Die Form der demokratischen Legitimation [1 ed.] 9783428586127, 9783428186129

Das Thema der Arbeit, die demokratische Legitimation, wird zunächst aus verfassungstheoretischer Perspektive behandelt.

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Die Form der demokratischen Legitimation [1 ed.]
 9783428586127, 9783428186129

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1486

Die Form der demokratischen Legitimation Von

Rodrigo Kaufmann

Duncker & Humblot · Berlin

RODRIGO KAUFMANN

Die Form der demokratischen Legitimation

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1486

Die Form der demokratischen Legitimation

Von

Rodrigo Kaufmann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahr 2022 als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany

ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-18612-9 (Print) ISBN 978-3-428-58612-7 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist eine überarbeitete Fassung meiner im Wintersemester 2021/22 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin angenommenen Dissertation. Die Promotionszeit genießt allgemein keinen besonders guten Ruf: Schon das Finden einer interessanten, lösbaren und ertragreichen Forschungsfrage stellt eine erhebliche Leistung dar und nimmt somit viel Zeit in Anspruch, bevor die eigentliche Promotion überhaupt begonnen hat. Auch während der Bearbeitungszeit gehören Druck, Selbstzweifel und allgemeine Unruhe bei den meisten Doktoranden fest zum Programm. Bei ausländischen Doktorandinnen und Doktoranden, die im Bereich der Rechtswissenschaften an deutschen Universitäten promovieren, wie mir, kommt dazu noch eine erhebliche Frustration, die nicht unmittelbar auf die Promotion(sarbeit) selbst zurückzuführen ist. Während in manchen anderen (führenden) Wissenschaftsländern Doktorandinnen und Doktoranden, egal ob in- oder ausländisch, in der jeweiligen akademischen Einrichtung fest eingebunden sind, Lehre durchführen dürfen (bzw. müssen) und allgemein ein selbstverständlicher Teil des akademischen Lebens sind, ist die Lage in Deutschland eine komplett andere. Die genannten Aufgaben werden hierzulande nämlich von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der jeweiligen Lehrstühle ausgeführt. Schon ein schneller Blick auf entsprechende Stellenangebote zeigt: vorausgesetzt wird grundsätzlich immer ein deutsches Staatsexamen, sodass ausländische Doktoranden und Doktorandinnen schon vom Bewerbungsverfahren ausgeschlossen sind. Ihnen steht somit nicht nur die wohl sinnvollste Form der Finanzierung des eigenen Lebensunterhalts während der Promotionszeit nicht zur Verfügung; dazu kommt noch, dass die jahrelange Forschungsarbeit nicht oder nur unter schwierigeren Bedingungen mit Lehre kombiniert werden kann. Im heute weltweit extrem kompetitiven akademischen Markt ist das sicherlich kein geringer Nachteil. Ist diese Mystifizierung des Staatsexamens noch sinnvoll und zeitgemäß? Kann es wirklich der Anspruch der großen Rechtswissenschaftsnation Deutschland sein, jede Art von juristischer Reflexion in die enge mentale Struktur des Gutachtenstils einzuzwängen? Ist es eigentlich nicht verblüffend, mit welcher Selbstverständlichkeit dieser Staatsexamensfetischismus auch bei außeruniversitären Stellen übernommen wird? Es sind aber nicht nur ausländische Doktorandinnen und Doktoranden, die unter diesem Ausschluss leiden. Gerade in Zeiten einer immer enger verzahnten, globalen Wissenschaft riskiert Deutschland, den Anschluss an die ganz großen Diskussionen zu verlieren: Fraglich ist nämlich, ob Ausländerinnen und Ausländer nicht bei Themen wie z. B. Global Constitutionalism gerade eine entscheidende Bereicherung für Deutschland darstellen können. Eine (Rechts-)Wissenschaft, die nicht aktiv die

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Vorwort

eigenen Denkstrukturen und Dogmen immer wieder hinterfragt und sich permanent für neue Fragen öffnet, wird auf jeden Fall ihrem Charakter nicht gerecht. Besonders schade ist diese Situation angesichts der Tatsache, dass in Deutschland mit dem DAAD eine großartige Einrichtung zur Verfügung steht, um gerade die internationale Zusammenarbeit zu vertiefen, zu fördern und dadurch auch den wissenschaftlichen Dialog zu bereichern. Auch die vorliegende Arbeit wurde zum Teil durch ein großzügiges Stipendium des DAAD finanziert, wofür ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte. Besonders erwähnen möchte ich Frau Patricia Guzmán vom Referat für Lateinamerika, die mit ihrer Freundlichkeit und Kompetenz die Zusammenarbeit sehr angenehm machte. Insofern ist es meinem Doktorvater, Prof. Dr. Christoph Möllers, hoch anzurechnen, dass er sich aus reiner wissenschaftlicher Neugier dazu bereit erklärte, eine Arbeit zu betreuen, die sich (nicht nur, aber auch) mit einer durchaus anerkannten und konsolidierten deutschen dogmatischen Konstruktion kritisch auseinandersetzte – und zwar aus der Perspektive eines Ausländers. Ihm sei an dieser Stelle dafür gedankt. Prof. Dr. Arne Pilniok hat das zweite Gutachten verfasst und mir geholfen, manche Ideen der Arbeit schärfer zum Ausdruck zu bringen. Darüber hinaus haben Prof. Dr. Mattias Kumm und Prof. Dr. Christian Waldhoff entscheidend zum Erfolg der Arbeit beigetragen. Als wichtige Station in meiner wissenschaftlichen Laufbahn möchte ich auch Menschen besonders erwähnen, die an der Juristischen Fakultät der Universidad de Chile in Santiago mein Interesse für das Öffentliche Recht maßgeblich prägten und mich von Anfang an unterstützten: Prof. Carlos Carmona Santander, Prof. Dr. Guillermo Jiménez Salas und Prof. William García Machmar. Verschiedene Menschen haben Teile der Arbeit bzw. die ganze Arbeit gelesen und wertvolle Hinweise gegeben. Ein großes Dankeschön dafür an Dr. Hannah Birkenkötter, Dr. Eckhard Kaufmann, Dr. Silvia Peña Wasaff, Janina Rochon, LL.M. und Sebastian Rochon. Ich schätze mich glücklich, dass viele besondere Menschen mich über die Promotionszeit begleitet haben; zumindest einige davon möchte ich namentlich erwähnen: Guilherme Arruda, Cristián de la Maza, Carlos Fuenzalida, Anna Nakou, Pablo Grez, Matías Grüzmacher, Vasileios Kapetanos, Marie Koch, Lea-Kristin Martin, Morana Martic, Guido Monti, Gabriel Prudencio, Pedro Rencoret, Ignacio Ríos, Agnieszka Rochon, Sebastian Rochon, Rafael Silva, Argyro Tsapakidou und Ernesto Vargas. Vor allem möchte ich mich aber bei meinem familiären Kern bedanken: Mein Vater Eckhard hat mich über die Zeit der Promotion auf verschiedenste Weise unterstützt und stand immer mit Rat und Tat zur Seite. Eine engere Beziehung zu ihm haben zu können, ist eine besonders schöne und bedeutsame Folge meines Umzugs nach Deutschland. Meine Mutter Silvia hat mit ihrem Studium der Rechtswissenschaften in Chile und Promotion in Deutschland für mich den Weg vorgezeichnet. Sie hat mich mein Leben lang gefördert und gefordert; ihr verdanke ich insbesondere die Einstellung, hartnäckig die eigenen Ziele zu verfolgen und nicht

Vorwort

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aufzugeben – auch und gerade dann, wenn es schwierig wird. Eine Dissertation bedeutet immer familiäre Kosten. In der Abschlusszeit dieser Arbeit waren diese für Janina besonders hoch: Mitten in der Pandemie musste sie Karriere und die Betreuung unserer Neugeborenen kombinieren, während ich zusätzlich zu meiner Vollzeitstelle am Wochenende in der Bibliothek verschwand. Trotz dieser offensichtlich unfairen Belastung unterstützte sie mich liebevoll und bedingungslos. Es war und ist mein großes Glück, sie kennengelernt und ihr Interesse geweckt zu haben und mit ihr und unserer kleinen Aurelia das Leben teilen zu dürfen. Berlin, im Sommer 2022

Rodrigo Kaufmann

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

1. Kapitel Die Frage nach der demokratischen Legitimation

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A. Die Spezifizität der demokratischen Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 B. Politische Herrschaftsproduktion als Grundproblem demokratischer Legitimation . . . 25 C. Voraussetzungen einer Entscheidung über Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 D. Entscheidungseinheit als Vermittlung zwischen Individuum und Kollektiv . . . . . . . . . 38 E. Funktion der individuellen Präferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 F. Die Frage nach der demokratischen Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

2. Kapitel Die Entwicklung des Begriffs der Souveränität in Deutschland

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A. Vormärz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 I. Verfassung und Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II. Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 III. Albrecht: Die Staatssouveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 IV. Staat als Organismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 V. Bilanz des Vormärzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 B. Der staatsrechtliche Positivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 I. Gerber: Der Staat als materiale Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 II. Laband: Die Einheit des Staates als reine Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 III. Jellinek: Herrschaft als Selbstkonstitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 IV. Bilanz des staatsrechtlichen Positivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 C. Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 I. Kelsen: Souveräner Staat als unableitbare Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 II. Schmitt: Die politische Einheit des Volks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 D. Zwischenfazit, Heller und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

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Inhaltsverzeichnis 3. Kapitel Die Entwicklung des Begriffs des Volks in Deutschland

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A. Vormärz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 I. Die Bildung des Volks als Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 II. Einheit und negative Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 B. Der staatsrechtliche Positivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 I. Gerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 II. Laband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 III. Jellinek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 IV. Repräsentation und einheitliches Verständnis des Volks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 C. Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Kelsen und die neuen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 III. Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 D. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

4. Kapitel Analyse der Dogmatik der demokratischen Legitimation

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A. Die Dogmatik der demokratischen Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 B. Grundstruktur der Dogmatik der demokratischen Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 C. Kritik der Dogmatik der demokratischen Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 I. Volkssouveränität, verfassunggebende Gewalt und Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Personelle Legitimation: Einheit und Identität des Volks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 III. Materielle Legitimation und Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

5. Kapitel Konstruktion der demokratischen Legitimation

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A. Demokratie als Vermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 B. Einheitsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 C. Teilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 D. Referenz der demokratischen Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 E. Fazit: Die Demokratie der demokratischen Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

Inhaltsverzeichnis

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

Einleitung Die vorliegende Arbeit setzt sich mit dem Problem der demokratischen Legitimation auseinander. Genauer formuliert, beschäftigt sie sich mit der Frage nach der Rechtfertigung von politischer Herrschaft in einer demokratischen Verfassungsordnung und thematisiert in diesem Kontext insbesondere das komplexe Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv. Behandelt wird diese Problematik auf einer verfassungstheoretischen, konkreter: demokratietheoretischen Ebene. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden auch dafür benutzt, um sich mit der spezifisch deutschen verfassungsdogmatischen Lehre der demokratischen Legitimation kritisch auseinanderzusetzen. Die Arbeit ist in fünf Kapitel unterteilt. Kapitel eins dient als Einführung in die Problematik. Ausgangspunkt ist die Annahme, die Frage nach der demokratischen Legitimation könne erst dann in ihrer ganzen Tragweite erfasst werden, wenn sie vor dem Hintergrund der Voraussetzungen demokratischer, also kollektiver Entscheidungsfähigkeit gestellt wird. Demokratische Legitimation ist nach dieser Ansicht eine besondere Ausgestaltung der allgemeineren Kategorie der Rechtfertigung von Herrschaft bzw. ihrer Ausübung. Sie setzt somit, so das Argument, eine kollektive Entscheidung über Herrschaft voraus. Erst wenn die Bedingungen der Entstehung einer solchen Entscheidung geklärt sind, kann die Frage nach ihrer Rechtfertigung sinnvoll behandelt werden. Eine wichtige theoretische Grundlage der Arbeit ist der Bezug zur Einheit als Beschreibungsschlüssel für Entscheidungen über Herrschaft und deren Ausübung. Im Mittelpunkt dieser Analyse steht die Einsicht, dass kollektive Entscheidungsfähigkeit notwendigerweise an individuelle anknüpft: Kollektive Entscheidungen entstehen dadurch, dass eine Summe von Individuen über eine bestimmte Frage entscheidet (z. B. welche Person in ein bestimmtes Amt gewählt werden soll), indem die einzelnen Menschen zwischen verschiedenen zur Verfügung stehenden Antwortalternativen (z. B. verschiedene Kandidatinnen und Kandidaten) eine auswählen. In diesem Sinne wird in der Arbeit das Treffen kollektiver Entscheidungen als Einheitsbildung beschrieben. Diese Charakterisierung lässt sich aus dem allgemeinen Zusammenhang der Ausübung von Herrschaft erläutern, der ein zentrales Moment der Demokratie und somit auch ihrer Rechtfertigung darstellt. Wirksame Herrschaft vermittelt nämlich zwischen einem normativen Moment, einem in der Entscheidung über Herrschaft enthaltenen Gestaltungsanspruch, und der Faktizität, auf die sich dieser Anspruch richtet. Abstrakt lässt sich sagen, dass gerade durch Herrschaft, als ihre Wirkung, die Faktizität nach dem normativen Element modelliert wird. Ausübung von Herrschaft erfolgt durch Entscheidungen, die danach ausge-

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Einleitung

richtet sind, einen Bereich nach bestimmten Vorstellungen zu modellieren. Diese Modellierung erfordert auf begrifflicher Ebene eine gewisse Form: In sich widersprüchliche Vorstellungen können nicht modellierend wirken; auch kann eine spezifische Entscheidung, z. B. eine bestimmte Steuer um 5 % zu erhöhen, nicht nur teilweise, z. B. zu zwei Dritteln, realisiert werden. Insofern lassen sich die Vorstellungen, und folglich auch die Entscheidung, die sie enthält und durch die Herrschaft gesteuert werden soll, als in sich konsistente und unteilbare Einheit konzipieren. Die Phase der Realisierung von Herrschaft als vereinheitlichende Modellierung bestimmt somit die Form der Vorstellungen, die dadurch umgesetzt werden sollen. Über die Entscheidung, die diese Vorstellungen enthält, wird auch die Form der über Herrschaft entscheidenden Instanz bestimmt. In der Fähigkeit, konsistente und unteilbare Entscheidungen zu treffen, kann die entscheidende Instanz reflexartig zur Entscheidung als Einheit konzipiert werden. Der Zusammenhang der Ausübung von Herrschaft kann somit als eine Reihe von aufeinanderfolgenden Einheiten beschrieben werden: Der Einheit in der Realisierung (Wirksamkeit) folgt die Einheit der Vorstellungen; dieser folgt, vermittelt durch die Entscheidung, die Einheit der entscheidenden Instanz. Diese Einsichten begründen eine weitere theoretische Annahme der Arbeit: die unmittelbare demokratische Relevanz der inhaltlichen Dimension individueller Mitwirkung in demokratischen Verfahren. Die in jeder individuellen Entscheidung gewählte Antwortalternative, also die institutionell zum Ausdruck gebrachte Präferenz, bringt eben bestimmte Vorstellungen zur Geltung, mit dem expliziten Anspruch, dadurch die letztendlich Herrschaft ausübende kollektive Entscheidung mitzubestimmen. Um den für eine Demokratie entscheidenden Zusammenhang zwischen Individuum, Volk und der Entscheidung über Herrschaft herstellen zu können, muss also die inhaltliche, materiale Dimension der Entscheidungstätigkeit miteinbezogen werden. Mit anderen Worten: Das Volk als demokratisches Entscheidungssubjekt muss sich als eine inhaltlich konsistente, materiale Einheit konstituieren; der Bezug zur Herrschaft kann ansonsten nicht befriedigend beschrieben werden. Gerade wegen der Berücksichtigung dieser inhaltlichen Dimension der individuellen Mitwirkung und der Struktur demokratischer Verfahren, die eine Vielfalt an Alternativen vorsehen, bewirkt das Treffen kollektiver Entscheidungen Dissens, also eine innere Teilung des Kollektivs: verschiedene Individuen werden sehr wahrscheinlich auch verschiedene Antwortalternativen auswählen. Die Klärung der Bedingungen der Entstehung einer demokratischen (kollektiven) Entscheidung setzt somit notwendigerweise eine Analyse des Übergangs zwischen individueller und kollektiver Entscheidung, also zwischen Bürgerinnen und Bürger auf der einen Seite und Volk auf der anderen Seite, voraus. Die Frage nach der demokratischen Legitimation als Gegenstand dieser Untersuchung betrifft genau diesen Zusammenhang; sie befasst sich mit der Möglichkeit, eine kollektive Entscheidung vor jedem Mitglied eines Kollektivs rechtfertigen zu können, auch wenn diese unter Bedingungen von Dissens getroffen wurde, also trotz der Tatsache, dass verschiedene Menschen im

Einleitung

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Rahmen der Entstehung einer kollektiven Entscheidung unterschiedliche Präferenzen geäußert haben. Die konkrete Herausforderung dabei ist: Die demokratische Legitimation muss in der Lage sein, die getroffene Entscheidung egalitär, also symmetrisch gegenüber allen Mitgliedern der politischen Gemeinschaft zu rechtfertigen, und das heißt, die eben erörterte Teilung wieder aufheben zu können. Bevor es zum Versuch einer Lösung des formulierten Problems in Kapitel fünf kommt, beschäftigen sich Kapitel zwei bis vier mit der spezifisch deutschen Frage nach der demokratischen Legitimation im Kontext der grundgesetzlichen Verfassungsdogmatik. Sie basieren auf der analytischen Grundlage, die im ersten Kapitel dargelegt wurde, und setzen sich mit dem verfassungsrechtlichen Demokratieprinzip auseinander, wie es in Art. 20 des Grundgesetzes formuliert ist. Die verfassungstheoretische bzw. demokratietheoretische Reflexionsebene erfüllt in dieser Hinsicht zwei zentrale Funktionen: Auf der einen Seite ermöglicht sie einen methodologisch differenzierten Zugang zur Demokratie, wodurch die Grenzen ihrer rechtswissenschaftlichen Rekonstruktion aufgezeigt werden können. Insbesondere die im Mittelpunkt der Arbeit stehende Frage des Verhältnisses zwischen Individuum und Kollektiv wird aus der Perspektive der Dogmatik der demokratischen Legitimation rekonstruiert und kritisiert. Dieses kann nämlich als Folge der Formalität des Rechts nur stark verzerrt wiedergegeben werden, sodass das individuelle Rechtfertigungspotenzial demokratischer Entscheidungen als deutlich untertheorisiert zur Erscheinung kommt. Auf der anderen Seite kann aber auch auf den in der spezifisch rechtwissenschaftlichen Konstruktion enthaltenen staatstheoretischen Gehalt hingewiesen werden, der, wie versucht wird zu zeigen, für die grundgesetzliche Dogmatik demokratischer Legitimation eine sehr bedeutende Rolle spielt. Um diesen Gehalt freilegen zu können, wird vor der eigentlichen Auseinandersetzung mit der Dogmatik in Kapitel vier noch davor in den Kapiteln zwei und drei die geschichtliche Entwicklung zweier Kernbegriffe anhand besonders bedeutender Autoren dargestellt. Diese Elemente sind einerseits der Begriff der Souveränität bzw. das Verständnis der Entscheidungstätigkeit über Herrschaft, andererseits das Verständnis von Volk; beide spielen für die theoretischen Grundlagen der Dogmatik der demokratischen Legitimation eine zentrale Rolle. Die Klärung der Rolle des staatstheoretischen Gehalts erfolgt auf der im ersten Kapitel dargestellten analytischen Grundlage. Die Entwicklung der Verständnisse von Souveränität und Entscheidungstätigkeit über Herrschaft im zweiten Kapitel wird bei jedem behandelten Autor als Erkundung der Rolle des Begriffs der Souveränität und als Suche nach der Form der Einheit im jeweiligen System behandelt; dadurch können Akzentuierungen und Verschiebungen in der Beschreibung des Herrschaftszusammenhangs deutlich gemacht werden. Eine besondere Bedeutung hat dabei die Charakterisierung des Staates als angenommene Entscheidungseinheit im Rahmen der Lehre der Staatssouveränität. Als vormärzliche Lösung für den Konflikt zwischen Volkssouveränität und monarchischem Prinzip, die die Einheit des Staates, des auf ihm begründeten Herrschaftszusammenhangs und seiner Legitimationsgrundlage wieder herstellen sollte, knüpft nämlich die Lehre der Staats-

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Einleitung

souveränität die Souveränität im Sinne von Herrschaft an ein an sich nicht entscheidungsfähiges Subjekt: den Staat. Damit wird eine begriffliche Entwicklung in Gang gesetzt, durch welche die Souveränität bzw. die Bedingungen der Entscheidungstätigkeit über Herrschaft kontinuierlich ausgeblendet werden. Da die Einheit nicht mehr auf eine material verstandene Entscheidung bezogen werden kann, wird sie als Einheit in der Zurechnung rekonstruiert, wodurch Herrschafts- in Rechtsverhältnisse umgedeutet werden. Eine Beschreibung der Entscheidungstätigkeit über Herrschaft, die gerade, wie weiter oben gefordert, ihre materiale Dimension berücksichtigt, scheidet damit aus dem Bereich der deutschen Staatstheorie aus – genau diese Entwicklung soll das zweite Kapitel nachzeichnen. Kapitel drei setzt sich mit der geschichtlichen Entwicklung der Verständnisse des Volksbegriffs auseinander. Zentral für die Beschreibbarkeit einer demokratischen Entscheidungstätigkeit des Volks ist die Möglichkeit, seine interne Teilung als Voraussetzung der Bildung einer kollektiven, material konzipierten Entscheidungseinheit begrifflich erfassen zu können. Gerade gegen eine solche Erfassbarkeit wirkt der hergebrachte staatstheoretische Gehalt im Begriff des Volks. Seit dem späten Vormärz wird das Volk nämlich als Einheit, teilweise als substantive und insofern im Sinne einer materialen Einheit verstanden. Diese einheitliche Form ist aber gerade nicht das Ergebnis eines internen Prozesses der Entscheidungsfindung, sondern im Sinne einer schon immer latenten Homogenitätsvorstellung ständig mit dem Begriff des Volks mitgedacht. Kerngehalt des dritten Kapitels ist insofern das Aufzeigen, dass, auch wenn das Volk oft als Einheit gedacht wird, seine Beschaffenheit als solche auf der Ebene der Entscheidungstätigkeit über Herrschaft nicht fruchtbar gemacht werden kann. Im vierten Kapitel wird die grundgesetzliche Dogmatik demokratischer Legitimation bzw. deren theoretischer Grundannahmen kritisch analysiert. Angegebenes Ziel der grundgesetzlichen dogmatischen Konstruktion um das demokratische Prinzip ist es, einen effektiven Einfluss des Volks bei der Ausübung von Herrschaft bzw. Staatsgewalt zu beschreiben und zu gewährleisten. Die Auseinandersetzung erfolgt aus der Perspektive der bis dahin gewonnenen Erkenntnisse und insbesondere der in den Kapiteln zwei und drei nachgezeichneten geschichtlichen Entwicklung. Die Dogmatik der demokratischen Legitimation lässt sich nämlich als das Produkt der zwei erörterten Entwicklungslinien präsentieren: Wenn man auf der einen Seite Herrschaftsverhältnisse, also Entscheidungstätigkeit über Herrschaft, konsequent in Zurechnungsverhältnisse umdeutet, und auf der anderen Seite das Volk als kollektives Subjekt immer schon als zumindest latent homogen konzipiert, dann ergibt sich daraus die Annahme, die Zurechnung einer Entscheidung über Herrschaft dem Kompetenzbereich des Volks stelle auch einen effektiven Einfluss desselben bei der Ausübung von Herrschaft dar. Genau auf diese Art und Weise lässt sich die grundgesetzliche Dogmatik demokratischer Legitimation auch verstehen. Dabei wirken die im dritten Kapitel festgestellte, durchgehend angenommene Einheitlichkeit des Volks im Sinne von Homogenität und die im zweiten Kapitel beschriebene Vernachlässigung der theoretischen Behandlung der Bedingungen für die

Einleitung

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Bildung einer material verstandenen Entscheidungseinheit zusammen und verstärken sich gegenseitig. Aus der Perspektive der im ersten Kapitel dargelegten theoretischen Elemente lässt sich aus den Elementen, auf denen die Dogmatik demokratischer Legitimation aufgebaut ist, entgegen ihrer Grundannahme keine Rekonstruktion des Volks als materiale Entscheidungseinheit beschreiben: Das Volk als Summe der Staatsangehörigen stellt gerade keine materiale Entscheidungseinheit dar, sondern nur eine formale Einheit, eine Synthese. Aus einer Summe von Staatsangehörigen folgt keine material verstandene Entscheidungseinheit; genau das aber versucht die Dogmatik demokratischer Legitimation zu beschreiben. An dieser Stelle lässt sich die Kritik mit dem Hauptproblem der Arbeit im Sinne des Verhältnisses zwischen Individuum und Kollektiv verbinden: Durch den impliziten staatstheoretischen Gehalt und die Untertheorisierung führen die der Dogmatik demokratischer Legitimation zugrunde liegenden Theorieelemente zu einer völligen Auflösung der Bürgerinnen und Bürger im als homogen vorausgesetzten Volk. Sowieso ist das von der Dogmatik demokratischer Legitimation angestrebte Ziel der Beschreibung eines effektiven Einflusses des Volks unter strikter Einhaltung rechtwissenschaftlicher Methoden nicht zu erreichen; zu diesem Ergebnis kann sie nur behaupten zu kommen, weil ihr staatstheoretische Elemente zugrunde liegen, die der eigentlich rechtlichen Konstruktion eine metarechtliche Bedeutung verleihen. Gerade aus diesem Grund kann die vorliegende Arbeit sich mit der angeblich verfassungsdogmatischen Rekonstruktion des Demokratieprinzips auseinandersetzen, ohne dadurch die für sie maßgebliche Argumentationsebene, die der Verfassungsbzw. Demokratietheorie, zu verlassen. Das fünfte Kapitel enthält sowohl die theoretische Architektur für die gesamte Arbeit als auch einen Lösungsansatz für das im ersten Kapitel präsentierte Problem. Sie knüpft insofern insbesondere an die Frage an, wie denn demokratische Legitimation auf demokratietheoretischer Ebene zu denken ist. Zentrale Überlegung ist dabei, dass die Dimensionen der Produktion und Rechtfertigung von Herrschaft, also der kollektiven Entscheidungsfindung auf der einen und der individuellen Legitimation auf der anderen Seite, in der Demokratie verschiedene Dynamiken entwickeln und deswegen auch analytisch getrennt betrachtet werden sollten. Die Bildung einer kollektiven Entscheidungseinheit lässt sich ohne Bezug auf die zur Verfügung stehenden Alternativen nicht beschreiben: Mehrheitsverhältnisse, die eine solche Entscheidungseinheit begründen, sind das Ergebnis einer Quantifizierung, die sich auf verschiedene (politische) Alternativen bezieht. Eine demokratische Entscheidungseinheit muss somit im Sinne der jeweiligen aktuellen Mehrheit verstanden werden. Das ist insofern der Referenzhorizont der Dimension der Demokratie als Produktion von Herrschaft. Die Bildung einer solchen material verstandenen Entscheidungseinheit geht jedoch notwendigerweise mit einer internen Teilung des Volks in Mehrheit und Minderheit(en) einher. Diese ist aber mit der Gleichheit als demokratischem Regulativ nur schwer zu vereinbaren. Deswegen postuliert die Arbeit, dass für die zweite Dimension der Demokratie, die der individuellen Rechtfertigung, der Referenzhorizont nicht von der Bildung einer Entscheidungs-

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Einleitung

einheit gegeben ist. Referenzhorizont der Demokratie als individuelle Rechtfertigung ist vielmehr die Chance, Mehrheit werden zu können; sie bezieht sich auf verschiedene politische und rechtliche Ressourcen, die Gleichheit im offenen politischen Prozess begründen. Diese Chance, die ja für alle unabhängig von der eigentlichen Mehrheitsbildung gleichermaßen gilt, erlaubt es, das demokratische System aus einem positiven, material verstandenen Bezug zur Herrschaft gegenüber allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen zu rechtfertigen. Indem zwischen diesen beiden Dimensionen unterschieden wird und die Chance als eigenständiges Element in die begriffliche Systematik der Demokratie eingeführt wird, kann die Legitimationsdimension von den einheitsbildenden Zwängen der Entscheidungsfindung und somit von der internen Teilung befreit und die Geltung der Gleichheit wieder stabilisiert werden. Damit kann die Bedeutung der Frage nach der demokratischen Legitimation wieder aufgegriffen werden: Demokratie begründet keine Herrschaftsordnung, die sich dadurch rechtfertigen lässt, dass alle Mitglieder des Volks Herrschaft steuern, sodass aus Beherrschten Herrscher werden, sondern eine, in der alle die gleiche Chance haben, über Herrschaft entscheiden zu können. Darin wird die im ersten Kapitel gestellte Frage beantwortet und hoffentlich auch ein Beitrag zur Demokratietheorie und demokratischen Verfassungstheorie geleistet.

1. Kapitel

Die Frage nach der demokratischen Legitimation Eine wissenschaftliche Untersuchung sollte ihren Gegenstand so präzise wie möglich definieren können. Für die vorliegende Untersuchung folgt daraus, dass zunächst die Frage nach der Bedeutung der demokratischen Legitimation geklärt werden sollte. Der Versuch einer solchen Klärung findet sich also direkt am Anfang dieser Arbeit: Die Frage nach der demokratischen Legitimation ist strukturell auf die Besonderheiten der Demokratie als politischer Form bezogen; nur auf dieser Grundlage lässt sich ihre Spezifizität sinnvoll erörtern (A.). Als politische Form stellt Demokratie eine besondere, reflexive Herrschaftsstruktur dar: Die Gruppe der der Herrschaft Unterworfenen, also das Volk, soll auch aktiv über dieselbe Herrschaft entscheiden können. Dieses reflexive Moment spielt eine grundlegende Rolle bei der Charakterisierung der Frage nach der demokratischen Legitimation; sie ist nämlich an einen voraussetzungsreichen Entscheidungszusammenhang gekoppelt: Das Volk als Kollektiv, also als Gruppe von Individuen, muss in der Lage sein, über Herrschaft entscheiden zu können. Erst dadurch kann der rechtfertigende Bezug zur Idee der Selbstbestimmung Bestand haben (B.). Die zentrale Bedeutung des demokratischen Entscheidungszusammenhangs führt zur Frage, ob demokratische Legitimation überhaupt eine eigenständige begriffliche Stellung hat oder ob sie nicht vielmehr in den Bedingungen der Ermöglichung eines solchen Entscheidungszusammenhangs aufgeht. Auf jeden Fall kann davon ausgegangen werden, dass die Frage nach der demokratischen Legitimation als bestimmter Ausgestaltung eines Rechtfertigungspotenzials diesen Entscheidungszusammenhang voraussetzt: Ohne kollektive Entscheidung über Herrschaft kann es keine demokratische Legitimation geben. Insofern bieten sich die Bedingungen der kollektiven Entscheidungsfähigkeit, also die Bedingungen der Bildung einer kollektiven Entscheidungseinheit, als Grundlage für eine Erörterung des analytischen Gehalts der Frage nach der demokratischen Legitimation an (C.). Dabei wird angenommen, dass die Entscheidung über Herrschaft strukturellen Anforderungen unterliegt, die jede Entscheidungstätigkeit, auch demokratische, modellieren. Diese Anforderungen können institutionell unterschiedlich umgesetzt werden; in der repräsentativen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland übernimmt das Parlament die Rolle der grundlegenden Entscheidungseinheit. Die Frage nach der demokratischen Legitimation wird in einem solchen institutionellen Kontext auf das Verhältnis zwischen Volk und Parlament bezogen; üblicherweise wird dabei auf die Wahl des Parlaments durch das Volk als grundsätzliches Legitimationsmoment verwiesen. Damit wird jedoch das eigentliche Problem der kollektiven Entscheidungsfähigkeit, also der Bildung einer Entschei-

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1. Kap.: Die Frage nach der demokratischen Legitimation

dungseinheit aus dem Volk, umgangen; das Volk ist an sich kein entscheidungsfähiges Subjekt. In seiner ganzen begrifflichen Schärfe wird das Problem der kollektiven Entscheidungsfähigkeit nur dann erfasst, wenn sie konsequent aus dem einzelnen Individuum gedacht wird. Aus dieser Perspektive erscheinen kollektive Entscheidungen als Summe bzw. als Bündelung von individuellen Entscheidungen, die in institutionalisierten Verfahren, als Antwort auf eine bestimmte Frage und im Rahmen einer begrenzten Anzahl von Antwortmöglichkeiten, vermittelt werden (D.). Genau an dieser Stelle setzt das grundlegende Problem demokratischer – als kollektiver – Entscheidungsfindung an: Die individuelle Perspektive und die verschiedenen Antwortmöglichkeiten, die politische Alternativen darstellen, implizieren eine interne Teilung, eine horizontale Spaltung des Volks in Mehrheit und Minderheit(en), die durch die genannten Bedingungen vorprogrammiert ist und insofern als Voraussetzung kollektiver Entscheidungsfähigkeit konzipiert werden kann. Die Entscheidung, verstanden aus den zur Verfügung stehenden politischen Alternativen im Rahmen der Verfahren demokratischer Entscheidungsfindung, wird nur von einigen und nicht allen Individuen als Mitgliedern des Kollektivs getragen werden (E.). Damit kann die Bedeutung der Frage nach der demokratischen Legitimation für diese Arbeit geklärt werden: Sie beschäftigt sich mit dem Rechtfertigungspotenzial kollektiver Entscheidungen, die inhaltlich, also material, nicht von allen Mitgliedern des jeweiligen Kollektivs getragen werden (F.).

A. Die Spezifizität der demokratischen Legitimation Legitimation bezieht sich im Allgemeinen auf die Rechtfertigung von Herrschaft1. Sie schafft Zusammenhänge, in denen Herrschaft gegenüber den ihr Unterworfenen als anerkennungswürdig erscheint. In diesem Sinne kann Herrschaft im Rahmen eines bestimmten Legitimationszusammenhangs einen begründeten Anspruch auf Unterwerfung erheben2. Die Diskussionen um den so definierten Begriff der Legitimation (politischer) Herrschaft sind so vielfältig und die Wege, durch die 1

Möllers, Gewaltengliederung, S. 11 f.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 150 m. w. N. 2 Die Literatur zur Legitimation von Herrschaft ist unüberschaubar. Allgemein Möllers, Gewaltengliederung, S. 28 ff., mit dem für diese Arbeit wichtigen Bezug auf die Rechtsform. Für Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 131 f., bezieht sich Legitimation auf die Übereinstimmung „mit näher zu bestimmenden Kriterien oder Standards“; sie folgt dabei Hinsch, Legitimität, in: Gosepath/Hinsch/Celikates (Hrsg.), Handbuch der Politischen Philosophie und Sozialphilosophie, S. 704 ff. Für Hofmann, Legitimität und Rechtsgeltung, S. 11, bezieht sich Legitimität auf die Rechtfertigung „der staatlichen Herrschaftsordnung im ganzen aus einem einzigen, letzten und – jedenfalls dem Anspruch nach – allgemeinverbindlichen Prinzip“. Für einen Überblick der verschiedenen Deutungen von „legitimacy“ im angelsächsischen Kontext siehe Peter, Political Legitimacy, in: Zalta (ed.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, unter https://plato.stanford.edu/archives/sum2017/entries/legitimacy/ (zuletzt aufgerufen am 18. Oktober 2020).

A. Die Spezifizität der demokratischen Legitimation

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sich diese zu rechtfertigen vermag, so unterschiedlich, dass eine Erörterung der Legitimation eingegrenzt werden muss. Eine erste Eingrenzung kann sich auf den allgemeinen Rahmen beziehen, in den die Gründe für die Rechtfertigung eingefügt werden. Bei einer verfassungsdogmatischen und -theoretischen Erörterung, wie bei der vorliegenden Arbeit, sollten sich die Gründe, durch die die Herrschaft gerechtfertigt werden soll, aus einem bestimmten Verhältnis zur Verfassung ergeben; sie sollten, mit anderen Worten, aus einem auf der Verfassung beruhenden Zusammenhang begründet sein3. Auf dieser Grundlage kann sich die Erörterung unter Berücksichtigung der konkreten normativen Vorgaben auf eine bestimmte Verfassungsordnung beziehen. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Grundgesetz und insbesondere mit dem in ihm vorgesehenen, auch für die Neuzeit typischen Rechtfertigungszusammenhang politischer Herrschaft: dem demokratischen Prinzip. Auf dieser Grundlage kann die hier im Mittelpunkt stehende Frage genauer formuliert werden: Es geht um die spezifische Form von Rechtfertigung, die auf der Demokratie als verfassungsdogmatischem bzw. theoretischem4 Element basiert. Dabei entwickelt sich im deutschen Kontext diese allgemeine Erörterung des Problems unter der Bezeichnung „demokratische Legitimation“, und nicht im Sinne von Rechtfertigung (oder Legitimität). Die Untersuchung behandelt dabei die unter dem Namen der Dogmatik der demokratischen Legitimation bekannte, spezifisch auf das Grundgesetz und insbesondere auf Art. 20 Abs. 2 GG bezogene dogmatische Konstruktion, geht aber auch über diese hinaus, gerade in verfassungstheoretischer Hinsicht. Die Wahl des Begriffs der Legitimation zielt dabei auf eine bestimmte, im Allgemeinen durch Verfassungen und konkret durch das Grundgesetz normierte Art und Weise der Rechtfertigungsstiftung durch Teilhabe an kollektiven Verfahren der Willensbildung5. Die in diesem Sinne immer wieder stattfindende prozedurale Rechtfertigungsstiftung im Kontext einer demokratischen Ordnung findet im Begriff der Legitimation ihren präzisen Ausdruck6. 3

Möllers, Gewaltengliederung, S. 11 ff., 33 ff., entwickelt den Legitimationsbegriff als verfassungstheoretischen; eine Legitimationstheorie erfüllt dabei eine „Scharnierfunktion zwischen den durch das positive Recht angeordneten Legitimationsstrukturen und ihrer theoretischen Rekonstruktion […]“ (S. 12). 4 Im Sinne Jestaedts, Die Verfassung hinter der Verfassung, S. 40 ff., wird hier Verfassungstheorie als Komplement im Sinne einer Reflexionsdisziplin für Verfassungsdogmatik verstanden. 5 Möllers, Die drei Gewalten, S. 58 f.; ders., Gewaltengliederung, S. 28 ff.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 150; vgl. Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 131 ff., insb. Fn. 16. Isensee, Legitimation des Grundgesetzes, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. XII, Rn. 9, bezieht Legitimation auf einen Vorgang, der Legitimität zuführt; diese definiert er wiederum als Anerkennungswürdigkeit. 6 In Deutschland wird zwischen Legitimation und Legitimität differenziert: Während Legitimation die eben genannte Funktion erfüllt, bezieht sich Legitimität auf die Rechtfertigung der Monarchie; so Möllers, Gewaltengliederung, S. 34. Vgl. Kielmansegg, Legitimität als analytische Kategorie, in: Seibel/Medick-Krakau/Münkler/Greven (Hrsg.), Demokratische

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1. Kap.: Die Frage nach der demokratischen Legitimation

Doch auch nach diesen Eingrenzungen liegen die Verständnisse dieser spezifischen Variante der Rechtfertigung noch zu weit auseinander, um ohne Weiteres konkrete Maßstäbe für eine Erörterung der Legitimation bestimmen zu können. Tatsächlich wird demokratische Legitimation auf verschiedene Art und Weise konstruiert, sodass ihre Verwertbarkeit in bedeutendem Maße von der jeweiligen Perspektive abhängt7. Der besondere Legitimationsvorgang kann sich sowohl an Verfahrensformen orientieren8 als auch auf Übereinstimmung mit bestimmten Werten geprüft werden9. Dazu wird er einerseits vorwiegend im Sinne einer Offenheit charakterisiert, die den Beherrschten ermöglicht, Eingaben in die Verfahren zur Entscheidungsfindung („Input“-Orientierung) zu tätigen, die dann durch Herrschaft umgesetzt werden; andererseits werden insbesondere die durch die Ausübung von Herrschaft erbrachten Leistungen („Output“-Orientierung) hervorgehoben10. Aus diesen verschiedenen Möglichkeiten können sich verschiedene Elemente für demokratische Formen der Rechtfertigung von politischer Herrschaft ergeben11. Politik – Analyse und Theorie, S. 62, der, obwohl er der Legitimität einen „altertümlichen Klang“ attestiert, den Begriff für seine Untersuchung nutzt; definiert wird Legitimität als „soziale Geltung als rechtens“. 7 Sowohl Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 131 f., als auch Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 151, unterscheiden zwischen normativer und deskriptiver (Vöneky: empirisch deskriptiver, S. 132) Dimension; erstere operiert auf der Grundlage von „Wertvorstellungen“ (Schliesky) bzw. „Gerechtigkeits- und Rationalitätsanforderungen“ (Vöneky, S. 132); letztere mit der tatsächlichen Gegebenheit, „ob Herrschaft als gerechtfertigt gilt“ (Schliesky) bzw. mit der Konstatierung, dass „rein faktisch eine entsprechende normative, subjektive Überzeugung von der Anerkennung dieser Herrschaft oder Ordnung bei denjenigen verbreitet beobachtbar ist, auf die sich die Herrschaft oder Ordnung bezieht“ (Vöneky, S. 132). 8 Oft verbinden sich deliberative Theorien der Demokratie mit einer besonders starken Betonung des Verfahrensmoments, freilich mit der Erwartung, dass sich, durch die Einhaltung der Verfahrensform, bestimmte Ergebnisse im Zuge der Deliberation erzielen lassen; insbesondere Habermas, Faktizität und Geltung, insb. S. 187 ff., 209 ff. Einen Zusammenhang zwischen Verfahrensorientierung und deliberativen Theorien sieht auch Christiano, The Authority of Democracy, in: The Journal of Political Philosophy, Bd. 12, S. 267. 9 Insbesondere epistemische Varianten der deliberativen Demokratietheorie unterstreichen die Instrumentalität von Demokratie; Carlos Santiago Nino, The Constitution of Deliberative Democracy, insb. S. 107: „The theory I defend is dialogic. While some dialogic views preserve the separation between politics and morality, my conception views these two spheres as intertwined and locates the value of democracy in the moralization of people’s preferences. For me, the value of democracy is of an epistemic nature with regard to social morality. I claim that if certain strictures (sic) are met, democracy is the most reliable procedure for obtaining access to the knowledge of moral principles“; siehe auch ders., The Epistemological Moral Relevance of Democracy, in: Ratio Iuris 4, insb. S. 44 ff. 10 Für ein Legitimitätsverständnis, welches die „inhaltliche Richtigkeit des Gesetzes und der konkreten Herrschaftsausübung“ berücksichtigt, plädiert z. B. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 281 f. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 21, sieht die Differenzierung zwischen Input und Output als den gemeinsamen Aspekt, auf den die Entgegensetzungen, unter denen die politische Ordnung beurteilt wird und die auch im Begriff der Demokratie festgestellt werden, bezogen werden können. 11 So Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 151 ff., der zum einen die Zeitbedingtheit von Legitimität (die bei ihm die zentrale Rolle einnimmt, da Legi-

A. Die Spezifizität der demokratischen Legitimation

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Angesichts der dargestellten Vielfalt erscheint es angebracht, sich zunächst mit dem Begriff der Demokratie auseinanderzusetzen. Demokratische Legitimation wird nämlich an erster Stelle davon abhängen, wie man Demokratie definiert, und insbesondere, wie man den Zusammenhang zwischen Demokratie und Legitimation rekonstruiert. Insbesondere soll geklärt werden, welche Eigenschaften oder Momente der Demokratie Legitimation im Sinne von Rechtfertigung stiften können. Der Versuch einer begrifflichen Klärung ist gerade wegen der Vielfalt von Verfassungsordnungen, die sich selbst als demokratisch beschreiben, von Bedeutung12. Aus der Tatsache, dass sich verschiedene Verfassungsordnungen mit unterschiedlichen institutionellen Strukturen auf die (rechtfertigende) Grundidee der Demokratie beziehen, folgt natürlich nicht, dass jede dieser Selbstbeschreibungen auch zutrifft. Auf jeden Fall sind keine guten Gründe ersichtlich, warum das Selbstverständnis bindend für die Reflexion über Demokratie sein sollte13, und das insbesondere in einer Zeit, in der institutionelle Strukturen der Demokratie bewusst ausgehöhlt werden. Vor allem als Vergleichsgrundlage scheint somit eine Bestimmung von unabdingbaren Elementen der Demokratie notwendig14. Eine solche Bestimmung gilt umso mehr für das Grundgesetz, welches durch Art. 79 Abs. 3 GG die Gestaltungsfreiheit unter anderem bezüglich der demokratischen Ordnung begrenzt. Gerade in einem solchen verfassungsdogmatischen Kontext ist es von zentraler Bedeutung, über die konstitutiven Merkmale von Demokratie als allgemeinem Verfassungselement und Strukturprinzip nachzudenken; die verfassungsdogmatische Änderungsresistenz wird sich nämlich grundsätzlich auf die wesensnotwendigen Elemente der grundgesetzlichen Demokratie beziehen15. timation Legitimität bewirkt, S. 150) hervorhebt, zum anderen zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Annäherungen an Legitimität differenziert, die auf dem Gegensatz normativ/ deskriptiv beruhen. 12 Bobbio, Il futuro della democrazia, S. XI: „La democrazia è diventata in questi anni il comune denominatore di tutte le questione politicamente rilevanti, teoriche e pratiche“. Die Notwendigkeit „methodischer Vorklärungen“ bei der Handhabung des Begriffs der Demokratie hervorhebend, Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 589 ff.; noch im Kontext des Ost-West-Konflikts schreibt Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 11 ff. 13 So auch Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 141. 14 Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 141, geht von einem „normativen Kern, der wesentliche Elemente des Demokratieprinzips unabhängig von der untersuchten Rechtsordnung und der subjektiven Überzeugung der Beteiligten voraussetzt“, aus. 15 In diesem Sinne Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 81, mit dem Zusammenhang zwischen änderungsfestem Kern und immanenten Mindestanforderungen des Demokratieprinzips. Auch Horn, Demokratie, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, Rn. 8, sieht im grundsätzlich offenen Konzept der Demokratie „immanente Grenzen“. Bei Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 331, ist vom unbedingten grundsätzlichen Gehalt des demokratischen Prinzips die Rede. Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 508, spricht allgemein von der Notwendigkeit, „die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und die Ausübung staatlicher Befugnisse auf das Staatsvolk“ zurückzuführen und ihm gegenüber auch zu verantworten; weitere Konkretisierungen in Rn. 509 ff.; Schnapp,

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1. Kap.: Die Frage nach der demokratischen Legitimation

Es ist naheliegend, gerade im Rahmen einer verfassungsdogmatisch bzw. -theoretisch angelegten Untersuchung, die elementaren, auf der Verfassung beruhenden Verbindungen für eine solche Definition zu berücksichtigen. Im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG kann insofern von zwei Topoi ausgegangen werden, die allgemein und insbesondere für den grundgesetzlichen Begriff der Demokratie eine konstitutive Rolle spielen16: auf der einen Seite die Staatsgewalt bzw. im Allgemeinen die Herrschaft, und auf der anderen das Volk, welches sich an der Produktion dieser Herrschaft beteiligt (durch Wahlen und Abstimmungen). Aus diesen zwei Elementen kann man somit einen (freilich minimalistischen) Begriff der Demokratie in einer ersten Annäherung definieren: Demokratie begründet eine Struktur der Staatsgewalt, also eine Herrschaftsstruktur, in der an irgendeiner Etappe ihrer Produktion den Mitgliedern des Volks, also den Beherrschten, die Befugnis eingeräumt wird, über Herrschaft zu entscheiden17. Mit anderen Worten: Demokratische Herrschaft integriert die Beherrschten in ihre eigene Produktion. Auf dieser Grundlage kann der demokratische Maßstab für die Legitimation von Herrschaft bestimmt werden: Er erfordert die Einrichtung von institutionellen Strukturen, die die Mitwirkung der Beherrschten bei der Produktion von Herrschaft gewährleistet und integriert. Eine solche Mitwirkung erfordert wiederum die Bildung einer Entscheidungseinheit, die über die Ausübung von Herrschaft bestimmen kann18. Art. 20, in: von Münch/Kunig (Begr./Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I, Rn. 18, spricht von einem „Typuskern“ und „Randzonen“. 16 Horn, Demokratie, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, Rn. 10: „Der auf die Staatsgewalt bezogene Demokratiebegriff des Verfassungsrechts (Art. 20 Abs. 2 GG) übersetzt in Rechtsform, was auch verfassungstheoretisch nicht anders gedacht werden kann: dass die Demokratie staatlich etablierte Hoheitsgewalt zum Gegenstand und zur Voraussetzung hat“. 17 Möllers, Gewaltengliederung, S. 47, spricht vom „rechtswissenschaftlichen Demokratiebegriff“, bei dem es „um eine auf formalisierte Beteiligungsrechte reduzierte Legitimationsform“ geht. Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 411, meint, dass der Einzelne „eben nicht bloßes Projekt der Staatsgewalt“ ist, „sondern selbst mitentscheidet“. Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 82, setzt die Demokratie in Zusammenhang zur „Idee der ,freien Selbstbestimmung aller‘“ und folgert daraus, dass die „für das Volk handelnden Staatsorgane ihre Legitimation unmittelbar oder mittelbar aus einem Willensakt des Volkes herleiten“; Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, S. 25, behauptet, bei Demokratie gehe es „um die Einbeziehung der Beherrschten in die Ausübung politischer Herrschaft, mithin um Inklusion“; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 144. Schon für die Weimarer Verfassung Thoma, Das Reich als Demokratie, in: Anschütz/ Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, S. 190. Bobbio, Il futuro della democrazia, S. 4 f., spricht davon, dass in einer Demokratie, die Befugnis („potere“), kollektive Entscheidungen zu treffen, einer großen Zahl von Mitgliedern zugerechnet ist: „Ora per quel che riguarda i soggetti chiamati a prendere (o a collaborare alla presa di) decisioni collettive un regime democratico è caratterizzato dall’attribuzione di questo potere (che in quanto autorizzato dalla legge fondamentale diventa un diritto) a un numero molto alto di membri del gruppo“. 18 Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 426: „Demokratie heißt Volksherrschaft. Soll der demos kratein, so muß er unter allen

B. Politische Herrschaftsproduktion

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B. Politische Herrschaftsproduktion als Grundproblem demokratischer Legitimation Aus dieser ersten Annäherung ergibt sich schon ein zentrales Merkmal der Frage nach der demokratischen Legitimation: Ihre Spezifizität folgt aus der besonderen Struktur der demokratischen Produktion von – also Entscheidung über – Herrschaft19. Doch auch zu diesem konkreteren Zusammenhang können verschiedene Fragen gestellt werden. Eine erste könnte sich mit der allgemeinen begrifflichen Grundlage der demokratischen Legitimation, also mit der konkreten Position des Volks als Herrschaftssubjekt, auseinandersetzen. Es würde also darum gehen, aus welchem Grund gerade dem Volk das Herrschaftsprivileg zuzugestehen wäre. Oft wird in diesem Kontext, wie noch im vierten Kapitel zu erörtern sein wird, der Begriff der Volkssouveränität thematisiert20. Die Frage nach der demokratischen Legitimation setzt auf einer Ebene unterhalb dieser ersten Fragestellung an und setzt somit das Volk als herrschaftslegitimiert voraus. Sie beschäftigt sich traditionell mit der Herstellung eines Zusammenhangs, in welchem die Entscheidung über Herrschaft, und in diesem Sinne ihre Ausübung, als vom Volk getroffen bzw. getätigt verstanden werden kann. Ein solcher Zusammenhang erscheint als Folge der Wahrnehmung demokratischer Kompetenzen, durch die dem Volk bestimmte Entscheidungsbefugnisse, insbesondere Wahlen und Abstimmungen wie gerade im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG, eingeräumt werden. Somit lässt sich festhalten: Wenn das der Herrschaft unterworfene Subjekt, also das Volk, durch Mitwirkung bei der Produktion von Herrschaft auch als deren Ursprung verstanden werden kann21, ist diese bzw. deren Ausübung demokratisch gerechtUmständen eine Entscheidungs- und Wirkungseinheit bilden, d. h. die Demokratie muß wie jede Herrschaftsform ein System von Willensvereinheitlichungen darstellen, für welches immer das Gesetz der kleinen Zahl gilt“. Die Integration oder Inklusion wird hier als Wahrnehmung von institutionalisierten, also rechtlich konstituierten Mitwirkungsbefugnissen, und insofern typischerweise Wahlrechten, verstanden. So auch Möllers, Gewaltengliederung, S. 47 f. 19 In diesem Sinne Brunkhorst, Demokratie ohne Staat, in: ders., Legitimationskrisen, S. 318, der die Spezifizität der demokratischen Legitimation im Input-Moment sieht; siehe auch im selben Band, Der lange Schatten des Staatswillenspositivismus, insb. S. 110 ff. und Möllers, Gewaltengliederung, S. 37 f. Dazu auch Hofmann/Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Scheider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Rn. 16 ff. 20 Dreier, Das Problem der Volkssouveränität, in: Stekeler-Weithofer/Zabel (Hrsg.), Philosophie der Republik, S. 37; Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 3. Darauf wird noch im vierten Kapitel zurückzukommen sein. 21 Horn, Demokratie, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, Rn. 11; vgl. Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 54, der von einem „Vorrang“ von demokratischen Legitimationsformen, die aus dem Staatsvolk konstruiert werden, spricht, und andere Formen demo-

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1. Kap.: Die Frage nach der demokratischen Legitimation

fertigt22. Aus diesem Zusammenhang zwischen Volk, Entscheidung und Herrschaft ergibt sich der Bezug der Demokratie auf die allgemeine und rechtfertigende Idee der Selbstbestimmung23. Dieser Maßstab demokratischer Legitimation ist jedoch voraussetzungsreich. Wie man unschwer erkennen kann, verliert die Frage nach der demokratischen Legitimation darunter zumindest scheinbar ihre Eigenständigkeit, weil sie grundsätzlich mit der (demokratischen) Produktion von Herrschaft, also mit der Entscheidung über sie, zusammenfällt24 : Die Frage, wie Herrschaft demokratisch gerechtfertigt werden kann, wird insofern zur Frage, wie sich eine Entscheidung des Volks über Herrschaft theoretisch rekonstruieren lässt. Damit rückt die Entscheidungsfähigkeit des Volks in den Mittelpunkt der demokratischen Problematik. Dies spitzt sich vor allem dadurch zu, dass das Volk, trotz implizierter Singularität25, ein Kollektiv darstellt, also eine Summe von Menschen: Sowohl in der deutschen Verfassungsdogmatik als auch allgemein im Kontext der modernen demokratischen Theorie wird dieser Begriff konsequent als eine Summe Einzelner definiert26 ; in Deutschland wird diese Summe Einzelner durch das Merkmal der Staatsangehörigkeit abgegrenzt27. Demokratische Produktion und folglich auch Legitimation kratischer Legitimation, „die ihren Bezugspunkt nicht allein in diesen haben“, als mit dem Demokratieprinzip vereinbar erklärt. 22 Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 406, meint, die „Grundregel der Demokratie“ sei, dass sich „[a]lle staatliche Herrschaft“ auf das Volk zurückführen lassen muss; für Wegge, Zur normativen Bedeutung des Demokratieprinzips nach Art. 79 Abs. 3 GG, S. 102, ist staatliche Gewalt „dann demokratisch legitimiert, wenn sie sich auf den Volkswillen prozedural zurückführen läßt“. 23 Möllers, Die drei Gewalten, S. 57 ff.; ders., Gewaltengliederung, S. 48 ff.; Owen, Democracy, in: Bellamy/Mason (Hrsg.), Political Concepts, S. 107 („collective self-rule“). 24 Kritisch zu einem solchen Verständnis der Legitimationsentfaltung, Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 47; demokratische Legitimation analysiert er vielmehr im Kontext anderer „Legitimationsquellen“ im Grundgesetz. 25 Darauf macht Sartori, The Theory of Democracy Revisited, S. 22, aufmerksam; er vergleicht die Begriffe für Volk auf Deutsch, Französisch und Italienisch, welche diese Singularität aufweisen, mit „people“; mit letzterem sieht er aufgrund der damit verbundenen Konjugationsform eine Pluralität abgebildet. 26 Für Mouffe, The Democratic Paradox, S. 2 ff., passim, ist die Verbindung zwischen Liberalismus mit seiner Betonung und Hervorhebung des Individuellen, und Demokratie, ursprünglich kollektiv ausgerichtet, konstitutiv für die moderne Variante von Demokratie: „The novelty of modern democracy, what makes it properly ,modern‘, is that, with the advent of the ,democratic revolution‘, the old democratic principle that ,power should be exercised by the people‘ emerges again, but this time within a symbolic framework informed by the liberal discourse, with its strong emphasis on the value of individual liberty and on human rights“ (S. 2). 27 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 253, sieht das Staatsvolk als durch die Staatsangehörigkeit konstituiert, wodurch wiederum der „Träger der Souveränität“ formiert wird; Haverkate, Verfassungslehre, S. 332: „Das Volk ist die Summe der einzelnen“. Vöneky, Recht, Moral und Ethik, sieht den Begriff des Volks im Kontext von Art. 20 Abs. 2 S. 1 als auf „die Summe der einzelnen Bürger“ bezogen.

B. Politische Herrschaftsproduktion

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hängen davon ab, dass diese Summe Einzelner als Entscheidungssubjekt über Herrschaft fungieren kann28. Dabei spielen die institutionellen Strukturen, in denen sich die Mitwirkung der Mitglieder des Volks realisiert, die zentrale Rolle29. Demokratische Legitimation ist insofern notwendigerweise auf diese Strukturen bezogen, denn sie begründen die Möglichkeit kollektiver Entscheidungsfähigkeit. Wenn, wie bisher angenommen, die Probleme der Produktion und Legitimation von Herrschaft untrennbar miteinander verbunden sind und sich auch beide Dimensionen in denselben Verfahren verwirklichen, so stellt sich die Frage, ob die demokratische Legitimation überhaupt eine eigene analytische Wertigkeit hat oder ob sie nicht vielmehr in den Bedingungen ihrer Verwirklichung aufgeht30. Auf jeden Fall scheint logisch ein gewisser Vorrang der Produktionsdimension von Herrschaft gegenüber ihrer Rechtfertigung zu bestehen: Soll Demokratie (auch) beschreiben, wie Herrschaft als gerechtfertigt erscheinen kann, so muss diese Herrschaft zunächst existieren; in einem demokratischen Kontext muss dann beschrieben werden, wie sie überhaupt kollektiv produziert und ausgeübt werden kann31. Aus dieser Perspektive erscheint eine Auseinandersetzung mit den Bedingungen dieser Produktion und Ausübung an dieser Stelle als weiterführend. Als grundlegendes, intersubjektives Phänomen ist Herrschaft keine demokratiespezifische Erscheinung, sondern in der gängigen Erscheinungsform der „Wechselbeziehung von Befehlsgebung und Gehorsamsleistung“32 ein konstitutives Moment von Kollektiven im Allgemeinen33. Damit ist ein sehr weites Feld eröffnet; 28 Die Formulierung dieses Zusammenhangs bei Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 427: „Das Volk als Vielheit soll sich selbst bewußt als Einheit bilden“; anknüpfend, Böckenförde, Mittelbare/repräsentative Demokratie als eigentliche Form der Demokratie, in: Müller/Rhinow/Schmid/Wildhaber (Hrsg.), Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel, S. 310 ff. 29 Möllers, Die drei Gewalten, S. 63. Dazu Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 18, der diesen Zusammenhang als Interaktionszusammenhang bezeichnet; daraus, „und mit Hilfe seiner Organisation, durch die er seine Form erhält, sollen dann die Entscheidungen getroffen werden, die das Zusammenleben innerhalb der politischen Gemeinschaft verbindlich ordnen“. 30 Möllers, Gewaltengliederung, S. 47: „Demokratische Willensbildung wird durch das Recht nicht geschützt oder ermöglicht, sondern hergestellt“. 31 Von einem solchen logischen Vorrang der Produktion von Herrschaft gegenüber ihrer Rechtfertigung geht Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 149, aus. Auch Kielmansegg, Volkssouveränität, S. 256, teilt diese Meinung. 32 Leggewie, Herrschaft, in: Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 1, S. 180. 33 Für Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 24 f., ist „ursprüngliche Herrschermacht“, dass „befohlen und gehorcht wird“, sowohl bei „bäuerlichen Stämmen der Vorzeit als auch bei höherentwickelten seßhaften Verbänden“ präsent (S. 25). Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 321: „Soll Gesellschaft, soll gar Staat sein, dann muß eine bindende Ordnung des gegenseitigen Verhaltens der Menschen gelten, dann muß Herrschaft sein“, auch in Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 4. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 427, spricht vom einem Bedürfnis der „Leitung durch einen Willen“ für „jede aus Menschen bestehende Zweckeinheit“, wobei er zwischen herrschenden und nicht herrschenden Gewalten unterscheidet; S. 439 meint

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1. Kap.: Die Frage nach der demokratischen Legitimation

um den Begriff für die Erörterung der Selbstbestimmung im Rahmen der Demokratie fassbar und verwertbar zu machen, muss er präziser definiert werden. Dabei erscheint es sinnvoll, von der Funktion der Herrschaft als demokratischem Mittel der Selbstbestimmung einer politischen Gemeinschaft auszugehen. Kollektive Selbstbestimmung, zum Beispiel in der Form von Demokratie, und die Existenz von Herrschaft schließen sich nicht gegenseitig aus, wie schon oft betont wurde34; vielmehr erfolgt Selbstbestimmung gerade durch diese Herrschaft. Sie äußert sich vorwiegend in den normativen Strukturen, die die Bedingungen der kollektiven Existenz bestimmen. Aufgrund dieser Funktion und insbesondere im Rahmen einer verfassungstheoretischen bzw. -dogmatischen Arbeit eignet sich die Rechtsordnung, um als Konkretisierung von Herrschaft bzw. als deren analytische Ummünzung gelten zu können. Stellt die Rechtsordnung, statisch gesehen, rechts- und verfassungstheoretisch eine grundlegende Äußerungsform von Herrschaft dar35, so bezieht sich, dynamisch verstanden, die Entscheidung über Herrschaft in ihrer rechtlichen Fassbarkeit auf den Vorgang der Setzung, Aufrechterhaltung oder Veränderung36 dieser Rechtsordnung. In diesem Vorgang kommt das für das Problem kollektiver Selbstbestimmung zentrale Gestaltungsmoment zum Ausdruck37. In dieser Erscheinungsform der Herrschaft als Recht deckt sich der eben definierte Begriff von er, die „platte Tatsache, daß im Staate irgendwer befehlen und oberste Entscheidungsgewalt haben, also herrschen müsse“, sei „vor allem wissenschaftlichen Nachdenken über den Staat“ bereits bekannt gewesen. 34 Möllers, Die drei Gewalten, S. 69 ff.; ders., Demokratie – Zumutungen und Versprechen, Rn. 21. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 26 ff. Auch Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 18, und Horn, Demokratie, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, S. 747, heben den herrschaftlichen Charakter von Demokratie hervor. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 829, behauptet: „Der demokratische Staat ermangelt daher als demokratischer nicht einer Staatsgewalt. Es ist lediglich die Trägerschaft des Volkes, nicht aber Existenz und Intensität der Staatsgewalt, die die Demokratie von anderen Staatsformen unterscheidet“. 35 Dazu besonders klar Heller, Staatslehre, S. 274: „Das sehr bedeutende und vielverkannte Verhältnis von Staatsgewalt und Recht läßt sich zunächst allgemein dahin kennzeichnen, dass jede politische Macht ihrem Sinne nach die durch staatliche Organe gesetzte und gesicherte Rechtsform anstrebt. Sie muß diese Tendenz haben, weil im modernen Staat das Recht regelmäßig sowohl die technisch wie die geistig-sittliche notwendige Erscheinungsform jeder dauernd sich bewährenden politischen Macht darstellt. Es ist die technisch (nicht immer politisch) vollkommenste Form der politischen Herrschaft, weil es durchschnittlich und auf die Dauer die präziseste und praktikabelste Orientierung und Ordnung des politischen Handelns, d. h. die sicherste Berechnung und Zurechnung des die Staatsgewalt konstituierenden und aktivierenden Verhaltens ermöglicht“. 36 Für Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 9, kommt angesichts der Tatsache, dass man „zumeist in eine fertige Staatsordnung hineingeboren“ wird, nur „die Fortbildung, die Abänderung dieser Ordnung“ in Frage (Hervorhebung im Original). 37 Zur Demokratie als Selbstregierung und Selbstbestimmung Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 35 ff.; Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 24, bezieht den demokratischen Interaktionszusammenhang auf die Erzeugung des Rechts als „Summe der Normen, die für die Gemeinschaft verbindlich sind“.

B. Politische Herrschaftsproduktion

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Herrschaft mit dem der Staatsgewalt, wie sie im deutschen verfassungsdogmatischen Kontext definiert wird; nach Jestaedt bezieht sich diese auf „alle rechtserheblichen Wirkungsweisen“ des Staates38 und weist somit die angesprochene rechtliche Erscheinungsform auf. Konkretisiert sich Herrschaft also hauptsächlich in der Setzung von Rechtsnormen, so muss das Volk in eine aktive Rolle zu den rechtsetzenden Vorgängen gebracht werden, um das vom demokratischen Zusammenhang begründete Verhältnis zwischen Volk und Herrschaft operationalisieren zu können. Wird das Recht, wie für die Neuzeit typisch, als eine (politische) Entscheidung verstanden, dann muss das Volk zu dieser Entscheidung die Rolle des entscheidenden Subjekts, der Entscheidungseinheit einnehmen können. Insbesondere Hermann Heller hat das Verständnis einer solchen Entscheidungsfähigkeit als Einheitlichkeit (des Willens) einer Instanz definiert39. Damit ist auch schon die Form bestimmt, die das Volk als Kollektiv im Rahmen der Demokratie annehmen muss; dass dies für das Volk, als eine Vielzahl von Individuen, eine besondere Herausforderung darstellt, wurde weiter oben und ist im Rahmen der deutschen Begriffstradition mehrfach betont worden40. Im Kontext der Verfassungsdogmatik kann also schon festgehalten werden, dass die Rekonstruktion des normativen Zusammenhangs in Art. 20 Abs. 2 GG, die Staatsgewalt gehe vom Volk aus bzw. dieses übe jene in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe aus, gerade in der Beschreibung des Volks als Entscheidungseinheit ihren Kern hat. Damit wird aber auf verfassungstheoretische Elemente verwiesen, die nicht ohne Weiteres als verfassungsdogmatische konstruiert werden können. Die Entscheidungstätigkeit des Volks weist eine tiefe politische Natur auf, die nicht ohne erheblichen Sinnverlust auf rechtlich-formelle Zusammenhänge verkürzt werden kann41.

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Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 257. Souveränität, S. 71: „Diese Bestimmtheit des Rechts hat zur Voraussetzung eine konkretindividuelle Entscheidungseinheit. Eine solche ist uns nur in Gestalt des menschlichen Willens bekannt“. 40 Einen Überblick gibt Kotzur, Die Demokratiedebatte in der deutschen Verfassungsrechtslehre, in: Bauer/Huber/Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, S. 352 ff. 41 Der Anspruch der grundgesetzlichen Dogmatik demokratischer Legitimation ist es, wie noch zu diskutieren sein wird, eine rein rechtliche Beschreibung der Demokratie zu bieten, die aber Demokratie im Recht auflöst. Exemplarisch dazu Schnapp, Art. 20, in: von Münch/Kunig (Begr./Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I, Rn. 19: „Der zweite Einwand gilt den Bemühungen, dem Demokratiebegriff mit theoretischen Modellen der allgemeinen Staatslehre zu begegnen. Demgegenüber muss betont werden, dass die verfassungsrechtlich maßgebliche Bedeutung des Demokratiebegriffs in Art. 20 Abs. 1 nur anhand der weiteren konkreten Ausgestaltung durch das GG gewonnen werden kann“. Wie vor allem im fünften Kapitel erörtert wird, sind aber die Bestrebungen, eine rechtliche Konstruktion des Demokratieprinzips und die Berücksichtigung politischer Zusammenhänge, die sich nicht durch das Recht beschreiben lassen, durchaus kompatibel. 39

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1. Kap.: Die Frage nach der demokratischen Legitimation

C. Voraussetzungen einer Entscheidung über Herrschaft Gerade im Sinne eines Bezugs auf verfassungstheoretische Elemente, und insbesondere auf das Problem der Konstitution des Volks als Entscheidungseinheit, sollen jetzt die Voraussetzungen für eine Entscheidung über die Ausübung von Herrschaft kurz analysiert werden. Grundlegende Annahme ist dabei, dass die Rechtsetzung in den zentralen Punkten des hier zu entwickelnden Arguments strukturell eine (Unterart von) Ausübung von Herrschaft darstellt. Die Frage, wie das Volk als entscheidende Instanz im Kontext der Rechtsetzung agieren kann, ist somit in die Frage umzuformulieren, wie das Volk im Allgemeinen über Herrschaft entscheiden bzw. Staatsgewalt ausüben kann. Im Rahmen der Staatslehre definiert Krüger Staatsgewalt als Fähigkeit des Staates „zu leiten, zu befehlen und zu zwingen“42. Durch die Staatsgewalt im Sinne einer „Herrschaft über das objektive Recht und die subjektiven Rechte“43 wird das Verhalten der Mitglieder der Gemeinschaft gesteuert44; durch sie wird die Summe der der Herrschaft Unterworfenen koordiniert und geleitet45. In diesem Begriff der Herrschaft ist als grundlegendes und definierendes Merkmal ihre Wirksamkeit46 vorausgesetzt. Damit ist gemeint: Die gestaltende und ordnende Funktion von Herrschaft kommt durch deren Möglichkeit zustande, in die gemeinschaftliche Existenz, also in das soziale Faktische, eingreifen zu können. Wirksamkeit von Herrschaft kann in diesem Sinne als Zusammenhang zwischen einem gestaltenden, normativen Moment und dem zu gestaltenden Faktischen verstanden werden, nämlich dem Verhalten der Mitglieder des Kollektivs, auf das Herrschaft wirken soll. Das gestaltende, normative Element bietet sich als Ausgangspunkt für die Behandlung der Voraussetzungen einer kollektiven Entscheidung an.

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Allgemeine Staatslehre, S. 849. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 894. 44 Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 160, definiert die Staatsgewalt als die Chance, „den Staatsbürger zu einem bestimmten, von den Staatsorganen formulierten Verhalten zu veranlassen“. So schon Heller, Political Power, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. III, S. 37 ff. 45 Dazu auch Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 102 f. 46 Für Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Erster Teilband, S. 380, ist die Staatsgewalt „apriorisch“ mit ihrer Effektivität verbunden und meint, sie sei das Einzige, „was die Staatsgewalt zu sein hat, will man von einer Staatsgewalt im materiellen Sinne überhaupt sprechen“. So auch Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 180, der als Kernproblem der „inneren Souveränität im klassischen Sinne“ die „Unwiderstehlichkeit, d. h. jene faktische Durchschlagskraft […], die ihr die Erreichung ihrer Ziele, d. h. die Durchsetzung der von den staatlichen Führungsorganen formulierten Politik unter allen Umständen sichert“, sieht. 43

C. Voraussetzungen einer Entscheidung über Herrschaft

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Wie Heller betont47 und auch Herzog thematisiert hat (s. o., Fn. 46), gibt es wesentliche Berührungspunkte zwischen der eben erwähnten Thematik der Wirksamkeit von Herrschaft und dem Begriff der Souveränität. Trotz verschiedenster Anwendungen und Deutungen des Begriffs48 verweist Souveränität (auch) im Allgemeinen auf die Wirksamkeitsproblematik von Herrschaft49. Gerade in diesem Zusammenhang beziehen sich die traditionellen Bedeutungsgehalte des Souveränitätsbegriffs auf die Merkmale des Zuhöchst-Seins50 und der Bindungslosigkeit51

47 Heller, Souveränität, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 120 ff., insb. 125: „In der Möglichkeit aber, jede die Einheit des gebietsgesellschaftlichen Zusammenwirkens betreffende Frage, gegebenenfalls sogar gegen das positive Recht endgültig und wirksam entscheiden zu können und diese Entscheidung jedermann, nicht nur den Mitgliedern des Verbandes, sondern grundsätzlich allen Gebietsbewohnern aufzuerlegen, ist das Wesen der Souveränität zu suchen“. 48 Grimm, Souveränität, S. 9 ff. Für Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaft, S. 57, ist „kaum ein Begriff der Staatslehre und des Staatsrechts schillernder“. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 87, spricht vom „vieldimensionalen Begriff der Souveränität, der seit vielen Generationen einer der Schlüsselbegriffe jeder Staatslehre ist“; Möllers, Art. Souveränität, in: Heun/Honecker/Morlok/Wieland (Hrsg.), Ev. Staatslexikon, S. 2174, spricht von vielen Missverständnissen, „die sich um den Begriff ranken“. 49 In diesem Sinne Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 847 ff.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 147 f. Kurz, Volkssouveränität und Volksrepräsentation, spricht davon, dass souveräne Willensbestimmung einer Instanz dann vorhanden ist, „wenn jeder andere Wille in dem Augenblick wirkungslos wird, in dem diese Instanz es will“, S. 164. Siehe auch Barber, Principles of Constitutionalism, S. 21 ff., insb. 25 ff. und 31 ff.; er bezieht den Begriff auf den Staat. Typisch für den Begriff ist ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen faktischer Durchsetzungsfähigkeit und normativer Kompetenz; so Philpott, Sovereignty, in: Klosko (Hrsg.), The Oxford Handbook of the History of Political Philosophy, S. 561, der den Begriff sowohl auf die faktische Dimension („actual practice“) als auch auf ein normatives, rechtfertigendes Moment („matter of right or legitimacy, not one of mere power“) bezieht. 50 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 57, bezeichnet die „innere Souveränität“ als „rechtlich höchste Gewalt“, in diesem Sinne auch S. 143 ff.; Grimm, Souveränität, S. 101, versteht den Begriff der Souveränität „selbst in seiner Verwendung vor Bodin“ als „ein Zuhöchst-Sein, eine Letztinstanzlichkeit in Bezug auf das Recht, Entscheidungen zu treffen und Befehle zu erteilen, die für andere verbindlich“ sind. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 5, meint, dass mit diesem Begriff schon immer ein Subjekt als „ein ,höchstes‘, ,oberstes‘ charakterisiert“ wurde. Auch Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 87, identifiziert als Element im Souveränitätsbegriff die „Vorstellung, daß es sich bei der Staatsgewalt um eine höchste, von keiner anderen irdischen Gewalt abgeleitete oder auch nur abhängige irdische Gewalt handelt“. Auch bei Loughlin, Why Sovereignty, in: Sovereignty and the Law, S. 51, behält der Begriff diesen Bezug, auch wenn er in einem anderen Kontext benutzt wird: „Sovereignty stands as a representation of the autonomy of a political domain and as a symbol of the absolute authority of that domain“. 51 Dreier, Der Ort der Souveränität, in: Dreier/Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 14, spricht von einer „Metapher für die unumgrenzte Allgewalt“. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 57. Dieses Moment anerkennend, jedoch kritisch dazu, Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 205.

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1. Kap.: Die Frage nach der demokratischen Legitimation

bzw. der Ungebundenheit einer bestimmten Instanz52 und deren Entscheidungen innerhalb eines Gemeinwesens. Ein kurzer Rückblick auf die Entstehungsbedingungen des Begriffs der Souveränität kann helfen, die Funktion der genannten Merkmale zu beleuchten. Der moderne Begriff der Souveränität53 brachte in seiner Entstehungsphase54 den besonderen Zusammenhang zum Ausdruck, dass eine Instanz eine Position innehatte, die es ermöglichte, sich gegen andere Parteien (innerhalb einer politischen Gemeinschaft) durchzusetzen55 und somit für Stabilität zu sorgen56; dadurch konnte typischerweise ein Bürgerkriegszustand verhindert bzw. beendet werden57. Herrschaft wurde grundsätzlich im Sinne der Schlichtung von Konflikten innerhalb politischer Gemeinschaften verstanden58. Souveränität leistete somit die Konzep52 Dreier, Der Ort der Souveränität, in: Dreier/Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 14, bezieht die Souveränität auf den Staat, den Monarchen, die Nation oder das Volk; siehe auch Mäder, Vom Wesen der Souveränität, S. 36, 51, mit einem Verweis auf Hermann Heller. 53 Als die begriffliche Tradition der neuzeitlichen Souveränität begründend wird in der Regel Jean Bodin genannt: ausführlich dazu Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 243 ff., Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 452 ff., Möllers, Art. Souveränität, Heun/Honecker/Morlok/Wieland (Hrsg.), Ev. Staatslexikon, Sp. 2174; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 59; Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 239; Mäder, Vom Wesen der Souveränität, S. 36. 54 Kontext der Geburt des neuzeitlichen Verständnisses sind die französischen religiös begründeten Bürgerkriege; Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion um das Problem der Souveränität, S. 265, versteht Souveränität als „eine geschichtliche Antwort auf eine bestimmte geschichtliche Problemlage“. 55 Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtlehre, S. 114, nennt die Souveränität „das theoretische Mäntelchen für höchst praktische Postulate“. Auch Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 19, behauptet, die Souveränität bei Bodin sei „erstmals konzeptionell wie begrifflich vereinheitlichte oberste Gewalt“. 56 Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 470 f.: „Die souveräne Monarchie Bodin’s war – was er nicht wußte und schwerlich wissen konnte – der Entwurf einer Verfassung für den Notstand, der durch die Untauglichkeit der alten Herrschaftsmittel und die Unfähigkeit der alten Herrschaftsinstanzen verursacht worden war, mit den Problemen einer neuen Zeit fertig zu werden“. Möllers, Art. Souveränität, in: Heun/Honecker/Morlok/Wieland (Hrsg.), Ev. Staatslexikon, S. 2175; Wildhaber, Entstehung und Aktualität der Souveränität, in: Müller/ Rhinow/Schmid/Wildhaber (Hrsg.), Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel, S.132. Im Sinne des (modernen) Staates als „souveräne Machtorganisation“ als Voraussetzung der Durchsetzung einer „Friedensordnung“, Isensee, Staat und Verfassung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, Rn. 98. Grimm, Souveränität, S. 22 ff., ders., Verfassung und Politik, S. 16 ff. 57 In diesem Sinne Bleckmann, Allgemeine Staatslehre, Rn. 206; Stolleis, Die Idee des souveränen Staates, in: Entstehen und Wandel verfassungsrechtlichen Denkens, Beiheft 11 zu Der Staat, S. 71. Nicht zufällig schreiben zwei große Theoretiker der Anfangszeit der Souveränität, Bodin und Hobbes, in Kontexten von Bürgerkriegen. 58 Mäder, Vom Wesen der Souveränität, S. 15 f. Diese Wirkung zeigt sich vor allem in der Bedeutung der Funktion der konkreten Streitschlichtung, also der Funktion, die heute von der

C. Voraussetzungen einer Entscheidung über Herrschaft

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tualisierung59 einer überlegenen Position60 und verband mit ihr bestimmte Prärogativen, allen voran die der Gesetzgebung61. Damit stützte die grundsätzlich auf faktischem Durchsetzungsvermögen begründete Stellung theoretisch und institutionell den neuzeitlichen Staat, der dadurch sein Fundament bekam62. Faktische Überlegenheit wird durch Souveränität institutionalisiert63, womit die Bedingungen für eine Stabilisierung des Friedens geschaffen sind64. Es ist naheliegend, die als konstitutiv für die Souveränität ausgemachten Merkmale im Rahmen der Wirksamkeit von Herrschaft zu (re-)interpretieren65. Institutionalisiertes Zuhöchst-Sein und Bindungslosigkeit (im Sinne von Ungebundenheit) stellen in diesem Zusammenhang deskriptive Verdichtungsmomente einer ursprünglich auf faktischer Durchsetzbarkeit, also auf Wirksamkeit beruhender Herrschaftsposition dar66. Beide Momente beschreiben also nur einzelne Merkmale einer souveränen, insofern wirksam herrschenden Instanz. Dabei bildet diese faktische Durchsetzungsfähigkeit den Kern der Souveränität; die Merkmale gewinnen nur aus diesem Kontext ihre Bedeutung. rechtsprechenden Gewalt geleistet wird. Dazu Stolleis, Die Idee des souveränen Staates, in: Entstehen und Wandel verfassungsrechtlichen Denkens, Beiheft 11 zu Der Staat, S. 72. 59 Grimm, Souveränität, S. 20 f. 60 Für Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 440 ff., entsteht Souveränität, als polemischer Begriff, im Kampfe gegen die Kirche, das römische Reich (Kaisertum) und die großen Lehnsträger und Körperschaften. 61 Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 333 ff.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 121. 62 Mäder, Vom Wesen der Souveränität, S. 39 ff.; Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 19 ff. Jellinek behandelt die Geschichte der Souveränität aus dem Staatsbegriff, dazu Allgemeine Staatslehre, S. 435 ff., insb. 453 f. Zum Verhältnis zwischen Souveränität und Staat Skinner, The foundations of modern political thought, Bd. II, S. 286 ff. 63 Grimm, Souveränität, S. 24, insbesondere im Sinne einer rechtsetzenden Befugnis; ders., Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 44, im Sinne der organisatorischen Untermauerung der Souveränität mit Heer, Verwaltung und eigenen Finanzen. 64 Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 206. Souveränität erhob anfänglich also einen programmatischen Anspruch; explizit in diesem Sinne Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 395; Haverkate, Verfassungslehre, S. 30; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 120, nennt Souveränität ein „Denkmodell“ und eine „politische Wunschvorstellung“. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 461 ff., mit der Auffassung, mit dem Begriff der Souveränität, wie er von Bodin definiert wurde, sei die zeitgenössische Staatenwelt nicht zu begreifen. 65 Eine solche, auf praktische Durchsetzung gerichtete Rekonstruktion der Souveränität findet sich in Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 201 ff., insb. 206 (gleichzeitig das Durchsetzungsmoment aber mit der Verrechtlichung der Herrschaftsausübung verbindend) und 239. Grimm, Politik und Recht, in: ders., Die Verfassung und die Politik, S. 16 ff.; ders., Souveränität, S. 24, sieht die Souveränität strukturell mit einer höchsten Instanz verbunden. 66 Eine Verbindung in diese Richtung stellt Möllers, Heun/Honecker/Morlok/Wieland (Hrsg.), Ev. Staatslexikon, S. 2174, wenn er meint, die „rechtlich eingeräumte Befugnis zur Innehabung“ der Souveränität dürfte nicht „ohne gewisse faktische Durchsetzungsmöglichkeiten Anerkennung finden“.

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1. Kap.: Die Frage nach der demokratischen Legitimation

Die Wirksamkeit als praktische Durchsetzbarkeit von Herrschaft impliziert die Wirksamkeit einer über Herrschaft bestimmenden Entscheidung67; anders ausgedrückt, die Wirksamkeit bezieht sich auf einen formulierten Anspruch, das Faktische zu gestalten – zum Beispiel durch rechtliche Normierung. Zentral für die Frage nach der demokratischen Legitimation sind demnach die Qualitäten einer Instanz, welche in der Lage ist, über Gestaltungsansprüche zu entscheiden und so Staatsgewalt auszuüben. Der hier benutzte Begriff einer „Entscheidungseinheit“ bringt gerade diesen Zusammenhang zum Ausdruck. Freilich gibt es verschiedene Möglichkeiten, diese Form der Einheit als bestimmend für die Ausübung von Herrschaft zu konzipieren. Erstens stellt das Volk, wie schon oben erwähnt, eine Summe von Menschen dar; soll es kollektiv entscheiden, so ist eine „Vereinheitlichung“ im Sinne einer Konzentration, einer Zusammenfassung von individuellen Willen nötig68. Die bestimmte Form der Entscheidungseinheit ergibt sich zweitens aus der konkreten Entscheidungstätigkeit, die auf wirksame Herrschaft bezogen ist. Diese äußert sich nämlich in einzelnen Entscheidungen, die, gerade in der Funktion der Steuerung von Herrschaft, also im Sinne der in den Entscheidungen enthaltenen Gestaltungsansprüchen, unteilbar sind und somit in ihrer internen Konsistenz als Einheiten konzipiert werden können69. Drittens besteht die wirksame Herrschaftsausübung gerade darin, eine Vermittlung zwischen herrschendem Subjekt (der Entscheidungsinstanz, also dem Volk) und beherrschtem Objekt (der durch die tatsächlich wirkende Herrschaft gestalteten Faktizität) als Einheit im Sinne eines (gemeinschaftlich relevanten) Entsprechungsverhältnisses herzustellen. Die Vermittlung bezieht sich so auf die Umsetzung bzw. Durchsetzung des in der Entscheidung beinhalteten normativen Gestaltungsanspruchs70. Einheit als Form der 67 Gerade im Sinne der Verbindung zwischen wirksamer Herrschaft und Souveränität behauptet Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion um das Problem der Souveränität, im: AöR, 92. Band, S. 262, der eigentliche Sinn von Souveränität bestünde darin, „im Normalfall als inhaltsbestimmter, rechtlich begründeter und einheitsstiftender Begriff bei der Bewältigung sachlicher Aufgaben im Staat zu wirken“. 68 Heller, Die Souveränität, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 59; dazu auch Geenens, Sovereignty, Action, Autonomy, in: Sovereignty in Action, S. 100 ff. 69 Mit Bezug auf Luhmann, Organisation und Entscheidung, in: Schriften zur Organisation 2, S. 241, könnte man sagen, das hier gerade der Zusammenhang zwischen Entscheidung und Handlung gemeint ist. 70 Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation, S. 82 ff., betont in seiner Erörterung der Entscheidung als „Grundstruktur menschlichen Verhaltens“, dass eine Entscheidung „letzten Endes immer und in irgendeiner Form die Gestaltung der Wirklichkeit“ (S. 88) als Ziel hat. Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 255, sieht diesen Zusammenhang durch den Begriff der Souveränität begründet: „Es war der Souveränitätsbegriff, dessen positiver, auf die innere Gestaltung des Verbandes gerichteter Sachverhalt dem Souverän die Mittel verschaffte, die Einheit in Wirkung und Entscheidung herbeizuführen“. Für eine Erörterung der Einheit als grundlegendes Prinzip, als Voraussetzung für die Konzeptualisierung von wirksamer Herrschaft, Heller, Souveränität, in: Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 62: „Einheit der Herrschaft ist Einheit im Willen des Herrn“. Bleckmann, Allgemeine Staatslehre, Bd. I, Rn. 224, sieht das Souveränitätsprinzip im Kontext des absoluten Staates durch die „Einheit der Person des Fürsten“ als Garantie dafür, „daß überhaupt eine Entscheidung gefällt“ wird. Bei Seiler, Der

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Herrschaft löst sich also weder in der reinen, absolut gleichen Faktizität, noch im strikten, impermeablen normativen Anspruch auf; vielmehr verbindet sie beide Momente im Sinne eines Entsprechungsverhältnisses71. Einheit als Entsprechung zielt somit auf einen Zusammenhang, der sowohl den gestaltenden Anspruch als auch die Bedingungen einbezieht, die seine faktische Wirksamkeit begründen. Dieser Zusammenhang kann als eine Art Beständigkeit aufgefasst werden, als ein Kontinuum zwischen gestaltendem Anspruch und gestaltender Wirkung72, für welche die Form der Einheit als begriffliche Überbrückung dient: Beide gestatten zumindest im Grundsatz eine Identität zwischen Anspruch und Wirklichkeit73. Nimmt man diese drei Dimensionen der Einheit, also Einheit als allgemeine (kollektive) Entscheidungsfähigkeit, Einheit der Entscheidung und Einheit als Wirksamkeit eines Anspruches, so wird daraus der Zusammenhang ersichtlich, der den subjektiv entschiedenen Gestaltungsanspruch und seine faktische Realisierung verbindet. Auf diesen Zusammenhang bezieht sich die Selbstbestimmung des Volks, die im Allgemeinen dadurch auch ihre grundlegende begriffliche Form erhält. Aus demokratischer Perspektive, d. h. gerade aus der Perspektive der Entscheidung als Ausdruck von Selbstbestimmung, ist es nämlich von grundlegender Bedeutung, nicht nur die Form der Entscheidung, sondern auch die Möglichkeit der Produktion von Entscheidungen im materialen Sinne zu berücksichtigen, sie also aus ihrem Inhalt heraus bzw. in ihrer Funktion als politische Gestaltung zu verstehen. Eine demokratische Entscheidung wird einen solchen Inhalt nicht nur vermitteln und durchsouveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, S. 66 ff., erscheint die Einheit vor allem auf das Gewaltmonopol bezogen; „Einheit und Einzigkeit der Staatsgewalt“ überwanden die „Polyarchie des Feudalimus“; somit ist Einheit für ihn ein gemeinsamer Zurechnungspunkt aller Hoheitsgewalt (S. 70). 71 Konkret zur Entscheidung über Herrschaft in der Demokratie Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 27: „Wenn Begriffe wie Regierung oder Herrschaft einen eindeutig bestimmbaren, äußerlich wahrnehmbaren Vorgang zum Inhalt haben sollen, setzt jede sinnvolle Definition ein herrschendes Subjekt und ein beherrschtes Objekt voraus. Der Satz „Wir regieren und selbst“ drückt ein politisches Selbstverständnis aus, das der real vollziehbaren politischen Existenz nicht adäquat ist, wenn und insofern es eine Realität meint, in welcher der Unterschied zwischen Subjekt und Objekt beim Herrschaftsvorgang aufgehoben ist“. Das Entsprechungsverhältnis betrifft nicht diese grundlegende Differenzierung zwischen Subjekt und Objekt; die Wirksamkeit der Herrschaft baut darauf auf und gestaltet eine gegebene Faktizität (Objekt) nach einer bestimmten Vorstellung (die vom Subjekt geäußert wird). 72 In diesem Sinne, also sowohl das normative wie das faktische Moment miteinbeziehend, Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 423; auf den Staat bezogen, welcher gerade als Entscheidungs- und Wirkungseinheit verstanden wird, ders., Staatslehre, S. 259 ff. 73 Gerhardt, Die Macht im Recht, in: Krawietz/Schelsky (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, Beiheft 5 zu Rechtstheorie, S. 507, betont das notwendige Verhältnis zwischen (Gestaltungs-)Macht und Träger im Sinne von Intentionalität: „Intentionalität ist ohne Subjekt nicht denkbar. Also gehört zur Macht (als dem Vermögen zu beabsichtigten Wirkungen) stets ein Träger, der mehr oder weniger deutliche Ziele verfolgt. Im Begriff der Macht sind Träger und Ziel zu einer wirklichen Einheit verbunden […]“. (Hervorhebung im Original).

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1. Kap.: Die Frage nach der demokratischen Legitimation

setzen, sondern, soll sie als Selbstbestimmung gelten können, auch zustande bringen müssen. Heller erkannte, dass das Volk auf technische Mittel, Verfahren und Strukturen der Willensaggregation, angewiesen ist, um als Entscheidungseinheit wirken zu können74. Im Rahmen des demokratischen Verfassungsstaats kann es sich einheitlich äußern, indem es durch Verfahren für den Zweck einer konkreten Kundgebung bezüglich einer ihm auch konkret gestellten Frage, für die es eine begrenzte Anzahl an vorab definierten Antwortalternativen gibt, organisiert wird75. In dieser grundlegenden Struktur und in diesem Ablauf liegt die Bedingung der Möglichkeit einer kollektiven Entscheidung des Volks76. Die Auswahl einer konkreten Alternative als Antwort auf die gestellte Frage stellt das grundlegende Einheitsmoment dar, welches somit in einer ersten Annäherung an das Problem der kollektiven Entscheidungsfähigkeit den Anknüpfungspunkt für eine Entscheidung über Herrschaft darstellt. Schon aus dieser sehr allgemeinen Beschreibung ist jedoch ersichtlich, dass derartige Verfahren, wenn sie auf der ständigen Beteiligung des Volks beruhen, zeitaufwendig und mühsam sind77. Zum Teil deswegen übernehmen Staatsapparate als Herrschaftsorganisationen78, im deutschen Fall konkret der Bundestag, die Verantwortung für die (primäre) kontinuierliche Entscheidung über Herrschaft bzw. die Leitung des Staates79 und die politische Gestaltung80. 74

Souveränität, in: Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 97. Im deutschen Kontext Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, Rn. 4 ff., 10 ff. Grimm, Politische Parteien, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, Teil 1, Rn. 13. Ansonsten betont Bobbio, Il futuro della democrazia, S. 6, diesen Zusammenhang als dritte Bedingung seiner minimalen Definition von Demokratie: „Occorre una terza condizione: occorre che coloro che sono chiamati a decidere o a eleggere coloro che dovranno decidere siano posti di fronte ad alternative reali e siano messi in condizione di poter scegliere tra l’una e l’altra“. 76 Böckenförde, Mittelbare/repräsentative Demokratie als eigentliche Form der Demokratie, in: Müller/Rhinow/Schmid/Wildhaber (Hrsg.), Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel, S. 307, meint, der Volkswille „existiert nicht als schon in sich Fertiges, das nur des Abrufs bedarf, er wird vielmehr erst auf Frage und Erfragung hin, die eine Vor-Formung enthält, in seiner konkreten Bestimmtheit hervorgerufen und aktualisiert“. 77 Dazu Bobbio, Il futuro della democrazia, S. 32: „Che tutti decidano su tutto in società sempre piú complesse come sono le società industriali moderne è materialmente impossibile“. 78 Zippelius/Würtenberger/Maunz, Deutsches Staatsrecht, § 10, Rn. 38. 79 Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 43, bezieht sich auf Hesse und spricht von der demokratischen Gesamtleitung des Staates als Aufgabe des Parlaments. 80 Allgemein zu diesem Phänomen Sartori, Theory of Democracy Revisited, Part I, S. 139: „Decision making is a very broad category that covers disparate phenomena. Electors, we say, decide; but electoral decisions are very different from decision making as a process of issue deliberation. Thus, what an electorate decides is not what a committee decides; indeed, electoral deciding has little in common with deliberative deciding. In particular, electoral decisions are, as decisions, very thin; they merely or mostly ,decide the deciders‘. Let us therefore reserve the notion of decision making to how ,deciders decide‘ and simply speak, in the electoral context, of 75

C. Voraussetzungen einer Entscheidung über Herrschaft

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In einem demokratischen Kontext ist es fast schon paradox, dass Herrschaft, die eigentlich dem Volk als Subjekt zugewiesen ist, letztendlich von derartigen kleineren Entscheidungseinheiten ausgeübt wird81. Die Sonderung solcher kleineren Einheiten vom Volk geschieht aus Gründen der verhältnismäßig einfacheren Beratung und Entscheidungsfindung82, oft im Sinne des Ermöglichens von (politischen) Kompromissen. Insofern wird eine effiziente(re) Bildung dieser Entscheidungseinheit durch eine Spaltung des Volks erreicht; eine Spaltung, die gerade angesichts der grundsätzlichen Zuweisung der Herrschaft an das ganze Volk als problematisch erscheint83. Darauf wird noch zurückzukommen sein; für den Augenblick kann diese Spaltung eine vertikale genannt werden, da sie sich auf den unmittelbaren Anknüpfungspunkt für die Entscheidung über die Ausübung von Herrschaft bezieht. Insbesondere vor dem Hintergrund der weiter oben erörterten Differenzierung zwischen Subjekt und Objekt von Herrschaft gewinnt diese Spaltung Bedeutung: Subjekt von Herrschaft sind, aus der Perspektive der unmittelbaren Entscheidung über sie, die kleinen Einheiten, die institutionellen Einrichtungen, deren Existenz gerade aus dieser Funktion konzipiert ist. Die Stellung des Volks ist dagegen ambivalent. Im Wesentlichen hängt seine Stellung von der Möglichkeit ab, die vertikale Spaltung des Volks zum Zweck der Gewährleistung kollektiver Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit wieder aufzufangen; dies geschieht durch den Begriff der Repräsentation84. Nach dem Gesagten kann in einem ersten Ansatz demokratische Legitimation als Überbrückung der vertikalen Spaltung zwischen Volk und den mit der politischen Gestaltung betrauten repräsentativen Instanzen verstanden werden, und zwar als Herstellung eines vom Volk ausgehenden Entscheidungs- und Handlungszusamelection and/or selection“. Siehe auch S. 228 ff. für die Erörterung der kleineren Entscheidungseinheiten, die den Kern der Entscheidungstätigkeit nach Sartori in sich konzentrieren und von ihm „committees“ genannt werden. 81 Klassisch Rousseau, Du Contrat Social, L. III, Ch. XV, S. 251 f.: „La Souveraineté ne peut être réprésentée, par la même raison qu’elle ne peut être aliénée; elle consiste essenciellement dans la volonté générale, et la volonté ne se réprésente point: elle est la même, ou elle est autre; il n’y a point de milieu. Les députés du people ne sont donc ni ne peuvent être ses réprésentans, ils ne sont que ses commissaires; ils ne peuvent rien conclurre définitivement. Toute loi que le Peuple en personne n’a pas ratifiée est nulle; ce n’est point une loi. Le peuple Anglois pense être libre; il se trompe fort, il ne l’est que durant l’élection des membres du Parlement; sitôt qu’ils sont élus, il est esclave, il n’est rien. Dans le courts momens de sa liberté, l’usage qu’il en fait mérite bien qu’il la perde“. 82 Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 344 f., für das Verständnis der Rechtserzeugung im Sinne von Arbeitsteilung. 83 Gusy, Demokratische Repräsentation, in: Zeitschrift für Politik, Bd. 36 (Heft 3), S. 269, formuliert es folgendermaßen: „Herstellung von Handlungsfähigkeit erfolgt so durch Exklusion […]“; auf Parlamente bezogen, Badura, Die parlamentarische Demokratie, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Rn. 5. 84 In diesem Sinne Kimme, Das Repräsentativsystem, S. 137 f.; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 143. Auf den Begriff der Repräsentation wird im vierten Kapitel zurückzukommen sein.

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1. Kap.: Die Frage nach der demokratischen Legitimation

menhangs. In diesem ersten Sinne erfordert demokratische Legitimation die Errichtung eines Vermittlungsverhältnisses zwischen dem Volk und der unmittelbaren Ausübung von Herrschaft, welches diese Kluft zu überbrücken und eine Verselbständigung der unmittelbar herrschaftsausübenden Instanzen zu verhindern vermag85. Nach dieser Auffassung ist das Kernproblem der demokratischen Legitimation mit der Frage der Repräsentation verbunden; sie erfordert die Beschreibung eines (institutionellen) Kanals, welcher zwischen Volk und der Entscheidung über politische Gestaltung trotz Dazwischentreten repräsentativer Instanzen vermittelt und durch den das Volk seine Subjektqualität gegenüber Herrschaft zurückerlangen kann. Gerade in diesem Sinne wird die Frage nach der demokratischen Legitimation in der deutschen Verfassungstheorie und -dogmatik überwiegend behandelt. In seiner klassischen Formulierung muss die Ausübung von Herrschaft oder Staatsgewalt – im Sinn der Herstellung eines Legitimations- und Verantwortungszusammenhangs86 – allgemein auf das Volk rückführbar sein87. Diese Funktion erfüllen konkret die Legitimationsmodi; durch formelle Kanäle, die die ausgeübte Herrschaft plausibel aus dem Volk herleiten, wird ein adäquates Legitimationsniveau der Staatsgewalt erreicht.

D. Entscheidungseinheit als Vermittlung zwischen Individuum und Kollektiv Die eben erörterte erste Variante der Frage nach Bildung einer Entscheidungseinheit im Kontext der Demokratie, die sich auf die Ausübung von Herrschaft durch repräsentative Instanzen bezog, kann durch eine zweite ergänzt werden. Es handelt sich dabei um das Problem, wie eine Entscheidungseinheit in der Demokratie nicht mehr aus dem Volk als Kollektiv, sondern aus den einzelnen Individuen bzw. deren Mitwirkung als Mitglieder des Volks, produziert werden kann. Dabei wird lediglich eine Akzentverschiebung vorgenommen, denn es ist offensichtlich, dass auch bei der Erörterung einer Entscheidung des Volks als Kollektiv letztendlich immer Ent85 Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 16 ff. Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 183, 193 bezeichnet das Problem der Verselbständigung als „strukturelles Problem“ der repräsentativen Demokratie; so auch bei Petersen, Demokratie als teleologisches Prinzip, S. 16. Grimm, Politische Parteien, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, Bd. I, Rn. 6. 86 Möllers, Gewaltengliederung, S. 48 ff.; Dreier, Art. 20 (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 109 ff.; Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, Rn. 19. 87 Sommermann, Demokratiekonzepte im Vergleich, in: Bauer/Huber/Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, S. 203, beschreibt die deutsche Konstruktion als ein „mehrschichtiges Ableitungssystem“, in dem „die persönliche Legitimation der Amtswalter und die sachliche Legitimation der Amtstätigkeit, typischerweise vermittelt durch ununterbrochene Legitimationsketten bzw. Gesetzesbildung und Weisungsabhängigkeit, im Mittelpunkt stehen“.

D. Entscheidungseinheit als Vermittlung zwischen Individuum und Kollektiv

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scheidungen von Menschen für das bzw. in diesem Kollektiv gemeint sind88. Eine Ergänzung stellt diese Problematik, in der nach der expliziten Rolle des Individuums gefragt wird, trotzdem dar; oft setzt nämlich die Auseinandersetzung mit der Herstellung kollektiver Entscheidungsfähigkeit nur bei den Mechanismen der Einheitsbildung an, während die Mitwirkung des Individuums als eigenständiges Moment komplett ausgeblendet wird89. Diese zweite Frage zielt damit gerade auf die Schnittstelle zwischen Individuum und Kollektiv bzw. zwischen den individuellen und den letztendlich über die Herrschaftsausübung bestimmenden kollektiven Entscheidungen; kollektive Entscheidungen – so könnte man das Verhältnis zwischen beiden Varianten der Problematik auch formulieren – sind notwendigerweise immer auf individuelle zurückzuführen90. Eine erste Möglichkeit zur Bestimmung des Verhältnisses zwischen Individuum und Kollektiv ist die der formellen Teilhabe. Dabei geht es um die Frage, welche Individuen zum Volk als dem Subjekt der Herrschaft gehören91. Die Kriterien der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft, die sich im Verfassungsstaat zu Regeln der Staatsangehörigkeit verdichten, bestimmen die Mitgliedschaft von Individuen zu den jeweiligen Staaten und definieren abstrakt politische Mitwirkungsmöglichkeiten. Diese Art von Teilhabe bezieht sich hauptsächlich auf die Differenzierung zwischen „innen“ und „außen“; mit dem anerkannten Status der Mitgliedschaft sind in einer Demokratie Mitwirkungsrechte an der politischen Entscheidungsfindung verbunden92. Wird das Verhältnis zwischen Volk und Individuum in dieser Weise verstanden, so besteht das demokratische Volk, welches über Herrschaft entscheidet, aus der Summe der Mitglieder der als Staat organisierten 88

Möllers, Die drei Gewalten, S. 71 f.; ders., Gewaltengliederung, S. 52. Kotzur, Die Demokratiedebatte in der deutschen Verfassungsrechtslehre, in: Bauer/ Huber/Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, S. 358 f. 90 In Zusammenhang mit Repräsentation thematisieren diese Problematik Hofmann/Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Rn. 17: „Demokratische Identität als Kern- und Bezugspunkt demokratischer Repräsentation läßt sich nicht in einer höheren Seinsebene oder einem Wertehimmel jenseits der Einzelwillen verankern, sondern muß aus ihnen gewonnen, von ihnen abgeleitet werden“. Für den verfassungsdogmatischen Kontext von Art. 20 Abs. 2, Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 494. Ambivalenter Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 4, 9; ders., Mittelbare/repräsentative Demokratie als eigentliche Form der Demokratie, in: Müller/Rhinow/Schmid/Wildhaber (Hrsg.), Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel, S. 306, der von der Existenz sowohl eines Kollektiv- wie auch eines Individualwillens ausgeht („Die Erfahrung bestätigt, daß der Volkswille keineswegs eine bloß gedankliche Fiktion darstellt, sondern als reale Größe, auch als reale politische Größe, vorhanden ist, wenngleich er nicht losgelöst und unabhängig von den Einzelwillen besteht“). 91 Damit ist das Problem angesprochen, dass das Volk als Subjekt der Herrschaft nicht mit dem Volk als Objekt der Herrschaft übereinstimmt; dazu Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 16 ff. 92 Dazu Dreier, Präambel, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I, Rn. 67; Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 4, Rn. 1. 89

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1. Kap.: Die Frage nach der demokratischen Legitimation

politischen Gemeinschaft bzw. deren individuellen Mitwirkungsrechten. Bezogen auf die Bildung der Entscheidungseinheit präsentiert sich die Beziehung zwischen Volk und Individuum als reine Form: Die Existenz eines Mitwirkungsrechts, also die allgemeine Möglichkeit der Mitwirkung, begründet schon den entscheidenden demokratischen Zusammenhang im Sinne der Bildung der Entscheidungseinheit Volk93. Gerade mit Blick auf die demokratische Selbstbestimmung kann – eigentlich, sollte – dieses Verhältnis (auch) die materiale Dimension der Entscheidungstätigkeit einbeziehen, d. h. die Frage nach der politischen Gestaltung formulieren, die durch die getroffene Entscheidung vorgenommen wird. In dieser Variante der Frage ist das wesentliche Moment nicht (nur) die Teilhabe an den jeweiligen Verfahren der kollektiven Willensbildung; Sinn dieser Teilhabe erklärt sich vielmehr daraus, dass gewisse Interessen und Gestaltungspräferenzen durch die jeweiligen Mitwirkungs-, also Abstimmungs- oder Wahlrechte zum Ausdruck gebracht werden. Im Sinne der genannten Berücksichtigung der individuellen Mitwirkung sind es die einzelnen Glieder einer politischen Gemeinschaft, die im Rahmen einer Wahl oder Abstimmung zwischen den zur Verfügung stehenden politischen, material verschiedenen Alternativen eine Entscheidung treffen und diese durch das jeweilige Mitwirkungsrecht auch zur Geltung bringen. Hieraus konstruiert sich die kollektive Entscheidung und folglich auch die demokratische Produktion von Herrschaft aus der Aggregation von diesen durch konkrete Interessen charakterisierten individuellen Präferenzen94. Die institutionell vermittelte demokratische, also kollektive Entscheidungsfindung enthält notwendigerweise ein Moment der Bündelung von gleichgesinnten politischen Präferenzen in den jeweiligen Verfahren95; die Vorstrukturierung im Sinne einer begrenzten Anzahl von politischen (Antwort-)Alternativen ermöglicht diese Bündelung. Die Verfahren der kollektiven Entschei93

In diesem Sinne Badura, Die parlamentarische Demokratie, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 30: Schon die Stimmabgabe impliziert, dass „legitimitätschaffende politische Freiheit“ ausgeübt wird. Vöneky, S. 183: „Die Stimmabgabe bei der Wahl zum Deutschen Bundestag bildet damit nach der Ausgestaltung des Grundgesetzes das wesentliche Element der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen“; ambivalent, Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater?, S. 26. 94 Zum Gegensatz zwischen Aggregation und Deliberation, die insbesondere für die USamerikanische Demokratietheorie von Bedeutung ist, siehe z. B. Mansbridge et al., The Place of Self-Interest and the Role of Power in Deliberative Democracy, in: The Journal of Political Philosophy, Bd. 18 (Heft 1), S.64 ff.; Owen, Democracy, in: Bellamy/Mason (Hrsg.), Political Concepts, S. 109. Präferenzen erscheinen hier im Rahmen demokratischer Verfahren vorstrukturiert, und zwar durch das politische Angebot; da sich dieses an der Summe der Mitglieder orientiert, ist das kollektive Moment in den durch individuelle Mitwirkungsrechte vermittelten Präferenzen bereits enthalten; für eine Auffassung von Präferenzen als nur den einzelnen Menschen betreffend Weale, Democracy, S. 155 ff. 95 Möllers, Gewaltengliederung, S. 47. Scheuner, Die Parteien und die Auswahl der politischen Leitung im demokratischen Staat, in: ders., Staatstheorie und Staatsrecht, S. 352, betont im Kontext der Bedeutung der Parteien, dass die einheitliche Staatswillensrichtung „im Ringen der verschiedenen Strömungen erst konstituiert wird“, womit der politischen Dimension der Dynamik Rechnung getragen wird.

D. Entscheidungseinheit als Vermittlung zwischen Individuum und Kollektiv

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dungsfindung haben somit auch die Funktion, individuelle, material verstandene Präferenzen auf die kollektive Ebene zu übermitteln, auf der sie dann Relevanz bei der materialen Bestimmung der Ausübung von Herrschaft erlangen (können). Die Ableitung von kollektiven Entscheidungen aus individuellen hat somit auch eine eigenständige, materiale Dimension; der weiter oben erörterte Zusammenhang zwischen Volk und Herrschaft sollte sich, aus dieser Perspektive, auch auf das einzelne Individuum erstrecken. Trotz der Einbeziehung des Individuums ist es offensichtlich, dass der Bezug dieser individuellen Präferenzen auf kollektive Entscheidungsfindung, somit auf die (Bedingungen der) Existenz einer Gemeinschaft, ihr einen besonderen Charakter verleiht. Der Anspruch auf kollektive Selbstbestimmung, der, genau wie die kollektive Entscheidung, immer nur aus den Mitgliedern der Gemeinschaft verstanden werden kann96, bezieht sich nicht auf die Bedingungen der Existenz des (isolierten) Individuums, welches die Präferenz äußert, sondern lässt sich nur aus seiner gemeinschaftlichen Existenz adäquat begreifen97. Das übliche Verständnis, dass demokratische und individuelle Selbstbestimmung sich decken, ist insofern verfehlt98: Das individuelle Ansetzen impliziert nicht, dass die durch das Mitwirkungsrecht geäußerte politische Präferenz ohne Weiteres die gemeinschaftliche Existenz tatsächlich gestalten wird99. Die für die konkrete Ausübung von Herrschaft bestimmenden Entscheidungen werden sich nicht unmittelbar aus den individuell geäußerten Präferenzen in Form eines reinen Vollzugs herleiten lassen, und zwar gerade, weil sich die kollektive Ebene von der individuellen im Zusammenhang der Entscheidungsfindung differenziert100 – darauf wurde schon im Rahmen der vertikalen Spaltung der politischen Gemeinschaft hingewiesen. Die allgemeine Richtung, die von den verschiedenen Präferenzen vorgebeben wird und den jeweiligen politischen Inhalt konstituiert, wird sich erst auf der Ebene der repräsentativen Instanzen zu konkreten Entscheidungen verdichten; genau an diesem Punkt, also in der Konkretisierung des allgemein vermittelten politischen Inhalts, setzt die Notwendigkeit 96

Möllers, Die drei Gewalten, S. 57 ff. Möllers, Die drei Gewalten, S. 72 f. 98 Besonders wirkmächtig in diesem Sinne die Frage, die Rousseau im Contrat Social, Livre I, Chapitre VI, S. 182, stellt: „Trouver une forme d’association qui défende et protege de toute la force commune la personne et les biens de chaque associé, et par laquelle chacun s’unissant à tous n’obéisse pourtant qu’à lui-même et reste aussi libre qu’auparavant?“ Für Deutschland und die grundgesetzliche Demokratie Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 25 f., für den sich Demokratie an Konsens und Übereinstimmung orientiert, weil nur in diesem Falle „berechtigterweise davon gesprochen werden kann, daß jeder nur sich selbst gehorcht“. Kritisch dazu Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 27 f. (siehe Fn. 71). 99 Möllers, Die drei Gewalten, S. 71. 100 Pawlik, „Selbstgesetzgebung der Regierten“: Glanz und Elend einer Legitimationsfigur, in: Joerden/Wittmann (Hrsg.), Recht und Politik, Beiheft 93 zum Archiv für Rechts- und Sozialphilosphie, S. 128. Klare Unterscheidung bei Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 321 ff. und Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff., mit der Analyse des Bedeutungswandels des Freiheitsbegriffs. Auch Kielmansegg, Volkssouveränität, S. 243. 97

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1. Kap.: Die Frage nach der demokratischen Legitimation

selbsthandelnder Organe an101. Die Differenzierung zwischen individueller und kollektiver Ebene stellt so, aus der Perspektive der konkreten Entscheidung über Herrschaft, auch eine Unterscheidung zwischen Allgemeinem und Konkretem dar, die den begrifflichen Überschuss des Kollektiven gegenüber der Summe des Individuellen zur Geltung bringt102. Ebenso wenig wie das Kollektive komplett aus dem Individuellen hergeleitet werden kann, lassen sich aber die in demokratischen Verfahren geltend gemachten individuellen Präferenzen und Interessen im Kollektiven auflösen; eine solche Auflösung würde nicht der Tatsache Rechnung tragen, dass Mitwirkungsrechte individuell ansetzen und insofern auch eine individuelle Entscheidung über die geäußerte Präferenz voraussetzen103. Insofern lässt sich für den Augenblick von einem diffusen, individuellen Anspruch auf Selbstbestimmung ausgehen, welcher durch das demokratische Mitwirkungsrecht vermittelt wird; auf diesen Punkt wird noch im fünften Kapitel zurückzukommen sein. Auf der Grundlage dieser Überlegungen soll die zweite Variante der Frage nach der Bildung einer Entscheidungseinheit erörtert werden. Auszugehen ist von der Struktur der kollektiven Entscheidungsfindung als Vermittlung und Übergang zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung im Sinn der Bündelung material definierter Präferenzen, die sich auf die Alternativen beziehen, die im Rahmen demokratischer Entscheidungsfindungsverfahren bestehen. Dies begründet die Annahme, dass die individuelle Mitwirkung, gerade wenn sie aus ihrem inhaltlichen Bezug gedeutet wird, eine zweite Form der Einheitsbildung begründet, nämlich die des Volks als materiale, weil bestimmte Präferenzen zum Ausdruck bringende Einheit. Der Sinn der individuellen Mitwirkung erschöpft sich aus dieser Perspektive nicht in der Form der Teilhabe an einem demokratischen Verfahren; die Teilhabe stellt vielmehr nur das Vehikel für die Übermittlung eines politischen, insofern material definierten Selbstbestimmungsanspruches dar. Als materiale, aus einem bestimmten (politischen) Inhalt verstandene Einheit kann das Volk in ein aktives Verhältnis zur Entscheidung über Herrschaft gesetzt werden; mit anderen Worten: Aus dem Inhalt konstituiert sich das Volk als Entscheidungseinheit und somit als Subjekt der Entscheidung über Herrschaft104. Schon die Bildung einer repräsenta101

So Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 11, mit Verweis auf Heller. Möllers, Die drei Gewalten, S. 81. 102 Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 325 ff. 103 Möllers, Die drei Gewalten, S. 80. 104 Die rechtliche Erfassbarkeit der materialen Dimension hängt davon ab, inwiefern die politische Differenzierung (die die horizontale Spaltung bewirkt) durch rechtliche Kategorien widergespiegelt werden kann. Vielversprechend erscheint dabei eine Auffassung, die rechtliche Kategorien als konkrete Verrechtlichungsphasen eines politischen Prozesses konzipiert, zwischen denen eine rechtlich nicht erfassbare politische Dynamik stattfindet. In diesem Sinne Kempen, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, Rn. 4: „Im verfassungstheoretischen Umgang mit ,Verfassung und Politik‘ muss ein spezifisch juristischer Ansatz demzufolge keineswegs blind sein für die politikwissenschaftlichen und soziologischen Leistungen auf diesem Feld“.

E. Funktion der individuellen Präferenz

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tiven Entscheidungseinheit in der typischen Form eines Parlaments muss aus dieser Perspektive erörtert werden: als eine individuell ansetzende, materiale Entscheidung über die Ausübung von Herrschaft105. Gerade aus diesem Grund wird für die vorliegende Analyse das Verhältnis zwischen Volk und Parlament, wie es aus dem individuellen Mitwirkungsrecht konstruiert werden kann, im Mittelpunkt stehen.

E. Funktion der individuellen Präferenz Der materiale Bezug der durch die Wahl- oder Abstimmungsrechte übermittelten Präferenz erklärt nicht nur die Unterscheidung der politischen Alternativen als inhaltliche Grundlage, auf der sich das Volk als Entscheidungseinheit bilden wird. Es ist gerade der inhaltliche Bezug, der die strukturelle Offenheit106 der Herrschaft in einer Demokratie begründet107. Demokratische Herrschaft integriert als definitorisches Merkmal die von ihr Beherrschten in sich selbst, in die eigene Produktion und im Besonderen in die eigene inhaltliche Bestimmung. Die grundlegende Bedeutung dieses Merkmals für die Frage nach der demokratischen Legitimation wurde bereits betont. Die Rolle des demokratischen Mitwirkungsrechts ist im Kontext einer Erörterung über die Bildung einer Entscheidungseinheit nur in Zusammenhang mit dieser Offenheit sinnvoll zu thematisieren, weil Demokratie ein strukturelles Verhältnis zwischen beiden herstellt: Dem Anspruch nach wirkt das Mitwirkungsrecht, also die dadurch geäußerte politische Präferenz, inhaltsbestimmend; aus dieser Bestimmung entfaltet sich das demokratische Rechtfertigungspotenzial im Sinne von Selbstbestimmung. Das Rechtfertigungsmoment ist somit strukturell an die Vermittlung der 105 So im Ansatz Gusy, Demokratische Repräsentation, in: Zeitschrift für Politik, Bd. 36 (Heft 3), S. 276: „Gewählt wird am ehesten derjenige, von welchem die Wähler glauben, daß er ihrem Meinungs- und Interessenspektrum am ehesten entspricht oder am wenigsten widerspricht“; auch S. 279 f. 106 Das ist besonders bildlich von Lefort, La question de la démocratie, in: Essais sur le politique, S. 27 f., zum Ausdruck gebracht worden, mit der Behauptung, Demokratie impliziere, dass „le lieu du pouvoir devient un lieu vide“ (S. 28, Hervorhebung im Original). Der Gegensatz richtet sich dabei gegen die (Form der) Monarchie, in der die Person des Monarchen Einheit in Form und Substanz bewirkt: „Le prince était un médiateur entre les hommes et les dieux, ou bien, sous l’effet de la sécularisation et de la laïcisation de l’activité politique, un médiateur entre les hommes et ces instances transcendantes que figuraient la souveraine Justice et la souveraine Raison. Assujetti à la loi et au-dessus des lois, il condensait dans son corps, à la fois mortel et immortel, le principe de la génération et de l’ordre du royaume. Son pouvoir faisait signe vers un pôle inconditionné, extramondain, en même temps qu’il se faisait, dans sa personne, le garant et le représentant de l’unité du royaume. Celui-ci se voyait lui-même figurer comme un corps, comme une unité substantielle, de telle sorte que la hiérarchie de ses membres, la distinction des rangs et des ordres, paraissait reposer sur un fondement inconditionné“. 107 Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, Rn. 3; ders., Gewaltengliederung, S. 47 f.

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1. Kap.: Die Frage nach der demokratischen Legitimation

inhaltlichen Präferenz durch die individuelle Mitwirkung gekoppelt108. Nur als sich stets eröffnender Raum einer material verstandenen politischen Freiheit109, als Möglichkeit eines bestimmten Maßes an individuellem Voluntarismus110, kann die individuelle Mitwirkung als Selbstbestimmung gedeutet werden. In Zusammenhang mit der Bildung einer Entscheidungseinheit folgt aus dieser Struktur der Herrschaftsproduktion eine zweite Form der demokratischen Spaltung. Die Berücksichtigung der konkreten, material verstandenen Präferenz artikuliert nämlich die Dynamik zwischen individuellen Präferenzen sowie zwischen diesen und der kollektiven Entscheidung als ein (mögliches) Spannungsverhältnis: Das Kollektive konstituiert sich auf der Grundlage einer Alternative, also eines bestimmten politischen Inhalts, welcher aber sogleich andere zur Verfügung stehende Inhalte ausschließt; aus dem Verhältnis zu diesen anderen Alternativen gewinnt die materiale Einheitsbildung die eigene politische Identität. Die Dynamik der kollektiven Einheitsbildung setzt somit die Möglichkeit von Dissens, also inhaltlicher Divergenz zwischen Individuen, voraus. Folglich besteht aber auch die Möglichkeit einer solchen Divergenz zwischen jeder individuellen und der kollektiven Entscheidung, konkreter: zwischen der in einer individuellen Entscheidung ausgedrückten Präferenz und der Präferenz, auf der letztendlich die kollektive Entscheidung beruht. Wenn sich demokratische Verfahren auf Grundlage der Merkmale der Vielfalt an politischen Alternativen111 sowie der individuellen Ansetzung der Mitwirkung strukturieren, ist eine solche inhaltliche Divergenz geradezu vorprogrammiert. Deshalb müssen zwei Probleme im Zuge der demokratischen Willensbildung gelöst werden. Einmal muss entschieden werden, welcher politische Inhalt, also welche der zur Wahl stehenden Alternativen, den Vorzug bekommen soll. Zweitens wird sich der mit dem Mitwirkungsrecht verknüpfte Anspruch auf Selbstbestimmung nur für diejenigen Individuen realisieren, die sich 108 Vgl. aber Petersen, Demokratie als teleologisches Prinzip, S. 20: „Die politischen Präferenzen der Bürger werden dabei nicht als feststehend oder exogen, sondern vielmehr als endogene, durch den politischen Prozess beeinflussbare Größen begriffen“, auch S. 22, wenn er über „Unparteilichkeit“ bezüglich der eigenen (!) Präferenzen spricht. Der politische Prozess wirkt insofern als eine Form der Kollektivierung und somit der Homogenisierung individuell strukturierter Präferenzen. Das ist ein üblicher Zug der deliberativen Demokratietheorie, siehe z. B. Cohen, Deliberation and Democratic Legitimacy, in: Bohman/Rehg (Hrsg.) Deliberative Democracy, insb. S. 75 ff. 109 In diesem Sinne Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 15 ff., wobei er zwischen Freiheit der Bürger (Rn. 15) und Freiheit des Volkes (Rn. 17) nicht unterscheidet bzw. diese aus jener herleitet (Rn. 16); damit wird die eben behandelte grundlegende Differenzierung zwischen Individuum und Kollektiv verwischt. 110 Möllers, Die drei Gewalten, S. 69. 111 Vielfalt ist eine Voraussetzung politischer Freiheit, die sich in der Entscheidung für eine bestimmte Präferenz äußert; so Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 40. Sie ergibt sich aber aus der politischen Dynamik, und nicht aus dem normativen Gehalt der Verfassung. Fehlende inhaltliche Alternativen sind in erster Linie ein politisches Problem, welches zu einem verfassungsrechtlichen werden kann.

E. Funktion der individuellen Präferenz

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für die politische Alternative entscheiden, die letztendlich den Vorzug bekommt112. Das bereits erwähnte Spannungsverhältnis zeigt sich an diesem Punkt in aller Deutlichkeit: Unter den Bedingungen politischer Freiheit hängt die Möglichkeit der Bildung einer Entscheidungseinheit aus dem Volk im materialen Sinne strukturell von einer individuell ansetzenden, internen Differenzierung durch die Bevorzugung bestimmter Präferenzen gegenüber anderen ab. Damit erscheint ein gleichmäßiger und undifferenzierter Bezug auf die Idee der Selbstbestimmung als Rechtfertigungsgrund der Demokratie auf individueller Ebene aber grundsätzlich fraglich113. Typischerweise lässt sich das erste angedeutete Problem der demokratischen Produktion von Herrschaft, also die inhaltliche Bestimmung der kollektiven Entscheidung im Kontext politischer Vielfalt, durch das Mehrheitsprinzip lösen: Die Alternative, die von den meisten Wahl- oder Abstimmungsberechtigten unterstützt wird, zählt als kollektive Antwort auf die im Rahmen der demokratischen Verfahren gestellte Frage114. Einerseits bestätigt diese Regel die Bedeutung der inhaltlichen Dimension für die demokratische Entscheidungsbildung, denn das Mehrheitsprinzip operiert auf einer inhaltlichen Grundlage: Mehrheit und Minderheit(en) konstituieren sich als Quantifizierung115 der Unterstützung von politischen Alternativen, die 112 Vgl. Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 32, der dieses Spannungsverhältnis durch die Notion des „demokratischen Grundkonsenses“ aufzulösen versucht, indem dieser „ein grundlegendes Einverständnis über die Bedingungen des Zusammenlebens im Sinne eines einigenden Bandes zwischen den Individuen und einer gemeinschaftlichen Vorstellung vom guten und gerechten Leben“ widerspiegeln soll, auch wenn weiter unten diesem Grundkonsens Offenheit und „Ermöglichung von Pluralität und Heterogenität“ attestiert wird. Auch in diese Richtung Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 190. 113 Insbesondere Mouffe, The Democratic Paradox, S. 2 ff., insb. 4, mit Verweis auf Schmitt, S. 39 ff., konzipiert Demokratie als Spannungsverhältnis zwischen den entgegengesetzten Logiken von Demokratie und Liberalismus; dieses findet für sie im Sinne von verschiedenen strukturierenden Prinzipien für die politische Gemeinschaft statt. Das Spannungsverhältnis, wie es hier rekonstruiert wird, ist dagegen intern demokratisch: Es hängt von der Rekonstruktion des Volks gemäß der demokratischen Idee als Summe freier und gleicher Menschen ab. Dass dieses Verständnis des Spannungsverhältnisses individuell ansetzt begründet sicherlich einen Bezug zum Liberalismus. Damit ist aber gerade die unerlässliche Bestimmung vollzogen, was als Volk zu gelten hat, wenn es als entscheidendes Kollektiv konstruiert werden soll; dass diese Konstruktion inhärent politisch ist, betont Mouffe selbst (S. 55 ff.). Insofern ist die individuelle Rekonstruktion sicherlich keine politisch notwendige, im Sinne der konkreten institutionellen demokratischen Ausgestaltung (individuelle Mitwirkungsrechte) sollte sie aber zumindest den Anfangspunkt jeder Analyse darstellen. 114 Vöneky, S. 190, meint, das Mehrheitsprinzip sei ein „notwendiges Element“ für die praktikable Ausübung von Staatsgewalt durch den Bundestag. In diese Richtung auch Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 647, wenn er meint, das Mehrheitsprinzip und das „Verfassungsgebot der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments“ begrenzen „die Gleichheitsanforderungen“, wobei er diese Begrenzung (nur) auf die parlamentarische Willensbildung bezieht; Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 40. 115 „Verhältnisbestimmung zwischen Zahlengruppen“, so Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 40.

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1. Kap.: Die Frage nach der demokratischen Legitimation

sich nur aus der Perspektive ihrer politischen Bedeutung voneinander differenzieren lassen. Andererseits zeigt das Mehrheitsprinzip die Dynamik der demokratischen Entscheidungsfindung: Die Konstitution des Volks als Entscheidungseinheit steht und fällt mit einer Regel, die die inhaltliche Divergenz auf individueller Ebene aufhebt und somit gerade in materialer Hinsicht einen Anknüpfungspunkt für die Ausübung von Herrschaft bilden kann116. Als Entscheidungsmechanismus unter Bedingungen von Gleichheit ist die Mehrheitsregel insofern schlechthin konstitutiv für die Entscheidungsfähigkeit des Volks117. Der Preis der Bildung dieser Entscheidungseinheit ist also eine Teilung der politischen Gemeinschaft118 in Mehrheit und Minderheiten119. Dabei stellt die Berücksichtigung der materialen Dimension und der daraus folgenden zweiten, horizontalen Spaltung eine von repräsentativer Entscheidungstätigkeit über Herrschaft unabhängige Problematik dar. Das Auseinanderfallen von individueller Präferenz und kollektiver Entscheidung ist keine Folge der Übertragung von Entscheidungsbefugnissen an bestimmte Organe, die mit der unmittelbaren Entscheidungskompetenz über Herrschaft betraut wurden; gerade in nicht-repräsentativen Formen der Herrschaftsausübung kommt sogar die inhaltliche Divergenz unmittelbarer zum Ausdruck. Aber natürlich gilt auch für Entscheidungen über repräsentative Instanzen die horizontale Spaltung: Die Präferenzen, die die Zusammensetzung der Instanzen betreffen und die dann unmittelbar bezüglich der Ausübung von Herrschaft, typischerweise als Rechtsetzung, umgesetzt werden, somit also in die vertikale Spaltung einfließen, sind das Ergebnis einer inhaltlichen Differenzierung von Gruppen innerhalb der politischen Gemeinschaft120. Als inhaltliches Moment weist die Präferenz also eine direkte Verbindung zu jedem Kontext auf, 116 Lepsius, Rechtswissenschaft in der Demokratie, in: Der Staat, Bd. 52, S. 169: „Die Demokratie setzt Mehrheit und Minderheit voraus“. 117 Durch diesen Verweis auf einen Entscheidungszwang lässt sich das Mehrheitsprinzip als Konstitutionsprinzip der (grundgesetzlichen) Demokratie definieren; dazu, m. w. N., Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 25.; Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 645. 118 Darauf macht auch Roellecke, Souveränität, Staatssouveränität, Volkssouveränität, in: Staat – Souveränität – Verfassung, Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag, S. 28, aufmerksam. In diese Richtung auch der Gegensatz zwischen Konsens- und Mehrheitsprinzip bei Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 25. Vgl. Unruh, Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, S. 466 ff., der meint, dass sich das Mehrheitsprinzip vor allem durch den sich im Selbstbestimmungsrecht konkretisierenden Autonomiegedanken der Freien und Gleichen rechtfertigen lässt. 119 Aus dieser für die politische Einheitsbildung zentralen Perspektive ist es also nicht „das Volk“, welches herrscht. Die klassische Formulierung des Sachverhalts bezieht sich aber immer noch auf das Volk als Ganzes. So z. B. Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 190, wenn sie meint, nur die Mehrheit und Minderheit zusammen würden die Entscheidung des Volks darstellen. 120 Ähnlich in der Struktur einer horizontalen und vertikalen Dimension der demokratischen Interaktion, Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 21.

F. Die Frage nach der demokratischen Legitimation

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in dem verschiedene Antwortmöglichkeiten auf eine Frage vorhanden sind; sei es, dass sich diese Antworten auf eine sachliche oder auf eine Entscheidung über Personen beziehen.

F. Die Frage nach der demokratischen Legitimation Die Dynamik der Einheitsbildung aus der Perspektive der sich institutionell vollziehenden kollektiven Entscheidungsfindung bringt die Problematik der demokratischen Legitimation in besonderer Schärfe zum Ausdruck: Es geht nicht um das Problem des Treffens von politischen Entscheidungen, welches sich auf einer ideellen Grundlage vollzieht, deren normative Bezugspunkte sich aber schon strukturell an der Überwindung von Differenzen und Betonung einer gemeinsamen Grundlage orientieren; gerade in der für die letzten Jahrzehnte maßgeblichen deliberativen Variante der Demokratietheorie erfüllt das diskursive, deliberative Moment nämlich die konkrete Funktion, Meinungsverschiedenheiten vernünftig zu modellieren und somit scharfe Spannungen zu entschärfen oder aber sie aus dem diskursiven Kontext zu rechtfertigen, aus dem sie entstanden sind121. Die institutionelle Perspektive, deren Aufmerksamkeit hauptsächlich der Entscheidungsfindung durch Teilnahme an geordneten Verfahren mit den jeweiligen Mitwirkungsrechten und vorgegebenen, begrenzten Alternativen gilt, konzipiert dagegen schon die Möglichkeit einer kollektiven Einheitsbildung nur als Folge einer internen Differenzierung, die sich auf die Inhalte bezieht, zu denen sich diese Einheitsbildung reflexartig vollziehen wird. Sie rekonstruiert die Entscheidungsfindung aus der Perspektive des Volks primär aus den durch die Mitwirkungsrechte geäußerten Präferenzen als wesentlichem Moment. Dadurch gewinnen die individuellen Präferenzen eine grundlegende Rolle bei der Bestimmung der demokratischen Legitimation; diese bezieht sich grundsätzlich auf jene als feste Größe, und d. h. ohne Umstrukturierung im Zuge kollektiver Entscheidungsfindung122. Insbesondere hat 121 Von besonderer Bedeutung in der gegenwärtigen Demokratietheorie ist die ideelle Grundlage der Deliberation; dazu Habermas, Faktizität und Geltung, passim, insb. S. 139 ff.; Gutman/Thompson, Why Deliberative Democracy, insb. Chap. 1; für einen Überblick und gleichzeitig einen Versuch, die Momente der Eigeninteressen und Macht- bzw. Herrschaftsverhältnisse in das deliberative Modell zu integrieren, Mansbridge et al., The Place of SelfInterest and the Role of Power in Deliberative Democracy, in: The Journal of Political Philosophy, Bd. 18 (Heft 1). 122 In diesem Sinne aber Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 33 ff. Auch die deliberative Theorie geht von einer Elastizität von Präferenzen aus, auf die gerade der politische Diskurs einwirken soll; so Habermas, Faktizität und Geltung, S. 223; Mansbridge et al., The Place of Self-Interest and the Role of Power in Deliberative Democracy, in: The Journal of Political Philosophy, Bd. 18 (Heft 1), S. 66 ff. Für eine Diskussion, die die Elastizität von Präferenzen voraussetzt und lediglich die Rolle der Regierungen auf diese thematisiert, Sunstein, Democracy and shifting preferences, in: Copp/Hampton/Roemer (Hrsg.), The Idea of Democracy.

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1. Kap.: Die Frage nach der demokratischen Legitimation

Mouffe, im Kontext der agonalen Demokratietheorie123 und gerade im Rahmen einer grundsätzlichen Kritik deliberativer Theorien, das Moment der Differenzierung als Voraussetzung der Einheitsbildung des Volks hervorgehoben124. Agonale Theorien zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie das Konfliktmoment in der politischen Auseinandersetzung betonen und insbesondere grundlegende Normen auch im Sinne eines möglichen Objekts von politischem Konflikt interpretieren125. Daraus ergibt sich jedoch eine gewisse Vernachlässigung der Behandlung von Fragen, die sich mit institutionellen Einrichtungen und Strukturen der Einheitsbildung beschäftigen126 ; dadurch kann gerade eine zugespitzte Formulierung des Gegensatzes zwischen Einheit und Dissens bzw. Divergenz, wie sie hier als theoretische Folie verwendet wird, nicht thematisiert werden. In diesem Kontext der kollektiven Entscheidungsfindung bzw. institutionellen Einheitsbildung, welcher sich als Spannungsverhältnis zwischen Einheit und Divergenz präsentiert, versetzt demokratische Mitwirkung das Individuum neben seiner allgemeinen Rolle als Untertan auch in eine vor allem durch Ungewissheit definierte aktive Position in Bezug auf Herrschaft. Ob die bevorzugte Präferenz tatsächlich für die Entscheidungsfindung relevant wird, kann sich erst auf der kollektiven Ebene zeigen, d. h. auf einer Ebene, auf der das Individuum durch die Wahrnehmung der ihm eingeräumten Mitwirkungsmöglichkeiten keinen Einfluss mehr hat. Wegen der Formalisierung dieser Mitwirkung spielt auch die Intensität, mit der die jeweilige Person ihre Präferenz unterstützt, bei der Entscheidung über Mehrheit oder Minderheit überhaupt keine Rolle. Das ist auch im Lichte der regulativen Idee der strikten Gleichheit127, nach der die demokratischen Verfahren modelliert werden, grundsätzlich unproblematisch. Eine zentrale Rolle spielt aber die 123

Zur agonalen Demokratietheorie und deren Hauptvertreter Westphal, Die Normativität agonaler Politik, insb. S. 84 ff. 124 The Democratic Paradox, passim, insb. S. 48: „However, if we accept Schmitt’s insight about the relations of inclusion-exclusion which are necessarily inscribed in the political constitution of ,the people‘ – which is required by the exercise of democracy – we have to acknowledge that the obstacles to the realization of the ideal speech situation – and to the consensus without exclusion that it would bring about – are inscribed in the democratic logic itself.“ 125 Michelsen, Agonaler Konstitutionalismus? Zum Verhältnis von Politik und Recht in der agonalen Demokratietheorie, in: Zeitschrift für Politik, 65. Jg., (Heft 2), S. 150, m. w. N. 126 Im Sinne eines „institutionellen Defizits“ Westphal, Die Normativität agonaler Politik, S. 88 ff.; differenzierend Michelsen, Agonaler Konstitutionalismus? Zum Verhältnis von Politik und Recht in der agonalen Demokratietheorie, in: Zeitschrift für Politik, 65. Jg. (Heft 2). 127 Für die Analyse von Sartori in Theory of Democracy Revisited spielt, wie schon weiter oben gesehen wurde, der tatsächliche (politische) Entscheidungsprozess in einer Demokratie eine zentrale Rolle. Wenig überraschend sieht er, S. 225, die Gleichstellung von Präferenzen, unabhängig von der Intensität, mit der sie unterstützt werden, als eine Fiktion („a very thin and unrealistic stipulation: Let us pretend that preferences are equal in their intensity“). Für eine Erörterung des Problems, die zwischen individueller und kollektiver Ebene differenziert, und für die das grundlegende analytische Moment der Übergang zwischen beiden durch die institutionelle Übermittlung von individuell strukturierten Präferenzen gegeben ist, hat dagegen die Frage nach der Intensität keine Relevanz.

F. Die Frage nach der demokratischen Legitimation

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Tatsache, dass diese Ungewissheit gerade für die Möglichkeit einer starken Differenzierung zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung steht. Denn die Wahrnehmung des individuellen Mitwirkungsrechtes, also dieser für demokratische Legitimation grundlegenden Kompetenz, kann die Ungewissheit nicht beseitigen: Die individuelle Position ist im Rahmen demokratischer Verfahren strukturell an Ungewissheit gekoppelt. Die geschilderte Dynamik der demokratischen Entscheidungsfindung ermöglicht es, die Frage nach der demokratischen Legitimation präziser zu definieren: Demokratische Legitimation setzt sich mit dem Problem auseinander, wie sich die Ausübung von Herrschaft rechtfertigen lässt, wenn die individuelle Position von struktureller Ungewissheit hinsichtlich der Möglichkeit der tatsächlichen Mitentscheidung geprägt ist. Eine Theorie der demokratischen Legitimation, die sich mit dieser Dimension des Problems beschäftigt, sollte eine Antwort darauf geben können, wie eine demokratische Ordnung Rechtfertigungspotenzial entfalten kann – trotz der inhärenten Möglichkeit eines Auseinanderfallens der von konkreten Individuen bevorzugten Präferenzen und dem Inhalt der kollektiven Entscheidung128. Im Sinne einer spezifisch demokratischen Rechtfertigung soll aber dabei der positive Bezug zur Mitbestimmung von Herrschaft erhalten bleiben: Nur dadurch kann der grundlegende Bezug zur Idee der Selbstbestimmung weiterhin Bestand haben. Durch die Beschreibung der Grundbedingungen der Produktion von Herrschaft aus den einzelnen Mitgliedern einer politischen Gemeinschaft und die Berücksichtigung der materialen Dimension dieses Vorgangs lässt sich auch die bereits weiter oben gestellte Frage beantworten: Die Dimension der demokratischen Legitimation bzw. Rechtfertigung hat einen eigenständigen analytischen Wert gegenüber dem der demokratischen Einheitsbildung, also der Entscheidungsfindung über Herrschaft. Anders ausgedrückt: Die Bedingungen der (individuellen) Legitimation demokratisch produzierter Herrschaft gehen in den Bedingungen der Erzeugung eines (materialen) kollektiven Willens nicht auf. Der zentrale Zusammenhang scheint dabei zwischen demokratischer Legitimation und individueller Präferenz zu bestehen; jene wird grundsätzlich nur aus dieser konstruiert werden können, trotz 128

Vöneky, S. 154 ff., behandelt diese Problematik im Rahmen der individuellen Rechtfertigungen der Demokratie. Für den Fall einer fehlenden materialen Übereinstimmung sieht sie die Rechtfertigung gerade darin, dass das Verfahren, in dem eine Entscheidung getroffen wurde, die für den einzelnen Menschen anders ausgefallen ist als gewollt, „Begründungen bereitstellen kann, die von jedem Bürger akzeptiert werden könnte“ (S. 154). Genau das impliziert jedoch eine Verschiebung der Bedingungen der spezifisch demokratischen Rechtfertigung. Eine allgemeine Begründbarkeit folgt, auf dieser Abstraktionsebene, gerade nicht aus der demokratischen Form, sondern könnte in jeder Herrschaftsform präsent sein. Das, was Demokratie ausmacht, ist der individuelle Anspruch auf Mitwirkung bei der Willensbildung, und nicht ein allgemeiner Anspruch auf rationale Herrschaftsausübung (dazu Möllers, Gewaltengliederung, S. 37 f.). Auf der anderen Seite ist sie sich der Spezifität der demokratischen Rechtfertigung bewusst, wenn sie auf S. 162 von der Output-Legitimation als „Legitimation der Demokratie“ im Gegensatz zur „demokratischen Legitimation“ schreibt (Fn. 141). Sie bezieht jedoch das demokratische Prinzip im GG auf den „funktionalen Kontext“ einer Werte- und Prinzipienordnung, und entwickelt daher ein instrumentelles Verständnis von Demokratie (S. 165 f., 195).

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1. Kap.: Die Frage nach der demokratischen Legitimation

struktureller Ungewissheit. Sie sollte sich vor allem darin zeigen, dass die individuell geäußerte Präferenz, wenn nötig, gegen die sich auf kollektiver Ebene durchsetzende politische Alternative bis zu einem bestimmten Maße immunisiert wird129. Gerade in dieser Hinsicht kann das Recht Demokratie als politische Form ermöglichen130. Diese Selbständigkeit der individuellen Position ergibt sich nicht zuletzt aus der Tatsache, dass gerade sie für das jeweilige Individuum als Maßstab für die Rechtfertigung von Herrschaft gelten soll; sie ist eine direkte Folge des eigenständigen Werts des Individuums im Rahmen des kollektiven Entscheidungsverfahrens. Insofern strukturiert sich demokratische Legitimation aus zwei analytisch zu unterscheidenden Momenten: einem Formelement im Sinne eines individuellen Anspruchs auf Rechtfertigung und einem materialen Moment im Sinne der Möglichkeit der Vermittlung eines Interesses, also einer Gestaltungspräferenz, die die inhaltliche Bestimmung von Herrschaft mittragen kann. Die spezifisch demokratische Legitimation setzt sich notwendigerweise aus diesen beiden Momenten zusammen: Weder die Formalisierung der (unter sich verschiedenen) Inhalte im Sinne der Teilnahme am politischen Diskurs, wie es bei den deliberativen Theorien geschieht, noch die Substanzialisierung des Individuums, also der individuellen Form (vgl. Kapitel drei), sind insofern in der Lage, die hier als spezifisch demokratische Legitimation charakterisierte Rechtfertigung zu entfalten. Damit ist die theoretische Grundlage für die vorliegende Untersuchung gelegt, die für die vorliegende Arbeit eine doppelte Rolle spielt. Sie setzt den Rahmen für die Auseinandersetzung mit dem Problem der demokratischen Legitimation auf verfassungstheoretischer Ebene; diese wird vor allem im fünften Kapitel fortgeführt werden. Die verfassungstheoretische Formulierung des Problems dient aber auch als Grundlage für die Diskussion der grundgesetzlichen Dogmatik demokratischer Legitimation. Für diese Analyse bietet sich insbesondere eine geschichtliche Darstellung der Verständnisse von zwei Elementen an, die für das herrschende Verständnis der grundgesetzlichen Demokratie eine zentrale Rolle spielen: Entscheidungstätigkeit über Herrschaft (bzw. Souveränität) auf der einen, und Volk auf der anderen Seite. Die geschichtliche Skizze soll insbesondere zeigen, wie der Gehalt beider Elemente stark vom Begriff des Staates beeinflusst wird, sodass auch die grundgesetzliche Demokratie eigentlich nur aus dem Begriff des Staates verstanden werden kann; dadurch werden jedoch bedeutende begriffliche Dynamiken der Demokratie verwischt. Es gilt jetzt, diese Zusammenhänge zu analysieren; zunächst soll im nächsten Kapitel gezeigt werden, wie die Entwicklung der theoretischen Re-

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Möllers, Gewaltengliederung, S. 56 f. In diese Richtung die Auffassung von Mouffe, The Democratic Paradox, S. 10, der liberalen, auf das Rechtliche bezogenen Komponente der modernen Demokratie: „By constantly challenging the relations of inclusion-exclusion implied by the political construction of ,the people‘ – required by the exercise of democracy – the liberal discourse of human rights plays an important role in maintaining the democratic contestation alive“. 130

F. Die Frage nach der demokratischen Legitimation

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konstruktion der Entscheidungstätigkeit über Herrschaft, und somit der Entscheidungseinheit, diese allmählich formalisiert, bis ihre materiale Dimension komplett ausgeblendet wird.

2. Kapitel

Die Entwicklung des Begriffs der Souveränität in Deutschland Im ersten Kapitel wurde die Frage nach der demokratischen Legitimation, wie sie Objekt dieser Untersuchung sein wird, definiert. Dabei wurden vor allem zwei zentrale Zusammenhänge für die Demokratie identifiziert: Ein erster notwendiger Zusammenhang besteht zwischen Produktion und Rechtfertigung von Herrschaft. Auch wenn, wie im ersten Kapitel schon gesehen, beide Fragen analytisch eigenständig zu behandeln sind, sind beide auf Verfahren der kollektiven Entscheidungsfindung bezogen, in denen sie verwirklicht werden. Dieser Bezug ist für die Frage nach der demokratischen Legitimation konstitutiv: Grundannahme des hier verfolgten Ansatzes ist, dass mit der Frage nach den Gründen einer (demokratischen) Rechtfertigung von Herrschaft zwangsläufig die Frage nach der Entscheidungsfähigkeit einhergeht. Die Frage nach der demokratischen Legitimation von Herrschaft setzt die Frage voraus, inwiefern das Volk bei der Produktion dieser Herrschaft eine aktive Rolle innehatte, sodass diese auf eine positive Entscheidungstätigkeit des Volks zurückgeführt werden kann. Eine zentrale Rolle, die sich aus der Idee der Selbstbestimmung ergibt, spielt dabei die Möglichkeit, das Volk als materiale Entscheidungseinheit konzipieren zu können, also als Herrschaft im inhaltlichen Sinne steuernd. Im zweiten bedeutenden Zusammenhang wurde diese Dimension der Frage auf das Verhältnis zwischen Individuum und Volk, also Kollektiv, bezogen; schließlich sind es, institutionell gesehen, immer die einzelnen Glieder einer demokratischen Gemeinschaft, die zwischen verschiedenen politischen Alternativen eine Auswahl treffen und somit die material definierte, kollektive Entscheidungseinheit aggregativ konstituieren. Da insofern für die vorliegende Arbeit, im Sinne des ersten erwähnten Zusammenhangs, die Entscheidungsfähigkeit bezüglich der Ausübung von Herrschaft eine zentrale Rolle spielt, bietet es sich an, sich mit diesem Problem näher auseinanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung wird anhand der geschichtlichen Entwicklung dieser Problematik in Deutschland erfolgen und wird den schon im ersten Kapitel thematisierten Begriff der Souveränität miteinbeziehen. Einerseits können so theoretische Rekonstruktionen konkreter, praktisch wirksamer Entscheidungstätigkeit über Herrschaft auf der Grundlage des bereits dargestellten theoretischen Konzepts erörtert werden. Andererseits wird die kritische Diskussion der Dogmatik demokratischer Legitimation durch die Beleuchtung der ihr zugrunde liegenden begrifflichen Substanz vorbereitet. Durch die Analyse bestimmter, besonders ein-

A. Vormärz

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flussreicher Autoren werden konkrete Verständnisse der Problematik diskutiert, die der Entscheidungstätigkeit über Herrschaft zugrunde liegt, und bestimmte Entwicklungslinien aufgedeckt, die gerade für das Verständnis der theoretischen Grundlagen der Dogmatik demokratischer Legitimation aufschlussreich erscheinen. Als strukturierende Achse des zweiten Kapitels dienen zwei Momente: Schon im vorigen Kapitel wurde die Form der Einheit als grundlegend für die Beschreibung (wirksamer) Herrschaft ausgemacht. Diese Beschreibung betrifft den ganzen Herrschaftszusammenhang und bezieht die über Herrschaft entscheidende Instanz mit ein. Die geschichtliche Skizzierung wird sich auf dieser Grundlage mit der Entwicklung des Einheitsbezugs von Herrschaft auseinandersetzen; insbesondere soll gezeigt werden, dass sich die Bedingungen des Verständnisses und folglich der Beschreibbarkeit der Entscheidungseinheit im Zuge der Subjektivierung des Staates und Verrechtlichung des Herrschaftszusammenhangs stark veränderten. An diese Entwicklung und gerade als ihre Konsequenz soll, als zweites Moment, die Analyse der Verständnisse der Souveränität bei den untersuchten Autoren anknüpfen. Die geschichtliche Skizze setzt beim deutschen Vormärz an und befasst sich dann mit bedeutenden Autoren des staatsrechtlichen Positivismus, der Jahrhundertwende sowie der Weimarer Republik. Der Vormärz bietet sich für eine Untersuchung des Begriffs der Souveränität in Deutschland an. Denn gerade seit Anfang des 19. Jahrhunderts, mit dem Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, konzentrierten Fürsten und Monarchen vor allem unter napoleonischem Einfluss131 die Entscheidungskompetenz über Herrschaft, sodass wichtige Bedingungen für die Beschreibung der Herrschaftszusammenhänge auf der Grundlage der Notion der Einheit geschaffen worden waren.

A. Vormärz Jede Erörterung der Souveränität als Entscheidung über Herrschaft während des Vormärzes muss vom monarchischen Prinzip ausgehen, denn dieses stellt die Grundlage für eine Beschäftigung mit den Herrschaftsverhältnissen in den deutschen Territorien dar132. Entgegen dem intuitiven Sinn, das monarchische Prinzip einfach 131

Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 419 f.: „1806 – 15 besaßen die Fürsten der deutschen Mittelstaaten eine Machtfülle wie nie zuvor oder danach. Mit der Auflösung des Reiches wurden sie überhaupt erst souverän und damit zur Staatsbildung durch Beseitigung von Privilegien befähigt“; in diesem Sinne auch Kaufmann, Studien zur Staatslehre des monarchischen Prinzipes, S. 36; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 79; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 65 f.; ders., Souveränität um 1814, in: Müssig (Hrsg.), Konstitutionalismus und Verfassungskonflikt, S. 105 f.; Meisner, Die Lehre vom monarchischen Prinzip, S. 137, 162 ff.; Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 407. 132 Heun, Das monarchische Prinzip und der deutsche Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), Recht – Staat – Gemeinwohl, Festschrift für Dietrich Rauschning, S. 41. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II,

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2. Kap.: Die Entwicklung der Souveränität in Deutschland

mit monarchischer, also monokratischer Souveränität gleichzusetzen, stellt das monarchische Prinzip eine eher komplizierte Vermittlung zwischen den Kompetenzen von Monarchen und repräsentativen Körperschaften, also Landständen, dar, wie schon oft hervorgehoben wurde133. Dass die Staatsrechtslehre der Zeit des Vormärzes insbesondere für diese begriffliche und politische Mehrdeutigkeit steht134, ist für die Ziele dieser Untersuchung von besonderer Bedeutung, wie noch zu zeigen sein wird. Als Ausgangspunkt für eine Analyse des monarchischen Prinzips, im Sinne einer Strukturierung von Herrschaftsverhältnissen in den deutschen Territorien, bietet sich dessen rechtliche Festlegung an: Sowohl in der Deutschen Bundesakte von 1815135 als auch in der Wiener Schlussakte (Art. 1 und insbesondere Art. 57136) und in den für die einzelnen Territorien erlassenen Verfassungen137 wurde der Monarch als Entscheidungs- und somit Gestaltungszentrum in den jeweiligen politischen Ordnungen definiert138. Diese Gewährleistung des Verbleibs der ganzen Staatsgewalt beim S. 100, stellt fest: „Deutsches Verfassungsdenken im 19. Jahrhundert ist auf den Monarchen bezogen“. 133 Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 17, 20 f.; ihm folgend Heun, Das monarchische Prinzip und der deutsche Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, in: Ipsen/SchmidtJortzig (Hrsg.), Recht – Staat – Gemeinwohl, Festschrift für Dietrich Rauschning, S. 42 f. Für Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 653, war das monarchische Prinzip „die Gegenlehre gegen das Gewaltenteilungsprinzip“. Gegenüber den Landständen betont Huber, dass das (deutsche) monarchische Prinzip die Trennung von Hoheit und Macht, wie sie dem englischen System und französischen Konstitutionalismus eigen war, verwarf, und dass es die Einheit zwischen Exekutive und Legislative im Monarchen begründete. Trotzdem unterstreicht er, dass bei der Feststellung des Gesetzesinhalts die Landstände teilnahmen, sodass dieser nicht vollkommen in den Händen des Monarchen lag (S. 655). 134 Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, insb. S. 17 ff., 20 f. 135 Präambel und Art. 1; dazu Stolleis, Souveränität um 1814, in: Müssig (Hrsg.), Konstitutionalismus und Verfassungskonflikt, S. 109 f. 136 Art. 57 der WSA lautete: „Da der deutsche Bund, mit Ausnahme der freien Städte, aus souverainen Fürsten besteht, so muß, dem hierdurch gegebenen Grundbegriffe zufolge, die gesammte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben, und der Souverain kann durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden“. Dazu Stolleis, Souveränität um 1814, in: Müssig (Hrsg.), Konstitutionalismus und Verfassungskonflikt, S. 110. Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 483, deutet Art. 57 als Versuch, die Fürstensouveränität zu retten; Meisner, Die Lehre vom monarchischen Prinzip, S. 203 ff., insb. 210, sieht ihn als Ausdruck des politischen Umbruchs der Zeit. 137 Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus des 19. Jh. im verfassungsrechtlichen Vergleich, in: Der Staat, Bd. 45, S. 379; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 336, für den süddeutschen Frühkonstitutionalismus; Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 19 ff. 138 Eine Begriffsbestimmung in diese Richtung bei Stahl, Das monarchische Prinzip, S. 25, mit der Einordnung, das monarchische Prinzip verlange, „daß die fürstliche Gewalt dem Rechte nach undurchdrungen über der Volksvertretung stehe, und daß der Fürst tatsächlich den Schwerpunkt der Verfassung, die positiv gestaltende Macht im Staate, der Führer der Entwicklung bleibe“; auch Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 80 ff. Huber, Deutsche

A. Vormärz

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Monarchen erklärt sich vor allem in negativer Hinsicht, und zwar aus der Ablehnung der revolutionären Prinzipien139 der Volkssouveränität140 bzw. der Demokratie und der Gewaltenteilung141; als „Schutzmauer“ gegen diese stellte das rechtlich formalisierte Prinzip dem Anspruch nach den festen Kern der Herrschaftsstruktur in den Territorien dar. Der soziopolitische Kontext, in den sich diese rechtlich formalisierte monarchische Position eingliederte – das ist bereits an der angesprochenen Funktion des monarchischen Prinzips abzulesen –, war jedoch höchst kontrovers142. Die Grundthematik jener Zeit reicht nämlich über die Rekonstruktion monarchischer Kompetenzen, also die staatsrechtlichen Fragen, hinaus143 und dreht sich gerade um das System als Ganzes, in welches sich dann das spezifisch Staatsrechtliche, inklusive Herrschaftspositionen, einzufügen hatte144 ; insbesondere geht es um den Begriff der Verfassung und deren Wirkung, um Selbstbeschränkung durch sie im Rahmen der Frage nach der Verfassunggebung und um implizite, der Verfassung zugrunde liegende und in diesem Sinne allgemeine und letzte Zuständigkeit. Objekte der KonVerfassungsgeschichte, Bd. I, S. 655 f., hebt hervor, wie diese Regelung auch für die Landesherren selbst zur Pflicht wurde. Für Meisner, Die Lehre vom monarchischen Prinzip, S. 2, bedeutet das „Dogma vom monarchischen Prinzip“, dass die Verfassung als „Selbstbeschränkung des Monarchen“ gilt, „für dessen Zuständigkeit und Unbeschränktheit im Zweifelsfalle die Vermutung streitet“. 139 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 469 ff., 472. 140 Stahl, Das monarchische Prinzip, S. 15; auf S. 24 f. der Gegensatz zwischen monarchischem Prinzip und dem englischen System mit der hohen Bedeutung des Parlaments. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 17 ff., insb. 23; siehe auch Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus des 19. Jh. im verfassungsgeschichtlichen Vergleich, in: Der Staat, Bd. 45, S. 379. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 652 f., spricht vom Art. 57 der Wiener Schlußakte als Verhinderung von „Konstitutionalisierung, Parlamentarisierung oder Demokratisierung“, auch S. 654. Dazu auch Jellinek, Allgemeine Staatslehre S. 472. 141 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 653; Stahl, Das monarchische Prinzip, S. 15. 142 Wie es insbesondere für Situationen, in denen es um die Begründung des politischen Systems geht, typisch ist, ist die Form des Rechts Ausdruck höchstpolitischer Anliegen. In diesem Sinne Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 101, Fn. 2: „Eine Grenzlinie zwischen politischem und juristischem Räsonnement ist oft kaum erkennbar“. 143 Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 69, sieht es als charakteristisch für die Staatsrechtslehre während des 19. Jahrhunderts, dass sie „unter den Einfluß philosophischer Strömungen geriet“, eben weil sie auch nach einer „Begründung ihrer Begriffe“ strebte. 144 So Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 25; das Primäre in der vormärzlichen Diskussion ist die „verfassungspolitische Situation, die versucht wird, in theoretischer Reflexion sich verständlich zu machen und zu legitimieren“. Gerade die Vielfalt an Erklärungsmustern steht dabei für die verschiedenen Interpretationen des staatsrechtlichen Systems. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 96 ff., identifiziert als Grundfragen der Zeit unter anderen die Verfassung (S. 99 ff.), das monarchische Prinzip (S. 102 ff.), die Ministerverantwortlichkeit (S. 105 ff.), die Staatssouveränität (S. 106 ff.) und die Volksvertretungen und ihre Rechte (S. 109 ff.).

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2. Kap.: Die Entwicklung der Souveränität in Deutschland

troverse sind, kurzum, die staats- und politiktheoretischen Grundlagen des gesamten institutionellen Systems145. Dabei setzte die grundlegende Fragestellung interessanterweise voraus, dass die individuelle Entscheidungsfähigkeit des Monarchen und die kollektive des Volks bzw. der Parlamente oder Landstände grundsätzlich als äquivalent anzusehen waren146. In diesem Sinne begegneten sich, zumindest entscheidungstheoretisch gesehen, beide maßgebenden politischen Subjekte des Vormärzes auf Augenhöhe. Am ehesten wurde die „Stetigkeit in den Staatsgeschäften und der Politik“147 hervorgehoben, die durch die Bindung der Herrschaftsbefugnis an den Willen der Individualperson des Monarchen erreicht werden konnte – eine Bewertung, die jedoch auf politischer Kontinuität, letztendlich auf der Annahme eines vorhersehbaren Bestandes der staatlichen Einheit begründet war und gerade nicht die grundsätzliche Möglichkeit einer kollektiven Entscheidung in Frage stellte. Die Grundzüge der vormärzlichen Diskussion um die Strukturierung der Entscheidungskompetenz über Herrschaft verliefen über zwei Wege: Einerseits erfolgte eine Rekonstruktion der staatsrechtlichen Kompetenzen und Befugnisse, andererseits eine Neubestimmung des Begriffs der Souveränität; beide werden im Nachfolgenden in ihren zentralen Zügen nachgezeichnet.

I. Verfassung und Gesetzgebung Der besondere Charakter der vormärzlichen Diskussion um die Verfassung unterstreicht die politische Dimension der Auseinandersetzung148; Grundprobleme waren nämlich ihr Ursprung und ihr allgemeines Verständnis149. Das Rechtliche 145

Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 282 ff., behandelt diese Alternativen unter „Konstitutionelle Verfassungsmodelle“ und betont die „verschiedene inhaltliche Stellungnahme zum behandelten Objekt“ (S. 283). 146 So zum Beispiel Klüber in der ersten Auflage (aus 1817) seines Buches „Öffentliches Recht des teutschen Bundes und der Bundesstaaten“, S. 20 f.; Ancillon, Über Souveränität und Staats-Verfassungen, S. 19 f. So auch Zöpfl, Grundsätze des allgemeinen und des constitutionell-monarchischen Staatsrechts, S. 42. 147 Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 65. 148 Grimm, Methode als Machtfaktor, in: ders., Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, S. 361, meint, die Verfassungen seien „nicht als Konsensbasis für den geordneten Austrag politischer Gegensätze akzeptiert“ worden, „sondern blieben selbst politisches Kampfobjekt“. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 99, betont, im Wort „Konstitution“ verdichteten sich „alle theoretischen Probleme der Herrschaftsbegründung und -begrenzung“, aber auch alle „politischen Hoffnungen, die sich seit der Französischen Revolution in Deutschland artikulierten“. Für Robbers, Die Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts, in: Entstehen und Wandel verfassungsrechtlichen Denkens, Beiheft 11 zu Der Staat, S. 103 f., ist die Souveränität eine der Fragen, die sich über das ganze Jahrhundert hinzieht; damit verbunden sieht er besondere Probleme wie Rolle und Gestaltung der Volksvertretungen, Wahlsystem, Verfassungsbegriff u. a. 149 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 99 ff., insb. 101 f.

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gewann somit nur im Sinne einer Auslegungshilfe für die (politischen) Grundsatzfragen Relevanz und wurde unter diesem Gesichtspunkt thematisiert. Die rechtspolitische Praxis bezüglich der Verfassunggebung und -änderung bot ihrerseits Anhaltspunkte für verschiedene Deutungen an: Für die Machtvollkommenheit des Monarchen150 sprach zunächst der Usus der oktroyierten151 Verfassungen, also die Möglichkeit, ohne Mitwirkung anderer Instanzen die Verfassung in Kraft zu setzen152. Dennoch: Wenn auch überwiegend, blieb diese Praxis doch nicht ohne Ausnahmen153. Der Verfassungstext war zudem oft ein Ergebnis gemeinsamer Beratungen zwischen Monarchen oder Fürsten und Volksvertretungen154. Die schwerwiegendste Herausforderung an die rein monarchische Deutung der Verfassunggebung war jedoch die Tatsache, dass, wenn schon einmal eine Verfassung in Kraft gesetzt worden war, sie auch für ihren Urheber, den Monarchen oder Fürsten, bindend war155. Die wichtigste Konsequenz daraus war, dass eine Änderung der vom Fürsten gewährten Verfassung nicht von ihm allein durchgeführt werden durfte, sondern dass auch die Landstände, die repräsentativen Körperschaften des Volks, dieser zustimmen mussten156. Daran zeigt sich mit Klarheit, dass die Verfassung in der vormärzlichen Diskussion als Symbol für die politische Struktur der jeweiligen Territorien gehandelt wurde157. 150 Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 278; Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus des 19. Jh. im verfassungsgeschichtlichen Vergleich, in: Der Staat, Bd. 45, S. 370. 151 Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 67, hebt diesen Zusammenhang insbesondere bezüglich der patrimonialen Theorie hervor, wobei er auch weiter unten (S. 69 f.), den Sinn des Oktrois in der zeitgenössischen Literatur keineswegs im Sinne einseitiger Auferlegung sieht. 152 Wie Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 472 f., hervorhebt, wurde oft versucht, das Recht auf Herrschaft des Monarchen gerade nicht aus der Verfassungsordnung herzuleiten; aus diesem Grund wurde auch auf theologische Begründungsmuster zurückgegriffen. 153 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 100. Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 111. 154 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 653 f. 155 Dazu und allgemein zum Kontext Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 78 ff. Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus des 19. Jh. im verfassungsgeschichtlichen Vergleich, in: Der Staat, Bd. 45, S. 370 f., bezieht dieses Verhältnis auf die Tatsache, dass Verfassungen im regulären Gesetzgebungsprozess geändert werden mussten. Ansonsten auch S. 374, mit der Feststellung eines Gegensatzes zwischen dieser Einschränkung und dem „theoretisch aufrechterhaltenen umfassenden Souveränitätsanspruch des Monarchen“. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 642. 156 In diesem Sinne definiert Heun, Das monarchische Prinzip und der deutsche Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, in: Ipsen/Schmidt-Jortzig (Hrsg.), Recht – Staat – Gemeinwohl, Festschrift für Dietrich Rauschning, S. 44 f., die Konstruktion des monarchischen Prinzips als „brüchig“. 157 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 102, fasst die Positionen nach dem Wiener Kongress bezüglich der Verfassung zusammen: „1. Verfassung als auf der Volkssouveränität ruhende und aus ihr hervorgebrachte, herrschaftsbegründende ,Grundordnung‘ in der Tradition des naturrechtlichen Herrschafts- und Unterwerfungsvertrags mit den Kernelementen der Menschenrechte, der Gewaltenteilung und der Volksvertretung.

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2. Kap.: Die Entwicklung der Souveränität in Deutschland

Die eben erörterten Diskussionsmuster galten auch für den Bereich der einfachen Gesetzgebung; stand diese, traditionell der Kernbestand der Souveränität, nicht dem alleinigen Monarchen bzw. Fürsten zu158, so mussten neue Befugnisse, zum Beispiel Gesetzesinitiative oder Budgetrecht, als entscheidende Kompetenzen ausgemacht werden. Damit waren neue Anhaltspunkte gefunden, auf die sich eine Interpretation des gesamten Systems beziehen konnte159. Die rechtliche Dimension der vormärzlichen Diskussion bezüglich des monarchischen Prinzips stellte, gerade in seiner defensiven Funktion160, den Versuch dar, eine gewisse Interpretationshoheit über das ganze System zu gewinnen, welche allgemein als das zentrale Problem des Vormärzes ausgemacht werden kann161.

II. Herrschaft Die Diskussion um das politische System verlief nicht nur über die freilich stark politisierte Rekonstruktion des verfügbaren Rechtsmaterials, aus dem die grundlegenden Stellungen innerhalb des Systems in die eine oder die andere Richtung interpretiert wurden. Konsequenterweise bezog sich die Auseinandersetzung auch offen auf die Frage nach der letzten Entscheidungsgewalt und deren Grenzen, und somit auf den Begriff der Souveränität. In dieser Hinsicht wurde das Verhältnis zwischen der hergebrachten Souveränität und der politischen Wirklichkeit besonders problematisch, wie schon Quaritsch aufgezeigt hat162: Die Beibehaltung des Begriffs 2. Verfassung als förmlicher Grundvertrag eines dualistischen Modells mit einer zwischen Monarch und Volksvertretung geteilten, eventuell im Begriff der ,Staatssouveränität‘ wieder zusammengeführten Souveränität, und 3. Verfassung als ,gewährtes‘ Fundamentalgesetz zur Begrenzung der Ausübung der extrakonstitutionell begründeten und als unteilbar angesehenen monarchischen Gewalt“. 158 Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 484. Auch für Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 96, bedeutet die Mitwirkung bei der Gesetzgebung, „daß die Herrschaftsgewalt nicht mehr in vollem Umfang dem Monarchen“ zustand. So auch Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 53. Für Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus des 19. Jh. im verfassungsgeschichtlichen Vergleich, in: Der Staat, Bd. 45, S. 379 f., lief die theoretische Beanspruchung der vollen Souveränität für den Monarchen durch das monarchische Prinzip den Grundprinzipien des Konstitutionalismus zuwider. 159 Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 44, hebt die Bedeutung der Bestimmung bei Stahl, Gesetzesinitiative und Budgetrecht würden auf jeden Fall zur monarchischen Position gehören, hervor; somit konnte die Mitwirkung der Volksvertretungen uminterpretiert werden; dazu Meisner, Die Lehre vom monarchischen Prinzip, S. 262 ff., insb. 265. 160 Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 20, behauptet, es seien gerade Formulierungen, die „eigentlich zum Schutz des monarchischen Prinzips gedacht“ waren, als das Prinzip selbst verstanden worden. Dass die Grenzziehung vergegenständlicht wurde, ist aber aus dem Kontext nicht überraschend. 161 Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 78, schreibt, mit der Hervorhebung der Herrschersouveränität sei eine politische Willenserklärung im „Gewand einer staatstheoretischen Erkenntnis“ abgegeben worden. 162 Staat und Souveränität, S. 482 ff.

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der Souveränität und dessen Nutzung im politischen Kampf erforderte eine Umdeutung der traditionell mit ihm verbundenen Gehalte. Denn genau die Möglichkeit, die Bedingungen der Ausübung von Herrschaft nach Maß einer Entscheidungseinheit zu beschreiben, konnte auf die Konkurrenzsituation zwischen Monarch und Volksvertretungen nicht angewendet werden163. Bemerkenswert ist in diesem Sinne die Entwicklung, die der Begriff Souveränität im Zuge der politischen Auseinandersetzung nahm: Gerade wegen der Duplizität der maßgebenden Subjekte der herrschaftlichen Kernkompetenz konnte der Begriff nicht mehr als Beschreibungsschlüssel im Sinne der Existenz einer Entscheidungseinheit auf die verfassungspolitische Wirklichkeit verwendet werden164. Insbesondere die Umdeutung des Begriffs der Souveränität auf der Grundlage einer Kompetenzvermutung, die praesumptio pro rege165, auf die Boldt aufmerksam macht166, zeigt, wie sich auch die Bedeutungsgehalte von Souveränität im Zuge der politischen Auseinandersetzung änderten. In der Folge war der Begriff der Souveränität nicht mehr unmittelbar auf Entscheidungen über Herrschaft und in diesem Sinne über allgemeine politische Gestaltung innerhalb eines definierten Territoriums gerichtet. Souveränität wurde damit zum politisch-logischen Abschluss eines institutionellen Systems, in welchem ein klares Entscheidungszentrum im Zuge des politischen Kampfes verschwunden war. Das monarchische Prinzip bedeutete in diesem Sinne ein Zweifaches: auf der einen Seite der Versuch, trotz der Umstände Herrschaft grundsätzlich dem Monarchen bzw. Fürsten zuzuschreiben; auf der anderen Seite aber, und gerade auch im Zuge dieser Zuschreibung, die Bewahrung des subjektiven Einheitsbezugs als grundsätzliche Forderung der Beschreibbarkeit des Herrschaftszusammenhangs167. 163 In diesem Sinne auch die Meinung von Kaufmann, Studien zur Staatslehre des monarchischen Prinzipes, S. 2 f., 9; Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 483 f. Auch Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 97, sieht die „Souveränität im Bodin’schen Sinne“ als auf diese Lage nicht mehr anwendbar. Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus des 19. Jh. im verfassungsgeschichtlichen Vergleich, in: Der Staat, Bd. 45, S. 380, schreibt von einem Widerspruch zwischen der Realität und dem monarchischen Prinzip. Dabei muss auch klargestellt werden, dass diese Tendenz zur Unentscheidbarkeit durchaus den Vorstellungen der liberalen Positionen entsprach, die sich mehrheitlich keine parlamentarische Regierung wünschten; das hebt Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 428 f., insbesondere bei der Erörterung der Positionen von Rottecks hervor. 164 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 104, meint, alle „staatsrechtlichen Streitfragen der Zeit“ seien „von der im konstitutionellen Kompromiß weiter verborgenen Unentschiedenheit, ja Unaufrichtigkeit infiziert“. 165 Zuständigkeitsvermutung, dazu Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 654. 166 Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 38 ff., insb. 44 ff. Die „Kompetenzvermutung“ aufgrund des monarchischen Prinzips auch in Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus des 19. Jh. im verfassungsgeschichtlichen Vergleich, in: Der Staat, Bd. 45, S. 373. 167 In diesem Sinne Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 65, m. w. N. Meisner, Die Lehre vom monarchischen Prinzip, S. 178, Anm. 3, spricht von der „Verlegenheit, an welcher Stelle man sich die als einheitlich anerkannte Staatsgewalt zu denken habe“, und deren Lösung, durch die man „diesen Einheitsbegriff darum in den ja besonders geeignet erscheinenden

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In dieser Hinsicht ergibt sich aber die erste zentrale Entwicklung bezüglich der Souveränität: Das monarchische Prinzip konnte zwar in der Person des Monarchen einen formalen Einheitsbezug bewahren; ein materialer Einheitsbezug, gerade aus der Perspektive der im ersten Kapitel erörterten Struktur einer Entscheidungstätigkeit über Herrschaft, konnte aber durch den umgedeuteten Begriff nicht mehr vermittelt werden168. Eigentlich führte seine rechtliche Unverfügbarkeit zu einer Abkopplung zwischen dem Prozess der Entscheidungsfindung über Herrschaft als Grundmoment politischer Gestaltung und der Souveränität. Souveränität wird dabei als Beschreibungsschlüssel für eine Instanz verstanden, in der sich die Herrschaft symbolisch darstellt, als Einheit und in der Einheit des Übergangs zwischen der Normativität eines allgemeinen Gestaltungsanspruchs und der Faktizität seiner Realisierung169. Denn: Es kann nicht bestritten werden, dass der Monarch im Rahmen des monarchischen Prinzips keine allgemeine Zuständigkeit, und in diesem Sinne Gestaltungsfreiheit genoss. Auch wenn politisch veranlasst versucht wurde, die Kernkompetenzen bei ihm als vereinigt zu konstruieren, so bedurfte es für die Formalisierung einer Entscheidung der Zustimmung von externen Organen, die eine von ihm unabhängige Willensbildung vollzogen170. Gerade die grundlegende Problematik des Zusammenwirkens dieser Instanzen im Sinne der Herstellung einer Gestaltungsentscheidung forderte eine Redefinition der Einheit als grundlegende Form des Herrschaftsbezugs, die nicht mehr als gegeben gelten konnte, sondern vom politisch-institutionellen System hervorgebracht werden musste171. Weil aber das konstitutionelle System nicht auf das Treffen von politischen (Gestaltungs-)Entscheidungen angelegt war, erwies sich diese Einheitsbildung als schwierig; gerade

Monarchen“ verlegte; S. 280, mit der Aussage, die „staatliche Willenseinheit und Macht“ habe sich zu diesem Zeitpunkt „in der sinnlichen Individualität des Monarchen symbolisch verkörpert“. Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 489, schreibt von der äußerlichen Wahrung des Herrschaftsmonopols des Fürsten. Dazu auch schon oben Lefort in der Fn. 106. 168 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 97, nennt das monarchische Prinzip angesichts der vielen Einschränkungen eine „Fiktion“. 169 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 97, unterscheidet, mit Verweis auf Böckenförde, Friedrich und Huber, zwischen der Substanz und dem Modus der Ausübung von Staatsgewalt. 170 Sehr deutlich in diesem Sinne Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 483: „Die Teilnahme der Landstände an der Ausübung einzelner Souveränitätsrechte gliederte sie nicht in den Vollzugsapparat des Souveräns ein – ihre Versammlung hatte dem Fürsten nicht zu gehorchen oder seine Entscheidungen nur zu akklamieren –, bedeutete vielmehr die unumgehbare Mitwirkung einer vom Fürsten nach Herkunft und Legitimation unterschiedenen und in der Wissensbildung von ihm unabhängigen Gruppierung“. 171 Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 485, mit der Behauptung, dass die „Verbandsherrschaft“ von einer „jeweils fallweise herzustellenden Einigung zwischen zwei Kompetenzträgern“ abhängig war. Gerade hier liegt die Disruption der material verstandenen Einheit als Beschreibungsschlüssel für die Ausübung von Herrschaft. Auch Dreier, Der Ort der Souveränität, in: Dreier/Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 30 ff., spricht vom Konstitutionalismus des 19. Jh. als einer Zeit „geteilter, d. h.: nicht eindeutig einem Träger zuzuordnender Souveränität“.

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aus diesem Grund gewinnt die Kontroverse über das monarchische Prinzip als eigenständiges politisches Formprinzip ihre Plausibilität172.

III. Albrecht: Die Staatssouveränität Im Sinne des Verlustes an Beschreibungspotenzial des hergebrachten Begriffs der Souveränität für die bestehende politische Lage musste die staatsrechtliche und -theoretische Literatur ein neues begriffliches Instrumentarium finden, um den veränderten Verhältnissen gerecht werden zu können. Dieser neue Ansatz wurde gegen Mitte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im subjektivierten Staat gefunden. Ein erster wichtiger Schritt für die Entwicklung der spezifisch deutschen Lösung für das Problem der Souveränität173 ist die Theorie der Staatssouveränität. Für diese gilt eine Rezension von Albrecht174 als Ausgangspunkt. Zentrales Element der Theorie, wie sie von Albrecht konstruiert wurde, ist die Verbindung zwischen Interessen und Rechtssubjektivität bzw. Rechtspersönlichkeit175. So trug Albrecht vor, dass der Staat grundsätzlich ein „Gemeinwesen“ bzw. eine „Anstalt“ darstellt, welche auf der Grundlage der Gesamtinteressen aller Mitglieder gebildet ist176. Die Gesamtinteressen bestehen dabei nicht aus der Summe individueller Interessen, sondern sind von diesen qualitativ zu unterscheiden; sie sind als übergeordnet zu bezeichnen177.

172 Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 291 ff. Schmitt, Verfassungslehre, S. 313 f.; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. III, S. 9 ff. 173 Boldt, Staat und Souveränität, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 6, S. 142; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 97 ff. 174 Albrecht, Rezension zu Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, in: Göttingische gelehrte Anzeigen, Bd. 150/151, S. 1489 ff. Dazu Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 84 f., 86; Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 488; Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 42 f., insb. 45; Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, S. 174; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 333. 175 In diesem Sinne Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 85. 176 Albrecht, Rezension zu Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, in: Göttingische gelehrte Anzeigen, Bd. 150/151, S. 1491 f.; Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 85; Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 43. 177 Albrecht, Rezension zu Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, in: Göttingische gelehrte Anzeigen, Bd. 150/151, S. 1491 f.; Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 494; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 108, spricht von der „Zuordnung des Staatszwecks auf ein über den Menschen (Monarch und Untertanen) stehendes höheres Interesse, auf das auch die Parlamentarier festgelegt werden konnten“; Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 46, von dem dem Allgemeinwohl verpflichteten Staat.

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Auf dieser materialen Grundlage beruhte ein bestimmtes Verständnis der Staatspersönlichkeit, welches mit einer Auffassung der Rechtssubjektivität verbunden wurde, die auf der Trägerschaft von Rechten und Pflichten begründet war178. Aus der Kombination dieser beiden Momente ergab sich die Eigenartigkeit der Staatssouveränität im Sinne Albrechts: Eben auf dieser materialen Grundlage konnte man ein Bündel von Rechten und Pflichten, die das gemeinsame Interesse betrafen, von anderen unterscheiden, bei denen diese Bedingung nicht erfüllt war179. So war es möglich, die Rechte und Pflichten unmittelbar dem Staat zuzuordnen180. Auf der Grundlage des Begriffes von Rechtssubjektivität, mit dem Albrecht operierte, galten somit diese Interessen und Zwecke als konstitutiv für den Staat als Rechtssubjekt. War der Staat in diesem Sinne als Rechtssubjekt auf der Grundlage von allgemeinen Interessen konstituiert, konnte man die institutionellen Wahrnehmungen von Rechten und Pflichten, die diesen galten, ihm als Subjekt unmittelbar zugerechnet werden. Eine solche Zurechnung hatte aber gerade aufgrund der so definierten Rechtssubjektivität keine ausschließlich ethische Wirkung im Sinne einer Verpflichtung zum Gemeinwohl, sondern eine rechtliche: Aus dem juristisch konzipierten Zuordnungsverhältnis folgte, dass die Wahrnehmung staatlicher Rechte und Pflichten als eine durch die staatliche Persönlichkeit selbst vollzogene anzusehen war181; ihre unmittelbare Ausübung brachte also notwendigerweise die Qualifizierung als Staatsorgan mit sich182. 178

Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 44 f. Albrecht, Rezension zu Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, in: Göttingische gelehrte Anzeigen, Bd. 150/151, S. 1512 f.: „Wer nicht unter der juristischen Person des Staats das Volk versteht (was freylich oft genug geschieht, und nothwendig zur Lehre von der Volkssouveränetät hinführt), wer einsieht, daß jene Theorie bloß das juristische Gewand eines Gedankens ist, der als ethischer wohl von Jedermann zugegeben wird, nämlich der Vorstellung von dem Berufe des Monarchen für eine höhere, über ihm (dem Einzelnen) stehende Idee zu leben, wer ferner einsieht, daß jene moderne Sonderung von Privatrechten des Monarchen und Rechten des Staates zu der älteren Verschmelzung beider sich nicht anders verhält, als die Theilung eines Fonds, aus dem bisher gemeinschaftlich privat- und öffentliche Zwecke bestritten wurden, in zwey Massen, deren eine fortan ausschließlich den erstern, die andern ausschließlich den letztern gewidmet seyn soll, wer endlich sich dessen bewusst wird, wie manche Erscheinungen des älteren Rechtes in der That als vorbereitende Schritte zu jener neueren Theorie zu betrachten sind, der wird sie nicht bloß von dem Verdacht einer gefährlichen Lehre frey sprechen, sondern auch als einen naturgemäßen Fortschritt in der Bildung und Auffassung des Staats betrachten“. Dazu auch Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 40 f. 180 Albrecht, Rezension zu Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, in: Göttingische gelehrte Anzeigen, Bd. 150/151, S. 1491 f.; Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 43. 181 Albrecht, Rezension zu Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, in: Göttingische gelehrte Anzeigen, Bd. 150/151, S. 1492. 182 Albrecht, Rezension zu Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, in: Göttingische gelehrte Anzeigen, Bd. 150/151, S. 1512. Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 51, hebt jedoch hervor, dass die Organstellung des Monarchen wenig mit den noch zu behandelnden Lehren von Gerber, Laband und Jellinek gemeinsam hat. Diese Bezeichnung als Staatsorgan hat eher einen negativen Sinn und richtet sich gegen die pa179

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Von besonderer Bedeutung ist diese Konstruktion vor allem wegen ihrer politischen Wirkung: Durch die Zuordnung der Hoheitsrechte unmittelbar zu dem in rechtlicher Perspektive subjektivierten Staat183 war ein Ausweg gefunden, um Souveränität nicht mehr als Kampfobjekt in der Kontroverse zwischen monarchischem Prinzip und Volkssouveränität deuten zu müssen. Insofern wurde die politische Spannung rechtsbegrifflich184 neutralisiert185 – eine bemerkenswerte begriffliche Entwicklung.

IV. Staat als Organismus War mit der Lehre der Staatssouveränität ein staatsrechtlicher Ausweg aus dem Konflikt zwischen Monarchen und Volk gefunden worden, so wurde dieser staatstheoretisch durch den Begriff des Organismus ergänzt und gestützt186. Auf die Beschreibung von systematischen Zusammenhängen angelegt187, konnten durch diesen Begriff (auch) die institutionellen Verflechtungen der konstitutionellen Monarchie auf befriedigendere Art und Weise wiedergegeben werden, als es durch die im monarchischen Prinzip ständig latente Annahme der Fall gewesen war, dass eine Kongruenz zwischen einer bestimmten Instanz und der Entscheidungseinheit bezüglich Herrschaft bestünde. Diese Vorteile erklären die Hinwendung zum Orgatrimonialistische Lehre; in diesem Sinne Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 107. Die Rezension Albrechts bezog sich ja auf das Buch „Grundzüge des heutigen deutschen Staatsrechts“ von Romeo Maurenbrecher, der seinerseits auf die in der Rezension enthaltene Kritik patrimonialistischer Theorien mit dem Buch „Die deutschen regierenden Fürsten und die Souveränität“ reagierte. 183 Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 125. 184 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 106 f. 185 Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 83, schreibt, dass die Staatssouveränität „als ein Bronzestein auf den Grabhügel gesetzt“ wurde, „unter dem für alle Zeiten der Streit zwischen Volks- und Fürstensouveränität zur Ruhe gebettet werden sollte“. So auch Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 54; Hennis, Das Problem der Souveränität, S. 12, sieht auch im Begriff der Staatssouveränität die Lösung der für das 19. Jahrhundert charakteristischen Widersprüche. Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 497 ff. 186 Stuck, Die Aufnahme der Lehre von der Staatssouveränität in die Literatur des deutschen Staatsrechts im 19. Jahrhundert, S. 48, behauptet, dass „der organische Begriff der einheitlichen Staatspersönlichkeit die Staatssouveränitätslehre unbedingt zur Folge haben muss“; Böckenförde, Art. Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, S. 617, Fn. 620. 187 Böckenförde, Art. Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper, in: Brunner/ Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, S. 588, bezeichnet die „Wechselwirkung zwischen den Teilen und dem Ganzen“ als die gemeinsame Grundvorstellung aller organischen Ansichten dieser Zeit. Kaufmann, Über den Begriff des Organismus in der Staatslehre des 19. Jahrhunderts, S. 5, schreibt von der „Unendlichkeit der Beziehungen der Dinge unter einander“, und insbesondere auf S. 6, von einem neuen Einheitsgedanken, in dem die Einheit „durch die Beziehung der Teile auf das Ganze, und nicht wie in dem alten Begriff durch die Beziehung auf einen außerhalb der zu verknüpfenden Teile stehenden Zentralpunkt hervorgebracht“ wird.

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nismusbegriff als grundlegende staatstheoretische Kategorie für die theoretische Erfassung der Verhältnisse während des Vormärzes und darüber hinaus188. Das organische Verständnis des Staates bot sich insbesondere als Anknüpfungspunkt für die Einheit der materialen Entscheidungstätigkeit über Herrschaft an, also als allgemeine Umfassung der Entsprechung zwischen (Gestaltungs-)Entscheidung und Realisierung. Diese Beschreibungsfunktion konnte grundsätzlich nur erfüllt werden, wenn der Bezug auf eine neue Einheit die vormärzliche dualistische Teilung aufhob189 ; war diese Aufhebung teilweise schon rechtlich durch Albrecht vorbereitet worden190, so lag dem Verständnis des Staates als Organismus die Annahme zugrunde, das organische Wesen stelle eine unabhängige moralische Person oder Persönlichkeit dar191. Diese war in der ethischen Natur des Organismus begründet, die wiederum daraus folgte, dass der Organismus aus freien Wesen bestand192. Der Organismus war ein von den ihn konstituierenden einzelnen Gliedern unabhängiges Wesen; zu diesen bestand aus der Perspektive des Organismus ein qualitativer Unterschied193. Der Organismus stand gerade für die Gesamtinteressen194, schloss somit individuelle aus. Dadurch entstand eine Alternative, die den 188 Böckenförde, Staat als Organismus, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 263, nennt die Organismusvorstellung die bis in die Jahre nach 1850 vorherrschende; ders., Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, S. 587, nennt den „Organismusbegriff“ den „Leitbegriff der staatstheoretischen und verfassungspolitischen“ Diskussion zwischen 1830 und 1870. Darunter soll jedoch nicht verstanden werden, dass es nur einen Organismusbegriff gab; darauf weist auch Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 72 ff., hin. So auch Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, S. 57. 189 Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungsstaates bis 1866, in: ders., Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung, S. 294 f.: „Bewußt angestrebt wurde eine Position der ,Mitte‘ zwischen den Antithesen Königtum und Volksfreiheit, monarchische Regierung und gewählte Volksvertretung, obrigkeitlich-staatliche Autorität und demokratische Mitwirkung. Die staatstheoretische Grundlage für diese Konzeption bildete der im einzelnen sehr ausdeutungsfähige Begriff des Staates als sittlicher Organismus, der den Staat als übergreifende Einheit und in sich stehende Ganzheit verstand. Es war immanent konsequent, daß der Versuch, weder die Monarchie noch das Volk zur alleinigen Grundlage der politischen Ordnung zu machen, in den Mittelpunkt des Denkens eine abstrakte dritte Größe, den Staat, stellte. Damit war zugleich der Schärfe der Souveränitätsfrage ausgewichen, eine eindeutige Entscheidung zwischen Monarchie und Volkssouveränität vermieden“. 190 Böckenförde, Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper, in: Brunner/Conze/ Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, S. 599. 191 Böckenförde, Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper, in: Brunner/Conze/ Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, S. 593, ders., Staat als Organismus, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 264; Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungsstaates bis 1866, in: ders., Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung, S. 294. 192 Rolin, Ursprung des Staates, S. 229. 193 Böckenförde, Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper in: Brunner/Conze/ Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, S. 594. 194 Für Böckenförde, Staat als Organismus, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 264, bringt die Vorstellung des Staates als Organismus seine „notwendige Bezogenheit […] auf das Volk bzw. die im Staat lebenden Menschen“ zum Ausdruck.

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Bestand der für das Verständnis von Herrschaftsverhältnissen zentralen Kategorie der materialen Einheit aufrechterhalten konnte195. Dies galt teilweise auch für die Kategorie des Willens als Anknüpfungsmoment für Herrschaft, welche für bestimmte Richtungen der organischen Lehre dem Staat an sich zukam196 ; damit konnte das Willenssubjekt Staat den Monarchen begrifflich deckungsgleich ersetzen, ohne Elemente der Souveränitätskonstruktion aufgeben zu müssen197.

V. Bilanz des Vormärzes Die Lehre der Staatssouveränität und das Verständnis des Staates als Organismus lassen sich als theoretische Antwort auf ein spezifisch deutsches Problem während des Vormärzes deuten198: Konnte eine Gestaltungsentscheidung in der Form der Beschließung eines Gesetzes weder auf eine Entscheidung des Monarchen noch der Landstände zurückgeführt werden, so drohte damit die (begriffliche) Einheit von Herrschaft, somit von der Souveränität und letztendlich vom Staat zu zerbrechen199. Die Mitwirkung, die der Rechts- und in diesem Sinne auch der Herrschaftsproduktion zugrunde lag, musste begrifflich200 wieder auf eine Einheit zurückgeführt 195 Böckenförde, Staat als Organismus, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 265, betont in diesem Sinne, dass, vom Ausgangspunkt der organischen Lehre, die die „Qualifizierung des Staates als (ethisch-sittlicher) Organismus bzw. organisches Gemeinwesen und damit als übergreifende Einheit und Ganzheit“ implizierte, es eigentlich vorgezeichnet war, „die Staatsgewalt von der Verankerung in einer bestimmten (individuellen oder kollektiven) Person zu lösen und dem staatlichen Organismus als Ganzem zuzuschreiben“. Rolin, Ursprung des Staates, S. 258, betont, dass es im Kontext der organischen Lehren war, dass Staat und Souveränität zu „untrennbar verbundenen Begriffen“ wurden. So auch Scheuner, Volkssouveränität und Theorie der parlamentarischen Vertretung, in: Bosl (Hrsg.), Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, S. 330 f. 196 Rolin, Ursprung des Staates, S. 231; Böckenförde, Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, S. 591 ff., insb. 594. 197 Kaufmann, Über den Begriff des Organismus in der Staatslehre des 19. Jahrhunderts, S. 21, bemerkt, schon Zachariä habe das „organische Gemeinwesen selbst als Quelle aller öffentlichen Macht“ gesehen und damit als Erster „an der Autorität des Artikels 57“ gerüttelt. 198 Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 498: „Konnte in der Verfassungssituation der sog. konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts ein Inhaber der Souveränität nicht festgestellt werden, weil weder der Fürst noch die Volksvertretung über die wichtigsten Souveränitätsfragen allein und endgültig zu entscheiden vermochte, bedeutete die „Staatssouveränität“ die Wahl eines dritten Weges“. Auch Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 98, sieht in der Staatssouveränität die „Lösung des Problems“ der Souveränität in der konstitutionellen Monarchie. 199 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 98. 200 Dass sich die Lösung eben „nur“ auf begrifflicher Ebene abspielte, und nicht „der Sache nach“, behauptet Dreier, Der Ort der Souveränität, in: Dreier/Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 33.

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werden201. In diesem Sinne bot sich gerade der (als Organismus verstandene) Staat für diese Erfassung an202. Nur: Konnte der subjektivierte, eben als Rechtssubjekt verstandene Staat die Form der Einheit als Abstraktion des Zusammenwirkens zwischen zwei verschiedenen Subjekten203 darstellen, so bedeutete die Verwendung der Souveränität für diese Konstellation eine tiefe Veränderung des Begriffs als Beschreibung der Bedingungen, unter denen Herrschaft ausgeübt wird. Insbesondere die Dimension der Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit war von dieser begrifflichen Entwicklung betroffen204. Aller ethischen Aufladung im Sinne einer Ausrichtung auf das allgemeine Interesse, wie sie von Albrecht betont wird205, zum Trotz: Der Staat kann keine Entscheidungen treffen und ist somit nicht in der Lage, Herrschaft zu steuern; diese musste insofern grundsätzlich auf eine andere Art und Weise auf das Subjekt Staat bezogen werden, als es für einen Monarchen, also einen Menschen, der Fall gewesen war206. Politische Gestaltungstätigkeit und Souveränität wurden also durch die Zurechnung der Souveränität im Sinne der grundsätzlichen Herrschaftsbefugnis an den Staat voneinander entkoppelt. Die dualistische Natur der konstitutionellen Monarchie zeigt sich gerade darin, dass das politisch-institutionelle System keine Mittel kannte, um eine Gestaltungsentscheidung zu forcieren207. Das kann man auch als Veränderung der Be-

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Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 83, mit dem Verweis auf das „Dogma von der ausschließlichen und unteilbaren Souveränität“. 202 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 100, betont, dass die Staatssouveränität als Konstruktion notwendig war „um das Dogma von der Einzigkeit, Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der Herrschaftsgewalt zu retten“. 203 In diesem Sinne Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 44 f. 204 Für Hennis, Das Problem der Souveränität, S. 15 f., ergeben sich seit der Lehre der Staatssouveränität „Ansätze für den Verlust eines willensbegabten Souveränitätssubjekts“. In diesem Sinne auch Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 78, Fn. 146. 205 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 42 ff. 206 Treffend bemerkt Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 485, mit Verweis auf Carl Schmitt: „Dieser Kompromiß machte eine souveräne Verbandsherrschaft nicht unmöglich – ,beide vereint sind sie der unbeschränkte Souverän‘ – aber sie war abhängig geworden von der jeweils fallweise herzustellenden Einigung zwischen zwei Kompetenzträgern, die ihre Entscheidungsbefugnis aus unterschiedlichen Legitimationsgrundlagen ableiteten und auf zwei verschiedenen und entgegengesetzten Herrschaftsfundamenten standen“. So schon Mayer, Die juristische Person und ihre Verwertbarkeit im öffentlichen Recht, in: van Calker et al. (Hrsg.), Staatsrechtliche Abhandlungen, Festgabe für Paul Laband zum fünfzigsten Jahrestage der Doktor-Promotion, Bd. I, S. 57. 207 Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungsstaates bis 1866, in ders., Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung, S. 295: „Die theoretische Lösung, daß dem Staat die Souveränität zukommt, bot jedoch in den praktisch relevanten Fällen des Staatslebens keine Antwort, wenn es zwischen den verschiedenen Organen des Staates bei der Ausübung ihrer Rechte zu Konflikten kam und sich die Frage des Letztentscheidungsrechts unabweislich stellte. Darüber hinaus waren in der theoretischen Position der Mitte mit ihrem Ideal der Gleichgewichtslage zwischen Krone und Volksvertretung die realen Machtfragen ausge-

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dingungen des Einheitsbezugs im Sinne des im ersten Kapitel erörterten Entsprechungsverhältnisses zwischen einem normativen, gestaltenden Anspruch und seiner Realisierung formulieren: Konnte dieser Einheitsbezug durch die Zuordnung der Souveränität an den Staat als Organismus noch gerettet werden208, so bezog sich der normative Anspruch nicht mehr, als Ursprung, auf die Entscheidung eines einzelnen Individuums. Dieser war jetzt vom Zusammenwirken zwischen Monarchen und Volksvertretung abhängig. Freilich behält die im Sinne eines solchen Zusammenwirkens zu erzielende Entscheidung ihre (interne) Form der Einheit, die auch ein Entsprechungsverhältnis im Sinne faktischer Realisierung zu begründen vermag; nur: Durch die Entkopplung von einem individuellen menschlichen Willen verlor eine solche Entscheidung ihre Selbstverständlichkeit. Sie wurde, als Form der Einheit, von der Überwindung einer Dualität abhängig. Gerade für diese Überwindung stand paradigmatisch der organische Staat der Staatssouveränität. Der Staat konnte die Form der Einheit, als Überhöhung der beiden an der Ausübung von Herrschaft grundsätzlich beteiligten politischen Subjekte, abbilden oder beschreiben – aber nur um den Preis, die Bedingungen der politischen Aktualisierung dieser Einheit neu zu formulieren oder auszublenden. Sie wurden ausgeblendet: Die Einheit beschreibt im Rahmen der Staatssouveränität nur das Ergebnis einer Einheitsbildung, einer erreichten gemeinsamen (Gestaltungs-)Entscheidung; einen konstruktiven Beitrag für das Erreichen dieser Entscheidung, der auf einmal nötig geworden war, leistet diese Ansicht nicht209.

B. Der staatsrechtliche Positivismus Die skizzierte begriffliche Entwicklung, die die Souveränität während des Vormärzes durchgemacht hatte, setzte sich während des staatsrechtlichen Positivismus fort. Das Problem nämlich, welches sich durch die Lehre der Staatssouveränität schon angedeutet hatte, wird zu einem der zentralen Themen der Staatstheorie und des Staatsrechts in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: das Verhältnis zwischen dem als Rechtssubjekt vorausgesetzten Staat und der Entscheidung über Herrschaft. klammert; sie aber spielten notwendigerweise für die Gestalt der konkreten Verfassungen des Konstitutionalismus eine ausschlaggebende Rolle […]“. 208 Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 54, behauptet, dass Albrecht „die gedankliche Einheit des Staates rechtstechnisch und ohne Abstriche beim klassischen Souveränitätsbegriff zu erhalten“ vermochte; ähnlich Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 495 f.: „Entscheidend war, in welcher Weise die Einheit des monarchischen Staates rechtlich zu denken war, nachdem neben dem Fürsten, der bis dahin in seiner Person und durch seinen Herrschaftsapparat die staatliche Einheit allein verkörpert und garantiert hatte, in den Parlamenten ein in der Willensbildung autonomer Kompetenzträger entstanden war“. In diesem Sinne auch Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 24, Fn. 112. 209 In diesem Sinne insbesondere die Kritik von Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. II, S. 7 ff., Fn. 3, m. w. N.

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Von besonderer Bedeutung sind dabei die Versuche von Gerber, Laband und Jellinek, dieses Verhältnis zu bestimmen.

I. Gerber: Der Staat als materiale Einheit Nach anfänglichen Zweifeln in „Über öffentliche Rechte“210 übernimmt Gerber die Idee der Rechtspersönlichkeit als Grundlage eines spezifisch juristischen Verständnisses des Staates, und somit des Staatsrechts211. Gerber geht dabei von einer organischen Materialisierung des Staates aus212, wie sie schon im letzten Abschnitt erwähnt wurde und diesen als natürlichen Tatbestand konzipiert213, und verbindet sie mit seiner formalen Lehre der juristischen Grundbegriffe. Dem Anspruch nach sind die außerrechtlichen Bedingungen der Existenz des Staates für die rechtliche Reflexion irrelevant214; einzige Grundlage für die rechtliche Konstruktion des Staates stellt der Begriff der (juristischen) Person dar215. Dabei haben juristische Konstruktionen für Gerber ausschließlich mit Willensverhältnissen zu tun216 ; das bedeutet, dass der Staat nur als Rechtspersönlichkeit definiert werden kann, wenn ihm ein Wille zugerechnet werden kann217. Trotz des methodologischen Anspruchs verbinden sich gerade an diesem Punkt die verschiedenen Betrachtungsweisen bei Gerber: Es ist nämlich der natürliche Tatbestand der organischen Existenz des Staates, der die Möglichkeit begründet, ihm überhaupt

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Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person S. 66, 73; Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 229 f.; Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 33 ff., m. w. N. 211 Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 2, Anm. 1. 212 Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 221 f. (Beilage I). Für Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 132, stellen die „Auffassungen des Staates als Organismus und als Rechtsperson […] die beiden sich ergänzenden Möglichkeiten dar, wie derselbe Staat vom natürlichen und vom juristischen Standpunkte aus betrachtet werden konnte“. Wolff, Organschaft und Juristische Person, Bd. I, S. 306 f., beklagt eine Vermengung der organischen und juristischen Betrachtungsweise bei Gerber. Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 60. 213 Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 249 ff. 214 In diesem Sinne auch Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 131, für den sich bei Gerber „spekulative und organizistische Gedanken“ mit dem allgemeinen Staatsbegriff verbinden, diese aber „für den Bereich des Staatsrechtes nicht gelten“. 215 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 92; Schikorski, Die Auseinandersetzung um den Körperschaftsbegriff, S. 142 f. 216 Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 221 (Beilage I). Dazu vor allem, Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 141 ff.; Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 216 ff., insb. 219 f. 217 Die kategorische Zurechnung eines Willens an den Staat ist die herausragende Entwicklung zwischen „Über öffentliche Rechte“ und „Grundzüge des deutschen Staatsrechts“; in diesem Sinne Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 231.

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einen Willen zurechnen zu können218; insbesondere für die Verknüpfung219 zwischen Staat und Staatsgewalt, die den „Allgemeinwillen“ des im Staat vereinten Volks konstituiert220, stellt die organische Qualität des Staates eine unabdingbare Bedingung dar. Die Art und Weise, wie bei Gerber der Staat material verstanden und definiert wird, ist auch der Schlüssel für sein Modell der Ausübung von Herrschaft. Die Konstruktion ist darauf begründet, dass das Volk als natürliche Grundlage221, also im Sinne der Organismuslehre als ethisches Ganzes222, die Grundlage der juristischen Persönlichkeit, und somit auch des Willens des Staates, darstellt223. Der Inhalt dieses Willens stammt aus „dem sittlichen, auf das staatliche Leben gerichteten Geiste seines Volks“224, der die Staatsgewalt, als Ausdruck dieses Willens, inhaltlich bestimmt und begrenzt225. Der Staatswille ist somit für Gerber „nicht individueller Willkür preisgegeben“226, sondern durch den „ethischen Grund“227 seiner Existenz bestimmt. Herrschaft in der Form des Staatswillens verwirklicht die inhaltlichen Vorgaben, die sich aus der Existenz des Volks im Staat ergeben. Noch bei Albrecht war die Staatspersönlichkeit, also der rechtlich subjektivierte Staat, ein Mittel zur Wahrung der Form der Einheit im Sinne einer Anknüpfungsinstanz für die Souveränität, die sich auf den Staat als Symbol für Allgemeinheit bezog. Bei Gerber wird nun durch die Verbindung der Rechtpersönlichkeit mit dem organisch verstandenen, also ethisch aufgeladenen Volk der Staat zur Substanz der Allgemeinheit228. Dadurch wird ihm eine ebenso materialisierte, weil diese inhaltliche Dimension geltend machende Willensfähigkeit zugerechnet229. Der Monarch, 218 Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 251 ff., hebt hervor, dass es viele eigentlich juristische Bereiche gibt, bei denen die Organismusvorstellung von Gerber eine bedeutende Rolle spielt. 219 von Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, S. 177. 220 Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 21, Fn. 2. 221 Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 19, Fn. 1 (S. 20); Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 219; Wolff, Organschaft und Juristische Person, Bd. I, S. 306 f.; Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 73. 222 Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 21, Anm. 2. 223 In diesem Sinne auch Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 155; von Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, S. 180; Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 231. 224 Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 19, Fn. 1 (S. 20). 225 Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 21, Anm. 3, S. 31; Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 219, 292. 226 Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 21, Fn. 3. 227 Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 21, Fn. 3. Im Allgemeinen dazu Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates S. 131. 228 Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 155 f. 229 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 51: „Für Gerber, und erst recht für Laband und Jellinek, ist der Staat schon ein aus allen traditionellen Bindungen emanzipiertes, handelndes Willenssubjekt“.

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bei Gerber das primäre Organ des Staates und mit der Verkündung des Staatswillens betraut230, nimmt deswegen gerade den Staat „formell“231 in seine Persönlichkeit auf und verkündet einen Willen, den er inhaltlich nicht bestimmt232. Der Wille ist in dieser Hinsicht ein autonom staatlicher233. Der Staat ist die Einheit des Volks, welche in der Person des Monarchen, als körperliche Form, zum Ausdruck kommt. Der Monarch steht insofern für die bloße Äußerung eines Willens, dessen Inhalt von den staatseigenen, d. h. sittlich verstandenen volkseigenen Zwecken234 bestimmt wird und somit (den Inhalt der) Gestaltungsentscheidungen in der Form von Rechtsetzung zu bestimmen in der Lage ist235. Gerade in diesem Sinne steht die Konstruktion von Gerber im Gegensatz zur „realistischen“ Auffassung Max von Seydels. Durchaus steht auch für diesen die Herrschaft im Mittelpunkt des Verständnisses vom Staatsrecht; für ihn entsteht der Staat als Vereinigung von Individuen nur durch Aufhebung von „Willensverschie-

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Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 75. Auf S. 19, Fn. 1 und S. 71 der Grundzüge nennt Gerber den Monarchen die Verkörperung der abstrakten Persönlichkeit des Staates, hervorgehoben bei Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 231. Von Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, S. 180, behauptet, die Staatsgewalt komme im Recht des Monarchen zur „praktischen Erscheinung“, betont aber, dass der Herrschaftswille kein monarchischer ist. Bekanntlich folgert er daraus sogar demokratische (S. 172, 181 ff.) bzw. auf das Prinzip der Volkssouveränität (S. 183) bezogene Konsequenzen. 232 Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 45: „Sodann ist es der sittliche Geist des Volks, aus welchem die materiellen Motive für das Handeln der Staatsgewalt hervorgehen“. Wie im nächsten Kapitel behandelt wird, verbindet sich mit dieser Ansicht Gerbers eine bestimmte Rekonstruktion der Rolle des Monarchen und der Landstände als Staatsorgane. 233 Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 19, Fn. 1: „Es ist wahr, dass die Staatsgewalt nicht als abstrakte Macht, sondern zumeist erst in dem Rechte des herrschenden Subjekts, also hier des Monarchen, zur praktischen Erscheinung kommt, dass das Recht des Letzteren in der Regel alle Zweige der Staatsgewalt deckt, und sonach der Monarch die Persönlichkeit des Staats formell in seine Persönlichkeit aufnimmt. Aber diese Wahrheit führt keineswegs zu der Annahme, dass der Staat selbst nur im Monarchen vorhanden sei. Er besteht vielmehr für sich, und zwar nicht als eine bloss begriffliche Erscheinung, sondern als ein auf natürlicher Grundlage, nämlich dem Volke, beruhendes Wesen; es wird ihm nicht künstlich ein fremdartiger Wille anfingirt, sondern er hat seinen eigenen Willensinhalt in dem sittlichen, auf das staatliche Leben gerichtete Geiste seines Volks“, auch S. 126, im Rahmen der Behandlung der Funktion der Landstände. Ansatzweise in diese Richtung Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 153. 234 Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 21, Anm. 2, „[…] die Staatsgewalt ist der Allgemeinwille des Volks als ethischen Ganzen für die Zwecke des Staats, in den Mitteln und Formen des Staats“; dazu auch Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 23 f. 235 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 27. Von Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, unterstreicht die Widersprüchlichkeit dieser Konstruktion, in der der „Volkswille“ vom grundsätzlich von ihm unabhängigen Monarchen verkündet wird (S. 183 ff., insb. 187 f.); er deutet auch richtigerweise darauf hin, dass die Überbrückung dieses Widerspruchs nur in der „Auseinanderreißung von Form und Inhalt im Begriff des Willens“ aufgefangen werden kann, die er aber nicht begrifflich, sondern rein institutionell interpretiert. 231

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denheit“236, die durch Beherrschung durch einen höchsten Willen, den des Herrschers, bewirkt wird237. In diesem Sinne bestehen durchaus Ähnlichkeiten zwischen Gerber und Seydel238. Sind jedoch beide Systeme auf einem Herrschaftswillen begründet, so wird dieser bei beiden Autoren unterschiedlich konstruiert. Von Seydel lehnt jede Materialisierung des Staates kategorisch ab239; die einzige Anknüpfungsinstanz ist für ihn, material gesehen, der Wille des Herrschers240. Dieser ist freilich „kein egoistischer“241 und vielmehr an den staatlichen Zweck, und zwar an die Wahrnehmung der Gesamtinteressen der Staatsangehörigen242, gebunden; dass dieser Zweck jedoch sowohl willentlich als auch wegen Inkompetenz243 verfehlt werden kann, erklärt von Seydel nicht nur zur Möglichkeit, sondern leitet aus diesem Umstand sogar die Revolution her244. Im Gegensatz dazu steht bei Gerber der Staat für das Moment der inhaltlichen Bestimmung von Staatsgewalt; aus dieser erklärt sich auch die terminologische Entwicklung der Souveränität bei ihm. War noch beim Staats-Lexikon von Rotteck und Welcker die Souveränität eine höchste Gewalt („das Oberste seiner Art“245), die innerhalb, also im Rahmen des Staates die (rechtliche) Ordnung verrichtet246, so löst 236

Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, S. 4. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 289, behauptet, der Herrscherwille sei für Seydel „vorstaatlich, naturhaft, er erzeugt gewissermaßen den Staat und mit ihm das Recht“. 238 Darauf hat schon Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 306, hingewiesen. 239 Er wendet sich gegen das Organismusverständnis, Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, S. 1 ff., wie auch gegen die Auffassung des Staates als Rechtspersönlichkeit, Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, S. 5 ff. 240 Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, S. 7 ff.; Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 305, spricht bei von Seydel von einer „Apotheose des Herrscherwillens“; so auch Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 289. 241 Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, S. 8. 242 Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, S. 8. 243 „Die gleiche Wirkung muss aus gleicher Ursache auch dann eintreten, wenn der Herrscher zwar nicht egoistisch, aber doch zweckwidrig will“, Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, S. 9. 244 Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, S. 8 f. 245 Welcker, Art. Staatsverfassung, in: von Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. 12, S. 374. 246 So Welcker, Art. Staatsverfassung, in: von Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. 12, S. 375, der meint, für innere Staatsverhältnisse könne man von Souveränität sprechen, wenn es darum ginge, das Verfassungsgesetz über die „Constitution des Volkes“ und die „Organisation der Regierung“ zu bestimmen sowie die Regierung auszuüben. Schon 1816 hat Ancillon, Über Souveränität und Staats-Verfassungen, S. 6 ff. die souveräne Gewalt als die Befugnis verstanden, dem „Vereine Gesetze zu geben“, also „einen Willen zur Norm aller anderen Willen zu erheben“. Dieser Wille, der als allgemeiner vorausgesetzt wird, wirkt für die Gemeinschaft konstitutiv (S. 11 ff.). Zachariä, Vierzig Bücher vom Staate, Drittes Buch, S. 82, definiert Souveränität im Sinne einer „Machtvollkommenheit“, als personifizierte Staatsgewalt im Sinne des Rechtes einer bestimmten Person auf sie, die dadurch zum Herrscher wird. Ihm folgend 237

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sich der Begriff im Zuge der Materialisierung des Staates und seiner Willensmacht von seiner ursprünglichen Funktion. Der Staat definiert sich bei Gerber gerade aus der Tatsache, dass er seinen Willen, die Staatsgewalt, durchsetzen kann247, dass er also in diesem Sinne herrscht248. Damit wird aber die begriffliche Funktion der Souveränität, eben als Bezeichnung von (auf eine bestimmte Instanz zurückführbarer) wirksamer, gestaltender Herrschaft, irrelevant, weil dieses Moment im Begriff der Staatsgewalt bereits strukturell enthalten ist. Gerade aus dieser begrifflichen Verschiebung kann auch erklärt werden, warum für Gerber Souveränität nicht mehr auf Durchsetzung im Sinne von wirksamer Herrschaft, sondern auf das Verhältnis zwischen Staatsgewalten249, und somit auf eine (externe) Unabhängigkeit250, bezogen wird. Es wird in dieser Hinsicht mit der Souveränität eine „Eigenschaft der vollkommenen Staatsgewalt“251 bezeichnet, die gewährleisten soll, dass sie ihrer Idee entspricht. Das heißt, dass sie „die Motive ihres Handelns nicht von einer ausser ihr stehenden höheren Macht empfängt, sondern lediglich in sich findet“252, sodass sie „den sittlichen Gesamtwillen eines Volks in voller Wahrheit“ darstellen kann253. Die Kompromissformel, durch die der politische Kampf im Sinne des Organismus und der Staatssouveränität neutralisiert werden konnte, fand so in Gerber ihre (auch terminologische) Vollendung; durch die dezidierte Trennung zwischen Staatsgewalt

Heinrich Albert Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, S. 35 f. Dazu und allgemein zur Entwicklung Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 317 ff. 247 Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 3, 19 ff., insb. 21. Dazu Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 211 ff., der behauptet, die Begriffe der Staatsgewalt und Herrschaft seien schon in der Literatur vor Gerber etabliert gewesen, hätten aber vor Gerber „für die Systembildung nicht einen derart zentralen Stellenwert“ gehabt (m. w. N.). 248 Explizit in diesem Sinne Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 3, mit der Behauptung, „Herrschen“ bezeichne „den eigenthümlichen Willensinhalt der Staatspersönlichkeit“. Auch S. 22, mit der Aussage, der Erfolg der Staatsgewalt beruhe darauf, dass die Staatsgewalt „die höchste Macht im Volke und dass allgemein die Überzeugung von ihrer Unwiderstehlichkeit begründet ist“. Siehe auch Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 36. 249 Schikorski, Die Auseinandersetzung um den Körperschaftsbegriff, S. 142, Fn. 67, bemerkt diese Verschiebung, führt sie aber auf einen terminologischen Fehler von Gerber zurück: Weil der von Gerber unter Souveränität thematisierte Zusammenhang sich auf Autonomie, also Selbstbestimmungsfähigkeit, bezieht, ist der Begriff der Souveränität für den bezeichneten Sachverhalt von Gerber „nicht richtig gewählt“ worden. Er verkennt insofern, dass der Begriff von Gerber neu definiert wird. 250 Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 22; auch Anm. 5; für Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 323 f., erkennt Gerber „lediglich den Begriff der äußeren Souveränität der Staatsgewalt bzw. des Staates, nämlich Unabhängigkeit nach außen“. 251 Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 22, Anm. 5. 252 Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 22. 253 Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 22. Die Unabhängigkeit steht im direkten Verhältnis zur Möglichkeit der Bestimmung der Staatsgewalt durch den sittlichen Inhalt, den sie zu realisieren hat, und kann insofern als direkte Folge der Materialisierung des Staates gesehen werden.

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und Souveränität254 konnte diese vom Zentrum des begrifflichen Aufbaus des Staates an den Rand gedrängt werden255. Die zentrale Stellung des Staates im System Gerbers lässt sich aus einem Vergleich mit dem bereits erörterten System von Albrecht verdeutlichen. Indem er den Staat als Rechtssubjekt konzipierte, hatte Albrecht ihn als formale Anknüpfungsinstanz für bestimmte Rechte, die allgemeine Interessen betrafen, konstruieren können; durch die Zuschreibung an den Staat konnten diese Rechte von den privaten Rechten des Monarchen differenziert werden. Stoßrichtung dieser Lehre war eine patrimoniale Auffassung von Staat und Staatsgewalt256. Die Persönlichkeit des Staates diente so eher als Scheidungskriterium und Interpretationsschlüssel innerhalb des (rechtlichen und politischen) Systems. Gerber dagegen interpretiert nicht nur das System aus der Rechtspersönlichkeit des Staates, sondern baut es auf ihm, als willensbegabtem Subjekt, auf257; er liefert somit eine außerrechtliche, theoretische Grundlegung für die rechtliche Subjektstellung des Staates. Daraus ergeben sich auch die Besonderheiten der Bedingungen der Ausübung von Herrschaft bei ihm: Der Staat erscheint sowohl in der Form (Staatspersönlichkeit) als auch inhaltlich (sittlicher Gesamtwille258) als (einheitlich konzipiertes) Subjekt der Staatsgewalt. In der institutionellen Praxis jedoch werden beide Momente voneinander abgekoppelt. Das staatliche Entscheidungsvermögen bzw. die abstrakte Persönlichkeit seiner Staatsgewalt259 findet Gerber im Monarchen, dessen Wille „als Wille des Staats gelten“ soll260. Staatswille ist, der Form nach, monarchischer Wille. Inhaltlich findet der Gesamtwille jedoch nicht (nur) Ausdruck im Willen des Monarchen, sondern im

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Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 317 ff., 323. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 100. Gerade wegen dieser Verdrängung des Begriffs der Souveränität aus der Staatsrechtswissenschaft zweifelt Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 325, an der Kategorisierung von Gerber als einem Verfechter der Staatssouveränität. Dabei muss man aber anerkennen, dass bei Gerber die Staatsgewalt die üblichen Momente der Souveränität in sich integriert. 256 Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 87 f.; Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 35, bezieht sich auf die „antiabsolutistischen Ursprünge“ der Lehre Albrechts. 257 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 44, betont, dass die Begriffe „Staatswille“ und „Staatsgewalt“ bei Albrecht nicht zu finden sind, und unterstreicht damit die Unterschiede zwischen Albrecht und dem Gerber-Labandschen System. 258 Kremer, Die Willensmacht des Staates S. 233, hebt hervor, dass in dieser Hinsicht ein wichtiger Unterschied zwischen den Systemen von Albrecht und Gerber besteht; beim ersten spiele der Wille des Staates keine Rolle. 259 Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 77 f. 260 Auf S. 77 f. der Grundzüge des deutschen Staatsrechts führt Gerber aus, dass der Wille des Monarchen nur ein „rechtlicher“ ist, wenn er sich innerhalb der verfassungsrechtlichen Schranken äußert, insbesondere was Mitwirkung der Landstände angeht. Das bedeutet jedoch nur, dass nicht jede Willensäußerung des Monarchen auch als eine staatliche zu verstehen sein soll; die Tatsache, dass jede Äußerung des Staatswillens bei Gerber auch eine Willensäußerung des Monarchen darstellen wird, bleibt davon unberührt. 255

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Zusammenwirken zwischen ihm und den Landständen261, ein Zusammenwirken, das auf jeden Fall nicht klar strukturiert wird (vgl. Kapitel 3). In diesem Sinne fallen in der konkreten institutionellen Ausgestaltung des aus dem Staat gedachten Systems von Gerber permanente Entscheidungsfähigkeit – als Wille – und konkrete politische Gestaltung auseinander. In der methodologisch bedingten Zurückweisung der expliziten staatsrechtlichen Relevanz des Organismus entmaterialisiert Gerber den Staat als Entscheidungs- und Willenseinheit und bezieht diese auf den Monarchen; dieser wird jedoch im Zuge der organischen Materialisierung seines Willens entindividualisiert und symbolisiert vielmehr die staatliche Substanz262.

II. Laband: Die Einheit des Staates als reine Form Die von Gerber begründete begriffliche Systematik wird von Laband fortgesetzt und verschärft; er gilt als Haupterbe von Gerbers methodologischem Ansatz263. Insbesondere bezieht sich die Kontinuität zwischen beiden auf das Herrschaftsmoment als das für den Staat charakteristische und definierende, welches bei Laband konsequent weiterentwickelt wird. Laband verändert gegenüber Gerber die theoretische Grundlage des staatlichen Herrschaftsmoments: Die Verbindung zwischen dem Staat und einer irgendwie material verstandenen Fundierung des Staates verschwindet. Das Unterscheidungsmerkmal des Staates als Herrschaftssubjekt bezieht sich bei Laband lediglich auf „eigene Herrschaftsrechte“264, die allgemein auf seine Aufgaben und Pflichten265 bezogen werden. Zwar bezeichnet auch Laband gelegentlich den Staat als ein organisches Gemeinwesen266 bzw. einen Organismus267 und das Volk als dessen 261

So führt Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 125, aus, der Staat habe im Monarchen „den persönlichen Vertreter seines Willens“, fügt aber sofort hinzu, dass die „Vertretung so beschaffen“ sein soll, „dass sie den wirklichen Inhalt des Staatswillens zur Erscheinung bringt“. In diesem Sinne meint er, S. 126, die Landstände seien eine „Sicherheit dafür […], dass der persönliche Wille des Monarchen mit der sittlichen Ueberzeugung des Volkes zusammentreffe“. 262 Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 126, Fn. 16. 263 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II., S. 341, bezeichnet Laband mit Verweis auf Landsberg als Gerbers Testamentsvollstrecker; beide ständen für einen „Staat als Herrschaftssubjekt, als fiktive Persönlichkeit mit Willensmacht“ (S. 369). Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 205 ff., insb. 207. 264 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 57 ff.; insb. 65 ff.; Bd. II, S. 12 f.; Fröhling, Labands Staatsbegriff, S. 32; Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 134. 265 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 57 ff.; insb. S. 65; auf S. 70 definiert er die Aufgaben des Staates (die nur teilweise durch die Anwendung von Herrschaftsrechten erledigt werden) als „umfassende Tätigkeit zur Verwirklichung der aus dem Zusammenleben der Menschen sich ergebenden Kulturaufgaben“. In diesem Sinne auch Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 87. 266 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 95. 267 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. II, S. 9.

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Substrat268 ; er sieht das Volk im Staat und durch seine Organisation „zu einer Einheit verbunden, welche der einheitlichen und unteilbaren Persönlichkeit des Staates entspricht“269. Er verbindet jedoch damit keine Substanz, wie es Gerber noch getan hatte. Begrifflich konstituiert sich somit das Volk als Konsequenz von der und reflexiv zur Staatsgewalt als Einheit270. Daran kann man nochmal die im ersten Kapitel ausgemachte Form der Herrschaft, die Einheit, verdeutlichen: Das Volk wird erst als Wirkung, als eine zum Staat als Herrschaftssubjekt reflexiv bedingte Einheit geformt; zum einheitlichen Willen des Staates (der von den Staatsorganen gebildet wird)271 korrespondiert sowohl die „begriffliche Einheit“ des Herrschaftssubjekts272 als auch die Einheit des der Herrschaft unterworfenen Volks273. Herrschaft setzt somit für Laband begrifflich eine Formbeständigkeit im Sinne von Einheit als Entsprechungsverhältnis zwischen dem Subjekt und dem Objekt von Herrschaft voraus274. Dabei betont Laband besonders das Moment der Realisierung von Herrschaft, als Übergang ins Faktische275. Weil Laband die Staatsgewalt, also „die Macht des Staates zu herrschen“276, als Inbegriff der Herrschaftsrechte konzipiert277, definieren sich für ihn Staaten aus-

268 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 78. Auf S. 96 betont Laband, dass „im allgemeinen […] jeder Staat die Personifikation einer Volksgemeinschaft“ ist und konkret für das Deutsche Reich, dass man es sich „nicht ohne das deutsche Volk vorstellen kann“; Fröhling, Labands Staatsbegriff, S. 38. 269 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 96. 270 Fröhling, Labands Staatsbegriff, S. 38, betont, dass für Laband das Volk nur als „Objekt staatlicher Herrschaft verstanden“ wird. 271 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 91; konkret bezieht sich Laband auf Bundesrat und Reichstag. 272 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 78. 273 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 78; vgl. aber Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 134, der die Wichtigkeit der Ausblendung des Volks bei der Konstruktion der Rechtspersönlichkeit des Staates unterstreicht; diese impliziere eine neue „Grundeinheit, innerhalb derer es keine Vielheit“ gäbe. Reflexiv zur Herrschaft als Einheit verbunden, bildet das Volk aber gerade keine Vielheit. Zum Begriff der Person bei Laband im Sinne einer Einheit als Individuum, auch Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 95. 274 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 345, bemerkt für Laband, dass die „wesentliche Frage“ die nach der „Einheit der Staatspersönlichkeit und der Einheit der Staatsgewalt“ sei; Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 135, formuliert es so, dass der „Einheitlichkeit der Staatsperson […] die Einheit der Staatsgewalt“ entsprach, „die gesamthaft und unteilbar ihr ausschließliches Subjekt im Staate fand“. 275 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 71, mit der Charakterisierung, dass Herrschaft „die Befugnis, die Befolgung von Befehlen durch die Anwendung physischer Gewalt zu erzwingen“ notwendigerweise impliziert und dass ohne diese Machtmittel der Begriff der Herrschaft „hohl und wesenlos“ werde. Dazu Fröhling, Labands Staatsbegriff, S. 40. Bei Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 4, Anm. 2, S. 21, Anm. 3, hatte noch die verpflichtende Wirkung bzw. „eine Unterwerfung im Sinne eines Gehorsams gegen die allgemeine Rechtsordnung“ im Mittelpunkt gestanden. 276 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 66.

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schließlich auf der Grundlage der Existenz einer eigenen, unableitbaren Befugnis, Zwang auszuüben278. Genauso wie bei Gerber ist somit die Souveränität aus den notwendigen Elementen von Staatlichkeit ausgeschlossen. Laband definiert sie ähnlich wie Gerber im Sinne einer höchsten, obersten Gewalt279 ; ausgedrückt wird damit aber eine rein negative Eigenschaft, und zwar die Abwesenheit eines Unterwerfungsverhältnisses, so unbedeutend dieses auch sein mag280. Eine positive Bestimmung im Sinne der Befugnisse, die „eine Gewalt in sich schließt“281, ist dagegen kein notwendiges Element der Souveränität. In diesem Sinne beschreibt Souveränität eine kontingente Eigenschaft282 der Staatlichkeit, die Laband vor allem im Sinne der Unterscheidung zwischen Staatenbund und Bundesstaat thematisiert283. Es ist bemerkenswert, dass mit Laband die Definition von Souveränität die nächste Formalisierungsstufe erreicht. Diese Entwicklung hängt mit der fehlenden organischen Grundlage des Staates bei Laband zusammen: Souveränität als Unabhängigkeit war bei Gerber nämlich noch mit einem inhaltlichen Bezug konzipiert worden; sie hatte die Funktion, die freie Bestimmung der Staatsgewalt durch den „sittlichen Gesammtwillen eines Volks“ zu sichern284. Auch wenn Laband Souveränität als eine „nur sich selbst bestimmende Macht“285 beschreibt, konstruiert er grundsätzlich die souveräne Unabhängigkeit vorwiegend im Sinne rechtlicher Ungebundenheit286. Damit wird sie von der Inhaberschaft von Herrschaftsrechten, also 277 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 95; Fröhling, Labands Staatsbegriff, S. 39. 278 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 72; Fröhling, Labands Staatsbegriff, S. 44. 279 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 62 ff., 72 ff.; bezogen auf das Verhältnis zwischen Deutschem Reich und einzelnen Staaten, S. 88 ff., insb. 91. 280 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 73. 281 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 72. 282 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 64. 283 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 55 ff.; konkret auf das Deutsche Reich und die einzelnen Staaten angewendet, S. 88 ff.; dazu Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 192 ff. 284 Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 22; dazu oben Fn. 252 und 253. 285 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 63. 286 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 106. Juristisch ist die Autonomie „immer eine gesetzgebende Gewalt“ (Hervorhebung im Original). Interessant ist, dass Laband die Autonomie aus einem Gegensatz zur Souveränität konstruiert: „Selbstgesetzgebung kann man nur demjenigen Gemeinwesen als besondere Eigenschaft zuschreiben, dem die Gesetze auch von einer über ihm stehenden Gewalt gegeben werden könnten; die wahrhaft souveräne Gewalt kann keine Gesetze von außen erhalten, es würde daher eine selbstverständliche Trivialität sein, von ihr auszusagen, daß sie die Befugnis habe, sich selbst Gesetze zu geben“ (Hervorhebung im Original). Bei der Charakterisierung der Souveränität überwiegt die rechtliche Perspektive: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 57 („rechtlich beherrscht“), S. 63 („Findet die Einzelstaatsgewalt an den von der Zentralgewalt aufgestellten Normen eine Schranke, welche ihr von Außen, von einem ihr fremden Willen gesetzt ist, so ist damit ihre Souveränität verneint […]“; S. 73 („rechtlich bindende Befehle zu erteilen“, „Befehle von Rechts wegen Gehorsam schuldig“), S. 74, Anm. 1, S. 103 f.; vgl. aber S. 73 („von

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dem definierenden Merkmal von Staatlichkeit, entkoppelt287; offen argumentiert Laband gegen eine notwendige Verbindung zwischen Staatlichkeit, als Funktion der Gestaltung der gemeinsamen Existenz, und der als Freiheit von einer überordneten Gewalt verstandenen Souveränität288. Allerdings räumt Laband ein, dass Gestaltung ohne jegliche Souveränität, also ohne dass an irgendeiner Stelle ein letztes, übergeordnetes Subjekt erscheint, nicht vorstellbar ist289. In diesem Sinne geht die Verbindung verloren, die noch bei Gerber zwischen Souveränität und politischer Gestaltung bestanden hatte: das Verständnis der Souveränität als Unabhängigkeit, gerade um die der Gemeinschaft zugrunde liegende politische Substanz umsetzen zu können; die Unabhängigkeit hat bei Laband keinen politisch-normativen Bezugspunkt und erschöpft sich somit in der reinen negativen Form. Nicht nur die Souveränität als Unableitbarkeit der Herrschaftsrechte wird als reine Form konzipiert, auch die tatsächliche Verbindung zwischen politischer Gestaltung – zumindest, durch Gesetz – und Staatsgewalt wird interessanterweise bei Laband auf diese Art und Weise konstruiert290. Ein besonders pointierter Ausdruck dieser Formalisierung in der Konstruktion des Staatlichen sind die Unterscheidungen, die Laband beim Begriff des Gesetzes vornimmt. Er differenziert zwischen Gesetzesinhalt, also der Satzung des Rechtssatzes oder der Rechtsregel auf der einen Seite, und der Verleihung von rechtsverbindlicher Kraft, Anordnung oder Gesetzesbefehl291 auf der anderen. Dabei bezieht er „das spezifische Wirken der Staatsgewalt, einer höheren Gewalt rechtlich verpflichtende und erzwingbare Vorschriften empfängt“). In Bezug auf das Verhältnis zwischen Reich und Einzelstaaten versteht Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 91, die Souveränität des Reichs darauf begründet, dass Art. 78 der Reichsverfassung eine Kompetenzerweiterung des Reichs durch Majoritätsbeschluss vorsieht, dass Art. 4 dem Reich „eine so umfassende Kompetenz“ zuweist, „daß es fast keine Seite des staatlichen Lebens gibt, die nicht von ihr direkt oder indirekt betroffen wird“, die von Laband auch näher ausgeführt wird, und schließlich, dass gemäß Art. 2 die „Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen“. 287 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. II, S. 12. 288 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 73: „Eine Persönlichkeit kann einen großen und weitreichenden Kreis von Lebenszwecken nach ihrem freien und selbständigen Willen beherrschen, sie ist dennoch nicht souverän, wenn sie an irgend einem Punkte einem fremden Willen unterworfen, der Herrschaft einer anderen Persönlichkeit unterstellt, ihren Befehlen von Rechts wegen Gehorsam schuldig ist“. 289 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 73 f. 290 Dazu seine Überzeugung, die juristische Reflexion solle sich mit der Dimension der Form beschäftigen; in diesem Sinne Friedrich, Paul Laband und die Staatsrechtswissenschaft seiner Zeit, in: Archiv des öffentlichen Rechts, 111. Band, S. 200. Gierke, Labands Staatsrecht, in: ders., Aufsätze und kleinere Monographien, S. 327, bemerkt dazu, dass Laband „den Schwerpunkt der staatsrechtlichen Konstruktion überall aus dem materiellen Gehalt des Staatslebens in dessen Form verlegt“. So auch Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 165 ff. 291 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. II, S. 4. Dazu Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 198; Fröhling, Labands Staatsbegriff, S. 83 ff., 91 ff.; Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 148 ff. Die Unterscheidung wird von Laband nicht in seinem Staatsrecht eingeführt, sondern war schon in dem Artikel über Budgetrecht (Das

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das Herrschen“292 auf Letzteres, also auf die Sanktion293 als „Ausstattung eines Rechtssatzes mit verbindlicher Kraft, mit äußerer Autorität“294. Spezifisch für den Staat und die Staatsgewalt ist also ausschließlich die reine Form der Herrschaft295, die gerade unabhängig von ihrer materialen Dimension erfasst wird. Indem so der Inhalt aus dem Bereich der theoretischen Auseinandersetzung mit der Staatsgewalt ausscheidet, kann er im Reich konkret die Staatsgewalt, unabhängig von deren Inhalt, eben als formalisierte Herrschaft analysieren; so legt Laband allgemein für die (abstrakte) konstitutionelle Monarchie fest, nur der Monarch sei „imstande, ein Staatsgesetz zu erlassen, d. h. den staatlichen Befehl seiner Befolgung zu erteilen“296. Für das Deutsche Reich sieht er den Bundesrat als souveräne, die Sanktion beschließende Instanz297. Die Rekonstruktion von Laband kann somit vor allem als Verhältnis zwischen Herrschaft und Staat definiert werden; der Staat wird auf der Grundlage der Herrschaftsbefugnis charakterisiert, während Herrschaft ausschließlich auf den Staat bezogen wird. Daraus ergibt sich ein geschlossenes System, welches auf der Form der Einheit(-lichkeit), gerade als Gestalt der Herrschaft aufgebaut ist298. Daraus erklärt sich auch die Physiognomie der gesamten Konstruktion Labands als eine ständige Suche nach Anschlussinstanzen für Herrschaft im Sinne von Entscheidungseinheiten299. An dieser Stelle setzt ein besonderes Merkmal der Lehre Labands ein, die sie von derjenigen Gerbers unterscheidet: Hatte Letzterer im Monarchen zwar die grundlegende Anschlussinstanz für (staatliche) Herrschaft gefunden, so Budgetrecht nach den Bestimmungen der Preußischen Verfassungs-Urkunde unter Berücksichtigung der Verfassung des Norddeutschen Bundes, S. 3 ff.) benutzt worden; auch hatten andere Autoren vor Laband mit ihr gearbeitet; dazu Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 342, Fn. 159. 292 Dazu und allgemein zum Bezug zwischen Sanktionslehre und der damit eng verbundenen Trägerschaft von Staatsgewalt Pieroth, Die Sanktion im Gesetzgebungsverfahren, in: Der Staat, Bd. 16, S. 562 f. 293 Die Sanktion des Gesetzes ist für Laband, ebenso wie die Staatsgewalt, unteilbar, so Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. II, S. 6; dazu Pieroth, Die Sanktion im Gesetzgebungsverfahren, in: Der Staat, Bd. 16, S. 562. 294 Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. II, S. 4; Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 149. 295 In diesem Sinne auch die Kritik von Gierke, Labands Staatsrecht, in: ders., Aufsätze und kleinere Monographien, S. 326 f., wenn er meint, Laband definiere das Staatliche auf der Grundlage der Möglichkeit der Einsetzung seiner Herrschermacht. 296 Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. II, S. 5. Dass der Inhalt des Gesetzes zwischen Volksvertretung und Regierung vereinbart wird, hat, gerade wegen der Differenzierung zwischen Form und Inhalt, keine Bedeutung. 297 Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. II, S. 32 f. 298 Fröhling, Labands Staatsbegriff, S. 54 ff.; im Kontext der Sanktionslehre Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 149 f. 299 Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 78 ff., insb. 84 (zur Person), 91 (zur Herstellung eines einheitlichen Willens im Deutschen Reich); Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. II, S. 21, 32 f.; dazu im Allgemeinen Fröhling, Labands Staatsbegriff, S. 54 ff.

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konnte er doch seine Positionen mit einer gewissen Unabhängigkeit vom positiven Recht erarbeiten; Laband dagegen sah sich mit dem Reichsstaatsrecht konfrontiert, welches es zu bearbeiten galt300. Die Suche nach den Anschlussinstanzen musste sich dabei zumindest ansatzweise an den rechtlichen Vorgaben orientieren. Laband nimmt freilich nicht nur die rechtlichen Vorgaben als Grundlage für sein Werk, sondern interpretiert diese immer wieder und an entscheidenden Stellen im Lichte eines theoretischen Unterbaus von „allgemeinen Begriffen“301, die oft die dogmatischen Ergebnisse, zu denen er kommt, entscheidend vorbestimmen302. Genau in diesem Sinne wirken die für sein Werk zentralen Lehren der Trägerschaft der Staatsgewalt, der Sanktion und der sogenannten Impermeabilität303: Mit den verschiedenen Organen und deren Kompetenzen konfrontiert, lässt Laband auf der Grundlage seiner Interpretation der allgemeinen Begriffe (Staatsgewalt, Staat, Recht) Teile des Reichsstaatsrechts außer Acht bzw. interpretiert es um, bis es mit dem von ihm eingeführten theoretischen Unterbau übereinstimmt. Insbesondere in Bezug auf die Staatsperson als Zurechnungspunkt für die Herrschaft wird im Zuge der Problematik der Trägerschaft der Staatsgewalt304 die Organisation des Staates aus der Notwendigkeit der strikten Konkordanz zwischen (der Form der) Herrschaft und Entscheidungseinheiten konzipiert305. Dadurch kann Laband den ganzen institutionellen Komplex bei der Suche nach einer Anschlussinstanz für den staatlichen Willen ausblenden und sie nur bei dem bzw. bei den Monarchen ausfindig machen. Für die Ebene des Reichs kann, wie Schönberger betont, die Anschlussinstanz erst durch „eine gewisse Abstraktion“ gewonnen werden306 ; Laband bezieht sie, wie erwähnt, auf den Bundesrat als „ideelle Einheit“307. Die Abstraktionsleistung bleibt somit in einem eher engen Rahmen; der Bezugspunkt der Anschlussfähigkeit von Herrschaft

300 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 90; Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 161. 301 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 85 ff.; Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 186 ff., 205 ff. 302 Z. B. Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. II, S. 10 f.; die Tatsache, dass für ein Reichsgesetz gemäß Art. 5 der Reichsverfassung eine Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse von Bundesrat und Reichstag „erforderlich und ausreichend“ ist, wird von Laband im Sinne der bloßen Feststellung des Gesetzesinhalts uminterpretiert; das Entscheidende für die staatsrechtliche Perspektive, die Sanktion, wird von Laband nicht primär aus der Reichsverfassung rekonstruiert, sondern von seinem Staatsbegriff aus (S. 11). Dazu Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 199. Weitere Beispiele: Die Entscheidung für den Bundestaat; dazu Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus S. 192 ff., und die Sanktionslehre und der materielle und formelle Gesetzesbegriff; dazu Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 148 ff. 303 Zur Impermeabilität Fröhling, Labands Staatsbegriff, S. 54 ff. 304 So Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 104 ff., 109 f. 305 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 149 f. 306 Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 104. 307 Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. II, S. 32.

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bleibt konstant auf den Monarchen bzw. auf die von den Monarchen dominierte Verwaltung bezogen308. In dieser Ausblendung des Staates als Verhältnis zwischen Organen und Zuständigkeiten liegt das wichtigste Moment des Werks Labands im Sinne der Rekonstruktion des Entscheidungszusammenhangs über Staatsgewalt. Konstruktiv wird die staatliche Vielfalt an Kompetenzträgern zerlegt und im Sinne einzelmenschlicher Entscheidungstätigkeit rekonstruiert309. Im Endeffekt laufen die Arbeiten von Gerber und Laband auf das gleiche Ergebnis hinaus, welches aber auf vollkommen verschiedene Art und Weise erreicht wird und dessen Bedeutung auch im jeweiligen System eine sehr unterschiedliche ist. Für das hier zu entwickelnde Argument ist es von besonderer Bedeutung, dass hinter dem staatlichen institutionellen Gefüge von Strukturen und Kompetenzen – gerade Labands Behandlung der Funktion der Volksvertretung ist dafür exemplarisch310 – die Herrschaft als Staatsgewalt auf eine menschliche Entscheidungsfähigkeit bezogen wird311. Die Aufarbeitung komplexer, also verschiedene Subjekte miteinbeziehender Entscheidungszusammenhänge wird somit auch angesichts der wachsenden Kompliziertheit des Staates nicht geleistet; mehr noch: Durch diese Entwicklung rückt der Staat, der seit Albrecht die zentrale Rolle im staatstheoretischen und -rechtlichen System eingenommen hatte, im Subtext immer weiter in den Hintergrund, während das menschliche Element immer stärker wird. Hatte bei Gerber der material verstandene Organismus die Ausschaltung des Staates als Anschlussinstanz für Herrschaft noch abgeschwächt, so bricht sie bei Laband voll durch: Der Staat stellt einfach nur die Grundlage dar, auf der die als Einheit konzipierte Herrschaft in Gestalt der Staatsgewalt zu menschlichen Entscheidungseinheiten wiederfindet. Die Kritik an Laband ist auch nicht in der Lage, eine Beschreibung des Entscheidungszusammenhangs zu leisten, die der wachsenden institutionellen Komplexität Rechnung tragen würde. So konstruiert Gierke, der methodologisch auf einer

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Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 100 ff., 112 ff. So auch Pieroth, Die Sanktion im Gesetzgebungsverfahren, in: Der Staat, Bd. 16, S. 562: „Die Doktrin von der Unteilbarkeit der Sanktion stand in Zusammenhang mit der Vorstellung, die Staatssouveränität verlange, daß einem Staatsorgan die gesamte Staatsmacht zur Disposition stehen müsse“. 310 Dazu Fröhling, Labands Staatsbegriff, S. 83 ff. Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 111 ff., betont auch den negativen Charakter der Volksvertretung als Staatsorgan; besonders deutlich S. 150: „Der monolithische Anstaltsstaat verkörpert sich in seinem Träger, dem Monarchen, dem allein die ungeteilte Staatsgewalt unter Einschluß des Gesetzgebungsrechts zusteht. Die Begriffskette „Staat – Träger der Staatsgewalt – Gesetzesbefehl“ verdrängt das Parlament aus dem Bereich des Staates“. 311 Als Kontinuitätslinie zwischen Gerber und Laband sieht Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 205, die Annahme, „im Staat müsse es einen einheitlichen Träger der Staatsgewalt geben“. 309

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völlig anderen Grundlage als Laband steht312, den Staat ebenfalls als Einheit, und zwar auf der Grundlage seiner Gesamtpersönlichkeit313 ; von dieser gehen verschiedene organschaftliche Kompetenzen aus314. Diese angenommene Staatspersönlichkeit drängt unabweislich zu einem einheitlichen Zentralorgan hin315, welches sich jedoch als bloße Form erweist, wenn Gierke weiter ausführt, dass es für dieses Organ nicht notwendig ist, dass es „sichtbar und thätig“316 wird. Die Einheit des Organs ist, wie die des Staates bei Albrecht, keine aus einer Entscheidung über Herrschaft konzipierte, also auf ihre Wirkung bezogene Einheit, sondern eine vorgestellte, aus der die politischen Handlungen ideell abgeleitet werden317. Ist die vorgestellte Einheit des zentralen Organes gewahrt, so ist es unbedenklich, die Ausübung von Herrschaftsrechten unter verschiedenen Organen zu verteilen, wie es im Deutschen Reich zwischen Kaiser und Bundesrat geschah318. Daraus ergibt sich dasselbe Problem, welches schon mit Bezug auf die Lehre der Staatssouveränität bei Albrecht erörtert wurde: Die einheitliche Wirkung von Herrschaft wird aus einer Entscheidung konstruiert, deren Entstehung aber im Rahmen des institutionellen Systems nicht gewährleistet werden kann. Eben weil Gierkes Rekonstruktion bereits von der Existenz einer Einheit ausgeht bzw. eine solche vorausgesetzt wird, kann er das Problem der Einheitsbildung vernachlässigen, es also gar nicht als Problem wahrnehmen. Die Notwendigkeit der Bildung einer Entscheidungseinheit, die über Herrschaft entscheiden und somit (politische) Gestaltung vornehmen kann, erscheint bei Gierkes materialer Fundierung319 auch insofern als nicht unbedingt erforderlich, 312 Labands Staatsrecht, in: ders., Aufsätze und kleinere Monographien, S. 287, mit der Aussage, die juristische Methode solle nicht nur Form, sondern auch Substanz zum Ausdruck bringen. 313 Labands Staatsrecht, in: ders., Aufsätze und kleinere Monographien, insbesondere S. 301 f. 314 Labands Staatsrecht, in: ders., Aufsätze und kleinere Monographien, S. 317; auf S. 323 spricht er von Organen, die zu „einheitlichem Wollen“ berufen seien. 315 Labands Staatsrecht, in: ders., Aufsätze und kleinere Monographien, S. 319. 316 Labands Staatsrecht, in: ders., Aufsätze und kleinere Monographien, S. 319. 317 So zum Beispiel im Falle einer Republik. Gierke, Labands Staatsrecht, in: ders., Aufsätze und kleinere Monographien, S. 319, meint, in einer Republik sei „das souveräne Organ eine Gesammtheit, die als Einheit nur vorgestellt wird, ohne sich jemals wirklich zu versammeln, und die lediglich in getrennten Willensakten ihrer Glieder thatsächlich funktioniert“. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit „repräsentativer Organe, welche in seinem Namen die höchsten staatlichen Machtrechte wirklich ausüben“. 318 Labands Staatsrecht, in: ders., Aufsätze und kleinere Monographien, S. 319. Dieselbe Ansicht vertritt auch Gierke, um das Wesen des Bundesstaates, und insbesondere das Verhältnis zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten zu erklären; Subjekt der „in ihrer Substanz ungetheilten Staatsgewalt“ sei die „Mehrheit der vorhandenen Staatspersonen in ihrer organischen Verbundenheit“ (S. 342). Das gilt jedoch nur für die Substanz, nicht aber für die Ausübung; diese ist unter den verschiedenen Subjekten verteilt (S. 343). Das nennt er die „genossenschaftliche Konstruktion“ des Bundesstaates (S. 345). 319 Labands Staatsrecht, in: ders., Aufsätze und kleinere Monographien, S. 347, Anm. 1, S. 348 ff., insb. 350.

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als ja diese die Grundlage abgibt, von der aus Staat und Recht notwendigerweise ihre inhaltliche Bestimmung erlangen320.

III. Jellinek: Herrschaft als Selbstkonstitution Auch wenn das Verhältnis von Jellinek zum staatsrechtlichen Positivismus umstritten ist321, so werden doch bei ihm zentrale Momente der Konstruktion des Begriffs der Souveränität, die schon von Gerber und Laband vorgearbeitet worden waren, aufgenommen und weiterentwickelt322. So definiert Jellinek die Souveränität auch als Merkmal323 der Staatsgewalt324, auch wenn als kein wesentliches325. Gerber und Laband hatten bei ihren Konstruktionen auf eine Isolierung der Momente des Willens und der Herrschaft in Gestalt der Staatsgewalt abgestellt, diese einheitlich konstruiert und darauf das System des Staatsrechts aufgebaut. Jellineks methodologischer Ansatz bewirkt nun eine durchaus differenziertere Analyse und Begründung, die nicht mehr (nur) mit der Herrschaft, dem Staatswillen an sich, als grundsätzlicher Kategorie operiert, sondern den Staat als breit angelegten Zusammenhang in den Mittelpunkt stellt326. Der Staat gewinnt unter Jellinek eine analytische Priorität327, die nicht mehr nur auf seiner Charakterisierung als Herrschaftssubjekt gründet. Zwar ist auch für Jellinek das Herrschen das für den Staat Charakteristische und Spezifische328, jedoch wird die Herrschaft bei ihm durchaus anders 320 So Labands Staatsrecht, in: ders., Aufsätze und kleinere Monographien, S. 348, in der behauptet wird, dass die Rechtsidee „in der Einheit des geistigen Empfindens“ wurzelt, und insb. S. 350: „Darum erscheint der Staat bei der Gesetzgebung nicht blos als Willensorgan, sondern als Bewußtseinsorgan der Allgemeinheit. Wohl wird Energie, Macht, Autorität, aber in erster Linie wird doch Einsicht, Weisheit, Gerechtigkeit beim Gesetzgeber angenommen und erwartet. Die Rechtsvernunft eines Volkes lebt nicht blos in seinem Staate, aber sein Staat ist ihr vornehmster Depositär“. 321 Kersten, Georg Jellinek, S. 31 ff., m. w. N.; von einer methodischen Relativierung schreibt Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 216. 322 Möllers, Staat als Argument, S. 14; Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 218 ff. 323 Allgemeine Staatslehre, S. 482. 324 Insbesondere versucht Jellinek im Abschnitt über die Geschichte der Souveränität, Allgemeine Staatslehre, S. 435 ff., aufzuzeigen, inwiefern die Verbindung zwischen Souveränität und Staatsgewalt ein historischer Fehler ist, und wie dieser durch Albrecht und insbesondere Gerber korrigiert wird. Grimm, Souveränität, S. 66, meint deswegen, für Jellinek gehöre nur die Staatsgewalt notwendig zum Staat, nicht die Souveränität. Die Ähnlichkeit zu Laband ist in dieser Hinsicht deutlich. 325 Allgemeine Staatslehre, S. 486. 326 Zu diesem Neuansatz im Sinne einer „Wiederentdeckung all desjenigen, was die auf den Staatswillen fixierte Staatsrechtslehre Labands als ,unjuristisch‘ abgetan hatte“, Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 216 f. Möllers, Staat als Argument, S. 23, 32. 327 Kersten, Georg Jellinek, S. 411, spricht in diesem Sinne vom „Primat des Staats“. 328 Allgemeine Staatslehre, S. 180: „Diese Macht unbedingter Durchsetzung des eigenen Willens gegen anderen Willen hat nur der Staat“. In diesem Sinne auch Badura, Die Methoden

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konstruiert als noch bei Gerber und Laband. So erscheint sie im Rahmen des Staates nur bedingt als in ihrer Wirkung einheitsstiftend, wie noch zu thematisieren sein wird. Im Kontext der „Zwei-Seiten-Lehre“329 ist der faktische, soziale Staat der objektive Rahmen, in dem sich „soziale Beziehungen“ vollziehen330, die sich wiederum „in Tätigkeiten“ äußern. Näher bestimmt erweisen sich diese Beziehungen als Herrschaftsverhältnisse, also als „Willensverhältnisse Herrschender und Beherrschter, die beide in zeitlicher, in der Regel auch (bei zusammenhängendem Staatsgebiet) in räumlicher Kontinuität stehen“331. Die Aufgabe der Wissenschaft besteht darin, diese „Vielheit der Erscheinungen zu ordnen“332. Auf der ersten Stufe der Konstruktion des sozialen Staatsbegriffs wird seine Einheit nicht reflexiv zur Ausübung eigener Herrschaft bzw. zur Innehabung eigener Herrschaftsrechte konstruiert; diese stellt vielmehr, gerade im Sinne wissenschaftlicher Ordnung, eine Zusammenfassung dieser vielfältigen Herrschaftsverhältnisse dar. Diese können, weil sie untereinander identisch sind, „unter höhere Begriffe geordnet werden“333. Herrschaft ist also auf dieser Ebene kein für den Staat konstitutives, notwendigerweise von ihm ausgehendes Moment, sondern ein analytisches Kriterium für die Beobachtung staatlicher Verhältnisse334. Da die wissenschaftlich erarbeitete, synthetisierende Zusammenfassung jedoch zur Bildung verschiedener Arten von Einheiten führen kann335, muss Jellinek bestimmen, auf welche Art von Einheit der Staat denn zurückgeführt werden soll. Er definiert die Einheit des Staates als eine „wesentlich teleologische“336, die „eine Vielheit von Menschen […] durch konstante, innerlich kohärente Zwecke“337 ver-

der neueren allgemeinen Staatslehre, S. 209; Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 137. 329 Möllers, Staat als Argument, S. 13; Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 136. 330 Allgemeine Staatslehre, S. 174. 331 Allgemeine Staatslehre, S. 177. 332 Allgemeine Staatslehre, S. 177. 333 Allgemeine Staatslehre, S. 177; für Jellinek sind „im Grunde […] so viele Beherrschungsverhältnisse vorhanden, als es Individuen gibt“. Da diese als „völlig identisch“ erscheinen, wenn man nur auf die „Beziehung von Willen zu Willen“ abstellt, kann eben die angesprochene Zusammenfassung stattfinden. 334 Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. I, S. 308, betont, dass der Zusammenschluss der Herrschaftsverhältnisse, ohne eine Auseinandersetzung mit deren staatlicher Natur, zum „bloß logischen Problem“ wird, wie denn die Vielheit als Einheit verstanden werden kann. 335 Allgemeine Staatslehre, S. 177; in diesem Sinne auch schon System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 21 ff. 336 Allgemeine Staatslehre, S. 179. 337 Allgemeine Staatslehre, S. 178, in diesem Sinne auch 234 f. und System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 26.

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bindet. Im Staat finden diese einheitsbildenden Zwecke „ihren höchsten Grad“338 ; so weist der (soziale) Staat „unter allen Verbänden die größte Fülle konstanter Zwecke“339 auf. Jellinek belässt es bei dieser rein formalen Beschreibung der die teleologische Einheit des Staates begründenden Zwecke340; auf deren Grundlage wird der Staat, auf einer ersten Stufe, als eine Verbandseinheit definiert, die eine Zweckeinheit darstellt. Die Verwirklichung dieser Zwecke äußert sich in einer Organisation341, d. h. in „Personen, die berufen sind, die einigenden Zweckmomente durch ihre Handlungen zu versorgen“342. Die teleologische Einheit – „für unser Bewußtsein um so schärfer ausgeprägt, je zahlreicher und stärker wirkend die einigenden Zwecke sind“343 – wird somit „nach außen gespiegelt, um ihr Handlungsfähigkeit zu verleihen“344. Durch diese Organisation, welche in das Faktische eingreift, und zwar als Verwirklichung der einheitsstiftenden Zweckmomente, wird die nächste Stufe des faktischen Staatsbegriffs erarbeitet345. Konstituiert nämlich die Verbandseinheit eine Vielheit von Menschen346, die wegen der gemeinsamen Zwecke für das Bewusstsein als Einheit erscheinen, so bezieht sich der Staat als Herrschaftszusammenhang auf die Zusammenfassung von Willens- bzw. Herrschaftsverhältnissen347. Dieser Bezug spielt eine zentrale Rolle, weil nun derartige Verhältnisse für Jellinek als für den Staat konstitutiv anzusehen sind348. Durch die Charakterisierung des Staates – die „Macht unbedingter Durchsetzung des eigenen Willens gegen anderen Willen hat nur der Staat“349 – eröffnet sich für Jellinek innerhalb der Notion des Staates als Zusam338

Allgemeine Staatslehre, S. 179. Allgemeine Staatslehre, S. 179. 340 Möllers, Staat als Argument, S. 14: „Welchen Zwecken die Einheit Staat dient, ist ebensowenig Inhalt des faktischen Staatsbegriffs wie die sozialen Bedingungen dieser Willensbildung“. 341 Allgemeine Staatslehre, S. 179. Für Kersten, Georg Jellinek, S. 273, verbindet sich im Begriff der Verbandseinheit „die ,innere‘ teleologische Willenseinheit, die der Staat ,wesentlich‘ sein soll, mit der formalen Einheit der Organisation“. 342 Allgemeine Staatslehre, S. 179. 343 Allgemeine Staatslehre, S. 178; in dem Sinne auch Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 137 f. 344 Kersten, Georg Jellinek, S. 273. 345 Kritisch zur einheitskonstitutiven Verbindung zwischen der Verwirklichung von Zwecken und der Organisation Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. I, S. 310 ff. 346 Allgemeine Staatslehre, S. 179. 347 Allgemeine Staatslehre, S. 180; so auch Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 451. 348 Allgemeine Staatslehre, S. 180: „Der Staat hat Herrschergewalt“. In diesem Sinne setzt Jellinek den von Gerber und Laband bereits beschrittenen Weg konsequent fort. Wenn weiter auf S. 180 behauptet wird, dass ein „Gemeinwesen, das nach irgendeiner Richtung hin selbständige, unabgeleitete Herrschermacht besitzt, nach dieser Richtung hin selbst Staat“ ist, dann sind die Parallelen zum Kriterium der eigenen Herrschaftsrechte bei Laband offensichtlich. 349 Allgemeine Staatslehre, S. 180; in diesem Sinne auch S. 489. Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 105. 339

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menfassung herrschaftlicher Verhältnisse, also als synthetische Einheit, eine zweite Form der Zusammenfassung. Diese betrifft nicht Herrschaftsverhältnisse allgemein, sondern ausschließlich deren aktive Dimension. An diesem Punkt treffen das von Gerber und Laband erarbeitete Verständnis des Staates als Herrschaftssubjekt, und die von Jellinek entwickelte methodologische Erweiterung für dessen Erfassung aufeinander350. Faktischer Staat ist somit sowohl die teleologische Synthese von Menschen, die durch gemeinsame Zwecke verbunden sind, als auch der Zurechnungspunkt für die Zusammenfassung aller aktiven Herrschaftsverhältnisse351. An diesen faktischen, doppeldeutigen und grundsätzlich auf Herrschaft bezogenen Begriff knüpft dann der juristische Begriff des Staates mit minimalen Veränderungen an352 ; auch dieser stellt eine Form der Synthese dar, die das Verhältnis zwischen Verbandseinheit (ins Juristische übersetzt: der Körperschaft) und der Rechtsordnung zum Ausdruck bringt353. Es ist also das Moment der Herrschaft, welches die gemeinsame Achse zwischen dem faktischen und dem juristischen Begriff des Staates bildet; es ist das Kriterium, nach dem sich sein gemeinsamer Kern zu differenzieren vermag354. Auch wenn Herrschaft schon bei Gerber und Laband das konstitutive Kriterium für den Staat war, so differenziert sich Jellinek bei der Konstruktion der Ausübung von Herrschaft aber erheblich von diesen. Wie schon oben dargestellt, hatten Gerber mit der formalen Aufnahme der Staatspersönlichkeit und Laband mit der Lehre der Trägerschaft die 350 Allgemeine Staatslehre, S. 181: „Die den herrschenden Willen erzeugenden Personen werden, sofern sie diesen Willen bilden, Willenswerkzeuge, d. h. Organe des Ganzen. Ist die Synthese der menschlichen Vielheit zur Zweckeinheit logisch notwendig, so ist nicht minder die Beziehung des Organwillens auf die Verbandseinheit, die Zurechenbarkeit jenes zu dieser logisch geboten“. Dass sich diese zweite Form des Zusammenschlusses, in der der Staat in einer aktiven Rolle im Verhältnis zur Herrschaft verstanden wird, nicht aus den bisherigen Erläuterungen ergibt, haben schon Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff, S. 127 („War der Staat bisher die Einheit von Herrschaftsverhältnissen, ist er jetzt plötzlich ein Herrscher!“ (Hervorhebung im Original) und Wolff, Organschaft und Juristische Person, Bd. I, S. 312, erkannt. 351 Diese letzte Dimension erscheint dann besonders explizit in der Definition vom (faktischen) Staat, die Jellinek gibt: „Der Staat ist die mit ursprünglicher Herrschermacht ausgerüstete Verbandseinheit seßhafter Menschen“, Allgemeine Staatslehre, S. 180 f.; ferner die Behauptung auf S. 180 „Alle Herrschermacht im Staate kann nur vom Staate selbst ausgehen“. Zur Doppeldeutigkeit im Sinne eines Verständnisses von Staat als herrschendem und genossenschaftlichem Verband Kersten, Georg Jellinek, S. 274 ff. Kritisch zu dieser eigentlich auf gemeinsamen Zwecken basierenden, aber letztendlich auf Handlungen von Staatsorganen als herrschend beruhenden Konstruktion Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 172 ff. 352 Möllers, Staat als Argument, S. 14. 353 Allgemeine Staatslehre, S. 183; in diesem Sinne Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 137. 354 In diesem Sinne Allgemeine Staatslehre, S. 561, Anm. 2, mit dem Verweis auf das System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 224 und 260 f. Nur Akte der „Herrschaftsausübung und der freien leitenden Tätigkeit“ sind „dem Staate zuzurechnen“. Auf S. 364, Anm. 1 (365) betont er auch das Kriterium des wirklichen Besitzes der Macht für die Existenz eines Staates.

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für die Dimension der Herrschaftsausübung zentrale Kategorie der Einheit grundsätzlich auf den Monarchen bzw. die vom Monarchen kontrollierte Verwaltung und somit auf menschliche Entscheidungsfähigkeit bezogen. Jellinek dagegen bleibt in diesem Punkt uneindeutig355. Einerseits versucht er, Herrschaft konsequent dem Staat zuzurechnen, um ihn auf dieser aufzubauen. Dabei betont er im Rahmen der Staatsrechtslehre, dass es rechtlich unbedenklich sei, die Staatsgewalt auf mehrere Organe zu verteilen. Denn die Forderung, reflexiv zur Einheit des Staates ein einheitliches, höchstes Organ zu haben, welches auch die Staatsgewalt konzentriert, sei eine politische; sie gelte insofern für „jene als unrichtig nachgewiesenen Staatstheorien, welche ein Staatselement – Herrscher oder Volk – mit dem ganzen Staate identifizieren“356. Gerade seine Typologie der Staatsorgane357 steht für den Versuch einer Systematisierung und Rationalisierung der staatlichen Organisation und behebt dem Anspruch nach gerade die Probleme, die die übersimplifizierte Rekonstruktion der innerstaatlichen Verhältnisse von Laband mit sich brachte. Jedoch ist auch für Jellinek der Staat letztendlich auf einem einheitlichen Willen begründet358. Auch wenn er die Lehre eines einzigen Trägers der Staatsgewalt verwirft359, so nimmt er doch an, es müsse ein höchstes Organ geben360, „welches den Staat in Tätigkeit setzt und erhält und die oberste Entscheidungsgewalt besitzt“, die er auch explizit auf die Änderung der Rechtsordnung bezieht361. Die Einheit des Staates begründet Jellinek grundsätzlich durch die konsequente Zurechnung der Akte, die von der Organisation des Staates, also von Organen in Ausübung ihrer Kompetenzen, durchgeführt werden, zur Person des Staates362. Auch wenn der Staats- bzw. Verbandswille „kein anderer als der menschlicher Individuen“ sein kann363, die staatliche Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit also nur durch Menschen bestehen kann364, so ist die Einheit des Staates nicht aus der Entscheidungsfähigkeit dieser Menschen, die für den Staat handeln, zu verstehen. Mit anderen Worten: Die Einheit des Staates ist für Jellinek kein Reflex der Einheitsform 355 Vgl. Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 137, Anm. 99, 140, Anm. 131, der von Inkonsequenz bei der Konstruktion der juristischen Persönlichkeit des Staates ausgeht. 356 Allgemeine Staatslehre, S. 550. 357 Allgemeine Staatslehre, S. 540 ff. 358 System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 229, Allgemeine Staatslehre, S. 550. Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 218, behauptet, bei Jellinek trete die „Vorstellung einer Zweckeinheit […] schließlich doch wieder hinter die Willensfähigkeit der staatlichen Verbandseinheit zurück“. 359 Allgemeine Staatslehre, S. 552. 360 Möllers, Staat als Argument, S. 29 f., mit der Parallele zwischen den Ergebnissen von Laband und seiner Lehre vom Träger der Staatsgewalt, und Jellinek mit der Kategorie des höchsten Organs. 361 Allgemeine Staatslehre, S. 554. 362 Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 139, Anm. 130. 363 Allgemeine Staatslehre, S. 540. 364 System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 224 f.; Allgemeine Staatslehre, S. 560. In diesem Sinne auch Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 107.

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einer Handlung oder einer Entscheidung; sie ist vielmehr eine Leistung der staatlichen Organisation365 bzw. eine Forderung an diese, einen einheitlichen Willen aus dem Zusammenwirken von verschiedenen Organen zu erzeugen366. Staatliche Einheit besteht somit in der Zurechnung eines durch die Ausübung von Herrschaft qualifizierten, von einem Staatsorgan367 innerhalb seiner Zuständigkeit vorgenommenen Aktes zur einheitlichen Rechtspersönlichkeit des Staates368. Diese Konstruktion stellt eine bemerkenswerte Entwicklung in der Auseinandersetzung mit dem Problem der Entscheidung über Herrschaft und Souveränität dar, denn sie markiert den Punkt der völligen Entkopplung von einem menschlichen Willen als einheitsstiftende Kategorie369 ; damit präsentiert sich die Lehre Jellineks aber eigentlich als Abschluss und gerade nicht als Prototyp der Konstruktion von Souveränität im Rahmen der konstitutionellen Monarchie370. Freilich war der Bezug zum menschlichen Willen schon bei Gerber und insbesondere mit der von Laband vorgenommenen Formalisierung nicht im Sinne einer (durch Rechtsetzung durchgeführten) politischen Gestaltung konstruiert worden; im Grunde genommen wurde aber stets menschliche Entscheidungstätigkeit (durch die Kategorie des Staates 365

Allgemeine Staatslehre, S. 551. System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 138, insb. 229.; die „inneren Vorgänge“ der Persönlichkeit des Staates sollen zu einem einheitlichen Willensakt führen. Einheitlichkeit ist insofern als Überwindung der Vielfalt an Kompetenzen zu verstehen; sie bewegt sich auf rechtlicher Ebene und vermittelt nicht zwischen Normativem und Faktischem; daher auch die Charakterisierung als „nicht definitiv“ von Akten, über welche noch kein höchstinstanzliches Urteil entschieden hat. Zur Konstruktion eines einheitlichen Willens aus dem Wirken verschiedener Organe auch Allgemeine Staatslehre, S. 550 ff. 367 System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 29: „Mit derselben Denknotwendigkeit, mit der wir die Vielheit zur Einheit zusammenfassen, erscheint uns der in ihr auf Erreichung ihrer Zwecke gerichtete konstante aktive Wille als ihr Wille, nicht nur als Wille des physisch Wollenden“. 368 Möllers, Staat als Argument, S. 30. Damit greift Jellinek im Ansatz auf Albrecht zurück; bei ihm begründete, wie bereits erörtert, der Staat auch ein Zurechnungsverhältnis wegen der besonderen Art der Interessen, um die es sich in bestimmten Fällen handelte. 369 Bei Jellinek nimmt der Staat als (Rechts-)Subjekt von Herrschaft den Platz des menschlichen Herrschers ein; so Allgemeine Staatslehre, S. 496: „Geht man von dem Fundament der rechtlichen Erfassung des Staates aus: von seiner Erkenntnis als einer Einheit, so ergibt sich daraus als notwendige Konsequenz die Lehre von der Einheit und Unteilbarkeit der Staatsgewalt. Geteilte Gewalt setzt eine Spaltung des Staates in eine Mehrheit staatlicher Gebilde voraus. Was von der Staatsgewalt schlechthin gilt, hat natürlich auch für die souveräne Staatsgewalt Geltung. Souveränität ist eine Eigenschaft, und zwar eine solche, die weder einer Mehrung noch einer Minderung fähig ist. Sie ist logisch ein Superlativ, der sich niemals spalten läßt, sondern nur gleichartige Größen derselben Gattung neben sich duldet. Daher können mehrere souveräne Staaten nebeneinander bestehen, aber niemals als Träger einer und derselben Staatsgewalt. Daher gibt es keine geteilte, fragmentarische, geminderte, beschränkte, relative Souveränität“. Die logische Priorität gehört dem Staat bzw. seiner Erfassung als Einheit, erst daraus wird die Einheit der Staatsgewalt gefolgert. 370 So aber die Einschätzung bei Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 84. Auch Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 216, stellt fest, Jellinek trage „zur nach 1900 in vielfältigen Formen sichtbar werdenden Erosion des staatsrechtlichen Positivismus bei“. 366

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vermittelt) als Anknüpfungspunkt für die Herrschaft gesehen. Genau dieser Anschluss verschwindet bei Jellinek371; Herrschaft wird als qualifizierendes Merkmal für die Zurechnung bestimmter Akte zum Staat relevant, und es ist diese Zurechnung, die den Staat als wahrgenommene Einheit konstituiert. Gestaltung durch bewusste Entscheidungen über Herrschaft steht für Jellinek nicht nur nicht im Mittelpunkt, er steht ihrer Möglichkeit sogar sehr skeptisch gegenüber372. Allgemein sieht er das innerstaatliche Leben als durch nicht rechtlich erfassbare soziale Kräfte373 und gesellschaftliche Faktoren374 bestimmt, wie gerade seine Lehre über die normative Kraft des Faktischen zeigt. Die Rechtsordnung sieht er insofern konsequenterweise als Ausdruck von faktischen Machtverhältnissen375. Andererseits äußert sich diese skeptische Position in der Behandlung des politischen Staatsbegriffs376, vor allem in Bezug auf die Staatszwecke, die für Jellinek nicht die innere Bestimmung der Staatstätigkeit377, sondern einen Wertmaßstab darstellen378. Herrschaft ist für Jellinek Zurechnungskriterium, gerade weil sie an erster Stelle das Wesen des Staates (mit) konstituiert; dabei wirkt sie jedoch grundsätzlich nicht extrovertiert, sondern auf sich selbst gerichtet379 : Der Staat, dessen Wesensmerkmal „nicht weiter ableitbare 371 Möllers, Staat als Argument, S. 30: „Jellineks Staatsbegriff versucht die Staatsgewalt von einzelnen Organen abzulösen“. 372 Allgemeine Staatslehre, S. 122 ff., insb. 125, und seine Aussage, das Recht sei „im letzten Grunde nicht schöpferisch, sondern bewahrend und abwehrend“, Allgemeine Staatslehre, S. 257. 373 Allgemeine Staatslehre, S. 125. 374 Allgemeine Staatslehre, S. 341. 375 Allgemeine Staatslehre, S. 339. Das Verhältnis zwischen Faktizität und Recht tritt besonders scharf „in der Entstehung des Rechts hervor. Die fortdauernde Übung erzeugt die Vorstellung des Normmäßigen dieser Übung, und es erscheint damit die Norm selbst als autoritäres Gebot des Gemeinwesens, also als Rechtsnorm“. Badura, Die Methoden der neueren allgemeinen Staatslehre, S. 208, behauptet aus diesem Grund, Jellinek bekenne sich, gerade weil „sowohl Entstehung-, als auch Geltungsgrund des positiven Rechts ,sozialpsychologischer Natur sind‘“, zu „einer monistischen Durchführung der soziologischen Methoden“. 376 Kersten, Georg Jellinek, S. 302. 377 Hennis, Das Problem der Souveränität, S. 18, behauptet, Jellinek verneine jede Frage um einen materialen Sinn der Staatsgewalt; gerade dadurch verliert die Frage nach der (politischen) Gestaltung jede Bedeutung für ihn. 378 Allgemeine Staatslehre, S. 264, Anm. 1. 379 Deutlich die Definition von Souveränität auf S. 481 der Allgemeinen Staatslehre als die „Fähigkeit der ausschließlichen Selbstbestimmung und daher der Selbstbeschränkung der durch äußere Mächte rechtlich nicht gebundenen Staatsgewalt auf dem Wege der Aufstellung einer Rechtsordnung“. Dazu Grimm, Souveränität, S. 67. Hennis, Das Problem der Souveränität, S. 19 f., behauptet, dass dieser Zug des Verständnisses der Souveränität bei Jellinek dadurch entsteht, dass die Souveränität nicht mehr mit „politischen Legitimitätsprinzipien, wie sie z. B. den material verstandenen Begriffen der Volks- und Fürstensouveränität zugrunde lagen und wie sie ihrer Idee nach in jeder Staatsformbestimmung angelegt sind“; auf S. 20 dann die Behauptung, die Standortlosigkeit der Souveränität, die bei Jellinek klar zum Ausdruck komme, sei die Folge der fehlenden Zurechnung der Staatsgewalt zu „einem wirklichen Subjekt“. Das ist sicherlich richtig, nur haben die begrifflichen Verschiebungen, um eben das Fehlen einer

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Herrschergewalt“380 ist, äußert sich an erster Stelle im Sinne einer Organisation, die „ausschließlich auf eigenen Gesetzen ruht“381. Ursprüngliche Herrschermacht ist somit insbesondere Macht zur Selbst- bzw. Neukonstitution als Recht382. Deswegen wird auch die Souveränität bei Jellinek grundsätzlich auf eben diese „Fähigkeit zur Selbstorganisation und Autonomie“383 bezogen. Bestehen insofern durchaus Ähnlichkeiten zwischen Jellinek und den von Gerber und Laband vorgezeichneten Bahnen, so bedingt das Abstellen Jellineks auf den Staat doch eine Veränderung: War bei Gerber und Laband die souveräne Freiheit des Staates eine negative, im Sinne des Ausschlusses von heteronomer Beherrschung, so wird diese souveräne Autonomie in ihrer Introvertiertheit bei Jellinek positiv, gerade im Sinne einer Fähigkeit zur Selbstkonstitution. Insoweit steht Jellinek für die Selbstverständlichkeit des Verhältnisses zwischen Staat und Herrschaft. Die zentrale Frage ist folglich nicht mehr, wie dieses Verhältnis von außen zu verstehen ist, sondern wie es intern strukturiert ist. Gerade aus dieser Perspektive steht Jellineks Arbeit für den Schritt zum Erklärungsversuch eines modernen Staates, im Sinne eines formalisierten Systems von Positionen, welches die grundsätzliche Aufgabe der Ausübung von Herrschaft zu erfüllen hat384 ; es ist die Selbstverständlichkeit der Attribution von Herrschaft an den Staat, die es erlaubt, Herrschaft als Zurechnungskriterium für Staatlichkeit zu erklären385.

menschlich verstandenen Entscheidungs- und Willens-, in diesem Sinne insbesondere Gestaltungseinheit zu kompensieren, lange vor Jellinek angefangen. 380 Allgemeine Staatslehre, S. 489. 381 Allgemeine Staatslehre, S. 493. 382 Allgemeine Staatslehre, S. 369; Möllers, Staat als Argument, S. 15; Kersten, Georg Jellinek, S. 38 f. 383 So bei der Unterscheidung zwischen souveränen und nichtsouveränen Staaten, Allgemeine Staatslehre, S. 489 ff. 384 Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 109, meint, dass durch diese Konstruktion, in der „jeder Einzelne rechtlich als Willensorgan des Staates verstanden wurde“, Jellinek „die Zentralisierung der staatsrechtlichen Beziehungen auf die Willensmacht der Staatsperson zu ihrer höchsten Vollendung“ führte. 385 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 623: „Überdies aber steht dem Staate zum Zwecke seiner sozialen Verwaltung seine Herrschaft zu Gebote. Das ist der wichtige Punkt, in welchem staatliche oder mit staatlichen Machtmitteln ausgeübte körperschaftliche Verwaltung sich grundsätzlich von der eines jeden Privaten unterscheidet. Weil Herrschaftsausübung staatliches Verwaltungsmittel ist, ist der Staat der mächtigste soziale Faktor geworden, der stärkste Hüter und Förderer des Gemeininteresses“. Das Verhältnis ist also: nicht, weil der Staat Förderer des Gemeininteresses ist, übt er auch Herrschaft aus, sondern, weil er Herrschaft ausübt, fördert er Gemeininteressen.

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IV. Bilanz des staatsrechtlichen Positivismus Für den staatsrechtlichen Positivismus steht die begriffliche Verbindung zwischen Herrschaft und Staat im Vordergrund386 ; beide Momente werden unauflöslich aufeinander bezogen387. Nach der grundlegenden Problematik, die die Zeit des Vormärzes bestimmt hatte, ist das eine nachvollziehbare, geschichtlich bedingte begriffliche Entwicklung. Gerade dafür spielte die Möglichkeit eines subjektiven Verständnisses vom Staat, vor allem in der Anfangsphase, die zentrale Rolle; der subjektivierte Staat sollte gerade als plausible Anknüpfungsinstanz für das Moment der Herrschaft dienen388. Insofern ist es nicht überraschend, dass zu dieser Zeit, wie Quaritsch bemerkt, der Begriff der Staatsgewalt alle Merkmale internalisiert, die traditionell der Souveränität zugerechnet worden waren und die gerade eine Verbindung zwischen einem Herrschaftssubjekt und Herrschaft zum Ausdruck brachten389. Die Konsequenzen aus dieser Entwicklung zieht Preuß, der die Eliminierung des Begriffs der Souveränität fordert: „Die Eliminierung des Souveränitätsbegriffs aus der Dogmatik des Staatsrechts ist demgemäss nur ein kleiner Schritt vorwärts auf der von unserer Wissenschaft längst eingeschlagenen Bahn“390. Darin zeigt sich der Zusammenhang zwischen einem bestimmten Verständnis des Staates und der extrovertierten Souveränität, wie sie von Gerber und Laband konzipiert wird. Bemerkenswert ist die Entwicklung, die dabei das Verhältnis zwischen Staat, Herrschaft und Recht nimmt. Hatte Albrecht die Herrschaft dem Staat als Recht zugeschrieben, so war also für ihn dieses Verhältnis in der Sphäre des Rechts 386 Dieser wesentliche Punkt wird auch in der Kritik des Positivismus nicht grundsätzlich bestritten; so, zum Beispiel, Gierke, Labands Staatsrecht, in: ders., Aufsätze und kleinere Monographien, S. 304, wenn er meint, Laband habe „richtig erkannt“, dass „der Staat seinem Wesen nach Herrschaft ist“. 387 Hennis, Das Problem der Souveränität, S. 18, definiert den Staat zwischen Jahrhundertwende und Weltkrieg als „Herrschaft, Herrschaft und nochmals Herrschaft“. In diesem Sinne auch Scheuner, Das Wesen des Staates und der Begriff des Politischen, in: Staatstheorie und Staatsrecht, S. 52 ff. 388 In diesem Sinne schon Preuß, Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität, in: ders., Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie im Kaiserreich (Gesammelte Schriften, Bd. II), S. 262: „Diese abstrakte Staatspersönlichkeit als unicum sui generis mit ihrem durch mystische Urzeugung entstandenen Herrschaftsmonopol, die mit einer in sich selbst ruhenden Gewalt ihren ,Untertanen‘ fremd und äußerlich gegenübersteht, das ist schließlich nichts anderes als die modern juristische Verkleidung der alten individualistischen Staatsgewalt, der obrigkeitlichen Souveränität, die nach Abtragung des feudal-patrimonialen Gerüsts frei im leeren Raume schwebt, falls man sie nicht durch die Fiktion des Gottesgnadentums an den Himmel hängt, oder durch die Fiktion des pactum subjectionis recht stilwidrig einen Notanker auf die niedere Erde wirft“ (Hervorhebung im Original). Kritisch schon Mayer, Die juristische Person und ihre Verwertbarkeit im öffentlichen Recht, in: van Calker et al. (Hrsg.), Staatsrechtliche Abhandlungen, Festgabe für Paul Laband zum fünfzigsten Jahrestage der DoktorPromotion, Bd. I, S. 56, der von einer Abdankung „zu Gunsten der Rechtsfigur einer juristischen Person“, die aber „aus eigener Macht nichts“ sei, schreibt (Hervorhebung im Original). 389 Souveränität im Ausnahmezustand, in: Der Staat, Bd. 35, S. 12. 390 Preuß, Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften, S. 135.

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überhaupt fassbar; die Subjektqualität des Staates in Bezug auf Herrschaft war in seiner juristischen Persönlichkeit begründet, wurde also erst durch seine Charakterisierung als Rechtssubjekt möglich. Von diesem Ausgangspunkt aus änderte sich die Rolle des Rechts im staatsrechtlichen Positivismus je nach Autor. Gerber geht von einem tatsächlichen staatlichen Willen aus, der eine „Naturkraft“391 darstellt. Er konstituiert den Staat als Rechtssubjekt, aber diese Charakterisierung ist nicht die Grundlage seines Verhältnisses zur Herrschaft; das Herrschen ist vielmehr die rechtliche Äußerungsform des natürlichen Staatswillens392 ; der Staat und sein Wille sind rechtlich erfassbar, aber die Existenz beider ist nicht auf die Dimension des Rechts beschränkt. Auch Laband konstruiert den Staat auf der Grundlage eines eigenen Willens, wenn auch dieser wegen seiner fehlenden organischen Aufladung eine unbedeutendere Rolle als bei Gerber spielt. Trotzdem ist der Wille des Staates auch bei Laband fester Bestandteil des Systems393 : Die staatliche Herrschaft, die durch den Staatswillen erfolgt, besteht in dem Recht, „freien Personen (und Vereinigungen von solchen) Handlungen, Unterlassungen und Leistungen zu befehlen und sie zur Befolgung zu zwingen“394. Da die Hoheitsrechte eine rechtliche Macht darstellen395, hat der Staat im Recht seinen Bestand, und auch seine Herrschaft wird in dieser Dimension erfasst. Jellinek aber bricht wieder mit dem methodologischen Monismus in der Konstruktion des Verhältnisses zwischen Staat und Herrschaft; er sucht nach dem Grund der (rein) rechtlichen Erfassung der staatlichen Macht als Rechtsordnung396. Dabei kommt er zu seiner Selbstverpflichtungslehre397 und insbesondere zur Unausweichlichkeit der Selbstkonstitution des Staates als Recht398. Das bedeutet: Die Herrschaftsposition des Staates wird somit als eine metarechtliche konstruiert399, sie führt aber notwendigerweise ins Rechtliche hinein400. Bei Jellinek ist somit das Verhältnis zwischen Staat und Herrschaft nicht mehr nur als Recht 391

Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 21. Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 21. 393 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 57, 65. 394 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 68 (Hervorhebung im Original). 395 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 68 f. 396 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 50. 397 Allgemeine Staatslehre, S. 475 ff. 398 Allgemeine Staatslehre, S. 477: „Nur das Wie, nicht das Ob der Rechtsordnung liegt in seiner Macht, in seiner faktischen wie in seiner rechtlichen“. 399 Möllers, Skizzen zur Aktualität Georg Jellineks, in: Paulson/Schulte (Hrsg.), Georg Jellinek, S. 164, spricht von der „Vorstellung eines hinter dem Recht wiederzufindenden Staates, der bei Gelegenheit sein Haupt erhebt, um normative Ansprüche anzumelden […]“. 400 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 22, hebt insofern die Parallele zwischen Gerber und Jellinek hervor: „Gerber nimmt insoweit in gewisser Weise die Zwei-Seiten Lehre Georg Jellineks vorweg. Der entscheidende Unterschied beider Ansätze besteht allerdings in ihrem wissenschaftsgeschichtlichen Kontext: Sucht Gerber aus den noch herrschenden Organismuslehren den ,juristischen‘ Staatsbegriff eines geschlossenen Willenssubjektes herauszupräparieren, so geht es Jellinek bereits darum, die herrschende ,rein‘ juristische Dimension zu erweitern“. Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 140 f. 392

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erfassbar, Recht stellt aber die notwendige Erscheinungsform staatlicher Herrschaft dar.

C. Weimarer Republik Die begriffliche Verbindung zwischen Staat und Herrschaft, die die Diskussion im staatsrechtlichen Positivismus bestimmt hatte, wirkt in die Weimarer Zeit hinein. In diesem Sinne wird Herrschaft, wie sie im letzten Abschnitt thematisiert wurde, stets als mit dem Begriff des Staates verbunden mitgedacht401. Dabei wird aber durch die Vielfalt an Deutungen und theoretischen Angeboten über Souveränität (und Staatlichkeit im Allgemeinen), die für die Weimarer Republik charakteristisch ist und sich vor allem in einer starken methodologischen Ausdifferenzierung zeigt402, der Rahmen der Kategorien gesprengt, der die Diskussion bis dahin einigermaßen geordnet hatte403. Die sehr unterschiedlich ausfallende Konstruktion des Verhältnisses zwischen Staat und Recht404 zeigt aber auch, inwiefern die Verrechtlichung des Verhältnisses zwischen Herrschaft und Staat die Fragen nach politischer Gestaltung verdrängt hatte, sodass diese nur noch als Recht erfasst werden konnten. Politische Gestaltung erschien im formalen Rahmen der rechtlichen Problematik eingebettet.

I. Kelsen: Souveräner Staat als unableitbare Rechtsordnung Kelsen vertieft und intensiviert die juristische methodologische Ausrichtung, die Jellinek schon für die rechtliche Dimension seiner Lehre verfolgt hatte; dadurch verengt er auch weiter den methodologischen Zugriff auf die Problematik um Staat und Herrschaft. Die Grundlage der Behandlung dieses Verhältnisses ist bei beiden

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In diesem Sinne Hebeisen, Souveränität in Frage gestellt, S. 50: „Die Abhandlung der Souveränität als Eigenschaft der Staatsgewalt geschieht, zumeist explizit, im Anschluß an die epochemachende Darstellung bei Georg Jellinek in den Kapiteln 13 und 14 von dessen Allgemeiner Staatslehre. Somit gründet die Diskussion des innerstaatlichen Souveränitätsbegriffs mittelbar auf der berühmtgewordenen Definition des Staates als ,der mit ursprünglicher Herrschermacht ausgerüsteten Verbandseinheit seßhafter Menschen‘ von Jellinek“. 402 Auf die Vielfalt und die außerordentliche Kompliziertheit bezüglich der Staatspersönlichkeitslehren, in deren Rahmen sich viele der hier angesprochenen Probleme abspielten, weist Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 164 f., hin. 403 Für Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 114, spiegelt die Weimarer Staatsrechtslehre „die politische Zerrissenheit der Gesellschaft und die Instabilität des Weimarer Verfassungssystems wider“; Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 164 f., äußert eine ähnliche Beurteilung der Entwicklung der Staatspersönlichkeitslehren für diese Zeit. 404 Einen Überblick über diese Problematik gibt Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 160 ff.

C. Weimarer Republik

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eine erkenntnistheoretische405 ; Kelsen wendet sich dabei in seiner Rekonstruktion der Problematik um Staat, Recht und Herrschaft aber entschieden gegen die „zweiSeiten-Lehre“ Jellineks406 und verfolgt einen konsequenten methodischen Monismus407. Für Kelsen kann es bekanntlich keine zwei Erkenntniswege desselben Gegenstands geben408 ; aus diesem Grund verwirft er die soziologische Methode, die noch Jellinek in der allgemeinen Soziallehre als Erkenntnisgrundlage für den Staat postuliert hatte409. Für Kelsen besteht nicht nur ein konstitutiver Bezug zwischen Erkenntnismethode und Erkenntnisobjekt410, der eine (methodologisch) differenzierte Betrachtung desselben Objekts unmöglich macht; das Objekt Staat kann überhaupt nur juristisch erforscht und verstanden werden411. Erkenntnistheoretisch ist somit für Kelsen die rechtliche Perspektive für das Verständnis des Staates vorbestimmt; aus dieser Perspektive kann der Staat nur als Recht, als Rechtsordnung, verstanden werden412. Methodologisch ist für Kelsen somit ein Zusammenfallen von Recht und Staat vorgegeben, welches sein begriffliches System bestimmt. Durch die strikte Unterscheidung der Bereiche von Sein und Sollen413 kann der Staat nicht als kausaler Ursprung irgendeines Faktums angesehen werden, sondern dient lediglich als endgültiger Zurechnungspunkt für die Rekonstruktion des rechtlichen Sinnes von Handlungen. Diese Struktur bestimmt den allgemeinen Personenbegriff bei Kelsen; für ihn ist jede Person, sowohl Mensch als auch juristische Person, eine „Teilrechtsordnung“414, d. h. der Inbegriff eines Komplexes von Normen, Berechtigungen

405 Dazu Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 187 ff., insb. 191 ff., mit dem Bezug auf den Staat bzw. auf die Rechtspersönlichkeit. 406 Möllers, Staat als Argument, S. 37. 407 Badura, Die Methoden der neueren allgemeinen Staatslehre, S. 142 ff. Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. I, S. 232. Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 166 f., 169, Anm. 24. 408 Allgemein zu den methodologischen Grundlagen von Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. V ff.; ders., Allgemeine Staatslehre, S. VII ff.; Möllers, Staat als Argument, S. 37; Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 190. 409 Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 19 ff. 410 Badura, Die Methoden der neueren allgemeinen Staatslehre, S. 143. 411 Zumindest dann, wenn der Staat, dieses „vieldeutige Wort“, in „irgendeiner Beziehung zum positiven Recht“ steht; diese Beziehung ist aber „eine der wenigen, ganz unbestrittenen Positionen der Staatslehre“; Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 17. Möllers, Staat als Argument, S. 41; Badura, Die Methoden der neueren allgemeinen Staatslehre, S. 144. 412 So meint Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 12, dass „[…] eben ,rechtlich‘ nichts anderes begriffen werden kann als das Recht, und den Staat rechtlich begreifen (das ist wohl der Sinn der Staatsrechtslehre) nichts anderes heißen kann, als den Staat als Recht begreifen“. Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 167. 413 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 4 ff.; Möllers, Der Staat als Argument, S. 45; Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 115. 414 Allgemeine Staatslehre, S. 62 ff., insb. 66 ff.

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2. Kap.: Die Entwicklung der Souveränität in Deutschland

und Pflichten415, die gerade in der „Person“ die Veranschaulichung ihres Einheitsbezuges findet416. Wenn auch der Staat von Kelsen als Zurechnungspunkt definiert wird, so auf der Grundlage dieses allgemeinen Personenbegriffs; durch den Bezug auf Zurechnung417 greift Kelsens Konstruktion die schon von Jellinek erarbeiteten (juristischen) Momente für das Verhältnis zwischen Staat und Recht wieder auf. Komplett verworfen wird dagegen die metarechtliche Dimension des Staates bei Jellinek: Ganz im Sinne des Personenbegriffs erfolgt die Zurechnung zum Staat bei Kelsen gerade nicht als zu einer vorrechtlich existierenden Größe418, denn der Staat stellt für ihn die Personifizierung der ganzen Rechtsordnung dar419. Er hat insofern nur kognitiven Wert420; Sinn desselben ist, bildlicher Ausdruck der (normativen) Systemeinheit zu sein421. Die Zurechnung zum Staat als Rechtsordnung steht für die ausschließlich rechtliche erkenntnistheoretische Ausrichtung der Lehre von Kelsen422. Damit ist die Zurechnung zum Staat auch konstitutiv für die Möglichkeit einer (positiv-)rechtlichen Sinngebung menschlicher Handlungen überhaupt; der Staat als Endzurechnungspunkt423 löst sich förmlich im Recht auf424. Im Gegensatz zu Jellinek erfolgt somit die Zurechnung gerade nicht in Anbetracht des den Staat konstituierenden Merkmals der Herrschaft, Zurechnung ist eine rein rechtsimmanente Leistung. Die Frage nach der Souveränität ist bei Kelsen eine Folge des eben charakterisierten Verhältnisses zwischen Recht und Staat. Souveränität erscheint für ihn nicht

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S. 47. 416

Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 168; Möllers, Staat als Argument,

Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 116. Insbesondere die Zurechnung spielt bei Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 49, die grundlegende Rolle für die für das Recht bestimmende Dimension des Sollens; sie steht im direkten Gegensatz zur Kausalität, die für die Dimension des Seins maßgeblich ist. 418 Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, S. 208; Möllers, Staat als Argument, S. 37. 419 Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 175 ff. 420 Dazu Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, S. 210. 421 Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 18. Dazu auch Möllers, Staat als Argument, S. 48; Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, S. 210; Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 174, 188. 422 Dazu Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 197: „Die Grundbegriffe der Staatspersönlichkeit und ihrer subjektiven Rechte, des Staatswillens, der Einheit der Gesamtrechtsordnung, der Souveränität, der Positivität des Rechts, der Reinheit und Einheit der Methode – sie alle waren nur Umschreibungen ein und desselben Sachverhaltes“. In diesem Sinne auch Hebeisen, Souveränität in Frage gestellt, S. 229 ff. 423 Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 71 ff., 104. 424 Möllers, Staat als Argument, S. 48 f., stellt fest, das Recht sei die „Existenzform des Staats“; Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 170 ff. 417

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mehr als Eigenschaft des Staates bzw. der Staatsgewalt an sich425, sondern als Eigenschaft des Staates, weil (selbstverständlich primär) Eigenschaft des Rechts426. Doch trotz dieser besonderen Konstruktion finden sich auch in der begrifflichen Prägung Kelsens bekannte Momente: Souveränität besagt für ihn grundsätzlich die Unableitbarkeit einer normativen Ordnung, einer Rechtsordnung427, und insofern ihr Zuhöchstsein gegenüber anderen normativen Ordnungen428 im Sinne der Geschlossenheit bzw. Ausschließlichkeit ihrer Geltung429. Souveränität ist somit ein Deutungsschlüssel für die Rechtsordnung430, eine Voraussetzung der staats- und rechtstheoretischen Betrachtung431, eine „Annahme des Betrachters, eine Betrachtungs-, Wertungs-Voraussetzung“432, durch die eine eben vorausgesetzte Qualität explizit zum Ausdruck gebracht wird433. Wegen seiner methodologischen Ausrichtung stellt die Geltung das Grundmoment von Kelsens Theorie dar434. Eine Vermittlung zwischen Normativität und 425 Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 6 f., mit der Kritik zur faktischen Auffassung der staatlichen Souveränität und S. 8 f., mit der normativen Rekonstruktion des Herrschaftsverhältnisses; dazu auch Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 177 f. 426 Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 10, 13, Anm. 1, 14; insb. S. 16: „Bei jeder anderen, von der Rechtsordnung verschiedenen Bedeutung des Staatsbegriffes müßte mit Entschiedenheit betont werden, daß Souveränität nur eine Eigenschaft der Rechtsordnung, nicht aber des Staates sei“. Auch Allgemeine Staatslehre, S. 102 ff.; besonders S. 109: „[…] stets ist – weil und sofern die Rechtsordnung als souverän vorausgesetzt wird – der Staat souverän“. Dazu auch, Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 177; Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 118; von Simson, Die Souveränität im rechtlichen Verständnis der Gegenwart, S. 55. 427 Allgemeine Staatslehre, S. 102 ff., insb. 105, 109. Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 191, bezeichnet den Begriff der souveränen Staatspersönlichkeit bei Kelsen als „die oberste erkenntnistheoretische Hypothese der Rechtstheorie“. 428 Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 10, 13, 14, 27, 38 und 59. 429 So meint Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 103: „Daß der Staat souverän sei, bedeutet: daß man voraussetzungsgemäß die Frage nach einem außerhalb dieses Systems liegenden Geltungsgrunde nicht stellen dürfe“, in diesem Sinne auch S. 104 f. Auch ders., Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 75. Dazu Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 105 f. und Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 177. 430 Dreier, Der Ort der Souveränität, in: Dreier/Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 13: „In Kelsens ,Reiner Rechtslehre‘ schließlich verflüchtigt sich der Souveränitätsbegriff zu einem juristisch-logischen Zurechnungspunkt, dem alle soziologisch-politischen Konnotationen systematisch ausgetrieben worden sind“. 431 Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 103. 432 Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 15. 433 Hebeisen, Souveränität in Frage gestellt, S. 166 f., nennt die Souveränität bei Kelsen den „Sammelpunkt einiger methodologischer Grundlegungen der Reinen Rechtslehre“; auch S. 313. 434 Deutlich in diesem Sinne Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 71: „In dem Gedanken eines Zuhöchstseins der staatlichen Ordnung, in der Vorstellung, daß der Wille des Staates

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Faktizität lässt sich aus Kelsens methodologischer Grundlage nicht erfassen: Setzung und Wirksamkeit von Recht, also Momente, durch die eben eine solche Vermittlung hätte zum Ausdruck gebracht werden können, sind in der Reinen Rechtslehre sogar explizit zu „Bedingungen der Geltung“435 herabgestuft. Auch wenn somit das Problemfeld des Verhältnisses zwischen Recht und Herrschaft nicht komplett ausgeblendet wird, kann es unter diesen Bedingungen nur rechtsimmanent thematisiert werden436, und das bedeutet – für Kelsen durchaus konsequent –, dass es nur stark formalisiert erörtert werden kann437. So erscheint die rechtsetzende Entscheidung bei Kelsen grundsätzlich als eine Zurechnungsleistung, in der die normativ-rechtliche Sinngebung der Handlung das entscheidende Moment ist438 ; die Gestaltung als politisches Moment wird als reine Form konzipiert439 und die Wirksamkeit zur Voraussetzung des Rechtsbegriffes allgemein und der Norm erklärt. Die Formalisierung von Herrschaft erreicht somit bei Kelsen ihren Höhepunkt440 ; der anthrokeinen höheren mehr über sich hat, seine Geltung von keinem höheren Willen ableitet, enthüllt der Begriff der Souveränität seinen rechtstheoretisch reinen Gehalt. […] Hier sei festgehalten, daß Souveränität als Rechtsbegriff eine Qualität des Rechtes, des als Rechtsordnung erkannten Staatswillens in seiner spezifischen Geltungsexistenz aussagt, nicht aber einer Eigenschaft der irgendwie naturhaft-real gegebenen, als Ursache von Wirkungen fungierenden Macht oder Gehalt des Staates – dieser Hypostasierung der ins Psychologische mißdeuteten Metapher des juristischen Staatswillens! – wie das für gewöhnlich angenommen wird. Ein Staat ist souverän, wenn die auf die Rechtsnormen gerichtete Erkenntnis die im Staat personifizierte Ordnung als höchste, in ihrer Geltung nicht weiter ableitbare, also als Total- und nicht bloß als Teilrechtsordnung voraussetzt“. Zum Bruch mit den hergebrachten Kategorien Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 116: „Die Reduktion der juristischen Betrachtung auf das rein rechtliche führte Kelsen zu der Erkenntnis, dass der einheitliche Wille, auf dem seit Gerber das Wesen der Rechtspersönlichkeit beruhte, unabhängig von dem psychologischen Willensbegriff als rein juristisch-normative Kategorie erfasst werden müsse. Der Wille sei daher nur ein anderer Ausdruck für das normative Sollen, welches durch die Rechtsperson einen Zurechnungspunkt erhalte“. 435 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 219. Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 170, spricht bei Kelsen von einem Zusammenfallen von Rechtslehre und Staatslehre, dadurch werden „die Probleme des Staates und seiner Elemente […] zu solchen des objektiven Rechtes und dessen Geltungsvoraussetzungen“. 436 Gerhardt, Die Macht im Recht, in: Krawietz/Schelsky (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, Beiheft 5 zur Rechtstheorie, S. 502 ff. 437 Dazu Hennis, Das Problem der Souveränität, S. 30 f. 438 Besonders klar in diesem Sinne Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 262, „Die staatliche Ordnung wird in allen ihren Stufen durch Menschen erzeugt, deren normsetzende Funktion durch die Ordnung selbst bestimmt wird, indem die Norm höherer Stufe die Bedingungen festsetzt, unter denen die Norm niederer Stufe geschöpft wird. Staatsorgan im Sinne eines die staatliche Ordnung schaffenden Werkzeuges ist somit der durch die Norm höherer Stufe bestimmte Setzer der Norm niederer Stufe“. Dazu Hebeisen, Souveränität in Frage gestellt, S. 315. 439 Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 45: „Jeder beliebige Inhalt kann von der Rechtsordnung aufgenommen werden“. 440 Zur Formalisierung der Souveränität bei Kelsen Hebeisen, Souveränität in Frage gestellt, insb. S. 230, 235 und 312 ff.; auf S. 313 behauptet er, dass die „traditionell mit dem Konzept verbundene Spannung zwischen Normativität und Faktizität zugunsten der ersteren aufgelöst wird“.

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pomorphisierte bzw. personell konstruierte Staat, der noch bis Jellinek Bestand hatte und als Subjekt der Herrschaft konzipiert worden war, verschwindet. Alle wesentlichen Merkmale der Herrschaft werden nur aus der Perspektive des Rechts erfassbar441, sodass, im Sinne des angesprochenen Verhältnisses zwischen Staat, Herrschaft und Recht, nur das Recht übrig bleibt. Sowohl das Staatliche wie das Herrschaftliche, in der Sanktionslehre Labands noch Kern seines Formalismus und gerade in diesem Sinne mit einem Bezug zu einer Willenseinheit, verliert bei Kelsen strukturell die Eigenständigkeit442. Damit verschiebt sich auch der Sinn der Einheit bzw. der Einzigkeit443 als Gehalt der Souveränität: Bei Kelsen erscheint zwar das Recht immer noch auf Herrschaft bezogen, jede Berücksichtigung dieser Herrschaft ist aber erkenntnistheoretisch durch das Recht vermittelt. So auch die Form der Einheit: Primär auf sie bezogen erscheint bei Kelsen nur die Erkenntnis des Rechts444.

II. Schmitt: Die politische Einheit des Volks Auf einer ganz anderen Grundlage, die gerade als Reaktion auf die bis jetzt skizzierte Tendenz verstanden werden kann, konstruiert Schmitt die staatstheoretischen und -rechtlichen Grundbegriffe, und insbesondere die Souveränität. Schmitt bricht mit der begrifflichen Tendenz, Staat bzw. Recht eine analytische Priorität einzuräumen, wie es seit dem Aufkommen des Positivismus der Fall gewesen war. Das Primäre im begrifflichen System Schmitts ist das, was logisch Staat und Recht zugrunde liegt: eine (politische) Entscheidung, als deren Wirkung sie sich präsentieren445.

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Möllers, Staat als Argument, S. 44 f. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 17, 99 f., 151; Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 180, stellt fest, dass eine Unterscheidung bzw. Hervorhebung der Person des Staates, unter den Prämissen Kelsens nicht möglich war. 443 Für den Bezug zwischen beiden Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 105. 444 Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 105 f.: „So wird Souveränität zum Ausdruck für Einheit des Rechtssystems und Reinheit der Rechtserkenntnis“. Zu diesem Punkt Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 105; Otten, Der Sinn der Einheit im Recht, in: Göbel/van Laak/Villiger (Hrsg.), Metamorphosen des Politischen, S. 47, meint, dass die „,Einheit des Rechts‘ […] letztlich bloß der ,Einheit des Erkenntnisstandpunktes geschuldet‘ ist. 445 Exemplarisch dazu in der Verfassungslehre, S. 23: „Die Unterscheidung von Verfassung und Verfassungsgesetz ist aber nur möglich, weil das Wesen der Verfassung nicht in einem Gesetz oder einer Norm enthalten ist. Vor jeder Normierung liegt eine grundlegende politische Entscheidung des Trägers der verfassunggebenden Gewalt, d. h. in der Demokratie des Volkes, in der echten Monarchie des Monarchen“. Badura, Die Methoden der neueren allgemeinen Staatslehre, S. 201. 442

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Bedeutend ist der Staat für Schmitt in diesem Sinne grundsätzlich aus symbolischer Perspektive: Er stellt die politische Einheit des Volks dar446. Als solche ist der Staat durchaus ambivalent; er präsentiert sich sowohl als eine befriedete Einheit, dem eine politische Entscheidung vorausgegangen ist447, als auch als Zusammenhang, in dem solche Entscheidungen wirken können, und zwar vor allem diejenigen, die den Erhalt der Einheit gewährleisten: Als Status einer politischen Einheit ist er somit Voraussetzung, Hintergrund und Ergebnis einer Entscheidung448. Der Staat gibt folglich den Hintergrund ab, vor dem die Fragen nach den Voraussetzungen politischer Entscheidungen und deren Wirksamkeitsbedingungen thematisiert werden können449. Dieses Verhältnis kommt exemplarisch bezüglich der Verbindung zwischen Staat und Verfassung im Zusammenhang der verfassunggebenden Gewalt zum Vorschein; die Verfassung stellt im für Schmitt primären Sinne eine Entscheidung dar450, und zwar die Entscheidung über die konkrete Form der politischen Einheit. Die Verfassung setzt also die Bedingungen politischer Aktionsfähigkeit voraus; erst aus ihrer Aktualisierung entsteht eine konkrete, bestimmte Form der politischen Einheit451, deren Ausgestaltung in der Verfassung ihren Ausdruck findet452. 446 Schmitt, Verfassungslehre, S. 3, passim. Möllers, Staat als Argument, S. 63; Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 353 f. 447 Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 350: „Wenn politische Einheit sich im Übergreifen von Spannungen, Gegensätzen und konfligierenden Interessen zur Einheit und Gemeinsamkeit konstituiert und erhält, damit fortdauernd deren Relativierung und Einbindung leistet, dann hat sie die Möglichkeit einer inappellablen Letztentscheidung zur Voraussetzung“. 448 Verfassungslehre, S. 44; dazu Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 125 ff. Auch Möllers, Staat als Argument, S. 63 f., beurteilt den Einheitsbegriff als uneindeutig „zwischen normativem und faktischem Rückbezug“ und unterstreicht die Zirkularität dieser Struktur. Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 348. 449 Möllers, Staat als Argument, S. 61 f., meint, der Staat sei für Schmitt „zunächst nur als Erkundung des Politischen interessant“; für Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 344 ff., muss Schmitts’ Werk immer im Sinne seines Begriffs des Politischen gelesen werden. 450 Schmitt, Verfassungslehre, S. 21: „Die Verfassung im positiven Sinne entsteht durch einen Akt der verfassunggebenden Gewalt. Der Akt der Verfassunggebung enthält als solcher nicht irgendwelche einzelne Normierungen, sondern bestimmt durch einmalige Entscheidung das Ganze der politischen Einheit hinsichtlich ihrer besonderen Existenzform“. In diesem Sinne auch Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 134; Llanque, Die Theorie politischer Einheitsbildung in Weimar und die Logik von Einheit und Vielheit (Rudolf Smend, Carl Schmitt, Hermann Heller), in: Göbel/van Laak/Villiger (Hrsg.), Metamorphosen des Politischen, S. 166. 451 So behauptet Schmitt, Verfassungslehre, S. 21, der Akt der Verfassunggebung wirke konstitutiv für „Form und Art der politischen Einheit, deren Bestehen vorausgesetzt wird“, und fügt hinzu: „Es ist nicht so, daß die politische Einheit erst dadurch entsteht, daß eine ,Verfassung gegeben‘ wird. Die Verfassung im positiven Sinne enthält nur die bewußte Bestimmung der besonderen Gesamtgestalt, für welche die politische Einheit sich entscheidet“. 452 Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 351 f.; auf S. 352 behauptet er, für Schmitt sei der

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Die Entscheidung wiederum ist aber nur analytisch relevant, indem sie (politisch) wirksam wird, d. h., gerade indem sie in der Herstellung, Fixierung im Sinne von Erhaltung oder Wiederherstellung der politischen Einheit zur Geltung kommt453. Analytischer Horizont ist deswegen immer die politische Einheit des Volks, Hintergrund ständig das Politische. In diesem Sinne stellt der Ausgangspunkt Schmitts eine Umkehrung von Kelsens Position dar: Das normative Moment erscheint grundsätzlich in der Wirksamkeit, also Faktizität, aufgelöst. Eine Entscheidung stellt gerade kein kontrafaktisches Moment dar, von der Wirklichkeit in diesem Sinne zu unterscheiden, sondern (nur!) ihre erfolgte, also aktualisierte Gestaltung; sie ist ein kausales Deutungsmoment der Wirklichkeit, welches in ihr zum Ausdruck kommt454. Gerade an diesem Punkt endet die Möglichkeit, sich mit den Legitimitätsbedingungen einer Entscheidung auseinanderzusetzen455 ; wenn sich eine Entscheidung als gestaltete Wirklichkeit durchgesetzt hat und weiterhin Bestand hat, dann wird die Frage um ihre Legitimität obsolet456. Die Bedingungen der Legitimität sind in der Verwirklichung einer Entscheidung bereits enthalten. Ob sich die Wirksamkeit auf rein faktische Überlegenheit oder auf Autorität bezieht, ist im Rahmen eines solchen analytischen Ansatzes sekundär457. Aus dieser Perspektive ist auch der Souveränitätsbegriff Schmitts zu verstehen; sein Kern liegt in einer Entscheidung über den Ausnahmezustand458. Auch in diesem Falle bezieht sich der Grundgedanke auf die politische Einheit, denn der Ausnahmezustand ist dadurch gekennzeichnet, dass die Existenz des Staates als eine solche Einheit gefährdet ist459. In diesem Kontext kann Souveränität im Sinne einer „inStaat als politische Einheit etwas seinsmäßig Gegebenes. So auch Llanque, Die Theorie politischer Einheitsbildung in Weimar und die Logik von Einheit und Vielheit (Rudolf Smend, Carl Schmitt, Hermann Heller), in: Göbel/van Laak/Villiger (Hrsg.), Metamorphosen des Politischen, S. 166. 453 Besonders klar zum Ausdruck kommt diese Tendenz bezüglich der Erhaltung der politischen Einheit, die ständig aufgegeben ist; in diesem Sinne Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 358, 362; so auch Otten, Der Sinn der Einheit im Recht, in: Göbel/van Laak/Villiger (Hrsg.), Metamorphosen des Politischen, S. 46 f., mit der Behauptung, dass für Schmitt „jede wirkliche ,Einheit‘ auf persönlicher Repräsentation und Entscheidung beruht“. 454 In diesem Sinne Badura, Die Methoden der neueren allgemeinen Staatslehre, S. 202. 455 Badura, Die Methoden der neueren allgemeinen Staatslehre, S. 202. 456 Gerade hier liegen die Parallelen mit Jellinek, die Möllers, Staat als Argument, S. 65, festgestellt hat. Weil die politische Einheit des Volks nur die Wirkung einer Entscheidung darstellen kann, ist dann ihr faktischer Bestand auch das Zeichen für die Legitimität des entscheidenden Subjekts. Zu diesem Entwicklungsstadium der Legitimitätsfrage bei Schmitt Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 117 ff., insb. 122 ff. 457 Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 135 f. 458 „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“, lautet die berühmte Definition bei Schmitt, Politische Theologie, S. 13. 459 Politische Theologie, S. 14. Da jedoch der Ausnahmefall gerade juristisch nicht definierbar ist, kann auch keine Umschreibung desselben gegeben werden; nur sehr allgemein kann der Ausnahmefall als „ein Zustand höchster Spannung, in dem die Norm, das Recht vernichtet

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appellablen Letztentscheidung“460 die Einheit gewährleisten, also erhalten oder wiederherstellen461. Auch hier wird also der Begriff aus der faktischen Durchsetzung einer Entscheidung heraus konstruiert462; ihre Wirkung zeigt sich im Erhalt der Einheit. Wer Souverän ist, entscheidet sich im Nachhinein dadurch, dass sie oder er diejenige Entscheidung traf, die in der Lage war, den Ausnahmefall zu beenden463. Gerade im Sinne Schmitts ist die Frage nach dem Subjekt nicht vor der faktischen Wirksamkeit zu beantworten464 ; der Eintritt der Ausnahme und ihre Beseitigung wird bestimmen, wer souverän ist465. Dieses Verständnis von Souveränität lässt sich als Reaktion auf die progressive Übernahme des Problemfeldes der Herrschaft durch das des Rechts begreifen. Hatte noch bei Jellinek der Staat den Kristallisationspunkt für eine eigenständige Behandlung des Moments der Herrschaft abgegeben, so war dieser in Kelsens Schrift über die Souveränität (1. Aufl. 1920, auf die auch Schmitt in der Politischen Theologie, S. 26 ff., explizit verweist) verschwunden bzw. in das Recht integriert worden. Schmitts Konstruktion der Souveränität stellt somit den Versuch dar, Herrschaft wieder fassbar zu machen und aus den Formzwängen des Rechts zu befreien466. Zentral für diese Auffassung ist die für Schmitt zentrale Wirkung der souveränen Entscheidung: die Durchbrechung der Form des Rechts467. Die Entwird“ (Neumann, Carl Schmitt als Jurist, S. 43) definiert werden. Der explizite Bezug zwischen Souveränität und politischer Einheit in Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 350; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 111. 460 Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 350. 461 So meint Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 68 f.: „Die letzte, entscheidende Instanz legitimiert sich durch die Garantie der Situation als eines Ganzen in ihrer Totalität“. 462 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 110, sieht keinen Platz für Normativität in Schmitts Souveränitätskonzeption. 463 Kondylis, Jurisprudenz, Ausnahmezustand und Entscheidung, in: Der Staat, Bd. 34, S. 327, sieht den Wert des Bezuges zum Ausnahmezustand bei Schmitt gerade in der dadurch erfassten Totalität, die die Logik der Souveränität wirkungsvoll zum Ausdruck bringt: „[…] wo immer und wann immer die Souveränität in ihrer ganzen begrifflichen Fülle erfaßt wird, kann sie daher nur als einheitliche Größe auftreten und wirken, während ihre faktische Teilung sich in Versuchen widerspiegelt, den Souveränitätsbegriff vollends abzuschaffen“. 464 Quaritsch, Souveränität im Ausnahmezustand, in: Der Staat, Bd. 35, S. 24 f. 465 Schmitt, Politische Theologie, S. 14, behauptet auch, dass die Rechtsordnung „höchstens“ bestimmen kann, wer die Entscheidung zu treffen hat, nicht aber, was für Handlungswege sich im Ausnahmefalle rechtlich eröffnen. In diesem Sinne liege auch keine rechtsstaatliche Kompetenz vor (Schmitt, Politische Theologie, S. 14). So auch Neumann, Carl Schmitt, S. 43 f. „Wer so handeln kann“, stellt Hennis, Das Problem der Souveränität, S. 42, fest, „ist nach Schmitts Definition souverän“. 466 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaft, S. 110, bezeichnet Schmitts Souveränitätskonzeption als den „Gegensatz zum reinen Normativismus in der Reinen Rechtslehre Kelsens“. 467 Schmitt, Politische Theologie, S. 20, betont, dass der Ausnahmefall „das Wesen der staatlichen Autorität am klarsten“ offenbart. Dazu Maus, Volkssouveränität, S. 8, die betont,

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scheidung wird darüber hinaus auf den Staat als politische Einheit bezogen: Die Entfesselung der Herrschaft wirkt sich gerade darin aus, dass wieder Kongruenz zwischen Anfangs- und Zielstadium hergestellt wird, dass wieder Normalzustand als Befriedung zwischen Entscheidungen herrschen kann468. Gerade in der Durchbrechung der Form des Rechts gewinnt die Unbestimmtheit der Souveränität ihre Gestalt469. Als Reaktion bleibt Schmitts Werk dennoch auf die begriffliche Entwicklung bezogen, die seit Einführung der organischen Lehre stattgefunden hatte. Im Sinne der Hervorhebung der Entscheidung wird das Herrschaftliche außerhalb, gerade im Gegensatz zum Recht konstruiert und auf den Staat als politische Einheit ausgerichtet. Insofern wird wieder ein Verhältnis zwischen (einer menschlichen) Willenseinheit und Wirkung von Herrschaft konstruiert. Die Wirkung bleibt aber im Rahmen der bekannten begrifflichen Triade: Die Bezüge auf das Recht und den Staat als politische Einheit erschöpfen die Analyse des Moments der Herrschaft470 ; normative Ansprüche im Sinne einer Bestimmung der Bedingungen der gemeinsamen Existenz, als politischer Gestaltung also, spielen keine bedeutende Rolle in der Konstruktion, die sich eben auf die Herstellung oder Erhaltung der politischen Einheit bezieht, in welcher Gestaltung überhaupt stattfinden kann. Aus dieser Charakterisierung folgt für Schmitt zudem eine ständige Suche nach dem Souveränen471 als individueller oder kollektiver Willensinstanz. Insofern zeigt sich die Entscheidung gerade nicht als Vermittlungsglied zwischen Subjekt und Objekt, sondern nur als systematische Einbruchstelle. Ihre Auffassung – das zeigt insbesondere die Konstruktion der Souveränität – ist insofern gedanklich innerhalb der Triade Staat, Recht und Herrschaft konstruiert; die Entscheidung über den Ausnahmezustand ist eine Möglichkeit, aus dem triadischen System auszubrechen472, welche aber gerade nur bis zum Moment der Durchbrechung und nicht weiterentwickelt wird.

dass für Schmitt „nicht mehr die Erzeugung positiven Rechts, sondern umgekehrt dessen Außerkraftsetzung im Ausnahmezustande mit dem Signum der ,Souveränität‘“ versehen wird. Dazu auch Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 60 f. 468 So auch Kondylis, Jurisprudenz, Ausnahmezustand und Entscheidung, in: Der Staat, 34, S. 348. 469 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaft, S. 112. 470 Quaritsch, Souveränität im Ausnahmezustand, in: Der Staat, Bd. 35, S. 19 ff.; Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 60, meint dazu, dass Schmitt „[…] das Wesen des Staates und des Rechts grundsätzlich und ausschließlich von der Möglichkeit der Vernichtung der Rechtsordnung im Not- und Ausnahmezustand her bedachte“. 471 Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 61 ff., insb. 63, Roellecke, Souveränität, Staatssouveränität, Volkssouveränität, in: Staat – Souveränität – Verfassung, Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag, S. 20. Das hebt auch Heller, Souveränität, in: Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 89 f., hervor. 472 Kondylis, Jurisprudenz, Ausnahmezustand und Entscheidung, in: Der Staat, Bd. 34, S. 348; Hebeisen, Souveränität in Frage gestellt, S. 46.

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D. Zwischenfazit, Heller und Ausblick Kelsen und Schmitt stehen als Gegenpole insbesondere für die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Staat und Herrschaft, das Verständnis von Souveränität und folglich die Bedingungen der Ausübung von Herrschaft während der Weimarer Republik. Kelsens Grundüberlegungen waren ein konsequentes Weiterdenken von Zügen, die sich im staatsrechtlichen Positivismus fanden, wie insbesondere die Wendung zum Recht als theoretischer Grundlage für die Behandlung der Problemfelder des Staates, der Herrschaft und der Souveränität. Schmitt hingegen wendet sich vor allem gegen diese Rolle des Rechts als begriffliche Grundlage und konstruiert Souveränität als seine Durchbrechung. Auch Heller, der das hergebrachte Verständnis von Staat, Herrschaft und Souveränität kritisiert, stellt sich entschieden gegen Kelsen473 und die Lehre der Staatssouveränität und konstruiert Herrschaft konsequent als Entscheidung einer menschlichen Willenseinheit474. Festzuhalten für das Argument dieser Untersuchung bleiben gerade Rekonstruktion und Rolle der Entscheidung als formgebendes Moment der Herrschaft. Die Erfassbarkeit des in einer Entscheidung verdichteten Verhältnisses zwischen einer einheitlich konzipierten Staatsgewalt und einem gerade aus dieser Perspektive auch einheitlich konstruierbaren, entscheidenden Subjekt war schon seit dem Vormärz politisch und ab Albrecht begrifflich problematisch gewesen. Ab Gerber verdeckt das Abstellen auf das Subjekt Staat konsequent den Entscheidungsvorgang über Herrschaft. Die zugrunde liegende Einheitsbildung konstruieren Gerber und Laband hinter der staatlichen Kulisse immer noch im Sinne einer menschlichen Entscheidungstätigkeit475, bei Kelsen spielt eine solche Frage methodologisch bedingt überhaupt keine Rolle mehr. Die Zurechnung, bei Jellinek und insbesondere bei Kelsen die bestimmende Form der Erfassbarkeit von Entscheidungen, trägt dazu bei, dass nur bereits vollendete Entscheidungsvorgänge im Sinne der Erfüllung aller notwendigen rechtlichen Erfordernisse Relevanz erlangen; mit anderen Worten: Nur fertige Entscheidungen können dem Staat als Herrschaftssubjekt zugerechnet werden, weil sie nur dann aus der Perspektive des Rechts überhaupt erfasst werden können476. Damit verschwindet das Verfahren der Entscheidungsfindung aus dem Darstellbaren.

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Insb. Souveränität, in: Gesammelte Schriften, S. 38 ff., 74 ff. Staatslehre, S. 259 ff., Souveränität, in: Gesammelte Schriften, S. 57 ff., 68 ff. 475 In den Worten von Preuß, Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität, in: ders., Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie im Kaiserreich (Gesammelte Schriften, Bd. II), S. 263: „Doch die Souveränität der Staatsgewalt strebt unvermeidlich nach ihrem Urquell, dem persönlichen Souverän zurück; das abstrakte Quasi-Individuum der Staatspersönlichkeit bedarf des konkreten Individuums, des ,per se unum‘ als Träger seiner im leeren Raume hängenden souveränen Gewalt“ (Hervorhebung im Original). 476 Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 189 f. 474

D. Zwischenfazit, Heller und Ausblick

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Als Reaktion darauf wird versucht, die Entscheidung als theoretisches Moment zu revidieren; für Schmitt spielt die Entscheidung als voluntaristisches, nicht auf Normativität zurückzuführendes Moment eine zentrale Rolle. Durch die Akzentuierung der Entscheidung und vor allem ihrer Wirksamkeit ist aber auch bei ihm der konkrete Entscheidungsvorgang theoretisch verdeckt. Insbesondere bemüht sich dagegen Heller, die Idee der Souveränität des Staates im Sinne einer politischen Willensbildung zu interpretieren477. Dabei versucht er, das institutionelle staatliche Gefüge als Umsetzung von aus dem Volk stammenden Impulsen zu deuten478, indem er vor allem eine Einheitsbildung aus dem Übergang zwischen demokratischer Entscheidungsfindung innerhalb des Volks und staatlicher Herrschaftsausübung konstruiert. Seine Überlegungen zur menschlichen Entscheidungseinheit479 als formgebendem Moment der Ausübung von Herrschaft münzt er aber gerade nicht in der Beschreibung einer volksinternen Entscheidungsfindung um. Die für eine material verstandene Entscheidung erforderliche Einheitsbildung konstruiert er ja im Sinne von Repräsentation und Majoritätsprinzip, die aber nur im Rahmen einer volonté générale480 ihre entscheidungstheoretische Funktion erfüllen können. Seine Bemühung, hinter dem Staat Vorgänge der Entscheidungsfindung und Einheitsbildung zu beschreiben, bleibt insofern unvollendet, als er das Volk grundsätzlich reflexiv zur staatlichen Entscheidungstätigkeit über Herrschaft als Einheit konzipiert481. Als eine solche Einheit, die im Sinne dieser volonté générale als Korrektur von Subjektivismen482 bzw. in den geteilten Werten und Kräften einer Gemeinschaft ihre Fundierung erlangt, läuft aber das Volk Gefahr, zum reinen, unpolitischen Deutungsschlüssel staatlicher Tätigkeit zu werden. Mit diesem Problem und allgemein mit den Verständnissen des Volks soll sich das nächste Kapitel auseinandersetzen.

477 Seine Kritik der Subjektlosigkeit der Souveränität (S. 81 ff.) verbindet er mit dem Versuch einer Rekonstruktion des Volks als eine dem Staat zugrunde liegende Entscheidungseinheit (S. 92 ff., insb. 97 ff.); aus diesem Abschnitt stammen auch die Überlegungen Hellers, auf die schon im ersten Kapitel hingewiesen worden war. 478 Souveränität, in: Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 98: „Es ist wahrlich bemerkenswert, was unsere Verfassungsjuristen zu dem Satz: ,Die Staatsgewalt geht vom Volke aus‘, nicht zu sagen wissen. Daß schließlich der gesamte erste Hauptteil der Weimarer Verfassung, insbesondere die Stellung des Reichspräsidenten, des Reichstages, der Reichsregierung usw. nur aus diesem Satz, und zwar als magistratische Repräsentationen verstanden werden können; daß das ganze System von Abhängigkeiten, wie Wahl, Gegenzeichnung, Parlamentarismus, Referendum, Initiative usw. nur den juristischen Sinn hat, das Ausgehen der Staatsgewalt juristisch zu garantieren, von all dem hören wir kein Wort“. 479 Dass diese menschliche Entscheidungseinheit nicht einen einzelnen Menschen erfordert, betont er auf S. 59 der Souveränität (Gesammelte Schriften, Bd. II). 480 Souveränität, in: Gesammelte Schriften, S. 97. 481 Dass letztendlich der Staat als entscheidende Instanz über Herrschaft erscheint, wird auch nicht von Heller bestritten; Souveränität, in: Gesammelte Schriften, S. 107. 482 Souveränität, in: Gesammelte Schriften, S. 98.

3. Kapitel

Die Entwicklung des Begriffs des Volks in Deutschland Demokratische Legitimation erfordert, dass das Volk die Form einer Entscheidungseinheit annimmt, denn nur in einer solchen Gestalt kann es als entscheidendes bzw. rechtsetzendes Subjekt verstanden werden, wie bereits im ersten Kapitel dargestellt. Im darauffolgenden Kapitel wurde die deutsche Entwicklung des Verhältnisses zwischen entscheidender Instanz und der Entscheidung über Herrschaft und Souveränität bzw. deren progressiven Verdrängung in groben Zügen aufgezeigt. Dieses Kapitel setzt sich mit dem zweiten grundlegenden Moment der demokratischen Legitimation auseinander: dem Begriff des Volks. Entscheidend dabei ist, wie das Volk bei den bereits im zweiten Kapitel behandelten Autoren verstanden und wie sein Verhältnis zur Herrschaft konzipiert wurde. Damit verbundene institutionelle Einrichtungen, die die Mitwirkung des Volks umsetzen und eine Beteiligung an den Entscheidungen über Herrschaft ermöglichen (und aus denen auf ein verfassungstheoretisches Verständnis von Volk geschlossen werden kann), sind auch Teil der Analyse, denn sie zeigen, ob und wie Gestaltungsinteressen aus dem Volk oder Teilen desselben politisch verwertet werden können. Damit ist es möglich, Elemente zu identifizieren, die das Verständnis des Volks möglicherweise bis heute prägen und die somit eine wichtige Rolle in der gegenwärtigen verfassungstheoretischen und -dogmatischen Konstruktion des Volks im Zusammenhang mit der demokratischen Legitimation spielen könnten. In dieser Hinsicht soll gezeigt werden, dass über den gesamten untersuchten Zeitraum ein Verständnis des Volks als Einheit vorherrschend ist. Konstitutiv für dieses einheitliche Verständnis ist oft ein Bezug zur Herrschaft oder zum Staat. Gerade aus der Perspektive der Einheitsbildung im Sinne der Bildung einer Entscheidungseinheit, wie sie von der Demokratie gefordert ist, verstärken sich Ausblendung der Voraussetzungen von Entscheidungsfähigkeit (zweites Kapitel) und einheitliches Verständnis gegenseitig; beide Momente führen zur Annahme, das Volk stelle bereits vor jeglichem Verfahren der Einheitsbildung ein Subjekt dar, welches über Herrschaft entscheiden könne (viertes Kapitel).

A. Vormärz Der zeitliche Rahmen, der schon für das zweite Kapitel bestimmend war, grenzt auch hier die Analyse ein. Auf der einen Seite kann so eine Brücke zum Inhalt des zweiten Kapitels geschlagen werden. Dazu kommt, dass sich die unmittelbare ver-

A. Vormärz

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fassungstheoretische Relevanz des Verständnisses vom Volk im Zuge der philosophischen und politischen Entwicklung im 18. Jahrhundert, insbesondere aber während des 19. Jahrhunderts483 und speziell während des Vormärzes steigerte; der Vormärz steht somit für eine intensivere wissenschaftliche und politische Diskussion um die Rolle des Volks bzw. der Volksvertretung484.

I. Die Bildung des Volks als Einheit Um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert fand sich im Allgemeinen in den deutschen Territorien keine Auffassung von Volk, welche es als einheitliches (politisches) Subjekt, also der Annahme einer politischen Funktion fähig, verstanden hätte485. Eine solche Funktionsfähigkeit des Volks als Gesamtheit hätte die Überwindung der inneren Aufteilung in Stände erfordert, was aber zu Beginn des Jahrhunderts weder gesellschaftlich noch politisch erreicht war486. Die allmähliche Etablierung einer zentralen souveränen Instanz in vielen Territorien während des Vormärzes begünstigte die Überwindung ständischer Strukturen, die sich jedoch langsam vollzog und grundsätzlich noch bis tief ins 19. Jahrhundert die politische 483

Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. II, S. 75 ff. Schönemann, Art. Volk, Nation, Nationalismus, Masse, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, S. 347 ff.; Scheuner, Volkssouveränität und Theorie der parlamentarischen Volksvertretung, in: Bosl (Hrsg.), Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, S. 300 ff., 316 ff. 485 Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 43 ff., 142 f.; Schönemann, Art. Volk, Nation, Nationalismus, Masse, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, S. 314, unterstreicht auch die unpolitische Qualität des Begriffs „Volk“ um die Jahrhundertwende; in diesem Sinne auch Brandt, Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz, S. 33 ff.; er schreibt, S. 34, von „a-politischer Sublimierung“, einer „Wendung zur ,Kulturnation‘ und ,Volksgemeinschaft‘“ und von der „Hypostasierung von Sprache, Sitte, etc. zu ausschließlichen Integrationselementen des ,Volkes‘ bei völliger Ausschaltung des Willensmomentes […]“. 486 Böckenförde, Verfassungsprobleme und Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts, in: ders. (Hrsg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte, S. 13, beschreibt die gesellschaftliche Lage vor dem Vormärz als „überwiegend noch ständisch-feudale“. Brandt, Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz, S. 35 f., bezeichnet das „deutsche Wirtschaftsbürgertum des Vormärz“ als „Teil eines sozialständisch gegliederten Untertanenverbandes“. Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 45 ff., betont, dass auch die rechtliche Lage im Reich die Anwendung einer subjektivistischen Methode begünstigte, der wiederum aus diesem Grund eine institutionelle Perspektive fehlte, sodass „der Staat nicht als objektive Ordnung, die Rechtslage der Bürger nicht als allgemeiner Status der Unterworfenheit und Freiheit und die innerstaatlichen Verbände nicht als besondere Organisationseinheiten angesehen“ (S. 46) wurden. Die Zeit „zwischen dem Wiener Kongreß und der achtundvierziger Revolution“ steht insofern, wie Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. II, S. 309, betont, für einen tiefen „Umbruch der Staatsordnung, der geistigen Verfassung, der Wirtschafts- und Sozialverhältnisse, kurz: der gesamten Gesellschaftsstruktur“. Auch Meisner, Die Lehre vom monarchischen Prinzip, S. 250, geht für die Frühzeit des Konstitutionalismus von Verfassungen aus, die „mehr oder weniger auf der Basis einer ständisch gegliederten Vertretung ruhten“. 484

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3. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Volks

Repräsentation beeinflusste487. In politischen Gemeinschaften hingegen, in denen sich eine souveräne Macht konstituiert und absolutistisch durchgesetzt hatte, wie typischerweise in Frankreich, konnte die ständische Gliederung auch rascher aufgegeben werden. Absolute Herrschaft wirkte in diesem Sinne konstitutiv: Durch die Konzentration aller Herrschaftsbefugnisse in der Person des (absoluten) Monarchen wurden nicht nur die mittleren Stufen der politischen Struktur entmachtet; die undifferenzierte Untertanenschaft hatte dazu noch eine politisch homogenisierende Wirkung488. Wurden die deutschen Fürsten zu Beginn des 19. Jahrhunderts souverän, so entwickelte sich genau dadurch auch in der Literatur langsam ein einheitliches Verständnis des Volks489. Politisch unmittelbar wirksam wurde das auf diese Art und Weise verstandene Volk jedoch nicht; unter den besonderen Bedingungen der deutschen Territorien entwickelte sich somit eine Kluft zwischen dem wissenschaftlich-politischen Verständnis und der politischen Bedeutung490. Insbesondere galten für Deutschland nicht die Voraussetzungen, die in anderen Ländern einen politischen Umbruch herbeigeführt hatten, vor allem eine Führungsrolle des Bürgertums als treibende Kraft für eine politische Rekonstitution491. 487

Walther, Art. Stand, Klasse, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 6, S. 242 ff., 257 ff.; Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 467. Für Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 45, blieb das „Sozial- und Wirtschaftsmodell des Ancien Régime“ vorerst intakt, mit rechtlichen Bindungen, die die Standeszugehörigkeit stützte; auf S. 46 beschreibt er die deutsche Gesellschaft als „ständisch gegliedert, faktisch und normativ gebunden und politisch unmündig“. Koselleck, Volk, Nation, Nationalismus, Masse, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, S. 147, betont, dass sich die Entwicklung des Volks zu einem alle Stände und Klassen einschließenden Oberbegriff im Sinne eines demokratischen Volks langsam vollzog, sodass das Wort bis 1918 ein „politischer Parteibegriff“ blieb. Willoweit/Schlinker, Deutsche Verfassungsgeschichte, § 29, Rn. 10. 488 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 440 ff., insb. 450; Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. II, S. 58. 489 So explizit Ancillon, Über Souveränität und Staats-Verfassungen, S. 12: „Das Wesen eines jeden politischen Vereins besteht also in der Souveränität, oder in der Erschaffung eines allgemeinen Willens. Nur insofern ein solcher Wille, der verbindend, gebietend, verbietend, er mag nun so, oder so beschaffen seyn, existirt, entstehet aus einer Sammlung von Individuen, eine Gesammtheit, ein Volk, ein Staat“. 490 Scheuner, Volkssouveränität und Theorie der parlamentarischen Volksvertretung, in: Bosl (Hrsg.), Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, S. 320, stellt eine Kontinuität der Aufgaben der Stände fest, trotz Veränderung des zugrunde liegenden Begriffs des Volks. 491 Für Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 62, gab es „bis weit in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein kein politisch und wirtschaftlich emanzipiertes und selbstbewußtes Bürgertum“. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 46, sieht um die Jahrhundertwende noch „kein im politischen Sinne homogenes ,Bürgertum‘, auch wenn sich das Bewußtsein gemeinsamer Interessen und gemeinsamer Aktionsfähigkeit seit etwa 1750 langsam verbreitet und verdichtet hatte“, auch deswegen, weil es für die Beteiligung an der politischen Willensbildung „keine institutionellen Möglichkeiten“ gab. Allgemein, behauptet Brandt, Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz, S. 33, seien die deutschen

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Zu den soziopolitischen Bedingungen der Zeit kommt noch hinzu, dass von konservativer Seite aus aktiv der Versuch unternommen wurde, gerade ein einheitliches politisches Verständnis des Volks und insbesondere seine institutionelle Umsetzung bzw. eine Umdeutung der vorhandenen Strukturen im „repräsentativen“ Sinne zu verhindern492: War somit das monarchische Prinzip grundsätzlich als Hindernis für Volkssouveränität und Demokratie konzipiert worden, so war die Zurückweisung eines einheitlichen Verständnisses von Volk, und folglich seiner politischen Subjektqualität, eine natürliche Entwicklung im Kontext der Konkurrenz von Legitimationsprinzipien. Das Volk wäre ansonsten in der Lage gewesen, dem Fürsten die zentrale Stellung nicht nur legitimationstheoretisch, sondern auch im institutionellen System streitig zu machen. Das ist auch erklärtermaßen der Sinn der bekannten Schrift von Gentz493 ; in ihr versucht er, Art. 13 der Bundesakte dahin zu interpretieren494, dass die durch ihn angeordnete Verfassunggebung auf der Grundlage der ständischen Gliederung der Gesellschaft zu verstehen sei. Auf diese Weise will er der Möglichkeit einer repräsentativen Sinngebung entgegenwirken, die eine Funktionsfähigkeit des einheitlichen Volks im Rahmen der aufkommenden Idee der Volkssouveränität bedeutet hätte495. Wenn auch in vielen Bundesterritorien im Zuge der Wiener Schlussakte repräsentative Vertretungen eingerichtet wurden496, so stand dennoch deren theoretische Rekonstruktion in der Kontroverse. Wie schon im zweiten Kapitel dargelegt, steht der Vormärz speziell für grundlegende Diskussionen über den begrifflichen Kontext und die allgemeine Sinngebung von politischen Strukturen. Die Antwort lag deswegen eben nicht nur in der institutionellen Dimension, sondern insbesondere in der politisch-philosophischen497. Grundsätzlich gilt: Trotz Schwierigkeiten und innerhalb eines polemischen Kontexts bildete sich insbesondere durch die Einrichtung von Vertretungen und die Wirkung der begrifflichen Vorarbeiten langsam die Notion eines politisch verwertbaren Volks. Weil sich, eben wegen der bereits erörterten Staaten in deren Entwicklungsstadium „auf eine Übernahme repräsentativer Institutionen schlecht vorbereitet“. Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 48 f. 492 Schönemann, Art. Volk, Nation, Nationalismus, Masse, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, S. 348 ff.; Walther, Art. Stand, Klasse, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 6, S. 242. 493 Über den Unterschied zwischen landständischen und Repräsentativ-Verfassungen, in: Klüber/Welcker, Wichtige Urkunden für den Rechtszustand der deutschen Nation, S. 213 ff. 494 Dazu Ehrle, Volksvertretung im Vormärz, Teil 1, S. 8 ff.; auf S. 14: „Der Artikel 13 war also hinsichtlich des Vertretungscharakters der Landstände für jede Interpretation offen“. Als „unklar und umstritten“ bezeichnet Boldt, Von konstitutioneller Monarchie zu parlamentarischer Demokratie, in: Wendemarken in der deutschen Verfassungsgeschichte, Beiheft 10 zu Der Staat, S. 154, was eine „,Landständische Verfassung‘ eigentlich sei“. 495 Darum bemüht er sich in seiner Schrift um eine Aufwertung der landständischen Verfassung. 496 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, S. 209 ff. 497 Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 69, hebt hervor, dass die Staatsrechtswissenschaft „nach einer Begründung ihrer Begriffe in einem ,allgemeinen Staatsrecht‘ strebte“.

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3. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Volks

Gründe, in der vormärzlichen Zeit aber keine Theorie der Repräsentation entwickeln konnte498, wurde dieser Begriff des Volks als verfassungstheoretisches Subjekt reflexiv zu seiner institutionellen Geltung konstituiert, und zwar im Sinne der Wahrnehmung der Funktionen, die die Vertretungen innehatten499. Aus diesem Grund lohnt es sich, diese Funktionen kurz zu behandeln. Im Allgemeinen lassen sie sich – grob – als negative500 charakterisieren. Dieses Merkmal kann jedoch generell von dem frühen deutschen Konstitutionalismus behauptet werden501, welcher sich herrschaftsbegrenzend502 bzw. -modifizierend503 und nicht -begründend präsentiert504. Gerade in der Anfangsphase galt es nicht, ein neues Herrschaftssystem zu entwerfen oder zu konstituieren, sondern die vorhandene Struktur beizubehalten; konstitutionelle Einrichtungen, wie gerade eine Volksvertretung, waren in diesem Zusammenhang als Kompromisse anzusehen505, die den Untertanen ein bestimmtes Maß an Freiheit zu gewährleisten hatten506. Die Volksvertretungen erscheinen somit 498

Drath, Die Entwicklung der Volksrepräsentation, in: Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. 268. Auch Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 123 ff., insb. 127. 499 So Draht, Die Entwicklung der Volksrepräsentation, in: Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. 269. 500 Mohl, Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, S. 282 ff., insb. für die deutschen Territorien auf S. 285, mit der Betonung der negativen Funktion der Volksvertretung gegenüber der in den Fürsten ganzheitlich konzentrierten Staatsgewalt. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 87 ff.; Brandt, Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz, S. 7, bezeichnet die Landstände als die „,negative‘ Kraft im Staate“, auch 45 ff. 501 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, S. 215. 502 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 99. 503 Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 111. 504 Möllers, Verfassunggebende Gewalt – Verfassung – Konstitutionalisierung, in: von Bogdandy (Hsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 3, mit der Behandlung dieser zwei verschiedenen Typen von Verfassung. Auf S. 9 dann seine Einschätzung des deutschen Konstitutionalismus als „Begrenzung bereits bestehender Herrschaft“ (Hervorhebung im Original) und auf S. 10 der Bezug zum Fehlen einer verfassungseigenen Demokratietheorie. 505 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 100, bezeichnet die Verfassungen in Deutschland gar als „Instrumente der […] Selbsterhaltung der Monarchien“. 506 Unruh, Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, S. 214, spricht auch von einem Rationalisierungsmoment der Herrschaft. In diesem Sinne auch Wahl, Rechtliche Wirkungen und Funktionen der Grundrechte im deutschen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, in: Der Staat, Bd. 18, S. 330 ff., insb. 332, der von einer legitimierenden Wirkung der von den Grundrechten bestimmten Sozialordnung ausgeht. Auch in diesem Sinne Scheuner, Begriff und rechtliche Tragweite der Grundrechte im Übergang von der Aufklärung zum 19. Jahrhundert, in: Von der ständischen Gesellschaft zur bürgerlichen Gleichheit, Beiheft 4 zu Der Staat, S. 105 ff., insb. 107 f. Kuriki, Die Funktion des Volksgedankens in der Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, in: Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, S. 242, stellt eine „Reduzierung des Staatszwecks auf den Rechtsschutz der Einzelnen“ fest; dies wiederum sei „Ausdruck der Stärke der Forderung nach

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auf keinen Fall primär als institutionelle Strukturen für politische Entscheidungen oder Gestaltung. Sie sind vielmehr als eine Summe von Gruppierungen, und manchmal auch Individuen507 zu verstehen, die, mit einem Bündel von Rechten in Erscheinung tretend508, diese vor der vom Monarchen auszuübenden Herrschaft zu bewahren suchten509. In erster Linie betraf die Tätigkeit der Volksvertretung die Bereiche der Steuerbewilligung und Gesetzgebung; sie ließ sich grundsätzlich durch die Formel „Freiheit und Eigentum“510 beschreiben, die den unverfügbaren Kern der geschützten Position der Untertanen vor Eingriffen des Herrschers abschirmte511. Volksvertretungen und Grundrechte, als rechtliche Operationalisierung dieser allgemeinen Formel, waren in dieser Zeit eng miteinander verbunden512. Rechts- und Freiheitsschutz“, auf der anderen Seite zeige es aber auch die „Schwäche des realen Moments des Volksgedankens“. 507 Kuriki, Die Funktion des Volksgedankens in der Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, in: Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, S. 237, mit Bezug auf Wolff. 508 Brandt, Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz, S. 45. Mit einer klaren Unterscheidung zwischen dem politischen Amt des Monarchen und der rechtlich begrenzten Position der Stände Stahl, Das monarchische Prinzip, S. 42 f.: „Wir suchen deshalb die Lösung nicht in dem verringerten Gewicht der ständischen Wirksamkeit, sondern in ihrer Stellung. Wir suchen sie in der richtigen Verschränkung von Regierungsgewalt und ständischer Berechtigung, daß die Regierung den Gang des Ganzen allein bestimme, die Stände nur die bestimmte Frage mit entscheiden, jene vom Boden der bestehenden Rechtsordnung völlig frei handle, diese die bestehende Rechtsordnung zu behaupten Fug haben, daß die Bahnen der gouvernementalen Bewegung (polizeiliche Anordnung, Staatshaushaltsfeststellung) und die Bahnen der Untertanenbewegung (Eigentum, Erwerbsverhältnisse, Freiheit gegen Strafgewalt, Steuern, Erhaltung der Verfassung) wohl ausgeschieden, jene der Regierung vorbehalten, diese den Ständen eingeräumt seien“. 509 Scheuner, Volkssouveränität und Theorie der parlamentarischen Vertretung, in: Bosl (Hrsg.), Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, S. 320. 510 Diese kurze Erklärungsformel bezeichnet den Kernbereich der Funktion der Volksvertretung; so Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 117; Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 71; Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 283; Meisner, Die Lehre vom monarchischen Prinzip, S. 263; Scheuner, Volkssouveränität und Theorie der parlamentarischen Vertretung, in: Bosl (Hrsg.), Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, S. 320. 511 Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. II, S. 87; Brandt, Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz, S. 45; Willoweit/Schlinker, Deutsche Verfassungsgeschichte, § 29, Rn. 10. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 36; Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 71; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 115, mit der Behauptung, in dieser Aufgabe bestehe Kontinuität zwischen dem Typus der vormärzlichen Volksvertretung und den alten Ständen. 512 Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 117; Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 75; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 115: „Insofern steht die Schutzfunktion der Grundrechte gegenüber dem Bürger im Vordergrund, verbunden mit der Aufgabe, die Beteiligungsrechte des Parlaments bei der Berührung von ,Freiheit und Eigentum‘ auszulösen“.

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3. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Volks

Diese rechtswahrende Funktion führte langsam zur Mitwirkung bezüglich der Ausübung von Herrschaft, was vor allem über zwei Wege stattfand: Um die Kernkompetenzen der Volksvertretungen vor begrifflichen Umdeutungen und somit vor Bedeutungslosigkeit zu schützen, entwickelte sich auf der Grundlage der Klausel von Freiheit und Eigentum ein materieller Gesetzesbegriff, der einen festen Kern der Befugnisse von Volksvertretungen festlegte; mit einer institutionell gesicherteren Position sind die Bedingungen für eine „allmähliche Ausbildung eines parlamentarischen Selbstbewußtseins“513 gegeben. Auf der anderen Seite bot das Steuerbewilligungsrecht in seiner zentralen Bedeutung für die Leitung der Staatsgeschäfte eine ausgezeichnete Verhandlungsbasis mit dem Monarchen; aus diesem wird sich später eine Haushaltskompetenz bilden514. Wie Boldt betont, lassen sich beide Elemente nicht einfach auf das Moment des alleinigen Schutzes der Freiheit zurückführen, sondern implizieren ansatzweise aktive Mitwirkung515. Entscheidend war: Diese Funktionen der Volksvertretungen, auch wenn sie im Vergleich zum monarchischen Apparat für die Leitung des Staates sekundär erschienen, konnten sich auf den Grundsatz der Volkssouveränität, und somit auf eine andere Legitimationsgrundlage als die des Monarchen, beziehen516. Die systematische Rekonstruktion der spezifischen Kompetenzen wurde aber auch oft weniger antagonistisch als die grundsätzliche Gegenüberstellung zwischen den Legitimitätsprinzipien konzipiert; gerade liberale Autoren in Deutschland interpretierten die Vertretungskörperschaften hauptsächlich im Sinne der Aufgabe einer Gewährleistung der „richtigen“ Herrschaft517. Symptomatisch stehen hierfür Dahlmann und v. Rotteck,

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Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 116. Scheuner, Volkssouveränität und Theorie der parlamentarischen Vertretung, in: Bosl (Hrsg.), Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, S. 320; Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 79; einen Überblick gibt Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 114. 515 Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 89 ff., 106 ff., insb. 108 f., mit der Aussage, dass die „Steuerbewilligung […], wie auch immer man sie interpretierte, stets auch ,Mitregierung‘“ bedeutete. Auch Willoweit/Schlinker, Deutsche Verfassungsgeschichte, § 29, Rn. 20, heben hervor, dass „in den häufigen Budgetkonflikten stets auch über die Rechte der Landstände gestritten“ wurde. 516 Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, insb. 282 ff., 291 ff. 517 Insbesondere im Sinne von Ausschluss des Missbrauchs; Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. II, S. 87. So bewertet auch Smend, Maßstäbe des parlamentarischen Wahlrechts, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 20 ff., die Wahlrechtstheorie des „älteren deutschen Liberalismus“ und bezieht sich dabei grundsätzlich auf v. Rotteck. Kuriki, Die Funktion des Volksgedankens in der Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, in: Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, S. 243, betont, für die „naturrechtlichen Staatstheoretiker“, insbesondere von Rotteck und Murhard, gehe es um die „Herrschaft des wahren Gesamtwillens“. Willoweit/Schlinker, Deutsche Verfassungsgeschichte, § 29, Rn. 11, betonen, dass im Kontext der liberalen Staatstheorie grundsätzlich der „Rahmen des konstitutionellen Dualismus, des unverbundenen Nebeneinander von monarchischer Regierung und Volksvertretung […] nicht einmal in Ge514

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die in den Volksvertretungen weniger eine bewusste Artikulation des Volks als politisches Subjekt erblickten, als einen Baustein, welcher, gerade in der Zusammenarbeit mit anderen, für die bestmögliche Entwicklung der Gemeinschaft insgesamt sorgen sollte518. Dennoch: Gerade in dieser Verantwortung gegenüber dem Ganzen ist auch ein wichtiges Moment für die Überwindung der inneren Teilung des Volks519 zu suchen520.

II. Einheit und negative Bestimmung Somit ergibt sich für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts eine langsame Konstitution des Volks als Subjekt und politische Einheit, die sich grundsätzlich aus seiner institutionellen Abbildung herauskristallisierte521. Grundmoment dieser Einheitsbildung war im Allgemeinen ein negatives, und das auf mehrfache Art und Weise. An erster Stelle als Negation der inneren Teilung, also als Überwindung altständischer Strukturen; daraus ergab sich allmählich, parallel zur Konstitution einer zentralen, souveränen Gewalt im Monarchen, ein gesellschaftspolitischer Begriff des Volks als Einheit. An zweiter Stelle, und eben als Mitwirkung gegenüber der zentralen monarchischen Instanz, entwickelte sich auf der Grundlage der Wahrnehmung der Kompetenzen von Volksvertretungen ein Begriff des Volks, der eine gewisse politische Wirksamkeit entfaltete, jedoch vor allem als negatives Moment erschien522, weil die Kompetenzen gerade als negative Kraft gegenüber dem dankenspielen überschritten“ wurde. Dazu auch Dreier, Der Ort der Souveränität, in: Dreier/ Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 32. 518 Dahlmann, Die Politik, S. 17 ff.; v. Rotteck, Ideen über Landstände, S. 3 ff.; Podlech, Repräsentation, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 5, S. 533, mit besonderer Berücksichtigung von v. Almendingen als Vertreter einer konsequent durchgeführten liberalen Staatstheorie. Die Ansicht erklärt auch das ständige Problem um die politische Mündigkeit des Volks, von der die tatsächliche Wahrnehmung von Kompetenzen abhängig gemacht wird. So, beispielhaft, Welcker, Art. Staatsverfassung, Staats-Lexikon, Bd. XII, S. 369 f. 519 Meisner, Die Lehre vom monarchischen Prinzip, S. 176: „Und schon ließen sich Stimmen vernehmen, die von einer Einteilung der Staatsbürger in Stände oder Klassen, da, ,wo es ein Wirken für das Vaterland gilt‘, d. h. in den landständischen Versammlungen, nichts wissen wollten, nach denen vielmehr die Eigenschaft als Staatsbürger die einzig beachtenswerte sein sollte“. 520 Brandt, Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz, S. 6, 39, 44; auch Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, S. 86. Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 80, setzt diese Verantwortung gegenüber „dem Ganzen des Gemeinwesens“ in Zusammenhang der Volkssouveränität als Legitimationsbasis der Volksvertretung, die somit eine Negation des monarchischen Prinzips implizierte. 521 Hattenhauer, Zwischen Hierarchie und Demokratie, Rn. 92, spricht deswegen vom Volk im frühen 19. Jahrhundert als einer mystischen Größe. 522 Brandt, Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz, S. 39 f., definiert die landständische Vertretung als „Sprecher des Untertanenverbandes als Ganzes sowie einzelner gesellschaftlicher Interessen mit kontrollierenden und beratenden Funktionen“.

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Monarchen konzipiert waren523. Auch wenn sich im Laufe der Zeit der Anspruch herausbildete, die Grenzen der Mitwirkung zu erweitern524, so gilt gerade für die Anfangsphase die Abwesenheit aktiver Gestaltungsmacht als Einheitsgrundlage525. Bezüglich der Überwindung der inneren Teilung des Volks ist es interessant, die begriffliche Rolle der organischen Theorie für die Entwicklung des Volksbegriffs zu untersuchen. Diente die Organismusmetapher526, wie schon im zweiten Kapitel thematisiert, zur Milderung des grundsätzlichen Dualismus527 zwischen Monarchen und Volk, so schlug sie auch auf den Begriff des Volks durch528, gerade als Erklärungsmuster529 für menschliche Verbände. Konnten auf der Ebene des Staates durch das neue Verständnis Spannungen zwischen Monarchen und Volk eingefangen werden, so wirkte der Organismusgedanke530 in Bezug auf das Volk zumindest in zwei Hinsichten in eine konservative Richtung: Zum einen wurden damit ge523 Kühne, Volksvertretungen im monarchischen Konstitutionalismus (1814 – 1918), in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Rn. 6, behauptet, die „frühkonstitutionelle Zeit bis 1848“ sei „durch eine Zernierung der Legislativkörperschaften bzw. durch eine kompetenzielle Negativbilanz gekennzeichnet“. 524 Boldt, Von konstitutioneller Monarchie zu parlamentarischer Demokratie, in: Wendemarken in der deutschen Verfassungsgeschichte, Beiheft 10 zu Der Staat, S. 155, geht von einer erkennbaren Tendenz aus „hin zu einer Erweiterung der Zusammensetzung der Volksvertretungen und ihrer Rechte, kurz: daß sie als ,Demokratisierung‘ und ,Parlamentarisierung‘ im weitesten Sinne des Wortes“ genannt werden kann. Auch Stern, Das Staatsrecht, Bd. V, S. 220, spricht von einem Stärkerwerden der „ständisch-konstitutionellen Kräfte“ nach der Julirevolution 1830; Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 309, veranschaulicht die wachsende Bedeutung an der Gesetzesinitiative, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Volksvertretungen zuerkannt wurde. 525 Zu diesem „negativen“ Anspruch als Vereinigungsmoment Drath, Die Entwicklung der Volksrepräsentation, in: Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. 267 f. 526 Böckenförde, Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper, in: Brunner/Conze/ Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, S. 589 ff., gibt eine Übersicht der Bedeutungsvarianten des Organismusbegriffs. Rolin, Der Ursprung des Staates, S. 217, betont auch, dass es innerhalb organischer Staatslehre durchaus „heterogene Erscheinungsformen und unterschiedliche politische Stoßrichtungen“ gab; konkrete Differenzierung auf S. 226. 527 Scheuner, Volkssouveränität und Theorie der parlamentarischen Vertretung, in: Bosl (Hrsg.), Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, S. 302: „Im Ergebnis freilich legte die Epoche vor 1848 die Grundlagen für eine dualistische Machtverteilung in einem konstitutionellen System, das sich dann erst jenseits dieses Zeitraums nach dem Scheitern der Bewegung von 1848 und nach dem Ausgang des preußischen Konflikts in Deutschland befestigte“. 528 Rolin, Der Ursprung des Staates, S. 233: „Die organische Staatsidee wurde um einen organischen Volksbegriff ergänzt; beide waren in Bedeutung und Funktion eng miteinander verwoben“. 529 Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 137 f.; Rolin, Der Ursprung des Staates, S. 233 f. 530 Den Kuriki, Die Funktion des Volksgedankens in der Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, in: Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, S. 244, seit den 1830er Jahren als herrschend sieht.

A. Vormärz

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schichtlich überkommene531 soziale Strukturen wie Stände legitimiert532. Gerade die Möglichkeit, im Begriff des Organismus Ungleiches zu synthetisieren und auf eine höhere Ganzheit zu beziehen533, konnte auf das Volk angewendet werden. Zum anderen wurde eben das Volk durch die Organismuslehre strukturell auf den Staat bezogen; zwischen beiden Momenten entstand ein Verhältnis von Identität534. Der Volkswille wurde somit in den Staatswillen begrifflich integriert535 ; das Gleiche galt auch für den Monarchen536, der Staatsorgan wurde537. Weil aber, gerade in dieser Rolle, der Monarch grundsätzlich die Staatswillensbildung trug, implizierte die Aufhebung des Dualismus und die Integration des Volkswillens in den Staatswillen eben auch, dass der im Endeffekt vom Monarchen stammende Wille (auch) als Wille des Volks galt538. Dazu ist der Volksbegriff der organischen Lehre eher antiindividualistisch ausgerichtet539 ; vertragstheoretische Positionen, die noch in der An531 Gerade auch wegen der geschichtlichen Grundlegung des Organismus und der damit verbundenen Annahme, Willensentscheidungen würden für die Entstehung des Staates keine Rolle spielen; so Rolin, Der Ursprung des Staates, S. 230 f. Dazu auch Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 137. 532 Rolin, Ursprung des Staates, S. 237, 259; Böckenförde, Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, S. 597. 533 Böckenförde, Der Staat als Organismus, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 264. Für das Wahlrecht hebt Smend, Maßstäbe des parlamentarischen Wahlrechts, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 24, hervor: „[…] der Wille des lebendigen Volksganzen kommt nur zustande durch das lebendige Zusammenwirken derjenigen Elemente des Volkes, die die Organe der Gesamtheit sind und in deren Leben und organischem Zusammenwirken die Gesamtheit ihr Leben führt. […]. Wo diese Kräfte aber zu finden sind, das lehrt die Geschichte, das lehrt die geschichtliche Differenzierung des Volkes in seine Stände“. 534 Kuriki, Die Funktion des Volksgedankens in der Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, in: Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, S. 244 f.; er differenziert dabei jedoch zwischen Volk im weiteren Sinne, „das den Monarchen und das Volk im engeren Sinne umfassen sollte“, und Volk im engeren Sinne, welches sich auf die „Gesamtheit der Regierten“ bezog; in diese Richtung auch Reuss, Zur Geschichte der Repräsentativverfassung in Deutschland, in: Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. 17 f., mit der Bezeichnung der Nation für das Volk im weiteren Sinne. 535 Kuriki, Die Funktion des Volksgedankens in der Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, in: Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, S. 244. 536 Rolin, Der Ursprung des Staates, S. 258 ff. 537 Scheuner, Volkssouveränität und Theorie der parlamentarischen Vertretung, in: Bosl (Hrsg.), Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, S. 330. 538 Auf diesen Punkt machen Kuriki, Die Funktion des Volksgedankens in der Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, in: Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, S. 244, und Scheuner, Volkssouveränität und Theorie der parlamentarischen Vertretung, in: Bosl (Hrsg.), Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, S. 330, aufmerksam. 539 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 150.

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fangsphase des Vormärzes gerade im Sinne von Legitimitätsfragen bedeutend waren, verloren an Gewicht540. Der Prozess der (politischen) Subjektbildung des Volks mündete in den Versuch der Verfassunggebung durch die Nationalversammlung im Revolutionsjahr 1848. Ganz im Sinne der hier skizzierten Entwicklung schwankte dieses Unternehmen zunehmend zwischen dem Vorhaben, eine Ordnung strikt auf dem Grundsatz der Volkssouveränität zu begründen, und der Wahrung des monarchischen Prinzips; in ihm verbanden sich nationalstaatliche wie auch verfassungspolitische Fragen541. Auch wenn der Versuch, die Ordnung auf dem Subjekt des Volks zu begründen, letztendlich scheiterte: Der Prozess der Verfassunggebung zeigte, dass das Volk nicht mehr nur als negative Kraft angesehen werden musste542. Die gescheiterte Revolution in den deutschen Territorien brachte verschiedene Konsequenzen mit sich. Auf der einen Seite wurden auch in Preußen und Österreich Verfassungen gegeben. Obwohl in Preußen durch das Dreiklassenwahlrecht versucht wurde, den Einfluss der unteren Schichten in Grenzen zu halten, bedeutete der Schritt eine symbolisch durchaus bedeutende Konsolidierung der Idee des Volks als mitbestimmender Akteur543. Auf der anderen Seite kamen die liberalen Forderungen bezüglich der Ausweitung der institutionellen Verwirklichung von Volkssouveränität als ideelle Grundlage der politischen Gemeinschaft, die eine zentrale Stelle innerhalb der Bestrebungen des Vormärz ausgemacht hatte, zu einem abrupten Ende544.

540 Waldhoff, Die Staatsperson und ihre Handlungen – „Staatswillenspositivismus“ als mittelbare Rezeption psychologisierender Ansätze, in: Schmoeckel (Hrsg.), Psychologie als Argument in der juristischen Literatur des Kaiserreichs, S. 240 f. 541 Wahl, Die Entstehung des deutschen Verfassungsstaates bis 1866, in: ders., Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung, S. 305 ff.; Unruh, Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, S. 229. 542 So die Einordnung von Unruh, Der Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, S. 226 ff., der die Volkssouveränität als Legitimitätsgrundlage der Frankfurter Reichsverfassung sieht (S. 229). 543 Boldt, Von konstitutioneller Monarchie zu parlamentarischer Demokratie, in: Wendemarken in der deutschen Verfassungsgeschichte, Beiheft 10 zu Der Staat, S. 158, hebt die Folgen der Revolution von 1848 auf Landesebene hervor. 544 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 278, meint, das „liberale Restprogramm nach 1848“ sei auf die „formal genaue Bestimmung und Sicherung der bürgerlichen Freiheitssphäre […]“ verengt; Wahl, Die Entstehung des deutschen Verfassungsstaates bis 1866, in: ders., Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung, S. 313, schreibt vom Erliegen der Tradition des vernunftrechtlichen Denkens nach 1849.

B. Der staatsrechtliche Positivismus

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B. Der staatsrechtliche Positivismus Die nachrevolutionäre Zeit ist von einer Kontinuität bezüglich der Erfassung des Volks im Sinne der herrschenden organischen Lehre charakterisiert545. Eine neue methodologische Richtung brach sich erst in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts Bahn: der staatsrechtliche Positivismus546.

I. Gerber Mit den Arbeiten von Gerber wird der Anfang der anorganischen begrifflichen Systematik verbunden547, auch wenn seine Arbeit und insbesondere sein Volksbegriff eher im Übergang zwischen dem organischen Denken und dem Positivismus stehen548. Symptomatisch für diesen Übergang ist auf der einen Seite die Entwicklung seiner eigenen Positionen, abzulesen an den beiden Publikationen „Über Öffentliche Rechte“ aus den frühen 1850er Jahren und „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts“, dessen erste Auflage 1865 veröffentlicht wurde549; auf der anderen Seite weist auch seine spätere Arbeit eine Doppelnatur auf, die den wissenschaftlichen Zwiespalt der Zeit im Verständnis von Staat und Volk widerspiegelt550. Für Gerber spielt die organische Begrifflichkeit eine tragende Rolle: Der Staat weist für ihn einen organischen Charakter auf, der jedoch für seine (staats-)rechtliche Erfassung irrelevant ist. Rechtlich kann er nur als Rechtspersönlichkeit begriffen werden551. Diese ist jedoch für die begriffliche Erfassung des Volks relativ unbedeutend. Vielmehr steht die für das organische Verständnis typische Identität zwi545 Böckenförde, Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper, in: Brunner/Conze/ Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, S. 587. 546 Vgl. Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 129, der den staatsrechtlichen Positivismus als Epochenbezeichnung für die Zeit nach 1848 benutzt. 547 Als „anorganische Staatslehre“ bezeichnet Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 124 ff., die auf einem Widerspruch zum Organismus begründete Staatstheorie. Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 21 f.; Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 377. 548 Als „Übergang zur modernen deutschen Staatsrechtswissenschaft“ sieht ihn Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, S. 222 ff. 549 Weigerte sich Gerber noch in „Über Öffentliche Rechte“ den Begriff der Rechtspersönlichkeit des Staates zu benutzen, so geht er in „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts“ von einer solchen Persönlichkeit aus und macht sie zum Mittelpunkt des begrifflichen Systems des Staatsrechts. Dazu Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 22 f.; Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 131 ff.; Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 376. 550 Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 131 f.; Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 22 f. 551 Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 137.

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3. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Volks

schen Volk und Staat, und insofern ein Denken aus dem Staat als Ganzheit552 für Gerber im Vordergrund. Dieser Zug ist aus verschiedenen Perspektiven wahrnehmbar. An erster Stelle erscheint das Volk bei Gerber als die dem Staat zugrunde liegende geistige Substanz. Es ist das Volk im „sozio-kulturellen Sinne“553, welches grundsätzlich „sittlich“ wirkt und dessen gegenwärtige Generation nur eine augenblickliche Erscheinung bildet554. Die Kategorie des Volks bildet als ursprüngliche Einheit555 die Grundlage für den als Willenseinheit verstandenen Staat. Diese Einordnung hat wiederum einen reinen begriffssystematischen556 und keinen politischen oder staatsrechtlichen Charakter557. Das Volk als geistige Substanz erhält erst im Staat seine Form, wird in ihm zur „rechtlichen Einheit gebracht“558. Die Staatsgewalt kann erst nach der Annahme dieser konkreten Form an diese Substanz anknüpfen559. Gerade in dieser Hinsicht ist der Staat für Gerber die Einheit des Organismus, der wiederum die Einheit des Volks darstellte560. Das sittliche Moment stellt schon begriffssystematisch das Regulativ der Herrschaftsausübung dar, weshalb sich auch aus dem Verhältnis zwischen Volk und Staat keine demokratischen Konsequenzen561 ergeben. Grundmoment der Konstruktion ist

552

Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 311. Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 377. 554 Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, Beilage II, S. 226. 555 Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 377; Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 28, spricht von einer „geschichtlich-kulturellen Einheit“. 556 Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 144, spricht bei Gerber von einer „Identität von Staat und Volk“; auch S. 145 zur Vereinheitlichung zwischen Staat und Volk. 557 Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 377; vgl. von Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, S. 170 ff., 182 ff.; kritisch dazu Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 23 f.; Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 140 f., 151. 558 Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 3 und Beilage II, S. 226; dazu Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 23 f., insb. 28 f., und Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 219, 231. 559 Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 45, der bei der Thematisierung der verschiedenen Rollen des Volks, feststellt: „Sodann ist es der sittliche Geist des Volks, aus welchem die materiellen Motive für das Handeln der Staatsgewalt hervorgehen“. Dazu Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 155 f.; Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 143 f.; Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 220, 311 f. 560 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 23, auch mit der Einordnung, dieses Verhältnis bedeute keine Rückkopplung „an den Willen seiner Bürger“, was eine „Eigentümlichkeit der deutschen Entwicklung“ sei. 561 Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 155, mit expliziter Kritik auf von Oertzen; Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 373; Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 23, 27; Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 129, 130, Anm. 36 u. 37. 553

B. Der staatsrechtliche Positivismus

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gerade nicht das willensbegabte Volk als politisches Subjekt562, sondern der als organische Zusammensetzung und aus seiner allgemeinen sittlichen Grundlage gedachte Staat563. In der Vermittlung dieses geistigen Inhalts liegt eine der Hauptfunktionen der Landstände bei Gerber. Ihre Aufgabe besteht theoretisch nicht nur negativ in der Beschränkung des Monarchen564 (und Wahrung des Rechts565), sondern auch – gerade im Sinne der Geltendmachung der sittlichen Substanz – konstruktiv in der Sicherstellung, dass der staatliche Wille, der vom Monarchen verkündet wird, „den wirklichen Inhalt des Staatswillens zur Erscheinung bringt“566. Grundsätzlich wird dadurch, wiederum typisch für eine organische Perspektive, die verfassungstheoretische Verbindung zwischen Volk als eigenständigem, gerade im Gegensatz zum Monarchen verstandenem politischem Subjekt und den Landständen567 als seiner institutionellen Erscheinung durchtrennt568; beide, Landstände und Monarch, sind bei Gerber vielmehr Ausdruck derselben geistigen Substanz, die die Grundlage des Staates darstellt. Einen (politischen) Gegensatz zwischen Monarchen und Landständen gibt es genauso wenig wie eine klare funktionelle Aufteilung zwischen beiden Organen im Kontext der staatlichen Willensbildung569. Gerade in diesem 562 Für Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 28, richtet sich die „Gerbersche Verkoppelung von Volksgeistlehre und monarchisch-bürokratischem Apparat tatsächlich auch gegen ein politisches Volksverständnis“. 563 Zu diesem Zusammenhang Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 23: „An der Schnittstelle zwischen dem Staat als einheitlichem Willenssubjekt und als ,natürlichem Organismus‘ liegt für Gerber der Begriff des Volkes“; ferner S. 27. Auch Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 151. Allgemein zur Theorie der juristischen Persönlichkeit des Staates, Kuriki, Die Funktion des Volksgedankens in der Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, in: Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, S. 249: „Die Eigenartigkeit der Theorie vom Staat als juristischer Person besteht nicht darin, daß sie den Staat als eine eigenständige Person anerkannt, sondern umgekehrt, daß sie dem Volk eine eigene Persönlichkeit aberkannt hat“. 564 Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 126; Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 252; Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 377; Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 153. 565 Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 125. 566 Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 125; auf S. 126 dazu noch die Behauptung, die Landstände erfüllen die Aufgabe, „das sittliche Bewusstsein des Volks zum unmittelbaren und wirksamen Ausdrucke zu bringen“. 567 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 61, schreibt vom Versuch Gerbers, die Rolle der Volksvertretung im Sinne „bloßer Rechtswahrung und Artikulation eines geschichtlich-sittlichen Volksbewußtseins“ zu konstruieren; ferner S. 66 mit der Einordnung, die Stände „dürfen aus Sicht Gerbers nicht als Organ des Volkes konstruiert werden“. 568 Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 315, Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 154 f. 569 In diesem Sinne Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 147 f.; Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 152 f.; Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 28 ff., insb. 29, mit der Behauptung: „Das Volk erlangt seine Einheit nur noch im selbständigen Rechtssubjekt Staat, das nichts

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3. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Volks

Sinne sind die Landstände als „Staatsorgane“570 zu verstehen; ihr Bezug besteht ausschließlich zum Staat und zur Staatsgewalt571, in welchen das Volk, eben organisch, konstant präsent gedacht wird572. Institutionell aber ist der Staat ganz auf die Person des Monarchen zurückzuführen. Eine politische Artikulationsfunktion erfüllen die Landstände in einem solchen Schema nicht; nur als Kontrollinstanzen der sowieso vorhandenen und dem Staat als Ganzem zugrunde liegenden sittlichen Substanz spielen sie eine pseudo-institutionelle Rolle573 ; diese ist, wie Schönberger hervorhebt, gerade nicht auf dem Prinzip der Volkssouveränität begründet574. Bemerkenswert ist auch der Unterschied zwischen aktiver und passiver Dimension bei der Beurteilung des Begriffs des Volks575. Kann es kollektiv und als dem Staat zugrunde liegende geschichtliche und insbesondere amorphe Substanz in einem mittelbaren aktiven Verhältnis zur herrschaftsausübenden Entscheidungseinheit gebracht werden, so erscheint das Volk passiv „in seinen einzelnen Gliedern“ geteilt576. Die juristische Rekonstruktion des Herrschaftsverhältnisses, welches von der Willenseinheit Staat ausgeht und ihn charakterisiert, bringt das Individuum als nicht mediatisiertes Subjekt zur Erscheinung. Diese vergleichsweise präzise Erfassung des Volks in seinen einzelnen Gliedern erklärt sich aus dem methodologischen und staatstheoretischen Ansatz Gerbers. Denn wenn der Staat grundsätzlich formal aus der Entscheidungsfähigkeit des Monarchen und allgemein im Sinne von Willensverhältnissen zu konstruieren ist, sich also die Staatsgewalt im spezifischen Willen des Monarchen äußert, so ist auch das individuelle Unterwerfungsverhältnis spezifisch und klar bestimmt577. anderes ist als die monarchische Bürokratie. Im konstitutionellen System muß dieser monarchische Regierungsapparat zwar Mitwirkungsrechte der Kammern hinnehmen. Aber die Konstruktion dieser Mitwirkungsrechte wird dem staatsrechtlichen Positivismus bis zum Ende des Kaiserreichs nicht gelingen“; ferner S. 56 ff. 570 Dazu Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 314; Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 145 ff. 571 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 21, bezeichnet diesen Bezug des Parlaments auf den Staat als eine zentrale Neuerung, die von Gerber eingeführt wird; Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 146 f., der die Frage nach der Repräsentation bei Gerber als „eskamotiert“ (S. 147) bezeichnet. 572 Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 219 f. 573 Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 126, beschreibt die Aufgabe der Landstände als „die Rechtmässigkeit des Regierens zu sichern und das sittliche Bewusstsein des Volks zum unmittelbaren und wirksamen Ausdrucke zu bringen“. 574 Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 27. 575 Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 250. 576 Und gerade diese passive Dimension ist aus der rechtlichen Perspektive die wesentliche; Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 45; darauf macht Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 250, aufmerksam. 577 Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 47 f.: „Während nun das Volk in seinen sonstigen Beziehungen zum Staate als eine geistige Einheit ersheint [sic], bei der das einzelne Glied nicht isolirt, sondern nur als mitwirkender Krafttheil eines grossen, Vergangenheit und Gegenwart einschliessenden sittlichen Gesammtindividuums hervortritt, wendet

B. Der staatsrechtliche Positivismus

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Damit wird auch die Zwiespältigkeit in Gerbers methodologischem Ansatz bzw. das Gewicht der organischen Denkweise bei ihm bezüglich des Begriffes des Volks offensichtlich. Das Verhältnis zwischen Volk und Staat ist für ihn ganz vom organischen Denken her konzipiert; Volk und Landstände erscheinen in diesem Sinne explizit aus ihrem Bezug zum Staatsorganismus578 verstanden. Dadurch kann das Volk aber nur über den Staat erfasst werden579. Die methodologische Neuerung wirkt sich in diesem Sinne ausschließlich auf die aktive Dimension der Ausübung von Herrschaft aus der Perspektive des Monarchen aus, die willenstheoretisch verrechtlicht erscheint und dadurch Untertanen individuell einer rechtlichen Bindung unterwerfen kann. Für die aktive Dimension aus der Perspektive des Volks erkennt Gerber dagegen der organischen Begrifflichkeit durchaus rechtlichen Charakter zu580, den er aber nicht konsequent weiterentwickelt581. Damit bleibt die Willensfähigkeit des Volks in einem politischen Sinne, auch und gerade im Kontext der Landstände, in den Worten Gerbers ein „Vorspiel im philosophischen Himmel“582.

II. Laband Zwischen Gerber und Laband wird im Allgemeinen, wie im zweiten Kapitel erwähnt, von einer methodologischen Kontinuität ausgegangen583. Im System Labands, wie schon bei Gerber, wird im Sinne der „juristischen Methode“ die Verbindung zwischen Volksvertretung und Volk begrifflich ausgeschaltet584, sodass das Volk als politischer Faktor in seiner institutionellen Erscheinungsform irrelevant sich die juristische Konstruktion des Gewaltrechts an den einzelnen Staatsbürger als solchen“, siehe auch S. 129; Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 107 ff., insb. 111. 578 Landstände sind Glied des „Organismus“, sie erscheinen in Vertretung „aller Interessen des Volks“, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 130; Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 252. 579 Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 145 f. 580 Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 45, zu den verschiedenen Dimensionen des Volks und ihrer rechtlichen Bedeutung. Zu diesem Punkt auch Kremer, Die Willensmacht des Staates, S. 253. 581 Dazu im Allgemeinen Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 143 ff., insb. 145. 582 Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, Beilage III, S. 238. Dazu Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 169 f. 583 Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 161. 584 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 92, meint, das Parlament sei bei Laband juristisch nur aus dem „Begriff des Staates als juristischer Person her“ zu verstehen. Dazu Friedrich, Paul Laband und die Staatsrechtswissenschaft seiner Zeit, in: AöR 111, S. 202, wenn er meint, der für Laband typische Formalismus entzieht „allen staatsrechtlichen Begriffen und Institutionen ihren politischen Sinn“.

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3. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Volks

bleibt. Bezugshorizont der Landstände ist ausschließlich der Staat585. Das Volk verliert aber auch, und das ist durchaus originell bei Laband, die begriffssystematische Stelle als Grundlage des Staates, die es noch bei Gerber im organischen Verständnis innehatte586. Zwar behauptet auch Laband, das Volk sei als Grundlage und Substrat des Staates (freilich im vorrechtlichen Sinne) zu verstehen587, in seinem System konzipiert er jedoch nur die Gründerstaaten als Mitglieder des Reichs588. Durch diese Einführung bundesstaatlicher Elemente umgeht Laband das Volk auf der Reichsebene begrifflich fast auf ganzer Linie589. Weil der Staat sich nunmehr grundsätzlich nur aus dem Monarchen bzw. aus dem von ihm dominierten Verwaltungsapparat verstehen lässt, erscheint das Volk ausschließlich in seiner passiven Rolle und wird als „Objekt staatlicher Herrschaft verstanden“590 in den einzelnen Gliedern erfasst591, wie das schon von Gerber postuliert worden war. In diesem Sinne ist bei Laband eine Verdrängung organischen Denkens deutlich bemerkbar592, die die Rolle des Volksbegriffs im System prägt. Ohne organische Fundierung, die noch bei Gerber die Grundlage für die Berücksichtigung des Volks dargestellt hatte, wird nämlich das Volk samt repräsentativen Instanzen bei Laband komplett irrelevant593. Neben dem bisher Gesagten gilt insbesondere die (fehlende)

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Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 92. Schönberger, Ein Liberaler zwischen Staatswille und Volkswille, in: Paulson/Schulte (Hrsg.), Georg Jellinek, S. 23. 587 Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 96; er meint, allgemein sei „jeder Staat die Personifikation einer Volksgemeinschaft“, allein werde „die konkrete staatsrechtliche Gestaltung […] durch diese unmittelbare Beziehung der Reichspersönlichkeit auf das Volk nicht zum richtigen Ausdruck gebracht“ (Hervorhebung im Original), auch S. 136. 588 Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 96; dazu, insbesondere zu den Schwankungen bei der Behandlung des Substrats des Staates, Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 97; Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 134. 589 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 99, weist auf entsprechende Bewertungen bei Hänel und Burguess hin und charakterisiert die Funktion dieser Einführung als „antiparlamentarisch“. 590 Fröhling, Labands Staatsbegriff, S. 38; in diesem Sinn auch Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, S. 345. 591 Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 141: „Das Wesen der Zugehörigkeit zu einem staatlichen Organismus besteht in der Untertanenschaft, d. h. in der Unterwerfung unter die obrigkeitliche Herrschermacht. Der Bürger ist als Einzelner Objekt der obrigkeitlichen Rechte des Staates; die Herrschermacht des Staates richtet sich gegen ihn und verpflichtet ihn zu Handlungen, Leistungen und Unterlassungen behufs Durchführung der dem Staate obliegenden Aufgaben“. 592 Explizit in diesem Sinne Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 165, und Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, S. 206. 593 Kuriki, Die Funktion des Volksgedankens in der Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, in: Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, S. 249; Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 100 ff., insb. 103. 586

B. Der staatsrechtliche Positivismus

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Rolle der Volksvertretungen, und vor allem des Reichstags als Zeichen dafür594. Wie schon im zweiten Kapitel thematisiert, dient gerade die Unterscheidung, die Laband zwischen Gesetzesinhalt und Gesetzesbefehl vornimmt, dazu, konstruktiv die Kompetenzen der Volksvertretungen aus dem Bereich der Staatsgewalt auszuschließen595. Ein Fazit lässt sich insofern für die Behandlung des Volks bei Laband einfach ziehen: Ohne organische Grundlegung des Staates und mit der schon bei Gerber vorhandenen Ausschaltung des Verhältnisses zwischen Volk und Volksvertretung schrumpft das Volk begrifflich auf ein Minimum.

III. Jellinek Jellinek steht insbesondere für seine Zwei-Seiten-Theorie, die den Anspruch erhebt, den Staat „nach allen Seiten seines Wesens zu erforschen“596. Wird in diesem Sinne grundsätzlich zwischen einer sozialen Staatslehre und einer Staatsrechtslehre unterschieden597, die jeweils eigentümliche Betrachtungsweisen mit sich bringen, so wirkt sich dieser methodologische Ansatz auch auf das Verständnis des Volks aus. Im Rahmen der Soziallehre des Staates behandelt Jellinek das Problem des Staates als Kollektiv- oder Verbandseinheit598 ; trotz seiner Zurückweisung des Organismusbegriffs für eine (wissenschaftliche) Beschreibung des Staates sieht er in den Ausführungen Gierkes über die Genossenschaft eine „ausgebildete Theorie von dem vorjuristischen Dasein des Staates“599. Er übernimmt von Gierke das Verständnis eines durch „feste Organisation und dauernde Zwecke“600 geeinigten Verbandes; dieser gilt ihm als „eine von den einzelnen unterschiedene Einheit, die trotzdem nur durch die Vielheit und in der Vielheit der Individuen besteht“601. Sodann übernimmt Jellinek die Lehre Haenels vom Staat als korporativem Verband, der als Substrat der juristischen Persönlichkeit dient602, und zitiert seine Ausführungen zum Problem der Einheit des Verbandes; er hebt hervor, die Einheit werde dadurch begründet, „daß eine Vielheit menschlicher Individuen geistig auf einen Gesamtzweck bezogen ist, 594 Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 164. 595 Dazu Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 148 ff., 170 ff.; Hartmann, Repräsentation, S. 165 f. 596 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 10. Für Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 136, bildet diese Einsicht den „Ausgangspunkt jeder umfassenden Staatslehre“ für Jellinek. 597 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 11. Dazu Möllers, Staat als Argument, S. 12 f. 598 Allgemeine Staatslehre, S. 158. 599 Allgemeine Staatslehre, S. 159. 600 Allgemeine Staatslehre, S. 159. 601 Allgemeine Staatslehre, S. 159, mit dem Verweis auf „Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung“ und „Deutsches Privatrecht“. 602 Allgemeine Staatslehre, S. 160.

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und daß diese geistige Bezogenheit, die an sich nur die Aussage eines identischen Willensinhaltes der Beteiligten ist, ihre Realität gewinnt durch die Willensmacht leitender Organe und sich einfügender Mitglieder“603. Diese Einheit wird dann weiterhin im Anschluss an Haenel als eine reale definiert, und zwar in der „Sphäre geistiger, ethisch bestimmter Potenzen, nämlich menschlicher Individuen“604, die „nur psychologisch aufeinander einwirken und sich zusammenschließen können“605. Bemerkenswert sind die darauffolgenden Ausführungen, die den Sinn haben, diese als real erkannte Einheit, trotz denknotwendiger „Substanziierung“606, nicht an einem sinnlichen Objekt statt des eben erläuterten Substrates zu erkennen607. Um diesen Fehler zu vermeiden, betont Jellinek strikt die rein subjektive erkenntnistheoretische Leistung, die das als Einheit zu erkennende Substrat darstellt. Diese synthetisierende Leistung hat nämlich nur „erkenntnistheoretische Berechtigung […], solange wir dem durch sie Erkannten keine transzendente Realität zuschreiben“608 ; dass diese Gefahr bei der realen Einheit des Staates besonders präsent ist, bringt Jellinek mit einem Vergleich mit Farben und Tönen zum Ausdruck609. Besteht bei Farben, Tönen und der als real verstandenen Einheit des staatlichen Substrates somit das Risiko, anstatt der synthetisierenden erkenntnistheoretischen Leistung sinnliche Objekte zu stellen, so muss dieser Gefahr dadurch begegnet werden, dass man einen „einheitlichen Träger, ein Individuum“610 als erkennendes Subjekt zwischen den Staat und seine Rekonstruktion als Einheit stellt. Zur synthetisierenden erkenntnistheoretischen Leistung, durch die Farben und Töne als Einheit begriffen werden, muss nämlich beim Staat zusätzlich der praktische Zweck als einheitsstiftende Kategorie gedacht werden; gerade, weil die sinnliche Wahrnehmbarkeit dieser Zwecke, anders als bei Farben und Tönen, nicht gegeben ist, muss also die syn603

Allgemeine Staatslehre, S. 160, mit Verweis auf Haenel. Allgemeine Staatslehre, S. 160. 605 Allgemeine Staatslehre, S. 160. 606 Allgemeine Staatslehre, S. 161. 607 Es geht um folgende Passage (Allgemeinen Staatslehre, S. 161): „Von allen Anhängern dieser Gemeinwesentheorie wird, wie nicht anders möglich, der Staat als ein Wesen aufgefaßt. Wir müssen nämlich jede reale Einheit denknotwendig substanziieren. Solche Substanziierung vermittelt auch richtige Erkenntnis, wofern wir uns nur hüten, ein sinnliches Objekt an Stelle des Substrates zu setzen, das wir als Grundlage der Beziehungen der einzelnen Glieder einer sozialen Einheit postulieren. Indem wir für die Verbandseinheit einen einheitlichen Träger, ein Individuum fordern, nehmen wir keine Finktion, ja nicht einmal eine Abstraktion aus tatsächlich Gegebenem vor, sondern wir wenden eine zur Synthese der Erscheinungen denknotwendige Kategorie an, die erkenntnistheoretische Berechtigung hat, solange wir dem durch sie Erkannten keine transzendente Realität zuschreiben. Diese als Wesen zu denkenden Einheiten gehören ebenso unserer subjektiven Welt an wie Farben und Töne. Unserer Welt des Handels aber, in welcher der Staat seine Stelle hat, können wir nur die subjektiven Tatbestände unseres Bewußtseins zugrunde legen, nicht die innerhalb enger Schranken erkennbare objektive Realität der Dinge“ (Hervorhebung im Original). 608 Allgemeine Staatslehre, S. 161. 609 Allgemeine Staatslehre, S. 161 610 Allgemeine Staatslehre, S. 161. 604

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thetisierende, als sekundäre Form der Erkenntnis, der praktischen, als primären, folgen. Die Erkenntnis des Staates als soziale Einheit erfordert somit an erster Stelle die Erkenntnis über die praktischen Zwecke, anhand derer der Staat, an zweiter Stelle, als synthetische Einheit erkannt wird611. Die soziale Einheit des Staates als Verbandseinheit ist somit eine erkenntnistheoretische zweiten Grades. Jellinek knüpfte bei der Konstruktion seines Staates als Rechtsbegriff unmittelbar an den faktischen Begriff des Staates an. Das galt insbesondere bezüglich des Substrats; bildete das Substrat der faktischen Dimension des Staates ein analytisch auf der Grundlage von Herrschaft als Einheit erkannter Verband, so war dieses Substrat eben unmittelbar auch beim rechtlichen Verständnis des Staates als Rechtssubjekt vorhanden. Rechtlich aber wurde der sozial verstandene Verband eben in spezifisch juristischer Terminologie als eine Körperschaft gedeutet612. Weil für Jellinek gerade das Zweckmoment ein wesentliches Element der juristischen Begriffsbildung darstellt613, kann die teleologische Einheit des Verbandes unmittelbar ins Juristische übersetzt und durch den Begriff der Körperschaft zum Ausdruck gebracht werden614. Die juristische Dimension des Staates knüpft an die faktische an615, die jedoch ihrerseits begrifflich schon als für ihre juristische Erfassung vorgeformt erscheint616 ; strukturiert wird die Erfassung des Volks sowohl faktisch als

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In diesem Sinne ist Wischmeyer, Zwecke im Recht des Verfassungsstaates, S. 142 ff., insb. 143, nicht zuzustimmen, wenn er den „Perspektivwechsel“ bei der Konstruktion der Zweckeinheit deswegen kritisiert, weil das „die Einheit synthetisierende ,Bewußtsein‘ […] nicht mehr auf einen als Zweckeinheit synthetisierenden Sachverhalt gerichtet“ ist (S. 143). Obwohl er richtigerweise die praktische Zweckeinheit erkennt und sie als analytisches Moment bei der Auseinandersetzung mit Jellinek einführt (S. 136 ff.), übersieht er, dass für Jellinek die erste erkenntnistheoretische Leistung bei der Identifizierung der in der menschlichen Vielfalt, im psychologischen Substrat verteilten Zwecken liegt, und dass er aus diesem Grund davon absieht, direkt bei der synthetisierenden erkenntnistheoretischen Leistung anzusetzen. Sind die Zwecke, deren sinnliche Wahrnehmbarkeit nicht gegeben ist, erkannt – und das können sie nur, wenn sie als in anderen Menschen wirksam erkannt werden –, können sie in einem zweiten Schritt vom erkennenden Subjekt synthetisiert werden. Die „Zweckorientierung zweiter Ordnung“ (S. 143) ist somit keine Aushebelung der methodischen Vorarbeiten Jellineks, sondern aus seiner erkenntnistheoretischen Perspektive eine konsequente Durchführung des methodologischen Programms. 612 Allgemeine Staatslehre, S. 183. 613 In diesem Sinne Allgemeine Staatslehre, S. 178; dazu Möllers, Staat als Argument, S. 14. 614 Schönberger, Ein Liberaler zwischen Staatswille und Volkswille, in: Paulson/Schulte (Hrsg.), George Jellinek, S. 25. 615 Möllers, Staat als Argument, S. 17, stellt fest, dass der juristische Staatsbegriff Jellineks „durch seine weitgehende Übereinstimmung mit dem faktischen Staatsbegriff“ verblüfft. In diesem Sinne auch Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 138, m. w. N.; er betont, dass Jellinek explizit dieses Herleiten vom Faktischen ins Normative seiner Arbeit zugrunde legt. 616 So Möllers, Staat als Argument, S. 14.

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auch juristisch weiterhin im Sinne einer Einheit, die erkenntnistheoretisch die Form des Volks in seinen verschiedenen Erscheinungen bestimmt617. Erscheint somit das Volk im Sinne der Erfassung der gemeinsamen Zwecke als Einheit, so muss noch analysiert werden, welche Rolle die Organisation spielt, die diese Zwecke zu verwirklichen hat. Auch dieses zweite Moment ist für Jellinek kein unbedingt rechtliches618, sondern wird aus einer sozialen Tatsache ins Juristische übersetzt. Gerade an dieser Stelle entsteht eine Kluft zwischen Volk und Organisation, die entscheidungstheoretisch nicht mehr geschlossen wird: Er betont nämlich, dass der Volkswille nicht als „physischer Wille einer Einheit“ dargestellt werden kann; vielmehr müsse die Bildung des Gesamtwillens aus einer Zurechnungsleistung gewonnen werden619. Der von Jellinek oft geäußerte Satz, staatlicher Wille sei menschlicher Wille620, ist dahin zu verstehen, dass der Wille des Staates nur durch die Willensäußerungen der Organe im Rahmen ihrer Kompetenz gebildet wird621. Eine Verwertung der einigenden Zwecke innerhalb des Volks im Sinne der Ausübung von Herrschaft findet also nicht statt; der Volkswille existiert vielmehr nur in der rechtlichen Dimension, in der der juristische Begriff der Körperschaft und eben das einigende Moment der gemeinsamen Zwecke die bloße Funktion der Ermöglichung einer Zurechnung bilden622. Zusätzlich zu diesem Versuch einer Wiederbelebung des Volksbegriffs623 besteht eine weitere wichtige Neuerung bei Jellinek in der Qualifizierung des Volks als Staatsorgan624. Gerade im Gegensatz zur eben erörterten Verwertung der einheitlichen Form des Volks bzw. des Verbands oder der Körperschaft im Rahmen des theoretischen Staatsverständnisses werden damit institutionelle Ausdruckswege für 617 Schönberger, Ein Liberaler zwischen Staatswille und Volkswille, in: Paulson/Schulte (Hrsg.), Georg Jellinek, S. 27, hebt hervor, dass gerade in der Form der Erfassung Jellinek durchaus als „vom Erbe der Einheitsvorstellungen des staatsrechtlichen Positivismus wie der historischen Schule bestimmt“ erscheint. 618 Im Rahmen seiner Behandlung der Staatsorgane, Allgemeine Staatslehre, S. 542, betont Jellinek, dass „der Vorgang der Organisation anfänglich stets ein rein tatsächlicher“ ist, der erst bei „verhältnismäßig entwickelter Rechtsordnung“ zum rechtlichen erhoben wird. 619 Allgemeine Staatslehre, S. 145. 620 Allgemeine Staatslehre, S. 421, insb. 540 ff., 566 ff.; System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 136. 621 Allgemeine Staatslehre, S. 181. 622 Gerade in diesem Sinn die Kritik von Bernatzik, Über den Begriff der juristischen Person; da er im Rechtssubjekt eine Vereinigung von Zweck und Wille sieht (S. 48), kritisiert er Jellinek, S. 23 f., weil bei diesem gerade nur das Zweckmoment, eben in erkenntnistheoretischer Perspektive, als einheitsbildend wirkt. Damit zerschneidet er aber die Verbindung zwischen Zweck und Wille, denn, obwohl die Zwecke durchaus beim Volk als Substrat vorhanden sind, stammt der Wille nicht vom Volk, sondern von der Organisation, die gerade für die Erfüllung dieser Zwecke geschaffen worden ist. Dazu auch Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 382. 623 Schönberger, Ein Liberaler zwischen Staatswille und Volkswille, in: Paulson/Schulte (Hrsg.), Georg Jellinek, S. 23 ff., insb. 25 für die Allgemeine Staatslehre. 624 Allgemeine Staatslehre, S. 582 ff.

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das Volk als Subjekt eröffnet625. Diese implizieren wiederum einen dezidierten Schritt zur Überwindung der organischen Betrachtung des Volks bei Gerber und dessen Vernachlässigung bei Laband626. Dieser bedeutende Schritt zur institutionellen Verwertbarkeit des Volks wird jedoch durch zwei Züge geschwächt. Erstens wird sie nicht auf die Staatsgewalt, also unmittelbar auf die Entscheidung über Herrschaft, bezogen, sondern auf die Bestellung einer repräsentativen Körperschaft627. Die Qualifizierung des Volks als primäres Staatsorgan wird im Rahmen der Behandlung der Repräsentation diskutiert628. Schon daraus ergibt sich, dass der Fokus auf dem Verhältnis zwischen dem Volk und seiner Vertretung liegt. Dieses wird von Jellinek ausführlich analysiert; auch wenn er die Repräsentation, und somit das eben genannte Verhältnis, ausschließlich juristisch konzipiert629, wird sie immer wieder aus der politischen Dimension interpretiert630. Weil aber für Jellinek das Volk als Staatsorgan einen einheitlichen Willen haben muss631, muss gerade trotz dieser politischen Interpretation erklärt werden, wie dem Volk ein einheitlicher Wille zugerechnet werden kann. Die gemeinsame Grundlage dafür sieht Jellinek in der „Bestellung der Kammer“632, also im Ziel, das sekundäre Organ zu erzeugen: „In dieser rechtlich wichtigsten Absicht sind sogar alle Wähler einig“633, wodurch „auch der für einen unterliegenden Kandidaten Stimmende an der Bildung der Kammer“634 bzw. am relevanten Volkswillen teilnehmen kann. Somit zeitigt die Konstruktion eines einheitlichen Willens des Staatsorgans Volk bedeutende Konsequenzen: Auf der einen Seite wird eine Standardisierung der Willen aller Volksmitglieder vollzogen635, auf der anderen 625

Allgemeine Staatslehre, S. 588. Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 243. 627 Allgemeine Staatslehre, S. 582 ff. 628 Allgemeine Staatslehre, S. 566 ff., insb. 582 ff. 629 Allgemeine Staatslehre, S. 566, 582 f., 585, 589. 630 Allgemeine Staatslehre, S. 583 f., 585 f., insb. 586, wo „rechtliche Einrichtungen“ wie die „Dauer der Legislaturperiode, Auflösung der gewählten Kammern durch die Regierung, Art und Ausdehnung des Wahlrechtes usw.“ aus dem Ziel der Vermeidung der politischen Lösung des Parlamentswillens von den Volksanschauungen verstanden werden. 631 Allgemeine Staatslehre, S. 588. 632 Allgemeine Staatslehre, S. 588. 633 Allgemeine Staatslehre, S. 588. 634 Allgemeine Staatslehre, S. 588. 635 Dagegen schon Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 486: „Diese Jellineksche Methode ermöglicht es, selbst die entgegengesetztesten Willensrichtungen als übereinstimmend darzustellen! Denn wenn zwei Menschen noch so Widersprechendes wollen, darin dürften sie wohl stets übereinstimmen, daß sie überhaupt etwas wollen!“. Weiter unten noch: „Der Inhalt eines Willens bestimmt sich eben nicht nach irgendeinem allgemeinen Oberbegriffe, unter den das konkrete Ziel des Wollens zu kategorisieren ist, sondern nur nach diesem konkreten Ziel selbst“. Auf S. 487 dann die Behauptung, es gehe bei der Wahl eines Wählers um die bestimmte Person des Abgeordneten, und nicht darum, das Parlament zustande zu bringen. Dazu auch Lepsius, Georg Jellineks Methodenlehre, in: Paulson/Schulte (Hrsg.), Georg Jellinek, S. 327 ff. 626

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3. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Volks

Seite wird das Volk in seinem sekundären Organ aufgelöst, dessen Wille unmittelbar und unbedingt als Volkswille gilt636. Ist somit das Verständnis des Volks als Staatsorgan, wie eben auch als Körperschaft, bereits für die Zurechnung eines einheitlichen Willens vorgeformt637, so bezieht sich der zweite Schritt, durch den Jellinek die Stellung des Volks in seinem Staatsverständnis schwächt, gerade auf die Funktion des Parlaments als sekundäres Organ. Die sekundären Organe des Volks werden nämlich von Jellinek als „unselbstständige Organe“ charakterisiert638 ; d. h., es handelt sich um Organe, die eine beschränkende Funktion bezüglich eines selbstständigen Organs erfüllen639. Wie Schönberger betont, wird diese Kategorie von Organen insbesondere auf die Parlamente des deutschen Konstitutionalismus angewendet640. Das wiederum bedeutet: Die Funktion der Volksvertretung ändert sich trotz dieser Berücksichtigung des repräsentativen Moments grundsätzlich nicht im Vergleich zu Gerber und Laband; konkreter, der Schritt der Qualifizierung des Volks als Staatsorgan impliziert keine politische Verwertbarkeit desselben auf Staatsebene, d. h. aus der Perspektive der Entscheidung über Herrschaft641. Vielmehr bemüht sich Jellinek, das Verhältnis zwischen Volk und Volksvertretung im Sinne der Repräsentation zu klären, was vor allem im Sinne der Qualifizierung als primäres und sekundäres Organ geschieht, ohne aber diesem Binom eine klare Stellung im allgemeinen Staatsgefüge und aus der Perspektive der Herrschaft geben zu können642. Positive Bezüge zwischen dem Volk und der Staatsgewalt konstruiert Jellinek dagegen gerade nicht institutionell, sondern vielmehr unspezifisch und auf der Grundlage von zwei Elementen. Er thematisiert zum einen den Zusammenhang, den es zwischen Volk und Staatsgewalt gibt, in dem Sinne, dass diese „irgendwie aus dem Volke hervorgehen“643 soll. Dies bedeutet allerdings wiederum nur, dass die Träger der Herrschaft „Mitglieder der Volksgemeinde“644 sein sollen; konkret solle also 636 Allgemeine Staatslehre, S. 581: „Wenn der Wille der Kammern, und kein anderer, Volkswille im Rechtssinne ist, so sind die Kammern selbst ausschließlich das staatlich organisierte Volk“. Auch dazu der Gedanke der juristischen Einheit zwischen Volk und Volksvertretung, S. 582 f. Das ergibt sich schon aus dem Begriff der Repräsentation (im engeren Sinne), mit dem Jellinek operiert (Allgemeine Staatslehre, S. 566): „[D]as Verhältnis eines Organes zu den Mitgliedern einer Körperschaft […], demzufolge es innerhalb der Körperschaft den Willen dieser Mitglieder darstellt“. Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 245. 637 Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 487. 638 Allgemeine Staatslehre, S. 548. 639 Allgemeine Staatslehre, S. 548. 640 Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 232. 641 Das zeigt sich schon an der doppelten Qualifizierung als Organ von Volk und Parlament, die aber, wie schon Kelsen, Hauptprobleme der Staatslehre, S. 482, bemerkt hat, diese Qualität nicht nebeneinander haben; die Organqualität des Volks löst sich vielmehr in der des Parlamentes auf. 642 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, S. 233. 643 Allgemeine Staatslehre, S. 424. 644 Allgemeine Staatslehre, S. 424.

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mindestens einem Individuum „ein persönlicher Anspruch auf die Trägerschaft der höchsten Organstellung zustehen“645. Zum anderen betont Jellinek im Rahmen der Soziallehre, der Staatszweck rechtfertige den Staat „psychologisch und ethisch“646. Grundsätzlich lassen sich beide Elemente im Sinne einer „Anerkennungslehre“647 des verwandelten Gehorsams interpretieren, in der Jellinek den Gehorsam der „Gesamtheit der Untertanen“648 positiv umdeutet und ihn als „Komplement der Staatsgewalt“649, ein konstitutives Element, definiert. Damit direkt verbunden ist die Erweiterung des Gerber-Labandschen, auf Herrschaft begründeten Paradigmas des Volks, welches nicht mehr grundsätzlich als „Objekt“ der Staatsgewalt, also im passiven Sinne, verstanden wird650, sondern durchaus eine positive, aktive Dimension erhält651. Diese ist in Bezug auf das einzelne Individuum bei Jellinek besonders durch die Einführung seiner Statuslehre und die Grundbedingung der Anerkennung des Menschen als „Person“ als Grundlage aller Rechtsverhältnisse ausgeprägt652. Dadurch wird auch die individuelle Erfassung des Individuums im rein negativen Sinne vor allem bei Gerber überwunden. Trotz dieser expliziten, positiven Berücksichtigung sowohl des einzelnen Menschen als auch des Volks im Staat sind diese Elemente nicht als demokratische, also mit direktem Bezug auf eine Entscheidungstätigkeit über Herrschaft, in der Konstruktion Jellineks verwertet. Das „positive“ Verhältnis zwischen Volk und Staat räumt dem Volk gerade nicht eine Beteiligung an der Staatstätigkeit ein, sondern erhält seinen Sinn eher aus dem Negativen, und zwar als Abwesenheit von Zuständen, die die staatliche Tätigkeit vollkommen verunmöglichen würden653, wie schon in der Umdeutung des Gehorsams zum Ausdruck kommt. Das aktive Verhältnis erschöpft sich somit in einer Art Duldung staatlicher Herrschaft654. Die 645

Allgemeine Staatslehre, S. 423. Allgemeine Staatslehre, S. 236. 647 Kersten, Georg Jellinek und die klassische Staatslehre, S. 288; Schönberger, Ein Liberaler zwischen Staatswille und Volkswille, in: Paulson/Schulte (Hrsg.), Georg Jellinek, S. 27. 648 Allgemeine Staatslehre, S. 426. 649 Allgemeine Staatslehre, S. 426. 650 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 407, kritisiert die Spaltung zwischen Herrscher und Volk als „Summe der einzelnen als Objekt der Herrschaft“. 651 Schönberger, Ein Liberaler zwischen Staatswille und Volkswille, in: Paulson/Schulte (Hrsg.), Georg Jellinek, S. 25 f. 652 Allgemeine Staatslehre, S. 419. 653 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 424, spricht von einer „Volksüberzeugung“, von der „Rechtmäßigkeit“ der Staatsgewalt und von der „Billigung“ seitens des Volks als „Bedingung des Staates in seiner konkreten Gestaltung“. Wie Kersten, Georg Jellinek und die klassische Staatslehre, S. 288, 358 f., betont, handelt es sich dabei um eine Anerkennungslehre, die die „subjektive Stellung des Volks“ absichert; diese Stellung wird aber gerade nicht institutionell durch die Eröffnung von Entscheidungsmöglichkeiten zum Ausdruck gebracht, sondern, wie gerade eben erörtert, rein faktisch aufgefasst. 654 So auch Schönberger, Ein Liberaler zwischen Staatswille und Volkswille, in: Paulson/ Schulte (Hrsg.), George Jellinek, S. 26 f. 646

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3. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Volks

subjektive Qualität des Volks ist in diesem Sinne gerade nicht nur für demokratisch verfasste Staaten konstitutiv, sondern begriffssystematisch für den Staat allgemein655.

IV. Repräsentation und einheitliches Verständnis des Volks Eine kurze Bilanz lässt sich zunächst anhand des für diese Zeitspanne geltenden Begriffs der Repräsentation ziehen. Dafür kann das Urteil von Hartmann benutzt werden: Das eigentliche Problem der Repräsentation im Sinne einer Artikulierung des Volks, einer dem Volk zurechenbaren, weil vom Volk ausgehenden Handlung oder Entscheidung656, wird komplett aus dem staatstheoretischen Bereich, gerade auf der Ebene der rechtlichen Reflexion, verdrängt oder „eskamotiert“657. Schon im Rahmen der Behandlung von Gerber wurde betont, wie das Volk nur im organischen Sinne Bedeutung hat und wie das staatstheoretische Verhältnis zwischen Volk und Landständen durchtrennt wird. Jellinek dagegen beschäftigt sich mit der Problematik der Repräsentation und dem Verhältnis von Volk und Parlament und entwirft dabei eine Konstruktion, die für die deutsche Entwicklung höchst relevant sein wird. Auch diese kann jedoch das problematische Verhältnis zwischen Volksvertretungen und Entscheidungen über Herrschaft nicht lösen; darauf macht insbesondere Schönberger658 aufmerksam. Herrschaft bleibt auch bei ihm grundsätzlich auf den Staat bezogen; das Verhältnis zwischen Volk und Staat ist vor allem von Undeutlichkeit geprägt. Gerade das für das ganze 19. Jahrhundert ungelöste Problem des Zusammenwirkens der beiden maßgeblichen Staatsorgane bleibt, wie im letzten Abschnitt erörtert wurde, bei zentralen Autoren dieser Zeit bestehen. Die klarste Erfassung des Volks betrifft seine passive Dimension. In ihr erscheint es als Summe von Individuen, konkreter: als Summe von Untertanen. Als solche, in der Homogenität dieser passiven Rolle, werden sie als Einheit wahrgenommen. Aber auch die Versuche, das Volk in ein positives Verhältnis zur Herrschaft zu setzen, gehen von seiner Einheit aus. Das ist bei Jellinek der Fall, wenn er das Volk als Kreationsorgan konzipiert. Und das ist insbesondere bei Gierke und Preuß der Fall, die das Volk als Gemeinwesen im Sinne einer „realen“ Person konzipieren659. Ins655

Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 407; dazu Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 111. 656 Wolff, in: Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. 141: „Voraussetzung der Repräsentation ist also das Bestehen oder besser: der Glaube an das Bestehen einer Verbundenheit zwischen dem Repräsentanten und dem oder den Repräsentierten, kraft deren die Imputatio für möglich gehalten wird.“ (Hervorhebung im Original). 657 Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 171. 658 Das Parlament als Anstaltsstaat, S. 231 ff., insb. 241 f. 659 Preuß, Gemeinde, Staat, Reich, S. 156 ff.

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besondere zieht Gierke Parallelen zwischen der Einzelperson und dem Gemeinwesen, die diesen einheitlichen Charakter unterstreichen660. Ausdrücklich wird diese Einheitlichkeit auf Willens- und Handlungsfähigkeit bezogen, und somit auf die Ausübung von Herrschaft661. Das aber auch bei ihm die Bedingungen einer konkreten Entscheidungsfähigkeit in Bezug auf Herrschaft nicht eingehend behandelt werden, wurde schon im zweiten Kapitel dargelegt. Auf jeden Fall gilt: Die Einheitsform des Volks wird auch nicht in den Versuchen, es in eine aktive Rolle gegenüber der Steuerung von Herrschaft zu setzen, problematisiert. Das Volk erscheint bei jeder Erfassung als Einheit; die Komplexität seiner internen Vorgänge wird begrifflich verwischt.

C. Weimarer Republik I. Kelsen und die neuen Bedingungen Für die Weimarer Zeit ist hervorgehoben worden, dass der Begriff des Volks zunehmend an Bedeutung gewann662 ; die fehlende Verwertbarkeit von Volk und Volksvertretung in Bezug auf Herrschaft musste nämlich spätestens seit der Entscheidung für die Demokratie nach dem Ende des Kaiserreichs überwunden werden. Die neue Verfassungsordnung war ausschließlich auf dem Volk als Legitimationssubjekt begründet; nicht nur, dass sich die Weimarer Verfassung auf das Volk als verfassunggebendes Subjekt berief, sie räumte ihm auch im Rahmen des regulären politischen Prozesses eine entscheidende Stellung ein663 : In Art. 1 wurde die republikanische Form festgelegt und bestimmt, die Staatsgewalt gehe vom Volke aus. Das

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Das Wesen der menschlichen Verbände, S. 16: „Wir vergessen nicht, daß die innere Struktur eines Ganzen, dessen Teile Menschen sind, von einer Beschaffenheit sein muß, für die das Naturganze kein Vorbild bietet; daß hier ein geistiger Zusammenhang stattfindet, der durch psychisch motiviertes Handeln hergestellt und gestaltet, betätigt und gelöst wird; daß hier das Reich der Naturwissenschaft endet und das Reich der Geisteswissenschaft beginnt. Allein wir betrachten das soziale Ganze gleich dem Einzelorganismus als ein Lebendiges und ordnen die Gemeinwesen zusammen mit den Einzelwesen dem Gattungsbegriff des Lebewesens unter“. 661 Preuß, Gemeinde, Staat, Reich, S. 156 ff.; Gierke, Das Wesen der menschlichen Verbände, S. 29: „Durch das Organ offenbart sich also die unsichtbare Verbandsperson als wahrnehmende und urteilende, wollende und handelnde Einheit. Die juristische Person unseres Rechts ist kein des gesetzlichen Vertreters bedürftiges unmündiges Wesen, sondern ein selbsttätig in die Außenwelt eingreifendes Subjekt“. 662 Liermann, Das deutsche Volk, schreibt in der Einleitung, S. 5, das Volk sei im November 1918 zum „schlagwortartigen Mittelpunkt und Ausgangspunkt des Geschehens“ gemacht worden. Dazu auch Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung, S. 13; Koselleck, Art. Volk, Nation, Nationalismus, Masse, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, S. 389 ff. 663 Lübbe-Wolff, Das Demokratiekonzept der Weimarer Reichsverfassung in: Dreier/ Waldhoff (Hrsg.), Wagnis der Demokratie, S. 111 ff., 114 ff.

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3. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Volks

Volk hatte somit die zentrale Stelle im staatsrechtlichen System eingenommen, kein weiteres Organ machte ihm diese Stellung streitig664. Gerade aus diesem Kontext lässt sich die Entwicklung des hier relevanten Begriffs erklären: Die Auseinandersetzung mit dem Begriff des Volks während der Weimarer Republik kann aus der Notwendigkeit verstanden werden, im Volk einen Anknüpfungspunkt für das Treffen von Entscheidungen bzw. für die Ausübung von politischer Herrschaft zu finden. Insbesondere Kelsen steht dabei für Positionen, die bei der Rekonstruktion des neuen institutionellen Systems überwunden werden sollten665, und das in zwei Hinsichten. An erster Stelle konstruiert Kelsen, in Fortsetzung der formalen Erfassung, das Volk aus der Herrschaft heraus: Staatsvolk ist der „personale Geltungsbereich der Staatsordnung“666. Das eigentliche Kriterium der Zugehörigkeit zum Volk ist ausschließlich durch die Unterwerfung gegenüber der staatlichen Herrschaft gegeben667, was gemäß seiner methodologischen Ausrichtung, die schon im zweiten Kapitel skizziert wurde, in der Geltung der Rechtsordnung ihren Ausdruck findet. Es gibt somit für Kelsen kein Staatsvolk vor dem Staat, und d. h. vor dem Recht668. Explizit weist er Verständnisse des Volks als naturhafte Realität und materialisierende Momente („die Rasse, die Sprache, die ökonomischen Verhältnisse der Menschen usw.“669) als wesentlich für den Begriff des Staatsvolks zurück. Rechtsordnung und Staat haben somit ontologischen Vorrang gegenüber dem Volk; es ist insofern die Rechtsordnung, die überhaupt die Bedingungen der Erzeugung eines „Volkswillens“ bestimmt670. Das Staatsvolk als Summe von Staatsangehörigen stellt eine übliche begriffliche Charakterisierung der Zeit dar671. Aber auch in einer zweiten Perspektive erscheint die Begrifflichkeit von Kelsen als zu überwinden: Die Demokratietheorie Kelsens sieht nämlich das Volk als

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Unruh, Der Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, S. 264 f. Sontheimer, Zur Grundlagenproblematik der deutschen Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Bd. XLVI, S. 41, hebt die dezidiert antipositivistische Neuorientierung des staatsrechtlichen Denkens hervor. 666 Allgemeine Staatslehre, S. 149. 667 Allgemeine Staatslehre, S. 149, 160. 668 In diesem Sinne Möllers, Staat als Argument, S. 52; Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 198. 669 Allgemeine Staatslehre, S. 150. 670 Lepsius, Staatstheorie und Demokratiebegriff in der Weimarer Republik, in: Gusy (Hrsg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 397. 671 Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, S. 242 ff.; Laun, Volk und Nation; Selbstbestimmung; nationale Minderheiten, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, S. 244 („Staatsvolk ist die Summe aller Staatsangehörigen“). Für Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung, S. 22, handelt es sich dabei um den „alten“ Volksbegriff. 665

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grundsätzlich nicht handlungsfähig an672; in seiner Schrift „Vom Wesen und Wert der Demokratie“ sowie seiner Allgemeinen Staatslehre geht er, wie schon beim Begriff der Freiheit, von einer Metamorphose (des Begriffs) des Volks im Rahmen der Demokratie aus, die vor allem funktionell bedingt ist673. Dabei erscheint das Volk als grundsätzlich in politische Parteien gegliedert – eine interne Teilung, die die politische Funktionsfähigkeit des Volks überhaupt erst möglich macht674. Der Gemeinschaftswille kann also für Kelsen in Anschluss an diese politische Spaltung durch Kompromisse „zwischen entgegengesetzten Interessen“ gebildet werden675. An diesem Verständnis von Volk knüpft auch das Repräsentationsverständnis Kelsens an; hatte sich Jellinek noch um die Herstellung einer Verbindung zwischen Volk und Volksvertretung bemüht, so wird diese von Kelsen verworfen. Er kritisiert den Versuch Jellineks sowohl wegen der Differenzierung zwischen primärem und sekundärem Organ676 als auch wegen der Verwendung des Begriffs der Repräsentation. Dieser Begriff wird von Kelsen grundsätzlich nur für die Zurechnung von Organhandlungen zum Staat benutzt677, sodass eine Verwendung zwischen Organen einen besonderen Grund, und zwar einen positivrechtlichen, erfordert678 : Theoretische Folie und Maßstab für das Vorliegen eines solchen Rechtsgrundes bildet dabei für Kelsen die Stellvertretung, an der er auch das angebliche Repräsentationsverhältnis zwischen Volk und repräsentativer Körperschaft misst679. Den Grund für das behauptete Verhältnis findet Kelsen aber gerade nicht in einer Rechtsnorm, sondern im politischen Postulat („Dogma“) der Volkssouveränität680 ; dieses Postulat ist für Kelsen „der ausschließliche Grund der Repräsentationstheorie“681. Weil die Volkssouveränität aber eben keinen positivrechtlichen Grund für das Repräsentationsverhältnis zwischen Volk und Volksvertretung abgibt, lautet das Urteil von Kelsen konsequenterweise, dass die so verstandene Repräsentation nichts als eine Fiktion sei682.

672 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 15: Nur normativ kann das Volk als eine Einheit verstanden werden; tatsächlich erscheint es eher als „ein Bündel von Gruppen“. 673 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 14 ff.; Allgemeine Staatslehre, S. 321 ff. 674 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 19 ff., insb. 20 und 22. 675 Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 22 f. 676 Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 482 ff. 677 Allgemeine Staatslehre, S. 310 f. 678 Allgemeine Staatslehre, S. 311. 679 Allgemeine Staatslehre, S. 311 ff., insb. 316 f. 680 Allgemeine Staatslehre, S. 316. 681 Allgemeine Staatslehre, S. 314. 682 Allgemeine Staatslehre, S. 315: „Die Behauptung eines spezifischen Repräsentationsverhältnisses zwischen dem auf die Wahl des Parlamentes beschränkten Volk und dem Parlament ist somit eine nackte Fiktion; sofern das Repräsentationsverhältnis ein Rechtsverhältnis, der Begriff des sekundären oder repräsentativen Organs ein Rechtsbegriff sein soll“ (Hervorhebung im Original).

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3. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Volks

Damit werden Grundpositionen erörtert, die für die begriffliche Entwicklung während der Weimarer Zeit von grundsätzlicher Bedeutung sind: das formale Verständnis des Volks, seine innere Teilung in Parteien bzw. Interessen und das Verhältnis zur repräsentativen Körperschaft. Der Bruch mit dem durch Formalisierung charakterisierten wissenschaftlichen Umgang bezüglich dieser Punkte ist, auch wegen der veränderten institutionellen Bedingungen, besonders stark. Diese neue Verfassungsstruktur veränderte den wissenschaftlichen Umgang mit Volk und Volksvertretungen; tiefe Begriffsverschiebungen wurden dabei vorgenommen. Um als Anknüpfungspunkt für die Staatsgewalt, die vom Volk ausgehen sollte, dienen zu können, musste das Volk einheitlich verstanden werden; dass die Einheit die begriffliche Form der Herrschaft und insofern auch die Form des Herrschaftssubjekts und -objekts bestimmt, wurde schon weiter oben betont. Doch nicht in diesem Sinne vollziehen sich im Rahmen der Weimarer Verfassungsordnung die tiefsten Veränderungen: Wenn auch eher als Objekt der Herrschaft, zumindest reflexiv zu dieser, hatte das Volk diese Form eigentlich immer behalten. Entscheidend war vielmehr, aus der Form der Einheit eine Substanz herzuleiten, die für die Entscheidung über Staatsgewalt, über Herrschaft, verwertet werden konnte683. Die Literatur suchte typischerweise diesen Anknüpfungspunkt in einem materialisierten Begriff des Volks684. Insbesondere wurde aus dem materialen Begriff des Volks der Staat hergeleitet, der eben Ausdruck des volkseigenen Gehalts wurde685. Das Volk wurde in diesem Sinne dualistisch verstanden und konstruiert686 ; in formaler Tradition wurde es als Summe von Staatsangehörigen und in neuer, materialisierender Ausrichtung, grundsätzlich ethisch aufgeladen oder allgemein im Sinne einer „Werthaftigkeit“ konzipiert687. In dieser Hinsicht wurde es auf verschiedene Momente bezogen: Abstammung und Sprache688, Sitte689, ethische Vorstellungen690 oder allgemein Kultur691; die Werthaftigkeit wurde streng nationalis683

Besonders hervorgehoben in Schmitt, Verfassungslehre, S. 238 ff. Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung, S. 24 f. 685 Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung, S. 24 ff.; zum Verhältnis auch Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, S. 108. 686 Laun, Volk und Nation; Selbstbestimmung; nationale Minderheiten, in: Anschütz/ Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, S. 244; Gusy, Die Lehre vom Parteienstaat in der Weimarer Republik, in: Der Staat, Bd. 32, S. 75. 687 Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung, S. 17 ff. 688 Laun, Volk und Nation; Selbstbestimmung; nationale Minderheiten, in: Anschütz/ Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, S. 245. 689 Laun, Volk und Nation; Selbstbestimmung; nationale Minderheiten, in: Anschütz/ Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, S. 245. 690 Kaufmann, Zur Problematik des Volkswillens, S. 9; Laun, Volk und Nation; Selbstbestimmung; nationale Minderheiten, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, S. 245, spricht von einer „Gemeinschaft gewisser Werturteile“. 691 Heller, Staatslehre, S. 179 f.; Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 160 ff. Koselleck, in: Volk, Nation, Nationalismus, Masse, in: 684

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tisch konstruiert692. Gerade im Sinne nationaler Selbstbestimmung als Grundlage der staatlichen Anschauung693 fand sich der konstituierende Bezug zwischen Volk und Staat; dieser wurde auf dieser materialen Grundlage begründet, wirkte aber auf sie auch wieder – dialektisch – zurück.

II. Schmitt Eine zentrale Frage für die Weimarer Zeit war, nach dem Gesagten, wie sich das Volk bei der Entscheidungstätigkeit über Herrschaft verwerten ließ. Als einflussreiche Lehre dieser Operationalisierung wirkte Schmitts Begriffsbestimmung. Er definiert die Demokratie als Staats-, Regierungs- oder Gesetzgebungsform, ähnlich wie Kelsen, im Sinne einer „Identität von Herrscher und Beherrschten“694 oder, alternativ, einer Identität „des konkret vorhandenen Volkes mit sich selbst als politischer Einheit“695. Diese ist jedoch nicht im Sinne einer Aufhebung von Differenzierungen innerhalb des Volks zu verstehen. Im Kontext seiner Gegenüberstellung von Repräsentation und Identität als Formprinzipien postuliert Schmitt696, dass eine „restlose, absolute Identität des jeweils anwesenden Volks mit sich selbst als politischer Einheit“ nie verwirklicht worden sei697. Notwendig sind deshalb Menschen, die diese Einheit – auch im Rahmen einer Demokratie – repräsentieren698, also ihr „unsichtbares Sein durch ein öffentlich anwesendes Sein sichtbar machen und vergegenwärtigen“699. Diese Funktion erfolgt grundsätzlich durch die Regierung700, und das bedeutet: durch auf die Entscheidung über Herrschaft bezogene, funktionell differenzierte Instanzen innerhalb des Volks. Nachdem Schmitt durch die Einführung des repräsentativen Moments die Aufhebung der Identität des Volks mit sich selbst als politische Einheit vollzieht, stellt er sie jedoch wieder her, und zwar im Sinne der dem Volk und den Repräsentanten

Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, S. 397, spricht in diesem Kontext von einem „vermeintlich vorpolitischen Sinn“. 692 Liermann, Das deutsche Volk, S. 27 f. 693 Laun, Volk und Nation; Selbstbestimmung; nationale Minderheiten, in: Anschütz/ Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, S. 147 f. 694 Verfassungslehre, S. 234. 695 Verfassungslehre, S. 223. 696 Verfassungslehre, S. 206 ff. 697 Verfassungslehre, S. 207. 698 Ähnlich dazu die persönliche Integration bei Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 142 ff., insb. 145. 699 Verfassungslehre, S. 209; durchaus klingen die Momente der Zweckeinheit und der Organisation, wie sie von Jellinek entwickelt werden, nach; der entscheidende Unterschied: Ihre Materialisierung. So auch Möllers, Staat als Argument, S. 63. 700 Schmitt, Verfassungslehre, S. 214.

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3. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Volks

gemeinsam zugrunde liegenden Gleichartigkeit701, also substanziellen Gleichheit702, die Schmitt insbesondere in Gestalt der nationalen Homogenität703 konstruiert. Dieses nationale, homogene Moment charakterisiert er als ein „durch politisches Sonderbewußtsein individualisiertes Volk“704, welches er auf verschiedenen Elementen begründet sieht705. War der Staat auf der politischen Einheit des Volks begründet worden, somit ihre Konkretisierung, so materialisierte sich diese Einheit in der Homogenität einer „Wertgemeinschaft“706. Insofern orientiert sich die Einheit des Volks primär an der Unterscheidung zwischen Freund und Feind und der Möglichkeit eines existenziellen Kampfes; das geeinte Volk ist das Volk der befriedeten politischen Einheit, auf welche schon im zweiten Kapitel hingewiesen wurde707. Die konkrete existenzielle Grundlage des einheitlichen Status eines Volks lässt sich jedoch nicht bestimmen; die spezifisch politische Unterscheidung ist für Schmitt nämlich eine Frage der Intensität; diese kann „aus den verschiedensten Bereichen menschlichen Lebens“ entstammen708. Die Intensität äußert sich in der „Möglichkeit der physischen Tötung“709 durch den Feind und bestimmt die Bedingungen des Politischen, die insofern formal definiert werden. Als definierendes Element der Demokratie kommt die Gleichartigkeit dadurch zur Geltung, dass sie die institutionelle Struktur der Entscheidung über Herrschaft überlagert: Die geteilte Substanz des Volks710 hebt die Unterscheidung zwischen

701 Kotzur, Die Demokratiedebatte in der deutschen Verfassungsrechtslehre, in: Bauer/ Huber/Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, S. 359. 702 Schmitt, Verfassungslehre, S. 228. 703 Schmitt, Verfassungslehre, S. 231, auf S. 376 spricht er im Rahmen der Behandlung des Bundesstaates von einer „nationalen Gleichartigkeit der Bevölkerung“. Vesting, Politische Einheitsbildung und technische Realisation, S. 47, sieht die Gleichheit als „Achse, um die sich Carl Schmitts Überlegungen zur Theorie der Demokratie organisieren“. Diese versteht er als „naturhaft vorhandene Homogenität eines Volkes“. 704 Verfassungslehre, S. 231. 705 Maßgeblich, wie er schreibt, Verfassungslehre, S. 231, sind „Gemeinsamkeit des geschichtlichen Lebens, bewußter Wille zu dieser Gemeinsamkeit, große Ereignisse und Ziele“. 706 Llanque, Die Theorie politischer Einheitsbildung in Weimar und die Logik von Einheit und Vielheit (Rudolf Smend, Carl Schmitt, Hermann Heller), in: Göbel/van Laak/Villiger (Hrsg.), Metamorphosen des Politischen, S. 169. Llanque betont die Tatsache, dass Schmitt damit die Einheitlichkeit auch gegenüber Smend radikalisierte, weil er die Einheit nur in der Überwindung des Konflikts ansetzt, und nicht, wie Smend, in der Austragung des Konflikts selbst ein „integratives Moment“ sah. 707 Dazu Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 129 ff., insb. 132. 708 Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 36. 709 Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 31. 710 Dazu Lepsius, Staatstheorie und Demokratiebegriff in der Weimarer Republik, in: Gusy (Hrsg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 377 ff. Preuß, Die Weimarer Republik – Ein Laboratorium für neues verfassungsrechtliches Denken, in: Göbel/van Laak/ Villiger (Hrsg.), Metamorphosen des Politischen, S. 181, meint daher, bei Schmitt sei Demokratie „nicht Herrschaft des Demos, sondern des Ethnos“.

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aktiver und passiver Dimension von Herrschaft auf711. Gerade auf dieser gemeinsamen Substanz beruht nämlich die Akklamation als „natürliche Form der unmittelbaren Willensäußerung eines Volkes“712, durch die sich das Volk, als Öffentlichkeit bzw. öffentliche Meinung713 und eben einheitlich, positiv oder negativ zu einem spezifischen politischen Angebot zur Geltung bringt. Im Rahmen eines solchen politischen Angebots und dessen Annahme vollzieht sich dann die politische Einheit des Staates auf der materialen Grundlage der Gleichartigkeit714. Interessant sind insbesondere die Bedingungen der akklamatorischen Tätigkeit des Volks. Die Akklamation ist das Moment der Mitbestimmung, der Geltendmachung des Volks in Bezug auf die Herrschaft; im Moment der Billigung eines politischen Angebots bricht es aus der Rolle des reinen Objektes von Herrschaft aus. Bestimmt wird die Geltung des Volks durch das Moment der Einheitlichkeit, welches wiederum auf die geteilte Substanz zurückzuführen ist: Die Äußerung des Volks geschieht immer als Kollektiv. Unter diesen Bedingungen braucht das Volk keine institutionelle Artikulierung, denn seine spezifisch demokratische Ausdrucksweise ist grundsätzlich unstrukturiert. Der einzig relevante Entscheidungszusammenhang ist die Existenz eines politischen Angebots, auf welches das Volk billigend oder missbilligend reagiert. Seine Einheit bildet sich somit reflexiv zu diesem Angebot715; entscheidend dabei aber ist: Die grundsätzliche demokratische Struktur Schmitts ist gerade nicht als Vermittlungsverhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft konstruiert; vielmehr konzipiert Schmitt die Demokratie ausschließlich vom Volk als Substanz her. Jede Form der Erscheinung des Individuums wird ausgeschlossen; symptomatisch definiert Schmitt auch die einzelnen Volksglieder als „Vertreter des ganzen Volkes“716. Das Individuum löst sich somit komplett im Kollektiven auf. Besonders aufschlussreich sind dabei die Äußerungen Schmitts zum „Privatmann“717, den er überhaupt für unvereinbar mit der spezifisch demokratischen Ka711 Explizit in diesem Sinne Verfassungslehre, S. 236. So auch Llanque, Die Theorie politischer Einheitsbildung in Weimar und die Logik von Einheit und Vielheit (Rudolf Smend, Carl Schmitt, Hermann Heller), in: Göbel/van Laak/Villiger (Hrsg.), Metamorphosen des Politischen, S. 170 f. Brunkhorst, Der lange Schatten des Staatswillenspositivismus, in: ders., Legitimationskrisen, S. 114, sieht in der Verbindung zwischen der demokratischen Identitätsformel und der Freund-Feind Unterscheidung die „diabolische Originalität“ Schmitts. 712 Verfassungslehre, S. 83. 713 Verfassungslehre, S. 243. 714 Llanque, Die Theorie politischer Einheitsbildung in Weimar und die Logik von Einheit und Vielheit (Rudolf Smend, Carl Schmitt, Hermann Heller), in: Göbel/van Laak/Villiger (Hrsg.), Metamorphosen des Politischen, S. 171. 715 Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 211, meint deswegen, dass die politische Macht, „sachlich unabhängig vom Volk konzipiert wird“; S. 212, mit der Behauptung, Schmitt gehe nicht von einer „politisch aktionsfähigen Einheit des Volkes aus, sondern nur von einer akklamationsbereiten Masse“. 716 Verfassungslehre, S. 206 f.; die Staatsbürger repräsentieren nämlich bei der Wahl die politische Einheit des Volks; darauf macht Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 204 aufmerksam. 717 Verfassungslehre, S. 245.

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3. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Volks

tegorie des Staatsbürgers erklärt; jene sei ein Produkt des Liberalismus, die in einer demokratischen Ordnung keinen Platz habe. Insofern ist die kollektive Akklamation, gerade im Gegensatz zur individuellen Abstimmung718, das Partizipationsmoment, das mit der Demokratie als politische Form der Einheit des Volks korrespondiert. Konsequenterweise ist für Schmitt aus den demokratischen Prämissen ein individueller, inhaltlich definierter Rechtfertigungsanspruch bezüglich Herrschaft schlicht unbegreiflich, weshalb dessen Inexistenz nicht begründet zu werden braucht719.

III. Repräsentation Vor dem Hintergrund des erwähnten Volksbegriffs verdichtete sich die institutionelle Problematik des Verhältnisses zwischen Herrschaft und Volk vor allem im Begriff der Repräsentation. Zusammen mit dem erörterten Versuch, das Volk im materialen Verhältnis zur Herrschaft und staatlichen Einheit zu konstruieren – die allgemeine staatliche Einheit zu begründen war eines der Grundprobleme der Weimarer Zeit720 –, wurde die parlamentarische Wirklichkeit Objekt einer heftigen Kritik. Die innere Teilung und Zerrissenheit721 der Parteien und die fehlende Bereitschaft, Regierungsverantwortung zu übernehmen722, mussten im neuen begriffssystematischen und verfassungsrechtlichen Kontext einen besonders radikalen Gegensatz zur Idee des Volks als Inhaber der Herrschaftsgewalt hervorrufen723. Eine bedeutende Richtung bei der Konzeption des Begriffs der Repräsentation lässt sich auf das Volks- und Demokratieverständnis von Schmitt zurückführen; diese steht in einem direkten Gegensatz zum weiter oben skizzierten Verständnis von Kelsen. Für Schmitt liegt das Wesen der Repräsentation grundsätzlich in der Darstellung der politischen Einheit des Volks724. Die Fähigkeit zu einer solchen Darstellung sieht 718

Verfassungslehre, S. 245. Verfassungslehre, S. 239: „Es versteht sich in einer Demokratie von selbst, daß der überstimmte oder der nichtstimmende Staatsbürger sich nicht darauf berufen kann, er habe dem Gewählten seine Stimme nicht gegeben“. 720 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, S. 102 ff. 721 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, S. 102, 107, der feststellt, dass die Parteien im Allgemeinen als „die organisierte Entzweiung und Spaltung der Nation“ wahrgenommen wurden. Gusy, Die Lehre vom Parteienstaat in der Weimarer Republik, S. 76 f. 722 Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. II, S. 252, bezeichnet den kausalen Zusammenhang, der zum Ende der Weimarer Republik führte, als „ein Geflecht struktureller Bedingungen“; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, S. 107. 723 Typisch für diesen Gegensatz und dessen politische Nutzung Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (siehe insb. die Vorbemerkung ab S. 5); dazu Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, S. 107 f. 724 Verfassungslehre, S. 210, er meint, das Sein der politischen Einheit des Volks sei aber „gegenüber dem natürlichen Dasein einer irgendwie zusammenlebenden Menschengruppe eine höhere und gesteigerte, intensivere Art Sein“. 719

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Schmitt ausschließlich bei der Regierung725, weil sie „das geistige Prinzip der politischen Existenz darstellt und konkretisiert“726. War die Akklamation die Geltendmachung des anwesenden Volks und dessen Identität, durch die es seine konstitutive Substanz zum Ausdruck brachte, so wird diese Substanz bei der Repräsentation von der Regierung zum Ausdruck gebracht727. Das kann nur geschehen, wenn die Regierung an dieser Substanz teilhat und sie aktualisiert728. In diesem Sinne ist die Repräsentation eben auch nicht institutionell bedingt, vielmehr erscheint der Bezug auf die Substanz darauf ausgerichtet, institutionell festgelegte, repräsentative Einrichtungen bewusst auszuhebeln. Repräsentation ist nämlich „kein normativer Vorgang, kein Verfahren und keine Prozedur, sondern etwas Existenzielles“729 ; wie die Akklamation, die strukturell unorganisiert ist730, so ist auch die Repräsentation ambivalent; sie zeigt sich in ihrer existenziellen Wirkung, und somit in einem Zug, der für Schmitt typisch ist. Die Lehre Schmitts wird insbesondere von Leibholz aufgegriffen und weiterentwickelt731. Auch für ihn kann Repräsentation nur in einer ganz bestimmten „Wertsphäre“ stattfinden, die ideell bestimmt ist732; insofern ist die Repräsentation der Volksgemeinschaft möglich, da diese, als „wertakzentuierte“, zur ideellen Sphäre gehört733. Gerade in der Werthaftigkeit, in der das Ganze in jedem seiner Glieder erscheint734, zeigt sich auch die Gemeinschaft als Einheit und kann als solche repräsentiert werden735. Auf dieser Grundlage bezieht sich auch Leibholz in Anlehnung an Heller auf die der ganzen Konstruktion zugrunde liegende Idee der Einheit: 725

Verfassungslehre, S. 212: „Nur wer regiert, hat teil an der Repräsentation“. Verfassungslehre, S. 212. 727 Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 150. Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 212, schreibt von Repräsentation und Identität als den „geschichtlich bedingten unterschiedlichen Durchsetzungsweisen absoluter Macht“, wobei es für Schmitt letztendlich immer um „effektiv sich durchsetzende Macht im Staat“ gehe. 728 Für Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 206, wird die Regierung „nicht in ihrer Funktion erfaßt, sondern geistig hypostasiert und dadurch zur Deckung mit der vergeistigten Repräsentation gebracht“. 729 Verfassungslehre, S. 209. 730 Verfassungslehre, S. 247. 731 Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 266 f.; Kimme, Das Repräsentativsystem, S. 92. 732 Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, S. 32; darin sieht Leibholz auch die Besonderheit der Repräsentation gegenüber der Vertretung, S. 37. 733 Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, S. 32; auf S. 46 wird die Volksgemeinschaft als eine „politisch ideelle Einheit“ definiert. 734 Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, S. 46. 735 Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, S. 46 f. 726

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3. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Volks

Repräsentation im Sinne einer Aktualisierung der gemeinsamen Werthaftigkeit dient als Anknüpfungspunkt für Entscheidungen über Herrschaft736. Repräsentative Instanzen bringen die kollektive Substanz zur Geltung; gerade deswegen, und weil die politische Einheit nicht geschaffen wird, sondern ständig da ist737, ist diese Verwertbarkeit nicht an eine bestimmte institutionelle Form gebunden. Die Fähigkeit zur Repräsentation entsteht ausschließlich durch die Darstellbarkeit der politischen Einheit, die von verschiedenen institutionellen und politischen Instanzen geleistet werden kann738. Auch Heller geht von einer Substanz des Volks aus, die von der Repräsentation bzw. von den Repräsentanten umgesetzt wird. Heller identifiziert sowohl Repräsentation als auch Majoritätsprinzip als technische Mittel, durch welche „das Volk als Einheit über das Volk als Vielheit“ herrscht739. Beide gelten aber nur vor dem Hintergrund einer volonté générale, deren „reelle Existenz“740 postuliert wird und die die Voraussetzung für das Funktionieren der genannten technischen Mittel auch darstellt. Entscheidend dabei ist: Das institutionelle Gefüge erscheint für ein solches Verständnis gerade nicht als Ort der Herstellung des Volkswillens, sondern als Rahmen, der die Bindung der Ausübung von Herrschaft an die postulierte volonté générale gewährleisten soll741. Konsequent setzt Heller insofern diese volonté générale gar als grundsätzliches Interpretationsmoment der Verfassung742, sie wirkt gerade als Korrektur der Subjektivismen743, die sich durch die unterschiedliche individuelle politisch-soziale Veranlagung bei der Rekonstruktion des Sinns der Verfassung auswirken kann.

736 Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, S. 57: „Kann das Volk nach dem Gesagten nur als politisch-ideelle Einheit repräsentiert werden, so wird auch die allgemein verfassungsrechtliche Bedeutung der Repräsentationsfunktion deutlich. Der Sinn dieser Funktion ist, die als geistige Einheit existentiell vorhandene, konkrete Volksgemeinschaft in der Realität empirisch greifbar zu machen, ,die Herrschaft des Volkes als Einheit über das Volk als Vielheit‘ sicherzustellen, das Volk zur staatlichen Einheit zu integrieren“. 737 Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, S. 46 f. 738 Auf S. 46, Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, wird klar gemacht, dass die politische Einheit des Volks „nicht nur in der Monarchie, sondern auch im parlamentarischen Staat wie im Staat der Diktatur“ gegenwärtig ist. Konsequent insofern, wenn auf S. 57 die Gleichgültigkeit der institutionellen Instanzen und deren spezifische Form in Bezug auf die Fähigkeit zur Repräsentation behauptet wird. 739 Heller, Souveränität, in: Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 97. 740 Heller, Souveränität, in: Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 97. 741 Siehe Fn. 478. 742 Souveränität, in: Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 98. 743 Souveränität, in: Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 98. In der Staatslehre, S. 206, schreibt Heller, dass diese Funktion als „motivierende Hemmung oder Förderung, als Warnung oder Ermutigung für das Handeln der staatlichen Repräsentanten“ von der öffentlichen Meinung erfüllt wird.

D. Zwischenfazit

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D. Zwischenfazit Eine Konstruktion des Begriffs des Volks aus der Herrschaft drohte das Volk zu einem theoretischen Deutungsschlüssel für den Staat bzw. für die staatlich ausgeübte Herrschaft werden zu lassen, wie am Ende des vorigen Kapitels mit Bezug auf Heller gezeigt wurde. Eine solche Charakterisierung scheint, vor dem Hintergrund der in diesem Kapitel skizzierten geschichtlichen Entwicklung, durchaus begründet. Das lässt sich insbesondere anhand der institutionellen Mitwirkungsmöglichkeiten des Volks darlegen. Bei der Behandlung des Vormärzes am Anfang dieses Kapitels wurde schon hervorgehoben, dass das Volk als negative Kraft im Staat galt: Mit einer existierenden Herrschaft konfrontiert, musste sich das Volk aus der Möglichkeit einer Reinterpretation von Herrschaft bilden, und zwar in Gestalt eines Legitimitätsprinzips. Das Volk bzw. seine institutionelle Geltendmachung – zwischen beiden Ebenen wurde nicht unterschieden – stand für das Allgemeine der Herrschaft, insofern für die Vermeidung eines Missbrauchs der Herrschaftsbefugnis744. Das Rechtfertigungspotenzial für Herrschaft, welches mit einem solchen Begriff des Volks zusammenhängt, wird nach und nach begrifflich in den Staat hineinkonstruiert: Die organische Lehre begründet ein Verhältnis zwischen Volk und Staat, wobei auch beide als organisch konzipiert erscheinen. Stellt somit das Volk begriffsnotwendig die Grundlage des Staates dar, so entspricht auch der Staatswille immer dem Volkswillen. Daraus folgt jedoch kein institutionelles Verhältnis zwischen Volk und Staat745 : Wie schon gesehen, interpretiert vor allem Gerber diese Verbindung wirkmächtig in einem vorinstitutionellen Sinne: Die ethische Substanz des Volks kommt im Monarchen als tragendem Moment des Staates zum Ausdruck. Die grundlegende Bezogenheit des Volks auf seine Erscheinungsform Staat wirkt bis Jellinek (und Kelsen) weiter; stellt bei Jellinek aber das Volk ein dem Staat zugrunde liegendes, insofern präexistentes, sich aber im Endeffekt in der staatlichen Faktizität auflösendes Substrat dar746, so fällt diese Qualität bei Kelsen weg: Volk ist bei ihm die Summe von Staatsangehörigen, diese wiederum definieren sich aus der mit dem Staat identischen Rechtsordnung. Immerhin eröffnet sich für das Volk bei Jellinek und Kelsen eine dezidierte Mitwirkungsmöglichkeit innerhalb des institutionellen Gefüges des Staates, welche bis dahin in der herrschenden Rekonstruktion des Staatsrechts nicht berücksichtigt worden war: Die Repräsentation des Volks 744 So Kuriki, Die Funktion des Volksgedankens in der Geschichte der deutschen Staatsrechtwissenschaft, in: Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, S. 243; für ihn forderten die naturrechtlichen Staatstheoretiker eine „Herrschaft des wahren Gesamtwillens“, der „keine reale Macht ist“. 745 Kuriki, Die Funktion des Volksgedankens in der Geschichte der deutschen Staatsrechtwissenschaft, in: Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, S. 249. 746 Möllers, We are (afraid of) the people: Constituent Power in German Constitutionalism, in: Loughlin/Walker (Hrsg.), The Paradox of Constitutionalism, S. 90.

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3. Kap.: Die Entwicklung des Begriffs des Volks

durch eine Volksvertretung. Volk und repräsentative Körperschaften bezeichnen in diesem Kontext eine auf die Ausübung von Herrschaft bezogene begriffliche Einheit, durch die dem Volk Entscheidungen zugerechnet werden können. Im Rahmen der Weimarer Verfassungsordnung und insbesondere durch die Materialisierung von Volk und folglich Repräsentation verschwindet aber der institutionelle Bezug: Der Begriff der Repräsentation dient dagegen einer unmittelbaren Geltendmachung der Materialisierung des Volks mit Bezug auf Herrschaft. Diese wird somit gerade nicht institutionell vollzogen, sondern läuft parallel dazu und wird nur teilweise durch die verfassungsrechtlichen Strukturen vermittelt. Teilweise auch, und das ist für die Epoche bezeichnend, wirkt sich die Bezugnahme auf das Volk als einheitliche Substanz geradezu antiinstitutionell aus747, und zwar insbesondere antiparlamentarisch und kritisch gegenüber dem Pluralismus748. Gerade in dieser Hinsicht wirkt die für das Volk charakteristische Rolle eines Legitimitätsmoments weiter: Die Aushebelung des institutionellen Gefüges wird mit Bezug auf das ideell verstandene Volk vollzogen. Ein begriffsbestimmendes Merkmal bleibt durchgehend konstant: Sowohl als Form als auch als Substanz wird das Volk konsequent als Einheit verstanden. Insofern erscheint es als für eine begriffliche Verknüpfung zur Ausübung von Herrschaft vorgeformt. Wie diese Verknüpfung im Rahmen der Dogmatik der demokratischen Legitimation verwertet wird, soll im nächsten Kapitel erörtert werden.

747

Explizit in Schmitt, Hüter der Verfassung, S. 101; dazu Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 221. 748 Sontheimer, Zur Grundlagenproblematik der deutschen Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Bd. 56, S. 62 f.

4. Kapitel

Analyse der Dogmatik der demokratischen Legitimation Im ersten Kapitel wurde der theoretische Rahmen der vorliegenden Untersuchung festgelegt. Kernaussage des Kapitels war, dass die Frage nach der demokratischen Legitimation nur dann in ihrer ganzen Schärfe erfasst wird, wenn sie aus der Perspektive des einzelnen Individuums im Rahmen demokratischer, also kollektiver Entscheidungsfindung gestellt wird. In dieser Hinsicht erscheinen kollektive Verfahren der Entscheidungsfindung als Mittel der Herrschaftsproduktion und insofern als Erfüllung struktureller Anforderungen der Entscheidungstätigkeit über Herrschaft, insbesondere im Sinne der Bildung einer (material verstandenen) Entscheidungseinheit. Grundsätzliche Voraussetzung der Bildung einer solchen Entscheidungseinheit ist in einem demokratischen Kontext eine innere Teilung des Kollektivs, also des Volks, die jedoch aus der Perspektive demokratischer Selbstbestimmung als problematisch erscheint. Kapitel zwei und drei beschäftigten sich mit wichtigen Autoren der deutschen staatstheoretischen und staatsrechtlichen Literatur seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Sinn dieser geschichtlichen Skizze war die Analyse, inwiefern die Voraussetzungen der Entscheidungstätigkeit über Herrschaft und die eben erwähnte Teilung des Volks im Rahmen der deutschen Entwicklung überhaupt darstellbar waren. Dabei stellte sich heraus: Sowohl für die Erfassbarkeit der Voraussetzungen der material verstandenen Entscheidungstätigkeit über Herrschaft als auch für die innere Teilung des Volks wird diese Darstellbarkeit durch die begriffliche Dichte der Kategorie des Staates verhindert. Im Zuge der rechtlichen Subjektivierung des Staates, die seiner Auffassung als Herrschaftssubjekt zugrunde liegt, werden die Bedingungen der Bildung einer Entscheidungseinheit zunächst ausgeblendet und dann vollkommen verrechtlicht, sodass (interne) Entscheidungsmomente nur noch als Recht aufgefasst werden können. Auch das Volk erscheint im Staat als eine Einheit, deren Teilung mit dem begrifflichen Instrumentarium der Staatstheorie bzw. der Staatsrechtslehre auch unter der demokratischen Verfassungsordnung der Weimarer Republik nicht zu erfassen ist. Kapitel vier soll diese Elemente im Rahmen einer Erörterung der Dogmatik der demokratischen Legitimation verbinden und fruchtbar machen. Zunächst wird dafür die Dogmatik der demokratischen Legitimation in ihren grundlegenden Zügen dargestellt (A.); insbesondere geht es dabei um das Verständnis der Rückführbarkeit von Entscheidungen über Herrschaft auf das Volk als Forderung des Demokratie-

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4. Kap.: Analyse der Dogmatik der demokratischen Legitimation

prinzips. Anschließend werden die theoretischen Grundelemente der Dogmatik der demokratischen Legitimation untersucht, vor allem aus der Perspektive der im ersten Kapitel entwickelten analytischen Struktur (B.). Deshalb beschäftigt sich die vorliegende Arbeit auch hauptsächlich mit der verfassungsdogmatischen Literatur, während die grundlegenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nur vereinzelt berücksichtigt werden: In der Literatur kommen die theoretischen Grundannahmen der Dogmatik demokratischer Legitimation viel deutlicher zum Ausdruck als in den Entscheidungen; teilweise werden sie auch noch vertieft und weiterentwickelt. Der Fokus erklärt sich somit aus dem Ziel dieser Arbeit, demokratietheoretische Elemente in der verfassungsdogmatischen Konstruktion freizulegen. Auf dieser Grundlage erfolgt dann auch die Kritik, welcher die theoretischen Grundannahmen der Dogmatik demokratischer Legitimation unterzogen werden (C.). Zunächst wird sie allgemein formuliert, um dann anhand konkreter Punkte verdeutlicht zu werden: Volkssouveränität, personeller Legitimationsstrang und materieller Legitimationsstrang bzw. Repräsentation sollen dabei deutlich machen, inwiefern die theoretischen Grundannahmen der Dogmatik demokratischer Legitimation die strukturellen Anforderungen der Bildung einer Entscheidungseinheit ausblenden und das Volk als (Entscheidungs-)Einheit voraussetzen.

A. Die Dogmatik der demokratischen Legitimation Die Dogmatik der demokratischen Legitimation ist die bedeutendste Rekonstruktion sowohl des Demokratieprinzips, wie es in Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes enthalten ist, als auch der in Art. 20 Abs. 2 GG hergestellten Verknüpfung zwischen Volk und Herrschaft (Staatsgewalt). Als dogmatische Konstruktion stellt sie einen Versuch dar, die (rechtlichen) Bedingungen der Entfaltung der grundgesetzlichen Vorgaben zu definieren. Dieses Kapitel setzt sich mit den grundlegenden Elementen dieser Rekonstruktion des demokratischen Prinzips und deren Konkretisierung in Art. 20 Abs. 2 GG auseinander und versucht, sie kritisch zu beleuchten. Unter Dogmatik der demokratischen Legitimation versteht man in der deutschen Verfassungsdogmatik und -theorie die Operationalisierung749 der Normen des Grundgesetzes, insbesondere von Art. 20 Abs. 2 S. 1 und 2 GG, die die Demokratie 749 So, explizit, Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 210. Von einer Ausgestaltung schreibt Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 8: „Die Demokratie als Staats- und Regierungsform geht über die Inhaberschaft der verfassunggebenden Gewalt durch das Volk hinaus. Sie besagt, daß das Volk nicht nur Ursprung und letzter Träger der politischen Herrschaftsgewalt ist, es vielmehr die politische Herrschaftsgewalt auch selbst ausübt, sie aktuell innehat und innehaben soll. Das Volk herrscht nicht nur, es regiert auch. Darin erfährt das Prinzip der Volkssouveränität eine nähere Ausgestaltung, die in seiner Grundidee angelegt ist. Art. 20 Abs. 2 GG bringt diesen Zusammenhang konsequent zum Ausdruck“; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 204 ff., spricht von einer Realisierung; Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 143, von Effektuierung.

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als „Staats- und Regierungsform“750 konstituieren. Diese Normen und die auf deren Grundlage erarbeitete theoretische Konstruktion geben eine Antwort auf die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Volk und Staatsgewalt751, der von der Demokratie allgemein und insbesondere auch vom Grundgesetz geboten ist. Das in der deutschen Verfassungsdogmatik herrschende Verständnis752 dieser Operationalisierung, welches insofern auch die konstitutiven Elemente der grundgesetzlichen Demokratie bestimmt, bezieht die von Art. 20 Abs. 2 S. 1 und 2 gebotene Verbindung darauf, dass die Staatsgewalt, die von den besonderen Staatsorganen im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 2 des Grundgesetzes unmittelbar ausgeübt wird, vom Volk753 ausgeht bzw. hergeleitet wird754. Ziel demokratischer Legitimation ist somit, die Wiederherstellung einer Verbindung zwischen dem Volk und den Entscheidungen über Staatsgewalt zu beschreiben755, die eben durch das Dazwischentreten von besonderen Organen zertrennt worden war756 ; sie wird, gerade an750

Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 1. 751 Für Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 14, ist das Ziel demokratischer Legitimation, „einen effektiven Einfluß des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt zu bewirken und sicherzustellen“. So wird diese Definition auch von Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 266, übernommen. 752 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 232, nennt es „ein als vorherrschend zu bezeichnendes Konzept“; Jestaedt, Radien der Demokratie: Volksherrschaft, Betroffenenpartizipation oder plurale Legitimation? in: Heinig/Terhechte (Hrsg.), Postnationale Demokratie, Postdemokratie, Neoetatismus, S. 7, nennt die Lehre der demokratischen Legitimation das „Herzstück demokratiebezogener Verfassungsdogmatik“. 753 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 11; Dreier, Art. 20 (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 109. 754 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 11; Rn. 12 sogar mit der für diese Arbeit bedeutenden Behauptung, diese Herleitung impliziere eine inhaltliche Bestimmung der staatlichen Herrschaft durch das Volk. 755 Der Begriff wird weit interpretiert: Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 90, bezieht sich auf das BVerfG und betont, dass grundsätzlich „alle Arten der Ausübung von Staatsgewalt“ erfasst werden; Rn. 91 dann mit der üblichen Definition als „alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter“; so auch Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 12, der feststellt: „Alles amtliche Handeln der staatlichen Organe bzw. Funktionsträger, das Entscheidungscharakter hat, auch wenn es sich im schlicht-hoheitlichen Bereich bewegt, bedarf der demokratischen Legitimation […]“. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 257, spricht von „rechtserheblichen Wirkungsweisen“ des Staates. Vgl. Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 146; er bezieht die Staatsgewalt in Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 3 GG auf „das staatliche Handeln insgesamt“, womit er die „begrifflichen Grenzen“ der in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts üblichen Definition zu erweitern versucht. 756 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 11. Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 117, Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 205.

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gesichts der Systematik zwischen Art. 20 Abs. 2 S. 1 und 2 GG, als die Ermöglichung eines effektiven Einflusses757 des Volks konzeptualisiert. Unschwer wird man also die Dogmatik der demokratischen Legitimation als einen Ansatz erkennen, der eine vertikale Spaltung zwischen Volk und repräsentativen Organen als Voraussetzung einer konstanten Entscheidungsfähigkeit zu überbrücken versucht758. Diese Überbrückung wird als Zusammenhang, im Besonderen als Legitimationszusammenhang759, zwischen Volk als ausschließlichem760, legitimationsspendendem Subjekt761 und Staatsgewalt als legitimationsbedürftigem Objekt762 konzeptualisiert. Das Subjekt Volk wird im Allgemeinen, wenn auch nicht unumstritten763, als das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland verstanden764 und also auf der Grundlage der Staatsangehörigkeit bestimmt765. 757 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 14; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 205; Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 92; Dreier, Art. 20 (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 109; Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 584. Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 61, 117, spricht von einem „hinreichend effektiven Einfluss“; von einem „bestimmenden Einfluss“ spricht Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 265, der diesen als Einwirkung und Zurechnung weiterentwickelt. 758 Siehe Kap. 1, Abschnitte C., D. und E. 759 Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 117; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 205; Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 143. 760 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 205, behauptet, das Volk sei „dem Grundsatze der Volkssouveränität entsprechend“ „einziges, originäres Subjekt demokratischer Legitimation“. Für Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 10, ist es ein „Kernsatz aller Demokratie, daß das Volk Träger und Inhaber der Staatsgewalt ist“; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 198, nennt das Volk die „Bezugsgröße des Demokratieprinzips des Grundgesetzes“. 761 Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 79; Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 144, 148; Dreier, Art. 20 (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 83 ff., 90. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 205 (wenn auch das Volk als Legitimationssubjekt nicht auf das Demokratieprinzip, sondern auf den Grundsatz der Volkssouveränität bezogen wird); Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 11 ff., 26 ff.; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 198 ff.; Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 570 f. 762 Dreier, Art. 20 (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 86, mit der Feststellung: „Objekt demokratischer Legitimation ist die gesamte Staatsgewalt“; Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 61 ff., 89 ff., Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 225 ff. 763 Siehe z. B. Bryde, Die bundesrepublikanische Volksdemokratie als Irrweg der Demokratietheorie, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis, 5. Jahrgang (Heft 1). 764 Dreier, Art. 20 (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 90; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 207. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 26, be-

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Dieser effektive Einfluss des Volks wird wiederum im Rahmen der herrschenden Meinung durch den Begriff der „Legitimationskette“766 erreicht, die die Entscheidungen über Herrschaft aus einem (grundsätzlichen) Entscheidungsverhalten des Volks rekonstruiert767. Vermittelt werden diese Entscheidungen des Volks hauptsächlich durch zwei Wege768: der organisatorisch-personelle769 und der sachlichinhaltliche770 Legitimationsmodus771. zieht den demokratischen Begriff des Volks auf das Staatsvolk, welches als „Gesamtheit von Menschen, die im Staat als politischer Handlungs- und Wirkeinheit zusammengeschlossen sind und ihn tragen“, definiert wird; Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 79; Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 148; Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 570. 765 Holzner, Konsens im Allgemeinen Verwaltungsrecht und in der Demokratietheorie, S. 89, m. w. N. 766 Der Begriff der Legitimationskette erscheint oft im Sinne einer grundlegenden Verbindung zwischen Volk und den repräsentativen Organen bzw. der Ausübung von Herrschaft und bezeichnet also verschiedene Legitimationswege dieser, wie zum Beispiel bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 205 f., 268, 270; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 205; Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 577 ff., insb. 580; Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 107. Der Begriff erscheint aber auch in Zusammenhang mit nur einem bestimmten Legitimationsmodus, und zwar der personellen Komponente, wie gleich noch zu behandeln sein wird. In diesem Sinne Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 16 ff.; Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 164, 165; Dreier, Art. 20 (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 111; Schlieksy, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 290 f. 767 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 205, fordert, dass „am Anfang der sog. Legitimationskette eine Willensäußerung, ein Entscheidungsverhalten des Volkes steht“; Schnapp, Art. 20, in: von Münch/Kunig (Begr./Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I, Rn. 23: „Sowohl die staatlichen Organe als auch ihre Maßnahmen müssen ihre Grundlage letztlich in einer Entscheidung des Volkes finden, also eine – wenn auch u. U. mittelbare – ununterbrochene Legitimationskette aufweisen“. 768 Die Bedeutung der funktionell-institutionellen Form der demokratischen Legitimation wird im Allgemeinen als von geringerer Bedeutung eingeschätzt; so Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, S. 66, Fn. 271 m. w. N. 769 So Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 16; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 206. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 267, spricht von der personellen demokratischen Legitimation; Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 164, von der personellen oder persönlichen Legitimation. 770 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 21; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 206; Dreier, Art. 20 (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 112; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 270, schreibt von der materiellen Legitimation; Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 168, bezeichnet sie als sachlich-inhaltliche (oder materielle). 771 Im Sinne einer Aufspaltung der Entscheidungstätigkeit in sachlich-inhaltliche Vorabfestlegung und „persönliche Erkenntnis- und Wertungsleistung“, die der Ausübung von

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4. Kap.: Analyse der Dogmatik der demokratischen Legitimation

Der organisatorisch-personelle oder persönliche Modus demokratischer Legitimation bezieht sich darauf, dass die zur Ausübung von Herrschaft berufenen Amtswalter in der Lage sein müssen, ihre Entscheidungskompetenz772 auf das Volk zurückzuführen773. Diese besondere Art der Legitimation beinhaltet ein Doppeltes: auf der einen Seite die individuelle Berufung der Amtswalter (im Endeffekt) durch das Volk774, und auf der anderen Seite die Existenz eines konkreten Bereichs der Ausübung von Staatsgewalt, eines Amts775, in dem der Amtswalter tätig wird776. Die Bestellung muss nicht unmittelbar durch das Volk erfolgen; vielmehr impliziert schon die Operationalisierung der Legitimationsvermittlung durch die Bezeichnung einer „Kette“777, dass diese auch mittelbar möglich ist778, insbesondere in der Form der Ernennung779 durch eine oder mehrere ihrerseits auf dieselbe Weise demokratisch legitimierte Instanzen780. Die sachlich-inhaltliche oder materielle Legitimation – der zweite Modus – hat das Ziel, die Ausübung von Staatsgewalt im inhaltlichen Sinne vom Legitimati-

Herrschaft zugrunde liegt, behandelt diese Formen Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 266 ff. 772 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 269, spricht vom legitimationsbedürftigen „Entscheidungsanteil als selbständiges Element der Ausübung von Staatsgewalt“. 773 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 269, meint dazu, dass der „Nachweis geführt werden“ muss, dass die Amtswalter, die mit der Ausübung von Herrschaft betraut worden sind, gerade „für die spezielle Funktion, das bestimmte Amt im organisationsund funktionsrechtlichen Sinne, vom Träger und Inhaber der Staatsgewalt, dem Volke, unmittelbar oder mittelbar (durch vom Volk dazu Ermächtigte) berufen worden sind“. Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 206, erklärt, „dass jeder mit der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben betraute Amtswalter an den Träger der Staatsgewalt rückgebunden“ werden soll. 774 So die von Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 208 ff., popularisierte und von der herrschenden Lehre, insbesondere von Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 16, und Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 269, aufgegriffene Formel. 775 Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 121; Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 164. 776 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 269, nennt diesen zweiten Baustein den „organisatorischen“. 777 So Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 16. 778 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 291. 779 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 270; Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 164. 780 Dreier, Art. 20 (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 111, spricht von „einer Reihe von Berufungsakten […], die sich zumeist als vielstufiger und höchst vermittelter Vorgang darstellt (Parlamentswahl, Kanzlerwahl, Auswahl der Regierungsmitglieder, Ernennung der Beamten durch zuständige Ministerien)“.

A. Die Dogmatik der demokratischen Legitimation

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onssubjekt herzuleiten781. Materielles Steuerungspotenzial wird jedoch nicht direkt vom Volk entfaltet782, sondern hauptsächlich vom Parlament, also vom Bundestag783. Als einziges unmittelbar vom Volk legitimiertes Organ übernimmt das Parlament die zentrale Stellung bei der Vermittlung der materiellen demokratischen Legitimation784, die vor allem durch die Bindung an dessen Gesetze und spezifische Formen der Kontrolle und Verantwortlichkeit (Aufsichts- und Weisungskompetenz) wirkt785. Beide Legitimationsmodi wirken nicht für sich allein, sondern zusammen786, und zwar, um ein bestimmtes, verfassungsrechtlich erforderliches Maß an Rückführbarkeit787, das Legitimationsniveau, im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG zu erreichen788.

781 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 21, meint, sie sei „dazu bestimmt, die Ausübung der Staatsgewalt ihrem Inhalt nach vom Volk herzuleiten bzw. mit dem Volkswillen zu vermitteln und auf diese Weise die Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk sicherzustellen“. Dreier, Art. 20 (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 112; Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 122; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 295. 782 Für Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 271, kommt die „antiplebiszitäre Grundhaltung der Verfassung […] im Fehlen einer volksunmittelbaren materiell-demokratischen Legitimation zum Ausdruck“. 783 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 272, bezeichnet das Parlament als originäres Legitimationssubjekt im materiell-demokratischen Sinne; Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, S. 65, spricht vom Parlament als „Sammelpunkt demokratischer Legitimation auf seiten des Staates“. 784 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 271, behauptet, dass sich „alle Akte der übrigen Staatsorgane in demokratischer Hinsicht auf den legitimatorischen UrKreationsakt, die Volkswahl zum Parlament, zurückführen lassen“. 785 Dreier, Art. 20 (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 112, meint, diese Thematik werde von der „Steuerung von Verwaltung und Rechtsprechung durch das vom Parlament als der Vertretungskörperschaft des Volkes beschlossene Gesetz, verbunden mit der parlamentarischen Kontrolle der Regierung“ dominiert. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 21, und Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 122, sehen zwei Wege für die Herstellung eines inhaltlichen Einflusses des Volks; beide laufen über das Parlament: Gesetzgebung und demokratische Verantwortlichkeit. Auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 270 ff.; Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 168; Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 580. 786 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 23, spricht davon, dass die „Legitimationsfaktoren […] miteinander verzahnt“ sind; Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 127, dass sie in einem „Verhältnis wechselseitiger Korrelation und Ergänzung“ stehen. Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 584, meint, dass die Legitimationsformen „nur in ihrem Zusammenwirken“ Bedeutung haben. 787 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 23; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 285.

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4. Kap.: Analyse der Dogmatik der demokratischen Legitimation

Gerade auf dieses zu erreichende Niveau bezieht sich die Effektivität des vom Demokratieprinzip geforderten Einflusses des Volks789.

B. Grundstruktur der Dogmatik der demokratischen Legitimation Aus dieser allgemeinen Rekonstruktion der grundgesetzlichen demokratischen Dogmatik kann man bestimmte Elemente hervorheben, die den demokratietheoretischen Charakter der Dogmatik unterfüttern und die für die vorliegende Analyse von zentraler Bedeutung sind. An erster Stelle ist das analytische Grundmoment für die Auseinandersetzung mit der Ausübung von Herrschaft zu nennen; dieses ist, wie schon bei der Formulierung des dieser Arbeit zugrunde liegenden Problems im ersten Kapitel, eine Entscheidung, welche den Anknüpfungspunkt für die Ausübung von Herrschaft darstellt. Dieser Zug der Dogmatik ist besonders explizit beim personellen Strang, der der einzige ist, der bis zum Volk reicht: Legitimation im Sinne von Rückführbarkeit einer Entscheidung über die Ausübung von Herrschaft auf das Volk präsentiert sich dabei als Vorformung. Diese Vorformung (aus der Perspektive der legitimierenden Instanz) bzw. Rückführbarkeit (aus der Perspektive der legitimierten Instanz) der Entscheidung erscheint, im Sinne einer dogmatischen Rekonstruktion, nur in ihrer rechtlichen Fassbarkeit. Dieser juristische Aufbau der Dogmatik der demokratischen Legitimation bewirkt einen Unterschied in der Betrachtung der Entscheidung gegenüber der Erörterung des Problems im ersten Kapitel: In der Struktur der demokratischen Legitimation nimmt sie die Stelle eines Gliedes innerhalb einer Reihe oder Kette von Entscheidungen ein und ist eben (nur) aus dieser Perspektive relevant. Grundmoment ist insofern die Anschlussmöglichkeit zur vorigen bzw. die Ermöglichung der nächsten Entscheidung, bis die Legitimationsketten vollständig gebildet sind. Das wesentliche analytische Moment der Entscheidung im Kontext der Ausübung von Herrschaft ist somit nicht von einem Vermittlungsschritt zwischen Subjekt und Eingriff in das Faktische gegeben. Als Vermittlungsschritt gilt dabei das Moment im

788 Dreier, Art. 20 (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 113; Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 23; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 285. 789 Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 170; Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 126; Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 23.

B. Grundstruktur der Dogmatik der demokratischen Legitimation

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Rahmen verschiedener (Entscheidungs-)Alternativen, das auf Realisierung gerichtet ist und sich grundsätzlich als Einheit, als Form der wirksamen Herrschaft, äußert790. Für das hier zu behandelnde Problem spielt der Entscheidungskontext eine zentrale Rolle. Eine jede Entscheidung als Auswahl einer bestimmten Alternative zwischen verschiedenen Optionen impliziert das Verwerfen aller anderen, und gerade in diesem Sinne erscheint die „Ent-scheidung“ als unteilbar, weil eine und nur eine Alternative bevorzugt wird, die anderen dafür abgelehnt werden791. Gerade in einem demokratischen Entscheidungskontext sollte jedoch die Wahl einer bestimmten Alternative nicht bedeuten, dass die restlichen, verworfenen Alternativen unbedeutend sind oder werden. Die Entscheidungsfindung umfasst beide Momente, das Auswählen und Ablehnen, welche in der Entscheidungsdynamik untrennbar verbunden erscheinen. Soll die kollektive Selbstkonstitution das individuelle Moment nicht vollständig ausschalten, soll somit der Übergang zwischen individueller und kollektiver Entscheidung stets erfasst werden können, so ist das nur möglich, wenn alle Alternativen in ihrer Wechselbezüglichkeit verstanden werden und insofern stets präsent bleiben792. Der Sinn der Entscheidung in der Dogmatik der demokratischen Legitimation dagegen blendet dieses Moment der Kontingenz aus; im Zuge der Legitimationskette werden Entscheidungen nur insofern erfasst, als sie die nächste Entscheidung (rechtlich) autorisieren oder begründen, was grundsätzlich durch eine rechtlich wirksame, insbesondere weil im Rahmen des Kompetenzbereichs erfolgte Willensäußerung bewirkt wird. Entscheidungen – diese Charakterisierung gilt für beide Legitimationsmodi – werden somit grundsätzlich einem bestimmten Entscheidungs-, und das bedeutet im dogmatischen Sinne Kompetenzbereich zugerechnet; das gilt über die ganze Länge der jeweiligen Legitimationsketten, bis zum Parlament bzw. Volk. Aus dieser Perspektive können sie aber nur binär verstanden werden: Die Entscheidung als Zurechnung ist entweder rechtlich existent oder nicht; das Moment einer kontingenten Selbstkonstitution löst sich in der Form des Rechts auf. Die Entscheidungstätigkeit des Volks und des Parlaments wird aufgrund der rechtlichen Ausrichtung der Dogmatik demokratischer Legitimation konsequent als Zurechnung konstruiert; Volk und Parlament erscheinen dementsprechend als Zurechnungseinheiten. Dieses Verständnis ist, gerade für die im ersten Kapitel vorgestellte Analyse der Demokratie im Sinne eines Verhältnisses zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung, von zentraler Bedeutung. Zu einem be790 Insbesondere dazu die Unterscheidung zwischen Entscheidung und Handlung bei Luhmann, Organisation und Entscheidung, in: Schriften zur Organisation 2, S. 241 ff. In diesem Sinne auch Lübbe, Zur Theorie der Entscheidung, in: Theorie und Entscheidung, S. 12. 791 Luhmann, Organisation und Entscheidung, in: Schriften zur Organisation 2, S. 242. 792 Dafür kann das Modell von Luhmann, Organisation und Entscheidung, in: Schriften zur Organisation 2, S. 242, verwendet werden: „Vielmehr wird die Einheit der Differenz der Alternativen durch die Entscheidung auf die gewählte Alternative übertragen, sodass sie am Resultat der Entscheidung als Geschichte und als Kontingenz hängenbleibt, miterscheint und festgehalten wird.

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4. Kap.: Analyse der Dogmatik der demokratischen Legitimation

stimmten Kompetenzbereich zugerechnet werden kann nämlich nur eine Entscheidung, die alle Voraussetzungen ihrer rechtlichen Geltung bereits erfüllt hat793. Damit wird aber die politische Kontingenz der Entscheidungen des Volks, die Existenz verschiedener Alternativen, ausgeblendet, und die Entscheidung erscheint somit im Sinne Luhmanns als Handlung794. Dadurch werden sowohl Volk als auch Parlament gerade nicht als Entscheidungseinheiten begriffen, die sich aus einer Summe Einzelner zusammengeschlossen haben, sondern nur als Träger, als persönliches Substrat hinter dem jeweiligen Kompetenzbereich. Wird die vollzogene Entscheidung diesem Kompetenzbereich zugerechnet, so werden die Bedingungen der internen Entscheidungsfindung, gerade als auf verschiedene Alternativen und politische Kontingenz bezogene Mehrheits- als Differenzierungsverhältnisse, wie sie im ersten Kapitel behandelt wurden, ignoriert. Die Bedeutung der Individuen ist auf die Zugehörigkeit zum jeweiligen Verband bzw. zur jeweiligen Körperschaft begrenzt. Das Kollektiv, also der Träger hinter dem jeweiligen Kompetenzbereich, erfüllt so eine begriffliche Scharnierfunktion; Volk und Parlament erscheinen jeweils als Träger der jeweiligen Entscheidungen, weil sie Träger des jeweiligen Kompetenzbereichs sind. Zugleich sind sie immer aus bestimmten individuellen Gliedern zusammengesetzt. Die Verbindung zwischen beiden Dimensionen verliert sich aber im kollektiven Moment, zu welchem beide führen, in welchem sie aber nicht zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Die individuellen Glieder können in Bezug auf die getroffene Entscheidung analytisch überhaupt nicht erfasst werden. Die durch die juristische Dogmatik bedingte Erscheinungsform der Entscheidung als Zurechnung wird durch ein zusätzliches Moment der Konstruktion im Sinne des Gesagten bestimmt, nämlich die zeitliche Dimension der Legitimationsentfaltung. Äußert sich nämlich das Legitimationsobjekt in der Form einer unmittelbar herrschaftsausübenden Entscheidung, so liegt die Wahl bzw. die Ernennung der herrschaftsausübenden Subjekte notwendigerweise, aus der Perspektive des Moments der Ausübung von Herrschaft, in der Vergangenheit. Die Legitimationssubjekte werden also im Rahmen der Legitimationsketten rückwirkend795, aus der unmittelbar Staatsgewalt ausübenden Entscheidung und reflexiv zu dieser rekonstruiert. Im hier 793

Darauf wurde schon im 2. Kapitel, Abschnitt D., in Zusammenhang mit Jellinek und Kelsen eingegangen. 794 Organisation und Entscheidung, in: Schriften zur Organisation, S. 242; charakteristisch für eine Handlung ist in diesem Sinne, dass sie einem Träger zugerechnet wird, der im Sinne der Handlung nicht zu handeln brauchte. 795 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 11, spricht zeitlich ambivalent, von einer Legitimation, „die auf das Volk selbst zurückführt bzw. von ihm ausgeht“; Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 117, meint allgemein, die „Akte des Organs müssen sich auf den Willen des Volkes zurückführen lassen“. Auch die Legitimationsmodi beziehen sich auf ein in der Vergangenheit legitimierendes Volk, so z. B. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 267, wenn er meint, die personell-demokratische Legitimation impliziere Rückführbarkeit auf das Volk. Der Zusammenhang erscheint in diesem Sinne auch teilweise als Zurechnungszusammenhang, wie bei Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/ Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 578.

C. Kritik der demokratischen Legitimation

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relevanten Sinne wird diese also zum jeweils nächsten Subjekt der Kette in Richtung Volk bzw. Parlament weitergereicht. Im Rahmen dieser Zurechnungsoperationen wird der Charakter des Volks und des Parlaments als Subjekte bestimmt: Aus der dogmatischen Erfassung der Zurechnung einer Entscheidung können sie – und das ist zentral – nur im Sinne eines Kompetenzbereichs gedeutet werden. In dieser Hinsicht lässt sich auch das Verhältnis zwischen Volk und Parlament bestimmen. In der Form und in der Funktion als Zurechnungseinheiten sind nämlich Volk und Parlament aus legitimatorischer Perspektive das Gleiche796 – gerade in Anbetracht der Tatsache, dass die personelle Legitimation vom Volk bei der Wahl des Parlaments, die materielle aber vom Parlament beim Erlassen eines Gesetzes ausgeht797; man kann sogar von einer höheren Wirksamkeit des Parlaments als demokratischen Legitimationsmoments reden798, wenn man bedenkt, dass es in beiden Legitimationsmodi in Erscheinung tritt, das Volk dagegen nur in einem.

C. Kritik der Dogmatik der demokratischen Legitimation Diese Grundstruktur der Dogmatik der demokratischen Legitimation lässt sich auch anhand der begrifflichen Entwicklungen, die in den Kapiteln zwei und drei skizziert wurden, und auf der theoretischen Grundlage aus Kapitel eins analysieren und kritisch beleuchten. Dieser Versuch soll jetzt unternommen werden. Es ist eine deutsche Eigentümlichkeit799, dass der Staat in der Staatslehre und Staatsrechtslehre zum originären und eigentlichen Herrschaftssubjekt erhoben wurde, wie bereits im zweiten Kapitel gezeigt wurde. Herrschaft war im ersten Kapitel auf die Form der Einheit gerade als Vermittlung zwischen Normativität und Faktizität bezogen worden. Im Zuge der Entwicklung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und im Kontext einer besonderen politischen Lage verblieb von den Voraussetzungen für die Ausübung von Herrschaft nur die in der Sphäre des Rechtlichen beschreibbare Zurechnung. Herrschaft wird dabei als Form erfasst und findet im Staat ihren auch rein formal konzipierten Anschluss. Durch die politische Entsubjektivierung wird eben politisches Konfliktpotenzial durch die allgemeine, apolitische Form des Rechts sublimiert.

796 Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 186. 797 Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 171, weist auf das Fehlen materieller Legitimation für das Parlament hin. 798 Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 44 ff. 799 Zur deutschen Entwicklung aus der hier im Mittelpunkt stehenden Problematik Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 487 ff.

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4. Kap.: Analyse der Dogmatik der demokratischen Legitimation

Die Abstellung auf das rechtliche Moment der Zurechnung begründet in dieser Konstellation, nach der Charakterisierung des Staates als juristische Person, die Möglichkeit einer vollständigen Ersetzung einer willensbegabten Instanz wie des Monarchen durch den eben rechtlich subjektivierten Staat800 ; erreicht wird der Schritt durch die Zurechnung als rechtliche Übersetzung, als ausschließliche Erfassbarkeit des Subjektes, womit aber auch notwendigerweise die Unmöglichkeit der Beschreibbarkeit eines der Entscheidung zugrunde liegenden Entscheidungsprozesses einhergeht801. Ist der Prozess der Entscheidungsfindung nicht aus eigenständig geregelten, rechtlich vorgegebenen Schritten zusammengesetzt, so fallen aus rechtlicher Perspektive das Treffen einer Entscheidung und ihre Erfassbarkeit zusammen; dann aber kann der Entscheidungsvorgang in der Sphäre des Rechts überhaupt nicht dargestellt werden. Genau das ist der grundlegende und entscheidende Unterschied zwischen dem Monarchen und dem Staat, der bei der Konstruktion des Staates als Herrschaftssubjekt ausgeblendet wird. Die materiale Dimension der Entscheidung wird folglich durch diese Verrechtlichung als Formalisierung überlagert; jene hatte, wie im zweiten Kapitel dargelegt, immer weiter an Bedeutung verloren und wurde konsequenterweise letztendlich komplett ausgeblendet. Es liegt gerade im Kontext dieser begrifflichen Entwicklung, dass für die Souveränität nur die (rechtliche) Form der höchsten Einheit übrig bleibt. Damit sind die staatstheoretischen Weichen für die grundgesetzliche Dogmatik demokratischer Legitimation gestellt: Diese erfordert im Sinne von Art. 20 Abs. 2 eine Durchdringung des Staates, also alles Staatshandelns, welches im Sinne hergebrachter deutscher Staatstheorie als Konkretisierung von Herrschaft erscheint802. Der Staat erscheint als Vermittlungsglied im demokratischen Verhältnis zwischen

800

Waldhoff, Die Staatsperson und ihre Handlungen – „Staatswillenspositivismus“ als mittelbare Rezeption psychologisierender Ansätze, in: Schmoeckel (Hrsg.), Psychologie als Argument in der juristischen Literatur des Kaiserreichs, S. 237, hebt auch die außerrechtliche Kontinuität auf der „Bild- und Sprachebene“ hervor, die dadurch bewirkt wird, dass von einer „Staatsperson“ ausgegangen, dass ihr ein „Wille“ zugerechnet und dass auch von der „Verletzlichkeit“ des Staates gesprochen wird; siehe auch S. 243 ff. 801 So auch Blanke, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 41: „Wodurch wird dieser ,effektive Einfluß‘ des Volkes auf das Handeln der staatlichen Organe gewährleistet? Dies geschieht nach Meinung des Zweiten Senats des BVerfG dadurch, daß sich deren Akte ,auf den Willen des Volkes zurückführen‘ lassen und ihm gegenüber ,verantwortet‘ werden. Diesen ,Zurechnungszusammenhang‘ stellen ,vor allem‘ die Parlamentswahl, das Gesetzgebungsprogramm als ,Maßstab der vollziehenden Gewalt‘, der ,parlamentarische Einfluß‘ auf die Politik der Regierung sowie die ,grundsätzliche Weisungsgebundenheit‘ der Verwaltung gegenüber der Regierung her. Die Aussage, daß sich durch die beschriebenen Mechanismen die Akte der Staatsorgane auf den Willen des Volkes zurückführen ließen, entbehrt allerdings jeder empirischen Realität“. 802 Für Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 22, programmiert das Volk „[i]n der und durch die Wahl“ den Staat.

C. Kritik der demokratischen Legitimation

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Volk und Herrschaft803. Die Durchdringung wird im Sinne einer rechtlichen Rückführbarkeit, einer Zurechnung der Herrschaft als Staatsgewalt konstruiert, mit der aber die Einwirkmöglichkeiten des Volks theoretisch vollständig beschrieben werden; die Rolle des Volks erschöpft sich im Charakter einer Zurechnungseinheit, deren Einwirkmöglichkeiten sich auf die Wahrnehmung der zugeschriebenen grundgesetzlichen Kompetenz beschränken. Es ist insofern die rechtliche Rekonstruktion, welche die Kernprobleme der Demokratie als politischer Form verhüllt804. Grundlegende Voraussetzung für eine solche Wahrnehmung ist das Verständnis des Volks als Staatsorgan; damit gewinnt nämlich das Volk an erster Stelle institutionellen Zugang zum Bereich des Staates. Durch die Charakterisierung als Staatsorgan kann aber das Volk auch nahtlos an den Staat als formalen Endzurechnungspunkt anknüpfen805 : Die Staatsgewalt kann, gerade durch die Legitimationsketten, letztendlich auf den Kompetenzbereich des Volks zurückgeführt werden bzw. alles Staatshandeln kann diesem Kompetenzbereich zugerechnet werden. 803

Horn, Demokratie, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, Rn. 10 ff. Kritisch in dieser Hinsicht Lepsius, Braucht das Verfassungsrecht eine Theorie des Staates? in: Europäische Grundrechte-Zeitschrift 31. Jg., Heft 13 – 15, S. 376; ders., Rechtswissenschaft in der Demokratie, in: Der Staat, Bd. 52, S. 168: „Mit der Orientierung an der Demokratie ist die Erwartung verknüpft, daß die Behandlung unserer Erkenntnisgegenstände anders, nämlich mit Rücksicht auf die Entstehungs- und Funktionsbedingungen erfolgt“. 804 Bryde, Die bundesrepublikanische Volksdemokratie als Irrweg der Demokratietheorie, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis, 5. Jg., S. 323, beklagt die Verwandlung des Gehalts von Art. 20 Abs. 2 in Regeln. Das Verständnis als Prinzip erlaubt dagegen eine Flexibilisierung der Auslegungs- und Operationalisierungsarbeit und insbesondere eine Berücksichtigung der Demokratiediskussion in den Nachbarwissenschaften. So auch ders., Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes als Optimierungsaufgabe, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 60: „Die schwierigsten Probleme der Demokratietheorie lassen sich auf begriffsjuristischem Wege zum Verschwinden bringen“. Vgl. Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 31, für den die „Substanz“ der Demokratie sich mit ihrem Rechtsbegriff deckt. 805 Es entsteht aus der Perspektive der Trägerschaft von Herrschaftsgewalt somit eine Kontinuität zwischen Monarchen, Staat und Volk; dazu Rinken, Demokratie und Hierarchie. Zum Demokratieverständnis des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 134 f.; im selben Band auch Groß, Grundlinien einer pluralistischen Interpretation des Demokratieprinzips, S. 97, und Bryde, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes als Optimierungsaufgabe, S. 60. Schon Merkl, Die monarchische Befangenheit der deutschen Staatsrechtslehre, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. I, 2. Teilband, S. 4 ff., hatte die Identifizierung zwischen Monarch und Staat kritisch beleuchtet: „Der Monarch wurde kritiklos als das höchste Organ des Staates zu einem Zeitpunkt bezeichnet, als diese seine Qualität in der Verfassung schon längst nicht mehr eindeutig feststand; dem Monarchen wurde die höchste Funktion im Staate zugeschrieben, als er sie schon längst mit anderen Organen teilte; dem Monarchen wurden alle Staatsakte zugerechnet, als diese Zurechnung schon längst auf Grund des geltenden Staatsrechts im höchsten Grade problematisch war. Mit einem Worte: der Monarch wurde – im Vergleiche mit der rechtlichen Wirklichkeit – von der Rechtslehre überlebensgroß und somit entstellt gezeichnet, er wurde sogar bisweilen noch – nach dem Muster des Satzes: ,l’état, c’est moi‘ – mit dem Staate identifiziert, obwohl ihn der Übergang vom Absolutismus zum Konstitutionalismus bereits – wenn dieser Ausdruck gestattet ist – zu einem zwar mächtigen, aber doch dienenden Organe des Staates degradiert hatte“ (S. 5, Hervorhebung im Original).

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4. Kap.: Analyse der Dogmatik der demokratischen Legitimation

Die Durchdringung des Staatshandelns aus dem Kompetenzbereich des Staatsorgans Volk bedarf aber einer Ergänzung, um plausibel als Zurechnungseinheit für die personelle und materielle Dimension der Ausübung von Herrschaft erscheinen zu können. Im Sinne eines behaupteten besonderen Legitimationsverhältnisses zwischen Volk und Bundestag werden beide als Einheit zusammengedacht806 : Der Kompetenzbereich des Volks als reines „Kreationsorgan“ wird durch den Bezug auf die Gesetzgebungskompetenz des Parlaments aufgewertet, während die personelle Zusammensetzung des Parlaments auf den Volkswillen zurückgeführt wird807. Erst auf dieser Grundlage können beide Legitimationsstränge auf die legitimationstheoretische Einheit zwischen Volk und Parlament bezogen werden. Den Weg dafür hatte schon Jellinek geebnet, der die rechtliche Einheit von Volk und Parlament behauptet hatte. Auf Grundlage dieser Rekonstruktion des grundgesetzlichen Demokratieprinzips hat nun eine kritische Auseinandersetzung zu erfolgen, und zwar vor allem aus der Perspektive der im ersten Kapitel entwickelten Frage nach der demokratischen Legitimation. Nach dem hier verfolgten Ansatz kann eine Konzeption der demokratischen Legitimation an dem Maßstab gemessen werden, inwieweit aus der Summe von einzelnen Mitwirkungsrechten die Bildung einer Entscheidungseinheit beschrieben werden kann, ohne dabei jedoch alle Mitwirkungsrechte in der gebildeten Entscheidungseinheit aufzulösen. Genau das ist einer der entscheidenden Züge der Dogmatik der demokratischen Legitimation, wie schon im letzten Abschnitt über die Grundstruktur festgestellt wurde: Das Volk als Staatsorgan ist keine Pluralität, sondern eine konsequent aus dem Staat gedachte Einheit. Das folgt aber nicht notwendig aus der rechtlichen Erfassung von Herrschaft oder dem demokratischen Entscheidungsvorgang. Denn auch wenn Entscheidungen ausschließlich rechtlich als Zurechnung konstruiert werden, folgt daraus keine Ausblendung des Übergangs zwischen Individuum und Kollektiv, da ja die individuellen Positionen gerade in Gestalt von Mitwirkungsrechten als dogmatisch verwertbar erscheinen. Aus den individuellen Mitwirkungsrechten kann dynamisch die Entstehung einer materialen Entscheidungseinheit beschrieben werden, wofür insbesondere die Berücksichtigung des Zusammenhangs zwischen Art. 20 Abs. 2 GG und Art. 38 Abs. 1 GG fruchtbar sein kann; freilich wäre dafür eine demokratietheoretische Grundlage notwendig, die in Bezug auf Herrschaft zwischen Rechtfertigungs- und Produktionsfragen unterscheidet. Darauf wird vor allem im fünften Kapitel zurückzukommen sein.

806 Das ist die Bedeutung der exklusiven und privilegierten Stellung des Bundestages im Kontext der Dogmatik demokratischer Legitimation; auch wenn beide Instanzen nicht explizit ineinander übergehen, gibt es doch kaum Unterscheidungskriterien, die eine Differenzierung begründen könnten; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 212. 807 Gusy, Demokratische Repräsentation, in: Zeitschrift für Politik, Bd. 36 (Heft 3), S. 275: „Das Parlament verkörpert nicht bloß die Idee des Volkswillens, sondern seine Zusammensetzung ist selbst die Konsequenz des betätigten Volkswillens“.

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Insbesondere der Prozess der Entscheidungsfindung und dabei vor allem die kritische Input-Dimension (vgl. die Definition von Demokratie in Kapitel eins) kann nur durch die Miteinbeziehung des Verhältnisses zwischen Individuum und Kollektiv freigelegt werden; nur in einem solchen Kontext kann auch die Frage nach der Produktion von Herrschaft durch Entscheidungen in einem breiteren Umfang thematisiert werden. Im ersten Kapitel wurde darauf hingewiesen, dass sich eine demokratische, kollektive Entscheidung notwendigerweise auf der Grundlage einer Bündelung von in den jeweiligen Verfahren individuell geäußerten Präferenzen bilden wird. Das Abstellen auf die Ebene der Zurechnung, ohne eine solche zugrunde liegende Entscheidungsfindung zu berücksichtigen, ist verkürzt. Denn diese Entstehungsbedingungen, dieses Moment der Bündelung und deren Kontext und folglich die politische Kontingenz der Einheitsbildung, die die Grundlage einer Entscheidung über Herrschaft darstellen, scheiden aus dem Bereich des demokratisch Beschreibbaren aus. Ohne die Berücksichtigung eines solchen Kontexts kann aber von einem material verstandenen Prinzip der Selbstbestimmung keine Rede sein. Für die Dogmatik der demokratischen Legitimation ist insofern ein strikt formales Verständnis maßgebend: Im Sinne der Scharnierfunktion, die im letzten Abschnitt erörtert wurde, spielen die Individuen, die Glieder des Volks, nur die Rolle formaler Teilnehmer am Entscheidungsverfahren. Mit anderen Worten: Die Vermittlung bestimmter Präferenzen, die durch das individuelle Mitwirkungsrecht zum Ausdruck gebracht werden, sind bei diesem von Kontingenz bereinigten Begriff der Entscheidung überhaupt nicht erfasst808. Demokratisches Subjekt ist ausschließlich das ganze Volk als Einheit809. Als solches existiert es aber gerade nicht als politisch wirksame, materiale Entscheidungseinheit, sondern nur als legitimationstheoretischer Deutungsschlüssel (vgl. Kapitel 3). Mit der Ausblendung der individuellen, und damit der materialen Dimension einer volksinternen demokratischen Entscheidungsfindung ist auch der entscheidende Kritikpunkt angesprochen: Aus der dogmatischen Rekonstruktion des Demokratieprinzips kann kein Steuerungspotenzial des Volks in Bezug auf die Aus808

Für ein solches Verständnis, bei dem die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft eben antidemokratische Effekte zeitigt, da durch Entkopplung zwischen Volk und der Entscheidungsfindung diese ausschließlich innerhalb des Staates platziert wird, Gusy, Demokratische Repräsentation, in: Zeitschrift für Politik, Bd. 36 (Heft 3), S. 268 f. Die Spannung zwischen Einheit als Form der Sphäre des Staatlichen und Vielfalt als Sphäre des Gesellschaftlichen wird durch die Repräsentation vermittelt. 809 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 208: „Volk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG meint demzufolge die Gesamtheit der Staatsangehörigen, den Staatsangehörigenverband (oder genauer: die Gesamtheit der Deutschen), „Volk“ im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG meint die Gesamtheit der Staatsbürger, den Staatsbürgerverband. Damit kennzeichnen zwei Merkmale den grundgesetzlichen Volksbegriff des Art. 20 Abs. 2 GG: zum einen das Kriterium der Staatsangehörigkeit bzw. der Staatsbürgerschaft, zum anderen der Charakter des über die Summe der Zugehörigen hinausgehenden, rechtlich verselbstständigten Verbandes, kurz: der Einheit über der Vielheit“; dazu auch Ehlers, Die Staatsgewalt in Ketten, in: Demokratie in Staat und Wirtschaft, Festschrift für Ekkehart Stein, S. 130.

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übung von Herrschaft hergeleitet werden. Genau das läuft aber dem eigenen Anspruch zuwider, einen effektiven Einfluss des Volks bei der Ausübung von Herrschaft zur Geltung zu bringen. Institutionelle Strukturen, durch welche ein Einfluss des Volks wirksam vermittelt werden kann, sind eben nicht mit diesem Einfluss zu vermengen; die Dynamik der Zurechnung und der zeitliche Ablauf der Konstruktion mögen die Strukturen befriedigend darstellen, den Einfluss aber nicht810. Wenn die Kontingenzmomente in der Reihe von Entscheidungen, die die Legitimationsketten konstituieren, beseitigt werden, lässt sich ein solcher Einfluss im Sinne einer möglichen, aber nicht notwendigen inhaltlichen Ausgestaltung der Herrschaft bestimmenden Entscheidung811 nicht beschreiben812. Dieser spezifisch demokratische rechtfertigende Moment, nämlich die Miteinbeziehung des Volks bzw. seiner Mitglieder an irgendeinem Punkt der Produktion von Herrschaft bzw. der ihrer Ausübung zugrunde liegenden Entscheidungen (vgl. Kapitel eins), muss damit eine unerörterte Voraussetzung der Dogmatik demokratischer Legitimation bleiben. Daraus ergibt sich aber auch eine begriffliche Verschiebung bei der Bestimmung des Charakters von Demokratie allgemein: Wurde noch im ersten Kapitel danach gefragt, ob, angesichts der Priorität der Produktion von Herrschaft, deren Rechtfertigung eine eigenständige analytische Wertigkeit besaß, so löst sich im Kontext der Dogmatik demokratischer Legitimation umgekehrt die herrschaftskonstitutive Dimension in der rechtfertigenden auf. Anders ausgedrückt: Demokratie wird ausschließlich als Rechtfertigung von Herrschaft verstanden813; die Dogmatik der de-

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Blanke, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 42: „Die ,Rückführung‘ der Akte der Staatsorgane auf den Volkswillen und die Garantie eines entsprechenden ,Zurechnungszusammenhangs zwischen Volk und staatlicher Herrschaft‘ durch die genannten Mechanismen sind demnach keineswegs Beschreibungen einer material gehaltvollen Relation, die einer empirischen Überprüfung zugänglich wären. Es geht aber andererseits auch nicht um normative Aussagen, die im Hinblick auf ihre Gerechtigkeitsannahmen kritisch hinterfragt werden könnten. Vielmehr handelt es sich um metaphorische Beteurungen der fälschlich als ,effektiver Einfluß‘ deklarierten legitimierenden Effekte und Leistungen, die die im GG vorgesehenen Prozeduren parlamentarischer Wahlen im Verein mit einigen rechtsstaatlichen Grundsätzen für die Staatstätigkeit erbringen sollen. Diese Redeweise vermengt den Unterschied von empirischen (,effektiver Einfluß‘) und normativen Aussagen (,Verantwortung‘ gegenüber dem Volkswillen, ,Zurechnungszusammenhang‘) und verwechselt Machtfragen mit Legitimationsfragen“. 811 Luhmann, Kontingenz und Recht, S. 32: „In dieser Hinsicht bezeichnet der Kontingenzbegriff die Möglichkeit eines Gegenstandes, anders zu sein oder nicht zu sein – also ein Urteil über Seiendes, das dessen Möglichkeit bejaht, also Unmöglichkeit ausschließt, aber seine Notwendigkeit verneint“. 812 Dazu Möllers, Die drei Gewalten, S. 63 ff. 813 So, zum Beispiel, Petersen, Demokratie als teleologisches Prinzip, der auf S. 31 meint, „Kern“ des Demokratiebegriffs sei „die Legitimierung von Staatsgewalt durch Wahlen“ und auf S. 32, dass Demokratie „nur ein Instrument der Rechtfertigung staatlicher Herrschaft“ ist. Auch Badura, Die parlamentarische Demokratie, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 30, schreibt vom Volkswillen als Quelle der Legitimierung politischer Ent-

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mokratischen Legitimation ist insofern keine zufällige Bezeichnung: Sie bringt tatsächlich das ganze Verständnis der grundgesetzlichen Demokratie zum Ausdruck814. Aus einem behaupteten, aber nur formal beschriebenen Verhältnis zwischen Volk und Herrschaft wird – das wurde am Anfang dieses Kapitels an Böckenförde gezeigt – materiales Rechtfertigungspotenzial entfaltet; mit anderen Worten: Der Behauptung eines materialen Herleitungsverhältnisses der Herrschaft aus dem Volk entspricht keine Beschreibung von Entscheidungsvorgängen, die dieser Herleitung auch Rechnung tragen könnten. Diese Charakterisierung wird noch an zwei Punkten zu verdeutlichen sein, an denen die Rekonstruktion des Verhältnisses zwischen Herrschaft und Volk besonders klar zum Ausdruck kommt: an den Folgen des formalen Verständnisses von Volk bezüglich der Staatsgewalt und an der Konstruktion des Repräsentationsbegriffs. Zuerst aber soll die begriffliche Natur der Volkssouveränität erörtert werden; ihre Verbindung mit der Lehre der verfassunggebenden Gewalt des Volks zeigt eine wichtige Dimension der begrifflichen Verschiebung im Sinne eines reinen Rechtfertigungsverhältnisses, wie es für die grundgesetzliche Demokratiedogmatik im Allgemeinen eben behauptet wurde.

I. Volkssouveränität, verfassunggebende Gewalt und Demokratie Der Begriff der Volkssouveränität kommt in der deutschen verfassungsdogmatischen und -theoretischen Literatur oft in Verbindung mit Demokratie vor; gerade im Kontext von Art. 20 Abs. 2 GG wird er oft thematisiert815. Inhalt und Konturen des Begriffs bleiben dabei häufig uneindeutig816; die Sinnzusammenhänge, in denen der Begriff in der Literatur verwendet wird, sind durchaus unterschiedlich. So wird die scheidungen (Verweis auf Scheuner), mit dem ausschließlichen Sinn, Anerkennung durch das Volk zu sichern. 814 Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, S. 216 ff.; er betont das Konzept der „hierarchischen Demokratie“ (S. 216), einer dessen wichtigster Vertreter Böckenförde sei. Dieses Konzept baue auf einem inhaltlich verstandenen Staat auf, sodass Demokratie diesem „abstrakten Staat, der ,Staatlichkeit‘ nicht einen besonderen Inhalt“ gibt, sondern „nur die Funktion“ erhält, „staatliche Herrschaft zu legitimieren“ (S. 222). Exemplarisch für die angenommene Entscheidungsfähigkeit des Volks Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 44; er führt aus, Demokratie wirke nicht mehr als Entscheidungs- oder Kompetenztitel, sondern als Legitimationserfordernis, „wenn das Volk nicht mehr selbst oder durch die unmittelbar von ihm berufenen Vertreter handelt“. 815 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 2 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 155 ff.; Dreier, Das Problem der Volkssouveränität, in: Stekeler-Weithofer/Zabel (Hrsg.), Philosophie der Republik, S. 37 f.; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 170 ff. 816 So auch Hofmann, Über Volkssouveränität, in: JuristenZeitung, Bd. 69, S. 861.

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Volkssouveränität teilweise sowohl auf die verfassunggebende Gewalt817, als auch auf das verfassungsrechtliche Gefüge der Organisation und Ausübung politischer Herrschaft bezogen818; teilweise wird sie gegenüber Demokratie als die allgemeinere Kategorie verstanden819, teilweise als die konkretere820, dann wiederum – aus strikt juristischer Betrachtung – wird zwischen beiden Begriffen ein gegenseitiges Konkretisierungs-821 bzw. ein Wechselwirkungsverhältnis822 gesehen; teilweise wird sie auf die Demokratie, konkret auf die Modi der demokratischen Legitimation bezogen823, teilweise als Geltungsgrund im Sinne einer Legitimationsgrundlage824 verstanden. Vor allem sind, wie nach diesem kurzen Überblick schnell klar wird, die Unterscheidungsmerkmale des Begriffs gerade gegenüber der Demokratie nicht scharf ausformuliert; Grundmoment beider ist die Herstellung eines grundsätzlichen Verhältnisses zwischen dem Volk und der (Ausübung von) Herrschaft. 817 In diesem Sinne Kempen, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, Rn. 26. Für Dreier, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, Jura, 1997, ist Verfassunggebung „höchster und vollkommenster Ausdruck der Volkssouveränität“ bzw. ihre „höchste und grundlegende Äußerungsform“ (Dreier, Art. 20 (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 82) siehe auch Präambel, Rn. 71. So auch Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 170. 818 Dreier, Das Problem der Volkssouveränität, in: Stekeler-Weithofer/Zabel (Hrsg.), Philosophie der Republik, S. 38, Fn. 5; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 158 ff. Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 611, mit der Verbindung zwischen Volkssouveränität und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG, welche sich in einem „Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft“ konkretisiert. Eher in diesem Sinne ist auch die Begriffsbestimmung von Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 143, zu lesen, wenn er unter Volkssouveränität die „Ableitung aller Staatsgewalt vom Volke“ versteht; hier wird ausdrücklich betont, dass, um diese zu effektuieren, ein organisatorischer und verfahrensmäßiger Legitimationszusammenhang hergestellt werden soll. Für Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 61, ist der entscheidende Inhalt der Volkssouveränität, dass die „staatliche Gewalt auf den Volkswillen rückführbar ist“. 819 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 8. 820 Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 12, 59 sieht verfassungsdogmatisch das Prinzip der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG) als eine Konkretisierung des demokratischen Prinzips (Art. 20 Abs. 1); Art. 20 Abs. 2 Satz 2, als Regelung zur unmittelbaren und mittelbaren Ausübung von Staatsgewalt, sieht er wiederum als Ausgestaltung des Grundsatzes der Volkssouveränität, wobei die Rückführbarkeit der mittelbaren Ausübung von Staatsgewalt auf das Volk den demokratischen Legitimationszusammenhang begründet (Rn. 107). 821 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 161 f. 822 Unruh, Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, S. 396, wobei dieses Verhältnis „zwischen der intra-konstitutionellen Volkssouveränität und dem Demokratieprinzip“ besteht. 823 Morlok, Demokratie und Wahlen, in: Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. II, S. 565 ff.; Dreier, Das Problem der Volkssouveränität, in: Stekeler-Weithofer und Zabel (Hrsg.), Philosophie der Republik, S. 38. 824 Unruh, Der Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, S. 9 f.; Badura, Staatsrecht, A, Rn. 9.

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Wie im dritten Kapitel erörtert, spielte der Begriff zur Zeit der konstitutionellen Monarchie in den deutschen Territorien eine prominente Rolle. Diese Anfangsphase zeigt die wichtigsten Merkmale, welche hier dem Begriff zugrunde gelegt werden sollen, nämlich als (legitimationstheoretische) Alternative zu autokratischen Herrschaftsstrukturen. In diesem ursprünglichen Kontext hatte Volkssouveränität also einen polemischen Sinn825 ; ihre Wirkungsebene war dabei primär begrifflich: Die Attribution des Herrschaftsprivilegs an das Volk verfolgte das Ziel, die Möglichkeit dieser Attribution an andere Herrschaftssubjekte zu eliminieren826. Für den von Volkssouveränität begründeten Zusammenhang konnte politische Herrschaft nicht mehr dadurch gerechtfertigt werden, dass sie für das Wohl des Volks ausgeübt wird827; sie erforderte die unmittelbare Zurechnung der Herrschaftsbefugnis an das Volk828. Im dritten Kapitel wurde darauf aufmerksam gemacht, dass im Kontext der konstitutionellen Monarchie Volkssouveränität tatsächlich eine ähnliche begriffliche Funktion wie Demokratie erfüllte: Durch die Herstellung eines Verhältnisses zwischen Herrschaft und Volk strebte Volkssouveränität, gerade im Gegensatz zum institutionalisierten monarchischen Staat, nach Veränderung der Strukturen der Herrschaftsproduktion. Man kann indes behaupten, dass somit aus dem Volk als Rechtfertigungssubjekt eine Entscheidungseinheit gemacht werden muss, denn nur in dieser Gestalt lässt sich behaupten, dass es das Volk ist, welches Herrschaft ausübt829. Gerade an dieser Stelle setzt aber der entscheidende Unterschied zwischen Volkssouveränität und Demokratie an. Denn während für Demokratie ein hergebrachtes, gefestigtes Verständnis des Volks als Summe Einzelner gilt, gibt es für die Konstruktion eines Volks der Volkssouveränität keine Vorgaben. Die Existenz eines primären politischen Subjekts in der Person eines Monarchen oder Fürsten konnte dieses Problem solange lösen, als die Bestimmung des Volks reflexiv und negativ zu 825 So schon Heller, Staatslehre, S. 280. Auch Kempen, Verfassung und Politik, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, Rn. 26. 826 So Möllers, Art. Souveränität, in: Heun/Honecker/Morlok/Wieland (Hrsg.), Ev. Staatslexikon, S. 2175; auch Dreier, Das Problem der Volkssouveränität, in: Stekeler-Weithofer/Zabel (Hrsg.), Philosophie der Republik, S. 37, behauptet, Volkssouveränität erhalte ihr Profil als Legitimitätsprinzip „nicht zuletzt dadurch […], was mit ihm abgewiesen wird“. 827 Kielmansegg, Volkssouveränität, S. 156 ff. 828 Unruh, Der Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, S. 9 f., der den Wert von Autonomievorstellungen, die als Grundlage für die Volkssouveränität dienen, hervorhebt. Verfassungsdogmatisch Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 42, der behauptet, nach dem Prinzip der Volkssouveränität in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG müsse das Volk „Subjekt und Träger des politischen Prozesses“ sein; in Rn. 43 behauptet Volkmann, eine „Ausgangszuständigkeit des Volkes“ sei „im Begriff der Volkssouveränität“ eingefangen. 829 Kielmansegg, Volkssouveränität, S. 157, hebt hervor, dass dieser Gedanke in einem monarchischen Kontext, zu einem Wechsel des Souveräns führen musste. Entscheidend ist: Dieser Wechsel hätte sich institutionell äußern müssen.

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diesem Subjekt erfolgen konnte830 ; genau das war im frühen Vormärz in den deutschen Territorien (und darüber hinaus, wie im dritten Kapitel dargestellt) auch der Fall. Aber selbstverständlich besteht diese Möglichkeit nur in der polemischen Verwendung von Volkssouveränität831, und gerade nicht, wenn es darum geht, eine Entscheidungseinheit zu konstituieren832. Das institutionelle Problem wird insbesondere dann akut, wenn ein politisches System auf Volkssouveränität begründet werden soll und insofern eine Definition voraussetzt, wer als Volk zu gelten und wie es eine Entscheidungseinheit zu bilden hat. Der wesentliche Punkt für die Rekonstruktion des Verhältnisses zwischen den Kategorien der Volkssouveränität und der Demokratie lässt sich aus diesem Unterschied folgern: Volkssouveränität konstituiert einen abstrakten und allgemeinen Rahmen für politische Herrschaft, in dem diese durch die Zuschreibung an das als – das ist der entscheidende Punkt – vorausgesetzte Einheit verstandene Volk833 legitimiert wird. Aus diesem Rahmen lassen sich aber keine Vorgaben entnehmen, wer oder was als Volk zu gelten hat834 oder wie es als entscheidungsfähiges Subjekt 830

Kielmansegg, Volkssouveränität, S. 157. Kielmansegg, Volkssouveränität, S. 137, „Das Problem der Legitimität präsentiert sich nur noch in der Alternative Souveränität des Fürsten oder Souveränität des Volkes. Es liegt auf der Hand, daß diese Alternative vom Modell des absolutistischen Fürstenstaates her konzipiert ist. Auch das ,Nein‘ zur fürstlichen Souveränität ist gleichsam gezwungen, sich eines Legitimationsschemas zu bedienen, das auf die Bedürfnisse des monarchischen Absolutismus zugeschnitten ist“. Siehe auch S. 157. Häberle, Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, in: Juristenzeitung, 30 Jg., S. 302, spricht vom Volksganzen als kryptomonarchisch; freilich auch, weil er das kollektive Moment des Volks in der Sphäre des Individuellen aufzulösen versucht: Demokratie wird aus den Grundrechten gedacht, was mit einer „Relativierung des – allzu leicht mißverstandenen Volksbegriffs vom Bürger her“ einhergeht (S. 302, Hervorhebung im Original). 832 Drath, Die Entwicklung der Repräsentation, in: Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. 267: „Neuen Bedeutungsgehalt hat dieses Prinzip angenommen in unserer modernen Gesellschaft und demgemäß in unserem modernen Verfassungssysteme, auf dem Kontinente also seit der französischen Revolution, unmittelbar vorher schon in den englischen Kolonien Nordamerikas, besonders seit ihrer Unabhängigkeitsbewegung. Das war eine Periode, in der bestimmte Grundforderungen aus der gemeinsamen Verneinung der bestehenden sozialen und politischen Verhältnisse die Menschen weitgehend einten, in der deshalb auch die Repräsentation der Menschen in diesen ihren Grundforderungen einfach war, in der überhaupt die staatlichen Aufgaben einfach waren und wohl noch einfacher erschienen, als sie sich erweisen sollten, sobald es sich nicht mehr um gemeinsame Bekämpfung des gemeinsamen Negierten, sondern um die positive Ausgestaltung des gemeinsamen Lebens handelte“. 833 Als „Block“ sieht es im Rahmen der Volkssouveränität Müller, Wer ist das Volk?, S. 8. In diesem Sinne Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 143, 174. 834 Es ist insofern bezeichnend, dass, verfassungsdogmatisch, die Frage beantwortet werden muss, wer als Volk im Art. 20 Abs. 2 GG zu gelten hat. Dass es aus der Summe deutscher Staatsangehöriger besteht, ist keine offensichtliche Antwort, sondern eine, die immer auch begründet werden muss (insbesondere in Bezug auf die Unterscheidung zwischen Volk und Bevölkerung); dazu Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 148 f., m. w. N. 831

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konstituiert werden kann835. Ein positives Organisationsprinzip für die Herrschaft, wie es paradigmatisch in den monokratischen Herrschaftsformen strukturell eingebaut war836, leistet sie nicht837. Eigentlich kann Volkssouveränität auch aus ihrem polemischen Ursprung verstanden gar kein solches Prinzip leisten. Denn würde sie Kriterien der Einheitsbildung, und somit der Konstitution des Volks als Entscheidungssubjekt, bestimmen, würde sie auch das Volk als grundsätzlich nicht entscheidungs- und handlungsfähig definieren; damit wären aber gerade die Qualitäten, die für die Produktion und folglich die Rechtfertigung von Herrschaft unabdingbar sind, nicht vorhanden. Somit würde Volkssouveränität ihre eigene Plausibilität als Rahmen für die Rechtfertigung von Herrschaft in Bezug auf die Idee der Selbstbestimmung – um die es ja im postrevolutionären Europa gerade ging – im Ansatz verneinen838. Aus der Tatsache, dass sich dem Prinzip der Volkssouveränität keine Kriterien für die politische Einheitsbildung entnehmen lassen839, folgt für die vorliegende Untersuchung ihre begriffliche Natur: die einer reinen Rechtfertigungskategorie840. Das bedeutet, dass dem Prinzip der Volkssouveränität als allgemeinem Rechtferti-

835 Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 149, der darauf aufmerksam macht, die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG „enthalte nicht nur allein den Grundsatz der Volkssouveränität, sondern bestimme zugleich, ,wer das Volk ist‘“, deute auf einen Zirkelschluss hin. Auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 205 f., der feststellt, dass weder in Art. 20 Abs. 2 S. 1 noch S. 2 GG der Volksbegriff definiert wird. 836 Diesen grundsätzlichen Unterschied hervorhebend, Dreier, Der Ort der Souveränität, in: Dreier/Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 22 u. Fn. 55. Bleckmann, Staatsrecht I – Staatsorganisationsrecht, Rn. 231. 837 Kurz, Volkssouveränität und Volksrepräsentation, S. 191, schließt daraus, dass Fürstensouveränität Souveränität des Willens eines Einzelnen bedeutet und dass Volkssouveränität als Souveränität der Willen „der vielen Einzelnen“ definiert werden muss. Dass aber gerade damit keine Entscheidungs- bzw. Willenseinheit gegeben ist, ist eben der Kern des Problems. 838 In diesem Sinne, gerade mit Bezug auf die Konkurrenz zum Prinzip der Fürstensouveränität, Kurz, Volkssouveränität und Volksrepräsentation, S. 181: „Das Volk, das die Volkssouveränitätslehre – will sie sich nicht selbst widersprechen – meint, muß daher ein willensbegabtes und entscheidungsfähiges Gebilde sein“. 839 Kielmansegg, Volkssouveränität, S. 9, bemängelt fehlende Kriterien für einen theoretisch befriedigenden Umgang mit der Volkssouveränitätsformel. Auch Kempen, Verfassung und Politik, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, Rn. 27, bemerkt, im Rahmen der für die Volkssouveränität typischen Verbindung mit der verfassunggebenden Gewalt, dass die Merkmale, die „erfüllt sein müssen, um eine Personenmehrheit als ,Volk‘ mit verfassunggebender Gewalt identifizieren zu können“, sich nicht ohne weiteres erschließen; für eine Antwort verweist er auf das Völkerrecht und konkret auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker; das ist aber keine Lösung für das hier im Mittelpunkt stehende Problem des Volks als politische Größe. 840 Boldt, Staat und Souveränität, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 6, S. 130, Fn. 9: Volkssouveränität ist „kein speziell der Demokratie zugeordneter Begriff, sondern ein Legitimationsmodus für verschiedene Staatsformen“.

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gungsrahmen keine herrschaftskonstitutive Wirkung zukommt841. Auch wenn die rechtfertigende Verbindung, die sie herstellt, nach Verwirklichung strebt – denn die Herrschaft, die dem Volk zugeschrieben wird, ist die tatsächliche, in der Praxis wirkende –, können aus ihr vor allem keine Kriterien für die notwendige Organisation einer kollektiven Entscheidungsfindung entnommen werden842; anders formuliert: Volkssouveränität kann die Bedingungen ihrer eigenen Verwirklichung nicht festlegen. Insbesondere ergibt sich aus dem Begriff der Volkssouveränität keine bestimmte Konstitution des Volks und, abgesehen von der Tatsache, dass die Herrschaft diesem unbestimmten Volk zugesprochen wird, auch keine Bestimmung, wie das Verhältnis zwischen beiden Kategorien auszusehen hat. Volk kann sowohl eine Summe von Individuen als auch eine Zusammenkunft von Gruppen bedeuten, und auch bezüglich des Verhältnisses zur Herrschaft sind die Standards, die durch Volkssouveränität gesetzt werden, grundsätzlich flexibel. Die begriffliche Funktion der Volkssouveränität erschöpft sich somit in der Setzung eines Rechtfertigungsrahmens; dabei werden manche Gründe, die für die Rechtfertigung von Herrschaft vorgebracht werden können, festgelegt, andere werden dagegen ausgeschlossen843. Im Kontext der Volkssouveränität können nur Zusammenhänge zur Rechtfertigung politischer Herrschaft führen, die das Volk in eine aktive Position gegenüber Herrschaft setzen844. Auf dieser Abstraktionsebene, 841 Mit Herrschaftskonstitution wird hier gerade auf den Prozess der Einheitsbildung im Sinne institutioneller Entscheidungsfindung hingewiesen. Man könnte insofern sagen, dass Volkssouveränität Legitimität ohne politische Form darstellt. In diesem Sinne aus dogmatischer Perspektive das Verständnis von Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 287, der meint, das Prinzip der Volkssouveränität sei als „verfassungsrechtlicher Relationsbegriff“ zu verstehen, dessen Konkretisierung im Rahmen der Verfassung von anderen Normen geleistet werde. 842 Exemplarisch für diese Unbestimmtheit Unruh, Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, S. 10: „Als Träger sowohl der verfassunggebenden Gewalt als auch der konstituierten Staatsgewalt fungiert das Volk, d. h. die Gesamtheit der Freien und Gleichen. Das Grundgesetz und die auf seiner Grundlage geschaffene Staatsgewalt beruhen ausschließlich auf dem Willen der Mitglieder des Gemeinwesens. An dieser Stelle wird die Grundlegung des Verfassungsbegriffs in der Autonomie als verfassungstheoretischer Basis besonders greifbar“. 843 Zum Rechtfertigungszusammenhang, der mit der Volkssouveränität eröffnet wird, Schmitt, Verfassungslehre, S. 238, der den Sinn des Satzes „Volksstimme ist Gottes Stimme“ dadurch erklärt, dass Demokratie grundsätzlich Immanenz impliziert, und das heißt, dass die Ausübung von Staatsherrschaft an den Willen des Volks, und nicht an eine andere, transzendentale Instanz gekoppelt werden muss. Die Verneinung des Willens Gottes als Quelle des Inhalts der Ausübung staatlicher Macht bedeutet genau das: Die Ausschließung von einem transzendentalen Rechtfertigungszusammenhang und die Eröffnung eines auf den Willen des Volks gegründeten Schemas für die Rechtfertigung politischer Herrschaft. 844 Vgl. Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 495 ff., der das Volk nicht als einzige Legitimationsquelle der Staatsgewalt im grundgesetzlichen Gefüge sieht. Er spricht, Rn. 496, mit Bezug auf die Präambel explizit davon, dass „das Grundgesetz die Existenz überpositiver Legitimationsgrundlagen voraussetzt“. In Rn. 497 postuliert er: „Staatsgewalt geht vom Volke aus, ihre Legitimationsquellen liegen aber jenseits des Volkes“; interessanterweise mit dem Bezug auf die Gewissensfreiheit und der Feststellung, die Herleitung der Legitimation von Herrschaft durch ihre

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und insbesondere ohne einen Organisationszusammenhang, lösen sich insofern die Vorgaben der Volkssouveränität im zirkulären Verhältnis auf, das Volk legitimiere durch seine Aktivität die Herrschaft, diese wiederum könne ausschließlich durch das Volk legitimiert werden845. Die Kategorie der verfassunggebenden Gewalt des Volks kann diesen Zusammenhang zwischen Rechtfertigung und Ausübung von Herrschaft verdeutlichen. Diese Kategorie entfaltet nämlich ihre rechtfertigende Wirkung846 auch und gerade im kontrafaktischen Sinne, also auch und gerade wenn die Verfassung offensichtlich nicht in irgendeinem relevanten Sinne als vom Volk gegeben verstanden werden kann847. Es ist nämlich gerade die Verfassung, die dem unbestimmten Begriff des Volks eine Form gibt und dieses somit auch entscheidungs- und handlungsfähig macht. Bei der verfassunggebenden Gewalt wird das Volk insofern vor seiner eigentlichen Konstitution als selbstbestimmendes Subjekt, also im Sinne einer Entscheidungseinheit, vorausgesetzt848 ; oft wird aber Verfassunggebung tatsächlich ohne jegliche Beteiligung des Volks vollzogen849. In diesem Sinne ist die verfasAbleitung vom Volk würde diese verletzen und die Stellung des einzelnen Individuums in der Demokratie verkennen, weil sich schließlich die konkrete Legitimation der Staatsgewalt „im Gewissen jedes Einzelnen“ ergeben müsse. 845 Riedel, Der gemeineuropäische Bestand von Verfassungsprinzipien zur Begründung von Hoheitsgewalt – Legitimation und Souveränität –, S. 87, meint, dass „das Volk in Deutschland über die Figur der Volkssouveränität als letztem Herrschaftsgrund“ eine „Legitimationsfunktion“ hat. 846 Für Schneider, Verfassunggebende Gewalt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 6, ist die Funktion des Begriffs der verfassunggebenden Gewalt „Neuschöpfungen und Veränderungen von Verfassungsrecht als Ausübung einer bestimmten Macht oder Autorität zu rechtfertigen“. 847 So auch im Sinne einer verfassungstheoretischen Voraussetzung Waldhoff, Entstehung des Verfassungsgesetzes, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, Rn. 4, 8; für ihn beschreibt die Kategorie der verfassunggebenden Gewalt keine historische Realität. von Beyme, „Die verfassunggebende Gewalt des Volkes“, beschäftigt sich mit dem Problem der Willensbildung bei einer Verfassunggebung. Er führt aus, wie sehr in den wesentlichen Verfahren der Wille des Volks „gebrochen“ wird; S. 5 ff., insb. 8, 14, 55, 63. Haverkate, Verfassungslehre, S. 366 ff., betont, dass faktisch „in aller Regel die Verfassungsgebung in den Händen weniger“ liegt und weist auf die deutsche Verfassungsgeschichte hin. 848 Im Sinne einer solchen Annahme Kempen, Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, Rn. 24: „Die Verfassung sorgt für Einheit zunächst in einem vordergründigen Sinne, indem sie einen einheitlichen, geographisch abgrenzbaren Rechtsraum herstellt, doch dies ist eher eine Subfunktion ihrer Ordnungsfunktion. Ihre eigentliche einheitsstiftende Funktion ist auf das Politische bezogen. Die Verfassung setzt zu ihrer Geltung und Wirksamkeit Einheit voraus und stellt sie zugleich her, sie findet im historischen Moment der Verfassunggebung Einheit vor und sucht diese Einheit zu bewahren, besser noch zu vertiefen“, und Herbst, Legitimation durch Verfassunggebung, S. 23, der im Mittelpunkt der „herkömmlichen Formulierungen“ ein „handelndes Subjekt, das (Staats-),Volk‘, und eine bestimmte Handlung dieses Subjekts“, den „Akt der Verfassunggebung“, sieht. 849 Für Waldhoff, Entstehung des Verfassungsgesetzes, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, Rn. 1, ist beim Entstehen von Verfassungen das „Verhältnis zwischen historischer Realität und juristischer bzw. rechtstheoretischer Konstruktion virulent“.

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sunggebende Gewalt, gerade als Konkretisierung der Volkssouveränität, der Inbegriff eines reinen Legitimationsbegriffs850: Ein bestimmtes Ergebnis wird auf eine (politische) Handlung zurückgeführt, ohne dass diese Rückführung auch irgendwie vorhandene Produktionsvorgänge von Herrschaft beschreiben würde – ja oft, ohne dass Voraussetzungen für die Hervorbringung des Ergebnisses, wie es postuliert wird, überhaupt vorhanden gewesen wären. An dieser Stelle kann noch auf die Bedingungen der kollektiven Entscheidungsfähigkeit, wie sie im ersten Kapitel erörtert worden sind, hingewiesen werden. Die Äußerungsmöglichkeiten eines Volks, die durch Mitwirkungsrechte institutionell vermittelt sind und die einzigen sind, in denen gleiche Freiheit vorausgesetzt werden kann, operieren reflexiv: Sie bilden die Antwort auf eine Fragestellung und setzen bereits bestehende und verschiedene Antwortalternativen voraus. Die kollektive Entscheidungsbildung ergibt sich, im Rahmen von kollektiven Entscheidungsverfahren, als Aggregation von individuellen Präferenzen, die sich gerade auf diese Alternativen beziehen. Freie Entscheidungsbildung setzt somit eine (materiale, gerade auf die verschiedenen Alternativen bezogene) Differenzierung innerhalb des Volks voraus. Verfassunggebung ist grundsätzlich einmalig und systembegründend; sie errichtet dazu noch eine Ordnung, die grundsätzlich nur unter erschwerten Bedingungen zu ändern ist. Deshalb stellt eine solche Differenzierung innerhalb des Volks im Rahmen kollektiver Entscheidungsfähigkeit bezüglich konkreter Inhalte oder auch allgemein der Annahme oder Ablehnung der Verfassung insgesamt, ein besonderes Problem für eine auf Volkssouveränität bezogene Rechtfertigung dar. Für die überstimmte Minderheit gibt es nämlich keine periodisch stattfindende, also wiederkehrende Möglichkeit, Mehrheit zu werden; der Ausschluss aus den die Verfassung hervorbringenden Entscheidungen hat somit für sie einen pseudo-definitiven Charakter. Unter diesen Umständen erscheint aber ein Rückgriff auf die Idee des Volks als Gesamtheit besonders implausibel. Aus diesem Grund erweist sich der Bezug auf die Kategorie des Volks im Rahmen der verfassunggebenden Gewalt als Kaschierung der Voraussetzungen kollektiver Entscheidungsbildung; das entscheidende Subjekt kann als Volk der Volkssouveränität unscharf formuliert bleiben, sodass eine Zurechnung der verfassunggebenden Entscheidung plausibel erscheint und die Trennungslinien, die die Entscheidungsfindung impliziert hätte, verwischt werden können. Dadurch kann die Einheit des Volks plausibel begrifflichen Bestand haben851. Insofern gilt: Sowohl bei der verfassunggebenden Gewalt des Volks als auch bei der Volkssouveränität geht es nicht um die Voraussetzungen einer kollek850

Müller, Wer ist das Volk?, S. 31 ff., spricht von einer ikonischen Berufung und von einer Mythisierung des Volkes. 851 Diese Struktur des Begriffs erklärt auch die Aufmerksamkeit, die ein Autor wie Schmitt der verfassunggebenden Gewalt des Volks gewidmet hat. Gerade im Sinne der Konstruktion des Subjektes aus der Entscheidung heraus, insbesondere in einem vorinstitutionellen Kontext, bietet sich das begriffliche System Schmitts an, wie vorher besprochen wurde; gerade, weil die Gleichartigkeit oder Homogenität zwischen Entscheidungs- oder Handlungseinheit und Legitimität bei ihm vermittelt, kann er die verfassunggebende Gewalt des Volks als in sich konsistent, ohne Kluft zwischen politischer Aktion und Rechtfertigungspotenzial konstruieren.

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tiven Entscheidungsfindung, sondern um die Möglichkeit eines semantischen Rekurses auf die Idee des Volks als eines verfassungstheoretischen Legitimationsstifters852, auch und gerade im kontrafaktischen Sinne853. Die faktischen Bedingungen der Verfassunggebung werden somit im Rahmen der Lehre der verfassunggebenden Gewalt in den Bedingungen ihrer Rechtfertigung aufgelöst. Die verfassunggebende Gewalt des Volks hat folglich einen aus der Perspektive institutioneller, kollektiver Entscheidungsverfahren rein deklaratorischen Wert854 ; sie führt die Verfassung auf das Volk855 als die im Kontext von Volkssouveränität einzig mögliche Rechtfertigungsinstanz zurück856. Die Art von Rechtfertigung, die sie stiftet, setzt Bedingungen der Entscheidungsbildung, wie sie in der institutionalisierten Demokratie vorhanden

852 In diese Richtung schon Waldhoff, Entstehung des Verfassungsgesetzes, in: Depenheuer/ Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, Rn. 10, mit dem Verweis auf Schneider, Die verfassunggebende Gewalt, in Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 1. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 55, meint, mit der Idee der verfassunggebenden Gewalt des Volks könne „verständigerweise nur gesagt sein, daß das Volk der einzig legitime, nicht aber, daß es auch der einzig mögliche Verfassunggeber sei […]“. 853 Dreier, Präambel, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I, Rn. 79, spricht in diesem Sinne von einer „komplexen Legitimationsfigur“. 854 In diesem Sinne Waldhoff, Entstehung des Verfassungsgesetzes, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, Rn. 61. Unruh, Der Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, S. 382 f., meint dazu: „Der genetische Aspekt der verfassunggebenden Gewalt muss aber von dem verfassungstheoretischen unterschieden werden. Die Verfassungstheorie betrachtet die verfassunggebende Gewalt des Volkes als formale Legitimationsquelle; und Präambeln sind der Ort, an dem authentische Hinweise auf die Legitimationsgrundlagen einer Verfassung gegeben werden. Die Präambel des Grundgesetzes will keine Geschichtserzählung sein, sondern einen Hinweis auf seine formale Legitimationsgrundlage geben. Der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes kann zudem entnommen werden, dass die Volkssouveränität als allein gültiges Legitimationskriterium anerkannt und faktisch wirksam war“. 855 Das setzt die Einzigkeit des Maßstabes „Volk“ voraus. Vgl. dazu Unruh, Der Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, S. 9 f., 380 ff., 395 ff., der mit zwei unterschiedlichen Maßstäben, und zwar als pouvoir constituant und pouvoir constitué operiert. In diesem Sinne S. 386 f.: „Auch auf der Grundlage verfassungstheoretischer Überlegungen muss von einer Fortexistenz der verfassunggebenden Gewalt ausgegangen werden. Denn die formal legitimierende Kraft der Verfassung folgt aus der verfassunggebenden Gewalt des Volkes. Ein verfassungstheoretisch begründeter Wegfall oder eine Konsumtion dieser Instanz zöge zugleich den Verlust der Legitimationsquelle nach sich. Die pouvoirs constitués können diese Legitimation nicht leisten, da sie als verfasste Gewalten selbst legitimationsbedürftig sind. Die verfassunggebende Gewalt mutiert daher nach erfolgter Verfassunggebung – auch nach dem Grundgesetz – nicht zu einem pouvoir constitué und geht auch nicht in der Gesamtheit der verfassten Gewalten auf bzw. unter. Die bleibt als Legitimationsquelle der Verfassung stets im Hintergrund bestehen und kann sich jederzeit im Wege einer neuen, originären Verfassunggebung artikulieren“. 856 Badura, Staatsrecht, A, Rn. 8, mit dem Hinweis, dass in einer Demokratie, „in der alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht“, nur „das Volk Subjekt der verfassunggebenden Gewalt sein“ kann. In diese Richtung auch Dreier, Idee und Gestalt des freiheitlichen Verfassungsstaates, S. 163, wenn er meint, der „demokratische Gedanke kollektiver Selbstbestimmung […] ist nicht erst Produkt der Verfassunggebung, sondern ihr Prinzip und entscheidendes Charakteristikum“.

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sind, voraus und projiziert sie in die Vergangenheit zurück857; nur durch diese zeitliche Überbrückung, die aus der Selbstkonstitution in der Verfassung folgt, gewinnt die verfassunggebende Gewalt des Volks ihre Plausibilität. Wie Böckenförde richtigerweise erkannt hat, macht gerade deswegen die Idee der verfassunggebenden Gewalt des Volks nur in einem (bereits konstituierten) demokratischen Kontext, in einer demokratischen Verfassungstheorie Sinn858. Man könnte hinzufügen: nicht nur im Rahmen einer demokratischen Verfassungstheorie, sondern gerade – und das ist entscheidend – im Kontext einer praktisch wirksamen Verfassungsordnung, in der das Volk tatsächlich als in einem aktiven Verhältnis zur Ausübung von Herrschaft angesehen werden kann859. Es ist in diesem Kontext – und insbesondere auf der Grundlage der im zweiten Kapitel skizzierten Entwicklung des Begriffs der Souveränität – interessant, das Verhältnis zwischen den Begriffen Volkssouveränität und Souveränität kurz zu analysieren. Verfassungsdogmatisch spielt der Begriff der Souveränität in seiner inneren Variante eine nur noch sehr untergeordnete Rolle. Oft taucht er nur im Zusammenhang seiner Entbehrlichkeit860 für die dogmatische oder theoretische Diskussion oder des Verlustes einer eindeutigen Bedeutung861 auf. Dafür wird vor allem verfassungstheoretisch eine enge Verknüpfung zwischen Souveränität und Volkssouveränität festgestellt862 ; diese äußert sich gerade im Sinne 857 Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, Rn. 19. Für Badura, Staatsrecht, A, Rn. 8, stellt die Lehre von der verfassunggebenden Gewalt „gewisse Mindestbedingungen für eine nach demokratischen Grundsätzen legitime Verfassunggebung auf“. Nach dem hier verfolgten Ansatz könnte man eher meinen, die Lehre nimmt diese Bedingungen auf und behauptet ihre Erfüllung in der Vergangenheit. 858 Die verfassunggebende Gewalt des Volkes – Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts, in: Wissenschaft, Politik, Verfassungsgericht, S. 101; so auch Waldhoff, Entstehung des Verfassungsgesetzes, in: Depenheuer/Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, Rn. 10. 859 Darauf macht auch Müller, Wer ist das Volk?, S. 31 ff., aufmerksam. 860 Klassisch, Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 101 ff., mit der Behauptung, es gebe „innerhalb des Verfassungsstaates keinen Souverän“ (S. 102). Das ist insofern nicht überraschend, als er die Souveränität aus dem Absolutismus und also in einem besonders drastischen Kontrast zum Verfassungsstaat konstruiert; siehe dazu S. 41 ff., 240. Hillgruber, Der Nationalstaat in der überstaatlichen Verflechtung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 50, behauptet etwa: „In der gewaltenteilenden Demokratie gibt es verfassungsrechtlich betrachtet keinen Souverän. Eine souveräne Einheit der Staatsgewalt im funktionellen Sinne besteht hier nicht mehr; die Staatsgewalt ist hier vielmehr aufgegliedert und auf verschiedene Staatsorgane verteilt“. Grimm, Souveränität, S. 72, behauptet, im Verfassungsstaat gebe es „keine Souveränität, sondern Kompetenzen“. 861 Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Rn. 1, diagnostiziert, es ermangele „dem Begriff der Souveränität an eindeutigen, allgemein anerkannten Konturen“. 862 Explizit in diesem Sinne Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 140, für den „die Souveränität im modernen Verfassungsstaat (auch) als Volkssouveränität auftritt“. Deutlich auch Steiner, Verfassunggebung und verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 66: „Die Lehre von der Volkssouveränität ordnet die Souveränität als Inbegriff der höchsten Gewalt in einem Gemeinwesen dem Volke zu“. Unruh, Der Verfassungsbegriff des Grund-

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des erörterten Zusammenhangs zwischen Volkssouveränität und verfassunggebender Gewalt darin, dass die verfassunggebende Gewalt als eigentlicher Ort der Souveränität fungiert863. Wie aber schon erörtert wurde, stehen sowohl Volkssouveränität als auch die Lehre der verfassunggebenden Gewalt des Volks gerade nicht für die theoretische Erfassung der Bedingungen, unter welchen das Volk, als Kollektiv, in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen und dadurch Herrschaft auszuüben. Die im zweiten Kapitel skizzierte begriffliche Entwicklung der Souveränität, insbesondere ihre Ortlosigkeit, wird insofern durch diese Verbindung mit der Volkssouveränität und der verfassunggebenden Gewalt des Volks864 fortgeführt: Souveränität erscheint in dieser Verbindung nicht mehr auf wirksame Herrschaft bezogen, sondern als ein Rechtfertigungsmoment865. gesetzes, S. 380, sieht im Begriff der Volkssouveränität, auch für das Grundgesetz, eine Doppelnatur: Zum einen ist das Volk „Souverän der Verfassungsgebung“, zum anderen, innerhalb der Verfassungsordnung, „Träger der nunmehr konstituierten Staatsgewalt“. Auch Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 241, sieht, auf der Grundlage der Volkssouveränität, die Trägerschaft der Staatsgewalt und den ,pouvoir constituant‘ beim Volke, obwohl er die Existenz eines Souveräns im Verfassungsstaat verneint. 863 So Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 22 f., Vöneky, S. 170 f., mit der Verbindung zwischen Volkssouveränität, verfassunggebender Gewalt und „Herrschaftsgewalt“; Grimm, Souveränität, S. 72 ff. und auch Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 240 („Volkssouveränität bedeutet zunächst die Souveränität, über die Verfassung zu entscheiden“) und S. 241 („Der demokratische Souverän gibt, indem er vom ,pouvoir constituant‘ Gebrauch macht, seine Souveränität auf“). Schneider, Verfassunggebende Gewalt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 1 („Souverän ist, wer die Macht hat, eine Verfassung in Kraft zu setzen“), ferner Rn. 4. Hillgruber, Der Nationalstaat in der überstaatlichen Verflechtung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 51 ff. („Als pouvoir constituant ist das Volk in der Tat souverän […]“. Auch für Dreier, Präambel, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I, Rn. 72, stellt die Verfassunggebung die Instanz dar, in der „das souveräne (und gleichwohl repräsentierte) Volk“ handelt. Auch Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 54 ff., definiert den Begriff der Souveränität durch den Zugriff auf die „Fundamentalnormen der Verfassung“ (S. 55) und Souveränität hauptsächlich auf der Grundlage eines Zuhöchstseins im Sinne rechtlicher Schrankenlosigkeit. Allerdings liegt in der Definition des Zugriffs eine deutliche Unklarheit bezüglich der Dimension, in der der Begriff der Souveränität wirksam ist; so heißt es, verfassunggebende Gewalt seien „jene politischen Kräfte, die faktisch die Macht haben, auch die rechtlichen Fundamente der Verfassungsordnung einzureißen und durch andere zu ersetzen“. 864 Hillgruber, Der Nationalstaat in der überstaatlichen Verflechtung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 51 f.: „Die der Verfassung vorausliegende Volkssouveränität erschöpft sich jedoch im Akt der Verfassunggebung und ist alsdann, bis zur erneuten Verfassunggebung, in der Verfassung „aufgehoben“, auch wenn die verfassunggebende Gewalt die Verfassung in ihrem normativen Geltungsanspruch permanent trägt. Innerhalb der gegebenen Verfassungsordnung sind auch dem Volk als pouvoir constitué nur bestimmte Kompetenzen zur Wahrnehmung zugewiesen. Staatsrechtlich läßt sich Souveränität also nirgendwo festmachen“. 865 Konsequent in diesem Sinne konstruiert Roellecke, Souveränität, Staatssouveränität, Volkssouveränität, in: Staat – Souveränität – Verfassung, Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag, S. 15 ff., den Begriff der Souveränität als „Rechtfertigungsprinzip“ (S. 28), in

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II. Personelle Legitimation: Einheit und Identität des Volks Eine bedeutende Rolle beim Verständnis der Demokratie als reine Rechtfertigungskategorie spielt der Begriff des Volks. Dieses wird unter dem Grundgesetz auf dem Merkmal der Staatsangehörigkeit begründet; Volk ist im Sinne des Art. 116 GG als Summe einzelner Glieder, konkret Staatsangehöriger, konzipiert. Das ist auch der Begriff des Volks, der der Dogmatik der demokratischen Legitimation zugrunde gelegt wird. Wie schon weiter oben dargestellt, erscheint das Volk im Rahmen der Dogmatik der demokratischen Legitimation als eine Zurechnungseinheit. Die Vermittlungsoperation zwischen diesen Bedeutungs- bzw. Funktionsschichten ist relativ intuitiv: Ist das Volk im Sinne der Summe von Staatsangehörigen eine Einheit866, so wird ihr auch als solche eine Entscheidung im Rahmen der Wahrnehmung demokratischer Kompetenzen zugerechnet. Im ersten Kapitel ist allgemein das Ausüben von Herrschaft auf die Einheit als formgebendes Element des Verhältnisses zwischen Entscheidung und Realisierung bezogen worden; damit wird die begriffliche Kette aus Einheiten zwischen dem Volk als Summe von Staatsangehörigen bzw. demokratischen Mitwirkungsrechtsträgern, dem Volk als Einheit und der in der Form als Einheit erscheinenden Entscheidung perfekt. Die Reihe von Einheitsformen, auf der die angesprochene Vermittlung zwischen Volk und Entscheidung beruht, erweist sich bei einer näheren Prüfung jedoch als nicht tragfähig. Es handelt sich nämlich um verschiedene Arten von Einheit, die untereinander inkommensurabel sind. Die Einheit des Volks als Summe der Staatsangehörigen stellt nämlich eine Synthese, eine Form zusammenfassender Einheit dar. Schon Jellinek hatte das Volk auf der Grundlage einer erkenntnistheoretischen Synthetisierung als Einheit erfasst. Die Identität des Volks als Einheit beruht, im Kontext der grundgesetzlichen Dogmatik der demokratischen Legitimation, auf der Synthetisierung des Merkmals der Staatsangehörigkeit. Die Form der Einheit dagegen, auf die die Entscheidungstätigkeit über Herrschaft bezogen ist, konstituiert sich als Entsprechungsverhältnis, welches aus der Realisierbarkeit eines in der Entscheidung enthaltenen Gestaltungsanspruchs gedacht wird; das verbindende Band zwischen normativem Element und Faktizität ist dabei ein inhaltliches Moment, welches gestaltend wirken soll. Die Inkommensurabilität zwischen den genannten Einheiten kann insofern dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass sich aus der synthetischen Identität des Volks als Einheit kein Gestaltungsanspruch und keine Entscheidung ergibt, welche es zu realisieren gelte. diesem Sinne aber auch S. 15 f., 18 f., 21 und 25, wobei das Rechtfertigungspotenzial auf den „Erfolg“ des höchsten Gewalthabers (S. 21) und die „Kontinuität im Sinne der Rechtssicherheit“ (S. 26) bezogen wird. 866 Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 10, spricht vom „Dogma der Staatseinheit“; sein „konstruktives Pendant“ sei die Idee des einen Volks.

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Genau an dieser Stelle setzt der bereits angedeutete und entscheidende Unterschied zwischen einem individuellen und einem kollektiven Entscheidungssubjekt an: Im ersten Fall fallen Identität und Entscheidungseinheit zusammen, weil bei einem individuellen Entscheidungssubjekt die Identität und die Fähigkeit Entscheidungen zu treffen, sie zu äußern und dementsprechend zu handeln, strukturell aneinander gekoppelt sind. Im Falle eines kollektiven Entscheidungssubjekts hingegen lösen sie sich voneinander. Die Unterscheidung zwischen formalen und materialen Rechtfertigungsansätzen erlaubt es, den zentralen Punkt hier zu verdeutlichen: Das Volk als synthetische, zusammenfassende Einheit von Staatsangehörigen und deren jeweiligen Mitwirkungsrechten bewirkt keine Entscheidungseinheit im Sinne einer Anschlussinstanz für die Ausübung material verstandener politischer Herrschaft. Die Einheit als Synthese kann zwei Funktionen erfüllen. Sie kann einerseits die Grenze zwischen „innen“ und „außen“ markieren, und so eben zwischen kollektiven Einheiten unterscheiden867. Andererseits kann die synthetische Einheit, gerade auf der Grundlage dieser Differenzierung zwischen „innen“ und „außen“, die Verteilung von demokratischen Mitwirkungsrechten begründen; in diesem Sinne verläuft auch eine für die Dogmatik der demokratischen Legitimation bedeutende Diskussion um das Ausländerwahlrecht868. Für die theoretische Fundierung der Dogmatik der demokratischen Legitimation reicht diese Unterscheidung aus; darauf kann, über die Synthese der Mitwirkungsrechte, die Zurechnungsoperation zum Volk als kollektiver Einheit, also eben als Ergebnis einer Unterscheidung zwischen innen und außen, vollzogen werden869. Hat 867 Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 12: „Der Körperschaft werden ein selbständiges, komplexes Sein und ein eigenes, transpersonales Wesen zuerkannt. Ihre Identität wird durch Ein- und Ausgrenzungen aufgrund von Vergleichskriterien bestimmt, die ein Volk vom anderen unterscheiden sollen“; dann, Rn. 20, die Behauptung, dass staatsorganisationsrechtlich sich das Volk als Abgrenzung einer „Personengesamtheit“ auf der Grundlage des Staatsangehörigkeitsrechts definiert. Hofmann/Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Rn. 25, verstehen das „Staatsvolk“ bzw. die „Aktivbürgerschaft“ im Sinne „einer trotz aller sozialen, politischen, wirtschaftlichen, konfessionellen und kulturellen Gegensätze und Differenzen rechtlich gleichwohl homogenen, prinzipiell nach einem Recht für alle lebenden Einheit“. In diesem Sinne auch Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 594, der der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend das Volk als „eine zur Einheit verbundene Gruppe von Menschen“ definiert; im selben Sinne Rn. 596. 868 Ausführlich dargestellt in Wallrabenstein, Das Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit, S. 90 ff.; eine Übersicht über die Diskussion mit Einbeziehung der Entwicklung im Rahmen des Ausländerwahlrechts innerhalb der Europäischen Union gibt Groß, „We the people“ – Was ist ein Volk? in Bäuerle/Dann/Wallrabenstein (Hrsg.), Demokratie-Perspektiven, Festschrift für Brun-Otto Bryde zum 70. Geburtstag, S. 164 ff. 869 Das ist auch die Grundlage der Gleichsetzung zwischen Demokratie und Volkssouveränität, die das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum schleswig-holsteinischen Gesetz zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 21. Februar 1989, BVerfGE 83, 37, 50 f., vornimmt. Die Erläuterungen des vorigen Abschnitts über Volkssouveränität können bei der Analyse dieser Entscheidung fruchtbar gemacht werden: Volkssouveränität setzt ein als Einheit

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somit jede einzelne Bürgerin und jeder einzelne Bürger über das jeweilige Mitwirkungsrecht Teil an der Entscheidung, so kann grundsätzlich von der Erfüllung der individuellen Rechtfertigungsansprüche, wie sie im ersten Kapitel als konstitutives Moment demokratischer Rechtfertigung ausgemacht wurden, ausgegangen werden870. Und trotzdem: Auch wenn sich der Form nach ein individueller Rechtfertigungsanspruch so konstruieren lässt, verliert sich dabei der entscheidende Bezug zum demokratisch bedingten Übergang zwischen individueller und kollektiver Entscheidungsfindung, die sich aufgrund einer Annahme oder Ablehnung von politischen, inhaltlich charakterisierten Alternativen vollzieht871. Die Möglichkeit, sowohl einen Übergang zwischen individueller und kollektiver Entscheidungsfindung als auch die individuell geäußerte Präferenz zu berücksichtigen, hängt von einer Konzeption ab, die die aus dem Entscheidungsbildungsvorgang hervorgegangene Entscheidung, gerade als Bündelung von Mitwirkungsrechten, in ihrer materialen Kontingenz beschreiben und deuten kann. Damit wäre der Tatsache Rechnung getragen, dass die Entscheidung über Herrschaft Ergebnis eines komplexen Prozesses der Einheitsbildung ist. Die institutionellen Strukturen, über die der Einfluss des Volks verläuft und die den Kern der Dogmatik der dekonzipiertes Volk voraus. Das Bundesverfassungsgericht erfüllt diese begriffliche Vorgabe, indem es das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland als Volk der Volkssouveränität konkretisiert. Ihre Einheit gewinnt das so bestimmte Volk gerade durch Unterscheidung zu anderen, externen Einheiten (S. 51). Dieses Volk, welches sich nur aus der Außenperspektive als Einheit auffassen lässt, erfüllt aber nach der Argumentation des Gerichts auch die Voraussetzungen der demokratischen Operationalisierung des Volks als Träger und Subjekt der Staatsgewalt; diese muss, so das Gericht „das Volk als eine zur Einheit verbundene Gruppe von Menschen zu ihrem Subjekt haben“ (S. 51). Gerade weil die Demokratie im Rahmen der Dogmatik demokratischer Legitimation zu einem reinen Legitimationsbegriff wird, welcher die Bedingungen der eigenen Realisierung (also die Bedingungen, unter denen das Volk durch eigene Entscheidung Herrschaft steuern und dadurch legitimieren kann) vollkommen ausblendet und das Volk – die Volkseinheit – als Zurechnungseinheit konzipiert, können Volkssouveränität und Demokratie zu Synonymen erklärt werden. Zur Gleichsetzung im Kontext der Diskussion um das Ausländerwahlrecht Wallrabenstein, Das Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit, S. 100 ff., 106. 870 In diesem Sinne Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 29: „Das demokratisch erzeugte Recht tritt aber mit einem weitergehenden Anspruch auf: Es will legitimes Recht und damit auch aus Einsicht befolgt sein. Darin liegt die Folge des demokratischen Prozesses und nicht zuletzt die Kehrseite der Bindung des Staates an das Gemeinwohl: Da der Staat den Interessen aller zu dienen bestimmt ist und seine Normen in einem Verfahren zustandegekommen sind, das eine zumindest virtuelle Beteiligung aller ermöglicht, kann er berechtigterweise auch von allen Gefolgschaft verlangen“. Besonders deutlich auch, wie demokratische Herrschaft durch den Staat vermittelt erscheint, womit sie im Sinne einer Orientierung am Gemeinwohl qualifiziert wird. 871 Bryde, Die bundesrepublikanische Volksdemokratie als Irrweg der Demokratietheorie, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis, 5. Jg., S. 322: „Sieht man das Demokratieprinzip im Zusammenhang mit Menschenwürde und Selbstbestimmung, verbietet es sich, in der Formulierung des demokratischen Prinzips im Grundgesetz die Übertragung der Staatsgewalt an ein kollektives Staatsoberhaupt namens ,Volk‘ zu sehen: Volk ist vielmehr lediglich eine Kurzformel für Menschen“.

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mokratischen Legitimation ausmachen, sollten dabei nicht als Einflussmöglichkeiten eines als Einheit vorausgesetzten Volks gedeutet werden, sondern als Möglichkeit des Vollzugs einer politischen Differenzierung. Eine solche Differenzierung ist die notwendige Folge der individuellen Freiheit im kollektiven Entscheidungsfindungsverfahren. Diese Deutung des Prozesses der Entscheidungsfindung innerhalb des Volks lässt sich insbesondere anhand der schon behandelten Legitimationsmodi verdeutlichen, vor allem beim konkreten Verhältnis zwischen Volk und Parlament. Die formalisierenden Züge bei der Rekonstruktion dieses Verhältnisses schließen eine Auffassung aus, die dem Einheitsbildungsvorgang den Charakter einer positiven, politischen Entscheidung beimessen würde. Er sollte dem Anspruch nach einen effektiven Einfluss des Volks bei den Entscheidungen über Staatsgewalt vermitteln und gewährleisten. Beim personellen Legitimationsstrang geht es darum, dass eine bestimmte Person vom Volk eine definierte, auf die Ausübung von Staatsgewalt bezogene Entscheidungskompetenz zugewiesen bekommt. Die Entscheidung, die bei den Wahlen dem Volk zugerechnet wird, bezieht sich auf „die personelle Besetzung oder Zusammensetzung“ des Bundestages872 ; darauf ist der Einfluss des Volks beschränkt873. Ein material verstandenes Steuerungspotenzial könnte gerade die Zu872 So Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 158. Auch Huster/Rux, Art. 20, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Rn. 69. Im selben Sinne, Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 271, der behauptet, das Grundgesetz weise „dem Staatsorgan ,Volk‘ nur die Kompetenz und Befugnis zur (personellen Aus-)Wahl der Volksvertreter, nicht aber jene zur sachlich-inhaltlichen Determinierung der Ausübung von Staatsgewalt durch die übrigen staatlichen Funktionsträger zu“; weiter unten (S. 272) wird noch behauptet, das Volk könne nicht, „mangels imperativen Mandats und mangels sonstiger materieller Ingerenzbefugnisse […], dem Parlament sachlich-inhaltliche Positionen verbindlich“ vorschreiben. 873 Dazu, wenn auch aus einer etwas anderen Perspektive, Bryde, Die bundesrepublikanische Volksdemokratie als Irrweg der Demokratietheorie, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis, 5. Jg., S. 315: „Die danach zentrale (weil nach strenger Lehre überhaupt nicht, nach gemäßigter allenfalls marginal durch andere Legitimationsmechanismen auszugleichende) ,organisatorisch-personelle‘ Legitimation verlangt die Bestellung der Amtsträger entweder durch direkte Volkswahl oder durch eine auf eine solche zurückgehende Ernennungskette. Hierarchie wird damit zum im Grunde einzig zulässigen Organisationsprinzip von Demokratie: Von einem Mittel für die Durchsetzung von Gesetzesbindung und Verantwortung, das sich unter Umständen vom Gesetzgeber durch andere Mittel ersetzen läßt, wird sie zum Selbstzweck. Idealtypisch ist nur die vom Gesamtvolk über das Parlament zum Minister und dann von diesem in weisungsgebundener Hierarchie abwärts laufende Legitimationskette zulässig. In dieser Ausprägung verfehlt der volksdemokratische Ansatz nicht nur die Erfordernisse eines demokratischen Staatsaufbaus, sondern ist schlicht unpraktikabel, da er ,institutional choice‘ rigide behindert. Man darf annehmen, daß zumindest ein Teil der Befürworter eines volksdemokratischen Ansatzes diesen Folgen ihres Konzepts gegenüber nicht blind ist: Die begriffliche Beschränkung von ,Demokratie‘ auf die Ebene, auf der ,das Volk‘ am ungefährlichsten ist, dem politischen System am wenigsten konkrete Signale senden kann, am wenigsten zur Einmischung fähig ist, verbunden mit der Verbannung des tatsächlichen Volkes in seiner pluralistischen Vielfalt aus dem Demokratiebegriff, mag dem einen oder anderen durchaus erwünscht sein. Die Staatsgewalt geht dann zwar vom Volke aus, ist anschließend aber weg: Mit Hilfe ausgerechnet des Demokratieprinzips werden die Bürger in Untertanen verwandelt“.

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sammensetzung aus der Perspektive der sich daraus ergebenden Mehrheitsverhältnisse im Bundestag verstehen, vor allem, indem man z. B. auf den wichtigen Akt der Aufstellung einer Regierung abstellt874. Einer solchen Deutung des Wahlvorganges und des Verhältnisses zwischen Volk und Parlament steht aber das strikt auf Gleichheit jedes individuellen Mitwirkungsrechts gerichtete Verständnis der demokratischen Wahl im Wege. Dieses wiederum findet seinen spezifischen Ausdruck in der Auffassung der Äquivalenz des Zähl- und Erfolgswerts jeder einzelnen Stimme bei der Zusammensetzung des Parlaments875. Gerade in der Ausblendung jeglichen Elements, welches ein politisch kontingentes und somit materiales Steuerungspotenzial des Volks beschreiben könnte, wirkt der grundsätzlich rechtfertigende Charakter der Konstruktion. Das Spannungsverhältnis zwischen Inhalt und Form löst sich in der Sphäre des Rechts als symmetrischer Inklusionsstruktur auf; auf dieser Grundlage kann in der Dogmatik der demokratischen Legitimation die Konsistenz zwischen der synthetischen Einheit des Volks als Summe der Staatsangehörigen und der synthetischen Einheit des demokratischen Volks als Summe von Mitwirkungsrechten über die ganze demokratische Entscheidungsfindung gewahrt bleiben876. Dadurch wird aber die Berücksichtigung des behaupteten effektiven, also wirksamen Einflusses unmöglich gemacht; diese hängt gerade davon ab, die Entscheidungen in der Kontingenz der jeweiligen Mehrheitsverhältnisse widerspiegeln zu können. Das heißt aber gerade, dass aufgezeigt werden muss, dass die Entscheidung auch anders hätte ausfallen können, und dass sich damit die Ausübung von Herrschaft hätte verändern können877. Es ist dieses Moment der Entscheidungssituation, welches durch den Ansatz, den 874 So Meyer, Demokratische Wahl und Wahlsystem, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 6. 875 Mit Verweis auf das Bundesverfassungsgericht Vöneky, Ethik, Moral und Recht, S. 183, insb. Anm. 244. Kritisch dazu Möllers, Drei Dogmen der etatistischen Demokratietheorie, in: Heinig/Terhechte (Hrsg.), Postnationale Demokratie, Postdemokratie, Neoetatismus, S. 132 f. 876 Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 82, spricht von der „Idee der ,freien Selbstbestimmung aller‘“ als theoretischer Grundlage der Demokratie; für Dreier, Art. 20 (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 61, spielt der „Gedanke politischer Selbstbestimmung eines politischen Verbandes“ eine konstitutive Rolle; angelehnt an Kelsen (Rn. 66) schreibt er dann von den „mehrfachen Wandlungsprozessen oder Metamorphosen“, denen die Freiheit des Einzelnen in einem sozialen Verband unterliegt. Damit lassen sich aber keine Maßstäbe für spezifisch individuelle Rechtfertigung gewinnen. Bleckmann, Allgemeine Staatslehre, Bd. I, S. 134, behauptet, Einfluss auf die staatliche Entscheidung habe eigentlich nur „die Gesamtheit des Volkes“, die Bedeutung des Einzelnen sei dagegen „auf Null geschrumpft“. 877 Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, Rn. 68, betont das demokratische Verhältnis zwischen demokratischer Entscheidung und institutioneller Handlung: „In der Demokratie ist es nicht nur möglich, sondern geboten, Orientierungen umzukehren, sich zu korrigieren. Dinge anders zu machen als zuvor. Wenn wir Institutionen wählen oder über Fragen abstimmen, so sollen diese Akte auf Handlungen hinauslaufen, die etwas verändern. Wäre es anders, gäbe es keine demokratische Selbstherrschaft, sondern nur eine Ordnung, die in demokratische Formen verkleidet weitermachen würde wie bisher“.

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ganzen Prozess demokratischer Entscheidungsfindung als Recht zu beschreiben, verloren geht. Im Modus der personell-organisatorischen Legitimation werden im Grundgesetz Wahlen als das Grundmoment der Ausübung von Herrschaft ohne Weiteres als Entscheidung des Volks vorausgesetzt; die grundsätzliche Frage jedoch, wie genau, also auf welcher Grundlage, das Volk sich im Kontext der Wahl zur Entscheidungseinheit konstituiert und in welchem Sinne die weitere Entscheidungstätigkeit der besonderen Organe dadurch gesteuert wird, bleibt unbeantwortet878. Die rechtliche Fassbarkeit der grundlegenden Mechanik, durch welche sich die Ausübung von Herrschaft vollzieht, begründet noch keine Rückführbarkeit, die, wie im ersten Kapitel erwähnt wurde, zuerst auf einer Beschreibung der Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit basieren muss. Nur als Wahrnehmung einer Entscheidungskompetenz bzw. als Zurechnung zu einem Kompetenzbereich und als Herleitung einer Reihe von Entscheidungen aus diesem kann der höchst politische Gehalt einer demokratischen Legitimation nicht abgebildet werden. Damit aber bleibt von der individuellen Mitwirkung bei demokratischen Entscheidungsverfahren nur die Form eines nicht Demokratie-spezifischen individuellen Anspruchs übrig.

III. Materielle Legitimation und Repräsentation Im Kontext des materiellen Legitimationsstrangs ergeben sich weitere interessante Elemente für eine Beurteilung der Dogmatik demokratischer Legitimation. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der materielle Strang die Funktion hat, den zweiten grundlegenden Baustein der Entscheidung über die Ausübung von Herrschaft demokratisch vom Volk herzuleiten. Das grundlegende Legitimationsmoment ist vom materiell verstandenen Gesetz gegeben, welches die infra- bzw. postlegale Ausübung von Herrschaft zu bestimmen hat; Legitimation als Vorformung weiterer Entscheidungen über Staatsgewalt bezieht sich in diesem Sinne auf die Setzung eines inhaltlichen Rahmens, in den sich jene einzufügen haben. Das Schema ist einfach: Das Volk legitimiert, im Sinne des persönlichen Legitimationsstrangs, den Bundestag, der wiederum durch die Gesetzgebung das restliche Staatshandeln materiell vorformt, insofern auf den Volkswillen, welchen er selbst verkörpert, zurückführt und somit auch demokratisch legitimiert. Das setzt also voraus, dass zwischen Volk und Parlament aus legitimationstheoretischer Perspektive eine Art funktioneller Einheit besteht. Im vorigen Abschnitt wurde aber gerade die Annahme einer solchen Einheit, d. h. einer privilegierten Stellung des Bundestages im Rahmen der demokratischen Ordnung, zumindest im Kontext des Beschreibungspotenzials der Dogmatik demokratischer Legitimation kritisiert: 878 In diese Richtung die Kritik von Blanke, Antidemokratische Effekte der verfassungsgerichtlichen Demokratietheorie, in: Kritische Justiz, Vierteljahresschrift für Recht und Politik, Bd. 31 (Heft 4), S. 458 ff., insb. S. 461, mit dem Hinweis auf einen „pauschalen Verweis auf Parlamentswahlen“.

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Wenn das Volk, gerade bei der Wahl des Parlaments, nicht als Entscheidungseinheit erfasst werden kann, wenn also die Zusammensetzung des Bundestages als rein rechtlich konzipierte Kreation, als dem ganzen Volk zurechenbare Handlung konstruiert wird, dann kann dieses Verhältnis zwischen Volk und Parlament kein demokratisches Rechtfertigungspotenzial im Sinne von Selbstbestimmung entfalten. Mit anderen Worten: Der Zusammensetzung ist, unter den Bedingungen, unter denen sie von der Dogmatik der demokratischen Legitimation beschrieben wird, keine demokratische Bedeutung einzuräumen. Die Annahme der funktionellen Einheit zwischen Volk und Parlament führt aber im Rahmen der Dogmatik demokratischer Legitimation und vor dem Hintergrund der Vorgaben von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu einem bemerkenswerten Ergebnis, welches den oben genannten Punkt abermals verdeutlichen kann: Das Grundgesetz räumt dem Volk eine eigenständige Stellung ein, von der die Ausübung von Staatsgewalt auszugehen hat. Eine Rekonstruktion dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben hat somit sowohl eine autonome Position des Volks als auch des Bundestages zu berücksichtigen. Fehlt es aber an theoretischen Elementen, durch die eine positive Entscheidung des Volks gerade in Bezug auf die Zusammensetzung des Parlaments beschrieben werden kann, werden vielmehr Volk und Parlament aufeinander bezogen, so wird diesen Vorgaben nicht Rechnung getragen. Insbesondere muss ein besonderes Moment hervorgehoben werden: Im Sinne der vorausgesetzten Einheit zwischen Parlament und Volk verliert sich die entscheidende Einsicht, dass, dem Grundgesetz nach, auch das Gesetz eine legitimationsbedürftige Entscheidung über die Ausübung von Staatsgewalt darstellt. In der legitimationstheoretischen Aufwertung des Gesetzes und dessen Deutung als legitimationsstiftendem Moment liegt die spezifische Folge der Annahme einer funktionellen Einheit zwischen Volk und Parlament im Rahmen der Dogmatik der demokratischen Legitimation. Dabei kann das legitimationsstiftende Moment lediglich über die entpolitisierte personelle Zusammensetzung des Bundestages auf das Volk zurückgeführt werden. Die eben erwähnte Auflösung des Volks im Kontext der Gesetzgebung wird interessanterweise durch ein bedeutendes Verständnis des Begriffs der Repräsentation in der deutschen Literatur weiter gestützt; sie erhält dadurch ihre begriffliche Grundlage. Allgemein lässt sich Repräsentation aus dem Problem der kollektiven Entscheidungsfindung über Herrschaft definieren, also im Sinne von Über- und Unterordnungsverhältnissen, gerade im Rahmen politisch-institutioneller Entscheidungstätigkeit879. Dadurch werden verschiedene Problemfelder880 auf den Begriff der 879 So Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, in: ders., Staatstheorie und Staatsrecht, S. 249, wenn er meint, das repräsentative Prinzip habe seinen Platz in einer Auffassung der Demokratie, „die ihren Sinn nicht in der Aufhebung des Unterschiedes von Regierung und Volk, in der Identität von Herrschaft und Beherrschten erblickt, sondern den Unterschied von Regierenden und Regierten in einem politischen Gemeinwesen anerkennt […]“. Für Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 386 ff., bilden „leitende und selbsthandelnde, insofern repräsentative Organe“

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Repräsentation bezogen, wodurch der Begriff in besonderem Maße schillernd wirkt881. Das Grundmoment der Repräsentation steht insbesondere für die Herstellung kollektiver Handlungsfähigkeit, die für das Volk bzw. im Namen des (grundsätzlich handlungsunfähigen) Volks vorgenommen wird882. In ihrer demokratischen Prägung, d. h. in Gestalt des für die deutsche Literatur zentralen Begriffs der repräsentativen Demokratie, kann Repräsentation gerade im Sinne der institutionellen Differenzierung maßgeblich die Frage nach den Voraussetzungen für die Produktion,

(S. 388) eine Notwendigkeit in einer demokratischen Herrschaftsorganisation. So auch Hofmann/Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Rn. 24, mit dem Hinweis darauf, dass „[p]arlamentarische Repräsentation im Zeichen von Volkssouveränität […] nicht Aufhebung von Herrschaft, sondern eine bestimmte Art ihrer Organisation, Legitimation und Kontrolle“ bedeutet, und dass in einer Demokratie „das Parlament die vom Volk unmittelbar legitimierte und damit höchste Herrschaftsinstanz“ darstellt, womit auch der Idee des Staates als einer substanzhaften Einheit eine Absage erteilt wird. 880 Wie man etwa der Definition von Fraenkel, Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. V, S. 165, entnehmen kann: „Repräsentation ist die rechtlich autorisierte Ausübung von Herrschaftsfunktionen durch verfassungsmäßig bestellte, im Namen des Volkes, jedoch ohne dessen bindenden Auftrag handelnde Organe eines Staates oder sonstigen Trägers öffentlicher Gewalt, die ihre Autorität mittelbar oder unmittelbar vom Volk ableiten und mit dem Anspruch legitimieren, dem Gesamtinteresse des Volkes zu dienen und dergestalt dessen wahren Willen zu vollziehen“. 881 Hofmann/Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Rn. 1: „Der Terminus ,Repräsentation‘ schillert in vielen Bedeutungsvarianten“. 882 Für Morlok, Art. 38, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 33, macht Repräsentation „die Vielzahl der Bürger politisch handlungs- und entscheidungsfähig“. Auch für Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 391 ff., bezieht sich Repräsentation sowohl im formellen als auch im inhaltlichen Sinne auf ein Handeln. Im selben Sinne ders., Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 10 ff., 26 ff., insb. 30 ff. Auch für Rausch, Vorwort, in: ders. (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. IX, ist politische Repräsentation „existentiell für eine politische Gemeinschaft, weil diese nur durch ihre Repräsentanten artikuliert in Erscheinung treten und handeln kann […]“; auch S. XI. So auch Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 157 ff., und Grimm, Art. Repräsentation, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, Bd. IV, Sp. 878. Hofmann/Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Rn. 2, nennen dieses das „sachliche Problem“ der Repräsentation, Rn. 23 definieren sie demokratische Repräsentation mit einem Hinweis auf eine „Beziehung der Autorisierung und Anerkennung sowie der Kontrolle und Kritik zwischen dem durch die Wahlberechtigten verkörperten Staatsvolk und der aus den gewählten Abgeordneten als Grundlage und Zentrum des Regierungssystems gebildeten Volksvertretung“. Verfassungsdogmatisch und konkret auf die Funktion des Bundestages bezogen, Trute, Art. 38, in: von Münch/Kunig (Begr./Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I, Rn. 8. Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 7, setzt die Repräsentation in den Zusammenhang mit „selbsthandelnden Leitungsorganen […], die lediglich vom Volk bestellt werden“.

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also die Entscheidung über und die Steuerung von Herrschaft, absorbieren883. In diesem Sinne würde sich Art. 38 GG für den erörterten demokratischen Übergang zwischen individueller und kollektiver Entscheidungsfindung im Kontext der im ersten Kapitel erörterten Einheitsbildung anbieten; bezeichnenderweise wird aber das Repräsentationsverhältnis anders konstruiert, nämlich in einem Sinne, der komplementär zum materiellen Legitimationsstrang der Dogmatik demokratischer Legitimation ist. Im Einklang mit der erörterten, für Deutschland bedeutenden Tradition steht Repräsentation für ein Auffangen der diesem Begriff inhärenten Differenzierung, welches gerade als Negation bzw. Überwindung derselben wirkt884. Gerade die mit dem Begriff der Repräsentation verbundene Dialektik der Vergegenwärtigung von Abwesendem885 zielt auf das Herausbilden einer überspannenden Einheit, in der, trotz Differenzierung, die durch Repräsentation hergestellte Aktionsfähigkeit als Inklusionsinstanz für alle Glieder der politischen Gemeinschaft dienen kann. Besonders hervorzuheben ist in diesem Kontext die Tatsache, dass die Rekonstruktion dieser Überwindung der institutionellen Differenzierung zwischen Volk und Parlament im Rahmen der Repräsentation über das Rechtliche hinausgeht, wobei es auch oft miteinbezogen wird886. Das heißt aber: Auch materiale Momente begründen die durch die Repräsentation implizierte Einheit und werden insofern in das repräsentative Verhältnis hineininterpretiert. Diese materialen Momente orientieren sich vor allem an dem normativen Maßstab der Vertretung des ganzen Volks (Art. 38 Abs. 1) und finden im Gemeinwohl887, in der Möglichkeit der Identifikation888 und im Konsens889 wichtige Anwendungsfälle. 883 Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, Rn. 26 ff.; ders., Mittelbare/repräsentative Demokratie als eigentliche Form der Demokratie, in: Müller/Rhinow/Schmid/Wildhaber (Hrsg.), Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel, S. 318 ff. 884 So, zum Beispiel, im Sinne eines „sich wiederfinden“ trotz Differenzen, wie bei Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 23. Auch im Sinne eines reziproken Wiederfindens Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 392. 885 Müller, Art. 38, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 46. Hofmann/Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Rn. 10; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 37, bezieht sich auf „Vergegenwärtigung, PräsentSein des zwar existenten, aber nicht gegenwärtigen und zum Handeln formierten Volkes“. 886 So Klein, Stellung und Aufgaben des Bundestages, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, Rn. 3, der davon ausgeht, dass, aufgrund der institutionellen Ausgestaltung des Bundestages, seine Beschlüsse „dem repräsentierten Volk politisch wie rechtlich zurechenbar“ sind. 887 Morlok, Art. 38, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 37, spricht von der Förderung des Gemeinwohls. Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 71, der in Zusammenhang mit dem imperativen Mandat behauptet, der einzelne Abgeordnete vertrete „nicht mehr das ganze Volk, sondern eine Gruppe von Wählern oder die Partei, der er angehört“, oder richte „sein Handeln nicht am Gemeinwohl“ aus, sondern sei „das Sprachrohr von Partikularinteressen“; in diesem Sinne auch die Be-

C. Kritik der demokratischen Legitimation

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Die Struktur des repräsentativen Verhältnisses operiert insoweit gerade nicht im Sinne eines materialen Bezugs, welcher vom Volk in Richtung Parlament laufen würde; er lässt sich im Gegenteil vielmehr als vom Bundestag kommend konstruieren. Repräsentatives Rechtfertigungspotenzial ist somit nicht die Folge einer für das Volk unternommenen Handlung, die aber politische Impulse aus dem Volk verwertet, sondern, gerade im Sinne des personellen Legitimationsstrangs, die Folge einer völligen Entäußerung material verstandener Entscheidungskompetenz des Volks. Die materialen Momente begründen insofern die Konsistenz und Kongruenz des demokratischen Entscheidungszusammenhangs, denn: Auf der materialen Grundlage erkennt das Volk sich selbst als die in der repräsentativen Handlung zur Geltung kommende Einheit890. Die in der Repräsentation zum Ausdruck kommende geteilte Substanz stellt somit auch das Vermittlungsmoment dar, welches mittels der Gesetzgebung den materiellen Legitimationsstrang begründen kann. Das parlamentarische Gesetz kann insofern nicht als ein demokratisches Mittel der Selbstbestimmung des Volks verstanden werden; es bringt nur zum Ausdruck, was das Volk vor dem demokratischen Entscheidungszusammenhang sowieso schon war oder was es unbewusst sein wollte. Es gilt, wie schon von Möllers dargestellt: Die prekäre hauptung, Rn. 73, Demokratie sei notwendig mit dem freien Mandat verbunden, weil nur dieses „dem Abgeordneten ermöglicht, nach seiner inneren Überzeugung für das Wohl des gesamten Volkes zu entscheiden“. Auch Trute, Art. 38, in: von Münch/Kunig (Begr./Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I, Rn. 4, bezieht Freiheit und Gleichheit der Abgeordneten im Sinne von Unabhängigkeit auf ein gemeinwohlbezogenes Handeln. Kritisch dazu Hofmann/Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Rn. 17: „Andererseits genügt es dem Demokratieprinzip nicht, wenn staatliche Stellen als Institute der Repräsentation sich um die Verwirklichung des Gemeinwohls bemühen – selbst dann nicht, wenn sie damit Erfolg haben“. 888 Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 29 ff., und Demokratie und Repräsentation, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 392, und Gusy, Demokratische Repräsentation, in: Zeitschrift für Politik, Bd. 36, S. 275, betonen als maßgebliches Moment die Möglichkeit, dass sich das Volk im Parlament, in dessen Beratungen und Entscheidungen, wiederfinden kann. Das begründet eine „materielle Repräsentation“. Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/ Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 23, sieht die „innere Seite“ der Repräsentation darin, dass „die Auffassungen der Repräsentanten mit denen der Repräsentierten perspektivisch zur Deckung gebracht werden“; mit Verweis auf Sobolewski schreibt er auch von einer „Angleichung zwischen zwei maßgeblichen Einheiten“. 889 Kimme, Das Repräsentativsystem, S. 147, sieht einen Konsens, der schon vor der Repräsentation Bestand haben muss, als Legitimationsgrundlage; auch bezieht Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 173 f., „das erforderliche inhaltliche Band der Repräsentation zwischen Repräsentanten und Repräsentierten“ auf eine Rückkopplung, die beinhaltet, „Probleme zu erkennen, aufzugreifen und einer Lösung im Sinne einer möglichst großen Zustimmung der Herrschaftsunterworfenen zuzuführen, bestenfalls deren Konsens findend“. 890 Gusy, Demokratische Repräsentation, in: Zeitschrift für Politik, Bd. 36 (Heft 3), S. 283, konstruiert das Repräsentationsverhältnis als überspannende Einheit, indem er Mehrheit und Minderheit im Bundestag als das ganze Volk repräsentierend sieht. Dadurch aber verliert sich gerade der Bezug auf Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit, der ja auch für Gusy, S. 266 ff., passim, für die Repräsentation konstitutiv ist.

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4. Kap.: Analyse der Dogmatik der demokratischen Legitimation

Stellung einer der im Repräsentationsverhältnis involvierten Parteien891 wirkt sich für das Volk im Rahmen der grundgesetzlichen Rekonstruktion als eine Auflösung in der repräsentativen Entscheidung aus.

891 Möllers, Expressive versus repräsentative Demokratie, in: Kreide/Niederberger (Hrsg.), Transnationale Verrechtlichung, S. 162.

5. Kapitel

Konstruktion der demokratischen Legitimation Im vierten Kapitel wurde die Dogmatik der demokratischen Legitimation analysiert. Dabei wurde festgestellt, dass sie vorgibt, die Staatsgewalt auf das Volk zurückzuführen, sie aber das Volk eigentlich nicht als materiale Entscheidungs-, sondern nur als formalisierte Zurechnungseinheit bzw. als Teil eines Repräsentationsverhältnisses konzipiert, in welchem es sich als Subjekt auflöst. Der konkrete Vorgang einer volksinternen Entscheidungsfindung wird vollkommen ausgeblendet, und zwar im Zuge der dogmatischen Rekonstruktion, also der spezifisch rechtlichen Rekonstruktion im Sinne der Zurechnung. Dies impliziert, dass die Grundbestandteile der demokratischen Entscheidungsfindung, die Bürgerinnen und Bürger, praktisch überhaupt keine Berücksichtigung erfahren. Ein „entscheidender Einfluss“ im Sinne materialer Impulse, die, aus dem Volk kommend, die Ausübung von Herrschaft vorformen würden und deren Beschreibung ja von der Dogmatik demokratischer Legitimation behauptet wird, lässt sich unter diesen Umständen theoretisch nicht erfassen. In diesem Sinne erhält die Dogmatik der demokratischen Legitimation gerade durch den für sie konstitutiven rechtlichen Bezug eher den Charakter einer reinen Rechtfertigungskonstruktion mit den bereits für diese Kategorie festgestellten Defiziten; insbesondere besteht zwischen der Demokratie, wie sie im Rahmen der Lehre der demokratischen Legitimation rekonstruiert wird, und der Volkssouveränität eigentlich kein wesentlicher Unterschied. Zwar operiert das demokratische Prinzip mit einem konkreten Volk, von dem unter dem Grundgesetz auch institutionelle Impulse in Form der Wahl des Bundestages ausgehen; die Existenz eines solchen institutionellen Bezugs macht jedoch eine theoretische Rekonstruktion der spezifischen Art und Weise, wie das Volk im Kontext dieser Mitwirkungsstrukturen zur Entscheidungseinheit wird, nicht überflüssig. Damit ist die Auseinandersetzung mit der Dogmatik der demokratischen Legitimation abgeschlossen. Die Analyse hat den staatstheoretischen Gehalt, der die erörterten Verständnisse der Entscheidungstätigkeit über Herrschaft und des Volks prägt (Kapitel zwei und drei), zum Vorschein gebracht und ihre Verbindung zur Dogmatik aufgezeigt. Das vorliegende Kapitel beschäftigt sich mit der Frage nach der demokratischen Legitimation, wie sie im ersten Kapitel formuliert wurde, und zwar grundsätzlich auf verfassungstheoretischer Ebene. Der Fokus liegt dabei auf der politischen Dynamik der demokratischen Willensbildung. Die Frage, die es in diesem Kapitel zu beantworten gilt, lautet: Wie kann eine Entscheidungsfindung bzw. die Bildung einer Entscheidungseinheit, die die Ausübung von Herrschaft material mitbestimmt, vor jedem einzelnen Glied der politischen Gemeinschaft gerechtfertigt

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5. Kap.: Konstruktion der demokratischen Legitimation

werden, wenn sie nur den Präferenzen einiger, aber nicht aller Mitglieder der politischen Gemeinschaft entspricht? Dabei wird auch klar, wie sich diese Fragestellung von derjenigen der Dogmatik der demokratischen Legitimation unterscheidet: Stellt diese ausschließlich auf das kollektive Moment ab, so entsteht gerade dadurch die Ununterscheidbarkeit mit der Volkssouveränität. Bei dieser ergibt sich, schon wegen ihrer Entstehungsgeschichte, eine Ausblendung der individuellen Dimension der Rechtfertigung; das Rechtfertigungsverhältnis wird ausschließlich aus dem Kollektiv bzw. der notwendig vorausgesetzten Entscheidungseinheit konzipiert. Insofern eignet sich die Kategorie der Volkssouveränität eben nicht zur Entfaltung von Legitimationspotenzial gegenüber dem einzelnen Glied einer politischen Gemeinschaft, jedenfalls ist sie nicht in der Lage, solches Legitimationspotenzial auf der Grundlage einer (politisch) autonomen Stellung der einzelnen Glieder zu entfalten, da sich diese in dem als Ganzheit verstandenen Volk bzw. dessen (vorausgesetzter) Entscheidungstätigkeit auflösen. Stammen die Elemente (z. B. das Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv), auf denen die Kritik der Dogmatik demokratischer Legitimation aufbaute, aus der theoretischen Grundlegung im ersten Kapitel, so erfolgt in diesem fünften und letzten Kapitel der Versuch einer Lösung für die darin formulierte Frage nach der demokratischen Legitimation. Der Lösungsansatz kann, wegen der Struktur der Arbeit, als rein verfassungstheoretischer verstanden werden, oder aber als (theoretische) Grundlage für eine dogmatische Rekonstruktion der grundgesetzlichen Demokratie. Zentral dafür ist die Position der einzelnen Individuen im Kontext demokratischer, also kollektiver Entscheidungsfindung. Aus diesem Grund kann sich die Erörterung der Frage nach der demokratischen Legitimation, wie sie hier verstanden wird, zunächst an der Differenzierung zwischen Demokratie und Volkssouveränität orientieren. Soll eine kollektive Entscheidungsfindung vor dem Einzelnen gerechtfertigt werden, so müssen die konstitutiven Kategorien der Volkssouveränität inhaltlich bestimmt werden; nur auf der Grundlage eines konkreten Verfahrens der Einheitsbildung kann eine Analyse des individuellen Rechtfertigungspotenzials ansetzen. Genau bei dieser Festlegung der konstitutiven Kategorien des von der Volkssouveränität begründeten Rechtfertigungsverhältnisses spielt (die abstrakt verstandene) Demokratie, als eine der möglichen, konkreten Ausgestaltungen dieses Verhältnisses, eine zentrale Rolle.

A. Demokratie als Vermittlung Wie schon im vorigen Kapitel angedeutet, erfolgt hier der Versuch einer Begriffsund Verhältnisbestimmung zwischen Volkssouveränität und Demokratie im Sinne eines Konkretisierungsverhältnisses; dabei stellt Volkssouveränität die allgemeinere,

A. Demokratie als Vermittlung

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Demokratie die spezifischere Kategorie dar892. Diese Charakterisierung bedarf jedoch einer Verfeinerung: Volkssouveränität konstituiert mit der Aufstellung der grundlegenden Kategorien Volk und Herrschaft den Rahmen, aus dem die Demokratie eine prozedural ausgestaltete Rechtfertigung, also Legitimation, schöpfen kann893. Demokratie stellt aber nicht nur eine besondere Anwendung dieses Rahmens für die Rechtfertigung von Herrschaft durch eine entsprechende Konkretisierung der jeweiligen Grundkategorien dar894, sondern ist auch, eben durch diese Konkretisierung, eine besondere Form der Produktion von Herrschaft. Mit anderen Worten: Während Volkssouveränität als eine reine Rechtfertigungskategorie rekonstruiert werden kann, stellt Demokratie, gerade durch die Konkretisierung der jeweiligen grundlegenden Kategorien, sowohl eine Rechtfertigungs- wie auch eine Produktions- oder Organisationskategorie für Herrschaft dar895. Schon im ersten Kapitel wurde die These aufgestellt, dass diese letzte Dimension, die Produktion von Herrschaft im Sinne der Bildung einer kollektiven Entscheidungseinheit, in einer

892 Diese Ansicht spezifisch für das Grundgesetz auch bei Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 232. 893 So Mouffe, The Democratic Paradox, S. 4: „The very legitimacy of liberal democracy is based on the idea of popular sovereignty […].“ Auch Dreier, Das Problem der Volkssouveränität, in: Stekeler-Weithofer/Zabel (Hrsg.), Philosophie der Republik, S. 38. 894 Vgl. aber Wegge, Zur normativen Bedeutung des Demokratieprinzips nach Art. 79 Abs. 3 GG, S. 103, der im Rahmen des Grundgesetzes Volkssouveränität individualistisch konstruiert: Art. 3 Abs. 3 GG und Art. 38 Abs. 1 GG heben „den egalitären ideengeschichtlichen Anspruch der Volkssouveränität individualrechtlich und sachspezifisch für Wahlen hervor“. Volkssouveränität wird für ihn (auch) auf das Individuum bezogen; eine klare Unterscheidung zwischen Volkssouveränität und Demokratie nimmt er jedoch nicht vor; undifferenziert ist für Art. 20 Abs. 2 S. 1 die Rede von Volkssouveränität (S. 102 ff.) und Demokratieprinzip (z. B. S. 214, im Rahmen der Behandlung der Parlamentswahlen). 895 So schon Badura, Die parlamentarische Demokratie, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 27, der meint, das Prinzip der Volkssouveränität sei die Grundlage, „auf dem in der Staatsform der Demokratie die Legitimation der Staatsgewalt und die rechtliche Organisation staatlicher Herrschaft beruht“; m. w. N. Etwa in diese Richtung, Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 156, wenn er meint, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG sei eine „prozedurale und institutionelle Ausgestaltung des Legitimationsverhältnisses zwischen dem Staatsvolk und der Staatsgewalt“, welches schon in Rn. 150 als Volkssouveränität definiert worden war. Volkssouveränität ist somit auf Legitimation bezogen, die eben prozedural und institutionell operationalisiert werden muss. Das ist, nach der hier vertretenen Auffassung, die Aufgabe der Demokratie. Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 594. Wohl ist auch das gemeint, wenn Unruh, Der Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, S. 452, die Demokratie als „Organisationsprinzip“ bezeichnet, welches eine Forderung der „Selbstbestimmung der Freien und Gleichen“ darstellt. Aus diesem Ansatz muss man also dann die Behauptung von Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 285, Volkssouveränität sei „der demokratischen Legitimation, ja der Demokratie überhaupt, nicht nur Ziel, sondern darin auch Maß: Das Verwirklichungsprogramm bestimmt Einsatz und Eigenart der Verwirklichungstechnik“ etwas relativieren: Volkssouveränität bestimmt die Rechtfertigungsdimension von Demokratie, für die Organisationsdimension, also die Operationalisierung der konstitutiven Kategorien, enthält sie dagegen keine Vorgaben.

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5. Kap.: Konstruktion der demokratischen Legitimation

Demokratie logischen Vorrang vor ihrer (spezifisch demokratischen) Rechtfertigung hat. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Momenten, Produktion und Rechtfertigung von Herrschaft, bildet insofern den Kern des Demokratiebegriffes, der somit gerade aus deren Wechselbezüglichkeit entwickelt werden kann. Genau dieser Ansatz soll hier verfolgt werden. Die Grundannahme dabei ist, dass beide Momente, also auf Volkssouveränität bezogene Rechtfertigung und auf Ausübung und Steuerung von Herrschaft bezogene Bildung einer Entscheidungseinheit, analytisch zu unterscheiden sind und dass diese Unterscheidung für eine Erörterung der Frage nach der demokratischen Legitimation besonders fruchtbar ist; durch sie kann nämlich der Sinn der im ersten Kapitel aufgestellten Struktur nochmals analysiert werden: Dort wurde behauptet, dass die Dynamik der Entscheidungsfindung von dem Einzelnen zum Kollektiv, also zum Volk, geht, und zwar in einem Schritt, der die unmittelbare materiale Steuerung von Herrschaft von der Summe aller einzelnen Mitwirkungsrechte entkoppelt. Dieser Schritt begründet die Unterscheidung zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung. Aus der Entkopplung, also aus dem Übergang vom Individuellen zum Kollektiven, ergibt sich die charakteristische Ungewissheit der Einzelnen gegenüber der letztendlich getroffenen Entscheidung, aus der das Problem der demokratischen Legitimation überhaupt ihren spezifischen Charakter erhält. Demokratische Legitimation wirkt in diesem Zusammenhang gerade als Begründung von Rechtfertigungspotenzial, trotz der individuellen Unverfügbarkeit über Herrschaft; sie bezieht sich, trotz dieser Unverfügbarkeit, auf das Verhältnis zwischen Individuum und Mitwirkungsrecht, welches das einzige Mittel darstellt, zwischen Individuum und Herrschaft, wenn auch ambivalent, zu vermitteln. Teilhabe an der Herrschaft, als positives Verhältnis gefasst, bleibt somit Orientierungspunkt des von der demokratischen Legitimation begründeten Zusammenhangs. In diesem Sinne setzt die Rechtfertigungsdimension der Demokratie die Einheitsbildung, als Ermöglichung von Herrschaft, voraus. Gleichzeitig geht sie über diese hinaus, indem die demokratische Produktion von Herrschaft über das jeweilige Mitwirkungsrecht und die damit vermittelte politische Präferenz zurück auf das einzelne Individuum bezogen wird. Entscheidend ist, dass die beiden Dimensionen, die in ihrer Wechselbezüglichkeit die Demokratie als politische Form ausmachen, sich aus denselben Strukturmerkmalen entwickeln: individueller Ansatz sowie Qualifizierung der Mitglieder einer demokratischen Gemeinschaft als Freie und Gleiche896. 896 Das ist ein Grundmoment der Demokratie. In diesem Sinne Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, Rn. 11 ff.; Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 141, 179, definiert Demokratie (auch) auf der Grundlage des Status des Bürgers als „Regierungssystem […], das die Bürger in grundsätzlicher Hinsicht als freie, gleiche und autonome achtet“. In diesem Sinne auch Dreier, Art. 20 (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 61 ff., vor allem auch 66. Für Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 469, bedeutet Demokratie „die Organisation poli-

B. Einheitsbildung

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Es gilt jetzt, diese Grunddynamiken zu analysieren, um aus ihrem Zusammenwirken die Bedingungen der individuellen demokratischen Legitimation zu bestimmen.

B. Einheitsbildung Die Differenzierung beider Dimensionen des Demokratiebegriffs erlaubt es, klarer zu illustrieren, worin sich der hier verfolgte Ansatz von dem der Dogmatik der demokratischen Legitimation unterscheidet: In diesem entfaltet jede Entscheidung über die Ausübung von Herrschaft für jede Bürgerin und jeden Bürger symmetrisches Legitimationspotenzial; das bedeutet, dass zwischen den Dimensionen der Einheitsbildung und der Legitimation theoretisch nicht unterschieden wird. Das ist freilich kein eigentümliches Merkmal der Dogmatik der demokratischen Legitimation in ihrer deutschen Prägung, sondern ein üblicher Zug moderner Demokratietheorie. Verursacht wird er durch die Kopplung des Rechtfertigungspotenzials an die Aktualisierung durch Herrschaft der Selbstbestimmungsansprüche, also politischer Präferenzen, die in den Mitwirkungsrechten (und zwar in allen) enthalten sind. Anders formuliert: Die Unterscheidung zwischen Kollektiv und Individuum wird bezüglich der kollektiven Entscheidungsfindung nicht näher problematisiert. Dadurch ergeben sich zwei allgemeine Problembereiche der Demokratietheorie: erstens das Verhältnis von Mehrheitsentscheidung und Demokratie, welches zum oft erörterten Problem der möglichen Unterdrückung der Minderheit(en) führt897; zweitens Rechtfertigungskonstruktionen, die gerade von den konkreten, durch die Mitwirtischer Herrschaft unter den und für die Freien und Gleichen“; im selben Sinne, Rn. 470 f. Für Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater?, S. 55, ist die „Selbstbestimmung in Freiheit und Gleichheit“ ein „vager normativ-substantieller Legitimationskern“. Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 82, 87. Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 14, bezieht Freiheit und Gleichheit der Angehörigen einer demokratischen Ordnung auf einen „Anerkennungszusammenhang“ und charakterisiert diesen als Baustein, Ausgangs- und Orientierungspunkt des demokratischen Prinzips, als grundlegenden Unterschied zu anderen Formen politischer Herrschaft; als „Konzept der Zusammenarbeit freier und gleicher Individuen“ wiederum in Rn. 36, und in Rn. 49 als Kernelement von Demokratie bezeichnet. 897 Klassisch Mill, On Liberty, S. 12: „It was now perceived that such phrases as ,selfgovernment‘, and ,the power of the people over themselves‘, do not express the true state of the case. The ,people‘ who exercise the power are not always the same people with those over whom it is exercised; and the ,self-government‘ spoken of is not the government of each by himself, but of each by all the rest. The will of the people, moreover, practically means the will of the most numerous or the most active part of the people; the majority, or those who succeed in making themselves accepted as the majority; the people, consequently, may desire to oppress a part of their number; and precautions are as much needed against this as against any other abuse of power. The limitation, therefore, of the power of government over individuals loses none of its importance when the holders of power are regularly accountable to the community, that is, to the strongest party therein“.

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5. Kap.: Konstruktion der demokratischen Legitimation

kungsrechte vermittelten Präferenzen absehen und auf allgemeine Rechtfertigungskategorien abstellen898. In dem in dieser Arbeit verfolgten Ansatz dagegen bezieht sich die Dimension der demokratischen Einheitsbildung ausschließlich auf die Bildung einer Entscheidungseinheit; in ihr, als Form, entwickelt sich und löst sich gleichermaßen das Problem des Volks als mögliche Anschlussinstanz für die Ausübung von Herrschaft. Die Bildung dieser Einheit geschieht von „unten nach oben“, allerdings nicht in dem für die Dogmatik üblichen Verständnis im Sinne der Richtung Volk – Staat899, sondern vom Individuum zum Kollektiv. Grundlage für die Bildung der Entscheidungseinheit, und somit strukturierendes Moment der Dimension der Produktion von Herrschaft, ist politischer Inhalt900, auf dessen Grundlage sich die Einheitsbildung artikuliert und durch den die Kontinuität über den ganzen Prozess der Entscheidungsfindung begründet wird901. Im modernen Staat wird die Aufgabe der Bereitstellung politischer Inhalte grundsätzlich von den politischen Parteien geleistet902, die politische Inhalte kon898 Kegley, Democratic Theory, in: Fiale (Hrsg.), The Bloomsbury Companion to Political Philosophy, S. 153, formuliert es folgendermaßen: „Democratic theory concerns, among other things, the nature of the democratic idea, the distinctive characteristics of the democratic process including the notion of representative democracy, and justification of a democratic form of government. Justification of democracy can take three forms: focus on consent in social contract theory; focus on beneficial consequences in various forms of democratic instrumentalism; and emphasis on a notion of public reason“. 899 Dazu, differenzierend, Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 188 ff. 900 Gerade im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 kann dieser vermittelte politische Inhalt als Verbindung zwischen der Ausübung der Staatsgewalt „in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung“ (Hervorhebung durch den Verfasser, RK) gedeutet werden. Es ist das Moment der Kontinuität zwischen Wahl und staatlicher Ausübung von Herrschaft. In diese Richtung die Herstellung des Zusammenhangs zwischen Art. 20 Abs. 2 und Art. 21 Abs. 1 Satz 1 bei Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 680, 868. 901 Zur Formulierung des Problems, auf welches die Berücksichtigung der politischen Dimension der Volksentscheidung die Antwort geben soll, Dreier, Ort der Souveränität, in: Dreier/Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 23: „Das Problem besteht darin, das Volk auf der einen Seite nicht völlig durch die repräsentierende Körperschaft zu ,absorbieren‘ und damit als aktive politische Größe zu vernichten, andererseits ein System verantworteter Herrschaftsausübung durch ,Amtswalter‘ zu etablieren, deren Entscheidungen ihren Zuordnungs- und Zurechnungspunkt mit Recht im Volk als dem virtuellen Träger aller Staatsgewalt finden können“. 902 Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien im modernen Staat, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 17, S. 23 ff. Grimm, Politische Parteien, in: Benda/Maihofer/Voger (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, Rn. 12 f. Im selben Sinne auch Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 21. Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 892, charakterisiert die politischen Parteien als „Zwischenglieder zwischen dem Bürger und den Staatsorganen“. Schon Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 19, hatte die grundlegende Rolle der

B. Einheitsbildung

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kretisieren und darstellen903, vor allem durch die Aufstellung von Alternativen in der Form von Programmen und Kandidaten904 für bestimmte Ämter905. Dabei wird der allgemeine Rahmen für Äußerungsmöglichkeiten von Individuen bestimmt, wodurch sich das Volk als politisches Subjekt konstituieren kann906. Äußert sich die Freiheit der Einzelnen in der Wahl dieser Programme und Kandidaten907, so stehen die jeweiligen Alternativen für einen allgemeinen inhaltlichen Rahmen für die Ausübung von Herrschaft im Staat; genau dieser ist es, der den Zusammenhang zwischen den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern und der Ausübung von Herrschaft begründet908. Wird eine bestimmte Kandidatin oder ein bestimmter Kandidat gepolitischen Parteien für eine Demokratie betont. Gusy, Demokratische Repräsentation, in: Zeitschrift für Politik, Bd. 36, S. 280. 903 Grimm, Politische Parteien, in: Benda/Maihofer/Voger (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, Rn. 1. In diesem Sinne auch Hofmann/Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Rn. 20: „Die Parteien haben die Aufgabe, kontinuierliche politische Partizipation zu vermitteln, Interessen zu sichten, zu bündeln und zu gewichten, nichtorganisierte und durchsetzungsschwache Interessen wahrzunehmen, politische Programme zu entwickeln, zudem Führungspersonal auszubilden und zu präsentieren und mit alledem Entscheidungsalternativen zu strukturieren“. Ähnlich Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 662. 904 Dass die persönlichen Qualitäten eine Rolle bei der Wahl spielen, wird nicht geleugnet, aber gerade der Zusammenhang zwischen Kandidaten und politischen Parteien spricht für eine politisch-inhaltliche Dimension jeder Wahl und somit auch jeder Besetzung von Ämtern durch gewählte Personen. In diesem Sinne, wenn auch feststellend, dass die inhaltliche Rückbindung schwach ausgeprägt ist, Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, S. 40. Auch Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater?, S. 56, sieht die „Programme und Wahlkampfäußerungen“ als „Verbindungsglieder zwischen der Werteskala der Legitimationssubjekte und der Personalentscheidung in der Wahlkabine“. Politischer Inhalt kann durchaus für eine Verbindung beider Elemente stehen. In dem Sinne, dass mit den Kandidaten „unterschiedliche Prämissen künftiger Entscheidungen präsentiert werden“ sollen, Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 161. Mit dem Hinweis, dass die Personen „nicht nur als Person – etwa als Familienvater, Beamter oder Unternehmer zur Wahl, sondern immer als Vertreter bestimmter Anschauungen“ stehen, Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/ Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 22, Anm. 101. 905 Das ist für die streng repräsentative Ordnung des Grundgesetzes besonders hervorzuheben. Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien im modernen Staat, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 17, S. 23 ff., bezeichnet die Auslese von Führungspersonal als die wichtigste Funktion von politischen Parteien. 906 So Sommermann, Art. 20, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, Rn. 85. Grimm, Politische Parteien, in: Benda/Maihofer/Voger (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, Rn. 1, versteht die Vermittlung als „zwischen ungeregelter gesellschaftlicher Meinungs- und Interessenvielfalt und organisierter staatlicher Handlungs- und Wirkungseinheit“. 907 Vgl. Gusy, Demokratische Repräsentation, in: Zeitschrift für Politik, Bd. 36, S. 268, der die Freiheit auf grundrechtliche Gehalte bezieht und aus diesen die Unwahrscheinlichkeit eines einheitlichen Willens folgert. 908 Trute, Art. 38, in: von Münch/Kunig (Begr./Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I, Rn. 3. In diese Richtung argumentiert auch Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch

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5. Kap.: Konstruktion der demokratischen Legitimation

wählt, so steht sie bzw. er im inhaltlichen Zusammenhang der von ihrer bzw. seiner Partei gewählten Positionen, die sich wiederum in den jeweiligen Programmen konkretisieren909. Gerade dieser politische Inhalt als Substanz wird mittels der (Form der) Mitwirkungsrechte weitergegeben und stellt das Vermittlungsmoment eines vom Volk kommenden Einflusses bei der Wahrnehmung der jeweiligen Entscheidungskompetenzen der besonderen Organe (z. B. die Bestellung einer Regierung durch den Bundestag) dar910. Dabei verläuft und wirkt der politische Zusammenhang nicht unbedingt im Sinne institutioneller Strukturen. Ein Beispiel kann diesen Punkt verdeutlichen: Das Treffen von Entscheidungen basiert im modernen gewaltengliedernden Staat, und insbesondere in parlamentarischen Systemen wie dem der Bundesrepublik Deutschland, auf einer bestimmten Gestaltung dieses inhaltlichen Zusammenhangs, nämlich auf der parteipolitischen Kohärenz zwischen der exekutiven und der (Mehrheit der) legislativen Gewalt. Diese materiale Dimension läuft somit quer zur institutionellen und funktionellen Differenzierung und begründet somit gerade bei der Entscheidungsfindung eine Form der politischen Kooperation, die jene zum Teil aufhebt911. Aber auch beim Verbieten einer politischen Partei gewinnt die Dimension des politischen Inhalts, für welchen die betroffene Partei steht, unmittelbare verfassungsdogmatische Relevanz912. Partizipation Privater?, S. 56, der es als eine Funktion von Wahlen ansieht, „substantielle Legitimitätskriterien der Bevölkerungsmehrheit an die staatliche Herrschaft zu übermitteln“. 909 Eine Anwendung eines solchen Ausgangspunktes z. B. bei Thoma, Das Reich als Demokratie, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 193: Bei der Beurteilung, ob die Weimarer Verfassung, obwohl von der Nationalversammlung beschlossen, auch als Entscheidung des Volks an sich zu gelten habe, stellt Thoma als erste Erwägung darauf ab, dass „jeder Wähler, der seine Stimme einer der drei großen Parteien der sogenannten ,Weimarer Koalition‘ gegeben hat“, auch genau wusste, „daß diese Parteien zur Errichtung einer durchaus demokratischen Verfassung entschlossen waren“. 910 Vgl. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt S. 173, der eine Vermittlung durch das Band des Wahlaktes als „sehr formal“ und „recht dünn“ definiert, gerade weil er die Wahlakte nicht in einen politischen Zusammenhang eingliedert. Dabei stellt er aber doch einen inhaltlichen Bezug her, der zwischen „Repräsentanten und Repräsentierten“ Bestand haben soll, nämlich die Form der Repräsentation als „das erforderliche inhaltliche Band“. Statt, insofern, die beklagte Formalisierung durch (materialisierte) Politisierung zu überwinden, erfolgt eine apolitische Materialisierung des Verhältnisses zwischen Herrschaftsausübung und -unterwerfung; diese ist auf jeden Fall, wie im vierten Kapitel schon thematisiert, ein üblicher Zug im Kontext der Repräsentation. 911 Unger, Verfassungsprinzip der Demokratie, S. 35, mit dem Hinweis, dass die politische Teilung die „institutionelle“ zwischen Regierung und Parlament, wie sie in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vorgesehen ist, überlagert. So auch Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 816, und Scheuner, Die Parteien und die Auswahl der politischen Leitung im demokratischen Staat, in: ders., Staatstheorie und Staatsrecht, S. 350. 912 Gerade in der Vermittlung dieses politischen Inhalts liegt der politische Sinn des Verbietens einer politischen Partei. Das System schützt sich selbst, indem es Inhalte ausschließt, die gegen die demokratische Grundordnung verstoßen, und das bedeutet, gerade gegen diesen Prozess der Einheitsbildung, der auf der Grundlage von politischem Inhalt die Bedingungen der Existenz der Gemeinschaft gestaltet. Das Verbot politischer Parteien ist ohne die Berück-

C. Teilung

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Auf jeden Fall sollte die Berücksichtigung des politischen Inhalts als allgemeiner Rahmen für die Ausübung von Staatsgewalt nicht dahingehend interpretiert werden, dass damit institutionelle Strukturen, rechtliche Verfahren und Positionen unerheblich für die Frage nach der demokratischen Legitimation wären; sie bleiben, auch unter Berücksichtigung der politischen Dimension der demokratischen Entscheidungsfindung, für diese schlechthin konstitutiv. Doch die Rückführbarkeit der Ausübung von Herrschaft auf das Volk hat nicht nur zu beschreiben, dass eine Entscheidung getroffen wurde, sondern auch, was diese ausdrückt; das bedeutet nichts anderes, als die Bevorzugung eines bestimmten politischen Inhalts im Vergleich zu einer Reihe von anderen Alternativen. Die Sphäre des Politischen entsteht gerade auf institutioneller Grundlage, erschöpft sich aber nicht in der Form derselben, sondern entwickelt eine (politische!) Eigendynamik. Gerade die Berücksichtigung dieser Eigendynamik ist unabdingbar für jede Beschreibung einer vom Volk wahrgenommenen Entscheidungskompetenz und des dadurch erlangten darüber hinausgehenden Einflusses.

C. Teilung Durch die Charakterisierung der Entscheidung als Inhaltsfrage in Form einer Wahl zwischen verschiedenen politischen Alternativen kommt sowohl die Dynamik der Entscheidungsfindung als auch diejenige der demokratischen Legitimation schärfer zum Ausdruck. Reflexiv zur Wahl und der in ihr zum Ausdruck gebrachten politischen Präferenzen folgt nämlich die im ersten Kapitel angesprochene horizontale Teilung der politischen Gemeinschaft. Gerade an dieser Teilung zeigt sich das Spannungsverhältnis zwischen Rechtfertigungs- und Produktionszusammenhang913 innerhalb der Demokratie. Die eigentümliche Position des Individuums ist in einer Demokratie von den Strukturmerkmalen der Gleichheit und Freiheit charakterisiert. Das Spannungsverhältnis zwischen Produktion und Rechtfertigung bei der kollektiven Entscheidungsfindung914 kann durch einen Verweis auf die Dynamik dieser Status sichtigung des Inhalts, für den sie stehen und den sie vermitteln, nicht zu begreifen. Grimm, Politische Parteien, in: Benda/Maihofer/Voger (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, Rn. 34. 913 Klare Beschreibung des Konflikts in der Interpretation von Bodin durch Roellecke, Souveränität, Staatssouveränität, Volkssouveränität, in: Staat – Souveränität – Verfassung, Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag, S. 27. Er meint: „Der Widerspruch zwischen der Souveränität der Mehrheit und der Souveränität des Volkes als Ganzem ergibt sich daraus, daß Bodin unter Souveränität im Falle der Mehrheit die tatsächliche Entscheidungsgewalt und im Falle des Volkes als Ganzem den normativen Bezugspunkt, die Legitimation von Entscheidungen versteht“. 914 Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. II, S. 426: „Demokratie heißt Volksherrschaft. Soll der demos kratein, so muß er unter allen Umständen eine Entscheidungs- und Wirkungseinheit bilden, d. h. die Demokratie

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5. Kap.: Konstruktion der demokratischen Legitimation

deutlich gemacht werden: Auf individueller Ebene konkretisiert sich Freiheit in der Möglichkeit einer Auswahl zwischen verschiedenen politischen Alternativen; Gleichheit wirkt als grundsätzlich identische Gewichtung jeder individuellen Präferenz. Beide Momente definieren und modellieren den positiven Bezug zur Herrschaft eines jeden Individuums als Möglichkeit ihrer inhaltlichen Bestimmung im Rahmen kollektiver Entscheidungsfindung und wirken konstitutiv für den individuellen, spezifisch demokratischen Rechtfertigungsanspruch. Gerade auf der Ebene der kollektiven Selbstbestimmung werden diese Maßstäbe jedoch problematisch; im Rahmen der Entscheidungsfindung, also der kollektiven Einheitsbildung, können sie nicht mehr unbedingte Geltung beanspruchen. Denn die gleiche Freiheit, die sich in der Unterstützung einer politischen Alternative geäußert hatte und deren Orientierungspunkt das Mittragen der kollektiven Entscheidung war, also die Mithilfe, dass eine bestimmte Alternative für die Entscheidung über Ausübung von Herrschaft bestimmend wirkt, realisiert sich nur für die Mehrheit. Dadurch wird die Gleichheit als formgebendes Element der demokratisch organisierten politischen Gemeinschaft beseitigt915: Nur die Mehrheit stellt „das Volk“ als eine über Herrschaft entscheidende Einheit dar916. Auf den Begriff des Volks bezogen, lässt sich diese Duplizität der Grunddynamiken durch die Formulierung veranschaulichen, dass das Volk, als Summe von individuellen, demokratischen Mitwirkungsrechten und damit strukturell verknüpften Rechtfertigungsansprüchen, nicht mit dem Volk korrespondiert, welches sich für die Ausübung von Herrschaft zur materialen Einheit konstituiert917. Der material verstandene, gestaltende Bezug zur Herrschaft kann die Forderung nach Gleichheit also nur im Rahmen der gleichstimmenden Mehrheit aufrechterhalten, für alle anderen gilt Gleichheit nicht, zumindest nicht in diesem unmittelmuß wie jede Herrschaftsform ein System von Willensvereinheitlichungen darstellen, für welches immer das Gesetz der kleineren Zahl gilt“. 915 Die Einheit ist, so die Kernaussage des ersten Kapitels, die grundsätzliche Form, die eine Entscheidungsinstanz annimmt. Es gibt keine Alternative zur Einheitsbildung, wenn ein kollektives Subjekt politische Herrschaft ausüben soll. In diesem Sinne ist die Mehrheitsregel, als Erfüllung dieser Einheitsbildung, keine Kapitulation vor der Realität, nur weil die eigentlich „demokratische“ Entscheidungsregel des Konsenses – genauso eine Form der material bestimmten Einheitsbildung! – als inpraktikabel erscheint (so Unruh, Der Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, S. 466 f.), sondern die notwendige Form eines entscheidungs- und handlungsfähigen, auf der Grundlage individueller Autonomie handelnden Volks. Die Regel des Konsenses impliziert völlige Deckung der Rechtfertigungs- und Produktionsdimension innerhalb der Demokratie. Das ist eine mögliche Ausgestaltung, die aber nicht „demokratischer“ ist als andere; wesentlich ist die plausible Rekonstruktion des Volks als Entscheidungseinheit, auf die das aus einzelnen Individuen zusammengesetzte Volk als Zurechnungs- und in diesem Sinne Rechtfertigungsinstanz bezogen werden kann. 916 Mit Bezug auf einen „Gesamtwillen“ stellt Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 9, fest, dass „dasjenige, was man „Gesamtwillen“ nennt, nur der abbrevierende Ausdruck für die Übereinstimmung im Inhalte einer Mehrheit von Individualwillen und durchaus nicht ein von diesen Individualwillen verschiedener überindividueller Wille ist“. 917 Insofern die Konkretisierung in einer Doppelung des Volksbegriffs bei der demokratischen Problematik, die schon weiter oben im Sinne Hellers als Herrschaft des Volkes als Einheit über das Volk als Vielheit charakterisiert wurde.

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baren Bezug auf das Mittragen der kollektiven Entscheidung durch Mitwirkungsrechte. Es entsteht somit, bedingt durch die Einheitsbildung, ein (selbstbestimmendes) Volk innerhalb des Volks, das sich grundsätzlich mit der Summe der Mitglieder der politischen Gemeinschaft deckt918. Genau an dieser Stelle zeigt die Unterscheidung von zwei verschiedenen Dimensionen (innerhalb) der Demokratie deren analytische Fruchtbarkeit, denn dadurch kann eine Ebene geschaffen werden, auf der trotz der Teilung des Volks Gleichheit als allgemeine Inklusionsstruktur und gleiche Freiheit als strukturierende Merkmale des Status der individuellen Position weiterhin gelten können. Die Berücksichtigung einer solchen Ebene wird durch die begriffliche Zusammenlegung der demokratischen Entscheidungsfindung, also Einheitsbildung, und Rechtfertigungsleistung verunmöglicht, was eine starke Verzerrung und Verkürzung des Verhältnisses zwischen Freiheit und Gleichheit zur Folge hat. Werden beide Momente auch bei der kollektiven Einheitsbildung aneinander gekoppelt, so folgen daraus oft Umdeutungen des begründenden Rechtfertigungsmoments von Demokratie, die sich, wie in der Dogmatik demokratischer Legitimation, als kaschierte Inklusionsstrukturen auf entpolitisierte, insofern eben undifferenzierte Begriffe des Volks beziehen919. Weil Rechtfertigung gerade aus der Aktualisierung einer entpo918

Zur Mehrdeutigkeit des Begriffs des Volks Koselleck, Art. Volk, Nation, Nationalismus, Masse, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, S. 145: „,Volk‘ bzw. die ihm historisch vorausliegenden Begriffe indizierten dann fallweise die Herrschenden oder die Beherrschten oder beide zugleich. Die politische Wirklichkeit konnte mit denselben Worten auf diametral entgegengesetzte Begriffe gebracht werden. Die sprachlichen Möglichkeiten waren also begrenzt, sie erfassen völlig heterogene Befunde mit denselben Ausdrücken. Daher lassen sich die Begriffe nur aus den wechselnden Kontexten erschließen. Und die Begriffsgeschichte wird besonders spannend dort, wo sich heterogene Bedeutungsfelder zu überlappen beginnen“. Konkret Müller, Wer ist das Volk?, S. 29, mit der Behauptung, das Volk als „Zurechnungsinstanz“ meine „nicht denselben Aspekt wie das ,Volk‘ als Aktivvolk“. 919 Ein besonders klares Beispiel bei Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 154 ff.; mit der Forderung einer fairen Berücksichtigung der Interessen der Minderheit verbindet sie die Annahme, aus der Tatsache, dass die Abgeordneten in ihrer Gesamtheit Vertreter des ganzen Volkes seien, folge, „dass nach dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes die mehrheitliche Entscheidung der Abgeordneten nur zusammen mit dem Unterliegen der Minderheit als Entscheidung des ganzen Volkes betrachtet und damit auch gerechtfertigt wird: Selbst und gerade in der Niederlage erfolgt nach dem Demokratiekonzept des Grundgesetzes eine Inklusion der unterliegenden Minderheit“ (S. 190). Diese Inklusion erfolgt, gerade im Sinne der hier kritisierten Rekonstruktion der demokratischen Legitimation, durch die Beseitigung jeder politischen Bedeutung der Mehrheitsentscheidung des Bundestages. Die (formale!) Teilhabe aller Abgeordneten an der Entscheidungsfindung begründet, da sie Vertreter des ganzen Volks sind, die Möglichkeit der allgemeinen, symmetrischen Rechtfertigung dieser Entscheidung; Inhalt wird in der Form aufgelöst. So auch Badura, Die parlamentarische Demokratie, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Rn. 31, der die Anwendung des Mehrheitsprinzips in einen Kontext wesentlicher Übereinstimmung von „politischen und kulturellen Wertvorstellungen“ stellt und so auch das reziproke Wiederfinden als Grundlage des Repräsentationsvorgangs konzipiert, wie er von Böckenförde und Volkmann verstanden wird. Dagegen schon Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 344 f.

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5. Kap.: Konstruktion der demokratischen Legitimation

litisierten, kollektiven Substanz konstruiert wird, ist Herrschaft auch das Medium, durch welches „demokratische“ Rechtfertigung an das Individuum zurückvermittelt wird920. Rechtfertigung wird somit grundsätzlich zu einer Funktion von Herrschaft und strukturiert sich auch parallel zur Untertanenschaft; ein positiver Bezug zur Herrschaft als Mittel der Selbstbestimmung kann nicht beschrieben werden. Insofern wird das auf Differenzierung beruhende Problem der Entscheidungsfindung ausgeblendet oder aber es werden die Voraussetzungen des Rechtfertigungsmoments umgedeutet921 und von konkreten individuellen, unter sich verschiedenen politischen Präferenzen entkoppelt922. Aber auch in der Dimension der Produktion von Herrschaft, also der Dimension der Bildung einer Entscheidungseinheit, sorgt die Fokussierung auf die Form eines kollektiven Subjektes für die Ausblendung der eigentlichen Bedingungen des Entstehens einer Entscheidung. Die Dogmatik der demokratischen Legitimation steht insofern exemplarisch für einen Ansatz, bei dem das Erklärungspotenzial gerade dann aufhört, wenn die Kernfragen der kollektiven Entscheidungsfähigkeit als Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv akut werden. In ihrer Verrechtlichung, und insbesondere durch die Figur der Zurechnung, ist die Dogmatik dabei noch eine anspruchsvolle Form der Kollektivierung (als Ausblendung der individuellen Dimension) der Frage nach der demokratischen Ausübung von Herrschaft und Rechtfertigung, die im Wort „Volk“ in Art. 20 Abs. 2 GG ihren dogmatischen und insofern analytischen Orientierungspunkt findet. Allerdings wird das Volk aus 920

Strukturell ähnlich in diesem Sinne auch die „Ethisierung“ bei Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 34; durch die „ethische Imprägnierung des demokratischen Zusammenhangs“, durch die Trägerschaft von Wertgehalt gewinnt das „Recht in Gestalt des Demokratieprinzips“ an „Legitimität und kann eine erhöhte Folgebereitschaft beanspruchen“. 921 Auf Habermas, Faktizität und Geltung, insb. S. 133 ff., und allgemein auf die deliberative Theorie mit der Orientierung an rationaler Akzeptabilität wurde schon im ersten Kapitel hingewiesen. 922 Exemplarisch Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 29, der Einheitsbildung und damit Organisation auf der einen, und Rechtfertigung von Herrschaft auf der anderen Seite zusammenfallen lässt, wenn er meint, das demokratisch erzeugte Recht trete „mit einem weitergehenden Anspruch auf: Es will legitimes Recht und damit auch aus Einsicht befolgt sein. Darin liegt die Folge des demokratischen Prozesses und nicht zuletzt die Kehrseite der Bindung des Staates an das Gemeinwohl: Da der Staat den Interessen aller zu dienen bestimmt ist und seine Normen in einem Verfahren zustandegekommen sind, das eine zumindest virtuelle Beteiligung aller ermöglicht, kann er berechtigterweise auch von allen Gefolgschaft verlangen“. Auch bei Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 651, wird die Unterscheidung zwischen Mehrheit und Minderheit aufgeweicht, indem betont wird, die „jeweilige Mehrheit“ müsse „bei ihren Entscheidungen das immer neu zu bestimmende Gemeinwohl im Auge“ haben und auch „die Interessen der Minderheit mitberücksichtigen“. Das Ineinanderfallen von Ausübung und Rechtfertigung von Herrschaft ist dann explizit, wenn gemeint wird, nur unter diesen Voraussetzungen könne „die Ausübung von Staatsgewalt als Wille der Gesamtheit gelten“ bzw. „im Sinne der Idee der freien Selbstbestimmung aller Bürger Verpflichtungskraft für alle entfalten“.

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Art. 20 systematisch auf Art. 116 GG bezogen923, womit gerade im Sinne der Staatsangehörigkeit das Volk aus dessen einzelnen Glieder konzipiert wird. Dagegen wird aber der Bezug zu Art. 38, insbesondere im Sinne des individuellen Wahlrechts und dessen Konsequenzen für den volksinternen Prozess der Entscheidungsfindung, von der Dogmatik demokratischer Legitimation nicht fruchtbar gemacht, sodass sich die Subjektqualität des Volks in einem abstrakten Merkmal verflüchtigt. Gerade im Sinne einer kompletten rechtlichen Fassbarkeit der Ableitung der kollektiven Entscheidungsfindung aus der individuellen Ebene würde sich dieser letzte Bezug besonders anbieten. Somit bleibt festzuhalten, dass im Rahmen einer Analyse der Demokratie, die zwischen Produktion und Rechtfertigung differenziert, deren verschiedene Dynamiken auch eine Erörterung von verschiedenen Referenzobjekten erlauben. Referenzobjekt der Dimension der Produktion von Herrschaft im Sinne von Willensbildung bleibt notwendigerweise die Einheitsbildung, verstanden als Möglichkeit, eine material definierte Entscheidung hervorzubringen, an die die Ausübung von Herrschaft anknüpfen kann. Die grundlegende Funktion der Verselbständigung der Dimension der Legitimation besteht somit in der Möglichkeit einer eigenständigen theoretischen Behandlung der konstitutiven Kategorien der demokratischen Rechtfertigung – Freiheit und Gleichheit. Dies erfolgt auf einer Grundlage, in der das Rechtfertigungspotenzial von der konkreten Operationalisierung der demokratischen Herrschaft, also Einheitsbildung, entkoppelt wird924. Durch eine solche Unterscheidung kann gerade eine Kritik des Mehrheitsprinzips aus der Perspektive des Rechtfertigungspotenzials von Demokratie vermieden werden925, die sich darauf bezieht, dass nur die Mehrheit und nicht die Minderheit an der Ausübung von Herrschaft beteiligt sein wird926. 923

So, zum Beispiel, Grzesick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 79; durch einen Bezug auf Art. 1 GG bezieht Wallrabenstein, Das Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit, S. 91 ff., die „Demokratietheorie unter dem Grundgesetz“ auf das Individuum. 924 Demokratische Rechtfertigung bezieht sich also auf das ganze System der Produktion von Entscheidungen, und nicht auf jede einzelne Entscheidung. In diesem Sinne auch Volkmann, Art. 20, Demokratieprinzip, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, Rn. 26, wenn er meint, die Rechtfertigung der Mehrheitsregel „kann sich daher nur aus den immanenten Anwendungsvoraussetzungen des Mehrheitsprinzips ergeben“, die er in einem „Grundkonsens über die Art und Weise der Entscheidungsfindung“ und einem Prozess, „der eine gleiche Beteiligung aller ermöglicht und in dem auch die Minderheit die Chance hat, ihre Auffassung vorzubringen und zur Mehrheit zu werden“, sieht. 925 Exemplarisch dazu Petersen, Demokratie als teleologisches Prinzip, S. 12 ff., der die Mehrheitsregel aus der Perspektive der „Fairness“ als Rechtfertigungsgrundlage kritisiert. Für die Entscheidungsfindung – das wurde weiter oben betont – ist die Mehrheitsregel (oder irgendeine andere Regel, die Einheitsbildung gewährleisten kann) unabdingbar; das wird auch von Petersen explizit anerkannt („Als pragmatische Verfahrensregel zur Konfliktlösung und Entscheidungsfindung hat sie durchaus ihren Wert.“, S. 13). Das Problem bei Petersen entsteht aber gerade daraus, dass er den Versuch unternimmt, die Bedingungen demokratischer Rechtfertigung aus der konkreten Ausübung von Herrschaft, somit aus der Mehrheitsregel,

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5. Kap.: Konstruktion der demokratischen Legitimation

D. Referenz der demokratischen Legitimation Nun kann sich die Analyse mit der schon im ersten Kapitel gestellten Frage nach der demokratischen Legitimation bzw. mit deren Referenzobjekt beschäftigen. Am einfachsten kann der Lösungsansatz für diese Frage durch eine zeitliche Erweiterung der wesentlichen Momente für das Verständnis von Demokratie erklärt werden. Eine solche Erweiterung ist die konsequente Folge einer Auffassung von Demokratie als Verfahren der kollektiven Entscheidungsfindung, die auf Individuen begründet ist: Schon der Prozess der Bildung einer Entscheidungseinheit als Bündelung individueller Präferenzen sollte als eigenständiges Moment Bedeutung in einem demokratischen Entscheidungsfindungskontext gewinnen, und zwar unabhängig davon, ob eine spezifische individuelle Präferenz auf kollektiver Ebene daran mitwirkt oder nicht, Herrschaft im Sinne eines Mittragens der jeweiligen Entscheidung auszuüben. Mit anderen Worten: Nicht nur der Herrschaft ausübenden Entscheidung, sondern auch dem zu dieser Entscheidung führenden Prozess, im Sinne eines Überganges zwischen individueller und kollektiver Ebene, soll unmittelbare demokratische und analytische Bedeutung zuerkannt werden. Gerade um diesen Entscheidungskontext geht es bei dem diffusen Bezug auf Selbstbestimmung des Einzelnen im Rahmen kollektiver Autonomie (erstes Kapitel); konkret kann sich dieser Bezug zum kollektiven, vom individuellen Mitwirkungsrecht unabhängigen Entscheidungskontext in Gestalt der Chance927 darstellen, dass die gewählte politische Präferenz letztherzuleiten („Zur Rechtfertigung eines partizipationsorientierten Legitimationsmodells taugt sie jedoch nicht“, S. 13); gleiches, symmetrisches Rechtfertigungspotenzial lässt sich aber nicht aus einem Verfahren der Einheitsbildung konstruieren, welches Gleichheit aufhebt. Weil er aber zwischen Produktion von Herrschaft im Sinne von Entscheidungsfähigkeit und Bedingungen der Rechtfertigung nicht differenziert, letztere vielmehr unmittelbar auf die Herrschaft bezieht, ist er gezwungen, die Dimension des Inputs als Rechtfertigungsgrundlage zu verlassen und Rechtfertigung von Herrschaft aus der Dimension des Outputs, die sich als egalitäre, symmetrische Inklusionsstruktur besser eignet, zu denken („Beteiligung ist allerdings nicht mehr Zweck an sich, sondern nur noch ein Mittel zur Steigerung der Entscheidungsqualität“, S. 15). Damit wird jedoch gerade der wesentliche Punkt eines spezifisch demokratischen Rechtfertigungsansatzes, wie er hier charakterisiert wurde, verfehlt. Allgemein zu „sachlichen“ Rechtfertigungsansätzen des Mehrheitsprinzips Hofmann/Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Rn. 50. 926 Für einen Erklärungsansatz, der Demokratie aus dem Staat konstruiert, Thoma, Das Reich als Demokratie, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 199, der meint, die Tatsache, dass eine Minderheit immer „vergewaltigt“ werde, sei einfach mit dem Argument abzufertigen, es gehöre zum „Wesen des Staates“ überhaupt, „abzuwägen und zu entscheiden“. 927 In diesem Sinne, in kritischer Absicht, Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 28 ff., „Chance politischer Machtgewinnung“ (S. 28). Auf S. 30: „Die Offenhaltung der gleichen Chance läßt sich aus dem parlamentarischen Gesetzgebungsstaat nicht wegdenken. Sie bleibt das Gerechtigkeitsprinzip und die existenznotwendige Selbsterhaltungsmaxime. Auch der restlos durchgeführte Funktionalismus rein arithmetischer Mehrheiten kann auf diese unentbehrliche Voraussetzung und Grundlage seiner Legalität nicht verzichten“. Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, Rn. 20, schreibt von der Chance, die Ordnung, in die

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endlich die Mehrheit der Stimmen erlangt. Der Orientierungspunkt der individuellen Selbstbestimmung kann also im Rahmen der Demokratie als Chance gedeutet werden, unter bestimmten Bedingungen, deren Erfüllung zum wesentlichen Zeitpunkt der Äußerung der Präferenz noch ungewiss ist, über die Ausübung von Herrschaft mitbestimmen zu können, indem an den jeweiligen Verfahren der kollektiven Entscheidungsfindung teilgenommen wird928. Die Chance, die mit dem individuellen Mitwirkungsrecht mitgedacht werden soll, konkretisiert insofern symbolisch den Übergang von der individuellen zur kollektiven Ebene. Das begriffliche Grundmoment der Chance steht für die Ambivalenz im Sinne von Ungewissheit bezüglich der Entscheidung über Herrschaft, die bereits im ersten Kapitel als strukturell für die individuelle Position ausgemacht worden war. Gerade weil die Chance den entscheidenden Moment für die Beurteilung des Verhältnisses zwischen Individuum und Herrschaft antizipiert, ist sie begrifflich in der Lage, den Anspruch auf herrschaftliche Mitbestimmung gegenüber der sich im Endeffekt durchsetzenden politischen Präferenz zu erhalten. Es geht dabei nicht darum, ob die individuelle Präferenz die kollektive Entscheidung über Herrschaft tatsächlich mitträgt, sondern um die sich früher stellende Frage, ob die geäußerte individuelle Präferenz im Augenblick ihrer Äußerung die Chance hat, als Teil der Mehrheit die noch nicht abzusehende kollektive Entscheidung mitzutragen. Dadurch bietet sie sich als begrifflichen Horizont der Dimension der Legitimation an, denn durch die Antizipierung des kritischen Moments für die Beurteilung des Verhältnisses zwischen Individuum und Herrschaft wird die letztendlich erreichte kollektive Entscheidung konstruktiv, eben durch das Abstellen auf die Chance, aus der Dimension man hineingeboren wird, zu verändern. Als „Chance der Mehrheitsgewinnung“ im Sinne einer Voraussetzung von Mehrheitsentscheidungen wird das von Hofmann/Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Rn. 56, auch aufgegriffen. Im Sinne einer Chance, Mehrheit zu werden, Grimm, Politische Parteien, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, Rn. 11; Habermas, Faktizität und Geltung, S. 220. Ähnlich Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 52, der die Wirkung der Chance der Minderheit, Mehrheit zu werden, vor allem im Sinne einer zeitlichen Begrenzung der demokratisch konstituierten Herrschaft konzipiert. In diesem Sinne auch Vöneky, Recht, Moral und Ethik, S. 156. 928 Vgl. Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater?, S. 56, wenn er meint, dass „die aus Wahlen hervorgehende staatliche Herrschaft verfassungsrechtlich absolut legitimiert ist“, und das bedeutet, dass Stimmenmehrheit „rechtlich ungeteilte Legitimität“ verschafft. Er verdeutlicht den Punkt, indem er sagt, „[s]elbst diejenigen Bürger, die sich aus Protest gegen die Parlaments-Parteien der Stimme enthalten oder ungültig wählen, können an der vollen rechtlichen Legitimität der dennoch Gewählten nichts ändern. Die auch und gerade für die dissentierende Minderheit bestehende Rechtsverbindlichkeit von Mehrheitsentscheidungen macht ein wirksames Regieren erst möglich“. Die für bestimmte Ämter gewählten Personen legitimieren sich aus einem System, welches die Regel setzt, dass die politische Einheitsbildung, unter bestimmten Voraussetzungen, durch das Mehrheitsprinzip erfolgen wird. Die Entscheidungen, die auf der Grundlage des Mehrheitsprinzips getroffen werden, werden vielmehr auf der Grundlage des demokratischen Legitimationssystems stabilisiert, als dass das Mehrheitsprinzip an sich Herrschaft unmittelbar legitimiert.

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5. Kap.: Konstruktion der demokratischen Legitimation

der Rechtfertigung ausgeblendet. Dadurch erfüllt die Chance als Referenzkriterium der Dimension individueller Selbstbestimmung die Voraussetzungen, die schon im ersten Kapitel an eine spezifisch demokratische Konzeption gestellt worden waren, insbesondere aus der Perspektive eines positiven Verhältnisses zur Herrschaft. Die Chance orientiert sich am Mittragen der über Herrschaft bestimmenden Entscheidung, gewährleistet jedoch zugleich die Eigenständigkeit der individuellen Präferenz gegenüber dieser; der politische Wert der individuellen Präferenz wird nicht in der kollektiven Entscheidung aufgelöst, sondern bleibt, in ihrer rechtlichen Form, durchgehend erhalten und wird insofern immunisiert929. Die (zeitliche) Entkopplung der Bedingungen der Produktion von den Bedingungen der Rechtfertigung von Herrschaft setzt also die den verschiedenen Dimensionen zugrunde liegenden Dynamiken frei. Indem auf die Chance als Referenzhorizont im Prozess der kollektiven Entscheidungsfindung abgestellt wird, kann im Rahmen der Dimension der demokratischen Legitimation für alle, die über ein Mitwirkungsrecht verfügen, Rechtfertigungspotenzial gleichmäßig und symmetrisch entfaltet werden, und zwar durch die für die demokratische Legitimation zentralen Inklusionsstruktur der gleichen Teilhabe930. Trotz dieser Funktion orientiert sie sich weiter an der institutionell vermittelten, freien Unterstützung politischen Inhalts durch das Mitwirkungsrecht. Auch wenn die Berücksichtigung der Chance, gerade wegen ihrer Ambivalenz, die unmittelbare Verbindung zur Entscheidung über Herrschaft beseitigt, so bleibt die kollektive Entscheidungsfindung trotzdem Bezugspunkt dieser Möglichkeit; dadurch bleibt die innere Kohärenz der Demokratie als grundlegender Herrschaftsstruktur mit eigener Rechtfertigungsleistung bestehen931. Dieser Punkt kann als Verhältnis zwischen Inhalt und Form der individuellen Mitwirkung deutlich gemacht werden. Die Chance als Inklusionsstruktur gleicher Teilhabe wirkt als Formalisie929

Dadurch kann die Ausübung von Herrschaft auch von materialen Bedingungen ihrer faktischen Akzeptanz innerhalb der politischen Gemeinschaft entkoppelt werden, diese werden manchmal als Voraussetzungen des Mehrheitsprinzips thematisiert; so Grzeszick, Art. 20, II, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz Kommentar, Bd. III, Rn. 46 f. 930 Dies ist der spezifisch aus der Demokratie hergeleitete Kerngehalt der Rechtfertigung. Vgl. Robbers, Art. 20 Abs. 1, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 652, der die Chance im Sinne eines Minderheitenschutzes als rechtlich begründete Möglichkeit, Mehrheit zu werden, konstruiert, diesen aber wiederum aus grundrechtlichem Gehalt herleitet. Darin kommt wieder zum Ausdruck, wie stark die demokratische Dogmatik aus dem Volk denkt und dabei das Individuum ausblendet. Dazu Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 41. Gleichheit ist „nicht mit Identität gleichzusetzen“. 931 Auf ein ähnliches Muster läuft das Verfahrensargument für die Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips bei Hofmann/Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Rn. 53, hinaus. Auch wenn sie sich auf den „offenen politischen Kommunikationsprozeß“ beziehen, so betonen sie gerade den Verzicht eines Wahrheitsanspruches der Mehrheitsentscheidung und die Möglichkeit ihrer Umkehrung; in diesem Sinne auch die Erörterung der Reversibilität der Entscheidung als Voraussetzung des Mehrheitsprinzips auf S. 191; Umkehrung und Reversibilität sind aber nichts anderes als die bereits erfolgte Erfüllung der Chance, Mehrheit zu werden, für eine frühere Minderheit.

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rung zweiten Grades oder Reformalisierung des durch das Mitwirkungsrecht zum Ausdruck gebrachten politischen Inhalts. Dessen Berücksichtigung führte ja im ersten Kapitel zum Schluss, dass die Entscheidungsfindung innerhalb einer politischen Gemeinschaft notwendigerweise zu einer material begründeten Teilung führe. Die Berücksichtigung des politischen Inhalts war eine Materialisierung der originären Form des Mitwirkungsrechts im Sinne einer primären, formalen Erfassung der Möglichkeit, überhaupt am Entscheidungsprozess teilzunehmen. Die Chance nun reformalisiert, eben durch zeitliche Antizipierung, die materiale Dimension des Inhalts und bezieht die Teilnahme konkret auf die Mehrheitsbildung. Das bedeutet, dass demokratische Legitimation (in Gestalt einer Chance gedacht) nicht ohne den für die demokratische Entscheidungsfindung konstitutiven Verweis auf politischen Inhalt verstanden werden kann, auch wenn sie als Form, und zwar konkret als Form der Gleichheit, erscheint; dieser konstitutive Verweis stellt das grundlegende Verhältnis zur Entscheidung über die Ausübung von Herrschaft überhaupt her. Als konstitutives Element der Dimension von Rechtfertigung bringt somit die Chance, gerade wegen ihrer zeitlichen Antizipierung, eine wichtige Erkenntnis zum Ausdruck: Demokratische Herrschaft rechtfertigt sich aus ihrer Offenheit für noch nicht erfolgte Entscheidungsfindung. Die Unterscheidung zwischen den Dimensionen erlaubt es, die Chance als permanent vorhanden zu denken; gerade analytisch soll sie unabhängig vom Ausgang konkreter Entscheidungsbildungsverfahren gedacht werden. Das wirkt sich auf das Verständnis von Demokratie aus, welche in diesem Sinne nur als ein unaufhörlicher Prozess der Entscheidungsfindung gedacht werden kann, in dem jede Entscheidung „nur eine Zäsur in einer fortlaufenden Diskussion bildet und gleichsam das interimistische Ergebnis einer diskursiven Meinungsbildung festhält“932. In diesem Zusammenhang kann erneut der Unterschied zwischen gesetzgebender und verfassunggebender Entscheidungsfindung aufgegriffen werden. Bereits im vierten Kapitel ist die Lehre der verfassunggebenden Gewalt im Rahmen einer Diskussion der Kategorie der Volkssouveränität behandelt worden, wobei ihr Charakter als reine Rechtfertigungskonstruktion hervorgehoben wurde. Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Entscheidungskontexten kann nach Einführung des Moments der Chance konkreter formuliert werden: Er besteht gerade in der Möglichkeit, im Rahmen eines Prozesses der Entscheidungsfindung allgemeine Gleichheit aufzuheben und wiederherzustellen. Bei der Entscheidungsfindung, die sich in einer bereits verfassten Ordnung abspielt, wirkt die Chance, in der sich Inklusion als zukunftsorientierte gleiche Teilhabe konkretisiert, als Auffangkategorie 932 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 220. So auch Mouffe, The Democratic Paradox, S. 15: „What is specific and valuable about modern liberal democracy is that, when properly understood, it creates a space in which this confrontation is kept open, power relations are always being put into question and no victory can be final. However, such an ,agonistic‘ democracy requires accepting that conflict and division are inherent to politics and that there is no place where reconciliation could be definitively achieved as the full actualization of the unity of ,the people‘“.

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5. Kap.: Konstruktion der demokratischen Legitimation

für die Durchbrechung der Gleichheit im Zuge der Bildung einer material verstandenen Entscheidungseinheit. Gerade diese Auffangfunktion ermöglicht die politische Unterscheidung, indem diese, die sich in der Dimension der Produktion von Herrschaft und der ihr eigenen Dynamik der Einheitsbildung vollzieht, durch die eben angesprochene Reformalisierung wieder beseitigt wird. Die Chance stellt somit das Volk als Einheit (der Summe der Chancen), wie von der Volkssouveränität vorgegeben, wieder her. Das Moment der Differenzierung wird so im Rahmen der demokratischen Dynamik der Rechtfertigung wieder aufgehoben. Anders formuliert: Bei der Entscheidungsfindung innerhalb einer bereits verfassten Ordnung, durch deren Dauerhaftigkeit eine Aufspaltung der wesentlichen Zeitpunkte möglich wird, können Produktion und Legitimation verschiedene Orientierungspunkte haben. Dagegen hängt die Möglichkeit der Rechtfertigung durch unmittelbaren Bezug auf die Volkssouveränität im Kontext der verfassunggebenden Gewalt grundsätzlich davon ab, dass sich die Bedingungen von Produktion und Rechtfertigung einer Entscheidung über die Verfassung völlig decken. Denn sie muss als endliche Handlung, und folglich gerade nicht als permanenter Prozess der Entscheidungsfindung, aufgefasst werden. Die Lehre der verfassunggebenden Gewalt, die ja in einem starken Sinne auf Volkssouveränität bezogen ist, muss die Konsistenz des Volks, d. h. die Symmetrie zwischen aktivem, also entscheidendem und handelndem Volk, und passivem, also Volk als Summe von Rechtfertigungsansprüchen, aufrechterhalten; eine Differenzierung kann aufgrund der Einmaligkeit der Verfassunggebung nicht mehr aufgefangen werden. Daraus folgt: Demokratische Legitimation als Chance der Mitbestimmung erfordert eine grundsätzliche Reversibilität der vorgenommenen Gestaltungen, in der sich letztendlich die Permanenz des Prozesses der Entscheidungsfindung und der damit verbundenen Chance konkretisiert; es ist diese Reversibilität als institutionelle Folge der Chance, die in der Tat die Ausübung von Herrschaft für die Minderheit überhaupt rechtfertigen kann933. Der permanente Prozess der demokratischen Entscheidungsfindung kann auch dabei helfen, die relevanten Begriffe des Volks zu klären. Weiter oben ist angedeutet worden, dass für die beiden ausgemachten Dimensionen innerhalb des Begriffes der Demokratie verschiedene Volksbegriffe gelten. In der Tat kann davon ausgegangen werden, dass das Festhalten an einem unitarischen Volk einen der Gründe für die Verzerrungen im Kontext der Dogmatik der demokratischen Legitimation darstellt. Solche Verzerrungen können vermieden werden, wenn für die verschiedenen Dimensionen auch mit unterschiedlichen Begriffen von Volk operiert wird; anders formuliert: wenn der Kontext und die Funktion den spezifischen Begriff des Volks bestimmen. Das Volk der demokratischen Legitimation, somit also das Legitimationssubjekt, ist als die Summe aller Mitglieder der politischen Gemeinschaft zu verstehen; diese erscheinen dabei in Gestalt der mit dem jeweiligen demokratischen 933 So schon Kelsen im Kontext seiner auf Relativismus begründeten Charakterisierung der Demokratie, Allgemeine Staatslehre, S. 368 ff., insb. S. 371; ähnlich, ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 98 ff., insb. 103. Dazu auch Hohnerlein, Recht und demokratische Reversibilität, S. 30 ff.

D. Referenz der demokratischen Legitimation

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Mitwirkungsrecht verknüpften Chance, dem Grundmoment der Legitimationsdimension von Demokratie. Das Volk der Rechtfertigungsdimension der Demokratie kann somit als Summe individueller Chancen der Mitbestimmung konzeptualisiert werden. Aus dem so verstandenen Volk konkretisieren sich, gerade durch Aktualisierung der in jedem Mitwirkungsrecht enthaltenen Präferenzen, die jeweiligen Mehrheiten, die die Entscheidungsfindung ermöglichen und an denen, als materiale Instanz, die Ausübung von Herrschaft anknüpfen kann. Auf diese Weise konkretisiert sich das Volk der Einheitsbildung, welches sich auf der Grundlage eines bestimmten politischen Inhalts bildet. Gerade auf die ständige Bildung des Volks als materiale Entscheidungseinheit bezieht sich die im vierten Kapitel erörterte Kontingenz als Grundmoment der Einheitsbildung. Demokratische Entscheidungsfindung als Übergang zwischen Individuum und Kollektiv ist somit der ständig wechselnde Bezug vom Volk als Summe von Chancen zum Volk als Subjekt eines kontingenten politischen Inhalts. Aus dem bisher Gesagten lässt sich auch die Rolle des Mehrheitsprinzips näher bestimmen: Das Mehrheitsprinzip gilt im Kontext einer Demokratie nicht deshalb, weil es eine Organisation der Entscheidungsfindung über Herrschaft begründet, die auf der Ebene der Individuen genau den Bedingungen ihrer Rechtfertigung entspricht; dies könnte nur die Einstimmigkeit als Entscheidungsregel leisten. Wenn aber Entscheidungsfindung und Rechtfertigung gesondert betrachtet werden, dann kann auch auf der Grundlage des Mehrheitsprinzips als Struktur der Entscheidungsfindung eine ebenso auf gleicher Teilhabe begründete Rechtfertigungssystematik konstituiert werden, die insofern nicht weniger demokratisch ist als eine, die auf Einstimmigkeit begründet wäre934. Das Mehrheitsprinzip kann als demokratische Entscheidungsregel gelten, weil es im Rahmen einer auf individueller Entscheidungsfindung beruhenden politischen Ordnung die Wahrung der konkreten, symmetrischen Möglichkeit eines jeden Individuums gewährleistet. Diese Möglichkeit besteht darin, durch Unterstützung eines von ihm oder ihr frei gewählten politischen Inhalts Teil der Mehrheit zu werden, die die Ausübung von Herrschaft bestimmt. Dieser konstitutive Bezug auf die Mehrheitsbildung erlaubt es, das Verständnis von demokratischer Legitimation weiter zu präzisieren. Demokratische Legitimation ist nicht (nur) als Ausdruck oder Ermöglichung eines Dissenses innerhalb der politischen Ordnung zu verstehen. Dieser wird durch die individuelle Ansetzung des Wahlrechts im Sinne einer horizontalen Spaltung vorausgesetzt und institutionell operationalisiert. Die Existenz verschiedener Ansichten in der Öffentlichkeit ist jedoch kein Ergebnis demokratischer Mitwirkungsrechte; politische Meinungsbildung und Teilhabe am öffentlichen Diskurs werden vielmehr durch Grundrechte, die keinen konstitutiven Bezug zur Ausübung von Herrschaft haben, geschützt. Die Dynamik der Öffentlichkeit unterliegt auch gerade deswegen vor allem nicht dem Druck der Einheitsbildung; Dissens muss nicht im Sinne einer Entscheidungsfindung

934

Möllers, Gewaltengliederung, S. 53.

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5. Kap.: Konstruktion der demokratischen Legitimation

überwunden werden, sondern kann, gerade im Sinne des grundrechtlichen Schutzes, als permanente Situation vorausgesetzt und sogar geschützt werden.

E. Fazit: Die Demokratie der demokratischen Legitimation Als Fazit sollen jetzt die theoretischen Grundlagen des Verständnisses von Demokratie explizit erörtert werden, die über die ganze Arbeit die Auseinandersetzung mit der Frage nach der demokratischen Legitimation und Entscheidungsfindung bestimmt haben. Aus der Differenzierung, mit der die im ersten Kapitel formulierte Frage nach der demokratischen Legitimation geklärt wurde, folgt, dass Demokratie als verfassungstheoretisches Element nur als umfassendes System sowohl der Produktion als auch der Legitimation von Herrschaft begriffen werden sollte. Erst im Zusammenspiel dieser beiden Dimensionen kommt ihre ganze begriffliche Dichte zur Geltung. Dieses Verständnis rührt daher, dass in einer Demokratie kollektive Entscheidungsfähigkeit erst erzeugt werden muss. Diese Erzeugung stellt ein Grundproblem jeder Demokratie dar und gehört insofern notwendigerweise zu ihrem Begriff. Klarheit über diesen demokratischen Zusammenhang soll vor allem eine Auffassung ausschließen, welche Demokratie mit nur einer der ihr zugrunde liegenden Dimensionen gleichsetzt. Wie im vierten Kapitel schon dargelegt, ist gerade das Ausblenden der herrschaftskonstitutiven Dimension von Demokratie, also der Produktion einer kollektiven Entscheidung, eines der Hauptmerkmale des Verständnisses der Dogmatik demokratischer Legitimation. Die Frage nach dem demokratischen Rechtfertigungszusammenhang wird nicht durch die eigentlich logisch vorrangige Frage ergänzt, inwiefern das Volk als Subjekt der Ausübung von Herrschaft unter dem Grundgesetz verstanden und vor allem beschrieben werden kann. Das Kernmoment der theoretischen Rekonstruktion der grundgesetzlichen Demokratie beschränkt sich auf einen Mechanismus der Legitimation von Staatsgewalt. Vor dem Hintergrund der geschichtlichen Skizze im zweiten Kapitel kann man damit eine deutsche Entwicklung verbinden, indem Herrschaft strukturell auf den Staat bezogen wird; als Rechtfertigungsstruktur entsteht somit ein fester Bezug von Demokratie auf den Staat. Dieser wirkt, im Sinne der ersten Variante der Frage nach der demokratischen Legitimation, wie sie im ersten Kapitel erwähnt wurde, ausschließlich als Überbrückung der Kluft zwischen Volk und den repräsentativen Staatsorganen, die mit der Ausübung von Herrschaft betraut sind. Ausdruck eines solchen Verständnisses ist vor allem eine Konzeption von Wahlen, wie sie der Dogmatik zugrunde liegt: Die ausschließliche Funktion des Wahlaktes wird in der Legitimationsvermittlung, also als rechtfertigungstheoretische Grundlage der Ausübung von Herrschaft durch staatliche Organe, gesehen.

E. Fazit: Die Demokratie der demokratischen Legitimation

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Es ist zwar richtig, die Funktion von Wahlen und Abstimmungen als Möglichkeit zur individuellen Mitwirkung zu verstehen und somit in einen allgemeinen Rechtfertigungsrahmen von Herrschaft zu setzen. Allerdings besteht die grundlegende Konsequenz des hier verfolgten Ansatzes gerade darin, dass der vollständige Sinn dieser Verfahren nur unter Berücksichtigung des politischen Entscheidungszusammenhangs, in den sie sich eingliedern, begriffen werden kann. Die Stimmabgabe bei Wahlen und Abstimmungen impliziert trotz Einheit in der Form somit ein Doppeltes: Kernmoment der Demokratie als Legitimation sowie, gerade primär, Mittel zur materiell verstandenen Mitwirkung als Stadium der kollektiven Entscheidungsfindung und somit Einheitsbildung. Im Sinne dieser ersten Bedeutung der Demokratie als eines überspannenden Systems bleibt festzuhalten: Nur im Rahmen der Voraussetzungen der Erzeugung einer materiell verstandenen Entscheidungseinheit, also der materiellen Einheitsbildung innerhalb des Volks, sind die Bedingungen demokratischer Rechtfertigung politischer Herrschaft überhaupt sinnvoll zu erörtern. Demokratische Rechtfertigung ist somit die Wirkung eines Systems, welches in der Lage ist, durch Herrschaft die Gestaltung der Bedingungen der gemeinsamen Existenz einer politischen Gemeinschaft vorzunehmen. Sie bietet dabei jedem einzelnen Mitglied der Gemeinschaft die Möglichkeit, politischen Inhalt bezüglich dieser Gestaltung zu äußern und zu unterstützen, nämlich mit dem institutionell gewährleisteten Anspruch, dadurch die Ausübung von Herrschaft eventuell beeinflussen zu können. Gerade weil sich die Demokratie als System für alle Glieder der politischen Gemeinschaft permanent durch ein positives, also auf Mitbestimmung begründetes Verhältnis zur Herrschaft rechtfertigen lässt, ist es nicht die konkrete, kontingente Entscheidung über Herrschaft, die Rechtfertigung gegenüber dem einzelnen Individuum entfaltet. Das Verhältnis zwischen Rechtfertigung und Produktion von Herrschaft ist jedoch nicht die einzige Überspannung, die dem Verständnis von Demokratie, welches für diese Arbeit bestimmend ist, zugrunde liegt. Wie mehrfach betont und insbesondere im vierten Kapitel im Rahmen der Kritik der theoretischen Grundlagen der Dogmatik demokratischer Legitimation formuliert, verknüpft das hier vorgestellte Verständnis von Demokratie die Bereiche des Rechts und der Politik miteinander. Während eine solche Verknüpfung allgemein für das Verfassungsrecht eine gewisse Geltung beanspruchen kann, scheint insbesondere auch für das demokratische Prinzip der Versuch einer Verwertung und Verbindung beider Momente fruchtbar. Insbesondere für die Dimension der Entscheidungsfindung im Sinne der kollektiven Entscheidungsfähigkeit über Herrschaft lassen sich grundlegende Elemente eigentlich nur durch einen Verweis auf die Sphäre der Politik rekonstruieren. Nur der Bezug auf die konkreten politischen Alternativen, die im Rahmen einer Gemeinschaft zur Verfügung stehen und die insofern die Grundlage der individuellen politischen Selbstbestimmung darstellen, erlaubt es, den vollen Sinn des demokratischen Prinzips, gerade als politische Form, greifbar zu machen. Der politische Inhalt vermittelt nämlich als Achse zwischen der individuellen und der kollektiven Ebene; nur auf der Grundlage des materiellen Zusammenhangs des Angebots an politischen

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Alternativen mit der bewussten Präferenz für eine dieser Alternativen kann eine Verbindung zwischen Individuum und Herrschaft in einem pluralistischen Kontext überhaupt konzipiert werden. Die individuellen Mitwirkungsrechte finden im politischen Zusammenhang ihren Bezugspunkt und Kontext; erst aus diesen können sie im Sinne der ihnen eigentümlichen Ausrichtung auf das Kollektive verstanden werden. In diesem Sinne muss die Auffassung explizit verworfen werden, die Bedeutung einer Wahl erschöpfe sich darin, eine von jeder politischen Bedeutung bereinigte Zusammensetzung von repräsentativen Körperschaften zu generieren. Auch die Wahl von bestimmten Personen für bestimmte Ämter stellt immer (auch) die Bevorzugung eines bestimmten materiellen Elementes dar. Der Verweis auf den politischen Inhalt bei der Rekonstruktion des demokratischen Prinzips, und somit auch die allgemeine Berücksichtigung der Kategorie der Politik, hat für diese Arbeit konkret die Funktion, die Bedingungen der Beschreibung einer positiven Entscheidungsfindung, gerade unter Beachtung der notwendigerweise damit verbundenen Teilung, in die Erörterung des grundgesetzlichen Demokratieprinzips zu integrieren. Die kategoriale Differenzierung zwischen Individuum und Kollektiv bezüglich der inhaltlichen Bestimmung der Herrschaft findet also in der Sphäre der Politik ihre verfassungstheoretische Fassbarkeit; in ihr wird die Verbindung zwischen Individuum und Herrschaft – deren dezidierte Unmittelbarkeit in einem demokratischen Kontext nicht ohne große theoretische Verzerrungen aufrechterhalten werden kann – theoretisch vermittelt und differenziert rekonstruiert. Der Bezug auf die Kategorie der Politik ist somit eine Folge der Anerkennung der Begrenztheit der juristischen Reflexion und der daraus folgenden Offenheit für ergänzende Theorieelemente. Diese Berücksichtigung theoretischer Elemente, die im strikten Sinne als rechtsexogen zu charakterisieren sind, ist gerade in Anbetracht der dogmatischen Behandlung des Demokratieprinzips von grundlegender Bedeutung; die geschichtlichen Skizzen im zweiten und dritten Kapitel hatten ja die Funktion, zu zeigen, bis zu welchem Punkt die Formalisierung der Begriffe Herrschaft (Souveränität) und Volk eine begriffliche Entpolitisierung mit sich bringen kann. Für das Staatsrecht ist die Berücksichtigung rechtsexogener Momente nicht unbedingt neu935 : Es wurde bereits gezeigt, dass auch die inhaltliche Konstituierung des Verhältnisses zwischen Volksvertretern und Volk, im Sinne der Repräsentation, im Kontext des Art. 38 GG oft aus materiellen Elementen wie dem Gemeinwohl verstanden wird; dieses gehört jedoch sicherlich nicht zu den theoretischen Elementen, die in ihrer primären Bedeutung als rechtsdogmatische verstanden werden könnten. Dennoch werden sie im Kontext der (verfassungsdogmatischen!) Behandlung der Demokratie als Hilfskonstruktionen verwendet. Die Frage, die sich stellt, ist also nicht, ob gewisse 935 Für eine ständige Weiterentwicklung der juristischen Begrifflichkeit, gerade mit Blick auf die politischen Formen, plädierte schon kein Geringerer als Gerber; Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 10, Fn. 2.

E. Fazit: Die Demokratie der demokratischen Legitimation

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Elemente mit in die rechtsdogmatische Konstruktion integriert werden, sondern welche und auf welche Art und Weise sie methodologisch mit der dogmatischen Arbeit verbunden werden. Die Antwort darauf wird wiederum vom theoretischen Hintergrund abhängen, vor dem die Auseinandersetzung mit der Demokratie stattfindet. In ihrer Orientierung an Art. 20 Abs. 2, ihrem Anspruch auf dogmatische Rekonstruktion und aus der deutschen staatstheoretischen und staatsrechtlichen Tradition stellt die grundgesetzliche Lehre der demokratischen Legitimation in Deutschland ausschließlich auf das Volk als demokratisches Subjekt ab. Erscheint aber das Volk, gerade im Sinne von Art. 20 Abs. 2, als vorgegeben, so hängt damit eine Reihe von begrifflichen Verzerrungen zusammen, die insbesondere in der kompletten Ausblendung des volksinternen Prozesses der Willensbildung zum Ausdruck kommt. Daraus folgt ein Verständnis von Demokratie, welches sie mit ihrer Funktion von Rechtfertigung von politischer Herrschaft gleichsetzt. Wirkt die Formalisierung schon als Ausblendung der politischen Zusammenhänge bei der Produktion von Herrschaft, so wirkt sich diese Verzerrung noch viel stärker aus, wenn dazu noch die beiden Dimensionen der Produktion und der Rechtfertigung von Herrschaft undifferenziert analysiert werden. Dabei wird nämlich der auf Herrschaft bezogene Zusammenhang in Legitimationskategorien aufgelöst, die die Unterscheidungen, auf die Herrschaft strukturell bezogen ist, verwischen müssen. Die Berücksichtigung dieser politischen Dimension soll aber keineswegs dahingehend verstanden werden, dass daraus eine Schwächung des spezifisch rechtlichen Moments bei der Rekonstruktion des Demokratieprinzips abzuleiten wäre. Die rechtlichen Kategorien können ihre Funktion als Struktur der Gewährleistung der individuellen Position und des ganzen Prozesses der Entscheidungsfindung nur dann erfüllen, wenn sie ihre Eigenständigkeit gegenüber der politischen Dynamik bewahren können, und das heißt konkret: wenn sie sich begrifflich nicht in politischen Kategorien auflösen. Es bedeutet aber auch, dass der Anspruch einer durchgehenden Beschreibung des Prozesses demokratischer Entscheidungsfindung aus rechtlicher Perspektive zu unausweichlichen Verkürzungen der untrennbar mit der Demokratie verbundenen Problemfelder führt. Nur in einem theoretischen Kontext, in dem die Legitimation der Demokratie aus dem Prozess der Entscheidungsfindung und dementsprechend Teilung der politischen Gemeinschaft verstanden werden kann, ist der spezifisch demokratische Charakter der Form der demokratischen Legitimation in ihrer ganzen Komplexität zu erfassen.

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Sachverzeichnis Alternativen 13 f., 17, 36, 42, 44, 47, 149 f., 164, 185 – politische 20, 40, 43 ff., 50, 52, 170, 187 f., 199 f. Chance 18, 192 ff., 195 ff. Demokratie 23 ff., 27, 39, 43, 134 f., 143, 153, 155 f., 157 ff., 160 ff., 165, 168, 173, 181 f., 192, 195, 198 ff., 201 Effektiver Einfluss 16 f., 144 f., 148, 156, 171 f. Einheit 29, 34 f., 65 ff., 81, 83 f., 86, 97 ff., 103, 121 ff., 134 f., 154, 168 f., 174 ff., 177 – als Form der Herrschaft bzw. Staatsgewalt 34, 75, 80, 103, 116, 140, 149, 168 – des Volkes 70, 98 f., 105 ff., 111, 116, 128 f., 133 ff., 136 ff., 155, 160, 168 f., 172, 188, 196 Entscheidung 65 ff., 97 f., 102 ff., 128 ff., 148 ff., 152, 154 ff., 164, 169 f., 173, 178, 187 f., 192 – kollektive 40, 46, 149, 169, 193 Entscheidungseinheit 29 f., 34 ff., 38, 40 f., 45, 59, 63, 80 f., 104, 150, 154, 160, 162, 169, 180 f., 184, 196 Entscheidungsfindung 16 ff., 20 ff., 39 ff., 42, 46 ff., 49, 60, 102 f., 141, 149 f., 152, 155, 162, 164 f., 170 f., 175, 179 f., 181, 183 f., 186, 188 f., 191 ff., 194 f., 196 ff., 199 f., 201 Freiheit 45, 89, 108 ff., 131, 164, 182, 185, 187 ff., 191 Gleichheit 48, 164, 182, 187 ff., 191, 195

Herrschaft 27 f., 30, 83, 85, 90 f., 92 ff., 96, 102 ff., 106, 109 f., 123, 130, 151, 153, 157, 160 ff., 182, 188, 190 – Entscheidung über bzw. Ausübung von 13 f., 16, 22, 27, 30, 34, 37 f., 41, 43, 46, 49, 59, 67, 69, 73, 85 ff., 89, 102, 110, 119, 124, 126, 129 f., 138 ff., 146, 148 ff., 151, 154, 156 ff., 163, 166 f., 170 ff., 173 ff., 179, 183 ff., 187 ff., 190 f., 193, 195 ff., 198 f. – Produktion von 26 f., 45, 49, 65, 154, 156, 161, 164, 175, 181 ff., 184, 187, 190 f., 194, 196, 199 f. – Rechtfertigung von 154, 156, 161 f., 165 ff., 181 f., 187, 189 ff., 194, 199 f., – als Souveränität 15 f., 31, 33, 200 – Wirksamkeit bzw. Realisierung 14, 30 f., 33 ff., 64, 67, 75, 96, 99 f., 103, 149, 168 Individuum 39, 48 ff., 150, 155, 180, 182 ff., 187 f., 197, 200 Landstände, Volksvertretungen 56 ff., 65, 74, 107 ff., 117 f., 120 f., 125 f., 128 ff., 132 Legitimation 148, 173, 181, 193, 196 f. – demokratische 14 f., 17, 19 ff., 23 ff., 25 ff., 34, 37 f., 47 ff., 50, 154, 173, 180 ff., 187, 192, 194, 196 f., 198 ff., 201 – Dogmatik der demokratischen 21, 50, 141 ff., 144, 148 f., 151 ff., 154 ff., 168 f., 170 ff., 172 ff., 176, 183, 189 ff., 196, 198 Legitimationskette(n) 145, 148 ff., 153, 156 Legitimationsmodus, Legitimationsmodi 145 ff., 149, 158, 171 ff., 175 ff. Mehrheit, Mehrheitsverhältnisse 45 f., 150, 172, 188, 191 Mehrheitsprinzip 45 f., 191, 197 Mitwirkungsrechte, Mitwirkung 39 f., 42, 47, 104, 110 ff., 139 f., 154 f., 164, 170, 172, 182 f., 186, 188, 192 f., 194, 196 f., 199 f.

Sachverzeichnis Monarchisches Prinzip, Monarch 53 ff., 59 f., 63, 106, 109 f., 113, 117 f., 120, 152 Parlament, Bundestag 149 ff., 154, 171 f. Politischer Inhalt 44, 184 ff., 187, 195, 197, 200 Präferenz 40 f., 44, 46 ff., 50, 183, 190, 192, 197 – individuelle 45, 170, 188, 192, 194 – politische 41, 43, 182, 192 f. Rechtfertigungspotenzial, Rechtfertigungskategorie, Rechtfertigungsmoment 15, 19 f., 43, 49, 139, 157, 161, 167 f., 174, 177, 180 f., 182 ff., 189 ff., 194 Repräsentation 125 f., 128 ff., 131, 136 ff., 174 ff., 200 Selbstbestimmung 26, 40 ff., 44 f., 49, 149, 161, 174, 177, 182, 190 – individuelle 42, 45 182, 192 f., 194 – kollektive 41, 182, 188 Souveränität 15 f., 31 ff., 50, 52 f., 56, 58 ff., 61, 63, 65 ff., 69, 71 f., 76 f., 82, 87, 89 f., 92, 94 f., 97, 99 ff., 102 ff., 152, 166 f., 200 Staat 61 f., 63 f., 66 f., 68 f., 72 f., 74, 77, 82 ff., 86, 88 ff., 92 ff., 98 ff., 102 ff., 113, 115 ff., 120 f., 123, 127 ff., 151 f., 184 ff.

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Staatsangehörigkeit, Staatsangehörige 39, 168, 191 Staatsgewalt 16, 24, 29 f., 34, 38, 54, 69 ff., 72 f., 75 ff., 78 ff., 82, 86 ff., 90, 95, 102, 116 ff., 121, 125 ff., 129, 132, 142 ff., 146, 150, 153, 157, 171 ff., 174, 179, 187, 198 Staatsorgan(e) 62, 75, 113, 118, 125 f., 128, 143, 153 f. Teilhabe 21, 39 f., 42, 182, 194 f., 197 Verfassunggebende Gewalt, Verfassunggebung 55 ff., 98, 107, 157, 163 ff., 166 f., 195 f., Volk 14 ff., 19 f., 25 f., 29 f., 34, 37 ff., 42 f., 45, 63, 69, 74 f., 104 ff., 107 ff., 111 ff., 114, 115 ff., 120 f, 122 ff., 125, 127 ff., 130 ff., 133 ff., 144, 149 ff., 153 f., 157 ff., 162 ff., 171 ff., 174 ff., 177 f., 179, 181 ff., 184 ff., 187 ff., 190 f., 196 ff., 200 f. Volkssouveränität 107, 110, 114, 118, 131, 142, 157 ff., 160 ff., 163 ff., 166 f., 179 ff., 182, 195 f. Zurechnung 16, 62, 66, 79, 85 ff., 93 f., 96, 102, 124, 126, 131, 149 f., 151 ff., 154 f., 156, 164, 190