Die Franziskuslegende in der Oberkirche von S. Francesco in Assisi: Und ihre Stellung in der kunstgeschichtlichen Forschung [Reprint 2020 ed.] 9783112360545, 9783112360538

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Die Franziskuslegende in der Oberkirche von S. Francesco in Assisi: Und ihre Stellung in der kunstgeschichtlichen Forschung [Reprint 2020 ed.]
 9783112360545, 9783112360538

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KUNSTWISSENSCHAFTLICHE STUDIEN BAND X

LILLI MARTIUS

DIE F R A N Z I S K U S L E G E N D E IN DER OBERKIRCHE VON S. FRANCESCO IN ASSISI U N D I H R E S T E L L U N G IN DER K U N S T G E S C H I C H T L I C H E N FORSCHUNG

DEUTSCHER KUNSTVERLAG B E R L I N 1932

DRUCK VON J. J. AUGUSTIN IN GLOCKSTADT UND HAMBURG

INHALT VORWORT I. DIE

ERGEBNISSE

VII DER

KUNSTGESCHICHTLICHEN

FORSCHUNG

1

1. DIE QUELLEN

3

2. VON DELLA VALLE BIS BURCKHARDT

9

3. VON SCHNAASE UND CROWE UND CAVALCASELLE BIS THODE

17

4. DIE STEIGERUNG DES INTERESSES AN DEN FRESKEN DES HOCHSCHIFFES 25 5. DIE FRAGE NACH DEN GOTISCHEN WURZELN DER KUNST GIOTTOS 31 6. DER STANDPUNKT UM DAS JAHR 1907 7. DIE ABLEHNUNG DER FRANZISKUSLEGENDE ALS GIOTTOS DURCH FR. RINTELEN

37 WERK 45

8. GEGENSTRÖMUNGEN UND ZUSTIMMUNGEN: A. DIE THEORIE VON SCHMARSOW

52

B. SIREN, SUPINO UND VAN MARLE

59

9. AUSWIRKUNG UND WEITERENTWICKLUNG: A. WEIGELT UND BEDA KLEINSCHMIDT

67

B. ROSENTHAL, DVORÄK UND TOESCA

74

10. ZUSAMMENFASSUNG

82

II. ZUR FRAGE DER ERHALTUNG, DATIERUNG UND ZUSCHREIBUNG

85

1. TECHNIK UND ERHALTUNGSZUSTAND

85

2. DIE BILDGESTALTUNG DES FRANZISKUS-ZYKLUS

96

3. DIE FRESKEN IM HOCHSCHIFF UND DIE RÖMISCHE KUNST . 116 4. DIE FRAGE DER MEISTERBESTIMMUNG

. 135

V

III. TABELLEN (als Beilagen a m Schluß) TABELLE I: Die Meisterbestimmung des Franziskuszyklus von Ghiberti bis zur Gegenwart. TABELLE II: Die Meisterbestimmung der Fresken des Alten u n d Neuen Testamentes im Hochschiff. (Auf der Rückseite v o n Tabelle I.) TABELLE III: Das Werk von Giotto im Urteil der Forschung. IV. SCHEMA D E R B I L D E R F O L G E neben Tabelle I I . V. D I E B I L D E R als Beilage am Schluß.

VI

VORWORT Es ist in dieser Arbeit versucht worden, ein Stück Geschichte der Kunstgeschichte darzustellen und an einer Stelle, die seit einhundert Jahren im Brennpunkt der kunsthistorischen Forschung steht, der Oberkirche von S. Francesco in Assisi, die Probleme, die sich um die Zusammenhänge, um Zeit- und Meisterbestimmung entwickelt haben, herauszuarbeiten. Nicht ohne Zagen wird diese Studie der Öffentlichkeit übergeben, und es soll nicht ohne die Versicherung geschehen, daß in der Behandlung des Textes nach größtmöglichster Objektivität gestrebt worden ist. Ich bitte um Nachsicht, wo dies nicht genügend zum Ausdruck kommen sollte. Bei der vielfachen und vielseitigen Bearbeitung des Themas schien eine einfache zusammenfassende Darstellung nicht ausreichend; daher sind zur Ergänzung des Textes in zwei Tabellen die Forschungsergebnisse über die Franziskuslegende und die Szenen des Alten und Neuen Testamentes im Hochschiff schematisch geordnet. In einer dritten Tabelle steht das gesamte Werk von Giotto verzeichnet, wie es sich in der Spezialforschung darstellt. Bei dieser dritten Tabelle war eine gewisse Beschränkung notwendig, um die Übersichtlichkeit zu wahren. Sie soll nur zur Erweiterung des Textes dienen und kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen. Es ist mir ein Bedürfnis, an dieser Stelle allen denen meinen Dank zu sagen, die mir ihre Hilfe zu Teil werden ließen. Vor allem sei meine tief empfundene Dankbarkeit Herrn Professor Dr. Haseloff zum Ausdruck gebracht, der die Anregung zu der Arbeit gab und mir mit unermüdlichem Interesse und seinem freundschaftlichen Rat zur Seite stand. Ferner danke ich Herrn Dr. Beda Kleinschmidt für die Überlassung seines photographischen Materials, Herrn Direktor Dr. Koetschau für die freundliche Vermittlung der Herstellung der Photographien nach den Aquarellen von J . A. Ramboux, sowie dem Deutschen Kunstverlag für das Entgegenkommen und die Mühewaltung bei der Drucklegung. Kiel, im Oktober 1931

L. M a r t i u s .

VII

I. DIE ERGEBNISSE DER KUNSTGESCHICHTLICHEN FORSCHUNG.

D

I E F r a n z i s k u s l e g e n d e in der O b e r k i r c h e v o n S. F r a n c e s c o in A s s i s i 1 hat von jeher die kunsthistorische Forschung auf das Lebhafteste beschäftigt. Der Ort, an dem sich das Werk befindet, die Stätte, wo der heilige Franziskus begraben liegt, die Bedeutung des Zyklus als der ältesten erhaltenen monumentalen Darstellung der Geschichte seines Lebens und Wirkens, die" kunstgeschichtlich, besonders wichtige Epoche am Ausgang des Mittelalters, der die Folge angehört, der umstrittene Zusammenhang mit Giotto — nach Friedrich Rintelen handelt es sich in bezug auf Giotto um das schwierigste Problem —, alle diese Umstände haben zu immer neuen Versuchen geführt, eine sichere Grundlage für den Kunstkreis, die Künstlerperson und die Zeit der Entstehung des Werkes zu finden. Immer wieder sind die gleichen Fragen erörtert worden, hat man sich um die Lösung der Probleme bemüht. Die erweiterte Kenntnis der Geschichte der Kunst des Dugento hat die Gesichtspunkte mannigfaltiger gestaltet, durch die Forschungen der letzten Jahrzehnte über das Trecento hat sich das Urteil über Giotto geklärt, und manches, das für ihn in Anspruch genommen worden ist, ja, das bestimmend für die Beurteilung seiner Kunst wirkte, ist seiner Schule zugewiesen worden. Das umstrittene Werk bleibt die Franziskuslegende, die bald eine wichtige Rolle für das Verständnis seiner Kunst spielt und bald schroffe Ablehnung erfährt. Die Gegensätze, die sich vor über hundert Jahren 1

Abbildungen der gesamten Malereien von S. Francesco am vollständigsten bei Beda Kleinschmidt, Die Basilika S. Francesco in Assisi, I—III, 1915—28. Dort eine Zusammenstellung der S. Francesco betreffenden Literatur. Für die Franziakusiegende siehe auch die Abbildungen bei Weigelt, Curt H., Giotto, Klassiker der Kunst, 1925 (wo Bild 24 fehlt). Photos Alinari und Anderson. Die Giotto-Literatur ist kritisch besprochen von Fr. Bintelen (Giotto und die Giottoapokryphen, 1923, II. Aufl.). Literaturzusammenstellungen von Rintelen (Thieme-Becker, Künstler-Lexikon, Bd. 14), von van Marie (The development of the italian schools of painting III. 1924, S. 1). Chronologische Zusammenstellung der Literatur und Besprechung bei Hausenstein (Giotto, 1923). In dem vorliegenden Buch sind die Abbildungen zitiert wie folgt: B. Kl. nach Beda Kleinschmidt, AI. nach Alinari, W. „ Weigelt, And. „ Anderson. M. „ van Marie, 1

Martins.

1

herausbildeten, bestehen weiter u n d von einer Übereinstimmung der Meinungen k a n n noch keineswegs gesprochen werden. Nicht allein die Frage der Autorschaft Giottos wird hin und her diskutiert, ob dem Schöpfer der Fresken der Arena-Kapelle in P a d u a und in S. Croce in Florenz das Werk in Assisi vollständig oder teilweise zuzuschreiben sei, sondern ebenso die Frage der zeitlichen Ansetzung. Gehört die Franziskuslegende der Jahrhundertwende an oder ist sie später als die genannten großen Schöpfungen Giottos entstanden, muß sie in den Umkreis der zahlreichen in Giottos Gefolgschaft ausgeführten Werke verwiesen werden. Es ist f ü r die Schwierigkeiten der Probleme bezeichnend, daß ein scharfer Gegensatz der Meinungen durch das ganze X I X . Jahrhundert und bis zum heutigen Tage fortbestehen konnte, obwohl das Urteil über Giotto sich grundsätzlich gewandelt h a t : nicht nur hat sein Werk eine bedeutende Einschränkung erfahren, sondern vieles, was den älteren Generationen das eigentliche Wesen seiner Kunst vermittelte — wie die Allegorien in der Unterkirche von S. Francesco in Assisi —, glaubt man nunmehr nur der Werkstatt und Nachfolge Giottos zusprechen zu dürfen.

2

1. DIE QUELLEN.

E

I N E zeitgenössische Schriftquelle weiß von Giottos Tätigkeit in Assisi zu berichten. Bekanntlich vermerkt Riccobaldus von Ferrara in seiner Compilatio cronologica unter dem J a h r e 1305: „Cottus pictor eximius florentinus agnoscitur. Qualis in arte fuerit testantur opera facta per eum in ecclesiis minorum Assisi, Arimini, Padue, ac per ea que pinxit palatio communis Padue et in ecclesia Arene Padue 1 ." Riccobaldus schrieb seine Aufzeichnungen, die mit dem J a h r 1313 abschließen, in Ravenna. Dieser Zeitgenosse Giottos berichtet also schon im J a h r e 1313 von ihm bekannten Werken des Künstlers in Assisi, Rimini und Padua, und in dieser Aufzählung, die insbesondere Minoritenkirchen nennt, steht Assisi wohl nicht zufällig am Anfang. Die Richtigkeit der Stelle dürfte k a u m zu bezweifeln sein; sie findet sich in allen Handschriften des Riccobaldus 2 . Die geäußerte Annahme einer Interpolation h a t sich bisher in keiner Weise überzeugend stützen lassen 3 . Diese Nachricht bei Riccobaldus ist die älteste und die einzige zeitgenössische, die sich über Giottos Tätigkeit in Assisi erhalten h a t . I m XV. Jahrhundert m u ß aber schon eine feste Tradition bestanden haben, die seinen Namen mit der Kirche S. Francesco verband: in den Commentaren Papst Pius I I . (Tab. 1/2) werden in einer freilich sehr allgemeinen Form, die aber den Eindruck einer gewissen Selbstverständlichkeit macht, bei der Beschreibung von S. Francesco die Werke Giottos, des berühmten Malers, hervorgehoben 4 . Fast gleichzeitig mit diesen Commentaren des gelehrten Papstes schrieb Ghiberti (Tab. 1/1, H I / 1 ) seine Aufzeichnungen, die bekanntlich f ü r Assisi den vielumstrittenen Satz enthalten: 1

B. Kleinschmidt II. S. 155. Muratori, Rer. Ital. Scriptores IX. S. 193. Über die Handschriften des Riccobaldus s. Holder-Egger, Neues Archiv f. ältere deutsche Geschichtsforschung XI. 1885, S. 277—284. s Rintelen, Fr., Giotto, II. Aufl., S. 152 erwägt die Möglichkeit einer Interpolation in der Urhandschrift ohne genügende Begründimg und bringt die Riccobaldus-Stelle auf jeden Fall mit der Franziskuslegende in Verbindung; er will den Riccobaldus als Zeugen anerkennen, wenn sich sonst erweisen ließe, daß Giotto der Meister der Franziskuslegende sei (II, S. 153). Durch Riccobaldus erfahren wir nur, daß 1313 Werke Giottos in Assisi waren, und seine Angabe braucht sich nicht auf die Franziskuslegende zu beziehen. Der Ansicht Rintelens, daß die Notiz des Riccobaldus einen zufälligen Charakter habe, dürfte nicht zuzustimmen sein. 1 Pii secundi pontificis max. commentarii. Roma 1584, Francoforti 1614, p. 42. 2

1*

3

„Dipìnse nella chiesa d'Asciesi nell'ordine de frati minori quasi t u t t a la parte di sotto 1 ." Hier h a t f ü r die Malereien Giottos zum ersten Male ein bestimmter Teil der Kirche bezeichnet werden sollen, aber die sonst so zuverlässigen Commentare Ghibertis bleiben infolge der allzu großen Knappheit der Angabe unklar. Die Bezeichnung „ p a r t e " ist mißverständlich. F ü r die Unterkirche, auf die diese Nachricht Ghibertis von der Mehrzahl der Forscher bezogen wird 2 , ist sie n i c h t gebräuchlich 3 ; u n d will man sie auf den unteren Teil der Oberkirche, also auf die Franziskuslegende beziehen, so ist dagegen einzuwenden, daß bei einer Doppelkirche ein Anhalt für die Richtigkeit einer solchen Interpretation nicht zu erbringen ist. Es bleibt immer die zweite Möglichkeit der Deutung auf die Unterkirche bestehen. Wie auch Rintelen und Beda Kleinschmidt bemerken, t r ä g t die Nachricht den Charakter des Unbestimmten und Flüchtigen, und die Entscheidung, ob Ober- oder Unterkirche gemeint sein soll, wird der subjektiven Einstellung überlassen. So fehlt also an dieser Stelle, ebenso wie bei allem, was sonst über die Jugend Giottos überliefert ist, eine sichere Grundlage. Bekanntlich ist schon das D a t u m seiner Geburt nach zwei Nachrichten verschieden bestimmbar: Vasari gibt 1276 an, Antonio Pucci, der 1334 im Dienst der Stadt Florenz stand, weiß in den Centiloquii zu berichten, daß Giotto 1336 siebzigjährig gestorben sei. Es läßt sich also mit gleicher Berechtigung annehmen, daß bei Vasari eine Verwechslung des Geburtsjahres vorliegt oder bei Pucci ein Schreibfehler, je nachdem man das D a t u m 1276 oder 1266 f ü r wahrscheinlicher hält. Die neuere Forschung neigt dazu, das letztere D a t u m anzunehmen 4 ; ein Grund dafür wird neben der Bevorzugung der Nachricht des Pucci als der älteren Quelle in dem Auftrag des Enrico Scrovegni gesehen, der mit Notwendigkeit voraussetze, daß Giotto sich durch große Arbeiten bereits einen Namen gemacht habe. Das Geburtsjahr 1276 würde die Ausführung selbständiger Arbeiten vor der Arena-Kapelle unwahrscheinlich machen. Diese Überlegung verliert durch den Dante-Kommentar des Benvenuto Rambaldi da Imola 5 , der, zwischen 1336 und 40 geboren, dieses Werk in Ferrara in den achtziger J a h r e n des Jahrhunderts abgeschlossen hat, kaum an Wahrscheinlichkeit, denn sein Hinweis, daß Giotto, als er in der Arena malte, noch „adhuc satis juvenis" gewesen sei, dürfte auf einen Mann von Mitte dreißig J a h r e n sehr wohl zu beziehen sein. 1 2

3 4 5

Schlosser, J., Lorenzo Ghiberti, Berlin 1912, I. S. 36. So Schlosser, a. a. O. II. S. 115, Anm. 11, und Rintelen, a. a. O. II. S. 215, wo die Vermutung der Übernahme einer fremden Nachricht ausgesprochen wird. s. dazu B. Kleinschmidt, II. S. 157. z. B. Berenson, Venturi, Supino, Toesca, van Marie. F. X. Kraus, Dante , Berlin 1897, S. 515ff.

4

Angeblich urkundliche Beweise f ü r einen Aufenthalt von Giotto in Rom um 1298 haben lange auf die Chronologie seines Jugendwerkes bestimmend gewirkt. Die in dem Nekrolog des Kardinals Stefaneschi genannten Werke, die Navicella und die Altartafel f ü r die Peterskirche (Sakristei von S. Peter) (Abb. W . S. 191—199), sind der Ausgangspunkt für die Beurteilung des jungen Giotto gewesen. Lionello Venturi 1 h a t in gründlicher Studie nachgewiesen, daß der Aufenthalt Giottos in Rom durch den Nekrolog zeitlich nicht festgelegt wird, da der Nekrolog nur die Tatsache des Vorhandenseins der Navicella, aber kein D a t u m enthalte, und daß die Zeitangaben f ü r beide Werke Erfindungen des X V I I . Jahrhunderts seien. Aus dem Schweigen des Riccobaldus über eine Anwesenheit Giottos in Rom glaubt L. Venturi schließen zu können, daß u m die Jahrhundertwende keine Werke Giottos in Rom gewesen seien. Die Navicella ist so sehr durch Restaurationen, von denen schon Baldinucci 2 zu berichten weiß, zerstört, daß Rintelen sie nur noch unter den Apokryphen behandelt. Und wenn Graf Vitzthum 3 neuerdings den äußerst begrüßenswerten Versuch gemacht h a t , aus den Kopien den ursprünglichen Kern herauszuschälen, so bleibt doch der verändernde Schleier, der uns auch von den Fresken in S. Crocetrennt und der der stilkritischen Forschung Hindernisse bereitet. Erst eine Urkunde aus dem J a h r e 1313 legt den Zeitpunkt eines römischen Aufenthaltes von Giotto fest. Er beauftragt einen K a u f m a n n Benedetto f u Pace, von seiner Wirtin Hausrat zu besorgen 4 , den er dort zurückgelassen hat. Mag diese Nachricht auch auf eine längere Anwesenheit Giottos in Rom vor 1313 schließen lassen, so k a n n sie, da immer die Ausmalung der Arena-Kapelle in P a d u a eine feste Zeitbegrenzung nach unten abgibt, zur Klärung der Entwicklung des Künstlers nicht beitragen. Der Ausgangspunkt f ü r eine Untersuchung der Stellung der Franziskuslegende in der kunstgeschichtlichen Forschung m u ß bei Vasari genommen werden. Er ist der erste, der das Werk in der Oberkirche in Assisi deutlich und klar als Giottos Werk bezeichnet. Wenn auch seine Lebensbeschreibungen, gelobt oder getadelt, der älteren u n d der neueren Forschung richtunggebend geblieben sind, haben die phantasievollen Ausschmückungen, die willkürlichen Ubernahmen und Zusätze ihre Wertschätzung vielfach beeinträchtigt. Freys und Kallabs 5 sorgfältigen Untersuchungen ist nicht nur zu danken, 1 2 3 4 5

L. Venturi, l'Arte XXI. 1918, S. 229ff. S. dazu auch Supino, Giotto, 1920, S. 57. Baldinucci, Fil., Notizie de' professori del disegno, Firenze 1681, I. S. 48. Festschrift Paul Schubring, S. 144ff. Chiappelli, L., L'Arte XXVI. 1923, S. 132ff. Frey, K., II codice Magliabecchiano, Berlin 1892. „ Vasari, Le Vite, Bd. I. 1911. „ « M Loggia dei Lanzi, Berlin 1885. Kailab, W., Vasari-Studien, Wien 1908, S. 148ff

5

daß Wahrheit und Dichtung geschieden wurden, sondern, daß die Art der Verarbeitungen der Quellen geklärt worden ist, soweit freilich auch ihrer gründlichen Forschung das Dunkel zu lichten gelingen konnte. Vasari (Tab. 1/5, I I I / 4 ) schöpft in seiner ersten Ausgabe f ü r Assisi aus Ghiberti und aus einer Quelle, die auch dem Libro des Antonio Billi zugrunde liegt. Er berichtet über Ciottos Schülerschaft von Cimabue, mit Ghiberti will er von Malereien Giottos in S. Maria degli Angeli wissen. Über die Kirche von S. Francesco in Assisi sagt er: 1 „e nella chiesa d'Ascesi de frati minori t u t t a la chiesa dalla b a n d a di sotto." An Stelle des „ t u t t a la parte di sotto" des Ghiberti ist „ t u t t a la chiesa dalla banda di sotto" getreten. Es ergibt sich die gleiche Schwierigkeit wie bei dem Wortlaut des Ghiberti: wir haben keinen klaren Hinweis, an welcher Stelle die Fresken Giottos zu suchen sind. Freilich k a n n „ b a n d a " kaum etwas anderes als Streifen bedeuten, und somit ließe sich die Stelle als „Giotto malte vom unteren Streifen a n " verstehen. Es besteht also keine Berechtigung, die Angabe nur auf die Unterkirche beziehen zu wollen und die Möglichkeit, daß die Oberkirche gemeint sei, allzusehr zurücktreten zu lassen. Uberzeugend läßt sich aber weder nach der einen noch nach der anderen Seite auf dieser Grundlage die Frage entscheiden. Nimmt man jedoch den Text der zweiten Ausgabe von 1560 hinzu, so d ü r f t e die Richtigkeit der Ausdeutung von Vasaris Nachricht auf die Oberkirche an Wahrscheinlichkeit gewinnen. Dieser Textunterschied zwischen der ersten u n d zweiten Ausgabe m u ß daher als sehr wesentlich angesehen werden. Die zweite Ausgabe (Tab. 1/6, H I / 5 ) geht wesentlich über die erste hinaus. Vasari beginnt im Leben Cimabues mit einer genauen Beschreibung der Bilderfolge der Kirche: die Passions- und Franziskus-Szenen im Langhaus der Unterkirche werden zuerst genannt ; daran schließen die Malereien im Querschiff der Oberkirche, der Marienzyklus, diejenigen in den Gewölben und die Szenen des Alten und Neuen Testamentes im Hochschiff des Langhauses und an der Eingangswand. I m Leben Giottos steht dann verzeichnet : „nella chiesa di sopra dipinse a fresco sotto il corridore che attraversa le finestre trenta due storie della vita e f a t t i di San Francesco." 2 Vasari spendet Giottos Meisterschaft großes Lob, er bewundert z. B. die Naturbeobachtung, er hebt Einzelheiten, wie die Gestalt des durstenden Bauern, hervor. E s folgt die Beschreibung der Unterkirche, der Allegorien, der Jugendgeschichte. Ein I r r t u m unterläuft ihm mit der Nennung einer falschen 1

Vasari, G„ Le Vite 1550, I. S. 41.

6

8

Vasari-Milanesi, I. S. 377.

Zahl für den Franziskus-Zyklus — er spricht von 32 anstatt von 28 Bildern —, der aber angesichts der vielen richtigen Tatsachen kaum ins Gewicht fallen dürfte. Die Angabe, daß Fra Giovanni di Muro Giotto nach Assisi berief, legt den Zeitpunkt der Entstehung des FranziskusZyklus auf die Jahre 1296—1304 fest. Diese ausführliche und richtige Beschreibung in der zweiten Ausgabe ist das Ergebnis von Vasaris Reise nach Assisi im Jahre 1563, von der er im Leben Cimabues berichtet. Der betreffende Teil der Viten ist schon unmittelbar danach, 1564, gedruckt worden1. Daß Vasari eifrigst um die Ergänzung und Verbesserung seines Werkes bemüht war und daß er durch vielfache Reisen seine Kenntnisse zu erweitern suchte, teilt er in der Einleitung der zweiten Ausgabe mit. In der Darstellung Giottos lassen sich mehrfach auf Autopsie beruhende Angaben nachweisen, z. B. für die Malereien in Pisa, die Franziskustafel und die Hiobsgeschichten im Camposanto, ebenso für die Navicella. Diesen stehen zwar an der gleichen Stelle zahlreiche willkürliche Ergänzungen sowie Erweiterungen aus literarischen Quellen gegenüber: es wird z. B. der Aufenthalt in Arezzo hinzugefügt, die Reise nach Ober-Italien erfährt eine ganze Reihe Zusätze, Vasari übernimmt die Nachricht des Albertini, daß Giotto unter Benedikt X I . in Avignon gemalt habe (fälschlich gibt er Benedikt I X . an), und er überträgt so den von Albertini gemachten Irrtum der älteren Nachricht des Piatina, der von einer nicht zur Ausführung gekommenen Berufung nach Avignon unter Benedikt X I I . wissen wollte. Willkürlich schließt er daran einen weiteren Aufenthalt Giottos in Frankreich. Für den hier vorliegenden Zusammenhang ist wesentlich der Gegensatz der aus literarischer Quelle schöpfenden ersten zu der auf Anschauung beruhenden zweiten Ausgabe. Nun setzt Vasari die Oberkirche an die erste Stelle, nun gibt es für ihn keinen Zweifel, daß die Franziskuslegende von Giotto ist. Und somit ist es durchaus berechtigt, auch die Angabe „banda di sotto" für den unteren Teil der Oberkirche in Anspruch zu nehmen. Mag die Unbestimmtheit der ganzen Angaben eine sichere Klarstellung nicht ermöglichen, so weist die Entwicklung der drei in Zusammenhang stehenden Schriftstellen, derjenigen des Ghiberti und der zwei wichtigen Lesarten bei Vasari, mit größter Wahrscheinlichkeit darauf hin, daß die Franziskuslegende gemeint ist. Auch die erste Beschreibung der Kirche von S. Francesco von Ludovico da Pietralunga 2 (Tab. 1/7), der 1580 starb, dessen Schrift also nicht lange nach Vasari entstanden sein kann, nennt Giotto als Meister des Franziskuszyklus. Ausführlicher werden die dem Meister zugeschriebenen Werke, 1 2

Kailab, a. a. O. S. 295. Ms. 148 d. Bibl. com. zu Assisi, s. Beda Kleinschmidt III. S. 8ff.

7

besonders die Allegorien, in der Ordensgeschichte des Rodulphus 1 beachtet, und für die lokale Tradition bleibt es von nun an eine Tatsache, daß Ciotto der Meister des Franziskuszyklus ist. Die Kunsthistoriographie übernimmt das von Vasari aufgestellte Werk Giottos und gibt es mit mehr oder weniger Vollständigkeit weiter. Vielfach läßt die Flüchtigkeit und Ungenauigkeit dieser Wiederholungen den rein literarischen Zusammenhang durchfühlen, so bei Borghini2, der einen großen Teil dessen, was an Werken Giottos in Florenz aufgezählt worden war, ausläßt. Bei Félibien-des-Avaux3, dem Freunde Poussins und Sekretär und Antiquar der Akademie, bleibt bei einer Betonung alles Anekdotenhaften eine karge Aufzählung der von Vasari angegebenen Orte, an denen sich Werke Giottos befinden sollen, unter denen übrigens Assisi fehlt. Die im XVII. Jahrhundert vielfach gegen Vasari einsetzende Kritik richtet sich nicht gegen die Zuschreibungen; sie tritt vielmehr seiner Gesamtauffassung entgegen, seiner Darstellung, daß Florenz Geburtstätte der neuen Kunst sein soll und Cimabue und Giotto, florentinische Künstler, deren erste Vertreter. Die verschiedenen lokalen Künstlergeschichten äußern diese Kritik in mehr oder weniger einseitiger Form : so fordert z. B. Malvasia4 für Bologna wenigstens die gleiche Stellung, die Vasari Florenz einräumt, Ridolfi® gibt auf sachlicher Grundlage Beispiele vorgiottesker Kunst in Venedig, während Baglione 6 den Ruhm, die römische Kunst wiedererweckt zu haben, einem Römer, und zwar dem Pietro Cavallini zuweisen möchte, dem er ein zahlreiches, unbestimmtes Werkverzeichnis eigen macht. Baldinucci7 (Tab. 1/8, III/7) will im Gegensatz zu aller lokalen Einseitigkeit einen objektiveren Standpunkt einnehmen. Mit vieler Gründlichkeit bemüht er sich, für Vasaris Angaben Berichtigungen und erklärende Hinweise zu geben. Er sucht das Geburtsjahr Giottos zu bestimmen, er macht, wenn auch fälschlich, auf das Datum 1298 für den römischen Aufenthalt aufmerksam, er berichtet über die Restaurationen der Navicella. In Bezug auf die Franziskuslegende steigert er Vasaris Werturteil: „Giotto mostrò in queste opere più che in ogni altra fatta fino allora con quanta verità egli potesse dirsi vero restauratore dell'arte." Petrus Rodulphus, Historiarum Seraphicae religionis libri tres. II. S. 247. Venedig 1586, s. Thode II. Aufl. S. 611. 2 Borghini, R., Il riposo, Siena 1787 (Florenz 1584), S. 54ff. (Tab. III/6). 3 Félibien-des-Avaux, A., Entretiens sur les vies et les ouvrages dee plus excellents peiDtres. (1666—88) London 1705, I. S. 89ff. 4 Malvasia, Le pitture di Bologna (1686), V. Ausg. Bologna 1766, S. 2. * Ridolfi, Carlo, Le Maraviglie dell'Arte, Venedig 1648, S. 13. • Baglione, Giovanni, Le Vite de' Pittori, Rom 1642, S. 3. 7 Baldinucci, Fil., a. a. O. I. S. 44 ff. 1

8

Und er erhöht dann die Bedeutung von Giotto noch im allgemeinen: Giotto „inventore", nicht nur „restauratore" der neuerwachenden Kunst, während Cimabue, der hergebrachten Meinung entsprechend, der Verbesserer der „goffa maniera greca" bleibt. Baldinuccis kritische Versuche und seine Bemühungen über Vasari hinauszukommen, gelingen nur hin und wieder und scheitern im allgemeinen an der ihn beherrschenden Autorität des Aretiners; in seiner Apologie, in der er durch eine Übersicht der Aussagen aller älteren Schriftsteller die Vormachtstellung von Florenz beweist, zeigt er aber, daß er sich von lokaler Einseitigkeit nicht befreien kann, und im Grunde ist es doch Florenz, das ihm, dem Florentiner, zu preisen am Herzen liegt. Die Beschreibung der Kirche in dem „Paradieseshügel" des Padre Angeli1 setzt den Faden der lokalen Tradition fort. In ziemlich ausführlichem Eingehen auf die Malereien — die Fresken des Querschiffes der Oberkirche werden zwischen Giunta und Cimabue geteilt — wird Giotto besonders als Meister der Allegorien verherrlicht. Die Franziskuslegende findet nur ganz kurze Erwähnung. Padre Angeli bemerkt — offenbar von dem Wunsch ausgehend, Vasaris Nachricht, daß Cimabue Giottos Lehrer sei, sichtbar zu belegen —, Giotto habe vielleicht schon an den beiden Fresken des Eingangsjochs, „Himmelfahrt" und „Pfingsten", gearbeitet, eine Andeutung, die hier rein aus der literarischen Quelle heraus zu bewerten ist.

2. VON DELLA VALLE BIS BURCKHARDT. INE neue Epoche der Forschung beginnt, als in der Generation nach E Winckelmann Verständnis für frühitalienische Malerei erwacht und so die notwendige Voraussetzung einer objektiveren Beurteilung nach

einer langen Periode des Verkennens und Vergessens gegeben wird. An Stelle der Künstlergeschichte tritt die Kunstgeschichte. Langsam wird der Weg zu den Denkmälern selbst gefunden, und es wächst die Erkenntnis für Zusammenhang und Tradition mittelalterlicher Kunst auf italischem Boden. Die neue Bewegung bereitet sich allmählich vor. Wenn de Brosses2 im Jahre 1739 schon aus richtigem historischen Gefühl auf Grund des Datums 1221 von Guidos Madonna aus S. Domenico in Siena den Vorrang Cimabues bestreitet und wenn aus seinen Briefen eine erstaunlich große Beachtung aller vorraffaelitischen Kunst ersichtlich wird, so hält er es dabei noch für richtig, die Werke von Cimabue, Giotto, Gaddo Gaddi,

Angeli, Fr. M., Collis Paradisi amoenitas seu sacri conventus assisiensis historiae, Montefalisco 1704. 2 de Brosses, Charles, Lettres d'Italie, Paris 1928, I. S. 225. 1

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Und er erhöht dann die Bedeutung von Giotto noch im allgemeinen: Giotto „inventore", nicht nur „restauratore" der neuerwachenden Kunst, während Cimabue, der hergebrachten Meinung entsprechend, der Verbesserer der „goffa maniera greca" bleibt. Baldinuccis kritische Versuche und seine Bemühungen über Vasari hinauszukommen, gelingen nur hin und wieder und scheitern im allgemeinen an der ihn beherrschenden Autorität des Aretiners; in seiner Apologie, in der er durch eine Übersicht der Aussagen aller älteren Schriftsteller die Vormachtstellung von Florenz beweist, zeigt er aber, daß er sich von lokaler Einseitigkeit nicht befreien kann, und im Grunde ist es doch Florenz, das ihm, dem Florentiner, zu preisen am Herzen liegt. Die Beschreibung der Kirche in dem „Paradieseshügel" des Padre Angeli1 setzt den Faden der lokalen Tradition fort. In ziemlich ausführlichem Eingehen auf die Malereien — die Fresken des Querschiffes der Oberkirche werden zwischen Giunta und Cimabue geteilt — wird Giotto besonders als Meister der Allegorien verherrlicht. Die Franziskuslegende findet nur ganz kurze Erwähnung. Padre Angeli bemerkt — offenbar von dem Wunsch ausgehend, Vasaris Nachricht, daß Cimabue Giottos Lehrer sei, sichtbar zu belegen —, Giotto habe vielleicht schon an den beiden Fresken des Eingangsjochs, „Himmelfahrt" und „Pfingsten", gearbeitet, eine Andeutung, die hier rein aus der literarischen Quelle heraus zu bewerten ist.

2. VON DELLA VALLE BIS BURCKHARDT. INE neue Epoche der Forschung beginnt, als in der Generation nach E Winckelmann Verständnis für frühitalienische Malerei erwacht und so die notwendige Voraussetzung einer objektiveren Beurteilung nach

einer langen Periode des Verkennens und Vergessens gegeben wird. An Stelle der Künstlergeschichte tritt die Kunstgeschichte. Langsam wird der Weg zu den Denkmälern selbst gefunden, und es wächst die Erkenntnis für Zusammenhang und Tradition mittelalterlicher Kunst auf italischem Boden. Die neue Bewegung bereitet sich allmählich vor. Wenn de Brosses2 im Jahre 1739 schon aus richtigem historischen Gefühl auf Grund des Datums 1221 von Guidos Madonna aus S. Domenico in Siena den Vorrang Cimabues bestreitet und wenn aus seinen Briefen eine erstaunlich große Beachtung aller vorraffaelitischen Kunst ersichtlich wird, so hält er es dabei noch für richtig, die Werke von Cimabue, Giotto, Gaddo Gaddi,

Angeli, Fr. M., Collis Paradisi amoenitas seu sacri conventus assisiensis historiae, Montefalisco 1704. 2 de Brosses, Charles, Lettres d'Italie, Paris 1928, I. S. 225. 1

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Lippi als „très méchants ouvrages pour la p l u p a r t " 1 zu bezeichnen, u n d sein Besuch bei Muratori veranlaßt ihn zu der Äußerung, alles, was in den „vilains siècles d'ignorance" entstanden sei, nicht mit „antiquités", sondern mit „vieilleries" zu benennen 8 . Muratori 3 dagegen sucht einmal f ü r die Kunstentwicklung dieser barbarischen J a h r h u n d e r t e Zusammenhänge in Italien zu finden u n d bemüht sich zum anderen mit größerer Nachsicht diesen mittelalterlichen Denkmälern, bei denen zwar „la finezza greca e romana" fehle, die aber „ u n a veneranda maestà e magnificenza" zeigten, eine gewisse Wertung zuteil werden zu lassen. Man versucht nun auch, die Denkmäler durch Abbildungswerke zugänglich zu machen. Als erste größere Veröffentlichung erscheint im J a h r e 1819 die Sammlung des Chevalier Seroux d'Agincourt 4 , deren Anfänge aber mehrere Jahrzehnte zurückliegen. Schon Goethe erwähnt sie als „höchst interessant und sehr merkwürdig" 6 . Das Werk f ü h r t den bezeichnenden Titel : „Histoire de l'art par les monuments". Unter den Umrißstichen sind einige der Fresken aus der Oberkirche von Assisi, Teile der Apokalypse, der Hochschiff-Fresken, sowie sechs der Franziskusszenen, vornehmlich der linken Schiffswand 6 . Die diesen Kupfern zugrunde liegenden Zeichnungen von Ottley machen es wahrscheinlich, daß sie einen Zustand aus den ersten J a h r e n des Jahrhunderts wiedergeben 7 . Eine Folge dieses zunehmenden Verständnisses f ü r mittelalterliche Kunst ist einmal die st'eigende Kritik an Vasaris Zuschreibungen u n d zum anderen das offensichtliche Bestreben, sich von allen lokalen Vorurteilen möglichst zu befreien. Schon Bottari 8 , der römische Herausgeber des Vasari, verlangt mit großer Bestimmtheit eine Verbesserung der Angaben des Aretiners auf Grund einer durch vielfache Reisen gewonnenen Anschauung, eine Forderung, die freilich in seinem Werke selbst noch keine wesentliche Auswirkung erfährt. Auch die Lettere sanesi des Padre della Valle 9 lassen zunächst ein Bestreben, die Heimat u n d ihre Künstler in helles Licht zu setzen, erkennen, und schließlich ist die starke Betonung der Bedeutung von Siena in diesem Werk nicht verwunderlich. Dagegen h e b t della Valle (Tab. 1/9, I I / l ) ' a . a. O. I. S. 184. 2 a. a. O. II. S. 313. 2 Muratori, Dissertazioni sopra le antichità italiane, Mailand 1751, I. S. 346ff. 4 Seroux d'Agincourt, Sammlung der vorzüglichsten Denkmäler der Malerei vom IV. bis XVI. Jahrhundert. Deutsche (verkürzte) Ausgabe, Berlin 1840. 5 Goethe, Italienische Reise, Ausg. Stuttgart 1868, X X . S. 68. 6 a. a. O. Tafel CX und CXVI. ' a. a. O. Text S. 93. Die Subskription für Ottley's Italien school of design begann 1808. Die erste Lieferung enthält Abbildungen aus der Oberkirche von Assisi. 8 Vasari, Le Vite, Rom 1759. 9 della Valle, Lettere sanesi, Rom 1782—1786.

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in seiner Ausgabe der Viten des Vasari 1 ausdrücklich hervor, daß die Schule von Pisa die Quelle der Wiedererweckung der Kunst sei, daß sowohl die Schule von Florenz als auch diejenige von Siena aus der Sehlde von Pisa die Anregung empfangen habe. Von einem objektiveren Standpunkt aus wertet er die verschiedenen Editionen Vasaris, er fordert Vasari gegenüber eine durch Anschauung gewonnene Kritik walten zu lassen, er lobt die Absicht Bottaris, Vasaris Angaben zu verbessern. Seinem erwachenden Verständnis f ü r die Epoche vor Giotto beginnen sich deutlicher die Freskenfolgen im Hochschiff der Oberkirche zu scheiden. E r deutet eine Entwicklungsstufe zwischen Cimabue, der der Maler des Querschiffes sei, und den Fresken des Langhauses an, da er die letzteren nicht alle f ü r Cimabue anerkennen kann. Er spricht die Möglichkeit von Giottos Autorschaft oder von der eines gleichen Künstlers an den Gewölben aus, und er zweifelt an Giottos Autorschaft für alle Fresken des Franziskuszyklus, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Indem er eine genauere Würdigung in Aussicht stellt, betont er die Bedeutung von S. Francesco f ü r die italienische Malerei, „quella basilica in cui si vedono chiaramente i primi passi dell'arte italiana". Auf den Padre della Valle beruft sich Alessandro Morrona 2 , dessen gründliche Darstellung der künstlerischen Entwicklung Pisas 1787 erschien. Es ist nicht zu verwundern, daß Morrona die Bedeutung seiner Vaterstadt als Ausgangspunkt der neuerwachenden Entwicklung in den Vordergrund stellt, aber gerecht läßt er doch gelten, daß den Florentinern der R u h m gebühre, diese Entwicklung zu größerer Vollkommenheit gef ü h r t zu haben. Die Bedeutung Pisas f ü r die Malerei weist Morrona an Werken Giunta Pisanos nach, deren Zusammenstellung er viel Sorgfalt widmet. Er übernimmt die Angaben von Padre Angeli, daß Giunta außer dem Cruzifix f ü r S. Francesco, das verloren ging, auch Teile der Fresken des Querschiffes zuzuweisen wären. Die Franziskuslegende findet bei Morrona, ebenso wie bei Padre Angeli, als Werk Giottos nur kurze Erwähnung. Entschiedener k o m m t die neue Auffassung bei Lanzi (Tab. 1/10, III/8) zum Durchbrach. Nur noch leise klingt der Streit u m die Vormachtstellung nach, wenn er Vasaris Angaben richtigstellt und Cimabues Bedeutung gegenüber della Valle wieder hervorhebt. Aber das Wesentliche seines Werkes ist der Wille, die Künstlerpersonen und Kunstkreise zu zeichnen und abzugrenzen, die Stilzusammenhänge festzulegen. I n eineT farbenreichen Charakteristik 3 gibt Lanzi in den Fresken von S. Francesco 1 2 3

Vasari, Le Yite, Siena 1789. Alessandro Morrona, Pisa illustrata, I. Aufl. Pisa 1787. s. Lanzi, Luigi, Storia pittorica dell'Italia, Mailand 1823, I. S. 17ff. (I. Ausgabe Bassano 1789).

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von Assisi ein Bild sowohl von Cimabue als von Giotto und begründet sein hohes Lob Cimabues und dessen Bedeutung für die Entwicklung der italienischen Malerei mit der Qualität der Fresken des Alten und des Neuen Testamentes. Er mißt also diesem Zyklus gleiche Wichtigkeit bei wie della Valle, nur daß er statt des unbekannten Meisters, den della Valle mitwirken ließ, den Namen Cimabues wieder einsetzt. Er erkennt den Gegensatz innerhalb der Fresken des Hoch schiffes an, besonders innerhalb der Gewölbe; bei einigen herrsche die „maniera greca" vor, während im Doktorengewölbe sich ein neuer Geist offenbare, „vi è non so qual novità d'immaginare e di disporre che da altri non pare attinto" 1 . Aber Lanzi kann nicht wie della Valle Giotto in diesen Gewölbefresken erkennen, Giotto „pittor tanto più gentile". Diesen Giotto sieht er am vollkommensten in den Allegorien der Unterkirche. Die Franziskuslegende sei ein Jugendwerk, sie zeige seine Entwicklung zur Reife. Auch in den Beschreibungen der Kirche vonPapini und von Carlo Fea2, deren Hauptzweck die Schilderung der Wiederauffindung der Gebeine des Heiligen ist, nehmen unter der Aufzählung der Fresken die Allegorien die erste und wichtigste Stelle ein. Während Fea sich mehr auf allgemeine Angaben beschränkt — auf seine Bemerkungen über den Erhaltungszustand wird noch zurückzukommen sein —, äußert Papini bei der Beschreibung der Allegorien die höchste Bewunderung für Giotto. Mit dieser Beurteilung ist der Forschung bis weit in das 19. Jahrhundert die Richtung gewiesen. Es bleibt nun für lange Zeit feststehend, daß die Allegorien den Höhepunkt von Giottos Kunst bedeuten. Jedoch gegen die Zuweisung des Franziskuszyklus als Jugendwerk und überhaupt als Werk Giottos werden Zweifel laut, und fast gleichzeitig bilden sich gegensätzliche Meinungen heraus. Die gesteigerte Beachtung des Kunstkreises um Giotto zeigt sich in nicht weniger als vier verschiedenen Bearbeitungen von deutscher Seite in dem Jahrzehnt von 1820—1830. Von diesen stellen Passavant und Rumohr mehr die Person Giottos in den Vordergrund, während zwei Abhandlungen in Schorn's Kunstblatt von 1821 und 1827 ausschließlich die Kirche von S. Francesco behandeln. Passavant 3 (Tab. 1/11, HI/9), der die „Schönheit der höchst merkwürdigen Kirche von S. Francesco" hervorhebt als Werk eines deutschen a. a. O. S. 20ff. [Papini, Nie.], Notizie sicure della morte, sepoltura, canonizzazione e traslazione di S. Francesco d'Assisi. Ed. II. Foligno 1824. Fea, Carlo, Descrizione ragionata della sagrosanta patriarcal basilica e capella papale di S. Francesco d'Assisi, Roma 1820. 3 Passavant, I. D., Ansichten über die bildenden Künste und Darstellung des Ganges derselben in Toscana, Heidelberg 1820. 1

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Baumeisters in dem „sogenannten gotischen Stil" 1 , sucht die Bedeutung deutscher Gotik für die Entwicklung Giovanni Pisanos nachzuweisen, der dann auf Giotto den bestimmenden Einfluß gehabt habe. Nicht Cimabue, Giottos Lehrer, sei entscheidend für seine Kunst. Hiermit werden Zusammenhänge angedeutet, die gerade die Forschung in neuester Zeit aufs Lebhafteste beschäftigt haben. Die Beurteilung Giottos geschieht auf Grund von Passavants Gesamtauffassung, ausgehend mehr von „der Bedeutung der Idee, der Tiefe und Wahrheit des im Kunstwerk sich auszeichnenden Wesens"2. Die Arenakapelle fehlt auf dem sehr kurz zusammengefaßten Verzeichnis der Werke oder scheint vielmehr mit einer Angabe über S. Antonio zusammengebracht zu sein. Die Beschreibung der Allegorien nimmt den größten Raum ein. Die Franziskuslegende soll unter Mithilfe von Schülern ausgeführt sein. Auf eingehender und gründlicher Besichtigung von S. Francesco beruhen die beiden fast gleichzeitigen, aber zu ganz verschiedenen Ergebnissen gelangenden Beschreibungen in Schorns Kunstblatt 3 , die wegen ihrer sorgfältigen Beobachtungen in der älteren Literatur häufig herangezogen werden. Der Verfasser der ersten ist Karl Witte 4 , der Verfasser der zweiten zeichnet F. K. und ist nach den Eintragungen im Rezensionsexemplar des „Kunstblattes" Fr. Köhler5. Beide sehen von einer einheitlichen Ausführung des Franziskuszyklus ab und weisen die 28 Fresken verschiedenen Meistern zu. Karl Witte (Tab. 1/12), der für das Hochschiff Vasaris Zuschreibung an Cimabue übernimmt, erkennt trotz Entbehrens mancher formaler Vollkommenheiten die künstlerische Leistung an, löst aber die Franziskuslegende aus dem Zusammenhang mit dem Hochschiff und von Giotto. Die Form der Figuren, der Mangel an Andacht und Würde, die Unfreiheit der Bewegungen, die Roheit der Farbe, die Fehler in der Dara. a. O. S. 17. a. a. O. S. 38. 3 Kunstblatt 1821, Nr. 40, 41, 42, Kunstblatt 1827, Nr. 39 ff. 4 K. W., geb. 1800 in Lochau, 1834—1884 Prof. des römischen Rechts in Halle, bekannt als Danteforscher; ein „Wunderkind", war 1810 als Student in Leipzig, später in Göttingen immatrikuliert, promovierte 1814 in Göttingen als Dr. phil., 1816 in Heidelberg als Dr. jur., hielt 1817 seine Probevorlesung in Berlin. 1820 ist er auf einer Studienreise in Italien, 1822 Privatdozent in Breslau, 1825 wieder in Italien. Seine Mitteilungen Aber Giottos Werk in Assisi auch von Rumohr erwähnt, (a. a. O. S. 270), ebenso von Burckhardt, (Cicerone 1860, III. S. 745). 5 Die Feststellung ist einer freundlichen Mitteilung des Verlages von Cotta in Stuttgart und von K. F. Köhlers Antiquariat in Leipzig zu danken. Es ist also nicht, wie verschiedentlich in der Literatur verzeichnet steht, Franz Kugler, der erst 1835 in Italien war. Crowe und Cavalcaselle geben den Namen richtig, beziehen aber den Aufsatz von Witte im Kunstblatt von 1821 auf Köhler (I. S. 100). Beda Kleinschmidt gibt (II. S. 160) Franz Kugler, (I. S. 3) Fr. Köhler an, (Jahrgang 1829 statt 1827 für die betreffende Abhandlung im Kunstblatt). 1

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Stellung des Nackten, — alles dieses erscheint ihm f ü r Giotto zu unvollkommen. Zu vollkommen dagegen sind die Fresken in der detaillierten Naturbeobachtung, z. B. in den Gesichtern usw., und die Architekturen, die Anklänge an die Antike zeigen, beweisen ihm durch ihren Zusammenhang mit Rom die Unmöglichkeit von Giottos Autorschaft. So scheint ihm die Franziskuslegende ein Werk des Parro di Spinelli oder jedenfalls eines Zeitgenossen desselben zu sein. Und abfällig beurteilt er die auf Giotto folgende Epoche: handwerklich arbeite sie mit dem von dem Meister erworbenen Schatz, sie würde fast t o t e Nachahmung der vorhandenen Muster, nur zu oft ein Fabrikmalen, und sich Entfernen von der Natur. Mit Lanzi stimmt er in das Lob von Giottos Allegorien ein: einstimmig würden sie f ü r seine besten Arbeiten gehalten 1 . Fr. Köhler (Tab. 1/13, II/2) setzt dagegen die Franziskuslegende in den unmittelbarsten Schulzusammenhang mit Cimabue, d. h. mit den Fresken des Hochschiffes. Für diese gibt er eine begeisterte Beschreibung. Es ist bemerkenswert f ü r die Sorgfalt seiner Beobachtung, daß er dem Wandel der Formen in den Dekorationen Beachtung schenkt, daß er das Charakteristische derselben, die Genien in den Zwickeln der Gewölbe, die Engel usw. hervorhebt. Er findet infolge der Übereinstimmung der Typen, der Farbengebung, der Behandlung der Gewänder sehr enge Beziehungen zwischen den Fresken des Hochschiffes und denen der Franziskuslegende. Wenn er auch nicht mit della Valle im Hochschiff Giottos H a n d annehmen möchte, so hält er doch eine Mitwirkung des Meisters, der den ersten Teil des Franziskuszyklus malte, im Doktorengewölbe f ü r möglich. Also gehen die Meinungen in den beiden Aufsätzen f ü r die Frage der Datierung auseinander, aber es ergibt sich eine fast übereinstimmende Teilung des Zyklus und eine ähnliche Bewertung der verschiedenen Meister. Drei Künstler sollen an dem Zyklus tätig gewesen sein. Fr. Köhler sieht in dem ersten Meister der Bilder 1—15, also der rechten Schiffswand und der Eingangswand, den dem Cimabue ähnlichsten, aber er „leistet nicht viel", und er stimmt mit Witte überein: „er ist äußerlich und das innere Leben schwand ihm". Der zweite, der vom 16. bis etwa zum 23. Bilde zu erkennen wäre, könne dagegen Giotto sein, nach Witte hat er viel Phantasie und einen größeren Figurenreichtum als der erste Meister. Der dritte sei der „der ungeschicktesten H a n d " aber der Verfasser bereut, daß er ihn nicht mehr beachtet hat. Witte erwähnt ihn nicht 2 . 1 2

a. a. 0 . S. 175. Auf Köhler beruft sich Kugler (s. Handbuch der Geschichte der Malerei, 1847, S. 294 und 314), der ebenfalls mehrereHände erkennt und die Ansicht, daß vom 16. Bild an eine Reihe auf Giotto zurückgehen könnte, für möglich hält. Im ganzen trage der Zyklus den Stempel des 14. Jahrhunderts, aber man erkenne noch byzantinische Züge und der Zyklus könne aus der Schule Cimabues hervorgehen. (Tab. I I I / l l ) .

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Unverständlich bleibt, daß Friedrich v. Rumohr 1 (Tab. 1/14) den Denkmälern ktthl, fast ablehnend gegenübersteht. Bei seiner richtigen Erkenntnis der großen Zusammenhänge, bei seiner starken Einfühlung in den mittelalterlichen Denkmälerkreis Italiens, dessen Entwicklung er seit dem Ausgang des Altertums neben der parallelen in Byzanz mit weitsichtigem Blick verfolgt, hätte man gerade bei den Werken des ausgehenden Dugento und beginnenden Trecento eine Wertschätzung erwarten können. Nirgendwo wird eine den Äußerungen Lanzis oder della Valles ähnliche Begeisterung fühlbar. Die Fresken des Alten und Neuen Testamentes im Hochschiff von S. Francesco erklärt er als aus befangener Nachahmung hochaltertümlicher Typen und Malereien hervorgegangen, die folglich höchstens ganz allgemeinen örtlichen und zeitlichen Charakter haben könnten 2 . Im Gegensatz zu den beiden oben genannten Forschern warnt er vor der Annahme bestimmter Meister. Wenig Bedeutung mißt er dem Franziskuszyklus bei: die Proportionen zeigten ein Unmaß, die Architekturen trügen Spuren der Sitte und des Geschmacks der ersten Hälfte des X V . Jahrhunderts, und so schreibt er sie ebenso wie Witte zumeist dem Parri di Spinello zu3. Dieser geringen Wertung des Franziskuszyklus entspricht auch sein Gesamturteil über Giotto: „er habe die Richtung seiner Vorgänger auf edle Ausbildung göttlicher und heiliger Charaktere hintangesetzt, und die italienische Malerei zu Handlungen und Affekten hinübergelenkt, in denen nach dem Wesen des Mönchtums das Burleske neben dem Pathetischen Raum fand" 4 , und weiter, er fände es unverständlich, die Richtung und Leistung Giottos als das Erhabenste der neueren Kunst zu preisen. Ebenso sehr wie diese Geringschätzung überrascht die starke zeitliche Trennung des Franziskuszyklus von den Werken, die ihm „das sichere Bild von Giotto geben", die Marienkrönung der Baroncellikapelle, die Tafeln der Sakristeischränke in S. Croce, sowie die Incoronatafresken. Die Allegorien in der Unterkirche erscheinen ihm mönchisch kindlich und in der Erfindung nicht von Giotto. Die Arenakapelle gestattet ihm in ihrem heutigen Zustand kein Urteil über Verdienst oder Unverdienst. Trotzdem er also Giotto lauter Werke zuschreibt, die nach der heutigen Ansicht einer späteren Zeit angehören, und alles, was uns wesentlich ist, in den Hintergrund treten läßt, ist er geneigt, darüber hinaus den Franziskuszyklus als ein noch jüngeres Werk anzusehen. Friedr. v. Rumohr, Italienische Forschungen, Frankf. a. M. Neudruck 1920 (erschienen 1827—1831). 2 a. a. O. S. 251. 3 a. a. O. S. 269. 4 a. a. O. S. 263. Gegen diese ablehnende Stellungnahme Rumohrs wendet sich z. B. Förster (Beiträge, S. 142), der trotz seiner eigenen Kritik an Giotto bei Bumohr die gleichmäßige Gerechtigkeit vermißt. 1

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Wie ganz anders ist die Auffassung Jacob Burckhardts 1 (Tab. 1/16, H I / 1 2 ) : Giotto, der große Genius des Jahrhunderts, der Wegbereiter f ü r Raffael und Michelangelo! I m großen Zuge die gesamte Schule und Nachfolge zusammenfassend wird eine Charakteristik der ganzen Epoche formuliert. Burckhardt betont die ideale Anschauung, die sich in der Raumdarstellung, in der Anordnung der Figuren im R a u m äußere, in der Beschränkung auf das Notwendige ohne Ansehen der Richtigkeit. Nicht wie in der sienesischen Kunst sei ideale Schönheit erstrebt, noch eine der Natur entsprechende Gegenständlichkeit. Nicht heiliger sei diese Kunst in der Intention als die der Byzantiner, aber sie käme dem Beschauer näher, indem sie dieselbe mit einem neu geschaffenen lebendigen Ausdruck bekleide. Leider t r i t t das stark Persönliche dieser umfassenden Charakteristik gerade bei seinen Angaben über S. Francesco in den Hintergrund. Ungenügende Notizen bei seinem ersten Besuche und schlechtes Wetter bei dem zweiten machen seine Äußerungen befangen 2 . E r beruft sich auf Witte und schreibt den Franziskuszyklus Giottisten des X I V . Jahrhunderts zu. Giottos Jugendwerk sei die Arenakapelle, sein Hauptwerk die Allegorien. I n der Zeit bis zur Mitte des X I X . Jahrhunderts, die bisher behandelt wurde, haben sich die Gegensätze in der Beurteilung der Franziskuslegende gebildet. Sie wird entweder als Jugendwerk Giottos angesehen, Giottos, des Schülers von Cimabue, entstanden im Anschluß an das Hochschiff, oder als ein Werk, das mehr oder weniger mit der Schule und Werkstatt zusammenhängt. Einer Zeit, f ü r die die Idee im Kunstwerk im Vordergrund steht, müssen die Allegorien als Hauptwerke erscheinen. I n der gleichen Epoche ist auch das Verständnis f ü r die großen Zusammenhänge der italienischen Kunst erwacht. Die auf Vasari beruhende einseitige Auffassung von der Wiedererweckung der K u n s t durch Cimabue ist über wunden; die Fäden der Entwicklung sind erkannt, die einmal über Byzanz und zum anderen in Italien selbst aus dem Altertum bis in das J a h r hundert der beginnenden Renaissance hinüberführen, und der E i n f l u ß der Gotik wird durch die Vermittlung Giovanni Pisanos zu finden gesucht. 1 2

Burckhardt, Jacob, Der Cicerone, I. Aufl. 1855, III. S. 749ff. a. a. O. III. S. 756.

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3. VON SCHNAASE UND CROWE UND CAVALCASELLE BIS THODE.

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L E I C H Z E I T I G erscheinen, kaum zehn J a h r e nach Burckhardts Cicerone, die Geschichte der mittelalterlichen Kunst von Schnaase 1 und die Geschichte der italienischen Kunst von Crowe u n d Cavalcaselle 2 , und es beginnt eine Epoche kritischer Forschung, f ü r die der Boden vorbereitet war. Schnaase (Tab. 1/20, II/4,111/14) entwirft in glänzenden Farben ein Bild des Zeitalters von Dante, er stellt dar, wie sich im Anschluß a n die Dichtung der Wandel in der bildenden Kunst vollzog, dessen erste Auswirkung Giovanni Pisano gewesen sei, „der der Zeit Gestalt gegeben h a t " . Viel mehr als Burckhardt hebt Schnaase die Persönlichkeit Giottos aus der Zeit heraus. Mit weitgehendem Verständnis trennt er die Richtung von Giotto, dem Meister, von der der Schüler und Nachfolger. Die Darstellung des Dramatischen der Hergänge, die starken Empfindungen des Leidens und der Liebe bedeuten ihm das Wesen von Giottos Kunst, die sittliche Wahrheit, die Tiefe des Gefühls sei ihr Ausdruck, während bei den Nachfolgern das Charakteristische mehr in dem Sinn f ü r heitere Anmut hervortrete. Den Höhepunkt dieser Kunst Giottos sieht Schnaase in den Fresken der Arenakapelle, dagegen werden die Allegorien, die auf Grund des Bekanntwerdens der Göttlichen Komödie etwa 1314 entstanden sein sollen, unter Hervorhebung des „nicht allzu großen geistigen Aufwandes" vom Standp u n k t des Inhaltlichen aus nicht hoch bewertet. I n dem Franziskuszyklus glaubt Schnaase ein Werk zu finden, das Giottos Entwicklung mehr allgemein veranschaulicht, ohne daß eigentlich ausgesprochen wird, daß er der verantwortliche Meister sei: „Die Fresken lassen mehrere verschiedene Hände erkennen, von denen eine wohl die des jungen Giotto sein möchte" (VII. S. 353). Schnaase erklärt sich im wesentlichen mit der Ansicht von Fr. Köhler 3 einverstanden, u n d er möchte nach Vasaris Angabe der Berufung des Ordensgenerals Giovanni di Muro die Entstehungszeit u m 1296 auch im Vergleich zu dem Stile der Allegorien f ü r richtig halten. Schnaase ist geneigt, das Werk Giottos ziemlich weit zu fassen, sowohl in S. Francesco in Assisi als auch in bezug auf Cimabue. E r betont die Entwicklung in den Hochschiff-Fresken: „Das Evangelistengewölbe byzantinisch und steif, das Doktorengewölbe so viel bewegter u n d freier". E r bewundert die offensichtlichen Fortschritte, die Entwicklung in diesen Fresken des Langhauses, bei denen „poetischer Sinn, Züge von 1

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Schnaase, Carl, Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter, VII. Bd., I. Aufl. 1864, S. 360ff.; II. Aufl. 1876, S. 335ff. Crowe und Cavalcaselle, New history of painting in Italy, London 1864. Deutsche Ausgabe von M. Jordan (übereinstimmend), Leipzig 1869. s. Schnaase, a. a. O. II. Aufl., VII. Bd. S. 353 und Fr. Köhler, Kunstblatt 1827, Nr. 42. 2

Martina.

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Gefühlswärme, verständige Anordnung" es verstehen ließen, daß Giotto aus der Sehlde dieses Meisters hervorgehen konnte. Und er spricht sogar die Möglichkeit aus, daß das Doktorengewölbe Giotto als einem Nachfolger des Cimabue zuzuschreiben wäre, ebenso wie er in der Cimabue zugeschriebenen Madonna (Louvre 1260) möglicherweise ein Jugendwerk von Giotto sieht 1 . Durch die unbedingte Zuordnung der Hochschiff-Fresken zu dem Kreis des Cimabue werden die Malereien in Assisi vollständig der Florentiner Kunst zugerechnet. Und von Florenz aus werden auf Grund der auf Vasari zurückgehenden Verquickung des Frater Jacobus, des Meisters der Tribuna des Florentiner Baptisteriums, mit dem römischen Jacobus Torriti Brücken zu der römischen Kunst geschlagen: „es bildete sich in Rom eine Schule malerischer Technik, welche vieles mit der toskanischen gemein hatte" 2 . I n dieser Darstellung Schnaases der Kunst „ u m des Gedankens willen" ersteht ein Bild von Giotto, das weit mehr als es bisher geschehen Giottos Entwicklung in seiner Zeit veranschaulichen will. Weit mehr als Rumohrs, als Köhlers Urteil läßt die Auffassung von Schnaase daneben ein Gefühl für formale Bildwerte deutlich werden, ohne daß eine Absicht systematischer Durchdringung des mit Giotto in Zusammenhang zu bringenden Denkmälerkreises besteht. Diese erste systematische Ordnung der Werke Giottos wird nun auf Grund von Vasaris Angaben von C r o w e u n d C a v a l c a s e l l e (Tab. 1/18, I I / 3 , 111/13) vorgenommen. I n der Sichtung der Denkmäler, die Vasari Giotto zugeschrieben hatte, in der P r ü f u n g von Vasaris chronologischen Angaben finden die beiden Forscher den Ausgangspunkt f ü r eine historisch-kritische Ordnung. Und so ist f ü r Crowe und Cavalcaselle S. Francesco der Ort, wo „die Geschichte der frühflorentinischen Kunst in Urkunden vorliegt, die sich auf J a h r e verteilen und wenigstens zwei Künstlergenerationen umfassen" 3 . I n einer Reihe von monumentalen Malereien sei der Werdegang einer neuen Kunstrichtung zu verfolgen. Aus dem Kreise der namenlosen Künstler, die hier am Werk waren, sei Giotto hervorgewachsen. Die Wertung ihrer Werke, der Fresken im Hochschiff, ist eine bedingte: das Doktorengewölbe wird als „empfindungsleer" bezeichnet, die Szenen des Alten und Neuen Testamentes als „Durchschnittsleistungen der Zeit", u n d es t r i t t hier die gleiche Zurückhaltung hervor wie „gegenüber den nervlosen und ungenialen P r o d u k t e n " Filippo Rusutis oder der Madonna Rucellai in S. Maria novella, deren Bewunderung der Zeitgenossen „die nüchterne Betrachtung von heute zwar versteht, aber modifiziert." Ebenso seien die ersten Fresken des Franziskuszyklus „roher und mechanisch 1

a. a. O. VII. S. 318.

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a. a. O. VII. S. 325.

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a. a. O. I. S. 175 ff.

ausgeführt, k a u m besser als die der oberen Schiffswand". Hier in der Franziskuslegende, die in unmittelbarem Zusammenhange mit dem Hochschiff stehe, seien Giottos erste Schritte zu beobachten. Freilich bleibt es unentschieden, wie weit nun Giotto wirklich der Urheber des Franziskuszyklus sein soll. Vorsichtig ist die Formulierung: „ob die Kompositionen der Franziskuslegende nach Entwürfen eines anderen entstanden sind,' 4 ob sie wirklich von Giotto sind, sei nicht zu entscheiden; in ersterem Falle habe Giotto, als die Reihe an ihn kam, geändert u n d verbessert, im anderen h ä t t e n geringere Hände seinen Erfindungen Abbruch getan. I n der Beurteilung der einzelnen Bilder k o m m t es k a u m zu einer entschiedenen Stellungnahme. Den letzten Fresken wird der Vorzug gegeben, außer dem ersten zeigen 2—15 die Fehler, die dem Hochschiff eigen seien, 16, 22, 23, 25, 26 und 27 werden als besonders eindrucksvoll hervorgehoben 1 . Die Franziskuslegende wird also in die Entwicklung Giottos eingereiht als ein Werk seiner Jugend, dessen Datierung sehr f r ü h anzusetzen sei. Die Allegorien zeigten ihn „in männlicher Reife", die Christus- und Marienszenen der Unterkirche und die Darstellungen der Wundertaten des heiligen Franziskus daselbst erhalten als „Zeugnisse neuer Fortschritte ihres Urhebers" Bedeutung im Werke Giottos, nachdem sie bisher nur von Papini 2 mehr beachtet worden waren. F ü r die Nikolauskapelle wird die unbegründete Zuschreibung an Giottino, f ü r die Magdalenenkapelle die an Puccio Capanna unter Hinweis der Ähnlichkeit mit den Allegorien und der Stilverschiedenheit zu Puccio Capannas Franziskuszyklus in S. Francesco in Pistoia gegeben. Die chronologische Ansetzung bleibt unklar, besonders in dem Verhältnis der Assisaner zu den römischen Werken (Navicella, Peterstafel, Fresco zum Jubiläum Bonifazius V I I I . (Abb. s. W. S. 1, 191—199, 141) und Apsis von S. Giorgio in Velabro (Abb. Venturi, a. a. O. V. S. 151, 152)). F ü r Giottos Aufenthalt in Rom wird die Zeit von 1289—1300 angenommen, aber es sei kaum zu entscheiden, ob Giotto mehr als einmal in Assisi gewesen sei. Da jedoch die Entstehungszeit der Allegorien mit der Berufung Giottos durch Fra Giovanni di Muro in Zusammenhang gebracht wird, die Christusszenen sicher später 1

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Die Unbestimmtheit der Zuweisung der einzelnen Bilder wird schon von Frey bemerkt und ausführlich dargestellt, s. Frey, Studien zu Giotto, Jahrb. d. Pr. Ksts. 1885, S. 119ff. Daselbst ist auch auf die Abweichungen in der italienischen Ausgabe verwiesen, Cavalcaselle und Crowe (Tab. 1/19), Storia della pittura in Italia, Firenze 1886, I. S. 344ff., wo 1, 16, 18—20, 22 und folgende, außer 24, als besonders eindrucksvoll hervorgehoben werden. Crowe und Cavalcaselle (Tab. 1/33), A History of painting in Italy. Ed. Langton Douglas, London 1903, II. S. 13. Die Franziskuslegende von Giotto und wenigstens 2 Gehülfen. Hochschiff s. Tab. 11/11. a. a. O. S. 302.

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entstanden sein sollen, und der Franziskuszyklus als Jugendwerk angesehen wird, so scheint die Darlegung Crowes und Cavalcaselles drei Gruppen von Werken Giottos in Assisi zu ergeben. Für die heutige Forschung ist diese chronologische Ordnung des Werkes aber weit weniger wichtig als die bestimmte Erkenntnis der Zusammenhänge der Fresken der Oberkirche mit römischer Kunst. Erstens wird auf die Beziehungen des Heiligengewölbes mit dem oberen Teile der Fassade von S. Maria maggiore hingewiesen. Zum andern wird infolge der Ähnlichkeiten der ersten Bilder der Franziskuslegende (2, 3, 4, 5) und des Doktorengewölbes mit den Mosaiken des u n t e r e n Teiles der gleichen Fassade1 auf dieselbe ausführende Hand für beide Werke geschlossen. Die Meinung, daß Gaddo Gaddi diesen unteren Teil der Fassade von S. Maria maggiore vollendet habe, wird von Vasari übernommen, und es wird die Möglichkeit festgestellt, den Fortschritt römischer Kunst mit florentinischer zu vergleichen. Rusuti, „ein unbekannter Künstler", von dem Yasari nichts weiß, und Gaddo Gaddi, ein Florentiner, sind die Schöpfer dieses römischen Werkes. Sie, „die Dekorationskünstler", werden in Gegensatz zu den Cosmaten und Cavallini gestellt, die „mehr Naturgefühl und Individualität, mehr Charakter und Wahrheit behaupten"2. Wesentlich ist diese Erweiterung der Anschauung, die durch die Beobachtungen von Crowe und Cavalcaselle gewonnen ist. Auf Grund von stilistischen Ähnlichkeiten werden Zusammenhänge der Fresken von Assisi mit römischen Werken erkannt, wenn auch dabei an dem florentinischen Ursprung dieser römischen Werke, der Mosaiken des Florentiners Gaddo Gaddi und des unbekannten Rusuti, festgehalten wird. Vielfach hat man sich, unter mancherlei größeren oder kleineren Abweichungen den sorgfältigen Ausführungen von Schnaase und besonders von Crowe und Cavalcaselle angeschlossen. SonahmLaderchi 3 (Tab. 1/17) in seiner Studie über Giotto unter Anerkennung der Autorität von Crowe und Cavalcaselle deren chronologische Ordnung zum Ausgangspunkt. Doch erklärt er einen Aufenthalt Giottos in Assisi vor den römischen Werken für unwahrscheinlich und ebenso möchte er einen größeren zeitlichen Abstand zwischen der Franziskuslegende (bald nach 1300) und den Allegorien (um 1320) für wahrscheinlich halten, während er Giottos Anteil an der Franziskuslegende im Gegensatz zu Crowe und Cavalcaselle erweitert. Auch F ö r s t e r 4 (Tab. 111/15) erkennt die Bedeutung der beiden Darstellungen an; er hebt das ruhige Urteil von Schnaase hervor und stimmt in der Wertung der Allegorien und der letzten Fresken des Franziskuszyklus Crowe und Cavalcaselle zu. 1 3 4

Gesamtabb. s. de Rossi, Musaici cristiani, Rom 1899. Laderchi, Camiilo, Giotto, Nuova Antologia 1867, VI. S. 31ff. Förster, Ernst, Geschichte der ital. Kunst. II. Bd. 1870. 20

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a. a. O. S. 193.

D o b b e r t 1 (Tab. 1/22,111/16), der an der zweiten Ausgabe von Schnaases Kunstgeschichte beteiligt ist, stellt sich an zwei Stellen den Ansichten Schnaases undCroweundCavalcaselles entgegen. Unter warmer Anerkennung der Verdienste dieser Forscher macht er geltend, ob denn wirklich eine einheitliche Zuschreibung des Zyklus an Ciotto unwahrscheinlich sei, ob die ersten Bilder — z. B. „die Lossagung" (5) — wenn auch die f ü r Giotto charakteristischen Gesichtstypen fehlten, ihm nicht mit gleichem Recht zuzusprechen seien, als die späteren Fresken. Vieles, die Beobachtung und Darstellung des täglichen Lebens, spräche f ü r die Annahme e i n e s Künstlers, der in Assisi „noch mitten in seiner Entwicklung steht, dem noch nicht alles in gleichem Maße gelingt". Viel eher seien die Anklänge der ersten Fresken an die Fassade von S. Maria maggiore aus allgemeinen Stilzusammenhängen zu erklären, als aus der Annahme eines gleichen Meisters. Schnaases Ansicht, daß Entstehung und Datierung der Allegorien in Zusammenhang mit Dante zu bringen seien, lehnt Dobbert ab, da er ganz richtig in der alleinigen Zurückführung einer solchen Darstellung auf Dante eine zu enge Auffassung einer viel vielseitigeren Zeit erkannt h a t . Auf die Ausführungen von Q u i l t e r 2 (Tab. 1/23, 111/17) braucht bei der allzu flüchtigen Kenntnis des in Betracht kommenden Denkmälerkreises und bei der anekdotenhaften Begründung seiner Ansichten nur nach einer Richtung hingewiesen zu werden, daß er nämlich die Fresken am Eingangsjoch von S. Francesco, „Quellwunder" (14) und „Vogelpredigt" (15), als eigenhändige Werke Giottos hervorhebt, während der Zyklus im übrigen einem Schüler, mutmaßlich dem Taddeo Gaddi, zugesprochen wird. I n der V.Auflage des Cicerone®, herausgegeben von W. v. B o d e , werden die Allegorien als „ H a u p t w e r k e " Giottos angegeben. F ü r die Franziskuslegende schließt sich Bode der Zuschreibung von A. v. Zahn 4 (Tab. 1/21) an, indem er die fünf letzten Fresken und die erste Giotto als eigenhändig „in der Periode jugendlichen Strebens u n d verhältnismäßig geringer technischer E r f a h r u n g " zuweist. Dagegen schreibt er das Abendmahl im Refektorium zu S. Croce, das f ü r Burckhardt „eines der gewaltigsten Werke des X I V . J a h r h u n d e r t s " war u n d das auch in der zweiten Auflage des Cicerone noch als eigenhändiges Werk Giottos angeführt wurde, nicht Giotto, sondern Taddeo Gaddi zu. I m Zusammenhang dieser verschiedenen Darstellungen ist auf die 1882 1

2 3

4

Dobbert, Eduard, Giotto; Dohme, R., Kunst u. Künstler d. Mittelalters u. d. Neuzeit II. XLI. 1878. Quilter, Harry, Giotto, London 1880. Burckhardt, Jacob, Der Cicerone, V. Aufl. 1884, herausgbn. v. Wilh. v. Bode, II. 2. S. 522ff. Cicerone, II. Aufl. 1869, III. S. 746.

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erscheinende Geschichte der Basilika und des Klosters von S. Francesco von Giuseppe F r a t i n i 1 hinzuweisen, die sich im wesentlichen auf eine allgemeine Beschreibung der Fresken beschränkt und ein genaueres Eingehen auf die kunstwissenschaftlichen Probleme nicht bezweckt. Bemerkenswert ist aber, daß der Verfasser auf die geringe Beachtung der Folgen im Langschiff der Unterkirche aufmerksam macht, auf die Bilder aus dem Leben des Franziskus an der linken und die Passionsszenen a n der rechten Schiffswand, die die Forschung bisher vernachlässigt habe; er weist auf ikonographische Ubereinstimmungen mit dem Franziskuszyklus der Oberkirche hin, dessen Zuschreibung an Giotto ohne Einschränkung übernommen wird. Wesentlich für die Erweiterung der Anschauung sind die beiden Darstellungen von T i k k a n e n und T h o d e , durch die zunächst mehr eine Charakteristik des Stiles als eine kritische Sichtung des Werkes angestrebt wird. Tikkanen 2 (Tab. 1/24, III/18) legt seiner Studie die Werke zugrunde, welche „Giotto allgemein zuerkannt werden". Sichere Jugendarbeiten scheinen ihm die späteren Bilder der Franziskuslegende, die „schwierige" Frage der Urheberschaft der früheren bleibt unbeantwortet. Der Zweck seiner Abhandlung ist eine Bildanalyse. Er sieht Giottos Bedeutung in der Betonung des Eindringens des „wirklichen Lebens", wenn auch die N a t u r wiedergäbe einem modernen Auge sehr primitiv erscheine. Wichtig ist, daß er von den einzelnen Bildelementen ausgeht; er erwähnt, daß in Assisi zuerst Zeittrachten eingeführt seien, er weist auf die Mannigfaltigkeit der dargestellten Architekturformen hin: umbrische Gotik, neben Gebilden reiner Phantasie, oder Reminiszenzen der Antike, während in der Unterkirche, „erinnernd an den berühmten Glockenturm Giottos", in der leichteren Gotik die reicheren Formen gegeben seien. Die Kompositionsformen, Zeichnung, Gebärdensprache, Technik werden in bezug auf Giotto und f ü r die Folgezeit charakterisiert, wobei den farblichen Problemen ausführlich Rechnung getragen wird; Tikkanens Beschreibung der ornamentalen Dekorationen betont zwar die Besonderheit in der Oberkirche u n d den Zusammenhang und die Entwicklung der Formen im Anschluß an das Langhaus der Unterkirche. Da er aber sowohl die Dekorationen in der Arenakapelle in P a d u a als auch diejenigen der Oberkirche von Assisi, die Konsolen und gedrehten Säulen, als einmalig ansieht, während die übliche Dekoration der Zeit flache Ornament streifen, wie z. B. in S. Croce, zeige, kann er aus diesen Beobachtungen keine Schlüsse f ü r größere Zusammenhänge der Malereien in S. Francesco ziehen. 1

2

Fratini, Giuseppe, Storia della Basilica e del Convento di S. Francesco in Assisi, Prato 1882. Tikkanen, I. I., Der malerische Stil Giottos, Helsingfors 1884.

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Die Bedeutung des Buches von Henry T h o d e 1 (Tab. 1/25, II/5) als einer allgemeinen umfassenden kunsthistorischen Würdigung der Kirche von S. Francesco kann in diesem Zusammenhang n u r in bezug auf die Freskendekoration berücksichtigt werden. Spätere Kritik 2 hat ihm den Vorwurf einer zu engen Anschauung gemacht, daß nämlich nach seiner Darstellung die italienische Kunst ein Reflex „der mächtigen Bewegung sei, wie man sie sich von Franziskus hervorgerufen dachte", und daß infolge einer durch die ganze Auffassung der Zeit bedingten einseitigen Schätzung der Renaissance auch bei ihm der Sinn f ü r die Bedeutung des Mittelalters verloren gegangen sei. Aber auch trotz einer solchen Kritik wird hervorzuheben sein, daß durch Henry Thode der Forschung sehr weitgehende Aufschlüsse gegeben sind. Die Beschreibung der Malereien n i m m t den kleinsten Teil des Buches ein, das wegen der reichen, sorgfältigen Zusammenstellung alles Materials über die Kirche von S. Francesco bleibende Bedeutung h a t . Thode geht dazu über, den Kreis der Werke Giottos in Assisi sehr viel weiter zu fassen. I m Entwicklungsgang der verschiedenen Anschauungen, wie er sich bisher verfolgen ließ, scheint diese Ausdehnung von Giottos Tätigkeit nicht verwunderlich. Schon bei Schnaase wurde eine beginnende Umwertung in der allgemeinen Beurteilung bemerkbar, wenn das Dramatische bei Giotto in Gegensatz zu dem Sinn f ü r heitere Anmut in Giottos Schule gestellt wurde. Man h a t t e zunächst im ganzen den s p ä t e r e n Bildern des Franziskuszyklus größere Schätzung zuteil werden lassen; nunmehr erfahren auch die e r s t e n Fresken vermehrte Beachtung. Und es werden die von den früheren Forschern empfundenen Zusammenhänge der Franziskuslegende mit den Szenen des Alten u n d Neuen Testamentes darüber als so enge angesehen, daß die H a n d Giottos auch f ü r einen Teil der Hochschiff-Fresken angenommen wird. Nach Thode seien Hochschiff und Gewölbe von Schülern Cimabues gemalt, deren Zahl nicht zu bestimmen sei. Die neuen Prinzipien, die einige dieser Fresken zeigten, die des dritten und vierten Joches, das Doktorengewölbe, die Heiligengestalten im Eingangsbogen seien von der H a n d einer jugendlichen, bedeutenden K r a f t , seien ein Jugendwerk Giottos. Eine gewisse Ungleichheit beweise eine Entwicklung, aber eine Chronologie wäre gewagt. Dieser neue Stil der Hochschiff-Fresken sei als „plastischer" zu bezeichnen, mutmaßlich läge ihm das Studium antiker Skulpturen zugrunde, er sei bemerkenswert durch die Farbbehandlung, den antikisierenden Gesichtstypus und eine reiche, schon gotische Architektur. Dieser neue Stil setze sich in der Franziskuslegende fort. Und mit voller Begeisterung erklärt Thode, daß die Franziskuslegende Giottos Werk sei: die lebensvollen herrlichen Darstellungen Giotto rauben, 1

1

Thode, Henry, Franz von Assisi und die Anfänge der Kunst in Italien, Berlin 1883. Für die spätere Auffassung von Thode s. Tab. 111/21 u. Text S. 36. besonders Rintelen, a. a. O. II. Aufl. S. 231.

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hieße soviel als diesem seinen Ehrenplatz als Begründer der modernen Malerei nehmen. Das Werk sei einheitlich, wenn auch für die Abweichungen in den letzten, sicher schwächeren Bildern eine Erklärung nicht zu finden sei. Als wesentlich neu und charakteristisch für den Jugendstil Giottos wird von Thode die Art der Architekturdarstellung und ihre Beziehung zu den Figuren bezeichnet. Er beschreibt in sorgfältiger Analyse die Mannigfaltigkeit der Baulichkeiten — die Legende sei fast eine Musterkarte von Bauentwürfen — Reminiszenzen antiker Bauten, die auf einen Aufenthalt in Rom schließen lassen, phantastische Gebäude mit Loggien, Reminiszenzen der voraufgegangenen Kunst und als Wichtigstes, die Entwürfe der reichen Gotik und ihre Beziehungen zur Wirklichkeit. Er weist hier auf Bildelemente hin, die für die spätere Forschung sehr wesentliche Anhaltspunkte geworden sind. Die chronologische Ordnung von Giottos Werk stellt sich nach Thode folgendermaßen dar: Die Fresken der Oberkirche sind vor 1298, vor einem Aufenthalt Giottos in Rom entstanden. Von den Fresken der Unterkirche, denen Thode eine ausführliche Beschreibung widmet, stehen die der Nikolauskapelle der Franziskuslegende am nächsten; die Frage, ob Giotto selbst oder ein früher Schüler heranzuziehen sei, wird mehr erwogen als beantwortet. Sicher sei die Entstehung vor 1316, vor der Ernennung des Gian Gaetano Orsini zum Kardinal und wahrscheinlich ein Datum noch 11m ein Jahrzehnt früher. Auch bei den Allegorien sei die Mitarbeit eines Schülers „nicht ganz von der Hand zu weisen". Thode ist hier in allen Schlußfolgerungen sehr vorsichtig ; für die Christusszenen ist ihm Giottos Urheberschaft wahrscheinlicher als die eines früher angenommenen Giotto-Nachfolgers (I. S. 259), während er bei den Franziskus-Szenen auf die stilistische Verwandtschaft mit der Nikolauskapelle hinweist, und sie dem gleichen Meister wie die Fresken dort zuschreibt"(I. S. 170). Die Magdalenenkapelle wird Giotto selbst zugesprochen ( I . S . 268), wobei zwar einem Schüler ein wesentlicher Anteil an der Ausführung belassen wird. Wenn auch Thode Einschränkungen in bezug auf die Eigenhändigkeit in der Ausführung der Freskenfolgen der Unterkirche macht, so sieht er doch überall Giotto als „den geistigen Urheber" (I. S. 272), und er glaubt eine folgerichtige Entwicklung zu erkennen, die von dem jugendlichen Stil der Franziskuslegende zu dem reiferen der Arenakapelle und der Magdalenenkapelle führt und schließlich die „liebenswürdigere, graziösere" Auffassung der Jugendgeschichte Christi erreicht. Sicherer als die Meisterfrage ist diese zeitliche Ordnung, die Allegorien und Jugendgeschichte nach 1306 und vor den Fresken von S. Croce, vor 1320, entstehen läßt 1 . 1 Die spätere Auffassung Thodes s. Text S. 36. 24

Es beginnt also hier mit der Darstellung von Thode die Auffassung von Giottos Anteil an den Malereien in Assisi allgemeiner zu werden. Auch in einem anderen Sinne steht seine Darstellung an einem Wendepunkt. Wohl mag er noch befangen in der durch die nazarenisch-romantische Richtung entstandenen Verherrlichung der Person Ciottos sein, und ebenso mag bei ihm noch ein Rest der Vermischung der Begriffe christlich und künstlerisch das Urteil bestimmen. Auch Robert Vischer 1 , der in der Vermischung dieser beiden Begriffe einen Grund für Rumohrs Ablehnung Giottos sehen möchte, ist selbst noch nicht frei von dieser Auffassung, wenn er sagt, daß Giotto „so mutig, so ernst war, um nach Kräften die Kunst als Kunst zu betreiben". Das Neue aber, das sowohl in den Darstellungen Thodes als auch Tikkanens erkennbar wird, ist eine analysierende Bildbetrachtung, die von nun an der Ausgangspunkt der Forschung wird. Sehr richtig ist die Leistung Thodes in einer gleichzeitigen Kritik von P e r a t e 2 beleuchtet worden, wenn er die kunstwissenschaftlichen Feststellungen hervorhebt und das Buch als vorläufig erschöpfend bezeichnet.

4. DIE STEIGERUNG DES INTERESSES AN DEN FRESKEN DES HOCHSCHIFFES.

S

E I T der Darstellung Thodes setzt ein besonderes Interesse für die Fresken des Hochschiffes ein, und man bemüht sich, den Ausgangspunkt Giottos hier zu suchen. Freilich war mit der Feststellung, daß die Fresken des Alten und Neuen Testamentes mit römischen Werken in Verbindung zu bringen seien, eine Schwierigkeit entstanden. Die Folgen standen zwischen der Franziskuslegende und den Fresken Cimabues im Querschiff. Giotto hätte also mehr mit den Künstlern, die diese Fresken schufen, als mit Cimabue, dem Florentiner, in Verbindung gestanden. Wie war somit Vasaris Nachricht, daß Giotto der Schüler Cimabues sei, mit diesen Beobachtungen zu vereinen, wie das Zusammenstehen römischer und florentinischer Werke an dieser Stelle zu erklären? Die Studien zu Giotto von Karl Frey 3 (Tab. 1/26, II/6), die im gleichen Jahr wie Thodes Buch erschienen sind, lassen diese Schwierigkeit erkennen, wie aus der sehr vorsichtigen Stellungnahme des Verfassers zu schließen sein dürfte. Auch Karl 1

2 3

Vischer, Robert, Rumohr und Giotto, Studien zur Kunstgeschichte 1886, S.58ff.; s. auch Rintelen, a. a. 0 . S. 231, Anm. 1. Pératé, M., Les fresques d'Assise et de Montefalco, Gaz. des beaux-arts 1886, S. 346ff. Frey, Karl, Studien zu Giotto, Jahrb. d. Pr. Ksts. Bd. 6, 1885, S. 107ff. Thode a. a. 0 . I. Aufl., S. 258 erklärt sich mit Freys Ansicht Ober die Fresken des Hochschiffes nicht einverstanden.

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Es beginnt also hier mit der Darstellung von Thode die Auffassung von Giottos Anteil an den Malereien in Assisi allgemeiner zu werden. Auch in einem anderen Sinne steht seine Darstellung an einem Wendepunkt. Wohl mag er noch befangen in der durch die nazarenisch-romantische Richtung entstandenen Verherrlichung der Person Ciottos sein, und ebenso mag bei ihm noch ein Rest der Vermischung der Begriffe christlich und künstlerisch das Urteil bestimmen. Auch Robert Vischer 1 , der in der Vermischung dieser beiden Begriffe einen Grund für Rumohrs Ablehnung Giottos sehen möchte, ist selbst noch nicht frei von dieser Auffassung, wenn er sagt, daß Giotto „so mutig, so ernst war, um nach Kräften die Kunst als Kunst zu betreiben". Das Neue aber, das sowohl in den Darstellungen Thodes als auch Tikkanens erkennbar wird, ist eine analysierende Bildbetrachtung, die von nun an der Ausgangspunkt der Forschung wird. Sehr richtig ist die Leistung Thodes in einer gleichzeitigen Kritik von P e r a t e 2 beleuchtet worden, wenn er die kunstwissenschaftlichen Feststellungen hervorhebt und das Buch als vorläufig erschöpfend bezeichnet.

4. DIE STEIGERUNG DES INTERESSES AN DEN FRESKEN DES HOCHSCHIFFES.

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E I T der Darstellung Thodes setzt ein besonderes Interesse für die Fresken des Hochschiffes ein, und man bemüht sich, den Ausgangspunkt Giottos hier zu suchen. Freilich war mit der Feststellung, daß die Fresken des Alten und Neuen Testamentes mit römischen Werken in Verbindung zu bringen seien, eine Schwierigkeit entstanden. Die Folgen standen zwischen der Franziskuslegende und den Fresken Cimabues im Querschiff. Giotto hätte also mehr mit den Künstlern, die diese Fresken schufen, als mit Cimabue, dem Florentiner, in Verbindung gestanden. Wie war somit Vasaris Nachricht, daß Giotto der Schüler Cimabues sei, mit diesen Beobachtungen zu vereinen, wie das Zusammenstehen römischer und florentinischer Werke an dieser Stelle zu erklären? Die Studien zu Giotto von Karl Frey 3 (Tab. 1/26, II/6), die im gleichen Jahr wie Thodes Buch erschienen sind, lassen diese Schwierigkeit erkennen, wie aus der sehr vorsichtigen Stellungnahme des Verfassers zu schließen sein dürfte. Auch Karl 1

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Vischer, Robert, Rumohr und Giotto, Studien zur Kunstgeschichte 1886, S.58ff.; s. auch Rintelen, a. a. 0 . S. 231, Anm. 1. Pératé, M., Les fresques d'Assise et de Montefalco, Gaz. des beaux-arts 1886, S. 346ff. Frey, Karl, Studien zu Giotto, Jahrb. d. Pr. Ksts. Bd. 6, 1885, S. 107ff. Thode a. a. 0 . I. Aufl., S. 258 erklärt sich mit Freys Ansicht Ober die Fresken des Hochschiffes nicht einverstanden.

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Frey sieht diese neue Richtung, die von Cimabue zu trennen sei und die entscheidend auf die Entwicklung des jungen Giotto eingewirkt haben solle, in Teilen des Hochschiffes. Zwar wüßten wir nicht, ob Giotto überhaupt in der Oberkirche gemalt habe, ob Cimabue abberufen wurde. Giotto könnte fünfzehnjährig als Gehilfe Cimabues nach Assisi gekommen sein, und die Meister der Jakobszenen oder der Beweinung, die gleichzeitig mit Giotto gearbeitet haben müßten, könnten ihn beeinflußt haben. Es wird also der unmittelbare Zusammenhang mit der römischen Kunst, der von Thode mit Giottos Aufenthalt in Rom erklärt worden war, und bei ihm, wie bei Schnaase, an Giottos Person hing, hier in größerem Umfang und in zunehmender Verselbständigung des Langhauses von Cimabue auf „die Maler des Hochschiffes" übertragen, die in paralleler Tätigkeit mit Cimabue um 1282 in Assisi gearbeitet haben könnten. Aber es zeigen sich nun die Schwierigkeiten, über die allgemeine Stilverwandtschaft hinaus einzelne Künstlerpersönlichkeiten zu nennen. Vielfach mit Crowe und Cavalcaselle übereinstimmend, vermag Frey dennoch deren Zuschreibung der Gewölbe nicht anzuerkennen. Er hält sowohl die Zuweisung des Heiligengewölbes an Rusuti als auch die des Doktorengewölbes an Gaddi für ziemlich willkürlich, begründet nur in der Beziehung zu der Fassade von S. Maria maggiore. Zu den Mosaiken dort findet er aber die Übereinstimmung nicht groß genug, um ohne weiteres den gleichen Meister anzunehmen. Zwar könnte Rusuti das Heiligengewölbe gemalt haben, aber für das Doktorengewölbe sei an Stelle von Gaddi, dem Meister des unteren Teiles der Fassade von S. Maria maggiore, eher ein Cosmatenmeister anzunehmen, und dieser sei der mutmaßliche L e h r e r Giottos. Gaddi dagegen sei eher als S c h ü l e r Giottos anzusehen. Er schätzt, entgegen Crowe und Cavalcaselle, die Fresken des Doktorengewölbes besonders hoch, in deren reichem dekorativen Schmuck die Zusammenhänge mit römischer Cosmatenkunst deutlich vor Augen ständen. Eine Datierung des Hochschiffes v o r die Fassade von S. Maria maggiore würde ihm richtig erscheinen1. In der noch „schwierigeren Frage" der Autorschaft Giottos an der Franziskuslegende enthält sich Frey einer endgültigen Stellungnahme. Maßgebend erscheint ihm die Auffassung von Crowe und Cavalcaselle, die von „den Kunstverständigen jetzt wohl allgemein angenommen wäre". Gelegentlich erwähnt er einzelne Bilder, wie z. B. 25: „der heilige Franz zeigt dem Papst die Wundmale" als besonders hervorragend. Ganz richtig bemerkt er, daß Crowe uud Cavalcaselle eine gewisse Unbestimmtheit 1

s. Frey,Vasari,Levite,I. S. 452 (Tab. 11/16). Die Möglichkeit der Autorschaft Rusutis wird für das Heiligengewölbe aufrecht erhalten, das Doktorengewölbe ist vielleicht von einem Schüler Rusutis. Die Langhaasfresken werden ganz allgemein der römischen Schule zugeschrieben, aber Cavallinis Mitwirkung als unwahrscheinlich erklärt.

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darüber bestehen lassen, wieviele Fresken der linken Schiffswand nun wirklich eigenhändige Arbeiten Giottos seien. 1 Wenige J a h r e später gelingt es S t r z y g o w s k i 2 (Tab. II/7), neues Licht über die Frage der Fresken der Oberkirche zu verbreiten und den Zusammenhang Cimabues mit römischer Kunst in ein sichereres Verhältnis zu bringen. Die Entdeckung der Notariatsakte im Archiv von S. Maria maggiore 3 gibt den urkundlichen Nachweis, daß 1272 ein „Cimmaboue, pictor de Florencia" in Rom war. Damit ist in Assisi f ü r die Anwesenheit eines Florentiner Künstlers und f ü r die stilistischen Übereinstimmungen mit römischer Kunst eine Begründung gefunden. Strzygowski k a n n somit von Yasari ausgehen: Cimabue sei Giottos Lehrer. Der Meister sei mit seinen Schülern 1280—88 in Assisi gewesen. Es sei ein Verdienst Thodes, den Begriff „Schule Cimabues" eingeführt zu haben. Der urkundliche Nachweis des Aufenthaltes Cimabues in Rom ermöglicht es Strzygowski, bestimmte Künstlerpersonen in Assisi einzusetzen. Auf Grund der Vergleichung mit den Mosaiken in S. Maria in Trastevere bestimmt er Cavallini als den Maler f ü r die ganze linke Schiffswand des Hochschiffes und f ü r die Jakob- und Josephszenen auf der rechten Schiffswand. Auf Grund der Vergleichung mit der Fassade von S. Maria maggiore müsse die übrige rechte Schiffswand und das Heiligengewölbe von Rusuti sein. Ein dritter Meister, mutmaßlich Giovanni Cosmas, wäre im Doktorengewölbe, sowie a n der Eingangswand zu erkennen; er habe am meisten Beziehungen zu Giotto, dem man einen großen Teil der Franziskusbilder zuschreiben müsse. Eine Datierung derselben nimmt Strzygowski nicht vor, es ergibt sich aber eine Entstehung u m die Jahrhundertwende. Bei diesen Schülern des Cimabue ist Strzygowski der Abstand von dem Meister ebensowenig befremdlich als bei Giotto: die eindringende Gotik mag die Schüler dem Lehrer entfremdet haben. I n dieser Gotik sieht Strzygowski einen Bruch in der Entwicklung, einen Bruch gegenüber den Fresken Cimabues im Querschiff, die auf antiker Tradition aufgebaut seien. Die Fortsetzung seines Werkes h ä t t e zu Masaccio geführt. Mit der Herrschaft der Gotik mußte diese Entwicklung aber fallen. Die Verfolgung der Architekturen auf den Fresken Giottos zeige deutlich den geringen Eindruck, den das antike Rom auf Giotto gemacht habe, „es ist geradezu empörend, wie teilnahmlos er der Antike gegenüber bleibt" 4 . Mit dieser Ansicht steht Strzygowski in wesentlichem Gegensatz zu Thode, der gerade die f o r t l a u f e n d e Entwicklung, beruhend auf gotischer u n d antiker Tradition hervorhebt und in der Vielseitigkeit der in der 1 2 3 4

s. Frey, a. a. O. S. 120; s. auch Frey, Karl, Codice Magliabecchiano, Berlin 1892, S. 229. Strzygowski, Joseph, Cimabue und Rom, 1888. Strzygowski, a. a. O. S. 158. Strzygowski, a. a. O. S. 204.

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Franziskuslegende hervortretenden Bildelemente den wesentlichen Fortschritt empfindet. So ist auch der Begriff „antikisierend" bei Thode etwas allgemeiner gefaßt und drückt mehr das aus, was ihm Größe und Entwicklung bei Giotto und damit in der Kunst des Trecento ist. Während also Strzygowski in den gotischen Elementen der Fresken der Oberkirche die Hemmung einer Entwicklung erkennen wollte, einer Entwicklung, die von Cimabue vorbereitet war, sucht Z i m m e r m a n n 1 (Tab. 1/28, II/8) die Zusammenhänge wieder in anderer Weise zu erklären. Er ist der Meinung, daß Cimabue vielmehr „befangen bleibt in den finsteren Formen, welche das Byzantinische in Toskana angenommen hatte". Zwar bringt er Cimabue auch in Zusammenhang mit der römischen Kunst, bei der er drei herrschende Richtungen unterscheidet: zwei derselben seien byzantinisch, und eine dieser gehöre Cimabue an, während Giotto in seinen Jugendwerken deutlich einem einheitlich lateinischen Stil zugestrebt habe; somit sei Giotto dem dritten Kreise der römischen Kunst zuzurechnen, der auf antiker Tradition aufbaue und möglichst frei von byzantinischen Elementen bleibe. Dieser national-italischen Richtung gehörten Werke, wie die Fresken in der Vorhalle von S. Lorenzo und vor allem diejenigen in S. Clemente an. Die ausführlichere Darstellung der hier angedeuteten Zusammenhänge war für den II. Band des Werkes von Zimmermann vorgesehen, der nicht erschienen ist. Die Nachricht Vasaris, daß Cimabue Giottos Lehrer sei, wird von Zimmermann für Erfindung erklärt, aber der Verfasser will damit Cimabues Einfluß auf Giotto keineswegs ausschalten. So bleibt also Cimabues allgemeine Stellung, wie weit er nämlich florentinisch oder römisch sei, im unklaren und ebenso sein Verhältnis zu Giotto, ob „Schülerschaft" oder „Einfluß". Die Theorie Zimmermanns über die Entstehung der Fresken des Langhauses der Oberkirche stellt sich folgendermaßen dar: Das Hochschiff zeigt zwei der erkannten Richtungen; der wesentliche Teil gehört der zweiten byzantinischen an. Der ausführende Künstler, der sich durch dekorative Schönheit kennzeichnet, sei eher Torriti, der Schöpfer der Apsis von S. Maria maggiore, als der von Strzygowski angenommene Rusuti, der, nach Zimmermann, als schwächlicher Künstler beurteilt werden müsse. Damit wird der Name Torritis in Assisi zum ersten Mal bestimmt eingeführt 2 . 1 2

Zimmermann, M. G., Giotto und die Kunst Italiens im Mittelalter, Leipzig 1899. Auf Grund der bei Vasari stattgefundenen Vermischung des Meisters Jacobus, des Meisters der Chornische des Florentiner Baptisteriums, ist Torriti mit den Kuppelmosaiken des Baptisteriums in Verbindung gebracht worden, auch nachdem die Identität des Florentiner Jacobus mit Torriti sich als irrtümlich erwiesen hatte (s. R. Davidsohn, Das älteste Werk der Franziskanerkunst, Rep. f. Kwst. X X I I . 1899); so von Frey, der ihn zu den florentiner Künstlern rechnet (a. a. O. S. 134) und an den Kuppelmosaiken mitarbeiten läßt. Zimmermann (a. a. O. S. 269) weist ausdrücklich auf seine römische Herkunft hin. S. auch Mario Soldati, Nota su Iacopo Torriti, l'Arte 1928, S. 247 ff.

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Der neue Geist, ein noch jugendlich befangener Geist, künde sich in den Jakobszenen an, während das Doktorengewölbe die Kunst eines fertigen Meisters zeige. Der Meister dieses Gewölbes sei Giottos Lehrer, die Jakobszenen dagegen seien mit Thode Giotto selbst zuzuschreiben. In den ersten Bildern des Franziskuszyklus setze sich der Stil der Jakobszenen fort, hier habe Giotto schon etwa 1290 gearbeitet; folglich seien die Fresken Torritis schon vor 1290, vor seinen Mosaiken in Rom, der Apsis des Lateran und der Apsis von S. Maria maggiore, entstanden. Die Aufträge in Rom könnten auf Torritis Mitwirkung in der Oberkirche beruhen. Für die Werke von Giotto ergibt sich für Zimmermann folgende Chronologie: nach den Fresken 2—12 des Franziskuszyklus, die sich an die Jakobszenen anschließen, folgt ein Einschnitt, erklärbar möglicherweise damit, daß Giotto nun erst die Entwürfe für die Mosaiken der Marienlegende in S. Maria in Trastevere gezeichnet habe. Cavallini, der also hier noch als Schüler Giottos erscheint, führte dieselben aus. Gleichzeitig seien möglicherweise vor Beginn des 13. Bildes der Franziskuslegende die Entwürfe für die Fresken im Hochschiff: X X I — X X I V , X X I X — X X X I I , X X X I I I und X X X I V gemacht, deren Ausführung auf zwei Hände weise; die eine stände Torriti näher, die andere sei dem Meister des Doktorengewölbes ähnlich, während die Josephszenen, X V und X V I , aus technischen Gründen schon vor den darunterliegenden Fresken 11 und 12 der Franziskuslegende entstanden sein müßten. Zimmermann sucht durch diese Hineinbeziehung der Hochschiffs-Fresken in die zeitliche Abfolge des Franziskuszyklus den großen Fortschritt zu einer Reife, die er bei der „Weihnachtsmesse von Greccio" (13) und weiter in der „Tränkung des Durstigen" (14), dem „Tod des Edlen von Celano" (16), der „Stigmatisation" (19) empfindet, zu erklären. Sein Urteil über die späteren Bilder leidet unter dem Zwiespalt, daß er einmal von Bild 20 an, wo die figürlich reicheren Darstellungen beginnen, „eine Schwächung, manchmal fast eine Ermüdung" empfindet und dabei doch feststellt, „daß seine künstlerische Herrschaft über den menschlichen Körper zum Ausdruck seelischer Vorgänge wächst" und daß Giotto reifer werde. Giotto komme von einem plastischen zu einem mehr malerischen Stil. Das erste Bild des Zyklus, „die Huldigung des heiligen Franziskus", zeige als das zuletzt entstandene die höchste Steigerung seiner Kunst. Zimmermann sieht eine unmittelbare Weiterentwicklung in den Allegorien, die den malerischen Stil der letzten Franziskusbilder fortsetzen und eine starke Betonung des Dekorativen zeigen, die auf Elemente der Oberkirche zurückgeführt und durch einen Einfluß Torritis erklärt werden. Die Einheitlichkeit der Ausdrucksform von Franziskuslegende und Allegorien verbiete eine zeitliche Trennung dieser beiden Folgen, während die späteren Werke Giottos von der Altartafel in S. Peter bis zu den Freskenfolgen in 29

Padua und Florenz einer anderen Schaffensperiode zuzuweisen seien. Mit den Allegorien höre der eigene Anteil Giottos in der Unterkirche auf, wenn auch die übrigen Folgen aufseine Entwürfe—Nikolauskapelle und Franziskuswunder — oder auf die Fresken in der Arenakapelle — Jugendgeschichte und Magdalenenkapelle1 — zurückgingen. Die Nikolauskapelle, deren Wandgemälde „von solcher Schönheit seien, daß die Kapelle eines der Kleinodien jenes Zeitalters ausmacht" (S. 383), gehöre der Zeit vor 1300, vor dem Altar in S. Peter an 2 , während für die übrigen Folgen nur ein Datum nach den Paduaner Fresken in Frage kommen könne. Die Frage der „Hände" hatte sich kompliziert und immer neue Meinungen über die Zuschreibungen wurden laut. Das kritische Interesse hatte sich hauptsächlich dem Hochschiff, seinem Zusammenhang mit dem Franziskuszyklus einerseits und andererseits seiner Beziehung zur römischen Kunst zugewandt. T h o d e , der an dieser Stelle zuerst bestimmter Giottos Mitwirkung annahm, hatte sich sonst auf die Bezeichnung „Cimabue und Schule" beschränkt, mit Ausnahme des Heiligengewölbes, das er auf Grund der Verwandtschaft der Fassade von S. Maria maggiore Rusuti zugewiesen hatte. Auch F r e y war bei einer allgemeinen Festlegung des Stilzusammenhanges mit dem Kreise der römischen Cosmaten geblieben. S t r z y g o w s k i und Z i m m e r m a n n hatten dann einzelne Meister für die Fresken eingesetzt. S t r z y g o w s k i , der die Bezeichnung der römischen Meister als Schüler Cimabues beibehält, verteilt die Fresken an Rusuti und Cavallini. Er gibt Cavallini, den er auf Grund der Übereinstimmung mit den Mosaiken in S. Maria in Trastevere für einen großen Teil des Langhauses einsetzt, eine selbständige Stellung, während Z i m m e r m a n n auf die durch Vasari überlieferte Schülerschaft Cavallinis zurückkommt und ihn in Abhängigkeit von Giotto sieht3. Z i m m e r m a n n wandelt die von Crowe und Cavalcaselle, Strzygowski und Thode auf Grund des Mosaikes der Fassade von S. Maria maggiore eingeführte Zuschreibung des Heiligengewölbes an R u s u t i in eine solche an T o r r i t i auf Grund des Zusammenhanges mit den Apsismosaiken von S. Maria maggiore. Weiter weist er diesem Künstler auch einen Teil der Langhausbilder des ersten und zweiten Joches zu, indem er Cavallini und Rusuti ausschaltet. 1 2

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Zimmermann, a. a. O. S. 405. Zimmermann, a. a. O. S. 411, nimmt für die Franz.-Wunder der Unterkirche und für die Nik.-Kap. zwei verschiedene Meister an. s. W. Kailab, Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jhdt., Jahrb. d. Kst-Samml. d. allerh. Kaiserhauses X X I . , S.lff. (Tab. 1/29). Auch Kailab (S. 41) glaubt, daß die Mosaiken von Cavallini in S. Maria in Trastevere unter dem Einfluß Giottos entstanden seien. Er lehnt den Franziskus-Zyklus als Frühwerk Giottos ab und datiert auf Grund der entwickelten Raumdarstellung die Fresken in die ersten Jahrzehnte des XIV. Jhdts. Die wesentliche Basis seiner Beurteilung ist die Altartafel in der Sakristei von S. Peter, die er für ein sicheres Werk von Giotto halt.

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Es gelingt nunmehr eine breitere Grundlagefür die Beurteilung des Stiles von Cavallini zu finden. Im Jahre 1902 erfolgt die Veröffentlichung der neu aufgedeckten Fresken von Cavallini im Nonnenchor von Santa Cecilia in Trastevere durch Hermanin 1 (Tab. 1/32, II/9), der die Bedeutung derselben für die Oberkirche von Assisi stark hervorhebt. Hermanin glaubt nun, Cavallini einen sehr wesentlichen Teil der Fresken des Hochschiffes mit größerer Sicherheit als es bisher geschehen konnte, zuschreiben zu dürfen. Er nimmt eine gemeinsame Arbeit von Cavallini, Giotto und anderen römischen Künstlern an, unter denen Torriti für das Heiligengewölbe und ein zweiter Meister „mit späteren Zügen" für das Doktorengewölbe sein könnten2. Cavallini wird nunmehr zum Mittelpunkt des römischen Künstlerkreises., seine Abhängigkeit von Giotto hat sich als endgültig hinfällig erwiesen. Er wird der Träger der neuen Kunstströmung in Rom, die, wenn auch nicht frei von byzantinischen Elementen, sich wesentlich von der byzantinischen des Torriti unterscheide. Sowohl Rusuti als auch Torriti seien in ihren römischen Werken im Vergleich zu Cavallini altertümlich. Cavallini sei der unmittelbare Anreger von Giotto; aus dem Kreise des römischen Cavallini wachse Giotto hervor: In den Hochschiff-Fresken von Assisi, in den Fresken des Alten und Neuen Testamentes, zeige sich der Wettstreit des alten und neuen Geistes. Hermanin hält es für wahrscheinlich, daß Giotto 1290—95 in Rom im Kreise Cavallinis geweilt habe. Die römischen Elemente treten dann allmählich in der Franziskuslegende zurück, wenn sie auch deutlich erkennbar bleiben. Diese von Hermanin betonten Stilzusammenhänge zwischen Cavallinis Fresken in S. Cecilia und den Langhausfresken in Assisi erwiesen sich nun aber auf die Dauer nicht so zwingend, als man zunächst annehmen zu können geglaubt hatte. Und so blieb die Meisterfrage des Hochschiffes umstritten, und ebenso umstritten blieb die Frage über die Herkunft von Giottos Stil.

5. DIE FRAGE NACH DEN GOTISCHEN WURZELN DER KUNST GIOTTOS. ÄHREND sich die Erkenntnis immer mehr zu festigen schien, daß Giotto aus dem Kreise römischer Künstler hervorgegangen sei, wurden auch andere Meinungen laut, und es wurde die Gefahr nicht immer vermieden, das, was sich aus dem Vorhandenen nicht erklären ließ, auf dem Wege der Konstruktion zu ergänzen. 1

2

Hermanin, Frederico, Gli affreschi di Pietro Cavallini, Le Gallerie Nazionali, V. S. 61ff. Rom 1902. Für die spätere Auffassung Hermanins s. Assise, 1927. S. 126 ff. und Tab. 1/56.

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Es gelingt nunmehr eine breitere Grundlagefür die Beurteilung des Stiles von Cavallini zu finden. Im Jahre 1902 erfolgt die Veröffentlichung der neu aufgedeckten Fresken von Cavallini im Nonnenchor von Santa Cecilia in Trastevere durch Hermanin 1 (Tab. 1/32, II/9), der die Bedeutung derselben für die Oberkirche von Assisi stark hervorhebt. Hermanin glaubt nun, Cavallini einen sehr wesentlichen Teil der Fresken des Hochschiffes mit größerer Sicherheit als es bisher geschehen konnte, zuschreiben zu dürfen. Er nimmt eine gemeinsame Arbeit von Cavallini, Giotto und anderen römischen Künstlern an, unter denen Torriti für das Heiligengewölbe und ein zweiter Meister „mit späteren Zügen" für das Doktorengewölbe sein könnten2. Cavallini wird nunmehr zum Mittelpunkt des römischen Künstlerkreises., seine Abhängigkeit von Giotto hat sich als endgültig hinfällig erwiesen. Er wird der Träger der neuen Kunstströmung in Rom, die, wenn auch nicht frei von byzantinischen Elementen, sich wesentlich von der byzantinischen des Torriti unterscheide. Sowohl Rusuti als auch Torriti seien in ihren römischen Werken im Vergleich zu Cavallini altertümlich. Cavallini sei der unmittelbare Anreger von Giotto; aus dem Kreise des römischen Cavallini wachse Giotto hervor: In den Hochschiff-Fresken von Assisi, in den Fresken des Alten und Neuen Testamentes, zeige sich der Wettstreit des alten und neuen Geistes. Hermanin hält es für wahrscheinlich, daß Giotto 1290—95 in Rom im Kreise Cavallinis geweilt habe. Die römischen Elemente treten dann allmählich in der Franziskuslegende zurück, wenn sie auch deutlich erkennbar bleiben. Diese von Hermanin betonten Stilzusammenhänge zwischen Cavallinis Fresken in S. Cecilia und den Langhausfresken in Assisi erwiesen sich nun aber auf die Dauer nicht so zwingend, als man zunächst annehmen zu können geglaubt hatte. Und so blieb die Meisterfrage des Hochschiffes umstritten, und ebenso umstritten blieb die Frage über die Herkunft von Giottos Stil.

5. DIE FRAGE NACH DEN GOTISCHEN WURZELN DER KUNST GIOTTOS. ÄHREND sich die Erkenntnis immer mehr zu festigen schien, daß Giotto aus dem Kreise römischer Künstler hervorgegangen sei, wurden auch andere Meinungen laut, und es wurde die Gefahr nicht immer vermieden, das, was sich aus dem Vorhandenen nicht erklären ließ, auf dem Wege der Konstruktion zu ergänzen. 1

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Hermanin, Frederico, Gli affreschi di Pietro Cavallini, Le Gallerie Nazionali, V. S. 61ff. Rom 1902. Für die spätere Auffassung Hermanins s. Assise, 1927. S. 126 ff. und Tab. 1/56.

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So versucht W u l f f 1 (Tab. 1/34, 11/12) durch hypothetische Zusammenhänge mit der Buchmalerei die Lücke in der Kenntnis von Giottos Entwicklung auszufüllen. Wulff stimmt in der Zuweisung der HochschiffFresken an Giotto den vorigen Bearbeitern zu, ja, er erweitert die Zahl der Bilder noch: die beiden letzten Joche, die Eingangswand und das Doktorengewölbe sollen von Giotto sein. Aber Giotto sei ein in gotischer Formauffassung gebildeter Künstler; der byzantinische Charakter der Hochschifffresken sei durch Zugrundelegung von byzantinischen Miniaturvorlagen zu erklären, die auch für die Meister der ersten beiden Joche maßgebend gewesen seien. Wulff erkennt also, indem er Giotto einen Teil dieser Fresken zuschreibt, einen Zusammenhang zwischen Giotto und den Künstlern des Hochschiffes an, die er namenlos als „Meister der toskanischen maniera greca und der römischen Mosaizistenschule" bezeichnet, aber ausschlaggebend sei die neue Formensprache, die im Doktorengewölbe zum Ausdruck komme. Diese Bilder der vier Kirchenväter ständen der Franziskuslegende am nächsten, sie seien ins Große umgesetzte Miniaturen, von einem Miniaturisten gemalt. Und mit der Annahme, daß auch für den Franziskuszyklus, zum mindesten für einen Teil der Bilder, illustrierte Viten des heiligen Franziskus zugrunde gelegen hätten, setzt die Theorie ein, mit der Wulff den starken Gegensatz zu den Fresken des Alten und Neuen Testamentes zu erklären sucht; weiter glaubt er auch auf diesem Wege den gotischen Charakter der Fresken des Franziskuszyklus verständlich zu machen. Die allgemeine Anordnung, die Raumbildung, das Format, das Verhältnis der Figuren zur Fläche, alles dies scheint ihm die Zusammenhänge mit der Gotik zu beweisen und zwar mit gotischen Miniaturen. Er erkennt als wichtiges Moment die Raumkonstruktion, deren Vorstufen er nun in der französischen Miniatur und zwar in den Bildern des Psalters Ludwigs des Heiligen (Paris, B. Nat. 10525) zu finden glaubt. Die einheitlichen architektonischen Rahmen, eine nicht reliefartige, sondern körperlich räumliche Anordnung, die teppichartigen Hintergründe, welche als Vorstufe für die Jakobszenen im Hochschiff anzusehen seien, die Rahmung der Architekturen, welche Körper- und Tiefenvorstellung zu wecken suchten, seien die Grundlagen der in Assisi in Giottos Werken kenntlichen neuen Formauffassung. Das Fehlen malerisch plastischer Modellierung in dieser französischen Miniatur, das erst durch die italienische Kunst gewonnen wäre, gestatte nicht einen prinzipiellen Gegensatz abzuleiten. Und wenn Wulff auch feststellt, daß die Raumkonstruktion, wie sie sich um die Wende zum Trecento in der italienischen Kunst bei Giotto, bei Duccio findet, vielleicht einer „aus der Anschauung antiker Malerei entspringenden" Anregung zu danken sei, und daß Italien ein Hauptverdienst daran 1

Wulff, Oskar, Zur Stilbildung der Trecento-Malerei, Rep. f. Kwst. 1904. S. 221f., 308f.

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habe1, so sieht er doch die eigentliche Herkunft dieser Raumkonstruktion in der französischen Miniatur. Für die Übertragung der in dem Ludwigspsalter festgestellten Vorstufen nach Italien wird nun in kühner Konstruktion das Vorhandensein einer umbrischen Miniatorenschule angenommen. Wulff führt Giottos frühen Stil auf diese Miniatorenschule zurück, die auch die römischen Cosmaten und Cavallini, ehe Giotto nach Rom kam, beeinflußt habe. Aber „die Gotik Giottos ist keine unselbständige Fortsetzung französischen Stils, sondern eine temperierte, von der Art wie sie in Rom herrscht2". So kommt Wulff dazu, in römischer Kunst, insbesondere in der Cosmatenkunst, den gleichen Einfluß wie bei Giotto zu erkennen, nämlich den der gotischen Miniatur, vermittelt durch die umbrische Miniatorenschule Oderisis, „die die Motive der Cosmaten für die Malerei verallgemeinert hat" 3 . Die allgemeinen Ähnlichkeiten, wie sie sich in der Franziskuslegende und der Fassade von S. Maria maggiore zeigen, beweisen ihm nicht eine gleiche Künstlerpersönlichkeit, sondern nur eine genetisch hinter Giotto zurückliegende Kunststufe, die diesen Einfluß zeige. Die Peterstafel, die für Kailab 1 in ihrem Gegensatz zu der Franziskuslegende der Grund gewesen war, eine Zuweisung der Franziskuslegende an Giotto abzulehnen, ist ihm gerade in der Zugehörigkeit zu der Franziskuslegende ein Beweis für deren gleichzeitige Entstehung vor 1300. Ebenso findet er diese Annahme durch die 1302 datierte Franziskustafel im Louvre, die er richtig als auf die Franziskuslegende zurückgehend ansieht, bestätigt. Für Giottos weitere Stilentwicklung im Anschluß an die Franziskuslegende sei Rom maßgebend. Die Navicella bedeute Giottos Übergang zum monumentalen Stil. Es vollziehe sich nun die Abklärung seines Jugendstiles durch die Berührung mit der römischen Mosaizistenschule und ihren byzantinischen Typen. Damit sei der Einfluß der Miniatur abgeschlossen. Die Arena zeige diesen Stilwandel durch die byzantinische Kunst, deren Einfluß aber nicht leicht faßbar sei, denn „ihre Einzelelemente sind zwar nicht bis zur Unkenntlichkeit, aber doch in vollstem Maße assimiliert". Die Arena bilde im Anschluß an die Navicella den vollsten Gegensatz zu Giottos Jugendstil, obwohl der genetische Zusammenhang bleibe, während Wulff in den späteren Werken Giottos wieder eine Annäherung an den Stil des Franziskuszyklus feststellen möchte: in S. Croce vereine sich die plastisch räumliche Gestaltung des Franziskuszyklus mit den Prinzipien seines reifen Monumentalstiles. Wulff lehnt es ab, eine einheitliche Linie der Entwicklung in Giottos Kunst festzustellen, denn „ein Künstler stelle keine unveränderliche Größe dar". Seine Größe liege in der Vereinigung der beiden im Dugento 1 3

Wulff, a. a. O. S. 238. Wulff, a. a. O. S. 228. 3

Martius.

2 1

Wulff, a. a. O. S. 228. Kailab, a. a. O. S. 41.

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herrschenden Kunstströmungen, der byzantinischen u n d der gotischen. Aber trotz seiner Zurückbeziehung des Ursprunges von Giottos Kunst auf die gotische Miniatur, die sich zwar nur durch eine fingierte Größe h a t t e belegen lassen, scheint letzten Endes f ü r Wulff die byzantinische Kunst doch die ausschlaggebende Quelle zu sein, da er in ihr die eigentliche Wurzel des italienischen Monumentalstiles sieht. Die Malereien der Unterkirche werden von Wulff in bezug auf Giottos Beteiligung sehr vorsichtig beurteilt. E r sieht hier die „schwierigste aller Giottofragen". Während eines zweiten Aufenthaltes in Assisi, etwa 1315, habe Giotto die Allegorien, wenigstens „ A r m u t " und „Keuschheit" fraglos, eigenhändig gemalt. I m übrigen sei nur noch für die Kreuzigung im rechten, nördlichen Querschiff die „volle Urheberschaft" zu erkennen, während bei den Franziskus-Szenen Einschränkungen gemacht und teilweise Schülerhilfe angenommen wird, nachdem Giotto die Arbeit ziemlich plötzlich abgebrochen zu haben scheine 1 . Die weiteren Folgen müßten ohne wesentliche Pause entstanden sein: für das Stifterbild der Nikolauskapelle könne der Entwurf von dem Meister sein, nicht aber f ü r die Einzelszenen. Jugendleben und Magdalenenkapelle, nach oder in Anlehnung an Vorlagen, werden in Übereinstimmung mit Zimmermann beurteilt 2 . Außer dieser hypothetischen Erklärung des Ursprungs der gotischen Elemente durch Wulff, war schon in der älteren Literatur die Ansicht geäußert worden, daß Giovanni Pisano von Einfluß auf Giotto gewesen wäre. P a s s a v a n t 3 h a t t e diese Meinung vertreten und sie war dann mehrfachwiederholt worden. Verschieden ist Art und Grad dieses angenommenen Einflusses zu denken. B e i T i k k a n e n 4 handelt es sich mehr u m einen ideellen Einfluß, der in einer allgemeinen früheren Befreiung der Plastik von mittelalterlicher Gebundenheit begründet liegt. Giotto verdanke weit weniger seinem Lehrer Cimabue als dem Bildhauer Giovanni Pisano. T h o d e 5 möchte eine direkte Kenntnis der Denkmäler sowohl derjenigen von Arnolfo di Cambio als der von Giovanni Pisano annehmen. B e r e n s o n 6 gibt in dem Werkverzeichnis seiner florentinischen Maler an, daß Giotto sich unter dem Einfluß des Giovanni Pisano gebildet habe und läßt es unbestimmt, wie eng oder weit er sich den Zusammenhang denkt, während S e l i n c o u r t 7 ausdrücklich, infolge der Bemerkung Beren1

Wulff, a. a. O. S. 317: „Erweckung des Jünglings von Suessa": % des Bildes von links; „Tod des Jünglings von Suessa": höchstens in den Mittelfiguren eigenhändig; „Sturz des Knaben": nur Schüler. 2 Wulff, a. a. O. S. 319. Zimmermann, a. a. O. S. 405ff. 3 4 Passavant, a. a. O. S. 37. Tikkanen, a. a. O. S. 42. 5 Thode, Giotto, Klassiker der Kunst 1899, S. 47. 6 Berenson, Bernhard, The florentine painters of the Renaissance, I. 1896, II. 1898, III. 1909. 7 Selincourt, Basil de, Giotto, London 1905. (Tab. 1/35, 111/23.)

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sons, auf die Unwahrscheinlichkeit naher Beziehungen der beiden Künstler hinweist. Mason P e r k i n s 1 geht von ganz allgemeinen Gesichtspunkten aus, von der großen Bewegung, die für die Literatur durch Dante, für die Plastik durch die Pisani und für die Malerei durch Giotto bestimmt worden sei. Und wenn er auch an der traditionellen Auffassung von Cimabue als Giottos Lehrer festhält und gleichfalls die Bedeutung der römischen Malerei für Giottos Entwicklung anerkennt, so sieht er dennoch weder in Cimabues Einwirkung, noch in der traditionsgebundenen römischen Kunst das Wesentliche für Giottos Entwicklung; sondern der Mittler der vorwärts weisenden lebenerfiillenden Kunst sei Giovanni Pisano; es sei seine Person, die außer der unmittelbaren Naturanschauung Giotto entscheidend beeinflußt habe. Giovanni Pisano sei der einzige Künstler, der für Giotto Bedeutung gehabt habe. Darüber hinaus wird nun ganz allgemein die Gesamtheit der französischen Plastik als wesentlich für den Stilwandel in Italien zusammengefaßt, eine Theorie, die mit zunehmender Kenntnis der Denkmäler immer mehr Boden gewinnen sollte. Roger F r y 2 sieht eine Parallelentwicklung in dem Wiederaufleben klassischer Formen bei Niccolo Pisano und in der römischen Monumentalmalerei, wodurch hier Giotto und dort Giovanni Pisano ihren Ausgang gewonnen hätten3. Doch nicht nur in der allgemeinen Anschauung hat sich somit das Bild durch die Vervielfachung der Meinungen erweitert, auch in der Bestimmung der einzelnen Werke werden in schneller Folge neue Hypothesen aufgestellt. Nicht immer leicht ist es, die erste Quelle einer jeden Ansicht zu erkennen. Wesentlich ist die starke Beachtung, die das Altarwerk in der Sakristei von S. Peter in dieser Zeit erfährt. K a i l a b 4 hatte auf Grund desselben Giottos Autorschaft an der Franziskuslegende abgelehnt, Wulff hatte das Gegenteil angenommen, Roger F r y 6 und P e r k i n s 8 schätzen es äußerst hoch, Berenson 7 wird mit durch dieses Werk veranlaßt, die Allegorien in das Jugendwerk Giottos einzuschließen, worin ihm P e r k i n s folgt. Perkins, Mason, Giotto, Great Masters of the Renaissance, 1900. (Tab. 1/31 und 1/47, 111/22.) 2 Fry, Boger, Vision and design, London 1928 (Neudruck aus Monthly Review 1900 und 1901). 3 Zu den verschiedenen Hypothesen vgl. auch die von Rintelen I. Aufl. Anm. 69: Es könne als natürlich angesehen werden, daß schon vor der Ausmalung der Scrovegni-Kapelle eine Berührung der beiden Künstler anzunehmen wäre. Ebenso pflichtet auch Siren der Ansicht über einen Einfluß Giovanni Pisano's bei; s. Siren, Giotto, Stockholm 1907, S. 30. 4 Kailab, a. a. 0 . S. 40. 5 Fry, R., Vision and design, S. 159. 6 Perkins, Mason, Giotto, S. 38. 7 Berenson, Rassegna d'Arte 1908, S. 43. 1

3*

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Auch T h o d e 1 hat dieser Meinung zugestimmt und gibt entgegen seinen früheren Äußerungen, deren allgemeiner Auffassung viel eher beizupflichten sein dürfte, folgende Chronologie: Anschließend an die Franziskuslegende zeige die Nikolauskapelle die Weiterentwicklung eines jugendlichen Stiles, in den Allegorien und Christusszenen wird derselbe fortgebildet, bis sich in der Magdalenenkapelle die breite Wucht und Macht des Paduaner Stiles vorbereitet. Die Entwicklung Giottos vollziehe sich also von „den eine zarte Empfindung zeigenden Allegorien zu den mächtigeren derberen Formen der Paduaner Fresken", eine Ansicht, die seiner früheren direkt zuwider läuft. R i n t e l e n 2 kommt infolge stilistischer Erwägungen zu der Uberzeugung, daß die Altartafel in der Sakristei von S. Peter aus Giottos eigenem Werk zu streichen sei; auf Grund des Aufbaues der Tafel, des hochentwickelten gotischen Zierates, einer gewissen Kleinteiligkeit, der Figurentypen, der Vernachlässigung des sachlichen Gehaltes, der Verwendung äußerlich dekorativer Kunstmittel und der starken Realisierung glaubt er annehmen zu können, daß das Werk einer wesentlich späteren Zeit angehöre. Freilich erscheint es ihm für das spätere Trecento — er möchte es mit der Rückkehr der Päpste nach Rom in Verbindung bringen — reichlich altertümlich. Diese Ansicht, daß die Peterstafel, wie wir sie heute sehen, nicht von Giotto sei, fand vielfache, wenn auch nicht allgemeine Zustimmung 3 . B e r e n s o n , für den ihre Zugehörigkeit zu Giottos Jugendwerk „articolo di fede" gewesen war, hatte auch die Allegorien in eine Zeit um 1300 datiert und hatte, ebenso wie Thode, eine Entwicklung von einer zarteren Formensprache zu einer größeren Kraft des Ausdrucks angenommen. Nunmehr löst er mit der Peterstafel auch die Allegorien aus dem Werk von Giotto. 4 Gleichzeitig glaubte man auch in den letzten Bildern des Franziskuszyklus eine bestimmte Hand, die des sogenannten Cecilienmeisters, zu erkennen. T h o d e hatte bereits auf die Ähnlichkeit des Stiles mit der 1

a

3

4

Thode, H., Franz v. Assisi, II. Aufl. 1904, S. 275. Thode, H „ Giotto, Künstlermonographien, Bd. 43, Bielefeld 1899 (Tab. 111/21): sämtliche Freskenfolgen in Assisi vor dem Zyklus der Arena-Kapelle entstanden. Volbach hat an Thodes Zuweisung der Franziskuslegende an Giotto festgehalten (s. a. a. O. II. Aufl. 1926, S. 153), indem er nur das erste und die drei letzten Fresken ausnimmt. Die Unterkirche ist Werkstattarbeit und später als die Paduaner Werke. Rintelen, Fr., Das Altarwerk in der Sakristei in S. Peter in Rom, Beil. z. Allg. Ztg. 1905, Nr. 287. So halten Siren, Pératé, auch Aubert noch an ihrer Zugehörigkeit zu Giottos Werk fest, neuerdings wieder Cecchelli (s. II Vaticano, Milano 1927), Muñoz (Roma di Dante, S. 227). Berenson, B., Lettera aperta, Rass. d'arte VIII, 1908, S. 45, wo Berenson seine Ansicht über die Fresken in Assisi darlegt. Die Peterstafel wird mutmaßlich Bernardo Daddi zugeschrieben. Seine Zuschreibungen der verschiedenen Zyklen der Unterkirche, s. Text S. 40.

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Cecilientafel hingewiesen1. Roger F r y 2 (Tab. 1/30) und Berenson 3 (Tab. 1/27, 1/42, 111/20, 111/27) hatten bestimmter den Cecilienmeister erkennen -wollen, doch ging die Ansicht über die Zahl der von dem Hauptzyklus zu trennenden Bilder auseinander. Eine neue Veranlassung zur Aufstellung der verschiedensten Hypothesen war mit der Bestimmung dieses Meisters gegeben; aber zunächst schien diese entschiedene Trennung der letzten Fresken von dem Hauptzyklus für die Bejahung der Autorschaft Giottos an der Franziskuslegende eine Erleichterung zu gewähren. Bei allem Schwanken über Zuschreibung und Chronologie in dem ganzen Denkmälerkreis, der im Zusammenhang mit Giottos Werke steht, ist hier für einen kurzen Zeitraum an seiner Autorschaft an der Franziskuslegende nicht gezweifelt worden; dagegen tritt ein anderes in den verschiedenen Darstellungen mehr und mehr in den Vordergrund: der Erhaltungszustand der Franziskuslegende wird als sehr erschwerend für die Beurteilung empfunden. Berenson 4 gibt die Fresken als „völlig überschmiert" an, und Perkins 5 stimmt ihm bei: „Hardly any inch of the original surface now remains exposed". Ebenso weisen Frey und Langton Douglas zu verschiedenen Malen auf die gründlichsten Restaurationen hin6, die, wenn sie sich in diesem hier angenommenen Ausmaße nachweisen ließen, die Bedeutung der Freskenfolge sehr herabsetzen würde.

6. DER STANDPUNKT UM DAS JAHR 1907.

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IE Folge der verschiedenen Hypothesen über Zusammenhänge und Chronologie, die sich aus der Umdatierung von Peterstafel und Allegorien ergeben hatten, ist eine besonders lebhafte Beschäftigung mit den Werken der Kirche von Assisi. Bei dem sich immer stärker äußernden Interesse für die Kunst des Trecento werden nun auch die Fresken der Unterkirche

Thode, a. a. O. I. Aufl., S. 555, Anm. zu S. 251ff. Auf Grund von Vasari früher Cimabue zugeschrieben, seit 1831 Uffizien, Katalog: Uff. 1903, als „unbekannt" angegeben. 2 Fry, R., a. a. O. S. 156, sowie ursprünglich Monthly Review 1900. 3 Auch diese Ansicht Berensons über die Franziskuslegende geht auf den späteren Aufsatz (Rass. d'arteVIII) zurück. Die Meinung Berensons früher schon erwähnt bei Perkins, a.a.O., bei Siren und bei Suida, Jahrb. d. Pr. Ksts. 1905, S. 103. Suida schließt sich den Zuweisungen der Fresken in Assisi an den Cecilienmeister nicht an, sondern möchte den Grund der Stilverwandtschaft in der gemeinsamen Beziehung zur römischen Kunst sehen. S. auch Selincourt, S. 51, der auf den anderen Charakter der 9 letzten Fresken verweist und seine Zustimmimg zu der Zuweisung der letzten drei nn den Cecilienmeister erklärt (Tab. 1/35, 111/23). 4 Berenson, Die florentmischen Maler, 1898, S. 135. 5 Perkins, a. a. O. S. 73, von Bayet (Giotto, S. 45) als Hypothese bezeichnet. 6 z. B. Frey, a. a. O. Cod. Magl. S. 228, später Siren, besonders auch Langton Douglas (s. Crowe und Cavalcaselle, II. S. 13), Supino und andere. 1

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Cecilientafel hingewiesen1. Roger F r y 2 (Tab. 1/30) und Berenson 3 (Tab. 1/27, 1/42, 111/20, 111/27) hatten bestimmter den Cecilienmeister erkennen -wollen, doch ging die Ansicht über die Zahl der von dem Hauptzyklus zu trennenden Bilder auseinander. Eine neue Veranlassung zur Aufstellung der verschiedensten Hypothesen war mit der Bestimmung dieses Meisters gegeben; aber zunächst schien diese entschiedene Trennung der letzten Fresken von dem Hauptzyklus für die Bejahung der Autorschaft Giottos an der Franziskuslegende eine Erleichterung zu gewähren. Bei allem Schwanken über Zuschreibung und Chronologie in dem ganzen Denkmälerkreis, der im Zusammenhang mit Giottos Werke steht, ist hier für einen kurzen Zeitraum an seiner Autorschaft an der Franziskuslegende nicht gezweifelt worden; dagegen tritt ein anderes in den verschiedenen Darstellungen mehr und mehr in den Vordergrund: der Erhaltungszustand der Franziskuslegende wird als sehr erschwerend für die Beurteilung empfunden. Berenson 4 gibt die Fresken als „völlig überschmiert" an, und Perkins 5 stimmt ihm bei: „Hardly any inch of the original surface now remains exposed". Ebenso weisen Frey und Langton Douglas zu verschiedenen Malen auf die gründlichsten Restaurationen hin6, die, wenn sie sich in diesem hier angenommenen Ausmaße nachweisen ließen, die Bedeutung der Freskenfolge sehr herabsetzen würde.

6. DER STANDPUNKT UM DAS JAHR 1907.

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IE Folge der verschiedenen Hypothesen über Zusammenhänge und Chronologie, die sich aus der Umdatierung von Peterstafel und Allegorien ergeben hatten, ist eine besonders lebhafte Beschäftigung mit den Werken der Kirche von Assisi. Bei dem sich immer stärker äußernden Interesse für die Kunst des Trecento werden nun auch die Fresken der Unterkirche

Thode, a. a. O. I. Aufl., S. 555, Anm. zu S. 251ff. Auf Grund von Vasari früher Cimabue zugeschrieben, seit 1831 Uffizien, Katalog: Uff. 1903, als „unbekannt" angegeben. 2 Fry, R., a. a. O. S. 156, sowie ursprünglich Monthly Review 1900. 3 Auch diese Ansicht Berensons über die Franziskuslegende geht auf den späteren Aufsatz (Rass. d'arteVIII) zurück. Die Meinung Berensons früher schon erwähnt bei Perkins, a.a.O., bei Siren und bei Suida, Jahrb. d. Pr. Ksts. 1905, S. 103. Suida schließt sich den Zuweisungen der Fresken in Assisi an den Cecilienmeister nicht an, sondern möchte den Grund der Stilverwandtschaft in der gemeinsamen Beziehung zur römischen Kunst sehen. S. auch Selincourt, S. 51, der auf den anderen Charakter der 9 letzten Fresken verweist und seine Zustimmimg zu der Zuweisung der letzten drei nn den Cecilienmeister erklärt (Tab. 1/35, 111/23). 4 Berenson, Die florentmischen Maler, 1898, S. 135. 5 Perkins, a. a. O. S. 73, von Bayet (Giotto, S. 45) als Hypothese bezeichnet. 6 z. B. Frey, a. a. O. Cod. Magl. S. 228, später Siren, besonders auch Langton Douglas (s. Crowe und Cavalcaselle, II. S. 13), Supino und andere. 1

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mehr und mehr kritisch beachtet, von denen allmählich eine Folge nach der anderen Giotto selbst zugeschrieben worden war. Schließlich waren durch Thode auch Magdalenenkapelle und Nikolauskapelle in die Liste der Werke von Giotto gekommen. Freilich wurden diese Zuweisungen weder allgemein anerkannt, noch wurden sie ohne Bedenken gemacht. Es sind die Zweifel an Giottos Urheberschaft nie verstummt, und selbst bei den Allegorien, die ehemals zeitweise als Hauptwerke galten, und noch von neueren Forschern 1 sehr bewundert werden, ist die Schätzung z. B . von Crowe und Cavalcaselle und von Schnaase eine recht bedingte; fügen doch schon Crowe und Cavalcaselle ihrer ausführlichen Beschreibung fast entschuldigend hinzu, daß es nötig sei, den Geist der Zeit zu erwägen, dann käme Giotto größeres Lob zu, als man diesen Fresken gewöhnlich spende, und F r e y 2 hält die Annahme der Autorschaft Giottos nur durch eine sehr komplizierte Hilfskonstruktion aufrecht. J e schärfer nun die Beachtung des Inhaltlichen vor einer sorgfältigen Stilkritik zurücktrat, desto mehr nahmen gerade bei der Beurteilung der Allegorien die Bedenken zu. Schon Wulff wollte sie nicht mehr vollständig dem Werke Giottos zurechnen. Doch waren diese Zweifel, sowie weitere Beobachtungen in der Unterkirche, die Einschätzung der Kreuzigung im rechten Querschiff, die genaue, kritische Besprechung der Franziskuswunder bei den eingehenden Ausführungen in der Oberkirche weniger hervorgetreten. Außerdem hatte man in der gleichen Zeit von anderer Seite gerade wieder die Allegorien durch die zeitliche Einordnung unmittelbar im Anschluß an die Franziskuslegende als besonders wichtig für Giottos E n t wicklung angesehen und versucht, die stilistischen Gegensätze durch diese neue Chronologie auszugleichen. Die Darstellung von Venturi 3 (Tab. 1/36, I I / 1 3 , H I / 2 5 ) innerhalb seiner großen Geschichte der italienischen Kunst scheint dem ganzen Assisiproblem eine neue Wendung zu geben. Venturi macht den Vorschlag, die Fresken des Franziskuszyklus an verschiedene Meister zu verteilen und bestimmt Rusuti, einen der römischen Meister, den Thode und besonders Strzygowski im Hochschiff hatten erkennen wollen, als Meister einiger Fresken des Franziskuszyklus; ein Meister des Hochschiffes — Venturi schreibt ihm das Doktorengewölbe zu — soll also an der Franziskuslegende beteiligt sein. Nach Venturi geht Giotto aus der römischen Kunst hervor; er soll mit den römischen Künstlern in Assisi zusammen gearbeitet 1 2

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z. B. von Perate und von Siren in der ersten Auflage von 1907. a. a. O. Cod. Magl. S. 229: Giotto habe die Allegorien entworfen, vielleicht auch teilweise zu malen begonnen, aber eine andere „letzte Hand" sei beteiligt. Die nähere Untersuchung ergibt sienesisches Kolorit für „Armut" und „Keuschheit", florentinischen Charakter für den „Gehorsam"; die „Glorifikation" sei schwache Arbeit eines Schülers. Venturi, Adolfo, Storia dell'Arte italiana, 1907. V. Bd.

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haben; Giotto „che lasciö in quelle storie assisiate il fiore della sua giovinezza". Aber Giotto wird die Selbständigkeit entzogen, er ist das Glied in einer Gruppe von Künstlern: Venturi zerlegt die Folge in vier Hauptteile und unterscheidet fünf verschiedene Meister. Die erste Gruppe umfasse die Fresken, die von Giotto sein sollen, nämlich 1, 16, 19—23, sowie diejenigen, die einem Schüler „dalle tinte varie e gaie" zugeschrieben werden müssen, nämlich 5, 13, 14, 15, 17; der zweiten Gruppe gehörten 2—4 an, die durch die besondere Plastik der Figuren und durch die vorherrschend grüne Tönung des Fleisches deutlich von den übrigen zu scheiden wären. Weiter sei als dritte Gruppe 6—12 zusammenzufassen, die mit schwereren Formen und weniger lebhaft im Ausdruck hinter dem erwähnten, Giotto ähnlichen Schüler zurückständen. Für die zweite Gruppe wird hypothetisch der Name Puccio Capanna, für die dritte eben der von Rusuti eingesetzt, während die letzten vier Fresken dem Meister der Cecilientafel zugeschrieben werden. Für 24 wird Giottos Autorschaft als zweifelhaft erklärt, für 18 als dem schlechtesten von allen bleibt die Zuweisung unbestimmt. Sehr merkwürdig ist, daß Venturi Giotto gerade in einem Teil der späteren Fresken (von 20 an) erkennen möchte, die vor allem ein Grund des Zweifeins an Giottos Urheberschaft für den ganzen Zyklus gewesen waren und geblieben sind. Und gerade die fortgeschriteneren Kompositionen, die Scheidung der Pläne, des Vor- und Hintergrundes, eine Betonung der Vordergrundfiguren,—was anderen Forschern Bedenken verursachte, — haben Venturi zu seiner Bestimmung veranlaßt, während zutreffend eine gewisse Gleichförmigkeit der Bewegungen und Stellungen in dem ersten Teil des Zyklus als befremdlich für Giotto bemerkt wird. Dieser Versuch Venturis der Teilung der Franziskuslegende ist ohne Auswirkung geblieben. Die offenkundig willkürliche Zerschneidung der Folge hat seiner Theorie keine Nachfolger werden lassen. Anders ist es mit den Zuweisungen, die er in der Unterkirche vornimmt. Der Kernpunkt in dem Fragenkomplex, die Autorschaft Giottos an den Allegorien, wird von ihm dahin entschieden, daß die Allegorien nicht von Giotto sind,1 eine Meinung, der sich ein großer Teil der neueren Forscher angeschlossen hat 2 . Venturi ist mit der Äußerung dieser Ansicht sehr vorsichtig: „non diciamo la composizione delle quattro vele estranea al pensiero di Giotto" 3 . Das Ergebnis seiner Beobachtungen ist, daß Giotto selbst als einziges Werk in der Unterkirche nur ein Teil der Magdalenenkapelle, „tutto parla di Giotto", als Werk eines späteren Assisaner Aufenthaltes, einige Jahre 1 2 3

Venturi, Adolfo, Le vele d'Assisi, L'Arte IX. 1906, S. 19ff. Bintelen, Siren (1917), van Marie, Weigelt und andere. a. a. 0 . V. S. 478.

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vor 1328, belassen werden kann. Gleichzeitig sollen Franziskusszenen, Jugendgeschichte Christi und Allegorien im wesentlichen von zwei Meistern geschaffen sein: einem „maestro del volto oblungo" oder „maestro delle vele d'Assisi", der zarter, feiner als der andere, der „cooperatore nerastre", Giotto ähnlichere ist. Der erste Meister ist in dem ersten Franziskuswunder des aus dem Fenster stürzenden Knaben zu erkennen. Gemeinsam schufen beide die anderen Franziskus-Szenen und die Jugendgeschichte; die Allegorien sind im wesentlichen das Werk des „maestTO del volto oblungo", aber man erkennt die Hand des zweiten in den Umrahmungen und findet von hier Zusammenhänge der Beteiligung dieses Meisters in der Arenakapelle. Ein dritter geringerer Gehilfe ist an der „Glorifikation" beteiligt, während die Nikolauskapelle von einem schwächeren Künstler vor 1316 gemalt sein soll. Weniger klar als die Angaben über die Unterkirche ist das Urteil Venturis über die Peterstafel. Einmal wird sie Bernardo Daddi zugesprochen1, ein anderes Mal wird sie unter Bedingungen doch wieder dem Werke Giottos eingereiht2: sie soll auf Bestellung von Jacopo Stefaneschi um 1320 entstanden sein und, nicht ganz eigenhändig, teilweise von Schülern ausgeführt, auf Giottos Entwurf zurückgehen. Der Zerlegung einzelner Bilder gegenüber, die Venturi vornimmt, kann das Bedenken allzu konkreter kunstwissenschaftlicher Betrachtungsweise kaum verschwiegen werden. Nach dieser Bichtung hin hat auch Wickhoff3 (Tab. 1/38) an Venturis Auffassung Kritik geübt; dabei verfällt Wickhoff nun aber in den Irrtum, daß er den Franziskuszyklus ganz einfach in die Mitte des Trecento datiert und den Zusammenhängen überhaupt keine Rechnung trägt. Viel eindeutiger als bei Venturi gestaltet sich das Bild des Werkes von Giotto in der späteren Theorie von Berenson4, nachdem er infolge der Loslösung der Peterstafel auch die Allegorien aus dem Werke von Giotto ausgeschaltet hat. Ganz richtig betont er, wie schwer es sei, Giottos Werk innerhalb der Meister des Kreises der Ober- und der Unterkirche zu erkennen, aber er schafft doch wieder einen sicheren Ausgangspunkt für Giottos Entwicklung in Assisi, dadurch, daß er an der Zuschreibung der Franziskuslegende an Giotto festhält. Das erste Bild und die Bilder 20—28 nimmt er für den Cecilienmeister (s. S. 37) in Anspruch, indem er für 1 und 20—25 noch einen näheren Zusammenhang mit dem HauptVenturi, A., L'Arte 1906, S. 33. Venturi, A., Storia dell'arte, V. S. 437. 3 Wickhoff, FT., Abhandlungen, Vorträge und Anzeigen, II. Bd., herausgegeben von M. Dvorak, Kstgesch. Anz. 1907, S. 391—99. 1 Berenson, B., Rass. d'Arte VIII. 1908, S. 45, Florentine Painters, 1909, S. 140 ff., u. Text S. 36. 1

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zyklus feststellen zu können glaubt. Der Stil der letzten Fresken dagegen setze sich in der Nikolauskapelle fort. Mit Venturi hält er die Fresken der Magdalenenkapelle für das einzige Werk der Unterkirche, aus dem der eigene Geist Giottos spricht, wenngleich hier von Berenson bestimmte Einschränkungen in bezug auf die einzelnen Bilder vorgenommen -werden. Wie aus den Darstellungen Berensons und Venturis hervorgeht, ging man nunmehr daran, in der Unterkirche die Grenze des eigenen Werkes von Giotto zu dem der Werkstatt festzulegen. Die Verschiedenartigkeit dieser Versuche zeigt ebenso wie der Wechsel der Meinungen der einzelnen Bearbeiter über die Chronologie der verschiedenen Freskenfolgen die Schwierigkeit der Aufgabe; gerade diejenigen Forscher, die sich gründlich und in einem längeren Zeitraum mit den verschiedenen Möglichkeiten beschäftigen, kommen dazu, ihr Urteil immer wieder auf neuer Basis zu bilden. Bereits Thode1 hatte zwei sehr wesentlich voneinander abweichende Hypothesen aufgestellt, indem er die Allegorien einmal nach der Arenakapelle und einmal in Giottos Frühzeit eingeordnet hatte, umgekehrt war Berenson, der zunächst der zweiten Theorie Thodes zugestimmt hatte, später zu der Lösung der Allegorien aus Giottos Werk gekommen. Siren 2 (Tab. 1/41, 1/45, 11/14, HI/30), der in seiner ersten Auflage sich bemüht, die Freskenfolgen in Assisi auf Giottos Person zu vereinigen, ist später3, infolge neuerer Ergebnisse, zur Annahme eines wesentlich ausgedehnteren Werkstattbetriebes bestimmt worden. In dieser ersten Darstellung hat er im Werke Giottos, abgesehen von der Franziskuslegende, auch einen Teil der Unterkirche bestehen lassen, wenn auch nicht ohne Bedenken. Die Franziskuslegende spiele eine untergeordnete Rolle in seinem Werk, sie sei eher geeignet, die klare Künstlerpersönlichkeit zu verdunkeln; diejenigen, „die sie mit uns zu seinen Werken rechnen", können sie nur aus einer Periode des Schwankens erklären, wenn nicht die Übermalungen ihr Gesamtbild sehr verändert haben. Er sieht Giotto als den Schöpfer der Bilder 2—19 an, und die stilistische Übereinstimmung des ersten Freskos mit den drei letzten erscheint ihm ebenso außer Zweifel, als die Loslösung dieser von den Fresken 20—25. Es sind also drei Meister der Franziskuslegende, von denen Giotto der größte Anteil zuzuweisen ist, der zweite (20—25) sich an Giotto anlehnt, durch die Überfülle mit Figuren, durch den Mangel an monumentaler Klarheit sich von dem Meister unterscheidet, der dritte als eine selbständige Persönlichkeit mit einem eigenen Figuren- und Architekturenstil erscheint. Er hebt in den Bildern des Franziskuszyklus die anschauliche Klarheit der Erzählung hervor, die 1 2 3

Thode, Giotto, 1898, und Thode, a. a. O. I, Berlin 1883, II, Berlin 1904. Siren, Giotto, Stockholm 1907. Siren, Giotto and some of his followere, Cambridge 1917.

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dramatische Gestaltungskraft, das sichere Auswählen der Komposition, das bei Einfügung kleiner Züge dieselben nie das Ganze beherrschen lasse. Aber er findet die Figuren zaghaft, steif, eckig, trocken, der Künstler habe nur unvollständig die Ausdrucksmittel beherrscht, besonders glücklich scheinen ihm Kompositionen wie „die Tränkung des Durstigen" (14) und „die Predigt in Arles" (18). Ein anderer Einfluß als der römische scheint ihm wichtig für Giottos Entwicklung, der des Giovanni Pisano. Als Geburtsdatum nimmt er 1276 an, obwohl ihm 1266 historisch begründeter erscheint. Das „tutta la parte di sotto" des Ghiberti möchte er auf die Oberkirche beziehen, und auf der Grundlage der stilistischen Ergebnisse in Verbindung mit Vasaris glaubwürdiger Nachricht, daß Giovanni di Muro Giotto nach Assisi berief, hält er ein Datum 1296—98 für die Franziskuslegende für durchaus möglich. Im Hochschiff will er zwei dem römischen Kreise angehörende Meister anerkennen, von denen der erste, soweit die Erhaltung eine Beurteilung zuläßt, byzantinisch erscheint, und der zweite auf Grund der Isaakfresken, der besterhaltensten Bilder, als „Neuerer" angesehen werden kann. Aber Giotto sei es nicht. Der Künstler könnte Giottos Lehrer gewesen sein, er stehe den Werken von Cavallini in S. Cecilia ungemein nahe. Jedoch so offensichtlich wie bei diesem Meister seien die Zusammenhänge der Franziskuslegende mit Rom nicht. Siren sieht außerdem eine Anregung durch Giovanni Pisano gegeben, ein Einfluß allgemeiner Art, der sich nicht im Figurenstil, wohl aber in den Kompositionsmotiven erkennen ließe, und den Siren bis zu einer Kenntnis der Denkmäler ausbaut. Das der Franziskuslegende am nächsten stehende Werk sei der Freskenzyklus der Arenakapelle in Padua, wenn auch eine Zeit der Entwicklung dazwischen liegen müsse. In der Unterkirche werden Giotto die Allegorien mit einiger Reserve zugesprochen; sie, die märchenhaft schönen Allegorien, werden besonders hervorgehoben und wegen ihres Kolorits bewundert. Außerdem wird für die Magdalenenkapelle und für die Jugendgeschichte die Möglichkeit der Zuschreibung an Giotto erwogen und für die Magdalenenkapelle als wahrscheinlich zugegeben. Den hier erkannten Stilwandel erklärt Siren durch einen Aufenthalt Giottos in Frankreich, dem er unter Beziehung auf Benvenuto Cellini1 große Wahrscheinlichkeit beimißt; er ist geneigt, ihn 1310—16 anzunehmen. Durch die Berührung Giottos mit der französischen Plastik sei das gotische Element der späteren Stilstufe zu verstehen. Suchte Siren die Erklärung für die gotischen Elemente bei Giotto in einem Aufenthalt in Frankreich, so möchte P é r a t é 2 (Tab. 1/37,III/24)viel1

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Auf die von Siren angeführte Stelle bei Benvenuto Cellini, Hb. II. Cap. 27, von einem gemeinsamen Aufenthalt Dantes und Giottos in Frankreich hat sich auch Romdahl (a. a. O. S. 4) bezogen. Pératé, s. André Michel: Histoire de l'Art, 1907, II. 2. S. 776ff.

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mehr wieder einen Einfluß durch die Pisani annehmen neben der durch die Hochschiff-Fresken, insbesondere durch Cavallini, vermittelten Anregung au3 Rom. Seine Ansicht über den Franziskuszyklus ergibt eine neuartige Verteilung der von Giotto zu lösenden Fresken 1 und 20—28. Pératé stimmt der Ansicht der älteren Forscher in der Bewunderung der Allegorien zu. Er sieht in ihnen „ein Hauptwerk von Giotto, vielleicht das Hauptwerk der mittelalterlichen Malerei" 1 und ebenso hält er die Eigenhändigkeit Giottos an der Peterstafel aufrecht. B a y e t 2 (Tab. 1/39, 111/26) erklärt sich im ganzen mit Pératé einverstanden, betont aber stärker, daß Giotto der wesentliche Meister für den Franziskuszyklus sei. In seiner chronologischen Reihe stehen zuerst die römischen Werke (Navicella, Peterstafel, Jubiläums-Fresko), es folgt die Franziskuslegende um 1300 und die Fresken der Arenakapelle um 1305, als letztes die Allegorien in der Unterkirche und höchstens noch die Franziskusszenen dort. Eine Erweiterung der Probleme erfolgt durch seine Darlegung nicht. Von wesentlicher Bedeutung für die Förderung aller allgemeinen Fragen, die mit der Oberkirche in Zusammenhang stehen, ist die sorgfältige Studie vonAubert 3 (Tab. 1/40, II/15), wennauch in der Zuweisung an Giotto eine noch über Siren hinausgehende Zurückhaltung festzustellen ist. Im ganzen sucht er eine Entwicklung zu verfolgen, die ähnlich der von Thode und Zimmermann angenommenen ist. Auf dem Wege sorgfaltigster Beobachtungen geht er von dem Tatsächlichen aus, und so liegt der Schwerpunkt seiner Untersuchungen mehr in einer vorzüglichen Beschreibung der betreffenden Denkmäler, als in einer Verteilung an einzelne Künstler. Er hebt vor allen Dingen die Einheitlichkeit der Ausmalung der Oberkirche hervor, und er weist hier entschieden auf eine klar erkennbare, allmählich fortschreitende Entwicklung innerhalb der gesamten Malereien hin, die sich einmal in den Bildern und zum andern in den Dekorationsformen verfolgen ließe. So beginne mit den Cimabue zugeschriebenen Fresken des Querschiffes die Konsolendekoration, die sich im Langhaus fortsetze, ebenfalls ließen sich z. B. die Formen der Thronstühle auf den Marienszenen in Fresken des Langhauses (Aoibetung der Könige) wiederfinden. Es bestehe also offensichtlich ein ununterbrochener Zusammenhang zwischen dem abschließenden (Franzlegende) und dem einleitenden Glied (Apostelgeschichte) in der langen Entwicklungskette (S. 78). Ausgenommen wird die abweichende Dekoration des rechten Querschiffes, deren Besonderheit mit Recht betont wird, wenn auch die Bedeutung ihrer ausgesprochen gotischen Formen wenig hervorgehoben wird. Aubert sieht vielmehr den 1 2 3

s. auch Gaz. d. Beaux-arts 1911 II, wo Pératé die Ansicht Venturis zurückweist. Bayet, C., Giotto, Les maîtres de l'Ait 1907, II. 2. S. 164 ff. Aubert, A., Ein Beitrag zur Lösung der Cimabue-Frage, Leipzig 1907.

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Übergang zu einem gotischen System im Eingangsjoch (Doktorengewölbe und Langhausbilder), aber auch hier möchte er aus dem, was er „Neubildung" und „Bruch" nennt, nicht etwas Zusammenhangloses verstanden wissen, sondern er stellt dem Neuen immer wieder den Zusammenhang mit dem Alten entgegen und betont eine allmähliche Weiterentwicklung, wie sie sich z. B. aus den Fresken der drei Gewölbe oder dem Wechsel der gesamten Dekorationsformen ergibt. Als Ausgangspunkt für diese Kunst in der Oberkirche sieht Aubert Rom an, und er weist auf das sehr bemerkenswerte Vorkommen gotischer Formen in der römischen vorgiottesken Malerei hin, die durch die Aufdeckung der älteren Ausmalung von S. Cecilia in Trastevere erwiesen sei1. Auf Grund dieser Tatsache nimmt er als Datum für das Auftreten der gotischen Malerei in Italien etwa das Jahr 1290 an, der gotischen Malerei, „die sich mit Macht verbreitet und innerhalb zweier Jahrzehnte die Herrschaft an sich reißt". So klar und offensichtlich nun für Aubert diese allgemeinen Zusammenhänge der Fresken der Oberkirche von S. Francesco untereinander und mit der römischen Malerei sind, so schwierig erscheint es ihm mit Recht, den Anteil herauszuschälen, den Giotto an der Ausmalung hat, und ebenso, bestimmte Künstler des römischen Kreises in den Fresken der Oberkirche wiederzuerkennen. Äußerst vorsichtig möchte er die a l l g e m e i n e n Feststellungen als Grenze sachlicher Forschung ansehen: „man sollte im Hochschiff von einer Kunst, nicht von einem Künstler sprechen." Wenn er auch eine Stilübereinstimmung mit Cavallinis Fresken in S. Cecilia für die Jakobszenen zugibt, so möchte er in ihnen nicht diesen Künstler selber wiedererkennen. Von den beiden Zuschreibungen des ersten und des zweiten Joches an Rusuti oder Torriti scheint ihm Wulffs Theorie, daß Rusuti der ausführende Künstler sei, die wahrscheinlichere, während er die Nennung von Gaddo Gaddi oder Giovanni Cosmas als Hypothese bezeichnet. Ein neues erschwerendes Moment für die Meisterbestimmung sei durch die Auffindung der Malereien über der jetzigen Decke von S. Maria maggiore entstanden2, da diese zwar stilistische Übereinstimmungen mit den Fresken des Langhauses von Assisi zeigten, aber keinem der bisher genannten Meister zugesprochen werden könnten. Die wichtige Frage, ob die Isaakszenen und das Doktorengewölbe von dem gleichen Meister seien, möchte er verneinen. In dem Meister des Doktorengewölbes sieht er die maßgebende Persönlichkeit für den sich in der Franziskuslegende vollziehenden Stilwandel, den Übergang zu gotischer Formensprache; er weist aber sehr richtig darauf hin, daß mit der Feststellung dieser Tatsache für Giottos „inspirierenden Einfluß" wenig Raum bleibe. Ist Giotto nun der Meister 1 9

s. die Publikation von F. Hermanin, X congresso di studi romani. 1931. Toesca, Pietro, Gli antichi affreschi in S. Maria maggiore, L'arte VII. 1904, S. 312ff.

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der Franziskuslegende ? Aubert läßt die Entscheidung offen: vieles spräche dafür, mehr dagegen. Der künstlerische Wert der Fresken sei nicht so hervorragend, daß er zu Giottos Ruhm etwas beitragen könne. Das Urteil Auberts wird bestimmt durch die Altartafel in der Sakristei von S. Peter, an deren Zuschreibung als Jugendwerk Giottos er festhält. Er kommt also zu einer ähnlichen Auffassung wie Kailab, geht aber in seinen Schlußfolgerungen nicht so weit, daß er die Franziskuslegende Giotto ganz abspricht. Ebenso wie die Meisterfrage bleibt die Frage der Zeitbestimmung unentschieden. Aubert hält für die Franziskuslegende ein Datum nach 1298, also nach der Sakristeitafel von S.Peter, für wahrscheinlich er als ein solches vor diesem Zeitpunkt. Der festgestellte Zusammenhang in der Oberkirche läßt nicht zu, die Zeitspanne allzu weit anzunehmen. Fraglich bleibt das Verhältnis zu den römischen Meistern, vor allem zu Rusuti, dem Meister von der Fassade von S. Maria maggiore, den Aubert von Giottos Einfluß loslösen möchte. Zwar läßt er auch hier die Entscheidung offen, neigt aber mehr dazu, die Fassade, deren Zuweisung an zwei Meister er nicht anerkennen möchte, um 1296 entstanden sein zu lassen, als erst um 1308. Es war nunmehr ein sehr merkwürdiger Zustand eingetreten: man hielt zwar an der Ansicht, die Franziskuslegende sei Giottos Werk, fest. Aber entweder erklärte man die Stilmerkwürdigkeiten durch die schlechte Erhaltung, wenn die Überzeugungskraft dieser Zuweisung in Frage gestellt war, wie es z. B. um die Jahrhundertwende von Berenson geschehen ist, oder aber man setzte den ästhetischen Wert der Fresken so herab, daß diese Zuschreibung an Giotto für die Beurteilung seiner künstlerischen Entwicklung kaum noch etwas besagen wollte, wie es beispielsweise in den Darstellungen von Siren und Aubert der Fall ist.

7. DIE ABLEHNUNG DER FRANZISKUSLEGENDE ALS WERK GIOTTOS DURCH RINTELEN.

D

E R endgültige Schritt zur Loslösung der Franziskuslegende, der sich längst vorbereitet hatte, wurde von Friedrich Rintelen1 (Tab. 1/44, 111/28) getan, und er wurde nun mit aller Energie und Überzeugung durchgeführt, indem der engbegrenzte, aber feste Grund der sicheren Werke Giottos zum Ausgangspunkt für das Verständnis seines Stils gemacht wurde: die Fresken der Arenakapelle, die Ognissanti-Madonna, die Fresken in S. Croce sind die Werke, die Friedrich Rintelen seiner Untersuchung zugrunde legt, die Werke, aus denen Giottos Stilwillen erkennbar 1

Rintelen, Friedr., Giotto und die Giotto-Apokryphen, München 1912; dasselbe, II. Aufl., Basel 1923.

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der Franziskuslegende ? Aubert läßt die Entscheidung offen: vieles spräche dafür, mehr dagegen. Der künstlerische Wert der Fresken sei nicht so hervorragend, daß er zu Giottos Ruhm etwas beitragen könne. Das Urteil Auberts wird bestimmt durch die Altartafel in der Sakristei von S. Peter, an deren Zuschreibung als Jugendwerk Giottos er festhält. Er kommt also zu einer ähnlichen Auffassung wie Kailab, geht aber in seinen Schlußfolgerungen nicht so weit, daß er die Franziskuslegende Giotto ganz abspricht. Ebenso wie die Meisterfrage bleibt die Frage der Zeitbestimmung unentschieden. Aubert hält für die Franziskuslegende ein Datum nach 1298, also nach der Sakristeitafel von S.Peter, für wahrscheinlich er als ein solches vor diesem Zeitpunkt. Der festgestellte Zusammenhang in der Oberkirche läßt nicht zu, die Zeitspanne allzu weit anzunehmen. Fraglich bleibt das Verhältnis zu den römischen Meistern, vor allem zu Rusuti, dem Meister von der Fassade von S. Maria maggiore, den Aubert von Giottos Einfluß loslösen möchte. Zwar läßt er auch hier die Entscheidung offen, neigt aber mehr dazu, die Fassade, deren Zuweisung an zwei Meister er nicht anerkennen möchte, um 1296 entstanden sein zu lassen, als erst um 1308. Es war nunmehr ein sehr merkwürdiger Zustand eingetreten: man hielt zwar an der Ansicht, die Franziskuslegende sei Giottos Werk, fest. Aber entweder erklärte man die Stilmerkwürdigkeiten durch die schlechte Erhaltung, wenn die Überzeugungskraft dieser Zuweisung in Frage gestellt war, wie es z. B. um die Jahrhundertwende von Berenson geschehen ist, oder aber man setzte den ästhetischen Wert der Fresken so herab, daß diese Zuschreibung an Giotto für die Beurteilung seiner künstlerischen Entwicklung kaum noch etwas besagen wollte, wie es beispielsweise in den Darstellungen von Siren und Aubert der Fall ist.

7. DIE ABLEHNUNG DER FRANZISKUSLEGENDE ALS WERK GIOTTOS DURCH RINTELEN.

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E R endgültige Schritt zur Loslösung der Franziskuslegende, der sich längst vorbereitet hatte, wurde von Friedrich Rintelen1 (Tab. 1/44, 111/28) getan, und er wurde nun mit aller Energie und Überzeugung durchgeführt, indem der engbegrenzte, aber feste Grund der sicheren Werke Giottos zum Ausgangspunkt für das Verständnis seines Stils gemacht wurde: die Fresken der Arenakapelle, die Ognissanti-Madonna, die Fresken in S. Croce sind die Werke, die Friedrich Rintelen seiner Untersuchung zugrunde legt, die Werke, aus denen Giottos Stilwillen erkennbar 1

Rintelen, Friedr., Giotto und die Giotto-Apokryphen, München 1912; dasselbe, II. Aufl., Basel 1923.

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wird. Es war nicht das erste Mal, daß die Franziskuslegende dem Werke Giottos entzogen wurde, aber es hatte noch niemand diesen Gegensatz so schroff herausgearbeitet, noch niemand hatte alle Zusammenhänge in so entschiedener Weise gelockert, noch nie war Wert und Unwert, Stärke und Schwäche mit solcher Bestimmtheit gegeneinander gestellt. Diese scharfe Form der Beurteilung des Werkes in Assisi wird rückblickend viel eher verständlich aus der Zeit heraus, in der Rintelens Buch geschrieben ist. Mit dem Ausleben des Impressionismus setzt allgemein eine stark antinaturalistische Bewegung ein. Die Empfindlichkeit Rintelens gegen die naturalistische Auffassung der Fresken mag sich aus dieser Zeitströmung erklären. Aus einer ähnlichen Einstellung heraus hat sich Clive Bell 1 über die Ognissanti-Madonna geäußert in einem Buch, das für diese Ubergangsepoche sehr charakteristisch ist. Das Wesentliche des Giottostiles erklärt Rintelen aus der Art der Gestaltung der Bildfiäche. Giottos Stilwillen sei der der „rhythmischen Gestaltung der Fläche". Er habe die Größe des byzantinisierenden Stiles zu der edlen Hoheit freier Flächenwirkung geläutert und sich dadurch in Widerspruch zu dem Stil der Dugentisten gesetzt (I.S.12). Alles wasGiotto aus der Natur in seine Kompositionen aufnehme, würde der Harmonie der Kompositionen teilhaftig. Jedes einzelne Moment ordne sich so in das Bild ein, daß seine gegenständliche Bedeutung Art und Maß seiner rhythmischen Funktion bestimme. Diese Gestaltung der Fläche, die notwendige Voraussetzung für die Klarheit des Kunstwerkes, beruhe aber nicht auf einer rechnerisch feststellbaren Regelmäßigkeit der Anordnung. Die Klarheit von Giottos Kunst, eine echt künstlerische Klarheit, entstehe dadurch, daß dem Körper oder Vorgang Durchleuchtung zuteil werde, d. h. daß jedes Moment des darzustellenden Vorganges seiner Bedeutung nach dem rhythmischen Bildzusammenhang eingeordnet werde. „Keine Figur ist beengt oder unbestimmt, jede ist, was sie ist, mit großer Energie" (I. S. 14). Diese Kompositionskunst Giottos erreiche dort die höchsten Leistungen, wo das konstruktive Liniengerüst hinter der Lebendigkeit der Erzählung zurücktrete. Aus diesem Grunde muß seine besonders betonte Schätzung von Fresken wie das „Pfingstfest" in der Arenakapelle, das u. E. weder nach Erhaltung noch nach Komposition dies hohe Lob verdient, erklärt werden. Der Begriff der Schlichtheit und Einfachheit, der rechtmäßig auf eine solche im höchsten Sinn vollendete Bildgestaltung angewendet werden kann, soll aber nach Rintelen nicht etwa so aufgefaßt werden, als ob die Absicht sachlicher Beschränkung vorhanden sei. Die Fresken in Padua lassen erkennen, wie Giotto über die Darstellungsweise des Mittelalters, die nur die Hauptmomente berücksichtigte, hinausgestrebt habe; bestän1

Clive Bell, Kunst, Dresden 1922. Die englische Ausgabe erschien 1913.

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diges Erweitern und Bereichern des alten Bildkanons sei seine künstlerische Tendenz gewesen. Diese Form der Bildgestaltung, wie sie den sicheren Werken Giottos eigen sei1, vermag Rintelen in der Franziskuslegende nicht zu finden. Seine Kritik geht von der Art der Landschafts- und Architekturdarstellung aus, die schon für Kailab 2 Veranlassung gewesen war, Giottos Autorschaft in Assisi nicht anzuerkennen. Er sieht dort in der Behandlung der Landschaft und Architektur den stärksten Gegensatz zu den Fresken der Arenakapelle. Es trete in den Landschaften an Stelle der Allgemeinvorstellung vom Aufbau eines Naturganzen eine bestimmte Situation, dabei hätten die Figuren kein klares Verhältnis zur Landschaft. Der Meister in Assisi habe wohl die F ä h i g k e i t , den Raum darzustellen, ihm fehle aber das E m p f i n d e n dafür. Die Architekturen in Assisi sollen, wie allgemein in der primitiven Kunst, der Konsequenz entbehren; neben Formen, die die Situation nur andeuten und die noch eng mit dem dugentistischen Stil übereinstimmen, neben symbolischen Gebäuden gibt es Ansichten von Innenräumen, die durch „individualisierende Situationsgemäßheit" überraschen (I. S. 186) und die für den hier tätigen Meister bezeichnend seien. So zeigten Bilder, wie die „Ordensbestätigung durch den Papst" (7), oder die „Predigt des heiligen Franziskus vor dem Papst" (17) in den Architekturen einen groben Naturalismus; die beiden Gebäude auf der „Lossagung vom Vater" (5) seien ohne Feinheit der Abmessungen, ohne sinnvolle Struktur (I. S. 188). In dem „Weihnachtswunder von Greccio" (13) ist auf architektonische Formung des Innenraumes verzichtet, die Andeutung des abgeschlossenen Altarraumes ist „aus Gewaltsamkeit und Pedanterie gemischt" (I. S. 187). Das Wesentliche aller architektonischen Anlagen der Franziskuslegende ist für Rintelen, „daß sie keinen gefühlten und verstandenen Raum in sich bergen" (I. S. 190). Darin sieht Rintelen den Beweis, daß der Meister der Franziskuslegende nicht Giotto ist; der Raum gestalte sich nicht von selbst wie bei Giotto. Die Architekturen in Padua erscheinen ihm ideal, d. h. sie haben „niemals eine naturalistisch empfundene und durchgeführte eng an die Situation angepaßte Einmaligkeit" ; ferner „erfüllen sie die Bilder mit einem reichen Glanz durch architektonische Klarheit", in Padua „phantasievolle Unbestimmtheit", in Assisi „bis zum grob Handwerklichen gehende Natürlichkeit" (I. S. 185). Es fehlten in Assisi die in Padua häufigen Verzeichnungen, die Richtigkeit im einzelnen sei dem Meister wichtiger als die Klarheit im ganzen. Bei den Figuren vermißt Rintelen ausgesprochene Stellung trotz der Mannigfaltigkeit der faaltung, die durch das Gegeneinander sogar den Schein eines geschlossenen Raumbildes erwecken könnte. 1 3

Auch die Navicella läßt das Charakteristische dieses Stiles noch erkennen. II. S. 182. a. a. O. S. 41.

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F ü r die Kompositionen ergibt sich der gleiche Zwiespalt. Die Gruppe habe nicht die „archaische Strenge", es solle recht viel zu sehen sein, so bei der „Lossagung vom V a t e r " (5). Überschneidungen von Figur zu Figur sind nicht rücksichtslos, wie in der Arenakapelle, gemacht, sondern sie versuchen, jeder Gestalt eine fast materielle Deutlichkeit zu geben, und doch sei z. B. in der „Feuerprobe" (11) die Stellung der Männer so unverständlich, daß man nicht wisse, wie sie Platz finden sollen. Die Gebärden der Personen scheinen ihm „werktäglich n ü c h t e r n " ; es spricht aus ihnen weder „stille Sammlung", noch „Würde oder Feierlichkeit". Franziskus kniet, „wie man eben kniet", der zürnende Vater „ist wie ein plötzlich in Erregung gebrachter Schneidermeister" (I. S. 207), aber auf dem Gebiete des profanen Lebens „erreicht der Meister für das Trecento ungewöhnliche Wirkungen". Stillos nennt Rintelen wieder das Plärren der Mönche auf der „Weihnachtsmesse" (13), ein vulgärer Effekt einer durch die Legende zart erzählten Begebenheit(I. S.207). Die Gebärden desHeiligen seien zahlreich und doch sagten sie wenig über ihn aus. Es bleibe alles „in der trivialen Anekdote eingesperrt, färb- und lichtlos" (I. S. 209). Die Datierungsfrage hält der Verfasser für sehr schwierig. Die ausgesprochen naturalistische Problemstellung scheint ihm auf dem Boden desDugento unmöglich. E r möchte den Zyklus nicht vor dem zweiten Jahrzehnt des Trecento ansetzen, aber auch nicht wesentlich später, als das Werk eines Künstlers, der auf,, Giottos Errungenschaften basiert" (I. S.j209) und dessen Ausgangspunkt die Langhausfresken sind. Sicherer sei die Einheitlichkeit. Auch die letzten Bilder zeigten die gleichen Kompositionsprinzipien und bewiesen nur einen späteren Meister u n d die Unmöglichkeit eines Anschlusses an Padua. Für die Zuweisung kommt Rintelen zu der mystischen Wendung von etwas „den dumpfen Effekten des Signorelli Verwandtem" und von „schwerer Zäheit der umbrischeri K u n s t " (I. S.210), aber er sagtnicht, was er eigentlich unter dieser umbrischen Kunst verstehen will. Das Ergebnis von Rintelens Darstellung ist nicht nur diese sehr lebhafte Ablehnung von Giottos Autorschaft an der Franziskuslegende, sondern auch eine Lockerung der Zusammenhänge, die m a n bisher feststellen zu können geglaubt hatte. So findet Rintelen in Rom weder Analogien zu dem Franziskuszyklus, noch möchte er den Zusammenhang der Hochschiff-Fresken mit römischen Werken anders als nur sehr bedingungsweise zugeben; jedenfalls scheint ihm die Raumdarstellung in Assisi auf eine von Cavallini abweichende Richtung, auf einen andern Schulzusammenhang zu weisen 1 . Wohl erkennt er die Bedeutung der Oberkirche allgemein f ü r das Verständnis dugentistischer Malerei in Italien an (I. S. 61). Der Wandel in den künstlerischen Anschauungen zu einer auf räumliche Geschlossenheit 1 a. a. O. I. Anm. 51.

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gerichteten Darstellung, der sich in der italienischen Dugentomalerei vollzieht, ließe sich einmal im Quersehiff von Assisi 1 und mit „ n a m h a f t e n Fortschritten in den oberen Langhausfresken" verfolgen, soweit sie „künstlerisch von Rang sind" (I. S. 70). In der zweiten Auflage des Rintelen'schen Buches, die elf J a h r e später erschienen ist, sind, wie hier gleich anschließend gesagt sei, wesentliche Wandlungen eingetreten 2 . Der schroffe Standpunkt ist gemildert; sowohl in bezug auf die Wertung des Werkes als auch in bezug auf Analogien mit römischen Werken h a t sich Rintelen der älteren Meinung angenähert. Es werden dem Franziskuszyklus künstlerische Werte zugebilligt, die ihm trotz Giotto eine bedeutende Stellung in der Trecentomalerei geben. Es wird auf die Bedeutung des Ortes hingewiesen, auf die Sicherheit der Behandlung des Dekorativen, auf die Gliederung der Flächen, auf wirkungsvolle Kontraste. „ E s werden Schläge kühner Kombination geführt in diesen Bildern, die den Beschauer der Kirche mehr als einmal im Schreiten innehalten lassen, ja, ihn an den Boden festzubannen scheinen, etwa vor der „Mantelspende" (2), dem „Quellwunder" (13), der „Stigmatisation" (19); in der Arenakapelle erlebt man so heftige Einwirkungen nicht" (II. S. 178). I n den Fresken der Vorhalle von S. Lorenzo, in den Mosaiken der Fassade von S. Maria maggiore werden allgemeine Analogien zu der Franziskuslegende zugegeben. Der Eindruck der Quer- und Langhausfresken hat sich gesteigert; sie enthielten scharf geprägte wertvolle Zeugnisse des neuen plastischen Willens (II. S. 59), es bräche eine wahre Leidenschaft hervor, der Gestalt neue Bedeutung im Bild zu verleihen 3 (II. S. 60). Auch in bezug auf die Ableitung des Stiles des wahren Giotto zeigt die zweite Auflage Änderungen; Rintelen erkennt die fesselnde Situation der Isaakfresken im Hochschiff a n : m a n verweile gern bei der Vorstellung, diese Kunst möchte auf Giottos Befreiung von den Fesseln nicht ohne Einfluß gewesen sein (II. S. 61). Auf die Beziehung zu Cavallini 4 wird bestimmter hingewiesen, auf die Belebung des Raumes in den Mosaiken von S. Maria in Trastevere. Aus Giottos Bildgestaltung will Rintelen den Schluß ziehen, daß „ebenso sicher wie die Malerei des Dugento der Ausgangspunkt von 1

a. a. O. I. Anm. 49. Die Zuweisung der Fresken des Querschiffes an Cimabue wird als möglich hingestellt; jedenfalls der gleiche, nicht römische Kunstkreis angenommen. 2 Kauffmann, Hans, Dtsch. Literaturzeitung 1925, Sp. 2489ff. Bespr. Rintelen, Fr., Giotto und die Giotto-Apokryphen II. Aufl., wo auf die Abweichungen in den beiden Auflagen hingewiesen wird. 3 Es entsteht in der Darstellung Rintelens eine sehr wesentliche Spanne in der angenommenen Zeit der Ausmalung der Oberkirche. Das Querschiff wird als Jugendwerk Cimabues, möglicherweise als das Werk eines Vorgängers angesehen. Die Ausmalung sei bald nach 1250 begonnen (II. Anm. 63, II. S. 8); die Hochschiffresken sollen in ihren jüngsten Teilen (Himmelfahrt) bis 1310 heraufgehen; (a. a. O. I. Anm. 33, II. Anm. 56). 4 s. Kauffmann, H., a. a. O. u. Rintelen, a. a. O. II. S. 61. 4

Martius.

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Giottos künstlerischen Bestrebungen gewesen ist, ebenso sicher ist gewesen, daß jene überwältigende Monumentalität von Giotto als primitiv und unzulänglich empfunden ist 1 ' (II. S. 83); in dem Antrieb, sich von diesen Fesseln zu befreien, habe Giotto wahrscheinlich Förderung durch die plastische K u n s t Giovanni Pisanos 1 erfahren. An einer anderen Stelle tritt in dem Buche von Rintelen die große Schwierigkeit hervor, die Stilentwicklung Giottos zu erkennen und festzulegen. Wenn er entgegen der älteren und auch von ihm als gewichtiger anzusehenden Quelle des Antonio Pucci das Geburtsjahr Giottos mit Vasari auf 1276 ansetzt, so geschieht das auf Grund der beiden unteren Freskenreihen der Arenakapelle, die ausgesprochene Jugendwerke seien; dagegen glaubt er, daß die oberste Reihe mit der Mariengeschichte zuletzt, nach den beiden unteren entstanden sein müsse, eine Ansicht, die in der zweiten Auflage dann aber wieder fallen gelassen wird 2 . Diese Chronologie der Arenafresken war schon von Axel Romdahl 3 in viel entschiedenerer Weise vertreten worden. Romdahl entwickelt den stilistischen Unterschied zwischen dem Jüngsten Gericht und den Christusszenen einerseits und der Triumphbogenwand und den Marienszenen andrerseits. Dieser Stilwandel erscheint ihm so auffallend, daß er eine Unterbrechung der Ausmalung annehmen möchte, und die Hypothese eines Aufenthaltes Giottos in Frankreich aufstellt. Denn ohne eine Berührung mit der Hochgotik, mit Werken wie dem Retabel von S. Germer oder dem Lettner von Bourges scheine ihm der Übergang zu dem plastischen Stil der Marienfresken unmöglich. Romdahl (Tab. 1/43) glaubt aber im Gegensatz zu Rintelen noch „mit allen Forschern außer Wickhoff" annehmen zu können, daß die Franziskuslegende ein Werk Giottos sei und auf Grund ikonographischer Übereinstimmungen zeitlich den Fresken der Arenakapelle nahe gesetzt werden müsse. Den Bedenken gegen Rintelens Auffassung über das Verhältnis Giottos zu der Franziskuslegende gab Graf Vitzthum 4 den verständnisvollsten Ausdruck. Bei aller Bewunderung der Fähigkeit Rintelens, den kunstempfänglichen Betrachter zu begeistern, vermag er d i e s e r Ansicht, d i e s e r Lösung des Problems, „das uns solange ängstet", nicht zuzustimmen. Er verweist mit Recht zunächst auf die urkundlichen Grundlagen, die durch 1

Bintelen, a. a. O. I. Asm. 69, II. Anm. 89 und S. 83. Bintelen, a. a. O. I. S. 17, II. S. 16. 3 Romdahl, Axel, Stil und Chronologie der Arena-Fresken Giottos, Jahrbuch d. Kgl. Pr. Ksts. 1911, Bd. 32, S. 3ff. Bereits Siren (Giotto a. a. 0 . S. 27) hatte auf die Stilverschiedenheit hingewiesen und die Meinung geäußert, daß zuerst die beiden obersten Streifen der rechten Schiffswand, dann die entsprechenden der linken und zuletzt die unterste Reihe entstanden seien (auch Siren, Giotto and some of his followers, S. 32, wo die Frage unentschieden bleibt); s. dazu Text S. 78. * Vitzthum, Graf G., Giotto, Bespr. v. Rintelen, Mon.-H. f. Kwst. V. 1912, S. 282ff. 2

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die Riccobaldusstelle gegeben seien und die doch nur bei dem Nachweis einer Interpolation außer acht gelassen werden könnten. Ferner hatte Vitzthum auf Grund der Franziskusfresken in S. Croce die These Rintelens von der Loslösung der Fresken in Assisi nicht anerkennen wollen; der Vergleich der Bilder zeige, daß der Zyklus in Assisi der frühere sei, daß er von dem gleichen Meister sein müsse. Freilich kann gegen diese Ansicht der Einwand kaum vermieden werden, daß Fresken wie die „Erscheinung in Arles" in S. Croce, deren heutiges Aussehen in wesentlichen Teilen auf die Hand des Restaurators zurückgeführt werden muß, kaum genügende Beweiskraft haben können1. Weiter hatte Vitzthum darauf aufmerksam gemacht, daß die Franziskustafel für Pisa, die aus der Werkstatt Giottos hervorgeht, mit der künstlich erdachten Erklärung Rintelens2, die Franziskaner in Pisa hätten die Tafel bei Giotto auf Grund der Fresken in Assisi bestellt, ihre Beweiskraft gegen die Behauptung der Loslösung der Franziskuslegende nicht verloren haben dürfte. Das Ergebnis der Kritik Graf Vitzthums ist, daß die Person Giottos jedenfalls nicht einfach aus dem Zusammenhang der Kirche von S. Francesco zu lösen sei3. Auch in dem Gegensatz der Fresken der Unterkirche, der Allegorien und der Christusszenen, zu der Franziskuslegende kann ein Grund zu der Loslösung der Franziskuslegende nicht zugegeben werden. Auch Rintelen bezeichnet die Allegorien als kraftlose ungiottische Bilder, aber er betont ihren Zusammenhang mit Giotto, sobald er die Verschiedenheit des Giottostiles zu der Franziskuslegende herausarbeiten will. Wenn man aber den zweifellos nahen und sicher bestehenden Zusammenhang der Allegorien, der Christusszenen, der Magdalenenkapelle mit Giottos Werkstatt zugibt, so entsteht die berechtigte Frage, die Bedenken entspricht, wie Graf Vitzthum sie äußerte, und wie sie von Siren in seiner zweiten Darstellung4 sehr beachtet werden sollten: Wenn der Franziskuszyklus nicht von Giotto sein soll, wie kam dann die Werkstatt zu der Benutzung der Vorlagen, wie es bei der Pisaner Tafel geschehen ist, und weiter, wie ist die enge Verschmelzung des Stiles der Arenafresken mit dem des Franziskuszyklus in der Unterkirche zu erklären ? 1

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Die neuen Untersuchungen von J . Gy-Wilde (Giottostudien, Wiener Jahrbuch, Bd. VII. 1930") sind nach Abschluß der vorliegenden Arbeit erschienen und können nur andeutungsweise herangezogen werden. Sie bestätigen die hier wiedergegebene Ansicht, daß die Fresken von S. Francesco in Assisi von denen der Bardi-Kapelle unabhängig sind. Durch die positiven Ergehnisse über den Erhaltungszustand von Giottos Werk in S. Croce ist somit auch für die Beurteilung der Franziskuslegende viel gewonnen. Rintelen, a. a. 0 . II. S. 222. Rintelen, a. a. O. II. Anm. 31, wird die Tafel der Marienlegende in Brüssel, Wauters, Tableaux anciens du musée de Bruxelles II. 1906, S. 248 Nr. 628, angeführt (Datierung auf der Rückseite 1302) als Beispiel der Stilstufe VOT Padua. Es scheint aber klar, daß die Tafel auf die Arena-Fresken zurückgeht. Siren, 0., Giotto and some of his followers, Cambridge 1917. 4*

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8. GEGENSTRÖMUNGEN UND ZUSTIMMUNGEN A. DIE THEORIE VON SCHMARSOW.

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O hatte das Giottobuch von Rintelen zwar die bildkünstlerischen Probleme in der Arenakapelle nach vielen Seiten hin zu neuem Verständnis erschlossen, aber mit der Hervorhebung und Verherrlichung Giottos in seinen von Rintelen anerkannten Werken waren die Schwierigkeiten nicht beseitigt; auch die Eindringlichkeit der Darstellung Rintelens und die Überzeugungskraft seiner Sprache haben es nicht vermocht, über die tatsächlich vorhandenen Widersprüche, die bei einer Ablehnung von Giottos Autorschaft in Assisi entstehen, hinwegzuführen. Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Buches blieb ein Meinungsaustausch aus, weil der Weltkrieg hemmend wirkte. Und die neuen Publikationen über Giotto und den mit ihm zusammenhängenden Kunstkreis, die schnell nacheinander nach dem Krieg erschienen1, brachten nicht etwa nur eine Anerkennung der Meinung Rintelens, sondern zwei derselben, Supino und van Marie, stellten wiederum die Behauptung auf, Giotto sei der Maler der Franziskuslegende. Auch Siren hielt an dieser Meinung fest, obwohl er sie sehr viel vorsichtiger als in seiner früheren Darstellung formulierte. Vielleicht geschah dies Vinter dem Eindruck von Rintelens Ausführungen, die selbstverständlich nicht ohne Widerhall bleiben konnten. So erklärt lakonisch z. B. Mason Perkins2, der sich einstmals lebhaft für Giotto in Assisi eingesetzt hatte: „in Assisi nulla di sicuro di Giotto". Hausenstein3 folgt unter dem starken Eindruck der Darstellung Rintelens dessen Ansichten. Von einer allgemeinen Übereinstimmung konnte also keineswegs gesprochen werden. Daß Rintelen selbst sich der allzu starken Außerachtlassung der bestehenden Zusammenhänge in der ersten Auflage seines Buches bewußt geworden war, ergibt sich aus den Änderungen, die er in der zweiten Auflage vornahm und die sich gerade auf die Abschwächung seiner abfälligen Beurteilung der Franziskuslegende beziehen, sowie auf die Zubilligung früher abgelehnter Zusammenhänge der Fresken in Assisi mit römischen Kunstwerken. Es mag dahingestellt sein, wie weit die erwähnten Darstellungen von Schmarsow, Supino und van Marie, die zeitlich der zweiten Auflage 1

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Siren, O., Giotto and some of bis followers, Cambridge 1917. Schmarsow, A., Compositionsgesetze der Franziskuslegende in der Oberkirche von S. Francesco in Assisi, Leipzig 1918. Snpino, J. B., Giotto, Firenze 1920. van Marie, R„ L'origine romaine de l'art de Giotto, Rev. de l'art Bd. 41, S. 353ff. Bd. 42, S. 32 ff. s. ebenso die im gleichen Jahre wie Rintelen'» Werk erschienene Zusammenstellung von Giottos Werk bei Kbvosbinsky und Salmi, I pittori toscani dal XIII al XVI secolo, Rom 1912. (Tab. 111/29). Mason Perkins, Un opera ignota di Giotto, Rass. d'arte V. 1918, S. 39 ff. Hausenstein, W., Giotto, Berlin 1923. 52

Rilitelens vorausgehen und die gerade die allgemeinen Fragen der Zusammenhänge hinsichtlich der Franziskuslegende stark in den Vordergrund stellen, Rintelen zu der Milderung seiner Ansicht angeregt haben. Zunächst ist auf die Darstellung von S c h m a r s o w 1 (Tab. 1/46) einzugehen, die aus einer neuen Anschauung das Problem zu lösen versucht. Mit der Meinung Schmarsows will Rintelen in wesentlichen Punkten übereinstimmen2. Tatsächlich löst Schmarsow3, ebenso wie Rintelen, die Franziskuslegende aus dem Werk von Ciotto, aber er hält an der Datierung um 1298 fest, und hierin liegt doch für die gesamte Beurteilung ein großer Unterschied; ein weiterer ebenso wesentlicher Unterschied besteht darin, daß Schmarsow auf Grund des besonderen Charakters der Franziskuslegende einen anderen Meister, und zwarFilippo Rusuti, den Meister der Fassade von S. Maria maggiore, einsetzt, also die Fäden nach Rom so eng, wie es nur irgend geschehen kann, knüpft. Ganz anders gestaltet sich das Bild, das Supino4 (Tab. 1/48) entwickelt; er läßt den Namen Giottos für die Franziskuslegende bestehen, will die Datierung um die Jahrhundertwende aber aufgeben zugunsten eines Datums zwischen 1306 und 1310 nach der Arenakapelle, während die Allegorien das erste in Assisi entstandene Werk sein sollen. Van Marie6 (Tab. 1/50) vertritt wieder mehr die traditionelle Auffassung, daß der Franziskuszyklus ein Jugendwerk von Giotto sei, also vor der Arenakapelle entstanden, und er sucht diese Meinung durch neue Beobachtungen zu stützen. Es ist ein großes Verdienst Schmarsows, daß er einmal der Franziskuslegende, auch wenn er sie Giotto abspricht, eine wichtige Stellung in der Geschichte der Malerei des ausgehenden Dugento einzuräumen für selbstverständlich hält, und daß er zum anderen den Versuch macht, den Stil eines b e s t i m m t e n Meisters an der Franziskuslegende darzulegen. Seit den Zeiten Rumohrs, als die Meisterfrage brennend geworden war, hatte man es gewöhnlich bei einem „Nicht-Giotto" bewenden lassen, und diese Ablehnung pflegte mit einer Herabsetzung zusammen zu gehen, wie sie Schmarsow, August, Compositionsgesetze der Franziskuslegende in der Oberkirche von Assisi, Leipzig 1918. 2 Rintelen, Fr., a. a. O. II. Anm. 166. 3 s. Schmarsow, Aug., Masaccio-Studien, 1898, IV. S. 96, wo die Franziskuslegende als Werk Giottos bezeichnet wird. * Supino, I. B., Giotto, Firenze 1920. Die erste große Prachtpublikation, die über Giotto erscheint. —, La basilica di S. Francesco in Assisi, Bologna 1924. 5 van Marie, Raimond, Recherches sur l'iconographie de Giotto et de Duccio, Straßburg 1920. —, L'origine romaine de l'art de Giotto, Rev. de l'art 1922, Bd. 41, S. 353ff. Bth42, S. 32 ff. —, The development of the italian schools of painting III. S. lff. 1923. —, Giotto narrateur, Rev. de l'art 1926, Bd. 50, S. 154ff. 229ff. (Der letztere Aufsatz ist als Ergänzung des Aufsatzes „l'origine romaine" schon an dieser Stelle mit herangezogen worden.) 1

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schließlich am schroffsten in der Darstellung Rintelens zutage k a m ; zwar h a t t e Rintelen bestimmte Stileigentümlichkeiten festgestellt, aber er hatte dieselben nur unter dem Gesichtspunkte des Gegensatzes zu dem Stil der Arena entwickelt. Schmarsow knüpft die Darstellung des Stilcharakters des Werkes a n die Zusammenhänge mit der Gotik an und weist an der Franziskuslegende „durchgehende Kompositionsgesetze nach, die mit der Raumgestaltung des gotischen Kirchenbaues aufs engste zusammenhängen, u n d von dem Hausgesetz der R h y t h m i k dieses gotischen Kirchenbaues wesentlich bestimmt sind" ( S . l ) . Die Einheitlichkeit des ganzen Gebäudes, ein Zusammengehen der Architektur mit der Malerei, sieht Schmarsow als charakteristisches Moment gotischer Raumgestaltung an. Als bedeutsames Ereignis, die Entwicklung anbahnend, habe eine solche Zusammenfassung von Architektur und Malerei f ü r Italien zum ersten Mal in der Oberkirche von Assisi stattgefunden. Die r o m a n i s c h e Malerei sei Oberflächendekoration gewesen, und das Hochschiff von Assisi, als Übergang zur gotischen Dekorationsform, zeige die stärkste Anpassung dieser r o m a n i s c h e n Oberflächendekoration an ein g o t i s c h e s Bauwerk, „die Benutzung byzantinischer und romanischer Bilderreihen in Anwendung auf die gotisch zugeschnittenen Flächen einer Kirche" (S. 52). Dagegen erkennt Schmarsow in den aufrechten Ausschnitten der Franpiskuslegende, in denen an Stelle dieser Oberflächendekoration die Statik der Körper und der Aufbau auf gemeinsamer Bodenlinie t r i t t , die charakteristisch gotische Form. Von der Architektur zu den Dekorationsformen, zu den Bildern der Franziskuslegende entwickelt Schmarsow die erkannten Zusammenhänge; die dekorative Architektur, die hier dem Auge vorgetäuscht würde, übernähme die Eingliederung in die gotische Strophenbildung des Baues selber (S. 7). Diese Blendarchitektur, die Konsolen, die gewundenen Säulen sei „Cosmatenassimilation eines alten Erbteils der Wandmalerei", wie sie in romanischer Fassung am reinsten sich in Ferentillo 1 erhalten habe. Als gotisch entwickelt Schmarsow die einheitliche Durchorganisierung des Ganzen: „der zusammenfassende Strophenbau der vier Kreuzgewölbe", „das dynamische Spiel der K r ä f t e , das die Gewölbepfeiler mit ihren Diensten vollführen, u n d das in der U m r a h m u n g der Bilderzone fortgesetzt wird"; weiter vermittelten die Konsolenreihen unter den Bildern in ihrer den Bilderreihen entsprechenden Gliederung die „Fortleitung des rhythmischen Ganges" (S.8). I n dieser Gesamtordnung entscheide sich das Gegeneinander der Horizontalen u n d "Vertikalen entsprechend dem italienischen Raumgefühl zugunsten der Horizontalen. Die Bilder seien zu dreien u n d dreien zueinander komponiert, so wie sie in 1

Schmarsow, A., Romanische Wandgemälde der Abteikirche S. Pietro bei Ferentillo. Rep. f. Kwst. XVIII. 1905, S. 391ff.

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Gruppen zwischen den Jochpfeilern stehen. Es senkten sich innerhalb einer jeden Dreiergruppe die Diagonalen der rechten und linken Bilder zur Mitte. Nur an der Eingangswand entsprächen sich gemäß der baulichen Anordnung zwei Bilder, die „Tränkung des Durstigen" und die „Vogelpredigt", durch die Schrägachsen. Das wichtigste Moment aber für das Verständnis des gotischen Systems, wie es Schmarsow hier aufbaut, ist durch die Rolle des Betrachters gegeben : die Bilder seien „das erste Einvernehmen zwischen der rhythmischen Gliederung der Architektur und der Flächengliederung der Wandmalerei im Anschluß an das lebendige Subjekt des betrachtenden Individuums". Nicht für einen bestimmten Standpunkt sei die Freskenfolge berechnet, nicht für den, der ruhig in der Kirche stehe, sondern für den von links nach rechts wandelnden Beschauer. Hierin liege der Gegensatz zu der späteren, entwickelten Malerei, und wir hätten die Tatsache dieser „blickführenden Linie", die ihre Ursache in dem Rhythmus des Ganzen habe, und die die Notwendigkeit der Bewegung für den Betrachter hervorrufe, einfach hinzunehmen. Auf Grund des durchgeführten Kompositionsprinzips der Bilder betont Schmarsow die Einheitlichkeit des Franziskuszyklus; auch die letzten Bilder zeigten die gleiche Kompositionsform, und der Versuch, hier den Cecilienmeister einzusetzen, könne nur unter dem Gesichtspunkt dieses übergeordneten, dem ganzen Werk zugrunde liegenden Gedankens, der also auch für die Werke des Cecilienmeisters Geltung habe, zugebilligt werden. In der Durchführung dieses Systems entstehen einige Schwierigkeiten, die für die Zwangsläufigkeit der Schmarsow'schen Kompositionsgesetze mit Recht Bedenken erregen müssen, die aber Schmarsow ohne Mühe beseitigen zu können glaubt. Nach seinem System hätte in der Gruppe der linken Wand (Bild 17, 18, 19) die „Stigmatisation" eher die Mitte zu bilden, als das Bild der „Erscheinung in Arles" (18), das nach der Form der dargestellten Architektur an die rechte Seite der Gruppe zu verweisen wäre. Schmarsow glaubt ohne Grund, daß diese Abweichung aus besonderer Rücksichtnahme auf die Reihenfolge in der Legende zu erklären sei1. Schwieriger ist die Abweichung der folgenden Gruppe (20—22), in der die ausgesprochene Zentralkomposition „Tod und Aufnahme des heiligen Franz" (20) an der linken Seite der Gruppe steht. Sie baut sich in drei Zonen übereinander auf. Doch auch hierin sieht Schmarsow eine Bestätigung seiner Theorie, das „Prinzip der Bewegung bleibe maßgebend, nur die Richtung sei verändert" (S.51). Ein weiterer Zweifel an der Absichtlichkeit der Dreierkomposition der Bilder wird durch die Anordnung des dieselben nach unten abschließenden Konsolenstreifens wachgerufen. In den ersten 1

a. a. O. S. 50.

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drei Jochen von der Vierung scheint die Vereinigung von drei Bildern der Theorie Schmarsows zu entsprechen, aber im vierten Joch werden die drei Bilder dieser vierten Gruppe (10—12) rechts mit der alleinstehenden „Weihnachtsmesse von Greccio" (13) und die entsprechenden links (17—19) mit dem „Tod des Edlen von Celano" (16) zusammengefaßt. Die beabsichtigte Berechnung auf den entlangwandelnden Beschauer sieht Schmarsow auch als Ursache der besonderen Zueinanderordnung der Bildteile auf der Bildfläche an, und in dieser besonderen Anordnung der Bildfläche ist sein grundlegender Gegensatz zu der Ansicht Rintelens zu suchen. Die Anordnung der Bildteile im Raum lasse noch nicht „eigentlich von Raum" sprechen; es werde kein dreidimensionaler Raum postuliert. Weder Folgerichtigkeit der Komposition, noch Forderung auf Tiefenschau seien als Maßstab der Beurteilung zu gründe zu legen. Jeder Zuwachs an Tiefe würde ein Verlangen nach einem festen Standpunkt vermehren und die Beweglichkeit des entlang wandelnden Betrachters fühlbar hemmen (S.133). Es sei einVorurteil, im Einzelausschnitt bei diesen Fresken der Raumdarstellung nachgehen zu wollen. Und wenn sich, wie im „Weihnachtswunder von Greccio" (13), Symptome zeigten, daß auch bei dem Meister der Franziskuslegende das Bestreben zur Tiefenausdehnung vorhanden sei, so gibt Schmarsow zwar dieses Bestreben nach einer vermehrten Räumlichkeit zu, die aber auf dem Wege gotischer R a u m k u n s t entstanden sei: „der Meister gelangt zum Vollzug auf dem Wege der Raumkunst Architektur, und nicht auf dem der Bildkunst Malerei, etwa im Anschluß an griechische Miniaturen" (S.85). Unter dem Gesichtspunkt des gotischen Kompositionsprinzips, einer Gesamtunterordnung von Architektur, Dekoration und Malerei unter eine bestimmte Gesetzmäßigkeit, sei also Rintelens Anspruch auf Beziehlichkeit der Bildteile untereinander als ästhetische Voraussetzung abzulehnen. Damit brauche aber nicht eine Herabsetzung des künstlerischen Wertes der Folge verbunden zu sein. Schmarsow bestätigt die Beobachtung Rintelens von der Stellung der Figuren im Raum, einer gewissen Unverbundenheit und Ungefügtheit, aber er empfindet z. B. bei der „Lossagung" (5) an Stelle des „Schroff- und Hartnebeneinanderstehens der Gruppen" den immer deutlichen „poetischen Zusammenhang". Für die Bestimmung des Meisters und für seinen Ursprung müsse seine Verbindung mit der Architektur der Kirche im Auge behalten werden, und für diesen Zusammenhang sei die Architekturdarstellung auf den Bildern aufklärend. Neben angedeuteten Gebäuden und Gebäudeteilen zeigten durchgeführte gotische Gebäude „ein entwickelteres Stadium zeitgenössischer Baukunst, das über die mittelitalienische Gotik der Oberkirche von S. Francesco hinausgelangt ist". Aber nach Schmarsow soll die Franziskuslegende nicht etwa nur aus dieser gotischen Anschauung hervorwachsen, sondern „die Vorbildung eines Malers, der den entscheidenden Schritt zum 56

Anschluß an die Gotik vollziehen mochte, kann nirgend wo anders als in der überlieferten Flächenkunst gesucht werden" (S.4). Dafür könnten sowohl die Buchmalerei oder die Tafelmalerei kleineren Formates oder die Wandmalerei schlicht verlaufender Flächen als Vorstufen in Betracht kommen. Klar sei, daß der Meister von Assisi aus mehreren Quellen schöpfe, und hier scheint Schmarsow dem überkommenen Erbe antiken Monumentalstils, vermittelt durch die Miniatur, eine wesentliche Bedeutung zu geben und damit der Wulff'schen Hypothese in allgemeinerer Form zuzustimmen. Freilich werden diese angenommenen Zusammenhänge mit der Miniatur mit großer Zurückhaltung angedeutet, und ganz allgemein wird der Meister als „in seinenAnfängendurchdieMiniaturbestimmt"gedacht(S.89). Wenn Schmarsow dann die „Gotik des Gebäudebaues mit der französischen Buchillustration zusammenwalten läßt" (S.28), so scheint darin eine gewisse Anerkennung der Theorie Wulffs zu liegen ; deutlicher liegt eine Zubilligung in der Feststellung, daß die enge Beziehung kosmatischer Ornamentik zu den aus der gotischen Miniatur hervorgegangenen Formen der antiken Raumkonstruktion d. h. zu den technischen Lösungen perspektivischer Aufgaben, wie sie Wulff vorschlägt, doch zu Recht bestehen könnte (S. 73). An einer Stelle aber, an der Wulff eine Verwendung vergrößerter Miniaturen als sichtbar vorhanden annehmen möchte, lehnt Schmarsow diese Möglichkeit ab, und zwar im Doktorengewölbe. Im Gegenteil möchte Schmarsow annehmen, daß die vier Bilder der Kirchenväter Neuschöpfungen seien1, und daß für diese Kompositionen die Anregung in der Anerkennung der vier doctores ecclesiae durch die Konstitution Bonifazius' VIII. im Jahre 1298 zu denken sei. Somit seien diese Fresken nicht vor den neunziger Jahren und nicht viel später als 1298 anzusetzen (S. 105), und die Franziskuslegende ist nach Schmarsow vor 1303, vor dem Tode Bonifazius' VIII in Auftrag gegeben. Der Stilcharakter des Doktorengewölbes entspräche dem des Franziskuszyklus. Schmarsow bestätigt die These des Zusammenhanges der Franziskuslegende mit dem Eingangsjoch des Hochschiffes. Mit Wulff sei hier für oben und unten ein Meister anzunehmen, und das sei der Meister der Franziskuslegende. Mit Wulff findet Schmarsow sehr weitgehende Übereinstimmung in der Annahme des gleichen Meisters in diesem ersten Joch vom Eingang und im Doktorengewölbe, während er das Heiligengewölbe eher Torriti als Cavallini zusprechen möchte. Gewiß sei, daß viele Fäden für den Meister der Franziskuslegende nach Rom führten — auch die oft betonte starke Benutzung der Motive der römischen Cosmaten in ihrer späteren gotischen Form weise auf diesen 1

Auf eine seltene Darstellung der vier Kirchenväter in der romanischen Plastik Oberitaliens verweist R. Jullian, Les fragments de l'ambon de Benedetto Antelami à Parme. Mèi. d'Archéologie et d'Histoire 1929. XLVI, I—V, S. 208.

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Zusammenhang —, und Schmarsow sieht die seit der Darstellung von Crowe und Cavalcaselle erkannte Stilübereinstimmung mit der Fassade von S. Maria maggiore als so bindend an, daß er für beideWerke den gleichen Meister, Filippo Rusuti, einsetzt. Er entwickelt diese Übereinstimmung an den Dekorationen, an den Architekturen, an den Figuren im Raum, an der naturalistischen Darstellung der Zeittrachten. Somit ist nach Schmarsow der römische Maler Filippo Rusuti der Meister der Franziskuslegende und des ganzen Bilderkreises im Eingangsjoch des Langhauses. Schmarsow sieht nun aber die Bedeutung nicht so sehr in der Erkennung eines bestimmten Meisters, sondern in der Einordnung des Werkes in die allgemeine Entwicklung. Am Ende des Dugento habe die nordische Kunst der Gotik den Monumentalstil römischer Basiliken aufgehoben. Ein neuer Monumentalstil sei durch die Gotik geschaffen, eben jener, den die Oberkirche von Assisi zeige, ein Stil, der nicht der Fläche gehöre, sondern „dem ganzen sich selber vollstreckenden, vom aufnehmenden Subjekt miterlebten Raumgebilde" (S. 135). Dieses neue Prinzip trete in Verbindung mit der als ebenso bedeutsam zu wertenden Darstellung der lebendigen Gegenwart auf, und dieser Schritt zum Realismus der Gotik sei in der r ö m i s c h e n , nicht in der f l o r e n t i n i s c h e n Kunst zu suchen (S. 124). In Assisi sieht Schmarsow also den letzten Abschluß einer blühenden römischen Kunstphase der letzten Dezennien des Dugento, deren charakteristisches Moment eben in dem Ubergang aus einer Idealkunst zu diesem Realismus der Gotik bestehe. Von nun an sei Florenz an die führende Stelle getreten; die Weiterentwicklung des 14. Jahrhunderts habe sich in Florenz vollzogen. Als Beispiel dieses realistischen Zeitstils führt Schmarsow für die Malerei das Fresko zum Jubiläum Bonifazius' VIII. an, dessen Bedeutung auch in dem verblasenen heutigen Zustand noch zu betonen sei. Wichtiger aber für spätere Hypothesen, wie sie z. B. von Rosenthal 1 aufgestellt werden, ist Schmarsows Hinweis auf die gleichzeitige realistische Richtung plastischer Werke. Er stellt als gotisch die Königsstatue Karls von Anjou (Rom, Conservatorenpalast, Photo And. 651) der antikisierenden Idealkunst Arnolfo di Cambios gegenüber, für die er als Beispiel die Bronzestatue S. Peters in der Peterskirche anführt 2 . Die Bedeutung des Buches von Schmarsow dürfte darin liegen, daß er die Oberkirche von Assisi hervorhebt als ein Werk, das in dem festen Zusammenhang mit der r ö m i s c h e n K u n s t vom Ausgang des Dugento als ein Glied dieser r ö m i s c h e n K u n s t zu betrachten ist, wenn auch dieses wichtige Ergebnis durch den Schleier eines stark konstruktiven Systems nicht immer klar und offensichtlich hindurchleuchtet. 1 2

Rosenthal, Erwin, Giotto in der mittelalterlichen Geistesentwicklung, Augsburg 1924. Uber die Beurteilung der Bronzestatue in S. Peter s. Toesca, a. a. O. S. 287/14.

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B. SIREN, SUPINO UND VAN MARLE.

D

I E Auffassung von Schmarsow ist also eine sehr wesentlich andere als die von Rintelen; auch S i r e n 1 (Tab. 1/41,1/45, 11/14, 111/30 und Text S. 41) hat sich der Rintelenschen Ansicht nur insofern angenähert, als er seine Zuschreibung der Franziskuslegende an Giotto einschränkt, aber nicht aufhebt. Wesentlich ist die Wandlung seiner Meisterbestimmungen in der Unterkirche 2 . Früher h a t t e Siren in den Allegorien eine zweite Phase von Giottos Stil im Anschluß an einen Aufenthalt in Frankreich erkennen zu können geglaubt; nunmehr ist er der seit Venturi fast allseitig anerkannten Meinung gefolgt, daß Giotto in den Allegorien nicht zu finden sei, eine Meinung, die freilich auch weiterhin nicht unwidersprochen blieb 3 . Über Venturi hinausgehend, schaltet Siren Giotto in der Unterkirche eigentlich aus, wenn auch die Rolle, die Giotto spielen soll, nicht klar erkennbar ist, da Siren bei Ansetzung eines anderen Meisternamens in derMagdalenenkapelle, des Stefano Fiorentino, doch einen persönlichen Einfluß Giottos für wahrscheinlich hält. Dem Stefano Fiorentino wird auch die Nikolauskapelle zugewiesen. Dieser einen Gruppe, Magdalenenkapelle und Nikolauskapelle, steht die zweite, Allegorien, Jugendgeschichte und Franziskusszenen, gegenüber, f ü r die an Stelle der beiden von Venturi angenommenen anonymen Meister ein bestimmter Name, Puccio Capanna, eingeschaltet wird. Diese Nennung bestimmter Namen k a n n — wie es auch von Siren unternommen ist — nur mit großer Vorsicht geschehen. Zwar ist nach zwei Richtungen hin Anlaß gegeben, den Namen Puccio Capannas mit S. Francesco zu verbinden. Vasari gibt als sein Werk den Franziskuszyklus in S. Francesco in Pistoia an, der auf die Assisaner Fresken zurückgeht. Ferner soll er in der Unterkirche die Leidensgeschichte gemalt haben außer zahlreichen anderen Werken in Assisi. Bei der Ungenauigkeit dieser Angaben wird eine sichere Zuweisung bestimmter Folgen immer hypothetisch bleiben, u n d ebenso wird es kaum möglich sein, die einzelnen Zyklen nach einzelnen Meistern zu scheiden. So h a t t e schon Venturi in den Allegorien einen dritten auch in P a d u a tätigen Künstler wirken lassen, und bei Siren ergab sich die Notwendigkeit, die stilistischen Annäherungen der beiden Gruppen durch einen Zwischenmeister auszugleichen, der in der Magdalenenkapelle und an der Glorie des heiligen Franziskus in den Allegorien half. Es ist bezeichnend, daß dieses komplizierte System der Zuschreibung sich immer mehr herausgebildet hatte, seitdem man es unternahm, an Stelle des allgemeinen Begriffes „Schule und Werkstatt Giottos" einzelne Meister zu setzen. 1 2

3

Siren, 0 . , Giotto and some of his followers. Cambridge 1917. Auch die Gesamtauffassung Sirens ist erheblich verändert. So scheint der angenommene Aufenthalt Giottos in Frankreich fallen gelassen zu sein. z. B. von Supino, a. a. 0 . S. 315.

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Yenturi ist der erste gewesen, der einen solchen Versuch durchführte. So klar nun aber der a l l g e m e i n e Stil der Giottowerkstatt war, so schien sich die Aufgabe, hier in Assisi die verschiedenen Richtungen dieses Stils in einzelne Gruppen aufzulösen, als unmöglich zu erweisen. Wichtiger aber als die Bestimmung einzelner Bilder auf einzelne Meister in der Unterkirche ist die a l l g e m e i n e Zuordnung dieser Folgen zu der Franziskuslegende, die Siren als Ergebnis seiner sorgfältigen Untersuchungen über Giotto und den ihn umgebenden Künstlerkreis vornimmt. Siren betont den v e r s c h i e d e n a r t i g e n Charakter der Fresken, er weist auf die Notwendigkeit hin, in der Franziskuslegende ein Werk zu sehen, das andere Tendenzen, wie diese Folgen der Unterkirche zeige, das früher entstanden sei, e h e der Stil des reifen Giotto seinen Einfluß geltend gemacht habe (S. 19). E r ist geneigt die Freskenfolgen der Unterkirche in das zweite bis dritte Jahrzehnt zu setzen und f ü r den Franziskuszyklus ein D a t u m u m 1300 oder bis 1310 anzunehmen, da auch die Mitarbeit des Cecilienmeisters, die ihm nach dem Charakter der letzten vier und des ersten der Franziskusbilder gewiß erscheint 1 , diese Entstehungszeit bestätige. Siren erwägt die Möglichkeit, daß an dem Franziskuszyklus eine Gruppe von Künstlern gearbeitet habe, oder auch , daß die Folge mit längerer Pause entstanden sei, daß eine Unterbrechung der Arbeit in der Oberkirche wobl stattgefunden haben könnte. Alle diese Überlegungen können ihn aber nicht davon abhalten, den Namen Giottos fortbestehen zu lassen, freilich unter so einschränkenden Bedingungen, daß f ü r Giotto fast nichts mehr übrig bleibt: „Die Möglichkeit der traditionellen Annahme ist natürlich durch unsere Analyse der Franziskusfresken nicht ausgeschlossen, obgleich sie nicht mit unserem allgemeinen Begriff seiner Kunst übereinstimmt. Jedenfalls wurde seine Arbeit bald abgebrochen, und dann von anderen Künstlern und Restauratoren so übermalt, daß individuelle Charakteristik oder fühlbare Spuren seines Werkes in der Oberkirche von Assisi nicht vorhanden sind" 2 . Die Darstellung von S u p i n o (Tab. 1/48,11/18,111/31) ergibt ein anderes Bild des Werkes von Giotto; Supino sucht durch Benutzung und Beachtung aller Nachrichten und aller irgendwie ins Gewicht fallenden Tatsachen über die Entwicklung Giottos Licht zu verbreiten. Da Supino von den Quellen ausgeht, macht er Giottos Verhältnis zu Cimabue zur Grundlage seiner Untersuchung, er betont die Notwendigkeit, infolge der Chronik des Riccobaldus u n d der Nachricht Vasaris über Giottos Berufung durch Giovanni di Muro, das Vorhandensein von Werken Giottos in Assisi sorg1

a

In der ersten Bearbeitung von Siren, a. a. O. 1907, werden die Fresken 26—28 und 1 dem Oecilienmeister zugeschrieben. Siren, O., a. a. O. S. 20.

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fältig nachzuprüfen. Auf Grund der Überlieferung stellt er fest, daß Giotto in beiden Kirchen, der Ober- und der Unterkirche, gearbeitet haben muß, und er hält die Zuschreibung der Franziskuslegende, sowie auch die der Allegorien aufrecht. Letztere übernehmen hier also wieder eine Rolle im eigenen Werke Giottos. Ein wesentliches Verdienst von Supino ist es, daß er dem Erhaltungszustand der Franziskuslegende eingehende Beachtung schenkt und sich nicht bei einem einfachen „ ü b e r m a l t " als Gesamturteil begnügt. Es sind sämtliche Fresken einer die Einzelheiten berücksichtigenden P r ü f u n g unterzogen, es sind die vorhandenen Nachrichten über die Ausbesserungen der Kirche, über Schäden des Gebäudes, die den schlechten Zustand der Bilder aufklären könnten, zusammengestellt. Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist eine Mahnung zu weitgehender Vorsicht: „hanno perduto gran parte della loro autenticità" 1 . So sei z. B. der Zusammenklang von oben und unten auf spätere Veränderungen zurückzuführen. Die oberen Fresken hätten stark gelitten: „ L a mano moderna ha ripassata non solo i volti di Giacobbe, di Esaù, di Rebecca, ma altresì molte figure degli affreschi sottostanti" 2 , usw. Ebenso sieht er die Erhaltung der Franziskuslegende als sehr ungünstig a n : „Tranne rare eccezioni non v'è in queste figure un contorno che sia intatto, non u n ' occhio che serbi la forma primitiva, non una bocca, che non sia deformata, le mani sempre ripassate, le vesti in gran parte nuove, i fondi ricampiti, i cieli guasti e resi pesanti, il terreno ridipinto" 3 . Aus der Besprechung der einzelnen Bilder des Franziskuszyklus geht dann aber hervor, daß er diese Veränderungen doch mehr auf einzelne Teile der Fresken beziehen möchte, daß er stückweise Übermalungen annimmt, und daß er den Gesamteindruck für unverändert hält : „bisogna di studiarle nell'loro complesso e nelle loro linee esteriori"; nur eine Meisterbestimmung auf Grund des Colorits, wie sie Venturi unternommen habe, hält er f ü r gewagt. Unter diesem gewissen Zwiespalt der Behauptung von schwerwiegendsten Restaurationen, die den ursprünglichen Eindruck vollständig verdecken müßten und einer doch möglich bleibenden Beurteilung, sind Supinos Folgerungen f ü r die Oberkirche nicht leicht ohne Mißverständnisse zu erfassen. Er legt n u n selbst auf die Bestimmung einzelner Meister im Hochschiff wenig Gewicht, betont aber den Gegensatz der Hochschiff-Fresken zu Cimabue 4 . Und die Untersuchung des Schülerverhältnisses Giottos zu 1 4

2 3 Supino, I. B., Giotto, S. 22. a. a. O. S. 34. La basilica di S. Francesco, S. 136. Supino, I. B., Ciotto, S. 30, 31 : Im Hochschiff des Langhauses hält Supino die Zuschreibung an Torriti im ersten und zweiten Joch für wahrscheinlich, für das dritte und vierte sei die Lösung schwieriger. Übereinstimmungen des Doktorengewölbes und einiger Figuren des Langhauses erinnerten an Busuti, anderes an Cavallini, dessen Jugendwerk wir dann vor uns hätten. Sicheres Urteil verböte die Erhaltung.

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Cimabue f ü h r t zu dem Ergebnis, daß durch die Festlegung des Datums 1272 f ü r Cimabues Tätigkeit in Rom u n d bei der Annahme eines zweiten römischen Datums 1275, das für die Ausmalung des Portikus der Peterskirche hinzuzufügen wäre, Cimabues Tätigkeit in Assisi in die J a h r e 1277 bis 1280 falle. Damit wäre eine Zusammenarbeit Giottos u n d Cimabues in Assisi hinfällig, auch wenn man Ciottos Geburtsjahr mit Antonio Pucci richtiger in das J a h r 1266 setzen wolle. Giotto würde zu jung gewesen sein. Supino läßt daher Giotto nach 1285 in Florenz Cimabues Schüler sein, und an diese Lehrzeit bei Cimabue soll sieb der erste Aufenthalt Giottos in Rom anschließen, der vielleicht durch Arnolfo di Cambio vermittelt sei. In Rom tritt dann der Einfluß Cavallinis, Torritis und Rusutis hinzu. Mehr als diese allzu hypothetischen Annahmen, die den festen Boden der Tatsachen verlassen, interessiert die von Supino vorgeschlagene Chronologie von Giottos Werken. Er sieht in der von L. Venturi gemachten Feststellung, daß das D a t u m 1300 für die Navicella nicht bindend sei1, keinen zwingenden Grund, die bis dahin anerkannte Datierung der Navicella und der Peterstafel u m 1300 aufzugeben. Ein solches Vorgehen würde ihm mit gleichem Recht eine Späteransetzung der Franziskuslegende in dieselbe f ü r die Peterstafel angenommene Zeit um 1320 2 geboten erscheinen lassen. Auch scheint ihm in Venturis und Berensons Loslösung der Peterstafel aus dem Werk Giottos eine Inkonsequenz zu liegen, wenn man die Franziskuslegende als ein solches anerkennt. Mit der Einreihung der Peterstafel um 1300 glaubt nun Supino zu einer folgerichtigen Chronologie zu kommen. E r erkennt sie als Jugendwerk an, nimmt dann die alte, nun schon so lange auch von ihren ursprünglichen Anhängern abgetane Ansicht wieder auf, die einstmals Berenson vertreten hatte, daß die Allegorien v o r den Fresken der Arenakapelle entstanden seien. Dagegen soll die Franziskuslegende n a c h den Fresken der Arena, also zwischen 1306 u n d 1310 das Werk eines zweiten Aufenthaltes in Assisi sein. Der letzte Teil lasse Mitarbeiter erkennen, deutlich faßbar sei eine ausgesprochen andere H a n d nur in den letzten drei Bildern, eine Hand, die aber nicht mit dem Cecilienmeister identifiziert werden könne. I n der Unterkirche wird durch eine Nachprüfung archivalischer Nachrichten eine Klarstellung der vielen Hypothesen versucht. Wichtig ist seine Feststellung, daß die Datierung der Nikolauskapelle, deren Ausmalung seit Thode mit der Ernennung Gian Gaetano Orsinis zum Kardinal spätestens auf das J a h r 1316 festgelegt war, infolge der Verwechselung dieses Gian Gaetano mit einem gleichnamigen, f r ü h verstorbenen Bruder von Napoleone Orsini 1 2

L. Venturi, L'arte X X I . 1918, S. 229ff. Das Datum „um 1320" für die Altartafel von S. Peter geht auf die Angabe von Jacopo Grimaldi zurück, Index librorum Bibliothecae Sacrosanctae Vaticanae Basilicae, 1603, (s. L. Venturi, a. a. O. S. 234).

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nicht haltbar sei1. Und in der Annahme, daß diese Malereien, besonders das Stifterbild, imAnschluß an denSarkophag des Gian Gaetano entstanden seien, möchte Supino ein späteres Datum, ein bestimmtes gibt er nicht an, für wahrscheinlicher halten2. Von einer Meisternennung in der Unterkirche sieht Supino ab. Mit Ausnahme der Allegorien habe Giotto selbst dort nicht gearbeitet. So wird also bei Supino innerhalb der verschiedenen Folgen der Unterkirche ein erheblicher zeitlicher Zwischenraum zwischen den Allegorien und der Nikolauskapelle für möglich gehalten, eine Mutmaßung, die sich auf stilkritischer Grundlage schwerlich bestätigen lassen dürfte. Es ist begreiflich, daß van Marie3 zu den verschiedenen Ausführungen über die Erhaltung der Fresken Stellung nimmt, nachdem Siren im allgemeinen und Supino mit Einzelbeobachtungen diese schon so oft betonte schlechte Erhaltung für ihre Beurteilung in den Vordergrund hatten treten lassen. Van Marie sieht die diesbezüglichen Behauptungen in dem Ausmaß, wie sie gemacht worden sind, als übertrieben an: nur selten hätten wirkliche Veränderungen den Eindruck beeinträchtigt. V a n M a r i e (Tab. 1/50,11/19,111/32) weist mit starker Betonung auf den römischen Einfluß hin, der sich in Giottos Werk, also auch in der Franziskuslegende in Assisi, geltend mache. Dieser Einfluß der römischen Schule — bei Supino hatte sich derselbe nur neben der starken Betonung der urkundlichen Überlieferung der Schülerschaft Giottos von Cimabue fast ein wenig verstohlen einschleichen müssen — wird von van Marie zur Grundauffassung des Verständnisses von Giotto gemacht. Van Marie sieht für die moderne Forschung das wesentliche Moment in der Anerkennung und Beobachtung dieses römischen Einflusses. Nicht nur stilistische Übereinstimmungen, sondern auch Art und Grad der Darstellung der sinnlichen Erscheinung will van Marie aus dem Zusammenhang mit der römischen Schule erklären. Er pflichtet nach dieser Seite Schmarsow bei, der auch die Aufnahme der lebendigen Gegenwart als Beweis des römischen Zusammenhanges der Franziskuslegende angeführt hatte, die Quelle aber in gotischer Anschauung suchen wollte. Ganz richtig bemerkt er, daß Schmarsow seinen Meister der Franziskuslegende auch aus Rom hätte ableiten müssen, und daß jedenfalls in Assisi der römische Einfluß unleugbar vorhanden sei. Van Marie hält die These von Giottos Autorschaft aufrecht, freilich nicht ganz ohne Bedenken und versucht, seine Ansicht mit neuen Beobachtungen zu stützen. Der Zusammenhang in der ganzen Ausmalung der Kirche, der in der älteren Forschung, z. B. von Thode, Zimmermann und Wulff, dann auch von Aubert betont worden war, und den Supino auf die Restauratio1 2

3

Supino, I. B., Giotto, S. 296ff. s. Text S. 133. Supino, I. B., Giotto, S. 298; Supino ist geneigt, in dem Sarkophag ein Werk des Giovanni Salvati zu sehen, der im Jahre 1334 für die Familie Orsini arbeitete. van Marie, R., s. d. Lit. Text S. 53.

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nen hatte zurückführen wollen, wird wieder stark hervorgehoben. Van Marie findet Übereinstimmungen von Werken des römischen Kunstkreises mit dem einzig gut erhaltenen Stück aus der Navicella, dem Engel in Boville Ernica (Abb. v. M. III. Fig. 2), der den engen Zusammenhang von Giottos Frühwerken mit der gleichzeitigen römischen Kunst bestätige1. Er betont, daß der Zusammenhang der Navicella mit der Franziskuslegende verständlicher sei, als der auch ihm nicht erklärbare Stilwandel zwischen letzterer und den Fresken der Arenakapelle. An dieser Stelle liegt eben, also auch in der Darstellung von van Marie, die Schwierigkeit des ganzen Problems, die beiden Werke in der kurzen zeitlichen Abfolge weniger Jahre einem Meister zuzuschreiben, die Schwierigkeit, diese schon oft betonte „sprunghafte Entwicklung" zu erklären. Die Zuschreibung des Franziskuszyklus beschränkt sich bei van Marie auf die Fresken 2—19, während 20—24 einem Schüler, mutmaßlich dem sogenannten Maestro Stefano zugewiesen werden, der also jetzt in der Oberkirche erscheint. Die Zusammengehörigkeit der letzten drei Fresken mit dem Cecilienmeister, der auch an dem ersten, der „Huldigung des heiligen Franz" mitgewirkt haben soll, bietet für van Marie in Übereinstimmung mit Siren einen weiteren Beweis für eine Datierung um 1300. Giotto sei also gemeinsam mit den Meistern des Hochschiffes nach Assisi gekommen, die, aus der römischen Schule hervorgehend, Zusammenhänge mit Cimabue, dem Meister des Querschiffes, erkennen ließen. Im Langhaus des Hochschiffes sei der Anteil der einzelnen Künstler schwer abzugrenzen. Es wird Torriti für das Heiligengewölbe und Cavallini für die Isaakfresken angenommen, aber van Marie möchte auf Rusuti, „einen geringen Maler", für das Doktorengewölbe verzichten und setzt an dessen Stelle einen Künstler ein, der von Cavallini beeinflußt sei, der aber mehr die für Giottos Stilentwicklung wichtige römische Richtung der „erzählenden Malerei" vertritt. Für „Geburt" und „Gefangennahme" kommt er zu der sehr komplizierten Verteilung an einen Schüler Cimabues, der Elemente von Torriti, Cimabue und Cavallini in sich aufgenommen habe, ein etwas gewaltsamer Versuch, die Stileigentümlichkeiten dieser Fresken zu erklären. Die Begründung seiner Zuschreibung der beiden Freskenzyklen in Assisi und in Padua an Giotto geht bei van Marie mehr von dem Inhaltlichen als von einer Formanalyse aus, von der Beobachtung, daß der Darstellung der Personen, die der Tradition nach dem sinnlichen Eindrucke entsprach, nun die Darstellung der Umgebung folgte, die bisher ganz zurückgetreten war. Auf das bedeutsame Hinzutreten der sinnlichen Erscheinungswelt in die Bildgestaltung des ausgehenden Dugento hatte Kailab im besonderen verwiesen, und vielfach war dieser Gesichtspunkt in bezug auf das Problem der Franziskuslegende und der Fresken in Padua heran1

s. Text S. 136/137.

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gezogen worden. Yan Marie sucht nun an dieser „erzählenden" Darstellung sowohl die Zusammengehörigkeit der Franziskuslegende und der Arenafresken als auch Giottos Herkunft aus der römischen Schule nachzuweisen; denn diese volkstümliche und lehrhafte Darstellung sei heimisch in der römischen Kunst. Yan Marie führt die Fülle der römischen Wandmalereien als Beispiel der erzählenden Malerei an, so S. Clemente, die Julittakapelle in S. Maria antiqua, S. Lorenzo f. 1. m. Bei Cavallini wäre aber diese Richtung der Malerei nicht eigentlich zu finden: sie stehe im Gegensatz zu der byzantinischen Kunst und folglich auch zu der von Byzanz abhängigen Kunst in Siena und Florenz, denn die byzantinische Kunst hätte niemals zu einem erzählenden Realismus kommen können, diese Kunst „die immer schön, aber in der Überlieferung befangen, wenig dem Gefühle und wenig seelischem Ausdruck nachgab, und sehr zurückhaltend in ihren Ausdrucksformen war" 1 . Yan Marie stellt mit dieser Betrachtungsweise gerade die Punkte in den Vordergrund, die für das Verständnis der Epoche die wichtigsten und aufschlußreichsten sind2. Er führt seine Beobachtungen dieser Darstellung der Umgebung des Menschen an der Art der Architekturgestaltung durch, er charakterisiert die Entwicklung der Architekturen, ihre Loslösung aus dem mittelalterlichen Schema, und er weist an Bildern des Franziskuszyklus die entstehenden Typen nach8. Er legt dabei mehr Wert auf das Typische als Schmarsow, der mehr allgemein die angedeuteten Baulichkeiten und die naturalistisch durchgeführten Architekturen unterschied, während van Marie in Bildern wie dem „Tod des Edlen von Celano" (16) und „der Bestätigung der Ordensregel" (7) auf die verschiedene Form der kastenartigen Innenräume in Assisi aufmerksam macht. Die Zusammen8. van Marie, a. a. O. S. 156. Garber, I., Wirkungen der frühchristlichen Gemäldezyklen, Wien 1918. Garber sieht ebenso wie van Marie (die Darstellungen von Garber und von van Marie sind unabhängig voneinander entstanden; s. van Marie, Revue de l'nrt 42, S. 38) den Ursprung von Giottos Kunst in Rom im Kreise Cavallinis. Für die Franziskuslegende schließt sich Garber der Rintelenschen Auffassung an, daß sie von einem Maler ist, der auf Giottos Errungenschaften basiert, wodurch die Schwierigkeit beseitigt würde, für Giotto einen Aufenthalt in Rom vor 1298 anzunehmen. Giotto sah in Rom die frühchristlichen Zyklen, auf die eine dortige Malerschule eine neue Entwicklung aufgebaut hatte. Und Giotto schließt sich an diese römische Entwicklung an. Seine Gemälde seien nicht aus dem gotischen oder byzantinischen Einfluß zu erklären. Diese Zusammenhänge erscheinen für Garber das selbstverständliche Ergebnis, das auch nach Rintelens Darstellung zu erwarten gewesen wäre, und er vermißt bei RinteleD einen klaren Hinweis auf diese Grundlage. Das von Rintelen gewählte Beispiel der Isaak- und Jakobszenen, das auf den alten Zyklen fußt, gäbe Veranlassung, die von Rintelen formulierte Bildform Giottos auf die Antike auf Grund der ikonographischen Zusammenhänge zurückzuführen. Die Kunst Cavallinis sei ihm nicht fremd geblieben, aber seine Schülerschaft lasse sich nicht erweisen. 3 van Marie, a. a. 0. Revue de l'art 42, 1922, S. 35. 1

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Martiue.

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hänge, die für die Architektur gegeben sind, fehlen nach van Marie für die Landschaft. Hinsichtlich der Zusammengehörigkeit der Freskenfolgen in Assisi und Padua bemerkt er zwar in diesem von ihm als besonders wichtig hervorgehobenen Punkte der Darstellung der Wirklichkeit eine in Padua hervortretende Vereinfachung der Formen, aber diese Tatsache genüge nicht allein, einen anderen Meister in Assisi anzunehmen. Außerdem wäre in Betracht zu ziehen, daß die Stilverschiedenheiten sich dadurch steigerten, daß die Bildtradition in Padua im wesentlichen byzantinisch sei, also bei so verschiedener Grundlage zweier Folgen keine Ubereinstimmung zu erwarten wäre. In der Unterkirche möchte van Marie Giotto nicht ganz ausschließen: er spricht ihm, übereinstimmend mit Venturi, einen Teil der Magdalenenkapelle zu. Im übrigen macht er ebenso wie Venturi und Siren einen Vorschlag zu einer ziemlich verzweigten Verteilung der einzelnen Bilder, ein Vorschlag, der in seinem Kern den Ansichten Venturis und Sirens in der Annahme zweier Hauptmeister entspricht.1 In den Ausführungen von van Marie kommt mit außerordentlicher Klarheit zum Ausdruck, wieviel deutlicher sich der Zusammenhang mit Rom in der Franziskuslegende als in den Fresken der Arenakapelle aufzeigen läßt, und es ist bemerkenswert, daß Schmarsow zu dem gleichen Ergebnis wie van Marie gekommen ist, wenn auch letzterer dabei den Namen Giottos für die Franziskuslegende aufrecht erhält. Auch in der zeitlichen Ansetzung stimmen beide Forscher überein. Und wenn van Marie das Werk Giottos auf nicht ganz so breiter Grundlage als Siren aufbaut, denn Siren gibt einer Reihe der kleineren Tafelbilder (München, Settignano, Boston)2 den Namen Giottos, so kommt trotzdem infolge der Aufrechterhaltung von Giottos Autorschaft an der Magdalenenkapelle die gleiche Schwierigkeit hervor, den Punkt zu finden, an dem das eigene Werk Giottos in den breiten Strom der Werkstatt übergeht bei Werken, die noch zu Lebzeiten des Künstlers entstanden sind. Außer diesen Untersuchungen, die in den immer schwebend bleibenden Widersprüchen auf die eine oder andere Weise zu vermitteln suchen, hat die Ansicht Rintelens manche Zustimmung gefunden. Am ausschließlichsten ist zunächst Hausenstein3 (Tab. 1/49) der Auffassung Rintelens gefolgt, und er hält es bei der Darlegung seiner Meinung für nötig, mit beredten Worten seiner Geringachtung über die vielfachen Bemühungen Ausdruck zu geben, die die kritische Kunstforschung auf die Lösung der schwierigen Probleme verwandt hat. Die durch das Studium der formalen und ikonographischen Gegebenheiten gewonnenen Einzelergebnisse, die Erweiterung der Anschauung über die allgemeine Entwicklung, wie sie auf Grund der 2 s. Siren, a. a. O. Tafel 60 und Tab. III. 46. 4 9 f f . l van Marie, a. a. O. III. S. 201 ff. 9 Hausenstein, W., Giotto, Berlin 1923.

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Einzelforschung möglich geworden ist, wird aber bei einer solchen Betrachtungsweise allzu niedrig eingeschätzt. Wenn an der Erfolgsmöglichkeit der stilkritischen Methode gezweifelt wird, wie es bei Hausenstein der Fall zu sein scheint, so muß dagegen eingewandt werden, daß es doch schließlich die sorgfältige stilkritische Methode ist, die für die fruchtbare Forschung einer geistesgeschichtlichen Richtung die Vorbedingung sein muß. Und es wird gerade durch die eingehende Beschäftigung mit dieser Forschung klar, wieviel durch die intensive Arbeit an einer Stelle für die Förderung des Verständnisses der großen Zusammenhänge gewonnen ist. Aus den Ausführungen Hausensteins scheint hervorzugehen, daß er die immer neuen Bemühungen um die Meisterfrage der Oberkirche in Assisi als aussichtslos ansieht. Zuzugeben ist freilich, daß es nicht verwunderlich gewesen wäre, wenn eine gewisse Ermüdung eingesetzt hätte, wenn man das Verlangen gehabt hätte, das Giottoproblem eine Zeitlang ruhen zu lassen. Das Gegenteil war aber der Fall, und nach dem Erscheinen der zweiten Auflage des Rintelenschen Buches wurde mit der gleichen Lebhaftigkeit der Kreis der Fragen um Giotto behandelt, die gleichen Gegensätze lebten weiter, neue Versuche, sie auszugleichen, wurden gemacht. Die Hoffnung aber, durch neue Dokumente irgend ein sicheres Ergebnis zu erreichen, die bei der gründlichen Forschung durchaus berechtigt blieb, diese Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt. 9. AUSWIRKUNG UND WEITERENTWICKLUNG. A. WEIGELT UND BEDA KLEINSCHMIDT. IE Meinungsverschiedenheiten um die Oberkirche von Assisi sind von D Frey einmal als „bellum omnium contra omnes" bezeichnet worden. Es muß auch heute dieser Äußerung Frey's noch beigepflichtet werden, und

von einer allgemeinen Neigung Rintelen zu folgen, die Weigelt feststellen zu können glaubt, dürfte kaum zu sprechen sein. Mit Beda Kleinschmidt kann nur ein immer noch herrschendes „ignoramus"1 zugegeben werden. Selbstverständlich sind die durch die erreichten Forschungsergebnisse bestimmten Richtlinien weiter verfolgt worden. So kann man eine starke Auswirkung der Ansicht Rintelens, besonders nach dem Erscheinen der zweiten Auflage feststellen, als auch eine solche der Theorie Schmarsows. Der ersteren schließt sich vor allem Weigelt2 an, und durch seine Darstellung in der auf größere Verbreitung berechneten Ausgabe der Klassiker der Kunst ist diese Ansicht Rintelens in weitere Kreise getragen worden. 1 2

Beda Kleinschmidt, a. a. O. II. S. 75. Weigelt, Kurt, Giotto, Klassiker der Kunst Bd. 40, 1925. 5*

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Einzelforschung möglich geworden ist, wird aber bei einer solchen Betrachtungsweise allzu niedrig eingeschätzt. Wenn an der Erfolgsmöglichkeit der stilkritischen Methode gezweifelt wird, wie es bei Hausenstein der Fall zu sein scheint, so muß dagegen eingewandt werden, daß es doch schließlich die sorgfältige stilkritische Methode ist, die für die fruchtbare Forschung einer geistesgeschichtlichen Richtung die Vorbedingung sein muß. Und es wird gerade durch die eingehende Beschäftigung mit dieser Forschung klar, wieviel durch die intensive Arbeit an einer Stelle für die Förderung des Verständnisses der großen Zusammenhänge gewonnen ist. Aus den Ausführungen Hausensteins scheint hervorzugehen, daß er die immer neuen Bemühungen um die Meisterfrage der Oberkirche in Assisi als aussichtslos ansieht. Zuzugeben ist freilich, daß es nicht verwunderlich gewesen wäre, wenn eine gewisse Ermüdung eingesetzt hätte, wenn man das Verlangen gehabt hätte, das Giottoproblem eine Zeitlang ruhen zu lassen. Das Gegenteil war aber der Fall, und nach dem Erscheinen der zweiten Auflage des Rintelenschen Buches wurde mit der gleichen Lebhaftigkeit der Kreis der Fragen um Giotto behandelt, die gleichen Gegensätze lebten weiter, neue Versuche, sie auszugleichen, wurden gemacht. Die Hoffnung aber, durch neue Dokumente irgend ein sicheres Ergebnis zu erreichen, die bei der gründlichen Forschung durchaus berechtigt blieb, diese Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt. 9. AUSWIRKUNG UND WEITERENTWICKLUNG. A. WEIGELT UND BEDA KLEINSCHMIDT. IE Meinungsverschiedenheiten um die Oberkirche von Assisi sind von D Frey einmal als „bellum omnium contra omnes" bezeichnet worden. Es muß auch heute dieser Äußerung Frey's noch beigepflichtet werden, und

von einer allgemeinen Neigung Rintelen zu folgen, die Weigelt feststellen zu können glaubt, dürfte kaum zu sprechen sein. Mit Beda Kleinschmidt kann nur ein immer noch herrschendes „ignoramus"1 zugegeben werden. Selbstverständlich sind die durch die erreichten Forschungsergebnisse bestimmten Richtlinien weiter verfolgt worden. So kann man eine starke Auswirkung der Ansicht Rintelens, besonders nach dem Erscheinen der zweiten Auflage feststellen, als auch eine solche der Theorie Schmarsows. Der ersteren schließt sich vor allem Weigelt2 an, und durch seine Darstellung in der auf größere Verbreitung berechneten Ausgabe der Klassiker der Kunst ist diese Ansicht Rintelens in weitere Kreise getragen worden. 1 2

Beda Kleinschmidt, a. a. O. II. S. 75. Weigelt, Kurt, Giotto, Klassiker der Kunst Bd. 40, 1925. 5*

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Ebenso folgt C a r r ä 1 (Tab. 1/51) im allgemeinen der Ansicht Rintelens 2 . R o s e n t h a l 8 (Tab. 1/52) pflichtet Rintelen in der Frage der Zuschreibung, d. h. in der Loslösung der Franziskuslegende von Giotto bei, aber er setzt an Stelle der isolierenden Betrachtungsweise Rintelens eine synthetische und versucht, von einem weitschauenden Standpunkt unter Hervorhebung weltanschaulicher und geistesgeschichtlicher Gesichtspunkte die Entwicklung, die zu Giotto führen soll, in einem großen Zusammenhang zu erfassen. Eine zweite Linie führt im Anschluß an Schmarsow weiter. Die Kompositionsgesetze im Sinne Schmarsows hat H o l t z e 4 für die Fresken der Arenakapelle in Padua b e h a n d e l t ; V o l b a c h 5 ist Schmarsow in Assisi in bezug auf die Theorie des entlangwandelnden Betrachters gefolgt, hat aber dabei die Zuschreibung an Giotto aufrecht erhalten. S u i d a 6 entwickelt Giottos Stileinheit in Padua als eine auf der B i l d f o l g e beruhende Aneinanderreihung von Szenen, bei der der Blick von Bild zu Bild geleitet würde, die die ältere Stufe, ein Zusammenwirken architektonischer und malerischer Elemente, abgelöst hat. Das Beispiel für diese ältere architektonisch gebundene Stufe sei die Franziskuslegende in Assisi. An die alte Tradition, die in weitestem Ausmaß an der Urheberschaft Giottos in Assisi festhält, hat außer B e d a K l e i n s c h m i d t 7 neuerdings auch T o e s c a 8 wieder mit aller Entschiedenheit angeknüpft. Toesca macht 1 2

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Carrä,Carlo, Giotto,Rom 1924, wo die Literaturbesprechung von Rintelen übernommen ist. Auf die Auswirkung der Ansicht Rintelens iD der allgemeinen kunstgeschichtlichen Literatur sei hier nur kurz verwiesen: Woermann, Geschichte der Kunst, I. Aufl., II. 1905, S. 366, verzeichnet die Franziskuslegende als Jugendwerk Giottos. Woermann, II. Aufl., III. S. 469 ist sie als apokryphes Werk angegeben, während die Peterstafel als eigenhändig geführt wird. Rosenthal, Erwin, Giotto in der mittelalterlichen Geistesentwicklung, Augsburg 1924. Holtze, 0., Kompositionsgesetze der Wandmalereien Giottos. Diss. Leipzig 1921. Holtze stellt fest, daß in den Folgen der Arena-Kapelle bestimmte Kompositionsgesetze nachzuweisen sind, die den Blick des Betrachtenden von Bild zu Bild leiten. In einer kurzen Skizze weist er die Richtigkeit der Nachricht Vasaris nach, daß Giotto mit Cimabue in Assisi war. Die Kreuzigung Cimabue's im südlichen Querschiff sei die Grundlage für die Kreuzigung der Arena-Kapelle. Giotto habe das Bild nicht nur gut gekannt, sondern man könne als höchst wahrscheinlich ansehen, daß er daran mitgearbeitet habe. Weiter sieht er Analogien zu Padua in einigen Fresken des Hochschiffes, der Beweinung, den Josephszenen und der Hochzeit zu Kana. In bezug auf die Franziskus-Legende schließt er sich Rintelens Urteil an. Die Arbeit ist unter den schwierigen Verhältnissen der Nachkriegszeit entstanden, und die Ausführungen Ober die Kirche von S. Francesco sind auf Grund von Photographien gemacht. Vitzthum-Volbach, Die Malerei und Plastik des Mittelalters in Italien, S. 154. Die Auffassung Graf Vitzthums, Text S. 73. (Tab. 1/53, 111/33). Suida, W., Giottos Stil, demen-Festschrift 1926, S. 335. Beda Kleinschmidt, Die Basilika S. Francesco in Assisi, I—III, Berlin 1915—1926, ebenso auch Nicholson, A., The roman school at Assisi, Art Bulletin 1930 und Mather, Fr. J „ Giotto and the Stigmatization, Art Studies 8/11, S. 49ff. Toesca, Pietro, Die Florentinische Malerei des XIV. Jahrhunderts, München 1929.

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auf die Geltung des Schülerverhältnisses zu Cimabue, auf die Notwendigkeit der Verbindung der Franziskuslegende mit Giottos Person aufmerksam; er gibt neue Hypothesen, seinen Stil in Rom zu finden ; er stellt, entgegen der nunmehr fast allseitig betonten römischen Zusammenhänge, den florentinischen Charakter der Franziskuslegende mit Bestimmtheit in den Vordergrund. H e r m a n i n 1 (Tab. I/56)wiederholt in einer mehr allgemein gehaltenen Beschreibung von Assisi und der Kirche von San Francesco den alten Versuch Venturis, den Franziskuszyklus aufzulösen und •will den engen Zusammenhang mit dem Hochschiff durch Übertragung der verschiedenen römischen Meister auf die Franziskuslegende erklären, schränkt also Giottos Tätigkeit in Assisi entgegen seiner älteren Darstellung wesentlich ein. Unbestimmt bleibt die Zuweisung der einzelnen Fresken bei B r i o n 2 (Tab. 1/57), der unter Zugrundelegung der Nachricht Vasaris von Giottos Tätigkeit in S. Francesco für die Franziskuslegende weitgehende Mitarbeit von Schülern annimmt. Als ganz eigenhändig hebt er, sich älteren Äußerungen, wie der von Quilter, annähernd, die Fresken der Eingangswand (14 u. 15), hervor, außerdem scheinen ihm die „Weihnachtsmesse" (13), „der Tod des Edlen von Celano" (16), „der Traum des Papstes" (6) und „die Teufelaustreibung" (10) besonders beachtenswert. In einer kleinen Studie hat sich M o l t e s e n 3 (Tab. 1/59) wieder der alten Auffassung angenähert, daß gerade an der linken Schiffswand (Südwand) die jugendliche Hand Giottos zu finden sein könnte. Er macht den Versuch, die Fresken an zwei Künstler, einen „Plastiker" und einen „Koloristen" zu verteilen, der letztere sei mutmaßlich Giotto, während der andere, ältere, aus der römischen Entwicklung hervorgehen soll. Für die Weiterführung der Forschung und für eine umfassende Verbreitung zur Kenntnis der ganzen Kirche S. Francesco ist das Werk von B e d a K l e i n s c h m i d t (Tab. 1/55, 11/20) von unersetzlichem Wert4. In mustergültiger Weise hat Beda Kleinschmidt es unternommen, das Material der Urkunden zusammenzustellen und alles über die Kirche Überlieferte zugänglich zu machen. Leider hat diese große Mühewaltung nicht zu irgendwelcher dokumentarisch gesicherten Aufklärung über die Malereien geführt. Zum ersten Mal werden aber die Fresken, soweit sie der Aufnahme zugänglich sind, in möglichster Vollständigkeit reproduziert, zum ersten Mal 1 2

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Hermanin, Federico, Assise, La ville de St. François, Paris 1927. Brion, Marcelle, Giotto, Maîtres de l'art ancien, Paris 1927, S. 15,16. B. sieht die Allegorien als Ausdruck von Giottos Genie an, während ihm die Autorschaft für Nikolauskapelle, Magdalenen-Kapelle und Jugendgeschichte wenig wahrscheinlich ist. Moltesen, Erik, Giotto und die Meister der Franz-Legende, Kopenhagen 1930. Diese Arbeit des im Jahre 1926 im Alter von 27 Jahren verstorbenen Verfassers geht auf eine Studienreise im Jahre 1920 zurück. Wegen Krankheit des Verfassers konnte der zweite Band erst 1926 dem 1915 erschienenen ersten folgen.

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werden alle inhaltlichen Angaben über die Bilder mit großer Sorgfalt aus der gründlichen Kenntnis des gelehrten Verfassers heraus zusammengestellt. In dieser Richtung ist der große Wert der Publikation zu suchen, die nach der eigenen Äußerung von Beda Kleinschmidt mehr den Zweck einer objektiven Beschreibung als einer kritischen Stellungnahme haben soll. Die vielfachen Meinungen über die Künstlerpersönlichkeiten, die für das Hochschiff, die Franziskuslegende und die Fresken der Unterkirche geäußert worden sind, werden nach ihren Hauptvertretern zusammengestellt.1 Der Vorschlag, den Beda Kleinschmidt selbst für die Verteilung der Fresken macht, geht von der Absicht möglichster Zusammenfassung unter die Person Giottos aus; es erscheint ihm selbstverständlich, die Autorschaft Giottos an der Franziskuslegende aufrecht zu erhalten, und darüber hinaus kommt er auf die alte Ansicht von Thode, Wulff und Zimmermann zurück, daß Giotto schon im Hochschiff zu finden sei: Doktorengewölbe, Himmelfahrt und Pfingsten seien von seiner Hand. Im ganzen weicht die Meisterbestimmung im Hochschiff nicht wesentlich von der van Maries ab, da Beda Kleinschmidt Torriti und Cavallini als Hauptmeister anerkennt, während Rusuti, der Meister Schmarsows, ebenso wie bei van Marie, ganz und gar verschwunden ist. Die Zuschreibung an Torriti ergibt sich für ihn aus der Stilgleichheit der Köpfe über der Decke von S. Maria maggiore, die er Torriti zuweist2 und als einzige erhaltene Malereien des sonst nur aus Mosaiken — dieApsismosaiken von S. Maria maggiore und die durch Restaurationen völlig entstellten des Lateran — bekannten Meisters als wertvolle Vergleichstücke ansieht. Die Ähnlichkeit mit einigen Köpfen in den Fensterleibungen des Hochschiffes, besonders im ersten und zweiten Joch von der Vierung, scheine ihm überzeugend. Darüber hinaus bestätige auch der Vergleich mit den Mosaiken in der Apsis von S. Maria maggiore, daß Torriti in der Tat der Schöpfer aller Fresken der ersten beiden Joche und des Heiligengewölbes sein könne. Im dritten und vierten Joch glaubt Beda Kleinschmidt mit einiger Zurückhaltung die Hand Cavallinis zu erkennen, die dann von der Giottos abgelöst würde. Es findet also eine Teilung zwischen den Josephszenen und den Fresken der Eingangswand, Himmelfahrt und Pfingsten statt, für die van Marie einen Meister hatte annehmen wollen. Wie weit die dekorativen Malereien, denen Beda Kleinschmidt ähnlich große Beachtung wie Aubert schenkt, den gleichen Meistern, die die Bilder schufen, zuzuschreiben sind, bleibt unbestimmt; sicher sei ihre zeitliche 1 :

Beda Kleinschmidt, a. a. O. II. S. 87, 149, 173, 216, 226. s. dazu Toesca, P., Gli antichi affreschi in S. Maria maggiore, l'Arte VII. 1904, S. 312ff. und Text S. 81.

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Gleichsetzung und die einheitliche Entwicklung des ganzen Bilderkreises. Für die Festlegung der Datierung vor 1305 legt er großes Gewicht auf die durch Bracaloni1 nachgewiesene Erhöhung des Stadtturmes, die 1305 vollendet gewesen sein soll, während die Darstellung des Turmes auf dem ersten Bilde des Franziskuszyklus, der „Huldigung des heiligen Franz" in dem Zustand vor der Hinzufügung eines zweiten Stockwerkes gegeben ist. Innerhalb des Teiles der Fresken, die Beda Kleinschmidt Giotto selbst zuschreibt, und die also mit dem Doktorengewölbe und der Eingangswand beginnen, und von da aus ununterbrochen bis in die Unterkirche die Hand des Meisters erkennen lassen, wird natürlich auch die Stilverschiedenheit der letzten vier Fresken des Franziskuszyklus und ihre Ähnlichkeit mit der Cecilientafel beachtet. Aber Beda Kleinschmidt sieht in dieser Verschiedenheit nur die Bestätigung der Mithilfe eines anderen Meisters, die für die ganze Frage der Eigenhändigkeit Giottos keinen wesentlichen Fortschritt bedeute. Der einheitliche Weg führe von der Oberkirche zunächst in die Nikolauskapelle der Unterkirche, aber die Datierung derselben auf Grund der Ernennung des Gian Gaetano Orsini zum Kardinal 1316, ein Datum, das Beda Kleinschmidt noch einige Jahre früher, vor 1310, ansetzen möchte, kann nach den von Supino2 gemachten Ausführungen nicht mehr aufrecht erhalten werden. Für die weiteren Folgen der Unterkirche scheint Beda Kleinschmidt in stärkerem Maße eine Werkstattbeteiligung gelten lassen zu wollen, zuerst bei den Allegorien, die um 1320 entstanden sein sollen (II. S. 189), während in der Magdalenenkapelle, abgesehen von den durch Restaurationen hervorgehobenen Veränderungen „ein Schüler unter stärkster Benutzung der Paduaner Fresken in selbständiger Weise, nicht ohne persönliche Anteilnahme des Meisters" wirkte (II. S. 221), in der Zeit als Giotto an den Allegorien malte. Das „Jugendleben" wird „mit aller Reserve" mit Taddeo Gaddi in Verbindung gebracht, und die Kreuzigung im rechten Querarm der Unterkirche soll der gleichen Richtung angehören. In den Kunstkreis Taddeos werden auch die Franziskus-Szenen der Unterkirche verwiesen. Diese sehr vorsichtig gegebenen Zuweisungen, denen für die Unterkirche keinesfalls zuzustimmen sein dürfte, lassen klar die Absicht Beda Kleinschmidts erkennen, die Werkstatt Giottos in größerem Zusammenhang zu sehen. In bezug auf die Herkunft von Giottos Stil ist Beda Kleinschmidt der Ansicht, daß auf dem Wege über die Meister des Hochschiffes des Langhauses der Ursprung von Giottos Kunst in Rom zu suchen sei. Und zwar weist er auf die von Garber gemachten Feststellungen hin, auf die Wirkung altchristlicher Folgen, er deutet die nahe ikonographische Ver1 8

Beda Kleinschmidt, a. a. O. II. S. 157. Supino, I. B., La capella di Gian Gaetano Orsini, Boll, d'arte 1926, S. 131; s. Text S. 133.

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wandtschaft von Einzelheiten der Fresken des Hochschiffes mit San Giovanni a porta latina an, um die Feststellungen Garbers noch zu unterstreichen1. Während Beda Kleinschmidt sehr ernsthaft den Versuch zu einer möglichst weitgehenden Zusammenfassung des Werkes von Giotto macht, beschränkt W e i g e l t 2 (Tab. 1/54, 111/34) im Anschluß an Rintelen den Weg Giottos auf die Strecke Arena-Kapelle — Ognissanti-Madonna — S. Croce, und er sieht in S. Croce den Höhepunkt einer Entwicklung, eine große Erfüllung, die möglicherweise einen Endpunkt bedeute (S. LIV). In diese Linie der Entwicklung gehöre die Franziskuslegende nicht: Giotto müsse sich selbst mißverstanden haben (S. L). Die Franziskuslegende sei das Werk mehrerer Hände. Hervorgehoben wird, daß die letzten drei Bilder sicher nicht von Giotto seien. Da es nicht im Rahmen der Darstellung Weigelts liegt, eingehender die Probleme der Oberkirche von Assisi zu behandeln, so entsteht nur ein sehr unbestimmtes Bild dieses in Assisi von ihm angenommenen Künstlerkreises. Die Franziskuslegende offenbare alle Kennzeichen künstlerischer Unternehmungen, die an Sammelplätzen entstehen, wo vielerlei Bestrebungen aufeinander wirken; durch die Berührung so verschiedenartiger Künstler habe Assisi kunstgeschichtlich die Bedeutung eines vermittelnden Umschlaghafens. Weigelts ästhetisches Urteil tadelt die mangelnde Sinnfälligkeit der Erzählung von schon an und für sich unselbständigen und unkünstlerischen literarischen Begebenheiten, und er geht also nach dieser Richtung noch über Rintelen hinaus, der die „zarte Erzählung" der Legende lobte und nur Kritik an der malerischen Interpretation übte. Ebenso wie bei Rintelen geht bei Weigelt eine Herabsetzung der künstlerischen Qualitäten mit einer bedingten Anerkennung parallel, da er dann auch wieder „gute und anziehende" Stücke hervorhebt. Eine gewisse Verlegenheit liegt in der Erklärung, daß diese Künstler vielleicht später als Giotto die gleichen Anregungen im römischen Kunstkreis erfahren haben könnten, also in dem gleichen Kreise in dem auch Giotto die entscheidungsreichen Jahre verbracht habe. Dieses schwankende und unsichere Bild ist um so auffallender, als Weigelt sehr bestimmt die Art des Werkstattbetriebes zum Verständnis giottesker Malereien heranzieht. Er weist auf die Notwendigkeit hin, den verschiedenen Arten des Werkstattbetriebes Rechnung zu tragen. Es sei zu unterscheiden: die Werkstatt im engeren Sinne, die er für die Arena annimmt, in der sämtliche Malereien unter dem Zeichen des großen Meisters van Marie hat neuerdings den Einfluß frühchristlicher Zyklen auf Cavallini, den Garber annahm, als „ipotesi interessante ma azzardata e troppo assoluta" bezeichnet, s. Boll, d'arte 1927, I. S. 4. 2 Weigelt, C. H„ Giotto, Klass. d. Kunst, 1925. 1

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ständen, und wo dann an einigen Bildern — Weigelt erwähnt die Darstellung von „Himmelfahrt" und „Pfingsten" und macht mit Recht auf die Schwächen dieser Fresken aufmerksam — die Tätigkeit der Werkstattgehilfen sich herausfühlen ließe. Dagegen sei die Unterkirche von Assisi als Werkstatt im w e i t e r e n Sinne zu erklären, die Freskenfolgen seien ausgeführt von Künstlern, die, Ciotto näher oder ferner stehend, an ihn erteilte Aufträge selbständig ausführten — eine wertvolle Anregung, bei der aber vorauszusetzen ist, daß diese Giottowerkstatt in der Nikolauskapelle in dem Stil der Franziskuslegende aufgeht. K a u f f m a n n 1 hat gegen Weigelt und Rintelen geltend gemacht, daß die Franziskuslegende auf Grund ihrer Qualitäten Giotto nicht abgesprochen werden könne, und obgleich er nicht zu denjenigen gehört, die das Werk Giotto selbst zuschreiben möchten, sieht er in der einfachen Loslösung keine befriedigende Formulierung des Problems. Auch weist er auf die wichtige Tatsache der historischen Beglaubigungen hin, die nicht einfach außer acht zu lassen wären. Bisher hätten sich für jede Meinung Hilfskonstruktionen als nötig erwiesen, aber nicht weil die Fresken schwächer seien, sondern weil sie anders seien als die Giottos, könnten sie nicht von ihm sein. Gegen Giotto spräche die in Padua offensichtliche mächtige Entwicklung innerhalb des dortigen Zyklus, während die Fresken in Assisi eher eine gewisse Gleichförmigkeit zeigten. Der von Rintelen formulierte Bildaufbau Giottos, eine „Form der Form", eine durch die Figuren bedingte Raumgestaltung, stimme zu dem Werk von Assisi nicht. Aber es sei nicht zutreffend, daß, wie Weigelt annehmen zu können glaube, die Fresken in der Arenakapelle in Padua oder diejenigen in Santa Croce die Voraussetzung für die Franziskuslegende bedeuteten. Hier stimmt Kauffmann ausdrücklich der früher geäußerten Meinung Vitzthums2 zu, der die Wiederholung von Figuren aus der Folge in Assisi in dem Florentiner Zyklus als Gegenbeweis gegen Rintelens Loslösung von Giotto betont hatte. In bezug auf die Zusammenhänge in Rom äußert sich Kauffmann sehr zurückhaltend. Er glaubt, die besondere Form des Zyklus durch eine Künstlergruppe, durch das Zusammenwalten verschiedener Kräfte zu erklären, deren Vorstufen sich deutlicher im Hochschiff als in der römischen Kunst finden ließen. Die innerhalb des in Assisi tätigen großen Künstlerkreises des letzten Viertels des Dugento bestehenden römischen Einwirkungen und die toskanische maniera greca, deren Produkt die Franziskuslegende sei, hätten einen Mischstil provinzieller Art ergeben. In der Ro1 2

Kauffmann, H., Deutsche Literaturzeitnng 1926, Sp. 2332ff. Vitzthum a. a. O. Mon.-H. f. Kwst. 1912, S. 282ff. Vitzthum, G., Zu Giottos Navicella, Festschrift Paul Clemen 1929, S. 153. Nach dieser neuesten Ansicht Vitzthums ist die Franziskus-Legende nicht von Giotto, sondern von einem Meister, der gleichzeitig mit Giotto aus dem römischen Kunstkreis erwuchs. 73

magna 1 habe sich dieser Stil ausgewirkt. So ist nach Kauffmann die Franziskuslegende ein selbständig zu wertendes Werk, das in das erste Jahrzehnt des Trecento datiert werden muß.

B. ROSENTHAL, DVORAK UND TOESCA.

V

I E L mehr als bei den vorerwähnten Forschern treten bei Rosenthal 2 (Tab. 1/52) die eigentlich formalen Probleme zurück; in der Meisterbestimmung Rintelen folgend, lehnt Rosenthal Giottos Autorschaft an der Franziskuslegende ab. Seine Darstellung, die die allgemeinen Zusammenhänge von Philosophie, Dichtung und bildender Kunst umfaßt, kann hier nur herangezogen werden, so weit die bildkünstlerischen Probleme in Betracht kommen. Rosenthal baut zunächst ein Bild der Epoche, die zu Giotto führt, auf einem Gedankenweg auf, wie er etwa von Schnaase schon gegangen war 8 , und er faßt den allgemeinen Wandel der Anschauung dieser Epoche in dem Begriff der „Individuation" zusammen. Durch das Erscheinen der „Individuation" ließe sich der ungeheure Stilwandel verständlich machen, der sich am Ausgang des Dugento in der italienischen Malerei vollziehe, es erkläre sich der Gegensatz von Cavallinis „Jüngstem Gericht" in S. Cecilia und Giottos „Jüngstem Gericht"' in Padua. Dieser ungeheure Stilgegensatz, vor dessen Erklärung die analytische Kunstgeschichte versage, sei der stärkste Ausdruck der „Individuation". Den Begriff der „Individuation" erklärt Rosenthal nicht als die Erschließung der sinnlichen Erscheinungsform in ihren mancherlei Graden; das würde im Grunde nur eine naturalistische Anschauungsform bedeuten, oder nichts anderes besagen, als das, was van Marie unter den Begriff „Giotto der Erzähler" zusammengefaßt hat. Die „Individuation", wie sie Rosenthal verstanden wissen will, soll darüber hinaus auch die Wandlung bezeichnen, die die idealistischen Ausdruckskräfte erfahren: „auch das Übernatürliche, das außerhalb des Menschenlebens stand, wird mit in dasselbe hineinbezogen" (S. 29), „das Schöne wird auf das Subjekt bezogen, und die spiritualen Forderungen werden durch das künstlerische Erleben des Einzelnen geregelt" (S. 37). Giotto ist der Vollender dieser „Individuation", die das Fundament der nun folgenden Epoche sei: „An der Vorstellung des Menschen als einer in sich geschlossenen geistig-körperlichen Einheit, gesehen im illusionistischen Raum, hat die Kunst bis auf unsere Tage festgehalten" (S. 30). 1

2 3

Auch Weigelt (a. a. O. S. XLV) weist auf die Mischung cavallinesker und giottesker Elemente in Werken in Bimini hin. Rosenthal, Erwin, Giotto, Augsburg 1924. s. dazu Panofsky, Jahrb. d. Kwst. 1924/25, S. 254.

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Die Individuationsäußerung in ihrem höchsten Grad bei Giotto zeige, daß die Welt der faßbaren Erscheinung primäre Bedeutung f ü r den Künstler erlangt habe, „der sie seinem individuellen Sehen unterwirft" (S. 183), im Gegensatz zu der Darstellung des Mittelalters, der Transzendenz aus unsinnlichen dogmatischen Vorstellungen (S. 165). Das Bedeutendste, das Giotto in die Malerei eingeführt habe, sei, daß die individuelle Künstlerphantasie, welche unbedingte Voraussetzung f ü r die Individuation wäre, sich mit ungeheuerer Eigenwilligkeit an bestimmte Figuren oder ganze Bildteile hefte, und diesen den künstlerischen Vorrang im Bilde sichere. Wenn Rosenthal dann erkennt, daß „nicht nur die einzelne F o r m in größere Formkojnplexe hinübergreift, und daß das einzelne G e s c h e h e n sich nicht allein allgemeinen Bezügen unterordnet, sondern daß b e i d e s einer letzten Zusammenfassung im Bildganzen untersteht, daß ein metaphysischer Mittelpukt das Zerstreute zur Einheit sammelt" (S. 142), übert r ä g t er diesen Begriff der Individuation in das Unerklärte künstlerischer P h a n t asiet ätigkeit. Diesen Individuationsbegriff vermag Rosenthal nicht auf die Franziskuslegende anzuwenden; es fehle ihr die Durchdringung von Ideal und Wirklichkeit; es fehle ihr eine Synthese von poetischer Vision und systematischer Bindung. Somit stimmt Rosenthal der Ablehnung Rintelens zu: die Franziskuslegende sei kein Werk von Giotto; Rintelens Datierung könne zutreffen; die Legende trüge Zeichen spätrömischer Unfreiheit, die auf Zusammenhänge mit der römischen Dugentoplastik hinwiesen. Der Weg, den Rosenthal für die Herausbildung der „Individuation" bis zu Giotto zeigt, ist der gleiche, der schon tastend von früheren Autoren beschritten war, die ebenso, wie es Rosenthal n u n unternimmt, die Entwicklung Giottos über die Plastik Giovanni Pisanos in Frankreich gesucht hatten. Das antike Element bleibt dabei notwendige Voraussetzung und ist sowohl in Frankreich als in Italien gegeben. Die eigentliche Quelle der Individuation ist die französische Plastik, der Ausgangspunkt f ü r Rosenthals Darstellung die Kathedrale von Chartres. „Der bildende Künstler sieht als individuell befreiter Mensch in der Gestaltung der Figur, das will sagen in der Wiedergabe seines Nächsten, die Aufgabe, einen subjektiv frei gewordenen, in sich selbst begrenzten Menschen nachzubilden" (S. 59). Die Ausführung Rosenthals über die Rolle, die die Plastik der Provence spielt, kann in diesem Zusammenhang außer Acht gelassen werden, da Rosenthal dem infolge der Berührung mit antiken Denkmälern entstandenen antiken Einfluß nicht so großes Gewicht beilegt als der Tatsache, „daß die Lebensumstände der Zeit u n d des Landes prinzipiell ein neues Verhältnis zu der individualistisch-römischen Naturauffassung mit sich brachten" (S. 39). Es sei also die tiefere Verwandtschaft der Natur- und Formanschauung wichtig; 75

ein dem subjektiv-römischen verwandtes Naturgefühl sei wesentlicher als der Nachweis vorhandener Vorbilder (S. 40). In Italien sei mit Antelami ein Anfang der „Individuation" gemacht, aber die wesentlichere Anregimg sei von Süditalien gekommen. Die Anknüpfung wird durch das Neuaufleben antiker Tradition am Hofe Friedrichs II. gegeben. Süditalien ist der Ausgangspunkt für Niccolo Pisano gewesen, bei dem der erste Grad, das früheste Stadium der Individuation, sich zeige: Die Träger der Handlung haben ihr subjektives Eigenleben, ein Grad, den die französische Plastik als die bahnbrechende, schon ein Menschenalter früher erreicht hätte. Und auch bei Niccolo hebt Rosenthal den Einfluß der französischen Plastik hervor. Wenn auch die Art dieses Einflusses abzugrenzen sei, so sei doch Niccolo „als Erscheinung der Geschichte an die französische Kunst gebunden" (S. 124). Eine Grenze ist hier den Ausführungen gesetzt und die Gefahr allzuweit gehender Schlüsse aus geistesgeschichtlicher Betrachtungsweise aufgezeigt, da Rosenthal ausdrücklich außer wenigen ikonographischen Anlehnungen auch formale Anklänge als kaum vorhanden bezeichnet. Rosenthal stellt nun einen gewissen Unterschied in der Äußerung der Individuation in den beiden Ländern, Frankreich und Italien fest: Der i d e a l i s t i s c h e n Form in Italien entspräche die mehr k o l l e k t i v i s t i s c h e Darstellung in Frankreich, die Unterordnung der Handelnden unter ein allgemeines Gefühl, die Träger der Handlung besäßen ihr s u b j e k t i v e s Eigenleben, aber ihre Gefühle erschienen in g l e i c h m ä ß i g e r seelischer Erhebung gebunden. Die Voraussetzung Giottos sei in den Schülern Niccolo Pisanos, Arnolfo di Cambio und Giovanni, gegeben. Die Kunst Arnolfos sei „eine Synthese der an der Antike geschulten Naturform und eine dem Norden verwandte Schönlinigkeit". Arnolfos Kunst stände der französischen Plastik näher als die Niccolos, und in ihrem synthetischen Ausdrucksvermögen der spezifisch französischen Art der Individuation führe sie über Niccolo hinaus. Als das charakteristische Werk Arnolfos, das die Vereinigung der antiken und gotischen Elemente aufweise, wird die Königsstatue Karl von Anjous angeführt, die Schmarsow gerade Veranlassung gegeben hatte, g o t i s c h e Elemente dieses von ihm nicht als Arnolfo anerkannten Werkes im Gegensatz zu dem aus a n t i k e r Formensprache erwachsenen Arnolfo zu zeigen. Der eine Weg der Entwicklung, der zu Giotto führt, gehe über Giovanni Pisano. In Padua — das hebt Rosenthal stark hervor — berühren sich die zwei größten künstlerischen Temperamente, Giotto und Giovanni Pisano, „als Giotto ein Fertiger war". In Werken Giovannis, wie der kleinen Elfenbeinstatuette in Pisa (Abb. Rosenthal, Abb. 9), erkennt Rosenthal formale Zusammenhänge Giovannis mit französischer Plastik. Hier schließt sich 76

also die e i n e der beiden Entwicklungslinien, die von Frankreich über Giovanni Pisano zu Giotto f ü h r t . I n dieser fortgeschrittenen Stufe der Individuation wird die P e r s ö n l i c h k e i t des Künstlers immer mehr zu ihrem Gradmesser erhoben: und diese geniale Künstlerperson h ä t t e zu bewirken, daß der Inhalt ausreiche, u m der nach Stilhaftigkeit neu strebenden Form den besonderen Sinn zu verleihen. Mehr ist in unserem Zusammenhang die a n d e r e Linie zu beachten, die in Rom ihren Anfang nimmt. Rosenthal sieht in der Person Arnolfo di Cambios eine der stärksten Voraussetzungen f ü r Giotto, Arnolfo, „bei dem die Elemente der römischen Tradition mit jenen der formalen Aufklärung und der neuen Formsynthese zusammenspielen" (S. 130), und der dem „synthetischen Ausdrucksvermögen der französischen Plastiker nahe k o m m t " . Rosenthal weist auf die Bedeutung der Gleichzeitigkeit von Arnolfos und Cavallinis Aufenthalt in Rom hin: Arnolfo, der den römischen Traditionalismus unterbricht, Cavallini, der der Führer auf dem neuen Weg f ü r die bisher rückwärts orientierte römische Malerei wird. Diese reaktionäre Richtung der römischen Malerei wird von Rosenthal besonders in bezug auf Torriti stark b e t o n t : „Torriti h a t die Individuation der körperlichen Dinge noch gar nicht zur Voraussetzung" (S. 163), es fehle der Realismus der Anschauung. Andererseits weist er darauf hin, daß die römische Kunst sich trotz der vorhandenen Starrheit offensichtlich hohen Ansehens erfreut habe, rief man doch z. B. Rusuti an den französischen H o f ; Rosenthal ist geneigt, Rusuti eine gewisse Bedeutung f ü r Giotto einzuräumen wegen seiner Auffassung der Legendendarstellung. Aber die Entwicklung der Individuation, „die Transzendenz als die Steigerung der individualen Wirklichkeiten" finde in Rom durch Cavallini statt (S. 165). Das „ J ü n g s t e Gericht" von Cavallini dient Rosenthal zur Charakteristik der Zeitwende, und die Durchdringung „traditioneller Formen mit Ausdrucksmöglichkeiten eines Sehens, welches auf das Individuale eingeht, \ind dieses transzendent steigert" (S. 169), käme mit Cavallini zum Durchbruch: in Cavallinis Kunst würde zum ersten Mal erkennbar, daß die Malerei sich der Errungenschaften der gleichzeitigen Plastik zu bemächtigen begann. Die Schlußfolgerungen f ü r den Einfluß Cavallinis auf Giotto bleiben bei Rosenthal allgemein: Giotto mochte „sich am meisten zu Cavallini hingezogen gefühlt haben". I m Zusammenhang nun mit diesem römischen Kunstkreis Cavallinis, Torritis u n d Rusutis h ä t t e n die Fresken im Hochschiff von Assisi Bedeutung f ü r diese Entwicklung. Wenn auch Rosenthal auf die Verfolgung der formalen Probleme keinen besonderen Wert legt u n d f ü r die stilkritischen Fragen mehr referierend bleibt, so gibt er doch an, daß er eine eigene Wirksamkeit Cavallinis in Assisi nicht für ausgeschlossen hält. Aber 77

diese Probleme werden nur gestreift, ebenso die zeitliche Umgrenzung der Tätigkeit Cimabues. Die Individuation auf dem Wege über Giovanni Pisano ergibt ein weitaus klarer gezeichnetes Bild, als die in Rom sich vollziehende Verschmelzung indirekter gotisch-französischer Elemente mit antiker Tradition. Dieser antiken Tradition wird in der Darstellung von R a u m und Landschaft eine bestimmte Bedeutung in bezug auf Giotto gegeben; sie wird aber mit ihrer überlieferten Form mehr in Gegensatz zu der Landschaft Giottos gestellt; die Landschaft Giottos entspräche realistischen Vorstellungen, er nähme seinen Ausgang direkt von der Natur. Wenn Rosenthal nun weiter den Wunsch ausspricht, die Frage einer unmittelbaren Anlehnung hinter einer kongenialen Vorstellung zurücktreten zu lassen, so liegt darin das Zugeständnis, daß es nicht möglich ist, diese angedeuteten Zusammenhänge irgendwie f a ß b a r zu machen. Viel greifbarer hat A x e l R o m d a h l 1 der Ansicht des Zusammenhanges Giottos mit französischer Plastik Ausdruck gegeben. Er hält seine schon früher geäußerte Meinung, daß die Stilverschiedenheit in P a d u a 2 eine Frühdatierung des Jüngsten Gerichts und der Christusszenen notwendig mache, aufrecht und erklärt ebenso wieder diese Stilverschiedenheit durch einen mutmaßlichen Aufenthalt Giottos in Frankreich. Der zweite Teil — die Malereien des Triumphbogens, die oberste Reihe der Langhauswände u n d die Darstellung der Tugenden und Laster — zeigten den plastischen Stil, mit dem er den ihm im Grunde fremden Einfluß Giovanni Pisanos überwunden habe. Der A u f b a u auf weltanschaulicher Grundlage, der von Rosenthal unternommen wird, k o m m t einer Auffassung nahe, wie sie von D v o r a k 3 wenige J a h r e vor dem Erscheinen des Rosenthal'schen Buches geäußert war. Die Ansicht Dvofâks über die Franziskuslegende stimmt mit derjenigen von Rintelen und Rosenthal überein: er löst den Franziskuszyklus von Giotto. Dagegen h a t Dvorak im Gegensatz zu Rosenthal die Zusammenhänge Giottos mit römischer Kunst sehr bindend dargestellt: besondere Bedeutung mißt er dem Einfluß der Antike bei, die er unmittelbar als Vorstufe für P a d u a erkennen möchte. Zur Begründung dieser Ansicht weist Dvorak auf die perspektivische Raumkonstruktion hin, die Garber und Kailab schon hervorgehoben hatten, und ferner auf eine sich auf die ganze Bildeinheit erstreckende fast gleichmäßige Modellierung und Farbenwiedergabe. 1

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Axel Romdahl, Le gothique français comme élément constitutif chez Giotto. Actes du congrès d'Histoire de l'art, Paris 1924. Ebenso ist auch Vitzthum neuerdings dafür eingetreten, daß die Marienszenen als zuletzt entstanden anzusehen seien; s. Clemen-Festschrift S. 154, s. auch Text S. 50. Dvorak, Max, Geschichte der italienischen K u n s t , Mönchen 1927.

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Das Spezifische für Giotto sei eine neue künstlerische Gesetzmäßigkeit, eine abgewogene Gesamtkomposition, in der alle Figuren auf das Ganze bezogen werden. Diese Gesetzmäßigkeit sei a n d e r e r Natur als die der gotischen Kunst. Die Gestaltungsart der gotischen Kunst sieht Dvorak in zwei verschiedenen Ausdrucksformen: erstens in einem Idealstil, der Übernatürliches mit Weltlichem vereint, in dem Figuren und Formen einer endlichen Bedingtheit entrückt seien, und zweitens in einem individualisierenden Naturalismus. Mit diesem Dualismus des gotischen Stiles, von dem Dvorak aber Giotto grundsätzlich scheidet (S. 20), ist eine Möglichkeit gegeben, einmal die Gotik, wie Schmarsow es tat, als rein naturalistische Strömung auf Assisi zu beziehen, oder wie Dvofäk es mit Rosenthal übereinstimmend ansieht, sie „über eine zeitlose unbegrenzte Begrifflichkeit von magischen Kräften dirigiert und dem Irdischen entrückt zu sehen" (S. 20). Dvofäk trennt also von diesem Stil der Gotik, dessen eine naturalistische Seite in seiner Darstellung nicht recht zur Klarheit gelangt, einen neuen Idealstil Giottos, „eine Monumentalisierung der sinnlichen Wirklichkeit", wie sie in der a n t i k e n Kunst angestrebt war. Die Kunst Giottos gehe auf das statuarische Prinzip der Antike zurück, nicht auf das zwiefach gebundene der Gotik, und er sieht gerade die Bedeutung von Giotto in der Rückkehr zu dieser antiken Form. Die Veränderung gegenüber der Antike besteht in der Verselbständigung gegenüber der Natur und der Religion. „Die künstlerische Form an sich wurde ein kostbares geistiges Gut des Menschenlebens" (S. 23). Die durch Giotto bedingte Renaissance führe dazu, daß gewisse generelle klassische Errungenschaften als Normen der bildlichen Erfindung in die Kunst wieder aufgenommen werden. Das von Rintelen entwickelte Problem des Körpers als raumbildenden Faktors ist für Dvofäk das Wesentliche des von Giotto geschaffenen Stiles: „Verständnis für plastische Signifikanz, Verständnis für den menschlichen Körper, ganz plötzlich bereitet die Divination eines genialen Künstlers eine neue Bahn in der Darstellung des menschlichen Körpers". Damit deutet Dvofäk aber auch die Grenze an, die dem Nachschauenden für die Möglichkeit einer Erklärung des künstlerischen Schaffens gegeben ist. So verschieden die Ansichten, die gerade in der neuesten Zeit geäußert worden sind, auch waren, so hatten sich doch allmählich bestimmte Gesichtspunkte herausgebildet, und unter diesen war es besonders der vorwiegend römische Charakter des Werkes in Assisi, der immer wieder hervorgehoben wurde. An dieser Erkenntnis, die zunächst vonCrowe und Cavalcaselle auf Grund der stilistischen Übereinstimmungen gewonnen war, und die Strzygowski durch den Nachweis von Cimabues Aufenthalt in Rom auf eine gesicherte Grundlage gebracht hatte, war in den verschiedensten Abwandlungen festgehalten worden. Schmarsow hatte sie 79

mit der Annahme des Malers Rusuti als Meister der Franziskuslegende am entschiedensten vertreten1. Dagegen wird von T o e s c a 2 (Tab. 1/58, 11/22, 111/35) mit großer Bestimmtheit wieder der f l o r e n t i n i s c h e Charakter der Franziskuslegende betont, es offenbarten sich in dem Werke zum erstenmal die Qualitäten der florentinischen Malerei in ihrer ganzen Stärke. Das Charakteristische dieses florentinischen Stiles sieht Toesca in der Darstellung des Menschen und des Menschlichen in ihren verschiedenen Erscheinungen, aber vor allem in der p l a s t i s c h e n Formgestaltung. Giotto sei die Vollendung dieses Stils, und es wird der p l a s t i s c h e Stil Giottos als der f l o r e n t i n i sche dem m a l e r i s c h e n Stil Cavallinis als dem r ö m i s c h e n gegenübergestellt, wobei freilich Cavallinis Einwirkung auf Giotto nicht ganz ausgeschaltet werden soll. Toesca verteidigt die Zuschreibung der Franziskuslegende an Giotto mit aller Entschiedenheit, ein Schwanken ist auf der Basis seiner Stilentwicklung eigentlich gar nicht möglich, er schätzt das Werk außerordentlich hoch, „fast deutlicher als in Padua offenbaren sich hier Giottos tiefste Eigenschaften" (S. 20). Die Verteilung der Fresken der Oberkirche, wie Toesca sie nun vornimmt, gründet sich auf die Nachricht Vasaris; zwei führende Personen werden angenommen: Cimabue und Giotto. Die allmähliche Umwandlung in der Bildgestaltung der Fresken des Hochschiffes wird durch Toesca anschaulich entwickelt, und er kommt dabei zu ganz neuen Schlußfolgerungen: Cimabue behält die Oberleitung der Ausmalung des Langhauses, nachdem das Querschiff vollendet war, die Ausführung aber — und das erkläre die Stilverschiedenheiten — hat in der Hand von Gehilfen gelegen. An Bildern des ersten und zweiten Joches, z. B. an dem „Bau der Arche", der „Opferung Isaaks", aber auch an der „Kreuzigung" und „Kreuztragung" ist Cimabues „direkte Mithilfe" zu erkennen. Die Hand des jungen Giotto, die sich langsam aus der des Meisters löse, glaubt Toesca im dritten und vierten Joch zu finden; in den Köpfen der „Beweinung", Auch Gy-Wilde a. a. O. hat wieder auf den römischen Charakter der Fresken des „Legenden-Meisters" hingewiesen, der als einer der bedeutendsten Vertreter der römischen Schule im ersten Jahrzehnt des Trecento bezeichnet wird. Außer der Franziskus-Legende (2—24) seien das Doktorengewölbe, die Heiligengestalten und das Madonnentondo an der Eingangswand sein Werk. G.-W. scheidet von diesen charakteristisch-römischen Werken, die sich an die reifsten Fresken der römischen Künstler im Hochschiff anschließen, die toskanische Weise des Cecilienmeisters (1 u. 25—28). Seine Kompositionen seien ebenso wie die des Cimabue im Querschiff bildhaft geschlossen und infolge der genügsamen Flächenhaftigkeit dekorativer (S. 86), während an den Fresken des Legenden-Meisters die romanisch-römische Kompositionsweise zu beobachten sei. Es wird also hier die Kunst Cimabues und des Cecilienmeisters als toskanisch der romanischrömischen des Hochschiffes und des Legendenmeisters gegenübergestellt. 2 Toesca, Pietro, Die florentinische Malerei des XIV. Jahrhunderts, München 1929.

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in der in den Jakob- und Josephszenen erkennbaren Raumtiefe beginne sich Giottos Stil zu entwickeln. Giotto nähere sich zwar Cavallini, aber anders als Cavallini ersetze er dessen Weichheit, die sanfte Abstufung von Licht und Farbe durch feste Modellierung, durch Brüchigkeit der Falten. Hier im Langhaus des Hochschiffes sieht also Toesca wieder den ersten Ausdruck der Kunst Giottos, des Schülers von Cimabue, der aber auch Cavallini gekannt haben müsse, und nun schreibt Toesca als weiteres, vielleicht ein wenig späteres Werk dem Künstler auch die Köpfe über der Decke von S. Maria maggiore zu, deren Abweichung von den bekannten römischen Werken er seiner Zeit betont hatte 1 , ohne sich damals für einen Meister zu entscheiden. In diesen Köpfen hatte Beda Kleinschmidt die Hand Torritis nachweisen wollen und hatte daraufhin Teile des Zyklus im Hoschschiff des Langhauses von Assisi auf Torriti bestimmt. Der plastische Gestaltungswille, der in den Giotto zugeschriebenen Fresken erkennbar wird, solle sich in der Franziskuslegende vollenden. „Ihre grundlegende Eigenschaft, die alles andere begleitet, ja, allem andern erst Daseinsmöglichkeit gibt, ist das Gefühl für Tiefe und plastische Form" (S. 17). Das Doktorengewölbe muß als schwächeres Werk einem Nachfolger Giottos zugeschrieben werden, der fast allgemein anerkannten Zuweisung der letzten drei2 Fresken an denCecilienmeister wird zugestimmt, während das erste „einen späteren Stil Giottos widerspiegelt". Der Stilunterschied der beiden Folgen in Padua und Assisi ist für Toesca kein Grund, die Autorschaft Giottos in Frage zu stellen, ja er möchte in dem Unterschied geradezu einen Beweis der Entwicklung desselben Künstlers sehen. Er datiert die Franziskuslegende in das letzte Jahrzehnt des Dugento. Die Wandlung des Stiles von Giotto, ein Zurückfluten des Reliefmäßigen, eine Milderung der plastischen Form, wie sie in Padua hervortritt, sei vielleicht auf den Einfluß Cavallinis zurückzuführen. In der Unterkirche beschränkt sich Toesca auf allgemeine Feststellungen: Schüler Giottos, die mit ihm in Padua waren, haben dort gearbeitet; der in der Magdalenenkapelle spiegele seinen Stil am deutlichsten wider; ihnen aber fehle der Sinn für das Plastische und die Seele, die innere Spannung, die geistige Tiefe. Ganz klar bleibt nun dieses Bild Giottos, sein Ursprung in der Lehre Cimabues, dessen Weg sich in Assisi verfolgen lasse, die vor Padua liegende Umwandlung durch seine Berührung mit Cavallini in Rom, nicht, da Toesca auch die Anregungen italienischer Plastik in dieses Bild leise andeutend 1 8

Toesca, Pietro, l'Arte VII. S. 312£f. und II/U. Toesca, Pietro, Die florentinische Malerei, S. 75: „man kann ihm die letzten drei, teilweise auch das vierte zuschreiben."— Abgesehen von dieser Zuweisung von 4—5 Fresken an eine andere Hand erkennt Toesca Mitarbeit von Gehülfen als Erklärung der Ungleichheiten des Stiles. Es sei aber falsch, sie herauszuschälen (S. 28). 6

Martins.

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verwebt, aber mehr die Richtung Niccolos u n d Arnolfos als die Giovannis gelten lassen möchte. Entschieden weist er aber darauf hin, daß die dekorativ-lineare M a l e r e i des Nordens dem malerischen Stil von Giotto nichts gegeben habe.

10. ZUSAMMENFASSUNG.

U • •

B E R S E H E N wir die Stellung, die die Franziskuslegende im Laufe der Zeiten in der kunstgeschichtlichen Forschung eingenommen h a t , so geht aus der Entwicklung, wie wir sie zu schildern versucht haben, hervor, daß das Urteil über ihre Zugehörigkeit zum Werke von Giotto u n d über ihre künstlerische Bedeutung immer schwankend gewesen ist. Immer sind Anerkennung neben Ablehnung, immer sind Lob u n d Tadel nebeneinander geäußert worden. Schon zu Zeiten von Rumohr bestanden die Gegensätze, die noch heute vorhanden sind; wenn Crowe und Cavalcaselle die Fresken als Jugendwerk Giottos lobten, m a ß Burckhardt ihnen als Werk von „Giottisten" des X I Y . Jahrhunderts keine besondere Bedeutung bei. Wenn m a n u m die Wende des X X . J a h r h u n d e r t s die Hauptquelle der Erkenntnis von Giottos Entwicklung im Zusammenhang der Malereien der Oberkirche von Assisi finden wollte, so vermochte man fast gleichzeitig nichts Wesentliches f ü r das Verständnis seiner Kunst aus der Franziskuslegende zu gewinnen, die nur mit großer Zurückhaltung dem Werke Giottos belassen wurde. Und als durch Rintelen die These, daß Giotto nicht der Meister des Zyklus sei, die schon immer Vertreter gefunden hatte, wiederaufgenommen und mit aller Energie geltend gemacht wurde, vermochte diese Ablehnung doch nicht die Ansicht, daß sie ein Jugendwerk Giottos sei, zu verdrängen, die von Forschern wie van Marie, Toesca und Beda Kleinschmidt weiterhin aufrecht erhalten wird. Dieses fortdauernde Schwanken über die Autorschaft Giottos an der Franziskuslegende m u ß um so mehr verwundern, als sich im ganzen eine gewisse Folgerichtigkeit in der Entwicklung der Beurteilung von Giottos Werk feststellen läßt. Diese ist einmal bedingt durch den Wandel des Zeitgeschmackes, und zum anderen durch den viel umfassenderen Einblick, den die kunstgeschichtliche Forschung in den Denkmälerkreis, in die Zusammenhänge der verschiedenen Kunstkreise der Länder und Völker gewonnen h a t . Eine mehr von dem Allgemeinen, mehr von dem Inhalt ausgehende Einstellung einer Zeit, die den Weg zu Giotto erst finden mußte, suchte die Persönlichkeit hinter dem Werk, „das poetische Erfinden" gab mehr als „das malerische Gestalten" den Ausschlag f ü r die Beurteilung. I n der Reinheit der Idee, in der Tiefe der Empfindung sah m a n die Größe des neuen Geistes. Langsam entwickelte sich dann eine stilkritische Methode, 82

verwebt, aber mehr die Richtung Niccolos u n d Arnolfos als die Giovannis gelten lassen möchte. Entschieden weist er aber darauf hin, daß die dekorativ-lineare M a l e r e i des Nordens dem malerischen Stil von Giotto nichts gegeben habe.

10. ZUSAMMENFASSUNG.

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B E R S E H E N wir die Stellung, die die Franziskuslegende im Laufe der Zeiten in der kunstgeschichtlichen Forschung eingenommen h a t , so geht aus der Entwicklung, wie wir sie zu schildern versucht haben, hervor, daß das Urteil über ihre Zugehörigkeit zum Werke von Giotto u n d über ihre künstlerische Bedeutung immer schwankend gewesen ist. Immer sind Anerkennung neben Ablehnung, immer sind Lob u n d Tadel nebeneinander geäußert worden. Schon zu Zeiten von Rumohr bestanden die Gegensätze, die noch heute vorhanden sind; wenn Crowe und Cavalcaselle die Fresken als Jugendwerk Giottos lobten, m a ß Burckhardt ihnen als Werk von „Giottisten" des X I Y . Jahrhunderts keine besondere Bedeutung bei. Wenn m a n u m die Wende des X X . J a h r h u n d e r t s die Hauptquelle der Erkenntnis von Giottos Entwicklung im Zusammenhang der Malereien der Oberkirche von Assisi finden wollte, so vermochte man fast gleichzeitig nichts Wesentliches f ü r das Verständnis seiner Kunst aus der Franziskuslegende zu gewinnen, die nur mit großer Zurückhaltung dem Werke Giottos belassen wurde. Und als durch Rintelen die These, daß Giotto nicht der Meister des Zyklus sei, die schon immer Vertreter gefunden hatte, wiederaufgenommen und mit aller Energie geltend gemacht wurde, vermochte diese Ablehnung doch nicht die Ansicht, daß sie ein Jugendwerk Giottos sei, zu verdrängen, die von Forschern wie van Marie, Toesca und Beda Kleinschmidt weiterhin aufrecht erhalten wird. Dieses fortdauernde Schwanken über die Autorschaft Giottos an der Franziskuslegende m u ß um so mehr verwundern, als sich im ganzen eine gewisse Folgerichtigkeit in der Entwicklung der Beurteilung von Giottos Werk feststellen läßt. Diese ist einmal bedingt durch den Wandel des Zeitgeschmackes, und zum anderen durch den viel umfassenderen Einblick, den die kunstgeschichtliche Forschung in den Denkmälerkreis, in die Zusammenhänge der verschiedenen Kunstkreise der Länder und Völker gewonnen h a t . Eine mehr von dem Allgemeinen, mehr von dem Inhalt ausgehende Einstellung einer Zeit, die den Weg zu Giotto erst finden mußte, suchte die Persönlichkeit hinter dem Werk, „das poetische Erfinden" gab mehr als „das malerische Gestalten" den Ausschlag f ü r die Beurteilung. I n der Reinheit der Idee, in der Tiefe der Empfindung sah m a n die Größe des neuen Geistes. Langsam entwickelte sich dann eine stilkritische Methode, 82

man beobachtete und verglich die einzelnen Bildelemente, die formalen Bedingungen standen im Vordergrund. Allmählich wurden die Forderungen einer von den Voraussetzungen der Formgestaltung der Renaissance ausgehenden Epoche der Forschung überwunden, und um die Wende zum X X . Jahrhundert weitet sich mit dem zunehmenden Eindringen in mittelalterliche Darstellungsform das Urteil, mit dem ständig wachsenden Denkmälerkreis weitet sich das Bild der Zusammenhänge. E s ist versucht worden, darzustellen, wie sich aus dieser allgemeinen Entwicklung der Anschauungen das Urteil über die Werke des Kreises der Kirche von Assisi herausbildete. Wir haben gesehen, wie mit dem ausgehenden X V I I I . Jahrhundert die verschiedenen Freskenfolgen der Kirche Beachtung zu finden beginnen, wie Hypothesen über Meister und Zusammenhänge für die Franziskuslegende, die Fresken des Hochschiffes aufgestellt werden. Es standen zumeist die späteren Bilder des Franziskuszyklus mit dem größeren Formenreichtum, die Allegorien und Christusszenen mit ihrer reichen Gegenständlichkeit im Vordergrund. Stilistische Übereinstimmungen führten zu der Erkenntnis eines Zusammenhanges mit römischer Kunst, der durch Strzygowskis Auffindung der Notariatsakte in S. Maria maggiore und die daraus hervorgehende Anwesenheit Cimabues in Rom ihre Bestätigung fand. Eine Umwertung der Beurteilung trat ein. Das Interesse richtete sich nunmehr hauptsächlich auf die Fresken des Hochschiffes. Die durch Thode aufgestellte Theorie, daß an dieser Stelle Giottos Entwicklung zu suchen sei, wird von Forschern wie Wulff und Zimmermann weiter verfolgt. Aber bei der Aufrechterhaltung des Namens Giotto werden die letzten Fresken des Franziskuszyklus mit einem Nebenmeister, dem Meister der Cecilientafel, in Verbindung gebracht. Auch in der Unterkirche wird diese Umwertung spürbar. Nachdem man Giotto einen Zyklus nach dem andern zugesprochen hatte — am weitesten war darin Thode gegangen — tritt um die Wende des X X . Jahrhunderts Giottos Bedeutung zurück, und mit der Loslösung der Allegorien durch Venturi beginnt eine Verteilung der Folgen an verschiedene Meister. Dieser Beschränkung von Giottos Namen in Assisi entspricht die Beurteilung seines ganzen Werkes. Seit Crowe und Cavalcaselle die große Liste, die Vasari überliefert hatte, zu sichten begannen, ist die Zahl der eignen Werke Giottos immer kleiner geworden. In der knappsten Form bei Rintelen bleiben die Fresken der Arenakapelle, die Ognissanti-Madonna und die Fresken in S. Croce übrig. Ist es berechtigt, das Bild von Giotto aus dieser Enge zu gestalten? Und ist dieses Bild, das nur eineD Teil seiner Lebenszeit vor uns auftut, umfassend genug ? E s ergibt sich aus den verschiedenen Äußerungen, daß mit der wachsenden Beachtung und der umfassenderen Kenntnis des ganzen Denk6*

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mälerkreises besonders in neuester Zeit das Urteil über die Franziskuslegende sehr vorsichtig geworden ist. Vor allem muß eine sehr starke Angleichung in der Ansicht über die Datierung der Anhänger und der Gegner der Giottotheorie hervorgehoben werden. Wenn Rumohr, dessen Bild von Giotto sich aus den Incoronatafresken in Neapel und einigen Tafelbildern, die wir heute der Werkstatt zuschreiben, gestaltete, den Franziskuszyklus in das Ende des XIV. Jahrhunderts setzte, so war das eine Übertreibung; Wickhoff und Schlosser sind mit einer Datierung um 1350 zu ähnlich extremen Meinungen gekommen. Das Datum „nicht später als das zweite Jahrzehnt des Trecento", das Rintelen angibt und in dem ihm auch Weigelt folgt, setzt voraus, daß die Fresken des Franziskuszyklus auf die Fresken in S. Croce zurückgehen müssen. Diese Theorie Rintelens ist mit gutem Grund sowohl von Kauffmann als auch von Vitzthum angezweifelt worden; Vitzthum nimmt an, daß der Meister des Franziskuszyklus gleichzeitig mit Giotto in Rom war. Somit besteht auch auf der Seite der Forschung, die Giotto in Assisi nicht anerkennen möchte, eine gewisse Neigung, sich dem von V asari überlieferten Datum anzunähern und in bezug auf die Datierung denjenigen Forschern nahe zu kommen, die an der Meinung, daß uns in der Franziskuslegende ein Jugendwerk Giottos erhalten sei, festhalten. Wenn nunmehr versucht werden soll, die Möglichkeiten zu erwägen, die für die größere Wahrscheinlichkeit der einen oder der anderen Lösung, der Giottobejahung oder der Giottoverneinung, sprechen, so dürfte eine Tatsache als feststehend im Auge zu behalten sein: Die Bedeutung der Kirche von S. Francesco kann nicht in den Hintergrund gestellt werden; sie ist uns als Denkmal einer Epoche erhalten, in der sich eine große Wandlung künstlerischer Darstellungsform vollzieht, und diese Entwicklung tut sich an keiner Stelle so wie hier in dieser Vollständigkeit vor unseren Augen auf.

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II. ZUR FRAGE DER ERHALTUNG, DATIERUNG UND ZUSCHREIBUNG. 1. TECHNIK UND ERHALTUNGSZUSTAND.

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S geht a u s den v e r s c h i e d e n e n B e t r a c h t u n g e n , die i m e r s t e n Teil z u s a m m e n g e s t e l l t w o r d e n sind, h e r v o r , welche B e a c h t u n g d e m E r h a l t u n g s z u s t a n d der F r a n z i s k u s l e g e n d e g e s c h e n k t w e r d e n m u ß . D i e F r a g e , ob der h e u t i g e Z u s t a n d ein o b j e k t i v e s U r t e i l ^uläßt oder o b u m f a s s e n d e Ü b e r m a l u n g e n den u r s p r ü n g l i c h e n E i n d r u c k g a n z v e r ä n d e r t h a b e n , ist u m s o eher a u f z u w e r f e n , als m a n c h e r der B e u r t e i l e r v o n der A n s i c h t einer völligen E n t s t e l l u n g a u s g e g a n g e n i s t . W i e verschiedentlich h e r v o r g e h o b e n w u r d e 1 , h a n d e l t es sich in Assisi u m die v o n Cennino Cennini beschriebene g e m i s c h t e T e c h n i k 2 der 1

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Über die Technik s. Cennino Cennini, Berger, Eibner, endlich Förster, Bertaux und Tikkanen. Durch Vasari ist die Angabe einer besonderen Technik Giottos zum Unterschied von der byzantinischen Technik in die Literatur eingedrungen. Förster baut seine technischen Nachrichten (s. Beiträge, S. 213 ff.) auf Cennini auf und nimmt das Entstehen der reinen Freskotechnik, des buonfresco, um 1390 an. Von Giotto und von seiner Schule sei nur auf trockenen Grund gemalt. Bertaux (s. Bertaux, E., S. Maria di donna regina, Napoli 1899, S. 102, 103) macht einen Unterschied zwischen byzantinischer und italienischer Technik und nimmt für die erste im Anschluß an ältere Nachrichten eine Dunkeluntermalung an, wobei er sich gerade auf die Fresken im Querschiff der Oberkirche von S. Francesco stützt. Das Vorhandensein eines dunklen Grundes der Freskomalerei ist mir bis jetzt in Italien nicht bekannt geworden. Die Wandmalerei hat immer denselben Grund gehabt, den grauen Ton des Intonaco, auf dem eine weitere Auflichtung von weiß, wie es in Assisi (Bild 16) — die Kante des Tischtuches ist durch starkes Aufsetzen von weiß gehöht — zu sehen ist, stattfinden konnte. Zustand und Härte des Grundes erweisen sich dabei sehr verschieden. Die Fresken des Franziskus-Meisters der Unterkirche z. B. sind auf einem sehr festen, harten Grund etwas spiegelnder Oberfläche gemalt, während das Hochschiff vielmehr den matten Freskoton aufweist. Es scheinen in der mittelalterlichen Wandmalerei Italiens zwei technische Verfahren nebeneinander herzugehen, einmal das z. B. in der Arenakapelle, in Assisi, in S. Cecilia in Trastevere sichtbare einer ausgiebigen Verwendung der Seccomalerei bei einer sehr kräftigen Durchmodellierung, wie es sich zuriickverfolgend in S. Maria antiqua findet und zum anderen eine sehr dekorative auf einfache Flächengestaltung berechnete Malerei, die meist hellfarbig in großlinigen und -flächigen Strichführungen und einer weniger dem wirklichen Eindruck entsprechenden Farbgebimg gehalten ist. Diese Art der Technik, die sich z. B. in Ferentillo, in S. Angelo in Formis findet, ermöglicht eine viel schnellere Handhabung. Wieweit beide Techniken nebeneinander hergehen, ob die letztgenannte eine weniger kostbare Herstellungsform bedeutet, wäre erst nachzuprüfen. Berger (Die Maltechnik des Altertums I. II. 161) weist auf die verschiedene Art der Stuccotechnik bin und die Möglichkeit einer nach Bedeutung der Räume mehr oder weniger großen Sorgfalt der Technik. Tikkanen (Die byzantinische Buchmalerei der ersten nachikonoklastischen Zeit, Festschrift Jul. Schlosser) macht für die mittelbyzantinische Buchmalerei auf den wichtigen Unterschied aufmerksam, des durch die Technik bedingten künstlerischen 85

Mauermalerei, d. h. nicht um das sog. b u o n f r e s c o , die auf dem feuchten Mauergrund ausgeführte Malerei mit Farben, die mit Wasser angefeuchtet sind und die im Trockenprozeß unter Bindung zu kohlensaurem Kalk einen so engen Zusammenhang mit dem Intonaco, der obersten Bewurfsschicht, eingehen, daß die Farbe nur mit dieser Schicht sich von der Wand lösen kann, sondern um eine V e r b i n d u n g von einer auf dem feuchten Grund begonnenen reinen Freskomalerei mit einer in secco ausgeführten Übermalung, mittelst Farben, die mit einem Temperabindemittel gemischt sind1. Diese in secco gemalten Teile haben nicht die feste Bindung mit dem Grunde, und so kann hier eine Loslösung einzelner Stücke der Farbschicht unabhängig von dem Intonaco stattfinden. Die Anwendung der gemischten Technik ist an dem heutigen Zustand nachweisbar, nicht nachweisbar ist dagegen der Anteil der reinen Freskomalerei, die genauere Art und Weise der Vorbereitung des Grundes, z. B. die Größe der auf einmal angetragenen Stücke und die Art des für die einzelnen Farben verwendeten Bindemittels. Diese Feststellungen bleiben einer Werkstoffuntersuchung vorbehalten. Die hier und da an sehr wenigen Stellen hervortretenden Ansatzfugen stimmen mit Cenninis Angabe (Kap. 67) von sehr kleinen auf einmal anzutragenden Stücken wenig überein. Aber einmal kann eine sorgfältig bearbeitete Oberschicht die Ansatzfuge zudecken, zum anderen scheint Cennini der Seccoschicht einen geringeren Raum zu geben, als sie in Assisi tatsächlich einnehmen dürfte. Es scheint, daß solche Ansatzfugen unter anderem bei der „Feuerprobe" (11), der „Vogelpredigt" (15) und dem „Tod des Edlen von Celano" (16) siebtbar sind, doch könnte bei der „Vogelpredigt" auch eine Veränderung oder Ergänzung der Grund für die verschiedene Farbe des Intonaco sein. Sicher erscheint auf der „Vision des Bruders Augustinus" (21) über der Gestalt des Papstes oder auf der „Totenfeier" (22) hinter der aufgereihten Figurenreihe eine solche Ansatzfuge erkennbar zu sein. Es kann die Vermutung ausgesprochen werden, daß bei der erheblichen Stärke des unteren Teiles der Mauern der Oberkirche von S. Francesco die Feuchtigkeit sich verhältnismäßig lange erhielt, wodurch die Notwendigkeit der Antragung der obersten Schicht in Stücken kleinen Umfanges sich erübrigen würde. Das Auftragen der Zeichnung, das in Cenninis Beschreibung unklar bleibt, da seine Angabe des Zeichnens auf der Unterschicht die Art der Übertragung auf die Oberschicht verschweigt, und ein einfaches Durchscheinen durch diese erfahrungsgemäß nicht ganz dünne Schicht als unwahrscheinlich bezeichnet werden muß, ist an den Fresken in Assisi auf zweierlei

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Ausdrucks einer Richtung wie der auf antike Tradition zurückgehenden der vatikanischen Bibel (Reg. gr. 1) und einer für einfachere Aufgaben bestimmten Malweise. Über die üblichen Bindemittel s. Cennino Cennini, Kap. 72; aus seiner Anweisimg ergibt sich die Freiheit, viele Farben im Nassen und Trockenen verwenden zu können.

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Weise geschehen: Entweder ist die Vorzeichnung auf dem hellen, feuchten Grund mit verschiedenen Ockertönen gemacht, wie sie in hellem Gelb an der Figur des hlg. Franziskus auf dem „Gebet in S. Damiano" (4) oder an dem Gewand des ganz rechts sitzenden Mönches auf der „Predigt vor Honorius III." (17) sichtbar sind, und in Rot an manchen Architekturen z. B. an der Treppe des linken Gebäudes auf der „Lossagung vom Vater" (5), wo die Untermalung unter der abgefallenen Oberfarbe erscheint, oder an dem Rankenmuster im Bogenfeld des Thronstuhles der „Feuerprobe" (11)- Gelbe Ockertöne sind auch als Untermalung im Hochschiff verwendet: Auf dem „Verkauf Josephs" (XV) sind links oben im Hintergründe der Landschaft zwei Schafe in verschiedenfarbiger, auf den Oberton berechneter Ockeruntermalung skizziert. Die zweite Art der Vorzeichnung, die sich durch die ganze Folge nachweisen läßt, besteht in der Ritzung des Grundes, so wie sie für Tafelbilder zur Abgrenzung gegen den Goldgrund üblich war. Cennini erwähnt sie nicht. Sie findet sich sowohl an den Köpfen des Hochschiffes, sowie an denen des Franziskus- und Passionszyklus im Langschiff der Unterkirche, überall da, wo, ebenso wie auf den Tafelbildern, eine Absetzung gegen Gold stattfindet, also an allen nimbierten Köpfen. In der Franziskuslegende sind in viel ausgedehnterer Weise besonders schwierige Formen in dieser Art festgelegt, auch ist die Konturierung eine sorgfältigere: Der nackte Körper des Franziskus bei der „Lossagung vom Vater" (5), der Kruzifixus der „Totenfeier" (22) sind solche schwierigeren Formen. Vor allem ist die Ritzung zur Angabe der Architekturen verwendet. Schon die Kassetten der Rahmung sind in einer festen Konstruktion eingeritzter Linien angegeben und zwar mit horizontalen, vertikalen und einer diagonalen, und es läßt sich die Sorgfalt und Genauigkeit z. B. über der „Vision des Bruders Augustinus" (21) erkennen, wo eine fehlerhafte Vorritzung richtig gestellt worden ist. Bei den Architekturen ist dasselbe wie bei den Figuren zu beobachten, daß die Ritzung keine mechanisch durchgehende ist, daß besonders schwierige Konstruktionen sorgfältiger vorgezeichnet sind. Ausführlicher sind z. B. die Kassetten auf dem „Tod des Edlen von Celano" (16), die komplizierten Spitzbogen auf der „Predigt vor Honorius" (17), die Balkendecke der „Erscheinung in Arles" (18), Teile der Architekturen auf der „Vertreibung der Teufel von Arezzo" (10) in dieser Weise angegeben. In einem sonst gemalten Zusammenhang sind Einzelheiten wie die Schrifttafel der „Weihnachtsmesse" (13), die von Engeln gehaltene Glorie auf „Tod und Aufnahme des hlg. Franz" (21) eingeritzt. Manche Muster wie dasjenige des Altartisches auf dem „Gebet in S. Damiano" (4) oder der Teppich der „Regelbestätigung" (7) zeigen teils vollständige, teils teilweise Ritzungen. Die Untermalung der Köpfe ist, so wie es auch Cennini angibt (Kap. 67), mit Verdeterra gemacht, die bei den stark dunkelfarbigen Köpfen am aus87

gedehntesten aufgetragen scheint. So bei dem Sultan und seinem Gefolge auf der „Feuerprobe" (11), bei den Mönchen im Schatten des Hauses auf dem Bilde des „Feuerwagens" (8), während umgekehrt eine zurückhaltendere Untermalung bei den lichteren Köpfen z. B. dem des „Edlen von Celano" (16) und dem des hlg. Franziskus auf der Totenbahre (20, 22) den helleren Charakter der Obertöne vorbereitet. Die Oberschicht ist mit feinstrichiger sorgfältiger Technik u n d stark durchgeführter Modellierung, f ü r eine viel größere Nahsicht berechnet, auf diese Untermalung aufgetragen 1 ; aus einem sehr einfachen Ineinanderarbeiten eines warmen Rot und eines hellen Fleischtones sind bei Vorherrschen des einen oder anderen Farbwertes die hellen und dunklen Typen geschaffen. Eine Konturierung der Augenlider und -brauen durch Rot und Schwarz, ein Hervortreten der Falten auf den Stirnen hat an vielen Stellen, wo die Oberfarbe abgerieben ist, den Eindruck der Härte verstärkt, ebenso wie die Grünuntermalung, die vielfach unter der verschwundenen Oberfarbe durchkommt, den ursprünglichen Zustand beeinträchtigt hat. Die Technik der Gewänder ist die von Cennini beschriebene (Kap. 71): Eine Farbe, die als Mittelton zugrunde gelegt ist, wird zum Lichten mit Weiß aufgehellt und durch stärkere Konzentration f ü r die Tiefen verwandt. Zuweilen zeigen diese Tiefen in Assisi eine etwas breitere Pinselführung. So läßt sich bis zur Untermalung die technische Gestaltung verfolgen, wodurch die Annahme einer v ö l l i g e n Übermalung von vornherein keine Bestätigung findet. Die teilweise in stark aufliegenden Farben mit breitem Striche gemalten, teils dünnflüssig aufgetragenen Architekturen würden am ersten die Vermutung einer völligen Übermalung rechtfertigen, wenn sich nicht auch hier sehr gut erhaltene Teile, z. B. auf der „Vertreibung der Teufel aus Arezzo" (10), der „Verklärung" (12) und auf dem „Tod des Edlen von Celano" (16), wo die Unterzeichnung durch die Farbe durchscheint, nachweisen ließen 2 . Daneben lassen sich gerade auf diesem Bilde an den Haarpartien der weiblichen Personen Übermalungen erkennen, die stückweise eingesetzt zu sein scheinen. Die Tongebung ist f ü r die Architekturen eine einfache. Eine gewisse Einförmigkeit beschränkt die Differenzierung und die großen Flächen erscheinen gleichtonig nebeneinander, eine gewisse Nüchternheit bestimmt gleichermaßen die farbliche Behandlung der Figuren. Dem Plastischen ist durch diese Farbgebung mehr als dem Malerischen Rechnung getragen. Der Charakter der Seccomalerei bedingt, daß die Übermalung herunterfallen kann und die Freskountermalung als fest verbunden mit dem 1

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Diese feinere Durchführung ist z. B. auch an den Köpfen Uber der jetzigen Decke von S. Maria maggiore zu bemerken; Abb. B. Kl. I I . S. 92. Auch Supino, a. a. O. S. 170ff., h a t in seinen sehr sorgfältigen Untersuchungen Veränderungen hauptsächlich in den Figuren nachgewiesen.

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Intonaco stehen bleibt; so ist es mit manchen Gewändern geschehen, besonders mit den immer al secco gemalten blauen (Franziskus in S. Damiano) (4), so mit den Kerzen auf der Ikonostasiswand der „Weihnachtsmesse von Greccio" (13), so auf dem „Tod des Edlen von Celano" (16) mit den Haaren der rechts vom Wirte stehenden Frau. Solche fehlenden Stücke sind zuweilen ergänzt, wie die herunterhängende Lampe (Bild 22 rechts), die in schwerer, dicker Farbe aus dem Zusammenhang fällt, während das Gegenstück auf der linken Seite in der Untermalung stehen blieb. Manchmal ist von Anfang an bei der Untermalung auf das Einsetzen eines Seccoteiles Rücksicht genommen, wie bei einzelnen der Tischgeräte auf Bild 16, für die das prächtige Tafeltuch ausgespart worden ist, oder bei dem Degen der Rückenfigur, der unmittelbar auf den Grund innerhalb des wundervoll erhaltenen Stoffes des Bahrtuches auf Bild 22 aufgetragen wurde. Die Echtheit der beiden Vorderfiguren auf diesem Bild, die für die Zeit um 1300 unverhältnismäßig fortgeschritten erscheinen, dürfte somit nicht zu bezweifeln sein; freilich zeigt sich an der rechten Seite eine Unstimmigkeit bei den beiden Schildern, die deutlich auf spätere Zusätze und Veränderungen hinweist. Manchmal ist die Malerei eines Stückes in dem Unterton ganz vollendet, und ein Gegenstand in Secco auf diese fertige Malerei gesetzt, so die Fackeln bei der „Totenfeier" (20), die Flasche, die der Papst dem hlg. Franziskus reicht, auf der „Erscheinung vor Gregor I X . " (25), unter der die Hände ausgeführt sind. Es kann also ein Stück Malerei ganz verschwinden, da durch die vollständige Ausführung darunter der abgefallene Teil so ersetzt wird, daß der Bildzusammenhang bleibt. „Die Vogelpredigt" (15) zeigt dort, wo die Verschiedenartigkeit des Grundes eine Ansatzstelle vermuten läßt, eine verschiedene Haftbarkeit der Farbe, indem ein Teil eines Vogels abgefallen ist und der andere erhalten blieb. Hervorzuheben ist eine noch feststellbare Verwendung von Gold, nicht nur für die Heiligenscheine, sondern für manche Schmuckteile und Gewänder. Die Schmuckfiguren auf dem Dach des päpstlichen Gemaches auf „Papst Innocenz' Traum" (6), sowie diejenigen auf dem altanartigen Gebäude der „Feuerprobe" (11) und die Löwen des Sultanthrones sind golden, und die Goldfarbe hat sich auf einer gelben oder roten Untermalung erhalten. An diesen Goldfiguren ist eine Schattengebung zu erkennen, die an die Arbeit eines Stechers erinnert oder einen Zusammenhang mit den goldlinienüberzogenen Dugentogewändern vermuten lassen möchte. Goldübersponnen war das Gewand der Christusgestalt auf der „Verklärung" (12), die Engel und die Figur des hlg. Franziskus in der „Glorie" (20), sowie die Gestalt des den Brüdern im Feuerwagen erscheinenden Heiligen, und man hat sich nach den sichtbaren Resten die Goldfäden über den oberen Rand der Seitenwände des Wagens hinübergehend zu 89

denken, so daß das etwas unmalerische Rot hier nur die Untermalung für diesen Goldüberzug bedeutet. Besonders hervorzuheben sind die prachtvoll gemalten Stoffmuster der Gewänder, so das des hlg. Franziskus auf der „Weihnachtsmesse" (13) und des Sultans auf der „Feuerprobe" (11), wie auch der Stoffbehang im Zimmer des Papstes auf dem „ T r a u m vom P a l a s t " (6), der unmittelbar auf den Grund gemalt ist. Die vortreffliche Erhaltung mancher Köpfe könnte neben so vielen fast verblichenen und veränderten Zweifel erregen, wenn nicht gerade an Stellen, wo eine Übermalung nicht in Frage kommt, die gleiche Technik sich finden ließe. So sind auf „Tod und Aufnahme des heiligen F r a n z " (20) die Engel, die den in der Gloriole erscheinenden Franziskus umschweben, mit den sichtbaren Resten der ehemals goldübersponnenen Gewänder ausgezeichnet erhalten, und der Vergleich dieser feinen Köpfe f ü h r t zu manchen Übereinstimmungen mit den Hauptfiguren. Wohl ist vieles verloren, aber die Annahme vollständiger Übermalung läßt sich nicht halten. Die Figuren auf der „Lossagung" (5), der Kopf des Franziskus auf dem „ T r a u m " (6), der des Wirtes auf dem „Tod des Edlen von Celano" (16) sind als Maßstab anzusehen, und die Richtigkeit des Typus des älteren Franziskus mit dem bärtigen Gesicht und den kleineren Zügen — diese Köpfe sind durchweg schlechter erhalten — wird durch die eingeritzten Umrißlinien bestätigt. Der Grad der Möglichkeit einer verschiedenen Erhaltung zeigt sich am besten im Hochschiff, wo bei einigen Bildern alles bis auf ein oder zwei Figuren abgefallen ist, und diese sich vorzüglich erhielten, ohne daß sich eine Erklärung f ü r diese Zufälligkeit finden ließe. Die erwähnte größere Mauerdicke unten im Gegensatz zu oben mag der wesentliche Grund sein, daß die unteren Bilder im Ganzen den Unbilden der Zeiten besser Stand gehalten haben. Übermalung von Einzelheiten ist für den Eindruck des Ganzen nicht bestimmend; es lassen sich nach dem heutigen Zustand hier wie k a u m sonst eingehende technische Beobachtungen machen. Es läßt sich die Art des Werdens der malerischen Gestaltung in allen Abstufungen verfolgen, und man darf sagen, daß die Franziskuslegende in ihrer „schlechten E r h a l t u n g " verhältnismäßig gut erhalten ist. Die vorhandenen Berichte geben nur wenige greifbare Anhaltspunkte, aus denen ein Bild über die Behandlung, die den Fresken zuteil geworden, und eine Sicherheit über etwaige Restaurationen zu gewinnen wäre. Jedoch scheinen sie den Beobachtungen nicht zu widersprechen. Die Zerstörung der Fresken h a t offenbar f r ü h begonnen. Yasari hebt einerseits die Frische der Fleischtöne in dem Evangelistengewölbe hervor, die besser seien, als die Fresken der Wände, andererseits sagt er, daß die Malereien des Marien-

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lebens im Querschiff durch Staub und die Zeit sehr gelitten hätten 1 . Die von Supino veröffentlichten Berichte aus den J a h r e n 1475, 1576, 1702, 1814 und 1821 2 sagen über die Bilder sehr wenig u n d beziehen sich im wesentlichen auf Ausbesserungen an den Dächern u n d den Fenstern, Anbringen von Dachrinnen usw., u m das eindringende Regenwasser abzuleiten, das an den Wänden herunterliefe und die Fresken zerstöre. Eine Nachricht über Restaurationen an den Fresken der Eingangswand findet sich aus den J a h r e n 1724/25®. Die Deutungsmöglichkeit der weiteren Mitteilungen ist so groß, daß ihre Heranziehung wenig Aufschluß erbringt, j a sie haben sogar zuweilen falsche Vorstellungen über die Restaurationen und Veränderungen erweckt. Deila Valle 4 nimmt die Anmerkung der römischen Vasari-Ausgabe von 1759 auf: ,, Queste pitture quantunque sieno sul muro mantengono il colorito, se non t u t t e , almeno una parte notabile della chiesa di sotto." Diese sehr dunkle Äußerung, die, wenn man will, auf einen sehr schlechten Zustand schließen lassen könnte, t r i f f t zeitlich fast zusammen mit dem Berichte von Morrona 8 , der nach seiner Angabe 1780 Assisi besuchte. Von verschwundenen Fresken sagt er nichts. Die in dem ganzen Querschiff stattgehabte Verwandlung einer hellen, bleihaltigen Farbe, des Weiß in Schwarz, die stellenweise im Langhaus an dem architektonischen Gerüst sowohl als an Bildern der oberen und unteren Reihe sich findet, läßt ihn eine vollständige Übermalung dieser zerstörten Farben vermuten. E r äußert sich in heftiger Weise über einen elenden Stümper, der die Fresken des Querschiffes mit einer einförmigen dunklen Farbe übergangen und Augenbrauen und andere Teile mit hellen, gelben Linien umzogen habe. Ausdrücklich stellt er die gleichen Schäden an einigen der Säulen zwischen den Fresken der Franziskuslegende fest. Dieser Bericht ist u m so wertvoller, als er einen noch heute vorhandenen Zustand beschreibt. Lanzi 6 spricht nur unbestimmt von der kräftigen Färbung des Doktorengewölbes, der Anwendung von Rot, Blau, Gelb, einem glänzenden Weiß f ü r die Architekturen. Die Brüder Riepenhausen 7 bilden den „Tod des Edlen von Celano" (16) und die „Erscheinung in Arles" (18) ab, dieselben Fresken, die auch in dem Tafelwerk von d'Agincourt erscheinen, der außer dem „Quellwunder" einige der letzten, 23, 26, 27 und einzelne Stücke aus der rechten Schiffswand wiedergibt; darunter sowohl den Genius von der Kirchenfassade der „Teufel von Arezzo" (10) als den des > Vasari, a. a. O., Ed. Mil. I. S. 252/253. Supino, J. B„ Giotto, S. 25/26. 3 Libro d'entrate e spese 170/43, c. 55 s. Supino, S. 25/26. „si lavora alle pitture, particolarmente nella facciata interiore della porta maggiore." 4 Vasari-Ausgabe von 1780, Bd. II, S. 80. Anm. 3. 6 Morrona, AI. da, Pisa illustrata, 2. Aufl. S. 119/21. • Storia dell'Axte, II. S. 15. Dtsch. Ausg. 1830. ' Riepenhausen, Gesch. d. Malerei in Italien, Tübingen 1810. 2

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Tempels von der „Verehrung" (l) 1 . E r hebt die Schönfarbigkeit hervor, die trotz der Zerstörungen u n d Restaurationen sich erhalten habe. Seine Sammlung erschien zuerst 1819. Von zwei der bei ihm wiedergegebenen Fresken, der „Predigt in Arles" (18) und der „Vertreibung der Teufel" (10), sowie weiter von der „Weihnachtsmesse" (13) u n d der „Tränkung des Durstigen" (14) gibt C. Fea 2 1820 an, sie seien diejenigen, die durch Staub und die Einwirkungen der Feuchtigkeit am meisten verunstaltet und fast ganz unsichtbar gewesen wären. E r habe sich dieser besonders angenommen, und habe alle Fresken in der Ober- und der Unterkirche „wiedererscheinen" lassen. E r brauche aber weitere zwei Jahre, wenn er die übrigen auf den Standpunkt dieser vier erwähnten bringen wolle. Fea sagt nicht, was er t a t , u m das „ricomparire alTumana vista" der Fresken zu veranlassen. D'Agincourt hebt nun ein wenig früher die schönen Fresken im Gegensatz zu den schwärzlichen Tönen der Griechen hervor und macht keine Andeutungen weder über die große Unsichtigkeit der Fresken, noch über eine bessere Erhaltung von einigen derselben, von der Fea spricht. Leider wird die Bedeutung der wichtigen Angaben Feas durch ihre Ungenauigkeit und Unbestimmtheit herabgesetzt. So erwähnt er das „Pfingstfest"®, das die ganze Eingangswand einnehmen soll, als besonders dem baldigen Verderben ausgesetzt und als niemals restauriert, und gerade hier an der Eingangswand wird in den Rechnungsbüchern aus den Jahren 1724/25 von Restaurationen berichtet 4 . Witte 5 erwähnt fast gleichzeitig mit Fea den Franziskuszyklus im Ganzen als „ziemlich wohlerhalten", Bild 20 sei sehr verdorben, einige andere (22, 24, 25) seien unkenntlich, was mit Feas Bemerkung, daß einige nur zum kleinsten Teil erhalten seien, übereinstimmen mag. Ebenso wie della Valle betont Witte die Frische der Farbe des Doktorengewölbes 4 , während sich an den Fresken des Alten und Neuen Testamentes „ k a u m hin und wieder eine Figur erkennen läßt", mit Ausnahme des Bildes „Joseph und seine Brüder". E r tadelt die grüne Untermalung des Franziskuszyklus, bemerkt das schwarzgewordene Weiß im Querschiff, wobei die Vorstellung einer Veränderung der Farbe und einer Dunkeluntermalung im Sinne der Griechen durcheinander geht. Sehr merkwürdig ist seine Angabe, daß im 1

Seroux d'Agincourt, a. a. O. Tafel 116. Fea, Carlo, Descrizione ragionata della sagrosanta patriaical basilica e capella papale di S. Francesco d'Assisi, Roma 1820, S. 14, § 51. 3 s. a. a. O. S. 14, § 50. 4 s. Supino, a. a. O. S. 25/26. 5 Kunstblatt 1821, Nr. 40, S. 159; auch Papini, a. a. O. S. 290 spricht davon, daß einige Fresken schön erhalten seien. ' auch Burckhardt, (s. Cicerone, I. Aufl. S. 746) ist bei seinem Besuch 1848 die Frische des Doktorengewölbes aufgefallen, und er verweist auf die Bemerkung von Karl Witte: „vorzüglich frisch erhalten". 3

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Evangelistengewölbe keine Spur von einer Figur zu sehen sein soll, eine Bemerkung, die schon die Verwunderung des Berichterstatters im Kunstblatt von 1827, also wenige Jahre später, erregt1. Dieser, der den einen schwarzgewordenen Engel in der Leibung des Fensters des linken Querschiffes hervorhebt, der noch heute zu sehen ist, beschreibt Evangelistengewölbe und Hochschiff im Zusammenhang des ganzen dekorativen Schmuckes so eingehend und in solcher Übereinstimmung mit dem jetzt Sichtbaren, daß die Zuverlässigkeit seiner Darstellung nicht bezweifelt werden kann, zumal er das Evangelistengewölbe in der heutigen Verwandlung der Farbwerte charakterisiert. Rumohr, der in der Arenakapelle eine Beurteilung infolge der schlechten Erhaltung für nicht möglich hält, sagt über den Zustand der Assisaner Fresken nichts, was freilich bei seiner Gesamteinstellung nicht viel bedeutet. Bald aber finden sich, schon in den Rechnungsberichten von 18392, wieder Klagen über den Befund der Bilder und 1847 werden die Brüder Succi zur Wiederherstellung berufen3, über deren Tätigkeit sich nichts hat feststellen lassen. Eine vollständige Wiedergabe des Zyklus vor dieser Zeit ist in den Aquarellen von Joh. Ant. Ramboux4 erhalten. Sie sind von um so größerer Bedeutung, als der Vergleich mit dem heute Vorhandenen, dem Franziskuszyklus, den Passionszenen im Langhaus der Unterkirche, den Fresken des Hochschiffes, den wiederentdeckten Fresken von S. Chiara eine große zeichnerische Treue beweist — alle Einzelheiten stimmen mit dem heutigen Zustand überein, ja, es lassen sich sogar feinere stilistische Unterschiede erkennen —, so daß wir, auch wenn alle einen einheitlichen Eindruck beeinträchtigenden Flecken, Fehler und Zerstörungen fortgelassen sind, die Aquarelle als Zeugnisse des Zustandes um 1830 anzusehen berechtigt sind. Es ist eine Abweichung gegenüber den Stichen von d'Agincourt vorhanden, der von „Michaels Kampf mit dem Drachen" im oberen Teil des südlichen Querschiffes5 eine wesentlich andere Form andeutet und einen weit höheren Grad der Zerstörung wiedergibt, als Ramboux es tut, aber da die Stiche d'Agincourts aus zweiter Hand sind6, läßt Kunstblatt 1827, S. 135. Beda Kleinschmidt, II. S. 52. Entgegen Beda Kleinschmidts Meinung, der eine Übertünchung in der Zwischenzeit für möglich halt, ist wohl eher anzunehmen, daß Witte sich durch das Verschwinden der Farbe hat täuschen lassen. 2 Giusto, G., Le vetrate di S. Francesco in Assisi, 1839, S. 467. 3 Fratini, Giuseppe, Storia della Basilica e del Convento di S. Francesco in Assisi, Prato 1882, S. 409. 4 Abb. Tafel 1—28. — Städtische Kunsts., Düsseldorf. Die Zeitbestimmung ist ungewiß. Unter den wenigen bezeichneten Aquarellkopien von Ramboux befindet sich eine aus Assisi mit der Jahreszahl 1832. Einzelne Köpfe auch: Ramboux, Umrisse zur Veranschaulichung altchristlicher Kunst in Italien vom Jahr 1200—1600. Cöln, J. C. Baum. 6 a. a. O. Tafel 110. 8 von Ottley, s. a. a. O. Text S. 10. 1

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sich bei der großen Unbestimmtheit seiner Wiedergabe dieses Freskos aus dieser Tatsache kein Schluß auf eine Erfindung oder willkürliche Ergänzung bei Ramboux tun. Die wesentlichsten Abweichungen seiner Aquarelle von dem heutigen Zustand bestehen darin, daß die beiden großen Fehlstellen auf dem „Gebet in S. Damiano" (4) und auf „Papst Innocenz Traum" (6) fehlen. Die große Fehlstelle auf dem letztgenannten Bild ist nachweislich später durch Blitzschlag entstanden1. Das Aquarell von Ramboux läßt eine Flach decke im Kircheninneren erkennen, von der heute infolge des großen Schadens, den dieses Bild genommen hat, nichts mehr zu sehen ist. Ferner ergeben sich Änderungen in den Vordergruppen auf Bild 22, an einer Stelle, deren einwandfreie Erhaltung uns auch nach dem heutigen Befund zweifelhaft ist. Kleine unbedeutende Abweichungen, wie die an der Sattelung des Pferdes auf der „Mantelspende" (2) — auch ist die Satteldecke bei Ramboux gemustert, — oder die der Kreuze auf dem Palast des „Traumes" (3) besagen bei allen Übereinstimmungen nichts. Einzelheiten wie die Zeichnung des eben erwähnten Palastes, der Figurenfries des Freskos der „Befreiung" (28), die etwas gezwungene Handbewegung des Heiligen auf der „Predigt vor Honorius" (17) oder der im Hintergrund sitzende, den Kopf aufstützende Mönch auf der „Erscheinung in Arles" (18), die bei Ramboux und auf den Fresken sich genau entsprechen, beweisen ebenso die Sorgfalt, mit der die Aquarellkopien angefertigt sind als auch den unveränderten Erhaltungszustand der letzten hundert Jahre. Der offizielle Bericht von Rossi-Scotti 2 bestätigt im wesentlichen das, was wir heute sehen können, d. h. das was vorhanden w a r , und das, was seither g e s c h e h e n ist. Es werden besonders die durch die Feuchtigkeit entstandenen Schäden, Flecke und Veränderungen der Farben hervorgehoben. Außerdem wird auf besonders starke Beschädigungen aufmerksam gemacht, so z. B. bei Bild 5 und 6 und besonders bei den Bildern auf der linken Seite, 22, 23, 26. Gute Erhaltung wird hervorgehoben bei Bild 13, 14, 16, aber immer mit der Einschränkung einer den Eindruck beeinträchtigenden Staubschicht. Cavalcaselle3 beachtet mehr die Zerstörungen der Farbe, die abgefallenen Stellen als Beweis für die Secco-Technik. Rossi-Scotti gibt für Bild 17 eine ausgebesserte Stelle auf der linken Seite an, mit der Vermutung, daß dieser vielleicht die erwähnten Restaurationen der Fratelli Succi zugrunde liegen könnten. Die viel besprochenen, von Cavalcaselle beaufsichtigten Restaurationen der Kirche aus den siebziger Jahren durch Botti haben einen noch lebenden 1 2 3

Aussage von Domenico Brizi, Assisi. Ms. 153 der Stadtbibliothek Assisi. Crowe und Cavalcaselle, a. a. O. I. S. 187, Anm. 17.

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Zeugen in Domenico Brizi in Assisi, dessen erste Lehrzeit als Restaurator die Hülfeleistung bei diesen Restaurationen war. Brizi bestätigt, daß die damals vorhandene Staubschicht die Fresken teilweise in der Tat unkenntlich gemacht hatte, daß der Intonaco besonders im Hochschiff an vielen Stellen in großen Stücken sich gelöst hatte, daß aber auf ausdrücklichen Wunsch von Cavalcaselle außer Reinigen und Befestigen nichts geschehen sei. Bottis Beginnen, fehlende Stellen vollständig neu zu malen, sei von Cavalcaselle unterbunden worden. Ein Anfang dazu ist im ersten Joche links vom Eingang oben mit den Brustbildern in der Leibung gemacht worden, man sieht eine vollendete und eine nur im Hintergrund angelegte Figur, und man sieht die Dichtigkeit und die größere Festigkeit des blauen Farbtones. Eine Übereinstimmung dieser dichten, blauen Grundfarbe mit der um die Figuren an der Leibung im Eingangsjoche läßt auch dort auf eine begonnene, umfassendere, gründliche Restauration schließen, zumal da einige der Figuren im Bericht von Rossi-Scotti als verschwunden bezeichnet werden, die jetzt vorhanden sind. Die Photographien von Carloforti aus dem Anfang der achtziger Jahre ergeben, daß damals einige der Fresken noch nicht gereinigt und sehr verschleiert waren durch eine starke Staubschicht, was auch von Domenico Brizi hervorgehoben wird (Bild 1 und Bild 5). Eine Reihe der Fresken weist größere Beschädigungen auf, deren Ausbesserung schon bei Rossi-Scotti erwähnt ist, z. B. 1, 5, 6, 23, 26. Man hat die Farbschicht an mehr zurücktretenden Stellen, Gewändern, Einfassungen, Hintergrund usw. ergänzt. So wird der Eindruck des Nebeneinander von gut Erhaltenem und Ergänztem durch die Berichte bestätigt. Der Nachricht von Brizi, daß keine Neumalungen stattgefunden haben, steht der Bericht von Giuseppe Sacconi1 aus dem Jahre 1901 entgegen, in dem von dem schlimmen Eindruck zu lesen ist, den die Fresken infolge der Übermalungen machten. Man habe durch Ausbessern der Dekorationen, durch willkürliches Ergänzen an den ausgebesserten Stellen die Ursprünglichkeit verdorben. Wie Sacconi mitteilt, wurde durch die nun einsetzenden neuen Maßnahmen angestrebt, die mit Temperafarben gemachten Ausbesserungen durch Abwaschen zu beseitigen und die Einheit wieder herzustellen2. Schadhafte Stellen, die durch neuen Grund ausgefüllt werden mußten, sind teilweise in dem grauen Intonacoton stehen geblieben oder auch durch einfache neutrale Farbentöne der Umgebung angepaßt worden. Sacconi nimmt als Beispiel dafür, daß ein neutral eingesetztes Stück den ganzen Eindruck zerreißt, den halb ergänzten Kopf der hlg. Clara auf Bild 23 1 3

Sacconi, Giuseppe, Relazione dell'Ufficio regionale per la conservazione dei monumenti delle Marche e deH'Umbria. 1891—92. 1900—01. Perugia 1903. S. 70—72. Auch Perate spricht von Abwaschen und Ergänzen der Fresken in dieser Zeit. S. Perate, Assise, Paris 1926.

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und empfiehlt ein farbliches Zusammenstimmen mit der Umgebung; m a n ist aber neuerdings wieder auf die erstgenannte einfachste Art der Ergänzung ohne Farben gekommen. Der U m f a n g der von Sacconi erwähnten Restaurationen läßt sich nicht n a c h p r ü f e n : ein Vergleich des heutigen Zustandes mit den Photographien von Carloforti zeigt jedenfalls, daß keine erheblichen Veränderungen durch diese Restaurationen verursacht sein können. Aus den Berichten über die Erhaltung ergibt sich also, daß sich in den letzten hundert J a h r e n im ganzen an der Ausmalung nichts Wesentliches geändert haben kann. Es lassen sich die Aquarelle von R a m b o u x f ü r die Beurteilung der Erhaltung in diesem Zeitraum zugrunde legen, u n d es ist keine Veranlassung ältere Ubermalungen anzunehmen, da dieselben wohl k a u m dem Stilcharakter t r e u geblieben wären. So wird durch die Mitteilungen über den Franziskuszyklus der Eindruck, den m a n aus den Fresken selbst gewinnt, bestätigt, daß selbstverständlich zwar Korrekturen und Ergänzungen stattgefunden haben, daß aber eine Beurteilung auf Grund des heutigen Zustandes vollauf berechtigt ist.

2. DIE BILDGESTALTUNG DES FRANZISKUSZYKLUS.

Z

W E I Fragen sind als Ausgangspunkt f ü r Zeit- und Meisterbestimmung des Franziskuszyklus zu stellen: die erste ist die nach dem Z u s a m m e n h a n g der Szenen der Legende mit den Fresken des Alten u n d Neuen Testamentes darüber, die andere die nach der E i n h e i t l i c h k e i t der Darstellungen der Franziskus-Szenen. Der Zusammenhang der gesamten Ausmalung des Hochschiffes ist die notwendige Grundlage einer unmittelbaren zeitlichen Aufeinanderfolge der verschiedenen Zyklen; die Einheitlichkeit innerhalb der Szenen des Franziskuszyklus wurde, wie wir als Ergebnis der mancherlei Ansichten feststellen konnten, mit wenigen Ausnahmen bei einer Zuschreibung an Giotto nicht aufrecht erhalten. Eine wesentliche Veränderung durch Restaurationen h a t , wie nachzuweisen versucht wurde, nicht stattgefunden. Der einheitliche Eindruck des Langhauses m u ß somit als ursprünglich angesehen werden, und er ist f ü r die Beurteilung zugrunde zu legen. E r beruht nicht auf einem Ausgleich, der durch spätere Veränderungen hervorgerufen ist, sondern auf einem ursprünglichen Kompositionsgedanken. Eine gewisse Übereinstimmung der Bildfolgen ergibt sich aus der architektonischen Gliederung des Kirchenraumes: Innerhalb eines jeden der vier Joche des Langhauses ist durch die Fenster im Hochschiff eine Drittelteilung der Wände gegeben. Der Anordnung von zwei Bildern übereinander in den steilen Flächen rechts u n d links neben den Fenstern oben entspricht f ü r den Franziskuszyklus u n t e n

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und empfiehlt ein farbliches Zusammenstimmen mit der Umgebung; m a n ist aber neuerdings wieder auf die erstgenannte einfachste Art der Ergänzung ohne Farben gekommen. Der U m f a n g der von Sacconi erwähnten Restaurationen läßt sich nicht n a c h p r ü f e n : ein Vergleich des heutigen Zustandes mit den Photographien von Carloforti zeigt jedenfalls, daß keine erheblichen Veränderungen durch diese Restaurationen verursacht sein können. Aus den Berichten über die Erhaltung ergibt sich also, daß sich in den letzten hundert J a h r e n im ganzen an der Ausmalung nichts Wesentliches geändert haben kann. Es lassen sich die Aquarelle von R a m b o u x f ü r die Beurteilung der Erhaltung in diesem Zeitraum zugrunde legen, u n d es ist keine Veranlassung ältere Ubermalungen anzunehmen, da dieselben wohl k a u m dem Stilcharakter t r e u geblieben wären. So wird durch die Mitteilungen über den Franziskuszyklus der Eindruck, den m a n aus den Fresken selbst gewinnt, bestätigt, daß selbstverständlich zwar Korrekturen und Ergänzungen stattgefunden haben, daß aber eine Beurteilung auf Grund des heutigen Zustandes vollauf berechtigt ist.

2. DIE BILDGESTALTUNG DES FRANZISKUSZYKLUS.

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W E I Fragen sind als Ausgangspunkt f ü r Zeit- und Meisterbestimmung des Franziskuszyklus zu stellen: die erste ist die nach dem Z u s a m m e n h a n g der Szenen der Legende mit den Fresken des Alten u n d Neuen Testamentes darüber, die andere die nach der E i n h e i t l i c h k e i t der Darstellungen der Franziskus-Szenen. Der Zusammenhang der gesamten Ausmalung des Hochschiffes ist die notwendige Grundlage einer unmittelbaren zeitlichen Aufeinanderfolge der verschiedenen Zyklen; die Einheitlichkeit innerhalb der Szenen des Franziskuszyklus wurde, wie wir als Ergebnis der mancherlei Ansichten feststellen konnten, mit wenigen Ausnahmen bei einer Zuschreibung an Giotto nicht aufrecht erhalten. Eine wesentliche Veränderung durch Restaurationen h a t , wie nachzuweisen versucht wurde, nicht stattgefunden. Der einheitliche Eindruck des Langhauses m u ß somit als ursprünglich angesehen werden, und er ist f ü r die Beurteilung zugrunde zu legen. E r beruht nicht auf einem Ausgleich, der durch spätere Veränderungen hervorgerufen ist, sondern auf einem ursprünglichen Kompositionsgedanken. Eine gewisse Übereinstimmung der Bildfolgen ergibt sich aus der architektonischen Gliederung des Kirchenraumes: Innerhalb eines jeden der vier Joche des Langhauses ist durch die Fenster im Hochschiff eine Drittelteilung der Wände gegeben. Der Anordnung von zwei Bildern übereinander in den steilen Flächen rechts u n d links neben den Fenstern oben entspricht f ü r den Franziskuszyklus u n t e n

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eine solche von drei Bildern, und die Bildbreite ist etwa der der Fenster gleich. Diese Anordnung der ganzen Ausmalung ist die Grundlage des geschlossenen Eindrucks, f ü r den das Wesentlichste in dem dekorativen Gerüst liegt. Anstelle der im oberen Zyklus die einzelnen Darstellungen trennenden Schmuckbänder t r i t t unten eine stark plastische, rahmende Dekoration, eine Reihe kräftiger Konsolen, die die Bilder nach unten abgrenzen, während die die einzelnen Fresken trennenden Säulen eine kassettengeschmückte R a h m u n g tragen, die den Abschluß nach oben gegen den Laufgang bildet. J e drei un'13)

Stammbaum

Florenz

Heiligenszenen

xg.*



20*

Cap. Baroncelli

Marienkrönung

SakristeiSchranke

Leben Christi, Leben des hlg. Franziskus

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. . . l a tauola nella capella de Baroncegli (6 6)

re D

F 21*

S. Giorgio

Kruzifixus

22.

S. Marco

K r u z i f i x us

23*

S. Maria

dei

24.

S. Maria

Novella

una tauola con uno crucifisso (53/1)

una tauola et uno croc i f i x o (36)