbieten, i n all diesen Beziehungen frei zu sein von staatlichem Zwang, aber unter dem Vorbehalt des Gehorsams gegen die allgemeinen Staatsgesetze" 4 . Da die Gewissensfreiheit als Recht auf einfache Hausandacht überflüssig geworden war, wurde sie also i n das reine Innere abgedrängt; historisch aber ließ sich eine solche Auffassung der Gewissensfreiheit nicht rechtfertigen. I n zwei Lehrbüchern des Staatsrechts t r i t t dieser Vorgang der „Verinnerlichung" und damit verbundenen „Entrechtung" des Grundrechts der Gewissensfreiheit klar vor Augen. Beide Darstellungen zeigen noch deutlich den Ursprung der Gewissensfreiheit i n dem Recht auf einfache Hausandacht auf, interpretieren aber dieses Grundrecht i m Sinne geistiger Bewegungsfreiheit, da Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit bereits soweit auseinandergetreten waren, daß die Gewissensfreiheit als Recht auf einfache Hausandacht eine obsolet gewordene Verfassungsnorm darstellte. Für das bayerische Staatsrecht hat Max 2

Anschütz, G.: Die Verfassung des Dt. Reiches, 1929. Anm. 3 zu Art. 135; ebenso in Handbuch des Deutschen Staatsrechtes, a. a. O., I I S. 683 ff. 3 Kahl, W.: Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik, 1894, I, S. 289 und Handbuch der Politik, 1920, hrsgg. v. Anschütz, F. Berolzheimer u. a. I, S. 137; ähnlich auch Hamel, Die Bekenntnisfreiheit, ZGesStW, Bd. 109, H. 1, S. 54 ff. S. 76/77. 4 Anschütz: Handbuch des Deutschen Staatsrechts II, S. 675.

Leugnung des Rechtscharakters der Gewissensfreiheit

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von Seydel den die Gewissensfreiheit abhandelnden Abschnitt seiner staatsrechtlichen Untersuchungen m i t dem Titel „Gewissensfreiheit und Hausandacht" versehen 5 . Ganz i m Gegensatz zu diesem Titel, der seine Entstehung der Systematik der Bayer. Verfassimg von 1818 I V § 9 Abs. 1 verdankt, behandelt Seydel Gewissensfreiheit als ein rein inneres, dem Staate entzogenes Recht auf eigene Überzeugung. Für Preußen kann man denselben Vorgang der Spiritualisierung der Gewissensfreiheit w o h l am klarsten bei Meyer-Anschütz erkennen. MeyerAnschütz behandelt Gewissens- und Meinungsfreiheit als Ausdruck des Grundrechts der „geistigen Bewegungsfreiheit" 6 . E r räumt aber ein, daß nach dem A L R Gewissensfreiheit die Freiheit der Hausandacht bedeutet habe. Die Spiritualisierung der Gewissensfreiheit ist also ein Werk der Staats- und Kirchenrechtswissenschaft, veranlaßt einerseits durch den positivistischen Rechtsbegriff als einer n u r an das äußere Verhalten gerichteten Zwangsnorm und andererseits durch das Fortleben eines an und für sich obsolet gewordenen Grundrechts.

2. Die Leugnung des Rechtscharakters des Grundrechts der Gewissensfreiheit Die Sublimierung der Gewissensfreiheit zur Geistesfreiheit hatte die Folge, daß der rechtliche Charakter der Gewissensfreiheit angezweifelt wurde, w e i l eine Rechtsnorm nur dann vorliegen könne, wenn sie ein äußeres Verhalten des Menschen gestattet oder untersagt. Reine Geistesfreiheit als reservatio mentalis verstanden, war aber nicht notwendigerweise m i t irgendeinem äußeren A k t verbunden, sondern bestand gerade als geistiger Vorbehalt i n einer Einstellung, oder Überzeugung 7 , also einem rein inneren A k t . Da die Rechtsordnung nur als Summe von 5 M. v. Seydel, Das Staatsrecht des Königreichs Bayern, 1903, S. 340, § 120: Gewissensfreiheit und Hausandacht: „Die Staatsgewalt hat es mit den inneren Uberzeugungen des einzelnen nicht zu tun, auch dann nicht, wenn eine Mehrzahl von einzelnen in ihren Überzeugungen tatsächlich übereinstimmt"... „Der Staat läßt jeden glauben, was er will; aber er läßt nicht jeden handeln, wie er will." 6 Meyer-Anschütz, Lehrbuch d. Dtsch. Staatsrechts, 1919, S. 1000: „Das allgemeine Landrecht gewährt einem jeden Einwohner volle Glaubens- und Gewissensfreiheit, sowie das Recht des häusl. Gottesdienstes." Die soziologische Einheit von Gewissenfreiheit und Hausandacht bestand noch fort, als schon die begriffliche Trennung einsetzte und die Gewissensfreiheit zur Geistesfreiheit oder „geistigen Bewegungsfreiheit" erhoben wurde. MeyerAnschütz, a. a. O., S. 963. Gewissensfreiheit als geistige Bewegungsfreiheit. 7 Zorn, Ph.: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd. 1910, S. 353: „... Die Fähigkeit ,Überzeugungen zu haben4, entzieht sich allerdings der Rechtsordnung, die Fähigkeit aber, »Überzeugungen zu bekennen', hat der Deutsche vom Recht". Eine Jahrhunderte andauernde schwere Leidensgeschichte Deutschlands belegt diesen Satz mit den stärksten Beweisen.

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Spiritualisierung durch die Rechtswissenschaft

Normen gedacht wurde, die das äußere Verhalten der i h r unterworfenen Menschen zum Gegenstand hat, schied folgerichtigerweise die Gewissensfreiheit — nicht die Kultusfreiheit — aus dem Kreise der vom Staate gewährten oder möglicherweise zu gewährenden Grundrechte aus. M a n verstand i m Anschluß an Thomasius 8 , K a n t und Fichte Gewissensfreiheit n u r noch als funktionelle Einrichtung des Rechtsstaates, der Recht und Moral zu zwei getrennten Bereichen macht und nur ersterem seine Zwangsmittel zur Durchsetzung gewährt. Ein von anderen Grundrechten und von der übrigen Rechtsordnung abgegrenztes spezielles Recht auf Gewissensfreiheit konnte es nicht geben. Die Leugnung der Gewissensfreiheit als Grundrecht erfolgte also nicht nur deshalb, w e i l ein Teil der Lehre das Vorhandensein, ja die Möglichkeit von subjektiv öffentlichen Rechten überhaupt i n Abrede stellte, sondern w e i l der Positivismus einen so veräußerlichten Rechtsbegriff formuliert hatte, daß alles, was den inneren Menschen betraf, aus der Rechtsordnung auszuscheiden hatte. P. Laband hat das Gesetz vom 3. 7. 1869, das einzige seiner A r t , auch dementsprechend interpretiert, und die Behauptung aufgestellt, daß der Deutsche die Freiheit des Glaubens nicht vom Rechte, noch vom Reiche, sondern von der Natur habe 9 . E i n solcher Ausspruch mutet u m so merkwürdiger an, wenn man sich vergegenwärtigt, daß er aus dem Munde eines führenden Positivisten stammt. Es ist aber keineswegs ein Bekenntnis zum Naturrecht, sondern nur eine Glosse zur Rechtsnatur der Gewissensfreiheit. Da sie der Natur angehört, hat sie m i t Rechtssatzungen nichts gemein und da sie der inneren Natur angehört, kann sie rechtlich überhaupt nicht garantiert oder verletzt werden. Labands Auffassung hat auch weithin Zustimmung erfahren und man kann sagen, daß diese Auffassung von der Rechtsnatur der Gewissensfreiheit als einem rechtlich nicht faßbaren A k t der natürlichen Ordnimg sich durchgesetzt h a t 1 0 . Ph. Zorn fügt der grundsätzlichen Zustimmung eine Differenzierung 8 Girogio del Vecchio, Lehrb. d. Rechtsphilosophie, 1937, S. 252: „Zu seiner Zeit (Thomasius) war das Bedürfnis fühlbar geworden, der Wirksamkeit des Staates Schranken aufzulegen u. im gewissen Umfang f. den Einzelmenschen die persönl. Freiheit, vor allem diejenige des Denkens u. des Gewissens wieder zu gewinnen". Deshalb soll Thomasius nach der Ansicht del Vecchios das Recht für die Gebiete des Denkens, der Religion und des Gewissens für unzuständig erklärt haben. 9 Laband, P.: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1911,1, S. 161: „... denn der Deutsche hat die Fähigkeit, seine eigene relig. Uberzeugung zu haben u. zu bekennen von der Natur, nicht vom Recht. Um zu glauben, was man will, bedarf man des Reiches nicht". 10 Zorn, Ph., a. a. O., S. 353: „... Die Fähigkeit Überzeugungen zu haben, entzieht sich allerdings der Rechtsordnung, die Fähigkeit aber, Überzeugungen zu bekennen, hat der Deutsche vom Recht. Eine Jahrhunderte andauernde schwere Leidensgeschichte Deutschlands belegt diesen Satz mit den stärksten Beweisen."

Versuche einer neuen Sinngebung

91

bei, indem er zwischen der Fähigkeit Überzeugungen zu haben und Überzeugungen zu bekennen, unterscheidet, wobei er jene als außerrechtliche, diese als vom Rechte zuerkannte Fähigkeit bezeichnet.

3. Versuche einer neuen Sinngebung der Gewissensfreiheit durch ihre Interpretation als Bekenntnis- oder Meinungsfreiheit Schon A r t . 12 der Preuß. Verfassung hatte diesen Weg gewiesen und Gewissensfreiheit durch den Begriff der religiösen Bekenntnisfreiheit ersetzt. Dieser Vorgang geht auf den franz. Rechtskreis zurück. Von besonderer Wichtigkeit ist die Charte von L u d w i g X V I I I . , die i n A r t . 5 von dem Rechte eines jeden, seine Religion frei zu bekennen, spricht. I n der Staatsrechtswissenschaft hat die Bekenntnisfreiheit Schritt für Schritt die Gewissensfreiheit ersetzt, w e i l sie als äußerer A k t rechtlicher Garantie fähig war. W. K a h l unterschied deshalb seinen Begriff der Gewissensfreiheit i n individuelle Bekenntnisfreiheit und kollektive Kultusfreiheit 1 1 . Hinschius-Smend sprechen von der Gewissensfreiheit als von dem Recht „seinen Glauben oder auch seinen Mangel an jedem Glauben ohne Nachteile zu bekennen" 1 2 . Es ist schon einmal darauf hingewiesen worden, daß der Begriff der Bekenntnisfreiheit auch i n der gegenwärtigen staatsrechtswissenschaftlichen Literatur großer Beliebtheit begegnet u n d daß die Erläuterungswerke Gewissensfreiheit i n der Regel als Bekenntnisfreiheit interpretieren. Scharnagel 18 , Nawiasky 1 4 , R. Thoma 1 5 , W. H a m e l 1 6 , u m nur einige Namen zu nennen, haben sich dahingehend geäußert, daß man n u r bei der Bekenntnisfreiheit als von einem Grundrecht i m Rechtssinne sprechen könne. Die Interpretation der Gewissensfreiheit als Bekenntnisfreiheit war ein Versuch, die Spiritualisierung der Gewissensfreiheit zu einem 11

Charte Constitutionelle Française du 4 Juin 1814, Article 5: „Chacun professe sa religion avec la même liberté et profite de la même protection pour son culte". Kahl, W.: Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik, 1894, I, S. 289. 13 Hinschius-Smend: in Fleischmann und Stengels, Wörterbuch des Deutschen Staats- u. Verwaltungsrechts, 1913, S. 285. 18 Scharnagel: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, I, Sp. 725. 14 Nawiasky: Bayer. Verfassungsrecht, 1923, S. 247, Nawiasky-Leusser, Kommentar zur Bayer. Verfassg., 1948, zu Art. 107. 15 Thoma, R.: Jahrbuch ds. öffentl. Rechts, 1951, S. 73, 8. Sitzung des Redaktionsausschusses v. 7. 10. 48. 16 Harnel, W.: Die Bekenntnisfreiheit in: ZGesStW, Bd. 109,1953, H. 1, S. 54; ders., Das Bekenntnis als Gestalt der Freiheit, Arch. f. Rechts- u. Sozialphilosophie, Bd. 40, H. 4, S. 465.

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Spiritualisierung durch die Rechtswissenschaft

rechtsleeren Grundrecht innerer Denk- und Geistesfreiheit zu verhindern. Diese Interpretation brachte aber eine andere Gefahr, nämlich die der Säkularisation der Gewissensfreiheit m i t sich 1 7 . A r t . 4 Abs. 1 GG zählt die religiöse und weltanschauliche Bekenntnisfreiheit i m gleichen Atemzug auf und deutet damit schon an, daß qualitativ zwischen dem religiösen Bekenntnis und dem weltanschaulichen Bekenntnis kein Unterschied besteht. M i t der Auslegung der Gewissensfreiheit als Bekenntnisfreiheit wurde es nahegelegt, die Bekenntnisfreiheit als Spezialfall der Meinungsäußerungsfreiheit zu betrachten. Denn zwischen Meinungsäußerung und Bekenntnisäußerung besteht nur ein materialer, aber kein rechtlicher Unterschied. Wenn M i r b t für die Weimarer Verfassung die Subsummierung des A r t . 138 W V (Gewissensfreiheit) unter A r t . 118 W V (Meinungsfreiheit) abgelehnt hat, so tat er dies nicht aus sachlichen, inhaltsbedingten Gründen, sondern nur wegen der Vorschrift des A r t . 48 WV, der bei einer solchen Auslegung über A r t . 118 auch einen Eingriff i n die Gewissensfreiheit i m Wege des Notverordnungsrechts erlaubt hätte 1 8 . F. Giese hatte andererseits schon 1905 die Meinungsfreiheit als Gestalt und Auswirkung bzw. als Ergänzung der Religionsfreiheit und damit auch der Gewissensfreiheit behandelt 1 9 . Diese Ansicht ist auch i n neuerer Zeit wieder aufgegriffen worden. Das Recht der Gewissensfreiheit wurde aber nicht nur i n Bekenntnis- und Meinungsfreiheit umgedeutet, sondern es wurde diesem Grundrecht nach und nach eine Reihe von Spezialnormen subsumiert, u m damit dem Rechtsbegriff als äußerer Zwangsnorm bzw. dem Freiheitsbegriff als Freiheit von einem solchen äußeren Zwang genüge zu tun. Es wurde gängig der Gewissensfreiheit eine Anzahl positivrechtlicher Prinzipien staatlicher Toleranz zu subsumieren: So zählt Ha tscheck sieben differenzierte Rechte zur Gewissensfreiheit: a) Die Freiheit jeden beliebigen Glauben zu haben und zu äußern (Art. 118, 123, 149 I I WRV). b) Das Verbot an den Staat Ä m t e r wegen des religiösen Bekenntnisses zu verwehren, c) Freiheit der Eltern bezüglich der religiösen Erziehung, d) Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden (136 I V WRV). e) Freiheit vom religiösen Eid. f) A u s t r i t t aus einer Religionsgesellschaft ohne Verpflichtung i n eine andere einzutreten (Pr. Ges. v. 13. 12. 1918). g) Religiöses Schweigerecht) 20 . 17

Süsterhen-Schäfer: Kommentar d. Verf. f. Rheinl.-Pfalz, 1950, S. 21/22. Mirbt, H. C.: in Nipperdey, Die Grundrechte, a. a. O., II, 1930, S. 330. 19 F. Giese, Die Grundrechte in Abhandlungen aus dem Staats-, Verwaltungs- u. Völkerrecht, hrsgg. Zorn, Stier-Somlo, 1905, H. 2, Bd. 1, S. 120/21 über Meinungsfreiheit; S. 118, Anm. 4, über Gewissensfreiheit. 30 Hatscheck, J.: Deutsches u. Preuß. Staatsrecht. 1922, I, S. 124 ff.; RönneZorn, Das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 1882, Bd. 2, S. 152. 18

Einfluß der WHY auf die Interpretation

93

1 Der Einfluß der Weimarer Verfassung auf die Interpretation der Gewissensfreiheit durch die Rechtswissenschaft Nach dem Inkrafttreten der Weimarer Verfassung w a r der Begriff der Gewissensfreiheit wieder m i t verfassungsrechtlichem Charakter umkleidet worden, ohne daß man aber recht zu sagen vermochte, welche Bedeutung i h m eigentlich zukomme. So trat eine völlige Begriffsverwirrung ein, die auch bis zum heutigen Tage nicht beseitigt werden konnte 2 1 . a) G e w i s s e n s f r e i h e i t

und

Gedankenfreiheit

M i t A r t . 135 W V beginnt auch eine neue Interpretation der Gewissensfreiheit i m Sinne der Freiheit des sittlichen Bewußtseins und seiner Betätigung. Diese dritte Richtung fand i n dem A r t . 132 (Endfassung 135) der W V ihre Stütze, der Glaubens-, Gewissens- und Gedankenfreiheit nebeneinander garantierte. Der Berichterstatter, der Zentrumsabgeordnete Mausbach 22 , faßte den Artikelsinhalt i n der 59. Sitzung am 17. J u l i 1919 wie folgt zusammen: „Der A r t . 132 sichert allen Bewohnern des Reichs volle Glaubens-, Gewissens- und Gedankenfreiheit; M. a. W. die Freiheit, den religiösen Glauben zu bekennen und zu betätigen, die Freiheit, ihrem sittlichen Gewissen zu folgen u n d Gedankenfreiheit...". Durch den Streichungsantrag, den W. K a h l 2 8 i n der gleichen Sitzung stellte, fiel die Gedankenfreiheit fort, so daß dadurch der Aufbau des Artikels gestört wurde. Zur Begründung dafür gab W. K a h l an, daß man Gedankenfreiheit rechtlich nicht schützen könne, w e i l die Gedanken jeder äußeren Zwangsnorm von Natur aus entzogen seien. Für die Glaubensfreiheit ließ er auf Zwischenruf das gleiche Argument nicht gelten. b)

Gewissensfreiheit oder als F r e i h e i t

als der

sittliche Freiheit Persönlichkeit

Die Gewissensfreiheit löst sich als Grundrecht sittlicher Handlungsfreiheit von der Glaubensfreiheit ab und sucht zu einem selbständigen Grundrecht zu werden. Dabei ist sie wieder i n Gefahr sich i n die Freiheit sittlichen Bewußtseins zu verflüchtigen. Wollte man sie wie 21 Hamel, W.: Das Bekenntnis als Gestalt der Freiheit, a. a. O., S. 467: „Daher werden hier Gedanken-, Glaubens-, Gewissens- u. Uberzeugungsfreiheit, Freiheit des Bekenntnisses und der Weltanschauung, Rechte zur Ausübung des Kultus u. der Mission, sowie Körperschaftsrechte der Kirchen u. a. geistiger Gemeinschaften wirr nebeneinander gestellt". 22 Die Deutsche Nationalversammlung, herausgegeb. von Heilfron, Bd. 6, S. 4002. 23 Die Dtsche. Nationalversammlg., a. a. O., Bd. 6, S. 4009.

94

Spiritualisierung durch die Rechtswissenschaft

F. Giese als Grundrecht sittlicher Handlungsfreiheit proklamieren, so müßte die Gewissensfreiheit unter den Vorbehalt der allgemeinen Gesetze gestellt werden 2 4 . I m Grunde liegt hier der Ansatzpunkt zu den i m Grundgesetz i n A r t . 2 I garantierten Menschenrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit 2 5 . Die Gewissensfreiheit hat hier nur eine Umdeutimg i n Persönlichkeitsfreiheit erfahren, ein Versuch, der dadurch nahegelegt worden war, daß man Gewissensfreiheit als Freiheit der sittlich handelnden Persönlichkeit zu deuten verstand. Schon W. K a h l differenzierte zwischen religiöser und sittlicher Gewissensfreiheit, und er führte aus, daß i m 19. Jahrhundert die Gewissensfreiheit zur Freiheit des sittlichen Gewissens erweitert wurde und daß als ihre Äußerungen Redefreiheit, Lehrfreiheit, Pressefreiheit, Vereinsund Versammlungsfreiheit proklamiert wurden, während die religiöse Gewissensfreiheit sich zum Recht der freien Religionswahl ausbildete und ihren Niederschlag i n der Freiheit von der Vornahme kirchlicher Handlungen u. a. fand 2 6 . K a h l gibt aber für die Gewissensfreiheit i m Sinne der Freiheit des sittlichen Gewissens keine von dem Grundrecht der religiösen Gewissensfreiheit abweichende Definition. Bei G. J. Ebers findet sich ebenso ein Ansatz zu einer besonderen Definition der Gewissensfreiheit. Allerdings faßt er die Gewissensfreiheit noch als Teil der persönlichen Bekenntnisfreiheit auf: „Die persönliche Religionsfreiheit, Bekenntnisfreiheit besteht i n der durch keine äußeren Nachteile beschränkten individuellen Freiheit, einer bestimmten Uberzeugung von Gott oder einer Gottheit, und göttlicher Weltordnung zu besitzen, diese Überzeugung zu ändern, oder überhaupt auf eine positive religiöse Überzeugung zu verzichten (Glaubensfreiheit) und sein sittliches Verhalten nach seiner Überzeugung einzurichten (Gewissensfreiheit)" 27 . Somit w i r d verschiedentlich der Versuch unternommen, die Gewissensfreiheit aus der Isolierung zu befreien und i h r i n der Regelung des sittlichen Verhaltens ein neues von der Glaubensfreiheit nicht gedecktes Gebiet zuzuweisen. Das sittliche Verhalten läßt sich keinesfalls auf die rein innere Sphäre be24

F. Giese; Kommentar zur WV., 1926, Art. 135, II, 3 Peters, H.: Die freie Entfaltung der Persönlichkeit als Verfassungsziel, in: Festgabe für R. Laun, 1953, S. 669 ff., 671, Anm. 11: So versteht z. B. H. Peters die Persönlichkeit im Sinne einer zielstrebigen Ganzheit im Anschluß an die personalistische Wertphilosophie M. Schelers. Dadurch wird klar, daß Persönlichkeitsfreiheit im Sinne v. Gewissensfreiheit verstanden wird; ebenso H. Peters, Die freie Entfaltung, a. a. O., S. 669: Das Gewissen des Menschen will Peters als Norm des polit. Handelns wissen. (R. Laun, Der Wandel der Ideen v. Staat und Volk als Äußerung des Weltgewissens, Barcelona 1933, X X I I I , S. 470; ders. Recht und Sittlichkeit, Rektoratsrede, 10.11.1924.) 26 Kahl, W.: Lehrsystem des Kirchenrechts u. der Kirchenpolitik, 1894, I, S. 292. 27 Ebers. J. G.: Staat und Kirche im neuen Deutschland, 1930, S. 151. 25

Einfluß der WRV aui die Interpretation

95

schränken, sondern betrifft gerade die sozialen Beziehungen und damit die Außenwelt. Diese Sphäre w a r weder von der traditionellen Glaubensfreiheit, noch von der Bekenntnis- oder Kultusfreiheit gedeckt. — Stier-Somlo interpretiert ganz ähnlich wie Giese das Grundrecht der Gewissensfreiheit als ein Menschenrecht auf sittliche Handlungsfreiheit. Bemerkenswert ist vom heutigen Standpunkt aus, daß er auch die D r i t t w i r k u n g der Gewissensfreiheit als Grundrecht bejaht und dam i t dieses Recht nicht n u r gegenüber dem Staat gewährleistet sieht. So heißt es i m Deutschen Reichs- und Landesstaatsrecht: „Gewissensfreiheit ist Freiheit seinem sittlichen Gewissen gemäß zu handeln. Jeder obrigkeitliche Druck, der Ge- und Verbote des Gewissens verleugnet, ist unzulässig. Gewissensfreiheit gilt auch gegenüber D r i t t e n " 2 S .

c) G e w i s s e n s f r e i h e i t

als

Weltanschauungsfreiheit

M i r b t geht i n der Definition der Gewissensfreiheit noch einen Schritt über die Weimarer Verfassung hinaus, indem er dem A r t . 135 die Garantie der Weltanschauungsfreiheit unterstellt. Zwar kannte die W V i n A r t . 137 V I I die Weltanschauungsvereinigungen als den Religionsgesellschaften gleichgestellte und gleichberechtigte Vereinigungen. Dennoch war umstritten, ob durch A r t . 135 ein Individualrecht auf Weltanschauungsfreiheit begründet worden war. M i r b t definiert die Gewissensfreiheit als Weltanschauungsfreiheit wie folgt: „Gewissensfreiheit (Bekenntnisfreiheit ist Glaubensfreiheit) ist das Recht des einzelnen unabhängig von allen staatlichen Einwirkungen durch Gesetz, Verwaltungs- oder gerichtliche Akte seine Weltanschauung zu bilden oder nicht zu bilden, dann aber diesen Überzeugungen entsprechend zu handeln" Die Definition von M i r b t hat den Nachteil, daß sie den Begriff der religiösen Glaubensfreiheit vernachlässigt und dadurch zur entgegengesetzten Einseitigkeit gelangen muß. Glaubensfreiheit w i r d hier zur Weltanschauungsfreiheit vermindert, w e i l M i r b t nach wie vor an einer einheitlichen Begriffsdefinition der Glaubens- und Gewissensfreiheit festhalten w i l l . Die Interpretation der Gewissensfreiheit als Weltanschauungsfreiheit verbindet andererseits den Vorteil der modernen aktuellen Formulierung m i t dem Vorteil der Vereinigung von Glaubens- und Gewissensfreiheit zu einem einheitlichen Grundrecht der Weltanschauungsfreiheit. Diese moderne Formulierung der Gewissensfreiheit als Weltanschauungsfreiheit geht allerdings nicht erst auf M i r b t zurück, sondern ist schon von Oeschey 1914 als Interpretation der Ge28 29

Stier-Somlo, Deutsches Reichs- und Landesstaatsrecht, 1924, 1, S. 452. Mirbt, in H. C. Nipperdey, Die Grundrechte, a.a.O., II, 1930, S. 319ff.

96

Spiritualisierung durch die Rechtswissenschaft

Wissensfreiheit i n Tit. I V § 9 Abs. 1 der Bayer. Verfasung von 1818 vorgeschlagen worden 8 0 .

5. D i e

Abhängigkeit

der

Interpretation

rechtswissenschaftlichen vom

Staatsbegriff

Die Interpretation der Gewissensfreiheit durch die Staatsrechtswissenschaft folgt dem jeweils herrschenden Staatsbegriff. Sie ist, u m ein Wort Barions abzuwandeln 8 1 , eine Funktion des Verhältnisses von Staat und Kirche. Dort wo Staat und Kirche eine Einheit darstellen, w i r d Gewissensfreiheit als Recht auf häusliche Andacht verstanden, w e i l das gesamte öffentliche Leben bis zur Schwelle des Hauses von Staat und Kirche gestaltet wird. I m „christlichen Staat", der mehreren oder allen Konfessionen Parität gewährt, versteht man unter Gewissensfreiheit eine ganze Anzahl verschiedener Rechte der religiösen Minderheiten. Das Grundrecht der Gewissensfreiheit hat dann keinen subjektiven Rechtsinhalt mehr, sondern verfällt der Spiritualisierung. E i n ganz ähnlicher Vorgang vollzieht sich m i t dem genannten Kirchenrecht auf protestantischem Boden, zu dessen Normenbereich auch das Grundrecht der Gewissensfreiheit als Teil des Staatskirchenrechts gehört. R. Sohm 3 2 hat die Unvereinbarkeit von Kirchenredit und Kirche behauptet und damit das Methodenproblem des evangelischen Kirchenrechts i n eine noch nicht gelöste Aporie geführt 8 8 . I m neutralen Staat, i m état laique, w i r d Gewissensfreiheit zum Prinzip der Trennimg von Kirche und Staat. Dort, wo die Gewissensfreiheit noch m i t subjektivem Rechtscharakter umkleidet ist, w i r d sie zum Recht der sittlichen Persönlichkeit auf freie Entfaltung, zum Persönlichkeitsrecht. I m Weltanschauungsstaat schließlich wandelt sich Gewissensfreiheit erneut ab zum Recht eines jeden auf freie Bildung und Betätigung seiner Weltanschauung. Damit schließt sich i m gewissen Sinne der Kreis von Konfessions- und Weltanschauungsstaat.

80

81

Oeschey, a. a. O., S. 143.

Barion, H.: Rudolf Sohm und die Grundlegung des Kirchenrechts, 1931, S. 13. Barion erklärt, daß das Kirchenrecht eine Funktion des Kirchenbegriffes darstelle. 32 Sohm, R.: Kirchenrecht, Bd. 1, S. 481: „Möge das Kirchenredit immer sein wie es will, man lasse uns nur das Evangelium und das Gewissen frei, daß wir das Kirchenredit nicht für Recht zu halten brauchen... Die Kirche Christi will kein Kirchenrecht." 83 Wehrhahn, H.: Der Stand des Methodenproblems in der evangelischen Kirchenrechtslehre in Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, 1951, S. 55 ff. S. 75.

Kapitel

III

Der Zusammenbruch des Weimarer Grundrechtssystems und die Wiederverankerung rechtsstaatlicher Grundrechte in den deutschen Ländern 1. Die Gewissensfreiheit nach 1933 Zwar zählte das Grundrecht der Gewissensfreiheit zu den reichsverfassungskräftigen Grundrechten erster Ordnung, die n u r m i t qualifizierter Mehrheit durch ein verfassungsänderndes Gesetz hätten beseitigt werden können 1 und dennoch stand und fiel es m i t den unter dem Diktaturvorbehalt des A r t . 48 stehenden anderen Grundrechten, w e i l die Gewissensfreiheit i n Rechtslehre und Rechtswirklichkeit aufgehört hatte, Grundrecht zu sein. So ist es verständlich, wenn das Ermächtigungsgesetz vom 24. 3. 1933, das A r t . 135 S 1 W V formell unberührt ließ, dennoch materiell einen Zustand schuf, den Fr. Meinecke m i t völliger Gewissensunfreiheit charakterisiert hat 2 . Wenn Meinecke die Zeit nach 1933 m i t dem Verlust der Gewissensfreiheit charakterisiert, so liegt seinen Worten nicht mehr die Vorstellung der Gewissensfreiheit als einem Grundrecht auf einfache Hausandacht zugrunde 3 . Die Staatsrechtswissenschaft kann sich darüber keiner Täuschung hingeben, daß seit Jahrzehnten ein rechtlich abgegrenzter Begriff der Gewissensfreiheit als einem Grundrecht nicht besteht, ja, daß aus ihren eigenen Reihen dazu beigetragen wurde, dieses Grundrecht zu entrechten und schließlich als eine A r t reservatio mentalis aus den subjekt-öffentlichen Rechten auszuscheiden. Der Umstand, daß einer der führenden deutschen Historiker eine bestimmte Epoche deutscher Geschichte als durch das K r i t e r i u m des Verlustes der Ge1

Thoma, R.: Grundrechte und Polizeigewalt in Festgabe zur Feier des 150jährigen Bestehens des Preuß. OVG, 20. Nov. 1925, S. 181 ff., bes. S. 191, Anm. 7. Thoma, R., Die juristische Bedeutung der Grundrechte der RV in H. C. Nipperdey, Die Grundrechte, a. a. O., I, S. 1 ff., bes. S. 39 gegen die Annahme bestimmter absoluter formaler Bestimmungen der Verfassung, die von C. Schmitt, Verfassungslehre 1928, S. 163 vertreten wurde. Thoma, R. auch in der Bekenntnisfreiheit sah keine solche absolute unabdingbare Verfassungsnorm (S. 43). Thoma, R., im Handbuch der Dtsch. Staatsrechte II, 1932, S. 607. 2 Meinecke, F.: Die deutsche Katastrophe, 1946. S. 124,125/126, S. 130/31,132, 134. s Meinecke, F.., a. a. O., S. 130: Meinecke versteht Glaubens- und Gewissensfreiheit im Sinne von „Freedom of thought" im Anschluß an die Rede Roosevelts auf der Havard-Universität, 1936. Scholler. Die Freiheit.

7

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Zusammenbruch und Wiederverankerung der Grundrechte

Wissensfreiheit gekennzeichnet darstellt, dürfte zu denken geben. Der Schutz der Bekenntnisfreiheit ist eben jedoch nicht gleichbedeutend m i t der Garantie der Gewissensfreiheit und es würde eine Lücke i n unserer Verfassung bleiben, wollte man zugunsten des Begriffes Bekenntnisfreiheit auf die Garantie eines umfassenderen Gewissensschutzes verzichten, wie dies einige Autoren vorgeschlagen haben 4 . Es ist nicht möglich, das Problem der Gewissensfreiheit i n der nationalsozialistischen Zeit zu untersuchen. Es genügt aber, kurz darauf hinzuweisen, daß das Gewissen i m Sinne Nietzsches 5 als christlichjüdische Krankheit angesehen wurde und daß man es als eine Schande wie die Beschneidung bezeichnet 6 hat. Schließlich mag noch der Ausspruch erwähnt werden: „ A d o l f Hitler ist mein Gewissen", der i n seiner lapidaren Formulierung nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrigläßt und zeigt, daß die Versklavung bis i n die innersten Bindungen hinein geplant und realisiert wurde 7 . — Als rechtlicher Niederschlag der damaligen Zeit sei hier der sog. Gewissensfreiheitserlaß erwähnt, der scheinbar an altes Grundrechtsgut anknüpfend, doch unverhohlen den Mitgliedern einer Partei Freiheit i m negativen Sinne, d.h. von herkömmlichen Bindungen gewährt 8 . Ähnlich garantiert auch die sowjetrussische Verfassung Gewissensfreiheit, behält sie aber nur der Arbeiterklasse vor. E i n Freiheitsrecht, das nur einer Klasse oder Partei eingeräumt w i r d und damit gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt, ist nur ein schlecht verhohlener Ausdruck für die Unfreiheit anderer Parteien und Klassen, die dadurch bewirkt w i r d 9 . Über den Zustand i n Deutschland und i n den besetzten Gebieten gibt das umfassende Werk von M. S. Bates A u s k u n f t 1 0 . 4 5

So Thoma, R., Nawiasky, Hamel, W. Nietzsche, Genealogie der Moral, Werke Bd. 5, Krönerausgabe 1950, S. 16: „Ich nehme das schlechte Gewissen als die tiefe Erkrankung, welcher der Mensch unter dem Druck jener gründlichsten aller Veränderungen verfallen mußte, die er überhaupt erlebt hat, jener Veränderung, als er sich endgültig in den Bann der Gesellschaft und des Friedens eingeschlossen fand;" ebenso Umwertung aller Werte, Werke Bd. 5, Nr. 2. 6 Bullock, Alan: Hitler, Eine Studie über Tyrannei, 1953, S. 386. ' Bonhoeffer, D.: Ethik, 1949, S. 189. 8 Gewissensfreiheitserlaß des Stellvertreters des Führers der NSDAP vom 10. Oktober 1933: „Kein Nationalsozialist darf irgendwie beeinträchtigt werden, weil er sich nicht zu einer bestimmten Glaubensrichtung oder Konfession, oder weil er sich überhaupt zu keiner Konfession bekennt. Der Glaube ist eines jeden eigenste Angelegenheit, die er nur vor seinem Gewissen zu verantworten hat. Gewissenszwang darf nicht ausgeübt werden." Zitiert nach Glungler. Theorie der Politik, 1939, S. 51. 9 Verfassung der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken v. 5. Dez. 1936, Art. 124: „Zum Zwecke der Gewährleistung der Gewissensfreiheit für die Bürger sind in der UdSSR die Kirche vom Staat und die Schule von der Kirche getrennt. Die Freiheit der Ausübimg religiöser Kulthandlungen und die Freiheit antireligiöser Propaganda werden allen Bürgern zuerkannt." Abgedr. bei Klatt, a. a. O., S. 78. 10

Bates. M. S.: Glaubensfreiheit, a. a. O.. S. 30—61.

Gewissensfreiheit in internationalen Deklarationen

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2, Das Menschenrecht der Gewissensfreiheit in den internationalen Deklarationen der westlichen Welt Der Wiederaufbau des Rechtsstaates i n Deutschland bringt audi eine Wiederverankerung der Grundrechte als dem Fundament eines jeden Rechtsstaates m i t sich 1 1 . Zunächst aber setzt die Besinnung auf die Grundrechte und besonders auf das Grundrecht der Gewissensfreiheit i n dem m i t Deutschland i m Kriege liegenden westlichen Demokratien ein. Schon 1936 wandte sich Rooesevelt gegen die modernen Hexenprozesse und verkündete „Freedom of thought". I n seiner Botschaft an den Kongreß vom 6. 1. 1941 proklamiert der amerikanische Präsident m i t den Worten: „ I n the future days, which we seek to make secure, we look forward to a w o r l d foundet upon four essential human freedoms" die berühmten vier Freiheiten, zu denen auch die Gewissensfreiheit nach der 1. Freiheit der Meinungsfreiheit gehört. M i t den Worten: „ T H E SECOND is freedom of every person to worship God i n his own way — everywhere i n the world" übernimmt Roosevelt die alte amerikanische Formulierung der liberty of conscience als der Freiheit „to worship God according to the dictates of conscience". A m 1.1. 1942 folgte die Erklärimg der Vereinten Nationen, i n der als Kriegsziel Leben, Freiheit und Religionsfreiheit genannt werden. Die Charta der UNO, die an sieben Stellen die Menschenrechte erwähnt, schützt i n A r t . 1 Nr. 3 die Religionsfreiheit. Es k a m zur Einsetzimg einer Kommission für Menschenrechte, die am 21. 6. 1946 vom Rat für wirtschaftliche u n d soziale Fragen der UNO eingesetzt w i r d 1 3 . Diese Kommission tagt i m Dezember 1947 i n Genf. A m 10. 12. 1948 w i r d das Ergebnis dieser Beratungen von der Vollversammlung der UNO als „allgemeine Erklärung der Menschenrechte" angenommen. Auch die Gewissensfreiheit findet i n dieser Erklärung eine Verankerung. A r t . 18 Abs. 1 S. 1 garantiert zusammen m i t der Gedankenfreiheit die Gewissens- u n d Religionsfreiheit für jeden Menschen 13 . I m Nachsatz dazu w i r d ausgesprochen, daß dieses Recht sowohl die Freiheit umfaßt, seine Religion oder Überzeugung zu wechseln, als auch das Recht seine Religion oder Überzeugung allein oder i n Gemeinschaft m i t anderen i n 11

Liermann: Das Recht der Religionsfreiheit in „Die Ordnung Gottes u. d. Unordnung der Welt", Beiträge zum Amsterdamer ökumenischen Gespräch, 1948, S. 187. u Friesenhahn: Die internationale Deklaration in Recht, Staat, Wirtschaft, II., S. 61—82, Bes. S. 65. 13 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO v. 10. 12. 1948, Art. 18: „Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- u. Rel.-Freiheit. Dieses Recht umfaßt die Freiheit, seine Religion od. seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion od. seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden." *

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Zusammenbruch und Wiederverankerung der Grundrechte

der Öffentlichkeit oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst, Riten zu bekunden. Hier ist also auch der alten Gewissensfreiheit Erwähnung getan, da das Recht des A r t . 18 Abs. 1 S. 1 nach der Interpretation des nachfolgenden S. 2 auch das Recht umfaßt, allein privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst seine Religion oder Überzeugung zu bekunden. Die Denk-, Gewissens- und Religionsfreiheit des A r t . 18 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beschränkt sich aber nicht auf den Schutz der Geheim- und Privatsphäre, sondern umgreift auch die öffentliche, gemeinschaftliche Ausübung und Bekundung der Religion und der Überzeugung. Die Auslegung der Generaldeklaration begegnet besonderen Schwierigkeiten, da nach der bisherigen herrschenden Lehre des Völkerrechts subjektive Völkerrechtsnormen nur zwischen Staaten begründet werden konnten 1 4 . Die Schwierigkeiten, die sich bei der Auslegung und Anwendung der UN-Menschenrechtserklärung ergaben, führten zu einer engeren Zusammenarbeit der westeuropäischen Staaten auf dem Gebiete des Menschenrechtsschutzes. Diese Zusammenarbeit fand ihren Niederschlag i n der am 4. November 1950 statuierten Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten 1 5 . Der E n t w u r f des Rechtskomitees der Europäischen Bewegung und der E n t w u r f der beratenden Versammlung des Europarats waren der Europäischen Konvention vorausgegangen 16 . Beide Entwürfe befaßten sich m i t dem Schutz der Gewissensfreiheit; ersterer wollte i n A r t . 1 d „die Freiheit des Glaubens, der religiösen Lebensweise und Lehre" sichern, letzterer formulierte i n A r t . 2,5 „Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit" i n Übereinstimmung m i t A r t . 18 der Erklärung der Vereinten Nationen. A r t . 9 der Europäischen Konvention lehnt sich demzufolge eng an A r t . 18 an, wenn er Gewissensfreiheit m i t folgendem Wortlaut garantiert: „Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit des einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung, einzeln oder i n Gemeinschaft m i t anderen, öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, durch die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben 17 . 14

Dazu Friesenhahn, a.a.O., S. 72 mit weiterer Literatur; Brügel, J. W.: Die allgem. Erklärung der Menschenrechte in Europa-Archiv, 1949, H. 20, S. 2529; Partsch, K. J.: Internationale Menschenrechte, AöR, Bd. 74, 1948, H. 2, S. 158. ** BGBl. II, 1952, S. 686—700. 16 Dokumente, die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, herausgegeben v. C. Weiß, 1954, XV, S. 37 u. S. 40. 17 Dokumente, a. a. O.. S. 50.

Westdeutsche Länderveriassungen

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Die Gewissensfreiheit der europäischen Konvention lehnt sich bewußt an die allgemeine Erklärung der Menschenrechte an, so daß es berechtigt ist, A r t . 9 der Europäischen Konvention i m Sinne der Präambel der UN-Deklaration auszulegen. Dort heißt es: „Da die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens i n der Welt bildet, da Verkennung und Mißachtung der Menschenrechte zu A k t e n der Barbarei führten, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben und da die Schaffung einer Welt, i n der dem Menschen, frei von Furcht und Not, Rede- und Glaubensfreiheit zuteil wird, als das höchste Bestreben der Menschheit verkündet worden i s t . . . verkündet die Generalversammlung die vorliegende allgemeine Erklärung der Menschenrechte . . . " Diese Worte erheben die Glaubens- und Gewissensfreiheit zu den höchsten Gütern der Menschheit u n d machen gleichzeitig deutlich, daß nicht nur die Verletzung der Glaubensfreiheit, sondern die Verkennung und Mißachtung irgendeines Menschenrechts das Gewissen der Menschheit, nicht nur des einzelnen Menschen, verletzt. Dadurch vermehren sich die Schwierigkeiten, der Gewissensfreiheit eine klar umrissene Funktion innerhalb des Systems der Grundrechte einzuräumen. Denn bei der Auslegung des Grundgesetzes der Bundesrepublik muß man versuchen, eine Übereinstimmung zwischen A r t . 4 Abs. 1 GG und A r t . 9 der Europa-Konvention herzustellen. Die EuropaKonvention umgreift i m Schutz der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit eine Fülle von Einzeltatbeständen, die von der einfachen Hausandacht bis zur öffentlichen Religionsübung, von der Freiheit des Bekenntnisses der Weltanschauung und der philosophischen Einstellung bis zur Freiheit des Unterrichts und der Lehre reichen. Sowohl die allgemeine Erklärung der Menschenrechte als auch die Europa-Konvention verstehen unter Gewissensfreiheit nicht einen Schutz des unzugänglichen Innenlebens, sondern eine Garantie äußerer Verhaltensweisen des einzelnen allein oder i n Gemeinschaft m i t anderen, privat oder öffentlich. Auch dieser Umstand w i r d bei einer Interpretation beachtet werden müssen.

3. Die westdeutschen Linderverfassungen I n Westdeutschland führte die staatliche Neuordnung zuerst i n den Ländern zur Verfassungsgesetzgebungswerken, die den Schutz der Gewissensfreiheit i n den Katalog der Menschenrechte aufnahmen und verfassungsmäßig verankerten. I n Württemberg-Baden garantiert die Verfassung vom 28.11.1946 i n A r t . 10, I I : „ A l l e Menschen genießen volle Gewissens- und Glaubensfreiheit. Sie können ihre Religion frei

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ausüben und sich zu Religionsgemeinschaften vereinigen. 11 Nebinger hat die übliche einschränkende Interpretation der Gewissensfreiheit abgelehnt und A r t . 10, I I nicht als einen rein „psychischen Tatbestand" ausgelegt 18 . Die Bayer. Verfassung garantiert i n A r t . 107 den Schutz der Glaubens- u n d Gewissensfreiheit 19 . I n den Verhandlungen hat der Abgeordnete Högner dieses Menschenrecht als eins der ältesten Freiheitsrechte bezeichnet, das aus den Glaubenskämpfen des 17. Jahrhunderts stamme und zuerst i n Amerika Boden gefaßt habe 2 0 . Aus diesen Worten geht hervor, wie stark der Einfluß der amerikanischen Verfassungsnormen bei der Entstehung der neuen deutschen Länderverfassungen eingewirkt hat, sei es als Nachwirkung der staatsrechtswissenschaftlichen Arbeiten G. Jellineks, sei es als Niederschlag der amerikanischen Besatzimgszeit. Die Worte Glaubens- und Gewissensfreiheit sind ihrem Ursprung und Boden nach deutsch und hatten eine ganz beschränkte Bedeutung. Wie schon dargelegt, sollten sie ursprünglich den Untertanen vor dem Auswanderungszwang schützen, indem sie die einfache Hausandacht allen Einwohnern garantierte. Interessanterweise hat die Bayer. Verfassung diese alte Form der Gewissensfreiheit versteckt an einer anderen Stelle aufbewahrt und als eine A r t Petrefakt verfassungsgeschichtlicher Steinzeit auf uns gebracht. A r t . 142 I I der Bayer. Verfassung bestimmt nämlich: „Die Freiheit der Vereinigimg zu gemeinsamer Hausandacht, zu öffentlichen Kulthandlungen und Religionsgemeinschaften sowie deren Zusammenschluß innerhalb Bayerns unterliegen i m Rahmen der allgemein geltenden Gesetze keinerlei Beschränkung." I n den Beratungen zu A r t . 105 Abs. 2 (Endfassung 142 I I ) wurde lediglich zwischen den Abgeordneten Schwalber, Dr. Fendt und Prof. Nawiasky darüber diskutiert, ob die Schranken der allgemeinen Gesetze zu streichen seien 21 . I n der zweiten Lesung dagegen wurde angefragt, ob der Schutz der gemeinsamen Hausandacht nicht überflüssig sei. A u f diese Frage erwiderte der A b geordnete Högner, daß er diese Formulierung eigentlich für überflüssig halte, daß aber die Religionsgesellschaften Wert darauf gelegt hätten, diese alte Bestimmung aus der Verfassung von 1818 zu übernehmen 2 2 . Dieser Hinweis auf die Verfassung von 1818 bedarf insofern der K o r rektur, als T i t e l I V § 9 I der Verfassung des Königreichs Bayern vom 26. M a i 1818 unter der Gewissensfreiheit nur die einfache, nicht aber die gemeinsame Hausandacht schützen wollte. 18 19

Nebinger, Die Verfassg. v. Württemberg-Baden, 1948, Anm. 3 zu Art. 10. Bayer. Verfassung v. 2.12.1946, Art. 107,1: „Die Glaubens- u. Gewissensfreiheit ist gewährleistet." 30 Bayer. Verfassgs.-Urkunde, stenogr. Berichte, Bd. I, S. 208, 9. Sitzung, 31. Juli 1946,1. Lesung. 31 Bayer. Verfassgs.-Urkunde, a. a. O., I, S. 279. 18 Bayer. Verfassgs.-Urkunde, a. a. O., II, S. 367, 16. Sitzung v. 12. 8.1947.

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Es ist nun sehr eigenartig zu sehen, daß das gleiche Grundrecht aus der Verfassung des Königreichs Bayern i n doppelter Gestalt modifiziert wiederkehrt und als Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit i n A r t . 107 I und als Recht der gemeinsamen Hausandacht i n A r t . 1421 der Bayer. Verfassung verankert wird. Dabei ist die historische Kontinuität so zerbrochen, daß das eine Grundrecht als amerikanische Formulierung, das andere als überflüssiger Bestandteil der bayer. Verfassungsrumpelkammer angesehen wird. Auch hier ist die äußere Trennung der Gewissensfreiheit von ihrer soziologischen Basis ein Ergebnis des bereits beschriebenen Spiritualisierungsprozesses gewesen. Wenn Nawiasky-Leusser Gewissensfreiheit als rein inneren psychischen Tatbestand ablehnen und dafür i n A r t . 107 Abs. 1 nur das Grundrecht der Bekenntnisfreiheit garantiert sehen können, so ist das nur die Reaktion auf die Verflüchtigung der Gewissensfreiheit i n einen dem Rechte unzugänglichen geistigen Bereich 2 8 . Die Interpretation des A r t . 107 I als Bekenntnisfreiheit ist aber i m gewissen Sinne eine Interpretatio contra legem. Allerdings gibt A r t . 107 selbst i n I I I und I V eine gewisse Hilfestellung dazu, da er i n diesen Absätzen vom „religiösen Bekenntnis" spricht, von dem sowohl der Zugang zu öffentlichen Ämtern, als auch der Genuß wohlerworbener Rechte und die Ausübung der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte unabhängig sein soll. A r t . 107 V B V bringt demgegenüber den Begriff der „religiösen Überzeugung". Er garantiert das Schweigerecht gegenüber der öffentlichen Gewalt hinsichtlich der religiösen Anschauungen des Staatsbürgers. I n seiner allgemeinen Staatslehre hat H. Nawiasky allerdings einen anderen Standpunkt vertreten; dort macht er dem Liberalismus und dem Rationalismus den Vorwurf, daß sie „Gefühl und Gewissen als lebendige Kräfte und ethische Faktoren aus dem Gemeinschaftsleben ausgemerzt" hätten 2 4 . Wenn man Gewissen und Gefühl als gemeinschaftsbildende Faktoren anerkennt, dann müssen sie auch i m Raum des Rechts faßbar und gestaltbar sein. Es ist gerade ein Ausdruck des von H. Nawiasky bekämpften Rationalismus und Liberalismus, das Grundrecht der Gewissensfreiheit als außerhalb der Rechts- u n d Gemeinschaftsordnung befindliches Recht darzustellen. Die Verfassung von Hessen vom 11. 12. 1946 schützt i n A r t . 9 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Überzeugung 25 . Die Hessische Verfassung löst ebenfalls wie die Bayerische u n d die Verfassimg von Rheinland-Pfalz das Grundrecht der 28

Nawiasky-Leusser: Die Verfassung des Freistaates Bayern, Handkommentar 1948, Erläuterungen zu Art. 107, S. 190; Nawiasky-Lechner, Ergänzungsband, Erläuterung zu Art. 107, S. 116. * Nawiasky , H.: Allgemeine Staatslehre, 2. Teil, Bd. 1, S. 179/180. 95 Verfassung des Landes Hessen, A r t 9: „Glauben, Gewissen und Überzeugung sind frei. M

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Gewissensfreiheit aus dem Zusammenhang m i t den staatskirchenrechtlichen Normen heraus, und stellt sie unter die Normen, die das I n d i v i duum als Menschenrechte gegenüber dem Staate behaupten kann 2 6 . Zinn-Stein geben für Glaubens-, Gewissens- und Überzeugungsfreiheit drei Begriffsbestimmungen. Glaubensfreiheit w i r d als Freiheit der innneren Glaubensentscheidung, Überzeugungsfreiheit als Gedankenfreiheit definiert 2 7 . Gewissensfreiheit dagegen ist nach Zinn-Stein das Recht, sich nach dem sittlichen Bewußtsein zu entscheiden und zu handeln. Der Kommentar von Zinn-Stein n i m m t dabei Bezug auf M. S. Bates, der das Gewissen als den Träger der sittlichen Entscheidung bezeichnet, i n der sich i n einer freien Persönlichkeit äußere und innere Beweggründe zu einer Einheit verbinden 2 8 . Diese Begriffsbestimmung hat den großen Vorteil, daß sie auf das Gewissen nicht schlechthin verzichtet und aus der Anerkennung der sozialen Bedeutung sittlicher Entscheidung auch die verfassungsrechtliche Konsequenz zieht. Der Nachteil der Definition zeigt sich aber darin, daß die Entscheidungsfreiheit von Rechts wegen auf einem großen Gebiet der Tatbestände des täglichen Lebens eingeschränkt ist. Entscheidungsfreiheit würde also bedeuten, daß man auch i m Konflikt m i t den Normen des sozialen Rechtsstaates dem einzelnen die Freiheit des Rechtsbruches und der Rechtsverletzung einräumen müßte. So sehr das neue Verständnis f ü r das Problem der Gewissensfreiheit zu begrüßen ist, ebensosehr muß vor einer Überforderung des A r t . 9 der Hessischen Verfassung (4 I GG) gewarnt werden, da sonst wieder die Negierung des Rechtscharakters als natürliche Folge eintreten muß. Die Verfassung von Rheinland-Pfalz vom 18. 5. 1947 garantiert i n A r t . 8 ebenfalls die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Überzeugung 20 . Süsterhen-Schäfer deuten diese Bestimmung als Recht, einen bestimmten Glauben oder eine bestimmte Überzeugung zu haben. Es w i r d allerdings hinzugefügt, daß diese Freiheit nur für die nach außen hervortretenden A k t e des Glaubens, also für die des Bekenntnisses und der Religionsübung oder Weltanschauung Bedeutung haben kann. „ A n sich bedeutet die Freiheit, einen bestimmten Glauben oder eine bestimmte Überzeugung zu haben, wie auch die Freiheit des Gewissens 26

Ebenso Art. 4 I GG; auf diese Tatsache scheinen zuerst Süsterhen-Schäfer hingewiesen zu haben. Süsterhen-Schäfer, Kommentar d. Verf. f. Rheinl.Pfalz, 1950, Anm. 2 zu Art. 8. 27 Zinn-Stein, Die Verfassung des Landes Hessen (Kommentar), 1954, Bd. 1, Anm. 3 zu Art. 9, S. 125. 28 Zinn-Stein, a.a.O., Anm. 3 zu Art. 9, S. 125; S. Bates, Glaubensfreiheit, a. a. O., S. 444 ff. 29 Verfassung v. Rheinland-Pfalz, Art. 8 I. „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Überzeugimg ist gewährleistet".

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einen inneren Vorgang, i n den einzugreifen für die Staatsgewalt begrifflich schon keinerlei Möglichkeit besteht. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit kann sich daher i m Sinne des Abs. 1 nur auf die nach außen i n Erscheinung tretende A r t dieser Freiheit beziehen..." 8 0 . SüsterhenSchäfer kehren damit wieder zur Lehre von der Unzugänglichkeit des Gewissens und der Unangreifbarkeit des forum internums durch staatliche A k t e zurück. Sie versuchen allerdings durch Umdeutung des A r t . 81 i n Bekenntnis- oder Kultusfreiheit ganz ähnlich wie Nebinger und Mangoldt die Gewissensfreiheit vor der Streichung aus dem Katalog der Grundrechte zu retten. Materiellrechtlich sehen Süsterhen-Schäfer i n der Gewissensfreiheit verschiedene Einzelrechte garantiert, zu denen das Recht gegenüber dem Gesetzgeber gehört, keinen bestimmten Glauben zu gebieten oder zu verbieten. Außerdem zählen sie zur Gewissensfreiheit das Recht auf religiöse Kindererziehung, das Recht des Lehrers, die Erteilung von Religionsunterricht zu verweigern, sowie das Recht den religiösen Eid zu verweigern 8 1 . Durch die Aufzählung dieser Einzelrechte, die auch i n der Verfassung Rheinland-Pfalz ihre Spezialnormierung gefunden haben, w i r d aber das Grundrecht der Gewissensfreiheit nur ausgehöhlt, da i h m i m Grunde genommen jede Eigenständigkeit und Eigenbedeutung geraubt wird. Auch i n anderen Ländern der Bundesrepublik wurde i n verschiedener Formulierung das Menschenrecht der Gewissensfreiheit deklariert. Die Verfassung von Württemberg-Hohenzollern vom 20. M a i 1947 garantiert dieses Grundrecht i n A r t . 9 m i t den Worten: „Glauben und Gewissens sind frei 8 2 ." Die Verfassung von Baden vom 22. M a i 1947 schützt i n A r t . 4 dasselbe Grundrecht, formuliert es aber etwas anders: „Die Glaubens- und die Gewissensfreiheit sowie die ungestörte Religionsausübimg werden gewährleistet und stehen unter staatlichem Schutz" 8 8 . Schließlich schützt auch die Verfassung von Bremen vom 21. 10. 1947 das Grundrecht der Gewissensfreiheit m i t einer Formel, die gleichlautend m i t den betreffenden Bestimmungen der Verfassungen von Rheinland-Pfalz und Hessen die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Überzeugung gewährleistet 8 4 . Der Unterschied dieser Formulierungen ist für die Interpretation der Gewissensfreiheit nicht bedeutungslos. 30

Süsterhen-Schäfer , a.a.O., Anm. 3 zu Art. 8; sie verweisen dabei auf H. v. Mangoldt, Anm. 2 zu Art. 4 GG und Nebinger, Anm. 3 zu Art. 10 WBV. 81 Süsterhen-Schäfer, a.a.O., Anm. 3—6 zu Art. 8; vgl. Art. 27, Art. 29, Abs. 3, Art. 34, S. 4, Art. 9, Abs. 2, Art. 8, Abs. 3, S. 2 der Verfassung vonRheinl.Pfalz. 32 Füßlein, R. W.: Deutsche Verfassungen, 1951, S. 364. 33

84

Füßlein, R. W., a. a. O., S. 98.

Füßlein, R. W., a. a. O., S. 183, Art. 14: „Glaube, Gewissen und Überzeugung sind frei/'

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Zusammenbruch und Wiederverankerung der Grundrechte 4. Gewissensfreiheit i n der Verfassung der DDR

Ehe nun aus diesem Gesichtspunkt heraus die Gewissensfreiheit des A r t . 4 Abs. 1 GG gewürdigt werden soll, zeigt ein kurzer Blick i n die Verfassung der DDR, daß auch dort Gewissensfreiheit eine Garantie i n der Verfassimg gefunden hat. Interessanterweise hält sich A r t . 41 der Verfassung der DDR, der volle Glaubens- und Gewissensfreiheit für alle Bürger gewährt, i n der Ausdrucksweise streng an den A r t . 135 S. 1 der WV. Dadurch w i r d den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit, die die völlige Unzulänglichkeit der bisherigen verfassungsrechtlichen Normen zum Schutz der Gewissensfreiheit bewiesen haben, i n keiner Weise Rechnung getragen. Immerhin sichert A r t . 42 Abs. 3 S. 1 VDDR auch das Schweigerecht, aus dem folgt, daß weder Staat noch Religionsgemeinschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft gegen den Willen des einzelnen i h r Wissen u m seine religiöse Überzeugung und seine Zugehörigkeit zu einem solchen Verband veröffentlichen dürfen 3 5 . Weitere Folgerungen daraus zieht A r t . 42 Abs. 1, S. 1, der Unabhängigkeit der privaten und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten von der Religionsausübung sichern soll und A r t . 42, Abs. 1, S. 2, der die Zulassung zum öffentlichen Dienst als unabhängig vom religiösen Bekenntnis erklärt. Schließlich w i r d auch noch zugesichert, daß niemand zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesformel gezwungen werden kann, A r t . 42, Abs. 4 V D D R 3 6 . War schon aufgefallen, daß sich A r t . 41, Abs. 1 VDDR auffällig eng an das Weimarer Vorbild anschließt, so w i r d dies durch die Systematik der Verfassung noch bestätigt, die den ganzen Normenbereich als A b schnitt V unter dem Titel Religion und Religionsgemeinschaften behandelt. Gewissensfreiheit zählt demnach zu den Rechten aus dem Verhältnis Staat—Religionsgemeinschaft und gewährt demzufolge dem einzelnen einen nur sehr bedingten und beschränkten Schutz. Da der Marxismus die Freiheitsrechte nur als Instrument der kapitalistischen Bourgoisie i m Kampf gegen die feudale Unterdrückung verstehen kann, verliert er selbstverständlich den richtigen Ansatzpunkt für das Verständnis der Gewissensfreiheit 37 . Gewissensfreiheit ist für i h n nur eine Umkleidung des Eigentumsbegriffes, die die individualistische Erwerbswirtschaft kapitalistischer Prägung auch i m Bereich des geistigen Überbaues zu sanktionieren hat. Dennoch versucht auch die Deutsche Demokratische Republik zu 85 Jacobi: „Staat und Kirche nach der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik*1, Zeitschrift f. evangelisches Kirchenrecht, 1951, Bd. 1, H. 1, S. 117.

*

91

Jacobi, a. a. O., S. 118.

Noack, F., Die Grundrechte und Grundpflichten der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, Leipzig 1954, S. 7 und 8.

Zusammenfassung

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einem neuen Verständnis der Gewissensfreiheit vorzudringen. Diese neue Gewissensfreiheit w i r d allerdings m i t umgekehrten Vorzeichen verstanden und es wäre nicht so falsch, sie eine Gewissensbefreiung zu nennen, d. h. Sanktionierimg der marxistischen Ideologie. Gewissensfreiheit heißt aber auch, schreibt Noack: „Volle Freiheit zur Aufklärung des Volkes, u m den Bürgern zu helfen, richtige, wissenschaftlich fundierte Anschauungen über alle Gesetze und Erscheinungen i n Natur und Gesellschaft zu erhalten" 5 *. Gewissensfreiheit versteht also dieser Staat darin, durch Rundfunk, Presse, F i l m und Aufklärungsaktionen die gelenkte öffentliche Meinung jedem einzelnen aufzudrängen und dabei jede persönliche Denkund Gewissenstätigkeit auszuschalten 89 . Diese Tendenz zur „Objektivierung der Grundrechte" hatte schon nach 1933 eingesetzt und sie lief schließlich darauf hinaus, jedem einzelnen Grundrecht die Qualität eines subjektiven Rechtes zu nehmen 4 0 . Es handelt sich dabei nicht nur u m einen „Bedeutungswandel der Grundrechte", sondern vielmehr u m das Ende der Grundrechte, denn die Subjektivität ist gleichsam der articulus stantis et cadentis der Grundrechte. Die Tendenz der Leugnung der Subjektivität der Grundrechte zeigt sich aber auch noch i m westdeutschen Verfassungsleben. Ridder hat hinsichtlich der Meinungsfreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG eine solche objektivierende Interpretation vertreten, die, angewendet auf A r t . 4 Abs. 1, nichts anderes bedeuten würde als die Leugnung der Gewissensfreiheit und ihre Verflüchtigung i n den objektiven Grundsatz des öffentlichen Gewissens 41 . Unter Berufung auf diesen Grundsatz könnten nun der Staat, die Partei, die gelenkte Presse oder sonstige Körperschaften und Anstalten m i t hoheitsrechtlichen Funktionen die Gleichschaltung der individuellen Gewissens- und Denktätigkeit m i t den i m „öffentlichen Gewissen", „ i n der Volksseele" zum Ausdruck kommenden Anschauungsschablonen, Schlagworten, Slogans erzwingen.

5. Zusammenfassung Bei der Würdigung der verfassungsrechtlichen Garantien der Gewissensfreiheit seit 1945 w i r d man die Verschiedenartigkeit der Formulierungen nicht einfach als Spielarten ein und desselben Rechts be88

80

Noack, F.: a. a. O., S. 70.

Vgl. Dovifat: Freiheit und Zwang der politischen Willensbildung, in Veritas, Justicia, Libertas, Festschrift zur Zweihundertjahrfeier der ColumbiaUniversität 1954, S. 33 ff. S. 42 und 43 hinsichtlich von Presse, Rundfunk und Film in der DDR. 40 Huber, E. R.: Bedeutungswandel der Grundrechte, Archiv f. öffentl. Recht, Bd. 23, S. 1 ff. 41 Ridder, H.: Meinungsfreiheit in Neumann-Nipperdey-Scheuner, II, 1955, S. 248.

108

Zusammenbruch und Wiederverankerung der Grundrechte

zeichnen können. Es t r i t t vielmehr deutlich hervor, daß die Verfassungen teils m i t größerem, teils mit geringerem Efolg sich der Aufgabe unterziehen, dem Grundrecht der Gewissensfreiheit neue Bedeutung i n Verfassungsleben und Verfassungswirklichkeit zu geben. Die Verfassungen von Baden und Bayern, sowie die Verfassung der DDR halten sich interessanterweise stärker an die ältere Formulierung der Weimarer Verfassung und gewähren wie diese „Glaubens- und Gewissensfreiheit" als einheitliches Grundrecht. Baden-Württemberg garantiert „Gewissens- und Glaubensfreiheit" und die Verfassungen von Hessen, Rheinland-Pfalz und Bremen lösen sich gar völlig von der überlieferten Nomenklatur und gewähren Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Uberzeugung als drei selbständige Grundrechte i n dem Bewußtsein, daß der i n den traditionellen Verfassungsformeln gewährte Grundrechtsschutz unzureichend gewesen war. I n den verschiedenen Länderverfassungen t r i t t damit nur das zutage, was bereits zuvor i n den rechtswissenschaftlichen Erörterungen zum Grundrecht der Gewissensfreiheit umstritten wurde. Die Verfassungstexte spiegeln damit den Streit der wissenschaftlichen Lehrmeinungen wider, die i n der Gewissensfreiheit ganz verschiedene Rechtsgüter geschützt sehen. Gleichzeitig ist aber dem Verfassungsgesetzgeber bewußt, daß er auf den Schutz der Gewissensfreiheit nicht verzichten kann, ja, daß selbst die bisherigen Formulierungen unzureichend waren, weil sie keine wirksame Garantie gegen die Verletzung der sittlichen Persönlichkeitswerte gaben. Deshalb versuchen einige Länderverfassungen m i t den lapidaren Worten „Glauben, Gewissen und Überzeugungen sind frei" dem Grundrecht eine ganz neue Formulierung zu geben und es aus der Verhaftimg der überlieferten Formeln: „Glaubens- und Gewissensfreiheit" herauszulösen. Welche Interpretation man dieser neuen Formulierung geben soll, ist eine schwere, aber doch nicht unlösbare Aufgabe. Natürlich hat der historische Kern, das Recht auf einfache Hausandacht, nicht die Berechtigung, sich einer modernen Interpretation entgegenzustellen 42 . I m Zuge der Säkularisierung und Spiritualisierung war der religiöse K e r n des Grundrechts verlorengegangen 43 ; Sinn und Bedeutungskern des Grundrechts wurden i n ein säkulares Vernunftsrecht umgewandelt, das schließlich ausuferte und als grundrechtsloses Grundrecht verflüch4

* Peters, H.: Zur historischen Auslegung der Grundrechte in Festgabe f. Schreiber, S. 470. 48 Süsterhen-Schäfer, Kommentar d. Verfassung f. Rheinland-Pfalz, a. a. O., S. 21: „Der reformatische Grundsatz der religiösen Gewissensfreiheit, der insbes. nach angelsächsischer Auffassung im Spruch des individuellen Gewissens die Stimme Gottes erblickt, wurde säkularisiert. Dem Spruch Gottes im individuellen Gewissen wurde der autonome Spruch der individuellen Vernunft dem Menschen gleichgestellt."

Zusammenfassung

109

tigt wurde. Es gilt deshalb bei einer neuen Interpretation einen Bedeutungskern des Grundrechts zurückzugewinnen, der ohne historischen Anachronismus (einfache Hausandacht) den Säkularisierungsund Spiritualisierungsprozeß überwindet. Eine solche Interpretation w i r d sich an den Persönlichkeitswerten, an der Würde des Menschen und an der Freiheit der Persönlichkeit orientieren müssen, u m auch für das Grundrecht der Gewissensfreiheit eine i n der Persönlichkeitssphäre gelegene Grundrechtsverankerimg zu finden. Ohne den nachfolgenden Erörterungen vorzugreifen, soll hier schon gesagt werden, daß diese Arbeit den Versuch unternimmt, die Gewissensfreiheit als verfassungsmäßigen Schutz der Geheimsphäre zu interpretieren. Was dem Gesetzgeber oblag, nämlich „die Grundrechte für unser V o l k aus unserer Zeit zu formen", das obliegt auch der Rechtswissenschaft, die vorzugsweise berufen ist, die Anpassung des Rechts an die fortschreitende Entwicklung i n allen Lebensbereichen zu vollziehen 4 4 .

44 Art. 1, Abs. 3 des Entwurfes zum GG, der später wieder gestrichen wurde, lautete: „Daß die Grundrechte für unser Volk aus unserer Zeit geformt worden seien." Parlamentarischer Rat, Bonn 1948/49, schriftl. Beridit zum Entwurf des GG der Bundesrepublik Deutschland, Drs. Nr. 850/54, Anlage zum stenogr. Bericht der 9. Sitzung des parlamentarischen Rates, 6. Mai 1949. S. 5.

Kapitel

I

Das Grundrecht der Freiheit des Gewissens im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 1. Die Entstehungsgeschichte des Art. 4 GG Bei der Entstehung des Grundgesetzes f ü r die Bundesrepublik Deutschland haben die Länderverfassungen i n nicht unwichtigen Punkten das V o r b i l d für das Grundgesetz gegeben. Dies g i l t vor allem auch f ü r die Grundrechte, die man ursprünglich überhaupt den Länderverfassungen vorbehalten wollte, w e i l sie Reservatrechte der Länder seien 1 . Wenn es dazu nicht gekommen ist, so deshalb nicht, w e i l sich die Überzeugimg durchsetzte, daß die Grundrechte zu fundamental seien, als daß der B u n d achtlos an ihnen vorübergehen könne. Ungeklärt läßt es die Bundesverfassung, ob sie die Grund- und Menschenrechte als angeborene Naturrechte oder als von Gott gegebene Rechte auffaßt. Bei der Formulierung der Gewissensfreiheit ist das Grundgesetz auch insofern den Länderverfassungen gefolgt, als es die Gewissensfreiheit unter die allgemeinen Regulativnormen, die das Verhältnis von Staat und I n d i v i d u u m regeln sollen, aufgeführt hat. Damit durchbricht es die Isolierung, die die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Weimarer Verfassung dadurch erfahren hatte, daß sie i m Hauptteil 2 Abschnitt 3 der W V zum Bereich der Normen bezüglich Religion und Religionsgesellschaften gezählt wurde. R. Smend 2 und SüsterhenSchäfer 8 haben auf diese veränderte Lage hingewiesen, die für die Interpretation der Freiheit des Gewissens nicht ohne Bedeutung ist. Für die Auslegung der Freiheit des Gewissens ist neben der Entstehungsgeschichte u n d neben den Vorbildern der Landesverfassungen auch noch die E i n w i r k u n g der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von Bedeutung, deren E n t w u r f auf der 24. Sitzung des Grundsatzausschusses vom 23. November 1948 diskutiert wurde 4 . 1

Parlamentarischer Rat, Bonn, 1948/49, a. a. O., S. 5. Smend, R.: Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, in Zeitschrift für evangel. Kirchenrecht, Bd. 1, Heft 1,1951, S. 4. • Süsterhen-Schäfer: Kommentar der Verfassung von Rheinland-Pfalz, a. a. O., Anm. 2 zu Art. 8. 4 Jahrbuch des öftentl. Rechts. 1951. S. 74. 2

Die Entstehungsgeschichte des Art. 4 GG

III

Der Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee hatte als A r t . 6 folgende Formulierung i n Vorschlag gebracht: „Glaube, Gewissen und Überzeugimg sind frei". (Verfassungsausschuß der Ministerpräsidenten an der ersten Konferenz der westlichen Besatzimgszonen; Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, S. 62). Damit schloß sich der E n t w u r f an die Formulierung der Gewissensfreiheit i n den Verfassungen der Länder Bremen A r t . 4 Abs. 1, Hessen A r t . 9 und Rheinland-Pfalz A r t . 8 I an. Ähnlich formuliert auch die Verfassung von Württemberg-Hohenzollern vom 20. M a i 1947 i n A r t . 9 I, läßt aber die Überzeugung als Gegenstand der Freiheitsgarantie vermissen. Der E n t w u r f brachte zum Ausdruck, daß Glauben, Gewissen und Überzeugung die inneren sittlichen A k t e des Menschen vollständig beinhalten und daß ihre Freiheit die religiöse u n d moralische Selbstbestimmung garantieren würde. Die Gewissensfreiheit erscheint hier als das Mittelglied zwischen Glaube und Überzeugung, auf das sich beide, Glaube und Überzeugung, gründen müssen, u m den Anspruch eines sittlichen Aktes zu erheben. Der Glaube, der die religiöse, die Überzeugung, die die moralische Welt i m einzelnen verkörpert, haben beide i m Gewissen ihre Verankerung. Der Verfassungsentwurf wollte, wie das auch bei den Beratungen i n den Ausschüssen immer wieder betont wurde, auch die moralische Freiheit garantieren, w e i l der Schutz von Glauben und Gewissen allein nicht genüge 5 . Durch den Redaktionsausschuß wurde der 1. Absatz n u r stilistisch umgeformt, während i n Abs. 2 und 3 A r t . 8 der Vorlage eingehende Bestimmungen zur Religionsfreiheit formuliert wurden. Der Absatz 1 lautete: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Überzeugung ist unverletzlich." I n der diese Vorlage beratenden 8. Sitzung des Redaktionsausschusses vom 7. Oktober 1948 kritisierte R. Thoma den Schutz vom Glauben und Gewissen, w e i l das Gewissen rein innerlich und deshalb rechtlich unangreifbar und somit grundrechtlich belanglos sei und schlug eine andere Formulierung vor. N u r das nach außen wirkende Bekenntnis könne Gegenstand widerrechtlicher Beschränkung und deshalb auch Gegenstand einer Freiheitsgarantie sein. Er schlug vor: „Es besteht unbeschränkte Freiheit des religiösen u n d weltanschaulichen Bekenntses." Diese Formulierung wurde dem Redaktionsausschuß zugeleitet. Nach der Formulierung von R. Thoma hatte die Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses den Schutz der moralischen Freiheit zu übernehmen, der zuvor durch die Freiheit der Überzeugung gewährleistet werden sollte. Der allgemeine Redaktionsausschuß gelangte 0 So die Abgeordneten v. Mangoldt (CSU) und v. Weber in der 8. Sitzung des Grundsatzausschusses v. 7.10.48, Jahrbuch des öffentlichen Rechts. S. 73.

112

Das Grundrecht der Freiheit im Grundgesetz

dadurch zu einem Kompromiß, daß er unter Weglassimg der Freiheit der Überzeugung beide Formulierungen zu einer zusammenzog und sie als Abs. 1 des A r t . 7 i n Vorschlag brachte. Seine Formulierung lautete wie folgt: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses ist unverletzlich." Diese Formulierung wurde vom Grundsatzausschuß i n der 24. Sitzung am 23. November 1948 entgegengenommen, i n der auch A r t . 16 des Entwurfs der UNESCO eingehend erörtert wurde. A r t . 16 des Menschenrechtsentwurfs der UNESCO: „Jede Person hat das Hecht auf Gedanken», Gewissens-und Religionsfreiheit. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, die Religion und den Glauben zu wechseln, wie auch die Freiheit, seine Religion und seinen Glauben allein oder gemeinsam sowohl öffentlich wie privat durch Unterricht, Übungen, Kultus und Befolgung von Riten zum Ausdruck zu bringen" 6 . Dem UNESCO-Entwurf liegt die Auffassung zugrunde, daß die Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit auch das Recht des privaten und öffentlichen Kultus einschließt. Diese Auffassung deckt sich weitgehend m i t dem Begriff der Gewissensfreiheit i m 18. und 19. Jahrhundert als dem Recht auf private Hausandacht, wenn auch der deutsche Verfassungsbegriff der Gewissensfreiheit weit hinter dem Vollrecht der amerikanischen Verfassungen zurückblieb. Es kam zu einer Reihe von ausführlichen Diskussionen über innere und äußere Gewissensfreiheit, da der herkömmlichen Auffassung ein Zusammenhang zwischen Glaubens- und Gewissensfreiheit und der Religionsübung nicht bekannt ist. Interessant i n diesem Zusammenhang ist, daß man den Vorschlag v. Mangoldts, den Abs. 2 des A r t . 4 durch Ausdehnung der Kultusfreiheit auf die private Religionsübung zu ergänzen, m i t der Begründung abgelehnt hat, daß dieses Recht schon i n der Kultusfreiheit enthalten sei. Bis i n die Weimarer Verfassung war die Kultusfreiheit nur ein Kollektivrecht und gewährte dem einzelnen kein subjektiv öffentliches Recht. Dies w i r d aber behauptet, wenn man i n A r t . 4 Abs. 2 den Schutz der privaten A n dacht verbürgt sieht. Allerdings gab es ein Grundrecht als Individualrecht auf die private Andacht: d i e s e s G r u n d r e c h t war aber die verkannte Gewissensfreiheit 7 . Besonders forderte Süsterhen (CDU) eine scharfe Trennung zwischen der äußeren und inneren Freiheit. Es kam schließlich dazu, daß man den Abs. 1 durch einen 2. Satz ergänzte, der wie folgt formuliert wurde: „Das Recht zur Vereinigung zu Religions- und Weltanschauungsgemein• Jahrbuch a. a. O., S. 74. 7 v. Mangoldt auf der 27. Sitzung des Grundsatzausschusses vom 30. 11. 48, Jahrbuch 76.

Die Entstehungsgeschichte des Art. 4 GG

113

Schäften w i r d anerkannt". A u d i der Satz 2 zeigt die Zweispurigkeit, indem er die Weltanschauungsgemeinschaft neben die religiöse (Religions-)Gemeinschaft stellt. Diese Zweispurigkeit wurde noch dadurch weiter betont, daß auf der 32. Sitzung des Grundsatzausschusses vom 11. Januar 1949 der Abs. 4, S. 2 des A r t . 7 i n analoger Weise Ergänzung fand. Der so auf Vorschlag von Süsterhen abgeänderte Abs. 4 lautete: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Uberzeugimg zu offenbaren." Nach der Zugehörigkeit zu einer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft darf nur gefragt werden, wenn davon Rechte oder Pflichten abhängen, oder wenn eine gesetzlich angeordnete Erhebung es erfordert 8 . So entsprach n u n der Freiheit des Glaubens die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und die Freiheit zur Vereinigung zu religiösen Gemeinschaften, während andererseits die Freiheit des Gewissens i n eine Parallele zur Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses und der Vereinigung zu Weltanschauungsgemeinschaften gerückt wurde. I n dieser Fassung lag Abs. 1 als Vorschlag des 5er Ausschusses der dritten Lesung des Hauptausschusses (in der 46. Sitzung am 8. 2. 1949) vor. Er bildete den Absatz 1 9 des A r t 5 und wurde dann auf Vorschlag Süsterhens dahingehend geändert, daß an Stelle des Wortes „religiös" der Begriff „Religionsgemeinschaft" gesetzt wurde, w e i l letzterer Begriff eine besondere staatskirchenrechtliche Bedeutung i n sich trage, die den weiteren Begriff der religiösen Gemeinschaft nicht zukomme. A r t . 5 Abs. 1 lautete also: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Das Recht zur Vereinigung, zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften w i r d anerkannt." Abs. 2: „Die ungestörte Religionsausübung w i r d gewährleistet." Abs. 3: „Niemand darf gehindert oder gezwungen werden, an einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder an religiösen Übungen teilzunehmen, oder eine religiöse Eidesformel zu benutzen." Abs. 4: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Nach der Zugehörigkeit zu einer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft darf nur gefragt werden, wenn davon Rechte u n d Pflichten abhängen oder wenn eine gesetzlich angeordnete Erhebung es erfordert." Abs.5: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst m i t der Waffe gezwungen werden." Dieser Parallelismus zwischen Glauben, religiösem Bekenntnis und Religionsgemeinschaft einerseits und dem Gewissen, dem weltanschaulichen Bekenntnis u n d der Vereinigung zu Weltanschauungsgemeinschaften andererseits zeigt klar genug, daß man bestrebt war, die reli8 9

Jahrbuch a. a. O., S. 77. Jahrbuch a. a. O., S. 78.

Seholler. Die Freiheit.

8

114

Das Gundrecht der Freiheit im Grundgesetz

giöse und moralische Welt i n weitgehendem Maße vor staatlichen Eingriffen zu schützen, seien es Eingriffe durch Gesetzgebung, oder durch Verwaltung und Rechtsprechung. Der Umstand, daß die Uberzeugungs-* freiheit dem Kompromißvorschlag des Redaktionsausschusses zum Opfer fiel, ist es zuzuschreiben, daß i n die Lücke, die dadurch i m A u f bau des Grundrechts entstanden war, die Gewissensfreiheit eingetreten i s t Dieser Auslegung des Gewissens entspricht nicht ganz der Ansicht einiger Abgeordneter, wie z.B. v.Mangoldt und Weber, die zum Ausdruck brachten, daß auch das Moralische i m Menschen, sein ethisches Empfinden und sein sittliches Bewußtsein geschützt werden sollten und daß der Schutz von „Glauben und Gewissen 14 allein nicht genüge 10 , Sie hatten deshalb die Überzeugungsfreiheit als notwendige Ergänzung der rein religiösen Glaubens- und Gewissensfreiheit vertreten* Doch ist nicht anzunehmen, daß man m i t der Streichung der Überzeugungsfreiheit auch den Schutz des ethischen Gewissens habe fallen lassen wollen, zumal die weltanschauliche Bekenntnisfreiheit u n d vorerst auch noch die Freiheit zur Vereinigung zu Weltanschauungsgemeinschaften, die beide Ausdrudesformen der Freiheit des ethischen Gewissens sind, bestehen blieben. Dazu kommt noch der Umstand, daß das Recht der Kriegsdienstverweigerung m i t der Waffe aus Gewissens^ gründen gewährt werden sollte. Dadurch sollte nicht n u r das religiöse, sondern auch das ethische Gewissen geschützt werden, w e i l auch derjenige, der aus humanitären und ethischen Gründen den Kriegsdienst ablehnt, dies m i t Berufung auf sein Gewissen tut. Den A n t r a g auf Garantie dieses Grundrechtes, den die Abgeordnete Frau Nadig (SPD) i n der 27. Sitzung des Grundsatzausschusses am 30. November 1948 ge^ stellt hat, hat man nach längeren Diskussionen als Abs. 5 dem A r t i k e l über Glaubens- und Gewissensfreiheit angeschlossen.11 Die Anfügung an A r t . 4 beweist, daß man sich bewußt war, daß unter dem zu schaffenden Gesetzesbegriff des Gewissens der Inbegriff religiöser und ethischer Wertvorstellungen zu verstehen sei. Das Gewissen übernimmt i n ganz besonderer Weise auch den Schutz der moralischen Welt, der Überzeugung und der Weltanschauung. Die Anfügung dieser Bestimmimg i n A r t . 4 und ihre Formulierung zeigt klar, daß der Begriff des Gewissens nicht m i t dem des Glaubens i n Abs. 1 identisch sein kann, da er auch Tatbestände umfassen soll, die nicht unter eine religiöse Glaubensentscheidung fallen. Während also der Begriff des Gewissens i n Abs. 1 so ausgedehnt auszulegen ist, daß er auch die Freiheit 10 v. Mangoldt u. Weber, auf der 8. Sitzung des Grundsatzausschusses am 7.10. 48, Jahrbuch des öffentlichen Rechts, S. 73. 11 Der Antrag lautete: „Jedermann ist berechtigt, aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern"; Jahrbuch d. öffentlichen Rechts. S. 76.

Die Interpretation des Art. 4 Abs. 1 GG

115

der Überzeugung umfaßt — w e i l die Streichung der Überzeugüngsfreiheit nur mehr oder weniger einem Redaktionsversehen zuzuschreiben ist — f ist der Gewissensbegriff des Abs. 3 noch weiter, da er auch die religiöse Entscheidung umfaßt. I n der Diskussion u m das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung 1 3 kam zum Ausdruck, daß man nicht mehr einem „Massensehlai des Gewissens" Vorschub leisten wolle* indem man verfassungsrechtlich garantiert, daß nicht mehr Befehl gleich Befehl sei, sondern, daß i n dieser Frage die Gewissensentscheidung des einzelnen den Vorrang haben solle 1 9 . Dadurch wurde m i t Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, daß nicht nur der religiöse Glaube einiger Sekten, sondern jede ethisch fundierte Anschauung und jede Weltanschauung unter dem Schutz dieses Grundrechts stehen. Kriegsdienstverweigerimg aus Gewissensgründen liegt eben auch dann vor, wenn der einzelne aus kosmopolitischen* pazifistischen oder ethisch humanitären Gründen handelt. I n der 4. Lesung der 57. Sitzung des Hauptausschusses, am 5. M a i 1949 wurde der Streichungsvorschlag des allgemeinen Redaktiönsausschusses vom 2. M a i 1949, der die Streichung des Abs. I S. 2 und der Abs. 3 und 4 betraf, angenommen. Für die Streichung sprachen sich die Abgeordneten Zinn, Dehler und v. Mangoldt unter Hinweis auf A r t . 140 GG aus, während der Abgeordnete Renner (KPD) sich gegen die Streichung des Abs. 1 S. 2, der die Freiheit der Vereinigung zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften enthielt, wandte 1 4 . Durch die Fortgeltung der W V A r t . 137 V I I w a r die Formulierung i n S 2 Abs. 1 überflüssig geworden. Dennoch wurde durch die Streichung des S. 2 der dreigliedrige Aufbau des Abs. 1 geschmälert. Die Freiheit des Gewissens steht nun n u r noch m i t der Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses auf einer, sich vom Inneren i n die Außenwelt erstreckenden Linie.

2. Die Interpretation des Art. 4 Abs. I GG Die Entstehungsgeschichte des A r t . 4 Abs. 1 GG zeigt deutlich, daß hier ein Kompromiß zwischen Verfassungspietät und Rechtsdogmatik vorliegt, dessen ungelöste Spannung auf eine, Interpretation wartet, die das Grundrecht zu einem anwendbaren Rechtssatz gestaltet. Verfassungspietät war es, die es veranlaßt hatte, den altüberkommenen und durch Tradition geheiligten Begriff der Glaubens- und Gewissensfreiu 2. Lesung des Hauptausschusses, 43. Sitzung am 18. 1. 1949, Jahrbuch a.a.O., S. 77. 13 So der Abgeordnete Eberhard (SPD), Jahrbuch? Sr 78, der sich gegen den Streichungsantrag des Abgeordneten Heuß (FDP), wandte. 14 Jahrbuch, a. a. O., S. 87. **

116

Das Grundrecht der Freiheit im Grundgesetz

heit an führender Stelle zu verankern. Rechtsdogmatik war es, die dem Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit Inpraktikabilität vorwarf, ja i n i h r sogar eine höchst überflüssige, rechtlich nicht vollziehbare Garantie von rechtlich und tatsächlich unangreifbaren selbstevidenten Tatsachen erblickte. Wie haben nun die Kommentatoren des Grundgesetzes dieses Spannungsverhältnis zwischen Rechtsdogmatik und Verfassungspietät zu lösen versucht? a) D i e I n t e r p r e t a t i o n als v o l l e

der

Glaubens-

„Freiheit

und

des

Gewissens"

Gewissensfreiheit

Durch die Kompromißformulierung w a r der ursprüngliche dreigliedrige Aufbau des A r t . 4 Abs. 1 GG zerstört worden und die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Uberzeugung i n eine Formel gebracht worden, die sich mehr an das V o r b i l d der Weimarer Verfassung anlehnt. So ist es verständlich, daß die äußere Ähnlichkeit der Garantie des A r t . 4 Abs. 1 hinsichtlich der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen weltanschaulichen Bekenntnisses, auch eine inhaltliche Annnäherimg an den Rechtszustand der Weimarer Verfassung i n den Erläuterungswerken des Grundgesetzes erkennen läßt. N u r Model hat diesen Schritt noch über die Weimarer Verfassung hinausgetan 1 5 und behauptet, daß durch A r t . 4 Abs. 1 GG „volle Glaubens- und Gewissensfreiheit" garantiert werde. Der Begriff der „vollen Glaubensund Gewissensfreiheit" ist ein Verfassungsstück aus der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts und bedeutete damals, wie schon dargetan, das Recht auf einfache Hausandacht, wobei man eingestehen muß, daß auch schon zu jener Zeit die Gewissensfreiheit stark säkularisiert und spiritualisiert war. Wenn v. Mangoldt-Klein hinsichtlich der Gewissensfreiheit des A r t . 4 Abs. 1 GG ausführt, daß dieses Grundrecht schon seit langem i n Deutschland i n Geltung sei und auf das A L R I I 11 §§ 1 und 2 zurückgehe, so unterliegt er demselben I r r t u m 1 6 . Selbst wenn zwei Verfassungen das gleiche sagen, so ist das noch lange nicht das gleiche. Unter Gewissensfreiheit des A L R verstand man rechtlich den inneren Gottesdienst — eine spiritualisierte Form der Hausandacht — soziologisch die einfache Hausandacht, denn nur sie war allen Einwohnern des preußischen Staates unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit gew ä h r t worden. Es kann nicht die Absicht des A r t . 4 Abs. 1 GG gewesen sein, den Bestimmungen des A L R über Gewissensfreiheit Verfassungskraft zu verleihen und damit die Garantie der einfachen Hausandacht 15 Model, O.: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., 1952, Anm. 1 zu A r t 4, S. 26. 16 v. Mangoldt-Klein: Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., 1955, Erl. I I 1 zu Art. 4, S. 213.

117

Die Interpretation des Art. 4 Abs. 1 GG

verfassungsrechtlich zu verankern; die historische Interpretation der Grundrechte führt hier nur auf dunkle Pfade und Abwege und kann dem aktuellen Rechtsschutzinteresse i n keiner Weise gerecht werden 1 7 . Selbst wenn man die Bedeutimg der Hausandacht für die Gewissensbildung so hoch einschätzt, wie das Ina Seidel i n ihrem Werk, das unverwesliche Erbe, getan hat, so w i r d man doch von unserer Verfassung nicht sagen können, daß sie i m Schutz der Gewissensfreiheit jedem Einwohner die einfache Hausandacht gewähren w o l l t e 1 8 . b) D i e F r e i h e i t

des G e w i s s e n s forum

als F r e i h e i t

des

internum

Der A r t . 4 Abs. 1 GG hat nicht nur äußere Ähnlichkeit m i t A r t . 135 W V und ist nicht nur m i t der Zentnerlast des A r t . 140 GG beschwert, sondern es werden i h m auch alle die Deutungen und Interpretationsversuche unterlegt, die aus der Zeit der Weimarer Verfassung stammen. I n der Spannung zwischen Verfassung und Rechtswissenschaft, die i n A r t . 4 Abs. 1 GG i n der Gegenüberstellung von Gewissens- und Bekenntnisfreiheit einen beredten Ausdruck gefunden hat, w i r d der V o r w u r f sichtbar, daß die Freiheit des Gewissens ein rechtsbegriffswidriges Grundrecht sei und damit überhaupt nicht den Anspruch erheben könne, Grundrecht genannt zu werden. Auch die modernen Ausleger des A r t . 4 A b s . l haben sich fast durchwegs diese Sprache zu eigen gemacht und sind darin einig, daß Glaubens- und Gewissensfreiheit zwar zwei von der Bekenntnisfreiheit verschiedene Rechte, daß sie aber ohne letztere i m Grunde genommen rechtlich völlig irrelevant sind. Auch v. Mangoldt hat die Gewissensfreiheit zusammen m i t der Glaubensfreiheit noch weiter spiritualisiert, indem er sie zur Gedankenfreiheit i n Glaubens- und Gewissenssachen gemacht hat. Die Gedankenfreiheit war auf Grund eines Antrags von W. K a h l aus dem E n t w u r f zur W V m i t der Begründung gestrichen worden, daß die Gedanken, w e i l zum forum internum gehörend, immer frei seien und deshalb nicht des Schutzes bedürfen 1 9 . R. Thoma hatte i m Grundsatzausschuß den Standpunkt Kahls noch radikaler vertreten und beantragt, unter Weglassung der Glaubens- u n d Gewissensfreiheit nur die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses zu garantieren, w e i l es sich nicht darum handele „die Freiheit des Glaubens 17 Peters, H.: Auslegung der Grundrechtsbestimmungen aus der Geschichte, Hist. JB. 1953, Bd. 72, S. 469—71. 18 Seidel, I.: Das unverwesliche Erbe, I. Seidel läßt in diesem Werk Alves von der Hausandacht sagen: „Eine frühe Gewöhnung an eine Sinngebung des Lebens, der Arbeit und eine Erziehung des Gewissens." S. 136. 19 Plenarverhandlung S. 1644 A, stenogr. Bericht, Plenum S. 1646 F, zitiert nach Wirbt in Nipperdey, Grundrechte II, S. 328, Anm. 8.

Das Grundrecht der Freiheit im Grundgesetz

118

und der Überzeugung zu schützen — wer sollte sie antasten können — als vielmehr die Freiheit des offenen Bekenntnisses aller Uberzeugunit

20

gen So könnte m i t Recht ein Zweifel entstehen, ob i n Abs. 1 unter der Formulierung Freiheit des Glaubens und Gewissens ein Grundrecht zu verstehen sei, da diese Formulierung offensichtlich n u r dem historischen Stilgefühl entsprach und nur der Verehrung und Achtung eines historischen Rechtsbegriffes galt. v. Mangoldt hat offen ausgesprochen, daß die Formulierung nur deshalb erfolgte, w e i l man die „alteingeführte Terminologie der W V nicht ganz missen wollte". Z u r Klarstellung habe man den Begriff der religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisfreiheit hinzugefügt. Auch Werniicke zählt die Freiheit des Gewissens, die er als Freiheit des „sittlichen Bewußtseins des Menschen" definiert, zum „unzugänglichen Bereich des inneren Menschen" der n u r soweit rechtlicher Garantie fähig ist, als er sich i m Bekenntnis eine nach außen wirkende Gestalt g i b t 5 1 . „ F ü r die Freiheit des Glaubens und des Gewissens ist dieser Schutz — wegen der Zugehörigkeit der Vorgänge zum forum internum des Menschen — nur von untergeordneter Bedeutung. Das Hauptgewicht dieser Bestimmimg liegt vielmehr i n dem Schutz der nach außen i n Erscheinung tretenden Vorgänge" M . M i t dem gleichen Argument und der Berufung auf das forum internum führt von Mangoldt-Klein aus, ääß es sich bei der Freiheit des Gewissens u m kein selbständiges Grundrecht handeln könne, „da nur äußeres Verhalten rechtlicher Re* gelung zugängig ist"* 3 . Deshalb würde A r t . 4, Abs. 1 GG erst für die Betätigung des Glaubens und des Gewissens rechtlich bedeutsam. Auch für Koellreuther handelt es ¿ich bei A r t . 4 Abs. 1 GG u m „innere seelische Vorgänge, die erst als Bekenntnis i n die Außenwelt treten" und erst als Fakta der Außenwelt rechtlicher Regelung und Garantien fähig sind 2 4 . Diese Lehre von der Freiheit des Gewissens als der Freiheit des forum internum, des unzugänglichen Bereichs des inneren Menschen oder des innermenschlichen Bereiches, ist eine Hypothek, die auf dem rezepierten Begriff der Gewissensfreiheit ruht. Besonders hat von Mangoldt-Klein durch seine starke Anlehnung an G. Anschütz eine Repristination der Verfassungsdogmatik der Weimarer Zeit bewirkt. Während man sich bisher darüber einig war, daß die Freiheit des Gewis30 31 M

23

34

Jahrbuch des öffentlichen Rechts, Band I n. F., 1951, S. 73. Wemfckfc in Bonner Kommentar, Erl. I I 1 b zu Art. 4. Wernicke, a. a. O., Erl. I I 1 c. v. Mangoldt-Klein, Erl. I I I 1 zu Art. 4.

Koellreuther,

Deutsche? Staatsrecht. ¿953* S. 55.

Die Interpretation des Art. 4 Abs. 1 GG

119

sens i n A r t . 4 Abs. 1 GG etwas Neues, durch die Freiheit der Überzeugung Ergänztes sein sollte, führt von Mangoldt-Klein i n die alten ausgefahrenen Bahnen der Weimarer Verfassimg zurück 3 8 . Die unselige Vorstellung, als müsse das Gewissen auch rechtlich als ein actus fori interni verstanden werden, wie das philosophisch und theologisch richtig ist, verhindert zu einem rechtlich richtigen und praktikablen Verständnis der Freiheit des Gewissens zu k o m m e n * . Der Kampf zwischen Verfassungsrecht und Staatsrechtswissenschaft i n diesem P u n k t hat schon einmal zu einer bedauernswerten Rechtsunsicherheit geführt. Man ist sich darüber i m allgemeinen auch klar und versucht nicht mehr wie einst W. K a h l oder jüngst R. Thoma, die Freiheit des Gewissens aus dem Verfassungstext auf kaltem Wege zu streichen, sondern bemüht sich u m neue Lösungen. Gelänge dies nicht, so wäre es wohl besser, die Freiheit des Gewissens als ein „Petrefakt verfassungsgeschichtlicher Steinzeit" aus der Verfassungsurkunde zu streichen, denn Verfassungspietät ist da schädlich und gefährlich, wo man wider besseres Wissen ein vorstaatliches unveräußerliches und unverletzliches Menschenrecht statuiert, das sich eines Tages als leerer Programmsatz und damit als Verfassungspopanz entlarven lassen muß.

c ) D i e F r e i h e i t des G e w i s s e n s a l s B e k e n n t n i s f r e i h e i t Mangoldt-Klein hat den Ausweg aus dem Spannungsverhältnis zwischen Verfassungsrecht und dem Rechtsbegriff hinsichtlich des Grundrechts der Freiheit des Gewissens damit zu lösen versucht, daß er die Freiheit des Glaubens und des Gewissens kurzerhand m i t der Freiheit des Bekenntnisses gleichstellt. Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit, unter welchen Oberbegriff er A r t . 4 Abs. 1 GG zusammenfaßt, kennt i n der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses ihre unterste Stufe. Er stellt die Freiheit des Glaubens u n d die Freiheit des Gewissens wie einst G. Anpchütz 8 7 rechtlich völlig der Bekenntnisfreiheit gleich, gibt aber dennoch für die Freiheit des Gewissens eine eigene Definition, die sich 39 Smend, R.: Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, in Zeitschrift f. evang. Kirchenrecht, Bd. 1, H. 1, 1951, S. 4. „Wenn zwei Grundgesetze dasselbe sagen, so ist es nicht dasselbe." 96 Hamann bemüht sich, der Gewissensfreiheit aus der Verschlossenheit des forum internum zu verhelfen, indem er sie nicht wie die Glaubensfreiheit zu einem der Rechtsordnung jenseits gelegenen Innenleben zählt; Hamann, A.: Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1956, Anm. C 1 und 2 zu Art. 4. 37 Anschütz, G.: Die Weimarer Reichsverfassung, Anm. 3 u. 4 zu A r t 135, S. 619: ders. in HdbDStR IL S. 684.

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Das Grundrecht der Freiheit i m Grundgesetz

an die bekannte F o r m u l i e r i m g von Th. Maunz anschließt 2 8 . Die Freiheit des Gewissens w i r d als das Bewußtsein des Menschen v o n der E x i stenz u n d der verpflichtenden K r a f t des Sittengesetzes definiert, w ä h rend von M a n g o l d t - K l e i n unter der Bekenntnisfreiheit das Recht versteht, seinen religiösen Glauben zu bekennen u n d sich seinem sittlichen Gewissen gemäß zu verhalten. Letztere Definition schließt sich an Zinn-Stein an, der i n der Bekenntnisfreiheit das confiteri u n d profiteri geschützt sehen w i l l 2 9 . V o n M a n g o l d t - K l e i n verwickelt sich dadurch selbst i n einen W i d e r spruch, w e n n er die Freiheit des Gewissens rechtlich der Freiheit des Bekenntnisses gleichstellt u n d andererseits f ü r die Freiheit des Bekenntnisses eine davon abweichende Definition gibt. Es widerspricht auch dem Sprachgebrauch i n der Bekenntnisfreiheit das Recht zu erblicken, seinem sittlichen Gewissen gemäß zu leben. Th. Maunz definiert demgegenüber die Bekenntnisfreiheit folgericht i g m i t dem Recht der Kundgabe seines Glaubens oder Gewissens sow i e von Entscheidungen, die auf G r u n d des Glaubens oder Gewissens getroffen worden sind, an die U m w e l t 3 0 . Th. Maunz läßt es aber offen, ob das Bekenntnis, also die Kundgabe v o n Glaubens- oder Gewissensentscheidungen an die U m w e l t , die einzige F o r m ist, i n der sich das Grundrecht der Gewissensfreiheit nach außen h i n realisiert 8 1 . Die A n sicht, daß die Bekenntnisfreiheit die einzig rechtliche Gestaltung der Gewissensfreiheit darstellt, setzt grundsätzlich voraus, daß m a n die Theorie von der Unzugänglichkeit des Gewissens u n d der rechtlichen Unmöglichkeit seiner Verfassungsgarantie akzeptiert. Historisch gesehen ist die religiöse Bekenntnisfreiheit n u r eine E r w e i t e r u n g der Rechte u n d Freiheiten der drei christlichen Bekenntnisse u n d damit ursprünglich ein Korporativrecht, nicht aber ein Individualrecht gewesen. A r t . 4 Abs. 1 G G läßt allerdings keinen Zweifel mehr daran, daß unter der dort gewährten Bekenntnisfreiheit ein Individualrecht garantiert werden soll. F ü r die Interpretation der Gewissensfreiheit i m Sinne v o n Bekenntnisfreiheit k a n n m a n sich n u r aussprechen, w e n n m a n sich i n dem K a m p f zwischen Verfassung u n d Verfassungsrechtswissenschaft auf den Standpunkt der Rechtsdogmatik versteift u n d dem Grundrecht der 28 Maunz, Th.: Deutsches Staatsrecht, 1956, S. 94: „Unter Gewissen versteht man das Bewußtsein des Menschen von der Existenz des Sittengesetzes und seiner verpflichtenden Kraft". 29 Zinn-Stein: Kommentar I, Erl. 2 zu Art. 9, S. 124. 80

31

Maunz, Th.: a. a. O., S. 94.

Hamann unterscheidet dementsprechend von der Bekenntnisfreiheit die Freiheit der Gewissensentscheidung, die er als die, im Grundgesetz fehlende, rechtliche Aktualisierung der Freiheit des Gewissens bezeichnet, Hamann, A., a. a. O.. Anm. C 2 zu A r t 4 GG.

Die Interpretation des Art. 4 Abs. 1 GG

121

Gewissensfreiheit Rechtsbegriffswidrigkeit vorwirft. Neben von Mang o l d t - K l e i n 8 3 haben sich vor allem H. N a w i a s k y 3 3 und W. H a m e l 8 4 auf diesen Standpunkt gestellt. W. Hamel, der auch für die Freiheit des Glaubens und des Gewissens zueinander keine differenzierende Definition gibt, sieht i m Bekenntnis schlechthin die Gestalt eines jeden Freiheitsrechtes. Mangoldt-Klein, der diesen Mangel an Differenzierung zwischen der metaphysischen Glaubensfreiheit und der ethischen Gewissensfreiheit W. Hamel zum V o r w u r f macht, läßt aber selbst nur die Bekenntnisfreiheit als die einzig rechtlich denkbare Gestaltung der Glaubens- und Gewissensfreiheit zu. Es ist aber inkonsequent, wenn man die Bekenntnisfreiheit als rechtlich einzig möglichen Ausdruck innermenschlicher Vorgänge hinstellt und gleichzeitig für die rechtlich irrelevanten Freiheiten des Glaubens- und des Gewissens überhaupt Definitionen verlangt 3 5 . Etwas, was rechtlich ohne Belang ist, bedarf dann auch keiner gesonderten Rechtsdefinition. Es bleibt noch die sachliche Erwägimg, ob m i t dem Schutz der Bekenntnisfreiheit auch w i r k l i c h das Gewissensphänomen getroffen und auch tatsächlich geschützt ist. Ist die Sicherung der Bekenntnisfreiheit ein sozialadäquater Schutz der Gewissensanliegen? Dies muß verneint werden, denn es ist ein fundamentaler I r r t u m zu glauben, daß die m i t der Bekenntnisfreiheit erzwungene Publizität jeder Gewissensentscheidung der Sache des Gewissens förderlich sei. Es verhält sich doch gerade umgekehrt, da i n den meisten Fällen die Postulate, Forderungen des Gewissens, die inneren Überzeugungen und Anschauungen Schaden leiden, wenn sie i n alle Öffentlichkeit gezerrt werden müssen. Das Gewissen muß gerade dann geschützt werden, wenn es sich nicht bekennen, wenn es seine Einstellung verschweigen und die tiefsten Geheimnisse der Person für sich behalten w i l l . Das Recht, schweigen zu dürfen, das Religions- und Gewissensgeheimnis 36 für sich behalten zu kön82

83

v. Mangoldt-Klein,

a. a. O., Erl. I I I , 1 zu Art. 4.

Nawiasky-Leusser: Die Verfassung des Freistaates Bayern, a. a. O., Erl. zu Art. 707, Abs. 1: „Abs. 1 enthält das seit dem Ende des 18. Jahrhunderts siegreich gewordene Prinzip der Bekenntnisfreiheit, da die innere Glaubensfreiheit einem äußeren Zwang überhaupt nicht unterliegen kann." 84 Hamel, W.: Die Bekenntnisfreiheit in ZgesStW 1953, Bd. 109, H. 1, S. 54 ff., bes. S. 70: „Bekenntnisfreiheit ist die Freiheit, Glaubensentscheidungen und Glaubensverpflichtungen ohne weltlichen Zwang allein nach dem Gewissen zu3bestimmen". 5 v. Mangoldt-Klein: a. a. O., Erl. II, 3 und I I I zu Art. 4. Andererseits ist auch die Bekenntnisfreiheit nicht davor geschützt, in ihre säkularisierte Form, die Meinungsfreiheit, überzugehen. Dies meint auch W. Hamel, wenn für ihn die Bekenntnisfreiheit im säkularen Staat der eigenen Bedeutung entbehrt und in anderen individualen Freiheitsrechten aufgeht. Harnel, W.: Das Bekenntnis als Gestalt der Freiheit in ARSPh., Bd. 40,1953, S. 467; v. MangoldtKlein: a. a. O., Erl. I I I , 3 zu Art. 4.

80 Zum Begriff des Religionsgeheimnisses hinsichtlich des durch Art. 4 Abs. 1 geschützten Rechtsgutes. Vgl. Nawiasky, H.: Die Grundgedanken des Grundgesetzes, 1950, S. 27.

122

Das Grundrecht der Freiheit im Grundgesetz

nen u n d nicht der Öffentlichkeit preisgeben zu müssen, ist ein adäquaterer Gewissensschutz als die Freiheit des Bekenntnisses, w e n n das Gewissen nicht m i t Gott allein sein darf. Das religiöse Schweigerecht w a r deshalb schon i m m e r aufs engste m i t dem Recht auf Gewissensfreiheit verbunden u n d die W V schützt dieses Recht durch A r t . 136 I I I , der über A r t . 140 G G auch noch F o r t geltung erhalten h a t 3 1 . Th. Maunz hat das Schweigerecht aus dem V e r fassungswinkel des A r t . 140 hervorgeholt u n d auf dessen Wichtigkeit hingewiesen 8 8 . W ü r d e m a n n u r das religiöse u n d weltanschauliche Bekenntnis schützen wollen, so wäre das ein schwerer Einbruch i n die Tiefenschicht der Persönlichkeit, w e i l dadurch ein unmittelbarer Offenbarungs- u n d d a m i t Gewissenszwang geschaffen würde. E i n aktuelles Beispiel dafür u n d gleichzeitig ein Beispiel f ü r die A n w e n d b a r k e i t des A r t . 4 Abs. 1, A r t . 140 GG, 136 I I I W V liefern die beiden Beschlüsse des Bundesdisziplinarhofs v o m 28. 9. u n d 4. 10. 54 über die Frage, ob der Beamte seine Zugehörigkeit zu einer politischen Partei offenbaren m u ß 8 9 . Stellt m a n es nämlich bei A r t . 4 Abs. 1 n u r auf die religiöse u n d weltanschauliche Bekenntnisfreiheit ab u n d glaubt man, daß sich darin der Rechtsgehalt des A r t . 4 Abs. 1 G G auch hinsichtlich der Freiheit des Gewissens erschöpfe, so muß m a n zu der i r r t ü m l i c h e n M e i n u n g gelangen, daß tatsächlich ein Offenbarungszwang mittelbarer A r t zur Angabe der Parteizugehörigkeit rechtlich zulässig ist. Dieses Ergebnis widerspricht aber der Vorstellung des unantastbaren Wesensgehalts der Gewissensfreiheit, denn die reine Zugehörigkeit zu einer demokratischen P a r t e i muß genau so geschützt sein w i e die Zugehörigkeit zu einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft, w i l l m a n nicht i n Fragen der politischen Toleranz eine doppelte Buchführung gelten lassen. Interessanterweise verleitet geradezu die Interpretation der Gewisssensfreiheit i m Sinne von Bekenntnisfreiheit die politische A n schauung v o n staatlicher Toleranz auszuschließen, w i e das v. Mangoldt91 Gebhard: a.a.O., Anm. 4 a zu Art. 136WV. Auch das Grundrecht auf „Einsamkeit und Selbstbesinnung", wie es E. Kaufmann formulierte, muß durch das Grundrecht der Gewissensfreiheit geschützt werden können, was nicht möglich ist, wenn man nur der Bekenntnisfreiheit verfassungsmäßig Statuierten Schutz gewährt. E. Kaufmann: Grundrechte und Wohlfahrtsstaat, RSW Bd. 4, 1953, S. 87; W. Hamel: Die Bedeutung der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, 1957, S. 32. u Maunz: a. a. O., S. 94: „Niemand ist verpflichtet, seine Überzeugungen zu offenbaren". Mit Recht sieht Maunz diese Garantie bereits in Art. 4 Abs. 2 GG verbürgt, so daß er nicht erst auf Art. 140 GG, 136, Abs. 3 WV zurückgreifen muß. Die restriktive Auslegung des Art. 136, Abs. 3 ist wegen Art. 4 Abs. 1 nicht am Platze. Vgl. Wemicke: a. a. O., Erl. I I , 1 c zu Art. 4 „Schweigefreiheit", a. A. Nawiasky-Lechner, Ergänzgs.-Bd., Erl. zu Art. 107. 89 Arndt, A.: Muß der Beamte seine Zugehörigkeit zu einer pol. Partei offenbaren? JZ. 1956, H. 3, S. 80/81 mit weiteren Angaben.-

Die Interpretation des Art. 4 Abs. 1 GG

123

K l e i n auch tatsächlich tut, ohne von den „beredten Zeichen staatlicher Toleranz" des A r t . 4 Abs. 1 GG davor bewahrt zu werden 4 0 . d) D i e F r e i h e i t d e s G e w i s s e n s a l s G e d a n k e n Meinungsfreiheit

und

Ein anderer Versuch, dem Grundrecht der Gewissensfreiheit eine sich i n die Außenwelt gestaltende W i r k u n g zu verleihen, geht dahin, den A r t . 4 Abs. 1 GG als Ausfluß der Gedanken- und Meinungsfreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG zu verstehen. Da dem säkularen Staat das Verständnis für die Differenzierung zwischen Bekenntnisäußerung und Meinungsäußerung mangelt, geht für ihn, wie W. H a m e l 4 1 bemerkt, das Grundrecht der Gewissensfreiheit i n einer Reihe einzelner I n d i v i dualrechte auf, zu denen die Gedankenfreiheit, die Meinungsäußerungsfreiheit, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zählen. So definiert H. von Mangoldt das Grundrecht der Gewissensfreiheit als Gedankenfreiheit: „Freiheit des Glaubens und Gewissens bedeutet Freiheit der inneren Überzeugung, Gedankenfreiheit i n Fragen des Glaubens und des sittlichen Gewissens" 4 2 . Diese Definition rückt A r t . 4 Abs. 1 hinsichtlich der Freiheit des Glaubens und des Gewissens i n eine weltferne Gedankensphäre, die nur dadurch durchbrochen werden kann, daß man auch die Äußerung dieser Gedanken i n irgend einer Form als Menschenrecht freigibt. Liberty of thought i m Sinne Orwells ist nicht schon dann garantiert, wenn die Gedanken für zollfrei erklärt werden. Versteht man unter Gewissensfreiheit aber auch die Äußerung der Gedanken i n Glaubens- und Gewissenssachen, so gelangt man damit zum Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG. Diese Schlußfolgerung zieht auch Wernicke: „Das Hauptgewicht dieser Bestimmung liegt vielmehr i n dem Schutz der nach außen i n Erscheinung tretenden Vorgänge. Dabei dürfte die Äußerung der inneren Anschauungen i m gewissen Umfange bereits durch das i n A r t . 5 1 1 verbriefte Recht der freien Meinungsäußerung und «Verbreitung erfaßt sein" 4 8 . Wernicke zitiert dazu Anschütz, der auch i n der Meinungsfreiheit und Bekenntnisfreiheit eine Vorwegnahme erblickt hat. M i r b t hat aber wegen A r t . 48 W V den A r t . 135 nie als Unterfall der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 118 WV) angesehen 44 . 40 So v. MangoidUKlein, a. a. O., Erl. III, 1: „Unter weltanschaul. Bekenntnis darf jedoch nicht auch die (partei-)politische Anschauung verstanden werden..." 41 Hamel, W.: Das Bekenntnis als Gestalt der Freiheit, a. a. O., S. 70. 41 Mangoldt, H. v.: Kommentar zum BGB, 1. Aufl., Anm. 2 zu Art. 4 S. 54. 4S Wernicke im Bonner Kommentar, Erl. II, 1 c zu Art. 4. 44 Mirbt bei Nipperdey: GR II, S. 329 ff. Mirbts Argumente gelten wegen Art. 18 GG, der auch Art. 5 Abs. 1 GG zur Disposition stellt, mutatis mutandis auch für das Grundrecht der Gewissensfreiheit in Art. 4 Abs. 1.

124

Das Grundrecht der Freiheit im Grundgesetz

v. Mangoldt stimmt hierin m i t Wernicke überein, wenn er i n A r t . 4 eine lex specialis zu A r t . 5 sieht 4 5 . Die vollkommene Verinnerlichung der Gewissensfreiheit ist letzten Endes gleichbedeutend m i t ihrer vollkommenen Veräußerlichung, d. h. m i t ihrer Preisgabe an die Freiheit der Meinungsäußerung und -Verbreitung. Hat man erst einmal die Gewissensfreiheit als einen unzugänglichen Vorgang, als einen dem forum internum angehörenden A k t begriffen, so mußte die Nutzlosigkeit eines solchen Rechtes geradezu ins Auge springen. Es konnte nach der übereinstimmenden Ansicht der Kommentatoren n u r noch die W i r k u n g haben, ein Gesetz zu verhindern, das dem einzelnen eine bestimmte Weltanschauung oder einen bestimmten Glauben vorschreiben wollte. Gewissensfreiheit i n diesem Sinne w a r gleichbedeutend m i t dem Begriff des Gesetzes als einer sich ans äußere Verhalten richtende Norm. Darüber hinaus konnte es definitionsgemäß keine Freiheit des Gewissens geben. Doch war eine solche Beschränkimg des sittlichen Verhaltens nicht möglich, ohne dem ärgsten Gewissenszwang Vorschub zu leisten. Da die Gewissensfreiheit als rein innere Freiheit keine Freiheit der Betätigung gewährte, mußte die Gewissensbetätigung i n den Bereich der Meinungsfreiheit gerückt werden. Dies haben auch Mangoldt und Wernicke vorgenommen und dadurch die Gewissensfreiheit hinsichtlich der Betätigungsfreiheit der Meinungsäußerung untergeordnet, während sich doch umgekehrt die Meinungsfreiheit historisch und systematisch aus der Glaubens- und Gewissensfreiheit hergeleitet hat. Die Meinungsfreiheit, ein „Stück sittlich notwendiger Lebensluft für den Einzelmenschen", hängt allerdings eng m i t der Gewissensfreiheit zusammen, jedoch so, daß die Meinungsfreiheit aus der Freiheit des Gewissens hervorgegangen ist und nicht umgekehrt 4 6 . Die Freiheit des Gewissens als Freiheit der Meinung verstanden, bringt nicht n u r die Schranken des A r t . 5 Abs. 2 GG m i t sich, sondern ermöglicht auch über A r t . 18 GG, A r t . 5 Abs. 1 GG die Suspension des Grundrechts der Gewissensfreiheit i m Mißbrauchsfalle. Diese Konsequenz zeigt w o h l sehr deutlich, daß die Interpretation der Gewissensfreiheit als Freiheit der Meinungsäußerung zu außerordentlich schwe45

v. Mangoldt: a. a. O., Anm. 2 zu Art. 4; ebenso v. Mangoldt-Klein:

a. a. O.,

Erl. I I I , S zu Art. 4; Zinn-Stein: Kommentar I, Erl. II, Abs. 1 zu Art. 9, S. 124; G. Anschütz: HbdDStR II, S. 684/85. 46 Smend, R.: Das Recht der freien Meinungsäußerung in Veröffentlichung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer, H. 4, 1928, S. 44 ff. (Mitbericht 24. März 1924) abgedr. in Smend, R., Staatsrechtl. Abhandlungen, 1955, S. 89 ff., S. 95: „Allerdings ist die Frage der Meinungsäußerung von jeher in engstem Zusammenhang mit Gewissens- und Denkfreiheit gebracht und als eine Folgerung aus diesen, die individuellen Persönlichkeitswerte schützenden Grundrechten gebracht worden."

Die Interpretation des Art. 4 Abs. 1 GG

125

ren Inkonvenienzen führen würde, die i m offenen Widerspruch zu den unerschütterlichen einleitenden Verfassungsbestimmungen der Menschenwürde, der Persönlichkeitsfreiheit, der Gleichheit und der Gewissensfreiheit stehen müßten. Wie i n der Weimarer Verfassung A r t . 135 wegen des Diktaturvorbehalts i n A r t . 48 W V nicht unter das Grundrecht der Meinungsfreiheit subsumiert werden konnte, so verbietet es auch der Aufbau des Grundgesetzes i m Hinblick auf A r t . 18 die Gewissensfreiheit i n Gedankenund Meinungsfreiheit aufgehen zu lassen. e) R e s t r i k t i v e der

oder

extensive

Interpretation

Gewissensfreiheit

Wenn man i n den Beratungen zum Grundgesetz zum Ausdruck gebracht hatte, daß der Gewissensschutz allein nicht genüge und wenn man deshalb i n A r t . 4 Abs. 1 GG auch den Überzeugungsschutz grundrechtlich verankert sehen wollte, so war man sich bewußt, daß es i m modernen Staate notwendig sei, den Menschen als sittliche Person i n seinen gesamten Beziehungen zu schützen und daß es ungenügend sei, die Schutzfunktion des A r t . 4 Abs. 1 GG auf das „subjektive Gottverhältnis zu beschränken" 47 . Dem redaktionellen Kompromiß wurde die Überzeugungsfreiheit zwar zum Opfer gebracht, dafür schien aber A r t . 4 Abs. 1 GG i n der weltanschaulichen Bekenntnisfreiheit ein gewisses Äquivalent zu erhalten. Dennoch w a r damit die Gefahr einer restriktiven Interpretation der Gewissensfreiheit i n A r t . 4 Abs. 1 GG, d. h. eine Beschränkimg der Auslegung auf das „subjektive Gottverhältnis" nicht gebannt. I n dieser Richtung bewegen sich bereits die Auslegungen, wenn sie Glaubens- und Gewissensfreiheit rechtlich i n der religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisfreiheit aufgehen lassen und dadurch i m Grunde genommen n u r das religiöse Persongeheimnis, nicht aber das ethische schützen. Die unterschiedslose Definition der Freiheit des Glaubens und der Freiheit des Gewissens, ist ein weiterer Schritt zu dieser Beschränkung der Freiheit des Gewissens i n A r t . 4 Abs. 1 GG auf das „subjektive Gottverhältnis" 4 8 . Eine solche Beschränkung hat auch G. Dürig hinsichtlich der Freiheit des Gewissens i n A r t . 4 GG gegenüber der jüngst i m Privatrecht vertretenen Meinung vorgetragen, die die Freiheit des Gewissens als ein abso47 Dürig, G.: Grundrechte und Privatrechtsprechung in: Vom Bonner Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung, Festschrift zum 75. Geburtstag von H. Nawiasky, herausggb. von Th. Maunz, 1956, S. 161, Anm. 6. Dürig führt hier den Begriff des „subjektiven Gottverhältnisses" als Grundlage der restriktiven Interpretation der Gewissensfreiheit in Art. 4 Abs. 1 GG ein. 48 Hamel, W., a. a. O., S. 54. „Freiheit der Glaubensentscheidungen und «Verpflichtungen ohne weltlichen Zwang nach dem Gewissen zu bestimmen"; a. a. O.. S. 70.

126.

Das Grundrecht der Freiheit im Grundgesetz

l u t wirkendes Grundrecht interpretiert hat, das jede sittliche Entscheidung der Tiefenperson zu decken habe 4 9 . Dürigs Auffassung von der Freiheit des Gewissens läßt sich dahin zusammenfassen, daß A r t . 4 Abs. 1 GG nur das „subjektive Gottverhältnis 14 schützt, das i n die Außenwelt subjektiv als religiöses und weltanschauliches Bekenntnis oder objektiv als Religion, K u l t , Lehre oder Weltanschauungsgemeinschaft t r i t t . Diese Interpretation restringiert die Bedeutung des Gewissens auf die religiösen Phänomene und raubt dem A r t . 4 Abs. 1 die entscheidende Bedeutung dort, wo es sich u m die Verwirklichung der ethischen Impulse der Tiefenperson handelt. Ähnlich hat auch Mayer-Maly i n seinem Versuch „zur Sinngebung von Glaubens- und Gewissensfreiheit i n der Verfassungsgeschichte der Neuzeit" einen restriktiven Standpunkt vertreten 5 0 . Er ist zwar der Ansicht, daß Glaubens- und Gewissensfreiheit ein besonderes Rechtsgut schütze, findet dies aber auf das Recht der freien Religionswahl beschränkt. Dagegen hat sich i m Privatrecht eine von der Staatsrechtswissenschaft zum Teil bekämpfte eigene Auffassung von der Gewissensfreiheit und besonders von ihrer rechtlichen Bedeutung durchgesetzt. So gehen unter anderem Bosch-Habscheid von dem Gewissen als dem Wissen des Menschen von den höchsten sittlichen Werten aus und suchen den Schutz eines sich am Gewissen orientierenden Rechtsgenossen durch eine Verstärkimg der Generalklausel des bürgerlichen Rechts m i t Hilfe der A r t . 1 Abs. 1, A r t . 4, Abs. 1 GG zu erreichen 51 . Hier w i r d das Gewissen als ein das gesamte Rechtsverhalten mehr öder weniger bestimmender Grundfaktor verstanden, der bei Leibe nicht i n seiner Außenweltäußerung auf die bloße Formulierung von religiösen und weltanschaulichen Bekenntnissen beschränkt ist. A. Blomeyer, der diese privatrechtliche Bedeutung des Gewissens anerkennt, sieht ihre verfassungsrechtliche Garantie bezeichnenderweise nicht i n der Bekenntnisfreiheit, sondern i n dem Grundrecht der 49 Dürig, G.: a. a. O., Anm. 6 zu S. 161: „Ebensowenig wie jede Entscheidung aus der Tiefenschicht der Person bereits eine Gewissensentscheidung im Sinne des A r t 4, Abs. 1 GG ist... es geht in Art. 4 GG, insgesamt übrigens auch in Abs/ 3 um das subjektive Gottverhältnis, um die subjektive Bindung an das ewige Sittengesetz." w Th. Mayer-Maly: Zur Sinngebung von Glaubens- und Gewissensfreiheit in cjer Verfassungsgeschichte der Neuzeit, in österr. Archiv f. Kirchenrecht, Bd. 5, 1954, S. 238 bes. S. 245; ders.: Die Grundrechte des religiösen Lebens in der österr. Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts; ebenda, S. 38H 01 Bosch-Habscheid: Vertragspflicht und Gewissenskonflikt, in JZ 1954, H. 7/8, S. 213, bes. 216. Coing, NJW 1948, S. 217 ff.: „Der Rechtsgenosse würde sonst veranlaßt werden, sich über sein Gewissen hinwegzusetzen, um nicht in Schadensersatzprozesse verwickelt zu werden."

Die Interpretation des Art. 4 Abs.

GG

freien Entfaltung der Persönlichkeit des A r t . 2 Abs. 1, die die sittliche Handlungsfreiheit als die der Gewissensfreiheit adäquate Realisierung garantiert® 2 . Ebenso geht auch Wieacker 5 8 von einem solchen tiefer angelegten Bedeutungskern des Gewissens aus, als i h n die Staatsrechtswissenschaft i m allgemeinen anerkennt u n d erkennt m i t Nipperdey 5 4 sogar die D r i t t w i r k u n g , den absoluten Grundrechtscharakter des A r t . 4, Abs* 1 an. I n gleicher Weise hat sich auch Hild. Krüger über die Bedeutung des A r t . 4 Abs. 1 geäußert und die von D ü r i g bekämpfte Auffassung vom Gewissen als die aus der Tiefenschicht der Person kommende Stimme geteilt 5 5 . Diese i m Privatrecht vertretene Auffassung von der Bedeutung des A r t . 4 zeigt eine große Divergenz m i t der zur Rechtsauslegung der Verfassung berufenen Staats-Verfassungsrechtswissenschaft. Nicht n u r ist letztere i m allgemeinen abgeneigt, die D r i t t w i r k i m g von Grundrechten anzuerkennen, sondern sie bestreitet auch gerade i m F a l l der Gewissensfreiheit jede aktuelle Bedeutung dieses Grundrechts, es sei denn, daß es sich i n religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnissen realisiere. Das Bedürfnis zu einer extensiven Interpretation der Gewissens* freiheit des A r t . 4 Abs. 1 GG ist aber i m öffentlichen Recht nicht weniger groß als i m Privatrecht und sollte eigentlich auch dort m i t weniger Gefahren verbunden sein. .So muß es durchaus unverständlich sein, wenn v. Mangoldt-Klein die Gewissensfreiheit des A r t . 4 Abs. 1 GG, die er doch als Freiheit des sittlichen Handelns interpretiert, so eng auslegt, daß die politische A n schauung nicht mehr den Schutz des A r t . 4 Abs. 1 GG genießen soll 0 6 . Eine solche Auslegung und eine solche Beschränkung der Gewissensfreiheit auf die rein religiöse und weltanschauliche Bekenntnisfreiheit widerspricht selbst dem Grundgesetz, das i n A r t . 3 Abs. 3 die Gleich-* heit jedes Menschen vor dem Gesetz auch unabhängig von seiner religiösen oder politischen Anschauung garantiert. Eine Berufung darauf, öa Blomeyer, A.: Gewissensprivilegien im Vertragsrecht in JZ 1954, Nr. 10, S. 309/310: „Ist es wirklich so, daß jeder ein Gewissen haben, nicht aber ihm Ungestört folgen darf?" ** Wieacker: Vertragsbruch aus Gewissensnot, JZ 1954, H. 15/16, S. 466, bes. Anm. zu S. 467 (im Gegensatz zu Bosch-Habscheid, a. a. O., ebenda S. 213). Ausgangspunkt zu dieser Kontroverse: LAG Rheinland-Pfalz SA 125, 1951 vom 16. 4.1952 über die Weigerung einer Apothekerin, empfängnisverhütende Mittel zu verkaufen. 54

Nipperdey,

H. C.: R d A 1950, S. 121 ff.; Enneccerus-Nipperdey,

BürgerL

Recht, Allgem. Teil, 1956, Hlbd. 2, S. 826 ff. u. Anm. 38 zu S. 826; Nipperdey, H. C.: Die Würde des Menschen in Neumann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte I I , 1954, S, 1 ff. 55 Krüger, Hild.: Grenzen der Zumutbarkeit aus Gewissensgründen im Arbeitsrecht, RdA, H. 10,1954, S. 365, bes. S. 370. 56 vi Mangoldt-Klein: a. a. (X, Erl. I I I , 1 Anm. 5 zu A r t . 4.

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Das Grundrecht der Freiheit im Grundgesetz

daß „parteipolitische Anschauungen" der ganzen geschichtlichen Herk u n f t des A r t . 4 Abs. 1 nach nicht denselben Schutz genießen können, ist auch dann haltlos, wenn v. Mangoldt-Klein auf die Zweckmäßigkeitsgebundenheit mancher politischer Anschauungen hinweisen kann. Mag die geschichtliche Herkunft der Freiheit des Gewissens i n die religiösen Auseinandersetzungen vergangener Jahrhunderte zurückreichen, mag das Recht der Gewissensfreiheit bis ins vorige Jahrhundert noch das Recht der einfachen Hausandacht bedeutet haben, so ist es doch die Absicht der Väter des Grundgesetzes gewesen, Grundrechte für unsere Zeit zu formulieren. Diese Absicht ist auch i n A r t . 3 Abs. 3 GG deutlich und m i t vollem Bewußtsein zum Ausdruck gekommen 5 7 . Auch der Bayer. Verfassungsgerichtshof hat i n einer Entscheidung das Schweigerecht des A r t . 107 Abs. 5 B V restriktiv ausgelegt und dabei ausgesprochen, daß die Freiheit des Gewissens und des Verschweigens seiner Überzeugungen dem Staatsbürger nur hinsichtlich seines Glaubens und seiner Religionszugehörigkeit zustehe 58 . I n dem i h m zur Entscheidung vorliegenden Falle war bei einem Strafverfahren an einen Zeugen die Frage nach seiner früheren Zugehörigkeit zur NSDAP gerichtet worden. Der Zeuge glaubte unter Berufimg auf A r t . 107 B V nicht aussagepflichtig zu sein. Der Bayer. Verfassungsgerichtshof verwehrte i h m jedoch dieses Recht, da es sich nicht auf die politische Überzeugung oder gar auf die i n der Vergangenheit liegende Zugehörigkeit zu einer politischen Partei erstrecke. I n gleicher Richtung erklären sich die beiden schon erwähnten Beschlüsse des Bundesdisziplinarhofs vom 28. 9. und 4. 10. 1954, die das Schweigerecht durch einen Umkehrschluß aus A r t . 136 W V für die politische Anschauung verneinen w o l l e n 5 9 . Hat einmal die Staatsrechtswissenschaft den falschen Weg beschritten und beschränkt sie sich bei der Interpretation der Gewissensfreiheit i n A r t . 4 Abs. 1 auf den Schutz des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, so ist es begreiflich, wenn man dem Staat ein allgemeines Interesse an der Kenntnis der Gesinnung seiner Beamten und ein Fragerecht zu ihrer Erforschung zugesteht, w e i l das auf die Bekenntnisfreiheit verkürzte Grundrecht der Gewissensfreiheit keine Handhabe zum Schutz der 87 Vorbild dafür war die Badische Verfassung; sicher meint das Grundgesetz in Art. 3 Abs. 3 eine Gleichheit in der Freiheit, nicht eine Gleichheit in der Unfreiheit. 58 BayVerfGH E v. 24. 2. 1950, n. F. Bd. 3 S. 4; zustimmend Nawiasky-Lechner, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Ergänzungsband, 1953, Erl. zu Art. 107, S. 116. 59 Der Beschluß des BDH v. 4.10.1954, abgedr. in JZ, 1956, H. 3, S. 94 if.

Die Interpretation des Art. 4 Abs. 1 GG

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Geheimsphäre b i e t e t 6 0 . B e i dem durch den B D H a m 4. 10. 1954 entschiedenen Falle handelt es sich u m einen Postassistenten, der 1934 i n einem Fragebogen seine zweimonatige Zugehörigkeit zur K P D i m Jahre 1920 verschwiegen hatte. Der Beschluß des B D H rechtfertigt die auf G r u n d dieser unrichtigen Angaben damals ausgesprochene Entlassung aus dem Beamtenverhältnis. Der E i n w a n d des die Wiederaufnahme seines Disziplinarverfahrens betreibenden Verurteilten, daß die Zugehörigkeit zu einer Partei zur Privatsphäre gehöre — Geheimsphäre —, w u r d e v o m B D H nicht anerkannt u n d unter Hinweis auf das Interesse des Staates an der Kenntnis der Gesinnung seiner Beamten zurückgewiesen. Die Fehlinterpretation des A r t . 4 I G G muß folgerichtig auch zu solchen Fehlurteilen führen. Die restriktive Interpretation der Freiheit des Gewissens auf religiöse Tatbestände trägt i n keiner Weise den E r fahrungen bezüglich des erlittenen politischen Gewissenszwanges Rechnung61. Der Bundesminister hat i n der Bundestagssitzung v o m 4. 12. 1955 Bedenken gegen das i n den beiden Beschlüssen des B D H behauptete Recht des Staates auf Kenntnisnahme der politischen Gesinnung der Beamten ausgesprochen 62 . Solche fehlgehende Urteile können aber n u r dann vermieden werden, w e n n die Staatsrechtswissenschaft zu einem tieferen Verständnis u n d zu einer besseren Interpretation des G r u n d rechts gelangt, das vor allen anderen Grundrechten berufen ist, die Geheimsphäre des Menschen v o r dem Zugriff des Staates oder sozialer Machtverbände zu schützen. Erst wenn das Grundrecht der Freiheit des Gewissens den i h m zukommenden zentralen Platz erhält, k a n n das System der Grundrechte so funktionieren, w i e es das Interesse des Menschen zur Wahrung seiner Würde unter Berücksichtigung der lebensnotwendigen Belange der Gemeinschaft verlangt. Th. Maunz hat i n Erkenntnis der Unvollkommenheit der bisher gew ä h r t e n Formulierungen das i n Frage stehende, sich aus der Gewissensfreiheit herleitende Schweigerecht auf alle Überzeugungen ausgedehnt u n d dadurch den richtigen Weg zur A k t u a l i s i e r u n g des A r t . 4 I 60 „Der Staat hat ganz allgemein ein berechtigtes Interesse, die politische Zugehörigkeit seiner Beamten zu kennen, um die zweckmäßigste Verwendung seiner Beamten erreichen zu können". Beschluß des BDH, a. a. O., JZ, 1956, H. 3, S. 95. Der BDH beruft sich dabei auf Ziff. 3 der 1. DVO v. 11. 4. 1933 zu § 4 des G zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums und glaubt, daß ein solches Fragerecht nicht gegen Art. 130 I I WV verstoßen habe. 61 Arndt, A.: Muß der Beamte seine Zugehörigkeit zu einer politischen Partei offenbaren? Ebenda, S. 81; Arndt sieht in den Beschlüssen eine Verletzung der Meinungsfreiheit, Vereinsfreiheit und Wahlfreiheit der Art. 5, 9, 39 GG, wenn von einem Bürger Auskunft gefordert werden darf, ob er einer verfassungstreuen Partei angehört. 62 Stenogr. Bericht, S. 6193 D.

Scboller. Die Freiheit.

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Das Grundrecht der Freiheit i m Grundgesetz

GG gewiesen08. Die Schutzfunktion dieses Fundamentalrechtes darf nicht davon abhängig sein, ob sich die zu schützende Überzeugimg des Menschen nun als religiöse, oder als politische Anschauung, als Glaube oder als Weltanschauung begreifen läßt. Und sie muß auch die bloße Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, Weltanschauungsgemeinschaft oder politische Partei decken, so lange sie nicht verfassungsfeindlich sind64.

w

Maunz, Th.: Staatsrecht, 6. Aufl., 1956, S. 94. „Das Grundgesetz der Bundesrepublik hat die beiden Typen vorgefunden. Es hat sich nicht für den Indüferentismus des Staates entschieden, sondern es hat an den anderen Typ angeknüpft, der von der Freiheit des Bürgers ausgeht und auf seiner Gewissensentscheidung aufbaut." Maunz, Th.: Toleranz und Parität i m deutschen Staatsrecht, München, Universitätsreden, n. F., H. 5, S. 9. 64

Kapitel

XV

Gewissen und GeheimsphSre 1. Das Gewissen als Persongeheimnis Wenn der bisherige Begriff der Gewissensfreiheit dem Rechtsbegriff widersprach, so lag dies daran, daß das Verfassungsrecht unbemerkt den philosophischen Gewissensbegriff rezipiert hatte. Dieser philosophische Gewissensbegriff geht vom Gewissen als einem A k t der sittlichen Persönlichkeit aus und v e r w i r f t die Vorstellung eines Gewissenshabitus 1 . Soziologisch und rechtlich war ursprünglich der geschützten Gewissensentscheidung auch eine rechtlich umschützte Sphäre garantiert, i m Falle der Gewissensfreiheit eben, die Andacht i m Hause. E r setzt man den philosophischen Gewissenbegriff durch einen angemessenen soziologisch-habitualen, so w i r d es einen Ausweg aus der Aporie geben, i n die das Grundrecht der Gewissensfreiheit als eine A r t reservatio mentalis geraten ist. U m diesen soziologischen Raum feststellen zu können, ist es notwendig, das Menschenbild des Grundgesetzes herauszustellen 9 . Die Unantastbarkeit der Menschenwürde und die Garantie der freien Entfaltung der Persönlichkeit gehen dem Schutz des Gewissens i n A r t . 4 Abs. 1 GG unmittelbar voraus. Aus ihrem Verständnis muß auch die Interpretation der Freiheit des Gewissens folgen. Das Gewissen als die Tiefenperson des Menschen bildet gleichsam den Kern der sich i n Freiheit entfaltenden Persönlichkeit und macht die unantastbare Würde des Menschen aus. Der tiefe innere Zusammenhang zwischen der Menschenwürde des A r t . 1 Abs. 1 GG und dem Gewissen als der Tiefenperson, dem Persongeheimnis des Menschen, kommt sehr klar i n den Erläuterungen H. C. Nipperdeys zu A r t . 1 Abs. 1 GG zum Ausdruck: „Das Wesen des Menschen besteht i n der Freiheit der Entscheidung, i n seinem Geöffnetsein, seinem Organ für das Reich der sittlichen und geistigen Werte, für die Wertfülle des Lebens" 1 Eisler: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, 1927, I, sub voce, Gewissen, S. 555 ff. Thomas v. Aquin: „conscientia est actus quo scientiam nostram ad ea, quae agimus, applicamus." STh. 1,79,13. 1 Diirig, G.: Die Menschenauffassung des Grundgesetzes in JR, 1952, H. 7, S. 259, 260, spricht vom christlichen Persönlichkeitstypus des Grundgesetzes. 3 Nipperdey, H. C.: Die Würde des Menschen in Neumann-NipperdeyScheuner, Die Grundrechte II, 1955, S. 1—2.

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Gewissen und Geheimsphäre

Denn i m Gewissen ist der Mensch dem Wertreich geöffnet, i m Gewissen hat der Mensch als Träger höchster geistig-sittlicher Werte sein Organ für die Wertfülle des Lebens und des Gewissens, und das Gewissen ist es, das die Werte erfühlt. Das christlich-abendländische Bewußtsein und das christliche Naturrecht haben gleichmäßig an der Gestaltung dieser Grundrechte mitgewirkt, so daß sich Würde, Persönlichkeit und Gewissen des Menschen gegenseitig bedingen. Der Mensch, der als Person Träger von höchsten geistig-sittlichen Werten ist, schließt den K e r n seiner Persönlichkeit, seine Tiefenperson gleichsam als sein Persongeheimnis von der i h n umgebenden Welt ab 4 . Thielicke hat so m i t Hecht vom Gewissen als dem Persongeheimnis des Menschen gesprochen, da i m Gewissen die der Umwelt geheim gehaltenen Beziehungen der Person zu Gott, zu den sittlichen Werten und zur Welt selbst verborgen sind. M i t gleichem Recht spricht H. Nawiasky von dem durch die Religionsfreiheit geschützten Rechtsgut als von dem Religionsgeheimnis, dessen Wahrimg durch A r t . 4 Abs. 1 GG allen Menschen garantiert w i r d 6 . Das Religionsgeheimnis und die Geheimsphäre des Menschen überhaupt sind Urphänomene des menschlichen Lebens. I n den Zeiten primitiver Wirtschaftsformen fiel sie zumeist m i t dem Hausfrieden, dem umfriedeten Besitztum zusammen. Die „geschlossene Hauswirtschaft" brachte für die Familie kaum die Gefahr starker sozialer Spannungen m i t sich, w e i l die Berührungspunkte zur Außenwelt auf ein M i n i m u m begrenzt waren. Dennoch kannte auch schon das ältere deutsche Recht Strafbestimmungen für den Horcher an der Wand: „ob einer an eines frommen Mannes Haus loset (lauscht), i h r geheimb damit auszunehmen .. A " Die Bedrohung der Geheimsphäre durch Fixierung des gesprochenen Wortes ist also schon dem älteren Recht als das Ausnehmen eines Geheimnisses durch Lauscher bekannt gewesen. I n solcher Zeit einfacher sozialer und politischer Lebensformen war auch die Gewissensfreiheit als Schutz der Hausandacht eine hinreichende Sicherheit, u m wenigstens doch den ärgsten Gewissensdruck abzuwehren und dem Untertan einen Bereich der seelischen Entspannung und sittlich religiöser Betätigimg zu gewähren. Das 20. Jahrhundert hat ganz andere soziologische Voraussetzungen. 4 BayVerfGH E N. F. 2 I I S. 91: Das Wesen des Menschen ist es, „Träger höchster geistiger sittlicher Werte zu sein und einen Eigenwert zu verkörpern ...". 6 Nawiasky, H.: Die Grundgedanken des Grundgesetzes, 1950, S. 27, „Das Geheimnis der religiösen Uberzeugung" wird allerdings nicht aus Art. 4 Abs. 1, sondern über Art. 140 GG, 136 I I I WV begründet. 6 Giesker, H.: Das Recht des Privaten an seiner eigenen Geheimsphäre, ein Beitrag zu der Lehre von den Individualrechten, 1905, S. 11.

Gewissen als Persongeheimnis

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Die Abhängigkeit der Staatsunterworfenen hat sich vom Politischen auch auf das Wirtschaftliche erstreckt. Die Bedrohung der religiösen Anschauung hat der Bedrohimg der politischen Platz gemacht. Die soziologische Struktur hat sich so verändert, daß es i n vielen Fällen schon an äußeren Raumverhältnissen fehlt, dem inneren Gestaltungsbedürfnis Ausdruck zu verleihen 7 . Die Rechtswissenschaft hat das Grundrecht der Gewissensfreiheit lange Zeit mißverstanden und i n i h m einen Versuch erblickt, Unnötiges zu garantieren. Da die Rechtswissenschaft unter Gewissensfreiheit eine A r t reservatio mentalis verstand, glaubte sie, daß eine solche Rechtsgarantie gegen den Rechtsbegriff selbst verstoßen müsse. Es war vergessen worden, daß der Gewissensfreiheit immer ein sozialadäquater Raum der Entfaltung zugedacht war. Wenn Th. Maunz diesem Grundrecht die Bedeutung des Schutzes des Innenlebens zuspricht, so ist damit der richtige Weg gewiesen®. Das Gewissen als das sittliche Bewußtsein des Menschen bestimmt das Innenleben, aber dieses Innenleben m i t seinen geheimen Beziehungen zu Gott, zur Welt, zum Staat, zur K u l t u r , zu den Ideen und Werten und schließlich auch zu den M i t menschen ist nicht ein Abstraktum, ist kein actus purus. Dem Recht ist eine solche Entkörperlichung fremd, es hat seinen Sitz i m Leben und w i l l Tatbestände des täglichen Lebens erfassen und nicht reine Abstrahierungen. Wenn beispielsweise A r t . 6 Abs. 1 GG Ehe und Familie schützt, so ist damit nicht ein Abstraktum gemeint, losgelöst von den Gegebenheiten. Dieser Schutz wäre illusorisch, würde er nicht auch eine soziologische Resultante haben, d. h. wenn er nicht einen Lebensraum, etwas Gegenständliches schützen und garantieren würde. M i t Recht leitet daher Th. Maunz aus dem Schutz der Ehe auch einen Schutz der ehelichen Sphäre, des ehelichen Lebensbereiches gegen den Staat ab 9 . Ehe muß, u m Ehe sein zu können, für zwei Menschen einen Lebensbereich, eine Eigensphäre abgrenzen und dieser sachlichräumlich umschriebene Lebensbereich ist die Voraussetzung für das, was i n der Verfassung als Ehe abstrahiert geschützt wird. 7 Jahreis: Herrschaft nach dem Maß des Menschen, Kölner Universitätsreden, geh. am 30. Mai 1951, S. 10: „Immer bleibt ein Privates, ein Raum, in den der Staat gar nicht oder nur beschränkt eintreten darf." Die „Entfremdung" des modernen Menschen und der damit zusammenhängende Verlust der Freiheit ist nach Gehlen die Folge davon, daß die Seele die Verfügung über die ihr entglittenen Produkte verloren hat. A. Gehlen, Die Geburt der Freiheit aus der Entfremdung in ARSP, 1953, S. 349. s Maunz, Th.: Deutsches Staatsrecht, 1956, S. 93. Das Innenleben darf aber nicht psychologisch, sondern muß als rechtlich relevanter Bereich, als Geheimbereich verstanden werden. 9 Maunz, Th.: Die verfassungsrechtliche Gewähr von Ehe und Familie in FamRZ. 1956. H. 1. S. 1ff.. bes. S. 2.

Gewissen und Geheimsphäre

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Ebenso ist es bei der Gewissensfreiheit: Sie ist als Abstraktum der Realität des Lebens entzogen. Sie kann nur dann eine wirksame Schutzfunktion ausüben, wenn ihre Garantie einen Lebensbereich umschließt, der die soziologische Voraussetzung zur Gewissensbildung ist. Wie weit die Gewissensbetätigung durch das Recht geschützt wird, ist eine sekundäre Frage, die leider immer primär gestellt wird. Der Geheimbereich, i n dem Gewissen entsteht und sich entfaltet, ist nicht auf den einzelnen beschränkt 1 0 . Das Gewissen als Phänomen am Menschen ist eine soziale Größe, ist abhängig von der Kommunikation des Menschen m i t dem Menschen n . Die Kommunikation ist aber nicht die der Meinungsäußerung, sondern eine geheimere, eine Verbindung zwischen Eltern und Kind, Erzieher und Schüler, Freund und Freund, Mann und F r a u 1 3 . Umschreiben w i r deshalb die Fülle dieser geheimen Beziehungen und Abhängigkeiten, die uns die moderne Psychologie lehrt, m i t dem Begriff der Geheimsphäre oder des Geheimbereichs und umschließen m i t diesem Begriff auch die Äußerungen, Mitteilungen und Gedanken des Geheimnisträgers selbst. Das durch A r t . 4 Abs. 1 GG geschützte Innenleben ist also die m i t Geheimnischarakter gekennzeichnete Sphäre, der Geheimbereich der Person 1 8 . Dieser geschützte Geheimbereich u m faßt „Gedanken, Aufzeichnungen, Begebenheiten", die die Person verborgen halten w i l l und sie tatsächlich nach den Umständen erkennbar verborgen h ä l t 1 4 .

2. Die Geheimsphfire als Schutzbereich des Religionsgeheimnisses Auch die Staatsrechtswissenschaft hat von jeher die Gewissensfreiheit unter dem Aspekt des Religionsgeheimnisses betrachtet, wenn sie aus dem Grundrecht der Gewissensfreiheit das Schweigerecht, die sog. 10

Stocker, H. G.: Das Gewissen, Schrift zur Philosophie und Soziologie, herausgeg. v. M. Scheler, Bd. 2,1925, S. 138 — über Zusammenhang zwischen Gewissen, Persona und Societas. 11 Frankl, V. E. v.: Der unbewußte Gott, 1948, S. 14: Der Antwortcharakter des Daseins verlangt von der Person ad personam, und ad situationem Antworten. S. 74: „Durch das Gewissen der menschlichen Person ,personal eine außermenschliche Instanz." 13 Hollenbach, J. M.: Gewissensbildung des Kindes, in Stimmen der Zeit, Jahrgang 80, Bd. 155, H. 2, 1954, S. 118ff. Zulliger, H.: Umgang mit dem kindlichen Gewissen, 1953. 13 Caruso, J.: Person und Gewissen, ein tiefenspychologisdier Beitrag zur Gewissenslehre, in Jahrbuch f. Psychologie und Psychotherapie, 2. Jahrg., H. 4, 1954, S. 341, bes. S. 145. Das Gewissen ist nach J. Caruso der Aufruf der Transzendenz in der Immanenz; die persona ist für Caruso mehr als die Larve, die Maske des Schauspielers, die den Geheimbereich des Uber-Ich schützt. 14 Hubmann: Das Persönlichkeitsrecht, 1953, S. 235, § 34.

Geheimsphäre als Schutzbereich des Religionsgeheimnisses

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Schweigefreiheit forderte. Dieses schon i n der W V durch A r t . 136 Abs. 3 besonders geschützte Recht der Schweigefreiheit ist auch als individuelles Nichteinmischungsrecht bezeichnet worden 1 5 . Das Recht der Schweigefreiheit hinsichtlich der religiösen Überzeugimg und der Religionszugehörigkeit muß sich aber zu einem allgemeinen Schweigerecht hinsichtlich der Überzeugung und Anschauimg jeder A r t entwickeln, u m den Geheimnisschutz wirksam verwirklichen zu können 1 6 . Hat die Persönlichkeit keine rechtlich geschützte Sphäre des Schweigens, so muß sie schweren Schaden nehmen und dem Ich w i r d dort ein Persönlichkeitsverlust zugefügt, wo der Offenbarungszwang die Geheimsphäre zerstört 1 7 . Als Beispiel des modernen Offenbarungszwanges ist besonders der Fragebogen zu nennen und gerade das moderne Testverfahren, so hilfreich es auch i n der Hand eines guten Arztes sein mag, w i r d i n den Händen eines unmenschlichen Staates zur ärgsten Gewissensbedrohung. Es sei hier auf eine A k t i o n der UNESCO hingewiesen, die i n einer Reihe von Schulen verschiedener Länder sechzehnbis achtzehnjährigen Schülerinnen die Fragen vorlegten, wie sie zum Tode stünden u n d wofür sie zu sterben bereit seien. Die A n t w o r t einer einzigen Klasse mußte die Fragesteller beschämen. Sie antwortete auf diese Frage: „Sie wollten vom Tode nichts wissen, und wofür sie zu sterben bereit seien, sei das Geheimnis jedes Einzelnen und Geheimnis solle das bleiben" 1 8 . Es gefährdet die Psyche, wenn man i n sie durch die Analyse eindringt; es gefährdet die Seele, wenn man i n sie m i t dem Fragebogen einbrechen w i l l , es bringt das Gewissen zum Verstummen, wenn man i h m die Geheimsphäre raubt. „Das Eindringen i n das Innerste eines Menschen gehört zum System des Totalitären, auch des politisch Totalitären. Wie i m totalitären Staat der Mensch kein Haus mehr hat, i n dem er vor dem Eindringen der Allmacht des Staates sicher ist, so hat auch die Psyche des Menschen keine Sicherheit mehr, daß i h r Unberührbares vor dem Eindringen geschützt b l e i b t " l p . Der staatliche Interventionismus auf dem Gebiete des psychischen 19

Wernicke, in: Bonner Kommentar, a. a. O., Erl. II, 1 c a. E., zu A r t 4. Maunz, Th.: Allgemeines Staatsrecht, a.a.O., S. 94, einschränkend Naxviasky, Grundgedanken, a. a. O., S. 27; einen Ausschluß der politischen Geheimsphäre befürwortet Mangoldt-Klein, Erl. I I I , 1 a. E. zu A r t 4. 17 Wernicke, Im Bonner Kommentar, Erl. I I , 1 c zu Art. 4 GG bezeichnet die Schweigefreiheit, die als Ausfluß der Gewissensfreiheit anerkannt wird, als die individuelle Nichteinmischungssphäre. V. Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz a. a. O., Erl. I I I , 1 a. E. beschränkt die Schweigefreiheit auf das religiöse Bekenntnis und leitet sie nicht aus Art. 4 Abs. 1 direkt ab, sondern begründet sie auf dem Umweg über Art. 140 GG, 136 n i W V . Dagegen leitet Th. Maunz, Deutsches Staatsrecht, a. a. O., S. 94, die Schweigefreiheit für jede Überzeugung richtigerweise direkt aus Art. 4 Abs. 1 GG ab. u zitiert nach M. Picard, Universitas 1955, S. 580. 19 Picard. M.: Einbruch in die Kinderseele, a. a. O.. S. 581. 16

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Gewissen und Geheimsphäre

Lebens ist von den verheerendsten Folgen begleitet, er zerstört nicht n u r die Persönlichkeit u n d raubt die Freiheit des Menschen, sondern er verwandelt das v o n i h m zerstörte Gewissen i n nackte Angst. G i b t es f ü r den Menschen i m Staat keine Geheimsphäre, keinen Bereich des Schweigens, der frei sein darf v o n Propaganda, Funk, F i l m , Fernsehen 2 0 u n d Fragebogen, so ist der seelische Lebensraum so verkürzt, daß der Mensch n u r noch i m „ K e l l e r seines Seelenhauses dahinveget i e r t " 2 1 . I n dieser A n g u s t i a 2 2 , Enge, Angst, verliert der Mensch seine Freiheit, seine sittliche Ansprechbarkeit, jedes Verantwortungsbewußtsein u n d m i t diesem Verlust seines Gewissens verliert er seine Menschenwürde. H i e r h i l f t dann auch keine Psychokatharsis mehr, w i e sie z. B. i m Kriege i n den U S A zur Beseitigung neurotischer Schäden i n Militärlazaretten vorgenommen wurde. M . Picard unterstreicht m i t überzeugenden Worten, w i e w i c h t i g die Geheimsphäre, der Raum des Schweigens f ü r den Menschen ist: „Es g i b t i m Menschen hinter allem Bewußten u n d h i n t e r allem Unbewußten einen Raum des Schweigens, i n den nicht hineingeredet werden darf, i n den n u r hineingeschwiegen w i r d u n d v o n dem aus n u r geschwiegen w i r d u n d i n den auch ein Höherer als bloß der Mensch h i n einschweigt. Dieser Raum ist unberührbar, er ist es an sich ohne jeden Grund, v o n vornherein unberührbar, aber auch m i t Grund, denn v o n diesem Raum des Schweigens i m Menschen geht ein H e i l u n d auch Heilung aus auf den Menschen" 2 ? . Der Schutz der Geheimsphäre bedeutet letztlich die Bewahrung des Persongeheimnisses u n d damit die Sicherung der Freiheit von Angst u n d Furcht. Die Freiheit von Angst ist vielleicht die modernste E r scheinungsform der Grundrechte der Gewissensfreiheit, die sich gegen Terror u n d psychischen Zwang des Staates oder anderer sozialer Machtverbände wendet 2 4 . Freedom of fear ist n u r dann gewährleistet, w e n n der Staat das Persongeheimnis jedes einzelnen Menschen respektiert u n d f ü r die Befolgung seiner Gesetze nicht die durch Terror erzeugte Angst als Fundament des Staates legt, sondern i n der verpflichtenden K r a f t des Gewissens die Grundlage einer freiheitlichen Staatsordnung 20 Steinbeck , J. E.: Die psychologischen Wirkungen des Fernsehens, Universitas 1955, S. 785. 21 Teirich, H. R.: Die Neurose der Partisanen, Universitas 1955, S. 949. 22 Strauch , F. W.: Die Angst in medizinisch-ärztlicher Schau, ebenda, S. 1295. 28 Picard , M.: Einbruch in die Kinderseele, a. a. O., S. 580. 24 Maunz, Th.: Deutsches Staatsrecht, a. a. O., S. 93; So Urteil des BGHSt v. 28. 6. 1956, NJW 1956 H. 40, S. 1485: „Sie (die Rechtsanwendung) dient dann nur noch zu der Vernichtung des politischen Gegners und verletzt den unantastbaren Kernbereich." Maunz leitet aber dieses Recht der Freiheit der Person von Angst und Furcht aus Art. 2 Abs. 2 GG her. Hier drohen aber die Schranken des Art. 2 Abs. 2 S. 3.

Geheimsphäre als Schutzbereich des Religionsgeheimnisses

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anerkennt und achtet 2 5 . Die unantastbare Geheimsphäre ist der notwendige Raum, den der Mensch benötigt, u m den K e r n seiner Persönlichkeit zu bewahren, u m i n Freiheit und nicht i n sklavischer Angst sittliche Entscheidungen treffen zu können 2 6 . Die Gewissensfreiheit bedeutet somit den Schutz des Persongeheimnisses, das sich i n religiösen und politischen Anschauungen und i n Weltanschauungen seine eigene Gestalt gibt. Der K e r n der Persönlichkeit muß von der Geheimsphäre, oder wie Wintrich formuliert, von der Intimsphäre 2 7 ganz umschlossen sein, damit der Mensch Träger höchster geistiger und sittlicher Werte sein und damit seine Menschenwürde v o l l wahren kann. Die Geheimsphäre der Person muß von den Staatsgewalten der Gesetzgebung der Verwaltung und der Rechtsprechung A r t . 1 Abs. 3 GG als unantastbares Recht des Persönlichkeitskernes geachtet werden und ein Eingriff ist schlechthin immöglich, da der Wesensgehalt der Geheimsphäre das Persongeheimnis bildet. Der auch i m öffentlichen Recht, i m Recht der Schweigefreiheit bekannte Schutz der Geheimsphäre stammt begrifflich aus der Privatrechtswissenschaft. Giesker geht 1905 i n seiner Untersuchung über das Recht des Privaten von der Geheimsphäre aus und versteht dieses Recht durchaus als Privatrecht 2 8 . Er erweitert diesen Begriff so, daß die Geheimsphäre Tatbestände umfaßt, die zu dem weiteren Kreis der Privatsphäre zu zählen sind. Nach heutiger Auffassung umfaßt die Geheimsphäre nur einen kleinen Teil der Privatsphäre. „Sie umfaßt lediglich jenen Teil derselben, der nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch Einzelnen, insonderheit Freunden und Bekannten nicht ohne wei25

Neumann, F.: Angst und Politik, in: Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 1954, S. 16. Die innere neurotische Angst hat destruktive paralysierende Wirkung auf den Menschen und beraubt ihn der Freiheit. 28 Das BayObLG, NJW 1956, H. 10, S. 391, sieht auch in den Artikeln 100 und 101 BV = Art. 1 und 2 GG nur einen Schutz des „Kerns der menschlichen Persönlichkeit", der doch bereits durch die Gewissensfreiheit Art. 107 BV = Art. 4 GG geschützt ist. 27 Wintrich, J. M.: Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung in Bayer. Verwaltungsbl., 1956, H. 4, S. 97: „Sie wußten, daß der totalitäre Staat des 20. Jahrhunderts den Wesenskern des Menschen zerstört, weil er den Menschen als Werkzeug zur totalitären Verfügung der Machthaber stellt und darum notwendig sich auch der Intimsphäre des Menschen bemächtigen muß." Derselbe, Die Bedeutung der Menschenwürde für die Anwendung des Rechts. BVB1.1957, H. 5, S. 138: „Es gehört zum Wesen des Menschen, daß er sich in einen Innenraum zurückziehen kann..., daß er also über die eigene Intimsphäre ungestört verfügen kann." Wintrich setzt sich dabei mit der Entscheidung des BVerfG vom 16. 1. 1957, NJW 1957, S. 297, auseinander. 28 Giesker, H.: Das Recht des Privaten an der eigenen Geheimsphäre a. a. O., S. 15. Giesker läßt es aber offen, ob auch ein subjektiv öffentliches Recht auf Schutz der Geheimsphäre gegenüber rechtswidrigen Eingriffen des Staates bestehe, S. 53. J. Kohler, AZP, Bd. 79, S. 40: Das „interne Leben" hat einen Anspruch auf Diskretion und Ruhe.

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Gewissen und Geheimsphäre

teres zugänglich i s t " 3 9 . I m Privatrecht zählt die Geheimsphäre zu den besonderen Persönlichkeitsrechten, die als absolute Rechte i m allgemeinen Persönlichkeitsrecht ihre Zusammenfassung finden. Das Problem der Grundrechte stellt sich i m Privatrecht unter dem Aspekt der Persönlichkeitsrechte d a r 3 0 . Das i m Privatrecht nun allgemein anerkannte allgemeine Persönlichkeitsrecht auf Achtung der Person hat auch hinsichtlich seiner besonderen Ausstrahlung i m besonderen Persönlichkeitsrecht der Geheimsphäre i n Rechtswissenschaft und Rechtssprechung Anerkennung gefunden 8 1 . Die modernen Möglichkeiten medikamentöser u n d technisch physikalischer A r t , i n die Geheimsphäre einzudringen, machen es notwendig, daß der Schutz des Geheimbereiches nicht Stückwerk bleibt, indem man i h n auf den Briefschutz oder Bildschutz — §§ 22—24 Kunsturhebergesetz — beschränkt 8 3 . Der Schutz des Geheimbereiches gehört trotz seiner privatrechtlichen Herkunft zu den obersten Prinzipien des Rechts und kennt i n A r t . 4 Abs. 1 GG sein grundrechtliches Pendant 8 8 . A r t . 4 Abs. 1 GG ist als Schutz des Geheimbereiches der Persönlichkeit interpretiert worden. Dennoch soll nicht die gesamte Geheimsphäre durch A r t . 4 Abs. 1 geschützt werden, denn diese Funktion übernehmen zum Teil andere Grundrechte, wie z. B. das Grundrecht des Brief- und Postgeheimnisses, das Recht des Wahlgeheimnisses usw. 39 Hubmann: Das Persönlichkeitsrecht in: Beiträge zum Handels-, Wirtschafts- und Steuerrecht, herausgg. v. O. Bühler und A. Hueck, K. Rauch, H. 4, 1953, S. 235. 80 Coing, H., in Staudinger, Kommentar zum bürgerl. Gesetzbuch, 11. Aufl., 1954, Anm. 17 ff. zu § 1, S. 57; bes. Anm. 19, 3: „Das Problem der privaten Rechte, die den Grundrechten des Verfassungsrechtes entsprechen, ist das der privatrechtlichen Persönlichkeitsrechte, vgl. auch Anm. 20 und 21 zu § 1 BGB S. 59, über den Schutz der Geheimsphäre sowie H. Coing, NJW, 1947/48, S. 210 mit weiteren Literaturnachweisen. . 8 1 Entscheidung des BGHZ 13, 334, NJW 1954, S. 1404; Larenz: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Recht der unerlaubten Handlungen, NJW, 1955, H. 13, S. 521. bes. S. 525 a. E.: Schutz der privaten Geheimsphäre: Koebel, NJW 1955, H. 37, S. 1337, bes. 1338 B — 1339 A: „Der Rechtsschutz auf diesen Gebieten wird um ein so dringenderes Anliegen, als die technischen Möglichkeiten zum Eindringen in die fremde Geheimsphäre mit Hilfe der Elektronentechnik neuestens in einem früher nicht geahnten Ausmaß zugenommen haben". 32 Enneccerus-Nipperdey: Allgem. Teil des bürgerl. Rechts, 1. Hbd. 1953, § 78 I 1 u. 2, S. 293: „Die Würde des Menschen ist unantastbar: das schließt die Ehre schlechthin und das Recht auf Geheimsphäre da ein, wo in der Verletzung eine Mißachtimg der sittlichen Würde liegt" Vgl. auch S. 293, wo Nipperdey unter c das Recht am Geheimbereich der eigenen Person gegen Auskundschaften oder Veröffentlichungen des Privatlebens, Film und Funk geschützt sieht. 33 Coing, H.: Die obersten Grundsätze des Rechts, 1947, S. 68: „Die Achtung dieser Sphäre ist die Grundlage des Zusammenlebens sittlich geistiger Menschen. Sie zu schützen, ist daher Aufgabe des Rechts; Schutz seiner Geheimsphäre ein Grundgut des Menschen".

Geheimsphäre als Schutzbereich des Religionsgeheimnisses

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Es mußte also eine gewisse Einschränkung vorgenommen werden und deshalb wurde vorgeschlagen, die Schutzfunktion des Art. 4 Abs. 1 auf das Persongeheimnis zu beschränken. Dieser Begriff bedarf noch einer schärferen Umreißung, um das Grundrecht genauer profilieren zu können. Unter dem Persongeheimnis läßt sich der Kern der Persönlichkeit verstehen, d. h. die Grundanschauung des Menschen religiöser, politischer und weltanschaulicher Art. Diese Grundanschauung, die sich im Glauben, im Bekenntnis, in der Weltanschauung des Menschen äußert, bildet seine Tiefenperson, die sich über das Unterbewußte bis ins Unbewußte erstreckt, aber mit dem bewußten Teil der Persönlichkeit eine Ganzheit bildet.

Kapitel

XVI

Der Schutz des Persongeheimnisses bei staatlichen Eingriffen in die persönliche Geheimsphäre Der moderne Verwaltungsstaat, der m i t Worten Forsthoffs die Daseinsfürsorge sich zum Gegenstand seiner Aufgaben gemacht hat, ergreift den Menschen als Staatsbürger oder als Fremden i n verschiedenen Beziehungen, die bis an sein Innenleben, an sein Persongeheimnis heranreichen 1 . Die grundsätzliche Unverletzbarkeit der Geheimsphäre erlaubt es weder dem Gesetzgeber m i t Gesetzen und Verordnungen, noch den Verwaltungsbehörden oder den Gerichten m i t Verwaltungsakten oder Entscheidungen das Persongeheimnis zu verletzen und dennoch erfordern die mannigfachen Aufgaben des Staates Eingriffe, die bis an die Geheimsphäre des Menschen heranreichen.

1. Somatische Eingriffe: Impf- und Röntgenzwang Unter den medizinischen Eingriffen, deren Duldung der Staat von den Staatsbürgern verlangt, ist wohl die bekannteste die Pockenschutzimpfung. A u f Grund von § 14 des Impfgesetzes vom 8. 4. 1874 RGBl. 31 w i r d von jedem Kinde eine zweimalige Impfung verlangt. V o n den Impfgegnern wurde i n mehreren Petitionen zum Reichstag die Einführung der Gewissensklausel verlangt, wie sie z. B. i n England und einigen Schweizer Kantonen besteht 2 . Die Frage, ob die Pockenimpfung nicht gegen die Grundrechte des Grundgesetzes verstößt, wurde inzwischen wieder aufgeworfen und durch höchstrichterliche Rechtsprechung verneint. Das Gutachten des B G H v. 25. 1. 1952 untersucht allerdings nur die Frage, ob das Impfgesetz m i t dem Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit m i t A r t . 2 Abs. 2 GG vereinbar ist oder ob diese Einschränkung den Wesensgehalt dieses Grundrechtes antaste. Der B G H verneint dies und führt aus: „ E i n Grundrecht w i r d durch einen gesetzlichen Eingriff dann i n seinem Wesensgehalt angetastet, wenn durch den Eingriff die wesensgemäße Geltung des Grundrechts stärker eingeschränkt würde als dies der sachliche Anlaß und Grund, der zu dem Eingriff geführt hat, zwingend gebietet 3 . 1 2 3

Forsthoff: Verwaltungsrecht, 1956, 6. A. Bd. I, S. 14, 35, 116, 304. Vgl. Handbuch der Pockenbekämpfung und Pockenimpfung, 1927, S. 667. Gutachten des BGHZ v. 15. 1. 1952. DVB1. 1953, S. 370 = DöV 1953, S. 343.

Somatische Eingriffe: Impf- und Röntgenzwang

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Die Frage, ob durch das Impfgesetz A r t . 4 Abs. 1 GG verletzt wird, hat der B G H i n seinem Gutachten überhaupt nicht untersucht. A u d i das OVG Lüneburg geht i n seiner Entscheidung vom 18. M a i 1955 grundsätzlich nur von dem Gesichtspunkt des A r t . 2 Abs. 2 und A r t . 19 Abs. 2 GG aus und verneint i m Anschluß an den B G H ein Recht zur Impfzwangsverweigerung, w e i l es sich nur u m einen „geringfügigen Eingriff i n die körperliche Unversehrtheit handle" 4 . Es dehnt allerdings i n den Gründen seine Stellungnahme auf alle Grundrechte aus, indem es ausführt: „Diese gesetzliche Regelung, der sog. Impfzwang, verstößt nicht gegen die durch das Grundgesetz geschützten Grundrechte, insbesondere nicht gegen A r t . 2 Abs. 2 GG, der das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit schützt". Auch das OVG Lüneburg hält den Impfzwang für einen Eingriff auf Grund eines allgemeinen Gesetzes, der den Wesensgehalt der Grundrechte des GG nicht antastet. Damit ist implizite auch gesagt, daß A r t . 4 Abs. 1 nicht verletzt wird, wenn das Impfgesetz den Impfzwang ohne Gewissensklausel vorschreibt. Es besteht kein Zweifel, daß bei einem großen Teil der Impfgegner nicht gesundheitliche, sondern religiöse Erwägungen i m Vordergrund stehen. Dennoch w i r d man den beiden Entscheidungen zustimmen dürfen, w e i l der Eingriff i n die körperliche Sphäre weder direkt noch indirekt die Tiefenperson und das Persongeheimnis verletzen kann, solange es sich u m Medikamente oder Sera gegen Infektionskrankheiten, wie Pocken, Kinderlähmung, Tetanus, Typhus, handelt 5 . A u f der gleichen Ebene liegt die Frage, ob eine Röntgenuntersuchung nach A r t . 1 des bayer. Gesetzes über Röntgenreihenuntersuchungen vom 6. 7. 1953 gegen das Grundrecht der Gewissensfreiheit verstößt". Der Bayer. Verfassungsgerichtshof hatte auf Grund einer gegen dieses Gesetz erhobenen Popularklage nach A r t . 98 S. 4 B V zu entscheiden, ob die Verpflichtung, sich einer Röntgenreihenuntersuchung zu unterziehen, gegen die i n der B V statuierten Grundrechte verstoße 7 . Der 4

OVG Lüneburg, Urteil v. 18. Mai 1955, DVB1. 1955, H. 16, S. 539. Ebenso Nebinger, Kommentar zur Verfassung von Württemberg-Baden, 1948, S. 30, Anm. 3 zu § 10: Ein Mormone darf bei uns nicht für die Vielweiberei agitieren und ein Impfgegner wird sich auf sein Gewissen, das ihm angeblich verbietet, körperliche Eingriffe zu dulden, so wenig berufen können, wie ein Vertreter der Christian science, der chirurgische Operationen ablehnt und die Gebetsheilung für den richtigen Weg hält." Ebenso auch v. Mangoldt Klein, a. a. O., Erl. I I I 1 a. E. zu Art. 4. G Art. 1 des Bayer. Gesetzes über Röntgenreihenuntersuchungen, GVB1. S. 103: „Wer in Bayern wohnt, ist verpflichtet, auf öffentliche Aufforderung hin sich einer Röntgenreihen- oder Röntgenuntersuchung auf Tuberkulose zu unterziehen". Art. 6 sieht für Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz eine Geldstrafe bis zu DM 150,— vor. 7 Verw,Rspr. 7, 912; BayVerfGH N.F. 8 I I 1/10. 5

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Persongeheimnis, Eingriff in die Geheimsphäre

V G H verneinte eine Verletzung der Menschenwürde und der Freiheit der Persönlichkeit. Der Gerichtshof führt dazu aus: „ E i n Anspruch darauf, i n der Privatsphäre auch insoweit unangetastet zu bleiben und als Träger einer ansteckenden Krankheit nicht festgestellt zu werden, kann weder i m Rahmen der sittlichen, noch der durch das Recht normierten Ordnimg anerkannt werden" 8 . Auch die Frage, ob durch solche Eingriffe nicht die Geheimsphäre verletzt wird, verneint der VGH, w e i l durch die Schweigepflicht der Angestellten der Schirmbildstelle die Untersuchungsperson hinreichend vor Indiskretionen geschützt ist. Unter Hinweis auf die Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren vom 4. 11. 1954, die die Aufnahme einer besonderen Verschwiegenheitsverpflichtung i n die Anstellungsverträge der Angestellten der Schirmbildstelle vorschreibt, zieht der V G H den Schluß, daß auf diese Weise die jedem Menschen zustehende Geheimsphäre genügend geschützt sei 9 . A m Schluß seiner Entscheidung t r i t t der V G H schließlich i n die Erörterung ein, ob die Religionsfreiheit des A r t . 107 B V verletzt worden sei. „Durch A r t . 107 Abs. 1 B V ist das Recht, sich zu einem Glauben zu bekennen und seinem sittlichen Gewissen gemäß zu handeln, gewährleistet' 4 1 0 . Der V G H sieht demnach i n der Religionsfreiheit das Recht der religiösen Bekenntnisfreiheit sowie das Recht der sittlichen Handlungsfreiheit gewährleistet. Diese beiden Rechte lassen sich aber nicht unter dem Oberbegriff der Religionsfreiheit zusammenfassen, da die sittliche Handlungsfreiheit nicht notwendig Ausfluß einer religiösen Grundhaltung sein muß. Der V G H verneint aber auch die Berufung auf die Gewissensfreiheit als sittlicher Handlungsfreiheit, w e i l diesem Grundrecht gewisse Schranken inhärent seien. Dem Staat seien auf dem Gebiet der sozialen Fürsorge Aufgaben übertragen, die vornehmlich staatlich-sozialer Natur seien und die deshalb m i t ihren Nebenwirkungen i n die religiöse Sphäre eingreifen könnten, ohne das Grundrecht der Religionsfreiheit zu verletzen. M i t folgenden Worten begründet der V G H seine Entscheidung abschließend: „Das Grundrecht der Religionsfreiheit verbietet staatliche Intoleranz, also Gesetze, die sich gegen eine religiöse Anschauung als solche richten. Es schließt jedoch nicht aus, daß der Staat die Regelung der i h m zustehenden Lebensgebiete zur Erfüllung seiner staatlichen Aufgaben für sich i n Anspruch nimmt, auch wenn sich dabei A u s w i r kungen auf die Religionsfreiheit ergeben, sofern diese Auswirkungen s

BayVBl. N.F. 1955, H. 1, S. 24, Urt. v. 13. 1. 1955. BayVBl. a.a.O., S. 25: Zur Schweigepflicht vergleiche: Art. 20 BayBG, 9 4 ATO, Art. 4 Abs. 3 des BayArzteges. v. 25. 5.1946 — GVBL S. 193. 10 BayVBl., a. a. O., S. 25. 9

Somatische Eingriffe: Impf- und Röntgenzwang

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n u r eine unvermeidliche Nebenfolge einer zu einem anderen Zweck getroffenen gesetzlichen Regelung sind" I m Unterschied zum Gutachten des B G H und zur Entscheidung des OVG Lüneburg behandelt das U r t e i l des B a y V G H auch die Frage, ob Eingriffe sozialstaatlicher Fürsorge das Grundrecht der Religionsfreiheit verletzen können. Obwohl der Gerichtshof unter die Religionsfreiheit auch die sittliche Handlungsfreiheit (Gewissensfreiheit) subsumiert, w i r d doch der Fortgang der Entscheidungsgründe von der Religionsfreiheit als religiöser Bekenntnisfreiheit bestimmt. Der BayVerfGH erklärt sich nicht dazu, aus welchem Grund auch die sittliche Handlungsfreiheit, die Freiheit des Gewissens, durch das Gesetz über die Röntgenreihenuntersuchung eingeschränkt werden kann. Hierzu äußert er sich i n seiner Entscheidung an einer anderen Stelle, an der er die Frage untersucht, ob eine Berufimg auf das Grundrecht der freien Persönlichkeitsentfaltung gegenüber der gesetzlichen Verpflichtung durchgreift. Wenn der BayVerfGH sowohl hinsichtlich der sittlichen als auch der rechtlichen Ordnung kein Recht anerkennt, sich als Ansteckungsträger gegenüber sozialstaatlichen Eingriffen auf die P r i vatsphäre zu berufen, so verneint er damit auch die Berufung auf die sittliche Handlungsfreiheit m i t der Begründung, daß auch die Sittenordnung ein solches Recht nicht gewähre. Wenn man auch dem Ergebnis dieser Entscheidung zustimmen muß u n d eine Berufung auf die Gewissensfreiheit abzulehnen hat, ist doch die Begründung, die der Gerichtshof seiner Entscheidung gab, nicht überzeugend, w e i l er die Prüfung der Gewissensfreiheit als der Freiheit der sittlichen Handlung aus der Prüfung zu A r t . 107 B V herausgenommen und sie an anderer Stelle seiner Entscheidung eingeordnet h a t 1 2 . Es läßt sich feststellen, daß das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung i n immer größerem Maße die Funktion des Gewissensschutzes übernimmt. Die Persönlichkeit als Zentrum sittlicher A k t e 1 3 ist n u r ein anderes Wort für Gewissen und deckt sich doch wenigstens i m K e r n m i t demselben. Versteht man unter Gewissensfreiheit nicht den weiten Begriff der sittlichen Handlungsfreiheit, sondern den engeren Begriff der Freiheit 11 BayVBl. a.a.O., S. 25; Hopfner: Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiete des Gesundheitswesens, BayVBl., a.a.O., H.9, S.270; ders., Ärztliche Schweigepflicht und Pflicht der Krankenanstalt zur Herausgabe von Krankengeschichten, bei VB1. 1956, H. 10, S. 299 ff. mit eingehender Literaturangabe. 13 In seiner Entscheidung über die Inschrift des Feuerbach-Denkmals prüft der BayVerfGH, Urteil v. 24. 10. 1956 BayVBl. 1956 H. 12 S. 374, eine Verletzung der Gewissensfreiheit nach Art. 107 Abs. 1 BV überhaupt nicht, sondern begnügt sich mit der Feststellung, daß A r t 144 Abs. 2 BV kein subjektiv öffentliches Recht des Staatsbürgers garantiere. M So z. B. M. Scheler, Vom Ewigen im Menschen, 1933, S. 20.

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Persongeheimnis, Eingriff in die Geheimsphäre

des Persönlichkeitskernes, der Kern- oder Geheimsphäre des Menschen, so gelangt man m i t besserer Begründung zu dem Ergebnis, daß der Röntgenzwang ebenso wie der Impfzwang nicht gegen das Grundrecht der Gewissensfreiheit verstößt. Eine Verletzung der Kern- und Geheimsphäre der Persönlichkeit liegt deshalb nicht vor, w e i l es sich nur u m minimale körperliche Einwirkungen handelt, die auf den Menschen als „Träger geistig-sittlicher W e r t e " 1 4 i n keiner Weise Einfluß ausüben. Andererseits ist durch peinliche Geheimhaltungsvorschriften dafür gesorgt, daß die Geheimsphäre auch tatsächlich geschützt w i r d vor der Kenntnisnahme durch dritte Personen. Neben dem Impfgesetz und dem bayer. Gesetz über Röntgenreihenuntersuchungen besteht eine Anzahl weiterer gesetzlicher Verpflichtungen zur Seuchen- und Krankheitsbekämpfung. Dazu gehören u. a.: 1. Gesetz, betr. die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. 6. 1900 (RGBl. I S. 306) m i t Ausführungsbestimmungen. 2. Gesetz zur Bekämpfung der Papageienkrankheit (Psittacosis) und anderer übertragbarer Kankheiten vom 3. 7. 1934 (RGBl. I S. 532). 3. Verordnimg zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 1. 12. 1938 (RGBl. I S. 1721) i. d. F. der bayer. Verordnung vom 21. 8. 1948 (GVB1. S. 165). 4. Das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 23. 7. 1953 (BGBl. I S. 700) 15 . Für diese Eingriffe hat der Staat als Träger der sozialen Fürsorge und der öffentlichen Gesundheit das Recht, Beschränkungen des Einzelnen zu verlangen, soweit sie sich auf die rein körperliche Sphäre beschränken und nicht die Kern- und Geheimsphäre der Persönlichkeit betreffen. Ebenso beschränkt die StPO die zulässigen Einwirkungen auf Verdachtspersonen, auf eine Reihe beschränkter körperlicher Eingriffe und schließt eine Einwirkung auf die Anschauung, die Geheimsphäre der Persönlichkeit grundsätzlich aus. Der Angeklagte darf keiner Ideenfolter 1 6 unterworfen werden und die Milderung der Strafe darf nicht davon abhängig gemacht werden, daß er seine A n schauungen politischer, religiöser oder weltanschaulicher A r t ändert 14 BayVerfGH N.F. 8 I I 1/10: verweist mit den Worten „Unter Würde der menschlichen Persönlichkeit ist — nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs — der innere und zugleich soziale Wert- und Achtungsanspruch zu verstehen, der dem Menschen als Träger höchster geistig-sittlicher Werte zukommt" auf die Entscheidung VGH 1 I I 32. 15 Eine genaue Zusammenstellung der gesundheitspolizeilichen Zwangsmaßnahmen und der aufgetretenen Rechtsprobleme hinsichtlich der Grundrechtsbeschränkungen und der Zuständigkeit zum Eingriff gibt Hopfner, Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiete des Gesundheitswesens, BayVBl. a. a. O., H. 8, S. 231, Forts. H. 9, S. 268. 16 Die Ideenfolter in „Der Spiegel", 1956, Nr. 14, S. 32.

Somatische Eingriffe: Impf- und Röntgenzwang

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oder aufgibt . Eine solche Einwirkung wäre eine unzulässige Einflußnahme auf den Persönlichkeitskern und würde als Verletzung der Geheimsphäre der Persönlichkeit unbedingt grundrechtswidrig sein. Dagegen sind die rein körperlichen Eingriffe nach §§ 81a und 81c StPO zulässig, da sie nicht auf die Anschauungen und das Persongeheimnis, also nicht auf das Zentrum der sittlichen Persönlichkeit gerichtet sind und n u r die körperliche Randsphäre der Persönlichkeit betreffen. Fraglicher w i r d es schon, ob erkennungsdienstliche Maßnahmen, also die Aufbewahrung von Fingerabdrücken und Lichtbildern gem. § 81b StPO, auch nach der Einstellung des Strafverfahrens vorgenommen werden können. Das V G Berlin hat i n seinem Urteil v. 11.2.1955 eine Vornahmeklage gem. § 25 VO165 als zulässig erklärt m i t dem Ziel, die Vernichtung der erkennungsdienstlichen Unterlagen zu bewirken, soweit der Beschuldigte tatsächlich unschuldig w a r 1 8 . Das Gericht begründete seine Entscheidung m i t dem Schutz der Personenwürde i n A r t . 1 Abs. 1 GG unter Hinweis auf Wintrichs Formulierung, daß die Personwürde die Freiheitssphäre begründe 1 0 . Die Ermächtigung des § 81a StPO zu körperlichen Eingriffen, z. B. zur Blutabnahme oder zur Enzephalographie, beschränkt sich auf Eingriffe i n die körperliche Randsphäre der Persönlichkeit und steht deshalb m i t dem staatlichen Impf- u n d Röntgenzwang auf einer Ebene 2 0 . Zwar verfolgt der strafprozessuale Eingriff i n die Körpersphäre des Beschuldigten oder Zeugen den Zweck der richterlichen Wahrheitsfindung, während sich die Tätigkeit der staatlichen Gesundheitsverwaltung reine sozial-staatliche Zwecke setzt; dennoch stehen beide Maßnahmen auf gleicher Ebene, w e i l sie hier für einen größeren, dort für einen kleineren Kreis von Staatsbürgern eine E i n w i r k u n g i n die K ö r persphäre m i t sich bringen. Es liegt hier also grundsätzlich anders wie bei psychischen Eingriffen, die zwar ebenfalls über die Körpersphäre auf den Beschuldigten wirken, aber nicht auf den Körper, sondern auf die Psyche, auf die Tiefenperson des Menschen, gezielt sind. Es muß also bei der Beurteilung entscheidend sein, ob die fraglichen 1T

BGHSt, Urt. v. 3. 11. 1954, NJW 1955, H. 3, S. 112: „Nach Art. 3 Abs. 3 darf niemand wegen seiner politischen Anschauung benachteiligt werden. Deshalb darf die Entscheidung gem. § 23 StGB nicht davon abhängig gemacht werden, daß sich der Täter zu bestimmten politischen Anschauungen bekennt oder daß er diese seine Anschauungen ändert.11 18 VG Berlin, U r t v. 11. 2.1955, NJW 1955, S. 964, dagegen hat das BVerwG mit Urt. v. 3. 11. 55, NJW 1956, S. 234, die Vornahmeklage als unzulässig abgewiesen. 19 Wintrich , in: Recht, Staat, Wirtschaft, Bd. 4, S. 145. 30 So ist z. B. im Rahmen des § 81 StPO, der eine Unterbringung in einer öffentlichen Heil- und Pflegeanstalt zur Begutachtung des Geisteszustandes des Beschuldigten vorsieht, nicht ohne weiteres eine Enzephalographie zulässig. BGH Urt. v. 8. 7. 1955, NJW 1955, S. 1765. Scholler, Die Freiheit.

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Persongeheimnis, Eingriff in die Geheimsphäre

Eingriffe ihre H a u p t w i r k i m g auf die Körpersphäre haben, oder ob sie bei möglichen körperlichen Nebenwirkungen auf die Persönlichkeit des Menschen gerichtet sind. Zulässige Eingriffe, seien sie gesundheitspolizeilicher oder strafprozessualer A r t , dürfen sich nur auf die K ö r persphäre erstrecken; eine E i n w i r k u n g auf die Kern- und Geheimsphäre der Persönlichkeit, auf ihre innere Anschauimg, auf ihr Lebensb i l d ist grundrechtswidrig, w e i l sie eine Verletzung der Geheimsphäre, des Gewissensgeheimnisses darstellen müßte 2 1 . Die strafprozessual zulässigen Eingriffe gem. §§ 81a, 81c StPO sind grundsätzlich an die jeweilige Voraussetzung richterlicher A n o r d n u n g 2 2 geknüpft und sind nur dann zulässig, wenn sie von einem A r z t nach den Hegeln ärztlicher Kunst vorgenommen werden und für die Gesundheit der Untersuchungsperson keine Gefahr besteht.

2. Psychische Eingriffe: Narkoanalyse und Hypnose Neben diesen serologischen und röntgenologischen Eingriffen i n die Physis hat die moderne Medizin und besonders die Psychologie Verfahren entwickelt, die einen Eingriff i n die psychische Integrität selbst darstellen, w e i l sie entweder m i t vorübergehenden oder dauernden Veränderungen der Persönlichkeit verbunden sind 2 3 . Z u diesen Eingriffen m i t Persönlichkeitsveränderungen gehören Elektro- und Insulinschock sowie die sog. Leukotomie, ein chirurgischer Eingriff i n den Großhirnlappen. Soweit diese Eingriffe Anwendung finden, sind sie auf die Therapie von unheilbaren Geisteskrankheiten beschränkt 24 . Gefährlicher, w e i l auch auf den geistig gesunden Menschen schon angewandt, ist die Narkoanalyse, bei der durch Injektion von vornehmlich Barbitursäurederivaten der Patient i n einen bewußtlosen, aber noch ansprechbaren Zustand gebracht wird. Während dieses Zustandes werden dem Patienten Fragen vorgelegt, von deren Beantwortung der behandelnde Seeleningenieur sich eine Kenntnis der seelischen Auto21

Die Frage, wie weit eine Unterbringung in eine öffentliche Heil- und Pflegeanstalt, z. B. nach 9 81 StPO oder 9 1 und 5 Bay. Verwahrungsgesetz vom 30. April 1952 (GVB1. S. 163), mit der Freiheit des Gewissens und dem Schutz der Geheimsphäre in Art. 4 Abs. 1GG zu vereinbaren ist, muß hier dahingestellt bleiben. 22 Uber die Zuständigkeit für die Freiheitsbeschränkung besteht Uneinigkeit: während die ordentlichen Gerichte die Freiheitsbeschränkung als Sache der freiwilligen Gerichtsbarkeit erklären, hat sich das BVerwG für die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte ausgesprochen, Urt. v. 12.11. 1955 — BVerwG IC 11. 53; a. A. BayVGH Beschluß v. 20. 5.1954. 28 Kranz, H.: Die Narkoanalyse als diagnostisches und kriminalistisches Verfahren, in: Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, H 150,1950, S. 34. 24 Fechner, E.: Die soziologische Grenze der Grundrechte, in: Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 1954, S. 14.

Psychische Eingriffe: Narkoanalyse und Hypnose

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matismen und der inneren Vorstellungswelt verspricht. Während des zweiten Weltkrieges wurden i n amerikanischen Militärlazaretten kriegsneurotische Soldaten auf diese Weise behandelt und wieder einsatzfähig gemacht. Kranz berichtet von einem solchen Fall, bei dem ein amerikanischer Pilot „erfolgreich" behandelt wurde. E r war einsatzunfähig geworden, da er jedesmal beim Auslösen der Bomben versagte. Es erschien i h m nämlich vor dem geistigen Auge das B i l d seines Vaters, den die auszulösenden Bomben zu töten drohten 2 5 . Bei der narkoanalytischen Behandlung ergab es sich, daß der Flieger bei einem Tiefangriff einen Zivilisten m i t dem Bordmaschinengewehr getötet hatte. Dieser Vorgang hatte sich so i m Unbewußten des Soldaten als unverarbeitetes Erlebnis eingegraben, daß es schließlich zu einer seelischen Sperre wurde und mittels einer F i k t i o n dem Werk der Selbstzerstörung Einhalt gebot. Es gelang nun, dem amerikanischen Soldaten die tieferen Zusammenhänge klarzumachen und die F i k t i o n zum Verschwinden zu b r i n gen. Was war aber damit erreicht? Man hatte das sich sperrende Gewissen durch einen brutalen Eingriff i n die Intimsphäre zum Schweigen gebracht. Wenn Gewissensfreiheit für den Menschen des 20. Jahrhunderts noch etwas bedeuten soll, so muß i h m das Recht bleiben, sein Gewissen zu behalten, auch dort, wo es ein böses Gewissen würde und wo es alle Zeichen einer „tiefen Erkrankung" trägt. Aber das Gewissen m i t Nietzsche nur als „tiefe Erkrankung" des Menschen i m Unterschied zum Tier zu verstehen, bedeutet die Gewissenlosigkeit des Menschen als Symptom gesunder Konstitution zu begreifen und verlangt das Einbrechen i n die Geheimsphäre zur Beseitigung gewissensbedingter Hemmungsvorstellungen und raubt dadurch dem Menschen jede Verantwortung und das letzte Geheimnis seiner Person 2 8 . Der Umstand, daß die Narkoanalyse einen, wenn auch geringen, körperlichen Eingriff darstellt, darf den Juristen nicht darüber wegtäuschen, daß hier nicht das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit des A r t . 2 Abs. 2 GG, sondern das der Freiheit des Gewissens betroffen w i r d 2 7 . Dies ist deshalb von sehr großer rechtlicher Bedeutung, w e i l der Vorbehalt des Gesetzes i n A r t . 2 Abs. 2, 3 w o h l einen Eingriff i n die körperliche Inte25

Kranz, E.: a. a. O., Teirich, H. R.: Die Neurose der Partisanen, a. a. O. Nietzsche: Zur Genealogie der Moral, Kröner Ausg., Werke Bd. 5, Aph. Nr. 16. Scheler versucht diesen Irrtum in seiner Untersuchung über die Reue zu berichtigen und teilt ihr eine positive Rolle als Akt der Selbstheilung der Persönlichkeit zu. Max Scheler, Vom Ewigen im Menschen, a. a. O., S. 1. 27 Statt vieler F. Giese: Grundgesetz f. d. Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 3. Aufl., 1953, Anm. I I 5 zu Art. 2: „Das Grundrecht schützt aber auch seelische Unversehrtheit. »Wahrheitsspritzen4 wären mit dem Grundrecht als Menschenrecht unvereinbar." Ebenso Sauer in JR, S. 500, der allerdings den Eingriff als zulässig ansieht, a. A. E. Schmidt, SJZ, 1949, H. 7, Sp. 449: Radbruch in Festschrift f. Sauer, S. 121. 26

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Persongeheimnis, Eingriff in die Geheimsphäre

grität erlaubt, ein solcher Eingriff i n die psychische Unversehrtheit durch A r t . 4 Abs. 1 GG aber schlechterdings unzulässig ist. Die psychoanalytische Behandlung ist auch nicht von Injektionen oder oraler Verabreichung von Drogen abhängig. Die Psychoanalyse Freuds, die modernen Testverfahren und die Psychokatharsis gelangen zu dem gleichen Ergebnis, wenn auch der Weg dazu etwas länger ist. Das durch diese Verfahren bedrohte Hechtsgut ist nicht die körperliche Unversehrtheit, sondern die Freiheit des Gewissens 28 . Sollte man i n Deutschland auf den Gedanken verfallen, die Echtheit der Gewissensentscheidung der sich auf A r t . 4 Abs. 3 berufenden Kriegsdienstverweigerer mittels eines narkoanalytischen Verfahrens zu überprüfen, so wäre ein solches Verfahren grundrechtswidrig. Denn ein solcher Einbruch i n die geistig-sittliche Integrität, i n die Geheimnisse des Menschen, w i r d absolut und unübersteigbar durch A r t . 4 Abs. 1 geschützt. Eine Berufung auf die dem A r t . 2 Abs. 2 gezogene Schranke muß versagen, weil es sich hierbei nicht um einen Eingriff i n den Körper, sondern u m einen Eingriff i n das Persongeheimnis handelt. A r t . 4 Abs. 1 GG würde auch narko- oder psychoanalytische Heilverfahren verbieten, die aus Kriegsdienstverweigerern wieder einsatzfähige Soldaten machen könnten. I n A r t . 4 Abs. 1 GG w i r d eben die unübersteigbare Schranke staatlicher Intervention aufgerichtet. Es besteht durchaus die Möglichkeit, daß psychoanalytische und narkoanalytische Verfahren nicht nur i m Strafverfahrensrecht, sondern auch i m Verwaltungswesen Eingang finden. M i t ihrer Hilfe ließe sich der Beamtenapparat überprüfen und die Neueinstellungen nach „modernen Gesichtspunkten" h i n ausrichten. Es bedarf keiner weiteren Erörterungen, u m die Gefahren dieser „Thought Police" auszumalen. Die Diskussion für und wider die Skopulamine ist bisher ausschließlich von prozessualen Gesichtspunkten geführt worden, ohne daß staatsrechtliche Argumente i n genügender Weise angeführt w u r d e n 2 9 . Ohne hier auf die Einzelerörterungen der strafprozessualen Zulässigkeit von Eunarkonverfahren einzugehen, muß ein gewichtiges staatsrechtliches Argument vorgebracht werden. Es genügt nicht, i n der Strafprozeßordnung durch eine Bestimmung narkoanalytische Verfahrensmethoden auszuschließen, weil eine einfache Mehrheit diesen Schutz beseitigen und w e i l darüber hinaus die Gefahr bestehen könnte, daß sich die Verwaltung ähnlicher Methoden eines Tages bedient. So 28

So spricht Ley in diesem Zusammenhang von einem Eingriff in das Gewissen, zitiert nach Schönke, DRZ, 1950, S. 145, der zumindest die Ausschaltung der Narkoanalyse bei politischen Äußerungen sehen will. 29 Die von Art. 2 Abs. 2 GG und § 81 a StPO ausgehende Argumentation beschränkt das Problem auf die Zulässigkeit von körperlichen Eingriffen. Kranz dagegen bekämpft vom ärztlichen Standpunkt dieses begriffsjuristische Denken, vgl. Schneider SJZ 49, 457.

Psychische Eingriffe: Narkoanalyse und Hypnose

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ist durch § 136a StPO nicht ausgeschlossen, daß sich der Arzt einer Heilanstalt zur Erstellung eines Gutachtens der Narkoanalyse bedient. Es ist nicht ausgeschlossen, daß bei der Aushebung von Wehrpflichtigen und i n Militärlazaretten Lügendetektor und Narkoanalyse eine wichtige Rolle spielen können. Es ist ferner nicht ausgeschlossen, daß eines Tages der Zugang zu öffentlichen Ä m t e r n von einem modernen psychoanalytischen Testverfahren abhängig gemacht w i r d oder daß das K i n d i n der Schule sich dem Test- und dem Analyseverfahren unterwerfen muß. Diese Fragen lassen sich nicht durch eine strafprozessuale Ergänzung regeln, sondern nur durch eine klare verfassungsrechtliche Garantie. U m die A k t u a l i t ä t dieser Fragen zu unterstreichen, ist es nicht erforderlich, auf die Schauprozesse totalitärer Staaten hinzuweisen 3 0 . Die Ergebnisse der Naturwissenschaft und der modernen Psychologie geben dem Staat eine Möglichkeit des Seeleningenieurs, die über die bisherigen Lenkungsmöglichkeiten der öffentlichen Meinung durch Presse, Rundfunk und Fernsehen weit hinausgeht 3 1 . Neben der Zulässigkeit der Narkoanalyse ist auch i n der Nachkriegszeit die Verwendbarkeit von Polygraphen für die polizeiliche und strafrichterliche Erm i t t l u n g diskutiert worden. Die Frage nach der Zulässigkeit des Polygraphen führt die Rechtswissenschaft ebenfalls vor die Entscheidung, ob es sich bei diesen Eingriffen u m Eingriffe i n den Körper oder u m Eingriffe i n den Seelenbereich handelt. Zur Abwehr der Anwendung von Polygraphen hat sich der Bundesgerichtshof i n seiner bekannten Entscheidung vom 16. 2. 1954 auf A r t . 1 Abs. 1 GG sowie auf die Spezialvorschriften der Strafprozeßordnung i n den §§ 81a, 136a StPO berufen 3 2 . Stützt man die Unzulässigkeit auf die Würde des Menschen, A r t . 1 Abs. 1 GG, so bleibt offen, welche spezielle Grundrechtsnorm zur Abwehr dieses unzulässigen, grundrechtswidrigen Eingriffes vornehmlich berufen ist, da A r t . 1 Abs. 1 GG zu den tragenden Grundsätzen des Verfassungsrechts, nicht aber zu den speziellen Grundrechten gehört 3 3 . Stützt man sich nur auf Spezialbestimmungen der Strafprozeßordnung, so bleibt ein weites Feld staatlicher Tätigkeit der Anwendung des Polygraphen 30 Machalowis, S.:Mindszenty,Ungarn, Europa, ein Zeugenbericht, 1949; Dovifat, Freiheit und Zwang in der politischen Willensbildung in Liberias, Veritas, Justitia, Festschrift zur 200-Jahresfeier der Columbia Universität, S. 33 ff., bs. S. 48; vgl. die Entscheidung des Tribunal Correctionel de la Seine v. 23. 2. 1949 gegen drei Ärzte wegen Verwendung eines Wahrheitsserums, zitiert nach

Schänke D R Z 1950, S. 145. 31

Jungk, Die Zukunft hat schon begonnen, 1953, 6. Aufl., S. 234ff., S. 247. BGH, Urt. v. 16. 2. 1954, NJW, 1954, H. 17, S. 649 gegen eine Entscheidimg des LG Zweibrücken, das den Lügendetektor zugelassen hatte. 83 Dies spricht nicht dagegen, daß Art. 1 Abs. 1 GG als materielles Hauptgrundrecht bezeichnet wurde (Klein). H. C. Nipperdey, Die Würde des Menschen in Neumann—Nipperdey—Scheuner II, S. 1, 1954. 92

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Persongeheimnis, Eingriff in die Geheimsphäre

offen. Bei der Frage, welches spezielle Grundrecht den Angriff auf den seelischen Eigenraum abzuwehren hat, kommen n u r drei Bestimmungen i n Frage: Die Freiheit der Persönlichkeit, A r t . 2 Abs. 1 GG, der Schutz der körperlichen Unversehrtheit, A r t . 2 Abs. 2 GG und der Schutz der Geheimsphäre, A r t . 4 Abs. 1 GG. Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit bietet aus doppeltem Grunde keine Handhabe gegen staatliche Einbrüche i n den Seelenraum des Individuums, w e i l er einmal einerseits n u r körperliche Eingriffe abwehren soll, andererseits unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze A r t . 2 Abs. 2 S. 3 GG steht. Die Frage, welches Grundrecht ein staatliches Seeleningeniering verletzt, ist von entscheidender Bedeutung. Von jeher hat der Staat das Recht gehabt, i n die körperliche Integrität des Menschen einzugreifen und sich solche Eingriffe durch einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt sichern lassen 34 . Stützt sich deshalb die staatsrechtliche Argumentation nur auf A r t . 2, so w i r d der Mensch i m Kampf u m seine Geheimsphäre unterliegen und der Staat unter dem Vorwand eines zulässigen körperlichen Eingriffs das Persongeheimnis jedes beliebigen Menschen lüften können. Einen wirksamen Schutz bietet nur A r t . 4 Abs. 1 GG, denn es handelt sich dabei nicht nur u m den Schutz der freien Willensbestimmung des Menschen. Die freie Willensbestimmung w i r d schließlich durch jede verpflichtende Rechtsnorm eingeschränkt und das Verhalten des Strafverfahrensbeteiligten, des Angeschuldigten oder Angeklagten i m Strafverfahren soll n u r hinsichtlich seiner Aussage dem freien Willen des Betroffenen unterworfen sein. Es handelt sich also u m die Respektierung des Gewissens, j a u m einen Appell an das Sittliche i m Menschen, wenn man Aussagezwang, Geständniserpressimg, Täuschung aus dem Verfahren ausschließt, wenn die StPO die freie Willensbestimmung schützt. So äußert sich E. Schmidt m i t Recht zustimmend zu dem U r t e i l des BGH, das die Anwendbarkeit des Lügendetektors als unzulässig erklärte, indem er auf die Freiheit der Persönlichkeit hinwies. Es geht u m die Freiheit des Persönlichkeitskernes, u m die sittliche Person, u m die Wahrung des Persongeheimnisses durch die Rechtsordnung. „ V o r sich selbst, als sittlicher Person, mag er es verantworten, ob er der Wahrheit die Ehre geben, ob er schweigen, ob er lügen will"85. Aber auch schon dann würde ein Verstoß gegen A r t . 4 Abs. 1 vorliegen, wenn man die Anwendung von Narkoanalyse und Lügendetektor i n das freie Ermessen des Angeklagten stellen würde. 84 Begründet wird dieses Recht mit den sozialstaatlichen Aufgaben und der sozialen Fürsorgelast des modernen Rechts- und Sozialstaates. Art. 20 GG. 30 Schmidt, E.: Lügendetektor und Freiheit der Persönlichkeit in Universitas 1954. S. 715. 718.

Psychische Eingriffe: Narkoanalyse und Hypnose

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Denn i m Ablehnungsfalle würde sofort der Schluß auf das schlechte Gewissen, auf das Schuldbewußtsein gezogen werden. Polygraph, Narkoanalyse und Psychokatharsis sind die modernen Bedrohungen der Gewissensfreiheit, sind M i t t e l der Angstproduktion i n der Hand des Staates. Soll A r t . 4 Abs. 1 noch eine Bedeutimg für uns haben, so w i r d es sich daran zeigen, ob es m i t seiner Hilfe möglich ist, den Schutz der Geheimsphäre zu sichern und damit die Angst aus dem Leben i n Volk und Staat zu verbannen 8 6 . Das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit ist ebenfalls nicht recht geeignet, staatlichen Eingriffen i n die Geheimsphäre entgegenzutreten. Es ist nicht das Recht auf freie Entfaltung, das durch solche Eingriffe gefährdet wird, sondern vielmehr das Rechtsgut der sich verbergenden Persönlichkeit, das Persongeheimnis, das durch den Eingriff i n die Geheimsphäre, i n den Seelenraum bedroht i s t 8 7 . Das Recht der Persönlichkeit, i h r Persongeheimnis zu wahren, das Recht, den K e r n der Persönlichkeit dem Zugriff des Staates zu entziehen, ist zwar eine Voraussetzung für die Entfaltung der Persönlichkeit. Der eigentliche Sitz dieser Norm, die „sedes materiae" für dieses Recht bildet aber A r t . 4 Abs. 1, der den Schutz des Persongeheimnisses, der sich verhüllenden, sich ausschweigenden Persönlichkeit festlegt. Durch Polygraphen und Narkoanalyse w i r d nicht die Entfaltung der Persönlichkeit, sondern ihr Sich-Verbergen und i h r Recht auf Geheimheit gefährdet. A r t . 4 Abs. 1 schützt dagegen m i t der Freiheit des Gewissens gerade den Persönlichkeitskern, die Tiefenperson, deren Schutz A r t . 2 Abs. 1 nicht garantiert, w e i l er nur die Entfaltung der Persönlichkeit i m Auge hat. A r t . 4 Abs. 1 schützt i m Gewissen gerade die Freiheit der Geheimsphäre, die sich von den Schichten des Bewußten bis ins Unbewußte erstredet und die Gesamtheit der Person, einschließlich der Tiefenperson, umfaßt. E i n letzter Einwand gegen diese Auffassung von der modernen Schutzfunktion des A r t . 4 Abs. 1 GG könnte noch i n dem Umstand erblickt werden, daß § 136a StPO den Schutz der Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung i m Auge hat und nicht auf das Gewissen abstellt. Dieses Argument verfehlt aber schon deshalb sein Ziel, w e i l auch bei Zustimmung der Behandlungsperson ein 88

87

Schmidt, E.: a. a. O., S. 719.

„Zur Erhaltung und Entwicklung der Persönlichkeit gehört ein lebensnotwendiger und unverzichtbarer seelischer Eigenraum, der auch im Strafverfahren unangetastet bleiben muß", BGH Urteil v. 16. 2. 1954, NJW 1954, H. 17, S. 649. Dasselbe meint S. Maiwald, wenn er davon spricht, daß für den Menschen ein geistig physischer Raum unverzichtbar ist: „Nein, die reservatio mentalis ist heute nur noch eine schwache und immer schwächer werdende Waffe angesichts der an Dichte und Intensität ständig zunehmenden unbewußten Macht der gesellschaftlichen Kollektivität." S. Maiwald, Freier Geist und totale Gesellschaft in Universitas 1951. S. 1340.

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Persongeheimnis, Eingriff in die Geheimsphäre

Eingriff mittels Eunarkon und Polygraphen, ein Eingriff also m i t Willen der Versuchsperson, staatliches Unrecht darstellen würde. Abgesehen davon ist es nicht die Willensfreiheit, die durch Narkoanalyse oder durch die Aufzeichnungen des Polygraphen beeinträchtigt wird, es handelt sich gerade u m die unwillkürlichen Regungen, z. B. u m B l u t druckerhöhungen, Schweißausbrüche, Beschleunigung des Herzschlages und des Atems, die verwertet werden sollen. Der Wille des Opfers w i r d von den unbewußten Äußerungen der Tiefenperson überspielt und die Freiheit des Willens bleibt völlig unberührt S Ä . So hat der Angeklagte i m Strafverfahren durchaus die Möglichkeit, seinen Willen frei zu bestimmen und die Handlungen, die seinem Willen unterliegen, frei zu setzen. E i n Eingriff i n den Willen liegt nicht vor, wenn nicht Willensregungen, sondern Gewissensregungen registriert werden. Es ist die sittliche Persönlichkeit, die belauscht werden soll und i n deren geheimen Mechanismus eingebrochen wird, wenn man m i t Eunarkon und Polygraph die richterliche Wahrheitsfindung vervollkommnen w i l l . Allerdings sind für den Gesetzgeber Freiheit des Willens und Freiheit des Gewissens anscheinend sehr verwandte Rechtsgüter, so daß es möglich war, beide Rechtsgüter i n A r t . 7 Abs. 3 GG zu vertauschen. Wenn das GG nämlich dem Lehrer das Recht gewährt, Religionsunterricht gegen seinen W i l l e n nicht erteilen zu müssen, so meint es offensichtlich, daß hier ein Gewissensprivileg zugunsten eines i m Gewissen verpflichteten Lehrers gewährt werden soll. A r t . 7 Abs. 3 S. 3 stellt das Verweigerungsrecht als Ausstrahlung von A r t . 4 Abs. 1 nicht i n das Belieben eines Lehrers, ob er nun Lust hat, Religionsunterricht zu erteilen oder nicht, sondern macht es von einer Gewissensentscheidung abhängig. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß i m Gegensatz zu den Zwangsmaßnahmen, die lediglich auf die körperliche Randsphäre der Persönlichkeit zielen, wie z. B. Impfzwang, Röntgenzwang, körperlicher Untersuchungszwang, die Zwangsmaßnahmen für grundrechtswidrig angesehen werden müssen, die auf die Kern- und Geheimsphäre der Persönlichkeit gerichtet sind, auch wenn sie prima facie als körperliche Eingriffe erscheinen mögen. Es muß dabei nicht auf die äußere Form des Eingriffs abgestellt werden, vielmehr ist die Wirkung dieser Maßnahmen für die Beurteilung ihrer Verfassungsmäßigkeit entscheidend. 59 Das Urteil des BGH v. 16. 2. 1954 ist deshalb äußerst widerspruchsvoll, weil es im Polygraphen eine unzulässige Beschränkung der Willensfreiheit erblickt, während es in der Begründung zu seiner Entscheidung richtig ausführt, daß gerade die unwillkürlichen und unbewußten Äußerungen registriert werden, also der Wille gar nicht beeinträchtigt werden kann. „Der Beschuldigte kann keine der Untersuchungsfragen wahrheitsgemäß, bewußt unrichtig, ausweichend beantworten oder übergehen, ohne daß zugleich willensunabhängige, meist unbewußte, mit den Fragen wechselnde Körpervorgänge, die durch seelisch-leibliche Wechselwirkung Zustandekommen, aufgezeichnet... werden". NJW 1954. H. 17. S. 650.

Psychische Eingriffe: Narkoanalyse und Hypnose

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Ist die W i r k u n g w i e bei der Narkoanalyse u n d beim Polygraphen v o r nehmlich psychischer A r t , d. h. auf die unbewußte Persönlichkeit u n d i h r Geheimnis 8 9 gerichtet, so muß sie notwendig als seelischer Eingriff gewertet werden u n d solche Eingriffe verletzen die Verfassung, w e i l sie den jedem Menschen eigenen Seelengrund, die K e r n - u n d Geheimsphäre der Persönlichkeit verletzen 4 0 . Daß durch solche Eingriffe nicht der Körper, sondern vornehmlich das Gewissen, der Seelenbereich des Menschen verletzt w i r d , sollte dabei dem Juristen nicht entgehen. Der V o r w u r f , daß der Jurist K ö r p e r u n d Seele verwechsle u n d deshalb Eingriffe i n die Kernsphäre der Persönlichkeit als Körperverletzungen behandle, k a n n nicht ohne weiteres zurückgewiesen werden u n d zeigt nur, w i e w e i t das juristische Denken noch i m seelenlosen Positivismus verhaftet ist. Gleichgültig ob der Eingriff i n den Seelenraum m i t einem körperlichen Eingriff verbunden ist oder ob n u r psychoanalytische Testverfahren, Rorschach- u n d Szondi-Tests zur A n w e n d u n g gelangen, so liegt das Wesentliche i n der Verletzimg des Persongeheimnisses. So charakterisiert auch Kranz die Problematik solcher Maßnahmen unter Hinweis auf die Bedrohimg des Geheimnisses der Person: „Es leuchtet hier die w e i t über den juristisch-kriminalistischen Bereich hinausgehende, nicht unberechtigte Sorge auf, w i r möchten, geblendet von den neuesten naturwissenschaftlichen Triumphen, wieder einmal w e r t b l i n d werden, w i r möchten, selbst berauscht v o m Rauschmittel, allmählich einem seelischen Exhibitionismus auf der einen Seite u n d einer respektlosen Neugier auf der anderen Seite zusteuern, die das Geheimnis der Person, jenen letzten Eigenraum m i t seinem stillen Wechselgespräch zwischen Mensch u n d Gott, die den W e r t des Schweigens u n d Schweigenkönnens, das einen Goethe, diesen großen Aussager, letztlich i n sich selbst bewahrte, nicht mehr kennen u n d damit entscheidende Werte der Persönlichkeit allzu leichtfertig preisgeben w ü r d e " 4 1 . 89 Auch die psychoanalytische Wachexploration würde die gleiche geheimnisverletzende Wirkung für die Tiefenperson haben, Kranz, a.a.O., S. 31; Rilke äußerte auf einen solchen Vorschlag in einem Brief an M. v. Hattingberg sehr kennzeichnend: „ . . . Daß für mich nichts verhängnisvoller, ja tödlicher wäre, als mich den Einflüssen einer solchen Behandlung, sei es auch nur im geringsten, auszusetzen: das war mir da zum Glück schon völlig klar geworden. Je mehr ich von den Absichten und Fortschritten der Analyse erfuhr, desto besser mußte ich einsehen, daß sie geradezu wie Zersetzung wirken müßte in einem Dasein, das ja doch seine stärksten Antriebe eben darin hatte, daß es sich nicht kannte, daß es durch sein eigenes schweres und seelisches Geheimnis mit allen Geheimnissen der Welt, ja mit Gott selber, unerschöpflich zusammenhing und von dorther geheim und großmütig erhalten wurde." Hattingberg, M v.: Rilke und Benvenuta, 1943, S. 29. 40 So spricht der bekannte österreichische Psychotherapeut V. E. Frankl davon, daß es bei der Narkoanalyse nicht um Verdrängtes, sondern um Verheimlichtes, nicht um Unbewußtes, sondern um Ungesagtes geht. V. E. Frankl, Diskussionsbemerkung zu H. Strotzka: Narkodiagnose, Grenzen und Möglichkeiten, Wiener klin. Wschr., 1949, S. 160. Kranz, a. a. O., S. 17. 41

Kranz, a. a. O.. S. 35.

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Persongeheimnis, Eingriff in die Geheimsphäre

3. Der Schutz des Art. 4 Abs. 1 GG gegen Gesetzgebung und Verwaltung an Hand der jüngeren Rechtsprechung a) G e w i s s e n s f r e i h e i t

und

Meldewesen

I n den vorangehenden Erörterungen ist bereits die Problematik eines staatlichen Fragerechts gegenüber Beamten bezüglich der Parteizugehörigkeit erörtert worden 4 3 . Während Per wo das Fragerecht aus der Fürsorgepflicht des Staates gegenüber seinen Beamten herleiten w i l l , stützen sich die Beschlüsse des B D H zur Begründimg des Fragerechts auf A r t . 136 Abs. 3, S. 2 W V , der gem. A r t . 140 GG Fortgeltung erhalten h a t 4 3 . Der B D H bediente sich dabei eines Umkehrschlusses u n d hielt ein Fragerecht nach der Parteizugehörigkeit während der Zeit nach 1933 für zulässig, da durch A r t . 136 Abs. 3 W V n u r Fragen hinsichtlich der Religionszugehörigkeit ausgeschlossen seien. N u n enthält A r t . 136 Abs. 3 S. 2 W V auch hinsichtlich der religiösen Schweigefreiheit eine Ausnahme. Er gestattet Fragen nach der Religionszugehörigkeit dann, wenn Recht und Pflichten des Staatsbürgers davon abhängen oder wenn die Frage für allgemeine statistische Zwecke gestellt wird. Ermächtigt n u n A r t . 136 Abs. 3 S. 2 WV, A r t . 140 GG das A m t für öffentliche Ordnung, i m Rahmen des polizeilichen Meldewesens die Angabe der Religionszugehörigkeit zu verlangen? Beschränkt sich nicht vielmehr dieses Fragerecht auf die Behörden, die nach dem Aufbau der Verwaltung besonders damit betraut sind, aus der Religionszugehörigkeit besondere Rechte und Pflichten des einzelnen festzustellen und durchzusetzen, z.B. Kirchensteuerbehörden? Zunächst ist das Eine unbestritten, daß auch A r t . 136 Abs. 3 S. 2, A r t . 140 GG nicht zu Fragen nach der inneren religiösen oder politischen Uberzeugung ermächtigt. Das OVG Münster hatte aber zu entscheiden, ob eine Vornahmeklage i m Verwaltungsstreitverfahren nach der VO 165 auf Löschung der Eintragung der Religionszugehörigkeit i m Melderegister zulässig und begründet sei 4 4 . Die Entscheidungsgründe hinsichtlich der Unzulässigkeit einer solchen Vornahmeklage sind überzeugend, da es sich bei der Eintragung i m Register nicht u m einen Verwaltungsakt handelt. Die weiteren E r örterungen, die das O V G Münster darüber hinaus anstellt, ob das « Vgl. X I V E, S. 128. 43 Beschluß des BDH v. 4. 10. 1954, JZ 1956, H. 3, S. 94; A. Arndt, Der Deutsche Beamte, 1956, Nr. 1, S. 3. Auf die Darlegungen Perwos in der Zeitschrift f. Beamtenrecht haben GrabendorfT: Nochmals das Recht des Beamten auf Mitgliedschaft und Tätigkeit in einer demokratischen Partei, ZBR 1956, H. 5, S. 139 und A. Arndt, ZBR 1956, H. 5, S. 142/143 treffend geantwortet. 44 Urteil vom 13. 9.1955 OVG Münster, DöV 1956. H. 11/12. S. 374.

Art. 4 Abs. 1 GG in der jüngeren Rechtsprechung

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Fragerecht als solches zulässig sei, begegnen aber erheblichen Bedenken. Das OVG stützt sich auf die Schranke des A r t . 136 Abs. 3 S. 2 und sieht hierin eine das Grundrecht der Schweigefreiheit der A r t . 136 Abs. 3 WV, A r t . 140 GG einschränkende Vorschrift 4 5 . Die Schweigefreiheit ist aber nach geltendem Recht bereits dem A r t . 4 Abs. 1 GG zu entnehmen 4 6 . I h m gegenüber hat A r t . 136 Abs. 3 S. 1 keine Bedeutung. Die Vorbehaltsschranke des A r t . 136 Abs. 3 S. 2 W V ist darüber hinaus eine Einschränkung, die ihre Zulässigkeit n u r aus dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze gegenüber dem Grundrecht der Glaubensund Gewissensfreiheit i n A r t . 136 S. 3 W V herleitet. Beide Gründe, nämlich der Umstand, daß die Schweigefreiheit bereits durch A r t . 4 Abs. 1 GG garantiert ist und daß zum anderen die Schranke des A r t . 136 Abs. 3 S. 2 W V keine Stütze i n A r t . 4 Abs. 1 GG findet, führen dazu, daß sich die Verwaltung nicht auf A r t . 136 Abs. 3 S. 2 W V berufen kann, u m Fragen nach der Religionszugehörigkeit zu rechtfertigen. Da das OVG Münster dieses Problem nicht erkannt hat, gelangte es zu der fehlgehenden Entscheidung, wonach auch den allgemeinen Polizeibehörden die Frage nach der Religionszugehörigkeit zustünde. Auch eine Berufung auf G. Anschütz kann der Entscheidung i n diesem F a l l nicht dienlich sein, da die von der W V übernommenen Bestimmungen vom Standpunkt des A r t . 4 GG aus zu beurteilen sind 4 7 . Wie weit die Religionsgemeinschaften auch weiterhin zur Ausübung des Fragerechts befugt sind, hängt von der Beantwortung der Rechtsnatur, d. h. der D r i t t w i r k u n g des A r t . 4 Abs. 1 GG ab. Auch hinsichtlich der Zugehörigkeit zu einer Weltanschauungsgemeinschaft oder zu einer demokratischen Partei steht den allgemeinen Meldebehörden kein Fragerecht zu. b) V e r k e h r s s ü n d e r k a r t e i erkennungsdienstliche

und

Unterlagen

Ohne Bedenken jedenfalls ist eine K a r t e i der Verkehrssünder zulässig, w e i l dies die Sicherheit der Öffentlichkeit erfordert, ohne daß eine innere Einstellung, Überzeugung oder Anschauung des „Verkehrssünders" durch eine solche Eintragimg verletzt w i r d 4 8 . 45 OVG Münster DöV, a. a. O., S. 374: „Die Angabe der Religionszugehörigkeit kann bei Angabe der Personalien bei der Meldebehörde nicht verweigert werden." Unter Berufung auf die allgemeine Anordnung des Innenministeriums v. 8. 7. 1950 Abschnitt B MB1, NW S. 1617. 46 Maunz, Th.: Deutsches Staatsrecht, a.a.O., S. 94. 47 Anschütz, G.: Kommentar zur RV, 14. Aufl. Anm. 3 zu Art. 136. 44 Müller: Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl., S. 167 und S. 493; ebenso Entscheidung d. BVerwG Urt. v. 20. 10. 1955, NJW 1956, H. 9, S. 357/58.

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Persongeheimnis, Eingriff in die Geheimsphäre

Etwas schwieriger liegt es schon bei der bereits aufgeworfenen Frage, ob erkennungsdienstliche Unterlagen aufbewahrt werden dürfen, auch wenn der Beschuldigte wegen Mangel an Beweisen nicht verurteilt werden konnte. Grundsätzlich hat hier das V G Berlin eine Vornahmeklage auf Vernichtung solcher Unterlagen zugelassen, w i l l i h r aber da nicht stattgeben, wo jedenfalls ein gewisser Verdacht (Tatverdacht) zurückgeblieben ist. I n einem solchen Falle müsse das Hecht des Anfechtungsklägers auf Vernichtung solcher Unterlagen hinter dem Interesse der Allgemeinheit auf Sicherheit und Sicherstellung von Verdachtsmomenten den Vorrang haben. Erkennungsdienstliche Maßnahmen sollten jedenfalls dort ihre Grenze finden, wo das Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit endet. Es wäre also unzulässig, Lichtbilder und daktyloskopische Unterlagen über eine Person schon deshalb dem Erkennungsdienst zuleiten zu wollen, w e i l diese homosexuell veranlagt ist oder weil ihrer Anschauung nach homosexuelle Beziehungen erlaubt sind. Hier läge keine Gefährdung der Öffentlichkeit vor, so daß der Schutz der Geheimsphäre absolut durchgreifen muß. Während man ebenfalls über die bereits angelegten Strafregister hinaus eine Verkehrssünderkartei für zulässig anzusehen hat, so wäre doch eine schwarze Liste absolut unzulässig, wenn sie politisch, weltanschaulich oder religiös unerwünschte Personen registriert u n d diesen unerwünschten Personenkreis bei staatlichen Konzessionen, Genehmigungen usw. zurückstellt oder für eine privat-wirtschaftliche Boykottierung einträte. c) V e r l e t z u n g d e s P e r s o n g e h e i m n i s s e s durch V e r s a g u n g eines V e r w a l t u n g s a k t e s oder durch E n t z i e h u n g von Hechten auf G r u n d eines Verwaltungsaktes Es wäre unzulässig, weil die Geheimsphäre verletzt wäre, wollte man die Apothekerkonzession von politischer Nichtbelastung oder Zuverlässigkeit abhängig machen 49 . Ebenso unzulässig wäre die Versagung des Wandergewerbescheines, w e i l der Antragsteller wegen seiner politischen Anschauung und aus seinem bloßen Bekenntnis zu i h r als unzuverlässig i m Sinne des § 57 b GeWO zu gelten habe 6 0 . Es kann dem OVG Münster darin aber nicht gefolgt werden, daß bei der Prüfung der Zuverlässigkeit gemäß § 57 b GeWO auch das politische 49 Nebinger: Kommentar zur Verfassung von Württemberg-Baden, 1948, S. 30, Anm. 2 zu § 10. 50 OVG Münster, Urteil v. 14. 12. 1950, DVB1. 51, S. 642: „Aus der politischen Überzeugung und aus dem bloßen Bekenntnis zu ihr darf Unzuverlässigkeit eines Bewerbers nicht gefolgert werden".

Art. 4 Abs. 1 GG in der jüngeren Rechtsprechung

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Verhalten zu prüfen sei. Die Gemeinschädlichkeit eines Antragstellers ergibt sich ausschließlich nach strafrechtlichen Gesichtspunkten, denn einzig und allein das Strafrecht und die Strafgerichtsbarkeit können hier zu einer verbindlichen Entscheidimg berufen sein. Darüber hinaus kann die Verwaltungsbehörde keine Gemeinschädlichkeit aus politischem Verhalten feststellen. Bei der Zuverlässigkeitsprüfung i m Rahmen des § 57 b GeWO darf die politische Anschauung und Betätigung keine Rolle spielen, solange keine Verletzimg von Strafrechtsnormen vorliegt. Aus diesem Grunde ist die Formulierung des OVG Münster i m U r t e i l vom 14. Dezember 1950 sehr bedenklich: „Die blosse politische Meinung des einzelnen, sofern sie sich nicht i n gemeinschädlicher Richtung betätigt, konnte jedoch schon nach bisherigem Recht die Unzuverlässigkeit nicht begründen" 5 1 . Wie soll die bloße politische Meinung überhaupt gemeinschädlich w i r k e n können? Ist z. B. nach der gesetzlichen Einführung der allgemeinen Wehrpflicht das Eintreten für die Gewaltlosigkeit und die Kriegsdienstverweigerung gemeinschädlich? Nach dem Urteil des OVG Münster würde dem nichts i m Wege stehen, denn nach den Entscheidungsgründen des Gerichtes kann auch eine Meinung gemeinschädlich betätigt werden. Richtiger und zutreffender hat dagegen der B G H geurteilt, wenn er i n einer Entscheidung zu § 23 StGB feststellt, daß maßgebend für die Anwendung dieser Vorschrift nicht die politische Anschauung oder die Änderung einer solchen Anschauung sei, sondern n u r die Bereitschaft und Neigung, sie i n strafrechtlicher Weise zu betätigen". Es darf also weder ein Verwaltungsakt, eine Konzessionserteilung oder eine verwaltungsrechtliche Genehmigung, noch eine Strafverhängung davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller bzw. der Täter seine Anschauungen wandelt. Der Staatsbürger, für den nicht einmal eine allgemeine gesetzliche Verpflichtung besteht, seine Person vor der Polizei auszuweisen, muß das Recht haben, nicht n u r seinen Namen, sondern erst recht seine persönlichen Anschauungen, sein Persongeheimnis, für sich behalten zu können ö s . Auch die Äußerung der Anschauungen und ihre Gestaltung 51

OVG Münster, a. a. O., S. 642: Dies gelte erst recht nach Inkrafttreten des GG, da Art. 3 Abs. 3 verbiete, jemand wegen seiner politischen Anschauung zu benachteiligen. 52 BGHSt., Urteil v. 3. 11. 1954, NJW 1955, S. 112: „Nach Art. 3 Abs. 3 GG darf niemand wegen seiner politischen Anschauung benachteiligt werden. Deshalb darf die Entscheidnug gem. § 23 StGB nicht davon abhängig gemacht werden, daß sich der Täter zu bestimmten politischen Anschauungen bekennt. . . . Maßgebend für die Anwendung der Vorschrift ist also nicht die politische Gesinnung als solche, sondern nur die Bereitschaft und Neigung, sie in strafbaren Handlungen zu betätigen." 53 OVG Hamm, Urteil v. 9. 6.1954, NJW 1954, S. 1212: „Es besteht keine allgemeine gesetzliche Verpflichtung des Staatsbürgers, sich ohne besonderen Grund auf Ersuchen eines Polizeibeamten über seine Person auszuweisen."

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Persongeheimnis, Eingriff in die Geheimsphre

oder Betätigimg innerhalb des Geheimbereiches berechtigt nicht zu staatlicher Intervention oder zu einem staatlichen Fragerecht. Während die Anschauungen unantastbar sein müssen, soweit sie sich innerhalb der Geheimsphäre gestalten und verwirklichen, können sie nicht m i t dem gleichen Schutz dort rechnen, wo sie aus dem Geheimbereich heraustreten und auf die öffentliche Sphäre einwirken und i m öffentlichen Bereich ihre Auswirkungen zeigen. d) S y m b o l e p o l i t i s c h e r u n d w e l t a n s c h a u l i c h e r Propaganda in der Schule

Art:

Es ist schwer, j a fast unmöglich, apodiktisch eine Trennungslinie zwischen dem zu ziehen, was der Geheimsphäre zuzurechnen ist und dem, was der Gestaltung der öffentlichen Sphäre unterworfen ist. Diese Trennungslinie zwischen Geheimsphäre und öffentlicher Sphäre verläuft nun auch verschieden je nach dem Menschenbild 6 4 der Verfassung. Das GG, das den extremen individualistischen wie den kollektiven Menschentypus abgelehnt hat, entschied sich für die gemeinschaftsbezogene Persönlichkeit 5 5 . Dies darf aber keine grundsätzliche Aufhebung oder Beschränkung der Geheimsphäre bedeuten. Die Anschauungen des einzelnen u n d ihre Ausgestaltung werden aber, w e i l nur der Geheimsphäre zugehörig, i n der öffentlichen Sphäre zurücktreten müssen, wo die Belange und Rechte Dritter und das Interesse der Allgemeinheit es verlangen. Während es z.B. zur Geheimsphäre des Menschen gehört, m i t welchen Bildern, Büchern, Symbolen sich der einzelne i n seinem Geheimbereich umgibt, so ist doch dieses Recht beschränkt, sobald z. B. Symbole i n der Öffentlichkeit getragen oder zur Schau gestellt werden 6 6 . Das Buch, die p r i vate Aufzeichnung, das B i l d und Symbol sind Ausgestaltungen und Verkörperungen der Anschauungen, die, seien sie religiöser, politischer und weltanschaulicher A r t , frei und i n ihrer Ausgestaltung unbeschränkt sind, solange sie Teil der Geheimsphäre des einzelnen bleiben. 64 v. Mangoldt-Klein, Das Grundgesetz a. a. O., Anm. I I I 1 zu Art. 2, S. 163 hält daran fest, daß das GG in Art. 2 Abs. 1 ein Menschenbild, ein Persönlichkeitsbild aufstellt —. 55 Peters, H.: in Laun-Festschrift, 1953, S. 669 ff. 56 Adamowich: Das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit im Lichte der Judikatur des Reichsgerichts und des Verfassungsgerichtsofs in: österr. Archiv. Kirchenrecht, Bd. 2, 1951, S. 3 ff. bes. S. 19 stimmt der höchstrichterlichen Judikatur in Österreich zu (vgl. Sammlung 1207), daß das Tragen von Uniformen keineswegs mit der Gewissensfreiheit etwas zu tun habe, „da es schon aus dem Begriff der Glaubens- und Gewissensfreiheit hervorgeht, daß es sich hier nur um ein Religionsbekenntnis handelt oder handeln könne". Für das Grundgesetz kann dies nicht zutreffen, da Art. 4 Abs. 1 im Gewissen auch die Oberzeugung, wie das weltanschauliche Bekenntnis und über Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 die politische Anschauung und die Weltanschauung gleichermaßen schützt.

Art. 4 Abs. 1 GG in der jüngeren Rechtsprechung

159

Werden sie aber von der Geheimsphäre des einzelnen getrennt und Gegenstand der Öffentlichkeit, sei es i n Kundgebungen oder öffentlichen Darstellungen, so unterliegen sie den allgemeinen gesetzlichen Beschränkungen. So sieht das Versammlungsgesetz ein Verbot für Uniformen, Parteiuniformen aller A r t i n der Öffentlichkeit vor und untersagt ebenso das Tragen nationalsozialistischer Abzeichen und Symbole i n der öffentlichen Sphäre 5 7 . M i t dem gleichen Ziel hat das Bundesverwaltungsgericht i m U r t e i l vom 18. Dezember 1953 ausgesprochen, daß ein Widerrufsbeamter nicht i n seinen Grundrechten verletzt wird, wenn er entlassen wurde, w e i l er amtlich zugelassene Plakate aus dem Schulgebäude gegen die Anweisung des Schuldirektors entfernen ließ 5 8 . Der Lehrer hatte das Plakat beseitigen lassen: „Moskau diktiert — alle müssen schreiben — das Geheimnis der Briefe aus der Sowjetzone", das die Schuljugend über die geheimnisvollen Briefe aus der Ostzone aufklären sollte. Das Plakat w a r amtlich zugelassen und wurde von dem Lehrer entfernt, w e i l er seiner politischen A n schauung nach einen anderen Standpunkt vertrat als i n dem ausgehängten Plakat zum Ausdruck kam. Das Bundesverwaltungsgericht argumentiert n u n so, daß A r t . 3 Abs. 3, der die Benachteiligung von politischen Anschauungen verbietet, jedenfalls dann nicht zum Zuge komme, wenn sich die Anschauung i n Meinungen äußert, die gegen die allgemeinen Gesetze verstoßen. Da das Beamtengesetz zu diesen allgemeinen Gesetzen gehört, ist die Meinungsäußerung für den Beamten soweit untersagt, als er damit gegen seine Amtspflichten verstoßen würde 5 9 . Die Entscheidung ist aber dennoch zu billigen, w e i l A r t . 4 Abs. 1 GG die Schutzfunktion nur auf die Geheimsphäre beschränkt, die Entfernimg des Plakates aber eine Demonstration i n der öffentlichen Sphäre darstellt. I n einem gleichliegenden Falle wurde ein Lehrer an einer öffentlichen Volksschule deshalb entlassen, w e i l er sowjetzonale Lehrbücher an Stelle der amtlich zugelassenen Lehrbücher verwandte und überdies eine Lehrerin an seiner Schule zu gleichem Verhalten veran57 Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, BGBl. I, S. 684, § 3, Abs. 1: „Es ist verboten, öffentlich oder in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen." § 4: „Es ist verboten, öffentlich oder in einer Versammlung Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen zu verwenden." Dazu Füsslein: Vereins- und Versammlungsfreiheit, in: Neumann—Nipperdey—-Scheuner, Die Grundrechte II. 1954, S. 448. M BVerwG, Urteil v. 18. 12. 1953, DVB1., 1954, S. 368. Unter Berufung auf Mangoldt, GG Art. 5, Anm. 7; Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 10. Aufl., Art. 118, Anm. 4, 5. 59 Unter Verweisung auf eine Entscheidung des preuß. Staatsministeriums vom 24. 11. 1925 Pr. Vbl. 1926, S. 481, in der DVO DBG zu § 3 und in § 53 des Bundesbeamtengesetzes vom 14. 7. 1953 zum Ausdruck gebrachten Grundsätzen.

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Persongeheimnis, Eingriff in die Geheimsphäre

laßte. Auch diese Entscheidung verstößt nicht gegen das i n A r t . 4 Abs. 1 G G gewährte Grundrecht. Sicher wäre es unzulässig gewesen, wenn von den Lehrern verlangt worden wäre, ihre eigene Auffassung darzulegen oder ihre Auffassung und Anschauung an die amtlich eingenommene Auffassung und Anschauung anzugleichen. Eine solche Gleichschaltung der Anschauungen wäre ein Einbruch i n die Geheimsphäre und deshalb durch A r t . 4 Abs. 1 GG verwehrt. Die Gewissensfreiheit w i r d auch durch das Beamtenverhältnis nicht eingeschränkt, was aber n u r besagt, daß die Geheimsphäre auch dem beamteten Lehrer selbst an Konfessionsschulen garantiert bleibt. I n diesem Sinne versteht auch die Regierungserklärung über den Vollzug des Gesetzes zu den Verträgen m i t den drei christlichen Kirchen i n Bayern vom 14. Januar 1925 den Schutz der Gewissensfreiheit, wenn sie zum Ausdruck bringt: „Der Freiheit des Gewissens und der Vereinigung der Lehrpersonen an Bekenntnisschulen sind andere Schranken, als sie durch die besonderen Amts- und Standespflichten bedingt sind, nicht gezogen" fl 0 . Der Schutz der Gewissensfreiheit drückt sich auch schließlich darin aus, daß es weder einem Ministerium (Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus) noch dem Verwaltungsgerichtshof zusteht, die inhaltliche Übereinstimmung der Lehre eines beanstandeten Hochschullehrers gemäß A r t . 3 Abs. 2 des Bayer. Konkordates m i t der kirchlichen D o k t r i n nachzuprüfen 61 . e)

Friedhofsrecht

Auch i m Friedhofsrecht hat Art. 4 Abs. 1 GG eine neue Bedeutung erlangt. I n den bisherigen Rechtsstreitigkeiten hatte A r t . 4 Abs. 1 GG Bedeutung i n Richtung gegen eine Kirchengemeinde, die den einzigen gemeindlichen Friedhof i n Verwaltung oder Eigentum hatte. Hier war eine Verweigerung des Begräbnisses auf dem kirchlichen Friedhof als Kirchenstrafe oder gegenüber Andersgläubigen nur dann zulässig, wenn kein anderer gemeindlicher Friedhof bestand 62 . Ob man die Begräbnisstätte zur Geheimsphäre des Toten oder zur Geheimsphäre der nahen Angehörigen rechnen w i l l , kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist der Platz der letzten Ruhe eines Menschen ein Geheimbereich i n ganz besonderer Weise. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß der Friedhof der Öffentlichkeit zugänglich ist. Da die Begräbnisstätte zum Geheimbereich, sei es nun des Verstorbenen oder M GVB1. 1925 S. 68 zu Art. 5 §§ 1 und 2 des Konkordates v. 15. 1. 1925 und den beiden Verträgen mit den evang. Kirchen in Bayern. 61 BayVerfGHE n.F. 7, S. 41, Urteil v. 1. 3.1954, Zeitschrift f. evang. Kirchenrecht 1955, Bd. 4, S. 224. 62 Bayer. VGH in: Bay. Gemeindeverwaltungszeitung 1927, S. 934; Brunner, Pr. VB1. Bd. 49. S. 35.

Art. 4 Abs. 1 GG in der jüngeren Rechtsprechung

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der nahen Angehörigen, zu rechnen ist, ist auch die Grabmalgestaltung ein Teil dieser Geheimsphäre. Wenn Bachof unter Berufung auf A r t . 4 G G eine freie Grabmalgestaltung fordert, so kann dem nicht widersprochen werden 6 3 . Das Grabmal gehört eben auch zur Geheimsphäre, auch wenn ein gewisses Einwirkungsrecht der Öffentlichkeit und des Friedhofsträgers nicht bestritten werden kann. A n der Grenze des menschlichen Lebens überschneiden sich haarscharf die beiden Sphären: Geheimbereich und Öffentlichkeit 6 4 . Dies ist eine Folge der modernen Hygiene, die aus gesundheitlichen Rücksichten eine Konzentration der Begräbnisstätten verlangt. f) W a h r s a g e n u n d

Kartenlegen

Das Problem der Trennungsziehung w i r d auch an der Frage recht deutlich, ob durch Rechtsverordnungen das Wahrsagen, Kartenlegen und Horoskopestellen gegen Entgelt verboten und bestraft werden kann. Hierzu führt das L V G Hannover i m Urteil vom 15. Oktober 1952 richtig aus: „Soweit der einzelne i n seinem Seelenzustand berührt wird, handelt es sich nicht u m Gefahren, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedrohen" 6 5 . Das U r t e i l fährt i n der Begründung der Unzulässigkeit von untersagenden Polizeiverordnungen fort, daß es nicht Aufgabe der Polizei ist, den einzelnen vor seinem Aberglauben zu schützen. Ein Verbot wäre nur dann gerechtfertigt, wenn nachweisbar strafbare Handlungen m i t dem Wahrsagen und Kartenlegen verbunden seien. I n dieser Entscheidung w i r d die Geheimsphäre sehr weitgehend geschützt, da i h r auch die kommerzielle Seite des Kartenlegens und Wahrsagens zugeordnet ist. 03

Bachof, O.: Rechtsgutachten über die Zulässigkeit von Beschränkungen der Grabmalgestaltung usw., Sonderdruck, hrsgg. v. dem Bund f. Denkmalgestaltung in Frankfurt a. M., 1954, S. 15,17 und 27; ders. AöR 78, Bd. 1952/53, S. 82 ff; Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 1954, S. 56. 64 Vgl. LVG Hannover, Urt. v. 24. 11. 1955: „Daß der auf Grund der Anstaltsautonomie auf diesem Gebiet erfolgenden Regelung Grenzen gezogen sind, ergibt sich schon aus der Tatsache, daß dem Staatsbürger auch als Benutzer des Friedhofes in dem Bereich der Totenehrung Rechte zustehen, deren Beschränkung nicht oder nur insoweit zulässig sind, als dies gesetzlich vorgesehen ist, etwa die Grundrechte in Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 GG" NJW 1956, H. 37, S. 1373. 65 LVG Hannover, Urteil v. 15. 10. 1952 MdR 1953, S. 317: „Eine Polizeiverordnung, die das gewerbsmäßige Wahrsagen, insbesondere Kartenlegen und Sterndeuterei allgemein verbietet und unter Strafe stellt, ist ungültig", vgl. dazu Polizeistrafgesetzbuch v. 26. 12. 1871, Art. 54: „Wer gegen Lohn oder zur Erreichung eines sonstigen Vorteils sich mit angeblichen Zaubereien oder Geisterbeschwörungen, mit Wahrsagen, Kartenschlagen, Schatzgraben, Zeichenoder Traumdeuten oder anderen dergleichen Gaukeleien abgibt, wird an Geld bis zu DM 150,— oder mit Haft bestraft/ 1 Schüller. Di»? Freiheit.

U

Kapitel

XVII

Grenzfälle des Art. 4 Abs. 1 GG 1. Die Geheimsphäre und die Tonaufnahme Eine weitere Bedrohung der Geheimsphäre stellt die Möglichkeit der Tonfixierung dar, ohne daß hier i n jedem Falle eine Verletzung des Persongeheimnisses gegeben sein muß. Die Diskussion ist deshalb noch nicht abgeschlossen, ob die heimliche oder öffentliche Festhaltung des gesprochenen Wortes einen unzulässigen Eingriff i n die jedem Menschen geschützte Geheimsphäre darstellt, und es ist schließlich noch nicht entschieden, welches Grundrecht diesem Eingriff durch Privatpersonen oder staatliche Organe entgegenzutreten hat 1 . Es handelt sich damit auch u m einen der Fälle, bei denen die Grenzziehung zwischen Geheimsphäre u n d Öffentlichkeitssphäre noch nicht endgültig geklärt ist. Es lassen sich folgende verschiedene Eingriffsmöglichkeiten unterscheiden, ohne dabei näher auf die Einzelproblematik einzugehen: a) Die heimliche Aufnahme des gesprochenen Wortes durch Privatpersonen m i t oder ohne Absicht einer prozessualen Verwertimg. b) Die heimliche Schallaufnahme durch Polizei oder Organe der Staatsanwaltschaft zur Überführung eines Beschuldigten. c) Die Aufnahme des gesprochenen Wortes i n der Öffentlichkeit zur weiteren Verbreitimg i n der Öffentlichkeitssphäre. Nach der Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes * ist es keinem Zweifel mehr unterworfen, daß die Fixierung „klanglicher Lebensäußerungen" einen Einbruch i n die Geheimsphäre darstellt, da die Geheimsphäre als spezielles Persönlichkeitsrecht m i t geschützt ist. So hat das L G Hagen i n seinem U r t e i l vom 22. März 1955 festgestellt, daß heimliche Tonbandaufnahmen grundrechtswidrig sind 8 . Denn, so führt das Gericht i n seinem U r t e i l aus, das berechtigte Interesse, vor einer heimlichen Überwachung durch andere Privatpersonen geschützt zu 1 Vgl. den Antrag des Abgeordneten Dr. Bucerius im Bundestag v. 4. 3.1953 mit dem Ziel einer Strafrechtsergänzung im § 299 a StGB mit dem Wortlaut: „Wer das gesprochene Wort eines anderen ohne Zustimmung durch ein Sprachaufnahmegerät aufnimmt oder eine ohne solche Zustimmung hergestellte Aufnahme gebraucht, wird mit Gefängnis bestraft." 2 BGHZ 13, S. 334 = NJW 54, S. 1404; BVerfG NJW 1954, S. 1235. 8 LG Hagen, Urteil v. 22. 3.1955 in BB 1955, S. 489.

Geheimsphäre und Tonaufnahmen

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sein, ist höherwertiger als das private Interesse an der Aufdeckung und künftigen Verhinderung ehrenrühriger Äußerungen 4 . Wie das L G Hagen, so stützt sich auch das O L G Düsseldorf i n einer gleichliegenden Entscheidimg auf A r t . 2 Abs. 1 G G und während ersteres seine Entscheidung auf das Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit stützt, beweist letzteres die Unzulänglichkeit solcher Eingriffe m i t dem Recht auf Erhaltung der Persönlichkeit 0 . Dieses Recht auf Erhaltung der Persönlichkeit w i r d ebenfalls aus A r t . 2 Abs. 1 G G herausgelesen und bedeutet nichts anderes als den Schutz der Geheim- oder Intimsphäre, wie dies Bosch i n einer Anmerkung zu dieser Entscheidung auch ausgeführt hat 6 . Es ist also nicht die freie Entfaltung der Persönlichkeit, sondern die Erhaltung ihrer Kernsphäre, die durch die Schallaufnahmen bedroht wird, w e i l die jedem Menschen geschützte Geheimsphäre bedroht wird, wenn er nicht weiß, ob i h n nicht Horcher an der Wand auf Schritt und T r i t t begleiten. Aus diesem Grunde läßt sich der hier gewährte Rechtsschutz ebenfalls aus A r t . 4 Abs. 1 GG herleiten, w e i l die Garantie der Gewissensfreiheit eben die Bedeutung hat, daß der geheime Bereich des Menschen absolut sicher und unantastbar sein soll und daß diese geschützte Geheimsphäre nicht n u r gegenüber den Staatsgewalten, sondern auch m i t D r i t t w i r k u n g gegenüber Privatpersonen gewährleistet i s t Die weitere Frage ist nun, ob nicht der Staat aus überwiegenden Interessen einen Einbruch i n diese geschützte Geheimsphäre vollziehen kann, ohne daß i h m ein Grundrecht verwehrend entgegensteht. Die Verwendung von Tonbandaufnahmen i m Strafverfahren ist noch sehr umstritten, ja, es ist sogar behauptet worden, daß die Polizei als Organ der Staatsanwaltschaft nicht nur Untersuchungsgefangene heimlich abhören kann, sondern auch die privaten Telefongespräche von Verdachtspersonen überwachen darf 7 . Die dagegen vorgebrachten Bedenken gehen meist von dem strafprozessualen Gesichtspunkt der Ver4 Der Kläger hatte eine heimliche Tonbandaufnahme als Beweis für die ehrenrührigen Äußerungen des Beklagten angeboten, um den Ausschluß des Beklagten aus der GmbH zu erreichen. 5 OLG Düsseldorf, Urteil v. 27. 5. 1955 in FamRZ 1955, H. 12, S. 362: „Die Erhaltung der Persönlichkeit schließe ihre Unverletzlichkeit ein, ferner die Abwehr aller Angriffe von außen gegen die Persönlichkeit, insbesondere auch das Recht auf Geheimhaltung der Briefe und sonstigen Aufzeichnungen sowie auf Erhaltung der Privatsphäre.. . w . 6 F. W. Bosch, Anmerkung zur Entscheidung des OLG Düsseldorf FamRZ a.a.O., S. 362; Kohlhaas DRiZ 1955, 80—84. Kohlhaas spricht davon, daß die Zulassung heimlichen Abhörens das Ende des vertrauensvollen Zusammenlebens der Menschen bedeuten würde. T So Löwe — Rosenberg zu § 99 StPO, 20. Aufl.; a. A. Aubert in NJW, 1955, S. 449.

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Grenzfälle des Art. 4 Abs. 1 GG

wertbarkeit solcher Beweismittel aus 8 . Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit w i r d dagegen seltener geprüft. Der B G H hat i n seiner Entscheidung vom 1. Dezember 1955 nicht daran festgehalten, daß eine heimliche Tonbandaufnahme einen unzulässigen Eingriff i n das Persönlichkeitsrecht darstellt, und hat sich entgegen der Ansicht von E. Schmidt und Kohlhaas für eine Verwendbarkeit von mechanisch festgehaltenen akustischen Vorgängen ausgesprochen 9 . I n dem zur Entscheidung stehenden Falle hatte es die Strafkammer des L G Dortmund abgelehnt, ein Tonband als Beweismittel zuzulassen, das von dem Kriminalkommissar S. ohne Wissen der Angeklagten bei einer zwanglosen Besprechung nach der Vernehmung aufgenommen worden war. Wenn man es auch m i t dem Bayer. O b L G 1 0 für zulässig erachten muß, daß Vorgänge aus dem Gerichtssaal, z. B. das Plädoyer des Verteidigers, auf Tonband aufgenommen und einer größeren Öffentlichkeit über den Rundfunk mitgeteilt werden, so ist es doch sehr zweifelhaft, ob heimliche Aufnahmen von Gesprächen, welcher A r t sie auch immer sein wollen, i n die Hand des Staatsanwaltes gegeben werden dürfen, ohne daß dadurch dem Menschen die schützende Geheimsphäre geraubt wird. Die Angst vor Entdeckung und Preisgabe des Innersten, der geheimsten Vorgänge und Gedanken des einzelnen würden jedem Menschen das Gefühl der Freiheit und damit ein Stück sittlicher Lebensl u f t rauben. Ohne die aufgeworfenen Probleme prozeßrechtlich zu vertiefen, soll hier nur die verfassungsrechtliche Seite berührt werden. Jedenfalls ist es auch hier, wie i m Falle des § 136 a StPO, nicht genügend, Lücken des Gesetzes allein durch gesetzgeberische Arbeit zu schließen, wie dies der Abgeordnete Bucerius m i t dem i n Vorschlag gebrachten § 299 a StGB t u n wollte. Aus dem Menschenbild des GG heraus läßt sich die Grundentscheidung finden, die für die absolute Abschirmung der Geheimsphäre und gegen jede staatliche Bedrohung eingreift. Die bisherigen Begründungen begnügten sich, auf A r t . 2 Abs. 1 zu verweisen. Warum ist es da erforderlich, A r t . 4 Abs. 1 zu bemühen? Die Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung hat i n dem So-weit-Satz nicht nur bisher ungeklärte Schranken, sondern unterliegt auch den Schranken kon8 E. Schmidt, Gedächtnisschrift f. W. Jellinek S. 625 ff. u. Kohlhaas, DRiZ 55, S. 80 gehen dabei von § 253 StPO aus. 9 BGH, Urteil v. 1. 12. 1955, NJW 1956, H. 15, S. 558. 10 BayObLG, Beschluß v. 18.1.1956 in NJW 1956, H. 10, S. 390. Zwischenzeitlich durch BGH Urteil vom 8. 2. 1957, JZ 1957, S. 515, anderweitig entschieden: „Der Verteidiger darf es grundsätzlich ablehnen, seinen Schlußvortrag vor einem Abhörgerät... zu halten." Ebenso BGH Urteil vom 22. 1. 1957 — I Str 321/56 im Anschluß an Sarstedt in: Tonbandaufnahmen, Zulässigkeit und Grenzen ihrer Verwendung im Rechtsstaat. Veröffentlichung des Institutes zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten, 1957; und E. Schmidt: JZ 1956, S. 209.

Geheimsphäre und Tonaufnahmen

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kurrierender Grundrechte. W i r d nämlich das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung gleichsam als Integral aller Grundrechte verstanden, so ist zur rechtlich einwandfreien Beurteilung des Grundrechtsschutzes auch die Lokalisierung der speziellen Grundrechtsnormen erforderlich 1 1 . Da aber die heimliche Tonaufnahme einen Einbruch i n die Kern- und Geheimsphäre darstellt, so muß von A r t . 2 Abs. 1 der Rückgriff auf A r t . 4 Abs. 1 genommen werden, u m die Erörterung u m die Zulässigkeit solcher Maßnahmen i n die rechte Sicht zu stellen. Ohne diesen Rückgriff bleibt die Argumentation aus A r t . 2 Abs. 1 unsicher, wie sich das z. B. bei der Entscheidung des OLG Düsseldorf zeigen läßt, das in diesem Zusammenhang vom Schutz der Erhaltung der Persönlichkeit spricht 1 2 . A r t . 2 Abs. 1 spricht aber von der freien Entfaltung, nicht von der Erhaltung der Persönlichkeit 1 3 , 1 4 . U m die Erhaltung und den Schutz der Persönlichkeit, d.h. also um die Erhaltung des sittlichen Kerns des Menschen, u m die Erhaltung des Zentrums der sittlichen A k t e geht es aber gerade i n A r t . 4 Abs. 1 GG, der i n der Freiheit des Gewissens die Mitte des Menschen schützt, bei deren Verlust der Mensch nicht mehr als selbstverantwortliche Person angesprochen werden kann 1 5 . Das heimliche Belauschen durch Privatpersonen oder durch staatliche Organe würde jedem Menschen den M u n d verschließen vor Angst, irgendwann von irgendwem zur Rechenschaft gezogen zu werden. Gerade hier kann A r t . 4 Abs. 1 wieder seine urtümliche Funktion entfalten und als Freiheit von Angst dem Menschen den nötigen psychisch-physischen Raum geben, den er benötigt, u m die Stimme des Gewissens nicht auf der Zunge ersterben lassen zu müssen. Die somit erzeugte Angst und Verschwiegenheit 11 Dürig, Art. 2 des GG und die Generalermächtigung zu allgemeinen polizeilichen Maßnahmen, AöR, Bd. 79, H. 1, S. 57 ff., bes. S. 79, die Vorbehaltslosigkeit der Gewissensfreiheit in Art. 4 Abs. 1 beschränkt nach Dürig Polizeieingriffe auf reine Störungsabwehr. Zur Konkurrenzlehre: Dürig, Grundrechte und Privatrechtsprechung in Nawiasky, Festschrift, a. a. O., S. 157 ff. 12 OLG Düsseldorf, Urteil v. 27. 5. 1955 in FamRZ 1955, H. 12, S. 362. 18 Im Sinne der Persönlichkeitserhaltung interpretiert auch H. Peters das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 als Schutz des Persönlichkeitskerns; Peters, H.: Die freie Entfaltung der Persönlichkeit als Verfassungsziel in Festschrift für Laun, a. a. O., S. 669, bes. Anm. 11, S. 671. 14 Inzwischen erklärt das Urteil des BVerfG vom 16.1.1957, NJW 1957, S.297, vergl. auch BVerfGE 20. 7. 1954, Bd. 4, S. 7, daß Art. 2 Abs. 1 GG nicht den Kernbereich der Persönlichkeit schützt, sondern die allgemeine Handlungsfreiheit garantiert. „Denn es wäre nicht verständlich, wie die Entfaltung innerhalb dieses Kernbereichs gegen das Sittengesetz die Rechte anderer oder sogar die verfassungsmäßige Ordnung ... sollte verstoßen können." 15 H. v. Mangold-Klein: Das Grundgesetz a. a. O., Anm. I I I 5 zu Art. 2 S. 168 spricht davon, daß es dem Art. 2 Abs. 1 GG an der nötigen Substanz fehle, um die von H. Peters vorgeschlagene Funktion des Schutzes des Persönlichkeitskernes übernehmen zu können. Damit scheidet Art. 2 Abs. 1 GG für den Schutz der Intim- und Geheimsphäre eben aus.

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Grenzfälle des Art. 4 Abs. 1 GG

würde nicht n u r jedes Vertrauen unter den Menschen rauben 1 6 , sondern schließlich auch das Gewissen selbst zum verstummen bringen. Der Rückgriff auf A r t , 4 Abs. 1 GG hat auch rechtliche Bedeutung, w e i l die scharfe Klinge dieser Bestimmung den Schutz der Geheimsphäre leichter durchsetzen kann, als es die dehnbare und unter den So-weitSatz gestellte Bestimmung des A r t . 2 Abs. 1 GG vermag 1 7 . Auch das Interesse des Staates an Strafverfolgung und Bestrafung ist nicht größer als das Interesse des einzelnen an der Erhaltung seiner Persönlichkeit, am absoluten Schutz seiner K e r n - und Geheimsphäre. Eine weitere Unsicherheit bringt die Berufung auf A r t . 2 Abs. 1 GG noch deshalb m i t sich, w e i l immer wieder nicht ganz zu Unrecht behauptet wird, daß durch Fixieren des gesprochenen Wortes nicht die Entfaltung der Persönlichkeit, ja nicht einmal die freie Willensbestimmung beeinträchtigt w e r d e n 1 8 , 1 9 . Das angeschnittene Problem ist schließlich nur ein Teilbereich aus dem größeren Komplex des Schutzes der Persönlichkeit gegen Indiskretionen. Soweit hier die Geheimsphäre hinsichtlich der Gefühlswelt des religiösen Empfindens, des Schamgefühls, der Pietät verletzt werden, ist es ganz sicher, daß zu ihrem Schutze gerade A r t . 4 Abs. 1 GG berufen i s t 3 0 . E i n Herleiten dieses Schutzes aus A r t . 1 Abs. 1 und A r t . 2 Abs. 1 G G wäre i n diesem Falle nicht n u r methodisch, sondern auch inhaltlich fehl am Platze, da A r t . 4 Abs. 1 GG als lex specialis den Vorrang hat. Wenn der B G H i n seiner jüngsten Entscheidimg den Schutz 16 Kohlhaas, M.: Tonbandaufnahmen im Strafprozeß in DRiZ 1955, S. 84: „Wird dagegen eine heimliche Abhörmethode ins Verhandlungszimmer oder gar ins Privatleben verpflanzt, dann wird es das Ende eines vertrauensvollen Zusammenlebens sein, wie es in Zukunftsromanen und Hörspielen leider glaubhaft dargestellt wird." 17 Besonders wenn man in Betracht zieht, daß nun auch dem Art. 2 Abs. 1 GG der Grundrechtscharakter überhaupt (Haas, DöV 1954, S. 70/72) oder doch der Charakter eines subjektiven Grundrechts (v. Mangoldt-Klein, Anm. I I I 5 b S. 168) abgesprochen wird. 18 Kohlhaas, a.a.O., S. 81, hält 9 136a StPO für unanwendbar, da keine Beschränkung der Willensfreiheit vorliege; ders. JR 1953, S. 50; Hardwig, Die Persönlichkeit des Beschuldigten im Strafprozeß in: ZGesStrW 1953, S. 236, S. 246, definiert die Persönlichkeit als das Aktions- und Reaktionszentrum eines Menschen in seiner einmaligen Individualität. M. Scheler beschreibt die Funktion dieses Zentrums sehr klar: „Das konkrete Zentrum unserer sich in den Zeitablauf hinein erstreckenden geistigen Akte, das wir die Persönlichkeit nennen, vermag von Haus aus — de jure — jeden Teil unseres abgelaufenen Lebens anzuschauen, seinen Sinn und Wertgehalt erfassen." Scheler, M.: Vom Ewigen im Menschen, a. a. O., S. 20. 19 Neueste Literatur: Besonders Freund, M., und Coing, H., in: Tonbandaufnahmen, Zulässigkeit und Grenzen ihrer Verwendung im Rechtsstaat. Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten, 1957. Scupin, H. U., Die Zulässigkeit und Verwertbarkeit von Tonbandaufnahmen im polizeilichen Ermittlungsverfahren. DöV 1957, S. 548. 20 Hubmann, H.: Der zivilrechtliche Schutz der Persönlichkeit gegen Indiskretion. JZ 1957. H. 17. S. 521. bes. 526.

Bekenntnisschule und Art. 4 Abs. 1 GG

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der Geheimsphäre gegenüber Indiskretionen des Arztes wiederum aus A r t . 2 Abs. 1 GG herleitet, so läßt er damit offen, woraus sich nun speziell der Schutz der Geheimsphäre als besonderes Persönlichkeitsrecht ableitet, denn A r t . 2 Abs. 1 GG ist nur eine Garantie des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes 31 . M i t diesem Fragenkreis haben sich i n jüngster Zeit besonders eingehend die Weinheimer Tagung des Institutes zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten i m Herbst 1956 sowie der 42. Deutsche Juristentag am 12. September 1957 i n Hamburg eingehend beschäftigt 50 . Da vorliegende Arbeit zu diesem Zeitpunkt schon abgeschlossen war, konnten die Ergebnisse dieser außerordentlich eingehenden Untersuchungen nur noch zum Teil berücksichtigt werden. Die Auslegungsproblematik des A r t . 2 Abs. 1 GG durch die widersprechenden Urteile der höchsten Gerichte ist noch unlösbarer geworden, w e i l man i n A r t . 2 Abs. 1 GG einerseits ein Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit erblickt, andererseits aber den Schutz für besondere Persönlichkeitsrechte wie die Geheimsphäre aus i h m ableiten w i l l oder gar, wie der Kommentar von Mangoldt-Klein dies tut, den Grundrechtscharakter schlechthin leugnet 2 8 .

2. Bekenntnisschule und Art« 4 Abs. 1 GG a) V e r h ä l t n i s v o n E l t e r n r e c h t Gewissensfreiheit

in

bezug

auf

die

und Schulform

I n der Diskussion u m Bekenntnis und Gemeinschaftsschule ist versucht worden, das Recht der Schulorganisation aus A r t . 7 i n A r t . 6 Abs. 2 GG und von dort wieder nach A r t . 4 Abs. 1 zu verlagern. Das umstrittene Schulproblem soll nur insoweit untersucht werden, als es die Berufung auf A r t . 4 Abs. 1 GG erfordert. Zunächst muß A r t . 6 Abs. 2 als Spezialnorm die allgemeinere Bestimmimg des A r t . 4 Abs. 1 derogieren. Das Elternrecht ist aber, und darüber besteht kein Streit, geschichtlich als Instrument gegen die kirchliche Schule entwickelt 31 BGH Urteil vom 2. 4. 1957. DöV 1957, H. 16, S. 454 = DVB1. 1957, S. 616 mit zustimmender Anmerkung von W. Hamel DVB1. 1957, S. 618. Vgl. auch BGH JZ 1955, S. 211 (Cosima-Wagner-Tagebücher). 32 Vgl. Anm. 19: Bußmann: Verhandlungen des 42. Deutschen Juristentages Bd. 1. M Urteil des BVerfG vom 16. 1. 1957, BayVBl. 1957, H. 2, S. 95 = NJW 1957, S. 297. BVerwG Bd. 1, S. 321; Bd. 2, S. 115 legen Art. 2 Abs. 1 GG im Gegensatz zu BGH Urteil vom 2. 4. 1957, DVB1. 1957, S. 616, im Sinne eines Rechts auf allgemeine Handlungsfreiheit aus.

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Grenzfälle des Art. 4 Abs. 1 GG

w o r d e n 2 4 . Läßt sich n u n für das aktuelle Recht dieser Tatbestand ändern, wenn m a n auf A r t . 4 Abs. 1 zurückgreift, w i e das z. B. Fleig vorgeschlagen hat 2 5 ? Zunächst geht P. Fleig davon aus, daß Gewissensfreiheit nicht einen rein psychischen Tatbestand darstelle, sondern daß dieses Grundrecht schon i n der Weimarer Zeit als m i t sozialer A u ß e n w i r k u n g ausgestattete N o r m angesehen wurde, ohne andererseits i m Recht der freien Religionsübung aufzugehen 2 6 . Diese richtige Feststellung v e r f ü h r t vielleicht dazu, daß er, w i e das Giese zu A r t . 135 W V aussprach, Gewissensfreiheit als Freiheit des sittlichen Handelns versteht, wobei er allerdings vergißt, daß diese sittliche Handlungsfreiheit i n der Weimarer Verfassung unter den Schranken der allgemeinen Gesetze des A r t . 135 S. 3 stand. Andererseits versucht Fleig herauszuarbeiten, daß es sich bei der Ausübung des i n A r t . 6 Abs. 2 G G garantierten Elternrechts u m eine Gewissensangelegenheit handelt u n d glaubt, daraus den Schluß ziehen zu müssen, daß es sich deshalb u m einen F a l l des A r t . 4 Abs. 1 handeln müsse 2 7 . Demzufolge stünde, so m e i n t Fleig, den E l t e r n auch die Entscheidimg über die Schulorganisation, also die Entscheidung, ob Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschule, zu, w e i l das Elternrecht als U n t e r f a l l der Gewissensfreiheit i n A r t . 4 Abs. 1 G G unbeschränkbar sei, so daß auch die Schulaufsicht des Staates, A r t . 7 Abs. 1 GG hier keine Schranken ziehen könne. Die Schulaufsicht als die „gestaltende, verwaltende, steuernde u n d kontrollierende Ordnungstätigkeit des Staates dem gesamten Schulwesen gegenüber" 2 8 , soll also durch die Einpflanzung des Elternrechts, A r t . 6 Abs. 2 GG, i n das Grundrecht der Gewissensfreiheit, A r t . 4 Abs. 1 GG, überspielt werden. Gegen diese Auslegung des Elternrechts spricht nicht n u r die Entstehungsgeschichte des A r t . 6 Abs. 2 GG, was i m übrigen v o n Fleig auch nicht bestritten w i r d , sondern auch der systematische Zusammenhang des Grundrechtskataloges. Fleig begeht den grundlegenden I r r t u m zu behaupten, daß alles, was m i t dem Gewissen zusammenhängt, was aus dem Tiefenzentrum der Person als 24

Meyer, H.: Elternrecht, Schule und Kirche, DVB1., 1955, H. 18, S. 581 ff., S. 582. Meyer stellt fest, daß das GG im Elternrecht kein religiöses Gruppenrecht auf Mitwirkung bei der Schulorganisation habe schaffen wollen, S. 585. BayVerfGH n. F. Bd. 7, I I , S. 9 sieht im Schulzwang eine echte Einschränkung des Elternrechts. 85 Fleig, P.: Das Elternrecht im Bonner Grundgesetz, 1953. 26 Fleig, P.: a. a. O., S. 27 u. S. 32/33. 27 Fleig, P.: a. a. O., S. 12, S. 18. Neuere Literatur: Heckel, H.: Gegenwartsprobleme des Schulrechts und der Schulverwaltung. DVB1. 1957, S. 282; Zum pädagogischen, nicht konfessionellen Elternrecht, Stein, E.: Elterliche Beteiligung am deutschen Schulwesen. JZ 1957, H. 1, S. 11. 28 v. Mangoldt-Klein: a. a. O., Anm. I I I , 2, S. 274 zu Art. 7 GG. Die Definition stammt von H. Heckel: Privatschulrecht, Anm. 70. Abs. 1 S. 316.

169

Bekenntnisschule und Art. 4 Abs. 1 GG

A k t des Gewissens hervortritt, durch A r t . 4 Abs. 1 GG geschützt sei. Dieser Auffassung muß widersprochen werden, denn es besteht gar kein Zweifel, daß die Mannigfaltigkeit sittlicher Akte die Garantie ihrer Freiheit nur i m gesamten System der Grundrechte findet. A r t . 2 Abs. 1 GG, A r t . 5 Abs. 1 und Abs. 3, A r t . 8 und 9 GG schützen ebenfalls die sittliche Handlungsfreiheit, soweit sie sich als Entfaltung der Persönlichkeit, als Meinungsäußerung, als Kunst und Wissenschaft, als Verein oder Versammlung gestaltet. Nicht alles, was dem Gewissen entspringt, was es verlangt und befiehlt, findet seine Garantie i n A r t . 4 Abs. 1. Übersieht man dies, so könnte man u. a. m i t ebenso viel Berechtigimg die Schrankenlosigkeit der Freiheit der Meinungsäußerung fordern, w e i l sich letztlich das Grundrecht des A r t . 5 Abs. 1 GG als ein Stück sittlich notwendiger Lebensluft i m Staate 2 9 i n gleicher Weise auf die Gewissensfreiheit des A r t . 4 Abs. 1 GG zurückführen ließe. Eine solche Interpretation würde einen regressus ad i n f i n i t u m auslösen, der i n einem Wettlauf der Grundrechte ausarten müßte, welche wohl alle das verlockende Ziel der Schrankenlosigkeit zu erreichen trachteten. Das Schulorganisationsrecht ist als staatliches Recht i n der Schul aufsieht inbegriffen und soll durch das Grundgesetz weder kommunalisiert noch gar als religiöses Gruppenrecht i n die Hand der Eltern gelegt werden 3 0 . b) A r t . 4 A b s . 1 G G i n s e i n e r B e d e u t u n g Geheimnisschutz

innerhalb

der

als

Schule

Von dem Recht der Schulorganisation hinsichtlich der Einrichtung von Bekenntnisschulen oder Gemeinschaftsschulen muß dagegen das Wahlrecht der Eltern unterschieden werden, m i t dem die Eltern über die Schule entscheiden, die das K i n d besuchen soll. Die Auswahl der Schule hinsichtlich ihrer Grundform (Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschule oder weltliche Gemeinschaftsschule) sowie hinsichtlich der Fachrichtung muß den Eltern zustehen und es darf sie niemand davon abhalten, das K i n d i n eine Bekenntnisschule oder Gemeinschaftsschule zu schicken, wenn solche Schultypen bestehen 31 . Wenn Th. Maunz ausführt: „Daß diese Entscheidung ein Ausfluß der Gewissens- und Bekenntnisfreiheit der Eltern ist, kann ernstlich nicht bestritten werden", so ordnete er ebenfalls das Elternrecht i n das Grundrecht der 29

Smend, R.: Staatsrechtliche Abhandlungen 1955, S. 95. Vgl. OVG Koblenz, nicht rechtskräftiges Urteil v. 10. 7. 1954, DVB1. 1955, S. 503. 31 Maunz, Th.: Staatsrecht, a.a.O., S. 112/113; kein Vorrang der Schulverwaltung hinsichtlich der Frage des Schulzweckes, Hamb. OVerwG, Entscheidung v. 16. 4. 1953, VerwRspr. 1954, S. 654. 30

170

Grenzfälle des Art. 4 Abs. 1

G

Gewissensfreiheit ein, äußert aber i n den nachfolgenden Sätzen Bedenken, ob eine solche Entscheidung w i r k l i c h dem Geist der Toleranz entspricht, den das Grundgesetz atmet 8 8 . Es handelt sich tatsächlich u m einen Grenzfall der Anwendbarkeit des A r t . 4 Abs. 1 GG, und es mag vielleicht der einzig gangbare Weg sein, einen Mißbrauch der Gewissensfreiheit durch den Toleranzgedanken auszuschließen, wenn man nicht von vornherein A r t . 4 Abs. 1 GG enger auslegt und der Gewissensfreiheit n u r die Funktion zuweist, das Persongeheimnis zu schützen. Dieser Schutz des Persongeheimnisses kann dann allerdings nicht die Wirkung haben, daß die Grundform der Schule bestimmt werden darf, sondern nur diejenige, daß auch innerhalb dieses besonderen Gewaltverhältnisses die Geheimsphäre des Schülers frei und unverletzt bleibt. Tatsächlich kennt das geltende Verfassungsrecht eine E i n w i r k u n g der Gewissensfreiheit über das Elternrecht auf die Schule. A r t . 7 Abs. 2 GG bestimmt dieses Recht der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht, der gem. A r t . 7 Abs. 3 Satz 1 ordentliches Lehrfach an allen öffentlichen Schulen m i t Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen i s t 8 8 . So steht den Eltern also nicht nur die Wahl des Schultyps i m Rahmen der gegebenen Verhältnisse zu, sondern auch die Entscheidung darüber, ob das K i n d den Religionsunterricht besuchen soll oder nicht. Hier handelt es sich w i r k lich u m eine Ausstrahlung des A r t . 4 Abs. 1 GG, der über A r t . 6 Abs. 2 GG auf die Schule e i n w i r k t und i n A r t . 7 Abs. 2 seinen Niederschlag gefunden h a t 8 4 . Das Bestimmungsrecht der Eltern bedarf aber einer modernen, dem A r t . 4 Abs. 1 GG gerecht werdenden Auslegung. Denn es muß den Eltern ebenso gestattet sein, über die Teilnahme des K i n des am Weltanschauungsunterricht oder an einem politisch einseitig orientierten Unterricht zu entscheiden, wie sie es hinsichtlich des Religionsunterrichts t u n können. Diese Fragen sind äußerst schwierig, w e i l 33

Maunz, Th.: Toleranz und Parität, a. a. O., S. 10. ** Heckel, H.: Grundgesetz und Schule, in DöV 1950, S. 1ff., bes. S. 3 u. 4: „Überall ist Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert, so daß keine Benachteiligung eintreten darf"; ders. Zur Frage der Vereinbarkeit der Bekenntnisschule mit dem Grundgesetz, DöV 1953, S. 593; ders. Deutsches Privatschulrecht, 1955; Kern, Staat und Kirche in der Gegenwart, 1952; Stein, Probleme des Schulrechts nach dem GG, NJW 1950, S. 658; über die Verhältnisse der Weimarer Verfassung; Landé, Die Schule in der Reichsverfassung, 1929; ders. HDStR I I S. 690—724; über den gegenwärtigen Stand des Problems; Liermann, Kirchen und Staat, Teile 1 u. 2, 1954/55. 54 So v. Mangoldt-Klein a. a. O., Anm. I V zu Art. 7, S. 283, Teilnahme am Religionsunterricht unmittelbare Folge aus Art. 4; ebenso Heckel, Privatschulrecht a. a. O., Anm. 3, S. 206; Giese, Grundgesetz, Anm. II, 2 Art. 7, S. 24; Werniche, im Bonner Kommentar, a. a. O., I I 2 a zu Art. 7; Zinn-Stein, a. a. O., I Erl. 1 zu Art. 58, S. 292; Apelt, N J W 1949, H. 13, S. 481.

Bekenntnisschule und Art. 4 Abs. 1 GG

171

weltanschaulicher oder politischer Unterricht unter dem Deckmantel ordentlicher Fächer erteilt werden kann. Biologie oder Wirtschaftslehre wären hier zu nennen, die i n Vergangenheit und Gegenwart zu politischer und weltanschaulicher Beeinflussung mißbraucht w u r d e n 3 9 . Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, daß die Gleichstellung der Weltanschauung m i t der Religion i n A r t . 4 Abs. 1 GG auch einen gleichen Schutz i m Rahmen des A r t . 7 Abs. 2 GG zur Folge haben muß. E i n Ansatz dazu fand sich schon i n der WRV, die i n A r t . 148 Abs. 2 vorsah, daß der Schulunterricht nicht die Empfindungen der Schüler verletzen dürfe 8 6 . Wesentlich i n dieser Formulierung scheint zu sein, daß dieser Schutz nicht auf die religiösen Empfindungen beschränkt wurde, so daß auch weltanschauliche u n d politische Empfindungen diesen Schutz genießen konnten. Die Bestimmimg der W R V wurde nicht ins GG aufgenommen, w e i l sie außerhalb des rezipierten Kataloges stand. Es ist durchaus richtig, diesen Schutz der Anschauungen und Empfindungen auch i m GG und zwar durch A r t . 4 Abs. 1 GG v e r w i r k licht zu sehen, ungeachtet der Tatsache, daß sich diese Bestimmung wörtlich nicht i m GG befindet und nur i n der WRV stand. Leitet man den Schutz aber aus A r t . 4 Abs. 1 GG ab, so kann es nicht dem Sinn des A r t . 4 Abs. 1 GG entsprechen, den Schutz auf die religiösen Anschauungen und Empfindungen zu beschränken 37 . Die Einschränkung, die i n der Beifügung des Wortes „Andersgläubiger" entsteht, würde dem Umfang des A r t . 4 Abs. 1 nicht gerecht. Der Geheimnisschutz der Gewissensfreiheit umfaßt die Gesamtheit der Anschauungen und Empfindungen, seien sie religiöser, weltanschaulicher oder politischer A r t 3 8 . Schließt also die Interpretation der Gewissensfreiheit als Geheimnisschutz die Anwendung des A r t . 4 Abs. 1 GG als Recht der Bestimmung 85 Nachtheim: Biologie und Totalitarismus in Liberias, Veritas, Justitia, S. 392 ff. 88 Art. 148 I I WRV: „Beim Unterricht in öffentlichen Schulen ist Bedacht zu nehmen, daß die Empfindungen Andersdenkender nicht verletzt werden." Dieses Grundrecht war schon in der Weimarer Verfassung aktuelles Recht, so die Entscheidung des Staatsgerichtshofes vom 11. Juli 1930 (RGZ 129, S. 9). 87 Maunz, Th.: Deutsches Staatsrecht, a. a. O., S. 112: „Im Unterricht ist im besonderen Maße auf die Anschauungen und Empfindungen Andersgläubiger Rücksicht zu nehmen." 88 Schon in der Weimarer Verfassung war dieser Schutz allen „Andersdenkenden" gewährt und daher nicht auf die Andersgläubigen beschränkt. Das „beredte Zeichen für Toleranz", das das GG in Art. 4 durch die Gleichheit von Religion und Weltanschauung aufgestellt hat (v. Mangoldt-Klein), muß dazu führen, daß jede Empfindung und jede Anschauung der Schüler zu respektieren ist, sei sie religiöser, weltanschaulicher oder politischer Art. Dies galt ja auch schon in der Weimarer Verfassung und dieses Schutzrecht war nicht auf den Religionsunterricht beschränkt, sondern galt gleicherweise für germanistische und naturwissenschaftliche Fächer. Vgl. Gebhard, Kommentar zur WV Anm. 3 b zu Art. 148.

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Grenzfälle des Art. 4 Abs. 1 GG

der Schulgrundform aus, so ist doch andererseits diese Interpretation nicht unfruchtbar, u m innerhalb der Schule den notwendigen Schutz der Geheimsphäre zu verankern. Dabei w i r k t A r t . 4 Abs. 1 GG einerseits indirekt über das Elternrecht A r t . 6 Abs. 2 GG ein und gestaltet sich i m Recht auf Teilnahme oder Fernbleiben von Religionsunterricht oder sonstigen weltanschaulichen oder politisch orientierten Fächern. Während dieses Recht von den Eltern verwaltet wird, gewährt A r t . 4 Abs. 1 GG gleichzeitig ein direktes Recht jedem Schüler auf Schutz der Geheimsphäre, indem er die Anschauungen und Empfindungen als unverletzlich garantiert 8 0 . Auch eine Exploration dieser Anschauungen und Empfindungen ist absolut unzulässig. E i n Fall, der kürzlich durch die Presse ging, zeigt, wie leicht es ist, hier die Geheimsphäre zu durchbrechen. En Volksschullehrer hatte, um den nächtlichen Diebstahl an seinen Kaninchen aufzuklären, einen Schulaufsatz über den Sonntagsbraten schreiben lassen. Selbstverständlich schilderten zwei Schüler den leckeren Hasenbraten und lieferten somit ihre Väter ohne es zu wissen der Polizei aus 4 0 .

3. Art. 4 Abs. 1 GG im Verhältnis zu § 67 PStG: Rentenkonkubin&t und Gewissensehe a) D i e

bisherige

Rechtsprechung

und

Literatur

Einen weiteren Grenzfall der Anwendbarkeit des A r t . 4 Abs. 1 GG bietet das sog. Rentenkonkubinat oder, u m einen volkstümlicheren Ausdruck dafür zu verwenden, die Onkelehe 4 1 . Hier w i r d die staatliche Zwangszivilehe indirekt als Gewissensverletzung empfunden, denn nicht der staatliche A k t , sondern der damit verbundene Verlust der 39 Ob darüber hinaus auch den Schülern eine Rechtspflicht zur Achtung der Anschauungen und Empfindungen Andersdenkender auferlegt wird, war schon unter der Herrschaft der WV bestritten und wurde wohl nur von Poetzsch-Heffter (Kommentar, S. 474) bejaht. Auch dem Lehrer räumt Art. 7 Abs. 3 Satz 3 ein aus Art. 4 Abs. 1 GG fließendes Recht auf Ablehnung der Erteilung von Religionsunterricht ein, wenn die Erteilung gegen sein G e w i s s e n (im GG heißt es Willen) verstoßen würde. Auch die Erteilung von Weltanschauungsunterricht oder die Abhaltung eines speziellen politischen Unterrichts kann vom Lehrer bei analoger Anwendung des Art. 4 Abs. 1 GG nicht verlangt werden. 40 vgl. Süddeutsche Zeitimg v. 11. 5. 1956, Nr. 113; die Schuldigen erhielten 1 Jahr Gefängnis, Strafgericht Aschaffenburg. 41 Plöchl, W.: Konkubinat, Gewissensehe, Zwangszivilehe, Religionsfreiheit in : örAKR 1950, Bd. 1, S. 10 ff., bes. S. 15, zur Situation in Österreich; Plöchl begründet die Verfassungswidrigkeit des staatlichen Voraustrauungszwanges damit, daß dadurch der Empfang eines Sakramentes erschwert oder unmöglich gemacht werde.

Rentenkonkubinat und Gewissensehe

173

Witwenversorgung i n Form von Pensionen oder Renten steht hier eigentlich i m Vordergrund. Die Ehepartner versuchen deshalb durch eine kirchliche Trauung unter Umgehung der staatlichen Eheschließung ihr Gewissen wegen der unerlaubten Verbindung zu beruhigen, ohne die materielle Sicherung zu verlieren, die die staatliche Trauung m i t sich bringen müßte. Man hat nun versucht, diesem zugegebenen Notstand dadurch abzuhelfen, daß man die Verfassungswidrigkeit des die staatliche Vortrauung fordernden § 67 PStG m i t Hilfe des A r t . 4 Abs. 1 GG nachzuweisen versuchte 42 . Die Diskussion kam i n Österreich, wo § 67 PStG fortgalt, ebenfalls ins Rollen und ehe noch die Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung ausgesprochen wurde, hatte schon das Landgericht für Strafsachen i n Graz i n einem U r t e i l einen Geistlichen unter Berufung auf übergesetzlichen Notstand freigesprochen, der ukrainische Flüchtlinge unter Mißachtung der staatlichen Vortrauung getraut hatte 4 8 . Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat dann i m Dezember 1955 unter Berufung auf die i n A r t . 63 Abs. 2 des Friedensvertrages von Saint Germain enthaltenen Grundrechte der Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie der Freiheit der Religionsübung den A r t . 67 PStG für verfassungswidrig erklärt 4 4 . I n Deutschland fand besonders die Entscheidung der Strafkammer des L G Passau große Beachtung und heftigen Widerspruch, die einen katholischen Pfarrer wegen Verletzung des § 67 I I PStG zu einer Geldstrafe verurteilte 4 5 . Das Gericht stellte dabei unter Anerkennung des 42 Vgl. Dürig, Arch. d. öff. Rechts, Bd. 79, S. 86 mit Anm. 87; ders., Die Verfassungswidrigkeit des § 67 des Personenstandsgesetzes, FamRZ 1955, H. 12, S. 337, bes. 338. Ebenso jetzt Hamann, a. a. O., Anm. C V zu Art. 4 GG. Durch die Neufassung des PStG vom 8. 8.1957, BGBl. 1957, S. 1125, ist die Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit des § 67 PStG in ein neues Stadium getreten. Der Gesetzgeber ist der Empfehlung des Rechtsausschusses nach Streichung des § 67 PStG nicht gefolgt, hat aber die Poenalisierung eines Verstoßes gegen § 67 PStG fallen lassen und durch ein Verfahren nach OWG ersetzt, BTDrucksache (2. Wahlp.) Nr. 2987. 49 Plöchl, W.: Österr. Arch. f. Kirchenrecht 1951, S. 266; Landesgericht f. Strafsachen, Graz, Urteil v. 4. 1. 1951, Arch. f. Österr. Kirchenrecht, Bd. 2, 1951, S. 266. 44 österr. Verfassungsgerichtshof Wien, Urteil v. 19. 12. 1955, Abdruck der vorläufigen Urteilgründe in FamRZ 1956, H. 2, S. 54, dazu auch FamRZ 1956, H. 4, S. 128, Nr. 327; vgl. auch die Anmerkung von Bosch, FamRZ 1956, H. 2, S. 55. 45 LG Passau, Urteil v. 5. 1. 1956, FamRZ 1956, H. 2, S. 55, Nr. 30. In einer Anmerkung zu den beiden Entscheidungen hat Bosch, FamRZ 1956, H. 2, S. 55, die Probleme angedeutet, die sich aus den divergierenden Entscheidungen ergeben können, insbesondere die kirchliche Trauung Deutscher in Österreich; vgl. auch Spanner, FamRZ 1957, S. 157 (Buchbesprechung).

174

Grenzfälle des A r t 4 Abs. 1 GG

ehemaligen Reichskonkordates fest, daß A r t . 67 PStG m i t dem Grundgesetz und besonders m i t den darin enthaltenen Grundrechten vereinbar sei. I n der rechtswissenschaftlichen Diskussion haben sich vor allem Plöchl, Düring und Bosch durch scharfe Angriffe auf die umstrittene Vorschrift des § 67 PStG hervorgetan. Dabei geht die Argumentation so, daß man die kirchliche Eheschließung rechtlich als N u l l u m ansehen müsse, so daß die kirchliche Trauung oder Vortrauung keinesfalls staatliche Rechte verletzen könne4®. Abwechselnd w i r d bald m i t A r t . 4 Abs. 1 der Glaubens- u n d Gewissensfreiheit und A r t . 4 Abs. 1 GG, der Freiheit der Religionsübung gegen den staatlichen Vortrauungszwang angegangen. M a n w i r d w o h l gegen die Begründung der Verfassungswidrigkeit des A r t . 67 PStG aus A r t . 4 Abs. 2 GG nicht mehr einwenden können, daß das Recht der Freiheit der Religionsübung nur ein Kollektivrecht der Religionsgemeinschaft darstelle. Denn das GG hat i m Gegensatz zum früheren Rechtszustand i n A r t . 4 Abs. 2 unbestritten ein Individualrecht gewähren wollen, das allerdings über A r t . 19 Abs. 3 GG w o h l auch von den Religionsgesellschaften i n Anspruch genommen werden k a n n 4 7 . Die Problematik liegt aber auf einem ganz anderen Gebiet. Es wäre schließlich durchaus denkbar, daß der Staat die fakultative Zivilehe einführt und dadurch den Schönheitsfehler des § 67 I I PStG beseitigt. Gleichzeitig würde er bestimmen, daß die kirchliche Eheschließung die vollen bürgerlichen Wirkungen habe, also m i t dem Verlust der Renten und Pensionen verbunden sei. Diese Folge würde sich an den Tatbestand der Ehe anschließen, gleichgültig, ob die Ehe kirchlich oder z i v i l geschlossen wurde. Der Kampf gegen die Windmühle des § 67 I I PStG wäre zwar gewonnen, i n der Sache selbst wäre nichts erreicht. 46 Dürig, G., a. a. O., FamRZ 1955, S. 340: „Es ist bisher niemandem gelungen, den vor allem in der österreichischen Literatur immer wieder mit Recht betonten Hinweis zu widerlegen, daß die kirchliche Trauimg, da sie für den Staat ein nullum ist, begrifflich auch nicht die staatlich relevante öffentliche Ordnungssphäre stören kann. Die Widerlegung dieser Ansicht ergibt sich daraus, daß schon Art. 136 Abs. 4 WV (Art. 140 GG) untersagte, jemand zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit zu zwingen. 47 Neben der Bedrohung der Gewissensfreiheit der Rentenkonkubinarier ist auch eine Verletzung der Gewissensfreiheit des Priesters behauptet worden, wenn er in Fällen sittlicher Not nicht einsegnen darf. Zum protestantischen Standpunkt dazu vgl. H. Asmussen, Eheschließung und Trauung nach Theologie und staatlichem Gesetz, FamRZ, 1956, H. 5, S. 141: Es wirkt hier bei Luther die Überzeugung nach, daß die Brautleute sich das Geheimnis der Ehe spenden, vgl. auch S. 142. Zum katholischen Standpunkt: Becker, H. J.: Nochmals: Die Verfassungswidrigkeit des Art. 67 PStG, FamRZ 1957, S. 40, bes. S. 44 und C.J.C. 467, 682, 1016, 1063, S 3.

175

Eentenkonkubinat und Gewissensehe b) Ö f f e n t l i c h k e i t bürgerlichem

oder und

Heimlichkeit

der

nach canonischem

Ehe

nach

Recht

Das wirkliche Problem liegt tiefer und zeigt sich erst bei vergleichender Betrachtung des staatlichen und des canonischen Eherechts 48 . Während das deutsche Recht ausnahmslos auf dem Prinzip der Publizität der Ehe beruht, kennt der C. J. C. als förmliche Ehen neben dem matrimonium publicum auch das matrimonium constientiae 49 . Während also das canonische Recht i m Institut der Gewissensehe eine gültige, nicht öffentliche Ehe pro foro interno kennt, ist das staatliche Eherecht durchweg auf dem Publizitätsprinzip gegründet, so daß i h m nicht nur das matrimonium clandestinum, die sog. Geheimehe, sondern auch die Gewissensehe völlig unbekannt i s t 6 0 . Das Publizitätsprinzip trägt dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit auf dem Gebiet der Ehe Rechnung. Darüber hinaus w i r d die Ehe vorwiegend sozial und nicht sakramental gesehen, so daß dem staatlichen Recht eine Ausgliederung der Ehe aus der öffentlichen Sphäre unmöglich erscheint. M i t der Berufung auf A r t . 4 Abs. 1 GG kann der Not des Rentenkonkubinats nicht gesteuert werden, solange das staatliche Recht an dem Grundsatz der Offenkundigkeit des Ehekontraktes festhält und festhalten muß. Das Problem läßt sich n u r lösen, wenn es gelänge, das Prinzip der Gewissensehe als Ausnahme i n das auf dem Öffentlichkeitsgrundsatz beruhende staatliche Eherecht einzubauen. Dies ist viel einfacher, als es zunächst klingen mag, denn es w i r d von dem Standesbeamten nicht verlangt werden, heimlich vor 2 Zeugen einen Eheakt vorzunehmen m i t Niederschrift zu einem Geheimarchiv, u m den Eheleuten die Rente zu erhalten. Es würde genügen, wenn, wie das auch schon vor dem Bundestag angeregt wurde, eine Härteklausel i n das Renten-, Sozial- u n d Versicherungsrecht aufgenommen würde, die i m Falle wirtschaftlicher Not den Ehekontrahenten den Bezug von Renten 48

Weitere Literatur: Neuhaus, FamRZ 1955, S. 308—310; A. Hartmann in Stimmen der Zeit, April 1956, S. 1—13; E. Wilkens, in (evgl.) Deutsches Pfarrerblatt, Nr. 2/1956. 49 C.J.C., Canon 1104: „... gravissima et urgentissima causa . . Z u r Gewissensehe vgl. Plödil, Konkubinat, Gewissensehe, a.a.O., S. 10ff.; Eiäxmann-Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des C.J.C., Bd. 1, 1953, 9 53 I I 2, S. 314 und Bd. 2, S. 143. 50 Deshalb erscheint eine Ehe mit Wirkung für den nur kirchlichen Bereich, wie das Schwind, FamRZ 1956, H. 1, S. 11, bes. 14. vorgeschlagen hat und wie es durch die Entscheidung des österr. Verfassungsgerichtshofs in Österreich Wirklichkeit geworden ist, für den Staat untragbar, es sei denn, man begnügt sich auf Seiten der Kirche tatsächlich mit der Form der Gewissensehe. Andernfalls müßten auch der kirchlichen Eheschließung die bürgerlichen Wirkungen folgen. Für eine Harmonisierung von bürgerlicher und kirchlicher Ehe und damit für den status quo auch Sdieyhing, R., Zur Verfassungsmäßigkeit des § 67 des Personenstandsgesetzes, FamRZ 1957, H. 1, S. 4; a. A. Becker, H. J.f a. a. O., FamRZ 1957, S. 40.

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Grenzfälle des Art. 4 Abs. 1 GG

zur Vermeidung von Gewissenskonflikten beläßt. Dadurch würde der öffentliche Charakter der Ehe v o l l gewahrt und gleichzeitig vermieden werden, daß diese sozial so eminent wichtige und deshalb notwendigerweise öffentliche Institution des Rechts nicht i n den Geheimbereich gerät und dadurch eine unheilvolle Unsicherheit und Unklarheit der Verhältnisse geschaffen w i r d 5 1 . I m Falle der Gewissensehe zeigt es sich klar, daß hier ein öffentlicher Bereich und eine den Staat und die Öffentlichkeit angehende Frage nicht zur Geheimsphäre jedes einzelnen gemacht werden darf, ohne der Gesamtheit zu schaden 52 . Wenn man auch m i t Recht davon sprechen kann, daß sowohl i m katholischen wie auch i n der lutherischen Auffassung der Ehe die Brautleute sich das „Geheimnis" 5 3 der Ehe spenden, so ist doch die Ehe als eminent sozialer Faktor und einzige Grundlage der Familie, A r t . 6 Abs. 1 GG, notwendigerweise eine öffentliche, m i t verfassungsrechtlichem Schutz umkleidete Institution, die man nur zum Schaden der Allgemeinheit zur Geheimsache machen k a n n 5 4 . Dabei ist es gleichgültig, ob man bei A r t . 6 Abs. 1 von der obligatorischen Zivilehe und der damit verbundenen staatlichen Voraussetzung ausgeht, wie das v. Mangoldt-Klein tut, oder ob man die kirchliche Fakultativtrauung zuläßt 5 5 . Denn auch für die katholische Kirche ist das matrimonium ein matrimonium publicum m i t öffentlicher Wirkung und nur i n gewichtigen Ausnahmefällen eine reine A n gelegenheit des „Gewissens" und damit der Geheimsphäre des Einzelnen. Sieht die Kirche die Ehe i n der Regel als öffentliche Institution an, so kann sie dem Staat nicht verbieten, das gleiche zu t u n und damit fällt eine nur m i t W i r k u n g für den kirchlichen Geheimbereich gültige Ehe. Es handelt sich hier nicht i m eigentlichen und ursprünglichen Sinn u m Gewissensfreiheit, da die Ehe nicht zum Geheimbereich gehört, sondern vielmehr u m eine Gewissensklausel, d. h. u m eine Suspension öffentlicher Pflichten bei außerordentlichem sittlichen Notstand 56 . Eine 51 Vgl. Dürig, FamRZ 1955, H. 12, S. 337 Anm. 2 und S. 338 Anm. 7a; Th. Maunz, Die verfassungsrechtliche Gewähr von Ehe und Familie, FamRZ, 1956, H. 1, S. 1. 62 Eine gewisse Anerkennung der Gewissensehe durch den Staat liegt in der Anerkennimg freier Ehen rassisch oder religiös Verfolgter; Gesetz v. 23. 6. 1950, BGBl. S. 226, BVerwG, Urteil v. 29. 1. 1954, NJW 1954, S. 895. 53 54

55

Asmussen, a. a. O., S. 141. Maunz, Th.: a. a. O., S. 2.

v. Mangoldt-Klein: a. a. O., S. 223; a. A. Dürig. Jäggi, P.: Das verweltlichte Eherecht, 1955, Heft 11 der Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat, S. 30/31, spricht allerdings auch von einer Verletzung der Gewissensfreiheit durch das Obligatorium der staatlichen Voraustrauung. Vgl. die Besprechung von Bosch, FamRZ 1956, S. 162. 56

Richterliches Gewissen

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solche Gewissenklausel war schon i m § 26 des Reichskonkordates vorgesehen, wobei allerdings ihre Interpretation sehr umstritten blieb.

4. Das richterliche Gewissen Aus dem Kreis der weiteren Grenzfälle der Anwendbarkeit des A r t . 4 Abs. 1 GG seien genannt die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, A r t . 4 Abs. 3 GG, und die Gewissensfreiheit des Abgeordneten, A r t . 38 Abs. 1 G G 6 7 . Es handelt sich i n beiden Fällen u m Ausstrahlungen des i n A r t . 4 Abs. 1 GG gewährten Grundrechts, die aber nicht ipso j u r e m i t A r t . 4 Abs. 1, sondern erst durch ihre spezielle Positivierung Geltung erlangt haben. Sie sind also einer Erweiterung und Durchbrechung der dem A r t . 4 Abs. 1 GG gezogenen Gewährleistungsschranke i n Richtung auf eine E i n w i r k u n g i n die Öffentlichkeitssphäre. Ganz ähnlich wie diese beiden Probleme ist die Frage nach der Freiheit des richterlichen Gewissens zu behandeln. Der i m E n t w u r f von Herrenchiemsee vorgesehene A r t i k e l 132, der den Richter nur dem Gesetz und seinem Gewissen unterwerfen wollte, ist vom GG nicht übernommen worden. M i t Ausnahme der Verfassung von RheinlandPfalz A r t . 121 haben auch die Länderverfassungen keine Gewissensklausel zugunsten des Richterstandes aufgenommen 68 . Bei der angestrebten Neuordnung des Richtergesetzes sind Bestrebungen, eine Gewissensklausel zugunsten des Richterstandes einzuführen. Bemerkenswert ist darüber hinaus die Darlegung von C. Peters, daß schon de lege lata der Richterstand diese Freiheit genieße, nur dem Gesetz und seinem Gewissen unterworfen zu sein 5 9 . C. Peters leitet dieses besondere Standesrecht des Richters aus dem allgemeinen Grund- und Menschenrecht der Freiheit des Gewissens i n A r t . 4 Abs. 1 GG a b 8 0 . Er fordert darüber hinaus m i t Hilfe dieses Grundrechtes das durch § 275 Abs. 2 StPO und § 315 ZPO ausgeschlos57 Zum freien Mandat des Abgeordneten Radbruch HBdDStR 1932 S. 292; sowie Loewenstein, Über die parlamentarische Parteidisziplin im Ausland, DRZ 1950, S. 241; Leibholz, DVB1. 1951, S. 1; Dreher, NJW 1950, S. 661; H. v. Mangoldt, SJZ 1950, S. 336. Auf die Problematik sowie auf die Fragen zu Art. 4 Abs. 3 GG kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. 58 Art. 121 der Verfassung von Rheinland-Pfalz: „Die richterliche Gewalt üben unabhängige, allein der Verfassung und ihrem Gewissen unterworfene Richter aus." 59 Peters, C.: Das Gewissen des Richters und das Gesetz, in: Gegenwartsprobleme des Rechts, 1950, H. 1, S. 23 ff. 60 Peters, C.: a. a. O., S. 38; P. leitet aus Art. 4 Abs. 1 GG im Falle eines Gewissenskonfliktes eines Richters analog zu § 30 StPO ein Selbstablehnungsrecht her. Scholler. Die Freiheit.

12

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Grenzfälle des Art. 4 Abs. 1 GG

sene und dem deutschen Recht unbekannte richterliche Sondervotum; schließlich verlangt C. Peters unter Berufung auf A r t . 4 Abs. 1 GG auch eine Freistellung des Richters von der Bindimg der Vorinstanz an die Revisionsentscheidung gem. §§ 258 StPO, 565 Abs. 2 ZPO. E. Schmidt hat eine solche Gewissensklausel f ü r den Richter verworfen, ist aber nicht auf die Stichhaltigkeit der sich auf A r t . 4 Abs. 1 GG stützenden Argumente eingegangen 61 . Die Auffassung, daß schon A r t . 4 Abs. 1 GG dem Richter das Recht gibt, sich nur an das Gewissen gebunden zu fühlen, ist wiederum eine Folge des Interpretationsfehlers, wenn man Gewissensfreiheit schlechthin als sittliche Handlungsfreiheit versteht. Die dem A r t . 4 Abs. 1 GG immanente Gewährleistungsschranke der Geheimsphäre schließt es aus, das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 GG i n Form einer Gewissensklausel zugunsten eines bestimmten Standes gegenüber einer öffentlichen Standes- und Berufspflicht auszulegen. Wie man sich auch immer zur Frage des richterlichen Gewissens stellen mag, eine Herausziehung des A r t . 4 Abs. 1 GG ist verfassungsrechtlich nicht möglich, da dieses Grundrecht seinem ganzen Charakter und nicht nur seiner historischen Entstehung nach nur die Intimsphäre und nicht eine Allerweltsklausel darstellt.

61 Schmidt, E.: Gesetz und Richter, Wert und Unwert des Positivismus, 1952, bes. S. 12 und S. 17 und Anm. 24, mit weiteren Literaturnachweisen. Eine historische Darstellung der Entwicklung des Verhältnisses von Gesetz und Richter gibt Bockelmann, Richter und Gesetz, Festgabe f. R. Smend, 1952, S. 29 ff., vgl. auch Rotberg, Zu einem Richtergesetz, Beiheft zur DRZ, H. 12, 1950. Eine ebenfalls rein positivistische Einstellung nimmt Evers ein, der ausführt: „Der Richter, der seine Gewissensentscheidung über das Gesetz stellt,u handelt nicht mehr in Ausübung der ihm vom Volk anvertrauten Gewalt.. . Evers. H. U.: Der Richter und das unsittliche Gesetz. 1956, S. 113.

Kapitel

XVIII

Die Rechtsnatur der Gewissensfreiheit, insbesondere ihre Drittwirkung 1. Die Rechtsnatur: Das Freiheitsrecht als negatives Statusrecht Trotz der verschiedentlich geäußerten starken Bedenken gegen die Rechtsnatur des Grundrechts der Freiheit des Gewissens ist es w o h l überwiegend anerkannt, daß A r t . 4 Abs. 1 GG „ein Menschenrecht i m Sinne der Grundrechtssubjektivität und der Grundrechtsqualität" enth ä l t 1 . Dies bedeutet, daß es sich u m ein subjektiv öffentliches Recht vom Charakter eines negativen Statusrechtes handelt. Inhalt dieses subjektiv öffentlichen Rechtes ist ein gegen den Staat (Bund oder Land), gegen Gemeinden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, also gegen alle m i t hoheitlicher Befugnis auftretenden Rechtsträger gerichteter Anspruch auf Unterlassung der Verletzung des Gewissens 3 . Diese Gewissensverletzung kann sowohl dem Gesetzgeber, der Verwaltung als auch der Rechtsprechung zur Last fallen, da A r t . 4 Abs. 1 GG über A r t . 1 Abs. 3 die Staatsgewalten bindet. Eine Verletzung des Gewissens i m Sinne des A r t . 4 Abs. 1 liegt aber erst dann vor, wenn öffentliche Maßnahmen die Geheimsphäre verletzen. Rechtsträger des i n A r t . 4 Abs. 1 geschützten Rechtes ist nur die natürliche Person. Diese Eigenschaft des Ausschlusses der juristischen Personen hat A r t . 4 Abs. 1 GG m i t A r t . 2 Abs. 1 GG i n besonderer Weise gemeinsam. H. v. Mangoldt-Klein w i l l auch teilweise juristischen Personen den Schutz des A r t . 4 Abs. 1 GG gewähren 3 . Nach richtiger Auffassung besteht keine Notwendigkeit u n d auch kein Bedürfnis dafür, von A r t . 19 Abs. 3 GG Gebrauch zu machen, zumal die Rechte der Religionsgemeinschaften i n genügender Weise durch A r t . 4 Abs. 2 und A r t . 140 GG geschützt sind. Es widerspricht dem Menschenbild des GG, juristische Personen als m i t Gewissen begabt zu fingieren. Ihre Rechtspersönlichkeit ist auch keine Persönlichkeit i m Sinne von A r t . 2 Abs. 1 GG. Auch A r t . 4 Abs. 1 i n der Interpretation des Schutzes der 1 H.v. Mangoldt-Klein: a.a.O., Erl. I I I 4 u. 5 zu Art. 4GG sowie Vorbemerkung B I V 3 Abs. 2 und I V 2 Abs. 6. 2

8

12»

Wernicke: a. a. O., Erl. I I 1 c und 2 c zu Art. 4 GG. H. v. Mangoldt-Klein: a. a. O., Erl. I I I 6 zu Art. 4.

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Drittwirkung der Gewissensfreiheit

Geheimsphäre kann juristischen Personen nicht zuerkannt werden. Es könnte sonst eine Entwertung dieses Grundrechtes eintreten. A r t . 4 Abs. 1 GG gewährt seinem Träger nur ein negatives Statusrecht. Positive Statusrechte wären allerdings auch i m Zusammenhang m i t der Freiheit des Gewissens denkbar, z. B. das Hecht auf Religionsunterricht i n den öffentlichen Schulen oder das Recht auf Errichtung von Konfessionsschulen 4 . Dennoch stehen solche Konstruktionen i m Widerspruch zum Begriff der klassischen Freiheitsrechte. Das allein würde noch nicht genügen, u m solche Ansprüche auszuschalten. Maßgebend für diese Frage ist das GG selbst, das deutlich i n A r t . 4 Abs. 1 GG ein Freiheitsrecht von der Qualität eines negativen Statusrechts geschaffen h a t 6 .

2. Die D r i t t w i r k u n g der Grundrechte i m allgemeinen Die Frage nach der D r i t t w i r k u n g oder Drittbezogenheit der Grundrechte, die zuerst konkret zu A r t . 3 Abs. 2 und 3 und A r t . 5 Abs. 1 GG untersucht worden war, ist nun bereits auch i n Schrifttum und Rechtsprechimg hinsichtlich des Grundrechts des A r t . 4 Abs. 1 GG erörtert worden. Eine Übersicht über das Problem der D r i t t w i r k u n g geben H. Huber, H. v. Mangoldt-Klein und G. D ü r i n g 6 . A l l e drei Autoren befürworten eine allerdings differenzierte D r i t t wirkung, wobei K l e i n eine solche nur bei den sogenannten Grundsatz4

Hechel, H.: Deutsches Privatschulrecht, 1955, Anm. B a zu S. 206; Werniche,

BK, Erl. I I 2 a zu Art. 7; H. v. Mangoldt-Klein,

a. a. O., Anm. I V 1 zu Art. 7,

S. 283. Das Recht auf Religionsunterricht in öffentlichen Schulen ließe sich als positives Statusrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 GG herleiten. 5 Die Frage, ob die Freiheit des Gewissens ein Rechtsgut im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB darstellt und bei Verletzung zum Schadensersatz führt, wird von Nipperdey in: Die Grundrechte a. a. O., II, S. 36, bejaht; ähnlich Jerusalem SJZ 1950, Sp. 1. Einen Spezialfall eines solchen Ersatzanspruches stellt die Entschädigung nach § 1 BEG vom 18. 9.1953, BGBl. I S. 1387, § 1 Abs. 2 BEG: „Der Verfolgung wegen politischer Überzeugung wird gleichgestellt eine Verfolgung, die darauf beruhte, daß der Verfolgte auf Grund eigener Gewissensentscheidung sich unter Gefährdung seiner Person aktiv gegen die Mißachtung der Menschenwürde oder gegen die sittlich auch durdi den Krieg nicht gerechtfertigte Vernichtung von Menschenleben eingesetzt hat." Becher-HuberKüster, Bundesentschädigungsgesetz, Kommentar 1955, S. 56 ff. 0 Huber, H.: Die Bedeutung der Grundrechte für die sozialen Beziehungen unter den Rechtsgenossen ZSR, Bd. 74, 1955, H. 4/5, S. 173 ff., bes. S. 195. H. v. Mangoldt-Klein, a. a. O., S. 61, bes. S. 65; Dürig, Grundrechte und Privatrechtsprechung, in: Vom Bonner Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung, Festschrift zum 75. Geburtstag von H. Nawiasky, hrsgg. von Th. Maunz, 1956. S. 157. bes. Anm. 6 zu S. 161.

Drittwirkung der Grundrechte im allgemeinen

181

normen anerkennen w i l l 7 . Die von H. C. Nipperdey zuerst aus A r t . 1 Abs. 3 GG entwickelte Theorie der D r i t t w i r k i m g der Grundrechte stieß zunächst auf starken Widerspruch, so vor allem von Schmidt-RimplerGieseke-Friesenhahn-Knur i m sogenannten Bonner Gutachten und von W. Jellinek und Hueck. H. C. Nipperdey formulierte seine These: „Die Durchsetzung grundrechtlicher Bestimmung, also der Normen höchsten Grades, ist nur dann voll gewährleistet, wenn nicht nur die gesetzgebenden Körperschaften, die Verwaltungsbeamten und die Richter, sondern auch die einzelnen Rechtsgenossen, die Staatsbürger an sie gebunden s i n d " 8 . Den Grundrechten müsse als Lebensordnung eines Volkes auch i n der Privatrechtsordnung Rechnimg getragen werden. H. C. Nipperdey befürwortete deshalb eine E i n w i r k u n g des A r t . 4 Abs. 1 GG über § 134 BGB auf die Privatrechtssphäre 9 . Die Ablehnung dieser Auffassung, wie sie vor allem von Schmidt-Rimpler-GiesekeFriesenhahn-Knur, W. Jellinek, Hueck und K n o l l vorgetragen wurde, orientierte sich vor allem an dem B i l d der klassischen Freiheitsrechte, die i m Sinne negativer Statusrechte nur staatsgerichtet und staatsbezogen sind 1 0 . Die W V kannte i n A r t . 118 und i n A r t . 159 eine solche Drittbezogenheit von Freiheitsrechten, war aber nicht dem Antrag Sinzheimers gefolgt, alle Grundrechte m i t Bindungswirkung für die sozialen Gewalten auszustatten. Das GG hat nun nur i n A r t . 9 Abs. 3 S. 2 eine solche D r i t t w i r k u n g übernommen, was die Autoren des Bonner Gutachtens zu einem argumentum e contrario veranlaßt hat. Die Rechtsprechung 11 , i n der Hauptsache die des BAG, ist inzwischen dem Vorgang H. C. Nipperdeys gefolgt und hat auch dort eine D r i t t w i r k u n g der Grundrechte bejaht, wo das Grundgesetz eine solche Er7 Klein: a.a.O., S. 65; dazu Dürig, in: Deutsche Notarzeitung, 1956, S. 167; H. Huber: „Die Mitmenschlichkeit gehört auch zur Wertordnung der Grundrechte, ansonsten sie vom Menschen abgelöst und die Wertordnung in unhaltbarer dualistischer Weise gespalten wird." Hüber, H.: a.a.O., S. 198. Hamel, W.: Die Bedeutung der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, 1957, S. 21. 8 Nipperdey, H. C.: Gleicher Lohn der Frau für gleiche Leistung, Ein Beitrag zur Auslegung der Grundrechte in: RDA, 1950, H. 4, S. 124. 9 Enneccerus-Nipperdey: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Hbd. 1952, § 15 S. 53: „Ohne die Grund- und Freiheitsrechte der abendländischen Kultur gibt es kein Funktionieren des Privatrechts." 10

Schmidt-Rimpler-Gieseke,

Frieserihahn-Knur,

Lohngleichheit von M ä n -

nern und Frauen, in: AÖR, Bd. 76, S. 165; W. Jellinek, BB, 1950, S. 425; Hueck, Die Bedeutung des Art. 3GG für die Lohn- und Arbeitsbedingungen der Frauen; für den früheren Rechtszustand vgl. die ablehnende Stellungnahme bei G. Anschütz, W V 14. Aufl., S. 549 bis 556; Giese W V , Anm. 3 zu Art. 118;

R. Thoma, in: Nipperdey, Bd. 1, 1930, S. 1 ff.; C. Schmitt, HBdDStR II, 1932, S. 572. 11 BGH, JZ 1955, S. 211; und neuerdings Urteil des BGH vom 2. 4. 1957, DVB1. 1957, S. 616 (Geheimsphäre) mit zustimmender Anmerkung von W. Hamel, DVB1. 1957, S. 618, im Anschluß an BGHZ Bd. 13, S. 334, S. 338; Enneccerus-Nipperdey, 14. Aufl., § 78 I 2; OVG Koblenz, FamRZ 1957, S. 98.

182

Drittwirkung der Gewissensfreiheit

streckungsnorm eines Grundrechts nicht vorgesehen h a t 1 3 . Das B A G spricht von einer Reihe bedeutsamer Freiheitsrechte i m Sinne von „Ordnungsgrundsätzen für das soziale Leben, d i e . . . unmittelbar Bedeutung für den Rechtsverkehr der Bürger untereinander haben" (Ordnungsgefüge) 1 8 . 3. Die D r i t t w i r k u n g des A r t . 4 Abs. 1 GG Die D r i t t w i r k u n g des A r t . 4 Abs. 1 GG über § 134 BGB, wie sie H. C. Nipperdey vorgeschlagen hat, ist n u n selbst bei Bosch und Habscheid auf Ablehnung gestoßen, den beredtesten Verfechtern einer Einw i r k u n g des i n A r t . 4 Abs. 1 garantierten Grundrechtes auf das Privatrecht 1 4 . Ausgangspunkt zu dieser Diskussion w a r der schon erwähnte F a l l einer Apothekerin, die empfängnisverhütende M i t t e l verkaufen sollte, was sie zu t u n verweigerte. Sie kündigte daraufhin und erhob Klage vor dem Arbeitsgericht auf Schadensersatz, ohne jedoch i n der Klage durchzudringen. Nach der Ansicht von Bosch und Habscheid soll A r t . 4 Abs. 1 GG nicht über § 134 BGB, sondern über § 242 BGB ins Privatrecht einwirken und i n Fällen von unverschuldeter, unvorhergesehener Gewissensnot zu einem Anspruch auf Vertragshilfe (Vertragsumwandlung oder Leistungsanpassung) führen. F ü r den F a l l der Unmöglichkeit soll eine Befreiung des Schuldners von der Verpflichtung ohne Begründung einer Schadensersatzpflicht eintreten, es sei denn, daß die Gewissensnot nicht unverschuldet oder unvorhersehbar war". A . Blomeyer und F. Wieacker sind diesen Ausführungen nicht gefolgt; während A. Blomeyer ein Leistungsverweigerungsrecht m i t Schadensersatzpflicht zuerkennt 1 6 , hält Wieacker an der Vertragserfüllung auch bei Gewissensnot fest: „So wenig echter Überzeugungseifer strafbaren Handlungen die Strafbarkeit nimmt, so wenig ermächtigt er zur Leistungsverweigerung; gerichtliche Anerkennung der Leistungspflicht trotz Gewissensnot sagt nichts aus über die persönlichen A n lf Urteil des BAG vom 3.12.1954, JZ 1955, S. 117 und ebenso die Urteile des BAG vom 15. 1. 1955 RdA 1955, S. 119 und vom 2. 3. 1955 RdA 1955, S. 159. 18 BAG, JZ 1955, S. 117/118. 14

Nipperdey,

H. C.: a.a.O., RdA 1950, S. 121; Bosch-Habscheid: JZ 1952,

S. 214. 15 Bosch, F. W., und W. J. Habscheid; Vertragspflicht und Gewissenskonflikt, JZ 1954, H. 7/8, S. 213 ff.; dieselben, nochmals Vertragspflicht und Gewissenskonflikt, Bappert-Maunz, Verlagsrecht 1952, Anm. 6 zu 8 35, S. 309; BoschHabscheid, a. a. O., Anm. 65. 19

Blomeyer, A.: Gewissensprivilegien im Vertragsrecht, JZ 1954, H. 10, S. 309, S. 312: „Der Gewissenskonflikt des Vertragsschuldners hindert eine Leistungserzwingung gegen das Gewissen schlechthin, er befreit ihn aber nicht von der Schadenshaftimg für die Verletzung des Vertrags."

183

Drittwirkung des Art. 4 Abs. 1 GG

schaumigen" 1T . Auch Wieacker w i l l eine Schadensersatzpflicht bei Vertragsbruch aus Gewissensgründen anerkennen. A. Blomeyer, F. Wieacker und Hild. Krüger — letztere sieht i n A r t . 4 Abs. 1 eine allgemeine Unzumutbarkeitsklausel 1 8 — gehen aber alle von der E i n w i r k i m g des A r t . 4 Abs. 1 GG, also von einer D r i t t w i r k u n g aus und sind i n diesem Punkte m i t Bosch und Habscheid einig. Auch Th. M a u n z 1 9 und G. D ü r i g 2 0 befürworten ebenso wie H. Huber eine D r i t t w i r k u n g der Grundrechte; Uneinigkeit besteht aber i n welcher Weise und i n welcher Gestalt die E i n w i r k u n g der Grundrechte i m allgemeinen und speziell die D r i t t w i r k u n g des A r t . 4 Abs. 1 GG auf die private Rechtssphäre zu denken ist. a) D i e F r e i h e i t

des G e w i s s e n s

als

allgemeine

Unzumutbarkeitsklausel Folgt man der Auffassung von Bosch, Habscheid und Krüger, so würde das, wie F. Wieacker richtig bemerkt hat, die Rezeption einer neuen clausula rebus sie stantibus bedeuten 3 1 . Eine solche allgemeine Unzumutbarkeitsklausel soll aber durch A r t . 4 Abs. 1 GG weder begründet noch i n die Privatrechtsordnung, die auf der Grundlage der Vertragstreue § 242 BGB beruht, eingeführt werden. Schon das R G ging von einer E i n w i r k u n g der Gewissensfreiheit auf das Privatrecht aus, die einschlägigen Entscheidungen beschränken sich aber auf die Religionsfreiheit. Nach dem RG sind Verträge nichtig, die gegen die Auffassung „sittlich ernst denkender Volkskreise" verstoßen 33 . Die E i n w i r k u n g der Gewissensfreiheit auf die Privatrechtsordnung vollzieht sich also über eine Modifizierung der guten Sitten, die das RG als „Durchschnittsgefühl aller b i l l i g und gerecht Denkenden" definiert 17

Wieacker, F.: Vertragsbruch aus Gewissensnot, JZ 1954, H. 15/16, S. 467. Krüger, Hild.: Grenzen der Zumutbarkeit aus Gewissensgründen im Arbeitsrecht, RdA, 1954, H. 10, S. 365. 19 Maunz, Th.: Die verfassungsrechtliche Gewähr von Ehe und Familie, FamRZ 1956, H. 1, S. 1; ders., Deutsches Staatsrecht, 5. Aufl., 1956, S. 82. 20 Dürig, G.: Grundrechte und Privatrechtsprechung a. a. O., S. 161, Anm. 6. Das OVG Koblenz vertritt in seinem Urteil vom 16.10.1956, JZ 1957, S. 216 = FamRZ 57, S. 98, ebenfalls die Drittwirkung der Toleranzpflicht (also Art. 4 I GG) unter Berufung auf die Natur der Sache und das Herkommen: „Die Verpflichtung des Lehrherrn zu strikter religiöser Duldsamkeit und Zurückhaltung gegenüber dem ihm anvertrauten Lehrling... ist auch ohne ausdrückliche Bestimmung in der HO bzw. in den Lehrverträgen als so selbstverständlich und der Natur der Sache dem Lehrverhältnis immanent anzusehen, daß diese Verpflichtung... in der langjährigen Tradition des deutschen Handwerkstandes nie ernsthaft bezweifelt gewesen ist" 21 Wieacker, F.: a. a. O., JZ 1954, S. 366; ders., Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB in: Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 1956, Nr. 193/194, S. 36. w RG JW 1913. S. 1130. 18

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Drittwirkung der Gewissensfreiheit

h a t 2 3 . Das Kammergericht äußerte sich i n einer ähnlichen Entscheidung:,, Nach den zutreffenden Darlegungen des Beschwerdegerichtes sollen danach Entscheidungen auf religiösem Gebiet, welche vom Käufer n u r auf Grund seiner eigensten, innersten Überzeugung, nach seinem eigenen, von Erwägungen materiell-rechtlicher A r t völlig unbeeinflußten, f r e i e n G e w i s s e n getroffen werden können" 1 2 4 . I m Band 57 S. 256 erklärte das RG „Die Bindung der Willen auf dem Gebiet der Religion ist eine Bindung des Gewissens und des Herzens, die Erfüllimg der daraus erwachsenen Verbindlichkeiten eine religiöse und sittliche Pflicht. Eine rechtliche Fesselung der Willen gibt es hier nicht und kann es hier nicht geben." Es verwarf damit die Gültigkeit einer Einwilligung zur Scheidung nach jüdischem Ritual. Ebenso verwarf es i n 21, 279 die einem Vermächtnis beigefügte Bedingung, daß der Bedachte seine Religion nicht ändern dürfe und berief sich i n seiner Entscheidung auf ein Zitat von Suarez „es ist ein von allen Seiten her zugegebener Satz, daß Gewissensfreiheit durch keine Verträge eingeschränkt werden könne 2 5 . Daraus folgt unmittelbar, daß sich niemand durch Verträge zur Annehmung oder Beibehaltung einer Religion verpflichten könne." Die subjektive Gewissensnot genügt demnach nicht allein, sondern es w i r d das Hinzutreten der objektiv zu beurteilenden Unsittlichkeit i m Sinne vom § 138 BGB verlangt 2 6 . Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts ist eine D r i t t w i r k u n g der Gewissensfreiheit n u r über die guten Sitten und allem Anschein nach nur auf religiösem Gebiet möglich. Das Privatrecht kann, w e i l es auf einem ethischen M i n i m u m ruhen muß, eine allgemeine Unzumutbarkeitsklausel für subjektive Gewissenskonflikte nicht anerkennen. Man w i r d sich n u n fragen müssen, ob die einschränkende D r i t t w i r k u n g , wie sie i n der Rechtsprechung des RG zum Ausdruck kommt, auch dem Sinn des A r t . 4 Abs. 1 GG entspricht. I m Gegensatz zu der extensiven Interpretation des A r t . 4 Abs. 1 GG, wie sie vor allem Bosch, Habscheid und Krüger vorgeschlagen haben, hat Dürig versucht, den durch A r t . 4 Abs. 1 GG geschützten Kreis der Rechtsgüter wieder auf das „subjektive Gottverhältnis" zu beschränken, w o m i t er i n die Nähe der früheren Recht23

RGZ Bd. 48, S. 124. KG HRR 1933, Nr. 1830 (Sperrung nur hier). 25 Anders LG Flensburg, Beschluß vom 22. 8. 1951 in Zeitschrift f. evang. Kirchenrecht, 1951, S. 428. 26 Über das Verhältnis zwischen subjektiver Gewissensnot und objektiver Sittenanschauung in der Rechtsprechung des Schweiz. Bundesgerichts zur sittlichen Entwicklungsfreiheit hinsichtlich des Eintritts in kollektive Interessenverbände (Gewerkschaften) unterrichtet Lusser, Ist Zwang zum Eintritt in eine Gewerkschaft zulässig? in: Schweiz. Juristenzeitung, 1956, H. 5, S. 69ff., S. 70 und bes. S. 73; Entscheidungen des Schweiz. Bundesgerichts, Bd. 74 I I S. 158 und Bd. 75 I I S. 305. 24

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Drittwirkung des Art. 4 Abs. 1 GG

sprechung des RG k o m m t 2 7 . Dadurch w i r d A r t . 4 Abs. 1 GG zwar handlicher, aber dennoch ist diese Lösung unrichtig, mögen noch so viele historische Argumente dafür sprechen. Der Grundgesetzgeber war sich klar, daß der Schutz des Gewissens i m Sinne des subjektiven Gottverhältnisses nicht genügt und wollte deshalb auch die Freiheit der Überzeugung als Grundrechtsgut durch A r t . 4 Abs. 1 geschützt sehen 28 . N u r einer redaktionellen Umarbeitung wegen ist dieser Grundrechtsschutz weggelassen worden. Dieser Umstand berechtigt die Interpreten zu einer extensiven Auslegung des A r t . 4 Abs. 1, so daß auch Überzeugungen und Anschauungen jeder A r t den Grundrechtsschutz genießen. Nicht durch eine Beschränkung hinsichtlich des Kreises der Rechtsgüter, sondern nur durch eine Beschränkung der durch das Grundrecht geschützten Sphäre ist es möglich, den Fehler zu vermeiden, i n A r t . 4 Abs. 1 GG eine auch i n das Privatrecht wirkende allgemeine Unzumutbarkeitsklausel zu erblicken. Beschränkt man den i n A r t . 4 Abs. 1 GG gewährten Grundrechtsschutz auf die Geheimsphäre, was dem Wesen dieses Grundrechts entspricht, so ist die unleugbare D r i t t w i r k u n g für das Privatrecht ohne Gefahr 2 9 .

b) H e r k ö m m l i c h e

Drittwirkung

der

Gewissensfreiheit Auch die Verfechter der reinen oder überwiegenden Staatsbezogenheit der Grundrechte wie Wernicke 8 0 und K l e i n 8 1 räumen ein, wenigstens letzterer, daß A r t . 4 Abs. 1 insofern D r i t t w i r k u n g habe, als er auch den freien A u s t r i t t aus Religionsgemeinschaften garantiere. Dies muß n u n auch für Weltanschauungsgemeinschaften, politische Par27

28

Dürig, G.: a. a. O., S. 161, Anm. 6.

5. Sitzung des GDA vom 7. 10. 1948; Die Abgeordneten v. Mangoldt und Weber erklären, daß der Schutz von Glauben und Gewissen allein nicht genügt. Jahrbuch d. öifentl. Rechts, 1951, S. 73. 29 Über dieses Problem, die sogenannten inhärenten oder immanenten sachlichen Gewährleistungsschranken vgl. die folgenden Ausführungen; Zum Begriff vor allem von Mangoldt-Klein, Vorbemerkung B X V 1 b und c und 2, S 121 ff. im Anschluß an Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 82/83 und Scholtissek NJW 1952, S. 562. 80 Wernicke in: Bonner Kommentar, Erl. I I 2 c zu Art. 4 GG ausschließlich gegen staatliche Intoleranz. 31 Mangoldt-Klein, H. v.: a. a. O., Erl. I I I 7 zu Art. 4; Model: a. a. O., 2. Aufl., S. 27; Zinn-Stein; Kommentar, a. a. O., I Erl. I I Abs. 2 zu Art. 9 S. 125; Maunz:

Deutsches Staatsrecht, a. a. O., S. 88/89. Staatsbezogenheit aber nur hinsichtlich Art. 4 Abs. 2 GG.

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Drittwirkung der Gewissensfreiheit

teien u n d sonstige Vereine u n d Verbände gelten, gleichgültig, ob sie reine Zweckverbände sind, oder ob sie weltanschauliche oder p o l i tische Zwecke v e r f o l g e n " . Auch i m Friedhofsrecht hat A r t . 4 Abs. 1 G G eine D r i t t w i r k i m g , w e i l er jedem Menschen das Hecht auf ein ehrliches Begräbnis gewährt u n d dies auch dann, w e n n der Friedhof i m Eigentum u n d der V e r w a l t u n g einer Religionsgesellschaft 3 8 steht, der weder der Verstorbene noch dessen Verwandte angehören. Schon der Westfälische Friede kannte eine diesbezügliche B e s t i m m u n g * . I n diesen beiden F ä l l e n h a t A r t . 4 also zweifellos D r i t t w i r k u n g ; allerdings schließt das nicht aus, daß der Träger eines kirchlichen Friedhofs f ü r Bestattungen Ausgetretener oder Andersgläubiger höhere Gebühren erhebt. H i e r i n sieht das O V G L ü n e b u r g m i t Recht keine Verletzung des A r t . 3 Abs. 3 GG, A r t . 4 Abs. 1 GG, w e i l die V e r w a l t u n g u n d U n terhaltung des kirchlichen Friedhofs überwiegend aus der Kirchensteuer u n d den f r e i w i l l i g e n Gaben der Gläubigen bestritten w i r d , zu denen ein Ausgetretener oder ein Andersgläubiger nicht beiträgt 3 ®. Gewissensfreiheit als innerkirchliches Recht ist natürlich da gewährleistet, w o die Kirche selbst i n ihrer Verfassung Glaubens- u n d Gewissensfreiheit verankert, w i e das z. B. die evangelische Kirche v o n Bremen u n d einige Landeskirchen getan h a b e n * D i e Bejahung der D r i t t w i r k u n g muß zur Folge haben, daß m a n auch gegenüber der K i r c h e 3 7 die Grundrechtswirkung nicht versagt, es sei denn, daß wegen der F r e i w i l l i g k e i t der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft ein 92

Für die Schweiz Lusser a. a. O., S. 71 zur Frage der Neutralität der Gewerkschaften. 88 Die Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts könnnen trotz ihrer hoheitlichen Funktionen nicht wie öffentlich-rechtliche Rechtsträger behandelt werden, auf Grund der den Kirchen gewährten Autonomie, Art. 140 GG, Art. 137 WV. BGH Urteil vom 7. 12. 1956, DöV 1957, S. 731. Thieme spricht in diesem Zusammenhang von einer „Abdankung staatlicher Gerichtsbarkeit". Thieme, W.: Zur Amtshaftung von Geistlichen und Kirchenbeamten, JZ 1957, S. 497; Hesse, K.: Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, 1956. 84 IPO V § 34/35; Pr. ALR § 189 I I 11; § 19 Abs. 3 Bay. Verfassungsurkunde 1919; dazu O. Bachof, Rechtsgutachten über die Zulässigkeit der Grabmalgestaltungen eines Friedhofs vom 6. 9.1954, S. 8 und 17; ders. in: AÖR Bd. 78, S. 82. 85 OVG Lüneburg, Urteil vom 28. 6. 1954 in: Zeitschrift f. evang. Kirchenrecht, 1955, Bd. 4, S. 220. 86 Smend, R.: Glaubensfreiheit als innerkirchliches Grundrecht in: Festschrift f. Kraus, 1954, S. 211ff., bes. 216. 87 Von einer Drittwirkung gegenüber den öffentlichen Religionsgesellschaften kann also wegen der kirchlichen Autonomie und der damit verbundenen Beschränkung des Rechtsschutzes gesprochen werden. OVG Münster, Beschluß vom 14. 3.1957. DöV 1957. S. 727.

Drittwirkung an Hand von aktuellen Rechtsfällen

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solcher Schutz nicht erforderlich w i r d 8 8 . Dabei muß sich allerdings die Schutzfunktion des A r t . 4 Abs. 1 G G auch i m Bereich der D r i t t w i r k u n g auf die Abschirmung der Geheimsphäre beschränken.

4. Probleme der D r i t t w i r k u n g an Hand von aktuellen Rechtsffillen Gegenüber der oben erwähnten herkömmlichen D r i t t w i r k u n g i m Begräbnisrecht u n d i m Austrittsrecht w i r k t aber A r t . 4 Abs. 1 G G auch i n der gesamten bürgerlichen Rechtsordnung einschließlich des Arbeitsrechtes. A n H a n d einiger Fälle läßt sich vielleicht das Problem der D r i t t w i r k u n g am besten aufzeigen. a) D e s

Arbeitsrechts

Das B A G hatte die Frage zu entscheiden, ob ein geschiedener u n d wieder verheirateter katholischer Arbeitnehmer (Handwerker) eines katholischen Krankenhauses nach § 1 Abs. 2 KSchG zu Recht gekündigt werden konnte, w e i l es dem Arbeitgeber unzumutbar w a r , einen geschiedenen u n d wiederverheirateten Arbeitnehmer weiter zu beschäft i g e n 8 9 . Das L A G Düsseldorf 4 0 hatte der Klage des Arbeitnehmers stattgegeben, demgegenüber wies das B A G die Klage ab u n d erklärte die K ü n d i g u n g als gerechtfertigt. Gegen diese Entscheidung haben v o r allem Hessel 4 1 , Frey, Neumann-Duesburg 4 3 u n d K ü s t e r 4 8 sehr starke Bedenken geäußert. F. K l e i n , der den Äußerungen Hessels zu dieser E n t scheidung widersprach u n d das U r t e i l des B A G zustimmend würdigte, hat m i t Recht bemerkt, daß das U r t e i l k a u m auf die Fragen des G r u n d rechtsschutzes eingegangen i s t 4 4 . Es erwähnt n u r A r t . 6 Abs. 1 G G u n d geht an der Frage der Gewissenfreiheit A r t . 4 Abs. 1 G G v ö l l i g vorüber. Weder die Abhandlungen der K r i t i k e r noch die zustimmende Äußer u n g Kleins haben sich dieser Frage angenommen, obwohl das U r t e i l des B A G übereinstimmend m i t dem vorinstanzlichen U r t e i l des L A G 88 Unbedenklich ist diese Folgerung dort, wo sich wie in Art. 33 Abs. 1 S. 2 der Verfassimg von Württemberg-Baden dem Grundrecht der Gewissensfreiheit die Drittwirkung expressis verbis beigelegt hat. Wernicke, Erl. I I 2 c zu Art. 4. 39 Urteil des BAG vom 31. 1. 1956, BB 1956, H. 12, S. 401; Arbeit und Recht 1956, H. 4, S. 123. 40 LAG Düsseldorf, Urteil vom 21. 1. 1954, RdA 1954, S. 159. 41 Hessel: Weltanschauung des Arbeitgebers und Kündigungsschutz im Arbeitsrecht, BB 1956, H. 12, S. 406. 42 Frey und Neumann-Duesburg in Anmerkung in: AP Nr. 15 zu § 1 KSchG. 48 Küster: Weltanschauung des Arbeitgebers, BB 1956, H. 23, S. 755. 44 Klein, F.: Weltanschauung des Arbeitgebers, BB 1956, H. 23, S. 755.

188

Drittwirkung der Gewissensfreiheit

Düsseldorf einräumt, daß sich der Kläger i n einem Gewissenskonflikt befunden hat. Es wäre interessant gewesen, wenn das B A G sich i n seiner Entscheidung zur Tragweite des A r t . 4 Abs. 1 GG generell geäußert hätte und darüber hinaus bestimmt hätte, i n welchem Umfange dieses Grundrecht i n einem Tendenzbetrieb ausgeübt werden kann. Wenn das stattgebende vorinstanzliche U r t e i l des L A G Düsseldorf erk l ä r t hat, daß zwischen der moralischen Einstellung des Krankenhauses und des Arbeitnehmers durch Richterspruch nicht geurteilt werden könne, so kann dem doch nur insoweit zugestimmt werden, als es sich nicht darum handelt, Rechtssphären gegeneinander abzugrenzen. Könnte eine Berufung auf A r t . 4 Abs. 1 GG nicht zu einem anderen Ergebnis führen, wie das H. Schneider ausgeführt hat? Schneider, der als einziger auf diese Frage eingehendere Untersuchungen anstellt, geht dabei bedenkenlos davon aus, daß das Grundrecht der Gewissensfreiheit alle Handlungen deckt, die aus dem Bewußtsein sittlicher Verantwortung heraus, also aus Gewissensüberzeugung vorgenommen werden 4 5 . Die übrigen kritischen Stellungnahmen äußern sich zu dem Problem des A r t . 4 Abs. 1 GG nur am Rande. Der absolute Schutzbereich des A r t . 4 Abs. 1 GG ist aber, ob staatsgerichtet oder drittbezogen, auf Grund der sachlich immanenten Gewährleistungsschranke der Geheimsphäre auf diesen Bereich beschränkt. Handlungen, die Wirkungen über die Intimsphäre hinaus haben, müssen es sich gefallen lassen, anders gewürdigt zu werden, als die i m Rahmen der Geheimsphäre verbleibenden A k t e und Gestaltungen des Gewissens, des Glaubens, der Überzeugung, der Weltanschauung. Allerdings i r r t das BAG, wenn es i n seinem U r t e i l ausführt, daß zu den inneren Bindungen zwischen dem katholischen Krankenhaus als Arbeitgeber und dessen Arbeitnehmern auch das Bekenntnis zum katholischen Glauben zählt 4 8 . Denn das Bekenntnis zu einem Glauben gehört so zur Geheimsphäre, daß es auch dann nicht zum Inhalt eines Arbeitsvertrages gemacht werden kann 45

Schneider, H.: Gewissensfreiheit und Kündigungsschutz, in: Arbeit und Recht, 1956, H. 4, S. 97 ff. bes. S. 98, Anm. 7: „Ein solcher Ausnahmefall liegt... hier vor, denn Art. 4 Abs. 1 GG schützt verfassungsrechtlich auch das Gewissen." Schneider übernimmt die Gewissensdefinition von Th. Maunz, erwähnt aber seine Fundstelle nur indirekt über H. v. Mangoldt-Klein. 46 BAG Urteil vom 31. 1. 1956, BB, a. a. O., S. 402: „An die Tendenz der Anstalt war der Kläger, obwohl er als Handwerker und nicht im Hause wohnender Arbeitnehmer an der eigentlichen Aufgabe der Krankenpflege nicht unmittelbar teilnahm, in doppelter Hinsicht gebunden. Er war es einmal dadurch, daß er sich zum katholischen Glauben bekennt, und zum anderen dadurch, daß er seit 20 Jahren in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten stand." Mit Recht muß dagegen einem Lehrherrn die Befugnis zur religiösen Beeinflussimg der Lehrlinge gegen den Willen der Eltern abgesprochen werden, OVG Koblenz. Urteil vom 16. 10. 1956. JZ 1957. S. 216.

Drittwirkung an Hand von aktuellen Rechtsfällen

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und folglich auch nicht Gegenstand einer Sachentscheidung sein kann, wenn es dem Wesen einer Religionsgemeinschaft nach und zufolge deren innerer Ordnung Mitbestandteil eines besonderen Abhängigkeitsverhältnisses ist. Handlungen dagegen, die die öffentliche Sphäre betreffen, wie Eheschließung und Ehescheidung, sind nicht von A r t . 4 Abs. 1 GG m i t der gleichen absoluten W i r k u n g gedeckt und können demzufolge i m Rahmen eines Tendenzbetriebes wirksam einer gesonderten Wertung unterworfen sein, die dann auch i m Verfahren vor den Gerichten Beachtung finden muß. M a n kann also das vorliegende Problem nur dann einer einigermaßen befriedigenden Lösung zuführen, wenn man die sachlich immanente Gewährleistungsschranke der Gewissensfreiheit (Geheimsphäre) berücksichtigt 47 . b) D e s

Sachenrechts

Das L G Flensburg hatte sich ebenfalls m i t der Frage der D r i t t w i r kung des i n A r t . 4 Abs. 1 GG gewährleisteten Grundrechts zu befassen gehabt. Es hatte die Frage zu entscheiden, ob ein vertraglich vereinbartes Heimfallrecht zwischen der Landeskirche und dem Kläger für den F a l l des Kirchenaustritts oder kirchenfeindlicher Betätigung des Klägers gegen das Grundrecht der Gewissensfreiheit verstoße 48 . Das L G Flensburg hat unter Berufung auf die Vertragsfreiheit diese Frage verneint und ist dadurch allerdings i n einen gewissen Gegensatz zur Rechtsprechung des Reichsgerichts gekommen 4 0 . Es hat aber die Geltung des A r t . 4 Abs. 1 GG i m Privatrecht nicht bestritten, sondern unter Berufung auf dieVertragsfreiheit eine solche Vereinbarung als m i t dem Grundrecht des A r t . 4 Abs. 1 GG vereinbar angesehen 50 . Das RG hatte eine Verknüpfung zwischen ideellen und materiellen Interessen i n dieser Weise als unzulässig e r k l ä r t 5 1 . Man kann hier den Widerspruch zum RG nur dann beseitigen, wenn man herausstellt, daß eine solche vertragliche Vereinbarung den Wesensgehalt des Grundrechts des A r t . 4 Abs. 1 nicht verletzt, w e i l A r t . 4 Abs. 1 GG nur die Kernsphäre des 47

Andernfalls ist der Grundrechtskonflikt zwischen der Freiheit des Gewissens in Art. 4 Abs. 1 GG und der Freiheit der caritativen Betätigung (Kultusfreiheit) Art. 4 Abs. 2 GG unüberbrückbar. 48 LG Flensburg, Beschl. vom 22. 8. 1951, Zeitschrift f. evang. Kirchenrecht, 1951, S. 428. 49 LG Flensburg, a. a. O., S. 428: „Ein mit der Kirchengemeinde in einem Erbbauvertrag vereinbartes Heimfallrecht für den Fall eines Kirchenaustritts und kirchenfeindlichen Verhaltens des Erbbauberechtigten verstößt nicht gegen das Grundrecht der Gewissensfreiheit." 60 Denn die Vertragsfreiheit des bürgerl. Rechts überlasse es dem einzelnen, in welcher Weise er ideelle und materielle Fragen verknüpfe. 51 Vgl. dazu die schon erwähnten Entscheidungen RGZ 21, 269 und RG, JW 1913. S. 1130: sowie KG HRR 1933, Nr. 1830.

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Drittwirkung der Gewissensfreiheit

Menschen schützen w i l l . Die Verletzung der K e r n - u n d Geheimsphäre k a n n n a t ü r l i c h auch, w e n n besonders erschwerende Umstände hinzutreten, i m Verlust des Grundeigentums oder Erbbaurechtes liegen, z. B. i n Zeiten v o n großer Wohnungsnot. U n t e r normalen Verhältnissen müßte eine solche V e r k n ü p f u n g zwischen ideellen u n d materiellen Gesichtspunkten als zulässig angesehen werden, da dann die Beschaffung v o n Ersatzwohnraum nicht auf unüberwindliche Hindernisse stoßen d ü r f t e 5 3 . c) D e s

Familienrechts

Eine D r i t t w i r k u n g des A r t . 4 Abs. 1 G G hat schließlich zur Folge, daß Ehegatten den Religionswechsel des anderen Teiles hinnehmen müssen, es sei denn, daß der Wechsel der Religion nicht auf die Geheimsphäre des Ehegatten beschränkt w i r d , sondern die gesamte Lebensgemeinschaft erschüttert 6 3 . N u r i n diesem Falle, also w e n n ein Ehegatte eine aggressive H a l t u n g gegen den anderen zur Bekehrimg entfaltet oder w e n n er seine häuslichen Pflichten auf G r u n d seiner neugewonnenen Uberzeugung vernachlässigt, k a n n die Ehe geschieden w e r d e n 5 4 . D e r Vorschlag v o n Dunz, einen schuldlosen Ehescheidungsg r u n d f ü r den F a l l des Religionswechsels eines Ehegatten wieder einzuführen, muß aber erheblichen Bedenken begegnen, w e i l der konvertierte Ehegatte durch die W a h l zwischen der Fortsetzimg der Lebensgemeinschaft u n d der Annahme des neuen Glaubens i n einen schweren Gewissenskonflikt gestürzt w i r d 5 5 . Beschränkt sich der neue Glaube u n d die neugewonnene Uberzeugimg i n i h r e n A u s w i r k u n g e n n u r auf die Geheimsphäre, so muß dem konvertierten Ehepartner dieses Recht zugebilligt werden, ohne daß i h m der Verlust der Ehe als Existenzgrundlage zugemutet werden kann. D i e D r i t t w i r k u n g des A r t . 4 Abs. 1 greift eben auch hier Platz u n d w i r d n u r dort auf G r u n d der sachlichen Gewährleistungsschranke der Geheimsphäre ausgeschaltet, w o sich w i e i n den Scheidungsprozessen vor dem Kammergericht u n d dem O L G Stuttgart die Bekehrung des einen Ehegatten auf den Gesamtbereich 52

Going, in: Staudinger, Note 17—20 zu § 1 BGB; ders. NJW 1947,216. KG, Urteil vom 8. 2.1954 zu § 43 EheG, FamRZ 1954, S. 175: „In einer religiösen Betätigung, die den angemessenen Rahmen überschreitet und den Ehegatten an einer gemeinsamen Lebensführung mit dem anderen hindert, kann eine schwere, die Lebensgemeinschaft zerrüttende Eheverfehlung erblickt werden." — OLG Stuttgart, FamRZ 1955, S. 256: „Ein Ehegatte, der durch seinen Religionswechsel"... „begeht damit keine Eheverfehlung, ist aber zur besonderen Rücksichtnahme auf das Empfinden des anderen verpflichtet". 54 I m Anschluß an die Zeugen Jehovas allein kann noch keine Eheverfehlung erblickt werden. OLG Stuttgart, a. a. O., FamRZ 1955, S. 256. 55 Dunz, Anm. zur obigen Entscheidung des OLG Stuttgart, FamRZ 1955, 257. 63

Übermittelbare Drittwirkung

191

der ehelichen Lebensgemeinschaft auswirkte und auf Grund der Aggressivität der Konvertierten zur Zerrüttung der Ehe f ü h r t e 5 6 .

5. Die sogenannte übermittelbare Drittwirkung des Art. 4 Abs. 1 GG K l e i n unterscheidet eine dreifache D r i t t w i r k u n g . 1. D r i t t w i r k u n g als Grundsatznorm oder Einrichtungsgarantie, 2. mittelbare D r i t t w i r k i m g durch Ableitung von subjektiven Privatrechten aus dem subjektiv öffentlichen Recht des Grundrechts (mittelbare Drittwirkung), 3. übermittelbare D r i t t w i r k u n g , d . h . D r i t t w i r k u n g kraft positiver Rechtsetzung durch den Gesetzgeber 57 . Die bisher behandelte D r i t t w i r k u n g des A r t . 4 Abs. 1 G G i m Sinne des Schutzes der Geheimsphäre beschränkte sich auf die erste Erscheinungsform der D r i t t w i r k u n g als Grundsatznorm. Darüber hinaus kennt aber das Grundrecht der Gewissensfreiheit schon lange eine A r t D r i t t w i r k u n g , die man, folgt man der Einteilung Kleins, zu der sog. übermittelbaren D r i t t w i r k u n g zu rechnen h a t a) D a s

Gesetz

über

die

religiöse

Kindererziehung

Das Gesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. J u l i 1921 verankerte i m § 5 eine Bindung der elterlichen Gewalt hinsichtlich des religiösen Erziehungsrechtes und beschränkte die E i n w i r k u n g der elterlichen Erziehung auf die Zeit bis zum 14. Lebensjahr des Kindes 5 8 . Hier liegt also die Bindung einer sozialen Gewalt vor, die man als übermittelbare D r i t t w i r k u n g des i n A r t . 135 Satz 1WV, A r t . 4 Abs. 1 GG garantierten Grundrechts der Freiheit des Gewissens ansprechen muß. I n der Rechtsprechung ist jüngst entschieden worden, daß die Verweigerung der elterlichen Zustimmung zur Eheschließung einer Minderjährigen auch dann nicht gegen die Freiheit des Gewissens der Minder56 RG, JW 1927, S. 1194; 1931, S. 1347 sehen in der Nichteinhaltung der rel. Kindererziehung mit Recht eine schwere Eheverfehlung. Der reine Religionswechsel, der sich auf die Geheimsphäre beschränkt, darf dagegen nicht als Eheverfehlung angesehen werden; vgl. Blume, Anm. zu RG, JW 1924, S. 45; Duns, Anm. a. a. O., FamRZ 1955, S. 257. Mit Recht spricht das LG Bad Kreuznach in seiner Entscheidung vom 12.11. 1956, FamRZ 1957, S. 326, den Grundsatz aus, daß unberührt von Art. 3 I I GG dem Vater nach § 2 I RKEG i. V. § 1627 BGB der Stichentscheid über die religiöse Erziehung (Taufe) zusteht und daß die Ehefrau und Mutter auf den Bereich des Hauswesens beschränkt ist. Vgl. jetzt §§ 1626—1628, NF, BGBl. 1957, S. 609; Bosch, FamRZ 1957, S. 48, 193. 57

58

Mangoldt-Klein,

H. v.: a. a. O., S. 61, 65.

Kipp: Die religiöse Kindererziehung nach Reichsrecht, Festgabe der Berliner Universität f. W. Kahl am 19. 4. 1923, S. 49/50: Zur Gleichstellung v. Rel. und Weltanschauung durch § 6 RelKiErG.

192

Drittwirkung der Gewissensfreiheit

jährigen verstößt, wenn die Verweigerung aus konfessionellen Gründen erfolgt i s t 5 9 . Gleichzeitig ist eine Ausdehnung der D r i t t w i r k u n g , also der Bindung der elterlichen Gewalt, auch auf Weltanschauungsvereinigungen und politische Organisationen angebracht 60 . A r t . 4 Abs. 1 G G w i l l auch verhindern, daß ein Jugendlicher gegen seinen Willen von den Eltern i n einer politischen Partei oder deren Jugendgruppe organisiert wird. b) § 5 1 d e s

Betriebsverfassungsgesetzes

Eine weitere übermittelbare D r i t t w i r k i m g hat § 51 des Betriebsverfassungsgesetzes statuiert, der eine Benachteiligung von Arbeitnehmern i m Betriebe auf Grund politischer oder religiöser Anschauungen und Zugehörigkeiten verbietet 8 1 . Der Schutz der Anschauungen ist aber auch hier nur innerhalb der Geheimsphäre gewährleistet, denn jede politische Betätigung, die diesen Rahmen überschreitet, ist i m Interesse der Wahrung des Arbeitsfriedens i m Betriebe untersagt 6 2 . A r t . 4 Abs. 1 GG ist also über § 51 B V G zu einem arbeitsrechtlichen, innerbetrieblichen Grundrecht geworden, das die Sozialpartner gegenseitig bindet und jede Benachteiligung ausschließt 63 . Das B A G hat darüber hinaus entschieden, daß § 51 B V G analog auch dann anzuwenden ist, wenn das Arbeitsverhältnis infolge von Streiks unterbrochen oder beendet w a r 6 4 . I n diesem Falle dürfen bei der Wiedereinstellung keine 69 OLG Frankfurt, Vorlagebeschluß vom 2. 6.1956, FamRZ 1956, H. 9, S. 283: „Ein Mißbrauch des Elternrechts liegt insbesondere nicht darin, daß sich die Eltern bei ihrer Entschließung — ungeachtet des Selbstbestimmungsrechtes der Tochter nach § 5 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung vom 15. 7. 1921 — von religiösen und konfessionellen Erwägungen leiten lassen"; ebenso AG Bonn, FamRZ 1956, S. 247. BGHZ hat in seinem Urteil vom 25. 9. 1956 die Entscheidung des OLG Frankfurt abgelehnt und auf den Vorlagebeschluß hin die elterliche Einwilligung ersetzt. NJW 1956 S. 1794. 60 Kipp, Th.: a.a.O., S. 49/50. Eine weitere übermittelbare Drittwirkung der Gewissensfreiheit findet sich in den §§ 618 Abs. 2, 1779 Abs. 2 S. 2 BGB. Zur Frage der Übertragung des Sorgerechts auf den Schuldigen, konfessionsgleichen Elternteil bzw. auf ein Elternteil, der einen Religionswechsel beabsichtigt, LG Darmstadt FamRZ 1956, H. 9, S. 288 Nr. 481; OLG Celle, FamRZ 1956, H. 9, S. 288, Nr. 284. 61 Betriebsverfassungsgesetz vom 11. 10. 1952, § 51; G. Erdmann, Das Betriebsverfassungsgesetz, 2. Aufl. 1954, Erl. 1 und 2 zu § 51, S. 233 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung. 62

68

Erdmann, G.: a. a. O., Erl. 3, 4 und 5.

Fitting-Kraegeloh: Betriebsverfassungsgesetz, Kommentar 3. Aufl., Anmerkung 9 zu § 51, S. 318: Weite Auslegung des § 51 im Sinne von religiösem und weltanschaulichem Bekenntnis. 64 BAG, Beschl. des GrS vom 28.1.1955, NJW 1955, H. 23, S. 882, S. 886 Sp. 2: „Daher ist hier der Rechtsgedanke des § 51 BetrVG anzuwenden, nach dem die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechtes zu unterbleiben hat."

193

Gewissensfreiheit und Gewissensklausel

Diskriminierungen vorgenommen werden auf Grund der politischen und religiösen Anschauungen oder der Weltanschauungen der i m Ausstand befindlichen Arbeitnehmer.

6. D a s G r u n d r e c h t Verhältnis

der G e w i s s e n s f r e i h e i t

zur

im

GeWissensklausel

Schließlich ist zu beachten, daß zwischen dem Grundrecht des A r t . 4 GG und einer allgemeinen Unzumutbarkeitsklausel streng zu unterscheiden ist. Dieses Mißverständnis, daß Gewissensfreiheit identisch sei m i t einer allgemeinen Unzumutbarkeitsklausel, liegt einem U r t e i l des V G H Stuttg a r t 6 5 sowie den bereits erwähnten Abhandlungen von Bosch und Habscheid sowie auch den Erörterungen von Hildegard Krüger zugrunde. Der Grundgesetzgeber wollte i n A r t . 4 Abs. 1 nicht eine allgemeine clausula conscientiae schaffen, die jede öffentliche oder private Pflicht i m Kollisionsfall suspendiert. Wäre das so, dann bestünde keine Notwendigkeit, i n A r t . 4 Abs. 3 das Recht der Kriegsdienstverweigerung durch eine besondere Verfassungsklausel zu garantieren. Der fundamentale Unterschied zwischen dem Grundrecht der Freiheit des Gewissens und einer Gewissensklausel besteht darin, daß erstere jede Intervention der öffentlichen Gewalt oder der sozialen Gewalten untersagt, während die Gewissensklausel eine konkrete Rechtspflicht, die ihren Entstehungsgrund i m öffentlichen oder i m Falle der D r i t t w i r k i m g auch i m privaten Recht haben kann, i m Falle eines Gewissenskonfliktes ope exceptionis, also auf Antrag, suspendiert. Die Gewissensfreiheit schützt wie alle klassischen Grundrechte eine vor- und außerstaatliche Sphäre, die Gewissensklausel befreit dagegen innerhalb des staatlichen Machtbereiches von einer konkreten Rechtspflicht. Eine solche Gewissensklausel enthält z. B. A r t . 4 Abs. 3 GG und A r t . 56 Abs. 2 GG; letztere Bestimmung befreit von der religiösen Eidesformel 6 6 . Auch i n der Entscheidung des hessischen V G H 6 7 zur Frage der Ge65 Württemberg-Badischer VGH, Urteil vom 11. 12. 1947, AöR, Bd. 74, S. 260 beginnend, bes. S. 265: „Bestand aber tatsächlich ein Gewissenskonflikt, so hätte es allerdings nahe gelegen, daß der Anfechtungskläger von der Dienstverpflichtung befreit worden wäre, denn Art. 10 Abs. 2 der Verfassung gewährt volle Gewissensfreiheit und zweifellos handelt es sich dabei nicht nur um einen psychischen Tatbestand, vielmehr hat die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Gewissensfreiheit nur dann einen Sinn, wenn auch die Betätigung dieser Freiheit gewährleistet ist und der Gesetzgeber in erster Linie sich an diesen Grundsatz hält." Dazu die kritische Anmerkung v. Grewe in AöR, Bd. 74, S. 260, der von einer „umstürzenden Neu-Interpretation" spricht. 66 § 66 e StPO enthält die Beteuerungsformel an Stelle des Eides, auch hier liegt eine Gewissensklausel vor. 87 Hess. VGH, Urteil vom 17. 12. 1947, NJW 1947/48, S. 319. Scholler. Die Freiheit.

13

194

Drittwirkung der Gewissensfreiheit

Wissensfreiheit enthielt die Rechtsverpflichtung, die vom Anfechtungskläger angegriffen wurde, eine Gewissensklausel 68 . Es handelt sich dabei u m eine Verpflichtung zur M i t w i r k i m g i m Spruchkammerverfahren. Den Verpflichteten w a r eine Befreiung von der M i t w i r k u n g zu gewähren, wenn ihre M i t w i r k u n g gegen ihre Gewissensüberzeugung verstoßen würde. Der V G H Stuttgart hat i n einer gleichliegenden Anfechtungssache versucht, das, was der hessische V G H einer speziellen Gewissensklausel entnehmen konnte, i n das Grundrecht der Gewissensfreiheit hineinzuprojizieren. Die Interpretation des Württembergischen V G H ist aber nicht haltbar 6 0 , w e i l sie den wesensgemäßen Unterschied zwischen dem Grundrecht der Gewissensfreiheit und einer allgemeinen Gewissensklausel verkennt 7 0 .

68 Gesetz über staatsbürgerliche Pflichten bei der Mitwirkung zum Befreiungsgesetz vom 18. 7. 1947 § 1 Ziff. 2: „Ein Gewissenszwang darf nicht ausgeübt werden." 69 Richtiger dagegen der Hess. VGH a. a. O., S. 319: „Der Art. 9 der Hess. Verfassung (entspricht Art. 4 GG), der die Freiheit des Gewissens garantiert, ist keineswegs dahin zu verstehen, daß die Uberzeugung des Betroffenen schwerer wiegt, als die ethische Pflicht der Gesetzesbeachtung. Eine solche Auffassung würde zu schweren Erschütterungen der Rechtsordnung führen. Anders liegt es nur in den Fällen, in denen das Gesetz selbst erklärt, daß es gegenüber der Pflicht, die sich aus der Uberzeugung des einzelnen ergibt, zurücktreten w i l l . . 70 Zu diesem Problem sehr treffend der Abgeordnete R. Jäger in der Wehrpflichtdebatte am 6. 7.1956: „Man kann im Leben nicht jeden echten Konflikt gesetzlich oder anderweitig so regeln, daß er ausgeklammert wird... Der Staat muß sich . . . an das allgemeine Wohl und an das objektiv richtige Gewissen halten und er kann darüber hinaus noch einen Raum der Freiheit geben; aber der Raum muß den allgemeinen Erfordernissen angemessen sein und das darf nicht dahin führen, daß dieser Staat der 48 Mill. Bürger der Bundesrepublik aufgelöst wird in 48 Mill. souveräne Republiken. Sonst haben wir keinen Staat mehr." BT-Drucksache, 2. Wahlperiode, 2303, 2575, S. 8850. Allerdings darf der Raum des Art. 41 GG niemals dem objektiven „Gewissen" geopfert werden.

Kapitel

XI

Die Schranken der Freiheit des Gewissens 1. Die soziologischen und immanenten Gewährleistungsschranken a) A l l g e m e i n e

soziologische

Voraussetzungen

Die Gewissensfreiheit hat genau wie alle anderen Grundrechte eine soziologische Grenze, u m hier einen Ausdruck Fechners zu gebrauchen. Denn sie setzt i m Menschen, an dessen subjektive Willensentscheidung und an dessen Interesse sie anknüpft, wenn durch das objektive Grundrecht jedem einzelnen ein subjektiv öffentliches Recht auf Freiheit des Gewissens gewährt wird, die sittliche Entscheidungsfähigkeit, m i t anderen Worten das Gewissen voraus 1 . Wollte man das Grundrecht der Gewissensfreiheit so definieren, wie man es bei der Glaubens- und Religionsfreiheit getan hat und das Wesen dieses Grundrechts darin sehen, daß es jedem Menschen freigestellt sei, ein Gewissen zu haben oder kein Gewissen zu haben, sittlich oder unsittlich zu handeln, gewissenhaft oder gewissenlos zu entscheiden, so hätte man diese soziologische Grenze überschritten und auch den Zustand der Unfreiheit (der Gewissenlosigkeit) i n das Freiheitsrecht einbezogen 2 . Gewissenlosigkeit w i r d durch Gewissensfreiheit gerade nicht garantiert, denn dort, wo es kein Gewissen gibt, hat das Freiheitsrecht keinen Anknüpfungspunkt i m Menschen, hat der gewissenlose Mensch keinen Anknüpfungspunkt i m Recht, w e i l Recht und Freiheit ihrer ontologischen Grundlage i m Menschen beraubt sind. Die Verfassimg w i l l m i t Gewissensfreiheit Freiheit, aber nicht Libertinität. Dort wo der Mensch Gewissensfreiheit fordert und damit Gewissenlosigkeit meint, muß das Freiheitsrecht versagen, w e i l es n u r dort anknüpfen kann, wo der Mensch positive Werte verwirklichen w i l l . Hat man die Religionsfreiheit so definiert, daß man i n i h r das Recht erblickt, daß jeder nach seinem Belieben einen Glauben oder eine Re1 Fechner: Die soziologischen Grenzen der Grundrechte, in: Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 1954, S. 12 und 22. 1 v. Mangoldt-Klein: a. a. O., S. 65; sowie Erl. I I I 5 zu Art. 4 GG spricht von sachlich immanenten Gewährleistungsschranken. Gerber leitet diese Gewissenspflicht aus der Sozialstaatlichkeit her: „Die Sozialstaatlichkeit bedeutet einen Appell an das Gewissen des einzelnen Bürgers." Gerber, Die soziale Staatsklausel des GG, AöR Bd. 81, 1956, S. 39.

1

196

Schranken der Freiheit des Gewissens

ligion haben könne oder nicht, so hat man das Wesen des Freiheitsrechtes verkannt und es i n negativer Richtung unterschritten. Die Konsequenz einer solchen Auffassung zeigt sich erst bei der Gewissensfreiheit, denn sie müßte als Recht auch die Gewissenlosigkeit umfassen. Das Recht knüpft bei jedem Grundrecht an Voraussetzungen an, die i n der ontischen oder ontologischen Sphäre gegeben sein müssen, u m m i t der Sphäre des Rechts einen Anknüpfungspunkt abgeben zu können. E i n Volk von Meinungslosen, Gewissenlosen u n d Religionslosen w i r d weder Meinungs- noch Gewissens- noch Religionsfreiheit kennen oder kennen können. Menschen, die sich weder vereinigen noch versammeln, die weder berichten noch sich informieren, die weder forschen, lehren noch künstlerisch gestalten wollen, die ihre Persönlichkeit nicht entfalten, solche Menschen, soweit sie überhaupt noch dieses Prädikat verdienen, sind unwürdig ihrer Menschenwürde, unwürdig und unfähig jeder Freiheit und jeden Rechts und für sie w i r d man vergeblich und umsonst Grundrechte aufstellen wollen 3 . b) G e w i s s e n l o s i g k e i t

und

Uberzeugungstäter

Es verstößt deshalb nicht gegen die Gewissensfreiheit, wenn das Strafgesetzbuch das Tatbestandsmerkmal der Gewissenlosigkeit als subjektiven Erschwerungsgrund aufstellt. Eine solche „qualifizierende Vorsatznorm" 4 stellt das StGB i n § 170 c und § 170 d auf. Dabei ist umstritten, ob einmal rein seelische Vernachlässigung bereits genügt, um den Tatbestand zu erfüllen und ob andererseits dem Gesinnungsmoment der Gewissenlosigkeit ein objektives Tatbestandsmerkmal entsprechen muß. Maurach lehnt ersteres ab und verlangt auch f ü r das subjektive Merkmal der Gewissenlosigkeit — das er als Fehlen jeglichen sozialen Verantwortungsgefühls bezeichnet — eine objektive Konkurrenz 5 . Durch eine solche Forderung w i r d man einer zu starken 3

H. Krüger ist allerdings der Auffassung, daß den Grundrechten keine Wertigkeit zugrunde liegt, so daß die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Art. 2 Abs. 1 GG auch das Recht zur Entfaltung zum Banausentum beinhalte, NJW 1955, S. 202, Sp. 2. Eine entgegengesetzte Ansicht vertritt W. Hamel, der zu Recht ausführt: „Die Grundrechte verpflichten nicht nur zur Achtimg der Freiheit des anderen, sondern darüber hinaus zur Verantwortung für die Existenz anderer, zum Dienst am Nächsten,... ihnen allen ist das Menschenrecht auf unverkümmerte freie Existenz, auf Menschentum immanent, das im Art. 2 Abs. 1 GG seine positive Bestimmung gefunden hat." W. Hamel, Grundrechte a. a. O., S. 38. 4 H. Mayer hat diesen Begriff geprägt. Vgl. Maurach, Allgemeiner Teil des Strafrechts, I § 22 V A S. 230. 5 Abweichender Ansicht sind Nagler und Mezger I I S. 255, Maurach a. a. O., I S. 201, auch der BGHSt. Bd. 3, S. 180, 183 und 264 legt subjektive Tatbestandsmerkmale als Gesinnungsmomente aus. Vgl. auch Urteil BGHSt vom 20. 2. 1951 zu § 170 d — diese Entscheidung läßt es dahingestellt sein, ob auch das sittliche Wohl geschützt ist. Zum Begriff der Gewissenslosigkeit RGSt. 77, S. 216.

Soziologische und immanente Gewährleistungsschranken

197

Ausdehnung der subjektiven Seite wehren können und Gewissenlosigkeit nur da bestrafen, wo sie tatsächlich nach außen i n objektiven Merkmalen sichtbar wird. Es handelt sich bei diesem Problem der Gewissensfreiheit i m Strafrecht nicht u m eine periphere Erscheinung, die i n einzelnen Bestimmungen des Strafgesetzbuches zutage t r i t t . Die Schuldfrage und das Problem des Unrechtsbewußtseins sind zentrale Anliegen des Strafrechts, j a zentrale Anliegen des Rechts überhaupt und müssen deshalb auch vom Verfassungsrecht her untersucht werden, dessen Kommentierung der Gewissensfreiheit wesentliche Aussagen zum Problem strafrechtlicher Schuld liefern kann. Die Gewissensfreiheit n i m m t gerade einen bestimmten Bereich menschlichen Handelns nicht nur aus dem Bereich staatlicher Regelung und verwaltungsrechtlicher Bevormundung heraus, sondern entzieht auf diesem Gebiet dem Strafanspruch des Staates die Grundlage, indem sie bestimmte Handlungen jeder strafrechtlichen Tatbestandsmäßigkeit entkleidet. Versteht man Gewissensfreiheit als sittliche Handlungsfreiheit, so müßte man doch verwundert die Frage stellen, warum dann überhaupt noch Straf recht, straf rechtliche Schuld und Unrechtsbewußtsein möglich seien, wenn es sich u m die Verurteilung von Überzeugungstätern handelt. Der Staatsrechtler entzieht sich dieser rechts-philosophischen Aporie m i t dem Hinweis, daß die allgemeinen Gesetze und damit auch die Strafgesetze die Schranken der Gewissensfreiheit bilden, so daß die gegebene Definition der Gewissensfreiheit nichts anderes ist als eine negative Definition des Gesetzes, nämlich alles das t u n zu dürfen, was das Gesetz nicht verbietet. Der Rechtsphilosoph kann dieser Aporie nicht so einfach entgehen und sie stellt sich i h m dort, wo das Überzeugungsverbrechen verfassungsrechtlich Gewissensfreiheit und strafrechtlich Schuldspruch und Verurteilung verlangt. Wolf löst das Problem unter dem Gesichtspunkt, daß alle Überzeugung Gruppenüberzeugung ist und daß also nicht ein ewiges Gewissen gegen ein zeitliches Strafgesetz steht 6 . Radbruch schlug für den ÜberzeugungsVerbrecher die nicht entehrende Strafe der Einschließung vor, wie sie schon i n den Strafrechtsentwürfen vorgesehen w a r 7 . Die Entwürfe 1922, 1924 enthalten zuerst die Sonderbehandlung des Überzeugungstäters. Zunächst waren englische Suffragetten, Kriegsdienstverweigerer, Sonntagsdienstverweigerer (Überzeugungsverbrecher kleinen Kalibers), ebenso Impfgegner und Duellanten usw. die ersten Überzeugungsverbrecher 8 . Aus 6

Wolf, E.: Verbrechen aus Überzeugung, 1927, S. 28, S. 18: „Es muß eben die Berücksichtigung individueller Pflichtvorstellung an der Forderung eines Mindestmaßes staatsethischer Gesinnung ihre Schranken finden." 7 Radbruch: Verhandlungen des 34. Deutschen Juristentages, 1926, Bd. 2, S. 354. 8

Radbruch: a. a. O.. S. 355.

198

Schranken der Freiheit des Gewissens

dieser Zusammenfassung geht hervor, daß es sich bei diesen Überzeugungsverbrechern u m Tätertypen handelt, die aus Gewissensgründen straffällig wurden. Der Zusammenhang m i t der Gewissensfreiheit ist augenfällig. § 71 des dem 34. Deutschen Juristentag zugrunde liegengen Strafrechtsentwurfs sah f ü r solche Verbrecher „Einschließung" vor: „ A n Stelle v o n Zuchthaus u n d Gefängnis soll Einschließung treten, w e n n der Täter sich zu seiner Tat auf G r u n d seiner sittlichen, religiösen oder politischen Überzeugung f ü r verpflichtet hält." Durch diese B e s t i m m i m g sollte also n u r i m Strafvollzug eine Sonderbehandlung eintreten, während an Rechtswidrigkeit u n d Schuld der Tat nicht gerührt wurde. Radbruch schließt sein Referat m i t der Feststellung: „ D i e Frage des Überzeugungsverbrechers ist eine Gewissensfrage, die nicht zur Ruhe kommen w i r d , die keinem, dem sie begegnet, Ruhe l ä ß t " 9 . c) D a s U n r e c h t s b e w u ß t s e i n des

und die

Anspannung

Gewissens

Das Problem spitzt sich zu i n der Fragestellung: Strafe auch ohne Unrechtsbewußtsein oder m. a.W.: Strafe ohne schlechtes Gewissen, ohne Gewissensschuld des Täters? Das R G hat diese Frage i n seinen Entscheidungen zum strafrechtlichen V e r b o t s i r r t u m grundsätzlich bejaht, stieß aber i m m e r auf stärkeren Widerstand der Rechtswissenschaft. Die entgegengesetzte A u f fassung hat der B G H i n seinem „ z u r F o r t b i l d u n g des Rechts" erlassenen Beschluß v o m 18. März 1952 ausgesprochen u n d an i h r i n ständiger Rechtsprechung festgehalten 1 0 . D a m i t löst er die Rechtsprechung des R G ab, die den strafrechtlichen V e r b o t s i r r t u m als irrelevant f ü r die Schuld des Täters ansah. Diese Ansicht des R G ging letztlich auf die Kant'sche Philosophie zurück, die ein irrendes Gewissen als undenkbar v e r w i r f t 1 1 . Gewissensfreiheit i n diesem v o m staatsrechtlichen zum strafrechtlichen Gebiet überwechselnden Sinn bedeutet aber n u r Straflosigkeit, während die Gewissensfreiheit i m grundrechtlichen S i n n dem Staatsbürger einen gewissen Handlungs- u n d Betätigungsbereich zur eigenen Gestaltung überläßt. I m m e r h i n bleibt der rechtsdogmatische 9

10

Radbruch: a. a. O., S. 373.

BGHSt 2, S. 194 ff.; ebenso Urteil v. 6. 6.1952 über den Umfang des Züchtigungsrechts. Irrtum über einen Rechtfertigungsgrund. Verbotsirrtum, wenn bei Anspannung des Gewissens Irrtum vermeidbar; Entscheidung vom 1. 7. 1953 über den Umfang des Notwehrrechts, hier: Tatsachenirrtum; Großer Strafsenat, Beschl. v. 18. 3.1952. 11 Welzel: Vom irrenden Gewissen, in: Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 1949, Nr. 145, S. 15/16; vgl. auch Welzel, NJW 1952, H. 15, S. 564; Mayer, Der BGH über das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit in MdR, 1952, S. 392.

Soziologische und immanente G e w ä h r l e i s t u n g s s c h r a n k e n 1 9 9 Zusammenhang m i t der Freiheit des Gewissens i m Sinne eines verfassungsrechtlichen Grundrechts sichtbar. Es entsteht n u n die sehr eigentümliche Situation, daß einmal die „Gewissenlosigkeit" eine qualifizierte Vorsatznorm darstellt und strafbegründend oder strafverschärfend w i r k t , zum anderen, daß die „Gewissenlosigkeit" i m Sinne mangelnden Unrechtsbewußtseins strafmildernd oder strafbefreiend w i r k t . Diese doppelte Buchführung des Strafrechts und der Strafrechtsprechung erscheint auf den ersten Blick verwirrend u n d widerspruchsvoll, läßt sich aber doch klären. Z u m besseren Verständnis dieses Problems seien hier die entscheidenden Stellen des BGH-Beschlusses angeführt: „Der Mensch ist, w e i l er auf freie sittliche Entscheidung angelegt ist, auch jederzeit i n die Entscheidung gerufen, sich als Teilhaber der Hechtsgemeinschaft auch rechtmäßig zu verhalten u n d das Unrecht zu meiden. Dieser Pflicht genügt er nicht, wenn er n u r das nicht tut, w a s i h m a l s U n r e c h t k l a r v o r A u g e n s t e h t , vielmehr hat er bei allem, was er zu t u n i m Begriffe steht, sich bewußt zu machen, ob es m i t den Sätzen des rechtlichen Sollens i n Einklang steht. Zweifel hat er durch Nachdenken oder Erkundigung zu beseitigen. Hierzu bedarf es der Anspannung des Gewissens. I h r Maß richtet sich nach den Umständen des Falles und nach dem Lebens- und Berufskreis des einzelnen 12 . Die Schuld des Uberzeugungstäters liegt darin, daß er bewußt an die Stelle der Wertordnimg der Gemeinschaft seine eigene setzt und von i h r her i m Einzelfall falsch wertet. Der abgestumpfte Gewohnheitsverbrecher hat durch strafbare Lebensführung die Ansprechbarkeit durch sittliche Werte und damit die Fähigkeit eingebüßt, durch Gewissensanspannung zur Unrechtserkenntnis zu gelangen" 1 3 . I n diesem Beschluß hat der Bundesgerichtshof an sieben Stellen den Begriff der Gewissensanspannung benutzt, u m m i t diesem rechtswissenschaftlichen Hilfsbegriff, den er damit eingeführt hat, die übernommene Schuldtheorie zu unterbauen. Denn nicht der Vorsatz, sondern die Schuld w i r d durch den Verbotsirrtum (durch das irrende Gewissen) ausgeschlossen bzw. gemindert. Die rechtsphilosophischen Zusammenhänge zwischen dem schuldmildernden Verbotsirrtum und dem Grundrecht der Gewissensfreiheit sind i n den bisherigen Arbeiten über das Unrechtsbewußtsein nicht geklärt, j a nicht einmal angegriffen worden. Auch A . Kaufmann hat i n seiner Studie „Das Unrechtsbewußtsein i n der Schuldlehre des Strafrechts", 1949, die staatsrechtlichen Aspekte, die sich aus der Gewissensfreiheit ergeben, nicht untersucht. Wenn die neue Rechtsprechung zur Frage des Verbotsirrtums jedem 13 18

BGH Beschluß v. 18. 3.1952, BGHSt. 2, S. 194 beginnend, hier S. 201. BGH a. a. O., S. 208.

200

Schranken der Freiheit des Gewissens

Täter die Anspannung des Gewissens zur Rechtspflicht macht, so könnte darin ein Verstoß gegen die i n A r t . 4 Abs. 1 G G garantierte Gewissensfreiheit liegen. Wenn auch Gewissensfreiheit nicht das Recht auf gewissenloses Handeln garantiert, so ist damit noch nicht ausgesprochen, daß darüber hinaus Anspannung des Gewissens gefordert werden kann, u m einen Maßstab für die Schuld des irrenden Täters zu erlangen. Dennoch steht die Gewissensanspannung nicht i m Widerspruch m i t der Gewissensfreiheit, w e i l jedes Grundrecht und damit i m besonderen das des A r t . 4 Abs. 1 GG durch das Sittengesetz beschränkt ist. Dies bedeutet, daß es eine Pflicht zur Gewissenserforschung und Gewissensanspannung gibt. Das Sittengesetz als Schranke der Freiheit des Gewissens verlangt von jedem einzelnen, daß er bei jeder Entscheidung sich über die Ge- und Verbote seines Inneren Klarheit verschafft und daß er, wo er eine solche Klarheit nicht selbst gewinnen kann, durch Nachforschung und Erkundigung sich ein B i l d von der auch i h n verpflichtenden Wertvorstellung der Gemeinschaft macht. Durch diese „Wendemarke" i n der neueren Strafrechtsprechung sind also, was das Strafrecht angeht, nicht mehr die allgemeinen Gesetze schlechthin entscheidend für die Frage, ob ein Täter für ein tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und vorsätzliches Verhalten Strafe verdient. Es kommt vielmehr darauf an, inwieweit der Täter entschuldbar oder unentschuldbar die der Bestimmungsnorm vorausgehende Bewertungsnorm des allgemeinen Gesetzes verkannt h a t 1 4 . Die Schranken der allgemeinen Gesetze bilden also nicht mehr schlechthin die Schranke der sittlichen Handlungsfreiheit hinsichtlich strafrechtlicher Verantwortung. Nach der Entscheidung des B G H treffen diese Grundsätze nicht für den Überzeugungsverbrecher zu, denn dieser weiß, daß er sich im Gegensatz zur Wertordnimg der Gemeinschaft befindet und die ihn verpflichtenden Werte nach einem der staatlichen Wertordnung fremden Maßstab erschaut und für sich setzt. Er befindet sich i n keinem I r r t u m über die Wertanschauung der Gemeinschaft, so daß er selbst bei noch so starker Anspannung des Gewissens niemals die Werterschauung der Gemeinschaft als eigene nachvollziehen kann. Dennoch dürfte es nicht richtig sein, den Überzeugungsverbrecher zusammen m i t dem Gewohnheitsverbrecher auf eine Stufe zu stellen und i h m eine Lebensführungsschuld crimen culpae zum V o r w u r f zu machen. Hier w i r d ganz besonders eine Kollision m i t der Gewissensfreiheit des A r t . 4 Abs. 1 GG unvermeidbar sein, wenn dieses Grundrecht schrankenlose Geltung hat, was das Grundgesetz prima facie darzulegen scheint. Diese unausweichbare Aporie zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit 14

Welzel, NJW, 1952. H. 15. S. 564: Radbruch. SJZ. 1947. S. 633 ff.

Soziologische und immanente G e w ä h r l e i s t u n g s s c h r a n k e n 2 0 1 entsteht aber nur dann, wenn man das Problem der Gewissensfreiheit einer falschen Lösung zuführt. N u r dann, wenn Gewissensfreiheit i m Sinne sittlicher Handlungsfreiheit bezogen auf die subjektive Vorstellungswelt des Handelnden verstanden wird, ist es notwendig, neben der sozial-ethischen Schranke des Sittengesetzes auch die allgemeinen Gesetze als Schranken anzurufen. Interpretiert man Gewissensfreiheit als Anschauungsfreiheit innerhalb der Geheimsphäre, so ist man diesem Dilemma enthoben. Die Gewissensfreiheit des A r t . 4 Abs. 1 G G findet einmal ihre Schranke i m Sittengesetz, A r t . 2 Abs. 1 GG. Das bedeutet aber doch nur, daß jeder Mensch sein Gewissen anspannen muß, wie das i n der neuen Rechtsprechung des B G H zum Ausdruck k o m m t 1 5 . Damit ist diese Schranke des Sittengesetzes nur eine rein formale i m Sinne des kategorischen Imperativs Kants. Als materielle Schranke könnte das Sittengesetz nur dann gelten, wenn man materiale Rechtsgüter m i t der Schranke des Sittengesetzes gegen die Überforderung der Freiheitsrechte schützen wollte. Dafür liegt aber kein hinreichender Nachweis vor. Auch der Begriff der sachlich immanenten Gewährleistungsschranken der Grundrechte, der i m Kommentar von v. Mangoldt-Klein herangezogen wird, kann über die Schwierigkeit nicht hinweghelfen, wenn man i h n so versteht, daß n u r das Gewissen und gewissensbedingtes Handeln den Schutz des A r t . 4 Abs. 1 GG genießt 1 6 . Denn gerade der Überzeugungsverbrecher, dem man Rechtsblindheit oder Rechtsfeindschaft, u m die Begriffe Mezgers zu gebrauchen, vorwirft, handelt unter Berufung auf sein Gewissen, ohne daß i h m dabei die entgegengesetzte Wertung der Gemeinschaft unbekannt wäre 1 7 . Aus der Gruppe der Überzeugungstäter hat nun A r t . 4 Abs. 3 GG die Kriegsdienstverweigerer ausgenommen und sie durch die Einführung dieser Gewissensklausel i n den Genuß einer erweiterten Gewissensfreiheit kommen lassen. Durch die verfassungsrechtliche Garantie des A r t . 4 Abs. 3 GG ist das, was das Gesetz zuvor als Rechtsblindheit verfolgt und bestraft hat, 15

Der Beschluß des BGH v. 18. 3. 1952, BGHSt. 2, S. 194 gibt für die dort formulierte Pflicht der Gewissensanspannung, die er siebenmal erwähnt, keine Definition. Erst das Urteil des BGH v. 23. 12. 1952 gibt eine Definition: „Mit der Gewissensanspannung im Sinne des Entscheidungssatzes dieses Beschlusses ist gemeint, daß der Täter verpflichtet sei, alle seine Erkenntniskräfte und alle seine sittlichen Wertvorstellungen einzusetzen, wenn es gilt, sich über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit eines bestimmten Verhaltens ein Urteil zu bilden." NJW 1953, S. 432. 16 v. Mangoldt-Klein: a. a. O., Erl. IV 5 zu Art. 4. Zu diesen sachlichen immanenten Gewährleistungsschranken gehören § 166 StGB (Gotteslästerung), Art. 6 Abs. 1 GG (Verbot der Bigamie). Ders. Vorbemerkung B X V lc 2. 17 Mezger: Rechtsirrtum und Rechtsblindheit in: Probleme der Strafrechtserneuerung, Eduard Kohlrausch zum 70. Geburtstag dargebracht 1944, S. 180, S. 197: Rechtsblindheit ist „die Unfähigkeit des Täters, das Rechte zu sehen im Zusammenhang mit der Unfähigkeit, das Rechte zu tun."

202

Schranken der Freiheit des Gewissens

nunmehr Mitbestandteil der Gewissensfreiheit geworden. Der Umstand, daß A r t . 4 Abs. 1 expressis verbis eine Grundrechtsschranke nicht kennt, darf nicht zu dem Schluß verleiten, daß jeder Überzeugungstäter Handlungs- und Straffreiheit genießt, w e i l eine Berufung auf sein Gewissen i h m nicht zu widerlegen ist. Der Schutzbereich des A r t . 4 Abs. 1GG ist schon nach der Natur der Sache begrenzt, da w i r unter Freiheit des Gewissens nur den Schutz der Anschauung innerhalb der Geheimsphäre zu verstehen haben. d) D i e s a c h l i c h i m m a n e n t e S c h r a n k e d e r Geheimsphäre und die soziologische Schranke der G r u n d a n s c h a u u n g des a b e n d l ä n d i s c h e n K u l t u r kreises A r t . 4 Abs. 1 trägt die sachlich immanente Gewährleistungsschranke der Geheimsphäre i n sich. Deshalb ist eine Beschränkung dieses Grundrechts durch allgemeine Gesetze gar nicht notwendig, weil eine Überschreitung der Geheimsphäre unter Berufung auf das Gewissen nicht mehr den Schutz des A r t . 4 Abs. 1 GG genießt, wenn diese Grundrechtsüberschreitung zu einem Zusammenstoß m i t einer allgemeinen Rechtsnorm führt. Innerhalb der Geheimsphäre ist andererseits jede menschliche Betätigung so absolut frei, daß es auch den allgemeinen Gesetzen verwehrt ist, hier noch engere Schranken aufstellen zu wollen. I n diesem Sinne hat auch der B G H zur Frage des Uberzeugungstäters Stellung genommen und ausgesprochen, daß die Grundanschauimg des westeuropäischen Kulturkreises eine den Grundrechten immanente Schranke sei. Z u entscheiden w a r die Frage, ob eine Polizeiverordnung, die eine Volksbefragung untersagte, grundrechtswidrig sei. Der B G H verneinte dies, w e i l sich niemand auf ein Freiheitsrecht berufen könne, um damit wissentlich gegen die Grundanschauung seines Kulturkreises verstoßen zu können 1 8 . E r sieht also i n der Grundanschauung politischer, weltanschaulicher oder religiöser A r t eine zweite sachlich i m manente Gewährleistungsschranke, die das Recht auf Freiheit der A n schauung und ihrer Betätigung beschränkt. Diese Entscheidung ist nur dann unbedenklich, wenn daran festgehalten wird, daß die Grundanschauung unseres Kulturkreises keinesfalls eine engere Schranke 18 BGH, Urteil v. 23.12.1952 in NJW 1953, S. 431,432: „Naturgemäß darf der Täter nicht solche Wertvorstellungen von Recht und Unrecht zugrunde legen, die einem fremden Kulturkreis angehören (etwa die des kommunistischen Rußlands), sondern nur die, welche die Rechtsgemeinschaft anerkennt, in der er lebt (so BGH v. 10. 7. 1952 — 4 StR 73/52 — L M Nr. 2 zu § 3 StGB). Wenn die Gerichte dies beachten, so besteht keine Gefahr, daß bei der Prüfung der Vorstellungen des Täters politische Überzeugungen Beachtung finden, die zu den sittlichen und rechtlichen Grundanschauungen des westeuropäischen Kulturkreises in Widerspruch stehen."

Verfassungsrechtliche Vorbehaltsschranken des Art. 4 Abs. 1 GG

203

sein darf als diejenige, welche durch die Geheimsphäre als einer sachlich immanenten Gewährleistungsschranke dem Grundrecht des A r t . 4 Abs. 1 gezogen w i r d 1 9 . Andernfalls gelangt man leicht über den Begriff der Grundanschauung, der Volksanschauung oder des Volksempfindens zu einer jede freie Gewissensentfaltung erstickenden Staatstätigkeit. Neben der formellen Schranke des Sittengesetzes und der Gewissensanspannung kennt das Grundrecht des A r t . 4 Abs. 1 i n erster L i n i e die sachlich immanente Schranke der Geheimsphäre und erst i n zweiter Linie die der Grundanschauung des Kulturkreises.

2. Die verfassungsrechtlichen Vorbehaltsschranken des Art, 4 Abs. 1 GG a) D i e

Vorbehaltsschranke

der verfassungsmäßigen

Ordnung

Neben der sachlich immanenten Schranke der Geheimsphäre ist auch das Sittengesetz i m Sinne einer Pflicht zur Gewissensanspannimg als formelle Schranke anzusehen. Dabei konnte bisher dahingestellt bleiben, ob man diese formelle Schranke der Gewissensanspannung als inhärente Schranke verstehen wollte oder ob man sie aus A r t . 2 Abs. 1 Halbsatz 2 auf A r t . 4 Abs. 1 GG als Vorbehaltsschranke zur Anwendung brachte. M i t anderen Worten: ist A r t . 4 Abs. 1 GG als Ausgestaltung der freien Entfaltung der Persönlichkeit n u r eine Spezialnorm, die ebenfalls wie A r t . 2 Abs. 1 GG unter den Soweit-Satz fällt, oder ist A r t . 4 Abs. 1 als lex specialis nicht den Schranken des A r t . 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG unterworfen? Da A r t . 4 Abs. 1 GG selbst keine Schranke dem Grundrecht zieht, hat man versucht, über zwei Hilfskonstruktionen die Schranke der allgemeinen Gesetze auch auf A r t . 4 Abs. 1 anzuwenden. Diese doppelte Hilfskonstruktion bestand einmal i n der Subsumierung der Grundrechte unter A r t . 2 Abs. 1 GG und zum anderen i n der Interpretation der verfassungsmäßigen Ordnung i m Sinne von allgemeinen Gesetzen. H. v. Mangoldt hat durch seine extensive Interpretation der verfassungsmäßigen Ordnung alle Grundrechte des Grundrechtskataloges unter den Vorbehalt der allgemeinen Gesetze gestellt 2 0 . Die herrschende Lehre ist i h m darin nicht gefolgt, u n d auch G. Dürig, der ebenfalls eine extensive Interpretation der verfassungsmäßigen Ordnung vorgetragen hat, hat die Gleichsetzung der verfassungsmäßigen Ordnung 19 Auch immanente Gewährleistungsschranken dürfen nicht den durch Art. 19 Abs. 2 GG geschützten Wesensgehalt eines Grundrechts bei A r t 4 Abs. 1 eben die Geheimsphäre verletzen. 30

v. Mangoldt: a. a. O., Anm. 2 a.E. zu Art. 4.

204

Schranken der Freiheit des Gewissens

m i t den allgemeinen Gesetzen abgelehnt 2 1 . K l e i n hat diesen Standpunkt ebenfalls aufgegeben und sieht i n der verfassungsmäßigen Ordnung des A r t . 2 Abs. 1 GG einen Gemeinschaftsvorbehalt zugunsten der tragenden Prinzipien des Verfassungsrechts 22 . Dennoch v e r t r i t t ein nicht unbeachtlicher Teil des Schrifttums auch weiterhin die Auffassung, daß das Grundrecht des A r t . 4 Abs. 1 durch die Schranken der allgemeinen Gesetze beschränkt werde 2 8 . Eine solche Auffassung steht nicht nur i m Widerspruch m i t A r t . 4 Abs. 1 GG und auf den schwachen Krücken der doppelten Hilfskonstruktion über A r t . 2 Abs. 1 GG, sondern ist überdies auch unbrauchbar. W i r d nämlich das Gewissen durch alle allgemeinen Gesetze beschränkt, dann bleibt dem Grundrecht des A r t . 4 Abs. 1 nur noch da ein freier Spielraum, wo es besondere Gesetze abwehren kann. Eine Unterscheidung zwischen allgemeinen und besonderen Gesetzen ist aber rechtstechnisch kaum möglich, wie schon R. Smend nachgewiesen h a t 2 4 . Wie soll man schließlich feststellen, ob ein besonderes Gesetz eine bestimmte Gewissensäußerung beschränkt, denn die Gewissensäußerungen sind so mannigfaltig und vielgestaltig, daß es bei der Gesetzesflut von heute durchaus denkbar ist, daß jedes Gesetz das Gewissen irgendeines Staatsbürgers belastet. So bleibt schließlich nichts anderes übrig als die Gewissensfreiheit wieder auf den rein religiösen Bereich oder das forum intern u m zu beschränken, w e i l sich dann Konfliktsfälle m i t den allgemeinen oder besonderen Gesetzesschranken von selbst erledigen. Eine solche Auffassung von der Gewissensfreiheit als einem Recht, das, was weder Gesetzgeber noch Verwaltung und Rechtsprechung verboten haben, t u n zu dürfen, steht aber m i t unserer heutigen Grundrechtsauffassimg als einer unabdingbaren Garantie einer unantastbaren Lebensbreite und Eigensphäre i m Widerspruch. 21 Dürig : Art. 2 des GG und die Generalermächtigung zu allgemeinen polizeilichen Maßnahmen in: AÖR n.F. 40, H. 1, 1953, S. 57, S. 63 ff. 22

v.Mangodlt-Klein:

a. a. O., Erl. I V 5 a und b zu Art. 4; ebenso Koellreu -

ther: a.a. O., S. 55/56; Peters: ZGesStW Bd. 110, 1954; Wernicke: in Bonner Kommentar, Erl I I 2d zu Art. 4; Zinn-Stein: a.a.O., I 1 zu Art. 9 S. 124; Hamel: a. a. O., ZgsStW S. 71 u. 77; ebenso auch Hamann, der die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne der tragenden Verfassungsprinzipien versteht, Hamann, A.: a. a. O., Anm. C 6 zu Art. 2 GG. Die inzwischen ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16 1. 1957, NJW 1957, S. 297 greift auf die überholte Interpretation der verfassungsmäßigen Ordnung durch H. v. Mangoldt zurück. Ob und welche Konsequenzen sich hieraus für das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 ergeben, ist noch nicht abzusehen. 23 Hubmann: Das Persönlichkeitsrecht, a.a.O., S. 160; Hild. Krüger , RdA 1954, S. 371; Wieacker , JZ 1954, S. 466 ff.

24 Smend, R.: in Staatsrechtliche Abhandlungen, 1955, S. 89, Mitbericht in der Verhandlung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer, München, 24. 3.1927. Smend schließt die personelle Allgemeinheit auf Grund der beamtenrechtlichen Disziplinargesetze, die sachliche Allgemeinheit auf Grund der strafrechtlichen Beschränkung der Meinungsfreiheit aus.

Verfassungsrechtliche Vorbehaltsschranken des Art. 4 Abs. 1 GG

205

Abgesehen von diesen hermeneutischen Schwierigkeiten, die der Begriff der allgemeinen Gesetze der rechtswissenschaftlichen Interpretation aufgibt, stößt auch die juristische Konstruktion eines solchen Gesetzesvorbehalts auf unlösbare Schwierigkeiten. b) D i e S c h r a n k e d e r a l l g e m e i n e n

Gesetze

a u s A r t . 5 A b s . 2 GG. War, wie aufgezeigt, die Herleitung eines Vorbehaltes der allgemeinen Gesetze mittels des Soweit-Satzes aus A r t . 2 Abs. 2 Hs. 2 gescheitert, w e i l die verfassungsmäßige Ordnung nicht m i t den allgemeinen Gesetzen gleichgesetzt werden kann, so blieb n u r noch die Möglichkeit, den Vorbehalt aus A r t . 5 G G herzuleiten. H. v. Mangoldt hat diesen Vorschlag gemacht m i t der Begründung, daß die Freiheit des Gewissens als eine Gedankenfreiheit i n Sachen des Glaubens und des Gewissens i m Grunde i n der Meinungsfreiheit aufgehe und deshalb auch den gleichen Schranken des A r t . 5 Abs. 2 G G unterliegen müsse 25 . Wernicke ist i h m darin gefolgt, n u r w i l l er bald die Schranken des A r t . 2 Abs. 1 Hs. 2, bald die Schranken der allgemeinen Gesetze nach A r t . 5 Abs. 2, bald die der allgemeinen Strafgesetze intervenieren lassen, je nachdem, ob sich die Freiheit des Gewissens als Entfaltung der Persönlichkeit, als Meinungsäußerung oder als Versammlungsfreiheit äußert 2 6 . Der Vorbehalt der allgemeinen Gesetze aus A r t . 5 Abs. 2 GG kann rechtsdogmatisch nur dann auf A r t . 4 G G übertragen werden, wenn nachweislich das Grundrecht aus A r t . 4 Abs. 1 GG so enerviert ist, daß es der eigenen Gestalt entbehrt. Unterstellt man aber den Nachweis der Identität der Grundrechte der A r t . 4 Abs. 1 und A r t . 5 Abs. 1 GG, so verhängt man über den Weg des A r t . 5 Abs. 1, auch über die Freiheit des Gewissens das Damoklesschwert des A r t . 18 G G 2 7 . Dieses Ergebnis kann vom GG aber nicht gewollt sein, denn damit wäre das teuerste Grundrecht zur Disposition des Bundesverfassungsgerichts gestellt. Es liegt hier eine gewisse Parallele zur W V vor, die den A r t . 135 S. 1 W V nach der Auffassung Mirbts nicht dem Grundrecht der Meinungsfreiheit unterordnen wollte, weil damit über A r t . 118WV auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit unter den Vorbehalt des A r t . 48 W V geraten wäre 2 8 . Nawiasky hat die rechtliche Unzulänglichkeit aller Konstruktionen gezeigt, die den Vorbehalt der allgemeinen Gesetze aus 25

26

H. v. Mangoldt: a. a. O., Anm. 2 a.E. zu Art. 4 GG.

Wernicke: im Bonner Kommentar, Erl. I I 2 c zu Art. 4. Wernicke: in Bonner Kommentar, a. a. O., Erl. I I 2 d zu Art. 4 GG: Art. 18 ist keine Schranke des Art. 4 GG. 28 So Mirbt in: Nipperdey, Die Grundrechte und Grundpflichten, I I 1930, S. 329. 27

206

Schranken der Freiheit des Gewissens

A r t . 5 Abs. 2 GG u n d A r t . 4 GG hineinpraktizieren wollen. Allerdings muß man auch Nawiaskys Frage beherzigen, ob das Grundgesetz w i r k lich den Weg zur hemmungslosen Ausübimg sadistischer Praktiken, der Freikörperkultur usw. gewollt h a t " . Der Grundgesetzgeber hat deshalb absichtlich auf eine Beschränkimg des A r t . 4 Abs. 1 GG verzichtet, u m den Mißbrauch staatlicher Gesetzgebungs- und Verwaltungsbefugnisse zu verhindern. Es schwebte i h m das L e i t b i l d eines ehrwürdigen Grundrechts vor, dessen Wesensgehalt i m absoluten Schutz der Geheimsphäre zu erblicken ist. Orientiert sich die Interpretation an diesem geschichtlichen L e i t b i l d der Gewissensfreiheit, so ergibt es sich, daß ein Vorbehalt der allgemeinen Gesetze oder der öffentlichen Ordnung dem Staat zur Erfüllung bei der i h m obliegenden Aufgabe der Gefahrenabwehr unbehelflich ist. Andererseits kann der Vorbehalt der allgemeinen Gesetze durchaus die Gefahr m i t sich bringen, daß der Geheimnisschutz des Menschen, wie i h n A r t . 4 Abs. 1 GG gewährt, unzulässig verkürzt wird. Es läßt sich zusammenfassend sagen, daß die Natur des Grundrechts eine immanente Gewährleistungsschranke i n sich birgt, die die freie Gewissensentfaltung auf die Geheimsphäre beschränkt. Handlungen und Gestaltungen, die diesen Bereich übergreifen, sind als Entfaltung der Persönlichkeit, als Meinungsäußerung usw. zu behandeln. Es besteht deshalb keine Notwendigkeit, dem Grundrecht der Gewissensfreiheit andere Schranken zu ziehen, als die sachlich immanente Schranke der Geheimsphäre 80 . Andererseits besteht aber das Bedürfnis für Gewissensklauseln, wie z. B. A r t . 4 Abs. 3 GG, u m den Grundrechtsschutz der Gewissensfreiheit des A r t . 4 Abs. 1 GG legitim zu erweitern. Eine illegitime Erweiterung i m Wege extensiver Interpretation würde nur die Notwendigkeit m i t sich bringen, durch den Vorbehalt des Gesetzes dem Grundrecht das wieder zu nehmen, was i h m die Verfassung gewährte.

29 Nawiasky: Grundgedanken des Grundgesetzes, 1950, S. 24: „Ist nun aber wirklich gemeint, daß sadistische Sekten oder solche, welche die Nacktkultur zum Glaubensprinzip erheben, sich ohne jede Hemmung sollen ausleben dürfen . . 80

H. v. Mangoldt-Klein:

a. a. O., Erl. I I I zu Art. 4.

Kapitel

X

Zusammenfassende Betrachtung 1. Der systematische Primat des Art. 4 Abs. 1 GG Es mag dahingestellt bleiben, ob der Toleranzgedanke und die Gewissensfreiheit, ob die germanischen, mittelalterlichen Freiheitsverbürgungen, die englischen Ständerechte oder das Naturrecht an der Wiege der Menschenrechte gestanden haben. Selbst wenn man den Standpunkt G. Jellineks vom historischen P r i mat der Gewissensfreiheit als nahezu einzige Wurzel der abendländischen Freiheitsrechte verwirft, w i r d doch eine systematische Betrachtungsweise den systematischen Primat der Gewissensfreiheit feststellen müssen 1 . So hat C. Schmitt die Forschungsergebnisse von G. Jellinek unter einem systematischen Gesichtspunkt wieder aufgegriffen und der Gewissensfreiheit eine zentrale Stellung innerhalb der Grundrechte angewiesen. Grundrechtlich verbürgte Freiheitsrechte sind nach C. Schmitt fundamentale Verteilungsnormen des Staates 2 . Der systematische Primat der Gewissensfreiheit i m System der Grundrechte (Freiheitsrechte) besagt aber weiterhin, daß es sich u m einen Systemschutz handelt 3 . Das heißt, daß die Freiheitsrechte innerlich verbunden sind, daß kein Grundrecht herausgebrochen werden kann, ohne zugleich den tiefsten Sinn des Grundrechtssystems zu negieren. So wäre die Gewissensfreiheit erschwert oder gar unmöglich gemacht, wenn der Staat die Meinungsfreiheit annullieren würde. Gewissensfreiheit setzt „Wissensfreiheit" voraus, denn wie soll das Gewissen des einzelnen Staatsbürgers richtig entscheiden können, wenn es durch 1 Schmitt , C.: Verfassungslehre, 1928, S. 158: „Daß die Religionsfreiheit das erste allgemeine Grundrecht darstellt, ist also ohne Rücksicht auf die geschichtlichen Details der Entwicklung in einem systematischen Sinn unbedingt richtig. Denn damit ist das fundamentale Verteilungsprinzip ausgesprochen: der einzelne als solcher ist Träger eines absoluten Wertes und bleibt mit diesem Wert in seiner privaten Sphäre. Vgl. dazu Jerusalem SJZ 1950, Sp. 2, der von einer gesellschaftlichen Vorsphäre spricht. Fehr: Von den germanischen Wurzeln der europ. Rechtskultur: ARSP 1950/51, S. 165. 2 Lex fundamentalis, C. Schmitt, a. a. O., S. 42. 8 Ein systematischer Vorrang der Gewissensfreiheit vor anderen Grundrechten wird überzeugend von Hamann aus der engen Verwurzelung des Art. 4 Abs. 1 S. 2 GG in dem Grundrechtssatz von der Menschenwürde erblickt. Hamann. A.: a. a. O.. Anm. B 1 zu Art. 4 und Vorbem. vor Art. 1 GG.

208

Zusammenfassende Betrachtung

Propaganda, durch Nachrichtenentzug und falsche Mitteilungen irregeführt w i r d 4 . Eine Gewissensentscheidimg hat nur dann Sinn, wenn sie nach bestem Wissen vollzogen wird. Untergräbt der Staat aber die Quellen, aus denen dem einzelnen das Wissen u m den konkreten Sachverhalt fließt, so w i r d er zwar m i t ruhigem aber irrendem Gewissen entscheiden. Er w i r d m i t gutem und freiem Gewissen an einem Angriffskrieg teilnehmen, w e i l er glaubt, daß es ein reiner Defensivkrieg sei. Deshalb hat das GG i n A r t . 5 Abs. 1 S. 1 die Informationsfreiheit als neues Grundrecht verankert. Diese Wissensfreiheit ist Voraussetzung und Bedingung der Gewissensfreiheit, denn sie ermöglicht zusammen m i t jener eine freie Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen. Z u r Festigung der Wissensfreiheit dienen auch die Grundrechte der Presseund Berichterstattungsfreiheit. Die freie Presse dient dem Gewissen des einzelnen zur Information, zum Wissen u m die Ereignisse, zu denen er täglich Stellung nehmen muß. Die Verflechtung des Grundrechts der Gewissensfreiheit m i t den anderen Grundrechten zeigt sich aber noch an anderer Stelle. So ist die Meinungsfreiheit selbst ein Ausdruck der Gewissensfreiheit 5 . Die Meinungsfreiheit ist also von der Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses n u r graduell unterschieden und schützt wie diese die Beeinflussung der Öffentlichkeit durch Äußerungen des einzelnen 6 . Dies bedeutet einen wirksamen Schutz des Gewissens, das j a nicht ruhen kann, wenn es sich nicht zum Bekenntnis oder zur Meinung gestalten darf. Das freie Gewissen ist j a nur darum frei, w e i l es sich auch i n der Öffentlichkeit Gehör verschaffen kann. Die Freiheit der öffentlichen Meinung oder des öffentlichen Gewissens bedeutet also eine Beteiligung des einzelnen an der Bildung allgemeiner Wertvorstellungen 7 . So hat das Gewissen des einzelnen 4 Milton, Areopagitica, 1644: „Gib vor allen anderen Freiheiten die Freiheit des Wissens, der Rede und der freien Meinungsäußerung gem. den Forderungen meines Gewissens", zit. nach S. Bates, Glaubensfreiheit, S. 295. 5 Smend, R.: In Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer, H. 4, 1928, S. 44—49. S. bezeichnet die Meinungsfreiheit als eine unmittelbare Folge aus der Gewissensfreiheit, als ein Stück sittlich notwendiger Lebensluft. 6 Ridder: Meinungsfreiheit in: Neumann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte II, S. 243, 248. R. bezeichnet die Meinungsfreiheit als nächstliegende Folgerung aus der Denk- und Geistesfreiheit als unmittelbare Ausstrahlung der Denkfreiheit und im Anschluß an C. Giacommetti, Schweiz. Bundesstaatsrecht, 1949, S. 364, als Freiheit des künstlerischen Erlebens. 7 Ridder: a. a. O., S. 265, Der Verfassungsschutz des öffentlichen Meinungsprozesses soll nach R. durch Art. 5 Abs. 1 gewährleistet werden, hinter dem der Schutz der subjektiven Wahrhaftigkeit zurückzustehen habe. Man könnte mit gleichem Recht auch die Freiheit des Gewissens in Art. 4 Abs. 1 objektivieren und aus ihr ein öffentliches Gewissen konstruieren, das dann der Öffentlichkeit respektive dem Staat ein Gewissensbildungsmonopol in die Hand spielt. Vgl. dazu Noack, Die Grundrechte und Grundpflichten der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, 1954, S. 7 und 8.

Systematischer Primat des Art. 4 Abs. 1 GCr

209

neben der Möglichkeit von Wahlen zu parlamentarischen Vertretungen diesen noch immittelbaren Weg, u m die Öffentlichkeit auf Fragen zu lenken, auf Mißstände aufmerksam zu machen, deren Fortbestand den einzelnen i n seiner innersten Sphäre beunruhigen. W i r d die Öffentlichkeit, das öffentliche Gewissen i n der Hand des Staates monopolisiert, w i r d die Presse und der Rundfunk gleichgeschaltet, so w i r d das Gewissen des einzelnen ebenso getroffen, als wenn die demokratische Wahl durch einen Staatsstreich beseitigt wird. Es ist auch bemerkenswert festzustellen, daß man für Gewissen auch die Worte „Denken" und „Vernunft" feststellen kann. Wenn Marquis Posa i n Schillers „Don Carlos" Gedankenfreiheit fordert, meint er damit Gewissensfreiheit 8 . K a n t spricht auch von der Vernunft, der man i n Gewissenssachen allein zu folgen habe. Je mehr die Gewissensfreiheit als unselbständiges Freiheitsrecht und Anhängsel der Glaubensfreiheit behandelt wurde, u m so mehr übernehmen die Freiheitsrechte der Vernunft und des Denkens diese Aufgabe, das Gewissen des einzelnen vor der Hand des Staates zu schützen. Bejaht ein Staat die Freiheit des Gewissens, so muß er auch Vereins-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit gewähren. Denn m i t der Bejahung der Gewissensfreiheit bejaht er das Prinzip, daß der Staatsbürger eine „domaine réservé" für sich hat, i n der er schalten und w a l ten kann. Verneint dagegen ein Staat die übrigen freiheitlichen Grundrechte, so verneint er auch die Gewissensfreiheit 9 . Denn er kann an ihr nicht festhalten und auf allen Gebieten des täglichen Lebens das Prinzip verleugnen, das er i m Recht der Gewissensentscheidung einmal anerkannt hat. Deshalb muß man von einem Systemzwang sprechen, wenn man das Wesen der Grundrechte erfassen will. Es ist nicht eine Summe einzelner Normen, sondern ein System, sich gegenseitig bedingender Normen. Das Wesen, das Prinzip dieses Systems liegt i n der politischen Grundentscheidung des Staates, der i n den Grundrechten ein „fundamentales Verteilungsprinzip" aufstellt, w e i l er dem einzelnen einen Teil ursprünglicher Freiheit lassen muß. Der Staat fällt diese Grundentscheidung, w e i l die Mehrheit der ihn konstituierenden Staatsbürger sich auf ein transzendentes Bürgerrecht verpflichtet fühlt. Mag dieses Bürgerrecht i h n auf ein christliches Reich oder auf ein weltanschauliches Reich der Menschlichkeit und Wahrhaftigkeit verpflichten, immer w i r d dieses Bürgerrecht i m Gewissen verpflichten wollen und Freiheit 8 Weimarer Nationalversammlung, stenogr. Bericht, Plenum S. 1646. Ridder, a. a. O., S. 243 ff. spricht im Zusammenhang mit Art. 4 Abs. 1 von Denkund Geistesfreiheit. 9 Knox, „Wer uns die Versammlungsfreiheit nimmt, nimmt uns die Bibel", zit. nach S. Bates, a. a. O., S. 267. Scholler. Die Freiheit.

14

210

Zusammenfassende Betrachtung

des eigenen Selbst zur Erfüllung dieser Pflichten verlangen. Die Grundrechte sollen n u n die Grenzlinie zwischen den beiden Reichen ziehen, u m Gewissenskonflikte auszuschalten. So sind die Freiheitsrechte nur Ausdruck einer Freiheit, der Freiheit auf das eigene Selbst. Th. Schmalz hat diesen Gedanken schon i m Jahre 1789 formuliert 1 0 . Er sieht i n der Deklaration der Freiheitsrechte den Schutz der Freiheit auf das eigene Selbst. Nach i h m gibt es n u r eine, nicht viele Freiheiten und nicht viele Schutzobjekte vieler Freiheiten, sondern nur das Selbst, das Recht auf das eigene Selbst, als Schutzobjekt des Systems der Freiheitsrechte. So schützen die verschiedenen Freiheitsrechte nur die eine Freiheit. Was ist das Selbst anderes als das Gewissen i m weitesten Sinne, als das Eigentliche am Menschen, was hinter seinem Ich gelagert Anweisungen gibt und über das Verhalten Gericht h ä l t 1 1 .

2. Versuch einer Neu-Formulierung des durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützten Rechtsgutes Die Gewissensfreiheit, wie sie A r t . 4 Abs. 1 GG als selbständiges Freiheitsrecht kennt, ist ihrem rechtlichen Gehalt nach so unfaßbar geworden, daß es nahe lag, nach einer neuen Begriffsbestimmung zu suchen 12 . Dasselbe Bestreben legen fast alle Kommentatoren an den Tag, sei es, daß sie Gewissensfreiheit unter dem Begriff der Glaubensfreiheit, der Bekenntnisfreiheit, der Religionsfreiheit, der Uberzeugungsfreiheit gleichlautend aufführen, sei es, daß sie Gewissensfreiheit als Freiheit des sittlichen Bewußtseins verstehen w o l l e n 1 8 . A l l e diese Versuche haben kein Ergebnis gezeitigt, w e i l sie einmal den verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt außer Acht gelassen haben und zum anderen, w e i l die dadurch entstandene Uberforderung des Grundrechtes es m i t sich brachte, daß die Betätigung des Gewissens unter die Schranken der allgemeinen Gesetze zu stellen war. Das Bonner Grundgesetz verhindert nun ausdrücklich eine einschränkende Gewissensfreiheit, da es diesem Grundrecht, das A r t . 4 Abs. 1 gewährleistet, keine Schranken zieht. Eine Verweisung der Gewissensfreiheit auf die Frei10 Schmalz, Th.: Über die Rechte des Menschen und Bürgers, 1789, zit. nach Voigt, Geschichte der Grundrechte, 1948, S. 111—112 11 So C. G. Jung in der zusammenfassenden Darstellung der Jung'schen Psychologie nach J. Goldbrunner: Individuation, die Tiefenpsychologie C. G. Jungs, 1949; C. G. Jung: Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewußten, 1925, S. 205. 19 Auch v. Mangoldt-Klein, a. a. O., Erl. I I I 1, 3 und 4, zu Art. 4 S. 213, versucht dem veränderten Rechtszustand mit einer die Glaubens- und die Gewissensfreiheit substituierenden Formel der Religions- und Weltanschauungsfreiheit gerecht zu werden. Diese Formulierung ist aber zu abstrakt. 18 Vgl. Kap. X I V 2 S. 115.

Versuch einer Neu-Formulierung

211

heit des inneren Gedankens als einem rein psychischen Tatbestand müßte die Streichung des A r t . 4 Abs. 1 GG aus dem Grundgesetz zur Folge haben, da das Recht m i t rein internen, jedem äußeren Eingriff unzugänglichen A k t e n nicht verknüpft werden k a n n 1 4 . Der Satz, daß über das Innere vom Praetor nicht Recht gesprochen wird, mußte die Auffassung zur Folge haben, daß die Verfassung i n der Gewissensfreiheit gar kein „Recht" schaffen w i l l , w e i l eine Verletzung faktisch überhaupt nicht möglich ist. Aus diesem Grunde war eine Neu-Orientierung geboten. Dabei war der historische Ansatz des Verfassungsrechts neu aufzusuchen und aus dem Umstand, daß der Gewissensfreiheit i n ihrer ursprünglichsten Form als Hausandachtsrecht ein sozialer Raum zustand, die notwendige Konsequenz zu ziehen. Gewissensfreiheit w a r nicht rein psychisch zu verstehen als reservatio mentalis, sondern auf die engste Sphäre des „Heimes" i m übertragenen Sinne auszudehnen 15 . Die den Menschen begleitende notwendige „Heimlichkeit" darf i h m nicht durch den Staat geraubt werden, denn ein solcher Eingriff würde i h n der „Un-heimlichkeit" ausliefern. I n der „Un-heimlichkeit" verliert der Mensch die Möglichkeit, die sein Wesen konstituierenden A k t e frei zu setzen 10 . Der totale Staat raubt dem einzelnen durch die Parole „nichts gegen den Staat, alles für den Staat" jede „Heimlichkeit" i n einer vor- oder überstaatlichen Sphäre. I n der „Un-heimlichkeit" des Massenstaates t r i t t noch eine viel tiefere Entfremdung ein, als dies Neumann für den modernen Arbeitsprozeß behauptet hat. Ist dem einzelnen Menschen die i h n umgebende Geheimsphäre geraubt, so verliert er das i h n bergende „Gehäuse" und ist der „Un-heimlichkeit" und sich vertiefenden Entfremdung ausgelie14 Ridder, a. a.O., S. 248, spricht davon, daß sich die Meinung „in der natürlichen Freiheit des forum internum" büde und sieht deshalb in Art. 5 Abs. 1 GG nur den Schutz der öffentlichen Meinungsbildung als demokratisches Strukturelement; Köttgen, Die Freiheit der Wissenschaft und die Selbstverwaltung der Universität in: Neumann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte II, 1954, S. 295 die Lehrfreiheit, innere menschliche Vorgänge und damit auch Gedankenfreiheit im engsten und eigentlichsten Sinne liegen, solange und soweit sie gesellschaftlicher und staatlicher Einflußnahme wesensnotwendig verschlossen bleiben, jenseits des garantierten Bereichs." 16 Maiwald , S.: Freier Geist und totale Gesellschaft, Universitas, 1951, S. 1340. „Nein, die reservatio mentalis ist heute nur noch eine schwache und immer schwächer werdende Waffe angesichts der an Dichte und Intensität ständig zunehmenden, imbewußten Macht der gesellschaftlichen Kollektive." M. fordert einen geistig physischen Raum zur Wahrung der Freiheit des Geistes. 16 Neumann, F.: Angst und Politik in: Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, Nr. 178/179, 1954, S. 16 u. 30; ders. Zum Begriff der polit. Freiheit, ZGesStW, Bd. 109, 1953, S. 19; Ermedce, ebenda, S. 5.

1

212

Zusammenfassende Betrachtung

f e r t 1 7 . I n diesem Zustand eines denaturierten Menschentums w i r d die i m Gewissen ruhende sittliche Entscheidungskraft durch die aus der Angst hervorbrechende neurotische Zwangsvorstellung u n d Zwangshandlung substituiert. Dadurch w i r d jede Freiheit des Gewissens auch als Freiheit der A n schauung unmöglich gemacht. Wenn Jaspers unter dem Begriff des Gehäuses die den Menschen bergende Weltanschauung zu verstehen lehrt, so zeigt sich, w i e sehr Geheimsphäre u n d Anschauungsfreiheit voneinander abhängen u n d sich gegenseitig bedingen, so daß m i t der einen auch die andere f ä l l t 1 8 . Die E i n f ü h r u n g des Begriffes der Geheimsphäre als Terminus der die Grundrechte behandelnden Staatsrechtswissenschaft ist also durchaus sowohl v o m soziologischen als auch v o m philosophischen Standp u n k t gerechtfertigt u n d ersetzt i m Grunde genommen den ursprünglich rein räumlich verstandenen verfassungsrechtlichen Begriff der Gewissensfreiheit. I m weiteren bedarf es noch einer kurzen Begründimg, w a r u m i n der vorliegenden A r b e i t der Begriff des Gewissens durch den der Anschauung interpretiert werden soll. a) P h i l o l o g i s c h e

Begründung

Philologisch ist eine solche Interpretation durchaus gerechtfertigt, w e i l der dem deutschen W o r t „Gewissen" zu Grunde liegende griechische Ausdruck „syneidesis", der über Cicero u n d die Stoa als conscientia i n die lateinische Sprache Eingang gefunden hat, nichts anderes bedeutet, als das durch Schauen erworbene Wissen bei sich selbst u m etwas 1 9 . Der indogermanische Stamm „ v i d " , „ w i d " u n d „ w e i d " ist nicht n u r der Ausgangspunkt f ü r die „syneidesis", das schauende Wissen, sondern auch, f ü r die Idee, das Geschaute. So besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den platonischen Ideenlehre u n d der Gewissenslehre, w i e sie später von der Stoa wieder aufgegriffen w i r d , w e i l i n ihnen beiden das Sehen ein Erkennen u n d das Erkennen ein Schauen ist. B e i Piaton vollzieht sich die E r kenntnis als Erinnerung „ i n d e m die auf Erden eingekörperte Seele der 17 Vgl. dazu A. Gehlen , Über die Geburt der Freiheit aus der Entfremdung, in: ARSP, 1953, 338, 349. G. sieht die Entscheidung der Freiheit in der Wiedererringung der Verfügungsgewalt über die den Menschen entglittenen Produkte. 18 Vgl. Eisler , Wörterbuch der philosophischen Begriffe I I I — sub voce Weltanschauung. 19 Zur Problematik der Erklärung vgl. Windelband , Geschichte der Philosophie, 1892, S. 184 und 263; Bauer , Wörterbuch zum griechischen Neuen Testament mit eingehender Angabe der neueren Literatur; M. Pohlenz, Die Stoa, Geschichte einer geistigen Bewegung, 1948, S. 114 und 317.

Versuch einer Neu-Formulierung

213

Ähnlichkeit der irdischen Gestalten m i t den himmlischen Urbildern inne wird, indem sie also diese gewissermaßen aus jenen herausschaut" 2 0 . b) P h i l o s o p h i s c h e

Identität

Anschauung und

von

Gewissen

Von Euripides werden die Erinyen als „Einsicht" (Syneidesis) i n böse Taten umgedeutet und so die mythische Vorstellung der Erinyen, die ihren Ursprung i n der Kainstat des Zeus an Chronos hatten, aufgegeben 2 1 . I m Begriff der Syneidesis zeigt sich ein deutliches Abgehen von mythischen Vorstellungen, so daß dieser Begriff i n einem gewissen Antagonismus zur griechischen Volksreligion t r i t t . Erinys, Syneidesis und platonische Idee haben ihre gemeinsame Wurzel i n der eidetischen Anlage des griechischen Menschen 22 . Das Auge ist i h m symbolisch Vermittler eines metaphysischen Reiches, dessen Werte erschaut werden. Was der Begriff der Syneidesis an transzendentaler Bedeutung gegenüber dem mythischen Begriff der Erinys verloren hat, gewinnt er i n der platonischen Ideenlehre i n philosophischer Vertiefung wieder. Ganz besonders aber w i r d i m Neu-Platonismus die Schau des Mysten M i t t e l punkt der Philosophie 2 3 . Bei Augustinus ist das „occulus animae" die innere Schau, durch die er das „lumen incomutabilis" Gottes erkennt 2 4 . Während des ganzen Mittelalters durchziehen zwei Strömungen die Literatur, die den Begriff des Gewissens scholastisch oder mystisch zu deuten versuchen 25 . I n der Mystik behält das Gewissen weiterhin die Deutung der Schau unter den Symbolen der scientilla animae des Seelenfünkchens der syntheresis dei. Dagegen w i r d das Gewissen i n der 20 Buldmann: Zur Geschichte der Lichtsymbolik des Altertums, in: Philologus, Zeitschrift f. d. klassische Altertum, Bd. 97, 1948, S. 20. — „Das Auge hat bei den Griechen den Vorrang", ebenda S. 16; G. Jung , Syneidesis, conscientia, Bewußtsein in: Archiv f. d. gesamte Psychologie, Bd. 89, 1934, S. 525 bis 540. 21 Euripides, Orest, 396; vgl. dazu Zucker, Syneidesis und conscientia, Jenaer Universitätsreden, 1928, S. 7; E. Wolf, Griechisches Rechtsdenken I I I 1, S. 42. 22 Ein Zusammenfließen eidetischer und auditiver Begriffsmerkmale bei R. Guardini: „Es gibt ein Etwas in mir, das wesensgemäß auf das Gute antwortet, wie das Auge auf das Licht, das Gewissen." „Organ, durch welches ich aus der immerfort sich neu bildenden Situation das Gute herausschaue." R. Guardini, Das Gute, das Gewissen und die Sammlung, 1929, S. 41. 28 Buber, Extatische Konfessionen. 24 Augustini, Confessionum Lib. X I I I , ed. Marietti, Roma, 1931; V I I K 10. "... intravi in interna mea,... intravi et vidi qualecumque occulo animae meae supra eundem occulum animae supra mentem meam, lumen incommutabilem...". Der Zusammenhang dieser Stelle in den Konfessionen mit Piatons Phaedon 9 und Plotins Eneaden 16, 9 ist bekannt, vgl. Marietti, a. a. O., Anm. 1. 25 UnderhiU, Mystik, 1928, S. 72.

214

Zusammenfassende Betrachtung

Scholastik als conscientia logisiert und verliert dadurch die unmittelbare Funktion der Wesensschau 28 . Die Philosophie hat bis i n das 19. Jahrhundert das Gewissen i n dieser rationalistischen Verkümmer i m g gelassen. Auch bei K a n t ist das Gewissen rein formalistisch auf die Syntheresis beschränkt und er überläßt jede materiale Entscheidung der praktischen V e r n u n f t 2 7 . Aber selbst die praktische Vernunft ist formalisiert und untersteht nur dem Formalgebot des kategorischen Imperativs. Anschauungen sind nach Kants System blind, wenn nicht das Denken, das als solches leer ist, hinzukommt. Erst bei Schelling findet sich ein neues Verständnis für Anschauung als innerer A k t des Menschen. Er erkennt auch ihre Beziehung zur Geheimsphäre: „Uns allen wohnt ein geheimes, wunderbares Vermögen bei, uns aus dem Wechsel der Zeit i n unser Inneres von allem, was von außen her h i n zukommt, entkleidet selbst zurückzuziehen und da unter der Form der Unwandelbarkeit das Ewige anzuschauen; diese Anschauung ist die innerste, eigentlichste Erfahrung, von welcher alles abhängt, was w i r von einer übersinnlichen Welt wissen und glauben" 2 8 . Hier ist Schell i n g deutlich von Schleiermacher abhängig, der i n seiner 1. Auflage der „Heden über die Religion" die Anschauung des Universums als Wesen der Religion bezeichnet hatte. c) D i e A n s c h a u u n g

als p h i l o s o p h i s c h e

Methode

I n der Phänomenologie ist die Schau zu einer besonderen Methode der Erkenntnis geworden. Husserl sieht i n der eidetischen Anschauimg die Erfassung des Wesens (eidos) der umgebenden empirischen W e l t 2 9 . Von hier aus hat die moderne Wertphilosophie ihren Anfang genommen. Nach Nicolai Hartmann ist das Gewissen die Ankündigung der sittlichen Werte i m realen Bewußtsein 8 0 . „ N u r w o sich ein personales Wesen i n seinem Streben nach einem erschauten Wert einsetzt, kann dieser schaffend realisiert w e r d e n " 8 1 . Ohne hier i n extenso auf die 26

Thomas v. Aquin, S. Th., I qu 79, 13 conclusio: „sie proprie summatur potentia non est, sed actus, quo scientiam nostram ad ea, quae agimus, applicamus." 27 Kant, Metaphysik der Sitten, herausgg. v. K. Vorländer, 2. Aufl., 1907, S. 242 ff; Wohlrabe, Kants Lehre vom Gewissen, histor. kritisch dargestellt. 1880, S. 5, 24/25; M. Scheler will dagegen das Gewissen wieder im Sinne einer Erschauung der Werte der „geheimen Zeichensprache Gottes" verstanden wissen. M. Scheler, Vom Ewigen im Menschen, 1933, S. 5. 28 Schelling, Phil. Br. üb. Dogmatik und Kritik 8, zit. nach Eisler, a. a. O., I, 1927, S. 60. 29 Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie, 1922, S. 10. M Hartmann, N.: Ethik, 1937, S. 122. 31 Hartmann, N.: a. a. O., S. 151—153; M. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 1921, S. 333. Das Gewissen ist Träger von Werten, nicht aber deren letzte Quelle.

Versuch einer Neu-Formulierung

215

Wertphilosophie eingehen zu können, sei doch erwähnt, daß Phänomenologie und Wertphilosophie i n der Lage sind, der Rechtswissenschaft wesentliche Hilfe zu gewähren, da die begriffliche Jurisprudenz i n ihrer Erstarrung den Anschluß an die Gegenwart verloren h a t 8 3 . Der starke Einfluß der Neukantianer hat der Rechtswissenschaft eine weitere E r starrung des Positivismus gebracht und jede Rechtsmetaphysik ausgeschlossen 83 . Wenn Husserl davon spricht, daß die Anschauung Rechtsquelle aller Erkenntnis ist, so soll hier die Umkehrimg dieses Satzes gewahrt werden und die Anschauung als Erkenntnisquelle des Rechts bezeichnet sein 8 4 . d) D i e r e c h t l i c h e u n d Begründung

der

verfassungsrechtliche Neuformulierung

Für die Interpretation des Gewissens als Anschauung spricht schließlich auch noch ein verfassungsrechtlicher Grund, der nicht unbeachtet bleiben darf. I n den Beratungen des Grundsatzausschusses zu A r t . 3 Abs. 3 GG wurde i m Anschluß an die badische Verfassung das Verbot aufgenommen, jemanden wegen seiner religiösen und politischen A n schauungen zu benachteiligen. Damit sollte ein Grundrecht seine Verankerung finden, das eine Wiederkehr der Ereignisse des Dritten Reiches ausschließen w i l l . Die Wahl des Begriffes „Anschauung" war bestimmt durch die während der nationalsozialistischen Ä r a erfolgten Verstöße gegen das Menschenrecht der Freiheit der politischen Anschauung und der Weltanschauung. Der weltanschaulich orientierte Staat gewährt „Gewissensfreiheit" unter Hinweis auf eine durchgeführte Trennung von Staat und Kirche, verwehrt aber jede Anschauungsfreiheit u n d leistet dadurch ärgstem Gewissenszwang Vorschub. Aus diesem Grunde w a r das Grundrecht der Anschauungsfreiheit als Abwehr einer aggressiven staatlichen A n schauung (Weltanschauung oder Staatsanschauung) gedacht. Die Funktion des A r t . 3 Abs. 3 GG ist eine doppelte, denn er enthält neben dem Gleichheitsgebot implizite eine moderne Formulierung der altüberkommenen Formel der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Freiheit der religiösen und politischen Anschauung ist also auch rein rechtlich dem i n A r t . 4 Abs. 1 GG geschützten Rechtsgut der Freiheit des Glaubens u n d Gewissens äquivalent bei gleichzeitiger Erweiterung 82 Hamel, W.: ARSPh., a. a. O., S. 679. H. versucht mit Hilfe der Intuition, der intuitiven Schau bestimmte Teilprobleme der Rechtswissenschaft zu durchleuchten. 88 Uber Rechtsmetaphysik im römischen Recht: von Hippel zur Metaphysik des römischen Staates, in: Festschrift für Laun, 1953, S. 1 ff. 84

Husserl. a. a. O.. S. 10.

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Zusammenfassende Betrachtung

des Grundrechtsschutzes auf die politische Anschauung 8 5 . Die U m schreibimg der Gewissensfreiheit als Freiheit seiner religiösen und politischen Anschauungen selbst zu bilden und zu äußern, findet sich auch bei Wernicke 8 6 . Der Charakter des A r t . 4 Abs. 1 GG als fundamentales Verteilungsprinzip 8 7 zwischen Hechtsordnung und Sittenordnung w i r d durch diese Neuinterpretierung nicht verändert. Er behält auch bei der noch vorzuschlagenden neuen Formulierung das systematische Primat der Grundrechte bei und verbleibt i n der engen Beziehung zu den i m Grundrechtskatalog des GG i h n umschließenden Grundrechten der freien Entfaltung der Persönlichkeit, der Meinungsfreiheit und der Freiheit der Kunst und Wissenschaft. Die Meinungsfreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG w i r d als M i t t e i l u n g wertender Anschauung definiert und die Freiheit der Kunst und Wissenschaft ist vornehmlich das Recht der objektiven Gestaltung subjektiver Anschauungen und Werte 8 8 . Es mag hier dahingestellt bleiben, welchen sozialadäquaten Raum das Freiheitsrecht des A r t . 5 Abs. 3 GG unbeschränkt ausfüllen k a n n 8 0 . Die für das Grundrecht des A r t . 4 Abs. 1 GG sozialadäquate Sphäre unbeschränkter Betätigung der individuellen Anschauung, sei sie religiöser, politischer oder weltanschaulicher A r t , ist jedenfalls die Geheimsphäre. Der Zusammenhang zwischen A r t . 4 Abs. 1 und A r t . 5 Abs. 3 GG w i r d besonders an der Frage aufgezeigt, ob Werke abstrakter Kunst Ausdruck einer Weltanschauung i m Sinne von § 1 BEG sein können. Die Frage ist w o h l i m allgemeinen zu bejahen, da jedem Kunststil doch zumindest ein Weltbild und damit eine besondere künstlerische Anschauung, wenn auch nicht gerade eine Weltanschauung, zugrunde l i e g t 4 0 . 35 Aus Art. 33 Abs. 3 GG darf m. E. nicht der gegenteilige Schluß gezogen werden. Vgl. dazu Jess in Bonner Kommentar, Erl. II, 4 zu Art. 33 Abs. 3. J. spricht bei Art. 33 Abs. 3 von einer Wiederholung des Art. 3 Abs. 3. 36 Wernicke: in BK Erl. I I c; W. spricht davon, daß die Äußerung der „inneren Anschauung" im gewissen Umfange schon durch Art. 5 Abs. 1 geschützt sei. GSA 24. Sitzung. 37

38

Schmitt , C.: a. a. O., S. 158.

Fischbach: Kommentar zum BBG S. 21. Vgl. Urteil des BVerwG vom 21. 12. 54 Bay. VB1. 1955, S. 214, mit kritischer Anmerkung von Th. Maunz, S. 215/16, a. A. Köttgen, Die Freiheit der Wissenschaft und die Selbstverwaltung der Universität in: Neumann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte II, 1954, S. 295. 40 Gutachten von Guardini in der Entschädigungsklage vor dem OLG München AZ EK 775/53 GR 4 v. 24. 2. 1955, das mir von Prof. Guardini freundlicherweise zur Einsicht überlassen wurde. Das Gutachten kommt auf S. 10 zu dem Ergebnis, daß jedem Kunststil ein Weltbild zugrunde liegt. Zur Weltanschauung sei die abstrakte Kunst erst durch den Nationalsozialismus erklärt worden. 39

Freiheit der Anschauung im Bereich der Geheimsphäre

217

3. Die Freiheit des Gewissens als Freiheit der Anschauung im Bereich der Geheimsphäre Es ist ein schwieriges Unterfangen für einen so ehrwürdigen Ausdruck, wie i h n Glaubens- und Gewissensfreiheit darstellt, eine neue Formulierung i n Vorschlag zu bringen. H. Heckel hat auf das zähe Leben der kirchenrechtlichen Verfassungsnormen hingewiesen, die gegen alle Zeitströmungen sich immer wieder durchgesetzt haben 4 1 . Dennoch sei hier ein solcher Versuch i n Anlehnung an das preußische A L R gewagt 4 2 . Die Anschauung jedes Menschen von Gott, Welt und Staat sowie die innere Schau der Werte sind unantastbar und ihre Gestaltung ist innerhalb der Geheimsphäre unverletzlich'. M i t dieser Formulierung soll die noch i m A L R § 1 und 2 I I 11 so klar zum Ausdruck gebrachte Logisierung des Gewissens als ein i n Begriffen fortschreitendes sittliches Denken zugunsten einer intuitiven Gewissensauffassung abgelöst werden. Die vorgeschlagene Formulierung beinhaltet den Wesenskern der vorliegenden Ausf ührung und w i r d durchaus geeignet sein, allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Wenn eine neue gesamtdeutsche Verfassung sich diese Formulierung zu eigen macht, würde sie dem Interesse der Gewissensfreiheit keinen Abbruch tun. Es ließe sich auch eine Kompromißformel finden, die Anschauungsund Gewissensfreiheit zusammenführt 4 8 . Was von der Gewissensfreiheit als dem zentralen Begriff des Grundrechtssystems gilt, überträgt sich natürlich auch auf die Anschauungsfreiheit. So ist es richtig, vom systematischen Primat der Anschauungsfreiheit zu sprechen und sie als fundamentales Verteilungsprinzip aufzufassen. Was unter I zur Gewissensfreiheit ausgeführt wurde, g i l t deshalb m i t gleicher Richtigkeit auch für die Freiheit der Anschauung. Als fundamentales Verteilungsprinzip besagt die Anschauungsfreiheit, daß der einzelne und nicht der Staat Träger von Anschauimg ist. Die Anschauungsfreiheit soll den modernen „Anschauungsstaat" verbieten und eine Durchdringung aller Lebensgebiete durch den totalen Anschauungsstaat verhindern, indem sie i h m i m Schutz der Geheimsphäre eine letzte unübersteigbare Grenze zum Schutz der freien A n 41 Heckel, H.: Melanchthon und das heutige Staatskirchenrecht in: Um Recht und Gerechtigkeit, Festgabe f. E. Kaufmann, 1950, S. 83. 42 §§ 1, 2 I I 11 ALR. 48 Eine solche Kompromißformel sucht offenbar auch der Kommentar von v. Mangoldt-Klein in dem Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Anm. I I I 1. 2, 4 zu Art. 4. S. 213 ff

218

Zusammenfassende Betrachtung

schauung und damit der Persönlichkeit zieht 4 4 . Die Anschauungsfreiheit schließt zwar den Anschauungsstaat aus, nicht aber eine tragende Staatsanschauung. Ganz i m Gegenteil ist die Freiheit der Individualanschauung Voraussetzung und M i t t e l einer tragenden Staatsanschauung, die immer freiheitlich sein muß, u m nicht ihrer Voraussetzung selbst zu widersprechen. Der Schutz der Anschauungsfreiheit innerhalb der persönlichen Geheimsphäre als absolutes Recht verstanden, bildet den Inhalt der modernen Toleranz 4 3 , die das Grundgesetz zum K e r n seines Grundrechtskataloges erhoben hat, zu dem es sich i m Aufbau eines neuen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates bekennt und den es als inhärenten Bestandteil der Würde des Menschen betrachtet 4 9 .

44 Maunz, Th.: Toleranz und Parität im Deutschen Staatsrecht, Vortrag, gehalten in der Reihe der öffentlichen Vorträge der Ludwig-MaximiliansUniversität, 1954, S. 11 — auch ein weltanschaulicher Uberbau über den Konfessionen kann gegen Gewissensfreiheit verstoßen. 45 Maunz, Th.: a. a. O., S. 5. Uber den Begriff der modernen Toleranz. 46 Münch, F.: Die Menschenwürde als Grundordnung unserer Verfassung, 1951, S. 7; H. C. Nipperdey, Die Würde des Menschen in Neumann-NipperdeyScheuner, Die Grundrechte II. 1954. S. 1 und 18.

Anhang Ergänzende Zusammenstellung der Garantie der Freiheit des Gewissens i n den wichtigsten aktuellen Verfassungen der Erde Die Verfassung der Erde i n deutscher Sprache nach dem jeweils neuesten Stande. 2 Bde. W. Brorsen. Tübingen 1950/1951. Die belgische Verfassung vom 7. 2.1831 mit Berücksichtigung der Änderungen vom 7. 9. 1893; 15.11. 1920; 7. 2. und 24. 8. und 15. 10.1921 Die Belgier und ihre Rechte A r t . 14: Die Freiheit des Glaubensbekenntnisses (la liberté des cultes), seine öffentliche Ausübung, sowie die Freiheit der Meinungsäußerung i n jeder Hinsicht w i r d gewährleistet vorbehaltlich der Unterdrückung der bei Gelegenheit der Wahrnehmung dieser Freiheiten begangenen Straftaten. A r t . 15: Niemand kann gezwungen werden, i n irgendeiner Weise an kultischen Handlungen u n d Zeremonien mitzuwirken, noch die m i t einem Glaubensbekenntnis verbundenen Ruhetage zu beachten. W. Brorsen a. a. O., Bd. 1, S. 2. Die Verfassung des Königreichs Dänemark v. 5. Juni 1915 § 74: Die Bürger haben das Recht, sich i n Gemeinschaften zusammenzuschließen, u m Gott i n solcher A r t zu verehren, wie es ihrer Überzeugung entspricht, vorausgesetzt, daß nichts gelehrt oder getan werde, was gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnimg verstößt. § 77: Niemand darf wegen seines religiösen Glaubens vom vollen Genuß und Vorteil bürgerlicher Rechte und politischer Rechte ausgeschlossen werden oder sich der Erfüllung allgemeiner Bürgerpflichten entziehen. W. Brorsen a. a. O., Bd. 2, V I I , S. 9. Die Verfassung Finnlands (Gesetz über die Regierungsform Finnlands vom 17. Juli 1919) A r t . 8: Jeder Finne hat das Recht, öffentlich oder privat unter der Bedingung gottesdienstliche Handlungen zu verrichten, daß er nicht gegen die Gesetze und guten Sitten verstößt; es steht i h m gleichfalls

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Anhang

frei, nach Maßgabe darüber bestehender besonderer Hegelungen, aus seiner Religionsgemeinschaft auszutreten und einer anderen beizutreten. A r t . 9: Die Tatsache, ob ein Finne einer besonderen Religionsgemeinschaft angehört oder nicht, schmälert i n keiner Weise seine Rechte und Pflichten. Hinsichtlich öffentlicher Stellen und Ä m t e r bleiben jedoch gesetzliche Beschränkungen bis zur anderweitigen Regelung i n Kraft. W. Brorsen, Bd. 2, a. a. O., Kap. II, S. 2.

Irland, Verfassung vom 1. 7. 1937 unter Berücksichtigung der Änderungen vom 2. 9. 1939 und vom 30. 5. 1941 Grundrechte (Persönliche Rechte) A r t . 40 V I 1: Der Staat gewährleistet die Freiheit für die Ausübung der folgenden Rechte bei Wahrung der öffentlichen Ordnung und Moral: a) Das Recht der Bürger, frei ihre Überzeugung und Meinung auszudrücken. Da die Ausbildung der öffentlichen Meinung jedoch eine Angelegenheit von so schwerwiegender Bedeutung für das Gesamtwohl ist, muß der Staat sich bemühen, sicherzustellen, daß die Organe der öffentlichen Meinung wie Rundfunk, Presse, Kino, unter Wahrung ihrer rechtmäßigen Äußerungsfreiheit, einschließlich K r i t i k an der Regierungspolitik, nicht dazu benutzt werden, u m die öffentliche Ordnung oder Moral oder die Staatsautorität zu untergraben. Die Veröffentlichung oder Äußerungen gotteslästerlicher, aufrührerischer oder unanständiger Dinge ist ein nach Maßgabe der Gesetze strafbares Delikt. A r t . 44 I I 1: Freiheit des Gewissens, des Glaubensbekenntnisses und der Religionsausübimg werden bei Wahrung der öffentlichen Ordnung und Moral jedem Bürger gewährleistet. W. Brorsen, a.a.O., Bd. 1, S. 28 u n d 30.

Die Verfassung der Republik Island A r t . 63: Jedermann ist zur Bildung von Gesellschaften zur Gottesverehrung nach seiner persönlichen Glaubensüberzeugung berechtigt; aber es dürfen keine die öffentliche Ordnung und die Moral gefährdenden Predigten und Übungen abgehalten werden. A r t . 64 (1): Niemand darf wegen seiner religiösen Überzeugung seiner Bürger- oder Staatsrechte verlustig gehen oder die Erfüllung einer Bürgerpflicht verweigern. (2): Niemand ist verpflichtet, gegen seine Überzeugimg an einem Gottesdienst teilzunehmen. W. Brorsen, a.a.O., Bd. 1, Kap. 6, S. 7.

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Verfassung der italienischen Republik vom 27.12.1947 Grundprinzipien: A r t . 8 (1): A l l e Religionsbekenntnisse sind vor dem Gesetz gleichermaßen frei. S. 2. A r t . 13 (3): Jede körperliche und seelische Gewaltanwendung gegenüber Personen, die i n irgendeiner Weise Freiheitsbeschränkungen ausgesetzt sind, w i r d bestraft. Die Höchstdauer der Untersuchungshaft w i r d durch Gesetz bestimmt. S. 3. A r t . 15 (1): Die Freiheit und das Geheimnis des Schriftverkehrs und jeder anderen Form der Nachrichtenübermittlung sind unverletzlich. (2): Sie können nur durch begründete Verfügimg der m i t richterlicher Gewalt ausgestatteten Stelle unter den gesetzlich festgelegten Garantien begrenzt werden. S. 3. A r t . 19: Jedermann hat das Recht, frei seine religiöse Überzeugung i n jedweder Form, einzeln oder m i t anderen zusammen zu bekennen, dafür zu werben und privat oder öffentlich den entsprechenden K u l t auszuüben, soweit es sich nicht u m Riten handelt, die gegen die guten Sitten verstoßen. S. 4. A r t . 21 (1): Jedermann hat das Recht, seine Gedanken frei durch Wort, Schrift und jede andere Verbreitungsweise kundzutun. W. Brorsen, a. a. O., Bd. 1, S. 4.

Die Verfassung Japans vom 3. Mai 1947 A r t . 11: Das V o l k darf nicht am Genuß irgendeines der Grundmenschenrechte gehindert werden. Diese Grundmenschenrechte, welche dem V o l k durch diese Verfassung garantiert werden, werden der gegenwärtigen und den zukünftigen Generationen des Volkes als ewige unverletzliche Rechte übertragen. A r t . 12: Die dem Volke durch diese Verfassung garantierten Freiheiten und Rechte sind durch die dauernde Anstrengung des Volkes aufrechtzuerhalten. Es hat sich jedes Mißbrauches dieser Freiheiten und Rechte zu enthalten und ist immer dafür verantwortlich, daß sie i m Interesse des öffentlichen Wohles wahrgenommen werden. A r t . 13: A l l e Volksangehörigen werden als Individuen respektiert. I h r Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück sind i n einem solchen Ausmaß, daß es das öffentliche Wohl nicht stört, der oberste Gesichtspunkt i n der Gesetzgebung u n d i n anderen Regierungsangelegenheiten. S. 3. A r t . 19: Die Gedanken- und Gewissensfreiheit dürfen nicht verletzt werden. A r t . 20: (1) Religionsfreiheit w i r d allen garantiert. Keine religiöse Organisation erhält vom Staate irgendwelche Sonderrechte, noch darf

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Anhang

sie irgendwelche politische Autorität ausüben. W. Brorsen, a.a.O. Bd. 2, S. 4. Die Verfassung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien vom 31. 1. 1946 A r t . 25 (1): Den Bürgern w i r d die Gewissensfreiheit und die Freiheit des Glaubensbekenntnisses gewährleistet. (2): Die Kirche ist vom Staate getrennt. W. Brorsen, a.a.O., Bd. 2. S. 5. Die Verfassung Norwegens vom 17. 5. 1814 § 2: Die evangelisch-lutherische Religion muß Staatsreligion bleiben. Die sich zu i h r bekennenden Einwohner sind verpflichtet, ihre Kinder i n ihr zu erziehen. Jesuiten werden nicht geduldet. W. Brorsen, a. a. O., Bd. 2, S. 1. Die Verfassung der Philippinen, 1945 § 1 (7): Es darf kein Gesetz über die Einrichtung einer Religion (establishment of religion) oder das Verbot ihrer freien Ausübimg ergehen. Die freie Ausübung und der freie Genuß des religiösen Bekenntnisses und der Gottesverehrung sind für immer erlaubt ohne nachteilige oder vorzugsweise Behandlung. Keine Offenbarung und Prüfung des religiösen Bekenntnisses darf für die Ausübung bürgerlicher oder politischer Rechte gefordert werden. W. Brorsen, a. a., O., Bd. 2, A r t . I I I S. 2. Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29.5.1874 A r t . 49 (1): Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist unverletzlich. W. Brorsen, a. a. O., Bd. 2, S. 15. Verfassung (Grundgesetz) der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 5.12.1936 A r t . 124: Z u m Zwecke der Gewährleistung der Gewissensfreiheit für die Bürger sind i n der UdSSR die Kirche vom Staat und die Schule von der Kirche getrennt. Die Freiheit der Ausübung religiöser Kulthandlungen und die Freiheit antireligiöser Propaganda werden allen B ü r gern zuerkannt. W. Brorsen, a. a. O., Bd. 1, Kap. X , S. 15. Die Verfassung der Tschechoslowakischen Republik vom 9. 5. 1948 § 15: Gewissens- und Bekenntnisfreiheit. (1) Die Gewissensfreiheit w i r d gewährleistet.

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(2): Weltanschauung, Glaube oder Überzeugung dürfen niemandem zum Nachteil gereichen, können aber keinen Grund dafür bilden, daß jemand die Erfüllung einer i h m durch das Gesetz auferlegten Bürgerpflicht verweigere. § 16: (1) Jeder hat das Hecht, jeglichen religiösen Glauben privat und öffentlich zu bekennen oder konfessionslos zu sein. § 17: (1) Jedem steht es frei, die m i t irgendeinem religiösen Bekenntnisse oder m i t der Konfessionslosigkeit verbundenen Handlungen vorzunehmen. Die Ausübung dieses Rechtes darf jedoch der öffentlichen Ordnung u n d den guten Sitten nicht widerstreiten. Es ist nicht erlaubt, dieses Recht zu nichtreligiösen Zwecken zu mißbrauchen. W. Brorsen, a. a. O., Bd. 1, S. 6.

Die türkische Verfassung vom 20. 4.1924 in der Fassung vom 10.1.1945 A r t . 70: Persönliches Freisein (immunity), Gewissens-, Gedanken-, Rede- und Pressefreiheit, das Recht zu reisen, Verträge abzuschließen, zu arbeiten, Eigentum zu besitzen und darüber zu verfügen, sich zu versammeln, sich zusammenzuschließen und Gemeinschaften zu bilden (to incorporate) gehören zu den Rechten und Pflichten türkischer Bürger. A r t . 75: Niemand kann wegen eines philosophischen Glaubens, der Religion oder Doktrin, welcher er anhängt, gerügt (censured) werden. A l l e nicht gegen die öffentliche Ordnung und Moral und die Gesetze verstoßenden Religionsdienste sind erlaubt. W. Brorsen, a. a. O., Bd. 1, Kap. V, S. 8.

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PrOVG PrOVG PrOVG PrOVG PrOVG

37 38 43 42 44

S. 339 S. 58 S. 164 S. 411 S. 68

1945 BGHSt. BGHSt. BGHSt. BGHSt. BGHSt.

NJW NJW NJW NJW NJW

1954 1955 1955 1956 1956

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Verzeichnis der Rechtsprechung BayVerfGH BayVerfGH BayVerfGH BayVerfGH VGH VGH OVG OVG OVG OVG

n. F. n. F. n. F. n. F.

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LVG Hannover MdR 1953 317 VG Berlin NJW 1955 964 Nr. 24

BayVerfGH BayVerfGH BayVerfGH BayVerfGH OVG OVG OVG OVG OVG

n. F. 7 I I 41 Verw. Rspr. 7 912 n. F. 8 I I 1—10 BayVBl. 1956 S. 374

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