Die Französische Revolution

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PIERRE GAXOTTE

L iberté

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a t e r n it é

NYMPHENBÜRGER VERLAGSHANDLUNG

P I E R R E

G A X O T T E

DIE

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FRANZÖSISCHE REVOLUTION1

1949 NYMPHENBURGER VERLAGSHANDLUNG

B e r e c h tig te Ü b e rse tz u n g aus dem F ra n z ö sis c h e n von Dr. O t t o W a t z k e Der T itel der fra n z ö sisc h e n

Originalausgabe lautet

I / b l s t o l r e Lothringen war weniger ungeschoren geblieben; die ersten Inten­ danten, die sich in Nancy niederließen, waren so, daß das Land sich nach den Fürsten zurücksehnte. Vor der Annektion war es durch die Etappen der Besatzung und des Protektorats hindurch­ gegangen und genoß auch noch einige wertvolle Sonderrechte; so war z.B. die Justiz dort exakter und aufgeklärter als anderswo. 2

G a x o t t e , Revolution

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Die Städte und Gemeinwesen des Königreiches waren von früher her noch im Besitze wichtiger Privilegien, wie z. B. Steuer­ befreiungen oder -erleichterungen, Hoheitsrechte der städtischen Behörden, selbständige Rechtsprechung sowie das Recht, nach eigenem Gutdünken Anleihen aufzunehmen und Gelder auszugeben. Obwohl die Zentralregierung vielerorts aus der kurzsichtigen und verschwenderischen Geschäftsführung der Städte Nutzen gezogen hatte, um sie unter ihre Kontrolle zu bringen oder die Posten der Bürgermeister und Stadtkommandanten von sich aus zu besetzen, bewahrte das städtische Leben trotzdem eine erstaunliche Kraft und Vitalität. Der Magistrat von Straßburg, die Stadtväter von Bordeaux und Lyon, die Handelskammer von Marseille, welche die Konsuln für die Levante ernannte, sie alle waren Mächte, mit denen gerechnet werden mußte. Die kleineren Städte waren nicht'weniger hartnäckig in der Verteidigung ihrer Vorrechte und hätten sich eher durch endloses Prozessieren ruiniert, als daß sie sich freiwillig in die Obhut der königlichen Macht begeben hätten. Die ländlichen Gemeinden wählten gleichfalls selbst ihre Ober­ häupter, die jedoch nichts ohne die Zustimmung der allgemeinen Versammlung der Bewohner, die meist sonntags nach der Messe stattfand und wo die Steuereinheber gewählt, über die Arbeits­ dienstleistung zur, Erhaltung der Straßen, über die Steuern be­ raten, die Erlässe des Intendanten und die neuen Edikte verlesen wurden, unternehmen konnten. Das stärkste Hindernis für eine unbeschränkte Ausübung der königlichen Autorität bildeten jedoch die Gerichte selbst, all die Institutionen, ähnlich unseren Parlamenten, Oberrechnungskam­ mern, Steuergerichtshöfen, Präsidialgerichten, Amtsgerichten, Lan­ desgerichten, Steuergerichten, Finanz- und Salzämtem usw., deren sämtliche Mitglieder Besitzer ihrer Funktionen waren, wie es heute noch die Notare und Advokaten sind. Vergegenwärtigt man sich auch richtig, was dieser Besitz an Un­ abhängigkeit, àn Freiheiten und Versuchungen bedeutete? Er bedeutete das Recht, die gerichtlich Verfolgten freizusprechen, zu bestätigen und zu rehabilitieren, die Gerichtsvertreter anzu­ greifen und gegen sie Haftbefehle zu erlassen, die Eintragung neuer Gesetze in die Register und die Anwendung neuer Ver­ ordnungen'rundweg abzuschlagen, kurz die Möglichkeit, den gan­ zen Regierungsapparat im Schach zu halten, 'seinen Geschäfts­ gang zu hemmen und in Verwirrung zu bringen. Und all dies war um so leichter durchführbar, als allen diesen Gerichtsbarkeiten keine absoluten Grenzen gesetzt und alle in wechselndem Aus­

maß finanzielle, verwaltungsmäßige und politische Befugnisse besaßen. Wenn auch einige Stellen, die an Bedeutung eingebüßt hatten oder in Vergessenheit geraten waren, sich ihre Befugnisse teilweise aus den Händen winden ließen, hatten dafür andere, unternehmungslustigere 'und kühnere, wichtige Rechte dazu er­ worben, die ihnen ständige Vorwände zur Einmischung und zum Handeln boten. Die vorstehende Aufzählung ist sehr unvollständig; sie'zeigt je­ doch zur Genüge, wie sehr das damalige Frankreich sich von dem heutigen in Verfassung und Regierung unterschied. „Hineingepreßt in die Verwaltungszwangsjacke, die es seit über einem Jahrhundert widerstandslos trägt und die sektiererische und cäsarische Gewaltherrschaften so sehr begünstigt“, ist das heutige Frankreich außerstande, Ministem und Ämtern Widerstand zu leisten. Techniker und „Spezialisten“ genügen zu seiner Füh­ rung: Menschen zählen weniger als Diplome und Diplome wieder weniger als Dienstvorschriften. Um über diese Föderation lebendiger Organismen, wie sie das alte Frankreich darstellte, herrschen und dabei gleichzeitig auf Tausende von rivalisierenden und argwöhnischen Adels- und Volksrepubliken Einfluß nehmen zu. können, brauchte man mehr als nur Charakter und mehr als Sorgfalt, Geduld, Energie und Liebe. Eine anständige:, von guten Absichten beseelte Regierung war dieser Aufgabe nicht gewachsen; es bedurfte dazu einer respektierten und gefürchteten Regierung. Im Frankreich des Ancien' Régime war es gelungen, eine solche Regierung zu organisieren, und während das Haupt schon in Fäulnis überging, waren die Glieder noch bis zuletzt so gesund und tätig wie während der besten Tage. •• j Die Steuern, die Gerichtsbarkeit und die soziale, provinziale und städtische Organisation waren, wie wir bereits gesehen haben, außerordentlich verwickelt und kompliziert; dagegen war die eigentliche^Verwaltung sehr einfach und klar durchdacht, An der Spitze stand der Rat des Königs, der höchster Gesetz­ geber, Angelpunkt und die treibende Kraft des ganzen Appa­ rates war; darunter Ämter oder Kommissionen zur Vorbereitung der Erlässe; 6 Minister zu ihrer Formulierung und Weiterleitung und 32 Intendanten, denen die Ausführung oblag — das War auch schon alles. Wenig Personal, wenig Aktenverkehr, kein bloßes Routinewerk, und Schwung, alles Dinge, die ,zu raschem und gutem Handeln nötig sind. . Gewiß war, dieser Zustand nicht mit einem Schlag erreicht wor-

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den. Bevor Ludwig XIV. ihm seine endgültige Gestalt, seine periodische Arbeitsweise und die Unterteilung in verschiedene Sachgebiete gegeben, hatte der Rat schon alle möglichen Formen durchlaufen und war je nach den zufälligen Umständen und ver­ schiedenen Interessen mit mehr oder weniger Kompetenzen aus­ gestattet gewesen. Die Intendanten ihrerseits waren erst gegen Mitte des 16. Jahrhunderts aufgetaucht und zu Beginn nichts anderes gewesen als provisorische Kommissare, die in den Pro­ vinzen zeitlich begrenzte Aufgaben übernahmen oder den Armeen auf dem Fuße folgten. Während des Aufstandes der Fronde waren sie fast völlig verschwunden; erst seit Colbert wurden sie wieder auf festem Posten in genau begrenzten Gebieten und mit so weitgehenden Befugnissen eingesetzt, daß Lavisse mit Recht schreiben konnte, der Intendant sei der in der Provinz anwesende König. Man hat diese Formel oft mißdeutet und geglaubt, daß, ähnlich unseren modernen Präfekten, der Intendant sozusagen keine per­ sönliche Existenz hatte, daß er nur Abglanz des Ministers war ' und selbst nichts Wichtiges bestimmen konnte, ohne darüber nach Versailles zu berichten. Das entspricht nicht den Tatsachen. Die dem Intendanten übertragenen beträchtlichen Machtbefugnisse standen ihm persönlich wirklich zu; er gebrauchte sie auch selbst sehr weitgehend und unter seiner eigenen Verantwortlichkeit; er bettelte keineswegs unaufhörlich um Anweisungen und Befehle aus Paris, sondern handelte vielmehr aus eigener Initiative, strebte nach Neuerungen und suchte die Bestätigung seiner Unter­ nehmungen nur durch den Erfolg; er löste die auftretenden Schwierigkeiten an Ort und Stelle, führte die von ihm für nötig gehaltenen Reformen durch und setzte seine Person und Auto­ rität dafür voll und ganz in der Erwartung ein, später einmal durch einen Erlaß des Rates gedeckt zu werden, den er übrigens selbst vorschlug, vorbereitete und abfaßte. Der contrôleur général überwachte ihn wohl von oben, störte ihn jedoch nicht. Diese Freiheit ging so weit, daß ein Intendant von Paris von sich aus für seinen Steuerbezirk die Anlage einer Steuer völlig ändern und z. B. die Kopfsteuer, welche eine Klassensteuer war, in eine Miet­ steuer umwandeln konnte. Der Intendant, der als junger Beisitzer im Staatsrat durch seine Berichte und Arbeiten die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, ist also bereit, in seine Provinz abzureisen. Er ist ernst und fleißig, für alle Neuerungen und Fortschritte empfänglich und brennt darauf, zu handeln und sich auszuzeichnen. Während zehn, 20

zwanzig, dreißig, vierzig Jahren oder noch länger bleibt er auf dem gleichen Posten und verläßt die Intendantur nur, um die Stelle eines Staatsrates oder Ministers anzutreten; während seines ganzen Lebens wird er jedenfalls nicht aufhöreri, die gleichen Fragen in gleichem Geist und mit derselben vorsichtigen Kühn­ heit zu bearbeiten. Frankreich hatte zu keinem Zeitpunkt seiner Geschichte, selbst 'nicht zur Zeit der großen'Präfekten Napoleons, eine so'weise, achtsame, arbeitsame, dem öffentlichen Wohl ergebene und den Wünschen der öffentlichen Meinung derart zugängliche Ver­ waltung; denn wenn der Intendant auch einerseits der Mann des Königs ist, so ist er andererseits auch der Vertreter der Provinz; er wohnt schon so lange dort, daß er ein Teil von ihr geworden ist, ihre Interessen verteidigt, sich zu ihrem Sprecher macht und im Notfall sie auf Grund seiner früher erworbenen Verdienste gegen die Ansprüche und Unternehmungen. der Zentralgewalt schützt. Rings um die Intendanten entstehen und organisieren sich all­ mählich die großen öffentlichen Verwaltungen, die, von der Re­ volution aufgehoben, Napoleon nur wieder einzuführen braucht, um dann als deren Neuschöpfer zu erscheinen. Gerechterweise muß dem letzten Bourbonen die Gründung bzw. Vervollkomm­ nung all dieser Institutionen und Körperschaften, wie z. B. die Eintragung in die Register, die Domänen, Hypotheken, die Ein­ hebung des „vingtième“, des Zwanzigstels, woraus sich später die direkten Steuern entwickeln, die Staatsregie, Post, Staats­ forste, Straßen- und Brückenverwaltung, Bergwerke u. ä., gut­ geschrieben werden. Viele Bauwerke verdanken der Tätigkeit der Intendanten ihr Entstehen; die Physiognomie und Gesamtanlage fast aller Pro­ vinzstädte geht auf sie zurück, so z. B. von Bordeaux, Nancy, Orleans, Tours, Rennes, Metz, Chalons, Rouen, Limoges, Poi­ tiers, Besançon, wo Plätze, Straßen und Gärten unberührt auf uns gekommen sind und wo die Voraussicht und der feine Ge­ schmack ihrer ehemaligen Verwalter sich in den Steinen und im Boden ein Denkmal gesetzt haben. Aber mehr noch als beim Entlangschlendern an alten Patrizierhäusem dringt man beim Herumstöbem in den uns hinterlassenen Archiven in die Absichten der Intendanten ein und ermißt ihre Großtaten. Es gibt nichts weniger Abstoßendes als diese Akten und Schrift­ wechsel: Die Männer jener Zeit verstanden es noch, die schwie­ 21 ’

rigsten Fragen in einer leicht flüssigen Sprache zu behandeln, ohne dabei in unnötige Längen oder ungepflegte Ausdrucksweise Zu verfallen. Wenn ein Minister an. einen Intendanten schreibt, so tut er das im Tone einer sachlichen Unterhaltung zwischen gebildeten Menschen. Sein Stil ist einfach, klar und genau, und mit wenigen Worten wird das zu Sagende ausgedrückt. Ohne Umschweife oder unnötige Längen wird die Angelegenheit in wenigen Zeilen von allen Seiten her beleuchtet; alles wird in ge­ wählter Weise ausgedrückt, höflich und vertraulich zugleich. Nie schreibt ein Staatssekretär vor, oder erteilt gar Befehle, noch er­ läßt er Verbote, sondern er rät, empfiehlt und ersucht. Er schreibt gewöhnlich: „Ich wäre Ihnen verbunden...“ Zwischen ihm und den Intendanten gibt es keine Unterwürfigkeit, keinerlei Zeichen bürokratischer Subordination. „Oft kann man erst an ganz leichten Nuancen der Schlußformel erkennen, wer Vor­ gesetzter und wer Untergebener ist. Herr Ardascheff, der diese Fragen sehr genau studiert hat, zitiert folgendes Schreiben des contrôleur général der Finanzen Lambert an den Intendanten des Languedoc: „Ich habe von Ihnen die Abschrift der Beratungen über jedem einzelnen Artikel zu­ sammen mit dem Schreiben, mit dem Sie mich am 29. vergange­ nen Monats beehrten, erhalten. Ich danke Ihnen für diesen neuen Beweis von Zuneigung.“ . Der Herr Innenminister schreibt sicherlich nicht in diesem Ton an seine Präfekten. Das rührt zweifelsohne daher, daß Präfekten und Minister einander nicht kennen; die einen sind die Männer des Parlaments, die andern die der Verwaltung. Im Anden Ré­ gime gehörten jedoch Minister und Verwaltungsbeamte der glei­ chen Gesellschaftsschicht an, jenem Staatsadel, der die Justiz­ ämter ererbte und des Königs beste Diener stellte. Ein offizieller Stil zwischen diesen Männern der guten Gesellschaft hätte depla­ ziert gewirkt; sie wollten sich nicht der Lächerlichkeit aussetzen und verwendeten deshalb in ihren Schreiben keine andere Sprache als die in ihren Salons übliche. Inmitten unzähliger Schwierigkeiten, von üppig wuchernden Insti­ tutionen auf Schritt und Tritt gehemmt, von mürrischen Steuer­ zahlern stets eifersüchtig überwacht, gelang es diesen eleganten und entschlossenen Verwaltungsbeamten, ihre Unternehmungen durch den Erfolg zu krönen. Die Revolution ist nicht in einem erschöpften, sondern in einem blühenden und in voller Entfaltung stehenden Land ausgebrochen, wie schon Mathiez sehr richtig bemerkt. 22

Zw e i t e s K a pitel

REICHES LAND - ARMER STAAT Elend kann wohl zum Aufruhr führen, aber keine Revolutionen verursachen, die ihrerseits tiefere Ursachen haben; und 1789 waren die Franzosen nicht unglücklich, ganz im Gegenteil. Glaub­ würdige Unterlagen beweisen uns, daß der Reichtum seit einem halben Jahrhundert beträchtlich zugenommen und daß sich die materielle .Lage aller Gesellschaftsschichten, mit Ausnahme der Landadeligen, wesentlich gebessert hatte. Das korporative System, das viel weniger drückend und weniger allgemein war als behauptet, hatte die Entstehung und den Auf­ bau der Großindustrie nicht gehindert. Das aus England ein­ geführte Maschinensystem hatte die Kapitalbildung gefördert, und es zeichnete sich bereits, wenigstens in einigen permanenten Zü­ gen, das klassische Gesicht des Frankreichs der Bergwerke und Fabriken ab. Im Norden und im Massif Central stieg die För­ derung der Kohle mächtig an, und es entwickelten sich metall­ verarbeitende Fabriken (Le Creusot stammt aus dem Jahre 1781); in Lyon: Seidenwaren; in Rouen und Mühlhausen: Baumwollwaren; in'Troyes: Kurzwaren; in Castres, Sedan, Abbéville und Elbeuf: Wolle; in Lothringen: Eisen und Salz; in Marseille: Seife; in Paris: Gerbereien, Möbel und Luxusindustrien. Und schon da­ mals klagte man über Mangel an Arbeitskräften und Brenn­ stoffen! Alle heute üblichen Gesellschaftsformen werden laufend an­ gewendet; Adelige und Bürgerliche mischen dabei ihre Kapita­ lien, und große Herren werden Gesellschafter von Abenteurern. Anzin und Aniche gehören zwei Aktiengesellschaften, deren eine von dem Prince de Croy gegründet wurde; der Duc de Charost betreibt Roche-La-Moliere, der Prince de Conti, der Marschall de Castries und Tubeuf Grand’-Combe. Die moderne Persönlichkeit des Großindustriellen, der über Mil­ lionen verfügt und Hunderten von Arbeitern befiehlt, gibt es schon lange vor der Revolution, ebenso wie den Typ des Finanz­ mannes, der als Mittelsmann, Makler, Geldgeber und Wechsel­ agent auftritt. Es gibt schon eine Börse, Banken, eine, ähnlich der Banque de France, Banknoten herausgebende Eskompte-Bank mit 100 Mil­ lionen Kapital, und Börsenspekulationen und Notierungen. Man spekuliert in Valuten, Staatspapieren und Aktien, der großen Ge23

Seilschaften, wie z. B. der Iridiengesellschaft, der Wassergesell­ schaft und der Versicherungsgesellschaften. Nach demUrteil Neckers besitzt Frankreich die Hälfte des gesamten europäischen Geldes. Der Außenhandel hat eine märchenhafte Entwicklung genommen, die wir, was in der Wirtschaftsgeschichte des Ancien Régime selten vorkommt, dank den von einem Beamten dès contrôle général namens Arnold geführten Statistiken, die sich wieder auf von der Indiengesellschaft gelieferte Angaben stützen, von Jahr zu Jahr genau verfolgen können. Seit dem Tode Ludwigs XIV. hat sich der Außenhandel mehr als vervierfacht und erreicht 1788 1061 Millionen; diese riesige Zahl wird vor 1848 nicht wieder erzielt werden. Die großen Häfen Marseille, Bordeaux und Nantes zeigen ihre bekannte lebendige Farbigkeit und weltoffenen Charakter ' und vermitteln einen Eindruck von Reichtum und .Größe, der auch heute noch den an enge Horizonte und ein ruhiges Leben ge­ wöhnten Bauern des Landesinnem überrascht. Marseille bemäch­ tigt sich des Handels mit der Levante; auf seinen Ladekais und in seinen Läden häufen sich Teppiche, feine Kattunwaren, Liköre, , Reis, Getreide, Zypernweine, Öle, Häute, Musseline und Leinen­ waren; Bordeaux und Nantes haben das Monopol für Kolonial­ erzeugnisse; San Domingo allein liefert ihnen die Hälfte des in der Welt verbrauchten Zuckers. Seine kurze Zeit durch den Ver- ' trag von 1763 erschütterten Großreeder haben sich rasch wieder gefaßt, und die Siege des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges haben ihre Unternehmungslust neu entfacht. Wo 1738 nur 7 Schiffe vom Stapel laufen, werden 1784 33 gebaut; die Bordeauxweine. • werden bis nach Rußland verkauft, während die Burgunder in Belgien und Deutschland den Markt beherrschen. \ Der Binnenhandel nimmt eine ähnliche Entwicklung.’1715 gab es nur schlechte Straßen, die von Schlaglöchern strotzten und vom Wasser weiter verwüstet wurden; nur vereinzelt fand man ge­ pflasterte Fernverkehrsstraßen, die jedoch gleichfalls verfielen. 1789 gibt es 10000 Meilen guter Straßen, die gründlich geschottert und ordentlich unterhalten sind und denen weder Flüsse noch Berge Einhalt gebieten können. Der von Turgot reorgani­ sierte Postkutschenverkehr ist schneller und billiger geworden; in keinem anderen Land reist man so schnell, so gut und so billig. Arthur Young, der unter Ludwig XVI., zu Beginn der Revolu­ tion, Frankreich bereiste, wurde nicht müde, die Schönheit und Bequemlichkeit der französischen Straßen zu bewundern, obwohl er sonst sehr dazu neigte, alles Nichtenglische herabzusetzen. 24

Hier erhebt sich jedoch eine ernste Frage. Ruhte diese ganze glänzende Gesellschaft, so wie man behauptet hat, auf einem Untergrund von Elend, und lebte unter der Schicht reich gewordener Bürger eine riesige Masse von hungernden Bauern, die über keinerlei materiellen Rückhalt verfügten? Viele haben dies behauptet; und man zitiert dann die berühmte Stelle von La Bruyère: „Man sieht gewisse wilde Tiere, Männ­ chen und Weibchen ... schwarz, fahl und von der Sonne ganz verbrannt“, ohne sich dabei zu vergegenwärtigen, daß diese hun­ dert Jahre alte Seite nichts anderes als ein von einem bitteren Moralisten verfaßtes Stück Literatur ist, für den das reizende Tal der Chevreuse schon eine Wildnis darstellte. In gewissen volkswirtschaftlichen Schriften hat man entsetzliche Schilderungen vom Leben der Landbewohner-gesammelt, die je­ doch meist von .Stubenhockern geschrieben wurden, die das flache Land nur aus den Werken von Quesnay kannten, und zwar in einer Zeit, wo es Mode war, die einfachen Tugenden der Bauern Zu verherrlichen und Ströme von Tränen über schlechte Ernten oder eingegangene Merinoschafe zu vergießen. Man hat die Zeug­ nisse von Reisenden zitiert; aber neben jede düstere Note könnte man eine helle setzen.' Wie wäre es übrigens möglich, aus solchen flüchtigen Angaben allgemeine Schlüsse zu ziehen? In einer ein­ zigen Wagenstunde durchquert man gute und schlechte,Lände­ reien, fruchtbare und unfruchtbare Böden; ein einziger Hagel­ schlag genügt oft, um ganze Dörfer in Trauer zu versetzen; Ernten, die im Juni gut scheinen, erweisen sich im Juli als'sehr schlecht; ein sonniger Frühling macht seinerseits wieder einen harten Winter wett. Alles ändert sich, von einem Jahr zum an­ deren, von einer-Provinz zur anderen, und es wäre deshalb ver­ fehlt, örtlich beschränkten Einzeltatsachen eine Tragweite zu ver­ leihen, die weit über die Grenze des betreffenden Gebietes hin­ ausgeht. ... • Und dann.muß man sich eine unbestreitbare Grundtatsache ver­ gegenwärtigen, nämlich daß das: St e u e r s y s te m , das auf, dem Bauer l a s t e t e , f ür diesen den Anschein d e r A r m u t zu e i n e r f a s t a b s o l u t e n N o t w e n d i g k e it machte. Die „taille“, die bäuerliche Steuer par excellence, war eine Art Einkommensteuer, die annähernd nach den ä u ß e re n Zei chen des Reichtums von abwechselnd unter den Bauern selbst ge­ wählten Eintreibern erhoben wurde.

Und wehe dem aufrichtigen und genauen Steuerpflichtigen! Auf ihn fällt allein die ganze Last. Die gegen ihren Willen bestimm­ ten Taxatoren, die eine im vorhinein festgelegte Gesamtsumme aufzubringen haben und sich so rasch als möglich ihrer fürchter­ lichen Aufgabe entledigen wollen, freuen sich, einen gutgläubigen Naiven, eine „Pflaume“, wie man heute sagen würde, gefunden zu haben, und beeilen sich, seinen Steuersatz zu verdoppeln oder zu verdreifachen, während sie diejenigen ungeschoren lassen, von 'denen sie Schwierigkeiten befürchten, die Gerissenen, die ihre Einkünfte zu verheimlichen verstehen, die Starrköpfigen, von denen bekannt ist, daß man nicht mit ihnen nach Belieben umspringen kann, die hartgesottenen Streithänse, die weder Verwick­ lungen noch „Geschichten“ fürchten. Es ist eine in der Volksmeinung tief verwurzelte, unumstößliche , Ansicht, daß das einzige Mittel, nicht für die anderen mitzahlen zu müssen, und die einzige Art, nicht durch ungerechte Schät­ zungen erdrückt zu werden, darin besteht, seine Ausgaben ein­ zuschränken, arm zu erscheinen und nach außen den größten Mangel vorzutäuschen. „Der Reichste im Dorfe“, schrieb 1709 ein Amtmann der Ile de France, „würde sich nur in der Nacht ge­ trauen, ein Schwein zu schlachten, denn wenn er dies öffentlich täte, würde man ihm die Steuern erhöhen.“ Die Provinzial­ versammlung des Berry stellt im Jahre 1778 gleichfalls fest, daß der Bauer „sich fürchte, seine Fähigkeiten“, d. h. seine Einkünfte, zu zeigen, und daß er sich „den Genuß seines Vermögens, was Möbel, Kleidung, Nahrung, kurz alles, was der Beobachtung durch andere ausgesetzt ist“, versagt. , Es ist das Schicksal aller willkürlich festgesetzten Steuern, daß sie, auch wenn sie mäßig sind, nur schwer eingetrieben werden können. Der Steuerzahler des Ancien Regime ist widerspenstig, verschlagen und geizig, und zwar in einem Maße, wie wir es uns heute kaum mehr vorstellen können: Seine Aufsässigkeit kennt keine Grenzen; erst im alleräußersten Falle zahlt er; meist ist er zwei bis drei Jahre im Rückstand. „Wer Geld versteckt hat“, sagt Boisguillebert, „läßt sich vor der 40. ^feierlichen Auf­ forderung nicht einen Sou herauslocken.“ Ehe man seinen Wohl­ stand durch fristgerechte Zahlung zugibt, läßt man sich lieber vor • Gericht schleifen und mit Beschlagnahme bedrohen. Der Intendant wird mit Reklamationen und Beschwerden bestürmt; man läßt den adeligen Herrn, den Richter und den Pfarrer inter­ venieren und jammert, klagt und protestiert ohne Unterlaß, wo­ bei jeder sich bemüht, am lautesten und längsten Zu jammern und 26

zu klagen, um nur ja nicht reicher oder gutwilliger zu erschei­ nen als der Nachbar. Rousseau hatte sich einmal im Gebirge verlaufen; da er hungrig war, trat er bei einem Bauern ein und bat um etwas zu essen. Der Bauer schlug es ihm rundweg ab, da man ihm selbst alles ge­ nommen und nicht den geringsten Vorrat gelassen habe; Rousseau könne, selbst nachsehen, alles sei leer. Rousseau bat, drang in ihn und nannte schließlich seinen Namen. Der andere beruhigte sich nun, gewann Zutrauen, entdeckte zitternd ein Versteck und zog daraus geheimnisvoll Brot, Fleisch und Wein hervor, wobei er unablässig beteuerte, daß er ein verlorener Mann sei, „wenn be­ kannt würde, daß er solche Reichtümer besitze“; So ist also die Lage der Bauern des Ancien Régime: Nach außen ein großes Zurschaustellen des Elends und hinter diesem Schein ein geruhsames, oft wohlhabendes, ' manchmal sogar reiches Leben. Sie sind — wenn dies noch besonders betont werden muß — freie Menschen. Die Leibeigenschaft, die sich in fast allen Ländern Europas gehalten hat, besteht in Frankreich nicht mehr; sie existiert nur noch in gemilderter Form in einigen ganz entlegenen Gebieten des Jura und des Bourbonnais. Der König hat es sich 1779 angelegen sein lassen, die letzten Spuren davon auf seinen Gütern auszutilgen, und : er wurde von einigen Adeligen der Franche-Comté nachgeahmt. Die Bauern sind meistens auch selbst Grundbesitzer. Während sie in England durch das System der „enclosures“ zu einfachen Dienern oder Taglöhnern herabgedrückt werden, ziehen sie in Frankreich von den steigenden ' Preisen für landwirtschaftliche Erzeugnisse Nutzen und verbessern ihre eigene Lage. Jedenfalls steht fest, daß sie am Vorabend der Revolution mindestens die Hälfte des Bodens besitzen, und dazu müssen noch zu dem Teil, der dem Klerus, dem Adel und den Bürgern gehört, viele un­ produktive Ländereien, wie Wälder, Jagden, Parks und Zieranlagen, gerechnet werden. Wenn in den Mauges, d. h. in einem der Gebiete, in dem der Be­ sitz der Kirche und des Adels am besten erhalten blieb, die bei­ den privilegierten Stände noch 63 % der Ländereien in Besitz haben, so besitzen in Larrazet (Tam-et-Garonne), nach dem uns überlieferten Kataster von 1769, die Bauern und Landhandwerker schon, damals 49,80/0; in Paröy (Seine-et-Marne, Arrondissement von Provins) haben die Bauern nach einem vom Schloßherm auf­ bewahrten Kataster im Jahr 1769 mit 501 von 941 Arpents (1 Ar-

pent = ca. >/3 ha, A. d. Ü.) schon das Übergewicht; dasselbe Ver­ hältnis ist im Gebiet von Forez; in der Zeit von 1750—1789 haben die Bauern des Steuerbezirkes von Soissons viermal mehr an Ländereien erworben als verloren; die Bauern des Limousin haben von 1779—1781 4000 Arpents dazugekauft. In 85 Pfarreien des Gerichtsbezirkes von Tulle besitzen sie von insgesamt 247000 Arpents 137080; in 43 Pfarreien des Gerichts­ bezirkes von Brive 34000 von insgesamt 63000; in diesen beiden Steuerbezirken sind nur 170/0 nichtselbständige Grund­ besitzer. Für gewisse Dörfer gelangt man zu noch günstigeren Ergebnissen, so Z.B. für Gillonay in der Dauphiné, in der Nähe von CôteSaint-André. Seit 1702 besitzen dort die. Bauern von 1378 ha ins­ gesamt 800; zur Revolution 1250. Die Adeligen haben nur einige Weinberge retten können; die beiden Schlösser und die zugehöri­ gen Meierhöfe wurden an Bürgerliche verkauft. In Saint-Benoist-sur-Loire, im Gebiet von Orléans, besitzt die alte und berühmte Abtei, die ursprünglich das ganze Land zu eigen hätte, nur noch 4 Meierhöfe; alles übrige haben reiche Bauern erworben. Die restlichen, insgesamt 340 Familien, teilen sich in 733 Arpents an Feldern, Wiesen und Weinbergen; 296 be­ sitzen ein Haus ganz öder teilweise; von den 4 als Taglöhner bezeichneten Einwohnern besitzt der erste ein Haus und einen Garten, der zweite ein Stück Weinberg, der dritte 1 Arpent Feld und 1/» Arpent Weinberg und der vierte % Arpent Feld und 1/4 Arpent Weinberg. Die ganz kleinen Grundbesitzer führen zu gleicher Zeit 2 Be­ triebe, den einen für eigene Rechnung,- den. anderen als Pächter. Und hier muß noch eine letzte Einkunftsquelle hinzugefügt wer­ den, die Heimindustrie, die Weberei oder Eisenkleinwarenerzeu­ gung, welche, im 18. Jahrhundert stark verbreitet, heute fast aus­ gestorben ist; die Schlosser in Vimeu und die Uhrmacher im Jura sind noch Zeugen dieser alten Arbeitsweise. Vielerorts ist die Feldbestellung primitiv geblieben; das Brach­ feldersystem ist die Regel, und die Erträge sind gering. So be­ müht sich auch die Regierung, die Verwendung künstlich bewäs­ serter Wiesen zu propagieren; oft hat sie bei diesen Bemühungen Erfolg, unterstützt von dem Hochadel, der sich entsprechend der allgemeinen Mode sehr mit landwirtschaftlichen Fragen be­ schäftigt. Mustergüter werden errichtet, tierärztliche Schulen gegründet, Wettbewerbe veranstaltet, zahlreiche Sümpfe trocken­ gelegt, Heidelandschaften urbar gemacht, nutzlose Weideflächen 28



verringert und die Viehzucht durch Einführung und Akklimati­ sierung neuer Rassen verbessert. Goethe, der 1792 im Gefolge der preußischen Armeen nach Frankreich kommt, ist überrascht, dort so saubere und gut gebaute Häuser mit schönen Möbeln und wohlgefüllten Kellern vorzufinden. Wenn dies auch noch nicht direkt Glück und Wohlstand ist, so doch irgend etwas, das dem sehr nahe kommt. Stellte jedoch dieses ständig wachsende und sich verbessernde bäuerliche Eigentum ein tatsächliches Eigentum im eigentlichen Sinne des Wortes dar, oder handelt es sich nur um eine Art ein­ fachen, mit unerträglichen Dienstleistungen belasteten Besitz? Das Feudalwesen, das nicht mehr als politisches Regime und nicht einmal mehr als soziale Einrichtung existierte, bestand immer noch nach zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Neben der königlichen Regierung waren noch die Überreste der vorherigen sichtbar, die, ihrer Befugnisse schon beraubt und keine weiteren Dienste mehr leistend, dennoch auch fernerhin den Preis dafür für sich einhob. Sicher wurde diese nunmehr unbegründet' erscheinende Belastung ungeduldig ertragen, was im übrigen natürlich und berechtigt war; daß man diese Belastung um so lästiger empfand, je aus­ gedehnter der bäuerliche Besitz wurde, versteht sich gleichfalls von selbst. Es ist jedoch mehr als zweifelhaft, daß sie ein un­ erträgliches Ausmaß erreichte. Zuerst darf man sich nicht durch die außergewöhnlich große Menge von Wörtern täuschen lassen, die alle die Feudalabgaben bezeichnen; es gab keine an Synonymen reichere Sprache. Je nach dem Ort und der Höhe der Abgabe sowie der Beschaffen­ heit der.Ländereien, hieß ein und dieselbe Abgabe: champart, terrage, agrier, agrière, parcière, tasque, tierçage, sixte, cinquain, vingtain, carpot, etc. ... Jedes Hauptwort hat 7—8 Äquivalente, manchmal sogar mehr, und man schließt rasch von dieser Vielzahl von Bezeichnungen auf eine vielfache und gefräßige Steuergesetzgebung, während sich in Wirklichkeit alles auf 4 oder 5 Abgaben reduzierte, von welchen die einen in Natura­ lien, die anderen in Geld zu zahlen waren. Die in Geld zahlbaren Steuern waren im Mittelalter ein für alle­ mal festgesetzt worden, was bedeutete, daß sie infolge der Geld­ verschlechterung zu einem Nichts zusammengeschmolzen wären und nur noch als bloße Formalitäten weiterbestanden; bei ihnen kam wohl die Eitelkeit des Adeligen, nicht aber seine Börse, ,auf die Rechnung. ... 29

Die Naturalleistungen waren größer, aber die Ansprüche darauf strittig, und viele Adelige vermieden es, entweder aus Nachlässig­ keit und Furcht vor Schwierigkeiten oder aus Angst, eine Aus­ wanderung hervorzurufen, ihre Rechte dem Buchstaben nach wahrzunehmen. „Schlagt viel Lärm“, schrieb der Duc de CosséBrissac seinen Eintreibern vor, „aber übt nur in dringlichen und unvermeidlichen Fällen einen Zwang aus.“ . . Vielerorts zahlten die Bauern laufend während 20 oder 30 Jahren überhaupt nichts ; anderswo wieder hatten sie Regelungen er­ zielt, welche die alten Sätze beträchtlich herabsetzten; wieder wo­ anders hatten sie mit den Ländereien zugleich auch die darauf lastenden Abgaben käuflich erworben. Hunderte- von Wegegeldern waren von den Intendanten auf­ gehoben worden; oft waren jedoch noch Leistungen übrig geblie­ ben, wie die Erhaltung einer Kelterpresse, eines Backofens oder einer Mühle, auch, wenn der eigentliche Pachtzins keine Daseins­ berechtigung mehr hatte. In den kirchlichen Abgaben war gleich­ falls inbegriffen, daß der Klerus den Unterhalt für den Kult bestritt, die Kinder unterrichtete, die Armen unterstützte und die Kranken pflegte. Es ist schwierig, Zahlenwerte für die Abgaben an den Lehns­ herren anzugeben. In verschiedenen Ortschaften des Maine ist es jedoch Herrn Jean de la Mouneray gelungen, genaue Unterlagen zu sammeln. So belaufen sich die Gesamtabgaben an die Lehns­ herren auf 12,50/0 des Einkommens für die bürgerlichen Lehen von Baubry; der Grundzins des Lehens von Courtoux beträgt bei einem Jahreseinkommen von 360 Franken nur 15 Sous an Steuer und 2 Tage Arbeitsdienst, was minimal ist; auf dem Lehen von Forest überlassen die Pächter dem Adeligen ungefähr den hun­ dertsten Teil eines Einkommens von 4488 Franken; auf dem Lehen von Trouchet entsprechen die Abgaben einem Sechzehn­ tel des Ertrages. Im Durchschnitt kann man .in dieser Gegend, ohne damit eine illusorische Genauigkeit erreichen zu wol­ len, einen Prozentsatz von 10 annehmen, was ungefähr so viel ist, wie in Guyenne (nach Marion), weniger als in der Bre­ tagne (H. Soc.), aber mehr als im Roussillon (Bruteils) gezahlt wird. ' Das eigentlich Unangenehme bei den noch bestehenden feudalen Ansprüchen bestand keineswegs in ihrer Höhe, sondern in der einfachen Tatsache, daß es sich um überholte und überlebte An­ sprüche handelte, mit all dem, was dies an Ungewißheit und Streitigkeiten nach sich zog. „Bei der Feudalherrschaft gibt es 3°

nichts Wirkliches, außer dem Prozeß“, sagte • Le Trosne, und hier ruhte auch in Wirklichkeit das ganze Übel. Die Feudalabgaben boten einen schier unerschöpflichen Vorwand zu Schikanen. Eine-ganze Schar von kleinen ländlichen Rechts­ verdrehern, die außer diesen ständigen Zwistigkeiten keine andere Daseinsberechtigung hatten, war eifrig damit beschäftigt, ihr Gift überallhin zu verspritzen. Alles und jedes war ein genügender Grund zum Prozessieren: Die Unklarheit der Gebräuche, die Un­ genauigkeit der Termine, mangelnde Anspruchsunterlagen, die Schwierigkeit, neue Entsprechungen für die alten Raum- und Flächenmaße zu finden, die Unterscheidung der Abgaben in Geld- und Naturalleistungen, die • Zahl, Art und Berechtigung von Änderungen und Verkäufen, die Hinterziehungen und Rück­ stände der herrschaftlichen Müller usw. Es wird unaufhörlich und unerbittlich prozessiert, wobei die streitenden Parteien an bösem Willen wetteifern, um ja den Rechtsstreit zu verlängern, und die Richter tun noch dazu, was in ihrer Macht steht. Diese Prozeßwut wurde in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nur noch schlimmer: Viele Adelige, die nicht mehr auf ihren Ländereien lebten, die ganzen Scherereien los sein wollten und sich ein sicheres Einkommen zu sichern wünschten, hatten die Eintreibung der Steuern Geld- oder Geschäftsleuten übertragen, die, da sie durch keinerlei Familienerinnerungen oder Über­ legungen von Ehre an die ortsansässige Bevölkerung gebunden waren, nur den einen Wunsch hatten, möglichst viel Geld aus ihnen herauszuholen. Oft gingen auch die Adeligen daran, da sie sich nicht mehr im Besitz unanfechtbarer Unterlagen fühlten und weil ihre Ansprüche von Tag zu Tag stärker in Frage gezogen wurden, sämtliche zu ihrem Besitz gehörigen Abgaben durch in dieser Art von Tätigkeit spezialisierte Juristen, denen überdies ge­ wöhnlich ein gewisser Prozentsatz der so von ihnen eingebrachten Renten zugebilligt wurde, überprüfen und ergänzen zu lassen. Die Bauern, die sich seit je auf die Unzulänglichkeit von ge­ schriebenen Dokumenten hinausgeredet hatten, um so ihren Widerstand zu rechtfertigen, konnten bei diesem Vorgehen nur verlieren. Robert Latouche hat die Art untersucht, mit der das .Verzeichnis der Zinsleute und Abgaben des Stiftes von Montpezat, im Bas-Quercy, neu aufgestellt wurde. Die für diese Arbeit verpflichteten beiden Lehnsrechtskundigen gingen mit ihren Untersuchungen bis ins 14. Jahrhundert zurück, und da sie an der Hälfte der einzutreibenden Beträge beteiligt waren, legten sie eine maßlose Geldgier an den Tag. „Mehrere Male erscheint ihr 31

böser Glaube klar oder verschleiert.“ Sie waren raffiniert und vorsichtig genug gewesen, von den Stiftsherren die schriftliche Verpflichtung herauszupressen, daß den nicht termingerecht Er­ scheinenden oder Säumigen ohne ihre Zustimmung keinerlei Ab­ änderung oder Pauschale gewährt werden dürfe; durch diese Vollmacht gedeckt, ließen sie den Besitz eines Bauern wegen 507 Franken Rückstand verkaufen. Woanders wieder befassen sich die Rechtskundigen damit, ungebräuchlich gewordene Ab­ gaben zu neuem Leben zu erwecken und die Zinssätze von kleiner gewordenen Abgaben wieder zu erhöhen. All dies nannte man die ■ Feudalreaktion. Genau zu dem Zeitpunkt, zu dem die Regierung durch von ihr geworbene Publizisten die Aufhebung der Abgaben, unter denen die Bauern litten, vorschlagen ließ, hatten diese das Gefühl, als ob die Adeligen den Versuch unternähmen, sie mit neuen Gebühren zu belasten und erhoben sich dagegen mit der Verzweiflung eines Ertrinkenden, der, als er gerade festen Boden unter den Füßen zu gewinnen glaubt, plötzlich einem neuen, unvorhergesehenen Hindernis begegnet. , Dieser Haß war unbegründet, da die Landadeligen im allgemei­ nen nicht bösartig waren. Genau so schmutzig und elend wie ihre eigenen Bauern, bewahrten sie von ihrer ganzen Herrschaft kaum mehr als einen Stammbaum, einen Taubenschlag, einen Jagd­ hund und einen verrosteten - Degen. Ihr Vermögen war in den Wirren der Religionskriege in alle Winde zerflattert, und das durch das Hereinströmen des amerikanischen Goldes verursachte ständige Steigen der Lebenshaltungskosten hatte ihnen die Wie­ derherstellung ihres Besitzes unmöglich gemacht. Sie vegetierten -in ihren verfallenen, schlecht möblierten Burgen ganz erbärmlich, .wie z. B. der Vater von Chateaubriand, der mit 5 Bediensteten und 2 Stuten in einem Schlosse wohnte, das Raum für 100 Ritter mit ihrem Gefolge und die ganze Meute des Königs Dagobert ge­ boten hätte. Ihre letzten Ländereien waren meist mit Hypotheken belastet und ihre Renten an Geschäftsleute verpfändet, die sie mit einer Hartnäckigkeit eintrieben, die sie selbst niemals angewendet hätten. ' Die Bauern hatten keinerlei Grund, sie persönlich Zu verabscheuen; vielerorts schützten sie sie während der größten Schreckensherr­ schaft und brachten sie in Sicherheit. Aber in diesem Jahr 1788 sind sie ihnen deshalb gram, weil sie das letzte Hindernis für ihre vollständige Befreiung darstellen; das letzte, d.h. dasjenige, wogegen sich aller Zorn und Groll ansammelt und das man, um rasch an das Ziel zu gelangen, ganz einfach zerbricht, statt es z,u 32

umgehen, so wie man die früheren Hindernisse umgangen hatte. Der Schatten der Knechtschaft erscheint oft dunkler als die Knechtschaft selbst. ' , ■ Man kann nicht oft genug darauf hinweisen, daß die Landbevöl­ kerung nicht homogen war: Zwischen dem Taglöhner, der nur seine zwei Hände Zur Gewinnung seines Lebensunterhalts hat, und dem reichen Bauern, der den ersteren in seine Dienste nimmt, klafft eine fast ebenso große Kluft wie zwischen einem Flick­ schuster und einem Duc oder Pair. Trotzdem ist die Lage des Taglöhners nicht schlecht, weil der Besitz auf dem flachen Lande nicht diesen absoluten Charakter trägt, den ihm das römische Recht verleiht. Der Besitz dort ist vielmehr den berechtigten Be­ dürfnissen der Gemeinschaft untergeordnet oder, juristisch aus­ gedrückt, dem „Sozialrecht“, mit anderen Worten, gewissen Dienstbarkeiten, welche ihn periodisch der ganzen Pfarrei, arm und reich, zur Verfügung stellen, wie Z.B.die gemeinsamen Weide­ plätze auf den unbebauten Ländereien, das Ährenlesen auf den Stoppelfeldern, die Nutznießungsrechte in den Wäldern, der un­ geteilte Genuß der Gemeingüter, Heideflächen, Sümpfe und Wie­ sen. Dies alles gestattet dem Landbewohner ohne eigenen Grund­ besitz, sich eine Ziege, ein Schwein, eine Kuh, Hühner und Kaninchen zu halten ünd sich gratis Streu, Holz und Futter zu besorgen. Einige dieser Gebräuche hatten sogar sehr strenge Vor­ schriften für die Bewirtschaftung nach sich gezogen: Damit die Gemeindeherde leicht von einem' Weideplatz zum anderen ge­ trieben werden konnte, mußte das ganze Gebiet der Gemeinde abschnittsweise eingeteilt werden, und jeder Abschnitt wurde dem gleichen Bebauungswechsel unterworfen; Brachland,/Wintersaat, Sommersaat. Infolge der gemeinsamen Weideplätze war es ferner verboten, die Wiesen mit Hecken oder ähnlichem einzufrieden und Getreide- und Heuernte mußten gemäß den „Öffentlichen Bekanntmachungen“ überall zur gleichen Zeit durchgeführt wer­ den. Schließlich wurde das Recht des Ährenlesens viel weniger einträglich, wenn man sich erlaubte, die Sichel durch die Sense Zu ersetzen. Kurz und gut, „alle Gedanken des armen Bauern waren darauf gerichtet, das Recht auf Einzelbesitz zugunsten der Kollektivgebräuche, die ihm selbst das Leben ermöglichten und. die er für einen ebenso geheiligten Besitz hielt wie den der ande­ ren, zu beschränken.“ /, Es ist jedoch nicht weniger klar, daß diese Gebräuche ein fast , unüberwindliches Hindernis für den landwirtschaftlichen Fort­ schritt darstellen: Die Möglichkeit der Einfriedung (die praktisch 3

G a x o t t e , R e v o lu t i o n

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schon im Westen und im Zentrum bestand) wird von den Agro­ nomen als eine notwendige Voraussetzung für Boden- und Metho­ denverbesserung sowie Produktionssteigerung gefordert. Seit 1765 bemühen sich Grundbesitzer, Viehzüchter und Intendanten, der individualistischen Agrarpolitik im Ministerium zum Siege zu verhelfen. Der Ministerrat, obgleich er den Neuerem gewogen ist, geht nur sehr vorsichtig zu Werke: Es . sollen vor allem solche Wiesen eingefriedet werden, wo die Grummetemte gerettet wer­ den soll. Trotzdem bleibt unter den Enterbten, die in der bis­ herigen Praxis ihre einzige Rettung sehen, eine gewisse Unruhe bestehen. Bezüglich der Gemeindegüter war ebenfalls ein Streit äusgebrochen. Wie sollte deren Teilung vorgenommen werden, wenn man sich schon dazu entschloß? Familienweise; und Zu gleichen Teilen? Oder entsprechend den Steuerauflagen? Wie groß sollte ,der Anteil der Adeligen ausfallen ? Ein Drittel, oder die Hälfte, wie viele behaupteten ? Wie sollten die Parzellen gezogen wer­ den? Wer würde sie zuweisen? Und würde es nicht einen VerTust für die Armen bedeuten, wenn sie im Tausch für ein großes Recht auf das Ganze ein kleines Stück Acker oder Wald zu eigen erhielten ? Alles in allem kann man sagen, daß sich im Jahre 1789 der am wenigsten begünstigte Teil, der ländlichen Bevölkerung im vir­ tuellen Aufruhr gegen die kapitalistische Umwandlung der Land­ wirtschaft befand. Es bleibt deshalb nicht weniger wahr, daß das flache Land inner­ halb der letzten hundert Jahre reicher geworden war. Gewiß hatte die seit 1730 fast unaufhörlich vor sich gegangene Preis­ steigerung ungleiche Vorteile gebracht. Es entspricht jedoch nicht der Wahrheit, daß die Taglöhner durch diese Preissteigerung be­ sonders hart betroffen worden wären, weil ja bekanntlich die Löhne immer hinter den Nahrungsmittelpreisen einherhinken. Bei dieser Betrachtung würde man vergessen, daß in den Arbeitsvetträgen nicht allein Speise und Trank, sondern auch noch .Holz­ schuhe und ein Anzug jährlich vorgesehen waren. Das Leben war für alle gesicherter geworden. Ganz Frankreich hatte an der glei­ chen Entwicklung zur Prosperität teilgenommen. Mangels eines' anderen Anzeichens würde allein die regelmäßige BevölkerungsZunahme genügen, dies zu beweisen; Frankreich zählte 25 Mil­ lionen Einwohner, zweimal soviel wie England und Preußen, so­ viel wie Deutschland, Österreich und Ungarn zusammen. In diesem glücklichen Land war der Staat arm. Da dieses Pära34

dox auch in Berlin und anderswo auftrat, setzt es uns nicht mehr in Erstaunen. Damals jedoch verursachte es Aufsehen: „Es war außergewöhnlich“, sagte Besenval, „mit anzusehen, daß der König zu einem Zeitpunkt drauf und dran war, bankrott zu machen, in dem Frankreich einen so großen Aufschwung nahm, das Befinden der Bevölkerung sehr günstig, die Landwirtschaft und Industrie sehr gut entwickelt war und Paris von Geld nur so strotzte...“ Es ist, um bei der Wahrheit zu bleiben, unmöglich, die genaue königliche Zahlungsbilanz aufzustellen. Die Vielfalt der Sonder­ budgets, die Unzahl von besonderen Kassen, das Überschneiden der einzelnen Rechnungsjahre und die'Aufspaltung der Kontrolle’ auf mehrere Abteilungen machte die Buchführung schwierig und kompliziert. Die von den einzelnen contrôleurs généraux genann- . ten Zahlen weisen beträchtliche Unterschiede auf, und man kann keine stichhaltigen Gründe anführen, weshalb man sich eher für >die einen als die anderen Angaben entscheiden sollte. / 1 ... Die Einnahmen bilden den klarsten Teil des Budgets: 475 Millio-' nen, wovon 256 auf die indirekten Steuern entfallen. Bei den Ausgaben kommt man" bei Annahme des” ungünstigsten Falls auf 600 Millionen, was 125 Millionen Defizit für 1789 ergibt. Von diesen 600 Millionen gingen 34 Millionen an' das königliche Haus und an die Prinzen; 32.Millionen entfielen auf Pensionen. Das war viel,-zu viel. Sicherlich wurden bedeutende Beträge als, zu Recht oder Unrecht) zuerkannte Gunstbeweise, als Sinekuren, Gratifikationen und Gnadengelder aller Art an die glänzende, aber nimmersatte Umgebung; des Königs verteilt. Damals-wurden Gelder für die Höflinge verschwendet, wie heute für die Wähler. Es muß jedoch auch zugegeben werden, daß die Legende diese bekannten „Schmarotzereien“ übertrieben hat? Ein Teil der Aus­ gaben war berechtigt; die königlichen Besitztümer und nationalenBaudenkmäler mußten wohl oder übel unterhalten werden; viele Pensionen waren nach unseren heutigen Begriffen Ruhegelder und Unterstützungen, die durch geleistete Dienste wohlerworben waren. Man sollte ferner nicht vergessen, daß der Hof im Grunde ge­ nommen ein'Mittel dafür war, die heirrschsüchtigen Großen zu­ rückzuhalten und zu überwachen; und wenn man sich an die Greuel der Fronde erinnert, muß man; wohl zugeben, daß der soziale Frieden dabei gewonnen hat. Sicher ■ wären energische Einsparungen durchführbar, aber so groß sie auch gewesen wären, so hätten sie nur eine mäßige Erleichterung bedeutet, da es 'sich im Grunde genommen nur um übergeordnete Ausgaben handelte. ■' '\

Wenn wir das Kriegsministerium — 100 Millionen — und das Marineministerium mit 47 Millionen, bei denen man angesichts der gesamteuropäischen Lage nicht leicht etwas einsparen konnte, außer acht lassen, gelangen wir zu der wahren Ursache, des Defi­ zits, nämlich der Zahlung der Renten und Rückzahlung der An­ leihen: 300 Millionen, die Hälfte des Budgets, ein ungeheurer Teilbetrag, der jedoch immer noch geringer war als heutzutage. • Von diesen 300 Millionen gehen nur genau ,93 Millionen, weni­ ger als ein Drittel, auf Ludwig XIV. und Ludwig XV. Zurück, der ganze übrige Betrag stammt von Ludwig 'XVI.' Diese Tatsache ist wichtig und verdient nähere Beachtung,. Die besten Budgetjahre des Jahrhunderts waren 1737, 1738 und 1739; während dieser Zeit deckten die Einnahmen die Ausgaben, die Zahlungen erfolgten regelmäßig, und es wurden sogar leichte Überschüsse erzielt. Der König und der Ministerpräsident Fleury gingen in der Sparsamkeit mit gutem Beispiel voran; man be1 schuldigte sie sogar des Geizes, und böse Zungen behaupteten, der Heißgeliebte koste seine Mätressen schwere Gelder. Die Land- und Seekriege Zerstörten dieses schöne Gleichgewicht; aber der Einsatz war groß und rechtfertigte alle Opfer, galt es doch, die Kolonien zu verteidigen und England die Herrschaft über die Meere streitig zu machen. Die Finanzen wurden davon allerdings arg mitgenommen und, trotz Zahlreicher Appelle an die Sparer, traten wieder Defizite auf; von einer Katastrophe konnte aber keine Rede sein. Die Finanzminister Ludwigs XV. waren keineswegs alle überragend, weit davon entfernt. Jeder blieb aber wenigstens, bei allen mehr oder weniger glücklich gewählten Lö­ sungsversuchen, jenem elementaren Grundsatz treu, der verlangt, daß einer jeden neuen Anleihe auch neue Einnahmequellen zur Sicherung des Zinsendienstes entsprechen müssen, und dank dieser Vorsichtsmaßregel konnte das Ärgste vermieden werden. Als Ludwig XV. starb, unternahm der Abbé Terray die Reform der Abgabe des vingtième und machte sich daran, die bevorzugten Steuerzahler, gleichfalls zu erfassen. Turgot änderte nichts, weder zum Guten noch zum Schlechten; er wird jedoch bald durch jemand ersetzt, den seine Zeitgenossen für ein wohltätiges Genie hielten, der aber nichts als ein eitler Illusionist war: Necker. Jüngster Sohn eines preußischen Advo­ katen, der in Genf deutsches Recht lehrte, und Sprößling. einer lutherischen Familie, die sehr viele Kirchendiener, Kantoren und Pastoren aufwies, war Jacques Necker mit 16 Jahren in den Dienst des Bankiers Isaak Vemet eingetreten. Dort fiel er, wie M ' ... ■' v .A;.' . V; ■ ' / 36'

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sein letzter Biograph schreibt, durch seine :„schwerfällige und methodische Zähigkeit“ auf. Nach 2 Jahren, nachdem er Kal­ vinist und Freimaurer geworden war, wurde er in die Zentrale teiligt. Der Neffe von Vemet, Thélusson, behielt ihn als Teil­ haber mit einer Beteiligung von 250/0. Die Bank nahm plötzlich einen außergewöhnlichen 'Aufschwung. Durch die Indiskretion eines Beamten hatte Necker den Verlauf der Friedensverhandlungen zwischen Frankreich und England er­ fahren und diese Information dazu benützt, Unmengen englischer Wertpapiere zu Spottpreisen aufzukaufen, deren Kurs bald darauf anzog und ihm einen märchenhaften Gewinn — nach Angaben sei­ ner Feinde 1800000 Franken — abwarf, der den Grundstock zu seinem Vermögen bildete, das er durch ähnliche Operationen mit kanadischen Schuldverschreibungen noch vermehrte. Den Ursprung seines ,Reichtums ließ er dadurch in Vergessenheit ge­ raten, daß er Philosophen und „fortschrittliche“ Schriftsteller in seinem Hause empfing, ,eine Freigebigkeit, die ihm auch noch den Ruf eines aufgeklärten Mannes einbrachte. In Wirklichkeit er­ streckte sich seine ganze Kunst auf das Auflegen von Anleihen; er verstand es vorzüglich, Kombinationen zu finden, die. dem Publikum gefielen, und unterstützte diese Aktionen durch gleich­ zeitige Appelle an die edlen Gefühle des Menschen und durch Durchführung kleiner, aber ins Auge fallender Sparmaßnahmen, vor allem jedoch durch eine Flut von falschen optimistischen Nach­ richten, wofür sein berühmter Rechenschaftsbericht von 1781 ein Musterbeispiel ist, da er bei völlig ungenauer Darstellung der Lage Tausende von Illusionen erweckte, aber später auch bittere Enttäuschungen hervorrief und das Eingeständnis der Wahrheit nur um so schwerer machte. Von maßloser Eigenliebe, die aus allen Poren seiner Haut aus­ zuströmen schien, verzehrt, behauptete er, den Krieg in Amerika ohne zusätzliche Lasten, ausschließlich mit dem Mittel des Kre­ dites, führen zu können, und um sich leichter glänzende Emis­ sionserfolge zu sichern, war er darauf bedacht, den AnleiheZeichnern äußerst günstige, für den Staat jedoch ruinöse Be­ dingungen zu gewähren, so z. B. Prämienanleihen mit sehr rascher Amortisierung ' und insbesondère lebenslängliche Renten zu 8,9 oder 10%, die, ohne Unterschied des Alters, auf 3 oder 4 Per­ sonen ausgestellt werden konnten. Es entstand eine ganz neue Wissenschaft, nämlich die von der bestmöglichen Ausnützung der

durch Neckers Operationen gebotenen unendlichen Gewinnmög­ lichkeiten. . : • Die Bankiers von Genf waren in dieser Hinsicht besonders auf der Höhe; sie bildeten in sämtlichen europäischen Ländern Ver­ einigungen von kräftigen Babies, auf die sie sich Renten'für 70 oder 80 Jahre sicherstellen ließen, wobei sie sich' noch für den Todesfall bei Versicherungsgesellschaften deckten,' Familienväter borgten sich 500/0 der Kapitalien, die sie als lebenslängliche Rente zü 100/0 auf den Kopf ihres Kindes anlegten; nach 14 oder 15 Jahren waren die Schulden amortisiert, und das Kind blieb sein ganzes Leben lang im Genuß von 100/0 eines Kapitals, das,es in Wirklichkeit niemals besessen hatte, usw.... Nach einem Aus­ spruch von Linguet konnte man nicht einmal „die unwahrschein­ lichen Vergünstigungen, die das französische Ministerium jedem einräumte, der ihm dabei helfen wollte, das Volk zu ruinieren“, alle aufzählen. , -, * , ; , 'V, -: 1777 ; nimmt Necker 24 Millionen auf; im Jahre 1778: 48; im Jahre 1779; 69; 1780: 36; 1781:;'77. Dazu kommen die durch Mittelspersonen aufgenommenen'/Anleihen: -das Languedoc ge- \ währt 48 Millionen, die Bretagne 16, die Provence 8, das Ar­ tois 3, die Stadt Paris 10, der Orden vom Hl. Geist n , der Klerus 14, die Stadt Gênes .6, die Pächter und Regisseure der Steuern 29 oder 30, die Inhaber von Ämtern 7 usw., insgesamt mehr als eine halbe Milliarde, fü r die keine neue Deckung vo r h an d e n war. „ • Der Marquis de Mirabeau bezeichnete dies, als Spiegelfechterei, und der Ausdruck ist nicht zu stark. Necker. hatte sich selbst an dem Tag das Urteil gesprochen, an dem er geschrieben hatte: „Die, gefährlichste, und am wenigsten gerechtfertigte Art, Geld herbeizuschaffen, ist ... Anleihen aufzunehmen, ohne den Zinsen­ dienst sichergestellt zu haben. Eine Verwaltung, die nur; darin groß ist, den ' Augenblick der Schwierigkeiten hinauszuschieben, macht nichts anderes, als das Übel noch zu vergrößern und den Abgrund noch zu vertiefen.“ ' - -, Nach seinem Abgang stehen seine Nachfolger. vor folgendem Dilemma : entweder .weiterzupumpen und im Publikum die Wahn­ vorstellung des Reichtums aufrechtzuerhalten (dies wird die Me­ thode von Calonne bis zur Notabelnversammlung sein) oder sich für den reinigenden Blitz der Offenheit zu entscheiden und die Steuern mit einem Schlag ungeheuer zu erhöhen, was Calonne ' später und nachher Brienne tun werden. Diese letztere, Lösung, die beste oder die am wenigsten schlechte, war nicht unmöglich, 38

vorausgesetzt, man wollte sie wirklich und mit Festigkeit durch­ führen. Frankreich befand sich in voller Blüte, und die Steuer­ zahler, oder wenigstens ein Großteil davon, waren weit von der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit entfernt. Der Bankrott wurde allein durch die Mehrbeträge, die sich aus dem außerordentlich günstigen Geschäftsgang ergaben, um mehrere Jahre ' hinaus­ geschoben. Wenn man aber mehr einheben wollte, dann mußte man es anders als bisher tun.. . Waren die Steuern des Ancien Régime auch nicht übermäßig hoch, so waren sie doch lästig, da es sich vor allem um Einkom­ mensteuern, wie die vom Gesamteinkommen erhobene „Taille" und der von den Schuldverschreibungen gerechnete „vingtième“. Es ist sogar höchst eigenartig, daß man unter dem Vorwand einer demokratischen Steuergesetzgebung dieses vor eineinhalb Jahr­ hunderten allgemein verhaßte System wieder eingeführt hatte. Obwohl die Monarchie, geschickter als die modernen Regime, die größten Schwierigkeiten umgangen hätte, indem sie Pauschalsätze, für Einkünfte aus den Immobilien zugestanden hatte, stieß sie jedoch bei allen anderen auf die alte Unmöglichkeit, die Steuer­ hinterziehung auszuschalten. Dies gelingt nicht einmal heute, trotz einer aufgeblähten Verwaltung und inquisitorischer Untersuchungs­ mittel. Was konnten da schon die Intendanten und Steuerdirektoxen, die durch unzählige Befreiungen und Privilegien gehemmt waren, unternehmen ?... Die von dem Abbé Terray eingeführten Fortschritte wurden nicht aufrechterhalten, weil sie von der Regie-, rang unaufhörliche Kämpfe und eine nie nachlassende Ausdauer verlangt hätten und weil es im übrigen bei Einkommensteuern fast unmöglich ist, sich gegen den bösen Willen der Mächtigen durchzusetzen. ' ■ •■ v Um die Lage zu retten, gab es nur ein einziges Mittel: das alte System abzuwerfen und es durch einfache, auf klaren Grundlagen ruhende Steuern zu ersetzen, genau das, was die Revolution dann wirklich getan und was die Dritte Republik in so ungeschickter Weise wieder äbgeschafft hat. Der Weg dazu war übrigens schon aufgezeigt; die Steuer auf die bewegliche Habe war soeben dort, wo sie am allerschwierigsten einzuheben war, nämlich in der Stadt Paris, eingeführt worden, wo sie eine gute Aufnahme ge­ funden und sich zur allgemeinen Zufriedenheit bewährte; ' man konnte sie also verallgemeinern. Zahlreiche Vorschläge für eine Grundsteuer — die damals Grundsubvention genannt wurde — waren vom contrôleur général bereits geprüft worden, und der von Calonne den Notabein vorgeschlagene Text, hatte keine uh-

, günstige Aufnahme gefunden. Die in der Provinz fortgeführten Arbeiten zur Aufstellung einer tarifmäßigen „Taille“ sowie die Abschätzung der der Abgabe des „vingtième“ unterliegenden Adelsgüter und die Revision der Kataster hätten die Anwendung erleichtert. Aber man hätte, vor allem fest entschlossen sein müs­ sen, und auf diesen fehlenden festen Willen stoßen wir immer ■'.neder. ,' Das vorrevolutionäre Frankreich war keineswegs unglücklich; es hatte wohl Anlaß zur Klage, aber nicht zum Aufruhr. Keines der beiden großen Probleme, welche die Aufmerksamkeit fesselten, weder die Abschaffung der Überreste der Feudalherrschaft noch die Finanzreform, wäre unlösbar gewesen, wenn nicht die fran­ zösische Seele bis in ihre Tiefen gerade eine intellektuelle und moralische Krise durchgemacht hätte, wodurch die geringsten Konflikte kompliziert und eine vorerst nur schwierige Lage be­ unruhigend und dann verzweifelt wurde. *

D rittes K apitel

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DIE REVOLUTIONÄRE LEHRE Das 17. Jahrhundert war für den französischen Geist eine Zeit voller Entfaltung gewesen. Der Mensch, wie man ihn sich damals gern vorstellte, ist ein sich seiner selbst bewußtes und vernünftiges Wesen, das seinen ' Gelüsten und ' Leidenschaften Schweigen ge­ bietet, um sich einer höheren Regel von Ordnung und Harmonie zu beugen; er steht individuellen Phantastereien, absonderlichen Gefühlen und instinktmäßigen Handlungen, allem Trüben und Unbestimmten und jenen unbewußten Regungen, welche die klarsten Geister verdunkeln, wie der Schatten einer die Ober­ fläche eines Teiches überziehenden Wolke, mit Mißtrauen gegen­ über. In genauer Kenntnis seiner eigenen Schwächen macht er seine Wünsche keineswegs zur Grundlage der Moral und, Wissen­ schaft; er liebt Hierarchie und Disziplin und setzt seinen Stolz darein, sich der Erfahrung, der Logik und der Tradition, die an­ gesammelte Erfahrung ist, zu beugen; er ist christlich und kon­ servativ, verabscheut Wirren und Revolutionen und liebt das Allgemeine und Beständige; er findet sein Vergnügen darin, die gleichen permanenten und allgemeinen Wahrheiten in allen Zeiten und Ländern unter sämtlichen Mode- und Erscheinungsformen

wiederzufinden; er besitzt Organisationsgabe und einen klaren Geist, liebt die Wahrheit und hat Sinn für Realitäten. Frank­ reich bewundert sich selbst während 50 Jahren in Ludwig XIV., weil dieser vernünftig, mäßig, genau, methodisch und selbst­ beherrscht ist, weil seine Gefühle edel und sein Leben ruhmreich und gleichmäßig sind. Das gleiche Ideal inspiriert das ganze Jahr­ hundert; Colbert und Vauban drücken dies mit derselben Kraft aus wie Racine, Poussin und Bossuet; eine Predigt von Bourdaloue und eine Anweisung von d’Hugues de Lionne weisen genau so wie der Louvre, Versailles und die Komödien von Molière seine Spuren auf; von ihm. wird Frankreich das Weltkönigtum ge­ schenkt, welches das wunderbare Werk von Athen und Rom fort­ setzt. • Das eigentliche Drama des 18. Jahrhunderts besteht nicht in seinen Kriegen und nicht in den Revolutionstagen, sondern in der Auflösung und Umkehrung der Ideen, von denen das 17. Jahr­ hundert erleuchtet und beherrscht worden war. Aufruhr und Ge­ metzel sind nur augenfällige und blutige Manifestationen; wenn Derartiges sich erst einmal1abspielt, ist das wirkliche Übel schon sehr lange da. , Der revolutionäre Geist ist genau so alt wie die Gesellschaft selbst, und der Aspekt, den er gegen 1750 annimmt, ist ebenfalls nicht neu. Zu allen Zeiten haben sich Dichter darin gefallen, Märchenländer zu ersinnen, wo engelsgute Menschen inmitten einer wunderbaren Natur ohne jeden Zwang leben, und die Mora­ listen haben den gleichen Trick angewandt, um ihren Zeitgenos­ sen schöne Predigten zu halten und sie mit Scham für ihre Laster zu erfüllen. Aber dies waren keine ernst zu nehmenden Dinge, sondern bloße Redeübungen. Damit diese Träumereien zu Dogmen werden und sich zum Haß gegen die Obrigkeit und zur Ver­ achtung der Gesellschaft entwickeln konnten, mußten sie sich erst an der religiösen Leidenschaft entzündet haben. Die Reformation war eine erste Explosion des zerstörerischen Individualismus und der republikanischen Denkweise. Statt die großen intellektuellen und sozialen Fragen gemeinsam und auf traditionelle Weise zu lösen, fing man an, sie im'Innersten des Herzens und in der Einsamkeit des Gewissens zu entscheiden. Das ungewisse Sehnen des einzelnen wurde dann für den betref­ fenden Wahrheit und Gottheit; das Aufeinatjderabgestimmtsein der natürlichen Gruppen und ihre gewohnte religiöse und ethische Disziplin verblaßte vor den Einzelinitiativen der Mitglieder; man nannte dies „Befreiung“. Überall, wo die Reformation in ihrer

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reinen, lutherischen Form siegreich'blieb, entstand in Wirklich­ keit nur Anarchie, und als die Gärungsperiode vorüber war, blieb nur eine unendliche territoriale Zerstückelung und beinahe un­ heilbare moralische Verwirrung zurück. Die französische Einheit wurde gerettet und der König mit ihr. Pascal, Descartes, Bossuet und La Bruyère leihen der Monarchie ihre eigene Rechts-: und Regierungsauffassung. Es scheint, als könnte nie etwas dieses Gleichgewicht und gegenseitige Verstehen trüben. Aber die revolutionäre Mystik ist nicht tot; sie inspiriert die Tiraden der Freidenker gegen Gedächtnis und Vernunft, die die Natur verdorben und den Menschen um den Geschmack und die Kunst des reinen Genusses gebracht haben; sie ruft die prote­ stantischen Verfasser von Schmähschriften auf den Plan, die von Holland und Deutschland aus Frankreich und Europa mit ihren Pamphleten überschwemmen, und verderben mit ihren Hirn­ gespinsten Fénelon, einen der geschmeidigsten und glänzendsten Geister des Jahrhunderts. Ludwig XIV. hatte sich der Mühe unterzogen, für seine Kinder eine Art „Handbuch des vollkommenen Herrschers“ zu schreiben, worin er sich bemühte, ihnen ein Gefühl für die Majestät ihres Ranges zu geben, damit sie ihre Pflichten aufrichtig und liebevoll erfüllten. Fénelon macht sich nun als Erzieher des Thronfolgers daran, ihm Abscheu dagegen einzuflößen: Télemaque ist eine -t salbungsvolle Kritik aller monarchistischen Prinzipien: „Das Amt des Königs ist groß, edel und herrlich. . hatte Ludwig XIV. geschrieben. „Was für ein Wahnsinn“, sagt Fénelon, „sein Glück daran zu setzen, die Menschen zu regieren .. . oh, wie unsinnig ist der, der zu herrschen versucht! Glücklich, wer sich mit einem friedlichen Privatleben begnügt, in dem es-ihm weniger schwer fällt, tugendhaft zu sein... Fürchte deshalb, mein Sohn, fürchte deshalb einen so gefährlichen S t a n d . Er stellt eine nieder­ drückende Knechtschaft dar..." ' Die Staatsmänner, die sich seit der Fronde über, die Struktur und Festigkeit der Regierungen Gedanken gemacht, waren ,durch ihre Studien zu einer instinktiven Verachtung für die menschliche Bestie gekommen, und da sie sich nicht vor den Worten fürch-, teten, hatten sie nicht gezögert, auszusprechen,- daß diese Bestie gewaltsam im Zaume .gehalten und daß letzten Endes jede Ge­ sellschaft durch Gewalt zusammengehalten werden müsse- „Ich werde nie vergessen“, erzählt d’Argenson, „was mein verstorbe­ ner Vater mir sagte, als er mir zum erstenmal erlaubte, mit ihm über die Haltung zu sprechen, die damals das Parlament gegen42

über der Autorität dés Königs einnahm. Auf all die Gründe, Argumente und heftigen Leidenschaften Mes Parlaments, die ich ihm auseinandersetzte, antwortete er mir nur: Mein, Sohn, ver­ fügt Euer Parlament über Truppen? Wir unsererseits haben,/ 150000 Mann, und darauf kommt es an!“ Fénelon weiß mit solchen positivistischen und kalten Geistern nichts anzufangen. Er schwemmt Schwierigkeiten und Einwände mit einem SchwalLoptimistischer Ergüsse fort und behauptet unbeirrbar: „Wenn Ge­ rechtigkeit und Tugend sprechen, beruhigen sich alle Leiden­ schaften ... alle Völker sind wie Brüder und müssen sich auch brüderlich lieben...“ Der König Fénelons ist zum Himmel und zur Guillotine verurteilt, nachdem er mit ruhigem Gewissen seine Untertanen unglücklich gemacht und sein Volk in die Niederlage ' und Anarchie geführt hatte. * Aber Fénelon kam Zu früh; der.unerschütterliche gesunde Men­ schenverstand Ludwigs XIV. und eine durch Verstand und Be­ redsamkeit bewunderungswürdige Polemik von Bossuet genügten, um dies beginnende Feuer zu ersticken, und/ die wenigen hier und da herumsprühenden Funken riefen, noch keinen Brand hervor. Montesquieu und Voltaire mußten erst nach London fahren, um diesmal ernstlich die individualistischen.und revolutionären Pre­ digten neu, zu entfachen. Montesquieu und Voltaire kamen aus England mit Eindrücken Zurück, die uns in Erstaunen versetzen. Sie hatten keineswegs „die dunkle und unruhige Insel der Königsmörder“ gesehen und jenes intolerante, habgierige und ehrgeizige Volk, das die religiöse Verfolgung in ihrer-kältesten und unerbittlichsten, nämlich der verwaltungsmäßigen Form organisiert hatte, sondern ein liberales aufgeklärtes Staatswesen, von Gelehrten und Denkern bevölkert und würdig, der Welt als Muster an staatsbürgerlicher Voll­ endung und Tugend zu dienen. Dies war der Ausgangspunkt einer ins einzelne gehenden Kritik, die durch die -Verführungen, mit welchen , sie sich schmückte, amüsant wirkte und durch ihre Kindlichkeit und Leichtigkeit ent­ täuschte. Klare Mißbräuche und anerkannte Ungerechtigkeiten kommen dabei nicht schlechter weg als die Prinzipien und Insti­ tutionen, von denen alle jetzigen und Zukünftigen Gesellschaften leben. Alles wird pèle mêle, durch einen Reim, ein Lächeln öder ein Epigramm, hoffnungslos verurteilt; man erfindet für diese summarische Verdammung' sogar eine neue Gestalt, einen ima­ ginären Wilden, der die naive Natur darstellt und mit allen. Gnaden und Feinheiten tausendjähriger: Zivilisation geschmückt 43

ist. Seine Rolle besteht darin, sich unaufhörlich über alles zu wundem und alle Register eines gepflegten, raffinierten und höf­ lichen Geistes zu ziehen, um die Raffiniertheit, Höflichkeit und Kultur als absurd, lächerlich und schädlich hinzustellen. Während 40 Jahren wimmelt Frankreich von sehr pariserischen Irokesen, zivilisierten Persern und Naiven ohne Naivität. Sie brachten. es fertig, die Geister durch ihre gelehrte Ironie, ihre verächtlichen Vergleiche und gespielte Überraschung zu ver­ wirren, Zweifel und Unsicherheit selbst in den noch Unerschütter­ ten hervorzurufen und die wirklichen Rechte als Übergriffe oder Usurpation sowie Einrichtungen, die seit Jahrhunderten geachtet und verehrt wurden, als neu, beunruhigend und ungesetzlich, hin­ zustellen. :' Von dieser allgemeinen Umwertung begünstigt, fand die deutsche Literatur, deren Einfluß seit der Reformation unterbrochen ge­ wesen war, in Frankreich wieder ungehinderten Zugang. Wie schon Louis Reynaud bemerkt hat, dessen hervorragende Ar­ beiten ich hier nur zitiere oder zusammenfasse, gestanden die Menschen des 17. Jahrhunderts Deutschland wohl Philosophen und Gelehrte zu, verhielten sich jedoch gegenüber den Dichtern und Schriftstellern, die es sich selbst schön in großer Menge zu­ legte, stets sehr zurückhaltend. Dichtung, Kunst und schöngeistige Literatur schien ihnen etwas zu sein, was unvereinbar sei mit dem, was sie von diesem Lande wußten. In seinen „Entretiens» d’Ariste et d’Eugène“ ließ der Père Bonhours, ein gelehrter Mann mit gutem Geschmack, eine seiner Gestalten behaupten, daß es für den Deutschen beinah unmöglich sei, ein Schöngeist ' zu werden. Der deutsche Genius glänze auf intellektuellem Gebiet und sei hauptsächlich in individualistischer Hinsicht begabt. „Die deutsche Sprache eignet sich besonders dazu, den dunklen Mächten auf Kosten der rationellen Elemente einen entsprechenden Ausdruck zu sichern. Die Wörter zur Bezeichnung von Sinneserscheinungen und Gefühlen sind sehr zahlreich, wogegen klare und deutliche Ausdrücke für die, Ideen fehlen. Gehoben oder gedrückt, ver­ schieden lautstark und um einige energisch ausgesprochene Wör. ter gruppiert, hat der Satz einen ständig pathetischen Fluß. Einem Menschen gegenüber, der überlegt, der sein Innenleben klar über­ sieht ’und sich in der großen Welt leicht bewegt, wird der Deutsche leicht' außer -Fassung gebracht. Stellen Sie ihn jedoch einem einfachen und primitiven Organismus, einem Narren, Be­ sessenen oder einem von seinen Leidenschaften Beherrschten

gegenüber, so wird er ihn begreifen und genau beschreiben, da er ihm durch seine innere Veranlagung nahe verwandt ist.. Sein In­ tellekt ist ein Gefangener der verschwommenen Empfindungen des Fleisches, von welchen er ganz erfüllt ist.“ Der französische Geist nahm so mit dem Verwerfen der Macht der Vernunft zu­ gleich die Gedankenformen der germanischen Völker an. Die Deutschen fühlten dies sofort; während die englischen Werke nur durch Vermittlung von Franzosen, so des Abbé Prévost und Voltaires, Eingang in Frankreich fanden, organisierten die Deut­ schen ihre Propaganda selbst, und einer von ihnen, Grimm, über­ nahm es, den Untertanen Ludwigs XV. die literarischen Ver­ dienste seines Vaterlandes zu offfenbarén. Der „Mercure de France“ veröffentlichte von ihm im Monat Oktober 1750 einen ersten Brief, dem ein zweiter im Februar 1751 folgte. Unter allen möglichen Komplimenten und Verbeugungen wagte Grimm zu be­ haupten, daß die deutsche Literatur der französischen ebenbürtig sei, und wenn sie auch noch nicht den Glanz ihrer Nachbarin er­ reicht hätte, so nur deshalb, weil ihr ein Paris und ein Lud­ wig XIV. gefehlt; aber sie käme auch an die Reihe, und zwar sehr bald. ' ' .Der erste Einbruch war geglückt; weitere Artikel, Grammatiken und Übersetzungen kamen durch die Bresche. Ein anderer Deut. scher, Michel Huber, war der Wegbereiter der Invasion. Ge­ wandt, entgegenkommend und liebenswürdig, leitete er, ab­ wechselnd die Sprache der Philosophie oder der Religion ge­ brauchend, die Hand auf dem Herzen und von erbaulichen ■Maximen nur so triefend, mit sicherer Hand die. Geschicke der teutonischen Literatur. Als Herr des „Journal Etranger“ und Ver­ fasser einer sehr umfangreichen vierbändigen Sammlung deut­ scher Gedichte war er geschickt genug, dem ’französischen Publi­ kum nur das vorzusetzen, was seinen Wünschen entsprach, nämlich idyllische, moralische und sentimentale Themen. Er . sicherte sich ' das Wohlwollen Frérons und seiner Gebetbrüder, die durch diese Unzahl von tugendhaften Erklärungen gewonnen wurden, und erhielt die begeisterte Mitwirkung des betriebsamsten Teils der Philosophenpartei, die um Rousseau und Diderot geschart war. Zweifelsohne war Rousseau zu launenhaft, um sich selbst ein- ' fangen zu lassen, aber er beeinflußte seine Freunde in dieser Richtung. Wie hätte er auch gleichgültig bleiben sollen ? War es doch nur sein eigener Naturmystizismus, der von anderer Seite nach Frankreich zurückkam. Diese Schriften stellen heute eine recht langweilige Lektüre, dar; ,

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damals aber riefen sie helle Begeisterung hervor. Ein sehr mittel­ mäßiger, seinen eigenen Zeitgenossen kaum bekannter Schrift­ steller, Geßner, hatte in Paris während ganzer io Jahre einen, un­ erhörten und nicht verblassenden Erfolg. Das erste seiner 1759 von Huber und Turgot übersetztén Werke, „Der To d Abels“, riß man sich direkt aus den'Händen; die anderen lobte man'über den grünen Klee und streute ihnen als wahren Meisterwerken •Weihrauch. Man erstarb in .Begeisterung vor der unverhüllten, reinen und offenen Natur, welche.von ider abscheulichen Zivilisa­ tion so lange verdeckt worden war,, vor den fruchtbaren Feldern, die niemand bebaute und die doch reiche Ernte, trugen, den zur Erbauung der Liebenden auf allen Bäumen ..sitzenden Turtel­ tauben, den nie welkenden Blumen, den ewig zwitschernden Vögeln, den Mustertieren, die eitel Wolle und Butter gaben, den von Erfahrung und Weisheit triefenden Greisen, den folgsamen und zärtlichen Kindern, den jungen, erstaunlich’ unerfahrenen: Töchtern, die ' ihren Müttern rührende Fragen über Liebe. und Ehe stellen, den hie und'da allerdings auch vereinzelt auftreten­ den Verirrten oder vorübergehend zu Verbrechern Gewordenen, die aber von Gewissensbissen zerfleischt, sich bei der ersten Auf­ forderung bekehren lassen und dabei wahre Ströme von Tränen der Reue vergießen. „Ein Dichter am Ufer, des Rheins“, schreibt Dorat, „ist in gewisser Hinsicht ein Naturmensch. Er atmet nur, um die Natur zu studieren, er studiert sie nur, um sie zu schil­ dern; er kennt weder Neid noch Haß, weder Verführungskünste! des Ehrgeizes, noch die Schrecken der Eifersucht; er schreibt nicht nur, um im Gedächtnis der Menschen fortzuleben, sondern er schreibt auch, um sie besser zu machen und um ihnen unauf­ hörlich das Bild der Tugend vorzuhalten...“ 1. Die im Lauf des Jahrhunderts gemachten wissenschaftlichen und praktischen Fortschritte leisten diesem Irrglauben noch Vorschub. Das soll nicht heißen, daß die Wissenschaft jemals den Mythos der ; glücklichen, von den Menschengesetzen verdorbenen Natur unterstützt hätte oder daß die Gelehrten und; Erfinder, äußer d’Alembert, Fanatiker der Philosophie gewesen wären. Aber die !Eröffnung so vieler neuer Kenntnisse berauschte Laien und Schrift­ steller; die, durch diesen Glanz verleitet, annahmen, daß sie in einem außerordentlichen Jahrhundert lebten, daß alles, was vor ihnen gesagt und getan worden war, nicht zählte, und man in­ folgedessen einen aufgeklärten Geist an dem Grad der Verachtung erkennen könnte, die er allem Früheren entgegenbrachte. Taine hat sich vergeblich große Mühe gegeben, den Nachweis zu 46

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führen, daß Voltaire, Diderot und deren Freunde wirkliche Wis­ senschaftler waren. Voltaires Genie bestand in der leicht verständ­ lichen Darstellung, aber sein Laboratorium in Cirey entsprang nur einer Laune von Frau dù Châtelet, die auf ihren Ruinen eben­ sogut eine metallverarbeitende Fabrik oder eine Kapelle ein­ gerichtet hätte, wenn die Mode der Zeit für die Metallverarbei­ tung oder die Frömmigkeit gewesen wäre. Die . Versuche von Montesquieu entlocken uns nur ein Lächeln; sein wichtigstes Ex­ periment bestand darin, den Kopf einer Ente unter Wasser zu halten und festzustellen, wie lange es dauerte, bis der Tod ein­ trat. Und was Diderot und Rousseau betrifft, so war der ersterë ein systemloser Autodidakt, und der zweite wußte nur über sehr wenig Bescheid. -■ . ’ Der wirklich wissenschaftliche, selbstlose, vorsichtige und beschei­ dene Geist steht in fast völligem Widerspruch zu dem philosophi­ schen Geist von 1750. Hypothesen sind.ihm nur provisorische Kon­ struktionen, mit deren Hilfe eine gewisse Anzahl von experimen­ tellen Ergebnissen geordnet werden können, wobei jedoch die Erfahrung der oberste Richter bleibt, und .'mag eine Theorie auch noch so verführerisch aussehen,: so wird sie doch nicht'der Wider­ legung durch die .Erfahrung trotzen können. Die Philosophen haben diese Unterwerfung des Subjekts unter das Objekt niemals in die Tat umgesetzt; sie konnten es auch nicht, ohne sich selbst das Todesurteil zu sprechen. Die deklamatorische Sentimentalität, der sie sich hingäben, machte sie für die Beobachtung ungeeignet und gegenüber Erfahrungstatsachen unempfindlich Den so sinn­ vollen und wohlbegründeten Feststellungen Buffons über die Bil­ dung der Felssedimente .setzte Voltaire erstaunlich unreife Argu­ mente entgegen und vergnügte sich lieber mit der Wiedergabe von Versuchen Spallanzanis, aber nur deshalb, um daraus ein ' Pamphlet gegen die Mönche und die Religion, „Die Schnecken des R. P. Escarbotier“ zu verfassen. Der P. Escarbotier, Prediger und Küchenmeister des Klosters der Stadt Clermont, schreibt an den ehrwürdigen P. Elie, einen bar­ füßigen Karmeliter und Doktor der Theologie: „Vor einiger Zeit war nur: von den Jesuiten die Rede; jetzt spricht jedermann aus­ schließlich über Schnecken; jedes Ding hat eben seine Zeit, aber es ist sicher, daß die Schnecken länger am Leben bleiben werden als alle unsere religiösen Orden, denn wenn man allen Kapuzi- 1 nem und Karmelitern den Kopf abschneiden würde, so könnten sie keine Novizen mehr aufnehmen,.wogegen eine Schnecke, der man den Kopf abschneidet, sich nach einem Monat einen neuen zu-

legt.. ; Ich schnitt am 27. Mai,, um 9 Uhr morgens, bei klarem Wetter, 20 gehäuselosen Schnecken von dunkelbrauner Farbe den ganzen Kopf, samt den 4 Fühlern, und 12 Gehäuseschnecken den Kopf ab. Nach 14 Tagen haben 2 von meinen Schnecken einen nachwachsenden Kopf aufgewiesen, sie fraßen schon wieder, und ihre 4 Fühler begannen sich von neuem äuszubilden.. Lieh habe in meinen Predigten oft davon gesprochen, und ich konnte sie nur mit St. Denis vergleichen, der seinen abgeschnittenen Kopf 2 Meilen weit behutsam in seinen Händen trug. Die Geschichte von St: Denis ist jedoch eine theologische Wahrheit, wogegen die Geschichte der Schnecken eine, physische und greifbare,ist, von der sich jeder­ mann mit seinen eigenen Augen überzeugen kann. Das Abenteuer des St.Denis ist das.Wunder eines Tages, jenes der Schnecken das Wunder aller Tage.!.“ All dies ist sehr unterhaltsam, hat aber mit Untersuchungen eines „wahren Gelehrten“, wie Taine es nannte, als er von die­ sen nicht ernst zu nehmenden Dingen sprach, nur sehr vage Be­ ziehungen. Was Diderot betrifft, so hat dieser nur folgende arm­ selige Bemerkung für die wunderbaren Untersuchungen von Réaumur über die Insekten: „Was würde die Nachwelt von uns denken, wenn wir ihr nichts anderes zu übermitteln hätten, als eine riesengroße Geschichte über mikroskopische Tiere? Großen Genies entsprechen große Gegenstände, kleinen Genies kleinè.“ Fréron hat dieses Urteil „schamlos“ genannt, und er hatte recht. Die Philosophen überschätzen die wissenschaftliche Leistung ihrer Zeit im guten Glauben und ohne sie genau Zu kennen, und weil sie daraus Argumente gegen die Tradition, den Katholizismus, die Geschichte und die Obrigkeit ableiteten, brachten aber nur den abstraktesten Disziplinen wirkliche und dauernde Aufmerk­ samkeit entgegen, wie der reinen Mathematik und den Bewegungen der Himmelskörper, wovon sie dann die deduktive Methode auf das politische und soziale Gebiet übertrugen, wozu sich diese um so weniger eignet, als sie mit dem Postulat von der natürlichen Güte des Menschen, das keinerlei Charakter von Evidenz trägt, ' vermengt wurde. Die E n z y k l o p ä d i e vereinigte von 1751—1772 alle ihre Ideen und Ansprüche gegen den gemeinsamen Feind: Kritik an der Monarchie und ihren geistigen Stützen, Atheismus, Sensualismus, Verherrlichung des 17. Jahrhunderts als Zeitalter der Aufklärung und des Fortschrittes,' wirtschaftlichen Liberalismus, Verächtlich­ machung der Zivilisation, Lobpreisung eines angeblichen Natur-

Zustandes, bei dem alle Menschen gleiche Rechte und gleiches Vermögen hatten und schließlich genaue und ausführliche Studien über Maschinen und Gewerbe; diesem Teil, dem besten und nützlichsten von allen, waren noch 11 Bände mit Abbildungen bei­ gefügt, die als Aushängeschild für den Rest dienten. Rousseau liebte die Enzyklopädisten nicht, die seine Eitelkeit verletzt hatten und mit deren Lehren er in gewissen Punkten nicht übereinstimmte; nichtsdestoweniger war er jedoch im Grund mit ihnen einer Meinung, und es war übrigens gerade sein Genie, welches der revolutionären Mystik Glanz und Propagandakraft verlieh. . . . • ■/A'. Er war in unglücklichen Verhältnissen geboren, ohne Verwandte und Freunde, durch seine ersten Abenteuer mit Frauen bis ins Innerste verdorben und von einer unruhigen Besessenheit, die später zu hellem Wahnsinn führte, verzehrt; er stammte aus Genf, einer der Hochburgen der Reformation, wo „seit zwei Jahrhun­ derten Zersetzungserscheinungen auftraten.“ Um seinen Groll, seine Auflehnung, seine Unruhe und seine Zerstörungswut zu ver­ herrlichen, findet er Töne von erstaunlicher Schönheit. Warum muß­ ten so herrliche Gaben der Sprache und Dichtung zur Lobpreisung einer derart krankhaften Seele Verwendung finden! Rousseau beschränkt sich jedoch nicht darauf, zu ächten, zu be­ leidigen und zu bedauern. Er errichtet auch die Grundlagen der künftigen Gesellschaft, die den Menschen die Ausübung ihrer natürlichen Rechte sichern soll. Diese Grundlagen sind: Völlige Gleichheit aller Beteiligten, Aufhebung der Rechte des Einzelnen Zugunsten der Gemeinschaft und die Unterordnung der Vertrag­ schließenden unter den „allgemeinen Wi l l en “. Machen wir uns den Sinn dieses Ausdruckes einmal ganz genau klar! D er all ge mei ne Wille ist nicht der Wille der Mehrheit, sondern die wahre Stimme des menschlichen Gewissens, so wie sie in jedem von uns ertönen sollte, und wie sie durch deri Mund‘der tugendhaftesten und aufgeklärtesten Bürger zum Ausdruck kommt. ■Der a ll ge me in e Wille wird also letzten Endes durch die Übereinstimmung mit einem philosophischen System, nämlich dem Individualismus, definiert. Die Republik identifiziert sich mit einer Lehre, und die Gesellschaft wird einem Dogma unter­ worfen; die revolutionäre Politik besteht nun darin, dies Dogma in die Tat umzusetzeii und die Welt nach seinen Forderungen zu reorganisieren. Ihre erste und sozusagen einzige Aufgabe besteht in der Zer­ störung und Verhinderung des Wiedererstehens der natürlichen

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* Gaxotte, Bevolutiön

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Einrichtungen, die bisher den Individuen einen Rahmen, ab­ gegeben und sie gestützt hatten und die von nun an als unmora­ lisch und tyrannisch galten. Besitz, Familie, Stand, Stadt, Pro­ vinz, Vaterland,. Kirche, nichts als zu' stürzende Hindernisse! Man könnte einwenden, daß die Mehrheit der Bürger diese Ein­ richtungen achtet, sich dabei wohlfühlt und seelische Ruhe und Glück findet. Doch was macht das schon aus: Es gibt ganz'ein­ fach keine Freiheit gegen die Freiheit. Wenn der al l ge me i ne Wille nicht in ihnen seine Stimme erhebt, so; nur deshalb, weil sie verdorben und heruntergekommen sind, und es ist dann Auf­ gabe der „bewußten“ Bürger, sie gegen ihren eigenen Willen zu emanzipieren. Die zur Religion'erhobene Republik hat ihre Auserkorenen und ihre Verworfenen. Mehrheiten, Wahlen, Abstimmungen, Volks­ befragungen, all dies ist nur das Aushängeschild, ein Spiel, auf das nur die Naiven hereinfallen, die. sich noch.darüber wundem, daß die Spielregeln immer nur gegen, sie Anwendung finden. Hin­ ter all diesem Treiben steht der kleine Trupp der Getreuen und Erleuchteten. Sie sind im Besitz der Wahrheit und haben sich dazu verschworen, das Reich der Wahrheit;aufzurichten; sie sind der all ge mei ne Wille. Was ihre Gegner betrifft, ganz gleich wie groß deren Zahl auch sein mag und wie sehr sie die allgemei­ nen Wahlen achten und der republikanischen Staatsform ergeben sein mögen,' so werden sie ewig nur Aristokraten, Reaktionäre, Ketzer und, im geeigneten Augenblick, Usurpatoren sein, denn, genau so wie es einen legitimen König gibt, gibt es auch ein „legi­ times“ Volk. Gegen solche Menschen sind alle Mittel erlaubt/betrügerische Wahlmanöver genau so wie die Guillotine. Das ist also das Endergebnis der Idyllen und des ganzen rühr­ seligen Geredes. Der Mensch ist bei seiner Geburt gut; da es aber doch in Wirklichkeit auch Gauner und Bösewichte gibt, so sind diese eben von der Zivilisation verdorben worden. Um sich zu verjüngen, muß'der Mensch ihre vermeintlichen Wohltaten; die in Wirklichkeit nur Ketten und Ungerechtigkeiten sind, abschüt­ teln. Zögert er, wird er mit Gewalt dazu gezwungen, denn sein böser Wille ist ein Verbrechen gegen die Tugend. Und alle die­ jenigen werden zu Verdächtigen gestempelt, die, obgleich sie nichts gegen die Revolution unternommen, doch auch nichts für sie getan haben. Aber man verstünde nicht die Ausbildung einer revolutionären Mystik, vor allem nicht ihre in gewisser Hinsicht mechanische und fatale Entwicklung Zum Exzeß, wenn man nicht die sehr. 5°

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eigenartigen Charaktere des Milieus in Betracht zöge, das diese Mystik aufgenommen,,gepflegt und verbreitet hat. Über diesen ganzen Fragenkomplex liegen noch keine vollständigen und metho­ dischen Arbeiten vor. Augustin, Cochin, der sie begonnen, starb vor der Vollendung, aber die von ihm hinterlassenen Arbeiten sind zahlreich genug, daß wir, ohne uns zu verirren, dieses sein Spezialgebiet durchschreiten können. . Die Liebhaber neuer Theorien blieben im 18. Jahrhundert nicht isoliert, sondern schlossen sich zusammen, um so ihre Kenntnisse zu sammeln und ihre Ideen zu präzisieren. •Dieser Prozeß, .der schon 1720 beginnt, überstürzt sich gegen 1750 und ist beim Ab­ leben Ludwigs XV, abgeschlossen. In allen Städten wimmelt es von Vereinigungen von Schöngeistern, von literarischen Salons, Akademien, Leseklubs, vaterländischen Gesellschaften, Kollegien; Museen, Freimaurerlogen und landwirtschaftlichen Vereinigungen, die regelmäßige Zusammenkünfte haben, und wo man neben der Lektüre besonders die Diskussion pflegt. Eine ganze Armee von Denkern schult sich dort im Rededuell und behandelt Tages­ fragen, wie den Austausch der Sämereien, die neuen Steuern und die Provinzialversammlungen, oder doktrinäre Probleme, wie die Rolle der Zivilisation, das Naturrecht oder die Grundlagen der Gesellschaft. Wenn man sich daran erinnert, daß die erste Arbeit Rousseaus eine Einsendung zu einem Preisausschreiben der Akademie von Dijon war, kann man sich über Ton, Art und Tragweite seiner Arbeiten, die sich in nichts von denen der anderen unterschieden, ein klares Bild machen, denn alle Gesellschaften sind tatsächlich entweder durch organisatorische Bande, wie die Logen, oder durch eine unaufhörliche Korrespondenz, mittels derer die entferntestenund am wenigsten aktiven miter den Einfluß der am besten unter­ richteten und kühnsten Vereinigungen gelangen, miteinander ver­ bunden. Von einem Ende des Königreichs zum anderen geht ein unaufhörlicher Strom von Wünschen, Eingaben und Resolutio­ nen, der die Einheit der Grundsätze begründet, die alten Unabbängigkeitsbestrebungen erstickt und alle im'gleichen Schritt nach vorn marschieren läßt. üie Republik der Wissenschaften, 1720 eine bloße Allegorie, ist' 1775 eine Tatsache' geworden. Sie ist sogar der einzige Stand, auf den man die Theorien des „Contrat Social“ anwenden kann, der einzige, der von gleichen gebildet wird und wo der allgemeine Wille jederzeit durch eine Diskussion zwischen den Besten gefun­ den werden kann. Diese Verhandlungen und die sie abschließen-

den Abstimmungen kennzeichnen. die Fortschritte der revolutio­ nären Lehre, die es dann gilt, von dem.Völkchen der Eingeweih­ ten auf die große Masse der Profanen Zu übertragen. Und hier entsteht der grundsätzliche Zwiespalt, der sich bis 1794 immer mehr vergrößern wird: Die Republik der Eingeweihten ist im Gegensatz zur Wirklichkeit organisiert und arbeitet auch so; je mehr sie ihre Logik entwickelt, um so weiter entfernt sie sich vom Leben, und je mehr sie regieren will, um so weniger ist sie dazu fähig. ' ' Im Leben schließt man sich zusammen, wenn man die gleichen Ansichten hat; hier vereinigt man sich außerhalb jedes Herkom­ mens und persönlicher Vorteile, um die Lehre zu entdecken und zu definieren, welche die Lehre der Gruppe werden soll. Das Einvernehmen ist das Mittel .und nicht mehr das Zeichen .oder die Folge von Übereinstimmung. Worauf es im Leben ankommt, sind Handlungen, hier jedoch Worte; im Leben wird nach mate­ riellen, greifbaren Ergebnissen gestrebt, hier nach Abstimmungen; im Leben regieren heißt gegen die Dinge ankämpfen, Voraus­ sicht beweisen, vorbereiteh, organisieren, handeln; hier besteht die ganze Kunst, darin, Tagesordnungen zu verfassen und Mehr­ heiten zustande zu bringen;' im Leben wird ein Gedanke nach der Erfahrung und nach der Gegenüberstellung mit den Tatsachen beurteilt; hier herrscht die Meinung: Tatsache ist, was die Zu­ stimmung der Zuhörer findet, wahr ist, dem sie beipflichten. Im Leben ist der Mensch kein isoliertes Individuum, sondern ein Teil eines sozialen Gebildes, Mitglied einer Familie oder einer Zunft; er läßt sich durch alle möglichen Erwägungen leiten, die nicht auf dem Gebiet der Wortlogik liegen, wie Religion, Glaube, Moral, Traditionen, Gefühle, politische Loyalität und Berufs­ pflichten. In der Gedankengesellschaft macht der Eingeweihte erst tabula rasa und läßt nur die Abstraktion und die überlegende Vernunft, bestehen; alles, was an ihm wirklich persönlich ist, streift er ab; er reduziert sich selbst bis Zu dieser kleinen Deduk­ tionsfähigkeit, die das am wenigsten verbreitete Ding auf der Welt ist. Wenn er instinktiv auf das Wahre, auf das Festgegründete und* auf die Wirkung mehr als auf die Meinung hinarbeitet, wenn er etwas anderes in die Diskussion einführt als Ironie und systema­ tischen Geist, muß er rasch feststellen, daß er auf die Zuhörer unangenehm, unbequem, verächtlich und lächerlich wirkt. Er fühlt sich fehl am Platze und, wird er sich nicht selbst untreu, merzt man ihn bei der ersten Gelegenheit aus. Nach Ausschluß 52

der Widerspenstigen sind dann unsere Leute von den Profanen getrennt, sich gegenseitig noch nähergebracht, vor Einwänden und Widerständen geschützt und werden nun, nachdem das Milieu gereinigt, einer um so intensiveren Ausbildung unterworfen. So kommt es, daß durch diese Wechselwirkung von Schriftstel­ lern und Gesellschaften die ahnungslose Gruppe der Brüder immer rascher „zur Herausbildung eines gewissen intellektuellen und moralischen Typs, den niemand voraussah, jeder ablehnen würde und den doch alle mit«vorbereiten“, nämlich des sozialisti­ schen Jakobiners von 1793, gedrängt wird. DieAuflehnungAmerikas beschleunigte noch diese Entwicklung. Die 13 Kolonien bildeten seit langem eines der Hauptthemen der Gefühls- und Menschheitsliteratur. .Man sah in ihnen ein neues, ganz naturnahes Volk,,tolerant, fromm, patriarchalisch, frei von jeder Leidenschaft außer der, das Gute zu tun, und frei von Fanatismus, außer dem nach Tugendhaftigkeit. Die ihnen gewid­ meten Kapitel stellen das Glanzstück der sonst so langweiligen, seichten und ungeschickten „Indiengeschichte“ von Raynal dar.. Als sie sich für die Trennung von England entschieden hatten, be-, geisterte man sich für den Staatenbund, dem die hohe Ehre zu­ fiel, die Welt zu erziehen und ihr den Weg zur Freiheit zu weisen. Die von Jefferson in einem moralhaften Stil verfaßte Erklärung der Menschenrechte verdrehte den Schöngeistern voll­ ends den Kopf. Einige von ihnen wurden Quäker, wieder andere, und sehr edel denkende, traten im Gefolge von La Fayette in die republikanischen Armeen ein. Die Ängstlichsten unterstützten sie wenigstens mit ihrer Propaganda, indem sie laut verkündeten, die Ära der Wiedergeburt sei angebrochen: Seit einem halben Jahr­ hundert verlangten die Kreise der Philosophen nach Neuem, und nun fanden ihre Träume in dem anderen Erdteil ihre Verwirk­ lichung. Was für sie bisher mir Wörter und Papier gewesen war, wurde drüben Fleisch und. Blut; Wörter wurden dort zu Tat­ sachen, und das Goldene Zeitalter brach wieder an. Beim Lesen der Zeitungen bebte man vor Neid und begeisterte sich in Ge­ danken an diesen hohen Taten; man glühte vor Bewunderung, Aufregung, Wünschen und Hoffnungen... In dieser Zeit kam Benjamin Franklin als Botschafter nach Paris. „Alles an ihm“, schrieb ein Journalist, „kündete von Einfachheit und den unschuldigen alten Sitten... Er hatte das geborgte Haar abgelegt...“, d.h. er trug keine Perücke; man empfing ihn des­ halb mit nur um so größerer Bewunderung. Aber er war weniger unschuldig, als es den Anschein hatte. 53

Dieser korpulente und verschlagene Mann war einer der Haupt­ würdenträger der. amerikanischen Freimaurer. Kaum hatte er sich in Paris niedergelassen, als er mit den französischen Brüdern in Verbindung trat ,und lebhaften Anteil an den Reinigungs- und Einigungsbestrebungen nahm, die, nach Überwindung vielerSchwierigkeiten, in den Logen den Triumph der fortschrittlichen Elemente sicherten und dann 1780 der im Jahre 1773 gegrün­ deten Loge des „Grand Orient“ die Führung brachten. Sein Haus in Passy wurde zum Hauptquartier der Aufrührer. Er ist Unbeschränkter Herr der „Loge der neun Schwestern“ (die Musen), in der Künstler und Schriftsteller, wie Helvétius, La­ lande, Condorcet, Chamfort, Pamy, Mercier, Lacépède, Houdon, Vemet u. a., vereint sind. Er hilft mit bei der Organisierung einer freien Universität und einer Gesellschaft zur Veranstaltung von Vorträgen, und, auf seinen Arm gestützt, erscheint Voltaire zur .Eröffnungsfeier; er ist der Hohepriester der Philosophen, der Messias der Unzufriedenen und das Oberhaupt der System­ macher. Die vielen Briefe, die er täglich empfängt, sind ein Be­ weis dafür, welche- Rolle er in der, öffentlichen Meinung spielt und wie groß sein Einfluß auf sie'ist. Von überall her schreibt man ihm und bittet ihn um Rat; ein Schulmeister schickt ihm den Plan eines freimaurerischen Bundesstaates, der allen europäischen Herrschern aufgezwungen werdèn soll; ein Kardinal, und zwar Rohan, der der Halsbandaffäre, veranstaltet zu seinen Ehren große Festlichkeiten; ein Arzt, Marat, unterbreitet ihm seine physikalischen Experimente; ein Advokat, Brissot, befragt ihn über die Neue Welt, wo er eine Lektion in E.evolution-nehmen will; ein anderer, und zwar Robespierre,, widmet ihm sein erstes Plädoyer. Als Franklin Frankreich verläßt, ist die Legende von den Ver­ einigten Staaten unzerstörbar geworden. Sein Nachfolger Jeffer­ son befestigt sie nur noch, und eine ganze romanhaft überspannte Literatur nährt sich davon, indem sie unermüdlich das auserwählte Volk und die Musterrepublik besingt. Einige Amerikaner, denen dieser Wortschwall auf die Nerven geht, protestieren, jedoch ver­ geblich; ihre Geschichte war inzwischen eine; Sache der Über­ zeugung geworden. Die Vereinigten Staaten gaben der revolutionären Lehre das, was ihr noch gefehlt: ein Beispiel. Die Zukunft hing nur noch von der Energie der Regierung ab. Aber gab es noch einen Geist, der regieren wollte?

Viertes K apitel -

DIE KRISE DER OBRIGKEIT E s gibt Zeiten, in denen öffentliche Gefahren und Widerwärtig­ keiten das Volk auf die Nützlichkeit der Regierungsgewalt hinweisen. Dieses Gefühl verliert sich jedoch, sobald die Gefahren vergessen sind und das Übel beseitigt est. Die Autorität der Regierung, die infolge ihrer wohltätigen Wir­ kung nach dem Aufstand der Fronde herbeigesehnt und im Jahre 1661'mit Begeisterung begrüßt worden war, hatte 1715 bereits an Ansehen eingebüßt, bis sie dann 1789 sogar als Ty­ rannei bezeichnet wurde. Und dies nicht vielleicht deshalb, weil sie tyrannischer oder kostspieliger, sondern nur, weil sie ganz einfach älter geworden war. Das an ihre Dienste gewöhnte Land bemerkte sie nicht mehr; es hielt die Ruhe und Ordnung, die nur durch ständige Mühen aufrechterhalten werden konnten, für natürliche und spontane Dinge und lehnte sich gegen die Unter­ werfung auf, die der Preis dafür war. Ludwig XIV, hatte kaum seine Augen geschlossen, als bei denen, die durch ihre Stellung die geborenen Gegner der Königsmacht sind, nämlich bei den Großen und privilegierten Ständen, neue Umtriebe auflebten. Sie, die durch sich allein stark sind, finden sich viel eher mit einem Staat in halber Anarchie ab, in welchem sie selbst als Führer oder unabhängige Mächte auftreten können, als mit einer einzigen und starken Autorität, die, da sie Frieden 1 und Gerechtigkeit aufrechterhält, die Schutzherrschaft der Gro­ ßen überflüssig macht, ihnen Schutzbefohlene und Einfluß entzieht und sie selbst zum Gehorsam zwingt. Nach der Befreiung von der königlichen Aufsicht werfen sie sich auf alles, was die frühere Regierung verboten hatte, und nehmen mit Freude die nun offen zirkulierenden Freiheitsgedanken ah, die anmutig waren, un­ gefährlich schienen und der Eitelkeit schmeichelten, ohne den persönlichen Besitz zu gefährden. Was konnte es Angenehmeres geben als eine Reise ins Wölkenkuckucksheim unter Führung geistreicher und gebildeter Männer ? Bei den glänzenden Festen, die sich die hohe Gesellschaft gibt; bildet das gepflegte Gespräch ein Hauptelement, das ohne Philo­ sophen uninteressant wäre.-Ihre Ironie, Paradoxe, Pointen, ge­ wagten Aussprüche und gottlosen Reden geben ihm erst die Würze. „Kein Mittag- oder Abendessen, wo sie nicht ihren Platz hätten“, sagte Taine. „Inmitten eines unaufdringlichen Luxus

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sitzt man bei Tisch, in Gesellschaft lächelnder, geschmückter Frauen und gebildeter, liebenswürdiger Männer, und diese ganze auserwählte Gesellschaft besitzt schlagfertigen Verstand und ge­ wählte Umgangsformen. Vom zweiten Gang ab beginnt ein wahres Feuerwerk an geistreichen Bemerkungen. Kann man es sich ver­ sagen, beim Dessert die ernstesten Dinge in bonmots zu kleiden ?" Und zum Kaffee taucht dann die Frage der Unsterblichkeit der Seele und der Existenz Gottes auf! Um uns einen richtigen Begriff von dieser entzückenden und gewagten Unterhaltung machen zu können, müssen wir Zur Korrespondenz, zu den kleinen Abhand­ lungen und Dialogen von -Diderot und Voltaire, kurz zu all dem, was das Lebendigste, Feinste, Pikanteste und Tiefste der Lite­ ratur des Jahrhunderts ausmacht, greifen, und auch dieses ist nur mehr ein Überrest, ein toter Splitter, wurde doch diese ganze ge­ schriebene Philosophie gesprochen, und zwar mit der Betonung, dem Schwung und der unnachahmlichen Natürlichkeit der Impro­ visation und mit den Gesten und der beweglichen Aüsdrucksfähigkeit der Boshaftigkeit und der Begeisterung. Noch heute, erkaltet und zu Papier gebracht, reißen sie mit und bestechen; wie mögen diese Aussprüche erst gewirkt haben, als sie lebendig und fibrierend aus dem Munde Voltaires und Diderots selbst kamen... ?“ Man war im 17. Jahrhundert bei Hof und im öffentlichen Leben den Schriftstellern mit allergrößter Hochachtung begegnet, glaubte jedoch nicht, daß sie eine Aufgabe zu erfüllen hätten, sondern meinte, die Literatur stelle nur eine edle Unterhaltung dar, bei der sich der Geist in Freiheit erfreuen könne und bloß das Ziel habe, dem Publikum zu gefallen, wobei den von den Alten hinterlassenen Mustern nachzustreben sei. Auf diese neutrale Literatur folgt im 18. Jahrhundert die ehrgeizige und angriffslustige Kampf­ literatur; die Schriftsteller werden zu berufsmäßigen Reforma­ toren, genießen aber für ihre neue Aufgabe noch die Achtung und Bewunderung, die man ihren Vorgängern entgegengebracht hatte. Sie, die gesuchten Tischgenossen und Salonlöwen, denen über jedes vorstellbare Maß hinaus geschmeichelt wird, leiten das Gewissen der verfeinerten und eleganten Aristokratie. Tausende von schönen gepuderten Köpfen berauschen sich an Theorien, durch deren Anwendung sie später in den Korb von Samson rollen sollten. Gleich nach Verlassen des Collège findet Voltaire als Protektor den Marquis de Gaumartin, eine sehr bekannte Persönlichkeit, ehemaliger Finanzintendant und Staatsrat, der ihn dem Groß­ prior der Vendôme vorstellt; er knüpft Beziehungen mit dem 56

Präsidenten Hénault, dem Marschall von Villars, dem Präsi­ denten von Maisons und dem Marquis d’Ussé an; er wagt es, an der Tafel des Prince de Conti, der gleich ihm Verse macht, zu fragen :, „Sind wir Prinzen oder Dichter ?“ Sein Streit mit dem Ritter von Rohan und seine Reise nach London stehen seiner Er­ nennung zum Kammeredelmann und seinem darauffolgenden Empfang bei Hofe nicht im Wege. Als er 1747 seine Freundin Madame du Châtelet beim Kartenspiel bei Hof einen sehr großen Betrag — 84000 Pfund — verlieren sah, sagte er laut auf .englisch, daß sie mit Gaunern spiele. Diese Bemerkung war verstanden worden, und da er nicht außer­ gewöhnlich tapfer war, floh er nach Sceaux zu der alten Für­ stin du Maine, der Schwägerin Ludwigs XIV., wo er sich in seinem Zimmer bei geschlossenen Fensterläden aufhielt und bei Kerzenlicht arbeitete. „Gegen zwei Uhr morgens“, erzählt Henri Carré, „sobald die Fürstin ihre Gäste und Bediensteten weg­ geschickt hatte und zu Bett gegangen war, stieg er zu ihr hinab; ein ins Vertrauen gezogener Diener deckte den Tisch im Alkoven und brachte ihm sein Abendessen.“ Die Fürstin erklärte ihm die Intrigen während der Regierungszeit Ludwigs XIV., und er las ihr dafür aus einer Erzählung oder einem Roman vor, an dem er gerade arbeitete. Als er sich in Ferney niederließ, war es noch' viel schlimmer: Die bekanntesten Persönlichkeiten des Königreichs, allen voran Choiseul und Richelieu, bettelten, um seine Gunst und nahmen seine barschen Antworten widerspruchslos hin; 1778 rief seine Rückkehr nach Paris einen wahren Freudenrausch hervor. Auch das Leben Rousseaus ist bekannt: Der ehemalige, wegen Diebstahls entlassene Lakai, der mit 16 Jahren von seiner 30jährigen Geliebten, die ihre Gunst zwischen ihm und ihrem Gärt­ ner teilte, ausgehalten und von Herrn de Mably, der ihn als Er­ zieher engagiert hatte und dessen Keller er geplündert, davon­ gejagt wurde, der spätere-Geliebte einer Beschließerin Thérèse Levasseur, mit der zusammen er bei einer anderen Beschützerin, Frau d’Epinay, lebte, ein eingebildeter Tropf, schon halb när­ risch, bevor er ganz überschnappte: Dieser Mensch wurde also von der ganzen hohen Gesellschaft, die ein mir unbegreifliches krankhaftes Vergnügen daran fand, sich vor ihm- zu ernied­ rigen und seine Fehler anzubeten, geliebt, bewundert und ver­ hätschelt. Der Prince de Conti schreibt ihm Briefe voller über­ strömender Zuneigung; Madame de Luxembourg sendet ihm eines Tages folgende Zeilen: „Ich liebe Sie von ganzem Herzen. Herr' 57

de Luxembourg umarmt Sie und liebt Sie von ganzem Herzen“, und ein andermal: „Nicht an Ihnen ist es, sich mir zu Füßen zu werfen, sondern an mir, mich zu den Ihren Zu werfen.“ Wenn er Schwierigkeiten mit der Polizei hat, überschlagen sich all diese Schöngeister, um seine Flucht zu begünstigen, und wenn er um' zieht, schlägt man sich darum, ihm, Thérèse und der Mutter von Thérèse Unterkunft anzubieten. „Sie werden den Schlüssel zu meinen Büchern und meinen Gärten haben“, schreibt der Prince de Ligne. Sie können pflanzen und säen, kurz, Sie können tun, was Sie wollen...“ ' • Zu Ende der Herrschaft Ludwigs XVI. begibt man sich an sein Grab wie an einen Wallfahrtsort. „Halb Frankreich ist schon nach Ermenonville gekommen, um die ihm dort geweihte kleine Insel Zu besuchen“, bemerkt ein Chronist. „Die Königin und alle Prin­ zen und Prinzessinnen des Hofes haben sich vergangene Woche dorthin begeben. Man hat mir versichert, daß die ganze erlauchte Familie mehr als eine Stunde im Schatten der Pappeln verweilte, die das Grab einsäumen.,.“ ,• ■ Im 17. Jahrhundert hatte man sich tüchtig über die Adeligen lustig gemacht, aber nur wegen ihrer Lächerlichkeit und Klein­ lichkeit; jetzt greift man sie in ihrer Ehre,- ihrem Besitz, ihren Rechten und direkten Existenzgrundlagen an, und dabei er­ mutigen die Adeligen ihre Angreifer, verwöhnen, rühmen und er­ nähren. sie sogar gelegentlich, wie der Comte d’Artois und der Prince de- Condé Chamfort gespeist haben, der dafür das. Volk aufforderte, den Adel aufzuheben und die Höflinge als Dumm­ köpfe und die adeligen Frauen als Gänschen bezeichnete. Der 1765 vorübergehend in Paris weilende Horace Walpole wun­ derte sich über die allgemeine Besessenheit. „Das Lachen ist ebenso aus der Mode gekommen wie die Hampelmänner und Hanswurste. Die guten Leutchen haben keine Zeit mehr zum Fröhlichsein, weil sie alle zu sehr in Anspruch genommen sind, Gott und den König herabzusetzen: Alle, Männer und Frauen, arbeiten bewußt daran.“ Und als er mit. einer Dame über Vol­ taire sprach, antwortete sie ihm verächtlich: „Das ist doch ein Betbruder, ein Deist.“ Im Jahre 1771, nach dem Exil des Parlaments, waren nach dem Ausspruch von Besenval alle Vergnügungs- und Gesellschafts­ stätten „kleine Generalstände geworden, wo in Gesetzgeber ver­ wandelte Frauen Prämissen aufstellten und gewichtige Maximen des öffentlichen Rechts von sich gaben“. Schrieb nicht eine dieser protestierenden Frauen, Madame de La Mark, daß „die absolute 58

Macht eine tödliche Krankheit“ und daß „die Handlungen der Herrscher der Zensur ihrer eigenen Untertanen unterliegen“ ? Der Comte de Ségur hat in seinen Memoiren diesen Wahnsinn genau und klug geschildert: „Was uns junge französische Adelige betraf, die der Vergangenheit nicht nachtrauerten und vor der Zukunft keine Furcht hatten, so wandelten wir lustig, wie auf einem Blumenteppich, der uns den Abgrund verbarg, dahin. Lä­ chelnd lehnten wir uns gegen die alten Gewohnheiten und den Feudalstolz unserer Väter sowie ihre gravitätische Etikette auf, und alles Alte schien uns hinderlich und lächerlich. Der Ernst der alten Lehren bedrückte uns ... Die Freiheit, gleich welche Sprache sie führte, fand durch ihren Mut und die Gleichheit durch ihre Bequemlichkeit unser Wohlgefallen. Man vergnügte sich daran, herabzusteigen, solange man im Glauben war, wieder hinan­ steigen zu können, sobald man es nur wollte, und wir erfreuten uns unvorsichtigerweise zugleich der Vorteile des Patriziertums sowie der Annehmlichkeiten einer plebejischen Philosophie. Und obgleich es unsere Privilegien und die Überreste.unserer eheT maligen Macht waren, die man unter unseren Füßen untergrub, so gefiel uns doch dieser Kleinkrieg. Wir spürten seine Aus­ wirkungen keineswegs, sondern genossen nur das Schauspiel... Da die äußere Form des Gebäudes unverändert blieb, sahen wir nicht, daß es im Innern ausgehöhlt wurde. Die ernsten Alarm­ rufe des alten Hofes und des Klerus, die gegen diese Neu­ einführungen wetterten, entlockten uns nur ein Lächeln, und wir spendeten den republikanischen Stücken in unseren Theatern, den philosophischen Abhandlungen unserer Akademien und den ge­ wagten Werken unserer Literaten Beifall...“ Ist es zur Vervoll- . ständigung des Bildes noch nötig, an die Erstaufführung der „Hochzeit des Figaro“ am 27. April 1784 zu erinnern? Der ganze Hof war zugegen: Die Duchesse de Bourbon hatte ihre Bedien­ steten schon um 11 Uhr früh'zur Kasse,-die. erst um 4 Uhr ge­ öffnet wurde, geschickt, um sich um Eintrittskarten anzustellen. Auf der obersten Galerie saßen Frauen von Rang neben Straßen­ mädchen, und diese ganze elegante Welt spendete den Tiraden gegen den Adel tosenden Beifall: „Sie halten sich für ein großes Genie? . .. Was haben Sie denn eigentlich geleistet, um soviel Reichtum Ihr Eigen zu.nennen ? Sie haben sich gerade nur die Mühe genommen, auf die Welt zu kommen...“ »Ich glaubte nicht, daß es so unterhaltsam wäre, wenn man sein eigenes Bildnis am Galgen hängen sieht“, soll die Tänzerin Guimard gesagt haben. Wenn die Aristokraten diejenigen beklat'

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sehen, von denen sie bildlich gehängt werden, so ist vorauszu­ sehen, daß es nicht lange dauern kann, bis sie wirklich am Gal- . gen baumeln werden. Diese Adeligen sind dabei keine einfachen Privatpersonen, son­ dern die Diener des Staates und der Behörden, Offiziere, Ge­ sandte und Minister! Ihre Philosophie ist in gewisser Hinsicht ein Verrat, denn wie sollen sie den König und die Monarchie ver­ teidigen, wenn sie davon überzeugt sind, daß die Demokratie die beste Regierungsform ist?, .Der Vetter des Königs, der Duc d’Orléans, ist Großmeister in der Freimaurerei; in den Regimentern gibt es 25 militärische Logen, in welchen Offiziere und Mannschaften sich im Kulte der Gleich­ heit verbrüdern. In der Loge Union, vön Toul-Artillerie, ist ein Unteroffizier ehrwürdiger Meister vom Stuhl, während der Oberst, Marquis d’Havrincourt, nur Delegierter des Grand-Orient ist. Die überwiegende Mehrheit der Richter,, manche Intendanten und viele hohe Beamte sind für die Philosöphenpartei gewonnen und besuchen regelmäßig die philosophischen Gesellschaften. Die Académie Française steht ganz auf der Seite der neuen philo­ sophischen Richtung, und seitdem d’Alembert ihr Generalsekretär ist, werden die Unabhängigen von ihr femgehalten. Nachdem Turgot Minister geworden, drängt sich alles herbei; er muß Dupont de Nemours, Morellet, de Vaisnes, Condorcet und Suard unterbringen und den Comte de Guibert, den Geliebten von Mademoiselle de Lespinasse, in den Generalstab entsenden. Nehmen , wir ein besonders typisches Beispiel, den Direktor der Bibliothek, Herrn de Maiesherbes. Im Ancien Régime war der Direktor der Bibliothek beauftragt, die Veröffentlichung sowie den Handel und Versand von Druck­ sachen zu beaufsichtigen und die Werke im Manuskript zu prüfen; er konnte diejenigen verbieten, die seiner Meinung nach gegen die guten Sitten verstießen oder die soziale Ordnung gefährdeten; ihm oblag ferner die Überwachung der Grenzen sowie der im Geheimen erscheinenden Werke; er verfügte die Beschlagnahme der zum Verkauf oder Versand gebrachten Bücher und Zeitungen, die ihm nicht zur Zensur vorgelegt worden waren, und verfolgte Verfasser und Händler. Also ein Posten von allergrößter Bedeu­ tung, insbesondere zu einem Zeitpunkt, in dem eine große intel­ lektuelle Offensive gegen die Monarchie geführt wurde. Bis 1750 hatte diesen Posten der Comte d’Argenson inne, der seine Aufgaben ernst nahm und ab 1748 ein wirksames System der Niederhaltung aufstellte: die Grenzen .wurden geschlossen, 60

verschiedene Verhaftungen erfolgten, und eine Reihe von Haus­ suchungen wurde erfolgreich durchgeführt. Mitten im Kampf jedoch wurde d’Argenson durch Herrn de Malesherbes, den Ersten Präsidenten des Steuergerichtshofes, ersetzt, der selbst Philosoph war und den Revolutionären beinahe völlige Straf­ freiheit gewährte. Um der Form Genüge zu tun, wurden einige strenge Maßnahmen von ihm erlassen, die jedoch.,-,ohne Durch­ führung blieben“ und deren einzigës Ergebnis war, für die so ver­ folgten Publizisten eine laute Reklame zu machen und ihnen den schmeichelhaften Ruf von Märtyrern einzutragen, ohne sie dabei im geringsten zu stören oder auch nur für kurze Zeit einzu­ schüchtern. '•> . - ■ ' . Es erscheint nun Schlag auf Schlag eine Reihe von Werken: die „Briefe über die Tauben“ von Diderot, die „Discours“ von Rous­ seau, die großen Werke von Voltaire, die Enzyklopädie, die Werke von d’Alembert...; von d’Argenson verbotene Bücher, wie die „Geschichte Ludwigs XI.“ von Duclos, werden nun er­ laubt. Die Überwachung der Grenzen ist vollkommen illusorisch gewor­ den. Die an Höflinge geschickten aufrührerischen Broschüren wer­ den nicht mehr untersucht; in den Häusern der Prinzen und des Malteserordens, in den Klöstern und kirchlichen Institutionen, ja sogar direkt im Versailler Schloß werden Verkaufsläden eröffnet, die jeder kennt und denen gegenüber nur die Polizei Unkenntnis vortäuscht. i. ' \ . Malesherbes, ein eitler, gutgläubiger und für die berechnenden Schmeicheleien der Schriftsteller sehr empfänglicher Charakter, begierig, einen Abglanz von ihrem Ansehen zu erhaschen, und in Unkenntnis der Tragweite der betreffenden Bücher und seiner eigenen Handlungsweise, ist der Typ des Liberalen in Vollendung, der stets davor zittert, als Reaktionär zu gelten, und der seiner­ seits alles tut, um die Revolution zu entfachen und die Brand­ stifter zii schützen. Er dient selbst , als Mittelsmann zwischen Rousseau und dessen Verleger, sendet Rousseau mit Sonderkurier die Bürstenabzüge, die er eigentlich hätte beschlagnahmen müssen, und als der Gen­ fer mit seinem bisherigen Verleger in Schwierigkeiten gerät, schaltet, er sich ein und sucht ihm einen anderen, bloß, um ihm einen Gefallen zu erweisen. Natürlich müssen die Verteidiger der Autorität die Kosten dieser Großmut bezahlen, und Fréron konnte für seine „Année Litté­ raire“ nie den geringsten Vorteil erhalten; seine Zeitung ist im 61

Gegenteil sehr oft beschlagnahmt, weil er es gewagt hat, Voltaire, d’Alembert oder Marmontel zu kritisieren. Im Jahre 1758 wäre er sogar beinahe vor Gericht zitiert worden, weil er einen Bericht über ein der Enzyklopädie entgegengesetztes Werk veröffentlicht hatte, und es wurde ihm unter Androhung von Strafverfolgung verboten, auf die Angriffe, denen er selbst ausgesetzt war, zu erwidern. 1752 verbietet Malesherbes ein Diderot feindliches Werk des P. Geoffray ; 1754 läßt er durch seinen Lyoner Agenten Bourgelat, der selbst Mitarbeiter der Enzyklopädie ist, einen P. Tholomas tadeln, der es sich hatte einfallen lassen, auf den Artikel Collège des Nachschlagewerkes zu erwidern. Palissot und Gilbert sind den gleichen Verfolgungen ausgesetzt, und Gil­ bert stirbt sogar daran. • Die, Philosophen beschwerten sich über Tyrannei und übten sie dabei selbst über die Literatur aus. Hören Sie selbst, in welchen Tönen d’Alembert für seine Freunde den Schutz der Regierung forderte: „Sehr geehrter Herr! Ich erfahre, daß in der letzten Folge von Fréron die Enzyklopädie als skandalöses Werk be­ zeichnet wird. Mir ist bekannt, daß dieses Blatt und. ihre Ver­ fasser bedeutungslos sind, aber dies ist kein Grund, so'scheint mir, Ihnen eine ähnliche Freiheit zuzubilligen, noch darf dies von der Zensur zugelassen werden. Es hieße, mir selbst und allen meinen Kollegen etwas zu vergeben, wenn ich darüber nicht bei Ihnen Klage führen würde. Falls aber durch irgendein Unglück, an dem ich dann jedoch keine Schuld hätte, uns keine Gerechtig­ keit widerfahren sollte, bin ich entschlossen, mich ruhig zu ver­ halten. Ich habe allen Anlaß, mein Herr, auf Sie zu bauen. Ihre Rechtlichkeit und die Ehre, Ihr Berufskollege zu sein, bürgen mir dafür.;.“ Und die Leute des Königs hatten nichts anderes zu tun, als den Feinden des Königs zu Hilfe zu eilen! Multiplizieren wir dieses Beispiel mit hundert oder tausend, so erhalten wir einen ungefähren Begriff davon, was die Innen­ politik Frankreichs von 1750 bis 1789 war: ein progressives Ab-, danken der Monarchie. Neben ihr und von ihr geduldet, von der Aristokratie beschützt.’ und unterstützt und unter Mittäterschaft der Beamtenschaft, der* Polizei und der Verwaltung, konstituiert sich eine neue, aktive, kühne und intolerante Macht, die Philosophenpartei: Ihre Kader stellen die Gesellschaften, ihre Führer die Enzyklopädisten, ihre Wortführer die Parlamente, ihre Armeen die Justizangestellten; der politische Kampf um die Steuern und die Religion liefert ihnen den Vorwand zu ihren großen Manövern. 62

Die Zeitgenossen waren sich dieses selbstmörderischen Abdankens völlig bewußt, und einige weisen ausdrücklich darauf hin. Nicht allein Voltaire beschwört immer wieder die Aufrührer, „einen Trupp“, „eine Meute“, ein „Korps von Eingeweihten“ zu bilden, um so die „Herren“ zu werden^ sondern auch'Duclos, der erklärt, daß, wenn auch „der Mächtige befiehlt“, so doch „die Menschen des Geistes regieren“, und Necker, welcher der öffentlichen Mei­ nung mehrere Seiten seiner Abhandlung über die Finanzen wid­ met, schließt, „daß sie über alle Geister herrsche“, daß die Prin­ zen sie „achten" und ihr „unterworfen“ sind, daß sie „der Stadt, dem Hof und sogar den Palästen der Könige Gesetze vorschreibe“, und schließlich d’Alembert, der noch klarer ausdrückt, daß die „öffentliche Meinung die Welt regiere“ und daß „die Philosophen die öffentliche Meinung regierten“. Die Regierungszeit Ludwigs XV. ist von den Auseinandersetzun­ gen der beiden Mächte erfüllt. Wegen aller möglichen Anlässe, wie z. B. wegen der Jansénisten, der Steuern, der Jesuiten, der Straßen, der Arbeitsleistung zur Erhaltung der ' Straßen, der Freiheiten der Provinzen und des freien Getreideaustausches bre­ chen wahre Philosophenrevolten aus, gegen welche die unter­ minierte, geschwächte und mutlose Regierung machtlos bleibt. Die Angriffsarmee ist wohl gespalten, denn Parlamentarier und Philo­ sophen sind weit davon entfernt, sich immer zu vertragen. Wohl sind beide Gegner des Papstes und des Königs; während jedoch die ersteren dabei die Religion verehren und auf ihre Standes­ vorteile sehr bedacht sind, sind die letzteren Atheisten und Ver­ fechter der allgemeinen Gleichheit. Aber wenn man auch zur Zeit der Waffenruhen untereinander kleine Scharmützel austrägt, so versöhnt man sich sofort angesichts des Feindes und geht brü­ derlich vereint und Schulter an Schulter»in den Kampf. Es gibt nichts Eintönigeres als diese Kämpfe, die stets ähnlich, mit gleicher Kühnheit und gleichen Waffen von seiten der An­ greifer und mit derselben Zusammenhanglosigkeit und den glei­ chen Kapitulationen von seiten des Ministeriums begonnen, ge­ führt und beendet werden. Die Gesetze .werden von dem König im Rat. erlassen; es ist jedoch Sache des Parlaments, sie Zur Anwendung zu bringen, Übertretungen festzustellen und diejenigen, die ungesetzliche Handlungen begangen haben, zu bestrafen. Für die Minister er­ gibt sich daraus die Notwendigkeit, ihnen die Gesetze Zwecks Eintragung in die Register mitzüteilen; unter Ludwig XIV. be­ deutete dies nur eine einfache Formalität; der Régent hatte jedoch 63

nach dem Tode des großen Königs die Unvorsichtigkeit begangen, den souveränen Gerichten ein Vorstellungsrecht einzuräumen, d. h. das Recht, die ihnen unterbreiteten Erlässe zu kritisieren und sogar ganz einfach ihre Aufhebung zu verlangen, indem sie sich weigerten, die Eintragung vorzunehmen. Theoretisch konnte diese Weigerung leicht gebrochen werden, da dem König das Recht Zustand, sich darüber hinwegzusetzen, indem er selbst in feierlicher Sitzung die Eintragung vornahm. Aber die Parla­ mente machten es sich rasch zur Gewohnheit, ihren gesetzlich beschränkten Widerstand durch einen ungesetzlichen, aber wirk­ samen zu verstärken. Immens reich, Eigentümer ihrer Ämter, so wie es heute noch die Notare und Rechtsanwälte sind, mit den größten Geschlechtern verbündet, durch dauerhafte Familien- und Interessenbande ver­ eint, ihre Ämter von dem Vater auf den Sohn oder von dem Onkel auf den Neffen vererbend, völlig die niedere Gerichtsbar­ keit beherrschend und die ungeheuer große Zahl der Justiz-1 angestellten mit sich ziehend, verkündeten sie nun den allgemei­ nen* Streik der Justiz in allen ihren Instanzen, terrorisierten und hetzten die Kläger auf und brachten die Führung der privaten und öffentlichen Angelegenheiten zum Stillstand, indem sie durch demagogische, sofort verbreitete Verhandlungen und Erlässe sich schamlos an die niedrigsten und hemmungslosesten Leidenschaften der Masse wandten. Von den Verfassern von Schmähschriften aufgestachelt und durch theatralische Demonstrationen entflammt, murrte Paris und war zum Aufruhr bereit. Die Erregung griff mit Hilfe der Gesell­ schaften auf die Provinz über; von ihr getragen und sich gegen­ seitig fortreißend, versammelten sich Stände, Städte, Kapitel und Körperschaften und protestierten. Die Regierung versuchte es an­ gesichts dieser allgemeinen Unruhe mit Strenge, sandte die stör­ rischsten der Streikenden auf ihre Landhäuser, verhaftete einige der Rädelsführer und errichtete eine besondere Kommission zur Abwicklung der schwebenden Prozesse. Darauf erfolgten neue Deklamationen und Schmähschriften... Geschlossene Abreise der aufs Land Verbannten inmitten einer tobenden Menschenmenge und insbesondere, da kein Mensch an die Entschlossenheit des Königs glaubte, Weigerung der Advokaten, vor den neuen Rich­ tern zu plädieren und Weigerung der klagenden Parteien, sich bei den neuen Gerichten einzufinden. Nach einiger Zeit erfolgten dann diskrete Vorstöße des Hofes, Abgang des in die Angelegen­ heit verwickelten Ministers, Gouverneurs oder Intendanten, ent­

sprechende Kapitulation seines Nachfolgers und triumphale Rück­ kehr der „Väter des Vaterlandes“! ' Am traurigsten bei diesen Streitigkeiten ist, daß Gerechtigkeit und Fortschritt auf Seite des Königs waren! Die Parlamente verstanden es ausgezeichnet, hinter ihren humani­ tären und liberalen Tiraden die rückständigsten Ideen und alleregoistischsten Interessen zu verbergen. Es gelang ihnen so, die nützlichsten Reformen, insbesondere die wieder einmal durch Ein­ führung der Abgabe des „vingtième“ beabsichtigte Steuergleich­ heit zu Fall zu bringen, weil sie ihren Klassenprivilegien ent­ gegenstanden. Sie ließen die Monarchie im bloßen Routinewerk erstarren und zwangen sie unaufhörlich, zu den ruinösen Aus­ wegen, die sie selbst verdammt hatten, ihre Zuflucht zu nehmen. Ihre Tätigkeit verstärkte noch die Mißbräuche, für die man durch ihre Reden nur um so hellhöriger geworden war, und welche man nun um so schwerer ertrug. Sie lähmten selbst die Monarchie, um dann auf deren Unbeweglichkeit hinzuweisen! Sie schürten den Aufruhr und verhinderten es, daß Mittel dagegen gefunden wurden! Möge der, dem diese Absurdität gefällt, sie bewun­ dern. Ludwig XV. war zu klug, um nicht Zu sehen, daß die parlamen­ tarische Opposition die Monarchie in die Katastrophe hinein­ führte, und war trotz seines Skeptizismus zu sehr von Pflicht­ gefühl durchdrungen, um nicht nach Abhilfe zu suchen. Im Jahre 1771 fühlte er, daß Nachsicht nicht mehr am Platze sei und daß ernste Zeiten nahten, und so entschloß er sich, den Streich zu führen, der den Staat retten konnte. Der mit der Durchführung beauftragte Kanzler Mäupeou erließ eine Reihe, von strengen Edikten, löste das Parlament von Paris auf, entzog den anderen ihre politischen Befugnisse •und teilte ihre zu zahlreichen Fach­ gebiete auf eine gewisse Zahl von neuen Einrichtungen, die „Con­ seils supérieurs“ genannt wurden, auf. Die Justiz wurde den Untertanen wieder- nähergebracht, der käufliche Erwerb von Ämtern aufgehoben, besondere Abgaben verboten, die Verfah­ renskosten herabgesetzt, das Verfahren vereinfacht und die über­ flüssig gewordenen oder in ihren Kompetenzen sich überschnei­ denden Gerichte — der große Rat, 3 Steuergerichtshöfe, der Domben-Rat, das Gerichtswesen, und die Verwaltung der Flotte, das Marschallamt, das Finanzamt von Paris und verschiedene Amtsgerichte — aufgelöst. Das' demissionierte oder exilierte alte Personal wurde durch weniger zahlreiches, dabei aufgeklärteres und, geschulteres neues ersetzt. Die unnachgiebige und hoch­

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G a x o t t e , R e v o lu tio n

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mittige Oligarchie, deren sture Verblendung jede Änderung un­ möglich gemacht hatte, war endlich gebrochen. Die ganze Sache war ohne Heftigkeit, aber auch ohne Schwäche, durchgeführt worden. Da die öffentliche Meinung fühlte, daß der König zum Äußersten entschlossen sei, hatte sie sich nicht gerührt, und ein Teil der Philosophen, mit Voltaire an der Spitze, hatte sich sogar auf die Seite des Kanzlers gestellt und ihn'mit ihren Schriften unterstützt. Die Witze von Beaumarchais und seine Auseinandersetzungen mit dem Rat Guzman, der übrigens eine Rüge erhielt, behinderten nicht den Erfolg der Reform und das Funktionieren der neuen Gerichte. Die Kläger hatten bald erkannt, daß diese zugänglicher, rascher und billiger waren als die früheren, und die ihres Amtes enthobenen Beamten verloren den Mut, einige unterwarfen sich und baten um Zulassung zu den „Conseils supérieurs“. Der Contrôleur général Terray benützte diesen Umschwung so­ fort zur Durchführung geschickter und ergiebiger Steuerrefor­ men, und zwar Streichung mißbräuchlicher Steuererlässe und Ein­ hebung der Abgabe des „vingtième“ auch von den privilegierten Ständen, die sich daran gewöhnt hatten, den Staat stets um die Steuern zu prellen, indem sie den größten Teil ihrer Einkünfte verheimlichten. Das Verschwinden des Parlaments und die genaue Zahlung des „vingtième“ bedeutete das Ende der Anleihen und Vorgriffe, die Aufhebung des Defizits und die Möglichkeit einer Amortisierung. Es war vor allem ein tödlicher Schlag gegen alle un­ gesetzlichen Vorrechte und der Weg für eine völlige Finanz­ reform und rationelle Organisation des Königreichs. Schon Jacques Bainville hat sehr richtig bemerkt, daß, wollte man sich die Revolution ersparen, dies 1774, und nicht 1789 hätte ge­ schehen müssen. Leider starb Ludwig XV., und ein weiteres Mißgeschick wollte, daß sein Nachfolger Ludwig XVI. war. Dieser wohlbeleibte und keineswegs dumme Mann besaß viele Vorzüge, von welchen wenigstens einige zu einem König gehören: er war arbeitsam, gewissenhaft, aufmerksam und voll guter Absichten, besaß Kennt­ nisse, ein gutes Gedächtnis und Urteilskraft. Nachdem er ge­ nügend Kraft bewiesen hatte, seine Außenpolitik dem Spiel der Parteien zu entziehen, fand er den zu ihrer Durchführung nötigen Mann, zog aus der Regierungszeit seines Vorgängers die ent­ sprechenden Lehren, schuf sich eine neue Flotte und, während er sich für den Vertrag von Paris zur See und in den Kolonien 66

schadlos hielt, war er in der Aufrechterhaltung des Friedens auf dem Kontinent erfolgreich. Sobald er sich jedoch Fragen der Innenpolitik zuwendet, bleibt er unter seinem eigenen Format, beweist keinen klaren Blick mehr und weiß nicht, was er will. Er hat selbst im Laufe seines Lebens einige Aussprüche getan, die interessante Aufschlüsse geben. Als man ihm das Ableben Ludwigs XV. meldet, ruft er aus: „Was für eine Bürde! Und man hat mich nichts gelehrt. Mir scheint, die •ganze Welt wird über mir Zusammenstürzen.“ Als er in Reims die Krone empfängt: „Sie drückt mich!“ Als er 1776 die Abdankung von Malesherbes entgegennimmt: „Wie glücklich Sie sind! Könnte ich doch,auch meinen Platz verlassen!“ Im Grunde genommen ist es der König des Télémaque, ein gekrönter Philo­ soph, der errötet, freien Menschen zu befehlen, so von Fénelon und Rousseau durchdrungen, daß er ein Jahr nach seiner Thron­ besteigung einer Freimaurerloge bei Hof beitritt. Er glaubt an die Güte des Menschen, und autoritäre Mittel widerstreben ihm; als blinder Optimist verrennt er sich in dem Glauben, die Dinge wür­ den allein durch die göttliche Natur wieder geregelt werden, und weigert sich, an das Schlimmste zu glauben und Gewalt anzuwen­ den, solange er es noch gekonnt hätte. Sein Liberalismus schadet der Monarchie mehr als die Mätressen Ludwigs XV. und das Versagen von Terray. . Die Königin Marie-Antoinette besaß anmutige, Majestät, Mut, Willen und Geist, aber auch sie unterlag dem Einfluß der Mode, die überall Einfachheit und Freiheit verlangte. Als Königin von Frankreich wollte sie wie eine Prinzessin ohne Reich leben, und das Zeremoniell machte sie ungeduldig und langweilte sie. „Sie war leicht davon zu überzeugen“, sagte der Duc de Lewis, „daß man nicht so dumm sein dürfe, sich sein eigenes Leben weniger glücklich als das seiner Untertanen einzurichten, ' und daß in einem Jahrhundert, in dem alle Vorurteile fielen, sich auch dié Herrscher von ihren drückenden, ihnen von der Überlieferung auferlegten Fesseln befreien könnten; daß es letzten Endes lächer­ lich sei, anzunehmen, der Gehorsam der Völker richte sich nach der größeren oder kleineren Zahl von Stunden, welche die könig­ liche Familie in der Gesellschaft von langweiligen und gelangweilten Höflingen verbringe.“ Deshalb wurde das Leben bei Hof von Grund auf geändert: „Außer einigen Günstlingen .. : wurden alle ausgeschlossen. Weder Rang noch erwiesene Dienste, weder allgemeine Wertschätzung noch hohe, Geburt waren fortan ein Grund, zur Intimität der königlichen Familie'zugelassen zu werE*

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den. Nur sonntags konnten die dem König vorgestellten Personen die Prinzen kurze Zeit sehen; aber sie verloren meist jeden Ge­ schmack an dieser unnützen Zeremonie, für die ihnen übrigens ' niemand Dank wußte und fühlten sich geprellt, daß ihnen trotz der weiten Reise kein besserer Empfang zuteil wurde und ver­ liefen sich bald wieder ... Versailles; dieser Schauplatz der Herr­ lichkeit Ludwigs XIV., wohin man aus ganz Europa geeilt war, Lehren über guten Geschmack und höfisches Wesen zu emp­ fangen, war bald nichts mehr als eine kleine Provinzstadt, in die man nur widerstrebend reiste und aus der man möglichst rasch wieder wegfuhr...“ ' D u r c h die in der Etikette vorgeschriebenp Huldigung der Höf­ linge wurden täglich die Treuebande, welche diese mit dem Herrscher verknüpften, immer wieder neu gefestigt, und der König blieb dabei stets über den Ränken und Palastintrigen. Bald nach Aufhebung dieser, Zeremonie wurde der ganze Hof zum Tummelplatz einzelner. Cliquen. Die Königin, die zu zweien oder dreien gehörte, demütigte damit alle anderen und machte sie unzufrieden; aus den verlassenen Salons kamen dann Spottlieder und Schmähschriften. Ganz Paris wurde von dieser Schlamm­ literatur erfüllt, überall wurden schmutzige Geschichten und fingerdick aufgetragene Verleumdungen zum Besten gegeben. ' Dinge, die 20 Jahre später beim Revolutionstribunal wieder auf­ getischt werden. Fouquier-Tinville wird in seiner Anklagerede nichts anderes tun, als diese Verleumdungen1der Königin, der Komtesse d’Artois und Madame de Balbis nachplappem. Die neue Regierungszeit wurde mit einem Fehler eingeleitet, dem größten, den man begehen konnte, und dem einzigen, der nicht wieder gutzumachen war; der Wiedereinberufung der Par­ lamente. Wer nur ein wenig über all die Unruhen, die sie seit einem halben Jahrhundert verursacht hatten, nachgedacht, dem bleibt diese Maßnahme völlig unverständlich. Man findet dafür auch wirklich keinerlei Erklärung, wenn Ludwig XVI. und seine Ratgeber Männer von gesetzter Denkweise gewesen wären, die gewohnt waren, die Dinge realistisch zu sehen, und der Ver­ gangenheit Rechnung zu tragen. Aber es waren nur doktrinäre, gefühlsmäßig bestimmte, in einer imwirklichen Welt lebende Men­ schen, denen die Dinge durch die Worte verdeckt wurden. Ihre rührende Naivität machte sie von vornherein zu unbewußten In­ strumenten der Ehrgeizigen und Aufrührer, die durch die Errich­ tung der neuen Behörden ihre Stellen, Privilegien, Einfluß und Beliebtheit beim Volk eingebüßt hatten. Nichts ,ist in diesem Zu­ 68

sammenhang reizvoller als ein Vergleich der von beiden Seiten vorgebrachten Argumente. Die Denkschriften Maupeous an den König sind Muster von weiser Voraussicht und Vernunft, in denen die Erfahrung, angerufen wird und Tatsachen zitiert werden. Seine Gegner erwidern mit Grundsätzen und Seufzern: „Ohne Parlament gibt es keine Monarchie“, sagt Maurepas, und Lud­ wig XVI. stimmt als guter Schüler Fénelons zu: „Was haben die Großen, die Stände, Provinzen und die Parlamente getan, um ihre Abdankung zu verdienen ?“ Der Druck von außen gab den letzten Anstoß zu seinem Entschluß. Es wurden drohende Schmäh­ schriften verbreitet und aufrührerische Anschläge angebracht; man ließ ihn um.seine Popularität fürchten, und so gab er schließ­ lich nach. Inmitten von Manifestationen kamen die „großen Talare“ Zurück und erhoben, Zur Feier ihres Sieges, mürrische Einwände gegen den König, die einer völligen Negierung seiner Autorität gleichkamen. Es war ein Widerspruch in sich, eine fortschrittliche Regierung anzukündigen und ihre unschädlich gemachten Gegner wieder einzusetzen; es war absurd, reformieren zu wollen und sich selbst die dazu nötigen Bedingungen Zu verweigern, und unsinnig, auf Gehorsam Zu rechnen, während man der Auflehnung Prämien gewährte. Man hatte sich geschmeichelt, die patriarchalische Mon­ archie mit ihren großen, ausgeglichenen Körperschaften, : ihrem autonomen Adel und unabhängigem Richterstand wieder einzu­ setzen: In Wirklichkeit hatte man sich zu Ohnmacht und Anarchie verurteilt. Es dauerte gar nicht lange, bis man sich dessen bewußt wurde. Die Regierungszeit Ludwigs XVI. besteht ausschließlich aus tor­ pedierten Vorschlägen, nicht gehaltenen Versprechen und sofort nach dem ersten Anlauf gestoppten Reformen. Alle fortschritt­ lichen Bestrebungen, insbesondere jene, die Frankreich hätten eine gleiche Steuer bringen sollen, zerbrachen an dem Widerstand der Parlamente. Die Minister'träumten von großen Vorhaben, durch welche die Obrigkeit ihre Handlungsfreiheit zurückgewonnen hätte und die Lage gerettet worden wäre. Die Parlamente brach­ ten sie jedoch sehr rasch zu den alten ruinösen und verhaßten Methoden zurück, zu Steuerprolongationen und verschleierten Anleihen, wofür man noch dazu ihre Mitschuld und ihr Schwei­ gen teuer erkaufen mußte. Diese Kapitulationen waren um so demütigender, als man hochfliegende Pläne gehabt hatte, und um so schädlicher, als man es sich hatte angelegen sein lassen, zur Gewinnung der öffentlichen Meinung überall „Berichte“ oder

„Präambeln“ zu verbreiten, in welchen die Mißstände, die man abzustellen behauptete und letzten Endes aber doch beibehielt, ■heftig kritisiert worden waren. Was sollten sich die Bauern den­ ken, die an der Kirchentür die Ergüsse von Turgot gegen die Arbeitsleistung zur Erhaltung der Straßen gelesen hatten, und denen von der Kanzel herab entsprechende Predigten gehalten wurden, wenn ihnen ein Vierteljahr später bekanntgegeben wurde, daß trotz aller guten Gründe nichts geändert und alles in der gleichen Form weitergehen würde? Die betriebsame und Zugleich ohnmächtige, von den selbstgewählten Herren geleitete Regierung flößte weder Furcht noch Achtung ein. Ihre Widersprüche und Schwächen und ihr Zurückweichen ■ermutigten nur Kritik, Ungehorsam und Auflehnung. Ihr gegen­ über schien alles erlaubt, ja, was noch schlimmer, sogar risiko­ los zu sein. , Die Halsbandaffäre zeigte, bis zu welchem Punkt die Regierung schon gesunken war. Der Kardinal de Rohan, Bischof ' von Straßburg und Groß­ almosenier von Frankreich, hatte sich in die ihn verabscheuende und verachtende Königin verhebt. Eine Abenteuerin, die Kom­ tesse de la Mothe, und ein Scharlatan, Cagliostro, teilten ihm mit, sie verfügten über Mittel, die Gunst Marie Antoinettes zu gewinnen. Der Kardinal, der schön, aber von einer an Dumm­ heit grenzenden ^Eitelkeit war, schenkte ihnen tatsächlich Glau­ ben. Er hatte in einem Wäldchen eine nächtliche Zusammenkunft mit einer .Kammerzofe, die er für die Königin hielt, und die sich von ihm 150000 Frs. auslieh. Kurz danach ersuchte sie ihn, ihr als Mittelsperson zu den Juwelenhändlem Boehmer und Bossange zwecks Ankauf eines Diamantenkolliers im Werte von 1I/2 Mil' Honen Frs. zu dienen, das sie sich im geheimen, um nicht des Königs Aufmerksamkeit zu erregen, beschaffen wollte. Der Han­ del wurde abgeschlossen, der Schmuck an Madame de la Mothe geliefert und in London veräußert. Als die erste Rate fällig wurde, flog der ganze Schwindel auf. Ludwig XVI. ließ. Rohan, Cagliostro, die Komtesse mit ihren Komplizen, insgesamt gegen 15 Personen, verhaften. Hätte er wirklichen politischen Instinkt besessen, so hätte er den Kardinal selbst bestraft Und ihn sofort in irgendein stilles Kloster verbannt, wo er Zeit zum Nachdenken gehabt und nicht mehr von sich hätte reden machen können. Er war jedoch naiv genug, ihn dem Parlament zu übergeben. Die Untersuchung und der Prozeß waren langwierig und voller Skan­ dale. Um die Königin zu demütigen, intervenierten die einzelnen 70

Cliquen bei Hof zugunsten der Angeklagten; die Sorbonne ergriff für ihren Prior Partei; die Verfasser von Schmähschriften be­ mächtigten sich der Angelegenheit, um die königliche Familie in den Schmutz zu zerren. Kurzum, Rohan wurde freigesprochen. Das Urteil bedeutete, daß Grund zu der Annahme bestand, die Königin von Frankreich sei imstande, sich für ein Kollier zu verkaufen. Diese Beleidigungen werden überall von offener Auflehnung be­ gleitet; wegen der geringfügigsten Anlässe brechen Streitigkeiten aus. Gerade zu einem Zeitpunkt, in dem die finanzielle Lage mehr denn je eine notwendige Verjüngung erheischte, war dieRegierung völlig lahmgelegt. Und da sie selbst nicht mehr den Willen(hatte, aus eigener Kraft die Hindernisse zu überwinden, wurde sie ganz natürlich dahin gebracht, sich solche Bundesgenos­ sen zu sichern, deren Popularität und Autorität imstande waren, dem Ansehen und den Intrigen des Parlaments die Waage zu halten. Man näherte sich so der Schiedsrichtertätigkeit der Gene­ ralstände, versuchte es jedoch vorher noch mit den Notabein. Dies war auch noch so eine alte Idee Fénelons, die Calonne in Er­ mangelung eines Besseren aufgriff. Man versammelte in Ver­ sailles 144 hochgestellte Persönlichkeiten: Prinzen, Fürsten,Marschälle, hohe Beamte, Prälaten, Staatsräte, Bürgermeister der großen Städte und Delegierte der Provinzen, welche über ein ihnen unterbreitetes Programm von Reformen beraten sollten. Der wichtigste Punkt war die Ersetzung der Abgabe des „vingtième“ durch eine Grundsteuer, die, für alle gleich, auch den Klerus be­ lasten sollte, und mit deren Aufteilung gewählte Provinzialver­ sammlungen betraut werden sollten, welchen man im übrigen einen Großteil der Verwaltungsbefugnisse der Intendanten, die dadurch auf die Rolle von königlichen Kommissaren bei den Pror vinzialversammlungen beschränkt worden waren, übertrug. Calonne appellierte an das gute Herz der Privilegierten und an ihren Liberalismus und schien nicht im mindesten daran zu 2!weifeln, daß dieser Liberalismus Willens sei, Privilegien zu opfern, während es in Wirklichkeit nur darum ging, dem König 2u trotzen und seine Macht zu untergraben. Von Schmähschriften aufgestachelt und mit Spötteleien der Parlamentarier überhäuft, von den Salons gedrängt, durch von Regentschaft träumende Prinzen bearbeitet, nahmen die Notabein eine starre und unnach­ giebige Haltung ein und, indem sie beteuerten, zu den größten Opfern bereit zu sein, warfen sie stets neue, erst noch zu klärende Prägen auf, die ständige Vertagungen erforderten; so verlangten

sie u. a. die Einrichtung einer kontrollierten Buchführung, pro­ testierten gegen die Pensionen des Hofs (die sie selbst bezogen), beriefen sich auf die falsche Bilanz von Necker, um die wahre Bilanz zu kritisieren, und verlangten schließlich die Einberufung der Generalstände, die allein zur Neuregelung des Steuerwesens berufen seien. Man kam also wieder auf den Ausgangspunkt, zurück: die Versammlung der Notabein, die ins Leben gerufen worden war, den Parlamenten die Stirn zu bieten, schlug sich auf deren Seite. Das Obstruktionsmanöver wurde von 5 Erzbischöfen angeführt: De Boisgelin, Erzbischof von Aix, Champion de Cicé, Erzbischof von Bordeaux, Dulau, Erzbischof von Arles, Loménie de Brienne, Erzbischof von Toulouse, und de Dillon, Erzbischof von Narbonne. Calonne bemühte sich vergeblich, die Anführer in privaten Unter­ redungen zu überzeugen. Dann versuchte er es mit Einschüchte­ rungen, indem er den Egoismus der. Privilegierten in Schmäh­ schriften geißeln ließ: „Man zahlt gar nichts mehr? Auch gut. Aber wer? Nur diejenigen, die jetzt schon nicht genug gezahlt... Vorrechte sollen geopfert werden? Ja. Die Gerechtigkeit verlangt und die Notlage fordert es.“ Nun wurde das Geschrei gegen Ca­ lonne ohrenbetäubend,.und der König befahl ihm, seinen Rück­ tritt einzureichen. Sein Abgang änderte jedoch nichts an der Sach­ lage (April 1787). Der zum Chef des Königlichen Finanzrates ernannte Loménie de Brienne hatte wohl leicht an der Spitze der Opposition glänzen können, sah sich aber nun, wie sein Vorgänger, den gleichen Problemen gegenüber und war, wie er, unfrei in der Wahl seiner Mittel. Von dem ganzen Versuch blieb außer dem Gedanken einer baldigen Einberufung der Stände nur eine unglückselige Maß­ nahme übrig: die Errichtung der Provinzialversammlungen. Diese leisteten trotz allerbester Absichten nichts Nützliches, sondern arbeiteten nur daran, das Werk der Intendanten zu diskreditieren, und es gelang ihnen auch, sie überall durch ständige Beschwer­ den, Zwistigkeiten und Schikanen zu entmutigen. Während sich die Schwierigkeiten immer mehr anhäuften, verlor eine Triebfeder der Obrigkeit nach der anderen ihre Spannkraft, und der festeste und modernste Teil der monarchistischen Regierung wurde nun auch in Mitleidenschaft gezogen. Die auf die Versicherungen und Lügen Neckers, von denen man noch allgemein zehrte, folgende Enthüllung des Defizits wirkte wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel. Die aus der Fassung gebrachte öffentliche Meinung konnte nicht glauben, daß die Hauptursache der Schwierigkeiten die wahn­ 72

witzige von dem Genfer praktizierte Anleihepolitik war. Man , rief nach den Schuldigen und sprach von Diebstählen, Skandalen und Veruntreuungen. Die Angst vor einer ungeheuren Steuer­ erhöhung breitete sich aus, obwohl es eigentlich nur darum ging, diejenigen zur Zahlung anzuhalten, die überhaupt nichts zahlten, und'von dieser latenten'Beunruhigung begünstigt, begann sich eine allgemeine Aufregung des Landes zu bemächtigen. Unter diesen unglückseligen Bedingungen wandte sich das Mini­ sterium an die Parlamente, um sich die geringen Zugeständnisse der Notabeln bestätigen zu lassen und von hier das zu erlangen, was ihm verweigert worden war. Der Siegelbewahrer, Lamoignon, riet, rasch vorzugehen, dem Beamtenadel die Pistole auf die Brust zu setzen und ihn durch eine klare und energische Sprache zu einer Stellungnahme für oder gegen Steuergerechtigkeit und für oder gegen die finanziellen Privilegien zu zwingen. Brienne leitete ihnen jedoch die Edikte nur eines nach dem anderen, zu, und zwar die populären zuerst: Provinzialversammlungen, Er­ setzung der Dienstleistung zur Erhaltung der Straßen und freier Austausch des Getreides innerhalb des Landes. Widerspruchslos wurden diese trotz inneren Widerstandes angenommen,' um so die, öffentliche Meinung zu gewinnen; beim ersten Edikt jedoch, das die Einführung einer neuen Steuer verfügte, wurden die gleichen Einwände vorgebracht, wie sie schon die Notabeln formuliert hatten, es wurde die Übermittlung der Buchungsunterlagen ver­ langt, die Ausgaben für die Prinzen wurden kritisiert, und schließlich wurde erklärt, daß nur die in ihren Ständen versam­ melte Nation die nötigen Maßnahmen ergreifen könne, um „große Mißstände abzustellen“. Man verfiel wieder in den traditionellen Kleinkrieg mit der von beiden Seiten gleich angewandten Taktik: Einwände, feierliche Sitzung in Gegenwart des Königs, gesetzliche Eintragung in die Register auf. Grund der königlichen Autorität, Protest gegen diese Eintragung, Erlaß einer Verordnung, wodurch diese Eintragung für null und nichtig erklärt wurde, Aufhebung der Verordnung durch den Rat des Königs, neuerliche Einwände, feierliche Sitzung in Gegenwart des Königs, Exil des Parlaments in Troyes, Streik der Justiz und schließlich ein fauler und schlecht fundierter Friede, bei dem'jede der Parteien etwas von ihrer Ehre ließ. Das Parlament kehrte nach Paris zurück, die ablauferide Steuer des „vingtième“ wurde verlängert und die Regierung ermächtigt, die Eintreibung mit größerer Genauigkeit zu überwachen (Sep­ tember 1787).

Der von ihr geforderten produktiven Steuern beraubt, ging die Regierung mutig daran, wenigstens die ihr zugestandenen zu ver­ bessern. Zur selben Zeit setzte sie die Ausgaben und Pensionen beträchtlich herab und,entließ Beamte und Offiziere... ein aus­ gezeichnetes Beginnen, das nur den Nachteil hatte, keine sofortige Erleichterung zu bringen und die davon betroffenen ergebenen Diener ins Lager der Unzufriedenen zu treiben. Die Zeit war nicht,mehr für halbe Maßnahmen, da die Idee der Stände jeden Tag an Boden gewann. Die Regierung, die eine große Konsolidierungsanleihe brauchte, sah sich genötigt, den, Bitten der eventuellen Zeichner nachzukommen, und kündigte bei der Auflegung der ersten Tranche den Zusammentritt der Stände für 1792 an. Die Opposition organisierte sich mm sofort zur Durchsetzung ihres unverzüglichen Zusammentritts. Von diesem Tage an kennt die Kühnheit der Gerichte keine Schranken mehr. Auf dem ganzen Gebiet des Königreichs lehnen sie sich offen gegen das Königtum, von dem sie ihre Befugnisse herleiten und dessen Sprachrohr sie in Rechtsfragen eigentlich nur sind, auf.,Die Provinzgerichte widersetzen sich, der Einhebung ' des neuen' vingtième, die Pariser Gerichte schrecken die Kapita­ listen ab und bringen so die Anleihe zum Scheitern. Der Neffe des Königs, der Duc d’Orléans, stellt sich an die Spitze der Be­ wegung. Ludwig XVI. verliert in seinem Zorn die Geduld, be­ fiehlt dem Duc, sich auf sein Schloß in Villers-Cotterets zurück­ zuziehen und läßt Zwei der Haupträdelsführer verhaften. Das Parlament von Paris erhebt dagegen neuerdings Einspruch, be­ streitet ihm das Recht dazu und verbietet als Repressalie den ■ Steuerkontrolleuren, die versteuerbaren Einkünfte zu überprüfen, d. h. hindert sie in Wirklichkeit, daran, die von ihren Mitgliedern verübten riesigen Steuerhinterziehungen ans Licht zu bringen. Dieser elende Egoismus und schmutzige Geiz, der scheinheilig den ärmsten Schichten alle öffentlichen Lasten aufbürdete, wurde von der öffentlichen Meinung als eine heroische, der alten Römer würdige Tat begrüßt! Der König hatte in seinen Handlungen keine Wahl mehr, er mußte entweder abdanken oder wüten, seine Krone entweder einer beschränkten und tyrannischen Justiz­ oligarchie ausEefem1oder deren verbrecherisches Beginnen mit Gewalt brechen. Kurz, man mußte das Experiment von Maupeou, jedoch unter tausendfach schwierigeren Verhältnissen und nach­ dem man es schmählich desavouiert hatte, von neuem beginnen. Die daraufhin von Lamoignon vorgeschlagene Justizreform war nicht das Ergebnis einer Improvisation. Der Siegelbewahrer hatte 74

schon lange über dieses Problem nachgedacht und hatte die Re­ form in •groben Umrissen schon ausgearbeitet, als er noch Ge­ richtspräsident war. Die schleppend gefällten Urteile, die un­ geheure Vielfalt der Verfahren und Kosten, das Überhandnehmen: der niederen Beamten, wie Gerichtsschreiber, Prokuratoren, Ge­ richtsdiener und Sekretäre, die entsetzliche Erhöhung der Ge­ bühren, die Unkenntnis der Jungen und die Verblendung der ■ Alten, die schrecklichen Fehlurteile gewisser Gerichte, die Zahl der Justizirrtümer und skandalösen groben Versehen, die allgemeine Empörung und Schrecken verbreiteten, die Kompliziertheit der Sondergerichte und der allgemeine Verfall der Jurisprudenz, all dies waren Gründe genug, von denen jeder für sich allein die neuen Vorschläge sachlich gerechtfertigt hätte. Diese Vorschläge, sechs an der Zahl, ergänzten und setzten die seinerzeit. von Ludwig XV. erfolgreich durchgeführte. Reform fort. Die Adelsgerichtsbarkeit wurde fast vernichtet und - die , Sondergerichte beinahe völlig 1aufgehoben, die Parlamente ver­ loren alle politischen Befugnisse, die sie sich angemaßt hatten, und behielten nur einige Appellationsfälle und einige wenige den Adel,'den Klerus und den König betreffende Fragen, im Grunde lauter pompöse Nichtigkeiten. Unabhängig davon wurde die Justizhierarchie, wie dies später auch Napoleon wieder aufgreift, in 3 Stufen konstituiert:; „Prévôtés“, Profosengerichtsbarkeit für Übertretungen, Einsprüche gegen gerichtliche Versiegelungen, Vormundschaften und Inventaraufnahmen; „Présidiaux“, Gerichte erster Instanz für Delikte und Zivilsachen bis 4000 Franken; „Bailliages“, für Appellationen, Verbrechen und wichtige . An­ gelegenheiten. , Das Strafverfahren wurde gemildert, die Vereinheitlichung der Jurisprudenz vorbereitet, die Justiz den Gerichtsuntertanen näher gebracht und eine Menge von unnötigen Gebühren aufgehoben. Gewährung von Rang und Ehren sollte die Einstellung der neuen Beamten erleichtern. Die Parlamente wurden bis zur Beendigung der Reform in Ferien geschickt. . . Diesem wohlüberlegten, sachlich begründeten und kühnen Gesetz hatte Brienne eine letzte Bestimmung übergeordnet, die dazu dienen sollte, den Parlamenten die Autorität ihres alten und maje­ stätischen Ursprungs zu entziehen. Er grub in der Geschichte der alten Monarchie die Einrichtung der „Cour du Roi“, einer Ver­ sammlung von Vasallen und Ratgebern, welche den ersten Capetingern zur Seite gestanden und woraus durch Aufspaltung einerseits das Parlament und andererseits der Rat des Königs ent- , 75

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standen war, wieder aus und wollte sie neu beleben. Diese wieder­ errichtete „Cour plénière“ sollte die Befugnisse der Gesetzes­ eintragung erben, .wenigstens bis zu der immer noch für 1792 ver­ sprochenen Einberufung der Stände. Sie setzte sich aus den Prinzen und Pairs, Marschällen und.Bischöfen, Staatsräten und auf Lebenszeit ernannten hohen Beamten zusammen/ und sollte normal von Dezember bis April oder auf besondere Einberufung durch den König tagen. Diese im Rat des Königs beschlossene und der Druckerei bereits übergebene Maßnahme wurde einigen Pariser Parlamentariern verraten, die sofort ihre Körperschaft alarmierten, welche am , 3. Mai 1788 zusammentrat und einen Schwur ablegte, den ihnen mitgeteilten Vorschlägen mit allen Mitteln Widerstand zu leisten. Die von der Polizei versuchte Verhaftung von 2 Räten rief einen wahren Aufstand der Gerichtsschreiber und Richter hervor, unter die sich die Masse zu mengen begann; sogar Truppen mußten eingesetzt werden. .2 Tage später wurde das Parlament nach Ver­ sailles beordert, wo die. 6 Edikte zur Verlesung gelangen sollten, während die Gouverneure und Intendanten den Provinzgerichten davon Mitteilung machten. ' Man hat oft geschrieben, daß der „Staatsstreich“ vom Monat Mai in ganz Frankreich einen ungeheuren Ausbruch von Ab­ lehnung hervorgerufen habe, vor dem Brienne zurückweichen mußte. Das ist völlig falsch; die Edikte riefen vorläufig keinerlei Entrüstung hervor. Die Beklommenheit der letzten Monate kam so sehr von der Schwäche der Autorität her, daß schon eine ein­ zige energische Handlung genügte, um in den Herzen Achtung und Gehorsam zu erwecken und, wenigstens vorübergehend, die Mehrheit der öffentlichen Meinung auf sich zu vereinen. In Paris, wo der Minister Breteuil die Schließung der Gesellschaften und Lesezimmer verfügt hatte, fehlte es der Opposition an. Kadern und Zusammenkunftsmöglichkeiten; einige klug gewählte Ver­ haftungen vollendeten ihre Desorientierung. Ein Aufgebot an Be­ waffneten gab den Gaffern zu denken, und die Zusammen­ rottungen lösten sich auf. In den Salons und Cafés begann man z j d sagen, die Reform biete große Vorteile, das Verhalten der Parlamentarier sei sehr häufig egoistisch, unwissend, ungerecht und grausam gewesen, ihr Rückzug nach Troyes habe ihre Schein­ heiligkeit und Feigheit bewiesen, es sei unnütz, sich für sie zu schlagen usw.... Im übrigen begannen die neuen Gerichte, welche sich in den ungeheuren Arbeitsbereich des Parlamentes teilten, sich neu einzurichten und, trotz der Drohungen und Be­

leidigungen, denen ihre Mitglieder durch die Drahtzieher der Zunft der Justizangestellten ausgesetzt waren, auch zu arbeiten.Die „présidiaux“, die Präsidialgerichte von Orleans, Angoulême, Tours, Poitiers, Le Mans; Beauvais, Sens, Langres, Riom, Châlons und Lyon, machten wegen ihrer Umwandlung in „grands bail­ liages“ keinerlei Schwierigkeiten. Das Châtelet, das'Pariser Ge­ richt, leistete wohl Widerstand, aber auch nur zum Schein, und jedermann wußte, daß es nur einiger neuer Rückschläge bedurft hätte, und auch dieses Gericht hätte sich der neuen Regelung an­ geschlossen. .v ; ■ Die Partei der Parlamentarier hatte in der Provinz, wo die Polizeimaßnahmen schlecht durchgeführt worden waren und wo man sich leichter einschüchtem ließ als in Paris, gewisse Erfolge zu verzeichnen, die aber keineswegs allgemeiner Natur waren; vielerorts, besonders im Süden Frankreichs, trug die Regierung den Sieg davon; an vielen anderen Orten w;ar es klar, daß man ihr nur aus Furcht vor Beleidigungen und Rache widerwillig den Gehorsam verweigerte. Die konstituierten Körperschaften wurden bestürmt, sich gegen das Ministerium auszusprechen, beeilten sich jedoch keineswegs, ihre wahren Gefühle zu zeigen. Wenn sie sich zu Protesten entschlossen, waren diese meist färb- und schwunglos und rein formaler Natur. Ihre Abordnungen, sofern sie welche entsandten, zeigten weder Überzeugungskraft noch Elan. In Dijon z. B. hatte man beschlossen, die vier nach Ver­ sailles entsandten Advokaten, die über die Einstellung ihrer Kol­ legen Zeugnis ablegen sollten, mögen Lamoignon ' eine Lektion in staatsbürgerlichem Verhalten erteilen. Um sie zur Festigkeit zu ermutigen, hatte man sie während zweier Tage die ganze Szene samt Betonung und Vortrag einstudieren lassen. Sie vergaßen jedoch ihre Lektion, sobald sie dem Siegelbewahrer persönlich gegenüberstanden, stammelten Entschuldigungen, beteuerten ihre Ergebenheit und reisten wieder ab, um in den Kneipen von Sèvres und St. Cloüd das Ergebnis der zu ihren Gunsten veranstalteten patriotischen Sammlung zu verjubeln. Und dabei galt Burgund als eines der Zentren des Widerstandes! Brienne mußte sich nur noch einige Wochen gut halten, dann zog er auch die Lauen und Zögernden auf seine Seite, und die Masse der Parlamentarier hätte sich, wie zur Zeit von Maupeou, verlaufen! Leider war er nicht der Mann, einen langen Kampf durchzu­ stehen. Er schloß sich wohl gern scharfen Lösungen an, verstand « aber nicht, sie durchzusetzen, wurde der starken Methode bald überdrüssig und ließ sich Anfang Juni mit einem der aufrühre77

rischen Parlamente, dem der Provence, in Verhandlungen ein. Statt jedoch nun die erwartete Beruhigung zu erzielen, ermutigte diese Schwäche nur den Widerstand, und von Tausenden von Briefschreibern wiederholt, verbreitete sich in ganz Frankreich das Gerücht, das Ministerium werde bald seine Meinung,ändern, und die in ihre Allmacht wieder eingesetzten Parlamente wür­ den gegen diejenigen, die sie im Stiche gelassen hatten, fürch­ terliche Repressalien ergreifen; Von, den mit der Durchführung der Edikte und der Niederwerfung der Wirren beauftragten Gouverneuren und Stadtkommandanten erfüllten mehrere ihre Aufgabe nur mit schlecht verheliltém Abscheu. Sie, die Schön­ geister , der Salons, deren Köpfe mit philosophischen Tiraden vollgepfropft waren, waren mit dem Herzen bei der Opposition, wetterten in ihrem Privatleben gegen den ministeriellen Despotis­ mus und unternahmen gar nichts, um die treuen Beamten vor Erniedrigungen und Einschüchterungen zu schützen. Das Leben (dieser Unglücklichen wurde in den Städten, wo die Partei der Parlamentarier über eine zahlreiche Anhängerschaft von niederen Offizieren, Verwandten und Bediensteten verfügte, fast unerträg­ lich. Gemeine Schmähschriften wurden an ihren Haustüren an­ geschlagen und Pistolenschüsse gegen ihre Fenster abgefeuert; man verfolgte sie mit Steinwürfen, empfing sie beim Verlassen des Gerichtsgebäudes mit Schmährufen, mied jeden Verkehr mit ihnen und tat sie feierlich in den Bann, ja, manchmal zerstörte man sogar ihre Wagen und mißhandelte die Insassen. In Dijon zeichnete sich der Stadtkommandant, Herr de Gouvemet, noch mehr aus: Er setzte, unter dem Vorwand, seine Befehle über' schritten zu haben, einen Gendarmerieleutnant ab und bestrafte ihn mit Gefängnis, weil er die vor dem Sitz des Intendanten zu­ sammengerottete Menge zerstreut hatte! Dafür mußten dann 2 Regimenter herbeigeholt werden, um die nicht mehr die Lage beherrschende Gendarmerie zu verstärken. Das "Versagen der Obrigkeit'in der Bretagne und in der Dau­ phiné war noch schwerwiegender. In der Aristokratie dieser beiden Provinzen herrschte ein aus Neuerungssucht und Liebe zu den alten Einrichtungen, aus Lokalpatriotismus und philosophi­ scher Begeisterung merkwürdig zusammengesetzter, revolutio­ närer Geist. In der Bretagne, wo das Regieren schon immer sehr schwierig gewesen und wo der die Stände beherrschende Adel seit langem in Ränken und gemeinsamen Aktionen geschult war, wurde die Erniedrigung des Parlaments als Verletzung des mit der Herzogin Anna geschlossenen Vertrages und als ein Schlag 78

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gegen die Unabhängigkeit des Volkes dargestellt. Das Dauphiné hatte seit 1628 keine eigene Vertretung mehr; es hatte jedoch im Oktober 1787 eine Provinzialversammlung erhalten. Das Par­ lament und die Rechnungskammer, die, befürchteten, daß diese neue Behörde ihre ganze Mühe auf eine genauere Steuerverteilung verwenden könnte, waren sofort entschlossen, sie durch Vor­ täuschen noch größeren Eifers zu torpedieren, und verboten ihr zu tagen, indem sie mit lautem Geschrei und im Namen der Vor­ rechte der Provinz die Wiederherstellung der ehemaligen Stände, die allein gesetzlich berechtigt seien, im Namen der Provinz zu sprechen,-forderten. Die Befehlshaber der Bretagne und des Dau­ phiné waren 2 liberale Adelige: der Comte de-Thiard und der Duc de Clermont-Tonnerre, die beide gleich entschlossen waren, nichts gegen die Aufrührer zu unternehmen. Das Kommende war so von Anfang an vorauszusehen. Herr de Thiard begann damit, dem Intendanten Bertrand de Molleville die Schließung der Lesezimmer, von denen jedes ein Aufrührerklub war, zu verbieten. Ferner deckte er die Befehls­ verweigerung mehrerer Offiziere, die nicht gegen ihre Landsleute marschieren wollten. Die Manifestationen und Maskeraden, durch welche die neuen Edikte und ihre Anhänger lächerlich gemacht wurden, fanden seine Duldung und halbe Billigung. Er beschränkte seine Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ordnung auf lächer­ liche Truppenparaden, bei denen die Soldaten beleidigt, herum­ gestoßen und entwaffnet wurden, ohne sich nur im geringsten Zur Wehr setzen, zu dürfen. 12 bretonische, von den anderen Adeligen gewählte Edelleute wurden mit einer heftigen Anklage­ schrift gegen die Minister ah den Hof entsandt. Brienne ließ sie verhaften und in die Bastille werfen, wo er ihnen aber in seiner, gewöhnlichen Unlogik ein besonderes Gemach einrichten ließ find wo sie ihre Verwandten empfangen und ungestört mit der Außen­ welt verkehren konnten. Die ;,Märtyrer“ hatten rasch ihr be­ quemes Gefängnis in einen Herd des Aufruhrs verwandelt, von wo unaufhörlich brandstifterische Nachrichten abgingen. In Grenoble ließ Clermont-Tonnerre die Vergiftung der Atmo­ sphäre zu, ohne die geringste Voraussicht oder Energie Z u zeigen. Am 7. Juni begaben sich die durch die Schriften von Bamave aufgestachelten und von den Richtern geworbenen Banden zürn Wohnsitz des Kommandanten, um ihn zu zwingen, das Gerichts­ gebäude wieder aufzumachen. Sie stießen dabei auf einige Ab­ teilungen der „Royal Marine“ und „Austrasie“. Die Aufrührer kletterten sogleich auf die Dächer und überschütteten die Sol-

, daten mit einem Hagel von Ziegelsteinen:-Eine in die Enge ge­ triebene Patrouille gab Feuer und floh. Dér Kommandeur der „Austrasie“, der Oberstleutnant de Boissieu, befahl seinen Leuten, alles ohne Erwiderung hinzunehmen. Clermont-Tonnerre erklärte, auf die friedliche Gesinnung der Menge zu vertrauen, und setzte die Wache seines Palastes auf 25 Mann herab, worauf der Palast sofort gestürmt und geplündert wurde. Der Duc selbst- wurde ge­ fangengenommen und so lange tätlich bedroht, bis er sich bereit erklärte, das Parlament wieder einzusetzen, das unter dem Ge­ läut der Glocken und einem wahren Blumenregen zurückkehrte. Am ai. Juli traten in Vizille die von den Führern der Bewegung einberufenen Stände der Dauphiné illegal zusammen, deren von Mounier redigierte Beschlüsse der die letzten Monate des Jah­ res 1788 wütenden Kampagne von Broschüren willkommenen Stoff boten. ; Mit zunehmendem zeitlichem Abstand nehmen diese lärmenden Manifestationen die Form eines Triumphes an. In Wirklichkeit blieb die ganze Aufregung an der Oberfläche und auf den Schwert- und Beamtenadel, die reichen, bürgerlichen Kaufleute und die Bevölkerung der großen Städte, die stets bereit ist, wegen des' ersten besten Grundes, sowohl zum Plündern der Läden wie zum Hochrufen auf den König, auf die Straße zu gehen, be­ schränkt. Im Dauphiné selbst beherrschten die /Rebellen nur Grenoble, wogegen die Masse der Provinz ruhig blieb. In Vizille hatten sich von 1014 Gemeinden bloß 185 vertreten lassen. In der Bretagne war der Empfang des Generalvertreters der Stände, der eine Rundreise unternommen hatte, um ahtiministeriella Kundgebungen hervorzurufen, kühl in Lannion, Saint-Brieuc und Tréguier, schlecht in Morlaix, sehr schlecht in Quimper, von wo er in Eile fliehen mußte, von der Menge verfolgt und mit Schmutz beworfen. InRennes trat mit einem Schlag wieder Ruhe ein, so­ bald Thiard durch den Marschall de Stainville ersetzt worden war: Man wußte nämlich, daß ■ die Truppe nun berechtigt war, von der Waffe Gebrauch zu machen. Der König war sich keineswegs der genauen Vorgänge bewußt. Von dem allgemeinen Getöse betäubt, mit Beschwerden über­ häuft, von den Klagen der ' liberalen Feudalherren verfolgt, durch die Schriften der Parlamentarier erschreckt, die Frank­ reich in Flammen schilderten, von , den Gouverneuren hinter­ gangen, die alles schwärzer berichteten, um so eine ihnen un­ angenehme Aufgabe so rasch als möglich wieder loszuwerden, glaubte er alle seine Untertanen gegen sich zu haben, geriet ,in 80

Gewissensskrupel und begann, einen feigen Kompromiß, irgend­ ein Übereinkommen, herbeizusehnen. In diesem Augenblick hatte Brienne, der den dritten Stand vom Adel trennen wollte, .den un­ glückseligen Einfall, seinen Feinden mit der Frage der General­ stände einen < Prügel zwischen die Beine zu werfen. Eine am 5. Juli veröffentlichte Verordnung kündigte ihre baldige Ein­ berufung an und forderte „alle gebildeten Personen des König­ reichs“ auf, der Regierung Vorschläge und Denkschriften für das beste Wahl- und Organisatiönsverfahren der künftigen Versamm­ lung einzureichen. Damit wollte man den bevorrechteten Klassen zu verstehen geben, daß die neuen Stände sehr wohl .nicht mehr den alten ähneln und völlig ihrer Kontrolle entgleiten könnten. Dies hieß jedoch auch, Öl ins Feuer gießen und das Land zur Unruhe aufrufen, wo es vor allem darum gegangen wäre, eine Atmosphäre der Ruhe und Besonnenheit zu schaffen. Die Aufforderung fand Gehör, und innerhalb 3 Wochen er­ schienen mehr Broschüren als sonst in 30 Jahren. Das Mini­ sterium verlor unter dieser Papierflut vollends den Kopf. Mora­ lische Unordnung ist ein ungünstiger Boden, für ersprießliche Arbeit; so war der allgemeine Geschäftsgang schlecht und der Steuereingang gering. Brienne war nicht vorsichtig genug ge­ wesen, sich einen kleinen Kriegsschatz anzulegen, und mußte des­ halb die Versammlung des Klerus um einen Vorschuß anbetteln, der ihm jedoch verweigert wurde; daraufhin mußten die Zah­ lungen eingestellt werden, und das Ende war da. Am 8. August löste ein Erlaß die „Cour plénière“ auf und berief die Generalstände für den 1. Mai 1789 ein; Brienne dankte am 25. ab, und Necker wurde am 26. zurückberufen; am 14. Septem­ ber zog sich Lamoignon zurück; am 25. wurden die Parlamente wieder in ihre Allmacht eingesetzt, und ihre Rückkehr war in Paris der Anlaß zu schweren Unruhen, die 14 Tage lang dauerten und nur mühsam mit Waffengewalt unterdrückt werden konnten. Man stand mitten in den Wahlen. Es ging um das Schicksal des Landes in diesem Abenteuer, zu dem sich die Regierung nur des-* halb hatte zwingen lassen,'weil sie, weder gewagt noch gewollt, wirklich zu regieren, solange sie dazu noch Mittel und Macht besessen hatte. '

6 G a x o t te , Revolution

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Fünftes K apitel

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DIE ANARCHIE Die Monarchie vertraute sich im guten Glauben und auf den Glanz ihrer Leistungen bauend den Zufälligkeiten der General­ stände an.. ‘ Der Zeitpunkt war dazu ausnehmend schlecht gewählt. Frank­ reich, das seit einem halben Jahrhundert ein ungetrübtes Wohl­ leben genossen hatte, litt seit einigen Monaten an einer fehr schweren Wirtschaftskrise, deren Folgen um so schwerwiegender erschienen, als sich das Land an Wohlleben und Wohlhabenheit gewöhnt hatte.! ' Die Gründe für diese Krise sind verschiedener Art. Zahlreiche Untersuchungen, u. a. die von Labrousse, gestatten jedoch wenig­ stens, ihre Umrisse zu bestimmen. Wenn es auch richtig ist, daß das Land seit zirka 1730 von einer Welle der Prosperität er­ griffen wird, so vollzieht sich diese Entwicklung doch nicht ganz gleichmäßig. Die Bewegung wird nach dem Siebenjährigen Kriege besonders stark, erreicht kurz darauf einen Höhepunkt und ebbt gegen 1778 wieder ab, um einer vorübergehenden Depression Platz Zu machen, die insbesondere den Weinbau in Mitleiden­ schaft zieht. Von den 32 Steuerbezirken des-Königreiches be­ treiben jedoch nur 3, die von Caen, von Lille und Valenciennes, keinen Weinbau. Die größten Erzeugergebiete, Bordeaux, Lan­ guedoc und La Rochelle, liegen direkt am Meer: Die Gesamt­ erzeugung des Königreichs erreicht, in guten wie in schlechten Jahren, über 300 Millionen, wovon wenigstens ein Zehntel expor­ tiert wird. Die soziale Bedeutung dieses großen französischen Erzeugnisses übertrifft jedoch noch seine wirtschaftliche. Der Weinbau braucht sehr viel Arbeitskräfte: nach Lavoisier leben 2Vs Millionen Men­ schen von ihm. Im übrigen bleibt dem kleinen Bauern, der die große Masse der Bevölkerung ausmacht, nach Abzug der Saat, des Eigenbedarfs für seine Familie und sein Vieh sowie der Natu­ ralabgaben, von seiner Ernte nicht viel zum Verkauf übrig, ja oft sogar gar nichts. Der Wein dagegen stellt das eigentliche Han­ delsprodukt, das Geld einbringt, dar. Um mit den Volkswirt­ schaftlem zu sprechen: Durch den Wein nimmt der Bauer an dem allgemeinen Warenverkehr teil. Der Ertrag des Weinberges macht einen Großteil des kleinbürgerlichen Gewinnes aus; des­ halb wird die Weinrebe auch überall angepflanzt. 82

Nun brechen gerade über sie Katastrophen herein. Die Ernte des Jahres 1777 fällt sehr schlecht aus. Sind Krankheiten oder Fröste daran schuld ? Wahrscheinlich beides. Wohl steigen die Preise, aber man hat fast nichts zu verkaufen. Dann folgen 3 Jahre des Überflusses. Die gewöhnlichen Weine bleiben nun bei den Win­ zern liegen, während die Ausfuhr der Spitzenweine durch den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und die englische Blockade behindert wird. Kaum beginnt der Markt sich in der Champagne und in- Burgund wieder zu erholen, als ihn die Weinernte von 1785 durch ihr unvorstellbares Ausmaß - völlig durcheinander bringt: die Ernte des Jahres 1781 wird aufgeholt, und dazu bleibt der doppelte Ertrag eines Normaljahres noch übrig;’dabei murren die Verbraucher über die schlechte Qualität! Im Languedoc ist es noch ärger; dort folgt, in einer ununterbrochenen Kette, eine sehr gute Ernte der anderen, und zwar bis Zum Jahre 1786. Die Preise fallen um mehr als die Hälfte; sie erholen sich wohl wieder ab 1787, aber nur deshalb, weil späte Froste und Sommerregen eine Mißernte verursacht haben. Auf Grund der besonderen Rolle, welche die Weinrebe spielt, wird die gesamte Wirtschaft auf. dem flachen Land durch diese Umstände in Mitleidenschaft ge­ zogen. Die Regierung gibt dem Schicksal die Schuld, der Bauer der Regierung. Sie brauchte ja nur nicht das Dekret von 1731, wel­ ches ein Verbot für Neuanpflanzungen beinhaltete, aufzuheben und die Getränke nicht so stark zu besteuern! „Es scheint, als hätte man durch die ungeheuren Steuern den Weinverbrauch in Frankreich direkt verbieten wollen... Würden die Weinsteuem aufgehoben, könnte der Weinbauer seinen ganzen Wein absetzen und würde nicht darauf hocken bleiben, wie dies jetzt der Fall ist.“ Aber die Weinsteuer brachte 60 Millionen jährlich ein, und dabei wies das Budget schon ein Defizit auf! Die Regierung tat etwas Klügeres und versuchte eine Neubelebung der Ausfuhr: Im Jahre 1786 verhandelte sie mit England über einen neuen Handelsvertrag, der dann im September unterzeich­ net wurde. Ganz von der Lehre des „Laissez-faire, laissez-passer“ durchdrungen und überzeugt davon, daß eine Intensivierung des Handelsverkehrs den Frieden festigen würde, hatte sich Vergennes entschlossen, die traditionelle Schutz- und ProhibitionsZollpolitik aufzugeben und durch ein dem freien Handel nahes System zu ersetzen. Nach den Klauseln des Vertrages wurden'die von den Engländern erhobenen Zölle für französische Weine, Branntweine und Essig um ungefähr die Hälfte herabgesetzt;

dafür waren für englische Waren, insbesondere Kurzwaren, Stoffe, Kleineisenwaren und große und kleine Artikel aus Eisen, Stahl und Kupfer, auch nur noch io°/o ihres Wertes als Einfuhrzoll Zu entrichten. Unsere eigene Industrie geriet durch dieses Eindringen ins Wanken. Die am besten ausgestatteten Fabriken, z. B. die nor­ mannische Gruppe, hielten stand; die übrigen schlossen ihre Tore oder schränkten ihre Erzeugung ein. Vergennes hatte gehofft, daß die Industriellen durch die Schwierigkeiten gezwungen würden, ihre Betriebe und Methoden zu modernisieren und daß sich so ein kleiner Nachteil letzten Endes durch große Verbesserungen be­ zahlt machen würde. Der im'August 1791 von den Landwirt­ schafts- und Handelsausschüssen der Konstituierenden National­ versammlung vorgelegte Bericht bestätigte, daß dièse Rechnung richtig gewesen und daß unsere Fabriken „verjüngt“ wurden. Im Augenblick sah man nur die unverkauften Lager und die arbeits­ los in den Straßen umherirrenden, die Reichen um Brot an­ bettelnden Arbeiter. Die ersten Unruhen, durch die die Kund­ schaft erschreckt wurde, vergrößerten noch Arbeitslosigkeit und Elend. Um das Unglück noch voll zu machen, fielen die Ernten von 1787 und 1788 nur mittelmäßig aus; 1787 erlitten die Felder durch große Überschwemmungen, die die Saaten zerstörten und vielerorts Erdrutsche hervorriefen und Weinberge, Wiesen und Bäume in Mitleidenschaft zogen, unermeßlichen Schaden. Am 13. Juli 1788, als man .sich gerade Zur Ernte anschickte, ging in ganz Nordfrankreich, der Champagne und der Normandie ein von Hagelschlag begleitetes furchtbares Unwetter nieder Nach Angabe des allerdings einer gewissen Übertreibung verdächtigen advocat général Séguier wurde die Ernte in gewissen Bezirken zur Hälfte vernichtet. Bei den ersten Gerüchten von der Kata­ strophe versteckten die Bauern aus Furcht vor einer Hungersnot ihr Getreide, und die Markthallen wurden leer, wodurch die un­ heilvollen Gerüchte von Hamsterei und Hungersnot nur neue Nahrung erhielten. Schließlich hat es den Anschein, als ob die Preise seit 1785 einer allgemeinen Zerrüttung ausgesetzt waren. Auf die langsame und im großen und ganzen wohltuende Hausse, welche die Regierungszeit Ludwigs XV. ausfüllte, folgt nun ein ungestümes Anziehen der Preise, das für die betreffenden Waren -nicht allein durch die schlechte Ernte bedingt ist, sondern viel­ leicht auch durch die Fülle an Zahlungsmitteln, wie Wechseln, Handelspapieren und Papieren der Caisse d'Escompte, welche die Rolle einer dem schon überreichlich vorhandenen Metallgeld 84

übergelagerten Währung spielten. Da jedoch die Löhne und Ge­ hälter nicht im gleichen .Tempo folgen, ergibt sich eine fühlbare Diskrepanz. Gegenüber der Zeitspanne von 1726—1741 sollen sich nach Labrousse die lebenswichtigen Artikel um 650/0 von 1785—1789 verteuert haben, während die Löhne und Gehälter nur um 220/0 stiegen. Selbst wenn das komplizierte System von Kurven und Durchschnittspreisen uns heute nur noch ein an­ näherndes Bild der Wirklichkeit vermitteln kann, so ergibt sich doch daraus, daß in den Städten, infolge der schwierigen Lebens­ verhältnisse, ein gewisses Unbehagen entstand, das einen vorzüg­ lichen Nährboden für Unruhen abgibt. Die Rückberufung Neckers hatte eine gewisse neue Zuversicht gebracht und der Regierung die Mittel gegeben, weiter zu vege­ tieren. Der Genfer war jedoch völlig unfähig, die Lage, die er wahrscheinlich gar nicht richtig übersah, zu meistern. Bisher war die Erregung in der gewöhnlichen Art verlaufen, und Brienne war durch keine anderen Mittel gestürzt worden wie auch die Minister Ludwigs XV., Machault, Silhouette oder Bertin: die gleichen Vorwände und Szenen, der gleiche Wortschatz und dieselben Widersacher. Diesmal war jedoch der Sieg der An­ greifer allzu vollständig gewesen, als daß ihre widerspruchsvolle Koalition hätte von längerem Bestand bleiben können. Die Parla­ mentarier blieben nur solange vereint gegen die königliche Macht, als diese furchterweckend oder wenigstens einer scharfen Erwide­ rung fähig schien, trennten sich jedoch sofort nach ihrer Kapitu­ lation. Man verließ nun die ausgefahrenen Wege. Nur ganz nebenbei handelte es sich noch um den König und das Ministerium. Eine neue Macht war im Entstehen begriffen: die Stände. Wem würde es gelingen, sich zu ihrem Herrn aufzuschwingen? Die reaktionären und privilegierten Parlamentarier verlangten eine Einberufung der Stände nach den alten Formen, wodurch unter Berücksichtigung und Unterstreichung der Geburts-, Rangund Vermögenshierarchie die- Vorherrschaft der zwei erster. Stände sichergestellt geweseni wäre. Die Liberalen wollten, al.* Verfechter der Gleichheit und Schüler Roüsseaus eine nur der Zahl unterworfene wirkliche Volksversammlung, wo es keine Klassen- und Standesunterschiede geben sollte. Die Ideallösung für die Parlamentarier war eine schwache Monarchie, in welchei der König nur noch der erste der Notabeln gewesen wäre, in der die Verwaltungsmacht von den Intendanten auf die örtliche Ari­ stokratie übergehen sollte, und wo vor allem nichts ohne Zu­ stimmung der Gerichtshöfe, welche die Hauptgesetze wahren und

auslegen sollten, geschehen durfte. Die Liberalen dagegen träum­ ten von einer Verfassung, durch welche die Krone eine Art Ehren­ amt werden sollte, und wodurch die Privilegien des einzelnen sowie der Stände und Familien aufgehoben werden sollten, um das so auf ein einheitliches Niveau gebrachte Volk der Regierung der „Leuchten“ zu unterwerfen. Zwischen den beiden Programmen war keinerlei Kompromiß möglich, und der Konflikt brach auch unverzüglich aus, zur gro­ ßen Überraschung der Parlamentarier, die durch den Sturz von Brienne und Lamoignon völlig verblendet wprden waren. Sie glaubten noch, Herren der Lage zu sein, während sie doch schon von den gestrigen Verbündeten im Stich gelassen, überflügelt und bekämpft wurden. Die zu ihren Ehren angezündeten Lampions waren noch nicht einmal ausgelöscht, als man sie schon als Tyran­ nen und Volksfeinde bezeichnete, und die begeisterten und stür­ mischen Bravorufe wurden jäh durch Drohungen und Beleidi­ gungen ersetzt. ' War diese Entwicklung nicht ganz natürlich? Beim Haschen nach Popularität mußten die Parlamentarier zwangsläufig zurück­ fallen. Solange es darum gegangen war, gegen den König und seine Diener zu deklamieren, hatten sie sich nicht übertreffen lassen. Nachdem der König schachmatt gesetzt war, kamen sie nun an die Reihe und wurden ihrerseits angegriffen. Es war ihnen nicht mehr vergönnt, sich „Patrioten“ zu nennen, es sei denn, sie zogen sich aus dem öffentlichen Leben zurück. In Schmähschriften, Zeitungen, Reden und Flugblättern fiel man über sie her; eine wahre Sintflut von Bemerkungen, Briefen, Er­ widerungen, Betrachtungen, Adressen und einfachen Ratschlägen ergoß sich über das Land, in welchen mit wütender Heftigkeit der Geiz, die Unwissenheit und der Egoismus dieser großen Richter, idie vor 8 Tagen noch alle wie Cato oder Brutus gewesen waren, angeprangert wurden. Die Notabein, die einst wie der Senat von Rom gefeiert worden waren, weil sie der Regierung die für den Geschäftsgang nötigen Steuern verweigert hatten, wurden jetzt gleichfalls verflucht und getadelt, weil sie sich für die Aufrecht­ erhaltung der alten Gesetze einsetzten. Wenn man Ludwig XVI., der von Natur aus die erworbenen Stellungen und die durch die Zeit bestätigten Rechte anerkannte, sich selbst überlassen hätte, so hätte er sich zweifelsohne für die Tradition entschieden. Necker brachte ihn jedoch der Partei der Liberalen näher, ohne daß er sich ihr ganz angeschlossen hätteDer Rat vom 27. Dezember 1788 gestand dem dritten Stand wohl 86

die gleiche Anzahl von Abgeordnetensitzen zu wie den beiden anderen Ständen zusammen, verfügte aber nicht genau, daß sie auch die doppelte Zahl von Stimmen besitzen sollten und daß die Beratungen und Abstimmungen gemeinsam erfolgen sollten. Der Marineintendant Malouet, Deputierter des dritten Standes von Riom, flehte Necker an, das-königliche Programm unverzüg­ lich zu veröffentlichen: „Sie müssen einen festen Plan von Zu­ geständnissen und Reformen haben, durch den die Grundlagen der legitimen Gewalt gestärkt, statt aufgelöst werden. Durch ihren Einfluß muß dieser Plan als -Instruktion für sämtliche Ge­ richte gelten. Sie dürfen nicht die Forderungen und Befehle der Gcneralstände abwarten, sondern müssen umgehend all das an­ bieten, was die Gutgesinnten vernünftigerweise von der Obrig­ keit verlangen können.“ Dies waren weise Vorschläge. Barère, der künftige Deputierte des Konvents, der das Jahr 1788 zur Regelung von Familienangelegenheiten in Paris verbrachte, hat über seinen Aufenthalt ein Tagebuch voller politischer Betrach­ tungen hinterlassen. Er hat Vertrauen zum König, und selbst wenn dieser die Abschaffung der Privilegien verkünden sollte, so würde ihm trotzdem niemand seine absolute Gewalt streitig machen ! Der Konflikt besteht nicht zwischen Volk und Monarchie, sondern zwischen dem dritten Stand und den beiden ersten Ständen. „Die Aristokratie stellt eine wirkliche Macht dar, wäh­ rend der Despotismus eines einzelnen nur eine eingebildete Macht ist. Man zwingt die Minister eines Fürsten zur Abstellung von Mißständen und zu Opfern, ja man verjagt sie sogar, wie man es mit dem Erzbischof von Sens und Herrn de Lamoignon getan hatte. Aber niemals wird man die Aristokraten anders als durch Gewalt zur Räson bringen.“ Die Sitzungen der königlichen Räte brachten wohl einige Hinweise: periodische Versammlung der Stände zur Abstimmung über die Steuern, Aufhebung der Ver­ haftungsbefehle und Aufstellung einer Zivilliste zur Bestreitung der persönlichen Ausgaben des Königs... Dies alles war jedoch Zu unbestimmt und bedeutungslos. Man wußte nichts Besseres zu tun, als am 24. Januar eine Neuregelung zu erlassen, wodurch die gebräuchliche Einberufungsart umgestoßen wurde und durch ein kompliziertes System, wodurch sich jede Partei benachteiligt fühlte, ersetzt wurde. Man hätte glauben können, die Regierung finde ein Vergnügen daran, alle vor den Kopf zu stoßen. Im großen und ganzen wurde das System der allgemeinen Wahlen eingeführt, und zwar direkter Wahlen für die Privilegierten und m mehreren Stufen für den dritten Stand. Diese Maßnahmen 87

könnte man vertreten, wenn der Masse der Wähler besonnene Ratgeber und eine sichere Führung gegeben worden wären. Nichts davon geschah; es wurden im Gegenteil alle Vorsichts­ maßregeln getroffen, um die Menge von den Männern femzuhalten, die sie hätten aufklären und im Zaume halten können. Indem man die verschiedenen Einwohnerkategorien der Städte zur Versammlung beruft, nimmt man den Behörden und edlen Geschlechtern jede Einflußmöglichkeit. Beim Klerus besitzen die Domherren nur i Stimme je Gruppe zu io, die Mönche i je Kloster; die kirchlichen Wahlen werden so den unzufriedenen und verbitterten Landgeistlichen ausgeliefert. Im allgemeinen wird die Einteilung des Landes in die alten Gerichtsbezirke auch für die Wahlbezirke angewandt, eine längst überholte Einteilung, die den normalen Rahmen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens sprengt, die Gewohnheiten der Bürger stört und die Ver­ waltung in Unordnung bringt. Ja, man ging sogar noch weiter. Um die Wähler keinen Versuchungen durch Reichtum oder Rou­ tine auszusetzen, verbot man die Aufstellung von Kandidaten­ listen. Jeder mußte in sich selbst den Auserkorenen seiner Wahl ausfindig machen. Schließlich, zur Krönung dieser Naivitäts­ pyramide, forderte ' der Siegelbewahrer Barentin, der erstaun­ lichste Siegelbewahrer, der je eine Wahl geleitet, alle Agenten des Königs auf, „sich ja nicht zu unterstehen, die Entscheidungen der Wähler beeinflussen zu wollen, noch irgendwelche Schritte Zu unternehmen, wodurch die Wahlen behindert werden könnten!“ Die Wähler wurden vereinzelt und ziellos, ohne Richtlinien und Führer, ganz wie eine Herde Schafe, zu den Urnen getrieben, und nicht genug damit, daß man von dieser unorganischen Masse die Benennung von Vertretern verlangt hatte, schrieb man ihr noch vor, selbst ihr Programm festzulegen und gemeinsame An­ liegen und Schmerzen vorzubringen. Das war absurd! Und doch wurde alles rasch und glatt, wie durch einen Zauberer, abgewickelt: Es wurden die „cahiers“ — Denkschriften und Richtlinien für «die Abgeordneten — verfaßt und die Abgeordneten ohne Zögern und Verzug aufgestellt. Küm­ merte sich schon die Regierung um nichts, so waren andere dafür um so rühriger, deren Tätigkeit um so leichter war, als die Menge halt- und führungslos war und die sozialen Autoritäten, die den Schutz der Schwachen hätten übernehmen können, von diesen getrennt gehalten wurden oder sich auf Befehl neutral und un­ parteiisch verhalten mußten. 88

Die liberale Partei hatte schon ihre örtlichen Komitees: Logen, Akademien, Lesezimmer, philosophische und patriotische Gesell­ schaften, die seit Anfang 1788 in Atem gehalten wurden und die eine ein Jahr alte Übung im Lärmen, Reden, Manifestieren, Füh­ ren der öffentlichen Meinung und Erregen der Straße besaßen. Alle diese Organisationen, die ein wunderbares Propaganda- und Kampfinstrument darstellten, waren bereits durch ständigen Brief­ wechsel und regelmäßigen Nachrichten- und Broschürenaustausch untereinander verbunden. Es brauchte nicht viel, sie. völlig zu■ sammenzuschließen und die französischen Wähler in den Maschen ihres Netzes zu fangen. Dies war das Werk eines Zentralkomi­ tees, des Klubs der Dreißig, der bei Duport zusammerikam und wo sich alle Führer der vaterländischen Bewegung trafen. Der Herzog von Montmorency-Luxembourg, der selbst Mitglied des Klubs war, hat uns einige Aufzeichnungen über seine Arbeiten hinterlassen: „Die Sitzungen fanden am Sonntag, Dienstag und Freitag, von 5 Uhr nachmittags bis 10 Uhr abends, statt. Man konnte nur durch einstimmig gefaßten Beschluß zu der Gesell­ schaft zugelassen werden, die ursprünglich bloß aus 12 Personen bestand, und Zu der ich eingeladen wurde. Die markantesten Persönlichkeiten waren der. Bischof von Autun (Talleyrand), der Duc de Biron, Mirabeau, La Fayette, Target, Lacretelle, der nicht ernst zu nehmende Comte de Castellan, ein hitziger und heftiger' Geist, der sich vor Schulden nicht auskannte und durch Spekulationen und alle' möglichen anderen Mittel zu Geld zu. kommen versuchte, der Abbé Louis, Rat im Parlament, Trudaine, gleichfalls Rat, der Maréchal de Beauvais, der Marquis, der viele Broschüren geschrieben hat (Condorcet), der Abbé Sieyès, der Vicomte de Noailles und andere (Dupont de Ne­ mours, Freteau, Lepeletier, Saint-Frageau...), die später dazu­ kamen. Man wählte dort den Vorsitzenden, der am Tisch Platz nahm, eine Frage aufwarf und die Diskussion leitete, in der Reihenfolge der Plätze die Stimmen zählte, die Fragen noch einmal Zusammenfaßte und die nächste Sitzung bekanntgab. Die Sitzung wurde mit einem Bericht über die augenblickliche gei­ stige Situation eröffnet; ferner wurde über das Verhalten der , Notabein und Minister, über die Wirkung der verteilten Schmäh­ schriften und über die Möglichkeiten zur Beeinflussung der Assemblée und der öffentlichen Meinung, um so die Ereignisse w der den eigenen Ansichten entsprechenden Richtung vorwärts­ zutreiben, berichtet. Man war nicht wählerisch in der Auswahl der Mittel; Necker wurde verachtet und als notwendiger Stroh­

mann betrachtet, um die Volksmassen aufzubringen und zu er- • regen...“ Vom Klub der Dreißig und seinen Idealen stammen jene kurzen, nervigen und starken Widerhall findenden Broschüren, durch welche die Geister entflammt und die Anhänger des „ancien régime" verächtlich und lächerlich gemacht wurden. Die Gesell­ schaften, die ein unerschöpfliches Reservoir an Rednern, Journa­ listen und Politikern darstellten, arbeiteten Muster für die den Abgeordneten zu erteilenden Richtlinien aus, verbreiteten sie auf dem flachen Lande, bereiteten die Wahlversammlungen vor und leiteten sie, ließen ihre Gegner ausschließen, ihre eigenen Män­ ner den Sieg davontragen und ihre Programme annehmen. Ge­ wisse Muster erfreuten sich einer besonderen Beliebtheit, so z. B. im Anjou das von La Révellière-Lépeaux (unter der Maske eines Bauern) ausgearbeitete; im Gerichtsbezirk von Nîmes die von Rabaud-Saint-Etienne; in der Gegend von Metz das von Anthoine, der die rechte Hand Robespierres in der Konstituierenden Natio­ nalversammlung sowie Mitglied des Aufständigenkomitees vom io. August und Vorsitzender des Gerichtes von Boulay war; in der Gegend von Chartres das von Marius Bourgeois, einem Bru- > der des künftigen Abgeordneten des Konvents und Mitglied der Loge La Fr en chi se in Chartres, verfaßte;;in der Gegend von Nantes die ,-,L asten eines gut en Bür gers des flachen Lande s“ vom Komitee Baco-Cottin, deren Verfasser ein Pro­ kurator und sein stiller Geschäftsteilhab'er waren; im Gerichts­ bezirk von Chalons-sur-Marne die „Memoiren der Notare Delacour und Billy“, ganz zu schweigen von der berühmten, in ganz Frankreich verbreiteten Broschüre von Sieyès:. „Was ist der D r i tt e Stand ?“ An Geld fehlte es nicht: Der Duc d’Orléans spendete reichlich; vielleicht kam es auch aus dem Ausland. Bataillone j u n g e r Bürge r, die sich aus den niedrigsten Bevölkerungsschichten rekrutierten, schüchterten die Furchtsamen ein und zwangen die Kühnsten der „Reaktionäre“ zum Stillschweigen oder zur Flucht. In manchen Orten gab es regelrechte Schlachten, wobei Blut floß und Tote zurückblieben. Ende April brach in Paris selbst, im Faubourg St.-Antoine, ein Aufstand aus und nahm sofort be­ ängstigende Ausmaße an. Die Truppe mußte von der Schußwaffe Gebrauch machen und wurde erst hach einem harten nächtlichen Gefecht Herrin der Straße. Im großen und ganzen waren die Wahlen so ausgefallen, wie es die Philosophenklubs erwartet hatten. Die riesige Zahl von 9 0

„cahiers“, wovon bisher nur ein kleiner Teil ordentlich heraus­ gegeben ist, beweisen dies klar und eindeutig. Die „cahiers“ vom Land sind fast nie von Bauern, sondern beinahe überall von Juristen vorgeschlagen, verfaßt oder abgeschrieben, wobei die Muster nicht nur dem Geiste, sondern auch dem Stil nach imi­ tiert werden, was zum Verräter wird; manchmal werden sie von den gelehrten Schreibern mit lateinischen Zitaten, Anrufungen der Natur oder Danksagungen an das höchste Wesen im Geschmack des savoyischen Vikars verbrämt; manchmal hat ein hartnäckiger und verschmitzter Bauer die”lächerliche Liste der'örtlichen An­ liegen noch anfügen lassen. Aber eine Forderung wurde sowohl in den Städten wie in den Dörfern begeistert angenommen: die ewige Klage über die Steuern. Überall verlangte man ein System gleicher Steuern für alle, die nach einfachen Gesichtspunkten zu bestimmen wären und der Steuerhinterziehung wenig Raum lie­ ßen, wobei jedoch trotzdem das Vermögensgeheimnis gewahrt bliebe. '■ In den Versammlungen des Klerus waren Bischöfe und Pfarrer heftig aneinandergeraten. Fast überall hatten die Pfarrer den Sieg davongetragen und Resolutionen gegen den Luxus, die Gleich­ gültigkeit und Habgier der Prälaten durchgesetzt. Der seit langem für die liberalen Ideen teilweise gewonnene Adel hatte „fortschrittliche“ Formen angenommen, durch die seine Interessen nicht unmittelbar bedroht wurden: Verfassung, Tole­ ranz, Aufhebung der Intendanten und Reform des Klerus, ja sogar Steuergleichheit (in mehr als der Hälfte der veröffentlichten „cahiers“), jedoch mit gewissen Einschränkungen und unter der Bedingung, daß die nützlichen Renten der Lehensherren un­ geschoren blieben. . ’ ■ ■ Die Männer, der Gesellschaften hatten sich im allgemeinen be­ müht, die rein bäuerlichen Forderungen, wie Z.B. Aufhebung der Feudalrechte, Aufteilung der Gemeindegüter, Regelung der ge­ meinsamen Weideplätze usw., zurückzustellen :.. Die Agrarfrage drohte in der Tat, ihre Anhänger zu spalten, weil dadurch nicht nur die reichen Pächter von Adelsgütem, sondern auch die bür­ gerlichen Inhaber von Lehensgütern und die Pächter feudaler Rechte betroffen und aufgebracht worden wären. Das landwirtschaftliche Frankreich war, was den Dritten Stand Betraf, durch Advokaten und Prokuratoren vertreten, der Adel durch Salonmenschen und der Klerus durch die Enzyklopädie studierende Pfarrer. £nde April trafen die 1100 Abgeordneten nach und nach in Ver­ 9i

sailles ein; die einen, mit einem Lächeln auf den Lippen, kamen leichtlebig und munter in eine bekannte Stadt; die anderen fühl­ ten sich verloren^ unsicher und litten unter ihrer eigenen Unbeholfenheit. Am 2. Mai fand die Vorstellung beim König statt; am 4. die Prozession des Heiligsten Altarsakraments; am 5. die Eröffnung der Stände. Der Start war schlecht: Der Dritte Stand beklagte sich bereits, daß •man ihm nicht mit der gebührenden Achtung begegne. Die Zeremonien waren sehr langweilig und er­ müdend gewesen, und die Predigt des Bischofs von Nancy, der den Hof heftig angriff, rief einen Skandal hervor. Die Königin, die sich getroffen fühlte, hatte ihre majestätischste Miene auf­ gesetzt und trug ein abweisendes und hochmütiges Wesen zur Schau. / 1 \ . Seit einem Vierteljahr hatte man so viel Metaphysik betrieben, daß man sich gar nicht mehr daran erinnern konnte, warum man eigentlich versammelt war. Nur die Regierung, die tagtäglich wahre Eiertänze aufführen mußte, um die fälligen Zahlungs­ termine zu erfüllen, wußte es als einzige noch ganz genau : Es handelte sich darum, Geld aufzutreiben, und weil das Parlament und die Notabein keines bewilligen wollten, war die Reihe nun an den Ständen. Man bekam ganz einfach andere Ratgeber, be­ hielt aber die gleichen Gläubiger. Necker übernahm es, diese un­ angenehme Wahrheit ins Gedächtnis zurückzurufen. Er entledigte sich seiner* Aufgabe ungeschickt, Schwung- und überzeugungslos, durch eine mit Ziffern gespickte matte Rede, in welcher das Elend des Staatsschatzes nur halb Zugegeben und nur halbe Maß­ nahmen und kleinere Reformen zur Abhilfe vorgeschlagen wur­ den. Er sah wohl voraus, daß sich die allgemeinen Aufgaben der Stände erweitern würden. „Wie viele Gegenstände werden überall Ihre Aufmerksamkeit erregen. Ihr Geist wird davor er­ schrecken... !“ Er gab zu .verstehen, daß die Aufhebung der feu­ dalen Überreste, „in einer Zeit, in welcher die Reste der ehe­ maligen Barbarei nur durch abgenützte und schwache Bande zu­ sammengehalten werden“, eine Notwendigkeit geworden und ge­ brauchte sogar den Ausdruck: „Neuordnung“; aber nichts nahm in diesem Nebel genauere Formen an; und gerade diese Ver­ schwommenheit mußte auf die Juristen, die das Gros des Dritten Standes bildeten, unerträglich wirken. Ein klarer Aktionsplan, der unzweideutig angegeben hätte, was aufgegeben und was bei­ behalten werden müsse, der sich an manchen Stellen zu einer ge­ wissen Festigkeit und Entschlossenheit gesteigert hätte, würde alle besonnenen Geister um den Thron geschart haben, die an­ 9 2

deren wären dadurch eingeschüchtert worden, und die Arbeiten der Stände würden in einem bestimmten Rahmen geblieben sein. So empfand man jedoch nur ein peinliches Gefühl der Unsicher­ heit und Unbehaglichkeit. Der Magier enttäuschte, aber sein Exposé lieferte die Waffen, mit deren Hilfe die Unterwerfung des Hofes sicher erreicht werden konnte: die Erpressung mit dem Defizit. Die Männer, die den Wahlkampf für den Dritten Stand geführt hatten, waren zu geschickt, um diese wunderbare Manövrier­ möglichkeit nicht sofort zu erfassen. Und dieser Schachzug war um so ahgezeigter und leichter zu führen, als die wachsende Arbeitslosigkeit das Ministerium dazu zwang, die geringen, noch verbliebenen Gelder in Form von Unterstützungen zu ver­ teilen. Was konnte der König schon tun, da es doch kein königliches Programm gab ? Gewalt anwenden und die Stände auflösen ? Das hätte weder die Staatskasse gefüllt noch die Rentenbesitzer beruhigt.'Und wenn man die Stände nach Hause schickte, was dann? Man hätte wieder den alten Mächten gegenübergestanden: Parlament, Notabein, Versammlung des Klerus, von denen man ja schon nichts hatte erhalten können. Ohne sie regieren f Sie zum Gehorsam zwingen ? Brienne hatte es ja gerade versucht und sich dabei das Genick gebrochen. Sein schlecht begonnener und nicht besser fortgesetzter Versuch hatte bei Ludwig XVI., der als allzu guter Schüler von Fénelon schon früher einen tiefen Abscheu vor der Gewalt empfunden hatte, alle Gewaltlösungen völlig diskre­ ditiert. Der Dritte Stand fand übrigens in den Reihen der beiden anderen Stände noch Verbündete: Die großen liberalen Adeligen waren mit dem Herzen auf seiner Seite, und die Landpfarrer dienten ihm mit ihrem ganzen Einfluß. Nach einem Monat voller Unsicherheit begannen sich dann die Ereignisse plötzlich zu über­ stürzen. Am 10. Juni schritt der Dritte Stand, der es müde geworden, immer wieder die kopfweise Abstimmung und die gemeinsame Kontrolle der Regierungsgewalt zu verlangen, allein zu einer Ein­ berufung aller Abgeordneten; am 17., nachdem sich ihm einige Pfarrer angeschlossen hatten, erklärte er sich als „Assemblée Nationale“, als Nationalversammlung; am 19. zog er den Klerus nach, der den Anschluß mit geringer Mehrheit beschlossen hatte; 3111 20., als er seinen Sitzungssaal geschlossen fand, tagte er in dem sogenannten Ballspielhaus und schwor, nicht eher auseinanderzugehen, ehe nicht die Verfassung durchberaten sei; am

23- hörte er einen strengen Verweis des Königs un, in dem be­ fohlen wurde, getrennte Beratungen zu führen und die histo­ rischen Vorrechte der Klassen und Einzelpersonen nicht in Frage zu stellen. Nach dem Abgang des Königs weigerte sich jedoch die Versammlung durch den Mund von Mirabeau, diesem Befehl nachzukommen, und der König unternahm dagegen nichts. Am 24. schlossen sich 47 Adelige unter Führung des Duc d’Orléans den Aufrührern an; am 27., nachdem Necker seine Demission angeboten hatte, .bestätigte Ludwig XVI. diesen fait accompli und befahl nun die von ihm vor 4 Tagen noch untersagte Versamm­ lung' Alle diese .Ereignisse haben, von der Legende verschönt und mit historisch gewordenen Aussprüchen verbrämt, einen Anschein von tragischer Größe und unausweichlicher Schicksalhaftigkeit er­ halten. In Wirklichkeit jedoch herrschte sehr viel Unentschlossen­ heit und Unordnung. Wenn auch Mirabeau, Sieyès, Mounier und Bamave ihre Rolle als ehrgeizige und überzeugte Gesinnungs­ menschen spielten, rechneten ihre weniger tapferen und weniger entschlossenen Kollegen jeden Morgen damit, am Abend nach Hause geschickt zu werden, und hielten deshalb ihre Koffer stets gepackt. Die Schwäche des Königs machte ihre ganze Kühnheit am. Dann aber verloren sie gleichfalls jedes Maß und ließen sich weiter fortreißen, als sie eigentlich gewollt. Ein sein Amt nicht mehr ausübender Herrscher, ein prinzipien-, ansehen- und energieloses Ministerium; eine in Ideologien ver­ strickte revoltierende Volksversammlung, die durch ihr eigenes Beispiel alle Ausschreitungen rechtfertigt: dafür gibt es nur einen Namen, den der Anarchie. In diesem Sommer 1789 versinkt so ganz Frankreich langsam in Anarchie. Es vergeht kein Tag, an dem nicht kleinere oder größere Zwischenfälle gemeldet werden: Mühlen werden belagert, Läden geplündert, Transporte angegrif­ fen und Märkte beraubt. Der Besitz und das Leben selbst sind in Gefahr. Schmuggler, Diebe, Landstreicher, eine ganze zweifel­ hafte Bevölkerungsschicht kommt aus dem Schatten, mischt sich unter den Aufstand, den sie so vergrößert und zu sich herunter­ zieht. Während 4 Tagen ist Rouen diesem Auswurf ausgeliefert; die Gendarmerie steht dem Treiben machtlos gegenüber; die auf eine Unzahl von kleinen Abteilungen aufgeteilte reguläre Truppe fühlt sich nirgends Herrin der Lage und gerät ins Wanken; die durch zehnjährige Kapitulationen entmutigten Behörden lösen sich, auf; bloß die Steuerbehörde, welche die Bedürfnisse des Staates befriedigen muß, versucht, diese Zeit zu überdauern. Die ganze; 94

Wut wendet sich natürlich gegen sie, und ein allgemeiner Schrei nach Aufhebung sämtlicher Steuern und Abgaben erhebt sich. Die Steuerunterlagen werden vernichtet,.die Schranken der Stadt­ zölle umgeworfen und die Amtsstuben der Finanzämter in Brand gesteckt, die Angestellten mißhandelt und die Steuereintreiber ver­ jagt: in weniger als eineinhalb Monaten liegt das ganze Finanz­ gebäude am Boden. Paris ist noch mehr als die Provinz in Aufruhr; nirgendwo anders gibt es soviel Arbeitslose und Hungrige. „Banden bilden sich rings um die Hauptstadt“, erzählt Taine, „ganz wie in den Ge­ bieten, wo' die menschliche Gesellschaft noch nicht besteht oder schon wieder zu bestehen aufgehört hat. In den ersten Maiwochen zeigt sich ein 500 bis 600 Mann starker Haufen in der Nähe von Villejuif, der Bicêtre einnehmen will und sich St. Cloud nähert. Aus der Champagne, aus Lothringen, kurz, aus allen vom Hagelschlag verwüsteten Gebieten kommen Banden 30, 40 oder 60 Meilen weit her; alles strömt hier zusammen und hält sich rings um Paris auf. Unglückliche und Übeltäter, die einen auf der Arbeitssuche, die andern zum Betteln, streichen, vom Hunger gepeinigt, nur von aus der Gosse emporsteigenden Gerüchten genährt, umher.“ Es fehlt nicht an Hetzern; Paris hat in den letz­ ten Jahren alle Revolutionäre Europas aufgenommen. Aus Hol­ land, Brabant und Genf sind sie gekommen: politische Emigran­ ten, Unzufriedene, sozial Heruntergekommene und Splitter nieder­ geworfener Aufstände. Von den ersten Unruhen werden weitere solche Elemente angezogen: Fanatiker, Spione und agents pro­ vocateurs. Man beherbergt und feiert sie und leiht ihnen Gehör. Alle Cafés werden zu Klubs und alle Klubs zu Empörungs­ herden. Die Aufrührer hatten direkt im Zentrum der Stadt, zwischen dem Louvre und den Boulevards, ihre unangreifbare Permanenz, das Palais Royal, Eigentum des Hauses Orléans, „Zentrum der Prostitution, des Spiels, des Müßiggangs und der Broschüren“. Die eben fertiggestellten Galerien beherbergen alle aus der Bahn Geworfenen der Hauptstadt. Restaurants, Keller, Spelunken, heimliche Rendezvousorte und möblierte Hotels ziehen diese ganze vagabundierende Bevölkerung an, die nur für Paradieren, Ver­ gnügungen, böse Streiche und Abenteuer lebt. Neben oder über den Cafés und den liederlichen Weibern sind die Klubs: der 5,Salon des Arts", die „Assemblée militaire“, der „Club des Co­ lons“, der „Club de Valois“ und die „Société Olympique“, die Zentrale der Freimaurerei. In diesem Bereich schwirren 6000 Per95

sonen von früh bis spät herum; Drohungen, Volksreden, falsche Gerüchte, Schmähschriften, Brandreden und Aufstachelungen zum Mord werden dort verbreitet und wiederholt. „Alle Leidenschaf­ ten sind entfesselt“, sagt ein Augenzeuge. „Besessene sind die unumschränkten Herrscher. Eines Tages erkennt man unter den Nichtstuern einen Polizisten. Man stürzt sich auf ihn und wirft ihn ins Wasserbassin, verfolgt ihn von Tür zu Tür, überschüttet ihn mit Schlägen und Steinen, tritt ihn mit Füßen und wirft ihn wieder ins Wasser. Während 5 Stunden kühlt man an ihm sein Mütchen. Endlich gelingt es ihm, schreiend und halb wahnsinnig vor Schmerzen, von Wunden übersät und mit einem aus der Augenhöhle heraushängenden Auge, Zu entkommen.“ Die Ab­ geordneten der Rechten wagen kaum mehr, sich in ,Paris zu zeigen, und auch in Versailles werden sie direkt vor der Tür ihres Versammlungssaales beleidigt, ausgepfiffen und mißhandelt. Am 24. Juni wird der Bischof von Beauvais halb tot geschlagen; am 25. der Erzbischof von Paris nur durch die Schnelligkeit sei­ ner Pferde gerettet. Die Regierung hatte so wenig mit solchen Ausbrüchen gerechnet, so naiv an die Güte des Menschen geglaubt und war dermaßen davon überzeugt, daß die Stände bei eitel Sonnenschein tagen würden, daß sie nicht die geringsten Sicherheitsmaßnahmen ge­ troffen hatte. 30 Subalternbeamte, 48 Kommissare, 20 Inspektoren, einige hundert Spitzel und 1100 bis 1200 Wachmannschaften, das war die ganze Pariser Polizei. Und was das Militär anging, so bestand es nur aus den aus Ersparnisgründen stark herabgesetzten königlichen Haustruppen; noch 1788 hatte man 600 Mann ent­ lassen. Alles in allem bleiben 200 Gendarme, beritten oder zu Fuß, 300 bis 400 in Vincennes kasernierte Leibgardisten und 2 Regimenter französischer und Schweizer Garde übrig; dazu kann man seit Anfang Juni nicht mehr auf die französische Garde rechnen. Ein aus Soldaten und Unteroffizieren gebildeter Klub ist dort in fast offener Tätigkeit, die Disziplin völlig untergraben und der Oberst allgemein verhaßt. Viele Soldaten leben mit den Dirnen des Palais Royal, wohin sie jeden Abend zum Paradieren und Saufen kommen. Am 25. und 26. brechen Meutereien aus, und mehrere Kompanien weigern sich, Dienst Zu tun. Am 30., nachdem 11 Meuterer ins Gefängnis geworfen worden waren, rottet sich im Palais Royal eine Bande zusammen, marschiert zu dem Gefängnis, sprengt die Türen, befreit die Aufrührer und gibt dann zu ihren Ehren ein Fest. Die Lage wurde verzweifelt. Die Regierung tat nun, was die

Klugheit befahl und was jede andere Regierung an ihrer Stelle schon seit langem getan hätte: Sie rief neue Truppen herbei. Nachdem sie aber diesen schönen Energiebeweis gegeben hatte, machte sie selbst die Verteidigung sofort wieder unwirksam, in­ dem den Truppen befohlen wurde, sich jeder Gewaltanwendung zu enthalten und auf keinen Fall von der Schußwaffe Gebrauch zu machen. Das hieß aber, die Revolution mit Strohpuppen auf­ halten zu wollen. Die Assemblée war inzwischen in Erregung geraten. Immer in Angst, nicht patriotisch und fortschrittlich genug zu erscheinen, hatte sie am 8. Juli auf Vorschlag Mirabeaus dem König eine Protestnote überreicht. Am 10. antwortete der König, daß die Assemblée nicht in Gefahr und daß sein ganzes Augenmerk nur darauf gerichtet sei, die öffentliche Ruhe und Ordnung aufrecht­ zuerhalten. Die Gefahr wdchs nun von Stunde zu Stunde, und die neuangekommenen Regimenter waren einer hemmungslosen auf­ rührerischen Propaganda ausgesetzt. Die selbst liberal gesinnten Offiziere schlossen die Augen, und einige von ihnen,.gerade die. höchsten, erklärten ganz, laut, daß sie, falls ein Gewaltstreich geplant sei, nicht marschieren würden. Der König entschloß sich, auf Männer zurückzugreifen, die als fähig galten, die Lage zu meistern und die Aufrührer im Zaume zu halten. Am 11. wurde Necker entlassen und durch den ehemaligen Minister Breteuil er- ■ setzt, zu dessen Ressort in seiner Eigenschaft als Sekretär desköniglichen Hauses Paris, der Hof und die Polizei gehörte. Diese Wahl war nicht schlecht. Breteuil war ein klarsehender und entschlußfreudiger Mann. Er war es, der 1787 die Lese­ zimmer und Gesellschaften geschlossen hatte. Wenn man irgend­ ein Unternehmen in dieser Art versuchen wollte, war es recht ver­ nünftig, ihn damit Zu beauftragen. Dagegen war es ein offensichtlicher Fehler, die Verstärkungen nur nach und nach, auf einen Zeitraum von 10 Tagen’ verteilt, heranzuholen. Das Überraschungsmoment ging dabei verloren, und die ersten Bataillone waren an Ort und Stelle der revolutio­ nären Ansteckung widerstandslos ausgesetzt. Schließlich mußte man, auch wenn man Breteuil ernannte, Necker trotzdem behalten'. Es ist richtig, daß er der Situation nicht ge­ wachsen und daß seine Verantwortung an der kritischen Lage groß war. Aber er flößte den Sparern und Geldleuten Vertrauen ein. Die 200000 oder 300000 Pariser Rentiers glaubten blind an sein Genie und waren fest davon überzeugt, daß sein Abgang den ^ Gaxotte Revolution

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Bankrott bedeutete: Ohne Necker keine Einlösung der Kupons, was >für viele Armut und für den Rest Geldknappheit bedeutete.. Die Spekulanten und Bankiers teilten die gleichen Illusionen und hatten alle auf die optimistische Karte gesetzt: Erfolg der As­ semblée, Finanzreform und Hausse der Staatspapiere. Neckers Abgang bedeutete für sie Baisse, verlustreiche Liquidation, Exe­ kution und Bankrott. Die Auflösung der Klubs und die Säuberung der Stadt wäre von den Kaufleuten und Hausbesitzern, die seit 14 Tagen die Errichtung einer Bürgergarde zur Verteidigung der Ordnung und zum Schutz des Eigentums forderten, zweifelsohne mit einem Seufzer der Erleichterung aufgenommen worden. Die Absetzung Neckers dagegen machte diese Konservativen gleich­ falls zu Aufrührern. v- : ■■ Die Wechselagenten versammelten sich in Eile, beschlossen, die Börse am nächsten Tage geschlossen zu halten, und sandten einen der Ihren nach Versailles, um mit der Assemblée Verbindung auf­ zunehmen. Die Bankiers gingen mit ihren Angehörigen und An­ gestellten auf die Straße und stellten den Revolutionären Geld, Lokalitäten, Waffen und Munition zur Verfügung. Zwei von ihnen, Delessert und Prévoteau, streckten während zweier Monate die zum Unterhalt eines ganzen Bataillons erforderlichen Beträge ' vor. „Die Kapitalisten“, schrieb Rivarol, „wollten Necker an der Macht haben, um bezahlt zu werden, wollten eine Revolution ver­ suchen, um ihr Geld zu erhalten, und waren damit einverstanden, daß alles gestürzt werde, wenn sie nur bezahlt würden. Sie halfen dem Volk und der Assemblée, sich alles und jedes zu bemäch­ tigen, unter der Bedingung, daß ihnen alles erhalten bliebe.“ Am 12. mittags ist ganz Paris eine einzige ungeheuer aufgeregte Menschenmenge; in einer Woge von Schmährufen, alarmierenden und falschen Nachrichten und Gerüchten wirbelt die kopflos ge­ wordene Masse durcheinander: ihr Geld verteidigende Rentner und gemeine Verbrecher; die nur auf die erste Gelegenheit zum Plündern lauem, vermengen sich. Hier werden die Büsten Neckers und des Duc d’Orléans im Triumph einhergetragen; dort wieder wird-geplündert, gemordet oder gesoffen. Die beim Eingang der . Tuilerien, auf dem Platz Ludwigs XV., aufgestellten Dragoner des Prince de Lambesc werden mit einem Hagel von Steinen, Zie­ gelbrocken und zerbrochenen Flaschen überschüttet. Der Prinz be­ freit seine Leute durch einige Galopps und setzt sich, getreu sei­ nen Befehlen, von der Menge ab, indem er sich auf das linke Seineufer zurückzieht. Die aus ihren Kasernen herbeigeholte fran­ zösische Garde feuert auf treu gebliebene Abteilungen.,

Die Nacht vom 12. zum 13. und der Tag des 13. sind verhäng­ nisvoll. Es hat den Anschein, als ob man der völligen Auflösung der Gesellschaft beiwohnte. Die Bürger verschanzen sich in ihren Häusern, und die Straße bleibt dem niedrigsten und abstoßend­ sten Pöbel überlassen. Die in Eile im Rathaus versammelten und durch die Ereignisse terrorisierten Wähler der II. Klasse unter­ nehmen den Versuch, eine städtische Miliz aufzustellen, für die sich die vornehmsten Bürger, an ihrer Spitze die Edelleute, ein­ tragen lassen. Aber die Räuber, die soeben die Polizeigebäude ausgeplündert haben, bewaffnen sich gleichfalls und noch schnel­ ler, dringen in die Zuchthäuser ein, befreien dort die Häftlinge und vergrößern so der Revolution trübe Fluten.' Banden dringen überall dort ein, wo Gewehre und Piken zu fin­ den sind. Am Morgen des 14. werfen sie sich auf den Invaliden­ dom; eine Stunde später wenden sie sich gegen die Bastille. Der Gouverneur, Herr de Launay, hätte sich mit seiner kleinen Be­ wachungsmannschaft von Schweizern und Invaliden leicht ver­ teidigen können; aber dies widersprach seiner Philosophie. Er parlamentiert, zieht seine Kanonen Zurück, macht die Schieß­ scharten dicht, läßt die alte Festung durch einen Abgesandten des Rathauses besuchen und lädt zwei der Belagerer an seinen Tisch ein. Diese Aufmerksamkeiten eines Weltmannes verhindern nicht die Zusammenrottung einer durch Tausende von Neugierigen ver­ stärkten tobenden Menge, aus der unaufhörlich geschossen wird und die nichts unversucht läßt, einen der Türme in Brand zu stecken. Schließlich gelingt es Zwei mit Äxten bewaffneten Män­ nern, die Ketten der Zugbrücke zu sprengen, die rasselnd herünterfällt. Man dringt in den ersten Hof ein, die ersten Gebäude werden geplündert und 4 Kanonen auf das 2. Tor gerichtet. Die Besatzung wird nun von Furcht erfaßt, wehrt sich wohl zuerst instinktiv, verliert jedoch dann, da sie fühlt, daß die Führung fehlt, den Kopf und zwingt de Launay zur Übergabe. Ein Offi­ zier, der die aufrührerischen Wachen führt, verspricht auf seine Soldatenehre, daß niemandem ein Haar gekrümmt werde. Trotz­ dem wird de Launay massakriert und sein Körper in die Gosse geschleift; ein Küchengehilfe, „der Fleisch zu tranchieren ver­ steht“, schneidet ihm den Kopf ab, steckt ihn auf eine Pikeiund trägt ihn an der Spitze einer wilden Horde bis Mitternacht spa­ zieren. Der Major, dessen Adjutant und ein Leutnant werden gleichfalls niedergemacht; 2 Invaliden werden gehängt, einem an­ deren wird die Hand abgehackt. Die vom Morden berauschte Menge eilt dann zum Rathaus. Der Vorsteher der Kaufmann7*

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schaft, Piesselles, kommt ihr leichenblaß entgegen; er hat noch keine 3 Schritte gemacht, so ist er ebenfalls massakriert und sein Leichnam in einzelne Stücke zerhackt. _ Inzwischen durchsuchte man die Bastille, wo sich insgesamt 7 Ge­ fangene befanden: 4 Urkundenfälscher, ein auf Ersuchen seiner Angehörigen eingesperrter junger Wüstling und 2 Wahnsinnige. Die Fälscher empfahlen sich, ohne weitere Erklärungen zu vërlangen; der Schüler des Marquis de Sade wurde von den philo­ sophischen Gesellschaften mit großem Gepränge empfangen und hielt dabei rührende Ansprachen gegen Tyrannei, und Despotentum; die zuerst mit gleicher Begeisterung gefeierten 2 Wähn­ et sinnigen wurden schließlich am nächsten Tage in das Narrenhaus' von Charenton eingeliefert. Ferner entdeckte man unbekannte Werkzeuge, die Dussaulx der Assemblée als schreckliche Folterwerkzeuge schildern sollte. So fand man „ein Korsett aus Eisen, dazu erfunden, einen Menschen an allen Gelenken zu fesseln und ihn ewig unbeweglich zu hal­ ten“. In Wirklichkeit handelte es sich um eine aus einem alten Waffenmuseum stammende mittelalterliche Ritterrüstung, die sich in der alten Festung befunden hatte. Dann war „eine nicht weni­ ger schreckliche Maschine, die öffentlich ausgestellt wurde, von der jedoch niemand weder den Namen noch die Verwendung an­ geben konnte“ : Dies war eine Druckerpresse, die 1786 bei einem gewissen François Lenormand beschlagnahmt worden war. Schließ­ lich fand man die Gräber von Selbstmördern, die nicht auf einem Friedhof in geweihter Erde beigesetzt werden konnten: Das waren von nun an die Skelette der unglücklichen Gefangenen, die in ihren Verliesen heimlich umgebracht worden waren. „Die Minister haben es an Vorsicht fehlen lassen“, bemerkte Mirabeau, „weil sie vergessen haben, auch die Knochen zu verspeisen.“ Die Nachricht vom Aufstand erreichte Versailles in der Nacht. Die Assemblée bewahrte genügend Urteilskraft, um sich darüber klar zu werden, daß die Greuel, die auf die Übergabe der Festung gefolgt, nicht nur die Befürchtungen des Königs rechtfertigten, sondern Breteuil auch noch tausend -wunderbare Gründe zur un. erbittlichen Niederwerfung des Aufstandes lieferten, wozu das Parlament mit Freude die gesetzliche Handhabe geliefert hätte. Deshalb machten sich die Führer der Linken unverzüglich daran, die Anstifter zu decken und ihre Verbrechen-in Heldentaten um­ zufälschen. Die’Legende von der Bastille wurde 4 Stunden nach ' den Ereignissen in die Welt gesetzt. Am 15. erfuhren die wegen der ungehinderten Morde, beschämten und unruhigen Rentner 100

beim Erwachen, daß überhaupt keine Mordtaten stattgefunden, sondern daß das ganze Volk sich Zur Verteidigung der Freiheit erhoben, und daß der Mord an( Launay und Flesselles erlauchte Manifestationen der souveränen Freiheitsgerechtigkeit gewesen seien. Dies waren unnötige Vorsichtsmaßnahmen. Der König reagierte bei der Nachricht von der Einnahme der Bastille ebensowenig wie Lambesc unter dem Hagel der Flaschenscherben und Steine reagiert hatte, d. h.' er reagierte vielmehr auf die gleiche Weise und gestand alles, zu, was man wollte: Absetzung von Breteuil, Zurückberufung von Necker, Zurückziehung der Truppen, An­ erkennung der ungesetzlichen Stadtverwaltung, feierlichen Be­ such im Rathaus, unverschämte Ansprache des Bürgermeisters Bailly, Aufgabe der weißen Kokarde und Ersatz durch die Tri­ kolore: Vor nichts schreckte er zurück. 1 Die Einnahme der Bastille hatte dem Regime einen fühlbaren Schlag versetzt und war Zum Eingeständnis seiner eigenen Schwäche geworden. Wenn sie den Charakter eines Aufruhrs bei­ behalten hätte, so hätte dies nur eine augenblickliche Ohnmacht der Polizei bedeutet, ohne daß deshalb etwas Wesentliches und ' Unwiderrufliches verdorben worden wäre.. Von den Zeitungs­ schreibern gepriesen, von der Assemblée verherrlicht, vom Hof anerkannt, von Ludwig XVI. legitimiert, wurde sie zum Zeichen der Abdankung des Königtums und zum Beweis dafür, daß die Monarchie auf ihre eigenen Prinzipien verzichtete. Man möge sich einmal die Verwirrung in der Vorstellungswelt des Volkes vor­ stellen, die durch das plötzliche Zusammenstürzen dessen, was in diesem Lande seit Generationen die letzte Zuflucht gegen die Böswilligkeit der Menschen und die Feindseligkeit der Sachen darstellte, entstand. Für die große Menge blieb der König der Vater, bei dem man Hilfe und Zuflucht suchte; auf ihn waren während all der Jahrhunderte die-Blicke gerichtet; seine Güte wurde gegen Lasten, Steuern und schlechte Minister angerufen. »Wenn das der König wüßte!“, war während vieler Jahrhunderte der Seufzer der Armen gewesen. Und nun demütigte sich der König selbst und erkannte die heilige Berechtigung des Auf­ standes an. Der Herzen und der Hirne'des französischen Volkes bemächtigte sich eine unbestimmte und unbehagliche Beklommenheit.üie Zukunft sieht .bedrohlich aus. Und wie viele Gründe zu dringlichen Befürchtungen gibt es doch an der Schwelle dieses Unbekannten! Frankreich geht mit großen Schritten dem Ab­ 101

grund entgegen. Es gibt keine Armee, keine Gesetze und keine Richter mehr. Man weiß ' nicht mehr, wer befiehlt, noch wer gehorcht, und alle Regierangsgewalt stürzt zusammen. Am Z2. Juli wird der Intendant von Paris, Bertier de Sauvigny, einer der großen Verwaltungsbeamten des Jahrhunderts, in Compiègne an­ gehalten, beschimpft, nach Paris gebracht, vom Pöbel angegriffen und massakriert. Ein Soldat durchbohrt ihm die Brust und reißt sein Herz heraus; ein anderer schneidet ihm den Kopf ab und trägt ihn auf einem Stecken spazieren. Der Schwiegervater Bertiers, der Staatsrat Foulon, ein Greis von 74 Jahren, wird in der Nähe von Fontainebleau ergriffen und mit einem Distelhals­ band und Heu im Munde ins Gefängnis geschleift; unterwegs wird er entführt und an einer Laterne aufgehängt. Um dem­ selben Schicksal zu entgehen, flieht dèr Polizeileutnant de Crosne am nächsten Tag. Die Gouverneure, Intendanten, Richter, Militär­ kommandanten und Beamten der Verwaltung, der Polizei und der Finanzen verbergen sich in der Provinz oder fliehen; nur sehr wenige entkommen den Drohungen und Tätlichkeiten. Zu ihrem Ersatz werden in Eile Stadtverwaltungen und National' garden gegründet; diese neuen Behörden zittern jedoch bei der leisesten Regung des Volkes. Der Bürgermeister von Paris, Bailly, scheint seinem eigenen Stadtrat unbekannt zu sein, da dieser sich weder um seine Person noch um seine Meinung kümmert; dem Stadtrat wiederum gelingt es nicht, sich gegenüber den 60 Di­ striktskomitees durchzusetzen, die ihrerseits gern so regieren würden, als gäbe es weder König, noch Assemblée, noch Gerichte oder Gemeinden. Dies ist eine fürchterliche Lage, denn während alle diese unvollständigen Gewalten sich gegeneinander stellen, wird die Masse der Arbeiter und Bauern, die überall nur Feig­ heit oder Altersschwäche fühlt, ungeduldig, unruhig und reif für alle Exzesse. Und da es darauf ankommt, die Amtsanmaßungen und Verbrechen a p o s t e r i o r i zu rechtfertigen, indem die Opfer zu Schuldigen gestempelt werden, setzt die Assemblée am 28. Juli einen Untersuchungsausschuß ein, der die „Komplots“ der Aristo­ kraten vereiteln soll. Wenn nun eine Gruppe von Männern auftritt, einig in ihren Herzen und in ihrem Geist und einer einzigen Lehre verschrie­ ben, so wird allein durch die Tatsache, daß sie etins in der Masse, o r g a n i s i e r t in der allgemeinen Unordnung, e n t ­ schlossen in der Unentschlossenheit sind, ihre Macht, wenn schon nicht unbeschränkt, so doch jedenfalls unverhältnismäßig groß im Vergleich zu der geringen Zahl ihrer wirklichen An, 102

hänger und der ihnen zur yerfügung stehenden durchschnittlichen Mittel werden. . Diese Gruppe gibt es, es ist das Völkchen der Klubs. Sie erhalten von den Delegierten, deren Wahl sie durchgesetzt hatten, regel­ mäßige Berichte. Sie orientieren die öffentliche Meinung durch Druck, Maueranschläge und auf jede andere mögliche Weise, offenbaren ihr die wahren oder falschen Absichten des Hofes und die wahren oder eingebildeten Gefahren, die der Freiheit drohen, sowie die wahren oder falschen Maßnahmen, welche die Hauptstadt schon ergriffen und welche sich für die Provinz eben­ falls aufdrängen, will sie sich der Hauptstadt an Patriotismus ebenbürtig zeigen. Einige geheime Zusammenkünfte beim Duc d’Orléans oder im „Club Breton“ genügen, um die gleiche An­ regung in die entlegensten Teile Frankreichs zu übermitteln. In der schrecklichen Unordnung, die auf die Einnahme der Bastille folgt und die man die „Grande Peur“ nennt, gibt es sehr rasch gleichzeitige und identische Alarme, Paniken und Handlungen, die nur durch die zentrale Organisation der öffentlichen Meinung erklärt werden können. Augustin Cochin, der dies herausgefun­ den, hat damit die Geschichtsschreibung der Revolution um einen entscheidenden Schritt vorwärts gebracht. Gegen den 25. Juli kommt also plötzlich überall eine Nachricht auf, in der Normandie, in der Dauphinée, im Elsaß, in der Auvergne: Überall heißt es, bewaffnete Räuber seien im An­ marsch, die plündern und die Häuser, ja selbst das Getreide auf. dem Halm, in Brand stecken. Man hat sie gesehen, sie rotten sich ganz in der Nähe Zusammen, und Staubwolken zeigen ihre nahe Ankunft an. Die Sturmglocken läuten,- und Kuriere alarmieren die Nachbardörfer; vereinzelt gelegene Gehöfte leeren sich, Frauen und Kinder flüchten, und die Männer bewaffnen, sich in . Eile. Die militärischen Kommandanten liefern ihnen Zehntau­ sende von Gewehren, Munition und Ausrüstungsgegenständen, ja s°gar Kanonen. Wehe...dem Kommandeur, der sich weigern würde! Nach einigen durchwachten Nächten und ergebnislosen Patrouillen stellt man fest, daß die Ebene verlassen und niemand unterwegs ist. Aber die Revolution ist in den Besitz von Waffen gelangt! Hat sie nicht grausamere und treulosere Feinde als die Räuber, die sich in nichts aufgelöst haben ? Die Adeligen, die Reichen und Edelleute, die Anstifter von Hunger und Arbeitslosigkeit, die in den aus Paris gekommenen Briefen aller Verbrechen, Anschläge Und jedes Verrates beschuldigt werden! Die Folge davon ist in

ganz Frankreich ein fürchterlicher Bauernaufstand. Taine glaubt feststellen zu können, daß er in den Ostprovinzen, in Flandern und in der Provence einen besonders schrecklichen Verlauf ge­ nommen hat; in Wirklichkeit blieben wenige Kantone verschont. Überall werden die Abteien geplündert, die Schlösser zerstört und die Güter verwüstet. Die aufrührerischen Bauern behaupten zwar, es nur auf die Feudalrechte abgesehen zu haben, die sie abwerfen wollen, verbrennen aber mit den Pergamenten die Wappen, das Schloß und manchmal auch den Schloßherm. Den Bauern und Taglöhnem schließen sich Herumtreiber und ent­ sprungene Häftlinge an, bemächtigen sich bald der Führung und begehen Diebstähle, Quälereien, Brandstiftungen und Mordtaten; ein wahrer Orkan von Verbrechen braust über Frankreich hin. Unterdessen diskutierte die Assemblée die Verfassung. Durch die Bemerkung von Bamave: „War denn dieses Blut gar so rein?“ beruhigt, hatte die Mehrheit die Ermordung Foulons und Bertiers ziemlich leicht hingenommen. Von den tagtäglich in der Provinz verübten Exzessen unterrichtet, widersetzte sie sich den­ noch ihrer Unterdrückung, weil sie dadürch von ihrem Bundes­ genossen, dem Volk, abgeschnitten und der unerläßlichen Unter­ stützung der aufrührerischen Straße gegenüber dem Hof beraubt worden wäre. Unter diesen Umständen blieb nur ein Weg offen, der des Verzichtes, den man mit wehenden Fahnen einschlug. Auf Vorschlag eines vermögenslosen Abgeordneten, des Vicomte de Noailles, und eines philosophischen Großen, des Duc d’Aiguil­ lon, beschloß die Assemblée am 4. August die Aufhebung aller Vorrechte der Körperschaften und Personen. In einer Art sentir mentalen Rausches, unter Akklamationen und Tränen, nahm man pêle-mêle die Aufhebung der Feudalrechte, der Wildschutz­ gebiete, Zwangsgerichtsbarkeiten, Kirchenabgaben, königlichen Einnahmen aus diversen Abgaben und der provinzialen und städ­ tischen Abgabebefreiungen an. Man fiel sich gegenseitig unter Tränen in die Arme, opferte seine eigenen Rechte und die des Nachbarn und wußte schließlich gar nicht mehr recht, was man sagte oder tat. Beim Morgengrauen akklamierte man Ludwig XVI. als W i e d e r h e r s t e l l e r der f r a n z ö s i s c h e n F r e i h e i t und verschob die Dekretisierung dieses nächtlichen Fiebers auf die nächste Sitzung. < ■' Das war nun keine einfache Aufgabe. Von den leichten Herzens geopferten Feudalrechten waren die einen personaler Natur und Zeichen einer rückständigen Verfassung; es war nur von Vorteil, sie aufzuheben; die anderen dagegen realer Natur, in der, Erde 104

verkörpert, stellten ein tatsächliches Eigentum dar und waren so Gegenstand zahlreicher Transaktionen, wie Verpachtungen, Verkäufen, Teilungen, Hypotheken, die man nun nicht ohne Ungerechtigkeit mit einem Federstrich aufheben konnte, vor allem da sie vielerorts die Haupteinnahmequelle der kleinen Landedel­ leute bildeten, die man schwer kaltblütig zum Elend verurteilen konnte. Die Ablösung der betreffenden Ansprüche war die einzig mögliche Lösung, und diesen Weg mußte man wohl oder übel wählen. Das hieß jedoch eine Kluft zwischen der „bürgerlichen“ und der bäuerlichen Revolution aufreißen; die Anwendungs­ dekrete ließen auch bis Mai 1790 auf sich warten. In gewissen Departements, besonders in der Gironde, hat man zahlreiche Rück­ kaufverträge festgestellt; anderswo wieder verweigerten die Bauern jegliche Zahlung, was im Winter und Frühjahr 1790 Anlaß zu neuen Unruhen; Plünderungen von Schlössern und Einäscherungen von Archiven bot, wobei Quercy, Rouergue, die Bretagne um Ploërmel und das Gätinais am meisten heimgesucht wurden. Was die Kirchenabgaben betraf, so konnten diese auch gehandelt und verändert werden. Man beharrte wohl auf ihrer Aufhebung, aber damit verschwanden die Renten, welche die alten Kollegien und die Jahrhunderte alten Stipendien gespeist und die Zuwen­ dungen zur Erhaltung von Lehrstühlen und Professuren ermög­ licht hatten. Für den Dritten Stand handelte es sich um gleiche Hekatomben. Die begeistert dargebrachten Vorrechte waren sehr kostbare Gü­ ter: Versammlungen, Stände, Gerichtsbarkeiten, Steuerpacht, Sicherheiten gegenüber Steuerverwaltung, Zoll- und Militärdienst, Verwaltungserleichterungen und wirtschaftliche Befreiungen, alles Dinge, die gute und wertvolle Franken darstellten: Für Bor­ deaux bedeutete dies das Ausfuhrmonopol von Bordeauxweinen, für Marseille, das Monopol des Handels mit der Levante auf­ zugeben. : . Die Augustdekrete erschütterten, selbst in abgeänderter Form, das ganze Land noch bis in seine Grundfesten, und es war offen­ sichtlich, daß die Auswirkungen noch allgemeiner sein würden, weil die vorgesehenen Einschränkungen nicht respektiert und die Ablösungen, insofern sie beabsichtigt waren, niemals bezahlt wer­ den. Alle Bedingungen des sozialen,und wirtschaftlichen Lebens waren umgeworfen; eine so große Umwälzung kann sich nie ohne Schaden vollziehen. Selbst diejenigen, die am meisten erhielten, wurden wieder in anderer Hinsicht getroffen; vielleicht gab es nicht einen einzigen Franzosen, der dabei nichts einbüßte.

Zweifelsohne hatten einige daran gedacht, daß eine so große Un­ ordnung eine ausgedehnte Reaktion hervorrufen würde, zu deren Führer sich, im Namen des Gesetzes und der Prosperität, die schweigsamen, aber immer noch bestehenden Parlamente auf­ werfen würden, und es ist nicht ausgeschlossen, daß sie in dieser geheimen ' Hoffnung, und nicht aus Furcht, dafür gestimmt hatten. ' _ Die Parlamente rührten sich nicht, wohl aber spaltetesich die revolu­ tionäre Partei selbst in zwei Teile. Der am 5. August sichtbar ge­ wordene Bruch vergrößerte sich noch in den kommenden Wochen bei der Diskussion der HauptartikeL der neuen Verfassung. Die. Gemäßigten mit Malouet, Bergasse und Mounier waren der Meinung,'daß es, um der Zersetzung des Landes Einhalt zu ge­ bieten, unumgänglich nötig sei, der Exekutivgewalt und den Ge­ richten jene Machtmittel zurückzugeben, die es ihnen ermöglichen sollten, die Attentate aufhören zu lassen. Was die Verfassung betraf, so hatten die durch ihre Wahlinstruktionen gebundenen Abgeordneten nicht das de jure und de facto bestehende Regime in Frage zu stellen, sondern es nur zu verbessern. Infolgedessen: keine unangebrachte und sogar gefährliche E r k l ä r u n g der M e ns c he nr ec ht e , wenn sie nicht zugleich durch eine E r­ k l ä r u n g d e r P f l i c h t e n korrigiert wird. Eine ausgeglichene Regierung, in der die Regierungsgewalt zwischen König, einer oberen Kammer, deren Mitgliedschaft erblich oder lebenslänglich wäre, und einer unteren,- von den reichen Bürgern gewählten Kammer, aufgeteilt sein sollte und wo die Gesetze im Einver­ nehmen von allen drei erlassen würden, wobei der König die Möglichkeit hätte, seine Zustimmung zu verweigern. Für die Linke dagegen kann die Revolution weder aufgehalten noch eingedämmt werden. So bedauerlich auch die Unruhen sein mögen, so träfen sie ja nur die Nutznießer des Ancien Regime; ihre notwendigerweise den königlichen Organen anvertraute Nie­ derwerfung würde die ganze Revolution gefährden. Die sou­ veräne Assemblée brauche sich nicht mit Anweisungen ihrer. Auf­ traggeber aufhalten. Wenn sie das Land rationell neu aufbauen wolle, sei es vorher nötig, das Vorhandensein unveräußerlicher natürlicher Rechte festzustellen; keine obere Kammer, die nur ein Zufluchtsort der Aristokraten wäre; kein Veto des Königs oder höchstens ein zeitlich begrenztes. - ,. Die durch Vermittlung La Fayettes begonnenen Verhandlungen zwischen den Parteien führten zu keinem Ergebnis; Ende August war der Bruch eine vollendete Tatsache. Von diesem Zeitpunkt xo6

an war leicht vorauszusehen, daß die P a t r i o t e n , um der Widerspenstigen Herr zu werden, zu dem üblichen Kampfmittel, nämlich einem Aufstand, der in der Absicht angezettelt, würde, nicht nur den König, sondern die Assemblée selbst der Fuchtel des Pöbels auszuliefern, ihre Zuflucht nehmen würden. Die wäh­ rend der Verhandlungen ruhig gebliebenen Klubs entfalteten plötzlich eine fieberhafte Tätigkeit und trafen alle Vorkehrungen, um die Regierung zu zwingen, Versailles zu verlassen' und nach Paris zu übersiedeln. Am 30. August brachen Unruhen aus, die eine Art Generalprobe für die Tage des 5. und 6. Oktobers waren, jedoch infolge mangelhafter Vorbereitung fehlschlugen. Die schlecht'bearbeitete Nationalgarde war ihrer Aufgabe treu geblieben und hatte die Manifestanten zerstreut. Aber der Schlüs­ sel zu den künftigen Ereignissen war gefunden. ( Die gemäßigten Abgeordneten hatten diese Absichten gleichfalls durchschaut und baten den König, die Assemblée nach’Soissons oder Compiègne, 20 Meilen von Paris entfernt, wo sie vor den Anschlägen des Palais Royal in Sicherheit gewesen wäre, zu Verlegen. Ludwig XVI., dem Furcht fremd war, verwarf dieses Ansinnen, weil ihm dieser Rückzug seiner selbst unwürdig schien. Er hatte die Ratifizierung der Augustdekrete aufgeschoben und sah mit Schmerzen die Breschen, welche die in Vorbereitung be­ findlichen Gesetze seiner souveränen Macht schlugen, entschloß sich aber nicht dazu, seine Befugnisse mit den entsprechenden Mitteln zu verteidigen. „Leider wimmelte es in der Umgebung des Königs und der Königin“, sagte Malouet, „nur so an Vor­ schlägen für scharfe, aber inhaltsleere und undurchführbare Maßnahmen, die wohl geeignet waren, die Patrioten im höchsten Maße zu erbittern und zum Äußersten zu treiben, aber nicht ge- : nügten, sie im Zaume zu halten. Die Verachtung, mit der man bei Hofe von der Volkspartei sprach, überzeugte die Prinzen davon, daß man bloß eine entschlossene Haltung einnehmen müsse, um sie zu Zersprengen; zur gegebenen Zeit wußte man jedoch nicht. einmal dies zu tun.“ Ludwig XVI. glaubte, den Aufruhr wie im Juli durch Einschüch­ terung und Militärparaden im Schach halten zu können, und man suchte nach einem zweiten Retter aus der Not. Mitte September wurde dem in Douai stationierten Flandernregiment der Marsch­ befehl erteilt, und am 23. hielt es mit klingendem Spiel in Ver­ sailles seinen Einzug. Um der revolutionären Propaganda entgegenzuarbeiten, umgab der Hof Offiziere und Soldaten mit vielen kleinen, der Eigenliebe 107

so süß schmeichelnden Aufmerksamkeiten und Gunstbeweisen. Von den in Versailles in Garnison liegenden Truppen wurden, wie dies so üblich war, zu Ehren der neu angekommenen Kame­ raden Empfangsbankette veranstaltet,' deren glänzendstes und fröhlichstes das am Freitag, dem 2. Oktober, veranstaltete Bankett der Leibwachen war. Der am frühen Nachmittag begonnene Emp­ fang wurde bald so laut und lustig, daß der König und die Königin gleichfalls neugierig wurden und selbst sehen wollten, was da vorging. Ihr unerwartetes Erscheinen bot Anlaß zu be­ geisterten Hochrufen und ausgiebigen Trinksprüchen.'Und als sie sich schließlich zurückzogen, begleitete sie die ganze Jugend bis zum Palast, und der Marmorhof hallte von den ausgebrachten Hochrufen wider. Man'hatte nicht auf das Wohl der Nation getrunken, und nach Abgang des Königs hatten einige Hitzköpfe: „Nieder mit der Assemblée!“ gerufen, aber es waren weder Trikoloren mit Füßen getreten noch weiße Kokarden verteilt worden. Das Bankett hatte vielmehr in seinem ganzen Verlauf allen „offiziellen Festlich­ keiten, bei denen die Gäste singen, lärmen, Tränen vergießen und sich in die Arme' fallen und dann, nicht mehr ganz sicher auf ihren Füßen stehend, zu Bett gehen“, geähnelt. Aber Volks­ redner und Journalisten, die nach einem Vorwand lechzten, um Paris aufzuputschen, verwandelten dieses reichlich begossene Mahl hurtig in eine Orgie und Herausforderung. Zu gleicher Zeit legten, wenn man Bailly diesbezüglich Glauben schenken darf, sehr gelegen kommende Plünderungen die so schon schwierige Lebensmittelversorgung der Hauptstadt lahm, so daß, wie die Demagogen sich ausdrückten, die Faubourgs zugleich das Ge­ spenst der Hungersnot und das Wiedererstarken der Reaktion befürchteten. Der Duc d’Orléans, dieser unglückselige Wirrkopf und Opfer seiner aufwieglerischen Umgebung, öffnete noch ein­ mal seine Kassen, und das Geld floß in Strömen. Nach zwei Tagen steigender Erregung brach der Aufruhr am 5. Oktober morgens nach einem genauen, erst nach und nach offenbar wer­ denden Plan los. Zuerst ist es nur eine Erhebung von hungrigen Frauen, die nach Versailles ziehen, ihren guten König um Brot zu bitten. Kann esetwas Unschuldigeres geben? 5000 bis 6ooo Weiber, Fischhänd­ lerinnen, Verkäuferinnen der Großmarkthallen und Dirnen, unter die sich eine gewisse Zahl von geschminkten und als Frauen ver­ kleideten Männern gemischt hatte, machten sich also auf den. Weg. 108

Dann kam als Zweite Kolonne die Nationalgarde, die ihren be­ rühmten und verdutzten General La. Fayette an die Spitze-ge­ schoben hatte, der nicht wußte, was er dort sollte oder was sich ereignen würde, der aber fest entschlossen war, sich letzten Endes akklamieren und feiern zu lassen. Als Nachhut marschierte schließlich ein Haufen von in Spelunken und in der Gosse aufgelesenen, wüst aussehenden Spießgesellen. Es regnete in Strömen. In Versailles war in der Umgebung des Hofes alles ruhig. Der König, der vor kurzem die Erklärung der Menschenrechte zurückgewiesen hatte, jagte im Wald von Verrières;, die Königin hatte die Aufhellung des Wetters dazu benützt, nach dem Mittagessen ihrem Garten in Trianon einen Besuch abzustatten. Erst um 1/24 Uhr konnte der König seinen Rat versammeln. Der Comte de Saint-Priest, der Nachfolger von Breteuil, scheint als einziger eine klare Vorstellung von der Ge­ fahr gehabt zu haben; auf jeden Fall war er der, einzige, der einen dem Ernst der Lage entsprechenden Plan vorschlug: Die Königin und die königliche Familie nach Rambouillet zu schicken, im Notfall auch den Hof und die Regierung; um jeden Preis un­ verzüglich die Brücken von Neuilly, St.Cloud und Sèvres (die aus Holz und leicht zerstörbar war) zu besetzen; Zi/sammen mit den Leibwachen und 200 Jägern eine berittene Abteilung zu­ sammenzustellen, deren Führung der König übernehmen und welche, die marschierenden Banden angreifen sollte. An der Tür des Kabinetts machte sich Herr de Narbonne-Fitzlar.erbötig, den Feuerbefehl zu erteilen, falls sich niemand dieser Aufgabe unter­ ziehen wolle. Necker erwiderte, daß. keinerlei sofort drohende Gefahr be­ stünde, die Maßnahmen von Saint-Priest direkt zum Bürgerkrieg führten und das einzig Vernünftige sei, abzuwarten und die Dinge an sich herankommen zu lassen. Der König wollte kein Blutver­ gießen. Man begnügte sich also, das Schloßgitter zu schließen nnd das Flandemregiment und die Garde, beide ohne Kartuschen, vor dem Schloß in Stellung zu bringen. „Mit Bedauern verweile ich bei den Fehlem dieses unglücklichen Fürsten“, schreibt der­ selbe Malouet, „der durch seine Herzensgüte fürwahr ein anderes Geschick verdient hätte. Es gab manchen Grenadierhauptmann, der ihn und den Staat gerettet hätte, wenn er ihm freie Hand dazu gelassen hätte.“ Inzwischen trafen allmählich die ersten, völlig durchnäßten, über nnd über mit Schmutz bedeckten und schrecklich fluchenden Weiber ein. 109

Die einen dringen in die Assemblée'ein, ziehen dort ihre Röcke zum Trocknen aus, lassen sich auf den Bänken nieder und mengen sich unter die Abgeordneten, die sie je.nach Laune umarmen oder beschimpfen. „Es spielten sich“, berichtet ein Augenzeuge, „wenig erbauliche Szenen ab.“ Die änderet! marschieren zum Schloß. Sie nähern sich, nur vorübergehend eingeschüchtert, den Soldaten, versuchen die Sperren Zu durchbrechen und bleiben bis Zur Nacht hier, schreiend, singend, sich anbieterid, den Offizieren drohend, den Soldaten schmeichelnd und Geld und Versprechun­ gen austeilend. Die in Paris gemieteten Dirnen gehen ihrem Ge­ werbe um so gewissenhafter nach, als sie völlig betrunken sind. „Ein tolles Vergnügen erwartet uns“, sagen sich die Soldaten. Um 8 Uhr, um die völlige Auflösung zu verhindern, entschließt man sich, den größten Teil des Ordnungsdienstes aufzuheben, ■und die Truppen ziehen in dichtem Nebel in ihre Kasernen zurück, beim'Vorbeimarsch von vereinzelten Gewehrschüssen be­ grüßt. Dies ist das Ende des Widerstandes.' Von den Abgeordneten -bestürmt, ' stimmt der König der Er­ klärung der Menschenrechte und den schon beratenen und an­ genommenen Artikeln der Verfassung zu. Mounier eilt, die Nach­ richt der Assemblée und der sich gerade zerstreuenden Menge triumphierend zu überbringen. Um Mitternacht kommt endlich die übermüdete Pariser Armee in der dunklen und verregneten Stadt an. La Fayette stellt sich im Schloß vor, beteuert seine Er­ gebenheit und schwört, sowohl die Verantwortung für seine Leute wie auch für Ruhe, und Ordnung und überhaupt für alles zu über­ nehmen. Der König, der dadurch wirklich beruhigt wurde oder zum mindesten so tat, gestand ihm zu, was er verlangte: die Leibwachen übergaben der Nationalgarde die Außenposten. des Schlosses, der Hof zog sich zurück, die Lichter würden gelöscht, und La Fayette begab sich nach einer letzten Runde gleichfalls zur Ruhe. Bei Tagesanbruch lag alles in tiefem Schlaf. Und dies war gerade der kritische Augenblick. Die Nacht war ruhig gewesen, weil die Aufrührer nach ihrem ersten Sieg an Ort und' Stelle vor Müdigkeit halb tot hingesunken waren. Sofort bei Sonnenaufgang werden sie unter Trommelwirbel neu geordnet und sind nun gefährlicher denn je. Sie finden die Eingänge zum Schloß offen und unbewacht. Im Handumdrehen dringen sie in die Höfe ein, sprengen die Türen auf, gelangen in den Palast und kommen bis zu den Gemächern der Königin, die gerade noch genug Zeit hat, sich durch einen geheimen Gang Zum König zu flüchten. Einige Leibgardisten werden verwundet, andere massaIIO

kriert, ihre Leichname Zerstückelt und im Schmutz geschleift; die Weiber treten sie mit Füßen; die Männer heben blutige Kiesel­ steine auf, um sich damit Gesicht und Arme zu reiben. Die Menge tobt: „Wir müssen das Herz der Königin haben! Wir wollen ihr den Kopf abschneiden, das Hetz aus dem Leibe reißen, aus der Leber Frikassee machen und ihre Gedärme zu Bändern ver­ arbeiten. Erst dann geben wir uns Zufrieden!“ Schließlich ist das Durcheinander so groß, daß Abteilungen der Nationalgarde (im Laufschritt aus der Stadt herbeieilen und die verwüsteten Säle, nicht ohne Mühe, säubern. La Fayette wird geweckt, erscheint, verteilt seine Leute neu und stellt anscheinend die Disziplin wie-* der her. Der König und die Königin zeigen sich auf dem Balkon, allein und mit den Kindern. Die Menge jubelt ihnen zu. Aber aus der unbeständigen, gerührten und hingabebereiten Masse erhebt sich ein Schrei, der den eigentlichen Grund des ganzen Auf­ standes, enthüllt: „Der König nach Paris!“ Um größeres Unheil Zu verhüten, muß man nachgeben. • Ein grotesker und scheußlicher Zug setzt sich in Bewegung. Voran als Trophäen die blutigen Köpfe der Leibwache; dann eine Menge von Besoffenen, schlampig gekleideten, tobenden, ganz ordinär sich gebärdenden und obszöne Reden führenden Weibern; darauf Mehlwagen, die plötzlich wie durch ein Wunder aufgetaucht sind; dann wieder ihre Waffen zum Spaß abfeuemdé Soldaten in unordentlichem Aufzug; darauf „rollt, vom Staube verhüllt und in einem Wald von Piken und Bajonetten“ die von einigen treuen Abteilungen bewachte königliche Karosse inmitten unaufhörlichen Geschreis, in welchem die Rufe „Es lebe die Na­ tion“ überwiegen, dahin. Bis Paris brauchte man 7 Stunden. Dort geriet man vollends aus dem Häuschen. Es wurde illuminiert und .Kanonenschüsse gelöst; die ganze Stadt war.auf der Straße. Die Wagen konnten sich durch diese durcheinanderwirbelnde Menge nur mit Mühe einen Weg bahnen. Beim Rathaus wurde gehalten; es fand ein Empfang statt, und Ansprachen wurden gehalten. Schließlich richtete sich die königliche Familie in den unmöb­ lierten Tuilerien ein, wo die Diener in Eile die Zugänge ver­ barrikadierten. Einige Tage nachher verließ die Assemblée gleich­ falls Versailles, um sich nach Paris zu begeben. Die Klubs hielten nun ihre Geiseln fest in der Hand.

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S e c h s t e s K a p it e l

DIE ASSIGNATEN .■ . : r., • .1 Als die neuen Gäste der Tuilerien sich am Morgen des 7. in den dunklen und vernachlässigten Zimmern, die sie von nun an be­ wohnen mußten, zu suchen begannen, waren die Höfe und Ein­ gänge des Schlosses schon von einer lärmenden und neugierigen Menge erfüllt. Der erste Tag verging mit Untersuchen der ein­ zelnen Wohnungen und unter Gesprächen mit dem einfachen Volk. Während Bedienstete eilig das wahllos aus Versailles mit­ gebrachte Mobiliar auspackten, empfingen der König und die Königin Abordnungen, zeigten sich an den Fenstern, hielten An­ sprachen an das Volk, hörten sich seine Anliegen an und ant-. worteten auf seine Klagen. An den folgenden Tagen wurden ver­ schiedene Körperschaften empfangen, eine Truppenparade der Nationalgarde abgehalten und Spaziergänge in den der Öffent­ lichkeit gleichfalls Zugänglichen Gärten unternommen. Es schien, als-ob die Szenen von Versailles nur ein böser Traum gewesen wären. Die Schönheit der Königin, ihre Majestät und ihr Mut, das Lachen und die Anmut ihres Sohnes, die Jovialität des Kö­ nigs, all dies führte einen .völligen Stimmungsumschwung zu ihren Gunsten herbei. Ludwig XVI., der sich unter einfachen Leuten sehr wohlfühlte, fand sehr glückliche Worte, die weiter­ verbreitet wurden. Zwischen Paris und dem Herrscher wurden die herzlichen Bande von einst neu geknüpft. „Mir geht es gut, seien Sie unbesorgt“, schrieb Marie-Antoinette an Mercy-Argenteau. „Wenn wir vergessen, wo wir sind und wie wir hierher­ gelangt sind, müssen wir mit der, Haltung des Volkes, insbe­ sondere heute morgen, zufrieden sein; ich hoffe, daß viele Dinge < wieder eingerenkt werden können, wenn nur das Brot nicht aus_geht.“ Wie nach dem 14. Juli, so wird auch jetzt wieder die Taktik befolgt, zu behaupten, daß es weder Attentate noch Ausschrei­ tungen gegeben habe. Der Generalrat der Gemeinde versichert den Provinzen, daß „ausschließlich die ganz freie Liebe Seiner Maje­ stät der Hauptstadt das Glück beschert hat, ihn in ihrer Mitte zu besitzen“. Ludwig XVI. ging in einer Proklamation noch wei­ ter: Im vorhinein von der Ankunft der Pariser unterrichtet, wäre es ihm ein Leichtes gewesen, ließ man ihn sagen, sich anders­ wohin als nach Paris zu begeben, „aber er habe es vorgezogen, vertrauensvoll in seine Hauptstadt zu gehen, wo ihm die aller­ 112

aufrichtigsten Beweise von Liebe und Treue von seiten der Be­ wohner entgegengebracht würden“. In der Stadt gewannen die Dinge durch einige Polizeimaßnahmen, die mit einer vorübergehenden Geschäftsbesserung zusammenfielcn, ein völlig neues Gesicht. Von der Panikstimmung ließ man sich übergangslos zu blinder Vertrauensseligkeit hinreißen. Der. bei den Ereignissen des 5. und 6. Oktobers bloßgestellte Duc d’Orléans hielt es für klüger, eine diplomatische Mission nach England anzunehmen, und verließ Paris. Für die Aristokraten war der Winter sehr abwechslungsreich verlaufen. „Wir haben charmante Feste gefeiert“, schrieb einer der für die Guillotine Ausersehenen. Man berauschte sich an Empfängen und Bällen. Für die Mordtaten rächte man sich mit Epigrammen. Der Student Edmond Gérard aus Bordeaux, der in Paris anfangs Dezember ankommt, schreibt an seine Eltern: „Welcher Überfluß und Reich­ tum in allen Läden, daß von soviel Glanz die staunenden Augen ganz geblendet werden!“ Er besucht die Oper, wo Veshis und Gardel tanzen, das Théâtre des Italiens, wo Madame Dugazon singt, und die Comédie, wo Fräulein Rancourt auftritt. Die Tra­ gödie wurde nur als Stoff für Lieder und Frivolitäten verwandt. „Ich habe festgestellt“, wird Pauline de Tourzel später schreiben, „daß es in Revolutionszeiten nach den großen Gewittern immer wieder auch ruhigere Zeiten gegeben hat, wodurch gerade die­ jenigen, die in diese Krisen yerwickelt waren, getäuscht wurden. Wenn die Krisen sich unaufhörlich entwickelten, würde man fest werden, um Widerstand zu leisten, und. so vielleicht schließlich den Sieg davontragen. Da jedoch die Strömung nach Niederreißung der ersten Dämme langsamer wird, gibt man sich der Hoffnung hin, daß alles schon vorüber sei, und aus Furcht, diese verhältnismäßige Ruhe, die man mit Entzücken genießt, zu stören, unterläßt man es, die nötigsten Vorsichtsmaßregeln zu . treffen.“ Pauline de Tourzel hatte recht; das war für sie auch sehr leicht, da sie lange nach 1789 schrieb. Aber auch damals fanden sich Männer, die klar sahen. 120 Abgeordnete des Zentrums glaubten, Are Sicherheit sei nicht mehr gewährleistet, und demissionierten, an ihrer Spitze Mounier, der das Programm von Vizille verfaßt hatte. Er schmeichelte sich, in seiner Provinz einen unbeschränk­ ten Einfluß behalten zu haben. Als er jedoch versuchte, sie gegen die Diktatur von Paris aufzuwiegeln, fand er keinen Widerhall. Die öffentliche Meinung hatte sich inzwischen entwickelt, wäh­ rend er selbst gleich geblieben war. Er gilt schon als Reaktionär, 8

G a 1 0 1 t e , R e v o lu t i o n

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fast als verdächtig. Die Männer verbrauchen sich rasch im Dienst der Revolution. Innerhalb von 8 Monaten sind ihr schon 2 Mann­ schaften, 2 Generationen, könnte man sagen, zum Opfer gefallen: die Parlamentarier, welche die Einberufung der Stände verur­ sacht hatten, und die Gemäßigten, die sie 5 Monate geleitet hat­ ten. Die Parlamente hatten sich in der Hoffnung gewiegt, das Recht zu haben, die Erlässe der Assemblée einzutragen, wie sie dies ja auch mit den königlichen Edikten getan. Sie erfuhren sehr rasch zu ihrem Nachteil, daß die Souveränität des Volkes weniger duldsam ist als die des Königs : bei der ersten Gelegenheit werden sie in Erwartung ihrer Auflösung in Ferien geschickt. In Verruf gekommen, ansehen- und kraftlos, wissen die Gemäßigten nichts Besseres zu tun als abzutreten und in nutzlose Klagen auszu­ brechen. Die sukzessive Ausschaltung der weniger Radikalen durch die Radikaleren ist bis zum 9. Thermidor das eigentliche Gesetz der Revolution. Wenn man sich von der Legende, der Phraseologie und der Romantik frei macht, mit der diese Ereignisse im. all­ gemeinen verbrämt werden, bemerkt man, daß der ganze Mecha­ nismus der Revolutionszeit darin bestanden hat, die fortschritt­ lichen Parteien die Oberhand gewinnen zu lassen und die Politik durch Aufstände zu diktieren, Die Deputierten hatten gegen den Hof und die Privilegierten an die unruhigen Elemente der Haupt­ stadt appelliert. Obwohl sie im Grunde ihres Herzens die seit dem 13. Juli verübten Ausschreitungen bedauerten, hatten sie die Augen geschlossen, weil sie Wert darauf legten, die Kraft der Klubs und Faubourgs in 'Reserve zu halten. Sie sind von nun an Gefangene ihrer Verbündeten, Gefangene ihrer eigenen Formel: a u f d e r Linken ke in e Fe in de, die sie stillschweigend, aber folgsam angewendet hatten. Nach den Parlamentariern und Gemäßigten werden die Feuillantiner, die Girondisten und die Anhänger Dantons an die Reihe kommen: Jeder wird daran kommen, bis zu dem Tage, an dem die Revolution sich angesichts der unüberwindbaren Schwierig­ keiten selbst umbringt, indem sie Robespierre tötet. Alle diese Säuberungen werden in gleicher Weise durchgeführt. Das Verfahren besteht darin, Paris durch Sektionen, Klubs und die Presse in einer beständigen Erregung zu erhalten, die im ge­ gebenen Augenblick auf einen bestimmten Mann oder eine be­ stimmte Gruppe gelenkt wird. Angst vor Verschwörungen, Verrat und Hungersnot sind die großen Beweggründe der Volksaufstände, der „Tage“, die bis zuletzt die Revolutions-Volksversammlun­ “ 4

gen, die, wie alle Versammlungen, voller schwacher und unent­ schlossener Männer sind, einschüchtern.’ Die Unruhe ist ferner ein Zeichen für den eigentlichen Pat ri ot i s mu s . Die P a t r i o t e n sind von Natur aus unruhig; jeder Ruhige ist deshalb an sich schon verdächtig. Augustin Cochin, der als erster eine sehr tief schürfende Ana­ lyse dieser Bildung oder vielmehr Mißbildung des öffentlichen Geistes gegeben hat, führt einen Bericht von Saint-Just an, der zeigt, was für fabelhafte Ergebnisse in dieser Art erzielt wurden und bis zu welchem Zustand gläubiger Besessenheit die Reinen, die Festen, die der letzten Stunde, die alle anderen guillotiniert hatten, gelangt waren. Im nachfolgenden seien einige Zeilen dieses Berichtes.angeführt: „1788 ließ Ludwig XVI. 8000 Personen jeden Alters und Geschlechts in Paris in der Rue Mêlée und auf dem Pont-Neuf hinopfem. Der Hof erneuerte diese Szenen auf dem Marsfeld und ließ in den Gefängnissen Erhärigungen durchfüh­ ren; die in der Seine aufgefischten Ertränkten waren seine Opfer; es gab 4000 Gefangene; man hängte jährlich 15000 Schmuggler; man räderte 3000 Personen; in Paris gab es mehr ,Gefangene als heute“ (25. Februar 1794). Das wurde von der Tribüne des Kon­ vents her verkündet, beklatscht, gedruckt, in die entlegensten Dörfer geschickt, erläutert, wiederholt und weiter ausgeschmückt. Die Getreuen der Klubs glaubten alles; die anderen wagten nicht, den Mund aufzumachen. „Und“, fügt Augustin Cochin ganz richtig hinzu, „diese ganzen Geschichten sind sehr langlebig. Von diesen erfundenen Verschwörungen, ausgedachten Metzeleien und falschen Alarmen , bleibt eine unbestimmte, aber hartnäckige Furcht zurück.“ „Ungeheure und berühmte Verleumdungen, wie die von der absichtlichen Hungersnot oder den Martern der Ba­ stille, wurden so überzeugend lanciert, daß sie auch heute noch am Leben sind, ohne nur im geringsten begründet zu sein.“ Die systematische Erregung der öffentlichen Meinung und der Druck der Straße auf die nominale Regierungsgewalt sind die beiden Triebfedern der Klubs, dieser wahren Revolutionsregierung. In diesem Winter, wo sie noch weit von der Eroberung; Frankreichs entfernt sind, fehlt es nicht an Mitteln zum Wider­ stand; man muß sie nur finden und anwenden. Aber man fühlt, daß der König und seine Ratgeber dieser anonymen Macht hilf­ los gegenüberstehen. Sie wissen nicht, was sie anfangen sollen, ünd verzetteln sich in kindischen Intrigen, ohne sich dessen be"mßt zu werden, daß das einzige Heilmittel, der Gefahr richtig 2:11 Leihe zu gehen, darin besteht, der Propaganda eine .Gegen-

Propaganda und der Meinung eine eigene Meinung entgegen­ zusetzen. Dazu bedurfte es keineswegs eines Genies: Ein Pro­ gramm von Reformen, Charakter und Folgerichtigkeit hätten ge­ nügt. Selbst wenn vemunftmäßige Bindungen gefehlt hätten, so besaß die Monarchie noch eine ungeheure gefühlsmäßige Macht über das Volk, -die sich noch lange erweist und die man hätte besser ausnützen können, als sie in nutzlosen Ausbrüchen ver­ puffen zu lassen. Sicherlich hätte diese politische Aufgabe keine Gelegenheit zu großer Prunkentfaltung geboten, aber da man nun den Kampf schon einmal auf diesem Gebiet begonnen hatte, mußte man sich wohl oder übel an die Spielregeln halten. Die nach kurzem Aufenthalt im erzbischöflichen Palast, mm in der Manège tagende Nationalversammlung hatte die Beratungen über die Verfassung wieder aufgenommen. Alles, was die eigent­ lichen Grundlagen jeder Gesellschaft bildet: Regierung, Verwal­ tung, Gerichtsbarkeit, Steuern, soziale Unterschiede, Statut des Klerus, bürgerliche Rechte und Strafrecht, wurde in Frage ge­ stellt. Während jedoch die fortschrittlichen Parteien vor keinem noch so groben Mittel zurückschrecken, um einen Abstimmungs­ erfolg zu erzielen, zeigen die. Freunde des Hofes und die Ge­ mäßigten nur Unentschlossenheit, Uneinigkeit und Lauheit. Stür­ mische Auftritte auf der Rednertribüne, Tumulte, Drohungen, Manifestationen-im Freien, aufmarschierende Bittsteller, all das sind die üblichen Waffen der Linken. Diese Strategie der öffent­ lichen Versammlungen versagt fast nie gegenüber der zu zahl­ reichen und von Männern guten Willens, aber mangelnder Kalt­ blütigkeit gebildeten Versammlung. Die Aristokraten — Edelleute und Prälaten — geben vor, sich an diesem gewöhnlichen Ort nicht zeigen zu wollen, oder wenn sie es doch tun, so nur, um sich über alles lustig zu machen, laute Unterhaltungen Zu führen,'Unverschämtheiten vom Stapel zu lassen und durch ihre ganze Haltung ihre Gegner und die Gale­ rien zu verbittern. Die Gemäßigten sind durch die Demissionierung der 120 Abgeordneten, die fast durchweg durch Neu­ gewählte mit radikalerer Einstellung ersetzt wurden, sehr ge­ schwächt. Sie werden wohl den Versuch unternehmen, neben dem Linksklub — dem Klub der Jakobiner — einen Konkurrenzklub, den Klub der Unparteiischen, dann Monarchistischen Klub, zu gründen, der, unter. Respektierung der Grundsätze der Verfas­ sung, die Unternehmungen und Absichten der Jakobiner entweder direkt oder durch angeschlossene Gesellschaften bekämpfen soll. Die Jakobiner, deren wirklicher *Name G e s e ll s c h a f t d e r

V e r f a s s u n g s f r e u n d e war, waren, in Versailles, im Café Amaury, Avenue de Saint-Cloud, entstanden. Es handelte sich vorerst nur um eine Versammlung der bretonischen Abgeord­ neten, um den „Bretonischen Kl ub “. Dann wurden jedoch auch Vertreter anderer Gegenden und einfache Bürger zugelas­ sen; wahrscheinlich erhielten sie. im November von dem Giron­ disten Kersairot ihren Namen. Wie dem auch sei, hier findet man jedenfalls den ganzen Stab, der die Kampagne der Stände sowohl in Paris wie in der Provinz geleitet hat: Le Chapelier, Lanjuinais, Sieyès, Mirabeau, Duport, Lacretelle, Barnave, die Lameth, Condorcet, Desmoulins, Volnay, La Révellière-Lépeaux, Robespierre und Fréron... Der Klub tagt im Kloster der Jako­ biner in der Rue Saint-Honoré; Ende 1790 zählt er 1100 Mit­ glieder. Durch sein Korrespondenzbüro gibt er den angeschlosse­ nen Provinzklubs neue Anregungen, die nach der Säuberung aus den alten Gesellschaften hervorgegangen sind: Im August 1790 sind es. 152, im Juni 1791 insgesamt 406. Die arme „Monarchi­ stische Gesellschaft“ hielt insgesamt nur 2 Sitzungen ab: Die erste, die in allen Zeitungen als gegenrevolutionär gebrandmarkt, und die zweite, die vom Pöbel gesprengt wurde. Ihr Haupt­ gründer, Malouet, forderte den Schutz der Assemblée; er wurde jedoch als Aufrührer, Verräter und Vergifter der öffentlichen Meinung beschimpft, und es gelang ihm nicht einmal, sich Gehör 2u verschaffen. Was den im April 1790 eröffneten Klub der Rechten „Salon Français“ betrifft, so wurde dieser am 15. Mai auf Grund von Manifestationen geschlossen. Wohin man auch blicken mag, überall findet man Anständigkeit, Fleiß, Beredsam­ keit, manchmal sogar Fanatismus, aber keine überragende Persön­ lichkeit. Ein einziger Mann besaß genug Temperament, Willens­ kraft und Ehrgeiz, die Ereignisse zu beherrschen, statt sich von ihnen leiten zu lassen: Mirabeau, Honoré-Gabriel de Riquetti dé Mirabeau, Deputierter des Dritten Standes von Aix-en-Provence. —’' ' Auf Mirabeau können keine gewöhnlichen menschlichen Größenmaße angewendet werden: Er'ist aus einem anderen Holz ge­ schnitzt als der Durchschnittssterbliche. Man nennt ihn „Un­ geheuer“ und „Ausgeburt“; sein Vater spricht von ihm seit seiner frühesten Kindheit wie von einem Ausnahmewesen, im Guten wie im Bösen. Mit seiner massigen Gestalt, dem riesigen Kopf auf breiten Schul­ tern, der weißen Hautfarbe, dem von den Pocken verwüsteten Gesicht, den kastanienbraunen Augen, dem krausen Haar und “ 7

der zarten Hand wirkt er anziehend und abstoßend zugleich. Ein wollüstiger und heißblütiger Sanguiniker, von einer tyrannischen Sinnlichkeit besessen, bezeichnet er sich selbst als •Athleten der Liebe-, in dieser Hinsicht ist er unverbesserlich, anstands- und maßlos, wobei ihm seine große Verführungs- und Lügenmacht behilflich ist, der nur wenige Frauen widerstehen können. Man hatte ihn im Alter von 23 Jahren an ein Fräulein von Marignane verheiratet. Er blieb ihr nicht lange treu, ■ gerade nur lange ge­ nug, um sich mit ihr,in Festen und Verschwendungen aller Art zu ruinieren. Während einer Reise, fällt es ihm plötzlich ein, bei seiner Schwester, Madame de Cabris, in Grasse, Aufenthalt zu nehmen. Bevor er anfängt, sie wütend zu hassen, empfindet er eine so überschäumende Zuneigung Zu ihr, daß die allerärgsten Gerüchte über die beiden in Umlauf kommen. Eines Tages be­ gegnet Mirabeau in Begleitung der als Mann gekleideten Madame de Cabris einem ihrer Verwandten, Herrn de Villeneuve, von dem es hieß, daß er einige der üblen Gerüchte, über die man sich in der Stadt aufhielt, verbreitet habe. Durch ein reichliches Mahl erregt, zerschlägt Mirabeau seinen Sonnenschirm auf dès anderen Rücken und bringt ihn halb um. Es gibt einen Skandal, Mirabeau wird verhaftet, in das Chateau d’If eingeliefert und dann nach Joux bei Pontarlier überführt. Er wird von der Regierung gut behandelt, kann sich fast frei bewegen und verführt nun die Mar­ quise Sophie de Monnier, flieht aus dem Gefängnis und flüchtet mit ihr in die Schweiz, wobei er auf der Durchreise noch mit einer Kusine seiner Schwester anbandelt, wird der Entführung für schuldig befunden, in contumaciam Zum Tode verurteilt, ausgeliefert und in Vincennes eingesperrt, während Sophie in einer Besserungsanstalt der Rue de Charonne niederkommt; Während dreier Jahre liest, arbeitet und schreibt nun Mirabeau in Vincennes. Sein Gehirn und sein Herz sind in ständiger Er­ regung. Er weiß alles und hat für alles Verständnis; es gibt ganz einfach kein modernes Thema, das er nicht mit glänzendem und aufsehenerregendem, Erfolg behandelt hätte: Fragen des Handels und der Finanzen, Magnetismus und Börsenspekulationen, Bicêtre und statistische Fragen, die Wasserversorgung von Paris und obszöne Literatur. „Ihm war nichts von dem unbekannt“, sagt M. Aulard, „was seine Zeitgenossen interessierte und was er gelernt, eignete er sich so vollständig an, daß es schien, als hätte er es schon immer gewußt.“ Das Reglement von Vincennes war streng, aber es war eben doch nur ein Reglement, und in Wirklichkeit stand Mirabeau in ungehinderter Verbindung mit 118

der Außenwelt. Er benützte diese Gelegenheit, Sophie mit glühen­ den Briefen zu bombardieren. Am 13. Dezember 1780 wird er endlich freigelassen. ;Ohne einen roten Heller, „nackt wie ein Wurm“, läßt er sich bei Boucher, einem der höchsten .Polizei­ beamten, nieder, durch dessen großmütiges Verhalten sein Ge­ fangenendasein sehr erleichtert worden war. Madame Boucher bleibt gegenüber seinen Mißgeschicken und seiner Persönlichkeit gleichfalls nicht unempfindlich. Er beginnt mit ihr sowie mit mehreren anderen ein geschickt eingefädeltes Verhältnis, hat aber keine Zeit, sich an solche Lappalien zu verlieren, sondern wird, kaum aus dem Gefängnis entlassen, schon wieder von dem ungestümen Wirbel seines Lebens fortgerissen. 9 Jahre lang nichts als Stürme, Kämpfe, Gewitter und Skandale, ein Gemisch von Genie, Wüstling und Scharlatan, was ihm schließ­ lich einen fürchterlichen Ruf einträgt: Prozeß in Pontarlier, Pro­ zeß in Aix, Internierung Sophies, von Madame de Mirabeau durchgesetzte Trennung von Tisch und Bett, Duell mit einem Grafen de Galiffet, Prozeß gegen seinen Vater wegen Vermögens­ herausgabe, Verhältnis mit Mme. de Nehra, Reise nach London, Prozeß mit einem Sekretär, Polemik gegen Beaumarchais, Feldzug gegen die „Compagnie des Eaux“, Geldschwierigkeiten, Reise nach Deutschland, Essais, Pamphlete, Bücher, teils.unterwürfige, teils arrogante Demarchen bei den Ministern, fieberhafte Tätig­ keit für die Stände, Wahlen und dann die Stände selbst.1 Wir neigen zu der Annahme, daß bedeutende Männer bei ihren Zeitgenossen ein ihrem Ruf entsprechendes Ansehen genossen. Wenn Mirabeau von allen Abgeordneten der Stände tatsächlich der berühmteste war, so war er auch der verrufenste. Man be­ trachtete ihn wohl voller Neugier, aber auch voller Mißtrauen, und ließ sich von seiner Beredsamkeit beeinflussen, fürchtete ihn jedoch zugleich. Vom Adel ausgestoßen, hatte er sich vom Dritten Stand wählen lassen, flößte aber seinen neuen Kollegen auch kei­ nerlei Vertrauen ein. Überall sprach man von seiner Gemeinheit, seiner Käuflichkeit und seinen Lastern. Es wird ihm wohl ge­ lingen, Zu blenden, zu überzeugen und gewisse Abstimmungs­ erfolge zu erzielen; er wird Einfluß gewinnen, aber nie wirkliche Autorität genießen. Daraus ergibt sich in seinem ganzen Verhalten ein ständiger Zwiespalt und eine unvermeidliche Dualität. Um populär zu werden und um die Vorurteile zu besiegen, muß er sich an die Spitze der fortschrittlichen Partei stellen und sich als Tribun der Plebs und Lehrer der Demokratie gebärden. Er ist es, der nach der vom König geleiteten Sitzung vom 23. Juni der

Assemblée neuen Mut gibt und durch seine berühmte Rede auf die Fragwürdigkeit der königlichen Drohungen hinweist. Im Juli und im Oktober ist er es wiederum, der .die flammendsten For­ mulierungen findet, um die Zusammenziehung der Truppen oder das Bankett der Leibgarde zu geißeln. Er ist nun das Idol der Menge geworden und gefällt sich in dieser Rolle, zu der ihn sein Temperament drängt. Der Lärm, die Zurufe und die Berührung mit der Masse, all dies bringt sein Blut in Wallung, berauscht ihn und reißt ihn mit sich fort. Und dabei ist .er Royalist, ja noch .mehr, er hat eine klare Vorstellung von der Monarchie und einen ins letzte durchdachten und festen Äktionsplan, auf den er immer wieder Zurückkommt. Monatelang bemüht er sich, Ludwig XVI. zu dessen Annahme zu bewegen, der seinerseits ganz richtig da­ von überzeugt ist, daß nur Mirabeau den Thron aufrechterhalten und festigen kann. Eines Tages schickt er sich in der Assemblée an, strenge Maßnahmen gegen Aufrührer Zu fordern, die das Hôtel de Castries geplündert hatten. Die Rechte, die irrtümlich annimmt, daß er statt eines der ihren das Wort ergreifen wolle, protestiert lärmend gegen seine Anwesenheit auf der Redner­ tribüne. Mirabeau gerät nun sofort in Zorn, greift die Rechte an und beschuldigt sie der Aufwiegelung, geht über die Angelegen­ heit de Castries mit einigen Worten hinweg und setzt die Ein­ haltung der Tagesordnung durch, was bedeutet, daß von einer Niederwerfung der Unruhen keine Rede mehr ist. Dieser Vorgang spiegelt im kleinen den Ablauf eines ganzen Jahres wider. Ende Mai hatte Mirabeau, der mit Malouet zusammengekommen war, erklärt: „Ich wende mich an Sie wegen Ihres Rufes... Sie sind, wie ich, einer der besonnenen Freunde der Freiheit. Sie sind, wie ich, wegen des sich zusammenballenden Gewitters be­ unruhigt. Es gibt unter uns mehr als einen Hitzkopf, mehr als einen gefährlichen Menschen; bei den ersten z Ständen haben all diejenigen, die über Geist verfügen, keinen gesunden Men­ schenverstand, und unter den Narren kenne ich mehr als einen, der imstande wäre, die Lunte an das Pulverfaß zu legen. Es han­ delt sich also darum, ob die Monarchie und der Monarch das sich zusammenballende Gewitter überleben werden oder ob die schon gemachten und die sicherlich künftig noch Zu erwartenden Fehler uns alle verderben werden ... Ich weiß, daß Sie mit Herrn Necker und Herrn de Montmorin, die fast die alleinigen Rat­ geber des Königs sind, befreundet sind. Ich möchte gern ihre Absichten kennenlernen und wende mich an Sie, um von ihnen eine Zusammenkunft zu erhalten... Sie müssen einen Plan haben, 120

der gewisse Grundsätze akzeptiert oder verwirft. Ist dieser Plan vernünftig und im Rahmen des monarchistischen Systems, ver­ pflichte ich mich, ihm meine Unterstützung angedeihen zu lassen und alle meine Mittel und meinen ganzen Einfluß einzusetzen, um das Vordringen der Demokratie Zu verhindern.“ Die Unterredung fand tatsächlich statt. Necker zeigte sich aber von Anfang an so kalt abweisend und herablassend, daß sich Mirabeau verletzt zurückzog, ohne mehr als ein paar Worte ge­ sprochen zu haben. Da man ihn also nicht- freiwillig anhören wollte, schickte er sich an, sich fürchten zu lassen: „Ihr Partner ist ein Dummkopf, er wird noch von mir hören!“ pfiff er Malouet an, und er hielt Wort. ' Einen Monat später tritt Mirabeau in •Beziehung zu einem in französische Dienste übergegangenen belgischen Adeligen, .dem Comte de la Marek, der auf Grund einiger Lehen in Frankreich zum Abgeordneten des Adels gewählt worden war. Die beiden Männer empfinden füreinander Hochachtung und speisen oft zu­ sammen unter 4 Augen. Der Comte hat offizielle und inoffizielle Verbindungen zum Hof; Mirabeau versucht wieder, Kontakt auf-s zunehmen. „Lassen Sie doch im Schloß wissen, daß ich mehr für sie als gegen sie eingestellt bin.“ Im Schloß jedoch stellt man sich taub, und alle Versuche bleiben unbeantwortet; wir wissen nicht, ob aus Verachtung, Groll oder Mißtrauen. Mirabeau gerät m noch größere Wut. „Welche Funktion kann ich denn schon über­ nehmen? Wenn mich die Regierung Zurückstößt, kann ich mich nur zur Opposition schlagen, die revolutionär ist, oder aber ich laufe Gefahr, meine Popularität, die meine ganze Stärke ist, zu verlieren. Die Armeen stehen sich schon gegenüber, man muß nun entweder verhandeln oder kämpfen, und die Regierung, die weder das eine noch das andere tut, spielt ein sehr gefährliches Spiel.“ Und weiter: „Alles ist verloren; der König und die Kö­ nigin werden dabei umkommen, und der Pöbel wird noch ihre Leichname mißhandeln ... jaja, man wird ihre Leichname miß­ handeln. Sie sind sich nicht genügend' über die Gefährlichkeit ihrer Lage im klaren; man müßte sie ihnen jedoch richtig vor Augen führen.“ Ls kommen die Oktobertage. Mirabeau ist sich dessen bewußt, daß die heruntergewirtschaftete Monarchie nur durch entschlos­ senes Handeln wieder hochkommen kann, und verfaßt eine große Denkschrift, die er dem Comte de Provence in der Hoffnung, daß dieser die Königin davon in .Kenntnis setzen werde, über­ reichen läßt: ein weiterer vergeblicher Versuch! Nun wendet er /

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sich an La Fayette, den Führer der einzigen organisierten Macht, der beim König als Beschützer des Hofes gegen das aufrühre­ rische Volk und beim Volk als Verteidiger der Freiheiten gegen die Anschläge des Hofes gilt. Mirabeau bietet ihm unter folgen­ den Bedingungen ein Bündnis an: Der König nimmt öffentlich ein Programm für eine konstitutionelle Monarchie an mit einer gesetzgeberischen Körperschaft, die ihrerseits autonome Steuerund . Exekutivgewalt zugesteht; mit der kurzsichtigen Politik Neckers wird Schluß gemacht und ein starkes Ministerium ge­ bildet, dem Mirabeau und La Fayette zugleich angehören und das im Namen des Königs" und der versöhnten Nationalversamm­ lung eine wahre Diktatur ausüben würde. Der über die ihm zu­ gedachte Rolle entzückte La Fayette ist jedoch nur mit halbem Ohr bei den Verhandlungen und antwortet bloß mit Komplimen­ ten, Liebenswürdigkeiten und nichtssagenden Redensarten. Die Verhandlungen sickern allmählich durch, und am 7. November erklärt die Assemblée die Unvereinbarkeit der Funktionen eines Ministers und Abgeordneten. Man-mußte wieder von neuem beginnen und dazu unter äußerst mißlichen Verhältnissen. Nachdem Mirabeau vom Ministerium femgehalten worden war, konnte er nur noch als geheimnisvoller und intimer Ratgeber Dienste leisten, wozu sich schließlich Lud­ wig XVI: auch nach vielem Sträuben tatsächlich entschloß, in­ dem er ihn dafür bezahlte. Diese Rolle paßte jedoch Mirabeau ganz und gar nicht. Als Regierungschef und Vertreter des Thro­ nes hätte er im vollen Tageslicht auf der von ihm geschlagenen Bresche Stellung beziehen und mit ganzer Energie Widerstand leisten können. Da dies immöglich war, mußte er in der Öffent­ lichkeit eine Rolle spielen, die er im Geheimen ablehnte: für ein so überschäumendes Genie und eine derart unbeugsame Natur eine völlig schiefe Stellung. Während er auf der einen Seite dem König gemessene, kluge und weise Berichte sendet, läßt er sich andererseits oft zu wütenden Ausfällen.hinreißen, für die er sich dann entschuldigen und deren schlechte Wirkung er abschwächen muß. Im Jahre 1789 hatte er sich gegen die Assignaten aus­ gesprochen; 1790 setzte er sich für ein günstiges Abstimmungs­ ergebnis zu ihrer Einführung ein. Die Gabe des Wortes und der 'Sinn für Kampf sind, wenn sie bis zu dieser Vollendung ge­ diehen sind, Kräfte, die der von ihnen Besessene selbst nicht mehr meistern kann. Uns sind alle, insgesamt 50, von Mirabeau in der Zeit von Juni 1790 bis März 1791 dem Hof übergebenen Berichte bekannt. 1 2 2

Sie stellen einen einheitlichen Plan, nicht für eine Gegenrevo­ lution, sondern für eine Benützung der: Revolution, dar. Was tot sei, solle tot bleiben und verdiene nicht, daß man ihm nur eine Träne nachweine. Es solle keine Klassenunterschiede und keine Parlamente mehr geben. Eine moderne Monarchie solle errichtet werden," in der die königlidhe Gewalt, die ihrerseits verpflichtet wäre, mit den Vertretern der Nation zusammenzuarbeiten, trotz­ dem gesicherter und stärker wäre als zur Zeit, da sie in der Zwangsjacke privilegierter Institutionen steckte. Werde diese Grundlage angenommen, brauche man nur mehr nach vorn zu sehen. An Hilfsquellen und Mitteln fehlte es nicht; Gelegenheiten würden sich von-selbst ergeben, und der richtige Mann könnte endlich an der richtigen Stelle wirken. Aber man möge doch ein­ mal einen Entschluß fassen und mit dem halben Wollen, mit dem Hin- und Herschwanken und dem Nachgeben aufhören! Die öffentliche Meinung müsse geführt werden, statt daß man sich fluchend in ihr Schlepptau begebe: Kurz, man müsse endlich das Gegenteil dessen tun, was man seit 15 Jahren getan habe. Das war jedoch von Ludwig XVI. Zuviel verlangt. Seine Er­ ziehung, seine Gewohnheiten und seine Philosophie widersetzten sich einem solchen Frontwechsel. Er erwarb die Ratschläge Mira­ beaus käuflich, befolgte sie jedoch nicht und unterlag dem An­ sehen La Fayettes, das er gleichfalls nicht auszunützen verstand. Man hätte glauben können, daß ihm die imfruchtbare Rivalität seiner beiden Mentore gefalle, um so.vor sich selbst eine Ent­ schuldigung zu haben für seine unentschlossene Haltung. MarieAntoinette hätte begreifen, können, daß es zu handeln galt, und hätte den König auch so weit bringen können, aber sie empfing Mirabeau nur ein einziges Mal. Verfolgt vom Haß der Barnave, Duport, Lameth und der Jakobiner und durch übermäßige Ar­ beit und Ausschweifungen erschöpft, erkrankte Mirabeau hoff­ nungslos im Monat März 1791 und verschied, nachdem er seine schrecklichen Schmerzen mit stoischer Ruhe .ertragen hatte, am 2. April. Was hatte nun die Monarchie während dieser 18 Monate Waffen­ ruhe gewonnen? 1 bis 2 Loyalitätskündgebungen, frenetische Ak­ klamationen am 14. Juli zum Fest der Föderation, dem ersten Jahrestag der Erstürmung der Bastille, einige für die Königs­ würde weniger ungünstige Paragraphen der Verfassung und eine scheinbare Sicherheit: Das war alles und war nichts. Wenn man die Ereignisse von einer höheren Warte aus betrachtet: eine ver­ paßte gute Gelegenheit, eine neue Offenbarung der -Autoritäts1 2 3

krise, die 1774 der Entlassung von Maupeou begonnen hatte. Wenn man den Dingen im einzelnen nachgeht: eine Reihe von mehr ekler weniger schwerwiegenden Zwischenfällen, die keinen sichtbaren Zusammenhang haben, deren Wiederholung aber eine allgemeine Verwirrung offenbart. Die Errichtung der neugewählten Verwaltungsbehörden ging nicht reibungslos vonstattén, insbesondere dort nicht, wo die religiösen Leidenschaften lebendig geblieben waren. Aber die Meutereien in der Armee, besorgniserregende Wiederholungen der Vorfälle bei der französischen Garde, waren noch viel beunruhigender. Der Kriegsminister, La Tour du Pin, war ein tapferer Mann und guter Soldat, aber schwach, beeindruckbar und ganz seiner Zeit verfallen, „einer jener Männer“, sagte Madelin, „die den Ver­ such unternehmen, einen Brand mit einem Schwamm zu löschen.“ Für die Assemblée stellte die Armee eine reaktionäre Macht dar, der, man am besten mit Mißtrauen begegnete; sie arbeitete Sta­ tuten für eine neue Armee aus, gerade als wollte sie die Auf­ lösung der alten noch beschleunigen. Was war eigentlich die alte Armée ?. Ihre Soldaten, wüste Gesellen, wurden durch eine eiserne Disziplin in Schützer der Gesellschaft verwandelt, ihre Unter­ offiziere waren verbittert, weil sie durch dumme Maßnahmen im Avancement gehemmt wurden, und ihre Offiziere in 2 Gruppen gespalten, von denen die Liberalen bei der Aufhebung der Par­ lamente im Jahre 1788 bereits Beispiele ihres Ungehorsams ge­ geben hatten, während die anderen wohl pflichtbewußt blieben, aber durch das Versagen •ihrer Vorgesetzten schachmatt gesetzt waren. All dies wurde nur durch die dreifachen Bande der Ehre, der Hierarchie und der Gewalt zusammengehalten. Seit Okto­ ber 1789 beginnt jedoch die Auflösung. Den Offizieren, die von den mit dem Requisitionsrecht ausgestat­ teten Gemeindevertretungen gedemütigt und von den Klubs als Ver­ dächtige behandelt werden, gelingt es nicht ,mehr, sich durchzu­ setzen. Die Energischsten werden von den Zeitungen denunziert, auf der Straße ausgepfiffen und bei der ersten Gelegenheit gesteinigt oder massakriert; die Kasernen werden zum Tummelplatz revolu­ tionärer Umtriebe, wo Soldatenkomitees tagen, die sich das Recht ' anmaßen, die Verwaltungskonten zu überprüfen und dem Ministe­ rium und der Assemblée die Taten und Gesten ihrer Regiments­ kommandeure oder Kompaniechefs zu denunzieren. Ein Regiment meutert, weil man es in eine andere Garnison legen will; ein ande­ res plündert die Regimentskasse und setzt seine Offiziere ab; ein drittes belagert das Haus seines Kommandeurs. 124

In den Häfen der , Kriegsmarine ist es noch weit schlimmer. In diesen künstlichen Zentren, wo es keine Industrie außer dem Ar­ senal gibt und keine andere Geschäftstätigkeit als die durch die bescheidenen Ausgaben der Offiziere verursachte, wo außer eini­ gen Angehörigen der Verwaltung keine andere Bürgerschaft, be­ steht, wird die Gewalt sehr rasch den Volksgesellschaften aus­ geliefert, welchen die Behörden und die Nationalgarde unter­ würfig dienen. Die Kommandeure, die von Paris nur vage Aufforderungen zur Nachsicht erhalten und wissen, daß sie beim ersten Schimmer eines Widerstandes desavouiert werden, verdop­ peln nur ihre Zugeständnisse und unterwürfigen Ergebenheits­ erklärungen, ohne jedoch für diese täglich wiederkehrende Ab­ dankung etwas anderes als noch größere Anarchie zu, ernten. Gegen Ende 1789 verlassen die Arbeiter die Arsenale; in Toulon bricht am 1. Dezember in den Lagern und Werkstätten eine all­ gemeine Meuterei aus. Der Kommandeur, Albert ;de Rions, ver­ sucht, Widerstand zu leisten. Unter dem Vorwand, ihn vor der Wut des Volkes zu schützen, steckt ihn die Stadtverwaltung zu­ sammen mit seinem ganzen Stab ins Gefängnis. Die Assemblée getraut sich nicht einmal, diesen Anschlag zu tadeln, und der Comte de Rions wird sofort nach seiner Freilassung versetzt. In San Domingo empören sich die Mannschaften des Standortes, bilden eine aufständische Regierung, werden geschlagen, bemäch­ tigen sich darauf eines der Schiffe, des „Le opard“, und flüchten nach Brest, wo sie im August 1790 eintreffen und das Zeichen zu einem allgemeinen Aufstand geben, der erst 5 Monate später durch die Entwaffnung des Geschwaders niedergeschlagen wird. Die Matrosen der Division St. Felix, die vor der indischen Küste kreuzen, verständigen, ihren Admiral in aller Höflichkeit, daß sie sich im Kriegsfälle nur dann schlagen werden, wenn sie es für richtig und angemessen halten; auf Réunion wird der Komman­ deur Macnemara ermordet. Dort, wo die Truppe ihren Pflichten treu bleibt, gibt es Zusam­ menstöße mit den neuen Behörden. Die Stadtverwaltung von Marseille nimmt im Januar 1790 ihre Arbeit auf. Kaum hat sie sich eingerichtet, verlangt sie vom König den Abzug der Garni­ son, der ihr auch gewährt wird; es bleiben nur, noch .die in den Ports untergebrachten Abteilungen. Die Stadtverwaltung fordert nun die Kommandeure auf, die Forts zu evakuieren und droht, sie im Weigerungsfall für den Bürgerkrieg verantwortlich zu machen. Um ihrem Ultimatum .mehr Nachdruck Zu verleihen, Werden die Forts von 6000 Nationalgardisten umzingelt. Alle '



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Kommandeure kapitulieren, nur ein einziger, der Chevalier de Bausset,. Kommandeur des Forts St. Jean, verweigert seine Unter­ schrift. Er wird massakriert und sein Haupt auf einer Lanzen­ spitze spazierengetragen. Der offizielle Bericht spricht von „einem ärgerlichen Zwischenfall“. Das Ministerium wird dadurch alar­ miert, und die Assemblée bittet den Bürgermeister, die Forts der Armee zurückzugeben. Dieser ist jedoch fest entschlossen, dies nie mehr zu tun, und faßt den Entschluß, sie schleifen zu lassen. Während er in Paris seine Ergebenheit beteuert, beginnen 200 Erd­ arbeiter mit der Schleifung der Zitadelle, und die Jakobiner füh­ ren eine neue Zwangsabgabe Zur Bezahlung dieser Arbeiten ein. Das Fest der Föderation verstärkte noch die Unruhen, trotz des ihm innewohnenden rührenden Charakters der nationalen Brüder­ lichkeit. Alle Regimenter waren bei der großen Parade auf dem Marsfeld vertreten, und ihre Delegierten blieben mehrere Tage in Paris. Sie gingen, von den Klubs verwöhnt und mit revolutio­ nären Doktrinen vollgepfropft, in die Provinz zurück. Im August meutern 3 Regimenter in Nancy. Der maréchal de camp de Noue wird-verhaftet, aus seinem Palast geholt, verletzt und ins Gefäng­ nis geworfen. Der Aufruhr breitet sich nach Lunéville aus; die Nationalgarde des Departements schließt sich an. Auf Druck von La Fayette befiehlt die Assemblée Bouillé, dem 2. Kommandeur der 3 Bistümer, den Aufstand niederzuwerfen. Dieser sammelt eine kleine Armee, marschiert nach Nancy, erzwingt sich den Zu­ gang zu der Stadt und wird nach zweistündiger Schlacht, in der es 300 Tote und Verwundete gibt, Herr der Lage. Der Jakobiner­ klub von Nancy wird aufgelöst, die Rädelsführer vor Kriegs­ gerichte gestellt, 33 zum Tode und viele zu lebenslänglicher Ga­ leere verurteilt. Die Furchtsamen und Ängstlichen schließen sich, wie immer, dem Sieger an, und die Assemblée beschließt, Bouille eine Dankadresse zu senden. Die Jakobiner von Paris schicken den angeschlossenen Gesellschaften eine Botschaft, in der sie den Gehorsam und die Disziplin verherrlichen. Dieser schöne Eifer dauerte jedoch nicht lange. Es waren noch keine 3 Monate ver­ gangen, als die Assemblée ihre Glückwünsche für Bouillé zurück­ zog, die Verurteilten aus dem Gefängnis entließ und wieder den Jakobinerklub von Nancy eröffnete. Keinen Feind auf der Hinken! ' Den Vorwand für die Meutereien der Soldaten boten fast, immer schlechte Nahrung, unordentliche Bezahlung und ungenügende Regimentskassen. Dieser Geldmangel war jedoch nicht nur der ’ Armee eigen: Der ganze Staat litt an demselben Übel, Und die 126

Revolution hatte diesen Zustand durch Verhinderung der Steuer­ einhebung und Untergrabung des Vertrauens nur noch verschärft. Wenn man die Besitzenden als verdächtige, schuldige und ver­ brecherische Elemente behandelt, sind alle Appelle an-den Kredit zum Scheitern verurteilt. Die Caisse d’Escompte konnte keine weiteren Vorschüsse gewähren. Eine im August 1789 aufgelegte Staatsanleihe von 30 Millionen hatte ein klägliches Fiasko erlitten, da nur 2600000 gezeichnet wurden. Einer kurz darauf zu einem viel günstigeren Zinsensatz aufgelegten zweiten Emission von 80 Millionen erging es kaum besser. In 7 Monaten brachte sie nur 27 Millionen Bargeld und 52 Millionen alter Papiere, die Zum Nominalwert umgetauscht werden müßten, gerade genug, um 3 Wochen lang davon leben Zu können. Die freiwilligen Gaben und patriotischen Steuern von einem Viertel des Einkommens boten höchstens Gelegenheit zu Deklamationen und weinerlichen Klagen, die beide gleich grotesk wirkten. Die Aufhebung derPrivilegien hätte einige neue Hilfsquellen erschließen sollen. Be­ vor man jedoch nur einen roten Heller davon eingenommen hatte, wurde der Beschluß gefaßt, diese Beträge vollständig zu­ gunsten der Entlastung gewisser Steuergruppen zu verwenden. Was den Steuereingang betraf, so blieb dieser infolge der all­ gemeinen Umwälzungen und der Ohnmacht der neuen Verwal­ tung ständig hinter den Erwartungen zurück und lieferte nur lächerliche Beträge. Wohl hatte die Assemblée zur Überleitung von einem System Zum anderen eine gewisse Zahl von Maßnahmen getroffen: Sie hatte zusätzlich zu den direkten Steuern noch den Betrag der aufgehobenen Verbrauchssteuern eingesetzt und das alte Personal vorläufig behalten, um so den gewählten Gemeindevertretungen Zeit zu geben, sich auf die für sie völlig neue Arbeit der Schät­ zung und Aufteilung vorzubereiten. Man hoffte so, „jede Lücke in den Einnahmen zu vermeiden“. Diese Maßnahmen blieben je­ doch nur auf dem Papier; wenn auch die mehr oder weniger unter Druck gesetzten Privilegierten zahlten, so streikten doch die anderen. Schnerb zeigt in seiner Untersuchung über das De­ partement Puy-de-Dôme, wie die Steuereinheber durch die Furcht vor Repressalien gelähmt werden, ' wie die Steuerzahler syste­ matisch die Verwaltungen des Ancien Régime mißachten, wie die Gemeindeverwaltungen gegen die Aufstellung der alten Steuer­ listen wettern, ohne jedoch selbst die neuen richtig aufzustellen, Und wie sich schließlich die Masse gegen jede versuchte Steuer­ eintreibung wendet, wobei sie noch durch die Straflosigkeit, die 127

den für die Brandstiftungen und Verbrechen während der Zeit der Großen F u r c h t verantwortlichen Individuen zuteil \yurde, {jestärkt wird. Die steuerpflichtigen Vermögen entziehen sich überall der Zah­ lung, während die Ausgaben von Tag zu Tag größer und dring­ licher werden: Unterstützungen für Arbeitslose, Getreidekäufe, Entschädigungen für Inhaber aufgelöster Ämter, Kautionsrück­ zahlungen und infolge der Aufhebung der Kirchensteuer über­ nommene Schulden des Klerus: insgesamt 150 Millionen mehr im Jahre, die aufgebracht werden müssen, wo es schon: vorher am Allernötigsten gefehlt hatte. Als die neuen Steuern endlich im Januar und März 1791 mit starker Verzögerung in Kraft traten, erlebte man eine neue Ent­ täuschung. Die Grundsteuer war kaum etwas anderes als eine neue Auflage der Realabgabe der „Taille“, die infolge fehlender Kataster mit denselben Mängeln behaftet blieb. Die Steuerlisten von 1791 wurden erst 1793 anerkannt; das für die Mobilien­ steuer von der Konstituierenden Versammlung festgesetzte System war-Zu kompliziert und wurde 1795 wieder aufgehoben; diese Frage mußte noch öfters aufgegriffen werden und wurde sogar noch unter dem Konsulat behandelt. Die Gewerbesteuer ergab einen ähnlichen Katzenjammer: 1793 aufgehoben, 2 Jahre später wieder eingesetzt und oft umgearbeitet, brachte sie doch jahre­ lang fast nichts ein. Der Abgrund konnte nur auf eine Art ausgefüllt werden: in­ dem man den Besitz von einzelnen, und insbesondere das Ver­ mögen des Klerus, das den anderen Vermögen •unähnlich war und welches traditionsgemäß und der allgemeinen Gedanken­ richtung entsprechend als zeitweilig losgelöster Teil des öffent­ lichen Vermögens betrachtet werden konnte, hineinwarf. Die Idee lag seit langem in der Luft; Calonne hatte sie schon gehabt und verbreiten lassen; viele „cahiers“ hatten sie unter­ stützt. Sie drängte sich um so eher auf, als ein Großteil dieser, ungeheuren Reichtümer nur dazu diente, Kapiteln von Müßig­ gängern, Abbés bei Hof und dekadenten Mönchsorden das Leben zu ermöglichen. Die entscheidenden Worte wurden durch einen Bischof, Talleyrand, gesprochen. Am 10. Oktober schlug er die Übergabe der Güter des Klerus an den Staat vor,'und sein Vor­ schlag wurde sofort von Mirabeau, Barnave und Thouret auf­ gegriffen, ergänzt und unterstützt. Ihre Argumentation hatte den Vorteil, einfach und direkt zu sein. Der Klerus könnte nicht als wirklicher Eigentümer der

kirchlichen Güter gelten, ‘sondern nur als Verwalter eines der Gesamtheit der Gläubigen, d. h. dem ganzen Lande übergebenen Gutes, das darüber die volle Souveränität bewahrte. Der Klerus, den es nicht mehr als Stand gebe, könnte auch nicht mehr als Verwalter bleiben. Das Recht und die Logik wären auf seiten des Staates, wenn dieser sich an die Stelle des Klerus setzte, aller­ dings nur, unter der Bedingung, die Passiven genau so wie die Aktiven anzuerkennen und die Ausgaben, welche Gegenleistungen der Einnahmen darstellten, mitzuübernehmen. Vergeblich wende­ ten die Verteidiger des kirchlichen Besitzes, der Bischof de Bois­ gelin, die Abbés Naury und Sieyès ein, daß die Schenkungen keineswegs der Gemeinschaft der Gläubigen, sondern bestimm­ ten Einrichtungen und namentlich bezeichneten Kirchen und Klöstern gemacht .worden waren; daß der Kollektivbesitz ebenso geachtet werden müßte wie der Privatbesitz und daß, wenn man den einen angreife, auch der andere vernichtet werde; daß die beabsichtigte Operation dem Staatsschatz nichts einbringen und nur die schwarze Bande der Spekulanten und Vermittler be­ reichern würde. Angesichts des drohenden Bankrotts hielt kein Argument stand und, selbst wenn die Abgeordneten nicht von der Notwendigkeit einer Konfiskation überzeugt gewesen wären, so hätten sie sie trotzdem beschlossen, um so der Macht und dem Ansehen des Klerus die Grundlage zu entziehen. . Am 2. November nahm die Assemblée mit 568 gegen 346 Stim­ men den Vorschlag von Talleyrand an: die Güter des Klerus wurden z u r Ver fü gu ng des Volkes erklärt, das seinerseits, gegebenenfalls und in angemessener Weise, für die Kosten des Kults, den Unterhalt seiner Diener und die Unterstützung der Armen aufzukommen hatte; eine sehr vage Formulierung, aus dep sich weder der Verkauf, ja nicht einmal die Zwangsverwaltung ergab. Aber es war klar, daß diese zweideutige Lage nicht lange dauern konnte. Der Staat brauchte auch keine fernen Hypotheken, sondern unmittelbare Hilfe, und für ihn bestand das ganze Pro­ blem darin, die Reserven, die er sich angeeignet hatte, rasch zu realisieren. Da eine übereilte Zuerkennung von 2 bis 3 Milliarden Ländereien offensichtlich ganz ausgeschlossen war, so blieb nur Me progressive Übereignung und eine auf die Zahlungen vor­ greifende Emission von Papiergeld. Durch wen sollte aber dieses Papiergeld ausgegeben werden,' in welcher Menge und wie ? Auf Grand vieler Erfahrungen wissen wir heute, wie gefährlich es ist, dem Staat die Möglichkeit zu geben, nach seinem Gut­ dünken Banknoten Zu drucken. Ein wachsames Zwischenglied, ein G a x o tte , Revolution

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unabhängiges Institut, das stark genug ist, den Wünschen des 'Finanzministers Widerstand entgegenzusetzen, ist auf diesem Ge­ biet das sicherste Mittel zur Verhinderung von Katastrophen. Die Caisse d’Escompte hatte trotz ihres bewegten Lebens inmitten der allgemeinen Unordnung noch genügend Ansehen und Stärke bewahrt, um diese regulierende Rolle Zu übernehmen. Necker schob sie in den Vordergrund, was jedoch schon genügte, daß sie von der Assemblée abgelehnt wurde, i Monat lang war man auf der Suche nach einer anderen Kombination, ohne von der .Stelle zu kommen. Am 19. und 2 1 . entschloß .man sich schließlich, ein neues Institut zu errichten: die „Caisse de l’Extraordinaire“, die durch den Verkauf von 400 Millionen nach Inventarisierung noch ge­ nauer zu bestimmender „biens nationaux“, sogenannter National­ güter gespeist werden sollte. Die Caisse gab nun unverzüglich für die gleiche Summe von 400 Millionen in Coupons von 1000 Fran­ ken unterteilte Assignaten heraus, die 50/0 Zinsen trugen. Diese Assignaten sollten einerseits der Caisse d’Escompte als Rück­ zahlung ihrer Vorschüsse übergeben werden, und der Rest sollte anderseits bevorzugt beim Ankauf von Nationalgütem in Zahlung genommen werden. Wir haben noch kein wirkliches Papiergeld vor uns, sondern eine hypothekarische Obligation, die bei gewöhnlichen Transaktionen unmöglich verwendet werden konnte. Es dauerte nicht lange, bis diese 460 Millionen gleichfalls aufgezehrt waren. Im Frühjahr 1790 stand man neuerdings vor dem Defizit, nur mit einer etwas größeren Schuldenlast und mit einer noch unruhigeren öffent­ lichen Meinung. Im April tat die Assemblée einen weiteren Schritt: der Klerus wurde ganz einfach enteignet. Der Staat übernahm alle Lasten, und die konfiszierten kirchlichen Güter, die nun völlig frei von Ansprüchen waren, wurden als direktes Pfand für die Assignaten gegeben, die ihrerseits einen Zwangskurs erhielten und als Bargeld in sämtlichen Kassen des Königreichs angenom­ men werden mußten. Am 9. Juli wurde die völlige Veräußerung der Nationalgüter mittels des Papiergeldes beschlossen. Am 29. September wurde eine neue Tranche von 800 Millionen, dies­ mal zinsenlos, zur Zahlung der öffentlichen Schuld aufgelegt. Nach einem Jahr unsicheren Tastens hatte die Revolution nun endlich ihre Finanzpolitik gefunden: die Inflation; '/ Wenn man heute die Beratungen liest, die vor Beschlußfassung dieser verschiedenen Maßnahmen stattfanden, ist man von ihrer großen Aktualität überrascht. Dieselben Worte haben wir auch gehört, die gleichen Reden wurden uns gehalten, und die damals 130

vorgebrachten Argumente sind uns gleichfalls ganz geläufig. Die Finanzwissenschaft ist ja nicht neu; auch die Probleme bleiben gleich, und die Lösungsmöglichkeiten, ob gut oder schlecht, sind ebenfalls beschränkt. Genau wie die europäischen Regierungen nach dem Kriege, brauchten die Abgeordneten nicht lange zu suchen, um Beispiele zu finden, aus denen sie hätten Lehren zie­ hen können. Wenn das System von Law auch schon 70 Jahre zu­ rück lag, so war der Bankrott des amerikanischen Papiergeldes noch vor aller Augen. Aber die leidenschaftsbewegte Menge ist ja unbelehrbar, und man findet immer Gründe zu ihrer Ver­ blendung. . Y" -.7YvY. Die Inflation von Law und die amerikanische Inflation waren, so erklärte man, schléchtè, zu verurteilende Inflationen, weil sie sich nur auf vage Hoffnungen stützten:, die eine auf die ein­ gebildeten Reichtümer des Mississippi, die andere auf die un­ gewisse Zukunft einer im Entstehen begriffenen Republik! Konnte man diesen nebulösen Garantien 2 Milliarden guter französischer Erde gleichsetzen? Konnte man sich ein festeres,.gesünderes und kreditwürdigeres Papier vorstellen als dasjenige, das diesen Schatz, als Deckung besaß? v •; ' Y Die Welsen gaben zu bedenken, daß auf dem Weg der Emissio­ nen nicht mehr-eingehalten würde, wenn man sich erst einmal leichten Herzens auf diese Bahn begeben; daß der Nominalwert der Noten sicher bald den Realwert des Pfandes übersteigen werde; daß dieser Wert ja nicht genau bekannt und dazu nach der Ernte, dem Getreidepreis und der Entwicklung des Handels variiere; und schließlich, daß, wenn schon ein Grundstück ein genügendes Pfand für eine in ein Schubfach eingeschlossene Obli­ gation sei, so stelle es deshalb noch nicht eine genügende Garantie für ein Papiergeld dar, das sich nur unter ,der Bedingung halte, daß es jederzeit gegen eine feste Menge Metallgeld eingetauscht werden könne. Wenn nun eine Privatperson sich weigere, Assigna­ ten anzunehmen, wäre es dann möglich, ihr dafür ein Stück Mauer einer Abtei oder ein Stück eines Kapitels anzubieten, so v,'!e man ihr im Falle eines wirklich fundierten Papiergeldes Louisdor oder Taler angeboten hätte ? Talleyrand, Lebrun, Mafouet; Condorcet, Dupont-de Nemours und Levoisier verdoppeln innerhalb und außerhalb der Assemblée ihre .Warnungen und Ratschläge gegen die Assignaten. Sie haben fast jedes der später tatsächlich eingetretenen Ereignisse vorausgesagt: die UnmögJichkeit, die Emissionen ohne furchtbare Krise aufzuhalten, die beschleunigte Entwertung der Banknoten gegenüber dem Bargeld,

die Umwälzung der Vermögen, die mit der Vermehrung der Zahlungsmittel Hand in Hand gehende Erhöhung der Lebens­ haltungskosten, die Desorganisierung des Handels und die all­ gemeine Not. Dupont de Nemours erregte einen Skandal, als er den Brotpreis mit 5 Sous das Pfund ankündigte, ' den Wein Zu 16 Sous die Flasche, die Schuhe zu 12 Franken das Paar. Er war in seinen Schätzungen nur zu bescheiden gewesen: 1796 kostete das Brot 50 Franken und 1 Paar Schuhe 4000. . . Auf die stärksten und überzeugendsten Argumente und auf die fast einstimmigen Proteste des • Handels erwiderten die An­ hänger des Assignatengeldes mit politischen und Opportunitäts­ gründen. '• r Das Bargeld werde versteckt, die Industrie sieche dahin und der Handel leide. Die Assignaten würden den Überfluß zurückbringen, vielleicht einen künstlichen, aber was tut’s f Alles andere sei besser denn Stagnation, Geldknappheit und Arbeitslosigkeit. Wenn die Noten an Wert verlören, so habe man nur um so mehr Inter­ esse daran, sie çasch wieder auszugeben. Der Verkauf der Natio­ nalgüter werde dadurch schneller vor sich gehen, und die Er­ zeugung werde angeregt. „Man spricht uns“, rief Mirabeau aus, „vom Ansteigen der Lebenshaltungskosten, dem Teuerwerden der Arbeitskräfte und dem unausbleiblichen Ruin, der Fabriken. Man soll uns doch von den' Hunderten von Fabriken sprechen, die keine Arbeit haben, von der Masse der .Arbeiter, die Hungers sterben und von den Tausenden von Geschäftsleuten, deren Ge­ schäfte stilliegen. Man. sagt uns, daß die Verdoppelung des Bar­ geldes sehr bald eine Verdoppelung der Preise nach sich ziehen werde, daß, da die Zahl der als Deckung vorhandenen Gegen­ stände gleichbleibe, jede Note die Hälfte ihres Wertes verlieren müsse. Was für ein Trugschluß! Denn wenn auch der Geldumlauf verdoppelt wird, so werden sich Zugleich die als Deckung dienen­ den Gegenstände vermehren, der Verbrauch und die Erzeugung werden gesteigert, Tausende alter Dinge gewinnen ihren früheren Wert, es wird mehr Arbeit geschaffen, es entstehen nützliche Unternehmen, und die Industrie liefert neuen Anlaß'zu neuen Ausgaben!...“ Und der Abbé Brouce entwirft ein noch rosigeres Bild: „Hat man denn auch die aufgestauten Bedürfnisse der Landwirtschaft, des Handels und der Industrie richtig in Rech­ nung gestellt? Weiß man genau, wie groß ihre Ansprüche nach so viel Jahren des Unglücks und der Unterdrückung nun bei An­ bruch der Freiheit sind? Wer kann behaupten, daß eine zusätz­ liche Milliarde nicht eher den Keim zu künftigem Leben und

Glück legt, als daß sie eine zusätzliche Belastung bedeute? Die Sache ist vielmehr so, daß durch diese neuen Geldmittel eine Neubelebung der Künste und des Handels einsetzt, daß neue Unternehmen errichtet, kühnere Spekulationen, versucht und die Meere mit neuen Flotten befahren werden... Und jede mögliche Art von Prosperität wird sich über den bevorzugten Boden Frank­ reichs ergießen.“ Wodurch soll man übrigens die Assignaten er­ setzen, wenn man sie schon'nicht will? Durch Entbehrungen, Sparmaßnahmen, eine Zwangskonversion der Staatsschuld oder strenge Eintreibung neuer Steuern ? Jede dieser Lösungen würde nur die Assemblée bloßstellen und sie im ganzen Lande verhaßt machen. ' Durch die Assignaten dagegen wird das Schicksal des Volkes un­ lösbar mit dem der Revolution verbunden. Alle Käufer von Kir* chengütem werden persönlich an der endgültigen Niederwerfung des Klerus interessiert sein; alle Inhaber von Assignaten werden das Regime, das sie geschaffen hat, verteidigen. „Die Assignaten“, erklärte Montesquieu, „bilden das Band, das die Privatinteressen mit dem Allgemeininteresse verbindet. Selbst ihre Gegner werden Besitzer und Bürger durch die Revolution und für die Revolu­ tion. Sie werden gegen ihren Willen von diesen nun freigegebenen Ländereien leben, und vergeblich wird man durch Drohungen versuchen, uns aufzuhalten.“ Und weiter: „Es geht darum, die Verfassung zu festigen, ihren Feinden jede Hoffnung zu nehmen und sie durch ihre eigenen Interessen an die neue Ordnung zu fesseln.“ . Die allersolidesten Grundsätze der' Nationalökonomie wiegen nicht schwer gegenüber einer solchen -Versuchung. Der Abgang Neckers, der genau so unpopulär geworden war, wie er vorher beliebt gewesen, wurde fast nicht beachtet und änderte nichts an der Sachlage: Den ursprünglichen 1200 Millionen Assignaten schlossen sich 600 neue Millionen am 18. Mai 1791 an, 300 Mil­ lionen am 17. Dezember, 300 am 30. April 1792, 300 am 31. Juli, 4°o am 24. Oktober, 300 am 1. Februar 1793, 1200 am 7. Mai, 2000 am 28. September; im Jahre 1796 ist man bei 45 Milliarden angelangt. *' * • ■' Je wertloser die Banknoten werden, um so größere Mengen braucht man davon, und je mehr davon gedruckt werden, um so rascher verlieren sie an Wert. Jede neue Entwertung macht eine neue Emission nötig, und jede Emission zieht eine neue Entwer­ tung nach sich. Der Karren rollt so von Millionen zu Milliarden, ’ immer näher dem Abgrund zu, und es würde eines ungeheuren

Mutes und eines, heroischen Willens bedurft haben, um diesen unheilvollen Kreislauf zum Stillstand zu bringend Die Inflation bedeutet Leichtigkeit und Illusionen, Vertagung der-Gefahren und ' Verschiebung der Schwierigkeiten auf den nächsten Tag. Und es ist-ja so bequem, die schicksalhaften Tatsachenzusam­ menhänge durch Spielereien mit Zahlen, durch-Drohungen gegen die Aristokraten und Deklamationen gegen Pitt und Coburg zu yerschleiern. Die Assignaten, liefern einen besonders günstigen Nährboden für. die Demagogie, und. jedes demagogische Beginnen ist wieder ein Schlag für die Assignaten. Durch diesen doppelten -Antrieb werden die revolutionären Phänomene immer stärker. Um die Grundstücksdeckung des Papiergeldes-Zu vergrößern, wurde die Nationalversammlung dazu verleitet, neue Kategorien von Verdächtigen zu schaffen, deren ausgedachte oder wirkliche Verbrechen den Vorwand zu neuen Beschlagnahmen lieferten. Das Fallen der Kurse, die Verteuerung der Lebenshaltungskosten, der Mangel an Lebensmitteln, die Börsenspekulationen und der Vermögenszusammenbruch trugen dazu bei, die Panik noch zu vergrößern und das Land in den kopflosen Zustand zu versetzen, den man;für Aufstände und extremistische Maßnahmen braucht. Nachdem man sich einen,Augenblick an dem fiktiven Reichtum, der aus den Notenpressen der „Caisse de l’Extraordinaire1* floß, berauscht hatte,'lebten die Städte jahrelang in Dürftigkeit und Furcht vor Hungersnot. Weit davon entfernt, ihre ursprünglichen Fehler zu verleugnen, beging die Revolution immer neue und größere, und die Lage wurde durch das Zusammenwirken von Ursache und Heilmittel nur noch trostloser, bis dann eines Tages der Zusammenbruch kam. Infolge eines ganz natürlichen Kontrastes bereicherten jedoch die Assignaten, welche die Städte ruinierten, das flache, Land. Die Natiohalgüter waren in Assignaten zahlbar, und die Käufer hatten zur Abdeckung ihrer Schuld 12 Jahre Zeit. Da der Staat sein Papier zum nominalen Preis übernahm, genügte es, die Baisse ab­ zuwarten, um von dem Unterschied zwischen Nominal- und Real­ wert zu profitieren; 1796 wurde ein Assignat von 100 Franken, der tatsächlich noch 6 Sous wert war, bei den Staatsschaltem als Zahlungsmittel für gute Ländereien im Werte von ursprünglichen 100 Franken angenommen. Die Bauern, die für ihr Getreide und Ihre Butter ständig wachsende Mengen von Banknoten erhielten, konnten so einen ganzen Bauernhof für einen Pappenstiel er­ werben. Je stärker die Geldentwertung wurde, um so größer wurde ihr .Gewinn. Zu Beginn hatte es noch eine gewisse Kon­ 134

kurrenz gegeben, und einige Zahlungen mußten bar geleistet wer- den. Priester, Adelige und Bürger, die .über flüssige Mittel ver­ fügen, kauften gleichfalls, ohne zu zögern und ohne die gering­ sten Skrupel. Die Bauern, obgleich sie von diesen ersten Opera­ tionen nicht ausgeschlossen gewesen waren, hatten doch nicht den. größten Anteil davon gehabt. Aber die großen,Aufkäufer wurden dann später gleichfalls geächtet, und: ihr eigener oder erworbener Besitz zum Verkauf freigegeben. Die davon verschont blieben, sahen ihre Einkünfte hinschmelzen, während die Landbevölke­ rung, welche die allemotwendigsten Nahrungsmittel erzeugte, ihre Preise entsprechend der Geldentwertung erhöhte: sie war dann auch letzten Endes der große Gewinner. Natürlich nicht die Taglöhner — diese verlangten Aufteilung zu gleichen Teilen und kostenlose Verteilung —, sondern die Bauern, Pächter, Küfer in der Art des Vaters Grandet, Weinhändler, Wirte, Handwerker, und Dorfkrämer. Moulin führt in einer Studie über die Verkäufe in den Bouches-du-Rhône den Fall von 3 Schwestern, Marie, Mag­ dalena und Therese Chäbrier an, die ein mit 61 350 Franken ver­ anschlagtes Haus der Kongregation. von Saint-Homobon für 218100 Franken kauften.und in 7 Monaten bezahlten, wofür sie 28 364 Franken bar ausgaben; oder den Fall von Augustin Blanc, der für 370 Franken Bargeld eine Wiese und eine Scheune er­ warb, die. mit 1890 Franken geschätzt und mit 6100 Franken zu­ geschlagen wurden. ' In einem Punkt hatte die Mehrheit der Assemblée recht behalten: Die Assignaten sicherten die Revolution. Die Käufer vonNationalgütem, die befürchteten, von der Reaktion enteignet zu werden und die um so mehr an ihrem Land hingen, als sie, es fast um-, sonst erworben hatten, wurden zwangsläufig zu Verteidigern des Regimes, das ihnen so billig zu Besitz verhelfen hatte. Aber wenn sie schon Idie Revolution stützen, so bewundern sie sie trotzdem nicht. Für sie hat die Revolution schon ihre Früchte getragen. Nachdem die Agrarfrage in einer ihre Hoffnungen weit über­ steigenden .Form-'gelöst war, haben sie keine weiteren Wünsche: mehr. Wenn erst einmal die düsteren Tage der Kriege und der Requisitionen kommen werden, werden sie inbrünstig den repu- ~ Mikanischen Diktator herbeisehnen, der sowohl die Ausschaltung der Aristokraten sanktionieren, wie auch ihrer Nachkommen­ schaft den geruhsamen Genuß der konfiszierten Güter sichern soll. So ergab sich aus den Finanzdekreten von 1790 eine ganze Reihe von widerspruchsvollen, aber logischen Folgeerscheinungen, die auf den kommenden Jahren lasteten! 135

Die Mitglieder der Konstituierenden Nationalversammlung gelten in der Geschichte als weise Männer, und oberflächlichen Be­ obachtern unterläuft es manchmal, ihre Tätigkeit derjenigen der beiden anderen Nationalversammlungen gegenüberzustellen. Dies sind jedoch bloße Hirngespinste! Die Politik der Konstituierenden Nationalversammlung übte einen so tiefen Einfluß auf die Zu­ kunft aus, daß die Gesetzgebende Nationalversammlung und der Konvent kaum etwas anderes tun konnten, als die eingeleiteten Wirkungen zu erdulden oder in der Entwicklung weiter fortzu­ schreiten. Es gibt hier keine Unterbrechung und keine Ablenkung, sondern nur eine zusammenhängende Aufeinanderfolge; die eine vollendete, was die andere bereits eingeleitet; dies trifft sowohl für die Finanzfrage wie auch’für die religiöse Frage zu.

S i e b e n t e s K a p it e l

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Indem die Konstituierende Nationalversammlung den Klerus zu­ erst der kirchlichen Abgaben und dann seines Kapitals beraubte, hatte sie sich zugleich verpflichtet, seine Schulden zu übernehmen und seine Mitglieder zu bezahlen. Kirche und Staat waren in dieser Hinsicht in enge Verbindung gekommen, und die Assemblée geriet bald, unter dem Vorwand, Ersparnisse und Reformen durchzuführen, in Versuchung, die Angelegenheiten des Klerus so zu regeln, daß seine völlige Unterwerfung erzielt würde. Wenn man die Kirche aus der Ferne und als Außenstehender betrachtete, zeigte sie Kraft und Größe. 125000 Personen gehör­ ten dem geistlichen Stande an: 130 Bischöfe, 500 oder 600 Groß­ vikare, 50 000 Pfarrer, r5 000 bis 18 000 Stiftsherren und Kaplane und 60000 Mönche und Nonnen, eine wirkliche Armee, in der es weder an Kenntnissen noch an Talenten fehlte. Wenn zu den Fronleichnamsprozessionen der lange Zug der verschiedenen Orden und Kongregationen vorüberzog und unter den Stickereien und Blumen die Schätze der Kathedralen und Klöster heraus­ funkelten, würde es niemandem eingefallen sein, hinter ' dieser Pracht ' Verfalls- oder Ermüdungserscheinungen zu suchen. Und doch siechte die Kirche Frankreichs dahin; Nicht daß sie zahlreiche Unwürdige unter ihren Mitgliedern zählte. In seiner großen Re­ li g i o n s g e s c h i c h t e bemerkt Herr de la Gorce sehr richtig, ! 36

daß die schlechten Priester 1789 eine verschwindende Ausnahme darstellen. Aber wenn auch der Skandal selten ist, so ist es der Eifer nicht minder. Das Leben vieler Priester besteht in ge­ ruhsam verlaufenden Tagen, ohne Glauben betriebenen Studien und in mechanischen Religionsübungen. Ihre Predigten sind ohne Begeisterung; sie helfen den Armen, aber suchen sie nicht auf.Die aktivsten unter ihnen beschäftigen sich mit der komplizierten Führung der Ordensgeschäfte; die Gebildetsten verfassen Denk­ schriften für die Akademien, und die Ehrgeizigsten drängen sich in die örtlichen Nationalversammlungen. Für Gott bleibt bei so­ viel irdischen Sorgen nichts übrig. Die Klöster entvölkern sich in­ folge Mangels an Novizen, und am unteren Ende der Hierarchie betreiben die schlecht bezahlten und mit Arbeit überhäuften Landpfarrer ihr Amt wie ein Gewerbe, das seinen Mann nicht mehr ernährt. . • Eine Änderung tat not; sie drängte sich sogar den intransigentesten Katholiken auf und schien um so leichter durchführbar, als ja der niedrige Klerus sich von Anfang an der Revolution gegenüber positiv verhalten hatte, und da letzten Endes auch die Bischöfe fast nichts unternommen hatten, ihren Ablauf zu hin­ dern, nicht einmal, als es um die Verstaatlichung der Kirchen­ güter iging. Das zu befolgende Verfahren war klar vorgezeichnet: Ordentliche Verhandlungen zwischen dem König und dem Vati­ kan oder Zum mindesten offiziöse Besprechungen durch Ver­ mittlung eines einflußreichen Prälaten. Die Abgeordneten der Assemblée waren jedoch Zu engstirnige Philosophen, um sich die­ sem Empirismus zu beugen. Die einen sahen in der Kirche die niederträchtige Zufluchtsstätte alles Aberglaubens und waren wirklich davon überzeugt, daß der menschliche Geist erst dann frei sein würde, wenn sie zerschmettert am Boden liege; andere, die vom römischen Recht durchdrungen und leidenschaftliche Diener des Staates waren, wollten keinerlei Körperschaften noch Zwischenglieder zwischen Staat und Individuum zulassen; wieder andere, die Protestanten und die Jansenisten, trugen in ihrem Herzen noch den ungestillten Groll von Port Royal und den Kamisarden. Schon am 28. Oktober 1789 hatte ein am Schluß’ einer Sitzung überraschend beschlossenes Dekret die Ablegung der. feierlichen Gelübde in den Klöstern suspendiert; am 13. Fe­ bruar 1790 wurde dieses Verbot endgültig. Was die alten Gelübde anging, so hatten die Zivilbehörden diese nicht mehr Zu beachten und nicht mehr zu respektieren. Schließlich ivurde die Umgrup- < pierung der Mönche in eine kleine Zahl von Klöstern befohlen.

r37

Die Räumung der aufgelösten Klöster erfolgte ohne Zwischen­ fälle; wohl hatten viele Städte und Dörfer in Denkschriften die Beibehaltung ihrer Abteien gefordert; aber die Sympathien gingen nicht darüber hinaus. Nur in Montauban, wo Katholiken und Pro­ testanten handgemein geworden waren, kam es zu ernsten Zu­ sammenstößen. Dies alles waren jedoch nur Vorpostengefechte. Der wirkliche Sturmangriff fand im Frühjahr 1790 statt, als das „Kirchliche Komitee“ seinen Bericht beendet hatte. Die bedeutendsten seiner Mitglieder waren Advokaten, und zwar meist ehemalige Advo­ katen des Klerus. Sie waren in Prozessen wegen der kirchlichen Abgaben, wegen Erbschaftsangelegenheiten und verschiedener kleinlicher Rechtsstreitigkeiten aufgetreten und hatten dabei „die kirchliche Welt nur in ihrer Kleinlichkeit, Habgier und recht­ haberischem Gebaren kennengelernt. Nachdem sie in einige Akten­ vorgänge voller Elend Einsicht genommen, hatte sich in ihnen die Überzeugung festgesetzt, daß das gesamte kirchliche Leben nur aus lauter solchen Vorgängen bestünde.“ Allmählich faß­ ten sie den Entschluß, die Kirche davon zu befreien und durch Rückkehr zur ursprünglichen Einfachheit zu erneuern. Zu dem. selben Komitee gehörte ein verschüchterter Bischof, der nicht mehr zu den Sitzungen,erschien, einige furchtsame Abbés, die deshalb ganz unterwürfig waren, weil sie hofften, daß ihr Gehor­ sam einmal belohnt werden würde, und schließlich noch an­ maßende und gestrenge Juristen, welche die Priester zu der unter­ geordneten Rolle von Beamten der Moral und der Erbauung, ganz nach der Formel von Mirabeau und dem Geist des Vikars aus Savoyen, degradieren wollten. Aus der Zusammenarbeit der Juristen und der Jansenisten entstand der Vorschlag für die „Const it uti on civile“, der am 21. April eingebracht, Ende Mai diskutiert, im Laufe des Juni mit beträchtlichen Abände­ rungen, nach artikelweiser Abstimmung, im ganzen angenommen und am 12, Juli dem König zur Ratifizierung unterbreitet wurde. Diese „Zivilverfassung“ begann mit einer ganzen Reihe von Auf­ hebungen: Alle Einnahmen, welchen keine Lasten entsprachen, wurden aufgehoben, alle Kapitel aufgelöst, 48 Bischöfe abgesetzt und nur einer je Departement beibehalten, die Zahl der Erz­ bischöfe, die von nun an Metropoliten hießen, auf 10 reduziert und nur noch ein einziger Pfarrer je Stadt zu 10000 Einwohnern oder je Landgemeinde von 2 Quadratmeilen zugelassen. Bischöfe und Pfarrer- sollten durch die Wähler, welche die Gebiets- und Departementsräte ernennen, bestimmt werden. Die Wahlen sollten *38

nach dem Mehrheitsprinzip durchgeführt und niemand davon aus­ geschlossen worden; weder Freidenker noch Ketzer oder Juden. Die kanonische Einsetzung der Bischöfe sollte nicht .durch den Papst, sondern durch den Metropoliten erfolgen, und wenn dieser sich weigern sollte, würde das Zivilgericht einen anderen Prä­ laten als Stellvertreter benennen. Dem Papst sollten diese Er­ nennungen nur mitgeteilt' werden, wobei als vereinbart gelten würde, daß diese Demarche das Zeichen für die „Einheit des Glaubens und der Gemeinschaft mit dem Haupt der universalen Kirche sein sollte“. Als Staatsbeamte - sollten die Pfarrer in 8 Lohnklassen aufgeteilt sein mit gestaffelten Bezügen von 1200 bis 6000 Franken; die Bischöfe sollten 12000, die.Metropoliten in der Provinz 20000 und 50000 in Paris erhalten. Dagegen soll­ ten alle Nebeneinkünfte, aufgehoben werden und die Opfergaben 1 den Armen Vorbehalten bleiben. Dies ist der .Inhalt jenes eigenartigen ;und keinerlei klaren Vor­ stellungen-entsprechenden Gesetzes. Die einen hatten darin eine Etappe zur Vernichtung des Glaubens gesehen, die anderen ein Mittel, dem Volk soviel Religion zu erhalten, wie es unbedingt brauchte; die einen hatten darin eine Revanchemöglichkeit und die anderen die Hoffnung einer Wiedergeburt gesucht. „Aus die­ ser gedanklichen Zusammenarbeit“, erklärt Herr de la Gorce (dessen hervorragendes Exposé wir uns hier ganz zu eigen machen), „entstand eine ungeheure Verwirrung.“ Jede Verfügung ist von einander .widersprechenden Klauseln begleitet; man fühlt direkt ein vielgesichtiges, zerbrechliches und zersetzenden Ein­ flüssen ausgesetztes Werk, das entweder durch die Wiedergeburt eines echten Glaubens oder durch die hereinbrechende Flut der Ungläubigkeit Zum Untergang bestimmt ist. „Die Abgeordneten der Konstituierenden Nationalversammlung hielten die Religion aus Gründen der öffentlichen Sicherheit für vorteilhaft zur Er­ haltung der sozialen Ordnung und wollten sie in ein offizielles Gewand zwängen, in dem sie erhalten geblieben wäre, ohne sich jedoch ausdehnen oder erneuern zu können.“ Und zu gleicher Zeit ließen sie der Kirche keine andere Wahl als Knechtschaft oder Empörung: im Falle der Unterwerfung völlige Sklaverei, im Falle der Auflehnung der Gewissen Bürgerkrieg. Hatten die Mitglieder des Kirchlichen Komitees dieses Dilemma vorausgeahnt? Am Schluß ihres Vorschlages hatten sie einen fol­ gendermaßen formulierten Paragraphen angefügt: „Der König wird gebeten, alle zur Gewährleistung der Durchführung dieses Dekretes für nötig befundenen Maßnahmen zu ergreifen.“ Was *39

bedeutete diese rätselhafte Sprache? Doch wohl nichts anderes, als daß der König berufen sein sollte, den Willen der Assemblée auszulegen und vielleicht zu mildem, um ihn so für die Pontifikalmacht annehmbar zu machen. Obwohl Mitte Juni im Ver­ lauf einer neuen Schlacht zwischen Protestanten und Katholiken in den Straßen von Nîmes Blut geflossen war, schien die As­ semblée keinen Augenblick lang auch nur die Möglichkeit eines Widerstandes ' ins Auge gefaßt zu haben. Sie hob die Aufforde­ rung Zu Verhandlungen durch den König auf, ohne dafür den ge­ ringsten Artikel zu beschließen, der den Ungehorsam bestraft hätte. Dies war sicher ein unbeabsichtigter Mangel an Voraus­ sicht, aber ließ nicht der Halbschlaf des Klerus alle möglichen Kapitulationen erwarten ? > Papst Pius VI. regierte-seit 1778; er war fast in allen Ländern der Christenheit Zeuge einer Schwächung der katholischen Kräfte gewesen, die frontal von den Philosophen und hinterrücks durch reformatorische Fürsten angegriffen wurden. Von Natur aus aktiv und ehrgeizig, war er durch die Verhältnisse zu einer geduldigen, klugen und resignierten Haltung gezwungen worden. Obwohl ihn die ersten revolutionären Maßnahmen sehr beunruhigten, bemühte er sich, dies nicht zu zeigen. Der Staatssekretär Kardinal Zelada, ein. Greis von 72 Jahren, der sich mehr nach Ruhe als nach Kämpfen sehnte, riet ihm gleichfalls zur Mäßigung; Kardinal de Bemis, der französische Botschafter, flehte ihn an, nichts zu überstürzen ... So beschränkte er sich in einem sehr vertraulichen Schreiben darauf, Ludwig XVI. aufzüfordem, „über den Schatz des Glaubens zu wachen und nicht zu dulden, daß der Irrtum sich des Heiligtums bemächtige“. Nun kam im Herbst 1789 die Verstaatlichung der Kirchengüter und im Februar 1790-das Ver­ bot der Ablegung mönchischer Gelübde und die Aufhebung der religiösen Orden. Der Papst konnte sich nun unmöglich länger in Stillschweigen hüllen. In einem am 29. März abgehaltenen Geheimen Konsistorium ver­ dammte er die neuen Gesetze; aber seine Ansprache wurde nicht veröffentlicht, die Zeitungen erhielten Befehl, darüber nicht-zu berichten, und das Heilige Kollegium billigte diese Haltung ein­ mütig. Während die „Constitution Civile“ schon von sich reden machte, übermittelte der Nuntius , mit jeder diplomatischen Post die Ansichtender Mitglieder des Episkopats. Alle empfahlen Ver­ söhnlichkeit: Der Papst müsse, wiederholten sie, der französischen Kirche zu Hilfe kommen und die Einheit retten, selbst um den Preis allergrößter Opfer. 140

Ludwig XVI. selbst verlor nicht die Hoffnung, eine Regelung zu finden, welche es ihm vor seinem Gewissen ermöglichen würde, die kirchliche Reform zu sanktionieren, ohne deshalb Gott oder die Kirche beleidigen zu müssen. In St. Cloud, wo er sich während der schönen Jahreszeit niedergelassen hatte, genoß er unbeschwert die nach den großen Gefahren des Oktobers eingetretene Be­ ruhigung. Den Winter über hatte er Krankenhäuser und Kirchen besucht, sich, auf der Straße gezeigt und war fast überall nicht nur achtungs-, sondern sogar liebevoll empfangen worden. 2 Tage nach der Abstimmung über die „Constitution Civile“ fand unter seinem Vorsitz das Fest der Föderation statt, wobei er an der auf dem Marsfeld Zelebrierten feierlichen Messe teilnahm und stür­ misch umjubelt wurde. „Die Götzenanbetung der Monarchie brei­ tet sich mit ungestümer Macht aus, und man scheint die Wieder­ hersteller der französischen Freiheit vergessen zu haben . . .“, schreibt der „Courrier de Provence“. Diese Beweise von An­ hänglichkeit und Achtung regen den König keineswegs zur Vor­ bereitung reaktionärer Handlungen an, sondern bestärken ihn vielmehr in seiner Politik des Ausgleichs und der Zeitgewinnung. Er würde als von der Liebe seiner Untertanen getragener konsti­ tutioneller König leutselig abwarten, bis die Umstände die Not­ wendigkeit einer stärkeren Exekutivgewalt offenbar werden lie-' ßen. Die soeben gewählten und in der Hauptsache aus gesetzten und achtbaren Bürgern, zusammengesetzten Departements- und Distriktsdirektorien würden sich bald klar darüber werden, daß die Verwaltung -infolge fehlender Leitung schlecht arbeite. Die Abgeordneten, ihrerseits sicher, daß der König keinerlei gegen­ revolutionäre Unternehmungen plane, und durch die Loyalität, mit der er ,die Grundgesetze angewendet, beruhigt, würden ge­ nötigt sein, einige seiner Hauptvorrechte wiederherzustellen..Wo­ zu sollte man die Vorteile der bisherigen Verzichtleistungen in einem Kirchenkonflikt gefährden, in dem man nicht auf die Ge­ folgschaft der noch in der Ideenwelt Voltaires befangenen konser­ vativen Bourgeoisie rechnen könnte? Zur Verteidigung der Religion war Ludwig XVI. bereit, alles zu ertragen, aber gerade weil die Partie ernst war und falsches . Verhalten die schlimmsten Folgen' zeitigen konnte, widerstrebte ' es ihm, mit der Assemblée in Streit zu geraten, ehe nicht alle Vermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft waren. Deshalb wollte er die „Constitution Civile“ ratifizieren und veröffentlichen lassen und zugleich den Papst ersuchen, sie vorläufig anzuerkennen. Zwischen dem Provisorium und dem Definitivum würde dann eine ' V': /' . ' V• I 4I

gewisse Zeit vergehen; die über ihren im Grundsätzlichen er­ rungenen Triumph erfreute Assemblée würde sich nicht weigern, die unbedingt nötigen Abänderungen durchzuführen, und die ge­ fährliche Klippe wäre damit glücklich umschifft. Dieses Manöver sollte jedoch nicht gelingen. Einerseits traf die „Constitution Civile“ allzusehr die christliche Lehre, als daß sie der Papst, selbst bei einer Revision, hätte sanktionieren können, und andererseits waren die Abgeordneten allzu große Syste­ matiker, als daß sie die geringste Abänderung ihres Werkes ge­ duldet hätten. Der Erzbischof von Aijc, Boisgelin, sonst der Nach­ giebigste und ' sehr zu Zugeständnissen neigend, verfaßte eine kurze Ablehnung des Gesetzes, - und seine Vorbehalte wurden sofort von 30 Bischöfen und Erzbischöfen, die Mitglieder der Assemblée waren, und 93 anderen Prälaten gegengezeichnet. Ängstlich besorgt, das Schisma zu vermeiden, gingen die kirch­ lichen Behörden jedoch nicht über doktrinäre Proteste hinaus; sie verschanzten sich hinter einer passiven Haltung, taten so, als ob die „Constitution civile“ nicht bestehe, und warteten, bis ihre Gegner die Initiative an sich reißen und die ersten Hiebe aus­ teilen würden. Die Domherren hielten weiter Gottesdienste ab, die aufgehobenen Bischöfe behielten ihre Befugnisse bei, und die beibehaltenen weigerten sich, ihre eigenen Amtshandlungen, zu erweitern. Der Papst, der selbst weder annahm noch ablehnte, begnügte sich damit, eine allgemeine Befragung der Kardinale, Theologen und führenden geistlichen Persönlichkeiten durch­ zuführen. Die Lage wurde schließlich sehr unangenehm: die mit der Anwendung des Gesetzes beauftragten Departements- und ' Distriktsdirektorien wußten nicht, wie sie an ihre Aufgabe herangehen sollten; die einen unternahmen gar nichts, die anderen wie­ der zuviel. Und diese wahllose Vermengung von Strenge und Nachlässigkeit komplizierte die Verhältnisse noch mehr. Nun ent­ stand in der Mehrheit der Assemblée der hartnäckige Wille, durch eine scharfe Zwangsmaßnahme den Widerstand zu brechen, die Bischöfe und Priester zu zwingen, aus ihrer abwartenden Hal­ tung herauszugehen, und sich klar für oder gegen die Reformen zu entscheiden. Auf Betreiben des Protestanten Bamave beschloß die Assemblée am 27. November 1790, daß alle ,in Amt und Würden verbliebenen Geistlichen einen Eid abzulegen hätten, die ; „Constitution civile“ zu beachten. Eine. Weigerung würde als Amtsverzicht ausgelegt und die Stelle anderweitig besetzt wer­ den. Die Geistlichen, die weiterhin ihre alten Funktionen aus­ übten, sollten als Aufrührer verfolgt werden; dieselben Maß­ 142

nahmen sollten gegen Laien ergriffen werden, die versuchten, einen Widerstand Zu organisieren. Einen Monat später wurde das Dekret von Ludwig XVI. ratifi­ ziert. Von Boisgelin beraten, der ihm erklärt hatte, daß eine gewaltsam erzwungene Annahme ihn nicht in seinem Gewissen verpflichte, hatte er dieses Opfer für das, was er für den öffent­ lichen Frieden und die Interessen des Königreiches hielt, ge­ bracht. ■ ■ -' ■; - . ■:, Innerhalb eines Vierteljahres hatte , die Assemblée ihre beiden Hauptfehler begangen: die Schaffung des Assignatengeldes im September und die Zwangsvereidigung im November. Während aber die sehrecklichen Folgen der Inflation nur allmählich fühl­ bar werden, tritt der religiöse Konflikt sofort in ein akutes Sta­ dium ein. Die Abgeordneten, die nur die furchtsamsten Mitglieder des Klerus gesehen, hatten, glaubten, daß das Dekret über die Eides­ leistung allgemein befolgt werden würde. Man mußte sich jedoch sehr rasch von seinem Irrtum überzeugen. Von den Bischöfen legten nur 7 den Eid ab: Talleyrand, Bischof von Autun, Jarente, Bischof von Orleans, Lafont de Savine, Bischof von Vivicco, Brienne, Erzbischof von Sens und ehemaliger Premierminister, Gobel,' Koadjutor des Bischofs von Basel, Martial de Brienne, Koadjutor seines Onkels in Sens, und Dubourg-Miraudot, Bischof „in p a r t i b u s von Babylon“. ^Es hat den Anschein“, sagt M: de la Gorce, „als ob die französische Kirche durch diesen Abfall gereinigt statt geschwächt wurde.“ Wenn man von den-Prälaten *u den Pfarrern hinuntergeht, sind die Ergebnisse weniger leicht feststellbar, insbesondere auf dem flachen Lande, wo die ört­ lichen Verwaltungen zur Erhaltung des Friedens manchmal zu-ließen, daß der Pfarrer einen Eid u n t e r V o r b e h a l t e n ab­ legte; andererseits versteifte sich die Haltung vieler Geistlicher, die zuerst nachgegeben hatten, nachdem der Papst im März und April 1791 die „Constitution civile“ feierlich verdammt hatte. Schließlich hat man auf den Unterwerfungslisten, um die offi­ ziellen Aufstellungen, von denen die Hälfte noch in den Archiven aufbewahrt wird, aufzurunden, nach den beamteten Priestern eine Menge Mönche und gewöhnliche Geistliche aufgeführt, die von der Eidesleistung befreit waren und die aus purem Ehrgeiz,. ebne daß sie jemand dazu aufgefordert hatte, den Eid leisteten, bfach den sichersten Schätzungen verweigerten insgesamt 52 bis 55°/o der Priester die Ablegung des Eides. In den Départements des Westens, in Flandern und Elsaß, bildeten die Eidverweigerer *43

die. Mehrheit, in den Departements der Alpen, Seine-et-Oise, Sèine-et-Mame, Doubs, Nièvre und Somme die Konstitutio­ nellen.;; ' •, * ; Die ehemalige Kirche war verstümmelt; eine neue mußte er­ richtet werden. Die beiden ersten gewählten Bischöfe: Expilly in Quimper und Marolies in Soissons, fanden niemand zu ihrer Einsetzung. Von denj 7 in Frage kommenden hatten 3 nicht ge­ nügend Ansehen, und die 4 anderen brachten Ausflüchte vor. „Ich schwöre, aber ich weihe nicht“, erklärte Btienne. Talleyrand gab sich endlich dazu her," indem er so die konstitutionelle Kirche rettete, die ohne ihn dazu verurteilt gewesen wäre, ent­ weder Zu verschwinden oder zum Presbyterianertum überzu­ gehen. Expilly und Marolles, die von ihm , am 24. Februar ge­ weiht wurden, weihten ihrerseits am 27. drei ihrer Kollegen, die wieder anderen die Weihe erteilten, so daß Ende April 60 neue Prälaten schlecht und recht installiert waren. Dasselbe fand für den subalternen Klerus statt, wo die Lücken um so leichter aus­ gefüllt werden konnten, als zahlreiche Pfarreien aufgehoben wor­ den 'waren. : Es genügte jedoch nicht, daß man Geistliche und Tempel hatte, man brauchte auch noch die Gläubigen, und diese zogen sich Zurück. Die ihrer Bezüge beraubten und aus ihren Wohnungen vertriebenen Pfarrer sind keineswegs fortgezogen. ' Sie lesen weiter die Messe, predigen und teilen die heiligen Sakramente aus. Wenn die Führung der Geschäfte des Standesamtes auch dem konstitutionellen Pfarrer anvertraut ist, wenn man also schon ver­ pflichtet ist,'sich bei Taufen, Hochzeiten und Todesfällen an ihn zu wenden, so kann man sehr wohl nach der offiziellen Feierlich­ keit ein Familienfest veranstalten, bei welchem dann der den Eid verweigernde Pfarrer den Ehrenplatz einnimmt. Fast überall sehen die vereidigten Pfarrer gleich nach ihrer Amtsübernahme, wie ihnen die Frommen ausweichen; ihre Kirchen bleiben zu Ostern leer ^ zu ihren Messen kommen nur die Gleichgültigen, und die nur aus Berechnung. Dagegen versammeln die in Scheu­ nen, Kapellen und gemietete leere •Kirchen geflüchteten unver­ eidigten'Priester sehr zahlreiche. Gläubige, so daß die Klubs .dadurch alarmiert werden. Trotz eines Dekrets vom 7. Mai, trotz der E r k l ä r u n g d e r M e n s c h e n r e c h t e , welche ausdrücklich die Religionsfreiheit garantieren, wird alles ins Werk gesetzt, um die Ausbreitung und Festsetzung des privaten Gottesdienstes zu verhindern. Plötzlich gibt.es fast überall Zwischenfälle: öffentlich angegrif144

fene und mißhandelte Gläubige, von der Menge-gestörte Gottes­ dienste und verwüstete Privatkapellen. Aber dies alles traf nicht das Gewissen. Um die Widerspenstigen zu demoralisieren, hatten die Verfechter des Dekrets etwas noch Besseres gefunden: Der fromme Ludwig XVI. mußte zu einem eifrigen Konstitutionellen gestempelt werden, indem man ihn Zwang, die österliche Kommu­ nion aus den Händen eines vereidigten Priesters zu empfangen. Der unglückliche König, der den früheren Gottesdienst im Innern der Tuilerien aufrechterhaltèn hatte, wollte sich gegen diesen öffentlichen Abfall vom Glauben dadurch schützen, daß er sich nach St. Cloud, wo er schon im vergangenen Jahr das Frühjahr und den Sommer verbracht hatte, zurückzog. Die Abreise sollte am 18. April um , 10 Uhr morgens erfolgen. Als die Wagen des Hofes vor dem Schloß Aufstellung nahmen, wurden sie von einer dichten Menschenmenge blockiert, die Zu zerstreuen La Fayette sich außerstande erklärte. Man mußte also auf die Reise ver­ zichten. Das Ganze- war das Werk eines Advokaten, Danton, gewesen, der sich so aus der Menge der kleinen Aufrührer, ab­ hob. Die Linke begnügte sich nicht mit diesem Sieg: Durch wie­ derholte Aufforderungen zwang sie den König, die Mitglieder seiner Hauskapelle innerhalb Zweier Tage zu entlassen, sich selbst in Eile in die Assemblée Zu begeben, dort von neuem ,die „Con­ stitution civile“ zu beschwören und schließlich Ostersonntag der in St. Germain-Auxerrois zelebrierten offiziellen -Messe beizu­ wohnen. 1 Man kann die Wichtigkeit-dieses Ereignisses gar nicht hoch genug einschätzen. Ludwig XVI. wurde dadurch erniedrigt, bedroht und seiner königlichen Vorrechte beraubt, ein Gefangener in sei­ nem eigenen Schloß und unfrei in seinen Ansichten. Sein Gewissen gehörte der Mehrheit der Assemblée,- und seine Religion wurde • ihm durch die Klubs diktiert. Von diesem Tage an hielt er sich aller Treueversprechen gegenüber der Revolution für ledig und dachte nur noch daran, sich so rasch wie möglich von einem Joch *u befreien, dessen Schwere er plötzlich zu spüren bekam. Verschiedene Franzosen hatten schon im Ausland eine Zufluchts­ stätte gefunden. Die ersten waren am 15. Juli 1789 abgereist, ebenso wie der Comte d’Artois und der Prince de Conti, die am Vortag eine Schmähschrift erhalten hatten, in der demjenigen, der ihren Kopf in die Kellerkneipen des Palais Royal bringen würde, eine gute Belohnung versprochen worden war. Viele durch . die Aufhebung der Titel in ihrem Stolz und ihrer Ehre gekränkte Adelige waren ihnen in der zweiten Hälfte des Jahres 1789 nach- ' G a x o t te , Eevolution

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gefolgt; die Verdächtigungen und Beleidigungen vertrieben wei­ tere; im Februar des Jahres 1791 reisten dann die Tanten des Königs ab. Obwohl sie mit völlig ordnungsgemäß ausgestellten Papieren ausgestattet waren, wurden sie in Arnay-le-Duc angehalteri und 12 Tage lang als Gefangene behandelt. Mirabeau persönlich mußte in der Assemblée intervenieren, um ihnen die Fortsetzung der Reise zu ermöglichen. Was für Privatpersonen, selbst für sehr hochgestellte, erlaubt, ist es jedoch nicht auch für einen König. Der französische König emigriert nicht und dankt nicht ab. Ludwig XVI. hat nie daran gedacht; sein ganzer Plan bestand darin, Paris im Geheimen zu verlassen, sich in eine Pro­ vinzstadt zurückzuziehen, dort treue Truppen zusammenzuziehen und, ' nachdem er Kraft und Sicherheit zurückgewonnen, sich ah die Nation Zu wenden und gegen die Tyrannei der Klubs und der Assemblée zu protestieren. Auf seinen Appell hätte eine un­ geheure Mehrheit im Lande, die fühlte, daß die Revolution auf die schiefe Ebene geraten war, geantwortet. Die Assemblée wäre aufgelöst und die Verfassung abgeändert worden. Der König würde Pardon üben) den Frieden wiederherstellen, Versöhnlich­ keit beweisen, und nach einigem Schwanken wäre alles in die alte Ordnung Zurückgekommen. Welche Stadt sollte man nun wählen? Mirabeau hatte seinerzeit zu Rouen geraten. Ludwig XVI. .ent­ schied sich für Metz, .weil diese Stadt .die große Festung des Königreiches war und das Hauptquartier von Bouillé, .und die Armee Bouillés seit der Niederwerfung des Aufstandes in Nancy den P a t r i o t e n verdächtig war. Es war schon alles zwischen Bouillé und Fersen, einem ergebenen Freund der Königin ab­ gesprochen und die Abreise auf den 6. Juni festgesetzt. Aber die Jakobiner hatten überall ihre Spitzel, sogar unter den Bedienste­ ten des Schlosses. Man mußte den Abgang einer des .Verrates verdächtigen Kammerfrau abwarten und verschob deshalb die Flucht auf den 20., einen Montag. Die Tuilerien wurden wie ein 'Gefängnis bewacht; an allen Ein­ gängen waren Nationalgarden postiert: im Garten, in den Höfen und längs der Terrasse 600 Bewaffnete; auf den Treppen und in den Gängen gingen unaufhörlich Patrouillen; in den Vorzim­ mern und Salons schliefen Diener und Schweizer Garde direkt . vor den Türen. Alle konnten unmöglich auf einmal das Schloß verlassen; um 10.30 Uhr ging Madame de Tourzelle, die Gou­ vernante der königlichen Familie, als erste durch ein unbewohn­ tes Gemach und führte den Dauphin und séine Schwester an der Hand; gegen Mitternacht gelang es dem König, der Königin und 146

Madame Elisabeth, der Schwester des Königs, die alle so getan hatten, als wären sie, wie gewöhnlich, zur Ruhe gegangen, sich einzeln und auf verschiedenen Wegen aus dem Schloß zu stehlen. Sie hatten sich durch sehr einfache Kleidung unkenntlich gemacht, und die Königin war dazu noch verschleiert. Man fand sich an der Ecke des Petit Carrousel wieder, wo ein Fiaker wartete. Der Platz war voller Wagen, Kutschern und Stallknechtenjund die Schen­ ken voller Zecher; niemand beachtete die königliche Familie. Beim Tor Saint-Martin wechselte man den Wagen und fuhr in mäßigem Tempo weiter. Ein Postillon eilte um eine Station dem großen grünen Reisewagen, voraus, in dem der König, die Köni­ gin, die beiden Kinder, Madame Elisabeth und Madame TourZelle Platz genommen hatten. Um .6 Uhr .war man in Meaux, um • 8 Uhr in Ferté-sous-Jouarre. Hier verließ man die Straße nach Dormans, um die nach Montmirail einzuschlagen, was eine Ab­ kürzung .von 2V2 Meilen bedeutete. Das Wetter.versprach wun­ derschön zu werden. Der König, seinen Reiseführer in der Hand, interessierte sich für die. Landschaft und bedachte die vorüber­ kommenden Bettler mit Almosen. In dem Weiler Chaintrix wird er von dem Sohn des Postmeisters, de Lagny, der •vergangenes Jahr am Fest der Föderation teilgenommen hatte, erkannt. ..Aber Lagny ist ein guter Royalist, und der Reisewagen fährt rasch weiter. In Châlons, in der Rue Saint-Jacques, werden die Reisen­ den von neuem erkannt. Die. Neugierigen scharen sich um sie, aber, niemand versucht sie .aufzuhalten. Von diesem Augenblick an ist jedoch ihr Plan gefährdet. Die Kunde von ihrer Fahrt, die von unbekannten Sendboten vorausgetragen wird, geht den Flüch­ tenden voraus. Die Dörfer sind, alarmiert. Das Gerücht:, „Der König .kommt!“ verbreitet sich in Windeseile, und als eine ,Ab­ teilung von Bouillé, die 4 Meilen von Châlons die Eskorte der Herrscher übernehmen sollte, sich auf ihrem Posten einfindet, findet sie die. Bauern so erregt, daß .sie gezwungen ist, sich zu­ rückzuziehen. ~ König und Königin, die noch fest von dem Gelingen ihres Planes . überzeugt waren, wurden sich der Gefahr bei .ihrer, Ankunft in Pont-de-Somme-Vesle bewußt, wo sie die Husaren von- .M. de Choiseul.treffen sollten. Es waren jedoch keine Husaren da, und weit und breit keinè Spur von.einer Uniform. Was war zu tun? Hie Leute befragen? Damit hätte man sich gleich verraten. Ab­ warten? Und. wenn man verfolgt wurde? Zurückkehren? Un­ möglich! Also hieß es nur,; den tragischen .Weg weiter fortsetzen und in die Katastrophe hineinlaufen. , - i io*

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In Sainte-Menehould waren die Dragoner von Damas seit mehre­ ren Stunden eingetroffen, hatten jedoch getrunken und geschwätzt und waren keineswegs verläßlich. Die Reisekutsche war kaum verschwunden, als die ganze Stadt in Aufregung geriet und man sich von Tür zu Tür die Nachricht zurief: „Soeben ist der König durchgekommen!“ Der Sohn des Postmeisters, Drouet, und ein Distriktsangestellter, Guillaume, den man La Hure nannte, mach­ ten sich erbötig, den verdächtigen Wagen aufzuhalten. Sie warfen sich auf zwei Postpferde und jagten in Richtung der Argonnen los. In Clermont waren immer noch keine Dragoner zu erblicken, nur ihr Oberst, der Comte de Damas, war da, der aus Furcht vor einem Konflikt mit den Bürgern seine .Truppe nach Hause geschickt hatte. Die Nacht war stockdunkel, und die erschöpften Reisenden schliefen ein. Die Kutsche hatte noch eine halbe Stunde Vorsprung, den sie in der unteren Stadt von Varennes beim Suchen der Post, die auf der anderen Seite war, verlor. Der mit den örtlichen Verhältnissen vertraute Drouet ritt direkt auf der Straße nach Montmédy weiter, alarmierte die Stadtvertretung, ließ ' die Brücke über die Aire verbarrikadieren, und als der Wagen vorfuhr, war er plötzlich von bewaffneter Nationalgarde, unter Befehl des Gemeindesekretärs Sauce, umgeben. Die Pässe? Die auf den Namen einer Freundin von Fersen, der Baronin de Korff, ausgestellten Pässe sind in Ordnung. Es besteht also kein Grund, den Wagen aufzuhalten. So ist die allgemeine Meinung. Da interveniert Drouet, schreit, flucht und tobt. Der Vater Sauce bekommt es mit .der Angst zu. tun, beschließt, die Baronin de Korff und die Mitreisenden bis zum nächsten Tag aufzuhalten und bietet ihnen höflich sein Haus zur Übernachtung an. Ein Richter, Destez, der in Versailles geheiratet hatte, eilt herbei, erkennt den König und beugt das Knie vor ihm. Lud­ wig XVI. umarmt ihn sehr gerührt, umarmt Sauce, umarmt die Beamten der Gemeinde und erklärt ruhig, er habe Paris ver­ lassen, weil seine Familie dort tagtäglich dem Tode ausgesetzt gewesen sei und weil er genug davon habe, inmitten von Dolchen und Bajonetten zu leben; deshalb habe er sich unter seine ge­ treuen Untertanen geflüchtet. Mit. einem Schlag hat er nur noch lauter ' Freunde, und man kommt überein, daß er im Morgen­ grauen seine unterbrochene Reise fortsetzen soll. Die in Pontde-Somme-Vesle zurückgedrängten Husaren waren soeben, nach einem langen Marsch durch den Wald, eingetroffen. Choiseul und Damas eilen herbei und schlagen dem König vor, die Straße mit Säbelhieben zu säubern, worauf man unverzüglich die Reise fort148 1■’



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setzen'werde. Ludwig XVI. weigert sich. Hat der Gemeinderat nicht versprochen, ihn in einigen Stunden abreisen zu lassen ?Warum soll man diese guten Dorfbewohner betrüben ? Nur keine Gewaltanwendung und kein Blutvergießen. Diese Gutmütigkeit verdirbt noch den Rest. Der mehr und mehr verwirrte Sauce findet Zeit, einen Sonderkurier nach Paris zu schicken,,der in Clermont die Boten der Assemblée trifft, die seit dem Morgen auf der Spur der königlichen Familie galoppierten. Die Flucht war am 21., um 7 Uhr früh,-bekannt geworden. Der König hatte zum Abschied eine Proklamation hinterlassen, in welcher er'ein völlig getreues Bild des unglücklichen Zustandes, in den Frankreich hineingeraten war, entwarf. Er führte darin alle Opfer an, die er gebracht hatte, um die Eintracht wiederher­ zustellen, und für die er keinen anderen Lohn empfangen hatte, als daß er „Zusehen mußte, wie das Königtum, verkannt, alle Macht zerstört, das Eigentum, verletzt,' die persönliche Sicherheit über­ all in Frage gestellt, die Verbrechen unbestraft blieben und völlige Anarchie entstand, ohne daß der Schein von Autorität, welche ihm die neue Verfassung gebe, zur Abstellung auch nur eines einzigen, das Königreich betrübenden Übels, genügt hätte.“ Das Dokument wird in die Assemblée gebracht, die ängstlich seiner Verlesung lauscht und hofft, daraus irgendeine Angabe über die Absichten des Königs Zu finden. La Fayette hatte’ eine Stunde vor Eröffnung der Sitzung einen Tagesbefehl in die Provinz gesandt, in dem er bekanntgab, daß Ludwig XVI. durch Feinde der Revolution ent­ fuhrt worden sei, und in dem er alle guten Bürger aufforderte, sich zu erheben und den König den Entführern zu entreißen. Die Assemblée machte diese Version der Ereignisse zu der ihren, ver­ fügte eine’ Untersuchung, ließ Alarm geben und ;verbot jeder­ mann, selbst mit gültigen Papieren, die Ausreise aus dem König­ reich. Diese fieberhafte Aufregung verbarg jedoch nur schlecht ihr Entsetzen. Alle glaubten, der König habe sich an die Nord­ grenze begeben und werde von dort Frankreich seine Bedingungen diktieren. Die Straßen von Paris sind mit Menschen überfüllt, die auch in die Tuilerien eindringen. Der ganzen Stadt bemächtigt sich eine dumpfe Erregung. Wie schwer wird schon das zerbrech­ liche Prestige der Abgeordneten zwischen König und Aüfruhr wiegen? Was wird morgen.aus ihnen geworden sein? Wie fest werden dann ihre Köpfe noch sitzen? Ihre Bevollmächtigten überreichten 20 Stunden später Lud­ wig XVI. in dem Schlafzimmer von Sauce das Verhaftungsdekret, Und Ludwig XVI. rief aus: „Es gibt keinen französischen König

mehr!“ In dem Drama von Varennes, das Lenötre so ergreifend geschildert hat, fehlt es weder an theatralischen Wendungen, noch an historisch gewordenen Aussprüchen. Das Dekret war den Herrschern um 5 Uhr mitgeteilt worden. Erst ium 7 Uhr machte man sich auf den Weg. Der König hatte die Abreise so lange wie möglich verzögert, .weil er hoffte, damit Bouillé Zeit zu seiner Befreiung zii geben: Ungefähr 50 Reiter patrouillierten schon in den Feldern, aber ihr Führer hatte nicht den Mut, einen Befehl zu erteilen. Als Bouillé selbst mit 400 Sol­ daten eintraf, wendeten'seine Offiziere ein, die Pferde sëiènmüde, man verfüge nicht über genügend; Soldaten, die - Wege seien schlecht, es gebe keine Furt durch den Fluß, es sei zu spät, und Bouillé zieht-sich tatsächlich zurück. Alles, was in nahe oder entfernte Berührung mit dem Thron'kommt, wird von der glei­ chen; Lähmung erfaßt.' V Der Weg von Varennes nach Paris wurde zu einem wahren Mar­ tyrium für' die Gefangenen. Die Szenen vom Oktober wieder­ holten sich in verstärktem Maße: betrunkene Begleitmannschaften, eine Beleidigungen ausstoßende und eine drohende Haltung ein­ nehmende Menge, und die Ermüdung. Beim Anblick der Erniedri­ gung des Königs'überschlägt sich das Volk in Gemeinheiten. Die Leute hängen sich an die Türen der Reisekutsche, rufen der Königin die übelsten Zoten zu und spucken dem König ins Ge­ sicht. In Châlons wird ein Mann ermordet, weil er die Königin grüßt. Der Palast des Intendanten, wo die Herrscher einen Teil der Nacht verbracht haben, wird belagert und von einer Horde von üblen Subjekten erstürmt, die laut brüllen: „Für unsere Zwecke ist Capet schon fett genug“, und die „Kokarden aus den Därmen und Leibriemen aus der Haut von Louis und Antoinette“ machen wollen. In einem wahren Orkan von Beschimpfungen und Pfuirufen wird die Weiterreise angetreten. In Epernay, wo man zum Mittagessen haltmacht, wird der kleine 'Dauphin fast er­ stickt und die Königin beim Aussteigen so brutal gestoßen, daß ihr Kleid von oben bis unten zerreißt. Nach beendigtem Mahl können Ludwig XVI., Marie Antoinette und Madame Elisabeth nur einzeln und von Nationalgardisten, die sich an den Armen halten, umringt, aus dem Gasthaus herausgehen; .Madame de Tourzelle wird fast ohnmächtig in die Reisekutsche getragen. Zwischen Epernay und Château-Thierry stellen sich die drei von der'Assemblée delegierten Abgeordneten vor: LaTour-Maubourg, Bamave und Pétion, ein Royalist, ein Konstitutioneller und ein Fortschrittlicher. Sie bahnen sich einen Weg durch die Menge. 150

Der König wiederholt seine ewige Beteuerung: „Ich wollte Frank­ reich nicht verlassen, das habe ich erklärt, und das ist wahr“; dann befiehlt er seinen Gefährtinnen, enger zusammenzurücken, um den Kommissaren Platz zu machen, die unter-Entschuldi­ gungen einsteigen. Die Anwesenheit der Abgeordneten brachte den Gefangenen einige Erleichterung. Nachdem diese nämlich mit Empörung Zeu­ gen der Gemeinheiten und Demütigungen geworden waren, denen der König und die Königin ausgesetzt, ergriffen sie alle Maß­ nahmen, um sie von der gemeinen und schwitzenden Begleitung zu befreien. Beim Verlassen von Château-Thierry sperrte die aus Soissons herbeigeholte berittene Nationalgarde auf ihren Befehl die Straße ab und hinderte die Neugierigen, sich den Wagen an­ zuschließen, die nun, nur von einigen Reitern begleitet, im Galopp weiterfuhren. Dies bedeutete Ruhe für eine Etappe. Die Ge­ fangenen und ihre Wärter begannen nun ein Gespräch. Bamave hatte ungeschickt angefangen. In der Meinung, daß einer der im Wagen sitzenden Posten der Graf von Fersen sei, erlaubte er sich der Königin gegenüber eine spöttische, fast hämische Bemerkung. Marie-Antoinette beeilte sich, gleichmütig die Namen -der drei Wachposten zu nennen, und Bamave schwieg. Pétion legte ein noch unverschämteres Benehmen an den Tag; er erklärte, er wisse alles, daß die Flüchtlinge beim Carrousel in einen anderen, von einem Schweden, dessen Name ihm entfallen sei, den ihm die Königin aber sicher nennen könne, gelenkten Wagen gestiegen seien.... »Es ist nicht meine Gewohnheit, die Namen: der -verschiedenen Kutscher zu kennen“, erwiderte sie hochmütig/ Trotzdem entstand nach diesem ersten Scharmützel eine Art Herzlichkeit. Das Gesicht der Königin hellte sich auf. Der König Zeigte sich von seiner üblichen, einfachen und guten Seite und sprach nur wenig, dafür aber mit großer Leichtigkeit und Überlegung. Er befragte Pétion über die Gefühle der Linken und fügte neugierig hinzu: »Sie, Herr Pétion, Sie sind also für eine Republik?“ »Sire“, antwortete Pétion, „ich war es auf der Rednertribüne; hier fühle ich, daß sich meine Ansichten ändern.“ , Der Unglückliche bildete sich ein, daß sich Madame Elisabeth in *bn verliebt habe; in seinem Reisebericht hat er sein großes Glück m 3° Zeilen niedergelegt, „und sich so für immer lächerlich ge­ macht“., Man übernachtete in Meaux. Um 6 Uhr wurde die Reise bei wol­ kenlosem Himmel und einer drückenden Hitze fortgesetzt. Die

Aufstellung eines Ordnungsdienstes war unmöglich gewesen. Der Wagen konnte in der wie in einer Hammelherde zusammen­ gedrängten Menschenmenge nur schrittweise vorwärtskommen; bis Paris brauchte man 13 Stunden. Man fuhr die Stadtmauer ent­ lang, von der Porte de la Villette bis zur Porte de Neuilly und dann die Champs Elysées bis zu den Tuilerien herunter. Die Nationalgarde bildete Spalier und präsentierte das Gewehr, aber wie zu einem Begräbnis, mit dem Kolben nach oben. Die Paroles „Nicht einen Schrei und nicht einen Gruß!“ war ausgegeben worden, und diese dumpfe Stille war noch bedrückender als die dicht gedrängte Masse. Nur von Zeit zu Zeit hörte man fernen Trommelwirbel und vereinzelte Rufe im Gedränge; dann war wieder alles still. In den Tuilerien hielt der Wagen vor der breiten dreistufigen Freitreppe, über die man gehen mußte, um an die Haupteingangstür des Pavillon de l’Horloge zu gelangen. Dies war der kritische Augenblick. Alle Weisungen sind plötz­ lich vergessen; die Reihen der Garde werden durch die wütend vorwärts stürzende Menge durchbrochen; auch die Leibwache wird’ vom Wirbel erfaßt und verschwindet. La Fayette, die Ab­ geordneten und Wachposten stürzen herbei, stemmen sich ent­ gegen, und es gelingt ihnen, wieder ein Spalier zu bilden. Der König, ruhig und ohne die geringste Erregung zu,zeigen, geht hindurch, ohne daß ein Wort fällt. Die Königin zeigt sich ihrer­ seits: es erhebt sich ein Gemurmel, das jedoch rasch zum Ver­ stummen gebracht wird. Der Dauphin und seine Schwester wer­ den herzlich begrüßt; Madame Elisabeth und Madame du Tour­ zelle, beide halbtot vor Müdigkeit, gehen zuletzt. Es ist 7 Uhr abends, als das Gitter des Peristyls herunterfällt. Am nächsten Tag bemerkt die Königin beim Aufwachen, daß ihr Haar weiß wie das einer alten Frau geworden ist. Die Abgeordneten ihrerseits waren sehr stolz und sehr verlegen Zugleich. Sie hatten beschlossen, Ludwig XVI. unter strenger Bewachung in den Tuilerien zu halten und den Justizminister an­ gewiesen, die von ihnen angenommenen Dekrete mit dem Staats­ siegel zu versehen, ohne daß,die Sanktion durch den König nötig sei. Das war die Suspendierung, fast die Absetzung des Königs, aber eine provisorische Absetzung, die alle Schwierigkeiten offen­ ließ. Sollte der König für immer des Throns für verlustig erklärt werden? Wer sollte dann sein Nachfolger sein? Wenn es der kleine Dauphin würde, wer sollte Regent werden ? Sollte die Ver­ fassung unabhängig von der Person des Herrschers aufrecht­ erhalten oder sollte die Republik proklamiert werden ? Was für *5*

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eine Art von Republik? Eine Volksrepublik mit Volksabstimmungën oder eine cäsarische mit einem Tribun, der fast ein Dik­ tator wäre ? . In den 4 Tagen des Interregnums war es zu keinerlei ernsthaften Unruhen gekommen. Das Verschwinden des Königs, den der weitaus größte Teil des Landes noch als Seele des Lebens Frank­ reichs betrachtete; hatte jedoch, wie dies Lenötre sehr richtig bemerkte, ein Gefühl des Niedergangs und der Lethargie hervor­ gerufen, und in dieser Beklemmung waren viele mehr oder weni­ ger ungesetzliche Initiativen zum Vorschein gekommen, die so üppig wucherten, daß sie die nahe bevorstehende Anarchie anzu­ kündigen-schienen. Andererseits war es klar (und viele mußten dies, Zumindest insgeheim, zugeben), daß der König nicht die Absicht gehabt, Frankreich zu verlassen. Wenn er dies gewollt, hätte er nicht den Versuch unternommen, die ferne Ostgrenze zu erreichen. Er würde über Lille oder Maubeuge nach dem Norden gegangen sein, wie es unter ähnlichen Verhältnissen in der glei­ chen, Nacht der Comte de Provence mit Erfolg getan hatte. Das ganze Werk der Verfassunggebenden Nationalversammlung stürzte ohne den König in sich zusammen. Es hätte ieine zweite Revolu­ tion unter sehr unsicheren Verhältnissen vollendet werden müs­ sen, ohne daß man gewußt hätte, wie man gegenüber einem alar­ mierten Europa, das vielleicht sogar zum Kriege schreiten würde, bestehen könnte. Die konstitutionelle Bourgeoisie weigerte sich, diese Gefahr auf sich Zu nehmen, und der halb aus Mitleid und halb aus Vemunftgründen für die Sache des’Königs gewonnene Bamave drückte seine Gefühle in-einer großen, am 15. Juli ge­ haltenen Rede sehr klar aus: „Jede Verfassungsänderung würde verhängnisvolle Folgen nach sich ziehen, und jede Revolutions­ verlängerung würde ein Unglück bedeuten... Es wäre ein unheil­ volles und schuldhaftes Unterfangen, noch einen Schritt weiter ^u gehen; ein Schritt weiter in Richtung der Freiheit würde die Vernichtung des Königtums bedeuten; ein Schritt weiter in Rich­ tung der Gleichheit die Aufhebung des Eigentums. Wenn man noch weiter Zerstören wollte ... f änd e man noch eine a n ­ dere A r i s t o k r a t i e , d i e v e r n i c h t e t w e r d e n k ö n n t e , a ußer d e r des Vermögens?“ Dieses Wort war sehr tief, es wurde begriffen und, um d ie sozi al e Re v ol ut i on h i n t ­ an z uhal te n, be gnüg te sich d i e Assemblée, d i e p o l i ­ tische Re v o l u ti o n zum S t i l l s t a n d zu bringen. Ein für allemal galt es als vereinbart, daß der König entführt worden Se‘- Dank dieser Annahme wurde er durch die Dekrete vom 15. ;

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und 16. Juli nicht mehr betroffen und wieder in alle seine Rechte eingesetzt. Um dem ganzen eine größere Glaubwürdigkeit zu geben, wurde eine Untersuchung gegen Bouillé und Komplizen,, die vermeintlichen Urheber der Entführung, eingeleitet. S e i t 1788 war die Revolutionspartei, entsprechend dem über­ stürzten Ablauf der Ereignisse, immer mehr auf die Linke ab­ gedrängt worden und hatte sich bei jeder Etappe mit Heftigkeit von ihrem rechten Flügel getrennt, der der Ansicht war, daß die Revolution aufgehalten werden müsse, und der die weitere Ent­ wicklung nicht mitmachen wollte.. Nach dem Sturz von Brienne wareni die Parlamentarier die ersten Opfer der ersten Säuberung geworden; nach den Tagen des 5. und 6. Oktober wurden die Freunde von Mounier die Opfer der zweiten. Die Klubs gingen nun wieder daran, ihr bisher so wohlgelungenes Spiel von neuem zu beginnen und riefen eine neuerliche Erregung hervor, wo­ durch sie der Assemblée von außen her den von ihr soeben zuruckgewiesenen Regimewechsel aufzwingen wollten. Die Jakobiner hatten eine Petition begonnen, in welcher mit allen konstitutionellen Mitteln die Thronenthebung des Königs und seine Ersetzung gefordert wurde. Daraufhin hatte sich die Partei jedoch gespalten: Sieyès, Bamave und die Lameth hatten die Gesellschaft unter Protest-verlassen, um im Feuillantiner-Kloster eine Konkurrenzgesellschaft zu gründen, und dieser Abfall sowie die Abstimmungen der Assemblée hatten die Bewegung gelähmt. Sie wurde durch einen anderen, viel volkstümlicheren und fort­ schrittlicheren Klub, die Gesellschaft der Freunde der Men­ schenrechte, die auch Klub der Cordeliers genannt wurde, wieder in Fluß gebracht. Die Cordeliers entstanden im Sommer 1790, gewannen jedoch erst seit dem Winter 1790/91 an Bedeutung, als sie sich an die Spitze der Klubs der einzelnen Stadtviertel (oder Brüdergesell­ schaften) gestellt, die sich auf Anregung von Marat und Danton gebildet hatten, um auch die kleinen Leute und Handwerker-zu erfassen, welche durch die hohen Mitgliedsbeiträge der Jakobiner abgeschreckt wurden; Die Cordeliers und die angeschlossenen Gesellschaften waren um so gefährlicher, als sie die korporativen Forderungen nicht von den politischen trennten. Sie waren es, die seit Mai 1791 die großen Streiks der Zimmerleute, Drucker, Hutmacher und Hufschmiede organisiert hatten, gegen welche die Assemblée am 14. Juni 1791 das Gesetz Le Chapelier verab­ schiedete, das jeden Zusammenschluß, der zu dem Zwecke er­ folgte, um den Arbeitgebern einheitliche Löhne aufzuzwingen, 154

streng untersagte. Unter Leitung Dantons beschlossen die -Cor­ deliers, •am 17. eine neue Petition, in welcher nicht.mehr von „konstitutionellen Mitteln“, sondern nur von der Absetzung; des Königs die 'Rede sein sollte, unter großer Volksbeteiligung auf ■ dem Altar des Vaterlandes auf dem Marsfelde niederzulegen. Die Volksgesellschaften sollten ihre Anhängerschaft auffordern:, in Massenzu der Unterzeichnung zu kommen. ," Durch die an den beiden vorhergehenden Tagen von der National­ versammlung verabschiedeten Dekrete ihuhrer Haltung bestärkt, verboten ' La Fayette, als Kommandant der Nationalgarde, und Bailly, als Bürgermeister von Paris, jeglichen Umzug. Die Klubs, die um 11 Uhr bei der Bastille in Kolonnen :Aufstellung nehmen wollten, fanden den Platz schon von Truppen besetzt und wur­ den sofort Zerstreut. Man mußte sich auf das schon seit dem Morgen mit Neugierigen überfüllte Marsfeld begeben. Dort ent­ deckte man direkt unter dem Altar des Vaterlandes 2 Individuen, die sich an dieser Stelle versteckt hatten. Welche Absichten ver­ folgten sie? Vielleicht waren es nur. Strolche, die dort geschlafen hatten. Vielleicht geht man auch nicht fehl in der Annahme, da der eine von ihnen' einen Bohrer bei sich trug, daß sie beabsich­ tigt hatten, mittels entsprechend angebrachter Löcher sich die die Petition unterzeichnenden Bürgerinnen mit Muße von amten Zu betrachten, um sich so ein billiges Vergnügen zu verschaffen. Wie dem auch sei, die beiden wurden aus ihrem Versteck heraus­ gezerrt und der Menge ausgeliefert, die sich an ihnen ihr Müt­ chen kühlte. Nun verbreitete sich das Gerücht, man habe soeben Zwei Räuber entdeckt,, die sich gerade angeschickt, den Altar in die Luft zu sprengen, und ohne weiter nachzuforschen, wurden die beiden Räuber auf revolutionäre Art aufgeknüpft. Da die Menge der Manifestanten immer größer wurde, entschloß sich La Fayette, den Platz räumen zu lassen, und Bailly ließ die rote Fahne ent­ falten, was das Zeichen des Standrechtes war. Die Pariser waren aber seit 3 Jahren allzusehr an die Verspottung der Soldaten ge­ wöhnt, als daß sie die Drohung wirklich ernst genommen hätten.Ein wahrer Steinhagel prasselte auf den Ordnungsdienst, nieder, der durch eine erste in die Luft gezielte Salve und dann, nach­ dem ein Pistolenschuß auf La Fayette abgegeben worden war, einer richtigen Salve erwiderte. Dies war das Zeichen zur Schlacht; überall knallten Gewehrschüsse, und die durch die / hopische Hitze und ihre schwere Uniform gereizte Nationalgarde schoß unaufhörlich, um ihrer Nervosität Herr zu werden. Das Innere der Föderation leerte sich innerhalb weniger Minuten, I 55

wobei die Flüchtenden, insbesondere bei Gros-Caillou, erbar­ mungslos verfolgt wurden. Marat behauptete in seiner Zeitung, ' es hätte 400 Tote gegeben, was jedocheine glatte Übertreibung, war. Wahrscheinlich waren auf seiten der Truppe 2 Tote und.7 Verletzte und auf seiten der Cordeliers gegen 50 Tote und eine größere Zahl von Verwundeten zu beklagen. Die genaue Zahl ist dabei unwichtig, wichtig ist, daß die legale Regierung zum erstenmal seit 1788 dem Aufruhr, die Stirn ge­ boten hat. Die Assemblée schien sogar ihren Sieg noch unter­ mauern zu wollen. Sie nahm am 18,, nach dem Bericht von Bailly, fast diskussionslos ein Dekret an, durch welches die Anstiftung zum Mord, die Aufwiegelung.der Mitbürger zum Ungehorsam und die Veröffentlichung und Verbreitung von aufrührerischen Schriften streng verboten wurde. Der Untersuchungsausschuß der Nationalversammlung leitete gegen die Anstifter der letzten Unruhen ein Verfahren ein; die Drahtzieher duckten sich; Danton floh nach England. Wenn man noch länger Festigkeit gezeigt hätte, wäre die demagogische Strömung eingedämmt worden. Aber infolge mangelnder Charakterstärke bleibt die Assemblée wieder einmal auf halbem Wege stehen: Die Untersuchung wird im Keime erstickt und die Klubs bleiben geöffnet. Zurück bleibt nur der Groll, ohne daß eine wesentliche Besserung der Lage erzielt wird. Die von den Gemäßigten begonnene Revision bleibt infolge der von der Rechten begangenen Fehler, 'die sich darüber freut, ihren ehemaligen Feinden einen bösen Streich zu spielen, und deshalb mit der extremen Linken stimmt, erfolglos. Man begnügt sich mit einigen fragmentarischen Maßnahmen: Den Prinzen und Prinzessinnen des königlichen Hauses wérden die Ehrentitel zurückgegeben, die Wahlbedingungen werden ver­ schärft und das Recht Zu Kollektivpetitionen aufgehoben; alles in allem sehr, wenig. Wichtiger war schon die Abstimmung, auf , Grund welcher der „Constitution civile“ der Charakter .eines Grundgesetzes aberkannt wurde, die dann als gewöhnliches Ge: setz gleichfalls abgeändert werden konnte. Aber auch das w a r nur der vage Beginn eines weit in der Feme liegenden Werkes. Die Assemblée war am Ende ihrer Kräfte. Der Vorfall auf dem Marsfeld hatte ihre letzten Reserven verbraucht; ihr Ansehen war verblaßt; man brachte ihr nur noch Gleichgültigkeit entgegen. Die übermüdeten Abgeordneten hatten es sehr eilig, auseinander­ zugehen, und die müde gewordene Öffentlichkeit hatte .es nicht minder eilig, sie abtreten zu sehen. Am 4. September wurde d i e Verfassung Ludwig XVI. gebracht, der am 13. in .einem sehr r56

würdigen Schreiben ihre Annahme kundgab: „Ich würde jedoch nicht bei der Wahrheit bleiben“, fügte er hinzu, „wenn ich sagen wollte, daß ich bei den Bestimmungen über die Exekutiv- und Administrativgewalt all die Energie festgestellt hätte, die erfor­ derlich ist, um gleiche Entwicklung und Einheit in allen Teilen, eines so großen Reiches zu gewährleisten; da aber heute die Mei­ nungen darüber geteilt sind, so stimme ich zu, daß in diesen Punkten die Erfahrung allein ihr Urteil sprechen soll.“ Am 14. verlas er seine Zustimmungserklärung in der Manège. Überall herrschte eitel Freude. Vor ihrer Auflösung verabschie­ dete die Assemblée noch eine Generalamnestie. Das Rathaus ver­ anstaltete glänzende Festlichkeiten: Dep Königin wurde in der Oper zugejubelt, und der König in den Gärten der Tuilerien im Triumph getragen. Viele Emigranten kehrten zurück... Das er­ schöpfte Paris streckte sich in der Sonne aus und gab sich ganz der Süßigkeit des Lebens hin. Die Verfassung, dieses ewige Denk­ mal menschlicher Weisheit, würde das Glück Frankreichs gewähr­ leisten. Die Revolütion war abgeschlossen.

A c h t e s K a p it e l

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DER KRIEG Die Revolution steckte noch ganz in den Anfängen: Die Ver­ fassung war unanwendbar. „Man nennt Regierung“, sagt Taine, „das Zusammenwirken -von Gewalten, die, jede in ihrem begrenzten Bereich, an'.einem ab­ gerundeten und endgültigen Werk arbeiten. Das ganze Verdienst einer Regierung besteht darin, diese Aufgabe zu erfüllen; eine Maschine ist ebenfalls nur durch ihre Wirkung wertvoll. Worauf es ankommt, ist nicht, daß sie fein säuberlich auf dem Papier ent­ worfen ist, sondern daß sie im Gelände g u t‘arbeitet. Umsonst würden die Konstrukteure auf die Schönheit ihrer Pläne und das sinnvolle Ineinandergreifen der Theorien hinweisen; man hat von ihnen ja weder Pläne noch Theorien, sondern ein Werkzeug ver­ langt. Zwei Bedingungen müssen zur wirksamen Handhabung die­ ses Werkzeuges erfüllt werden: Die öffentlichen Gewalten müssen übereinstimmen, weil sie sich sonst aufheben, und es muß ihnen gehorcht werden, weil sie sonst null und nichtig-sind. Die Ver­ fassunggebende Nationalversammlung hat weder für diese Eintfacht noch'für diesen Gehorsam gesorgt.“

Der König, ein ehrenamtlicher Subalternbeamter, steht in seinem Schloß-unter Zwangsverwaltung. Seine Minister werden äußere halb der Assemblée genommen, wohin sie nur demütig zur Aus­ kunftserteilung oder Beantwortung von Anfragen kommen dür­ fen. Alle nachgeordneten oder örtlichen Beamten: Richter, Di­ strikts- und Departementsverwaltungsbeamte, Bürgermeister und Gemeindeangestellte werden, vom höchsten bis zum niedrigsten, durch Wahlen, ermittelt. Der König verkörpert die Exekutiv­ gewalt, verfügt jedoch über keinerlei durchführende Organe. Er soll: die Armee befehligen, aber die Truppen und die Gendarmerie unterstehen den Gemeindeverwaltungen, und'seine Befehlsgewalt erstreckt sich nicht auf die Nationalgarde. Eine einzige Waffe bleibt ihm: Er hat die Möglichkeit, ' Dekrete, denen er nicht zu­ stimmt, auf 4 Jahre zurückzustellen. Dieses, ist das au f schie­ bende Veto, das zeitlich begrenzte Nein, wogegen der As­ semblée kein anderes Mittel bleibt als die rohe Gewalt, denn es gibt niemanden, der in einem. Konflikt als Schiedsrichter auftreten könnte, weder eine Wählerkörperschaft noch ein Oberhaus. Man hat dem Herrscher das Recht verweigert, die Nationalver­ sammlung aufzulösen; man hat auch keine zweite Kammer ge­ wollt, weil man befürchtete, daß sie zum Zufluchtsort der Aristo­ kraten werden könnte. Trotz der ihr auferlegten Fesseln scheint die Macht des Königs immer noch zu groß zu sein. Um ihn besser am Handeln zu hindern, stempelt man ihn zu einem Verdäch­ tigen. Die Erziehung seines Sohnes wird der Aufsicht der As­ semblée unterstellt. Alle, die ihm nahekommen oder ihm dienen, sind dadurch schön verdächtig. Begnügt er sich mit der Rolle eines passiven Zuschauers, beschuldigen ihn die Zeitungen der Lauheit, und ' die Republikaner weisen auf seine Überflüssig­ keit hin. Hascht er nach Popularität, so bereitet er ein Kom­ plott vor. Macht er von seinem Vetorecht Gebrauch, ist er ein Rebell. Die Gesetzgebende Nationalversammlung behauptet,' allein das Vertrauen des Volkes zu besitzen. Sie wird jedoch in einem dop­ pelten Wahlgang von den Wahlzensus bezahlenden Wählern ge­ wählt, welche die Zahlung einer gewissen Steuer nachweisen können, die für die i. Klasse, die:Klasse der aktiven Bürger, 3 und für. die 2. Klasse 10 Arbeitstage beträgt. Das passive Wahl­ recht besitzen nur die Bürger, deren Steuern sich auf mindestens 50 Franken belaufen. Dieser Umstand allein stellt jedoch für die Führer der extremen Linken ein Attentat auf die Menschenrechte und eine Beleidigung für die nationale Souveränität dar. Auf der

anderen Seite verfügt die Nationalversammlung gleichfalls nicht über mehr Mittel als der König, um sich Gehör zu verschaffen. Die Departements- und Distriktsdirektorien können ihr ungestraft trotzen, ebenso wie die Gemeindeverwaltungen den Departements und Distrikten.- In diesem System, wo es weder Hierarchie noch gesetzlichen Zwang gibt, sind die einzigen Behörden, die wirklich1 zählen, die untersten, die -in direkte •Fühlung.-mit dem Bürger kommen. : Diese sind jedoch infolge mangelnden Ansehens •■.und fehlender Kenntnisse sowie Ungenügendem Personal am un­ geeignetsten, die vielfältigen Aufgaben, mit denen sie betraut sind, gut durchzuführen. In der Hälfte der Gemeinden’können die Gemeindebeamteri kaum lesen. Von solchen Ignoranten verlangt man nun die, Sicherstel­ lung des öffentlichen Dienstes, von der Bewaffnung der National­ garde an" bis zur Beschlagnahme der Kirchengüter. Die größeren Gemeinden würden unter der Arbeitslast zusammenbrechen, wenn sie sich nicht entschlössen, von ihren Funktionen all das, was Zu kompliziert und rein verwaltungsmäßig ist und ihnen Schwierig­ keiten mit der Wählerschaft einbringen könnte, ganz einfach unter den Tisch fallen Zu lassen. Die Steuerlisten sind gar nicht oder nur schlecht aufgestellt. Öf­ fentliche Kundgebungen werden nicht verboten, und die persön­ liche Sicherheit ist nicht gewährleistet. Das den privaten. Gottes­ dienst genehmigende Dekret bleibt, unbeachtet, ■ und das Gesetz bezüglich Rückkaufs der .Feudalrenten wird systematisch ver­ letzt. Die Bürger zeigen um so weniger Lust, die ‘ Rolle von souveränen Wählern mit der von gelehrigen Untertanen zu ver­ tauschen, als die Wahlen sehr häufig stattfinden und ihre Sou­ veränität infolgedessen oft angerufen wird. Es wird ständig ge­ wählt: im Mai 1790 Wahl der Departements- und Distriktsver­ waltungen; im Oktober Wahl der Friedensrichter.und Distrikts­ gerichte; im November Erneuerung der Gemeinderäte; im Fe­ bruar und März 1791 Ernennung der Bischöfe und Pfarrer; von Juni bis September teilweise Erneuerung der Departements- und Distriktsverwaltungen, Wahl der Strafgerichte und Abgeordneten; im November teilweise Erneuerung der Gemeinderäte. All dies geschieht nicht an einem'Tag, sondern zieht sich oft wochenlang bin; an vielen Orten werden die Wahlen angefochten und müssen noch einmal abgehalten werden; überall sind sie von Versamm­ lungen, Petitionen und Umzügen begleitet. Das ganze Jahr über lebt das Land im Wahlfieber. Wessen Nerven sollen das ausbalten? Und wer hat genügend Freizeit und Geld, um sich dieser I J9

Aufgabe ganz widmen-zu können, wenn er daraus nicht seinen Beruf macht? , / Nach der Begeisterung des ersten halben Jahres ist sehr bald ein Nachlassen des Interesses feststellbar. Schließlich muß man ja auch leben. Wohl oder übel kehrt also Frankreich zu seiner Ar­ beit Zurück. Seit Juli 1790 ist die Zahl der Stimmenthaltungen .ungeheuer groß. In Besançon'wählen von 3200 eingetragenen Wählern nur 959; in Grenoble enthalten sich von 2500 Ein­ getragenen 2000; in Paris nehmen, im November 1791 an den Ge­ meindewahlen von 80000 Eingetragenen 10000 an der Wahl teil, und Pétion wird mit 6728 Stimmen'Zum Bürgermeister gewählt, Die Minderheit wird durch die Abdankung der Mehrheit all­ mächtig. „An Stelle der großen Mehrheit, die sich zurückzieht, versieht eine Minderheit den Dienst und bemächtigt sich der Macht.“ Wieder finden wir das Völkchen der Klubs unter dem Deckmantel des allgemeinen -Willens und der Wahlkomödien. Wenn man die Sachen so sehen will, wie sie wirklich sind, und nicht, wie sie die offiziellen Darstellungen schildern, muß man immer wieder auf diese Feststellung zurückkommen, selbst auf die Gefahr hin, monoton zu wirken. Was blieb neben den Gesellschaften noch bestehen? Um den Rahmen der Provinzen zu sprengen, hatte die Konstituierende Assemblée die Unterteilung in Departements vorgeschrieben. Sieyès riet sogar, Frankreich in 81 gleichgroße Vierecke aufzu­ teilen; bei der genauen Linienführung mußte man jedoch wohl oder übel auf örtliche Überlieferungen und Differenzen Rück­ sicht nehmen. Die praktischen Lösungen erforderten viel Arbeit; die Kommissare ließen sich dabei durch die verschiedensten Be­ weggründe leiten; zur Bildung des Departements der Mayenne faßte man z. B. alle Gemeinden des Steuerbezirkes von Tours, die Ackerbau trieben, zusammen; das Departement von Tarn wurde durch die Verschmelzung der 3 kleinen Diözesen von Albi, Castres und Lavaur gebildet, denen 6 Pfarreien zugeschlagen wurden, die von der Diözese von Bas-Montäuban weggenommen wurden. Einige Departements besitzen eine Einheit in bezug auf Boden und Erzeugung; andere, wie Isère, sind ein „geographi­ scher Nonsens“. Auf jeden Fall war diese Einteilung von Be­ stand, was beweist, daß sie für die Verwaltung vorteilhaft war. Infolge ihrer geringen Ausdehnung und den meist bedeutungs­ losen Zentren stellen die Departements jedoch ein Hindernis für die Entwicklung wahren regionalen Lebens dar. Die „Législative“, die Gesetzgebende Nationalversammlung tritt 160



am 1. Oktober zusammen. Sie zählt . 745 Mitglieder. „Noch nie gab es eine jüngere Nationalversammlung“, schrieb Michelet. „Sie sehen fast wie ein gleichförmiges Bataillon von Männern ungefähr des gleichen Alters,-der gleichen Klasse, Sprache und Kleidung . aus. Mit Ausnahme von Condorcet, Brissot und einigen anderen tauchen lauter unbekannte Namen auf. Die Konstituierende Na­ tionalversammlung hatte nämlich, mm die Bande, die das neue Regime noch an das Ancien Régime knüpfte, um so sicherer zu zerreißen, bestimmt, daß ihre Mitglieder nicht wiedergewählt werden konnten. Es folgen also unbedeutende, ungeschickte, arg­ wöhnische, unerfahrene,' voller Vorurteile steckende und nach großen Worten lechzende Durchschnittsbürger. Die Rechte, d.h. jetzt die Konstitutionellen, zählt nur ungefähr. 100 Mitglieder; mit ihren sehr unverläßlichen Verbündeten vom ‘Zentrum kann sie 200 bis 250 Stimmen auf sich vereinigen. Auf der Linken sind nur 140 Jakobiner, von denen aber die 340 Unabhängigen,, die großenteils der allmächtigen Gesellschaft ihr Mandat verdanken, beherrscht und fortgerissen werden. Bei den 140 fallen besondersi auf Condorcet und Brissot, Deputierte von Paris, und die Depu­ tierten von Bordeaux, Vergniaud, Gensonne und Guadet, die durch ihre Beredsamkeit die Hauptakteure sein werden. In der Gesetzgebenden Nationalversammlung wird sehr viel ge­ redet: Von 745 Abgeordneten ’sind 400 Advokaten, 400 Dauer­ redner, von denen meist gegen 20 auf einmal reden. Die Sitzun­ gen der Konstituierenden Nationalversammlung waren unordent­ lich; diejenigen der Gesetzgebenden arten in völlige Anarchie aus. „Man stelle sich ein Schulzimmer vor“, berichtet ein Augen2euge, „in dem sich Hunderte von Schülern streiten und jeden Augenblick, drauf und dran sind, sich in die Haare zu geraten. Ihr mehr als nachlässiger Aufzug, ihr aufgeregtes Gebaren, ihr schroffer Übergang von Hoch- zu Pfuirufen, all dies ist ein Schauspiel, das man weder beschreiben noch vergleichen kann.“ Hie Zuhörer verunglimpfen die Gemäßigten; man gestattet Zu^ sammenrottungen von Männern und Frauen, den Saal zu durchqueren.und lärmende Drohungen auszustoßen. Alle Delegationen, selbst unanständige oder kindische, werden vorgelassen. Es herrscht ein ständiger Höllenlärm, der noch durch alle möglichen ~. Lärmmittel künstlich gesteigert wird!. Nur den wirklich großen Rednern gelingt es, sich Ruhe und Ge- . hör zu verschaffen. Doch noch niemals berauschte man sich so an bloßen Worten, pompösen Reden und hohler Rhetorik. Der Kreis des Popilius, die Gracchen, Brutus, Cato, Catilina, CinciGaxotte, Revolution

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nàtus und sein Pflug, der seine Kinder verspeisende Saturn, all diese verstaubten Schulerinnerungeh wurden zusammen mit feier­ lichen Albernheiten, Anrufungen der Götter und Zitaten aus demContrat social von der Rednertribüne herunter verzapft. Selbst Vergniaud läßt sich von den tönenden Phrasen fortreißen und bleibt gegenüber dem Übertreibung und Extravaganz ermutigen­ den Beifall nicht unempfindlich. In Wirklichkeit ist er ein Hohl­ kopf, der trotz seiner Begabung mit 36 Jahren noch keinen Beruf und keine Stellung hat, der sich schon überall versucht hatte, im Seminar, in der Jurisprudenz, in der Verwaltung und bei Gericht; nun ■verbringt er seine Zeit in Cafés und hinter den Kulissen, unfähig, sich für etwas zu entscheiden, um eine nützliche Auf­ gabe Zu erfüllen: ein guter Redner, aber nicht mehr. Condorcet findet für sich eine andere Spezialität: die Blasiertheit. „Er schrieb“, sagte Riyarol,. „mit Opium auf Bleiplatten.“ Jede As­ semblée braucht ihren Denker und ihr Orakel. Diese Rolle über­ nimmt Condorcet, Direktor der staatlichen Münze, ständiger Sekretär der Académie des Sciences, Philosoph, Mathematiker, ehemaliger Freund d’Alemberts und hartnäckiger Überlebender der Enzyklopädie. Diese Rolle stand dem dicken Akademiker selbstverständlich zu; man fand sich damit ab, ihn anzuhören und zu bewundern. ■ ' Sind die Schauspieler schon schlecht, so ist. das Stück selbst eine Tragödie. Nachdem der erste Rausch verflogen, fängt die Infla­ tion ana zu wüten. Die Lebensverhältnisse sind schwer' und Le­ bensmittel rar und teuer; die Wirren verjagen die Kundschaft, und'der, Handel liegt still. Die Ernten von 1789 und 1790 waren gut, die von 1791 jedoch schlecht ausgefallen. Von dem aufrühre­ rischen San Domingo kommen keine Kolonialprodukte mehr; so fehlt es an Zucker. Seit dem Herbst wird wieder von fast überall die Belagerung von Kaufläden, Überfälle ' auf Transporte und Plünderungen von Märkten gemeldet. Nach dem Bericht des Innenministers vergeht im Februar 179z kein Tag, an dem nicht irgendein alarmierender Aufstand gemeldet würde. Bewaffnete Hausdurchsuchungen bei den Bauern, willkürliche Abschätzungen des Getreides, Hausfriedensbrüche, Stillstand der Transporte, : Plünderung der Mühlen und Speicher. Von einem Ende des Kö­ nigreichs zum anderen breitet sich wieder eine Epidemie von Ge­ walttätigkeiten aus, die der ersten so sehr ähnelt, daß man sich bei der Schilderung dieser Zustände um 2 Jahre zurückversetzt glauben könnte. .‘ , In Dünkirchen Werden im Monat Februar 10 der bedeutendsten 162

Handelshäuser verwüstet, wobei; es 14 Tote und 60 Verwundete gibt. In Noyon halten 30000 Bauern die Getreideschiffe auf der Oise an und bemächtigen sich ihrer Ladung. Die Märkte der Beauce werden von den Köhlern und Nagelschmieden der Wälder von Conches und Breteuil gestürmt, und die Gemeindeverwal­ tungen sind gezwungen, die Preise für Mehl, Butter, Eier, Eisen und Kohle gesetzlich festzusetzen. In Montlhéry wird ein Ge­ treidehändler ermordet, in Etampes der Bürgermeister massa­ kriert; dieselben Szenen spielen sich im Departement Yonne und Nièvre ab; wo die Bewohner von Morvande. die Angreifer sind. Im März und April ist das Cantal die Beute .eines Bauernauf­ standes, der in ungefähr 20 Gemeinden wütet: Schlösser werden in Brand gesteckt, die Besitzer Zwangsrequisitionen unterworfen, und die Behörden bleiben untätig oder sind Komplizen. In den Bouches-du-Rhône werden die Gesetze vollkommen mißachtet, und es herrscht ständiger Bürgerkrieg. Allwöchentlich werden wahre Expeditionen von Städten gegen Städte, Gemeinden gegen Gemeinden veranstaltet. Die Nationalgarde von Marseille spezia­ lisiert sich auf diese einträglichen Razzien; die sie nacheinander nach Aubagne, Auriol, Eyguièrë, Apt und vor allem nach Arles unternimmt, wo sie eine Kontribution von 86000 Franken einhebt; Manosque und'Digne'werden gleichfalls heimgesücht; das erstere muß 13000 Franken, das letztere 62000 Franken bezahlen., Unter, dem Schein des hundertfach verkündeten und beschwore­ nen Rechtes bleibt nur die Unterdrückung der einen Klasse durch die andere, die hemmungslose Entfesselung aller Gelüste und die Tyrannei der sich alle Rechte des Herrschers aneignenden Fana­ tiker übrig. Der Thron und die Verfassung, werden jedoch nicht von diesen Wirren allein hinweggeschwemmt; indem sie die Ge- mäßigten und. die Bürger, erschrecken, hätten diese Zustände so­ gar beinahe zu einer Konsolidierung beigetragen. Um bis zur Republik zu gelangen, bedarf es nicht nur der durch die As­ signaten und Religionsgesetze verursachten Verwüstungen, son­ dern auch,.und vor allem, der äußeren Gefahr, des Krieges. Seine Ursachen sind so unklar und verwickelt, daß wir, um uns ein klares Bild machen zu können, die verschiedenen: Akteure einzeln an uns vorüberziehen lassen wollen: den König, Europa und die Revolutionäre. . Schon Ende 1789 hatte Ludwig XVI. seinem spanischen Cousin einen geheimen Protest gegen das1Werk der Konstituierenden Na­ tionalversammlung, die er als „metaphysisch“ bezeichnete, über­ reichen lassen. Damit wollte er jedoch nur gegenüber den Prinzen 163

seines Hauses, den möglichen Erben eines in Stücke fallenden Thrones, sein Gewissen beruhigen. •• Ein Appell Ludwigs XVI. an die Herrscher zur Wiederherstel­ lung seiner Souveränität hätte niemanden überrascht. Es entsprach der politischen Auffassung der Zeit, beim Ausländ Zuflucht zu suchen, und man hätte nicht lange Zu suchen brauchen, um zahl­ reiche Beispiele dafür zu finden. Da Staat und König untrennbar sind und der König die höchste Verkörperung des Vaterlandes darstellt, sind die Feinde des Königs zugleich Staatsfeinde. Weil der Fürst das Recht und die Pflicht, hat, die-Feinde zu bekämp­ fen, so ist er allein auch Richter über die geeigneten Mittel zu ihrer Niederwerfung. Die Frage der Gesetzlichkeit oder Un­ gesetzlichkeit solcher Schritte ist also uninteressant, es sei denn, wir stellten dabei nur fest, daß unsere Ansichten in diesem Punkt nicht mit denen unserer Großväter übereinstimmen. Wenn sich jedoch Ludwig XVI. im Innersten berechtigt glaubte, in Wien oder Berlin um Hilfe nachzusuchen, so konnte er das Heil, des Königtums nicht mit gutem Gewissen im Verderben des Königsreichs sehen. Und als ihn die Dekrete über den Klerus dazu brachten, eine Intervention Europas zu fordern, wünschte er diese ganz anders, als gewöhnlich dargestellt wird. Für ihn ging es nicht darum, eine internationale Expedition einer reaktionären Polizeistreitmacht auf die Beine zu bringen; davon kann gar keine Rede sein. Was Ludwig XVI. wünscht, ist ein Kongreß von Sou­ veränen unter gleichzeitiger Zusammenziehung von Truppen. Der Kongreß und die Truppenzusammenziehungen sollen beide mit großem Gepränge und ostentativ erfolgen.. Nach einigen ein­ leitenden Beratungen sollen die Fürsten dann ein 'schreckliches Manifest gegen die Revolutionäre von Paris erlassen, die, durch das Getöse der Stiefel und Säbel eingeschüchtert, bescheidener auftreten werden, während den guten Bürgern, die Ordnung und Monarchie verehren, neuer Mut eingeflößt wird. Die Mächte wer­ den erklären, sich keineswegs in innerfranzösische Angelegen­ heiten einmischen Zu wollen, aber nur den König anerkennen zu können und nur mit ihm nach seiner Befreiung verhandeln zu wollen. Daraufhin, wird die entsetzte Nation sich dem Thron zu Füßen werfen und Ludwig XVI. anflehen, sie vor Invasion und Krieg zu bewahren. Ludwig XVI. wird ihren Bitten nachkommen, den Zorn Europas besänftigen'und auf Grund dieser Ver­ mittlung sein" Ansehen.wiederherstellen und die Macht zurück­ erhalten, die man ihm geraubt. Diese Methode der Einschüchterung kehrt immer wieder. Keine 164

Invasion und keine Demonstration in der Nähe der Grenzen, son­ dern nur ein schwärzer Mann in der Ferne, der wild die Augen rollt und ein Holzschwert schwingt! Man wundert sich, daß Lud­ wig XVI- und Marie-Antoinette an die Wirksamkeit einer solchen Komödie glauben konnten. Tatsächlich beschränkt sich jedoch ihr ganzer Interventionsplan darauf,1wie er insbesondere in einer Denkschrift Marie-Antoinettes an ihren Bruder vom 8. September 1791, über 2 Monate nach Varennes, und in einem Brief Lud­ wigs XVI. an den König von Preußen vom 3. Dezember, 3 Mo­ nate nach der Eröffnung der Gesetzgebenden Nationalversammlung, dargelegt wurde. ' Kindereien? Ja, aber Kindereien, welche den Gerichtshöfen als Ungeheuerlichkeiten erscheinen, werden. Vielleicht gründet sich jedoch diese Bescheidenheit der königlichen. Pläne auf eine ge­ naue Kenntnis der europäischen Verhältnisse. Die Ereignisse in Frankreich waren von Europa mit sehr großer Kaltblütigkeit und einer gewissen Befriedigung aufgenommen worden. Revolutionen stellten für die Staatskanzleien keine Neu­ heit dar; gewöhnlich betrachtete man sie als Verfallserscheinung und wünschte sie seinen Feinden. Unser Land nahm in der Welt einen zu bedeutenden Platz ein, als daß man sich nicht vielerorts darüber gefreut hätte, daß es wegen der inneren Gefahr seine äußeren Interessen vernachlässigen müsse. Ein zerrissenes und heruntergekommenes Frankreich entsprach wunderbar den Wün­ schen der vier ,Großmächte; des durch den Osten völlig in An­ spruch genommenen Rußland, des durch die belgische Revolution und den Türkenkrieg geschwächten Österreich, des durch das pol­ nische Wiedererwachen alarmierten Preußen und vor allem des vom Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg schlecht erholten, in finanziellen Schwierigkeiten befindlichen und nach neuen Absatz­ märkten für seine Industrien suchenden England. „Die Franzo­ sen“, schrieb Burke, „waren die allergeschicktesten Arbeiter zur Herbeiführung ihres eigenen Ruins. Sie haben ihre Monarchie, ihren Handel und ihre Fabriken vollständig vernichtet und haben unser Spiel, das Spiel ihrer Feinde, vollendet gespielt, viel besser, als es 20 Schlachten von Ramillies hätten tun können. Wenn wir Frankreich völlig besiegt hätten und es zu unseren,Füßen läge, würden wir uns schämen, den Franzosen zur Regelung ihrer An­ gelegenheiten eine Kommission zu schicken, die ihnen so harte und für ihre nationale Große so verderbliche Gesetze auferlegen sollte, wie sie es selbst getan haben.“ Bis zu den kleinsten deut­ schen Fürsten herunter freute man sich über die Verfinsterung

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der Sonne von Versailles; nachdem man solange unter dem Ein­ fluß des glänzendsten europäischen Hofes gestanden hatte, emp­ fand man eine barbarische Genugtuung bei der Verfinsterung dieses Glanzes, den man einst so unterwürfig angebetet hatte. Die Praxis der Demokratie hat uns so sehr ;an Parteienkämpfe gewöhnt, daß wir uns das internationale Leben unbewußt mach dem Muster des parlamentarischen vorstellen — wir möchten,in unserer Gedankenträgheit ännehmen, daß 1789 alle Könige für den König von Frankreich Partei ergriffen und alle Völker für das französische Volk. Diese vergröbernde Ansicht ' muß man jedoch fallen lassen; die Klagen Ludwigs XVI. fanden keinerlei Echo. -Die Könige verhielten sich gegenüber dem Schicksal des Königs von Frankreich gleichgültig oder, wenn sie schon manch­ mal ein gewisses Mitleid für ihn empfanden, gingen ihre Sympa­ thiebeweise über rein formale Beileidsbezeugungen nicht hinaus. „Der König von Preußen“, berichtet unser Gesandter in-,Berlin, „hat mir die Ehre zuteil werden lassen, das Wort an mich zu richten und sich mir gegenüber sehr teilnahmsvoll über die Lage des '•Königs geäußert. ;. Trotzdem ist die Befriedigung dieses , Hofes ganz offensichtlich, und man wünschte nur, daß die Wirren in Frankreich noch schwerer und von ewiger Dauer wären.“ Der eigene Bruder von Marie-Antoihette, der brutale Systematiker Joseph II., schreibt nach der Einnahme der Bastille an seinen Kanzler: „Meine Gesundheit ist nicht so angegriffen, als daß ich mich über Ereignisse aufregen würde, an denen1ich ganz un­ beteiligt 'bin.“ Seine Gesundheit war jedoch immerhin stark genug angegriffen, um ihn ins Grab zu bringen. Sein Bruder und Nach­ folger Leopold war ein überlegener, geschmeidiger und grüble­ rischer Geist, der in Toskana regiert und im Lande Macchiavellis diplomatischen 'Unterricht genommen hatte. In allem von Joseph verschieden, ähnelte er ihm doch durch seinen Staatsegoismus, den er mit dem gleichen Zynismüs ausdrückte: „Es gibt keinen Herr­ scher in der Welt, der das Recht hätte, wegen der Verfassung, die sich ein Volk gibt, von diesem Rechenschaft zu verlangen; ist sie gut, um so besser für das Volk; ist sie schlecht, so werden die Nachbarn den Nutzen davon haben.“ Nach Feststellung dieser Sachlage wäre es interessant, in Erfah­ rung zu bringen, ob die Kabinette von London und Berlin bloß lächelnde, aber passive Zuschauer unseres Unglücks geblieben sind oder ob sie nicht daran gearbeitet haben, die Lage noch zu verschlimmern. Dieses Vorgehen hätte einer sehr: alten Tradition entsprochen, die auch heute noch geschätzt wird. Bedauerlicher­ 166

weise für die Geschichtsschreibung werden solche Einmischungen sehr diskret vorgenommen und hinterlassen in den Archiven wenig Spuren. Trotzdem hat Albert Mathiez beim Durchstöbem der Akten des Revolutionsgerichtes zahlreiche Fälle von Einverneh­ men mit dem Feind an das Tageslicht gebracht, die wohl aus dem Jahr 1793 stammen, die uns aber zusammen mit anderen Doku­ menten gestatten, die Tätigkeit ausländischer Agenten festzu­ stellen. Marat hat von preußischen Aufwieglern gesprochen, die sich unter die Angreifer der Bastille mengten. Genauer: im Okto­ ber 1790 kommt in Paris ein Rat des Königs Friedrich Wilhelm, Benjamin Veitei Ephraim an, der schon in den Aufstand der Niederlande verwickelt war und der, unter dem Deckmantel von Handelsbeziehungen und Warenlieferungen, die Linke der As­ semblée bearbeiten sollte, den König zu zwingen, das österreichi­ sche Bündnis Zu brechen. Am 22. April 1791 schrieb er an seinen Herrn, daß „der Jakobinerklub Preußen ganz ergeben sei“. Der Abgeordnete Rabaut-Saint-Etienne gibt diesen ausländischen Ein­ fluß ebenfalls als Begründung seines Ausscheidens aus dem Klub mitten in der Krise von Varennes an. Nach seiner Meinung wird die republikanische Bewegung in Berlin oder London genährt. „Man kann nicht: verhehlen“, schreibt er • am Tage des Ge­ metzels auf dem Marsfeld an seine Mitbürger in Nîmes, „man kann nicht verhehlen, daß Gelder verteilt wurden, daß Aus­ länder sich unter die Volksansammlungen gemischt haben und daß der aufrührerische Einfluß vom Ausland kam.“ Auf Befehl ' des Untersuchungsausschusses der Assemblée wurde Ephraim sowie eine holländische Abenteuerin, Etta Palm, die sich Baronne d’Adders nennen .ließ, in der Nacht vom 18. zum , 19. Juli ver­ haftet. Aber er berief sich auf seine Eigenschaft eines Geheim­ rates und wurde nach 3 Tagen wieder freigelassen, ohne daß man gewagt hätte, alle seine Papiere zu überprüfen. England unterhielt in Paris gleichfalls zahlreiche Geheimagenten. Unser Gesandter in London, La Luzerne, warnte in jeder De­ pesche den Minister Montmorin vor den Intrigen dieser Kreise. Der Minister, der weder über Polizei noch andere Abwehrmittel verfügt, kann jedoch nur seine Ohnmacht und Unwissenheit ein­ gestehen. Ein Bericht von La Luzerne vom 26. November 1789 be­ zeichnet namentlich Danton und seinen Freund Paré, beide damals völlig unbekannt, als im Solde der Regierung von Pitt stehend. Übrigens flüchtet sich Danton im Juli 1791 gerade nach London, um so den gegen die Cordeliers eingeleiteten Verfolgungen zu entgehen. Wenn man dem neuesten Biographen von Pitt, J. H. Rose, 167

Glauben schenken kann, so hätte Mirabeau gleichfalls Geld von England angenommen und eine Rede gegen das spanische Bünd­ nis und für die Auflösung von in Brest betriebenen Seekriegs­ rüstungengehalten. Von einer Internationale der Könige war man jedenfalls weit entfernt I Im Vergleich zu den Mächten, die vom ersten Augenblick an ihren wirklichen oder vermeintlichen Nutzen, den sie aus der französischen Krise ziehen konnten, gesehen, hatten die Revolu­ tionäre nur recht verschwommene Vorstellungen und eine aus­ gefallene Mischung von pazifistischen Träumereien und über­ holten Traditionen in die Assemblée mitgebracht. Die in der Innenpolitik oft fortschrittlichen Ideen huldigenden Männer sind in der Außenpolitik rückständig und rückschrittlich. Sie verkün­ den hier Grundsätze, die um 1640. in Umlauf und schon 1715 überholt waren und bleiben bei Richelieu und dem Krieg gegen Habsburg stehen. Die Annäherung an Österreich ist für sie ein Skandal, wobei es ihnen wenig ausmacht, daß dieses durch Vergennes rein defensiv gestaltete Bündnis der BegehrlichkeitPreußens im Wege steht und durch die Aufrechterhaltung des Friedens auf dem Kontinent die Besiegung der Engländer zur See, und, durch den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, die Wiedergutmachung der durch den Pariser Frieden erlittenen Verluste ermöglicht wird. Sie haben für diese Zusammenhänge kein Verständnis; ihnen gilt das Haus Österreich;als Erbfeind; ein Bündnis mit ihm eingehen, ist Verrat und Wahnsinn! Marie-Antoinette ist zuerst die Ö s t e r ­ r e i c h e r i n und dann erst französische Königin, und dieser Spitz­ name wird sie auch sicherer ins Verderben bringen als all ihre Unüberlegtheiten. Was nun den F a m i l i e n p a k t betrifft (das Bündnis mit den Bourbonen von Spanien und Italien),. so sind die Abgeordneten der Konstituierenden Nationalversammlung auch davon keine sehr warmen Anhänger. Spanien ist wohl die drittgrößte Seemacht der Welt, und seine'Hilfe ist unerläßlich, um England die Stirn zu bieten. Aber warum sich mit England messen? Wegen der Kolonien ? Seit einem halben Jahrhundert erklären doch alle Phi­ losophen, Montesquieu und Voltaire an ihrer Spitze, daß die Kolonien nur eine Belastung darstellen und Entvölkerung und Räubereien begünstigen. Zur Eroberung „einiger Hektar Schnee“ oder zur Befriedigung der Interessen von Sklavenhändlern wird das neue Frankreich sicher nicht England, die Erfinderin des Par­ lamentarismus oder das Preußen Friedrichs, dieses gesegnete Land der großen Kirchenlichter und Philosophen, bekriegen ! 168

Das von den letzten großen Ministern der Monarchie aufgestellte politische System geriet so in Widerspruch zu einigen, der Grund­ tendenzen der öffentlichen Meinung der Revolution, die stets ge­ neigt war, die äußeren Feinde mit den inneren Gegnern in Ver­ bindung zu bringen und sich auf beiden Gebieten von derselben Sentimentalität leiten zu lassen. Die ersten' Zwischenfälle ereigneten sich gleich in den ersten Tagen der Konstituierenden Nationalversammlung. Im Frühjahr 1789 lag England in-offenem Streit mit Spanien wegen der Bucht von Nootka, die es gegen den Willen des Hofes von Madrid be­ setzen wollte, der sie seinerseits als zu Mexiko gehörend für sich in Anspruch nahm. Als gerade die Stände zusammentraten, hatten die Spanier ein englisches Schiff ' aufgebracht; die darauffolgen-, den Verhandlungen führten im Frühjahr 1790 zum offenen Bruch. Spanien verlangte nun die Durchführung des Bündnisses und, angesichts der, kriegerischen Maßnahmen der Londoner Regie­ rung, die am 4. Mai'die Mobilmachung der Marine verfügt hatte, informierte Ludwig XVI. die Assemblée, daß er Zur Gewähr­ leistung der Sicherheit des Königsreichs genötigt gewesen sei, den Befehl zur Armierung einer Einheit von 14 Schiffen zu erteilen. Er hoffte Zweifelsohne, dadurch die öffentliche Meinung zu mobi­ lisieren und alle Abgeordneten in einer Welle des Patriotismus um sich zu scharen. Er irrte sich jedoch. Die Außenpolitik war, wie alle anderen Fragen, ein Element der Uneinigkeit. Die könig­ liche Botschaft gab den Parteienkämpfen nur neue Nahrung. iDie mit einer Angelegenheit des nationalen Interesses befaßte Ver­ sammlung behandelte den Vorfall nur nach den Gesetzen ihrer eigenen Ideologie. „Mögen alle Völker so frei wie wir sein, dann gibt es keine Kriege mehr“, rief ein Abgeordneter aus. Auf An­ trag von Pétion und Robespierre erklärte die Assemblée den dauernden Frieden! Die Diplomaten, die Armeen und die Intrigen sollten abgeschafft werden! Es sollte kein Blutvergießen mehr geben. „Das französische Volk verzichtet ’darauf, je einen Krieg zu Eroberungszwecken zu führen und wird seine Kräfte nie gegen die Freiheit eines ;anderen Volkes einsetzen.“ Dieses Dekret, dessen Absurdität im Laufe der nächsten Jahre voll zum Vor­ schein kommen sollte, hatte in dem vorliegenden Fall einen ganz bestimmten Zweck: es war der Bruch des spanisch-französischen Bündnisses und das Ende des Familienpaktes. Einen Monat später treten neue Schwierigkeiten auf. Avignon nnd die Grafschaft Venaissin, die dem Papste gehörten, bildeten eine Enklave im Königreich; es war hier eine Art Splitter des 169

Mittelalters übriggeblieben. Die schon in Rom kraftlose Herr­ schaft des Papstes war dort völlig machtlos; jede einzelne Ge­ meinde, verwaltete sich nach ihrem Gutdünken. Avignon-war ein wahrer Operettenhof, von wo Schmuggler und Verbrecher un­ gestört die Polizei narrten. Der Zusammenbruch der französi­ schen Behörden gab ihnen noch größere Handlungsfreiheit, so daß die Lage rasch unhaltbar wurde. Die Anhänger der Ordnung flehten den König an, einzugreifen und das Land zu säubern. Während'sich Avignon zu Frankreich hinneigte, blieb Carpentras päpstlich und aristokratisch. Schließlich verjagten die ganz von der Revolution angesteckten Bewohner Avignons den Legaten und verlangten die Annektion. Was würde nun aus der Entschließung vom 22. Mai, die alle Eroberungen untersagte, werden ? Die Ge­ setzgeber der Konstituierenden Nationalversammlung ließen sich jedoch wegen einer solchen Kleinigkeit nicht aus dem Konzept bringen. Frankreich habe tatsächlich, erklärten sie, auf mit List vorbereitete und durch rohe Gewalt vollzogene Eroberungen nach dem alten Recht verzichtet. Es habe sich jedoch nicht das Verbot auferlegt, Bevölkerungen, die von selbst und freiwillig auf Grund des neuen Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu ihm kommen, nicht aufzunehmen. „Hat die freie Vereinigung eines Volkes mit einem anderen etwas mit Eroberungen gemein ?“ sagte Robes­ pierre; „ist Eroberung nicht die Unterdrückung eines Volkes, das der Eroberer in Ketten legt?“ Die Besetzung Avignons ist also berechtigt; sie stellt kein Attentat gegen die Freiheit dar, sondern -ist eine Befreiung. Die Theorie ist fein, aber außerordentlich gefährlich:, Wo soll, man auf dieser Bahn einhalten ? Wenn eine (mehr oder weniger aufrichtige) Abstimmung oder eine (mehr oder weniger gefälschte) Volksabstimmung genügen sollen, eine Annektion in eine spon­ tane Vereinigung zu verwandeln, warum sollte dann nicht Frank­ reich auf Grund einer geschickt geführten revolutionären Propa­ ganda darangehen, halb Europa zu verschlucken ? Camille Desmoulins, der seine Zeitung „Revolutionen in F r a n k r e i c h und Bra ba nt“ genannt hatte,, proklamiert unaufhörlich die Solidarität der revolutionären Bewegungen. „Man muß das euro­ päische Staatsrecht genau so behandeln wie Luther das kanoni­ sche:, alle seine Bücher ins Feuer werfen. Was liegt schon daran, daß sich die Tyrannen Europas gegen uns zusammenschließen, um uns mit Krieg zu überziehen? Ich sage, vielleicht ist dies nötig, um die anderen, in Vorbereitung befindlichen Revolutio­ nen, rascher zum Reifen und Tragen kommen zu lassen.“

Die'ausländischen Aufwiegler, -von denen Paris voll ist, verbrei­ teten in ihrem Herkunftsland die-Grundsätze'ihres neuen Vater­ landes. Frankreich schien durch diese Sendboten die Grenzbevölrungen aufzùfordem, seinem Beispiel nachzueifern, um durch demokratische Unruhen Annektionswünsche vorzubereiten, deren Entgegennahme es sich von nun an vorbehielt. Statt ein Zwischen­ fall der innerfranzösischen Politik, sollte die Revolution ein kos­ mopolitisches Beginnen werden, eine allgemeine Religion, durch die sämtliche Staaten nicht allein in ihrer Form, sondern in ihrer eigentlichen Existenz bedroht wurden. •Kam man unter diesen Umständen dem Ersuchen der Bewohner von Avignon nach, so forderte man dadurch ganz Europa heraus. Die Konstituierende Nationalversammlung zögerte auch volle 1I/2 Jahre; schließlich stimmte sie,'6 Tage vor ihrer Auflösung, am 12. September 1791,' auf einstimmige Empfehlung einer in die Grafschaft entsandten Untersuchungskommission, für die Vereinigung mit Frankreich. „Es ist offensichtlich“, schrieb sogleich der Comte de la Marek, „daß Frankreich nach diesem Verhalten bald in regelrechtem Kriegszustand mit allen Regierungen sein wird; es wird sie un­ aufhörlich durch innere Aufstände bedrohen, und die Aufstände werden zu Eroberungen führen. Rom, das die Könige absetzte, als die Völker sich unter seinen Schutz stellten, wandte auch kein anderes System an. Es ist wohl möglich, daß einige Wirrköpfe der neuen Versammlung die allgemeine Begeisterung dazu be­ nützen, um eine Invasion der. Niederlande durchzusetzen... Von da ist nur ein Schritt bis zum Aufstand des Gebietes von Lüttich oder von ganz Holland. Das erscheint ihnen verrückt? Nun, bei der Zusammensetzung der nächsten Nationalversammlung, wer­ den solche brandstifterische Maßnahmen, unterstützt von dem Ehrgeiz von La Fayette,. wie die allereinfachsten Dinge er­ scheinen.“ La Marek hatte richtig beobachtet. Auf die Angelegenheit der Grafschaft folgte die Frage der im Elsaß begüterten Fürsten und die des Zusammenschlusses der Emigranten. Der Kaiser und das Reich waren an beiden Fragen interessiert, und bei der ersteren standen sich das neue und das alte Recht diametral gegen­ über. ker, Friedensvertrag von Münster ,und Osnabrück, durch den das Elsaß an Frankreich abgetreten worden war, war nur in bezug auf die Länder, die direkt dem Haus Österreich unterstanden hatten, klar abgefaßt. Für den Rest .waren von den. deutschen Unterhändlern unklare Formulierungen in den Text hinein-.

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darunter Brissot, sofort, und 8 andéren, darunter Barbaroux, Lanjuinais .und Pétion, gelang es, im Laufe des Monats zu entkom­ men. Einige ihrer Kollegen, gegen die keine Haftbefehle Vorlagen, verließen gleichfalls Paris, um sich ihnen anzuschließen und mit ihnen gemeinsam den Widerstand zu organisieren. Von einem Ende Frankreichs zum anderen erhob sich ein einziger Schrei der Entrüstung; 69 Departementsdirektorien protestierten, denen sich 2 3 2

fast alle Städte des Westens, des Zentrums und des Südens an­ schlossen. Der Osten -,und der Norden des Landes, von einer feindlichen Invasion bedroht und von den Armeen besetzt, waren zur Vorsicht gezwungen. Trotzdem protestierten in der ersten Er­ regung zwei Distrikte des Departements der Marne, das MeurtheDepartement, Nancy, ein Teil der Vogesen und des Oberrheins sowie mehrere Sektionen von Straßburg. Selbst in Paris fanden sich 75 Abgeordnete zur Unterzeichnung einer Mißbilligungs­ adresse. ■ Die Revolte der Provinz ist in Ton und Verfahren örtlich ver­ schieden; überall ist jedoch ungefähr folgendes Grundmotiv fest­ stellbar: der Konvent ist nicht mehr frei, seine Dekrete haben also keine Gesetzeskraft mehr; die Tyrannei von Paris muß ge­ stürzt und in der Zwischenzeit ein provisorischer Konvent ein­ berufen werden. Die in Caen, Bordeaux und Toulon auf Dienst­ reise befindlichen Deputierten werden verhaftet; in Nîmes werden die Klubs geschlossen und die Anhänger Marats ins Gefängnis geworfen; Montpellier fordert alle Deputierten auf, sich in ihre Wahlbezirke zu begeben, um hier vor den Wählern über ihr Ver­ halten Rechenschaft abzulegeri; Nantes erklärt, der Konvent über­ schreite ständig seine Befugnisse und protestiert gegen die Ein­ setzung von Deputierten in Mission; der Jura fordert eine Ver­ sammlung der stellvertretenden Deputierten in Bourges; die Nièvre ernennt ein örtliches Sicherheitskomitee; die Normandie und die Bretagne machen sich selbständig und geben sich eine gemeinsame Assemblée: Buzot, der Deputierte des Departements Eure, macht aus Evreux das Zentrum des Widerstandes, und stellt eine kleine Armee auf, die Felix Wimpfen befehligt. Von der Seine bis zum Jura ist ganz Frankreich in offenem Aufruhr, und die Kommune scheint kurz vor ihrer Niederwerfung zu stehen. Dies war jedoch nur der äußere Schein. Die Girondistenpartei hatte nirgends, weder in Paris noch in den Departements, feste Wurzeln geschlagen, worauf schon Taine sehr richtig hingewiesen hat. Das Land bleibt in seiner Gesamtheit der konstitutionellen Monarchie zugetan und verliert an den Streitigkeiten des Kon­ vents jegliches Interesse.'Alles, was es dem Berg vorwirft: Königs­ mord, politische Verfolgungen, Ungerechtigkeiten und Grausam­ keiten, macht es in gleichem Maße auch den Girondisten zum Vorwurf. Vielleicht schätzt man deren Charakter und Talent ein klein wenig mehr, aber doch nicht genug, um zu ihrer Verteidi­ gung das Leben einzusetzen. Die Revolte zieht nur dann weitere Kreise, wenn sie royalistisch wird: in-Lyon, wo sie durch einen *

33.

Emigranten, den Comte de Précy, geleitet und wo Chalier, Mit­ glied der Bergpartei, guillotiniert wird; in Toulon, wo die Ad­ miräle Trogoff und Chaussegros die Engländer zu Hilfe rufen. Überall sonst bleibt es eine Wortoffensive, der „Verzweiflungs­ schrei eines Führungsstabes ohne Armee“. Im ersten Augenblick hatte man annehmen können, es sei die Stimme Frankreichs; es ist aber nur die Stimme seiner Wahlkomitees und seiner Gewählten. Dazu legen viele von diesen Bürgermeistern, Prokuratoren und Verwaltungsbeamten viel Zögern und Lauheit an den Tag; aus Feigheit oder Skrupelhaftigkeit wagt niemand, sich voll einzu­ setzen. Bei aller ihrer Entrüstung wollen alle doch Männer der Linken bleiben. Wohl fürchten sie die Kommune, aber noch grö­ ßer ist ihre Angst, als Royalisten zu gelten. Nachdem die erste Aufregung vorüber, wenden sie sich wieder Paris zu und suchen eine Möglichkeit, die ganze Sache in Ehren beizulegen, ohne dabei ihre Amtswürde oder ihr Mandat einzubüßen. Der Aufstand der Provinzen wurde jedoch der indirekte Grund zur Ermordung von Marat durch Charlotte Corday, eine Urgroßnichté Corneilles. Das vernünftige, ernste und sanfte Mädchen lebte in Caen bei ihrer Tante, Madame de Brettevilles. Die über­ zeugte Royalistin hatte dem Beginn der Revolution beigewohnt, die begeisterten Aufrufe der Geächteten gelesen und rasen be­ griffen, daß dies alles nur leerer Worte Schwall bleiben würde. Am 7. Juli forderte Wimpfen, der die Parade der Nationalgarde in Caen abnahm, die Männer auf, sich als Freiwillige zum Marsch gegen Paris zu melden. Nur 17 Mann kamen dieser Aufforderung nach. Die .grüblerische und edle Charlotte Corday beschloß nun, ganz wie eine Heldin der antiken Tragödie, ihren Landsleuten zu zeigen, wessen ein junges Mädchen, das dem Tode trotzt, fähig sei. Am 9. verließ sie, ihren Plutarch unter dem Arm, mit der Postkutsche Caen und traf am 11. in Paris ein. Am 12. versuchte sie vergeblich, im Konvent an Marat heranzukommen; am 13jedoch gelang es ihr unter dem Vorwand, Nachrichten über die Lage in der Normandie-zu überbringen, in das Haus Nr. 20 der rue des Cordeliers einzudringen, wo Marat bei einem 20 Jahre jüngeren Fräulein Evrard wohnte. Marat, der ständig Schwefel­ bäder nehmen mußte, saß noch in seiner Badewanne, als er Char­ lotte Corday empfing. Er fragte sie nach den Namen der nach Caen geflüchteten Deputierten, und während sie ihm diktierte und er schrieb, versetzte sie ihm einen Messerstich in die Herzgegend, an dem er unmittelbar darauf starb, während Charlotte 6 Tage später guillotiniert wurde. 234

Sie hatte ihr Verbrechen mit einer unvorstellbaren Kaltblütigkeit begangen, die sie auch vor Gericht und auf dem Schafott bewies. „Ich habe einen einzigen Menschen getötet“, sagte sie zu den Richtern, „um hunderttausend zu retten.“ Einem Maler gegen­ über, der die Erlaubnis, erhalten hatte, im Gefängnis ihr Bild zu malen, wiederholte sie mit der gleichen Ruhe, daß sie. weit davon entfernt sei, Reue über ihre Tat zu empfinden, sondern sich im Gegenteil dazu beglückwünsche, und zwar im Interesse, von ganz Frankreich, das sie von einem Ungeheuer befreit habe. Der Kon­ vent wohnte geschlossen dem Begräbnis Marats bei, der in einer künstlichen Grotte in den Tuilerien beigesetzt wurde. Sein Herz wurde in den Gewölben der Cordeliers aufgehängt und, wie der Minister Garat sich ausdrückte, „fünfzigtausend seiner ‘Bildnisse im Herzen der Republik errichtet“. Der Wohlfahrtsausschuß hatte sich anfänglich durch die Gironde überraschen lassen; es dauerte jedoch nicht lange, bis er wieder Herr der Lage wurde. Die Bergpartei manövrierte übrigens sehr geschickt, um ihre Gegner, zu trennen: der Regierungssitz des Departements Eure wurde von Evreux nach Bernay verlegt, die Departements der Loire und Vaucluse geschaffen, um so SaintEtienne gegen Lyon und Avignon gegen Marseille auszuspielen. Den Bauern gestand man die. Teilung der Gemeindegüter zu, den Angestellten Lohnerhöhungen und den kleinen Bürgerlichen Be­ freiung von der Zwangssteuer. Schließlich wurde innerhalb von 14Tagen eine neue Verfassung verabschiedet, die den Bürgern alle nur wünschenswerten Garantien gegen die Regierung gab. Die Girondisten behaupten, die Bergpartei unterdrücke das Land ? Die Verfassung garantiert ihm die freie Ausübung des Kults, Frei­ heit der Arbeit, unbeschränkte Pressefreiheit, Pétitions- und Ver­ sammlungsrecht, Anspruch auf Unterstützungen uhd Arbeit und, Zur Krönung des ganzen, das Recht zum Aufstand : „Das Gesetz muß die öffentliche und persönliche Freiheit gegen die Unter­ drückung der Regierungen schützen. Wenn die Regierung das Recht des Volkes vergewaltigt, ist der Aufstand für das Volk und für jeden seiner Teile heiligstes Recht und dringlichste Pflicht.“ Die Girondisten behaupten, der Berg wolle "den Kommunismus? Die Verfassung erkennt das Recht auf Eigentum ohne jede Ein­ schränkung an und „jeder Bürger kann nach Gutdünken seine Güter und Einkünfte, die aus seiner Tätigkeit oder Arbeit herrühren, genießen und verwalten.“ Die Girondisten behaupten, der Berg sei eine Clique, welche die Volksvertretung versklave? Die Verfas­ sung sieht die jährliche Erneuerung der gesetzgeberischen .Kör235

perschaft und Volksbefragungen für die Finanz-, Zivil- und Straf­ rechtsgesetzgebung vor. Kann man noch Schöneres erträumen? Und da zur Abstellung von Mißbräuchen wieder normale und gesetzliche Mittel eingeführt wurden, wäre es nicht ein Ver­ brechen, die Waffen nicht sofort niederzulegen? Alle diejenigen, die schon bedauert, daß sie sich hatten zum Aufruhr hinreißen lassen, ergriffen nun gierig die dargebotene Gelegenheit, um sich' . wieder zu unterwerfen. ' Anfang Juli beginnen die ersten; ein Departement zieht das an­ dere nach sich; die Verwaltungen fallen um und entschuldigen sich, und die Klubs bilden sich von neuem/Der Puy-de-Dôme, der ein Bataillon ausgehoben hatte, um gegen den Berg zu kämp­ fen, schickt es nun gegen die Vendée; die Armee von Wimpfen zerflattert beim ersten Gefecht in alle Winde; der Bürgermeister von Bordeaux, Saige, entsendet eine Abordnung nach Paris und bittet, der Konvent möge doch „einen Augenblick des Irrtums“ vergessen und „irregeleitete Brüder“ wieder in Gnade aufnehmen. Als Tallien mit 1800 Mann der Revolutionsarmee in die Stadt einzieht, wird er von 12000 Nationalgardisten empfangen, die sich widerspruchslos auflösen und entwaffnen lassen. Um Saige für seine Folgsamkeit zu belohnen, wird er sofort umgebracht, und 881 seiner Mitbürger folgen ihm ohne große Umschweife aufs Schafott. Die Stadt wird einer Militärkommission unterstellt, deren Vorsitzender- ein gemeiner Verbrecher namens Incombe ist, der von den Reichen Lösegelder eintreibt und.die Armen hungern läßt. " " Die Verfassung war natürlich nur ein Lockvogel für Dummköpfe gewesen. Nachdem sie ihre Schuldigkeit getan, gingen’ die Jako­ biner-daran, sie wieder zu begraben, was ihnen Anlaß zu einer neuen Komödie bot. Die primären Assembléen, die zur Ratifizie­ rung des Verfassungsaktes ernannt worden waren, hatten 5000 bis 6000 Kommissare bestimmt, die ihre Entscheidungen und Wün­ sche nach Paris überbringen sollten. In ihrer großen Mehrheit waren diese Delegierten für die Verfassung. Sie sollten ferner verlangen, daß die Neuregelung so rasch wie möglich in Kraft gesetzt und die Wahlen unverzüglich stattfinden sollten. Dieser Augenblick ist für den Berg entscheidend: wenn die Kommissare dazu kommen, ihre Arbeit zu tun, so waren alle Anstrengungen des letzten halben Jahres zur Erringung der Macht umsonst ge­ wesen. Aber die Jakobiner wissen ja mit der Beeinflussung der Wähler Bescheid... - ’ Die 5000 von Brüderlichkeit träumenden Unschuldslämmer sind 2 3 6

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also nun unterwegs. Einige Meilen vor Paris werden ihre Wagen zur Gepäck- und Papierkontrolle angehalten. Unsere Provinzler, die geglaubt hatten, gewichtige Persönlichkeiten zu sein, bemerken bald, daß sie gegenüber einem Polizisten der Kommune nicht allzu schwer wiegen: Durchsuchungen, Verdächtigungen und Ver­ höre bleiben-ihnen keineswegs erspart.' Inzwischen erfahren sie, daß der Wohlfahrtsausschuß geheime Zusammenkünfte verbietet und die Träger negativer Protokolle verhaften läßt. Die Kom­ missare beginnen allmählich zu begreifen:.. In Paris werden sie ah den Schlagbäumen von Inspektoren erwartet, die sie aufs Rat­ haus führen,- ihnen Quartierscheine aushändigen, sie in die Quar­ tiere begleiten und keinen Augenblick mehr allein lassen. Sogleich beginnen die Zerstreuungen. Man zeigt ihnen Schaustücke, die zur Stärkung ihres P a t r i o t i s m u s geeignet sind: die Guillo­ tine, das Revolutionstribunal, die Sektionen, den Jakobinerklub und den Konvent; dazwischen einige gute Sansculotten-Tragödien: Brutus, Wilhelm Teil oder irgendeine gute Rede der Ge­ meindebehörden. Am 10. August finden große Feierlichkeiten und ein Vorbeimarsch von, Triumphwagen, Weihrauchkesseln, Al­ tären, Totenurnen, Liktorenbündeln, Trompeten, Kanonenschüssen Und Piken statt. Bei den Überresten der Bastille trinken Hérault de Séchelles, der Vorsitzende des Konvents und die ältesten 83 Delegierten (1 je Departement) aus der Quelle der durch eine stattliche Frau, aus deren Brüsten zwei Springbrunnen fließen, dar­ gestellten Wiedergeburt. Auf dem „Place de la Revolution“ (exLouis XV.) wird eine Pyramide aus Zeptern und Kronen, aus der 3000. Vögel davonfliegen, in Brand gesteckt. Bei den Invalides marschiert der Zug an einem künstlichen Berg vorüber, auf dem die Statue des volkstümlichen, die Hydra der Reaktion zerschmet­ ternden Herkules zu sehen ist. Auf dem Marsfeld wirft man sich schließlich vor dem Altar des Vaterlandes nieder, auf dem sich die, nach Art der jüdischen Gesetzestafeln, in einer Lade hinter­ legte Verfassung befindet. Am 11. wird die Lade mit großem Gepränge in den Konvent getragen, wo sie liebevoll in Empfang genommen und wo der Beschluß gefaßt wird, die Wahlen in allerkürzester Zeit abzuhalten. Am 12. flehen dann die gezähm­ ten und ganz nach Wunsch begeisterten Kommissare den Konvent an, Frankreich nicht seiner Energie und Kenntnisse zu berauben. Der Konvent läßt sich tatsächlich Gewalt antun, und die Lade mit der Verfassung wird hinter dem Pult des Vorsitzenden in eine Nische gestellt, aus ; welcher sie nie mehr herauskommen sollte. Der Streich war also restlos geglückt, der Widerstand der 237

Gironde erstickt und der von dem Berg beherrschte Konvent von denjenigen, die ihn auflösen sollten, erneut bestätigt. Der letzte 'Akt des Dramas sollte nicht mehr lange auf sich war­ ten lassen. Am 3. Oktober verhaftet man von den Bänken der Assemblée weg diejenigen Abgeordneten, welche die Protestadresse gegen den 2. Juni unterzeichnet; im Gefängnis der „Force“ schwe­ ben sie ein halbes Jahr lang zwischen Leben und Tod; am 7. wird der Girondist Gorsas nach einfacher Feststellung seiner Identität für vogelfrei erklärt und geköpft; am 24. beginnt der Prozeß gegen die 21, die pêle-mêle, der Wiedererrichtung der Monarchie, Organisierung des Aufstandes der Vendée, des Verrates von Dumouriez und der Anstiftung an dem Mord von Marat und Lepeletier angeklagt sind. '' Da man ihre Beredsamkeit fürchtete, verlangten Robespierre und die Jakobiner, der Konvent möge das Gericht von den „Formen befreien, die das -Gewissen ersticken und die Überführung der Schuldigen verhindern“. Nach dreitägigen Beratungen wurde be­ stimmt, die Richter könnten von nun an die Untersuchung eines Falles- abschließen, wenn sie erklärten, sich schon ein genügend klares Urteil gebildet zu haben. Dieses Dekret wird-sofort dem Gericht überbracht, das noch am gleichen Abend die Verhöre unterbricht und eine allgemeine - Verurteilung zum Tode aus­ spricht. „Ihr armen Teufel“, hatte ihnen Hébert zugeschrien, „vergnügt euch doch nicht mit solcher Schaumschlägerei. Muß man denn soviel Faxen machen, um Verbrecher,-über die das Volk schon den Stab gebrochen hat, einen Kopf kürzer zu machen?“ Einer der Verurteilten, Valàzé, erdolchte sich noch in der Sitzung, während die 20 anderen, unter ihnen Vergniaud, Brissot und Gensonné, am nächsten Tage guillotiniert wurden; die Hinrich­ tung dauerte 38 Minuten (31. Oktober). Eine Woche später wurde Madame Roland gleichfalls geköpft; sie starb mit stoischer Ruhe, wie die antiken Helden, die sie so sehr bewundert hatte. Diejenigen der Girondisten, denen es gelungen war, zu entkom­ men, fanden einen noch viel elenderen Tod. Wie wilde Tiere gehetzt, verkleidet und von Versteck zu Versteck hastend, wurden sie schließlich doch gefangen; umgebracht oder zum Selbstmord getrieben. Lidon jagte sich eine Kugel durch den Kopf, Condorcet vergiftete und Roland erdolchte sich, Rebecqui fand man ertrun­ ken im Hafen von Marseille, Buzot und'Pétion wurden in der Heide bei Saint-Emilion von Wölfen halb zerrissen, Valady wurde in Périgueux, Déchezeaux in Rochefort, Guadet, Barbaroux und 23 8

drei andere in Bordeaux, die ehemaligen Minister Lebrün und Clavière in Paris geköpft.

Blieben noch Lyon, Toulon und die Vendée. Die Belagerung Lyons begann am 9. August, seine Beschießung am 22.; die Ein­ schließung war jedoch erst Mitte September vollständig. Précy gelang es, bei einem Ausfall am 8. Oktober zu entfliehen, worauf sich die Stadt am nächsten Tage ergab. Das von den Engländern besetzte Toulon leistete Dugommier bis zum 19. Dezember Wider­ stand. ■ Wenn die Bergpartei etwas anderes als nur eine Partei .gewesen wäre, „hätte sie sich menschlich gezeigt, wenn schon nicht aus Menschlichkeit, so wenigstens aus Berechnung“. Die berechnende Mäßigung von Robert Lindet hatte die Normandie mühelos unter­ worfen; Caen, die Stadt von Charlotte Corday, und Evreux, die Stadt von Buzot, hatten sich widerstandslos ergeben. In Lyon und in Südfrankreich dagegen lebten die Männer der,Klubs nur noch für die Rache. Am 12. Oktober und am 24. Dezember ord­ nete der Konvent an, daß „die Stadt Lyon zerstört und die Häu­ ser der Reichen sämtlich niedergerissen werden sollten; nur die Behausungen der Armen, die Wohnungen der getöteten oder ge­ ächteten Patrioten und die industriellen, humanitären und öffent­ lichen Zwecken dienenden Baulichkeiten sollten verschont blei­ ben.“ Desgleichen sollten in Toulon „die Häuser des Stadtinneren geschleift werden. Stehen bleiben sollen nur die für Kriegs- und Marinezwecke sowie Nachschub und Verpflegung nötigen An­ lagen.“ —„Der Name Toulon wird verboten; diese Gemeinde wird von nun an den Namen Port-la-Montagne führen.“ — „Der Name Lyon wird aus dem Verzeichnis der Städte der Republik ge­ strichen; die übriggebliebenen Häuser werden in Zukunft „VilleAffranchie“, „Befreite Stadt", heißen. Auf den Ruinen Lyons wird eine Säule mit folgender Inschrift errichtet: „Lyon hat der Freiheit den Krieg erklärt, Lyon besteht nicht mehr.“ Couthon Und Dubois-Crancé, welche die Belagerung geleitet und sich mit der Hinrichtung von ungefähr 30 Opfern begnügt hatten, wur­ den nach 14 Tagen .zurückberufen und durch zwei Freunde von Hébert,- Fouché und Collot-d’Herbois, einen ehemaligen Oratoriermönch und ein verkommenes Subjekt, ersetzt. Die beiden Prokonsuln veranstalteten sofort nach ihrer Ankunft Zu Ehren von Chalier, dem Gott und Märtyrer der revolutionä­ ren Religion, eine zugleich abstoßende und groteske Zeremonie, die Louis Madelin beschreibt. Zuerst durcheilten die Deputierten, an der Spitze einer mit Äxten 239

und Piken bewaffneten Abteilung von Jakobinern, in großem Aufzug die Stadt, legten Kreuze um, plünderten Sakristeien, verjag­ ten den vereidigten Klerus von den Altären und proklamierten die Abschaffung des Fanatismus. Darauf errichteten sie den neuen Kult auf den Ruinen des alten. Die Büste von Chalier wurde auf einer mit der Trikolore ge­ schmückten Sänfte einhergetragen, hinter der Fouché und Collot Aufstellung nahmen. .Dann folgte ein mit Priestergewand und Mitra angetaner Esel, an dessen Schweif ein Kruzifix, eine Bibel und das Evangelium angebunden waren. Eine Gruppe von Sans­ culotten mit aus Kirchen gestohlenen geweihten Gefäßen, Kel­ chen und Monstranzen schloß sich an, und schließlich kam die Volksmenge, die Rufe wie „Nieder mit den Aristokraten! Es lebe die Republik! Es lebe die Guillotine!“ ausstieß. Die Mas­ kerade machte auf der „Place des Terreaux“ Fiait, die Deputier­ ten knieten vor der Sänfte nieder und riefen: „Rettender Gott (gemeint war Chalier), sieh das zu deinen Füßen liegende Volk, das dich um Verzeihung bittet. Manen Chaliers, seid gerächt! Wir schwören es bei der Republik! — Chalier, du bist nicht mehr, die Bösewichte haben dich geopfert! Ihr Blut allein kann deine erzürnten Manen besänftigen! Chalier, Chalier, wir schwören auf dein heiliges Bildnis, dein Leiden wird gerächt werden! Ja, das Blut der Aristokraten wird dir als Weihrauch dargebracht!“ Man steckte dann einen Scheiterhaufen in Brand, mit dem zu­ sammen ein Evangelium und ein Kruzifix in Flammen aufgingen und ließ den Esel aus dem Meßkelch saufen. Die Royalisten be­ haupteten später, daß Ihm auch Hostien vorgeworfen werden sollten; aber ein wolkenbruchartiger Regen beendete vorzeitig das Fest. Gleich am nächsten Tag ergießt sich über die unglückliche „be­ freite“ Gemeinde ein wahrer Strom von Verordnungen, der Elend und Jammer bis in die armseligsten Hütten bringt. Requisitionen von Schuhen und Kleidern, Beschlagnahme von Gütern, Zer­ störung von Häusern, Eintreibung von Steuern, Hausdurch­ suchungen und Verhaftungen. Was tat es, daß die Gefängnisse übervoll waren! Das Revolutionstribunal wird sie schon zu leeren wissen, denn sein Vorsitzender, Parein, ist ein guter Sansculotte, der 1667 Angeklagte aufs Schafott schickt: Fischhändlerinnen werden zum Tode verurteilt, weil sie den Mitgliedern der Kluo3 nicht genügend Respekt bewiesen, und Feuerwehrleute, weil sie während der Belagerung einen Brand gelöscht. Man guillotiniert und füsiliert frisch darauf los. In der Ebene von Brotteaux wer­

den am 4. Dezember 64 paarweise aneinander gefesselte junge Männer zwischen parallelen Gräben, die zu ihrer Bestattung be­ stimmt sind, aufgestellt. Ihnen gegenüber sind die Kanonen der Revolutionsarmee aufgefahren, und auf einem Podium nehmen die Volksvertreter Platz..'. Auf ihr Zeichen werden die Kanonen' abgefeuert, und die Masse der Verurteilten fällt wie die Ähren eines Getreidefeldes unter der Sense des Mähers. Die Mehrzahl von ihnen ist jedoch nur verletzt; Soldaten geben ihnen mit Säbel­ hieben den Gnadenstoß. Am nächsten Tag beginnt ein neues! Gemetzel; diesmal sind die Henker aber noch großzügiger und führen 209 Lyoner auf einmal zur Hinrichtung. Es gibt ein ent­ setzliches Blutbad, wobei die den Schüssen Entgangenen mit Säbeln, Hacken und Äxten verstümmelt und zerhackt werden. „Wir empfinden geheime Befriedigung und ausgesprochene Freude“, berichteten Collot und Fouché nach Paris, und einer ihrer Hel­ fershelfer, Achard, schrieb an seinen Freund Gravier: „Jeden Tag fallen immer wieder neue Köpfe! Welches Entzücken hättest Du doch beim Anblick dieser nationalen Gerechtigkeit gegenüber den 209 Schurken empfunden. Welche Majestät! Welch imposante Töne! Es war eine reine Erbauung! Wie viel Riesenschufte haben doch an diesem Tag in der Arena von Brotteaux ins Gras beißen müssen! Was für ein Kitt für die Republik!“ Die Hinrichtungen hörten erst im Februar auf. In Toulon ist es noch schlimmer; hier wird haufenweise beinahe zufällig getötet. Die Deputierten Fréron und Barras haben schon in Marseille eine gute Schule durchgemacht. 250 Hinrichtungen . und 24 umgelegte Denkmäler waren wenig für Männer, die er­ klärten, daß jede Stadt, die sich gegen die Revolution aufgelehnt, „von der Erdoberfläche verschwinden müsse“. Toulon bezahlt doppelt; obwohl die Führer des Aufstandes und 4000 Soldaten an Bord englischer Schiffe geflohen sind, wird die ganze Stadt für schuldig erklärt. Am 11. September erschießen die Repu­ blikaner 200 Einwohner und Seeleute, die ihnen mit Musik und bahnen entgegengekommen waren; am 20. 18 Artillerieoffiziere und am 22. 200 Einwohner; am 24. 300; zu Anfang Januar zählt man bereits 800 Füsilierte. Nun kommt während dreier Tagen die Guillotine zu Ehren. An einem Tag köpft man 4 Frauen,, ein andermal elf, wieder ein andermal einen Greis von 94 Jahren, der in seinem Lehnstuhl zum Schafott getragen wird. Insgesamt müssen gegen 1000 Menschen ihr Leben lassen. 12000 Erdarbeiter werden im Var und den benachbarten Depar­ tements requiriert, um die Stadt zu zerstören; mehrere Viertel t® G a x o t t e , Eevolution

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werden vollständig umgewühlt und Tausende von Familien aus­ gewiesen; von 29000 Einwohnern fällt die Bevölkerung auf 7000. Auf den Ruinen errichtet man eine revolutionäre Kolonie, die in Eile in den Häfen des Ärmelkanals und des Atlantischen Ozeans rekrutiert wird: eine bunt zusammengewürfelte Bande, welcher der Konvent die „Wiedergeburt der Marine“ anvertraut und die in Schmutz, Räubertum und Faulheit dahinlebt. Man hätte glau­ ben können, ein „Lager von Goldsuchern“ vor sich zu haben. Diese Anarchie dauerte ein volles halbes Jahr. Der Sieg des Konvents ist leicht erklärlich: Lyon war sofort isoliert worden und blieb auf seine eigenen schwachen Kräfte an­ gewiesen. Toulon, das theoretisch hätte unaufhörlich Unterstüt­ zung empfangen können, hatte von den Engländern nur eine lächerlich geringe Hülfe erhalten. Dagegen sind die Kämpfe in der Vendée viel langwieriger und schwieriger. Das dicht belaubte, geheimnisvolle, von Gräben, Hecken und Hohlwegen durchzogene Land eignet sich schlecht für militärische Operationen, jedoch wunderbar für einen Kleinkrieg voller plötz­ licher Überraschungen. Den Führern der Vendée gelang es zweibis dreimal, beträchtliche Streitkräfte auf die Beine zu bringen, die sich aber hach dem Sieg ebenso rasch wieder zerstreuten, wie sie konzentriert worden waren: heute war eine ganze Armee da und morgen niemand mehr! Die an schwere Arbeit und Leiden gewöhnten Bauern schrecken weder vor Strapazen noch vor dem Tode zurück; aber ihr Geist ist beschränkt wie der Horizont ihrer Heimat. Sie schlagen sich für ihre Kirche und ihr Dorf; sobald diese befreit, halten sie ihre Aufgabe für beendigt, wollen weder Garnison beziehen noch Streifendienste stellen und gehen in den Schatten ihres Kirchturms zurück, so daß der vorher er­ rungene Sieg unausgenützt bleibt., • Die republikanischen Armeen werden in Eile und Unordnung zu­ sammengezogen. Es ist ein bunt zusammengewürfelter, durch . Entnahmen aus sämtlichen Truppenteilen zusammengestellter und durch die Hefe der Pariser Sektionen verstärkter Haufen: Indi­ viduen, die sich für 500 Franken verdingen, weil sie auf Plün­ derungen und üble Streiche hoffen. Sie werden von zwei Adeligen» dem Duc de Biron und dem Comte de Cand aux, befehligt, die nur widerwillig ihre Pflicht tun. Zur Erhöhung der Unordnung hat sich noch ein ganzer Schwarm von teils vom Konvent, teils vom Rat entsandten Deputierten, Kommissaren und Unterkom­ missaren eingefunden. . Während Biron zu verhandeln sucht, richten sich die V o l k s v e r ­

treter in Saümur ein, wo sie Paläste, Karossen, Köche und die ganze Halbwelt beschlagnahmen und ihre Zeit mit Saufgelagen und Denunzieren der Offiziere verbringen. „Schmerzlich berührt“, berichtet ein Augenzeuge, „sah ich in Saumur eine Armee von 10000 Mann, die völlig untätig dalag. Die' Straßen waren voller säbelrasselnder bärtiger Adjutanten und Kommissare der Exe­ kutivgewalt, die nur Anarchie, Agrarreform sowie Mord und Totschlag predigten-,.. Ich sah als Generäle verkleidete Komö­ dianten, Hasardeure und Taschendiebe in Begleitung der wider­ lichsten Weibsbilder; dieses ganze Volk bekleidete hohe Posten in der Armee oder beim Nachschub, und diese korrupten Schmeiß­ fliegen hatten dazu noch die Unverschämtheit, sich als Republi­ kaner zu bezeichnen... !“ Diese Verhältnisse' änderten sich erst mit der Ankunft der Main­ zer Garnison, der bei der .Übergabe der Festung gegen das. Ver­ sprechen, nicht mehr an der Front zu dienen, freier Abzug nach Frankreich gewährt worden war. So trafen 15 000 ausgezeichnete Truppen unter 'dem Befehl von Kléber und Marceau in der Vendée ein. Selbst nach der Niederlage von Cholet (17. Oktober 1793) besaßen die Aufständischen noch die Kühnheit, die Loire Zu überqueren und sich mit den bretonischen Aufständischen von Cadoudal und Cotterau zu vereinigen. Sie nahmen Laval und , Fougères, wurden jedoch bei Granville zurückgeschlagen und zogen sich über Pontorson, Dol und Angers zurück. Bei Angers neuerlich geschlagen und durch die Strapazen und Entbehrungen völlig erschöpft, zogen sie sich nach Le Mans zurück, wo sie am 12. Dezember bei Einbruch der Dunkelheit überrascht und nach einer erbarmungslosen iqstündigen Schlacht aufs Haupt geschla­ gen und hingemetzelt wurden. „Man sieht überall nichts als Leichname“, berichtet ein Augenzeuge, „Gewehre und umgestürzte Munitionsfahrzeuge ; unter den Leichnamen befinden sich viele nackte Frauen, welche die Soldaten ausgeplündert, nachdem sie diese vergewaltigt und getötet.“ Ungefähr 6000, denen die Flucht geglückt war, wurden in Savenay umzingelt und erschossen. 1200 hatten sich ergeben, nachdem man ihnen das Leben zu­ gesichert hatte: sie wurden trotzdem auf Befehl des Deputierten Prieur (von der Marne) hingeschlachtet. „Ich gehe nicht wieder m die Vendée“, schrieb Marceau an seine Schwester, „ich will im Ausland kämpfen, wo allein Ehre und Ruhm winken.“ Üabei hatte Marceau nur den wirklichen Kampf gesehen! Die erbarmungslose Unterdrückung des Landes krampft einem das. Herz zusammen. Da die Departementsgerichte verdächtig waren,. 1#* ' '

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der Gerechtigkeit und den üblichen Gerichtsverfahren gewisse Sympathien bewahrt zu haben, wurden sie durch örtliche oder fliegende Kommissionen ersetzt, die wahre Hekatomben veran­ stalteten. In Angers ließ eine Kommission .1896 Gefangene, .in 8 „Ketten“, mit einem zusätzlichen Schub von 292 Verurteilten, die mit Musikbegleitung durch ein doppeltes Spalier von Sol­ daten zum Tode geführt wurden, füsilieren. In Rennes guillo. tinierte man am Tage vor und nach dem Weihnachtsfest 90 Per­ sonen: Meuten von Hunden umgaben das Schafott und leckten - das in Strömen fließende Blut auf. In der gleichen Stadt wurde unter den bürgerlichen Familien eine Kompanie Kinder aus­ gehoben, die zur Erschießung der Gefangenen im Friedhof SaintEtienne herangezogen wurden; man nahm immer 15 bis 20 auf einmal daran, und wenn die Henkerlehrlinge schlecht zielten, 'fing man, wie am Jahrmarkt, noch einmal an. Die zwischen Laval und Saumur ■einherpendelnde Kommission Félix unterzog sich nicht einmal mehr der Mühe, die Komödie eines Prozesses auf­ zuziehen, sondern beschränkte sich darauf, die Häftlinge zu zäh­ len und wie Vieh zu markieren: „F“ bedeutete „Füsilieren“, „G“ „Guillotinieren“; 700 Opfer wurden auf diese Weise hinge­ schlachtet. In Nantes herrschte der aus der Auvergne stammende, 37 Jahre alte Deputierte Carrier, ein Mann von, hoher, hagerer Gestalt, olivenfarbigem Teint, spärlichem Bartwuchs, glattem Haar, röt­ lichen Augenlidern, mit langen, unaufhörlich baumelnden Annen und einem krankhaften und verstörten Ausdruck in den Augen. Man hatte ihn bei Cholet vor dem Lärm der Schlacht die Flucht ergreifen gesehen; seither hat er, von ständigen Angstvorstellun­ gen geplagt, nur noch einen Gedanken: töten, um nicht selbst ge­ tötet zu werden! Er ist von einer düsteren Besessenheit verzehrt, die sich infolge seiner Trunksucht bis zum Wahnsinn steigert. Eines Tag«, nachdem er bei Tisch ausgeführt, daß Frankreich seine zu zahlreiche Bevölkerung nicht ernähren könnte und daß das einzige Mittel dagegen sei, die Priester, Adeligen und Bürger auszurotten, gerät er plötzlich in wilde Erregung, erhebt sich und brüllt: „Töten! Töten!“, als ob er. die Hinrichtungen selbst be­ fehligte. Todesbilder umlauern ihn und bilden seinen Schrecken und seine Wollust. „Eher werden wir aus ganz Frankreich einen Friedhof machen“, sagte er gleichfalls,- „als-daß wir aufhören, es auf unsere Weise Zu verjüngen.“ : ' . Auf den Pontons von Nantes befanden sich ungefähr 100 alte und gebrechliche Priester, die man nicht nach Guyana deportieren

konnte und die man nun von Gefängnis zu Gefängnis schleifte. • In der Nacht vom 16. zum 17. November ließ man sie unter dem Vorwand, sie wieder einmal an Land bringen zu wollen, eine alte Zille besteigen, die früher auf der unteren Loire verkehrt und nun durch die Lähmung des; Handels überflüssig geworden war. Die zu zweit Aneinandergefesselten kamen diesem Befehl ohne Argwohn nach, obgleich man ihnen vorher Uhren und Geld ab­ genommen hatte. Plötzlich bemerkte einer der Gefangenen, Hervé, Pfarrer von Machecoul, daß der Kahn an mehreren Stellen knapp unter der Wasserlinie angebohrt war-und daß durch diese schlecht verstopften Öffnungen das Wasser einsickerte. Damit war das ihnen bestimmte Schicksal klar geworden: Die Priester warfen sich auf die Knie nieder und erteilten sich gegenseitig die Absolution. Eine Viertelstunde später versank der ganze Kahn mit allen seinen Insassen bis auf vier, von welchen drei neuerlich gefaßt und hingerichtet wurden; einem einzigen, der von Fischern aufgenommen wurde, gelang es, sich zu verbergen, und er hat das Wenige, das über die letzten Augenblicke der Opfer bekannt ist, berichtet. . . Inzwischen führte Carrier bei einem großen staatsbürgerlichen Fest, der Einrichtung des Klubs Viricent-la-Montagne in der ehe­ maligen Kirche Sainte-Croix, den Vorsitz. Am nächsten Tage übersandte er dem Konvent einen Bericht über die Feierlichkeit mit einer Zusammenfassung seiner Rede und der Meldung von 6 Glaubensabschwörungen, die im Laufe des Abends erfolgt waren: der des Bischofs Minée und 5 -seiner Pfarrer: Als Post­ skriptum fügte er hinzu: „Ein anderes Ereignis hat anscheinend auch zur Verringerung der Zahl der Priester beitragen wollen; 90 Priester, welche die Ablegung des Eides verweigert hatten, waren auf einem Schiff auf der Loire untergebracht. Soeben wird wir berichtet, und meine Quelle ist vollkommen verläßlich, daß alle im Flusse den Tod gefunden haben. Was für eine traurige Katastrophe!“ Am 5. Dezember kommen neuerdings 58 unvereidigte Pfarrer an. »Diese Kerle müssen alle wie Katzen ins Wasser geschmissen Werden!“ befiehlt Carrier. In der Nacht vom 9. zum 10. werden sie dann auf der Landzunge von Indret ertränkt. Der Prokonsul Weidet dem Konvent unverzüglich den neuen „Schiffbruch“ und schließt seine Depesche mit folgendem zynischen Witz: „Was ist die Loire doch für ein revolutionärer Fluß!“ Weitere Erträn­ kungen bei Tag wie bei Nacht folgten, insgesamt mindestens n,* die 4800 Opfer forderten, wozu noch die Hinrichtungen durch

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die Guillotine kamen: drei Kommissionen waren an Ort und Stelle in Tätigkeit, und das Pariser Gericht verschmähte .gleichfalls das aus der Bretagne geschickte Schlachtvieh nicht. Ein Geschichts­ schreiber versichert uns allerdings, Carrier habe nicht mehr Opfer auf dem Gewissen als Typhus und. andere in den Gefängnissen von Nantes wütende Krankheiten: fürwahr ein schwacher Trost. Carrier wurde im Februar 1794 zurückbeordert, weil er sich mit dem örtlichen Klub überworfen hatte. Seine Abreise beendigte das Töten durch Ertränken, aber der General Turreau, der Nach­ folger von Marceau in der Vendée, nahm auf seine Art das terro­ ristische Werk wieder auf. Er teilte seine Truppe in ein Dutzend beweglicher Kolonnen, die das ganze Land systematisch verwüste­ ten, dieses gequälte Land, von dem Merlin de Thionville schon vor 3 Monaten gesagt hatte, daß es nur noch ein „blutübergossener Aschehaufen“ sei. Fast alle Führer der Vendée hatten den Tod gefunden; die beiden Überlebenden, Charette und Stofflet, wurden gezwungen, neuerdings Zu den Waffen zu greifen, der eine im Marais, der andere im Bocage. Die Hinrichtungen, Plün­ derungen und Brände beantworteten sie mit der Ermordung von Posten und Hinmetzelung von Transporten und kleinen Abteilun­ gen. Ein neuer, unnützer und schrecklicher Krieg begann, mit dem Messer in der Hand, in der Nacht geführt, voller schmerz­ licher und dramatischer Episoden, im ganzen aber doch örtlich begrenzt und nie eine *ernsthafte Gefahr für das Regime be­ deutend. . Es kann ruhig gesagt werden, daß die Revolution anfangs 1794 über ihre inneren Gegner den vollen Sieg davongetragen hatte. Die Gironde bestand nicht mehr, die Provinzen hatten ihre Unter­ werfung vollzogen, der Berg herrschte durch Feuer und Schwert. Der Sieg der Jakobiner war vollendet. . Auch der äußere Feind-wich zurück. Hier war es nicht nur Nie­ derlage, sondern schon Rückzug. Von den Schlappen von Dumou­ riez bis zu den Siegen von Hoche folgen die militärischen Ereignisse derselben Linie, wie an' der inneren Kriegsfront, vom 2. Juni bis zur Wiedereinnahme von Toulon: zuerst dieselbe Un­ tätigkeit und Verblendung, dann, bei Herannahen der Gefahr, die gleichen energischen und ‘verzweifelten Anstrengungen und schließlich, trotz derselben Fehler, derselbe Erfolg. Der am 5. April an Stelle des allgemeinen Verteidigungskomitees errichtete Wohlfahrtsausschuß bestand aus Männern des Bergs und des Zentrums, die von Danton und Cambon beherrscht wurden; Cambon unterstand das Finanz-, Danton das Außenministe­ 246. •-

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rium. Seine Politik blieb, was sie immer gewesen: nach außen drohende Deklamationen, hinter den Kulissen komplizierte Ver-' Handlungen, abgeschmackte Intrigen und ein kompliziertes Ränke­ spiel, alles nach den uralten Methoden der Geheimdiplomatie. Und was für Agenten! Ein jakobinischer Marquis, ein in Not ge­ ratener General, ein Bastard des Fürsten von Kaunitz, ein ehe­ maliger Angestellter von Mirabeau, ein verdächtiger Engländer, der behauptete, von französischen Protestanten abzustammen, kurz eine rührige Bande von Abenteurern und Schwindlern. Wäh­ rend sich die alliierten Delegierten in Antwerpen versammelten, um die Zerstückelung Frankreichs vorzubereiten, hoffte das Ko­ mitee immer noch, die Koalition durch dunkle Machenschaften auf diplomatischem Wege zu sprengen ,und mit Preußen gemein­ sam den Krieg gegen das Haus Österreich führen zu können. Zweifelsohne hatte Danton, der nach dem jeweiligen Stand der Ereignisse zwischen begeistertem Imperialismus und schwärze­ stem Defaitismus schwankte, eine richtige Idee, nämlich die, daß man unmöglich die ganze Welt revolutionieren könne, ohne da­ durch zugleich zu endlosem Kriegführen verdammt zu sein. Am 13. April ließ er in ein Dekret des Konvents einfügen, daß sich Frankreich „in keiner Weise in die Regierungsangelegenheiten anderer Mächte einmischen werde“. Dies kam einer Verleugnung der bisherigen Propaganda gleich und einer Abänderung der Ver­ ordnung vom 19. November über die Befreiung der unterdrückten Völker und der vom 15. Dezember über die Zwangsrevolution. Das Wort „Macht“ statt „Volk“ war allein schon bezeichnend und schloß die Anerkennung der bestehenden Regierungen ein. „Dies bedeutete die Rückkehr zu dem alten Staatsrecht“, bemerkte Sorel sehr richtig, „und die Ersetzung der Revolutionskriege durch Staatskriege.“ Eines Tages mußte man ja wohl oder übel so weit kommen. In diesem Augenblick jedoch war das völlige Um­ schwenken unbegründet, und auf Grund der Vorbereitungen der Alliierten blieb nur der Kampf übrig. In der Konferenz von Ant­ werpen hatte der Vertreter Pitts, Lord Auckland, seinen Kollegen klar zu verstehen gegeben, daß ihm sehr wenig an der Wieder­ einsetzung der Bourbonen gelegen, sondern daß England fest ent­ schlossen, Frankreich „zu einer wirklichen politischen Null“ herünterzudrücken. Im Hinblick auf den Herzog von Koburg hatte er hinzugefügt: „Bemächtigen Sie sich aller Grenzstädte auf Ihrer Seite, und schaffen Sie sich einen guten Wall für die Nieder­ lande. Was England betrifft, so erkläre ich offen, daß es auf Eroberungen ausgeht, die es : auch behalten wird.“ Als die Ab-

gesandten Dantons verstohlen an die Hintertüren der Staatskanz­ leien anklopften, ernteten sie nur beleidigende und demütigende Absagen. ' Hätte es auch anders sein können ? Frankreich war überall ge­ schlagen, und der Feind wollte daraus Nutzen ziehen. Ehrenvolle Verhandlungen sind nach Siegen oder unentschiedenen Kämpfen denkbar, nicht im vollen Rückzug. Und wären sie vielleicht doch möglich gewesen, so hätte Danton sie durch die Atmosphäre von Bestechung und Geheimnis, mit denen er sich umgab, sowie durch die unwürdigen Individuen, die er dazu verwendete, völlig dis­ kreditiert. Die Lage an den Grenzen war nicht besser. Der Kriegsminister Bouchotte hatte sich Pache zum, Vorbild genommen und in den Kopf gesetzt, die Stäbe zu „sansculottisierien“. Bei den Armeen waren schon 67 Deputierte in Mission; er schickte weitere „Kom­ missare der Exekutivgewalt“, deren Aufgabe es war, die poli­ tischen Ansichten der Generäle zu überwachen und unter den Sol­ daten für die Verbreitung revolutionärer Ansichten und Schriften zu sorgen. Die Regimenter wurden nun gleich dem Lande eine Beute der Klubs und der einzelnen Parteien; es gab Marat-Kompanien, welche die anderen beschuldigten, girondistisch oder reak­ tionär zu sein. Die meisten Offiziere, die den alten Einheiten an­ gehört hatten, mußten ihren Abschied nehmen; wohl durften die­ jenigen, die überzeugende Beweise ihrer Verläßlichkeit geliefert hatten, bleiben, wagten es jedoch aus Furcht vor Denunziationen nicht mehr, Befehle Zu erteilen, und schlossen lieber vor allem die Augen. Die Hinrichtung des wegen allzu großer Popularität zum Tode verurteilten Custine war auch dazu angetan, den Ehrgeiz abzukühlen. So schwand die Disziplin, weniger aus Gehorsams­ verweigerung-als wegen fehlender Kommandogewalt. Es entwickelte sich eine schreckliche Krise. Die wenigen Gene­ räle, die imstande waren, eine Armee zu befehligen, ,wurden, ganz nach der Konstellation des Tages, von einer Front zur andern geschickt. Die Rheinarmee wechselte innerhalb zweier Monate fünfmal ihren Oberbefehlshaber, und zum Ende des Jahres waren in der Führung nur mehr unfähige Schönsprecher der Klubs und alte Säufer übrig. Mangels Kandidaten mußte.einmal sogar der Führer einer Eskadron, den man in einem Kavallerieverpfle* gungslager ausgegraben hatte, den Oberbefehl übernehmen. Nach langem Hin und Her beschloß dieser improvisierte Generalissi­ mus, seine Truppen nach ihrer zufälligen Nummer aufzustellen: das erste Regiment auf der äußersten Rechten bei Huningen, das 248



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hundertste auf der äußersten. Linken bei Lauterburg. Viele der jungen Offiziere, die von den Volksvertretern auf Grund zu­ fälliger Begegnungen bzw. Empfehlungen. vorgeschlagen worden waren, mußten nach einigen Tagen wieder versetzt oder abgesetzt werden, Von oben bis unten sah man nichts als Dummheit und Durcheinander, und im Juni und Juli sah es wahrhaftig so aus, als wäre Frankreich -verloren. Die Rheinarmee wurde ins .Elsaß zurückgeworfen, Mainz stand kurz vor der Kapitulation, die Nordarmee befand sich in voller Auflösung,. und die Schelde-• festungen waren jedem Handstreich ausgesetzt. Es hätte nur noch geringer Anstrengungen der Koalition bedurft, um die Straße nach Paris freizumachen. Frankreich wurde auch!diesmal, wie schon 1792, durch die Langsamkeit und Rivalität der Alliierten gerettet. Die ganze Erklärung liegt in den damaligen Ereignissen: Am 21. Januar war Ludwig XVI. geköpft worden; am 23. hatten Rußland und Preußen, ohne Ö s t e r r e i c h , die Zweite Teilung Polens unterzeichnet. S o waren Preußen und Österreich wohl .Verbündete gegen Frank­ reich, aber Rivalen im Osten. Während der Herzog von Koburg und Dumouriez ineinander verbissen waren, wurde das Gros der preußischen Truppen am anderen Ende Deutschlands zusammen­ gezogen und marschierte gegen die Weichsel, besetzte^ Danzig, Thom und Posen mit einem Gebiet von 1500000 Einwohnern. Friedrich Wilhelm hatte wohl versprochen, keinen Seperatfrieden mit Frankreich abzuschließen und die Kompensationswünsche Österreichs bei der Endregelung zu unterstützen. Aber diese schö­ nen Worte und leeren Versprechungen verringerten nicht den Ärger Franz II., der sich übervorteilt fühlte und fürchtete, das osteuropäische Gleichgewicht'würde endgültig zu seinen Ungun­ sten gestört. Und die Ungeniertheit, mit der ihn sein eigener Ver­ bündeter aufforderte, sich in Frankreich zu entschädigen, hatte direkt etwas Ironisches und Beleidigendes an sich. Ein schmollendes Österreich, ein England fast ohne Armee und ein in Polen gebundenes Preußen geben eine Vorstellung von der Art der Kriegführung. „Die Alliierten“, schrieb Jomini, „hät­ ten 2 große Heere bilden und einerseits rasch von Valenciennes auf Soissons: und andererseits von Mainz über Luxemburg auf Reims vorstoßen können. In 14 Marschtagen hätten sie 180000 Mann gegen Paris führen können.“ Es war dies der klas­ sische Invasionsplan, den Friedrich II. 1770 während eines Gicht­ anfalles zu seiner Zerstreuung skizziert hatte. Seine Neffen wer■"

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den ihn 1814 'und 1815 ausführen; im Jahre 1793 vertagten sie ihn. .■-vM V- : ;; . Am Rhein hätte die Belagerung von.Mainz schon während der ersten Tage des Jahres 1793 begonnen werden können. Aus Mangel an Menschen und Material machte man sich erst im April daran, und die Einschließung wurde erst im Juni wirksam. Die Österreicher hatten dem Herzog von Braunschweig 5000 Mann Verstärkung zugesagt, die sie jedoch aus Freude darüber, ihrem Verbündeten einen bösen Streich spielen zu können, nicht schick­ ten. Als dann Wurmser ins untere Elsaß eindrang, Feh ihm der Herzog von Braunschweig so langsam seine Unterstützung, daß er ihn am Erringen eines endgültigen Erfolges hinderte. Im Norden wollte der vom Mißgeschick der Preußen im Jahre 1792 besessene Hérzog von Koburg nur nach Sicherung aller Straßen und Plätze vorrücken. Hier kündigte sich also ein langwieriger Belagerungs­ feldzug an. Die Alliierten schlossen sich diesem Plan an, um so den Staatskanzleien Zeit zu lassen, die immer verwickelter wer­ dende polnische Frage zu regeln. Nach Annahme des Planes - führteil ihn die Generäle nur insofern aus, als er im Interesse des betreffenden Landes lag. Mit Hilfe eines Ideinen, von "dem Für­ sten York befehligten englischen, holländischen und hannoveri­ schen Hilfskorps nahm der Herzog von Koburg Condé und Va­ lenciennes ein. Der Fürst von York verließ ihn dann, um Dün­ kirchen zu belagern, während er selbst auf Le Quesnoy und Maubeuge marschierte. In London erklärte Pitt feierlich, daß Frankreich von nun an als in der Blockade befindlich betrachtet werde, aber er benutzte seine erdrückende Übermacht zur See weder, zur Unterstützung von Toulon noch zur Waffenlieferung an die Vendée. Die Koalition hatte sich, wie Mercy-Argenteau bemerkte, in einem Labyrinth verirrt. Die Fehler der Alliierten sind nicht allein durch deren innere Zerrissenheit, sondern auch durch eine falsche Beurteilung der .Lage in Frankreich zu erklären. Man war nämlich davon über­ zeugt, daß die Zerwürfnisse der revolutionären Parteien, genau wie in Polen, ewig dauern würden, und daß das Land dadurch immer tiefer in Anarchie versinken werde. Diese Rechnung war falsch! Während die Österreichischen und preußischen Armeen ein halbes Jahr lang'an den Grenzen kleben blieben,' gelang c s dem Berg, die Gironde zu zerschmettern und. die absoluteste Diktatur, die Frankreich je erduldet, aufzurichten. Das Komitee Danton-Camboii war am 10. April für einen Monat gewählt wor­ den, und seine Vollmachten wurden am 10. Mai und 10. Juni

weiter verlängert. Am 10. Juli wurde es jedoch durch ein reines Komitee des Berges ersetzt, in das nun auch Robespierre eintrat. Seine erste Sorge war, die verdächtigen Verhandlungen Dantons abzubrechen und sogar bestimmen zu lassen, daß die Republik, während der'Kriegsdauer nur mit den Schweizer, Kantonen und den Vereinigten Staaten von Nordamerika normale Beziehungen aufrechterhalten solle. Schließlich wurde, gerade als wolle man Europa von neuem herausfordem, die Königin Marie-Antoinette vor das Revolutionstribunal gestellt, und nach einèm schmutzigen Prozeß, in dem Fouquier-Tinville vergeblich versuchte, die Kö­ nigin in den Kot zu zerren, wurde sié am 16. Oktober um 4 Uhr morgens zum Tode verurteilt und am gleichen Mittag hingerich­ tet. Nun mußten wieder nur die Kanonen sprechen. Die Revolutionäre wußten genau, daß Frankreich das am stärk­ sten . bevölkerte Land Mittel- und Westeuropas war. Ihre Idee war nun, diese.zahlenmäßige Überlegenheit auszunutzen und un­ geheure Truppenmassen auf die Beine zu bringen, welche alles bisher Gesehene in den Schatten stellen sollten. Dies war das Projekt der „levée en masse“, der Mobilmachung der Massen, das der Konvent Anfang August grundsätzlich annahm. Dieser riesi­ gen Aufgabe war jedoch weder Bouchotte, noch der Wohlfahrts­ ausschuß, noch das Militärkomitee gewachsen, obwohl eine Zei­ tung der Sansculotten versicherte, daß den Siegern über Pyrrhus und Hannibal „selbst die Grundelemente ihres Handwerkes“ un­ bekannt waren. Der Wohlfahrtsausschuß hielt es trotzdem für rat­ sam, zwei Berufspionieroffiziere, die zugleich Deputierte waren, heranzuziehen, und zwar Camot und Prieur (von der Côte d’Or), die dienstlich in Flandern waren und von denen'einer; Carnot, die Ächtung der Girondisten getadelt hatte. Der Umstand, daß so ein Ketzer in das Allerheiligste berufen wurde, gibt eine richtige Vorstellung von der damaligen Kopflosigkeit der Regierung (14. August). Camot rettete die Lage und damit den Wohlfahrtsausschuß. Der Vierzigjährige war aus dem Korps der Militäringenieure hervor­ gegangen, welche die Elite der ehemaligen Armee bildeten, und stellte den Typ des Technikers in Reinkultur dar. Eines seiner ersten Werke war ein „Loblied auf Vauban“ gewesen. Er kam diesem seinem'. Vorbild an: Intelligenz, Mut ■ und Vorstellungs­ kraft gleich, überragte ihn vielleicht durch seine Verdienste, blieb jedoch in politischer Hinsicht'weit unter ihm. Außerhalb seines Fachgebietes war er, wie viele Gelehrte und Militärs, leicht durch große Worte und kleine Persönlichkeiten zu täuschen, ja, er ver­

stand es sogar, sich selbst Scheuklappen anzulegen, um das, was neben ihm vorging, nicht zu sehen. „Ich bin ein wortkarger Soldat und will keiner Partei angehören... Die Armee diskutiert nicht, sondern gehorcht nur den Gesetzen, die sie ausführt. . Mit der Kriegführung betraut, vergräbt er sich in seiner Aufgabe. „In der nationalen Gefahr“, schrieb Albert Sorel, „zieht er nur die Not­ wendigkeiten der Nationalverteidigung in Betracht. Er verschanzt \ sich hinter seiner Aufgabe und legt sich in einer Art Stoizismus, einen Verzicht auf Menschlichkeit, als Pflicht seiner Aufgabe gegenüber auf: Er läßt die Terroristen ruhig guillotinieren, wenn sie ihn nur- Frankreich verteidigen lassen.“ Carnot war 40 Jahre alt, Prieur 10 Jahre jünger. Er hatte die Armee aus Furcht vor Armut verlassen. Die Politik war für ihn ein Beruf wie jeder andere, in dem man jedoch rascher Karriere machen kann. Als junger Offizier hatte er in Dijon mit seiner Wirtin, einer geschäftstüchtigen Krämerin, einen gemeinsamen Haushalt begonnen. Er blieb ihr auch weiter treu, und sie machten zusammen einträgliche Geschäfte mit Nationalgütem. Ihr ganzes Leben lang hörten sie nicht auf, zu rechnen, und tauschten Un­ massen von Notizen, Kassaauszügen und Quittungen aus. Prieur starb als reicher Mann. Er war von Natur aus stets auf seiten der Regierung und schwor bis an sein Lebensende allen sich nach­ einander ablösenden Regimen, bis auf die restaurierte Monarchie, die nichts von ihm wissen wollte, die Treue. Er geht aber Lud­ wig. XVIII. um das Kreuz des heiligen Ludwig an, genau so wie er Napoleon um die Ehrenlegion bittet. Dieser Techniker fühlt sich nur in seinem Büro zu Hause. Will man ihm seine Achtung bewahren, muß man ihn dort betrachten. Es macht ihm Ver­ gnügen, zu befehlen, zu arbeiten, zu kämpfen und den Sieg zu erzwingen. Rasch stellte Camot das Oberkommando der-Armeen wieder her, indem er dazu Offiziere des Ancien Régime berief, ohne ihren politischen Meinungen oder ihrer Abstammung Bedeutung beizu­ messen: Clarke für den Kartendienst, Montalembert für die Artil­ lerie, Le Michaud d’Arçon für Befestigungsbauten. Zwei Mitglieder des Komitees: Robert Lindet und Prieur (von der Côte d’Or) übernahmen die Intendantur, die Spitäler und den Munitions­ nachschub, während Camot sich die allgemeine Führung der Armeen vorbehielt. Unter Ludwig XVI. waren zahlreiche vor­ bereitende Studien zur Verteidigung der Grenzen gemacht wor­ den, die sich nun Camot bringen ließ und verwendete. Seine Mit­ arbeiter beriefen die ersten Chemiker und. Ingenieure ihrer Zeit: 252

Monge, Berthollet, Fourcroy, Chaptal, Périer und noch andere, welchen sie die Pulver- und Waffenerzeugung anvertrauten. Es war gar nichts mehr da, alles mußte erst geschaffen werden. In schwindelerregendem Tempo wurde nun improvisiert; die ersten Ergebnisse dieser Bemühungen wurden bereits gegen Ende 1793 fühlbar. . ' Inzwischen ging man an das allereiligste Problem, das der Mobil­ machung, heran. Barère'hatte in einem Bericht erklärt, daß die Freiheit, wie das Hochwasser, „die feindlichen Horden-mit ihren brodelnden Fluten bedecken und im Handumdrehen die Dämme des Despotismus niederreißen würde.“ Das klang wohl gut, hatte aber nicht viel Sinn. Am 23. bestimmte ein von Camot inspiriertes Dekret, daß sämtliche Franzosen von nun an einer ständigen Re­ quisition durch die Armee unterworfen seien, daß jedoch nur die jungen, von 18—25 Jahren, in den Kampf gehen, während die anderen im Landesihneren und in den Fabriken dienen sollten. Das war eine weise Beschränkung, denn wozu hätte man Rèkruten ausheben sollen, für die weder Waffen noch Kader vorhanden waren? ■ Die militärische Anarchie war, jedoch so groß, daß einzelne Deputierte, in Mission dem Dekret des Konvents nicht gehorch­ ten, und die gesamte männliche Bevölkerung ihrer Departements unter die Waffen riefen. So zogen Lacoste und Guyardin im Oberrhein, Niederrhein, Mosel und Vogesen Tausende von alten Bauern ein, deren ganze Ausrüstung in einer Sense öder Pike bestand. Solange, man sie füttern konnte, blieben sie; bei den ersten Einschränkungen liefen sie jedoch davon. Ein Elsässer hat dieses burleske Unternehmen in fesselnder Weise geschildert. Er gehörte einem Bataillon an, das weit hinten, zwi­ schen Bitsch und Petite-Pierre, bei einem Engpaß kampierte, den niemand bedrohte. Die Männer waren in Holzschuhen und Ar­ beitsblusen, einige besaßen sogar Jagdgewehre. In weiser Voraus­ sicht hatten sie Kühe, Schafe und mehrere Wagen voll Mehl mit­ gebracht. Man machte es sich also bequem, und bald wuchs ein Weiler von Baumzweigen aus der Erde. Der ganze Dienst bestand in Essen, Trinken, Kühe melken und Staatsverpflegung verzeh­ ren. Am Sonntag kamen die Frauen und Mädchen des Dorfes auf ihren Wagen und brachten den Männern Schinken, Torten und Früchte. Es gab Paniken und blinde Alarme, einmal, weil ein Wachtposten auf einen vorüberziehenden Köhler geschossen, ein andermal, weil ein Hund in der Ferne gebellt. Mit der Zeit gingen Fleisch, Bier, Wein und Branntwein aus; Löhnung wurde 253

auch keine gezahlt. Eines Tages vernahm man Kanonendonner, worauf sich das ganze Bataillon still und heimlich empfahl; nur _die Offiziere blieben zurück. Dieses Beispiel zeigt, wie schwierig es für Camot war, sich Gehorsam zu verschaffen, und wie lange er brauchte, um die Einheit des Kommandos wiederherzu­ stellen. -7,;7 : ■ Im Norden gelang es Houchard, einem alten Soldaten, der sich von der Pike an hochgedient hatte, den Herzog von York bei Hondsehoote zu schlagen und zu zwingen, die Belagerung von Dünkirchen aufzuheben (6.—8. September). Gegen' die Öster­ reicher hatte er jedoch weniger'Glück und ließ-den Herzog von Koburg Qüesnoy einnehmen. Am 13. November schließlich über­ ließ die von den Deputierten Borié und Ruamps vollständig des­ organisierte Rheinarmee Wurmser die befestigten Stellungen von Weißenburg und floh bis Zabem und Straßburg. Damit finden die französischen Rückschläge ein Ende. Carnot hat sich persönlich zur Nordarmee begeben. Er weiß, daß man, um Sieger zu bleiben, nicht überall siegen müsse, sondern daß es genüge, zur richtigen Zeit und am richtigen Ort einen nachhalti­ gen Erfolg davonzutragen. Die empfindlichste Stelle der Koali­ tion befindet sich zweifelsohne in Flandern, an der Nahtstelle der englischen und österreichischen Armeen. Solange die Preu­ ßen in Polen festgehalten sind, genügt an der Rheinfront die Ver­ teidigung. Camot beruft also aus dem Osten alle irgendwie ver­ fügbaren Truppen nach dem Norden: eine alte Operation, deren Grundzüge schon lange im Kriegsministerium ausgearbeitet liegen und deren Ausführung seit der Regierungszeit Ludwigs XV. durch den Bau von drei strategischen Straßen von Metz nach Dün­ kirchen ermöglicht wurde. Das realistische Genie Camots ver­ wendet alles, was schon vor ihm geleistet wurde. Durch eine wun­ derbare, ihm eigene Einfühlungsgabe errät er, welche Männer den Sieg erzwingen werden, und bringt sie von der untergeordnetsten an die führende Stellung: Jourdan, wird am 24. September mit dem Oberbefehl der Nordarmee, Pichegru am 28. mit der Rhein­ armee und Hoche am 22. Oktober mit der Moselarmee be­ traut. 7: . : .• Am 15. Oktober greifen Camot und Jourdan den Herzog von Koburg bei Wattignies,. in der Nähe von Maubeuge, an. Die Kaiserlichen hatten sich schwer verschanzt und ' leisteten den wütenden Angriffen der Republikaner 15 Stunden lang Wider­ stand. In der Nacht wird ein Kriegsrat abgehalten; Jourdan schlägt vor, das Gleichgewicht der Schlachtlinie wiederherzu254

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stellen und den schwach gewordenen linken Flügel zu verstärken; Camot setzt den entgegengesetzten Plan durch: die linke Seite zu vernachlässigen und die rechte, die Fortschritte erzielt hatte, zu verstärken, um so ' die schon gewonnenen Vorteile gründlich auszunützen. Ein grauer, armseliger Herbstmorgen dämmert her­ auf. Im Nebel formieren sich drei Sturmkolonnen, an ihrer Spitze: Jourdan, Camot und der Deputierte Duquesnoy, alle drei in gro­ ßer Uniform mit allen Ehrenzeichen, Schärpen und riesengroßen Hüten mit dreifarbigen Federn. Man schlägt sich bis zum Abend; das gewonnene, verlorene und schließlich wiedereroberte Wat­ tignies blieb schließlich in französischen Händen, der Herzog von Koburg war geschlagen und Maubeuge entsetzt. Camot traf völlig erschöpft in Paris ein und schrieb sofort an die”Nordarmee, um sie zu ihrer Tapferkeit und ihrem Siege zu beglückwün­ schen. Nicht ein Wort seines Briefes wies darauf hin,- daß er selbst am Kampfe teilgenommen; man hätte vielmehr glauben können,’ er habe seine Karten und Papiere keinen Augenblick allein gelassen. • Im Elsaß hatte Hoche nach einigen kleineren Unternehmungen von wechselndem Erfolg das Kommando über die vereinigte Rhein- und Moselarmee übernommen, und stürmte am 26. De­ zember die Befestigungen von Weißenburg, während Desaix, ein ehemaliger Adeliger, in Lauterbach seinen Einzug hielt.. Wurmser ging daraufhin sofort über den Rhein zurück, und der Herzog von Braunschweig richtete sich in Worms und Mainz ein. Während des Winters ruhten die Operationen, was Camot dazu benützte, um seine Kräfte neu zu gruppieren und ein schon oft zurückgestelltes Projekt durchzuführeri: die Vereinheitlichung der Truppe, die darin bestand, in einem Regiment.oder einer llalbbrigade Soldaten verschiedener Herkunft, die bisher getrennt geblieben waren, zu verschmelzen: Berufssoldaten von vor 1789, Freiwillige von 1792 und Einberufene von 1793. Man brachte so, unter dem Vorwand der Gleichheit, die jungen Soldaten mit den alten Haudegen nach der alten Disziplin zusammen und, da man nun über zu viel. Offiziere verfügte, setzte man diejenigen ab, die ihren Dienstrang der bloßen Wahl verdankten. Die neue Offensive wurde im Mai ausgelöst, als gerade Kosciuszko Polen zum Aufstand aufrief. Der Kampf konzentrierte sich erst an der Sambre, die Jourdan am 18. Juni überschritt und dann vor Charleroi, das der herbeigeeilte Herzog von Koburg am 26. zu entsetzen’versuchte.^Die französische Front war zu beiden Seiten von Fleurus auf einer Breite von 30 Kilometern aufgebaut, 255

die der Herzog von Koburg während 14 Stunden mit allen Mit­ teln zu durchbrechen versuchte, und wobei 5 Sturmangriffe unter ungeheuren Verlusten zurückgeschlagen wurden. Am Abend, auf die Nachricht von der Übergabe von Charleroi, zog sich der Her­ zog von Koburg zurück. Am 6. Juli evakuierten die Alliierten Brüssel, in das Jourdan am ix. seinen Einzug hielt; am 23. bemächtigte sich Pichegru Ant­ werpens; am gleichen Tage fiel Lüttich: ganz Belgien war wieder in französischer Hand. Einnahme von Lyon am 9. Oktober; Sieg bei Wattignies am 16.; Niederlage der Aufständischen in dér Vendée bei Cholet am 17.; Einnahme von Toulon am 19. Dezember; Niederlage der Auf­ ständischen in der Vendée bei Savenay am 23; Sieg bei Weißen­ burg am 26. Die Revolution hatte zur gleichen Zeit über ihre inneren- und äußeren Feinde gesiegt. Die Jakobiner taten immer noch so, als vermischten sie die einen mit den anderen, und be­ mühten sich, zwecks bequemerer Unterdrückung, an das Bestehen einer großen Koalition glauben zu machen, die zugleich Pitt, Bris­ sot, die Herzoge von Braunschweig und Koburg und Cathelineau umschloß. Die Schreckensherrschaft wurde so, wenn schon nicht gerechtfertigt, so doch zu einem Teil der nationalen Verteidigung. Dies war jedoch eine glatte Lüge. Der Aufstand der Vendée und der Aufruhr 'der Gironde waren spontane Bewegungen; Toulon hatte sich wohl den Engländern ergeben, die es dann aber im Stiche ließen. Gegen den Berg gab.es keine Einheitsfront, sondern vier bis fünf verschiedene, sich überschneidende, nicht aufeinander abgestimmte Fronten, und gerade diese Zusammenhang- und Plan­ losigkeit verursachten die Niederlage der Angreifer. Wenn man andererseits während einiger Wochen auf Grund der allgemeinen Verwirrung und leidenschaftlichen Verblendung die nationale und revolutionäre Verteidigung im guten G la u b en gleichsetzen konnte, so wurde man sehr ,bald eines Besseren be­ lehrt. Engländer, Preußen und Österreicher sind im Dezember 1793 geschlagen^ die Vendée liegt im Sterben, die Gironde ist nur noch eine Erinnerung, Toulon und Lyon sind nicht einmal mehr als Namen auf der Karte erhalten, und doch verdoppelt sich noch die Schreckensherrschaft und erreicht nach Fleuras ihren Höhe­ punkt. Je gesicherter die revolutionäre Regierung ist, um so blut­ rünstiger wird sie, und um so fieberhafter arbeitet die Guillo­ tine. Diejenigen Geschichtsschreiber, die uns um jeden Preis di« Hekatomben des Berges als bedauerliche Übertreibungen einer berechtigten Abwehr darstellen wollen, sind ab 1794 in einer sehr 256

schwierigen Lage; In ihrem blinden Wunsch, das System reinzu­ waschen, sind sie gezwungen, einen einzigen Mann, nämlich Robes­ pierre, aller Verbrechen, die sie nicht anders erklären können, zu beschuldigen. Der Ehrgeiz, die Scheinheiligkeit und Grausam­ keit von Robespierre... Diese Worte kommen auf jeder Seite wieder. Welch kindische Erklärungsversuche! Die Schreckens- ( Herrschaft stellt das eigentliche Wesen der Revolution dar, weil die Revolution keineswegs nur ein einfacher Regimewechsel, son­ dern zugleich eine soziale Revolution, eine Enteignungs- und Aus­ rottungsaktion ist. Während unter dem feindlichen Druck die Armeen normale Be­ dingungen : Einheit, Hierarchie und Disziplin, wiedergefunden haben, ist Frankreich im Innern einem kommunistischen Experi­ ment unterworfen, .das es ausgeblutet und ruiniert zurückläßt, so daß das Land bereit ist, sich dem ersten besten Retter an den Hals zu werfen.

Z w ö l ft e s K a p it e l

D IE K O M M U N IS T IS C H E S C H R E C K E N S H E R R S C H A F T

Bei den Ereignissen der Revolutionszeit fällt die kleine Zahl der aktiv daran teilnehmenden Personen auf. Der Manifestanten auf. der Straße wird von Tag zu Tag weniger:'höchstens 6000—7000 in Paris, und dazu immer wieder die gleichen, die nämlich den Aufruhr zu ihrem Beruf erwählten. Beim Sturz der Monarchie demissioniert Frankreich in bezug auf die Angelegenheiten des öffentlichen Lebens; es beugt, verkriecht, unterwirft sich und wartet bessere Tage ab, während das kleine Völkchen der Jako­ biner-das Wort führt und das große,. schweigende Volk be­ herrscht. -Seit 1788 waren die Gesellschaften die eigentliche Triebkraft der Revolution. Inmitten der wachsenden Anarchie hatten sie ihre Macht durch ihre Permanenz und Einigkeit gesichert und ver­ größert, wobei sie jedoch bis zum 10. August nur von außen her gehandelt, indem sie einen Druck auf die königliche Regierung ausgeübt. Obgleich die Regierung von Kapitulation'zu’Kapitula­ tion immer schwächer geworden war, hatte sie immer noch ge­ nügend Kühnheit bewahrt, zu widersprechen und mußte infolge­ dessen ganz gestürzt werden. Frankreich hatte sich dann in einer eigenartigen Lage befunden: ■H G ax o tte, Dévolution

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ohne König, aber mit einer monarchistischen Verfassung. Der Konvent hatte wohl behauptet, selbst die Exekutivgewalt auszu' üben, aber die Vorsichtsmaßregeln, die früher gegen den Hof getroffen worden waren, wendeten sich nun gegen ihn selbst. Die Unabhängigkeit der örtlichen Behörden, ihre mangelnde Unter- 1 Ordnung, die ständige Erneuerung der Verwaltungskörpe'r und die Ohnmacht der gewählten Behörden sowie die Auslieferung der bewaffneten Macht an die Kommune : all das, was die Mon­ archie gelähmt hatte, legte nun auch die Republik lahm. Wohl bestand der Dualismus zwischen Krone und Assemblée nicht mehr, aber da diese letztere selbst in zwei feindliche Lager gespal­ ten war, blieb der Einfluß des Zentrums, statt stabilisierend £u wirken, widerspruchsvoll und unbeständig, wie früher. Die Jako­ biner befanden sich gegenüber dem Konvent in seiner Gesamtheit, trotzdem sie sehr stark waren, in derselben Lage wie vor zwei Mo­ naten gegenüber dem König: ein offiziöser Herr, der den offi­ ziellen bedroht und zwingt. Auch ihre Einschüchterungsmetho­ den ändern sich nicht: die gleichen Angriffe in der Presse und in öffentlichen Reden, derselbe Vorbeimarsch der Bittsteller und die gleichen Manifestationen und Gewalttätigkeiten. Da sie am 2. Juni die Assemblée gezwungen hatten, die Führer der eigenen Mehrheit zu opfern, zeigten sie klar, daß sie die Souveränität •des Volkes genau so wie die persönliche Souveränität zu behan­ deln gedachten. Entgegen der manchmal vertretenen Meinung ■stellte der 2. Juni jedoch keine Lösung, sondern nur eine weitere Etappe dar. Die darauf folgende Erregung.führte Ende 1793 zur Bildung einer revolutionären Regierung, d. h. zur Diktatur der Jakobiner. ‘ : " ’ ’ »• . In dieser Krise wurde der Berg, wie dies nun schon 5 Jahre die Regel war, von seiner äußersten Linken, den sogenannten Wüten­ den, beherrscht. Wo begann dieser Flügel, und wo hörte er auf? Es ist schwer, ihn abzugrenzen; unter seinen Mitgliedern gab es häufige Zerwürfnisse, und man war in seinem Haß sehr rasch bereit, sich gegenseitig zu exkommunizieren. Nach diesen Vor­ behalten kann man jedoch sagen, daß die Bewegung aus den kommunistischen Predigtèn von Jacques Roux und seinen Schü­ lern Varlet und 'Leclerc hervorging. Sie waren es, welche die •Idee lanciert hatten, daß es gelte, die politische Revolution durch eine soziale zu ergänzen'und daß es unmöglich sei, gleiche Bür­ gerrechte ohne gleiche Besitzverhältnisse zu verwirklichen: Nach­ dem die Führer der Revolution diese Ansichten abgelehnt hatten, wendeten sie sich an das niedere städtische, durch die, Inflation

entsetzlich verarmte Volk. Ab Mai waren sie stark genug, Marat und Robespierre zu zwingen, ihre Mitwirkung gegen die Gironde zu erkaufen, und ihr Einfluß wurde bis September ständig größer. ' " Bis vor kurzem war die Geschichte dieser drei Monate fast un­ bekannt; Mathiez, der sie als erster im einzelnen beschreibt, be­ urteilt sie als „sehr verwirrt und unklar“. Die Personen, schreibt er, seien ;obskur, ihre Handlungen schlecht bekannt, ganz zu schweigen von ihren Absichten. Ein unaufhörlicher Strom von Petitionen, Manifestationen,' Wirren und Intrigen, geht von ihnen aus. Die Regierung treibt manchmal völlig hilflos dahin und nimmt gegenüber den Aufständischen ihre Zuflucht zur List; die Erklärungen und Maßnahmen, die sie ihnen entgegenhält, sind nicht ohne Hintergedanken; sie gibt nach und nimmt ihre Zu­ geständnisse gleich darauf wieder zurück, mit einem Wort, es ist ein wahres Chaos. , Wenn man sich auf die großen Linien beschränkt, so kann man doch ziemlich klar sehen und die Dinge folgendermaßen zusam­ menfassen: Jacques Roüx, der die Schwierigkeiten ausnützt, die während der Übergangszeit zwischen den Ernten Von 1792 und 1793 entstehen, hält die Sektionen in ständigerErregung und versucht drei- bis viermal, sie zum Sturm auf den Konvent zu treiben, den er beschuldigt, das Volk hungern zu lassen und die Reichen, die Händler und Spekulanten, zu schützen. Die von ihm am 25. Juni verlesene Petition klingt wie eine Anklagerede: „Die Freiheit ist nur ein.leerer Wahn, solange eine Klasse die andere ungestraft verhungern lassen kann. Die Gleichheit ist nur ein leerer Wahn, solange der Reiche durch seine Monopole über Leben und Tod seiner Mitbürger bestimmen kann. Die Republik ist nur ein leerer Wahn, solange1die Gegenrevolution tagtäglich am Werke ist, indem sie alle Preise für Lebensmittel hinauf­ schraubt, die von Dreivierteln der Bevölkerung nur weinend auf­ gebracht werden können.“ Und der junge Ledere lud in seiner Zeitung die. Deputierten ein, um 3 Uhr morgens aufzustehen, um sich in die Schlange einzureihen, die sich vor Tagesanbruch, vor den geschlossenen Geschäften, bildet. „3 Stunden vor der Tür eines Bäckerladens tragen mehr zur Bildung eines Gesetzgebers -bei als 4 Jahre Herumdrücken auf den Bänken des Konvents.“ Her Erfolg dieser Propaganda beunruhigte die Kommune. Hébert Und Chaumette, die fürchten, .an die Wand gedrückt zu werden, nehmen "nun gleichfalls die kommunistischen Theorien an und bekommen so, mit zeitweiliger Unterstützung von Robespierre,

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ihre Anhängerschaft, die drauf und dran war, zum Feinde über­ zugehen, wieder in ihre Gewalt: Von den Cordeliers vertrieben seiner Zeitung „Le Publiciste de la République“ beraubt, von den Jakobinern beschuldigt, ein Sendbote von Koblenz und ein Agent Pitts Zu sein, im Konvent von der „Witwe“ von ‘Marat denunziert, wird Jacques’ Roux verhaftet und begeht im Gefängnis Selbst­ mord. Ledere findet es ratsam, zu verschwinden und verpflichtet sich für ein Requisitionsbataillon; Varlet, der Volksredner, ver­ bringt einige Wochen im Gefängnis, aus dem er stumm heraus­ kommt. Die ganze Gruppe ist liquidiert; im Grunde genommen handelt es sich jedoch nur um einen Personenwechsel. Es ist un­ wichtig, ob der Kommunismus durch Hebert oder durch Roux vertreten wird; ausschlaggebend allein ist, daß er den Sieg davon­ getragen hat, daß die Linksbewegung auch nicht vor der „bürger­ lichen Revolution“ haltgemacht, sondern bis zur „proletarischen Revolution“ weitergegangen ist. Die Bekehrung Héberts, Welche die Hauptepisode dieser Entwick­ lung darstellte, fand nach der Ermordung Marats. statt (13. Juli). Dieser letztere hatte durch seine Autorität, sein journalistisches Genie und seine wunderbare Gabe, die Leidenschaften des Volkes zu erraten und auszudrücken, den anderen Ehrgeizigen den W e g versperrt, ja, er war ihnen sogar im Wege gestanden. Der intime Freund von Hébert, Vincent, konnte seine Freude bei der Beerdi­ gung Marats nicht verbergen, und man hörte ihn murmeln: „End­ lich!“ Ein großer Platz war frei geworden und zu besetzen, und Roux sowie Ledere wollten ihn einnehmen. Hébert verdrängte sie: „Wenn man einen Nachfolger für Marat braucht“; rief er den Jakobinern am 20. Juli zu, „wenn man ein zweites Opfer braucht, so ist dieses schon bereit und in sein Schicksal ergeben: Hier steht dieses Opfer!“ Hébert hatte nicht die geringste Lust, sich hinmorden zu lassen, sondern wollte nur seinem „Père Duchöne“ die Kundschaft des „Ami du peuple“ und des „Journal de la République“ einbringen. Um als Demagoge ungeschlagen zu bleiben, veröffentlicht er eilig alle'Gerüchte, Verleumdungen und Geschichten von Ver­ schwörungen und Verrat, welche die Unterhaltungen der Klubs bildeten. Da auch Abhilfevorschläge kommen mußten, machte er sich einfach die ursprünglich von Roux lancierten und bisher von ihm selbst bekämpften Mittel zu eigen: Requisitionen und Preisfestsetzungen, Klassenkampf und Sozialisierung des Han­ dels. „Das Vaterland“, schreibt er Anfang September, „dasVater2 6 0

land, SCH...! Die Kaufleute besitzen keines. Sie haben die Revo­ lution solange unterstützt und den. Sansculotten die Hand zur Zer­ störung des Adels und der Parlamente geboten, als sie die Revo­ lution für sich von Vorteil ansahen, und nur, um sich selbst an die Stelle der Aristokraten zu setzen. Seit es keine aktiven Bürger mehr gibt, seit der unglückliche Sansculotte dasselbe Recht ge­ nießt wie der reichste Wucherer, haben alle diese Halunken Farbe bekannt und setzen Himmel und Hölle in Bewegung, um die Republik zu zerstören. Sie haben alle Lebensmittel gehamstert, um sie zu Wucherpreisen zu verkaufen oder um uns verhungern Zu lassen. Da Sie jedoch sehen, daß die Sansculotten eher ent­ schlossen sind, Hungers zu sterben, als sich wieder versklaven zu lassen, haben diese Menschenfresser ihre Knechte und Helfers­ helfer gegen die Sansculotten bewaffnet. Sie haben sogar noch Schlimmeres getan; sie haben die Räuber der Vendée verpflegt, gekleidet und versorgt, sie öffnen in diesem Augenblick den Eng­ ländern die Häfen von Toulon und Brest und stecken mit Pitt unter einer Decke, um ihm unsere Kolonien auszuliefern.“ Als stellvertretender Stadtkämmerer der Kommune und Herr der größten Zeitung Frankreichs, konnte Hébert den Jakobinern schreckliche Schläge versetzen. Manche seiner Nummern wurden in einer Auflage von 600000 Stück herausgebracht und gelangten in Paris und bei der Armee gratis zur ,Verteilung. Seine Macht reicht jedoch weit über dieses papieme Königreich hinaus. Das Kriegsministerium ist sein, eigenes Haus, und Bouchotte seine Melkkuh, von dem er erhält, was er will: Gelder, Ausweise, Sinekuren und Kommandos, insgesamt. 300 Millionen, die all­ monatlich ausgegeben werden können, ferner 50 000 zu besetzende Stellen und Dienstgrade und Hunderte von einträglichen Ge­ schäften, die eine anschauliche Vorstellung von seiner ungeheuren Macht geben. Um ihn èine ganze Schar von Handlangem: Vin­ cent; Generalsekretär des Kriegsministeriums, Ronsin, Komman­ dant der Revolutionsarmee, und Rossignol, Kommandant der Westarmee;/in seinem Gefolge: Hanriot, Kommandant der Pari­ ser Nationalgarde, Pache, Bürgermeister von Paris, Chaumette, Stadtkämmerer, Clootz, .Royer, Proli, Pereyra und alle politi­ schen Flüchtlinge. Ende August besitzt er die Mehrheit bei den Jakobinern. Am 4. September organisiert er einen „Tag“, um die Kommune fortzureißen, und am 5. einen zweiten für den Konvent. . Das Hauptquartier des Aufstandes befindet sich im Kriegsmini­ sterium. Schon zeitig früh requirieren. Rädelsführer die Arbeiter

der Kriegsbedarf erzeugenden Fabriken; Gruppen von Ver­ trauensleuten sind auf den Baustellen, um die Erdarbeiter und Maurer zu gewinnen; wieder andere schaffen Arbeitslose herbei. Gegen Mittag ist die „Place de-Grève“ besetzt, die Menge dringt in das Rathaus ein, und der Sitzungssaal wird von einer toben­ den, Brot verlangenden'Menge gestürmt. Chaumette versucht an­ fangs, die Manifestanten mit schönen Worten und Versprechungen zu zerstreuen, was jedoch verlorene Liebesmühe bleibt. Als er fühlt, daß die Sache ernst ist, schlägt er sich nun ohne längeres Zögern auf die Seite der Bittsteller und teilt mit, daß er sich am kom• inenden Tage ari ihre Spitze stellen werde, um sie selbst in den Konvent zu führen. „Dies hier ist offener Krieg der Reichen gegen die' Armen; wir müssen sie selbst zerschmettern, und wir haben die.Macht dazu. Sie sind doch so unglücklich! Sie haben nur den Ertrag unserer Arbeit verschlungen, unsere Hemden ver­ speist, unseren Schweiß getrunken und möchten sich nun noch an unserem Blute laben!“ Am Abend beschließen die Jakobiner, nach dem Muster, der Kommune, das kommunistische Schreckens­ programm von Hébert zu unterstützen und am Défilé teilzu­ nehmen. -, - ■ Alles spielt sich vereinbarungsgemäß ab: um 12.15 Uhr Versamm­ lung beim Rathaus; 12.45 Uhr Abmarsch zu den Tuilerien, mit Pache und Chaumette'an der Spitze, denen ein dicht gedrängter Zug folgte, in dem zahlreiche Aufschriften: „Krieg den Tyran­ nen!“ „Krieg den Aristokratenl “ „Krieg den Hamsterern!“ ge­ tragen wurden. Der Konvent, unter Vorsitz von Robespierre, ist von der Ankunft der Bittsteller unterrichtet, die sofort vorgelas­ sen werden; Pache und Chaumette erklären nun, die Hungersnot sei durch den Egoismus der Reichen und die Böswilligkeit der Bauern verursacht und zeige das abscheuliche System auf, mit dessen Hilfe das hungernde Volk gezwungen werden solle, „seine Souveränität gegen. ein Stück Brot einzutauschen.“ Es wird die •Beschlagnahme der wichtigsten Lebensmittel und die Ausmerzung der Handelsaristokratie gefordert. Der Konvent, der schon ein ganzes Arsenal von Wirtschaftsgesetzen vorbereitèt hat, gewährt ■noch in derselben Sitzung die Unterteilung des Revolutionstribu­ nals in 4 Sektionen und die Schaffung einer besonderen Armee, welche die Durchführung der Gesetze über die Lebensmittel über­ wachen soll. Für den kommenden Tag, an welchem zur klaren Manifestierung der Unterwerfung, zwei neue Mitglieder, zwei An­ hänger von Hébert, Cöllot d’Herbois und Billaud-Varenne, ge­ wählt werden, wird sogar noch mehr zugesagt. 262

Die Krise des Monats August 1793 stellt einen ebenso wichtigen Wendepunkt in der Geschichte der Revolution dar wie die Krise vom August 1792. Bisher war der Großteil des Konvents aus Gedankenroutine den Theorien seiner Jugendzeit treu geblieben und hatte eine Art wirtschaftlichen Liberalismus verfochten. Die Einmischung des Staates in das Gebiet der Erzeugung schien ihnen reaktionär und ein,Rückfall in die Praktiken d e s Ancien Régime; von nun an werden sie sich jedoch immer stärker auf die von den Kommunisten aufgezeigte Bahn festlegen lassen. Zu Beginn der Revolution hatte das bewegliche Vermögen zum Großteil aus Staats- und Körperschaftsrenten bestanden, imd die Verbindlichkeiten für. die letzteren waren,von dem Staat zugleich mit deren Einkünften übernommen worden. In dieser Hinsicht waren keine besonderen.Maßnahmen erforderlich: Es genügte, die Entwertung des Papiergeldes sich auswirken, zu lassen. Im De­ zember 1793 entsprach der Assignat nur noch durchschnittlich ,500/0 seines Nominalwertes und im Juni 1794 nur noch 330/0. Die Rentner waren so bereits um zwei Drittel ihres Kapitals ge­ prellt. . . . . ,v ... ' 1 Der Konvent blieb jedoch dabei nicht stehen, sondern;beschloß nach dem Bericht von Cambon, dem Gewaltigen des Finanz­ komitees, die alten Anleihetypen zu vereinheitlichen oder viel­ mehr durch eine gewisse Anzahl von Renten zu ersetzen, die in einem „Hauptbuch der öffentlichen Schuld“ eingetragen werden sollten, ohne jedoch das entsprechende Kapital zu erwähnen. Diese Operation bedeutete nicht nur eine Herabsetzung der Zin­ sen, sondern vor allem die Aufhebung aller bei gewissen Emis­ sionen zugestandenen'Vorteile: Verlosungen, Rückzahlungsprä­ mien, gestaffelte Ziehungen usw. (24. August 1793). Auch die lebenslänglichen Renten .wurden in ständige Renten umgewandelt. Da ihre Konversion nur nach einer gewissen Zahl schwieriger Formalitäten möglich war, deren erste die Beibringung einer. Be­ stätigung über Nichtauswanderung war, wurde ein Teil der Wert- , papiere dadurch-schon automatisch annulliert; die anderen wur­ den gegen neue Papiere, jedoch zu einem Satz, der die Inhaber stark schädigte, umgetauscht (12. Mai 1794). Die Schaffung des „Hauptbuches“, die überall als Muster von'Redlichkeit gepriesen wurde, war nichts anderes als ein Teilbankrött, der sich dem all- ' gemeinen Geldzusammenbruch anschloß. Schließlich wurde im November 1793 eine neue Zwangsanleihe auf alle Einkünfte festgesetzt, die, 2 Jahre nach‘Friedensschluß (?) rückzahlbar,keine Zinsen trug, mit Lastenfreiheit für. die erste Tranche 263

von iooo Franken und einem gleitenden Prozentsatz, der ab 9000 Franken i o o ° / o erreichte. Gegenüber den Aktiengesellschaften ging der Konvent noch radi­ kaler vor. Ein aus den letzten Tagen der Gesetzgebenden As­ semblée datiertes Dekret hatte, die Inhaberaktien aufgehoben . und die namentliche Eintragung aller Wertpapiere und Aktien so­ wie die Eintragung aller Abtretungen und Überweisungen an­ geordnet. Die tatsächEchen oder vermeintlichen Übertretungen dieses Gesetzes boten einen willkommenen Vorwand zu einer Kampagne gegen die Spekulation, die am 26. Juni 1793 zur Schließung der Börse, am 24. August zum Verbot der G.m.b.H.s und am 8. September zur Versiegelung der Banken und Wechsel­ häuser führte. Die Privatpersonen, die ausländische Obligationen in Gold besaßen, waren verpflichtet, diese dem Staatsschatz gegen ihren Wert in Assignaten zum Nominalkurs zu übergeben. Die in die Provinz entsandten Deputierten und die örtlichen Be­ hörden organisierten die Requisition der Geldsorten, Barren und Wertgegenstände, deren Beschlagnahme schließlich durch ein De­ kret vom 13. November angeordnet wurde. Die Denunzianten er­ hielten ein Zwanzigstel der Beschlagnahme, und die revolutio­ nären Gesellschaften hatten Vollmacht, bei den „Reichen“ Haus­ durchsuchungen vorzunehmen. Nach der Schilderung eines marxi­ stischen Geschichtsschreibers ergötzten sie sich daran nach Her­ zenslust. Die Angst trieb eine ziemlich große Zahl von Personen, von denen bekannt war, daß sie im Besitz von Silber waren, es gegen Assignaten umzutauschen, wodurch deren Kurs eine Zeitlang stieg. Dies war jedoch nur eine vorübergehende Besserung; im Dezember bezeichnete Cambon, der die Jagd auf die Edel­ metalle organisiert hatte, diese als „wertlos und hassenswert“. „Das Gold darf in den Augen des republikanischen Sansculotten nicht mehr Wert haben als Mist“, sagte er. Das war ein Zeichen dafür, daß man ihm keines mehr gab. Er deutete die Einführung des bargeldlosen Handels, „einen einfachen und glatten Tausch“, an und befahl inzwischen, Gold und Silber nicht mehr gegen Assignaten umzutauschen, sondern nur gegen ein neues Papier, welches der Staat genau so in Zahlung nehmen, das jedoch nicht für Transaktionen zwischen Privaten verwendet werden sollte. Wie groß auch die industrielle Entwicklung unter Ludwig XV. und Ludwig XVI. war, so war 1789 das unbewegliche Vermögen Frankreichs doch beträchtlich größer als das bewegliche. Die Be­ schlagnahme und der Verkauf der Kirchen- und Emigrantengüter hatte wohl .deren Verteilung völlig verändert, ohne daß deshalb 264

der eigentliche Wert geschmälert wurde; ganz im Gegenteil. Während Krieg, Blockade, Emigration und Elend so viele Ein­ nahmequellen zum Versiegen brachten, stellte der Grundbesitz immer mehr den wertbeständigen Anlagewert par excellence dar. Die erste Taxierung des Getreides, wurde am 4. Mai 1793 als Gegenleistung für die Unterstützung der Wütenden gegen die Gi­ ronde beschlossen, jedoch in der Praxis sehr schlecht angewandt. Die Departementsverwaltungen, denen diese Aufgabe zufiel, zogen die Vorbereitungen absichtlich in die Länge und nahmen Unklar­ heiten und Lücken der Verordnung zum Vorwand, um sie in 9 von 10 Fällen.ganz einfach unter den Tisch fallen zu lassen. Im Juli wird dies anders. Der kommunistische Druck wird immer stärker, und der Konvent nimmt, fast diskussionslos, nach einem Bericht von Collot d'Herbois, ein Anti-Hamster-Gesetz an (27. Juli), das, wie Marion sagt, „nichts anderes bezweckte, als jeden als öffentlichen Feind zu behandeln, der noch den Mut hätte, mit Sachen Handél zu treiben, über deren Fehlen man sich gerade am meisten beklagte“. ;Als Hamstern galt die Tatsache, an irgend­ einem Ort, ohne täglichen und öffentlichen Verkauf, Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs gelagert, zu halten, und zwar: Mehl, Brot, Fleisch, Wein, Gemüse, Früchte, Butter, Apfelwein, Essig, Branntwein, Honig, Fettstoffe, Talg, Fische, Holz, Kohle, Öl, Soda, Seife,'Salz, Zucker, Hanf, Wolle, Papier, Leder, Eisen, Kupfer, Blei, Stahl, Tuche, Leinen und ganz allgemein alle Ge­ webe. Die Besitzer dieser Waren waren -verpflichtet, diese bei den Behörden innerhalb einer Woche anzumelden, und die gegen das Hamsterunwesen ernannten Kommissare konnten die betref­ fenden Angaben jederzeit überprüfen und gegebenenfalls, den Verkauf der betreffenden Waren anordnen. Wer falsche Angaben machte, wurde zum Tode verurteilt, während die Denunzianten ein Drittel der beschlagnahmten Waren als Belohnung erhielten. Das Gesetz bezog sich nicht auf die Erzeugung und ließ noch einen freien Verkaufspreis zu. Trotzdem war ein großer Schritt in Richtung einer allgemeinen Einmischung des Staates getan. Das Handelsgeheimnis bestand nicht mehr. Die Kommissare gegen das Hamsterunwesen hatten überall Zutritt, konnten Verzeichnisse und Rechnungen überprüfen, Lager liquidieren und Scheunen und Speicher durchstöbem. Wenn man erst einmal auf diesem Wege ist, hält man nicht mehr ein. Sehr rasch taucht nun die Idee auf, das Gesetz vom 27. Juli sei nur ein Anfang, und der Staat habe auch die Macht, auf die Preise zu drücken und ihre Herabsetzung zu veranlassen; hier und da werden teilweise Preisfestsetzungen '

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versucht. Schließlich beschließt der Konvent, am 29. September, die Preise für die Güter des täglichen Bedarfes festzusetzen oder, wie man es damals nannte, das M aximum einzuführen. Zu den in der Verordnung vom 27. Juli bereits aufgezählten Gü­ tern, deren Umlauf schon kontrolliert war, kamen noch Getreide, Heu, Tabak sowie Leder- und Holzschuhe. Für einen Teil war das Maximum in ganz Frankreich gleich, für den anderen Teil in den einzelnen Gebieten verschieden. Vor allem waren die Bauern verpflichtet, ihre Ernte anzumelden; es war ihnen ferner unter-, sagt, ihr Getreide anders als auf dem öffentlichen Markt und zu einem anderen als dem öffentlichen Kurs zu verkaufen. Im Wei­ gerungsfälle würden die Behörden die Versorgung der Markt­ hallen mit Gewalt sicherstelleri, das Getreide auf dem Halm be­ schlagnahmen und den Schnitt und das Dreschen durch eigens dazu mobilisierte Arbeiter durchführen lassen: Die Getreidetrans­ porte waren genehmigungspflichtig, und die mit ihren gesamten Einrichtungen requirierten Müller galten als öffentliche Betriebe. •Schließlich wurde das Maximum, obwohl das Geld schon die Hälfte seines Wertes eingebüßt hatte und tagtäglich mehr an Wert verlor, nur um ein: Drittel über dem,handelsüblichen Preis von 1790 angesetzt. Dieses Gesetz war nicht nur ein Gesetz der Ty­ rannei, sondern der, direkten Enteignung. Zuwiderhandlungen wurden mit den strengsten Strafen belegt: 1 Jahr Gefängnis für Bäcker, welche die Arbeit einstellten; 10'Jahre Zuchthaus für Müller, die mit Getreide und Mehl handelten; 10 Jahre Zucht­ haus für •Landwirte, die falsche Meldungen abgegeben hatten; die Todesstrafe für jeden, der sich der Requisition widersetzte. , Außer für das Getreide, dessen Preis für. das ganze Land einheit­ lich festgesetzt war, sollten die Taxierungen folgendermaßen vor sich gehen: An alle Verwaltungsmittelpunkte, See- und Handels-, Städte,' Distriktshauptstädte, Fabriken und Volksgesellschaften sollten 20, Serien von Tafeln mit der Nomenklatur aller Arten von Waren und Verbrauchsgütem gesandt werden. In einer freigelassenen Spalte setzten die Empfänger die Preise der Artikel und Waren aus dem Jahr 1790, die sie in: dem betreffenden Ge­ biet selbst erzeugten oder ernteten, ein, worauf die Listen nach Paris zurückgesandt wurden. Nach ihrer Vergleichung benutzten die Versorgungsausschüsse die um ein Drittel erhöhten Preise zur Aufstellung der allgemeinen Tafeln des Maximums —zwei starken Bänden, die nach Übersendung an jeden Distrikt dort zur Auf­ stellung des örtlichen ■ Maximums herangezogen werden sollten. Zu diesem Zweck mußte jede zum Verkauf angebotene Ware

einen Herkunftsvermerk tragen. Der endgültige Preis am Ver­ brauchsort setzte sich also aus dem am Ursprungsort taxierten Kaufpreis zuzüglich der ordentlichen Transportspesen sowie der von der Regierung zugestandenen .Gewinnspanne von .50/0 für Grossisten und io°/o für Einzelhändler zusammen. Die v o r ­ b e r e i t e n d e n Untersuchungen nahmen 4 Monate in Anspruch. Das A llg em ein e M axim um war also erst gegen Ende Februar fertiggestellt und wurde im März verteilt. Es fand sowohl auf die alten Lager wie die neuen Erzeugnisse Anwendung. Nur einige Heereslieferungen (Schuhe, Geschirr, Wagen), für die besondere Verträge abgeschlossen und wofür bis zur vollen Auslieferung der vereinbarte Preis eingehalten werden mußte, waren ausgenommen. In allen anderen Fällen wurde die Taxierung von 1793/94 für die Ladenartikel verbindlich, die 1791 und 1792 viel teurer bezahlt worden waren. So wurdeClaude Périer, ein Kaufmann in Grenoble und Marseille, ruiniert: Er mußte 1000 Ellen Leinwand, die’ er zu 8 lind 9 Franken ein­ gekauft hatte, zu 4 Franken die Elle verkaufen. Selbst betrogen, be­ trog er ebenfalls: Da er zu gleicher Zeit Bankier und Importeur war, zahlte er an seine Einleger auch nur völlig wertloses Geld aus. Der Staat, der nun schon Herr der. inneren Erzeugung war, brauchte sich nur noch des Außenhandels zu bemächtigen. Dies war Gegenstand der Verordnung vom 30. Mai 1794, die sämt­ liche zu Lande und auf der See eingeführten Lebensmittel, Roh­ stoffe und Güter seiner, Verfügung unterstellte. In den Häfen' und an den Grenzen wurde von Agenturen alles ihnen Zusagende beschlagnahmt und nur der R.est den Besitzern überlassen. Prak­ tisch wurde der Staat der alleinige Importeur. Was die Ausfuhr betraf, so war sie für eine große Zahl von Artikeln verboten Und funktionierte für die anderen nur unter scharfer Kontrolle; übri­ gens war auch die gesamte Handelsflotte requiriert. . /■-. Wie mit den Gütern, so mit den Menschen. Die Verordnung über die Massenmobilmachung (23. August 1793) sandte nur die jungen . Männer von 18 bis 25 Jahren zur, Armee, stellte jedoch die ganze Bevölkerung Frankreichs, einschließlich der Frauen, in den Dienst des Staates. Es war nur logisch, daß der Staat, der einzige Chef und Händler, auch alleiniger Arbeitgeber würde. Im übrigen be­ dingte das Maximum für die Lebensmittel auch ein Maximum für’ die Gehälter. Das Gesetz'vom 29. September zeigte sich jedoch ein klein wenig großzügiger für die Arbeiter als für die Kauf­ leute: Statt einer Erhöhung um ein Drittel gewährte man ihnen eine Erhöhung um die Hälfte der Gehälter von 1790.

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Die Requirierung der Arbeiter wurde 1793 und 1794 kategorien­ weise und je nach Bedarf vorgenommen: Requirierung der Bäckereiarbeiter; Requirierung der Druckereiarbeiter zum Druck der Assignaten; Requirierung der Wagner, Gießer, Dreher, Schnei­ der, Gerber usw. für die Kriegserzeugung; Requirierung der Fuhrleute und Flößer zum Transport von Brennmaterial und Ge­ treide. Ganz Frankreich wurde in eine ungeheure Kaserne ver­ wandelt, und da durch das Gesetz Le Peletier das Recht der Pro­ letarier zum .Zusammenschluß und Streik aufgehoben worden war, spürte die Arbeiterklasse die Last der kommunistischen Po­ litik genau so wie die anderen Klassen. Am 4. April 1794 ver­ kündete der Konvent noch die allgemeine Requirierung der Fäuste und Arme und überwies jeden, der sich diesen Verpflichtungen entziehen wollte, dem Revolutionstribunal. "Nun trat jedoch erst die wahre Schwierigkeit auf: diese unmög­ lichen Gesetze zur Anwendung zu bringen. Kaum war das Maxi­ mum veröffentlicht, leerten sich die Läden im Handumdrehen, da sich jeder beeilte, zu einem künstlich herabgesetzten Preis das zu kaufen, was er am Vortag noch doppelt oder dreimal so teuer bezahlt hatte. Nach Erschöpfung der Lager fand sich niemand zu ihrer Erneuerung. Von einem Tag zum anderen gab es in Paris weder Zucker noch Öl oder Kerzen; Wein war noch vorhanden, aber gefälscht und ungenießbar. In der Provinz strömten die Landbewohner in die Stadt, um ihre Banknoten gegen Kleider, Schuhe, Stoffe oder andere'Artikel einzutauschen, deren Verkauf zu.gesetzlichen Spottpreisen vorgeschrieben war. Darauf hatten . sie nichts Eiligeres zu tun, als ihr Getreide in unaufffindbare Schlupfwinkel zu verstecken. Denn jeder wollte das Maximum bloß für den Nachbar, während die Freiheit für ihn selbst sein sollte: „Brüder und Freunde“, sagte der Deputierte Frécine zu Arbeitern, die sich gegen das Maximum der Gehälter aufgelehnt hatten, „ich höre voller Schmerzen, daß unter Euch Individuen sind, die unbedingt eine Erhöhung ihres Tageslohnes haben wol­ len, der zu Lasten der Republik ginge. Ja, wie denn, Bürger, sollte sich der verabscheuungswürdige Geist der Begehrlichkeit, den die nationale Gerechtigkeit soeben bei den Wucherern aus_gerottet, hat, in die reine Seele der Sansculotten eingeschlichen haben...? Ihr verlangt die genaue Beachtung des Gesetzes bei allem, was Ihr kauft, und Ihr weigert Euch, es bei dem, was Ihr den anderen verkauft, selbst Zu befolgen...?“ Den ganzen Auf­ forderungen zu staatsbürgerlichem Verhalten schien jedoch kein großer Erfolg beschieden gewesen zu sein, denn die Polizei­ 268

beobachter Grivel und Siret berichten im Januar 1794, daß alle Fuhrleute, Fiakerkutscher, Arbeiter und Taglöhner höhere Preise verlangen, als ihnen gesetzlich zustehen. „Selbst die Arbeiter, die Holz spalten, die Bauhilfsarbeiter und die Schornsteinfeger ver­ langen das Doppelte dessen, was ihnen zusteht.“ Wenn auch der Handel mit Gold verboten ist, so besteht doch eine schwarze Börse, die den Louisdor jeden Tag notiert, und die in einem Café der Rue Saint-André-des-Arts, wo die Spekulanten verkehren, ab­ gehalten wird. Die Konstituierende Assemblée hatte die Juden in zwei Etappen (Januar 1790, September 1791) befreit, und gleich machte sich ein gewisser Antisemitismus bemerkbar. Im Ja­ nuar 1794 behauptete der Beobachter der Polizei Pourvoyeur, daß sie sich der geheimen Transaktionen mit Goldbarren und Münz­ gold bemächtigt hätten. Der Widerstand der Bauern kündigte sich noch furchtbarer an! Es war klar, daß sie alles daran setzen würden, eine Gesetz­ gebung, die ihnen alles nahm, zu Falle zu bringen. Überall, wo sie es auf Hausdurchsuchungen^ ankommen lassen können, verheimlichen sie ihre Ernte und verkaufen sie nur hinten herum zu den ihnen passenden Preisen; da, wo sie nicht sicher sind, lassen sie die Ernte verkommen, indem sie erklären, nicht über genügend Arbeitskräfte zum Hereinbringen zu verfügen; wieder woanders, wo das Maximum für Weizen vor dem Maxi­ mum für Hafer eingeführt wird, verkaufen sie den Hafer und verfüttern den Weizen ihren Pferden.' Nach Festsetzung der Fleischpreise beliefern sie die Fleischer nicht mehr, und nachdem jedes einzelne Stück Vieh auf ihrem Hofe aufgeno'mmen, lassen sie es ganz einfach verrecken. Ein Artikel des Gesetzes vom September gibt den Stadtverwal­ tungen das Recht, nicht deklariertes Getreide zu beschlagnahmen und zu verkaufen. Einige berufen sich auf diesen Artikel, der zum eigenen Vorteil ausgelegt wird, um einen „schwarzen“ Markt sozusagen offiziell, im Einvernehmen mit den Personen, die ihrer Anmeldepflicht nicht nachgekommen sind, zu organisieren. An­ dere „übertreiben ihren Notstand“ (die Deputierten Pinet und Cavaignac drücken sich so aus), um die für die Ernährung der Armeen bestimmten Requisitionen nicht ausführen zu müssen. In einem Distrikt der Dordogne melden 23 von insgesamt-78 Pfar­ reien nicht in der vorgeschriebenen Frist und machen so die Auf­ stellung eines Departementsernährungsplanes unmöglich; Périgeux muß darunter leiden und Kleie essen.' Die ländlichen Gemeinden legen eine „vollkommene Mißachtung der gesetzlichen Bestim-

mungen“ an den Tag oder, mit anderen Worten, einen hundert­ prozentigen bösen Willen, worauf schon de Cardenel, der diesen Winkel von Frankreich genau studierte, hingewiesen hat. Die Nationalagenten berichten melancholisch von Fortschritten des „Fanatismus“. ' ' -v • • . ' An den Grenzen entwickelt sich der Schmuggel in ungeheurem Ausmaß. Der Zentner Weizen wird in Genf für 40 Goldfranken verkauft, während er in Frankreich nur 14 Papierfranken ein­ bringt — kann eine genügend strenge Kontrolle errichtet werden, um einen so vorteilhaften Handel zu unterbinden ? .In der Haute Saône, über die uns Mathiez wertvolle Unterlagen liefert, wird durch die Verkündung des Maximums sofort die Versorgungskrise erhöht. Die Bauern stellen das Dreschen ein, die Bäcker backen nicht mehr und die Wirte bedienen ihre Kundschaft nicht mehr, und die Arbeiter, die in der Stadt beschäftigungslos sind, weigern sich, auf dem Land zu helfen. Ein junger Freiwilli­ ger, dessen Korrespondenz Marion besitzt, schreibt von Pfalzburg an seine Angehörigen: „Man hat hier die Preise der Lebensmittel festgesetzt, und seither ist es fast unmöglich, irgendwo zu;Mittag zu essen.“ Aus Toulouse meldet man an das Komitee: „Die Stadt scheint von einer feindlichen Armee umzingelt zu sein. Es kom­ men keine Nahrungsmittel mehr herein, und -die' Landbewohner erscheinen nur in der. Stadt," um die-Läden zu leeren“,, und aus Bergues kommt diese Meldung, welche die änderen zusammen­ faßt: „Das Gesetz des-Maximums hat in dieser'Gegend die Wirkung eines von Pitt erdachten Komplotts zur Tötung der Frei­ h eit...“ . Der Kommunismus ist ohne eine unerhörte Entfaltung von Zwang und Gewalt undenkbar. Er allein gibt der Schreckensherrschaft einen Sinn und erklärt ihren Ablauf und ihre Dauer. Die Dik­ tatur -der Terroristen ist mit den Sozialgesetzen eng verknüpft und nicht mit den. militärischen Ereignissen. Die Schreckensherr­ schaft, nach der großen Hébertisten-Mahiféstation vom 5. Sep­ tember auf die Tagesordnung gesetzt, wird gerade in dem Augen­ blick, organisiert, in welchem die äußere Gefahr abnimmt, kodi­ fiziert sich bei gleichzeitiger Befreiung der Grenzen und erreicht ihren Höhepunkt, als Frankreich siegreich und Belgien zurückerobert ist. : ■ Grundsätzlich ist der Konvent „das alleinige Zentrum der Regie­ rungsgewalt“, aber er delegiert seine Exekutiv- und Kontrollmacht an alle zwei Monate neugewählte zwölfgliedrige Ausschüsse; den Wohlfahrtsausschuß, der für alle ‘Fragen des Krieges, der 270

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Diplomatie sowie' der Verpflegung und revolutionären Gesetz­ gebung zuständig ist, und den für Fragen der Polizei und1 Justiz zuständigen Allgemeinen Sicherheitsausschuß. Die Verwal­ tungstätigkeit im einzelnen bleibt den Ministem überlassen und, nach deren Aufhebung, ' einfachen, dem Wohlfahrtsausschuß1an­ geschlossenen Exekutivkommissionen. Um die Einheit der Re­ publik völlig zu sichern, entsendet der Konvent einen Teil seiner Mitglieder in die Departements und zu den Armeen, wo sie als „Deputierte in Mission“ mit der Kontrolle der öffentlichen Mei­ nung und des Verhaltens der Generäle sowie mit der Säuberung und Aktivierung der örtlichen Behörden betraut sind. Diese Volksvertreter verkehren mit dem Konvent durch Vermittlung des Wohlfahrtsausschusses, welcher das Recht hat, sie zurück­ zubeordern. Die von den Bezirken und Gemeinden gewählten Pro­ kuratoren werden durch von dem Konvent ernannte und diesem verantwortliche Agenten ersetzt, die „Procureurs Syndics“ der Departements aufgehoben und die Erneuerung der Gemeinde­ verwaltungen ausgesetzt (4. Dezember). Der kommunistische Staat kann sich nicht mit der bescheidenen Verwaltung von früher zu­ frieden geben. Den 6 Ministerien werden 20 weitere Dienststellen angeschlossen, aus denen wieder 100 neue entstehen. Es gibt Kom­ missare für die Nationalgüter ersten Ursprungs (Kirchengüter), Kommissare für Nationalgüter Zweiten Ursprungs (Emigranten­ besitz), Kommissare für Beschlagnahme von Lüxuspferden, Kom­ missare für die Bekleidung, gegen Wucher, für die Ernte und Er­ zeugung von Salpeter, für Volkszählung, Grundbuch und Requi­ sitionen, für Statistik, Verpflegung, Transportwesen, eine Agentur für den Außenhandel, Einkaufsmissionen im Ausland, Steuer­ einheber der Revolutionssteuer gegen die Reichen, eine ungeheure Polizeimacht, eine Armee von Beobachtern, Sieg'elwärtem, Wäch­ tern von Verdächtigen, Gendarmen, Kerkermeistern und. schließ­ lich, zur Unterstützung der Requisitionen, eine Revolutionsarmee: 6000 Soldaten und 1200 Kanoniere sowie 3 Eskadronen Kavallerie allein für das Gebiet von Paris. ■ Chaumette hatte am 5. September' die Errichtung 'dieser Armee durchgesetzt, um die Bauern, „diese Neuadeligen, die nicht weni­ ger grausam, geizig und unverschämt als die alten sind“, und die Kaufleute, diese „ebenso geizige Klasse“, im Zaume zu halten. Die Anwerbung der Soldaten begann gleich am nächsten Tag, und am 9. legte Camot selbst der Assemblée das Organisations­ statut der .Revolutionskräfte vor. Im. Büro jeder Sektion'sollte eine Liste aufliegen, in die sich'Freiwillige eintragen konnten; das 271

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Revolutionskomitee, sollte die unsicheren Elemente ausscheiden; eine Zweite Säuberung wäre dann bei der Kommune vorzunehmen. Die Soldaten sollten bei freier Verpflegung, Unterkunft und Be­ kleidung 40 Sous täglich an Lohn erhalten. Unteroffiziere und Offiziere bis zum Hauptmann sollten von ihnen selbst gewählt werden. Der Generalstab sollte von der Regierung ernannt wer­ den: In Wirklichkeit ernannten ihn jedoch die Jakobiner. Ihm gehörte ein Divisionsgeneral an, ein Freund Marats, der Drama­ tiker Rbrisin, Angestellter von Pache im Kriegsministerium und militärischer Kommissar in der Vendée; zwei Brigadegeneräle, Boulanger und Parcin, der eine Goldschmied aus Lüttich, der an­ dere Kanzleiangestellter; Chef des Stabes war der Schauspieler Gramont und ein Kavalleriemajor, der Musterzeichner Mazuel. Gramont hatte im September 1792 an der Hinmetzelung der Ge­ fangenen von Orleans teilgenommen und die Garde bei der Hin­ richtung der Königin befehligt. Samson berichtet in seinen Me­ moiren, daß er es war, der den Befehl gegeben, dem Volke den abgeschlagénen Kopf, „dessen Augenwimpern sich noch in kon­ vulsivem . Zittern bewegten“, zu zeigen. Ferner stahl er wie ein Rabe, sowohl für eigene Rechnung wie für die Dirnen seiner Um­ gebung. Boulanger war eine Null und ragte durch nichts über seine Umgebung hinaus; Parcin, einer der Sieger der Bastille, war von Juli bis September 1793 Vorsitzender der Militärkommission gewesen, welche die Gefängnisse in Angers geleert und die Guil­ lotine mit Opfern gespeist hatte; Mazuel hatte am 10. August an dem Sturm auf die Tuilerien teilgenommen und war ein brutaler Genießer mit, einem Anflug von Sadismus. Die Soldaten waren nicht besser als ihre Vorgesetzten; ein Beobachter des Innenmini­ steriums bezeichnete sie als Räuber. Folgendes Lied ist über sie im Umlauf (inhaltliche Wiedergabe) „Auf allen Wegen wird man die Revolutionsarmee sehen, die alle Widerspenstigen zu ordentlichen Menschen Machen und sie zum Gehorsam anhalten wird.' Ihr folgt die Guillotine auf dem Fuß, man wird die Magazine durchsuchen, und wer sich widersetzt, mit dem wird man das Fest des Kopfabschneidens feiern. Gehor­ sam sein ist viel besser als sich verkürzen zu lassen!“ . Die Revolutionsarmee, die in mindestens 30 Departements organi­ siert wird, steht den Volksvertretern und Komitees zur Durch­ führung der republikanischen Gesetze, und zwar der Requisitio­ nen, Maximum, Säuberung, Unterdrückung und Jagd nach Ver­ dächtigen, zur Verfügung. Ronsin' begibt sich mit seinen Leuten nach Lyon zum Füsilieren; .ein in Seine-et-Oise tätiger Deputierter

fordert eine Kompanie für Montagne-du-Bon-Air (früher SaintGermain-en-Laye) an, um die letzten Reste von Aberglauben aus­ zutilgen. Der Wohlfahrtsausschuß bietet Laplanche ein Bataillon an, um die „Reinigung“ Caeris zu beenden,, „wo eine dumpfe Gä­ rung bestehen bleibt“; Garnier (in Aube) braucht Verstärkungen, um die Requisitionen „erfolgreich“ abschließen zu können. Ein Mitglied der Pariser Kommune schreibt von Pontoise, daß die Revolutionsarmee überall, wo sie auftauche, „Wunder“ vollbringe, und der Deputierte Javogues berichtet aus Mâcon, daß die von der aus Paris gesandten Abteilung durchgeführten Hausdurch­ suchungen „sehr viel Gutes getan hätten.“ Es muß der Sturz Robespierres abgewartet werden, um über die von den revolutio­ nären Kolonnen verübten Greuel voll unterrichtet zu werden: Diebstähle, Folterungen, willkürliche Verhaftungen, Zerstörungen von Kunstschätzen, Plünderungen,. Notzucht, Waldbrände und Mordtaten ohne Ende. Der Nationalkonvent mußte jedoch, wäh­ rend die Schreckensherrschaft von Hebert ihren Höhepunkt er­ reicht hatte,, folgenden Bericht von dem Besuch einer Bande von Ronsin auf dem Bauernhof des Deputierten Lecointe anhören: Bei Einbruch der Dunkelheit dringen Ende Oktober 25 bewaff­ nete Soldaten in das Dorf Tigery bei Corbeil in das Haus des Bürgers Gilbon, eines Greises von 71 Jahren, der Vater von 6 Kindern und ein begüterter Bauer ist, ein. Sie befehlen allen Anwesenden, aufzustehen, fesseln ihnen Hände und Füße, ver­ hüllen ihnen den Kopf mit einem Sack und stellen den Bauern, die Bäuerin, die'Knechte und zwei Mägde längs der Wand auf. Dann erbrechen sie die Schränke und nehmen, was sie an Wertvollem finden, so z. B. 26 Silberbestecke, eine tiefe Schale, Trinkbecher, 2 Uhren, 1 Tabaksdose, das goldene Kreuz, das Frau Gilbon um den Hals trägt, ihre Uhr und ihre Brosche. Dann wenden sie sich dem Greise zu: „Wo ist dein Bargeld ?“ Da er nicht ant­ wortet, schleift man ihn in die Küche, setzt ihn vor den Herd und hält ihm die Füße auf die glühenden: Kohlen. ,',Wir werden dich schon zum ,Singen' bringen.“ Er rückt dann auch noch 72 Fran­ ken Bargeld und 6000 Franken in Assignaten heraus. Die Hausdurchsuchung wird mit einem Trinkgelage im Keller beendet; um Mitternacht ziehen sich die Soldaten zurück, nach­ dem sie noch ein Essigfaß eingeschlagen; ihre Opfer lassen sie gefesselt zurück. „Auf dem Land ist das Entsetzen so groß“, schloß Lecointe, „daß die Unglücklichen, denen derartige Streiche gespielt werden, nicht einmal wagen, sich zu beklagen, weil sie noch froh sind, dem 18 G a x o tte , Revolution

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Tode entronnen zu sein. Alles, was bewaffnete Macht heißt, flößt ' ihnen den allergrößten Schrecken ein.“ Dasselbe sagte der An­ hänger der Kommune Pain auf seine Weise: „Die Bauern sind die allergelehrigsten Geschöpfe; sie brauchen, nur Schulung. Wenn wir ihnen einige Instruktoren der Revolutionsarmee geben, kön­ nen wir aus ihnen schon etwas machen.“ Am 26. Februar (8. Ventôse) erklärte Saint-Just im Konvent, die soziale Revolution müsse durch eine neue Verteilung der Reichtiimer .vollendet werden: „Der Reichtum befindet sich in den Händen einer ziemlich großen Zahl von Feinden der Revolution; das Volk ist durch seine Bedürfnisse von-seinen Feinden ab­ hängig. Glauben Sie, ein Reich könne bestehen, solange die Macht bei denen liegt, die der augenblicklichen Regierungsform feind­ lich gesinnt sind? Wer die Revolution nur halb macht, schaufelt sich nur sein eigenes Grab... Der Besitz der Verschwörer ist für die Armen da. Die Armen sind die Mächtigen der Erde. . Noch in derselben Sitzung beschließt der Konvent die Beschlagnahme des Besitzes der Feinde der Republik und seine Verteilung; an „arme Patrioten“. Am 8. März wird durch ein neues Dekret die unverzügliche Aufstellung von zwei Listen bestimmt. Eine Liste der Verdächtigen, die enteignet werden, und eine der Sansculotten, die ihren Platz einnehmen sollten. „Feinde der Republik“. Die Bezeichnung war recht vage. Es bestand wohl-das Gesetz vom 17. September, welches nicht allein die Adeligen und Verwandten von Emigranten als Verdächtige bezeichnete, sondern auch alle diejenigen, die sich durch Worte, Handlungen öder Enthaltungen als „Feinde der Freiheit“ gezeigt hatten. Am 13. März werden alle diejenigen, die Unruhe bezüg­ lich der Lebensmittelversorgung hervorrufen, die öffentliche Mei­ nung zersetzen oder eine Änderung in der Regierungsform vor­ bereiten, zu Verrätern des Vaterlandes erklärt, die zum Tode verurteilt werden können. Am 16. April verbannt eine Verord­ nung jeden, der lebt, ohne zu arbeiten, und dem nachgewiesen wird, daß er sich über das Regime abfällig geäußert hat, nach Guyana. Die vollständige Liste der Verbrechen, auf die Konfiska­ tion und Todesstrafe steht, wird schließlich durch ein Gesetz vom 10. Juli, das berühmte Prairialgesetz, aufgestellt. „Die Erregung war groß“, sagte ein gelehrter Professor; „es war auch wirklich Grund dafür vorhanden: die Liste war so lang, daß jeder Fran­ zose sich für die Guillotine auserkoren'fühlen konnte.“ Als Feind des Volkes wird betrachtet und aufs Schafott geschickt! jeder, der trachtet, den Nationalkonvent und die revolutionäre

Regierung herabzusetzen oder zu stürzen (also die Royalisten und Gemäßigten); jeder, der versucht, die Versorgung der Bevöl­ kerung zu behindern (also die Bauern und die gegen Enteignung opponierenden Kaufleute sowie die gegen das Maximum der Ge­ hälter sich auflehnenden Arbeiter) ; jeder, der Patrioten verfolgt oder verleumdet hat (also alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Feinde der Jakobiner und ihrer Kreaturen); jeder, der falsche Nachrichten verbreitet (alle Tratschweiber); schließ­ lich jeder, der die öffentliche Meinung aufwiegelt oder defaitistisch wirkt (alle Unzufriedenen); die Angeklagten werden ent­ weder durch den Konvent oder eines der beiden Regierungskomi­ tees, durch Volksvertreter in Mission oder durch den öffentlichen Ankläger vor das Revolutionstribunal zitiert. Falls das Gericht der . Meinung sei, genügend moralisches Beweismaterial zu besitzen, sollte von Zeugeneinvernahmen Abstand genommen werden. ( Diesmal war die Sache klar: man versuchte nicht mehr, die. Schreckensherrschaft national zu tarnen. Alle bisher vorgebrach­ ten Vorwände wurden fallen gelassen; es handelte sich nicht mehr darum, die Spießgesellen von Pitt abzuschrecken, noch eine feind­ liche Partei im Zaume zu halten, sondern nur darum, 300000 Familien zu vernichten, um sich ihrer Besitztümer zu bemäch­ tigen. Despotismus der „Freiheit“ 'und Dogmatismus der „Vernunft“ nannten die Revolutionäre das von ihnen begründete Regime; Zwangsjacke, Tyrannei, Hölle und Bedrückung nennen es die unparteiischsten Geschichtsschreiber heute. Sagen wir ganz ein­ fach, daß es die Herrschaft des „Contrat Social“ ist: „Völlige Übereignung des Einzelwesens.mit allen seinen . Rechten an die Gemeinschaft“, entsprechend der genauen Formel von Rousseau. Wenn jemand einwenden wollte, die Revolutionäre stellten kei­ neswegs dié Gemeinschaft dar, hätte Saint-Just geantwortet, der „allgemeine Wille“ sei ganz und gar nicht der Wille der. Mehr­ heit, sondern der Wille der Reinen, die beauftragt sind, die Nation über ihre wahren Wünsche und ihr wahres Glück aufzuklären. Die seit.40 Jahren in den Gesellschaften unternommene Gedankenund Säuberungsarbeit ist nun abgeschlossen; ihre Lehre hat sich nach streng logischen Gesetzen vom anarchistischen Liberalismus zur kommunistischen Diktatur entwickelt. Unter ihrem Druck und ihrem Beispiel folgend, ist die Regierung von einer christlichen Monarchie auf die Koalition des Berges mit Hébert übergegangen. Nachdem der, Staat nach ihrem Muster geformt ist, haben sie keinen Grand mehr, sich von ihm Zu unterscheiden: sie gliedern sich als

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sein Rückgrat ein. „Innerhalb der Volksgesellschaften“, sagt das Rundschreiben des Wohlfahrtsausschusses vom 4. Februar 1794, „ist der Geist der Freiheit entstanden, gewachsen und zu seiner vollen Entwicklung gekommen; sie haben als wachsame Posten, gewissermaßen als Vorhuten der öffentlichen Meinung, bei jeder drohenden Gefahr und jedem Verrat Alarm gegeben; in diesen Heiligtümern haben die Patrioten ihre siegreichen Waffen ge­ schärft. Die Republikaner erwarten von den Volksgesellschaften neue Dienste. Die bis ins kleinste organisierte revolutionäre Re­ gierung wird sich mächtig entwickeln, alle Widerstände brechen und die Feinde des Volkes niedcrhalten. Der Nationalkonvent ruft Euch'auf, Eure Mühen und Anstrengungen mit den seinen zu ver­ einen, um unser Bauwerk auf unerschütterlichen Grundlagen zu errichten. Ihr werdet unsere mächtigsten Helfer sein...“, und weiter unten: „...Das Gebäude der Revolution geht seiner bal­ digen Vollendung entgegen. Volksgesellschaften, Ihr habt die kühnen und unzerstörbaren Grundmauern gelegt, an Euch ist es auch, das Dach aufzusetzen.“ ■ Es waren also 45V2 Milliarde Assignaten zu 2400 Millionen Bons zusammengeschmolzen, die ihrerseits zu 240 000 Franken Hart-, geld reduziert wurden. Bei diesen Wechselbedingungen hätte ein guter Patriot, der Mirabeau und , Cambon vertraut und im Jahre 1790 3000 Assignaten in eine Kassette eingeschlossen hätte, im Jahre 1797 als Gesamtvermögen 20 Sous besessen. Von diesem Zeitpunkt an ändert sich die Finanzpolitik des Di­ rektoriums von Grund auf, ohne deshalb jedoch weniger un­ geschickt zu werden., Bisher hatte man unter zuviel wertlosem Papiergeld gelitten; nun erschöpfte man sich auf der Jagd nach einem sehr hoch im Kurs stehenden, aber nicht greifbaren Geld. Nie nahm der Kampf zwischen Steuerzahler und Steuerbehörde einen so verbissenen Charakter an, nie wären die Behörden geld­ gieriger und unerbittlicher, und niemals wurden die Steuern mit :einer.solchen Härte eingetrieben; wenn Frankreich diesem Sy­ stem nicht: zum Opfer fiel, dann nur deshalb, weil die Verwal­ tung noch schwach und unausgebildet war. . Bei dieser Zermürbungstaktik behält das Publikum, dessen böser Wille allen noch so strengen Maßnahmen trotzt, die-Oberhand, und, das Direktorium nimmt unaufhörlich zu Kreditoperationen seine Zuflucht.' Da es jedoch nur wenig Vertrauen einflößt, findet es ausschließlich in den niedrigsten Ständen, bei unreellen, Liefe­ ranten, Wucherern; Spekulanten und ähnlichen Finanzbanditen, Geldgeber. Diese Anleihen sind, genau wie die Lieferverträge für das Heer, ein unerschöpflicher Vorwand für Kommissionen, Vermittlungsgebühren, Bestechungsgelder und andere Geldver­ schwendungen. Der Marineminister Truguet, der für seine Dienst­ stellen Geld braucht, läßt sich von Getreidehändlem 420000 Fran­ ken vorschießen und erklärt sich damit einverstanden, daß die Wechsel auf die doppelte Summesausgestellt werden. So kosten '3 3 2

also die 420000 Franken die Republik eigentlich 840000. Ein gewisser Leawenworth erhält für einen auf Hamburg gezogenen Wechsel in Höhe von 2396000 Franken 11/2 Million Renten­ papiere, 8 Millionen Assignaten und 80 Millionen zur Bezahlung von Nationalgütem verwendbarer Bons. Wenn die Minister schon solche Beispiele geben, folgen die an­ deren natürlich nach. Jeder bedient sich aus- der Staatskasse, ohne nur im geringsten auf ordnungsgemäße Buchführung zu achten, die Generäle für ihre Armeen, die örtlichen Beamten für ihre De­ partements. Nach einem Ausspruch des Volksvertreters Gibert Desmolicres herrscht von oben bis unten „mangelnde Voraus­ sicht, Unordnung und schändlichste Verschwendung“. Das Land leidet mehr denn je. Zur Schilderung des Elends muß man wieder jene düsteren Bilder, wie unmittelbar nach Thermidor, entwerfen und die einzelnen Züge dabei noch äußerst verschärfen. Den Dieben allein, die sich überall unter den Deputierten und den Mitgliedern der Departementsverwaltungen befinden, •geht es gut; Max Beer, der Heereslieferant, hat als Gesellschafter Freson, Goupillon und Delauny, alles ehemalige Abgeordnete des Konvents. Ein anderer Deputierter des Konvents namens Clauzel, ein ehemaliger Zeitungsverkäufer und Mitglied der Bergpartei, hat für eine Handvoll Assignaten ungeheure Weideplätze im De-' partement Ariège gekauft. Als der Marat-Anhänger Dumant als Deputierter in Mission war, ließ er sich für 50000 Franken das Schloß von Plony samt dem Mobiliar, das 600 000 oder 700 000 Franken wert war, zusprechen. Barras erstand Grobois, Fouché Ferrière; Camus, ein gestrenger Jansenist, einer der drei von Dumouriez an „ die Österreicher ausgelieferten Volksver­ treter, der vor kurzem gegen die Tochter Ludwigs XVI., die Prinzessin Elisabeth, ausgetüuscht wurde, ist Eigentümer der herrlichen Domäne La Chevrette, die ursprünglich Anne d’Epinay gehörte und dann ihrer emigrierten Tochter konfisziert wurde. Ein Gelehrter hat die Korrespondenz des unbekannten Depu­ tierten Le Paige mit seinem Geschäftsführer Dieudonné, der durch einen glücklichen Zufall zugleich Administrator des VosgesDepartements war, veröffentlicht. Als Volksvertreter setzt dieser den Buchwert dessen fest, was er als Vertreter von Le Paige kauft. „Ich gebe zu“, schreibt er ihm, „daß die Spekulanten sich billig Güter verschaffen können.“ Ein anderer Forscher hat die Briefe des Deputierten Rovère. an seinen Bruder, den konsti­ tutionellen Bischof von Vaucluse, ausgegraben, in denen von nichts als von guten Geschäften die Rede ist. Der Bischof hatte früher 333

einmal Skrupel geäußert, die sein Bruder jedoch folgendermaßen beruhigte: „Ich habe Sie darauf hingewiesen, daß es sehr an­ genehm wäre, falls wir die Revolution überleben, wenn ,wir un­ sere Ersparnisse gut angelegt haben, und daß uns nicht eine oder zwei Erwerbungen gleich den Kopf kosten werden.“ * Es ist nur natürlich, daß das Direktorium inmitten dieser all­ gemeinen Verwirrung den Krieg als einzig sicheres Unterpfand für seine eigene Existenz betrachtet. Vor allem war er das beste Mittel, die Generäle und Soldaten zu beschäftigen, mit denen man im Inneren nichts anzufangen wußte. Im Falle eines Sieges wink­ ten ferner noch die aus Plünderungen und Zwangskontributionen zusammengeraubten Reichtümer. Carnot, der seine Rolle als Organisator des Sieges wieder auf­ genommen, hatte gegen Österreich einen sehr großzügigen Plan entworfen. Drei Armeen sollten auf Wien marschieren: die beiden ersteren durch das Donautal, die dritte durch Norditalien. Mo­ reau und Jourdan sollten mit der Rhein-, der Sambre- und Meusearmee den einen Teil der Zange und die Alpenarmee den zweiten . bilden. Wer sollte diese jedoch befehligen ?. Es konnte nicht die Rede sein, sie Hoche, der in der Vendée beschäftigt war, zu geben, oder Pichégru, der des Verrates verdächtig, noch dem offenbar imfähigen Scherer. Camot und Le Tourneur wollten einen entschlossenen und um­ sichtigen Chef, La Révellière-Lépeaux einen Antiklerikalen, Barras einen willfährigen und Reubell einen energischen, der durchzu­ greifen und Millionenbeute zu organisieren verstünde. Sie einigten sich auf Bonaparte. DiesemWahl rief einen Skandal hervor. Bona­ parte hatte als einzigen Aktivposten den Sieg vom 13. Vendémiaire, und man flüsterte, daß dieser Straßengeneral seine Ernennung nur seiner Verlobten, Josephine de Beauhamais, verdanke, der Barras, heftig den Hof machte.'Man hat schon hundertmal die Anfänge Napoleons beschrieben: seine überstürzte Heirat und die Hals über'Kopf erfolgte Abreise, die Gewinnung der. Soldaten und Wiederherstellung der Disziplin, die Zähmung der Generäle, die wie Fanfaren tönenden, Proklamationen und die wie Blitz­ schläge erfochtenen Siege: Montenotte, Dego, Millesimo, die Ein­ schließung der Piemontesen, die Besiegung der Österreicher, die Einnahme Turins, die Überschreitung der Adda bei Lodi, die Er­ oberung der Lombardei in drei Tagen und die Einnahme von Mai­ land; das sich dem Sieger im Triumph ergab (April, Mai 1796). Dann folgt die Belagerung von Mantua; vier österreichische Ar­ meen überschreiten die Alpen, um die berühmte Festung zu ent­ 334

setzen. Die erste wird in drei Tagen zersprengt (Castiglione, 5. August), die zweite von hinten angegriffen, vertrieben und in Stücke gehauen (4. bis 15. September); die dritte im Rücken angegriffen und zurückgedrängt (Areola,. 15. bis 17. November); die vierte Kolonne um Kolonne zerschmettert und gefangen­ genommen (Rivoli, 14. Januar 1797); Mantua ergibt sich am 2. Februar. Dritte Episode: Der Marsch auf, Wien. Bonaparte erzwingt sich den Übergang über die Piave und den Tagliamento, bemächtigt sich der Pässe von Tarvis und Neumarkt und schickt seine Vor­ posten bis zum Semmering, 100 km von der österreichischen Hauptstadt entfernt, von wo er dem Erzherzog Karl einen Waf­ fenstillstand anbietet, der bald darauf in Leoben in einen Präli­ minarfrieden umgewandelt wird (18. April). Im zweiten Band der „Histoire Contemporaine“ von Ernest' -Lavisse hat Pariset seinen Bericht über den italienischen Feldzug „Die politische Emanzipation Bohapartes“ überschrieben. Dieser Titel ist berechtigt. Der kleine, im Schatten von Barras hoch­ gekommene und zu jeder Verwendung gute korsische, Offizier wurde innerhalb eines Jahres nicht allein zum größten General Europas, sondern auch zur Hauptmacht der Republik. Das Di­ rektorium, das ihn ernannt hatte, muß sich ihm nun beugen. Wohl hat es, von seiner immer größer werdenden Popularität erschreckt, zwei- bis dreimal versucht, ihm einen Stellvertreter, der zugleich ein Wächter gewesen wäre, aufzuzwingen. Er hatte daraufhin • jedoch jedesmal seinen Rücktritt angeboten, und das Direktorium hatte nachgegeben. Er ist das Idol der Armee und des,ganzen Landes; sein Ansehen steigt noch durch die Schlappen, die Jour­ dan und Moreau in Deutschland erleiden; er weiß, daß er un­ entbehrlich ist, und nützt dies weidlich aus; er hat seine eigene Diplomatie, sein Finanzwesen und seinen Hofstaat; er organisiert die eroberten Länder nach eigenem Gutdünken und verhandelt mit Fürsten und Königen als Gleicher mit Gleichen. Man könnte glauben, er allein stelle die ganze Regierung dar., Der Kriegsminister, General Petiet, bemerkt schon im Septem­ ber 1796 in seinem offiziellen Bericht über die Italienarmee: „Da diese Armee bald imstande war, sich selbst zu erhalten, haben alle Beziehungen zwischen ihr und mir aufgehört ... und ich habe, trotz meiner dringlichen Briefe, weder vom Kommandierenden »General noch, vom Generalstabschef oder Kommissar irgend­ eine Auskunft über die'dienstlichen Verhältnisse erhalten kön­ nen.“ 1797 tut sich Bonaparte noch,weniger Zwang an; die von 335

Paris gesandten Instruktionen wandern in den Papierkorb; der General, der mit ihm zusammen an den Friedensverhandlungen teilnehmen soll, wird nach hinten befördert; Bonaparte verhandelt aus eigener Vollmacht mit dem Erzherzog, bringt durch einen überstürzten Waffenstillstand den Vormarsch von Hoche an der oberen Donau zum Stillstand und schließt als echter Condottiere den Präliminarfrieden von Leoben ab, ohne darüber jemandem zu berichten. : Der Kaiser gesteht Frankreich die Rheingrenze zu und verzichtet auf alle seine italienischen Besitzungen; dafür wird die Republik Venedig aufgelöst und die auf dem Festland liegenden Gebiete mit Österreich vereinigt, während die Ionischen Inseln zu Frank­ reich kommen. Das Gebiet von Mailand, die Lombardei, das Her­ zogtum von Modena und die Romagna bilden , einen, einzigen Staat, die zisalpinische Republik, der Bonaparte eine dem Muster der französischen Verfassung nachgebildete Verfassung, gibt; wenig später wandelt er in der gleichen Weise die Republik von Genua um, die er Ligürische Republik nennt. Wenn er auch,in Frankreich noch nicht Diktator ist, so ist er es doch schon in Italien. Man ist überrascht, wie groß auch sein Ansehen gewesen sein mag, daß das Direktorium seine ständigen Usurpationen so wider­ spruchslos hinnimmt. Diese Resignation ist nur dadurch erklär­ lich, daß er im Hauptpunkt die in.ihn gesetzten Hoffnungen voll­ auf erfüllt und mehr als das: Die Poebene wird ausgeplündert, und in Paris regnet es Millionen. Sardinien zahlt für den Frieden 3, Parma 2, Piacenza 10, der Papst 30 Millionen; Murat rafft an einem Tage in Livorno Waren im Werte von 1 2 Millionen zusammen; ein andermal erbeutet man Gemälde, Statuen, Wert­ gegenstände und die Kleinodien der Kirchen. Unter diesem Gold­ regen schluckt das Direktorium seinen Groll hinunter, kassiert ein und bedankt sich: ,;Sie sind der Heros von ganz Frankreich... Sie besitzen das Vertrauen des Direktoriums; die Dienste, welche Sie täglich -erweisen, geben Ihnen ein Recht darauf.“ Die be­ trächtlichen Beträge, „welche die Republik Ihren Siegen schuldet, beweisen, daß Ihnen sowohl der Ruhm des Vaterlandes als auch sein materielles Wohlergehen am Herzen liegen...“ Zwischen dem aufrührerischen General und der von den Gläubigem gehetzten Regierung entsteht so eine enge.Verbindung: Der General erhält die Regierung, die dafür die Politik des Generals, anerkennt. An das Direktorium rühren, heißt von nun'an die Unabhängig­ keit Bonapartes bedrohen, und'die von Bonaparte geplanten Ge­ bietsveränderungen mißbilligen, heißt dem :Direktorium die Le­ 336

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bensader abschneiden.' Bonaparte wird so unbeabsichtigt, wenig­ stens vorübergehend, zur stärksten Stütze des Regimes, das er ständig schmäht. In der bald beginnenden politischen Krise wird die ^Armee a u f seiten der Revolutionäre und gegen die Männer der Ordnung stehen. Wenn wir von eitler bald beginnenden Krise sprechen, drücken wir uns eigentlich ungenau aus: Die Krise hat in Wirklichkeit so­ fort nach dem Thermidor eingesetzt. Von diesem Zeitpunkt an war der Gegensatz zwischen den sich an die Macht klammernden Revolutionären und dem nach neuen Männern verlangenden Frankreich unüberbrückbar. Bei den im Jahre 1795 stattgefunde­ nen Wahlen hat das Land trotz der Verordnung über die zwei Drittel gezeigt, wie sehr es die alten Deputierten verachtet; statt unter' ihnen die 500 vorgesehenen Gesetzgeber zu wählen, hat es bloß 255 bezeichnet; die anderen mußten vom Konvent selbst er­ nannt werden. Und diese 255 sind die bekanntesten Antijakobi: nef : der von 73 Kollegien gewählte Lanjuinais, der von 72 ge­ wählte Boissy d’Anglas, ferner Pelet (von Lozère), der von 71, und Thibaudeau, der von 32 ernannt wurde. Was. die 250 des „neuen Drittels“ betrifft, so sind es lauter Gemäßigte von 1791 oder Libérale von 1789: Mathieu Dumas, Vaublanc, Dupont de. Nemours und Barbé-Marbois; Paris hat einen Vertrauten Lud­ wigs XVI., Pastoret, und einen ehemaligen Generaladvokaten des Parlaments, Dambray, gewählt; Versailles die beiden Advokaten des Königs im Januarprozeß, Tronchet und de Sèze. Dem Direktorium wird der Vorwurf gemacht, die Republik des­ organisiert Zu haben, indem es sich abwechselnd nur einer extre­ mistischen Partei zur Niederhaltung der anderen bedient habe. Eis hat sich jedoch stets in Denkschriften und Gesprächen da­ gegen verwahrt, vorsätzlich dieses Balancespiel betrieben zu haben, und wenn man seine ersten Aufrufe und Anweisungen an die Departementskommissare aufmerksam liest, findet man in der Tat nur die. deutliche Absicht, die Politik von Vendémiaire fort­ zusetzen, d. h. die Republik gegen die Royalisten zu einen.’ Tatsächlich wird die Mehrheit der amnestierten Terroristen wiedereingesetzt, die Zeitungen der Linken von. der Polizei sub­ ventioniert und die Errichtung eines neuen Klubs, der. „Réunion des Amis de la République“, die gewöhnlich „Club du Pan­ théon“ genannt wurde, in dem ehemaligen Genoveva-Kloster ge­ duldet. Dagegen werden die geringsten royalistischen Versuche grausam-unterdrückt. Die Vendée liegt im Sterben; Staffletund Charette werden im Frühjahr 1796 füsiliert, Phelippeaux bemäch­ 22

O ax o tte, Revolution

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tigt sich mit einer kleinen aus dem Berry gekommenen Bande der Stadt Sancerres, kann sich jedoch dort nicht halten, und seine Truppe zerstreut sich. Ein Aufstand in den Cévennen ist nicht glücklicher; der bewaffnete Widerstand ist so überall zu Ende, In den Assembléen stellt das neue Drittel nur eine ohnmächtige Min­ derheit dar. Die Opposition sucht in Salons und Cafés eine Zu­ fluchtsstätte, wo sich ihr Groll in müßigem Geschwätz verflüch­ tigt. Zu Ende des Jahres 1795 und zu Anfang 1796 liegt Frank­ reich wie in Lethargie; es reagiert auf gar nichts mehr, teils aus Niedergeschlagenheit, teils aus Gleichgültigkeit, und dieses Va­ kuum verleiht dem Direktorium den Anschein der Festigkeit. Mailet du Pan, ein feindselig gesinnter, aber scharf urteilender Beobachter, bemerkt in seiner Eintragung vom 22. November: „Alle Spannkraft ist verflogen;. Übeltäter und Anständige ge­ nießen eine Art Waffenruhe. Die Terroristen sind in Freiheit, und der Terrorismus schlummert. Jede Partei beargwöhnt und fürchtet die andere, und das immer dumme Volk, das neue Namen an' neuen Ämtern, eine Gesetzgebende Körperschaft, ein Direktorium und Minister sieht, wiegt sich im Glauben, eine Re­ gierung, und noch dazu eine verfassungsmäßige, zu besitzen,“ Die Einheit der'Republikaner war nicht von langer Dauer; ein allzu großer Haß brachte diese Männer gegeneinander auf. Der Bruch wurde durch eine kleine Gruppe von verbitterten Jakobinern, die über Racheprojekten brüteten, hervorgerufen: Robert Lindet, . der hach dem Aufstand vom Prairial eingekerkert war, Amar, der zur Deportation verurteilt war, und Felix le Pelletier, Chasles, Darthé, Germain, die neu Amnestierten. Ihr Groll allein machte jedoch noch kein Programm aus. Schließlich schlossen sie sich nach einigen Monaten mit Babeuf, einem Journalisten, zusammen, der in seiner Zeitung „Le Tribun du Peuple“ die kommunisti­ schen Ideen der Wütenden“ verteidigte. Vor der Revolution war Babeuf Lehensrechtskundiger gewesen und hätte beruflich für die Feudalreaktion gearbeitet. Im Jahre 1789 hatte er in seiner Provinz Montdidier, in Roye-et-Péronne, an dem Aufruhr gegen die Steuerbehörde teilgenommen und war durch seine heftigen Ansichten aufgefallen. Nachdem er Mitglied des Distriktsrats von Pcronne geworden vyar, wurde er beschul­ digt, eine Kaufurkunde gefälscht zu haben, und dafür in contu­ maciam zu 10 Jahren Kerker verurteilt. Nach. Paris geflüchtet, fand er durch Protektion von Maréchal einen kleinen Posten in der Kommune, wo er entdeckt, verhaftet, gegen Kaution frei­ gelassen und schließlich freigesprochen wurde. Er geriet in große

Not und konnte kaum seine Frau und seine drei Kinder ernähren. Diese mißliche Lage hinderte ihn jedoch nicht, mit Hilfe eines Danton ergebenen Druckers seine eigene Zeitung zu behalten. Fréron war sein Freund und rühmte sich in seinem Blatt, der „Attila der Getreuen Robespierre«“ zu sein. Nach und nach distanzierte er sich aber von seinen Beschützern und wies auf Anregung von Fouché in seiner Zeitung auf die „alarmierende Rückwärtsentwicklung“ hin. Nach dem Aufruhr vom Prairial wurde er verhaftet und nach Arras gebracht, wo er mit einem anderen Häftling, dem ehemaligen Husarenoffizier Charles Ger­ main, seine Wirtschafts- und Soziallehre vollständig ausarbeitete, die er dann unermüdlich mit von Robespierre und Saint-Just aus­ geborgten Zitaten verteidigte. Er ist der Meinung, die Revolution sei gescheitert, weil sie nicht bis zum Äußersten vorwärts getrieben worden sei. Alle ge­ troffenen Maßnahmen, Maximum, Requisitionen, revolutionäre Kontributionen, Verstaatlichung des Handels und der Kriegs­ industrie und Zwangsverteilung der Lebensmittel, wären gut ge­ wesen; all dies wäre jedoch nur ein erster Schritt für eine „radi­ kale Reform des Eigentums“, d.h. „Gemeinschaft der Kosten und Arbeit“, gewesen. Selbstverständlich sollte der integrale'Kollek­ tivismus diktatorisch sein. .Sind alle Abonnenten von Babeuf zum Kommunismus bekehrt? Dies ist unwahrscheinlich. Unter ihnen findet man, neben den engeren, Mitarbeitern von Robespierre und den Überlebenden des Bergs, Duplay, Darthé, Bouchotte, Turreau, Javogues, Julien (von Drôme), Barère, David, Pons (von Verdun) und Lecointre, auch Limonadenhändler und Wirte, die das Blatt für ihre Kundschaft kaufen, Beamte, Handwerker, Juristen, Kaufleute, der Bruder und die Witwe vpn Lebon, der Schwiegersohn von Pache, die Schwe­ ster von Marat, eine Tochter von Duplay, die Witwe von Lazowski, die alle allein durch ihren Groll geeint sind. Die Lehre war nur ein Mittel zur Erschütterung des Regimes. Gleichheit der Gehälter, Aufhebung des Eigentums, Sozialisierung der . Lebens­ mittel, Krieg den Reichen und Feisten: Alles, was zur Be­ einflussung der Faubourgs benötigt wurde, war vorhanden. Aus der Vereinigung von heruntergekommenen Terroristen, kommu­ nistischen Theoretikern, armen Arbeitern, stellenlosen Offizieren und ruinierten Kleinbürgern entstand so die Partei der „Babouvisten“. • • . Die Anhänger strömten sehr rasch herbei.' Félix le Pelletier war reich; man fand noch andere Gönner, den Ex-Marquis d’Anton­

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nelle und den deutschen -Fürsten Karl von Hessen. Eine neue, für das-einfache Volk bestimmte Zeitung wurde gegründet und der „Club du Panthéon“ sowie die Polizei gewonnen. Man er­ nannte ein geheimes „Aufständischen-Komitee“, das einen Nach­ richtendienst, eine ZivilVerwaltung und.einen militärischen Füh­ rungsstab organisierte. -Jeder hatte seinen Auftrag und, eine be­ stimmte ' Rolle zu spielen; täglich sollte ein Plakat und eine Broschüre erscheinen. Der Dichter Sylvain Maréchal verfaßte revolutionäre Klagelieder, die in den Cafés und auf den öffent­ lichen Plätzen gesungen wurden:, „Oh, armes Volk, das goldne Zeitalter ist beendet, Dich erwartet nur noch Hunger und Not, Der io. Thermidor.hat es gewendet: Robespierre ist tot!“ Diese Revolutionäre waren gravitätisch wie Kirchenväter, naiv wie Rinder und formalistisch wie Juristen; selten noch wurde von Verschwörern soviel Papier beschmiert. Der Aufstandsausschüß führte über sämtliche Beratungen genau Protokoll, erhielt Be­ richte, erließ Rundschreiben, und hatte Abzeichen, Siegel und Losungsworte. Das von Spitzeln informierte, Direktorium ließ den Dingen vorerst freien Lauf; erst, als die Frucht reif schien, pflückte man sie. Die Polizeilegion wurde aufgelöst, der Pan­ théon-Club geschlossen und Babeuf und seine Komplizen verhaftet (3. März bis 10.'Mai 1796). Um . die Komparsen zum Farbe­ bekennen zu Zwingen, organisierten agents provocateurs Zusam­ menstöße auf dem- „Camp de Grenelle“, was Gelegenheit zu einem zweiten Fischzug bot (9. September). Schließlich'verurteilte der Staatsgerichtshof von Vendôme Babeuf und Darthé ZumTode; eine im Temple tagende Militärkommission ließ andererseits 31 Angeklagte, darunter den ehemaligen Deputierten des Kon­ vents Jävogues, füsilieren. Die „Verschwörung der Gleichen“, hat, bis auf ihren Ausgang, große Ähnlichkeit mit einem Operettenkomplott. Die öffentliche Meinung blieb, trotz der pathetischen Aufrufe des Direktoriums, Ungerührt, da man die ganze Sache nicht ernst nahm, genau so wenig wie den unerwarteten Eifer der Regierung, die Sich plötz’lich zupi energischen Verteidiger der Ordnung und des persön­ lichen Eigentums aufwarf. Zwischen dem Regime und; dem Land klafft eine Kluft, die sich täglich noch erweitert.'Hätte die Ver­ fassung des Jahres III Frieden und Wohlstand gebracht, so hätte .man sie zweifelsohne mehr oder weniger, resigniert, angenommen.- 34°

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Die Illusionen sind jedoch im Laufe eines Jahres verflogen, ohne daß etwas einer Lösung zugeführt worden wäre. Die Lebensver­ hältnisse sind schwieriger denn je. Die im Thermidor schon'be­ ginnende und im Vendémiaire stärker gewordene Widerstands­ bewegung, flackert von neuem auf; der Konkurs des Assignaten und der Sturz des neuen Papiers beschleunigen noch diese Ent­ wicklung. Die Emigranten kehren Zurück, der Katholizismus-er­ fährt eine Wiedergeburt, die deportierten Priester kommen wie­ der, und, die Verfassungstreuen reformieren ihre Kirche.' Die umgetauften Straßen bekommen, ihre alten Namen von Heiligen zurück; wohl ist das Läuten der Glocken untersagt, aber die Gotteshäuser sind voll, und der. Gottesdienst findet statt. Ohne daß die Frage einer monarchistischen Restaurierung offen auf­ geworfen ,wird, wendet sich die Masse doch unmerklich wieder den Männern und Ideen von einst zu. Sie sehnt sich nach Ruhe und Sicherheit,, nach all diesen bescheidenen und kostbaren Gü­ tern, die das Leben erst ermöglicht hatten und die vom König ge­ währleistet worden waren. Ludwig XVIII. erläßt eine neue Pro­ klamation, in der er verspricht, die begangenen Irrtümer, Ver­ fehlungen und Verbrechen zu vergessen, und an alle Franzosen appelliert, die guten Willens und Freunde der Ordnung sind. Dieser geschickte Umschwung way das Werk eines neuen mon­ archistischen Stabes, dessen Inspektor, ein ehemaliger Rat des Parlaments von Ais namens d’André, durch Untersuchungen von Béssand-Massenet in den englischen Archiven, in deren Schatten er sich Wohlgefallen hatte, entdeckt wurde. Der geschickte und redegewandte d’André, der das Geld wie je­ mand, der sich auf Spekulationen versteht, liebte und ein auf­ richtiger, aber illusionsloser Monarchist war, hatte hinter den Ku­ lissen der Generalstände und der Konstituierenden Assemblée eine gewisse Rolle gespielt. Nach seiner Emigration im Jahre 1792 hatte er zuerst in London, dann in Deutschland und in der Schweiz gelebt, wo er eine sehr zurückgezogene Existenz führte und sein in Sicherheit gebrachtes Vermögen sorgfältig verwaltete, wobei er stets über die geheimsten Verhandlungen auf dem lau­ fenden war. Er hatte es erreicht, daß ein Großteil der Vom eng­ lischen Kabinett auf dem Kontinent verteilten Gelder durch seine Hände ging, was er dazu benützte, um. in Frankreich ein Netz von Agenten aufzubauen, das zur Übermittlung von Nachrichten und Aufträgen sowie zur Beförderung von Agenten und Geld diente. Sein Plan bestand nun darin, die allgemeine Anarchie dazu zu benützen, um mit legalen Mitteln an die Macht zu ge­ 341

langen, indem er die öffentliche Meinung durch eine unaufhör­ liche Propaganda bearbeitete und seine eigentlichen Ziele nur nach und nach enthüllte. „Nehmen Sie doch das Beispiel der Girondisten. Diese haben zuerst die monarchistische Verfassung beschworen und nur deren Agenten angegriffen; sie haben dann versucht, bei den Wahlen den Sieg davonzutragen und in der Assemblée, in den Behörden, den Armeestäben und in der Natio­ nalgarde die Mehrheit zu erlangen. Später haben sie die Fehler der Regierung für sich ausgenützt und schließlich einen allgemei­ nen Umsturz herbeigeführt: Einige Männer haben vollbracht, wozu Armeen nicht imstande gewesen wären... Robespierre ist auch nicht anders vorgegangen.“ Die Emigranten seien Narren gewesen, da sie durch ihre Drohungen die Einheit des Volkes gegen alle ihre Vorhaben'herbeigeführt hätten. Die Restaurierung des Thrones könne nur mit Zustimmung der konservativen Bür­ gerlichen, die meist Käufer von Nationalgütem, und mit stummer Billigung der Bauern, die ewige Feinde jeder Wiedergeburt der Feudalherrschaft blieben, durchgeführt werden. Mit anderen Worten, es besteht keinerlei Aussicht auf Wiedererrichtung des Thrones und Wiederherstellung des sozialen Friedens, außer wenn es gelinge, diejenigen, die mit der Revolution paktiert haben, ihrer jedoch nun selbst überdrüssig sind, und die, welche durch die Re­ volution gelitten haben, sich jedoch gleichfalls nach Ruhe sehnten, einander näher zu bringen und zu einem genügend festen Amal­ gam zu verschmelzen. Der Comte de Précy, der Held des Auf­ standes in Lyon, und der Abbé Bernier, der während der Schreckens­ herrschaft, direkt in Paris den heimlichen Todeskampf der Royali­ sten geführt hat, leihen d’André ihre Unters tützung. Eine Organisation wird,aufgezogen; unter dem Deckmantel des „Institut Philantropique“ organisiert. Des Pommelles, ein ehe­ maliger Mitarbeiter von Ségur im Kriegsministerium, gründet fast überall Gesellschaften nach dem jakobinischen Muster, welche die Wähler gruppieren und beeinflussen, indem sie die Unzufrieden­ heit ausnützen, ohne da"bei vorerst eine klare politische Doktrin er­ kennen zu lassen. Die Korruption solle bekämpft und das Eigentum geschützt werden. Unter den Propagandisten findet man Adelige, Bauern, Kaufleute, Abbés und Juristen: in Bordeaux einen ehe­ maligen Pflanzer von San Domingo, im Périgord einen Orgel­ spieler; in Maine-et-Loire wird das philantropische Blatt „Les Petites Affiches d’Angers“ durch einen Professor der Departe­ mentsschule geleitet; in Paris entstehen andere Zeitungen: „Mé­ morial“, „Tribune Politique“, „Europe politique et littéraire“ und 342

„Orateur constitutionnel“. Niemals vorher war die Bewegung mit soviel Methode, Einheit und Schwung geführt worden. Die Wahlen im März und April 1797 nahmen einen katastrophalen Ausgang; von den 216 Deputierten, die das ausscheidende Drittel ausmachten, konnten nur dreizehn ihre Wiederwahl durchsetzen, davon zwei durch ungesetzliche Wählerversammlungen. Alle Neugewählten waren Gegner des Regimes, der Gesetze und Persön­ lichkeiten der Revolution. Einige überraschen uns, weil sie von gar so weit gekommen zu sein scheinen : so Fleurieu, Marinemini­ ster unter Ludwig XVI., der Chevalier de Murinais, Feldmarschall in den königlichen Armeen, und Tronson du Coudray, Verteidi­ ger Marie-Antoinettes. Wenn das Land schon nicht genau wußte, was es wollte, so sagte es wenigstens klar, was es nicht wollte. Die Mehrheitsänderung trat gleich beim ersten Zusammentreten der . Assemblée in Erscheinung. Die beiden Räte wählten zum Nachfolger des durch das Los zum Ausscheiden bestimmten Le Tourneur, den Unterhändler des Friedensvertrages von Basel, Barthélémy, dessen royalistische Einstellung bekannt war. Bar­ thélémy erhielt bei den Fünfhundert 309 von 458 und bei den Ältesten 138 von 218 Stimmen. Die Räte formulierten gleich darauf ihr Programm: im Inneren religiöse Befriedung, Wieder­ herstellung der Finanzen, genaue Kontrolle des Staatsschatzes und Erneuerung der Behörden; hach außen allgemeinen Frieden, Ende dér Abenteuer sowie Verurteilung des Imperialismus und der Propaganda. Die beiden Teile des Programms sind natürlich miteinander ge­ koppelt. Man kann nicht die Finanzen gesund machen wollen, ohne zugleich auf den Krieg zu verzichten. Zur Wiederherstellung seines Reichtums bedarf das Land all seiner Kinder. Anderersèits ist man mit einer nicht-stabilen und verrufenen Regierung dem geringsten Rückschlag schutzlos ausgeliefert; und es ist absurd, Eroberungen zu machen, zu deren Erhaltung man nicht stark genug ist. Was nützt es, daß Norditalien voller verbündeter Re­ publiken ist, wenn es in Paris an Brot fehlt, und wenn diese Staaten bei der ersten Gelegenheit wie Kartenhäuser Zusammen­ stürzen? Dieser Plan ist sehr vernünftig, und die Räte beeilen sich noch, als Morgengabe eine ganze Reihe von noch geltenden terroristi­ schen Gesetzen gegen widerspenstige Priester und Angehörige von Emigranten aufzuheben. Sie sind jedoch trotz ihres Wahlsieges außerstande, noch mehr zu tun. Von den fünf Mitgliedern des Direktoriums können sie in der Tat 343

nur auf Barthélémy ganz sicher rechnen, der jedoch ein beschei­ dener, furchtsamer und an höfliche diplomatische Diskussionen gewöhnter Mann ist, ungeeignet für parlamentarische Intrigen und kühne Entschlüsse. Wohl wird er meist ,von seinem Kollegen Carnot unterstützt, der jedoch Republikaner bleibt und den Ge­ mäßigten grollt, weil sie nicht an Stelle von Barthélémy den Poli­ zeiminister Cochon, einen sehr reuigen Jakobiner und äußerst energischen Beamten, gewählt hatten. , Die Mehrheit selbst ist noch gespalten. Auf der äußersten Rechten scharen sich gegen zwanzig royalistische Abgeordnete um Imbert Colomès und Pichegru. Es sind zu allem entschlossene, vor keinem Mittel zurückschreckende Männer, die Ansatzpunkte einer mili­ tärischen Organisation haben und gegebenenfalls auch nicht vor einem Gewaltstreich zurückschrecken würden. Das Gros der Par­ tei hält sie für rasend und hört nur ungeduldig ihre brand­ stifterischen Vorschläge an. Camille Jordan, Royer-Collard und die hochachtbaren Persönlichkeiten, die zusammen das, was wir heute das rechte Zentrum nennen würden, bilden, verwahren sich laut dagegen, feindliche Gefühle gegenüber der Republik zu hegen, erklären bei jeder Gelegenheit legal bleiben zu wollen und glauben mit einer entwaffnenden Naivität, Mißtrauensanträge und Aussprechen des Tadels könnten die ehemaligen Anhänger der Guillotine abschrecken. Schließlich •schwimmen noch auf der Lin­ ken der Konservativen gegen ioo Deputierte des Konvents herum, die wohl von sehr weit herbeigeholt scheinen, aber trotzdem einer ausgesprochenen Reaktion feindlich gegenüberstehen, weil sie fürchten, ihr selbst auch zum, Opfer zu fallen. Dem allzu hellsich­ tigen d’André war seine Wahl in Paris nicht geglückt. „Dies tut mir entsetzlich leid“, schrieb er, „ich hätte so auf meine Kollegen einen Einfluß ausüben können, der mir, von außen aus unmöglich bleibt.“ Wohl empfängt Gilbert-Desmolières bei sich in der Rue de Cüchy die bekanntesten Mitglieder der drei Gruppen, aber Salon­ beziehungen machen noch keine Partei aus, und wenn auch zwi­ schen „den Männern von Clichy“ ein unbestimmtes und Schwan­ kungen unterworfenes Einvernehmen besteht, so fehlt doch der wirkliche Zusammenhalt. Barras und Reubell fühlen sich infolge ihrer Verschwendungen und ihrer Vergangenheit besonders bedroht. So . beschwören sie das Schreckgespenst der klerikalen Gefahr und gewinnen LaRévellière-Lépeaux, der kein schlechter Mensch war, aber als Schöp­ fer einer Laienreligion, der Theophilantropie, in jedem Priester seinen persönlichen Feind .erblickte. Vor allem alarmierten sie 344

jedoch die Generäle, indem sie darauf hinwiesen, daß mit dem Ende, des Krieges auch das Ende ihres Ruhmes, ihrer Verwendung und ihres Ehrgeizes gekommen sei. Im Juli willigte das ständig von den Räten bestürmte Direkto­ rium in die Entlassung der Minister; jedoch weit davon entfernt, ihre Nachfolger unter den Clichy-Leuten auszuwählen, entnahmen sie sie der hochrepublikanischen Gesellschaft, die in dem ehemali­ gen Hotel de Montmorency ihre Sitzungen abhielt. In wirklich her­ ausfordernder ,Weise wurde das Kriegsministerium dem General Hoche, dem Besieger der Vendée und dem Wüterich von Quiberon, anvertraut. Hoche zog unverzüglich eine Division aus der Sambre- und Meusearmee zum Marsch auf Paris heraus. Ein Artikel der Verfassung verbot jedoch, Truppen näher als 60 km an den Tagungsort der Gesetzgèbenden Körperschaft heranzu­ führen. Die von der Ankunft von Hoche unterrichteten Fünfhun­ dert verlangten vom Direktorium Aufklärungen., Barras hatte die ganze Sache eingefädelt, ohne Gamot, dem eigentlich das Militär unterstand, in Kenntnis zu setzen. Nachdem jedoch die Sache allgemein bekanntgeworden war, gab er sein Spiel für verloren; die Soldaten zogen sich über die in der Verfassung festgesetzte Grenze zurück und Hoche, der noch nicht, das für Minister fest­ gesetzte Alter besaß, reichte seinen Abschied ein. Die Partie war jedoch nur aufgeschoben; Bonaparte machte sich erbötig, die Stelle von Hoche einzunehmen. In einer an die Armee zum 14. Juli gerichteten Proklamation hatte er wieder einmal seihe Loyalität gegenüber der Republik beteuert, und die unter, seinem Befehl stehenden Regimenter hatten auf seine Aufforde­ rung äußerst heftige Adressen unterzeichnet, in- denen sie das Direktorium ihrer völligen Ergebenheit versicherten. „Nieder­ trächtige Elemente mit unzähligen Verbrechen auf dem Kerbholz treiben, in Paris ihr Unwesen und konspirieren, während wir vor den Toren,von Wien gesiegt haben... Wir haben auf die Gesetze gehofft, ohne daß jedoeb etwas geschah... Die Armeen müssen Frankreich den Frieden bringen.“ Während die gesetzten Herrschaften der Mehrheit ihre kostbare Zeit mit Geschwätz und gegenseitigen Beschuldigungen ver­ geuden, zieht Barras in der Nähe von Paris 30 000 Mann zusam­ men, und Bonaparte gibt ihm Augereau als ihren Befehlshaber. Die über diese Vorbereitungen informierten Räte besitzen nicht einmal genügend Kühnheit,. ihren Chef des Staatsstreiches, zu beschuldigen. Am 4. September 1797 (18. Fructidor), gegen 3 Uhr morgens, werden die Tuilerien umzingelt; als sich die durch ihre 345

Vorsitzenden eilends einberufénen Deputierten anschicken, zu tagen, werden sie wie in einer Mausefalle gefangen. Zu Mittag versammeln dann die Sendboten der Regierung die Mitglieder der Minderheit und lassen durch sie die ganze Operation genehm migen. • ' - ’ • ,' Die Verordnungen vom 19. Fructidor annullieren die Wahlen in 49 Departements; die Ernennung von 198,Deputierten, die aller­ dings schon mindestens 4 Monate, an den Sitzungen teilnehmen, wird für imgültig erklärt; 165 Bürger, darunter zwei Mitglieder des Direktoriums, und 63 Deputierte deportiert; die Terroristen­ gesetze gegen Emigranten und widerspenstige Priester wieder ein­ geführt; die Presse für ein Jahr der Kontrolle der Polizei unter­ stellt; die Zeitungen der Rechten verboten und ihre Redakteure ins Bagno geschickt. Die Liste der Geächteten umfaßte Royalisten und Republikaner, und man hätte annehmen können, die Betreffenden seien nicht ihrer Überzeugungen, sondern ihrer Anständigkeit wegen aus­ gewählt worden. Camot (der glücklicherweise entwischt war) figurierte auf dieser . Liste zusammen mit , Barthélémy, Jordan, Tronson du Coudray (der in Guyana stirbt), Barbé-Marbois, Siméon und Mathieu-Dumas. Das Rumpfparlament bestimmte als Nachfolger Carnots und Barthélémys Merlin (von Douai) und François (von Neufchäteau). Das der Opposition entledigte Direktorium und Bonaparte be­ eilten sich, ihren Sieg auszunützen. Am 30. September 1797 ließ der Finanzminister Ramel ein Gesetz annehmeri, durch das die Staatsschulden‘.um zwei Drittel herabgesetzt wurden, was ein Bankrott von zwei Milliarden war. Am 17. Oktober wurde der Präliminarvertrag von Leoben in Campo-Formio in einen endgülti­ gen Friedensvertrag umgewandelt, was die Anerkennung des Prokonsulats von Napoleon bedeutete.- Barras und Bonaparte hatten sich als loyale Partner verhalten. Wie lange würde wohl ihr Einvernehmen dauern? D’André war die Flucht geglückt; er taucht, erst nach Restaurie­ rung der Monarchie als sehr reicher Vater von neun Kindern wieder auf. In Anerkennung der erwiesenen Dienste ernannte ihn Lud­ wig XVIII. zum Intendanten der königlichen Forste und Domä­ nen. Er hatte versucht, die Revolution durch friedliche und ver­ fassungsmäßige Mittel zu beenden, war dabei jedoch an der ewigen- Schwäche der stets uneinigen, furchtsamen und rivalisie­

renden Gemäßigten gescheitert. Die unbestimmte Vertagung der konstitutionellen Monarchie konnte jedoch nichts anderes als Krieg und Abenteuer bedeuten.

S e c h z e h n t e s K a p it e l

B R U M A IR E

Seit Thermidor war die Regierung Frankreichs die Beute einer nicht nur vom Gros der Nation sondern auch von der revolu­ tionären Minderheit: vollständig losgelösten -Clique geworden. Das niemanden außer sich selbst vertretende Direktorium hatte sich in der Regierung wie in einer Festung verschanzt; seine Schwäche erschien jedoch, nachdem es für einen Ausfall Verstär­ kungen angefordert, so deutlich, daß es sofort nach dem 18. Fruc­ tidor, dem Tag der Zerschmetterung der Rechten, zu der äußer­ sten Linken hingedrängt wurde. Nach dem Staatsstreich wurden sämtliche Departementsbehörden aufgelöst oder gesäubert, die Hälfte der Richter abgesetzt, Son­ dergerichte gegründet und das Personal der Ministerien und Bot­ schaften erneuert, wobei die neuen und die freigewordenen Posten mit ehemaligen Jakobinern besetzt wurden. Der Konvent hatte zum Schluß noch den Reaktionären und Gemäßigten den Zutritt zu öffentlichen Ämtern untersagt; dieses Gesetz wird nun wieder in Kraft gesetzt. Die Priester müssen der Republik Treue und dem König Haß schwören; im Weigerungsfälle werden sie depor­ tiert. Die zurückgekehrten und nicht von den Listen gestrichenen Emigranten müssen innerhalb von 14 Tagen ins Ausland zurück­ kehren oder laufen Gefahr, einer Militärkommission vorgeführt und füsiliert zu werden. Innerhalb eines Jahres werden 1448 fran­ zösische und 8235 belgische Priester nach Cayenne geschickt. Viele Adelige, die Frankreich nie verlassen, aber von Amts wegen auf Emigrantenlisten gesetzt worden waren, damit ihre Güter beschlagnahmt werden konnten, entgehen der Hinrichtung nur, indem sie Hals über Kopf Familie und Vaterland verlassen. Es ist eine von Scheinheiligen ausgeübte Schreckensherrschaft reinsten Wassers. Der Konvent hatte doch wenigstens das Schafott inmitten von Paris aufgebaut. Wenn das Direktorium füsiliert, ge­ schieht es heimlich in Grenelle. Im übrigen schreckt es vor dem Anblick des Blutes zurück und wagt nicht, die Guillotine wieder einzuführen. Den öffentlichen, Ekel und Mitleid erregenden Hin­ 347

richtungen zieht es das langsame Sterben im Tropenfieber vor: man tötet nicht, sondern läßt seine Feinde hinsiechen. Unter den ersten 18 Deportierten befinden sich das Mitglied des Direktoriums Barthélémy, der Unterhändler des Basler Vertrages, der General Pichegru, der Eroberer Hollands, der Vorsitzende der Ältesten, Barbé-Marois, und der. Vorsitzende der Fünf­ hundert, Laffon de Ladebat. Man steckt sie in auf Räder montierte Käfige, die, ungefedert und oben vergittert sind und nur eine seit­ liche mit einem Vorhängeschloß versehene Tür haben. Wenn es regnet, dringt das Wasser von oben in die Käfige ein; die In­ sassen werden bei .jeder Unebenheit des Weges von einer Wand zur anderen geschleudert Und treffen voller Abschürfungen und halb tot vor Müdigkeit in La Rochelle ein. Man transportiert sie auf eine Galeere mit völlig verdreckten Zellen, wo sie nur zwei Stunden täglich an der frischen Luft sein dürfen; schließlich läßt man sie verhungern. Für die im nächsten Jahr verurteilten Priester und Journalisten führt man wieder die Sträflingskette ein; der Zug marschiert in Ketten bis Rochefort. Dann kommen Zwischendeck, Hitze und Epidemien; von den auf der „Decäde“ nach Guyana. Deportierten 193 kommen 156 um; von 120 der „Bayonnaise“ 119. Als die vor der Küste kreuzenden englischen Schiffe die Trans­ porte verhindern, steckt man die Opfer in die Kasematten der „Ile de Ré“, und „Ile d’Oléron“ und läßt sie dort im Dreck verrecken. Die Direktoren verfolgen die Priester nur, um so die Religion um so sicherer zu treffen. Diese Männer, diese. Nutznießer sind zugleich auch Doktrinäre und hängen ihrer Lehre um so mehr an, als sie nur dadurch ihrer eigenen Verachtung.entgehen. Sie machen sich keinerlei Illusionen, weder über ihr eigenes Leben hoch über das von ihnen errichtete Regime oder sein Personal. In dem Schlamm, in den sie sich einwühlen, behalten sie jedoch eine Art Ideal. Den menschlichen Geist befreien und eine vernunft­ gemäße.Moral aufstellen, ist immer noch ein Teil ihres Revolu­ tionstraumes. Indem sie ihm dienen, halten sie ihrer Jugend die Treue und geben sich selbst als Theoretiker und Philosophen. Möge man sie doch als Sektierer, Erleuchtete und Fanatiker be­ handeln, sie wollen ja nichts anderes;, vielleicht vergißt man dann, sie. als Verkommene zu brandmarken. Die verfassungstreuen Pfarrer hatten durch ihre politische Unter­ werfung der Verfolgung entgehen wollen; diese Hoffnung trog; ihre Rechnung ging nicht auf. Der Bischof Grégoire, Gregor I. von Paris, ist ebensolchen Beschimpfungen ausgesetzt wie Papst

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Pius VI., Pius der ' Letzte von Rom. Beide, Eidverweigerer und Eidableger, werden Betbrüder genannt, woran alle Proteste nichts ändern. Durch Verordnung des Direktoriums vom 3. April 1798 wurde die strenge Einhaltung des republikanischen Kalenders als eine der geeignetsten Maßnahmen, um „das Königs- und Priesteramt bis zu seinen letzten Spuren vergessen zu lassen“ vorgeschrieben. Es gibt also keine Sonn- und Feiertage außer den republikanischen Festtagen, dem 21. Januar, 14. Juli, 10. August usw. ; alle Bürger müssen jeden 10. Tag, den „Décadi“, an dem unter Vorsitz der Behörden und unter Zwangsteilriahme der Schuljugend Feierlich­ keiten stattfinden, jede Arbeit ruhen lassen; an diesen Tagen müs­ sen auch die Zivilehen geschlossen werden. Und trotz oller- Spöt­ teleien und Widerstände versteift sich das Direktorium während zweier Jahre darauf, diese gottlose, von allen abgelehnte Reli­ gion, dem Volke aufzuzwingen. In einer Zeit, in der das ganze Land vom Verlangen nach dem Absoluten und der Unruhe vor dem Jenseits verzehrt wurde, stellten die von den Kantonalbehörden verabreichten Ziyilpredigten; trotz Orgelbegleitung, nur einen sehr mäßigen Ersatz dar. Man hätte sich jedoch damit begnügt, darüber zu lächeln, wenn nicht gleichzeitig absurde Zwangsmaßnahmen angewandt worden wären; so wird z.B. der Verkauf von Fischen an Fasttagen ver­ boten, um so die Katholiken am Fasten zu hindern. Jeden „Dé­ cadi“ durchstreifen Polizeiabteilungen das flache Land, um die Bauern zur Arbeitseinstellung zu zwingen; im Kanton von Manosque beschießt man die pflügenden Bauern mit Gewehren; in Ileet-Vilaine wird eine arme Alte von 82 Jahren Zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie in Sicht der Straße das Spinnrad bedient hatte; die Läden dürfen am „Décadi“ nicht offen und am Sonntag nicht geschlossen sein; in Straßburg werden 350 Gärtner gericht­ lich verfolgt, weil sie an einem früheren Sonntag nicht den Markt belieferten. Diese. Besessenheit, Ideen und Gebräuche zu reglementieren, geht soweit, daß die Zensur von der Presse auch auf das Theater aus. gedehnt wird: das Repertoire wird gesäubert, die Namen der-Per­ sonen abgeändert ' und die Kaiser der Tragödien in republika­ nische Beamte verwandelt. Nachdem dem Geist'eine revolutionäre Livree angelegt war, soll mit dem Körper dasselbe geschehen. David entwirft eine Bürgeruniform; wohl wagt man nicht, sich, dafür zu .entscheiden, erzwingt jedoch das Tragen dreifarbiger Kokarden. 349

All das genügt immer noch, nicht; die Revolutionspartei fordert sowohl in sozialer wie in politischer'Hinsicht eine völlige Rück­ kehr zum System von, Robespierre, und da im Frühjahr 1798 Wahlen stattfinden sollen, hofft sie, unter Ausnutzung der all­ gemeinen Unzufriedenheit, die Mehrheit in den Räten zurückzugewinhen. Nachdem'der, Gefahr von der Rechten gesteuert, droht sie nun von der Linken. Das Direktorium verliert mit Philosophieren über das ihm vertraut gewordene Balancieren keine Zeit, bezeichnet seine offiziellen Kandidaten, unterstützt sie durch einen unerhör­ ten Druck, verbietet die gegnerischen Zeitungen und bestimmt vorsichtigerweise, daß die Neugewählten nicht durch die neue gesetzgebende Körperschaft, sondern durch die alte, die sie ja gerade bekämpfen, anerkannt werden sollen. ■ Die Geächteten von Fructidor waren nicht ersetzt worden; es mußte also nicht nur ein Drittel, sondern mehr als die Hälfte der Sitze neu besetzt werden: 437 von 750, Trotz Drohungen und Betrug endigten die Wahlen mit einem katastrophalen Mißerfolg für die Regierung. Die durch den Staatsstreich des vergangenen Jahres aufgeklärten Gemäßigten, die sich über die Nichtigkeit der WahlVorschriften keine Illusionen mehr machten, enthielten sich en masse der Stimme. Die unteren Wahlversammlungen waren fast: überall voller Terroristen, und als Mitte April die Stimmzählung beendet war, stand fest, daß 300 „Anarchisten“ im Palais Bourbon und in den Tuilerien ihren Einzug halten würden^ Die Antwort ließ nicht auf sich warten; François (von Neufchäteau), das ausscheidende Mitglied des Direktoriums, sollte sich erst nach Errichtung der neuen Kammern zurückziehen. Er verzichtete jedoch schon einen Monat vorher auf seine Funktio­ nen; die geschlagenen Räte ernannten zu seinem Nachfolger einen sehr energischen Bürger, Treilhard, Schließlich gingen dieselben Räte daran, die Ordnungsmäßigkeit der Befugnisse ihrer Nach­ folger zu überprüfen und fanden natürlich zahlreiche Ungesetz­ lichkeiten. Am 11. Mai (22. Floréal) beschlossen ;sie, 98 Depu­ tierte auszuschließen; von diesen 98 Sitzen verteilten sie jedoch nur 45 an ihre Freunde und ließen die anderen unbesetzt. Um dieses Vorgehen in seiner ganzen Schönheit und nach Gebühr würdigen zu können, muß man sich daran erinnern, daß vor zwei Monaten das Fest der Souveränität des Volkes mit großem Gepränge begangen worden war. Der 22. Floréal gewährte dem Direktorium eine Galgenfrist von einem Jahr. Der Drang nach links wurde wohl eingedämmt, aber 35°

doch nicht zum Stillstand gebracht. Die Jakobiner setzten, im Lande ihre Propaganda fort, und da sie fühlten, daß das Babou• vistenprogramm mehr denn je unpopulär geworden war, änderten , sie geschickt ihre Schlagworte und ersetzten die Parole „Krieg den Reichen“ durch „Krieg der Korruption“, Dies war ein sehr geschickter Schachzug, da so die Unzufriedenen aller Parteien gewonnen Werden konnten. Dabei war dieses Thema unerschöpf­ lich, und man lief so nie Gefahr, daß es an Argumenten fehlte. Die Kriegsgewinnler und Staatslieferanten, die „Geier“ und „Vampire“, die „Blutegel“ des Volkes und die modernen Verrès, wurden in heftigen Reden .öffentlich angeprangert. Das Defizit wurde auf Betrügereien zurückgeführt und das Direktorium, als Komplize und Kreatur der ■Bankiers und Diebe hingestellt. Ein ; mit der Untersuchung der allgemeinen Demoralisierung beauf­ tragter Ausschuß verfaßte einen drohenden Bericht: „Es gibt keinen Teil der öffentlichen Verwaltung“, hieß es darin, „wo sich nicht Unmoral und Bestechlichkeit eingenistet hätten.. . Wei­ tere Nachsicht würde uns zu Mitschuldigen dieser von der öffent­ lichen Meinung angeklagten Männer werden lassen. Sie werden von' der Höhe ihres Luxus, heruntergestürzt und dem Nichts; der öffentlichen Verachtung.verfallen.. Das ungeheure Vermögen die­ ser Männer ist ein Beweis für die niederträchtigen Mittel, mit denen sie es erworben.“ Die Taktik der Jakobiner war von Erfolg gekrönt. Bei den Wah­ len des Jahres VII (März/April 1799) erhielten sie auch die Stimmen der Katholiken und Gemäßigten, die, Wenn sie schon nicht die Ihren durchbringen konnten, aus Haß gegen die Regier rung wenigstens den Erfolg der Anarchisten sicherten. Diese Bewegung war sp stark, daß das Direktorium es nicht wagte, wie im vergangenen Jahr zu verfahren; am 20, Mai nahmen die 300 Neugewählten ihre Sitze ein und wurden alle anerkannt. Dies­ mal war die Mehrheit .völlig verändert, und allgemein herrschte, das Gefühl, das ganze Direktorium wüide gestürzt werden. Von den fünf Königen muß man, jedoch den Ex-Abbé Sieyès, der aus der Botschaft in Berlin geholt worden war, um-die Stelle, von Reubell einzunehmen, ausnehmen. Der Abtrünnige und Königs­ mörder weist ..alle Merkmale eines Revolutionärs der vordersten Linie auf; da er es verstanden hatte, im Konvent zu schweigen-und sich zu ducken, ist er nicht mit den Kommunisten.kompromittiert;. weil er seit vier Jahren nicht .an der Regierung teilgenommen, ver­ fügt er über die ungeheure Kraft, welche denjenigen zu eigen'ist, die sich bitten lassen. Schon Albert Vandal hat gesagt, sein Ruf sei 351

durch all das, was er nicht getan, gestiegen. Sein Stillschweigen ist gedankenschwer, und spricht er, so gibt er Orakel von sich.. Seit dem Tode von Condorcet hatte die. Republik keinen Philo­ sophen mehr. Sieyès übernimmt dieses Amt; er ist geheimnisvoll, tief und unverständlich;, alle Parteien berufen sich auf ihn und auf-die Verfassung, die ei* im Kopfe hat. Übrigens gibt er an, mit seinenneuen Kollegen nicht zu harmonieren, und wenn-er sich .herbeiläßt, sie zu erwähnen, geschieht es mit einer verächtlichen Herablassung., Der. Vicomte Paul de Barras muß gleichfalls aus­ genommen werden; er ist ein verdorbener Gesell, dabei aber intelligent, spielt gerne den Raufbold und rasselt von Zeit zu Zeit mit dem Säbel von Thermidor und Vendémiaire.' Er braucht die Republik aber zii sehr, um seinen Säbel nicht in den Dienst des Stärkeren zu stellen. ' Am 16. Juni erklärten sich die Räte in Permanenz und eröffneten . ihre Offensive, gegen den Exekutivrat."- Man hatte festgestellt, daß die. Wahl vpn -Treilhard;nicht ordnungsgemäß er­ folgt war; er wurde gebeten, das Feld zu räumen, und'Barras übernahm es, ihn zu überzeugen. Treilhard ließ sich nicht lange bitten, nahm wortlos seinen Regenschirm und begab sich zurück in «eine Wohnung in der Rue des. Maçons. Blieben noch Révellière und Merlin. Eine Resolution- der Fünfhundert vom 18. erklärte beide namentlich für imwürdig, öffentliche Ämter zu bekleiden. Im Direktorium kam es .zu einer sehr heftigen' Szene mit lautem Wortwechsel und Beschimpfungen. Die beiden Opfer dachten nicht daran, sich Zurückzuziehen, und Barras und Sieyès- ver­ suchten vergeblich, ihnen Furcht einzujagen. Schließlich ließen sie sich, von einem sie anklagenden Dekret bedroht, dazu herbei, ihre Demission zu geben, erklärten jedoch, durch Druck zur Unterzeichnung gezwungen worden zu sein. ' Nun galt es,' die Abgetretenen Zu ersetzen. Sieyès ließ drei Nullen wählen, die er sicher zu beherrschen hoffte: Gohier, Justizmini­ ster im Konvent, Roger Ducos, ehemaligen Friedensrichter in Dax und Mitglied des Konvents, sowie schließlich den unbekann­ testen'der Generäle, Moulins, der seinen Dienstgrad als Gehilfe von Santcrre erhalten hatte (18. Juni bis 30. Prairial). Die Mi­ nisterien und Armeestäbe wurden gleichfalls gesäubert; die bekanntesten Schufte wurden davongejagt und durch Überlebende der Bergpartei ersetzt: Robert Lindet,,der Wiederauferstandene, erhielt" das Finanzministerium; Bêrnadotte und Marbot, beide für ihre extremen Ansichten bekannt, übernahmen das Kriegsmini­ sterium und, den Oberbefehl von Paris. Schließlich errichteten die ,352

Jakobiner von neuem ihren Klub unter dem Namen: „Gesellschaft . der -Freunde der Gleichheit und Freiheit“, und die. Regierung wies ihnen als Versammlungsort den Saal der Manège zu, wo vorher die Konstituierende und'Gesetzgebende Nationalversamm­ lung und anfänglich auch der Nationalkonvent getagt hatten. Die neuen Jakobiner brannten darauf, sich' ihrer Vorbilder wür­ dig zu zeigen. Ihre Versammlungen und Reden waren ein ein­ ziger Appell zur: Rache und zum Mord; einer verlangte, daß 50000 Bourgeois den Manen von Robespierre und Babeuf ge­ opfert werden sollten, ein anderer die Inkraftsetzung der-Revo-' lutionsgesetze über Handel und Eigentum, wieder ein anderer die ■ Wiedereröffnung der Volksgesellschaften mit ihren ganzen Kontroll- und. Polizeibefugnissen. Aus der Provinz würde gemeldet, die „Blutmänner“ verließen ihre-Verstecke und drängten sich wieder nach'vorne. Sollte die Guillotine wieder auftauchen? Die Anarchisten ließen die Rückkehr der Korrumpierten herbei­ sehnen. Nach ^Erneuerung des:Direktoriums blieben die Räte noch zehn Tage lang in Permanenz und beschlossen vor dem Auseinandergehen noch zwei Gesetze von außergewöhnlicher Tragweite (28. Juni). Das erste verfügte die Mobilisierung aller Jahrgänge, die noch nicht vollständig einberufen, das zweite eine Hundertmillionenanleihe vom Kapital, die „Zwangsanleihe" genannt wurde. ‘14 Tage spä­ ter (12. Juli) wurden die Revölutionsausschüsse durch das Geisel­ gesetz zu neuem Leben erweckt und mit der- Aufstellung von . Listen von Aristokraten und Verwandten von Emigranten beauf­ tragt, die von'nun-an in den unruhigen Departements als für die Ermordung von Patrioten verantwortlich betrachtet werden soll­ ten. Für jeden ermordeten Patrioten sollten vier Geiseln depor­ tiert werden; bei Diebstählen oder Plünderungen sollten sie die Entschädigungssummen aufbringen. Es ist zweierlei, ein Gesetz zu beschließen öder es anzuwertden. Das Land, das schweigend die Staatsstreiche der Rechten und der Linken aufgenommen, ist sowohl der Politik wie des Krieges müde. Durch die Siege von 1796 für kurze Zeit aufgepulvert, ist es bald in seine völlige Gleichgültigkeit zurückgesunken.'Niemand will mehr Soldat sein.. Die Einberufungsbefehle treffen ,auf einen fast allgemeinen Widerstand der Rekruten, die sieb eher zu be­ waffneten Banden zusammenschließen, die an vielen Stellen den Agenten der. Regierung die Stirne bieten, als der. Einberufung Fqlge leisten. Im Westen erwachen die Chouans zu neuem Leben; neun Departements sind in ständigem Aufruhr. Über die wie zur 23 . .G ax o tte,

Bevolution

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Feudalzeit bewachten und mit Mauern versehenen Städte herrscht, noch die Republik, aber das fläche Land gehört den „Weißen“, die, allgegenwärtig, jedoch nie faßbar, in Scharmützeln und über­ raschenden .Überfällen Sieger bleiben. Zuerst handelt es sich nur um vereinzelte Anschläge, um in Brand gesteckte Häuser und ge­ tötete Gendarmen. Allmählich werden die Gruppen größer und die Unruhen allgemeiner.-In der Umgebung von Vitré wird ein von 125 Soldaten bewachter Wagen angehalten und seine Eskorte zerstreut; in Argentré wird eine Frontabteilung aus dem Hinter­ halt beschossen und in die Flucht geschlagen; von Blois, Chartres, Caen und Evreux meldet man Zusammenrottungen und Anschläge; in Rouen wird in'den Straßen manifestiert, und Schreie werden laut: ,,Hoch die Chouans! Nieder mit den Jakobinern!“ Ganz Süd­ frankreich ist die Beute eines verstreuten und immer wieder aufflackemden Bürgerkriegs. „Compagnie de Jehu, Räuber, Deser­ teure und zurückgekehrtc Emigranten bilden vielgestaltige, sen­ gende und mordende Banden. Welche davon sind Royalisten, und wie soll man berufsmäßige Banditen von politischen Abenteurern unterscheiden ? In der allgemeinen Anarchie ist nur eines, der Bankrott der Obrigkeit, klar. Am 5. August wird Toulouse plötz­ lich von 15000 bis 20000 Rebellen eingeschlossen und kann nur durch in Eilmärschen von Auch herangeführte Verstärkungen entsetzt werden; es kommt zu regelrechten Kämpfen, und wäh­ rend einiger Tage muß ein allgemeiner Aufstand befürchtet wer­ den; dann zerbröckelt die Revolte von neuem. Die Abgabe von Kapital traf auf einen weniger lauten, aber ebenso hartnäckigen Widerstand. Die Steuerzahler wurden durch Departementsjurys ausgewählt und gemäß ihren vermuteten Ein­ künften nach einer gleitenden, Skala veranschlagt. Die Steuer wurde für Ledige und kinderlose Witwer um die Hälfte erhöht, für ehemalige Adelige verdoppelt und für Verwandte von Emi­ granten verdreifacht. Die Jury war von'Bürgern gebildet, die nicht von der Anleihe betroffen und deren Patriotismus und Er­ gebenheit für die Verfassung des Jahres III bekannt war, was nicht sehr beruhigend war. In der Tat. diente mehr noch als der Reichtum die politische Überzeugung als Anhaltspunkt zur Be­ zeichnung der Anleihezeichner. Nach Meinung der Jury handelte es sich auch nicht darum, die Stàatsfinànzen zu retten, sondern eher, die Gemäßigten und Royalisten zu ruinieren. Persönlicher Haß und anonyme Denunziationen waren bestimmend für die Besteuerung. Im übrigen wurden große Böcke geschossen;, so zum Beispiel wurde ein sechs Jahre altes Kind, das also drei Jahre 3J4 v .

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nach der Aufhebung der Adelsprädikate geboren war, durch die Jury von Beauvais als ehemaliger Adeliger eingereiht und entspre­ chend besteuert. Aber die Jurys waren nicht unbestechlich, und die Großlieferanten fanden schlagkräftige Argumente; Die geschick­ testen verheimlichten ihre finanzielle Lage; einige ließen sich für bankrott erklären, und die Steuerbehörde konnte sich mit ihren wahren, oder falschen Gläubigem herumschlagen ; wieder andere leisteten offen Widerstand. Albert Vandal berichtet eine Anek­ dote, die über den Spekulanten Gollot in Umlauf war, der, mit einer, ungeheuren Ziffer veranschlagt, 56000 Franken anbot, was die Jury als zuwenig ablehnte; „Sie wollen nicht?“ erwiderte Collot, ;,dann bekommen Sie gar nichts. Adieu.“ Und. zwei Monate später ist derselbe Collot einer der Hauptbeteiligten bei dem bonapartistischen Staatsstreich. Alle Bürger, die für die Steuer in Frage kommen konnten, schränkten sich plötzlich in ihrer Le­ benshaltung ein; Bedienstete, Pferde und Wagen verschwanden. Die Immobilienverkäufe hörten auf, und die so schon völlig lahmgelegten Geschäfte kamen ganz zum Stillstand. Alles in •allem brachte die Operation sehr wenig ein,' verursachte jedoch andererseits große Verluste; 10 Millionen Franken wurden ein­ genommen, aber dieser geringe Eingang wurde durch den Rück­ gang aller anderen Einnahmequellen mehr als ausgeglichen. Das Geiselgesetz versagte noch vollständiger und brachte nicht nur die Westdepartements zur Verzweiflung und Empörung, son­ dern verursachte eine so scharfe Ablehnung, daß, wenn man Gohier .Glauben- schenken kann, überhaupt niemand deportiert wurde. ’ ■ ■ ,. ■ * ■' 7 v ; Die Jakobiner hatten also das Land völlig nutzlos erschreckt; ihr Programm hatte sich wieder einmal als unanwendbar erwiesen? 'Aber, zu den Übeln, die sie schon verbreitet hatten, drohten noch ändere hinzuzukommen, und vorerst das schrecklichste von allen: die Invasion. ■ Nach dem Vertrag von Campo-Formio- hatte das Direktorium seine Propaganda-, Raub- und Revolutionspolitik weiter.'fort­ gesetzt. Als Bilanz seiner Tätigkeit auf dem Kontinent hatte es ; Holland und die Schweiz in Republiken verwandelt und geplün­ dert, Mühlhausen und Genf annektiert, Piemont besetzt, sich des. Kirchenstaates bemächtigt'und eine Kriegssteuer eingehoben. Er­ wiesen sich diese Operationen auch als einträglich, so waren sie doch nicht entscheidend, da der Hauptfeind; England, dadurch nicht betroffen wurde. Schon lange dachte man an eine Landung in Irland. Hoche hatte 23*

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sie 1796 vergeblich versucht/jedoch nicht auf sein Vorhaben ver­ zichtet. Neue Vorbereitungen waren getroffen worden, und es war sogàr: bestimmt worden, die Hauptunternehmung'durch, ein Ab­ lenkungsmanöver auf Clyde zu unterstützen. Nach Hoches Tode .und der Vernichtung der holländischen Flotte in Camperdow kam das Direktorium noch einmal auf die Idee einer Landung zurück, die sie diesmal Bonaparte anvertraute. Die im Westen unter-., gebrachten Truppen wurden als Englandarmee zusammerigefaßt, und im Februar 1798 inspizierte Bonaparte die Küste; 14 Tage , später kam-er mit dem Plan einer Expedition nach Ägypten zurück. Die Gründe für diese Änderung haben immer rätselhaft ge­ schienen. Zweifelsohne war, seit Choiseul, die Idee einer Fest­ setzung der Franzosen in Ägypten den Diplomaten und Staats­ männern des Ancien Régime vertraut; Tallèyrand hatte sie dann wieder aufgegriffen und in zahlreichen Denkschriften verteidigt. Die Besetzung des Roten Meeres und des Isthmus von Suez würde, sagte er, die direkte Verbindung zwischen Indien und den britischen Inseln abschneiden. Das Niltal würde eine ausgezeich­ nete Operationsbasis entweder zur Organisierung eines Hand-, Streichs gegen Indien oder einfach zur Versorgung der im Ge­ folge unseres treuen Freundes Tippou-Sahjb kämpfenden auf­ rührerischen Prinzen sein. Schließlich konnte Ägypten bei den ' Friedensverhandlungen als wertvolles Kompensationsobjekt die­ nen. Bonaparte war für all diese Gründe zugänglich. Aber in seiner mit klassischen Studien genährten insularen Phantasie blieb , der Orient das Märchenland, von wo große Reiche und große Ruhmestaten ihren Ausgang genommen. In Frankreich bleiben hieß, in die politischen Kämpfe verwickelt werden und jeden Tag in faulen Intrigen etwas Ansehen und Autorität einbüßen. Da die Regierung immer unpopulärer wurde, war es ein Gebot der Vernunft, sie ihrem elenden Schicksal zu uberlassen. Ägypten bot wenigstens die kostbaren Vorteile eines weit entfernten Pro­ konsulats: Unabhängigkeit, Prunk und-Souveränität, alles Dinge, die Bonaparte schon in Italien gekostet und die er seit CampoFormio nicht mehr hatte. Im übrigen würde die ganze Expedi­ tion, bei Wahrung des Geheimnisses, in einem halben Jahr und ohne Schwierigkeiten zu Ende sein. ? In Ermangelung eines Besseren ließ sich das Direktorium über­ zeugen, und am 19. Mai 1798 stießen 300 Schiffe mit 16-000 Ma­ trosen und 38 000 Soldaten unter Führung des Admirals Bruéys von Toulon aus in See. Bonaparte nahm 32 Generäle und 200 zivile Mitarbeiter mit. Die völlig hinters Licht geführten Ï5 6

Engländer erwarteten noch die Franzosen imi; Ärmelkanal, als Malta bereits genommen und die Flotte von Brueys schon vor Abukir Anker warf. Die Landung wurde, reibungslos vollzogen; am 2. Juli nahm die Armee Alexandrien ein, und am 21. brachen sich am Fuße der. Pyramiden die Angriffe der Mamelucken an den französischen Karrees. . • Von der Nordsee bis zum Nil war Frankreich siegreich. Dieses Bauwerk von Eroberungen und Republiken ruhte jedoch auf sehr schwachen Grundlagen, Und die einzelnen, Teile waren nur lose aneinander geheftet. So ziemlich alles fehlte, was Beständigkeit , gewährleistet hätte, vor allem eine Regierung, ein Staatsschatz und eine Marine. Brueys war der Transport der Ägyptenarmee glänzend gelungen, aber seine improvisierte Flotte war nicht in der Lage, sich mit der englischen zu messen. Am 1. August von Nelson vor .Alexan­ drien überrascht, wo die französische Flotte vor Anker lag, blieb ihm nichts anderes übrig, als an Bord seines Schiffes den Helden­ tod zu sterben. Die französischen Schiffe wurden alle bis auf zwei versenkt; Bonaparte war von Frankreich abgeschnitten. Das war das erste Geknister im Gebälk. England faßte nun neuen Mut, brachte eilends eine neue Koalition auf die Beine, gewann zuerst den durch die Besetzung von Rom alarmierten König von. Neapel, dann die Türkei, die Schutzmacht Ägyptens, sowie das über die revolutionäre Propaganda beunruhigte Rußland, und schließlich Österreich, das darauf brannte, in Italien von neuem Fuß Zu fassen (Dezember 1798 bis März 1799).-Die Feindselig­ keiten begannen wieder, ohne daß deshalb der Kongreß von Rastatt, wo über das neue Statut Deutschlands verhandelt wurde, aufgelöst worden wäre. Die Bevollmächtigten des Kaisers zogen sich erst im April zurück; , ihr Abgang hatte den der übrigen Diplomaten zur Folge. Die französischen Abgesandten wurden,, beim Verlassen der Stadt zusammen .mit ihren Familien von. ungarischen Husaren angegriffen, aus ihren Wagen gerissen und zusammengehauen; zwei von ihnen, Bonnier und Roberjot, wurden getötet; der dritte, Jean de Bry, überlebte seine Verwundungen.' Die österreichische Regierung verwahrte sich dagegen, das, Atten­ tat; angestiftet zu haben, und machte dafür disziplinlose.Plünderer verantwortlich. Das war jedoch eine Lüge; der Befehl war wohL aus Wien gekommen. Die Alliierten stellten 350000 Mann, darunter. 80000 Russen, ins. Feld, Das'Direktorium verfügte ,kaum über 170.000 Soldaten, mit

denen außer dem vergrößerten Frankreich noch die Schwester­ republiken von Holland, der Schweiz und Italien, verteidigt wer­ den mußten, wobei sich letztere noch als schlechte Verwandte aufführten und empörten. In Deutschland, hatte sich Jourdan kaum über den Rhein gewagt, als er schon von Erzherzog Karl geschlagen wurde. In Italien gelang es Championnet, Neapel zu besetzen; er wurde jedoch daraus wieder verjagt, und Frankreich verlor nach und nach Rom und die Toskana. In der Poebene überschritt Suworow überraschend die Adda, schob sich Zwischen Macdonald und Moreau, vernichtete den ersteren an der Trebia, zwang den zweiten zum Rückzug und zog als Sieger, in Mailand ' ein. In Holland kann Brune die Landung einer englisch-russi­ schen Armee nicht verhindern. Das Elsaß ist in Gefahr. Alles droht zusammenzustürzen. Allein Masséna kann sich noch mit intakten und disziplinierten Truppen in der Schweiz halten. •Angesichts dieser Fehlschläge erscheint die Unfähigkeit des Direk­ toriums in vollem Licht, und die Prairialmehrheit teilt sich. Von der aktivsten Linken löste sich die Gruppe der „Politiker“ los, diese dritte Partei, die sich stets in den unruhigen Zeiten der französischen Geschichte bildet und die von authentischen, aber ausgegorehen Revolutionären gebildet wird. Ihren Mittelpunkt bildete Sieyès; die hervorragendsten Mitglieder gehörten den Ältesten oder der. fran­ zösischen Akademie an. Es waren meist gesetzte Männer von ein­ facher Lebensführung und strengen Sitten,. Als Überlebende oder Schüler der „Enzyklopädie“ waren sie keineswegs Royalisten oder Gegenrevolutionäre. Ihr einziger Ehrgeiz bestand im Gegenteil darin, die revolutionären Grundsätze vor der Katastrophe, in die sie zu versinken drohten, zu erretten. Frankreich konnte nicht mehr lange in Anarchie leben. Wenn die Republik nicht binnen kurzem Frieden und Ordnung wiederherstellte, war die Reaktion unaus­ bleiblich und mit ihr die Monarchie. Gegen diese Gefahr gab es nur eine Rettung: die Republik durch die Republikaner refor­ mieren. Für dieses große-Beginnen durfte man jedoch nicht'mit dem gesunden Menschenverstand und 4cm guten Willen der Räte rechnen. Seit Thermidor hatten drei Staatsstreiche deren gesetz-V liehe Zusammensetzung geändert, und alle Mehrheiten hatten sich , gleich widerspenstig gezeigt. Im übrigen ging es nicht mehr dar­ um, sich eines gefügigen Parlamentes zu versichern, sondern dem Lande unverzüglich eine neue Verfassung aufzuzwingen, die sonst, nach den gerade gültigen Gesetzen, erst nach neun Jahren hätte angewendet werden können. Die einzige Lösungsmöglichkeit bestand in einer Gewaltlösung. Die innerhalb der Regierung vor.3 5 ? . '

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bereitete Änderung mußte letzten Endes durch die Armee unter­ stützt oder ausgeführt werden. Schon Zur Niederschlagung dès Royalistenaufstandes von Vendémiaire sowie zur Deportierung der gemäßigten Abgeordneten von Fructidor hatte man sich der Generäle bedient; auch diesmal sollte wieder ein General der Republik Macht und Ansehen zurückgeben. „Ich suche einen Degen“, sagte Sieyès. Was für einen Degen ? Bonaparte war in Ägypten; Gamot in Holland, Jourdan, Augereau und Bemadotte setzten auf die jakobinische Karte. Von Utrecht bot La Fayette seine Dienste an, aber sein Name hatte seinen früheren guten Klang eingebüßt.' Die Wahl von Sieyès fiel schließlich auf den jungen, schönen, kühnen und ritterlichen Joubert, dessen Ruhm wohl noch gering war, dem aber Sieyès das Oberkommando der Italienarmee anvertraute. Moreau sollte ihn als Mentor be­ gleiten, um so Ungestüm mit Weisheit zu paaren. Beide zusammen würden, Suworow schlagen, und der durch seinen Sieg wie mit einem Glorienschein umgebene Joubert würde nach seiner Rück­ kehr nach Paris dann das Abenteuer wagen. ‘ Joubert verließ Paris am 6. Juli. Sieyès, der gerade tumusgemäß für vier Monate den Vorsitz der Regierung innehatte, hielt an­ läßlich des Jahrestages vom 9. Thermidor eine heftige Rede gegen die jakobinische Tyrannei. Kurze Zeit darauf setzte, er bei seinen Kollegen die Abberufung des Polizeiministers Bourguignon und seine Ersetzung durch den ehemaligen Wüterich von Lyon, Fouché, durch. Die schlecht informierte Öffentlichkeit zitterte, aber ohne Grund. • Seit fünf Jahren hatte Fouché ein kümmerliches Leben gefristet, sich in allen Berufen versucht, jedoch überall nur Mißerfolg ge­ erntet, war stets um die Macht herumgestrichen und nun zu jeder Tätigkeit bereit, wenn dabei nur viel Geld verdient wurde. In Fructidor und Prairial hatte er eine obskure Polizistenrolle ge­ spielt und war dafür mit dem Gesandtenposten in Holland be­ lohnt worden. Vom Haag kam nun der ehemalige Vorsitzende der Jakobiner zurück, um der antijakobinischen Politik zu dienen. Die Rechnung war nicht schlecht. Fouché machte sich nichts aus philosophischen Überlegungen, wie die Kollegen von Sieyès, die hochachtbaren Mitglieder der französischen Akademie. Für ihn hieß die Revolution retten, zuerst die Revolutionäre retten und an erster Stelle den Revolutionär Fouché. In ■seinen Augen stellte eine starke und beständige, aus ausgegorenen Demagogen zusam­ mengesetzte Regierung, der auch er angehörte, einen normalen Ausweg aus der Krise dar. Durch ihre fortgesetzten Appelle an

das Land, das sich, nach nichts anderem als nach Ruhe, sehnte* verzögerten und gefährdeten die „Anarchisten“ von 1799 nur. diese glückliche Lösung. „Was werden Sie mit dem Jakobiner­ klub anfangen?“ fragtèn Fouché seine beunruhigten Freunde. „Etwas sehr Einfaches“, erwiderte er, „ich werde ihn auflösen." Dies war tatsächlich das Allereinfachste. Er begab sich persönlich in das Klubhaus, wies die anwesenden Mitglieder hinaus, ver­ schloß die Tür, ließ Kavallerieposten beim Eingang zurück und kam gemächlich mit den Schlüsseln in der Tasche zurück. Der Anfang war vielversprechend; im letzten Augenblick stürzte je­ doch alles zusammen. Joubert wurde geschlagen und in Novi getötet (15. August). Sieyès hatte nun keinen'Degen mehr. Sieyès war jedoch hartnäckig und suchte sich nun einen neuen; Wie um ihm dazu Zeit zu lassen, besserte sich die militärische Lage mit einem Schlage. Masséna schlug bei Zürich die Russen unter Korsakow, die durch den verfrühten Abzug der Österreicher allein geblieben waren, aufs Haupt, warf sich dann auf Suwarow, der über den St. Gotthard herbeieilte und schlug ihn beim Vier­ waldstättersee (Ende September). 14 Tage späten wählte Sieyès einen neuen Soldaten: Moreau, den General der kunstvollen Rück­ züge und verzweifelten Unternehmungen. Er hielt, mit ihm und Baudin einen Kriegsrat ab, als ein Bote eine außergewöhnliche Nachricht brachte: Bonaparte, der seine Armee in Ägypten ge­ lassen und die englische Überwachungsflotte getäuscht hatte, war, soeben in Fréjus gelandet. „Da ist der Mann, den Sie brauchen“, sagte Moreau, „er wird Ihren Staatsstreich viel besser als ich durchführen.“ Bonaparte war mit unbeschreiblichem Jubel, mit Musik, Festen und lärmendem Beifall begrüßt worden. Er war jedoch geschickt genug,-um die Regierung und die Räte nicht zu alarmieren, aus unbekannter Richtung kommend in Paris inkognito, seinen Einzug, zu halten. Als er. sich im Luxembourg-Palast einfand, um über sein Verhalten Rechenschaft abzulegen, riefen die Wachposten, die ihn erkannten: „Es lebe Bonaparte!“ Er war wirklich Herr der Lage. Das Vorhaben, von dem er seit Campo-Formio ge­ träumt, war nun durchführbar. Frankreich erwartete ihn; er brauchte nur die Hand ausstrecken, und es gehörte ihm. In -Wirklichkeit spielte sich jedoch alles viel weniger glatt ab, und wenig fehlte zu einem völligen Fehlschlag. Während alles zur. Eile drängte, verlor man zuerst- viel Zeit. Weder Sieyès noch Bo­ naparte entschlossen sich, den ersten Schritt zu tun. Erst am 30. Oktober fand durch Vermittlung von Talleyrand und Roede360

rer die entscheidende Fühlungnahme statt. Was einerseits die Stärke der Verschwörung ausmachte, war andererseits auch ihre Schwäche. Es war gut, daß die Sache von Intellektuellen; Poli­ tikern und Juristen geleitet wurde, wodurch der kompromit­ tierende Anschein einer Prätorianerrevolution wegfiel. Diese Ge­ lehrten und Juristen waren jedoch keine Kriegshelden, und viele von ihnen waren in der. Armee unpopulär. Da man schließlich die Soldateska nur im äußersten Notfall einsetzen wollte, sollte es vorerst mit Einschüchterung' versucht werden. Bonaparte sollte also allein den Räten die Stirne bieten; dieser Versuch konnte jedoch schlecht ausgehen, da ein guter General nicht auch zu­ gleich ein guter Volksredner sein muß. Ferner waren ,die Ver­ schworenen weit von einer wirklichen Verständigung entfernt, da jeder der Schlauere sein, wollte und die anderen im letzten Augenblick zu übervorteilen gedachte. Bonaparte mußte in sei-, ner eigenen Familie mit seinem Bruder Lucien rechnen, der über­ raschenderweise zum Vorsitzenden der Fünfhundert ernannt wor­ den, und welcher der Ansicht war, ein ziviler Bonaparte wiege wohl einen General in der Familie auf. Und wenn auch die Art der Zertrümmerung des Direktoriums festgelegt war, so waren für den nächsten Tag keinerlei Vorkehrungen getroffen. Bei näherem Hinsehen kann man feststellen, daß dieser musterhafte. Staats­ streich gleich allen anderen menschlichen Unternehmungen nichts als eine Kette von Zufällen, Ungewißheit und widerstrebenden Absichten war. . Das Programm umfaßt zwei Tage; am ersten sollten Sieyès und Roger Ducos die. Regierung desorganisieren und am zweiten Bonaparte die Räte zwingen, ihm entsprechende Vollmachten zu übertragen. . , Die erste Runde wurde leicht gewonnen. Am Samstag, dem 9. No­ vember (18.brumaire) wurden die Ältesten um 6 Uhr. früh.zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen. Comet deckte in einem pathetischen Bericht einen unmittelbar bevorstehenden Ter­ roristenaufstand auf und flehte die Ältesten an, die Republik zu retten und zu. beschließen, daß die Räte nicht vor Mittag des nächsten Tages im Palast von St.-Cloud unter dem Schutz des zum Kommandanten von Paris ernannten Generals Bonaparte zusam­ mentreten sollten. Um 8 Uhr wurde diese Verordnung angenom­ men. Barras, Moulins und Gohier, die nicht in das Komplott ein­ geweiht waren, schliefen noch, als die Ältesten schon wieder hach Hause gegangen waren. ,' , Trotzdem bildeten diese drei die Mehrheit im Direktorium, und

konnten gefährlich sein. Talleyrand übernahm es, Barras ausejnanderzusetzen, daß seine Gegenwart überflüssig sei. Barras liebte das Geld, und Talleyrand war sehr überzeugend. Zu Mit­ tag zog sich Barras auf sein .Gut Grosbois zurück. Sieyès und Dücos erklärten daraufhin sofort ihren Rücktritt: die Exekutiv. gewalt bestand damit nicht mehr. Gohier und Moulins weigerten sich jedoch, dem Beispiel ihrer Kollegen Zu folgen und begaben sich würdig in den Luxembourg-Palast, wo ihnen Moreau eine Viertelstunde später mitteilte, daß sie. Hausarrest hätten, keine Besuche empfangen und keine Briefe schreiben dürften. Bisher war allés glatt gegangen. Santerre, der versuchte, die Faubourgs zu alarmieren, fand kein. Gehör. Zwei dunkle Punkte, blieben noch. Einerseits hatten sich die mit der Überwachung von Gohier und Moulins beauftragten Soldaten zuerst geweigert, ihre Posten zu beziehen, und andererseits blieb Paris völlig unbeteiligt. Nie­ mand erhob sich zur Verteidigung des Regimes, aber ebensowenig kam jemand Sieyès und Bonaparte zu Hilfe. Falls der nächste Tag fehlschlagen sollte, durfte man auf niemanden rechnen. In St. Cloud verging der Morgen des 19. mit Vorbereitungen und Truppenbewegungen. Während Tapezierer in Eile die Galerie Apollos für die Ältesten und die Orangerie für die Fünfhundert herrichtetén, strömten die‘Abgeordneten von allen Seiten herbei und begannen sich zu besprechen. Von Paris waren Hunderte von Neugierigen auf: allen möglichen Fahrzeugen herbeigeeilt, als ginge es zu einer Volksbelustigung. Der nervöse und überall herumschwirrende Bonaparte überwachte persönlich die Arbeiten und schritt die Front der Soldaten ab. Die Truppe im Park stellte geradezu einen Querschnitt durch sämtliche Einheiten der Pari­ ser Garnison darf es waren im ganzen acht bis zehn Linienkompa­ nien, drei Schwadronen und zwei Artilleriekompanien. Ferner waren noch die konstitutionellen Wachen und die Grenadiere des Direktoriums vertreten, dann gegen zwei Bataillone,. die aus den Überbleibseln der Revolutionsarmee gebildet, und deren jakobi­ nische Einstellung bekannt war. ' Die Räte waren für Mittag einberufen; die Gesetzgeber fanden sich in ihren pompösen Uniformen zur festgesetzten Stunde ein: römische Toga, Schärpe'und Hut mit Federn. Die Aufstellung der Bänke wurde soeben beendigt; während einer halben Stunde tra­ ten sie im Wind von einem Fuß auf den anderen, was die größ­ ten Hitzköpfe der, Fünfhundert benützten, um sich unter die Älte­ sten zu mengen und dort Unruhe und Mißtrauen zu säen. Als die Sitzung endlich eröffnet wurde, wagten die durch die Worte „Un­ 3 6 2

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gesetzlichkeit“ und „Usurpation“ verstörten Ältesten nicht, sofort die Bildung einer, neuen Exekutivgewalt zu beschließen, und als sich Bonaparte einstellte, um sie über das große Anarchisten­ komplott zu unterrichten, empfingen sie ihn nur kühl. Der eingeséhüchterte Bonaparte verfing sich in seiner eigenen Rede; statt den Anlaß zu einer Entschließung für die Verfassungsreform zu geben, brachte er ;seine Freunde durch sein* Gestammel in Ver­ legenheit und reizte die anderen durch autoritäre Formulierungen in seiner Rede. . Er war sich über seinen Mißerfolg nicht im klaren und wollte sich sofort zu den Fünfhundert begeben, von denen er wußte, daß ihm die Mehrheit feindlich gesinnt war. Wollte er einen Skandal hervorrufen oder eine Partei auf, die andere, hetzen? Man weiß es nicht. Sofort bei seinem Eintritt wurde er mit Pfeifen emp­ fangen, von den ihn. begleitenden Offizieren getrennt, herum­ gestoßen, mit Fäusten geschlagen und halb erstickt. Lefevre und Murat hieben ihn mühsam heraus und trugen den fast Ohn­ mächtigen hinweg. Die. Sache nahm eine entschieden schlechte Wendung. Die Schreie „vogelfrei“, welche den jämmerlichen Rück­ zug des Generals begleiteten, waren keine einfachen Stilblüten.. Auch Robespierre war gestürzt:worden, nachdem man ihn für; vogelfrei erklärt hatte. Der Staatsstreich der Rechten schien als Jakobinerstaatsstreich enden zu wollen. Zehn Minuten später.war die Lage völlig verändert. Der in einen , Salon des ersten Stocks gebrachte Bonaparte war langsam wieder zu sich gekommen. Nachdem ihm seine Nerven einen, üblen Streich gespielt, glückte ihm durch eine bewunderungswerte Wil­ lensanstrengung die Überwindung seiner Schwäche. Durch ein auf die große Terrasse hinausgehendes Fenster ruft er: „Zu den Waffen!“ Der Befehl wird von den Einheitsführern wiederholt, und die Männer beziehen ihre Stellungen. Inzwischen versucht der Vorsitzende Lucien Bonaparte, seinen Bruder bei: den Fünf­ hundert zu entlasten. Die : Versammlung schreit ihn nieder; mit einer großartig theatralischen Geste wirft er seine Mütze und Schärpe auf das Rednerpult und verläßt unter dem Schutz der Wache den Saal. Die beiden Brüder treffen sich hoch zu Roß vor der Truppe wieder. Während sich Napoleon durch die Front­ soldaten akklamieren läßt, wendet sich Lucien an die Grenadiere der gesetzgebenden Körperschaft und fordert sie in einer flam­ menden Rede im besten revolutionären Stil auf, die in der .Person ihres Vorsitzenden durch eine Minderheit von Heuchlern und Mördern unterdrückte Assemblée zu unterstützen. Die Veteranen

des Bürgerkrieges sind nun wieder in ihrem ureigensten Element: Lucien hat gerade die richtigen Worte gefunden. Sie setzen sich in Bewegung, Murat übernimmt die Führung und reißt sie unter Trommelwirbel im Sturmschritt zur Orangerie fort. Bei dem herannahenden Lärm ist eine Panik ausgebrochen. Die Menge flieht, und die Abgeordneten1schreien wirr durcheinander. In­ mitten des Tumults befiehlt ihnen Mürat, den Saal zu räumen. Die einen springen durch die Fenster, die anderen lassen sich • hinausdrängen. Bei der hereinbrechenden Nacht sehen die spot­ tenden Soldaten, wie die Togen und Röcke Reißaus nehmen. Die Komödie war zu Ende; sie mußte nur noch in eine Form gebracht werden. Die Türsteher der Fünfhundert trommelten gegen ii Uhr ungefähr: 100 Deputierte, die sich in den Palast zurückführen ließen, zusammen. Diese beschlossen bei Kerzen­ licht, unter-dem Vorsitz von Lucien und'im Einvernehmen, mit den Ältesten, das Direktorium durch eine provisorische Kommis­ sion von drei Konsuln: Bonaparte, Sieyès und Roger Ducos, zu er­ setzen. Um 2 Uhr morgens legten der Abbé, der Friedensrichter und der'General den Treueeid auf die einige und unteilbare Re­ publik ab. , , , ; . ; Für uns hat dieser Schwur etwas Komisches an sich,-Bonaparte hielt ihn jedoch mehr als zur Hälfte. Wenn er schon nicht die Re, publik rettete, so rettete er von der Revolution, was zu retten war: die Mystik, das Personal, die Außenpolitik, den Kosmopolitismus und die soziale Organisation. Bis zu diesem Ziehpunkt hatte Frank­ reich eine Rückkehr zur Ordnung nur unter der Form einer mon­ archistischen Restaurierung in Betracht gezogen. Während zehrt Jahren hatte die Revolution sämtliche Berechnungen über den Hau­ fen geworfen und alle Hoffnungen enttäuscht. Man hatte von ihr. eine geregelte und feste Regierung, gesunde Finanzen, weise Ge­ setze, Frieden mit dem Ausland und Ruhe im Inneren er­ wartet, in Wirklichkeit jedoch nur Anarchie, Krieg, Kommunismus, Schreckensherrschaft, Geldentwertung, Hungersnot und zwei bis drei Staätsbankrotte erlebt. Die Diktatur Napoleons versöhnte das Bedürfnis nach Autorität mit der demokratischen Ideologie: ein Ausweg für. zum äußersten getriebene Theoretiker. Die Doktrinäre von: 1789hattendie Menschheit regenerieren und die Welt neu auf-, bauen wollen. Um den'Bourbonen zu entgehen, waren die Doktri­ näre von 1799 gezwungen, sich einem Säbel zu verschreiben..

PERSONENVERZEICHNIS A Achard'241 Adders, Baronne d' siehe unter ' Palm, Etta d ’Alembert 46, 60, 6 i, 62, 63, 162 Amar 300, 309, 338 d ’André 341, 344, 346. Anna, Herzogin 16, 78 Anselme 218 . Anthoine 90, 193 , Antonnelle, Marquis d ’ 339 Ardascheff 22 Argenson, Comte d' 42, 60, 61 Artois, Comte’ d ’ 58, 145, 173, 174, 175

Artois, Comtesse d 68 Auckland, Lord 247 Audouin 221 Augereau 345, 359 Aulard 118,' 318

B Babeuf 338, 339, 34 °. 353 Baco 90 Bailly lo i, 102, 108, 155, 156, 293 Bainville 66, 220 de Balbis.68 , Barbaroux 203, 232, 238 Barbé-Marbois 337, 346, 348 Barentin 88 1 Barère 87, 212, 253, 284, 285, 308, 3 ° 9 , 3 i 5 . 32 i . 3 3 9 Bamave 79, 94, 104, 117, 123, 128, 142, 150, 151,153. 154 . i 83 . 205 Barras, Vicomte Paul de 241, 305, ,310, 322, 324, 325, 326, 333, 334, 335 . 344 . 345 . 346 , 352 , 361, 3ß2 Basire 193, 299. 3 ° J. 3 02. 3°3 , Barthélémy 317, 343, 344, 346, 348 Baudin 360 Bausset, Chevalier de 126 ' Batz, Baron de 301, 302 Beauhamais, josephine de 334

Beaumarchais ■66, 119 Beauvais, Maréchal de 89 Beer,, Max 221, 333 Benoist 215 Bergasse 106 Bernadette 352, 359 Bernhard 8 Bemier, Abbé 227, 342 de Bemis, Kardinal 140 Bertliollet 253 Bertier 102, 104 . Bertin 85, 312 Besenval 35, 58 Bessänd-Massenet 341 Beumonville 221 . Bidermann 221 Billaud-Varenne 203, 262, 284, 285,

291, 3°2»_3°9 . 3 !5. 321 * B illy 90 Biron; Duc de 89, 185, 242 1 Blanc 135„ Blutei 313 . . Boehmer 70 Boilly 287 de Boisgelin 72;- 12.9, 142, 143 Boisguillebert 26 de Boissieu 80 Boissy d ’Anglas 315, 321, 337 • Bonaparte, Lucien 361, 363, 364 Bonaparte, Napoleon 12, 13, 21, 75, 252, 322, 325; 334, 335 . 336 . 337 . 345 . 34 6- 35 ß. 357 « 359 . 3 öo, 3 ö i, 3 ß2, 363. 3ß4 Bonchamp 227 ßonhommet 231 Bonhours 44 Bonnier 357 Borie 254 Bossange 70 Bossuet 41, 42, 43 Bouchen 119 Bouchotte 248, 251, 2S1, 339 de Bouillé 126, 146, 147, 150. I 54 « 173

Boulanger 272 Bourbon, Duchesse de'59 365

Chamfort 54,-58 ' Champion de Cicé 72 .Championnet 358 Chaptal 253 Charbonnier. 281 Charette de la Contrie 227, 246, 337. Charles X siehe Artois, Comte d ’ Charlier 309 ■ Charost, Duc dé 23 Chasles 338 . Chateaubriand 32 du Châtelet 47, 57 Chaumette 193, 210, 259, 261, 262, 271, 296, 297, 298, 301, 303, 307 , Chaussegros 234 ■ " Chénier 215 Chevalier 319 de Choiseul 57, 147, 148, 356 Chuquet 223 . ' ' Clarke 252 , Clauzcl 333 i . Clayière 179, 184, 186, 187, 197, 231, 239 : Clermont-Tonnerre, Duc de 79, 80 . Clootz 215, 216, 261, 290, 301, 303 ï Cochin. 51, 103,115 Cochon 344 ‘ :• G ' ;". Coffinhal 310 Cabarrus Therezia 312 Coffirshal 280 ' de Cabris 118 Colbert ,13, 20, 41 Cagliostro 70 ; Coliot 355 Calonne 14, 38, 71, 72, 128, 173 Collot d ’Herbois 203, 239, 240, 241, Cambacérès 315 262, 205, 284, 285, 301, 306, 315, Gambon 214, 246, 250, 263, 264, 284, , 321 ' ' 308, 309, 313, 321, 332 Colomès 344 Camus 333 Condé, Prince de 58, 173 ' Canclaux, Comte de 242 Condorcet, Marquis de 54; 66, 89, Capet, Louis = Ludwig X VI -' 150, 117, 131, 161, 162, 197, 204, 238, i 211, 212 352 ■ Capetinger 10, 11, 75 Conti, Prince .de 23, 57, 145 de Cardenel 270 Corday 234,. 239 Carlet 230 Corneille 234 Camot 251, 252, 253, 254, 255, 271, Cornet 361 . 283, 284, 285, 286, 305, 309/326, Cossé-Brissac, Duc de 30, 186 Cottin 90 334 . 344 > 345 - 3 4 ° ' Carra 193 Courtois 229 ’ Carré 57 Couthon 239, 284, 285, 286, 309, 310 Carrier 244, 245, 2 4 6/316 de Crosne 102 Castellan, Comte de 89 Croy, Prince de .23 . Castries, Duc de 23, 120, 173, 209. Cusset.222 Cathelineau 227, 256 Custine 217, 218, 224, 248, 284, 317 'Cavaignac 269 ' Cuzman 231 Cerbeer 221 Chabot 193, 300, 301, 302, 363. D Chabrier, Marie 135 Chabrier, Magdalena 135 / Dagobert 32 Dalayrac 192 Chabrier, Therese 135 Chalier 234, 239, 240 Dambray 337 Bourbonen 16S, 323, 364 Bourdaloue 41 Bourgelet 62 ■ Bourguignon 359 Braunschweig, Herzog von 194, 201, ' 202, 215, 217, 218,-250, 255, 256 Bieteuil 76, 97, 100,, 101, 109, 174J de Brettevilles 234 Brienne, Loménie de 38, 72, 73,-75,'. 76, 77. 79, 81, 85, 86, 93, 143, 144, ■- 154 ' Brienne, Martial de 143 . Brissot 54, 161, 178, 181, 183, 185, 198, 200, 210, 213, 216, 219, 232, ' 238, 256 de Broglie 173 Brouce 132 Brueys 356, 357 Brune 358 Bry, Jean de 357 . Bubuisson 300 Buffon 47 ; Buissant 288 , ■ Burke 165 Buzot 203, 213, 232,: 233, 238, 239:

366

Dames, Comte de 148 Danton 114, 145, 154, 155, 156, 167, 192, 193, 197, 199, 201, 203, 20S, 209, 210, 216, 222, 225, 226, 227, 246, 247, 248, 250, 251, 284, 291, 292, 293, 294, ,299, 300, 302, 303, - 339 . / Darthé 338, 339, 34 ° David 300, 304, 339 . Déchezeaux 238 Deiormon 321 Delacour 90' ■ Delacroix 222, 299, 302, 303 1 Delaunay 299, 300, 301, 302, 303, 333 Delessert 98 Desaix 255 Descartes 42 ' Desfieux 298, 300, 301, 303 Desmolières Gibert 333 Desmoulins Camille 117, 170, 177, 290, 294, 302, 303 , Desmoulins Lucile 303 ■■ y Des Pommelles 342 Desportes 199 Destez 148 Diderot 45, 47, 48, 56, 61, 62 Dieudonné 333 Dillon (General) 185 de Dillon (Erzbischof von Narbonne) -72/ Dobsen 230, 231 'Dolivier 205 Dom Gefle 306: Dorât 46 Doulcet de Pontécoulant 322 Drouet 148 , Dubois-Crancé 239, 309, 313 Dubourg-Miraudot 143 Dubuisson '225, 298, 301, 303 Duclos 6 i, 63 . Ducos, Comte Roger 352, 361, 362, 364 Dufoum y 231; 301, 302 Dugazon 113 Dugommier 239 .' , Dulau 72 Dumant 333 Dumas 279, 310, 337 Dumon 322 Dumont 296 Dumouriez 184, 186, 187, 188, 197, - 201, 215, 216, 217, 218, 221, 223, 224, 225, 226, 238, 246, 249, 333 Dupin 277. : • Duplay, Tischler 193, 291, 339 Duplay, Eleonore 291

Duplessis 302 Dupont de Nemours 60, 89, 117, 123,

131. 132-170, 183, 337

Duport 290 Duquesnoy 255, 322 Duranthon 186 Dussaulx 100 Dutard 228 Duval, Charles 312

'

. - E. , Egalité siehe d ’Orléans, Duc Phi­ lippe d ’Elbée 227 Elisabeth, Madame (Schwester Lud­ wigs XVI.) 147, 150, 151, 152, 195, 333 Ephraim, Benjamin Veitel 167 d'Epinay 57', 333 d ’Espagnac 221, 300, 301, 303 Evrard 234' Expilly 144

: ■■ f . Fabre d’Eglantine 192, 209, 299, 300, 301, 302, 309 Felix (Kommission) 244 Felix; le Pelletier 338; 339 Fénelon 42, 43, 67, 69, 71, 93 Féron 45, 48, 61, 62, 117 Fersen, Graf von 146, 148, 150 Flesselles roi Fleurien 343 , Fleuriot-Lescot 307, 310 Fleury 36 Fouché 239, 240, 241, 291, 296, 305, 308,309,1310.315.333 - 339 , 359 ,360 Foulon 102, 104 - • Fouquier-Tinville 68/251,,279, 280, 302, 303, 306, 315. Fourcroy 253 Foumerot 231 Fournier 187, 193, 201 François 346, 350 Franklin 53, 54, 297 Franz II. 184, 249 Frécine 268 Fréron 241, 305, 309, 312, 316, 321, 322. 339 • Freson 333 Freteau 89 Freÿ, Julius 302, 303 Frey, Manuel 302, 303 Friedrich IL 249 . Friedrich Wilhelm 167, 174, 184, 215, 224; 249

G de Galiffet, Comte 119 G a r a t209, 2lo, 213, 235 Gardel 113 ■ Garnier 273 Gamot 359 . Gasparin 284 Gaudin 327 Gaumartin, Marquis de 56 Genct 283 Gensonné 161, 179, 238 Geoffray 62 Georg, König von England 220 Gérard 113 Germain 338, 339 ■/ >. Geßner 46 Gignoux 286 Gilbert 62 Gilbon 273 Giraud 313 Gobel 143, 296, 297, 303 Goethe 17, 29 Gohier 352, 355, 361, 362 de la Gorce 136, 139, 143 Gorsas 238 Gôüjon 308 Goupillon 333 ' de Gouvemet 78 Gramont 272 , de Grave 184 Gravier 241 Greer 277 Grégoire, Abbé 202 Grégoire, Bischof 210 Grégoire, Bischof von Loir-et-Cher

295. 297

Grégoire, Bischof von Paris (Gre­ gor I.) 348 Gribeauval 202 Grimm 45 Grivel 269 Guadet 161, 232, 238 Gùibert, Cömte de Go Guillaume (La Hure) 148 Guimard 59 Guyardin 253 Guzman 66, 302, 303

H Habsburg 168 Hamel 288 Hanriot 2 3 1 232, 261, 291, 310 Hassenfratz 221 Havrincourt, Marquis d ’ 60 ,

368

Hébert 200, 2to, 230, 238, 239, 254, 255, 256, 259, 260, 261, 273. 275, 285, 294, 296, 301, 303, 308, 309 Helvétius 54 Hénault 57 Hérault de Séchelles 179, 237, 285, 298, 301, 303 Herman 279, 305 d ’Hervilly 323 '■ Hervé 245 Hessen, Fürst Karl von 340 Hoche 246, 254, 255, 322, 334, 345 . 355 . 35 6 Houchard 254, 284, 293 Huber 45, 46 Huguenin 200 d ’Hugues de Lionne 41

250, 262, 302,

L Labrousse 82, 85 La Bruyère 25, 42 Lacépède 54 Lacombe 236 Lacoste 184, 186, 253 Lacretelle 89, 117, '312 La Fayette 53, 89, 106, 109, 110, 111, 122, 123, 126, 145, 149, 152, 155, 171, 185, 186, 190, 191, 199.

284,

359

336,

Laffont de Ladebat 348 Lafond, Chevalier de 323 Lafont de Savine 143 de Lagnÿ I47 Lalande 54 Laloy 298 La Luzerne 167 de La Mark 58 Lamballe, Prinzessin von 201 Lambesc, Prince'de 10, 98 Lameth 117, 123, 154, 176, 290 de Lamoignon 13, 73, 74, 77, 81, 86, 87 Lanjuinais 117, 203, 232, 337 Laplanche 73, 278 La Itévellière-Hépeaux 90, 117, 334, '

I ’Isnard 179, 232

J : Jambon 211 Jarente 143 Jaurès 178 Javogucs 273, 339, 340 Jeanbon Saint-André 284, 285 Jefferson 53, 54 Jomini 249 Jordan 344, 346 Josef XI., Kaiser 66 Joubert 359, 360 Jourdan 254, 255, 256, 317, 334, 335,

344

358. 359

Julien (von Drôme) 339 Julien (von Toulouse) 297, 299, 300, 301 Jullièn 187

'.

•’

1

K Karl der Große 8 Karl, .Erzherzog 335, 336, 358 Karl IV. von Spanien 220 Karolinger Ii Kaunitz, Fürst von 247 Kellermann 201 Kersairot 117 Kléber 243 Koburg, Herzog von. 224, 247, 249 Korff, Baronin de 148 Korsalcow 360 Kosciuszko 255-

,

La Rochejaquelein 227 Latouche 31 La Tour du Pain 124 La Tour La Montagne 282 La Tour-Maubourg 150 de Launay 99, 101 Lavisse.20, 335 Lavoisier 82, 280 Law 131 Lazowski 193, 339 Leawénworth 333 Lebas 214, 278, 300, 310 Lebon 278, 279, 339 Lebrun 131, 197, 198, 208, 231, 239 Le Chapelier 117, 154 Leclerc 258, 259, .260 Lecointe 273 Lecointre 339 Lefevre 363 Legendre 187, 312, 321, 322 Le Michaud d'Arçon 252 Lenormand 100 Lenôtre 150, 153, 279 Leopold, Kaiser 166, 174, 182, 184 Le Paige 333 Lepeletier de Saïnt-Fargeau 89, 214, 238 Lequinio 296 de Lespinasse 60

24 Ga x 11e, Revolution. 0

de Lessart 183 Le Tourneur 326, 334, 343 Le Trosne 31 Levasseur 57, 58 Levoisier 131 Lewis, Duc de 67 Lidon 238 Ligne, Prince de 58 Lindet 239, 252, 284, 285, 297, 313, 338

,

352

Linguet 38 Losset 319 Louis, Abbé 89 Louis Philippe (Sohn von Philippe Egalité) 198 ' Louvet 208 Ludwig VI. 10 Ludwig X I. 61 Ludwig X II. 10 Ludwig X III. 295 Ludwig XIV. 11, 13, 14,'20, 24, 36, 41, 42, 43, 45, 55, 57, 63, 68, 217, 220 Ludwig XV. 11, 14, 36, 51, 63, 65. 66, 67, 75, 84, 85, 98, 220, 237, 254, 264 Ludwig XVI. 12, 14, 24, 36, 58, 66, 68, 69, 70, 86, 93, 94, 97, 101, 104, 107, 108, 109, 110, 112, 115, 120, 122, 123, 140, 141, 143, 145, 147, 148, 149,150, 152, 153, 156, 157, 158, 163,,164, 165, 166, 167, 169, 170, 172, 174, 175, 176, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 194, 195, 196, 197, 202, 210, 211, 212, 213, 214, 22Ö, 228, 249, 252, 264, 283, 286, 295 (Louis Capet), 314, 333, 337, 343 Ludwig XVII. 224, 322 Ludwig XVIII. 252, 323, 341, 346 Lückner 185, 188 Lullier 302 Luther 170 de Luxembourg 57

M de Mably 57 Machault 13, 85 Macchiavelli 166 Macdonald 358 Macnemara 125 . Madelin 124, 239, 293, 311 Maillard 200 Maine, Fürstin du 57 Maisons, Präsident von 57 de Malesherbes 60, 61, 62, 67, 212 3 6 9

Montalembert 252 Montesquieu 43, 47, 133, 168 Montesquiou 218 Malouet 87, 106, 107, 109, 117, 120, Montjoye 221 121, 131, 191 Montmorency-Luxembourg, Herzog Malus 221 • von 89 Mandat 194, 195 de Montmorin 120, 121, 167, 191; Manuel 187, 190, 200, 293 201 Marat 54, 154, 156, 167, 177, 200, , Montpellier 233 203, 206, 207, 208, 211, 212, 214, Moreau 334, 335, 358, 359, 360, 362 225, 226, 227, 228, 232, 233, 234, Morellet 60 235, 238, 259, 260, 272, 291, 294, Morige 197, 208 312 , 3 M. 333 . 339 , Moselman 221 Marbot 352 Mothe, Comtesse de la 70 Marceau 243, 246 Mouchet 189 Marck, Comte de la 121, 171 Mouchy, Maréchal de. 189 Maréchal 338, 340 Moulin 135 Marie-Antoinette 67, 68, 70, 112, Moulins 352, 361, 362 -, ‘ 123, 147, 150, 151,-152, 157 . l6 5 Mouneray, Jean de la 30 166, 168, 173, 181, 185,'191,-195, Mounier 80, 94, 106, 110, 113, 154, 251, 293, 343 v, Marignane 118 Murat 336, 363, 364 Marion 30, 265, 270, 2S2, 313, 331 Murinais, Chevalier de 343 Marius Bourgeois 90 Marmont 12 n y . Marmontel 62 Marolle's 144 Napoleon siehe Bonaparte Masséna 358, 360 Narbonne, Comte de 181, 182, 183 Mathieu-Dumas 346, : ' ' de Narbonne-Fitzlar 109 Mathiez 22, 167, 197, 205, 259, 270, Naury 129 2 8 4 '/ . ' ’ . y Necker 24, 36, 37, 38, 63, 72, 81, 85, Mattez 320 86, 87, 89, 92, 94, 97, 98, 101, 109, Maupeou 13,. 69, 74, 77, 124 120, 121, 122, 130, 133 Maurepas 69 de Nehra 119 Mazuel 272 Nelson 357 Méhul 304 Nicole 306, 307 Menou, Marquis de 324 '. Noailles, Vicomte de 89, 104 Mercy-Argenteau 112, 250 de Noue 126 Mercier 54 Mergez 293 O Merlin (von- Douai) 315, 317, 322, Odilo 8 327, 346, 352 Odo 8 Merlin (von Thionville) 184, 193, Orceau de Fontette 15 246 d ’Orléans, Duc 60, 74, 90,. 94, 98, Michelet 161, 289' 103, 108, 113,198, 203, 293, siehe Minée 245 auch unter Louis Philippe Mirabeau, Honoré-Gabriel de RiOrry 15 queti Graf von' 89, 94, 97, 100, 117, 118, 119, 120, 121,-122, 123, P ’ . 128, 132, 138, 146, 168, 197, 200, 205, 211, 247, 288, 290, 292, 332 Pache 209, 210, 221, 223, 248, 261, 262, 272, 307, 321, 339 Mirabeau, Madame de 119 Pain 274 Mirabeau, Marquis de 38 Paine 216 , Molière 41 Palisse, de la 287 de Molleville 79, 191, 211 Palissot 62 Monge 198, 253 Palm, Etta = Baronne d’Aelders Monmoro 206 167 Monnier, Marquise de 118 Mallet du Pan 175, 181,'194, 314,

338

. 2

37 °

1

5

Panis 200, 203, 300 Parcin 272 . Paré 167 Parein 240 Pariset 335 P am y 54 Pascal 42 Pasquier 190 Pastoret 237 Payan, Claude 307 Pelet (von Lozère) 337 Pereyra 225, 261, 298, 300, 301, 303 Périer 253, 267 Petiet 335 Pétion 150, 151, 160, 169, 187, 190, ' 193. J94i 203, 232, 238 Phelippeaux 337 Pichegru 254, 256, 316, 321, 334, 344 . 34 8 Pick 221 Pinet 269 P itt 134, 167, 219, 220, 247, 250, 256, 260, 261, 270, 275, 301, 316 Pius VI., Papst' 140, 349. Plesselles 100 de Polignac 285 , Pons 339 ' Pouissin 41 Pourvoyeur 269 Précy, Comte de 234, 239, 342 Prévoteau 98 Prieur 243, 251, 252, 283. 284, 285, 322 Proili 225, 261, 298, 300, 301, 303 Provence, Comte de 121, 153, 173 Puisaye 323

Robespierre, Maximilien-Marie-Isidore de 54, 90, 114, 117, 169, 170, 179, 188, 193, 199, 203, 206, 207, . 208, 211, 212, 217, 225, 226, 229, 230, 238, 251, 257, 259, 262, 273, 279, 284, 285, 286, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 293, 296, 298, 299, 300, 301, 302, 303, 304, 305, 306, . 307. 3 o 8 . 3 ° 9 , 310. 311. 312 , 315. 339 , 34 °. 34 2* 350 . 353 . 3&3 Robespierre, Augustin (Bonbon) 307, 310, 325, 328 Robespierre, Charlotte 287, 291 Rochambeau 185 Roederer 187 de Rohan 54, 70 Roland 184, 186, 187, 197, 200, 201, 203, 207, 208, 209, 210, 214, 219, 231, 238, 327 Roland, Madame 231, 238 Romme 295, 322 Ronsin 221, 261, 272, 273, 302, 303 Rose, J. H. 167 Rossignol 200, 261, 321 Rotondo 187 Rouget de l ’Isle .192 Rousseau 27, 45, 47, 49, 51. 57 . 6 l67, 85, 275, 290, 297 Roux 206, 227, 230, 258, 259, 260 Rovère (Deputierter) 333 Rovère (Bischof) 333 Royer-Collard 261,. 344 Ruamps 254 de Ruffey 278 -, • Rühl 179 S

Quesnay 25 R

.

Rabaud-Saint-Etienne 90, 167 Racine 41 Ramel 330, 346 Rancourt 113 Raynal 53 Réaumur 48 Rebecqui 238 Renault Cécile 306 Reubell 315, 317, 326, 334, 344, 351 Réveillière 326, 352 Reynaud 44 Richelieu 57, 168, 219 Rions, Comte de 125 Rivarol 98, 162 Roberjot 357 >

24*

Sachsen, Marschall von 217 Sachsen-Teschen, Fürst von 216, 217 Sade, Marquis de 100 Saghman 223 Saige 236 de Saint-Amaranthe 306, 307 Saint-André, Jeanbon ,284, 285 Saint-Frageau 89 Saint-Just'115, 207, 212, 274, 275, 277, 278, 284, 283, 291, 300, 301, 303 . 305. 3 ° 9 , 310. 339 Saint-Priest, Comte de 109 Sainte-Claire Déville 230 Samson 213, 272 Santerre 187, 189, 196, 192, 193, 204, 213, 217, 226, 227, 231, 352, 362 Sauce 148, 149 de Sauvigny 102 Schérer 334

371

Schmidt 318 Schnerb 127 Seelÿ 220 Séguier 84 ' Ségur, Comte de 59 Servan 109, 184, 186, 187, 209 ' de Sèze 212, 337 •Sieyès 89; 90, 94, 129,.154, 317, 326 Silhouette 85, 351, 352, 360, 361, 362, 364 Siméon 346 Simson 231 Siret 269 Sombreuil 323 Sorel 173, 174. 181, 213, Soubrany 322 Spallanzani 47 de Stael 191 de Stainville 80 Stofflet 227, 246, 337 Suard 60

Turenne 217 ■ ^ ' Turgot 15, 24, 36, 46, 60, 70 Turreau 246, 339

Ussé, Marquis d ’ 57 160, 315, 358, 359

247, 252

Suworow 358, 359» 360 T Taine 46, 48, 55, 95. 104 57 2 33 . 276 . Talleyrand 89, 128, 129, 131, 143, 144, 184, 356, 360, 362 Tallien 203, 236, 305, 308, 310, 312, 322. 323 Talon 211 Target 89 Terray 36, 39, 66, 67 Thèlusson 37 Th Sot Cathérine 306 Théveneau de Morande 178 Thiard, Comte de 79, 80 Thibaudeau 313, 337 Thibault 313’ Tholomas 62 Thouret 128 Thuriot 284, 298, 299, 321 Tippou-Sahib 356 ; de Tourzel 113, 146, 147, 150, 152 Treilhard 35 °» 35 2 Trogoff 234 " Tronchet 212, 337 Tronson de Coudray 343, 346 Trudaines 89 Truguet 218, 332 Tubeuf 23 -

U

197, 198,

1

-

V Vadier 300, 306, 309, 321 > de Vaisnes 60 Valjidy 238 • Yalazé 238 Valence 222 Vandal 351, 355 Varennes, 284 ' Vauban 41, 251 Vaublanc 337 Vaugeois 193 Vergennes 83, 84 Vergnes 217 ' Vergniaud .161, 162, 179/ 183, 198, 212, 228, 232, , 238 Verlet 227, 231, 258, 260 Vernet 36, 37, 54 ' Veshis 113 Villaret-Joyeuse 284 Villars, Marsch all von 57 de Villeneuve 118 Vincent 221, 260, 261, 301, 302, 303 de Vissery 287, 288 Volnay 117 Voltaire 43, 45, 47, 54, 56,58, 61, 62, 63, 66, 141, x68, 297'

W Walpole 58 Walter, Gérard 291 • Wandling 231 Westermann 193, 215 Wimpfen 233, 234, 236 Wurmsèr 250, 254, 255 Y York, Fürst 250, 254 , Young 24 Yver, Van den 301

Z Zelada 140