Die Eumeniden des Aeschylus [Reprint 2019 ed.] 9783111467634, 9783111100654

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Die Eumeniden des Aeschylus [Reprint 2019 ed.]
 9783111467634, 9783111100654

Table of contents :
Vorwort
Personen
Erste Scene
Zweite Scene
Dritte Scene
Vierte Scene
Fünfte Scene
Sechste Scene
Siebente Scene
Achte Scene
Neunte Scene
Zehnte Scene
Eilfte Scene
Zwölfte Scene
Erklärende Anmerkungen

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Die

Eumentden des Aeschhlus.

Die

Eumeniden des Aeschylus übersetzt

von

Rudolph Kopisch.

Berlin, Druck und Berlag von G. Reimer 1845.

Die Erneuerung der griechischen Tragödie auf un­ serer Bühne hat einerseits daS enthusiastische Lob der Alterthumsfreunde,

anderseits

den leidenschaftlichen

Tadel namentlich der jüngsten Dichterschule Hervor­

gernfen, jedenfalls ist sie eine höchst beachtenswerthe Erscheinung der Zeit und hängt auf das innigste mit unserer Bildungsgeschichte zusammen.

Auf den ersten

Blick könnte es freilich scheinen, als habe die bloße

Neugier zu den Werken eines untergegangenen, selbst

dem

Bewußtsein

der

Gebildeten

fast

entfremdeten

Volkes hingeführt, doch widerlegt sich diese oberfläch­

liche Ansicht hinlänglich dadurch,

daß

eS eben die

Griechen und nicht etwa Hindus oder Chinesen sind,

deren Volksleben uns auf diese Weise in seiner ein­

fachen und großartigen Schönheit wieder vor Augen

geführt wird, uns, die wir selbst in der Entwicklung eines neuen, kräftigen Volksthums begriffen sind, und der tiefer Blickende wird vielmehr anerkennen,

daß

es der innerste Antrieb unserer eigenen Natur ist,

welcher uns stets von Neuem zu diesem Urquell aller

europäischen, d. h. freien, ächt menschlichen Bildung hintreibt,

ohne welche selbst das Christenthum den

größten Theil seiner Segnungen einbüßen muß. Denn

ist nicht das ganze Mittelalter, welches dieser Bil­

dung entbehren zu können glanbte, in den schreiend­ sten Gegensatz verfallen und hat die innerlichste und einfachste Religion zur äußerlichsten und unverständ­

lichsten gemacht?

Wohl ist bei der fortgeschrittenen

Bildung unserer Tage die Rückkehr dieser fünftem Zeiten nicht zu fürchten; aber auch wir bedürfen mehr

als je des Hinblicks auf jene Herrlichkeit der Vor­ welt, die wir bei aller geistigen Regsamkeit Gefahr

laufen, unsere ganze Litteratur in ephemere Zeitungs­ schreiberei zu verflüchtigen, während der innige An­

theil an den öffentlichen Angelegenheiten bei den Grie­

chen jene unsterblichen Meisterwerke hervorrief, um die wir jene Jugend der Menschheit ewig beneiden müssm. In diesem Sinne allein habe ich es unternom­ men, das vorliegende Stück des Aeschplns zum Eigen­

thum des deutschen Volks zu machen, was mir durch die früheren Uebertragungen von Voß, Dropsen und Müller noch nicht völlig erreicht schien, wiewohl ich

im Einzelnen ihnen Manches zu verdanken, pflicht­

schuldig anerkenne.

Die Pythias, Priesterin deö delphischen Orakels. Apollon.

Orestes. Der Schatten der Klytämnestra.

Chor der Eumeniden.

Athene.

Chor der Geleiterinnen.

Die Handlung ist theils in Delphi, theils in Athen.

Erste

Scene.

Der Borplatz des delphischen Tempels.

Die Pythiaö

tritt auf.

Zuerst von allen Ew'gen feiert mein Gebet Die Urprophctin Erde, Themis dann ihr Kind, So dieß Orakel, sagt man, als die zweite nach

Der Mutter eingenommen.

Dann zum dritten ward

Zwanglos, mit ihrem Willen, Herrin dieses Orts Ein andres Kind der Erde vom Titanenstamm,

Phöbe, die ihn znm Angebinde drauf verlichn An Phöbos, der den Namen PhvbeS auch empfing.

Er nun, verlassend DeloS meernmspülten Strand, Entschwingt zu PallaS schiffumkreisten Küsten sich,

Naht diesen Gauen und ParnaffoS Felsensitz. Und fromm geleiten, ehrerbietig seinen Schritt AlS Wegebahner des HephästoS Söhne, so

8 Die rauhe Wildniß schaffen zur beglückten Flur. Bei seiner Ankunft bringt das Volk ihm Huldigung

Und König Delphos, der des Landes Steuer lenkt. Zeus aber haucht ihm hoher Weisheit Gaben ein,

Und setzt als vierten Seher ihn auf diesen Thron;

So redet Zeus, des Vaters, Sprüche Lorias.

Zu diesen Göttem tönt zuvörderst mein Gebet,

Doch preis' und ehr' ich in dem Borhof Pallas auch, Die hehren Nymphen nm Korpkias Felsenkluft,

Der Vögel und Dämonen Lieblingsaufenthalt. (Dromios erkohr die Gegend, nicht entschwand es mir, Seitdem als Gott er, führend seine Taumelschaar, Pentheus dem Häslein gleich im Todesnetze fing)

Auch Pleistos Quellen und Poseidons Herrschermacht

Grüß' ich und als Vollendung ihn den höchsten Zeus. Nun als Prophetin steig' ich auf den Seherthron.

Huldreich gesegnen möge»» sie vor jeglichem

Mir diesen Eingang. Sind Hellenen hier bereit, Laßt sie dem Loos nach kommen, wie es üblich ist,

Antwort ertheil' ich wie die Gottheit mir gebeut. (Sie geht in den Tempel, kehrt aber sogleich voll Schrecken­ auf Händen und Füßen kriechend daraus zurück)

9 O Graun zu sagen, Graun mit Augen anzuschaun Treibt aus Apollons Hanse wieder mich zurück, Daß weder feststen ich noch vorwärts schreiten kann,

Nicht kraft der Füße, nein auf Händen geht mein Lauf,

Ohnmächtig und zum Kinde macht die Furcht ein Weib. Ich trat zum lorbeereingehüllten Heiligthum, Da sitzt vor meinen Augen auf dem Nabelstein

Ein Missethäter, Sühne-heischend, seine Hand Mit Blut beträufelt, hält er ein entblößtes Schwerdt

Empor, vom Oelbaum auch ein hochentsprossnes Reis, Mit langgewachsner Flocke sorgsam rings umhüllt

Der weißen Wolle, so verkünd' ich es genau. Vor diesem Manne ruht auf Sesseln hingelehnt

Tiefschlummernd eine wunderbare Frauenschaar. Nicht Frauen sind eS, nein Gorgonen nenn' ich sie,

Und wieder nicht Gorgonen gleichet ihr Gesicht,

Wohl sah ich Unholdinnen irgendwo gemahlt DaS Mahl des Phineus -rauben, aber flügellos

Sind diese, schwarz und wild entsetzlich anzuschaun, Laut schnarchet unablässig ihr wcitoffner Mund,

Aus ihren Augen trieft cS, quillt es Zdausenhaft,

Ihr Schmuck, zu scheußlich ist er, um darin zu nahn

10 Der Götter Antlitz' noch der Menschen Wohiinngcn.

Nie hat den Abstamm dieser Schaar mein Ang' erblickt,

Und keine Landschaft rühmt sich wahrlich diese Brut

Gramlos zu nähren sonder schweres Ungemach. Das Weitre mag dem Herrscher dieses Hciligthums,

Dem hochgewalt'gen Lorias, befohlen seyn, Denn Arzt und Seher ist er, Zeichenkündigcr, Und auch der Wohnung Andrer ein Entsündiger.

(Die Pythia« geht ab.

Man erblickt da- Innere de- Tem­

pel«, die sagenhafte Erdmitte mit dem heiligen Nabel-

stein, auf dem Oreste« fitzt.

Um ihn her schlummert

der Chor der Erynnien, neben Oreste« steht Apol­

lon, im Hintergrund Herme«.)

Zweite Scene. Apollon. Nie werd' ich dich verrathen, dein getreuer Schutz, Ob ich dir nah bin oder weit von dir entfernt, Wird nie mich wankend machen deiner Feinde Haß.

Auch jetzo siehst du diese rastlos Stürmenden

Vom Schlaf gebändigt, hingestreckt die grause Schaar

Betagter Jungfraun, widcrwärt'ge, denen nie

11 Ein Gott in Freundschaft nahte, weder Mensch noch Thier. Zum Bösen nur geboren hauset ihre Brut In Finsternissen drunten tief im Tartaros,

Ein greulich Ding für Menschen und Unsterbliche. Doch mußt du fliehen eilig sonder Rast und Ruh,

Dmn dich verfolgen werden sie durch weites Land, Wo nur in- Hast dein banger Fußtritt schweifen wird. Durch Meer und Inseln sagen hinter dir sie her.

Verzage nimmer solchen Jrrsals Schmerzensfeld Zu weiden, doch wenn du zu Pallas Burg gelangt,

Setz' dich ihr heilig Bildniß fest umschlingend hin. Dort werden Richter und BersöhnungSworte wir

Für sene finden und die Mittel forschen aus, Dich solchen Unheils völlig zu entledigen; Denn ich gebot'S, daß deine Mutter du erschlugst. Orestes. Du kennst, erhabner Phöbos, nur Gerechtigkeit; Weil du sie kennest, so verlaß mich Armen nicht, Du hast zum Wohlthun hohe Götterkraft genug.

Apollon. So denk' und nie besiege Bangigkeit dein Herz.

Du aber, mir verbrüdert, Eines BaterS Blut,

12 Hermes behüt' ihn, sey ihm, wie dein Name sagt, Ein Wohlgeleiter, der als treuer Hirt mir lenkt

Den Schützling, ehrt doch selber Zeus dein Ehrenamt, Das gut Geleit schafft, segensvoll den Sterblichen.

(Herme- und Orestes gehen ab, es erscheint der Schatten

'der Klptämncstra.)

Dritte Scene. Klytämnestra.

Ja schlaft nur, wehe! was bedarfs der Schlafenden? Mich, die vor allen Todten so abscheulich ihr,

So schmählich hier entehret, drückt als Mörderin Die unvergänglich bittte Schmach im Todtenreich.

Schandvoll umher dort irr' ich und doch sag' ich laut: Der größten Ursach' wider Jene rühm' ich mich.

Und während ich das Aergste von den Liebsten litt,

Ergrimmt doch Niemand von den Göttern meinethalb, Die muttermörderische Hände schlachteten. Es schaut die grause Wunde deutlich dein Gemüth,

Denn tief im Schlummer blickt des Geistes Auge hell,

DaS Licht des Tages macht die Schicksalsgötter blind.

Wie viel, das mein war, habet ihr gekostet schon:

13 Weinlose Spenden, nüchterne Zornbeschwichtigung, Manch mitternächtig stilles Mahl am Feuerheerd

Weiht' ich in Stunden, die mit euch kein Gott getheilt.

Und alles dieses muß ich setzt mißachtet sehn, Verschwunden ist er wie ein Reh in guter Ruh, Und leichten Fußes mitten aus dem Jägergarn

Entsprang er, blickt hohnlachend nun auf euch zurück. Vernahmt ihr, was ich sagte, was mein Seelenschmerz

Mich hieß? Bedenkets unterirdische Göttinnen, ES ist das Traumbild Klytämnestra die euch ruft,

lGestöhn des Chors.) Stöhnt nur, indeß entflieht er fern und ferner schon, Mir mißgesinnte Götter schützen seinen Pfad!

(Gestöhn des Chors.) Wie tief du schlummerst, dich erbarmt mein Jammer nicht:

Orestes, seiner Mutter Mörder, ist entflohn! (Geheul des Chors.)

Du heulst, du schlummerst!

Hurtig hebe dich empor!

Welch Thun ist deines Amtes als Unheil zu thun? (Geheul deS Chors.) Schlafsucht und Mühsal, schnöde Bundverschworene,

Euch grausen Drachen haben sie die Kraft gelähmt?

14 Chor.

Hussa, hussa, hussa, hussa, hetzt ihn!

Klytämnestra.

Du jagst im Traum' und bellst im Anschlag auf das Wild Dem Hunde gleich, der unermüdlich schnaufend rennt. Was schaffst du? Auf doch! Keine Müh' besiege dich,

Kein sanfter Schlummer tilg' in deiner Brust die Qual! Verdienter Borwurf fresse peinigend dir ans Herz,

Denn der Gerechte fühlt als scharfen Stachel ihn. Auf, send' ihm nach den blut'gen Hauch als Segelwind,

Dein Athem dörr' ihn, deiner Eingeweide Brand! Folg' ihm, zu Tode hetz' ihn auf erneuter Jagd!

(Der Schatten verschwindet, die Chorführerin springt auf.)

Vierte

Scene.

Chorführerin.

Erweck', erwecke du die Andre wie ich dich. Schläfst du?

Erheb dich, schüttl' im Sprunge fort den Schlaf,

Zu sehn, ob unsre Schaar ein Nachtheil wo betraf.

15 Ganzer Chor.

Wir Elende, was erlitten wir o weh!

Vergebens viele Müh' und Sorge stand ich aus. Ja grimme Noth erdulden müssen wir allhier;

Ein furchtbares Weh! Entsprungen aus dem Garne, fort ist unser Wild,

Jin Schlaf entrann meiner Jagd Beute mir.

O du Sohn deö Zeus, bist ein verschmitzter Dieb,

Ein Jüngling überrennst du alte Göttinnen, Da du den Flüchtling ehrst, den frechen Bösewicht,

Den fluchwerthen Sohn. Den Muttermörder stahlst du tückisch uns, ein Gott.

Wer nennet sc wohl gerecht das gethan?

CS hat ein Borwurf, den der Traum ins Ohr mir schrie, Dem Noßlenker gleich mich aufgepeitscht, Hat mir in Mark und Bein

Gedrücket ein den Stachel tief,

der Marterknecht mei­

ner Reu' Geißelt mich, stäupet mich! Kalte Schauer rieseln eisig auf mein Herz.

16 So Ungeheures thun die neuen Götter uns, Gewaltthätig sonder Fug und Recht.

Flüssig von Mordblut ist Vom Scheitel bis zum Boden hin bespricht der Erdna­

bel dort

Anzuschaun greuelvoll, Und beschützet den Verbrecher ohne Scheu.

Aus eignem Trieb hast du dein Allerheiligstes Deinen Altar, Prophet, schnöde mit Schmach beflecket,

Schaffest den Menschen Heil wider der Götter Recht Und brichst der Mören uralte Macht. Trotz deiner Feindschaft lösest du ihn dennoch nicht, Auch in der Erde Schoost findet er keine Freistatt.

Wie er den Mord beging, wird ihn im Hades auch

Verfolgen dieser Bluträcher Arm! Apollon.

Hinaus, gebiet' ich, räumt die Tempelhaüen hier

Alsbald, entfernt euch aus dem Seherheiligthum, Eh diese lichte Flügelschlange dich ereilt,

Bon goldgewundner Bogensenne hingeschwirrt, Und du vor Schmerzen dunklen Schaum von Menschenblut

17 In Klumpen ausspeist, bei Ermordungen geschlürft.

Nicht zu berühren diese Schwelle ziemet euch!

Geht hin zum Hochgerichte, wo man blendet, köpft,

Hin, wo man Menschen schlachtet, wo Entmannung auch

Der Knaben Blüthe schändet, wo man steiniget

Und Glieder abhaut, unter qualvoll wildem Schmerz Rückgratdurchspießte jammern.

Habt ihr es gehört,

WaS eure Lust und Wonne, weshalb ewig ihr

Der Götter Abscheu? Euer Ansehn schon verräth Euch völlig, in blutdürst'ger Leuen Felsenkluft

Muß solches Scheusal hausen, nicht des Heiligthums Geweihten Umkreis seine Gegenwart entweihn. Entweicht von hinnen, hirtenloS Hinschwärmende

Denn solcher Heerde freuet sich kein Himmlischer.

Chorführerin.. Nun Gott Apollon, höre mich auch deinerseits!

Dich nenn' ich des Verbrechens nicht mitschuldig nur, Nein auch der That Urheber, schuldig ganz allein. Apollon.

Wie doch?

So lange weile, bis du das gesagt.

Chorführcrin. Du riethest an dem Fremdling seiner Mutter Mord.

18 Apollon. Ich hieß ihn rächen seines Vaters Tod, wie mtn? Chorführerin.

Den blnt'gen Mörder nahmst du dann freiwillig auf. Apollon.

Zu frommer Sühnung lud ich ihn in dieses Haus. Chorführerin. Und schmähest uns hier, die ja sein Geleit nur sind. Apollon.

Denn eure Nähe duldet nicht das Heiligthum. Chorführerin. Wir thun ja nur, was uns die strenge Pflicht gebeut.

Apollon. Und was gebeut sie? Rühme doch dein Ehrenamt. Chorführerin.

Die Muttermörder aus der Heimath jagen wir. Apollon.

Wie, soll ein Weib, das ihren Ehmann umgebracht, Nicht auch der Blutsfreund tödten mit der eignen Hand?

Dann wäre Heras Satzung und deS Zeus fürwahr, Der heil'ge Ehbund, sonder Ehr' und Gültigkeit. Die holde Kypris auch beleidigt dieses Wort,

19 Bon der doch alles Süße kommt den Sterblichen. Das Bett, wo Schicksal ehlich Mann und Weib vereint, Mehr als vom Eidschwur wird durch Keuschheit es bewacht, Wenn diese ruhig du einander morden läßt, Nicht ihnen nachjagst, zornig sie zu strafen eilst,

Dann jagst du, sag' ich, auch Orestes ohne Fug. Zu Einem, seh' ich, treibt dich heftig die Begier, Das Andre trägst du offenbar weit ruhiger.

Was Recht, erkenne Pallas uns als Richterin! Chorführerin.

Nein, meine Wuth läßt nimmer von dem Mörder ab.

Apollon. Nun so verfolg' ihn, müh' und plage dich umsonst! Chorführerin.

Beschimpfe meine Würde nicht durch Lästerung.

Apollon. Auch als Geschenk nicht solche Würde nähm' ich an.

Chorführerin. Du stehst im Ansehn,

hör' ich

wohl,

am Thron dcS

Zeus, Ich aber — denn um Rache schreit der Mutter Blut, Verfolge den Verbrecher in geschwinder Jagd. 2 *

20 Apollon.

Und ich beschütz' ihn, rette des Bedrängten Hanpt, Denn stark im Himmel und auf Erden ist der Fluch Deö Schutzbefohlnen, wenn ich treulos ihn verrieth.

(Der Chor und Apollon gehen ah; die Bühne verwandelt sich in den Tempel der Athene PoliaS zu Athen.

Fünfte

Scene.

Orestes.

Herrin Athene, aus des Lorias Geheiß Komm' ich, empfange gnädig du den Schuldigen,

Der nicht den Mord mehr an entsühnten Händen trägt,

Nein schon ermüdet durch den langen Aufenthalt In fremden Häusern und auf freier Straße naht.

Denn über Land und Wogen trug ich meinen Fuß, Folgsam der Weisung, die mir Lorias beschied,

O Göttin her zu deinem Bild und Heiligthum. Hier bleib' ich, hier erwart' ich Urtheil und Gericht.

I Der Chor tritt auf in zwei Abtheilungen.)

21

Sechste

Scene.

Chorführerin.

Rur weiter! deutlich seh' ich des Verbrechers Spur, Folgt nur dem stummen Spruche der Verrätherin!

Denn wie dem Jagdhund, der das wunde Reh verfolgt,

Weist Blutgeträufel uns des Flüchtlings Fährte nach.

Eine Eumenidc. Von großer Mühsal abgemattet keucht die Brust Schwer auf, da suchend ich das ganze Land durchzog.

Andre Eumenide. Und übers Meer, mit flügellosem Fluge mich

Nachschwingend, rannt' ich gleich dem Schiff an Schnel­

ligkeit.

Chorführerin.

Hier ohne Zweifel hat der Flüchtling sich versteckt,

Gedüst vergoffnen Menschenblutes lacht mich an. O schau, schaue nur

Blicket rechts, links auch! Unser Aug' täuschet sonst des Blutfrevlerö Fluchtschritt.

Erster Halbchor. Da seht ihn wieder, der als einen neuen Hort

22

Der Göttin Bild fest umflicht, Der Rache meines Arms entzieh» will er sich.

Zweiter Halbchor. Doch nie geschieht das, denn versprützteü Mutterblut, Das nimmermehr wiederkehrt, Geronnen ist es roth zum Erdboden hin!

Ganzer Chor.

Allein erstatten sollst du mirS, lebendig will Ich deinem Gliederfleisch den allerletzten Saft

Eine Stimme. Aussaugen, wollustvollen, grausen Labetrnnk.

Erster Halbchor.

Und ausgedörrt im Leben führ' ich dich hinab, Zweiter Halbchor. Du büßest Mutterschmerz mit gleichschwerem dort.

Ganzer Chor. Dann siehst du, wie, wer unter Menschen frevelhaft Am Gotte sich, am Gast, an lieber Eltern Haupt Eine Stimme.

Versündigt, Jeder den verdienten Lohn empfangt. Erster Halbchor.

Denn Hades nimmt vom Menschen große Rechenschaft,

23 Zweiter Halbchor. Alles erkennt er, schreibt es tief ins Gemüth. Orestes.

Des Ungemaches bittre Schule lehrte mich Vielfache Sühnung und erkennen, wo es ziemt, Zu reden und zu schweigen, doch in diesem Streit

Macht mir ein weiser Meister Rede» zum Gesetz.

Schon ruht die Blutschuld und verging an meiner Hand,

Deö Muttermordes Greuel ward hinweggespült. Denn gleich im Anfang hat auf Phöbos heiligem Altar versöhnend ihn der Eber Blut getilgt. Viel Worte braucht' ich, zählt' ich auf von Anbeginn,

Wer schon Gemeinschaft unbeschadet mir gegönnt, Es nimmt die Zeit mitalternd Alles uns hinweg.

So ruf' ich ohn' Entweihung und mit reinem Mund Nun dieses Landes Herrin Athenäa, mir

Zum Schirm zu nahen, dann gewinnt sie ohne Speer Mich selbst und ArgoS Land und Volk mit Einer That Zu redlich treuen Bundsgenoffen für und für.

Drum, ob sie drüben jetzt im fernen Libya Am Wasser Tritons, ihrer väterlichen Fluth,

Den Fuß gesenkt hält oder hochhinschreitend eilt

24 Zum Schirm der Ihren, ob sie Phlegraö Blachgefild Gleich kühnen Feldherrn schaarenordnend überschaut,

Sie wolle kommen, auch entfernt ja hört ein Gott, Auf daß sie gnädig mich entbinde dieser Noth!

Chorführerin. Nicht wird Apollon, nicht Athenes heil'ge Kraft

Dich schützen, daß du nicht als ein Verachteter Entfernt von Trost und Freude durch die Fluren irrst,

Du der Dämonen Weide, bleiches Schattenbild.

Auf stummer Lippe stirbt die Rede dir dahin, Der mir zum Opfer auferzogen und geweiht,

Lebend'ge Speise, nicht am Altar hingewürgt, Vernimm das Lied denn, das um dich die Bande schlingt!

Chor.

So beginnet und schlinget den Reigen um ihn, Da den grausen Gesang

Zu erheben die Lust mir gebietet, Daß ich sage das Amt in der Menschen Geschlecht,

So zu üben bestimmt ist der Unsrigen Schaar,

Die der billigen Rache Vollzug freut.

25 Wer lautere Hand' im Gebet ausstreckt,

Auf den niemals stürzt unsere Wuth, Ihn beglücket ein friedliches Daseyn. Wo aber ein Mann unheilig wie der

Mordtriefende Hände versteckt hält, Da treten wir laut als Zeugen der Schuld

Den Erschlagenen auf und fordern für Blut Vollständig von ihm die Vergeltung.

Mutter, die mich auferzog, Mutter

Nacht, zu der Todten und Lebendigen

Zücht'gung, höre:

Letoö

Geburt schmälert Ruhm mir und Ehre,

Raubt das fluchtscheue Wild Mir, zum Erbeigenthum wohlgeweiht durch Muttermord,

Doch um den Fallenden erschall' unser Gesang, Der ihn bethört, der ihn verstört bis zum Wahnsinn!

Schall' Erinnenfluchgesang, Geistumstricker, Leierfeind, MenschenauSdörrender!

Dergestalt gewoben mein Schicksal

Hat mir die strenge Mör' unwandelbar,

Wo Blutfrevel schamlos ein Mann und in Thorheit sich auflud,

26 Dessen Spur nachzugehn Bis zum Abgrunde, kaum wird der Tod ihn auch befrein. Doch um den Fallenden erschall' unser Gesang,

Der ihn bethört, der ihn verstört bis zum Wahnsinn! Schall' Erinnenfluchgesang,

Geistumstricker, Leierfeind, Mcnschenauödörrender! Dieß ist das Loos,

das in unserm Entstehn uns

verhängt ward,

Bon den Unsterblichen fern uns zu halten und Niemand Theilt dort unsre Gelage. Weißer Festgewande Glanz Blieb mir auf immer mißgönnt und verboten, Häusersturz erkohr ich mir

Da wo dahinmorden den Freund siehet das friedliche Gebiet,

Ihm mit Gewalt stürmen wir nach; Sei er auch stark, es zehrt lange Drangsal die Kraft auf.

Einen Erhabnen entheben wir so des Geschäftes,

Unsere Leistung befreiet die Götter von Lasten, Nicht sie führen die Prüfung;

Unsre blutbesudelte

Scheußliche Rotte hat Zeus von des Himmels

27 Rath auf ewig weggebannt. Darum mit Macht springend empor wieder den dumpf­

hallenden Fuß Senk' ich zum Erdboden hinab, In dem behenden Lauf stürzt er gräßlich den Flüchtling.

Hoheit,

Ruhm,

wie stolz er zum Himmel empor­ prangt,

Schwindet ifit Staube dahin und verkehrt sich in Elend,

Wenn wir in schwarzen Umhüllungen nahn

und zum

Tanzreihn

Freudenlos der Fuß sich schwingt. Doch raubt Wahnwitz noch in dem Sturz die Be­

sinnung, Also verdunkelnd umflattert das Auge die Sühnschuld, Und von der grausen Bedrängniß des Hauses erzählt mit-

leid'ger Völker Sage viel.

Des Zornes Kraft zeigt

uns Wege,

Ziel, nie

Vergessend heischen wir Ehrfurcht, Bon Menschenflehen unerweicht,

Verflucht durchirrend der schrecklichen Flur

führt

zum

28

Gebiet, den hcil'gcn Göttern fern, wo Tageslicht aus­

lischt, Grausige Schlünde, verschlossen dein Späher und wem Nacht das Auge deckt.

Wo ist ein Mensch, welcher nicht in Furcht erbebte, Wenn meine Satzung er anhört,

DaS Loos, das Möra mir verhängt, Als Macht die Ewigen anvertraut? Es ist mein altes Ehrenamt und keine Schmach trifft mich,

Lieget mein Reich auch im Schooße der Erd' in sonnen­ loser Finsterniß. (A-tne erscheint auf einem von Rossen gezogenen Wagen

und steigt herab.) Siebente

Scene.

Athene.

Fernher vernommen hab' ich einer Stimme Ruf

Am Strom Skamandros, wo ich einzog in das Land,

Das dort Achaja's Fürsten und Gewaltige Als schönen Antheil an des Siegs Errungenschaft

Geweiht mit Grund und Boden mir auf immerdar,

Den Kindern TheseuS zum crlesnen Eigenthum.

29 Dorther betrieb ich unermüdlich meine Fahrt,

Gleich Flügeln weit aufrauschend meiner Aegis Schooß, Mit dieses Wagens jugendmuth'gem Füllenpaar.

Doch nun, gewahrend diesen neuen Landbesuch,

Zwar nicht Besorgniß aber Staunen faßt mich an.

Insgesamt euch gilt das Wort,

Sagt an, wer seid ihr? Sowohl dem Fremdling,

welcher dort mein Bild um­ schlingt,

Als euch, vergleichbar keinem sonsterzeugten Stamm.

Göttinnen weder, wie des Gottes Blick sie schaut,

Noch auch dem Menschenwuchse gleichgebildete,

Doch wegen Mißgestaltung seinen Nächsten schmähn

Ist nimmer billig und der guten Sitte fern.

Chorführerin. In bünd'gen Worten thu' ich, Zeuskind, Dir es kund. Du siehst in uns die Töchter schauervoller Nacht,

Und Flüch' im Abgrund hausend werden wir genannt. Athene.

Den Etamin und eures Namens Laut erfnbr ich nun.

Chorfübrerin. Was meine Würde, sag' ich dir nun auch sogleich.

30 Athene.

So laß mich hören und erklär' es deutlich mir. Chorführerin.

Die Menschenmörder aus der Heimath jagen wir. Athene. Und sprich, wo endet solche Flucht dem Schuldigen? Chorführerin.

Wo Lust und FreUde sind auf ewig unbekannt.

Athene. Zu solcher Flucht treibt also den auch dein Geschrei?

Chorführerin. An seiner Mutter frech zum Mörder ward er ja. Athene.

Vielleicht den Groll zu meiden einer andern Macht? Chorführerin.

Wo wär' ein Antrieb mächtig bis zum Muttermord? Athene.

Da zwei Partheien, sind die Reden hier getheilt.

Chorführerin. Er wird , den Eid nicht geben, noch annehmen auch.

Athene. Du willst gerecht nur heißen, nicht es wahrhaft seyn.

31 Chorführerin. Wie das? Belehr uns! Nicht gebricht dir weiser Sinn. Athene. Niemals durch Eidschwur sieget Ungerechtigkeit. Chorführerin.

So untersuch' es, richte nach des Rechtes Gang.

Athene.

Mir also wendet ihr des Streits Entscheidung zu?

Chorführerin. Warum nicht? Ehre geb' ich gern Ehrwürdigen.

Athene. Was willst du, Fremdling, drauf erwiedern deinetseits? Verkünde Heimath und Geschlecht und welch ein Leid

Dich drückt, und wehre dann den Borwurf ab von dir, Wofern in Wahrheit gutem Recht vertrauend hier Zu solchem Bildsiy meinem Altar du genaht,

Ein edler Schützling, wie es einst Jrion war. Hierauf die Antwort gieb mir deutlich und genau. Orestes.

O große Pallas, aus dem Letzten, was du sprachst,

Heb' ich zuvörderst eine große Sorg' hinweg. Nicht sühneheischend bin ich hier, nicht haftet Blut

32 An dieser Hand mehr, die an deinem Bilde ruht.

Hievon ein großes Zeugniß auch verkünd' ich dir.

Wer Blut vergossen, bleibet stumm nach altem Brauch, Bis daß ein Andrer mit dem weihekräft'gen Blut Bon jungen Opferthieren ihn entsündigt hat.

Schon längst in fremden Häusern solche Reinigung

Empfing ich ja durch Opfer und Besprengungen,

So daß ich dieser Sorge frei und ledig bin. Nun auch die Antwort, wer ich bin, ertheil' ich dir. Von Argos stamm' ich, meinen Vater kennst du wohl,

Agamemnon, welcher Hellas Schiffen einst gebot, Mit dem du Trojas stolze Heldenburg in Staub

Verwandelt, doch unrühmlich kam er um im Land

Der Väter, denn voll schwarzer Hinterlist erschlug Ihn meine Mutter, mit dem Trugnetz ihm das Haupt Einhüllend, statt des Bades ward ihm Tod zu Theil.

Und ich, der endlich aus Verbannung heimgekehrt,

Erschlug, die mich geboren, leugnen kann ichs nicht, Zur Graunvcrgeltung für des theuren Vaters Mord.

Doch diese Schuld trägt Lorias mit mir zugleich, Der herbe Seelenqualen mir verkündete,

Wenn an den Frevlern ich die Rache nicht vollzog.

33 Doch ob ich recht that oder nicht, entscheide du, Denn deinen Ausspruch, wie er fällt, erkenn' ich an. Athene.

Zu groß ist dieser Handel, daß ein Sterblicher Hier fäll' das Urtheil.

Nicht mir selber ziemt es sa,

Zu schlichten dieses sähentbrannten Mordes Streit. Besonders weil du, schon der Sühn' entlediget,

Ein reiner Schützlinge meinem Hause fromm genaht.

AlS unbescholten drum empfängt dich meine Stadt. Doch wild und mürrisch ist der Andern Sinnesart,

Und wird im Rechtsstreit ihnen nicht der Sieg zu Theil, So bringt der Giftschaum,

den ihr Haß zu Boden

trieft,

Einst diesen Gauen böse, jammervolle Pest. Und so erwächst nun, ob sie bleiben oder gehn, Aus beidem großes Leid mir unabänderlich.

Da dieß nun also zur Entscheidung sich gefügt,

Erkies' ich jetzo ein geschwornes Blutgericht, Und stift' eS eine Stiftung für die Ewigkeit.

Ihr aber sorget, wie ihr Zeugen und Beweis' Euch schafft, mit Eidschwur euer Recht zu kräftigen.

Indessen hol' ich meiner Bürger Edelste

34 Herbei, zu schlichten diesen Streit gewissenhaft

Treu ihrem Eidschwur wider Ungerechtigkeit. (Athene geht ab)

Achte

Scene.

Wechselgesang deö Chors. Neuer Satzung Uebermacht sehn wir bald, wenn des

ruchlosen Muttermörders Schuld Vor Gericht siegen soll!

Solcher Spruch giebt den Menschen überall kecke Hand

zu frevler That, Manchen blutigen Stoß von Kindeshänden noch bringt

der Elternbrust Kommender Tage Schreckenszeit. Denn es schleichet keiner That dann der Groll dieses

Schwarms grimmer Menschenhüter nach, Jeden Mord lass' ich zu.

Einer forscht dann vom Andern, dem er Leid durch die Hand deö Nächsten klagt,

Wie der schrecklichen Noth zu wehren, nirgend erscheinet Hülfe, nichts

Lindert des Armen Traurigkeit.

35 Daß nur Keiner mir alsdann,

den ein Unglück nie­

derschlug,

Solchen Zeterruf erhebt: O du Recht, o Erinnyengericht! Also wird ein Vater bald, eine Mutter in der Gefahr

Klagen kläglich, weil der Thron der Gerechtigkeit zerfiel.

Oft zum Heile sitzt die Furcht als Gedankenhütcrin Furchtbar in der Menschenbrust,

Ja eS frommt, auch gezwungen fromm zu seyn!

Aber wer, der keinerlei nährt im unbekümmerten Muth, Welcher Mensch noch,

welche Stadt wird das Heil'ge

fürder scheun?

Weder sonder Oberhaupt,

noch als Knecht zu leben

auch, Lobe du!

Ewige Kraft ist der Mitte verliehn von der Gottheit wal­ tender Allmacht. Und so sag' ich immerdar;

Götterverachtung erzeuget den Frevel als Kind, doch der Gesundheit Der Seel' entkeimt wonnevoll sehnlich erwünschter Segen.

3 *

36

Drum ermahn' ich:

sey bedacht auf deö Rechtes

Heiligkeit!

Tritt es nie, Siehst du Gewinn auch,

danieder mit sündigem Fuß, denn Strafe verfolgt dich.

Sichres Ende wartet dein. Jeglicher wahre die Scheu vor den Eltern zumeist und die Bewirthung

Verehrter Gastfreunde sey Jeglichem werth und heilig. Nie geht der Rechtschaffne, welcher Unbill haßt, sei­

nes Heils verlustig, Versinket nie ganz in Jammertiefen;

Doch wenn ein Mann in verwegnem Uebermuth DcS Rechtes Ordnung frech zerrüttend wild verwirrt,

Er senkt einff nothbedrängt die Segel,

Wann sie des Sturmes Macht ergreift, der ihm die Rah' zerschellet. Sein Hülferuf auü des Strudels enger Haft schreit zu tauben Ohren,

ES lacht der Gott ob deS Mannes Hitze. Er sieht ihn jetzt, der des Zaums sich frei gewähnt,

37

Den Nacken schmiegen, höher thürmt die Klippe sich, Das Glücksschiff alter Tage strandet

Endlich am Fels des Rechts, er finkt, Niemand beweint, vernimmt es. (Athene erscheint an der Spitze der jwSlf Areopagiten.)

Neunte Scene. Athene.

Dein Amt, o Herold, üb' und schaffe Ruh' im Volk, Laß durch den Himmel schmetternd die tyrrhenische Drommete, deines tiefgeschöpften OdemS voll,

Mit lautem Schall das Zeichen geben allem Volk. Denn setzt bei dichtgedrängter Nathsversammelung

Ist Schweigen heilsam, daß vernehme mein Gebot

Für alle Zukunft, wer Athenes Stadt bewohnt, Und nach der Ordnung dieser Streit entschieden sey. (Apollon erscheint auf der Bühne.)

38

Zehnte

Scene.

Chorführerin.

O Fürst Apollon, walte wo du Herrscher bist, Doch welchen Theil hast du an diesem Handel, sprich.

Apollon. Zuerst als Zeug' erschien' ich, denn zu meinem Haus

Kam dieser Mann als Schützling, fand an meinem Hcerd Zuflucht, deS Mordes hab' ich selber ihn entsühnt,

Dann auch als Mitbeklagter, denn ich trage Schuld Am Tode seiner Mutter.

Nun eröffne du

Nach deiner Weisheit diesen Streit und ordn' ihn an.

Athene. Das Wort ist euer — so den Rechtsgang leit' ich ein. Denn er der Kläger, dem zuerst das Wort gebührt, Muß uns den Hergang wahr und treu zu wissen thun.

Chorführerin. Obschon wir viele, soll die Rede bündig seyn, Gieb nur die Antwort unsern Fragen Wort für Wort! Ob du der Mörder deiner Mutter, sprich zuerst.

Orestes.

Ich bin es, niemals eine Wahrheit leugn' ich ab.

39

Chorführeri». Daö erste Ningspiel unter drei'» ist abgethan!

Orestes. Noch nicht am Boden liegt er, gegen den du prahlst.

Chorführerin. Nun gieb uns Auskunft, wie du sie hast umgebracht?

Orestes. Es sey, den Nacken hieb ein Schwerdtschlag ihr entzwei.

Chorführerin. Und wer bewog dich, wessen Rathschlag trieb dich an? Orestes.

Deß Gottes Ausspruch, mir zu zeugen steht er hier.

Chorführerin.

So hat der Seher dich zum Muttermord verführt? Orestes.

Und noch biö heute schalt ich nimmer mein Geschick.

Chorführerin. Bald denkst du anders, wenn der Spruch dein Haupt erfaßt.

Orestes. Auf Hülfe trau' ich, die des BaterS Grab mir schickt.

40 Chorführern*.

Auf Todte baust du, der die Mutter mordete! Orestes. Zwiefachen Frevel lud sie auf ihr schuldig Haupt. Chorführerin.

Wie das?

Erkläre solches doch den Richtern hier.

Orestes. Den Mann erschlug sie und den Vater mir dazu.

Chorführerin. Du aber lebst noch, während sie den Mord gebüßt. Orestes. Warum denn hast im Leben du sie nicht verfolgt?

Chorführerin. Nicht Eines Bluteö mit dem Erfchlagnen war sie ja. Orestes.

Ich aber, meinst du, bin von meiner Mutter Blut?

Chorführerin. Trug nicht, du Ungeheuer, unterm Herzen dich

Ihr Schooß, verleugnest du der Mutter theures Blut? Orestes. Nun lege du mir Zeugniß ab und führ' es auö

Apollon, ob ich sie mit Fug ermordete.

41 Die That ja selber, wie sie ist, gesteh' ich ein,

Doch ob ich schuldlos oder nicht dieß Blut vergoß Nach deinem Sinn, urtheile, so belehr' ich sie.

Apollon. Zu dir, Athenes große Stiftung, red' ich nun Gerechten Sinnes, Lüge kennt der Seher nicht.

Und nie geweissagt hab' ich auf dem Seherthron, Für Mann und Weib, für Stadt und Länder auch be-

fragt,

Was Zeus der Vater im OlympoS nicht gebot. Euch klar zu machen, wie gewaltig dieses Recht,

Und meines Vaters Rath zu folgen, mahn' ich euch,

Denn nicht deS Eides Heiligkeit gilt mehr denn ZeuS. Chorführerin.

Zeus also, sagst du, gab den Schicksalsspruch dir ein, Orestes anzumahnen, daß des VaterS Tod

Zu rächen, er der Mutter Ehren ganz vergaß? Apollon. Ein Andres ist es, wenn erliegt ein edler Mann, Mit heil'gem Königsstabe hoch verherrlichet,

Des eignen Weibcö Ränken, nicht durch feindliches

Geschoß der Amazone, das fernher ihn traf,

42 drein, hör es Pallas, hört es Alle, die umher

Als Richter sitzen zur Entscheidung dieses Streits:

Als er vom Feldzug mit der Beuteschätze Gut

Beladen heimkam, nimmt sie liebevoll ihn auf

Und reicht ein Bad ihm in der Wanne, doch zuletzt, Ihn in des Mantels ausgespanntes Jrrgeweb' Endlos verwirrend, schlägt sie todt den Ehgemahl.

So ward deö Helden Untergang euch kundgethan, Des hocherlauchtcn, der dem Schiffsheerzug gebot, Sic hab' ich so geschildert, daß ergrimmen muß

Ein Jeder, dem die Rechtsentscheidung anvertraut. Chorführerin. Zeus, sagst du, achtet höher werth des Vaters Tod,

Der doch den Vater Kronos selbst i» Bande schlug? Steht solches nicht mit jenem klar im Widerspruch?

Merkt wohl darauf, ihr Richter, und bezeuget mirs.

Apollon.

Ihr allvcrhaßten, gottverfluchten Ungeheu'r! Erzbande kann man lösen, dafür ist genug

Der Hülfe, zur Befreiung manches Mittel auch.

Doch wenn deS Mannes Blut der Staub getrunken hat,

Einmal gestorben, ist für ihn kein Auferstehn.

43 Dafür erfand auch keinerlei Beschwörungen Mein Vater, der sonst Alles auf- und niederwärts

Im Wirbel umschwingt, ohne daß sein Hauch sich rührt.

Chorführerin. Wie willst du den hier retten durch Vertheidigung? Der seiner Mutter eingefleischtes Blut vergoß,

Er soll in ArgoS wohnen und im Vaterhaus? Wo sind Gemeindaltäre, drauf er opfern darf,

Und welches Stammbunds Weihbesprengung läßt ihn zu?

Apollon. Auf diese Frag' auch geb' ich richtig dir Bescheid.

Nicht giebt die Mutter denen, die sie Kinder nennt, Das Leben, ist nur jungen KeimeS Pflegerin;

Der Vater zeugt ihn, aber sie bewahrt das Pfand

Dem Freund die Freundin,

wenn

ein Gott

cs

verletzt. Mit sichrem Beispiel will ich das bestätigen.

Denn Vater kann man ohne Mutter seyn.

ES steht

Als Zeuge hier die Tochter ZeuS OlympioS, Nicht in des Mutterschooßeö Nächten aufgenährt,

Und doch erzeugte gleichen Sprößling nie ein Gott.

Ich aber, Pallas, werde wie ich weiß und kann

nicht

44 Ruhmvoll erhöhen deine Stadt und Bürgerschaft.

Auch diesen sandt' ich deinem Tempel her alü Gast, Auf daß er freund ihr würde für die Ewigkeit,

Zum Bundsgenossen du o Göttin ihn gewännst Und Alle nach ihm, und es wahr bleib' ewiglich, Daß ihre Kindeskinder hold dem Bunde sind.

Athene.

Nun heiß' ich diese geben ihrer Meinung nach Gerechten Stimmstein, denn der Worte sind genug.

Chorführerin. Von jedem Pfeil ist unser Köcher ausgelecrt, Mich drängts zu hören, wie der Streit entschieden wird. Athene.

Wie nun? Was thu' ich, eurem Borwurf zu entgehn? Chorführerin.

Ihr hörtet was ihr hörtet, nun in tiefer Brust Erwägt das Urtheil, wahrt den Eid, ihr Fremdlinge. Athene.

Vernehmet meine Stiftung, Männer von Athen,

Im ersten Rechtsstreit Richter um vergossneS Blut. Auch für die Zukunft wird bei AegeuS Bürgerschaft Allzeit bestehen dieser Richter hoher Rath

45 Zur Ehre jenes Hügels, einst der Lagerstatt Der Amazonen, als dem ThefeuS feind ihr Heer Zum Strauß heranzog und dem neuen Bau der Stadt

Dem hochgethürmtcn, Gegenthürm' errichtete, Dem Ares opfernd, daß des GotteS Namenslaut

Noch Fels und Hügel tragen.

Hier wird Frömmigkeit

Des Volks und angeborne Scheu unrechtes Thun Abwehren, wie am Tage, so in stiller Nacht,

Wenn nicht die Bürger selber neuern am Gesetz.

Wer reines Wasser trübet durch unwürdigen Zufluß und Unrath, schöpft sich fürder keinen Trank.

Nicht frecher Willkühr, noch verhaßtem KnechteSzwang Rath' ich der Stadt wohlmeinend drum zu huldigen Noch auch was Furcht erreget ganz Hinwegzuthun.

Ein Mensch, der gar nichts fürchtet, bleibt er noch ge­ recht?

Bewahret also dieses Raths Ehrwürdigkeit, Dann habt ein Bollwerk eures Landes, eurer Stadt Ein Pfand des Heils ihr, wie der Menschen Keiner sonst

Nicht bei den Skythen, nicht in Pelops Jnselland.

Goldunbestechlich hab' ich diesen edlen Rath Nnschuldvertretend, zorneSschnell, den Schlafenden

46 Zur immerwachen Hut des Landes eingesetzt.

Dieß ist die Mahnung, so ich meiner Bürgerschaft Für alle Zukunft gebe, nun erhebet euch, Gebt euren Stimmstein und entscheidet diesen Streit,

Des Eides wohlgedcnkend.

Alles wißt ihr nun.

(Die Arcopagiten stehen der Reihe nach auf und wer­

fen ihre Stimmen in eine der beiden ausgestellten Urnen.) Chorführerin.

Ich rath' euch ernstlich, unsrer hergewanderten

Furchtbaren Heerschaar keine Kränkung anzuthun.

Apollon. Und ich ermahn' euch, meine Sprüche wie deS Zeus In Furcht zu ehren, daß ihr Heil euch nicht entgeht.

Chorführerin. In unser Blutamt mengst du unberufen dich. Befleckt hinfort sind deine Sprüche, wenn du weilst. Apollon.

Des Vaters Weisheit hat wohl auch etwa gefehlt, Als er Jrion ersten Mords entsündigte?

47 Chorführerin.

Sprich nur, wofern und nicht das vollste Recht geschieht, Mit großem Unheil nah' ich diesem Land' einmal. Apollon.

Dein achtet Niemand in der neuen Götterwelt

Noch bei den Urgebietern, mein gehört der Sieg. Chorführerin.

So frech verfuhrest du in PhercS Wohnung auch, Und zwangst die Möra, daß sie Todte wiedergab. Apollon.

Und ward nicht billig, wohlzuthun dem Götterfreund Und dann vor Allem, wen» er hilfbedürftig fleht? Chorführcrin. Du hast die alten Weltgebieter schwer gekränkt, Durch Wein berückt hast du der Urzeit Göttinnen. Apollon.

Du, bald dahier vollständig int Gericht besiegt, Speist Geifer aus, der deinen Feind nicht härmen sann. Chorführerin.

Weil du die Greisin höhnst im Jugendübermnth, Will ich den AnSgang des Gerichtes hören fetzt,

Noch zweifelmüthig, ob der Stadt ich zürnen soll.

48 Athene. Nun zur Entscheidung bring' ich selber hier den Streit,

Und diesen Stein noch für Orestes leg' ich zu:

Denn keine Mutter ist es, welche mich gebar;

Die Männer lob' ich, nur der Heirath abgeneigt, Aus vollem Herzen als des Vaters ächtes Kind.

Und nicht so hoch anrechn' ich eines Weibes Tod, Die ihren Mann, des Hauses Oberherrn erschlug.

ES siegt Orestes auch bei gleicher Stimmenzahl. Aus den Urnen eilig schüttet nun die Loos' hervor,

Ihr Richter, denen dieses Amt verordnet ist. Orestes.

Apollon, heil'ger, wie entscheidet sich der Kampf? Chorführerin.

O dunkle Nacht, Urmutter, siehst du ruhig zu? Orestes.

Nun Tod von Henkeröhänden oder Glück und Heil! Chorführerin.

UnS trifft Verstoßung oder Ehren allezeit. Apollon.

Sorgfältig, Freunde, zählet jetzt der Stimmen Fall,

Euch wohl vor Irrthum hütend bei der Sonderung.

49 Ein großes Unheil bringt ein Stimmstein weniger, Ein guter Stein mehr richtet auf ein Königshaus.

Athene.

Der Mann ist freigesprochen von der Schuld des Bluts,

Denn gleicher Anzahl zeigen sich die Loose hier. Orestes.

O Pallas, o du meines Hauses Retterin, Du hast der Heimath auch den Landesflüchtigen Zurückgegeben und in Hellas heißt es nun:

Argeier wieder ist der Mann, freut wiederum Sich seines Erbguts, Pallas war und Lorias

Ihm gnädig und der dritte hochobwaltende Erretter; blickend auf des theuren Vaters Mord,

Schirmt er mich vor der Mutter Rechtsbeiständen hier.

Doch ich gelobe deinem Land' und theurem Volk

Für aller Zukunft unerkennbar ferne Zeit Mit hohem Eidschwur, kehrend in das Vaterland, Daß nie ein Kriegsfürst meines Landes einen Mann

Mit blankem Speer gerüstet hieher senden soll; Denn selber schick' ich, dann versenkt in tiefer Gruft,

Den Uebertretern meines Eidschwurs, den ich fetzt Geschworen, unabwendbar böses Ungemach,

4

50 Mit banger Furcht und üblen Zeichen ihren Weg

Erschreckend, daß ihr Thun sie schnell gereuen soll. Doch wenn sie redlich mir Athenes beil'ge Stadt

Hier hochverehren stets mit bundeötreuern Speer, Dann werden wir auch doppelt huldreich ihnen seyn.

Nun grüß' ich, Pallas, dich und dein erlauchtes Boll,

Unüberwindlich jedem Feinde widerstehs Und stets begleite Glück und Siegsruhm seinen Speer!

(Oreste- und Apollon gehen ab)

(Stifte

Scene.

Ganzer Chor. Ha, nenentsproffner Göttcrstamm, der Urzeit Gesetz Werft ihr danieder und entreißt es meiner Hand!

Doch ich Entehrte, Schwergekränkte will zum Entgelt, Zur Rach' auf das Land,

Ohu, hohu!

zornesempört

Entladen meines Herzens Geifer,

Den verderblichen, daß danach Entblößt von Bäumen und Saaten

(O Strafgericht!) auf der verödeten Flur

Voll Hungertod weithin das Unkraut sprießen sott!

51 Ich seufz' hier, was thu' ich, beginn' ich, zu schwer litt Ich Unbill von der Stadt! O leidüberhäuftes Geschlecht dunkler Nacht,

Das in Entehrung trauert. Athene.

Folgt meinem Wort' und stöhnt nicht unmuthsvoll darob,

Nicht überwunden seyd ihr, gleiche Stimmenzahl Entschied den Rechtsstreit nicht unehrenvoll für euch. Doch glänzend Zeugniß hat Kronion hergesandt,

Ders selbst geboten, legte selbst auch Zeugniß ab,

Daß ob der That Orestes keine Schuld bedrückt.

Ihr aber schleudert keinen bösen Groll erzürnt Auf diese Gauen, suchet nicht mit Hungersnoth

Sie heim, entspeiend Höllengiftschaum aus dem Schlund, Der scharf hinwegfrißt alle Saat erbarmungslos; Denn ich gelob' euch und verspreche feierlich, Daß euch ein Wohnsitz und ein Erdschlund werden soll,

Ehrwürdig thronend auf beglänztem Feuerheerd Allhicr von diesen Bürgern hochverherrlichet. Ganzer Chor. Ha neuentsprossner Götterstamm, der Urzeit Gesetz,

Werft ihr danieder und entreißt eS meiner Hand!

4 *

52 Doch ich Entehrte, Schwergekränkte will zum Entgelt

Znr Rach' auf das Land,

Ohn, hohn! zornesempört Entladen meines Herzens Geifer, Den verderblichen, daß danach

Entblößt von Bäumen und Saaten (£) Strafgericht!) auf der verödeten Flnr

Boll Hungertod weithin das Unkraut sprießen soll!

Ich seufz' hier, waö thu' ich, beginn' ich, zu schwer litt Ich Unbill von der Stadt! O leidüberhäuftes Geschlecht dunkler Nacht,

Das in Entehrung trauert!

Athene. Nicht seyd entehrt ihr, macht aus allzugroßem Haß,

Göttinnen, nicht den Menschen unwirthbar das Land,

Auch mir verlieh Zeus Muth und, thuts zu sagen noth? Es weiß die Schlüssel keine Göttin außer mir Zur Kammer, wo sein Wetterstrahl versiegelt ruht. Doch deß bedarfs nicht, füge nur gutwillig dich;

Und schütte nicht der frevlen Zunge Schauderfrucht

Mit bösem Unheil schwanger hin auf dieses Land.

Bring' deines Ingrimms schwarzen Wogensturz in Ruh,

53 Da hvchgefeiert neben mir du thronen sollst. Einst, wann dir Erstlingsfrüchte dieser weiten Flur

Für Kindersecgen und der Hochzeit Eheglück

Geweihet werden, lobest du mein jetzig Wort. Ganzer Chor.

Ich das erdulden, o Schmach! Ich die Ergrauete soll in den Abgrund flieh»,

Schnöde verhöhnt, schwer entehrt? Von Zorn kocht die Brust, von rasendester Wuth.

Hui Erdabgrund! Wie mir der wilde Schmerz zuckt durch das Gebein! Hör' mein Toben, o Mutter

Nacht, da des alten Vorrechts hcil'ge Würden mir

Mächtiger Götter Trug und Arglist geraubt! Athene.

Den Zorn verzeih' ich, denn du bist die Aelterc.

Jedoch, wie sehr viel weiser du auch seyst denn ich, Vergessen nicht hat Zeus mich mit Verständigkeit.

Ihr werdet noch, wenn jetzt ihr nach der Fremde zieht, In dieses Land zurückverlangen, sag' ich euch.

Denn größre Hoheit bringt der Zukunft Zeitenstrom Für diese Bürger, du auch wirst ehrwürdigen

54 Wohnsitz empfangen des Erechtheus Hause nah, Beschenkt von Männern und von Fraun im Feierzug, Daß du von andern Menschen Gleiches nie empfingst.

Deswegen wirf auch du in diese Gauen nicht

Den Stein des blut'gen Haders, dran der Jugend Muth Sich schärfet, weinlos sich zu ttunkner Wuth erhitzt. Noch auch vergälle wilden Hähnen gleich ihr Herz

Und pflanze Streitlust in die Brust der Bürger ein, Daß Bruderzwist und Stammesfehde sie verwirrt. Im Fernen seyn die Kriege, doch nicht allzu fern, In denen aufwacht edlen Heldcnruhmö Begier.

Desselben Hofs Geflügel kenne keinen Streit! So großer Gaben Auserwählung biet' ich dir,

Wohlthat für Wohlthat, theil zu haben ehrenvoll

An meinem Lande, diesem gottgeliebtesten. Ganzer Chor.

Ich das erdulden, o Schmach! Ich die Ergrauete soll in den Abgrund flichn,

Schnöde verhöhnt, schwer entehrt? Bon Zorn kocht die Brust, von rasendester Wuth. Hui Erdabgrund!

55 Wie mir der wilde Schmerz zuckt durch das Gebein! Hör' mein Toben, o Mutter

Nacht, da des alten Vorrechts heil'ge Würden mir Mächtiger Götter Trug und Arglist geraubt! Atbcne. Nicht müde werd' ich zuzureden dir, was frommt,

Daß nie du sagest, du bejahrte Göttin seyst

Von mir der jünger» und der Stadt Bewohnerschaft

Verstoßen worden, meidend ehrlos dieses Land. Nein, so dir Peithoö hehre Macht ehrwürdig ist

Und meiner Zunge süßbercdend Zauberwort,

So bleibe bei unS; weigerst du zu bleiben dich, Dann thust du unrecht, wenn du diese Stadt bedräust Mit Haß und Scheelsucht und des Volkes Mißgeschick,

Da dir ja frcistcht, reichen Grundanthcils allhier

llnd ew'ger Ehren nach Gebühren dich zu freun.'

Chorführcrin. Erhabne Pallas, welchen Wohnsitz beust du mir?

Athene. Vor jedem Mißstand wohl behütet, nimm ihn an.

56 Chorführerin.

Gesetzt, ich nahm' ihn, welche Würde bleibt mir dann?

Athene.

Kein Haus im Lande soll emporblühn ohne dich.

Chorführerin. Du willst bewirken, daß mir so viel Macht gehört?

Athene. Dem frommen Bürger bauen wir des Glückes Haus.

Chorführerin. Und willst mir Bürgschaft geben für die fernste Zeit?

Athene.

Nicht ziemet mir zu sagen, was sich nicht erfüllt. Chorführcrin.

Dein sanfter Zuspruch stillet mir den Zorn fürwahr. Athene.

Einheimisch hier, erwirbst du dir der Freunde viel.

Chorführerin. Welch Seegenslied nun forderst du für diese Flur?

57 Athene. Was immer hinzielt nach dem Preis der Trefflichkeit,

Dem Grund des Erdreichs,

wie dem Meeresthau ent­ sproßt

Und hoch vom Himmel, sanftbewegten Windeshauch Und Sonnenschein, verbreitend Seegen auf die Flur.

Der Landesfeldfrucht und der Heerden froh Gedeihn, Dem Volk zum Wohlstand, daß eS nimmer darben mag.

Gedeihn der Kinderhoffnung auch im Mutterschooß. Doch unerbittlich rott' im Volk die Frevler aus, Denn gerne seh' ich nach des treuen Gärtners Art,

Daß mir vor Schaden bleibt der Guten Stamm bewahrt. Dein Amt ist dieses, doch im männermordenden Ruhmkampf des Ares diese Stadt als Siegerin Vor allen hochzuehren, dieß bleibt mein Geschäft.

Ganzer Chor. Hauö und Dienst neben Pallas nehm' ich an.

Wie verschmäht' ich jene Stadt, Drin auch Zeus, der Herr des Alls und Ares

Als in heil'ger Veste wohnt, Der Hettenengötter Tempelschutz und Augenlust?

58 Ihr verkünd' ich gnadenvoll jetzo diesen Seegenswunsch, Daß Lebensglück im Ueberschwang gedeihliches Erdschooß dir glutstrahlend Milde Sonn' entlocken mag!

Athene. So hab' ich es wohl vorsorgend der Stadt

Nun gefügt, daß ich hier sie zu wohnen bewog, Die gewaltige schwer zu begüt'gende Macht.

Denn es heischet ihr Amt, all' menschliches Thun Zum Gericht zu erspähn.

Wen nun Heimsucht ihr gefürchteter Zorn,

Nicht weiß er, woher groß Leid ihn bedrückt? Denn die Sünden des Stamms, sie liefern ein stumm

Fortbrütcnder Fluch ihn in jener Gewalt

Und zermalmen, so laut Er auch ruft, ihn mit feindlichem Grimme.

Ganzer Chor.

Nimmer weh', ich verkünde meine Huld,

Böser Hauch den Bäumen an! Brand auch, Tod des jungen Pflanzcnaugcs,

59

Nahe diesen Marken nie! Nie ersticke MißwachS jammervoll der Saaten Grün!

Wohlgediehne Schaafe soll, Zwillingslämmer tragende, Zu rechter Zeit das Land erzieh», cs sey die Zucht

Heimathschatz, Triftgottheit, Deiner Seegensgabe werth! Athene.

Ihr vernähmet eS wohl, Schirmherren der Stadt, Welch Glück sie verheißt?

Denn Großes vermag der Erinnyen Macht

In der Himmlischen Rath wie im Reiche der Nacht, So der Menschen Geschick an. das deutliche Ziel Unabwendbar führt, dem Freudengesang Doch dem Andern ein LooS

Umwölket von Thränen beschcidend. Ganzer Chor. Manneskraft falle nicht vor der Blüthe hingewclkt,

Mannesliebe gebt zum Loos

Rosigen Mägdlein, die deß die Gewalt ihr besitzt, hohe

Mören!

60 Ihr, auch Töchter der Nachtmutter,

Göttinnen ewigen Rechts, Jeglichen Hauses Genossen,

jeglichen TageS der Woh­

nung Frommer Menschen seegensreich,

AllwärtS hochgepriesne Göttinnen! Athene. Dieß meinem Gebiet wohlwollend erhört

Zu vernehmen erfreut mir die Seel' und hoch Sey Peitho gelobt! Die Lippen und Mund zum Erweichen der streng' Abweisenden Schaar mir so weise gelenkt,

Doch es waltete Zeus, der Versammlungen Hort,

Und cs wurde zu Theil Vollkommener Sieg dem Gerechten.

Ganzer Chor. Und der Drangsale Quell, innrer Zwist, er möge nie

Wild zerrütten dieses Land, Nimmer der Boden durch Bürgercmpörung von Blut­

strömen triefend

61

Elend, blutiger That Sübngcld,

Heischen von diesem Gebiet'.

Freude nur mögen sie tauschen, einig in guter GesiN'

nung, Auch im Hasse nicht entzweit.

Vielfach heilet dieß der Menschen Weh! Athene. Fand meine Vernunft nicht herrlich und schön

Der Beredung Pfad? Von den schrecklichen Graununholdinnen seh' Ich erblühen der Stadt vieltheuren Gewinn.

Wo die Freundlichen ihr stets freundlichen SinnS In Verehrung preist, wird Stadt und Gebiet Der Gerechtigkeit Ruhm

Euch schmücken in spätester Zukunft. Ganzer Chor. Freude dir, Wonne dir, blühender Wohlfahrt Heil! Heil dir Stadtbewohnerschaft, Zeus erhabnem Throne

nah,

62 Seiner lieben Tochter lieb, weisen Sinns zu rechter Zeit, Unter Pallas Flügelhut ehrt der große Vater euch.

Athene. Heil wieder auch euch, nun schreit' ich voran

Zum geweiheten Sitz euch zeigend den Pfad. Von dem heiligen Licht der Geleiter umglüht

Zieht hin, und indem sich das Opfer erfüllt, Fahrt nieder zur Kluft!

Und was Unheil schafft, bannt fest in den Grund, Nur Segen empor schickt ewig der Stadt.

So führet denn selbst sie o Kinder der Stadt Aus Kranaos Stamm, die Genossinnen, hin,

Stets bleibe zum Heil In dem Volk heilsame Gesinnung!

Ganzer Chor. Freude dir, Wonne dir ruf' ich noch einmal zu.

Allen hier in dieser Stadt, Göttern so wie Sterblichen,

Die ihr Pallas Ort bewohnt, meine Markgenossenschaft Fromm verehrend, klagt ihr nie ob des Lebens Miß­

geschick.

63 ^Während dieser Gesänge habe» sich Priesterinnen, Frauen

und Jungfrauen festlich

geschmückt und mit

brennenden

Fackeln in den Händen auf der Bühne versammelt.)

Zwölfte

Scene.

Athene.

Ich lobe dankbar, was verheißt dein Segenswunsch, Und will der hellumstrahltcn Fackeln Feuerglanz Zur Tiefe niedersenden nach der Erde Schooß Mit Dienerinnen, deren wohlbeflissner Hut

Mein Bild vertraut ist, komme denn du Augenlust

DeS Theseidenlandes, fromme Mädchenschaar, Ibr treuen Frauen, du der greisen Mütter Zug, Mit eurer Purpurfestgewande Pracht geschmückt

Sie preisend, hell verbreite Feuerglanz den Schein, Daß wohlgesinnt euch diese Landgenossenschaft Durch Bürgerwohlfahrt Huld beweise ewiglich!

Chor der Geleiterinnen.

Ziehet zum Hause geehrt und erhaben,

Ihr jungfräulichen Kinder der Nacht, treu leiten wir euch. Schweigt andächtig ihr Stadtbürger!

64

Tief in den Gründen der Erde, der alten Wohnt durch Opfer und Feier geehrt hochwürdig ihr nun.

Schweig' andächtig o Volk ringsum! Huldvoll unserem Land vielgewogen,

Heilige, wollt euch nahen am Licht

Lodemder Fackeln erfreut, schalle laut Zum Gesänge du Judelentzückung!

Stets bleibt fackelbestrahlt eure Spende,

Solchen Vertrag schloß mit Athens Stadt Zeus und die Möra getreu, schalle laut

Zum Gesänge du Jubelentzückung!

Erklärende Anmerkungen.

Zur ersten Scene.

Zuerst von allen Ew'gen . . . Die Pythiaö eröffnet

die Scene mit einem feierlichen Gebete zu den ältesten Inha­ ber» des delphischen Orakels, welche nach AeschyluS die Göt­ tinnen Gäa, Themis und Phöbe waren. Die erste ist die mütterliche Erde selbst, auf sie folgt Themiö, die Göttin der gesetzlichen Ordnung und Mutter der Horen, alsdann ihre Schwester Phöbe, Gemahlin des KöoS und Mutter der Leto, endlich der Sohn der Letzter», Phöbos, der von seiner Groß­ mutter außer dem Orakel als Geburtsgeschenk nach alter Sitte auch den Namen Phöbos, d. h. der Reine, der Strah­ lende, empfängt. In allem diesem geht AeschyluS dem Ge­ waltsamen, daS andere Mythen über diesen Gegenstand ent­ hielten, vorsichtig anü dem Wege. So hatte z. B. Pindar den Kampf Apollons mit der Erde um den Besitz des Ora­ kels so heftig geschildert, daß diese ihn in den Tartaros zu stoßen versucht haben sollte. Ebensowenig erwähnt AeschyluS hier den berühmten Kampf mit dem Drachen Python. 5

66 Er nun, verlassend DeloS . . . Bekannt ist die Sage von Apollons Geburt auf der Insel Delos, die Zeus, um der vergeblich einen Ort zur Niederkunft suchenden Leto endlich eine Ruhestatt zu gewähren, durch sein Wort aus dem Schooße deö Meeres emporsteigen ließ. Sie wurde dieser Geburt wegen für so heilig gehalten, daß auf ihr, wie ThukydideS berichtet, weder ein Mensch geboren werden noch ster­ ben durfte. Um solche Verunreinigung zu verhüten, wurden Sterbende und Gebährende auf ein kleines benachbartes Ei­ land gebracht. Pallas schiffumkreiste Küsten sind die von Attika, der natürliche Weg von Delos nach Delphi. DeS HephästoS Söhne . . . bezeichnet die Athener, als von ErichthonioS, dem Sohne des HephästoS, stammend, welche sich rühmten, durch Lichtung der Wälder und Anle­ gung von Felsensteigen die heilige Straße nach Pytho ge­ bahnt zu haben. Auch später hatten sie den abgebrannten Tempel aufS Prächtigste wiederhergestellt, wofür sie Pindar mit Lobsprüchen überhäuft. König DelphoS ist nur die mythische Bezeichnung der Stadt Delphi und kommt sonst weiter nicht vor. LoriaS heißt Apollon als Orakelgott wegen des Zwei­ deutigen und Dunkeln (LoroS) feiner Orakelsprüche. In dem Borhof Pallas . . . Auf der Straße nach Böotien und Athen stand der berühmte Tempel der Pallas Pronäa, d. h. der vor dem Tempel Wohnenden; hier war es, wo in den Perserkriegen auf die zur Plünderung des del­ phischen HeiligthumS heranziehenden Barbaren Blitze vom Himmel herabfuhren und mit großem Krachen zwei ungeheure

67 Felsenstücke vom Parnasses loSriffen, so daß die Tempelräu­ ber voll Entsetzen umkehrten und nach Böotien entflohen. AuS dem Tempel soll dabei ein lautes Kriegsgeschrei erschol­ len seyn. Korykias Felsenkluft ist eine dem Pan und den Nymphen geweihte Tropfsteingrotte am südlichen Abhange des ParnassoS. In diese Gegend verlegt die Sage den Tod des Königs von Theben, Pentheus, der Dionysos nicht als Gott­ heit anerkennen wollte und deshalb von seiner eigenen Mut­ ter, Agaue, in bakchischer Wuth zerrissen wurde. PleistoS heißt ein kleiner Fluß bei Delphi. Seinen Lauf mit den Augen verfolgend, erblickt die Priesterin das Meer, und ruft dessen Beherrscher, Poseidon, an, der mit ThemiS an der Gründung des Orakels Theil genommen ha­ ben soll. Und als Vollendung ihn, den höchsten Zeus. Die Art, wie hier die Pythias ihr Gebet beschließt, erinnert an die griechische Sitte, nach der Mahlzeit drei feierliche Spenden zu bringen, die erste dem olympischen Zeus, die zweite der Erde und den Heroen, die dritte ZeuS dem Erretter. Da sitzt vor meinen Augen . . . Bekannt ist die Sage, daß Zeus, um die Mitte der Erde auSzufyrschen, zwei seiner Adler von Aufgang und Niedergang fliegen ließ und beide in Delphi zusammentrafen. Ein weißer Stein in Ge­ stalt einer durchlöcherten Halbkugel, den man häufig auf Ba­ sen dargestellt findet, und OmphaloS oder Erdnabel genannt wurde, bezeichnet den Ort im Tempel. Zuweilen fieht man ihn auch mit einer Art von Netz geschmückt, wie eS die Wahr­ sager als Ueberwurf trugen.

68 BomOelbaum auch ein hochentsproßneSReiü... Ei» mit Wolle umwundener Oelzweig war das gewöhnliche Kennzeichen eines bei den Göttern Hülfe Suchenden.

Man

erinnere sich nur an den Anfang des König OedipuS von

Sophokles, wo sich das ganze Volk mit solchen Zweigen ver­ sehen vor dem Pallaste seines Herrschers drängt.

Bor diesem Manne . . . Daß die PythiaS den Na­

men der Erinnyen noch nicht kennt, weist darauf hin, daß AeschyluS wohl der Erste war, der eine scenische Darstellung

derselben versuchte.

Die Schilderung, welche er hier von

ihnen macht, ist sehr veschieden von der Art, wie wir sie auf

den Denkmälern abgebildet finden, weil die griechische Kunst von jeher darauf bedacht war, alles Uebertriebene zu vermei­

den und die Charakteristik stets dem höher» Gesetze der Schön­

heit «nterzuordnen, was Lessing allerdings zu dem Ausspruche

berechtigte, die alten Künstler hätten niemals eine Furie dar­ gestellt.

Bei unserem Dichter dagegen sind die grausen und

schrecklichen Züge dergestalt gehäuft, daß wir «nS sehr wohl die Entstehung der Sage erklären können, bei der ersten Auf­

führung der Eumeniden seyen Weiber und Kinder vor Schrek-

ken in Ohnmacht gefalle» oder gar gestorben und AeschyluS habe bald darauf Athen verlassen müssen.

Nehmen wir das

Ergebniß der ausgezeichneten Untersuchungen BöttigerS in seiner Schrift über die Furienmaske als richtig an, so haben

wir uns von den Erinnyen des AeschyluS etwa folgende Bor­ stellung zu machen: „Den Kopf bildete eine GorgonenmaSke,

deren charakteristische Kennzeichen ein struppichteS, schlangen­ artig auseinander sträubendes Haupthaar, ein weitgeöffneter,

zähnefletschender Mund mit weit heranShängender Zunge und

69 bluttriefende Auge» waren.

Die Haare waren mit gelbgrü­

nen Nattern durchflochten und zusammengebnnden. Der Kör­ per war nach Art der Harpyien von widerlicher Magerkeit,

mehr dunkelbraun als eigentlich schwarz gefärbt, die Hände sehr lang mit krallenartig eingebognen Fingern.

Ein langes,

enganschließendes, schwarzes Gewand, von einem breiten, ro­

then Gürtel zusammengehalten, schwere kretische Jägerschuhe von derselben Farbe, und als Zeichen der richterlichen, stra­ fenden Gewalt ein Stab von Eschenholz." — Spätere Dich­

ter, wie Euripides, stellen sie als schöne, kräftige Jungfrauen

dar, in bunten Gewändern, geflügelt und mit Fackeln in den Händen, so daß die äschyleische Vorstellung schon bei Aristo-

phaneS als veraltet erscheint.

Zur zweiten Scene. Nie werd' ich dich verrathen . . . Auffallend kann

cS scheinen, daß Orestes hier nicht wie bei den übrigen Tra­ gikern von PpladeS begleitet ist.

Der Grund davon liegt,

wie Otfried Müller sehr einleuchtend bemerkt, in der großar­

tigeren Motivirung des AeschyluS, nach welcher PyladeS aus Kriffa, der dem Apollon geweihten Stadt, weit weniger de«

zärtlichen Freund des Orestes als den strengen Mahner an

Apollon vorstellt.

Als solche« zeigt er sich in der einzigen

Stelle der Choephoren, wo er sein fortwährendes Stillschwei­ gen unterbricht, indem er z« dem in Vollziehung deü Mordes säumenden Orestes die bedeutungsvollen Worte spricht:

Wo bleiben dann wohl Lorias Verkündungen, Die Sprüche Ppthos, wo der Schwüre heil'gr Treu?

Zieh du die Feindschaft Mer der der Götter vor.

70 Da nun hier Apollon selbst an seine Stelle tritt, so war er in unserem Stücke vollkommen überflüssig. Du aber, mir verbrüdert . . . Hermes, der kluge, verständige Gott, der die Helden, z. B. PriamoS und Hera­ kles, zu allen schwierigen Unternehmungen begleitet, ist auch besonders geschickt zur Beschützung deS Orestes aus seinen Irrfahrten. Einige haben gezweifelt, ob er hier wirklich auf der Bühne erschienen sey; doch wäre eS gar nicht in Geiste des plastischen AeschyluS, wenn Apollon einen Abwesenden der­ gestalt anredete, wie eö hier geschieht. Zur -ritten Scene.

Der größten Ursach' . . . Sie deutet hier darauf hin, daß die Ermordung Agamemnon» nur eine gerechte Rache für die Opferung Jphigeniaö gewesen sey. Wie die Stelle gewöhnlich übersetzt wird, enthält sie eine lästige Tautologie. Das Licht deö Tages . . . Der Sinn des Verses ist etwas dunkel, doch scheint so viel sicher, daß er einen Ge­ gensatz zu dem vorhergehenden bildet und dann ist die gege­ bene Uebersetzung wohl eine der natürlichsten, daß die Erinnyen als Nachtgeschöpfe im Finstern besser sehen als am Hel­ len Tage. Weinlose Spenden . . . Das Opfer für die Eumeniden, wie eS unter Anderm in dem OedipuS in KolonoS deS Sophokles dargebracht wird, bestand aus Wasser und Honig und mußte in größter Sülle vollzogen werden. Die nächt­ lichen Mahlzeiten erinnern an diejenigen, welche man der Zaubergöttin Hekate des Nachts an den Kreuzwegen hinstellte und die gewöhnlich von armen Leuten verzehrt wurden.

71 Hussa, hussa . . . Die Aenderung von Otfried Mül­ ler, welcher hier statt der Pprrhichien eine» jambischen Tri­ meter einführen will, scheint mir keineöwegeS eine Verbesserung. Auf, send' ihm nach . . . Diese Stelle scheint auf ei» Feuer-Schnauben und Hauchen der Erirmpen hinzudeu­ ten, doch ist schwer zu sagen, ob und wie dies auf der Bühne dargestellt wurde. Böttiger und Müller scheine» die Sache übersehen zu haben, denn sie schweigen darüber gänzlich. Zur vierten Scene.

Wir Elende, waü ... Auf diese Stelle wird gewöhn­ lich die Nachricht von dem großen Entsetzen der Athener bei der Aufführung bezogen, doch widerspricht dies dem ausdrück­ lich erwähnten Umstande von einer zerstreuten Vorführung der Erinnpen, und paßt vielmehr ganz allein auf das erste Er­ scheinen derselben am Schluffe der Choephoren. Dort stei­ ge» sie nämlich plötzlich, eine nach der andern, a«S der Un­ terwelt herauf bei de» Worten des Orestes: Dienstbare Frauen, schaut die schwarzgewandtgen,

Gorgonengleichen, die rin wimmelnd Schlangenhcer Ring- hält umflochten.

Richt ist meines Bleibens hier,

und O Fürst Apollon! wuchernd mehrt sich ihre Zahl,

Aus ihren Augen triefet grausenhastes Blut.

Eine Scene von theatralischem Effekte, die sich AeschpluS gar nicht entgehe» lassen konnte. Ihr augenblickliches Verschwin­ den aber, um den Orestes auf seiner Flucht zu begleiten, ist der Grund, daß AeschpluS trotz dem noch eine ausführliche

72 Schilderang derselben folgen lassen konnte, zu der er sich als Dichter gedrungen fühlte. Hinaus, gebiet' ich ... Auf diese Stelle ist in neue­ rer Zeit die berühmte Statue des belvederische» Apollo bezo­ gen worden, dessen Stellung allerdings den Versen sehr ge­ nau entspricht. Dann wäre Heraü Satzung . . . Zeus und Hera sind die mächtigen Hüter der Ehe, als einer bürgerlichen Ein­ richtung ; der Kppriö oder Aphrodite dagegen gehört die Liebe auch in der Ehe. Zur fünften Scene.

Der nicht den Mord mehr . . . Die Behandlung des flüchtigen Mörders in Griechenland war zwischen Abscheu und einer Art von Ehrfurcht getheilt. Weil man durch ihn sein HauS zu verunreinigen fürchtete, nahm man ihn nirgends unter dasselbe Dach auf, redete nicht mit ihm, gewährte ihm aber dennoch Trank und Speise an einem besonderen Tische, bis er durch eine feierliche Sühne der Gemeinschaft der Men­ schen wiedergegeben war. Dieses geschah, indem sich der Mör­ der auf ein Widderfell stellte und über seinem Haupte ein noch säugendes Ferkel dergestalt geschlachtet wurde, daß eS den Darunterstehende» mit seinem Blute besprützte; dann wurde er noch mit Wasser abgewaschen. Diese Ceremonien hat Ore­ stes schon in Delphi erfüllt, ohne jedoch dadurch von de» Eumeniden befreit zu werden, waS erst ei« feierliches Urtheil, wodurch die Gerechtigkeit seiner Sache anerkannt wird, be­ wirken kann.

73

Zur sechsten Scene. Am Wasser Tritons . . . Der Tritonsee, von dem Tritonflnffe gebildet, liegt ohnweit der kleinen Syrte an der Nordküste von Afrika und soll der Geburtsort der Athene ge­ wesen seyn, die deshalb Tritogeneia genannt wird. Nach einer andern Erklärung war aber Trito ein alter Ausdruck für Haupt, und die erste Sage beruht auf einer NamenSverwechfelung. PhlegraS Blachgefild ... heißt die vulkanische Um­ gegend von Kumae bei Neapel, wo Athene in dem Kriege gegen die Giganten ihre erste Heldenthat verrichtet haben soll. So beginnet und schlinget . . . Dieses ist der be­ rühmte Chorgesang, von dem unser Schiller in den Kranichen deS Jbykus einen so schönen Gebrauch gemacht hat. Die Ver­ gleichung ist zu interessant, um nicht seine Worte hier anzu­ führen: „Bestnnungraubcnd, herzbethörend. Schallt der Erinnpen Gesang, Er schallt deS Hörers Mark verzehrend

Und duldet nicht der Leier Klang: Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle

Bewahrt die kindlich reine Seele, Ihm dürfen wir nicht rächend nahn,

Er wandelt frei des Lebens Bahn. Doch wehe, wehe, wer verstohlen Des Mordes schwere That vollbracht. Wir heften uns an seine Sohlen

Das furchtbare Geschlecht der Nacht,

74 Und glaubt er fliehend zu entspringen,

Geflügelt sind wir da, die Schlingen Ihm werfend um den flüchtigen Fuß,

Daß er zu Boden fallen muß. So jagen wir ihn ohn* Ermatten,

Versöhnen kann uns keine Reu*, Ihn fort und fort bis zu den Schatten Und geben ihn auch dort nicht frei.

Zur siebenten Scene. Den Kinder« Thesen- . . . Die Athener lagen seit

langer Zeit mit den Lesbiern in Streit um die Küste von TroaS, namentlich «m Sigeion; die Letzteren behaupteten als

Nachkommen der Pelopidischen Achäer ein altes Anrecht auf die ganze Küste zu haben.

Die Ansprüche der Athener un­

terstützte dagegen der in der Gegend verbreitete Athene-Cultus, namentlich das Heiligthum Glaukopion zu Sigeion.

Er wird den Eid nicht geben . . . Der Sinn ist:

Orestes kann nicht beschwöre», daß er vom Morde rein ist, noch wird er uns seine Blutschuld beschwören lassen.

3xto« galt den Griechen als der erste Mörder, der das

Blut eines Stammgenoffen und zwar des BaterS seiner Braut vergossen hatte.

Lange irrte er, von wilder Wuth ergriffen,

unstät umher; Keiner der Götter und Menschen wollte ihn sühnen, biö sich Zeus selbst seiner erbarmte und ihn reinigte. Der Name selbst bedeutet der „Schutzflehende". Mit dem Trugnetz ihm daö Haupt . . . Die Er­

zählungen von dem Tode des Agamemnon sind verschieden.

75 Nach Aeschyluö warf ihm Klytämnestra, alö er aus dem Bade steigen wollte, ein künstlich gewebtes Kleid ohne Aermel über den Kopf, und schlug den dadurch wehrlos Gemachten mit dem Beile todt. Der herbe Seelenqualen ... Die jetzt uns so bar­ barisch dünkende Blutrache war und ist doch bei Völker», wo die Familie und der Stamm den ganzen Staat ausmachen, die natürlichste Form der Gerechtigkeitspflege «nd war so tief in den griechischen Geist eingewurzelt, daß auch in späterer Zeit die Anklage deö Mörders stets von den Verwandten ausging. Die Strenge der Pflicht des Orestes, den Mord des Vaters zu rächen, wird von AefchpluS in den Choephoren sehr nachdrücklich hervorgehoben; dort sagt nämlich Orestes selber, wie ihm Apollon gedroht habe: Durch Minderung an Gütern sollt' ich schwer gestraft

Und selbst am eignen Leibe mannigfache- Leid

Trostlose- tragend, büßen drum, so droht' er mir. Denn von der Erdfrucht werde sein Gebot da- Volk

Sühnopfer spenden heißen, Krankheit aber un-

Verzehren, Aussatz, der mit wildem Fraß im Fleisch Fortwuchert und de- alten AnsehnS Schöne tilgt,

Daß weiß hervortritt au- dem Siechthum da- Gesicht.

Noch andern Angriff der Erinnpen kündet' er, Der au- de- Vater- ungerochnem Blut erwächst,

Wenn ich im Dunkel seine Brauen leuchten säh'. Denn unterird'scher Seelen, die von Frevlern im

Geschlecht erwürgt sind, nachtumhüllteS Pfeilgeschoß, Wahnsinn'ge Wuth, grundloser Aufschreck au- dem Schlaf,

Läßt nimmer ruhen und gesagt wird au- der Stadt,

76 Von rrzgctriebncr Geißel schwer geplagt der Leib.' Nicht dürfen, sprach er, Solche zu dem Krug de- WeinS Mit Andern treten, nicht zu frommer Spende Brauch Auch sie zum Altar, zur Genossenschaft des Dachs Zu lassen, wehrt des Vaters unsichtbarer Groll. So stirbt zuletzt bei Allen ehrlos, liebelos Er auSgesogen vom Verderben jammervoll. Ob sie bleiben oder gehn ... d. h. ob Orestes von ihnen befreit wird oder nicht.

Zur zehnten Scene. DaS erste Ringspiel ... Wer in de» heiligen Spie­ len im Ringen als Sieger gelten wollte, mußte den Gegner dreimal niedergewvrfen haben. Der doch den Vater Kronos . . . Der Kampf der alten und neuen Götter bildet den Hauptinhalt der ältesten Mythologie. So war der alte Uranos zuerst von seinem Sohne Kronos entthront, dann dieser selbst durch Zeus seiner Herrschaft beraubt und mit den Titanen im Tartaros an­ gefesselt worden. Run heißt es aber bei Pindar, daß Zeus die Titanen wieder erlöst habe, und dieser milderen Sagen­ form huldigt auch AeschyluS, der überhaupt auf das innigste überzeugt war, daß aller Streit der früheren und späteren Weltordnungen nur vorübergehend und die Vorbereitung einer höhern Entwicklung sey. Richt giebt die Mutter . . . Mit Unrecht hat man diese Vertheidigung deS Orestes als eine sophistische bezeich­ net, indem eS hier bei der scharfen Collision der Pflichten ge-

77 gen Vater und Mutter allerdings darauf ankommt, den er­ steren ein wenn auch noch so unbedeutendes Uebergewicht nachzuweisen, wie es hier in der näheren Verwandtschaft ge­ funden wird. Nicht in des MutterschooßeS . . . Pallas Athene entsprang nämlich in voller Rüstung aus dem Haupte ihres Vaters Zeus. Zum Bundsgenossen . . . Athen und ArgoS waren fast in allen Kriegen mit einander verbunden, und erst kurz vorher ein neues Bündniß zwischen beiden Staaten geschlos­ sen worden. Vernehmet meine Stiftung ... In den jetzt fol­ genden Scenen ist es die deutliche Absicht des AeschyluS, auf alle Weise die Würde des obersten Gerichtshofes in Athen, des AreopagoS, zu vertheidigen, welche damals durch die de­ mokratische Parthei auf das Aeußerste bedroht war. Nach der Solonischen Verfassung bestand er aus Alle», welche das Amt eines der neun Archonten tadellos verwaltet hatten, und genoß als Collegium der erfahrenste« Staatsmänner auch ab­ gesehen von seiner richterlichen Thätigkeit ein so bedeutendes Ansehen, daß er das mächtigste Bollwerk gegen alle raschen Neuerungen bildete. So gelang eS auch erst nach seinem Sturze dem gewaltigen PerikleS, die Herrschaft über Athen an sich zu reißen. Dem AreS opfernd ... Nach einer andern Sage soll AreS selbst wegen des an dem Sohne Poseidons HalirrhvtioS begangnen Mordes auf diesem Hügel gerichtet worden seyn. Abwehren wie am Tage . . . Die Sitzungen des AreopagoS wurden am Abend ohne Fackeln abgehalten, damit

78 der Anblick des Angeklagten keinen Einfluß auf das Urtheil auöüben sollte. Wer reineS Wasser . . . Mit richtigem Blicke sieht AeschyluS hier das Unheil der später» Geschichte Athens vorans, wo die ganze Staatsgewalt auf die dnrch die Künste der Redner geleitete Volksversammlung übergegangen, und das Amt des Anklägers und Richters nur zu ost in ihr ver­ einigt war. Wie leicht mußte da die Wahrheit durch blinde Leidenschaft verdunkelt und die Reinheit des Urtheils gefährdet werden, wie eS der Dichter hier in treffenden Bildern ausspricht. Nicht bei den Skythen . . . Die nördlichen Völker so wie auch die dorischen Bewohner des PeloponnesoS stan­ den in dem Rufe großer Gerechtigkeitsliebe. So frech verfuhrest ... Als der thessalische Fürst AdmetoS, der Sohn des Phereü, der den Apollon während seiner Verbannung in sein HauS ausgenommen hatte, dem Tode nahe war, erhielt er ein Orakel von Apollon, daß er noch Rettung finde» könnte, wenn sich Jemand steiwillig für ihn aufopferte. Nur seine Gemahlin AlkestiS erklärte sich dazu bereit und schon war sie den Göttern der Unterwelt ver­ fallen, als Herakles sie wieder befreite. Nun zur Entscheidung . . . Die 12 Zwischenräume der verschiedenen Reden der Athene, der Chorführerin und deS Apollo» führen darauf hin, daß es 12 Areopagiten wa­ ren, welche hier, einer nach dem andern, ihre Stimmen ab­ gaben und zwar in zwei nebeneinander stehende Urnen, die eherne deö Mitleids und die hölzerne des Todes. Nichts ist deutlicher, als daß die Anzahl der Stimmen hier in beiden

79 gleich befunden wird «nd daß der Stein, den Athene noch hinzufügt, den Ausschlag zu Gunsten des Orestes giebt. Den­ noch haben Einige geglaubt, daß erst durch den letzter« die Stimmen gleich geworden seyn, was unter Anderm dem häu­ fig gebrauchte« Ausdrucke „der Stimmstein der Athene" wi­ derspricht, worunter eben die Freisprechung bei unentschiednen Fällen verstanden wird. Nach dieser Ansicht wäre auch die Handlung der Göttin geradezu ein Eingriff in den Lauf der Gerechtigkeit, während sie nur ein billiges Bvrwalten der Milde über das strenge Recht, ein göttliches Erbarmen sey» soll. Euch wohl vor Irrthum hütend . . . Seltsamer Weise lassen hier alle Uebersetzer den Apollon die Richter er­ mahnen, daß sie sich keines Betruges bei Zählung der Stim­ men schuldig machen sollten, als ob bei einer Auswahl der edelsten Bürger an so etwas nur zu denken wäre. Zur elften Scene.

Daß euch ein Wohnsitz . . . Nirgends hatte der Dienst der ehrwürdigen Göttinen (denn unter diesem Namen wurden die Erinnyen allein angerufen) ein größeres Ansehn erlangt als in Athen. Ihr Heiligthum auf dem AreopagoS enthielt außer den Opferheerden auch eine» Abgrund, durch welchen die Göttinnen nach dem Gericht über Orestes in die Unterwelt zurückgekehrt seyn sollen. Wahrscheinlich befanden sich auch hölzerne Schnitzbilder darin, für welche die weiter unten erwähnten Purpurgewäader bestimmt waren. Die Be­ sorgung der Opfer und des feierlichen Festzuges war dem

80 Geschlechte der Hesychidea anvertraut, dessen Namen „die Stillen" auf die große Feierlichkeit und Ruhe hindeutet, welche dieser Gottesdienst verlangte. Eben so berühmt war der Hain der Eumeniden in Kolonos mit dem Grabe des Oedipus, der durch die Tragödie des Sophokles unsterblich geworden ist.